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© fantasieReichverlag, Wien 007
www.fantasiereich.at
Alle Rechte vorbehalten
Layout und Gesamtgestaltung: Sandra Pepek
Covergestaltung: Christian Pepek
ISBN-0: 3-95078--
ISBN-3: 978-3-95078--6
Und aus den Tiefen der Nacht
Freunde und Feinde
by
Sandra Pepek
und
Ines Al-Gaddooa
3
Navitationshilfe: Im nebenstehenden Inhaltsverzeihnis wurden sogenannte Hyperlinks eingebaut. Durch einfaches klicken auf die Namen der Kapitel können Sie direkt zur gewünschten Stelle innerhalb des Buches springen. Die einzelnen Kapitelüberschriften im Buch wurden ebenfalls mit Hyperlinks versehen. Klicken Sie darauf und Sie gelangen zurück zum Inhaltsverzeichnis! Auf der linken Bildschirmseite der PDF-Datei befindet sich ein Reiter mit dem Namen „Seiten“. Klicken Sie darauf und es öffnet sich eine Liste mit den einzelnen Buchseiten. Duch direktes anklicken gelangen Sie an die gewünschte Buchseite.
Prolog
Seite 7 - 3
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Afrikanische Flüche Seite - 37
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Ein alter Feind Seite 38 - 50
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(Un)glückliches Wiedersehen Seite 5 - 7
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Lieben und Leiden Seite 7 - 9
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Verräter Seite 95 -
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Gedankengänge Seite 3 - 9
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Intermezzo Seite 50 - 7
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Freunde Seite 75 - 0
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Kräftemessen Seite 0 - 9
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Zu früh gefreut Seite 0 - 3
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Epilog Seite
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Prolog
Ludeny die Tür öffnete, wehte ihr die abgestandene Luft des Nachtclubs entgegen. Es war eine ekelerregende Mischung aus Rauch, Alkohol und Schweiß. Sie war hierher gekommen, um ab zuschalten und um sich zu entspannen. Dieser Nachtclub, mit dem aussagekräftigen Namen Smoky Dreams, schien ihr der richtige Ort dafür zu sein. Sie wollte die ganze Nacht tanzen - bloß nicht nachdenken, schon gar nicht an ihn. Zu lange lag ihre letzte Begegnung zurück. Mit einigen schnellen Schritten erreichte sie die Bar. Durstig bestellte sie ein Soda und trank es in großen Schlucken leer. Ein neues Lied hatte begonnen und entschlossen schritt sie zur Tanzfläche. Der harte Sound der Musik dröhnte in ihren Ohren. Immer, wenn Ludeny tanzte, wurde sie von geifernden Männern lüstern beobachtet. So war es auch dieses Mal. Aber wie immer interessierte sie sich nicht dafür. Die Tür zum Smoky Dreams öffnete sich erneut und Liam O´Brian trat herein, hoch gewachsen, mit zer zaustem Haar und erschöpftem Gesichtsausdruck. Müde setzte er sich in einer Nische des Lokals an einen freien Tisch. Wie üblich legte er nicht besonders viel Wert auf Konversation, geschweige denn auf Gesell schaft. Die Bedienung trat an ihn heran und fragte ihn nach seinem Getränkewunsch. Sie hatte ihn kaum beachtet, als sie näher getreten war. Aber nun sah er sie mit seinen strahlend blauen Augen an und sie lächelte entzückt. „Na das nenne ich ja mal einen netten Kunden!“, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme und zwinkerte ihm zu. Liam musterte sie von oben bis unten. Sie trug einen Jeans-Minirock und ein bauchfreies Top, unter dem man genau erkennen konnte, dass sie keinen BH trug. Kaugummi kauend zwinkerte sie erneut in seine Richtung. Er mochte diese Art von Mädchen nicht. Eine Frau musste bei ihm Klasse und Stil haben. Aber vor allem durfte sie nicht leicht zu haben sein. „Ich habe doch noch gar nichts gesagt!“, antwortete er ihr. „Wie können Sie da annehmen, dass ich nett bin? Wissen Sie was – vergessen sie`s! Ich hätte gerne einen irischen Whiskey, am liebsten einen Tullemor Dew!“ Die Kellnerin verzog schnippisch den Mund und zog beleidigt, im Richtung Tresen, ab. Ludeny tanzte, als gäbe es kein Morgen, bis sie plötzlich ein ihr bekanntes Gefühl überkam. „Nein, nicht heute und nicht hier“, dachte sie und versuchte den Blick, den sie in ihrem Rücken verspürte, zu ignorieren. Doch die Welle der Erinnerungen war nicht aufzuhalten.
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Sie fand sich in einem wunderschönen Rosengarten wieder. Das Gras fühlte sich unter ihren nackten Füßen weich und angenehm an. Ihre Augen waren geschlossen und Ludeny versuchte sich zu konzentrieren. Ihre Hände hielt sie leicht vom Körper weggestreckt. Und nicht weit von ihr stand er, eigentlich unmittelbar vor ihr. Mit einem wissenden Blick beobachtete er jede ihrer Bewegungen. „Nicht so schnell, langsamer und achte auf deinen Atem!“, wies Liam sie an. Er stellte sich hinter sie und leitete ihre Hände zur nächsten Thai Chi Figur an. Da wusste sie, dass sie ihn liebte. Er hatte ihr so vieles beigebracht, ihr soviel gegeben und sie nie bedrängt. Sie wollte nie wieder ohne ihn sein. Das Lied war vorbei, ebenso wie ihre Erinnerung, und ein langsamer Song wurde angestimmt. Sie gab sich ihren sentimentalen Gefühlen hin und bewegte sich leichtfüßig zur Musik. „Darf ich?“, fragte eine männliche Stimme hinter ihr. Ludeny drehte sich um und blickte in das Gesicht eines attraktiven jungen Mannes mit blonden Haaren und einer sportlichen Figur.
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„Vermutlich ein Bankangestellter“, dachte sie. Mit seinem noblen Anzug und dem siegessicheren Grinsen im Gesicht, machte er den Eindruck sich selbst ziemlich wichtig zu nehmen. Sie nickte nur kurz und lächelt. Der junge Mann folgte der Aufforderung und tanzte engumschlungen mit ihr. Bereits nach kurzer Zeit, spür te sie, wie nervös ihr Tanzpartner wurde und wie fordernd seine Hände sich bewegten. Ludeny versteifte sich in seinen Armen und schellte ihn mit einem bösen Blick. Peinlich berührt sah er sie an und entschuldigte sich. Verlegen lief er zurück zu seinen Freunden, mit denen er Ludeny schon die ganze Zeit beobachtet hat te. Die Männer gaben ihre dümmsten Machosprüche zum Besten. Sie konnten ja nicht ahnen, dass die Frau, über die sie dort redeten, keine von denen war, über die sie sonst immer herzogen. Ludeny musste lachen. Sie liebte es, Männer in Verlegenheit zu bringen und sie in ihre Schranken zu ver weisen. Im Laufe der vielen Jahre hatte sie das männliche Geschlecht schon sehr oft benutzt, um ein wenig Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Sie waren für sie nur ein Spielzeug und ihr sowieso nicht gewachsen - außer dem Einen vielleicht - und an ihn wollte sie nicht denken. Langsam ging sie wieder zurück zur Bar und bestellte sich erneut ein Soda. Sie schloss die Augen und dachte an vergangene Zeiten. Damals, als sie noch ein ganz normales Mädchen gewesen war, ohne das Wissen um die Mächte, die in der Welt ihr Unwesen trieben und sie schließlich zu dem gemacht hatten, was sie nun war. Und sie dachte daran, dass es da jemanden gab, der ihr gezeigt hatte, wie man mit seinen eigenen Kräften Gutes bewirken konnte. Aber als er sie verlassen hatte, war es ihr egal geworden, anderen zu helfen. Sie musste sich allein durchschlagen und das gelang ihr seit langer Zeit ziemlich gut, wie sie zufrieden feststellte. Was kümmerte Ludeny also das Leid der anderen Menschen? Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und sie war sich selbst am nächsten. Man konnte mit ihren Fähigkeiten richtig viel Geld verdienen und das war es doch eigentlich auch, worum es in der Welt ging. Liebe war vergänglich, genauso wie Glück! „Um meine Gesundheit brauche ich mir ja schließlich auch keine Gedanken machen!“ Sie musste schmun zeln, als sie das dachte. Die schnell aufeinanderfolgenden Beats des nächsten Liedes zogen Ludeny zurück auf die Tanzfläche und sie trank schnell ihr Glas leer. Ein neuer Tanz - und womöglich ein neuer Partner - warteten auf sie. Sie genoss den Abend und die Abwechslung ebenso sehr, wie die Blicke der umstehenden Männer. Liam sah sich ein wenig in dem dunklen Laden um. Er konnte bei den schlechten Lichtverhältnissen nicht besonders viel erkennen - eine Schwäche seiner Art. Die Bedienung kam zurück und stellte ihm das Glas mit dem Whiskey vor seine verschränkten Arme. „Bitte sehr!“, sagte sie kess. Kommentarlos legte er ihr das Geld auf den Tisch und nahm das Glas in die Hand. Er schloss die Augen während er trank und der Whiskey floss angenehm warm seine Kehle hinunter. Plötzlich war es wieder da, das Bild der Frau, die er wohl niemals vergessen würde.
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Sie lächelte ihn an. Es war genau dieses Lächeln, das ihn jedes Mal ansteckte, wenn er ihr wieder einmal sagen musste, dass sie sich nicht richtig konzentriert und solche Fehler sie eines Tages vielleicht ihr Leben kostete. In seiner Vorstellung war sie immer noch dieses unbeschwerte, junge Mädchen, das ihm irgendwann einmal sein Herz gestohlen hatte. In dieser Erinnerung stand Ludeny auf der Wiese in seinem Garten. Sie hatte einfach nicht die Disziplin, die man für Thai-Chi brauchte. Er legte seine Arme stützend um sie, als sie plötzlich ihre Balance verlor. Liam spürte ihre seidig weiche Haut auf seinem nackten Oberkörper. Sie lachten beide und fielen ins weiche, vom Morgentau feuchte, Gras. Er beugte sich über sie und sie lächelte ihn unschuldig an. In diesem Moment konnten sie ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren und küssten sich leidenschaftlich. Das lag alles schon so lange zurück. Die Gedanken ließen Liam wehmütig werden. „Es ist wohl wirklich nur noch eine Erinnerung an etwas, das man nicht mehr zurückholen kann. Und selbst wenn man die Zeit zurückdrehen könnte, wäre es für uns unmöglich, unsere Gefühle füreinander auszuleben, nicht in diesem Leben!“ Er öffnete wieder die Augen und stellte unzufrieden sein leeres Glas ab. Sie war da - so wie er es erwartet
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hatte. Im Laufe all der Jahre hatte er gelernt sie aufzuspüren. Es waren immer die schmierigsten Clubs oder Bars gewesen, in denen er sie antraf. Eigentlich wollte er nicht mehr über die Vergangenheit nachdenken. Liam genoss einfach nur ihre Tanzshow, als ihn eine weitere Erinnerung erwischte.
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Er stand vor einer heruntergekommen Bar in Soho. Hier würde er sie finden, dass wusste er. Liam trat ein und die stickige, testosterongeladene Luft traf ihn wie eine Keule. Ludeny stand vor der Bar. Ihre Kleidung entsprach genau dem Stil der damaligen Zeit - kurze Jeans, Netz strümpfe in Neonpink, die Haare zu einem wilden Zopf gebunden. Dazu trug sie ein T- Shirt mit einem sehr weitem Ausschnitt. Sie strahlte gerade einen jungen Mann an ihrer Seite an, als sie Liam entdeckte. Wütend sprang sie auf und ging zu ihm hinüber. „Du schon wieder!“, begrüßte sie ihn mit verächtlichem Ton in der Stimme. Und an alles was danach geschehen war, wollte er momentan schon gar nicht erinnert werden. Ein schrecklicher Streit mit ihr hatte ihn damals dazu gebracht, England zu verlassen. Nun aber tanzte sie wieder ausgelassen vor seinen Augen. Sie sah bezaubernd aus in ihrem schwarzen Catsuite. Aber das tat sie ja immer, egal, was sie trug. Schwungvoll drehte sie sich zu ihm und schritt durch die anderen Tanzenden hindurch. Mit ihren Blicken fixierte sie ihn dabei. „Wie kommst du hierher?“, sagte sie und gab sich verwundert. „Ich bin schon einige Zeit in der Stadt!“, antwortete er und blickte Ludeny mit seinen strahlend blauen Augen eindringlich an. „Wie lange schon?“, fragte sie und lächelte vorsichtig. „Etwas über eine Woche!“, erwiderte er gelassen. „Das ist doch noch nicht so lange“, sagte sie leise und schaute zu Boden. „Was machst du? Hast du wenigstens ein Dach über deinem Kopf?“, fragte er und versuchte seine Sorgen um sie, so gut es ging, zu verbergen. Er konnte sich noch gut an Zeiten erinnern, als Ludeny kaum genug hatte, um sich wenigstens eine vernünftige Bleibe leisten zu können. „Es geht mir gut! Ehrlich!“, antwortete sie mit Nachdruck. „Hast du jemanden, ich meine, bist du mit jemandem zusammen?“ Sie hatte sich inzwischen auf den freien Stuhl gesetzt und beide ließen sich gegen seitig nicht mehr aus den Augen. „Was? Oh, nein, ich bin immer noch Single. Du weißt ja, eingefleischter Einzelgänger.“ Er versuchte die Situation zu entschärfen. „Und du? Ich meine, hast du jemanden?“ Liam sah sie erwartungsvoll an, und hoffte, dass sie ebenfalls nicht vergeben sei. „Oh, ja, ich bin mit einem sehr netten Studenten zusammen - Stevie. Er ist wundervoll, liest mir einfach jeden Wunsch von den Augen ab!“ Sie sah ihren alten Freund von der Seite an und wartete gespannt auf seine Reaktion. „Das freut mich für dich. Ehrlich!“ Er tat so, als wenn ihn ihr letzter Satz nicht berührt hätte. Aber inner lich kochte er vor Eifersucht. Die Sache mit Stevie entsprach nicht ganz der Wahrheit. Jedoch war Liams entsetzter Blick die Lüge Wert gewesen. „Sollte er Stevie jemals treffen, dann glaubt er die Geschichte wahrscheinlich sowieso nicht mehr!“, dachte sie und lächelte nur. „Und? Was hat dich hergetrieben? Wieder einmal etwas schrecklich Böses oder unheimlich Ekeliges?“, fragte sie in gewollt belanglosen Ton. „Ja, aber ich habe alles im Griff. Und dich? Wieder einmal ein Kunstraub? New York ist groß, du hast sicher alle Hände voll zu tun!“, antwortete er abfällig. Sie zog ihre grünen, mandelförmigen Augen zu schmaleren Schlitzen zusammen und durchbohrten ihn damit regelrecht. „Wenn du sonst nichts weiter zu sagen hast, werde ich jetzt lieber wieder tanzen gehen. Ich könnte sagen, es hat mich gefreut dich wieder zu sehen, jedoch…“ Betroffen stand sie auf und wollte würdevoll davonschreiten, als er sie am Handgelenk festhielt. „Ludeny, es tut mir leid. Ich hatte kein Recht... bleib doch, und lass uns reden!“, versuchte er sie zu rückzuhalten. „Wenn ich so darüber nachdenke, haben wir uns wohl sowieso Nichts mehr zu sagen. Ich wünsche dir
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einen schönen Aufenthalt. Um diese Jahreszeit ist New York wunderschön. Lass es dir gut gehen!“, sagte sie und zog mit einem Ruck ihren Arm aus seiner Umklammerung. Er versuchte noch etwas zu erwidern, aber die Worte starben, bevor sie seinen Mund verließen. Als sie sich erneut umdrehte, um wegzugehen, rief sie ihm noch schnell nach „Liam, ich… pass gut auf dich auf, ja?“ Doch als Antwort erhielt sie nur ein charmantes Lächeln. Als sie sich ein zweites Mal umdrehte, war er bereits verschwunden. Sie ging noch einmal zur Tanzfläche und versuchte sich zu entspannen, in dem sie wieder zu tanzen begann. Aber es nützte nichts. Er ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Ludeny griff sich ihre Jacke und verließ mit tausend gemischten Gefühlen den Laden. Liam, der das Lokal sofort nach dem Gespräch verlassen hatte, war inzwischen drei Strassen weit weg und blieb plötzlich stehen. Lauschend schloss er die Augen. Dann drehte er sich um und sagte: „Hallo Wanda!“ „Du hast mich gehört?“, fragte die junge Frau verwundert, die ihn schon einige Zeit - fast lautlos - ver folgt hatte. Bei seiner Verfolgerin handelte es sich um eine sehr gut aussehende Frau, hoch gewachsen, tief schwarzes raspelkurzes Haar und eine tolle Figur. Sie wirkte beabsichtigt kühl in ihrem Lederoutfit - eine schwarze Lederhose und einem schwarzen, hochgeschlossenen Lederblouson. „Ich war dieses Mal wirklich sehr leise!“, sagte sie enttäuscht. „Aber eben nicht leise genug!“, antwortete ihr Liam. „Ach, was soll‘s, für einen normalen Menschen würde es reichen, um unbemerkt zu bleiben!“, sagte sie trotzig und winkte ab. „Ja, nur, das wir es eher selten mit normalen Menschen zu tun haben!“, erwiderte er nun mit einem Lä cheln im Gesicht. „Wer ist sie?“, fragte Wanda ihn jetzt direkt, als sie ein Stück gegangen waren. Er war erstaunt, dass er nicht gemerkt hatte, wie Wanda ihn anscheinend bereits im Club beobachtet haben musste. „Wen meinst du?“, erwiderte er unschuldig. Sie sah ihn bloß mit einem Augenzwinkern an und lächelte, was bei ihr wirklich Seltenheitswert hatte. Liam war ertappt und er wusste es. „Das ist eine lange Geschichte und ich habe auch keine Zeit, sie dir zu erzählen. Sie gehört der Vergangenheit an!“, gab er zurück und sie verstand das Zeichen, nicht mehr in der anscheinend noch offenen Wunde zu bohren. „Es gibt Arbeit!“ Wanda wechselte das Thema. „Lass hören!“, sagte er und war eigentlich mit den Gedanken ganz woanders, genauer gesagt in Austra lien.
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Er verfolgte gerade einen Snierok Dämon, eine wirklich schreckliche Gattung. Diese ernährten sich aus schließlich von Kindern. Er hatte sie schon auf der ganzen Welt gejagt und glaubte, sie seien in der Zwischen zeit ausgestorben, als er vom letzten dieser Art erfuhr. Es war ein wahres Kinderspiel ihn zu finden und zur Strecke zu bringen. Doch dann traf er Ludeny. Sein Herz raste. Was hätte er sagen können, um ihren Schmerz zu lindern? Er sagte damals nichts. Liam sah sie nur an, drehte sich um und verschwand, wie er es immer tat. „Sag einmal, hörst du mir eigentlich zu oder ist es besser, ich schreibe es dir auf. Dann kannst du es ja lesen, wenn du mehr Zeit hast!“, fauchte ihn Wanda an. „Entschuldige. Ich war nur kurz abgelenkt.“, verteidigte sich Liam halbherzig. „Das freut mich ungemein. Ich hoffe die Gruppe von Meisnern weiß das zu schätzen!“ Wanda stampfte wütend an ihm vorbei. „Okay, okay! Du hast ja Recht. Ich war wohl nicht ganz bei der Sache!“ Er ging ihr hinterher, um sie zu besänftigen. „Vergiss es!“, sagte sie. „Ich habe keine Lust, es dir heute noch einmal zu erzählen. Wir reden morgen noch einmal darüber! Es eilt ja nicht. Vor dem nächsten Vollmond passiert da ja sowieso nichts und der ist erst in zwei Tagen!“ Sie ging und ließ Liam in seiner Unwissenheit zurück. Er merkte erst jetzt, dass er hungrig und müde war. Deshalb machte er sich auf den Heimweg.
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Unterwegs hoffte er noch rechtzeitig am Schlachthof anzukommen, um sich ein paar frische Tierinnereien holen zu können. Als er mit einer großen, frischen Schweinemilz in seiner Wohnung ankam, ließ er die Tür ins Schloss und sich - kurz darauf - in den Sessel fallen. Seine letzte Mahlzeit war jetzt ungefähr 0 Tage her und um bei Kräften zu bleiben, sollte er mindestens ein Mal pro Woche eine große Portion dieser Nahrung zu sich nehmen. Er spürte jeden Knochen im Körper, während er das Fleisch auspackte. „Da esse ich das Zeug nun schon 9 Jahre lang und habe mich noch immer nicht daran gewöhnt!“, sagte er zu sich selbst und aß sein rohes Mahl schnell auf, um endlich in sein Bett gehen zu können. Ludenys Heimweg war kurz und so kam sie noch rechtzeitig vor Sonnenaufgang zu Hause an. Nicht, dass sie sich verstecken müsste, nein. Es war nur so eine Sache mit der Sonne. Sie hatte in letzter Zeit ihre Übungen ein klein wenig vernachlässigt. Daher war sie auch etwas geschwächt und konnte sich derzeit ein Sonnenbad einfach nicht leisten. Sie sperrte ihre Tür auf und trat in den großen Eingangsbereich. Zu ihrer Rechten stand ein kleiner antiker Tisch. Ludeny hatte ihn vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt entdeckt und musste ihn einfach haben. Sie legte ihren Schlüssel darauf und schlüpfte aus den Schuhen. „Aber morgen wird meditiert. Ist das klar Fräulein?“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und hob dabei drohend ihren Zeigefinger. So hatte es vor unzähligen Jahren Liam immer zu sagen gepflegt. Ein verbissenes Lächeln huschte über ihre Lippen, bevor sie ins Bad ging, um heiß zu duschen. Anschließend schlüpfte sie in ihren goldfarbenen Morgenmantel und in die weichen Plüschhausschuhe. In der Küche lagen auf der Arbeitsfläche aus hellem Marmor einige rotbackige Äpfel, eine Honigmelone und mehrere reife Bananen. Sie schnappte sich einen der Äpfel und ging weiter durch das Wohnzimmer hindurch in das Arbeitszimmer. Flüchtig blickte sie auf die Wand neben dem großen Eichenschreibtisch. Dort hingen Fotos, Stadtpläne mit kleinen Fähnchen und einige Post-it im wilden Durcheinander. Sie schnappte sich ihren Sessel und setzte sich direkt davor. „Arbeit lenkt bekanntlich am besten ab“, dachte sie und fing an, etwas Ordnung in ihre Arbeitsunterlagen zu bringen. Immer wieder sah sie zu dem kleinen, alten Ölbild, das an einem unauffälligen Platz auf ihrem Sideboard stand. Darauf waren sie und Liam zu sehen. Er sagte damals zu ihr: „Wenn du jemals glauben solltest, das ich dich nicht mehr liebe, dann sieh dir dieses Bild an und du weißt, dass sich meine Gefühle für dich niemals ändern werden!“ „Ja, natürlich! Deine Gefühle waren bloß niemals stark genug!“, sagte Ludeny zu seiner Abbildung, nach dem sie aufgestanden war und das Bild in Händen hielt. „Liebe? Pah! Das ich nicht lache!“ Enttäuscht stellte sie es an seinen Platz zurück und ging in ihr Schlafzimmer. Vor dem großen Himmelbett zog sie sich ihre Hausschuhe aus und legte ihren Kopf auf die warmen, dicken Kissen. Bevor sie die Augen schloss, sagte sie noch: „Sieh doch, wie gut ich’s habe! Und du? Ich wette, du hast dir wieder irgendwo eine schäbige kleine Wohnung genommen, damit du auch ja nicht auffällst!“ Sie schlief schnell ein und träumte.
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Eine weite Ebene - alles war grün und der Himmel färbte sich wegen des bevorstehenden Sonnenunter gangs gerade wundeschön Rot. Liam schritt einen kleinen Hügel empor und sah Ludeny an dessen höchster Stelle stehen. Ihre Haare wehten im Wind und ihr langes weites Kleid flatterte im gleichen Rhythmus dazu. „Warum verblüfft mich ihre Schönheit immer noch so sehr“, dachte er sich, während er - wie magisch angezogen - auf sie zuging. Sie lächelte ihn an und öffnete ihre Arme. Er glitt sanft in ihre Umarmung und sie begannen sich vorsichtig zu küssen. Der Kuss wurde wilder und verlangender. Beide glitten zu Boden. Ihre Hände berührten seine starke, bebende Brust. Seine strichen ihr seidiges Haar zur Seite und kamen an ihrem Hals zum Stillstand. Sanft streichelten sie sich, bis die Lust sie nicht mehr vorsichtig sein ließ. Sie entkleideten sich gegenseitig, während sie sich weiterhin zärtlich küssten. Liam stützte sich vom Boden ab, um ihren perfekten Körper zu betrachten. Als er sich ihr vorsichtig näherte... Ludeny schreckte schweißgebadet aus ihrem Traum hoch.
Am anderen Ende der Stadt ging es Liam nicht anders.
Ein weiterer Punkt ihrer „Beziehung“. Sollte einer einen Traum haben, in dem der Andere die Hauptrolle spielt, träumte dieser automatisch das Selbe. Das war wohl Schicksal, wenn ein Dunkelslug sich in einen Gamblin verliebte. Liam schreckte im Bett auf. „Nicht das schon wieder! Immer wieder tut sie so etwas!“ Müde erhob er sich und rieb sich mit den Händen das Gesicht. „9.OO Uhr. Da habe ich ja tatsächlich fünf Stunden am Stück ge schlafen!“, sagte er mit leichtem Sarkasmus zu sich selbst. Er erhob sich und ging noch etwas schlaftrunken in die Küche. In seinen Boxershorts stand er am Spülbecken und nahm sich ein Glas Wasser. Ihm fiel der Traum erneut ein und schlagartig wurde er sehr ernst. Dabei bemerkte er nicht, wie sein Griff um das Glas immer fester wurde. Es zerbrach mit einem Klacken in seiner Handfläche und erst als sich die Scherben in sein Fleisch bohrten, wachte er aus seinen Gedanken auf. „Verdammt, Ludeny! Sieh was du mit mir machst!“, fluchte er. Dann bückte er sich und hob die Glasstücke vorsichtig auf, um sie im Müll zu entsorgen. Plötzlich klopfte es an der Tür. Sein Herz begann zu rasen. „Das kann nicht sein“, dachte er aufgeregt bei sich. „Sie weiß doch überhaupt nicht, wo ich…“ Eilig hastete er zur Tür in der leisen Hoffnung, dass sie davorstand. Erwartungsvoll und mit klopfendem Herzen griff er nach der eisernen Türklinke, atmete noch einmal laut aus und drückte sie hinunter. „Wanda!“, sagte er etwas enttäuscht. „Wen hattest du denn erwartet?“, fragte sie und schlüpfte durch den Türspalt hindurch in seine Wohnung. Liam fuhr sich mit der Hand betreten durch sein dichtes, wirres Haar und sah zu Boden. „Niemanden!“, antwortete er kurz. Sie begutachtete ihn von Kopf bis Fuß. Wie er so vor ihr stand, aus schließlich mit Boxershorts bekleidet und sagte dann keck: „Nettes Outfit!“ „Danke! Was willst du hier? Du bist doch sicher nicht her gekommen, um mir zu sagen, das ich schicke Unterwäsche trage!“ Er ging ins Bad, drehte das Wasser in der Dusche an und stieg aus den Shorts. Wanda schaute frech durch den kleinen Spalt der Tür, um vielleicht einen kurzen Blick auf ihn erhaschen zu können. „Wanda Schatz. Es wäre ganz nett, wenn du dich ins Wohnzimmer setzen würdest und dort auf mich wartest!“, rief Liam ihr zu. „Pöh!“, antwortete Wanda gespielt beleidigt. „Denkst du denn wirklich, dass ein fast menschlicher Mann mich interessieren könnte? Doch wohl höchstens zu Forschungszwecken - viel zu wenig Haare, wenn du mich fragst!“ Etwas verärgert darüber, dass sie sich von ihm hatte ertappen lassen, ging sie ins Wohnzim mer und setzte sich auf den Sessel. Mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt kam Liam einige Minuten später mit tropfnassem Haar aus dem Bad und schüttelte - ähnlich einem Hund der vom Regen ins Trockene kommt - seinen Kopf. „Na dann dürfte es dich ja wirklich nicht besonders anmachen, mir beim morgendlichen Duschen zuzu sehen“, sagte er lächelnd und zwinkerte ihr dabei zu. „Ihr Menschen!“, entgegnete sie verächtlich. „Ich bin hier, weil ich dachte, dass du heute eventuell etwas aufnahmefähiger für das Problem mit den Meisnern bist. Aber wenn ich daran denke mit welchem Gesichts ausdruck du mir eben die Tür geöffnet hast?“ Wanda sah ihn fragend an. „Ich bin fit! Fang an!“ Liam ging in die Küche und kochte sich einen Kaffee. „Okay! Ich war im Vidal“, fing sie zu erzählen an. „Da traf ich diesen Hucks, du weißt schon, diesen Troff dämonen, der immer diese schrägen Geschäfte mit den Hexen macht!“ „Ja, ich weiß, wen du meinst! Und?“ Liam nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und schloss genie ßend die Augen. „Nun ja, der hat mir nach langem Hin und Her erzählt, dass er von Meisern gehört hat, die sich irgend wo in den Abwasserkanälen, rumtreiben. Wo sie sich allerdings ihr Nest gebaut haben, konnte er mir nicht verraten. Ein Überfall a das städtische Wasserwerk ist also nur eine Frage der Zeit. Und du kannst dir ja wohl vorstellen, was das für New York bedeuten würde!“ Wanda blickte über ihre Schulter in die Küche, um sicher zu gehen, dass Liam ihr diesmal auch wirklich zuhörte. Liam stellte angeekelt die Tasse auf den Küchentisch und kam zu ihr herüber. „Ja, das heißt, dass New York bald viele kleine Meisnernnachkommen begrüßen kann! Wenn die ihre Eier
dort ablegen, dann kann ich in Zukunft meinen Kaffee nur noch aus Schleimwasser kochen!“, witzelte er sarkastisch. „Also bist du einverstanden, die Kanalisation dieser Stadt zu inspizieren?“, fragte Wanda nicht gerade begeistert von der Idee. Liam nickte genauso unerfreut. „Ja meine Liebe. Bis zur Eiablage nisten sich unsere kleinen Freunde ja immer in den dreckigsten Ge genden ein.“ „Schön, was für ein Widerspruch. Sie wohnen im Abfall und nisten im Gebirgsbach! Ekelerregend diese Biester!“ Ihr Partner verzog angewidert den Mund. Plötzlich schmeckte sein Kaffee sehr schal.
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So
Afrikanische Flüche
sehr Ludeny es auch versuchte, sie konnte nicht mehr einschlafen. Nachdem sie sich mehrere Stunden von der linken auf die rechte Seite gedreht hatte, beschloss sie letztendlich aufzustehen. Ihr Appartement war dank der dicken, rubinroten Samtvorhänge gut angedunkelt, sodass die wärmenden Strahlen der morgendlichen Sonne ihr nichts anhaben konnten. Sie zog ihren schwarzen Designer Trainingsanzug an, stellte sich auf ihre Sprotmatte und begann mit den üblichen Atemübungen. Es dauerte nicht lange und sie hatte den Rhythmus zwischen Atem und Bewegung gefunden. Nach drei Stunden meditativem Üben war gerade einmal das Minimum ihres Bedarfs des Kräftetankens abgedeckt. Plötzlich wurde die Tür zu ihrem Apartment geöffnet. „Das kann nicht sein. Er weiß nicht...“, dachte sie erschrocken. Doch dann hörte Ludeny eine ihr bekannte Stimme „Ludeny? Wo bist du?“ Stevie blickte kurz in jedes Zimmer, an dem er vorbeiging. Als er schließlich im Wohnzimmer ankam, fand er seine Freundin mitten in einer Thai Chi Übungsfigur vor. Ihr Körper wirkte zerbrechlich in dem engen Anzug. Die Spaghettiträger des Oberteils betonten ihre zarten Schultern und ihr langes Haar war zu einem festen Knoten gebunden. Abschließend führte sie die Hände zu ihren Hüften und atmete laut aus. Durstig griff Ludeny nach einer Flasche Soda, die sie auf ein kleines Beistelltischchen gestellt hatte und zu einem Handtuch, das auf der Lehne eines Stuhles lag. „Stevie, du weißt genau, dass du mich nicht stören sollst, wenn ich meine Übungen mache!“, sagte sie leicht erbost. Irgendwie war sie nicht in der Stimmung mit ihm zu reden. „Tja, gesagt hast du das ja schon mehrere Male. Aber ob ich es mir gemerkt habe, ist eine andere Sache. Und noch eine Frage: Wie soll ich durch eine verschlossene Tür sehen, was du gerade machst? Es gibt sicherlich irgendwelche Dämonen oder sonstige Monster die das können - halt warte, ich will es gar nicht wissen“, unterbrach er sich selber, da er sich im Grunde nicht einmal ausmalen mochte, wie die Wesen, die solche Fä higkeiten besaßen, wohl aussahen. Während er so drauflos redete, setzte er sich auf einen ihrer exquisiten, samtbezogenen Ohrensessel. „Was gibt es?“, fragte sie, während sie noch ein paar letzte Dehnungsübungen machte. „Arbeit wie immer“, antwortete er, stand auf und ging in das Arbeitszimmer. Leicht genervt rollte Ludeny mit den Augen und folgte ihm. Aber sie wusste, dass sie gut daran tat, sich anzuhören, worum es ging. Stevie hatte ein sehr gutes Gespür, wenn es um lukrative Jobs ging. Lässig nahm sie auf ihren Schreibtisch platz. „Okay! Dann schieß mal los!“ „Also, es geht um einen total einfachen Auftrag. So leicht sind wir noch nie zu Kohle gekommen!“, lobte Stevie den Auftrag schon vorne weg und rieb symbolisch die Fingerspitzen seiner rechten Hand aneinander, um ihr anzudeuten, dass es um sehr viel Geld ging. Aus der Gesäßtasche seiner Hose zog er einen eingerollten Bauplan eines alten Bürogebäudes. Er breitete ihn auf dem Schreibtisch aus und schaltete die Tiffanylampe ein. „Unser potenzieller Auftraggeber hat es auf eine alte, afrikanische Maske abgesehen. Frag mich nicht wa rum, denn das Teil ist wirklich hässlich! Aber egal, solange er gut dafür zahlt“ Stevie grinste verschmitzt. „Was für Sicherheitsvorkehrungen?“, fragte Ludeny kurz. „Das ist das Allerbeste daran! Es gibt nur zwei Kameras und die Alarmanlage stammt wahrscheinlich noch aus der Gründerzeit! Also, ein Durchmarsch par excelance!“, antwortete er mit schlechtem franzö sischen Akzent. Lächelnd sah sie ihn an. Sie hatte in all den Jahren gelernt, nicht zu euphorisch zu sein, wenn es um angeblich ‚leichte Jobs’ ging. Ludeny ging lieber auf Nummer Sicher. Stevie legte den Kopf etwas
schräg, schaute sie an und fragte: „Und, kann ich ihm zusagen?“ „Hast du dir das Haus denn schon genauer angesehen?“, entgegnete sie ohne auf seine letzte Frage ein zugehen. „Das hatte ich heute vor!“ Er rollte den Bauplan wieder zusammen und steckte ihn in seine Gesäßtasche zurück. „Dann sieh es dir an und wenn alles okay ist, dann darfst du zusagen.“ Ludeny sprang vom Schreibtisch und ging ins Schlafzimmer, um sich etwas Frisches anzuziehen. „Und wie war es gestern in der Disco? Hattest du Spaß?“, rief Stevie neugierig in ihre Richtung. Aus dem Schlafzimmer hörte man, wie einige Laden und Kastentüren auf- und zugingen. Dann kam sie wieder ins Arbeitszimmer zurück, stellte sich direkt vor Stevie und streichelte sanft über seine rechte Wange. „Ich bin alleine nach Hause gegangen, falls es das ist, was du wissen wolltest“, antwortete die junge Frau, blinzelte ihm zu und trat ans Fenster. Vorsichtig spähte sie zwischen den schweren Vorhängen hinaus. „Wo Liam gerade ist und was er wohl macht?“, fragte sie sich Gedankenversunken. Als sie Stevies Hand auf ihrem Rücken spürte, drehte sie sich um. „Und welcher Mann hat es gestern trotzdem geschafft deine Gedanken festzuhalten?“, fragte er eifersüchtig. „Was? Ach, vergiss es. Du kümmerst dich um das Bürogebäude!“, sagte sie sehr bestimmt. Am Tonfall erkannte Ludenys Freund, dass sie keine Lust hatte über den vergangenen Abend zu reden. Stevie drehte sich leicht gekrängt in Richtung Tür. „Selbst Schuld, Mr. Neugier. Bei dem Thema hat sie noch nie freundlich reagiert. Was soll’s! Ist ja nicht der erste galante Rauswurf!“, maulte er vor sich hin und verließ ihre Woh nung. Liam hatte sich inzwischen angezogen und war zu Wanda ins Wohnzimmer gegangen. „Okay, wir können ja mal sehen, ob wir das Versteck der Meisners ausfindig machen können!“, sagte er, schnappte sich seine Jacke vom Haken der Garderobe und verließ die Wohnung. Auf der Straße angekom men, strahlte die Sonne ihm entgegen - er atmete tief ein. Verträumt schaute er zum Himmel und lächelte vor sich hin. „An wen denkst du?“, fragte Wanda, als sie hinter ihm auf die Strasse trat. „Warum glaubst du, dass ich an eine Frau dachte?“, antwortete er und grinste. „Hab ich doch gar nicht behauptet!“, entgenete sie und stieg in ihr Auto. Liam setzte sich, immer noch lächelnd auf den Beifahrersitz. Da sie die Vorlieben der Meisners für ihre Niststellen kannten, fuhren sie für ihre Recherchen nach Jersey in die Willow Avenue. Das war die beste Gegend, um unbeobachtete in die Kanalisation abzusteigen. Am Ziel angekommen, öffneten sie einen abgelegenen Kanaldeckel. Es hätte auch jeder andere in dieser Gegend sein können. Hier mischten sich niemand in die Machenschaften anderer Leute. In diesem ärm lichen Viertel waren die Menschen einfach nur froh, wenn sie jeden Tag genug zu Essen auf dem Tisch hat ten, ihre Kinder satt bekamen und nicht von irgenwelchen Gangsterbanden bestohlen oder gar ermordet wurden. Die beiden stiegen hinab in Dunkelheit der New Yorker Kanalisation und Liam fragte sich, warum er eigentlich geduscht hatte. Denn der vorherrschende Gestank versprach die ekeligsten Dinge. Um diese widerlichen Gerüche nicht auch noch einatmen zu müssen, gingen sie ein ganzes Stück schweigend an den schmierigen, steinernen Wänden entlang. Nach einer Weile blieben sie an einer Abzweigung stehen. „Was jetzt?“, fragte Wanda „Trennen wir uns?“ „Nein, das ist keine gute Idee! Wir sollten zusammen bleiben. Wenn nur einer alleine auf den Meissnerunterschlupf stößt, könnte das sehr unangenehm werden!“, antwortete er. Nicht, dass er sich dabei Sorgen um sein Leben machte, nein. Er fühlte sich irgwendwie für Wanda verantwortlich und das schon seit er ihr vor 5 Jahren das Leben gerettet hatte und sie als Dank dafür geschworen hatte, immer an seiner Seite zu kämpfen.
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Der Tunnel führte immer tiefer in die Kanalisation hinein. Es stank immer noch fürchterlich und Wanda fluchte die meiste Zeit vor sich hin. „Schrecklich! Egal um welche Dämonenart es sich handelt und wie böse sie auch immer sein mag, aber hier kann man doch nicht freiwillig hausen! IGITT!“ Sie stampften weiter durch das schmutzige Abwasser der Stadt New York. Ratten begleiteten sie auf ihrem Weg, vielleicht darauf hoffend, dass einer von ihnen schwächelte und sie ihn dann genüsslich anknabbern konnten. Erneut kamen sie an einen Abzweig. Beide blieben stehen. „Und jetzt?“, fragte Wanda erneut und deutete auf die beiden Wege. „Ich sagte doch, wir sollten uns auf teilen“ Doch Liam war weiterhin unschlüssig. „Meisnern können einen fürchterlich verletzten, das weißt du. Ihre Flügel sind scharf wie Rasiermesser und sie sind klein und flink. Wir bleiben zusammen und gehen nach rechts!“ Ohne ihren Einspruch abzu warten, schritt er vorran. Sie gingen noch ein Stück in die angegebene Richtung. Doch Wanda wurde zuse hends genervter. „Das ist echt nicht mehr schön! Die müssen doch irgendwo sein! Verdammt!“ „Scht!“ Liam hielt sich einen Finger vor den Mund, um ihr anzudeuten, sich leise zu verhalten. „Da ist etwas!“, flüsterte er. Wanda sah sich um und blickte an die Decke des Kanals. Da waren sie. Sie hingen wie Fledermäuse von der Decke und schlummerten vor sich hin. Wanda hielt schnell die mitgebrachte Taschen lampe zu Boden, um die relativ kleine, aber sehr gefährliche Dämonenart, nicht aufzuschrecken. Liam zeigte leise in eine andere Richtung an der Decke. Dort befand sich ein Kanaldeckel, den sie für die Flucht nach oben nutzen konnten, falls ihr Vorhaben fehlschlagen sollte. Aber auch wenn die Meisners end gültig vernichtet waren, war dieser Weg mit Sicherheit der angenehmere. So mussten sie nicht wieder den ganzen Weg durch die abartig stinkenden Gänge zurückwandern. Geräuschlos nahm er aus seiner Jacke eine Flasche mit Brennpaste und ein messingfarbenes Feuerzeug. Vorsichtig fing er an unterhalb der Meisners die Brennpaste auf dem schmierigen Bode, zu verteilen. Wanda folgte ihm in Richtung Kanaldeckel und warf dabei einen feinen silbernen Staub auf die Paste. Dieser Staub war extrem leicht entflammbar und brachte jede Glut zum raschen Auflodern. Das somit entstandene Feuer würde eine außergewöhnlich hohe Temperatur entwickeln. Als er fertig war, nickte Liam ihr, als Zei chen für den Rückzug, kurz zu. Er zündete die Brennpaste-Pulvermischung an und beide liefen, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, zu der rettenden Leiter, die sie nach oben, zur Straße brachte. Ein furchtbares Kreischen erklang durch die Kanäle und die Dämonen flogen in Panik auf die beiden Helden zu. Der Dämonenschwarm ging, wie geplant, in Flammen auf und der entstandene Rauch, verdunkelte den Raum entgültig. Der zusätzliche Gestank der verbrennenden Meisnersdämonen erschwerte den beiden Freunden das Atmen. Als Liam noch einige der Geschöpfe mit seinem Shogunschwert vernichtet hatte, indem er es schnell, wie einen Propeller, durch die Luft wirbelte, packte er Wanda am Arm und zog sie über die Leiter zum rettenden Kanaldeckel. Er hatte sie das letzte Stück auf seinen Rücken gezogen und war schnell in die Höhe gesprungen. Dann stieß er dabei mit seiner freien Hand den schweren gusseisernen Deckel auf und die zwei landeten hart auf dem Asphalt. „Na, das nenne ich Glück, eine fast unbefahrene Strasse!“, sagte er, als er Wanda vorsichtig neben sich auf den Boden gleiten ließ. Er sah zu ihr hinüber und grinste sie an. Beide waren schrecklich verschmutzt und stanken abscheulich nach Rauch, verbrannten Dämonen und Fäkalien. Auf ihrer Kleidung klebten noch schleimige Überreste der toten Meisners. „Eau de Schmutz!“, sagte er, als er sah, wie Wanda ihre Nase rümpfte, während sie an ihren Sachen roch. Gemeinsam legten sie die kurze Strecke zu Wandas Auto zurück und stiegen erleichtert ein. Stevie war soeben am Bürogebäude angelangt. „Na Gott sei Dank sieht Ludeny das nicht. Denn sonst hät te ich wohl endgültig keine Chancen mehr bei ihr. Na ja, so wie es aussieht, habe ich die ja sowieso nicht!“, dachte er, während er skeptisch an sich hinunter blickte und dabei versuchte unauffällig zu wirken. Sein Mitbewohner Josh hatte ihm die UPS-Ausrüstung geborgt. Eigentlich wirklich nett, nur dass Josh doppelt so groß und doppelt so kräftig war wie Stevie. Also war die Uniform die er trug, zu weit und zu lang.
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Mit einem Ledergürtel und ein wenig Geschick beim Umschlagen der Hosen und Ärmelenden, konnte er diese Mängel jedoch einigermaßen vertuschen. Das Klemmbrett, auf dem obenauf eine falsche Lieferliste festgeklemmt war, hielt er mit der linken Hand vor die Brust und ein kleines Paket in der rechten. Er läu tete an irgendeinem Knopf der Gegensprechanlage des alten Hauses. Eine junge Frau öffnete ihm die Tür, nachdem er sich mit „UPS – ihr zuverlässiger Botenservice“ gemeldet hatte. Im Gebäude verschaffte er sich einen raschen Überblick über den Eingangsgebreich, die Alarmanlage und das Wachpersonal. Um Fragen der Angestellten auszuweichen, steuerte er zielsicher den Lift an und stieg ein. Stevie fuhr in den zwölften, und somit letzten, Stock des Gebäudes. Von dort lief er über das Treppenhaus, Stockwerk für Stockwerk hinunter und machte sich unauffällig Notizen auf dem Klemmbrett. Als er wieder unten ange kommen war, beobachtete ihn der Wächter argwöhnisch. „So eine Schlamperei. Es ist immer das Selbe. Die in der Zentrale spielen wohl den ganzen Tag Karten. So ein Mist, jetzt muss ich es auch noch wo anders versuchen!“, sagte Stevie und schüttelte den Kopf. An scheinend mitfühlend über den Ärger des jungen Mannes schüttelte auch der Wachmann seinen Kopf und richtete dann seinen Blick wieder auf die Zeitung vor ihm. Stevie machte zum Abschluss noch eine Runde um das Gebäude und vermerkte die Letzten Auffälligkeiten auf seinem Zettel. Dann sprang er in sein Auto, startete den Motor und fuhr los. Währenddessen holte er sein Handy aus der Jackentasche und wählte Ludenys Nummer. „Nun geh schon ran, Baby!“, sagte er vor sich hin und klemmte sich das Mobiltelefon zwischen Kopf und Schulter, um beide Hände zum Fahren frei zu haben. Als er an der nächsten Ampel stoppen musste, hob sie am anderen Ende endlich ab „Hi, Stevie! Und? Berichte!“, forderte sie ihn gleich direkt auf. „Alles wie ich’s dir beschrieben habe! Kein Problem für dich da rein zu kommen!“, antwortete er sieges gewiss. „Gut, dann komm her und teile mir die Einzelheiten mit. Dann kannst du den Kunden kontaktieren“, sagte sie kurz und legte auf. Zu Hause angekommen, klopfte sich Liam den losen Dreck von den Sachen und ging hinauf in sein Ap partement. Er warf die Tür hinter sich ins Schloss und entledigte sich seiner schmutzigen Kleidung. Nackt ging er ins Bad und ließ Wasser in die große, emaillierte Wanne. Als er sich in das warme Badewasser legte, entspannte er sich langsam und glitt in einen Tagtraum voller Erinnerungen.
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Es war Winter in Frankreich und im Kamin loderte ein Feuer. Er legte ein großes Holzstück nach und rieb sich die kalten Hände. Hinter sich hörte er plötzlich eine Stimme. „Ist dir kalt?“, fragte Ludeny und ging neben ihm in die Hocke. Sie nahm seine Hände und hauchte zärt lich ihren warmen Atem hinein. Lächelnd streichelte sie seine Wange. „Komm’ her!“, lud er sie ein und legte sich auf das warme Fell vor dem Kamin. Ludeny kuschelte sich zu ihm und die beiden fingen an, sich zu küssen. Langsam öffnete sie sein Hemd und strich ihm behutsam über die Brandnarbe oberhalb seiner linken Brust. Er schloss die Augen und genoss ihre Zärtlichkeiten… Als das Badewasser eiskalt war, erwachte er aus seinenm Traum der Vergangenheit und war sehr froh darüber. An die schönen Stunden mit Ludeny wollte er gerade wirklich nicht denken. Um sich abzulenken, schaute er sich noch eine Reportage über afrikanische Masken im Fernsehen an. Liam wusste um die Macht solcher Relikte und kannte die Gefahr, die bisweilen von ihnen ausging. „Okay. Eine Wache pro Schicht, Schichtwechsel jeweils um zehn Uhr. Zwölf Etagen insgesamt, die vierte, siebente und neunte stehen vollkommen leer, die sechste zum größten Teil ebenfalls. Ein uraltes Sicher heitssystem, das ich locker über eine längere Zeit lahm legen kann. Und sonst? In jedem Stockwerk hängen bei den Aufzugtüren eine Überwachungskamera und vor der Tür zu dem Zimmer mit dem Objekt unserer Begierde, hängt ein Bewegungsmelder. So, das war alles. Und? Habe ich dir zu viel versprochen?“, fragte
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Stevie neugieirg und machte eine siegessichere Mine. Ludeny starrte an die Stelle auf der Wand, an der der Plan hing. Sie hatte die schriftlichen Notizen eben falls dazu gehängt. „Wie es aussieht scheinst du Recht zu haben. Also gut, wir machen es. Sag dem Auftraggeber bescheid. Wer ist es eigentlich?“, fragte sie beiläufig, während sie zu ihrem Schreibtisch ging. Stevie war bereits auf dem Weg zur Tür. „Keine Ahnung ich kenne auch nur den Strohmann. Der Auftraggeber möchte anonym bleiben. Bis dann! Ich muss zur Uni. Ich rufe dich später an!“, rief er und war auch schon zur Tür hinaus. Ludeny machte sich keine großartigen Sorgen. Denn solche Aufträge, bei denen der Auftraggeber uner kannt bleiben wollte, hatte sie schon zur Genüge gehabt. Wer wollte schon bei illegalen Geschäften erwischt werden? Hauptsache die Bezahlung stimmte,. Der Rest interessierte sie nicht sonderlich. Überrascht spürte sie, wie eine Erinnerung in ihr hoch kam.
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Ein Fell, ein Feuer in einem Kamin und seine starken, aber liebevollen, Hände. Sie küssten sich, zuerst vorsichtig dann wild und fordernd. Bis Liam plötzlich von ihr abließ und aufsprang. Sie hörte die Worte noch ganz deutlich: „Es tut mir leid! Ich kann nicht!“, hatte er gesagt, bevor er das Zimmer verließ. Liam hatte sich vor den Fernseher gesetzt und wartete darauf, dass die Reportage anfing. Während der Nachrichten, lief er noch schnell in die Küche, um sich einen frischen Kaffee zu holen. Der Sprecher sagte, dass in letzter Zeit auffallend viele Touristen tot aufgefunden wurden. Liam kam mit der Tasse in der Hand zurück und machte es sich auf der Couch bequem. Interessiert verfolgte er die Reportage. Es wurde erwähnt, dass eine der imposantesten Voodoo-Masken, die jemals gefunden wurden, vor einiger Zeit den Besitzer gewechselt hatte. Sie wurde vor zwei Jahren vom Museum in Kapstadt an einen Privatmann verkauft, der ungenannt bleiben wollte. Dieser exzentrische Mann verfügte über eine große Privatsammlung, welcher er auch die Maske beifügen wollte. Moment sollte sich die besagte Makse, laut Aussage der Reportage, in New York befinden. Liam beugte sich weiter vor, um sich das Bild der Maske, das eben auf dem TV Gerät gezeigt wurde, ge nauer anzusehen. Sie war mit Zeichnungen eines alten Eingeborenenstammes bemalt und hatte die Zähne einer Giftschlan ge in den Mundwinkeln. Das Haupt der Maske war mit Schnitzereien versehen, die den Tod darstellten. Die Reportage war zu Ende und Liam schaltete das Fernsehgerät ab. Während er sich einen Pullover überzog, verließ er seine Wohnung. Er brauchte dringend noch etwas frische Luft, bevor er schlafen ging. Aus dem Verschlag im Hof holte er sein Motorrad - eine Harley Davidson. Sie war sein Prunkstück und er streichelte sanft über das weiche Leder des Sattels, bevor er sein Bein über das schwarze Gefährt schwang. Dann startete er den Motor. Das laute Dröhnen der Maschine ließ sein Herz höher schlagen. Liam fuhr vom Hof und an den Autos vorbei, die an den roten Ampeln warten mussten. Er wusste noch nicht, wo er hin wollte. Aber er wusste, wo ihn sein Herz hinführen würde, wenn es nur dürfte. Liam genoss die Nachtluft und das Gefühl von Freiheit, dass er jedes Mal verspürte, wenn er auf seiner Harley saß. Nach geraumer Zeit kam er an einem Bürogebäude vorbei. Zuerst war ihm nichts Besonderes aufgefallen. Nur in wenigen Büros war noch Licht zu sehen. Und doch, irgendetwas schien hier nicht zu stimmen, überlegte er, als plötzlich ein schwarzer Alfa Spider mit offenem Verdeck um die Ecke bog. Sofort erkannte er die Fahrerin. Ihr offenes Haar wehte im Fahrtwind. Ludeny fuhr bis zum nächsten Gebäude weiter und stoppte dann den Wagen. „Was macht sie bloß um diese Uhrzeit alleine hier?“, überlegte Liam etwas verwirrt. Ludeny war unruhig gewesen und so beschloss sie, das Gebäude selbst einmal zu begutachten. Sie fuhr gerade um die Ecke, als sie ihn sah. Er stand weiter hinten an der Straßenecke neben seiner Maschine und blickte in ihre Richtung.
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Jetzt sah sie ihn im Rückspiegel auf sich zukommen. Verlegen blickte sie zu Boden, so als ob sie irgend etwas suchen würde. „Kann ich dir helfen?“, fragte er. „Wie? Oh, nein danke dir!“ Sie wusste nicht, warum sie so nervös wurde. Vielleicht lag es an den vielen Erinnerungen der letzten Tage und an diesen Träumen. Als sie aus dem Wagen aussteigen wollte, hielt er ihr galant die Hand entgegen. „So war er schon immer“, dachte sie still bei sich. Fragend blickte er sie an. „Was tust du hier in der Gegend?“ Ohne den Blick von ihr zu nehmen, lächelte er sie wissend an. „Ich wollte nur meinem Wagen etwas Bewegung gönnen!“, antwortete Ludeny schlagartig. Sie konnte ihm ja schlecht gestehen, dass sie einzig und allein wegen des Geschäftes hier war und das Haus auskund schaften wollte, in das sie einbrechen würde. Aber Liam durchschaute sie natürlich sofort. Auch das hatte sich in all den Jahren nicht geändert. „Befindet sich in dem Gebäude irgendetwas, das dein Interesse weckt - beruflich meine ich!“ „Wie kommst du denn darauf? Nur weil ich mitten in der Nacht vor einem Bürogebäude stehe, muss das nicht heißen, dass ich hier etwas stehlen möchte!“ Sie wirkte empört. „Weißt du, da sehen wir uns so selten und das einzige, das dir einfällt ist, mich zu fragen, ob ich hier irgendetwas stehlen werde!“ Blitzschnell drehte sie sich weg, um zu gehen. Aber Liam hielt sie am Arm fest und zog sie zurück. „Was auch immer du hier machst, ist jetzt unwichtig! Wichtig ist nur, dass wir uns hier getroffen haben! Und ich denke, das es dir seit Tagen nicht anders geht als mir und du sehnst dich nur nach einer Sache!“ Schnell zog er sie noch dichter an sich heran und berührte sanft mit seinen Lippen die ihren. Ludeny drehte sich richtig zu ihm herum und erwiderte, zu Liams Erstaunen, den Kuss. Wie Liebende nahmen sich die beiden in den Arm und küssten sich leidenschaftlich. Nach dem kurzen Moment des Glücks - nach dem sie sich beide in den letzten Tagen so sehr gesehnt hatten - nahmen sie wieder Abstand von einander und Liam wendete sich ab, um zu gehen. „Liam!“, rief sie. „Ich hasse dich manchmal so sehr dafür, wie du mit mir umgehst. Aber ich werde dich wohl niemals aus meinem Kopf bekommen!“ Nachdenklich starrte er sie an und antwortete: „Freisin!“ Seine irischen Wurzeln konnte Liam eigentlich nie leugnen. Vor allem dann nicht, wenn er seine besten gälischen Sprüche los ließ. Sein „ebenfalls“ kannte Ludeny nur zu gut. Anschießend setzte er sich auf seine Maschine und fuhr los, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ludeny blickte verloren die Strasse hinab, auf der Liam mit dem Motorrad entlang fuhr. An der nächsten Ecke bog er ab und war aus ihrem Blickfeld verschwunden. „Wie konntest du nur Ludeny!“, schimpfte sie sich selbst. „Du solltest doch nach über 50 Jahren wissen, dass küssen keinen Sinn macht - nur Ärger!“ Wütend über sich selbst stieg sie in ihr Auto und fuhr ebenfalls davon. Als sie nach Hause kam, hörte sie ihr Telefon schon lange läuten und lief schnell hin. Sie pustete noch einmal kurz aus und hob den Hörer schließlich ab. „Ja, Hallo?“ „Ich bin’s! Was ist los? Du bist so außer Atem!“, sagte Stevie am anderen Ende. „Bin gerade erst rein! Und, hast du den Kunden erreicht?“ Ludeny wollte ihn mit ihrem Gefühlsdurcheinander nicht auch noch verwirren und so versuchte sie extrem interessiert zu klingen, als Stevie mit sei nem Bericht loslegte. „Klar, habe ich! Also: Liefertermin ist in vier Tagen! Das schaffen wir locker! Ich komme dann morgen früh vorbei und wir besprechen den Plan noch genau -habe jetzt aber keine Zeit mehr. Ich bin noch ver abredet! Du verstehst sicher, was ich meine, schöne Frauen soll man nicht warten lassen!“ Stevie lauschte gespannt auf ihre Reaktion. „Ich kann mir schon denken, was das für ein Mädchen ist, mit dem du da verabredet bist! Lass mich raten: groß, falsches blondes Haar, falsche Wimpern und ziemlich kurzer Rock! Sie steht wahrscheinlich Ecke sieben undsechzigste und fragt alle vorbei kommende Männer: Na Süßer! Wie wär’s mit uns beiden? Vertrau´ mir Stevie, solche Art von Mädchen warten auch ein wenig länger auf dich! Solange du ihr die richtige Summe aufs Nachtkästchen legst!“, sagte Ludeny zu ihm mit honigsüßer Stimme.
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„Haha! Sehr witzig! Du hast wohl heute einen Clown gefrühstückt! Wie auch immer! Wir sehen uns mor gen Früh!“ Er legte auf und Ludeny lächelte ein wenig, als sie nachdenklich in die Küche ging, um sich ein wenig Obst zu holen. In solch einer Situation den Coolen zu markieren, war echt nicht leicht. Aber Liam hatte seine Rolle vor hin gut gespielt und sogar einen Kuss von Ludeny kassiert. Jetzt war das Schauspiel zu Ende und der Halb gamblin war ganz schön gefrustet. Deshalb begab er sich wohl auch auf die Suche nach Ärger - eigentlich nicht auf der Suche nach welchem, sondern er wollte Ärger provozieren. Zielstrebig fuhr er die North End Avenue hinunter und bog in die Murray Street ein. Am Ende lag ein Park und dort war auch das von ihm gesuchte Lokal. Das Vidal war ein wirklich übler Ort. Dämonen und jeder nur erdenkliche Abschaum trieb sich dort he rum. Und wenn Liam einmal üble Laune hatte, konnte er hier immer ein Opfer zum Abreagieren finden. „Verdammt wieder ein Kuss mehr, der uns nicht näher bringt und mich nur noch mehr verwirrt. Und noch dazu ist sie so wunderschön, wie immer. Ich hätte ihr nicht so nahe kommen dürfen. Aber wie hätte ich der einzigen Frau, die ich je liebte, widerstehen können?“, grübelte er verzweifelt, während er mit seinen Au gen ein Opfer für seine Agressionen und Fäuste suchte. Zielstrebig ging er hinüber zur Bar und bestellte sich einen Whiskey. Es war das einzige, dass ihm noch ein wenig an sein zu Hause in Irland erinnerte. An die Bar gelehnt, standen verschiedene Dämonen, die sich anscheinend gegenseitig nicht viel zu sagen hatten. Innerhalb dieses Lokals machten die wenigsten von ihnen Ärger. Denn der Türsteher war ein rie siger Frackondämon, der auflodernde Streitereien meist sehr schnell im Keim erstickte. Frackons waren in der Regel über zweieinhalb Meter groß und brachten satte 300 Kilo auf die Waage. Muskel an Muskel gereiht hauchten sie jedem Respekt ein, der Ärger machen wollte. Ihre riesigen Füße konnten scheinbar Waldbrände austreten und ihr schiefes Maul, in einem grauhäutigen Gesicht, lud nicht gerade zum Küssen ein. Sie waren nicht sehr intelligent - dafür aber eigentlich sehr friedfertig. Wenn man sie jedoch reizte, konnten sie einen in der Luft auseinander nehmen ohne dabei auch nur einen Schweiß tropfen zu vergießen. Liam setzte sich neben einen Dämon, dessen Art er noch nicht kannte. Grünes, dichtes Fell bedeckte seinen gesamten Körper und er roch als ob seit seinem letzten Vollbad mindest 500 Jahre vergangen wären. „Perfekt um ihn zu provozieren!“, dachte Liam bei sich. Er sah ihn von der Seite her an. Der fremdartige Dämon be merkte Liams abschätzenden Blick und fauchte ihn an. „Was ist?“ Liam schüttelte mit angewiderter Mine seinen Kopf und antwortete: „Ich weiß ja nicht, ob dir deine Mut ter das nicht beigebracht hat. Aber ein Stück Seife hilft bei solch einem Gestank definitiv Wunder!“ Schon wurde der Dämon sauer. „Und deine Mutter wusste wohl nicht, dass man so etwas wie dich, gleich nach der Geburt, in der Regen tonne ersäufen sollte!“ Nach dieser verbalen Attacke war für Liam der Punkt erreicht, an dem er handeln musste. „Ach ja? Dann will ich dir mal zeigen, was mein Vater mir beigebracht hat, um so etwas Widerliches, wie dich, zu entsorgen!“ Er stand vom Barhocker auf und ehe der Dämon reagieren konnte, bekam er einen tüchtigen Kinnhaken von Liam verpasst. Das grüne Fellgeschöpf schüttelte kurz seinen Kopf, rieb sich sein Kinn und stand nun vor dem Halbgamblin. „Und, wie findest du die gute Erziehung, die ich bei meinem Vater genossen habe?“ Liam grinste. Aber er hatte die Rechnung ohne den fremden Dämon gemacht. Plötzlich schnellte dessen ungefähr zwei Meter lan ge Zunge hervor und umwickelte fest Liams Körper. Plötzlich war dieser kampfunfähig. Er zappelte hilflos herum und versuchte sich aus der Zungenfessel zu befreien. Aber er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und der Dämon zog ihn mit der Zunge immer näher an sich heran. Die anderen illustren Gäste des Vidal, standen um sie herum und johlten vor Begeisterung. Sie feuerten den langzüngigen Dämon an und freuten sich über die willkommene Abwechslung in dieser Nacht. Plötzlich ging ein Ruck durch den Körper des Angreifers und er sah mit großen Augen auf Liam hinab.
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Dann fiel er nach vorne, direkt neben ihm auf den Boden und blieb mit offenen, starren Augen tot liegen. Überrascht schaute sich Liam im dunklen Raum um. Dank seiner Dämoneneigenschaften konnte er hier wirklich nicht gut sehen. Die Umwickelung der Zunge löste sich langsam und während sich Liam aufrap pelte, erkannte er das Schwert, das im Rücken des Gegners steckte. „Wanda!“, sagte er erleichtert. „Ich habe mich schon gefragt, wo du so lange geblieben bist!“ „Idiot!“, sagte diese nur kurz und half ihm beim Aufstehen. Als Liam wieder aufrecht stand, streifte er seine Kleidung glatt. „Du hast wie immer Recht - ein echter Idiot, dieser, was auch immer!“ Wanda verdrehte die Augen. „Nein du bist einer! Das war ein Camällika. Schon mal gehört?“, fragte sie, während beide zur Bar zurück gingen. „Nein, nicht wirklich. An den könnt ich mich erinnern. So eine Geruchswolke steigt einem ja wirklich nur selten in die Nase!“ Liam griff zu seinem Glas und setzte zum Trinken an. „Okay, dann wird es dich vielleicht interessiert zu erfahren, dass diese Art kleinere Dämonen einfach zum Fressen gern haben. Und ich würde mal annehmen, dass er deine DNA-Unstimmigkeiten einfach gero chen hat. Dieser muss schon lange nichts mehr zum Beißen gehabt haben, sonst hätte er sich nie an etwas Unreinem vergriffen!“, sagte Wanda gelassen. Liam spuckte den Whiskey in hohen Bogen wieder aus. „Na danke, dein Charme spricht heute wieder einmal für dich. Und lass mich raten, seine Zähne sind scharf genug um Knochen zu zerbeißen, habe ich Recht?“ Wanda klopfte ihm auf die Schulter. „Kluges Kerlchen. Übrigens was machst du hier? Warum suchst du schon wieder Ärger? Lass mich raten! Es ist wegen dieser Frau die es, laut deiner Aussage, gar nicht gibt oder? Menschen, ihr seid so leicht zu durchschauen!“ Sie richtete sich ihren Rollkragenpulli und bestellte sich ein Bier. Liam sah sie an. „Das ist ja das Schlimme daran! Sie ist nun einmal real und das wirft mich immer wieder aus der Bahn! Aber mache dir keine Gedanken“, sagte er, als er ihren besorgten Gesichtsausdruck sah. „Ich bin immer noch einsatzbereit! Und sag nicht immer Mensch zu mir!“ Er setzte sein Glas an. „Das bin ich schon lange nicht mehr!“ In einem Zug leehrte er das Glas, erhob sich und warf das Geld für die Getränke auf den Tresen. Wanda folgte ihm zur Tür des Vidal. Am Ausgang wurden sie von dem Frackon aufgehalten. Er hielt Liam am Jackenärmel fest und sah ihn böse an. „Was ist?“, fragte Liam mit verdutztem Gesicht. „Du zahlen musst!“ Der Türsteher zeigte auf den toten Camällicka-Dämon und auf einen zerbrochenen Barhocker. „Ist zerbroch!“, sprach er ziemlich undeutlich. „Für den toten Dämon soll ich bezahlen?“, fragte Liam ungläubig. „Ich wusste nicht, dass er zum Inventar gehört!“ „Nein nicht, Dämon zahlen! Wegmachen von Dämon musst zahlen!“, brummte der Frackon nun etwas ungeduldig. „Das teuer, wenn Kortasse kommen und nehmen mit!“ Nun verstand Liam endlich, was der Tür steher von ihm wollte. Die Kortassdämonen entsorgten hier im Vidal die Überreste der Toten, wenn es zu Kämpfen kam. Sie nahmen Geld dafür und der Barbesitzer holte sich diese Unkosten von den Überlebenden solcher Kämpfe. Liam wollte keinen Ärger mehr an diesem Abend und schon gar nicht mit dem Frackon. Also tat er wie von ihm verlangt und bezahlte den Hocker und die Leichenentsorgung. Bevor er zur Tür hi nausging, sagte der Türsteher noch zu ihm. „Du nicht mehr herkommst! Verbodn! Zu viel Ärger! Du verstehn?“ „Ja, ich hab’s verstanden!“, sagte Liam und ging mit Wanda hinaus an die Luft. „Ist sie es wert?“, fragte Wanda als sie vor dem Lokal standen. Liam drehte sich zu ihr und blieb stehen. „Was wert?“, fragte er naiv. „Na die Schmerzen und das Durcheinander in deinem Kopf!“ Wandas Blick bohrte in Liams Augen. „Ach, ich sehe schon. Da hilft wohl nichts oder? Armer Mann! Ich muss los! Sehen wir uns morgen?“, fragte sie noch und stieg bereits in ihren 356 Porsche. Sie liebte dieses Auto. Es war aus den 60er Jahren, mit einer neuen Lackierung in dunkel lila. Im Rückspiegel sah sie, Liam auf seine Harley aufsteigen. Sie startete den Motor und fuhr los. Liam trat den Heimweg an. Als er in seinem Appartement angekommen war, merkte er erst, wie müde er
inzwischen war. Er schloss die Tür auf und warf sie hinter sich ins Schloss. Da er völlig erledigt von diesem Tag war, ließ er eine erneute Dusche ausfallen und ging direkt in sein Schlafzimmer. Er schmiss seine Jacke in eine Ecke des Zimmers, fiel erschöpft auf das Bett und schlief sofort ein. In dieser Nacht träumte er von seinem Vater und dem letzten Abend mit seiner Familie.
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Es war 5, der . November, Gladdagh in Irland. Liam war damals siebenundzwanzig Jahre alt. Sie saßen alle am Tisch und seine Mutter brachte das Abendessen herein. Seine Brüder, Ian und Ryan saßen ihm gegenüber und unterhielten sich über den vergangenen Tag. Es gab Fisch zu essen, wie meistens in einer Fischer-Familie. Liam nahm seiner Mutter die Schüssel mit den Kartoffeln ab und lächelte ihr zu. Sie war wohl eine hüb sche Frau gewesen, damals, als sie noch jung war. Wenn man sie nun, viele Jahre später, ansah, konnte man ihre Schönheit von einst immer noch erkennen. Sie war eine hart arbeitende Frau, kümmerte sich um den Haushalt, ihre Söhne und sie half ihrem Mann, wo sie nur konnte. „Liam!“, sprach sie ihn an. „Bitte geh raus in den Schuppen und hole deinen Vater zum Essen herein! Er fällt mir sonst noch vom Fleisch!“ „Gern Mutter!“, antwortete er ihr selbstverständlich und stand vom Tisch auf. Als er vor der Schuppen tür angekommen war, hörte er seinen Vater vor Schmerzen wimmern. Liam stieß in Panik die Tür mit sei nem Fuß auf und sah seinen Vater schwer verletzt am Boden in einer Lache Blut liegen. Liam rannte zu ihm und kniete sich hin. „Vater! Was ist los? Wer hat dir das angetan?“, schrie er ihn unter Tränen an. Erst als keine Antwort von seinem Vater kam, erkannte er, dass dieser bereits bewusstlos war. Angstvoll sah sich Liam im dunklen Schuppen um. Die Atemzüge sein Vater, Tomas O´Brian, wurden immer schwächer. Gerade als Liam ihn auf seine Arme nehmen wollte, hörte er ein röchelndes Geräusch aus einer Ecke des Schuppens. Langsam erhob er sich und nahm eine noch schwach glühende Öllampe vom Haken eines Träger balkens. Er drehte den Docht höher und die Flamme flackerte in die Höhe. Vorsichtig schritt er auf die Ecke zu. Dahinter lag, am Boden zusammen gekauert, ein hässliches gelbes Geschöpf und streckte die Hand, ein flossenartigen Ding, nach ihm aus. Erschrocken wich Liam davor zurück. Dabei stieß er mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Zaghaft drehte er sich um. Vor ihm stand ein großes Ungeheuer und hielt ihm einen Krummdolch unters Kinn. Liam wollte schreien, aber seine Stimme versagte. Das Monster holte mit seiner riesigen Pranke aus und schlitze ihm mit einer raschen Bewegung die Kehle auf. Zumindest fühlte es sich so für Liam an. Blutüberströmt brach er zusammen und fiel direkt auf das hässliche gelbe Wesen hinter ihm. In diesem Moment muss es wohl geschehen sein. Das Blut des Gamblindämons vermischte sich mit seinem. Aber das sollte Liam erst einige Zeit später erfahren. Als er am nächsten Morgen erwachte, fasste er sich zu allererst an seine Kehle. Seine Verletzung war aber nicht spürbar. Sie war einfach verschwunden. Nachdem sich seine Augen an das Tageslicht gewöhnt hatten, sah er sich im Schuppen um und erblickte seinen toten Vater, der immer noch an der gleichen Stelle, wie am Vorabend, lag. Weinend und panisch vor Angst rannte Liam ins Haus zurück. In der Tür blieb er wie angewurzelt stehen. Vor ihm lagen seine Mutter und seine beiden Brüder tot auf dem hölzernen Dielenboden. In New York schreckte ein schweißgebadeter Halbgamblin aus seinem Traum auf. Selbst nach all den Jahren konnte er die Geschehnisse seiner Vergangenheit immer noch nicht verarbeiten. Ludeny konnte ihrerseits einfach nicht einschlafen. Wie immer, wenn sie zuviel an Liam dachte, war sie rastlos und aufgewühlt. Also versuchte sie sich mit ihren Thai-Chi Übungen aufzuladen und zu beruhigen. Bald würde der Morgen grauen und Stevie würde kommen, um über den Auftrag zu sprechen. Nach einiger Zeit fühlte sie sich wieder fit, ging duschen und bereitete sich in der Küche einen Fruchtsalat zu. Mit Sehnsucht dachte sie an ihre letzte Mangostane, eine seltene Frucht aus Malaysia. Diese Fruchtart
schmeckte einfach umwerfend. Sie hatte sie vor vielen Jahren auf einem Markt entdeckt und sich unsterblich in ihren Geschmack verliebt. Die harte, rotbraun bis dunkelviolett gefärbte Schale beherbergt das weiche, weiße und saftige Fruchtfleisch. Dieses schmeckt sehr sahnig und hat ein angenehm süßes, mildes Aroma. Es war einfach herrlich dort hineinzubeißen. Doch selbst in New York war sie selten zu bekommen. So muss te sich Ludeny mit dem Obst, das hier erhältlich war, und das war immerhin jede Menge, begnügen. Sie aß den Großteil ihres Salates und las dabei den Plan des Bürogebäudes. „Seltsam, es sieht wirklich einfach aus, vielleicht zu einfach!“, sagte sie zu sich selbst. Dann kuschelte sie sich auf ihren großen Sessel und nahm sich eine Decke. In Gedanken versunken über den heutigen Abend und die Pläne für den nächsten Morgen, schlief sie doch noch tief ein. Am nächsten Morgen klopfte es laut an ihrer Tür. „Ludeny! Hörst du mich? Hey, schläfst du noch?“ Stevie rief laut ihren Namen und Ludeny schreckte hoch. Sie wuschelte sich mit den Händen durch ihr zerzaustes Lockenhaar und rieb sich die Augen. „Stevie? Ich komme ja schon!“, rief sie und eilte zur Tür. Mit verschlafenen Augen öffnete sie. Ludeny lehnte im Türrahmen und Stevie lächelte. „Oh man, wie siehst du denn aus?“ „Danke, für das Kompliment!“, sagte Ludeny mit einem müden Gesicht und schwang ihm die Tür weiter auf, damit er eintreten konnte. Sie ging ohne ihn anzusehen direkt ins Bad und lehnte die Tür nur etwas an. „Hattest du eine anstrengende Nacht?“, fragte er sie schadenfroh. „Weißt du Stevie, nur weil du ständig daran zu denken scheinst, heißt das noch lange nicht, das jeder Andere auch immer nur an das Eine denkt!“, rief sie ihm aus dem Bad zu. „Das ist die Ludeny, die ich kenne und liebe!“, antwortete er und warf sich in einen Sessel im Wohnzim mer. Ludeny wusch sich schnell das Gesicht und zog sich etwas Frische über. Nachdem sie ihre Haare etwas in Ordnung gebracht hatte, ging sie zurück ins Wohnzimmer, wo Stevie inzwischen am Fernsehgerät rumspielte und sich durch die Sender zappte. „Bist du zum Arbeiten oder Fernsehen hier?“, fragte sie an den Türstock gelehnt. „Beides und ein Kaffee wäre auch nicht schlecht. Aber wie ich dich kenne, gibt’s hier wieder nur Soda und zum Frühstück für mich, den Affen, eine Banane! Also wirklich, du solltest dich mal auf Besuch einrichten, finde ich!“, versuchte er sie etwas aufzumuntern. „Okay wie wäre es dann mit einem Apfel?“, stieg sie auf seine Witze ein. „Dann könnten wir behaupten du bist ein Pferd!“ Ludeny ging weiter ins Arbeitszimmer und Stevie schaltete im Aufstehen den Fernseher aus, um ihr zu folgen. „Also wir können die Sache morgen durchziehen und am nächsten Tag die Übergabe machen oder alles erst übermorgen, wie Madame belieben!“ Bei den letzten Worten verbeugte er sich wie ein Butler. „Gut, dann machen wir es morgen. Du kontaktierst nochmals den Auftraggeber und vereinbarst einen Übergabeort und eine Uhrzeit, vergiss aber bitte nicht…“, doch weiter kam sie nicht, denn Stevie beendete für sie den Satz. „Die Sonne! Ja, also mal ehrlich wie lange arbeiten wir schon zusammen? Du solltest wissen, dass ich das nicht vergesse!“ „Stevie, sei doch nicht immer gleich eingeschnappt. Ich meine es doch nicht so. In den letzten Tagen waren meine Gedanken etwas daneben, ich weiß. Es tut mir leid“, versuchte sie ihn wieder fröhlich zu stimmen und um die Worte zu unterstreichen, trat sie an ihn heran und küsste seine Wange. „Schade eigentlich!“, sagte er daraufhin „Was ist schade?“, fragte sie während sie sich wieder den Bauplänen widmete. „Dass ich nicht der Mann bin, der in deinem Herzen wohnen darf. Ich würde auch Miete zahlen, ehrlich und ich wäre auch sehr lieb zu dir. Aber nein, wer will schon einen Mann haben, der lieb ist. Vielleicht sollte ich auch einer von diesen unnahbaren, brutalen Typen werden. Ludeny, gibt’s dafür einen Kurs?“ Er brachte sie immer zum Lachen.
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Sie war so froh ihn an ihrer Seite zu haben. Die Erinnerung an ihr erstes Treffen entriss Ludney ihre Auf merksamkeit.
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Sie war am Markt einkaufen, als er sie plötzlich anrempelte. Alle ihre Einkäufe landeten am Boden. Als beide sich danach bückten, stießen sie mit den Köpfen zusammen. Sie musste damals schon lachen. Stevie war natürlich sofort in sie verliebt und ließ nicht locker. Immer wieder kreuzte er ihren Weg. Bis sie sich eines Tages immer länger miteinander unterhielten und sich eine Freundschaft entwickelte. In der Zwischenzeit wusste er alles über sie. Er hatte vollkommen gelassen reagiert, als sie ihm von den Dunkelslugdämonen erzählte, und das sie eine von ihnen war. Sie riss sich aus den Erinnerungen und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Einige Blocks entfernt, klopfte Wanda gerade bei Liam an die Tür. Er hatte nach seinem Traum nicht mehr eingeschlafen. Stattdessen war er aufgestanden und hatte sich einen starken Kaffee gekocht. Frisch geduscht, saß er bei Tisch in der Küche und blätterte in der Zeitung, die er sich jeden Morgen liefern ließ. Als Wanda klopfte, stand er auf und öffnete ihr die Tür. „Guten Morgen!“, begrüßte er sie, noch bevor sie ihn ansprechen konnte. „Morgen!“, antwortete sie verwundert. „Was ist los? Hast du gar nicht geschlafen? Du siehst schrecklich aus!“ „Danke für das Kompliment!“ Er ging ihr voran in die Küche und bot ihr wortlos einen Kaffee an. Dan kend nahm sie ihm den Kaffee ab und schaute ihn fragend an. „Was ist?“, fragte er, als er ihren Blick bemerkte. „Ach nichts!“ Schnell blickte sie in eine andere Richtung. „Ja, ich habe nicht geschlafen! Zufrieden?“ Er war entnervt und ließ es nun leider an Wanda aus. „Also, wenn du so drauf bist, dann geh ich wohl besser wieder!“ Wanda stellte ihre Tasse weg und drehte sich zum Gehen um. „Warte! Es tut mir leid! Okay? Ich wollte dich nicht verletzten! Aber ich hatte eine wirklich schlechte Nacht und da kann man schon einmal üble Laune haben. Ich hätte es nur nicht an dir auslassen dürfen! Sor ry!“ Sie blieb stehen und drehte sich um, um sich auf einen der zwei Küchenstühle zu setzen. „Gibt es was Neues?“, fragte er und wusste es sehr zu schätzen, dass sie niemals nachtragend war. „An der 116. Strasse, Ecke Lennox Boulevard befindet sich ein leerstehendes, altes Lagerhaus. Es ist zu einem Dämonennest umfunktioniert worden.“ Sie wartete seine Antwort ab. „ Welcher Art?“, fragte er. „Du wirst es nicht glauben!“, verkündete sie vielversprechend und hoffte die Nachricht für ihn interessant zu machen, um ihn damit von seinen schlechten Gedanken loszueißen. „Es sind Shanduhans!“ Ungläubig blickte er auf die Risis. „Was suchen die denn hier in New York?“
„Na ja, du weißt doch, die vernaschen Touristen und da bietet sich New York gerade zu an!“ Wanda war
überzeugt davon, dass er nun wieder in bester Jagdlaune sein würde. Denn wenn es etwas gab, durch das er wieder zu sich kommen würde, dann durch die Jagd auf bösartige Dämonen. „Stimmt vermutlich“, antwortete er. „Da ist New York ja wohl für die der reinste Schnellimbiss!“ Er zog sich schnell etwas über, um mit Wanda die Gegend um das Lagerhaus auszukundschaften. Es dauerte eine Weile bis sie die Park Avenue hinauffahren konnten. Der New Yorker Morgenverkehr hat te gerade seinen Höhepunkt erreicht. Wanda saß am Steuer ihres Porsches und Liam blickte erwartungsvoll aus dem Fenster. Plötzlich stand am Straßenrand eine Frau mit blonden Haaren und an ihrer Seite ein etwas kleinerer, rot haariger Mann. Da aber die Ampel auf grün schaltete, konnte Liam nur noch einen kurzen Blick auf Ludeny werfen, die sich gerade angeregt mit dem Mann unterhielt. „Reiß dich zusammen. Das Lagerhaus ist jetzt wirklich wichtiger. Konzentriere dich!“, schimpfte er sich
selbst leise. „Hast du etwas gesagt?“, frage ihn Wanda verwundert. „Nein, nichts Wichtiges. Hast du eine Ahnung wie viele es sind?“ „Nein, aber ich glaube, eine ganze Menge. Mein Informant sagte etwas von weißen Kugeln die von der Decke hängen, schätze mal das waren ihre Concoons. Also sind sie sicherlich nicht erfreut uns zu sehen!“, informierte sie ihn noch, bevor sie am Lagerhaus ankamen. Wanda öffnete den Kofferraum und beide blickten hinein.
„Nun was haben wir heute zur Auswahl?“ Liam griff wie immer zu seinem Shogunschwert und zusätzlich
nach einer Fackel. Wanda wählte zwei Dolchen und ebenfalls eine Fackel. „Na dann räuchern wir die Biester mal aus!“ Sie gingen auf das Lagerhaus zu und sahen sich dabei des Öf teren um. Schließlich wollten sie nicht beobachtet werden. An einem Seiteneingang rüttelten sie an einem Tor. „Warum schließt irgendwer das Gebäude überhaupt ab, wenn das Ding sowieso leer steht?“, fragte Wanda. „Na, entweder, weil da doch etwas drin ist, das von Wert ist oder…“, Liam sah sie an und beide sprachen gleichzeitig weiter: „Weil einer ganz genau weiß, was da drin ist!“ Liam trat einen Schritt zurück und rannte mit der Schulter gegen das verschlossene Tor. Holz splitterte und das Tor stand nun offen. „Aber wer zum Teufel“, fing Wanda den Satz an. „Würde denn diese Biester hier freiwillig verstecken?“ „Entweder jemand, der ihnen etwas schuldet oder einer, der sich dafür bezahlen lässt und kein Gewissen hat!“, antwortete Liam angewidert. Beide gingen wortlos weiter und stiegen eine Stahltreppe zum nächsten Lagerdeck hoch. Liam hielt sich einen Zeigefinger vor die Lippen, um seine Begelterin daran zu erinnern, leise zu sein. Als sie oben ange kommen waren, blickten sie entsetzt an die Decke der Halle. Über ihnen hingen in großen Trauben die Eier der Dämonen. „Wenn diese Monster sich hier alleine ohne fremde Hilfe eingenistet haben, dann fresse ich einen Besen! Das muss doch auffallen!“ Wanda schüttelte den Kopf, nachdem sie Liam dies zugeflüstert hatte. „Und wo stecken die kleinen Monster?“, flüsterte Liam zurück. Plötzlich hörten sie das verräterische Schnalzen der Shanduhandämonen. „Wanda! Feuer, schnell!“, rief er ihr zu, während er sein Schwert in Kampfposition brachte. Man sah eine kurze Stichflamme aufflackern und schon brannte die erste Fackel. Mit einer gekonnten Bewegung entzün dete Wanda auch Liams Fackel und ging ebenfalls in Kampfstellung. Liam drehte sich gerade noch rechtzeitig um, bevor die ersten Dämonen angreifen konnten. „Wanda!“, rief er und deutete auf die Concoons an der Decke. Wanda nickte als Antwort und stürmte mit erhobener Fackel los. Die ersten brannten bereits, als eine Shanduhan sie angriff und zu Boden riss. Ihre Schulter und ihre Hüfte schmerzten vom Aufprall, doch das machte Wanda nur noch wilder. Liam hatte schon einige Dä monen niedergemetzelt, als er plötzlich eine Stimme hinter sich hörte. „Was machen Sie hier? Sind sie verrückt?“ In der Tür stand ein Mann in Arbeitskleidung. „Deckung!“, rief Liam ihm zu und stürmte mit dem Schwert in seine Richtung. Auf dem Weg dorthin, streckte er mit gekonnten Schwerthieben noch zwei Gegner nieder. „Was machen Sie hier?“, schrie er den Mann vor sich an, während er einen weiteren Dämon köpfte. „Und wer zum Henker sind sie?“ Total perplex blickte der Mann auf die am Boden verteilten Dämonenleichen. „Der Hausmeister!“, erwiderte er stockend. Doch weiter kam er nicht mit seinen Erklärungen. Denn ein Shanduhan lenkte Liams Aufmerksamkeit auf einen weiteren Kampf und so hatten zwei der Monster die Möglichkeit den Hausmeister mit einem Hieb ihrer starken Schwänze regelrecht in der Mitte zu zerteilen. Als das Blut spritze, drehte sich Liam entsetzt weg. „Liam!“, Wanda rannte in seine Richtung und kämpfte sich mit ihren Dolchen ihren Weg frei. Er reagierte blitzschnell und erledigte mit zwei gekonnten Hieben gleich drei der Dämonen auf einmal. „Hier entlang!“, rief er ihr zu, als er sah, dass sie die restlichen Cocoons in Brand gesteckt hatte. Wanda schlug mit der Faust einem der Dämonen ins Gesicht, sodass dieser zu Boden ging. Es qualmte und stank
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schrecklich. Der Rauch von den verbrennenden Cocoons liess ihnen die Tränen in die Augen steigen. „Wir müssen raus hier!“, schrie er. Seine Stimme überschlug sich förmlich, als er dabei versuchte, den Kampflärm zu übertönen. Die Shanduhandämonen versuchten natürlich ihre Jungen vor dem Feuertod zu retten, kamen dabei aber größtenteils selbst zu Tode. Liam schaffte es mit dem ausgestreckten Arm den Türriegel zu erreichen und zog Wanda, mit einem Ruck an der Hand hinter sich her. Sie sprangen die Trep pen hinunter. Als die beiden bemerkten, dass sich das Feuer hinter ihnen immer weiter auszubreiten schien, liefen sie auf eine Ladeklappe zu, die sich auf halber Höhe des Gebäudes befand und sprangen hindurch. Beide landeten am Boden vor dem Lagerhaus und sahen sich verwundert an. Plötzlich hörte man aus dem Haus einen fürchterlichen Schrei und ein brennender Shanduhan flog aus der gleichen Klappe, aus der kurz zuvor noch Liam und Wanda gesprungen waren. Als er neben den beiden auf dem harten Boden aufschlug, zerfiel er in tausend Stücke. Wanda war genau auf Liams Körper aufgeprallt und blickte ihm nun in die Augen. Innerlich extrem auf gewühlt und vom Kampf erregt, wurde ihr Blick plötzlich durchdringend intensiv. „Lass das!“, sagte er und rollte sich rasch zur Seite. „Was war das eben?“, fragte er sie nun, nachdem er eiligst aufgestanden war. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“, sagte Wanda blitzschnell und klopfte sich verlegen den Dreck von ihrer Kleidung. „Du weißt genau, was ich meine!“ Vorwurfsvoll schaute er sie an und ging dann an ihr vorbei. Er warf sein Schwert hinein und sagte: „Ich gehe lieber zu Fuß, wenn du nichts dagegen hast!“, und ohne ihre Ant wort abzuwarten, schritt er in Richtung Hauptstrasse davon. Die Sirenen der Feuerwehr waren bereits zu hören und Wanda schwang sich in ihren Wagen. Sie hatte keine Lust, den Feuerwehrmännern den Brand in einem leerstehenden Lagerhaus zu erklären. An der nächsten Straßenecke holte sie Liam ein. „Jetzt mach nicht gleich so einen Aufstand. Steig ein! Ich fahre dich. Sieh dich doch mal an. Du bist von oben bis unten verdreckt und überall hast du Dämonenblut.“ Sie hatte das Fenster auf der Beifahrerseite heruntergelassen und fuhr im Schritttempo neben ihm her. „Liam, steig jetzt ein!“, rief sie nochmals und blieb dann stehen. „Wanda“, fing er an und beugte sich leicht ins offene Fenster. „Ich mag derartige Annäherungsversuche nicht sonderlich und ich dachte, du wüsstest das. Du hilfst mir, das ist okay. Aber mehr ist nicht und wird auch niemals sein zwischen uns. Ich dachte, das wäre eigentlich klar.“ Sie zuckte als Antwort bloß mit den Schultern. „Wanda bitte, ich möchte wissen ob du das verstehst?“ Sie griff hinüber und öffnete die Tür so dass Liam zurücktreten musste. „Ich verstehe und weiß es. Was auch immer du in diesen Blick hinein interpretiert hast, es tut mir leid. Reicht das jetzt endlich! Es war nur so ein Reflex. Ich bin ja keine Nonne und du nicht der Glöckner von Notre Dame!“, verteidigte sie sich schnippisch. Liam musste seufzen und stieg ein. Schweigend fuhren sie zu ihm nach Hause. Als Liam ausgestiegen war und sich zu ihr umdrehen wollte, konnte er nur noch die Rücklichter ihres Wagens sehen. „Frauen, egal welcher Rasse sie angehören, sie sind alle seltsam!“, sagte er laut und ging in seine Woh nung. Nachdem er die Tür aufgesperrt hatte, zog er sich seine schmutzigen Sachen schon auf dem Weg ins Badezimmer aus. Frisch geduscht und angezogen, setzte er sich auf sein Sofa. Er trommelte mit seinen Fingern, nervös auf dem Tisch herum. „Jetzt reicht es aber!“, sagte er zu sich selbst, nahm seine Jacke und griff sich die Schlüssel seiner Maschine. Als er losgefahren war, fühlte Liam sich schon wieder etwas besser. Der Wind zersauste sein Haar und er schloss entspannt die Augen. Er brauchte sie nicht umzusehen. Damals, in seiner Lehre bei seinem Freund, einem Dragoondämon, hatte er gelernt, sich einzig und allein auf sein Gefühl zu verlassen. So konnte er die Gamblinschwäche, in der Dunkelheit sehr schlecht sehen zu können, ausgleichen. Die Ausbildung bei den Dragoons hatte ihn dreisig Jahre seines Halbdämonenlebens gekostet. Aber er wollte keine Sekunde davon missen. Als er die Madison, nicht weit von seinem Appartement entfernt, hoch fuhr, schlug er plötzlich seine Augen auf. Am Straßenrand stand ein schwarzer Alfa Romeo, der ihm sehr bekannt vorkam. „Ludeny!“, flüsterte er leise und hielt die Maschine an um sich den Wagen einmal genauer
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anzusehen. Ja, es war ihrer. Einige Bewohner des Hauses kamen heraus und unterhielten sich lautstark. Liam versteckte sich flink hinter einer Mülltonne. Wäre es Ludeny gewesen, hätte er nicht gewusst, wie er ihr gegenüber treten hätte sollen. Als die fremden Leute um eine Ecke gebogen waren, stand Liam wieder auf und ging noch einmal zu Ludenys Auto. „Gut zu wissen Schatz, dass ich dich hier ganz in meiner Nähe habe!“ Er stieg wieder auf seine Maschine und brauste mit lautem Gebrumme davon. Hätte Liam auch nur zwei Minuten länger gewartet, hätte er Ludeny in Begleitung von Stevie aus der Tür kommen sehen. Doch so war er schon weg, als die beiden lachend ins Auto stiegen. „Auf zum festlichen Saufen!“, sagte Stevie sichtlich erfreut. Ludeny blickte kurz von der Straße zu ihren Mitfahrer und musste ebenfalls lachen. „Aber nicht zu viel. Es ist zwar eine leichte Nummer morgen Abend, aber man sollte immer vorsichtig sein. Ich werde den morgigen Tag auch mit meinen Übungen verbringen, damit ich vollgetankt bin, so wie hoffentlich auch mein Wagen. Ist die Botschaft angekommen?“ Stevie verdrehte die Augen. „Immer diese alte Geschichte. Das ist doch schon mindest hundert Jahre her. Wenn wir am Vorabend unser übliches Saufgelage nicht so übertrieben hätten, hätte ich damals auch nicht das Tanken vergessen. Aber wir sind doch noch rechtzeitig davongekommen. Das Wachpersonal wird sich bis heute fragen, was für Einbrecher das waren, die ihr Fluchtauto lieber schieben!“ Ludeny parkte ihren Wagen vor einer kleinen Bar, und beide traten selbstsicher ein. Liam fuhr in der Zwischenzeit durch die Gegend und genoss den frischen Wind in seinem Gesicht. Er hatte zwar in der letzte Nacht schlecht geschlafen und heute auch schon diese Dämonen vernichtet, aber es war ihm trotzdem richtig leicht ums Herz. Vielleicht auch, weil er wusste, dass Ludeny ganz in seiner Nähe wohnte. „Ich könnte regelmäßig nach ihr sehen!“, dachte er fröhlich. Doch er musste sich auch eingestehen, dass er sie nicht nur sehen wollte, sondern wohl auch ein bisschen überwachen. Er wollte sich selbst aber nicht eingestehen, dass er völlig aus dem Häuschen war, bei dem Gedanken, nachts ins Bett zu gehen, und zu wis sen, dass sie nur ein paar Blocks weiter vielleicht gerade genau das Gleiche tat. Als Liam an einem Zeitungsstand vorbei fuhr, wurde seine Fahrt langsamer. Er hielt an, um zu sehen, ob die Schlagzeilen etwas Neues berichteten, was für ihn interessant sein könnte. Die üblichen Klatschzeit schriften waren genau die richtige Informationsquelle. Liam wusste, dass sich hinter so manchen Schlagzeilen in Wirklichkeit dämonische Aktivitäten versteckten. Viele der ungeklärten Mordfälle und so mancher Unfall waren das Resultat von derartigen Übergriffen. Er stieg ab, bockte seine Maschine auf und ging zu dem Zeitungsstand hinüber. Sein Blick wanderte über die Deckblätter der Magazine. Als er ein Magazin für Afrikafans erblickte, griff er danach. Eine Voodoo-Maske war auf dem Hochglanzcover abgebildet. Da fiel Liam plötzlich die Reportage von neulich ein, die er im Fernsehen verfolgt hatte. Die Todesmaske eines Voodoo-Kults wurde darin beschrieben. Dabei glitten Liam Gedanken ab, zurück in eine Zeit, in der er selbst in Afrika gewesen war und Kontakt zu einem Voodooclan hatte...
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Er war einem sehr alten Dunkelslug bis nach Afrika gefolgt. Dieser war ein ganz besonderes böses Ex emplar. Oder hatte Liam nur wegen Ludeny einen besonderen Groll gegen diese Dämonenrasse? Wie auch immer, dieser hier hatte über Jahre hinweg gestohlen und gemordet. Liam musste dem ein Ende machen. Aber ganz so einfach war das nicht. Denn dieser Dunkelslug hatte Verbündete. Leute, die ihm untertags beschützten und versteckten. Liam erfuhr von einem mächtigen Voodooclan und bat diesen um Hilfe. Es war nicht ungefährlich eine derartige Hilfe anzunehmen. Aber für Liam die einzige Chance hier erfolgreich jagen zu können. Es wurde ein Ritual abgehalten. Die Priester und Priesterinnen trugen alle derartige afrikanischen Masken. Während dieses Vorganges leuchteten die Augen der Masken in unterschiedlicher Reihenfolge auf. Die Dunkelslug hatte keine Möglichkeit zu entkommen. Eine der Priesterinnen fand Liam ausgesprochen anziehend und
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erzählte sie ihm so manches Voodoo Geheimnis, unter anderem auch einiges über die Wirkung solcher Masken. Die Masken sind harmlos, solange ein zusammengehöriges Set nicht getrennt wird. Wenn nur eine Maske fehlen würde oder alleine benützt wird, kann jede nur erdenkliche Katastrophe geschehen. Mehr konnte Liam nicht erfahren, denn die Priesterin bestand auf eine Heirat und so machte er sich da mals lieber bei der ersten Gelegenheit aus dem Staub.
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Seltsam, dass ihm diese Geschichte gerade jetzt wieder einfiel. „Sir? Möchten sie das Heft kaufen?“, Liam schreckte aus seinen Erinnerungen auf. „Nein, danke!“ Er gab dem Zeitungshändler das Magazin zurück und setzte sich wieder auf seine Maschine. Er wusste nicht warum, aber irgendetwas zog ihn magisch in Richtung Queens. Er wollte zur Myrtle Avenue Ecke Marcy, zu dem Bürogebäude, an dem er Ludeny getrof fen hatte. Als er in die Strasse eingebog, fuhr er langsam daran vorbei. Nachdenklich schaute er nach oben und überlegte: „Was ist da drin, was du unbedingt haben willst?“ Dann gab er wieder Gas und fuhr nach Hause. „Wenn du es mir nicht freiwillig erzählst, dann muss ich es eben selbst heraus bekommen!“, dachte er während er seine Maschine im Schuppen einsperrte. Ludeny und Stevie setzten sich unterdessen an einem freien Tisch in der Bar und bestellten sich ihre Drinks. Die Dunkelslug entschied sich für einen, bei diesen Vor-Einbruch-Feiern üblichen, Daikiri und Stevie bestellte bei der Bedienung einen Long-Island Icetea. Seit dem die beiden ihren ersten Einbruch erfolgreich hinter sich gebracht hatten, hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht, bereits am Vorabend auf ihren Erfolg anzustoßen. „Aufs Geschäft!“, prosteten sie sich gegenseitig zu und tranken gleichzeitig ihren ersten Schluck. Ludeny lächelte Stevie an und schlug einen Tequilla zum Runterspülen vor. „Na klar! Mich trinkst du nicht so schnell unter den Tisch! Das müsstest du ja nun schon langsam wis sen!“ Stevie lachte und die beiden hatten an diesem Abend sehr viel Spaß. Nach ihrem ersten Tequilla stand Ludeny bereits leicht angeheitert vom Tisch auf und nahm Stevie an der Hand! „Komm! Ich möchte tanzen!“ Schnell stellte Stevie sein Glas auf den Tisch und ließ sich von ihr auf die Tanzfläche ziehen. Als die Freunde jedoch Hand in Hand dort ankamen, verstummte das flippige Lied und aus den Lautsprechern ertönte Mandy. Ludeny kicherte nur und zog Stevie dich an sich heran. Engum schlungen tanzten die Freunde nach den soften Klängen des Songs, bis Ludeny plötzlich anfing, an Stevies Ohr zu knabbern und sich noch enger an ihn schmiegte. Plötzlich wurde es Stevie unglaublich heiß und dasnicht nur wegen der Körperwärme und der Hitze, die in dem Lokal herrschte. Ludeny hatte die Augen geschlossen und landete schließlich mit ihren Lippen an Stevies Hals und küsste ihn. Kurz bevor sie jedoch bei seinem Mund ankam, endete das Lied und Stevie löste sich langsam, aber mit Nachdruck, aus der Umar mung. Sie lächelte ihn erwartungsvoll und angetrunken an. „Lass uns fahren!“, sagte sie und beide verließen das Lokal. Stevie fuhr mit Ludenys Wagen nach Hause. Während der Fahrt wurde kaum gesprochen. Nur einige Male langte Ludeny nach Stevies Knie und strei chelte es verlangend. Zu Hause angekommen, öffnete er ihr die Autotür und half ihr beim Aussteigen. Ludeny drehte sich um und ging in Richtung Eingangstür. Doch Stevie rührte sich keinen Zentimeter. „Was ist? Ich dachte du willst das auch?“, fragte sie verwirrt. Doch Stevie schüttelte nur den Kopf. „Du weißt, wie sehr ich mir das wünsche, aber nicht so. Ich bin kein Ersatz für ihn. Wie sehr wünsche ich mir, dass du mich nimmst, und nicht im Gedanken bei diesem Typen bist. Verstehst du das?“ Er ging zu ihr, gab ihr noch einen Kuss auf die Wange und stieg anschließend enttäuscht in seinen eigenen Wagen ein. „Tschüß!“, sagte sie noch und winkte ihm mit ihrer Hand. „Wer nicht will, der hat schon!“ Leicht wan kend betrat sie ihr Wohnhaus. Als Ludeny an ihrer Wohnungstür ankam, brauchte sie einen Moment, um den Schlüssel in das dazugehörige Loch zu stecken. Nach einigen Versuchen gelang es ihr schließlich und sie öffnete die Tür. Als diese ins Schloss fiel, zog sie sich bereits im Gehen die Schuhe aus und schwang dabei abwechselnd ihre Füße. Die Fußbekleidung flog im hohen Bogen quer über den ganzen Flur. Ludeny kicher te wieder und ging weiter in die Küche.
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„Soda, wo bist du?“, sang sie vor sich hin. In der Schale neben dem Kühlschrank entdeckte sie eine Ba nane und griff danach. Als sie in die geschälte Frucht heinein biss, fing sie wegen ihrer Gedanken erneut zu lachen an. „Na du kleines freches Ding! Wenn ich‘s nicht besser wüsste, würde ich ja denken, Liam hat dich hier als kleinen Hinweis für mich hinterlassen.“ Sie holte zu einem Wurf auf den Mistkübel aus. Doch die Bananenschale landete natürlich daneben. Denn mit dem Zielen klappte es bei ihrem Alkoholpegel an diesem Abend leider nicht mehr so gut. „Männer! Egal welche Rasse, die sind einfach komisch!“ Dann torkelte sie achselzuckend an der auf dem Boden liegenden Fruchtschale vorbei, direkt aufs Schlafzimmer zu. Dort fiel sie vornüber auf ihr Bett. Noch ein, zwei tiefe Atemzüge und sie war fest eingeschlafen. So gegen ein Uhr mittags wurde Ludeny von dröhnenden Kopfschmerzen geweckt. Langsam und vor sichtig richtete sie sich in ihrem Bett auf. Als das Karussell in ihrem Schädel endlich zum Stillstand kam, stand sie auf und torkelte in ihre Küche. Im Eiskasten stand ihre geliebte Soda und im Kästchen daneben das notwendige Aspirin. „Immer das Selbe. Wir sollten vielleicht unsere Feiergewohnheiten überdenken.“, sagte sie laut und nahm gleich drei der Schmerztabletten zu sich. Nach einer ausgiebigen Dusche war sie bereit mit ihren Übungen zu beginnen, doch vorher wollte sie noch Stevie anrufen. „Hallo?“, kam es langsam und leise aus ihrem Hörer. „Na du Schlafmütze schon munter. Komm in die Gänge, heute so gegen sechs bei mir?“, begrüßte ihn Ludeny gelassen. Sie hatte keine Lust über die Ge schehnisse letzter Nacht zwischen ihnen zu sprechen und Stevie war sowieso noch viel zu müde, also gab er lediglich ein bestätigendes Geräusch von sich und dann war die Leitung auch schon wieder tot. Ludeny legte auf, ging in die Grundosition und fing mit den Atemübungen an. Liam erwachte am späten Vormittag. Wie immer führte ihn sein Weg erst einmal zur Küche, um sich ei nen Kaffe zu kochen. Er lehnte mit dem Rücken am Küchenschrank und überlegte, während er seine Tasse in der Hand hielt, was er wegen Ludenys Plänen unternehmen sollte. „Irgendetwas aus diesem Gebäude will sie haben!“, sagte er laut. „Und ich kriege raus, was es ist!“ Er ging zum Telefon und wählte Wandas Nummer. „Ja? wer da?“, fragte sie am anderen Ende. „Hallo, ich bin’s!“, sagte er vorsichtig, denn er war sich nicht sicher, ob sie wegen des Streites vom Vortag überhaupt noch mit ihm sprechen würde. „Liam! Ich denke, dass wir im Moment nichts Wichtiges zu besprechen haben! Wir sollten es ein paar Tage dabei belassen!“ Wanda war gespannt, was er dazu sagen würde. „Hör mal, eigentlich dachte ich schon, dass wir einiges mehr miteinander zu besprechen haben, außer der Sache von gestern! Und wenn hier einer einen Grund hat, sauer oder beleidigt zu sein, dann ja wohl eher ich!“ Liam war verärgert darüber, dass sie sich plötzlich so eingeschnappt aufführte. „Gut, dann sei du sauer und beleidigt! Ich jedenfalls will dich im Moment nicht sehen!“, antwortete sie und ohne weitere Aussagen abzuwarten, legte sie den Hörer auf die Gabel. „Gut dann mach ich es eben alleine!“, beschloss Liam und ging ins Schlafzimmer,. um sich etwas anzuzie hen. Er wusste ganz genau, dass Wanda sich von ganz alleine wieder beruhigen und bei ihm melden würde. Daher griff er gelassen nach seine Jacke und verließ die Wohnung. Die Sonne war bereits am untergehen und er wusste, wenn der Einbruch heute über die Bühne gehen sollte, dann würde sie bald starten. Er stand mit seiner Maschine etwas ein Stück weit die Straße runter, genau hinter einem Kleinlastwagen, als plötzlich ein alter BMW direkt neben der Tür zu Ludenys Haus ein parkte. Der Mann, den er schon damals mit ihr auf der Straße sah, stieg aus und Liam wurde sehr nachdenk lich. „Ob das dieser Stevie ist? Ist doch gar nicht ihr Typ, viel zu klein und unscheinbar!“, irgendwie wurde er sauer und seltsamerweise auch eifersüchtig. Ludeny kam gerade aus ihrem Haus heraus und war, wie er erwartet hatte, komplett schwarz gekleidet. Sie trug einen Rucksack und begrüßte den jungen Mann mit einem Kuss auf die Wange. Liam spürte einen Stich im Herzen und machte sein Motorrad startklar. Die Dunkelslug gab ihren Rucksack an Stevie weiter. Er packte ihn mit seinem in ihren Spider. Dann stiegen die beiden ein und fuhren los.
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„Na dann wollen wir mal!“, sagte Liam leise zu sich selbst und wartete, bis die beiden mit dem Wagen um die Ecke gefahren waren. Dann folgte er ihnen. Sein Verdacht bestätigte sich. Ludeny und Stevie fuhren zum Bürohaus! Liam hielt seine Maschine in sicherer Entfernung an und stellte sie so ab, dass Ludeny und ihr Begleiter sie nicht sofort entdecken konnten. Er schlich sich an ein paar parkenden Autos vorbei und sah den zweien zu, wie sie ihre Taschen aus dem Auto nahmen. Sie schulterten ihr Gebäck und gingen auf das Gebäude zu. „Ludeny!“ Liam war aus seinem Versteck hervorgetreten und rief nun ihren Namen. „Warte!“ Er ging auf die beiden zu, während sie ihm mit erstaunten Gesichtern zusahen. „Du willst da rein! Hab ich’s mir doch gedacht!“ „Das geht dich nichts an!“, antwortete Die Dunkelslug schnippisch. „Kümmere dich um die bösen, bösen Dämonen und lass mich hier meinen Lebensunterhalt verdienen!“, schimpfte sie und ging wieder weiter auf das Haus zu. Liam war aber schneller als sie und hielt sie am Arm fest. „Um was geht es da drin?“ Er war ziemlich ungehalten. Stevie, der ja nicht wusste, mit wem sie es da zu tun hatten, ging dazwischen. „Hey! Finger weg!“ Er griff Liam an die Schulter, um ihn ein Stück von Ludeny wegzuziehen. Liam sah ihn nur kurz, aber ernst an. „Das würde ich mir an deiner Stelle gut überlegen!“ „Liam!“ Ludeny schrie ihn jetzt an. „Lass ihn in Ruhe! Er weiß doch gar nicht, wer du bist!“ Stevie nahm schnell seine Hand von Liams Schulter. „Ups, jetzt weiß ich es!“, sagte er ziemlich kleinlaut. „Entschuldigung! Nichts für Ungut!“, brachte er mit einem gequältem Lächeln hervor. „Was soll das? Ich mische mich doch auch nicht in deine Angelegenheiten, also halte dich bitte aus mei nen auch raus!“, sagte Ludeny ungeduldig. „Das du nicht mit mir auf der richtigen Seite kämpfst, ist nicht meine Schuld! Und wenn du das wirklich wolltest, würde dich niemand davon abhalten können! Du vergeudest deine Kräfte und dein Talent mit diesen Raubzügen!“ Liam sah ihr in ihre grünen Augen. „Und was ist das hier für ein Clown? Der ist doch überhaupt nicht deine Kragenweite!“ Er deutete auf Stevie, der sich inzwischen etwas abseits hielt, um sich aus der Auseinandersetzung der beiden Halbdämonen herauszuhalten. „Das geht dich auch nichts an! Ich hab keine Zeit für diese Diskussion. Da oben“, sie deutet mit ihrem Gesicht zu einem der oberen Stockwerke des Bürogebäudes, “wartet noch ein Geschäft auf mich, das keinen Aufschub duldet! Mach’s gut!“ Sie drehte sich weg und lief auf das Haus zu. „Ludeny!“ Liam rief noch einmal nach ihr, aber sie drehte sich nicht mehr um und bereitete mit Stevie den Coup vor. „Verdammt!“ Liam war sehr wütend, konnte sie aber nicht daran hindern mit ihren Vorbe reitungen weiter zu machen. „Ist er schon weg?“, fragte sie leise. Stevie, der gerade seinen Laptop öffnete, blicke vorsichtig über seine Schulter und sah, wie Liam sich gerade auf sein Motorrad schwang. Er startete die Maschine und fuhr mit quietschenden Reifen davon. „Roger, Marzipanrose, die Gegend ist sauber!“, antwortete er ihr und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Gerätschaften. Ludeny hatte in der Zwischenzeit eine schwarze Stoffmaske aufgesetzt, die nur noch einen Blick auf ihre grünen Augen frei ließ. Jetzt wirkte sie beinahe wie ein schwarzer Schatten. Stevie reichte ihr ihre ebenfalls schwarze Umhängetasche, die sie sich nun quer über ihre Schluter hing. Sie steckte sich das Minimikrofon und den Kopfhörer in ihre Mütze und pustete kurz in das Mikro, um zu testen, ob es angeschaltet war. Einen Uhrenvergleich später, begann sie bereits die Fassade hochzuklettern. Stevie bearbeitete unterdessen fleißig seinen Mini-PC. Als alles startklar war, lief er zum Sicherungskasten hinüber, der sich links neben der Eingangstür befand und öffnete ihn mit Hilfe eines Schraubendrehers. Es gab einen kleinen Ruck und das sich daran befindliche kleine Vorhängeschloß sprang, ohne Probleme, auf. Nun fingerte er mit einer Zange darin herum und löste mal den einen, mal den anderen Draht. Anschlie ßend holte er ein kleines Gerät aus seinem schwarzen Lederrucksack, welches er an die Kabel anschloss. Das Notebook hing nun am anderen Ende dieser Verbindung. Ludeny war in der Zwischenzeit schon ein ganzes Stück weiter gekommen, als sie unbewusst, plötzlich
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zu singen begann. „Deine blauen Augen machen mich so sentimental. So blaue Augen, wenn ich dich so an schaue, ist mir alles andre egal!“ „Marzipanrose, ist ja nett dein Ständchen. Aber ich habe grüne Augen so wie du, erinnerst du dich?“ Stevie war sich natürlich völlig bewusst, dass seine Freundin in diesem Moment nicht an ihn dachte. Er schüttelte etwas verständnislos den Kopf, arbeitete dann aber wieder konzentriert weiter an der Alarman lage des Bürogebäudes. „Hummelkönig ich meinte doch nicht dich!“, antwortete Ludeny. „Das ist mir völlig klar!“, erwiderte Stevie. „Und, wie weit bist du?“, setze er nach, da er keine Lust darauf hatte, das Thema Liam noch weiter zu erörtern. „Bin gleich oben!“, flüsterte Die Dunkelslug zurück. Just in diesem Augenblick kam sie bei dem gesuchten Fenster an. „Alles sauber und mucksmäuschen still!“, sagte Stevie und gab ihr somit das Freizeichen für den Einstieg. Mit einem Glasschneider schnitt sie nun ein Loch in die Scheibe, welches gerade groß genug war, damit sie die Hand hindurchstecken konnte, um den Fenstergriff bewegen zu können. Mit einem eleganten Schwung sprang sie nun fast lautlos in den dunklen Raum, indem sich das afrikanische Relikt befand. Und dort lag sie auch schon - die Maske. Auf einem bräunlichen Samtpolster war sie in einem Schaukasten verschlossen aufbewahrt. Sie sah genauso aus wie auf der Beschreibung. Es war eine Voodoo-Totenmaske und cirka. 700 Jahre alt. Sie war aus rotem Holz geschnitzt. Am äußeren Rand hatte sie Totemsymbole und aus den Mund winkeln der Fratze blitzten die Zähne einer Giftschlange. „Wirklich hässlich!“, dachte Ludeny so bei sich und holte aus ihrem Rucksack ein Spray mit dem sie die Kiste besprühte. Einige blaue Lichtstreifen wurden sichtbar. „Hummelkönig schläfst du? Der Laser ist noch an!“, verkündete sie ungeduldig durchs Mikrofon. „Marzipanrose, das wird sofort gecheckt!“, kam prompt die Antwort und als sie noch einmal das Spray verteilte, waren die Lichtstreifen verschwunden. Vorsichtig öffnete sie die kleinen Messing-Riegel und hob den Kasten nun an, um ihn neben sich auf dem Boden abzustellen. Aus ihrer Tasche zauberte sie nun leder ne Handschuhe hervor, die sie schnell über ihre schlanken Finger zog. „Gott sei dank haben wir die Infos über das Ding auch gelesen.“, dachte sie während sie die Maske von deren samtener Bettung nahm und in ihrer Tasche verstaute. „Fertig. Der Fisch ist gefangen!“, gab sie Stevie durchs Mikrofon bescheid. Dann verschloss sie den Schau kasten wieder und begab sich zurück zum Fenster, um den Rückweg anzutreten. „Und bevor ich es vergesse, Hummelkönig es tut mir leid wegen gestern Nacht.“, sagte sie vorsichtig, während sie die Wand wieder hinunter kletterte. „Marzipanrose, das weiß ich doch. Keine Sorge Baby, alles Roger zwischen uns. Aber um ihn solltest du dich kümmern!“, antwortete Stevie beruhigend. Ein Blick nach oben und er konnte erkennen, wie Ludeny zu straucheln und zu Rutschen begann, bei seinen letzten Worten. „Ach Süße vielleicht solltest du erst mal runter kommen und dich dann erst darum kümmern!“, sagte er besorgt. „Hummelkönig halt die Klappe, okay? Dann komm ich vielleicht auch heil unten an!“, fauchte sie nun durchs Headset. Wenige Augenblicke später landete sie elegant neben ihm auf dem weichen Rasen. Auf dem Weg zum Auto zog sie sich bereits Mütze und Maske vom Kopf und verstaute alles. Rasch stieg sie ein und Stevies Rucksack landete neben ihrem am Rücksitz. „Sag einmal, können wir über unsere Codenamen nachdenken?“, fragte sie bittend. „Nein, darauf bin ich ganz versessen. Da darf ich dir endlich nette Namen geben und du wirst mir das nicht nehmen. In was würdest du sie denn ändern wollen? Falke eins und Falke zwei oder was? Nein, die Namen bleiben.“, sagte er entschlossen und verzog stur seinen Mund. Stevies Antwort war unumstößlich. Wenn er so einen Blick drauf hatte, machte es keinen Sinn zu reden oder zu bitten. Also blieben sie Hum melkönig und Marzipanrose. Liam fuhr wütend durch die Gegend. „Ich bin ein verdammter Vollidiot! Sie ist einfach zu stur und
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eigentlich sollte ich das nach all den Jahren wirklich wissen! Mit Vorwürfen und anschreien komm ich bei ihr einfach nicht weiter! Manchmal wünschte ich, dass sie bei ihrer Erschaffung doch etwas älter gewesen wäre. Mit wütenden Teenagern ist nun mal kein vernünftiges Gespräch möglich!“, flüsterte er. Liam blieb abrupt stehen. „Aber ich bin total verrückt nach ihr!“, sagte er nun wieder laut und wendete sein Motorrad. Er machte sich auf den Rückweg zu ihrem Wohnhaus. Neugierig wollte Liam unbedingt sehen, was sie an diesem Abend gestohlen hatte und wo sie es eventuell verstecken würde. Ludeny und Stevie fuhren auf direktem Weg zu ihr nach Hause. Sie hatte in ihrer Wohnung einen Tresor und konnte die Maske dort gut verstecken. Es war die Voodoomaske von der in den Nachrichten berichtet worden war - eine Totenmaske. Sie konnte einen normalen Menschen in einen zombieähnlichen Zustand versetzen, wenn man sich nicht richtig vor ihrer Wirkung schützte. Eine einzige Berührung würde ausrei chen und man verfiel ihrem Zauber und tat nur noch, was sie einem befahl! Der Befallene würde somit zur Marionette ihrer Macht. Blickte man ihr in ihre Augen fiel man sofort in eine todesähnliche Starre. Selbst Halbdämonen waren vor ihren Kräften nicht sicher. Ludeny wusste darüber bescheid. Deshalb nahm sie das Relikt lieber mit zu sich, da keiner wissen konnte, wer in Stevies Wohnung ein und aus ging und dabei vielleicht auf die Idee kam, mit dem Ding herum zu spie len. Ganz zu schweigen von seinem Mitbewohner Josh, der war nämlich ziemlich neugierig, und in diesem Fall, könnte ihm das zum Verhängnis werden. „Ich melde mich dann morgen Vormittag bei dir, um den Übergabeort mit dir zu besprechen!“, sagte Stevie, als er in seinen alten BMW einstieg und sich mit einem kurzen Winker von ihr verabschiedete. Sie nahm ihren Rucksack und ging nach oben in ihr Appartement. Ludeny hatte nicht bemerkt, dass ihr jemand gefolgt war. Liam stand an einer Ecke der Strasse und sah ihr zu, wie sie mit ihrer Ausrüstung das Haus bet rat. „Lief doch alles wie geschmiert!“, sagte sie zu sich selbst und ging zufrieden zum Fahrstuhl. Sie drückte den Knopf und fing erneut leise zu singen an „Deine blauen Augen machen mich so sentimental. So blaue Augen...“ Nachdem die Maske verstaut war, nahm sie ein fruchtiges Abendessen zu sich und legte sich ins Bett. Sie wollte bei der morgigen Übergabe ausgeruht sein. Wenige Augenblicke später fiel sie in einen tie fen, unruhigen Schlaf. Liam blieb noch lange Zeit vor ihrem Haus stehen und dachte nach. Er dachte an alte Zeiten und gab sich die Schuld für die Art, wie sie ihren Lebensunterhalt bestritt. Gedankenverloren starrte er vor sich hin, als ihn die Erinnerung überkam.
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Es war 70. Liam war wieder einmal in Frankreich. Er hatte schon vor langem von einem Dämon gehört, der ganz Marseille in Angst und Strecken versetzte. Es war ein Höckler-Dämon, groß und furchteinflößend. Tagelang bereitete er sich auf den Angriff vor. Als der Tag gekommen war, ging er schnell und unerbittert vor. Außer einigen kleinen Verletzungen war ihm nichts passiert. Er sammelte seine Waffen ein, als er plötzlich eine Stimme hinter sich vernahm. Lang sam hob er sein Schwert und drehte sich um. Da sah er sie das erste Mal. Sie war wunderschön, so zart und jung. Aus entsetzten Augen starrte sie ihn an, bevor sie anfing zu schreien: „Wie konntest du nur? Und wo soll ich jetzt hin? Ich hasse dich!“, wütend ging sie auf ihn zu und boxte ihn hart in die Brust. „Du hast mir alles genommen. Es war zwar die Hölle hier, aber jetzt habe ich gar nichts mehr!“, weinend brach sie vor ihm zusammen. Er kniete sich zu ihr hinunter und wollte sie trösten. Doch es fielen ihm nicht die richtigen Worte ein. Sie stieß ihn von sich weg und rollte sich noch mehr zusammen. Sie sah so traurig und hilflos aus. Es brach ihm fast das Herz. Es tat so sehr weh, dass er es nicht mehr ertragen konnte und davonlief. Als Liam aus seiner Erinnerung zurückkehrte, hatte es angefangen zu regnen. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch, startete das Motorrad und fuhr nach Hause. Als er dort ankam, ging Liam direkt auf das Dach des Gebäudes. Hier kam er immer her, wenn er in Ruhe trainieren wollte. Er zog sich seine Jacke und den Pullover aus
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und fing mit nacktem Oberkörper an einige Thai-Chi Übungen zu machen. Mit geschlossenen Augen ver suchte er sich zu konzentrieren. Jeder Muskel in seinem durchtrainierten Körper war angespannt. Jede Frau würde sich nach so einem gutaussehenden Mann umdrehen und er könnte natürlich viele davon haben. Aber er interessierte sich nur für Eine! Besonders, wenn er in sich gekehrt war und versuchte, sein Leben zu ordnen. Der Regen viel in kleinen Tropfen auf ihn herab und er genoss das Gefühl des kalten Wassers auf seiner Haut. Nach etwa zwei Stunden hatte er genug trainiert und war entspannt. Er ging in seine Wohnung und nahm eine große Portion rohe Rindernieren aus dem Kühlschrank. Er musste lächeln, als ihm einfiel, dass Ludeny immer versucht hatte, ihm das rohe Fleisch etwas appetitlicher herzurichten. Mal legte sie ihm et was Petersilie auf den Tellerrand und ein anderes Mal streute sie Gewürze darüber. Er konnte diese Sachen nicht schmecken, aber er tat jedes Mal so, als wenn es ihm fantastisch munden würde, nur um ihr eine Freude zu machen. „Ach Ludeny! Wenn ich nur deinen Namen ausspreche, verkrampft sich mein Herz und ich leide Höllen qualen, weil ich dir niemals sagen kann, warum wir nicht zusammen sein können!“ Er stellte den Teller mit dem Fleisch wieder zurück in den Kühlschrank und ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Am nächsten Morgen stand Stevie ziemlich früh auf, um noch vor Josh im Wohnzimmer ungestört tele fonieren zu können. Er musste den Auftraggeber für den Coup der letzten Nacht anrufen und den Treffpunkt für eine reibungslose Übergabe zu besprechen. Er wählte die Nummer, die er von seinem Kontaktmann er halten hatte und wartete darauf, dass man am anderen Ende abhob. Stevie wollte nach mehrmaligem Läu ten gerade wieder auflegen, als eine tiefe Stimme durch die Hörmuschel des Telefons antwortete. „Ja, bitte?“ „Ja, ich bin der mit der Ware!“, sagte Stevie. „Warten Sie bitte einen Moment!“, erklang es. „Okay!“ Stevie wippte nervös mit seinen Füßen. Er hoffte inständig, dass Josh noch ein wenig weiter schlafen würde. „Luke hier!“, kam es jetzt aus dem Hörer. „Haben Sie die Ware?“ „Ja, natürlich! Wir müssen nur noch den Treffpunkt für die Übergabe ausmachen!“ Stevie gab sich ab sichtlich selbstsicher. Er hörte, dass am anderen Ende leise Absprachen getroffen wurden, konnte aber nichts Genaues verstehen. „Okay, hören Sie genau zu. Heute Abend, 9.30 Uhr, der Schrottplatz an der Jerome Avenue, direkt an der Autobahn! Wissen Sie wo ich meine?“, fragte Luke. „Okay, wir werden da sein! Vergessen Sie das Geld nicht, denn sonst gibt es keine Ware!“ Am anderen Ende wurde das Gespräch bereits beendet und Stevie schaute verwundert auf den Telefonhörer. „Unhöf liche Menschen gibt‘s?“ In einiger Entfernung legte Luke das Telefon beiseite und sah in ein abgedunkeltes Zimmer hinein. „Sind Sie zufrieden Boss?“ „Wenn ich die Maske habe, dann bin ich zufrieden! Und jetzt geh! Ich brauche Ruhe!“, erklang eine kalte Stimme aus der Dunkelheit. Während Stevie Ludeny übers Telefon informierte, läutete es bei Liam an der Tür. „Wer würde so früh schon bei mir vor der Tür stehen?“, fragte er sich und öffnete. Wanda stand davor mit zwei dampfenden Bechern. „Okay, ich habe mich wieder beruhigt. Ich habe dir ein Friedensangebot mitgebracht!“ Bei den letzten Worten hielt sie die Becher in die Höhe. „Sag nicht du hast den weiten Weg in mein Lieblingscafe gemacht?“, sagte er vor Freude und trat zur Seite. Wanda ging geradewegs ins Wohnzimmer weiter und setzte sich auf die Couch. Liam setzte sich ihr gegenüber auf einen Sessel und griff nach seinem Becher. Der Kaffee dampfte und verströmte ein ange nehmes Aroma.
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„Wanda, ich dachte wir hätten in der langen Zeit, die wir schon Seite an Seite kämpfen, eine stille Verein barung uns betreffend“, begann er vorsichtig die Aussprache. Wanda blickte direkt an ihm vorbei. „Ja, und? Ich meine, ein Blick und du machst ein riesen Theater. Lassen wir es auf sich beruhen, okay?“ Sie war nicht bereit, näher auf das Thema einzugehen. Liam stand auf und setzte sich direkt neben sie. Mit seinen durchdringenden, eisblauen Augen blickte er direkt in ihre. „Als wir uns vor nunmehr 5 Jahren trafen, warst du diejenige, die Streit suchte. Du gegen den Rest der Welt. Dann hast du mich auch noch herausgefordert. Wenn dieser schreckliche Dämon nicht gekommen wäre, der eine alte Rechnung mit dir begleichen wollte, hätten wir gekämpft bis einer von uns tot umgefal len wäre – oder womöglich wir beide. Seit dieser Zeit kämpfen wir nun doch lieber gemeinsam, als gegen einander. Ich bin froh dich zu kennen und ich möchte nicht auf dich verzichten. Aber sollte es nochmals zu einer derartigen Situation kommen, dann werden sich unsere Wege trennen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach. „Ich habe dich schon das letzte Mal verstanden. Ich bin doch nicht blöd. Es war ein Versehen, okay! Das hier ist deine Show und ich helfe dir, weil du mir vor so vielen Jahren geholfen hast. Du hast mir den Weg ge zeigt. Wer weiß, vielleicht, wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich wohl irgendwann mal an den Falschen geraten. Also zwischen uns ist alles klar“, sagte sie und nippte an ihrem Becher. Liam lehnte sich entspannt zurück und sagte beruhigt: „Gut so. Dann können wir ja wie gewohnt weiter machen.“ Einige Zeit schwiegen sie sich an. „Was steht heute auf dem Plan?“, fragte Wanda schließlich um die Stille zu durchbrechen. Liam stand auf. „Ich habe einiges vor. Wenn sonst nichts ansteht, möchte ich mich gerne darum kümmern.“ Wanda stand ebenfalls auf. „Okay wieder so eine Sache, die mich nichts angeht oder? Das ist nicht der Dämon, der aus dir spricht. Das ist der Mensch. Aber ich weiß, ich soll nicht fragen. Also werde ich brav wieder gehen. Ich erwarte dei nen Anruf, solltest du mich brauchen!“, sagte sie noch schnell ehe sie verschwand. Stevie war richtig aufgeregt wegen diesem Job. So gut hatten sie selten an einem Job verdient. Schon gar nicht, wenn er so einfach gewesen war. Er zog sich gut gelaunt seine super chice Lederjacke an und stellte sich vor den Garderobenspiegel. Mit beiden Händen strich er sich durchs Haar und machte eine Handbewe gung, als wenn er eine Pistole in ihr halten würde. „Peng!“, ahmte er einen Schuss nach und lächelte verwe gen. „Du siehst heiß aus, Stevie! Mädels haltet euch fest, Stevie kommt, der Unwiderstehliche!“ Er öffnete die Tür und sprang übermütig die Treppen hinunter. Als er mit seinem Wagen vor der Universität vorfuhr, sah er Zoe, das angesagteste Mädchen des Campus, über die Strasse gehen. „Zoe!“ Er sprang cool aus dem Auto und lief auf sie zu. „Hey, du siehst heute umwerfend aus!“ Stevie wollte gleich aufs Ganze gehen und hoffte, dass sie auf seine Anmache anspringen würde. Fragend schaute sie ihn an „Und du bist?“ Der junge Mann war ein wenig enttäuscht, weil er sie schon des Öfteren angesprochen hatte und sie jedes Mal wieder nach seinem Namen fragte. „Stevie! Ich dachte, ich spreche dich mal an und frage dich, ob du nicht morgen Abend Zeit hättest, mit mir essen zu gehen!“ „Oh, da muss ich erst einmal überlegen“ Sie schaute übertrieben nachdenklich in die Luft. „Nein, tut mir Leid! Morgen habe ich schon was anderes vor. Aber vielleicht ein anderes Mal!“ Zoe wartete keine Antwort ab und ging weiter in Richtung Vorlesungssaal. „Ja, vielleicht ein anderes Mal“, sagte Stevie mit gebeugtem Kopf zu sich selbst und ging dann ebenfalls in eines der Uiversitätsgebäude. Ludeny war froh über die Informationen zur Übergabe. Ganz so wohl war ihr nämlich nicht bei der Sa che. Das lief alles zu glatt. Normalerweise hatte sie wirklich keine Skrupel, egal was sie stahl oder wer der Auftraggeber war. Aber in diesem Fall hatte sie seit Beginn ein seltsam flaues Gefühl in der Magengegend
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und dann noch Liams Erscheinen. Es war heller Tag und sie ging ruhelos durch ihre Wohnung. Sie brauchte dringend etwas frische Luft. Hier fühlte sie sich wie ein Tiger, eingesperrt in einen goldenen Käfig. Meist war sie froh, ein Dunkelslug zu sein. Sie hatte ja die Möglichkeit in die Sonne zu gehen ohne gleich zu Staub zu zerfallen. Dank ihren vielen Übungen in den letzten Tagen waren ihre Akkus sozusagen gut aufgeladen. Also könnte so ein bisschen Schwäche durch die Sonnenstrahlen keinen Weltuntergang bedeuten. „Oder etwa ein bisschen meiner Erscheinung schaden!“, dachte sie und griff nach ihrer Tasche. Sie war froh in der Früh das Kleid angezogen zu haben, denn die Wärme des Tages war sie doch nicht so gewöhnt. Sie schlenderte etwas durch die Gegend bis sie am Markt ankam. „Bei dieser Gelegenheit - Shopping!“, dach te sie erfreut und steuerte sofort den ersten Obststand an. Vor lauter Freude hatte sie die Frau neben sich nicht gesehen und stieß mit ihr zusammen. Wanda blickte entsetzt auf die Person, die sie gerade angerempelt hatte. „Wohl schlechte Augen oder was!“, fauchte sie gleich los. Ludeny musterte sie von oben bis unten. „Und wohl ein bisschen zu viel Platzbedarf für so was, wie Sie!“, fauchte sie zurück. „Na toll, eine Risis am hellen Tage. Aber egal, die sind bekanntlich ja sowieso hand zahm“, dachte sie und mit einem letzten verachtenden Blick ging sie zu einem anderen Stand weiter, wo es frische Lychis gab, deren Geruch sie schon von weitem wahrgenommen hatte. Liam entschloss sich heute herauszufinden, was Ludeny letzte Nacht aus dem Bürohaus gestohlen hat te. „Wenn du es mir nicht freiwillig sagst, mein Liebling, dann finde ich es eben auf einem anderen Weg heraus!“, sagte er laut. Ihm fiel der Troff-Dämon ein, mit dem Wanda sich sehr gerne unterhielt, wenn sie Informationen über irgendwelche dämonische Aktivitäten brauchten. Die Troffs waren von Natur aus sehr neugierig und Hucks, so hieß der Kerl, war da keine Ausnahme. Ihre Fähigkeit, wenn man das überhaupt so nennen konnte, machten sie sich zu Nutzen und verdienten auf diese Art gar nicht einmal so schlechtes Geld. Ihre Informationen benutzten sie natürlich nicht immer für gute Zwecke, eigentlich so gut wie nie, aber es konnte immer sehr nützlich sein, einen von ihnen zu kennen. Liam fuhr die Strassen auf seiner Maschine entlang und dachte daran, wie sich diese Dämonenart er nährte. „Uuäh! Müll! Da kann ich ja nur froh sein, dass ich nicht mit einem von denen zusammengestoßen bin und mich in einen Halbtroff verwandelt habe!“ Wegen der Schlägerei mit dem Camilläcka hatte Liam Hausverbot und so wartete er vor dem Hauptein gang des Clubs. Hucks kam kurze Zeit später um die Ecke und ging auf die Tür des Vidal zu. Blitzschnell tauchte Liam aus seinem dunklen Versteck auf und stand plötzlich vor dem Troff-Dämon. „Schöner Tag heute, was?“, fragte er ihn und blickte sich um. „Mag schon sein.“, war die einzige schroffe Antwort die Liam bekam. „Ich dachte mir mit ein paar von denen hier, könnte man sich einen schönen Abend draus machen!“ Liam hielt einige 0 Dollar Scheine hoch und wedelte damit vor Hucks Augen herum. Dieser wurde plötzlich sehr wachsam und platzte heraus: „Spinnst du, du kannst doch nicht einfach so damit herum fuchteln. Wenn das die falschen Leute sehen, bin ich geliefert!“ Liam packte den Troff am Kra gen seiner Jacke und zerrte ihn in die Dunkelheit. „Also plauder mal aus dem Nähkästchen! Was gibt’s Neues in der Stadt? Am meisten interessieren mich begehrte Gegenstände, vielleicht was Gestohlenes!“ Der Troff blickte von den Scheinen zu dem Gesicht sei nes Gegenübers. Schnell griff er zu und ließ das Geld in seiner Jacke verschwinden. „Ich denke, du meinst etwas ganz bestimmtes. Ja, da habe ich was gehört. Eine Maske ist in der Stadt, hässliches Ding mit jeder Menge Power, irgendein Voodooding. Ein Typ war auf der Suche nach ihr. So viel ich weiß, wurde sie vor kurzem gestohlen. Aber mehr kann ich dir auch nicht sagen!“, plapperte der Dämon drauf los. „Dachte ich es mir doch!“, kam es Liam in den Sinn. Er ließ den Troff los und ging zurück zu seiner Ma schine. Es war inzwischen später Nachmittag und Ludeny war nach Hause gegangen, um noch ein paar Übungen
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zu machen. Sie wollte am Abend fit sein, da sie immer noch ein ungutes Gefühl hatte, jedenfalls, was das Geschäft anging. Liam hatte von Hucks genug erfahren und fuhr zu Ludenys Haus, um sie im Auge zu behalten. Er wusste, dass sie es bevorzugte, ihre Hehlerware, so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Je länger sich die Sa chen in ihrer Nähe befanden, desto unruhiger wurde sie. Schließlich lief man Gefahr, entdeckt zu werden. Ludeny war zu sehr Profi, als dass sie sich auf ein unsicheres Geschäft einlassen würde. All das wusste er nur zu genau. Er holte sich in einem Kiosk, an einer Ecke der Strasse, einen Kaffee und wartete darauf, dass sie und ihr neuer Freund sich auf den Weg zur Übergabestelle machten. Ludeny ging kurz vor sieben zu ihren Wagen. Stevie wartete bereits auf sie. Er musterte sie von oben bis unten. „Erwartest du Schwierigkeiten?“, fragte er sie nachdenklich. „Nein, nicht wirklich. Ich wollte nur vorbereitet sein.“, gab sie als Antwort zurück. Sie trug eine enge Hose und einen engen Pullover. Ihr Haar hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Im Falle eines Kampfes hatte sie so die Möglichkeit sich uneingeschränkt zu bewegen. Im Rucksack lag die Maske gut verstaut. Liam beobachtete die beiden und folgte ihnen in einem sichern Abstand. Und mit einem „Showtime!“, läutete er die Verfolgung der beiden ein. Sie fuhren den direktesten Weg und kamen kurz vor halb Acht am vereinbarten Treffpunkt an. Eine große, schwarze Limousine stand bereits auf dem Schrottplatz, auf dem die Übergabe der Maske stattfinden sollte. Liam parkte seine Harley Davidson außerhalb des Platzes und schlich sich hinter ein paar der Schrott autos vorbei, um den Abschluss des Geschäfts im Notfall beenden zu können. Es war bereits dunkel und Ludeny stieg aus dem Wagen und ging zusammen mit Stevie den Auftragge bern auf halben Weg entgegen. Sie verschränkte die Arme vor dem Körper und wartete darauf, dass endlich jemand aus dem riesigen Wagen ausstieg. Stevie hielt den Rucksack fest umklammert und wurde langsam aber sicher ziemlich unruhig. Das war sonst eigentlich nicht der Fall. Aber dieses Mal hatte er durch Ludenys übervorsichtige Art ein wenig die Hosen voll. „Oh Mann! Ich hoffe, dass das hier schnell über die Bühne geht und wir mit der Kohle bald verschwinden können!“, flüsterte er ihr zu. „Pssst!“ Ludeny deutete mit dem Gesicht auf die Limousine. Die Wagentür öffnete sich und ein etwa 35 jähriger Mann mit dunklen Haaren und einem schwarzen Nadelstreifanzug stieg aus und ging auf die Bei den zu. Ungefähr drei Meter von ihnen entfernt blieb er stehen. „Die Ware?“, fragte er nur kurz und erwartete eine Antwort. „Ist hier!“ Stevie hielt den Rucksack kurz in die Höhe und sah den Mann mit der dunklen Sonnenbrille an. Der Mann, Luke – den Stevie an dessen Stimme erkannte - ging zum Wagen zurück und unterhielt sich mit jemandem im Inneren. „Mr. Greeson möchte die Ware vorher sehen!“, sagte Luke an Ludeny gerichtet. Sie blickte Stevie an und nahm den Rucksack an sich. In der vorderen Seitentasche hatte sie sicherheitshalber ihre Handschuhe eingesteckt. Diese nahm sie jetzt heraus und öffnete den Rucksack. Die Maske wartete im Dunklen und Ludeny nahm sie vorsichtig heraus. Sie ging die paar Meter zur Limousine hinüber und hielt sie an die hin tere Fensterscheibe. Zunächst geschah gar nichts. Luke trat neben Ludeny und beobachtete sie aus dem Augenwinkel.
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Diese Situation war ihr sichtlich unangenehm. Liam konnte förmlich spüren, wie sich ihr Magen ver krampfte. „Irgendetwas ist hier faul!“, dachte er und blinzelte, um mehr zu erkennen. Doch die Dunkelheit ließ das nicht zu. Das Fenster wurde elektrisch herunter gelassen. Ein schwarzer Haarschopf kam zum Vorschein, der sich leicht aus dem Fenster beugte. Ludeny hielt die Maske hoch. Der Mann im Auto nickte und sie nahm das Relikt wieder runter. Als sich der Kopf des Mannes zu ihr drehte, blickte sie ihm direkt ins Gesicht. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie schaute in ihr vertraute Augen. Diese wirkten eiskalt und waren fast ausschließlich weiß. Vor Schreck fingen ihre Hände an zu zittern und die Maske fiel zu Boden. Doch bevor sie auf den Boden fallen konnte und dabei vielleicht zerbrach, sprang Luke darauf zu und fing sie auf. Ludeny starrte den Menschen entsetzt an. Liam lauerte sprungbereit. Irgendetwas war hier absolut falsch gelaufen. Doch das Auto stand zu weit im Schatten, um genau zu sagen, was es war. Er machte sich große Sorgen. Ludeny hatte im selben Moment nach der Maske gegriffen, aber Luke hielt sie schon in seinen Händen. Sie lächelt ihn beunruhigt an, sagte aber kein Wort und fragte statt dessen, „Und, ist das nun in Ordnung so oder haben Sie etwas auszusetzen?“ Langsam wurde sie ungeduldig, nahm Luke aber die Maske aus der Hand und steckte sie vorsichtig zurück in den Rucksack. Luke hielt sich plötzlich mit einer Hand die Stirn. Ludeny fragte ihn: „Ist alles okay?“ „Was? Ja, ja schon alles in Ordnung!“ Er ging nun auf die andere Seite des Wagens und holte vom Fah rersitz einen grauen Stoffbeutel und zeigte ihr den Inhalt. Sie nickte und ließ den Rucksack, mit samt der Maske, vor ihren Füßen auf dem Boden stehen. Dann schritt sie mit dem Stoffbeutel, in dem sich die ver einbarte Summe von 75.000 $ befand, rückwärts von der Limousine weg. Sie wollte dem Wagen und den Leuten nicht ihren Rücken zuwenden. Kurz bevor sie an ihrem Spider angekommen war, schaute sie noch einmal auf das, sich gerade wieder schließende, Fenster der Limousine. Dann drehte sie sich um und sagte ungeduldig zu Stevie: „Lass uns hier schnellstens verschwinden!“ „Was ist los? Hast du das Geld?“, fragte Stevie beunruhigt. „Ja, nun mach schon und steig endlich ein! Wir müssen hier weg! Frag nicht!“ Sie sprang in ihr Auto und ließ den Motor aufheulen. Stevie kletterte schnell auf den Beifahrersitz und kam gerade noch dazu sich hin zusetzen und die Autotür zu schließen, da brauste Ludeny auch schon mit durchdrehenden Reifen auf die Ausfahrt des Schrottplatzes zu. „Hey Schätzchen! Was hast du? Du fährst ja, als ob der Leibhaftige hinter uns her wäre!“ Stevie sah sie von der Seite an. „Du ahnst nicht, wie Recht du damit hast!“, antwortete sie ihm und auf ihrer Stirn bildeten sich Sorgenfalten.
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Liam
Ein alter Feind
wartete unterdessen hinter seinem Versteck auf die Abfahrt der Limousine. Erst als das Auto verschwunden war, schwang er sich auf seine Maschine, um ebenfalls vom Ort des Geschehens zu verschwinden. Ludeny und Stevie kamen nach einer rasanten und verschwiegenen Autofahrt bei ihr zu Hause an. Im Appartement reichte Die Dunkelslug wortlos den Geldbeutel an Stevie weiter. „Wie immer? Ein Drittel an die Schweiz, Tahiti und Bangkok?“, fragte er. Nachdenklich ging sie in die Küche und schnappte sich einige Lychies aus der Obstschale. Dann setzte sie sich an den kleinen Tisch und begann die Früchte geistesabwesend zu schälen. Stevie stand immer noch in der Tür und wartete auf ihre Anweisungen. „Hallo? Also was auch immer da gerade gelaufen ist, es muss etwas sehr Erschreckendes gewesen sein. Erst fährst du wie eine Besessene, so dass wir fast im Straßengraben landen und jetzt vergisst du sogar schon das Wichtigste - das Geld!“ Ludeny blinzelte einige Male, schaute dann kurz zu ihm auf und sagte: „Ja Stevie, erledige das wie immer. Und danke. Ich rufe dich morgen an.“ Damit war für sie in diesem Moment alles Notwendige gesagt. So kurz angebunden hatte Stevie sie selten erlebt. Er dachte sich jedoch nichts weiter dabei und schob ihre derzei tigen Launen einfach auf die etwas unglücklich gelaufene Begegnung mit Liam. Achselzuckend drehte er sich um, verabschiedete sich etwas kleinlaut von ihr und verließ ein wenig verwirrt und ratlos ihre Woh nung. „Was soll ich nur machen?“, dachte sie. „Es war ganz sicher dieses Monster. Ich muss unbedingt Liam finden.“, sagte sie leise und lehnte sich ratlos zurück. Während sie ihr Obst aß, versank sie in ihren Erinne rungen.
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Sein damaliger Name war Vladislav Wulna. Ludeny wusste noch sehr genau, welche schrecklichen Ge fühle sie damals durchleben musste, als sie das erste Mal in seine eiskalten Augen starrte. Diese Begegnung lag schon viele Jahre zurück. Sie erinnerte sich an einen kalten Februarmorgen in den Bergen. Tagelang waren sie unterwegs gewesen. Ludeny war am Ende ihrer Kräfte. Doch Liam war einfach nicht aufzuhalten. Sie verfolgten gerade diesen Chancenug. Seine Spur führte sie schließlich an diesen gott verlassenen Ort, mitten in Sibirien. I Ludeny war kalt und sie wurde von Tag zu Tag schwächer. Schritt für Schritt schleppte sich die ausge laugte, junge Dämonin vorwärts, als sie plötzlich einen schrecklichen Laut vernahm und aufblickte. Sie schaute direkt in seine fürchterlichen weißen Augen. Seine länglichen Pupillen zuckten nervös umher. Damals konnte sie, starr vor Angst, nur hilflos schreien. Liam war es gewesen, der sie vor dem Monstrum gerettet hatte. „Aber wo soll ich anfangen ihn zu suchen?“, fragte sie sich laut. Sie hatte von einem Lokal gehört, in dem Dämonen jeder Rasse ein- und ausgingen. „Virol? Davil? Hach, wie war das denn noch?“ Nachdenklich ging sie im Zimmer auf und ab. „Vi-, Vi, - Vidal! Das ist es! Das Vidal, in der Murray Street!“ Entschlossen zog sie sich ihre Jacke über. „Er ist ständig in solchen Kreisen unterwegs! Da kennt ihn bestimmt jemand!“ Um Zeit zu sparen, sprang sie die Treppenabsätze hinunter. Unten angekommen, rannte sie zur Tür hinaus und stieg in ihren Wagen.
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Innerlich hoffte sie, Liam persönlich anzutreffen und einem neugierigen Gespräch mit den dämonischen Gästen des Vidal somit aus dem Wege gehen zu können. Als sie an der schäbigen Bar ankam, wurde ihr doch ein wenig mulmig zumute. Verhöre und Fragereien waren nicht gerade ihre Stärke. Sie hielt sich lieber aus den Angelegenheiten anderer heraus und verlangte diese Art der Zurückhaltung natürlich auch von ihren Geschäftspartnern. Der große Dämon, der an der Ein gangstür stand, war ihr nicht ganz geheuer. Aber sie lächelte ihn zaghaft an und versuchte, entschlossen an ihm vorbeizugehen. Doch der hünenhafte Türsteher tippte ihr kurz auf die rechte Schulter und fragte nach dem Grund für ihren Besuch, da er sie hier noch nie gesehen hatte. „Oh, ich?“ Ludenys Knie wurden weich und drohten unter ihr nachzugeben. „Eigentlich suche ich je manden. Vielleicht kannst du mir ja helfen?“ „Wen denn?“, fragte der Frackon und zog die Stirn in Falten. „Nun ja. Es ist ein Mann. Er sieht ziemlich gut aus – zumindest seine menschliche Seite. Er ist groß, aber natürlich nicht so groß wie du, und hat dunkle Haare, ein markantes Gesicht und ist sportlich. Außerdem kann er verdammt gut küssen!“ Ludeny schweifte ab und geriet dabei ins Schwärmen. „Ich kusse keine Mann! Name, kennst du Name nicht?“ Der Frackon wurde ungeduldig. „Oh, na klar kenn ich seinen Namen! Liam - so heißt er!“ Ein wenig eingeschüchtert schaute sie zu ihm auf und hoffte, dass der Riese ihr helfen könnte, damit sie sich nicht durch die ganzen Monster des Vidals durchfragen musste! Einige von denen verstanden womöglich nicht mal ihre Sprache. „Du gehst zu Frau an der Bar! Große mit kurz Haar! Da drüb!“ Er deutete mit seiner Pranke in Rich tung Theke, an der eine Frau mit kurzen, dunklen Haaren saß. Sie war in schwarze Ledersachen gekleidet. Irgendwie kam sie Ludeny bekannt vor. „Dankeschön!“, antwortete sie etwas verwirrt. Die Frau an der Bar sah ziemlich attraktiv aus und das beunruhigte Ludeny ein wenig. „Was hat Liam wohl mit ihr zu tun?“, fragte sie sich, während sie spürte, wie sie mit jedem Schritt, den sie der Anderen näher kam, eifersüchtiger wurde. Unmittelbar neben Wanda blieb gerade ein blonder Lockenkopf stehen. Sie blickte hoch und starrte in Ludenys Gesicht. „Entschuldigen Sie, der Türsteher schickte mich zu Ihnen. Ich bin auf der Suche nach Liam!“ Die Dunkel slug versuchte es mit dem direkten Weg und blicke Wanda dabei direkt ins Gesicht. Wanda starrte sie jetzt mit offenem Mund verwundert an. „Sie sind doch die unhöfliche Person vom Markt. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Schätzchen, die Welt gehört nicht Ihnen. Und wie bitte schön kommen Sie auf die Idee, ich würde Ihnen auch nur irgend etwas erzählen? Einer Kreatur, wie Sie eine sind, erzähle ich gar nichts!“, motzte Wanda Ludeny empört an. Doch Ludeny ließ sich nicht beeindrucken. Sie griff entschlossen nach Wandas Hand und hielt diese nun mit Nachdruck fest. „Ich frage Sie noch einmal höflich. Wo kann ich Liam finden? Und wenn Sie schon wissen, was ich bin, dann sollte eine kleine Risis, wie Sie, auch wissen, worauf Sie sich einlässt, wenn ich meine Antwort nicht freiwillig von Ihnen bekomme!“ Ihre grünen Augen funkelten vor Wut. Wanda hatte zwar nicht die geringste Lust ihr eine Auskunft zu erteilen, aber irgendwie ahnte sie, welche Frau da vor ihr stand und die Dringlichkeit ihres Anliegens war nur all zu deutlich zu erkennen. „Madison, Ecke 5th. Appartement 6c!“, sagte sie und Ludeny drehte sich bereits zum Gehen um, als Wanda diesmal ihren Arm festhielt. „Er ist ein guter Kerl. Er hat es nicht verdient wegen jemandem, wie sie es sind, zu lei den!“, fauchte sie Ludeny an und drehte sich schließlich wieder zur Bar. Das konnte eine Frau, wie Ludeny nicht auf sich sitzen lassen. „Was wollen Sie denn damit sagen? Was heißt hier, er soll nicht leiden? Was meinen Sie damit?“ Ludenys Stimme überschlug sich beinahe. „Ich denke, Sie wissen ganz genau, was ich meine! Sie machen ihm das Leben schwer und das lenkt ihn von seinen eigentlichen Aufgaben ab!“ Wanda blieb ziemlich ruhig und trank ihr Glas langsam aus. „Ich glaube nicht, dass Sie das beurteilen können! Oder hat er sich bei Ihnen über mich beschwert? Also,
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ich denke nicht, dass Sie das irgendetwas angeht. Aber zu ihrer Information, nicht ich bin damals gegangen, sondern er! Also warum sollte ich ihm das Leben schwer machen? Er wollte es doch wohl so! Aber wenn er mit Ihnen glücklich ist, dann ist das für mich in Ordnung! Es geht mich schließlich nichts an und ich bin schon lange über ihn hinweg. Ich bin zurzeit auch glücklich in einer Beziehung und es interessiert mich nicht im Geringsten, was Sie und Liam so alles gemeinsam haben!“ Ohne eine Antwort von Wanda abzuwarten, warf sie schwungvoll ihre blonden Locken über ihre rechte Schulter und verließ mit erhobenem Kopf das Vidal. „Ganz schön eingebildet“, sagte Wanda leise vor sich hin und schüttelte verwundert den Kopf. Sie konnte nicht begreifen, weshalb Liam sich mit einer solchen Person abgegeben hatte. Ludeny war wütend, stieg in ihren Wagen und knallte die Tür fester als nötig zu. „Was bildet sich die se Person bloß ein? Wie konnte er sich nur mit einer Risis einlassen? Ich fasse es nicht! Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so böse abgefertigte, als wir uns vor dem Bürogebäude gestritten hatten!“ Sie drehte den Zündschlüssel und trat das Gaspedal durch. Die Reifen quietschten und hinterließen eine schwarze Spur auf dem Asphalt. Dann schoss sie auch schon um die nächste Strassenecke. Als sie vor dem heruntergekommenen Gebäude angekam, in dem Liam wohnen sollte, schüttelte sie ihren Kopf. „Habe ich’s doch geahnt! Wie immer, er wird sich nie ändern, alt und heruntergekommen! Nur sein Geschmack bei Frauen scheint sich geändert zu haben. Seit wann steht er auf kurze, dunkle Haare?“ Ludeny ging auf die Haustür zu und drückte die rostige Klinke hinunter. Das Haus hielt von innen, was es von außen versprach. Es wirkte nicht sonderlich einladend. Staubfäden und Spinnenweben hingen von der Decke des Flures und es roch ein wenig modrig. Der Putz bröckelte an vielen Stellen von den Wänden und das Treppengeländer wirkte nicht besonders stabil. Ludeny versuchte, ohne irgendwo anzukommen, die Stufen empor zu steigen. Als sie vor Appartement 6 c stehen blieb, atmete sie noch einmal tief durch. „Das wird nicht leicht und schon gar nicht lustig!“, sagte sie im Stillen zu sich und klopfte entschlossen an. Einen Augenblick später konnte sie hinter der Tür auch schon Schritte ver nehmen. Liam wurde völlig aus seinen Gedanken gerissen, als er das Pochen an seiner Tür hörte. Er war nach seiner Beobachtungstour nach Hause gefahren, um nachzudenken. Was oder wen hatte sie nur in dieser Limousine gesehen, dass ihr solche Angst bereitet hatte? Die Panik, die sie nach diesem Treffen ergriffen hatte, war für Liam mehr als ein Alarmsignal. Er öffnete gedankenversunken die Tür und blickte erstaunt in Ludenys Gesicht. „Wie hast du mich gefunden?“ Nun lächelte sie ihn gekünstelt an. „Ja, es freut mich auch dich zu sehen und sehr freundlich von dir, dass du mich herein bittest!“ Der blanke Zynismus, den sie bei diesen Worten mitschwingen ließ, war nicht zu überhören. Liam trat entgeistert zur Seite und ließ sie eintreten. „Was kann ich für dich tun?“, fragte er sie mit kalter Stimme, als die Tür ins Schloss gefallen war. Ludeny nahm all ihren Mut zusammen und ging unaufgefordert ins Wohnzimmer weiter, begutachtete flüchtig die Einrichtung des Appartements und bemerkte dann ein wenig schnippisch: „Sehr spartanisch, wie immer. Du scheinst dich wirklich nicht geändert zu haben.“ Liam trat näher an sie heran. „Wieso hast du das getan?“, fragte er sie wütend und blickte durchdringend in ihr Gesicht. In diesem Au genblick glitt all ihre Selbstsicherheit von ihr ab und Ludeny ließ sich verzweifelt auf das Sofa fallen. Traurig hielt sie ihre Hände vor das Gesicht. „Liam, kannst du mich denn immer nur kritisieren?“ „Was heißt hier Kritik? Du bist nun einmal Schuld und verantwortlich für diese Sache! Wenn die Maske in die falschen Hände gerät, oder sie jemand unabsichtlich berührt, weißt du hoffentlich, was passieren kann!“ Liam wurde ungehalten. „Da ist das Wort Kritik wirklich noch stark untertrieben!“ „Schon passiert“, sagte sie kleinlaut und sah vorsichtig nach oben in sein Gesicht. Sie hatte Angst vor
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seiner Reaktion. „Was sagst du da? Wer? Wann? Du hast doch nicht etwa…?“ Er trat besorgt an sie heran. „Was? Nein - ich hatte Handschuhe an, als ich sie anfasste! Der Typ, mit dem wir das Geschäft gemacht haben, Luke hieß er glaube ich, hat sie aufgefangen, bevor sie auf den Boden fiel.“ Sie stand auf und ging nervös im Zimmer auf und ab. „Ich bin hergekommen, weil…“ Liam beendete für sie ihren Satz. „Weil ich dir jetzt aus der Patsche helfen soll. Ich soll diesen Luke aus findig machen, der jetzt wahrscheinlich schon als wandelnder Zombie in New York unterwegs ist! Aber da hast du dich geschnitten! Du hast doch immer gemeint, das was ich tue ist unnütz und würde sowieso nichts bringen! Aber wenn es um deine Wünsche und Angelgenheiten geht, dann ist das, was ich vermag, wichtig und deine Belange zählen! Das hier musst du alleine klären! Tut mir Leid!“ Der letzte Satz klang so gar nicht danach, als ob ihm irgendetwas von seiner Standpauke wirklich Leid tun würde. Jetzt wandte er sich von ihr ab und schwieg. „Nein Liam, das ist es nicht! Ich habe in der Limousine etwas gesehen - etwas Fürchterliches! Liam, ich weiß, es ist eigentlich unmöglich. Aber er ist zurück! Verstehst du mich? Der Chancenug ist wieder da!“ Sie griff nach seinem Arm, um ihm die Dringlichkeit der Situation klar zu machen. Liam sah sie kurz und un gläubig an, drehte sich dann jedoch gleich wieder weg. „Du hast Recht - das ist nicht möglich! Warum bist du wirklich hier? Hat dein neuer Freund denn kein Ohr für deine Probleme? Oder warst du einfach nur neugierig und wolltest wissen, wie ich so lebe?“ „Was soll das denn jetzt heißen? Hast du mir nicht zugehört? Ich sagte dir eben, dass…“ Ludeny erschrak und wich ein Stück vor ihm zurück, als er sich wütend zu ihr umdrehte. „Du solltest jetzt besser gehen! Und sieh zu, dass dieser Maskenzombie keinen Blödsinn macht und viel leicht noch Unschuldige tötet!“ „Was ist los mit dir? Warum hältst du mir Stevie vor? Wo du doch anscheinend auch sehr glücklich mit deiner Risis bist! Sehr hübsch - aber das sind sie ja eigentlich alle - oder?“ Sie winkte etwas verzweifelt mit der Hand ab und schritt wütend auf die Tür zu. „Ich hoffe wirklich, dass sie es leichter mit dir hat! Ich weiß nicht, warum ich dich irgendwann einmal geliebt habe!“ Liam war sprachlos und hörte nur noch das Knallen der Wohnungstür, nachdem sie hinausgeeilt war. Heiße Tränen liefen der Dunkelslug über die Wangen. Sie war wütend und zutiefst enttäuscht und hatte für heute wirklich genug Vorwürfe über sich ergehen lassen müssen. Hastig lief sie die Treppen hinunter und sprang in ihr Auto. „Ist ja wieder typisch für ihn. Und noch dazu wohnt er praktisch bei mir um die Ecke!“, brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor. Zu Hause angekommen, schlug sie mit voller Wucht ihre Eingangstür zu. Auf dem Weg ins Schlafzimmer schnappte sie sich das kleine Bild, auf dem Liam und sie zusammen abgebildet waren. Dann warf sie sich auf aufs Bett und drückte es so fest an sich, bis ihre Finger wehtaten. Voller Wut und Enttäuschung schlief sie schließlich kurze Zeit später ein. Als Ludeny aus seiner Wohnung verschwunden war, griff Liam sich in sein volles Haar und trat wütend mit dem Fuß gegen eine Wand. „Verdammt noch mal! Sie schafft es jedes Mal mich aus der Fassung zu bringen!“ Er dachte darüber nach, was sie gesagt hatte und kam ins Grübeln. „Was hat sie da gesagt? Er soll wieder zurück sein? Das ist völlig unmöglich! Er war doch in dem Feuer damals umgekommen!“ Jetzt hielt er es nicht mehr aus. Es musste heraus zu bekommen sein, wer Ludenys Kunde war. Ihre Angst war deutlich zu spüren gewesen, als sie bei der Übergabe an dem Wagen stand. Liam verließ die Wohnung und fuhr zur Murray Street. Vor dem Vidal wartete er erneut auf Hucks, den Troff Dämonen. Wieder einmal versteckte er sich, um nicht sofort von ihm entdeckt zu werden. Somit hatte Hucks keine große Chance einem Verhör mit Liam auszuweichen. Er war sich sicher, dass der Troff einige wichtige Informationen hatte, die Liam weiter halfen. Der Gamblin ärgerte sich ein wenig darüber, dass er dem widerlichen Dämon auf den Leim gegangen war und beschloss, sich dieses Mal nicht auf das Glatteis
führen zu lassen. Notfalls würde er sich das, was er wissen wollte, auch auf anderem Wege von ihm holen. Geduldig wartete er ab und starrte auf den Eingang des Vidal. Seine grübelnden Gedanken verkürzten die Wartezeit. Wieso hatte Ludeny bei der Übergabe so erschüttert ausgesehen? Er konnte zwar in der Dunkelheit so gut wie nichts erkennen, aber wenn Ludeny Angst hatte, spürte er es mit jeder Faser seines Herzens. An die Rückkehr seines schlimmsten Feindes wollte Liam einfach nicht glauben. Es konnte nicht sein – es durfte nich sein. Endlich kam dieser kleine, hässliche und widerliche Troffdämon. Liam schlich sich an ein paar parkenden Autos vorbei und packte Hucks so schnell am Jackenkragen, dass dieser kaum wusste, wie ihm geschah. „Hallo Hucks! Schöner Abend nicht wahr? Genau richtig, um ein nettes Gespräch mit einem alten Be kannten zu führen!“ Liam lächelte ihn gekünstelt und gleichzeitig warnend an. „Hey Mann! Was soll das? Ich habe der heißen Risis neulich schon viel zuviel gratis erzählt! Umsonst, gibt es keine Infos mehr von mir! Das Risiko ist für mich einfach zu hoch! Umsonst ist nicht einmal der Tod und ich werde den Teufel tun und meinen Hals riskieren, ohne dafür wenigstens angemessen bezahlt zu wer den!“ Hucks versuchte sich aus Liams festen Griff zu lösen, was ihm aber nicht gelang. Stattdessen wurde er von Liam in einen dunklen Hauseingang gezogen. „Ich weiß nicht, ob du es schon irgendwo einmal gehört hast, aber ich bin nicht unbedingt jemand, der lange um den heißen Brei herumredet! Ich bin eher jemand, der Taten sprechen lässt. Und wenn ich mir dich so ansehe…“, er schaute Hucks abschätzend von oben bis unten an, „dann denke ich, dass ich in deinem Fall sehr tätig werden könnte! Es juckt mich einfach in den Fingern - ist eine wirklich schlechte Angewohn heit von mir!“ Hucks sah Liam mit zuckenden Augen an. „Ich kann dir nichts weiter sagen, verdammt! Die machen mich kalt!“ Dem Troff war natürlich klar, auf was Liam eigentlich hinaus wollte. „Der ist gefährlicher als alle anderen, verstehst du?“, wisperte er mit Nachdruck. Er wand sich immer noch im festen Griff seines Gegners. „Einen Namen, Hucks, hörst du? Sofort!“ Tobend drohte Liam ihm nun mit der Faust. „Rede endlich, ich habe nicht ewig Zeit!“ „Lass mich los!“ Liam löste seinen Griff nicht im Geringsten. „Wer steckt dahinter?“ Hucks versuchte seine Schultern zu lockern. Liam schaute ihm tief in die Augen und begann sich zu konzentrieren. „Greeson, Raymond Greeson“, floss es durch Hucks Gedanken. „Du wirst nichts von mir erfahren!“, schrie er Liam an, der ihn nun endlich losließ.
„Wer ist Raymond Greeson?“, fragte der Halbgamblin gelassen. Hucks erschrak.
„Was… woher?“ Entsetzt starrte er Liam an.
„Ich habe in deinen Gedanken gelesen und da ich das jederzeit wieder tun könnte, ist es nur zeitraubend,
wenn du dich so windest! Im Endeffekt werde ich es sowieso herrausfinden! Also - rede endlich und sag mir, wer das ist!“ „Ich habe keine Ahnung! Ich weiß nur soviel, dass er wirklich gefährlich ist. Der macht aus jedem Hack fleisch ohne auch nur mit der Wimper zu zucken! Allerdings hat er auch genug Leute, die für ihn arbeiten, sodass er sich nicht selbst die Finger schmutzig machen muss! Aber wenn er dich persönlich fertig machen will, dann bist du geliefert! Und ich erzähle dir hier nur Sachen, die ich vom Hörensagen kenne! Denn die, die ihn wirklich einmal selbst getroffen haben, sind nie wieder aufgetaucht, um irgendetwas erzählen zu können!“ Der Troff wich ein Stück vor Liam zurück. „Wie sieht er aus?“, fragte Liam. „Weiß ich nicht! Ich sagte ja, die, die es wissen, sind nicht mehr am Leben! Und jetzt entschuldige mich bitte, ich habe noch Geschäftsgespräche! Ich komme sowieso schon zu spät! Mach’s gut!“ Er schlich sich an dem grübelnden Liam vorbei und ging mit schnellen Schritten zum Eingang des Vidal, immer mit einem vorsichtigen Blick zurück. Liam dachte nach. Er hatte in seinem langen Leben eigentlich nur einen Dämon getroffen, der anderen so große Angst einjagte. Bedrückt sah er zu Boden. Er hatte Ludeny wohl Unrecht getan. Mit schlechten Ge
wissen und hängenden Schultern stieg er wieder auf seine Maschine. Er musste seine Gedanken erst einmal ordnen. Lange Zeit fuhr er durch die Gegend und landete schließlich an einem großen Marktplatz am Hafen. Er stellt die Harley ab und machte sich daran, die Gegend etwas zu durchstöbern. Die Frachter brachten – neben den unterschiedlichsten Waren aus allen Herren Länder – leider auch imemr wieder einige der seltensten Dämomenrassen mit nach New York. Während die Händler ihre Stände aufbauten, schaute Liam sich neugierig um. Es dämmerte schon, als er einen der Marktleute mit einer Kiste voller Früchte sah. Sofort ging er auf den Stand zu, während er sich daran erinnerte, wo er diese das erste Mal gesehen hatte.
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Es war vor vielen Jahren auf einem Markt in Malaysien, wo Ludeny plötzlich vor ihm stand und eine die ser aufgeschnittenen Früchte an ihre Nase hielt. Mit geschlossenen Augen sog sie den Duft der unbekannten Frucht und drehte dabei leicht den Kopf. Ihre Haare wehten im Wind und ihr Sommerkleid betonte ihre wundervolle Figur. Vorsichtig und leise entfernte er sich damals ein Stück von ihr, um sie nicht zu stören. „Wie viel möchtest du dafür?“, fragte er und deutete auf die Früchte. „Die sind bereits bestellt.“, antwortete der Händler und wollte schon weggehen. Doch Liam versperrte ihm den Weg. „Jetzt sei mal nicht so. Ich habe eine Freundin, die überall danach sucht. Ich bitte dich doch nur um ein paar!“ Bei diesen Worten wedelte er mit einigen Geldscheinen herum. Der Mann wurde beim Anblick der grünen Scheine überzeugt und griff mit beiden Händen in die Kiste. Anschließend gab er die Mangostanen in eine Tüte. Mit einem Lächeln im Gesicht fuhr er nach Hause und beschloss, am späten Morgen zu Ludeny zu fahren. Es war die sicherste Möglichkeit sie zu Hause anzutreffen. Am Tage bevorzugte sie schließlich die verdun kelte Wohnung. Als er die Treppen zu seinem Appartement hochstieg, merkte er erst, wie matt und erschöpft er sich fühlte. Er schloss die Tür auf und ging auf seinen Sessel zu. Selbst der Weg zu seinem Bett schien ihm jetzt zu weit zu sein und so fiel Liam auf dem Sitzmöbel, in einen tiefen, traumreichen Schlaf.
75: Er lag auf seinem Bett, damals, in seinem kleinen Haus in Marseille, und war dabei ein Buch zu lesen. Es war eine sehr warme Frühlingsnacht. Plötzlich öffnete sich die Zimmertür und Ludeny schaute hinein. „Hallo! Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte sie ihn leise. Etwas scheu trat sie in sein Zimmer. Er konnte sich noch genau daran erinnern, was sie in dieser Nacht trug. Es war ein feines Nachtkleid, welches ihren hübschen Körper besonders schön umspielte. Liam wurde noch wärmer bei ihrem Anblick. Sie wirkte so frisch und duftete einfach fantastisch. Verlegen richtete er sich im Bett auf und sagte: „Ich habe eigentlich nur ein Buch gelesen!“ Ludeny trat an ihn heran und setzte sich auf den Rand seiner Schlafstatt. Sie fing an, vorsichtig seinen Oberkörper zu streicheln und sanft zu küssen. Liam genoss ihre unerwarteten Zärtlichkeiten. Wie lange schon hatte er sich gewünscht, so von ihr berührt zu werden. Ludeny legte sich zu ihm. Liam konnte sich nicht mehr zurück halten. Er nahm sie zärtlich in den Arm und küsste sie liebevoll auf den Mund. Als er ihr tief in die Augen blickte, lächelte sie ihn aufmunternd an. Dann liebkoste er sie. Stunde um Stunde waren sie schier miteinander verschmolzen und keiner von ihnen wollte, dass diese magische Nacht zu Ende gehen würde. Später hatte sie ihren Kopf sanft auf seine Brust gelegt und streichel te seine Brandnarbe, als könnte sie ihm mit dieser Geste zärtlich das Mal entfernen. Erneut küssten sie sich leidenschaftlich. „Ich liebe dich!“, sagte sie damals zu ihm. „Freisin!“, flüsterte er ihr ins Ohr und streichelte ihren Körper. Arm in Arm fielen sie in einen erschöpften Schlaf und waren glücklicher, als jemals zuvor.
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Liam schreckte schweißgebadet und erschrocken auf. Auch Ludeny wälzte sich im Traum hin und her. Sie spürte fast seine innigen Umarmungen, als sie er wachte. Es war noch früher Morgen. „Das warst aber diesmal du!“, dachte sie, als sie ins Bad ging, um zu duschen. „Dankeschön, genau an diese Nacht wollte ich mich als Allerletztes erinnern.“, rief sie laut, so als könnte Liam sie hören. Das heiße Wasser auf ihrem Körper war angenehm und beruhigte sie ein wenig, als es plötz lich an der Tür klingelte. Eiligst griff sie nach einem Badetuch und wickelte es sich um ihren Körper. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“, sagte sie leise und blickte erst einmal durch den Türspion. Dort stand Liam. Etwas unsicher dachte dieser „Und wenn sie mich nicht reinlässt?“ Er hielt die Mangostane hoch, sodass sie diese als erstes durch den Spion sah. Ludeny erkannte die Frucht sofort und öffnete lächelnd die Tür. „Wie hast du das geschafft?“, fragte sie ihn entzückt. Liam blickte vorsichtig zwischen den Früchten hindurch. „Darf ich dich kurz sprechen? Ich meine, darf ich mich hier wie ein räudiger Hund anschleichen, ent schuldigen und um Vergebung flehen?“ Ludeny trat einen Schritt zur Seite und deutete ihm, herein zu kommen. „Geh doch schon mal in die Küche!“, rief sie ihm im Vorbeigehen zu. „Ich muss mir nur schnell etwas anziehen!“ Hastig eilte sie in ihr Schlafzimmer und zog die riesige Schranktür auf. „Was soll ich anziehen?“, fragte sie sich und fingerte nervös in den Sachen herum. „Nicht zu gewagt - aber auch nicht zu lässig!“ Sie zog einen hübschen Pulli hervor, wollweiß und schulterfrei. Dazu nahm sie Bluejeans mit bunten Sticker eien. „Perfekt!“, dachte Ludeny zufrieden lächelnd und legte noch schnell etwas Make Up auf. Nachdem sie ihre wilde Haarpracht etwas gebändigt hatte, pustete sie noch schnell aus, bevor sie in die Küche ging. „Hast du etwas zu trinken gefunden?“ Dabei blickte sie ihn freundlich an. Liam lächelte. „Du siehst sehr hübsch aus!“ „Findest du? Ach, das ist ein ganz altes Teil. Ich wollte dich ja nicht so lange warten lassen und bin ein fach in die nächstbesten Sachen gesprungen!“, schwindelte sie und lächelte dabei ein wenig. Liam schob ihr eine der Früchte zu. „Ich hoffe, du magst sie noch immer so sehr!?“ Ludeny griff nach der Leckerei und strahlte ihn verlegen an. „Ja, ich liebe sie immer noch! Und du bist der Einzige, der das weiß!“ Langsam stand sie von ihrem Hocker auf und ging auf ihn zu. Dann strich sie ihm zärtlich durch sein Haar und blickte ihm dabei tief in die Augen. „Du träumst aber auch nicht schlecht in letzter Zeit. Danke für heute Nacht!“ Liams Körper prickelte. Er zog sie näher an sich heran und sie begannen sich zu küssen. Der Halbgamblin schob Ludeny noch näher an sich heran, bis sie letztendlich auf seinem Schoß zum Sitzen kam. Immer leidenschaftlicher wurden ihre Berüh rungen. Er streichelte vorsichtig ihren Rücken. Ludeny zog ihm seine Jacke aus und flüsterte leise seinen Namen. Gerade wollte sie sich ihres Oberteils entledigen, als sie einen Schlüsselbund klimpern hörte. Sie riss sich von Liam los und stellte sich mit dem Rücken zur Tür. Stellenweise zupfte sie ihren Pulli zu Recht. „Ludeny, wo steckst du?“, hörte man Stevie plötzlich fragen, bevor er um die Ecke in die Küche blickte. Sie drehte sich gespielt schwungvoll zu ihm um und ging auf ihn zu. „Hallo Stevie!“, begrüßte sie ihn und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Ihre gerötetten Wan gen verrieten allerdings, dass hier etwas Aufregendes geschehen sein musste. „Liam, Stevie kennst du ja bereits!“ Ein wenig nervös stellte sie die beiden einander kurz vor. „Möchtest du Kaffee?“, fragte sie ihren neuen Besucher. Doch Stevie blickte verlegen zwischen ihr und Liam hin und her. „Seit wann hast du welchen da?“, fragte er jedoch verwundert zurück.
Ludeny gab ein Seufzen von sich. Liam erhob sich, um zum Fenster zu gehen. „Warum ich eigentlich hier bin! Ich wollte mehr über deinen Auftraggeber erfahren und war deshalb in einer Bar, um mir Informationen zu besorgen. Allerdings hat der Informant nicht gerade freiwillig einen Namen ausgespuckt!“ „Oh, und hattest du dann Kopfschmerzen?“, fragte Ludeny besorgt, während sie Wasser in eine Tasse goss. „Nein, es war ganz einfach. Keine Gegenwehr - kein Schmerz, du kennst das ja!“ Irgendwie hatte Stevie von dieser scheinbar innigen Zweisamkeit genug. „Ja das denke ich auch, dass sie das kennt. Und ich glaube, ich habe genug gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit dir Informationen austauschen sollten.“ „Doch Stevie! Ich denke, wir sollten!“, unterbrach ihn Ludeny eilig. „Du hast keine Ahnung, was wir da getroffen haben! Sag Liam bitte, was du weißt!“ Stevie sah sie verwundert an. Es war doch eigentlich über haupt nicht ihre Art mit anderen zusammen zu arbeiten. „Ich weiß nicht Ludeny? Könnte ich dich einmal draußen sprechen?“, flüsterte er ihr zu und zeigte mit einem Finger in Richtung Flur. Sie folgte ihm und deutete Liam, geduldig zu sein und zu warten. Ehe Stevie seine Einwände vorbringen konnte, redete sie einfach drauf los: „Du musst ihm unbedingt sagen, was du weißt! Ich schwöre dir, wenn es nicht so wichtig wäre, dann würde ich dich nicht darum bitten!“ „Also gut, aber auf deine Verantwortung! Wenn die Bullen uns die Bude einrennen, dann bin ich ver schwunden - zur Not auch ohne dich!“ Stevie klang so wütend, dass sie ihn gar nicht wiedererkannte. Ohne auf Antwort zu warten, verschwand er in die Küche und setzte sich auf einen der Küchenhocker. Dabei beob achtete er Liam abschätzend. Nervös rutschte der Student auf seinem Platz umher. „Ich weiß nicht viel. Der Typ hat sich über unsere anonyme Emailadresse gemeldet. Er nannte nur den Auftrag, die Summe und eine Telefonnummer. Das war alles!“, gab er besserwissend von sich. „Email? Ihr seid ja gut organisiert!“, zischte Liam verärgert. Ludeny musste sich ein Lächeln verkneifen. In ihrer Küche saßen zwei Männer, die sich nur ihretwegen so angifteten. „Irgendwie hat die Situation doch auch etwas Nettes!“, dachte sie und schlug vor: „Stevie können wir die Absenderemail und die Telefonnummer einmal genauer unter die Lupe nehmen?“ Stevie schaute sie verdutzt an. „Ich dachte immer, Diskretion ist unser oberstestes Gebot!?“ Jetzt wurde Liam wirklich langsam ungehalten. „Ihr beide denkt nur an euer Luxusleben und sonst an gar nichts. Wenn sich mein Verdacht bestätigt, dann werden Menschen sterben! Geht das in eure Köpfe rein? Das darf nicht wahr sein. Ich wusste immer, dass deine diebische Seite uns mal in Schwierigkeiten bringen würde!“ „Das ist nun wieder typisch! Du machst mir immer nur Vorwürfe! Immerhin habe ich dich aufgesucht, um dir zu sagen, was ich entdeckt habe! Und glaube mir, es war nicht besonders prickelnd, als ich in den Wagen geschaut habe und dieses Monster wiedererkannte, nachdem du mir ja immer glaubhaft erzählt hat test, er wäre erledigt!“ Ludeny drehte sich gekränkt weg. Gerade jetzt, wo sie sich doch noch vor ein paar Minuten fast einander hingegeben hätten, konnte er nur ihre negativen Seiten aufzählen. Sie hatte sich so sehr nach seinen Berührungen gesehnt, dass sie all ihre Wut und ihre Trauer beiseite geschoben hatte. Liam schaute sie versöhnlich von der Seite an und lächelte ein wenig. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht schon wieder streng sein. Aber ich habe das Gefühl, dass du oft den Ernst der Lage unterschätzt. Das war auch früher schon so! Und dass der Chancenug nicht tot zu sein scheint – glaub mir, niemand ist darüber mehr enttäuscht, als ich!“ „Okay, Leute! Was wird denn nun? Ich habe nicht ewig Zeit, die Uni ruft und die Laberei macht mich, langsam aber sicher, hungrig! Und hier gibt es ja nichts Vernünftiges zu essen!“ Stevie war wütend und ent täuscht, dass Ludeny nicht zu ihm gehalten hatte und wippte ungeduldig von einem Bein auf das Andere. „Lass uns an den PC gehen und versuchen die Emailadresse herauszubekommen! Und vielleicht fällt dir ja auch noch die Telefonnummer ein!?“, sagte Ludeny aufheiternd und zog ihn mit sich ins Arbeitszimmer. „Ich weiß, dass er manchmal etwas streng mit anderen umgeht! Das liegt daran, dass er seine Maßstäbe
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eben für alle anderen genauso geltend macht und er kann nicht verstehen, dass nicht alle seiner Überzeu gung sind! Aber wenn es nicht Leute wie ihn geben würde, dann wäre auf der Welt die Hölle los! Und das kannst du ruhig wörtlich nehmen!“, flüsterte sie Stevie zu, der sich inzwischen an den PC gesetzt hatte, um seine Daten abzurufen. Skeptisch sah er sie über seinen Brillenrand an. „Und weil du ihn so toll findest, hast du ihm wahrscheinlich auch erzählt, dass wir beide was miteinander haben, um ihn eifersüchtig zu machen! Oder?“ „Psssst! Doch nicht so laut! Da könnte ich ja auch gleich in die Küche gehen und ihm erzählen, dass ich ihn angeschwindelt habe!“ Ludeny sah vorsichtig zur Tür und hoffte, dass Liam nicht gleich hereinkommen würde, um sie zu fragen, warum sie ihm dieses Märchen aufgetischt hatte. Kurze Augenblicke später erschien Liam wirklich im Zimmer und beobachtete Stevie, wie er den Rechner bearbeitete. „Er ist ein Genie, wenn es um solche Dinge geht!“, sagte Ludeny stolz und legte ihre Hand auf Stevies Schulter. Doch diese Berührung machte Stevie nur noch wütender. „Als müsste sie meine Anwesenheit rechtfertigen - so eine Frechheit. Für den Computermist bin ich wohl gut genug. Wer bin ich im Vergleich zu diesem Lackaffen da? Was kann er ihr schon bieten? Nichts, nur Kummer!“, murmelte er unverständlich vor sich hin, während er auf der Tastatur herum hämmerte. „Sagt dir der Name Raymond Greeson etwas?“, fragte Liam, der jetzt die Plänewand musterte. Ludeny schüttelte nur den Kopf. „Nein, noch nie gehört. Benutzt er zurzeit diesen Namen? Passen würde er - unauffällig und alltäglich, wie es so seine Masche ist. Kannst du dich an Sibirien erinnern?“, fragte sie und stellte sich hinter ihn. Er griff nach hinten und berührte vorsichtig ihre linke Hand. Stevie sprang auf und kam, mit einem Zettel in der Hand, auf die beiden zu. Verärgert über den ver trauten Umgang der beiden, sagte er nur kurz angebunden: „Hier habt ihr die Mail. Solltest du noch etwas brauchen, ruf mich an. Vielleicht bin ich zu Hause, aber vielleicht auch nicht!“, fauchte er und stürmte be leidigt zur Tür hinaus. Liam sah sie verwundert an. „Ganz schön impulsiv dein Freund!“, schwatzte er spontan - war jedoch über Stevies schnellen Abgang nicht besonders unglücklich. Liam war viel lieber mit ihr allein. „Tja“, sagte sie und zuckte etwas verlegen mit den Schultern. „Vielleicht ist das der Grund, warum ich mit ihm zusammen bin!“ Nervös strich sie mit der Hand über die Lehne des Schreibtischstuhls. „Und warum hast du mich dann geküsst? Ich meine, bevor er kam, hast du auch nicht an ihn gedacht!“ Er ging einen Schritt auf sie zu, doch Ludeny wich zurück. „Das war ein Fehler und ich bin froh, dass er noch rechtzeitig hier aufgetaucht ist! Wer weiß, was sonst geschehen wäre!“ Liam ging noch näher auf sie zu und sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. „Ich denke“, sagte sie und atmete aufgeregt, „wir sollten vernünftig sein.“ Schwungvoll drehte sie sich von ihm weg und ging zurück in die Küche. Der Halbgamblin folgte ihr bis zur Tür und blickte hinein. „Ich denke, dass ich mich draußen noch etwas umhören sollte! Sieh zu, dass du über diese Emailadresse zu einer richtigen Adresse kommst. Eine, die man zu Fuß oder mit dem Motorrad erreichen kann! Ich melde mich dann!“ Er winkte noch kurz und dann hörte man auch schon die Wohnungstür ins Schloss fallen. Ludeny verdrehte entnervt die Augen. „Sieh zu, dass du über diese Emailadresse zu einer richtigen Adresse kommst. Eine, die man zu Fuß oder mit dem Motorrad erreichen kann! Blablabla!“ Sarkastisch äffte sie seinen Tonfall nach, „Er tut ja gerade so, als wenn ich einer seiner Handlanger wäre!“ Beleidigt stapfte sie ins Wohnzimmer und warf sich in den Sessel. „Immer setzt er seinen Kopf durch! Niemals nimmt er Rücksicht auf andere! In Sibirien hätte mich sein Dickschädel fast das Leben gekostet!“, dachte sie wütend. Und da war sie wieder, diese Erinnerung bei der sie jedes Mal erschauderte. Egal, wie lange es schon her war, diese Angst überkam sie immer wieder.
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7 - Sie waren auf der Jagd. Liam führte die Gruppe an. Ludenys Erscheinung war bereits wegen ihres Kraftmangels etwas verblasst. Sie hatte in einem kleinen Fischerdorf in Sibirien von diesem Vladislav Wulna gehört und davon, dass er den Einwohnern große Angst machte. Niemand kannte ihn genauer. Er schickte
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immer nur seine Lakaien um Besorgungen und Einkäufe zu machen. Einer der Fischer wurde redselig, nachdem Liam ihn mit genügend Wodka versorgt hatte. Sie erfuhren, dass dieser den Wurmdämon ein einziges Mal gesehen hatte. Der Fischer erzählte von schlangenartige Augen und einem riesigen Tattoo auf dem Körper des Herrn Wulna. Aber mehr konnten sie auch nicht in Erfah rung bringen, denn um sein Leben zu retten, war der Fischer damals so schnell er nur konnte, aus dem Schloss des Monsters geflohen! Nun waren sie angekommen und standen diesem Dämon gegenüber. Liam hatte sein Schwert gezückt und stellte sich dem Chancenug zum Kampf. Er konnte ein paar sehr gute Treffer landen. Doch als der Halbgamblin verletzt wurde und angeschlagen zu Boden ging, griff der Dämon Ludeny an und zischte um sie herum. Er wollte gerade zubeißen - sie konnte schon in den Rachen des Monsters schauen - als Liam mit letzter Kraft noch einmal sein Shogunschwert in die Höhe riss und kräftig zuschlug. Das Wesen kroch, trotz der schweren Verletzung, in unglaublicher Geschwindigkeit davon.
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Seit sie nun wusste, dass dieser Dämon wieder zurück war, hatte sie des Öfteren diese schrecklichen Er innerungen. Liam hatte ihr erzählt, dass er ihn zu einem späteren Zeitpunkt mithilfe eines großen Feuers vernichtet hatte. Warum hätte Ludeny ihm das nicht glauben sollen? Und hätte er es ihr erzählt, wenn er nicht selbst davon überzeugt gewesen wäre? Wohl kaum! Ihre Erinnerungen an Sibirien waren voller Angst und Kummer. Auf der einen Seite hatte sie damals noch wenig Erfahrung von ihrem Leben als Dunkelslug, aber auf der Anderen wiederum, war Liam mit unbeschreiblicher Härte und ohne Rücksichtnahme auf sie vorgegangen. Das war sie nicht gewöhnt. Seit er sie damals bei sich aufgenommen hatte, lehrte er sie ihre Kräfte aus der Stille der Meditation mit Hilfe von Thai-Chi, anstelle von menschlicher Angst, zu schöpfen. Aber als sie 7 in Sibirien auf diesen Dämon stießen, den Liam schon so lange jagte, war sie immer noch unerfahren. Sie verfolgten ihn verbittert durch die Kälte. Und als sie ihm endlich gegenüberstanden, hätte dieses Monster sie fast getötet. Immer noch ein wenig verärgert über Liams rücksichtsloses Verhalten von damals, setzte sie sich vor ih ren Computer. „Mal sehen, ob ich das nicht auch hinkriege. Bei Stevie sieht das immer so leicht aus. Ein paar Mal tippen und er hat die gewünschte Information.“, dachte sie und machte sich auf die Suche nach einem Namen oder einer Adresse. Während sie sich am Computer zu schaffen machte, wurde in einem anderen Teil von New York, unruhig durch eine Empfangshalle getrampelt. In eine große Villa in Newark in der Elisabeth Avenue, in einem der feinsten Vorort von New York, war jemand sehr wütend und ungehalten. „Wo bleibt dieser Idiot? Er weiß genau, wie wichtig dieser Abend ist und er sollte sich um die Details kümmern! Wenn Luke nicht innerhalb der nächsten zehn Minuten hier auftaucht, dann gehst du los und suchst ihn!“ Raymond Greeson hielt einen seiner Angestellten am Hemdkragen fest und brüllte ihm ins Ge sicht. Seit der Übergabe der Maske hatte Greeson von Luke weder etwas gesehen noch gehört und er konnte Unzuverlässigkeiten auf den Tod nicht ausstehen. Er schubste den Mann in Richtung Tür und ging dann zurück in sein Arbeitszimmer. Inzwischen irrte Luke ziellos durch den, inzwischen dämmernden, Abend im Central Park umher. Seit er diese Maske in der Hand gehalten hatte, fühlte er sich schlecht und hatte keine Ahnung, wo er hin sollte oder was er eigentlich tat. Die anfangs quälenden Schmerzen, die auf seine körperliche Reaktion auf die Übernahme von Seele und Geist zurückzuführen waren, hatten bereits wieder aufgehört und Luke hoffte, dass sein Zustand sich bald bessern würde. Doch dann setzte dieses Gefühl von Willenlosigkeit ein und er starrte nur noch apathisch vor sich hin, gelenkt durch die Macht der Maske. In Ludenys Wohnung unterdessen erklang ein bestätigender Piepston aus dem Telefonhörer und die junge Frau legte wieder auf. Sie hatte ihr Bestes gegeben an diesem Computer, aber irgendwie lief es nicht so richtig. Sie hatte nichts Neues herausgefunden.
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Stevie saß mitten in einer Vorlesung, als sein Pager anschlug und Ludenys Nummer anzeigte. Erschrocken und böse nahm er das Ding in die Hand und drehte es ab. Lieber versuchte er sich weiter auf den Professor zu konzentrieren, anstatt sich mit seiner Partnerin wegen ihrer Meinungsverschiedenheiten, Liam betref fend zu streiten. Die Minuten strichen dahin. Doch ihr Telefon wollte einfach nicht läuten. Also wählte sie Stevies Handy nummer. Er hatte sie ihr nur für den äußersten Notfall gegeben, denn meist meldete er sich ja sofort, wenn sie den Pager anwählte. „Ich denke, dass man ausgehend von den Untersuchungsergebnissen der Snocks-Studie“, sagte Stevie gerade als Antwort auf eine Frage von seinem Professor, als die Titelmusik von Star Wars ertönte. Sofort wurde er knallrot im Gesicht und fummelte nervös an seiner Hose herum. Der Professor war sichtlich verärgert. Als Stevie das Telefon endlich in der Hand hielt und den Anrufer wegdrückte, sagte er kleinlaut: „Entschuldigen Sie bitte!“ Doch als er sich setzen wollte, meinte sein Lehrer nur: „Wenn Sie nicht einer meiner besten Studenten wären, würde ich ein derartiges Verhalten nicht dulden. Aber in diesem Fall mache ich eine Ausnahme und bitte Sie lediglich den Saal mitsamt Telefon zu verlassen. Kommen Sie erst wieder, wenn das offensichtliche Problem gelöst ist!“ Stevie knallte die Tür zum Hörsaal hinter sich zu und schrie im selben Moment in sein mobiles Telefon: „Wehe es ist nicht lebenswichtig.“ Ludeny ihrerseits säuselte süß in den Hörer: „Stevie bitte, ich brauche dringend deine Hilfe!“ Obwohl er eigentlich auf sie sauer war, konnte er sie doch nicht hängen lassen und so setzte er sich an einen der Uni versitätscomputer und versuchte ihr zu helfen. Nach etwa einer Stunde kamen beide zu selbem Ergebnis. „Es ist ein Pseudoaccount. Es gibt nichts zu finden, keinen Namen, keine Adresse. Die Arbeit war um sonst. Zuerst ein Verweis nach Argentinien, dann Spanien, dann San Danondo, wo auch immer das ist, und so weiter - rund um Welt. Hier kommen wir nicht weiter. Aber ich habe etwas anderes für dich!“, sagte Stevie schnell und teilte ihr die Telefonnummer des Kontaktmannes mit, die er in der Zwischenzeit, im Wirrwar seiner Geldbörse, wiedergefunden hatte. „Danke Stevie für deine Hilfe. Ich muss Schluss machen. Bei mir klopft es an der Tür. Wir hören uns, ja?“, sagte Ludeny und legte auf. Sie stand auf und ging zur Tür. Vorsichtig sah sie durch den Spion und musste lächeln. Liam stand davor, mit einem etwas verdutztem Gesicht und einer rosafarbenen Rose in der Hand. Sie öffnete ihm mit einem fragenden Gesichtsausdruck. „Ähm“, fing Liam kleinlaut an. „Ich hatte zwar gesagt, dass ich mich melden würde, aber ohne deiner Telefonnummer bleiben eigentlich nur noch Rauchzeichen übrig und da wir in New York sowieso schon ein leichtes Luftverschmutzungsproblem haben, habe ich das dann doch lieber gelassen, ganz zu schweigen davon, dass die Wahrscheinlichkeit doch sehr gering scheint, dass du in diesem Augenblick aus dem Fenster sehen würdest!“ Mit seinen schönen blauen Augen sah er sie schuldbewusst an. Instandig hoffte er auf ein besänftigendes Lächeln von ihr. Liam sah sie gern lächeln. Aber seit er in ihr Leben zurückgekehrt war, schien es, als wäre ihr das Lachen irgendwie vergangen. Leicht amüsiert trat sie nun beiseite und gewährte ihm abermals Einlass. „Nun komm schon und sieh mich nicht so an! Du weißt genau, dass ich dir dann nicht böse sein kann!“ Er ging in ihren Flur und als sie sich zu ihm drehte, reichte er ihr die Rose. „Es tut mir leid, dass ich vorhin schon wieder den Lehrer raushängen ließ. Aber die ganze Sache mit dem Chancenug belastet mich. Ich mache mir große Sorgen um dich! Ich weiß, dass du Angst vor ihm hast. Aber vertrau mir, ich werde es nicht zulassen, dass er dir ein zweites Mal so nahe kommt wie damals in Sibirien!“ Ludeny schaute ihn ernst an. „Ich hatte wirklich große Angst damals, aber weniger um mich als…“ Aber sie konnte ihren Satz nicht beenden. Denn Liam war an sie herangetreten und küsste sie zärtlich auf ihren Mund.
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„Scht!“, flüsterte er, „Ist schon gut. Es ist in Ordnung. Ich fühle doch genauso!“ Er wollte sie noch einmal küssen. Aber Ludeny schob ihn von sich. „Ich habe doch vorhin schon gesagt, dass wir vernünftig sein sollten! Ich weiß nicht, was mit dir los ist! Du stößt mich immer weg, wenn ich dir nahe sein will und jetzt versuchst du mich zu verführen!“ Energisch wandte sie sich von ihm ab. „Ich will das nicht! Ich habe damit abgeschlossen! Okay?“ Liam fuhr sich ver wirrt durch sein Haar. „Entschuldige, aber ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Seit wir uns wieder gesehen haben, habe ich diese Träume und das verwirrt mich. Ich kann in letzter Zeit an kaum etwas Anderes denken, als an dich!“ „Das solltest du aber, und zwar sehr schnell! Denn wir müssen dafür sorgen, dass dieser Mistkerl nicht wieder unschuldige Menschen ins Verderben reißt! Wie diese armen Leute in dem Fischerdorf in Sibirien! Nur weil sie uns gesagt haben, wo wir ihn finden konnten, hat er sie alle umbringen lassen! Sogar die Kinder! Es ist aus zwischen uns, und das schon sehr lange! Hast du schon vergessen? Du warst derjenige, der es beendete! Das ist nun einmal die Konsequenz daraus! Finde dich damit ab!“ Ludeny hatte Tränen in den Augen. Schnell ging sie in die Küche und reichte ihm eine Visitenkarte, auf der ihre Telefonnummer stand. Liam sah sie noch kurz an und drehte sich dann enttäuscht zur Wohnungstür. „Okay, so einfach ist es. Du hast Recht. Es ist aus!“ Er nahm die Türklinke bereits in die Hand und ohne sie anzusehen sagte er: „Wir erledigen diesen Dämon endgültig und dann werde ich New York verlassen! Damit ist uns beiden wohl am Meisten geholfen!“ Er öffnete die Wohnungstür und verschwand. „Nach all den Jahren solltest du wissen, dass davonlaufen keinen Sinn hat. Wir treffen uns spätestens in 50 Jahren wieder und dann?“, rief sie ihm verbittert nach. Plötzlich begann ihre Erscheinung aufzuflackern. „Na super, auch das noch und gerade jetzt!“, kommentierte sie das Verblassen ihrer Person und schloss die Tür hinter sich. „Wohl zu viel Aufregung für die alten Akkus.“, sagte sie und ging ins Schlafzimmer, um ihre Sportbekleidung anzuziehen. Sie stellte ein Soda und ein Handtuch bereit und begann mit ihren Übungen. Liam war aus ihrem Haus gestürmt. So hatte er sich die Unterhaltung nicht vorgestellt. Er wünschte sich, sie zu halten und zu lieben. Doch er wusste, dass es so besser war - zwar nicht für sie beiden, aber für den Rest der Welt. Zu vieles stand auf dem Spiel. Er brauchte jetzt etwas Bewegung an der frischen Luft, um seinen Kopf klar zu bekommen und so ließ er seine Maschine einfach stehen. Von hier war es nur ein Katzensprung zum Central Park. Er ging die 65th entlang und schon stand er am Eingang der berühmten Grünanlage. Luke irrte bereits stundenlang im Park umher, als er plötzlich vor dem Zoo ankam. Eine Gruppe Schul kinder versammelten sich gerade vor dem Haupteingang, um sich auf den Nachhauseweg zu begeben. Es wurde langsam dunkel und auch Liam befand sich zufällig auf dem Weg zum Tierpark. Aus der Ferne konnte er Kindergelächter hören und einige Geräusche der Tiere. Automatisch lenkten ihn seine Schritte in diese Richtung. Er hoffte etwas Aufmunterung durch die lachenden Kindergesichter zu bekommen und somit von seinen trostlosen Gedanken abgelenkt zu werden. Luke hörte die Kinder ebenfalls und schritt wie magisch angezogen, genau darauf zu. Ein kleines Mäd chen geriet ins Stolpern und fiel ihm direkt vor die Füße. „Oh! Verzeihung Sir!“, sagte sie und versuchte wieder aufzustehen. Die restlichen Schüler aus ihrer Klas se hatten sich schon ein Stück weit vom Zooausgang entfernt und das Mädchen wollte schnell hinterher. Luke schaute geistesabwesend auf sie herab und griff nach ihrem Jackenkragen. Zum Glück hatte sie sich in der Zwischenzeit aufgerappelt und lief auch schon ihren Klassenkameraden nach. Luke schaute ihr, mit versteinerter Mine nach, als plötzlich aus einem Gebüsch, rechts von ihm, eine er schreckend aussehende Gestalt sprang. Sie trug eine Art Rüstung, ähnlich der Uniform eines Leibgardisten des chinesischen Kaisers. Das Gesicht der Gestalt war von unzähligen Furchen durchzogen und schimmerte grün, wie die Haut einer Echse oder
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besser noch, eines Drachen. Plötzlich hob die Gestalt seinen riesigen Säbel und schwang ihn gekonnt über seinem Kopf. Schneller, als Luke reagieren konnte, stürmte der Dämon angriffsbereit auf ihn zu. In letzter Sekunde konnte sich Luke gerade noch wegdrehen und wich somit einem kräftigen Schlag aus. Blitzschnell drehte sich der Angreifer erneut zu ihm und mit einem einzigen Schwung seine Waffe trennte er Lukes Kopf von dessen Rumpf. Dieser fiel nun zu Boden und rollte ein Stück den Weg entlang. Einen Moment später zerfie len der tote Körper und der abgetrennte Kopf zu Staub und der Wind blies die Überreste in alle Himmels richtungen. Liam, der die Kampfgeräusche gehört hatte, war in der Zwischenzeit am Ort des Geschehens angekom men. Konzentriert hielt er seine Augen geschlossen, da er sich wegen der einkehrenden Dunkelheit nicht mehr hundert prozentig auf sie verlassen konnte. Er hatte sein Shogunschwert gezogen, um den fremden Dämon anzugreifen. Kurz bevor Liam zum ersten Schlag ausholte, hörte er eine ihm wohl bekannte Stim me. „Liam? Verdammt, du blindes Huhn! Du wirst doch wohl nicht deinen besten Freund umbringen wol len?“ Liam ließ das Schwert sinken und trat dichter an den Dämon heran. „Topy? Was tust du denn hier?“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, schloss er jetzt seinen alten Freund in die Arme. „Du sollst das nicht immer zu mir sagen! Ich stamme schließlich von einem uralten Adelsgeschlecht ab! Und da sollte man etwas Würde ausstrahlen und auch so behandelt werden! Du kannst mich und meinen Namen nicht immer so verunglimpfen!“
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(un)glückliches Wiedersehen
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sie sich begrüßt hatten, gingen die beiden Freunde zum Parksausgang. Sie wollten den Ort des Geschehns ohne großes Aufsehen verlassen. Man konnte ja nie wissen, wie die Polizei auf einen Mann mit Drachenhaut reagieren würde. Topang, so war sein richtiger Name, war ein sehr alter Freund von Liam.
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In den Bergen von Nepal begneteten sie sich zum ersten Mal. Liam war nach einer zwölf Jahre langen Reise, durch die verschiedensten Länder, nach Asien gekommen. Dort traf er auch zum ersten Mal auf den Chancenug. Dieses Monster hat eine junge Frau geraubt und hielt sie in einer Berghöhle gefangen. Liam ließ die hässliche Kreatur nicht aus den Augen und wartete auf die richtige Gelegenheit. Plötzlich sah er einen echsenähnlichen Dämon, der versuchte das hübsche Mädchen aus den Klauen des Monsters zu befreien. Sein Shogunschwert gekonnt schwingend, kämpfte der Dämon gegen das Monster an. Liam beobachtete die Szenerie fasziniert und bewunderte offen den Mut und die Waffe des Dämons und wie dieser seine Kraft einzusetzen wusste. Plötzlich aber wurde der tapfere Kämpfer von dem Chancenug getroffen und ging bewusstlos zu Boden. Um die Frau und den tapferen Dämon zu retten, musste Liam sofort reagieren. Nach einem kurzen Kampf, indem Liam mehr Glück als Verstand hatte, konnte er die Bestie so schwer verletzen, sodass diese flüchteten musste. Das war 55 und zwischen Liam und dem mutig kämpfenden Dämon von einst entwickelte sich darauf hin eine tiefe Freundschaft. Das Mädchen, das er damals gerettet hatte, war Tilia, Topangs kleine Halb schwester. Wie Liam erst viel später erfuhr, spielte diese eine wichtige Rolle bei ihrem Volk. Sie nannten sie die Auserwählte. Liams heldenhafte Tat ließ ihm eine große Ehre zuteil werden. Zum Dank erlaubte der Ältestenrat dem Halbgamblin bei den Dragoondämonen - so hieß das Volk der Drachendämonen - zu leben und, gemeinsam mit Topang, eine traditionelle 30jährige Kampflehre zu absolvieren. Die überraschende Ankunft seines besten Freundes wollte Liam gebührend feiern. „Ich habe eine Idee!“, schlug er vor. „Wir gehen etwas Trinken und ich lade noch jemanden dazu ein! Sie ist eine sehr gute Freundin und eine ausgezeichnete Kriegerin!“ Topang sah ihn skeptisch an. „Eine Frau?“ Liam zückte bereits sein Handy und drückte ein paar Tasten. „Du wirst dich wundern! Wanda ist etwas ganz besonderes! Sie ist mehr als nur eine Frau!“ „Du musst ja wissen, was du tust!“, erwiderte Topang und schritt neben Liam her, ohne zu wissen, wohin dieser eigentlich gehen wollte. „Wer stört zu so später Stunde?“, fragte Wanda mürrisch und hielt sich ihr Handy ans Ohr, während sie in der noch freien Hand, einen Endondämonen am Hals umklammerte. „Ich wollte dich nicht stören!“, antwortete Liam lächelnd. Schlagartig verbesserte sich die Stimmung der Risis und sie lockerte aus Versehen ihren Griff. Diesen Moment nutze die zappelnde Kreatur, um ihr zu entwischen. „Na warte nur, du Ratte unter den Dämonen. Wenn ich dir das nächste Mal begegne bist du dran!“, schrie sie ihm nach.
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„Wie bitte?“, fragte Liam verwundert und wechselte einen fragenden Blick mit Topang. „Frauen, ich hab’s doch gesagt!“, flüsterte sein Freund. Liam musste sich ein Grinsen verkneifen. „Nein, nicht du. Ich hatte hier nur gerade eine Unterhaltung mit einem Endon. Aber er ist mir leider gerade entwischt. Was gibt’s denn?“, fragte sie neugierig. „Den kriegst du bestimmt wieder. Die treiben sich doch immer in irgendwelchen Hinterhöfen herum, um ein paar Spielsüchtige ausfindig zu machen. Ach übrigens, ich wollte dich fragen, ob du Lust hast ins Vidal zu kommen. Ich möchte dir jemanden vorstellen!“ Liam wartete ungeduldig auf ihre Antwort. „Falls es dieses Goldlöckchen ist, die kenn‘ ich schon. Nein danke!“ Wanda wurde wieder schnippisch. Doch Liam lachte nur. „Dann hat Topy wohl doch recht. FRAUEN!“ Er hörte wie Wanda tief durchatmete. „Ich bin ja schon unterwegs. Aber wie willst du da bloß reinkommen? Ich dachte der Türsteher hätte…“ Doch weiter kam sie nicht, denn die Verbindung war unterbrochen worden. „Na -wieder einmal nicht auf den Akku geachtet was, Mister Super-Halbdämon?“, sagte sie laut und machte sich dann auf den Weg. Vor dem Dämonenclub wartete Wanda auf ihren Freund und dessen mysteriöse Begleitung. Die junge Dä monin war sehr gespannt darauf zu sehen, wie Liam an dem Frackondämon vorbei kommen wollte. Wanda lehnte sich an eine Wand, verschränkte die Arme vor ihrem Körper und harrte der Dinge, die da kommen würden. Liam hatte Topang mit auf seine Harley genommen und die Zwei brausten durch die Stadt. Unterwegs fragte er seinen Freund: „Warum bist du eigentlich hier in Amerika?“ Topang sah sich auf den Strassen um. Dann drehte er seinen Kopf in Liams Richtung und antwortete: „Kannst du dir das denn wirklich nicht denken? Ich weiß, dass du es auch spüren kannst, wenn er in der Nähe ist!“ Liam antwortete nicht, denn Topang hatte Recht. Er konnte es immer fühlen, wenn der Chancenug in der Nähe war. Umso mehr war er darüber verwundert, dass er Ludeny nicht von Anfang an geglaubt hatte. Wenige Minuten später fuhren sie beim Vidal vor. Neugierig ging Wanda langsam auf die beiden zu. Be eindruckt von Topangs Erscheinung, musterte sie ihn von oben bis unten. So wie er vor ihr stand in seiner Kampfrüstung, wirkte er sehr faszinierend. „Hey, Wanda!“, begrüßte Liam seine Partnerin. „Sie ist eine Risis! Was hast du mit so einer streitlustigen Person zu tun?“, flüsterte Topang ihm zu, wäh rend sie zusammen auf Wanda zugingen. „Das ist eine lange Geschichte! Aber aus eigener Erfahrung müsstest du doch wohl am besten wissen, dass es in jeder Rasse Ausnahmen gibt!“ Liam spielte dabei auf Topangs eigene Geschichte an. Der Chance nug hatte seine gesamte Familie hingerichtet und seither reiste Topang durch die Welt, um das Monstrum zu finden und seine Familie zu rächen. Dragoons lebten eigentlich sehr zurückgezogen und waren ausgesprochen friedfertig. Rache war ihnen ein Fremdwort. Ihre Traditon duldete keinerlei kriegerische Absichten. Ein Kampf wurde nur zur Medi tation und im äußersten Fall zur Verteidigung verwendet, niemals um Streitigkeiten zu beginnen. Als die Ältesten von seinen Plänen und Rachegefühlen erfuhren, verbannten sie ihn aus ihrer Sippe. Liam stellte die beiden einander vor und sie traten in den Eingangsbereich des Vidal ein. Wie Wanda es erwartet hatte, hielt der Frackon Liam an der Jacke fest und fragte ihn sehr rüde: „Was du mach hier? Hab gesagt, dass du kommst nicht wieda!“ Doch ehe er weitersprach, erblickte er hinter dem Halbgamblin den Dragoon. Topang hatte seine Hand auf Liams Schulter gelegt und schaute den Türsteher mit ernstem Blick an. „Wenn du keinen Ärger mit mir bekommen willst, dann nimm deine dreckigen Frackonpranken von meinem Bruder!“ „Oh! Du bist Dragoon! Ehre für Vidal, das du kommst hier her!“ Er ließ schnell von Liam ab und machte eine kurze Verbeugung vor Topang.
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„Dein Bruder is unser Gast! Kommt!“ Der Frackon deutete ihnen herein zu gehen und verbeugte sich erneut. Die Risis blickte den Hünen verwundert an. „Es ist gut solche Freunde zu haben.“, sagte sie an Liam gerichtet. Doch dieser lächelte nur. Er war über glücklich Topang bei sich zu haben. Die Drei schritten an die Bar und bestellten ihre Getränke. Am anderen Ende der Stadt beendete Ludeny nach einigen Stunden ihr Training. Sie ließ sich auf ihr Sofa fallen und trank kräftig aus ihrer Sodaflasche, als die Bilder ihrer Vergangenheit, sie erneut einholten.
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Sie lag am Boden und weinte verzweifelt, neben ihr lag der tote Höcklerdämon. „Warum weinst du? Nach all den Jahren die er dich gequält hat, solltest du froh sein aus seiner Knechtschaft befreit zu sein!“, dachte sie unter Tränen. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und ihr Vater, als sie gerade das . Lebensjahr erreicht hatte. Sie hätte in ein Waisenhaus kommen sollen. Doch stattdessen hatte dieses Monster sich ihrer angenommen. Mit diesem Dach über dem Kopf erlebte sie jedoch die Hölle auf Erden. Höckler behandelten ihre Sklaven wie Tiere. Jetzt war er endlich tot und sie frei. Ludeny hatte sich auf gerafft und sammelte gerade einige ihrer Habseligkeiten zusammen, als sie auf eine längliche Kiste aus hellem Holz mit zwei Schnallen als Verschluss stieß. Sie wusste, dass diese Kiste wichtig war. Der Höckler war sehr darauf bedacht, dass niemand sie anfasste. Sie griff nach ihr und, ohne hineinzusehen, verstaute sie die Kiste flink in ihrem Bündel. Ludeny blinzelte einige Male, um die Erinnerungen wieder los zu werden und zog dann eine Jacke über. Ihr Weg führte sie in den Keller des Hauses. Nachdem sie ihren Verschlag aufgesperrt hatte, ging sie hinein ohne jedoch das Licht einzuschalten. An der hintern Wand waren einige Ziegel locker und genau davor blieb sie stehen. Einen nach den anderen zog sie heraus. Endlich wurde ein Loch im Gemäuer erkennbar. Ludeny griff hinein und nahm etwas, das in Lumpen eingewickelt war, heraus. Sie legte die Ziegel wieder zurück an ihren Platz und begab sich zurück in ihre Wohnung. Sorgfältig entfernte sie die schmutzigen Lumpen und brachte jene Kiste aus ihrer Erinnerung zum Vor schein. Vorsichtig stellte sie diese auf ihren Schreibtisch. Mit zwei kurzen Hangriffen war die Kiste entrie gelt und Ludeny öffnete sie vorsichtig. „Es wird Zeit, dich für das Gute einzusetzen.“, sagte sie laut, als sie das sonderbare Kurzschwert aus sei ner Kiste holte. Seine Klinge war aus einem unverwüstlichen, durchsichtigen Kristall. Der Griff bestand aus Elfenbein mit geflochtenen Verzierungen. Sie hatte dieses Schwert noch nie verwendet, da sie noch nicht in der Lage war, mit der Kraft des Kristalls umzugehen. Liam hatte ihr gesagt, sie sollte es bei sich behalten. Sie hätte es sich verdient und irgendwann würde sie in der Lage sein, es auch zu benützen. „Ich hoffe diese Zeit ist gekommen!“, dachte sie, während sie die außergewöhnliche Waffe in seine Kiste zurücklegte. In der Villa in Newark, wurde Raymond Greeson immer unruhiger und wütender. Luke war immer noch nicht aufgetaucht und der Magier, der die Macht der Maske mit einem Ritual, auf den Dämonen übertragen sollte, würde bereits am nächsten Abend erscheinen. Luke wäre für die Vorbereitungen zuständig gewesen und nun musste er einen guten und zuverlässigen Ersatz für diese wichtige Aufgabe finden. Das passte nicht in seinen Plan und er konnte diese Sache nicht verschieben! Er wollte die Welt mit dem Bösen überschwemmen und das Gute gänzlich ausmerzen. Unruhig ging er in seinem Zimmer auf und ab, dabei fiel sein Blick immer wieder auf den Aktenkoffer, in der sich nun die Maske befand. Raymond ging zu seinem Schreibtisch und öffnete ihn. Die Augen der Maske glühten rot auf. Wie der Chancenug wusste, glühten sie immer nur dann, wenn sie wieder einmal ein Opfer gefunden hatte und dieses das Relikt aus Afrika, mit bloßen Händen berührt hatte. Greeson schaute auf und dachte an den Abend, an dem die Übergabe stattgefunden hatte.
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„Dieser verdammte Vollidiot hat sie angefasst, als sie fast zu Boden fiel! Dummheit muss bestraft werden!“, sagte er laut. Dem Chancenug war klar, dass Luke nicht zurückkehren würde. Er rief nach einem anderen Angestellten und ging mit ihm die Regeln des Rituals durch, damit nun auch wirklich nichts mehr schief gehen konnte. „Der Magier wird Morgen hier eintreffen und ich hoffe, dass alles reibungslos abläuft! Ansonsten werde ich ziemlich ungemütlich! Du wirst bis dahin, das Haus nicht mehr verlassen! Und das ist keine Bitte, son dern ein Befehl!“ Die zwei Dämonen und der Halbdämon hatten sich unterdessen in den hinteren Teil des Vidal zurückge zogen und saßen an einem kleinen Tisch beieinander. „Ich kann es gar nicht glauben. Unser Liam stürzte tatsächlich da hinunter?“, fragte Wanda verwundert. Topang bog sich vor lachen und beendete seine Geschichte. „Ja! Er hat einfach das Übergewicht gekriegt und kippte in die ganzen Ladung Dung.“ Liam klopfte auf den Tisch. „Es freut mich, dass ihr euch so gut versteht. Ich bin wirklich glücklich darüber. Aber vielleicht könntet ihr euch ein bisschen weniger über mich lustig machen!“, sagte er leicht gequält. Topang setzte sich wieder bequemer auf seinen Stuhl. „Na gut, bevor mein Bruder noch vor Scham im Boden versinkt, zu etwas anderem. Was bringt eine Risis dazu, mit einem Halbdämon zusammenzuarbeiten und mit ihm für das Gute zu kämpfen? Ich dachte eigentlich immer, ihr seit euch zu schade für solch ‚niedere Arbeiten’?!“, fragte er Wanda. Diese räusperte sich verlegen, als Liam anfing die Geschichte zu erzählen. Topang hörte gespannt zu. „Und seither glaubt sie in meiner Schuld zu stehen. Wir kämpfen seit 979 Seite an Seite!“, schloss er seinen Bericht über die Geschehnisse ab. Sie amüsierten sich noch sehr gut und der Abend ging viel zu schnell vorbei. Wanda und Topang verstan den sich prächtig und seine anfänglichen Vorurteile, der Risis gegenüber, lösten sich langsam in Rauch auf. Das Vidal wurde zusehends leerer und sie entschieden sich, den Abend ausklingen zu lassen. Liam bezahlte die Rechnung und leicht angeheitert verließen sie das Lokal. Als Wanda gerade in ihren Wagen steigen wollte, hörte sie ein schlürfendes Geräusch. Es kam aus einer Gasse, die sich ein Stück vor ihrem Wagen, auf der rechten Seite befand. „Siemlich dungel hier!“ lallte sie angetrunken vor sich hin. Neugierig, wie sie nun einmal war, ging sie mit torkelnden Schritten auf die Gasse zu. Sie wischte sich über die Augen und sah in die Dunkelheit. „Da bissssst du ja!“, flüsterte Wanda und griff in ihren Lederblouson. Geräuschlos zog sie einen ihrer chine sischen Wurfsterne hervor. Für diese Waffen brauchte sie nicht einmal zielen zu können. Die Zauberkräfte dieser Sterne halfen ihr dabei und so verfehlten sie ihr Ziel niemals. Ein chinesischer Alchemist hatte sie vor fast 000 Jahren mit weißer Magie behandelt und dem Kampf für das Gute gewidmet. Der widerliche Endondämon, den sie schon zuvor an diesem Abend zwischen die Finger bekommen hatte und der leider entwischt war, hatte ein neues Opfer gefunden und saugte kräftig an dessen Ohr. Wanda holte aus und warf den ersten Stern. Mit einem surrenden Geräusch sauste dieser durch die Luft und verfehlte sein Ziel nicht. Der Stern steckte zwischen den Augen des Dämons, der - mit aufgerissenen Augen - sofort zur Seite kippte. „Yippiiiiieeee!“, schrie Wanda nun euphorisch, ging in die Gasse und zog den Wurfstern aus dem schlei migen Kopf des toten Dämons. Gerade als Liam und Topang dabei waren auf die Harley Davidson zu steigen, hörten sie Wandas Jubelschrei. Verwundert schauten sie sich gegenseitig an und liefen zu der Gasse. Ein vollkommen verstörter Mann stolperte ihnen verängstigt entgegen, starrte sie mit weit aufgeris senen Augen an und ergriff in voller Panik die Flucht. „Wanda? Ist alles okay?“, rief Liam und schaute in die Dunkelheit. „Alleesss in Ordnug! Isch hab dasss Ding erledischt!“, lallte sie und grinste völlig überdreht. Topang berichtete Liam, was dieser aufgrund der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Belustigt wegen Wandas Siegesrausch, verabschiedeten sie sich erneut von ihr und fuhren nach Hause.
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Die beiden Männer waren bereits kurze Zeit später in seinem Appartement angekommen. Während Liam sich bettfertig machte, nutzte Topang die Zeit für seine Meditation. Er zündete Räucherstäbchen aus seiner Heimat an und begann ein leises Singsang. Als Liam wieder ins Zimmer kam, war er bereits fast fertig und verbeugte sich zum Abschluss noch tief. „Wie ich diesen Duft vermisst habe!“, sagte der Halbgamblin, während er tief durch die Nase einatmete. Sein Freund erhob sich und schritt zu ihm. „Ich hoffe es geht dir wirklich so gut, wie es den Anschein hat!“ Aus seinem mitgebrachten Rucksack holte er eine dünne Reismatte hervor und breitete sie auf dem Boden aus. „Eine harte Zeit steht uns bevor eine Zeit voller Prüfungen. Doch wenn wir sie alle bestehen, dann können wir die Früchte für unsere Mühen ernten! Schlaf gut, mein Bruder!“, sagte er. Liam ging in sein Schlafzimmer und legte sich auf sein Bett. Seit dem Treffen mit Topang hatte er nicht mehr an Ludeny denken müssen. Doch jetzt trafen ihn die Gedanken wieder, wie ein Schlag ins Gesicht. „Ob es mir gut geht, hat mein Bruder mich gefragt. Er hat keine Ahnung!“, dachte er, bevor er endlich einschlief. Wanda fuhr geradewegs nach Hause. Sie entkleidete sich mit wenigen Handgriffen und streichelte stolz über ihre üppige Brustbehaarung. Schwankend ging sie in ihre Küche und schnappte sich ein paar Shitaki pilze. Auf dem Rückweg zu ihrem Schlafzimmer steckte sie diese in den Mund und ging ebenfalls zu Bett. Ihres jedoch unterschied sich sehr von anderen Betten. Eine Hängematte, die quer durch das ganze Zimmer gespannt war, diente der Risis als übliche Schlafstatt. Mit einem leicht brummenden Kopf, erhob sich Liam am nächsten Morgen. Verschlafen wuschelte er sich durch sein Haar. Plötzlich fiel es ihm wieder ein! Sein bester Freund lag im Zimmer nebenan und war womöglich schon munter. „Mal schauen, ob wir irgendwo Fisch für Topangs Frühstück bekommen!“, dachte er lächelnd und schwang seine Beine aus dem Bett. Im Vorbeigehen griff er nach seinem Bademantel und ging in Richtung Küche. Topang saß bereits am Tisch und war dabei, eine riesige Portion rohen Fisch zu verspeisen. Die ganze Küche duftete nach frischem Tee und Kaffee und Liam genoss das Aroma, das nun den Weg in seine Nase fand. „Wie lange bist du schon wach?“, fragte er, während er sich ebenfalls setzte. „Das weißt du doch - wie immer bin ich mit den ersten Sonnenstrahlen aufgewacht! Ich war auf dem Fisch- und Fleischmarkt und habe Frühstück für uns besorgt.“, antwortete Topang und steckte sich erneut ein Stück rohen Fisch in den Mund. „Danke Mum!“, sagte Liam und grinste seinen Freund dabei verschmizt an. Der Dragoon stand auf und holte aus dem Kühlschrank eine Tüte mit frischen Schweineinnereien. Sie saßen da und schwiegen, während jeder sein Frühstück einnahm. Plötzlich unterbrach Topang die Stille. „Hast du eigentlich einmal an Tilia gedacht?“ Liam verschluckte sich beinahe an einem Innereienstück und sah ihn verwundert an. „Wie kommst du jetzt darauf? Ich habe doch seit damals nichts mehr von ihr gehört!“ Topang schaute gelassen auf. „Weiß nicht, ich denke in letzter Zeit sehr oft an sie! Vielleicht habe ich Heimweh?“ „Könnte sein!“, antwortete Liam und erneut legte sich bedrückendes Schweigen um die beiden Freunde.
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Er lebte bereits seit fünf Jahre bei den Dragoons und es war eine schöne Zeit. Topang und er befanden sich in der Ausbildung zu Kriegern und sie genossen das Privileg im Palast zu leben - Topang, weil er der Halbbruder der Auserwählten war und Liam, weil er ihr einst das Leben gerettet hatte. Jeder hatte sein ei
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genes Zimmer und sogar ein eigenes Bad. Eines Abends konnte Liam nicht einschlafen und so schlich er durch den dunklen Palast. Er hoffte, dass Topang noch wach wäre und sie vielleicht ein wenig Karten spielen könnten. Als er am Zimmer von Tilia vorbeikam, schaute er instinktiv durch den offenen Türspalt. Sie war noch wach und saß nackt, mit dem Rücken zur Tür, vor einem Spiegel auf einem kleinen Hocker. Dragoonischen Dienerinnen, waren dabei, ihre zarte Haut mit Aloe Saft einzureiben. Wie angewurzelt stand Liam da und bewunderte die makellose Schönheit der Auserwählten. Die Dragoon frauen schienen ihn nicht zu bemerken, aber Tilia erahnte seine Blicke. Sie hatte ihn im Spiegel entdeckt und schenkte ihm ein bezauberndes, sanftes Lächeln. Es störte sie nicht im Geringsten, dass ihr Retter sie nackt sehen konnte. Liam war wie erstarrt. Und das war wohl der Augenblick, in dem ihm damals klar wurde, dass er sich wohl in sie verliebt hatte. Langsam entwickelte sich eine Romanze und die Zwei galten als das Traumpaar in der dragoonischen Dy nastie. Er sollte sie am Ende seiner Ausbildung in einem hoch feierlichen Ritual ehelichen und vermutlich noch viele Nachkommen mit ihr zeugen. Aber es kam alles anders. Liam wollte nicht sein ganzes Leben im Palast verbringen - eingesperrt wie ein Vogel im goldenen Käfig. Und so ging er am Ende seiner Lehrzeit zu ihr und bat sie um die Auflösung der Verlobung. Tilia reagierte sehr verständnisvoll. Sie liebte ihn sehr und wollte ihn nicht zu einem Leben zwingen, das er nicht haben wollte. Und so entließ sie ihn aus seinem Versprechen.
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Das lag alles schon sehr lange zurück und er dachte damals, dass er niemals wieder eine Frau treffen würde, die er so lieben könnte, wie die Auserwählte des dragoonischen Volkes. Aber dann kam Ludeny! Als er sie das erste Mal sah, wusste er bereits, dass sein Herz ein zu Hause ge funden hatte. „Verdammt Ludeny!“ Der Gedanke riss ihn zurück in die Wirklichkeit und ohne Erklärung lief er aus der Küche. Er griff in die Tasche seiner Jacke und fischte ihre Visitenkarte und sein Handy hervor. Schnell tippte er ihre Nummer ein. Aber selbst nach mehrfachem Drücken der verschiedensten Tasten, gab das Ding keinen Ton von sich. „Verfluchte Technik!“, rief er laut aus. Topang kam aus der Küche und schaute nach, warum sein Freund so aufgebracht klang. Als er sah, womit er hier so schimpfte, ging er zu seinem Freund, griff nach dem Telefon und ging zurück in die Küche. Das Ladekabel hing an der Steckdose und der Drachendämon steckte das Handy an. Siegreich lächelt er seinen Freund an. „Topy, du und so ein Ding?“, fragte Liam erstaunt. Erneut griff er nach dem Mobilen Telefon und wählte Ludenys Nummer. „Man muss mit der Zeit gehen!“, flüsterte Topang, zwinkerte Liam zu und verließ die Küche. „Ja, Hallo?“, kam es verschlafen aus dem modernen Gerät. „Oh entschuldige, habe ich dich geweckt?“, fragte Liam verlegen und ärgerte sich über sein mangelndes Zeitgefühl. „Das macht nichts. Ich wollte sowieso… Liam, weißt du was Neues? Ist etwas geschehen?“ Plötzliche Sor ge macht sich in ihr breit. „Nein, du kannst dich beruhigen. Ich dachte mir, wir vereinbaren ein Treffen bei dir. Ich bringe Wanda und einen weiteren Gast mit, sag du bitte Stevie bescheid. Wir brauchen jeden, den wir kriegen können. Ja?“ Neugierig setzt sich Ludeny auf. „Welchen Gast denn? Spann mich nicht so auf die Folter!“, bettelte sie. „Mein Gast ist mein ältester und treuester Freund Topang. Ich bin gespannt, was du zu ihm sagen wirst!“ Schnell wurde noch eine Uhrzeit vereinbart und dann verabschiedete er sich rasch, bevor er das Gespräch beendete. „Er bringt diese Wanda mit! Na super!“ Ludeny stapfte schimpfend durch ihre Wohnung und räumte ein
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wenig auf. „Ich fasse es nicht! Warum habe ich ihm nicht widersprochen? Er macht mit mir, was er will!“ Liam hatte sich in der Zwischenzeit geduscht und angezogen, als er erneut eine Nummer wählte. „Ja, Hallo?“ Wanda war durch das Handyläuten aufgewacht. „Alles klar bei dir?“, fragte Liam. „Ja doch!“, antwortete sie entnervt. „Ich habe dich doch nicht etwa aufgeweckt, oder? Obwohl ein richtiger Krieger immer seine Beine mit dem ersten Sonnenstrahl aus dem Bett schwingen sollte! Aber das lernst du auch noch!“ Liam wollte sie ein wenig necken, aber ihre Laune besserte sich dadurch nicht im Geringsten. „Lass die Schulmeistereien und komm zur Sache! Mein Schädel brummt und ich brauche dringend einen Kaffee!“ Wanda ließ sich zurück in ihre Hängematte fallen und schloss, wegen ihres dröhnenden Kopfes, die Augen. Topang, der das Gespräch zwischen den Beiden mitangehört hatte, schüttelte verständnislos den Kopf. „Du bist ein Hochstapler! Und ich habe nicht die geringste Ahnung, warum ihr Menschen euch mit solchen Sticheleien die Zeit raubt!“, flüsterte der Dragoon verwundert vor sich hin. Liam lachte. „Okay, Pass auf, wir treffen uns um 14.00 Uhr bei Ludeny zu Hause! Die Adresse lautet, Madison, Ecke East, 65. Strasse! Also, jetzt ist es 12.30 Uhr, das solltest du schaffen!“ „Auch das noch, ein Treffen beim Goldlöckchen! Das ist nicht gerade mein Tag! Okay, bis dann!“, sagte Wanda resignierend und legte auf. „Verdammt Stevie!“, schrie Ludeny plötzlich erschrocken auf. Beinahe hätte sie über ihren Ärger verges sen, den Studenten anzuwählen. Schnell griff sie zum Telefon und tippte seine Pagernummer ein. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, wählte sie ihren Geheimcode für „komm sofort her“. Stevie saß in seinem Zimmer und las in einem Buch, als die Nachricht bei ihm ankam. Ein Blick auf das Display des Pager genügte. „666! Da waren wir ja wieder kreativ bei der Auswahl unserer Geheimzeichen!“, dachte er, während er sein Notebook in den Rucksack steckte und sich auf den Weg machte. Als Stevie wenige Zeit später bei ihr klopfte, wirkte Ludeny erleichtert. „Gut. Ich hatte gehofft, dass du als Erster hier ankommen würdest!“ Er trat ein und fragte erstaunt: „Als Erster?“ Ludeny zog ihm am Arm in die Küche und setzte ihn auf einen Barhocker. Sie berichtete von dem großen Treffen, das in ihrem Appartement stattfinden sollte und dem Überraschungsgast, den Liam ihr angekündigt hatte. Dann lief sie aufgeregt in ihr Schlafzimmer und zog sich erneut um. Stevie folgte ihr und erblickte ein riesiges Chaos. Fast der gesamte Inhalt des Kastens lag auf dem Bett und Boden verstreut. „Wofür der Aufwand?“, fragte er und zeigte auf die sich türmenden Kleidungsstücke. „Ich muss doch bezaubernd aussehen, ich meine wichtig. Ach Stevie, er bringt Wanda mit und…“, stammelte Ludeny verzweifelt. Ihr Freund ging auf sie zu, hielt sie an den Schultern fest und blickte ihr tief in die Augen. „Erst einmal tief durchatmen und dann überlegen! Ist die Sache den Aufwand wert? Was soll bei dem Treffen rauskommen? Ein Abendessen oder eine Ehe? Nein! Also, entspann dich und schlüpf in das da!“ Er versuchte sie zu beruhigen und mit einer lässigen Handbewegung zog er ein super heißes, beiges und hautenges Top aus dem Stapel hervor. Dann zwinkerte er ihr frech grinsend zu. Ludeny musste lachen. „Ach du bist wirklich ein Schatz!“, sagte sie und küsste seine Wange, als es plötzlich an der Tür läutete. Sie sah Stevie kurz fragend an. „Machst du schnell auf? Dann kann ich noch wegräumen und die Tür vernageln, damit niemand dieses Schlachtfeld sehen muss!“ „Schon klar! Du willst dir noch etwas Makeup auflegen und deine Haare zurecht machen!“ Stevie blickte über seinen Brillenrand und lächelte sie an. „Aber eins noch -nur als kleine Information zu meiner Person - ich würde dich auch ohne den ganzen Schnickschnack nehmen!“ Die Dunkelslug warf ihm einen Handkuss zu und hauchte ein „Danke!“ in seine
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Richtung. Dann rannte sie zu ihrem Schminktisch und wühlte in ihren Kosmetika. Stevie schüttelte den Kopf und ging zur Tür, an der es inzwischen schon zum dritten Mal geläutet hatte. „Komme ja schon!“, schimpfte er und drückte die Klinke der Wohnungstür herunter. Als der junge Student aufschaute, erschrak er. Vor ihm stand so eine Art „Drachengott“. Dieser hatte Liam und eine schwarzhaarige Schönheit im Schlepptau. „Liam, immer wieder eine Freude, Sie zu sehen! Schön, dass Sie ihre Familie mitgebracht haben!“, witzelte Stevie sarkastisch. Er trat beiseite, um die Gäste herein zu lassen. Topang musterte den rothaarigen Stu denten und ging dann wortlos an ihm vorbei. „Hier entlang!“ Stevie eilte Wanda vorraus, um ihr ganz Gen tleman-Like, den Weg zum Wohnzimmer zu weisen. Er war begeistert von der hochgewachsenen, hübschen Frau. In ihren Ledersachen wirkte sie auf ihn wie eine Art Amazone und auf diese Art Frau fuhr er total ab. Alle setzten sich und schauten sich um. „Warum ist es hier so dunkel?“, fragte Topang und blickte dabei zu Liam herrüber.
„Das habe ich dir doch schon einmal erzählt! Ludeny und die Sonne - du erinnerst dich?“, flüsterte die ser. „Ach ja, das hast du!“ Topang winkte ab. „Wo ist sie?“, fragte Liam und schaute seinerseits zu Stevie hinüber. „Oh, sie zieht sich noch an! Sie ist bestimmt gleich fertig!“, antwortete er. Liam schaute ernst in Stevies Richtung, und wenn Blicke töten könnten, wäre dieser wahrscheinlich sofort tot umgefallen. Liam erahnte seiner Meinung nach den Grund für Ludenys Verspätung. Sie hatte wahrscheinlich die Nacht und den Morgen mit ihrem neuen Freund verbracht und diese Ahnung machte ihn rasend. Wie aufs Stichwort erschien Ludeny in der Tür. Entschlossen ging Stevie auf sie zu und küsste sie auf die Wange. „Soll er doch gleich in die Luft gehen wie ein Druckkochtopf! Ist mir nur Recht!“, dachte er triumphie rend. Ludeny hatte Liams wütenden Blick bei ihrem Eintreffen bemerkt und stieg auf das Spielchen ein. Sanft streichelte sie über Stevies Wange. „Oh ein unbekannter Gast. Ich nehme an Sie sind Topang!“, sagte sie freundlich und ging auf diesen zu. Topang lächelte sie an. „So viel Schönheit in nur einer Person und sie strahlt wie die Sonne!“, dachte er, während er ihr die Hand zur Begrüßung reichte. Liam kämpfte immer noch mit seiner Fassung. Ludeny beobachtete ihn genau aus dem Augenwinkel. Sie drehte ihren Kopf in Richtung Wanda und nickte ihr bloß kurz zu. Als Liam end lich in der Lage war, etwas zu sagen, versuchte er, ohne Wut in der Stimme, zum Thema zu kommen. „Nun, wir wissen alle warum wir hier sind. Wir sollten versuchen zusammenzuarbeiten. Wir haben es mit einem schrecklichen Gegner zu tun. Schaffen wir das alle?“ Er klang irgendwie gleichgültig und Ludeny schaute ihn verwirrt an. Dann ergriff sie das Wort. „Aber selbstverständlich - was dachtest du denn? Stevie hat die Telefonnummer gefunden. Wir versuchen gleich an eine Adresse zu kommen!“ Wie aufs Stichwort schnappte sich dieser seinen Rucksack und packte das Notebook aus. Wanda und Topang unterhielten sich währenddessen über den gestrigen Abend. „Aber die Geschichte vom Dung war echt zum Schreien!“ Ludeny konnte nur diesen einen Satz hören und trat näher an sie heran. „Ihr kennt euch schon lange?“, fragte sie die beiden. Wanda schüttelte den Kopf. „Nein, aber nachdem Liam mich gestern ins Vidal bestellt hat, um Topang kennen zu lernen, hatten wir einige Zeit um Geschichten auszutauschen!“, antwortete sie und verfolgte genau Ludenys Gesichtsausdruck, welcher sich schlagartig verfinsterte. Mit einem Ruck drehte sie sich nun von Wanda weg. „Liam, würdest du kurz mitkommen. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie, ihm vorran, in ihr Arbeitszimmer. Liam folgte ihr. Zielstrebig ging sie zu dem alten Schreibtisch und griff nach der Kiste mit dem Kristallschwert. „Ich dachte, vielleicht wäre es an der Zeit, das hier…“ Doch weiter kam sie nicht. Liam trat noch dichter an sie heran und berührte sie vorsichtig am Arm. „Ich weiß, du bist sauer. Aber Wanda und Topy sind die besten Krieger, die ich kenne. Ich dachte, sie
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sollten sich kennen lernen.“ Verzweifelt versuchte er die Situation zu retten und sie zu besänftigen. Doch Ludeny zog ihren Arm zurück und zeigte ihm damit, dass sie seine Berührungen in diesem Augenblick nicht wollte. „Ich bin nicht sauer. Glaubst du ich bin nicht in der Lage sachlich zu sein! Und nebenbei bemerkt, ich hänge nicht zu Hause herum und warte auf deinen Anruf. Das habe ich nie getan!“, sagte sie etwas bissig in seine Richtung. Zur selben Zeit in Newark läutete es an der Tür der Villa. Frank, der Butler, öffnete. Davor stand eine Ge stalt, in einen schwarzen Umhang gehüllte und mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, die kurz darauf zurück schoben wurde. Eine schöne, rothaarige Frau war zum Vorschein gekommen. Ihre Augen jedoch schienen ausdruckslos und mysteriös. „Hallo!“, sagte sie mit tiefer Stimme. „Zu Mr. Greeson bitte! Er erwartet mich! Mein Name ist Hylia Osma na!“ Frank trat höflich beiseite und ließ die unbekannte Schöne eintreten. „Bitte warten Sie hier, Miss. Ich werde Sie sofort anmelden!“ Er wollte ihr ihren Umhang abnehmen und in der Garderobe verstauen, aber Hylia winkte dankend ab. „Ich bitte darum!“, bekam er zur Antwort und so ging er zum Arbeitszimmer des Hausherrn und klopfte an. Nachdem er zum Eintreten aufgefordert wurde, öffnete Frank die Tür. „Sir, eine Miss Osmana wartet in der Halle. Sie sagt, sie hätte einen Termin?“
„Natürlich, lassen Sie Sie bitte herein Frank!“, antwortete sein Brötchengeber gelassen.
„Sehr wohl, Sir!“ Frank begleitete die Besucherin zu seinem Chef. Hylia trat in das Zimmer ein. Der Butt ler verneigte sich kurz und schloss die Tür hinter sich. Nun öffnete die seltsame Frau die Schleife an ihrem Umhang und warf ihn auf einen der Sessel neben sich. Darunter trug sie ein hautenges, bodenlanges Kleid aus schwarzer Spitze. „Hast du mich schon vermisst?“, fragte sie, während sie hüfteschwingend auf Raymond zuging. Dieser saß auf seinem Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und lächelte sie eisig an. „Und wie!“ Als Hylia bei ihm angekommen war, stellte sie einen Fuß genau zwischen seine Beine auf den Sessel. „Dann beweise es!“, hauchte sie ihm zu. Mit einem ausdruckslosen Blick setzte er sich auf und fuhr ihr mit den Händen unter das Kleid. Langsam streichelte er ihr Bein und griff nach dem Bund des halterlosen Strumpfes. Mit einer schnellen Bewegung öffnete Hylia ihren Zopf und schüttelte schwungvoll ihr langes rotes Haar. Dann streichelte sie über Raymonds Oberkörper und begann das Hemd zu öffnen. Er sank ent spannt zurück und beobachtete seine Besucherin dabei, wie sie sich ihres Kleides entledigte. Dann stand Greeson auf und umarmte sie besitzergreifend. Die Rothaarige küsste zärtlich seinen Hals. Der Chancenug hatte schnell genug von diesen Spielereien, nahm sie hoch und warf sie auf den Schreibtisch. Laute Schreie hallten noch lange Zeit durch das große Haus. Während Stevie mit der Telefonnummer beschäftigt war, kam Ludeny mit der Schwertkiste zu den Anderen zurück. Sie stellte sie ab und öffnete die Schnallen des Verschlusses. „Liam hat mir viel von dir erzählt. Er hat mir gesagt, dass ihr euch schon ewig kennt. Ich weiß, er ver traut auf dein Urteil. Also tue ich es auch. Was sagst du dazu?“ Bei den letzten Worten holte sie das Schwert heraus und hielt es Topang hin. Ehrfurchtsvoll ergriff er es. „Welch wundervolle Waffe. Woher hast du sie?“, fragte er neugierig. Ludeny räusperte sich etwas ver legen. Sie hatte keine Lust alte Geschichten - noch dazu persönliche - vor Wanda auszuplaudern. Aber die Situation erforderte es nun einmal. „Von einem Höcklerdämon. Er hatte es jahrelang in seinem Besitz und auch benutzt. Es hatte bereits angefangen sich schwarz zu verfärben. Jetzt ruht es seit langer Zeit in dieser Kiste. Ich glaube es hat sich, sa gen wir einmal, erholt, da die dunkle Färbung wieder verschwunden ist.“ Wanda war ebenfalls etwas näher getreten, um das Kurzschwert zu begutachten. „Und du hast sie nie verwendet?“, fragte sie verwundert.
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„Nein, denn die Macht des Kristalls war mir immer fremd und ich fand keinen Lehrmeister. Und so habe ich es einfach aufgehoben. Ich dachte, vielleicht ist die Zeit gekommen, es einzusetzen!“, antwortete Ludeny und beobachtete Wandas Reaktion. „Nun, vielleicht kenne ich jemanden, der dir helfen könnte.“, sagte diese nur. „Eigentlich dachte ich eher an Topang. Vielleicht kann er ja damit umgehen! Waffen sind nicht so ganz mein Fall.“ Ludeny blickte den Dragoondämon fragend an. Doch dieser nahm das Schwert und reichte es an sie zurück. „Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber dieses Schwert gehört dir. Durch eure gemeinsame Ge schichte seid ihr miteinander verbunden. Ich fühle mich zutiefst geehrt. Aber es ist deine Aufgabe es zu gebrauchen, wenn die Zeit reif dafür ist!“ Liam, der die ganze Szene verfolgt hatte, trat nun an Wanda heran. „Du kennst jemanden? Woher?“, fragte er. „Aus meinem Kurs!“, rutschte es ihr heraus. „Welchen Kurs besuchst du? Und warum weiß ich nichts davon?“, hakte er nach. Wanda wurde ganz un ruhig und antwortete verlegen. „Aus dem Töpferkurs. Okay, ja gut. Ich gebe es zu. Nasser Ton macht mich an!“, sagte sie schnippisch. Ludeny starrte sie an und sagte - für beide sehr überraschend: „Das ist doch ein gutes Hobby und es beruhigt.“ „Wie auch immer. Wenn du willst kannst du gerne Kontakt mit ihm aufnehmen. Er heißt Nick Dellary und wohnt in China Town - Mulberry Street - Ecke Bayard. Sag das du von mir kommst.“ Leicht irritiert darüber, dass Wanda so freundlich zu ihr war, bedankte Ludeny sich bei ihr für die Information und setzte sich wieder zu den Anderen. „Okay“, sagte Stevie. „Also, wenn ich hier schon meinen Arsch riskiere, dann will ich aber endlich auch mal wissen, worum es eigentlich geht! Input bitte!“ Er warf sich in seinen Sessel zurück und erwartete einen Bericht. Topang sah zu Liam. „Hat hier denn niemand daran gedacht, dass er nur ein Mensch ist. Man könnte ihm wenigstens die Wahl lassen, ob er seinen Hals riskieren will oder nicht?“ „Du hast Recht!“, antwortete Liam. „Er sollte wissen, worum es geht! Schließlich ist es gefährlich und er könnte letztendlich dabei ´drauf gehen!“ Ludeny sah Liam bissig an. Sie hoffte auf sein Mitgefühl mit den Menschen - was sowieso schon eine riskante Sache war - aber irgendwie hatte sie den Verdacht, dass es ihn wohl nicht sonderlich stören würde, wenn Stevie bei der Aktion das Zeitliche segnen würde. Der Halb gamblin kämpfte zwar schon seit langem gegen den Abschaum der Dämonenwelt. Aber letztendlich tat er das nicht, um die Menschen zu schützen. Dies war lediglich eine positive Nebenwirkung. Im Grunde seines Herzens ging es immer nur um Rache - Rache für seine Familie, für seine Existenz als Halbdämon, für all das Unrecht, das Ludeny in all den Jahren bis zu ihrer Verwandlung zugestoßen war und um Rache wegen ihrer Verwandlung. Liam bemerkte ihren strafenden Blick und versuchte zu vermeiden ihr in das Gesicht zu schauen. „Unzählige Jahre in der Vergangenheit gab es einmal ein Dorf in China, das auf die Idee kam, einen Dämon aus einer anderen Dimension zu holen.“ Topang sprach ruhig und langsam, damit auch alle verstehen konnten, was er sagte. „Es hieß in alten Schriften, dass dieser Dämon ihnen Reichtum und Glück bringen würde. Also holten sie sich einen alten vergreisten Magier, der ein Portal öffnete um den „Glücksdämon“ in unsere Di mension zu holen. Leider aber erwischten sie die falsche Kreatur! Der, der durch das Portal auf unsere Erde kam, war die Verkörperung des Bösen. In nur wenigen Minuten war das Dorf bis auf den letzen Mann ver nichtet und so machte sich der Dämon auf die Suche nach anderen Menschen, die er töten und quälen konnte. Einige von ihnen behielt er und machte sie sich untertan! Sein Ziel war und ist es immer noch, dieses Portal erneut zu öffnen, um den Rest seiner ‚Familie‘ hierher zu holen! Diese Geschichte ist schon sehr alt, sodass sich kaum noch einer an alle Einzelheiten erinnern kann! Nur bei meinem Volk ist sie von den Ältesten auf geschrieben worden, um nachfolgende Generationen vor dem Chancenug zu warnen! Dieser Dämon kann jedes Aussehen annehmen, das er will und dafür reicht eine kurze Berührung mit dem Opfer! Seine wahre Gestalt ist die eines riesigen, widerlichen Wurms - gelb, mit einem Tattoo, das sich über seinen gesamten
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Körper zieht! Weiße Augen, die das Letzte sind, was du siehst, wenn er dich am Boden hat! Er tötet ohne Rücksicht, um seine Pläne in die Tat umzusetzen und ist dabei so unauffällig wie eine giftige Schlange! Liam und ich jagen dieses Monster schon seit ewigen Zeiten und wir waren eigentlich der Meinung, dass er 899 in Irland endlich gestorben sei! Wir hatten ihn verfolgt und in einem Lagerhaus an der Küste Doolins legten wir das Feuer in dem wir dachten, dass er verbrannte!“ Topang sah erwartungsvoll zu Liam, um ihn zum Weitererzählen zu animieren. „Okay, wie Topy schon sagte…“ Topang blickte ihn strafend an, als Liam wiedereinmal seinen Namen ver unglimpfte. „Es war 899 und wir waren in einem kleinen Ort in Irland unterwegs, Doolin. Wir hatten von einem Kerl erfahren, der wohl den Fehler seines Lebens begangen und sich auf Geschäfte mit dem Chance nug eingelassen hatte. Der Dämon nannte sich damals George O´Malley und ging in den kleinen Orten, nahe der Küste, bei vielen Herrschaften ein und aus. Sie erhofften sich durch ihn das ganz große Geld und gingen diskussionslos auf alle seine Forderungen ein. Auf jeden Fall trafen wir den Informanten in Mc Ganns Pub. Er saß in einer dunklen Ecke und sah einfach schrecklich müde und ängstlich aus. Er erzählte uns, dass er diesem O´Malley sein gesamtes Hab und Gut versprochen hatte, inklusive seiner ganzen Familie, wenn dieser ihn zum reichsten Geschäftsmann des Landes machen würde. Tja, manche Menschen kriegen den Hals eben nicht voll genug! Das Treffen zwischen ihm und dem Dämon sollte in einem Lagerhaus stattfinden, das nahe der Küste stand. Also machten Topang und ich uns auf den Weg dorthin. Dank der genauen Wegbeschreibung und da der Ort nicht sonderlich groß war, kamen wir rasch an unser Ziel. Das Gasthaus, einige Pensionen und zwei weiteren Pubs, hatten wir hinter uns gelassen. Neben der Kirche und zwei Schlösser war das auch schon alles, was es an Besonderheiten in Doolin zu sehen gab. Abgesehen von der unbeschreiblich schönen Landschaft und den Cliffs of Moher natürlich…“ Liam geriet - wie so oft - ins Schwärmen, wenn es um seine alte Heimat Irland ging. „Wie auch immer, wir folgten dem Verlauf der Strasse. Es war bereits sehr dunkel geworden. Meine Augen ließen mich schon fast komplett im Stich, als wir das Lagerhaus erreichten. Wie unser Informant uns mit geteilt hatte, würde Mr. O´Malley dort auf ihn warten. Topang beschloss sich im Hintergrund zu halten und hoffte, unentdeckt zu bleiben. Ich ging geradewegs durch das Tor. Im Inneren der Halle war es hell genug für meine Augen und so konnte ich einen Mann am anderen Ende erkennen.“ Liam blickte zu Topang und wartete darauf, dass dieser nun wieder das Wort ergriff. Dieser hatte sich inzwischen erhoben und ging im Zimmer auf und ab. Dabei fiel sein Blick auf das kleine Bild von Liam und Ludeny. Er erkannte sofort welch wunderbares Band der Liebe die beiden miteinander verband und schaute zu seinem Bruder. Mit dem Gefühl, gerade ertappt zu werden, blickte dieser betroffen zu Boden. Topang fuhr mit der Geschichte aus Irland fort. „Ich hatte mich an der Seite der Tür positioniert, um dem Dämon notfalls den Weg abzuschneiden. Ich konnte hören, wie die beiden anfingen, sich zu unterhalten. ‚Ich hatte schon so eine Ahnung, dass du hier auftauchen würdest!’, sagte die Bestie damals zu Liam. ‚Diese Menschen! Ist es nicht eigenartig, wenn sie einen Dämon sehen laufen sie ängstlich davon. Aber wenn sie die Hosen voll haben, holen sie sich sogar persönliche Hilfe von einem! Welch ein Widerspruch! Bist du dir nicht zu schade dafür, Liam O´Brian? Oder willst du mir erzählen, dass sie dich hinterher zu einem üppigen Mahl einladen werden, um dir ihren Dank zu zeigen? Und selbst wenn, sobald sie sehen, welche Speisen du bevorzugst, warst du die längste Zeit Gast in ihrem Haus!’ Liam hatte inzwischen sein Schwert gezogen und war in Kampfstellung gegangen. ‚Ich denke nicht, dass du dazu fähig bist, so etwas nachzuempfinden! Du warst nie ein Mensch! Ich schon!’ Ich konnte durch einen Spalt in der Tür in die Halle blicken. Der Chancenug grinste schadenfroh. ‚Ja ja, rede dir nur ein, dass du immer noch dazu gehörst! Aber denke darüber nach Liam, wie lange du schon auf der Welt bist! Und das hast du einem von uns zu verdanken! Du könntest, wenn du dich für meine Seite entscheidest, alles haben, was du nur willst! Wie wäre es mit Reichtum? Erfolg? Frauen?’“ Bei dem letzten Wort Topangs, zuckte Liam kaum sichtbar zusammen. „Das Monster fuhr mit seinen Überedungskünsten fort.“ ‚Ah ja, ich weiß! Nur diese EINE? Nicht wahr? Komm auf meine Seite und du kannst sie dir nehmen! Bei uns, wird sie dir niemand verbieten!’ Ich machte mir Sorgen um Liam. Würde er dem Chancenug widerstehen können? Aber ich wusste, dass ich mich auf
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meinen Bruder verlassen konnte. Denn kurz darauf hob er blitzschnell sein Schwert und griff den Dämon an! In der Gestalt dieses O´Malley war der Wurm immer noch sehr wendig und er konnte sich ohne Pro bleme zur Seite rollen. Schnell griff er in eine offene Kiste, die an einer Wand im Raum stand und holte eine Streitaxt heraus, mit der er wahrscheinlich vorhatte, sein Schuldneropfer zu köpfen. Aber er hatte nicht mit Liams Kraft und innerer Stärke gerechnet! Ich habe Liam noch nie so kämpfen sehen! Es war fantastisch! Er reagierte auf jede Bewegung des Dämons, bevor dieser ihn attackierte! Ich rannte zu ihnen in die Halle, um ihn im Kampf zu unterstützen. Wir schafften es O´Malley zu verletzen und bewegungsunfähig zu machen. Da wir aber wussten, wie schwer es war, ihn endgültig zu vernichten, entschlossen wir die Lagerhalle in Flammen aufgehen zu lassen! Das Feuer loderte hoch und wir blieben bis es am Morgen endlich erloschen war. Die örtliche Feuerwehr war zur damaligen Zeit noch nicht in der Lage das Feuer schneller zu löschen. So blieben wir in unserem Versteck - hinter ein paar Kisten - und beobachteten das Geschehen! Niemand und Nichts konnte da lebend wieder rauskommen! – dachte wir zumindest.“ Topang schloss seinen Bericht und setzte sich wieder auf das Sofa. Stevie der aufmerksam zugehört hatte, ergriff als erster das Wort: „Eine nette kleine Geschichte. Aber sie erklärt immer noch nicht was jetzt hier in New York auf uns wartet.“ Ludeny sah nachdenklich von einem zum anderen. ‚Bei uns wird sie dir niemand verbieten!’ hatte To pang berichtet. „Wer hat hier was verboten? Ich verstehe das nicht. Was hat das alles zu bedeuten?“ Ihre Gedanken überschlugen sich. Doch Stevies Frage holte sie zurück in die Realität. „Weil ich ihn bei der Übergabe erkannt habe!“, antwortete sie kleinlaut. Wanda war es, die sich als erste zu Wort meldete. „Bin ich die einzige die verstanden hat, dass der Typ seine Gestalt ändern kann, so wie es ihm gerade in den Kram passt. Also wie willst du ihn dann erkannt haben?“ Liam eilte Ludeny zu Hilfe. „Er kann sein Aussehen ändern. Aber wenn man ihm tief in die Augen schaut, erkennt man seine wahre Gestalt. Ebenso das Tattoo, das kann er auch nicht verbergen. Es zieht sich auch über seinen menschlichen Körper. Und um deine nächste Frage zu beantworten: Einen Chancenug tötet man am sichersten, während seiner jährlichen Häutung. Da muss er nämlich in seiner ursprünglichen Gestalt bleiben. Nur an diesem einen Tag, in diesen 3 Stunden ist er blind und leicht zu töten. Dafür muss man aber wissen, wann dieser Tag ist. Bis zum heutigen Tag ist es uns nicht gelungen diesen Zeitpunkt herauszubekommen.“, beendete Liam seinen Vortrag und Wanda war scheinbar zufrieden. Raymond ließ lange Zeit nach ihrem Treffen erst von Hylia ab und streckte sich. „Das war für den Anfang gar nicht einmal so schlecht!“, sagte er in seiner üblichen, gleichgültigen Art. Hylia zog sich ihr Kleid über und küsste ihn im Vorbeigehen auf seine Schulter. „Also ich für meinen Teil, bin äußerst zufrieden!“, antwortete sie und suchte ihre restlichen Sachen zu sammen. Greeson zog sich ebenfalls wieder an. Da er es nicht für nötig hielt den menschlichen Bedürfnissen unnötige Aufmerksamkeit zu schenken, ersparte er sich jeden weiteren Komentar. Hauptsache er konnte sich endlich wieder mit klarem Kopf an die Arbeit machen. Er war keineswegs daran interessiert, was Hylia dabei empfand. „Da wir das ja nun erledigt haben“, fuhr er fort, „können wir nun endlich zum wesentlichen Teil unserer Zusammenkunft kommen!“ „Also ich finde diesen Teil unserer Zusammenkünfte immer sehr wesentlich!“ Hylia ging auf ihn zu und schlang ihr Bein um seines. Bestimmend stieß er sie weg. „Lass das jetzt! Du hattest was du wolltest, und nun gib dich damit zufrieden! Erzähle mir von dem Ritual! Was brauchst du noch, außer diesem Opfer?“ Sie ging nachdenklich ein Stück im Zimmer auf und ab. „Etwas Blut von einem Drachen!“, antwortete sie und wartete gespannt auf seine Antwort. „Das dürfte kein Problem sein! Ich glaube, dass ein alter Freund gerne bereit sein wird, uns zu helfen! Er ist zurzeit in der Stadt. Ich kann ihn förmlich riechen!“ Siegessicher zog er Hylia an sich heran und riss ihr den Kopf an ihren Haaren zurück in den Nacken. Dann küsste er sie und lachte eiskalt. Einige Stunden zu
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vor, war einer seiner Gefolgsleute im Vidal auf Hucks getroffen und hatte ihm Informationen abgekauft, die sehr interessant für Greeson waren. Der dumme Troff erzählte dem Angestellten des Dämons von Topangs Ankunft in New York. Ein kurzes Klingeln war zu hören und Stevie stand auf, um zu seinem Minicomputer zu laufen. Er hatte ein Programm gestartet, das die Telefonnummer mit sämtlichen Einträgen in sämtlichen Telefonbüchern verglich. „Ich glaube, wir haben da schon etwas!“, verkündete er mit stolzgeschwellter Brust. Ludeny lief zu ihm und blickte über seine Schulter, beide Hände auf dieselbigen gelegt. Wanda und Topang schauten ebenfalls interessiert auf den Monitor. Nur Liam war der Einzige, der sich zurückhielt. Stattdessen ging er in die Küche und machte für alle fri schen Kaffee. „Oh mein Gott! Topang hat sich da ja mächtig verplappert bei seinen Erzählungen. Wenn das nur gut geht!“, dachte er und merkte nicht, wie das Wasser bereits überlief. Schnell machte er sein Missge schick ungeschehen und ging dann zu den Anderen zurück. „Also lasst mal hören. Was haben wir?“, fragte er. Ludeny drehte sich zu ihm und sagte mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht: „Wie es aussieht gibt es tatsächlich eine Adresse zu der Nummer. Und es ist sogar so ziemlich in der Nähe, soviel wissen wir schon. Nur noch etwas Geduld.“ Liam konnte nicht anders, er musste zurück lachen. Er erinnerte sich noch genau an eine Zeit, in der ihm ihre oft so kindliche Freude den Tag erhellt hatte.
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Es war ein wirklich heißer Sommer gewesen, damals 77. Sie waren gerade dabei, sich in Florenz häuslich einzurichten. Ludeny liebte diese Gegend. Sie waren damals ehr glücklich gewesen und trainierten viel und lange. Ihre Begegnung vor einigen Jahren mit diesem Dämon in Sibirien hatte Ludeny aufnahmefähiger für die Ernsthaftigkeit ihrer Übungen gemacht. Nun wollte sie alles über ihre Kräfte erfahren, wollte sie hundert prozentig beherrschen. Abends schlenderten sie durch die schönen Straßen der Stadt. Nichts schien ihr Glück zerstören zu können. Eines Morgens jedoch saß sie traurig am Frühstückstisch. Als Liam wissen wollte was los war, weinte sie stumme Tränen. Er fühlte sich mit einem Schlag vollkommen zerrissen. Wie sollte er ihr Leid lindern, wenn er nicht wusste, was sie so traurig machte. „Damals habe ich dich beschimpft, als du mich gerettet hast. Ich verließ das Haus und stand auf der Straße. In diesem alten heruntergekommenem Gasthaus erhielt ich dann eine Stelle zum Putzen und… Ich hatte immer das Gefühl, dich zu spüren. Seit langem schon möchte ich dich etwas fragen. Liam, hast du damals auf mich aufgepasst?“ Liam war besorgt. Würde sie die Wahrheit ertragen? Aber eine Lüge brachte er einfach nicht übers Herz. „Ludeny - mein Leben. Ich habe dich seit dem Tag im Hause des Höcklers beobachtet. Ich machte mir Vorwürfe und ich hatte Schuldgefühle. Ich wusste, dass Richtige getan zu haben. Aber der Preis war ein hoher. An dem Abend, an dem ich dich in der dreckigen Gasse fand, wollte ich dir alles gestehen. Ich wollte dich zu mir holen. Wir hätten dein ganzes Leben miteinander verbringen können. Aber wie du weißt, kam ich zu spät. Du wolltest vermutlich gerade den Mist ausleeren, als dich plötzlich dieser Dunkelslug angriff. Bei meiner Ankunft war die Verwandlung bereits vollzogen. Seine Lippen ruhten auf den deinen und den Atem des Todes hattest du bereits eingeatmet. Ich war zu spät gekommen. Ich tötete den Dunkelslug sobald er von dir abließ und nahm dich mit. Den Rest weißt du bereits.“ Sie hatte ihm aufmerksam zugehört und schritt anschließend auf ihn zu. Langsam beugte sie sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. Mit den Fingern trocknete er ihre Tränen. „Warum weinst du dann noch?“, fragte er sie besorgt. „Vor Freude Liam. Ich liebe dich und bin unendlich glücklich bei dir zu sein!“ Mit diesen Worten legte sie ihren Kopf auf seine Brust. „Bruder! Du solltest dich auf die Sache konzentrieren!“, holte Topang ihn aus seiner Erinnerung zurück.
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„So, das hätten wir!“ Stevie kam zurück ins Wohnzimmer und hielt einen Computerausdruck in der Hand. „Der Anruf kam aus Newark! Elisabeth Avenue! Das ist gar nicht einmal weit von hier!“ „Das hast du wieder einmal super gemacht!“, sagte Ludeny und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Zur Belohnung!“, flüsterte sie und lächelte sanft. Liam musste zusehen, wie sein Mädchen einen anderen Kerl küsste und kochte vor Eifersucht. „Diese Niete! Was will sie mit diesem Bürohengst?“, dachte er. „Wir sollten uns auf den Weg machen und die Lage checken!“ Wanda war an die Anderen herangetreten. „Diese Herumsitzerei halte ich nicht mehr lange aus! Ich muss etwas tun!“ „Du hast Recht. Es ist schon etwas dunkel und wir haben gute Chancen nicht so schnell entdeckt zu wer den.“ Liam ging zum Flur und nahm seine Jacke vom Haken. „Topang, kommst du?“, fragte er seinen Freund. Dieser folgte ihm und nickte den Anderen kurz zu. „Ich kann deine Gefühle für sie verstehen, Liam. Aber du musst dich wieder auf das Wichtigste konzentrieren. Sie ist wirklich wunderschön und das du häufig Träume von ihr hast ist verständlich.“, flüsterte er ihm leise im Hinausgehen zu. „Du verstehst es?“ Liam war begeistert davon, dass sein bester Freund seine Gefühle nachvollziehen konnte. „Du weißt gar nicht, wie froh du mich damit machst, dass du mir das gesagt hast!“ „Ich sagte, dass ich es verstehe, aber nicht, dass ich es akzeptiere!“ Topang war sehr ernst geworden. „Liam! Ich bin dein bester Freund und Bruder und ich glaube, dass ich das Recht habe, dir etwas zu sagen. Du musst an deine Bestimmung denken. Erinnerst du dich, was passiert, wenn du dich vergisst? Das ist es nicht wert, glaube mir! Ich will nicht, dass du für diese Welt verloren gehst!“ Liam schaute ihm erschrocken in sein grünes Gesicht. „Glaubst du denn, ich weiß das nicht?! Jeden Tag werde ich daran erinnert. Wenn wir nicht diese eine Nacht miteinander gehabt hätten, dann bräuchte ich nichts zu vermissen! Dann gäbe es nicht so vieles, was mich quälen und mir den Schlaf rauben könnte. Ich sehe sie an und will sie einfach nur halten, sie lieben und niemals wieder hergeben! Aber ich weiß, was es bedeuten würde, wenn wir diesen Schritt erneut gehen würden. Und darum passiert auch nichts zwischen uns. Aber ich glaube nicht, dass du wirklich verstehst, worum es mir dabei geht. Mir ist es egal, ob ich dann noch für das Gute kämpfen könnte. Nein ich tue es deswegen nicht, weil ich sie dann nie wieder sehen würde. Das würde mich umbringen! Kannst du das akzeptieren? Ich bin eben nicht ganz so edel, wie du. Ich bin nun einmal ein halber Mensch, mit ganzen menschlichen Gefühlen!“ Nach diesem Vortrag schwang er sich auf seine Maschine und wartete mit Topang schweigend auf die Anderen. In der Villa des Chancenug ging es in der Zwischenzeit hoch her. Das Personal hatte sich in den hinteren Teil des Hauses zurückgezogen, während Greeson und Hylia, bereits wieder mit ihrem Umhang bekleidet, im Wintergarten alle Vorbereitungen tätigten. Es dämmerte bereits und von draußen drang nur düsteres Licht durch die großen Scheiben. Hylia kniete auf dem Marmorboden und streute verschiedenfarbigen Zauber sand auf. Sie zeichnete damit eine Art Ornament. Greeson ging zu einer der Türen und wollte sie öffnen. „Wage es und ich bring dich eigenhändig um. Der Sand darf auf keinen Fall vom Wind verweht werden.“ Hylias Blick traf ihn scharf. Greeson trat wieder zurück und stellte sich auf die Seite. Als sie mit dem Or nament fertig war, stand sie vorsichtig auf. Sie hielt den Saum ihres Umhanges in die Höhe und trat einen Schritt zur Seite. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Anschließend stellte sie riesige Kerzen im Kreis auf. Jede Kerze hatte dieselbe Farbe wie der jeweilige Sand aus dem Ornament. An den Ecken platzierte sie jeweils einen Gegenstand. Einen Kelch, ein Ritualmesser, Weihrauch in einer Schale und einen dunklen, spitzen Kristall. „Die Maske!“, sagte sie gebieterisch und Greeson gehorchte. Er reichte ihr die Kiste, mit dem, für ihn so wertvollen, Relikt. Hylia stellte diese an die oberste Spitze. „Wenn ich dir ein Zeichen gebe, öffnest du sie. Aber erst dann, hast du gehört?“, gab sie weitere Instruk tionen.
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Ludeny und die Anderen kamen, Gott sei Dank, sehr bald nach. So mussten sich Topang und Liam nicht mehr unnötig lange anschweigen. Liam startete den Motor der Harley. Als Ludeny kurz zu ihm hinüber sah, konnte sie erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte und sie sorgte sich ein Wenig. „Vielleicht habe ich’s doch etwas übertrieben, mit meinem Umgang mit Stevie?“, dachte sie bei sich, stieg dann aber in dessen Wagen ein. Wanda saß bereits auf der Beifahrerseite, da Stevie unbedingt mehr über sie erfahren wollte, kam ihm dies natürlich sehr gelegen. Er ließ den Motor an und fuhr vor Liam und Topang in Richtung Elisa beth Avenue. Ludeny saß hinten im Auto und grübelte vor sich hin. „Wie lange arbeiten Sie schon mit Liam zusammen?“, fragte Stevie Wanda neugierig. „Oh, es werden dieses Jahr 5 Jahre. Unsere Partnerschaft ist also noch ganz frisch.“, antwortete sie. Ste vie sah sie überrascht an. „5 Jahre? Mein lieber Schwan! Das ist bei uns Menschen, ja schon wie bei einem alten Ehepaar!“ Als er das sagte, horchte Ludeny plötzlich auf und sah ihn durch den Rückspiegel etwas böse an. „Aber natürlich ist das nur eine Arbeitsgemeinschaft und nichts anderes!“, warf Stevie schnell ein, als er ihren strafenden Blick bemerkte. „Ja, natürlich. Das versteht sich ja wohl von selbst. Liam ist mein Mentor und ich würde mich doch nicht mit einem Menschen einlassen!“ Wanda blickte ihn entrüstet an. Stevies geäußerte Vermutung, gefiel ihr so ganz und gar nicht. „Mit einem Menschen? Das heißt dann, dass sie kein Mensch sind?“ Stevie war nun vollends verwirrt. „Sind sie denn auch ein Dunkelslug?“ Nun war Wanda erst recht beleidigt. „Ich bin doch nicht so ein egoistischer Parasit, wie diese widerlichen Seelensauger! Ich bin aus einem stolzen Dämonenvolk! Die Risis würden anderen niemals das Leben stehlen!“ Ludeny war nun ihrerseits fürchterlich wütend, aufgrund Wandas abfälliger Worte. „Nein, das tun die Risis nicht. Die gehen nur los und duellieren sich mit jedem und allem und das ist auch der Grund warum diese schlauen Dämonen bereits fast ausgestorben sind. Wenn man nicht weiß, wo die Grenze ist, wird man eben auch nicht sehr alt!“ Wanda drehte sich zu ihr um. „Und Dunkelslugs sind nicht ausgestorben?“, fragte sie sarkastisch. „So weit ich weiß schon! Aber ich bin ja auch nicht sonderlich glücklich darüber, dass ich dieses Schick sal mit mir herumtrage. Und Liam hatte sich sein Leben bestimmt auch einmal anders vorgestellt, als bis in alle Ewigkeit mit einer Risis durch die Welt zu ziehen und auf Dämonenjagd zu gehen!“ Ludeny blickte nun wieder aus dem Fenster und musste Tränen der Wut unterdrücken. Es ärgerte sie sehr, dass sie sich auf einen Streit mit dieser Person eingelassen hatte. Liam würde ihr wieder einmal Vorwürfe machen, wenn er davon zu hören bekäme. Nicht, dass sie das sonderlich interessiert hätte. Aber sie wollte einem Streit mit ihm eigentlich aus dem Wege gehen, da es im Moment wirklich Wichtigeres zu tun gab. „Okay das wars dann wohl, mit belanglosem Smaltalk.“, sagte Stevie während er den Wagen lenkte. Wanda versuchte sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren, während die Dunkelslug weiterhin aus dem Fenster blickte und wütend die vorbeiziehenden Gebäude der Stadt betrachtete. Sie fuhren schon eine Weile und hatten gerade den Hudson River überquert, da sagte sie: „Stevie, damit eines klar ist, du bleibst im Wagen. Du bewegst deinen kleinen, menschlichen Hintern hier nicht raus. Ist das klar?“ Sie blickte ihn durch den Rückspiegel an. „Ich dachte mir schon, dass so etwas kommt. Ich könnte euch doch…“ begann er zu widersprechen. „Nein, kannst du nicht!“, kam es, wie aus der Pistole geschossen, vom Rücksitz. „Nein Stevie, wir wissen ja noch nicht einmal was uns dort erwartet!“ Stevie hätte gerne noch ein Gegenargument eingeworfen, aber in diesem Moment hob Wanda abwehrend die Hand und sagte: „Niemand von uns wird die Zeit haben für dich den Babysitter zu spielen. Also bleibst du im Wagen und wartest!“ Ohne noch ein Wort zu verlieren, fuhr der junge Mann etwas beleidigt weiter in Richtung Newark. Kurze Zeit darauf stoppte Liams Motorrad am Straßenrand. Sie waren am Ziel angekommen. Die Gegend hier war ruhig und schön. Rund um die Villa, die von der Straße aus nur schlecht zu sehen war, befand sich ein riesiger Park. Das schmiedeeiserne Tor war unheimlich hoch, mindestens vier Meter, so schätzte er. Ein langer Weg führte die Einfahrt in ausgedehnten Kurven hoch zum Haus.
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Liam und Topang stiegen ab und gingen zum Wagen hinüber. „Stevie“, setzte Liam an. „Mach dir keine Mühe - ich bleib im Wagen. Ich wurde gerade von Wondawoman und Catwoman zu Recht gewiesen. Das reicht für einen Tag, Mr. Batman für Arme.“, unterbrach ihn der Student und verschränkte die Arme beleidigt vor der Brust. Die Damen stiegen aus dem Wagen und Stevie dachte zynisch: „Ich frag mich nur, wie sie das Tor aufbekommen wollen?“ Liam schritt über die Straße, begutachtete das Tor und den Bereich dahinter. „Keine Wachen!“, stellte er verwundert fest, als die Anderen neben ihm angekommen waren. „Damit das klar ist, wir gehen rein, schauen uns um und dann verschwinden wir wieder. Sollte es passieren, dass wir uns trennen müssen, treffen wir uns bei Ludeny. Hat das jeder verstanden?“, fragte Liam mit Nach druck. Die anderen nickten und Liam ging einige Schritte auf der Straße zurück. Mit etwas Anlauf schaffte er einen Sprung der ihn bis über den Zaun brachte. Leichtfüßig federte er sich auf der anderen Seite ab und versteckte sich erst einmal hinter einem Busch. Als sich immer noch keine Wachen blicken ließen, trat er an das Tor. Leise quietschend öffnete sich die schwere gusseiserne Pforte mit den riesigen Zinken am oberen Ende. Die Anderen glitten lautlos durch den schmalen Spalt des geöffneten Tores. Es war jetzt schon ziemlich dunkel und Liam schloss die Augen, um sich mit Hilfe seiner Konzentration weiter fortzubewegen. So konnte er zwar nicht das wunderschöne Grundstück sehen, durch das sie sich vorsichtig hindurchschlichen, aber das war jetzt wohl sowieso eher zweitraning. Auf beiden Seiten des breiten Weges standen riesige Silber pappeln und auf dem gut gepflegten Rasen waren kleine Blumenbeete in schöner Anordnung angepflanzt. Die Gruppe huschten lautlos um eine Ecke, da Topang eine Wache bemerkt hatte. Hinter einem großen Busch, der in Form eines sich aufbäumenden Einhorns zurechtgestutzt war, versteckten sie sich und ver suchten, geräuschlos zu atmen. Als die Wache verschwunden war, winkte ihnen Topang zu, ihm zu folgen. Nach noch etwa 50 Metern kamen sie an dem Wintergarten des Hauses an. Riesige Fenster taten sich vor ihnen auf, hinter denen sich seltene Pflanzen befanden. Krabbelnd bewegten sie sich vor und zogen sich am Fensterbrett ein kleines Stück hoch, bis sie in den Raum schauen konnten. Darin waren rituelle Bildnisse mit buntem Sand auf den Boden gestreut worden und eine kleine Holzkiste stand in der Mitte. Der Mann, der etwas abseits stand, war durchschnittlich groß, hatte schwarze Haare und eine Tasse in der Hand. Etwas weiter auf der Seite stand eine Person in einem dunklen Umhang. Mehr war leider nicht zu erkennen. Ludeny streckte ihren Hals in die Höhe. Sie konnte die Kerzen und alle anderen vorbereiteten Utensilien sehen. Die vier versuchten sich etwas an der Glaswand aufzuteilen, um einen besseren Überblick zu erhalten. Liam blieb an der linken äußersten Seite, während Topang sich nach rechts Außen bewegte. Wanda und Ludeny verteilten sich in der Mitte. Währenddessen bereitete sich Hylia auf die Zeremonie vor. Sie stand mit dem Rücken zu dem magischen Ornament und versuchte sich zu konzentrieren und all ihre Kräfte zu sammeln. Greeson stand abseits und beobachtete sie, während er zufrieden seinen Kaffee schlürfte. Die Sonne hatte sich endgültig verkrochen und ein wunderschöner abnehmender Mond war bereits am Himmel zu sehen. Das Licht im Inneren des Wintergartens wurde heller. Es war ein unnatürliches aber sehr schönes, warmes Leuchten. Die Person im Umhang drehte sich langsam um. Man konnte erkennen, dass es sich dabei um eine Frau handelte. Nun traten Gehilfen in dunkelbraunen Kapuzenumhängen herein. Sie trugen schwarze Kerzen in ihren Händen und murmelten leise etwas vor sich hin. Die fünf Männer verteilten sich an den jeweiligen Enden des rituellen Ornaments. Die Frau unter dem Umhang nahm nun ihrer Kapuze vom Kopf und eine lange rote Mähne kam zum Vorschein. Sie gestikulierte mit ihren Händen und hatte die Augen dabei geschlossen. Jetzt bewegte sie sich in die Richtung des Mannes mit der Tasse und legte ihren abgelegten Umhang über seinen Arm. Hylia stand mit dem Rücken zu den vier Helden und so konnten diese nicht erkennen, was sie nun vorhatte. Erneut wurde eine Tür geöffnet und der Butler trat, mit einem schwarzen Ziegenbock im Schlepptau, in den Wintergarten. Das verängstige Tier schien zu ahnen was ihm blühte und zerrte und zottelte an seinem Strick.
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Hylia öffnete eine kleine Kiste, die auf einem Schränkchen an einer Wand stand. Schon hielt sie einen afrikanischen Opferdolch in ihren Händen. Er war sehr schlicht in seiner Form und hatte einen Griff aus schwarzem Ebenholz. Schwungvoll drehte sie sich zu dem Ziegenbock um. Liam und Topang blieb der Mund offen stehen, als sie Hylias üppige Oberweite erblickten, die sie nicht gerade gut unter ihrem schwazem Spitzenkleid versteckt hielt. Ludeny und Wanda wechselten vielsangen de Blicke miteinander. Sie waren sich wohl einig darüber, dass die Magierin auch nicht vorgehabt hatte, ihre körperlichen Reize zu bedecken. Als die beiden Frauen zu den zwei Männern hinüber sahen, schüttelten sie nur die Köpfe. „Typisch Kerle! Egal, ob Mensch, Halbdämon oder Volldämon, beim Anblick der femininen Attribute läuft ihnen der Sabber aus den Mundwinkeln!“, sagte Ludeny leise und die beiden Frauen klatschten sich bestätigend aber leise gegenseitig in die Hände. „Ich habe doch gar nicht so genau hingesehen! Die sind mir viel zu groß, ich mag es lieber kleiner und handlicher!“, antwortete Liam flüsternd und wollte sich damit wohl aus der Affaire ziehen. Er blickte verle gen zu den zwei Frauen. „Das ist doch lächerlich! Wir beobachten hier gerade irgendein Ritual und ihr habt nichts anderes im Kopf, als einen Frauenpackt zu schließen. Überlegt euch lieber, wo der Chancenug stecken könnte!“ Wäh rend Liam mit Wanda und Ludeny beschäftigt war, hatte Topang sich näher an die Scheibe gedrückt. Er wollte unbedingt erkennen, was genau hier vor sich ging. Plötzlich drehte sich der Mann zu ihm um und die schrecklichsten Augen von allen, blickten direkt in die seinen. Jetzt war Topang sich sicher, dies waren die Augen des Chancenug. Der Dragoon öffnete schockiert den Mund, um den anderen sofort über seine eben gemachte Entdeckung zu informieren. Ohne genau zu wissen warum, schloss er ihn jedoch gleich wieder. Später wäre auch noch genug Zeit, den Freunden darü ber zu berichten. Greeson hatte sich wieder weggedreht. Der schwarze Bock wartete in der Mitte des Ornamentes und meckerte lauthals vor sich hin. Hylia hielt das afrikanische Ritualmesser hoch und blickte dem Tier tief in die Augen. Plötzlich verstummte es. Die Magierin holte mit der Waffe aus und stach zu. Mit einem Krachen drang das Messer in den Körper des Opfertiers ein und eine breite Spur frischen Blutes rann aus der Wunde und färbte den Boden tiefrot. Während der Bock noch in den letzten Zuckungen am Boden lag, griff Hylia schnell nach dem Kelch. Als sich das Gefäß langsam mit der warmen Flüssigkeit füllte, begann der dunkle Kristall zu leuchten. Hylia stellte den Pokal an seinen Platz zurück und ging hinüber zu der Schale mit dem Weihrauch. Sie entzündete ihn und murmelte dabei einige fremdklingende Worte. Der Kristall leuchtete inzwischen noch heller. Sie deutete Greeson näher zu kommen. Er trat an sie heran und Hylia schnitt ihm mit dem Ritualdolch in die Handfläche. Sein Blut tropfte zu dem Tierblut in das Gefäß. Beide Flüssigkeiten vermischten sich und ein leichter Wind kam im Wintergarten auf. Die böse Hexe begann die Kerzen in einer bestimmten Reihenfolge zu entzünden. Als erstes entflammte die blaue Kerze und als diese aufflackerte, erhob sich der blaue Sand vom Boden und begann zu tanzen. Als nächstes kam die Grüne, dann die Rote und als letzte die Gelbe Kerze an die Reihe. Dazugehörig hatte sich immer der gleichfarbige Sand erhoben, bis schließlich das gesamte Ornament in der Luft schwebte. Hylias Worte erklangen im Raum. Sie murmelte weiterhin Formeln vor sich hin, bis anscheinend der richtige Au genblick gekommen war und sie dem Chancenug zuschrie: „Jetzt!“ Mit wenigen Schritten war er an der Kiste mit der Maske und öffnete sie. Ein rotes Licht schoss aus den Augen der Maske direkt auf den Sandwirbel zu. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen war zu hören. Das Blut aus dem Kelch begann in großen Tropfen an die Decke zu schweben und vermengte sich mit dem bunten Sand gemisch. Als alles nur noch ein einziger großer Wirbel war, formte sich eine Art Strahl daraus, der genau auf Greeson zuschoss. Er fuhr direkt in die noch frische Schnittwunde des Chancenug. Plötzlich -Totenstille! Der Sand fiel zu Boden, die Kerzen und der Weihrauch erloschen und die Maske hörte auf zu glühen. Das Ritual war beendet.
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Die vier Freunde, die sich seit dem Einsetzen des Dröhnens die Ohren zuhielten, blickten alle zu Boden. Erst als der Lärm vorbei war, erhoben sie sich etwas und wagten erneut einen Blick in den Wintergarten. Dort war jedoch niemand mehr zu sehen. Liam stieß Topang in die Seite und deutete ihm zu gehen. Jetzt, wo die Prozedur beendet war, war die Wahrscheinlichkeit, dass man sie hier ertappen würde, wieder gewachsen. Topang nickte bestätigend. Dann winkten sie den Frauen zu, damit diese ihnen folgten. Als alle wieder am Wagen von Stevie angekommen waren, konnten sie sich endlich in normaler Lautstärke unterhalten. „Ich gehe davon aus, dass dieser Kerl unser gesuchter Dämon war. Aber was war das für ein Trara?“, fragte Wanda als erste. „Irgendein afrikanisches Ritual oder etwas Ähnliches.“, antwortete Liam. „Stimmt doch Topy?“ Irgend wie schien dieser geistig abwesend zu sein. „Topang, hey!“ Liam stieß ihn kurz an. „Was? Ja, Ja ich denke auch, dass es so etwas Ähnliches war!“, reagierte er nun. Ludeny blickte zu Liam und konnte in seinem Blick erkennen, dass er sich sorgte. Denn seit sie wieder zurück waren, hatte Topang sich zum eben Erlebten noch nicht geäußert. „Lasst uns zu mir fahren und überlegen, was als nächstes zu tun ist.“ Die Anderen nickten zustimmend und jeder begab sich zu seinem fahrbaren Untersatz. Wanda öffnete Ludeny die Tür und lächelte sie sogar ein wenig an. „Bitte!“, sagte sie höflich und Ludeny bedankte sich freundlich. Auf der Fahrt zu ihrer Wohnung, erzählten sie Stevie haarklein, was sie eben in der Villa beobachtet hatten. Liam fuhr mit Topang voraus. Im Auto hinter ihnen herrschte nach Ludenys und Wandas Bericht erst einmal Schweigen. Alle waren in ihre Gedanken versunken. An der Madison Avenue, Ecke East 65 th stiegen sie aus und die Dunkelslug ging allen voraus, um die Appartementtür aufzuschließen. Ihr Magen knurrte und so begab sie sich zuerst in die Küche, um einige von Liams gebrachten Mangostanen zu essen. Die anderen verteilten sich in der Woh nung. Liam war es schließlich, der die Stille unterbrach. „Okay, so wie es aussieht, sollten wir erst einmal in Erfahrung bringen, was an dieser Maske so besonders war und was der Zauber bei dem Typen bewirkt hat.“ Nachdenklich musterte er die Anderen. „Wer war eigendlich das Busenwunder?“, fragte Wanda und machte mit den Händen aussagekräftige, passende Gesten. „Sie scheint sehr wichtig zu sein. Denn so wie es aussah, konnte wohl nur sie dieses Ritual richtig aus führen.“ Ludeny hatte ihre Früchte zuende gegessen und hörte den anderen aufmerksam zu. Stevie war an seinen PC gegangen und tippte darauf herum. „Wenn es zu der Maske noch mehr Infos gibt, dann nur im Netz.“, bemerkte er am Rande. Topang stand mit dem Rücken zu den anderen und starrte aus dem Fenster auf den heller gewordenen Mond. „Warum hat er sich mir gezeigt? Ich verstehe das nicht. Und jetzt sollen wir hier rumsitzen und irgend welche Nachforschungen anstellen, während er, was weiß ich was, macht. Man sollte ihn zur Strecke brin gen und hier nicht tatenlos herum sitzen.“ Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Stevie bearbeitete die Tastatur des PC´s und die Anderen schauten ihm gespannt dabei zu. „Da ist was!“, rief Ludeny aus. Sie deutete auf den Bericht einer privaten Homepage, bei dem es um ver schiedene afrikanische Voodoomasken ging, unter anderem auch um die, die sie vor kurzem gestohlen und dummerweise an den Falschen verkauft hatte. Sie überflogen alle den Text, mussten jedoch feststellen, dass sie alles, was dort über das Relikt geschrieben stand, bereits wussten. „Vielleicht sollten wir lieber nach dem Ritual suchen?“, warf Wanda ein. „Gute Idee, das sollten wir wirklich tun!“, antwortete Liam, „Was denkst du Topang?“ Sein Freund, starrte immer noch wie gebannt aus dem Fenster. „Topang!“ Liam wurde nun lauter. „Was? Ja, sucht das Ritual.“, antwortete der Dragoon kurz. „Okay, also das Ritual.“, wiederholte Stevie und fing erneut damit an, das Internet zu durchstöbern. Im mer noch standen alle um ihn herum, außer dem tapferen Dragoonkrieger. Dieser drehte sich nun langsam zu ihnen um und sah, wie sie alle auf den Monitor starrten und sich anscheinend eine Offenbarung erhoff
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ten. Aber nur er allein wusste, was zu tun war. „Ich werde hier verschwinden, sobald sie alle richtig abgelenkt sind und nicht bemerken, dass ich weg bin! Nicht einer von ihnen weiß genau, worauf er sich hier einlässt. Selbst Liam begreift es anscheinend nicht. Ich werde dieses Monster ganz allein zur Strecke bringen.“, dachte der tapfere Krieger entschlossen bei sich und wartete den günstigsten Moment ab, um sich unauffällig zurückzuziehen. Er schlich zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Beim Hinausgehen griff er sich noch seinen Krummsäbel und den Zündschlüssel der Harley Davidson. „Wie ein altes Ehepaar. Ihre Schlüssel liegen nebeneinander am Tischchen. Sie wissen gar nicht in welche Gefahr sie dieses Gefühlsleben noch bringen wird.“, dachte er und zog die Tür leise zu rück ins Schloss. Dann eilte er die Treppe hinunter. Ludeny blickte verlegen zu Liam hinüber. „Er steht hier unmittelbar neben mir und doch ist er meilen weit entfernt.“, dachte sie traurig und richtete ihren Blick wieder auf den Bildschirm. „Sie ist so wunderschön, so nahe bei mir und doch ist sie so weit entfernt. Ach Ludeny, könnte ich doch die Zeit zurückdrehen.“, dachte Liam nun seinerseits traurig und blickte ebenfalls wieder auf den Monitor, als Wanda plötzlich aufschrie und alle aus ihren Gedanken riss: „Stopp du Brillenschlange. Hier lies das mal. Ich glaube wir haben es!“ „Dieses Ritual muss von jemandem mit sehr viel Magieerfahrung durchgeführt werden. Es erfordert eine schwarze Ziege, einen Kelch, Kerzen und jede Menge bunten Zaubersand! Ist es das Richtige?“, fragte Stevie, da er ja leider nicht persönlich dabei sein dürfte. „Ja, klingt so. Scroole einmal runter, hier steht was es bewirken kann.“, sagte Ludeny und legte die Stirn in Falten. „Um die Energie eines magischen Gegenstandes zu übernehmen, ist es erforderlich dem Ziegenblut das eigene Blut beizufügen.“, las Liam laut vor. „Ich denke, jetzt wissen wir es. Er hat die Macht der Maske auf sich übertragen. Das macht ihn noch ein Stück unverwundbarer und mächtiger. Na toll! Als wäre es vorher nicht schon fast unmöglich gewesen!“, fügte er etwas verärgert hinzu. „Also will er die Macht der Maske. Ich korrigiere, er hat die Macht der Maske!“ Wanda schauderte es bei dem Gedanken daran, dass irgendjemand durch New York wandern könnte, der Andere in gefühllose Zom bies verwandeln konnte und das nur durch eine Berührung seinerseits. Topang saß inzwischen auf dem Motorrad und brauste in Richtung Newark davon. „Warte nur Chance nug!“, dachte er. „Dieses Mal kriege ich dich und ich werde die Welt von deiner Geisel befreien!“ Als er an der Villa angekommen war, stieg er von der Maschine und griff nach seinem Krummsäbel. „Auf geht’s!“, sagte er laut zu sich selbst und schritt auf den riesigen Zaun zu. Mit einem kräftigen Druck gegen das Tor, machte er sich den Weg zum Grundstück frei. Er wunderte sich zwar etwas darüber, warum es nicht verriegelt war, da Liam es bei ihrem Verlassen - vor einigen Stunden - wieder zurück ins Schloss gezogen hatte. Aber dieser warnende Gedanke verflüchtigte sich so schnell, wie er gekommen war. Er war schon fast am Wintergarten angekommen. Eine Terrassentür an der Front war nur leicht ange lehnt und er schob sie leise auf. Beim Eintreten in den Raum sah er sich vorsichtig um. Nichts war zu sehen oder zu hören, mutig schritt er weiter hinein. Topang trat in die Eingangshalle der Villa und spähte in alle Richtungen. „Guten Abend! Tapferer Dragoonritter. Ich habe dich bereits erwartet!“, erklang eine kalte Stimme von der Treppe herrüber. Topang ging sofort in Kampfposition und schaute zu den Stufen auf. „Du bist sehr mutig, hier allein aufzutauchen.“, sagte der Chancenug und schritt langsam die Treppe herrab. „Ich war immer mutig genug, dir gegenüber zu treten!“, antwortete Topang ihm jetzt. „Du warst nur jedes Mal zu feige, um weiter zu kämpfen. Hast dich immer verkrochen, wenn es dir zu heiß wurde - wie es Würmer nun einmal zu pflegen tun!“ „Ich vergaß, was für ein hochnäsiges Volk die Dragoons doch sind!“ Greeson stand ebenfalls in der Halle. „Aber weißt du was, ich habe nicht die geringste Lust dazu, dich in einem Kampf sterben zu lassen. Ich bin es leid! Solche Sachen wie Ehre und Tapferkeit sind mir einerlei! Ich wähle doch lieber die Variante der
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Feigheit, wenn du erlaubst?“ Topang sah ihn verwundert an. Er konnte ja nicht ahnen, dass sich hinter ihm eine andere Gefahr laut los auf ihn zu bewegte. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht, denn genau in diesem Moment spürte er einen stechenden Schmerz an seinem Nacken. Blitzschnell drehte er sich um und sah in das Gesicht der rothaarigen Frau. Hylia fing kalt zu lachen an, als Topang an seinen Nacken griff und sein grünes Blut an den Händen er blickte. Sie hatte ihm den Opferdolch in seine empfindlichste Stelle am Genick gestochen und er wusste, was das für einen Dragoon bedeutete. Er würde sterben - jämmerlich verbluten. Aber das wollte er nicht, nicht so! Er wollte als tapferer Dragonnkrieger sterben - in Ehre und mit einem Beweis für seinen Mut. Topang schwang seinen Krummsäbel und rannte auf Greeson zu. Er wollte ihm wenigstens eine große, schmerzhafte Wunde zufügen, die ihn für immer an den ehrenhaften Dragoon erinnern sollte, der ihn - bis in seinen Tod – eine Ewigkeite gejagt hatte. Der Chancenug wich aus, wurde aber von dem Krumsäbel hart am Oberkörper getroffen und ging blutend in die Knie. Topang verließen langsam seine Kräfte und der Säbel glitt ihm aus den Händen. Klirrend viel er auf den kalten Fliesenboden. Immer schwächer werdend, sackte er auf seine Knie und fiel bewusstlos zu Boden. Hylia schritt nun langsam auf ihn zu und hielt einen Kelch an Topangs Nacken, um das Blut darin aufzufan gen. Greeson hatte sich inzwischen erhoben und ging nun ebenfalls auf den Dragoon zu. „Verdammter Mist kerl!“, schrie er und hielt sich seine Wunde, wobei er gegen den scheinbar leblosen Körper Topangs trat. „Sieh dir das nur an!“, sagte er zu der Magierin. „Da bleibt eine Narbe zurück!“ Topang öffnete kurz die Augen und versuchte zu lächeln, angesichts der Tatsache, dass er dem Chancenug - seinem Todfeind - eine Erinnerung an sich hinterlassen hatte. „Warte mal, hier steht noch ein kleiner Zusatz. Wenn die Macht auf Dauer gebunden werden soll, muss innerhalb von 3 Stunden die Wunde in frischem Drachenblut gebadet werden!“, las Stevie angewidert vor. Liam und Ludeny wechselten einen schnellen Blick. „Ich denke es wird Zeit, dass wir uns diesen Wurm vornehmen.“, sagte sie schließlich. „Was meinst du, Topy?“, wollte Liam gerade seinen Freund fragen, als er sich auch schon suchend nach ihm umschaute. „Topang?“, fragte nun auch Ludeny und ging in die Küche und anschließend ins Vorzimmer. „Hast du ihn gesehen?“, fragte sie Liam verzweifelt. „Er wird doch nicht etwa…“ Liam wurde plötzlich schrecklich wütend. „Dieser dumme Dämon. Wie konnte er nur.“ Er stürmte zur Tür. Doch Ludeny war schneller und stellte sich ihm in den Weg. „Und was genau machst du jetzt anders oder besser als er? Du gebrauchst nicht deinen Kopf. Wir brechen alle auf außer…“ Doch weiter kam sie nicht, denn Stevie schrie aus dem Wohnzimmer: „Nur der Mensch bleibt in der Bat man-Höhle zurück - weiß ich doch!“ Wanda griff nach Liams Shogunschwert und rannte zu den beiden, die sich bereits ihre Jacken überge zogen hatten. Mit einem Nicken bedankte sich Liam bei der Risis und hing sich den Gurt mit dem Schwert quer über die Schultern. „Topang, mein Freund, was hast du nur gesehen, was mir nicht auffiel?“ Liams Gedanken stockten. „Lu deny! Topang hat den Chancenug erkannt. Wir waren zu sehr mit uns beschäftigt. Aber Topy ist ein Krieger und ihm entgeht nichts und wenn ich es mir jetzt so richtig überlege, Greeson kennt Topang schon lange, wahrscheinlich zu lange. Er wusste, dass Topy ihn auf jeden Fall jagen würde. Er muss meinem Bruder ein unverkennbares Zeichen gegeben haben. Und nun denk einmal nach, was auf dieser Internetseite über das Ritual stand. Drachenblut! Der Chancenug wollte ihn anlocken, damit er an sein Blut kommt!“ Liam war voller Panik und sprang in Ludenys Wagen. „Gib mir den Schlüssel! Schnell!“ Ludeny jedoch warf den Schlüssen Wanda zu. „Sie wird mindestens genauso rasen, wie du es würdest. Aber für dich ist es schon zu dunkel.“ Dann
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sprang sie schnell auf die Rückbank, da die Risis den Motor bereits gestartet, hatte. Fluchend und laut mit den anderen Verkehrsteilnehmern schimpfend, saß Liam auf der Beifahrerseite, während Wanda den Wa gen wendete. „Liam!“ Sie deutete auf die Stelle, an der die Harley gestanden hatte. „Er hat deine Maschine genommen, also müssen wir uns beeilen. Er wird schon dort sein!“ „Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig!“, sagte Ludeny sehr unruhig. Liam schaute in den Rückspiegel, als wollte er ihr irgendetwas sagen, soetwas wie: ‚Topang ist ein tap ferer Krieger und er schlägt jeden!’ Aber das konnte er nicht. Denn er machte sich selbst sehr große Sorgen und er wusste, dass sie ihn viel zu gut kannte, als das sie sich von solch einem Satz beeindrucken lassen würde. Wanda trat ins Gaspedal und schickte Stoßgebete gen Himmel, dass sie schnell genug sein würden, um Topang vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die Fahrt nach Newark schien trotz des rasanten Tempos, das die Risis vorlegte, schier endlos lange zu dauern. Als sie endlich bei der Villa vorfuhren, konnte Ludeny be reits von weitem Etwas auf der Auffahrt liegen sehen. „Wanda! Stop!“, schrie sie die Fahrerin an. Denn sie erkannte, was da auf dem kalten Asphalt lag. „Was ist da?!“, rief Liam verwirrt und verwünschte sich zum millionsten Mal in seinem Leben wegen seiner schlechten Nachtsicht. Wanda legte nun ihre Hand beruhigend auf seine Schulter, da auch sie die Katastrophe erkannte. „Du solltest besser aussteigen.“, sagte sie traurig zu ihm und blickte dabei bedrückt zu Boden. Liam stieg aus dem Wagen und ging im Scheinwerferlicht darauf zu. Ludeny und die Risis kletterten aus dem Auto und gingen langsam zu ihm. Der Halbgamblin fiel auf die Knie und beugte sich über Topangs leblosen Körper. „Nein!“ Liams Schrei verlor sich in der dunklen Nacht. Er nahm seinen besten Freund in den Arm und weinte bitterlich. Ganz langsam öffnete der Dragoon seine Augen einen Spaltbreit und griff kraftlos nach Liams Arm. „Ich wusste, dass du kommen würdest.“, flüsterte er ihm ins Ohr. Liam sah erschrocken auf. „Topang, warum hast du nicht gewartet?“ „Ich sah seine Augen. Ich musste ihn einfach erledigen, bevor er wieder verschwindet! Das verstehst du doch? Liam bitte höre mir zu. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Aber du musst mir etwas versprechen!“ Topang röchelte nur noch schwach. „Alles! Hörst du, ich verspreche dir alles, wenn du nur bei mir bleibst!“ Liam wusste, dass diese Bitte tö richt war. Aber er fühlte sich so hilflos und wollte einfach nicht zulassen, dass sein bester Freund nun von ihm ging. „Bleibe hier und hilf den Menschen.“ Er ließ seinen Blick kurz zu Ludeny schweifen. „Verliere dich nicht in der Liebe! Du bist zu Höherem berufen!“ Topang sah ihn flehend an, während seine Kräfte schwanden. „Versprochen!“, sagte Liam mit tränenerstickter Stimme und musste nun wehrlos dabei zusehen, wie Topang scheinbar zufrieden lächelnd, in seinen Armen entschlief.
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Wanda
Lieben und Leiden
und Ludeny hatten respektvoll Abstand gehalten, so konnten sie auch nicht hören, was Liam seinem Freund soeben versprochen hatte. Doch sein verzweifelter Anblick zwang Ludeny zu ihm zu gehen. Sie wollte ihn trösten oder - wenn er es zuließ - in den Arm nehmen. Sanft berührte sie seine Schulter. Voller Trauer drehte er sich zu ihr und blickte sie mit verweinten Augen an. Als sie ihn so hilflos weinend vor sich sah, zerriss es ihr fast das Herz. Weinend wandte er sich wieder seinem toten Freund zu, dessen Kopf noch immer auf seinem Schoss lag. „Liam, es tut mir so leid!“, flüsterte Ludeny mit zitternder Stimme. Mehr wusste sie in diesem Augenblick einfach nicht zu sagen. Plötzlich sah er sie mit wutverzerrtem Gesicht an. Dann ließ er vorsichtig den toten Körper seines Freundes zu Boden gleiten und sprang auf. Wortlos nahm er Ludenys Hand von seiner Schul ter und schritt hasserfüllt auf das Tor zu. Die Dunkelslug erkannte sofort, was er vorhatte und schrie verzweifelt: „Liam! Nein!“ Der Halbgamblin hatte Anlauf genommen und setzte zu einem gewaltigen Sprung an. Doch eine unsichtbare Macht riegelte das Grundstück hermetisch ab. Liam prallte, noch bevor er die gußeisernen Stäbe des Tores passieren konnte, ab und fiel hart auf den asphaltierten Boden. Ludeny lief zu ihm, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Erneut schlug er ihre Hand zur Seite. Wut und Zorn standen ihm ins Gesicht geschrieben und keine Träne war mehr zu sehen. „Ich lasse das nicht zu!“, schrie sie ihn an und stellte sich ihm mit geballten Fäusten in den Weg. „Wenn du deine Wut loswerden möchtest und irgendwen verprügeln oder beschimpfen musst, dann nimm mich statt seiner!“ Ludeny nickte kurz in Richtung Villa. „Aber indem du da hineingehst und dich womöglich auch noch opferst, kannst du Topangs Tod nicht rächen! Bitte, sei vernünftig! Wenn nicht für dich, dann tue es für mich. Bitte!“ Große Tränen rollten über ihre Wangen. Sie weinte aus Furcht um Liam und aus Trauer um Topang. Liam blickte sie weiterhin entschlossen an. Doch als er sah, wie bitterlich sie aus Angst um ihn weinte, entspannte er sich. Die Härte und der blinde Hass, den er eben noch empfunden hatte, schwanden allmäh lich. Die Hände vor das Gesicht haltend, war die Dunkelslug zu Boden gesunken und schluchzte. Liam kniete sich neben sie und streichelte sanft über ihren Kopf. Ludeny nahm seine Hand und schmiegte ihre Wange daran. Dann küsste sie ihn zärtlich in die offene Handfläche. Während sie sich gegenseitig Trost spendeten, nahmen sie sich in die Arme und weinten aus vollem Herzen. Wie lange sie so verharrten, wusste niemand. Aber irgendwann erhoben sie sich langsam und gingen Arm in Arm zu Wanda hinüber, die sich peinlich berührt, von ihnen weggedreht hatte und höflich etwas abseits auf die beiden wartete. „Wir können ihn hier nicht einfach so liegen lassen!“, sagte Ludeny, nachdem sie sich etwas voneinander gelöst und beruhigt hatten. „Ja, wir müssten ihn mitnehmen. Er bekommt ein dragoonisches Bestattungsritual!“, antwortete Liam und hob nun den toten Leib Topangs an. Wanda sprang ihm zur Hilfe und trug mit Liam den einst so stolzen Kriegers zu Ludenys Wagen hinüber. Liam bat die Risis sein Motorrad zu fahren und Ludeny setzte sich ans Steuer ihres Autos. „Was wirst du jetzt unternehmen?“, fragte sie ihn unsicher während der Fahrt zu ihrer Wohnung. Liam blickte sie kurz an. „Das, was ich schon lange hätte tun müssen!“, antwortete er äußerst kurz angebunden und gab ihr damit das Zeichen, das er keine Lust auf ein Gespräch hatte.
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„Liam, du solltest heute Nacht nicht alleine sein. Ich mache mir große Sorgen. Ich mache dir einen Vor schlag. Du kommst einfach mit zu mir. Mein Gästezimmer ist bequem und du kannst darin übernachten. Ich bitte dich, sei vernünftig!“ Die Dunkelslug war wirklich sehr besorgt, dass Liam vielleicht doch noch irgendwelche Dummheiten machen würde und hoffte darauf, dass er ihr Angebot annahm. Er schaute sie nicht einmal an, als er ablehnte. „Nein! Es geht mir gut. Außerdem muss ich mich um das Ritual kümmern!“ Den Rest des Weges schwie gen sie beide und Liam versank in seine Erinnerungen.
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58 hatten Liam und Topang ihre Ausbildung abgeschlossen und konnten sich nun stolz Dragoonkrieger nennen. Liam hatte sich entschlossen die freundlichen Dämonen zu verlassen und niemand nahm ihm di ese Entscheidung übel. Gemeinsam feierten die frischgebackenen Krieger ihren Abschluss und freuten sich darüber, dass sie nun all diese Quälereien zu Ende gebracht hatten. In einem formellen Zeremoniell wurden den beiden ihre Lehrrüstungen abgenommen und ein Dragoon priester sprach einige dragoonische Texte. Jeweils zwei ältere Krieger traten an sie heran und hielten sie fest. Ihnen wurden Stofftücher in die Münder gestopft, auf die sie beißen sollten. Dann hatte man glühende Eisen mit dragoonischen Schriftzeichen auf ihre linke Brust gedrückt. Ein Schmerz durchzuckte Liams Körper, den er wahrscheinlich niemals wieder vergessen würde. Jedes Brandmal hatte eine andere Bedeutung. Topangs Brust zierte das dragoonische Wort „Tapferkeit“ und Liams Oberkörper bekam die Innschrift „Freund“. Am nächsten Morgen, Liam hatte schon fertig gepackt, trat Topang in sein Zimmer. „Ich möchte dir et was geben!“, sagte er und hielt Liam sein wunderschönes Shogunschwert entgegen. „Das kann ich nicht annehmen!“, antwortete dieser erstaunt. „Doch, das kannst du. Bitte! Du bist mein Bruder. Seit du meiner Schwester das Leben gerettet hast sind unsere Wege miteinander verbunden. Du gehörst fortan zu meiner Familie und deswegen steht es dir zu!“ Topang verbeugte sich würdevoll vor Liam. Das Schwert war aus grünem Metall gefertigt, mit chinesischen Ornamenten verziert und sein Griff war mit schwarzem Drachenleder umwickelt. Es war schon sehr alt und gehörte seit ewigen Zeiten in Topangs Familie. Das Schwert stand immer dem ältesten Sohn zu und Topang wollte diese Ehre nun an Liam weiter geben. Um Topang nicht zu beleidigen, verbeugte sich Liam und nahm das Schwert ehrfurchtsvoll entgegen. „Gut, einverstanden! Aber nur, wenn du dafür das hier nimmst!“, sagte Liam und reichte ihm ein Amulett, das in Bronze gehalten war. Der äußere Rand war mit Rosen verziert und in der Mitte befand sich ein christ liches Kreuz. Es war an einem braunen Lederband befestigt und gehörte einst Liams Vater. „Trage es! Es ist das Einzige, was ich noch von meinen Eltern besitze und ich möchte, dass es dich an mich und unsere Freundschaft erinnert!“ Liam trat an seinen Freund heran und die Beiden umarmten sich zum Abschied. Während Liam durch seine Erinnerung reiste, fuhr Ludeny vor ihrem Haus vor und erneut blickte sie ihn an. „Du kannst Topang gerne in meinem Keller aufbahren, wenn du das möchtest? Dort wärt ihr in Sicher heit. Ich bin davon überzeugt, dass es in meinem Wohnhaus ruhger ist, als in deinem. Keiner meiner Nach barn hat den Keller bisher viel Beachtung geschenkt.“ Liam überlegte kurz und willigte dann dankend ein. Gemeinsam mit Wanda, die fast gleichzeig bei der Wohnung angekommen war, trugen sie den Leichnam vorsichtig in den Keller. „Wow, meine ganze Wohnung würde hier drin Platz haben“, meinte Wanda, als sie in Ludenys Verschlag eintraten. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch. Ludeny holte aus einigen Kartons Tücher hervor und breitete sie darauf aus. Dann endlich konnten sie Topangs Körper darauf ablegen. Ludeny blieb neben Liam stehen. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz.
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„Wenn du etwas brauchst…“, begann sie und Liam drehte sich zu ihr. „Ich brauche tatsächlich einiges. Kannst du mir helfen? Ich möchte Topang die letzte Ehre erweisen. Dazu ist das dragoonische Kriegerritual erforderlich. Wanda kannst du in meine Wohnung fahren? Unter meinem Bett befindet sich eine Kiste, in der sich eine uralte Kriegerrüstung befindet – bring sie mir bitte. Und Ludeny, ich brauche jede Menge Wasser und Tücher. Ich muss zuerst ihn und dann mich reinigen. Ich werde dein Angebot annehmen und hier bleiben. Aber ich werde die Zeit hier im Keller verbringen. In den nächsten beiden Tagen werde ich nicht von Topangs Seite weichen. Kannst du auch Orchideen besorgen, am besten in den verschiedensten Farben? Die Tradition verlang ein Blumenbett für den Krieger!“ Er hoffte, dass er sich noch genau an alle Einzelheiten der Zeremonie erinnern konnte. Erstaunt stellte er fest, dass sich diese Dinge wohl - selbst über so viele Jahrhunderte hinweg – fest in sein Gedächtnis eingeprägt hatten. Wanda verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken und war auch schon auf dem Weg. Ludeny trat etwas zurück und wollte ebenfalls den Keller verlassen, als Liam sie nochmals ansprach: „Ludeny!“ Er drehte sich zu ihr um. „Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe, so wie ich es immer getan habe. Bitte versprich mir in den nächsten zwei Tagen nichts Unüberlegtes zu tun. Ich kann hier nicht weg und der Chancenug ist zu mächtig für dich. Versprich es mir!“, forderte er ein zweites Mal mit Nachdruck. Ludeny hob stolz ihren Kopf und antwortete gelassen: „Ich verspreche es dir. Und nun hole ich dein Wasser.“ Sie wandte sich wieder zur Tür, da hörte sie ihn noch sagen: „Aber morgen wird meditiert. Ist das klar Fräu lein?“ Bei diesen Worten traten ihr erneut Tränen in die Augen. Dann verließ sie den Keller ohne noch etwas zu erwidern. Wanda stieg in ihren Porsche und fuhr auf direktem Weg zur Wohnung des Halbgamblins. Sie wollte nicht unnötig Zeit verlieren und rannte, als sie am Haus angekommen war, schnell die Treppen hinauf, wobei sie immer gleich zwei Stufen auf einmal nahm. Sie ging ins Schlafzimmer und fand die Kiste, wie Liam es be schrieben hatte, unter dem Bett vor. Sie öffnete den Riegel und strich erführchtig über die uralte, aber wunderschöne, Dragooonrüstung. Dann verschloss sie den Deckel wieder und machte sich auf den Rückweg. Un terwegs hielt Wanda an einem Blumenstand und kaufte Unmengen an Orchideen in den verschiedensten Farben. Als Ludeny mit tränennassen Augen im Wohnzimmer erschien, sah Stevie sie besorgt an. „Was ist los Süße?“, fragte er und stand auf, um zu ihr hinüber zu gehen und sie zu trösten. „Was ist passiert? Doch nichts mit Liam? Ich bin nicht unbedingt ein Fan von ihm, aber ich weiß, wie wichtig er für dich ist!“ Ludeny sah zu ihm auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. Schluchtzend sagte sie: „Nein, nichts mit Liam! Ich könnte nicht weiter leben, wenn ihm etwas zugestoßen wäre!“ Dann berichtete sie Stevie von Topang und davon, dass Liam nun im Keller das dragoonische Ehrenritual durchführen wollte. Während sie sprach, ging sie in die Küche, um das Wasser in Eimern abzufüllen und es dann zu Liam zu bringen. Die Dun kelslug war wenige Zeit später wieder im Keller angekommen und reichte die Wassereimer an Liam weiter. „Stevie ist nach Hause gefahren. Er lässt dir ausrichten, dass es ihm sehr leid tut!“, flüsterte sie. Liam nickte ihr kurz zu und begann damit Topang zu entkleiden. „Ich möchte dich nun bitten zu gehen, Ludy. Es ist Frauen untersagt bei diesem Ritual anwesend zu sein. Entschuldige bitte!“ Die Tür öffnete sich und Wanda trat mit der Truhe und den Orchideen ein. „Vielen Dank Wanda! Und jetzt, lasst mich bitte alleine.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließen die Damen den Raum. Ludeny verschloss leise die Tür zum Keller und blieb noch einen Augenblick stehen. Verstohlen schaute sie durch die Holzbretter der Tür und beobachtete Liam dabei, wie er sich dem Ritual widmete, gerade so, als hätte er dieses schon tausend Mal getan. Er entblöste erst Topangs Köper vollständig und dann sich selbst. Da stand er nun, sportlich, durchtrainiert und wunderschön, beinahe so wie Michelan gelos Adonis. Er wusch Topang und sich in einer Art Reihenfolge, während er dragoonische Texte vor sich hin murmelte. Ludeny hatte genug gesehen. Sie stieß einen leisen Seufzer aus und ging die Stufen zu ihrer Wohnung hoch.
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Wanda war auf ihrem Weg nach Hause sehr nachdenklich geworden. „Ist das dann der Lohn dafür, wenn man ewig für das Gute kämpft? Der ehrenvolle Tot und eine passende Zeremonie! Irgendwie nicht besonders viel!“ Als sie zu Hause ankam, ließ sie die Tür ins Schloss fallen und griff sich, mit beiden Händen, in ihren Nacken. Auf dem Weg zu ihrer Hängematte, zog sie sich aus, ließ die Sachen einfach auf den Boden und sich selbst in die gespannte Matte fallen. Müde schlief sie sofort ein. Stevie fuhr zu seinem Lieblingslokal, um sich ein verfrühtes Frühstück zu genehmigen. Er hätte jetzt sowieso nicht schlafen können, zu sehr hing er mit seinen Gedanken in der letzten Nacht fest und brauchte nun unbedingt etwas Ablenkung. Er setzte sich auf einen ruhigen Platz in einer Ecke des Orinocos und war tete auf die Bedienung. Darlene, die hübsche Kellnerin mit den rotblonden Locken, der hübschen Figur und den lustigen Sommersprossen im Gesicht, kam auf ihn zu und strahlte Stevie regelrecht an. „Hi, und guten Morgen! Wie geht’s dir?“, fragte sie ihn. „Oh, ganz gut. Ich hätte gern ein großes Frühstück mit Eiern und Speck und einen Kaffee, bitte!“ Stevie merkte überhaupt nicht, dass Darlene ihn offensichtlich sehr sympathisch fand, was aber nach so einer Nacht wohl auch kein Wunder war. Stevie war Stammkunde im Orinoco und kannte Darlene schon lange. Hier konnte man für wenig Geld sehr gut Frühstücken und da bei ihm ständig Ebbe im Portmonee herrschte, kam ihm dieser Umstand sehr gelegen. Daes preiswerte Lokal lag außerdem in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung. Darlene war eine Kunststudentin im zweiten Semester und sie interessierte sich nicht im Ge ringsten für Computer und alles was damit zu tun hatte. Daher hatte sie ihn schon des Öfteren gebeten, ihr irgendwelche Internetseiten rauszusuchen. Sie hatte es eigentlich nicht nötig zu arbeiten, da ihren Eltern das Orinoco gehörte und das Geschäft sehr gut zu laufen schien. Aber sie wollte für ihren Unterhalt selber aufkommen und außerdem ihre Eltern ein wenig unterstützen. Stevie bekam sein Frühstück serviert und bedankte sich höflich lächelnd bei ihr. Ludeny hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen, um ihre Übungen zu machen. Schließlich hatte Liam sie dazu aufgefordert und sie hätte sowieso nicht schlafen können. Wenn es ihm so schlecht ging, fühlte sie sich auch nicht gut. „Oh Liam! Wenn ich dir deinen Schmerz abnehmen könnte, würde ich es tun!“, dachte sie und versuchte sich zu konzentrieren. Immer wieder klangen Liams Worte in ihrem Kopf. Dabei bemerkte sie, wie unendlich lange es schon her war, dass er sie bei ihrem Spitznamen genannt hatte. Unterdessen, im Kellerverschlag, hatte sich Liam die dragoonische Rüstung übergezogen und saß nun im Schneidersitz vor dem Leichnam seines toten Freundes. Tränen rannen über sein Gesicht. Topang war auf ein Meer von Orchideenblüten gebettet. Bis auf das Haupt, war er komplett mit einem weißen Tuch bedeckt. Liam meditierte konzentriert und schloss dabei die Augen. Seine Trauer war so groß, dass er es niemals in Worte hätte fassen können. Bis zum nächsten Morgen verharrte er nun in dieser Position. Auf der anderen Seite der Erde machte eine schöne, junge Asiatin einen abendlichen Spaziergang. Es war kurz nach acht Uhr am Abend und ein laues Lüftchen wehte durch den wunderschön blühenden Garten. Plötzlich spürte das Mädchen einen stechenden Schmerz, der sich durch ihre Hand bis in ihr Herz zog und sie brach weinend zusammen. Der Ring an ihrem Finger begann zu glühen. Angsterfüllt blickte sie auf das Schmuckstück an ihrer zitternden Hand. Auf den Knien hockend, schrie sie immer wieder den Namen ihres Bruders. Die Wachen des dragoonischen Palastes eilten der Auserwählten zu Hilfe und stützten sie auf dem Weg in die Halle des prächtigen Palastes. Die Gehilfinnen der Prinzessin kamen herbeigelaufen und brachten sie in ihre Gemächer. „Nein, nein! Das darf nicht sein, er kann nicht tot sein! Topang, mein Bruder!“ Tilia lag auf ihrem Bett. Ihre dragoonischen Dienerinnen standen schier hilflos daneben und versuchten sie zu beruhigen. Aber Tilias Trauer konnte keiner stoppen. Sie weinte ohne Unterlass. Irgendwann schlief sie schließlich vor Er schöpfung ein und träumte einen unruhigen Traum.
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Eine große Stadt in einem anderen Land und Topang lag in einem abgedunkelten Raum. Er war auf Orchi deen gebettet und ein dragoonischer Ehrenkrieger saß auf dem Boden davor und meditierte. Sie erkannte das Gesicht des Kriegers. „Liam!“, flüsterte sie im Schlaf. Nach wenigen Stunden erwachte sie schweißgebadet und setzte sich auf. Das königlich ausgestattete Zimmer wirkte kalt. Aber Tilia war froh, alleine sein zu können. „Er ist bei Liam! Buddha sei Dank! Ich muss nach New York um meinen Bruder nach Hause holen!“ Sie sprang aus dem Bett und fing leise an, sich anzuziehen. Ihr Koffer war gepackt und sie wollte sich gerade hinausschleichen, als ihr jemand auf die Schulter klopfte. Erschrocken schrie sie kurz auf und drehte sich um. „Eure Hoheit, ich begleite Euch!“, hörte sie Suntok sagen. Er war einer ihrer Leibgardisten und ein treu ergebener dragoonischer Krieger. Tilia musste kurz lächeln. Seine Treue und Ergebenheit überraschte sie doch jedes Mal aufs Neue. „Vorher müssen wir noch etwas besorgen!“, anwortete sie. „Wie Ihr meint, Eure Hoheit.“ Nun verbeugte er sich tief vor ihr. Tilia blieb abrupt stehen. „Suntok, bei allem Respekt. Wenn wir unsere Reise gemeinsam antreten bin ich einfach nur Tilia, kein ‚Eure Hoheit’ oder diese Verbeugerei.“, befahl sie und lief weiter. Gemeinsam schlichen sie sich durch den gesamten Palast und anschließend in die unteren Gewölbe. Dort befand sich die hiesige, umfangreiche Bibliothek. Tilia ging die Reihen durch und suchte ein bestimmtes Buch. Im letzten Regal, ganz unten, be fand sich eine kleine Buddhastatue. Sie griff danach und drehte den Kopf der Figur nach links. Hinter der Statue begann sich die Regalwand zu bewegen. Langsam schob sie sich zur Seite und gab den Blick in ein Geheimfach frei. Tilia griff hinein und holte einen uralten Wälzer hervor. Er war in dunkles Leder gebunden, mit weinroter Ornamentverzierung und einem alten Schloss auf der Seite versehen. Sie griff danach und steckte es in ihre geöffnete Tasche. Nun eilte sie zur Treppe, um den Palast in Richtung Flughafen zu verlassen. Suntok wunderte sich ein wenig. „Eure Hoheit! Warum diese Geheimhaltung? Ihr könntet das Buch doch auch einfach so mitnehmen“, sagte er verwirrt. „Ich weiß, aber ich müsste bis morgen warten und beim Hohen Rat um Erlaubnis bitten. Das würde alles zu lange dauern. Mein Bruder muss nach Hause geholt werden. Liam hält Wache bei seinem Körper. Aber wie du weißt, rennt uns die Zeit davon. Ich muss da sein, um ihn zum Abschluss des Kriegsrituals zu segnen. Sonst kann seine Seele nicht als neuer Ritter wiedergeboren werden. Ich mache mich jetzt auf den Weg. Begleitest du mich?“, fragte sie ihren Leibgardisten und war bereits wieder in der Halle, oben im Palast, angekommen. In New York ging inzwischen ein nervöser Raymond Greeson den Korridor im ersten Stock seiner Villa auf und ab. Hylia kam aus ihrem Zimmer und ging auf ihn zu. „Was ist, mein großer, starker Bösewicht?“, fragte sie ihn selbstgefällig und strich mit ihren langen Fin gernägeln langsam über seine Schulter. „Ich weiß es nicht. Das ist alles zu glatt gelaufen. Dieser Dragoon war sicherlich nicht alleine und das Schlimmste ist, dass der stärkere Gegner immer noch da draußen rumläuft - Liam O´Brian! Der Kerl könnte mir gefährlich werden!“, sagte er und ging an ihr vorbei. „Niemand wir dir gefährlich, Liebster! Dafür habe ich schon gesorgt. In deine Villa kommt, dank meines Bannzaubers, niemand hinein. Vertrau mir!“ Hylia versuchte nun erneut, ihn zu umgarnen und küsste seine Brust, die unter dem offenen Hemd hervorschaute. Greeson sah sie an und grinste kalt. „Ich fand es sehr erfrischend, wie du ihm den Dolch in seine empfindlichste Stelle gedrückt hast. So dumm hat er wohl noch nie aus der Wäsche geguckt. Und die Dragoons sind wirklich ein paar der häss lichsten Viehcher dieser Welt!“ „Da stimme ich dir voll und ganz zu!“, hauchte Hylia ihm ins Ohr, an dem sie inzwischen zu knabbern
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begonnen hatte. „Ich weiß, du kriegst nie genug von dem, was ich dir gebe!“, sagte er und zog sie in ihr Zimmer. Er warf sie aufs Bett und zerriss ihr mit einem Ruck das Kleid. Lautes Lachen und lustvolle Schreie gellten erneut durch das ganze Haus. Wieder traute sich keiner der Angestellten, den ersten Stock zu betreten. Greeson war kurze Zeit später scheinbar zufrieden eingeschlafen und Hylia stand spärlich bekleidet am Fenster. Als sie sich zu ihm umdrehte, lächelte sie kühl und dachte dran, wie sie ihn damals kennengelernt hatte. Er hatte bereits bei ihrer ersten Begegnung einen starken Eindruck bei ihr hinterlassen.
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Es war genau vor 97 Jahren, als er in das kleine Haus in den türkischen Bergen bei ihrer Lehrmeisterin, Laila, auftauchte und dieser einen Handel vorschlug. Hylia war damals 37 Jahre alt und eine sehr auffälligev Person. Ihre Familie hatte sie verbannt, da sie mit einem verheirateten Mann aus einem Nachbardorf eine Liason eingegangen war. Hylia fand bei Laila genau das, was sie immer wollte. Die Macht Dinge zu beeinflussen oder zu verändern. So ging sie 17 Jahre zuvor in die Hexenlehre bei der Alten. Hylia war zu der Zeit schon sehr mächtig, was ihre Lehrmeisterin wohl unterschätzt hatte. Diese ließ sich nicht auf ein Geschäft mit dem Chancenug ein. Sie war zwar ebenfalls eine Anhängerin der schwarzen Magie, aber sie wusste auch, dass diese Kreatur ihren normalen Lebensraum zerstören würde und deshalb erteilte sie ihm eine Absage. Hylia traf sich heimlich mit dem Dämon und er versprach ihr für ihre Hilfe anhaltende Jugend und ein ewiges Leben! Sie bereitete einen Zauber vor, der dem Chancenug bei seinen damaligen Plänen helfen sollte, als sie von Laila dabei ertappt wurde. Diese stellte Hylia zur Rede. Da Hylias Gewissen, wohl noch nie besonders ausgeprägt war, erschlug sie ihre Lehrmeisterin ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt war sie eine der mächtigsten Magierinnen der Welt und kaum jemand wagte sich ihr gegenüber zu treten und sie herauszufordern. Ludeny hatte in der Zwischenzeit ausgiebig trainiert und anschließend einige Mangostanen gefrühstückt. Sie war zwar immer noch etwas müde, aber ihre Meditation hatte ihr geholfen, sich zu erholen. Immer wie der kehrten ihre Gedanken zu Liam, der im Keller bei seinem Freund die Totenwache hielt. „Wie werden wir das hier nur überstehen? Wird es noch mehr Opfer geben? Und was wird sein, wenn alles vorbei ist. Werden wir zusammen bleiben? Wird es dann eine Möglichkeit für eine gemeinsame Zukunft geben?“ Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Überlegungen. Schwungvoll öffnete sie und blinzelte verblüfft, als sie Wanda davor stehen sah. „Wird das jetzt eine dieser Hausfrauenfreundschaften, wo wir uns auf einen Kaffee treffen und tratschen?“, fragte sie erstaunt. Wanda verzog nur den Mund und schritt an ihr vorbei in die Wohnung. „Keine Angst, nur die Not der Situation treibt uns zusammen. Aber ich dachte, ich sollte dich begleiten, wenn du zu Nick fährst.“, antwortete sie kurz. „Oh, das hätte ich beinahe vergessen. Aber du hast Recht. Wir sollten nichts unversucht lassen. Okay, ich ziehe mich um, dann können wir los. Vielleicht kann uns so ein alter Chinese ja wirklich helfen!“, hörte Wanda Ludeny aus dem Schlafzimmer rufen und setzte sich einstweilen lächelnd auf das Sofa im Arbeits zimmer. „Du wirst dich noch wundern!“, dachte sie ein wenig schadenfroh. Wenige Minuten später kam die Dunkelslug fertig angezogen zurück und fand Wanda vor ihrer Planwand wieder. „Interessant nicht wahr.“ Aufgeschreckt drehte sich Wanda um. „Ich glaubte zu wissen, warum Liam so sauer reagiert, wenn es um dich geht. Aber wie ich sehe“, sie hielt das Bild der beiden hoch, „geht es hier wohl um noch viel mehr!“ Ludeny nahm es ihr zornig aus der Hand und stellte es zurück auf seinen Platz. „Ich wusste nicht, dass dich das was angeht. Und nicht nur er reagiert sauer, wenn es um mich geht, sondern auch umgekehrt.
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Dafür, dass ich ein Dunkelslug bin, verhalte ich mich, meiner Meinung nach recht manierlich. Doch Liam ist das nicht genug. Ich sollte mir wohl auch einen Heiligenschein verdienen, so wie er es anscheinend ver sucht.“, antwortete sie bestimmt. Wandas Blick wanderte von der Projektewand zu Ludeny. „Ist ja in Ordnung. Ihr braucht nicht immer gleich auf hundertachzig zu gehen. Was das angeht, seid ihr euch wirklich gleich. Lass uns endlich gehen!“, sagte sie gelangweilt und schritt entschlossen auf die Tür zu „Sag mal, ist das Getue von euch eigentlich eine typische Eigenart von Halbdämonen? Wenn ja, bin ich heilfroh reinrassig zu sein. Ihr seid wirklich anstrengend!“ Ludeny ging wortlos an ihr vorbei und verdrehte dabei entnervt die Augen. „Du weißt gar nicht, wie an strengend du bist.“, dachte sie bei sich und zog sich ihre Jacke über. Wanda folgte ihr und zog hinter sich die Tür ins Schloss. „Moment!“, schrie Ludeny kurz auf. „Ich brauche ja noch das Schwert!“ Schnell schloss sie noch einmal die Tür auf und rannte ins Arbeitszimmer. Dort schnappte sie sich die Kiste mit der Waffe und eilte zurück zu Wanda. Als sie an der Kellertreppe vorbeikamen, blickte Ludeny kurz auf die verschlossene Holztür. Wanda bemerkte das und sagte: „Meinst du, wir sollten kurz hinuntergehen und fragen, ob er etwas braucht?“ „Ich weiß nicht, ob er das möchte. Er hat mir eigentlich zu verstehen gegeben, dass er nicht gestört werden will.“, antwortete Ludeny skeptisch. Wanda ging zielstrebig auf die Tür zu und drückte die Klinke herunter. „Na und? Wenn er möchte, dass wir gehen, kann er es ja sagen!“ Ohne auf Ludenys Reaktion zu warten ging sie leise die Stufen zum Keller hinunter. Die Dunkelslug schüttelte zweifelnd den Kopf und folgte ihr. „Wenn er wütend wird, dann schiebe ich es einfach auf dich!“, flüsterte sie Wanda zu. „Das ist mir schon klar!“ konterte die Risis und stieg weiter die dunkle Kellertreppe hinunter. An Ludenys Verschlag angekommen, sahen sie vorsichtig durch die Brettertür. Liam saß immer noch im Schneidersitz am Boden und war in die Dragoonrüstung gekleidet. Mit geschlossenen Augen meditierte er noch immer und schaukelte dabei etwas vor und zurück. „Wir sollten doch lieber gehen! Er ist mitten in der Meditation und das darf man...“ Liam horchte auf. „Ludeny?“, fragte er. „Was willst du?“ hakte er nach. „Oh, äh, ich, nein, ich wollte... Naja, Wanda und ich wollten dich nur fragen, ob du etwas benötigst? Ent schuldige die Störung, Liam!“ Überrascht, dass Liam sie bemerkt hatte und verärgert darüber, dass sie auf Wanda gehört hatte, schaute sie diese beleidigt an. „Danke, dass du fragst. Aber ich brauche nichts. Geht jetzt wieder!“, antwortete Liam kurz und versank erneut in seiner Meditation. Wanda tat unberührt, zuckte mit den Schultern und schritt Ludeny voraus, in Richtung Treppe. Als sie vor dem Haus standen, musste Ludeny erst einmal ihrem Unmut Luft machen. „Was sollte das? Ich hatte doch gesagt, dass wir ihn nicht stören sollten und du hieltest es nicht einmal für nötig, ihm zu sagen, dass es deine Idee war!“ „Er war doch nicht sauer auf uns, also reg dich ab!“ Wanda stieg in ihren Wagen und öffnete Ludeny die Beifahrertür. „Nun komm schon! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“ „Oh nein! Dankeschön! Ich fahre lieber mit meinem eigenem Auto!“ Mit erhobenem Kopf drehte sie sich um und ging zu ihrem Spider. Als sie hinter dem Steuer saß, setzte sie ihre Sonnenbrille auf. Erst dann star tete sie den Motor und musste Wanda wohl oder übel die Vorfahrt überlassen. Als sie in Chinatown ankamen, fuhren sie an den vielen Ständen mit chinesischen Spezialitäten vorbei. An der Mulbarrey Street - Ecke Bayard - wurde Wandas Fahrt langsamer. Sie suchte offensichtlich nach einem Parkplatz und Ludeny tat es ihr nun gleich. An einem Hauseingang wartete die Risis bereits auf sie. „Sorry, musste etwas weiter weg parken!“, sagte die Dunkelslug. Mit der Kiste folgte sie ihr wortlos ins Haus. Ludeny hatte sich einen schicken, dunkelblauen Jeansrock mit einem seitlichen, hohen Schlitz angezogen und trug dazu einen rückenfreien Top. Es war weiß und hatte auf der Vorderseite ein buntes Palliettenmuster. Ihre blonden Locken trug sie offen und ihr dezentes MakeUp wirkte äußerst natürlich.
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Im ersten Stock angekommen, klopfte Wanda an eine Tür. „Nick Dellary!“ Ludeny hatte sich ein wenig vorgebeugt, um das Schild an der Türklingel zu lesen. Gerade wunderte sie sich darüber, warum ein Asiate einen eigentlich so typisch englischen Namen trug, als genau in diesem Augenblick, ein sehr attraktiver Afroamerikaner den Frauen die Tür öffnete. Mit einem extrem freundlichen Lächeln blickte er sie fragend an. „Wow, was für ein Lächeln!“, dachte Ludeny bei sich und lächelte zurück. „Ja, Nick Dellary, das bin ich!“, sagte der kahlköpfige, sympathisch wirkende Mann. Dabei konnte er kaum seinen Blick von Ludeny lösen. Wanda trat ein Stück vor und verdrehte die Augen. „Darf ich vorstellen, das ist Ludeny Ludnock! Dürfen wir reinkommen?“, fragte sie etwas ungeduldig und trat - ohne eine Antwort abzuwarten - ein. „Sehr angenehm.“, antwortete Nick und war sichtlich von Ludenys Erscheinung begeistert. Die Dunkels lug folgte Wanda in das Innere der Wohnung. Während Nick die Tür schloss, schaute sie sich ein wenig um. Neben der Tür stand ein kleiner antiker Holztisch mit Intarsienverzierung. Darauf lagen jede Menge Steine. Ludeny griff intuitiv nach einem durchsichtig Dunkelblauen mit vielen kleinen Spitzen. Die gesamte Wohnung bestand aus lediglich einem großen Raum, mit Ausnahme des Badezimmers. Die Tür dafür befand sich auf der linken Seite und rechts war eine kleine Kochnische aufgebaut. Der restliche Raum war spärlich eingerichtet. In der linken hinteren Ecke befand sich ein Hochbett, darunter ein kleiner Tisch mit einem Fernseher und ein kleines Sofa. Ein Regal auf der rechten Seite beherbergte die unterschied lichsten Tongegenstände. Der noch verbleibende Platz war leer und der Boden mit Reismatten ausgelegt. Nick hatte die Tür geschlossen und stellte sich nun vor seinen Besuch. „Was kann ich für euch tun? Ich denke nicht, dass Wanda mir hier eine neue Kursteilnehmerin vorstellen möchte.“, sagte er und deutete auf die Kiste in Ludenys Hand. „In der Tat, da hast du mal wieder Recht. Ich dachte, du könnest uns vielleicht hierbei helfen.“, antwor tete Wanda und nahm Ludeny einfach die Kiste aus der Hand. Mit einer schnellen Bewegung öffnete die Risis die Schnallen der hölzernen Box und hielt sie Nick entgegen. Ludeny funkelte sie böse an. „Woher haben Sie das?“, richtete der Kahlköpfige seine Frage gezielt an sie. Doch die Dunkelslug starrte ihn nur rätselhaft an. „Ist etwas nicht in Ordnung? Sie sehen mich an, als wäre ich ein Ausserirdischer!“, fragte er vorsichtig, aber mit einem leichten Lächeln im Gesicht. „Entschuldigen Sie bitte, ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Aber ich dachte, nachdem Sie hier in China-Town wohnen, seien Sie…“, versuchte sie ihre Reaktion zu rechtfertigen. Doch Nick unterbrach sie: „Ein Chinese? Und ich denke, Wanda hat sie absichtlich im Dunklen gelassen. Das sieht ihr ähnlich! Nein ich bin kein Chinese, wie Sie sehen.“ Er zeigte mit den Händen an sich herunter. „Ich liebe diese Gegend und ich wohne gerne in der Nähe des Tempels.“ „Oh ja, der buddhistische Tempel ist ja fast gleich um die Ecke. Danke Wande, ich hoffe du hast diese Unterhaltung gerade genossen!“, sagte Ludeny und blickte ihre Begleiterin zynisch an. Doch diese lachte nur und hielt weiterhin die Kiste hoch. „Um auf ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen, ich habe dieses Schwert 1704 an mich genommen. Wie lange es vorher schon existierte, weiß ich nicht. Aber ich hoffe, Sie können mir helfen, es zu benützen.“, brachte Die Dunkelslug ihre Bitte auf den Punkt. Nick war unterdessen an seine Fenster getreten und hatte die Vorhänge zugezogen. „Ich denke, so fühlen Sie sich mit Sicherheit etwas besser.“ „Woher wissen Sie das?“, fragte ihn Ludeny verwirrt. Nick deutete auf den Stein in Ludenys Hand. Sie hatte ihn die ganze Zeit durch ihre Finger gleiten lassen und es gar nicht bemerkt. Er war angenehm kühl und fühlte sich gut an. Nick trat näher an Ludeny heran und hielt ihre Hand nun hoch. „Das hier ist ein Nachtkristall. Seine volle Schönheit ist nur im Mondlicht zu erkennen. Als Sie herein kamen, griffen Sie instinktiv danach. Jeder, der die Schwinungen der Steine fühlt, verhält sich so. Wanda griff vor einiger Zeit zu einem Feueropal - sehr kraftvoll und energiegeladen. Und dann noch ihre Erzählung mit der Jahreszahl 70 - also können Sie kein normaler Mensch sein. All diese Informationen zusammen, führte mich zu meiner Schlussfolgerung!“ Ludeny musste lachen. „Ja, Sie haben Recht. Ich bin ein Dunkelslug. Wir mögen die Sonne nicht sonderlich. Der Stein ist wunder
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schön.“ Langsam und vorsichtig schloss er ihre Hand wieder und ließ sie dann los. „Ich denke, er sollte Ihnen gehören!“ Ludeny errötete ein wenig und sagte leise: „Dankeschön!“ Nun wandte sich Nick dem Schwert zu. Er nahm es vorsichtig aus der Kiste und drehte es in seiner Hand. „Es war sehr lange nicht aktiv. Wofür wurde es vorher verwendet?“, fragte er Ludeny. „Es gehörte einem Höcklerdämon, der von einem Halbgamblin vernichtet wurde!“, erklärte sie kurz. Sie wusste nicht warum, aber irgendwie musste sie erwähnen, dass Liam die böse Kreatur damals vernichtet hatte. Da Nick aber auch nicht zuviel über sie erfahren sollte, erklärte sie ihm nichts näheres. „Höcklerdämonen sind sehr böse und ich bin davon überzeugt, dass er das Schwert für seine Zwecke verwendet hat. Aber da Sie es seit langer Zeit besitzten, denke ich, hat sich der Kristall inzwischen regene riert. Das ist sehr gut. Sie können es ohne Probleme wieder in einem Safe aufbewahren!“ Nick reichte ihr die Waffe. „Nein, das ist eigentlich nicht der Grund, warum ich hier bin. Ich wollte lernen, damit umzugehen. Könnten Sie es mir beibringen? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich werde natürlich dafür bezahlen. Sie müssten es nicht umsonst tun!“, warf Ludeny schnell ein und schaute sich verlegen im Raum um. „Warum wollen Sie das lernen? Werden Sie bedroht?“, hakte Nick nach. „Nein! Ich meine, nein, ich werde nicht bedroht. Aber ich meine, dass es an der Zeit ist, es zu lernen. Ein guter Freund hat mir einmal gesagt, dass ich es wüsste, wenn ich soweit wäre!“, schloss sie ihren etwas stotternden Bericht ab. „Und warum kann er Sie nicht unterrichten?“ Nick ließ nicht locker. „Der Freund ist zur Zeit nicht erreichbar.“, sagte nun Wanda. „Er ist unabkömmlich und hat dafür leider keine Zeit.“ „Okay, dann werde ich es mir überlegen. Geben Sie mir ihre Nummer. Ich rufe Sie an, wenn ich mich entschieden habe.“ Er legte das Schwert zurück in die Kiste und schaute sie erwartungsvoll an. Wanda und Ludeny wechselten geheimnisvolle Blicke. Dann wandte sich Ludeny ihm zu und zog aus ihrer Rocktasche eine Visitenkarte, um sie an ihn weiter zu reichen. „Und wegen der Bezahlung…“ Nick unterbrach sie. „Erst einmal muss ich mich entscheiden. Für solchen Unterricht nehme ich grund sätzlich kein Geld. Aber wie gesagt, zuerst muss ich darüber nachdenken.“ Er nahm ihr mit einem Lächeln ihre Karte ab und steckte sie an eine große Pinwand an der Zimmertür. Nick ahnte wohl irgendwie, dass diese Bekanntschaft in irgendeiner Art und Weise für ihn sehr schicksalhaft enden könnte und zögerte des halb mit seiner Antwort. Als sich Wanda und Ludeny zum Gehen umdrehten, schauten sich Nick und Ludeny noch einmal kurz und tief in die Augen. Dann öffnete er den beiden Frauen die Tür und verabschiedete sich mit einem freund lichen Händedruck von ihnen, wobei er Ludenys Hand ein klein wenig länger festhielt. Die Dunkelslug stieg als Erste, mit der Kiste unter dem Arm, die Stufen hinab. „Eure Verabschiedung war etwas sehr innig, dafür, dass ihr euch gerade erst kennen gelernt habt.“, stell te Wanda, auf der Strasse angekommen, etwas verwundert fest. Ludeny warf nur den Kopf in den Nacken und drehte sich zum weggehen um. „Wir sehen uns. Ich fahre nach Hause.“, erwiderte sie schnippisch und bog auch schon um die Strassen ecke. Als sie außerhalb von Wandas Blickfeld war, zog sie noch einmal den Stein aus ihrer Rocktasche. „Ich bin gespannt, wie du wohl bei Mondlicht aussiehst.“, dachte sie, stieg in ihren Wagen und fuhr heimwärts. Wanda startete den Motor ihres Porsches und machte sich ebenfalls auf den Weg nach Hause. Stevie hatte währenddessen fertig gefrühstückt und war gerade dabei, seine Rechnung zu begleichen. Darlene stand leicht auf den Tisch gelehnt vor ihm und reichte ihm den kleinen Zettel. „Sag mal, kannst du mir wieder einmal einen Gefallen tun?“, fragte sie nun vorsichtig. Er kramte in seiner Geldbörse und nickte gedankenversunken. „Ich habe hier einige Internetseiten aufgeschrieben und einige Downloads markiert, könntest du mir die vielleicht besorgen? Ich weiß, du hast wahrscheinlich selbst ge rade jede Menge zu tun, denn sonst würdest du öfter hier frühstücken. Aber ich muss eine Arbeit schreiben
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und ohne deiner Hilfe schaffe ich das nicht.“, plapperte Darlene darauf los, während sie ihm ihre Notizen reichte. Als Stevie danach griff, berührten sich ihre Finger für den Bruchteil einer Sekunde und sie blickten sich tief in die Augen. „Mach ich doch gerne für dich.“, sagte er, zwinkerte ihr mit einem kleinen Grinsen zu und steckte das Zettelchen in seine Geldbörse. „Wann brauchst du die Sachen?“, fragte er, während er seine Jacke überzog. Sie dachte kurz nach und zeigte mit den Fingern eine Zwei. Dann legte sie eine schuldbewusste Mine auf und sagte vorsichtig „Tage?!“ „Wäre das in Ordnung für dich?“ Stevie ging an ihr vorbei, blickte sie kurz an und sagte lächelnd: „Darlene, für dich versetz ich Berge, wenn’s sein muss.“ Dann war er auch schon zur Tür hinaus und begab sich auf den Heimweg. Er musste sich noch ein wenig entspannen, bevor er seine Kurse auf der Uni absolvieren konnte. Als Darlene sich zu ihrer Freundin Stephanie umdrehte, die als Aushilfe im Orinoco arbeitete, strahlte sie diese an und machte einen kleinen Luftsprung. „Ja! Hast du gesehen? Er hat mich angelächelt und gesagt, dass er für mich Berge versetzen würde! Na, ist das was?“, fragte sie total aufgeregt. Stephanie verdrehte die Augen und antwortete: „Ja, habe ich gesehen. Aber ich weiß wirklich nicht, was du an dem so toll findest?!“ „Und ich weiß nicht, was du an diesem Todd so klasse findest!“, antwortete ihr Darlene und ging, um die Tische abzuräumen. Wanda war zu Hause angekommen und setzte sich auf ihren Sessel. Sie hatte sich aus der Küche eine Schüssel mit frischen Champignons geholt und knabberte diese genüßlich. „Ich sollte hier wirklich nicht so faul herumsitzen, während die Dämonen da draußen machen, was sie wollen. Liam wird von mir erwar ten, dass ich die Jagd übernehme, währenddessen er die Totenwache hält!“, dachte sie. Dann erhob sie sich und ging zur Tür. Bevor sie die Wohnung jedoch verließ, griff sie sich vom Garderobenhaken noch schnell eines ihrer Schwerter, die sie im Kampf gegen andere Dämonen als Trophäen behalten hatte und verließ das Appartement. Auf der Strasse ging sie auf ihr Auto zu und stieg ein. „Wollen doch mal sehen, ob dieser Fraskierer noch in der Kanalisation in der Nähe des Centralparks rumhängt!“, ging es ihr durch den Kopf und schon brauste sie los. Ein wenig mulmig war ihr schon bei dem Gedanken gleich einem etwa fünf Meter langen und ungefähr 350 kg schweren drachenähnlichem Dämon alleine gegenüber zu stehen, der zu allem Überfluss auch noch Flügel mit einer Spannweite von über drei Metern hatte. Manche von denen konnten auch noch Feuer spu cken. Aber das waren nach Wandas Informationen ausschließlich die Männchen. Also hoffte sie, dass sie dort auf eine weibliche Ausgabe dieser Rasse stoßen würde. „Allerdings - wenn das Ding gerade Eier gelegt hat, dann ist es ganz besonders aggressiv und angriffslustig! Was aber immer noch besser ist, als diese Flam menwerferei!“, sagte sie aufmunternd zu sich selbst. In Gedanken versunken kam sie auch schon an dem besagten Kanaldeckel an und sah sich um, ob sie ei nen Parkplatz in der Nähe finden könnte. Wanda stellte den Wagen ab und stieg aus. Sie ging auf einen der Deckel zu und schaute sich nach möglichen, unfreiwilligen Beobachtern um. Niemand war zu sehen und sie öffnete schnell den Einstieg zur Kanalisation.Dann glitt sie in die Öffnung und griff nach ihrem Schwert. Mit einer Hand langte sie über sich und zog den Deckel wieder über die Öffnung. Nun ließ sie sich geschickt auf den Boden fallen. „Welchen Route schlage ich denn nun ein?“, fragte sie sich laut und schaltete ihre Taschenlampe ein. Sie blickte in beide Richtungen des Kanalgangs und entschied sich schließlich für die linke Seite. „Ist ja sowieso egal, irgendwann werde ich dich schon finden!“ Plötzlich teilte sich der Weg und sie musste sich wieder ein mal für einen Gang entscheiden. „Ich bleibe bei Tor Nummer eins!“, sagte sie und ging wieder in den linken Tunnel. Als sie ein Stück weit gegangen war, hörte sie ein Geräusch, das einem Grunzen glich. „Na bitte, ich habe dich!“ Leise bewegte sich Wanda vorwärts und sah in einem Rondell des Kanals den Fraskierer hocken. Es schien ein Weibchen zu sein, denn man konnte unter dem riesigen Ungetüm große, grünlich schimmernde Eier hervorblitzen sehen. „Also kein Feuer!“, flüsterte sie erleichtert. Noch einmal
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lugte sie um die Ecke, um die Situation abschätzen zu können und sich eine Strategie zu Recht zu legen. „Einfach drauf los!“, dachte sie bei sich und atmete noch einmal aus, bevor sie ihr Schwert hob und blitzschnell losrannte, um den Überraschungsmoment auf ihrer Seite zu haben. Sie sprang auf das völlig überraschte Tier zu und stach ihm mit der Waffe direkt in die Brust. Das drachenähnliche Wesen schrie vor Schmerz laut auf und schlug mit seinem langem Hals um sich. Die Schuppen auf dem grauen Ungetüm rie ben aneinander. Das Monstrum erhob sich, aufgrund der Enge der Höhle, schwerfällig. Diesen Vorteil nutze Wanda sogleich für sich. Sie bewegte sich pfeilschnell auf die andere Seite des Dämons und stach erneut zu. Diesmal traf sie die Lefze des riesigen, mit scharfen Zähnen durchzogenen, Mauls. Das Fraskiererweibchen schlug wütend mit seinem zweieinhalb Meter langem Schwanz nach der Risis. Diese ging hart getroffen zu Boden und schüttelte ihren Kopf, um nicht bewusstlos zu werden. Schnell rollte sich Wanda zur Seite und konnte wenige Augenblicke später das Viprieren des Bodens spüren, nachdem der Schwanz mit vollem Tempo erneut niedergekracht war. Nun musste Wanda Nägel mit Köpfen machen. Sie nahm Anlauf und sprang auf den Kopf der Bestie zu. Mit einem gezielten Sprung schaffte sie es, sich auf den Nacken zu schwingen. Der Fraskierer schlug mit den Flügeln und drehte sich im Kreis, um Wanda von sich abzuwerfen, schaffte es aber nicht und Wanda holte zum finalen Schlag aus. Sie hob ihr Schwert und stach es direkt in das Genick des Dämons. Schwer verletzt und stark blutend fiel der Riese zur Seite und röchelte nur noch vor sich hin. Wanda zog das Schwert heraus und stach es in das laut pochende Herz des Wesens. Mit starrem Blick blieb das Tier tot auf dem Boden liegen. Wanda zog die Waffe erneut aus dem Körper und strich sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Tut mit Leid. Aber wenn deine Rasse sich hier verbreiten würde, wäre New York wohl bald ziemlich überbevölkert – allerdings weniger mit Menschen!“, sagte sie und watete durch den Kanaldreck, hinügber zu dem Nest des Dämonenweibchens. Mit dem Schwert zerschlug sie die Eier und verließ das Gewölbe in Richtung Ausstieg. Tilia saß noch immer in dieser Kutsche fest. Der Weg durch die Berge war anstrengend und dauerte leider eine ganze Weile. Die Sonne war bereits aufgegangen und nach ihrem Aufbruch aus dem Palast um Mitter nacht waren in der Zwischenzeit schon sieben Stunden vergangen. Ihr Rücken schmerzte von der ewigen Holpelei, obwohl ihr Begleiter Suntok versuchte die Kutsche so gut wie mögich über den unebenen Weg zu manövrieren. Es würde noch einige Zeit dauern, bis sie in Kathmandu ankommen würden und von dort mit einem Taxi zum nächsten Flughafen fahren konnten. Wie schon einige Male zuvor, versuchte Tilia in Medi tation zu versinken, um ihre Trauer zu bewältigen. Ludeny hatte der Versuchung widerstanden, erneut in den Hauskeller zu gehen, um nach Liam zu schau en. Stattdessen war sie müde und vom Sonnenlicht geschwächt direkt in ihr Appartement gegangen und hatte sich ein entspannendes Bad eingelassen. Der Tag ging vorrüber und die Dunkelheit der Nacht zog langsam herauf. Achtlos ließ sie ihre Kleider auf den Boden fallen und stellte sich vor den Badezimmerspiegel. Ihre Haare zu einem Knoten gesteckt, stieg sie langsam in das warme Wasser und legte sich entspannt hin. Der weiche Schaum hüllte ihren erschöpften Körper ein und sie drückte auf einen Knopf am Rand der Badewanne. Sofort begann sich das Wasser zu be wegen und die Badewanne verwandelte sich in einen Whirlepool. Nach und nach wurde sie entspannter und fing an, vor sich hin zu träumen.
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Eine saftige grüne Wiese lag vor ihr. Dahinter erstreckte sich das weite Meer. In der Ferne vernahm sie Vogelgezwitscher. Plötzlich hörte sie Schritte auf sich zukommen. Sie drehte sich um und schaute in zwei wunderschöne blaue Augen. Sie waren ihr sehr vertraut und brachten ihr ein wohliges Gefühl. Starke Arme umschlungen ihren Körper und Liam küsste vorsichtig ihren Hals. Plötzlich ertönte ein schrecklich lautes Piepsen. Ludeny versuchte sich an Liam festzuhalten. Sie wollte hier nicht weg. Doch das Piepsen blieb und holte sie schließlich aus dem Land der Träume zurück. Ludeny schlug die
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Augen auf. und vernahm das Läuten des Telefons. Schnell sprang sie aus der Wanne. Nass und schaumbe deckt wie sie war, lief sie in der Küche. Sie meldete sich etwas unfreundlich und zappelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Der Schaum verwandelte sich langsam aber sicher in Wasser und tropfte nun von ihrem Körper auf den Boden. „Ludeny Ludnock, bin ich da richtig?“, fragte eine leicht kratzende, aber tiefe Männerstimme. „Am Apparat, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie verwirrt und fing an zu zitern, da ihr kalt wurde. Sie fischte sich eines ihrer Trainigshandtücher vom Barhocker und begann sich abzutrocknen. „Nick Dellary hier.“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich mache es kurz. Ich schätze, ich habe lange genug darüber nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich Ihnen gerne dabei helfen würde, mit der Macht des Schwertes umzugehen. Wie wäre es, wenn wir uns in einer Stunde hier bei mir treffen würden?“, fragte er. „Sehr gerne, ich freue mich.“, antwortete Ludeny verwundert, aber doch erfreut. Als sie den Hörer auf gelegt hatte, lächelte sie noch einmal kurz und ging dann in ihr Schlafzimmer, um sich etwas anzuziehen. Irgendwie wollte sie gut aussehen, wenn sie zu Nick fuhr. Nicht, dass sie Interesse an ihm gehabt hätte. Aber er war sehr nett und freundlich gewesen und das war im Moment etwas, das Ludeny brauchte und das ihr sehr gut tat. Sie entschied sich für eine schlichte Jeanshose, die ihr bis zur Hüfte reichte und eng geschnitten war. Dazu trug sie ein anliegendes, rotes Shirt mit dreiviertel langen Ärmeln. Dann machte sie sich im Bad noch etwas zu Recht und war auch schon bereit loszugehen. Sie schnappte sich die Kiste mit dem Schwert und zog ihre Jacke über. Mit offenem Verdeck brauste sie durch New Yorks Strassen, in Richtung Chinatown, um Liam demnächst im Kampf gegen den Chancenug besser zur Seite stehen zu können. Verblüfft schüttelte sie den Kopf, als sie ihr Auto vor dem Gebäude einparkte. Tatsächlich etwas nervös, griff sie nach dem Behälter, in dessem Inneren das Schwert lag, atmete noch zweimal tief durch und stieg dann die Treppen zu Nicks Appartement hinauf. Oben angekommen erwartete sie eine bereits offen stehende Tür. Vorsichtig und wachsam, drückte die Tür ein Stückchen weiter nach innen und steckte einen Fuß hinein. „Nick sind Sie da?“, fragte sie behutsam, erhielt jedoch keine Antwort. Sie stellte die Kiste neben die Eingangstür und machte zwei weitere Schritte. Nun stand sie in der weit geöffneten Tür und blickte sich um. Sie konnte fast den ganzen Raum überschauen. Aber Nick war nirgendwo zu entdecken. Bis er plötzlich hinter der Tür hervorsprang und sie an den Armen packte. Ludeny war so perplex, dass sie vor Schreck kurz aufschrie. „Sehen Sie? Und genau das sollten Sie lernen. Sie müssen immer mit dem Unvorhersehbarem rechnen! Guten Abend!“, sagte Nick lächelte und ließ ihre Hände wieder los. Die Dunkelslug musste noch einige Male blinzeln und griff sich an die Brust. Endlich hatte sie ihre Fassung wiedererlangt. Sie nahm das Schwert und schloss mit einem Ruck die Tür. „Wenn Sie Dukelslugs kennen, dann müssten Sie wissen, dass man so etwas wie eben besser nicht mit dieser Dämonenart tun sollte!“, sagte sie und ging ,wieder etwas gefasster, an ihm vorbei. Nick sah ihrem Gang nach und strich sich mit seiner Hand über seinen kahlen Kopf. „Heiss!“, sagte er leise vor sich hin. „Was sagten Sie?“ Ludeny drehte sich zu ihm um und schaute in seine dunklen Augen. „Also entweder weiß er nicht, dass ich so gut hören kann oder er wollte, dass ich es mitbekomme!“, dachte sie bei sich. „Können wir anfangen?“, fragte sie, als sie nun mitten im Raum standen. Nick hatte sich ein rotes T-Shirt übergezogen, das seiner dunklen Haut äußerst schmeichelte. Dazu trug er nur eine Bluejeans und ging barfuss durch sein Domizil. „Gut, fangen wir an!“, antwortete er. Ludeny ging zu der Kiste mit der mystischen Waffe hinüber und wollte sie gerade öffnen, als Nick ihr seine Hand auf die ihre legte. „Nein, wir fangen ohne die Waffe an!“ Er zog am Griff einer Schublade und holte einen Kristall heraus, der dem des Schwertes glich. „Ist das…?“, wollte Ludeny wissen. „Ja, das ist dieselbe Art von Kristall, aus dem Ihr Schwert gemacht ist.“, unterbrach Nick ihren Satz. „Sie
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sollten zuerst lernen mit dem Material umzugehen und danach machen wir Übungen mit dem Schwert.“, sagte er und gab ihr den Kristall, von der Größe einer Orange, in die Hand. „Versuchen Sie jetzt, die Schwin gungen auf sich wirken zu lassen. Es hat sich als äußerst Vorteilhaft erwiesen, wenn man des Öfteren me ditiert.“, sagte er und beobachtete, wie Ludeny begann, sich mit geschlossenen Augen zu konzentrieren. „Aber wie ich sehe, tun Sie das wohl ziemlich regelmäßig.“ Nick trat beiseite und wartete ab. Ludeny spürte, wie die Kraft des Kristalls auf sie zu wirken begann. Wärme strömte durch ihre Hand, weiter über den Arm und bis in ihren ganzen Körper. Ein leichtes Kribbeln machte sich breit und sie atmete schwer. Alles begann sich zu drehen und sie hatte das Gefühl zu fallen, tiefer und immer tiefer. Als sie die Augen aufschlug, saß sie auf dem Sofa in Nicks Appartement und wunderte sich, wie sie dort hingekommen war. „Das ist ganz normal, wenn man es mit dieser Art von Kristall zu tun bekommt.“, sagte Nick, der sich neben sie gehockt hatte und ihr beruhigend zulächelte. Dann drehte er sich zu einem kleinen Tischchen um und reichte Ludeny ein Glas Wasser. „Hier, bitte!“ „Danke sehr!“, antwortete sie und trank es mit wenigen Zügen leer. „Sie sind sehr gut in der Meditation. Wer hat Sie unterrichtet?“, fragte er, als sie sich wieder etwas ge fangen hatte. „Ein Dragoonkrieger.“, antwortete Ludeny, womit sie nicht einmal gelogen hatte. Sie konnte ja schlecht sagen, dass ihre große Liebe ihr die Meditation auf eine ganz besondere Art und Weise beigebracht hatte. Denn es ging ihren neuen Lehrer ja im Grunde gar nichts an. „Dragoons sind ein stolzes Volk. Sie können sich glücklich schätzen, dass dieser sich dazu herabgelassen hat, Ihnen das beizubringen.“ Nick war nun wieder aufgestanden und ging etwas durch sein Zimmer. „Okay, machen wir weiter.“ Er hielt ihr seine Hand entgegen und lächelte freundlich. Ludeny ergriff sie und stand auf. Nick ging mit ihr zur Kiste und nahm die Waffe heraus. „So, dann wollen wir einmal sehen, was du so kannst!“, sagte er zu dem Schwert und reichte es an Ludeny weiter. Sie machten die Nacht über Konzentrations- und Bewegungsübungen, bis hinein in die frühen Mor genstunden. Ludeny war ein solches Lernpensum eigentlich nur von Liam gewöhnt. Aber sie beklagte sich nicht und machte tapfer weiter. Nick stand hinter ihr und hatte um ihre Hüften herum nach ihren Händen gegriffen, um ihr die zu lernenden Bewegungen zu zeigen. Sie versuchte sich zusammenzureißen. Aber das fiel ihr wirklich nicht leicht. Denn Nick roch so gut und hatte etwas sehr anziehendes an sich. Er drehte und schob ihre Arme hin und her. Plötzlich verharrte er kurz und roch an ihren Haaren. Dann begann er, sie an der Schulter und am Hals zärtlich zu küssen. Ludeny schloss die Augen. Nick Lippen auf ihrer Haut wekten Gefühle, die sie über raschten. Zuerst genoss sie die unerwarteten Berührungen doch dann löste sich Ludeny aus der Umarmung und schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht. Sie müssen wissen, dass ich mich gerade erst aus einer Beziehung gelöst habe und nicht gleich in etwas Neues schlittern möchte.“ „Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich dachte, du würdest auch so empfinden“, ver suchte Nick seinen Annäherungsversuch zu entschuldigen. Ludeny wich einige Schritte von ihm zurück und legte das Schwert wieder in die Kiste. Mit dem Rücken zu ihrem Trainer gewandt, massierte sie vorsichtig ihren Nacken. Sie war müde und erschöpft. Alle Knochen im Leib taten ihre weh. Nick stellte sich hinter sie und löste mit seinen ihre Hände ab. Er drückte und mas sierte vorsichtig ihren schlanken Nacken. Ludeny schloss die Augen und genoss erneut seine Berührung. „Warum fühle ich mich nur so angezogen von ihm?“, fragte sie sich im Stillen. Doch plötzlich beendete Nick seine Massage und drehte sie vorsichtig zu sich um. Verwirrt blickte sie zu ihm auf. „Ich denke für heute sind wir fertig. Ich möchte dich jetzt bitten zu gehen. Die Sonne geht bereits auf und du solltest dich ausruhen.“, sagte er leise und streichelte dabei vorsichtig über ihre Wange. Die Dunkelslug hielt ihren Kopf ganz ruhig. Schließlich war es Nick, der sich an Ludenys Worte erinnerte und die zärtiche Geste beendete. Verwirrt wegen ihrer unerwarteten Gefühle für Nick griff sie nach der Schwertkiste und lief aus der
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Wohnung. Erst nachdem sie in ihrem Wagen saß und das Verdeck geschlossen hatte, um die Sonne auszu schließen, atmete sie tief durch. Dann startete sie den Motor und fuhr nach Hause. Erschöpft öffnete sie die Eingangstür und betrat ihr Haus. „Ludeny!“, ertönte es hinter ihr und sie fuhr erschrocken zusammen. Als sie sich umdrehte, erblickte sie plötzlich Liam. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Wo warst du?“, fragte er neugierig. Sicht lich nervös, begann sie an ihrem Top herumzuziehen. „Ich war bei Nick. Ich meine, wir haben das Training mit dem Schwert begonnen.“, stammelte sie ver wirrt und versuchte Liams Blick auszuweichen. „Gut, ich bin stolz auf dich, dass du dich endlich damit auseinandersetzt. Ich wollte dich um etwas bitten. Kannst du mir vielleicht frisches Wasser bringen?“, sagte Liam und lächelte sie liebevoll an. „Ist gut. Wird sofort erledigt. Kein Problem!“, sagte sie noch schnell, und versuchte der unangenehmen Situation endlich zu entkommen, indem sie die Treppe hinauf lief. „Oh Gott, Liam!“, dachte Ludeny bei sich. „Immer, wenn du in meinem Leben auftauchst, passieren die eigenartigsten Dinge!“ Eiligst schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf und ging ins Bad. Dort zog sie sich ihre durchgeschwitzten Sachen aus und sprang unter die Dusche. Als sie sich abgetrocknet hatte, zog sie sich etwas über und lief zur Küche, um die zwei Eimer Wasser für Liam fertig zu machen. Auf dem Flughafen von Kathmandu wartete Tilia auf ihren Flug in die Vereinigten Staaten. Suntok hatte sich etwas zurückgezogen, da er niemanden mit seiner Erscheinung erschrecken wollte. Aber er war immer in königlicher Nähe geblieben, um Tilia im Notfall schnell zur Hilfe kommen zu können. „Der Flug Nr. 478 nach New York wird in einigen Minuten zum Start bereit sein! Sehr geehrte Passagiere! Bitte begeben Sie sich jetzt zum Einchecken! Danke!“, erklang es aus den Lautsprechern der Halle. Tilia sah unauffällig zu Suntok herüber und ging dann mit den anderen Passagieren zu der netten Stewardess, um ihr die Tickets zu übergeben. „Herzlich Willkommen bei Asia-Air! Wir freuen uns, dass sie mit uns fliegen!“, sagte diese äußerst höflich und gab Tilia ihr Ticket zurück. Tilia bedankte sich freundlich und ging durch die Gangway zu der Maschine. Und wieder folgte ihr - in sicherem Abstand - Suntok. Im Flugzeug angekommen, wies ihr eine andere Flug begleiterin ihren Platz in der Ersten Klasse zu. Suntok blieb in der Touristenklasse, um nicht mit Tilia in Ver bindung gebracht werden zu können, falls es Schwierigkeiten geben sollte. Er wusste, dass die Auserwählte auf jeden Fall diese Reise fortsetzen musste, koste es was es wolle. Ludeny war inzwischen mit einem mulmigen Gefühl im Magen in den Keller hinunter gegangen, um Liam das gewünschte Wasser zu bringen. Bevor sie die Tür öffnete, schluckte sie noch einmal den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter und setzte ein freundliches Lächeln auf. Dann öffnete sie vorsichtig und leise die Tür. Liam saß wieder auf seinem Platz und schien in seine Meditation versunken. Ludeny stellte die Kü bel an der Seite ab und griff nach den Eimern vom Vortag. Als sie gerade wieder zur Tür hinaus wollte, hörte sie Liam sagen: „Es würde mir leichter fallen zu me ditieren, wenn du nicht so schöne Träume von uns beiden hättest.“ Unwillkürlich musste die Dunkelslug lachen. Dann ließ sie Liam wieder im Kellerverschlag allein zurück und ging in ihr Appartement. Erschöpft legte sie sich ins Bett und schlief ruhig und friedlich ein. Stevie hatte unterdessen den letzten Abend damit verbracht, Darlenes Internetwünsche so gut wie möglich zu erfüllen. Heute Morgen wollte er mit einer CD bewaffnet ins Orinoco zum Frühstücken gehen. Irgendwie war es ihm wichtig, Darlene eine Freude zu machen. Er schnappte sich seine Jacke und wollte gerade zur Tür hinausgehen, als Josh aus seinem Zimmer geschlürft kam. Seine Haare waren völlig zerzaust und sein Schlaf-T-Shirt war ihm um einiges zu kurz. Es hing ihm über seinen rundlichen Bauch. „Morgen!“, gähnte er vor sich hin. Stevie schüttelte, angesichts dieses Anblicks, den Kopf. „Oh Mann, Josh! Du solltest dir wirklich was we gen deinem Styling überlegen!“ Er zupfte kurz an Joshs T-Shirt. „Mit diesem Winnie the Pooh-Look haust
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du keine Frau vom Hocker!“, sagte er und schaute abwartend über seinen Brillenrand. Josh sah verschlafen an sich herunter und kratzte sich am Kopf. „Ich weiß nicht was du hast. Du bist ja auch nicht gerade der Superaufreisser!“ Er ging an Stevie vorbei und steuerte die Küche an. Ein üppiges Frühstück könnte ihn aus seiner Lethargie des Morgens holen und er hatte zudem auch kein Interresse an einer Modediskussion mit seinem Mitbewohner. Stevie war mit seinem Vortrag eigentlich auch schon fertig und verließ die Wohnung in Richtung Orino cocafe. Dort angekommen, setzte er sich an einen Tisch, den Darlene zu bedienen pflegte und wartete auf das freundliche Lächeln der Kunststudentin. Stephanie kam zu ihm herüber und fragte, was sie ihm bringen durfte. „Wo ist Darlene?“, fragte er. „Oh, sie hat sich für heute frei genommen. Sie muss ein wenig lernen.“, antwortete Stephanie. „Oh, gut. Ähm, wo wohnt sie eigentlich? Ich habe hier etwas für sie. Sie hat mich um ein paar Sachen aus dem Internet gebeten.“ Stevie wedelte kurz mit der CD. „Das ist gar nicht so schwer zu finden. Die Familie Grossman wohnt gleich hier im Haus. Hinter dem Cafe findest du die Eingangstür.“, antwortete sie und lächelte vielsagend vor sich hin, da sie sich gerade Darlenes Gesicht vorstellte, wenn ihr großer Schwarm plötzlich vor ihrem Zuhause auftauchen würde. Stevie erhob sich und verließ ohne viel verabschieden das Cafe. Er klopfte an besagte Tür. Eine etwas verschlafene Dar lene öffnete ihm. „Oh, hallo Stevie! Ich habe dich nicht erwartet.“, sagte sie verlegen und zupfte an ihrem kurzen Nachtkleid herum. Sie trat einen Schritt zur Seite und hielt die Tür geöffnet. „Ich komme sofort wieder!“, rief sie schnell, während sie in eines der Zimmer rannte. Stevie trat ein und schloss die Tür hinter sich. Interessiert schaute er sich ein wenig um. Es war eine nette kleine Wohnung. Das Vorzimmer war sehr klein und das Schuhkästchen auf der linken Seite musste sich den Platz mit einem Kleiderständer teilen. Eine der Türen führte in die Küche, welche zwar ebenfalls nicht besonders groß, dafür aber sehr schön war. Eine weitere Tür führte ins Badezimmer und die letzte ins Wohnzimmer. Ein weißes Sofa und ein falscher Kamin standen darin und gaben dem Raum eine gemütliche Ausstrahlung. Die einzige Tür, die Stevie gekonnt versuchte zu ignorieren, war die des Schlafzimmers. Darlene kam gerade durch diese und war inzwischen mit einer Jeans und einem T-Shirt be kleidet. Das Shirt irritierte Stevie doch ein wenig, da es mit der Aufschrift „Angel forever“ in Strasssteinen versehen war und somit den Blick direkt auf die obere Hälfte ihres Körpers lockte. „Ich habe deinen Auftrag erledigt, alles vorhanden.“, sagte Stevie und wedelte mit der CD. „Oh das ist aber lieb von dir. Mein Pc steht da hinten.“, antwortete Darlene und deutete auf den riesigen Balkon. „Aber vorher mache ich uns ein Frühstück!“, sagte sie und war auch schon in die Küche verschwun den. Den restlichen Vormittag verbrachten die beiden mit essen und reden. Stevie war überrascht wie wohl er sich in Darlenes Gesellschaft fühlte. Gegen Mittag half er ihr auch noch ihren veralterten Computer zu starten und die Programme von der CD zu installieren. Während die beiden Studenten sich den ganzen Tag gut unterhielten und amüsierten, kam auf dem Flughafen von New York der Flug mit der Nr. 478 aus Kadhmandu an. An dem Ausgang der Flughafenhalle befand sich die Autovermietung und die dragoonische Hoheit stellte sich dort an, um einen der Wagen zu mieten. Sie entschied sich für einen Mercedes und wartete auf Suntok, mit dem sie sich auf dem Parkplatz verabredet hatte. Erstaunt nahm er auf dem Beifahrersitz Platz und sah sie skeptisch an. „Eure Hoheit! Sind Sie sicher, dass Sie dieses Gefährt auch lenken und bändigen können?“ „Ja, Suntok, das bin ich. Ich habe viele Bücher und Hefte über das Autofahren gelesen und ich denke, dass ich das hinbekomme. Vertrau mir. Ich bin schließlich die Auserwählte und so eine kann bekanntlich alles!“ Mit einem ironischen Lächeln wandte sie sich nun wieder dem Fahrzeug zu. Dann drehte sie den Schlüssel im Zündschloss um. Ein seltsames Geräusch ertönte und Suntok wurde immer unruhiger. „Das ist nicht gut!“, sagte er.
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„Ein Wagen ohne Pferde und ein Vogel aus Metall, der nur fliegt, weil Menschen ihn dazu zwingen! Und dann setzt man sich auch noch freiwillig in den riesigen Bauch dieses Ungetüms!“ Der dragoonische Krieger schüttelte den Kopf, da er anscheinend die Welt nicht mehr verstand. An einem Drugstore hielt Tilia und wies ihn an, im Wagen auf sie zu warten. Sie würde in ihren Jeans und dem Sweatshirt nicht weiter auffallen, aber Suntok war ein aufsehenerregender Dämon. Sein Aussehen hat te er die ganze Reise über gut in den weiten Gewändern verborgen. Aber Tilia wollte kein Risiko eingehen. Sie ging in den Verkaufsbereich und sah sich um. In der Kühltheke fand sie, was sie suchte und nahm sich ein Paket mit frischen Schweinenieren. Aus einem Aufsteller an der Theke griff sie eine Stadtkarte von New York und legte sie zu den Innereien auf das Laufband. „Dreiundzwanzig Dollar und neunzig Cent bitte, Miss!“, sagte die Verkäuferin zu Tilia. Diese lächelte sie freundlich an und zog ein paar Dollarnoten aus ihrer Hosentasche, die sie vorsorglich schon in Kathmandu in einer Wechselstube getauscht hatte. Die Verkäufe rin gab ihr das Restgeld zurück und reichte Tilia eine Papiertüte, damit sie ihren Einkauf verstauen konnte. Anschließend ging die Auserwählte aus dem Laden und steuerte den Mercedes an, als ihr plötzlich jemand an die Schulter griff. Schnell drehte sie sich um und ein asiatisch aussehender Mann stand hinter ihr. „Auf so etwas wie dich habe ich schon lange gewartet, du schöne Lotusblüte! Und ich denke, dass wir sehr viel Spaß mit dir haben werden!“ Hinter ihm waren weitere drei Männer aufgetaucht. „Entschuldigen Sie bitte. Aber ich habe wirklich keine Zeit für Sie. Ich muss zu meinem Bruder und das sehr dringend!“, sagte Tilia und lächelte, während sie an den Männern vorbei zu ihrem Leihwagen gehen wollte. „Nun mal nicht so hastig, Schätzchen! Wir sind hier noch lange nicht fertig!“, sagte einer der Kerle und hielt sie erneut fest. Die vier Männer lachten und rieben sich wohl schon die Hände, bei der Aussicht, auf die nette Abwechslung an diesem Tag. Plötzlich spürte einer der Asiaten eine Berührung auf seiner Schulter. Suntok war mit gezücktem Schwert von hinten an ihn herangetreten und schaute auf die Bande hinunter. „Kann ich euch irgendwie helfen?“, fragte er. Die einzelnen Mitglieder der Gang rissen die Augen weit auf und so schnell wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie auch wieder. Sie stoben in alle Himmels richtungen auseinander, ohne wahrscheinlich zu wissen, wohin sie eigentlich wollten. „Ich habe euch gewarnt, Hoheit! Ihr solltet nicht ohne mich irgendwohin gehen!“, sagte der Wächter und reichte ihr die Hand, um sie zum Auto zu gegleiten. Tilia verdrehte genervt die Augen, zupfte Sundoks Kleidung zu Recht und folgte ihm dann ohne weiteren Kommentar. Als sie im Wagen saßen, reichte sie ihm die Stadtkarte und wies ihn an, ihr die Route anzusagen. Ihr Traum hat sie genau erkennen lassen, wo sie ihren toten Bruder finden würde. Tilia konnte es noch immer genau vor ihren Augen sehen, das Haus und die Treppen zum Keller… Sie kamen heil in der Madison Avenue, vor Ludenys Haus an, und die Auserwählte stellte gekonnt den Wagen in einer großen Parkücke, direkt vor dem Haus, ab. Ludeny erwachte am frühen Nachmittag. Sie stand auf und frühstückte etwas Obst. Währenddessen be trachtete sie den Nachtkristall, der vor ihr auf dem Tisch lag, etwas genauer. „Ein wirklich hübsches Ding bist du.“, sagte sie. Ausgeschlafen war sie zwar, fühlte sich jedoch vom Training des vergangenen Abends noch etwas geschwächt. Also beschloss sie, noch einige Übungen zu machen, um ihre Energieakkus aufzu laden. Sie hatte mit Nick ein neues Treffen für den heutigen Abend vereinbart und wollte dafür in Topform sein. In ihrem Übungsdress stellte sie sich auf ihre Matte. Sehr schnell fand sie ihren gewohnten Rhythmus - einatmen, ihre Hände und Körper formten eine Figur, wieder ausatmen. Dunkelslugs bezogen ihre Energie normalerweise aus der Furcht ihrer potenziellen Opfer. Doch Liam hatte Thai Chi als Kräfteersatz für Ludeny entdeckt und es sie mit viel Hingabe und Geduld, gelehrt. Sie war ihm unendlich dankbar, als er sie damals zu sich nahm. Denn Ludeny wollte die Ewigkeit wirklich nicht an der Seite ihres Erschöpfers verbringen und Furcht und Schrecken auf der Welt verbreiten. Nach einiger Zeit spürte sie Erholung. Also beendete sie ihre Übungen und trank in großen Schlucken ihr Lieblingsgetränk. Dann machte sie sich frisch und zog sich um. Es war gerade Abend geworden, als sie mit dem Schwert und den restlichen Mangostanen die Wohnungs tür hinter sich schloss. Kurze Zeit später stand sie auch schon vor Nicks Tür und klopfte an. Er öffnete ihr
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mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf etwas Exotik!“, sagte sie als Begrüßung und hielt die mitge brachten Früchte hoch. „Was ist das?“, fragte Nick und musterte die seltsamen Früchte. Ludeny erzählte ihm mehr darüber und woher sie sie kannte. Sie ging in seine Küche und holte ein Messer, um die feste Schale zu öffnen. „Ich hoffe, sie schmecken dir. Sie sind außerhalb von Malaysiens nicht so leicht zu bekommen.“ Nick biss erwartungsvoll hinein. „Die sind wirklich gut. Wie bist du denn in New York an sie gekommen?“, fragte er mit vollem Mund. Ludeny schreckte sichtlich vor seiner Frage zurück. „Ein Freund hat sie mir besorgt.“, sagte sie schnell und drehte sich weg, um ihr Schwert aus der Kiste zu holen. Nick blickte ihr nachdenklich hinterher. Er spürte, dass er wohl soeben einen wunden Punkt bei ihr getroffen hatte. So vermied er es lieber, sie weiter danach zu fragen. „Heute fangen wir mit etwas anderem an.“, sagte er und holte das Tischchen mit den Steinen ins Zimmer. Er rückte noch einen Sessel davor und deutete ihr, darauf Platz zu nehmen. „Jeder dieser Steine besitzt seine eigene Schwingung. Wie du gestern selbst feststellen konntest, hat der Kristall deines Schwertes starke und sensible Schwingungen. Ich möchte, dass du heute mit Hilfe der ande ren Steine den Unterschied erkennst. Du musst in der Lage sein, dein Schwert zu fühlen. Auch wenn du es nicht in der Hand hältst. Um damit erfolgreich umgehen zu können, muss deine Schwingung und die des Schwertes in Einklang gebracht werden.“ Mit den letzten Worten, legte er ihr einen giftgrünen Stein in die Hand und mit der anderen schloss er nun vorsichtig ihre Augen. „Nicht sehen, nur fühlen!“, wies er sie an. So verbrachten sie die nächsten Stunden. Ludeny fühlte Stein für Stein, manche ließ sie sofort wieder fallen, da sie sich unangenehm anfühlten. Andere wiederum empfand sie als sehr angenehm und behielt diese eine längere Zeit in der Hand. Nick war mit ihren Fortschritten äußerst zufrieden. Liam hatte unterdessen das dragoonische Bestattungsritual fast abgeschlossen. Erneut hatte er Topangs Leib und sich selbst mit dem frischen Wasser kurz vor Sonnenuntergang gewaschen. Der noch lebende drago onische Krieger hatte sich umgezogen und trug nun wieder seine Alltagskleidung. Seine Rüstung hatte er Topang übergezogen. Sie passte diesem zwar nicht, aber sie musste ausreichen. Topangs Rüstung war mit seinem eigenen Blut verschmiert und der Halbgamblin wollte nicht an den Triumpf des Monsters erinnert werden. Am Ende hatte Liam ihn mit einem weißen, durchsichtigen Tuch bedeckt. Er tat gerade einige Schritte zurück, als er plötzlich jemanden kommen hörte. Tilia war mit Suntok in den Hausflur des Hauses getreten und schloss kurz die Augen. Tränen rannen ihr über das Gesicht und sie griff sich an ihre Brust. „Topang!“, flüsterte sie traurig und sah kurz zu Suntok hinüber. Sie spürte die Nähe ihres toten Bruder sehr stark und erneut überkam sie große Traurigkeit. Suntok öffnete für sie die Tür zum Keller und die Aus erwählte schritt hindurch und die Stufen hinunter. Als sie an dem Verschlag angekommen war, schaute sie vorsichtig durch die Brettertür, bevor sie sie langsam öffnete. Liam stand auf einmal vor ihr. „Tilia!“, sagte er und die zwei fielen sich weinend in die Arme. „Ich wusste, dass du ihn nicht ohne deinen Segen in die Ewigkeit entlassen würdest!“, sagte er zu ihr und blickte ihr ins Gesicht. „Wie konnte das nur passieren, Liam? Er war doch so stark und niemand konnte ihn je besiegen!“ Tilia wischte sich die Tränen von den Wangen. „Es war einer, der unfair kämpft und ihn abgrundtief hasste - der Chancenug!“, antwortete der Halb gamblin. „Ich konnte ihn nicht davon abhalten, allein zu ihm zu gehen! Verzeih mir Tilia, dass ich unseren Bruder nicht vor dem Tod bewahren konnte!“ „Ich weiß doch, er war eben ein ganz besonderer Sturkopf! Du musst dir keine Gedanken machen, nie mand macht dir einen Vorwurf, Liam!“ Tilia streichelte sein Gesicht und lächelte ihn aus ihren tränener füllten Augen gequält an. „Lass mich nun meinen Segen sprechen.“, sagte sie und schritt auf den leblosen
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Leib Topangs zu. Liam kniete nieder. Vor ihm stand jetzt nicht mehr Tilia, die Schwester seines geliebten Freundes, seine ehemalige Verlobte, sondern die Auserwählte. Sie blieb vor Topang stehen und öffnete ihre mitgebrachte Tasche. Langsam zog sie eine Eisenstange heraus, an deren Ende sich ein metallenes Siegel befand. Liam murmelte im Hintergrund unverständliche Worte. Er befand sich erneut in tiefer Meditation und begleitete erfurchtsvoll Tilias Segensgebet. Sie er hitzte das Siegel mit Magie und während sie in einer alten Sprache murmelte, drückte sie „den Kuss der Wiedergeburt“ - so hieß das Siegel - auf Topangs Stirn. Tränen rannen an ihren Wangen herunter und tropften zu Boden. Suntok hatte die Einkäufe abgestellt und nun, da der Segen erteilt war, reichte er das Fleisch an Liam weiter. Tilia erklärte: „Ich weiß, du musstest die ganzen Tage über fasten und bist sicher sehr müde und erschöpft. Ich dachte, dass du gerne etwas zu dir nehmen würdest.“ Für Ludeny und Nick war es schon sehr spät. Sie hatten beschlossen, eine Pause einzulegen. „Ist dieser Mann, der in deinen Gedanken herumirrt, eher ein Freund oder Geliebter?“, fragte er plötz lich. Ludeny blinzelte verlegen. „Wen meinst du?“, fragte sie zurück und versuchte, teilnahmslos aus dem Fenster zu blicken. Nick trat von hinten an sie heran und streichelte ihr links und rechts über ihre herunter hängende Hände. Ein leich ter Schauer durchzog ihren Körper. Rasch drehte sie sich um und die beiden standen sich jäh sehr nahe, nahezu Nase an Nase, gegenüber. Nick blickte ihr tief in ihre grünen Augen. „Schade, ich wäre so gerne dieser Mann für dich!“, sagte er und beugte sich noch ein Stück vor, fast be rührten sich ihre Lippen. Ludeny wagte es nicht zu atmen. Irgendwie sehnte sie sich danach, ihn zu küssen. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach der uneingeschrenkten Liebe eines Mannes. Aber war dieser hier der Richtige dafür? Aus Angst drängte sie sich schnell an ihm vorbei, entschuldigte sich stotternd und verließ hastig, mit ihren Sachen unter dem Arm, seine Wohnung. Nick blieb verwundert in seinem Appartement zurück. Er ging in die Küche, wo noch ein übrig gebliebe nes Stück der Mangostane lag, die Ludeny bei ihrer Ankunft am Abend, aufgeschnitten hatte. Er hielt sich das Stück unter die Nase und schloss die Augen, als er genüsslich daran roch. Dann biss er hinein und lächel te. „Du weißt nicht, was du mit mir machst! Ludeny!“, sagte er laut zu sich selbst. „Aber ich kann warten.“, flüsterte er und setzte sich ins Wohnzimmer, um ein wenig Fernzusehen. Ludeny war unterdessen in ihren Wagen gesprungen und fuhr eiligst nach Hause. „Ich kann das nicht machen! Verdammt, Liam! Wenn du dich nicht bald entscheidest, werde ich noch wahnsinnig.“, sagte sie verwirrt und trat fester aufs Gas. Sie wollte jetzt unbedingt zu Liam, um ihn zu se hen. Sehnsucht war jetzt alles, was sie empfand und so brauste sie die Strassen entlang und fuhr kurze Zeit später an ihrem Haus vor. Ludeny parkte den Wagen und nahm ihre Schwertkiste. Zielstrebig steuerte sie den Keller an. Verwun dert nahm sie Stimmen wahr. Liam sprach mit jemandem, den sie nicht kannte. Es war eine weibliche Stim me, aber nicht die von Wanda, soviel war sicher. Sie kam an ihrem Kellerverschlag an und spähte von wei tem durch die Brettertür. Da stand Liam und neben ihm eine junge Asiatin. Schnell schritt die Dunkelslug nun auf die beiden zu. Unerwartet blickte sie in das Gesicht eines Dragoonkriegers. „Oh mein Gott!“, erschrak sie und Liam drehte sich zu ihr und Suntok um. „Ludeny! Schon gut Suntok, sie ist diejenige, die mir diesen Raum zur Verfügung gestellt hat.“ Liam war auf sie zugegangen und senkte Suntoks Arm, mit dem er den Dunkelslug aufhalten wollte. Der Wächter ver beugte sich nun entschuldigend vor ihr. „Ludeny, ich möchte dir Tilia vorstellen. Sie ist Topangs kleine Schwester und die Auserwählte des dra goonischen Volkes.“, sagte Liam und deutete auf diese.
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„Und deine Exverlobte, darfst du nicht vergessen!“, sagte Tilia sanft lächelnd und ging mit ausgestreckter Hand auf Ludeny zu. „Ich möchte mich in meinem und im Namen meines Volkes dafür bedanken, dass mein Bruder hier seine Segnung und seine Ruhe finden durfte!“ Als Tilia das Wort „Ex-Verlobte“ ausgesprochen hatte, war Ludeny fast das Herz stehen geblieben. Sie bemühte sich krampfhaft die Fassung zu bewahren. „Das war doch selbstverständlich!“, antwortete sie kurz und versuchte dabei zu lächeln. Liam war plötzlich sehr übel geworden und er wusste, dass nicht das Fleisch daran schuld war, das er gerade zuvor gegessen hatte. Ein dicker Kloß hing nun in seinem Hals und er überlegte, wie er aus dieser vertrackten Situation flüchten könnte, als ihn Tilia wieder aus seinen Gedanken riss. „Ich werde mir jetzt mit Suntok eine Bleibe suchen. Auf dem Weg hier her habe ich ein hübsches Hotel entdeckt und dort werde ich wahrscheinlich einchecken.“ Sie war stolz auf sich. Trotz ihres „goldenen Kä figs“ - dem Dragoonpalast - wusste sie sich in der modernen Welt selbst zu helfen. Ludeny trat ein wenig beiseite, damit die beiden an ihr vorbei gehen konnten, um den Keller zu verlas sen. Als Liam an ihr vorbeischritt, sah sie ihm durchdringend in die Augen. Mit dem schlechten Gefühl im Magen und nicht wissend, was er in diesem Augenblick hätte sagen können, senkte er den Blick und schob sich schnell an ihr vorbei. „Oh je, so wollte ich das nicht. Eigentlich wollte ich das gar nicht!“, dachte er bei sich und folgte Tilia ins Treppenhaus. Oben angekommen gab er ihr noch seine Telefonnummer und wollte ebenfalls schnell das Haus verlassen. „Liam!“, sagte Ludeny. „Wolltest du mir nicht etwas sagen?“ Unentschlossen drehte er sich zu ihr. „Entschuldige Ludy! Ich kann jetzt nicht reden. Ich bin völlig erledigt und wir können das sicherlich ein anderes Mal besprechen. Es ist wirklich nicht der Rede wert.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, lächelte er sie verlegen an und ging hinaus, zu seiner Harley Davidson. „So nicht mein Lieber, so einfach kommst du mir nicht davon!“, dachte Ludeny und lief ihm hinterher. „Liam, bleib stehen.“, rief sie noch schnell bevor er seine Maschine starten und einfach verschwinden konn te. Als er sie gehört hatte, richtete er sich auf der Maschine auf und blickte sie an. „Ludeny, ich bin müde, muss das jetzt wirklich sein?“, fragte er entnervt. „Ja, das muss es. Ich verstehe das alles nicht. Heute Morgen war alles so, ich meine, wir haben doch irgendwie an etwas gearbeitet, an uns, meine ich. Wer ist sie?“ Die Fragen purzelten nur so aus ihrem Mund und sie spürte schon heiße Tränen in ihren Augen aufsteigen. Liam griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. „Ich schwöre dir es ist alles anders, als du denkst. Es ist wahr, wir waren einmal verlobt. Aber das ist so lange her, länger als das mit uns beiden. Verstehst du? Es war vor deiner Zeit. Ich verspreche dir, wir reden darüber. Aber bitte erst morgen, okay? Ich ruf dich an, versprochen!“, sagte er und blinzelte ihr aufmunternd zu. Dann ließ er den Motor an und fuhr los. „Ich rufe dich an!“ Ludeny stand wie angewurzelt da und konnte es nicht fassen, was da soeben ans Tageslicht gekommen war. „Was habe ich nur verbrochen, weshalb er mich so behandelt?“, dachte sie und ging zurück ins Haus. Einge Minuten später fuhr ein lilafabener Porsche 356 vor dem Haus vor und Wanda stieg gut gelaunt aus ihrem Auto. Sie rannte ins Haus und die Treppen zu Ludenys Wohnung empor. Oben angekommen, klopfte sie an die Tür und wartete darauf, dass man ihr öffnete. Mit traurigem Gesicht und völlig verstört, schaute Ludeny durch den Spion. „Auch das noch!“, dachte sie und drückte die Klinke hinunter. „Hi, Wanda!“, begrüßte sie die Risis völlig überzogen und Wanda blickte sie verwundert an. „Eigentlich bin ich ja hier, weil ich mich nach Liam erkundigen wollte, ich wollte ihn nicht eher stören, bevor ich deine Erlaubnis habe. Aber jetzt, denke ich, dass du ein Problem hast. So hast du mich noch nie begrüßt!“ Ludeny sah sie kurz an. „Er ist nicht mehr hier. Das Ritual ist vorbei und er war so müde, das er nach Hause wollte! Zufrieden?“ Sie war genervt und Wanda war bestimmt die Letzte, der sie von ihrem Ärger
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erzählen würde. „Okay, dann fahre ich eben zu ihm nach Hause und kläre es persönlich mit ihm.“ Ohne sich zu verab schieden, schloss Die Dunkelslug die Tür und ging in ihr Schlafzimmer. „Und hübsch ist diese Tilia auch noch!“, dachte sie und warf sich gekränkt aufs Bett. Als Wanda bereits unten auf der Strasse angekommen war, sah sie noch einmal zu Ludenys Fenster hoch und schüttelte verwundert den Kopf. „Menschen!“, sagte sie und stieg in ihren Wagen. Kurze Zeit später fuhr sie an Liams Haus vor und beeilte sich die Treppen hoch zu steigen, um ihm von ihren Beobachtungen zu berichten. Liam kam gerade aus der Dusche, als es an seiner Tür klopfte. Er öffnete und war nicht wirklich verwundert Wanda davor zu sehen. „Komm rein!“, sagte er kurz und ging zurück ins Bad. Als er sich angezogen hatte, ging er ins Wohnzim mer, wo Wanda es sich in der Zwischenzeit auf der Couch gemütlich gemacht hatte. „Ich wollte eigentlich nur Bericht erstatten, denn während du leider unabkömmlich warst, habe ich mich inzwischen ein wenig in Newark umgesehen. Aber zuerst einmal: Was ist denn mit Ludeny los? Nicht, dass mich das fürchterlich interessieren würde, aber als ich vorhin bei ihr anklopft habe, war sie völlig durch den Wind!“ Liam blickte die Risis mit großen Augen an. „Wanda, ich bin müde und vollkommen erledigt. Ich möchte nur noch schlafen. Ich werde das alles auf klären - morgen. Du wirst sehen, auch Ludeny wird sich wieder beruhigen!“, sagte er und setzte sich neben sie. „Was gibt es denn zu berichten?“ „Ich habe den Tag vor der Villa verbracht. Ich dachte mir, während du das Ritual vollziehen musstest und Ludeny sich die Zeit mit Nick vertrieb, könnte ich mich vielleicht etwas nützlich machen und unseren Bösewicht ein wenig im Auge behalten. Doch leider war das wohl eine reine Zeitverschwendung. Es geschah gar nichts. Niemand verließ das Grundstück oder betrat es.“, endete sie. „Wie haben sich die zwei denn die Zeit vertrieben?“, hakte Liam, ohne auf den letzten Teil ihres Satzes zu achten, nach. Wanda tat gelangweilt, rollte mit den Augen und antwortete: „Na mit Übungen denke ich, wegen des Schwertes. Aber da kann man sich nie sicher sein. Nick ist ein gutaussehender Kerl – für einen Menschen - und vielleicht…“ Liam sprang auf. „Vielleicht? Du plauderst hier so vor dich hin und hast nicht mehr zu bieten als ein ‚Vielleicht’? Wanda sei mir nicht böse, aber auf diese Art Spielchen habe ich wirklich keine Lust. Ich habe eben erst für meinen besten Freund die Totenwache gehalten.“, fauchte er sie barsch an. Die Risis erhob sich und entgegnete: „Ich geh dann mal wieder. Deine Laune ist fast so schlecht, wie die deiner Freundin - entsetzlich!“ Dann verließ sie die Wohnung. Sie war sehr enttäuscht darüber, dass Liam nicht mal nachgefragt hatte, was die ganzen Tage so los gewesen war. „Ich kille diesen riesigen Fraskierer und er fragt nicht mal, was ich gemacht habe, um die Welt zu retten! Männer!“ Wanda steigerte sich etwas in ihre Wut hinein und dachte darüber nach, ins Vidal zu fahren, um ihren Frust bei einem Glas Wodka los zu werden. In Newark erwachte ein mies gelaunter Raymond Greeson in Hylias Bett. „Warum hast du mich nicht geweckt?“, fragte er die Magierin mürrisch. Hylia legte sich neben ihn, sie hatte sich erneut in ein viel zu enges Kleid in schwarzer Spitze gezwängt und lächelt ihn süß an. Sie kraulte ihm seine behaarte Brust mit ihren langen Fingernägeln und versuchte ihn damit aufzumuntern. „Was ist denn mit dir? Hast du schlecht geträumt, nachdem wir eine solche Nacht miteinander hatten? Du warst wieder einmal umwerfend!“ Greeson schob die Bettdecke beiseite und knurrte sie an. „Ich weiß, dass du nur von mir in solche Sphä ren versetzt werden kannst! Aber das ist nicht der Punkt!“ Er stand auf und zog sich seine Hose an. „Du weißt genau, dass ich nicht in fremden Betten aufwachen will! Egal ob es deines ist oder ein Anderes!“ „Entschuldige, aber du sahst so friedlich aus im Schlaf und ich wollte dich deshalb nicht aufwecken!“ Hylia schlich erneut wie eine Raubkatze um ihn herum.
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„Für´s nächste Mal, merkst du es dir! Verstanden? Sonst war es das letzte Mal für dich, dass ich dir deine gewissen ‚Nöte’ genommen habe!“ Er drehte sich um und knöpfte sich das Hemd zu. „Und ich will auch nie wieder hören, dass ich friedlich aussehe, wenn ich schlafe!“ „Gut, kein Problem!“ Hylia ging zum Fenster und blickte hinunter auf den Platz vor dem Haus. „Den Ska rabäus werden wir leicht aus dem Museum heraus bekommen. Er wird nicht bewacht, soviel ich weiß!“ „Da weißt du aber sehr wenig, du verdammte Hexe! Ein Wächter des Okipheus-Pharaos ist ständig in der Nähe und du kannst dir denken, dass einer dieser Wächter besser zu kämpfen vermag, als drei ausgewach sene Frackons!“ Der Chancenug ging zur Tür. „Ich erwarte dich in zehn Minuten unten beim Frühstück und dann bringst du mir eine Idee mit, wie wir den loswerden können!“ Die Zimmertür fiel in das Schloss und Hylia verdrehte die Augen. „Du wirst schon sehen, dass ich diesen Wächter ganz einfach loswerde! Du unterschätzt meine Macht!“, sagte sie leise zu sich selbst und lächelte kalt. Liam erwachte nach einer unruhigen Nacht. Er hatte von Topang geträumt und von dem Versprechen, das er ihm gegeben hatte. Sein Körper fühlte sich wie betäubt an. Müde und erschöpft blieb er im Bett lie gen. Während des Rituals war er beschäftigt und daher blieb ihm keine Zeit zum Trauern. Doch jetzt war alle Arbeit getan und die Traurigkeit überkam ihn. Tränen liefen seine Wangen hinunter, als es plötzlich an der Tür klopfte. „Niemand da!“, schrie er und hoffte den Besucher dadurch loszuwerden. Doch das Klopfen erklang er neut. Zornig rief er: „Ich bin nicht da und ich will niemanden sehen!“ „Tilia hier, bitte öffne die Tür.“, gab sich sein Besuch zu erkennen. Schwerfüßig erhob sich der Halb gamblin aus seinem Bett und öffnete, nur mit seinen Shorts bekleidet, die Tür. Die Auserwählte blickte ihn sorgenvoll an und trat, in Begleitung ihres treuen Leibwächters Suntok, in die Wohnung ein. Tilia trug ein schwarzes, bodenlanges Kleid, welches sich um ihren zierlichen Körper spannte. Ihre Haare waren zu einem langen Zopf geflochten. Liam ging zurück in sein Schlafzimmer und streifte seinen Bade mantel über. „Liam, es ist bereits Mittag. Du musst aufstehen.“, sagte sie besorgt. Doch der Angesprochene ließ sich nur lustlos auf das Sofa im Wohnzimmer fallen. Langsam setzte sie sich zu ihm. „Ich weiß, das Ritual war anstrengend und du bist sicherlich sehr erschöpft. Und ich weiß, er war auch dein Bruder. Aber das Leben geht weiter und du hast ihm geholfen seinen, ihm zustehenden, Ruheplatz zu finden.“ Liam konnte sie nicht ansehen. Sein Gesicht war nass von den Tränen, die er in den letzten zwei Tagen hatte nicht vergießen können. Er verbarg sein Gesicht in den Händen, während Tilia ihm sanft über den Rücken streichelte, um ihm Trost zu spenden. „Wie kann ich weiterleben, mit dem Wissen, ihn nie wieder sehen zu können!?“, sagte er tränenerstickt. Ihre Berührung hatte seinen letzten Wiederstand gebrochen und so drehte er sich zu ihr und schluchzte. Tilia nahm ihn in den Arm und Wange an Wange beweinten beide den Verlust ihres Bruders. Ludeny konnte in dieser Nacht kaum schlafen und war sehr früh aufgestanden, um mit Liam zu reden. Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken und sie hob schnell den Hörer ab. „Ja?“, sagte sie verschlafen. „Ich bins! Wie geht es dir und gibt´s was Neues, bezüglich des Dämons?“, fragte Stevie am anderen Ende der Leitung. „Nein, soviel ich weiß, gibt´s nichts Neues. Ich denke, dass wir abwarten müssen, was Liam nun plant.“, antwortete Ludeny. „ Gut, dann melde ich mich später noch einmal!“ Stevie verabschiedete sich und Ludeny versprach, sich bei ihm zu melden, sobald sie etwas Wichtiges erfahren würde. Wenige Zeit später stieg Ludeny in ihren wagen. „Liam muss mir noch einiges erklären. Ich kann mich nicht einfach so abspeisen lassen!“ An Liams Haus angekommen, stellte sie ihr Auto in einer kleinen Seiten
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strasse ab und ging das Stück zu Fuss, um sich noch einmal genau zu überlegen, was sie ihm sagen würde. In ihre Gedanken vertieft, stieg sie die Stufen zu seinem Appartement empor und musste, oben angekommen, noch einmal tief durchatmen. Dann klopfte sie an. Genau in dem Moment, als Suntok ihr öffnete, konnte sie die beiden auch schon sehen. Liam und Tilia waren in inniger Umarmung verschlungen und streichelten sich zärtlich gegenseitig über den Rücken. Wut entbrand und mit Tränen in den Augen, schritt sie auf die zwei zu. „So ist das also?“ Liam schaute sie erschrocken an und ließ Tilia ruckartig los. „Ludeny! Nein, es ist nicht das, was du denkst! Tilia ist nur hier weil...“ Die Dunkelslug ließ ihn aber nicht ausreden. „Ich hätte es wissen müssen! Es gibt ja immer einen weib lichen Grund dafür, wenn man einen Korb von einem Mann bekommt!“ Ludeny drehte sich um und wollte so schnell wie möglich aus der Wohnung flüchten, aber Liam hielt sie am Arm zurück. „Lass uns das klären!“, sagte er flehend zu ihr. „Vergiss es! Du hast mir mit Taten mehr gesagt, als von Nöten gewesen wäre! Und nun lass mich endlich los!“, schrie sie wütend und funkelte Liam böse mit ihren wunderschönen grünen Augen an. Erschrocken über ihre Reaktion, ließ er sie los. Planlos rannte Ludeny aus der Wohnung. Liam blickte entschuldigend zur Auserwählten. „Es tut mir leid, Til! Ich kann sie nicht einfach so gehen lassen!“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, griff er sich seine Hose von der Sessellehne und zog sie sich, während er hinter seiner Liebe herrannte, über. Er stolperte die Treppen hinunter und schaffte es, sie ein Stück weiter, auf der Strasse einzuholen. „Ludy! Bitte geh nicht! Ich will mit dir reden!“, rief er und erreichte ihren Arm, als er nach ihr griff. „Bitte! Ich will nicht, dass du so gehst!“ Mit Tränen in den Augen blickte er sie flehendlich an. Ludeny versuchte ihren Arm wegzuziehen. Aber der Halbgamblin war stärker und um kein Aufsehen zu erregen, zog er sie in einen Hauseingang und drückte die Eingangstür auf. In einer dunklen Ecke des Haus flures, stand eine große Holzkiste, in der sich wohl das Streugut für den Winter befand und dorthin schleifte er die sich wehrende Ludeny. Ihre Stimme überschlug sich, während sie ihn beschimpfte. „Und, ist sie das, was du immer wolltest? Kann sie dir das geben, was ich anscheinend nie konnte?“ Liam liefen Tränen über sein Gesicht. „Ludy, meine süße, wunderschöne Ludy!“ Er streichelte ihr über die Wange. „Glaubst du das denn wirklich? Ich liebe nur dich! Und das ist die Wahrheit! Glaube mir doch!“ Sie sah ihm in die verweinten Augen und ihr Widerstand brach. Sie strich ihm die Tränen von den Wangen und küsste ihn zärtlich. Liam konnte ihr nicht widerstehen und erwiderte ihren Kuß. Ihre Hände glitten an seinem nackten Ober körper herab, während sie ihn näher zu der Kiste zog. Ihre Zärtlichkeiten wurden immer fordernder. „Oh Liam! Ich will dich so sehr!“, hauchte sie ihm ins Ohr. Den Halbgamblin verließen alle guten Vorsätze und er erlaubte es ihr, bei ihren Berührungen immer weiter zu gehen. Plötzlich erschienen Bilder in seinem Kopf. Er sah sich und Topang, als er ihm klarmachen wollte, wie sehr er Ludeny liebte und der Moment, in dem Topang, im sterben liegend, ihm das Versprechen abnahm, sich nicht in der Liebe zu verlieren. Ludeny strich zärtlich seinen Rücken entlang. „STOP! Nein, ich kann nicht! Verzeih mir!“ Liam wich zurück und atmete schwer. „Du kannst nicht?“ Ludeny war verwirrt. „Das sieht für mich aber ganz anders aus!“, sagte sie verletzt. „Du wolltest wohl eher sagen, du willst nicht!?“ Sie sprang von der Kiste und ging auf ihn zu. Liam wich erneut zurück. „Nein, ich kann nicht! Frag´ mich bitte nicht warum, ich müsste dich sonst anlügen und das ist das Letzte, was ich jetzt möchte!“ Erneut traten Tränen in ihre Augen und sie musste schwer schlucken. „Ich denke, dass du das ohnehin schon immer getan hast! Und nur zu feige warst, es zuzugeben. Die Wahrheit ist wohl eher die, dass du im mer nur sie geliebt hast. Oder du dich nie für eine von uns entscheiden konntest!“ Ludeny drehte sich um und wollte das Haus verlassen, schritt dann aber noch einmal auf ihn zu und sah ihm ins Gesicht.
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„Gib es doch wenigstens zu!“ Sie konnte ihre Enttäuschung nicht mehr verbergen und so schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann drehte sie sich weinend weg und rannte aus dem Flur, auf die Strasse hinaus. Liam folgte ihr nicht und stand stattdessen angewurzelt da. Wie hätte er ihr erklären können, was er Topang versprochen hatte? Das er schwor, immer für das Gute zu kämpfen und ihr zu widerstehen, da er sonst mit strafenden Konsequenzen zu rechnen hatte? Liam würde niemals seinen besten Freund derart verraten und schon gar nicht für Dinge, für die auch dieser nichts konnte! Liam konnte nicht fassen, was da eben passiert war. Ludeny war gegangen und es kam ihm vor, als wäre ihm das Herz herausgerissen worden - so sehr schmerzte es ihn. Ludeny war verwundert, dass sie den Weg zu Nicks Wohnung überhaupt zurücklegen konnte. Sie fühlte sich elendig, war wütend und enttäuscht. Jetzt konnte sie sich endlich einen Reim auf Liams Verhalten machen, auf all seine Zurückweisungen. Als er sie damals verlassen hatte, war sie in ein tiefes Loch gestürzt. Nach all den Jahren erst konnte sie verstehen, was damals der Grund für seine Flucht war. „Du liebst sie immer noch!“, sagte sie nun laut, als sie den Motor abstellte und ihr Gesicht im Rückspiegel begutachtete. Ihre Wimperntusche war natürlich verlaufen und die geröteten Augen konnte sie auch nicht verleugnen. Und doch war sie zu Nick gefahren. Sie hatte nicht einmal lange nachgedacht. Entschlossen war sie bei Liam in ihren Wagen gesprungen und direkt hierher gefahren. Doch jetzt verließ sie irgendwie der Mut. Langsam stieg sie aus und warf die Autotür ins Schloss. „Ich kann auch meinen Spaß haben!“, sagte sie versucht selbstbewusst, zu sich selbst. Dann rannte sie entschlos sen die Treppe zu Nicks Wohnung hoch und klopfte an dessen Tür. Er öffnete kurz darauf und blickte verwundert in Ludenys verweintes Gesicht. Gerade als er etwas sagen wollte, drängte sie ihn zurück in sein Appartement. Sie hatte eine Hand gegen seine Brust gestemmt und stieß mit ihrem rechten Fuß die Tür zu. Immer weiter in die Wohnung schob Ludeny Nick vor sich her, bis sie bei den Fenstern angelangt waren. Mit der freien Hand griff sie nach einem Teil des Vorhanges und zog ihn zu. Nick hatte endlich seine Fassung wiedererlangt und wollte etwas sagen, als sie ihre Hand von seiner Brust nahm und ihre Finger auf seine Lippen legte. Zärtlich begann sie ihn zu liebkosen, während sie ihren Körper eng an seinen presste. Plötzlich umschloss sie mit ihrer Hand sein Kinn und hielt es fest. Ihre Blicke trafen sich und die Dunkels lug schloss die Augen. Dann trafen ihre Lippen hart auf die seinen und sie begann ihn gierig zu küssen. Nick war ein wenig perplex, aber er genoss ihre Berührungen sichtlich. Er erwiderte ihren Kuss und be gann zärtlich ihren Rücken zu streicheln. Ludeny zerrte ungeduldig mit beiden Händen an seinem T-Shirt bis es letztendlich zerriss. Die beiden waren nicht mehr zu halten und vergaßen sich völlig in ihrem Liebesspiel. Nachdem sie sich ettliche Stunden leidenschaftlich einander hingegeben hatten, kuschelten sie sich erschöpft zusammen. Nick war fest eingeschlafen, und bei Ludeny stellte sich schon das schlechte Gewissen ein. „Oh Ludeny, was hast du jetzt schon wieder angerichtet?“, fragte sie sich selbst und schlängelte sich be hutsam aus seiner Umarmung. Leise stand sie auf, sammelt ihre Kleidung zusammen und zog sich auf dem Weg zur Wohnungstür halbherzig über. „Verfluchter Mist! Ich kann doch nicht einfach so gehen!“, rügte sie sich selbst und ging langsam zum Schreibtisch zurück. Sie griff zu einem Zettel und schrieb mit einem roten Stift „Verzeih mir!“ darauf. Nachdem sie den Zettel neben Nick auf die Matte gelegt hatte, verließ sie, enttäuscht über sich selbst, die Wohnung.
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Liam
Verräter
war nach seinem Streit mit Ludeny nach Hause gegangen. Er hoffte, alleine zu sein. Denn er hatte keine große Lust, irgendwelche Erklärungen zu machen. Aber seine Hoffnung zerschlug sich, als er die Tür aufstieß und Tilia besorgt vor ihm stand. „Liam, es tut mir Leid! Ich wusste nicht, wer sie ist! Topang hatte mir bei unseren Treffen im Traumland von ihr berichtet. Aber ich war wohl in letzter Zeit ein wenig zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Verzeih mir bitte!“ „Es ist schon okay, Til! Bei Ludeny und mir läuft es eigentlich das ganze Leben schon so ab. Sie ist ständig sauer auf mich, fühlt sich verletzt und übergangen.“ Liam ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu ko chen. „Sie wird sich wieder beruhigen. Dich trifft wirklich keine Schuld. Sie ist sehr impulsiv.“ Liam lächelte zaghaft, um Tilia zu beruhigen. Irgendwie hatte er allerdings das Gefühl, dass Ludeny ihn dieses Mal wirk lich verlassen hatte und diesen Schmerz konnte er kaum ertragen, geschweige denn verbergen. „Wie wäre das. Ich lade dich auf eine Shoppingtour ein - auf kosten des dragoonischen Reiches. Bitte Liam, zeig mir New York! Ich werde wahrscheinlich nie wieder die Möglichkeit haben, diese Stadt zu sehen. Und mit Suntok kann ich schließlich nicht gehen!“ Da sie irgendwie nicht die richtigen Worte fand, um ihm Mut zu machen, wechselte Tilia einfach das Thema und schaute ihn dabei ein wenig verzweifelt an. „Sorry Til! Ich möchte wirklich nicht unhöflich erscheinen. Aber ich bin einfach nicht in der Stimmung für eine Sideseeingtour. Versteh das bitte!“ Liam goss sich eine Tasse Kaffee ein, als es an der Tür klopfte. Liam blickte zu Suntok, der bereits schon wieder sein Schwert gezogen hatte und sich in Kampfstellung begab. „Immer mit der Ruhe, Suntok! Nicht jeder, der in New York an einer Tür klopft, ist ein potenzieller Amgreifer!“ Er ging zur Tür und sah durch den Spion nach draußen. Wanda stand da und streckte ihm die Zunge heraus. Liam schmunzelte ein wenig und öffnete ihr. „Was sollte das denn?“, fragte er sie, als sie eintrat. „Nichts! Ich dachte, Menschen stehen auf solche Witze. Und außerdem, hasse ich es, wenn ich durch dieses winzige Loch beobachtet werde!“ Als Wanda ins Wohnzimmer eintrat, stand Tilia vor ihr und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. „Hi, ich bin die Auserwählte der Dragoonen! Aber Tilia reicht völlig aus, als Anrede!“ Wanda war über rascht und gab ihr ebenfalls die Hand. „Freundlich diese Dragoonen!“, sagte sie und blickte fragend zu Liam hinüber. „Ich wusste das nicht. Ich dachte immer, die sind alle wie du!“ „Was soll das denn bitte heißen? Ich bin doch die Freundlichkeit in Person!“, protestierte Liam. „Darf ich übrigens vorstellen. Tilia das ist Wanda. Wanda, du weißt es ja bereits, das ist Tilia – die Auserwählte. Oh, und das dort drüben ist Suntok, Tilias treuer Leibwächter.“ „Sehr nett, Sie kennenzulernen.“, erwiderte Tilia. „Vielleicht können Sie mir helfen, Wanda. Ich würde so gerne die Stadt besichtigen und Liam will mich einfach nicht begleiten! Können Sie ihn nicht überreden?“ „Da sind Sie bei mir wirklich an der falschen Adresse. Ich bin die Letzte, auf die er hören würde.“, sagte Wanda. „Hey, da haben wir ja die Lösung!“, warf Liam ein, „Wanda geht mit dir! Sie kennt die Stadt wie ihre Westen tasche und kann dich nebenbei mindestens genauso gut bewachen, wie ich selbst!“ Tilia sah Wanda an und lächelte begeistert. „Oh ja, gerne! Wenn Sie das tun würden, wäre das wirklich sehr nett von Ihnen!“ Wanda blickte etwas eingeschnappt zu Liam hinüber. Nicht, dass sie das nicht gerne für Tilia tun würde, aber sie wäre gerne
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vorher von Liam gefragt worden. So fühlte sie sich jedoch von ihm übergangen. Suntok blickte skeptisch zu Wanda hinüber und bat Tilia um ein Gespräch unter vier Augen. „Eure Hoheit, ich denke nicht, dass es sehr klug ist, wenn Sie sich auf dieses dämonische Wesen einlassen! Ich meine, das ist eine Risis und die sind ein sehr streitsüchtiges Volk!“ Während Suntok so auf sie einredete, kamen Erinnerungen in Tilia hoch, die sehr schmerzten.
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In seiner Art erinnerte Suntok sie sehr an Topang, wenn er ihr immer wieder erklärte, dass nicht alle Dämonen so wie die Dragoons waren! Ihr Bruder versuchte sie ständig zu warnen, wenn sie sich in ihrem „Traumland“ trafen. So nannten sie dieses mystische Reich unter Geschwistern. Es war eine einzigartige Verbindung, nur dragoonische Seelenverwandte konnten diese geistige Ebene miteinander aufbauen. Dort konnten sie sich treffen und sich über alles Mögliche unterhalten. So war es auch, als er sich kurz vor seinem Tot bei ihr gemeldet hatte, um ihr zu berichten, was er alles in letzter Zeit erlebt hatte. Auch hatte er erzählt, dass Liam unsterblich in dieses Dunkelslugmädchen verliebt war und das er eine Risis kennengelernt hatte, die eine sehr gute Kriegerin zu sein schien und eben anders, als die, die er in seinem bisherigen Leben getroffen hatte. „Hat er da schon geahnt, dass wir uns nie wieder sehen würden?“ Plötzlich schreckte sie hoch. Suntok hatte anscheinend seine „Predigt“ beendet. „Suntok, wenn Liam ihr vertraut, dann tue ich das auch! Und ich weiß, dass Topang ebenfalls von ihr überzeugt war. Und wenn sie bereit ist, mir die Stadt zu zeigen, dann werde ich mit ihr gehen!“ Tilia drehte sich um und ging lächelnd auf Wanda zu. „Zeigen Sie mir die Stadt, Wanda?“ Die Risis war beeindruckt, dass Tilia sich so durchgesetzt hatte und ihr wohl zu vertrauen schien. Sie konnte gar nicht anders, als einzuwilligen. „Gehen wir!“, sagte sie spontan und öffnete Tilia die Wohnungs tür. Suntok folgte ihnen und die Tür fiel ins Schloss. Liam war froh jetzt endlich allein sein zu können und ging in sein Schlafzimmer. Auf der Strasse bat Tilia darum, noch einmal ins Hotel zu fahren, um sich schnell etwas Anderes anzuziehen und Suntok durch den Hintereingang in das Gebäude zu schleusen. Nachdem sie den Leibwächter – unter dessen Protest – an besagtem Einlass abgeliefert hatten, lief Tilia schnell in ihre Suite. Sie wechselte das schwarze Trauerkleid gegen Jeans und ein T-Shirt. „Ich möchte Liam so gerne einen besonderen Tee kochen, um ihn etwas aufzumuntern. Ich habe gehofft ihn in New York zu bekommen, da ich in meiner Eile vergaß ihn mitzunehmen. Können wir vor der Rund fahrt noch nach China Town fahren? Ich bin mir sicher, dass ich ihn dort finde!“, bat Tilia die bereits etwas genervte Wanda. „Natürlich“, antwortete diese knapp und startete ihren Wagen. Es dauerte nicht lange und sie hatten Chinatown erreicht. Überall waren Schilder mit asiatischen Schriftzeichen zu sehen. Die Auslagen der Ge schäfte waren vollgestopft mit allen möglichen Waren und teilweise hingen rote Textilbänder vor den Türen. Zwischen den einzelnen Gebäuden hingen Lampionketten und unzählige kleine Marktstände befanden sich links und rechts am Straßenrand. Wanda parkte den Wagen in der Mulberry Str, in der Nähe von Nicks Apparte ment. Zu Fuß ging es weiter durch die kleinen Gassen. Tilia gefiel es hier sehr. Ein kleiner Kräuterladen hatte in seinem Sortiment sogar diesen speziellen Tee. Auf dem Rückweg zu Wandas Porsche, kauften sich die beiden Frauen in einem kleinen Lokal noch einen kalten Jasmintee. „Ich könnte mir nicht vorstellen so zu leben. Ein goldener Käfig, was für ein Horror, schon alleine der Gedanke!“, sagte Wanda, nachdem Tilia von ihrem Leben als Auserwählte erzählt hatte. „Es ist gar nicht so schlimm, wie Sie vielleicht denken. Aber wenn ich das hier alles so sehe, New York und die vielen Menschen, da merke ich, dass es bei mir zu Hause doch ruhiger und ...“ Vollkommen in das Gespräch mit Wanda vertieft, stieß Tilia plötzlich mit jemanden zusammen. Ihr Eistee schwappte über. Sie blickte verlegen nach oben und schaute in ein äußerst attracktives, dunkles Männergesicht. „Nick, schön dich zu sehen!“, versuchte Wanda die Situation zu entschärfen. „Entschuldige, wir waren so
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sehr mit unserer Untehaltung beschäftigt. Tilia, darf ich vorstellen? Das ist Nick Dellary. Nick das ist Tilia.“ Die Auserwählte streckte ihre Hand aus und Nick ergriff sie. „Freut mich!“, sagte er nur kurz. „Nick, alles in Ordnung? Du siehst so erledigt aus.“, stellte Wanda verwundert fest. „Alles bestens, danke der Nachfrage. Ich war gerade auf dem Weg in den Tempel!“, sagte er und machte Tilia damit neugierig. „Ein Tempel - hier in der Gegend? Wäre es sehr aufdringlich, wenn wir Sie begleiten. Es würde mich sehr freuen!“ Nick blickte kurz zwischen den zwei Frauen hin und her und erklärte sich schließlich einverstan den. Während sie gerade eine Straße überquerten, versuchte er so beläufig wie möglich, Wanda zu fragen, ob sie Ludeny heute schon gesehen hatte. „Nein, ich meine, wir sind nicht gerade die besten Freunde. Ich habe sie nur an dich vermittelt, weil wir einen gemeinsamen Freund haben. Ich hatte gehofft, du kannst ihr helfen. Aber wie ich sehe, hast du ihr weit mehr geholfen, liege ich da richtig?“ Die Risis versuchte ihn aus der Reserve zu locken, um herauszu bekommen, was mit ihm los war. „Eigentlich spreche ich nicht über solche persönlichen Sachen mit anderen Leuten. Aber ich denke, dass ich dir vertrauen kann.“, sagte Nick. „Sie kam gestern zu mir, war völlig aufgelöst und hat mich, naja, sie hat, du weißt schon.“ Verlegen blickte Nick zu Boden. „Das Problem ist, dass sie einfach verschwunden ist und mir einen Zettel hinterlassen hat. Auf dem stand ‚Verzeih mir!’. Als ich aufwachte, war sie bereits weg!“ Ohne, dass die beiden es merkten, hatte Tilia aufmerksam zugehört und ihr schlechtes Gewissen, Liam und Ludeny gegenüber, wuchs noch mehr. „Ich hätte das mit der Verlobung nicht sagen dürfen! Wenn er sie jetzt endgültig verloren hat, dann trage ich die Schuld!“, dachte sie verzweifelt. Einige Schritte später waren sie vor dem buddhistischen Tempel angelangt. Tilia war erstaunt, wie schön er war. Sie war eigentlich immer der Überzeugung gewesen, dass es nur in Asien und somit natürlich auch in ihrem dragoonischen Reich solche schönen Tempel gab. Wanda freute sich schon sehr darauf in das Gotteshaus der Buddhisten zu gehen, war es doch schon beinahe Ewigkeiten her, dass sie mit Liam in eines gegangen war. Als sie gerade dabei waren sich ihrer Schuhe zu entledigen, bat Nick die Risis um Ludenys Adresse. „Ich muss sie unbedingt wiedersehen. Sie ist faszinierend! Und ich möchte, einiges mit ihr klären.“ Wan da sah ihn skeptisch an. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, aber okay! Sie wohnt in der Madison Avenue, Ecke 65ste Strasse. Aber versprich dir nicht all zu viel davon!“ Wieder hatte Tilia die beiden belauscht. Aus Rücksicht auf die anwesenden Mönche, sprachen die Besucher beim Eintreten in den Tempel kein Wort. Wie bei den buddhistischen Mönchen üblich, trugen diese oran ge-rote Kutten und waren kahlköpfig. Überall im Raum lagen Blumen verteilt und viele Räucherstäbchen ließen die Luft in dem Saal schwer werden. Am Ende des Tempels war auf einem Podest ein riesiger, gol dener Zenbuddha aufgestellt und jeder der den Raum betrat, verbeugte sich vor diesem. Tilia ging zu dem Stand, an dem man Räucherstäbchen erwerben konnte und kaufte fünf Stück, für jedes Familienmitglied, das sie bereits verloren hatte, eines. Dann ging sie in kleinen Schritten zu der Statue und zündete mit Hilfe eines Streichholzes alle fünf Stäbchen an, bevor sie niederkniete und betete. Wanda hatte auch einige Räucherstäbchen erworben und meditierte ebenfalls. Nick hatte sich in der Zwischenzeit mit einem der Mönche unterhalten und kam nun, als eine der beiden Frauen geendet hatte und zum Gehen bereit war, wieder zu ihr herrüber. Vor der Tür sprach er Tilia an. „Sie haben sehr viele Stäbchen entzündet. Haben Sie jemanden verloren, der Ihnen wichtig war?“ Die Auserwählte blickte scheu in eine andere Richtung. „Ja, leider nicht nur eine liebe Person. Es ist schon alles sehr lange her und die Stäbchen waren schon lange fällig. Ich habe die Tempelgänge leider ziemlich vernachlässigt!“ gab sie nun kleinlaut zu. „Das tut mir leid für Sie.“, entgegnete Nick mitfühlend. „Mein Bruder ist erst vor einigen Tagen dem Rest meiner Familie gefolgt. Ich bin hier, um ihn nach Hause zu holen.“, erzählte Tilia. Während Wanda noch in ihre Meditation versunken war, gingen Nick und die Aus
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erwählte einige Schritte durch den kleinen Garten vor dem Tempel. Auf einer Bank setzten sie sich. „Sie tragen einen außergewöhnlichen Ring!“, bemerkte Nick. Tilia strich mit einem Finger vorsichtig darüber. „Dieser Ring hat eine besondere Bedeutung. Er hat heilende Wirkung und gleichzeitig lässt er mich fühlen, wenn jemand aus meinem Volk gestorben ist. Er ist sozusagen die Verbindung zwischen mir und meiner Bevölkerung.“ Nick stand bei ihren letzten Worten auf. „Dann ist es also wahr. Sie sind die Auserwählte der Dragoons! Eure Hoheit - es tut mir leid. Ich kenne zwar Geschichten über Euch und euer Volk, aber ich habe, um ehrlich zu sein, nicht wirklich daran ge glaubt.“, sagte er unterwürfig und verbeugte sich dabei tief. „Nick ich bitte Sie, setzen Sie sich wieder hin. Ich bin einfach nur Tilia, zumindest für die Zeit, die ich hier in Amerika bin, okay? Ich trauere um meinen Bruder und genieße die kurze Freiheit dieser Reise. Bitte, keine Förmlichkeiten!“, bat sie und sah ihn eindringlich in seine Augen. „Na ihr beiden, fertig?“, fragte Wanda, die in der Zwischenzeit zu ihnen gestoßen war. Diese stand auf und reichte Nick die Hand. „Es hat mich wirklich gefreut Sie kennengelernt zu haben. Danke für den Tempelbesuch!“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich. Wanda nickte noch kurz in seine Richtung und die Frauen gingen zurück zum Wagen. „Und wohin jetzt Tilia? New York ist groß!“, fragte Wanda als sie den Motor startete. Tilia blickte sie vorsichtig von der Seite her an „Ich bin wirklich dankbar, dass Sie für mich die Fremdenführerin spielen wollen, aber ich bin doch mü der als ich annahm und ich würde sehr gerne ins Hotel zurück fahren, wenn es Ihnen nichts ausmacht?“ „Kein Problem, ich führe Sie zurück und Suntok wird sicherlich glücklich darüber sein, Sie wieder in seiner Obhut zu wissen.“ Wanda steuerte ihr Auto auf direktem Weg zu Tilias Hotel. „Ich hoffe, es geht Ihnen bald wieder besser. Ruhen Sie sich ein wenig aus.“ Mit diesen Worten verab schiedete sich die Risis und fuhr davon. Tilia trat in die Hotelhalle und blieb neben der Eingangstür stehen. Sie beobachtete wie Wanda wegfuhr und wartete drei weitere Minuten um sicher zu gehen, dass diese auch wirklich außer Sichtweite war, bevor sie nun wieder zurück auf die Straße trat. „Und jetzt bringen wir einmal wieder etwas Ordnung in Liams Gefühlswelt!“, sagte sie zu sich selbst und winkte sich ein Taxi herbei. Sie wies den Fahrer an, nach Manhattan zu fahren. Tilia wollte unbedingt zu Ludeny, um mit ihr über Liam zu reden. Schließlich war sie ein wenig mit Schuld daran, dass die beiden sich so sehr zerstritten hatten und er sah so schrecklich unglücklich aus, als sie ihn an diesem Tag verlassen hatte. „Suntok wird wütend sein, dass ich ihn nicht mitgenommen habe.“, dachte sie bei sich und schaute ungeduldig zum Fenster hinaus. Ludeny saß gerade in ihrer Küche und blies Trübsal, während sie ein Soda trank. „Was habe ich mir dabei eigentlich gedacht? Ich kann doch nicht zu irgendeinem Mann ins Bett steigen und so tun, als ob alles Andere an mir abperlt wie Wasser an einer Lotusblüte!“, dachte sie bei sich und Tränen stiegen ihr in die Augen, als es unerwartet an ihrer Tür klingelte. „Wer ist das denn jetzt schon wieder? Ich hoffe Stevie, den kann ich wenigstens schnell wieder abwimmeln!“, sagte Ludeny im Gehen zu sich. Sie öffnete die Wohnungstür und erstarrte. Vor ihrer Tür stand Tilia und lächelte sie so freundlich an, als ob nie etwas gewesen wäre. „Hallo Ludeny. Ich bin hergekommen, weil ich unbedingt mit Ihnen reden muss!“, sagte diese und schau te sich unruhig im Treppenflur um. Ludeny war so perplex, dass sie Tilia ohneweiteres die Tür weit öffnete und sie eintreten ließ. „Das ist aber eine schöne Wohnung, sehr geschmackvoll eingerichtet!“ Tilia wollte die Stimmung etwas lockern und hoffte, dass Ludeny vielleicht darauf eingehen würde. „Wissen Sie, Sie sind wirklich die Letzte, die ich hier erwartet hätte. Sehr mutig von Ihnen hier auf zutauchen! Ich meine, schließlich sind Sie doch die Gewinnerin, wollen Sie ihren Triumph auskosten oder was führt Sie her?“ Ludeny verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und wartete ungeduldig auf eine Antwort.
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„Nein, ich bin weder eine Gewinnerin, noch will ich hier irgendetwas auskosten! Ich wollte Ihnen nur sagen, dass das alles ein Missverständnis ist. Ich bin nicht mehr mit Liam zusammen. Wir fühlen nicht mehr füreinander als Geschwister! Und ich habe da leider nicht mehr soviel Auswahl, wie ich gerne hätte. Er liebt Sie und das ist die Wahrheit! Wissen Sie das denn nicht? Er würde alles für Sie tun und Sie verdächtigen ihn, Sie zu betrügen. Sie sollten sich wirklich schämen!“ Tilia schaute Ludeny jetzt genauso trotzig an, wie diese sie zuvor angesehen hatte. „Er hat sie aber umarmt! Und Sie selbst haben mir doch stolz einen Abend vorher berichtet, dass er ihr Ex-Verlobter ist!“ Streitsüchtig, wie Ludeny nun mal war, gab sie nicht so schnell kleinbei. „Und für Sie wollte er sogar sein Versprechen bei den Eternidati di Infinitio brechen! Wenn das nicht Liebe ist!“ Tilia konnte an Ludenys Gesichtsausdruck erkennen, dass sie soeben einen Trumpf ausgespielt hatte, wusste jedoch nicht ganz, welchen. Denn die Dunkelslug blickte ziemlich ratlos, als sie den letzten Satz der Auserwählten vernommen hatte. „Was für ein Versprechen und was für Datis?“, fragte sie nun verdutzt. Tilia ging ein Stück auf sie zu und sah wahrscheinlich genauso verblüfft aus, wie Ludeny zuvor. „Hat er Ihnen das denn nie erzählt? Die Eternidati di Infinitio, ich sage immer kurz EdI, sind die Wächter der Ewigkeit!“ „Was soll er mir erzählt haben?“, fragte Ludeny erneut. Tilia nahm sie nun bei der Hand. Sie hatte an scheinend begriffen. Liam hatte Ludeny nie berichtet, dass er eine Verpflichtung diesen Mächten gegen über eingegangen war, die ihn dazu zwang, im Dienst des Guten zu arbeiten und ihm eindeutig verbot, menschliche Gefühle auszuleben. „Das heißt, körperliche Liebe ist tabu! Genauso wie Spielleidenschaft, Drogenkonsum, Alkoholsucht und so weiter! Eben alles, was in extremer Form von Menschen ausgelebt werden könnte! Das alles würde ihn von seinen Pflichten abhalten! Verstehen Sie das?“, schloss Tilia ihren Bericht ab. „Aber wann war das? Ich meine, wann haben die ihn dazu verpflichtet?“ Ludeny saß völlig verunsichert neben Tilia und wusste nicht mehr, wie ihr geschah. „Oh, ursprünglich seit seiner Erschaffung zum Halbgamblin. Aber erfahren hat er es wohl eines Nachts in Marseille. Diese Mächte, von denen ich da eben gesprochen habe, sind sehr stark und wenn sie sich auf einen, sagen wir einmal, Deal einlassen, dann gilt der für die Ewigkeit. Liam hatte, als seine Familie getötet wurde, darum gebeten Rache üben zu dürfen und die Edis haben die Verwandlung nur zugelassen, weil er sich verpflichtet hatte, immer für das Gute zu kämpfen. Topang sagte mir damals, dass es wohl eine be sondere Nacht gewesen sein musste, in der sie Liam aufgesucht hatten. Denn er war danach nie wieder so wie vorher. Ins Detail wollte mein Bruder damals nicht gehen und ich habe mich auch nicht getraut, noch einmal nachzufragen.“ Ludeny war wie vom Blitz getroffen. Ihr Liam verzichtete auf alles Weltliche, um immer für das Gute zu kämpfen. „Ich Idiotin! Warum habe ich mich nie gefragt, warum er sich nie dafür entscheiden konnte, bei mir zu bleiben? Und er ist ein noch größerer Trottel. Hat er denn gedacht, dass ich seine edlen Motive nicht verstehen würde?“ Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. „Nein, so ist das nicht!“, warf Tilia ein. „Er würde bestraft werden, wenn er gegen die Abmachung versto ßen würde! Sie würden Liam in eine andere Dimension schicken und er wäre für immer weg. Er gibt sich dir nicht hin, weil er in deiner Nähe bleiben will! Und nicht aus edlen Motiven!“ „Und woher wollen Sie das wissen?“, fragte Ludeny. Ihr schlechtes Gewissen wuchs und wuchs, mit je dem Satz, den Tilia sagte. „Ich kenne ihn wirklich schon lange und glaub mir, wenn ich beobachte, wie er dich ansieht, dann weiß ich, was mit meinem Bruder los ist!“ Tilia lächelte. Sie redeten noch eine ganze Weile und Ludeny musste sich selbst eingestehen, dass Tilia eigentlich ge nau ihre Kragenweite war. Als sie die Auserwählte zur Tür begleitete, sagte sie: „Ich möchte dich um etwas bitten: Sag Liam nicht, dass ich nun alles weiß. Ich will es ihm dann mitteilen, wenn ich meine, der richtige Zeitpunkt wäre gekommen!“ Tilia nickte und sie verabschiedeten sich herzlichst voneinander. Die Auserwählte kam gerade noch rechtzeitig im Hotel an, bevor Suntok von seinem Schläfchen er
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wachte. Mit einem Tischchen voll Essen erwartete sie ihren Beschützer und lächelte ihn freundlich an. „Du wirst wohl noch Tage brauchen, bis du den Jetlake überwunden hast.“, sagte sie und biss in eine saftige Erdbeere. Zur selben Zeit und ganz in ihrer Nähe traten zwei unheimliche Gestalten aus der Eingangstür des Me tropolitan Museum für Kunst. Hylia und Greeson stiegen langsam die Treppen herunter und wechselten vielsagende Blicke. Sie setzten sich in die dunkle Limousine und fuhren davon. „Das Museum ist so, wie ich es mir dachte, aber dieser Wächter…“, murmelte Greeson gedankenversun ken vor sich hin. „Ich habe dir schon gesagt, dass ich das in den Griff bekomme. Du solltest mir schon etwas mehr zumu ten, mein Lieber!“, erwiderte Hylia etwas beleidigt und der Chauffeur fuhr die beiden zurück zur Villa. Nick hatte kurz bei sich zu Hause vorbeigeschaut und sich frisch gemacht, bevor er sich auf den Weg zu seiner Schülerin machte. Leider war auch weiterhin keine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter zu ver nehmen. Es dauerte einige Zeit bis er, dank der öffentlichen Verkehrsmittel, bei ihr angekommen war. Nun stand er vor der Adresse, die Wanda ihm gesagt hatte. Er wagte es nicht das Haus zu betreten. Seit nunmehr dreißig Minuten lehnte er an der Hauswand gegenüber und überlegte hin und her. Schließlich verlor er die Geduld. „Ich habe es nun wirklich nicht nötig. Sie tanzt mir auf der Nase herum und ich habe nichts Besseres zu tun, als hier zu stehen.“, sagte er entschlossen und drehte sich zum Gehen um, als er über der Tür eines Lo kals ein Schild mit der Aufschrift „The Fly“ entdeckte. „Auch eine Möglichkeit, zuerst etwas Trinken, dann noch einmal überlegen!“, sprach er und betrat kurzentschlossen die Bar. Da es schon 8:00 Uhr war, füllte sich der Laden bereits und Nick setzte sich auf einen der noch leeren Plätze an der Theke. Liam hatte den ganzen Tag im Bett verbracht. Am frühen Nachmittag konnte er sich überwinden und aß ein wenig. Sein Kopf dröhnte. Seit einigen Stunden waren nun auch seine Tränen versiegt. „Zuerst verliere ich Topang und jetzt auch noch Ludeny! Aber sie ist ja auch so stur. Irgendwie muss ich das wieder in Ord nung bringen. Aber wie?“ Liam ging in sein Schlafzimmer und überlegte. „Da war doch noch...“ Er bückte sich vor sein Bett und ging in die Knie, dann hielt er eine Hand unter den Lattenrost und sprach. „Pölser open!“ Plötzlich erschien wie aus dem Nichts, eine schwarze Ebenholzkiste von beträchtlichen Ausmaßen. Er zog sie hervor und öffnete die messingbeschlagene Truhe. Heller Glanz strahlte ihm entgegen und er lächelte, als er daran denken musste, wie er an all diese Schmuckstücke und das Gold gekommen war.
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Vor etwa 00 Jahren ließ er sich von einem kleinen Dorf in Dänemark anheuern, um es von diesem häss lichen, dummen Troll zu befreien, der die armen Menschen tyrannisierte. Der Troll war ziemlich träge an diesem Tag und er bemerkte nicht, dass Liam ihn beobachtete, während dieses hässliche Wesen seine Schatzkiste mit genau denselben Worten geöffnet hatte. Liam schlich sich von einem geschützten Winkel der Strandhöhle, in der der Troll sich häuslich einge richtet hatte, an ihn heran und nutzte die Gunst der Stunde den Troll, während dieser schlief, anzugreifen. Es war ein Leichtes ihn kampfunfähig zu machen und ihm den finalen Stoß ins Herz zu geben. Liam – so ehrlich er eben immer war - brachte den Schatz als Entschädigung zu den Menschen des Dorfes. Doch diese wollten nichts damit zu tun haben. So dachte er, dass es in diesem Falle dann wohl nur Recht und Billig war, den Schatz an sich zu nehmen und verließ nach diesem kurzen Intermezzo die Küste Dänemarks. Nachdenklich wühlte Liam in seinen Schmuckstücken herum, da fiel ihm eine Weißgoldkette in die Hand und er ließ das feine Schmuckstück durch seine Finger gleiten. „Das ist es!“, sagte er laut. An der ungefähr fünfundvierzig Zentimeter langen Halskette hing ein Rubinanhänger in der Form
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einer Lotusblüte. Mit zirka anderthalb Zentimeter im Druchmesser war das Kleinod wirklich sehr zierlich. Allerdings konnte man die schöne filigrane Handarbeit an dem Edelstein wirklich sehr gut erkennen. „Eine Lotusblüte! Das sind ihre Lieblingsblumen! Liam, du bist ein Glückspilz und dieser diebischen Elster von einem Troll sollte ein Denkmal gesetzt werden, dafür, dass er diese Kette irgendwann einmal erbeutet hat!“ Froh über seinen Fund, schob er die Truhe, nachdem er den Deckel wieder geschlossen hatte, dicht an sein Bett heran und sagte: „Pölser down!“ Das Schloss an dem Riegel rastete ein und die Kiste wurde wieder unsichtbar. Liam zog sich etwas über und betrieb ein wenig Körperpflege. „Ich sollte doch versuchen, etwas gepflegt bei Ludy aufzutauchen. Vielleicht hört sie mich dann wenigstens an, bevor sie mich zum Teufel jagd.“ Nachdenklich brauste er auf seiner Maschine durch die Strassen New Yorks und fragte sich ständig, ob Lu deny ihn überhaupt noch einmal anhören würde, nachdem er sie so hatte abblitzen lassen. „Ich war wirklich drauf und dran, mich zu vergessen und mein Dasein in dieser Welt einfach sausen zu lassen, nur für diesen Augenblick des vollkommenen Glücks mit ihr!“ Bald darauf kam er an ihrem Haus an. Er stellte den Motor ab und ging schweren Schrittes auf die Tür des Treppenaufganges zu. Ungefähr fünf Meter davor, blieb er stehen und griff in seine Jackentasche um die Kette herauszuholen. Unschlüssig, blickte er abwechselnd zuerst auf das Schmuckstück in seiner Hand und dann wieder zum Eingang des Hauses. „Das ist doch völlig verrückt, was ist bloß mit mir los? Ich hatte doch noch nie Angst davor, ihr zu begegnen. Warum jetzt?“ Er drehte am Absatz um. An der Straßenecke sah er ein Schild über dem Eingang zu einer Bar. „The Fly, sehr passend, für die Fliege zu machen!“, dachte er und ging in das Lokal hinein. Liam schritt auf die Bar zu und bestellte bei dem mürrisch dreinblickenden Barkeeper einen Tullamore Dew und setzte sich auf einen der Hocker. „Irischer Whisky?“, fragte eine Stimme neben ihm. Liam schaute in ein dunkles Gesicht. „Ja, irisch. Wenn schon, denn schon.“, erwiderte er kurz. „Waren Sie schon einmal hier?“, fragte der farbige Mann nun erneut. Liam wollte eigentlich nicht, aber er ließ sich dann doch auf ein Gespräch mit dem Kerl ein. Irgendwie wirkte der Mann sehr sympathisch und warum auch nicht? Vielleicht würde ihn eine Unterhaltung von seinem Problem mit Ludeny ablenken. Einige Drinks später duzten sie sich bereits und tranken Brüderschaft. Leicht angeheitert erzählte Nick: „Weißt du, ich bin eigentlich hier, weil ich ein riesiges Problem mit einer tollen Frau habe!“ „Ach, was du nicht sagst! Ich auch, so ein Zufall! Hat sie dich im Griff oder was?“ fragte Liam zurück. Nick schaute ihn mit wässrigen Augen an. „Hat mich benutzt und dann ist sie weg, einfach so! Ließ mir nur einen Zettel mit ‚Verzeih mir!’ da. Stell dir das mal vor! Das schlimmste ist, ich bin verrückt nach ihr!“ „Das ist bei mir das selbe!“, antwortete Liam nun in säuseligem Ton. „Ich lieb das Weib schon so lange, das kannst du dir nicht vorstellen! Jetzt trau ich mich nicht einmal zu ihr hin! Ist schon komisch!“ „Ja, Ja, das geht mir auch so!“, bestätigte Nick und trank bereits seinen 6ten Tequilla. „Ich geh da morgen hin und dann zeig ich ihr, was ein richtiger Kerl so drauf hat!“ Nick prostete Liam zu und die zwei umarmten sich zwischendurch immer wieder, um sich ihrer Sympathie zu bekunden. „Ich hab aber einen Fehler gemacht.“, sagte Liam nun. „Hab nie die Wahrheit erzählt. Dafür wird sie mich bestimmt hassen!“, quälte er aus sich hervor und lies einen kräftigen Rülpser ertönen. Nick musste lachen und tat es ihm gleich. So verging der Abend und nicht einer von ihnen hatte das getan, was er sich eigentlich vorgenommen hatte. Viele Stunden später verabschiedeten sie sich herzlichst voneinander, als sie das „Fly“ verließen und dann trennten sich ihre Wege. Frohen Mutes, endlich jemanden getroffen zu haben, dem es anscheinend genauso erging wie ihm, winkte sich Liam ein Taxi heran. Diesmal wusste er ganz genau, dass er mit seiner Harley nicht einmal zwei Meter weit kommen würde. „Dasss war doch mal ein rischtisch netter Kerl! Schade, dass Ludy ihn nischt kennen gelernt hat! Dann wüssssste sie, das sie grausam su mir issst!“, lallte er laut vor sich hin, während
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das Taxi ihn nach Hause fuhr. Nick erwachte mit einem brummenden Kopf, sodass er glaubte, eine Großbaustelle wäre darin. Wie er nach Hause gekommen war, wusste er nicht mehr so genau, ebensowenig wie dieser Typ von gestern eigent lich hieß. Vorsichtig setzte er sich auf und hielt seinen Kopf fest. „Man sollte einen Verein gründen für lie besgeschädigte Männer. Der Typ von gestern war sehr nett. Wie hieß er noch gleich? Lama oder Lima? Egal, ich wäre dann ja wohl der Vorsitzende.“, dachte er während er von seinen Matten am Boden aufstand und sich in seine Küche quälte. Auf halben Weg änderte er jedoch die Richtung, denn der Tequilla von gestern Nacht, hatte scheinbar den Rückwärtsgang eingelegt und wollte auf selbem Wege wieder aus seinem Magen herraus. Nach einiger Zeit verstummten die Würgegeräusche wieder und Nick kam vollkommen erschöpft aus dem Badezimmer. „Aber irgendwie hatte der Kerl gestern Recht, ich muss die Sache klären und zwar so schnell wie mög lich – ehe ich es mir wieder anders überlege.“ Mit diesen Worten entkleidete er sich und sprang unter die Dusche. Liam schlug die Augen auf. Es war schon ziemlich hell, soviel konnte er durch die zugezogenen Vorhänge erkennen und das er wohl nicht in seinem Bett lag. Er blickte sich fragend um und erkannte die Lage sofort. Er hatte es wohl gerade noch geschafft die Türe hinter sich ins Schloss fallen zu lassen und sich selbst auf den Boden. Da er sich nicht mehr aufrappeln kommte, hatte er wohl bis jetzt in dieser Position geschlafen. „Eigentlich fühle ich mich ganz gut, für die Menge Alkohol. Welch gute Nebenwirkung von meinem Halbdä monen-Dasein!“, sprach er mit sich selbst, während er frischen Kaffee kochte. „Nick!“, rief er plötzlich aus. „Genau so hieß mein Leidensgenosse gestern. Ein wirklich netter Typ war das. Und er hatte Recht, ich muss die Sache klären und zwar so schnell wie möglich – ehe ich es mir wieder anders überlege.“ Er trank seine Tasse gierig leer und machte sich, nachdem er ausgibig geduscht hatte, auf den Weg. Da er ja seine Maschine noch bei Ludeny in der Straße hatte stehen lassen, musste er sich erneut ein Taxi rufen. Bei Ludeny angekommen lief Nick mit großen Schritten die Treppe hinauf und bog mit einem Schwung um die Ecke, als er plötzlich in ein bekanntes Gesicht blickte. Es war sein Leidensgenosse und Saufbruder der letzten Nacht. „Du hier?“, war das einzige das ihm in diesem Augenblick einfiel. Liam starrte Nick mit großen Augen an. Da er bereits geklopft hatte, blieb für eine Erklärung keine Zeit mehr. Ludeny öffnete die Tür ruckartig. Erschreckt blickte sie auf die beiden Männer vor ihrem Appartement. „Oh mein Gott!“, war alles, was ihr in dieser Sekunde einfiel. Sie quälte ein Lächeln hervor und sagte zaghaft: „Hallo!“ „Lass dir bloß nichts anmerken. Die kennen einander nicht und wissen gar nichts!“, dachte sie, während sie einfach weiter lächelte. Liam blickte zuerst sie und dann Nick an. „Ich denke, er hat wohl eine Erklärung verdient!“, sagte er schließlich traurig und deutete mit der Hand auf den jungen Mann neben sich. „Und ich denke, du solltest dich bei uns beiden entschuldigen!“, erwiderte Nick darauf und blickte sie er bost an. Ludeny war so verblüfft, dass ihr Mund offen stehen blieb. Liam hatte nun entgültig genug von die ser unangenehmen Situation und griff in seine Jackentasche. Er zog die Kette hervor und ließ sie an seinem Finger baumeln. „Ich wollte dir das hier bringen, als Wiedergutmachung und alles erklären. Aber ich denke, dass kann ich mir wohl sparen.“ Mit diesen Worten übergab er das Schmuckstück an sie und drehte sich zum Gehen um. „Liam, es tut mir... ich kann es erklären!“, rief sie ihm nach. „Wie schön, dann erklär es Nick einmal, so viel ich weiß, ist er auch sehr gespannt auf das, was du zu sagen hast!“, hörte sie die letzten Worte von Liam, bevor die Haustüre laut krachend zufiel. Ludeny sah auf die Kette in ihrer Hand und ihre Augen wurden feucht. „Wie gut er mich doch kennt. Ich
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habe nie richtig darüber nachgedacht!“, dachte sie bei sich und schaute dann zu Nick, der immer noch vor ihrer Tür stand und sie gekränkt ansah. „Das ist also der Grund, ja?“, fragte er. „Ich denke, wir sollten reden!“, antwortete sie und ließ ihn eintreten. Stevie war an diesem Morgen ziemlich früh aufgewacht und hatte sich über seinen Kleiderschrank her gemacht. „Was ziehe ich bloß an, damit sie mich nicht für einen eingebildeten Gockel hält? Hmmm, chic aber trotzdem lässig!“, sagte er zu sich und zog eine sandfarbene Jeanshose hervor. Dazu nahm er ein Hemd in derselben Farbe heraus und ein weißes T-Shirt, das er darunter zog. „Perfekt!“ Und so ging er zur Wohnungstür, um sich ins Orinococafe zu begeben. Denn Darlene hatte heute Dienst, das hatte sie ihm neulich erzählt und er wollte sie fragen, ob sie mit ihm ins Kino gehen würde. Stevie hatte gemerkt, dass er sie sehr gerne mochte und komischerweise war sie überhaupt nicht der Typ Frau, auf den er sonst so stand. Sie war weder blond, noch besonders groß oder schien unnahbar. Nein, Darlene war einfach nur Darlene und das machte sie so besonders. Nichts an ihr war gekünstelt oder falsch. Sie war immer höflich und lieb und sehr ehrlich, dabei aber nie verletzend. „Und dieses süße Lachen!“, sagte er laut vor sich hin, als er um die Ecke zum Cafe bog. Kurz vor dem Eingang, atmete er noch mal tief durch. Gerade als er hinein gehen wollte, sah er Darlene an der Servicetheke stehen. Sie sprach sehr angeregt mit einem gut aussehenden Kerl, der ihr sehr vertraut schien. Sie legte ihre Hand auf dessen Schulter und beugte ihren Kopf zu ihm. Stevie wurde plötzlich sehr traurig. „Oh Mann, wer ist das denn? Und was tut sie da mit ihm?“, dachte er bei sich und ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Unsicher drehte er sich weg, um zu gehen, bevor sie ihn entdecken würde. Als er gerade um die Ecke biegen wollte, rief jemand hinter ihm: „Stevie! Warte doch! Warum kommst du denn nicht rein?“ Darlene war ihm nachgelaufen und versuchte ihn am Ärmel festzuhalten. Stevie drehte sich zu ihr um, und gerade, als er etwas sagen wollte, sah er in ihre schönen blauen Augen. Die Erkenntnis traf ihn überra schend. Er hatte sich in sie verliebt. Seine Knie wurden weich wie Butter. „Ich ähm, ich glaube, ich habe was vergessen!“, sagte er verlegen. „Zu Hause, meine ich! Wollte es nur schnell holen!“ „Schade! Aber kann das denn nicht vielleicht noch etwas warten, ich möchte dir jemanden vorstellen!“, bat Darlene. „Was? Oh nein, ich möchte dich nicht stören, wenn du Besuch hast!“ Stevie wusste nicht richtig, wie er sich in solch einer Situation verhalten sollte. Aber Darlene ließ nicht locker und zog ihn an seinem Arm zu rück ins Cafe. An der Theke stand immer noch dieser gutaussehende Typ und erwartete sie. „Blond, sport lich, perfektes Lächeln mit strahlend weißen Zähnen! Ich hätte nicht gedacht, das Darlene so oberflächlich ist!“, grübelte Stevie vor sich hin. „Stevie, darf ich vorstellen, das ist mein großer Bruder Colin! Colin, das ist Stevie, Computergenie und eine große Hilfe für mich, wenn es um irgendwelche Down- und Uploads geht!“ „Ihr großer Bruder!“, jubelte Stevie innerlich, während er ihm die Hand schüttelte. Eine Weile unterhielten sie sich, dann musste Colin auch schon wieder gehen. Er arbeitete in einer Bank und seine Mittagspause war vorbei. „So, dann werde ich auch mal wieder loslegen.“, sagte Darlene und lächelte Stevie dabei an. „Darlene! Warte doch noch bitte einen Augenblick!“ Stevie nahm nun all seinen Mut zusammen und stellte die für ihn so wichtige Frage. „Würdest du mit mir ins Kino gehen?“ Darlene sah ihn erstaunt an. „Oh, ...äh, ich“ „Du musst nicht! Ich bin auch nicht sauer, wenn du keine Lust dazu hast. Ich meine, du hast bestimmt noch etwas Be...“ Darlene unterbrach ihn. „Ich gehe sehr gerne mit dir ins Kino!“ Strahlend vor Freude machte er innerlich einen Luftsprung. Sie verabredeten sich für den nächsten Abend. Wie auf rosa Wolken ging er zu seinem Wagen, um zur Uni zu fahren. An diesem Tag konnte ihm nicht einmal sein Professor die Laune verderben, soviel war sicher.
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„Ein Halbgamblin und Draggonkrieger - ein geringerer Konkurrent hätte es nicht sein können?“ Nick griff bei dieser Frage nach seinem Kaffe und nahm einen Schluck. „Ich weiß, dass ich dich benutzt habe und es tut mir leid. Aber ich war so wütend und traurig. Ich habe einfach nicht nachgedacht.“, verteidigte sich Ludeny. Sie hatte ihm die ganze Geschichte von Liam und sich erzählt. Den Teil, den sie von Tilia erfahren hatte, verschwieg sie ihm allerdings. „Sei mir bitte nicht böse.“ „Ich habe nur noch eine Frage, dann werde ich versuchen, nie wieder davon zu sprechen. In der ersten Wut so eine Dummheit zu machen, das kann ich ja vielleicht noch verstehen. Aber warum bist du nicht ver schwunden, als deine Wut bereits verflogen war? Warum bist noch bei mir geblieben?“ Eindringlich blickte er ihr in die Augen. Ludeny rutschte nervös auf ihrem Barhocker herum. „Ich weiß nicht, ich wollte es einfach. Dabei ging es nicht mehr um Liam. Es ging nur noch um uns beide. Es fühlte sich richtig an. Ich brauchte deine aufrichtige Zuneigung, wie die Luft zum Atmen!“, sprach sie nachdenklich und legte eine Hand auf sein Knie. „Nick, ich liebe ihn, es tut mir leid!“ „Ich weiß, ich konnte es auch gestern erkennen. Du kamst eigentlich nicht zu mir. Ich war eben einfach zu schwach, um dir zu widerstehen. Ich habe es mir so sehr gewünscht, weißt du. Aber in deinen Augen konnte ich sehen, dass du dabei nicht an mich gedacht hast.“, sagte er während er sanft ihre Hand weg schob. Sie stand auf und holte sich noch ein Soda. „Woher kennt ihr euch eigentlich?“, fragte sie hinter dem Kühlschrank hervor. Nick musste lachen. „Wir haben uns gegenseitig die Ohren vollgejammert und sinnlos betrunken, so wie zwei Typen das nun einmal machen. Ich war vor deinem Appartement und hatte nicht genügend Mut, um heraufzukommen. Dann landete ich in der Bar vorne an der Straße. Liam traf kurze Zeit später ein. Wir kamen ins Gespräch und tauschten Leidensgeschichten aus. Du bist schuld, dass ich nicht weiß, wie ich heim kam und Liam musste mit dem Taxi fahren.“, beendete er seinen Bericht und Ludeny musste lauthals lachen. „Das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Wenn Liam einmal seine Maschine stehen lässt, muss es ja eine absolute Vernichtung gewesen sein!“, sagte sie, während sie sich wieder hinsetzte. Nick lachte auf. „Du hast keine Ahnung. Mein Magen hängt immer noch schief!“, sagte er. Wie es schien, war zwischen den beiden alles geklärt. Um die Übungen mit dem Schwert fortzusetzen, verabredeten sich für den späten Nachmittag. Dann fuhr Nick nach Hause. In seiner Wohnung angekommen, warf Liam wütend die Tür ins Schloss und trat noch einemal dagegen. „Verdammt! Wie konnte sie nur?! Eben noch war ich mir sicher, dass sie mich über alles liebt. Was hätte ich nach all den Vorfällen auch denken sollen? Und im nächsten Augenblick springt sie, trotzig wie ein Teena ger, mit einem anderen Kerl ins Bett! Das ist einfach nicht fair!“ In der Zwischenzeit war er in die Küche gegangen und hielt die Kaffeetasse von Mittags in der Hand. Wütend schaute er auf das Stück Keramik und warf sie gegen die Wand. Die feinen Splitter flogen quer durch den ganzen Raum. „Das werde ich dir wahrscheinlich nie verzeihen!“, sagte er und öffnete den Küchenschrank über der Spüle. Wütend nahm er eine angefangene Flasche Whisky heraus und trank einen kräftigen Schluck. Dann ging er ins Wohnzimmer und ließ sich in seinen Sessel fallen. Wanda war am gestrigen Tag noch fleißig gewesen. Sie war zur Villa in Newark gefahren und hatte heim lich beobachtet, wie der Chancenug und seine Gehilfin mit einer Limousine zu einem Museum gefahren waren und sich dort umgesehen hatten. Wanda war ihnen ins Innere gefolgt und hatte sie möglichst unauf fällig beobachtet. Ihr größtes Interesse galt anscheinend einem ägyptischen Skarabäus, der in einer Glas vitrine ausgestellt war. Kurz darauf waren sie unverrichteter Dinge wieder aus dem Museum gegangen und davongefahren. Erneut war Wanda ihnen gefolgt. Aber das einzige, was sie sah, war das die beiden wieder in ihrem Do mizil verschwanden. Anschließend war die Risis noch ins Vidal gefahren um den Abend ausklingen zu lassen. Als sie das Lokal betrat, wurde sie bereits vom Türsteher, dem riesigen Frackon-Dämonen, sehnlichst erwartet.
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„Wo sein Liam?“, fragte er sie. „Der kommt nicht. Hat zurzeit ein wenig Ärger!“, antwortete Wanda kurz. „Musst ihm sage, das Hucks hat erzählt, das Dragoon-Krieger…“ bei dem Wort, verbeugte er sich ehr fürchtig, „in Stadt ist!“ Wanda erstarrte. „Wem hat er das erzählt?“, fragte sie interessiert. „Angestellter von böse Dämon!“, sagte der Frackon. „Ich sag nur, weil Dragoon sind beste Krieger auf Welt und sollte niemand morden. Muss geben Rache! Sonst Frackon niemals geben Informationen aus Hand. Bin nur Türsteher!“ Wanda nickte kurz und ging dann erst einmal zum Tresen hinüber, um über das nachzudenken, was der Dämon ihr soeben erzählt hat te. „Hucks entkommt uns sowieso nicht!“, sagte sie laut und nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. Bereits am frühen Morgen hatte Wanda bei Liam angerufen. Doch niemand hob ab, also beschloss sie gleich bei ihm vorbeizufahren. Nun klopfte sie bei ihm an die Tür. Liam, der gerade sein Whiskeyglas zum Mund führte, stellte es wieder zurück und ging maulend zur Tür. „Wanda, was gibt‘s?“, fragte er mürrisch, während er sie hereinließ. „Ich habe einige Informationen für dich. Der Troff konnte wieder einmal sein käufliches Maul nicht halten und dreimal darfst du raten, wem er was erzählt hat. Hast du Kaffee fertig?“, fragte sie und ging in die Kü che. Entsetzt hielt sie nun Liams Glas in der Hand „Und dadurch wird es besser? Was ist los?“, fragte sie und schüttete den guten Whiskey in den Ausguss. Liam setzte sich auf sein Sofa und begann zu berichten. Am Ende seines Vortrages angekommen, seufzte er laut. „Ich muss dir leider sagen, dass du mir nichts Neues erzählst. Du hast mich doch gestern mit Tilia weg geschickt. Wir haben Nick getroffen. Er hat fürchterlich ausgesehen und mir auch einiges erzählt. Den Rest konnte ich mir zusammenreimen. Es tut mir leid, wenn ich dir das sagen muss, aber ich glaube Ludeny bringt einfach nur Unglück und Ärger in dein Leben.“, versuchte Wanda so vorsichtig wie möglich zu sein. „Nein, ganz so einfach ist es leider nicht, wie du denkst. Irgendwie bin ich ja nicht unschuldig. Ich habe sie über die Sache mit Tilia einfach nie informiert. Sie musste ja das Schlimmst annehmen. Aber nachdem ich sie damals getroffen hatte, waren alle anderen Frauen unwichtig geworden. Es gab auch nie eine wirk liche Gelegenheit über verflossene Partner zu reden. Mich trifft also auch ein Teil der Schuld. Es ist einfach alles so schwierig, aber das war es ja immer.“ Bei seinen letzten Worten hörte er plötzlich das Telefon läuten und hob ab. Tilia wartete, bis sich jemand meldete. „Guten Morgen Liam. Es tut mir leid dich zu stören, aber ich habe in der ganzen Aufregung vergessen, dir oder besser gesagt euch etwas zu zeigen. Ich habe etwas mitgebracht. Können wir uns am Nachmittag so gegen 17:00 Uhr bei Ludeny treffen?“, fragte die Auserwählte gespannt. „Gut, wenn es wichtig ist, ich werde da sein. Ich nehme Wanda mit und werde Ludeny informieren, dass wir kommen.“ Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und berichtete Wanda von dem bevorstehen den Treffen. Sie blickte ihn skeptisch an. „Und du glaubst, du kriegst das hin?“ Liam strich sich durch sein Haar und seufzte erneut.
„Natürlich, der Chancenug ist wichtiger, als alles andere momentan. Er hat meinen Bruder auf dem Ge wissen.“, erwiderte er. Erneut griff er zu seinem Telefon und wählte die Nummer des Dunkelslugs. Nach mehrmaligem Läuten wollte er schon wieder auflegen, als Ludeny sich plötzlich meldete. „Hallo?“, hörte er sie am anderen Ende sagen. Liam räusperte sich. „Ich bin’s!“ Ludenys Herz schlug schneller. „Was ist denn mit mir los? Ich habe doch noch nie solches Herzklopfen gekriegt, wenn ich mit ihm gesprochen habe.“, dachte sie verwundert bei sich. Liam indess, versuchte sich zu beherrschen und sprach sehr förmlich und kurzangebunden weiter. „Hör mal, ich möchte dich bitten, dass wir uns heute Abend bei dir treffen.“ Ludeny lächelte froh und hoffnungsvoll und unterbrach ihn. „Oh, ja natürlich! Ich möchte soviel mit dir besprechen, ich kann dir sicherlich einiges erklären. Das mit
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Nick, weißt du…“ Doch nun unterbrach er sie. „Nein, das meinte ich nicht. Ich meinte, dass wir alle, etwas zu besprechen haben. Es geht um den Chan cenug!“ Stille trat ein und sie schluckte hörbar. „Natürlich, der Chancenug. Ich werde zu Hause sein und gebe Stevie bescheid. Wir sehen uns dann!“ Ohne seine Antwort abzuwarten, legte sie betroffen den Hörer auf und setzte sich auf einen Sessel. „Er wird mir nie verzeihen. Ich dämliche Kuh!“ Liam hatte ebenfalls aufgelegt und schaute zu Wanda. „Und, zufrieden?“, fragte er schlecht gelaunt und ging erneut in die Küche. „Du wolltest doch einen Kaffee. Ich mache jetzt welchen!“, rief er ihr zu und hantierte mit der Kaffeema schine. Ludeny griff nach dem Telefon und wählte nun Stevies Nummer. Er hob ab und sie berichtete ihm von dem Treffen am Abend bei ihr, da es Neuigkeiten gab. Stevie willigte ein und versprach, pünktlich da zu sein. In Newark lief Hylia schon seit einiger Zeit nervös in der Empfangshalle auf und ab. Raymond Greeson hatte nun entgültig genug von dem Geklappere der Stöckelschuhe auf dem Marmorboden. „Hylia! Setz dich hin! Verdammt! Die Kiste mit dem Quadrigisdämon wird jeden Moment kommen!“, befahl er ihr und deutete auf einen Platz auf den Stufen neben sich. „Wir hatten noch nie Schwierigkeiten mit dieser Spedition und dieser Dämon ist über 00 Jahre tot, der läuft uns wohl kaum weg. Außerdem haben wir den Skarabäus noch gar nicht.“ „Du hast ja Recht, aber ich wäre froh, wenn diese Sache schon vorbei wäre. Normalerweise habe ich nie so ein schlechtes Gefühl. Aber dieser Dämon liegt mir nun einmal nicht. Okay, er hat zu seiner Zeit fürchter lich gewütet und war der Schrecken des ägyptischen Reiches. Mit ihm unter einem Dach zu hausen, finde ich allerdings nicht so sonderlich prickelnd. Wann werden wir wegen des Skarabäus etwas unternehmen?“, fragte ihn Hylia und warf immer wieder einen Blick auf die Uhr. „Ich weiß noch nicht, aber so bald wie möglich. Schade, dass sich dieses Einbrecherduo als Freunde von Liam outeten, die hätten die Sache einfacher erledigen können, als wir. Und wir hätten diesen verfluchten Wächter des Okipheus Pharaos nicht am Hals!“ Hylia musste lauthals lachen. „Du hast immer noch kein Vertrauen in meine Kunst, schäm dich. Ich habe gesagt, dass ich ihn erledi gen werde und das tue ich auch. Sobald wir dort sind, um den Talisman für unser Ritual zu holen, werde ich ihn lahm legen. Habe ich dir bisher nicht geholfen, all deine Pläne zu verwirklichen? Habe ich für dich nicht die restlichen fünf Gegenstände ausfindig gemacht? Ich kann nichts dafür, dass wir das Buch aus den Augen verloren haben. Aber alles zu seiner Zeit, du wirst sehen. Wir werden auch das bekommen und dann wirst du endlich in der Lage sein deine Brüder und Schwestern zu uns zu bringen!“, versuchte Hylia ihn zu überzeugen. Plötzlich läutete es an der Tür. Der Butler öffnete. Ein Mann mit einem riesigen Paket stand davor. Er hielt dem Butler einen Zettel zum Unterschreiben hin und brachte die riesige Kiste in die Halle herein. Es dämmerte und an Ludenys Tür wurde geläutet. „Wer kann das denn jetzt sein?“ Sie blickte auf die große Standuhr in ihrem Wohnzimmer. „Für Liam und die anderen ist es noch zu früh!“, sagte sie laut. Dann ging sie langsam zur Tür und spähte durch den Spion. „Nick! Ach herrje! Das hatte ich ja völlig vergessen. Training mit dem Schwert. Na gut, was soll’s!“ Sie öffnete die Tür und begrüßte ihn freundlich, indem sie ihm förmlich die Hand reichte. „Du musst nicht so verkrampft sein, Lud. Ich werde es überleben, okay?“, sagte er, als er merkte, dass sie sich etwas unwohl zu fühlen schien. „Okay, wir werden von vorne anfangen und so tun, als wenn nichts gewesen wäre. Dann starten wir als gute Freunde neu durch. Gut?“, fragte sie erleichtert darüber, dass Nick ihr wohl nicht mehr böse war. „Gut!“, bestätigte er und begab sich mit ihr ins Wohnzimmer. Wenige Augenblicke später begannen sie
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das Training mit dem Schwert. Sie waren gerade eine halbe Stunde beim Üben, als es erneut an ihrer Tür läutete. „Oh, das ist jetzt bestimmt Stevie. Warte bitte einen Augenblick!“ Ludeny griff nach dem Handtuch und rannte schnell zur Wohnungstür. „Wusste ich’s doch!“, rief sie aus und ließ Stevie eintreten. „Hi, ich bin etwas zu früh, ich weiß, aber ich wollte dir etwas Wichtiges erzählen!“, plapperte er aufge regt drauflos. „Okay, Okay! Aber ich möchte dich erst einmal mit jemanden bekannt machen!“, überrumpelte Ludeny ihn nun ihrerseits. „Darf ich vorstellen, das ist Nick Dellary! Nick, das ist Stevie Costello, ein sehr guter Freund von mir!“ Stevie reichte dem gutaussehenden, Mann die Hand und schaute danach skeptisch zu Ludeny. „Sehr angenehm“, sagten beide zueinander. Dann wendete sich Stevie erneut an Ludeny. „Hör mal, kann ich dich einmal alleine sprechen, nur kurz?“, fragte er etwas ungeduldig. „Nichts für ungut, Nick!“ „Kein Problem, eine kleine Pause ist sowieso angebracht.“, antwortete Nick und griff nach der Sodafla sche, die Ludeny ihm angeboten hatte. Sie folgte Stevie in die Küche und setzte sich auf einen der Hocker. „Was ist denn?“, fragte sie ihn, bemerkte dann aber Stevies skeptischen Blick über den Brillenrand. „Ja gut, ich habe mit Nick, na du weißt schon… Aber die Sache ist geklärt und wir haben uns darauf geeinigt, dass wir es bei einer Freundschaft belassen wollen. Zufrieden?“ „Das solltest du nicht mir erzählen, sondern jemand anderem, falls du weißt, an wen ich jetzt gerade gedacht habe.“ Er war von sich selbst überrascht, als er sich so reden hörte. War er denn nicht immer un sterblich in Ludeny verliebt gewesen? Aber seit es Darlene gab, hatte sich wohl so einiges geändert. „Okay, ich kann ihn nicht so lange warten lassen. Wir trainieren mit dem Schwert. Weißt du, Nick ist der Kristallspezialist, von dem uns Wanda neulich erzählt hatte und jetzt bringt er mir bei, mit der Waffe umzu gehen.“, berichtete sie, während sie mit Stevie zusammen ins Wohnzimmer zurückging. Ludeny und Nick nutzten die restliche Zeit bis die anderen auftauchen würden, um noch etwas zu üben. Die Fortschritte, die sie gemacht hatte, waren deutlich zu sehen. Nick war sehr stolz auf seine Schülerin. In kürzester Zeit hatte sie es geschafft, sich mit den Schwingungen des Kristalls vertraut zu machen und sie auch gegebenenfalls zu beherrschen. In nur wenigen Tagen würde sie alleine damit zu Recht kommen und ihn nicht mehr als Trainer benötigen. Als es an der Tür klopfte, stand Nick gerade hinter ihr und hielt ihre Hände, die wiederum das Schwert festhielten, in die Höhe. Stevie war zur Tür gegangen und hatte geöffnet. Liam war als erstes eingetreten. Als er Stevie erblickte, verzog er ein wenig entnervt die Mundwinkel. Als er jedoch die beiden im Wohnzimmer sah, blieb er wie angewurzelt stehen. „Liam“, flüsterte Ludeny und trat schnell ein Stück von Nick weg. Sie legte ihr Schwert in die Schachtel und ging ihm schuldbewusst wein Stück entgegen. „Ich bin froh…“ Doch weiter kam sie nicht, denn er ging einfach wortlos an ihr vorbei und machte den Blick auf Tilia frei. Diese stand nun vor ihr und reichte ihr lächelnd die Hand. „Nur Geduld, das wird schon wieder…“, flüsterte die Auserwählte und warf ein etwas lauteres „Hallo!“ hinterher. Wanda betrat als letzte die Wohnung und grüßte nur mit einer kurzen Kopfbewegung die Anwe senden. Während Ludeny in der Küche Kaffee aufsetzte und Stevie den PC startete, hatten sich Wanda und Tilia in irgendeine Diskussion verloren. Nick blickte verlegen zu Liam und deutete ihm, ihm zu folgen. Beide standen nun im Vorzimmer und Nick begann auf den Halbgamblin einzureden. „Ich weiß, wir haben uns unter den seltsamsten Umständen kennengelernt. Aber ich weiß auch, dass wir uns im Grunde gut verstehen. Ich habe heute Morgen noch eine lange Unterhaltung mit Ludeny geführt. Glaub mir, als sie an dem Abend zu mir kam, da war sie verwirrt. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Ich wusste, sie war in Gedanken eigentlich bei einem Anderen. Aber hey, ich bin auch nur ein Mann. Sie war so wütend und aufgewühlt!“ Liam hatte aufmerksam zugehört. Seine Gesichtszüge entspannten sich bereits
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und er wollte sich gerade bei Nick für dessen aufmunternde Worte bedanken. Als dieser feststellte, dass Liam sich wohl langsam beuhigte und seine Enttäuschung langsam zu verschwinden schien, redete er ein fach noch weiter: „Sicher war es nicht in Ordnung, dass sie die ganze Nacht lang blieb…“ Als Nick bemerkte, was da gerade seinen Mund verlassen hatte, senkte er peinlich berühert den Kopf, klopfte Liam auf die Schulter und ging schuldbewusst zurück ins Wohnzimmer. Liam musste nach Luft schnappen. „Dass sie aus Wut und Enttäuschung eine Dummheit begeht, kann ich verstehen. Aber musste sie die ganze Nacht bei ihm bleiben?“, dachte er wütend und überlegte, ob er sich einfach aus dem Staub machen sollte, als Tilia aus dem Türrahmen hervortrat. „Darf ich dir einen Rat geben? Sie liebt dich wirklich und du sie. Aber es ist nun einmal nicht die Zeit, sich um die Liebe zu kümmern. Du musst unseren Bruder rächen. Dieses Monster muss aufgehalten werden. Also bitte ich dich, und ich hoffe, ich muss das nur einmal sagen, reiß dich zusammen und vergiss deinen männlichen Stolz für einige Zeit. Ihr habt noch die ganze Ewigkeit vor euch, da wird sich bestimmt noch eine Gelegenheit ergeben, weiter darüber zu streiten, wer, was, wann falsch gemacht hat.“, sagte sie und zog ihn ins Wohnzimmer zurück. Ludeny war inzwischen ins Schlafzimmer gegangen, um sich etwas Frisches anzuziehen, kam aber sofort wieder zurück, um bei der Besprechung dabei sein können. Sie wollte Liam keinen Grund geben, sich wieder einmal über ihre Unzuverlässigkeit auszulassen. Brav setzte sie sich auf einen ihrer Sessel und hörte den anderen gespannt zu. „Ich sollte jetzt lieber gehen!“ Nick war an sie herangetreten und wollte sich verabschieden. „Nein!“ Alle schauten zu Ludeny, da sie seine Anfrage zu laut zurückwies. „Ich wollte sagen, nein, ich glaube, dass du uns vielleicht ein wenig helfen könntest. Du hast gewisse Erfahrungen mit magischen und mystischen Dingen. Also bleib doch bitte! Oder, was meinst du Liam?“ „Es ist deine Wohnung, das musst du entscheiden.“, antwortete dieser kurz und blickte sie dabei ziemlich unterkühlt an. Ludeny blickte verlegen zu Nick und deutete ihm, sich zu setzen. „Ich denke, dass es für dich interessant sein könnte!“ Jetzt war sie wiederrum auf Liam wütend und schon allein aus Trotz, wollte sie, dass Nick blieb. „Soll er sich doch grün und blau ärgern. Liam O´Brian, wenn hier jemand einen Grund hat, schon seit Ewigkeiten sauer auf den Anderen zu sein, dann ja wohl ich! Du EdI-Versprecher!“, dachte sie und sah dabei mit einem strafenden Blick zu ihm hinüber. „Gut, da wir das geklärt haben, sollten wir uns erst anhören, was Wanda zu berichten hat. Sie war in den letzten Tagen die Einzige, die den Chancenug nicht aus den Augen gelassen hat!“ Liam hatte das Wort ergriffen. Wanda erhob sich und begann zu erzählen. „Ich habe den Dämon und seine Freundin gestern bis zum Metropolitan Museum of Art verfolgt. Sie gingen hinein und ich konnte sie unbemerkt beobachten. Danach sind sie wieder zur Villa in Newark zurück gefahren. Aber noch viel wichtiger ist, das ich am Abend noch im Vidal war.“ Liam, der sich neben Tilia gesetzt hatte, beugte sich dicht zu ihr und erklärte ihr flüsternd, um was es sich dabei handelte. „Und der Türsteher erzählte mir etwas sehr Interessantes! Hucks, unser allerliebster Troffdämon und Informant für alle Fälle, hat einem Angestellten des Chancenug erzählt, dass Topang in der Stadt wäre. Na türlich nur gegen Bares!“ fügte sie noch abfällig hinzu. Liam horchte auf. „Dieser widerliche, kleine, müllfressende Stinkmolch! Den mache ich fertig!“ Tilia hielt Liam am Arm fest, da er nun wutentbrannt aufgesprungen war. „Liam, bitte! Du darfst jetzt nicht den Kopf verlieren, alles zu seiner Zeit! Es könnte doch sein, dass der Troff uns noch wichtig werden kann. Wanda sagte doch, dass er ein Informant ist!“ „Aber ich kann ihm das nicht durchgehen lassen!“, erwiderte er. „Er ist nicht das größte Problem. Du weißt das und nur weil du dir im Moment hilflos vorkommst, kannst du nicht jeden, der auch nur im Entferntesten an Topangs Tot Schuld sein könnte, gleich meucheln!“ Liam blickte auf Tilia hinunter und lächelte, was ihr zeigte, dass er sie wohl verstanden hatte. „Und trotzdem, er wird büßen!“, sagte Liam, als er sich wieder setzte.
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„Können wir weitermachen?“, fragte Wanda. „Ja, ich bin auch dafür!“ kommentierte Stevie. „Okay, wir müssen herausfinden, was …“ Liam wurde von Tilia unterbrochen. „Oh entschuldige Liam, ich hatte es beinahe schon wieder vergessen. Ich habe hier etwas für dich und deine Freunde.“ Sie holte das Buch, welches sie aus dem Palast in Nepal mitgenommen hatte, aus ihrer Tasche und reichte es ihm. „Dieses Buch beschreibt viele Dämonen, Ihre Schwächen und Stärken und noch einiges mehr. Aber das Wichtigste ist, dass du auch den Chancenug darin aufgeführt findest! Der genaue Zeitpunkt seiner Häutung lässt sich damit berechnen und ich denke, dass ist das Allerwichtigste. Ein Problem gibt es allerdings.“, sagte sie, als sich alle siegesgewiss um das Buch aufgestellt hatten und sich bereits die Hände rieben. „Und das wäre?“ hakte Nick nun nach, er hatte sehr aufmerksam zugehört und wollte sich nun doch ein wenig mit einbringen. Tilia sah ihn mit einem sanften Lächeln an. „Die Ältesten konnten die Tabellen noch nicht entziffern, bzw. berechnen. Das heißt, das es im Moment noch keinen sehr praktischen Wert für uns hat.“ Stevie erhob sich nun ebenfalls. „Ich denke, dass man mit der modernen Technik schon eine Menge erreichen kann. Wenn ihr mir das Ding geben würdet, seh ich mal, ob sich da etwas herausfinden lässt.“ Ludeny war stolz darauf, wie gut er sich einbrachte. Als sie zu ihm hinübersah, kreuzte sich ihr Blick mit dem Liams. Schnell suchte jeder der beiden einen anderen Fixpunkt und versuchte damit, den Anderen zu ignorieren. „Da fällt mir noch etwas ein!“, sagte Wanda. Stevie hatte sich bereits mit dem Buch unterm Arm an den PC gesetzt und startete ihn. „Die haben sich im Museum einen dieser ägyptischen Käfer angeguckt! Wie heißen die noch?“ „Skarabäus?“, fragte Nick. „Genau, so hieß das Ding! An dem sind sie länger stehen geblieben. Waren anscheinend sehr interessiert an dem Teil.“ Liam ging zu Stevie hinüber. „Wir sollten zuerst etwas über den Skrabäus in Erfahrung bringen. Ich habe das Gefühl, das hat im Moment Priorität.“, sagte er und Stevie gab im Browser die Webadresse des Museums ein. In der Villa in Newark wurde die schwere Holzkiste auf ein paar Böcke gewuchtet und ein Angestellter Greesons zog mit einem Stemmeisen die Nägel aus den Planken. „Ich bin gespannt, wie er nach 00 Jahren so aussieht!“, sagte Hylia und lehnte sich an Raymonds Schulter. Voller Vorfreude und Spannung umklammerte sie dessen Arm. „Ich denke, er sieht nicht anders aus, als jeder Andere, der 00 Jahre in so einer Kiste tot gelegen hat!“, antwortete Greeson gelassen und zog seinen Arm aus ihrer Umklammerung. Der letzte Nagel wurde gezo gen und ein alter Sargopharg, kam zum Vorschein. Unauffälliges, dunkles und verkohltes Holz mit ägyp tischen Bannsprüchen verziert, so lag das riesige Teil in der Transportkiste. „Gut Roger, du kannst nun gehen. Wir benötigen deine Hilfe nicht mehr!“, befahl der Chancenug und verwies den Gehilfen des Büros. Dieser nahm das Stemmeisen und verließ gehorsam das Zimmer. „Du bist dran!“, verlangte er jetzt von Hylia und sie tat wie ihr geheißen. Sie trat an den Sargropharg heran und sprach ein paar lateinische Formeln. Der schwere Riegel schob sich wie von Geisterhand zur Seite und die Schlösser sprangen auf. Hylia hob den schweren Deckel an und blickte hinein. Ein hässlicher, grauer Körper war darin, zerfurchte Gesichtszüge zierten das Monstrum. Jetzt kam auch Greeson zu ihr und schaute in den Sarg. „Na bitte, den ersten Teil hätten wir!“ Die beiden blickten sich an und grinsten schadenfroh. „Laut den Infos der Website ist diese Ausstellung erst seit zwei Tagen in der Stadt. Es handelt sich um die Sammlung eines Pharaos, genauer gesagt des Okipheuspharao. Dieser sammelte solche Reliquien. Der Skarabäus misst ungefähr zehn Zentimenter im Durchmesser und sieht aus wie ein grauer Stein. Er scheint sehr unauffällig zu sein, einzig seine roten Augen aus Rubinen wirken etwas deplaziert. Dieser Steinkäfer soll,
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der Legende nach, die Macht besitzen, jemanden von den Toten auferstehen zu lassen, der Gegenstände mit seinen Gedanken trägt! Sehr kryptisch solche Legenden.“, trug Stevie das im Internet geschriebene vor. Bei dem Wort Rubin, zuckte Ludeny zusammen. „Ach wie dumm von mir. Ich hätte wenigst seine Kette tra gen können, damit er sieht, dass es mir etwas bedeutet, dass er mir etwas bedeutet!“, dachte sie erschrocken, während sie an ihren Hals griff. Nick saß sehr nachdenklich am Rande. Von irgendwoher kannte er diese Geschichte, nur von wo? Er grü belte und durchwühlte all seine Erinnerungen, bis es ihm plötzlich einfiel. Rasch berichtete er den anderen davon: „Ich wusste, dass erinnert mich an etwas. Ich habe vor einiger Zeit gehört, dass jemand einen Quadrigisdämon sucht. Ich konnte mit dem Namen nicht viel anfangen und habe deswegen in einigen Büchern nachgeforscht. Es soll eine bereits ausgestorbene Rasse sein, sehr bösartig zu seiner Zeit. Sie hatten die Fähigkeit der Telekinese.“ „So wie es aussieht, müssen wir nur das Museum im Auge behalten, dann kann ja nicht viel passieren!“, dachte Ludeny laut und Liam musste einfach antworten. „Ja. Du könntest aber natürlich auch gleich selbst dort einsteigen und das Ding klauen. Das kannst du doch sowieso am Besten!“ Ludeny schaute gekränkt zu Boden und Tilia stieß Liam für seine bösen Worte mit dem Fuß an. Wanda blickte von dem Buch auf, das Tilia mitgebracht hatte. „Dieses Buch ist einfach fantastisch. Liam, hätten wir das schon früher gehabt, dann hätten wir so einiges schneller erledigen können. Die Dämonenbeschreibung ist ziemlich ausführlich und es sind auch einige Bilder darin, zwar nur wenige, aber immerhin. Nur das Kapitel über den Chancenug ist sehr schwer ver ständlich, bisher konnte ich nichts Neues entdecken. Und diese Berechnungstabelle besteht einfach nur aus irgendwelchen Zeichen und Mustern. Nicht mal Buchstaben nur noch einige Zahlen.“, berichtete sie. Tilia stand als erste auf und verabschiedete sich nun. „Wir sehen uns Morgen. Ich muss noch alles für Topangs Transport vorbereiten.“ Langsam ging sie zur Tür. Nick folgte ihr. „Darf ich Sie nach Hause fahren, Eure Hoheit?“, fragte er und schaute sie erwartungsvoll an. „Tilia, bitte! Ja sehr gerne. Ich würde mich sehr darüber freuen. Ich habe leider immer noch nicht viel von New York gesehen, aber einige Taxis kenne ich schon.“ Sie lächelte zauberhaf. Nick hielt ihre Jacke und zog sich dann seine eigene über. „Ich würde mich freuen, wenn ich Sie etwas herumführen dürfte. Vielleicht Morgen? Aber erst am Nach mittag, ich gebe am Vormittag Kurse.“, sagte er. Während der Heimfahrt erzählte er von seinen Töpfer kursen zur Entspannung und Tilia hörte ihm gespannt dabei zu. Ludeny war müde und sehr erschöpft. Es war zu viel gewesen in letzter Zeit und sie hatte auch keine Zeit für ihre Übungen gefunden. Aber sie hätte sich wohl sowieso nicht ausreichend konzentrieren können. Plötzlich hörte sie ihren Namen und schaute fragend auf. Stevie hatte sie angesprochen. „Ludeny hörst du nicht? Wann hast du das letzte Mal deinen süßen Trainingsanzug angezogen?“, fragte er nun erneut. Sie schüttelte leicht verwirrt den Kopf. „Ich weiß nicht, wieso?“, fragte sie und hob dabei ihre Hand. Da bemerkte sie das Dilemma. Ihr Erschei nungsbild begann zu verblassen. Liam blickte sie auch besorgt an, wobei seine Gesichtszüge wieder etwas sanfter wurden. „Ich denke ihr geht jetzt. Ich werde versuchen, Ludeny zu helfen!“, wies er die Anderen an und führte sie zur Tür. „Wanda wir telefonieren noch, okay?“, rief er ihr nach. Die Dunkelslug hatte sich in der Zwischenzeit auf die Couch gesetzt und sich eine Decke übergeworfen. Ihr war plötzlich so kalt. Sie hatte nicht bemerkt, dass Liam vor ihr stand, bis er sie ansprach und sich zu ihr hinunter beugte. „Du weißt, dass du deine Übungen nicht ausfallen lassen sollst, nicht wahr?“ Sie nickte nur und blickte reumütig in seine Augen „Liam, es tut mir so leid!“, flüsterte sie und Tränen stiegen in ihre Augen. „Ich wollte dich nicht verletz ten, ich wollte Nick nicht verletzten und was weiß ich wen noch. Ich war töricht, und wütend und verletzt und ich…“
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Doch Liam unterbrach sie indem er ihr die Decke wieder wegnahm und sie an den Händen hochzog. „Das ist jetzt alles völlig unwichtig. Wir werden jetzt trainieren und dann wirst du etwas essen und etwas Schlaf wird dir auch gut tun. Und Morgen, du wirst sehen, geht es dir wieder besser!“ Mit diesen Worten hatte er sie auf ihre Matte gestellt und trat ein paar Schritte zurück. Sie atmete einige Male durch und ging in ihre Ausgangsposition. Ruhig atmete sie ein und aus und versuchte dabei den Richtigen Rhythmus zu finden. Doch es gelang ihr nicht. Immer wieder musste sie unterbrechen und von neuem beginnen. Bis Liam genug gesehen hatte. „Sie kann sich nicht ausreichend konzentrieren!“, dachte er besorgt und stellte sich hinter sie. Sanft griff er von hinten ihre Hände. Sein Gesicht blickte über ihre rechte Schulter hervor, sodass Ludeny seinen Atem genau hören und ihren anpassen konnte. Seine Brust gegen ihren Rü cken gestemmt, führte er ihre Bewegungen weiter an. „Sie fühlt sich so weich an.“, dachte er besorgt und rückte noch näher an sie heran. So standen sie einige Zeit aneinander, bis Ludeny ihre Konzentration und ihren Rhythmus wiedergefunden hatte. Liam genoss die Berührungen, bis ihm wieder einfiel, was Nick gesagt hatte. Sofort ließ er sie los und ging in Richtung Vorzimmer. Ruckartig wurde Ludeny aus ihrer Konzentration gerissen und starrte ihn besorgt an. „Liam, ich dach te…“ „Was? Das alles okay ist? Entschuldige, ich dachte dabei lediglich an mich und meine Aufgabe. Wenn du zu schwach bist, kannst du nicht mitmachen oder gefährdest vielleicht auch noch die ganze Aktion, und das können wir uns im Moment nicht leisten. Das ist auch schon alles.“, sagte er eisig und schlug die Eingangs tür von außen zu. „So ein Widerling!“, schimpfte sie laut vor sich hin und stampfte mit dem Fuß auf. „Dann geh doch! Und vergiss nicht, bei den EdI´s bescheid zu geben, das nichts passiert ist, was deinen Aufenthalt in dieser Di mension gefährden könnte!“, rief sie ihm nach, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr gehört hatte. Dann drehte sie sich um und trainierte lustlos weiter. Liam kam auf der Strasse an und suchte wütend nach seiner Maschine. „Was denkt sie, wer ich bin? Ihr Lakai, dem es egal ist, was sie so treibt? Du bist ein unreifes Kind Ludeny!“ Nachdem er anfangs laut vor sich hergeschimpft hatte, sagte er den letzten Satz leise und ein wenig verbittert vor sich hin. Er stieg auf das Motorrad und zog sein Handy aus der Jackentasche. Dann wählte er Wandas Nummer. „Hey, Wanda! Ich will heute noch ins Vidal und es wäre sehr gut, wenn du mich begleiten würdest!“ „Muss das denn sein?“, fragte Wanda skeptisch am anderen Ende. „Ich wollte eigentlich ein wenig trai nieren, damit ich für die nächsten Tage fit bin!“ „Okay, du willst nicht? Dann musst du auch nicht. Aber frag mich nie wieder, was ich so alles plane. Ich kriege das auch alleine hin!“ Liam war überaus ungehalten. „Hey, krieg dich ein! Ich komme ja mit! Wann treffen wir uns vor dem Laden?“, hakte sie nach. „Wusste ich’s doch, auf die Neugierde der Risis ist doch immer Verlass! Sagen wir in einer Stunde!“, ant wortete er und legte auch schon auf. „Idiot!“, sagte Wanda. „Was denkt er eigentlich, wer er ist? Nur weil er mit seinem Liebchen Kummer hat, denkt er, dass er seine Laune wieder einmal an mir auslassen kann! Menschen!“ Sie stand von ihrer Trainingsmatte auf und zog sich ihre Lederkombie an. Eine Stunde später wartete sie pünktlich auf die Minute, vor dem Vidal auf ihren Mentor. „Wo bleibt er denn? Erst macht er so einen Aufstand und dann taucht er nicht mal auf!“ Liam war inzwischen noch einmal nach Hause gefahren. Er wollte unbedingt Topangs Krummsäbel mit nehmen, wenn er auf den elenden Troff treffen würde. „Wartest du schon lange?“, fragte er Wanda, als er etwa zehn Minuten später neben ihr auf der Strasse gehalten hatte. „Geht so. Was bestellst du mich mit solch einem Nachdruck hier her, wenn du es mit der Pünktlichkeit selber nicht so genau nimmst?“ Sie war ziemlich sauer auf Liam und ließ es ihn auch spüren. Aber diesmal
sah er über ihre Bemerkung hinweg. Er hatte Wichtigeres zu tun und keine Lust auf endlose Diskussionen. Als sie ins Vidal eintraten, sah der riesige Frackondämon auf sie herab. Liam hatte ganz offen den Säbel über die Schulter gehängt und es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, als einige Gäste wegen der Waffe zu protestieren begannen. „Schon gut! Geh in!“, sagte der Frackon. „Nich Problem, ich nix geseh!“ Liam nickte und ging dann auf die Bar zu. Hucks hatte es sich neben einer hübschen Dämonenfrau, deren Art Liam nicht bekannt war, ge mütlich gemacht und flirtete offensichtlich mit ihr. „Hallo Hucks! Schön dich zu sehen!“, sagte Liam, als er sich neben ihn gesetzt hatte. Das Dämonen mädchen verließ sofort die Bar und Wanda nahm auf dem verlassenen Hocker Platz. Hucks saß zwischen den beiden und schaute abwechselnd nach Rechts und Links. „Was willst du?“, fragte der Troff. „Du weißt, Infos nur gegen Bares!“ Er blickte Liam dabei nicht einmal an, sondern nippte desinteressiert an seinem Glas. „Ich will keine Infos von dir. Das Wichtigste weiß ich schon!“ Er zückte den Krummsäbel und drehte ihn langsam in seiner Hand. „Hast du eine Ahnung, wem der gehört hat?“, fragte er nun. „Nein, interessiert mich auch nicht. Und nimm das Ding lieber runter, sonst kriegst du sicher noch Ärger mit dem Türsteher!“ Bei diesem Satz schauten sie beide zum Eingang des Lokals. „Hmmm, ich denke nicht, dass es mit ihm Streit geben wird!“ Liam zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Aber ich denke, ich werde dir gleich ziemlichen Ärger machen!“ Liam war aufgestanden. Er packte den Troff an seinem Hemdkragen und blickte ihm toternst ins Gesicht. Immer dichter rückte er Hucks auf den Pelz. Dieser schaute sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Doch da schaltete sich Wanda ein. „Ich an deiner Stelle, würde nicht einmal daran denken!“ „Okay, okay! Was willst du von mir? Geld?“ Nervös griff er in seine Jackentasche und holte ein Bündel Scheine heraus. „Hier, und da wo das herkommt, ist noch viel mehr! Oder brauchst du Informationen? Um sonst, natürlich! Kein Problem, ich besorge dir jede Info die du willst!“ „Du denkst wirklich, das man alles mit Geld regeln kann, oder?“ Liams Griff wurde fester. „Ich bin hier, weil du meinen Bruder auf dem Gewissen hast! Und das kannst du mit Geld nicht aufwiegen!“ „Deinen Bruder? Also wenn ich was mit deinem Bruder zu tun gehabt hätte, könnte ich mich bestimmt daran erinnern! So gutaussehende Kerle vergisst man doch nicht! Du verstehst?“ Hucks wandte sich wie ein Aal in Liams Klammergriff. „Du hast ihn nie gesehen und trotzdem hast du ihn verraten und das bedeutet bei uns Dragoons, dass derjenige, der einen von uns auf dem Gewissen hat, einen grauenvollen Tod sterben muss. Aber du gibst eine so jämmerliche Gestalt ab, das man sich mit dir nicht einmal viel Mühe geben will!“ Liam nahm den Sä bel und drehte ihn erneut vor Hucks Gesicht. Dessen Augen weiteten sich vor Panik immer mehr. Doch Liam schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Er hielt das Schwert an den Hals des Troffs. Hucks winselte um Gnade, doch Liam zog nun die Klinge ganz langsam durch die Kehle des Dämons. Der schleimige Inhalt des häss lichen Körpers quoll hervor. Erstarrt und mit weit aufgerissenen Augen glitt Hucks leblos zu Boden. Liam ließ ihn los und ging ohne eine Miene zu verziehen in Richtung Ausgang. Beim Türsteher angekommen, zog er ein paar Goldstücke aus seiner Hosentasche und wollte sie dem Frackon in die Hand geben. „Für die Entsorgung!“ Aber dieser winkte ab. „Nein, geht auf Haus! Dragoon war Held und Rache muss sein!“ „Danke!“, sagte Liam und verließ mit Wanda im Schlepptau, das Vidal. Auf der Strasse fand Wanda als erste die Sprache wieder. „War das denn wirklich nötig? Ich meine, es ist okay, wegen Topang. Aber wir haben einen guten Infor manten verloren!“ „Nein“, Liam wandte sich ihr zu, „Die Welt hat einen elenden Verräter verloren und wir sind auch vorher ohne ihn zurechtgekommen!“ Dann reichte er ihr den Krummsäbel. „Hier, es war Topangs und Tilias Wunsch, dass ein tapferer und würdiger Krieger die Waffe erhält!“ „Was? Ich soll den Säbel bekommen? Danke! Ich werde ihn in Ehren verwenden!“, sagte Wanda und ver beugte sich vor Liam. Er erwiderte dies und ihre Wege trennten sich für diesen Abend.
Tilia
Gedankengänge
war den ganzen Vormittag über mit Formalitäten und der Organisation für Topangs Ab transport beschäftigt. Es sah ganz so aus, als könnte dies alles bereits in zwei Tagen statt finden. In ihrer Heimat wurden ebenfalls die ersten Vorbereitungen getroffen, um einen ihrer Helden der Tradition entsprechend, zu bestatten. Die Auserwählte hatte es geschafft einen seltenen Spezialsarg zu besorgen, um Topang darin während des Transports aufzubewahren. Tilia wollte gerade zu Ludenys Keller aufbrechen, als das Telefon läutete. Suntok überreichte ihr den Hörer mit den Worten: „Der Töpfer!“ Der leicht abwertende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Tilia sah ihn eindringlich an. „Hallo Nick. Guten Morgen!“, begrüsste sie ihn. Als ihr wieder einfiel, dass sie heute mit ihm New York erkunden wollte, hellte sich ihre Miene sichtlich auf. „Nick, ich muss zu meinem Bruder. Danach können wir sehr gerne losziehen, und Sie zeigen mir ihre Stadt!“, versprach sie. Nick war froh, sie angerufen zu haben und sie verabredeten sich für den frühen Nachmittag an Ludenys Haus. Nachdem Tilia ihren Bruder, mit Suntoks Hilfe, in den Sarkophag gelegt und diesen gut verschlossen hatte, erwartete sie nun vor der Tür ihren Fremdenführer. Als Nick ankam, musste sie erst mal tief durchatmen. Er sah sehr gut aus in seinen Jeans und dem weißen Seidenhemd. Seine dunkle Hautfarbe und sein markantes Gesicht ließen ihn geheimnisvoll wirken. Erwar tungsvoll lächelte sie ihn an. Nick musterte Tilia von oben bis unten. Sie war eine unbeschreiblich schöne Frau. Ihre langen, schwar zen Haare trug sie offen und das schwarze Kleid stand ihr ausgezeichnet. Ihre geheimnisvollen Augen faszi nierten ihn jedoch am meisten. „Bereit, wenn Sie es sind!“, sagte er lediglich und hielt ihr seinen Arm zum Einhaken hin. „Wenn Sie New York kennen lernen wollen, dann nur mit der U-Bahn und zu Fuß. Sie werden es nicht bereuen Tilia, glau ben Sie mir!“ Und schon waren sie auf dem Weg zur nächsten Station. Suntok folgte ihnen in gebührendem Abstand. Er hatte sich so gut es ging verhüllt und auf seinem Kopf, trug er eine Baseballkappe. Den Blick zu Boden gerichtet, hoffte er, in dieser Maskerade keine Aufmerksamkeit zu erregen. Nick erwies sich als ausgezeichneter Fremdenführer. Zuerst schlenderten sie etwas durch den riesigen Central Park. Sie kamen an einigen Teichen vorbei und beobachteten einen Moment lang die Enten. Er zeigte ihr natürlich auch den Broadway mit seinen Theatern, den vielen hellen Lichtern und riesigen Reklamen. Alles war so bunt und laut und voller Leben. Anfangs war Tilia noch etwas eingeschüchtert, aber kurze Zeit darauf gewöhnte sie sich an das rege Treiben und genoss die Abwechslung zusehends. Sie besuchten die Bibliothek, welche für ihre großartige Auswahl weltberühmt war und natürlich das Empire State Building. Tilia sog begierig jegliche Information und alle Eindrücke in sich auf. Der Nachmittag verging wie ihm Flug und die beiden hatten viel Spaß. Nick berichtete ihr über die Geschichten der Stadt, so wie er sie als Kind, von seiner Mutter erzählt bekommen hatte. Um sich ein wenig zu erholen, tranken sie schließlich in einem kleinen Cafe einen Capuccino. Am Ende der Führung bat Tilia Nick, sie an einen besonderen Ort zu führen. Seit sie damals von dem schrecklichen Attentat erfahren hatte, wollte sie es unbedingt mit eigenen Augen sehen. Bei Anbruch der Dämmerung kamen sie am Ground Zero an. Tilias Stimmung trübte sich. Sie hatte die Zwillingstürme zwar nie gesehen, aber das Loch das hier in die Stadt und die Herzen aller Menschen gerissen worden war, konnte sie nur zu deutlich nachempfinden. „Niemals werde ich verstehen, wie so etwas passieren konnte!“, hörte sie Nick hinter sich sagen.
„Ich denke, niemand kann das. Aber es ist geschehen. Manchmal ereignen sich Dinge einfach und ver
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schwinden nicht wie ein böser Alptraum, wenn man einige Male mit den Augen zwinkert. Die Vorfälle des elften September werden die Menschen wohl nie vergessen!“ Tilia war in der Zwischenzeit an ihn herange treten und stand nun direkt neben ihm. Betrübt blickte Nick zu Boden. „Ich habe einen guten Freund dabei verloren. Er war gerade in dem Tower als das erste Flugzeug hinein raste. Ich habe kurz davor noch mit ihm telefoniert.“ Eine Weile standen beide schweigend vor den Gedenk tafeln bis Tilia plötzlich gähnen musste. Beschämt blickte sie zu Boden. „Wir haben heute jede Menge gesehen. Sie sind sicherlich erschöpft. Ich werde Sie nach Hause beglei ten!“, sagte Nick und wollte sich schon weg drehen. „Nick, darf ich sie um etwas bitten? Wir hatten einen so schönen Nachmittag und ich habe viel von dieser großartigen Stadt gesehen. Ich würde gerne mehr über sie persönlich erfahren.“, sagte Tilia vorsichtig und schaute ihn verlegen an. „Oh, natürlich! Wenn Sie möchten, könnten wir uns etwas zu essen besorgen und wir gehen zu mir. Wenn’s erlaubt ist?“, fragte Nick mit einem unsicheren Blick zu Suntok hinüber. Tilia blickte zu ihrem treu en Bewacher und musste lächeln. „Ich denke, dass wir Suntok für heute Abend entlassen können. Er sollte sich ausruhen!“ „Aber eure Hoheit! Sie können doch nicht zu einem Wildfremden...“ Doch weiter kam Suntok mit seinem Protest nicht. Tilia sah ihn ernst an. „Ich denke, dass wir Mr. Dellary vertrauen können Suntok. Und ich bin ja bei ihm zu Hause, da wird mir schon nichts passieren!“ Suntok verbeugte sich widerwillig vor der Auserwählten, ging dann aber wie ihm geheißen, zurück in Richtung Hotel. „So, das hätten wir.“, sagte Tilia mit einem Lächeln auf dem Gesicht. „Was schlagen Sie vor wegen des Essens?“ Nick lächelte zurück. Er fand sie einfach hinreißend- überhaupt nicht wie man sich eine Auser wählte vielleicht vorstellte, so natürlich und humorvoll, eben wie eine moderne, junge Frau. Nick führte sie zu seinem Lieblingchinesen. „Ich muss gestehen, dass ich am liebsten asiatisch esse, vorzugsweise vegetarische Küche!“ „Super! Ich habe noch nie Speisen von einem Schnellimbiss gegessen. Das wird eine völlig neue Erfah rung!“ Tilia beobachtete Nick dabei, wie er sich mit dem Ladeneigentümer unterhielt. Verwundert stellte sie fest, dass er dies in perfektem Chinesisch tat! „Er ist einfach umwerfend, spricht Chinesisch, kennt die Gepflogenheiten des Landes, mag das Essen und er ist Buddhist. Und nebenbei sieht er auch noch wahnsin nig gut aus!“, dachte sie. Als Nick sich ihr wieder zuwandte, lächelte sie verlegen, als ob er ihre Gedanken hätte lesen können. Der Kellner brachte die verpackten Speisen und Nick reichte ihm das Geld. „Wir können dann!“, sagte er und Tilia folgte ihm zu seiner Wohnung. Als sie die Räumlichkeiten betrat, schaute sie sich um. Es gefiel ihr, wie das Zimmer eingerichtet war - nicht zuviel und nicht zu wenig. Sie setzten und unterhielten sich, während sie mit den Stäbchen das Essen verspeisten. „Möchtest du mal meins probieren?“, fragte Nick sie. „Oh, ich hatte vergessen - beim Du waren wir ja noch gar nicht! Entschuldigung!“ „Kein Problem! Wenn ich auch DU sagen darf?“, erwiderte Tilia und blickte verlegen zu Boden. „Gerne!“, antwortete Nick und sein Herz begann leichte Purzelbäume zu schlagen. Er führte eine kleine Kostprobe seines Essens zu ihren Lippen und sie öffnete leicht ihren Mund. „Das ist wirklich gut!“, sagte sie leise. Dann nahm sie einen Happen ihres Essens und bot es nun ihrerseits Nick an. Er öffnete den Mund und zog das Stück vorsichtig vom Stäbchen herunter, da er dabei die ganze Zeit nur auf Tilias schöne dunkle Augen geachtet hatte, fiel die Kostprobe auf den Tisch und beide mussten lachen. „Das sollte ich doch besser noch üben!“, sagte er und wischte sich den Mund mit einer Servierte ab, die er auf seinem Schoß zu liegen hatte. Währenddessen schaute sich Tilia erneut um. „Das sind schöne Gefäße und Skulpturen!“ Sie deutete auf einige seiner Eigenproduktionen aus der Töp ferwerkstatt. „Ich halte meine Kurse direkt hier im Hause ab und da nehme ich schon einmal ein paar Stücke mit hier rauf, sonst bleibt da unten bald kein Platz mehr für die Arbeiten meiner Schüler. Es ist sehr inspirierend
und entspannend, wenn man an der Töpferscheibe sitzt und seiner Fantasie freien Lauf lassen kann.“ Nick blickte sich in seinem Zimmer um. „Es hat sich wirklich schon eine ganze Menge angesammelt.“, lachte er. „Kann ich die Werkstatt sehen?“, fragte Tilia spontan. „Ich meine, natürlich nur, wenn es dir nichts aus macht?“ „Natürlich kannst du sie dir ansehen. Komm, es ist nur ein kleines Stück die Treppen hinunter!“ Tilia erhob sich und ergriff seine Hand, die er ihr gereicht hatte, um ihr gentlemanlike beim Aufstehen zu helfen. Sie verließen die Wohnung und er führte sie in die Werkstatt. Nick schaltete das Licht ein und Tilia staunte nicht schlecht, bei dem, was sie so erblickte. „Du bist sehr kreativ! Bei uns Dragoons heißt es, wenn jemand künstlerisch begabt ist, bringt er viel Glück über seine Familie!“ „Möchtest du es einmal ausprobieren?“, fragte Nick und schaltete eine der elektrischen Töpferschei ben ein. Der Motor des Gerätes drehte sich sehr leise und gleichmäßig und Tilia war versucht, sich auf den Schämel davor zu setzen und wirklich einen Klumpen Ton zu bearbeiten. Sie schaute Nick in die Augen und nahm zögernd Platz. Er zog sich einen zweiten Hocker heran und setzte sich direkt hinter sie. Dann öffnete er eine Tonne neben dem Platz und nahm ein Stück der Tonmasse heraus. Er klatschte es auf die Scheibe und tauchte Tilias Hände in eine Schüssel mit Wasser. „So, jetzt werden wir ein Kunstwerk formen, wie’s die Welt noch nicht gesehen hat!“, hauchte er ihr ins Ohr und griff um ihre Hüften herum, nach ihren Händen. Tilia spürte seinen Atem und ein leichter Schau ern ging durch sie hindurch. Sie versuchte sich auf das zu konzentrieren, was er ihr erklärte, konnte aber vor Aufregung nur ihr Herz schlagen hören. Der Ton nahm die Form eines Turms an und Nick nahm ihre Daumen und drückte sanft mit seinem darauf, um ein Loch in die Spitze des Gebildes zu modellieren. Er roch an Tilias Nacken und atmete ebenfalls sehr schwer. Aufgeregt sahen sich beide über Tilias Schulter hinweg an und Nick drehte den Hocker jetzt zu sich herum. Der Tonturm verlor seine Form und fiel in sich zusam men. Sie blickten sich gegenseitig tief in die Augen und ihre Lippen näherten sich einander. Tilia schloss die Augen, als Nick sie zärtlich küsste. „Du bist so zauberhaft! Ich bin völlig überwältigt!“, flüsterte er zaghaft. „Oh Nick. Ich habe so etwas noch nie empfunden! Obwohl ich schon einmal verliebt war. Aber es war irgendwie anders! Weißt du, ich bin noch völlig unerfahren! Es tut mir leid, ich schäme mich. Es klingt viel leicht etwas dämlich, vor allem, da ich ja älter, als die meisten Menschen, bin. Aber du musst mir glauben, was ich gerade empfinde, hat es in dieser Form noch nie gegeben!“ Wieder sah sie ihn verlegen an. Nick musste lächeln. „Scht, ich glaube dir ja!“, sagte er und küsste sie erneut. Hylia schlürfte laut ihren Kaffee, als Greeson hereinkam. „Heute wieder einmal schlechte Laune?“, fragte er, während sein Butler ihm sein Frühstück servierte. Die Magierin rümpfte die Nase beim Anblick seines Tellers. „Es ist wirklich erschreckend, was du da in dich reinstopfst. Denk doch mal an deinen Cholesterinspie gel!“, lästerte sie weiter und nahm einen Löffel von ihrem Müsli. „Wofür wäre das gut? Ich werde bald unbesiegbar und unendlich stark sein. Bald werde ich es nicht mehr notwendig haben, mich in diesen menschlichen Hüllen zu verstecken. Und glaubst du wirklich ich sterbe einmal an zu viel Cholesterin in meinem Blut? Das ist lächerlich!“, sagte er und nahm eine Gabel voll von seinen Ham and Eggs, die von Fett nur so trieften. „Ich habe heute geträumt!“, verkündete Hylia, „und zwar von dem Buch. Es ist hier in der Stadt, ich fühle es.“ Erneut nahm sie einen Schluck von ihrem Kaffee. „Wir haben genügend Zeit es zu finden. Das Ritual für den Quadrigis findet erst bei Neumond statt und der ist in 5 Tagen. Vielleicht finden wir dieses Buch bis dahin und können es vernichten, bevor dieser Halb gamblin es in die Finger bekommt. Wenn er jemals erfährt, wie die Tabelle zu entziffern ist, habe ich keine Ruhe mehr, bis er mich an einem meiner Häutungstage vernichtet hat.“, sagte der Chancenug und aß weiter sein Frühstück. „Ich bin gespannt, wie du mit deiner neuen Kraft umgehen wirst. Telekinese ist hochgradig mächtig,
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man sollte sie nicht unterschätzen!“, versuchte Hylia ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken. Vor den Toren der Villa fuhr an diesem Vormittag erneut ein lilafarbener Porsche vor. Liam und Wanda saßen darin. Sie hatten beschlossen, vor dem Anwesen des Chancenug Wache zu halten. Ludeny hatte es satt, immer nur herumzusitzen und griff nach dem Hörer des Telefons. „Ja, Hallo!?“, erklang Stevies Stimme am anderen Ende. „Hey Stevie! Ich wollte fragen, ob du irgendwas vorhast?“ Ludeny wartete auf seine Antwort. „Nein“, sagte Stevie etwas zögerlich. „Ich habe Zeit, aber heute Abend bin ich bereits verabredet!“ Stolz schwang in seiner Stimme, was Ludeny natürlich bemerkte. „Sag mal, hat das etwa mit einer Frau zu tun? Du Womanizer!“ Sie zog ihn - wie üblich - ein wenig auf. Aber das war der gute Stevie schon gewöhnt und er reagierte inzwischen schon gar nicht mehr auf ihre klei nen Spitzen. „Heute Abend hast du wahrscheinlich schon lange deinen schicken Anzug an und schaust ver träumt in ihre schönen Augen!“, säuselte sie und versuchte ihn damit noch ein bißchen weiter zu necken. „Hör auf Ludeny! Diesmal ist es wirklich etwas ganz Anderes!“ Er schien nun doch ein wenig beleidigt. „Entschuldige bitte! Ich wollte dich wirklich nicht ärgern. Lass uns das bei einem schönen Ausflug ins Museum besprechen. Ich lade dich ein!“, sagte Ludeny. „Museum? Höre ich richtig? Was willst du in einem Museum? Haben wir etwa einen Auftrag von dem ich noch nichts weiß?“ Plötzlich wurde er ziemlich hellhörig. „Nein, kein Auftrag. Du hast doch gestern auch gehört, was Wanda berichtete. Der Chancenug und seine Busenfreundin waren doch im Metropolitan, um diesen Skarabäus zu bewundern und nun dachte ich, dass wir zwei Hübschen uns ebenfalls ein wenig dort umschauen könnten, um auch etwas beizutragen! Diese Rumsitzerei macht mich noch völlig verrückt!“ Sie flehte ihn förmlich an und Stevie konnte einfach nicht ablehnen. „Ist okay! Wir gehen also ins Museum, um uns die Ausstellungsstücke einfach nur anzusehen. Ist doch auch einmal etwas anderes!“ Sie verabredeten sich für eine Stunde später vor dem Haupteingang des Ge bäudes und legten auf. „Ich sollte Liam anrufen und ihm Bescheid geben, dass ich mit Stevie in das Museum fahre, um die Lage zu checken.“, dachte Ludeny und griff erneut nach dem Telefon. Sie wählte seine Handynummer und war doch sehr erstaunt darüber, dass er so schnell annahm. „ Was ist?“, fragte er ungehalten, denn er konnte am Display des Handys erkennen, wer am anderen Ende der Leitung war. „Sorry, wenn ich dich störe, aber ich dachte, dass ich dich darüber informieren sollte, dass Stevie und ich uns beim Museum treffen werden, um mal zu schauen, was der Chancenug und seine Freundin an dem Ska rabäus so interessant fanden! Aber wenn du davon nichts wissen möchtest, dann werde ich dir demnächst wohl nicht mehr erzählen, was ich vorhabe!“ Ludeny war wütend, aber sie zwang sich zur Ruhe. Liam kann te sie lange genug um zu wissen, dass sie auch ganz anders austeilen konnte. „Entschuldige Ludeny! Ich war nur ein wenig entnervt. Wir stehen schon seit einer Weile hier vor der Villa und nichts passiert!“ Liam war nicht entgangen, dass er sich wohl etwas im Ton vergriffen hatte und versuchte, die Wogen ein bisschen zu glätten. „Schon gut!“, sagte Ludeny bereits etwas freundlicher. „Seid bitte vorsichtig! Aber wer ist eigentlich wir?“, hakte sie nach. Liam musste schmunzeln. „Wanda und ich, das sind wir!“, antwortete er. Ludeny lächelte erleichtert und war froh, dass er mit der Risis unterwegs war, die für sie ja keine Konkurrenz darstellte. „Wir werden aufpassen, versprochen! Du aber auch. Ich meinte natürlich, ihr solltet auch vorsichtig sein. Wenn ihr jemanden von Greesons Leuten seht, dann verschwindet lieber. Wir wissen schließlich nicht, in wie weit seine Männer im Bilde sind!“ Als sie aufgelegt hatten, zog sich Ludeny um und ging zu ihrem Wagen. Auf der Fahrt zum Museum, lä chelte sie immer wieder vor sich hin und freute sich darüber, dass sie und Liam es geschafft hatten, ohne Streit ein Gespräch zu beenden. Das war in den letzten Tagen schier unmöglich gewesen. „Vielleicht kann
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er mir ja doch verzeihen!“, hoffte sie inständig. Ehe sie sichs versah, war sie auch schon vor dem Museum angekommen und suchte im anliegenden Parkhaus einen geeigneten Stellplatz für den Spider. Stevie war tete bereits an der Fifth Avenue am Haupteingang. „Hallo Schönheit. Ist das nicht ein herrliches Wetter heute?“, fragte er fröhlich. „Du meinst diesen fürchterlichen Wind, der versucht den kommenden Sommer doch noch aufzuhalten? Ja herrlich, vor allem für meine Frisur!“, antwortete sie ironisch, während sie ihre Haar zu bändigen ver suchte. Stevie hielt ihr die Tür auf und sie betraten das Metropolitan Museum. Nachdem sie den Eintritt bezahlt hatte, schritt Ludeny voraus in die große Einganshalle. „Wie praktisch, ein Ausstellungsplan!“, rief sie laut aus und Stevie stellte sich hinter sie. „Siehst du, ägyptische Kunst! Hätten ja auch gleich ‚Hier geht’s lang zu den wichtigen Sachen’ für uns draufschreiben können!“, witzelte er und deutete auf den Plan. Beide wandten sich nach rechts und betra ten kurz darauf auch schon den ersten der beiden Räume. „Sag einmal Hummelkönig, woher diese Fröhlichkeit? Hat das etwa was mit deinem heutigen Date zu tun?“, fragte sie leise, während sie sich in den Räumlichkeiten umsah. Hier waren hauptsächlich Gemälde ausgestellt. Manche von sehr moderner Art. Irgendwie hatten sie sich die ägyptischen Ausstellungsräume etwas anders vorgestellt. „Kann schon sein. So wie du anscheinend nicht untätig warst, was dein Liebesleben anbelangt, habe ich meines eben auch einmal etwas aufgemöbelt. Ich hab dir doch schon von Darlene erzählt, die Kellnerin vom Orinoco?“ „Ja, du hast schon des Öfteren mal PC-Genie für sie gespielt!“ Ludeny war erleichtert darüber, so unbe fangen mit ihm reden zu können. Sie hatte sich doch Sorgen darüber gemacht, wie er auf die ganze Sache mit Nick reagieren würde. Und wie sie ihn dann auch noch mit der Nase darauf gestoßen hatte, war auch nicht sehr sensibel von ihr gewesen. „Ja, genau die. Ich führe sie heute Abend ins Kino aus. Sie ist sehr nett, weißt du? Ich mag sie sehr gerne!“, berichtete er und wartete mit verlegenem Blick aus dem Augenwinkel auf Ludenys Reaktion. Die Dunkelslug blieb stehen und blickte ihn an. „Weißt du Stevie, ich mag dich sehr. Du bist mir in den letzten Jahren so etwas wie ein Bruder geworden. Ich bin glücklich, wenn du jemanden findest den du lieben kannst und die dich liebt! Wenigstens einer bei dem scheinbar alles glatt läuft in Herzensangelegenheiten.“ Dann küßte sie ihn sanft auf die Wange. Sie betraten den zweiten und größeren Raum. Er war prunkvoll geschmückt und mit Hieroglyphen verziert. „Das trifft es schon eher!“, kommentierte Stevie. „Ja in Herzensangelegenheiten würde ich mir von dir keinen Rat geben lassen. Sag mal, leidest du gerne, oder passiert dir so etwas nur zufällig?“ Und wieder hat te er es geschafft ihr ein Lächeln zu entlocken. „Hier!“, rief sie plötzlich aus und deutete auf eine Vitrine am Ende der rechten Wand. Gemeinsam traten sie näher heran und entdeckten darin einen grauen Stein mit ungefähr zehn Zentimeter Durchmesser. Er wirkte eigentlich ziemlich unauffällig, bis auf die roten Augen aus Rubinen. Daneben stand eine Tafel mit der Beschreibung. Der Skarabäus sei ein Stück aus der Sammlung des Okipheus-Pharaos. Leider konnte ih nen die Tafel auch nichts erklären, was sie nicht schon längst wussten. „Da haben wir ja unser Käferchen! Doch wenn der jetzt nicht anfängt mit uns zu sprechen, dann werden wir wohl hier im Museum auch nichts Neues mehr darüber erfahren.“, stellte Stevie resigniert fest. „Tja ich denke du hast Recht, aber jetzt wissen wir wenigstens wo er sich genau befindet und wie er real aussieht. Komm wir gehen wieder!“, forderte Ludeny ihn auf. „Schon? Und die anderen Räumlichkeiten, soviel Kunst auf einen Haufen und wir sehen es uns nicht einmal an?“, fragte er gespielt gekränkt. Ludeny lächelte erneut. Dann machten sie beiden kehrt und gin gen zurück in Richtung Einganshalle. In der rechten oberen Ecke neben der Tür hing ein kleiner Überwa chungsspiegel. Ludeny, Expertin für Sicherheitsvorkehrungen, hatte ihn sofort entdeckt, als sie sich auf den Rückweg begeben hatten. Jetzt jedoch zügelte sie ihr Tempo und ging langsamer. Sie hatte hinter der Vitrine eine Bewegung wahrgenommen. Kurz bevor sie am Spiegel vorbei ging, sah sie plötzlich jemanden oder etwas hervortreten. Sie versuchte sich so schnell wie möglich alle Einzelheiten einzuprägen.
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„Wir werden bei mir noch einen Kaffee trinken, was sagst du? Ich könnte jetzt wirklich einen vertra gen.“ Stevie war nur einen kurzen Augenblich über ihre Aussage verwundert. Denn er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Ludeny und Kaffee das war ungefähr so unmöglich wie Eiszapfen an einer Dachrinne im Hochsommer. „Bei mir in dreißig Minuten!“, sagte Ludeny schnell, bevor sie zum Parkhaus eilte, um ihr Auto abzuholen. Schnell brauste sie los und brauchte lediglich zwanzig Minuten, um zu ihrem Appartement zu gelangen. Sie stellte den Spider in einer Seitenstrasse ab und rannte zum Hauseingang. „Tilias Buch!“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie öffnete hastig die Wohnungstür, die sie auch gleich wieder ins Schloss fallen lies. Dann flogen auch schon ihre Schuhe in eine Ecke des Flures. „Wo ist es denn? Liam hat es doch hier gelassen!“, sagte sie und stolperte regelrecht in ihr Arbeitszimmer. Gerade, als sie am Schreibtisch angekommen war, klingelte es. „Ach, Stevie! Bin schon da!“, rief sie und flitzte durch den Kor ridor, zurück an die Wohnungstür um sie ruckartig aufzureißen. „Komm schon rein!“ Ludeny zog an seinem Ärmel und schob die Tür erneut ins Schloss. „Immer langsam! Weißt du Lud, es gab mal Zeiten, da wäre ich sehr glücklich gewesen, wenn du mich so schnell und übermütig in deine Wohnung gezerrt hättest! Aber heute bin ich geheilt und würde mich freu en, wenn du mein Hemd unversehrt lassen könntest!“ Stevie folgte ihr freiwillig ins Büro und beobachtete sie dabei, wie sie den Schreibtisch durchwühlte. „Such doch mit!“, sagte sie zu ihm und trampelte nervös auf dem Boden herum. „Wenn du mir sagen würdest, was du suchst, dann könnte ich mich vielleicht überreden lassen, mitzu machen!“ Er war erstaunt mit wie viel Elan Ludeny eine riesige Unordnung auf dem Tisch veranstaltete. „Das Buch, Liebling, das Buch von Tilia!“ Ludeny kramte immer noch ziellos zwischen den ganzen Papie ren. „Wie wäre es mit diesem?“, fragte Stevie und hielt das gute Stück in seiner rechten Hand empor. „Du bist ein Schatz!“, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann griff sie nach dem Wälzer und blätterte vorsichtig darin. „Irgendwo müssen die sein!“ Sie blickte konzentriert auf die Seiten. Stevie schob ihr einen Stuhl zu und setzte sich selbst daneben. Ohne nachzusehen, wo sie sich niederließ, setzte sie sich vertrauensvoll auf das Sitzmöbel. „Danke!“, murmelte sie und suchte weiter zwischen den pergamen tenen Seiten der urlaten Lektüre. Es war nun schon eine ganze Weile vergangen und Stevie hatte seine Augen geschlossen. Er träumte gerade von seinem Rendezvous mit Darlene und stellte sich vor, was sie wohl anhaben würde, als er jäh aus diesen Gedanken gerissen wurde. „Da!“, schrie Ludeny plötzlich und Stevie fiel beinahe vom Stuhl. „Was ist da?!“, fragte er erschrocken. „Dieser Kerl, den ich im Spiegel im Museum gesehen habe! Ich habe mich deshalb so beeilt, hier her zu kommen, weil ich nicht gleich wieder vergessen wollte, wie er aussieht!“ Stevie war aufgestanden und schaute interessiert auf die aufgeschlagene Seite. Ein Bild von einem ägyptischen Krieger oder etwas Ähn lichem war dort abgebildet. Er trug eine Art Lendenschurz, wie es die Ägypter vor rund 7000 Jahren trugen, und einen Helm an dem eine Schlange befestigt war. Eine Kette, in Form eines ähnlichen Reptils, zierte seinen Hals. „Die Wächter des Okipheus-Pharaos!“, sagte Ludeny ehrfürchtig. „Igitt! Die schneiden ihren besiegten Gegnern die Zungen heraus. Gleiches mit Gleichem vergelten. Das ist natürlich auch eine Art seinen Frust darüber loszuwerden, wenn man selbst die Zunge auf diese Weise verloren hat. Sie bewachen die okkulten und mystischen Gegenstände dieses Pharaos, damit sie nicht in die falsche Hände geraten! Wow! Wie groß sind die? einen Meter fünfundneunzig! Das nenne ich mal einen großen Kerl!“, schloss sie den Lesevor trag. „Also bewacht dieser Typ den dicken Steinkäfer!“, sagte Stevie und klappte das Buch wieder zu. Ludeny war unterdessen aufgestanden und ging nervös auf und ab. In der Hand hielt sie ihr Telefon und blickte es fragend an. Stevie schaute ihr eine geraume Zeit dabei zu, bis ihm schließlich der Geduldsfaden riss. „Soll ich ihn anrufen?“, fragte er sie und Ludenys Blick wechselte vom Telefon zu ihrem Freund. „Nein, ich mach das schon. So oder so ist es ja wichtig und ich sollte ihm das mitteilen, denke ich. Also
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ich ruf ihn an.“ Sie drückte energisch und entschlossen die entsprechenden Tasten und hielt das Gerät an ihr Ohr. Stevie erhob sich und ging in die Küche, um sie alleine zu lassen. Liam blickte erbost auf sein Handy, als es erneut läutete. Gerade wollte er etwas Unhöfliches in sein Mo biltelefon sagen, doch Ludeny fiel ihm gleich ins Wort und ließ ihm gar nicht erst die Möglichkeit, seinen Frust loszuwerden. Schnell berichtete sie von ihrem Besuch im Museum und von der Entdeckugn, die sie gemacht hatte. Liam hörte aufmerksam zu. Nachdem sie geendet hatte, antwortete er: „Darf ich jetzt auch etwas sagen? Seit wann bist du so ener gisch, Ludeny? Also, zugegeben, ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet. Ich werde heute noch vorbei kom men und das Buch abholen. Dieser Okipheus Pharao-Wächter sagt mir nämlich gar nichts. Ich meine, natür lich, wenn es dir recht ist!“, schickte er noch schnell nach und wartete auf ihre Antwort. Ludeny hatte zwar ein mulmiges Gefühl im Bauch, war dann aber doch einverstanden. Liam blickte zu Wanda hinüber und legte auf. „Ich weiß, ich weiß! Sie ist nicht gut für mich. Aber wenn sie sich solche Mühe macht. Und außerdem, finde ich es ganz interessant, was sie da über diese Wächter des Okipheus erzählt hat! Ich sollte zu ihr fahren und sehen, was in dem Buch noch so alles darüber steht!“ „Was, jetzt sofort?“, fragte Wanda, „dann beenden wir unsere Überwachung?“ „Für´s Erste, ja!“ Liam schnallte sich an und Wanda startete kopfschüttelnd ihren Porsche. er.
Stevie kam aus der Küche zurück und biss herzhaft in einen Apfel. „Und, wird er herkommen?“, fragte
„Ja, gesagt hat er es jedenfalls!“ Ludeny schaute ihn skeptisch an. „Hauptsache wir streiten uns nicht gleich wieder!“ „Okay, dann werde ich mal nach Hause fahren. Hier kann ich ja sowieso nichts mehr machen, außer mir die zornigen Blicke Liams zu Gemüte zu führen und darauf habe ich ehrlich gesagt nicht besonders viel Lust!“ Er ging zum Flur und nahm seine Jacke von der Garderobe. Ludeny folgte ihm und lehnte sich gegen einen Türrahmen, während sie ihn beim Anziehen beobachtete und musste schmunzeln. „Was ist? Klebt mir irgendetwas im Gesicht oder warum guckst du mich so an?“, fragte Stevie. „Ich weiß ja, dass du schon sehr aufgeregt sein musst wegen deines Dates heute Abend. Ich wünsche dir, dass alles so verläuft, wie du es dir vorgestellt hast! - Ehrlich!“ Ludeny ging auf ihn zu und wuselte ihm keck durch sein rotes Haar. „Auch wenn ich vielleicht ein wenig eifersüchtig bin!“, sagte sie. Dann umarmten sie sich herzlich und Stevie ging auf den Treppenflur hinaus. „Es wird schon wieder alles gut mit dir und Liam!“, sagte er noch, strich sein Haar wieder glatt und blin zelte ihr lächelnd zu, während er zum Aufzug ging.
Wanda hatte Liam an seiner Wohnung abgesetzt, damit er mit seiner Maschine zu Ludeny fahren konnte. Er ging zur Harley, während er Wanda noch nachsah, bevor sie um die nächste Ecke fuhr. „Okay, mein Lieber. Bleib sachlich und korrekt, dann wird das heute auch kein Desaster mit Ludeny. Wir haben wirklich wichtigere Probleme als unsere Pseudobeziehung!“, sagte er laut zu sich selbst und stieg auf sein Motorrad. Es war knapp nach sechzehn Uhr, als er bei ihr anläutete. Sie sah wie immer sehr hübsch aus und lächelte ihn freundlich an. „Ich habe das Buch im Wohnzimmer auf den kleinen Tisch gelegt. Die Seite ist aufgeschla gen.“, erklärte sie ihm, während sie in die Küche ging, um Kaffee für ihn zu holen. Für sich selbst nahm sie noch ein Stück Melone. Liam las interessiert die Seite in Tilias Buch. „Tja, dann ist der Skarabäus ja geschützt. Ich habe nur irgendwie das Gefühl, als würde das überhaupt nichts ändern. Dieses Monster wird sicherlich einen Weg finden, trotzdem dran zu kommen!“ Während er das Buch zurücklegte, schaute er Ludeny direkt in die Augen. „ Wie konnte sie nur so einfach mit Nick schlafen? Werde ich ihr jemals verzeihen können?“, fragte er sich. Ludeny hatte aufgegessen und berichtete ihm noch ausführlicher von ihrem Museumsbesuch. Nachdem sie einen Zettel und einen Stift aus ihrem Arbeitszimmer geholt hatte, versuchte sie einen Lageplan zu erstel
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len und überreichte ihn Liam. „Gut gemacht. Es freut mich, dass du so engagiert bist. Also ich werde dann mal wieder gehen!“ Bei die sen Worten erhob er sich und wollte gerade zur Tür gehen. Ludeny sprang auf und stellte sich ihm in den Weg. „Liam, ich dachte, wir sollten reden. Es lief alles so verkehrt. Ich wollte nicht...“, fing sie an. Aber weiter kam sie nicht. Denn ihre Augen füllten sich mit Tränen und um sie zu verbergen, drehte sie sich weg. Natür lich merkte Liam was los war und so trat er hinter sie und drehte sie vorsichtig wieder zu sich um. „Was haben wir nur verbrochen, damit unser Leben so schmerzvoll ablaufen muss?“, fragte er sie, wäh rend er sie tröstend an sich drückte. Unter Schluchzen erwiderte sie: „Ich weiß es nicht. Ich mache immer alles falsch!“ Liam löste sich ein Stück von ihr. „Nein, wir beide. Aber jetzt ist es wichtiger sich um andere Dinge zu kümmern. Wir haben doch noch fast die ganze Ewigkeit vor uns, um das wieder auf die Reihe zu kriegen!“ Die Dunkelslug hatte sich wieder beruhigt und die Tränen versiegten langsam. „Du hast Recht. Wir müssen den Chancenug aufhalten. Alles andere kann und muss warten!“ Liam wand te sich wieder der Tür zu. „Versprich mir nur eines: Bitte wirf dich nicht wieder irgendeinem anderen an den Hals, bis wir das ge klärt haben!“ Ludeny musste lächeln. „Ja, das verspreche ich!“ Wortlos drehte sich Liam nun zur Tür und verließ das Appartement. In der Zwischenzeit war Stevie zu Hause angekommen und durchstöberte seine Sachen nach der pas senden Kleidung für das Date mit Darlene. Zur selben Zeit stand eine völlig verzweifelte Darlene in ihrem Wohnzimmer und schaute auf den Klei derstapel vor sich auf dem Sessel und schüttelte ratlos den Kopf. „Was soll ich bloß anziehen?“, fragte sie sich und wartete ungeduldig auf Stephanie, die ihr versprochen hatte, vorbei zu kommen, um ihr bei der Auswahl des richtigen Outfits zur Hand zu gehen. Es klopfte an der Wohnungstür und Darlene solperte hastig über ihre, im Flur verstreuten Schuhe, hinweg, um zu öffnen. „Gott sei Dank, bist du endlich hier! Ich dachte schon, dass ich in meiner Servierschürze mit Stevie ins Kino gehen müsste!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie ihre Freundin an deren Jackenärmel und zog sie in ihre Wohnung. Dann schob sie Stephanie auf den Kleiderhaufen zu, der inzwischen beträchtliche Ausmaße angenommen hatte. „Alles klar! Verzweiflung an der Konfektionsfront ist mir nicht fremd! Aber, dir kann geholfen werden! Los, sortieren!“, sagte Stephanie resolut und fing an, die Kleidungsstücke zu ordnen. Stevie hatte sich indes für eine neue Bluejeans, einen weißen Strickpulli und schwarze, blankgeputzte Schuhe entschieden. „Genau richtig, wenn man nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen will.“, sagte er zu sich und ging in Rich tung Bad, um seinen Haare den passenden Look zu verpassen. Doch als er gerade die Klinke herunterdrückte und die Tür nach innen öffnen wollte, musste er feststellen, dass diese verschlossen war. „Josh? Bist du da drin?“, rief er. „Klar, wer denn sonst? Was willst du? Bei mir dauerts noch ein wenig!“ Stevie verdrehte angewidert die Augen und verzerrte seine Mundwinkel. „Wenn der erst mal eine Wei le da drinnen sitzt, dann wird das wahrscheinlich sehr unangenehm für meine Geruchsnerven!“, ging es ihm durch den Kopf. Er lies den Blick über seine Kleidung schweifen und hoffte dabei instandig, dass sich dort keine ekelerregenden Gerüche festsetzen würden, wenn er das Bad nach Josh betreten würde. Genervt setzte er sich auf den Stuhl, der neben der Tür stand und verschränkte nervös die Arme vor der Brust. Seine Beine zappelten unruhig vor sich hin. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, die er hier zum Warten verdammt war. Als Josh nun endlich das Bad verließ, entwich gleichzeitig mit ihm ein widerlicher Geruch dem Raum.
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„Okay, fertig! Du kannst jetzt rein, wenn du´s sooo eilig hast!“, entgegnete Josh und Stevie hielt sich an geekelt die Nase zu. „Oh, Josh! Das ist ja abscheulich!“ Mit immer noch zugehaltener Nase bahnte er sich seinen Weg ins In nere des Bads und riss das Fenster weit auf. „Wenn sie wüsste, was ich alles für sie auf mich nehme, dann würde sie mich sofort heiraten!“, sagte er ironisch und atmete laut aus. Darlene und Stephanie waren inzwischen fündig geworden und hatten in ihrem Kleiderwirrwarr, einiges gefunden, was Darlene zufrieden stellte und auch dem Anlass entsprach. Einen hübschen Bluejeansrock mit Schlitz hinten und ein süßes Top mit Blumenmuster, das wie Stephanie sagte, Darlenes Busen gut zur Geltung brachte und wenn Stevie nicht sofort über sie herfallen würde, wäre er entweder blind oder homo sexuell. Das Highlight stellten dann Darlenes Haare dar. Stephanie hatte die schönen rotblonden Locken so frisiert, dass sie Darlenes hübsches Gesicht umrahmten. Ein wenig MakeUp und ihre schönen Augen strahl ten mit Darlene um die Wette. Die Zeit verging und es wurde Abend. Stevie hatte sich mit dem Auto auf den Weg zum Orinoco gemacht. Er hielt vor dem Haus und stieg aus. Auf dem kurzen Fußweg zu ihrer Wohnung wurden seine Knie irgend wie ganz weich und eine leichte Übelkeit machte sich in seiner Magengegend breit. Nervös drückte er auf den Klingelknopf und wartete. Die Tür wurde geöffnet. Da stand sie nun, wunderhübsch und lächelte ihn strahlend an. „Hi, Stevie! Möchtest du reinkommen oder wolltest du gleich los?“, fragte sie. „Ich dachte, wir könnten vorher noch eine Kleinigkeit trinken und essen gehen?“ Stevie war begeistert davon, wie zuckersüß Darlene aussah und wurde sogar ein wenig verlegen. „Neben ihr wirke ich ja wie irgendein Dorftrottel!“, dachte er. Darlene griff um die Ecke und nahm ihre Jacke vom Haken. Eigentlich wollte sie es nicht, aber sie befolgte doch Stephanies Rat und ließ die Knöpfe des Blousons offen. „Lass ihn ruhig sehen, was er versäumen würde, wenn er dich abblitzen lässt!“, hatte Steph zu ihr gesagt und dabei verschwörerisch mit den Augen gerollt. „Auf was hättest du Lust?“, fragte Stevie sie, während er ihr galant die Wagentür aufhielt. „Oh, ich weiß nicht, vielleicht mexikanisch?“, sagte Darlene vorsichtig. Sie wollte ihn nicht vergraulen, falls diese Idee nicht seinem Geschmack entsprechen sollte. „Mexikanisch ist sehr gut. Das ist genau meine Linie!“, antwortete er und setzte sich auf den Fahrersitz. Während der Fahrt sprachen sie nicht viel. Aber Stevie versuchte immer wieder einen Blick auf Darlene zu erhaschen. Immer, wenn sich ihre Blicke trafen, lächelte sie ihn zauberhaft an und sein Herz schlug Purzel bäume. „Am liebsten würde ich sie fragen, ob wir das Kino nicht lieber vergessen wollen und zu ihr fahren, um ein wenig auf dem Sofa zu sitzen, damit ich ihr einfach nur in die Augen sehen könnte! Und ein bisschen Knutschen wäre auch ganz nett!“, dachte er und fing zu schmunzeln an. „Was ist? Irgendetwas Komisches passiert? Oder stimmt bei mir etwas nicht?“, fragte Darlene, als sie seinen träumerischen Ausdruck im Gesicht bemerkte. „Was? Nein, um Gottes Willen! Du siehst einfach fantastisch aus. Entschuldige, aber ich war ein wenig ab wesend!“ Stevie war erschrocken darüber, dass sie anscheinend seine Geistesabwesenheit bemerkt hatte. „Du solltest aber während der Fahrt lieber mit den Gedanken beim Strassenverkehr sein!“, entgegnete Darlene spaßig. „Wenn man neben sich jemanden wie dich zu sitzen hat, ist das gar nicht so einfach.“ Stevie fuhr nun in eine Seitenstrasse, nahe dem Kino und suchte einen Parkplatz. Darlene errötete etwas, als Stevie ihr das Kompliment gemacht hatte und schaute ihm verträumt dabei zu, wie er den Wagen geschickt rückwärts in eine ziemlich kleine Parklücke rangierte. Er drehte den Zündschlüssel und der Motor erstarb. „Da wären wir!“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln an sie gerichtet. Sie erwachte aus ihrer Träu merei und setzte sich plötzlich kerzengerade auf dem Beifahrersitz hin.
„Oh, Ja, natürlich! Dann sollten wir keine Zeit verlieren und aussteigen.“, sagte sie hastig und öffnete ihren Sicherheitsgurt. Er klemmte ein wenig und Stevie griff ein, um ihr zu helfen. „Warte, ich mach das, der klemmt manchmal etwas.“ Als er an die Befestigung griff, berührten sich ihre Hände und ihre Gesichter kamen sich ziemlich nahe. Sie schauten sich für einen kurzen Augenblick tief in die Augen und Stevie war versucht, sie zu küssen, ließ es dann aber lieber bleiben. „Wer weiß, vielleicht bekomme ich dann gleich eine Ohrfeige!?“, ging es ihm durch den Kopf. Der Gurt löste sich und er stieg aus, um ihr die Tür zu öffnen und ihr gentleman-like aus dem Auto zu helfen. Darlene ergriff seine. „Das ist ja ein Zufall!“, sagte sie, als sie das Schild über dem Restaurant entdeckte. „El Nino! Das ist auch einer meiner Lieblings-Mexikaner!“, sagte sie und beide gingen auf den Eingang des Lokals zu. Stevie war sehr zuvorkommend und hielt ihr auch diesmal die Tür auf. Sie suchten sich eine kuschelige Ecke des Lokals und bestellten sich Steaks mit Salat. Eine Stunde lang unterhielten siesich und erzählten sich lustige Anek doten aus ihren Erinnerungen. Der Abend war in Stevies Augen schon jetzt ein Volltreffer und er freute sich schon sehr darauf, im Kino neben ihr zu sitzen und vielleicht den Arm um Darlene legen zu können. Später bezahlte er die Rechnung und half ihr in ihre Jacke. Dann verließen sie das Restaurant und gingen zu Fuss zum Kino. Während der Vorstellung, es war ein Drama, versuchte Stevie sein Glück und legte seinen Arm um ihre Schulter. Er war sichtlich erleichtert, als er feststellte, dass es ihr wohl recht war. Denn sie lehnte ihren Kopf gegen seinen Oberkörper und schmiegte sich an ihn. Als eine besonders traurige Szene im Film zu sehen war und Darlene die Tränen nicht zurückhalten konnte, nahm er zärtlich ihr Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung. Sie schaute ihn von unten her an und lächelte sanft. Er konnte einfach nicht anders. Er näherte sich ihren Lippen mit den seinen und berührte sie vorsichtig. Darlene erwiderte seinen zärtlichen Kuss und schloss die Augen. Der Kuss wurde schnell fordernder und sie streichelten sich liebevoll. Als der Film endete, waren die beiden immer noch da bei, Zärtlichkeiten auszutauschen. Selbst als das Licht den Kinosaal wieder erleuchtete, ließen sich Darlene und Stevie davon nicht stören. Erst als drei freche Teenagermädchen anfingen zu kichern, lösten sie sich voneinander und schauten verlegen zu den Schülerinnen. „Lass uns gehen!“, sagte Stevie und erhob sich von seinem Sitz. „Wie war der Film eigentlich?“, fragte sie und umarmte Stevies Hüfte, während sie den Vorführraum verließen. „Keine Ahnung! Ich habe den schönsten Film eben in deinen Augen gesehen!“ antwortet er ihr. „Ich hatte die Augen aber geschlossen!“, flüsterte sie ihm ins Ohr und blieb stehen, um ihn erneut zu küssen. Stevie war im siebten Himmel und schwebte wie auf Wolken mit Darlene im Arm zu seinem Wagen. Ein laues Lüftchen wehte in dieser noch jungen Nacht und die Sterne waren klar am Himmel zu sehen. Sie brauchten mindestens eine dreiviertel Stunde für eine Strecke, die sie vorher in fünfzehn Minuten zurück gelegt hatten. Aber immer wieder machten sie Halt um sich zu küssen. Er schloss ihr die Autotür auf und gab ihr noch einen Kuss, bevor er um den BMW herumlief, um selbst einzusteigen. „Dann werde ich dich mal nach Hause bringen!“, sagte er und beugte sich erneut zu ihr hinüber. Darlene streichelte ihm sanft übers Gesicht und sagte. „Du könntest noch mit zu mir kommen! So auf einen Down- oder Upload?“, witzelte sie und schaute ihn verlegen an. Stevie war sprachlos und nickte nur zustimmend. Dann startete er den Motor und fuhr auf di rektem Weg zum Orinoco. Vor ihrer Wohnungstür stand er neben ihr und hielt kurz ihre Hand fest, mit der sie gerade die Tür aufschließen wollte. „Hör mal Kleines, ich möchte dich nicht bedrängen. Ich komme gerne mit zu dir. Aber ich denke, dass wir nur Fernsehen oder etwas in der Art tun sollten. Okay?“, warf er ein, als er in ihr enttäuschtes Gesicht sah. „Küssen ist schon erlaubt, aber mit dem Rest sollten wir noch uns noch Zeit lassen. Ich will nicht, dass du denkst, ich sei nur deswegen mit dir zusammen. Ich bin nämlich nicht gerade der Draufgän...“ Darlene un terbrach seinen Redeschwall, indem sie ihre Lippen auf die seinen presste und ihn leidenschaftlich küsste. Als sie sich langsam wieder von ihm löste, sagte sie flüsternd: „Es ist okay Stevie. Es wird alles so passie ren, wie wir es wollen.“ Stevie blickte sie bewundernd und wortlos an und folgte ihr wortlos in ihre Woh
nung. Greeson riss die Tür zum Wintergarten auf. „Hylia, du lässt mich nun schon seit über zwei Stunden auf dich warten. Es ist bereits Abend hast du das mitbekommen?“ Mit dem Fuß nervös auf den Boden klopfend, stand er in der Tür und beobachtete sie. Hylia warf den Kopf in den Nacken und schrie: „Und dank deiner Ungeduld wird es weitere zwei Stunden dauern die Verbindung zu den finsteren Mächten herzustellen, um das Buch ausfindig zu machen!“, fauchte sie böse. Plötzlich stand sie auf und streckte verzweifelt ihre Hände in die Höhe. „Ach was solls. Es hat kei nen Sinn. Ich kann dieses verdammte Buch nicht orten. Wie auch? Es war jahrelang in einer Höhle versteckt und niemand hat es finden können. Dieses Ding hat wirklich gelernt sich zu verkriechen.“, sagte sie wütend und ging an Greeson vorbei aus dem Raum. „Weißt du was, ich glaube wir sollten ausgehen. Unser toter Dämon läuft uns nicht davon. Und ich muss einmal raus hier. Nebenbei bemerkt, benötige ich einige Infor mationen. Es sollte in New York doch möglich sein, alle Zutaten für einen Ortungsversuch zu bekommen. Schon Morgen könnte ich wissen, wo sich einer der fehlenden Gegenstände befindet.“ Sie beugte sich zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Und du erwartest wirklich, dass ich dich begleite?“, fragte er verwirrt. Sie nickte lediglich und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Einige Zeit später fuhr sie in Begleitung von Maurice, alleine in Richtung New York los. „Ein machtgie riger Typ ist das, dass kann ich dir sagen. Und er hat keine Ahnung was Spaß ist. Ach, was ärgere ich mich überhaupt. Ich hätte es wissen müssen. Aber es freut mich, dich an meiner Seite zu haben, Maurice. Du bist mir der liebste von seinen Sklaven. Ob das an deiner Stummheit liegt?“, plauderte sie wütend vor sich hin und begann dann wie verrückt zu lachen. Greeson saß bereits seit Stunden in seinem Arbeitszimmer und sah sich gerade die Nachrichten im Fern sehen an, als Hylia plötzlich hereinplatzte. Sie war im Vidal gewesen und als der Türsteher ihr den Eintritt verweigern wollte, musste sie ihn leider mit einigen magischen Tricks vom Gegenteil überzeugen. Aber der Troff war nirgendwo aufzufinden. Der Barkeeper der Dämonenkneipe war jedoch sehr hilfsbereit und erzählte ihr von dessen Ableben und Liams nicht unerheblichem Anteil daran. Als sie dies dem Chancenug berichtete, verfinsterte sich dessen Miene und er wurde nachdenklich. „Vielleicht wird es Zeit endlich et was gegen diesen Störenfried zu unternehmen.“ Nick und Tilia waren nach der kurzen Töpferlernstunde zurück in seine Wohnung gegangen und hatten es sich auf seinem Balkon gemütlich gemacht. Er hatte eine Decke ausgebreitet und sich mit ihr aneinander gekuschelt, darauf gesetzt. Sie tranken Rotwein und unterhielten sich, während sie sich immer wieder tief in die Augen blickten und zwischendurch zärtliche Küsse austauschten. Nick erzählte ihr, dass er einige Zeit in einem buddhistischen Kloster gelebt hatte. Erst dort konnte er die wahre Bedeutung von Bescheidenheit, Nächstenliebe und Ehrlichkeit erkennen und versuchte nun nach diesen Maßstäben zu leben. Tilia erzählte ihm von ihrem Leben bei ihrem Volk und er war begierig dabei, alles in sich aufzunehmen, was er über die stolzen Dragoons in Erfahrung bringen konnte. Die beiden vergaßen völlig die Zeit und tauschten dabei immer wieder Zärtlichkeiten aus. Nick umarmte die so zerbrechlich wirkende, kleine Dra goonin und küsste sie sanft. Tilia schmolz in seinen Armen schier dahin und die Küsse wurden heftiger. Nick schob sie nun sanft, aber bestimmt von sich weg und stand auf. „Ich denke, es wäre besser, wenn du zurück ins Hotel fährst! Ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Außerdem will ich Ärger mit Suntok vermeiden, falls er der Meinung sein sollte, dass ich die Aus erwählte entehrt habe!“ Tilia stand langsam auf und ging mit einem Lächeln auf ihn zu. „Er darf dich nur töten, wenn ich es ihm befehle!“ Dann umarmte sie ihn und gab ihm einen innigen Kuss auf die Lippen. „Bringst du mich noch?“, fragte sie. Nick erwiderte ihre Umarmung und küsste sie auf ihre Stirn. „Natürlich! Ich rufe uns ein Taxi!“ Einige Minuten später saßen sie in dem Wagen und fuhren Richtung Hotel. Nick schaute auf seine Armbanduhr.
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„Wow, es ist schon sehr spät! Suntok wird mich zu Hackfleisch verarbeiten!“ „Vergiss nicht, nur wenn ich es ihm befehle!“, antwortete Tilia schmunzelnd und kuschelte sich an ihren Begleiter. Lächelnd legte er seinen Arm um sie. Im Metropolitan Museum of Art war es, wie an jedem Abend, sehr still. Nur ein pflichtbewusster, ehema liger New Yorker Police-Officer drehte hier seine Runden. Harold Smith, Sergant a.D., fühlte sich mit seinen 6 Jahren noch zu jung, um zu Hause die Beine hoch zulegen und gelangweilt auf den Tod zu warten. Er war durchschnittlich groß und etwas korpulent. Seine grauen Haare waren schon etwas lichter geworden. Aber das störte ihn nicht. Denn er trug bei seiner Arbeit immer eine Dienstmütze. Seine Frau war vor zwei Jahren gestorben, genau zu dem Zeitpunkt, als er in den Ruhestand ging. Er konnte die Stille an den langen Abenden allein zu Hause einfach nicht ertragen. Darum nahm er das Angebot eines ehemaligen Kollegen an, hier im Museum für Ordnung sorgen. Der Job war ungefährlich und eine kleine Finanzspritze konnte schließlich auch seinem Portmonaie gut tun. Seine drei Kinder lebten mit ihren Familien über die verschie densten Bundesstaaten der USA verteilt und wenn er sie und seine Enkel besuchen wollte, kostete ihn die Fahrt oder der Flug dahin jedes Mal ein kleines Vermögen. Sie boten ihm zwar immer an, ihm die Anreise zu bezahlen, aber dafür war er einfach zu stolz. Sein Motto hieß „Wer rastet, der rostet!“ und so ging er jeden Abend zum Museum und erledigte seinen Dienst. Harold schlenderte durch die verschiedenen Abteilungen des Museums und schüttelte teilweise ver ständnislos den Kopf. „Die Polizei setzt jeden Tag ihr Leben aufs Spiel und diese Archäologen wühlen im Dreck für das dreifache von dem, was ich je verdient habe! Das soll einer verstehen! Ich weiß auch nicht, warum man dafür studieren muss, buddeln kann ich auch ohne ein Zeugnis, hab ich mit meinen Kindern schon vor Ewigkeiten getan!“. Laut lachte er vor sich hin. Niemand konnte ihn hier hören und er führte immer seine Selbstgespräche, wenn er durch die Gänge schlich. Als er in die ägyptische Abteilung kam, be trachtete er die verschiedenen Relikte in den Vitrinen. „Das sind doch alles Hirngespinnste! Woher wollen die wissen, dass diese Sachen so alt sind? Mein Schrank, den ich noch von meiner Großmutter habe, der ist nachweislich alt. Das kann meine ganze Familie bezeugen!“ Er ging zu der Vitrine, in der der Skarbäus lag und stierte hinein. „Was für ein hässliches Teil! Das kriegen ja meine Enkel aus Knetmasse schöner hin!“ Die roten Augen des Käfers schienen ihn jedoch wie magisch anzuziehen und er drückte seine Nase gegen das Glas. Sein Mund blieb offen stehen und er war scheinbar wie paralysiert. Dann schüttelte er seinen Kopf und erblickte im Spiegelbild des Vitrinenglases, direkt hinter sich, eine seltsame Gestalt. Harold erschrak und zog seine Prügelkeule aus dem Schaft seines Gürtels. Eine Schusswaffe war ihm hier nicht erlaubt zu tragen und so musste er sich wohl oder übel auf diese Waffe verlassen. Mit der erhobenen Keule in der Hand drehte er sich ruckartig um und blickte nun in das Gesicht eines eigenartigen Wesens. Wie aus dem alten Ägypten in die neue Zeit gebeamt, stand dieser Kerl vor ihm und hielt eine Art Schwert in der Hand. „Wer sind Sie? Verschwinden sie lieber! Die Polizei ist bereits alarmiert!“, sagte Harold und schaute angsterfüllt auf den riesigen, halbnackten Körper vor sich. Die Gestalt gab ihm keine Antwort und Harold suchte voller Panik aus den Augenwinkeln nach einem Fluchtweg. Er drehte sich angsterfüllt um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, los. Wenn er in diese Richtung weiterlief, würde er zu einer Kammer ge langen, die man von innen verriegeln konnte. Vielleicht würde der Mann ja von ganz allein verschwinden, wenn er merkte, dass Harold nicht vor hatte, sich ihm in den Wege zu stehen. Harold war überzeugt davon, dass es sich um einen Verrückten handeln musste. In so einer Verkleidung wäre kein normaler Mensch auf die Idee gekommen, in ein Museum einzubrechen! Und Harold hatte in seinen dreißig Dienstjahren bei der Polizei schon so einiges erlebt. Endlich erreichte er die Tür der Kammer und griff bereits nach der Klinke, als ihn plötzlich ein dumpfer Schlag auf seinen Kopf traf. Er griff sich instinktiv an die schmerzende Stelle und ertastete sein frisches Blut mit seinen zitternden Fingern. Ängstlich drehte er sich um und blickte erneut in das Gesicht des großen fremden Mannes. Das war auch das Letzte, was der ehemalige Polizist in seinem Leben zu sehen bekommen
sollte. Der Wächter des Okipheus Pharao holte mit seinem Schwert aus und stach es Harold mitten in die Brust. Mit weit aufgerissenen Augen sackte dieser in die Knie und fiel dann nach vorn über, auf den kalten Marmorboden des Museums. Der Wächter des Okipheus drehte den leblosen Körper Harolds auf den Rücken und öffnete dessen Mund. Dann zog er einen Dolch aus seinem Gurt und schnitt dem toten Nachtwächter mit einer kurzen Bewegung seiner Waffe die Zunge heraus. Bei Darlene zu Hause war es inzwischen ziemlich still geworden. Stevie und sie hatten sich lange Zeit geküsst und sich gegenseitig zärtliche Worte ins Ohr geflüstert. Liebevoll hatte er sie gestreichelt und als er bemerkte, das sie während des Films, den sie sich eigentlich im Fernsehen hatten gemeinsam ansehen wollen, eingeschlafen war, deckte er sie liebevoll mit einer Decke zu. Er küsste sie auf ihre Stirn und lehnte sich bequem zurück, da Darlene in seinem Arm ins Land der Träume geglitten war. Irgendwann waren auch seine Augenlider so schwer geworden, dass er den Fernseher ausschaltete und seine Brille auf den Tisch warf. Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht schlief er ein. Einige Stunden später läutete Stevies Handy laut vor sich hin. Müde und überraschend aus dem Schlaf gerissen, versuchte er sich erst einmal zu orientieren. Dann fiel ihm wieder ein, wo er sich befand und schmunzelte, als er auf seinen Oberkörpeer schaute und die immer noch tief schlummernde Darlene er blickte. Erneut schreckte er hoch, als sein Handy noch einmal läutete. Schnell kramte er in seiner Hosenta sche und holte es vorsichtig hervor, um Darlene nicht zu wecken. Er schaute auf das Display und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Sein Mitbewohner war der ungeliebte Störenfried. Er drückte den Knopf um das Gespräch anzunehmen. „Was ist?!“, flüsterte er ungehalten. „Hey Mann, ein wenig freundlicher wäre auch für dich nicht zuviel! Oder?!“, fragte ihn sein Zimmerge nosse. „Nun sag schon, was du willst!“ Stevie wurde langsam wütend. „ Okay, Okay! Ich fasse mich ja schon kurz! Wo hast du den Weichspüler hingestellt?“ Josh wartete unge duldig auf eine Antwort. Stevie schlug sich erneut vor die Stirn. „Und das ist Alles? Deswegen störst du mich? Er ist unter der Spüle! Und jetzt lass mich in Ruhe!“ Er drückte, ohne auf Joshs Antwort zu warten, auf den Knopf und trennte somit die Verbindung. Während er laut ausatmete legte er seinen Kopf in den Nacken und zog vorsichtig seinen linken Arm unter Darlene hervor, um nach seiner Uhr zu sehen. In diesem Moment hörte er plötzlich eine zarte Stimme von seinem Brustkorb kommend. „Guten Morgen Schatz, du brauchst nicht so rücksichtsvoll zu sein! War das Josh, dein Zimmerkamerad?“ Darlene richtete sich nun auf und kam dicht an seine Lippen heran. „Hast du gut geschlafen?“, fragte sie Stevie und küsste ihn. „Ja, besser als jemals zuvor!“ Er erwiderte ihren Kuss und lächelte sie verliebt an. Dann sah er auf seine Armbanduhr und erschrak. „Oh Gott! Es ist schon acht Uhr dreißig! In einer Stunde muss ich in der Uni sein! Verdammt, ich habe gar keine Lust! Ich möchte viel lieber bei dir bleiben!“ Enttäuscht schaute er in ihr hübsches Gesicht. „Wenn es dich tröstet, ich muss ebenfalls in einer Stunde im Orinoco meinen Dienst antreten. Ich habe mit Stephanie getauscht, um mit dir ausgehen zu können. Und das hat sich schließlich gelohnt!“, sagte Dar lene lächelnd und gab ihm erneut einen Kuss bevor sie aufsprang. „Willst du hier duschen und dann noch schnell im Cafe frühstücken?“, fragte sie. Stevie konnte gar nicht anders, als zuzustimmen, um einfach so lange wie nur irgend möglich in ihrer Nähe sein zu können. Eine Stunde später war er tatsächlich auf den Weg zur Uni. Gemeinsam mit Darlene hatte er im Orinoco gefrühstückt und nachdem sie sich schier endlos voneinander verabschiedet hatten, begab er sich schließlich auf den Weg dorthin. Der Abend war einfach wundervoll gewesen. Ludeny hatte den gesamten Abend mit Schwertübungen und Training verbracht. Sie war früh zu Bett gegangen und ziemlich schnell eingeschlafen. Am frühen Morgen jedoch schreckte sie aus einem unruhigen
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Schlaf hoch. Blinzelnd setzte sie sich auf und holte einige Male tief Luft. Als sich ihr Pulsschlag wieder nor malisiert hatte, ließ sie sich wieder in ihre Kissen sinken und dachte über ihren eigenartigen Traum nach.
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Viele Jahre war es her, dass Liam sie aufgenommen hatte. Anfangs hatte Ludeny die größten Schwierigkeiten mit ihrem neuen Ich zu Recht zu kommen. Sie hatte tagelang um ihr altes Leben getrauert. Liam hatte sich in dieser Zeit zurückgezogen und sie nicht bedrängt. Als sie bereit war ihm zuzuhören, hatte er ihr, so gut wie eben möglich erklärt, was geschehen war und was er über die Dunkelslugs wusste. Weinend war sie davongelaufen und war alleine durch die Stadt geirrt. Die Menschen um sie herum nah men lediglich eine verwirrte junge Frau wahr. Doch in Ludeny brodelte die Lust zum Töten. Sie spürte das Verlangen eines Dämons seine Opfer zu quälen und ihnen ihre Lebensenergie zu rauben. Der Dunkelslugdä mon in ihr wollte die Oberhand gewinnen. Liam war ihr jedoch die ganze Zeit über gefolgt und stoppte sie noch rechtzeitig, ehe sie einen Unschul digen verletzen konnte. Es dauerte einige Zeit bis sie erneut bereit war, sich unter Menschen zu begeben. Er hatte sie gelehrt, die Lust aufs Töten zu unterdrücken und ihr beigebracht sich mit Hilfe von Thai Chi zu beruhigen und ihre Energiereserven effektiver zu nutzen. Durch diese Übungen hatte sie die Möglichkeit am Leben zu bleiben, ohne einem Anderen das Selbige zu nehmen. Bis sich eine Selbstverständlichkeit für ihre Übungen eingestellt hatte, waren viele Jahre ins Land gegangen. Aber Ludeny hatte es, dank ihres strengen Lehrers, geschafft. Kurze Zeit bevor Liam sie damals verließ, wäre sie sogar bereit gewesen, alle ihre Kräfte und Fähigkeiten für das Gute einzusetzen. Sie wollte mit ihm gegen alles Schlechte kämpfen und nie von seiner Seite weichen. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres dämo nischen Wesens. Doch der Schock über die damaligen Geschehnisse ließ sie ihre guten Vorsätze vergessen. Seither lebte sie ihr eigenes Leben. Sie war eine der besten Kunstdiebe aller Zeiten und hatte genügend Geld auf diversen Konten in aller Herren Länder, um in alle Ewigkeit gut leben zu können. Doch nun? Ihr Schicksal hatte sie wohl eingeholt. Es war an der Zeit, sich ihrer eigentlichen Bestimmung zu stellen. Sie musste an Liams Seite gegen den Chancenug antreten, koste es was es wolle. Sollten sie es diesmal wirklich schaffen ihn zu vernichten, wäre die Schuld, die sie Liam gegenüber empfand, vielleicht beglichen und ihre Wege konnten sich für immer trennen, oder auch zueinander führen. Wer weiß? Mit diesen Erinnerungen und Gedanken stieg sie aus dem Bett und ging hinüber ins Bad. Sie brauchte dringend eine Dusche, um fit für den Tag zu sein. Nick hatte Tilia unbeschadet im Hotel abgeliefert und wie erwartet, von Suntok böse Blicke geerntet. Er verabschiedete sich mit einem Händedruck, da er dem Leibwächter nicht wirklich traute und ihn auch nicht unnötig provozieren wollte. Er fuhr zurück in seine Wohnung. Als er sich zum schlafen hingelegt hatte, konnte er jedoch keinen Schlaf finden. Bei einer Tasse grünen Tee grübelte er gedankenversunken vor sich hin. „Es war ein wunderschöner Tag und eine noch schönerer Abend. Ich hätte mir nie träumen lassen, je manden wie Tilia zu treffen. Sie ist so einfühlsam und natürlich, nicht wie ich mir eine Auserwählte vor gestellt hätte. Man könnte meinen, ich sei der Frauenheld schlechthin, zuerst Ludeny und anschließend niemand geringerer als Tilia. Dabei lebe ich schon seit Jahren ohne eine Frau an meiner Seite. Was soll nur aus dieser Sache werden? Sie fährt in wenigen Tagen wieder nach Hause. Das hast du ja wieder toll hinbe kommen. Zuerst eine, die sich nur über eine aussichtslose Liebe hinweg trösten möchte und dann eine, die dich selbst in eine aussichtslose Liebe verstrickt. Toll!“, sagte er voller Selbstironie zu sich selbst. Am frühen Morgen dröhnte ihm dann der Schädel und er hatte das dringende Bedürfnis, frische Luft zu tanken. Im buddhistischen Tempel suchte er schließlich etwas Ruhe und entzündete einige Räucher stäbchen. Dann fiel ihm plötzlich der sternförmige Anhänger aus Aventurin ein, den er vor Tagen in einem seiner Stammgeschäfte entdeckt hatte. „Das ist bestimmt etwas für Tilia.“, dachte er und machte sich umgehend auf den Weg, um ihn zu kaufen.
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Seit Stunde hatte er darüber nachgedacht, ob er ihr etwas zum Abschied schenken sollte und genau dieser Anhänger sollte es nun sein. Hylia war früh aufgestanden und hatte nur eine Tasse Kaffee zum Frühstück getrunken. Nun war sie be reits auf dem Weg zu dem kleinen esotherischen Laden, von dem sie letzte Nacht erfahren hatte. Sie benöti gte noch einige wichtige Dinge, die sie ausschließlich in diesem Geschäft bekommen konnte. Die Limousine parkte bereits unmittelbar davor. Auf dem kleinen Schild über der Tür stand in blauen Buchstaben mit Goldumrandung „Sorcery“. Ziel strebig ging Hylia auf die Ladentür zu und zog sie auf. Die Glocke erklang und sie trat ein. In dem düsteren Zaubererladen schwang ihr die schwere Luft, gefüllt mit den verschiedensten Düften, entgegen. „Hallo, sei gesegnet.“, hörte Hylia plötzlich eine Stimme. Als sie neben sich blickte, sah sie eine junge Frau, mitte Zwanzig, nicht allzu groß mit brünetten, kurzen, leicht gelocktem Haar. „Ich bin Nike Weatherby. Wie kann ich dir helfen?“, sagte sie freundlich „Ich benötige Weihrauch, Zimt und getrocknete Pfefferminze. Dazu noch fünf lila Kerze und am wich tigsten wäre eine Obsidianscheibe. Hast du diese Dinge hier?“, fragte Hylia ein wenig ungehalten und blickte sich fragend in dem kleinen Geschäft um. Die Regale an allen Seiten quollen förmlich über von allen mög lichen mysteriösen Dingen. Nike war hinter den kleinen Tresen getreten und packte bereits einige Sachen, die Hylia erwähnte, in eine Tüte. „Ich habe eine Obsidianscheibe. Aber sie ist nicht sehr groß. Wenn du eine größere brauchen solltest, müsste ich sie bestellen. Das würde dann allerdings einige Tage dauern.“, erklärte sie der resoluten Kundin. Hylia trat näher an das Glaspult heran und betrachtete die Schmuckstücke in der Vitrine. „Nein, ich habe es eilig. Die kleine Scheibe wird wohl genügen müssen!“, antwortete sie und seufzte etwas genervt. Als Hylia gerade das Geld auf den Tresen legte, hörte sie erneut das Glockenspiel über der Ladentür. Rasch nahm sie der Verkäuferin die Tüte aus der Hand und schritt nun auf den Ausgang zu. „Ich wünsche dir noch einen schönen Tag!“, hörte sie hinter sich die Stimme der jungen Frau, als sie unerwartet mit einem großen Mann zusammenstieß. Sie richtete ihren Blick auf und blickte direkt in Nicks Augen. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter und er trat ein Stück zur Seite. Wenige Augenblicke später war die seltsame Frau aus dem Laden verschwunden und Nick ging nun auf Nike zu. „Hallo und einen wunderschönen guten Morgen!“, begrüßte er sie. „Guten Morgen Nick und gesegnet seist du, wie immer. Ich bin froh dich zu sehen nach so einer eigenar tigen Kundschaft. Hast du diese kraftvolle und böse Aura gespürt. Erschreckend, und so etwas möchte einen Ortungszauber durchführen. Da kann man nur hoffen, dass dabei etwas schief geht. Was kann ich für dich tun?“ Nick war an die Glasvitrine herangetreten und deutete auf den Anhänger. „Ich denke, es wird Zeit diesen hier zu verschenken!“, sagte er lächelnd. „Ah, kenne ich diejenige, die du damit beschenken möchtest? Oder wessen Freundschaften möchtest du gerne festigen und für die Zukunft dauerhaft bewahren?“, fragte Nike neugierig, schmunzelte und nahm den Steinanhänger aus dem gläsernen Schaukasten. „Es ist niemand, den du kennst, Nike. Aber sie ist wunderbar!“, sagte er, während er das Schmuckstück von ihr entgegennahm. „Nein, sag nicht, eine Frau hätte es endlich geschafft dein Herz zu erobern? Nick Delary, das ich soetwas noch erleben darf.“, erwiderte Nike erstaunt und lächelte ihn verschmitzt an. „Tja, was soll ich sagen, du kleine Hexe. Du hast es ja so oft prophezeit. Jetzt ist es wohl passiert. Ich denke, ich bin verliebt. Aber vielleicht brauche ich bald einen Gegenzauber. Denn wie es aussieht wird sie New York leider bald wieder verlassen!“, erzählte er, während er das Geld für die Kette über den Tresen reichte. Nike hielt seine Hand einen Augenblick lang fest und sagte dann: „Vielleicht kommt auch alles ganz anders, als du denkst. Halte mich auf dem Laufenden ja?“ Nick blickte Nike fragend an. Sie musste schmun zeln. „Jetzt schau nicht so. Ich verrate dir sowieso nichts! Du musst dein Schicksal annehmen, das habe ich dir
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schon öfters gesagt.“ „Gut, dass du mir immer wieder so mystische Rätsel aufgibst, die mich dann für den Rest des Tages be schäftigen!“ Nick lächelte. „Freut mich, wenn ich dir eine Freude machen kann!“, erwiderte sie frech. Die beiden verabschiedeten sich freundschaftlich voneinander und Nick verließ das Geschäft. Während er die Tür von außen schloss, winkte er ihr noch einmal zum Abschied zu. Nike schmunzelte vor sich hin, da sie es genoss, wenn sie ihn ein wenig necken konnte. Ein großer dunk ler Vorhang hinter ihr schob sich beiseite und eine hagere, blonde Frau, deren Haare glatt herunterhingen, trat hervor. Sie trug ein langes, dunkelrotes Kleid und schaute etwas verwirrt und geistesabwesend drein. „Wer war das Nikeschatz?“, fragte sie mit ihrer leisen Stimme, die sie meistens in einem merwürdig, verträumten Singsang erklingen lies. „Ach, nur Nick, Maggie. Er hat ein Geschenk für eine Freundin gekauft.“, antwortete Nike ihrer Mutter. „Du sollst mich nicht immer mit meinem Vornamen ansprechen Kind! Ich bin immer noch Mum für dich!“, erwiderte Maggie etwas beleidigt und wurde dabei lauter. „Schon gut Mum. Ich werd´s mir merken.“ Nike verdrehte genervt ihre Augen. Sie liebte ihre Mutter, aber das Leben mit ihr war nicht immer so einfach. Immer wieder musste sie für ihre Mutter Ausreden er finden und sich für ihr eigenartiges Benehmen rechtfertigen. Eigentlich kam sie sich manchmal so vor, als wäre sie die Mutter. „Nick also?! Der nette Mann mit der Töpferei!“ Maggie schaute versonnen aus der gläsernen Eingangstür des Geschäfts. „Jetzt kommt´s gleich wieder!“, dachte Nike bei sich und sah förmlich flehend zur Raumdecke, in der Hoffnung, das Unvermeidliche doch noch verhindern zu können. „Ich sehe dunkle Schatten über Nicks Leben kreisen. Er hat nicht mehr viel Zeit!“, sagte Maggie nun und Nike nickte. „Ja, Mum. Schon möglich.“, antwortete sie ihr kurz. Nike wusste, dass es keinen Sinn machte, sich mit ihrer Mutter um dieses Thema zu streiten, da Maggie keine andere Meinung akzeptierte, auch wenn man ihr das Gegenteil beweisen würde. Was sollte es also für einen Sinn machen, ihr zu erzählen, dass sie selbst etwas ganz gegenteiliges in Nicks Hand gelesen hatte. Sie wusste, dass ihre Mutter es nicht akzeptieren konnte, nicht mit der Gabe geboren worden zu sein. Stattdessen war es Nike, die ein wenig in die Zukunft sehen konnte. Dieses Erbe ließ in der Weatherby Familie immer eine Generation aus. Nikes Großmutter war es vergönnt in den Seelen anderer Menschen lesen zu können. Daher hatte Nike die Gabe geerbt und nicht Maggie. Sie prahlte natürlich nicht damit, um ihre Mutter nicht zu verletzen. Aber manchmal hätte sie ihr doch gerne ihre Meinung gesagt, um dieses leidige Thema endlich vom Tisch zu kehren. Maggie trat an ihre Tochter heran und streichelte ihr mit einem Lächeln über das Gesicht. „Du bist mein ganzes Glück! Das weißt du doch, oder?“ Nike schmiegte ihr Gesicht gegen die Hand ihrer Mutter und schloss die Augen. „Ja Mum, das weiß ich!“ Dann ging Maggie wieder zurück in ihre Wohnung und ließ Nike allein im Zau berladen zurück. Liam war gerade aus der Dusche gestiegen und hörte es an seiner Tür klopfen. „Komme schon!“ Schnell griff er sich seinen Bademantel und ging zügig zur Wohnungstür um sie zu öff nen. „Guten Morgen Wanda!“, sagte er und ließ sie eintreten. „Morgen!“, antwortete diese kurz und ging geradewegs in Liams Küche. Er schloss die Tür und folgte ihr. Wanda kramte etwas aus der Papiertüte hervor, die sie mitgebracht hatte und legte den Inhalt auf den wack ligen Tisch. „Frühstück!“, sagte sie und drehte sich zum Schrank um, um einen Teller herauszunehmen. „Besteck.“, sagte sie erneut im selben forschen Ton, wie zuvor. Liam folgte wortlos ihrem Befehl und zog eine Schublade heraus, um Messer und Gabel auf den Tisch zu legen. „Was ist denn heute mit dir los?“, fragte er verwundert. „Du bist ganz schön wortkarg!“, versuchte er erneut einen zusammenhängenden Satz aus Wanda heraus zu locken.
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„Nichts ist los! Nur weil ich dir kein Unterhaltungsprogramm liefere, heißt das doch noch lange nicht, dass irgendetwas mit mir sein muss! - Oder?“, antwortete sie ihm mit ernster Miene. „Du willst nicht zufällig wissen, was bei Ludeny und mir gestern so gelaufen ist?“, fragte er und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen, denn Wanda horchte merklich auf. Liam drehte sich grinsend weg und nahm einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse. „Nein, das interessiert mich nicht im Geringsten! Aber wenn du es unbedingt loswerden willst, nur zu. Du weißt ja, du kannst mir alles anvertrauen!“ Wanda setze sich an den Tisch und tat, als wenn sie nichts Besonderes erwartet hätte. Die Morgensonne schien durch das kleine Fenster in der Küche auf den runden Tisch. Ein paar Minuten des Schweigens folgten. Dann hielt Wanda es nicht mehr aus. „Nun sag schon, was war denn nun? Hast du ihr endlich gesagt, dass sie sich keine Hoffnungen mehr machen soll?“ „So was Ähnliches!“, sagte Liam und grinste Wanda dabei an. „Wir sind uns einig, dass es im Moment Wichtigeres gibt, als uns um solche Sachen zu streiten. Zufrieden?“, fragte er nach. „Nicht so ganz, wenn ich ehrlich sein soll.“ Enttäuscht sah sie zu ihm auf. „Okay, dann setz dich endlich und frühstücke!“ Liam packte das Einkaufspäckchen von Wanda aus und strahlte sie ironisch an. „So etwas Leckeres aber auch! Hühnermägen! Die hatte ich ja schon ewig nicht mehr!“ Sarkastisch schau te er sie an, da er der Meinung war, dass Wanda eigentlich wissen musste, dass er diese Dinger nicht leiden konnte. „Sorry, die hatten nichts anderes Frisches da!“ Wanda blickte verlegen zu Boden. „Schon okay, du hast es ja gut gemeint. Ein paar davon werde ich trotzdem essen, ich falle sonst gleich um vor lauter Hunger!“ Liam nahm einen der kleinen Geflügelmägen heraus und steckte ihn sich im ganzen Stück in den Mund. Wanda verzog angewidert den Mund. „Ich würde das nicht mal essen, wenn du mir einen Dolch vor die Nase halten würdest!“ „Auch einen?“, fragte er und hielt ihr genüsslich einen besonders großen Hühnermagen vor das ange widerte Gesicht. „Oh Gott! Willst du etwa, dass ich mich mitten in deiner Küche übergebe?“, antwortete sie und schob entschlossen seine Hand von sich weg. Liam lachte und aß das nächste Fleischstück. Die Risis schüttelte sich noch einmal und holte dann eine Zeitung aus der Tüte hervor. Sie las die große Schlagzeile, der New York Times laut vor: „Unheimlicher Mord im Metropolitan Mu seum! Am gestrigen Abend wurde im Metropolitan Museum of Art ein unheimlicher Mord begangen. Der zweiundsechzig Jahre alte Nachtwächter, Harold S., Seargant a.D., wurde heute am frühen Morgen in der ägyptischen Abteilung des Museums tot aufgefunden. Wie die Polizei verlauten ließ, handelt es sich wo möglich um einen Ritualmord, da dem Opfer, Gerüchten zufolge, die Zunge herausgeschnitten wurde. Was denkst du?“, fragte sie Liam. Er sah Wanda an und deutete mit einem Kopfnicken auf das Buch von Tilia, das er am Vorabend bei Lude ny abgeholt und in der Küche auf der Anrichte hatte liegen lassen. „Ich denke, der Nachtwächter hat wohl etwas zu genau auf den Skarabäus geschaut. Warum sonst hätte dieser Wächter des Okipheus Pharao seinen Arbeitskollegen töten sollen?“, antwortete Liam während er in dem Buch blätterte. Als er die gesuchte Seite gefunden hatte, reichte er das aufgeschlagene Buch an Wanda weiter. Sie überflog den Text, als ihr Handy plötzlich läutete. „Oh, Hallo Nick. Was gibt´s?“, fragte sie in das Telefon. „Ich weiß nicht, aber ich denke, ich hab da eine Information für euch, die eventuell interessant sein könnte. Ich war gerade im Zauberladen einer guten Freundin. Als ich das Geschäft betrat, kam mir eine sehr mysteriöse Frau entgegen. Sie hatte langes, rotes Haar und strahlte irgendetwas Böses aus. Und, na ja sagen wir es mal so, ihre großzügige Oberweite fiel einem irgendwie als Erstes auf.“, erzählte Nick. „Das könnte unser Brustwunder gewesen sein. Danke Nick sehr gut. Aber was hat sie dort gemacht?“, fragte sie und machte Liam neugierig. Mit der Hand deutete sie ihm den Mund zu halten und hörte nun wieder Nick zu. „Ich habe von Nike erfahren, dass sie alles Mögliche für einen Ortungszauber gekauft hat. Ich weiß aller
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dings nicht, was sie ausfindig machen möchte.“ Wanda bedankte sich erneut und versprach ihm, so bald wie möglich zurück zurufen. „Okay, was machen wir jetzt?“, fragte Wanda, nachdem sie aufgelegt hatte. „Vielleicht sollten wir uns bei Nick treffen, um Genaueres zu erfahren!“, antwortete Liam ihr. „Tu das nicht Liam.“, sagte Wanda ungewöhnlich sanft. „Was meinst du?“, fragte er überrascht. „Du willst, dass wir uns alle bei ihm treffen, weil du sehen willst, wo es passiert ist. Warum willst du dich selbst so quälen?“ Verständnislos schüttelte sie den Kopf. „Das ist Blödsinn! Du weißt genau, dass ich viel zu professionell bin, um so etwas zu tun oder auch nur zu denken!“, sagte Liam verärgert. Innerlich wühlte es ihn sehr auf, dass Wanda ihn schon so gut durchschau te. „Ja natürlich, will ich das wissen! Was denkst du denn? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie in seinen Armen glücklich war! Und warum sie es getan hat, bleibt als Frage wohl ewig offen!“, dachte er bei sich. Er nahm das Telefon in die Hand und wählte Ludenys Nummer. „Ja, Hallo?“, hörte er ihre Stimme. „Hallo, ich bins!“, antwortete er. Ludeny setze sich ruckartig in ihrem Sessel auf, in dem sie es eben erst gemütlich gemacht hatte, um ein wenig in einem Buch zu lesen. „Oh, Liam! Was ist?“ Sie hatte mit Absicht einen traurigen Ton in ihre Stimme gelegt, da sie wissen wollte, ob er sich Sorgen machen würde. „Ich weiß, dass es kindisch ist aber ich möchte doch wissen, ob ich ihm noch etwas bedeute!“, dachte sie bei sich und wartete seine Reaktion ab. „Ist irgendetwas mit dir? Du klingst gar nicht gut!“, fragte Liam besorgt. Ludeny lächelte zufrieden am anderen Ende der Leitung. „Ja, Ja, Ja! Er kennt mich immer noch ganz ge nau und spürt jede Veränderung! Ich bin ihm wichtig! Ich bin ihm wichtig…!“, sang sie in Gedanken vor sich hin. „Oh nein! Es ist alles in Ordnung! Eben nichts Besonderes!“, antwortete sie schnell. „Dann bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, du wärst krank oder so etwas. Gut, um aufs Thema zu kommen…“ Liam hatte kurz zu Wanda hinüber gesehen und deren genervten Blick an die Zimmerdecke bemerkt, also versuchte er ein wenig sachlicher zu klingen. „Wir wollen uns nachher bei Nick treffen, so in einer Stunde. Es gibt Neuigkeiten, die für uns alle von Interesse sind! Kannst du pünktlich da sein?“, fragte er. „Eine Stunde? Das schaffe ich locker! Soll Stevie dabei sein?“, fragte Ludeny. „Ich weiß nicht, ob wir ihn brauchen aber wenn er Zeit hat, kann er kommen.“ Liam verzog genervt den Mund, da er von der Idee, dass Stevie ebenfalls erscheinen sein würde, nicht sonderlich begeistert war. „Gut, dann rufe ich ihn an. Bis nachher!“, antwortete Ludeny und legte auf. „Okay, jetzt ist es zwölf Uhr, also um dreizehn Uhr bei Nick. Rufst du ihn an?“, fragte Liam Wanda. „Kann ich machen, obwohl ich immer noch davon überzeugt bin, dass du es wegen Ludeny in Nicks Wohnung verlegst. Und da kannst du mir erzählen, was du willst!“ Wanda zog erneut ihr Handy aus der Hosentasche und rief bei Nick an. Liam indess, rief bei Tilia im Hotel an und bat sie ebenfalls zu Nick zu kommen. Tilia freute sich auf eine weitere Gelegenheit Nick zu sehen und verstaute noch schnell Liams Lieblingstee in ihrer Tasche, den sie neulich in Chinatown gekauft hatte. „Hmmm, der riecht einfach umwerfend! So richtig nach Jasmin, Hibis kus, Johanniskraut, den schönen Apfelblüten und den pflückfrischen Kirschen!“ Suntok bereitete alles für die Abreise am nächsten Tag vor. Natürlich wollte er diesmal nicht so einfach im Hotel zurück bleiben. Tilia musste schon etwas nachhelfen. Auf ihre Anweisung erwiderte er abwehrend: „Nein, Eure Hoheit ich werde euch nicht noch einmal al leine gehen lassen. Ich kenne diese Gegend einfach nicht und Sie ebenso wenig. So einfach werde ich Ihren Befehl nicht hinnehmen. Auch wenn Sie es nicht wollen, ich werde meine Pflicht erfüllen und Sie beschüt zen.“ Tilia blickte ihn böse an und antwortete in strengem Ton: „Morgen werden wir in unsere Heimat zurück fahren. Dann kannst du mich gerne wieder in meinen goldenen Käfig einsperren. Aber meinen letzten Tag
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hier wirst du mir nicht verderben. Ich werde zu Nick gehen und du bereitest alles für unsere Abreise vor. Sollte das alles als Argumentation nicht reichen, dann befehle ich es dir eben!“ Ohne seine Antwort abzu warten, drehte sie sich um und verließ mit schwungvollen Schritten zügig das Hotelzimmer. Suntok blieb wütend zurück. Liam und Wanda kamen als erste bei Nicks Wohnung an. Er war ihr mit seiner Maschine gefolgt und schaute sich nun begierig um. „Und du willst nicht genau wissen, wo es passiert ist und wie? Aber wenn du so auf Schmerzen stehst, ich kann dir auch welche zufügen!“, sagte Wanda zynisch, während sie nahe an ihn heran trat. Liam lächelte sie tonlos an und schritt dann an ihr vorbei. „Mach dich nicht lächerlich. Ludeny ist Expertin in Schmerzen. Du könntest nur meinen Körper verlet zen. Sie aber meine Seele!“, gab Liam ungewöhnlich bissig zurück. Die Risis hatte genug gehört und ging nun voraus. „Von mir aus, macht doch was ihr wollt!“ Wenige Augenblicke später läuteten sie auch schon an Nicks Tür und traten ein, nachdem dieser ihnen geöffnet hatte. Liam musterte die Wohnung genau, was Nick natürlich nicht entging. Langsam trat er an den Halbgamblin heran. „Ich hoffe, es ist alles klar zwischen uns?“, fragte er vorsichtig. Liam klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und nickte versöhnlich. Inzwischen war auch Tilia angekommen und strahlte übers ganze Gesicht. Sie begrüßten sich alle und Tilia hielt Liam ihre Tasche hin. „Ich habe hier etwas für dich!“, sagte sie geheimnisvoll. Er öffnete die Tasche und entdeckte eine braune Tüte, die einen wunderbaren Duft verbreitete. „Nein Tilia, mein Tee! Den würde ich unter tausenden an seinem Aroma erkennen. Wahnsinn, wie hast du den hier aufgetrieben?“, fragte er erfreut. Wanda erzählte von ihrem Einkauf in Chinatown und ver sprach ihm die Adresse von dem Händler zu geben. Als es erneut klingelte und Ludeny mit Stevie vor der Tür stand, öffnete der Halbgamblin ihnen. Nick und Tilia hatten sich in die Küche begeben, um Tee für alle zu zubereiten. Ludeny wagte es nicht ihm in die Augen zu sehen. Sie grüßte ihn nur flüchtig und schlich, peinlich berührt, an ihm vorbei. Nun waren sie komplett. „Was auch immer sie mit Hilfe von Magie suchen, es muss unheimlich wichtig sein.“, stellte Ludeny fest, nachdem Nick noch einmal allen von seiner Begegnung mit Hylia im Zauberladen berichtet hatte. Tilia hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und fragte nun vorsichtig: „Und wenn er euch sucht? Was wäre, wenn er den Ortungszauber dazu verwenden möchte, euch aufzuspüren?“ Liam blickte sie nachdenklich an. „Ich denke du könntest Recht haben. Aber warum erst jetzt? Das hätte er doch auch schon viel früher tun können?“ Wanda erhob sich. „Vielleicht wegen des Troff, kann sein, dass ihm einfach der Kragen geplatzt ist, weil du seinen Infor manten gekillt hast! Oder er hat von dem Verräter auch von Tilias Aufenthalt hier in New York erfahren. Dann könnte es doch auch sein, dass er sie sucht?“, stellte sie fragend fest. Ludeny hielt das Buch nun fest in der Hand. „Und was ist, wenn er das hier sucht?“, fragte sie plötzlich und hielt es in die Höhe. Liam schüttelte den Kopf. „Das glaube ich am wenigsten. Aber die Gefahr, dass dieser Chancenug Tilia suchen könnte, ist zu hoch. Wir müssen handeln! Aber wie?“ Alle blickten ratlos um sich. Nick war es, der nun einen Vorschlag machte. „Wie wäre Folgendes: Ich fa hren noch einmal in den Zauberladen und besorgen einige Zutaten für einen Schutzzauber und die anderen machen sich inzwischen auf den Weg, um die Villa zu überwachen!“, sagte er und erhob sich. Er hoffte so sehr darauf, noch einmal mit Tilia allein sein zu dürfen. „Morgen schon wird sie uns verlassen, wenn alles klar geht. Bleibt uns einfach zu wenig Zeit!“, dachte er wehmütig und sah sie möglichst unauffällig an. Er hoffte, dass sie seinen Wink verstanden hatte. Und sie hatte! Denn plötzlich hob sie kurz die Hand und rief aufgeregt und mit sich leicht überschlagender Stimme:„Ich komme mit!“ Überrascht blickten alle zu ihr.
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„Okay, wenn du willst…“, erwiderte Liam etwas verwirrt. Nick lächelte erleichtert und schaute zu Tilia hinüber. Diese errötete nun und blickte nervös nach unten. „Wir sollten das Museum nicht vergessen. Die Zeitung hatte doch von einem Mord dort berichtet. Einer von uns sollte sich dort umsehen!“, warf Wanda nun ein. Liam hatte sich erhoben und ging nachdenklich einige Schritte auf und ab. „Okay, wir werden folgendes machen. Nick und Tilia gehen, um die Zutaten für den Zauber besorgen. Wanda und Stevie fahren zum Mu seum. Ihr müsst euch wirklich genau dort umsehen. Es wäre zu verdächtig, wenn Ludeny dort noch einmal auftaucht. Wir wollen den Pharaonenwächter ja nicht unnötig nervös machen. Er hat letzte Nacht schon einen Fehler gemacht. Vielleicht ahnt er etwas von der bevorstehenden Katastrophe. Also werden Ludeny und ich uns auf den Weg zur Villa machen. Es ist jetzt kurz nach vierzehn Uhr. Ich denke wenn wir uns um siebzehn Uhr wieder hier treffen, haben wir sicherlich schon Einiges zu berichten.“ Verwirrt blickte Ludeny ihn an und als sich ihre Blicke plötzlich trafen, lächelte sie vorsichtig. Tilia drehte sich schwungvoll um und trat neben Nick. Ohne, dass die anderen etwas merken konnten, streichelte sie sanft über seine rechte Hand und lächelte ihn vielsagend an. Gemeinsam verließen sie die Wohnung. Unten angekommen, nickten sie sich gegenseitig alle noch einmal zu, bevor sich ihre Wege trennten. Jeder hatte seine Aufgabe und wollte sie bis zum verabredeten Zeitpunkt erledigt haben. Nick und Tilia hatten sich Stevies Wagen geliehen und waren bereits eingestiegen, um zum Sorcery zu fahren. Nick war ganz Gentleman und hielt der Auserwählten die Autotür auf. „Steig ein, Schatz!“ fügte er noch leise hinzu. Er war sich nicht sicher, ob sie es mochte, wenn er diesen Kosenamen für sie verwendedete. Denn schließlich war sie seit vielen hundert Jahren die Auserwählte und er wollte sie damit nicht entwürdigen. „Danke, Liebster!“, antwortete Tilia und lächelte ihn verstohlen an. Nachdem er die Beifahrertür ge schlossen hatte, ging er um den Wagen herum und setzte sich auf den Fahrersitz. „Nick, ich mag es sehr, wenn du Schatz oder etwas Ähnliches zu mir sagst. Du musst nicht denken, dass mich das stört oder irgendwie beleidigen könnte. Ich würde dir auch gerne Kosenamen geben, aber es fallen mir irgendwie nicht die Richtigen ein. Jedenfalls keine, die zu dir passen würden oder dir gerecht würden. Ich bin eben in Liebesdingen doch zu unerfahren. Gib mir ein wenig Zeit, um mich daran zu gewöhnen.“ sagte sie mit einem zauberhaften Lächeln auf ihrem zarten Gesicht. Nick schaute sie an und beugte sich zu ihr hinüber um sie sanft zu küssen. „Ich hatte schon Angst, dass du mir heute anders gegenüber trittst, weil du nicht möchtest, dass ich mich in dich verliebe!“ „Oh Nick! Wie kannst du nur so von mir denken? Ich bin mir zwar noch unsicher in meinen Gefühlen, aber ich weiß, dass das, was ich empfinde, richtig und echt ist.“ Nick hielt der anscheinend bestürzten Tilia seinen Zeigefinger auf die Lippen. „Scht, Schatz. Das hast du falsch verstanden. Ich selbst denke doch, dass ich einfach nicht gut genug für dich bin. Du bist einfach so vollkommen, das hat mir Angst gemacht. Ich fühle mich wie in einem Traum und befürchte, dass ich jeden Moment aufwachen könnte!“ Dann küsste er sie erneut und sie legte ihre Arme um seinen Nacken. Als sie sich voneinander lösten, startete Nick den Motor und manövrierte den Wagen aus der Parklücke. Während der Fahrt zum Sorcery, in East Harlem, legte Tilia die ganze Zeit über ihre Hand auf Nicks rechten Oberschenkel und wenn er nicht gerade einen anderen Gang einlegen musste, legte er seine Hand zärtlich auf die ihre. Als sie in der First Avenue, Ecke East, te Strasse angekommen waren, suchte er einen Parkplatz in der Nähe des Zauberladens, um nicht zu weit mit der Auserwählten, für die er ja nun schließlich die Verantwortung trug, in den unsicheren Straßen dieses Viertels gehen zu müssen. Er öffnete ihr die Autotür und reichte ihr galant die Hand. Tilia ergriff sie und stieg aus. Die Sonne schien und es wurde langsam richtig warm. Am Laden angekommen, hielt ihr Nick erneut die Tür auf und sie betraten das Geschäft. „Nick, so schnell wieder hier?“, rief ihm die gutgelaunte Nike entgegen. „Zweimal an einem Tag, das ist ja Rekord verdächtig!“ „Ja, ich hatte eben Sehnsucht nach euren verstaubten Regalen und den vielen bunten Sachen hier!“,
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witzelte er. Dann trat Tilia an ihn heran. Sie hatte sich in dem interessanten Laden etwas umgesehen und lächelte bei dem Anblick der vielen skurillen Sachen, die in den Regalen lagerten. „Darf ich vorstellen, das ist Tilia!“, sagte Nick und strahlte bei diesen Worten übers ganze Gesicht. Nike reichte ihr die Hand und lächelte Tilia freundlich an. „Wow!“, fuhr es aus ihrem Mund. „Das ist ja überwältigend! Ich brauche sonst immer mindestens ein halbes Jahr, um über jemand anderen so genau Bescheid zu wissen! Aber bei…“ Tilia lächelte. „Sie haben das Zweite Gesicht, eine wundervolle Gabe!“ „Nicht immer.“, antwortete Nike. „Aber in Ihrem Fall, ist es eine Ehre, zu wissen, wer hier vor mir steht!“ Nike verbeugte sich vor der Auserwählten. „Nein, bitte nicht!“, entgegnete Tilia und schaute sich dabei ängstlich um, ob irgendjemand sie beobach tet haben könnte. „Keine Angst, in diesen Laden kommen eigentlich nur Insider, den kennt ansonsten niemand! Keiner konnte sehen, dass ich mich vor der Auserwählten der Dragoons verbeugt habe.“ Nike lächelte erneut. „Also, was kann ich für euch tun?“, fragte sie und schaute dabei zu Nick. „Es geht noch einmal um diese Frau von vorhin, was genau hat sie gekauft?“, fragte er. „Oh, lass mal nachdenken. Das waren Weihrauch, Zimt, getrocknete Pfefferminze und fünf lilafarbene Kerzen. Oh, und noch eine Obsidianscheibe!“, setze sie nach. „Ich hoffe, dass ich euch damit helfen konn te!?“, fragte Nike. „Ja, das hast du, danke. Jetzt müssen wir nur noch Zutaten für einen Schutzzauber besorgen, damit wir das schützen können, was sie mit dem Ortungszauber aufzuspüren versucht!“, sagte Nick nun an Tilia ge richtet. „Oh, wenns weiter nichts ist!“, erwiderte Nike. „Ich habe alles im Laden, was man dazu benötigt.“ Schnell ging sie um den Tresen herum und griff zielstrebig in eines der verstaubten Regale um einige Gegenstände herauszunehmen. „Hier, bitte!“ Sie reichte eine leere Tüte an Nick weiter. Er hielt sie auf und Nike begann damit verschiedene Dinge hinein zu legen. Eine kupferne Schüssel, kleine Tütchen mit Dill, Petersilie, Ho lunderholz und einen Türkis, der an einem Lederband befestigt war. Bei den Ureinwohnern Amerikas war der Türkis ein heiliger Stein, den sie verwendeten, um Schaden abzuwenden. „Das ist ein Geschenk! Bitte nehmt es an. Es soll meine Dankbarkeit ausdrücken über die Ehre eures Be suches!“, sagte Nike und verbeugte sich abermals vor Tilia. Die Auserwählte legte sanft ihre Hand auf Nikes Kopf und lächelte sie an. „Danke! Und gesegnet seist du, von denen, an die deine Seele glaubt!“ Dann bedankten sie sich herzlichst und verabschiedeten sich von ihr. „Warum warst du eigentlich heute schon einmal bei ihr im Laden?“ fragte Tilia Nick, als sie am Auto angekommen waren. „Das ist eine Überraschung!“, erwiderte Nick und lächelte sie geheimnisvoll an. „Aber wenn du den heu tigen Abend mit mir verbringst, dann werde ich es dir verraten.“ „Nichts lieber als das!“ gab Tilia zurück und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ludeny folgte Liam zu seiner Harley. „Können wir nicht mit meinem Wagen fahren?“, fragte sie vorsich tig und deutete auf ihr Auto, dass ganz in der Nähe geparkt war. „Nein, wir fahren hiermit. Steig schon auf!“, sagte er und setzte sich auf seine Maschine. Ludeny stand noch einen Augenblick unschlüssig daneben, kletterte dann allerdings widerwillig und etwas ungeschickt auf das Motorrad. „Na toll, mit einem enttäuschten Halbgamblin am hellen Tage auf einer Höllenmaschine durch New York fahren, davon hab ich doch schon immer geträumt.“, dachte sie selbstironisch. Als sie nun hinter ihm Platz genommen hatte, schaute sie sich fragend um, denn sie wusste irgendwie nicht, wie sie sich auf dem Motor rad am besten festhalten konnte. Als Liam ihre Unschlüssigkeit bemerkte, sagte er: „Vielleicht solltest du dich an mir festhalten. Es könnte sonst passieren, dass ich dich unterwegs verliere!“ Als Antwort legte sie, während Liam die Maschine star
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tete, ihre Arme um seine Hüften und hielt sich vorsichtig fest. Als sie auf die erste Kurve zu fuhren, wurde Ludeny etwas schwindelig und ihr Griff wurde jäh etwas fester. Die Sonne strahlte auf die beiden herunter und Liam genoss die Fahrt sehr. Durch seine dünne Jacke konnte er deutlich Ludenys Körper spüren. Ihre Umarmung war ihm sehr angenehm. „Du wirst dich noch wundern, kleine Lady. Bis wir an unserem Ziel angekommen sind, wirst du dir wün schen nie wieder von meiner Harley absteigen zu müssen!“, dachte er und drückte sich noch etwas mehr gegen sie. Liam versuchte vorsichtig zu sein und fuhr deswegen auch nicht allzu schnell. Mit der Zeit ent spannte sich Ludenys Griff um seine Hüften und sie konnte entspannt durchatmen. Es dauerte noch einige Minuten bis sie sich vollkommen sicher fühlte. Schließlich lehnte sie sich an Liams Rücken, genoß den Fahrtwind und die vorbeiziehende Umgebung. „Wie gut es sich anfühlt, ihm so nahe sein zu können. Dieses Gefühl lässt sich mit nichts vergleichen. Vielleicht kann er mir ja doch noch verzeihen. Aber was sollte das Treffen bei Nick? Hätten wir uns nicht wieder alle bei mir einfinden können? Nein, er wollte unbedingt den Tatort begutachten! Aber bedeutet das denn nicht, dass es ihm wichtig ist, dass ich ihm wichtig bin?“, dachte Ludeny grübelnd und schmiegte sich noch fester an ihn heran. Kurze Zeit später blieb die Maschine stehen und Liam stellte den Motor ab. Er blieb aber weiterhin ruhig sitzen und wartete darauf, dass Ludeny sich von ihm löste und abstieg. Sie setzte sich auf und stieg vorsichtig von dem fahrbaren Untersatz ab. Der Halbgamblin bockte seine geliebte Maschine auf und musterte seine Beifahrerin von der Seite. „Na, was habe ich gesagt, Volltreffer!“, dachte er triumphierend und lächelte sie an. Sie hatten etwas ab seits von der Villa Stellung bezogen und schauten sich um. Es war ruhig und niemand war zu sehen. Aus der Entfernung hatten sie einen guten Blick auf das Haupttor. Auf keinen Fall wollten sie Aufsehen erregen. „Und jetzt?“, fragte Ludeny mit ratlosem Blick. Liam war gerade dabei einen Schraubendreher aus sei ner kleinen Werkzeugtasche, die an der Maschine festgegurtet war, herraus zu nehmen und kniete sich nun neben das Gefährt. „Jetzt werden wir erst mal unauffällig Wache schieben.“, erwiderte er und deutete ihr sich neben ihm auf den Randstein zu setzen. Sie nahm Platz und beobachtete ihn dabei, wie er beflissen so tat, als ob er an seiner Harley herumschrauben würde. Stevie und Wanda fuhren in der Zwischenzeit mit dem Porsche zum Museum. „Ich war noch nie so kurz hintereinander in einem Museum. Und dann gleich zweimal im selben! Das sollte man ins Guinnesbuch ein tragen!“, witzelte er. Wanda blickte kurz zu ihm hinüber und schmunzelte. „Ja, ich weiß auch nicht, was an der menschlichen Kultur so interessant sein soll, das man dieses Zeug auch noch ausstellen muss?“, erwiderte sie. „So meinte ich das nicht. Ich interessiere mich schon für Kultur. Aber man muss es nicht unbedingt über treiben, wenn man nicht gerade ein Archäologe ist!“, entgegnete er. „Die Kulturen mancher Dämonen sind älter als die Menschheit und keiner von uns kommt auf die Idee das alte Zeug auch noch auszustellen! Wir nutzen es bis es auseinander fällt und dann entsorgen wir es einfach!“, gab Wanda zurück. „Einige der alten Waffen sind noch immer in Gebrauch und das seit mehr als zehntausend Jahren! Das nenne ich Wertarbeit!“, hakte sie nach, als sie Stevies verdutztes Gesicht bemerk te. „Wow, zehntausend, wirklich? Das ist ein Hammer! Aber dafür entwickeln wir Menschen uns technisch eben doch weiter, ein Vorteil den Dämonen gegenüber!“, trumpfte er auf. „Nehmen wir einmal die Welt der Computer. Das ist ein unheimlicher Fortschritt. Eine ‚Waffe’, die viel bewegen kann!“ „Pah!“, machte Wanda. „Nicht, dass du den Eindruck bekommst ich würde ihn besonders mögen oder bewundern, aber hast du schon mal einen Computer gesehen, der sich, wie der Chancenug, von einem rie sigen, ekelhaften Wurm, in einen ganz normal aussehenden Menschen verwandeln kann? Was ist schon ein Computer, im Gegensatz zu der mystischen Welt der Dämonen?!“ Stevie zog die Augenbrauen hoch. „Touchet!“, sagte er nur und grinste Wanda an. „Okay, aber wir wollen das Ding endlich vernichten. Also gibt es nichts, was wir unversucht lassen sollten,
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um das zu schaffen. Und wenn dein Computer uns dabei helfen kann, dann soll er das verdammt noch mal auch tun!“, erwiderte sie und schaute freundlich lächelnd zu Stevie. „Du bist okay! Ich habe gar keine Ah nung, warum Liam etwas gegen dich hat!“, ergänzte sie. „Ich habe da schon so eine Idee. Ludeny hat ihm, als sie sich wiedergetroffen hatten, erzählt, dass wir ein Paar wären und das hat seine Meinung über mich wahrscheinlich geprägt!“ Stevie schaute sie an. „Ich weiß, dass sie ihm das gesagt hat. Aber mal ganz ehrlich, wer will schon mit der zusammen sein? Die macht guten Kriegern nur Schwierigkeiten. Ein echter Dunkelslug eben!“, erklärte Wanda und bog in die Strasse zum Museum ein. Eigentlich hätte er seine beste Freundin nun verteidigen müssen, aber Stevie wollte keinen Streit vom Zaun brechen, schwieg lieber und kniff die Lippen einfach zusammen. Wanda hat te Glück bei der Parkplatzsuche und so mussten sie nicht weit gehen, um zum Haupteingang zu gelangen. Jeder bezahlte seinen Eintritt. Dann besichtigten sie die verschiedenen Abteilungen. Draußen schien die Sonne und Stevie dachte daran, wie schön es doch wäre, mit Darlene einen spon tanen Ausflug zu machen und sich dabei an sie zu schmiegen und ihr in ihre Augen zu sehen. Stattdessen musste er mit dieser Risis durch das Metropolitan Art wandern und sich an Touristen vorbeiquetschen, die meistens keine Vorstellung davon hatten, was der Museums-Führer ihnen da erzählte. Plötzlich riss ihn Wanda aus seinen trüben Gedanken. „Hey Stevie, komm mal hier her!“, rief sie. Stevie blickte sich etwas peinlich berührt um, ob sich even tuell jemand gestört gefühlt hatte, da Wanda ziemlich laut gerufen hatte. Aber niemand schien den beiden Beachtung zu schenken und so lief er schnellen Schrittes zu ihr hinüber, die in eine Vitrine mit den ver schiedensten Kulturgegenständen blickte. Ein Schild verriet, dass die Fachleute sie zu keiner bestimmten Kultur zuordnen konnten. „Das ist ein Ritualstab der Risisdämonen! Die wurden immer bei so einer Art Taufe von der Oberprieste rin verwendet. Aber das Teil ist wahrscheinlich schon so alt, dass es entsorgt wurde!“, flüsterte sie. Wanda deutete auf einen dunkelgebeizten, etwa einen Meter langen und acht Zentimeter dicken Holzstab. Er wies rundherum Einkerbungen in einer fremden Sprache auf und wie sich ja nun für Stevie herausgestellt hatte, waren dies wohl Schriftzeichen der Risis. Dann gingen sie endlich weiter in die ägyptische Abteilung. Der hintere Raum war durch ein Absperrband für die Besucher unzugängig gemacht worden. Aber auch aus der Entfernung waren die Markierungen, welche die Polizei gemacht hatte, gut zu erkennen. Stevie beugte sich, so gut es eben ging, über die Absperrung und entdeckte den Skarabäus. Er lag immer noch friedlich in seiner Vitrine und wirkte genauso harmlos auf ihn, wie bei seinem und Ludenys ersten Besuch. Wanda deutete dem Studenten, dass sie über das Band steigen wollte, um sich genauer umzusehen. Der Pharaonen-Wächter war jedoch nirgendwo zu entdecken. „Nichts zu finden! Er ist sicher in der Nähe. Aber er kennt hier wahrscheinlich ein paar gute Verstecke und da ist er uns wohl doch um einiges voraus! Ich hoffe ja nur, dass er nicht wieder einen Unschuldigen tötet. So nervös, wie er zu sein scheint!!“, sagte sie leise. Nach einer Weile verließen sie das Museum und stiegen erneut in Wandas Porsche, um zum verabredeten Zeitpunkt bei Nick zu sein. „Liam, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“, versuchte Ludeny ihn erneut umzustimmen. Doch er wollte nichts davon hören. Sie hatten sich langsam dem Haupteingang genähert. „Irgendetwas müssen wir finden, ich kann hier nicht länger untätig herumstehen, während Tilia viel leicht in großer Gefahr schwebte. Was, wenn der Chancenug es auch noch auf sie abgesehen hat? Ich möchte nicht noch jemanden verlieren.“, versuchte er seinen Plan zu verteidigen. „Natürlich, aber wenn wir hier drauf gehen, dann ist ihr damit sicher auch nicht geholfen!“, flüsterte Ludeny stur zurück. Sie suchten eine Möglichkeit, möglichst unbemerkt auf das Grundstück zu gelangen. Als sie plötzlich Motorengeräusche vernahmen, blieben sie wie angewurzelt stehen. Da sie direkt neben dem Tor standen, konnten sie den Fahrer des Wagens, der nun das Grundstück verließ, genau erkennen. Es schien ein Gärtner zu sein. Denn er fuhr einen Pick-up der auf der Ladefläche einen Rasenmäher und andere Gartenwerkzeuge geladen hatte. Ludeny blickte erschrocken zu Liam und hoffte, dass sie nicht entdeckt worden waren. Liam reagierte
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blitzschnell. Er drehte sich zu ihr und schneller als sie es begreifen konnte, lag sie in seinen Armen und wur de von ihm geküsst. Liam blinzelte vorsichtig zu dem Mann im Wagen und konnte sehen wie dieser grinste. Als sich das Tor automatisch öffnete, fuhr er weiter die Einfahrt hinauf. Nur einen Augenblick später löste sich Liam von Ludenys Lippen und lief in leicht gebückter Haltung, zu dem sich bereits wieder schließenden Tor. Ludeny blieb verdutzt zurück. Aufgeschreckt durch einen leisen Pfiff, blickte sie in Liams Richtung. Bei de schafften es, in letzter Sekunde auf das Grundstück zu gelangen, bevor sich das Tor quietschend wieder hinter ihnen verschloss. Ludeny war noch immer völlig perplex von Liams Kuss. Sie blieb hinter ihm, als die beiden nun hastig im Gebüsch Deckung suchten. Liam drehte sich zu ihr, als sie gut getarnt unter einem Strauch hockten. „Ludeny! Es tut mir Leid, okay. Ich wollte nicht, dass wir erkannt werden. Ich hoffe, du bist mir nicht böse?“, versuchte er den Kuss zu erklären und wandte auch schon wieder seinen Kopf von ihr ab. „Nur deswegen? Das fühlte sich aber irgendwie nach mehr an, wenn du mich fragst.“, dachte der Dun kelslug. Die zwei schlichen durch die Grünanlage weiter nach oben in Richtung Villa. Plötzlich entdeckten sie aus der Ferne, wie die Eingangstür zum Haus geöffnet wurde und ein Mann in einem dunklen Anzug hervor trat. Er ging auf den Pick-up zu, der eben noch durch das Eingangstor gefahren war. Ludeny konzen trierte sich und konnte Bruchteile des Gespräches zwischen dem Gärtner und dem anderen Mann wahrneh men, der offensichtlich der Butler zu sein schien. „Ja, diese Person ist immer noch da. Mir ist sie auch unheimlich. Der Herr ist seit ihrer Anwesenheit noch nervöser als sonst. Und heute soll sie nochmals den Wintergarten für ihren Hokuspokus missbrauchen. Obwohl ich gerade erst die Fenster vom letzten Ritual gesäubert habe!“, hörte sie den Hausangestellten schimpfen. Offensichtlich wetterte er über die bösartige Hexe. Der Gärtner antwortete etwas Unverständ liches. Die Männer trennten sich und jeder ging seiner Wege. Ludeny beugte sich zu Liam und flüsterte in sein Ohr. „Glaubst du, du könntest in seinen Gedanken lesen. Er weiß einiges, glaube ich.“, sagte sie und deutete mit dem Kopf in die Richtung des Butlers. Liam versuchte sich zu konzentrieren. Er richtete seinen Blick direkt auf den Angestellten und atmete ruhig. Ludenys unmittelbare Anwesenheit war dabei nicht unbe dingt sehr hilfreich. Aber schließlich schaffte er es nach einigen Versuchen und die Gedanken des Butlers öffneten sich wie ein aufgeschlagenes Buch vor Liams Geist. „Wenn sie nur nicht dauernd dieses stinkende Zeug verbrennen würde. Egal wie oft ich lüfte, diesen Ge stank wird man nie mehr los. Und das alles wegen eines einzigen Buches. Können die nicht in die Bücherei gehen? Ich bin froh, wenn diese Hexe uns wieder verlässt. Der Herr braucht auch wieder einmal etwas Ruhe und meine Ohren halten diese schrecklichen Laute, die sie in so manchen Nächten im ganzen Haus ertönen lässt, nicht mehr aus!“, sprudelte es im Kopf des Butlers, bis Liam den Kontakt abbrechen musste, und sei nen Kopf schlagartig nach hinten riss. Besorgt blickte Ludeny auf ihren Begleiter, als dieser schweißgebadet ihre Hand ergriff und hektisch den Rückzug antrat. Sie schlichen so schnell wie möglich durch die Grünan lage zurück zum Tor und Liam öffnete es vorsichtig einen Spaltbreit. Erst als sie wieder fast bei seinem Motorrad angelangt waren, verließ ihn die Kraft und er musste sich kurz setzen. Ludeny kniete sich besorgt daneben und strich ihm die, vom kalten Schweiß durchnässten Haare aus der Stirn. „Liam was ist los?“, fragte sie unruhig. Er räusperte sich und schnappte einige Male nach Luft, bevor er ihr eine Antwort geben konnte. „Dieser Butler hatte nette Infos für uns, leider hat er keine gute Meinung von der Hexe und sie hat das wohl auch gerade gemerkt, als ich ihn angezapfte. Ich hätte dieses Erlebnis ohne Kopfschmerzen überstan den. Aber dank dieses Busenwunders platzt mir jetzt fast der Schädel.“, sagte er kurz und zwang sich end lich aufzustehen. Ludeny half ihm und beide setzen sich auf das Motorrad. „Bist du sicher, dass du das hinkriegst?“, fragte sie besorgt. Doch Liam nickte bloß, startete die Maschine und verließ sich ganz auf seine erlernten dragoonischen Fähigkeiten. Nick fuhr währenddessen mit Tilia zurück in Richtung Chinatown.
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„Wo fahren wir denn eigentlich hin?“, fragte Tilia verwundert. „Ach, ich hatte mir da etwas Besonderes für unseren letzten gemeinsamen Tag überlegt. Ich wusste bloß nicht, ob es funktionieren würde. Aber Dank Liams geschickter Aufteilung der Aufgaben, klappt es jetzt so gar noch besser, als ich es erwartet hätte. Lass dich einfach überraschen! Okay?“, antwortete er. „Gut, ich werde mich dir blind anvertrauen!“ Tilia griff erneut mit ihrer Hand nach der seinen, die er auf seinen Oberschenkel gelegt hatte. Nick hob sie an und führte sie langsam zu seinen Lippen. Dann küsste er sie sanft und lächelte. In Chinatown angekommen, fuhr er bei einem kleinen asiatischen Drugstore vor und drückte kurz auf die Hupe. Ein freundlicher Chininese kam aus dem Laden gelaufen, in seinen Händen trug er einen PicknickKorb und eine große, rotkarrierete Decke. Nick stieg schnell aus dem BMW und nahm ihm, nachdem er sich freundlich vor dem netten Mann verbeugt hatte, die Sachen aus den Händen und lief zurück zum Wagen. Er öffnete die Tür zum Font des Autos und stellte den Korb auf dem Rücksitz ab. Dann legte er die Decke da rüber und schlug die Tür wieder zu. Neugierig sah Tilia ihm dabei zu und blickte Nick fragend an, als dieser nun wieder auf dem Fahrersitz Platz nahm. „Schau nicht so! Ich habe eine Überraschung vorbereitet und das bedeutet, dass ich dir nichts erzählen werde!“ „Aber was ist in dem Korb?“, fragte sie und blickte ihn mit einem bettelnden Blick von der Seite her an. „Das nützt nichts. Ich verrate dir nicht das kleinste bisschen!“, sagte er und schmunzelte. „Du brauchst mich gar nicht so anzusehen!“ Tilia schnaufte enttäuscht, versuchte ihn jedoch nicht noch einmal zu über reden, sondern harrte der Dinge die da kamen. Sie schaute aus dem Wagenfenster und beobachtete die Leute, die eilig durch die Strassen hasteten. „Wie die Ameisen!“, dachte sie bei sich. Dann schaute sie erneut zu Nick und musste wieder lächeln. „Er sieht so gut aus. Ich würde ihn am liebsten in meinen Koffer packen und mit nach Hause nehmen.“, kicherte sie in Gedanken. Nach einer Weile verlangsamte Nick die Fahrt, um einen Parkplatz zu suchen. Einen Mo ment später stand der BMW ordentlich am Straßenrand und die beiden stiegen aus. Nick hatte den Korb und die Decke in der Hand und ergriff mit der anderen Tilias. Ein Stückchen weiter war ein großes Tor zu sehen und die Auserwählte las, was auf dem Gusseisernen Schild stand. „CentralPark! Du machst ein Picknick mit mir im Central Park?! Das ist ja wundervoll!“ Tilia ging auf die Zehenspitzen und gab Nick einen Kuss auf die Wange. „Ich hatte gehofft, dass dir die Idee gefällt!“, antwortete er nun und küsste erneut ihre Hand. Sie gingen durch das große Tor und suchten sich einen schönen Platz im Schatten. Nick breitete die Decke aus und stellte den Korb darauf ab. „Suntok würde dafür nicht nur dich umbringen!“, sagte Tilia mit einem schelmischen Lächeln im Ge sicht. „Aber das ist mir egal! Das ist das Schönste, was ich je gemacht habe!“ Voller Begeisterung öffnete sie den Picknick-Korb und fing sogleich damit an den Inhalt auf der Decke zu verteilen. „Oh Lichees, und Sushi?! Wie hast du das nur angestellt?“ „Beziehungen!“, erzählte Nick, „Und dabei wusste ich bis heute nicht einmal genau, ob es klappen wür de, aber Liam hat mir, ohne es zu wissen, aus der Patsche geholfen. Ich werde ihm noch danken müssen!“ Er lächelte und amüsierte sich köstlich darüber, mit welcher Begeisterung Tilia den Korb entleerte. „Sie ist einfach bezaubernd. Das ist wie Weihnachten mit kleine Kindern, einfach wundervoll!“ Als sie gegessen hatten, legte Nick sich rücklings auf den Boden. Tilia beobachtete ihn, wie er da so mit geschlossenen Augen lag. Sie näherte sich langsam seinem Mund und küsste ihn zärtlich. „Oh Gott Nick, du weißt nicht, wie sehr ich mich in dich verliebt habe! Du hast mich hier so glücklich ge macht, und das, obwohl ich eigentlich hergekommen bin, um meinen toten Bruder nach Hause zu holen!“, flüsterte sie und streichelte sein Gesicht. Nick stützte sich auf seine Ellenbogen und schaute ihr in ihre dunklen Augen. „Eigentlich, ist es genau umgekehrt. Du machst mich glücklich!“, sagte er und strich ihr über ihr langes, schwarzes Haar. „Nie hätte ich zu träumen gewagt, dass mich jemals jemand so ansehen würdest!“ Sie schmiegten sich
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dicht aneinander und verbrachten die Zeit damit, sich zu küssen und herum zu albern. Tilia fühlte sich so frei. Genau wie eine einfache junge Frau, die in den Armen ihres Geliebten den schö nen Tag bei einem Picknick im Central Park genoss. Die Zeit verging viel zu schnell und nach eineinhalb Stunden erhoben sie sich schweren Herzens und räumten den Rest des Proviants wieder ein. Arm in Arm gingen sie zurück zum Wagen und stiegen ein, um pünktlich in seiner Wohnung anzukommen. Sie wollten niemanden warten lassen. Als der Töpferlehrer nicht unweit seiner Wohnung einparkte, warteten bereits Wanda und Stevie vor der Haustür. Gemeinsam gingen sie nach oben und die Risis zog Nick ein Stückchen zur Seite. „Eine neue Eroberung?“, fragte sie nur kurz und Nick blickte sie verständnislos an. „Du solltest wissen, dass ich nicht so einer bin. Tilia ist etwas Besonderes!“, flüsterte er ihr energisch zu. „Ja das ist sie und bald ist sie weg.“, antwortete sie schnippisch und ging an ihm vorbei in die Wohnung. Nick wollte gerade hinter ihnen die Türe schließen, als sie plötzlich von außen wieder aufgedrückt wurde. Ludeny stand davor. Sie stützte, den noch immer unter starken Kopfschmerzen leidenden Liam und ging wortlos an ihm vorbei. „Was ist passiert?“, fragte Tilia besorgt, als sie sah in welch schlechtem Zustand er sich befand. Ludeny hatte Liam zum Sofa gebracht und ließ ihn sich setzen. „Ich wollte ja lieber mit ihm nach Hause fahren. Aber er wollte unbedingt bei der Besprechung dabei sein.“, sagte sie noch bevor sie in die Küche ging, um ein feuchtes Tuch zu holen, mit dem sie Liams Stirn kühlen wollte. Wanda hatte sich in der Zwischenzeit neben ihn gesetzt. „Was hast du erfahren?“, fragte sie. Liam be richtete von ihrem spontanen „Einbruch“ auf das Grundstück des Chancenug und das er wohl von Hylia für seinen Informationsraub am Butler, bestraft worden war. Tilia schaute verdutzt auf das Buch, das immer noch auf Nicks Schreibtisch lag. „Gut. Wir haben auch alle Utensilien für den Schutzzauber besorgt. Ich denke wir sollten ihn so schnell wie möglich durchführen!“, schlug Nick vor und stellte sich neben die Auserwählte. Nachdem auch Wanda und Stevie berichtet hatten, was sie gesehen oder auch nicht gesehen hatten, wurde die Besprechung be endet. „Bevor jetzt alle gehen, möchte ich mich noch von euch verabschieden. Einige werde ich morgen viel leicht noch einmal sehen. Aber für den Fall, das wir uns nicht mehr treffen, ich bin froh euch kennen gelernt zu haben und danke euch für eure Hilfe!“, sagte Tilia mit tränenerstickter Stimme. Liam richtete sich auf und blickte sie sorgenvoll an. „Tilia, es tut mir so leid. Ich wollte den heutigen Abend besonders für dich gestalten. Aber ich glaube, ich sollte einfach ins Bett, sonst platzt mir vielleicht wirklich noch der Schädel!“ Die Auserwählte trat an ihn heran und kniete sich hinunter, um ihm ins Gesicht schauen zu können. „Liam, bitte mach dir keine Sorgen. Ich habe bereits Pläne für heute Abend und die würde ich für nichts auf der Welt umwerfen!“ Erst jetzt erkannte Liam das geheimnisvolle Lächeln auf ihren Lippen und Nicks glücklichen Gesichtsausdruck. „Oh, ich verstehe.“, sagte er zaghaft. Seltsamerweise suchte sein Blick in diesem Moment Ludeny. Doch diese schaute nur zu Boden. „Und wenn es diesmal zuviel war für ihn? Ich hätte nicht so schnell nachgeben sollen, als er auf das Grundstück wollte!“ Sie machte sich heimlich Vorwürfe und merkte erst dann, dass sie von ihm angestarrt wurde. Aus ihren Gedanken aufgerüttelt, ging Ludeny zu Liam hinüber und half ihm beim Aufstehen. „Gut, wir fahren jetzt nach Hause. Wir sprechen uns dann morgen. Wann wird Topang abgeholt?“, fragte sie vorsichtig und ehrfurchtsvoll. „Um neun Uhr morgens, unser Flug geht um halb elf.“, antwortete Tilia traurig und blickte zaghaft zu Nick. Nick und Tilia waren in Sorge über Liams Zustand und blickten sich ein wenig bekümmert an. „Er wird schon wieder!“, bedeutete er Tilia und legte seinen Arm um ihre Schultern. Stevie und Wanda verabschie
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deten sich ebenfalls und so blieben die zwei Verliebten allein zurück. „Lass uns den Zauber durchführen! Liam hat Recht, wir sollten nichts riskieren. Alles, was dich bedrohen könnte, macht mit Angst und ich werde alles versuchen, dich und alles was dich umgibt, zu schützen!“ Nick, der immer noch seinen Arm um Tilia gelegt hatte, küsste sie sanft auf ihren Kopf, während sie ins Wohn zimmer gingen. Tilia sah verliebt zu ihm auf. „Ich liebe dich, Nick Delary! Weißt du das?“ „Ich dich auch!“ Nick konnte gar nicht fassen, dass er so etwas zu einer Frau nach nur zwei Tagen sagte und es auch von ganzen Herzen so meinte. Sie nahmen das Buch und legten es auf den kleinen Tisch neben dem Sofa. Dann holte er die Tüte mit den Gegenständen für den Schutzzauber aus der Diele und breitete al les sorgsam auf dem Tisch aus. Er stellte die drei schwarzen Kerzen im Dreieck auf den Boden und stellte die kupferne Schüssel dazu. Tilia legte die Kräuter und das Stück Holunderholz hinein. Nick nahm ein Streich holz aus einer Schublade seiner Kommode und zündete den Inhalt an. Rauch stieg auf und Nick nahm den am Lederband hängenden Türkis und schwang ihn mit gleichmäßigen Bewegungen im Uhrzeigersinn durch die kleinen Schwaden. Als das Feuer erlosch, wickelte er den Stein mit dem Band um das Buch. „So, das wars!“, sagte er und räumte die restlichen Utelsilien vom Boden weg. „Du bist ja ein Multitalent! Nicht nur, dass du mich verzaubert hast, was alleine schon eine magische Meisterleistung ist“, Tilia erhob sich und ging auf ihn zu, schlang ihre Arme um Nicks Hüften und schaute ihn an, „aber das du auch noch Schutzzauber beherrschst, das ist wirklich beeindruckend!“ Nick lächelte verlegen und umarmte die zierliche Außerwählte. „Ich weiß, ich bin einfach unwiderstehlich!“ witzelte er. Sie hingegen machte nun ein ernsteres Gesicht und flüsterte. „Das weiß ich.“ Dann küssten sie sich. Nick nahm sie auf seine durchtrainierten Arme und trug sie zum Sofa hinüber, dabei streichelte er sie zärtlich. „Sie können alle sagen, was sie wollen, in meinem Herzen, bist du nur meine Auserwählte. Ich würde dich am liebsten niemals wieder gehen lassen!“ Tränen stiegen ihm bei diesen Worten in die Augen. Tilia strich ihm über die Wangen. „Scht, nicht jetzt Nick. Zum Unglücklich sein haben wir noch eine Ewigkeit Zeit. Dieser Abend soll unser Abend sein und er wird der Schönste, den wir jemals erlebt haben! Bitte, versprich mir das!?“ Sie näherte sich seinen Lippen und er küsste sie. Tilias Kuss wurde fordernder. Nick wollte ihr sich vorsichtig entzie hen. „Nein Til, Schatz, das dürfen wir nicht, dein Volk!“ Aber sie ließ ihn nicht aussprechen. „Was ich darf oder nicht, ist ab heute meine Entscheidung und ich möchte, dass wir etwas haben, das uns immer aneinander erinnern wird. Du hast gesagt, dass du mich liebst und ich glaube dir, denn ich kann in dich hineinsehen, wie in einen Kristall! Nick Delary, liebe mich! Ich will, dass wir heute Nacht alles um uns herum vergessen. Ich verspreche dir, dass du keinerlei Verpflichtungen hast, wenn es das ist, was dir Angst machen sollte!“ „Tilia! Nichts im Leben will ich mehr, als mit dir zusammen zu sein. Ich habe vor keinerlei Konsequenzen Angst, nur davor, dir weh zu tun und dir damit Schande zu bringen, wenn sie etwas davon erfahren wür den. Um mich mache ich mir keine Gedanken, außer denen, dass ich dich bald nicht mehr sehen werde und das…“ Tilia schüttelte den Kopf und er verstand. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was Morgen sein würde. Nick küsste sie gefühlvoll. Zärtlich zog er ihr ihre Sachen aus und liebkoste ihren Körper mit seinen Lippen. Tilia zog Nick das T-Shirt über den Kopf und streichelte ihn liebevoll. Ohne an den Morgen zu denken, gaben sie sich in dieser Nacht voller Leidenschaft einander hin. Als es bereits dämmerte erhob sich Nick langsam und zog sich etwas über, während er zu seiner Kommo de hinüber ging und ein kleines Päckchen hervor holte. Tilia schaute ihm neugierig nach. „Was ist das?“, fragte sie verwundert, als er sich wieder zu ihr hinunter gesetzt hatte und ihr das Päck chen entgegen hielt. „Eigentlich sollte das ja dein Abschiedsgeschenk sein. Aber da du dir ja etwas Anderes ausgesucht hast“
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– wobei er verschmitzt an sich hunterblickte - „kann ich es ja behalten und vielleicht für eine andere Gele genheit aufbewahren.“, neckte er sie. „Untersteh dich!“, protestierte Tilia lautstark und griff nach dem Geschenk. Nick zog es blitzschnell zu rück und lachte. „Nicht so gierig junge Frau! Hat man dir bei den Dragoons nicht beigebracht, geduldig zu sein?“ Die bei den tobten auf dem Lager herum und Tilia fühlte sich in seiner Nähe wie im siebenten Himmel. „Bitte, ich liebe Geschenke! Gib es mir doch!“, bettelte sie nun und machte einen Schmollmund. „Alles was du willst!“, antwortete er. „Was bekomme ich dafür?“, hakte er nach. Tilia schmunzelte. „Da lässt sich bestimmt etwas finden.“ Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn leidenschaftlich. Er ließ zu, dass sie ihm dabei das Päckchen aus der Hand nahm und beobachtete sie dabei, wie sie es öffnete. „Ein Aventurin! Oh, wie wunderschön! Diese Sternform ist wundervoll!“ Sie hielt den schimmernden Stein ins Licht einer Kerze und strahlte vor Freude. „Ich habe auch ein Geschenk für dich. Aber das verrate ich dir erst später!“, sagte sie und bedankte sich bei Nick für den Anhänger mit einem Kuss. Die Zeit verging wie im Flug und Tilia musste, ob sie es nun wollte oder nicht, zurück ins Hotel, um alles für die bevorstehen de Heimreise vorzubereiten. Nick rief ein Taxi und die zwei fuhren schweren Herzens zum Hotel. Ludeny hatte Liam am Vorabend noch geholfen die Treppen hinunter zu gehen und war gerade dabei, ihre Autotür zu öffnen, als er sagte: „Ich schaffe das auch alleine. Ist ja auch nicht das erste Mal, dass ich schreckliche Kopfschmerzen habe, weil eine Superhexe mich mit ihren Gedanken ausgeknockt hat.“ Wäh rend sie ihn auf den Beifahrersitz schob. „Liam, ich fahre dich. Du bringst dich noch um mit deiner Höllenmaschine, weil du dich wegen deiner Schmerzen nicht ausreichend auf die Straße konzentrieren kannst.“ Sie fuhren bereits eine Zeitlang durch die Straßen von New York, da sagte er: „Tilia muss morgen abreisen. Sie wird mir sehr fehlen. Es ist so schrecklich schade, dass ich bei Topangs Ehrenbegräbnis nicht dabei sein werde. Ich vermisse ihn.“ Lude ny legte ihre rechte Hand langsam auf sein Knie und versuchte ihn mit dieser Geste ein wenig zu trösten. „Ich weiß. Du hast einen schrecklich hohen Preis bezahlt. Aber ich schwöre dir, wir werden den Chancenug kriegen, garantiert.“ Kurz darauf parkte Ludeny vor Liams Haus ein und stieg aus. Sie ging um den Wagen herum und half dem Halbgamblin beim Aussteigen. „Danke dir fürs nachhause bringen.“, sagte Liam und wollte sich zum Gehen umdrehen. „Liam, warte. Ich meine, ich könnte gerne bei dir bleiben. Ich könnte dir Tee kochen und deine Stirn kühlen und…“, irgendwie versuchte sie ihn aufzuhalten, brach dann allerdings ab, da sie merkte wie ver zweifelt sie wohl klingen musste. „Entschuldige. Ich weiß, es ist vielleicht keine so gute Idee. Ich wollte dir nur helfen. Ich werde nach Hause fahren. Wenn du etwas brauchen solltest, rufst du mich eben einfach an. Ich komme dann sofort zu dir!“ Sie war bereits einige Schritte auf ihren Wagen zugegangen, als sie plötzlich: „Ja, Tee wäre nicht schlecht!“, hörte. Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie sich um und ging zur Eingangstür hinüber. „Also Herr Patient, darf ich bitten. Jetzt werden Sie aber verwöhnt, so schnell haben Sie sich noch nie erholt, Mr. O`Brian!“, scherzte sie während beide die Treppen hoch stiegen und schließlich Liams Wohnung betraten. Ludeny schaffte es in kürzester Zeit aus seiner Wohnung eine gemütliche Höhle zu machen. Sie hatte das Licht ausgelassen und nur einige Kerzen angezündet. Liam lag auf seinem Sofa, mit einer Deck zugedeckt und neben sich auf dem Tisch stand eine Kanne mit dampfenden, frischen Tee. Sie saß auf dem Boden mit dem Rücken an die Couch gelehnt. Von Zeit zu Zeit wechselte sie die Umschläge auf Liams Stirn. „Ludy!“, hörte sie leise hinter sich. Sie drehte sich um und blickte Liam in seine blauen Augen. „Ja, brauchst du etwas?“ Er lächelte. „Danke für deine Hilfe!“, flüsterte er und schlief erschöpft ein. Ludeny stand langsam auf und beugte sich vorsichtig über ihn. Dann nahm sie den Umschlag von seinem Kopf und küsste sanft seine Stirn. „Schlaf gut, mein Liebster.“, flüstere sie müde und erschöpft. Die Sonne hatte heute ihren Tribut ge fordert und deshalb stellte sich Ludeny etwas abseits und versuchte sich zu konzentrieren, um mit ihren
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Übungen zu beginnen. Mit der Zeit wurden ihre Bewegungen geschmeidiger und ihr Atem ruhiger. Nach einiger Zeit waren ihre Akkus zwar aufgeladen, sie aber vollkommen erschöpft. Sie kuschelte sich neben Liam auf den Boden und schlief ein. Als Liam Stunden später vorsichtig seine Augen öffnete, lag er immer noch auf dem Sofa. Sein Blick streifte den Boden neben sich, auf dem er Ludeny entdeckte. Sie lag zusam mengerollt da und schlief friedlich. Vorsichtig stand er auf und holte noch eine Decke, um sie zuzudecken. Dann kuschelte er sich wieder auf seine Couch und schlief zufrieden weiter. Stevie trat auf die Strasse und zückte sein Handy. Dann wählte er Darlenes Nummer. Sie war heute für den Abendienst im Cafe eingeteilt. „Hallo Süße, wie war dein Tag?“, fragte er interessiert. Nach einem kurzen Plausch, fragte sie ihn, was er denn am Abend so vorhatte. „Darlene, heute ist unser Rollenspiel-Abend. Josh wartet schon auf mich.“ „Stimmt ja, das hatte ich völlig vergessen. Sind schon wieder zwei Wochen um? Na gut, dann spiel mal schön den Zwerg. Hören wir uns später noch einmal?“, fragte sie ihn sehnsüchtig. Stevie bejahte die Frage und eilte dann zu seinem Auto. Es dauerte gar nicht lange und er kam auch schon zu Hause an. Dort wurde er bereits von seiner Spielgruppe ungeduldig erwartet. „Schön, dass unser Bord uns auch noch mit seiner Anwesenheit beehrt.“, rügte ihn Josh, der Spieleleiter sogleich und blickte von seinem Regelbuch des Rollenspiels „Arkane Codex“ auf. Die anderen Mitspieler waren Studentenfreunde der beiden. Sohna, die einzige Frau in der Runde, spielte eine Fee und war gerade im Streitgespräch mit Robbie, seinerseits ein Halbling. Stevie setzte sich schnell zu der Runde und fragte: „Okay, wo sind wir?“ David, in der Rolle eines Waldelben, antwortete: „Wir sind immer noch von diesen Tworks umzingelt und unser Spieleleiter wollte uns gerade vernichten. Kann ihm mal jemand seine Würfel wegnehmen, sonst haben wir hier gar keine Chance mehr das Abenteuer zu bestehen.“ Josh fühlte sich umgehend persönlich angegriffen und griff hastig nach seinen Spielutensilien. „Wer es wagt die beiden Goldstücke zu berühren, kriegt schrecklichen Ärger. Vergesst niemals die Gol dene Regel des Spiels ‚Der Spieleleiter ist der Boss.’ Also benehmt euch!“, raunzte er in die Runde und die restlichen Spieler lachten laut auf. „Immer das Selbe mit dir. Wenn es um deine Würfel geht, bist zu zickig!“, sagte Stevie und klopfte dem Spieleleiter aufmunternd auf die Schulter. Sie spielten einige Stunden, wobei sie wie immer die meiste Zeit heftig diskutierten. Während Josh an schließend die benutzen Gläser in die kleine Küche brachte, griff Stevie noch einmal zum Telefon und wähl te Darlenes Nummer. Es dauerte etwas bis sie endlich abhob. „Hallo mein Schatz! Habe ich dich geweckt?“, fragte er vorsichtig. Als Antwort kam nur ein leises „Mhm“. „Schlaf schön, und träum von mir. Wir sehen uns morgen, ich komme zum Frühstück vorbei!“ Dann half er noch schnell die restlichen Sachen wegzuräumen und ging dann ebenfalls zu Bett. Auch seine Träume drehten sich in dieser Nacht, um die neue Frau in seinem Leben. Als Wanda am Abend an ihrem Auto angekommen war, winkte sie Stevie, der gerade in seinen Wagen gestiegen war, zum Abschied zu. „Was für eine verschworene Bande sind wir eigentlich? Eigenartige Zu sammenstellung!“, sagte sie laut zu sich selbst und startete den Motor des Porsche. Sie kurvte durch die Strassen New Yorks und schaute sich um. Viele Menschen waren wieder unterwegs in der Stadt, die niemals schlief. Das Wetter lud zu einem Spaziergang ein und einige der Leute kamen wohl gerade von der Arbeit und freuten sich auf ihren wohlverdienten Feierabend. Plötzlich entdeckte sie an einer Treppe, die zur städtischen U-Bahn führte, ein eigenartiges, fratzen artiges Gesicht, welches kurz zwischen den Gittern des Geländers durchblitze. Wandas Jagdinstinkt war jedenfalls geweckt. „Das werden wir uns doch mal aus der Nähe ansehen!“, sagte sie energisch und sah sich nach einem
geeigneten Parkplatz um. In einer kleinen Seitenstrasse wurde sie schließlich fündig und stellte dort ihren Wagen ab. Aus dem Kofferraum entnahm sie ihren Gürtel mit den chinesischen Wurfsternen und Messern. Diese Waffen verfehlten nie ihr Ziel und Wanda brauchte sich keine Gedanken darüber zu machen, dass viel leicht ein Unschuldiger getroffen werden konnte. Außerdem waren sie schnell, zu schnell für ein normales menschliches Auge. Die Risis ging zielstrebig auf den Eingang der U-Bahnstation zu und schaute nun die Treppen hinunter. Aber wie sie es erwartet hatte, war nichts zu sehen außer einer Menge Menschen, die in Strömen aus den Zügen gestiegen waren oder solche, die eben in einen eingefahrenen Zug einstiegen. So folgte sie den Menschenmengen und gelangte schließlich auf den Bahnsteig. Sie ärgerte sich ein wenig darüber, dass sie auch noch Fahrgeld dafür bezahlen musste, wo sie doch den Menschen vielleicht gerade in diesem Augen blick das Leben rettete. Schließlich hätte sie ja wohl eher eine Belohnung verdient, immerhin setzte sie ihr Leben aufs Spiel. Aber Liam hatte ihr beigebracht, dass man möglichst nicht auffallen sollte und schon gar nicht durch einen übereifrigen Kontrolleur. Sie sah sich um und entdeckte die Absperrung zur Fahrstrecke im Tunnel. Irgendjemand musste vor kurzem hindurch gegangen sein, denn das Absperrgitter schwang noch immer nach. Unauffällig ging sie auf das besagte Gitter zu und drückte es vorsichtig nach vorn. Es ließ sich öffnen. Dann blickte sie zur Sicherheit noch einmal um sich, um etwaiige Zuschauer ausschließen zu können. Niemand schien sich für sie zu interessieren. Sie schritt durch den schmalen Durchlass und gelangte in den halbdunklen Tunnel der U-Bahnstrecke. Kleine Lampen erleuchteten den Gang und Wanda lief geradeaus, immer die Gleise entlang. Dabei blickte sie in jeden Winkel, der sich neben ihr auftat. An der siebten oder achten Einbuchtung blieb sie abrupt stehen. War da nicht ein Spalt in der Wand? Sie ging langsam und in Kampfstellung darauf zu. Ein etwa ein Meter mal fünfzig Zentimeter großes Loch befand sich dort in der Wand. Ohne lange zu zögern griff sie nach ihrer Taschenlampe, die sie zum Glück in ihrer Hosentasche bei sich trug. Dann schlängelte sie sich durch die kleine Öffnung. Auf der anderen Seite konnte sie Gott sei Dank aufrecht stehen und schnell leuchtete sie den Raum aus. Eine Strohmatte und Knochen lagen auf dem Boden verteilt. Wanda lief ein leichter Schauer über den Rücken. Dann hörte sie etwas und löschte schnell das Licht. Die Risis drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und versuchte dabei nur flach zu atmen. Ein ekelerregendes Röcheln war zu vernehmen und ein platschendes Geräusch, vermutlich von nackten Füssen, drang nun an ihre Ohren. Sie nahm die Taschenlampe dicht an sich heran und griff lautlos in die Lederjacke, um eines der Wurfmesser heraus zu ziehen. Jetzt hörte sie, wie der Bewohner dieses stockdunklen Etablissements sich vorwärts bewegte und leise vor sich hingrummelte. „Ich krieg sie alle hier her! Egal wie klug sie sind, ich hole sie und dann, fress ich sie hahahahaha!“ Wanda lief erneut ein Schauer über den Rücken und die Haare an ihrem Körper schienen sich vor lauter Grauen plötzlich aufzurichten. Diese kalte Stimme flößte sogar ihr ein wenig Angst ein. Das Ding, wie es Wanda später immer gerne bezeichnete, ging wohl in Richtung der gegenüberliegenden Wand und scharrte auf dem Boden herum. Jetzt hörte sie, wie etwas Schweres am Boden entlang geschliffen wurde. Anscheinend hatte sich das Wesen eine Art Geheimkammer eingerichtet. Erleichtert stellte Wanda fest, dass ihre Anwe senheit scheinbar nicht bemerkt worden war. Die schwere Wand schob sich, dem Klang nach zu urteilen, ein wenig zu und die Risis traute sich, ihre Taschenlampe erneut einzuschalten. Vorsichtig schlich sie auf die Öffnung zu und blickte vorsichtig um die Ecke. Da stand, mit dem Rücken zu ihr gedreht, eine widerlich aussehende kleine Kreatur. Nackt, nur mit einem dreckigen Stofffetzen um die Hüfte gewickelt und mit beigegrau-farbener Haut, keine Harre auf dem Kopf und augenscheinlich in ein Selbstgespräch vertieft. „Du musst essen Kleines! Sonst kannst du nie wieder nach Hause!“ Wanda schritt noch ein Stück näher an die skurille Situation heran. Jetzt entdeckte sie erst, dass dieser kleine magere Widerling mit einem etwa zehn jährigen, blondgelocktem Mädchen sprach, dass es in einen Käfig gesperrt hatte. Die Kleine zitterte und über ihr verschmutztes Gesicht liefen große Tränen herab. Das war zuviel für die tapfere Kriegerin und sie ging entschlossen in den Raum hinein. „Kann ich dir behilflich sein?“, fragte sie und tippte dem Ding entschlossen auf die Schulter. Dieser drehte sich nun erschrocken zu ihr um. Wanda blickte nun in riesige, kalte Augen, die wohl jedem Kind Angst ein
flössen würden. „Waaaas? Wer bist du? Geh weg, weg, weg!“ Er stapfte wütend wie Rumpelstilzchen auf sie zu und wollte sie aus der Kammer schieben. Wanda wich ein Stück zurück und hielt dabei immer noch ihr chinesisches Messer in der Hand. Der hässliche Gnom bemerkte nun die Waffe. „Du willst ein Stück abhaben? Vergiss es! Such dir ein eigenes!“ Wanda erstarrte fast zur Salzsäule, bei dem, was der nackte Zwerg da eben zu ihr gesagt hatte. „Du willst sie essen?!“, fragte sie erschüttert. „Na was denn sonst?“ Jetzt fing das Kind in dem Käfig an, laut zu weinen und zu schluchzen. „Das hast du ja toll hingekriegt! Die kann ich wegwerfen! Hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, sie von aller Aufre gung fern zu halte, damit kein Adrenalin in ihrem Fleisch ist? Das schmeckt doch nicht!“, schrie er Wanda hysterisch an. Diese hatte ihre Fassung inzwischen wieder gefunden und hielt dem etwa ein Meter großen Geschöpf ihr Messer vor die Nase. „Und wenn du jetzt artig den Käfig aufmachst, töte ich dich vielleicht doch nicht!“, sagte sie. In Wirk lichkeit hatte sie natürlich nicht vor, diesen Dämon mit dem Leben davon kommen zu lassen. Das könnte sie niemals verantworten. Das Ding würde sich sicherlich sofort ein neues Opfer suchen. „Oh, du fühlst dich stark, weil du einem kleinen Wicht wie mir mit einem Messer drohst! Du bist aber wirklich tapfer!“, sagte er scheinbar unbeeindruckt. „Ich denke, dass ich meine Tapferkeit bestimmt nicht vor dir rechtfertigen muss! Ich habe schon ganz Andere vernichtet, das kannst du mir glauben!“, antwortete Wanda siegesgewiss. Aber sie hatte nicht mit der Hinterlist des Wesens gerechnet, dieser nämlich holte aus und traf Wanda hart mit der Faust in den empfindlichsten Stellen einer Frau. Wanda sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und verlor dabei ihr Messer. Es lag nun ein ganzes Stück von ihr entfernt auf dem Boden und sie konnte es nicht errei chen. „Oh“, sagte das Ding. „Was haben wir denn da? Hast du etwas verloren?“, sagte das Ding heimtückig. Der Dämon bückte sich nach der Waffe und hob es auf. Das Mädchen blickte erschrocken zu Wanda hinüber. Es hatte sich gerade ein wenig beruhigt und ein leichter Funke der Hoffnung keimte in ihr auf. Nun war ihr Blick voller Panik, da sie damit rechnete, dass die Risis von ihrem Peiniger getötet werden würde. Aber Wanda blieb ganz ruhig auf dem Boden sitzen und tat so, als könnte sie wegen der großen Schmerzen nicht aufstehen. „Das ist aber ein hübsches Werkzeug! Ich kann dir versichern, dass ich sehr gut im Tranchieren bin! Du wirst nichts spüren, das verspreche ich dir!“ Das Ding schlurfte auf Wanda zu und drehte die Waffe vor ihrem Gesicht hin und her. „Ich weiß nicht was du gedacht hast, als du hier herein gekommen bist. Aber ich glaube zu wissen, was du jetzt in diesem Augenblick denkst!“ „Ach ja? Was denke ich denn jetzt?“, fragte sie ihn. „Du wünscht dir, dass du mir niemals nachgeschlichen wärst! Nicht wahr?“, sagte das Ding triumphie rend. Dann holte es aus, das Kind fing panisch an zu schreien. Der Dämon stach zu. Doch plötzlich drehte sich die Klinge in die Richtung des Monsters und sauste mit einer ungeheuren Macht direkt in das Herz der Kreatur. Es ging mit weit aufgerissenen Augen zu Boden. „Das kann nicht…, ich habe doch…, du bist eine Hexe!“ stammelte es noch, während das Leben aus ihm wich. Wanda erhob sich und zog das Messer aus der Wunde des Dings und schaute auf ihn herab. „Nein, ich würde sagen, zweimal falsch geraten! Zuerst einmal bin ich keine Hexe, sondern eine Risis und merk dir das, wenn du in der Hölle angekommen bist! Ich bekomme da nämlich Bonuspunkte für Mist viehcher wie dich! Und zweitens habe ich vorhin gedacht, dass du gleich ganz schön blöd aus der Wäsche gucken wirst und da habe ich ja wohl ganz richtig gelegen!“ Schnell ging sie zum Käfig hinüber und brach mit einer herum liegenden Eisenstange die Gittertür auf. Das Mädchen kam langsam und völlig verängstigt auf sie zu. Dann fiel sie urplötzlich der völlig überrumpelten Wanda weinend in die Arme und klammerte sich an ihr fest. „Dankeschön!“, schluchzte sie. Wanda schaute sie an und nahm sie dann auf ihren Arm. „Komm, ich bringe dich nach Hause. Deine Mum wird sicherlich schon sehnsüchtig auf dich warten!“ Als sie bei Wandas Wagen angekommen waren, setzte sie das kleine Mädchen auf den Beifahrersitz und schloss
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die Wagentür hinter ihr. Als sie selbst auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, sah sie zu ihr hinüber. „Wie ist eigentlich dein Name?“, fragte sie. „Elise.“, antwortete das Kind leise. Wanda lächelte, dann sagte sie: „Hör mal Elise, du solltest deinen Eltern nicht zu viel erzählen! Vor allem nichts von mir. Okay?“ Elise nickte nur und lehnte sich in dem Sitz zurück. Wanda hatte sie nach ihrer Adresse gefragt und nun fuhren sie direkt dort hin. Etwa hundert Meter vom Elternhaus entfernt, stoppte Wanda den Wagen und schaute zu ihrem Schützling hinüber. „Okay Elise, ich werde hier bleiben und warten, bis du im Haus bist, erst dann werde ich verschwinden. Ist dir das recht?“ Elise nickte wieder nur, drehte sich dann aber noch einmal zu Wanda und nahm sie in den Arm. „Danke!“, sagte sie noch einmal und stieg dann aus dem Porsche. Wanda starrte ihr verwirrt nach und wartete, bis die Mutter des Mädchens die Haustür geöffnet hatte und sich erschrocken die Hände vor den Mund hielt. Wanda konnte noch hören, wie sie „Thomas!“, rief und ein Mann im Türrahmen erschien, der Elise in den Arm nahm und fest an sich drückte. „Das war einmal ein Job, den ich wirklich gern erledigt habe!“, sagte Wanda zufrieden lächelnd und ließ den Motor wieder an. Hylia hatte ihr Abendessen mit Greeson im Speisezimmer eingenommen und trank gerade ihr Glas Weiß wein aus. „Hylia es wird Zeit oder? Die Sonne ist bereits am untergehen!“ erinnerte sie der Chancenug ungeduldig. Die Hexe verdrehte entnervt die Augen. „Ja, ich mach ja schon.“, erwiderte sie grollend und stand auf, um wieder einmal in den Wintergarten zu gehen. Dort hatte sie den ganzen Nachmittag bereits mit Weihrauch handtiert. Nun trat sie erneut an den Tisch und entzündete die dicken, lila Kerzen. Davor stand die kleine Steinscheibe. Schon die Mayas verwen deten glattgeschliffene Obsidiane als magische Spiegel für die Wahrsagung. Sie streute Zimt und Pfeffer minze im Kreis um beide Gegenstände und begann einige unverständliche Wörter zu murmeln. Das Licht brach sich im Obsidian und Hylia beugte sich weiter vor, um genauer hinzusehen. Eigentlich hätte sich das Licht jetzt teilen sollen und einen Anhaltspunkt auf den Aufenthaltsort des Buches zeigen. Doch zu Hylias Entsetzen zeigte sich gar nichts. Die Hexe versuchte es noch einige Male. Doch leider ohne Erfolg. Wütend riss sie die Tür auf und schrie: „Greeson!“ Der Chancenug erschien und sah sie fragend an. „Und, ich höre!“Hylia ging nervös auf und ab. „Irgendetwas hat hier nicht hingehauen. Warum nur? Habe ich mich geirrt und das Buch ist doch nicht da?“ Greeson war an sie herangetreten und hielt sie nun am Arm fest. „Du, tust mir weh!“, sagte sie wü tend. „Du hast nichts entdeckt. Nun bist du dir nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt in der Stadt ist? Und was, wenn doch? Du hast es vermasselt und unser Super-Gamblin hat davon erfahren. Ich wusste es. Ich hät te mich niemals auf eine Frau verlassen sollen!“ Wütend hatte er seinen Griff um ihre Hand verstärkt, ließ jetzt allerdings von ihr ab und stampfte davon. Hylia ging in ihr Zimmer und verriegelte die Tür. „Ich hoffe er beruhigt sich wieder, sonst könnte ich heute nicht wirklich ruhig schlafen. Aber das muss ich, denn ich brauche meine Träume.“, dachte sie und griff zu einem blauen Fläschen aus Kristall. Darin befand sich eine Mischung aus Baldrian, Rosenwasser und Muskatnuss. Sie erhoffte sich dadurch klarer träumen zu können. Stevie war am Morgen ziemlich früh aufgestanden. Er wollte sich viel Zeit für das Frühstück im Orinoco nehmen, da Darlene an diesem Morgen Dienst hatte. Er zog sich schnell etwas über und kämmte sich sein zerwühltes Haar. „ Ich geh jetzt zu meinem Schatz und ich freu mich schon so sehr darauf!“, sang er fröhlich vor sich hin.
Als er auf den Korridor der Wohnung trat, stand dort schon Josh in Dienstkleidung vor ihm und schüttelte verständnislos den Kopf. „Na, geht´s zu deiner Feundin?“, sagte er griesgrämig. „Kopf hoch“, antwortet Stevie ihm vergnügt. „Auch für dich wird sich irgendwann mal jemand erwär men können!“, erwiderte Stevie und klopfte seinem Mitbewohner aufmunternd auf die Schulter. „Hoffe ich jedenfalls!“, dachte er noch und ging dann mit einem Wink zu Josh zur Tür hinaus. „Was denkt er eigentlich, was er da für eine ‚Traumfrau’ abbekommen hat? Diese Darlene ist ja nun wirk lich nichts Besonderes! Jedenfalls, das was ich von ihr im Vorbeigehen am Orinoco so erkennen konnte.“ Josh winkte ab und nahm seinen Schlüssel von Haken. Dann verließ er ebenfalls die gemeinsame Wohnung und ging auf die Strasse zu dem Lieferwagen seiner Firma. Stevie war in seinen Wagen gesprungen, um schnell bei seinem Schatz anzukommen. „Wenn ich so an Nick und Tilia denke, könnte man richtig Mitleid bekommen. Da finden sie ihre große Liebe und müssen sie sich schon wieder trennen. Das könnte ich nicht ertragen. Darlene ist wie der Mittelpunkt in meinem Leben und den würde ich um nichts in der Welt mehr hergeben!“, sagte er laut zu sich selbst und fing an zu lä cheln, während er an seine Freundin dachte. Schon bog er um die Ecke und stand vor seinem Lieblingscafe. Als er die Tür zum Geschäft öffnete, strahlte ihn Darlene bereits an. Sie war gerade dabei die Bestellung eines Gastes aufzunehmen und versuchte sich zu konzentrieren, was ihr nicht gerade leicht fiel. Ihr Herz klopfte und ihr Puls stieg in schwindelerregende Höhen, als Stevie durch die Tür trat. „Ich glaub´s einfach nicht. Er sieht einfach so gut aus. Ich könnte ihn auf der Stelle verna schen!“, dachte sie bei sich und sah erneut zu ihrem Kunden, der schon etwas ungeduldig zu ihr aufblickte, da sie aufgehört hatte, auf ihrem Notizblock zu kritzeln, ging er davon aus, dass sie die Hälfte seiner Son derwünsche wohl nicht notiert hatte. „Miss, ich sagte, dass ich gerne den Rand von meinem Vollkornbrot abgeschnitten bekommen würde! Und die Eier bitte gut durchbraten, ich will ja schließlich keine Salmonellenvergiftung bekommen!“ Darlene wurde aus ihren Gedanken gerissen. „Oh, ja Sir, natürlich! Eier gut durchgebraten und Rand vom Brot abschneiden - wird erledigt!“ Sie eilte schnell zur Küche. Während sie lief, sah sie zu Stevie hinüber und formte mit ihren Lippen die Worte: „Komme gleich zu dir Darling!“ und stieß die Schwingtür auf. Einen Moment später kam sie heraus und setzte sich zu ihm. „Puh, erst mal geschafft!“ Dann beugte sie sich zu ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss. „Ich muss ihm nur noch schnell sein Frühstück servieren und dann bring ich dir dein Essen!“ Stevie lächelte sie verträumt an. „Woher weißt du denn, was ich essen möchte?“, fragte er. „Lass das Mal meine Sorge sein, mein Süßer! Ich weiß was du brauchst. Denn ich will einen fitten Mann, der mich auch am späten Abend noch mit seiner Aufmerksamkeit und seinen Zärtlichkeiten überhäufen kann und dazu gehört nun einmal ein gesundes Frühstück! Ein Spezialfrühstück, wenn du verstehst was ich meine?“ Darlene schmunzelte ihn vielsagend an und ging zur Küche, um ihre Bestellung abzuholen. Sie servierte dem Gast sein Essen und kam mit einem gefüllten Tablett zu Stevie, das an Wünschen wirk lich nichts offen ließ. Da war frisches aufgeschnittenes Obst und ein leckeres Müsli mit frischem Joghurt in einem Schälchen, Vollkornbrot mit Frischkäse und Konfitüre, frisch ausgepresster Orangensaft und ein Frühstücksei stand ebenfalls darauf. „Du verwöhnst mich!“, sagte Stevie zu ihr. „Das geschieht nicht ganz ohne Eigennutz!“, antwortete sie und nahm seine Hand in ihre. „Kommst du heute Abend mit zu mir? Und bleibst über Nacht?“, fragte sie ihn flüsternd und blickte ihm dabei tief in die Augen. Stevie wusste sofort, was sie meinte und nahm ihre Hand. Er küsste diese und schau te Darlene eindringlich an. „Bist du dir sicher?“, fragte er sie leise. „Ich war mir noch nie so sicher!“, entgegnete sie. „Ich liebe dich!“, sagte er zu ihr und beugte sich über den Tisch, um sie zu küssen.
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„Ich dich auch!“, flüsterte sie zurück und erwiderte seinen Kuss. Inzwischen war es acht Uhr und Tilia war mit Nick zusammen zu Ludeny gefahren, um Topang für die Abreise vorzubereiten. Ludeny hatte ihnen den Schlüssel zum Keller gegeben und die beiden gingen zum Verschlag hinunter. „Ich weiß nicht, ob du ihn sehen möchtest? Aber er hätte sicher nichts dagegen.“, sagte Tilia an Nick gerichtet. „Es wäre mir eine Ehre!“, antwortete er ehrfürchtig. Dann schloss sie die Brettertür zum Kellerraum auf. Tilia ging auf den bereits verschlossenen Spezialsarg zu, verbeugte sich und öffnete ihn langsam. Vorsichtig schob sie das Tuch beiseite. „Hallo Topang! Ich möchte dir Nick vorstellen!“, sagte sie und strich dem tapferen Dragoonkrieger liebe voll über sein Gesicht. Nick verbeugte sich und schaute auf das ehrfurchteinflößende Antlitz Topangs. Liam erwachte erneut. Mit einem Blick zum Fenster erkannte er, dass es bereits dämmerte. Ludeny schli ef noch immer friedlich neben ihm auf dem Boden. Vorsichtig stand er auf, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. Es war bereits halb Acht und somit höchste Zeit aufzustehen. Er kniete sich zu der Dunkelslug hi nunter. „Sie sieht so friedlich und wunderschön aus. Warum können wir nicht einfach den ganzen Tag hier ver bringen und…“, dachte er als sie plötzlich die Augen aufschlug und ihm direkt in die seinen blickte. „Guten Morgen“, flüsterte sie leise. „Wie geht es deinem Kopf?“ Liam musste lächeln. „Gut, danke. Die Schmerzen haben aufgehört.“ Ihre beiden Gesichter waren so dicht beineinander, dass sie förmlich den Atem des anderen auf der Haut spüren konnten. „Ich hoffe du hast gut geschlafen. Aber du hättest dich auch gerne in mein Bett legen können!“, sagte Liam und zwinkerte ihr zu. „Nicht ohne dich!“, schoss Ludeny so schnell hervor, dass es ihr schon peinlich war. „Ich meine, wir sollten aufstehen und uns auf den Weg machen. Tilia wird um Neun bei mir sein um Topang abzuholen.“ Liam blieb jedoch genau dort wo er war, sodass sie keine Möglichkeit hatte aufzustehen. „Ich denke, dass sollten wir wirklich. Aber noch eher denke ich, wir sollten das…“, sagte er und beugte sich sich zu ihr, um sie zu küssen. Ludeny war überglücklich, hatte sie sich doch in den letzen Tagen nichts anderes gewünscht. Als sie sich wieder von einander lösten, sprudelte es einfach aus ihr heraus. „Liam, es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass alles so kommt. Ich war so sauer und verletzt und… Ich schäme mich so!“ Der Halbgamblin hatte keine Lust weiter zuzuhören und hielt ihr einen Finger vor ihren Mund. „Scht, ich will nichts hören. Es wird alles wieder gut. Ich versuche nicht mehr sauer zu sein, und du ver suchst nichts Unüberlegtes mehr zu tun. Ludy, ich liebe dich. Du ahnst gar nicht wie sehr. Das musst du mir glauben. Darum ist alles so schwierig. Irgendwann einmal wirst du es vielleicht verstehen, bis dahin bitte ich dich mir zu glauben.“ Erneut beugte er sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wir sollten lang sam mal aufstehen. Wir wollen Tilia doch nicht warten lassen!“, sagte er, als er sich nun von ihr weg drehte und vom Sofa aufstand. Ludeny sprang auf und folgte ihm ins Bad. „Darf ich bei dir unter die Dusche springen?“, fragte sie. Liam nickte und verließ das Bad um mit einem frischen Badetuch zurück zu kehren. „Hier. Das ist frisch. Ich erwarte dich in der Küche. Beeile dich bitte.“ Liam ging in die Küche und machte sich einen Kaffee. „Vielleicht sollte ich etwas Soda und Obst für sie besorgen. Kann ja sein, dass wir uns jetzt wieder öfter sehen. Ich kann ihr heute gar nichts anbieten. Und vielleicht auch eine Zahnbürste!?“, dachte er, während er seinen Tasse füllte. „Nein, was soll das. Wir werden niemals eine normale Beziehung führen können. Ich sollte es eigentlich besser wissen. Nach diesem Abenteuer sollten sich unsere Wege wieder trennen. Das wird wohl das Beste sein!“, schimpfte er sich selbst. Ludeny unterdess, genoss das heiße Wasser auf ihrer Haut. „Es wäre doch praktisch, wenn ich einige Klamotten hier hätte und vielleicht auch etwas zu Essen. Ich meine, vielleicht komme ich ja jetzt öfter hier
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her. Und eine Zahnbürste natürlich!“, dachte sie während sie sich einseifte. Sie stellte sich ganz unter die Dusche, um sich abzuwaschen. „Ach nein, was soll das. Das hier ist alles, was wir haben können. Wenn wir den Chancenug erledigt haben, sollten sich unsere Wege wieder trennen. Selbst wenn wir wollten, können wir nichts gegen diese Edi-Sache unternehmen. Bin gespannt, ob er mir je davon erzählen wird.“ Um kurz vor neun parkte Ludeny ihren Spider vor ihrem Appartementhaus und die beiden stiegen aus. „Danke noch einmal, für deine Hilfe gestern!“, sagte Liam. „Ich sollte ihr irgendetwas sagen. Etwas das sie tröstet und vielleicht einiges erklärt.“, dachte er vorwurfsvoll. „Das war doch selbstverständlich unter Freunden!“, antwortete Ludeny nur und ging auf ihr Wohnhaus zu. „Freunde also?“, hörte sie Liam sagen und blieb stehen. „Ja Liam, Freunde. Alles andere scheint ja zwischen uns nicht zu funktionieren. Und eine Freundschaft zu haben, ist mehr als gar nichts zu haben. Was sagst du dazu?“ Abwartend stemmte sie ihre Hände in die Hüften. „Freunde? Ich glaube, das klingt gut. Aber natürlich die allerbesten Freunde – eben besondere Freunde.“, setzte er nach und lächelte sie an. Ludeny schmunzelte und nickte kurz. Im Haus gingen sie gleich in Richtung Keller. Als die zwei eintraten, war eine furchtbare Stille zu verneh men. Nick stand, mit Tilia im Arm, vor Topangs Leichnam und trocknete ein paar Tränen der Auserwählten mit einem Taschentuch. „Tilia! Hey, nicht mehr weinen! Topy würde das nicht wollen!“, sagte Liam und ging auf sie zu. „ Du sollst ihn nicht immer so nennen!“, antwortete sie und lächelte Liam etwas gequält an. „Schön, dass es immer noch jemanden gibt, der mich darauf hinweist!“, erwiderte er und lächelte nun ebenfalls. „Hallo? Ist hier jemand?“ Zwei Männer in dunklen Anzügen traten zaghaft ein Stück in den Keller hinein. Geistesgegenwärtig schloss Nick schnell den Deckel des Sargophags und stellte sich ein Stück weit weg. „Wir sind von ‚Wellington & Garner’ und sollen hier einen Leichnam für den Transport nach Nepal abho len!“, sagte einer der Männer und reichte Liam, der ein Stück auf die beiden zugegangen war, ein paar Pa piere, auf denen der Auftrag verzeichnet war. Liam schaute sich die Unterlagen an und nickte nun Tilia zu. „Ist alles da! Du kannst ihn ruhig den Männern überlassen. Das sind korrekte Papiere!“ Tilia ging jetzt noch einmal auf den toten Topang zu und hob den Deckel nochmals ein Stückchen an. „Wir sehen uns zu Hause!“, flüsterte sie und küsste ihn mit geschlossenen Augen auf die Stirn, bevor sie das Tuch über den Leichnam zog und den Deckel wieder verschloss. „Okay, dann sollten wir ihn jetzt in die Transportkiste legen!“, sagte sie und lehnte sich mit dem Rücken gegen Nicks Oberkörper. Dieser ergriff ihre Hand und küsste sie. Die Männer von „Wellington & Garner“ gingen sehr sorgsam mit Topangs Sarg um und legten ihn nun in eine Transportkiste, die eigens für den Flugtransfer von Leichnamen gebaut war, hinein. Tilia schaute nun zu Ludeny hinüber und versuchte ihr mit den Augen ein Zeichen zu geben. Lude ny, die nicht weit von ihr entfernt stand, verstand und ging mit einem Nicken mit ihr zusammen, in eine dunklere Ecke des Kellerraumes. Tilia schaute kurz zu Nick, der mit Liam zusammen den beiden Männern half und somit einen Moment lang abgelenkt war. „Ludeny, ich weiß, wir hatten den denkbar schlechtesten Start für eine Freundschaft“, begann sie flü sternd, „aber ich möchte dich um einen Gefallen bitten!“ Der Dunkelslug sah sie an und begann zu lächeln. „Ja, damit hast du wohl Recht. Aber du hast mir die Augen geöffnet, was diese EDI Sache mit Liam angeht und ich schulde dir etwas. Was kann ich für dich tun?“, fragte sie im selben, leisen Ton zurück. „Ich habe Angst vor dem Abschied mit Nick und will nicht, dass er mit mir zum Flughafen fährt. Ich könnte das nicht ertragen und deshalb wäre es sehr nett von dir, ihn abzulenken, während Liam mich be gleitet. Bitte, ich weiß nicht, wen ich sonst darum bitten sollte.“ Tilia schaute sie mit Tränen in den Augen an. „Hey, du brauchst nicht zu betteln. Das tue ich doch gerne für dich. Obwohl ich es Nick gegenüber nicht besonders fair finde. Aber das geht mich nichts an. Außerdem bin ich wohl die Letzte, die Tipps in Liebesan gelegenheiten erteilen sollte.“ Ludeny legte ihr die Hand auf die Schulter und ging nun zu Nick hinüber.
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„Nick, hättest du wohl einen Moment Zeit für mich?“ Nick schaute unsicher erst sie und dann Tilia an. „Hat das nicht Zeit bis später? Kann es wirklich nicht warten?“, fragte er Ludeny ein wenig unfreund lich. „Oh, es wird nicht lange dauern. Und ich würde wirklich nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre!“ Ludeny machte eine Geste der Verzweiflung und Nick konnte ihr seine Hilfe nun nicht mehr verweigern. „Gut, aber wirklich nicht lange! Um was geht es denn?“, fragte er und schaute zu Tilia. „Geh nur, wir haben ja noch ein wenig Zeit!“, sagte diese und quälte sich ein Lächeln hervor. „Okay, Liebling! Ich bin gleich wieder bei dir!“, antwortete Nick und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Tilia schloss die Augen und Tränen liefen ihr über das Gesicht. Da er sich in diesem Moment schon zu Ludeny gedreht hatte, bemerkte Nick davon nichts. „Weißt du, das Schwert hat sich verfärbt und ich bin ein wenig ängstlich, ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist!“, sagte Ludeny gespielt unsicher und schliff Nick die Treppen zu ihrem Appartement hinauf. Tilia war nun an Liam herangetreten. „Liam, lass uns fahren! Bitte schnell!“ „Was? Willst du denn nicht…, ich meine Nick, Abschied nehmen und so?!“ Dann blickte er ihr eindring lich in ihre Augen. „Oh, verstehe!“ Er nahm sie in den Arm und küsste sie auf den Kopf. „Es wird sich alles zum Guten wenden. Das verspreche ich dir!“, sagte er und ging zügig mit ihr zu Ludenys Wagen, mit dem Liam Tilia zum Flughafen fahren würde. „Suntok wartet bereits am Airport!“, sagte Tilia, um die Situation ein wenig zu lockern und um ihren Trennungsschmerz zu überspielen. „Nett von Ludy, uns ihren Wagen zu leihen, nicht wahr?“, Liam veruchte sie ein damit abzulenken, merk te aber schnell, dass dieses Manöver wohl fehlschlug. „Liam.“ Tilia holte etwas aus ihrer Tasche. „Würdest du diesen Brief bitte Nick geben, wenn ich abgereist bin? Ich will ihm noch etwas von mir da lassen, damit er sich an mich erinnert!“, bat sie ihren Halbbruder. Liam nickte und steckte den verschlossenen Umschlag in seine Jackentasche. Nick war inzwischen mit Ludeny in ihrer Wohnung angekommen und wartete nun ungeduldig auf sie, da die Dunkelslug im Schlafzimmer verschwunden war und seit einer Ewigkeit nicht mehr herauskam. „Ludeny, geht das nicht ein wenig schneller? Ich möchte Tilia nicht so lange warten lassen!“, rief er un geduldig durch die verschlossene Tür. „Entschuldige bitte! Ich musste mich einfach ein wenig frisch machen! Bin gleich soweit!“ Ludeny sah auf ihre Armbanduhr und biss sich nervös auf ihre Lippen. „Lange werde ich ihn nicht mehr hinhalten können!“, dachte sie bei sich und holte nun die Kiste mit dem Schwert hervor. Sie öffnete die Truhe und begann sich zu konzentrieren. Und tatsächlich, der Kristall verfärbte sich bläulich. „Okay, sollte eigentlich ein wenig dünkler werden, aber was soll`s. Es muss auch so genügen!“ Sie nahm das Schwert und schritt zur Zimmertür hinaus. „So, da ist es!“, sagte sie und überreichte ihm die Waffe. „Hmmm, eigenartig!“, stellt Nick fest und drehte die Klinge in seiner Hand. Dann schaute er Ludeny vorwurfsvoll an. „Das war Absicht, nicht wahr?“ Tränen stiegen ihm in seine Augen. „Hat sie dich darum gebeten?“, fragte er sie erneut. „Es tut mir Leid Nick! Ich wusste keinen anderen Vorwand, als diesen! Ja es stimmt, Tilia hat mich darum gebeten, dich abzulenken, da hast du Recht. Es war ihr anscheinend unmöglich, dir beim Abschied in die Augen sehen zu müssen!“ Nick schaute tieftraurig zu Boden, reichte ihr dann das Schwert und ging zur Tür. Ludeny folgte ihm besorgt. „Keine Angst Lud, ich werde ihr nicht folgen. Wenn sie es so wollte, will ich ihr nicht ihren Abgang ver derben!“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er Ludenys Appartement. Am Flugsteig angekommen, umarmten sich Tilia und Liam herzlich und ließen dabei ihrer Trauer freien Lauf.
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„Tilia, ich verspreche dir hiermit, dass ich Topangs Grab und dich besuchen werde! Und ich lasse dich niemals im Stich! Das schwöre ich bei meiner Ehre!“, sagte er. „Versprich nichts, was du vielleicht nicht halten kannst!“, antwortete Tilia und weinte bitterliche Trä nen. Suntok, der in sicherem Abstand auf sie wartet, hob nur kurz seine Hand, um sich somit von Liam zu verabschieden. Liam erwiderte diese Geste und begleitete die Auserwählte noch bis zum Abfertigungsschal ter der Airline. Er stand noch eine ganze Weile einfach nur so da und schaute in die leere Gangway, die inzwischen schon längst vom Flugzeug getrennt worden war.
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Liam
Intermezzo
war sehr traurig, als er zu Ludneys Auto zurückkam. Er setze sich hinein und musste noch einige Male tief durchatmen. Seine Halbschwester war mit seinem verstorbnen Halbbruder auf dem Weg ans andere Ende der Welt und er selbst würde nicht dabei sein, wenn dieser bei gesetzt wurde. „Ich werde dich rächen, Topang und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“, rief er aus und startete den Wagen. Er fuhr direkt zu Ludenys Appartement und hoffe dort auf Nick zu treffen. Doch leider musste er von Ludeny erfahren, dass er bereits gegangen war. „Ich fahre dich. Du musst ja sowieso noch einmal zu Nick deine Maschine abholen. Warum willst du ihn eigentlich unbedingt sehen?“, fragte sie neugierig. Liam holte den Umschlag aus seiner Tasche und wedelte damit in der Luft. „Wusste ich es doch! Oder besser gesagt, ich hoffte es. Nick war total am Boden zerstört.“ Als sie bei Nick angekommen waren, stieg der Halbgamblin aus dem Wagen und beugte sich noch einmal durch das herun tergekurbelte Fenster herein. „Danke für´s Bringen!“, sagte er. Es war ihm, als hätte er einen Unterton in ihrer Stimme bemerkt, als sie von Nicks traurigem Aufbruch berichtet hatte. Er konnte nur erahnen, wie schlecht es ihr damals gegangen war, als er nach ihrem Zusammensein so einfach verschwunden war und das schlechte Gewissen stieg er neut in ihm hoch. Zu gern hätte er ihr alles erklärt. Aber er erinnerte sich nur zu gut an das Versprechen, dass er Topang gegeben hatte. „Es ist für sie einfacher in mir den Bösewicht zu sehen. Wenn sie weiß, dass ich sie aus Liebe verlassen habe, wird sie ewig auf eine Möglichkeit für uns beide hoffen. So wird sie einfach bis in alle Ewigkeit Angst davor haben, diese Situation könnte sich wiederholen und ich könnte erneut ein fach aus ihrem Leben verschwinden.“ Bei diesen Gedanken war er bereits im Treppenaufgang und klopfte schließlich an Nicks Tür. Doch auch nach mehrmaligem Wiederholen öffnete ihm niemand. Liam dachte kurz nach, drehte sich um und stieg die Treppe hinunter. Er klopfte an der Vordertür des Töpferstudios. „Geschlossen!“, hörte er es aus dem Raum dahinter. „Nick, ich bin´s. Öffne bitte die Tür!“ Kurze Zeit darauf, wurde der Schlüssel im Schloss gedreht und Nick öffnete einen Spalt. „Was gibt`s?“, fragte er mit einem bösen Unterton in der Stimme. „Komm schon! Lass mich rein. Ich habe hier etwas für dich!“, antwortete Liam betont freundlich und zeigte ihm den Umschlag. Die Tür öffnete sich schließlich und der Halbgamblin trat ein. Nick sah schreck lich aus. Seine Augen waren blutunterlaufen vom vielen weinen und eine leichte Alkoholfahne stieg ihm entgegen. „Da waren wir doch schon einmal. Auch damals ging es um eine Frau. Aber bevor du dich be wusstlos säufst, solltest du den erst einmal lesen.“ Liam überreichte den verschlossenen Brief an den Töp ferlehrer. Fragend blickte dieser den Halbgamblin an, öffnete dann aber zögerlich das Schreiben. Leise las er die Zeilen des Briefes immer wieder:
Geliebter Nick, Bitte sei Ludeny böse. Ich hatte sie darum gebeten, dich abzulenken. Ich hätte es niemals über mich gebracht dich zu verlassen, wenn ich dir beim Abschied in deine Augen hätte blicken müssen. Ebenso wollte ich uns beiden eine dieser schrecklichen Flughafen-Abschiedsszenen ersparen. Ich habe diese Reise angetreten, um meinen toten Bruder
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nach Hause zu holen und habe dabei mein Herz in New York zurück gelassen. Du hast mir in so kurzer Zeit so vieles gezeigt, auch wie schön und schmerzhaft die Liebe sein kann. Ich werde dich unendlich vermissen. Darum bitte ich dich, mich so schnell wie möglich zu besuchen. Ich möchte dir mein Land und mein Leben zeigen und vielleicht schaffe ich es ja, dass du dich in beides verliebst und bei mir bleiben willst. Ich weiß nicht, ob ich es wagen darf, dich vor so eine Entscheidung zu stellen. Darum hatte ich Angst dich von Angesicht zu Angesicht zu fragen. Aber in der Liebe gibt es nun mal keine Regeln. Ich habe noch ein Geschenk für dich. Ich hatte in all den Jahren, in denen mein Bruder nicht bei mir war, immer die Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Wir nannten es unser Traumland. Dorthin möchte ich dich ebenfalls einladen. Durch unsere Liebe und unser Hingeben sind wir nun seelenverwandt und ich erwarte d ich dort. Alles was du zu tun hast, ist dich morgen Abend auf mich zu konzentrieren und auf mein Rufen zu hören. Ich werde dich anleiten. Bis du bei mir in Nepal bist, haben wir an diesem geheimen Ort einen Platz um uns zu treffen. Ich erwarte dich sehnsüchtig
In Liebe Tilia
Liam sah Nick an. Dieser konnte es wohl selbst nicht fassen, dass er Tilia so falsch eingeschätzt hatte. „Und ich Idiot habe gedacht, dass ich ihr nicht wichtig genug wäre!“, sagte er und erneut stiegen ihm Tränen in die Augen. „Okay. Wie wäre es, wenn wir zusammen einen trinken? Ich bin auch mal wieder in der Stimmung und die Frauen sind immer ein guter Grund dafür!“ schlug Liam vor. „Gute Idee! Aber was hättest du denn für einen Grund? Die Frau die du liebst, ist doch schließlich in dei ner Nähe, du Glücklicher!“, antwortete Nick. „Du weißt anscheinend überhaupt nicht, wie gut du es hast.“ Er klopfte ihm auf die Schulter und legte dann seinen Arm um diese. „Komm mein Freund, wir heulen jetzt wie richtige Männer in ein Whiskey-Glas und beweihräuchern unser Unglück!“ Liam schmunzelte und legte nun ebenfalls seinen Arm auf Nicks Schultern. Dann verließen sie die Werkstatt, um sich kurze Zeit später in einer der chinesischen Kneipen einzufinden. Darlene und Stevie waren nach dem üppigen Frühstück noch ein wenig am turteln. Obwohl er schon unterwegs zur Uni hätte sein müssen, konnte er sich nicht von ihr lösen. „Ich will nicht gehen - Moment, das war falsch! Ich will schon irgendwie, aber ich kriege meine Beine nicht dazu, sich zu erheben!“ Er küsste sie und Darlene bekam vor lauter Aufregung ganz rote Wangen. „Stevie, ich muss doch bitten!“, sagte sie und sah sich verschämt im Orinoco um. „Die anderen Gäste…“, flüsterte sie und küsste ihn nun ebenfalls. Die Ladentür öffnete sich und Collin, Darlenes großer Bruder trat ein. „Collin!“, rief Darlene nun aufgeregt, „Komm hier her! Hier ist noch Platz!“, sagte sie und stand auf, um ihm einen Begrüßungskuss zu geben. „Hi Lenie!“, sagte er. Stevie fiel auf, das er sehr blass wirkte, „Hallo!“, sagte er und reichte Collin die Hand zur Begrüßung. „Hallo, Steven?“, fragte Collin ihn unsicher. „Fast, Stevie Costello“, erwiderte er und Collin lächelte etwas gequält. „Okay, Darlene. Ich muss jetzt wirklich los.“, sagte Stevie und küsste sie auf die Wange. „Schade, du kannst wirklich nicht noch ein wenig bleiben?“, fragte sie enttäuscht, ging dann aber auf ihn zu und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Ihr Bruder hatte sich verlegen weggedreht und wartete darauf,
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dass Stevie und Darlene sich fertig verabschiedet hatten. „Wir sehen uns aber heute Abend bei mir?“, fragte sie Stevie leise. „Ja, sehr gerne. Ich freue mich auf dich.“, flüsterte er ihr ins Ohr und drehte sich dann zum Ausgang. „Bis dann!“, rief er Collin noch zu und winkte ihm zum Abschied. Darlenes großer Bruder nahm Platz und strich sich nervös durch sein gut gekämmtes Haar. Darlene, die noch immer verliebt Stevie hinterher blickte, bemerkte dies erst gar nicht. Erst als sie sich ihm wieder zu wandte, wurde ihr Blick besorgt. „Collin, was hast du? Ist dir nicht gut?“, fragte sie und setzte sich. „Nein, ist schon alles in Ordnung Lenie.“, antwortete er. „Collin Grossman, lüg mich nicht an! Ich bin deine Schwester und niemand kennt dich so gut wie ich!“, sagte sie nun ziemlich laut. Collin sah sich im Cafe um, ob sie jemand beobachtete. „Lenie! Bitte, nicht so laut!“, sagte er. „Ich weiß nicht, ob einer von denen hier herum spioniert!“, flü sterte er ängstlich. Jetzt wurde Darlene von der Angst gepackt. „Was bitte, meinst du damit? Wer spioniert hier herum?“ Er schaute erschrocken zu ihr auf. „Du musst mir versprechen, dass du Mum und Dad nichts davon erzählst!“ Nervös wühlte er sich erneut durch sein blondes Haar. „Du machst mir Angst!“ Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich habe mich verkalkuliert und verspekuliert! Und jetzt muss ich dafür bezahlen!“, sagte er nur. „Wie bezahlen?“ Sie sah ihm verwirrt in die Augen. „An der Börse! Es wäre ja alles nicht so schlimm, wenn es um mein Geld gegangen wäre. Aber ich konnte den Hals mal wieder nicht voll genug kriegen und habe mir welches von einem Kredithai geliehen! Und jetzt kann ich kann nicht zahlen!“ Collin rutschte nervös auf seinem Stuhl herum. „Wie viel brauchst du? Vielleicht kann ich dir etwas leihen!?“, fragte Darlene verzweifelt. „Lenie, du bist süß! Aber dein bisschen Erspartes hilft mir wirklich nicht weiter! Weißt du, dieser Kerl lässt sich jetzt sowieso auf nichts mehr ein!“ Er blickte seiner Schwester traurig ins Gesicht. „Was meinst du damit?“, fragte sie unruhig. „Ich meine, dass ich verloren habe. Er wird mich wahrscheinlich töten, als Exempel für andere Schuld ner!“ Erschrocken sprang Darlene nun von ihrem Stuhl auf und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszuschreien. „Sag, dass das nicht wahr ist?“, nuschelte sie unter ihrer Hand hervor. Collin stand ebenfalls auf, wortlos nickte er nur und blickte zur Ladentür. „Ich muss jetzt gehen! Ich melde mich, versprochen!“, sagte er und ließ die völlig verängstigte und er starrte Darlene im Orinoco zurück. Stephanie kam gerade ins Cafe und strahlte Darlene an. „Stell dir mal vor, Ryan hat mich endlich zu einem Date eingeladen! Wie findest du das?“, fragte sie begeistert. „Darlene? Hey, was ist mit dir?“ Die junge Frau schaute Stephanie mit großen, tränerfüllten Augen an. „Schön für dich!“, antwortete sie ihr. „Wow, nicht so überschwänglich! Ich weiß ja, in deinen Augen, gibt es keinen Besseren als Stevie. Aber Ryan ist ein heißer Typ!“ Stephanie erwartete jetzt eigentlich ein Lachen. Darlene aber sah sie nur an und ließ sich dann auf einen Stuhl sacken. „Darlene, du machst mit irgendwie Angst. Kann ich dir vielleicht hel fen?“ Stephanie setzte sich zu ihr auf den Stuhl, auf dem soeben noch Collin gesessen hatte. „Ja, das könntest du wirklich!“, antwortete ihr Darlene jetzt. „Übernimmst du meine Schicht? Ich fühle mich heute nicht so gut. Ich revanchiere mich auch demnächst dafür.“, bat sie mit flehender Stimme. „Okay, natürlich, mach ich.“, sagte ihre Freundin und beobachtete Darlene immer noch voller Sorge. „Hat es was mit Stevie zu tun?“, hakte sie nach, während sie sich die Servierschürze umwickelte. „Was? Nein, nein! Nichts mit Stevie! Ehrlich, mit uns ist alles in Ordnung!“ Darlene hängte ihre Schürze über den Garderobenhaken und lächelte Stephanie mit Tränen in den Augen an. „Ich werde mich ein wenig hinlegen. Falls meine Eltern nach mir fragen, sag ihnen bitte, dass ich schlafe.“ Dann fasste sie Stephanie an die Schulter und bedankte sich noch einmal.
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Collin hatte sich in seinen Wagen gesetzt und fuhr erst einmal ziellos durch die Stadt. Er war sehr ner vös und beinahe hätte es sogar einen Unfall gegeben, als er einer roten Ampel keine Beachtung geschenkt hatte. „Ich Volltrottel! Ich Idiot! Wie konnte ich mich nur darauf einlassen? Ich hätte wissen müssen, dass das in die Hose gehen würde! Der wird mir meine Seele nehmen und dann bin ich nur noch eine leere Hülle, die durch die Stadt geistert! Dad hatte immer Recht, wenn er gesagt hat, ‚Junge, pass´ immer auf, auf wen du dich einlässt!’ Was mache ich denn jetzt nur?“ Nach einer Weile bog er in Harlem in eine kleine Seiten strasse ein, parkte den Wagen und blieb dort einfach stehen. Er legte den Kopf auf sein Lenkrad und schloss verzweifelt die Augen. Plötzlich schreckte er hoch. Jemand hate an seine Seitenscheibe geklopft. „Collin Grossman?“, vernahm er dumpf eine Stimme durch das verschlossene Autofenster. Unerwartet sah er in das Gesicht einer jungen Frau - zierlich, mit kurzen blonden Haaren. Sie war flippig gekleidet und lächelte ihn mit ihren strahlenden weißen Zähnen an. Collin überlegte kurz, dann fiel es ihm wieder ein. Das war Jenny, eine ehemalige Freundin, mit der er in der Highschool zusammen war. Sie waren nur ein paar Wochen zusammen, wie das nun einmal so in dem Alter war. Aber er konnte sich noch sehr gut an sie erinnern. Denn wo Jenny auftauchte, war immer was los! Sie war witzig und immer in Partylaune. Sein Vater war damals nicht sonderlich begeistert davon gewesen, dass er mit ihr ging. Aber das störte ihn nur wenig. Denn mit Jenny war alles ein Abenteuer, auch der Sex! Und der war damals mit 16, das Wichtigste, was man in diesem Alter erleben konnte. Jenny war ein Jahr älter als er und das hieß, dass sie auch schon mehr Erfah rungen auf diesem Gebiet hatte. Collin kurbelte die Seitenscheibe seines neuen Mini-Cabriolets herunter und schaute sie fragend an. „Jenny? Jenny Sanders?“ „Genau die!“, antwortete die junge Frau. „Was tust du denn in dieser Gegend? Ich habe gehört, dass du an der Wallstreet arbeitest! Ich habe mir immer gedacht, dass ein Banker aus dir wird!“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln an ihn gerichtet. „Komm, ich lade dich auf einen Kaffee ein. Ich wohne gleich hier um die Ecke!“ Collin sah sich noch einmal unsicher um, stieg dann aber aus seinem roten Flitzer aus und schloss die Wagentür ab. „Okay, ich denke, ein Kaffee kann nichts schaden.“ Er ging neben ihr her und blickte ängstlich in jeden Hauseingang hinein. „Sag mal Collin, hast du vor irgendetwas Angst?“, fragte ihn Jenny jetzt sehr direkt, da sie seine vorsich tigen Blicke bemerkt hatte. „Also, wenn du einen Unterschlupf suchst - für alte Freunde habe ich immer einen Schlafplatz frei!“ Sie schaute ihn an und klopfte ihm sanft auf die Schulter. Er sah erst zu Boden und dann in ihr Gesicht. „Du bist wirklich umwerfend! Warum haben wir damals eigentlich Schluss gemacht!?“, versuchte er zu witzeln, obwohl ihm in keinster Weise dazu zu Mute war. „Hmm, lass mal überlegen?! Weil ich nicht deinem Idealbild von einer Frau entsprach, die ein Anwalt oder eben Banker an seiner Seite braucht?!“ Sie lachte und hakte sich bei ihm unter. An einem abbruch reifen Haus, so sah es jedenfalls von Außen aus, blieb Jenny stehe und zog ihren Hausschlüssel aus der Ta sche ihrer engen Jeanshose heraus. Ihr weißes, bauchfreies Top war relativ durchsichtig und Collin musste schmunzeln. „Sie hat sich noch immer nicht verändert! Rebellisch und kein Interesse dafür, was die Leute von ihr den ken könnten.“, dachte er und folgte ihr ins Innere des Hauses. Jenny schloss die Tür zu ihrem Appartement im zweiten Stock auf und ließ ihn eintreten. „Bitte, fühl dich wie zu Hause.“, sagte sie und ließ sich auf ein altes Sofa fallen. Ihre Wohnung war ziem lich unaufgeräumt, aber nicht dreckig. Überall lagen Kissen in allen Formen und Farben herum und eine braungetigerte Katze lag auf dem einzigen Sessel in dem kleinen Wohnzimmer und schnurrte, als Jenny sie streichelte. „Setz dich doch! Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie. „Nein, danke. Ich habe keinen Durst. Hör mal Jenny, ich will nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst, deshalb werde ich wohl doch besser wieder gehen!“, sagte er nun. Er machte sich Sorgen, dass er sie in seine
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Angelegenheiten mit hineinziehen würde und befürchtete, dass ihr jemand wehtun könnte. „Sei nicht albern und setz dich endlich!“ Jenny zog ihn auf das Sofa und zottelte so lange an seiner Jacke, bis er sie freiwillig auszog. „So, ist es doch viel bequemer! - Oder?“ Er nickte ihr zu und beobachtete sie da bei, wie sie ihm nun die Krawatte auszog. „Du bist wirklich noch genauso, wie ich dich in Erinnerung habe.“, sagte er. Langsam entspannte er sich, während Jenny ihm die Schultern massierte. „Ist das gut so?“, fragte sie. „Hmmm, sehr gut sogar.“, antwortete er und schloss die Augen. Sie knöpfte ihm das Hemd auf und be gann von Hinten ihm über die Schultern hinweg die Brust zu streicheln. „Und wie ist das?“, hauchte sie ihm ins Ohr, während sie immer wieder daran knabberte. „Das ist noch besser, viel besser.“, flüsterte er zurück. Dann öffnete er die Augen, drehte den Kopf in ihre Richtung und sah sie an. „Jenny ich…“ aber sie legte ihren Finger auf seine Lippen. „Scht, entspann dich! Wir könnten doch ein paar alte Erinnerungen auffrischen, wo du schon einmal hier bist? Und du brauchst dringend eine Ablenkung. Als ich dich in deinem Wagen habe sitzen sehen, wusste ich was der Tag uns heute noch bringen würde!“, sagte Jenny und kletterte nun über die Lehne des Sofas zu ihm hinüber. Sie küssten sich und er streifte ihr das Top über den blonden Schopf. „Das Schlafzimmer ist da drüben!“, sagte sie. Dann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn mit sich zu ihrem Bett hinüber. Nach ein paar Stunden erwachte Collin. Sie lagen beide dicht aneinander gekuschelt zwischen Massen von Kissen und Jenny schlief noch immer. Collin küsste sie zärtlich auf die Stirn und stieg vorsichtig aus dem Bett. Er zog sich leise seine Boxershorts an und blickte sich im Zimmer suchend um. Zwischen den Kissen auf dem Sofa fand er endlich das Objekt seiner Begierde – sein Handy - und wählte Darlenes Nummer. „Ich habe sie da einfach so im Cafe stehen lassen. Ich muss ihr doch wenigstens sagen, dass es mir gut geht.“, dachte er bei sich, während es am anderen Ende der Leitung klingelte. Es hatte gerade erst begonnen zu dämmern, als Greeson die Tür zu Hylias Zimmer aufriss und eintrat. „Und was interessantes geträumt?“, fragte er laut genug um sie aufzuwecken. Hylia schlug jäh die Augen auf. „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen. Möchtest du nicht zu mir ins Bett kommen und mir zei gen, wie sehr du dich über meine Anwesenheit hier freust?“ Greeson ließ nur einen verächtlichen Ton von sich hören und Hylia setzte sich auf. „Gut dann nicht. Also ich habe gut geträumt, da dass ja das einzige ist, was dich zu interessieren scheint. Das Buch ist in der Stadt, wie ich es gesagt habe. Aber es ist geschützt. Irgendjemand muss es mit einem Schutzzauber belegt haben.“ Greeson ging nun im Zimmer nervös auf und ab. „Irgendjemand? Ich weiß auch schon wer, dieser Halbgamblin und seine Truppe. Ich möchte nur wissen woher er wusste, dass ich mich dafür interessiere. Und warum es jetzt in seinem Besitz zu sein scheint. Du hast es vermasselt. Und du wirst es wieder gerade biegen, hast du mich verstanden?“, fauchte er böse und funkelte sie mit seinen weißen Augen zornig an. Hylia sprang aus dem Bett und warf sich ihren Morgen mantel über. „Ich krieg das schon hin, keine Sorge!“ „Das sagst du immer, auch wenn ich von diesem Wächter im Museum rede. Aber bisher hast du noch nicht viel hingekriegt. Ich rate dir, das zu ändern!“ knurrte er noch einmal und verließ das Zimmer. Hylia zitterte vor Wut. Wie konnte ihr nur so ein Fehler unterlaufen. „Na warte du kleines Zauberladenflittchen, dich kriege ich noch!“ Hylia war sich sicher, dass die Verkäu ferin in dem Laden sie verraten hat. Wütend zog sie sich an. Wanda hatte eine unruhige Nacht hinter sich. In der kurzen Zeit, in der sie schlief, hatte sie immer wie der von dem Wiedersehen des Kindes und seiner Familie geträumt. Es war noch dunkel, als sie aufstand und nach einigen Pilzen griff, um schnell zu frühstücken. Anschließend fuhr sie zur Villa in Newark. „Wiedereinmal bin ich die einzige, die hier die Stellung hält.“, dachte sie etwas missmutig, ließ das Tor
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aber nicht aus den Augen. Kurz nach elf Uhr geschah auch endlich etwas. Das Tor öffnete sich und eine große Limousine fuhr aus der Auffahrt. Aus dem hinteren Fenster blickte eine finster dreinblickende Frau mit langen roten Haaren. „Na mal sehen, wo diese Fahrt hingeht.“, sagte Wanda laut und startete den Motor um dem Wagen mög lichst unauffällig zu folgen. Darlene wurde durch das Läuten des Telefons geweckt. Verschlafen wankte sie zum Hörer und hob ab. „Ja? Hallo!“, sagte sie leise in die Muschel. „Wer ist da?“, fragte sie. „Lenie, ich bins Collin!“, flüsterte er am anderen Ende. Augenblicklich war sie hellwach und ihr fiel wie der ein, dass ihr Bruder in großen Schwierigkeiten steckte. Es ging ihr wirklich nicht gut. Denn obwohl er es versprochen hatte, hatte er sich den ganzen Tag nicht bei ihr gemeldet. „Collin! Was ist? Wo bist du? Und wie geht es dir? Warum flüsterst du so? Hat dich dieser Kredithai etwa erwischt?“, hastig ratterte sie ihre Fragen herunter, da sie ja nicht wusste, wie lange er sprechen konnte. „Hey Lenie! Komm wieder runter, ja? Es geht mir gut! Ich bin bei einer Freundin untergekommen, du kennst sie sogar. Es ist Jenny, Jenny Sanders aus der Highschool!“, ließ er leise verlauten. „Und der Grund, warum ich so leise spreche, ist, dass sie noch schläft!“, setzte er nach. „Sie tut was? Sie schläft? Collin, du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass ihr miteinander geschlafen habt, oder?“ Darlene war außer sich. „Nun ja, weißt du, es hat sich irgendwie so ergeben.“, murmelte er ins Telefon. „Ich fasse es nicht! Ich sterbe hier fast vor Sorge um dich und du hast nichts Besseres zu tun, als durch die Betten deiner Ex-Freundinnen zu hüpfen!“ Sie stampfte wütend und mit Tränen in den Augen auf ihren Fußboden auf. „Bist du dir denn überhaupt nicht dem Ernst der Lage bewusst?“, hakte sie nach. „Lenie, wenn das einer weiß, dann ich, glaube mir! Aber ich war so verzweifelt und Jenny war einfach da. Es hat ja eigentlich sehr wenig mit Sex zu tun, ich brauchte Nähe und sie hat das gespürt. Aber ich will nicht abschweifen. Ich wollte dir nur mitteilen, wo ich bin, also die Adresse ist: East Harlem, Nicolas Avenue, Ecke A.C. Powell Jr. Blvd.! Warte, hier steht die Telefonnummer, 555 80 50 877. Aber ruf bitte nur im Notfall an. Hörst du? Ich muss jetzt auflegen. Aber ich melde mich wieder. Ach und Lenie, komme bitte nicht her. Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich melde mich aber, versprochen! Ich lass mir was einfallen!“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf. Darlene ließ sich auf ihren Sessel fallen und fing erneut an zu weinen. Eine Stunde später hatte sie sich auf ihr Sofa gekuschelt und mit ihrer Schmusedecke zugedeckt. Sie zappte durch die Sender des TV Gerätes und wischte sich dabei immer wieder ein paar Tränen aus dem Gesicht, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte. „Collin!“, stieß sie hervor und rannte, um ihm zu öffnen. Stevie stand mit einem wunderschönen Blumen strauß in der Hand im Rahmen und grinste sie fröhlich an. „Hallo Schatz! Ich habe uns etwas mitgebracht, sieh mal!“, sagte er, während er eintrat. Als er sich zu ihr umdrehte, schaute er in ihr trauriges Gesicht. „Hattest du jemand anderes erwartet?“, fragte er enttäuscht. Jäh fiel Darlene ihm in die Arme und weinte bitterlich. Stevie war von dieser Situation so überrascht, dass er den Blumenstrauß fallen ließ und die Tüte mit einer Flasche Champagner darin gerade noch auf der Kom mode im Flur abstellen konnte. „Hey Liebling, was ist denn? Hat dir jemand wehgetan?“, fragte er besorgt und drückte sie fest an sich. „Komm, setz´ dich erst mal hin!“ Er führte sie zur Couch und brachte sie dazu, sich nieder zulassen. „Nein, ich will jetzt nicht sitzen! Ich hab´ den ganzen Tag gesessen!“ Darlene sprang sofort wieder auf. Als sie Stevies verwirrtes Gesicht bemerkte, tat es ihr sofort Leid. „Oh Stevie, sorry! Du kannst ja nichts da für!“ Sie ließ sich wieder neben ihm auf das Sofa fallen und streichelte ihm über seine Wange. „Es ist Collin! Er steckt in großen, sehr großen Schwierigkeiten!“, sagte sie und wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht. Sie versuchte sich zu beruhigen und lehnte sich, während sie ihm von der Geschichte berichtete, gegen sei nen Oberkörper und weinte immer wieder. Als sie fertig war, schaute sie zu ihm auf und hoffte auf ein paar tröstende Worte ihres Freundes. „Weißt du mein Hase, ich denke, er hat Recht und du solltest dich da wirklich nicht einmischen! Das muss
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er alleine klären!“ Das war allerdings genau das, was sie in diesem Moment nicht von ihm hören wollte. So fort richtete sie sich auf und schaute ihm vorwurfsvoll ins Gesicht. „Das ist doch nicht dein Ernst? - Oder?“, sagte sie erschüttert. „Was hast du denn für eine Familie? Halten die denn nicht zusammen? Also bei uns ist das jedenfalls so, wenn einer in Schwierigkeiten ist, halten alle zu ihm!“ Enttäuscht über sein scheinbares Desinteresse stand sie auf und ging in die Küche. „Super Stevie! Das hast du ja großartig hinbekommen!“, sagte er zu sich selbst und folgte ihr. Er stellte sich hinter sie und legte seine Arme um ihre Hüften. „Entschuldige Schatz, ich war unsensibel. Weißt du was, überlass das mir. Ich werde mich um ihn kümmern und dafür Sorgen, dass er aus diesen Schwierigkeiten rauskommt!“, versprach er. Im selben Augenblick, hätte er sich jedoch am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte er ihr nur solch ein Versprechen geben? „Stevie Lightyear eilt zur Hilfe! Ich werde nicht aufge ben, bis alles Übel von der Welt beseitigt ist!“, dachte er selbstironisch und betete, dass sie sein Hilfsangebot ablehnen würde, etwa mit den Worten: „Oh Liebling, das kann ich nicht von dir verlangen! Das ist doch viel zu gefährlich!“ Aber genau das Gegenteil trat ein. „Oh, das würdest du wirklich für mich tun?“, fragte Darlene und ein bezauberndes Lächeln zierte ihr wunderhübsches Gesicht. „Ja, für dich würde ich eigentlich so ziemlich alles tun!“, antwortete er ihr und nahm sie in den Arm. „Ob Liam mir vielleicht helfen würde?“, dachte er bei sich und wusste schon in diesem Moment, dass die Wahr scheinlichkeit dafür, dass der Halbgamblin gerade ihm helfen würde, wohl bei eins zu einer Million lag! „Na das ist doch besser, als gar nichts!“, schoss es ihm durch den Kopf. Es war schwierig im Mittagsverkehr von Manhattan einem Wagen zu folgen. Aber da es sich ja um eine riesige Limousine handelte, konnte Wanda immer sehen, wohin die Fahrt ging. Der Wagen fuhr die First Avenue entlang und blieb Ecke East hundertvierzehnte Straße stehen. Wanda parkte ihren Wagen in si cherem Abstand und beobachtete Hylia, wie sie ausstieg und ein Geschäft mit dem Namen Sorcery betrat. Hylia riss die Ladentür auf und das Glockenspiel hüpfte ruhelos auf und ab. „Gesegnet seihst du Besucher! Ich komme sofort!“, ertönte es hinter dem Vorhang. Hylia stellte sich in die Mitte des kleinen Raumes und stemmte ihre Hände in die Hüften. Als Nike den Vorhang zur Seite schob und hinaus blickte, konnte sie die ziemlich ungehaltene Person dort warten sehen. „Na herrlich, ich hatte gehofft, sie hätte mich vergessen!“, dachte sie während sie lächelnd auf Hylia zuging. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie freundlich. Doch blitzschnell griff die wütende Hexe nach Nikes Hals und hielt ihr die Kehle zu. „Was du für mich tun kannst, fragst du mich? Du hättest schon früher etwas tun können, nämlich deinen Mund halten. Wem hast du erzählt, was ich hier gekauft habe?“ Hylias Augen bohrten sich regelrecht in Nikes. Diese konnte jedoch nicht antworten, da sie keine Luft mehr zum Sprechen hatte. „Es wäre wirklich gesünder für dich, wenn du deinen Mund öffnest.“, fauchte sie die Verkäuferin erneut an, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und Wanda eintrat. „Welch nette Art mit dem Verkaufspersonal umzugehen. Vielleicht sollte ich das auch einmal versu chen!“, sagte Wanda und blickte in Nikes verzweifelte Augen. „Sie sollten sich besser raushalten, sonst könnten Sie die nächste sein!“, drohte Hylia und drehte sich halb zu Wanda um. „Wie kann jemand, der so schwächlich aussieht eine derartige Drohung aussprechen? Sie sollten sich wirlich schämen! So viel Selbstüberschätzung in einer Person ist ungesund!“, entgegnete ihr Wanda schlag fertig und mit einem Sprung näherte sich sich den beiden und schlug, der völlig überraschten Hylia mit der blanken Faust ins Gesicht. Sie erreichte damit, dass die bösartige Hexe endlich von ihrem Opfer abließ. „Du riechst mir verdammt nach Dämon! Stirb du Vieh!“, rief Hylia wütend und kreuzte ihre Hände, um einen Zauber auf die Risis loszuschicken. Doch anstatt einen Fluch gegen Wanda zu richten, zuckte Hylia plötzlich zusammen und blickte verwundert zu Nike. Diese lächelte vorsichtig und sagte: „Ich kann auch ein bisschen zaubern, wissen Sie. Diesen Laden gibt
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es schon sehr lange und nicht nur wegen seiner großen Stammkundschaft, sondern auch wegen seines Eigenlebens. Hier drin ist keine Zauberei möglich. Sie sind nicht die Erste, die versucht, sich an den Verkäu ferinnen hier zu rächen. Und nun bitte ich Sie, mein Geschäft zu verlassen.“ Sie deutete bestimmt auf die Tür, die Wanda in der Zwischenzeit geöffnet hielt. Hylia funkelte beide abwechselnd an, ging dann jedoch in Richtung Ausgang. „Irgendwann müsst ihr hier rauskommen. Und dann werde ich da sein und auf euch warten!“, schrie sie schrill und stürmte aus dem Laden. Wanda blickte ihr ein wenig belustigt hinterher und sah, wie die wütende Hylia zu ihrem Wagen mit dem wartenden Chauffeur stapfte und erbost einstieg. Die Limousine blieb allerdings stehen und die Hexe ließ das Fenster herunter, um den zwei Frauen zu zeigen, dass sie auf sie wartete. „Ups, das könnte wohl jetzt ein längerer Einkauf werden!“, sagte Nike. Wanda sah zu ihr und nickte rat los. „Ich denke auch, dass wir erst einmal hier festsitzen!“ Nike schob ihr einen Stuhl hinüber und deutete ihr, Platz zu nehmen. „Einen Tee?“, fragte sie die Risis. „Oh ja gerne, warum nicht. Danke!“, antwortete diese. „Es tut mir sehr Leid, dass ich nicht einmal ein paar Pilze für Sie da habe. Aber einkaufen wollte ich ei gentlich erst in meiner Mittagspause. Die würde in zehn Minuten beginnen.“, sagte Nike und schaute die verdutzte Wanda an. „Woher wissen Sie denn, dass ich eine Risis bin?“ Erstaunt wartete sie auf die Antwort der zierlichen Verkäuferin. „Oh, ich habe das zweite Gesicht, wissen Sie. Und ich habe Ihnen gleich angesehen, dass Sie etwas Be sonderes an sich haben!“ Nike war nach Hinten in den Laden gegangen, und klapperte mit den Teetassen herum. Einige Minuten später kam sie wieder nach vorne und reichte Wanda eine der Tassen. „Zucker?“, fragte sie noch, aber Wanda winkte dankend ab. „Oh, ich habe immer Probleme mit Zucker. Ich werde dann immer so unruhig. Und das ist für eine Risis nicht sehr gut.“ erklärte sie. Da die Risisdämonen sowieso zur Gewalt neigten oder zu Überreaktionen und Zucker bekanntlich als Energiespender dient, versuchte Wanda darauf gänzlich zu verzichten. Die zwei jungen Frauen stellten sehr schnell fest, dass sie einen gemeinsamen Freund hatten, nämlich Nick. Nachdem ihnen nach einer Weile jedoch ein wenig der Gesprächsstoff ausgegangen war, wurde Wanda doch etwas unruhig. „Ich glaube, dass wir hier noch bis zum Sankt Nimmerleinstag rumsitzen werden, wenn wir nicht lang sam etwas unternehmen!“ Sie hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und blickte aus der gläsernen Ladentür. „Sie ist noch immer da!“ Wanda drehte sich zu Nike um. „Ob ich es einfach riskieren sollte und hinausge he?“, fragte sie. „Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun! Diese Person hat eine dermaßen böse Aura. Ich denke, sie ist sehr gefährlich!“, antwortete ihr Nike. Wanda ging nachdenklich im Laden auf und ab. „Aber irgendwie muss ich hier raus. Das ist nicht gerade mein Idealbild von einem schönen Tag an der frischen Luft!“ Nike begann ebenfalls nachzudenken. „Wie wäre es, wenn wir Nick anrufen würden? Er ist manchmal ganz patent in solchen Angelegenheiten. Vielleicht kennt er einen Kristall, der uns dieses Monster vom Leibe halten kann?!“ Wanda blickte auf. „Einen Versuch ist es wert und vielleicht kann er auch noch einen gemeinsamen Freund mitbringen, der auch kein Problem damit hätte, nötigenfalls einer Hexe das Lebenslicht auszuhauchen!“, schloss sie sich an. Nike holte das Telefon nach vorne in den Laden und wählte Nicks Handynummer. Es läutete dreimal und Nick hob am anderen Ende ab. „Ja, wer wagt es, mein Besäufnis zu stören?“, fragte er nach. „Oh, Gott sei Dank, gehst du ran!“ freute sich Nike. „Hör mal Nick, falls du nichts Besseres zu tun hast…“ Nick unterbrach sie. „Habe ich aber!“, sagte er.
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„Nick, bitte keine Scherze! Ich, bzw. wir, haben ein großes Problem mit einer ‚alten Freundin‘. Diese Hexe steht hier vor meinem Laden und wartet geduldig darauf, uns den Gar ausmachen zu können!“, flehte sie in den Hörer. „Wer ist wir?“ hakte Nick nach. „Oh, das habe ich vor lauter Aufregung völlig vergessen zu erwähnen. Wanda ist hier in meinem Laden. Sie hat mir geholfen, als diese Person mich bedroht hat! Sie hat wohl irgendwie mitbekommen, dass ich dir erzählt habe, was sie hier gekauft hat und nun ist sie sehr wütend auf mich!“, endete Nike. „Wanda! Ja, okay! Wir machen uns auf den Weg zu euch, sag Wanda, dass Liam bei mir ist. Ich bringe ihn dann gleich mit!“, antwortete Nick und beendete dann das Gespräch. „Ein gewisser Liam kommt mit hier her, soll ich ausrichten.“ Nike blickte Wanda fragend an. „Gut, dann werden wir mit Sicherheit bald hier rauskommen. Liam macht das schon.“ Wanda holte sich noch eine Tasse Tee und wartete ungeduldig auf die Ankunft ihres Mentors. In der Limousine lauerte jemand anderes sehr angriffslustig darauf, dass Wanda oder Nike endlich den Laden verlassen würden. „Irgendwann kriege ich euch!“, murmelte Hylia vor sich hin und trommelte agressiv mit ihren langen Fingernägeln auf dem Lederpolster des Sitzes herum. Plötzlich klingelte das Autotelefon und Maurice hob ab. „Hier Greeson!“, hörte es Hylia bis zu ihrem Platz auf dem Rücksitz des Wagens. Sie beugte sich nach vorne und streckte ihren Arm aus, um Maurice, ihrem stummen Chauffeur, das Telefon abzunehmen. „Danke!“, sagte sie und hielt sich nun den Hörer ans Ohr. „Was ist?“, fragte sie ihn genervt. „Was soll das heißen? Du bist seit Stunden unterwegs. Mach, dass du deinen Hintern hier her zurück bewegst!“ Raymond war außerordentlich zornig. „Ich will noch dieses kleine Miststück erledigen, die dem Gamblin-Clan in die Hände gespielt hat!“, fauchte sie zurück. „Lass die kleine Schlampe! Sie wird uns sicher nicht wieder in die Quere kommen! Du hast ihr sicher schon genug Angst eingejagt!“, schloss der Chancenug seinen Befehl ab und legte mit den Worten: „Komm jetzt sofort zurück!“ den Hörer auf. Hylia tat wie ihr geheißen und wieß Maurice an, das Auto wieder in Richtung Newark zu lenken. Nick hatte aufgelegt und blickte nun zu Liam. „Wir haben einen Auftrag. Interessiert?“ Der Halbgamblin stellte sein Glas wieder zurück auf die Theke. „Soll das denn heißen wir müssen von hier weg und aufhören zu trinken? Schade, aber vielleicht ist es besser. Der Alkohol hat uns das letzte Mal auch nicht sonderlich geholfen.“ Liam erhob sich und Nick ließ ein paar Dollarscheine auf die Theke gleiten. Es dauert doch einige Zeit bis die beiden vor dem Zauberladen angekommen waren. Als Nick die Tür zum Sorcery öffnete, saßen die zwei Frauen am Verkaufspult und tranken Tee. Das Glockenspiel erklang und Wanda, die mit dem Rücken zur Ladentür saß, drehte sich sofort um. „Hallo Liam, ich hoffe wir haben euch bei nichts Wichtigem gestört. Aber leider kommt ihr zu spät. Sie ist bereits vor zehn Minuten verschwunden. Tee gefällig?“, fragte sie und hielt die Tasse etwas höher. „Ach bevor ichs vergesse? Ist Tilia schon weg?“ Nick holte tief Luft, als er den Namen hörte. Liam nickte nur kurz und wandte sich dann an Nike. „Alles in Ordnung mit Ihnen? Wanda, bist du sicher, dass es unsere Hexe war?“, fragte er um sich abzu sichern. „So war ich hier stehe, ja sie war es. Und das Problem ist, dass sie verdammt wütend ist. Auf Nike und auf mich mit ziemlicher Sicherheit wohl auch.“ Nike fügte noch schnell hinzu: „Ich befürchte bevor sie nicht weiß, wem ich verraten habe, was sie bei mir gekauft hat, wird sie wohl keine Ruhe geben!“ Nick stellte sich nun wieder in Richtung Schaufenster. „Vielleicht sollten wir ihr dann sagen, wer die Infos hat!“, plapperte er darauf los.
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„Vielleicht hat er Recht. Die nehmen doch sowieso an, dass die Information bei mir gelandet ist. Also können wir es auch gleich zugeben, vielleicht hat Nike dann Ruhe vor ihr.“, schlug Liam vor, als plötzlich sein Handy surrte. „Ja?“, fragte er kurz. „Ich bins!“, hörte er Ludenys Stimme am anderen Ende. „Hast du Zeit?“, fragte sie. „Ja, eigentlich schon.“, antwortete Liam. „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ hakte er nach. „Er kennt mich wirklich besser, als ich gehofft hatte.“, dachte sie bei sich. „Na ja, ich habe da eine Frage und wollte das nicht am Telefon klären.“, druckste sie unsicher herum. „Gut, dann bin ich in dreißig Minuten bei dir, ist das okay?“, fragte er verwundert. „Perfekt! Dann bis gleich!“, antwortete die Dunkelslug und legte auf. „Und, wird er herkommen?“, fragte Stevie skeptisch. „Mein lieber Stevie, wenn ich ihn so frage, dann klappt das meistens!“, antwortete Ludeny siegesgewiss und ging in die Küche, um sich ein Stück Obst zu holen. „Wenn Liam hier ist und er erfährt, dass es um eine Angelegenheit von Stevie geht, dann habe ich für die nächste Zeit bei ihm verspielt!“, dachte sie, während sie in einen Apfel biss. Eine Stunde zuvor hatte ein verzweifelter Stevie Costello bei seiner Freundin Ludeny Ludnock angerufen und ihr eine wahrlich fürchterliche Geschichte von seiner Freundin und ihrem Bruder erzählt, der anschei nend von einem Mafiaboss bedroht wurde. Er hatte sich anscheinend Geld von ihm geliehen und war dabei in eine Falle getappt. Nun saß Stevie, der arme Tropf, in ihrem Wohnzimmer und war völlig verzweifelt da rüber, dass er seiner Freundin versprochen hatte, dass er ihrem Bruder aus diesem Schlamassel heraushel fen würde! „Ganz Gentleman-Like!“, sagte sie laut vor sich hin. Stevie erschien im Türrahmen und blickte sie ängstlich an. „Meinst du, er wird sich darauf einlassen?“, fragte er. „Keine Ahnung. Aber ich kann mich eigentlich nur daran erinnern, dass er der Meinung ist, um mensch liche Probleme sollten sich die Menschen auch selber kümmern! Oder auch zur Polizei gehen oder einen Selbsthilfekurs belegen!“, antwortete sie ironisch und nahm dem armen Stevie damit gänzlich die Hoffnung auf die Hilfe des Halbgamblins. Er drehte sich um und ging wieder in Ludenys Wohnzimmer. Als Liam aufgelegt hatte, sah er zu Nick hinüber.
„Und, was war?“, fragte ihn dieser.
„Keine Ahnung! Ludeny hat sich sehr geheimnisvoll ausgedrückt. Ich werde jetzt zu ihr fahren, um he rauszufinden, was sie hat. Kommst du mit?“, fragte Liam. „Na, ich weiß nicht. Was, wenn sie dich zu sich lockt, um ein wenig mit dir allein sein zu können?“, fragte Nick skeptisch zurück und zwinkerte dem Halbgamblin mit einem Grinsen zu. Wanda verdrehte die Augen, was Liam nicht unbemerkt blieb. „Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Bei uns ist alles geklärt!“, erwiderte er kurz und stieß bei diesen Worten Wanda an die Schulter. „Ha! Wer´s glaubt!“, sagte diese nur und nippte erneut an ihrer Teetasse. „Gut, dann komme ich mit. Ich halte es sowieso nicht alleine zu Hause aus.“, sagte Nick und ging bereits auf die Ladentür zu. Sie verabschiedeten sich von den beiden Frauen mit den Worten: „Aber betrinkt euch nicht mit dem Tee!“ und verließen das Geschäft. Als sie auf dem Gehweg standen, gingen ihre Blicke zum Himmel, der sich langsam aber stetig mit dunklen Wolken zu zog. „Es wird wohl heute noch regnen!“, sagte Liam und kräuselte ein wenig die Nase. „Sicher, es war den ganzen Tag schon so drückendes Wetter!“, antwortete Nick und stieg zu ihm auf die Harley, damit sie nicht völlig vom Regen durchweicht, bei Ludeny ankommen würden. Verzweifelt nahm Stevie sich eine der Frauenzeitschriften, die Ludeny auf dem Couchtisch hatte liegen lassen und blätterte unruhig durch die Seiten.
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„Hey Stevie, Kopf hoch! Auch Liam ist älter geworden und vielleicht sind seine Prinzipien auch ein wenig menschenfreundlicher geworden. In seinem tiefsten Inneren ist er ein ganz weicher Kerl!“, versuchte sie ihren Freund aufzumuntern. „Weißt du, älter werden, heißt meistens auch sturer werden!“, erwiderte er mit hoffnungslosem Unter ton in der Stimme und schaute wieder in seine Zeitung, ohne auch nur einen Artikel davon zu lesen. Ludeny musste über diesen Anblick ein wenig schmunzeln und wollte ihn gerade ein wenig damit aufziehen, als es an ihrer Tür läutete. Sie spurtete mit großen Schritten durch den Flur. Die Dunkelslug öffnete die Tür mit einem Lächeln im Gesicht. „Hallo Liam, oh, hallo Nick. Wie schön euch beide zu sehen!“, sagte sie verwundert und blickte den bei den Männern fragend nach, die sich bereits auf den Weg ins Wohnzimmer begeben hatten. Plötzlich hörte sie Liams Ruf: „Ludeny!“ Die Angesprochene schluckte und straffte ihre Schultern. „Na dann mal los!“, munterte sie sich selbst auf und ging den Flur entlang, in Richtung Wohnzimmer. „Liam, bevor du jetzt eine vorschnelle Entscheidung triffst, möchte ich dich bitten dich hinzusetzen und Stevie anzuhören. Okay?“, bat sie mit einem Lächeln im Gesicht und strahlte ihn dabei an. Liam blickte ab wechselnd von Stevie zu ihr und wieder zurück. Er setzte sich dann jedoch und sagte: „Gut, ich höre!“ Stevie befürchtete nach Liams erster Reaktion, dass, wenn er sich nicht beeilen würde sein Anliegen vorzutragen, sich der Halbgamblin schnellstmöglichst wieder aus dem Staub machen würde. Also begann er nervös und hastig seine Geschichte zu erzählen. „Ich bitte dich, mir zu helfen. Du hast doch die Möglichkeiten einen solch heiklen Fall zu klären. Wenn du es nicht für mich machst, dann denke doch an Darlene. Sie könnte deine Hilfe wirklich gebrauchen, ganz zu schweigen von Collin.“, endete er. Ludeny hatte sich zu seiner Unterstützung hinter ihn gestellt und Liam blickte sie böse an. „Und das ist der Grund warum du mich hierher geholt hast?“, fragte er sie und erhob sich. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und versuchte sich zu verteidigen. „Liam, du wärst niemals gekommen, wenn ich dir gleich gesagt hätte, worum es geht. Ich bitte dich, hilf ihm!“ Liam drehte sich zum Fenster und zog den schweren Vorhang etwas zur Seite. Draußen hatte es bereits angefangen zu regnen. „Großartig, jetzt werde ich wegen dieser Geschichte auch noch nass.“ Dann drehte er sich wieder zu den anderen. „Nein. Und das ist mein letztes Wort. Menschliche Probleme sind nun einmal das, was sie sind, menschlich. Ich habe mich noch nie in deren Belange eingemischt und ich werde es auch dieses Mal nicht tun. War das alles, was du von mir wolltest?“ Stevie bließ in kurzen Stößen die Luft aus seinen Lungen. „Du weißt, dass es hier um Menschenleben geht. Collin könnte sterben und du hast kein besseres Argu ment ihm nicht zu helfen, als irgendwelche Grundsätze? Und du scheinst zu vergessen, auch in dir schlug einmal ein einfaches, menschliches Herz!“ Er stieß im Vorbeigehen noch an Liams Schulter an und lief zur Eingangstür. Mit einem lauten Knall schlug er sie ins Schloss. „Liam, wie konntest du nur. Kannst du nicht einmal eine Ausnahme machen? Stevie wird jetzt wahr scheinlich auf eigene Faust versuchen zu helfen und womöglich dabei sterben. Ist es das wert? Wie kannst du nur so stur sein?“, fauchte ihn Ludeny an. Nick der bisher noch kein Wort gesagt hatte, räusperte sich nun und sagte schließlich: „Ich bin wohl der Falsche, um sich hier auch noch einzumischen. Aber wenn du es nicht selbst siehst, muss es dir einer sagen. Liam, du hast jede Menge Menschen um dich herum, die auch auf deiner Seite sind. Und wenn einer davon einmal in Schwierigkeiten steckt, dann sollte man ihm helfen.“ Liam hatte sich zu Nick gedreht. Er wun derte sich selbst, dass er nicht wütend auf ihn wurde, weil dieser gegen ihn argumentierte. „Nick, du hast keine Ahnung. Seit ich hier bin führen mich die beiden an der Nase herum, um mich ei fersüchtig zu machen. Und jetzt soll ich meine grundlegendsten Überzeugungen für ihn aufgeben? Kommt nicht in Frage!“ Nun blieb Ludeny nur noch eine Möglichkeit ihn zu überreden. Sie ging näher an Liam heran. „Ich bitte dich als eine Freundin, ihm zu helfen.“ Sie legte eine kurze Pause ein, dann zog sie ihren Wa
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genschlüssel aus ihrer Hosentasche und wedelte damit vor Liams Nase herum, “und damit du nicht nass wirst, leihe ich dir sogar meinen Wagen!“ Liam schaute ihr in die Augen. „Denkst du wirklich, dass ich mich von solch materiellen Sachen locken lasse? Du müsstest mich wirklich besser kennen!“ Sie verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund und blickte ihn aus gespielt traurigen Augen an. Um ihr zu zeigen, dass diese Nummer bei ihm nicht zog, wich er diesem Anblick aus und schielte zur Zimmerdecke. Dabei tat er so, als würde er ihr enttäuschtes Gesicht nicht bemerken. Dann aber begann er zu lächeln und zog ihr den Schlüssel aus der Hand. „Okay, ruf den Trottel an und sag ihm, dass ich mich umhören werde!“ Ludeny machte einen kleinen Luftsprung und griff nach ihrem Telefon. „Stevie, wo bist du jetzt?“, fragte sie ihn, als er am anderen Ende, das Gespräch angenommen hatte. „Noch nicht sehr weit. Ich wollte als erstes zu Darlene. Ich mache mir Sorgen um sie!“, rief er betont laut in sein Handy, da er wusste, dass Ludeny des Öfteren den Lautsprecher aktivierte. Er hoffte, das Liam noch da wäre und das Gespräch mitanhören konnte. „Hör zu Stevie, ich habe noch einmal mit Liam gesprochen und er hat sich nun doch bereit erklärt, die Sache unter die Lupe zu nehmen! Bitte überlass es ihm, etwas zu unternehmen! Tu nichts Unüberlegtes!“, bat sie ihn. „Gut, wenn du mir das sagst, dann werde ich es glauben!“, erwiderte er, in betont beleidigtem Ton. Liam schüttelte den Kopf, als er das Gespräch mit anhörte. „Wenn er so weitermacht, dann überlege ich es mir vielleicht noch einmal!“, sagte er. Ludeny legte den Hörer auf und schaute ihn vorwurfsvoll an. „Schon gut, schon gut.“, sagte er als er ihren Blick bemerkte. „Das war ein Scherz!“ Er ging auf sie zu und blickte ihr mit einem Schmunzeln in ihre Augen. „Das tue ich nur für dich! Damit das klar ist! Freunde helfen sich doch oder? Für diesen Möchtegernprofessor würde ich keinen Finger krumm machen!“ sagte er und wollte sich gerade wegdrehen. Ludeny hielt ihn allerdings am Jackenärmel fest. „Ich glaube dir kein Wort, Liam! Ich weiß genau, dass du nur aus verletztem Stolz so reagierst. Wenn diese Darlene dich höchstpersönlich gefragt hätte, dann wärst du schon seit einer halben Stunde unterwegs. Du bist ein Frauentyp und das weißt du ganz genau. Und die Rolle des mutigen Retters magst du ganz beson ders gerne.“, hauchte sie ihm entgegen. Er lächelte und nahm sie am Hinterkopf. Ludenys Herz klopfte rasend schnell. Dann küsste er sie auf die Stirn und drehte sich weg. Im Gehen schaute er noch einmal zu ihr und zwinkerte ihr frech zu. Nick, der es nicht mit ansehen konnte, wenn sich Liebespaare - egal, ob es ihnen bewusst war, dass sie eines waren oder nicht - neckten, hatte sich auf den Flur gestellt und wartete dort auf Liam. „Willst du, dass ich mitkomme? Egal wohin?“, fragte er und Liam spürte, dass sein neuer Freund regel recht darum flehte, mitfahren zu dürfen. Er suchte dringend nach Ablenkung von seinem Liebeskummer. „Okay. Das könnte durchaus einmal nett sein, nicht immer mit einer Risis oder alleine durch die Gegend ziehen zu müssen. Komm, ich nehm dich in meinem neuen Wagen mit!“ Er drehte sich noch einmal um, da er wusste, dass Ludeny jedes Wort gehört hatte. Sie erschien im Türrahmen und hob gespielt warnend den Zeigefinger. „Pass bloß auf mein Schmuckstück auf!“, rief sie, als die Tür gerade ins Schloß fiel. Collin wurde immer unruhiger und überlegte, wie er sich nur aus der Affäre ziehen konnte. „Ich könnte doch einfach die Stadt verlassen!“, sagte er laut vor sich hin und schaute dann in Jennys skeptisches Ge sicht. „Du würdest nie von deiner Familie weggehen!“, sagte sie und begann zu lächeln. „Du musst dir was an deres einfallen lassen!“ Er setzte sich zu ihr auf das Sofa und strich ihr über die Wange. „Ich könnte ihm ja ein Austauschobjekt anbieten!“, sagte er und schmunzelte sie an. „Vergiss es, Süßer! Ich habe mit meiner Seele noch was vor.“, antwortete sie und küsste ihn leidenschaft lich. Collin hatte ihr inzwischen alles von seinen Schwierigkeiten mit dem Dämon und dem Berg an Schul den bei diesem berichtet. Er wusste auch nicht warum, aber irgendwie vertraute er Jenny blindlings. Der
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Himmel musste Erbarmen gehabt haben und hatte ihm diesen Engel in dieser schweren Zeit geschickt. „Meinst du, wenn das alles hier überstanden ist, werden wir uns wiedersehen?“, fragte sie Collin und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Hey, ich werde dich nicht wieder hergeben! Das kannst du mir glauben!“, antwortete er und kuschelte sich an sie. „Magst du Pizza?“, fragte sie, während sie an seinem T-Shirt herumzupfte. „Das hört sich Klasse an!“, erwiderte er und begann sie zu streicheln. „Aber erst später!“ Liam hatte sich überlegt ins Vidal zu fahren, um erst einmal einen Anhaltspunkt zu finden. Dämonen wissen oft mehr über das, was bei den Menschen vorgeht, als umgekehrt und so lenkte er Ludeny´s Spider zu der Dämonen Bar. Als Hylia in der Villa ankam, war sie stinksauer. Sie schlug die Eingangstür ins Schloss und lief hinauf in ihr Zimmer. Aus der Ferne konnte sie Greesons Rufe vernehmen. „Ich bin erst morgen wieder für dich ver fügbar!“, antwortete sie knapp. Dann fiel ihre Zimmertür mit einem Knall ins Schloss. Wanda und Nike saßen immer noch am Verkaufspult. „Wenn ich auch nur noch eine Tasse von diesem Tee trinke, dann platzt meine Blase!“, sagte die Verkäu ferin und ließ sich wieder auf ihren Sessel fallen. „Es ist schon spät. Vielleicht sollten wir einfach jegliche Vorsicht über Bord werfen und Essen gehen. Denn sonst verhungere ich, ehe die Hexe mir ein Leid zufügen kann.“, sagte sie und griff nach ihrer Tasche. Wanda stand ebenfalls auf. „Du hast Recht, außerdem kann ich dieses Geruchswirwarr nicht mehr länger ertragen. Mein Kopf dröhnt bereits.“ Beide Frauen verließen den Zauberladen und Nike schloss die Tür hinter sich ab. Als Nick und Liam vor dem Vidal in der Murray Street ankamen, hatte der Regen sein volles Volumen erreicht und Liam stülpte seinen Jackenkragen hoch. „Sauwetter!“, sagte er zu Nick, der ebenfalls unter seiner Jacke Schutz vor den riesigen Tropfen suchte. „Das kannst du laut sagen!“, erwiderte er. Dann rannten sie schnell zu der Eingangstür des Lokals, um ins Trockene zu gelangen. An der Tür empfing sie wie immer der Frackon Dämon. Dieses Mal reichte er Liam die Hand zur Begrüßung und verzog sogar sein Gesicht zu einem leichten Lächeln. „Liam, wie geht?“, fragte er. „Gut, soweit!“, antwortete er ihm. „Sag mal, wenn ich Informationen über menschliche Verbrecher im Finanzgeschäft bräuchte - natürlich rein hypothetisch - an wen müsste ich mich da wohl wenden?“, fragte Liam ohne Umschweife. „Oh, du habe Problem mit Geld?“, fragte der Türsteher-Dämon besorgt. „Ich? Oh, Nein! Ich nicht, ein - na sagen wir einmal - ein Freund eines Freundes!“, antwortete der Halb gamblin. Nick verdrehte die Augen, da er wusste, wie schwer es Liam gefallen sein musste, Stevie als einen Freund zu bezeichnen. „Oh, wart, da kannst du gehe zu John Webster! Hat Wettladen in, wie sagt man, ah ja, in kleine Italia!“ Liam schaute ihn an und überlegte. „Ach, du meinst Little Italy!“ Der Frackon blickte ihn an. „Ah ja, da gut! Ist in Broome Street, an Ecke Mott Street! Kannst nich verfehle!“, sagte er noch. Liam klopfte dem Dämon auf den Arm und bedankte sich. „Danke Mann! Das war richtig nett von dir und wenn du mal Hilfe brauchst, bin ich gerne für dich da!“, sagte er. Der Dämon blickte ihn fragend an, so als ob er auf eine Pointe von einem Witz wartete oder das Liam sagen würde, dass er einen Scherz gemacht hatte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Seine Stimme dröhnte durch das Vidal. „Sehr gute Witz, Liam! Hilfe, ich nie brauche werde! Frackon kann selber helfe!“, sprudelte der sonst eher wortkarge Dämon heraus. Liam sah Nick verwirrt an und zuckte mit den Schultern.
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„Ich wollte es ihm wenigstens anbieten! Ich hatte ja keine Ahnung, dass er das als Witz ansehen würde!“ Dann zog er den verdutzten Nick am Ärmel hinaus aus der Bar, auf die regennasse Strasse. „Ich kenne ja Frackons eigentlich als sehr ruhige und zurückhaltende Dämonen. Aber dieser hier, ist ja wohl völlig aus der Art geschlagen!“, sagte der Töpferlehrer und schüttelte immer noch erstaunt den Kopf. „Wie so viele, die du inzwischen von uns Dämonen kennengelernt hast!“ erwiderte Liam nur kurz, wäh rend sie eiligst zum Auto liefen. „Entschuldige bitte! Ich vergesse immer, dass du auch ein…“, hakte Nick ein. „Schon okay!“, sagte Liam. „Ich vergesse es ja selbst manchmal. Es ist nun schon so lange her, dass ich…“ Aber er brach den Satz ab. Er wollte die schmerzliche Erinnerung in sich nicht wach rufen, als er erschaffen wurde und sein Leben den Wächtern der Ewigkeit verschrieben hatte. Sie stiegen in den Wagen und fuhren los. Betretenes Schweigen trat ein. Nick wusste nicht, ob er Liam ansprechen sollte und so drehte er das Radio auf. Aus den Lautsprechern drang der Song „Bed of Roses“ von Bon Jovi und die zwei Männer versanken in ihren Erinnerungen und Gedanken. In Little Italy angekommen, hielten sie Ausschau nach dem Wettbüro. Liam hatte das Tempo stark gedrosselt und sie sahen auf die be leuchteten Schilder der einzelnen Geschäfte. Ein kleiner unscheinbarer Laden fiel Liam plötzlich auf. „Da! Ziemlich fantasielos, muss ich sagen. Johns Sauber-Zauber-Schnellreinigung! Ein Wettbüro in einer Reinigung, was soll man da sagen? Hiermit hätten wir wieder einmal ein Klischee bedient!“ Er suchte einen Parkplatz und schloss den Wagen ein wenig besorgt, gut ab. Italiener waren schließlich bekannt dafür, dass sie auf schnelle Autos und schöne Frauen stehen. „Auf diesen Flitzer müssen wir ganz besonders gut aufpassen. Denn die schöne Frau, der er gehört, wird mich sonst mit ihren noch schöneren Augen umbringen! Zumindest, wären sie das Letzte, was ich sehen würde!“ Nick musste lachen. Er war froh, dass sein Freund wieder gute Laune zu haben schien und folgte ihm zu dem Reinigungsgeschäft. „Würde mich nicht wundern, wenn die hier Geld waschen!“, flüsterte Liam Nick zu, während sie auf die Bedienung warteten. Er schlug leicht auf eine kleine Glocke, wie man sie von Hotelrezeptionen her kannte und wartete. Der dicke Vorhang, der den Geschäftsbereich vom Privatbereich trennte, schob sich beiseite und ein etwa fünfzig Jahre alter Mann, mit schmieriger Pomadenfrisur und einem Hemd, das bis zum Bauchnabel aufgeknöpft war, trat dahinter hervor. Die dicke Goldkette um seinen Hals, stach einem mit ihrer Wuchtigkeit regelrecht ins Auge. „Guten Tag, Gentlmen!“, sagte er, wobei eine ekelhafte Nikotinfahne seinem Mund entwich. „Wir reini gen alles!“, fügte er hinzu. „Alles?“, fragte Liam. „Darauf wette ich!“ setze er nach. „Ach so, verstehe! Bitte, folgen Sie mir doch in meinen Privatbereich!“ John, wie die beiden Männer an nahmen, wies ihnen den Weg hinter den Verkaufstresen und hielt ihnen den Vorhang auf. „Um was geht es denn genau?“, fragte er sie neugierig, als er ihnen einen Stuhl anbot. Liam und Nick lehnten dankend ab. „Wir stehen lieber!“, sagte Liam. „Eigentlich sind wir weniger wegen einer Wette gekommen“, begann er nun. „Ich habe da eine Frage bezüglich eines Freundes!“, fügte er hinzu. „Und bitte, was habe ich mit ihrem Freund zu tun?“, fragte John unschuldig. „Ganz einfach, ein anderer guter Freund, hat mir erzählt, dass ich bei ihnen gute Informationen zu noch besseren Preisen kaufen kann!“ Nick staunte nicht schlecht darüber, wie gut Liam mit diesem Kerl umgehen konnte. „Ob er vielleicht schon öfter mit der Mafia zu tun hatte?“, fragte er sich. „ Ach, hat das ihr Freund gesagt?“, erwiderte John nun, seine Goldzähne blitzten hervor. Er nahm sich eine Zigarette aus der Hemdtasche und steckte sie sich an. „Okay, ich habe nicht viel Zeit! Kommen wir zur Sache!“ Liam wurde langsam ungehalten. „Ich brauche Infos über einen Kerl, der einen jungen Mann bedroht, der sich wohl an der Börse ein wenig verkalkuliert hat! Dieser Kredithai soll noch ziemlich neu in der Stadt sein!“ John sah Liam an und grinste. „Von dem Trottel habe ich gehört!“, sagte er. „Wenn ihr mehr wissen wollt, sollten wir verhandeln!“ Er zeigte den beiden den Weg in sein Büro. Klein und stickig war es darin und Nick fühlte sich sichtlich unwohl. Der Geruch von den chemischen Reinigungsmitteln schwang in die kleine Räumlichkeit und kratzte ziem
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lich in der Nasehöhle. „Wieviel?“, fragte Liam, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. „Ich denke, in Anbetracht des großen Risikos, dass ich mit dieser Information eingehe, Fünfhundert!“ Liam sah ihn an und seine Augen verengten sich. „Das ist ein Witz! Okay, ich habe gelacht und nun bin ich dran!“ Er sprang blitzschnell von seinem Stuhl auf und griff sich den Kragen von Johns Hemd und zog diesen dicht zu sich herüber, quer über den Tisch. „Ich werde ohne die Information nicht weggehen und du solltest es dir ganz genau überlegen, ob du das willst!“ Sein Griff wurde fester und John begann nach Luft zu ringen. „Hey, ich kann dir nicht umsonst etwas sagen! Ich habe schließlich einen Ruf zu verteidigen!“ Liam griff mit seiner freien Hand in seine Jackentasche und warf einen fünf Dollarschein auf den Schreibtisch. „Mehr wirst du nicht kriegen, denk drüber nach!“ sagte er. „Okay, fünf Dollar sind ja auch etwas!“, sagte John voller Panik und griff sich den Schein. „Und nun rede!“, sagte Liam und ließ den Reinigungsbesitzer los. Dieser sank erleichtert auf seinen Stuhl. „Tja was soll ich dir sagen? Dieser Kredithai treibt sich erst seit kurzen hier herum. Aber das weißt du ja. Er ist einer von der ganz unmenschlichen Art, wenn du verstehst was ich meine?!“ John kramte ein Ta schentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich die Schweißperlen vom Kopf. Liam fuhr ihn erneut an. „Wenn ich wüsste was du meinst, müsste ich mich nicht mit dir herum ärgern. Also komm auf den Punkt oder ich helfe noch ein Mal wenig nach.“ Sogar Nick blickte jetzt noch finsterer auf den Mann, der den Ab schaum der Menschheit wohl hervorragend repräsentieren könnte. „Also dann noch deutlicher. Er ist kein Mensch. Er ist ein Monster. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern. Aber irgendwas mit Olymp, aus dem er verstoßen wurde und Seelenraub kann ich mich erinnern. Darum habe ich damals, als er mir eine Zusammenarbeit anbot, nicht akzeptiert. Ein Typ, dessen Namen ich mir nicht merken kann, ist mir einfach zu suspect! Hier ist die Adresse.“ Der Wettbürobesitzer kritzelte schnell etwas auf einen Zettel und reichte ihn Liam. John hatte alles erzählt, was er wusste und die beiden gingen zur Tür. „ Und solltest du die Information, dass wir da waren auch verkaufen wollen, dann würde ich mir das gut überlegen!“, sagte Liam ohne sich umzudrehen und öffnete die Tür. „War doch ein interessantes Gespräch. Vor allem, dass er das Geschäft nicht machte, weil er sich den Namen nicht merken kann. Aber so einer hat wohl auch keine Seele mehr zur Verfügung, die gehört auch schon sicher jemandem!“, sagte Nick, während Liam nach seinem Telefon griff. Beide liefen durch den Re gen zu Ludenys Auto und setzten sich hinein. „Hallo Ludeny, hier Liam. Gib mir mal Stevies Telefonnummer. Ich glaube, ich kann mir ein Telefonat mit ihm nicht ersparen. Und um es dir gleich mitzuteilen, unser Kredithai scheint doch ein Dämon zu sein. Oder so etwas Ähnliches. Wir werden jetzt zu Nicks Wohnung fahren und Tilias Buch holen. Vielleicht steht da etwas über ihn drin!“ Nachdem die Dunkelslug ihm die Nummer angesagt hatte, grinste er plötzlich schelimsch und fragte mit einem unschuldigen Ton in der Stimme. „Ludy, bevor ich es vergesse, ist es normal, dass es so komisch kracht, wenn man den Rückwärtsgang einlegt?“ Nick musste sich ein Lachen verkneifen. „Was macht mein Baby? Es kracht! Ihr bleibt wo ihr seid, nicht einen Meter mehr weiter. Da gebe ich einmal meinen Wagen her und schon ist er kaputt. Liam das ist…“ Doch selbst Liam konnte jetzt nicht mehr ernst bleiben und lachte laut drauf los. „Es tut mir leid, Ludy. Aber ich musste dich einfach ein wenig aufziehen, Freunde machen so etwas! Ich weiß auch nicht, was mich da eben geritten hat.“ Ludeny beruhigte sich wieder und beendete das Gespräch mit einem „Na warte…“. Liam startete den Wagen und fuhr zu Nicks Wohnung. „Ich hoffe für dich, dass der Wagen wirklich keinen Schaden nimmt, sonst bist du fällig.“, warnte ihn Nick erneut und stieg aus, um in seine Wohnung zu gehen. Liam wartete im Auto und lehnte sich bequem zurück.
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Er schloss für einen Moment die Augen und ließ die Gedanken kreisen. Er atmete tief durch die Nase ein. Dabei strömte ihm ein wunderbarer Duft entgegen. Ludenys Parfum lag in der Luft, die ganze Fahrt über war es ihm nicht aufgefallen. Aber jetzt, wo er ein wenig entspannte, nahm er ihn umso intensiver wahr. Er schreckte hoch, als Nick zurück war und setzte sich wieder auf. Während Nick im Buch suchte, startete Liam erneut den Motor. „Hast du den Namen dieses Dämons denn nun auf dem Zettel, den dir der Reinigungs-John gegeben hat?“, fragte er nun. „Nein, er hat doch gesagt, dass sich wohl niemand den Namen merken kann! Wir sollten versuchen, mit den Anhaltspunkten, die wir von John erhalten haben, in dem Buch etwas zu finden.“, entgegnete ihm Liam. „Also, er saugt Seelen aus und ist wohl aus dem römischen Olymp rausgeworfen worden. Und da die Christen erst seit gut zweitausend Jahren in Italien Einzug halten, muss er also um einiges älter sein!“, er widerte Nick. „Hier!“, rief er plötzlich. Liam bremste ruckartig ab. „Ach nein, sorry. Aber der kann es nicht sein, der ist nicht römisch, sondern indonesich!“ Er blickte ver wundert zu Liam hinüber. „Was ist, warum fährst du nicht weiter?“, fragte er. „Weil du mir beinahe einen Herzinfarkt beschert hättest, mit deiner Art mich um Aufmerksamkeit zu bitten!“ Liam verdrehte die Augen. „Oh, ich wusste ja gar nicht, dass du so sensibel bist!“, erwiderte Nick mit einem Schmunzeln. „Ja, ich bin ein richtiges Weichei!“, sagte Liam und lachte. „Jetzt zu etwas anderem. Was hälst du davon, wenn wir mal zum Angeln fahren, wenn das alles hier überstanden ist? Ich hab ein kleines Boot hier im Hafen und wir könnten ein wenig rausfahren und es uns wie richtigen Männern gut gehen lassen!“, fragte er Nick. „Hört sich wirklich gut an. Meinst du so richtig wie Männer? Unrasiert und ungewaschen an Deck rum hängen und sich einfach treiben lassen?“, hakte Nick nach. „Hmmm, genau so! Außer das mit dem Waschen. Ich bin wohl doch zu reinlich dafür. Aber wir müssen es ja nicht übertreiben!“, sagte er noch schnell, als er Nicks enttäuschtes Gesicht bemerkte. Dieser blätterte einige Seiten weiter, bis er wohl die gesuchte Stelle gefunden zu haben schien. „Jetzt hab ich ihn!“ Liam stoppte erneut das Auto und beugte sich zu ihm hinüber. „Wo?“ Nicks Zeigefinger ruhte auf einem Blatt des Buches. „Lukretius, war wohl so eine Art Gottheit, bevor er aus dem römischen Olymp verbannt wurde. Oh, Gott! Er sticht mit Zeige und Mittelfinger in die Augen seines Opfers und saugt ihm die Seele aus! Durch einen Zauber hat er es geschafft, dass jeder seinen Namen ganz schnell wieder vergisst, nachdem er ihn gehört hat! Raffinierter Mistkerl!“, sagte Nick. „Wie war der Name?“, fragte Liam nach. Nick schaute auf das Buch, um ihn erneut abzulesen. „Lukretius! Er ähnelt Menschen, der einzige Unterschied ist seine grünliche Hautverfärbung.“ Beide schauten sich an. „Wie hieß er noch mal?“, fragten nun Liam und Nick gleichzeitig. „Lukretius!“, sagten sie wie im Chor. Liam holte das Handy aus der Tasche und wählte Stevies Telefonnummer. „Stevie? Ich bins!“ Stevie hatte das Gespräch nervös entgegen genommen. Er hoffte, dass er Darlene bald gut Nachrichten überbringen konnte. „Was kann ich tun?“, fragte er nach. „Ich bräuchte die Adresse, unter der ich diesen Collin erreichen kann!“, Liam fasste sich äußerst kurz. „Oh, ja, klar. Ich rede mit Darlene. Ich weiß, dass sie die Adresse hat! Ich rufe dann zurück. Dauert nicht lange, versprochen!“ Es brauchte etwas Überredungskunst, bis Darlene bereit war, ihm die Adresse zu nen nen. Mit dem Versprechen, die Information für sich zu behalten, bekam Stevie schließlich die gewünschte Auskunft. Um unbemerkt telefonieren zu könnne, versteckte sich Stevie in der Toilette und wählte gleich darauf Liams Nummer. Flüsternd nannte er ihm Jennys Adresse. Liam blickte kurz zu Nick und fuhr los. Einige Zeit später parkte Liam auch schon vor dem Haus in Harlem ein.
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„Verfluchtes Wetter, woher kommt nur dieses ganze Wasser?“, schimpfte nun auch Nick über die starken Regengüsse. „Wenn das deine einzige Frage ist. Ich habe gehört, dass es das verdunstete Meerwasser ist, dass sich in Wolken sammelt und…“, wollte Liam ihm weiterhelfen. „Danke Mann, dir fällt wohl immer etwas ein, oder?“ Nick öffnete die Eingangstür und betrat das Trep penhaus. Beide stiegen die Treppe nach oben und Liam, der als erster oben angelangt war, entdeckte sofort die offene Tür zu Appartement Nummer sieben. Schnell drehte er sich zu Nick um, deutete darauf und hielt sich die Finger vor den Mund. Vorsichtig und langsam traten die beiden näher und Liam versuchte einen Blick in das Zimmer zu werfen. Plötzlich hörte war ein Stöhnen aus dem hinteren Raum zu hören. Liam warf alle Vorsicht über Bord und lief in die Wohnung. Nick folgte ihm. Im ganzen Appartement sah es schrecklich aus. Einige Stühle waren umgeworfen worden und kaputte Teller und Tassen lagen auf dem Boden verteilt. Liam ging weiter durch das Wohnzimmer und erreichte den kleinen Schlafbereich. Er konnte durch die leicht geöffnete Tür nichts erkennen und versuchte sie weiter zu öffnen. Doch ein schwerer Gegenstand schien diese zu blockieren. Nick, der auch gerade hinter Liam auftauchte, drückte sichn gemeinsam mit Liam dagegen und die Tür gab weit genug nach, um durch einen schmalen Spalt hineinzuschlüpfen. Erst als beide im Zimmer waren konn ten sie erkennen, was die Tür versperrt hatte. Dort lag eine junge Frau am Boden. Sie sah schwer verletzt aus. Ihr Gesicht war blutverschmiert und ihre Hand lag seltsam verdreht auf der Seite. „Hallo Miss, hören Sie mich?“, fragte Liam, während er sich zu ihr hinunter beugte. Jenny riss die Augen auf und versuchte zu schreien. Aber stattdessen musste sie kräftig husten. „ Collin?“, fragte sie. „Er ist nicht hier. Wer war das?“, versuchte Liam in Erfahrung zu bringen. Doch Jenny musste erneut husten. Liam griff zu seinem Handy und rief Wanda an. Er teilte ihr mit, dass er hier ihre Hilfe benötigte. Als diese, vorsichtige Einwände betreffs Nikes Sicherheit äußerte, schlug er ihr vor, dass diese sie begleiten sollte, um weiterhin unter Wandas Schutz zu stehen. Während Liam telefonierte, hatte sich Nick zu Jenny gebeugt. „Es wird alles wieder gut. Sie werden sehen.“ „Sie haben ihn geholt. Es war grauenhaft. Ich habe ihn gerade erst wieder getroffen und sie haben ihn mir einfach weggenommen!“, flüsterte sie schwach, bevor sie kurz darauf ohnmächtig zusammensackte. Als Liam aufgelegt hatte, erzählte ihm Nick, was die junge Frau ihm berichtet hatte. „Also sind wir in Eile, verdammt!“, fluchte der Halbgamblin. Ungeduldig erwarteten sie die Ankunft der beiden Frauen, da nun jede Sekunde zu zählen schien, um Collin aus den Fängen des Dämons zu retten. Wanda war wie eine Verrückte quer durch die Stadt gerast. Ihr Porsche sauste nur so dahin und Nike, die neben der Risis im Wagen saß, musste mehr als einmal die Augen schließen, weil ihr einige Situationen zu gefährlich erschienen und sie sich und ihre neue Freundin vor ihrem geistigen Auge bereits in einem Blechsarg liegen sah. Doch nichts geschah und die zwei Frauen kamen kurze Zeit später unbeschadet bei der Adresse, die Liam ihnen genannt hatte, an. Sie sprangen aus dem Auto und rannten die Treppen des Appartementhauses empor. Wanda schob die Tür ein Stück weit auf und schaute hinein. „Liam?“, rief sie fragend. „Hier sind wir!“, erwiderte Nick und lugte aus dem kleinen Schlafzimmer herraus. Wanda und Nike setzten sich zu der inzwischen bewusstlosen Jenny aufs Bett. „Nun mach schon und schnapp dir diesen Mistkerl!“, sagte Wanda und blickte nur kurz zu Liam auf. „Okay, wartet auf den Krankenwagen und ruft an, falls sich ihr Zustand verschlechtern sollte!“ Liam stieß Nick kurz in die Seite und dieser folgte ihm nun aus der verwüsteten Wohnung. „Wir müssen ihn aufhalten, bevor er Collin umbringt!“ Liam war zu allem entschlossen. Die beiden Män ner stiegen in Ludenys Auto. Liam drehte den Schlüssel und ließ den Motor aufheulen. „Ups!“, sagte er erschrocken. „Das ist wohl der Unterschied zwischen einem Auto und einer heißen Maschine.“ Nick sah ihn skeptisch an.
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„Aber für Ludeny musst du dir dafür sicherlich etwas Besseres einfallen lassen!“, gab er zu bedenken. Liam zuckte mit den Schultern und gab wieder Gas. Nick blätterte erneut in Tilias Buch, einerseits, weil er den Namen des Dämons schon wieder vergessen hatte, andererseits, weil er ein gutes Gefühl hatte, wenn er etwas berührte, das seine süße Tilia in den Händen gehalten hatte. „Liam, dieser…“ Er schaute erneut auf das Buch und las den Namen ab. „Lukretius, ist leichter zu ver nichten, wenn man ihn vorher schwächt!“ Liam schaute hinüber, ohne aber die Strasse aus den Augen zu lassen. „Und das ist im Grunde nichts Neues. Wer wird nicht schneller zu besiegen sein, wenn man ihn zuvor schwächt?“, fragte er verwundert. Ohne näher darauf einzugehen, erwiderte der Töpferlehrer. „Wir brauchen einen Onyx! Der Stein ist ganz schwarz und hat ein Runenzeichen!“ Liam schaute ihn fragend an. „Hast du so einen?“ „Leider nicht. Aber ich habe einen im Sorcery gesehen! Lass uns schnell vorbei fahren!“ meinte Nick. „Das kostet uns aber Zeit! Und der Laden ist doch mit Sichherheit geschlossen!“, sagte Liam. „Ich mache das schon. Maggie, die Mutter von Nike, lebt in der Wohnung hinter dem Geschäft und sie kennt mich. Sie wird mich rein lassen und mir den Stein überlassen!“ Der Halbgamblin bremste das Auto ab und fuhr ein Stück rückwärts, um zu wenden. „Okay, wir sind noch nicht so weit vom Laden entfernt! Wir holen das Ding!“ Er bog in die nächste Sei tenstrasse ein und fuhr eine scharfe Linkskurve. Am Sorcery angekommen, schwang sich Nick aus dem Auto und rannte zur Vordertür des Zauberladens. Er klingelte an der Tür und hoffte, dass Nikes Mum nicht wie der in irgendwelchen mystischen Sphären unterwegs war, weil er dann ziemlich sicher sein konnte, dass sie ihm nicht öffnen würde. Maggie Weatherby hörte das Läuten und schaute auf ihre Küchenuhr. „Wer kann denn das jetzt sein? Der Laden ist doch geschlossen!“, sagte sie zu sich selbst. Da sie allerdings neugierig war, ging sie zum Flur und schaute vorsichtig durch einen Spalt im Vorhang, wer da wohl an der Ladentür stand. „Nick!“, hauchte sie etwas verwirrt vor sich hin. Sie zuckte mit den Schultern und zog dann den Vorhang beiseite. „Was der jetzt wohl will?“, fragte sie sich und nahm den Schlüssel von Brett an der Tür. Sie schloss auf, blockierte aber mit dem Fuß die Tür, um dann, nur durch einen Spalt, mit Nick zu sprechen. „Nick, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie höflich aber bestimmt. „Mrs. Weatherby, ich weiß, das ihr Laden eigentlich schon geschlossen hat. Aber ich bräuchte sehr drin gend etwas aus ihrem Geschäft, das ich nirgendwo anders bekommen kann!“ Er legte ein betretenes Gesicht auf. Maggie fühlte sich wohl irgendwie geschmeichelt und lächelte ihn an. „Ja, wir sind in New York wahrscheinlich der am besten ausgestattete Zauberladen! Unsere Kunden schätzen dies sehr. Sie kommen aus den endlegendsten Ecken der Stadt, weil sie wissen, dass sie hier immer gut bedient sind!“ Nick lächelte höflich, obwohl ihm die Zeit unter den Nägeln brannte, blieb er ruhig und gab ihr das Gefühl, dass er sich sehr für ihr Geschäft und das Erzählte interessierte. „Ja Mrs. Weatherby, ich bin auch der Meinung, dass man bei Ihnen immer gute Qualität bekommt.“ Mag gie lächelte immer noch. „Und zu erschwinglichen Preisen!“ fügte sie hinzu. „ Aber natürlich, das hätte ich ja beinahe vergessen!“, sagte Nick. „Okay, ich will ja nicht so sein.“, gab Maggie jetzt zu. „Kommen sie herein und nehmen sie sich, was sie benötigen!“ Sie hielt ihm die Tür auf und Nick stürmte regelrecht hinein. „Entschuldigen Sie Mrs. Weatherby, wo ist der Onyx?“, fragte er Nikes Mutter. „Oh, den habe ich heute schon gesehen.“, sagte sie und ging auf eine Vitrine zu. „Hier, hier ist er!“ Sie hielt den schwarzen Stein in ihrer Hand empor und lächelte stolz. „Sehr gut, Mrs. Weatherby!“, erwiderte Nick und nahm ihr den Gegenstand aus der Hand. „Da, sehen Sie das Runenzeichen? Wenn Sie bereit sind ein kalkuliertes Risiko einzugehen, dann kann er ihnen Erfolg bringen!“, sagte sie. „Es ist das Zeichen für Hagel. Es bringt Veränderungen. Er bringt aber auch Härte und Rückschläge.“, belehrte sie den Töpfer-Lehrer. „Danke Maggie!“, erwiderte Nick und versuchte damit, das Gespräch zu beenden, um nun schnell mit
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Liam Collin zu retten. „Ich verspreche Ihnen, dass ich Morgen komme und den Stein bei Nike bezahlen werde!“, schwor er, während er rückwärts gehend das Geschäft verließ. Maggie schloss hinter ihm ab und winkte ihm noch zum Abschied. „Lass mich nicht vergessen zu tanken, bevor wir Ludeny ihr Schmuckstück zurückbringen. Wir fahren schon die ganze Zeit quer durch New York und jetzt müssen wir auch wieder zurück nach Little Italy. Wenn wir den Alfa mit leerem Tank abliefern, kriegen wir richtigen Ärger.“, forderte Liam seinen Begleiter auf. Kurz vor neunzehn Uhr parkte Liam das Auto vor dem Haus des Dämons und stellte den Motor ab. Nick verstaute das Buch wieder auf dem Rücksitz und stieg aus. Liam ging zum Kofferraum und öffnete ihn. Wäh rend er nach einer geeigneten Waffe für Nick suchte, sah sich dieser um. „Okay, entweder du nimmst einen Wagenheber oder eine fast leere Sodaflasche!“ Er hielt die beiden Ge genstände hoch, während er dies sagte. Nick musste herzlich lachen. „Es ist unglaublich, aber ich hätte niemals gedacht, dass ich heute noch einmal so lachen muss. Ich danke dir. Obwohl unser Start - weiß Gott - nicht der Beste war, bist du mir in der kurzen Zeit ein Freund geworden. Danke!“ „Also ich denke, wir sind uns gar nicht so unähnlich und wir stehen auf dieselben Frauen. Das verbindet Männer doch. Abgesehen natürlich von unserem Saufgelage. Ja, ich bin auch froh, dich zu meinen Freunden zählen zu können.“, erwiderte Liam, während Nick sich den Wagenheber nahm. Der Halbgamblin zog seine Jacke aus und legte sie in den Kofferraum, bevor er ihn wieder absperrte. „Okay, die Party fängt an.“ Mit diesen Worten wandten sich die zwei dem Haus zu. Es war sehr prunkvoll und hatte einen wunderschönen Rosengarten. Während Liam sich dem Grundstück näherte, hörte er Nick hinter sich flüstern. „Haben wir so etwas wie einen Plan?“
Liam schaute kurz nach hinten und antwortete: „Ja, reingehen, Collin befreien, den Dämon schwächen
- das ist dein Part - und dann killen - das übernehme ich, und dann ab nach Hause.“ Die beiden Freunde schlichen sich an das Tor heran. Liam schaute auf, um zu überprüfen, ob er es schaffen würde, hinüber zu springen. „Müsste passen!“, sagte er und ehe es sich der verdutzte Nick versah, nahm Liam einen kleinen Anlauf und sprang über den gusseisernen Zaun. „Gekonnt ist gekonnt!“, flüsterte er Nick zu, als er sich um gedreht hatte und in dessen überraschtes Gesicht sah. Nick verdrehte die Augen. „Nun mach schon auf, oder soll ich hier Wurzeln schlagen?“, fragte er ungeduldig. „Wie auf? Ich dachte, dass du, wo du doch so einen sportlichen Eindruck machst, hinterher springst!“, witzelte der Halb-Dämon, während er das Schloss an dem Tor manipulierte. „Hoffen wir, dass er keine Alarmanlage hat!“, hakte er noch nach. „Wie war der Name noch mal?“, fragte er Nick nun schon zum Xten Mal. Nick blickte auf seine Handfläche. Er hatte sich vorsichtshalber den Namen des verbannten Gottes da rauf notiert, um ihn jederzeit wieder in seines und Liams Gedächtnis rufen zu können. „Lukretius!“, gab er altklug von sich. „Tu doch nicht so, wenn du dir diesen Namen nicht wie ein Schulkind beim Schummeln vor einem Test auf die Hand geschrieben hättest, dann wüstest du doch jetzt genauso wenig, das er… Wie heißt?“ Nick schmunzelte. „Lukretius, ganz einfach!“, sagte er und Liam grinste ihn an. Dann machte es plötzlich Klack im Tor schloss und der Riegel sprang auf. Liam schob die Pforte langsam auf. „Also was Ludeny und Stevie können, kann ich schon lange!“, gab er stolz von sich. Nick klopfte Liam anerkennend auf die Schulter und sie schlichen sich weiter auf das Grundstück des Dämons. An der Tür der Villa griff Liam nun hinter sich und zog sein Samuraischwert aus der Scheide. „So, Mister Gottheit! Wir sind da und wir gehen nicht ohne Collin und seine Seele!“ Mit diesen Worten legte er die Hand an den Türknauf und drehte ihn vorsichtig herum. Mit einem Ruck sprang die Tür auf. „Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber ich habe das Gefühl, dass hier etwas faul ist.“, sagte Liam, „Warum sollten wir sonst so leicht in das Haus reinkommen?“ Nick zuckte ratlos mit den Schultern. „Du bist der Profi! Aber ich denke, dass eine ehemalige römiosche Gottheit wahrscheinlich sehr überheb lich ist und deshalb denkt, dass er mit allem allein fertig wird!“ Jetzt waren Liams Sinne geschärft und er
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konzentrierte sich auf die Geräusche, die aus dem Inneren der Villa kamen. Sie traten ein, nachdem Liam, Nick ein Zeichen gegeben hatte. Als er Stimmen aus einer der Türen auf der rechten Seite des Flures hörte stoppte er seinen Freund. „Scht!“, zischte er ihn mit dem Finger an den Lippen an und Nick blieb wie angewurzelt stehen. „Okay, weiter! Ist wohl nur der Fernseher!“ Die beiden schlichen sich in Richtung Ende des Flures. Dort befand sich nach seiner Annahme, die Treppe zum Keller. „Wie kannst du so sicher sein, dass wir Collin im Keller finden?“, fragte ihn Nick nun verdutzt. „Weil Dämonen nun einmal so sind. Die haben alle irgendwie dasselbe Denkschema! Keller, gleich Ver steck für Gefangene und Geiseln!“, belehrte ihn der Dragoonkrieger. „Ach so, ich bin eben noch Anfänger.“, antwortete der Töpferlehrer. Liam nahm den Knauf der Kellertür in die Hand und drehte auch diesen vorsichtig herum. Sie stiegen hinunter und lauschten weiterhin auf jedes Geräusch. Da es still zu sein schien, beschleunigten sie ihre Schritte. Unten angekommen, blickte sie sich vorsichtig um. In dem Kellergewölbe sah es aus, wie in der Antike. Fackeln hingen an den Wänden und die Stufen die hinunter führten, waren wie aus Stein gehauen. „Wendeltreppen im . Jahrhundert! Das ist so was von uncool und out!“, witzelte Liam, als sie auf dem Weg nach unten waren. „Es fehlen wirklich nur noch die Löwenkäfige!“, hakte er nach. „Mach keine Witze! Ich bin froh, wenn wir das heil überstehen!“ Nick war nicht zum Scherzen zumute. Er folgte Liam auf dem Fuße. Plötzlich standen sie in einer Art Vorraum. An den runden Wänden waren ins gesamt fünf Zellen, die mit Gittertüren verschlossen waren. Aber nur eine war zurzeit besetzt. „Das wird er wohl sein!“ Liam ging auf diese Zelle zu. Ein blonder junger Mann hing an Ketten an der Wand und war anscheinend bewusstlos. Die Füße hingen einen halben Meter über den Boden und die Hand gelenke waren schon ganz wund gerieben von den eisernen Handfesseln. Liam holte mit seinem Schwert aus und schlug gezielt auf das Schloss an dem Gitter ein. Ein lautes „Pling“ war zu hören und das Schloss fiel zerschmettert zu Boden. Nick eilte hinein und hob den armen Collin hoch. „Versuch doch das Gleiche noch mal mit diesem Schloss!“, sagte er zu seinem Freund. Liam holte erneut aus und auch die Handfesseln fielen zerstört auf den Kellerboden. „Das war ja einfacher, als ich dachte!“ gab der Halbgamblin von sich. Doch das hätte er wohl besser nicht gesagt. Denn genau in diesem Augenblick stand ein grünschimmernder Kerl vor der offenen Zellentür und beobachtete sie mit verschränkten Armen bei ihrem Befreiungsversuch. Er wirkte eigentlich ziemlich klein, unscheinbar und irgendwie italienisch. „Was soll das werden?“, fragte er wütend. „Ihr habt hier nichts zu suchen und um euch das klar zu machen, werde ich euch zeigen, was ich mit Leuten mache, die mir mein Stärkemittel abspenstig machen wollen!“ Liam schaute kurz zu Nick und der verstand sofort. Er legte den bewusstlosen Collin auf den Boden und steckte die Hand in seine Hosentasche. Der Onyx lag kühl in seiner noch geschlossenen Hand und Nick begann sich zu konzentrieren. Liam indes, nahm sein Schwert in beide Hände und stellte sich in Kampfpo sition. „Du fängst an!“, forderte er den Dämon auf. Dieser ließ sich nicht zwei Mal bitten und sprang in die Höhe. Der Sprung war hoch, sehr hoch und ziemlich schnell. Lukretuis machte einen gekonnten Salto in der Luft und landete auf der anderen Seite sicher wieder auf seinen Füßen. „Lahme Nummer!“, sagte Liam unbeeindruckt und drehte sich blitzschnell zu ihm um. Nick war immer noch dabei, sich in Meditation zu bringen, was ihm sichtlich schwer fiel. Er war es nicht gewöhnt zu medi tieren, während sich zwei Raufbolde einen Kampf lieferten. Liam tat sein Bestes und versuchte den Dämon von Nick und Collin abzulenken, indem er sich nun ebenfalls mit einem Sprung in die Höhe begab und Lu kretuis somit verwirrte. „Oh, du bist also einer von uns!“, sagte Lukretius und griff ihn, ohne eine Antwort abzuwarten, erneut an. „Nein, ich bin nicht wie deinesgleichen! Ich begebe mich nicht auf eine Stufe mit dir!“ Liam griff nun ebenfalls an. Das Schwert schwang er gekonnt im Kreis. Die Bewegungen waren so schnell und dabei ge
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schmeidig, dass es eine Wonne war, ihm dabei zuzusehen. Nick erstarrte bei dem Anblick. Er vergaß völlig, dass er sich konzentrieren sollte und beobachtete den Kampf zwischen Gut und Böse. „Nick! Hey, mach weiter!“, holte ihn Liam aus seinen Gedanken. „Sorry!“, rief er zurück und schloss erneut die Augen. Lukretius hatte sich aus dem Nichts eine Waffe herbei geholt und schwang nun ebenfalls ein Schwert durch die Luft. Es handelte sich um ein Kurzschwert aus dem römischen Reich und wie es aussah, konnte er gut damit umgehen. Die Schwerter klirrten gegenei nander, Funken sprühten. Beiden Kämpfer waren blitzschnell in ihren Bewegungen. Liam schaffte es seinem Gegner eine Wunde zuzufügen und dieser hielt für einen Moment inne. Er fasste sich an die Augenbraue und kniff die Augen zusammen. „Das wirst du bereuen! Niemand verletzt einen Gott ohne eine Strafe dafür zu erhalten!“ fluchte er. „Irrtum, Ex- Gott!“, erwiderte Liam, was den Dämon anscheinend erst richtig in Rage zu bringen schien. Denn er wurde hektischer in seinen Bewegungen, wohingegen Liam immer ruhiger zu werden schien. Er bezog seine Kraft aus der Stärke seines Gegners, so, wie er es eben bei den Dragoons in dreißig Jahren Aus bildung gelernt hatte. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und er war hoch konzentriert, genauso wie Nick. Er hatte es endlich geschafft, sich geistig ganz auf den Onyx und Lukretius zu fixieren und spürte nun eine große Energie in sich aufsteigen. Er hielt den Stein in die Höhe und öffnete die Hand. Ein Lichtstrahl von unglaublicher Intensität schoss aus der glatten Oberfläche heraus und suchte sich sein Ziel in den Au gen Lukretius. Dieser ging in die Knie und hielt sich die Augen vor Schmerzen zu. Er schrie so laut, dass man es wahrscheinlich durch die ganze Strasse in Little Italy hören konnte. „Jetzt“, schrie Nick Liam zu. Der Krieger holte mit dem Schwert aus und köpfte den verbannten Gott mit einem einzigen Schlag. Ein gellend grün-weißliches Licht erstrahlte aus der Öffnung, an der sich noch kurz zuvor Lukretius Haupt befunden hatte und ein furchterregender schriller Ton ließ die beiden Helden zusammen zucken. Dann war es plötzlich still und das Licht des toten Ex-Gottes erlosch. Liam blickte um sich. „Wow! Das nenne ich mal wieder eine richtige Keilerei!“ Dann ging er zu Nick hinüber und reichte ihm brüderlich die Hand. „Gut gemacht!“ Nick lächelte etwas erschöpft und schlug Liam bewundernd auf die Schulter. „Mann, was du da gemacht hast, war einfach fantastisch! Ich habe noch nie jemanden so kämpfen gese hen!“ Dabei imitierte er mit dem Armen die Bewegungen, die er eben noch bei Liam beobachtet hatte. Liam grinste stolz. „Ach, das war noch gar nichts. Du solltest mich mal sehen, wenn ich eine Flasche Tullamore Dew intus habe!“ Nick schüttelte den Kopf. Dann beugten sich beide zu Collin hinunter. Dieser schlug kurz die Augen auf. Man konnte deutlich erkennen, dass Lukretius schon einmal in seine Seele eingetaucht war, denn eine gewisse Leere ging von Collins Blick aus, den man nicht anders hätte erklären können. „Jenny?“, flüsterte er schwach. Plötzlich rann Blut aus seinen Augenwinkeln. „Keine Sorge mein Freund, es geht ihr ganz gut! Und das mit deinen Augen, bekommen wir auch wieder hin!“, versuchte ihn Liam zu beruhigen. Er schaute Nick ratlos an. „Ich denke mit Nikes Hilfe, dem richtigen Zauber und einem heilenden Kristall wird das schon werden.“, sagte dieser und gab Liam das Zeichen, Collin gemeinsam nach oben und zu Ludenys Auto zu tragen. Als sie den Wagen erreicht hatten, legten sie den jungen Mann auf den Beifahrersitz. „Willst du gleich nach Hause fahren?“, fragte Liam seinen Kampfgesellen, während dieser den Wagenhe ber in den Kofferraum zurücklegte. „Ja, ich denke, das war für einen Tag genug Aufregung! Ich werde wohl sogar schlafen können, so fertig bin ich jetzt. Ich nehme mir ein Taxi. Bring du Collin auf schnellstem Wege ins Krankenhaus! Vergiss nicht, Stevie Bescheid zu geben, damit seine Familie informiert werden kann!“, sagte er zu Liam, bevor er die Tür des Wagens zuwarf. „Werde ich machen. Ich muss auch noch mit Collin reden. Er darf nicht zuviel erzählen. Außerdem be kommt er noch eine Predigt gratis dazu!“, erwiderte er und winkte Nick zum Abschied. Dann gab er Gas
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und fuhr auf direktem Wege zum Hospital. Neben ihm stöhnte Collin vor Schmerzen immer wieder Jennys Namen und Liam dachte über Ludeny nach. „Armer Kerl! Wenn ich nicht wüsste, wie es nach einer solchen Attacke Ludy gehen würde, dann könnte ich vor lauter Sorge auch keine Ruhe finden!“ Am Krankenhaus angekommen, zog er sein Handy aus der Jackentasche und wählte Ludenys Nummer. „Ja?“, fragte sie am anderen Ende. Liams Herz machte einen kleinen Freundensprung und er wunderte sich ein wenig darüber. Denn er hatte sie ja erst wenige Stunden zuvor gesehen und mit ihr gesprochen. „Ich bins! Geht es dir gut?“, fragte er. Ludeny blieb einen Moment lang still. „Ja, warum fragst du? Es ist alles okay! Was ist mit dir, habt ihr ihn gefunden?“ Er schaute kurz neben sich. „Ja, es geht ihm den Umständen entsprechend. Gib Stevie Bescheid, dass er im General liegt. Ich werde ihn jetzt jedenfalls hier abliefern!“, antwortete er kurz. „Gut. Du hast mir aber nicht geantwortet.“, hakte Ludeny nach. „Auf welche Frage denn?“ Liam wusste genau, was sie meinte. Aber er hoffte anscheinend auf eine kur zeitige Amnesie ihrerseits. „Auf die Frage, warum du mich gefragt hast, ob es mir gut geht, obwohl wir uns erst vor ein paar Stunden gesehen haben!?“ Ludeny ließ nicht locker. „Oh, diese Frage! Ich weiß auch nicht. Aus einem Gefühl heraus? Ich habe keine Ahnung. Ich muss jetzt los!“, antwortete er schnell und legte einfach auf. An der Notaufnahme angekommen, setzte er Collin auf einen Stuhl und suchte nach einer Schwester oder einem Arzt. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ihn endlich die diensthabende Oberschwester und Liam gab ihr ein paar Informationen über Collins Zustand. Die Schwester besorgte einen Rollstuhl und benachrichtigte ei nen Arzt. Collin wurde nun endlich versorgt und Liam wartete auf die Ankunft von Collins Angehörigen und Ste vie. Die elektrische Tür öffnete sich und Stevie trat mit Darlene im Schlepptau ein. Stevies Freundin eilte sofort zur Aufnahme, um sich nach ihrem Bruder zu erkundigen. Stevie schritt auf Liam zu und reichte ihm die Hand. „Danke Mann!“, sagte er. „Schon okay! Aber ich muss zu ihm, bevor deine Freundin oder ihre Familie mit ihm spricht! Also be schäftige sie so lange!“ Liam drehte sich um und ging auf das Krankenzimmer des jungen Bankangestellten zu. Er schloss die Tür hinter sich und blickte den jungen Mann an. „Kannst du mich verstehen?“, fragte er ihn und Collin nickte. „Gut, dann hör mir jetzt bitte gut zu!“ Liam hatte sich dicht über Collin gebeugt, damit er nicht so laut reden musste. „Was ich dir jetzt sage, bleibt unter uns. Erstens, wenn ich noch einmal mitbekomme, dass du dich auf Geschäfte mit einem Dämon ein lässt, dann kannst du dich da allein rauspauken! Ich werde dafür sorgen, dass dir niemand hilft. Hast du das verstanden?“ Liam war sehr barsch zu dem Verletzten. Aber er wollte, dass dieser einsah, in was für einen Schlamassel er sich gebracht hatte. Collin nickte erneut. „Okay, zweitens: du wirst niemandem von unserer kleinen Expedition ins Reich der Dämonen erzählen. Und erst recht nicht deiner Schwester! Ist das ebenfalls klar?!“ Wieder erhielt er ein Nicken als Antwort. „Wie geht es Jenny?“, fragte Collin schwach und hielt Liam am Jackenärmel fest. „Ich habe mich erkundigt. Außer ein paar gebrochen Rippen und Blutergüssen geht es ihr wohl gut. Schön, dass es dich überhaupt interessiert, wie es ihr geht. Hast du einmal darüber nachgedacht, in was für eine Gefahr du sie gebracht hast?“ Collin drehte seinen Kopf in Liams Richtung, sehen konnte er den Halb gamblin nicht, da ihm die Ärzte einen Verband um seine verletzten Augen gebunden hatten. Wie es um sein Augenlicht bestellt war, wusste Collin noch nicht. Aber das war ihm auch egal. Er wollte einfach nur wissen, wie es seiner Freundin ging. Liam hatte nun doch Mitleid und ging noch einmal auf ihn zu. Er nahm Collins Hand und beruhigte ihn. „Okay, ich werde noch einmal nach ihr sehen! Du solltest dich jetzt ausruhen und wenn du in ein paar Tagen
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nach Hause darfst, melde dich bei Stevie. Dann kümmern wir uns um deine Augen!“ Danach verließ er das Zimmer. Auf dem Gang erwartete Stevie ihn schon sehnsüchtig. „Da bist du ja endlich! War nicht einfach, sie so lange von dem Zimmer fern zu halten. Hast du alles ge klärt?“, zischte er Liam entgegen. Liam klopfte ihm auf die Schulter und lächelte sogar ein wenig. „Ja, alles in Ordnung. Die Familie kann jetzt rein zu ihm!“ Er gab die Bitte, sich nach der jungen Frau zu erkundigen an Stevie weiter und verließ das Krankenhaus. Es wurde dunkel und er wollte Ludeny das Auto rechtzeitig zurück bringen. Der Regen hatte aufgehört und Liam öffnete das Verdeck. Er brauchte jetzt ein wenig frische Luft. Dann brauste er auch schon los. Nick hatte sich mit Tilias Buch in der Hand, in ein Taxi gesetzt und fuhr nach Hause. Er stieg zügig die Treppe zu seinem Appartement hoch und schloss die Tür hinter sich. „Wow, was für ein Tag!“, sagte er und ließ sich erschöpft auf seinem Sofa nieder. Versonnen blätterte er sich durch den dicken Wälzer. Plötzlich stoppte er auf einer Seite. Da war er, der Skarabäus aus dem Muse um. „Dass wir das nicht schon früher entdeckt haben?!“, fragte er sich selbst und begann zu lesen. „Mit Hilfe des Skarabäus des Okipheus Pharaos kann man einen Quadrigis Dämon zum Leben erwecken. Die Quadrigis Dämonen sind seit fast vierhundert Jahren ausgestorben! Er kann mit dem Skarabäus gelenkt werden und er beherrscht die Telekinese. Hmmm, wenn diese Hexe, die mit dem Chancenug zusammen arbeitet, so mächtig ist, wie wir annehmen, dann könnte es sein, dass dieser Mistkerl diese Macht übernehmen will. Wann kann er das bewerkstelligen? Ah, da stehts! Natürlich, nur bei Neumond! Wie sollte es denn sonst sein!?“ Er schaute auf die alte Zeichnung neben dem Bericht über den Skarabäus und dem riesigen Dämon und schüttelte sich bei dessen schrecklichen Anblick. Dann nahm er das Telefon und wählte Liams Nummer. Er berichtete seinem Freund von seiner neuen Entdeckung. „Ich weiß, dass wir bereits bei Ludeny darüber gesprochen haben. Aber hier ist der eindeutige Beweis dafür, warum der Chancenug hinter dem Käfer her ist. Neumond ist in knapp 3 Tagen. Bis dahin können wir uns einen Schlachtplan überlegen.“ schloss er. „Wir?“, fragte Liam erstaunt. „Ich dachte, dass du nach dem heutigen Abenteuer keinen großen Drang nach dämonischen, übersinnlichen Dingen hast?“ Er wollte Nick ein wenig aufziehen und grinste in den Hörer. „Haha! Ich komme ja wohl nicht um eine Beteiligung herum, schon allein wegen Tilia. Ich will ihr zeigen, dass mir Topangs Schicksal nicht egal ist. Er ist und war ein wichtiger Teil in ihrem Leben und ich trauere mit ihr, um ihren großen Verlust.“ Liam schluckte hörbar, als Nick dies sagte. „Oh, entschuldige. Er war ja auch so was wie dein Bruder.“ Der Halbdämon lächelte. „Schon okay. Ich denke nur immer noch sehr oft an ihn. Er war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben und ich habe viel von ihm gelernt!“ Die beiden sprachen noch einen Moment lang und verabschie deten sich dann. Nick band den Türkis wieder sorgfältig um das Buch und ging unter die Dusche. Nachdem er sich den Staub vom Körper gewaschen hatte, legte er sich auf sein Bett und schloss die Augen. Tief und immer tiefer, sank er in den Schlaf und begann zu träumen…
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Nick lag auf einer wunderschönen Wiese, in einem fernen Land. Er erkannte dieses Klima und fühlte sich auf eigenartige Weise, wie zu Hause. Nick öffnete im Traum die Augen und setzte sich auf. Wilde Blumen und frisches Gras wuchsen um ihn herum und er streckte sich. „Nick? Da bist du ja! Ich habe so sehnsüchtig auf dich gewartet!“, hörte er plötzlich Tilias Stimme hinter sich. Er drehte sich voller Freude um und blickte in ihr wunderhübsches Gesicht. „Oh Schatz! Ich hätte nicht gedacht, dass wir inzwischen geistig und seelisch so sehr miteinander ver bunden sind, dass wir in meinem Traum aufeinander treffen!“ Er ging auf sie zu und nahm sie in den Arm. „Nicht dein Traum!“, erwiderte Tilia, als sie ihm in die Augen schaute. „Unser Traum!“ Nick war nun vollkommen verwirrt. Tilia lachte kurz auf. „Liebster, das ist mein Geschenk für dich, unser Traumland! Ich habe mich früher nur mit Topang hier getroffen. Aber nun gehört es uns beiden! Weil wir unsere Seelen
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miteinander verbunden haben, als wir…, na du weißt schon…“, sagte sie und blickte verlegen zu Boden. „Und das willst du jetzt mit mir teilen? Ich meine, Liam ist doch…“ Tilia legte ihren Zeigefinger auf Nicks Lippen. „Scht, mein Liebling! Ich liebe Liam wie einen Bruder und ich weiß, dass wir immer miteinander verbun den sein werden. Aber ich will mit dir zusammen sein! Verstehst du das denn nicht?“, fragte sie. „Tilia, nichts im Leben hat mich jemals so glücklich gemacht, wie mit dir zusammen zu sein. Und selbst, wenn Liam auf dem hier“, er schaute sich in der Gegend um, „bestehen würde, er müsste mich wohl erst umbringen, bevor ich das aufgebe!“ Dann nahm er sie in den Arm und küsste sie leidenschaftlich. „Wie kann ich dich regelmäßig hier erreichen?“, fragte er nun. „Lass das meine Sorge sein! Ich werde dich immer erreichen. Wir können uns, wenn du willst, jeden Abend sehen!“ Nick strahlte vor Freude. „Das wäre ja einfach fantastisch!“ Er nahm sie auf den Arm und drehte sie übermütig herum. „Nick, stopp!“ Tilia lachte laut auf. „Ich muss dich noch etwas fragen.“ Nick ließ sie herunter und strich ihr durch ihr schönes, schwarzes Haar. „Alles was du willst, meine Liebe!“ Tilia nahm seine Hand und schloss die Augen, bevor sie diese küsste. „Oh Nick, ich möchte dich wiedersehen!“ Sie schaute zu ihm auf. „Aber richtig, nicht nur im Traumland! Bitte, komm und besuch mich hier bei mir. Ich will dir zeigen, wie ich lebe und wie die Dragoons so sind. Ich halte es ohne dich nicht aus! Ich liebe dich!“, sagte sie laut und hatte dabei Tränen in den Augen. „Ich liebe dich auch!“, antwortete ihr Nick und nahm sie beruhigend in den Arm. „Ja, ich verspreche es dir. Ich werde zu dir kommen!“ Tilia lächelte. Dann wurden ihre Umrisse und die Umgebung plötzlich im mer verschwommener und Nick ergriff Panik. „Til? Tilia?!“ Er griff ins leere. „Keine Angst mein Schatz! Du wirst gleich aufwachen! Das ist völlig normal!“, rief sie noch und versch wand auch schon aus seinem Blickfeld.
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Nick saß kerzengerade in seinem Bett. Der Schweiß rann an seinem Körper hinunter und er musste sich erst einmal sammeln. Schwer atmend, strich er sich über seinen Kahlkopf und rieb sich anschließend die Augen. „Vier Uhr dreiundvierzig!“, sagte er, als er auf seinen Wecker schaute und ließ sich erschöpft auf seine Kissen fallen. „Wow! Was für ein Tag!“ Er schloss erneut die Augen und fiel nun in einen tiefen traum losen Schlaf. „Schach matt!“, sagte Liam, während er den schwarzen Turm über das Schachbrett führte. Ludeny muss te seufzen. „Ich bin schon langsam der Meinung, dass du mir dieses Spiel absichtlich nicht besser beigebracht hast, damit ich dich niemals schlagen kann.“ Er ließ sich auf das Sofa zurück fallen und musste lachen. „Ach Ludeny, du hättest es ja in der Zwischenzeit besser lernen können. Damals in Marseille hattest du nie richtig Lust dich genauer auf das Schachspiel zu konzentrieren. Also mach mir das jetzt nicht zum Vor wurf!“, scherzte er. Ludeny hatte das Spielbrett weggeräumt und ließ sich neben ihn auf die Couch fallen. „Wie spät ist es eigentlich?“, fragte sie erschöpft. Liam hatte den Kopf nach hinten auf die Lehne gelegt und die Augen geschlossen. „Keine Ahnung. Sehr spät womöglich. Wie war denn dein Tag eigentlich?“ Ludeny gähnte und streckte sich auch ein wenig aus. „Ich habe lange Zeit geübt und dann noch mit dem Schwert trainiert. Ich kann in der Zwischenzeit gar nicht verstehen, warum ich so lange Zeit Angst davor hatte. Ich fühle mich nun richtig damit verbunden. So wie Nick es mir damals auch beschrieben hat.“ Von Liam hörte man allerdings nur mehr einen leisen, zustimmenden Laut. Sie stand leise auf und holte aus ihrem Schlafzimmer ihre Ersatzdecke. „Schließlich sind wir Freunde. Ich habe gestern bei ihm übernachtet und heute schläft er bei mir. So einfach ist das.“, dachte sie, während sie ihn zudeckte. „Und doch, wir zwei als Freunde? Vielleicht kann das ja wirklich funktionieren! Gut, dass meinem Auto nichts zugestoßen ist, sonst hätte diese Freundschaft einen denkbar
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schlechten Start.“ Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste vorsichtig seine Stirn, bevor sie selbst in ihr Schlafzimmer ging und sich bettfertig machte. Stevie hatte sich die ganze Zeit rührend um Darlene und ihre Eltern gekümmert. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, ob es der Wunsch nach einem Kaffee von Seiten ihres Vaters war oder ein feuchtes Tuch für die Stirn ihrer unruhigen Mutter. Alles brachte er zu ihnen und blieb immer in erreichbarer Nähe, falls es irgendwelche Neuigkeiten über den Zustand Collins gab. Doch die meiste Zeit über, hielt er Darlene in den Armen, wenn sie wieder einmal zu weinen begann, weil Collin sein Augenlicht verloren hatte. „Vertrau mir Liebling! Es wird alles wieder gut!“, versprach er ihr flüsternd und Darlene blickte ihn dankbar an und lächelte. „Danke! Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast. Aber ich weiß, dass du etwas damit zu tun hast, dass ich meinen Bruder lebend wieder habe!“, sagte sie leise und unter Tränen. Stevie küsste ihre Stirn und drückte sie fest an sich. Eine Schwester trat an die Familie Grossman heran. „ Mr. und Mrs. Grossman?“, fragte sie Collins Eltern. „Ja, das sind wir!“, antwortete Darlenes Vater und erhob sich von seinem Stuhl. „Gibt es etwas Neues?“, fragte nun Mrs. Grossman und stellte sich beunruhigt neben ihren Mann. „Nein, das ist es ja. Sie sollten jetzt nach Hause fahren und sich ein wenig ausruhen. Wir rufen sie an, wenn es etwas Neues gibt. Und Sie können gerne Morgen wieder kommen und ihren Sohn besuchen. Er schläft jetzt und das wäre für sie sicherlich auch sehr gut. Er braucht jetzt Ruhe!“, beruhigend legte die Schwester Collins Mutter die Hand auf den Arm und lächelte zuversichtlich. Dann drehte sie sich um und ging zurück zur Anmeldung. „Soll ich euch alle fahren?“, fragte Stevie in die Runde der ratlosen Gesichter. „Oh, das wäre sehr freund lich von Ihnen!“, antwortete Mr. Grossman. „Aber…“ warf Darlenes Mutter ein. „ Nichts aber, Schatz! Die Schwester hat Recht. Collin braucht Ruhe und Eltern, die am nächsten Tag auch noch fit genug sind, um ihm zur Seite zu stehen. Komm, hier wird gut für ihn gesorgt und wir kommen gleich Morgen wieder her!“ Mr. Grossman hakte seine Frau unter und zog sie aus dem Wartebereich des Hospitals. Stevie und Darlene folgten ihnen, Arm in Arm. Hylia hatte es sich am Abend zuvor in der großen Badewanne gemütlich gemacht. Auf dem Wannenrand befanden sich ein Eiskübel mit einer Flasche Champagner und eine Kristallschale mit Pralinen. Genüsslich aß sie die Trüffel und ließ sich von Maurice den Rücken und noch andere Stellen ihres Körpers abseifen. „Hmmmm, Maurice! Du hast ja Qualitäten, von denen ich bisher noch keine Ahnung hatte! Ich werde Mr. Greeson sagen, dass er dir eine Gehaltserhöhung geben soll!“ Maurice grinste und da er am Kopfende der Badewanne seinen Platz eingenommen hatte, griff er nun mit beiden Händen über die Schultern der Hexe. „Du weißt was Frauen mögen!“, stöhnte sie genüsslich auf und schloss die Augen. Sie sank tief in einen Traum.
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Auf einer Empore entdeckte sie eine Statue. Sie war alt, sehr alt. Hylia sah eine hässliche Fratze mit einem breitem Mund und großen Zähnen. Zwei sich anblickende Schlangenköpfe saßen auf einem, im Schlangen rock gekleideten, Körper. Die Statue erstrahlte im Kerzenschein eines uralten Tempels. Plötzlich erschien dahinter ein grelles Licht und etwas, das aus diesem Licht heraustrat. Ein Dämon, nicht von dieser Welt. Ein anderes Gebäude, eine Vitrine und dieselbe Statue darin wurden erkennbar. Blitzlichtgewitter und viele Menschen, die um diese und um andere Vitrinen herumstanden. Dann die Tür zu dem Haupteingang eines öffentlichen Gebäudes, ein großes Schild darüber leuchtend mit roten Buchstaben in atzthekischem Stil: „FERNE WELT!“ Hylia öffnete die Augen. „Maurice, deine Gehaltserhöhung ist dir so gut wie sicher!“ Dann sah sie ihn an und lächelte kalt.
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Freunde
„Guten Morgen! Sag mal, wo steckst du eigentlich?“, fragte Wanda ins Telefon, während sie sich mit einem Handtuch ihr Brusthaar trocken rieb. „Ich bin noch bei Ludeny. Ebenfalls guten Morgen. Wo ist Nike?“, fragte Liam noch etwas schläfrig zu rück. „Aha, so ist das also!“, antwortete die Risis, ohne dabei auf seine Frage einzugehen, aber mit einem wis senden Unterton in der Stimme. „Wir sind enfach nur Freunde, Wanda. Es ist nicht so wie du denkst. Wir haben ausführlich miteinander geredet und sind zu dem Entschluss gekommen, gute Freunde zu bleiben – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber im Grunde geht dich das ja eigentlich gar nichts an. Also, wo ist Nike?“, wiederholte er seine zuvor gestellte Frage. „Sie ist bei sich zu Hause, keine Panik. Ich habe sie gestern nach Hause gebracht und vor ihrer Tür ge wartet, bis alle Türen verschlossen waren. Sobald ich aufbruchfertig bin, fahre ich zu ihr und hole sie ab. Ich werde heute also weiterhin den Babysitter für sie spielen, mach dir keine Sorgen. Zufrieden?“, antwortete sie schnippisch. „Ja sehr, danke Wanda. Dann werde ich wieder die Wache vor der Villa übernehmen.“, erwiderte er, als sich plötzlich die Schlafzimmertür öffnete und Ludeny, in ihren Bademantel gehüllt, erschien. „Aber nicht alleine, ich komme mit! Guten Morgen!“, begrüßte sie ihren Logiergast. Liam lächelte ihr zu und verabschiedete sich von Wanda, bevor er auflegte. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen?“, fragte Ludeny, während sie in die Küche weiterging. Liam folgte ihr und blieb in der Küchentür stehen. „Ja habe ich, und danke für die Decke. Du musst nicht mitkommen. Es soll heute ein sonniger Tag werden und ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“ Dann legte er die rechte Hand auf seine linke Brust und sagte mit Nachdruck: „Ich schwöre, ich werde einfach nur überwachen - nichts unternehmen - verspro chen!“ Ludeny kam mit einer dampfenden Tasse frischen Kaffees auf ihn zu und blickte ihm dabei skeptisch in seine blauen Augen. „Gut! Ich werde dir das mal glauben!“, erwiderte sie und schmunzelte ihn dabei an. „Aber sicher ist sicher.“ Dann griff sie sich eine Banane und einen Apfel. „Wie du vielleicht bemerkt hast, geht mein Obst vorrat langsam zur Neige. Ich sollte also unbedingt einkaufen. Wir müssen also beim Markt einen Zwischen stop enlegen.“ Liam runzelte zweifelnd die Stirn. Doch ehe er etwas einwenden konnte, redete sie einfach schnell weiter. „Aber ich bin vollgetankt - was ich nebenbei auch von meinem Auto hoffe. Wenn wir also das Verdeck geschlossen lassen, wird die Sonne mich nicht weiter einschränken. Also werde ich dich begleiten, Freunde tun so etwas, weißt du Liam?“ Sie hatte ihren Kopf seitlich gelegt und strahlte ihn nun an. „Freunde? Dann solltest du mich aber besser nicht mehr so anstrahlen.“, dachte er bei sich. Während sich Ludeny im Bad frisch machte und anzog, trank Liam seinen Kaffee aus und ging danach ebenfalls schnell ins Bad. Als beide bereit waren, hielt Liam, Ludeny die Wohnungstür auf und wies ihr mit einer galanten Geste, den Weg hinaus. Sie machte einen Knicks und die zwei lachten übermütig. „Vielleicht funktioniert es wirklich und wir können Freunde sein.“ ging es Liam durch den Kopf. „Ich habe das Gefühl, dass es wirklich gut läuft momentan!“, schoss es Ludeny in den Sinn. Während er ihr die Wagentür aufhielt, lächelte sie ihn an. Ludeny saß auf dem Beifahrersitz und schaute immer wieder zu ihm hinüber, keiner sprach ein Wort und Liam konzentrierte sich, so gut er konnte, auf den Straßenver kehr. „Nein, wir können keine Freunde sein! Dafür liebe ich ihn immer noch viel zu sehr!“, dachte sie bei
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sich und blickte nach dieser Erkenntnis wehmütig aus dem Seitenfenster. Liam sah kurz zu ihr und beobachtete sie dabei, wie sie aus ihrer Handtasche ihre Sonnenbrille hervor kramte. Die Sonne stralte vom wolkenlosen blauen Himmel und wenn man es nicht anders gewusst hätte, dann hätte man denken können, dass es den Regenguss vom Vortag überhaupt nicht gegeben hatte. Die Luft war klar und Liam ließ die Seitenscheibe hinunter. „Nein, wir können keine Freunde sein! Dafür liebe ich dich immer noch viel zu sehr!“, dachte er ebenfalls bei sich. Als sie am Markt angekommen waren, stie gen sie aus und verabredeten sich in einer halben Stunde wieder am Wagen. „Okay, ich bin pünktlich! Bis gleich!“, rief Ludeny ihm noch zu und winkte mit einem bezaubernden Lächeln, sodass es ihm einen angenehmen Stich versetzte und er grinsend an den verschiedenen Ständen vorbei schlenderte. Ludeny ging zielstrebig auf den nächsten Obststand zu und besorgte Berge von frischen Früchten. Äpfel, Bananen, Lychies, Pfirsiche, Wassermelone und noch einiges mehr. Liam unterdes machte an einem Blumenstand Halt und schaute sich die frischen Pflanzen an. „Eine von diesen Sonnenblumen bitte!“, sagte er zu der netten Verkäuferin. „Die ist nicht zu aufdring lich.“, dachte er bei sich und besah sich zufrieden die schöne Blüte. Ludeny ging an einem Fleischerstand vorbei und bremste abrupt ihren Schritt. „Ach herje! Er wird Hunger haben und er hat sicher seit einiger Zeit nichts gegessen.“, sagte sie laut zu sich selbst und kaufte für Liam ein halbes Kilo frische Rinderleber. Hylia war am Morgen gut gelaunt die Treppen zum Speisezimmer hinunter gegangen und setzte sich an den großen Tisch. Maurice trat an sie heran und goss ihr frischen Kaffee ein. „Danke, mein Lieber!“, sagte sie süffisant und zwinkerte ihm eisig zu. Maurice verneigte sich ein wenig und trat dann wieder zurück. Raymond Greeson trat missmutig ins Esszimmer und setzte sich, ohne eine Begrüßung, Hylia gegenüber an den Tisch. „Guten Morgen!“, begann sie die Konversation. „So ein herrlicher Tag und du schaust so miesepetrig drein!“ Er blickte sie kurz an und brummte etwas Unverständliches vor sich hin. „Ach herje, soll ich meinem Liebling die Laune wieder etwas verbessern?“, fragte sie ihn in spitzem Ton. „Nein, danke! Deine Art wieder zufrieden zu sein, ist nicht die Art, wie man jemanden wie mich wieder in Hochstimmung versetzt!“ Greeson winkte Maurice zu sich heran und deutete auf seine noch leere Kaffee tasse. Der stumme Diener tat wie ihm geheißen und befüllte dem Chancenug die Tasse. „Wenigstens einer, der hier sein unnützes Mundwerk hält!“, sagte er und lehnte sich mit der New York Times in der Hand, auf seinen Stuhl zurück. „Ja, da hast du wohl Recht! Er ist wirklich ein Mann mit sehr vielen nützlichen Qualitäten!“, antwortete Hylia und blinzelte ihrem Badegehilfen zu. Raymond bemerkte diesen Blick und stellte seine Tasse lautstark auf die Untertasse zurück. „Kannst du mir mal sagen, was das zu bedeuten hat?“ Hylia schreckte ein wenig zusammen. „Nichts mein Liebster, wirklich nichts!“ Sie nahm schnell einen Schluck aus ihrer Tasse. „Übrigens, ich habe dir doch eben versprochen, dass ich deine Laune verbessern kann!“ Geeeson sah interessiert auf. „Und womit?“, fragte schroff. „Nun ja, ich habe gestern ein schönes heißes Bad genommen.“ Wieder sah sie mit einem verstohlenen Blick zu Maurice hinüber. „Und rate mal, wovon ich geträumt habe, als ich ein wenig eingenickt war?“ Der Chancenug verdrehte entnervt die Augen. „Nun sag schon! Oder soll ich vor Spannung vielleicht noch darum betteln?“ raunte er sie an. Hylia ver zog die Lippen entnervt wegen seiner schlechten Laune. „Weißt du, ich will mich ja nicht beschweren, aber ein wenig mehr Höflichkeit, könnte dir auch nicht schlecht stehen! Gestern hast du am Telefon einen Ton an den Tag gelegt, das war wirklich niveaulos!“ Greeson unterbrach sie schroff. „Rede endlich!“ Hylia rückte ihren Stuhl zurecht. „Ist ja schon gut! Also, ich habe von der atzthekischen Statue geträumt. Sie wird in ein paar Tagen in New York eintreffen. Eine Wanderausstellung mit dem Namen ‚Ferne Welt’. Nun, was sagst du zu deiner Super
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hexe?“ Sie war aufgestanden und tänzelte aufreizend zu ihm hinüber. „Es wurde Zeit, dass du mal wieder etwas Nützliches tust!“, antwortete er und erhob sich. „Falls du mich suchst, ich bin im Arbeitszimmer!“ Dann ging er ohne ein weiteres Wort hinaus. Stevie hatte bei Darlene übernachtet und hielt sie die ganze Zeit über in seinen Armen, immer wieder war sie in Tränen ausgebrochen und er tröstete sie, bis beide erschöpft eingeschlafen waren. Am nächsten Morgen stand er früh auf, um seiner Freundin ein schönes Frühstück zu zubereiten. Darle ne erwachte und schaute sich verschlafen im Zimmer um. Als sie Geräusche aus der Küche hörte, stand sie auf und schaute nach. Sie ging auf Stevie zu und umarmte ihn zärtlich. „Hey, du bist ja schon auf!“, sagte er überrascht und drehte sich zu ihr. Sie blickte zu ihm auf und küsste ihn. „Ich liebe dich, Stevie Costello! Und ich gebe dich nie wieder her!“ Dann wurden ihre Küsse leidenschaft licher und sie zog ihn in Richtung Schlafzimmer aus der Küche. „Ich liebe dich.“, erwiderte Stevie. Zärtlich gaben sie sich ihren Gefühlen hin und sanken eng umschlun gen zurück ins Bett. Nick räumte geraden die letzten Tonreste weg, als seine Gedanken wieder zu den Ereignissen der letz ten Nacht zurückkehrten. Immer noch spürte er Tilias Haut auf der seinigen. Sie hatte ihn nun bereits ein zweites Mal eingeladen, sie bei sich zu Hause zu besuchen. Sein Herz machte bei dem Gedanken sie wieder zu sehen, einen Luftsprung und doch hatte er auch Angst. Er hatte sie zwar als Auserwählte kennengelernt, aber hier in New York war sie für ihn auch eine normale Frau gewesen. In ihrer Heimat würde er die wahre Auserwählte mit all ihren Pflichten und all diesem höflichem Getue erleben. Nick fürchtete, Tilia nicht wie der nah sein zu können. Seit er am Morgen aufgewacht war, versuchte er sich zu einer Entscheidung durch zuringen. Während seines Töpferkurses am Vormittag war er irgendwie nur am Rande anwesend. Erst als ihm ein Tonbrocken um die Ohren gesaust war, hatte er sich wieder auf seine Lehrertätigkeit konzentrieren können. Nun waren alle Schüler verschwunden und sein Kopf begann wieder zu arbeiten. „Ich muss mit Liam reden!“, sagte er zu laut zu sich selbst und schloss die Tür zum Seminarsraum ab. Er ging nach oben in sein Appartement und griff nach dem Telefon. „Hey Liam! Was machst du?“, fragte er den Halbgamblin am anderen Ende. „Wir sitzen in Ludenys Wagen und beobachten Greesons Haus! Was liegt an?“ Liam spürte irgendwie, dass Nick etwas auf dem Herzen hatte und wartete etwas beunruhigt auf dessen Antwort. „Wer ist denn wir?“, fragte dieser bewusst provokativ. Er ahnte natürlich genau, wen Liam mit „wir“ ge meint hatte. Aber er wollte ihn ein wenig aufziehen. „Haha, du weißt wer hier bei mir ist! Frag nicht so blöd!“ Liam schaute zu Ludeny hinüber und amüsieren sich ein wenig darüber, wie sie ganz in ihre Detektivarbeit vertieft, ihre Sonnenbrille nach oben geschoben hatte und mit einem Fernglas die Greeson-Villa beobachtete. „Hör mal Liam, wie sieht´s aus, mit deiner Einladung zum Angeln? Steht die noch?“, fragte Nick nun endlich. „Na klar steht die noch! Wann wolltest du denn Angeln gehen?“, erwiderte Liam. Dabei beobachtete er, wie Ludeny immer wieder zu der Sonnenblume, die auf der Ablage des Spiders lag, blickte, die er ihr auf dem Parkplatz vor dem Markt überreicht hatte. Sie hatte sich sehr gefreut und er war froh, dass sie es als das hingenommen hatte, was es war, ein freundschaftliches Mitbringsel, nichts weiter. „Wie wäre es denn morgen?“, kam es von dem Töpferlehrer. „Du hast es aber eilig mit mir allein sein zu können!“ Bei diesem Satz wurde Ludeny hellhörig und schau te mit fragendem Blick zu Liam hinüber. „Wer will mit dir allein sein?“, fragte sie jetzt überrascht. „Oh, niemand weiter! Ein netter Mensch!“, antwortete er und zwinkerte ihr zu. „Du wolltest doch mit mir zusammen Essen? Außerdem kenne ich auch eine Menge netter Men schen. Aber ich würde mich nicht mit ihnen verabreden, wenn ich eigentlich schon mit jemand anderem
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verabredet bin!“, gab sie schnippisch zurück. „Ich verabrede mich gerade mit Nick und das auch erst für Morgen! Es ist also niemand besonderes!“ Liam hatte gemerkt, dass sie eifersüchtig geworden war und wollte sie beruhigen. „Was heißt hier, niemand Besonderes?!“, kam eine beleidigte Stimme durch das Handy. „Lass gut sein!“, sagte Liam, „Okay, morgen! Ich ruf dich später noch mal an und sag dir, wo wir uns tref fen! Geht das klar?“, fragte er sicherheitshalber nach. „Gut, dann bis später!“ Nick legte auf. „Warum so sauer?“, fragte der Halbgamblin nun Ludeny.
„Ich bin nicht sauer! Aber wenn ich dich etwas frage, dann kannst du mir doch auch ehrlich antworten!“,
gab der Dunkelslug zurück. „Warum triffst du dich mit Nick?“, hakte sie unsicher nach. „Hey, ich habe dir doch geantwortet! Seit wann bist du denn so empfindlich?“ Er beugte sich zu ihr hinü ber und spielte mit seinen Fingern in ihren Locken, die sich frech aus dem Zopfgummi gelöst hatten. „Lass das!“, sagte sie und schob ihm ihren Ellenbogen vorsichtig in die Rippen. „Ich bin doch am Beo bachten!“, hakte sie nach, drehte sich dann aber zu ihm um und schmunzelte ihn an. „Wir sollten uns wirk lich besser konzentrieren!“, sagte sie in gespielt, ernstem Ton. Liam bewegte sich etwas näher auf sie zu und blickte ihr tief in die Augen. „Nick und ich haben uns angefreundet und wir verstehen uns ganz gut. Hast du etwas dagegen?“, fragte er eindringlich. Ludeny schüttelte den Kopf. „Und das Beobachten machst du wirklich sehr professionell!“, hauchte er ihr entgegen, sodass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Dann berührten sich plötzlich ihre Lippen. Ludenys Herz schlug schneller. Augenblicklich gingen ihr Tilias Worte über die Eternidati di Infernitio durch den Kopf und sie zog sich abrupt zurück. „Komm, wir vernachlässigen unsere Arbeit!“, sagte sie nur kurz und sah flink wieder aus ihrem Fenster. Mit dem Fernglas vor den Augen, sah sie aus den Augenwinkeln, dass Liam die Arme vor der Brust ver schränkt hatte und beleidigt aus seinem Fenster blickte. „Ach Liam! Ich tue das für uns beide! Ich will dich doch nicht verlieren!“, dachte Ludeny bei sich. „Ich denke, dass wir fahren können. Hier passiert wohl nichts Besonderes mehr heute.“, sagte er etwas unterkühlt und startete den Motor. „Wie du meinst.“, erwiderte Ludeny kleinlaut und lies den Gurt einschnappen. „Ich fahre dich gleich nach Hause. Ich muss noch telefonieren!“ Liam fuhr zügig und niemand sprach ein Wort. Ludeny traute sich nicht und Liam war ein wenig eingeschnappt über ihre Reaktion, auf seinen Versuch sie zu küssen. Als sie vor ih rem Haus angekommen waren, stiegen sie aus dem Auto. Dann reichte er ihr die Hand zum Abschied. „Wir könnten noch einen Tee oder so trinken?“, fragte sie vorsichtig. „Nein danke. Ich habe noch etwas vor. Wir telefonieren!“, antwortete er kurz und ging zu seiner Harley hinüber. Ludeny blieb kurz unschlüssig vor dem Hauseingang stehen und dachte darüber nach, was da eben abgelaufen war. „Liam!“, rief sie laut. Die anderen Passanten auf der Strasse drehten sich erschrocken um. Der Dunkelslug störte sich jedoch nicht daran, forsch schritt sie auf ihn zu. „Du wolltest bei mir essen! Ich habe dir doch extra frische Leber gekauft und es wäre schade, wenn sie schlecht werden würde, bitte!“ Jetzt hielt sie ihn am Jackenärmel fest und blickte ihn flehend an. „Lass uns nicht alles wieder kaputt machen!“ Er schaute in ihr hübsches Gesicht und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ja, du hast Recht. Gut, ich komme noch mit. Wir essen und reden ein weing!“ Dann stieg er von seiner heiß geliebten Maschine ab und ging mit Ludeny Hand in Hand zu ihrem Appartement hinauf. Ludeny war seltsam nervös, als sie ihre Wohnungstüre aufschloss und in die Küche ging. Liam streifte seine Jacke ab und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch. „Weißt du ich dachte, wir sollten einmal…“, versuchte er ein Gespräch anzufangen, als Ludeny auch schon mit einem Teller und einem Körbchen in den Händen zu ihm stieß. Sie reichte den Teller an Liam weiter. Der Halbgamblin blickte zu ihr auf und musste lächeln. „Fast wie früher!“, musste er unwillkürlich denken bei dem Anblick der sich ihm da bot. Auf dem Teller hatte sie die Leber mit Petersilie verziert und
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zu einem Hügel aufgetürmt. Am Tellerrand lag ein Erfrischungstuch mit Grapefruit-Duft. Dann setze sie sich neben ihn und griff in das Körbchen, in das sie ihr Obst gelegt hatte. „Was wolltest du sagen?“, fragte sie und biss herzhaft zu. Liam musste sich räuspern. „Ach so, nichts. Ich wollte mich eigentlich nur entschuldigen. Ich hätte nicht versuchen sollen, dich zu küssen. Wir haben uns auf eine Freundschaft geeinigt und du weißt gar nicht, wie wichtig mir das ist. Ver zeihst du mir?“ Er blickte ihr von unten herauf tief in ihre Augen und lächelte zaghaft bei seinen Worten. „Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir diesen Kuss gewunschen habe!“, dachte sie, während sie zurück lächelte. „Dann sind wir ja wieder einmal einer Meinung. Ich möchte dich nicht mehr verlieren. Wir haben so viele Jahre getrennt verbracht. Ich finde es wird Zeit, gemeinsam gegen die Bösen anzutreten und Freunde zu sein.“ Um diesen Worten etwas mehr Gewicht zu geben, griff sie kurz nach seiner Hand und zwinkerte ihm zu. „Und daran glaubst du wirklich? Du willst mich nicht mehr verlieren? Das wolltest du niemals. Doch ich musste dich verletzten. Aber diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Ich werde dich nicht enttäuschen. Ab sofort werde ich dich nicht mehr verlassen.“, dachte er, während er seine Leber zu sich nahm. Nick war gerade dabei in seiner Wohnung einige Liegestütze zu machen, als er plötzlich inne hielt. „Warum eigentlich nicht?“, rief er laut aus und setzte sich auf die Matte. „Ich liebe sie und ich bin sicher, Tilia liebt mich auch. Ich werde sie besuchen und ihr wieder nahe sein. Und alles was danach kommt, wird genau so passieren, wie es soll.“ Schwungvoll erhob er sich und sprang voller Elan unter die Dusche. Er hatte viele Vorbereitungen zu treffen, bevor er nach Nepal aufbrechen konnte. Stevie und Darlene sahen sich von der Seite verliebt lächelnd in die Augen. „Du bist einfach wunderbar, wunderschön, zauberhaft und so sexy!“, sagt er zu ihr und drehte sich nun im Bett ganz in ihre Richtung, um sie zu küssen. „Nur so wenig?“, fragte sie gespielt enttäuscht und spielte mit ihren Fingern in seinen roten Haaren. „Nein, ich kann gar nicht alles aufzählen, was du alles für schöne Seiten hast!“, antwortete er und zog sie auf sich. Darlene küsste ihn und wanderte mit ihren Lippen seinen nackten Oberkörper entlang. Stevie musste lachen. „Das kitzelt!“ Darlene hob kurz den Kopf an und zwinkerte ihm zu. „Das soll es ja!“ Sie tobten noch ein wenig durch das Bett und alberten herum. Bis Darlene mit den Worten: „Ich habe Hunger!“, aufsprang. „Habe ich den denn nicht gestillt?“, fragte Stevie schmunzelnd. Darlene griff nach dem Bettkissen und warf es übermütig auf sein Gesicht. Dann ging sie in die Küche, um sich über das leckere Frühstück herzu machen, dass Stevie ihr vor einigen Stunden zubereitet hatte. Er folgte ihr. „Ich liebe dich!“, sagte er und umarmte sie. Er küsste sie auf ihre Schulter und lächelte sie von der Seite her an. „Macht es dir was aus, wenn ich in meine Emails gucke?“ Darlene blickte auf. „Okay, solange es keine Dauerangelegenheit wird! Und glaub mir, bei dieser Kiste…“ sie wies mit einem Nicken auf ihren Computer, „könnte das wirklich Ewigkeiten dauern!“ Dann küsste sie ihn auf die Wange und steckte sich anschließend ein Stück Toast in den Mund. „Keine Sorge, ich bekomme die Mühle schon zum Laufen! Andere Leute brauchen die Zigarette danach und ich eben eine Runde Internet!“, rief er ihr lachend zu, während er in ihr Wohnzimmer ging und sich den Schreibtischstuhl zurecht rückte. „Wie kann sie nur so sitzen?“, fragte er sich in Gedanken und fuhr den Rechner hoch. Darlene setzte sich auf einen Sessel daneben und zog die Beine an. „Erwartest du eine bestimmte Nachricht?“ Stevie tippte auf der Tastatur herum und fluchte ein wenig vor sich hin. „So ein Mistteil! Nun komm schon!“ Darlene schmunzelte und schüttelte den Kopf. „Hör mal Schatz, so einen Ton ist er gar nicht gewöhnt!“ Stevie drehte sich kurz zu ihr um und schielte über seine Brille hinweg zu ihr.
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„Ich weiß, bei einem Zauberwesen wie dir, wird der schlimmste PC butterweich.“ Darlene lächelte ver legen. „Schleimer!“ Stevie tippte seine Email-Adresse und gab das Passwort ein. „Na bitte, geht doch!“, rief er und schaute in seinen Posteingang. Eine neue Nachricht war dort verzeich net und so klickte er sie an. „Auftrag: Atzthekische Statue, für die Beschaffung der Aztekischen Dimensi ons-Statue bezahlen wir Ihnen eine Summe von 5.000 Dollar. Über die Summe wird jedoch nicht weiter verhandelt. Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wenn Sie den Auftrag annehmen sollten. Wir erwarten Ihre Antwortmail bis Morgen Mittag, zwölf Uhr!“ Stevie drehte sich unauffällig zu Darlene, um zu sehen, ob sie etwas von dem Text gelesen hatte. „Das Geld könnte ich gut gebrauchen. Na abwarten, was Ludeny dazu sagt!“, dachte er bei sich. Wanda war zu Nike gefahren und wartete, dass diese den Laden abschloss, damit sie ihren verabredeten Einkaufsbummel antreten konnten. „Und es ist okay, wenn du das Sorcery den ganzen Tag über geschlossen lässt?“, fragte sie die liebenswürdige Zauberartikelverkäuferin. „Ach das ist wirklich kein Problem! Unsere Stammkunden kommen sowieso immer wieder und ansonsten gibt es nicht so viele Leute, die sich in unser Geschäft verirren.“, antwortete sie und schloss die Ladentür ab. „Komm, lass uns endlich shoppen gehen. Ich habe ja ewig nichts Neues in meinen Schrank bekommen!“ Die beiden Frauen stiegen in Wandas Wagen. „Okay, dann mal los!“ Im Einkaufszentrum angekommen, steuerten sie als erstes ein Lederwarengeschäft an, um für Wanda nach einer roten Lederkombination zu schauen. So etwas reizte die Dämonin schon lange. Sie hatte ein wenig Geld gespart und war heute fest entschlossen zuzuschlagen. Das Geschäft gehörte einem türkischen Geschäftsmann, der sie sogleich mit einer heißen Tasse Tee empfing. Wanda verschwand mit einer tiefroten Lederjacke und der dazu passenden, eng anliegenden, langen Lederhose in einer der Umkleidekabinen. Sie zog den Vorhang zurück und präsentierte sich der wartenden Nike. „Wow!“, rief diese aus. „Das sieht wirklich fantastisch aus!“ Wanda drehte sich vor dem großen Spiegel und betrachtete sich skeptisch. Der Verkäufer kam ein Stück auf sie zu und lächelte breit. „Ihre Freundin hat Recht! Das steht Ihnen wirklich gut, sehr gut sogar!“ Wanda schaute ihn durch den Spiegel an. „Ich weiß nicht? Dieses rot, also ich hatte mir eigentlich etwas anderes vorgestellt!“, sagte sie zögerlich. Im Innern dachte sie jedoch: „Einfach fantastisch, aber mit dem Preis muss er runter!“ Nach einigen zähen Verhandlungen gab der Verkäufer schließlich beim Preis um dreißig Prozent nach und Wanda verließ zu frieden, und mit einer nagelneuen, super-sexy Lederkombination im Gepäck, das Geschäft. „So, was brauchst du? Ich bin gerade in Verhandlungsstimmung!“, sagte sie zu Nike. Die beiden NeuFreundinnen gingen lachend auf eine kleine Kleiderboutique zu. Sie hatten einen wunderschönen Einkaufs tag und kehrten mit einigen vollen Einkaufstaschen, der verschiedenen Geschäfte, wieder zum Zauberladen zurück. Von einem chinesischen Reastaurant bestellten sie sich eine Kleinigkeit zum Essen und machten es sich im Hinterzimmer bequem, als gerade das Telefon läutete. „Hallo Nick. Ja ich komme natürlich sofort, kein Problem!“, erwiderte Nike und legte auf. Nachdem sie Wanda berichtet hatte, dass er sie im Krankenhaus benötigte, um Collin sein Augenlicht wieder zu geben, griff sie sich aus einem ihrer Regale zwei Edelteine. Dann verstaute sie das Falken- und das Tigerauge in ihrer Handtasche. Als Stevie und Darlene endlich im Krankenhaus bei Collin angekommen waren, war es bereits Nachmit tag. Während Darlene sich von einer Schwester über den Zustand ihres Bruders aufklären ließ, nutzte Stevie die Gelegenheit, um bei Ludeny anzurufen. „Hallo! Wie geht es dir? Ich habe eine interessante Email bekommen. Neuer Auftrag, interessiert?“, sagte er kurz. Der Dunkelslug schaute überrascht zu Liam, der gerade mit seinem Essen fertig zu sein schien. „Stevie ich weiß nicht.“ Unschlüssig blickte sie erneut zu dem Halbgamblin hinüber, „Ich melde mich noch mal bei dir! Wo bist du eigentlich?“
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„Warum flüsterst du so? Oh, ist vielleicht dieser super Halbdämon bei dir?“ Ludeny gab einen bestäti genden Laut von sich. „Verstehe, also dann höre ich noch von dir. Wir sind übrigens bei Collin. Nick kommt gerade rein. Ich muss auflegen. Wir hören uns später. Aber vergiss nicht, es springt eine Menge Kohle für uns dabei raus!“, sagte er noch, bevor er das Gespräch beendete. Ludeny blickte zu Liam hinüber, der seinen Teller beiseite schob und sich gerade zurücklehnte. „War das Stevie?“, fragte er nur kurz. „Hmmm“, erwiderte sie und versuchte dabei beiläufig wie möglich zu klingen. Dann griff sie seinen Teller und trug ihn zur Spüle. Ihre Gedanken kreisten um den möglichen Auftrag, sodass sie nicht bemerkt hatte, dass Liam inzwischen hinter ihr stand und ihr den Teller abnahm, um ihn selbst abzuspülen. „Huch!“ Sie erschrak und wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber ich weiß doch, dass du es hasst die blutigen Teller abzuspülen.“, sagte er und lächelte, während er den Wasserhahn aufdrehte, um das verschmierte Blut von dem Geschirr zu spülen. „Schon gut! Ich war in Gedanken!“, antwortet sie und schmunzelte ein wenig. „Du brauchst das nicht zu tun. Du bist doch mein Gast!“, sagte der Dunkelslug und wollte ihm den Teller wieder abnehmen. Ihre Hän de berührten sich und sie zogen sie verlegen wieder zurück. „Oh, entschuldige!“, sagten sie zugleich und schauten in eine andere Richtung. Der Teller fiel in das Spülbecken und das Seifenwasser spritzte hoch in ihre beiden Gesichter. Ludeny verzog das Gesicht, weil ein paar Tropfen sie beinahe in die Augen getroffen hatten und Liam sprang ein Stück zurück. Die zwei mussten lachen und sie reichte ihm ein Geschirrhand tuch, damit er sich ein wenig trocken tupfen konnte. „Okay, beim nächsten Mal bessere Absprache!“, witzelte Liam und blinzelte ihr zu. „Gut, einverstanden!“, antwortete sie und rieb sich mit einem weiteren Handtuch das Gesicht ab. „Ein fach zauberhaft!“, dachte er und lächelte sie versonnen an, während er sie beobachtete. In Newark liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Greeson hatte einen Kleinlaster bestellt, um den Quadrigis sicher zum Museum zu bringen. Das Ritual zur Übertragung der Macht des uralten Dämons auf den Chancenug, sollte direkt dort durchgeführt werden, um keine Zeit zu verschwenden. Hylia hatte sich den Bauplan des Museums vorgenommen und sah sich nach einer unauffälligen Möglichkeit um, in das Ge bäude hinein zu gelangen. Immer wieder gingen ihre Gedanken jedoch in eine andere Richtung. Sie dachte wütend daran, wie sie dieser kleinen Verkäuferin eine Lektion erteilen konnte, die ihr Hören und Sehen ver gehen ließe. Sie stapfte in Greesons Büro und schlug die Tür hinter sich zu. Er hatte die schweren Vorhänge wieder einmal zugezogen und grübelte auf seinem Sessel vor sich hin. „Hör zu, mein großer, starker Gebieter!“, höhnte sie „Ich will, dass diese kleine Kräuterhexe dafür be zahlt, dass sie mir so ins Handwerk gepfuscht hat! Lass mich das noch erledigen, bevor wir unseren Plan in die Tat umsetzen!“ Schmeichelnd schlich sie um ihn herum, wie eine Raubkatze, die auf Beute aus war. „Erstens, komm nie wieder in mein Büro, wenn du nicht vorher angeklopft hast und ich dir die Erlaubnis erteilt habe, mich zu stören! Zweitens, erledige es schnell, denn ich habe keine Lust auf den nächsten Neu mond zu warten, nur damitl du deinen privaten Ärger loswerden und befriedigen kannst! Das interessiert mich nämlich ganz und gar nicht!“, grollte er, ohne sie auch nur anzusehen. Hylia lächelte kalt und küsste ihn auf seinen Kopf. „Befriedigung finde ich nur in deinen starken Armen!“, hauchte sie und drehte sich zum Gehen. „Vergiss nicht, schnell!“, warf er ihr noch nach. Die Hexe blieb kurz stehen und blickte zu ihm. „So schnell ist es wahrscheinlich noch nie gegangen!“, erwiderte sie und verließ das Büro. Hylia suchte Maurice, den sie schließlich in der Garage antraf. „Hallo mein Bademeister.“, schnurrte sie ihn an. „Ich habe einen Auftrag für dich. Fahre zurück zum Zauberladen und behalte diese verfluchte Ver käuferin im Auge. Ich möchte über alles informiert werden, was dort vor sich geht. Wenn du das Notwen digste weißt, kommst du zurück und berichtest mir alles haarklein.“, befahl sie. Maurice nickte bestätigend. Als er sich bereits ins Auto setzen wollte, rief sie ihm nach „Ich werde mich heute Abend noch einmal in
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der Badewanne entspannen. Also mach deine Sache gut. Dann darfst du mich vielleicht auch wieder beglei ten!“ Maurice erreichte den Zauberladen gerade noch rechtzeitig, um Nike und Wanda beim Aufbruch zu beo bachten. Die beiden bekamen allerdings nichts davon mit und fuhren unbesonnen zum Krankenhaus. Maggie trat ein paar Minuten nach den beiden aus dem Nebenausgang und hielt eine Plastiktüte in der Hand. Maurice hatte sich aus dem Wagen begeben und stand nun direkt an der Hausecke. So konnte er sie gut beobachten und hören, wie sie vor sich hin schimpfte. „Sie ist zwar meine Tochter, aber ich finde es nicht in Ordnung, wenn sie mit dieser Wanda im Hinter zimmer eine Fressorgie feiert und ich anschließend alles wegräumen darf. Die Jugend von heute.“ Nachdem sie die Plastiktüte in der Mülltonne entsorgt hatte, ging sie wieder durch den Seiteneingang zurück in den Laden. Als Nike und Wanda im Krankenhaus ankamen, war Nick bereits eingetroffen und erwartete die beiden. „Nike hast du anschließend einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte etwas mit dir besprechen.“, fragte er die junge Frau, während sie Collins Krankenzimmer betraten. Sie blickte ihn zwar etwas überrascht an, nickte dann allerdings bestätigend. Darlene erhob sich von ihrem Besucherstuhl und begrüßte alle freund lich. Collin lag in seinem Bett und hatte die Augen immer noch verbunden. Stevie kam gerade mit zwei Be chern frischen Kaffee in das Zimmer und trat an Darlene heran. „Du wirst sehen, jetzt wird alles wieder gut!“, flüsterte er seiner Freundin zu und reichte ihr einen der Becher. Nachdem Nike die zwei Steine an Nick weiter gereicht hatte, öffnete dieser seine mitgebrachte Ta sche und entnahm eine Räucherschale und eine Tüte getrockneter Kräuter. Nun entzündete er die Kohle, die sofort zu knistern begann. „Stevie könntest du an der Tür Wache halten, damit uns niemand stört?“ Stevie nickte und tat wie ihm geheißen. Er stellte sich vor die verschlossene Zimmertür und lehnte sich leicht dagegen, um etwaiige Be sucher einen Moment länger daran hindern zu können, den Raum zu betreten. „Es muss schnell gehen, sonst sprechen vielleicht auch noch die Feuermelder an und wir bekommen Ärger wegen des Fehlalarms.“, flüsterte Wanda Nike zu und musste lächeln bei dem Gedanken, wie hier vielleicht in wenigen Minuten die halbe New Yorker Feuerwehr angebraust käme, nur wegen ein paar qual mender Kräuter. Nick währenddessen, hatte angefangen einige davon auf die glühende Kohle zu streuen und schon brei tete sich ein grünlicher Rauch im Zimmer aus. Während er die beiden Steine durch den Rauch schwenkte murmelte er ein paar unverständliche Wörter und legte das Falkenauge schließlich auf Collins rechtes und das Tigerauge auf sein linkes Auge. „Nike Fenster auf!“, rief er. Nike sprang hervor und entriegelte das Fenster. Gerade, als dies geschehen war, verzog sich der Rauch in Schwaden und ein kleiner Lichtball flitzte durch das offene Fenster herein. Darlene blieb der Mund offen stehen. Die kleine Lichtkugel flog scheinbar ziellos quer durch das kleine Krankenzimmer und prallte an der Wand ab. Dann schien es jemanden zu suchen und schwebte plötzlich über Collins Kopf. Darlene wollte zu ihrem Bruder eilen, um ihm zu helfen. Aber Wanda war schneller und hielt sie mit einem Lächeln am Arm fest. Die Risis hielt sich einen Finger auf ihre Lippen, um Darlene zu deuten, dass sie Ruhe bewahren sollte, damit ihrem Bruder geholfen werden konnte. Darlene nickte zaghaft und lächelte der Dämonin etwas unsicher zu. Dann fiel der Lichtball langsam auf Collins Stirn, genau zwi schen den Augen, auf die Nasenwurzel. Collin stöhnte ein wenig auf. Dann drang das Lichtgebilde in seine Haut ein und war nicht mehr zu sehen. „Darlene?“, fragte der Patient und seine Schwester sah zu Nick, der ihr aufmunternd zulächelte und nickte. „Collin, ich bin hier!“, sagte sie und griff nach seiner Hand. „Nimm mir bitte die Augenbinde ab!“ Darlene war unsicher, tat aber schließlich, worum ihr Bruder sie gebeten hatte. Collin öffnete langsam die Augen und blickte in das Gesicht seiner besorgten Schwester, die
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sich nun über ihn gebeugt hatte. „Lenie! Ich kann sehen!“ Dann schaute er sich im Raum um und Tränen liefen ihm über die Wangen. „Ich weiß nicht, wer Sie alle sind, aber ich bin Ihnen von Herzen dankbar!“ Alle im Raum freuten sich mit ihm und klopften ihm teilweise aufmunternd auf die Schulter. Nach einer Weile kam auch Stevie wieder ins Zimmer. Nick und seine Begleiterinnen verabschiedeten sich von den Geschwistern und dem Informatik studenten. Nick wandte sich, am Gehsteig angekommen, an Wanda, und bat sie ihn kurz mit Nike alleine zu lassen. „Kein Problem, ich warte im Wagen auf dich! Oder sollen wir dich zu Hause absetzen?“, fragte sie. Doch Nick lehnte freundlich ab. Als die Risis verschwunden war, versuchte er die richtigen Worte zu finden. „Nike, wir haben uns doch vor einiger Zeit darüber untehalten, was uns im Leben vorherbestimmt ist. Kannst du dich noch daran erinnern?“ Nike lächelte wissendlich. „Ja, das kann ich. Ich habe dir damals gesagt, dass du zu Höherem bestimmt bist und das alles so kommen würde, wie es kommen soll. Meinst du das?“ „Ja, genau das. Ich wollte dir nur erzählen, dass…“ Doch Nike schnitt ihm das Wort ab. „Du solltest deine Badehose nicht vergessen. Und pack vielleicht ein bisschen mehr ein, als du eigentlich vor hattest.“, sagte sie und strahlte ihn an. „Weißt du, irgendwie macht es keinen Spaß mit dir zu reden. Du weißt alles immer schon vorher. Eine echte Spielverderberin bist du.“, erwiderte Nick, lächelte und stubste ihr mit dem Zeigefinger auf die Na senspitze. „Aber du hast Recht, ich werde wohl auf eine Reise gehen.“ „Sie liebt dich, glaube mir und mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut gehen.“, antwortete sie und küsste ihn freundschaftlich auf seine linke Wange. Dann begab sie sich zu Wandas Wagen. „Halt Nike, warum soll ich mehr Gepäck mitnehmen? Hey, warte!“, rief er ihr nach. Doch sie war schon ins Auto gestiegen und der Wagen fuhr los. Nick machte sich auf den Heimweg und dachte dabei noch lange über Nikes Worte nach. Es war Abend geworden. Der Tag war lang und so spürte er erst jetzt, wie erschöpft er eigentlich war. Also begab er sich nach einer kurzen Dusche in sein Bett. Er kuschelte sich in seine Polster und dachte dann ganz fest an die Frau seines Herzens.
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„Nick, ich bin hier.“, hörte er sie und als er sich genauer auf die Stimme konzentrierte, fand er sich plötzlich auf einer wunderschönen, blühenden Wiese wieder. Er drehte sich um und blickte direkt in Tilias Augen. Sie hielt die Arme ausgebreitet und schlang diese nun um Nicks Oberkörper. Er schloss die Augen, hielt sie ganz fest und atmete dabei tief ihren Duft ein. Sie roch nach Jasmin und Lotus. Dann schob er sie ein Stück von sich weg. „Tilia ich komme zu dir! Ich habe sehr lange nachgedacht. Ich vermisse dich jetzt schon unendlich. Ich möchte dich wieder in meinen Armen halten können, mit dir plaudern und ich möchte deine Heimat ken nen lernen. Morgen breche ich auf.“ Es sprudelte förmlich aus ihm heraus. Plötzlich glitzerten Tränen in Tilias Augen und ein einzelner Tropfen bahnte sich seinen Weg. Sie hielt Nicks Gesicht in ihren Händen und begann ihn zärtlich zu küssen. „Du weißt nicht, wie glücklich du mich damit machst.“ Die beiden Verliebten blieben noch einige Zeit in ihrem Traumland und Tilia erklärte Nick wie seine Reise verlaufen würde. Sie war sehr aufgeregt und wollte am liebsten sofort alles für seine Ankunft vorbereiten. Liam beschloss, dass es Zeit war aufzubrechen. Er hatte schließlich noch eine telefonische Verabredung mit Nick. Der Halbgamblin freute sich wirklich schon sehr auf die anstehende Abwechslung am nächsten Tag. Eigentlich war er verwundert, dass dieser Angelausflug auf einmal so schnell statt finden sollte. Sie hatten doch vereinbart, dass sie in aller Ruhe und erst nach all den Problemen, als Belohnung sozusagen, eine Männersache starten wollten. Aber irgendetwas trieb Nick wohl zu dieser Eile. Liam war gespannt zu erfahren, was es war.
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Ludeny begleitete ihn noch zu seiner Maschine, um sich zu verabschieden und die große Sonnenblume aus ihrem Auto zu holen. Als sie bei der Harley angekommen waren, setzte Liam sich auf den Ledersattel und blickte sie an. „Es war ein schöner Tag!“, sagte er und lächelte. „Ja, sehr schön!“, antwortete die Dunkelslug und schaute verlegen zu Boden. „Wie machst du das eigent lich immer?“, fragte sie ihn nun. „Was meinst du?“, fragte Liam verwirrt. „Na, dass ich mich in deiner Nähe immer noch wie ein kleines Teenagermädchen fühle?“ Er grinste und zwinkerte ihr zu. „Vielleicht liegt es an meiner väterlichen Art?“, fragte er und schmunzelte sie verschmitzt an. „Ja, mit Sicherheit!“, erwiderte Ludeny und schlug ihm leicht mit der Sonnenblume auf den Kopf. „Bis dann!“, rief sie ihm noch zu und ging zum Hauseingang zurück. Im Gehen drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm zum Abschied. Liam schüttelte den Kopf und startete den grummelnden Motor seiner Ma schine. Als er ein paar Strassen weiter das Gefährt im Schuppen abstellte, läutete auch schon sein Handy und Nicks Stimme erklang. „Nick, ich bin gerade zu Hause angekommen. Wann treffen wir uns morgen?“ Liam ging während des Gesprächs zum Hauseingang hinein, stieg die Treppe hinauf und schloss dann die Tür zu seiner Wohnung auf. Als Nick später am Abend noch einmal aus seinem Schlaf erwachte, griff er schnell zu seinem Telefon, um den endgültigen Zeitpunkt für das Angeltreffen mit Liam festzumachen. „Hätte ich ja beinahe vergessen!“, sagte er laut zu sich selbst. Gerade, als er abheben wollte, um sein Versäumnis nachzuholen, klingelte es auch schon und Liams Stimme klang durch die Hörmuschel. „Hey, wir sind ja so etwas von gedankenverbunden! Ich wollte dich gerade ebenfalls anrufen!“, sagte er in den Apparat. „Ja, das Gefühl hab ich auch!“, lachte Liam am anderen Ende. „Also, wir müssen früh raus, sonst beißen sie nicht! Am besten, hole ich dich mit der Harley ab und wir fahren gleich weiter zu meinem Boot. Das geht schneller!“ Nick schluckte. „Oh, ich darf wieder auf deine geliebte Maschine aufsteigen?“, fragte er. Nicht sicher, ob er sich darüber freuen, oder sich doch lieber mit seinen euphorischen Ausbrüchen zurückhalten sollte. „Klar darfst du, aber du darfst sie niemals selbst fahren!“, antwortete Liam und grinste am anderen Ende der Leitung. Sie verabredeten sich für den nächsten Morgen um fünf Uhr dreissig. Liam hatte seinen Freund angespornt, nicht zu spät aufzustehen, damit sie viele Fische an die Angeln bekommen würden. „Hör mal, wir müssen nach West dreissigste Strasse, Heliport, da steht mein Boot. Ist ein ganzes Stück zu fahren. Meine Elisabeth wird dir gefallen, einfach und doch komfortabel!“ Nick runzelte verwundert die Stirn. „Elisabeth? Warum nicht Ludeny?“ Liam lachte. „Nein, Ludy mag Boote nicht so gern. Ich weiß zum Beispiel, dass, als sie damals in die Staaten kam, die Fische bei der Überfahrt auf dem Atlantik viel zu Fressen bekommen haben, da sie sich ständig übergeben musste! Elisabeth ist der Name meiner Mutter. Wenn es jemals eine Frau gegeben hat, die sich auf dem Meer genauso wohl gefühlt hat wie mein Vater, dann war das eindeutig meine Mutter!“ Nick musste mitlachen und er versprach, pünktlich da zu sein. Nike und Wanda kamen am Zauberladen an. Die Risis suchte einen Parkplatz, der gleich in der Nähe des Geschäftes war. „Also, wie abgemacht, ich werde bei dir übernachten, sonst reisst mir Liam eigenhändig den Kopf ab! Er besteht darauf, dass ich auf dich aufpasse!“, sagte Wanda, als sie den Motor abstellte und den Sicherheits gurt öffneten. Sie stiegen aus, und gingen zum Seiteneingang des Gebäudes, denn sie wollten nicht den Umweg durch den Laden nehmen.
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„Weißt du, meine Mutter ist sehr schreckhaft und ich will sie nicht unnötig beunruhigen. Sie wird wohl noch vor dem Fernseher sitzen und sich irgendwelche esoterischen Sendungen anschauen.“ Leise schloss Nike die Tür auf und schlich mit Wanda im Schlepptau, über den dunklen, schmalen Flur, in Nikes Zimmer. An den Wänden des Korridors hingen jede Menge alter Fotos von nahen Verwandten, die wahrscheinlich schon vor langer Zeit gestorben waren. „Das sind alles Leute aus meiner Ahnengallerie. Meine Mutter sagt immer, dass man keinen von ihnen vergessen darf, weil ihre Seelen sonst mächtig verärgert wären und wir niemals Ruhe finden würden. Sie ist da sehr eigen.“, flüsterte Nike Wanda zu. Am Ende des Flures befand sich eine kleine Tür, die Nike nun öffnete, um dann in das dahinterliegende Zimmer einzutreten. „So groß hätte ich mir die Anliegerwohnung niemals vorgestellt!“, sagte Wanda erstaunt, während Nike hinter ihr die Tür wieder leise schloss. „Ja, das wirkt von Aussen alles sehr viel kleiner. Setz dich doch!“, bat sie die Dämonin und deutete auf ein kleines Sofa. Wanda schaute sich in dem Raum um. Nike schien eine Vorliebe für Fantasiebilder zu ha ben. Denn sie hatte ihre Wände mit Puzzles, auf denen Einhörner und schöne Mädchen abgebildet waren, regelrecht tapeziert. Die Mädchen wirkten wie Feen, deren Gesichter in einer Wolkenlandschaft schwebten. Sechs dieser Bilder hingen in dem zirka acht Quadratmeter großen Zimmer. Ein kleines gemütliches Sofa mit Schlaffunktion für Gäste, die über Nacht blieben, ein Couchtisch aus Kiefernholz und eine Art Jugend bett füllten den Raum aus. „Tja, hier ist nicht viel Platz für einen Schrank, deshalb hängen meine Sachen in Mums Schlafzimmer schrank. Aber dafür ist es hier gemütlich!“, sagte Nike und stellte ein Tablett mit Tee auf den Tisch, den sie eben in einer Ecke des Raumes zubereitet hatte. Ein Wasserkocher und eine kleine Kochplatte befanden sich dort auf einer Anrichte. In einem Regal darüber türmten sich die vielen verschiedenen Teepackungen und Kandiszucker, den Nike anscheinend für schlechte Jahre in riesigen Mengen gehortet hatte. Nach einer Wei le machten sie sich bettfertig und Nike klappte das kleine Sofa aus, damit Wanda sich darauf zum Schlafen niederlegen konnte. „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht!“, sagten sie gleichzeitig und mussten deshalb herzlich lachen. „Also, schlaf gut!“, kam es von Wanda. Sie löschten das Licht und schliefen ein. Maurice hatte die beiden Frauen bei der Ankunf beobachtet. Er wartete noch einige Zeit, um festzustel len, ob eine davon das Haus wieder verlassen würde. Nachdem dies nicht der Fall war, trat er den Rückweg an. In der Villa schien es nicht aufgefallen zu sein, dass er so lange außer Haus war, somit machte er sich so fort auf den Weg, um Hylia zu suchen und ihr Bericht zu erstatten. Wie erwartet fand er sie im Badezimmer vor. Sie stand nackt vor der eingelassenen Badewanne. „Dein Timeing ist einfach unschlagbar!“, begrüßte sie ihn und lies sich in das warme Wasser gleiten. Maurice setzte sich an den Wannenrand und griff nach einem großen Schwamm. Während er ihren Körper mit diesem verwöhnte, schloss Hylia die Augen und tauchte ohne Schwierigkeiten in Maurice Gedanken ein. So erfuhr sie alles, was er heute in ihrem Auftrag beobachten konnte. „Danke dir. Du bist mir wie immer eine große Hilfe!“, sagte sie, während sie sich zu ihm umdrehte und ihn leidenschaftlich küsste. Nachdem sich die Hexe einige Zeit vollkommen von Maurice verwöhnen ließ, trocknete sie sich ab und ging zu Bett. „Mor gen ist der Tag der Rache! Du verdammte kleine Kräuterhexe.“, dachte sie bevor sie zufrieden einschlief. Darlene und Stevie hatten das Krankenhaus erst lange nach Ende der Besuchszeit verlassen. Sie war überglücklich, dass es ihrem Bruder endlich wieder gut ging. Obwohl sie sich keinen Reim auf die Gescheh nisse machen konnte, sprach sie lange Zeit eindringlich mit ihrem Bruder. Er versprach ihr in Zukunft bes ser auf sich aufzupassen. Darlene hatte für Stevie und sich Tee zubereitet. Stevie lag vor dem Fernseher, als wieder einmal die Melodie von Star Wars erklang. Darlene kam mit seinem Handy zu ihm und reichte es an ihn weiter. „Hallo Ludeny. Warte kurz!“, sagte er und erhob sich. Er streichte Darlene kurz über das Haar und ging in die Küche. „Also wie lautet deine Antwort?“ Ludeny hatte auf ihrem Sofa Platz genommen.
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„Es tut mir leid Stevie, aber ich kann das nicht machen. Wenn Liam etwas davon mitbekommt, dann weiß ich nicht, wie er reagiert. Doch, eigentlich weiß ich es. Und das möchte ich nicht. Wir arbeiten gerade an unserer Freundschaft und wenn ich jetzt wieder einen Bruch mache, dann verliere ich ihn vielleicht für im mer! Es tut mir leid, wenn du Geld brauchst, dann hole es dir von unseren Konten.“, sagte sie. Sie hatte die Befürchtung, dass Stevie beleidigt sein würde und hoffte, ihn damit ein wenig bei Laune halten zu können. „Vielleicht ist es auch besser so. Ich kann es mir im Grunde ja auch nicht leisten, ertappt zu werden. Darlene hätte da wohl so gar kein Verständnis für meine Nebenbeschäftigung. Wenn ich es mir so recht überlege, lassen wir es dabei. Ich schicke morgen unsere Absage. Aber du weißt, dass es die erste ist. Unser guter Ruf könnte Schaden erleiden.“, versuchte er etwas herum zu albern. Dann verabschiedete er sich und ging zu Darlene und dem Fernseher zurück. „War es wichtig?“, fragte diese neugierig. „Ludeny und Liam, immer die gleiche Geschichte. Habe ich etwas Wichtiges versäumt?“ Beide schauten noch eine Weile fern und schliefen schließlich engumschlungen auf dem Sofa ein. Am nächsten Morgen um vier Uhr dreißig klingelte Nicks Wecker und er fragte sich, während er sich schlaftrunken zur Dusche schleppte, ob sich dieser Aufwand nur für ein paar Fische überhaupt lohnte. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass er sich eigentlich schon seit ihrem Gespräch auf diesen Ausflug mit Liam gefreut hatte und er auch schon sehr gespannt darauf war, was sein neuer Freund wohl zu seiner Entschei dung, zu Tilia zu fliegen, sagen würde. Aber er war sich ziemlich sicher, dass er seine Freude darüber teilen würde. „Wir lieben uns und er gönnt uns dieses Gefühl!“, sagte er laut zu sich selbst, während er seinen sportlichen Körper langsam trocken rubbelte. Er stellte sich vor den Spiegel und überlegte, ob er sich rasie ren sollte. „Nein! Heute nicht! Wir sind Männer und das ist unser Männertag!“, sagte er entschlossen. Dann ging er ins Wohnzimmer, um sich anzuziehen. In der East 57th Ecke Madison Street war ein anderer sportlicher Mann ebenfalls dabei, sich für den An gelausflug fertig zu machen. Liam blickte nach der ausgiebigen Dusche in den Spiegel und dachte darüber nach, ob er sich wohl rasieren sollte. „Männertag, keine Rasur!“ Er zog sich etwas über und ging dann hi nunter in den Hof, um seine geliebte Harley aus dem Schuppen zu holen. „Ich weiß meine Süße, ein wenig früh für dich, aber es wird ein schöner Tag und du musst mich nur zu Elisabeth bringen, dann hast du erst einmal Ruhe!“, sagte er flüsternd zu ihr und schob sie auf die Strasse hinaus. Er wollte niemanden stören, indem er den Motor schon im Hof startete. Immerhin war es Wochenende und da schliefen die Menschen selbst in diesem Viertel und um diese Uhrzeit noch. Der Morgen erwachte gerade und die Sonne lugte am Horizont hervor. Liam setzte sich auf den breiten Sattel und ließ die Harley an. Als er bei Nick in Chinatown um die Ecke bog, wartete dieser bereits auf dem Gehweg und grinste Liam breit an. „Hey Dellary, so früh schon auf den Beinen?“, rief Liam ihm zu. Nick ging auf ihn zu. „Hey, O`Brian! Ich hoffe, dass die Fische auch beißen, ich will nicht umsonst so früh aus dem Bett gefallen sein!“ Liam stellte die Maschine kurz ab und reichte seinem Freund die Hand zur Begrüßung. „Die werden beißen, glaube mir, ich habe das im Gefühl!“ Beide setzten sich auf den weichen Ledersattel des Motorrades und Liam fuhr los. Nick genoss den frischen Fahrtwind und er schloss für einen Augenblick die Augen. Vor seinem inneren Auge sah er Tilia und sich auf der großen schönen Wiese im Traumland und er lächelte glücklich vor sich hin. Einige Momente später waren sie auch schon am Pier angekommen und Liam gab seine Harley in die Obhut des Hafenmeisters. „Lange nicht hier gewesen Mr. O´Brian!“, sagte dieser und lächelte ihn mit seinem zahnlosen Mund an. „Ja, viel Arbeit! Aber seit wann siezen wir uns wieder? Seit unserer letzten Tullamore Dew-Sitzung hat ten wir doch ein irisches Bündnis geschlossen!“ Der Hafenmeister grinste und schob seine alte, speckige Kapitäns-Mütze etwas zurück. Dann reichte er dem Halbgamblin seine schmutzige Hand. „Buidheachas! Dann geh mal zu deiner Elisabeth und begrüße sie! Hat dich schon vermisst!“ Liam lächte nach der gälischen
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Zustimmung des Hafenmeisters und sah in die Richtung des Ankerplatzes mit der Nummer sechsundsech zig. „Weißt du was?“, fragte er nun Nick. „Was?“, fragte der zurück. „Es gibt nur drei Dinge auf dieser Welt, die ich für nichts auf der Welt tauschen würde! Und das sind Ludy, meine Harley und Elisabeth! Sorry Nick, aber das ist nun einmal so. Ich kann nicht aus meiner Dämonenhaut.“ Dann blinzelte er Nick zu und fasste ihm auf die Schulter. „Komm, ich stell dir meine Schöne vor!“ Nick folgte ihm. Sie standen vor einem hübschen Segelboot, das in den Wellen des Hafens langsam vor sich hinschaukelte. Liam sprang als erster an Bord und ließ sich von Nick die zwei Taschen mit Proviant zuwer fen. Als auch er endlich auf den Planken Fuß gefasst hatte, staunte er nicht schlecht, wie geräumig das Deck war. „Wow, Liam! Woher hast du das Geld, um dir so einen Schoner leisten zu können?“ Liam blickte ihn ver schmitzt an. „Sagen wir, ich habe es von einem guten Freund, der es nicht mehr gebrauchen konnte!“ Nick war ver wundert. „Aha? Welcher Freund kann denn sein Geld nicht mehr gebrauchen? Den hätte ich auch gern zum Freund!“ Liam war dabei, den Anker zu lichten und wickelte das dazu gehörige Seil um eine Spule. „Der lebt nicht mehr und eigentlich war er nicht direkt ein Freund!“ Nick löste die Taue um die Segel und grinste Liam an. „Du hast es einem Toten gestohlen? Das solltest du besser niemals Ludeny erzählen. Du machst ihr zum Vorwurf, dass sie Lebende bestiehlt und du klaust von Verstorbenen!“ Liam ließ den Beimotor an, um die Elisabeth aus der Hafenbucht zu schippern und lachte nun sehr laut auf. „Ja, aber das Problem an der Sache ist, dass, wenn der Tote immer noch leben würde, würde er ganze Dörfer dem Erdboden gleich machen! Also hab ich ihm lieber den Gar ausgemacht. Aber es stimmt schon, Ludy sollte ich das wirklich nicht erzählen. In einem anderen Leben vielleicht!“ Sie fuhren weit raus, ehe sie die Segel öffneten und den Wind darin auffingen. „Das ist so herrlich! Ich könnte das Ewigkeiten machen!“ schwärmte Nick. „Ja, und irgendwann mache ich das auch!“, erwiderte Liam. Sie hatten inzwischen wieder den Anker aus geworfen und saßen an Deck mit den Angeln in der Hand und die Gesichter zur Sonne gestreckt. „Und Ludeny?“, hakte der Töpferlehrer nach. „Die nehme ich mit. Niemals ohne sie, wenn es für die Ewigkeit sein soll!“, entgegnete Liam, ohne ihn jedoch dabei anzuschauen. „Ich kann das wirklich sehr gut nachvollziehen!“, sagte Nick nach einer Weile. „Ich bin wahnsinnig ver liebt in Tilia!“ Liam schaute ihn nun an. „Ich weiß!“ Nick richtete sich auf. „Liam, ich muss dir etwas sagen. Und bitte unterbrich mich nicht. Es ist für mich ebenfalls eine riesige Überraschung. Ich werde zu Tilia fliegen!“ Liam riss erstaunt die Augen auf. „Das ist wirklich eine Überraschung!“ In diesem Moment zottelte es an Liams Angelschnur und sie wur den unterbrochen. „Wow, ein echter Prachtkerl!“, schwärmte Liam und schlug dem Fisch mit einer Holzkeu le auf den Kopf. „Also, wann willst du zu ihr?“ Nick sah auf. „Morgen schon! Versteh mich bitte, ich halte es keinen Tag länger aus! Ich will wissen, ob die Gefühle echt sind!“ Liam zog einen Mundwinkel hoch und nickte. „Ja, flieg! Das musst du. Ihr gehört irgendwie zusammen.“ Nick freute sich, dass Liam ihn verstand. „Du solltest dir wirklich überlegen, ob du mit Ludeny nur Gut-Freund sein willst. Sie liebt dich von ganzem Herzen!“ Liam drehte sich weg und warf die Angel erneut aus. „Das ist ein Thema, über das ich nicht einmal mit dir rede, belassen wir es dabei, okay?“ Nick spürte, dass er in diesem Moment wohl zu indiskret geworden war und entschuldigte sich bei dem irischen HalbDämon. „Schon gut! Aber du musst mir versprechen, dass du die kleine Til glücklich machst!“, sagte er und Nick lächelte. „Oh Mann! Das wird kein Problem sein. Sie macht mich glücklich und da kann ich gar nicht anders!“
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Ludeny war bereits aufgestanden und verzehrte gerade einige ihrer Früchte zum Frühstück. „Seltsam wie leer mir meine Wohnung plötzlich vorkommt. Die eine Nacht bei Liam und das eine Mal er bei mir, hat anscheinend ausgereicht, um mein Zuhause trostlos wirken zu lassen. Verdammt, ich wollte doch nie wieder von ihm abhängig sein. Und jetzt beherrscht er schon wieder mein Leben, meine Gedanken und Ge fühle.“, dachte sie ein wenig verzweifelt und machte sich daran ihre Trainingskombi anzuziehen. Sie wollte zuerst einige Zeit Thai Chi Übungen machen und anschließend mit dem Schwert noch etwas trainieren. So konnte sie ihre Gedanken ein wenig abschalten. Ungewöhnlich früh am Morgen öffnete Wanda zum ersten Mal die Augen. Sie hatte sehr unruhig ge schlafen und brauchte nun dringend einen Kaffee. Nike wurde ebenfalls wach, als Wanda gerade nach ihrer Kleidung griff. „Guten Morgen. Ich hoffe mein Gästesofa war nett zu dir und ließ dich gut schlafen!“, begrüßte sie die Risis und sprang aus ihrem Bett. „Ich will ja nicht meckern. Aber Hängematte war es keine!“ Wanda hatte sich in der Zwischenzeit ange zogen und meinte nur kurz „Kaffeee!“ Nike musste lachen.
„Okay du bist wohl nicht so der Morgenmensch, auch gut. Aber ich habe leider keinen Kaffee im Haus.
Wie wäre das? Ich lade dich zu einem Frühstück ein?“ Wanda erhob sich und blickte gleich etwas freund licher aus den Augen. „Eine sehr gute Idee! Anschließend möchte ich gerne bei mir vorbeifahren. Ich brauche dringend eine Dusche und frische Klamotten.“ Nike zog sich an und schlüpfte in ihre Schuhe. Auf dem Weg zum Hinter ausgang lief ihnen ihre Mutter über den Weg. Sie winkte Nike zur Seite. „Guten Morgen mein Schatz. Ich bin verwundert, du bist immer noch mit dieser Wanda zusammen? Habt ihr vielleicht…? Na du weißt schon! Soll ja schwer in Mode sein zurzeit?“, warf Margreth ihrer Tochter vor. Obwohl Nike schrecklich schockiert war über den Verdacht ihrer Mutter, dass sie homosexuell sein könnte, wollte sie ihr den wahren Grund für Wandas Aufenthalt nicht nennen. „Mum, wir verstehen uns einfach nur super, okay? Du musst dir da keine Gedanken machen. Eines Tages werde ich dich garantiert mit einigen Enkelkindern beglücken. Also sei entspannt. Wir fahren frühstücken!“ Margreth schüttelte den Kopf. „Die Jugend! Aber Nike, vergiss nicht. Du solltest auch einmal wieder den Laden öffnen!“, rief sie den beiden Frauen noch nach. Plötzlich blieb Nike abrupt stehen. „Irgendetwas stimmt hier nicht!“, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Sie drehte sich noch einmal um und winkte ihrer Mutter zum Abschied zu. „Seltsam, scheint doch alles in Ordnung zu sein, keine Zeichen auf irgendetwas Ungewöhnliches.“, dachte sie und rief ihrer Mutter noch zu, dass sie bald wieder zurück wären. Wanda blickte verdutzt zu Nike. „Alles okay?“, fragte sie. „Ja, ich hatte nur plötzlich so ein schlechtes Gefühl. Aber vielleicht bin ich auf einfach nur ein wenig überreizt. Komm wir gehen dir Kaffee kaufen.“, meinte sie und schritt vor Wanda auf deren Wagen zu. Während die zwei zum Frühstück aufbrachen, überlegte Maggie, dass sie ja selbst einmal wieder den Laden öffnen könnte, um so auch einmal wieder etwas Anderes zu sehen, als ihr Wohnzimmer und den Fernseher. „Dann werde ich mal die Zügel in die Hand nehmen und den Leuten die richtigen Waren verkaufen!“, trällerte sie vor sich hin. Sie schwebte förmlich zur Ladentür und schloss auf. Liam und Nick genossen den Tag in vollen Zügen und ließen es sich bei kalten Bieren so richtig gut gehen. „Ach, das ist ein Leben! Wir könnten das regelmäßig machen, wenn du wieder hier bist!“, bot Liam an. „Gute Idee! Dann sind wir wenigstens einmal aus dem Stadtmief raus!“, antwortete Nick und ließ sich wieder zurück in seinen Liegestuhl sinken. Plötzlich fing die Elisabeth an, wild hin und her zu schaukeln und ein lautes Motorengeräusch war zu hören. Die beiden Männer schreckten hoch und sahen ein kleines
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Sportboot an ihnen vorbeisausen. Auf dem Boot befanden sich vier hübsche Mädchen in knappen Bikinis, die ihnen verführerisch zuwinkten. „Hallo ihr zwei Hübschen! Habt ihr noch ein Bier für uns übrig?“, riefen sie den beidne Männern zu. Liam sah über seinen Sonnenbrillenrand und schielte dann zu Nick hinüber. „Nett!“ Nick zwinkerte ihn an. „Ja, aber ist es das wert?“, fragte er. „Gute Frage! Aber ich teile mein Bier nicht gerne!“Liam stellte sich an die Reeling der „Elisabeth“ und rief: „Sorry ihr Süßen! Aber weder Bier, noch uns!“ Dann winkte er ihnen noch einmal zu und setzte sich wieder auf die Sonnenliege. Das Motorboot drehte ab und es wurde wieder still um die kleine Yacht. In Nepal, in den versteckten Dörfern der Dragoons, konnte die Auserwählte nicht einschlafen. Es war jetzt kurz nach Mitternacht und sie war aus dem Bett gestiegen und zum Fenster gegangen. „Er kommt! Morgen macht er sich auf den Weg und wir werden wieder genauso glücklich sein, wie in New York!“, flüsterte sie sich selbst aufgeregt zu. Tilia zog sich etwas über und ging auf den langen, steiner nen Korridor des Palastes hinaus. Vielleicht konnte sie sich ein wenig ablenken, wenn sie durch den Garten ging. Der Duft der verschiedenen Blüten und Pflanzen hatte auf sie eine beruhigende Wirkung und da sie es nicht länger in ihrem Bett aushielt, konnte sie genauso gut ein Stück spazieren gehen. „Ich muss noch alles vorbereiten. Wenn Nick hier ist, will ich nur für ihn da sein und nicht vor lauter Pflichten wertvolle Zeit vergeuden! Die brauchen wir für uns!“ Tilia nahm sich einen Zettel, den sie sich noch gegriffen hatte, bevor sie ihr Zimmer verlassen hatte und schrieb auf, was sie alles erledigen wollte, bevor Nick bei ihr ankam. „Da wären die Sitzungen mit den Ältesten, die wöchentliche Sprechstunde für das Volk, meine Gebete, das Meditieren …“ Sie zählte alles auf, was ihr einfiel und merkte schnell, dass sie dieses riesige Pensum in der kurzen Zeit nicht schaffen konnte. „Oh Nick! Ich werde dich ein wenig vernachlässi gen müssen!“ Sie war enttäuscht, aber Tilia wusste auch nur zu gut, dass sie diesen Pflichten nachkommen musste und sich nicht selbstsüchtig verhalten durfte. Viele der Dragoons waren arm und gaben für das Wohl der Auserwählten manchmal das Letzte, was sie besaßen. Auch wenn sie ihnen sagen würde, dass sie ihre Hab seligkeiten behalten sollten, würden es diese guten Dämonen niemals auch nur in Erwägung ziehen, nichts zu geben, wenn sie ihre Auserwählte trafen. Es waren stolze Wesen und Tilia würde sie beleidigen, wenn sie deren Geschenke nicht annahm. Nach einer Weile wurde sie nun doch müde und da sie sich für den nächsten Tag viel vorgenommen hat te, beschloss sie, wieder in ihr Zimmer zurück zu kehren und sich um etwas Schlaf zu bemühen. „Ich will ja auch nicht unbedingt mit dicken Augenrändern vor ihm stehen und kaum aus den Selbigen gucken können, wenn er endlich da ist, mein Nick!“ Sie zog sich aus und legte sich in ihr Bett. Der letzte Gedanke, bevor sie einschlief, gehörte dem Tag im Central Park, als sie das Picknick machten und sich ihrer Liebe füreinander klar wurden. Nachdem Hylia kurz gefrühstückt hatte, machte sie sich auf den Weg. Sie hatte Greeson eine Nachricht hinerlassen, dass sie kurz in die Stadt fahren würde. Er war in seinem Büro mit den Vorbereitungen beschäf tigt und würde sie vorerst einmal nicht vermissen. Der morgendliche Verkehr hatte sich bereits etwas ge legt. Und so kam Hylia am späten Vormittag beim Sorcery an. Maurice, der den Wagen lenkte, parkte etwas weiter entfernt und Hylia setzte sich zu ihm auf den Beifahrersitz und beide behielten den Laden und die angrenzende Seitenstraße im Auge. Maggie war regelrecht erschrocken, als sie den Laden betrat. „Wie sieht es hier denn aus?“, dachte sie und griff nach einem Tuch um die Waren abzustauben. Dann holte sie auch noch einen Besen und kehrte den Fußboden. Den bereits überlaufenden Mülleimer entleerte sie in einen großen Sack und knotete diesen zu. Anschließend griff Maggie zu einem Block und einem Stift und schrieb etwas darauf. Sie legte ihn neben die Kasse und nahm den Müllsack um ihn zu entsorgen.
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Maurice hob gerade seine Hand und zeigte auf die Frau, die gerade in die Seitenstraße trat. Hylia griff nach ihrer Tasche und stieg aus. Sie ging geradewegs auf Maggie zu und lächelte sie an. „Wenn Sie etwas aus dem Laden benötigen, dann kommen Sie doch durch den Eingang. Ich bin gleich bei Ihnen!“, begrüßte diese sie. Doch Hylias Lächeln wurde immer breiter. Dann trat sie noch näher an Magreth heran. Diese starrte die exotisch aussehende Frau aus großen verständnislos Augen an. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte sie aufgeregt. Doch Hylia ließ sich nicht stören. Mit einer schnellen Handbewe gung holte sie einen kurzen Dolch aus der Tasche und packte Magreth am Hals. Dann stieß sie Nikes Mutter mit Leichtigkeit ein Stück weiter nach hinten in die Seitenstraße. Margreth hatte keine Möglichkeit zu schreien, so fest schloss sich Hylias Hand um ihren Hals. Mit einer raschen Bewegung stand die Hexe hinter ihr und hielt, nachdem sie den den Griff um Maggies Hals gelöst hatte, den Kopf ihres Opfers mit der linken Hand an der Stirn fest. „Sie können sich alles nehmen, was Sie wollen!“, sagte Magreth ängstlich. Doch Hylia hob ihre rechte Hand und mit einer schnellen Bewegung zog die den Dolch durch Maggies Kehle. Blut rann aus der tiefen Wunde und als Hylia die Frau endlich losließ, fiel diese leblos zu Boden. Schnell bildete sich dort, wo die Frau zum Liegen kam, eine große Blutlache. Hylia steckte das Messer wieder in ihre Tasche, raffte ihren Rock, um ihn nicht zu beschmutzen und stieg kaltherzig über die Sterbende hinweg. Zielstrebig eilte sie zurück zum Auto. Während Maurice den Wagen startete, setzte sich Hylia mit einem zufriedenen Lächeln auf den Rücksitz und konzentrierte sich auf ihre Gedanken. „Das hast du davon, du Miststück!“, formte sie die Worte und schickte diesen Gedanken auf Reise. Wanda genoss die warme Dusche. Nike und sie hatten ausgiebig gemeinsam gefrühstückt und sich köst lich unterhalten. Die Risis war überrascht, wie gut sie sich mit dieser Ladenbesitzerin verstand. Nun waren sie in ihrem Appartement, als plötzlich Nike den Duschvorhang zur Seite riss und sie anschrie. „Wanda, es ist etwas geschehen!“ Wanda blickte erschrocken zu ihr. „Was ist los?“ Nike lief aufgeregt zur Badezimmertür zurück und holte einige Kleidungsstücke für Wanda. „Keine Ahnung, aber ich habe gerade eine Botschaft erhalten. Es muss etwas Schreckliches passiert sein. Ich spüre es!“ Schnell sprang Wanda aus der Dusche und trocknete sich nur rasch ab. Dann zog sie sich an und beide machten sich auf den Weg zum Zauberladen. „Geht das nicht schneller!“ drängte Nike, als der BMW nun auch noch in einen Stau geriet. „Nike, beruhige dich. Wenn ich mich nicht auf den Verkehr konzentriere, dann wird hier auch gleich etwas geschehen!“, fauchte Wanda das Nevenbündel neben sich an. Nach einiger Zeit bremste Wanda mit quitschenden Reifen vor dem Sorcery. Nike sprang bereits aus dem Wagen und rannte zur Ladentür. Ver wundert darüber, dass die Tür offen stand, betrat sie das Geschäft. „Mum! Mum! Wo bist du?“, rief sie voller Panik nach ihrer Mutter. Sie ging um den Ladentisch herum und wollte zur Hintertür hinaus, als sie den Zettel neben der Kasse entdeckte. „Liebe Nike, ich finde es durchaus in Ordnung, dass du dein Leben genießt. Aber vergiss bitte nicht, dass du Verantwortung für den Laden trägst! Seit Generationen schon ist er in Besitz unserer Familie. Achte auf ihn! In Liebe Mum!“, las sie leise und legte die Notiz zurück. Wanda hatte den Wagen abgeschlossen und wollte Nike gerade in den Laden folgen, als sie in der kleinen Seitenstrasse des Gebäudes etwas liegen sah. Es schwante ihr Übles und sie rannte eligst darauf zu. Als sie näher kam, erkannte sie, dass es sich um Maggie handelte: Nikes Mutter lag dort vor ihr im Schmutz und regte sich nicht mehr. „Oh Gott!“, sagte die Risis und bückte sich zu der schlanken Frau hinunter. „Wer war das?“ Aber eigent lich brauchte sie sich das nicht zu fragen, denn sie ahnte schon, wer so etwas tun könnte. Plötzlich öffnete sich die Hintertür und Nike steckte den Kopf durch den schmalen Spalt. Sie hatte noch nicht zu Boden ge schaut und rief nur kurz. „Mum! Bist du...!“ Dann erstarb ihre Stimme, denn sie hatte ihre Mutter entdeckt. Mit weit aufgerissenen Augen lag diese da, in einer riesigen Lache Blut.
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„Mummy? Oh Gott, nein!“ Nikes Augen füllten sich mit Tränen und sie fiel auf die Knie. „Mummy! Nein, nicht doch!“ Dann hob sie den leblosen Körper ein Stück an und drückte sie an sich. „Mummy das kannst du nicht machen! Bitte, mach die Augen auf!“ Wanda stand hilflos neben ihr und wusste nicht, wie sie Nike trösten konnte. „Ich bin doch hier! Mummy! Lass mich nicht alleine! Mum!“ Wanda versuchte sich zu sammeln, was ihr sehr schwer fiel. Zum ersten Mal in ihrem Risisleben rannen ihr dicke Tränen über das Gesicht und sie fühlte eine große Trauer in sich aufsteigen. Sie hatte schon viele tote Menschen gesehen. Aber dieses Mal war es etwas anderes. Ein Mensch, der ihr etwas bedeutete, hatte einen schmerzlichen Verlust erlitten und das tat ihr eigenartigerweise sehr weh. Wanda bückte sich zu Nike herunter und nahm sie in den Arm. „Komm, wir sollten die Polizei rufen! Wir können ihr leider nicht mehr helfen!“ Nike umarmte Wandas Hals und weinte bitterlich. „Es war diese Hexe! Ich weiß es ganz genau! Sie hat es mich wissen lassen, bei dir in der Wohnung! Dafür wird sie büßen, das schwöre ich!“ Wanda hatte ihr beim Aufstehen geholfen und sie ins Haus geführt. Dort setzte sie sie auf einen Stuhl und legte ihr eine Decke um die Schultern. „Ich bring dir ein Glas Wasser und rufe Liam und die Polizei an! Bleib hier sitzen!“, sagte sie und ver schwand kurz in der Küche der Wohnung. Die Einrichtung wirkte auf sie wie aus dem letzten Jahrhundert. Weiße Schränke mit Verschnörkelungen und Messinggriffen an den Türen, liebevoll restauriert und sauber geputzt. Der schwarz-weiß geflieste Boden war anscheinend frisch gewischt und roch nach Zitrone. Überall auf den Regalen standen alte Küchenhelfer, wie Kaffeemühle und Vorratzdosen aus Porzellan mit Zwiebel muster. Wanda öffnete einige der Schränke und nahm aus einem ein Glas. Sie füllte es mit Wasser und ging zurück zu Nike, die völlig verstört auf dem Stuhl saß und hin und her schaukelte. Die Risis griff nach dem Telefon und wählte Liams Nummer. „Ja, Wanda was gibt´s?“, meldete er sich. „Komm schnell her! Nikes Mutter, sie ist von dieser Hexe…, na du weißt schon!“ Wanda wollte aus Rück sicht auf Nike nichts aussprechen, was diese wieder aufregen könnte. „Ich rufe die Polizei und einen Kran kenwagen!“ Liam erschrak. „Ist Nike verletzt?“ Wanda blickte auf ihre Freundin. „Nicht äusserlich. Schock!“, erwiderte sie nur kurz. „Okay, wir sind unterwegs, wollten sowieso zurück zum Hafen. Bleib bei ihr. Wir kommen so schnell, wie möglich!“ Dann beendeten sie das Gespräch und Liam blickte zu Nick. „Wir werden gebraucht!“ Nick sah dem Halbdämon an, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. „Was ist?“, fragte er nun. „Nikes Mum ist tot. Wanda erwartet uns. Es war wahrscheinlich diese Hexe des Chancenug!“ Nick holte schnell den Anker ein. „Beeil dich! Ich muss zu ihr!“, rief er und dachte daran, wie eng doch Glück und Unglück beieinander liegen konnten. Die New Yorker Polizei war bereits vor Ort und ein Krankenwagen stand ebenfalls am Straßenrand als Nick von Liams Maschine absprang. „Wo ist sie?“, rief er zu Wanda, die gerade mit einem Polizeibeamten sprach. Sie deutete mit der Hand zum Krankenwagen. Nick lief sofort hinüber. Nike hatte sich gut gehalten. Sie bewachte den Leichnam ihrer Mutter bis die Polizei kam. Dann wurde sie von einer Beamtin zum Krankenwagen gebracht. Ein Arzt ver abreichte ihr ein Beruhigungsmittel und einen Becher Wasser. Seither saß sie am Rand der Heckklappe und starrte ins Leere. Auf Ansprechversuche der Beamten jedoch reagierte sie nicht. Erst als sie Nicks Stimme hörte und ihn auf sich zukommen sah, erhob sie sich und stellte den Becher ab. „Nike es tut mir so leid!“, sagte der junge Mann und schlang seine Arme um sie. Plötzlich schien der Knoten in ihrer Brust gelöst und die Tränen rannen über ihr Gesicht. Zuerst nur leise, doch dann konnte sie
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sich einfach nicht mehr in den Griff bekommen und fing laut zu schluchzen an. Sie bebte in Nicks Armen und beide gingen zu Boden. So saßen sie nun am Randstein vor dem Sorcery. Die Tochter trauerte um ihre Mutter und der Freund weinte, weil er ihr den Schmerz nicht nehmen konnte. Liam hatte das Motorrad abgestellt und sich etwas im Hintergrund gehalten. Er hatte so seine Erfah rungen gemacht mit der Polizei im Laufe seines langen Lebens und wollte den Kontakt so gering wie mög lich halten. Als Wanda endlich ihre Aussage beendet hatte, ging sie zu ihm hinüber. „Was ist genau passiert?“, fragte er sie direkt. „Ich weiß nicht. Ich habe bei Nike übernachtet. Dann sind wir früchstücken gefahren. Wir waren gera de bei mir, als Nike so ein seltsames Gefühl hatte und unbedingt hierher fahren wollte. Liam, ich habe sie gefunden. Es war schrecklich. Sie lag hier in der Seitenstraße in ihrem eigenen Blut und Nike kam durch die Hintertür. Du hättest ihr Gesicht sehen müssen. So viele menschliche Gefühle auf einmal.“, berichtete Wanda verwirrt. Liam strich ihr vorsichtig über ihren Arm. „Willkommen unter den Menschen! Was hast du der Polizei erzählt?“ Wanda schüttelte sich, um sich wieder zu fangen und erzählte Liam von ihrem Gespräch. „Gut, mehr brauchen die nicht zu wissen. Und Nike? Wird sie eine Aussage machen müssen?“, fragte er noch einmal nach. „Ich denke nicht. Mein Bericht über das Auffinden wird ihnen hoffentlich reichen. Vielleicht melden sie sich in ein paar Tagen noch einmal. Aber vorerst glaube ich, haben wir Ruhe vor den Bullen.“, meinte Wanda und blickte auf Nick und Nike, die immer noch am Boden saßen und sich umarmten. Sie ging zu den beiden hinüber und wartete. Nike blickte sie an und stand auf. Wanda stand etwas hilflos vor ihr und wusste nicht, was sie sagen sollte. So nahm sie die neu gewonnene Freundin einfach wortlos in den Arm. Nick stellte sich zu Liam. „Was können wir tun?“, fragte er mit einem wütenden Blick. Liam holte sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. „Ich habe keine Ahnung!“, antwortete er. Ludeny war gerade in ihr Schwerttraining vertieft, als sie aus der Ferne das Läuten ihres Telefons ver nahm. Sie legte die Waffe zur Seite und nahm den Hörer ab. Als sie Liams Stimme hörte, machte ihr Herz sofort einen kleinen Luftsprung. „Nur Freunde!“, dachte sie während sie sich zwang, ruhig zu bleiben und ihm zu zuhören. Als er ihr von Magreths Tod erzählte, ließ sie sich ensetzt in den Sessel fallen. „Oh mein Gott!“, war alles, was sie in diesem Moment sagen konnte. Liam teilte ihr mit, dass sie, sobald Nike in einer besseren Verfassung war, sich alle auf den Weg zu ihr machen würden. Ludeny legte das Tele fon zur Seite und atmete tief durch. „Wie konnte das nur passieren. Noch ein Mord mehr, der auf die Kappe des Chancenug geht. Wir müs sen ihn endlich aufhalten.“, dachte sie während sie schnell unter die Dusche sprang, um den Schweiß vom Training loszuwerden Wanda blickte Liam an. „Okay, was nun?“ Nike hatte sich an sie gelehnt und sah wirklich bedauernswert aus. „Wir fahren zu Ludeny und besprechen den morgigen Tag!“, antwortete Liam und deutete Nick zum Motorrad zu gehen. „Ich weiß nicht, ob ich sie hier alleine lassen kann!“, sagte der Töpferlehrer unsicher. „Mach dir keine Sorgen! Ich habe das Gefühl, dass sich da zwei verwandte Seelen gefunden haben.“, erwi derte Liam und nickte in Richtung Wanda und Nike, die nun Arm in Arm zu Wandas Porsche schritten. „Du hast Recht! Ich denke, dass die zwei sich gut verstehen!“ Die zwei sonnengegerbten Männer setzten sich auf die Harley und Liam lenkte die Maschine zu Ludenys Wohnung. Seine braungebrannten Arme glänzten schweißgeperllt in der Sonne und das schwarze T-Shirt spannte über deren Muskeln. Als sie bei Ludeny angekommen waren, warteten Wanda und Nike bereits vor dem Hauseingang. „Und wir stören sie auch wirklich nicht?“, fragte Nike leise.
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„Bestimmt nicht!“, antwortete Wanda. Dann folgten sie Nick und Liam bis zu Ludenys Appartementtür. Die Dunkelslug öffnete die Tür und blickte als erstes in Nikes trauriges Gesicht. „Hallo, kommt doch rein!“ Sie zog die Tür weiter auf und ließ die vier eintreten. „Sie sieht sehr schlecht aus.“, flüsterte sie Liam zu, als er an ihr vorbei ging. „Ja, sie scheint noch immer unter Schock zu stehen.“ Ludeny beugte sich ihm nun etwas entgegen und roch an Liams Sachen. „Oh Gott! Du stinkst nach Fisch!“, sagte sie und hielt sich vielsagend die Nase zu. „Das ist ja eklig!“ Liam verdrehte die Augen. „Ich war angeln! Und da riecht man eben auch mal ein wenig nach Fisch! Andere Frauen stört das an scheinend nicht!“, flüsterte er noch im Vorbeigehen. Dabei hatte er mal wieder nicht bedacht, dass Ludeny ziemlich gute Ohren hatte und den letzten Satz sehr wohl vernommen hatte. „Was für andere Frauen?“, fragte sie und lief ihm hinterher. „Ach, die! Ähm, da waren Mädchen auf einem Boot und die wollten ein Bier! Aber da war nichts weiter!“ Dann setzte er sich auf einen der Sessel und schaute in die Runde. „Wie wäre es, wenn Nike sich ersteinmal ausruht und ein wenig hinlegt?“, fragte er besorgt. „Das ist eine gute Idee! Wir warten sowieso noch auf Stevie und inzwischen mache ich uns einen Tee!“, sagte Ludeny. „Ich will dabei sein, wenn hier über irgendwelche Pläne gesprochen wird, die auch mich und meine Mut ter betreffen!“ Nike war aufgesprungen und blickte in die Runde. „Sie ist tot und ich will, dass die Verant wortliche dafür bezahlt!“ Wanda ging zu ihr, um sie zu beruhigen. „Das wird sie! Vertrau mir, Liam ist für solche Sachen ein Fachmann und du kannst ihm glauben, wenn er dir sagt, dass wir dafür Rache üben werden!“ Liam nickte und Nike ließ sich bereitwillig von Wanda und Ludeny ins Schlafzimmer führen, um ein wenig auszuspannen. „So, und wenn der Tee fertig ist, bringe ich dir eine Tasse!“, sagte die Risis, während sie eine Decke über die noch immer zitternde Nike legte. „Danke!“, flüsterte diese und schloss die verweinten Augen. „Und du gehst duschen!“, befahl Ludeny dem Halbgamblin und warf ihm ein großes Handtuch zu. „Wa rum bist du heute so stoppelig im Gesicht!?“, fragte sie ihn, während sie ihn mit Nachdruck ins Badzimmer schob. „Ludy! Ich hatte heute einen Männertag und da lässt man sich auch mal etwas gehen!“, protestierte er. „Männertag!“, wiederholte sie verächtlich und machte eine abwertende Handbewegung in seine Rich tung. „Mach dich nur lustig! Aber ich lasse mir das von dir nicht verderben! Der Tag war toll, bis zu dem be dauerlichen Vorfall mit Nikes Mutter! Und ein richtiger Ire brauch so etwas ab und an!“, rief er, als Ludeny verächtlich lachend die Badezimmertür hinter ihm schloss. Als Ludeny Stevie angerufen hatte, war dieser gerade in seiner Wohnung angekommen. Darlene hatte heute Dienst und er wollte die Zeit nutzen, um ein wenig zu lernen. In letzter Zeit investierte er verdammt wenig Energie in sein Studium. Ebenso musste er noch die Mail mit der Absage rausschicken. Als er wieder aus der Wohnung stürmen wollte, um zu Ludeny zu fahren, prallte er mit voller Wucht gegen Josh. Hey Mann, schön dich zu sehen. Welch ein Wunder! Das du wiedereinmal hier vorbei schaust!“, begrüßte ihn sein Mitbewohner. „Keine Zeit Josh, bin spät dran.“, sagte Stevie hastig. Aber Josh hielt ihn am Arm fest und hinderte ihn so am weiter rennen. „Du solltest dir mal langsam darüber Gedanken machen, wann unser nächster Rollenspielabend ist. Sonst flippen die Anderen noch aus.“ Erst als Stevie ihm das Versprechen gab, sich so bald wie möglich darum zu kümmern, ließ Josh ihn endlich los und Stevie rannte los. Schon allein der Gedanke, das Josh vielleicht noch etwas von ihm wollen könnte, ließ ihn die Stufen im Eiltempo nehmen. „Komm schon du treuer Freund. Gib nicht gerade jetzt auf!“, sprach er in verzweifeltem Ton zu seinem Auto, dass sich scheinbar standhaft weigerte, anzuspringen. Nach drei weiteren Versuchen die Zündung
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zum Laufen zu bringen, sprang der Wagen endlich an. Liam war frisch geduscht und saß bei den anderen im Wohnzimmer, als Stevie, etwas außer Atem, dort eintraf. „Endlich vollzählig. Gut, dann können wir ja beginnen.“ Doch Nick sprang auf und ergriff das Wort. „Ich möchte dich nicht stören, Liam. Aber lass mich kurz etwas sagen. Ich wollte euch mitteilen, dass ich morgen nach Nepal fliegen werde. Ich will Tilia besuchen. Es tut mir leid, dass ich nicht an eurer Seite kämp fen kann, besonders nach dem heutigen Vorfall. Aber ich habe den Flug bereits gebucht und Tilia erwartet mich. Ich werde natürlich noch mit Nike sprechen, aber sie weiß eigentlich schon Bescheid.“, sagte er zu der Gruppe und setzte sich anschließend wieder. Ludeny lächelte sanft übers ganze Gesicht. „So einfach kann die Liebe auch sein. Sie lieben sich, sie trennten sich und jetzt fährt er zu ihr. So einfach und normal, wie nur irgendetwas.“, dachte sie leicht wehmütig und blickte verstohlen aus den Augenwin keln zu Liam hinüber, der ebenfalls in ihre Richtung schaute. Ihre Blicke trafen sich. „Okay, nachdem nun jeder Bescheid weiß, kommen wir zu den Plänen für Morgen. Da Nick dann bereits im Flieger sitzten wird, sind wir um einen Kämpfer ärmer. Und Nike möchte ich auf keinen Fall mit einbe ziehen, da der Schock wohl sehr tief sitzt. Sie ist momentan zu schwach und sollte sich erst einmal die Zeit zum Trauern nehmen!“, sagte Liam zu den anderen. Wanda kehrte gerade von einem neuen Kontrollblick ins Schlafzimmer zurück. „Liam, wie ich Nike in der Zwischenzeit kenne, möchte sie das auf keinen Fall versäumen. Und sie könnte uns auch wirklich hilfreich zur Seite stehen. Ich finde, wenn Stevie mitkommt, dann kann sie das auch. Vor rausgesetzt natürlich, dass sie das auch selbst möchte. Vielleicht hat sie ja einige Zauber auf Lager, um uns zu unterstützen!“, verteidigte sie ihre schlafende Freundin. Stevie war ein wenig beleidigt und sprang auf. „Wenn ihr jemanden anderen habt für die Alarmanlage, bitte sehr. Ich bin wirklich nicht besonders scharf auf den Job. Darlene sollte sowieso niemals etwas davon erfahren!“, entgegnete er bissig. Ludeny sprang auf. „Jetzt mal Ruhe. Niemand hackt auf dem anderen herum. Wir sind alle gereitzt durch die jüngsten Ge schehnisse. Aber das ist kein Grund uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Wir haben morgen genug Mög lichkeiten unsere Wut abzubauen. Priorität hat nun einmal die Aufgabe, dass wir den Chancenug daran hin dern, sich diesen Stein einzuverleiben. Also, Stevie und Nike bleiben im Wagen und kümmern sich von dort aus um einen hilfreichen Zauber und um die Alarmanlage. Vielleicht wäre ein Deckzauber nicht schlecht, damit die Hexe uns nicht erkennen kann. Liam, Wanda und ich gehen in das Museum hinein und werden die Willkommens-Party für den Dämon vorbereiten! Alles klar?“, schloss sie ihre Ansprache. Liam war sichtlich beeindruckt von ihrer resoluten Ansprache und ergriff nun selbst, mit glänzenden Augen das Wort. „Da kann ich mich nur anschließen. Alles soweit verstanden? Okay, jetzt noch zu dem Thema Ausrü stung. Was müssen wir alles mitnehmen? Also, wir brauchen die komplette Ausrüstung, die Ludy und Stevie bei ihren Jobs benutzen! Die technischen Dinge meine ich! Jeder bringt seine Waffe mit und eine Uhr. Da wir unsere Zeiten absprechen müssen.“, sagte Liam und blickte nun zu Stevie hinüber. „Wir brauchen deine Hilfe im Wagen. Du musst uns lotsen und uns melden, wenn du etwas bemerkst!“ Stevie nickte nur kurz. Ihm behagte diese Situation überhaupt nicht in Dämonengeschichten wollte er sich eigentlich nicht so reinhängen, da er sich mit dieser Materie nicht auskannte und im Grunde auch nicht kennenlernen wollte. Aber er schuldete Liam noch einen Gefallen, weil dieser die Geschichte mit Collin zu einem guten Ende gebracht hatte und er wollte auch Ludeny nicht im Stich lassen. Nike kam aus dem Schlafzimmer und torkelte schlaftrunken auf Nick zu. Der erhob sich und bot ihr sei nen Platz an. Sie setzte sich und nahm das Glas Wasser, welches ihr Wanda gerade reichte. „Konntest du ein wenig schlafen?“, fragte Wanda und versuchte zu lächeln. „Es ging so, danke!“, antwortete die zierliche Person. „Wo waren wir?“, hakte sie nach und setzte sich aufrecht hin. „Ich will dabei sein, okay?!“, schoss sie sofort los. Liam schaute sie an und bemerkte ihre Ent schlossenheit. „Gut, wir haben schon über deine Rolle bei der Sache gesprochen und wir sind zu dem Entschluss ge
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kommen, dass du im Wagen bleibst und…“ Nike unterbrach ihn. „Nein, wenn ich dabei bin, dann richtig!“ Ungehalten sprang sie vom Stuhl auf. „Moment, ich war doch noch nicht fertig! Wir möchten, dass du uns mit Magie unterstützt und das kannst du besser, wenn du in Sicherheit bist! Oder kannst du mit Waffen umgehen?“ Liam wollte sie bewusst provozieren, da er nicht wollte, dass sie bei dem Kampf verletzt wurde. „Nein, das kann ich nicht! Okay, dann eben von Wagen aus mit Magie.“ Stevie ging ein Stück auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Na dann, willkommen im Club!“ Nike blickte ihn fragend an. „Oh, entschuldige, du warst ja bis eben nicht dabei. Ich werde morgen ebenfalls im Wagen sein und ein wenig mit der Technik zaubern!“ Nike lächelte gequält. Aber genau in diesem Augenblick fiel es ihr wieder ein. Ihre Mutter war vor ein paar Stunden gestorben und sie stand hier in einer Gruppe von fast fremden Leuten und lachte womöglich noch. Tränen stiegen erneut in ihren Augen auf und sie drehte sich unwill kührlich weg. „Entschuldigung!“, sagte sie unter Tränen. „Du musst dich doch nicht entschuldigen, es war und ist ein schwerer Tag für dich, da ist es normal, wenn einem das alles zuviel wird!“, entgegnete Nick und umarmte sie. „Schon gut, lass es ruhig raus!“ Nike richtete sich wieder auf. „Nein, diese Hexe hat in mich hinein gesehen und sie könnte das jetzt auch wieder tun und dann sieht sie, dass sie ihr Ziel erreicht hat. Ich will ihr keine Genugtuung geben. Ich werde ihr zeigen, was weiße Magie alles kann. Und dann gnade ihr Gott! Für Mum werde ich stark sein!“ Dann drehte sie sich wieder zu den An deren und wischte sich die letzten Tränen von den Wangen. Alle lächelten ihr aufmunternd zu. Als letztes wurde geklärt, wann sie sich alle am nächsten Abend vor dem Museum treffen würden. „Okay, ich denke, um neunzehn Uhr dreißig, wäre die beste Zeit. Die anderen werden sicherlich erst spä ter ankommen und die Tagwache wird bereits vom Museum abgezogen sein. Dann können wir uns schonmal postieren. Ich schlage vor, Wanda kommt mit Nike. Stevie, Ludy und ich fahren in Stevies Wagen!“ Nick schaute in die Runde und bekam ein schlechtes Gewissen. „Ich könnte euch helfen, indem ich Nike ein paar gute Zauber mit bestimmten Kristallen erkläre!“ Liam nickte und sie beschlossen, sich jetzt zu trennen, um am nächsten Tag genug Zeit für die Vorbereitungen zu haben. „Und du wirst also heute noch packen?“, fragte Liam Nick. „Muss ich wohl. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, Tilia wiederzusehen!“ Liam blickte zu Ludeny hinüber, die mit Stevie in ein Gespräch vertieft war. „Oh doch, ich verstehe das besser, als du denkst!“ „Hast du die Absage bereits abgeschickt?“, fragte Ludeny betont leise. Stevie nickte bestätigend. „Vielleicht ist unsere Zeit als Meisterdiebe-Paar vorüber.“ Ludeny blickte ihn mit großen Augen an. „Ja, vielleicht!“, erwiderte sie nachdenklich. „Die Antwort ist da, aber sie wird Ihnen nicht gefallen.“, sagte ein braungebrannter Südamerikaner. „Sie haben abgesagt? Das ist unmöglich, sie sind für ihre Zuverlässigkeit bekannt!“, antwortete ein gut gekleideter Mann mitte vierzig. Er blickte sich verwundert um und betrachtete seine Kunstsammlung. „Schade, genau dieses Stück hätte ich brauchen können, um diese Sammlung von Artdefakten vollstän dig zu bekommen.“ Dabei deutete er auf eine gläserne Vitrine. Sein Butler erhob sich vom Schreibtisch und schaltete den Computer ab. In der Villa in Newark waren alle dabei die Vorbereitungen für den nächsten Abend zu treffen. „Hör mal Raymond, wenn wir da rein gehen, werde ich mich als erstes um den Wächter kümmern und ihr könnt euch schonmal postieren. Maurice und die anderen werden alles für das Ritual vorbereiten. Das wird ein Kinderspiel, glaub mir!“ Greeson sah sie scharf an. „Hoffentlich! Wie war dein Ausflug?“ fragte er.
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„Oh, eine wundervolle Abwechslung in diesem tristen Alltag. Es war ein Leichtes dieser alten Zaubertussi die Kehle durchzuschneiden und ihre Tochter wird sich jetzt wohl endlich merken, dass sie sich nicht mit mir anlegen sollte!“ Greeson grinste. Er fühlte sich von Hylias dunkler Seite äusserst angezogen und genoss es, wenn sie über Blut und Tod sprach. „Lass uns nach oben gehen!“, sagte er kurz und griff ihr fest in ihr langes rotes Haar. „Du bist heute das, was ich mir unter Boshaftigkeit vorstelle und das muss belohnt werden!“ Und wieder konnte man Hylias lustvolle Schreie durch das ganze Haus vernehmen. Der alte Butler schüt telte verständnislos den Kopf. „Das kann einfach nicht normal sein!“ Nachdem das Wichtigste für den morgigen Tag besprochen war, brachen Wanda und Nike als erste auf. „Morgen ist ein anstrengender Tag für Nike. Ich denke, ich werde sie jetzt lieber nach Hause fahren. Liam, falls du Nike suchen solltest, sie wird wohl heute bei mir übernachten.“, informierte die Risis den Halbgamblin. Nike, die neben Wanda, stand nickte zustimmend mit dem Kopf. Nachdem sich alle verab schiedet hatten, gingen die beiden Frauen zu Wandas Porsche und brachen in Richtung Queens auf. Nike war so erschöpft und in ihre Trauer versunken, dass die Risis ihr helfen musste, sich zum schlafen umzuziehen. Dann richtete sie ihr eine inprovisierte Schlafstatt auf dem Fußboden ein. Nike fiel rasch in ei nen unruhigen, scheinbar traumlosen, Schlaf aus dem sie regelmäßig aufschreckte. Immer wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht. Wanda hatte einen Pyjama angezogen. Bevor sie in ihrer Hängematte einschlief, ließ sie die Geschehnissen des letzten Tages noch einmal Revue passieren. Nick versprach Liam, sich morgen mit Nike wegen der Zauber in Verbindung zu setzen. Dann umarmte er seinen Freund noch einmal. „Ich bringe dich morgen zum Flughafen, wenn du willst!“, bot Liam an. Dieser bedankte sich für das Angebot und nahm dankend an. Nachdem er sich auch von Ludeny mit einer Umar mung verabschiedet hatte, begab er sich auf den Heimweg. Er hatte noch jede Menge Arbeit. Zu Hause angekommen, begann er seine Kurspläne durchzuarbeiten und rief seine Schüler an, um sämt liche Termine für die nächsten drei Wochen abzusagen. Anschließend begann er zu packen. Kurz nach Mit ternacht konnte er dann endlich zu Bett gehen. Stevie hatte sich auch auf den Heimweg gemacht. Er fuhr direkt zu Darlene, die bereits auf ihn wartete. „Hallo Schatz wo warst du?“, fragte sie. Nachdem er ihr eine Ausrede auftischte, die sie ihm anscheinend auch abnahm, aßen die beiden zu Abend. „Ach, Darlene, bevor ich es vergesse. Ich werde morgen Abend mit Josh zu einem Freund fahren. Wir haben versprochen, ihm seinen neuen Schrank zusammenzubauen, du weißt schon, reine Männersache!“ Darlene musste bei dem Gedanken lachen. „Kein Problem. Ich habe morgen Stephanies Spätdienst übernommen. Sie muss dringend mal ausspan nen!“, erzählte sie ihrem Freund. Gemeinsam spülten sie das Geschirr nach dem Essen ab und zogen sich anschließend wieder auf die Couch und vor den Fernseher zurück. Nachdem alle gegangen waren, blieb nur noch Liam bei Ludeny zurück. Er griff nach seiner Jacke, die er das letzte Mal bei ihr vergessen hatte. „Ich möchte nicht, dass meine Sachen deine Wohnung in Unordnung versetzen!“, sagte er zu ihr und wollte sie zum Abschied auf die Stirn küssen. Doch Ludeny wich einen Schritt zurück. „Wenn das, dass einzige Problem wäre, wäre ich der glücklichste Mensch.“, dachte sie. „Liam, bleib doch einfach hier. Wir könnten wieder eine Runde Schach spielen und ein wenig plaudern. Ich meine, morgen ist doch der große Tag und…“, mitten im Satz brach sie ab. Liam musterte sie eindringlich. Ludeny straffte ihre Schultern und sprach ruhig weiter. „Ich meine als Freunde. Ich fand unsere letzten gemeinsamen Abende sehr angenehm und ich dachte, wir könnten uns gegenseitig ablenken. Ich weiß, dass du heute sicherlich kein Auge zumachen wirst und ich wahrscheinlich auch nicht. Also warum sollten wir alleine zu Hause he rumhängen und die Zeit totschlagen, wenn wir das auch gemeinsam tun könnten!“
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Liam lächelte und nahm die Einladung dankend an. Sie hatten das Schachbrett aufgebaut und setzten sich nebeneinander auf das Sofa. Liam wollte ihr zeigen, wie man dieses Spiel auch mal gewinnen konnte. „Also, wenn du auf diesen Zug so reagierst, dann wird dein Gegner dir den Springer abnehmen. Und das solltest du lieber nicht riskieren!“ Ludeny sah ihm zu, wie er ihr die richtige Reaktion auf einen bestimmten Spielzug erklären wollte. „Aber ich könnte ihn im Gegenzug dafür ins Schach setzten.“ Liam griff sich in die dunklen Haare. „Aus dem er mit einem Zug wieder raus wäre. Und du bist deinen Springer für nichts und wieder nichts los.“ Der Dunkelslug runzelte die Stirn. „Okay, ich sehs ein. Ich werde dieses Spiel niemals so gut beherrschen, wie du.“ Liam schmunzelte. „Dafür bist du in anderen Sachen sehr gut!“ Sie sah ihn verwundert an. „Ich meine, du siehst gut und du bist sehr beweglich, und, oh Mann…“, brach er seinen Satz ab. Ludeny fing an zu lachen. „Ist schon gut, Liam. Brich dir keinen ab, ich weiß schon was du mir sagen wolltest!“ Liam schaute ihr in die Augen, als sie so lachte und es ging ein Kribbeln durch seinen ganzen Körper. „Ich sollte besser gehen, sonst weiß ich nicht, was hier heute Nacht noch passiert!“, dachte er bei sich. „Gott Ludy! Du bist so wunderschön!“, schoss es wieder einmal durch sein Gehirn. Er versuchte sich auf ihre letzte Frage zu konzentrieren, hatte ihr jedoch nicht wirklich zugehört. „Was? Äh, wie war deine Frage?“ Sie schaute ihn mit einem Schmollmund an. „Du hörst mir ja gar nicht zu! Wie soll ichs denn lernen, wenn mein Lehrer gar nicht bei der Sache ist?“ Er musste erst einmal schlucken. „Du hast Recht, entschuldige. Frag noch einmal und ich verspreche dir, dass du eine gute Erklärung von mir bekommst.“ Er setzte sich auffallend gerade auf das Sofa und blickte ihr gespielt ernst in die Augen. „Also mein Kind, frage und du wirst Weisheit erlangen!“, sagte er in schulmeisterischer Art. „Oh Meister, erteil mir eine Lehre!“, witzelte Ludeny und die zwei fingen herzlich zu lachen an. Es verging eine ganze Weile bis Ludeny das erstemal zu gähnen begann und sich den Mund zuhielt. „Entschuldige, aber ich glaube, dass ich heute Abend wohl nicht mehr so aufnahmefähig bin für die hohe Kunst des Schachspie lens. Wie wäre es mit einem Tee und ein wenig Fernsehunterhaltung?“, fragte sie und sprang von der Couch auf, um in der Küche das Wasser zu kochen. „Tee wäre sehr gut. Ich räume inzwischen das Brett weg!“, rief er ihr nach und schaltete dazu das Fern sehgerät ein, während sie um die Ecke zur Küche bog. „Okay, tu das!“, rief sie zurück. Der Tee war fertig und sie kam mit dem Tablett in den Händen zurück. Sie setzte sich neben Liam auf das Sofa und goss ihm und sich eine Tasse des heißen Getränks ein. „Wow, der ist ja noch sehr heiss!“, sagte Liam und stellte die Tasse noch mal ab. „Ja, sonst hätte ich uns Eistee gemacht!“, scherzte sie. „Ach so, das hättest du mir sagen sollen!“, gab er zurück. Im Fernsehen lief die Film-Komödie: „Alle lie ben Lucy“ mit David Boreanaz in einer der Hauptrollen. Am nächsten Morgen - es war so etwa acht Uhr - erwachte Liam. Er streckte sich ein wenig und stellte fest, dass Ludeny an seine Schulter gelehnt, mit ihm zusammen, eingeschlafen war. Sie schlug die Augen auf, strich sich ein wenig durch die Haare und zuckte zusammen. „Ups! Wie, was?... der Fernseher!“ Schnell setzte sie sich auf und drückte den Knopf der Fernbedienung, um das Gerät auszuschalten. „Ich werde mal schnell Kaffee machen!“, sagte sie und eilte in die Küche. „Okay! Ich würde gerne unter die Dusche, wenn es dir Recht ist?“, rief er ihr nach. „Ist gut, mach nur!“, antwortete sie und füllte das Wasser in die Kaffeemschine. „Blöde Situation! Was habe ich mir bloß dabei gedacht?“, flüsterte sie vor sich hin. Liam schloss die Badezimmertür hinter sich und stellte sich vor den Spiegel. „Liam verdammt! Was hast du dir dabei gedacht? Das ist doch eine zu blöde Situation!“, sprach er zu sei nem Spiegelbild. Dann zog er sich seine Sachen aus und drehte das Wasser der Dusche auf. Ein paar Minuten später trat er in die Küche und sah Ludeny an. „War ein wenig unbequem nicht wahr?“, fragte er. „Ja, da hast du Recht. Hoffentlich sind wir heute Abend nicht völlig unbrauchbar.“ „Ich habe noch nie so gut geschlafen, wie in der letzten Nacht.“ schoss es ihr, während sie mit ihm redete, durch den Kopf.
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„Komm, setz dich, frischer Kaffee!“ Er folgte ihrer Einladung und setzte sich direkt ihr gegenüber. „Ich werde nachher Nick abholen und ihn zum Flughafen bringen. Gleich danach, komme ich hier her zurück und wir machen uns fertig für unseren großen Coup!“, verkündete er. „Okay, ich werde inzwischen schon einige Sachen von Stevies und meiner Ausrüstung zusammenrichten. Man weiß ja nie, was dazwischen kommen könnte und dann haben wir wirklich noch genug Zeit für etwaige Überraschungen.“ Liam lächelte sie an. „Ganz Profi, nicht wahr?“ Ludeny blickte ihm ernst in die Augen. „Ja, war ich immer, das weißt du doch. Aber ich hätte nie gedacht, dass wir beide jemals einen Bruch gemeinsam machen würden.“ Er nickte zustimmend. „Ja, das hätte ich auch niemals für möglich gehalten. Vielleicht lerne ich ja heute mal etwas von dir?“ Ludeny stellte ihre Tasse ab. „Darauf kannst du wetten!“ Liam rieb sich grüblerisch das Kinn. „Ich bin gespannt!“ Nachdem die beiden ihre Tassen geleert hatten, beschlossen sie, sich auf den Tag vor zubereiten. Liam telefonierte noch einmal mit Nick um die Verabredung für die Fahrt zum Flughafen noch einmal zu bestätigen. Währenddessen vereinbarte Ludeny mit Stevie einen Treffpunkt für ihre mittagliche Verabredung. Als Liam sich von ihr verabschiedete, umarmten sich die zwei noch einmal und er versprach, noch vor neunzehn Uhr zurück zu sein. Er hatte sich Ludenys Baby, den Spider, geliehen und ließ seine Harley wiedereinmal vor ihrem Haus stehen. Nachdem ihr noch genügend Zeit blieb, bis Stevie auftauchen würde, beschloss sie die restliche Zeit ihren Übungen zu widmen. Nick war früh aufgestanden. Er hatte in der Zwischenzeit auch schon mit Nike telefoniert und sich mit ihr für Mittag im Zauberladen verabredet. Sein Flug ging am frühen Abend und Liam würde ihn um sech zehn Uhr von seiner Wohnung abholen. Bevor er sich auf den Weg zum Sorcery machte, schaute er noch kurz im budhistischen Tempel vorbei. Er zündete einige Räucherstäbchen an und bat um Unterstützung für seine Freunde. Trotz all der Freude die er empfand, war er doch bedrückt. Er hatte nicht die Absicht Liam und die anderen in Stich zu lassen. Aber seine Sehnsucht nach Tilia war zu groß. Er musste einfach zu ihr und das auf dem schnellsten Wege. Nike war lange vor Wanda aufgestanden und hatte bereits Kaffee gekocht. Ihre Augen waren angeschwol len und sie sah matt und müde aus. Wanda unternahm keinen Versuch, sie aufzumuntern. Es hätte sowieso keinen Sinn gehabt. Also tranken sie schweigend ihre Tassen leer und machten sich anschließend auf den Weg zum Zauberladen. Als Wanda ihr Auto davor parkte, bemerkte sie erst wie nervös Nike war. „Wenn du lieber nicht hineingehen möchtest, dann bleib hier sitzen. Nick kann alles mit dir im Auto besprechen und anschließend die Sachen alleine raus holen. Ganz wie du möchtest!“, versuchte sie ihre Freundin zu beruhigen. Doch diese schüttelte den Kopf. „Nein ist schon in Ordnung. Weißt du, dass ist mein zu Hause. Ich möchte es nicht verlieren. Wir gehen hinein.“, entgegnete sie und stieg aus dem Wagen. Am Eingang hielt sie noch kurz inne. Doch dann atmete sie tief durch und öffnete die Tür. Der Laden wirkte seltsam leer und verlassen. Nike ging um den Ladentisch herum und blieb wie angewurzelt neben der Kasse stehen. Ihr Blick fiel auf den Notizblock mit der letzen Nachricht ihrer Mutter. Stumme Tränen liefen der verlassenen Tochter erneut über die Wangen. Wanda stellte sich hinter sie und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Ich werde mich daran halten, Mum. Ich werde mich wirklich daran halten!“, sagte sie, während sie sich umdrehte und sich von Wanda in den Arm nehmen ließ. Der Vormittag verging relativ schnell und Nick hoffte, dass er auch nichts vergessen hatte. „Naja, wenn noch irgendetwas fehlt, kann ich es auch nicht ändern!“ Er stellte alles auf den Flur und überprüfte, ob er auch alle Kristalle beisammen hatte, die er für den Zauber benötigte, den Nike vor dem Museum durchfüh ren sollte.
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„Hoffentlich kommt sie zurecht! Wenn sie irgendetwas falsch macht, könnte der Zauber auch nach hinten losgehen.“ Er steckte die durchsichtigen Steine in einen kleinen Lederbeutel und zog die Kordel zu. „So, nun noch die Formeln und das reine Wasser und wir hätten alles.“, sagte er laut. In der Villa in Newark ging es ebenfalls hoch her und Hylia wurde zusehends unruhiger. „Victor! Ver dammt, ich sagte doch, dass ich meine Tasche immer griffbereit haben muss! Alles Idioten hier!“, schimpfte sie noch vor sich hin. „Was ist hier los!“, brüllte Raymond Greeson die Anderen an. „Ich brauche Ruhe für die Reinigung!“, brüllte er wütend. „Entschuldige Liebster! Aber diese Volltrottel kriegen gar nichts hin!“ Hylia versuchte ihn zu besänftigen aber Greeson ging dicht auf sie zu. „Weißt du eigentlich wie egal mir das ist? Wenn du heute Nacht versagst, werde ich dich eigenhändig umbringen!“, zischelte er sie drohend an. „Ich werde nicht versagen! Darauf kannst du Gift nehmen!“, gab sie zurück. „Wenn doch, dann kannst du es selbst nehmen!“, sagte der Chancenug und blitze sie scharf durch den weißen Schleier in seinen Augen an. Hylia wich etwas zurück. „Verlass dich auf mich!“ Raymond war schon auf dem Weg in sein dunkles Büro, als er sich noch einmal umdrehte. „Ich verlasse mich nur auf mich!“ Dann schloss er die Tür hinter sich und begann damit, sich zu entklei den. Er musste sich einer Reinigung unterziehen, die ihn frei für die Fähigkeit des Quadrigis machte. Er setzte sich auf den Boden, auf dem eine große Decke ausgebreitet war. Sie hatte eigenartige Zeich nungen aus einer fremden Kultur oder Dimension. Sie musste schon sehr alt sein, denn an den Kanten sah man deutliche Abnutzungsspuren. Der Chancenug saß im Schneidersitz und schloss die Augen. Ein paar Räucherstäbchen verströmten ihren Duft im ganzen Raum. Er atmete tief ein. Nachdem er einige Minuten so da saß, öffnete er wieder die Augen und drehte sich zur Seite. Da stand eine Tonkaraffe, in der sich Wei zenkeimöl befand. Es war auf Körpertemperatur erwärmt worden und der Wurmdämon sprach nun etwas in einer fremden Sprache vor sich hin. Die Karaffe hielt er sich über seinen Kopf und ließ es langsam über seine Stirn laufen. Er schloss erneut die Augen und stellte den Krug wieder neben sich auf den Boden. Wäh rend er sich in einen Singsang vertiefte, rieb er sich das Öl in die Haut ein. Nach einer Stunde rief er nach dem Butler, um sich von ihm ein Handtuch bringen zu lassen. „Heute darf nichts schief gehen!“, sagte er und Frank schaute ängstlich von unten her zu ihm auf. „Ja Sir!“ Der Butler war gerade dabei, dem Chancenug die Füsse von dem Öl zu befreien. Er hatte vor ihm sehr große Angst und deshalb stellte er auch keine unnötigen Fragen. Er hielt sich aus allem raus und hoffte, so einem Unglück aus dem Wege gehen zu können. „Was ich nicht weiß, macht ihn nicht heiss!“, dachte er immer bei sich und bisher hatte diese Strategie auch immer gut funktioniert. Als alles Öl abgewischt war, ging Greeson auf sein Zimmer, um ein Bad zu nehmen. Kurz vor der vereinbarten Zeit stand Nick vor dem Sorcery. Ein dicker Kloss hing ihm im Magen und seine Schritte wurden scheinbar immer schwerer. „Arme Maggie! Sie war eigenartig und wahrscheinlich nicht gerade die beste Mutter, aber den Tod hatte sie gewiss nicht verdient!“, dachte er. Dann hob er die Hand und klopfte an die gläserne Ladentür. Wanda kam nach vorne gelaufen und öffnete ihm. „Hallo!“, sagte sie und sah ihn mit einem traurigen Blick an. „Wie geht es ihr?“, fragte Nick, als er eintrat. „Sie hat den Zettel mit der letzten Nachricht ihrer Mutter gefunden und nun ist wieder einiges in ihr hoch gekommen. Wie lange trauern Menschen?“, fragte sie. „Oh Wanda, das ist unterschiedlich. Manche Menschen lenken sich mit ihrer Arbeit ab. Und wieder an dere werden mit dem Verlust niemals fertig!“ Wanda erschrak. „Aber Nike wird doch stark genug sein?“ Nick sah der Risis tief in die Augen. „Du magst sie ja wirklich! Dann brauche ich mir ja keine Sorgen um sie zu machen. Sie hat jemanden, der
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ihr beisteht.“ Wanda schaute ihn skeptisch an. „Ich weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Ich verstehe eure Art zu trauern nicht.“ Nick legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du machst das schon sehr gut. Hör ihr einfach zu, das hilft schon.“ Sie gingen nun zu der unglücklichen Nike und setzten sich in die gemütliche Küche. „Ich möchte mich nicht in das Wohnzimmer setzten, ich hoffe es stört euch nicht!?“, fragte sie die bei den. „Sei nicht albern! Wir sitzten hier sehr gut!“, antwortete Nick und lächelte sie vorsichtig an. „Okay Nike, dann fangen wir mal an!“, sagte er und holte aus seiner Jackentasche den kleinen Lederbeu tel hervor. Irgendwie war es für Ludeny erfrischend, endlich wieder mit Stevie ihre Ausrüstung durchzugehen. Schließlich hatten sie das schon oft genug erledigt. Und die Arbeit lenkte sie von ihren Gedanken ab. Sie hatte immer wieder an die letzte Nacht gedacht und an Nick der in naher Zeit seine große Liebe wieder in die Arme schließen durfte. Sie würde heute gemeinsam mit Liam gegen einen ihrer größten Feinde antreten und vielleicht würde einer sogar sterben, ohne, dass sie sich wieder als Liebespaar vereint hatten. Als Stevie dann schließlich bei ihr ankam, war sie darüber doch sehr froh und erleichtert zugleich. In der Zwischenzeit waren sie fast fertig und hatten auch bereits fast alles in seinem Wagen verstaut. Das Schwert lag noch auf Ludenys altem Eichenschreibtisch. Sie hatte mit Stevie eine Kleinigkeit gegessen und er hatte ihr von seiner Beziehung mit Darlene erzählt. Es tat so gut endlich wieder mit ihm alleine zu sein und nor male Gespräche zu führen. „Weißt du, wenn das alles vorbei ist, dann wird alles wieder normal. Dann können wir uns wieder gegen seitig ärgern und, wer weiß, vielleicht fällt uns ja eine andere Beschäftigung für uns ein!“, meinte sie und zwinkerte Stevie zu. „Ich habe in den letzten Tagen so vieles gesehen und so vieles erlebt, dass ich eigentlich genug habe von Abenteuern für die nächsten drei Leben. Wir werden ja sehen - vielleicht überleben wir diesen Abend ja auch nicht.“ Dann ging sie zu ihrem Freund hinüber und hielt ihn am Arm fest. „Das darfst du nicht einmal denken, hörst du! Ich meine, natürlich mache ich mir auch Sorgen. Aber ich bitte dich, versprich mir, wenn du irgendwie das Gefühl hast, die Sache wird zu heiß, dann mach dich mit Nike aus dem Staub. Ich verlange von dir, dass du mir das ganz fest versprichst.“ Stevie dachte über ihre Worte nach. „Noch ein Punkt mehr, warum wir einen neuen Job brauchen. Früher hätte ich dich niemals in einer gefährlichen Situation alleine gelassen. Aber nun – okay - ich verspreche es. Ich werde die Kurve kratzen, sollte es irgendwie gefährlich werden.“, erwiderte Stevie mit gesenktem Kopf. Sie packten weiter ihre Sachen zusammen. Irgendwann am Nachmittag verließ Stevie sie wieder, um die letzten Klenigkeiten vorzubereiten, bei denen ihm Ludeny sowieso nicht mehr zur Hand gehen konnte. Als ihr Partner gegangen war, griff sie zum Telefon und rief Nick an. Sie wollte sich von ihm verabschieden und ihm alles Gute für seine Reise wünschen. Er war gerade damit fertig, Nike den Kristallzauber zu erklären und wollte sich soeben von den beiden Frauen verabschieden, als sein Telefon läutete. Nick freute sich über Ludenys Anruf und bedankte sich für ihre lieben Wünsche. „Versprich mir bitte, auf dich aufzupassen. Okay? Und noch etwas. Liam liebt dich wirklich. Es wird alles gut, du wirst sehen. Und Ludeny? Vergiss die anderen Männer. Du bist eine miserable Schauspielerin, was deine Gefühle anbelangt.“, witzelte er und versprach, Tilia einen Gruß von der Dunkelslug auszurichten. Anschließend fuhr er nach Hause und wartete auf Liam. Pünktlich um sechzehn Uhr hörte er eine Hupe und lief zum Fenster. Er sah den Spider und schnappte sich seine Koffer. Bevor er jedoch die Tür hinter sich schloss, schaute er sich noch einmal genau um. Sein Blick fiel auf seine Regale mit den Tonfiguren aus seinem Studio. Eine Figur stach besonders heraus. Es war jene, die er gemeinsam mit Tilia an ihrem ersten Abend geformt hatte.
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„Bald bin ich bei dir!“, dachte er und verschloss sorgsam seine Wohnungstür. Liam verstaute die Koffer und sie fuhren los. Während der Fahrt waren die beiden sehr still. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Am Flughafen angekommen parkte Liam den Wagen. Gerade, als sie die Flughalle betreteten hatten, blieben sie stehen. „Liam, ich möchte dich noch um eine Kleinigkeit bitten.“, sagte Nick und zog einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche. „Hier ist die Miete für meine Wohnung und das Töpferstudio. Es müsste genau für den nächten Monat reichen. Darin findest du auch den Schlüssel. Ich dachte, wenn ihr während meiner Abwesenheit irgendeinen Stein oder was auch immer benötigt, ihr könnt jederzeit hinein.“ Er reichte den Umschlag an dem Halbgamblin weiter. Liam nahm ihn entgegen und steckte ihn ein. „Nick, grüß Tilia von mir. Und solltest du noch rechtzeitig zu Topangs Begräbnis dort ankommen, bitte ich dich, verabschiede dich noch einmal von ihm in meinem Namen.“ Die beiden Männer umarmten sich. Dann griff Nick nach seinen abgestellten Koffern und ging zum einzuchecken. „Wenn ich wieder da bin, fahren wir angeln, okay?“, fragte er seinen neugewonnen Freund. „Das machen wir bestimmt!“, antwortete der Halbgamblin. Während Nick langsam auf den Schalter zu ging, drehte er sich noch einmal um. „Ich wünsche euch für heute viel Glück. In meinen Gedanken werde ich bei euch sein und euch bewa chen. Achte gut auf Nike und Ludeny. Beide brauchen dich!“, sagte Nick bevor er der Stewardess sein Ticket reichte.
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Liam
Kräftemessen
wartete noch an der Gangway, bis Nick aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann verließ er das Flughafengebäude, in Richtung Parkplatz, zu Ludenys Wagen. Gedankenversunken setzte er sich hinter das Steuer des Spiders. Schon wieder musste er sich von einem guten Freund verabschieden – wie schon so oft in seinem langen Leben. Doch dann lächelte er und dachte: „Tilias Gesicht möchte ich sehen, wenn Nick endlich bei ihr ist!“ Er drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Liam wollte sich unbedingt noch ein wenig auf die folgende Nacht vorbereiten, indem er sich einer ausgiebigen Meditation hingab, bei der er sich dann mit seinem Shogunschwert innerlich verband. Er musste heute eins sein mit der Waffe, die er einst von Topang bekam. Liam wusste, dass es der Kampf seines Lebens würde, wenn er auf den Chancenug traf. Und er war sich im Klaren darüber, dass er diesen Kampf auch verlieren konnte. Aber er wollte an so etwas nicht einmal den ken. „Ich werde Topang rächen und all diejenigen, die dieses Monster sonst noch auf dem Gewissen hat!“, sagte er leise. Als er zu Hause ankam, zog er als erstes sein T-Shirt aus und begab sich auf das Dach des Wohnhauses, um dort seinen Übungen nachzugehen. Mit dem Schwert in den Händen stieg er die Feu erleiter empor und öffnete die Stahlplatte, die den Zustieg zum Dach verschloss. Er stellte sich auf den heißen, teerbestrichenen Dachbelag und atmete mit geschlossenen Augen tief ein. Liams Muskeln waren angespannt und er begann damit, das Schwert in gekonnten Bewegungen hin und her zu schwingen. Grazil und präzise führte er jeden Zug durch und wurde dabei eins mit der Waffe. In Gedanken war er immer bei seinem größten Feind, der ihm schon soviel Kraft gekostet hatte. Nach etwa mehr als einer Stunde beendete er die Kampfübungen und schloss sie mit einer Meditation ab, um sich wieder ein wenig zu entspannen. Er ging in sein Appartement und suchte seine Ausrüstung zusam men. Der Bequemlichkeit halber zog er sich eine schwarze Jeanshose und ein schwarzes, enganliegendes Sweatshirt über und rundete das ganze mit schwarzen Turnschuhen ab. „Oh Mann!“, sagte er zu sich selber, als er sich so ausstaffiert im Spiegel betrachtete. „So könnte ich wirk lich mit Ludy auf Streifzug gehen!“ Dann nahm er sein Schwert, hing es sich wieder quer über die Schultern und zog sich seine schwarze Lederjacke über. Fertig angezogen, stieg er wieder in Ludenys Wagen und fuhr los, um sie, wie versprochen, abzuholen. Diese hatte sich mit ihren Übungen sehr gut vorbereitet, wie sie selbst fand, und zog sich nun ebenfalls ihre Arbeitskleidung, einen schwarzen Catsuite und ihre flexiblen Schuhe, über. Ihre Haare befestigte sie fest am Hinterkopf, indem sie sie zu einem Knoten im Nacken bändigte. Sie blickte an sich hinunter und dachte laut: „Wenn ich nicht müsste, würde ich das Ding gar nicht mehr anziehen! Ich hasse schwarz, außer an Liam!“ Bei dem Gedanken an Liam huschte erneut ein Schmunzeln über ihre Lippen. Sie griff nach ihrem Kristallschwert, drehte es in der Hand und sagte: „Okay Chancenug, ich komme! Zusammen werden wir es schaffen!“, sprach sie zu der Waffe und steckte sie in eine Scheide, die ihr Liam gegeben hatte. Genau wie er, hing sie sich den Gurt quer über ihre Schultern und zog ihn dann noch etwas zu Recht. Stevie hatte gewartet, bis Darlene ins Orinoco gegangen war und zog sich nun auch seine Einbrecher klufft über. Ähnlich wie Liam hatte er sich einen schwarzen Pullover übergezogen und sich in seine Turn schuhe gezwängt. Aber er bevorzugte als Beinbekleidung eine Bluejeans. „Ich gehe ja, Gott sei Dank, zu keiner Beerdigung!“, sagte er und griff nach einer Dose Pfefferspray, die er sich von unterwegs noch schnell
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besorgt hatte. „.Vielleicht hilft sie uns ja ein wenig, oder zumindest mir!“, sagte er und verließ Darlenes Wohnung Richtung Sorcery, um Nike und Wanda von dort abzuholen. Im Sorcery bereitete sich Wanda auf ihren Kampf vor. Sie trug wieder ihre schwarze Lederkombinati on und hatte sich aus ihrem Wagen den Krummsäbel von Topang geholt. Ihre Übungen mit dieser Waffe faszinierte Nike sehr und sie schaute ihrer Freundin dabei zu, wie diese sich auf ihre Bewegungen konzen trierte. „Soetwas habe ich noch nie gesehen! Du siehst so stark und unverwundbar aus, wenn du das tust!“ Wan da schmunzelte. „Oh, ich bin sehr verwundbar. Aber ich werde einen Teufel tun und es zulassen!“, sagte sie und fuhr dann mit ihren Übungen fort. Nike hatte beschlossen heute auch ihre Jeanshosen zu tragen und ein rotes Sweatshirt, dass ihre Mutter immer an ihr bewundert hatte. „Mit deinen hübschen dunklen Haaren siehst du in diesem Oberteil einfach reizend aus!“, sagte diese früher viele Male und Nike erinnerte sich wehmütig daran. „Ist alles okay?“, fragte Wanda, als sie Nikes tränengefüllte Augen bemerkte. „Wenn du es dir doch anders überlegt hast, ist das okay, niemand wird dir einen Vorwurf deshalb machen.“, hakte sie nach. „Nein, ich schaffe das!“, antwortete Nike entschlossen und wischte sich die Tränen aus den Augen. Nun klopfte es an der Hintertür und Wanda ging mit gehobenem Säbel auf diese zu, um nachzusehen wer da war. „Ich bins, Stevie!“ Wanda öffnete langsam. Stevie erschrak beim Anblick der riesigen Waffe. „Wow, ich bin allein, ehrlich!“ Wanda senkte den Säbel und schmunzelte. „Schon gut! Ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen! Komm rein!“ Ein wenig schüchtern trat Stevie in die Wohnung ein. Dann begrüßte er Nike. Nachdem die drei alles zusammengepackt hatten, verschlossen sie die Haustür hinter sich und begaben sich zu seinem BMW. In der Greeson Villa waren fast alle Vorbereitungen abgeschlossen und man begann den schweren Kör per des Quadrigis in den Kleintransporter zu hieven. „Man, was ist bloß in der Kiste drin?“, fragte der vor Anstrengung schwitzende Victor, den stummen Maurice. Dieser zuckte nur mit den Schultern und wies seinen Kollegen mit einer Handbewegung an weiter zu machen. Endlich hatten sie es geschafft und die Wa genklappe wurde zugeschlagen. Hylia hatte sich einen schwarzen Latex-Catsuit angezogen und ihre roten Haare wallten über ihre Schul tern. Sie nahm ihre Tasche an sich und ging hinunter in Gresons Büro. „Wie weit bist du?“, fragte sie ihn. „Ich bin soweit, wenn ich soweit bin!“, knurrte er zurück und drehte sich in seinem Sessel zu ihr um. „Wir haben noch Zeit! Um zwanzig Uhr müssen wir da sein!“, sagte sie zu ihm. „Das weiß ich! Ich hoffe, dass du gut vorbereitet bist!“, kam es von ihm. „Mach dir keine Gedanken mein Liebster. Du wirst nicht enttäuscht sein und ich werde mir dann meine Belohnung abholen!“ Wie eine Raubkatze auf Beutezug schlich sie um ihn herum und strich ihm über seine Haare. Wie versprochen läutete kurz vor neunzehn Uhr Liam an Ludenys Tür. Schwungvoll öffnete sie und hielt kurz den Atem an. Er sah unbeschreiblich aus in seinem ‚Einbrecheroutfit für Anfänger‘. „Bist du soweit? Hast du alles, was wir brauchen?“, fragte er sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Ludeny nickte nur, griff nach ihrer Jacke und ging mit Liam zu ihrem Wagen zurück. Da die Stimmung etwas erdrückend Ernstes an sich hatte, versuchte die Dunkelslug mit einem kleinen Scherz den Moment etwas zu entschärfen. „Irgendwie scheint es so, als hättest du in den vielen Jahren dazu gelernt. Mein Baby hat nicht einmal einen Kratzer abbekommen, und das obwohl du es bereits mehrere Male missbraucht hast.“ Doch ein Blick in Liams Gesicht verriet ihr, dass ihr Versuch wohl nicht gelungen war.
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Bis zum Metropolitan Museum of Art war es nicht sehr weit und so parkte Ludeny, kaum dass sie los gefahren waren, den Spider bereits einen Häuserblock von ihrem zu Hause entfernt, schon wieder ein. Sie blieben im Wagen sitzen und erwarteten die Ankunft der Anderen. Die Zeit zog sich wie ein Gummiband, dass, je länger es wurde, immer schwerer zu strecken war. Die zwei wurden zusehends ungeduldiger. Alle paar Minuten blickten sie abwechselnd auf ihre Uhren. Ludeny wandte sich gerade an Liam und wollte et was sagen, als Liam plötzlich sprach. „Ludy, bevor ich vielleicht nicht mehr dazu komme, möchte ich, dass du eines weißt. Ich liebe dich. Ich weiß, wir haben uns auf eine Freundschaft geeinigt, und darüber bin ich wirklich froh. Aber sollte heute der Tag sein, an dem es…“ Doch weiter kam er nicht. Denn die Dunkelslug hatte sich jäh ganz zu ihm hinüber gebeugt und legte zärtlich ihre Hände auf seine beiden Wangen, dabei drehte sie sanft sein Gesicht in ihre Richtung. Sie presste ihre Lippen auf die seinen. „Entschuldige Liam, ich weiß, dass ist gegen unsere Abmachung. Aber sollte ich heute sterben müssen, dann nicht, ohne einen Kuss von dir bekommen zu haben.“, sagte Ludeny, als sie sich von einander gelöste hatten. Sie wollte gerade wieder ihren Kopf abwenden, als Liam sie erneut zu sich heranzog und sie hart und bestimmt küsste. Es war ein rascher, aber fordernder Kuss und beide versuchten mühsam anschließend wieder ihre Fassung zurück zu gewinnen. Plötzlich klopfte es auf der Fahrerseite am Fenster. Beide zuckten zusammen. Als sie Stevie erkannten, atmeten sie erleichtert aus. Wanda und Nike waren inzwischen auch vor dem Spider aufgetaucht und war teten darauf, dass die Action begann. „Dann kann es ja losgehen!“, sagte Liam. Stevie hatte seinen Rucksack neben sich auf dem Boden abge stellt und beugte sich hinunter, um ihn zu öffnen. Er nahm drei Headset mit Funkteil heraus und reichte je eines an Wanda, Ludeny und Liam weiter. „Okay, also ganz einfach. Ich bin Hummelkönig, Ludeny ist Marzipanrose, Wanda ist Bamby und Liam hat den Decknamen Fester!“, erklärte er den Mitstreitern. „Bamby?“, fragte Wanda verwirrt und leicht erbost. „Fester? Sag mal spinnst du? Wieso bin ich der glatzköpfige Onkel der Addams Family?“, brummte Liam zornig. Ludeny legte besänftigend ihren Arm auf den seinen. „Vergiss es. Wenn es um Codenamen geht, kann man mit ihm nicht verhandeln!“, flüsterte sie dem Halb gamblin ins Ohr. „Also, wie auch immer. Ich kann jeden von euch durch mein Empfangsgerät hören. Ihr mich im Gegen zug ebenfalls. Aber untereinander könnt ihr nicht miteinander kommunizieren. Bei so vielen Sendegeräten funktioniert das leider nicht. Also wenn irgendjemand etwas von einem andern möchte, einfach über mich mitteilen. Ich werde hier erst einmal die Alarmanlage lahm legen, damit ihr ohne Polizeischutz ins Gebäu de reinkommt.“ witzelte Stevie. „Anschließend werde ich alles wieder in Gang setzen. Das heißt für euch, da drin nichts mehr berühren und vor allem nicht bewegen. Sobald die Alarmanlage wieder deaktiviert wird, gebe ich euch bescheid. Dann sind die Cobras auf dem Weg zu euch!“, schloss Stevie stolz seine Erklä rungen. „Cobras?“, flüsterte nun auch Nike. Ludeny nickte und formte mit den Lippen die Wörter: „Die Bösen!“ Um seinen Bericht korrekt abzuschließen sagte Stevie: „Sollte es sonstige technische Schwierigkeiten geben, bin ich euer Mann.“ Dann trat Nike an die Gruppe und erklärte den anderen, ihre Aufgabe bei der Aktion. „Also Nick hat mich eingehendst instruiert. Ich habe hier für jeden von euch eine Sandrose. Das ist ein Stein, der unsere Energieflüsse verbinden soll, damit meine Zauber auf euch alle wirken. Ich habe von ihm noch einen Onyx bekommen mit der Rune des Thuriasaz. Der Stein soll meine Kraft bündeln und gegen das Böse richten. Ich habe noch zwei Zauber von Nick bekommen. Der eine ist ein Schutzzauber, den ich anwen den werde, wenn die Lage zu eskalieren droht und der andere ist eine Art Gegenzauber. Mit dessen Hilfe soll es mir gelingen die Zauber der Magierin etwas durcheinander zu bringen. Ich habe noch einen Doppelspalt bei mir, ein Stein, der mir anzeigen soll, wann es wo Schwierigkeiten gibt, da er der Stein der Seher ist. Also
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sobald ihr drin seid, höre ich über Stevie alles mit. Ihr wisst, welche Möglichkeiten wir nun haben. Sobald ihr meinen Einsatz braucht, gebt mir einfach bescheid.“ Wanda war merklich stolz auf ihre neue Freundin und lächelte. Dann ergriff Liam wieder das Wort. „Gut - Uhrenvergleich. Es ist jetzt neunzehn Uhr zwanzig. Jeder schaltet nun bitte sein Handy ab oder lässt es einfach bei Stevie. Dann beginnt die Show!“ Die drei Helden setzten sich ihre Headsets auf und Stevie sprach ein paar Worte hinein. „Okay, zuerst Wanda! Hallo Bamby, kannst du mich hören? Test, Test, Test!“ Wanda zuckte kurz zusam men. „Aua! Ja, bis auf die winzige Kleinigkeit, dass ich gleich taub sein werde, weil du das Ding zu laut einge stellt hast!“ Stevie drehte den Lautstärkeregler ein wenig herunter. „Entschuldigung! So, jetzt müsste es besser sein.“ Wanda nickte und wandte sich nun wieder an Nike. „Okay, Hummelkönig an Fester!“ Stevie musste grinsen, als er den Namen aussprach. Liam verzog gene rvt das Gesicht. „Könnten wir den Namen nicht noch ändern?“ Ludeny blickte zu Boden und musste schmunzeln. „Nein! Ich bin hier für die Technik zuständig und es ist wichtig, dass es Namen sind, die man leicht von einander unterscheiden kann! Punkt! Also, noch mal, Hummelkönig an Fester, bitte melden Fester! Kannst du mich hören?“ Liam atmete tief aus, um seine Verärgerung zu unterdrücken. „Ja doch! Ich höre dich! Ist ja schon gut!“ Stevie war anscheinend zufrieden und rief nun den Namen seiner besten Freundin. „Gut. Hör einmal Marzipanrose, wenn du da nicht wieder rauskommst, dann bekommst du mächtig viel Ärger mit mir!“ Ludeny lauschte gespannt seinen Worten. Jäh stiegen Tränen in ihre Augen. „Und du denk daran, was ich dir gesagt habe!“ Beide sahen sich an und gingen aufeinander zu. „Pass bitte auf dich auf!“, sagte Stevie und drückte sie fest an sich. „Ich werde es versuchen!“, antwortete sie und ließ ihn los. Wanda blickte zu Nike. „Du bist eine starke Persönlichkeit! Vergiss das nicht!“ Nike nahm die Risis in den Arm. „Bitte, du musst da wieder heil rauskommen! Ich brauche meine beste Freundin, hörst du?“ Wanda löste sich von ihr und nickte. Anschließend verteilte die kleine Hexe die Sandrosen an die drei „Einbrecher“ und schon konnte es los gehen. Ludeny hatte einen kleinen Spalt an der Wand zum Gebäude ausgemacht und in diesen schob sie nun ihren linken Fuss. „Okay Hummelkönig! Zeigen wir denen mal, wie man einen ordentlichen Bruch macht!“, sagte sie in ihr Headset und kletterte flink wie eine Spinne, die Mauer empor. Liam schaute ihr fasziniert dabei zu und war mit einem Mal sehr stolz auf sie. „Sie ist einfach umwerfend und wenn wir hier wieder rauskommen, dann werde ich alles versuchen, um aus meinem Versprechen mit den Eternidati herauszukommen! Ich liebe dich Ludy!“, ging es ihm durch den Kopf. Ludeny war an einem der oberen Fenster angekommen. Laut Plan, war hier der Zugang zur ägyptischen Abteilung des Museums. „Hummelkönig! Alarmanlage aus!“ Stevie tat wie ihm geheißen und tippte auf sei nem LapTop herum, der mit einem Kabel an dem Sicherungskasten, außen am Haus angebracht war. „Okay, alles aus!“ Liam wurde unruhig. „Sag ihr, dass sie auf den Wächter achten soll! Wenn sie uns an der Hintertür er wartet!“ Stevie nickte. „Ansage von Fester! Achtung vor dem Wächter!“ Ludeny bestätigte die Nachricht und zog dann aus ih rem Werkzeuggürtel den Glasschneider heraus. „So, dann wollen wir mal.“, sagte sie und schnitt ein kleines Loch in eine Ecke der Scheibe, um den Fen stergriff mit der Hand erreichen zu können. Mit einem Ruck gab der Griff nach und sie konnte das Fenster aufschieben. Als sie in den Raum sprang, landete sie mit ihren Füßen wie auf Samtpfoten. Erneut griff sie in den Gür tel und holte dort eine knetbare Masse hervor, die, wenn man sie lange genug in den Händen rieb, in jede
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erdenkliche Form gebracht werden konnte. Sie erstellte eine flache Scheibe aus der durchsichtigen Masse und legte sie über das Loch im Fenster, dabei musste sie sehr genau darauf achten, dass es keine Lücken gab, ansonsten würde in wenigen Minuten, wenn die Alarmanlage wieder angeschaltet wurde, die Hölle losbrechen und die Polizei würde ihren Plan vereiteln. Das Loch war versiegelt und Ludeny ging vorsichtig durch die dunklen Ausstellungsräume. Sie achtete peinlichst auf jedes Geräusch und etwaige Bewegungen, um im Notfall die Flucht zu ergreifen oder sogar ihre Waffe zu benutzen. Aber nichts geschah, obwohl sie das sichere Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Sicher an der Hintertür angelangt, entriegelte sie diese und lies Wanda und Liam eintreten. „Okay, hereinspaziert! Heute freier Eintritt!“, scherzte sie, als die zwei durch die Tür schritten. „Hummelkönig, wir sind alle drin und die Tür und das Fenster sind verschlossen! Wir sehen uns!“ Ihr Partner lächelte erleichtert und bestätigte ihre Meldung. Liam stellte sich nun vor die beiden Frauen. „Gut, ich schlage vor, dass Wanda sich in der Nähe der Vitrine mit den ägyptischen Masken versteckt und auf mein Zeichen wartet! Ludy, du bleibst hinter der Mumie und wartest ebenfalls auf ein Zeichen von mir!“, flüsterte er. Ludeny blickte ihn verwirrt an. „Das war aber doch anders geplant!“, zischelte sie zurück. „Es läuft jetzt aber so! Ich bin hier der Fachmann für das Böse und du die Fachfrau für Einbrüche!“ gab er zurück. Er wollte Ludeny aus der Gefahrenzone heraushalten und deshalb postierte er sie an einer, für sein Empfinden, ungefährlichen Stelle der Abteilung. Dann ging er ihnen voraus, da er der Meinung war, das es nichts mehr zu besprechen gab. Aber er hatte die Rechung ohne die Dunkelslug gemacht. Sie schritt eiligst neben ihm her und hielt ihn am Pulloverärmel fest. „Liam! Traust du mir nicht zu, dass ich hier bestehen kann?“, fragte sie ihn enttäuscht. „Nein, das ist es nicht! Ich denke einfach, dass du an dieser Stelle in der Halle am besten positioniert bist!“ log er. Wütend blieb sie stehen. „Nein, ich glaube dir nicht! Du traust es mir nicht zu! Sag schon!“, schimpfte sie. „Hummelkönig hier! Was ist bei euch los? Hey, Mazipanrose!“, kam nun Stevies Stimme durch ihren Kopfhörer. „Ich gehe keinen Schritt weiter, wenn du es nicht endlich zugibst!“ Stur stellte sie sich mit verschränkten Armen mitten in den Gang. „Liam! Kümmere dich um deine durchgedrehte Freundin! Wir haben nicht so viel Zeit!“, mischte sich Wanda wütend in den Disput ein. Liam blieb ebenfalls stehen und drehte sich zu Ludeny. Dann sah er zur Decke und ging auf sie zu. „Nein, ich traue es dir zu! Ich traue dir alles zu! Ich, ich…“ Ludeny wurde ungeduldig. „Was?“ Er strich ihr zärtlich über ihr Gesicht. „Ich habe Angst, dass dir etwas geschehen könnte! Ich würde es nicht überleben, wenn du…“ Aber er konnte nicht weitersprechen. Denn sie hatte ihre Lippen auf seine gepresst und küsste ihn nun zärtlich. „Es geht mir doch nicht anders! Aber ich will an deiner Seite sein! Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn dir etwas zustößt und ich diejenige wäre, die es vielleicht hätte verhindern können!“ Liam blickte ihr mit seinen blauen Augen in die ihrigen und lächelte. „Ja, gut! Ludeny stellt sich hinter die Statue des Pharaonen Gottes, so wie es abgemacht war!“, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Zügig gingen sie weiter. „Alles roger bei euch?“, fragte Hummelkönig in die Kopfhörer. „Fester hier! Ja alles in Ordnung!“ Sie gingen weiter hinein in die ägyptische Halle und postierten sich mit ihren Waffen im Anschlag auf ihren Plätzen. Greeson hatte sich für den heutigen Abend das rituelle Gewand für die Wandlungzermonie übergezogen und schlüpfte in die dazu gehörigen Sandalen. Er betrachtete sich im Spiegel und gefiel sich wirklich sehr gut in der tunikaähnlichen Verkleidung. Goldfäden zierten in verschlungenen Mustern den schwarzen Stoff und zogen sich bis zum Boden des Gewandes. Er musste beim Gehen den Saum etwas anheben, da dieser sehr lang war, um nicht versehendlich darauf zu treten.
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Hylia trat an ihn heran und setzte ihm die dazugehörige Kopfbedeckungt auf. Sie ähnelte den Helmen der ägyptischen Götter und wurde vorne, in Stirnhöhe, von einem Schlangenkopf geziert. Schwarz und ebenfalls mit Goldfäden durchzogen passte er scheinbar wie angegossen auf den Kopf des Chancenug. Der Kleintransporter mit dem Leichnam des Quadrigis war bereits unterwegs zum Museum und so muss ten nur noch Hylia und Greeson in ihrer Limusine dorthin gelangen. „Heute Nacht werden wir etwas Grossartiges bewegen! Ich kann es schon spüren, wie die Macht mich durchflutet!“, sagte der Wurmdämon triumpfierend und legte ein eisiges Lächeln auf. „Ja, du kommst unserem Ziel immer näher und wirst der Gott dieser Welt werden!“, bestätigte ihn die böse Hexe. Maurice, der am Steuer des Wagens saß, grinste sie durch den Rückspiegel an. Die Fahrt dauerte eine Weile und so nahm sich Raymond ein Glas aus der Bar und goss sich einen Gin ein. „Auf meine großen Aufgaben!“, prostete er sich selber zu und lachte dabei eiskalt. „An alle. Seid ihr auf euren Posten? Lastwagen gesichtet, ich wiederhole Lastwagen gesichtet!“, rief Ste vie in sein Headset und wartete verbissen auf Antwort. „Bamby, alles roger!“, antwortete die Risis und fühlte sich vermeintlich langsam wohl in ihrer Einbre cherrolle. „Marzipanrose auch postiert.“, bestätigte nun auch Ludeny ihren Standort. „Bei mir auch okay!“, antwortete Liam. „Ich bestätige Fester auch vor Ort! Verwendet eure Codenamen!“, erinnerte Stevie eindringlich. „Ich schalte die Alarmanlage wieder ein. Keine Bewegungen mehr, alle verstanden?“ Nachdem alle drei erneut bestätigten, betätigte Stevie seinen Laptop und die Alarmanlage wurde erneut in Betrieb gesetzt. Nike hatte aufmerksam zugehört und bereitete nun ihrerseits alles vor. Sie hatte ein blaues Samttuch da bei und ein Tablett. Nachdem sie den Stoff darauf ausgebreitet hatte, stellte sie vier Kerzen darauf ab. Eine weiße im Norden für die Luft, eine rote im Osten für das Feuer, eine braune im Süden für die Erde und eine blaue im Westen für das Wasser. Somit waren alle vier Elemente und Himmelsrichtungen vorhanden. In der Mitte ihres kleinen Zauberaltars legte sie den Onyx mit der Runenseite nach oben. „Bin bereit!“, verkündete sie Stevie, der dies umgehend den anderen mitteilte. Genau in diesem Augen blick parkte der Transporter vor dem Museum ein und zwei Männer stiegen aus. Einer der beiden zündete sich eine Zigarette an und qualmte vor sich hin, während sie auf die Limousine ihres Bosses warteten. Der Wagen fuhr wenige Augenblicke später ebenfalls vor. Greeson stieg aus und wartete auf Maurice, der für die Alarmanlage zuständig war. Dieser war mit einem Poket-PC ausgestattet und begab sich an die Arbeit. Er schlich zum Haupteingang hoch und steckte einige Kabel in den kleinen Codekasten daneben. Nachdem er hingebungsvoll auf seinem PC herum gedrückt hatte, hielt er Greeson seinen hochgestreckten Daumen entgegen. Stevie hatte alles genau beobachten können und verkündete den anderen: „Also alle: Glocken erneut aus. Marzipanrose, die haben sogar Poket-PCs! Warum haben wir so etwas nicht?“ Ludeny musste lächeln. „Sei nicht traurig, Hummelkönig. Sollten wir das hier überleben gehen wir an unsere Ersparnisse und du darfst dir neues Spielzeug kaufen, okay?“ Jeder aus der Gruppe versuchte sich noch besser zu verstecken um nicht entdeckt zu werden. „Also an alle, Greeson und das Busenwunder kommen durch den Haupteingang. Sie müssten jeden Mo ment die Tür öffnen. Zwei Monster von Lakaien tragen eine riesige Kiste! Vielleicht ist das ein Sarg? Und einer betätigt den Poket-PC. Also insgesamt haben wir es mit fünf Cobras zu tun!“, berichtete Stevie auf merksam. „Alles klar, Hummelkönig. Sobald ich sie erblicke, herrscht Funkstille. Ende Bamby!“, meldete Wanda und musste innerlich lachen. „Warum haben Liam und ich eigentlich keine Codenamen?“, dachte sie wäh rend sie gebannt die Tür beobachtete. Ludeny atmete still und vorsichtig. Sie versuchte Liam zu erspähen. Aber leider konnte sie ihn nirgend wo entdecken.
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„Perfekt getarnt! Bei allen Göttern und Göttinnen dieser Welt, bewacht uns heute!“, dachte sie flehend und wartete gespannt. Liam konnte nur noch Ludenys rechte Schulter entdecken, versuchte sich jedoch lieber auf seine Aufgabe zu konzentrieren. „Funkstille!“ war alles, was Wanda wagte zu sagen. Stevie leitete das Wort an die anderen weiter und schaltete sein Mikrophon ab. Von nun an blieben Nike und ihm nichts anderes übrig, als aufmerksam zuzuhören, um den dreien, wenn es nötig werden sollte, helfen zu können. Die Gruppe um den Chancenug betrat nun das Museum. Die muskelbepackten Begleiter trugen den Sagrophag in das Innere der Eingangshalle. Nachdem der Nachtwächter getötet worden war, war für die Sicherheit des Gebäudes eine Wach- und Schliessgesellschaft verpflichtet worden und so konnten alle au ßerhalb der Kontrollzeiten, ungehindert das Museum betreten. „Ist ja ein Kinderspiel!“, sagte Hylia und deutete dem Wurmdämon den Weg. Die Karawane bewegte sich langsam in Richtung ‚ägyptische Kulturen‘ und wirkte äußerst unheimlich im Halbdunkel der Räume. Unbe merkt von allen anderen verbarg sich hinter einer Säule aus dem antiken Griechenland eine gespenstische Gestalt, die die Situation aufmerksam zu beobachteten schien. Der Wächter des Okipheus Pharaos war sehr unruhig. Er ahnte wohl, was hier bald passieren würde. Er kannte die uralte Geschichte um den Skarabäus und den Kräften eines Quadrgis-Dämons und da Neumond war, konzentrierte er sich besonders auf seine Aufgabe, nämlich zu verhindern, dass der Dämon erneut die Welt beherrschen würde. Er brachte sich in die richtige Position, um rechtzeitig zuschlagen zu können. Liam hörte Leute die Treppen hinaufkommen und konzentrierte sich in diese Richtung. Er schaute um die Ecke seines Versteckes und flüsterte in sein Mikrophon: „Fester an Hummelkönig! Nike soll anfangen! Busenwunder taucht jeden Moment auf!“ Er lauschte, um Stevies Bestätigung nicht zu überhören. „Roger!“, erklang es nun durch den Kopfhörer. Ludeny wartete unruhig in ihrem Versteck. So nervös war sie nie, wenn sie auf einen ihrer Raubzüge ging. „Aber das ist ja wirklich eine andere Situation, hier geht es um Leben und Tod!“, dachte sie bei sich. Wanda konnte von ihrer Position aus, die Situation am besten überblicken. Innerlich machte sie sich bereit für den großen Kampf. Hylia stellte schwarze Kerzen in einem Kreis auf den Boden. Dann entzündete sie die Dochte und zeich nete mit roter Kreide ein altes Symbol auf den kalten Steinboden. Immer wieder murmelte sie irgendwel che Formeln vor sich hin. Dann schloss sie die Augen und während sie sich immer mehr in ihrem Singsang vertiefte, begann sie dabei wie in Trance, hin und her zuschaukeln. Der Sarg wurde erfurchtsvoll auf eine Empore im Raum gestellt und von Maurice geöffnet. Der Quadrigis lag immer noch ruhend darin und er wartete seine Erweckung. Plötzlich meldete sich Stevie wieder übers Mikrophon. „Achtung an alle! Ein weiterer Wagen ist gerade vorgefahren. Ich wiederhole noch ein Wagen. Zehn Männer betreten gleich das Museum. Neue Cobraan zahl, jetzt fünfzehn!“ Greeson hatte vorgesorgt. Er war sich sicher, dass Liam alles daran setzen würde, ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Deshalb hatte er von Anfang an, weitblickend Verstärkung eingeplant. Im BMW in der Seitengasse entzündete Nike indess die farbigen Kerzen und murmelte ebenfalls etwas vor sich hin. Dann legte sie einen Amethyst neben den Onyx und konzentrierte sich auf ihren Gegenzauber. Unter voller Anspannung murmelte sie die nötigen Formeln und hoffte inständig auf den Erfolg. Greeson ging auf die Vitrine mit dem Skarabäus zu und schlug mit der blanken Faust die Scheibe ein. Mit einem lauten Klirren fielen die Scherben zu Boden. Nun griff er sich den Käfer und drehte ihn trium phierend in seiner Hand. „Du wirst mir jetzt dabei behilflich sein, endlich die Macht zu erlangen, die ich verdiene!“ Plötzlich begann Hylia zu fluchen. „Verdammt! Was soll das?“, rief sie aus und schlug wütend mit den Händen auf den Boden. „Was?“, brüllte der Chancenug sie an. „Irgendetwas stört meinen Energiefluss!“, schrie sie. In diesem Moment stürzte sich, wie aus dem Nichts der Wächterdämon auf die Gruppe um den Chancenug. Er nutzte den Moment der Überraschung und holte mit seinem Schwert aus. Das war der Augenblick, auf den Liam und die anderen gewartet hatten. Er nickte
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Wanda und Ludeny zu und stürmte ihnen voran auf einen der Lakaien zu. Die zehn Männer, die erst später im Museum eingetroffen waren, zogen ebenfalls ihre Schwerter und anderen Stichwaffen. Auf Befehl ihres Cheffs durften sie keinerlei Schusswaffen benutzen, da der Lärm die Polizei auf den Plan hätte rufen kön nen. Einer der Männer blickte Liam mit Panik erfüllten Augen an, konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig rea gieren und so wurde er von Liams Schwert durchbohrt. Wanda rannte mit ihrem Krumsäbel auf Hylia zu und holte zum Schlag aus. In diesem Moment sprang jedoch Maurice dazwischen. Wanda konnte allerdings ihren Run auf die Hexe nicht mehr stoppen und rammte dem stummen Gehilfen der rothaarigen Magierin die Waffe in die Eingeweide. Maurice fiel mit weit aufgerissenen Augen stöhnend auf die Knie. In seinem Todeskampf klammerte er sich an das Bein seiner Herrin. Blut rann aus der riesigen Wunde. Als er nach vorn überfiel, zog er die Hexe mit sich zu Boden. Dann hörte er auf zu atmen. So schnell sie konnte rappelte sie sich wieder auf. Blitzschnell zog sie einen kleinen Beutel aus ihrer Tasche, griff hinein und warf ein lilafarbens Pulver vor sich auf den Boden. Urplötzlich entstand eine Wolke und ein blitzhelles Licht blendete Wandas Augen für einen Moment. Wanda hielt vor Schreck ihre Augen zu und bemerkte so nicht, wie Hylia ihr entkommen konnte. Ihr Zauber hatte ausgereicht, sie sicher vor den Türen des Museums wieder erscheinen zu lassen. In der Seitenstrasse im BMW leuchtete plötzlich der Doppelspalt auf. Nike konnte die böse Widersacherin dabei beobachten, wie sie gerade versuchte einen neuen Zauber auszusprechen. Jetzt musste die Verkäufe rin schnell handeln. Sie griff nach der Koralle und legte sie auf die andere Seite des Onyxs. Dann flüsterte sie eine weitere Zauberformel und schickte einen Schutzzauber in Richtung Liam, Wanda und Ludeny. Hylia schäumte vor Wut, als sie feststellen musste, dass ihre Magie zum zweiten Mal an diesem Abend von irgend jemandem blockiert wurde. Da Wanda durch das Blitzlicht einen Augenblick lang kampfunfähig war, nutze einer ihrer Gegnger diese Gelegenheit, sie von einer anderen Seite her anzugreifen. Ludeny bemerkte dies jedoch und rannte auf den vermeintlichen Angreifer zu. Mit dem Kristallschwert in der Hand holte sie zu einer eleganten Bewegung aus und schlitzte den blonden Mann von hinten auf. „Danke!“, sagte Wanda verwirrt und lächelte Ludeny dabei kurz an. „Gern geschehen!“, antwortete diese kurz und stellte sich auch schon dem nächsten bewaffneten Geg ner. Liam hatte bereits vier der Männer erledigt und ging nun auf den eigentlichen Grund für seinen Aufent halt in dem Museum zu. „O`Brian! Ich dachte mir, dass du hier auftauchen würdest! Und deine französische Blume hast du auch mitgebracht!“, sagte Greeson zornig und deutete mit einem Blick auf die sich sehr gut wehrende Ludeny. „Halts Maul und kämpfe! Ich habe mehr als eine Rechnung mit dir offen!“, erwiderte Liam und schwang gekonnt sein Schwert. „Vielleicht tun wir das auch noch bei der richtigen Gelegenheit und du kannst mir beweisen, wer der Bessere ist! Aber nicht heute Nacht! Ich habe noch zuviel vor und da brauche ich meine Kräfte!“ Dann wand te sich der riesen Wurmdämon ab und verschwand blitzschnell aus dem Ausstellungsraum. „Oh nein! so nicht! Heute kommst du mir nicht davon!“, rief Liam und machte einen riesigen Satz über die Brüstung des Treppengeländers. Er landete sicher auf dem Boden der Eingangshalle. Zwei der Lakaien traten an die Brüstung. Einer der beiden entdeckte einen Stein auf dem gefliesten Boden. Als er sich danach bücken wollte, erkannte er, dass es sich um den Skarabäus handelte, welcher der eigentliche Grund für die nächtliche Aktion seines Cheffs war. „Vielleicht bekomme ich ja eine Beloh…“ Seine Stimme erstarb. Denn der Wächter des Okipheus hatte ihm von hinten sein Kurzschwert in die Nieren gerammt und der Lakaie ging schwer verletzt zu Boden. Der Wächter des Pharaos griff indes den Skarabäus, den der soeben getötete Mann hatte fallen lassen und blickte zu den beiden Frauen hinüber. Aus Zeitmangel verzichtete er auf das Herausschneiden der Zunge und nickte stattdessen nur kurz und wandte sich ab. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden und mit ihm der okulte Stein. Liam war vor dem Chancenug an der Tür angekommen und versperrte ihm somit den Weg nach draußen.
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„Wohin denn so eilig?“, fragte er und blickte ihn wütend an. „Okay, du willst es also heute Nacht wissen! Dann zeig was du kannst!“, rief der Chancenug aus und ent ledigte sich seiner Tunika. Unter seinem Gewand trug er eine Hose und ein Unterhemd. Schnell zog er aus einer Scheide ein mittelalterliches Schwert. Es wirkte riesig gegen Liams Waffe und man hätte meinen kön nen, dass der Halbgamblin keine Chance haben würde. Aber Liam schwang elegant seine Waffe und wartete auf eine Reaktion seitens des Chancenug. Dieser holte aus und ging auf Liam zu. Ein lautes Klirren erklang, Funken flogen und die beiden Dämonen verfielen in einen intensiven Kampf, in dem scheinbar keiner die Oberhand gewann. „Du bist besser geworden!“, sagte der Wurmdämon zu Liam, während er kurz inne hielt. „Oder du bist sehr viel schlechter geworden!“, antwortete dieser und ging erneut auf Greeson zu. Wieder flogen die Funken, während sie verbissen kämpften. Plötzlich wurde Liam von dem an ihm vorbeirennenden Wächter abgelenkt und Raymond nutze diese Gelegenheit und schlug mit seinem Schwert auf Liam ein. Dieser ging zu Boden und der Wurmdämon stand mit erhobenem Schwert über ihm. „Tja, ich wollte ja noch warten!“, sagte er und holte aus. „Liam!“, hörte man Ludenys Stimme durch die Halle gellen. Mit wutverzerrtem Gesicht stand sie auf dem Treppenabsatz und flehte gen Himmel um Hilfe. Ein Zischen war zu hören und mehrere Wurfsterne und Dolche flogen durch die Luft! Wanda hatte sie in Richtung Liams Widersachers geschleudert und traf diesen damit am ganzen Körper. Der Wurmdämon schrie laut vor Schmerzen auf. Dann erblickte er die Risis, wie sie mit großen zielstrebigen Schritten und mit dem Krumsäbel Topangs auf ihn zuging. „Jetzt bist du fällig!“, sagte sie wütend und erhob ihre Waffe. Der Chancenug war durch seine Verletzung so sehr in seinem Kampf eingeschränkt, dass er nun doch die Flucht vorzog und stolpernd aus dem Muse um. Hylia hatte in der Zwischenzeit die Limousine erreicht, startete den Wagen und hielt mit laufendem Motor vor dem Haupteingang des Museums. Als sie jetzt den blutenden Raymond heraus stolpern sah, öff nete sie schnell die Beifahrertür. „Komm schon!“, schrie sie und während dieser sich gerade in den Wagen geschleppt hatte, fuhr sie auch schon mit quietschenden Reifen davon. Greeson fluchte. „Verdammt! Ich dachte, du hättest alles im Griff?“, schrie er die Magierin an. „Dachte ich auch! Wer kann denn ahnen, dass diese kleine Hexe wieder ihre Finger im Spiel haben könnte!“ Auf schnellstem Wege fuhren sie zurück zur Villa, wo sich Hylia um Raymonds Wunden kümmern musste. Er würde zwar nicht sterben, schließlich war er unverwundbar. Aber Schmerzen hatte er trotzdem und um diese wollte die Magierin ihn nun erleichtern. Ludeny war zwischen den auseinanderstobenen Lakaien des Chancenug hindurchgerannt und bückte sich zu Liam hinunter. „Oh mein Gott! Du blutest!“, rief sie und sah sich die weit aufklaffende Wunde an seinem Arm an. „Das muss genäht werden!“, sagte sie und schniefte. „Ludy!“, antwortete er ihr und griff ihr an die Wange. „Es ist gut!“ Sie blickte ihn an und dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Nein, nichts ist gut! Ich hätte dich beinahe verloren und ich wüsste nicht, wie ich dann weiterleben sollte!“ Liam zog sie ein Stück näher an sich heran und küsste sie auf ihre Stirn. „Ich werde nicht so schnell weggehen! Versprochen!“ Die Dunkelslug schaute ihn an und musste ein wenig lächeln. „Du darfst das auch nicht! Ich habe mich inzwischen an deine schulmeisterische Art so sehr gewöhnt! Hörst du?“ Wanda war an die beiden herangetreten und besah sich Liams Wunde am Arm. „Also ich sag es ja wirklich nicht gerne, aber Ludeny hat Recht! Das muss genäht werden!“ Sie half ihm aufzustehen, indem sie ihn am anderen Arm hochzog. „Wanda, danke dir!“, sagte er und gab ihr die Hand. „Hey Mann! Ich würde das Gleiche von dir erwarten! Vergiss es!“ Dann sah sie sich um. „Alle weg und ihre Kiste haben sie vor lauter Aufregung auch vergessen!“ Sie eilte die Treppen hoch und schaute sich den Inhalt
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an. „Sieh mal an! Der tote Quadrigis! Was machen wir mit dem?“, rief sie zu Liam hinunter. „Wir sollten ihn eigentlich wegbringen! Aber wie?“ Er dachte einen Augenblick nach, dann fiel ihm etwas ein. Er nahm sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer des Vidal. „Ja, ich will den Türsteher sprechen! Liam hier!“ Er wartete einen Moment. „Hey, sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun? Ja, es geht um einen großen toten Dämon! Die Kortass wären entzückt! Das geht? Klasse! Okay im Metropolitan Museum of Art.“ Liam erklärte dem Frackon, wo die Kortassdämonen den Leichnam des Quadrigis finden würden und machte sich dann mit Ludeny und Wanda auf den Weg zurück zu Stevie und Nike, die schon voller Ungeduld auf ihre Freunde warteten. Nike war aus dem Auto gesprungen, als sie die anderen kommen sah. „War ich nicht großartig? Ich hab sie wirklich aufgehalten diese verfluchte Hexe!“, rief sie den anderen entgegen. Doch als Liam und die anderen näher an sie heran traten, bemerkte sie, dass der Halbgamblin verletzt war. „Oh mein Gott. Ich habe euch zwar gehört, aber irgendwie… ist es schlimm?“, fragte sie besorgt und blickte Liam eindringlich in die Augen. „Es wird schon. Mach dir keine Sorgen. Wanda wird meine Wunde versorgen, wie immer. Sie kennt sich damit aus.“ Wanda nahm Nike nun in die Arme und sagte stolz: „Du warst großartig. Wahnsinn, wie du das auf die Reihe gekriegt hast.“ Stevie war nun auch zu ihnen gestoßen. „Und? Ihr habt dem Greeson ja ordentlich die Suppe versalzen. Ihr hättet Hylias Gesicht sehen sollen. Sie tauchte plötzlich vor dem Museum auf und fuchtelte mit ihren Händen herum. Nike konnte sie im letzten Moment stoppen. Und dann ist sie wütend zum Wagen und hat vor dem Haus auf ihren Herrn und Meister gewartet. Als Greeson blutend aus dem Haus kam, lud sie ihn ein und ist abgezogen.“, berichtete Stevie. Aber die Zeit drängte und die Freunde wussten, dass sie lieber verschwinden sollten, bevor die Polizei eintraf. Nachdem sie sich also alle ein wenig beruhigt hatten, verabschiedete sich Stevie von den Anderen, stieg in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Darlene lag schlafend auf der Couch und ein aufgeschlagenes Buch ruhte auf ihrer Brust. Stevie schlich leise in ihre Wohnung und holte eine Decke um sie über seine Freundin zu legen. „Hallo, Schatz. So lange habt ihr für nur einen Schrank gebraucht?“, fragte sie verschlafen. „Ja, du weißt ja, wenn Männer sich verschätzen, dann dauert es Stunden, bis sie den Mist wieder in Ord nung bringen. Schlaf weiter. Wir frühstücken morgen entspannt zusammen!“, sagte er und nachdem er seine Einbrecherklufft abgelegt hatte, ging er selbst zu Bett. Die vier verbleibenden Helden fuhren gemeinsam zu Liam. Wanda suchte im Badezimmer nach dem Erstehilfe Koffer. Sie fand ihn an seinem angestammten Platz unter dem Waschbecken. Ludeny hatte sich neben Liam gesetzt und ihm vorsichtig dabei geholfen, sich seines Oberteils zu entledigen. Die Wunde schien nicht sonderlich tief. Doch durch das viele verschmierte Blut wirkte sie um einiges schlimmer. Und so machte sie sich schreckliche Sorgen. Als Wanda mit dem Verbandzeug zurückkam, erhob sich die Dun kelslug und verlies das Zimmer. Während sie in die Küche verschwand, rief sie: „Es tut mir leid, aber ich kann das wirklich nicht mit an sehen.“ Wanda grinste verschmitzt. „Ganz schön zimperlich deine Freundin.“, witzelte sie und öffnete dann den Koffer. Der Inhalt entsprach nicht so ganz einer handelsüblichen Erste Hilfe Ausrüstung. Neben Nahtmaterial und professionellen Klem men und Scheren fand man darin auch noch jede Menge Desinfektionsmittel und Verbandmaterialien. Wanda machte sich an die Arbeit und klemmte die Nadel des Nahtmaterials in die Klemme und nachdem sie die Wunde desinfiziert hatte, begann sie damit, die Stelle zu nähen. Nike folgte Ludeny in die Küche, wo sie diese weinend vorfand. „Ich weiß, dir geht es wahrscheinlich viel schlechter als mir und dir kommt das auch bestimmt albern vor. Aber als ich ihn da so liegen sah und dieses Monster das Schwert hob, da dachte ich, ich würde ihn verlieren. Es war furchtbar.“, brach sie unter Tränen
hervor. Nike ging auf sie zu und nahm sie in den Arm. „Das ist doch kein Unterschied. Wenn man jemanden liebt, macht man sich eben Sorgen. Und du musst deine Gefühle eben auch heraus lassen!“ Ludeny sah die kleine nette Hexe an. „Es tut mir Leid, dass wir dieses böse Miststück nicht erledigen konnten. Aber irgendwann schaffen wir das!“, versprach sie und drückte sie fester an sich. „Okay, wenn wir nicht langsam damit aufhören, dann heulen wir hier wohl noch ewig herum. Lass uns einen Tee machen!“, sagte Nike und schob die Dunkelslug freundlich von sich weg. Die beiden lächelten sich aus verweinten Augen an. „Du hast Recht. Den haben wir uns wirklich verdient!“ Ludeny öffnete den klapprigen Hängeschrank in Liams Küche und nahm die Blechdose mit den Teebeuteln heraus. „Irgendwann wird ihm das Ding noch mal auf den Kopf fallen!“, sagte sie und schloss die Tür ganz vor sichtig. Nike schmunzelte und nahm vier Tassen aus einem der anderen Schränke. Das Wasser auf dem Gas herd fing an zu kochen und Ludeny füllte es in die bereitstehenden Tassen. „So, dann wollen wir mal sehen, wie weit die Schneiderin ist!“, sagte sie und ging Nike voraus in das Wohnzimmer. „Können wir eintreten?“, fragte sie vorsichtig und lugte um die Ecke. „Ja, komm rein! Ist alles erledigt!“, antwortete Liam und lachte sie an. „Oh, was für ein Service! Ich sollte darüber nachdenken, ob ich nicht mit euch dreien zusammenziehen sollte! Wenn man gleich von drei Frauen so umsorgt wird, fühlt man sich ja wie in Abrahams Schoß!“, wit zelte er und nahm Ludeny eine der Tassen ab, die sie ihm reichte. „Aber drei Frauen können auch sehr anstrengend sein!“, gab sie zurück und schmunzelte. „Kann schon sein. Aber ich fühle mich wie ein Hahn im Korb!“ Wanda schaute auf die zwei und verdrehte die Augen. „Ich denke, das Desinfektionmittel ist dir irgenwie zu Kopf gestiegen!“, sagte sie und stieß den Halbgam blin an die unverletzte Schulter. „Aua!“, schrie er auf. „Das zieht nicht! Es ist die andere Schulter!“, lachte Wanda. Sie tranken ihren Tee und plauderten noch ein wenig, um den innerlichen Stress los zu werden. Nach einer Weile erhob sich Wanda jedoch. „So, ich denke, dass wir uns Morgen weiter unterhalten können. Ich für meinen Teil bin doch ziemlich müde. Es war ein anstrengender Tag!“ Nike stand nun ebenfalls auf und die zwei verabschiedeten sich. „Soll ich dich mitnehmen? Ich meine, wir könnten uns ein Taxi teilen?“, fragte Wanda Ludeny. „Ach, nein danke.“ Und mit einen Blick auf Liam sagte sie noch: „Ich denke, dass ich Nachtschwester spielen werde. Der Patient könnte irgendetwas benötigen!“ Nike lächelte sie wohlwissend an. „Ja, das denke ich auch!“, sagte sie und zog Wanda weiter zur Tür hinaus. „Komm, ich bin wirklich müde. Einen schönen Abend für euch und gute Besserung Liam!“ Sie winkten den beiden zu. Liam schaute Ludeny an, wie sie da im Türrahmen gelehnt stand und ihn mit einem erleichterten Lä cheln ansah. „Du meintest doch nicht etwa, dass ich einer dieser Jammerlappen bin, mit denen du sonst so zu tun hast?“, fragte er. „Man kann ja nie wissen!“, gab sie zurück und gerade, als sie sich vom Türrahmen abstoßen wollte, um die Tür zu schließen, schob er sie zurück und streichelte ihr über die Wange. „Glaubst du das wirklich?“, fragte er nach. Er ließ ihr jedoch keine Möglichkeit zu antworten. Denn in diesem Augenblick legte er zärtlich seine Lippen auf die ihren und küsste sie. Als der Kuss endete, stand sie immer noch mit geschlossenen Augen da und atmete laut aus. „Wow, wofür war der denn?“, flüsterte sie überwältigt. „Einfach dafür, dass du da bist!“, antwortete er und zwinkerte ihr zu. Sie schlossen die Tür und gingen Hand in Hand zurück ins Wohnzimmer. Liam bestand darauf, dass sie in seinem Bett schlafen sollte. Aber er hatte wieder einmal die Rechnung ohne Ludenys Sturkopf gemacht und so wurde von ihr entschieden, dass er, auf Grund seiner Verletzung, im Bett und sie auf dem Sofa schlafen würde. Er ging ins Schlafzimmer und winkte ihr noch einmal zu. „Schlaf gut!“ Ludeny lächelte ihn an. „Du auch! Wenn du etwas brauchst, dann ruf mich! Ja?“ Er nickte und schob die
Tür, bis auf einen Spaltbreit zu. Bei Hylia und Greeson wurden ebenfalls Wunden versorgt. Während die böse Magierin seine Wunden reinigte, schrie er sie immer wieder heftigst an und fluchte. „Das war eine Katastrophe! Du mieses Stück! Ich hätte dir niemals das Kommando für den Zauber über lassen sollen!“ Hylia wurde immer unruhiger, während sie die Nadel immer wieder in sein Fleisch stach. „Woher hätte ich wissen sollen, dass diese miese kleine Amateurin ihre Finger nicht aus der Magie lassen kann? Sie ist lange nicht so mächtig wie ich!“ Der Chancenug blitzte sie an. „Aber wenn du so mächtig und so allwissend bist, wie du immer tust, dann hättest du alle Eventualitäten mit einrechnen müssen! Und jetzt mach, dass du fertig wirst. Ich will deine miese Fratze hier nicht mehr sehen! Jedenfalls heute nicht mehr!“ In Hylia brodelte es. Aber sie beherrschte sich, da sie wusste, dass er die Macht besaß ihr ihre Jugend und Stärke zu nehmen. Und wenn er so wütend war wie heute, konnte sie ihn mit einer kleinen falschen Bemerkung vielleicht daran erinnern. Die Wunden waren verschlossen und Hylia packte eilig das Verbandsmaterial zusammen. Hektisch und ohne ihn dabei anzusehen, warf sie alles in den Verbandkasten. Dann erhob sie sich, um das Büro zu verlas sen. „Wohin willst du denn so schnell?“, fragte Raymond. „Ich lass dich jetzt besser in Ruhe, damit deine Wunden heilen können!“, antwortete sie und drehte sich sehr langsam um. „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dich so einfach gehen lasse?“ Greeseon ging langsam auf sie zu. Hylia lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Was kann ich noch für dich tun?“, fragte sie und hob ihre Hand, um ihm über das Gesicht zu streichen. Aber das war wohl nicht das, woran der Wurmdämon gedacht hatte. Er hielt ihre Hand fest und sah ihr wütend mit seinen weißen Augen in die ihren. Er war nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt und sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren. Wie ein Schraubstock wurde sein Griff immer fester. „Ich habe mich über dich geärgert! Ich habe mich über O´Brian geärgert! Und ich hasse Risis! Und rate mal, wem ich diese Blamage verdanke?“ Hylia versuchte ein wenig zurück zu weichen, aber es gelang ihr nicht. „Schatz! Liebling, tot nütze ich dir doch gar nichts!“, sagte sie flehend. „Wer sagt denn, dass ich dich töten werde?“, zischte er sie an und ehe sie sichs versah, hatte er auch schon ausgeholt und schlug ihr mitten ins Gesicht. Hylia flog quer durch den Raum und blieb mit der Hand auf der angeschwollenen Wange auf dem kalten Marmorfussboden liegen. „Aber ich…“ Weiter kam sie nicht, denn der Dämon war drohend auf sie zugegangen und trat ihr mit dem Fuß erneut in ihr schönes Gesicht. Hylia schrie vor Schmerzen auf und lag mit blutender Nase auf dem Boden. „Du wirst nie, nie wieder versagen! Hast du mich verstanden?“, brüllte er und sie nickte, in der Hoffnung, dass er sich nun wieder beruhigen würde. Die Schmerzensschreie hallten durch die Villa und sollten bis zum Morgengrauen auch nicht aufhören. Der Chancenug hatte jemanden gefunden, an dem er seine Wut auslassen konnte und das tat er nun ausgiebig. Frischer Kaffeegeruch weckte Liam am späten Vormittag. Als er aus dem Wohnzimmer trat, sah er Lu deny, wie sie gerade eine Kanne auf Liams Tisch abstellte. „Guten Morgen, wie geht es deiner Schulter?“, fragte sie und lächelte. „Danke, im großen und ganzen habe ich wohl Glück gehabt.“, antwortete der Halbgamblin verschlafen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schlafen könnte. Aber mit einer derart netten Krankenschwester im Nebenraum war es dann anscheinend doch möglich. Und du hast auch noch Kaffee gekocht. Du bist die Beste!“, sagte er während er sich an den gedeckten Frühstückstisch setzte. Ludeny setze sich ihm gegenüber und schenkte Liam ein. „Wir haben es tatsächlich gestern geschafft. Wir haben es verhindern können!“, fasste sie die Ereignisse
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der letzten Nacht zusammen. „Aber wir haben ihm nicht erledigt und die Magierin ist uns auch durch die Lappen gegangen.“, erwi derte Liam nüchtern. „Aber Liam, das war doch offensichtlich. Wir wollten seinen Plan vereiteln und das ist uns zumindest gelungen. Wir hätten ihn gestern niemals erledigen können. Das haben wir schon zu oft versucht, um wirk lich darauf hoffen zu können. Sei doch etwas zufriedener. Wir haben seinen Plan zerstört und, was noch viel wichtiger ist, wir haben es überlebt!“ Bei den letzten Worten strahlte sie ihn über den Rand ihrer Kaffee tasse an. „Du hast Recht. Wir leben und dieses Monster konnte sich nicht die Macht dieses Dämons ermächtigen. Bis wir wissen, was er genau vorhat, können wir wohl vorerst nichts unternehmen!“, entgegnete der Halb gamblin und genoss seinen heißen Kaffee. „Ich habe eine Idee. Wie wäre es denn mit einer kleine Erfolgfeier? Ich finde das haben wir uns verdient. Wir könnten doch alles organisieren und einfach im Zauberladen vorbei schauen. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Nike würde etwas aufgemuntert werden und wir könnten unseren Triumpf auch einmal auskosten!“, schlug die Dunkelslug begeistert vor. Liam war sich nicht sicher, ob dies wirklich so eine gute Idee wäre. Aber da Ludeny so begeistert schien, wollte er ihr den Spaß auch nicht verderben. Allerdings bestand er darauf, Wanda ebenfalls in ihre Pläne einzuweihen und so rief er die Risis an. Nike stand gerade unter der Dusche und so konnten die beiden in Ruhe telefonieren. Liam war vollkommen überrascht. Wanda gefiel der Vorschlag und so verabredeten sie sich für den frühen Nachmittag im Sorcery. Während Liam mit Wanda telefonierte, rief Ludeny bei Stevie an. Auch er fand die Idee sehr gut und da Darlene sowieso Dienst hatte, konnte er den Nachmittag ruhig auf einer Erfolgsparty verbringen. Hylia erwachte. Ihr ganzer Körper schien ein einziger Schmerz zu sein und sie fühlte sich unendlich schwach. Sie mühte sich, um aus dem Bett zu steigen. Langsam schleppte sie sich in ihr Badezimmer und trat vor den Spiegel. Als sie versuchte ihr eigenes Spiegelblick zu erblicken, bemerkte sie, dass ihr linkes Auge vollkommen zugeschwollen war. Mit dem rechten allerdings erkannte sie genug, um zu erahnen wie sie wohl tatsächlich aussehen würde. Wut kochte in ihr hoch. Abrupt wandte sie sich von dem Spiegel ab und blickte auf die Badewanne. „Maurice!“, ging es ihr durch den Kopf. Zu ihrer Wut mischte sich nun auch noch die Trauer über den Verlust ihres treuen Verbündeten. „Ich kriege euch. Wartet nur!“, schrie sie mit überschlagender Stimme und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Sie wollte Rache üben. Aber nicht nur an den Widersachern von letzter Nacht, sondern auch an Greeson. „Niemand behandelt mich so!“, dachte sie zornig und schlüpfte unter Schmerzen in eine Hose und ein T-Shirt. Die nächsten Stunden wollte sie mit einigen Zaubern verbringen, um ihren Gesundheitszustand wieder einigermaßen zu verbessern. Greeson hatte sich, um seine Kräfte wieder ein wenig in Schwung zu bringen, in sein Fitness-Studio be geben und trainierte sich so den letzten Rest seines Frustes ab. Nachdem er Hylia ihre gerechte Strafe hatte zukommen lassen, war er in sein Zimmer gegangen und hatte sich in sein Bett gelegt. Schlafen konnte er gut, denn es gab ihm eine gewisse Befriedigung, dass er die Magierin zusammengeschlagen hatte. Jetzt, da er sich den nächsten Aufgaben widmen musste und er sich sicher sein konnte, dass sie nicht noch einmal versagen würde, sinnte er auf Rache, gegenüber Liam und seinen Freunden. „Warte nur, O´Brian, du ent kommst mir nicht! Es gibt Wege, dich zu beugen! Und zwar so sehr, dass es dir das Rückgrad bricht!“, fluchte er, während er die Gewichte verbissen in die Höhe stemmte. Hylia hatte einige ihrer Heilzauber angewandt und konnte nun von Glück sagen, dass die meisten ihrer Wunden nicht mehr sichtbar waren. Vorhanden waren sie wohl, aber durch ihre Magie waren sie nicht mehr zu sehen. „So, ich denke, das wird ihm sicherlich keinerlei Befriedigung mehr verschaffen, wenn er sieht, dass ich nicht einmal mehr eine Schramme habe!“ Sie zog sich etwas Anderes über und legt ein wenig MakeUp auf. So gestärkt, öffnete sie ihre Zimmertür und stieg die Treppen zum Speisezimmer hinunter, um wenigstens einen Kaffee zu trinken. Beim Anblick des Frühstücksbuffets wurde ihr jedoch übel und so setzte sie sich so, dass sich die vollbepackten Tische hinter ihrem Rücken befanden.
„Etwas Kaffee?“, fragte Frank der Buttler. Hylia blickte ihn an und nickte nur kurz. „Danke Frank! Wo ist Mr. Greeson?“, fragte sie. Doch sie bemerkte seinen Blick zur großen Flügeltür und schaute nun ebenfalls in diese Richtung. Da stand er, frisch geduscht und eisig lächelnd. „Du suchst mich?“, fragte er. „Nein, das nicht gerade. Aber gut, dass du da bist. Ich muss mit dir über diesen Iren reden!“ Raymond nahm auf seinem Stuhl platz. „Das trifft sich ganz gut, genau das Thema, das mich auch schon den ganzen Morgen beschäftigt!“, ant wortete er und schlug dabei seine Zeitung auf. „Hast du dir schon etwas einfallen lassen?“, fragte er, als er auf den großen Artikel auf der ersten Seite der New York Post stieß. Die Überschrift lautete: „Massaker im Museum! Und wieder ist es geschehen! Und wie der ist es im Metropolitan Museum of Art passiert! Aber das Ausmaß dieser Mordattacken ist weitaus größer als das, welches vor eingigen Tagen mit dem Nachtwächter - einem ehemaligem Policeofficer - geschehen ist! Man fand zehn Leichen, alle mit großen Stichverletzungen und riesigen, aufklaffenden Wunden! Wie die Polizei verlauten ließ, ist es nicht auszuschließen, dass dieses Gebäude für rituelle Morde benutzt wurde. Eine heisse Spur ist allerdings noch nicht vorhanden.“ „Da siehst du´s mal wieder! Menschen sind so etwas von stumpfsinnig!“, sagte der Wurmdämon verächtlich und nahm einen Schluck Kaffee. „Du musst es ja wissen!“, antwortete Hylia bissig. Raymond schaute über den Rand seiner Zeitung. „Du nimmst mir doch den kleinen Ausrutscher von gestern nicht mehr übel?“, fragte er. „Aber nicht doch!“, gab die Hexe zynisch zurück. Nach einem Moment des Schweigens blickte er sie er neut an. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du denn für unseren irischen Freund geplant hast.“ Hylia blickte aus dem Fenster. „Er wird sich nach französischen Dingen sehnen!“, erwiderte sie geheimnisvoll und verließ das Zimmer. Kurz vor der Tür drehte sie sich noch einmal zu Greeson um. „Und wenn du mich noch einmal so behandelst, werde ich all meine Macht einsetzen, dich zu vernich ten!“ Dann öffnete sie die Tür und ging hinaus. Raymond schüttelte den Kopf und lachte kalt, so dass man es durch das ganze Haus hören konnte. Er griff erneut zu seiner Tageszeitung und blätterte darin herum. Im Kulturteil stieß er schließlich auf einen Beitrag über die Wanderausstellung „Ferne Welten“! „Sie hat also Recht gehabt.“, dachte er und überflog den Artikel weiter. In zwei Tagen sollte die Ausstellung im Cen tral Park einen besonderen Platz zur Verfügung gestellt bekommen. Greesons Lächeln wurde noch breiter. In einem Flugzeug, mitten über dem Atlantik, saß ein sehr aufgeregter junger, farbiger Mann. Er hatte sich in seinen Sitz zurück gelehnt und die Augen geschlossen. Nick hatte darüber nachgedacht, ob er lieber in New York hätte bleiben sollen, weil er ein schlechtes Gewissen seinen Freunden gegenüber hatte. Sie mussten gegen dieses Monster kämpfen und er saß hier in dieser Maschine und konnte die Aufregung darü ber, dass er in nur kurzer Zeit seine große Liebe wiedersehen würde, nur schwer verbergen. „Ich weiß nicht einmal, ob ich Liam und Ludeny lebend wiedersehen werde!“, dachte er bei sich und schlief mit diesem sorgenvollen Gedanken in ein.
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Er erwachte wieder auf einer großen Wiese mit denselben Wildblumen und den Schmetterlingen, die um ihn herumschwirrten. „Da bist du ja!“, hörte er Tilias Stimme. Er drehte sich um und da stand sie, wunderschön, wie jedes Mal, wenn er sie sah. Er schritt auf sie zu und nahm sie wortlos in den Arm. „Was ist mit dir?“, fragte sie besorgt. „Ach nichts! Es ist nur wegen Liam und den Anderen!“, antwortete er ihr und blickte in ihre schwarzen schönen Augen. „Oh, wärst du lieber dort geblieben?“ Leichte Enttäuschung schwang in ihren Worten. „Nein, um Himmels willen! Um nichts in der Welt, hätte ich diesen Flug abgesagt, aber ich denke immer daran, dass es ihnen vielleicht nicht gut geht!“ Tilia lächelte nun wieder. Dann schloss sie für einen Augen
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blick ihre Augen. Sie schien sich zu konzentrieren. Als sie sie wieder öffnete, strahlte sie ihn an. „Alles in Ordnung! Liam hat eine leichte Verletzung. Aber es geht allen soweit gut! Bist du nun zufrie den?“ Nick lächelte und drückte sie fest an sich. „Deine Verbindung zu ihm. Ich habe es vergessen. Ja, ich bin beruhigt. Aber was für eine Verletzung?“, hakte er nach. „Das konnte ich leider nicht erkennen. Aber sei unbesorgt, es ist nichts Ernstes.“ Tilia nahm sein Gesicht in ihre Hände und fing an, ihn zärtlich zu küssen.
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„Einen Tee Sir?“, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme. Nick schreckte hoch und sah in das Gesicht der freundlich, lächelnden Stewardess. „Oh, nein danke!“ Er ließ sich wieder in den Sitz zurück fallen und seufzte erleichtert. „Wow, das ist ja ein Ding!“ Dann erst bemerkte er, dass ihn sein Sitznachbar verwundert anstarrte. „Wirklich freundliches Bordpersonal!“, sagte er eiligst und lächelte dann den älteren Mann neben sich freundlich an. Nike und Wanda hatten ein paar Dinge für ihre Siegesparty im Sorcery mit Liam und Ludeny zusammen getragen und extra frische Früchte für die Dunkelslug und frische Innereien für den Halbdämon eingekauft. Nike war froh über jede Ablenkung und war mit Feuereiffer bei der Sache. „Wir haben im Keller noch ein paar Girlanden, wollen wir die auch aufhängen?“ Wanda schaute sie ungläubig an. „Ich denke, dass das dann doch ein wenig übertrieben wäre. Lass uns das Essen ein wenig aufpeppen und das genügt. Wenn die beiden überhaupt den Tisch mit dem Menü Beachtung schenken, würde es mich sehr wundern!“, sagte sie und stellte dann ein paar Flaschen Sekt auf dem Tisch ab. Um drei Uhr Nachmittags waren endlich alle im Zauberladen angekommen. Liam griff nach einem Glas Sekt. Dann räusperte er sich laut und ergriff das Wort. „Entschuldigt mal kurz. Ich wollte gerne etwas sagen!“ Wanda stellte die Musik leise, zu der sie gerade noch mit Nike getanzt hatte und sah zu ihrem Mentor. „Eigentlich war es ja Ludenys Idee heute hier ein wenig zu feiern. Ich stand der Sache zuerst etwas skeptisch gegenüber.“ Als Ludeny ihren Namen vernahm, zuckte sie zusammen und blickte ebenfalls zu Liam hinüber. „Aber ich muss sagen, in der Zwischenzeit bin ich froh darüber, dass ich mich hab dazu überreden lassen. Wir haben uns das heute verdient. Das war ge stern wirlich eine tolle Zusammenarbeit. Wir haben dem Wurm die Suppe versalzen und das war das Ziel dieses Einsatzes. Slàinte!“ Er erhob sein Glas und rief den typisch irischen Gruß des Zuprostens in die Runde. „Auf uns und unseren Erfolg!“, schloss Liam schließlich und nahm einen Schluck des perlenden Getränks. Sogar Ludeny hatte sich einen Schluck Sekt eingeschenkt und nippte an ihrem Glas. Die fünf Freunde feierten noch bis zum frühen Abend und sogar Stevie und Liam verstanden sich einigermaßen gut. Als ein langsames Lied aus der Musikanlage erklang, trat Ludeny an Liam heran. „Ich weiß, du hast für tanzen nichts übrig. Aber ich bitte dich, zur Feier des Tages, schenk mir nur diesen Einen!“, sagte sie und klimperte verführerisch mit ihren Augenlidern, während sie ihm ihre Hand entgegen streckte. Er lächelte und zog Ludeny zu sich heran. Sie schmiegte sich eng an ihn und er flüsterte ihr leise ins Ohr. „Freunde?“ Ludeny legte ihren Kopf dicht an seinen Hals und antwortete mit einem nicken. Nike tanzte etwas abseit alleine vor sich hin. Wanda aß gerade ein paar ihrer Lieblingspilze, als Stevie sich von ihr verabschiedete. Er wollte vor Darlene wieder zu Hause sein und verließ als Erster die Party, nachdem er sich ebenfalls von Liam und Ludeny verabschiedet hatte. Das tanzende Paar hatte sich wieder voneinander gelöst und blickte ihm nach. „Ich denke für mich wird es auch Zeit!“, sagte Liam. Die anderen schauten ihn enttäuscht an. „Doch nicht jetzt schon, du Partymuffel!“, erwiderte Wanda und steckte sich einen weiteren Pilz in den Mund. „Doch. Meine Schulter schmerzt etwas und ich bin müde.“ Ludeny blickte besorgt. „Na gut, dann fahren wir!“, sagte sie und griff nach ihrer Jacke. „Nein, du kannst gerne bleiben. Wir sind zwar mit deinem Wagen gekommen. Aber ich kann auch mit
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einem Taxi fahren. Bleib nur und macht euch noch einen schönen Abend!“ Doch Ludeny schüttelte den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage. Wir sind gemeinsam gekommen, wir gehen auch gemeinsam. Ich finde un sere Siegesfeier war einfach super. Aber vielleicht sollte ich auch ins Bett. Es war anstrengend gestern und ich habe wohl auch etwas zu wenig trainiert. Also, komm mein Held!“, sagte sie. Dann nahm sie Nike in den Arm und drückte sie zum Abschied. Von Wanda verabschiedete sie sich mit einem Handschlag und ging zur Tür. Schweigend stiegen die beiden in den Wagen und Ludeny fuhr los. „Ich könnte natürlich auch…“, setzte Liam an und Ludeny musste bereits lächeln. „Noch auf einen Kaffee zu mir kommen, meinst du?“ „Wenn es dich nicht stört. Ich meine, du hast mich gestern so gut versorgt, dass mir meine Wohnung heu te Abend wohl leer und trostlos vorkommen würde!“ Ludeny nickte und strahlte über das ganze Gesicht. „Ich bin so glücklich, dass wir uns auf eine Freundschaft geeinigt haben. Aber du darfst nur mitkommen, wenn du mir versprichst, nicht mehr mit mir Schach zu spielen!“, witzelte sie und parkte kurze Zeit später den Wagen vor ihrem Wohnhaus. Wieder gingen sie Hand in Hand die Treppen zu ihrer Wohnung hoch und lächelten sich hin und wieder an. Aber beide wussten, dass sie niemals einfach nur Freunde sein konnten. Dafür waren ihre Gefühle fürei nander viel zu stark und das seit so vielen Jahren. Liam schloss die Tür hinter sich und sah ihr dabei zu, wie sie sich in ihrem Schlafzimmer den Haargummi aus dem Zopf zog. Mit den Händen in den Hosentaschen und einem verträumten Blick beobachtete er jede Bewegung von ihr und wusste, dass es niemals eine Frau in seinem Leben geben würde, die in ihm solche Gefühle hervorrufen würde. Ludeny blickte in den großen Spiegel ihres Schrankes und bemerkte das er sie beobachtete. „Was ist?“, fragte sie ihn schmunzelnd. „Hab ich etwas an der Nase?“ Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, du siehst zauberhaft aus, wie immer!“ Sie ging an ihm vorbei und stieß ihm mit dem Ellenbogen leicht in die Rippen. „Ach du!“, sagte sie und lief in die Küche, um einen Kaffee zu kochen. Liam ging ihr nach und nahm ihr die Tassen ab. „Warte, ich bring sie rein!“ Ludeny nickte und folgte ihm ins Wohnzimmer. „Ach…“, sagte sie, während sie sich auf die Couch fallen ließ, „das war schön! Ich glaube, Nike gefiel es auch!“ Liam, der sich die Fotos an den Wänden ansah, stellte sich nun hinter sie und massierte ihre Schul tern. „Ja, das denke ich auch.“, antwortete er. „Du bist irgendwie so still, Liam! Was ist los?“, hakte sie nach. „Nichts, ich denke, dass ich wirklich nur müde bin.“ Die Dunkelslug drehte sich um und nahm seine Hand in ihre, küsste sie und sagte: „Du hast Recht, ich bin wirklich unaufmerksam. Komm, ich werde dir das Bett fertig machen und dann schläfst du dich richtig aus.“ Liam schritt um das Sofa herum und schaute ihr ins Gesicht. „Nein, heute sind wir bei dir und du schläfst in deinem Bett. Ich mache es mir hier auf der Couch bequem.“ Sie erhob sich. „Keine Widerrede, du bist der mit den Verletzungen und du wirst im Bett schlafen!“ Um nicht mit ihr zu streiten, wobei er ganz genau wusste, dass er die Auseinandersetzung sowieso verlieren würde, gab er nach und ging hinüber in ihr Schlafzimmer. Als er sich in die weichen Kissen sinken ließ, spürte er erst, wie müde er wirklich war. „Okay, wenn du nichts dagegen hast, werde ich mich noch ein wenig zu dir setzen und ein Buch lesen, bis du eingeschlafen bist. Anschließend werde ich noch ein paar meiner Übungen machen!“, setzte sie schnell nach, um ihm zu zeigen, dass sie es als sehr wichtig empfand, was er ihr riet. Er war einverstanden. Als sie sich in den Sessel gesetzt und das Buch aufgeschlagen hatte, blickte er zur Zimmerdecke und dachte noch ein wenig nach. „Weißt du noch, als du das erstemal bei mir zu Hause aufgewacht bist?“, fragte er urplötzlich. Sie sah von ihrem Buch auf und lächelte versonnen.
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„Ja, ich habe dich gehasst, weil du immer wieder in meinem Leben aufgetaucht bist und mir erklären wolltest, wie ich meines zu führen hätte!“ Beide fingen an zu lachen und schwelgten in alten Erinnerungen. Wobei sie es tunlichst vermieden, von der schicksalhaften Nacht zu sprechen, in der Liam verschwand und sie in ihrer Traurigkeit zurück gelassen hatte. Ein Moment des Schweigens trat ein und gerade, als sich Liam ihr wieder zuwandte, um noch eine Anekdote aus der Vergangenheit aufzufrischen, entdeckte er, wie sie, in sich zusammen gesunken auf dem Sessel eingeschlafen war. Liam lächelte und stand noch einmal auf, um sie mit einer Decke zuzudecken. Er legte sich wieder in das riesige Bett und drehte sich auf die Seite. „Er wird Rache dafür nehmen, ich kenne ihn einfach zu gut, um annehmen zu können, dass er diese Niederlage einfach so hinnehmen wird!“, dachte er besorgt. Dann schloss er die Augen und schlief ein. Er träumte sehr unruhig von einer ganz bestimmten Nacht damals in Marseille.
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Er wurde von einem Surren in seinem Kopf geweckt und schreckte in seinem Bett hoch. Neben ihm lag zufrieden schlummernd, die wunderschöne Ludeny. Sie war nackt, ebenso wie er und er konnte sich erin nern, was in dieser Nacht geschehen war. Sie hatten sich geliebt und sich ihre Gefühle füreinander endlich gestanden. Da war es wieder, dieses Surren und es wurde immer unerträglicher. Liam stand auf, zog sich eine Hose über und verließ das Zimmer, um Ludeny nicht zu wecken. Der Halbgamblin stolperte mit wahnsinnigen Schmerzen in seinem Kopf, in den Garten hinaus und fiel dort auf die Knie. So einen Schmerz hatte er noch nie empfunden und er dachte, dass er nun sterben müsste. Er betete das „Vater unser“, da er christlich erzogen worden war, fiel ihm dieses Gebet als Erstes ein. Er wollte nicht vor den Herrn treten ohne ein Gebet gesprochen zu haben. Dann ließ er seinen Tränen freien Lauf. Erschöpft lag er am Boden und wartete auf das Unvermeindliche. Aber es geschah nichts. Und so plötz lich, wie der Schmerz begonnen hatte, hörte er schlagartig wieder auf. Liam stand auf und blickte sich in der Dunkelheit um. Alles war verschwommen und er rieb sich die Augen. Dann wankte er in Richtung Brunnen und versuchte den Eimer hochzuziehen, um einen Schluck Wasser zu trinken. Eine Urgewalt zog ihn plötzlich hinunter in den dunklen Schacht und Liam verlor das Bewusstsein. Als er erwachte, lag er auf einem weißen Fliesenboden - jedenfalls kam es ihm so vor. Alles um ihn herum, war weiß und er wurde von dieser grellen Helligkeit geblendet. Plötzlich hörte er Stimmen. Er glaubte, dass er im Himmel sei und nun vor das oberste Gericht gestellt worden wäre. Aus den vielen Stim men kristallisierte sich eine einzelne heraus, die er deutlich verstehen konnte. „Liam O´Brian! Du bist hier um Rechenschaft abzulegen, vor den Eternidati di Infinitio! Wie kannst du es wagen den Wächtern der Ewigkeit gegenüber deinen Schwur zu brechen?“ Liam wollte den Mund öffnen, um eine Antwort zu geben, aber sie ließen es nicht zu. „Schweig! Du hast beim Tod deiner Eltern und Brüder geschworen, dem Menschlichen zu entsagen und für das Gute zu kämpfen, wenn wir dir die Möglichkeit geben würden, Rache zu Üben an dem Bösen! Und nun müssen wir feststellen, dass du dieses Versprechen nicht ernst nimmst!“ Liams Kopf fing an zu arbeiten. Plötzlich erinnerte er sich, dass er, damals im sterben liegend, diese Versprechen gemacht hatte. „Aber ich schwor zu Gott!“, rief er in die gellende Leere. Es machte ihn wahnsinnig, dass er niemanden sehen konnte. „Wir sind Gott! Alles Gute ist Gott!“ Er zitterte vor Aufregung und Erfurcht. „Was habe ich falsch gemacht?“, fragte er verzweifelt. „Du hast dich der grössten aller menschlichen Schwächen hingegeben mit dieser Dunkelslug, der noch nicht einmal weiß, warum sie existiert!“ In Liam stieg Wut hoch. Er konnte es nicht ertragen, dass jemand so über Ludeny sprach. „Sie wird sterben und du wirst in eine andere Welt verbannt, in der du nur noch für das Gute kämpfen wirst!“ Liam wurde, angesichts dieser Drohung, schlecht. „Bitte, ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Aber ihr könnt nicht sie dafür büssen lassen! Bestraft nur mich!“, flehte er. Eine grausame Stille trat ein und Liam dachte, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis er wieder die Stimme vernahm. „So sei es! Du hast eine Chance zu beweisen, dass du unserer würdig bist! Geh fort und versprich, dass
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diese körperlichen Gelüste der Menschen nicht mehr die deinen sein werden!“ Liam brach es das Herz. Aber er wusste, dass diese Mächte ihn sofort vernichten könnten. „Ja, ich schwöre bei meiner toten Mutter und meinem toten Vater!“ Wieder trat Schweigen ein. „Gut, dann geh!“ Die Worte hallten in seinen Ohren und er erwachte in seinem Garten in Marseille. „Ver giss nicht! Du hast nur die eine Chance! Ansonsten verbannen wir dich!“, gellte es noch einmal in seinen Ohren nach. Liam wälzte sich in Ludenys Bett hin und her. Kalter Schweiß rann seinen Körper entlang und er atmete schwer.
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Zu früh gefreut
Hylia und der Chancenug ihre Ideen für einen Racheplan ausgetauscht hatten, begannen sie mit den Vorbereitungen. Eine alte aztekische Statue war zwar im Moment nicht der wichtigste der fehlenden Gegenstände, jedoch, wenn er die Gelegenheit bekäme sie schon jetzt zwischen seine Finger zu bekommen, wollte er sich diese günstige Möglichkeit nicht entgehen lassen. In seiner Sammlung befanden sich erst zwei der benötigten sieben Relikte für seine diabo lischen Pläne. Daher wollte er die Skulptur in seinen Besitz bringen, bevor ihm jemand anderes zuvorkom men konnte. Den restlichen Tag über schien ihm Hylia aus dem Weg zu gehen. Dies störte ihn allerdings recht wenig. Ganz im Gegenteil. Sie hatte versagt. Wegen ihrer Fehlbarkeit war der Skarabäus und das, wozu er von Nutzen war, vielleicht für immer für ihn verloren. Also musste er sich auf die Suche nach einem ma gischen Gegenstand machen, der die gleiche Macht besaß, welche der Wurmdämon benötigte. Zuvor wollte er jedoch Rache nehmen und die würde er bekommen. Am Abend hatte Hylia das Haus verlassen. Mit der Limousine und einem neuem Fahrer machte sie sich auf den Weg in die Stadt. Auf der Rückbank sitzend, hielt sie die Obsidianscheibe in den Händen und murmelte voller Konzentration einige magische Formeln vor sich hin. Die glasige Scheibe bekam eine milchige Ober fläche. Dann formte sich ein Strudel darin. Schließlich lichtete sich der Nebel und Hylia konnte Ludeny erkennen, die schlafend auf dem Sessel neben einem Bett lag. Ein flüchtiges, kaltes Lächeln formte sich auf Hylias Lippen. Sie konnte sich durch ihre Macht leiten lassen, um Ludenys Aufenthaltsort aufzuspüren. Die volle Konzentration noch immer auf die steinerne Scheibe gerichtet, ließ sie ihren Blick etwas nach links abweichen. Dort lag Liam, unruhig in Ludenys Bett schlafend. „Oh, du hast also Besuch du kleine französische Schlampe! Auch kein Problem!“, sagte die Magierin laut und gab dem Fahrer weitere Weganweisungen. Ludeny schlief überraschend entspannt auf ihrem Sessel. Ab und an zupfte sie im Schlaf ihre Decke ein wenig zu Recht. Sie träumte.
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Sie stand auf einem Fels, umgeben von Wasser, welches sich an den Meeresklippen brach. Die Sonne strahlte vom Himmel und blendete Ludenys Augen, sodass sie ihre Hände schützend davor halten musste. Aus der Ferne konnte sie Liams verzweifelte Rufe hören. „Ludeny, wo bist du?“ Aus Leibeskräften schrie sie seinen Namen. Doch er konnte sie nicht hören und stellte immer wieder die selbe Frage. Seine Rufe wurden immer verzweifelter. Die Sonne brannte auf ihrer Haut und sie spürte, wie sie immer schwächer wurde. Im Schlaf stöhnend, wälzte sie sich auf ihrem Sessel hin und her. Plötzlich und geräuschlos öffnete sich das Fenster. Eine kleine Rauchwolke flog herein und steuerte direkt auf Ludeny zu. Der Nebel verdichtete sich und schwoll an. Schließlich hüllte er die Dunkelslug komplett ein. Mit hochgestreckten Armen und geschlossenen Augen schwebte Hylia vor dem Fenster. Ludeny wurde von dem Rauch angehoben und sanft durch dass Fenster nach draußen getragen. Als sie ihr Schlafzimmer auf diesem Wege verlassen hatte, schloss sich das Fenster genauso geräuschlos, wie es sich zuvor geöffnet hatte. Ludeny wurde direkt in die Limousine getragen und der Rauch löste sich auf. Hylia stieg ebenfalls ein, griff in ihre Tasche und zog ein Samtsäckchen hervor, welches sie öffnete. Mit einer Hand griff sie hinein
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und nahm etwas von einem glitzernden Zauberstaub heraus. Im Uhrzeigersinn streute sie ihn direkt über Ludenys Gesicht und die Dunkelslug sank noch tiefer in den Schlaf. „Ja, ruh dich nur aus. Bis wir dich dort haben, wo wir dich haben wollen! Und vor allem deinen irischen Superhelden!“, flüsterte Hylia ihr ins Ohr und streifte Ludeny gespielt fürsorglich eine Locke aus dem Ge sicht. „Schade, dass du auf der falschen Seite stehst. So etwas wie dich, hätte ich gern auf der meinigen gewusst.“ Liam erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen. Leise streckte er sich und zuckte sofort wieder zusam men. Seine verletzte Schulter schmerzte etwas und er versuchte nicht aufzustöhnen. Langsam drehte er sich um und erwartete die schlafende Ludeny auf dem Sessel vorzufinden. Doch alles was er entdeckte, war ein leerer Sessel und eine am Boden liegende Decke. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Oh, schon wie der Frühstück. Wenn du mich weiter so verwöhnst, musst du zu mir ziehen. Denn ich glaube, dann bin ich nicht mehr im Stande alleine zu leben!“, dachte er, während er langsam aus dem Bett stieg. Er öffnete die Schlafzimmertür und ging in die Küche. Doch auch dort konnte er Ludeny nicht entdecken. Die Kaffeemaschine war leer und alles schien unberührt. Er lief ins Badezimmer und nahm dabei in Kauf, von ihr gerügt zu werden, weil er einfach so hinein platzte. Aber auch hier fand er sie nicht vor und auch kein nasses Handtuch, dass darauf hinweisen würde, dass sie schon duschen gewesen wäre und vielleicht nur Frühstück besorgen wollte. „Ludeny!“, rief er leise. Er wiederholte ihren Namen und wurde dabei zusehends lauter. Plötzlich läutete das Telefon. Liam lief zurück ins Wohnzmmer und hob ab. „Überraschung!“, rief Hylia bissig in den Apparat. „Und wie geht es deiner Schulter? Ach ja, schön Grüße von deiner französischen Hure!“, sagte sie, bevor sie den Hörer auch schon wieder auflegte. Ludenys Namen schreiend, fiel er auf die Knie und schlug mit seinen Händen verzweifelt gegen den Bo den. „Dieses verdammte Monster!“, dachte er, während er hilflos auf dem Boden sitzen blieb. Er war außer Stande klar zu denken. Mit den Tränen ringend, flehte er innerlich um Hilfe. Der Telefonhörer lag tutent neben ihm auf dem Boden. Voller Panik und innerem Schmerz über Ludenys Entführung, legte sich Liam zusammengekrümmt daneben. „Ludeny!“, schrie er immer wieder und wälzte sich auf dem Teppich. Es dauerte lange, bis er sich endlich aufrappelte und in das leere Schlafzimmer zurückging. Traurig blickte er sich um. „Ich bringe ihn um! Wenn er ihr auch nur eine Wimper ausreißt, wird er das mit Höllenqualen be zahlen!“, dachte er bei sich. Dann zog er sich an. Er musste zu Wanda. Sie beide zusammen würden Ludeny aus den Fängen dieser Monster befreien. Unsanft, von einem lauten Geräusch geweckt, erwachte Ludeny. An einen Stuhl gefesselt und geknebelt befand sie sich in einem Keller. Das konnte sie erkennen. An den Wänden hingen Ketten und Folterwerk zeuge. Panik stieg in ihr hoch. „Was ist hier los? Wo bin ich?“, schoss es durch ihren Kopf. Hinter ihr wurde eine Tür geöffnet und Ludeny versuchte ihren Kopf zu drehen, um zu sehen, wer da den Raum betreten hatte. „Oh, wir sind also schon aufgewacht?“, hörte sie eine kalte Männerstimme. „Hast du gut geschlafen fran zösische Blume?“ Spätestens jetzt wusste sie, wer da in das Kellergewölbe gereten war. Der Chancenug ging langsam um den Stuhl herum und schaute sie an. „Da staunst du was? Ich hätte Hylia niemals soviel Intelli genz zugetraut, dich hier her zu bringen und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen!“ Ludeny stiegen Tränen in die Augen. Aber sie wollte es nicht zulassen. Diese Genugtuung wollte sie die sem Monster nicht geben. „Willst du wissen welche zwei Fliegen ich meine?“, hakte der Wurmdämon nach. Die Dunkelslug erhob stolz den Kopf und sah ihm unvermittelt ins Gesicht. „Ich werde ihn nicht glauben machen, dass er Macht über mich hat indem ich Angst zeige!“, dachte sie. „Oh, du willst ihm beweisen, dass du mutig bist! Wie niedlich! Ihr seid eben doch noch viel zu sehr Mensch und Menschen sind nun einmal schwach!“ Greeson hob sein rechtes Bein und stellte seinen Fuß zwischen ihre Knie auf die Sitzfläche des Stuhls. „Er wird hier nicht reinkommen, das weißt du doch! Du wirst ihn nie wieder sehen, das ist dir doch hoffentlich klar? Ich will ihn endlich klein sehen. Er wird mir nie wieder in
die Quere kommen!“ Ludeny konnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Zu groß war der Schmerz den der Gedanke auslöste, Liam nie wieder zu sehen, geschweige denn in den Arm nehmen zu können. Und sie hatte ihm doch noch soviel sagen wollen. „Ich liebe dich, Liam O´Brian!“, dachte sie und hoffte, dass ihn dieser Gedanke durch die dicken Wände ihres Gefängnisses irgendwie erreichen konnte. „Wir werden dich nicht gleich töten! Er soll sich ja nicht für Nichts und wieder Nichts anstrengen! Erst einmal werden wir ein hübsches Familienfoto machen, damit er sieht, dass es dir hier bei uns gut geht!“ In diesem Moment öffnete sich erneut die Kellertür und Schritte von hohen Absätzen waren zu hören. „Oh, unser Liebling ist ja schon aufgewacht!“, erklang jetzt Hylias Stimme. „Na dann werden wir mal ein nettes Foto schießen! Keine Angst, ich meine nicht richtig schießen!“, lachte sie kalt und zog eine DigitalFotokamera hinter ihrem Rücken hervor. „Überraschung! Liam wird sich freuen, wenn er ein nettes Bild von dir bekommt!“ Hylia ging ein Stück zurück und schaute durch den Apparat. „Lächeln! Sagt doch mal irischer Fischkopf!“, rief sie sarkastisch mit ihrer eisigen Stimme. Raymond hatte sich hinter Ludeny gestellt und seine Hände auf ihre Schultern gelegt. Ein Blitz zuckte auf und Ludeny drehte ihr Gesicht weg. „Oh, entschuldige! Ich Dummerchen hatte doch wirklich vergessen, dass ihr widerlichen Dunkelslugrat ten kein helles Licht verträgt! Aber keine Sorge, wir werden dich ganz schnell daran gewöhnen!“, sagte die böse Magierin und hakte sich bei Greeson unter. „Komm mein Liebster! Ich mache mir Sorgen, wenn du zu lange in ihrer Nähe bist, wirst du vielleicht noch ein guter Dämon!“ Sie verließen den Keller und Ludeny blieb mit ihren Tränen allein zurück. Liam war zu seiner Maschine heruntergerannt und schwang sich auf den Sattel. Der Motor brummte laut auf, als er los fuhr. Schneller als sonst und fast alle Verkehrsregeln missachtend, kam er endlich am Sorcery an. Nike und Wanda waren gerade dabei die Überreste von ihrer vorabendlichen Feier wegzuräumen, als der Halbgamblin hektisch an die Ladentür klopfte. „Hey, hey, immer mit der Ruhe!“, sagte Wanda und ging schnell zur Tür, bevor diese wohlmöglich in tau send Scherben zerbrach. „Ich komme ja schon!“, rief sie und schüttelte verärgert den Kopf. „Wer um alles in der Welt braucht denn so schnell irgendwelche Zauberartikel?“ Sie erreichte die Tür und blickte in das verzweifelte Gesicht Liams. Ihr war klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste und so öffnete sie ihm hastig die Ladentür. „Liam! Was ist?“, fragte sie. „Ludeny!“, brachte er heraus. Dann berichtete er ihr und der dazugekommen Nike von der Entführung seiner Freundin. Als er zu Ende erzählt hatte, rieb er sich über seinen dunklen Wuschelkopf. „Ich hätte sie niemals in diese Sache mit hineinziehen dürfen!“, warf er sich selbst vor. „Liam, sie wollte es freiwillig! Und du kennst sie. Sie hätte sich nie davon abhalten lassen!“, erwiderte Wanda und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Ladentür und jemand ihnen sehr bekanntes trat über die Schwelle. „Wird man hier auch bedient?“, fragte Hylia triumpfierend. Liam überkam unhaltbarer Hass und er stürzte auf die schwarze Magierin zu. „Nanana, das würde ich mir lieber überlegen! Also erstens denke ich, dass in diesem Trödelladen immer noch der Schutzzauber vor Gewalt besteht…“ Dabei war ihr Blick auf Nike gerichtet, die sich nun ein Stück hinter Wanda versteckte, „und zweitens, dachte ich eigentlich, dass du deine kleine…“ Liam sah ihr wutentbrand ins Gesicht. „Pass gut auf, welche Worte jetzt deinen Mund verlassen!“, drohte er ihr. Hylia lachte auf. „Du bist hier nicht derjenige, der Forderungen stellt!“ Sie ging ein Stück auf ihn zu und strich ihm über den Oberkörper. „Ich kann sie ja auch ein wenig verstehen! Aber du wirst uns einen Gefallen tun und dann tun wir dir vielleicht auch einen!“ Dann griff sie in den Ausschnitt ihres Kleides, holte ein Bild der azte kischen Statue hervor und warf es ihm dann vor die Füße. „Die wirst du uns beschaffen! Und dann wirst du sie…“, jetzt legte sie das Foto der gefesselten Ludeny auf den Verkaufstresen, „eventuell auch wiederse hen!“ Liam erblickte Ludeny, wie sie voller Angst auf dem Stuhl saß, gefesselt und geknebelt, hinter ihr der Chancenug. Nach einem kurzen Moment des Überlegens und einem flüchtigen Blickwechsel mit Wanda,
antwortete er: „Okay, ich besorge das Ding! Aber ich warne euch, wenn auch nur ein Härchen auf ihren Ar men fehlt, dann werdet ihr in der Hölle schmoren! Und das eher, als ihr es euch gedacht hättet!“ Hylia lachte laut auf und drehte sich zum Gehen. Kurz vor der Ladentür, wandte sie sich noch einmal um. „Ich sagte doch, ihr stellt hier keine Forderungen!“ Sie verließ das Geschäft und grinste eisig vor sich hin. „Ich liebe solche Auftritte!“, sagte sie laut vor sich hin und stieg in die Limusine. Liam hielt immer noch das Bild von Ludeny in seiner, vor Wut zitternden, Hand und starrte es verzweifelt an. Wanda indes griff nach dem Bild der Statue und murmelte vor sich hin. „So ein häßliches Ding. Dieses Monster sammelt wohl nur die abscheulichsten Kunststücke!“ Nike war die Erste, die das Wort ergriff. „Und das ist alles, was ihr tun wollt? Ich meine, Liam starrt auf das Bild und du Wanda bist über den Geschmack dieses Monsters empöhrt. Jetzt kommt endlich in die Gänge. Wir stürmen die Villa und holen sie einfach raus.“, versuchte sie die anderen mit ihrem Elan anzuspornen. Liam ließ endlich Ludenys Bild sinken und blickte nun zu Nike. „Du hast Recht. Aber so einfach ist das nun einmal nicht. Wir versuchen schon zu lange gegen diesen Chancenug anzutreten. Wenn wir jetzt unüberlegt in die Villa maschieren, werden wir vermutlich alle ster ben. Ich habe keine andere Möglichkeit, als zu tun, was er verlangt - vorerst.“, antwortete Liam niederge schlagen und wandte sich an Wanda. „Ruf Stevie an. Er soll alles in Erfahrung bringen, was mit der Statue zusammenhängt. Wir haben nicht ewig Zeit und ich möchte Ludeny so schnell wie möglich da raus holen!“ Während Wanda versuchte Stevie am Telefon so schnell wie möglich alles zu erklären, konnten die ande ren nichts anderes tun, als zu warten. Stevie versprach, sich so schnell wie möglich zu melden. Dann erhob er sich von Darlenes Couch. Diese schaute ihrem Freund überrascht nach, als er in ihr Schlafzimmer ging und mit einer großen schwarzen Reisetasche zurückkam. Er öffnete sie und nahm seinen Laptop heraus. „Was ist los?“, fragte Darlene, die gerade aufgestanden war und an die Tasche heran trat. Sie bückte sich und öffnete sie noch ein wenig mehr. Jetzt sah sie die gesamte elektonische Ausrüstung Stevies, die er für seine Einbrüche benutzte. Darlene griff hinein und zog eines der Headsets heraus. „Was ist das?“, fragte sie besorgt. Stevie, der sich mit dem Computer nun wieder zurück auf das Sofa gesetzt hatte, blickte kurz zu ihr und sagte nur: „Ein Headset“. Nun stellte sich Darlene direkt vor ihn und schrie Stevie wütend an. „Und was soll dieses Zeug in meiner Wohnung? Ständig weichst du mir aus, wenn ich Fragen stelle. Du verschwindest für Stunden und erklärst mir nicht das Geringste. Ich liebe dich. Aber ich will auch ein bisschen was von dir erfahren. Also Mr. Costel lo, was geht hier ab?“ Stevie war erschrocken. So laut und wütend hatte er Darlene noch nie erlebt. Dann überlegt er einen kurzen Moment, nahm sie bei den Händen und zog sie neben sich auf das Sofa. Lang sam begann er ihr von Liams und Ludenys wahrer Identität zu erzählen. Von dem Vorfall im Museum und schließlich von Ludenys Entführung. Darlene schwieg. Sie schien das sooeben Gehörte erst einmal verarbeiten zu wollen. Dann bemerkte sie Stevies wartenden Blick. „Aber warum musst du dich mit irgendwelchen technischen Dingen befassen?“, fragte sie verwirrt. Stevie musste sich etwas einfallen lassen. „Weil ich mich nun einmal mit diesen Dingen auskenne und ich den beiden natürlich auch beistehen möchte. Ludeny ist schon lange eine sehr gute Freundin von mir und wenn sie in Schwierigkeiten steckt, dann möchte ich ihr natürlich helfen!“ Darlene nahm ihn nun in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Es tut mir leid. Ich mache mir nun einmal Sorgen.“ Dann blickte sie ihn an, lächelte und sagte mit fester Stimme: „Okay, was kann ich dabei tun?“ Nervös lief Liam im Zauberladen auf und ab. Nike und Wanda waren in die Küche gegangen und kochten Kaffee. „Bist du sicher, dass da auch nichts schief gehen kann?“, fragte Wanda flüsternd. Nike rührte in ihrer
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Tasse, während sie antwortete. „Ich habe das natürlich noch nie bei einem Halbgamblin ausprobiert, aber bei Mum hat es immer Wunder gewirkt. Der Kaffee soll ihn ja nicht ausschalten, nur ruhiger machen.“, er widerte Nike und nahm die Tasse nun in die Hand. Sie ging aus der Küche und reichte sie an Liam weiter. „Trink ein wenig. Das wird dir gut tun!“, sagte sie und dachte: „Und meinem Fußboden sicherlich auch!“ Liam setzte die Tasse gedankenversunken an und trank sie fast in einem Zug leer. Nike und Wanda blickten ihn erwartungsvoll an. Sogar Liam bemerkte ihre Blicke und fragte sie überrascht: „Was ist?“ Nike schüttelte den Kopf. „Nichts!“ Dann zog sie Wanda mit sich in die Küche. „Da ist soviel Johanniskraut und Baldrian drin, dass er eigentlich sogar einschlafen könnte!“, sagte Nike vewundert. „Okay, wieder was dazu gelernt. Dämonen reagieren anders auf verzauberten Kaffee!“, entgegnete Wanda leise. Stevie schob Darlene ein Stück von sich weg und schaute ihr mit Bewunderung in die Augen. „Du bist wirklich einmalig, weißt du das?“, fragte er und lächelte. „Hmmm, ja das weiß ich! Ansonsten wärst du ja nicht mit mir zusammen oder?“ Er nickte, gab ihr ei nen sanften Kuss auf die Stirn und wandte sich wieder dem Laptop zu. „Gut das du gefragt hast, ich könnte tatsächlich deine Hilfe gebrauchen!“ Darlene rutschte näher an ihn heran und sah ihn von der Seite her, fragend an. „Okay, worum geht´s?“ Stevie erzählte ihr von der aztekischen Statue und dass es um irgendwelche über irdische Dinge ging. Seine Freundin hatte ihm konzentriert zugehört und suchte nun mit ihm zusammen die richtige Seite im Internet heraus. „Da, ist sie das? Die alten Azteken erzählen sich, dass die Statue in Verbindung mit einem mystischen Kristall, der in Australien zu finden sein soll, die Pforten zu anderen Dimensionen - die Azteken sagten an dere Welten - öffnen könne! Sehr aufregend! Da sieht man es mal wieder! Vier Augen sehen mehr als zwei!“, sagte Darlene und notierte sich einiges aus dem Bericht. Stevie besah sich das Bild auf dem Bildschirm genauer. Anhand der relativ guten Beschreibung, die Liam ihm am Telefon gegeben hatte, war er sich nun auch ziemlich sicher, dass sie hier einen Volltreffer gelandet hatten. „Und du bist überhaupt nicht verwirrt?“, fragte Stevie. „Weißt du, seit ich diese Sache mit Collins Augen miterlebt habe, überrascht mich eigentlich gar nichts mehr!“ Stevie zuckte erstaunt mit dem Kopf, zog die Augenbrauen hoch und blickte nun auch wieder auf den Bildschirm seines Notebooks. Hylia war erneut in den Keller der Villa gegangen. Sie schloss die Tür zu Ludenys Gefängnis auf und schritt mit ihren hohen Absätzen auf den Stuhl zu, auf dem die Dunkelslug nun schon seit Stunden gefes selt war. „Durst?“, fragte sie und wedelte triumphierend mit einer kleinen Flasche vor deren Nase herum. Ludeny nickte. Die Magierin zog ihr den Knebel vom Mund und hielt ihr die geöffnete Flasche an die tro ckenen Lippen. Ludeny trank hastig. Dabei rann ihr das Wasser den Hals entlang, bis in den Ausschnitt ihres Hemdes. „Du bist ja völlig ausgedörrt, du Ärmste!“, sagte Hylia. Ludeny wusste genau, dass die Magierin nicht wirkliches Beileid für sie empfand. Vielmehr klangen aus ihren Worten der Hohn und die Schaden freude darüber, dass Ludeny ihr so hilflos ausgeliefert war. „Weißt du, ich finde wirklich, dass ihr jungen Dinger es mit der vornehmen Blässe viel zu genau nehmt! Ein wenig frischer Teint kann doch niemandem schaden!“, kam es nun von der bösen Hexe. „Ich denke, dass es heutzutage auch sehr gefährlich sein kann, zuviel in die Sonne zu gehen!“, erwiderte Ludeny. „Ach ja? Ich sehe das anders und ich denke, dass Liam es uns sehr übel nehmen würde, wenn wir dich so elend aussehend nach Hause schicken würden!“ Ihr Blick wanderte in eine Ecke des Kellers. Da es Ludeny durch ihre Fesseln nicht möglich war, den Raum komplett einsehen zu können, war ihr auch nicht klar, was Hylia dort im Blick zu haben schien. Die Magierin ging auf Ludenys Stuhl zu und hob ihn etwas an der Sitz fläche an. Dann drehte sie ihn herum. Ludeny erschrak. Da stand ein Turbobräuner. „Ein Solarium?“, fragte sie panisch.
„Toll nicht wahr?! Raymond hat ihn mir neulich geschenkt, als ich, der durchgeknallten ZauberladenMutter die Kehle durchdschnitten hatte! Eine schöne Belohnung, findest du nicht?“ Sie ging um das Gerät herum und strich genüsslich über das metallene Gehäuse. „Und du hast heute das Privileg der ersten Be nutzung! Ich bin so etwas von großzügig!“, sagte sie und warf zynisch einen Kuss in die Luft. Dann schloss sie das Gerät an und drückte den Startknopf. Ein grelles, blaues Licht erhellte den Raum und Ludeny atmete schneller. „Tot nütze ich euch gar nichts! Liam wird keinen Finger für eine Tote krumm machen!“, flehte sie. „Tstststs, wer sagt denn, dass ich dich töten werde? Ich habe nur noch eine Rechnung mit deinem irischen Adonis offen! Nachdem ihr mir die Suppe versalzen und obendrein meinen loyalsten Untergebenen getötet habt, wirst du es eben als Erste ausbaden müssen! Bedanke dich bei deinem irischen Freund!“ Sie ging er neut zu Ludeny herüber und zog ihr den Knebel wieder über den Mund. „Wir wollen doch nicht riskieren, dass dein Rumgeschreie den Hausherren stöhrt!“ Hylia lösste die Fesseln und zog die sich heftig wehrende Ludeny zum Solarium hinüber. „Wehre dich nicht zu sehr, du wirst deine Kräfte noch benötigen! Glaube mir!“ Sie warf die Dunkelslug mühelos auf die glatte Fläche und fesselte sie dann mit Lederriemen an die Liege. „Ach, ich kleines Schusselchen! Wir müs sen dir ja noch deine Sachen ausziehen!“ Ruckartig riss sie Ludeny das Pyjama-Oberteil herunter und zog ihr die Hose aus. „So, das dürfte doch genügen! Ist zwar keine nahtlose Bräune, wegen deiner niedlichen Dessous, aber was solls, keiner wird dich je braun sehen!“ Bevor sie den Deckel schloss, holte sie ihre kleine Kamera aus ihrer Tasche und knippste die arme Ludeny in ihrem Foltergerät. Dann schloss sie den großen Deckel und stellte das Gerät auf dreißig Minunten ein. Stevie war mit seinen Recherchen über die aztekische Statue fertig und packte alles eiligst zusammen. „Danke für deine Hilfe, Liebling! Ich melde mich, wenn wir was erreicht haben!“ Er gab seiner Freundin einen Kuss und verschwand aus ihrer Wohnung, um zu Liam zu fahren. Er musste vorher unbedingt den Plan für den Diebstahl der Statue mit ihm durchgehen. Und da Liam nicht gerade ein Fachmann war, was Einbrüche anging, ging Stevie davon aus, dass es ein wenig dauern würde, bis alles auf den Punkt ausgear beitet war. „Na endlich!“, begrüßte Liam Stevie, der gerade die Einganstür zum Sorcery geöffnet hatte. „Ja, es freut mich auch dich zu sehen. Nein, es war kein Problem sofort an die Arbeit zu gehen und danke der Nachfrage, Darlene geht es gut und sie hat es gut weggesteckt, dass ich mit einem Halbdämon mal eben auf einen Einbruch unterwegs sein werde!“, antwortete Stevie scharf und schloss die Tür hinter sich. Liam blickte ihn verdutzt an. „Ach so, du willst Ludenys Zeit mit Streiterein vertun, kein Problem!“, entgegnete er und wandte sich wütend ab. Zum Glück kamen gerade Wanda und Nike dazu und versuchten sofort, die Stimmung etwas zu entschärfen. „Also Stevie, was hast du?“, fragte Wanda neugierig, während Nike Liam erneut eine Tasse Tee unter die Nase hielt. Die vier besprachen alle Einzelheiten und kamen zu dem Entschluß noch in dieser Nacht zuzu schlagen. „Obwohl du Recht hast, dass es einfacher wäre, wenn die Ausstellung bereits eröffnet wäre. Aber ich möchte Ludeny so schnell wie möglich dort rausholen. Und wenn wir dafür mehr Risiken eingehen sollten, soll es mir Recht sein.“, entgegnete Liam, der abermals das Foto von Ludeny in den Händen hielt. Stevie fuhr sich mit einer Hand durch die roten Haare. „Ich weiß Liam. Aber, und bitte, sei jetzt nicht wieder beleidigt, du hast keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet. Und selbst wenn der Flug mit der Statue an Board keine Verspätung haben sollte, ist es doppelt so schwer auf einem Flughafen etwas zu stehlen, als unter normalen Umständen.“, versuchte Stevie den Halb gamblin umzustimmen. „Nein, die Sache ist besprochen. Wir ziehen das heute durch!“, beendete dieser die Diskussion. In der Villa kam Greeson gerade die Kellertreppe herunter, als er das seltsame Licht brennen sah. Hylia
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lehnte an der Wand und beobachtete das Solarium. „Du verdammte Hexe! Was hast du schon wieder ange stellt?“, hörte sie hinter sich den Chancenug schreien. „Aber du hast nicht gesagt, dass ich keinen Spaß haben darf!“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Hylia, du vermasselst alles.“ Er ging zu dem Solarium und öffnete den oberen Teil. Ludeny lag darin und gab ein erbärmliches Bild ab. „Das reicht fürs Erste!“, sagte er an Hylia gerichtet und griff nach seinem Telefon. Im Sorcery läutete Liams Handy und er nahm das Gespräch an. „Es freut mich, dass du abhebst. Was ma chen die Pläne?“, fragte Greeson und Liams Körper versteifte sich. „Wie geht es ihr?“, war das Einzige, was Liam in diesem Moment interessierte. „Wo ist meine Statue?“ „In wenigen Stunden bei dir. Ich werde pünktlich liefern. Und im Gegenzug erwarte ich, dass ich Ludeny in unversehrtem Zustand antreffen werde!“ „Gut, das freut mich zu hören. Aber damit ich auch wirklich sicher sein kann, dass du und deine Freunde keine Pläne schmieden, die mir bei meinen in die Quere kommen, schicke ich dir einen meiner Leute. Er wird auf dich aufpassen!“ Mit diesen Worten trennte der Chancenug auch schon die Verbindung. „Okay, die Zeit drängt!“, sagte Liam und blickte dabei Stevie ernst an. „Also, wenn wir es durchziehen wollen, dann heute! Der Mistkerl schickt uns einen Aufpasser und wir müssen uns überlegen, wie wir den für eine Zeitlang beschäftigen.“ Stevie und die Anderen sahen ihn fragend an. „Wie meinst du das? Sie schicken einen Aufpasser?“, hakte Stevie nach. „Das bedeutet, dass wir nicht ohne Überwachung agieren können! Und dieses Monster geht es einen feuchten Kehricht an, wie wir arbeiten!“, entgegnete ihm nun Wanda und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Nike roch an der Tasse mit dem Tee und wunderte sich immer noch darüber, dass Liam von dem Ge bräu nicht ins Koma gefallen war. Aber genau in diesem Augenblick kam ihr plötzlich ein Gedanke. „Wie wäre es, wenn wir ihm eine Tasse Tee anbieten würden?“, fragte sie in die Runde und blinzelte da bei Wanda verschwörerisch an. „Ich werde einen Teufel tun und bei einem von denen auch noch den guten Gastgeber spielen!“, wetterte Liam drauf los. Wanda ging nun ein Licht auf und sie griff Liam an die Schulter, um ihn zu bremsen. „Nein, nein, warte Liam! Ich denke, Nike hat Recht!“ Der Halbgamblin war nun vollends verwirrt. „Wanda? Was ist mit dir los? Seit wann bist du so freundlich zu anderen?“ Die Risis blickte ihn beleidigt an. „Danke für das Kompliment! Aber dieser Tee ist etwas ganz Besonderes!“ Sie reichte ihm die Tasse hinü ber und deutete ihm, einmal richtig daran zu riechen. „Johanniskraut?“, fragte er. „Ja, und noch ein paar andere gute Sachen.“, gab Nike zur Antwort und schmunzelte dabei. „Und das Gemisch habt ihr mir zum trinken gegeben?“ Er runzelte die Stirn und hob gespielt drohend den Zeigefinger. Um aber beim Thema zu bleiben, stellte er die Tasse ab und sagte: „Okay, ich denke, es kann nichts schaden, wenn wir ihm eine Tasse davon anbieten.“ Eine Stunde später klingelte die Ladenglocke und ein junger, blonder Mann, trat in das Geschäft. „Hi, ich bin Bill und ich soll hier was abgeben und bei euch Nieten bleiben!“ Er versuchte sicher zu wirken und steckte lässig seine Hände in die Hosentasche, nachdem er Stevie einen Umschlag gereicht hatte. Als dieser ihn gerade an Liam weiter reichen wollte, glitt er ihm aus der Hand und fiel zu Boden. Ein Foto rutschte he raus. Stevie hob es auf und sein Blick wurde starr vor Schreck. Ludeny war darauf zu sehen. Sie lag in ihrer Unterwäsche gefesselt auf einer Sonnenbank. „Was ist? Gib her!“, drängte Liam, als er in das geschockte Gesicht Stevies blickte. Wanda, die neben dem Studenten stand, schaute Stevie an und schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, ich denke, dass wäre jetzt nicht so ratsam!“ Dann riss sie dem Informatikstudenten das Bild aus der Hand und hielt es sich hinter den Rücken. „Sei nicht albern Wanda! Gib es mir!“ Liam ging auf sie zu und zog ihr den Arm wieder nach vorne. Wanda versuchte sich zu wehren. Aber es gelang ihr nicht und so
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musste sie es zulassen, dass er ihr die Fotografie entriss. Liam atmete schwer, als er seine Freundin auf dem Bild erblickte und Tränen der Wut liefen ihm über das Gesicht. „Bas mallaichte! Sie wird sterben! Verdammt!“, schrie er und wollte sich nun auf den Boten stürzen. Er stand voller Wut vor ihm und wollte ihn am liebsten am Hemdkragen packen. Er brüllte ihn mit geballten Fäusten an. „Du kannst deinem Chef ausrichten, dass er bald das zeitliche segnen wird!“ Wanda, Stevie und Nike hielten den zornigen Halbgamblin mühevoll fest und zogen ihn mit ganzer Kraft von dem völlig ver schreckten Bill weg. Sie versuchten ihn zu beruhigen. „Liam! Das hat doch keinen Sinn!“, sagte Wanda und sah ihm eindringlich ins Gesicht. „Reiss dich zusammen! Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber so kannst du ihr nicht helfen!“ Er schluckte laut und nickte ihr zu, um ihr zu zeigen, dass er sich nun wieder im Griff hatte. „Alles okay?“, fragte die Risis ihn noch einmal und ließ ihn langsam los. „Ja, alles in Ordnung!“, bestätigte er „Ja Mann, hör auf deine Freundin! Beruhige dich, oder mein Boss macht kurzen Prozess mit ihr!“, kam es nun von Bill. Liam wollte schon wieder von seinem Stuhl aufspringen. Aber er befand es dann doch als unwichtig, diesem kleinen Lakaien zu zeigen, wie es ist, von einem Halbdämon verprügelt zu werden, zumal alleine der Versuch, hier im Sorcery sowieso keinen Sinn gehabt hätte. „Halt dein Maul, BillyBoy! Uns wurde nicht gesagt, dass wir uns deine hirnlosen Komentare reinziehen müssen! Also setz dich und sei einfach still!“, konterte Wanda. Liam lächelte ihr zu. Nike kam aus der Woh nung zu den Anderen und hatte ein Tablett mit heissem Tee in den Händen. „Ich dachte, damit die Gemüter wieder etwas abkühlen, wäre ein Teee jetzt genau das Richtige!“ Sie reichte jedem eine Tasse des Gebräus und alle prosteten sich zu. Nur einer der Anwesenden sollte eine andere Teesorte bekommen. „Wie unaufmerksam von mir!“, sagte Nike gespielt freundlich. Sie blickte auf ihre Tasse und reichte sie nun an Bill weiter, „Es tut mir leid, ich hatte vergessen, dass wir ja quasi einen Gast haben!“ Bill zögerte zunächst. „Nehmen sie ruhig! Ich hole mir eine Neue!“, sagte Nike und hielt die Tasse noch etwas dichter an Bill heran. Dabei lächelte sie höflich. Endlich nahm der Lakaie des Chancenug den Teee und prostete der kleinen Ladenbesitzerin skeptisch zu. Er konnte ja nicht ahnen, dass er das Ver gnügen hatte, soeben einen von Nikes Spezialtees erhalten zu habenn. Er trank die Tasse bis auf den letzten Tropfen aus und schaute den Anwesenden bei ihren Planungen für die Beschaffung der Statue zu. Irgend wann, im Laufe der Zeit, wurde ihm schwindlig und er hielt sich am Verkaufstresen fest. „Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Nike ganz unschuldig dreinblickend. „Allles in Ord…“, war das Letzte, was er hervor brachte, bevor er in sich zusammen sackte und in einen tiefen Schlaf fiel. Liam und Wanda fingen ihn ab, bevor er auf dem harten Boden niedersank und trugen ihn in das Wohnzimmer hinter dem Geschäftsbereich. Dort legten sie ihn auf ein kleines Sofa. „Okay, wie lange wird er schlafen?“, fragte der Halbdämon. „Es müsste für viele Stunden ausreichen.“, antwortete die Kräuterhexe. „Das Beste an diesem kleinen Zauber ist, dass er sich an nichts erinnern wird und du ihm einreden kannst, was du willst! Er wird es dir abnehmen und auch so wiedergeben, wenn ihn jemand danach fragt. Er wird selber fest daran glauben.“ Nike blinzelte Liam zu und schickte ihn zu den Anderen, um das weitere Vorgehen zu planen. „Gut also, wir werden warten bis das Flugzeug gelandet ist. Dann dauert es zirka fünfundvierzig Minuten bis alle Passagiere die Maschine verlassen haben. Danach müsste eigentlich auch schon die Ware ausgela den und verstaut worden sein. Wir gehen jetzt einmal davon aus, dass sie die Ausstellungsstücke für heute Nacht einfach vor Ort in einen der Lagerräume aufbewahren werden. Wenn nicht, war alles umsonst. Aber wir wollen hoffen, dass uns das Glück hold ist und uns keinen Strich durch die Rechung macht. Okay, es wird so ähnlich wie im Museum. Headsets, Codenamen und all das Zeug, nur diesmal müssen wir ohne unserer Meisterdiebin auskommen.“, endete Stevie betrübt seine Erklärung. Liam straffte die Schultern. „Das kriegen wir schon hin!“, entgegnete er nur halbherzig und starrte wieder auf den Plan vom Flug hafengelände, den Stevie vor ihnen auf einem kleinen Tisch ausgebreitet hatte. Die vier verbrachten die restliche Zeit mit weiteren Beratungen und Nike bekam den Auftrag sich später zu Ludenys Wohnung zu begeben und nach dem Kristallschwert zu suchen. Sie sollte es an sich nehmen und vor der Villa in Newark
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auf die anderen warten. Sollten sie nicht auftauchen, dann wäre die Aktion fehlgeschlagen und Nike die einzigste, die Ludeny noch retten könnte. „Ich habe da nur ein Problem. Ich habe kein Auto…“, ehe sie ausgesprochen hatte, zog Wanda auch schon ihren Wagenschlüssel aus ihrer Jackentasche und hielt ihn der überraschten Nike vor das Gesicht. „Hier! Nimm meinen Wagen. In Anbetracht der Situation soltlest du einen guten fahrbaren Untersatz haben.“ Nike griff nach dem Schlüssel und lächelte der Risis mit einem Zwinkern zu. „Ich werde auch bestimmt vorsichtig damit umgehen!“, versprach sie. Kurz vor siebzehn Uhr dreißig verließen sie das Sorcery. Sie verabredeten sich für spätestens zwanzig Uhr vor der Villa. Den ungebetenen Gast hatten sie sicherheithalber gefesselt und geknebelt in Nikes Wohnung zurück gelassen. Als Liam gera de in Stevies alten BMW einsteigen wollte, rief er noch einmal nach Nike. „Bitte, versprich mir, wenn wir nicht ankommen sollten, dann versuch dein Bestes. Überlass Ludeny nicht einfach diesem verfluchten Monster. Ja?“ Nike lächelte „Ich verspreche es!“ „Gut du französische Rose! Ich denke, Hylia hat schon gut angefangen. Ich denke es wird Zeit für eine kleine Fortsetzung.“, sagte Greeson und riss die Gefangen an ihren Haaren in die Höhe. Er warf sie mit einer einzigen Handbewegung zurück zum Solarium und Ludeny schlug mit dem Hinterkopf hart auf dem Deckel der Bräunungsmaschiene auf, sodass eine klaffende Platzwunde entstand, die stark blutete. Hylia genoss das Spektakel sichtlich und half der Dunkelslug beim Aufstehen. Mit einer Hand hielt sie sie am Hals fest, mit der anderen öffnete sie erneut das Solarium und startete die Röhren. Das Licht leuchtete auf und die Magierin stieß Ludeny unsanft hinein. Erschöpft blieb diese dort liegen. Sie war sich sicher, diesen Abend nicht zu überleben. Plötzlich begann sich alles zu drehen und die Ohnmacht riss sie mit sich. Ludeny träumte von Blumen, von Mangostanen und von Liam, während die künstliche Sonne weiterhin die Kraft aus ihr sog und sie immer schwächer werden ließ. Stevie fuhr los. Schweigen trat ein. Jeder hing seinen Gedanken nach. „Wenn sie sterben sollte, werde ich ihr folgen, egal was die anderen sagen!“, ging es durch Liams Kopf. „Dann werden wir wenigstens dort, wo immer wir dann sein werden, auf ewig zusammen sein können!“ Stevie blickte zu dem nachdenklichen Halbgamblin hinüber. „Irgendwie tut er so, als würde es nur ihn betreffen! Aber ich mache das alles hier nicht für ihn. Ludeny ist auch in meinem Leben ein wichtiger Teil!“ Wanda schaute versonnen aus der hinteren Seitenscheibe. „Ich mache mir Sorgen. Was, wenn sie es nicht überleben sollte? Er würde das niemals verkraften. Eher wird er sterben wollen! Ich denke langsam wie ein Mensch!“, flogen die Gedanken durch ihren Kopf. Am Flughafen angekommen, suchte Stevie sich einen dunkeln und abgelegenen Parkplatz. Vom Rücksitz des Wagens holte er seine Tasche mit der technischen Ausrüstung. „Okay, wir testen noch einmal die Headstes und dann warten wir, bis auf dem Gelände ein wenig Ruhe eingekehrt ist.“, wieß er die anderen beiden an. „Ich werde mit rein kommen!“, setzte er nach, ohne die zwei dabei anzusehen. „Wie kommst du denn auf diese Schnappsidee?“, fragte Liam und schaute ihn eindringlich von der Seite her an. „So wie ich es gesagt habe! Ich werde mit hinein kommen und dafür sorgen, dass dieses Ding auch wirk lich bei uns landet!“ Stevie setzte sein Headset auf und drehte an den Knöpfen der Empfangsanlage. Liam riss ihm entnervt den Kopfhörer von den Ohren. „Du wirst hier draussen bleiben und uns von hier aus unterstützen! Alles klar?“ Jetzt wurde Stevie wü tend. „Du hast mir gar nichts zu sagen! Meinst du etwa, dass du ein Monopol auf ihre Freundschaft hast? Du bist sowas von egoistisch! Sie liebt dich schon eine ganze Ewigkeit und würde alles für dich tun. Und du hattest nichts Besseres zu tun, als in der Welt herum zu reisen, um allen zu zeigen, dass du der Held der Mensch heit bist! Du Mistkerl hast sie einmal flachgelegt und eiskalt abserviert! Also bilde dir ja nicht ein, dass du
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irgendwelche Ansprüche hast, was Ludeny angeht!“ Liam wurde still. Er wusste, dass es für andere so ausse hen musste, wie Stevie es ihm gerade vorgeworfen hatte. Niemand wusste Bescheid über sein Schicksal und die EDIs. Er antwortete nicht, sondern fasste ihm an die Schulter. Dann sah er ihm ins Gesicht. „Tja mein Freund, wie es aussieht hast du Recht! Ich bin wohl ein Schwein. Aber wenn ich zulasse, dass dir etwas bei dieser Aktion passiert, dann wird sie mich umbringen!“ Wanda blieb der Mund offen stehen. Sie hatte damit gerechnet, dass ihr Freund und Mentor den Studenten in Grund und Boden schreien würde. Seine Reaktion überraschte sie sehr. So sehr, dass sie jetzt nicht einmal mitbekam, wie Liam aus dem Wagen ausstieg, um sich auf dem Flughafenglände umzusehen. „Wo will er denn hin?“, fragte sie nun verdutzt. „Keine Ahnung, er tut doch sowieso immer, was er will!“, erwiderte Stevie trotzig. Liam war froh ein we nig alleine zu sein. Er musste etwas frische Luft schnappen und da tat ihm der kleine Spaziergang ganz gut. Wanda kletterte zum Beifahrersitz hinüber und schaute den betrübten Stevie an. „Ich verstehe, dass du dir Sorgen um Lud machst. Aber du warst eben sehr unfair zu ihm!“, sagte sie. Stevie schaute aus der Seitenscheibe. „Ach ja? Und was ist er? Ich bin schließlich nicht derjenige, der Ludeny in diese Situation gebracht hat, das war er! Wenn er sie in Ruhe gelassen hätte, dann würde sie nicht unter diesem Bräter liegen und dem Tod ins Auge blicken!“ Wanda verdrehte die Augen. „Das ist nicht wahr und das weißt du auch! Ludeny benimmt sich wie ein sturer Teenager und tut immer, was ihr gerade in den Kram passt! Als Liam wieder in ihr Leben trat, konnte sie wenigstens etwas Sinnvolles für ihre Mitmenschen tun! Irgendwann wäre sie auch von alleine darauf gekommen, mit Liam ging es eben nur etwas schneller!“ Stevie schluckte. „Dass du das sagst, ist mir schon klar. Er ist dein bester Freund. Aber ich bleibe dabei, wenn er sie damals nicht im Stich gelassen hätte, wäre sie heute nicht so misstrauisch, wie sie es jetzt ist!“ Die Risis lächelte. „Du musst wirklich noch viel über uns Dämonen und Halbdämonen lernen. Dunkelslugs sind von Natur aus sehr misstrauisch, wie wir Risis eben sehr streitsüchtig sind.“ Stevie schaute sie nun endlich einmal an. „Du bist echt okay. Ich weiß wirklich nicht, wie er zu so netten Freunden kommt. Verdient hat er sie auf keinen Fall“, lachte er etwas traurig. „Das Beste, was dir passieren konnte in deinem Leben ist, Liam kennenzulernen, glaube mir! Einen bes seren Freund gibt es nicht!“ Liam war zum Hanger hinüber gegangen und beobachtete die Maschinen dabei, wie sie landeten und wieder abhoben, um in andere Länder und Kontinente zu fliegen. „Oh Ludy, wenn ich dich endlich wieder habe, suche ich uns ein Land, in dem wir immer zusammen sein können. Ich liebe dich.“, flüsterte er sich selbst zu. Ludeny sank in einen Traum. Sie ahnte, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie sterben würde und die letzten Tropfen ihrer Tränenflüssigkeit rannen ihr über ihre transparente Haut. „Ich liebe dich.“, hallte es aus der Ferne in ihren Kopf und sie erkannte Liams Stimme. „Ich dich auch!“, sagte sie leise und schwach. Auf dem Flughafen wurde es ruhig. In der Ankunftshalle wurde bereits sauber gemacht und die letzte Maschine traf ein. Liam war inzwischen zurück zum Wagen gegangen, um Wanda und Stevie bescheid zu geben, dass es nun langsam Zeit wurde. Sie machten sich bereit und testeten noch einmal ihre Headsets. „Okay, Hummelkönig an Bambie! Kannst du mich hören?“ Wanda verdrehte erneut die Augen, angesichts ihres unpassenden Codenamens. „Ja, ich höre dich!“ Dann wandte sich der Student an Liam. „Gut, Hummelkönig an Fester, alles klar?“ Liam schaute ihn an. „Ja, alles roger!“ Er hob den Daumen, um zu zeigen, dass alles funktionierte. „Liam, ich möchte mich entschuldigen. Meine Ausbruch eben, war wohl unangebracht!“ Der Halbdämon
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sah ihn verwundert an. „Schon okay! Ich verstehe dich sehr gut. Wer anders als ich, sollte dich wohl besser verstehen? Wir ma chen uns eben Sorgen um sie und da wird man anderen gegenüber auch mal ungerecht!“ Er reichte Stevie die Hand und sie schüttelten sie sich gegenseitig. „Okay, genug der Rührseligkeiten. Eine hässliche Aztekenstatue wartet auf uns!“, mischte sich nun Wan da in das Gespräch und klopfte Liam auf die Schulter. „Los, Ludeny rechnet mit uns!“ Die beiden Männer nickten und Stevie begab sich an seinen Platz im Wagen, um ihnen mit seinem technischen Wissen beiste hen zu können. Nike parkte gerade den Porsche vor Ludenys Wohnung und lief die Treppen hinauf. Liam hatte – als er sich auf den Weg zu Wanda und Nike gemacht hatte - geistesgegenwertig den Schlüssel mitgenommen und ihn an Nike übergeben, bevor sie sich vor dem Sorcery getrennt hatten. Sie schloss die Tür auf und betrat die Wohnung. Sie fühlte sich irgendwie elend. Immer wieder musste sie an diese schreckliche Magierin denken. Zuerst der Mord an ihrer Mutter und jetzt auch noch die Entführung von Ludeny. Irgendjemand musste diese Frau endlich stoppen. Nike hatte bereits das Schlaf- und das Arbeitszimmer abgesucht, aber das Schwert war nicht aufzufinden. Als sie schon beinahe aufgeben wollte, fand sie die Kiste schließlich in der Küche. Doch als sie diese öffnete, musste sie feststellen, dass die Waffe nicht darin lag. Ludeny hatte ihre Kleidung im Badezimmer auf den Fußboden liegen gelassen und Nike fand dort auch nur die ebenfalls leere Schwertscheide. „Verdammt, wo hast du das Schwert hingetan?“, dachte Nike verwirrt. Nachdenklich setzte sie sich erst einmal auf das Sofa im Wohnzimmer. Sie versuchte den Tag im Museum zu überdenken und nachzuempfinden, was am Abend hier wohl stattgefunden hatte. „Sie muss es eilig gehabt haben, ins Bett zu kommen. Die gesamte Wohnung ist so ordentlich, da passt die achtlos hingeworfene Wäsche im Bad nicht wirklich ins Bild.“ Plötzlich hatte sie eine Idee. Ludeny und Liam waren zusammen zu ihr nach Hause gefahren. „Wenn man verliebt ist, denkt man nicht immer an alles. Ergo besteht die Möglichkeit, dass sich die Waffe noch immer in Ludenys Auto befindet.“, kombinierte sie. Eilig hastete Nike zurück in den Flur und fand in einer Schale auf dem antiken Tisch neben der Woh nungstür den Schlüssel zum Spider. Und tatsächlich. Als die Hexe den Wagen aufgeschlossen hatte, lag dort auf dem Rücksitz, das kristallene Schwert. Nike schnappte sich die besondere Waffe und überlegte kurz. „Besser, ich verstaue es in der Scheide. Sicher ist sicher! Außerdem, sollte es wirlich dazu kommen, dass ich die Villa stürme, kann ich schlecht über das Gelände der Villa schleichen, wenn ich nur eine Hand frei habe.“, dachte sie. Schnell rannte sie zurück in Ludenys Wohnung und holte aus dem Bad die lederne Schwertscheide. Auf dem Weg nach draußen erblickte sie plötzlich die Sonnenblume, die Liam Ludeny ge kauft hatte. Sie trat näher an die Blume heran und berührte die Blüte sanft. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und konnte Liam und Ludeny glücklich vereint in einem Meer von Blumen erkennen! Nike musste einige Male blinzeln, bevor sie sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren konnte. Dann brach sie endgültig zur Villa in Newark auf. Am Flughafen schlichen Wanda und Liam gerade zwischen zwei Maschinen hindurch. Das Flugzeug mit den Ausstellungsstücken war pünktlich gelandet und die Crew sowie die Fracht waren bereits verschwun den und entladen. „Fester an Hummelkönig, hier scheint sich nichts mehr zu regen. Wir suchen die Lagerhallen und geben dann Bescheid!“, berichtete Liam und gab Wanda ein Zeichen zum Weitergehen. Die Lagerbereiche lagen etwas abseits von den Landebahnen und in einiger Entfernung gegenüber der Wartehalle. Liam schlich hin und beobachtet die Lage. „Wachmann!“, flüsterte er in sein Mikrofon. „Okay, den werde ich ablenken!“, erwiderte Wanda und ging in Richtung Lagerhallen. Stevie saß im Wa gen und wurde immer nervöser. „Hoffentlich geht da nichts schief!“, sagte er und wippte nervös mit seinen Füssen. Wanda indes stand neben der großen Stahlschiebetür der Halle und beobachtete den Wachmann dabei,
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wie dieser langsam auf diese zuschlenderte. Es war ein junger Mann, ziemlich groß und schlacksig. Er zün dete sich lässig eine Zigarette an. Dann holte er sein Walkietalkie aus der Gürteltasche hervor. „Hey, Harry! Habe ich dir schon von gestern Nacht erzählt?“, rief er in das Gerät. „Nein Oliver, hast du nicht. Aber ich nehme mal an, dass es wieder um eine Frauengeschichte geht!“, kam eine gelangweilte Stimme durch den kleinen Lautsprecher. „Du ahnst es! Man, die Braut war so heiss, an der hätte ich mir beinahe etwas verbrannt! Falls du ver stehst, was ich meine!“ Oliver lachte dreckig in das Funkgerät. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass dir jede, die dir in einem Club über den Weg läuft, gleich aus der Hand frisst und mit dir in die Kiste springt? So schön bist du nun wirklich nicht!“, antwortete der Kerl am anderen Ende. „Glaub doch was du willst. Aber ich hatte jedenfalls eine Menge Spass, im Gegensatz zu dir!“, schloss Oliver das Thema. „Gehen wir nachhe…“ Als irgendetwas an ihm vorbei lief, brach er den Satz ab. Es war je doch so schnell passiert, dass er nicht erkennen konnte, wer oder was es war. „Hey, Harry, hier ist jemand!“, sagte er schnell. „Ja, klar! Die Braut von letzter Nacht!“, lachte Harry am anderen Ende laut auf. „Hör auf mit der Scheisse! Ehrlich, hier ist etwas! Schick lieber Verstärkung!“ Harry, der Oliver anschei nend nicht besonders gut leiden konnte, war noch immer dabei, über seinen eben gemachten Scherz zu lachen. „Warum? Kommst du mit ihr alleine nicht zu Recht?“, antwortete er, fing sich dann allerdings wieder und redete mit ernster Stimme weiter. „Ich schicke dir jemanden!“ Dann beendete er das Gespräch. „Der denkt wohl, dass er hier den großen Macker machen kann! Ich lasse ihn ein wenig zappeln. Vielleicht kommt er dann ein wenig von seinem Tripp herunter, dass er der größte Frauenverführer der Stadt ist!“, sagte er zu seinem Kollegen, der in der Zentrale des Wachpersonals, in der Flughafenhalle neben ihm saß und sich ge rade kalte Pizzastücken in den Mund stopfte. „Ja, lass ihn zappeln!“, sagte der kurz und lachte. Wanda machte sich inzwischen bereit das nächste Ablenkungsmannöver zu starten, um Liam den Weg zur Halle frei zu machen, als sie beim Aufstehen aus der Hocke mit dem Fuß umknickte und mit schmerz verzerrtem Gesicht wieder zurück in die Knie ging. „Bambie an Hummelkönig! Verdammter Mist, ich bin umgeknickt! Gib Fester bescheid!“, flüsterte sie hastig in ihr Headset. „Roger!“, erklang Stevies Stimme aus dem Kopfhörer. „Hummelkönig an Fester! Bambie hat einen Knick fuss! Wiederhole, Bambie hat einen Knickfuss!“ Liam erhielt die Nachricht und überlegte kurz. „Okay, Plan B!” Stevie war verwundert. Denn von einem Plan B war bisher nicht die Rede gewesen. „Was ist Plan B?“, fragte er zurück. „Ganz einfach, Hummelkönig sofort zu Fester!“, antwortete er. Stevie schreckte hoch. „Was, ich?“ Der Halbdämon verdrehte die Augen. „Wer ist denn hier der Hummelkönig? Nun mach schon. Du wolltest doch unbedingt dabei sein! Ich brau che dich hier! Ludy braucht dich!“, hakte er nach. „Bin schon unterwegs!“, kam es aus dem Kopfhörer. Liam hörte nichts mehr vom Hummelkönig. Wanda hielt sich ihren Knöchel und versuchte sehr leise zu sein, um nicht noch mehr Wachmänner auf den Plan zu rufen. Sie rutschte in eine Ecke neben der Halle und atmete sehr flach. „Wen haben wir denn da?“ Plötzlich stand der Wachmann mit gezogener Waffe vor ihr und hielt diese auf die Risis gerichtet. „Wer sind Sie und was wollen Sie hier?“, fragte er nervös. Wanda wurde unruhig. So wie Oliver vor Auf regung zitterte, konnte die Pistole in seiner Hand jederzeit losgehen. „Ähm, Ich nischte verstehe?“, versuchte sie in fremdländischem Akzent zu reden, in der Hoffnung, dass er sich damit beruhigen ließ. „Was nischte verstehe? Du ausländische Schlampe, was willst du hier?“, brüllte er sie an. In der Risis stieg Wut auf.
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„Was bildet der sich ein, mit wem er hier redet?“, schoss es durch ihren Kopf. „Los, aufstehen! Dich werden wir erst einmal richtig filzen!“ Der junge Kerl war sich seiner Machtpositi on sicher und ging mit seiner Waffe, die er immer noch auf Wanda richtete, auf sie zu. Er zog sie an ihrem Lederblouson hoch und schubste sie zur Wand der Lagerhalle. Dann stieß er mit seinen Füßen ihre Beine auseinander und fuhr mit einer Hand langsam an ihren Waden und Oberschenkeln entlang, immer höher nach oben. Er schien es zu geniessen. Wanda kochte. Sie war kurz davor Oliver einen Schalg zu versetzten, den er niemals vergessen würde. Er drückte sie mit einem Arm gegen die Wand und tastete genüsslich wei ter ihre Beine ab. Gerade, als sie sich umdrehen wollte, um ihm einen Hieb zu versetzen, hörte sie einen dumpfen Schlag hinter sich und ein Stöhnen des Wachmannes, der anscheinend zusammengebrochen war. Die Risis drehte sich um. Da stand Stevie mit einer kurzen Holzlatte in der Hand und lächelte sie stolz an. „Der Typ ist ein Schwein!“ Wanda lächelte zurück. „Ja, das ist er! Hey, du bist Klasse! Siehst du, wenn du mit Liam und mir unterwegs bist, dann kannst du was lernen!“ Dann legte sie ihren Arm um seine Schulter und ließ sich von ihm zurück zum Auto bringen. „Okay, ich bleibe hier und du gehst und hilfst Liam!“, befahl sie. „Der will meine Hilfe doch gar nicht, der Einzelkämpfer!“ Wanda deutete mit dem Zeigefinger in Rich tung Flughafen und Stevie nickte. Er rannte zur Lagerhalle, an dessen Schloss sich Liam bereits zu schaffen machte. „Ah, der Hummelkönig! Wie geht es Wanda?“, fragte er. „Der Fuß ist wohl angeknackst. Aber ansonsten geht es ihr gut!“ Stevie beobachtete, wie Liam an dem großen Vorhängeschloss zu verzweifeln drohte und stieß ihn an. „Lass mich mal!“, sagte er schließlich und griff in seine Hosentasche. Er zog einen kleinen metallenen Stift heraus, den er in das Schloss steckte. Liam war erstaunt mit welchem Werkzeug der Student sich ausgestattet hatte und beobachtete ihn genau. „Gleich hab ichs!“ Stevies Gesicht wirkte konzentriert. Er war sehr geschickt mit seinen Händen. Denn in diesem Moment machte es „Klick“ und das Schloss war entriegelt. „Voila, bitte einzutreten!“ Er machte eine weitausholende Geste mit dem Arm und folgte dann dem Halbdämon in den riesigen Lagerraum. „Oh Mann! Wo sollen wir denn hier anfangen zu suchen? Das ist ja massig, was die hier lagern!“ Liam sah ihn an und grinste. „Warte, ich finde sie!“ Dann schloss er seine Augen und begann sich zu konzentrieren. Bei den Dragoons hatte er gelernt, dass Gottesgestalten und ähnliche Dinge, die einst von vielen Menschen angebetet wurden, ein Eigenleben hatten. Viel Energie steckte in diesen Relikten und das strahlten sie auch aus. Eine ganze Weile stand er so da und Stevie dachte schon, dass er vielleicht eingeschlafen war, wagte es jedoch nicht, den Dämon in dieser Situation zu stören. Plötzlich ging Liam mit immer noch geschlossenen Augen los und Stevie folgte ihm, bis zu einer großen Holzkiste, die ziemlich unscheinbar, in einer Ecke eines Ganges der hohen Halle stand. „Das ist sie!“, sagte Liam und stemmte die Kiste mit einem an der Wand lehnenden Stemmeisen auf. Und wirklich, da lag sie. Unschuldig in Stroh gebettet und ziemlich hässlich, wie Stevie fand. Liam griff zu und steckte die etwa dreißig bis vierzig Zentimieter hohe Statue in seine Jacke. Dann machte er eine Kopfbewe gung, um Stevie zu deuten, das sie jetzt besser schnell verschwinden sollten, falls die anderen Wachleute ihren Kollegen schon vermissen sollten. Schnell eilten sie aus der Halle und rannten geduckt über das freie Rollfeld, direkt zu Wanda, die in Stevies Wagen schon unruhig auf die zwei wartete. „Wirklich hässlich!“, sagte sie, als Liam ihr die Statue nach hinten reichte. „Ja, aber wenn wir durch sie endlich Ludy wiederbekommen, soll es mir egal sein!“ Dann ließ Stevie den Motor an und fuhr auf direktem Weg zur Villa in Newark. Nike hatte den Porsche ein Stück weiter die Straße hinunter abgestellt und hoffte auf die Anknuft der Anderen. Alle paar Minuten blickte sie auf ihre Armbanduhr. In der Zwischenzeit war es zwanzig Uhr ge worden und Nike straffte seufzend ihre Schultern. Dann stieg sie aus und machte sie sich auf den Weg zur Einfahrt. Plötzlich sah sie einen Wagen um die Ecke biegen. Abrupt blieb sie stehen und erkannte den alten BMW
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von Stevie. Erleichtert atmete sie durch und lief zu dem einparktem Auto. Wanda hielt die Statue hoch, so daß Nike sie durchs Fenster sehen konnte. „Oh mein Gott. Ich hatte schon Angst ihr kommt nicht mehr. Ich wollte gerade die Villa stürmen und Ludeny retten!“, begrüßte sie Liam und lächelte ihn an. „Nein, wir haben alles erledigt. Ich werde jetzt hineinmarschieren und die Statue übergeben.“, sagte Liam und machte sich bereits auf den Weg. „Und der Chancenug glaubt dir sicherlich, dass du alleine hier auftauchst. Kommt gar nicht in Frage, ich komme mit!“, rief die Risis ihm nach und folgte ihm humpelnd. Nike schaute ihrer Freundin verwundert nach. Stevie erzählte schnell von dem kleinen Unfall und Nike hoffte, dass Wanda nicht all zu schwer ver letzt worden war. Stevie kramte noch schnell zwei seiner Headsets heraus und stellte einige Knöpfchen um. „Okay, wir folgen denen natürlich und bleiben in Kontakt.“, sagte er und reichte das zweite Headset an Nike weiter. „Hallo, Flocke, hörst du mich?“, fragte er und Nike hielt den Daumen in die Höhe. „ Ja, Hummelkönig und danke für den Codenamen.“ Sie lächelte ihn an und beide liefen schnell hinter den anderen her. Während Liam und Wanda sich genau vor das Tor stellten, bezogen Stevie und Nike an der Hauswand Stellung. Liam betätigte die Gegensprechanlage und wartete auf Antwort. Ludeny lag immer noch unter dem Solarium. Der Chancenug und Hylia küssten sich gerade gierig. Das Gefühl des Triumpfes, diese Atmosphäre von Angst und drohendem Tod gab Greeson ein Machtempfinden, wie er es liebte. Er dachte schon daran, sich mit Hylia neben der verblassenden Ludeny zu vergnügen, als Frank die Kellertüre öffnete und seinen Namen rief. Er stieß Hylia grob von sich weg und begab sich auf den Weg ins Haus. „Greeson Residenz! Wer ist da?“, fragte der alternde Hausbuttler Frank in die Sprechanlage. Er konnte natürlich über den Bildschirm erkennen, dass da ein junger Mann und seine attraktive Begleiterin standen, aber er wusste ja nicht, um wen es sich dabei handelte. „O`Brian mein Name, wir werden erwartet!“ Liam hielt die Statue in die Kamera und wartete auf Ein lass. „Haben Sie bitte einen Augenblick Geduld, ich werde den Hausherren holen!“ Dann trat Ruhe ein. Liam dachte an Ludeny und hoffte, dass es ihr den Umständen entsprechechend gut ging. „Bitte Ludy, halte durch! Ich bin gleich bei dir!“, sagte er vor sich hin. Wanda legte beruhigend ihre Hand auf seine Schulter. Dann wurde der Summer an dem riesigen, gusseiserem Tor betätigt und die beiden traten ein. „Mr. Greeson erwartet Sie!“, hörten sie noch Franks Stimme. „Hätte mich auch gewundert, wenn nicht…“, erwiderte Liam leise. Als sie oben an der Villa angekommen waren, stand bereits der Buttler an der schweren ebenhölzernen Tür und bat sie einzutreten. „Der Herr wünscht Sie im Büro zu empfangen!“ Liam folgte ihm. Wanda hinkte hinter den beiden her. An den hohen Wänden der Eingangshalle hingen alte Ölgemälde, die die ehemaligen Präsidenten der USA zeigten. Ihre Schritte hallten auf dem weißen Fliesenboden wider. An einer Tür aus buchefarbenem Holz blieb Frank stehen und wieß sie an, einen Augenblick zu warten, damit er sie standesgemäß anmelden konnte. „Mein Gott, wie lange dauert diese Prozedur denn noch? Entweder will er das Ding, oder nicht!“, zischte Wanda dem Halbgamblin ins Ohr. Liam nickte nur kurz. Er war mit den Gedanken ganz woanders und wurde langsam ungeduldig. „Es geht ihr sicher gut!“, hakte die Risis nach, als sie Liams besorgten Gesichtsaus druck bemerkte. Dann trat Frank aus dem Zimmer herraus und ließ sie ins Büro eintreten. „Bitte!“, sagte er und schloss die Tür hinter den beiden. Das Zimmer war wie immer ziemlich dunkel und Liam suchte mit seinen Augen den Raum ab. „Du siehst mich nicht sonderlich gut, O`Brian! Stimmt´s?“, hörten sie nun die Stimme des Chancenugs. „Machen wir es kurz!“ Liam stellte die Statue auf dem großen Eiche-Schreibtisch ab. „Wo ist sie?“, fragte
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er und ließ seine Hand auf dem aztekischen Relikt ruhen. „Warum denn so eilig! Vielleicht fühlt sie sich ja ganz wohl in unserer eleganten Residenz?“, sagte der Wurmdämon sarkastisch. Liam riss der Geduldsfaden. Er schlug mit der Faust auf die Tischplatte, sodass die Stifte darauf wackelten und sah ihm nun direkt in die Augen. „Hör zu, du widerliches Monster! Du entkommst mir sowieso nicht! Und wenn du nicht möchtest, dass ich dir so große Schmerzen bereite, dass du dir wünschst, es ginge endlich zuende mit dir, dann sag mir endlich wo Ludeny ist!“ Raymond hatte sich von seinem wuchtigen Schreibtischsessel erhoben und war ein Stück zurückgetreten. Er wusste, dass mit Liam nicht zu scherzen war. Er war ein ebenbürtiger Gegner und jetzt, wo er auch noch in Aufruhr wegen der Dunkelslug war, wollte er ihn nicht unnötig reizen. Denn in diesem Zustand war er unberechenbar. „Gut, du hast deinen Teil erfüllt. Ich zeige dir, wo du dein Flittchen findest!“ Wanda hatte die Statue an sich genommen, da sie diese erst übergeben wollte, wenn sie sicher sein konnten, dass Ludeny am Leben war. Nachdem sich Nike und Stevie durch das sich schließenden Eisenportal der Einfahrt gezwänkt hatten, suchten sie noch nach einer Möglichkeitin die Villa zu gelangen, ohne von dem Personal des Hauses be merkt zu werden. Stevie reichte der kleineren Nike die Hand, um sie auf einen Vorsprung eines der unteren Fenster zu ziehen. „Komm! Von hier haben wir vielleicht einen kleinen Einblick und können uns einen Weg hinein suchen!“ Nike stand neben ihm auf der Steinstufe und sah ihn an. „Du hast Angst, nicht wahr?“ Er schaute in das Fenster, blickte kurz zu Boden und dann in ihr Gesicht. „Ja, habe ich! Aber Ludeny ist irgendwo da drinnen und ich werde nicht ohne sie wieder weggehen. Das schwöre ich!“ Nike lächelte und strich ihm freundschaftlich über seine Schulter. „In dir steckt mehr, als du denkst!“ Der Informatikstudent lächelte und zog sie nun ein Stück zur Seite. Denn jemand war in das Zimmer getreten und hatte das Licht eingeschaltet. Es war Frank. Er sah immer am Abend im ganzen Haus nach dem Rechten und das tat er sehr gewissenhaft. „Also, hier ist dieser Gestank von den Räucherstäbchen immer noch nicht raus! Widerlich!“ Er ging zum Fenster hinüber, auf dessen Sims sich Stevie und Nike versteckt hielten. Beide hielten den Atem an und drückten sich gegen die Hauswand. Frank öffnete das Fenster und verließ einen Augenblick später den Raum. „Das ist ja einfacher, als ich dachte!“, sagte Stevie und half der jungen Hexe dabei, durch das Fenster in das Zimmer zu springen. „Wo suchen wir zuerst?“, flüsterte sie ihm zu. „Ich vermute, dass sie sie in irgendeinem Keller versteckt halten!“, antwortete Stevie. Nike blickte ihn fraend an. „Woher willst du das so genau wissen?“, fragte sie. „Na wissen tue ich es nicht. Aber wenn ich an all die Gruselfilme denke, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe, dann waren die Verstecke von den ‚Bösen‘ doch meistens in den Kellern der Häuser unterge bracht! Denk doch nur mal an Psycho!“, erwiderte Stevie und schüttelte sich dabei ein wenig bei dem Ge danken an den Alfred Hichtcock Thriller. Dann machten sie sich vorsichtig auf den Weg, um eine Kellertür zu finden. Hylia war noch immer in dem Verliess bei Ludeny und genoss es sichtlich, das diese immer schwächer und transparenter wurde. „Gut durch sind mir Dunkelslugs immer noch am liebsten!“, sagte sie höhnisch und lachte dabei kalt. In Ludeny war kaum noch Leben. Sie konnte nicht einmal mehr die Augen offen halten und spürte die Hitze des Solariums in jeder Faser ihres Körpers. Und, als ob das noch nicht genug gewesen wäre, erhob Hylia sich von ihrem Stuhl und drehte an der Stufenregelung des Gerätes. „So, ich denke, wir machen dem Leiden jetzt ein Ende. Es fängt an mich zu langweilen!“ Ludeny weinte, zwar ohne Tränen, aber sie weinte. „Liam!“, dachte sie und fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem sie wohl nicht mehr erwachen würde. Ihr Er scheinungsbild flackerte unruhig auf.
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Greeson war mit Liam zum Keller hinunter gegangen. Wanda blieb oben im Haus zurück, da sie es für sicherer hielt, wenn wenigstens einer von ihnen die Stellung im Haus hielt. Sie übergab widerwillig die Statue an den Hausherren und blickte ihn grimmig an. Da ihr Fuß noch immer schmerzte, wollte sie bei einer schnellen Flucht keine Belastung für die anderen der Gruppe darstellen, indem sie die Kellertreppe vielleicht nicht schnell genug emporsteigen konnte. Der Chancenug schloss eine Brettertür im Kellergang auf und lotste Liam hindurch. „Bitte!“ Liam folgte der Aufforderung. Was blieb ihm anderes übrig, wenn er Ludeny jemals wiedersehen wollte? Er war dem Wurmdämon in diesem Moment ausgeliefert. Sie betraten einen kleinen Vorraum und Liam wurde immer unruhiger. „Da!“, sagte der Chancenug nun und deutete auf einen mit Brettern ver schlossenen Raum. Liam riss die Tür auf, erblickte Hylia und sah Ludeny unter dem eingeschalteten Turbobräuner liegen. Greeson zog Hylia aus dem Raum und beeilte sich damit, die Kellergänge zu verlassen. „Ist sie schon im Nirwana?“, fragte er die böse Hexe. „Ich denke, wenn nicht, dann zumindest in wenigen Momenten!“ Auf den Weg nach oben ins Haus nah men sie jedoch einen anderen Weg, als den, den der Wurmdämon zuvor mit Liam gegangen war. Er hatte sich schon vor einiger Zeit einen Geheimgang in den Keller bauen lassen und das schien sich jetzt auszuzah len. Er entriegelte einen schweren Stahlbalken und schob Hylia in einen engen Tunnel. „Los, weiter!“ Unterwegs durch den muffigen und stickigen Gang sagte er: „Du gehst zurück ins Haus und sorgst dafür, dass keiner von seinen Gefährten überlebt! Ich werde alles für die Abreise vorbereiten!“ Hylia nickte bestätigend. Einge Meter weiter teilte sich der Tunnel und Greeson nickte ihr zu, um ihr zu zeigen, dass sie den linken Weg einschlagen sollte. Er selbst würde geradeaus weiter gehen. Liam stand wie angewurzelt vor der künstlichen Sonne und konnte es nicht fassen. „Ludy? Oh mein Gott!“ Vor Schmerz über den schrecklichen Anblick, der sich ihm nun bot, brach er zusammen. Verzwei felt und mit zitternden Händen, suchte er das Gerät nach etwaigen Schaltern ab. Als der den Kippschalter entdeckte, konnte er die ultravioletten Strahlen endlich stoppen. Er zog die Dunkelslug vorsichtig von der Liege hinunter. Ihren leblosen und ständig aufflackernden Körper auf seinen Schoß gezogen, weinte er bit terlich. Immer wieder küsste er ihre Stirn und strich ihr bebend durch ihre blonden Locken „NEIN!“, hörte man seinen Schrei durchs ganze Haus hallen. Die Wut packte ihn. Er ließ Ludenys Kör per sanft auf den Boden sinken und deckte sie mit ihrem zerrissenem Pyjama Oberteil zu. Dann küsste er sie noch einmal zum Abschied und stürzte dann hinaus aus dem Kellerraum in den Gang. Rache war nun sein einziger Antrieb. Um Ludeny wollte er ausgiebig trauern. Daber dafür musste er sie jetzt erst einmal verlassen. Er rannte so schnell er konnte zurück nach oben ins Haus. Er stürzte mit seinem Schwert in der Hand an der erschreckten Wanda vorbei, sprang durch das große Fenster in der Halle, sodass die Scheiben in tausende Splitter zerbarsten, hinaus in den Garten. Er ahnte, dass sein Feind sich auf die Flucht begeben hatte und er wollte ihm nun endgültig den Gar ausmachen. Hylia hatte sich von ihrem Verbündetem getrennt, um sich nun auch die anderen Freunde Liams vorneh men zu können. Sie und Raymond wollten Liam entgültig brechen. Und dazu war ihnen jedes Mittel recht. Nike und Stevie waren auf der Suche nach Ludeny inzwischen auch im Keller angekommen. Als sie Liams Schrei hörten, blickten sie sich fragend an. Stevie schien zu ahnen, dass die Zeit wohl noch mehr drängte. „Okay, wir sollten uns hier unten trennen, um so effektiver suchen zu können!“, schlug er professionell vor. „Okay, wir treffen uns in zehn Minuten wieder hier!“, erwiderte Nike und blickte ihn dabei nervös an. Dann schritt sie in den linken Kellergang. Stevie war auf der rechten Seite des Kellers unterwegs und blickte in jede dunkle Nische, die sich auf beiden Seiten des Ganges befanden, hinein. „Wir hätten uns Taschenlampen mitnehmen sollen!“, schimpfte er unruhig vor sich hin. Nike erging es nicht anders. Sie war ebenfalls sehr vorsichtig bei jedem Schritt, den sie tat. Plötzlich entdeckte sie die Bret tertür, durch die eben noch Liam hinausgestürzt war. Vorsichtig lugte sie um die Ecke.
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„Oh nein!“, rief sie aus und stürzte in den Raum. Dann hockte sich die junge Frau neben Ludeny auf den kalten Boden und rief aus Leibeskräften: „Stevie!“ Ihre Stimme überschlug sich förmlich. Stevie hörte ihren Schrei durch das Headset und zuckte erschreckt zusammen. Sofort lief er in die andere Richtung. „Nein!“, sagte er in Panik, als er Ludeny in Nikes Armen liegen sah. „Lebt sie noch?“, fragte er und hockte sich neben die junge Hexe. „Noch! Stevie, du musst so schnell wie möglich zum Wagen, hol das Kristallschwert. Ich habe es in dein Auto gelegt, als wir los sind! Frage nicht, geh!“, sagte sie, als sie seinen verwunderten Blick bemerkte. Sie streichelte Ludeny über das Gesicht. „Hör mal, du kannst das nicht tun! Er wird dich glücklich machen! Ich weiß es!“, sagte sie und dicke Trä nen rannen ihr über die Wangen. So schnell war Stevie in seinem ganzen Leben wahrscheinlich noch nie gerannt. Immer wieder suchte er Deckung hinter eine der zahlreichen Hecken und Büsche, um nicht von den Wachen des Chancenug ent deckt zu werden. Sicher kam er jedoch am Auto an und holte die Waffe aus dem Font des Wagens. Er wun derte sich kurz, warum das große Tor offen gestanden hatte, hielt sich aber nicht lange mit dem Gedanken auf. Schnell und wieder darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, war er wieder im Keller bei Nike und der bedauernswerten Ludeny angelangt. „Hier! Was hast du vor?“, fragte er völlig außer Atem und mit klopfendem Herzen. „Wart´s ab!“, antwortete Nike und drückte dem Dunkelslug ihre Waffe in die Hand. Das Schwert begann zu glühen und wurde immer heller. Die Energie der Waffe bewegte sich sichtlich durch Ludenys transpa renten Arm hindurch, immer weiter in den gesamten Körper. Ludenys Haut wurde wieder deutlicher und sie fing an zu atmen. Einge Minuten später öffnete sie die Augen und sah Stevies besorgtes Gesicht vor sich. „Wo? Was? Stevie!“, sagte sie stammelnd und zog sich an ihn heran. Sie umarmte ihn und weinte. „Oh Mann, Lud! Mach so etwas bitte nie, nie, nie wieder!“ Sie blickte ihn an und schmunzelte. „Versprochen!“ Nike und der Student fassten der geschwächten Dunkelslug unter deren Arme und stützten sie beim Aufstehen. Nike half ihr dabei in ihre Pyjamahose zu schlüpfen, die noch immer auf dem kalten Kellerboden lag. Dann gingen sie die Stufen zum Haus empor. Hylia hatte sich hinter einer großen Säule der Eingangshalle versteckt und beobachtete Wanda dabei, wie diese humpelnd die einzelnen Räume durchsuchte. Dann erhob Hylia ihre Hand und sprach eine lateinische Formel. Wanda wurde von den Beinen gerissen und flog gegen die Wand hinter sich. Mit schmerzvezerrtem Gesicht lag die Risis auf dem Boden und hielt sich den Hinterkopf. „Das wirst du büßen!“, sagte sie und stand schwerfällig wieder auf, um der Magierin einen Schlag mit ihrem Kurzschwert beizubringen. Sie humpelte mit erhobenem Arm auf Hylia zu und schwang die Waffe. In dem Augenblick wurde sie erneut von einem Energieschwall getroffen und ging bewusstlos zu Boden. Der mit Nachtblindheit geschlagene Liam stolperte im Dunkeln durch den großen Garten des Grund stücks und suchte voller Verzweiflung den Chancenug. Tränen erschwerten ihm zusätzlich das Sehen und ein Schwall von unbeherrschten Gefühlen ließ ihn alles vergessen, was er in dreißig Jahren Kriegerausbil dung bei den Dragoons gelernt hatte. Schon immer war ihm seine Sehschwäche im Dunkeln wie ein Fluch vorgekommen. Aber gerade jetzt war es für ihn die Hölle, nicht so sehen zu können, wie ein normaler Mensch. Immer wieder drehte er sich im Kreis und schlug mit dem Shogunschwert in der Nachtluft um sich. Greeson war gerade erst aus einem Loch im Boden, das mit einem gusseisernen Deckel verschlossen war, gestiegen und stand hinter einer großen Eiche. Er sah amüsiert dabei zu, wie der Halbgamblin scheinbar blind wie ein Maulwurf durch die Gegend schlich. „So ist es Recht, irischer Fischersohn! Du wirst es bereuen, mir jemals begenet zu sein!“, flüsterte er böse vor sich hin. Liam fiel auf die Knie und weinte. Der Chancenug drehte sich weg und verschwand in der Dunkelheit. Am großen Tor angekommen, stieg
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er in die bereits wartende Limusine und fuhr, mit der aztekischen Statue im Arm, davon. Ludeny kam mit Stevie und Nike gerade um die Ecke des langen Flures, als sie den Kampflärm hörten. Hylia lachte eiskalt und Wandas Fluche hallten von den Wänden wider. Die Dunkelslug blickte kurz zu ih rem besten Freund und Nike hinüber und sie ahnte, dass sie etwas unternehmen musste. Sie löste sich aus den helfenden Armen ihrer Freunde, umklammerte fest den Griff ihres Schwertes und marschierte, noch wackelig auf den Beinen, zielstrebig in Richtung Halle los. Ihr ganzer Körper schmerzte. Doch Ludeny biss die Zähne zusammen. Sie wusste, diese Schmerzen waren gute Schmerzen. Denn sie zeigten ihr, dass sie lebte und dass die Kraft des Schwertes, ihr ihre Energie und Stärke zurückgab. Bei jedem Schritt, den sie tat, spürte sie, wie ihre Kräfte erneut wuchsen. Gerade rechtzeitig, als Wanda bewusstlos zu Boden ging, erreichte sie die Kampfstätte. Liam kam mit gesenktem Kopf durch das kaputte Fenster gestiegen und schaute wie vom Blitz getroffen auf. „Ludy?“, flüsterte er. Er war so gefesselt von ihrem Anblick, dass er nicht mitbekam, wie sich Hylias Interesse nun auf ihn zu konzentrieren schien und sie eine gefährliche Haltung annahm. „Bei allen Mächten der Dunkelheit und des Bösen, hört mich an und gebt mir eure Kraft! Halbwesen erstarre und folge dem Licht!“, rief sie und deutete mit ihren langen Fingernägeln auf Liam. Ein langer Blitzstrahl ging auf ihn nieder und er wurde hart an der Hüfte getroffen. Gerade in dem Augenblich, in dem er auf Ludeny zustürzen wollte, um sie glücklich in die Arme zu schließen. Er fiel vor ihr auf den Boden und blutete stark an der getroffenen Stelle. „Nein, Liam!“, schrie Ludeny und schwang, von Wut gepackt, ihr Kristallschwert. Sie schloss die Augen und begann sich zu konzentrieren. Sie spürte die Macht des Schwertes in sich aufsteigen und bewegte sich auf die Hexe zu. Diese versuchte mit verschiedenen Flüchen die Dunkelslug aufzuhalten. Aber sie hatte nicht mit der inzwischen um die Ecke eilenden Nike gerechnet. Diese murmelte leise Gegenflüche und konnte da mit verhindern, dass Hylia etwas gegen Ludeny unternehmen konnte. „Du kleines Miststück, wirst dafür noch büßen! Meine Magie ist viel stärker als deine!“, schrie sie und wich vor der schwertschwingenden Ludeny zurück. „Wir werden ja sehen, wer hier die Macht hat!“, rief Nike ihr zu und sprach weiter ihre Zauberformeln gegen das Böse. „Kämpfe, wenn du kannst!“, sagte Ludeny und schritt immer weiter auf die Magierin zu. Hylia wurde unsicher. Ohne ihre Zauberkräfte konnte sie gegen die Macht des Kristallschwertes nichts ausrichten. Das Schwert begann hell auf zu leuchten und Ludeny wuchs scheinbar über sich hinaus. Plötzlich stieß die Ma gierin mit dem Rücken gegen eine Wand. „Hier geht es wohl nicht mehr weiter für dich! Entscheide dich, stirb oder kämpfe!“ Ludenys Entschlos senheit war Hylia unheimlich. „Ihr guten Dämon! Prädigt immerzu von Fairness! Und nun sieh dich an! Du trägst als einzige von uns beiden eine Waffe!“, schrie sie verzweifelt. „Oh, wenn das dein Problem ist…“, antwortete Ludeny und griff nach Wandas Kurzschwert, die immer noch bewustlos neben ihr auf dem Boden lag. Sie reichte es Hylia und stellte sich in Kampfposition vor die ser auf. „Jetzt ist es fair!“ Hylia ergriff die Waffe und versuchte mit einer schnellen Bewegung, Ludeny zu treffen. Diese wich ihr aber geschickt aus und traf ihrerseits die Hexe am Arm. Eine große Wunde klaffte an der Stelle auf und Hylia hielt sie sich mit der anderen Hand. „Tut es weh?“, fragte die Dämonin und lächelte kalt. Das Schwert schien scheinbar unendliche Macht zu besitzen. Denn die Dunkelslug war wieder bei vollen Kräften und verspürte nicht einmal mehr die gering sten Schmerzen. Stevie hatte sich inzwischen zu Liam gebeugt und versuchte ihm beim Aufstehen zu helfen. Die Wunde schien beim näheren Hinsehen doch größer, als es auf den ersten Blick gewirkt hatte. „Liam, komm, ich helf dir auf!“, rief er, packte ihn am Arm und zog den Halbgamblin hoch, um ihn aus
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der Gefahenzone zu bringen. Hylia wurde von Panik ergriffen und sie rannte mit erhobenem Schwert auf Ludeny zu, um diese zu töten. Doch die Dämonin blieb davon völlig unbeeindruckt und wich den Attacken der bösen Hexe immer wieder geschickt aus. Das Schwert war endgültig mit Ludeny verschmolzen und re agierte auf jede Aktion von ihr. Nach wenigen weiteren vergeblichen Angriffen, stand Hylia erschöpft und mit gesenketen Armen vor ihr und atmtete schwer. „Und, was wirst du jetzt mit mir tun? Du kannst es nicht! Durch die edle Gesinnung deines Liebhabers bist du zu einem Weichei mutiert! Du kannst keine Hilflose töten!“ Ludenys Blick wurde nun eisig. „Du irrst dich! Wenn Liam hier stehen würde, dann würde er jetzt das Gleiche tun, wie ich, also, beenden wir das Leiden!“ Sie holte aus und schlug zu. Ungläubig starrte die Hexe Ludeny an. Dann sackte sie in die Knie und fiel nach vorne über. Plötzlich kippte der Kopf zur Seite und fiel langsam auf die kalten Fliesen. Mit weit aufgerissenen Augen rollte er über den Boden und blieb vor Ludenys Füssen liegen. „Es fing an mich zu langweilen!“, sagte diese kurz, pustete sich eine ihrer wilden Locken aus der Stirn und schob das Haupt der bösen Hexe mit dem Fuß beiseite. „Liam!“, rief Ludeny, während sie zu ihm stürmte. Er blinzelte sie an und lächelte. Die Dunkelslug umarmte den blutenden Halbdämon stürmisch. Liam erwiderte die Umarmung. Er wollte sie am liebsten gar nicht mehr loslassen. Als er merkte, dass Ludeny schluchzte, löste er sich leicht von ihr. „Oh, Ludy, es tut mir so leid. Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Ich hätte diesen verfluchten Chancenug schon vor langer Zeit vernichten müssen. Ludeny, nicht weinen. Es tut mir leid! Geht es dir denn wirklich gut?“, versuchte er sie zu trösten. Doch sie stand auf, nickte und ging plötzlich nervös auf und ab. Wanda und Stevie wechselten einen ratlosen Blick. „Ich wusste es, damals wie heute. Ich hätte dir niemals begegnen sollen. Verflucht, Liam. Warum hast du dich damals nur in mein Leben eingemischt.“, schrie sie mit sich überschlagender Stimme und entfernte sich ein wenig von ihm. Liam starrte sie verwirrt an. „Nein, stattdessen musstest du ja diesen Höcklerdämon töten und mich ach-so-toll aus meiner Sklaverei befreien. Dann haben wir uns natürlich auch noch verliebt und jetzt, wo du endlich einmal am Punkte sammeln warst gegen diesen verfluchten Chancenug, da ver massle ich wieder alles!“ Während Ludenys Rede hatte sich Liam, mit Hilfe von Stevie und Wanda, erhoben und war, mit einer Hand an der schmerzenden Hüfte, zu ihr hinüber gehumpelt. Bei ihren letzten Worten griff er ihr vorsichtig an den Arm und unter Tränen drehte sie sich zu ihm. „Liam, du hättest sterben können. Und jetzt hat er diese Statue und macht, was weiß ich was, damit!“, krächzte sie. Liam zog sie wieder an sich heran und sie umarmten sich. „Ich würde alles um mich herum vergessen, könnte ich damit dein Leben retten!“, flüsterte er ihr ins Ohr. Er schloss die Augen und drückte sie erneut fest an sich. Tränen liefen über sein Gesicht und suchten ihren Weg hinunter, bis auf Ludenys Schulter, wo sie in deren Pyjamaoberteil versickerten und dort einen nassen Fleck hinterließen. Wanda räusperte sich vorsichtig und unterbrach damit diesen Emotions geladenen Moment: „Wo sind eigentlich die ganzen Gefolgsleute von diesem Mistkerl geblieben, ganz zu schweigen natürlich von ihm selbst?“ Liam und Ludney blickten sich ein letztes Mal innig an und wandten sich dann den Anderen zu. „Ausgezeichnete Frage. Aber ich glaube hier ist niemand mehr. Der Wurm hat sich mitsamt dem Schlan gennest aus dem Staub gemacht, denke ich.“, erwiderte Stevie und zog sich das Headset vom Kopf. „Okay Leute, hier gibts wieder Verletzte und wir alle sind erledigt. Ich denke, wir sollten hier verschwin den.“, ergriff Nike das Wort und stützte Wanda. Ludeny half Liam beim Marsch zu ihren Fahrzeugen. Nachdem Liams Verletzung zwar nicht lebensbedrohlich war, aber doch ziemlich blutete und schmerzte, ließ er sich von Stevie und Ludeny in den Font des BMW hieven, anstatt auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Hier konnte er das Bein etwas hochlegen, um die Schmezen bei der Fahrt etwas erträglcher zu machen. Wanda und Nike setzten sich in den Porsche der Risis und fuhren los. „Wenn wir zu Hause sind, werde ich zuerst deine Wunde versorgen und dir dann einen Tee kochen!“, sagte Ludeny zu Liam und lächelte. Der Halbgamblin jedoch drehte seinen Kopf zum Fenster und betrach tete die nächtliche Landschaft. „Ich werde heute zu mir nach Hause fahren!“ Ludeny drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm um.
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„Aber sicher doch. Wir können auch zu dir fahren, wenn dir das lieber ist.“ Liam ließ seinen Kopf jetzt sinken, während er ihr sagte: „Ich fahre nach Hause und du fährst zu dir nach Hause. Ich möchte einfach etwas nachdenken okay?“ Liam spürte Ludenys Blick und versuchte ihm auszu weichen. „Aber deine Wunde. Jemand muss dich versorgen?“, gab sie vorsichtig zu bedenken. „Ich werde Wanda anrufen und sie bitten, mir dabei zu helfen, so wie sie es immer getan hat, wenn es von Nöten war!“, meinte er forsch und gab ihr damit zu verstehen, dass er es ernst meinte. Stevie fuhr zuerst zu Liams Appartement. Ludeny stieg noch einmal mit ihm aus dem Wagen und stellte sich mit verschränkten Armen und abwartendem Blick zu Boden, vor ihn hin. „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Ludy!“, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann wandte er sich zur Haustür und ging humpelnd darauf zu. „Liam, warte!“ Sie lief ihm in ihrem Pyjama und barfuss hinterher, einige vorbeigehende Passanten sa hen sie verwundert an. Aber das störte sie nicht. Sie legte traurig ihren Kopf an seinen Rücken. Dann weinte sie und zog verzweifelt am Bund seines Pullovers. „Kann ich denn wirklich nicht bei dir bleiben?“, bettelte sie. Liam blickte zu Boden, drehte sich allerdings nicht zu ihr um, da er befürchtete nachzugeben, wenn er ihr dabei in die Augen sehen musste. „Nein, sicher bin ich mir nur bei einer Sache, und die ist, dass ich auf keinen Fall heute Nacht mit dir zusammen sein kann. Geh nach Hause Ludeny und ruh dich aus!“ Dann ging er langsam ins Haus und die Treppen zu seiner Wohnung hoch. Ludeny stand wie versteinert da und schluchzte. Stevie konnte nicht mit ansehen, wie sie da stand und vor Trauer verging. Er stieg aus dem Wagen und nahm sie in den Arm. „Lass gut sein Lud! Er ist sicher total erledigt und will wahrscheinlich einfach nur schlafen!“ Ludeny blickte zu Stevie auf. „Aber er hat mich nicht einmal angesehen! Und er gibt mir die Schuld an allem!“ Stevie runzelte die Stirn. „Hat er das gesagt?“, fragte er verwundert. „Nicht direkt! Er sagte nur, dass er auf gar keinen Fall mit mir zusammen sein will heute Nacht, und das sagt doch wirklich alles!“ Stevie legte seinen Arm um ihre Schultern und führte sie zurück zum Auto. „Das hat er sicher nicht so gemeint!“ Dann stiegen sie ein und er fuhr sie nach Hause. Die Dunkelslug war verwundert darüber, dass Stevie Liam scheinbar in Schutz nahm. Doch sie erwiderte nichts, sondern freute sich sogar insgeheim ein wenig darüber. „Wenigstens eine gute Sache, die sich heute ergeben hat!“, dachte sie. Stevie brachte sie bis zu ihrer Wohnungstür und schloss für sie auf. „Möchtest du, dass ich noch mit rein komme?“ Sie lächelte ihn mit ihren verweinten Augen an und strei chelte sein Gesicht. „Nein, das ist nicht nötig! Und du willst doch sicher lieber zu Darlene!“ Dann schob sie ihn am Rücken weg. „Los, geh schon. Sie wartet auf dich!“ Stevie sträubte sich ein wenig, da er sich große Sorgen um seine Freundin machte. „Und du bist wirklich, wirklich sicher?“, hakte er noch einmal nach. „Ja, bin ich! Und wenn du jetzt noch mal fragst, dann hau ich dir eine rein.“, scherzte sie. „Also gut. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du dich gleich in dein Bett legst und keine Dumm heiten machst.“ Er ging rückwärts über den Flur und wartete auf ihr Versprechen. „Versprochen!“, antwortete sie und winkte ihm zum Abschied. Er woltle gerade die Treppe hinunter, als sie noch einmal seinen Namen rief. „Stevie! Danke für alles, was du heute getan hast! Ich bin stolz auf dich!“ Stevie grinste, verbeugte sich gespielt theatralisch und zwinkerte ihr zu. Dann eilte er die Stufen hinunter. Ihm war es gar nicht wohl dabei, sie allein zurück zulassen. Aber sie hatte ja Recht. Darlene wartete sicher schon auf ihn und er hatte große Sehnsucht nach ihr. Er stieg in seinen Wagen und startete den Motor. „Darlene! Jetzt erst verstehen ich, was es heisst, echte Sehnsucht zu haben!“ Dann gab er Gas und fuhr los.
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Wanda und Nike stiegen aus dem Wagen. „Okay, lass uns hinten rein gehen!“, sagte Nike. Wanda sah sie erstaunt an. „Du willst das wirklich tun? Ich meine, das ist die Stelle an der…“ Nike griff Wanda an die Schulter. „Ja, die Stelle an der meine Mutter gestorben ist! Aber ich kann das. Jetzt da diese Hexe tot ist und ich habe dabei geholfen, sie zu vernichten! Also habe ich auch den Mut dort entlang zu gehen!“ Mit gestrafften Schultern, schritt sie in die Seitenstrasse, in der sich der Eingang zu ihrer Wohnung befand und schloss die Tür auf. „Siehst du, es geht!“ Mit ein paar kleinen Tränen in den Augen sah sie der Risis ins Gesicht. Wanda lächelte sie aufmunternd an und ging ihr voraus. Nike blieb noch einen Augenblick stehen und schaute auf die Stelle, an der ihre Mutter den Tod gefunden hatte. „Siehst du Mum, ich kanns! Schlaf jetzt in Ruhe!“ Dann warf sie einen Handkuss in die Richtung und schloss erleichtert die Tür hinter sich. Liam warf verzweifelt die Tür ins Schloss und trat mit dem Fuß gegen einen Stuhl im Flur. „Verdammt! Ich kann das einfach nicht! Wegen mir wäre sie beinahe gestorben!“ Er ging in die Küche und holte sich eine Flasche Bier. Er öffnete sie und ließ sich in seinen Sessel fallen. Still starrte er vor sich hin und dachte nach. Stevies Worte vom Flughafen hallten in seinem Kopf wider. „Meinst du etwa, dass du ein Monopol auf ihre Freundschaft hast? Du bist doch so etwas von egoistisch! Sie liebt dich schon seit Ewigkeiten und würde alles für dich tun und du hattest nichts Besseres zu tun, als in der Welt herum zu reisen um allen zu zeigen, dass du der Held der Menschheit bist! Du Mistkerl hast sie einmal flachgelegt und eiskalt abserviert! Also bilde dir ja nicht ein, das du irgendwelche Ansprüche hast, was Ludeny angeht!“ Er stand auf und stellte die Bierflasche auf einem Sidebord ab. „Ich muss etwas ändern! Ich werde sie nie wieder in so eine gefährliche Situation bringen!“, sagte er laut. Er griff nach dem Telefon und rief Wanda an, um sie zu bitten, seine Wunde zu versorgen. Dannach stieg er unter die Dusche. Als Wanda bei ihm eintraf, spürte sie sofort an seiner Stimmung, dass er nicht zum Re den aufgelegt war. Also versorgte sie die weit aufklaffende Wunde an seiner Hüfte und schwieg. Sie wusste, wenn er reden wollte, würde er dies von ganz alleine tun. Als sie fertig war, klopfte sie ihm noch einmal aufmunternd auf die Schulter, um ihm zu zeigen, dass sie ihn verstand. Dann verließ sie die Wohnung. Als Liam sich kurz darauf in sein Bett legte, drehte er sich auf die Seite, da schoss es wie ein Blitz durch seinen Kopf. „Ja, genau das werde ich tun!“ Als Raymond Greeson seine erste Klasse Kabine der „Queen Victoria“ betrat, ging er auf den flachen Couchtisch zu und nahm sich einen Apfel aus der Obstschale und schaltete das Fernsehgerät ein. Er hoffte, etwas über den Überfall in seiner Newarker Villa zu erfahren. Hylia war noch imemr nicht aufgetaucht und so warteteer auf die Nachrichten. „Diese Miststück hätte schon längst hier sein müssen!“, sagte er laut vor sich hin. Er ließ sich auf einen großen Sessel fallen und drückte missmutig die Knöpfe der Fernbedienung. Plötzlich klopfte es an der Kabi nentür. „Ja, herein!“, brummte der Chancenug. Die Tür öffnete sich und Frank der Butler steckte den Kopf hindurch. „Darf ich stören Sir?“, fragte er leise. „Kommen Sie rein Frank!“ Greeson deutete ihm, sich zu setzten. Frank tat wie ihm geheißen und setzte sich aufrecht auf einen Stuhl, gerade so, als wollte er gleich wieder aufspringen, um seinem Chef zu Dien sten sein zu können. „Frank, nun erzählen sie schon!“ Der Dämon wurde ungeduldig. „Natürlich Sir! Also, ich habe mich - mit Ihrer wehrten Genehmigung, Sir - in ihrem Zimmer versteckt, bis die große Unruhe vorbei war. Als anscheinend keiner der Fremden mehr da zu sein schien, ging ich vorsichtig hinunter, um nachzusehen, ob Miss Hylia vielleicht Hilfe bräuchte. Aber sie war nirgendwo zu finden, Sir. Erst als ich in die Empfangshalle trat, da musste ich leider, und zu meinem tiefstem Bedauern Sir - und das müssen Sie mir glauben - feststellen, das Miss Hylia das Zeitliche gesegnet hatte! Es tut mir Leid Sir!“ Frank sah betroffen zu Boden und wartete Greesons Antwort ab. „Nun ja, irgenwann, trifft es uns alle, Frank! Gehen Sie bitte in Ihre Kabine. Ich werde mich morgen wieder bei Ihnen melden!“, wieß er seinen Butler an. Diese befolgte die Anweisungen seines Cheffs und
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verließ dessen Kabine im Rückwärtsgang und in gebückter Haltung. „Nun denn, ab jetzt also allein! Hylia du dummes Stück, ich hätte dir wirklich mehr zugetraut!“, sagte Raymond und fing eisig an zu lachen, wäh rend er gedankenverloren die aztekische Statue streichelte. Von lautem Klopfen geweckt, lief Wanda vorsichtig die Treppen hinunter zur Hintertür. Nike schlief noch und die Risis versuchte so leise wie möglich zu sein. Vorsichtig öffnete sie die Tür und war verblüft, Liam davor stehen zu sehen. „Was um alles in der Welt ist los, dass du mich in so früher Stunde weckst?“, fragte sie forsch. „Ich wollte mich von dir verabschieden!“, antwortete der Halbgamblin relativ gelassen. Wanda riss die Augen auf. Überrascht trat sie vor die Tür und die beiden Freunde setzten sich auf eine Stufe der steinener nen Treppe. „Wo willst du hin?“, fragte Wanda vorsichtig. „Ich weiß noch nicht. Aber ich muss erst einmal weg!“, antwortete Liam und senkte den Kopf. „Weißt du mein Freund, in all den Jahren habe ich vesucht aus deiner menschlichen Seite schlau zu wer den. Aber erst Nike schaffte es, mich mit der Gefühlswelt dieser Rasse vertrauter zu machen. Du gibst dir die Schuld für das, was ja Gott-Sei-Dank nicht passiert ist?“ Zur Antwort erhielt sie nur einen Seufzer. „Und du glaubst, sie wird glücklicher sein, wenn sie merkt, dass du weg bist?“ „Nein, ganz sicher nicht. Aber was soll ich machen? Mich von ihr verabschieden? Sie würde nicht zulas sen, dass ich gehe. Ich muss einfach Zeit für mich haben und über alles nachdenken!“, entgegnete Liam und Wanda erkannte, dass es sinnlos war zu versuchen, ihn umzustimmen. Er hatte seinen Entschluss gefasst. „Soll ich dich irgendwohin fahren?“, fragte sie. „Nein, danke. Ich fahre mit der Elisabeth. Ich habe nur das notwendigste eingepackt. Es ist ja nicht so, als würde ich niemals zurückkehren. Achtest du auf meine Wohnung und kannst du meine Süße vom Hafen ab holen? Ich möchte nicht, dass das Motorrad zu lange im Freien stehen muss.“, bat er Wanda und überreichte ihr den Schlüssel zu seiner Wohnung. Die beiden Freunde erhoben sich und standen sich nun gegenüber. „Wanda, ich komme wieder, das verspreche ich. Achtest du ein wenig auf Ludeny? Natürlich so unauffäl lig wie möglich!“, setzte er nach. Er wusste, wie groß diese Bitte war. Aber er wusste auch, dass die Risis sie pflichtbewusst ausführen würde. Wanda trat plötzlich einen Schritt vor und umarmte Liam. „Ich bin fürchterlich froh, dich kennen gelernt zu haben, Liam O`Brian und ich erwarte deine Rückkehr!“, flüsterte sie ihm ins Ohr und ließ ihn wieder los. „Mach es gut Wanda und pass auf dich auf!“, rief er ihr ein letztes Mal zu, bevor er auf seine Harley auf stieg und losfuhr. Wanda öffnete leise die Tür und ging wieder in den Zauberladen. Vorsichtig schlich sie nach oben und weinte dabei. „Wieder einmal Tränen wegen eines Anderen, ein seltsames Leben führe ich zur Zeit!“, dachte sie und legte sich vorsichtig in ihr Bett. Nike hob den Kopf und fragte: „Alles okay?“ „Ja, alles Bestens. Leg dich wieder hin und schlaf ruhig weiter.“ Ludeny erwachte am frühen Morgen. Eigentlich sehr ungewöhnlich, für jemanden, der erst am Abend zuvor, kurz vor dem Tode stand. Aber gerade diese ganzen Ereignisse ließen sie wahrscheinlich so zeitig aus dem Bett steigen. Sie schlich ins Bad und begutachtete sich im Spiegel. „Oje! Ich sehe ja um die Augen aus wie ein Panda! Solche Ränder hatte ich das letzte Mal, als ich mit Stevie zwei tagelang nicht aus dem Feiern herauskam, weil wir einen riesen Deal gemacht hatten!“ So gut es ging, überschminkte sie sich die tiefen Ränder unter ihren Augen, nachdem sie schnell unter die Dusche gesprungen war. Immer wieder ging ihr der vergangene Abend durch den Kopf. „Warum wollte er mich nicht bei sich haben? Gibt er mir wirklich die Schuld an allem?“ Sie warf die Schale der Banane, die sie gerade gegessen hatte in den Müll und überlegte, was sie jetzt tun sollte. „Nein, Liam wir müssen reden! So geht das nicht!“ Fest entschlossen schritt sie in ihren Flur und zog ihre Schuhe an, nahm ihre Wagenschlüssel vom Brett und verließ das Appartement.
Einige Strassen weiter stoppte sie den Spider und ging in das Wohnhaus, in dem Liam lebte. Schnell rann te sie die Stufen empor. Sie wollte endlich Gewissheit darüber haben, wie es nun weiter gehen sollte. Ludeny klopfte an die Tür. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wollte endlich Klartext mit ihm reden. „Also, wenn er aufmacht, dann werde ich ihm sagen, dass ich alles über diese EDI´s weiß und das es mich nicht stört, vielleicht Ewigkeiten darauf zu warten, dass wir endlich vereint sein können! Ja, genauso werde ich es ihm sagen!“, schloss sie ihren Gedanken laut ab. Niemand öffnete. Sie klopfte erneut und diesmal etwas lauter und bestimmter. „Armer Kerl, vielleicht ist er so müde von Gestern, dass er nicht einmal mein Klopfen hört?“, überlegte sie. Einen Moment später war ihr allerdings klar, dass er wohl nicht zu Hause sein konnte. Ludeny dachte nach und griff in ihre Handtasche, um ihr Handy heraus zu nehmen. „Hi Wanda, ich bins! Danke, gut und euch? Das freut mich! Hör mal, ich stehe hier vor Liams Tür und er öffnet nicht. Weißt du…“ Wanda schluckte am anderen Ende hörbar und versuchte sich um eine Antwort herum zu mannövrie ren. „Wanda, ich bitte dich, wenn du etwas weißt, dann sag es mir!“ Die Risis merkte, dass Ludeny angefangen hatte zu weinen und Tränen waren zurzeit das, was sie am wenigsten vertragen konnte. „Er ist einmal eben weg!“, sagte sie. Aber die Dunkelslug ließ nicht locker, womit Wanda eigentlich schon gerechnet hatte. „Okay, okay! Aber er wird mich wahrscheinlich dafür töten! Liam will eine Weile weg! Er war heute Morgen hier und hat sich verabschiedet!“ Ludeny liefen Tränen über ihr Gesicht. „Er will weg? Aber wohin denn? Und wie?“ Wanda schwieg einen Moment lang, dann wusste sie, dass sie das Ludeny nicht antun konnte, wenigstens einen Abschied wollte sie ihr ermöglichen. „Er ist zu seinem Boot, die Elisabeth! Ludeny, ich kann dir nur sagen, dass er fest entschlossen ist. Und ausserdem wirst du ihn nicht mehr erreichen. Er ist bestimmt schon über alle Berge!“ Ludeny hatte bereits aufgelegt und rannte die Treppen des Hauses herunter. Sie sprang in ihren Wagen und gab Gas. Am kleinen Yachthafen parkte sie das Auto und rannte zum Häuschen des Wärters. „Entschuldigen Sie bitte!“, sagte sie völlig außer Atem. „Ich suche Liam O´Brian! Ihm gehört wohl ein Boot hier im Hafen, die Elisabeth!“ Sie sah den alten Mann an, der da gemütlich sein Bier trank und wartete ungeduldig auf eine Antwort. Dabei blickte sie sich um. In einer Ecke erblickte sie seine Harley. „Hören Sie, es ist lebenswichtig!“, hakte sie noch einmal nach. „Den werden sie wohl nicht mehr erwischen, sehen Sie da junge Frau!“ Er deutete mit einem Zeigefinger hinaus aufs Wasser. Ludeny erschrak. Da war er! Schon ein Stück mit dem Boot hinausgefahren und stand an Deck. „Nein! Das kann er nicht!“, schrie sie und rannte durch die Wärme der Vormittagssonne zum Steg. „Liam! Bitte, Liam!“ Plötzlich drehte er sich um. Er hatte ihre Stimme gehört. „Ludy, ich werde mich melden, glaub mir, es ist besser so!“, rief er zurück und winkte ihr zu. „Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon!“ Die Dunkelslug nahm einen kurzen Anlauf und sprang ins Wasser. „Ich hasse Meerwasser!“, fluchte sie vor sich hin und paddelte immer weiter in Richtung Boot. „Ludy! Was tust du denn da?“, schrie Liam nun. Schnell warf er den Anker aus, zog sich sein T-Shirt aus und sprang ebenfalls ins Meer. Als er bei ihr ankam, zog er sie mit sich zum Boot und anschließend auf Deck. Zitternd und pudelnass stand sie vor ihm. Ihre Wimperntusche war verwischt und die dunklen Ränder unter ihren Augen waren auch wieder sichtbar. „Liam, wie kannst du mir das antun? Geh nicht weg, ich brauche dich. Ich meine, New York braucht dich!“, versuchte sie ihn zu überzeugen. Wenn er schon nicht wegen ihr bleiben würde, dann vielleicht we gen all der Menschen in dieser Stadt, die seine Hilfe doch so dringend benötigten. Der Halbgamblin hatte ein großes Handtuch geholt und hing es ihr über die Schultern. „Reib dich erst einmal trocken!“, sagte er, ging aber nicht auf ihre Ansprache ein. „Liam, hast du mir denn nicht zugehört?“ fragte sie jetzt zitternd nach. Liam setzte sich mit gesenktem Kopf auf den Einstieg zur Kajüte. „Doch Ludy, ich habe dir zugehört. Aber ich bin auch nur ein Mensch, zum Teil zumindest. Irgendwann
sind auch meine Kräfte am Ende und dann brauche ich eine Auszeit!“ Er erhob sich und ging auf sie zu. Dann strich er ihr mit dem Handrücken sanft über ihr Gesicht und sah ihr in die traurigen Augen. „Und das ich dich in Gefahr gebracht und beinahe verloren habe, das kann ich mir einfach selber nicht verzeihen! Ver stehst du das?“ Sie schaute ihn an und schniefte. Das Wasser tropfte ihr von den Haaren auf die Nase und sie wischte sie sich mit dem Handtuch weg. „Ich liebe dich!“, flüsterte sie leise. Liam sah zu ihr auf. „Du ahnst nicht, wie sehr ich dich liebe!“ Er nahm sie in den Arm und streichlte ihr über den Rücken. „Dann geh nicht!“, flehte sie. Liam sah ihr in ihre schönen grünen Augen und drückte zärtlich ihr Kinn mit dem Zeigefinger nach oben. Er küsste sie sanft. Als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, sah Lu deny sich auf der Elisabeth um. „Hübsch hier!“ Liam schmunzelte. „Ich weiß, dass du das Meer und Schiffe nicht besonders magst, aber nett von dir, dass du es versucht hast!“ Sie musste schluckte. „Und hier willst du alleine bleiben, so ganz lange?“ Der Halbdämon nickte. „Ja, aber ich verspreche dir, dass ich wiederkomme! Ist das okay für dich?“ Zaghaft nickte sie. Ludeny wusste, wenn sie jetzt irgendetwas sagen würde, dann kämen ihr wieder die Tränen und das wollte sie nicht. Sie wollte für ihn stark sein. Ihm jetzt zu eröffnen, dass sie über die EDI´s bescheid wusste, wäre mit Sicherheit der größte Fehler. Sie wusste, er würde sich bedrängt fühlen und das würde ihn womöglich noch weiter von ihr wegtreiben. „Kannst du mir noch einen Gefallen tun und dieses Geschaukel ausstellen?“, fragte sie, als er den Motor startete, um sie zum Hafen zurück zu bringen. „Alles was du willst mein Liebling!“, antwortete er und schmunzelte frech. „Angeber!“, setzte sie nach und ließ den Fahrtwind durch ihr Haar wehen. „Ludeny Ludnock, irgendwann werde ich dir alles sagen und wir werden glücklich werden, das schwöre ich!“, dachte er, als sie sich während der Rückfahrt, in seinen Arm schmiegte.
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„Und
Epilog
du glaubst wirklich, dass sie kommen werden? Gemeinsam?“, fragte Nick und streichte Tilia sanft über ihr Haar. „Das werden sie ganz bestimmt. Liam auf jeden Fall und Ludeny sicherlich auch.“, antwortete seine zu künftige Frau, während sie die goldene Einladungskarte in das Kuvert steckte. Sie drehte sich zu dem ehemaligen Töppferleher um und umarmte ihn. „Du hast mich so glücklich ge macht. Alle Welt wird es endlich bei unserer Hochzeit sehen können!“ Nick beugte sich zu ihr und hob sie hoch. „Ich liebe dich und vielleicht kann ich dich heute noch glücklicher machen!“, sagte er und trug sie zu ihrem Bett hinüber. „Aber Nick, wenn das die Wächter erfahren!“, lachte sie und genoss seine innige Umarmung.