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Meilensteine der Nationalokonomie
Meilensteine der Nationalokonomie F. A. Hayek (Hrsg.) • Beitrage zur Geldtheorie XVI, 511 Seiten. 2007 (Reprint von 1933). ISBN 978-3-540-72211-3 F. Machlup • Fuhrer durch die Krisenpolitik XX, 232 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72261-8 0. Morgenstern • Die Grenzen der Wirtschaftspolitik XII, 136 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72117-8 E. Salin • Geschichte der Volkswirtschaftslehre XII, 106 Seiten. 2007 (Reprint von 1929). ISBN 978-3-540-72259-5 G. Schmolders • Finanzpolitik XVI, 520 Seiten. 2007 (Reprint von 1970). ISBN 978-3-540-72213-7
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W. Sombart • Die Ordnung des Wirtschaftslebens XII, 65 Seiten. 2007 (Reprint von 1927). ISBN 978-3-540-72253-3
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F W. Taylor, A. Wallichs • Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstatten X, 158 Seiten. 2007 (Reprint von 1919). ISBN 978-3-540-72147-5
Friedrich A. Hayek (Herausgeber)
Beitrage zur Geldtheorie
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von Marco Fanno, Marius W. Holtrop, Johan G. Koopmans, Gunar Myrdal, Knut Wicksell
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Reprint der 1. Auflage Wien, 1933
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ISBN 978-3-540-72211-3 Springer Berlin Heidelberg New York
Bibliografische Information der Deutschen Nation alb ibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nation alb ibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassungzulassig. Sieistgrundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science-i-Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vockler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg SPIN 12056668
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BEITRAGE ZUR
GELDTHEORIE VON
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MARCO FANNO MARIUS W. HOLTROP JOHAN G. KOOPMANS GUNAR MYRDAL KNUT WICKSELLf HERADSGEGEBEN VON
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FRIEDRICH A. HAYEK
WIEN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1933
ex pL sU p ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER OBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1933 BY JULIUS SPRINGER IN VIENNA PRINTED IN AUSTRIA
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Wenn die folgenden Arbeiten auch in der Form, in der sie hier vorliegen, mit einer Ausnahme erst fur diese Sammlung verfaBt wurden, so unterscheidet diese sich doch von den meisten auBerlich ahnlichen Werken dadurch, daB die in den einzelnen Beitragen entwickelten Gedankengange von ihren Verfassern durchwegs ganz unabhangig von ihrer schlieBlichen Wiedergabe in dieser Gestalt ausgearbeitet •wurden, jedoch in einer Form, in der sie einem groBen Teil des internationalen wissenschaftlichen Publikums nicht zuganglich waren. Nicht der Plan zur Herausgabe eines Sammelbandes gab hier also den AnstoB zur Entstehung der Arbeiten, sondern das Bestehen von Arbeiten, deren Bedeutung es dem Herausgeber wiinschenswert erscheinen lieB, sie weiteren Kreisen zuganglich zu machen, gab den AnlaB dazu, sie in geeigneter Form in deutscher Sprache zu veroffentlichen. Wahrend man heute wohl annehmen darf, daB jeder wissenschaftliche Nationalokonom imstande ist, die wissenschaftliche Literatur der groBen Weltsprachen zu verfolgen und hier auch eine weit groBere Haufigkeit von Ubersetzungen wissenschaftlicher Werke die schwere Behinderung nicht wettmachen konnte, die eine Unkenntnis dieser Sprachen darstellt, so ist doch die Nutzbarmachung der Literatur in' den weniger verbreiteten Sprachen ein bisher ungelostes Problem. DaB zu diesen Sprachen, deren Kenntnis unter Nationalokonomen weniger verbreitet ist, zu Unrecht auch das Italienische gehort, obwohl diese Sprache den Zugang zu einer mindestens ebenso reichen und wichtigen modernen Literatur in unserem Gebiet eroffnet wie irgend eine andere, ist leider eine unbestreitbare Tatsache. Besonders schwierig wird das Problem aber dadurch, daB auch das Schrifttum wirklich kleiner Sprachgebiete, wie insbesondere das der nordischen Lander, einen Reichtum an wichtigen Beitragen zur Nationalokonomie aufweist, der ganz auBer Verhaltnis zur Zahl ihrer Nationalokonomen steht. Weder die vollstandige und unveranderte Ubersetzung der wichtigsten Originalwerke noch die ja nun immer haufiger werdende Veroffentlichung von Aufsatzen auslandischer Gelehrter in deutschen Zeitschriften konnen diese Schwierigkeiten vollig iiberwinden. Die Veroffentlichung einer Gesamtubersetzung der Originalwerke ist meist mit B.ucksicht auf ihren Umfang buchhandlerisch nicht moglich, auch wenn sie wissenschaftlich hochst erwiinscht ware; sie ist aber vielfach auch nicht notwendig. Gerade in kleineren Sprachgebieten muB ein Werk, um seinen Vertrieb zu ermoglichen, meist eine erschopfende Ubersicht des Gebietes bringen, zu dem der Verfasser einen Beitrag zu leisten hat, und somit
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der Vollstandigkeit halber vieles enthalten, woriiber die verfiigbare Literatur schon ausreichende Darstellungen bietet. Eine sich vorwiegend an den Fachmann richtende Darlegung kann naturgemaB wesentlich kiirzer gefaBt sein, ohne daB es deswegen moglich sein muB, sie bis auf den Umfang eines Zeitschriftenaufsatzes zu komprimieren. Es macht sich hier der so oft unangenehm empfundene Umstand geltend, daB es seit dem Aussterben der selbstandigen wissenschaftlichen Broschiire keine geeignete Publikationsform fiir Arbeiten gibt, deren Umfang zwischen dem eines eigentlichen Zeitschriftenaufsatzes und dem eines Buches liegt. In Fallen jedoch, in denen dieses Problem bei einer Mehrzahl von Arbeiten iiber das gleiche oder verwandte Gebiete besteht, liegt es nahe, es durch ihre Zusammenfassung in einem Bande zu losen. Auf dem Gebiet der Geldtheorie im besonderen waren nicht nur alle diese Voraussetzungen gegeben; wir haben hier auch im gegenwartigen Augenblick vielleicht mehr noch -als anderswo alien AnlaB, fiir jeden Beitrag dankbar zu sein, der uns hilft, in einem wichtigen Punkt klarer zu sehen. H a t doch die jiingste, unleugbar sehr lebhafte Entwicklung auf diesem Gebiete mindestens ebensoviel neue Probleme aufgedeckt als alte gelost und uns damit nicht nur bewuBt gemacht, wie komplex und wie wenig verstanden noch viele der wichtigsten monetaren Phanomene sind, sondern auch wie sehr sie in alle anderen Sonderdisziplinen der Nationalokonomie eingreifen, so daB es kaum ein Problem der angewandten Nationalokonomie gibt, dessen Losung nicht auch von der Beantwortung geldtheoretischer Fragen abhinge. Es ist dies schlieBlich nicht verwunderlich, da ja die G-eldtheorie nicht eine isolierbare Sondererscheinung behandelt, sondern nur ein Schritt und in vieler Hinsicht der schwierigste und bedeutsamste Schritt in dem ProzeB abnehmender Abstraktion ist, der von der abstraktesten „reinen" Theorie naher an die Erklarung der konkreten Erscheinungen heranfuhrt. Es ist nicht lange her, daB man glaubte, daB die Geldtheorie in vieler Hinsicht der abgeschlossenste und gesichertste Teil der Volkswirtschaftslehre sei; und wenn wir heute auch mehr denn je anzunehmen berechtigt sind, daB viele der grundlegenden Erkenntnisse friiherer G-enerationen zum unverlierbaren Bestande unseres Wissens gehoren, ja es sogar den Anschein hat, als ob es auf manchen Gebieten immer noch galte, verlorene Einsichten dieser Generationen wieder zu gewinnen, so kann doch anderseits auch kein Zweifel bestehen, daB sich viele der uberkommenen Formeln als allzu vereinfacht erweisen, so wie wir versuchen, sie in der Analyse verwickelter, dynamischer Verhaltnisse zu verwenden. So ziemlich alle neueren Versuche, unsere Erkenntnis in einem einzelnen Punkte vorzutreiben, haben den Erfolg gehabt, uns zu BewuBtsein zu bringen, wie viel wichtige Fragen wir noch nicht zu losen vermogen, und die meisten Forscher sind sich bewuBt, vielfach mit ceteris paribus Annahmen zu arbeiten, wo ihre Zulassigkeit recht zweifelhaft ist, einfach weil es methodisch unmoglich ist, alle auftauchenden neuen Fragen gleichzeitig zu beantworten. DaB der Fortschritt bei der Behandlung
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der verschiedenen zusammenhangenden Probleme ungleich ist, weil bei dem einen eine gliickliche Idee zu eifriger Bearbeitung AnlaB gibt, bei einem anderen vielleicht die ubliche Stellung des Problems den Fortschritt erschwert, ist unvermeidlich. Dieselben Umstande machen es aber auch nicht unwahrscheinlich, daB sich die zur Abrundung des Bildes fehlenden Gedankengange vielleicht in einem andern, nicht ganz den gleichen wissenschaftlichen Traditionen und Moden unterworfenen Forscherkreise finden. Meine Hoffnung, daB die in diesem Bande gesammelten Arbeiten wirklich Liicken in der allgemein verfiigbaren geldtheoretischen Literatur fullen helfen werden, griindet sich besonders darauf, daB mir selbst die ersten Anregungen zur Herausgabe einer solchen Sammlung anlaBlich des Versuches kamen, fur eine systematische Darstellung des Gebietes eine Ubersicht iiber das wesentliche neuere Material zu gewinnen. Es ergab sich, daB es gerade iiber Fragen, iiber die die international bekannte Literatur wenig Befriedigendes bot, in engeren Kreisen hochangesehene Arbeiten gab, die nur aus sprachlichen Griinden bisher nicht den EinfluB ausgeubt haben, den sie verdienen. Meine eigenen sprachlichen Kenntnisse reichten gerade nur aus, um mich von dem Wert dieser Arbeiten zu iiberzeugen, ohne daB ich aus ihnen in der Form, in der sie vorlagen, den vollen Gewinn zu ziehen vermocht hatte. Da sich hier das eigene Interesse mit einer Gelegenheit, die allgemeine Erorterung der Probleme zu fordern, deckte, lag der Plan dieses Bandes nahe, fiir dessen Verwirklichung ich an dem Verlag Julius Springer sogleich die entscheidende Unterstiitzung fand. Dank dem Entgegenkommen der in Aussicht genommenen Mitarbeiter entspricht der nun vorliegende Band im wesentlichen dem urspriinglichen Plan. Die einzelnen f olgenden Arbeiten sind voneinander vollig unabhangig; der Herausgeber hat keinerlei Versuch gemacht, sie durch EinfluBnahme auf Inhalt oder Abgrenzung des Gebietes oder durch ihre Anordnung zu einem systematischen Ganzen zu vereinigen, noch haben die einzelnen Mitarbeiter die anderen Beitrage vor Veroffentlichung gesehen. Es braucht auch kaum betont zu werden, daB weder zwischen den Mitarbeitern noch auch zwischen diesen und dem Herausgeber in alien Punkten Ubereinstimmung besteht und in mancher Hinsicht wird der Leser sogar recht wesentliche Gegensatze bemerken. Die Gegensatze scheinen mir jedoch nicht von einer Art, die eine Verstandigung schwierig gestalten. So verschieden auch die nationale Herkunft der einzelnen Autoren ist, so scheint mir doch, daB sie in ihrem Ausgangspunkt und ihren Methoden mehr ubereinstimmen, daB sie mehr die gleiche wissenschaftliche Sprache sprechen als dies der Fall ware, wenn man aus einem Land eine gleiche Anzahl Arbeiten jener zahlreichen Autoren sammelte, die glauben, unsere Wissenschaft vom Grund auf neu aufbauen zu miissen. Wenn auch die in den folgenden Beitragen dargestellten Gedankengange bisher nicht in deutscher (noch auch englischer oder franzosischer) Sprache zuganglich waren, so sind doch die Namen der meisten der Mitarbeiter dem deutschen wissenschaftlichem Publikum wohl bekannt.
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Trotzdem mag es manchem Leser willkommen sein, hier zur Orientierung einen kurzen Hinweis auf die fruheren Veroffentlichungen der Mitarbeiter iiber mehr oder weniger verwandte Gebiete zu erhalten. Professor MARCO FANNO, der den Lesern durch mehrere in den letzten Jahren in deutscher Sprache veroffentlichte Aufsatze besonders bekannt sein diirfte, 1 verdanken wir wichtige Beitrage zu einer Reihe von verschiedenen Problemen. Nachdem er sich zunachst mit Fragen der Kolonialpolitik beschaftigt hatte, 2 wandte er sich Studien auf dem Gebiet der Geld- und Kredittheorie zu, deren Ergebnis neben dem groBen Werk, in dem die im folgenden wiedergegebenen theoretischen Gedankengange vor allem dargestellt wurden und das auch eine wichtige Quelle fiir die Geschichte und Organisation der Einrichtungen des Geldmarktes bildet, 3 noch eine Reihe kleinerer, damit zusammenhangender Sonderuntersuchungen war. 4 Wahrend aber der internationale EinfluB des groBen Buches uber den Geldmarkt und die Banken wohl infolge des Umstandes, daB es kurz vor Ausbruch des Krieges erschien und nun seit vielen Jahren vergriffen und auBerordentlich schwer zu beschaffen ist, der Bedeutung des Werkes keineswegs entspricht, so sind seither von Professor FANNOS Arbeiten auf dem Gebiete der reinen Theorie zumindest seine Untersuchungen iiber verbundene Kosten und Ersatzgiiter 5 wert iiber die Grenzen Italiens hinaus bekannt geworden. Neben einer Studie iiber Alfred Marshall 6 gehoren in das Gebiet der reinen Theorie noch zwei weitere Arbeiten, 7 die nach ihrem Titel schon dem letzten Hauptarbeitsgebiet Professor FAJSTNOS, der Finanzwissenschaft, anzugehoren scheinen, iiber das er in jiingster Zeit auch ein Lehrbuch 8 veroffentlicht hat. Dr. M. W. HOLTEOP, der Verfasser des zweiten Beitrages, darf fiir sich den ungewohnlichen Erfolg verzeichnen, schon mit seiner ersten und bisher einzigen groBeren Arbeit, obwohl sie bisher nur in hollandischer Sprache vorliegt, einen betrachtlichen EinfluB auf die internationale 1 Steuern, Anlcihen und Vermehrung des Umlaufes als Mitte] auCerordentlicher Einnahmen, Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart, Band IV, Wien 1928; Die Elastizitat der Nachfrage nach Ersatzgiltern, Zeitschrift fiir Nationalokonomie, Band I, Wien 1929; Irrtiimer in der Zeit als TJrsachen wirtschaftlicher Schwankungen, ebendort Band IV Wien 1932. 2 II Regime e la concessione delle terre nelle colonie moderne, Archivio Giuridico, Pisa 1905. L'Espansione eommerciale e coloniale degli stati moderni, Bocca 1906. 3 Le Banche e il mercato monetario, Rom 1912. 4 La moneta, le currenti monetarie e il riordinamento della circolazione nei paesi a finance dissestate, Bocca 1908; La funzione dei riporti nella operazione di Borsa, Annuario della Scuola Superiore de Genova, Anno 1906/7; La teoria del mercato monetario, Giornali degli Economisti, Marz 1913; Circolazione cartacea e commercio internazionale, Economia 1924; Cicli di produzione, cicli del credito e fluttuazione industriali, Giornali degli Economisti, Mai 1931. 5 Contribute alle teorie dell'offerta a costi congiunti, Giornale degli Economisti, Oktober 1914; Contribute alia teorie economica dei beni succedanei, Annali di Economia 1926. 6 Problemes fondamentaux de politique douaniere, Scientia August 1924; Punti controversi della teoria dei dazi doganali, Giornale degli Economisti, Februar 1924. ' ALFREDO MARSHALL, Annali di Economia, Mailand 1925. 8 Elementi di Scienza delle Finanze, Turin 1930, 3. Aufl., 1932.
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Literatur des Gegenstandes ausgeiibt zu haben. Angesichts des Umstandes, da6 sein Bueh uber die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes 1 bisher wohl die einzige befriedigende Monographie liber dieses so wicb-tige und schwierige Problem darstellt, ist dieser Erfolg nicht uberraschend. Neben den im folgenden Beitrag wiedergegebenen theoretischen Betrachtungen enthalt das hollandische Originalwerk auch eine umfassende Dogmengeschichte der Theorien uber die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, von der jedoch zumindest der erste, die fruheren Autoren behandelnde Teil auch in einer Darstellung in englischer Sprache vorliegt. 2 Der Beitrag des Herrn J. G. KOOPMANS bildet insofern eine Ausnahme, als er der einzige ist, der Gedankengange darstellt, die nicht in der Muttersprache des Verfassers schon veroffentlicht wurden. In diesem Falle war mir jedoch der Vorzug zuteil geworden, durch mehrere Jahre, erst durch Berichte aus dritter Hand und dann durch Korrespondenz und personliche Bekanntschaft mit dem Verfasser die Entwicklung eines Werkes zu verfolgen, das in vollstandiger Form in naher Frist in hollandischer Sprache erscheinen soil und dessen Bedeutung mir dringend nach Veroffentlichung der wichtigsten Gedankengange in einer Weltsprache zu verlangen schien. Seine Untersuchungen haben, wie ich schon an anderer Stelle bemerkte und trotz seiner bescheidenen Ablehnung auch hier wiederholen mochte, schon vor ihrer Veroffentlichung einen gewissen EinfluB ausgeiibt, und ich habe keinen Zweifel, daB der Leser das Abgehen von der allgemeinen Kegel der Auswahl der Beitrage in diesem Falle gerechtfertigt finden wird. Einzelne Punkte seines Gedankenganges hat Herr KOOPMANS ubrigens in kleineren Veroffentlichungen, so in einem Diskussionsbeitrag auf der Utrechter Tagung der hollandischen „Vereeniging voor der Staathuishoudkunde en de Statistiek" im November 19293 und in Beitragen in den „Economisch-Statistischen Berichten" 4 schon im Druck dargelegt. Eine groBere, ein besonders schwieriges Gebiet der reinen Theorie behandelnde Arbeit Herrn KOOPMANS ist unlangst im hollandischen „Economist" erschienen. 5 Bevor ich auf den Verfasser des nachsten Beitrages zu sprechen komme, mochte ich, nicht nur um die alphabetische Reihenfolge, in der die Aufsatze angeordnet wurden, beizubehalten, sondern auch weil dieser Umstand auch auf die Gestalt des folgenden Beitrages von EinfluB gewesen ist, erwahnen, daB leider an dieser Stelle ein schon gewonnener Mitarbeiter ausgefallen ist. Professor E R I K LINDAHL, deutschen Lesern seit 1
De Omloopssnelheid, van het Geld, Amsterdam 1928. Theories ol the velocity of circulation ol money in earlier economic literature, Economic History (A Supplement to the Economic Journal), Band. I, Hett IV, 1929. 3 Vgl. Verslag van de Algemeene Vergadering der Vereeniging voor der Staathuishoudkunde en de Statistiek gehouden te Utrecht op November 1929. De Zin der Bankpolitiek, De Economist 1925, S. 811 if. 4 Economisch-Statistische Berichten, Algemeen Weekblad voor Handel, Nijverheid, Financien en Verkeer, Uigave van het Instituut voor Economische Geschriften, Rotterdam. Vgl. Ins. 17. Jahrgang, Nr. 876 u. 877, 12. und 19. Oktober 1932. 6 De Mogelijkheid van een meervoudige economisch Evenwicht, De Economist, 's-Gravenhage 1932, Nr. 10.—12. 2
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langem namentlich durch sein Buch iiber die Gerechtigkeit in der Besteuerung bekannt, hatte fur diesen Band einen Beitrag iiber die theoretischen Grundlagen der Wahrungspolitik ubernommen, in dem er die in seinen beiden schwedischen Biichern und einem Aufsatz 1 iiber diesen Gegenstand entwickelten Gedanken darstellen wollte. Unvoraussehbare und unvermeidliche Abhaltungen verhinderten ungliicklicherweise Professor LINDAHL an der Fertigstellung seines Beitrages. Ich mochte hier der Hoffnung Ausdruck geben, das diese Enttauschung fur den Herausgeber des Bandes doeh nur eine Verschiebung des Zeitpunktes bedeutet, in dem Professor LINDAHLS wichtige Beitrage zur Geldtheorie in seiner eigenen Darstellung weiteren Kreisen zuganglich gemacht werden. Die Hilfsbereitschaft eines anderen Mitarbeiters hat jedoch geholfen, die dadurch in diesem Bande entstandene Liicke zu schlieBen. Professor G U N A E MYEDAL, dessen Beitrag von Anfang an in Aussicht genommen war, hat in giitiger Weise auch noch die Behandlung eines Teiles der von Professor LINDAHL geplanten Darstellung ubernommen, indem er nicht nur iiber dessen Ideen referiert, sondern auch einen Uberblick iiber die Entwicklung der geldtheoretischen Ideen in Schweden in seinen Beitrag aufnahm. Auch Professor MYEDAL ist deutschen Lesern nicht mehr fremd. Sein in schwedischer (1930) und kiirzlich auch in deutscher Sprache erschienenes Buch iiber „Das politische Element in der nationalokonomischen Doktrinbildung" 2 hat ihn rasch bekannt gemacht. Die in seinem folgenden Beitrag dargestellten Ideen wurden von Professor MYEDAL zuerst in einer Anzahl in schwedischer Sprache veroffentlichter Arbeiten, vor allem in seinem vielbeachteten Buch ,,Prisbildningsproblemet och f oranderligheten" 3 sowie verschiedenen Aufsatzen 4 dargestellt. Von zahlreichen weiteren, in skandinavischen Zeitschriften veroffentlichten Aufsatzen iiber okonomische, sozialpolitische und finanzpolitische Fragen sind einige in der FuBnote erwahnt, 5 ebenso drei andere, zur Zeit im Erscheinen befindliche Arbeiten in deutscher und englischer Sprache. 6 Wenn es vielleicht auch schon bei manchem der vorangehenden Namen iiberflussig war, die Trager dem deutschen wissenschaftlichen Publikum besonders vorzustellen, so kommt dies gewiB bei dem letzten Namen, dem K N U T WICKSBLLS nicht in Frage. Einer Erklarung bediirftig ist hier hochstens die Auswahl des hier iibersetzten aus den zahlreichen wichtigen 1 Penningpolitikens Mai, Malmo 1929, Penningpolitikens Medel, Malmo-Lund 1930, sowie Prisbildningsproblemeis uppliiggning Iran lcapitalteoretisk synpunkt, Economisk Tidskrilt 1929. 2 Berlin, 1332. 3 Uppsala und Stockholm 1927. 1 U. a. einer kritischen Auseinandersetzung mit E. LINDAHL „Om penningteoretisk jamvikt", Economisk Tidskrilt 1931, V—VI. 6 Kring den praktiska nationalekonomiens problematik, Ekonomisk Tidskrilt 1931, Sveriges vag genom penningkrisen, Stockholm 1931. 6 The cost of living in Sweden, London 1933; Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalokonomie, Zeitschrift fiir Nationalokonomie, Band IV, 1933; Krise, Arbeitsbeschaffung und Staatsfinanzen, International Labour Review, 1933.
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geldtheoretischen Aufsatzen WICKSELLS, die nur in schwedischer Sprache vorliegen. Der Grund hiefur ist hauptsachlich der groBeEinfluB, den diese, wie ich glaube, letzte geldtheoretische Arbeit WICKSELLS auf die geldtheoretische Diskussion in Skandinavien ausiibte, und daB er darin Gedanken aussprach, die sich in seinen fruheren Arbeiten nicht vorfinden. Wenn es sich um eine weniger bedeutende Pigur als die WICKSELLS handelte, so wiirde ich wahrscheinlich gezogert haben, hier gerade eine Arbeit aufzunehmen, die, wie er selbst sagt, Ideen in einer ersten, vorlaufigen Form skizziert, die er, wenn es ihm vergonnt gewesen ware, sicher noch anders formuliert und in manchen Punkten vielleicht sogar betrachtlich. modifiziert hatte. Die Bedeutung WICKSELLS ist jedoch groB genug, um fiir seine Ansichten auch da Gehor zu heischen, wo sie vielleicht etwas unorthodox und mit manchen von ihm selbst anerkannten fundamentalen Satzen im Widerspruch zu stehen scheinen; und jedenfalls ist ihre Kenntnis wesentlich fiir das Verstandnis der jtingsten Entwicklung der Geldtheorie in Schweden, wofiir auch gerade der Aufsatz Prof. MYBDALS in diesem Band ein gutes Beispiel bietet. Fiir die Erlaubnis der Veroffentlichung dieses Aufsatzes mochte ich dem Sohn K. WICKSELLS, Herrn Professor SVEN WICKSELL in Lund meinen besten Dank aussprechen. Es bleibt mir nur noch die angenehme Aufgabe, nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch den tJbersetzern und dem Verlag fiir die bereitwillige Mitarbeit und vielfaltige Unterstiitzung meinen aufrichtigen Dank auszusprechen.
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L o n d o n , Neujahr 1933.
F. A. v. Hayek.
Inhaltsverzeichnis. Seite
MARCO FANNO,
Padua, Die reine Theorie des Geldmarktes..
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W. HOLTKOP, Ijmuiden, Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes 115
MARITXS
G. KOOPMANS, Den Haag, Zum Problem des „neutralen" Geldes 211
JOHAN
Stockholm, Der Gleichgewichtsbegriff Instrument der geldtheoretischen Analyse
GTJNAB MYRDAL,
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Namenverzeichnis
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WICKSELL t, Das Valutaproblem in den skandinavischen Landern 489
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Die reine Theorie des Geldmarktes. Von MARCO FANNO, Professor fur Nationalokonomie an der E g l . Universitat Padua. (Aus d e m I t a l i e n i s c h e n i i b e r s e t z t v o n D r . H A N S F R I E D , W i e n . )
Inhaltsiibersicht.
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Einleitung E r a t e s K a p i t e l . Die Banken und die Umlaufsmittel 1. u n d 2. Die wicbtigsten Punktionen der Banken. — 3., 4. u n d 5. EinfluB des Kredits auf Umfang u n d Zusammensetzung der Umlaufsmittel. — 6. Einteilung der verscbiedenen Umlaufsmittel. Z w e i t e s K a p i t e l . Die Nachfrage nacli Bankdarlehen 1. Die verschiedenen Gruppen der Darlebensnebmer. — 2. Beziehungen zwiscben ZinsfuB, Diskont, Unternehmergewinn, Produktion u n d Preisen. — 3. Algebraiscbe Darstellung der Gesamtnaohfrage nacb Darlehen u n d ihre wesentlicben Eigenschaften. — 4. und 5. Stabiles u n d vorubergebendes Gleicbgewicbt der Darlebensnacbfrage. — 6. u n d 7. Unterteilung der Gesamtnacbfrage in: 1. Darlebensnacbfrage des Gutermarktes, und 2. Darlebensnacbfrage des Effektenmarktes. — 8. u n d 9. Stabile u n d vorubergebende Gleicbgewicbtslagen der Darlebensnacbfrage seitens des Gutermarktes. — 10. Darlebensnachfrage seitens des Effektenmarktes. — 11., 12. u n d 13. Seine stabilen u n d vorubergebenden Gleicbgewicbtslagen. — 14. u n d 15. Gegenseitige Beeinflussungen zwiscben den beiden Nacbfragegruppen u n d Variationsgesetze der Gesamtnacbfrage. D r i t t e s K a p i t e l . Das Angebot an Bankdarlehen 1. Algebraiscbe Darstellung des Darlebensangebotes und Einteilung in normales u n d aktuelles Angebot. — 2., 3. u n d 4. Mittel, uber welcbe die Banken verfugen, u m das Darlebensangebot zu erboben: insbesondere die open-market operations. — 5. Zusammenbange zwiscben Kreditausweitung, open-market operations u n d Darlehensangebot; Variationsgesetze des Darlebensangebots. V i e r t e s K a p i t e l . Die Gesetze des Geldmarktes 1. Die Gleicbung des Geldmarktes: A) Die Gesetze des OeldmarJctes im hypothetisehen Falle eines gesclilossenen Marhtes (erste Annaherung). 2. Stabile u n d vorubergebende Gleicbgewicbtspositionen des Geldmarktes. — 3. Verscbiedene Kategorien der Geldmarktstorungen. — 4., 5., 6. u n d 7. Storungen, welcbe trendhafte Bewegungen (moBeitrage zur Geldtheorie.
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vimenti secolari) hervorrufen. — 8. und 9. Storungen, welche saisonmafiige Bewegungen hervorrufen. — 10. Storungen, welche syklische Bewegungen hervorrafen. B) Die Gesetze des GeldmarMes bei verkehrsverbundenen Ldndern. a) Lander mit gleiehem ZinsfuB (zweite Annaherung). — 12. und 13. Stabile u n d voriibergehende internationale monetare Gleichgewichtspositionen u n d die beztiglichen Gleichungen. — 14. Storungen, welche trendhafte Bewegungen hervorrufen. — 15. Storungen, welche saisonmaBige Bewegungen hervorrufen. — 16. Storungen, welche zyklische Bewegungen hervorrufen. b) Lander mit verschiedenem ZinsfuB (dritte Annaherung). — 17. Stabile u n d voriibergehende internationale monetare Gleichgewiohtspositionen, ihre Eigenschaften und Gleichungen. — 18. Die internationalen kurzfristigen Kredite und deren Bedeutung. •— 19. Wie werden monetare Spannungen von anleihegebenden und anleihenehmenden Landern uberwunden 1 ? — 20. Das Gesetz der internationalen Verteilung der Edelmetalle. F i i n f t e s K a p i t e l . Der Diskontsatz als Faktor des internationalen monetaren Gleichgewichtes 95 1. Offizieller und freier Diskontsatz u n d ihre gegenseitigen Beziehungen. — 2. u n d 3. Die verschiedenen internationalen Zahlungsmittel u n d der EinfluB des Diskontsatzes auf diese. — 4. Die ausgleichende Wirkung des Diskontsatzes. S e c h s t e s K a p i t e l . Die Struktur des internationalen Geldmarktes . . 101 1. Stellung der Agrarlander, der Industrielander und der in Dmbildung aus Agrar- in Industrielander begriffenen Lander auf dem internationalen Geld- und Kapitalsmarkt. — 2. u n d 3. Charakteristika des Geldmarktes dieser drei Landergruppen. — 4. Die Art der Herstellung einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz bei ihnen. — 5. Stellung der Industrielander in dem internationalen Verteilungs- und UmverteilungsprozeB der Edelmetalle u n d auf dem internationalen Geldmarkt. — 6. Die Punktionen des internationalen Geldmarktes. — 7. Stellung Englands auf dem WeltGeldmarkt und die Grunde seines jetzigen Abstiegs. — 8. Bedingungen, von welchen das Funktionieren des internationalen Geldmarktes abhangt u n d Folgen des Nichtbestehens einiger oder aller dieser Bedingungen. Die gegenwartige Lage des Welt-Geldmarktes.
Einleitung. Die vorliegende A r b e i t stellt m i t gewissen Modifikationen u n d A b a n d e r u n g e n meine i m J a h r e 1912 in italienischer Sprache veroffentlichte Tbeorie des G e l d m a r k t e s d a r . 1 I c h s a g e : m i t gewissen Modifikationen u n d A b a n d e r u n g e n , weil es g a r n i e h t a n d e r s moglich ist, als daB diese Theorie, so wie sie d a m a l s ausgearbeitet w u r d e , sich h e u t e in einigen P u n k t e n als fehlerhaft, in a n d e r e n als ausgestaltungsbedurftig erweist, u n d d a h e r n a c h zwanzig J a h r e n n i c b t ohne irgend eine A b a n d e r u n g i i b e r n o m m e n w e r d e n k a n n ; u m so m e h r , als es sich d a m a l s 1
FANNO, Le Banche e il Mercato Monetario, Rom 1912. Teil II.
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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um einen ersten Versuch handelte, Theorien und Tatsachen organisch zusammenzufassen und in ein einheitliches System zu bringen, die bis dahin von den Theoretikern getrennt voneinander behandelt worden waren. Am starksten abgeandert wurde das Kapitel iiber das Angebot von Darlehen, das vollstandig umgearbeitet wurde, um auch die openmarket operations einzubeziehen, die einen wichtigen Faktor des Angebots darstellen und heutzutage in einigen Landern, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, einen machtigen Aufschwung genommen haben. Andere weniger einschneidende Ausfeilungen wurden an anderen Punkten der Arbeit vorgenommen. Das Kapitel iiber die Darlehensmc^/ragre, welches die Zentralfrage behandelt, ist im wesentlichen unverandert geblieben. So bewahrt also die von mir vor zwanzig Jahren aufgestellte Theorie des Geldmarktes trotz der Ausfeilungen und Modifikationen ihre wesentlichen Grundlinien. Ein ansehnlicher Teil dieser Abhandlung ist der Untersuchung der stabilen und der voriibergehenden Gleichgewichtslage des Geldmarktes gewidmet; und dies nicht deshalb, weil das die wirkliehen Marktpositionen sind, sondern weil ihre Untersuchung die Bande, die zwischen ihren verschiedenen Teilen bestehen, aufzeigen und daher notwendig sind, um ihr Verhalten gegeniiber den verschiedenen Storungsfaktoren und damit ihre Bewegungsgesetze festzustellen. Die Darstellung ist, wie der Leser bemerken wird, weitestgehend abstrakt und liefert eine schematische Darstellung der Struktur des Geldmarktes, der in ihm wirksamen Faktoren und seines Ablaufs. Deshalb ist der vorliegende Aufsatz „B,eine Theorie des Geldmarktes" betitelt. Aber bei jedem einzelnen Punkte der Arbeit, sei es bei seiner Problemstellung, sei es bei seiner Entwicklung, hielten wir uns stets die Verhaltnisse des wirkliehen Lebens vor Augen; demnach finden auch die Ergebnisse, trotz der Abstraktheit der Darstellung, in der Wirklichkeit ihre genauen Gegenbilder. Wir hatten zahlreiche von uns gesammelte und verarbeitete statistische Daten beziiglich der Geldmarkte Englands, der Vereinigten Staaten und Deutschlands zur Bestatigung unserer verschiedenen Ergebnisse anfiihren konnen. Aus P*aumgrimden sind wir jedoch davon abgestanden und beschranken uns darauf, in einzelnen FuBnoten auf sie hinzuweisen. Und schlieBlich eine letzte Bemerkung. Der Geldmarkt ist ein Teilstiick, ist nur ein Organ der Wirtschaften der verschiedenen Lander und der Weltwirtschaft. Sein statisches und dynamisches Gleichgewicht ist also Teil und Funktion des Gleichgewichts jener und dieses. Die vorliegende Untersuchung bleibt aber notwendig nur auf das Gebiet des Geldmarktes beschrankt. Wenn wir seine Gesetze untersuchen, beschranken wir uns also darauf, das Auftreten, das gegenseitige Aufeinanderwirken, die gegenseitige Anpassung nur jener Faktoren zu betrachten, die sich innerhalb des Geldmarktes geltend machen. Alle iibrigen Faktoren, die, wie die Profit- und die Zinsrate, die Bewegung der Geschafte, ebenfalls fur den Geldmarkt grundlegend sind, sich aber hauptsachlich auBerhalb desselben Widen und umbilden, werden von 1*
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uns als faktische Daten und daher als unabhangige Variable angesehen. Unsere Theorie des Geldmarktes ist daher infolge der Grenzen, die ihr gesetzt sind, von der Theorie des allgemeinen statischen und dynamischen wirtschaftlichen Gleichgewichts abgelost, wenn diese audi einen integrierenden Bestandteil von ihr bildet. Aber die auBerhalb des Geldmarktes liegenden Faktoren, die in ihr betrachtet werden, bilden die Klammern zwischen ihm und dem iibrigen Teil des Organismus der nationalen Wirtsehaften; diese Faktoren sind es also, mittels deren sich die Geldmarkttheorie in den Rahmen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie und gleichzeitig, wie wir sehen werden, in die Theorie der wirtschaftlichen Schwankungen eingliedert.
Erstes
Kapitel.
Die Banken und die Umlaufsmittel.
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1. Die Darlehensoperationen, welche den Gegenstand der Tatigkeit des Geldmarktes bilden, stellen sich im wesentlichen als reine Tauschakte dar; als Tausch von gegenwartigen Giltem gegen zukiinftige Giiter. Aus wohlbekannten Griinden schatzen wir im allgemeinen — unter sonst vollig gleichen Bedingungen — die ersteren hoher ein als die letzteren. JSTicht alle jedoch schatzen die ersteren um dasselbe hoher als die letzteren. Innerhalb der Menschen besteht gewohnlich eine Versehiedenheit in der vergleichenden Einschatzung der beiden Giiterkategorien. Und aus dem Bestehen dieser Versehiedenheit folgen eben, wie bei jedem andern Tausch, die Darlehensoperationen. 1 Die Hoherschatzung der gegenwartigen gegeniiber den zukiinftigen Giitern driickt sich in einem bestimmten Hundertsatz aus, den der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber auBer den erhaltenen gegenwartigen Giitern zahlen muB; dieser Hundertsatz erhalt den Namen „Zinsfufi". 2. I n Geldwirtschaften erfolgen die Darlehen zum groBten Teile in Geld und nicht in natura, das heiBt durch Uberlassung von gegenwartigem Geld gegen zukiinftiges Geld, gegen einen Titel, der das Versprechen einer zukiinftigen Zahlung enthalt. Geld hat aber keinen unmittelbaren, sondern einen mittelbaren Nutzen, entspringend aus dem Nutzen der Giiter, die man sich mit ihm verschaffen kann. 2 Die — sei es absoluten oder verglichenen —• Verschiedenheiten des Grenznutzengrades und damit des Wertes von gegenwartigem und von zukiinftigem Geld hangen also von den —• sei es absoluten oder verglichenen — Verschiedenheiten des Wertes der gegenwartigen und der zukiinftigen Giiter ab, die man mit dem Geld kaufen kann. Und der ZinsfuB der Gelddarlehen tendiert dazu, dem ZinsfuB der Naturaldarlehen gleich zu werden. Handelt es sich um langfristige Darlehen, so bedienen sich ihrer die Darlehensnehmer, um sich Produktionsgiiter von langer Dauer zu ver1 BOHM-BAWERK, Histoire critique des theories de l'interet du capital, Paris 1902; ders., La theorie du capital, Paris 1929; FISHER, The rate of interest, New York 1930. 2 PANTALEONI, Principii di Economia Pura, Florenz 1889, S. 260 u. ff.
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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schaffen (fixes Kapital). I n diesem Falle spricht man von Kapitaldarlehen. Sind es kurzfristige Darlehen, dann bedienen sich ihrer die Darlehensnehmer (oder miiBten sich wenigstens bedienen), urn sich Produktionsgiiter von kurzer Dauer zu verschaffen (zirkulierendes Kapital). Hier haben wir es mit den eigentlichen Gelddarlehen zu tun. 1 Und mit diesen wollen wir uns beschaftigen. 3. Die kurzfristigen Anleihen werden auf einem ganz eigenen Markte abgeschlossen: auf dem Geldmarkte. Hiebei sind besondere Organe tatig: die Emissionsbanken und die Depositenbanken (auch gewohnliche Banken genannt). Zusammen bilden diese beiden Gruppen von Banken im engen Sinne das Banksystem eines Landes. Sie uben zwei verschiedene, wenn auch miteinander verkniipfte Funktionen aus: eine Geld- und eine Bankfunktion. Wir werden die Verhaltnisse eines Landes mit Goldstandard betrachten; diese weichen aber von den Verhaltnissen in den Landern mit gold exchange standard, wie sie heute vorwiegen, nicht sonderlich ab. Unter Umlaufsmitteln eines Landes wollen wir die Gesamtheit aller dort verfiigbaren Tausch- und Zahlungswerkzeuge verstehen; unter Geld im engen Sinne nur das Metallgeld. Die Umlaufsmittel eines Landes mit Goldstandard, in welchem es keine Banken gibt, bestehen, abgesehen von den Scheidenriinzen, ausschlieBlich in dem Goldgeld, das unter Munzfreiheit gemiinzt wird. Das Goldgeld ist jedoch, so bequem es bei kleinen Zahlungen ist, bei groBeren Zahlungen nicht handlich. Bei diesen ist die Banknote bequemer. Und bei sehr groBen Zahlungen ist der Scheck noch bequemer. Die erste Funktion der Banken besteht darin, die Allgemeinheit mit diesen verschiedenen Sorten der Zirkulationsmittel zu versorgen. Und das tun sie auf folgende Weise: I n einem Lande, in welchem beide Gruppen von Banken bestehen, bleibt vor allem nicht das gesamte Goldgeld in Urnlauf. Ein Teil davon wird vom Publikum bei den Emissionsbanken eingelegt, das dagegen Banknoten zu erhalten wiinscht. Uberdies wird nicht das gesamte fur Geldzwecke verfugbare Gold tatsachlich gemiinzt. Ein Teil des gemiinzten und des nichtgenmnzten Goldes sammelt sich derart bei diesen Banken und stellt deren Metallvorrdte dar; und im Umlauf erscheint an deren Stelle die entsprechende Menge von Noten. Aber auch nicht alle Noten bleiben tatsachlich in Umlauf. Ein Teil von ihnen wird vom Publikum bei den gewohnlichen Banken eingelegt, um damit Bankguthaben zu schaffen, iiber welche man mittels Schecks verfiigen kann. Diese Einlagen bilden eine neue Art Umlaufsmittel: die sogenannte deposit currency, die die Stelle eines entsprechenden im Umlauf befindlichen Notenbetrages einnimmt. 2 Darauf beschranken sich aber die Banken nicht. Es tritt hier viel1 D E VITI DE MARCO, Moneta e prezzi, Citta di Castello, 1885, S. 75 u. If. Gegen die Auffassung, daB auch die kurzfristigen Darlehen Kapitalsdarlehen sind, siehe: H I L D E BRAND, Die Theorie des Geldes, Jena, 1883, und SUPINO, II mercato monetario internazionale, Mailand, 1910. 2 LAUGHLIN, The principles of money, London 1903, Kap. V, S. 115 u. 191; WITHERS, The meaning of Money, London 1918, Kap. V, S. 4 u. ff. FISHER, The purchasing power of money, New York, 1916, S. 33—35.
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mehr ihre zweite Funktion ins Spiel. Die Emissionsbanken pflegen Investitionen in offentlichen Schuldverschreibungen und Darlehensoperationen vorzunehmen, wobei sie den Inhabern der Schuldverschreibungen und den Darlehensnehmern die vereinbarten Betrage in Noten bezahlen. Zu der in Umlauf befindlichen Notenmenge, welche den Metallvorraten entspricht, kommt eine weitere Menge hinzu, die den Investitions- und Darlehensoperationen entstammt. So kommt es, daB die Menge der ausgegebenen Noten die vorhandenen Metallvorrate iibersteigt. In analoger Weise pflegen die gewohnlichen Banken auf Grund der bei ihnen vom Publikum eingelegten Noten Investitionen in offentlichen Schuldverschreibungen durchzufiihren sowie Darlehen zu gewahren, und zwar fiihren sie dies meist so durch, daB sie den Verkaufern der Schuldverschreibungen und den Darlehensnehmern die zustehende Summe gutschreiben; das heiBt, sie schaffen fur den Betrag der Investitionen und Darlehen durch Hinzufugung zu den ersten Einlagen, die wir wirkliche nennen wollen, andere Einlagen, die eigentlich nur fihtiv sind, die aber, weil sie auBerlich den anderen gleichsehen, ebenfalls zur Schaffung einer entsprechenden deposit currency, der Grundlage fur den Umlauf von Schecks, fiihren. So tritt ebenso wie bei den Noten zu der aus den wirklichen Einlagen flieBenden deposit currency die aus der Schaffung fiktiver Einlagen flieBende deposit currency hinzu; und die Gesamtheit der deposit currency erreicht dann einen hoheren Betrag als die Notenreserven. Aus alledem ist ersichtlich, daB die Umlaufsmittel, die bei Nichtbestehen von Banken ausschlieBlich aus Metallgeld bestehen wiirden, nunmehr zum Teil aus solchem, zum Teil aus Noten und zum Teil aus deposit currency bestehen, also gerade aus den Tauschmitteln, die die Allgemeinheit verlangt. 1 Die Bankfunktion vervollstandigt daher die Geldfunktion. Durch die letztere versorgen die Banken die Allgemeinheit mit den verschiedenen Sorten von Umlaufsmitteln, die gebraucht werden. Durch die Bankfunktion liefern sie der Allgemeinheit diese verschiedenen Sorten von Umlaufsmitteln in dem von ihr verlangten AusmaBe, ohne daB darum bei ihnen ebensoviel genrimztes oder ungemunztes Gold eingelegt werden miiBte, das heiBt, ohne daB sich das Publikum dieses im vorhinein verschaffen miiBte. Durch ihre Bankfunktion gelingt es ihnen also, den Geldbedarf des Publikums bei Verwendung einer verhaltnismaBig iiberaus kleinen Goldmenge zu befriedigen. Das Ergebnis ihrer Tatigkeit ist demnach eine betrachtliche Ersparnis an diesem Edelmetall. 4. Bezeichnen wir mit N das in einem Lande fiir Geldzwecke verfiigbare Gold (ausgedriickt in Geldeinheiten des betreffenden Landes) und mit S den die Metallvorrate der Emissionsbanken bildenden Teil davon, dann ist (N —• S), abgesehen von privaten Hortungen, das umlauf ende Metallgeld. Bezeichnen wir mit n das Vielfache der von den Emissionsbanken im Verhaltnis zu ihren Reserven 8 ausgegebenen Noten, mit D die die 1 In Landern mit gold exchange standard sind Umlaufsmittel nur die Noten und die deposit currency, da kein Metallgeld in Umlauf ist und das gesamte fiir Geldzwecke verfiigbare Gold bei den Emissionsbanken aufgehauft ist.
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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Reserve der Depositenbanken bildenden Noten, und mit TIX das Vielfache der von den Depositenbanken im Verhaltnis zu ihren Notenreserven D geschaffenen deposit currency, so ist der Gesamtumfang an Umlaufsmitteln B durch folgenden Ausdruck dargestellt: B =
(N — S) + (Sn — D) + DJIX
(1)
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Aus (1) ergibt sich, daB ein gegebener Umlaufsmittelbedarf B eines bestimmten Landes mit einer verfiigbaren Metallmenge N befriedigt werden kann, die um so kleiner sein kann, je groBer erstens S im Verhaltnis zu N, und D im Verhaltnis zu Sn ist, und je groBer zweitens die Koeffizienten TZ und nx sind. Die Ersparnis an edlen Metallen, die durch das Banksystem ermoglicht wird, ist daher um so groBer, je vollkommener diese beiden Bedingungen erfullt werden. 1 Von welchen weiteren Bedingungt hangen aber umgekehrt deren Erfullung selbst ab ? Die Erfullung der ersten hangt von den Proportionen der drei Teile der Zirkulation zueinander ab. Diese Proportionen sind nun nicht willkurlich. Wie gesagt, eignet sich das Metallgeld fur kleine Zahlungen, die Noten fur mittlere und der Scheck fur groBe Zahlungen. Nicht jedermann ist aber mit den drei Sorten der Umlaufsmittel gleichermaBen vertraut. Es gibt Bevolkerungskreise, die aus Gewohnheit oder MiBtrauen nur Metallgeld verwenden; andere sind zwar mit Banknoten nicht aber mit Schecks vertraut und wieder andere, verwenden alle drei Zahlungsmittel, und zwar jedes von ihnen dort, wo es am meisten geeignet ist. Infolgedessen bestehen in jedem Augenblick in einem bestimmten Lande bestimmte Proportionen zwischen den drei Umlaufsmitteln, die am allerbesten den Anspriichen des Publikums und den Voraussetzungen der drei Zahlungsarten geniigen.2 Denn wenn in einem gegebenen Zeitpunkt zu viel Metallgeld im Verhaltnis zu den Noten und der deposit currency umlauft, wird das Publikum Metallgeld zu den Emissionsbanken tragen, um dafur Noten einzutauschen, und nach und nach wird es Noten in die Depositenbanken tragen, um mehr Schecks gebrauchen zu konnen; und die entsprechendsten Proportionen werden sich wiederum einstellen. Umgekehrt geschieht es im entgegengesetzten Fall. So sind die Proportionen der drei Arten von Umlaufsmittel von den Gewohnheiten des Publikums und von den Proportionen der verschiedenen Arten von Zahlungen abhangig, die es vornehmen will. Und da von diesen Proportionen unter anderem die Ersparnis an Metallgeld abhangt, die die Banken erzielen konnen, hangt also diese Ersparnis vor allem von den erwahnten Bedingungen ab. Was die Koeffizienten n und nx anlangt, so hangen diese von der 1
Es gibt einen anderen Fall, wo die Ersparnis noch groBer ist, und zwar dort, wo die Depositenbanken (wie es z. B. in England geschieht), beinahe ihre gesamten Reserven Z>bei den Emissionsbanken eingelegt halten. Diesen Fall tibergehen wir jedoch der Einlachheit halber. 2 Der statistische Beweis, daB diese Proportionen die Tendenz zeigen, sich verhaltnismaBig unverandert zu erhalten, kann fur die Vereinigten Staaten crbracht werden aus: BECKHARDT, Discount policy of the Federal Reserve System, N. Y. S. 137; dieser HeJert uns einerseits die Daten ilber das umlaulende Geld (in dem weiten Sinne der offiziellen amerikanischen Ausdrucksweise) und andererseits iiber die individuellen Einlagen bei den verschiedenen Banken.
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Bankverfassung ab. Die Banknoten sind auf Sicht in Goldgeld einzutauschen, und die deposit currency in Banknoten. Aber nachdem diese wie jene die Tendenz haben, aus den oben angefiihrten Griinden untereinander und gegeniiber dem Goldgeld bestimmte Proportionen aufrechtzuerhalten, so macht das Publikum, solange es Vertrauen in die Banken hat, von dieser seiner Moglichkeit keinen Gebrauch, und die Noten wie die deposit currency werden, wiewohl konvertierbar, nicht konvertiert. Deshalb konnen die Banken durch Ankauf von offentlichen Schuldverschreibungen und Gewahrung von Darlehen fur einen hoheren Betrag Noten ausgeben und deposit currency schaffen, als es ihren betreffenden Reserven entsprache, d. h. sie konnen, wie man zu sagen pflegt, Kredit schaffen.1 Und deshalb entspricht dem Koeffizienten n und TIX gewbhnlich ein Wert, der hoher ist als Eins. Wie groB ist aber in den einzelnen Fallen wirklich ihr Wert ? Der Koeffizient n ist jedesmal durch die Statuten der Emissionsbanken oder durch die Erfahrung bestimmt, und, auBer in aufierordentlichen Fallen, zeigt er die Tendenz, wenigstens durch eine gewisse Zeit konstant zu bleiben, wenn er auch zeitweiligen Veranderungen unterworfen ist. 2 Fiir den Koeffizienten nr gelten die folgenden Erwagungen. Das Publikum verfiigt normalerweise iiber seine wirklichen und fiktiven Einlagen mittels Schecks. Und die Banken kompensieren durch die Glearinghduser die Gutschriften und Belastungen, die durch die von ihren Kunden ausgegebenen Schecks entstanden sind. Die Kompensation ist aber nie eine vollstandige. Es bleiben iiberdies nicht kompensierte Differenzen ubrig, die die einen Banken den anderen schulden und die, sofern es nicht Kompensationsorgane hoherer Ordnung gibt, von den Schuldnerbanken in Noten beglichen werden miissen. Trotz des Gebrauchs von Schecks seitens des Publikums sind also die Depositenbanken in die Notwendigkeit versetzt, im AusmaB der nicht kompensierten Betrage Zahlungen in Noten vorzunehmen, und ihre Notenreserven miissen zumindest fiir diese Zahlungen ausreichen. J e groBer nun die Anleihen sind, die eine Bank gewahrt, oder die Investitionen, die sie vornimmt, um so hoher ist der Betrag der auf sie gezogenen Schecks, um so hoher der Betrag, den sie im Clearingverkehr schuldet, und u m so groBer sind, wenn auch die iibrigen Banken nicht anders vorgehen, die wahrscheinlich nicht kompensierten Differenzen, die ausbezahlt werden miissen. 3 Die gesamten auf Sicht riickzahlbaren, wie immer 1 Die Moglichkeit liir die Banken.-Kredit zu schaffen, behaupten: WITHERS, a. a. O. London 1918; ROBERTSON, Banking policy and price level, London 1926; PIGOU, Industrial Fluctuations, London 1927, S. 124 u. ff.; CRICK, The genesis of bank deposit, in: Economica, Juni 1927, S. 141—201; hingegen verneinen diese Moglichkeit: LAUGHLIN, The principles of money, London 1919, S. 116/17; CANNAN, in: Economica, 1920, S. 31. Als kritische Darstellung der Kontroverse siehe: REISCH, Die Deposit-Legende in der Banktheorie in der Zeitschrift fur Nationalokonomie, Januar 1930. 2 Der statistische Nachweis fur die verhaltnismaBige Bestandigkeit dieses Verhaltnisses kann gefunden werden: fiir Deutschland zwischen 1900 und 1914 in: Die Reichsbank, Berlin, Tafel 15, S. 33 des Anhangs; fiir Italien zwischen 1907 und 1913 in den verschiedenen Jahrgangen des Annuario statistico Italiano; fiir die Vereinigten Staaten in dem „Annual Report of the Federal Reserve Board". 8 HAWTBEY, Trade and Credit, London 1928, S. 5; PHILIPPS, Bank Credit, New York 1928, S. 2 1 ; LAWRENCE, Borrowed reserves and Bank expansion, in dem Quarterly Journal of Economics, Aug. 1928, S. 615 u. ff.
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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geschaffenen Bankeinlagen diirfen demnach nicht die Grenzen iiberschreiten, jenseits deren der Betrag der Zahlungen, die die Bank gegebenenfalls in Noten vornehmen muB, den ihr zur Verfiigung stehenden Notenbetrag tibersteigt. Ja, aus offenliegenden Griinden der Vorsicht miissen sie unterhalb dieser Grenzen bleiben, und zwar sei es, um solche Zahlungen so weit als moglich zu vermeiden, sei es (was sehr wichtig ist), um der Allgemeinheit das Gefiihl zu geben, daB die Bank jederzeit gegen jede Eventualitat geriistet ist. Wenn es also auch angesichts der Fahigkeit der Depositenbanken Kredit zu schaffen, fur die Ausdehnung der Darlehen und Investitionen keine materiell uniibersteigbare Grenze gibt, so gibt es doch eine Grenze, die die Vorsicht gebietet. Diese bestimmt sich nach den Notenreserven, und zwar nicht nach der absoluten Hohe der Reserven, sondern nach deren relativen Hohe im Verhaltnis zu alien kurzfristigen Engagements der Bank einschlieBlich der durch Anleihen und Investitionen geschaffenen, also im wesentlichen uberhaupt zu alien auf Sicht riickzahlbaren wirklichen und fiktiven Einlagen zusammen. Es besteht fiir jede Bank ein Verhaltnis zwischen den in Reserve gehaltenen Noten und auf Sicht riickzahlbaren Einlagen, das zu iiberschreiten unvorsichtig ist. Dieses Verhaltnis bezeichnet fiir jede Bank zu jedem Zeitpunkt die normale Maximalgrenze der Kreditausdehnung. Es zeigt aber auch die Grenze, bis zu der sich auszubreiten normalerweise jede Bank strebt, weil ein mit der Sicherheit der Bank vereinbarliches Minimum an nicht arbeitenden Reserven fiir sie am giinstigsten ist. Dieses Verhaltnis wechselt von Land zu Land, und in demselben Land von Bank zu Bank und von Augenblick zu Augenblick. Jede Bank setzt aber auf Grund ihrer eigenen Erfahrung ein bestimmtes Verhaltnis fest und bemuht sich, es, wenn es einmal festgesetzt ist, wenn sie es auch notigenfalls zeitweisen Abweichungen unterwirft, wenigstens eine gewisse Zeit hindurch aufrechtzuhalten. Und zwar kann sie entweder so vorgehen, daB sie durch Erhbhung ihres EinlagenzinsfuBes oder durch Rediskont bei den Emissionsbanken ihre Notenreserve verandert, oder indem sie die Darlehen einschrankt oder die Investitionen verringert, oder aber indem sie zu beiden Hilfsmitteln auf einmal greift. Der Koeffizient der Kreditausdehnung aller Depositenbanken TCX ist der gewogene Durchschnitt der individuellen Koeffizienten aller einzelnen Banken. Und nachdem jede Bank zu jedem Zeitpunkt einen Koeffizienten hat, denwir den normalen nannten, gibt es zu jedem Zeitpunkt einen JVbrmaZkoeffizienten nx, dem sich in GemaBheit der angegebenen Bedingungen die Banken in ihrer Gesamtheit anzugleichen streben. Um zusammenzufassen, hangt also der Gesamtumfang der Zirkulation, den sich ein Land mit einem bestimmten Metallvorrat schaffen kann, von folgendem a b : 1. von den Gewohnheiten des Publikums; 2. von den Statuten und der Kreditpolitik der Banken. Von diesen Verhaltnissen hangt daher auch ab, welche Ersparnis an Metallgeld die Banken ermoglichen. 5. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Faktoren, die die Umlaufsmittel eines Landes bilden, und die in unseren obigen Ausfiih-
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rungen dargestellt wurden, lassen erkennen, welche Riickwirkungen die Veranderung irgendeines dieser Faktoren haben muB. Vermindert sich z. B. unter sonst gleieh bleibenden Bedingungen infolge Goldausfuhr der Wert N, so werden sich vermindern: erstens (N — S); zweitens S und daher 871; drittens D und daher Dnx; und infolgedesseii wird sich der Gesamtumfang der Zirkulation proportional vermindern. Vermindert sich JIV weil es die gewohnlichen Banken fiir klug halten, das Vielfache ihrer Zirkulation zu vermindern, oder weil das Publikum das Vertrauen in einige von ihnen verliert, so wird sich Dnx verkleinern und mit ihm wird in diesem Falle auch der Gesamtumfang der Zirkulation abnehmen. Analog, aber wegen der Haufung von Ruckwirkungen intensiver, ist der Vorgang, wenn der Koeffizient n kleiner wird. Verbreitert sich schlieBlich infolge einer Veranderung der Publikumsgewohnheiten die Verwendung der Noten und der Schecks, so wird ein groBerer Teil des verfiigbaren Goldes den Emissionsbanken zuflieBen, was eine rc-fache Zunahme der Noten veranlassen wird; ein groBerer Teil dieser Noten als bisher wird bei den gewohnlichen Banken eingelegt werden, was eine jz r fache Zunahme der deposit currency veranlassen wird, und das Ergebnis wird eine Zunahme des Zirkulationsumfangs sein, ohne daB eine dementsprechende Veranderung der Metallmengen notwendig ware. 6. Geht man von der Art der Umlaufsmittel aus, dann kommt man zu den drei angegebenen Arten; geht man von ihrem Ursprung aus, dann kann man zu verschiedenen Einteilungen gelangen. Wir haben gesehen, daB ein Teil der Noten von den Banken als Ersatz fiir eben so groBe bei ihnen erliegende Metallvorrate ausgegeben wird, wahrend ein anderer Teil der Noten von ihnen gelegentlich der Kreditoperationen ausgegeben wird. Wir haben weiters gesehen, daB in ahnlicher Weise ein Teil der deposit currency von den gewohnlichen Banken als Ersatz fiir ebenso groBe bei ihnen erliegende Notenmengen geschaffen wird, wahrend ein anderer Teil gelegentlich der Kreditoperationen geschaffen wird. Im Hinblick auf den Ursprung konnen also die Umlaufsmittel eines Landes vor allem in diese zwei Teile geteilt werden: in einen ersten Teil, der, wenn er auch wenigstens teilweise von den Banken kommt, seinem Ursprung nach von Kreditoperationen unabhangig ist; und in einen zweiten Teil, der hingegen ausschliefilich solchen Operationen entspringt. Der erste Teil besteht aus umlaufenden Noten, deposit currency und Metallgeld; er ist gleieh diesem Metallgeld plus den Bank-Metallvorraten, d. h. dem Metallvorrat des Landes, und bildet daher eine zur Ganze gedeckte Zirkulation; der zweite Teil enthalt nur Noten und deposit currency und ist zur Ganze ungedeckt. Die Zusammensetzung dieser beiden Teile kann aus (1) leicht ersehen werden. Nach dem Gesagten ist der erste Teil der Zirkulationsmittel gleieh {N-S)
+ (s-±)+2-
= N
d. h. gleieh dem Betrage des Metallvorrates; da er aber gleichzeitig aus den drei Sorten von Umlaufsmitteln gebildet wird, bezeichnen wir ihn mit dem Symbol M (Moneta). Wir konnen dann schreiben:
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M = (N-S)+(S~^)+^
(2)
Dividieren wir (1) durch (2), so erhalten wir das Verhaltnis, das den Gesamtkoeffizienten der Kreditausdehnung bezeichnet und als Index fur die Ersparnis an Metallgeld angesehen werden kann, deren Erzielung das Banksystem zulaBt. 1 Ziehen wir von der Gleichung (1) die Gleichung (2) ab, so erhalten wir den zweiten Teil des Geldumlaufs, welchen wir mit Mx bezeichnen wollen. Wir schreiben nun: M1 = S
(TI —
1) + D
(TI1
— 1)
(3)
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Dieser zweite Teil stellt, wie gesagt, das von den Banken geschaffene Umlaufsmittel, d. h. das Volumen des Bankkredits dar. (3) umschreibt also dieses Volumen. Und wir werden dieses Volumen normal, oder, was dasselbe ist, die Kreditausdehnung eine normale nennen, wenn sie den Koeffizienten TI und 7iv die wir die normalen nannten, sowie den normalen Proportionen der verschiedenen Sorten von Umlaufsmitteln entspricht. 2 Der zweite Teil der Zirkulation entspringt aber zum Teil aus unmittelbaren Investitionen der Banken in offentlichen Schuldversehreibungen und zum Teil aus Anleihen. Im Hinblick auf die spezifischen Operationen, denen sie ihren Ursprung verdanken, unterteilt sich also dieser Teil wiederum doppelt. Bezeichnen wir mit Te die von Emissionsbanken, und mit Td die von den Depositenbanken zu Investitionszwecken er-. worbenen Wertpapiere, mit Pt ihren Preis und mit L den durch derartige Investitionen geschaffenen Teil der Umlaufsmittel, so ist
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L=TePt + Td Pt (4) Bezeichnen wir schlieBlich mit Op den durch die Darlehensoperationen geschaffenen Teil der Umlaufsmittel, also ihr Angebot, so erhalten wir: Ov = [S(7t-
1)] + [D {nx -
1)] -
[Te Pt + Td Pt]
(5)
Zusammenfassend konnen wir daher sagen, da8 die gesamten Umlaufsmittel (B) im Hinblick auf die allgemeinen Operationen, aus denen sie hervorgehen, in die beiden Teile geteilt werden konnen, die durch die Gleichungen (2) und (3) dargestellt werden; im Hinblick aber auf die spezifischen Operationen, aus denen sie hervorgehen, in drei Teile, und 1 LEHFELDT hat diesen Koeffizienten fur einige Lander berechnet und fand, daB er fur die Vereinigten Staaten zwischen 1896 und 1910 gleich 5,3 war, in GroBbritannien zwischen 1895 und 1910 durchschnlttlich gleich 5,5, und in Frankreich zwischen 1891 und 1903 gleich 2,3 war. (LEHFELDT, Gold prices and the Witwaterstand, S. 121/22.) 2 Diese Unterteilung der Zirkulation in die beiden angegebenen Teile deckt sich nicht mit der von FISHER und LAUGHLIN angewendeten in Geld (M) und deposit currency (Mj). Die Unterteilung FISHERS beruht auf rein technischen Gesichtspunkten. Er teilt die Umlaufsmittel in die beiden Teile M und Mv je nachdem ob sie sich auf die Operation des Einlegens beziehen oder nicht. In die erste Kategorie schliefit er das Metallgeld und alle Banknoten ein, in die zweite die ganze deposit currency, ohne bei der einen und bei den anderen zu unterscheiden, welcher Teil von Kreditoperationen herstammt, und welcher nicht davon herstammt; gerade das bildet aber die Grundlage unserer Klassifikation. Der wirtschaftliche Inhalt unserer Symbole M und Mx ist daher ein anderer als derjenige der analogen Symbole
bei
FISHER (a.
a.
O.,
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u.
ff.).
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zwar: 1. in einen erstenTeil (M), bestehend aus dem umlaufenden Metallgeld und aus Noten und Einlagen, die von den Banken als Ersatz fur die gleiche Menge bei den Emissionsbanken eingelegten Goldes geschaffen wurden; dieser Teil ist daher zur Ganze gedeckt und wird von der Gleichung (2) dargestellt; 2. in einen zweiten Teil (L), der den unmittelbaren Investitionen der Banken entspringt, zur Ganze ungedeckt ist und von der Gleichung (4) dargestellt wird; 3. in einen dritten Teil, der wirklichen Darlehensoperationen entspringt, ebenfalls zur Ganze ungedeckt ist und von der Gleichung (5) dargestellt wird. Diese doppelte Unterteilung der Umlaufsmittel muB im Auge behalten werden, weil sie fur den weiteren Aufbau unserer Untersuchung grundlegend ist. Zweites
Kapitel.
Die Nachfrage nach Bankdarlehen.
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1. Der Geldmarkt funktioniert durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage von kurzfristigen Darlehen. Die Nachfrage stammt von all denjenigen, die aus irgendwelchen Griinden zu einem Kredit greifen. Das Angebot stammt zum groBten Teil von den Emissionsund Depositenbanken. Wir werden beide getrennt behandeln. Wer ein Darlehen verlangt, t u t das im allgemeinen erstens um unmittelbar Investitionen in ertragbringenden Giitern (meistens in Wertpapieren) vorzunehmen; oder zweitens um Produktionsgiiter zu erwerben oder bereits erworbene zu bezahlen, in der Absicht, sie einer neuen Produktion zuzufiihren; oder drittens um sich sofort jene Verbrauchsguter zu verschaffen, deren Verbrauch er sonst hinausschieben miiBte. Die Wertpapiere bringen einen Ertrag, der, in einem Verhaltnis zu ihrem Wert ausgedriickt, Zinsfufi genannt wird; die Produktionsgiiter verschaffen dem, der sie verwendet, einen Gewinn, der, ebenfalls im Verhaltnis zu ihrem Wert ausgedriickt, ihr Profitsatz genannt wird; die Verbrauchsgiiter verschaffen dem, der sie unmittelbar verbraucht, einen hoheren wirtschaftlichen Nutzen, als ihn zu diesem Zeitpunkt die erst kiinftig verfugbaren Giiter haben; dieser Nutzen ist um den psychischen Zins jedes Individuums hoher, d. h. um so viel, als jedes Individuum die gegenwartigen Giiter gegeniiber den zukiinftigen hoher bewertet. 1 Gereinigt von der Differentialpramie fur die Puisken und von alien iibrigen unterscheidenden Elementen zeigt der reine Profitsatz auf lange Sicht die Tendenz, sich dem reinen ZinsfuB anzugleichen; und sich diesem letzteren anzugleichen, ist auch die Tendenz des psychischen Zinses eines jeden Individuums. Wer aber Geld als Darlehen nimmt, muB dafiir einen Preis bezahlen; der Preis ist der Diskontsatz oder richtet sich jedenfalls nach diesem. Die Gesamtnachfrage setzt sich aus den verschiedenen Einzelnaehfragen zusammen. Und diese stammen von all denjenigen, die unter 1 BOHM-BAWERK, The positive theory of capital, London 1891, S. 260 u. ff.; FISHER, The theory ot interest, New York 1930, S. 61.
Die reine Theorie des Geldma,rktes.
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Berucksichtigung der augenblicklichen Verhaltnisse die Moglichkeit eines wirtschaftlichen Vorteils sehen, wenn sie Geld als Darlehen aufnehmen, um es entweder in ertragbringenden Giitern oder in irgendeiner Art von Produktion oder im Erwerb von Verbrauchsgutern anzulegen. 1 Die Nachfrage nach Darlehen steigt daher, sobald der DiskontzinsfuB (unter Beriicksichtigung der entsprechenden Abziige fiir Eiskenpramien usw.) niedriger ist als der Profit- und Zinssatz; sie fallt, sobald er hoher ist; und sie bleibt unverandert, sobald er gleich ist. Aber jedesmal, sobald der Diskontsatz vom Zins- oder vom Profitsatz abweicht, hat die Erhbhung oder Verminderung der Darlehen, die Ausdehnung oder Einschrankung der Produktionsspanne, die Kaufe und Verkaufe von ertragbringenden und Verbrauchsgutern, die daraus folgen, die Tendenz, den Diskontsatz zum Steigen oder zum Fallen und den Profitund den Zinssatz zum Fallen oder zum Steigen zu bringen, und somit die drei Satze wieder aneinander anzugleichen. Der Zustand einer ungleichgewichtigen Nachfrage nach Darlehen, der durch das Bestehen eines Unterschiedes zwischen diesen drei Satzen hervorgerufen ware, kann daher als vorubergehend betrachtet werden. Die Position, der die Nachfrage nach Darlehen zudrangt und der sie, wie immer auch ihre Anfangsposition gewesen sein mag, sich schheBlich anzugleichen bestrebt ist, ist eine Gleichgewichtslage, deren Kennzeichen die Gleichheit dieser drei Satze ist. 2
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1 Auf den ersten Blick mag es iiberfliissig erscheinen, unter die Ursachen der Nachfrage nach Darlehen und damit auch unter die Faktoren, die darin eine Veranderung hervorrufen konnen, den vorweggenommenen Erwerb von Verbrauchsgutern einzubeziehen, weil dies von geringer Bedeutung sei. Genau betrachtet ist dem aber in Wirklichkeit nicht so. Abgesehen von den ausgesprochenen Konsumdarlehen jenesTypus, die in friiheren Zeiten vorherrschend waren und heutzutage einen groBen Teil ihrer Bedeutung eingebiiBt haben, haben sich in letzter Zeit neue Darlehensformen entwickelt, die sich im Hinblick aut die sie bestimmenden Faktoren als die im Text beschriebenen erweisen. Ich spiele aul das System der Ratenkaufe an, das heute nicht bloB bei Produktions-, sondern auch bei Verbrauchsgutern gebrauchlich ist. Mit dem Erwerb von Verbrauchsgutern auf Raten nimmt der Kaufer ihren Verbrauch oder ihren Gebrauch und damit den GenuB der in ihnen enthaltenen Nutzwirkungen vorweg, er muB aber einen Preiszuschlag zahlen, der abgesehen von den auflaufenden Spesen als dem Diskontzins entsprechend angesehen werden kann. Wahrend also der Kaufer den psychischen Zins durch den verfriihten GenuB erzielt, verfallt er der Belastung durch den Geldzins (Diskont); und der Ratenkauf schlieBt jedesmal mit einem Vorteil fiir ihn ab, wenn jener hoher ist als der um die Nebenspesen vermehrte Geldzins. Daraus folgt, daB ein bestimmter Kauf, der vorteilhaft ist und daher ausgefilhrt wird, solange der DiskontzinsfuB eine bestimmte Hohe hat, nicht mehr vorteilhaft sein und daher nicht mehr ausgefiihrt werden kann, sobald sich dieser ZinsfuB hebt, geradeso wie es im Text dargestellt ist. Allerdings kann es scheinen, daB der Ratenverkauf fiir den Kaufer ein Hilfsmittel darstelle, um seinerseits die Aufnahme eines Darlehens zu vermeiden. Die Aufnahme eines Darlehens vermeidet er aber nur scheinbar, weil die Zustimmung des Verkaufers zum Zahlungsaufschub schon an und fiir sich ein verhulltes Darlehen ist, aus dem dann in Wirklichkeit ein richtiges Darlehen auf dem Geldmarkt folgt. Erzeuger oder Handler, die in groBerem AusmaB auf Raten verkaufen, miissen sich die Verkaufe von irgend einem Bankinstitut finanzieren lassen. In den Vereinigten Staaten sind zu diesem Zwecke sogar eigene Kreditinstitute entstanden. (Siehe: SELIGMAN, The Economics of installment selling, New York 1927, Bd. I, Kap. II, S. 40—51.) Je groBer also der Erwerb von Verbrauchsgutern auf Raten seitens der Verbraucher ist, um so groBer sind die Finanzierungen, die die Fabrikanten Oder Handler von den eigens geschaffenen Bankinstituten verlangen miissen, und um so groBer ist die Nachfrage nach Darlehen. Angesichts des Ratenverkaufssystems ist also der antizipierte Erwerb von Verbrauchsgutern heutzutage ein Element, das bei der Nachfrage nach Bankdarlehen nicht vernachlassigt werden darf. Eben darum tragen wir ihm im Texte Rechnung, indem wir ihn in die Theorie des Geldmarktes einfiigen. 2
,,The average rate of discount is determined by the average level of interest in my
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2. Die Produktionsvermehrung, die jedesmal eintritt, wenn der Diskontsatz niedriger ist als die beiden anderen, ruft, sobald sie eintritt, eine vermehrte Nachfrage nach Produktionsgiitern und damit eine Steigerung ihrer Preise hervor. Der erhohte Erwerb von Verbrauchsgiitern seitens der Verbraucher, der bei dieser Sachlage ebenfalls eintritt, laBt den Preis auch dieser Giiter steigen. SchlieBlich rufen die Effektenkaufe, die von Banken und Privaten zweifelsohne werden vorgenommen werden, eine Steigerung auch von deren Preisen hervor. Aus all diesen Griinden zeigen die Preise, sobald die Diskontrate unter die Profit- und Zinsenrate fallt, wenn auch in verschiedenem AusmaB und Rhythmus, die Tendenz zu steigen; und sobald diese Rate die anderen iibersteigt, aus umgekehrten Griinden die Tendenz zu fallen. Und zwar wird ihr Steigen und Fallen durch das Steigen oder Fallen des Volumens der Umlaufsmittel ermoglicht, das infolge der Ausdehnung oder Einschrankung der Bankdarlehen gleichzeitig eintritt. Doch ist das Steigen oder Fallen der Preise, das die Ausdehnung oder Einschrankung der Nachfrage nach Darlehen begleitet, von einer Angleichbewegung der Diskont-, Profit- und Zinsrate gefolgt; schlieBlich kommt es daher wieder zu ihrer Ubereinstimmung. Und in dem Augenblick, in dem diese eintritt, hort, wie wir sahen, die Nachfrage nach Darlehen auf zu steigen oder zu fallen, ebenso wie die Preise aufhoren zu steigen oder zu fallen.1 Daher ist die Gleichgewichtsposition der Nachfrage ebenso die Gleichgewichtsposition der Preise. 2
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opinion and that is determined exclusively by the profitableness of business . . . " (MARSHALL, Minutes of evidence taken before the Royal Commission on gold and silver, London 1888, Bd. I, S. 4 und 6.) 1 Die Beziehungen zwischen Diskont, Profiten und Preisen wurden zum erstenmal von THORNTON klar gesehen (s. HAYEK, Prices and production, London 1931, S. 13). Der Autor aber, der sie als erster in ihrer ganzen Breite und Tiefe untersuchte, war WICKSELL (Geldzins und Giiterpreise, Jena 1898; ders., Der Bankzins als Regulator der Warenpreise, in: Jahrbilcher der Nationalokonomie 1897, S. 258 u. ff.; ders., Influence of the rate of interest on prices, in: The Economic Journal, 1907, S. 213-—220; ders., Vorlesungen iiber Nationalokonomie, Jena, 1928, Bd. II, S. 216 u. ff.). Die im Text angestellten Erwagungen bauen auf den Ergebnissen dieses Schriftstellers auf. In ihrer weiteren Entwicklung entfernt sich aber unsere Darstellung von jener WICKSELLS. Die Untersuchung iiber die Ausbaufahigkeit seiner Theorie, wobei aber gleichzeitig die Grenzen angegeben werden, innerhalb deren sie annehmbar ist, findet sich in unserer Schrift: Le Banche e il Mercato Monetario, Rom 1912, S. 189 u. ff., deren Grundlinien auch die vorliegenden Erwagungen iiber die Nachfrage nach Darlehen nahe folgen. Die Ansicht WICKSELLS ist heute wieder zu Ehren gekommen und es besteht insbesondere in Osterreich und Deutschland eine Schule, die man eine Neu-Wicksellianische nennen konnte. Zu ihr gehoren: MISES (Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, Miinchen 1912, Teil III, Kap. V; ders., Geldstabilisierung und Konjunkturpolitik, Jena 1928), NEISSER (Der Tauschwert des Geldes, Jena 1928), H A Y E K (Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929; ders., Prices and Production, London 1931). Auch der Englander K E Y N E S (A Treatise on Money, London 1930, Bd. I, S. 198) nimmt im wesentlichen die WicKSELLSche These an. Entgegengesetzt eingestellt sind aber u. a.: LORIA (II valore della moneta, in: Biblioteca dell'Economista, Reihe IV, Bd. VI, S. 94), SUPINO (II mercato monetario, S. 201), GRAZIANI (Problemi speciali di valore di scambio, Neapel 1910, S. 63—73), WAGEMANN (Economic Rythm, New York 1930, S. 190) und andere. 2 Aus den Ausfuhrungen des Textes ergibt sich, daC sich die Nachfragen nach Darlehen von seiten der Verbraucher wie der Erzeuger im wesentlichen gleich gestalten, und wir haben kurz die Ursache dieser Erscheinung angegeben. Aber nachdem dieser Punkt unserer Untersuchung auBer fur die Geldmarkttheorie auch fur die Preis- und die Konsumverteilungstheorie von Bedeutung ist, halten wir es fur angezeigt, uns dabei einen Augenblick aufzuhalten, um genauer als es im Texte geschehen ist, die wesentlichen, beiden Nachfragegruppen gemeinsamen Prinzipien herauszuarbeiten. Die Produktionsguter befriedi-
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3. Nachdem die Beziehungen zwischen Diskont, Preisen und Darlehensnachfrage festgestellt sind, trachten wir nun, die Elemente, aus denen diese Nachfrage zusammengesetzt ist, zu beschreiben und sie analytisch auszudriicken. Aus diesen Untersuchungen wird sich eine Eigenschaft der Nachfrage ergeben, die von grundlegender Bedeutung ist. Die tatsachliche GroBe dieser Nachfrage unter Gleichgewichtsver-
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gen die Bedurfnisse nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch einen Produktionsvorgang, der eine bestimmte Dauer hat. Sie haben daher stets einen ausschlieBlich zukiinftigen Nutzen (BOHM-BAWERK, The positive theory of capital, London 1891, S. 260 u. If.). Und jeder Produktionsvorgang kann, losgelost aus dem Komplex der technischen Operationen, aus denen er besteht, vom Standpunkte der Erzeuger als der Erwerb von gegenwartigen Giitern mit zukunftigem Nutzen betrachtet werden. Daraus folgt, daB ihr gegenwartiger Wert gleich ist dem zukiinftigen Werte der unmittelbaren Verbrauchsguter, die mit ihrer HilJe erzeugt werden, abziiglich einer Abzugsquote, die nach dem Grade der Hoherbewertung der gegenwartigen Nutzen gegeniiber den zukiinftigen Nutzen, also dem psychischen Zins, bemessen wird. Und nachdem dieser bekanntlich zur Anpassung an die jeweilige Zinsrate tendiert, so kann man sagen, daB der gegenwartige Wert der Produktionsgiiter gleich ist dem zukiinftigen Wert der Verbrauchsguter, vermindert um die Zinsen wahrend der ganzen Produktionsdauer. Daraus ergibt sich, daB der Wert der Produktionsgiiter nach und nach in dem MaBe, in dem der Produktionsvorgang fortschreitet und die zur Fertigstellung des Enderzeugnisses notwendige Zeit ablauft, steigt, um schlieBlich in dem Augenblick, in dem sie zur Ganze in Fertigprodukte umgewandelt sind, mit dem Wert der Fertigprodukte zusammenzufallen. Eine Folge davon ist, daB der Wert der Fertigprodukte hoher ist, als der Wert der zu ihrer Erzeugung verwendeten Produktionsgiiter (BOHM-BAWERK, a. a. O., S. 304), und daB die Verwendung von Produktionsgiitern in der Produktion tatsachlich von einer Werterhohung begleitet ist. Und eben in dieser Werterhohung, die auf die angegebenen Umstande zuriickzufuhren ist, findet die Theorie der sogenannten Produktivitat des Kapitals ihre Begriindung und ihre Berechtigung (MARSHALL, Principles of economics, London 1905, 5. Aufl., Buch II, Kap. IV, § 8, S. 8 1 ; BARONE, Principii di Economia Politica, Rom 1908, S. 36—41; PANTALEONI, Principii di Economia Pura, Florenz 1894, S. 301; CLARK, The distribution of wealth, New York 1908, S. 135 und 186; CLARK, Essentials of economic theory, New York 1907, S. 146; TAUSSIG, Principles of economics, New York 1911, Bd. II, S. II u. ff.) unddeshalb ist auch diese Theorie mit der Theorie der Hoherbewertung der gegenwartigen Gilter gegeniiber den zukiinftigen vereinbarlich.
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Fur sich allein betrachtet, bedarf jedes Produktionsgut je nach der Natur des Produktionsprozesses einer verschieden langen Zeit um sich in ein Fertigprodukt zu verwandeln. Die Gesamtabzugsquote, die vom Wert des Fertigproduktes abgezogen wird, um daraus den Wert des Produktionsgutes zu erhalten, ist daher bei jedem Gut verschieden. Verschieden ist daher auch die Quote, um die sich insgesamt dieser Wert bei der Umwandlung in das Fertigprodukt an den Wert des Fertigproduktes annahert. Die Werterhohung erfolgt jedoch, wie tamer die Natur des Gutes und die absolute GroBe der gesamten Quote sei, schrittweise, und wahrend einer Zeiteinheit erfolgt sie fur samtliche Produktionsgiiter in den selben Proportionen, das heiBt in dem AusmaBe der Profitrate oder, was das gleiche ist, im Gleichgewichtsverhaltnis mit der Zinsrate. Wenn wir daher von den technischen Verschiedenheiten der einzelnen Produktionsgiiter absehen, um nur ihre gemeinsamen Wesensmerkmale festzustellen, so konnen wir diese als eine Menge gleichartiger Guter ansehen, deren Gesamtwert in einem MaBe, das der Zinsrate entspricht, eine allmahliche Erhohung erfahrt. Diese Wertsteigerung bildet eben den Gewinn desjenigen, der diese Guter in der Produktion verwendet. Die Produktionsgiiter konnen so, auf den gemeinsamen Nenner einer Menge gegenwartiger, mit zukunftigem Nutzen begabter Giiter gebracht, alle zusammen als eine Gutermasse betrachtet werden, welche zugunsten des sie Verwendenden einen Profit ergeben, der in seiner relativen Hohe gleich der Zinsrate ist. All dies vorausgeschickt, tritt die Ahnlichkeit der Produktions- mit den Verbrauchsgiitern klar zu Tage, ebenso wie die Ursache fur das analoge Verhalten der beiden Gutergruppen gegeniiber den Veranderungen des Diskontsatzes. Denn die Verbrauchsguter, die mit gegenwartigem Nutzen begabt sind, konnen unmittelbar zur Befriedigung unserer Bedurfnisse verwendet werden. Aber ihr Gebrauch kann — wenigstens so weit sie nicht verderblich sind — auch aufgeschoben werden. Sie k6nnen daher unterschiedslos zur Befriedigung gegenwartiger wie zukiinftiger Bedurfnisse verwendet werden. Der unbedingte Hedonist strebt danach, sie zwischen gegenwartigen und zukiinftigen Bediirmissen so zu verteilen, daB sich daraus der hochste Nutzen ergebe, und zwar erreicht er dies durch eine Verteilung, bei der die gegenwartigen und zukiinftigen Grenznutzen der verschiedenen Giiter gleich. sind, wobei samtliche Giiter auf den gemeinsamen Nenner des gegenwartigen Nutzens ge bracht werden milssen. Wenn er aber diese Verteilung vornehmen will, muB er samtliche
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haltnissen hangt vor allem von dem Gesamtgeldbedarf ab, der sich aus einem bestimmten Umsatzvolumen und einer bestimmten Preishohe ergibt. Firr einen Teil dieses Bedarfes sorgt vor allem der erste Teil (M) der Umlaufsmittel; aber auBerdem sorgt dafur, unabhangig von Darlehensoperationen, derjenige Teil von Mv der durch die unmittelbaren Bankinvestitionen geschaffen wurde. Die Kfachfrage nach Gelddarlehen
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Gewinn- und Kostenelemente, die sich aul den sofortigen bzw. auf den aufgeschobenen Giiterverbrauch beziehen, berucksichtigen. Der sofortige Verbrauch verschafft dem Verbraucher im Vergleich zum aulgeschobenen Verbrauch einen durch seinen psychischen Zins ausgedriickten zusatzlichen Nutzen; er erlegt ihm aber auch Kosten auf. Denn entweder besitzt der Verbraucher, der seinen gegenwartigen Verbrauch ausdehnen will, schon die notigen Mittel dazu, oder er besitzt sie noch nicht. Im ersten Falle verliert er durch den sofortigen Erwerb und Verbrauch der Giiter den Profit, den er hatte erzielen konnen, wenn er die verfugbaren Geldmengen bis zum Augenblick des zukunftigen Verbrauchs als Darlehen verwendet hatte. Und zwar bemiBt sich dieser Gewinn nach dem Diskontsatz. Im zweiten Falle muB der Verbraucher, um sofort verbrauchen zu konnen, ein Darlehen aufnehmen und dafiir den Diskontsatz zahlen. DerDiskont nimmt im ersten Falle den Charakterdes ,.lucrum cessans", im zweiten Fall den des ,.damnum emergens" an. In beiden Fallen jedoch bildet er ein Kostenelement, das mit dem gegenwartigen Verbrauch verbunden ist. Im Vergleich zum kiinftigen Verbrauch verschafft also der gegenwartige Verbrauch dem Verbraucher zwar einen Nutzen, der durch den psychischen Zins ausgedriickt wird, er geht aber mit Kosten einher, die durch den Diskontsatz ausgedriickt werden. Und unter sonst gleichen Bedingungen hangt die Verteilung der Verbrauchsgiiter auf die gegenwartigen und zukunftigen Bedurfnisse von dem Verhaltnis zwischen diesen Kosten und diesem Nutzen ab. Auf die Dauer strebt das psychische Interesse der Verbraucher wie gesagt dazu, sich dem ZinsfuB des Marktes anzugleichen. Sooft also unter sonst gleichen Bedingungen der Gewinn, das heiBt der ZinsfuB, gleich ist dem Diskontsatz, besteht ein vollstandiger Gleichgewichtszustand in der Verteilung des gegenwartigen und des zukunftigen Verbrauchs der Gesellschaft. Sooft der Diskontsatz unter den ZinsfuB fallt, entsteht fur die Verbraucher der Anreiz, ihren gegenwartigen Verbrauch auf Kosten des zukunftigen auszudehnen, indem sie entweder die verfiigbaren Betrage sofort ausgeben oder in deren Ermanglung zum sofortigen Erwerb von Verbrauchsgiltern ein Darlehen aufnehmen. Sooft der Diskontsatz tiber den ZinsfuB hinausgeht, entsteht fur die Verbraucher der Anreiz, den gegenwartigen Verbrauch zugunsten des zukunftigen einzuschranken, indem sie Verbrauchsgiiter verkaufen und den Erlos als Darlehen geben. Aber die Kaufe des einen und die Verkaufe des anderen Falles haben die Wirkung, die Preise zum Steigen, bzw. zum Fallen zu bringen. Die Preise der Verbrauchsgiiter zeigen daher ebenso wie diejenigen der Produktionsguter die Tendenz, unter sonst gleichen Bedingungen konstant zu bleiben, sobald Diskont und Zins ubereinstimmen; zu steigen, sobald der Diskont niedriger ist als der Zins; zu fallen, sobald er hoher ist. Und sie steigen oder fallen solange weiter, bis die Spannungen zwischen den beiden Satzen verschwunden sind. So regelt das Prinzip, das, wie wir sahen, die Beziehungen zwischen Preisen, Diskont und Zins bei den Produktionsgutern regelt, ebenso die Preise der Verbrauchsgiiter. Dieses Prinzip wurde zum erstenmal von WICKSELL genau untersucht, aber von ihm nicht geniigend entwickelt; es wurde sodann vom Verfasser in dem Buch tiber die Banken und den Geldmarkt breit ausgefiihrt, jedoch stets nur in bezug auf die Produktionsmittel; aber erst jetzt stellt sich heraus, daB dieses Prinzip von viel grbBerer Ausdehnung und Bedeutung ist, ja es entpuppt sich als ein geradezu allgemeines Prinzip, welchem alle Giiterkategorien gehorchen. FISHER behauptet in seinen Werken (The rate of interest, S. 325 u. ff.; Elementary principles usw., S. 406), daB jeder Preis implicite einen ZinsfuB enthalt. Diese Behauptung erscheint uns aber nunmehr unvollstandig. Der ZinsfuB gehort ohne Zweifel zu der Bildung der individuellen Preise, da er ein Element ist, mit dessen Hilfe man aus dem zukunftigen Preis der Konsumguter den gegenwartigen Preis der Produktionsguter ableiten kann. Aber iiberdies spielt er auch bei der Bildung des allgemeinen Preisniveaus eine Rolle. Angesichts der alternativen Verteilbarkeit der Giiter auf gegenwartige und zuktinftige Bedurfnisse spielt der Zins- wie der Diskontsatz bei der Bildung der allgemeinen Preise eine Rolle, der eine als Profitelement, der andere als Kostenelement des gegenwartigen Gutergebrauchs im Vergleich zum zukunftigen. Jeder Preis ist daher, selbst wenn er ganz losgelost und allein steht, das Ergebnis des Zusammenwirkens einer Unzahl von Faktoren, unter denen der Zinsund Diskontsatz zu den allergewichtigsten gehoren. (Beziiglich einer breiten und umfassenden Darstellung der in dieser Anmerkung dargestellten Prinzipien vgl. den Aufsatz des Verf.: „La teoria del mercato monetario" in dem Giornale degli Economisti, Marz 1913.)
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ist daher gleioh dem gesamten Geldbedarf abziiglich: 1. des ersten Teiles (M) der Umlaufsmittel; 2. derjenigen Umlaufsmittel, die dureh Bankinvestitionen geschaffen wurden (also: Te Pt + Td Pt), wobei bezuglich beider und beziiglich der verbleibenden Umlaufsmittel auf die verschiedenen Umlaufsgeschwindigkeiten Riicksicht genommen werden muB. 1 Bezeichnen wir mit Q (Quanlita) die Gesamtgutermengen jeder Art, die in einem Lande zu einem bestimmten Zeitraum ausgetauscht werden; mit P ihren Preis, mit V die Umlaufsgeschwindigkeit von M, die zu dem bezeichneten Zeitraum festgestellt wurde ;2 mit Vt die Umlaufsgeschwindigkeit der durch die Bankinvestitionen geschaffenen Umlaufsmittel; mit F 2 die Umlaufsgeschwindigkeit der uhrigbleibenden Umlaufsmittel; 3 mit D die Nachfrage nach Darlehen: dann konnen wir schreiben: _ Q • P-IM
. V + (T. Pt + Td Pt) V,]
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Haben wir den analytischen Ausdruck der Darlehensnachfrage gefunden, so sehen wir nun, wie sich diese unter der Hypothese verhalt, da8 sich erstens das eine oder das andere der sie konstituierenden Elemente verandere; und zweitens das Angebot von Darlehen verandere. Wenn unter sonst gleichen Umstanden die Menge der ausgetauschten Guter, d. h. Q, anwachst, so wachst zunachst die Darlehensnachfrage an; aber die Steigerung des Diskontsatzes, die daraus folgt, wird die Nachfrage wieder zur Einschrankung zwingen. Da aber Q gestiegen ist, kann die Darlehensnachfrage, welche voriibergehenden Storungserscheinungen, auch immer auftreten mogen, nur als Folge einer Preissenkung endgiiltig sinken. Die Preise werden daher in dem MaBe sinken, das notwendig ist, um die Darlehensnachfrage auf ihren urspriinglichen Umfang zuriickzubringen und die Ubereinstimmung zwischen Profit, Diskontsatz und ZinsfuB wiederherzustellen. Das Analoge gilt aus entsprechenden Griinden, wenn sich M, V, Vlt V2 usw. verandern. Jegliche Veranderung in der Nachfrage, die einer Veranderung einer ihrer inneren Faktoren entSiehe oben, Kap. I, § 6. Auf Grand der Bedeutung, welche wir ihm im Texte verliehen, stellt das Symbol Q etwas mehr dar als einlach die Summe der umlaufenden Giiter. Da es die Menge der ausgetauschten Guter veranschaulicht, schlieBt es ein und dasselbe Gut so oftmal ein, als es in dem betrachteten Zeitraum getauscht wurde; Q bedeutet daher das, was man gemeiniglich den Umsatz nennt. 3 Wir bezeichnen die Umlaufsgeschwindigkeit der verschiedenen Teile des Umlauts mit verschiedenen Symbolen, weil sie hochstwahrscheinlich bei jedem einzelnen Teil verschieden sein wird. Die verschiedenen Sorten von Umlaufsmitteln (Metallgeld, Noten, Schecks) haben, jede fur sich betrachtet, eine bestimmte Umlaufsgeschwindigkeit. M ist aber aus Metallgeld, Noten und deposit currency zusammengesetzt. Seine mittlere Umlaufsgeschwindigkeit ist daher gleich dem gewogenen Mittelwert der Umlaufsgeschwindigkeiten der drei Sorten von Umlaufsmitteln. Der zweite Teil der Zirkulation, namlich Mlt besteht hingegen nur aus Noten und deposit currency, seine Umlaufsgeschwindigkeit ist daher von jener des M verschieden. Nur in Landern mit gold exchange standard ist sie gleich der von M, weil in diesen auch M nur aus Noten und deposit currency zusammengesetzt ist. Dieser zweite Teil wird aber, wie wir sahen, seinerseits in zwei Teile untergeteilt, in einen aus Investitions- und in einen anderen aus Darlehensoperationen stammenden. Alle beiden Teile bestehen aus Noten und deposit currency, aber nicht notwendigerweise in den gleichen Proportionen; denn diese Proportionen hangen vom Investitionsumfang der Notenbanken im Verhaltnis zu dem Investitionsumfang der Emissionsbanken ab. Auch die Umlaufsgeschwindigkeiten dieser beiden Teile sind daher hochstwahrscheinlich voneinander verschieden und eben deshalb war es notwendig, sie mit verschiedenen Symbolen zu bezeichnen. a
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springt, wird daher zuletzt wenigstens teilweise durch eine entgegengesetzte Veranderung der Preise korrigiert und ausgeglichen. Die Preise stellen demnach ein passives Element der Nachfrage dar, d. h. ein Element, das sich als Eunktion aller anderen Elemente ergibt. Und wegen dieses passiven Verhaltens der Preise verandert sich die Darlehensnachfrage nicht in dem Umfang, in dem sich mengenmaBig ihre anderen konstituierenden Elemente verandern. Anders ist es, wenn sich hingegen das Darlehensangebot andert. Denn wenn dieses fallt, steigt der Diskontsatz, die Produktionsspanne wird wenigstens zeitweilig enger und die Anlagen des Publikums in Wertpapieren nehmen ab. Die Darlehensnachfrage geht zeitweilig zuriick, der Umlauf nimmt ab und die Preise sinken; und zwar werden sie, welche voriibergehenden Storungen auch immer auftreten mogen, zuletzt um soviel sinken, als notwendig ist, um die Ubereinstimmung zwischen dem Diskontsatz und den beiden anderen Satzen wiederherzustellen, das heiBt, die Darlehensnachfrage in die Grenzen des nunmehr verringerten Angebots einzuschranken. Firr den Fall der Erhohung des Angebote tritt eine inverse Veranderung ein. Daher muB die Darlehensnachfrage, die sich, wie wir sahen, bei Veranderungen ihrer inneren Faktoren auf die Dauer nicht verandern kann, bei Veranderungen des Angebots Veranderungen erfahren. Aus alledem erhellt folgende wesentliche Eigenschaft dieser Nachfrage: daB sie weit davon entfernt ist, einen aktiven Faktor dea Geldmarktes darzustellen, der mit Eigenbewegung begabt ist, sondern vielmehr gewohnlich ein passiver Faktor ist, der sich in seiner Ausdehnung und Zusammenziehung der Ausdehnung und Zusammenziehung des Darlehensangebots anpaBt. In den Fallen jedoch, in denen sich das Angebot andert und eine analoge Anderung der Nachfrage nach sich zieht, wird diese wenigstens teilweise infolge einer gleichgerichteten Anderung der Preise modifiziert. Auch in diesen Fallen stellen also die Preise das passive Element dar, die einer Modifizierung unterliegen, um den Ausgleich zwischen Darlehensnachfrage und -angebot wiederherzustellen. Aus alledem geht hervor, daB die Preise nicht nur eine Funktion der inneren Faktoren der Nachfrage, sondern auch jener des Angebots sind, also kurz aller Faktoren des monetaren Gleichgewichts. Es besteht also in jedem Augenblick ein bestimmtes Preisniveau, das sich mittels des Geldmarktes als Funktion des Darlehensangebotes, der Zins- und Profitrate, der Menge der ausgetauschten Guter, der Menge der verfiigbaren Umlaufsmittel und der Umlaufsgeschwindigkeit der verschiedenen Arten von Umlaufsmitteln stabilisiert, und das aufrecht bleibt, solange alle diese Faktoren unverandert bleiben. Jede Veranderung auch nur eines von ihnen, die nicht irgendwie ausgeglichen wird, stort das Gleichgewicht zwischen Darlehensnachfrage und -angebot, verandert dadurch den Diskontsatz und ruft eine Angleichung der Darlehensnachfrage mittels einer Veranderung des Preisniveaus hervor. Und so verschieben sich durch die mittelbare Einwirkung der Bewegungen des Diskontsatzes — die selbst die Zusammenfassung und das Ergebnis der Bewegungen der verschiedenen Faktoren-
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des Geldgleichgewichts sind — die Preise bei jeder Veranderung der Faktoren des Geldgleichgewichts, ixnd durch diese Verschiebung gelangen sie von einer alten zu einer neuen Gleichgewichtsposition. 4. Die Nachfrage nach Darlehen, die in den stabilen Gleichgewichtspositionen des Marktes, wie wir sahen, ein passives Element bikiet, wird aber in zwei Fallen zu einem aktiven Element, das mit Eigenbewegung begabt und daher imstande ist, den Markt von seiner urspriinglichen Position zu verschieben und durch einige Zeit verschoben zu halten, und zwar: 1. in den Ubergangsperioden des Marktes von einer stabilen Gleichgewichtsperiode in eine andere, sofern dieser Ubergang vorausgesehen wird; und 2. im Falle voriibergehenden Storungen. In den Ubergangsperioden werden, sobald man voraussieht, da8 sich der Markt innerhalb einer bestimmten Zeit infolge irgendeiner Storung von seiner Gleichgewichtslage verschieben miisse, und dadurch unvermeidlich eine dementsprechende Verschiebung der Preise verursachen miisse, diese dazu tendieren, sich soweit als moglich wenigstens zum Teil sofort zu verschieben; sie werden also sofort steigen, wenn die Spekulanten ihre Steigerung, und sofort fallen, wenn die Spekulanten ihr Fallen fur wahrscheinlich halten. I n dem ersten Falle steigt aber infolge der sofortigen Preissteigerung die Nachfrage nach Darlehen. Uberdies steigt in Zeiten wachsender Preise, wie die Erfahrung lehrt, der Faktor Q; auch dies tragt dazu bei, da8 die Nachfrage nach Darlehen wachse. Im zweiten Falle geschieht das Umgekehrte. Wird also eine Storung des Geldmarktes vorausgesehen, die innerhalb einer bestimmten Zeit eine Veranderung der Preise herbeifuhren muB, so verandert sich die Nachfrage nach Darlehen sofort. Da sie sich aber sofort, also ehe noch die Storung eintritt, verandert, zwingt sie auch das Angebot dazu, sich entsprechend zu verandern, und zwingt den Geldmarkt dazu, sich von der stabilen Anfangs-Gleichgewichtslage zu verschieben und durch eine gewisse Zeit in einem Spannungs- oder aber Depressionszustand zu verbleiben, je nachdem, ob die vorweggenommene Preisbewegung in dem einen oder in dem anderen Sinne erfolgt. I n diesem Falle ist es daher nicht das Angebot, das die Nachfrage zu einer Veranderung drangt, sondern vielmehr die Nachfrage, die mit ihr en Veranderungen das Angebot zu einer Veranderung drangt. Und diese abnormale Lage halt so lange an, bis die erwartete, zum Teil bereits vorweggenommene Geldstorung eintritt und die neuen Preise schlieBlich den neuen Geldverhaltnissen entsprechen. 5. Die vorubergehenden Storungen fiihren zu verwickelteren Situationen. Treten Storungen des Geldmarktes ein, die die Darlehensnachfrage oder das Darlehensangebot oder beides zu verandern tendieren, so hort der Ausgleich zwischen diesem und jener auf, die Zinsrate entfernt sich von dem Profit- und Diskontsatz, die Darlehensnachfrage verandert sich noch mehr und die Preise verschieben sich. Da aber die Storung vorubergehend ist, endigt es damit, daB nach langerer oder kiirzerer Zeit der Geldmarkt und das Preisniveau wieder zu ihrer urspriinglichen Lage zuriickkehren. Das bedeutet, daB das anfangliche Preisniveau P 2*
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nicht bloB ein vergangenes, sondern auch ein zukiinftiges Preisniveau ist. Nun streben die gegenwartigen Preise danach, sich den zukiinftigen so anzugleichen, daB sie diesen gegeniiber indifferent werden. Und zwar wird ihr Indifferenzverhaltnis von folgenden Bedingungen bestimmt: Die Produktionsgiiter, die mittels Kredit zu Produktionszwecken erworben werden, unterliegen wahrend des Produktionsverfahrens, in dem sie verwendet werden, einer allmahlichen Wertsteigerung, die der Profitrate entspricbt. 1 Anderseits haben die Verbrauchsgiiter, die die Verbraucber mittels Kredit fur ihren unmittelbaren Verbrauch erwerben, wie wir saben, einen hoheren Wert als die namlichen, erst nacb einer bestimmten Zeit verfiigbaren Giiter, und zwar ist dieser Wert urn so viel hoher, als es ibrem psychischen Zins entspricbt, der aus den bekannten Griinden schlieBlich bei alien zu einer Angleicbung an den ZinsfuB des Marktes tendiert. 2 Die ertragbringenden Giiter schneBlich, die ebenfalls mittels Kredit erworben werden, geben einen Ertrag, der sich ebenfalls nacb dem ZinsfuB bemiBt. Daher muB derjenige, welcber auf Kredit gegenwartige Produktions-, Verbrauchs- oder ertragbringende Giiter unter Zugrundelegung der erwarteten Zukunftspreise kauft, einerseits den Diskontsatz, den er bezablen muB, beriicksichtigen und anderseits den (psycbiscben oder Geld-) Zins oder den Profit, den er erzielt, abzieben. Die gegenwartigen Preise sind also gleicb den zukiinftigen vermindert um den Diskont und vermebrt um den Profit oder den Zins. Wenn wir mit P die zukiinftigen Preise, mit P x die gegenwartigen Preise, mit s den Diskontsatz, mit i die Zins- und Profitrate, die in Gleichgewichtsverhaltnissen miteinander ubereinstimmen, und mit t die Wartezeit bezeicbnen, so ist: (1 + i)t
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Aus diesem Ausdruck gebt bervor, daB die gegenwartigen Preise gleich den zukiinftigen sind, wenn die Diskontrate gleicb der Zinsrate ist; daB die gegenwartigen Preise boher sind als die zukiinftigen, wenn sie niedriger, und daB die gegenwartigen Preise niedriger sind als die zukiinftigen, wenn sie hoher ist. Der Markt kann also zweierlei Wege einscblagen, um voriibergehende Storungen zu uberwinden. Entweder gleicben sich die Preise sofort und zur Odnze den Geldverhaltnissen des Augenbbcks an, und in diesem Falle geht der Markt ohneweiters, wenn auch nur voriibergehend, auf eine neue Gleichgewichtsposition iiber. Oder es behalten die Preise das bisherige Niveau, das nunmehr ihr zukiinftiges Niveau wird, und stabilisieren sich auf Grund des angegebenen Indifferenzgesetzes; und in diesem Palle verschiebt sich zwar der Markt von seiner urspriinglichen stabilen Gleicbgewichtslage, ohne aber die 1 , .Although nature does not of herself yield a fixed surplus above cost, which may be called interest, she offers a series of such opportunities of getting a surplus, of which opportunities man takes advantage, and with respect to which he adjusts his efforts to his returns until the surplus yielded corresponds to his subjective preference for present over future goods . . ." (FISHER, The rate of interest, New York 1907, S. 52.) 2 Siehe oben § 1 dieses Kapitels.
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den augenblicklichen Verhaltnissen entsprechende zu erreichen, und fixiert sich daher fur die ganze Dauer der Stoning in einer dazwischenIwgenden vorubergehenden Gleichgewichtslage, in der der Diskontsatz hoher oder niedriger bleibt als die Profit- und Zinsrate. Von diesen zwei Wegen wird der Markt aus ZweckmaBigkeitsgriinden denjenigen wahlen, dem eine geringere Preisverschiebung entspricht. Tritt also eine geringere Verschiebung ein, wenn der Markt sofort zu den Verhaltnissen, die der augenblicklichen Gleichgewichtslage entsprechen, iibergeht, so wird es zu diesem Ubergang kommen; tritt sie hingegen ein, wenn der Markt zu einer vorubergehenden Gleichgewichtslage iibergeht, so wird das bisherige Preisniveau die Grundlage der gegenwartigen Preise bleiben. Und zwar gilt dies naturlich sowohl fiir den Pall voriibergehender Storungen, die zur Verursachung von Preissteigerungen, wie von solchen, die zur Verursachung von Preissenkungen tendieren. Wenn wir das anfangliche Niveau, zu welchem die Preise in der Zeit t zuruckzukehren streben, weiterhin mit P bezeichnen, und mit P 2 dasjenige Preisniveau, das den aus der Geldstorung hervorgehenden Gleichgewichtsbedingungen entspricht, so wird die Geldstorung einfach eine Verschiebung des anfanglichen Preisniveaus herbeifiihren und nicht den sofortigen Ubergang der Preise zu dem neuen Gleichgewichtsniveau P2, sobald im Falle einer vorubergehenden Geldspannung
ist; und sobald im Falle eines vorubergehenden Geldabzuges pd+*)< P
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ist. Im ersten Falle halten sie, wie man sieht, an einem Niveau fest, das hoher ist als jenes, das dem augenblicklichen Ausgleich des Marktes entsprache, und im zweiten Falle an einem, das niedriger ist als jenes. Und das Festhalten der Preise an einem hoheren oder an einem niedrigeren Niveau zwingt die Darlehensnachfrage im ersten Fall zu einem Umfang, der groBer, und im zweiten Fall zu einem Umfang, der geringer ist, als es dem augenblicklichen Gleichgewicht entsprache; das fiihrt zu dem Ergebnis, daB der Markt in einem Zustand der Anspannung oder der Depression erhalten wird, ohne daB dieser abnormale Umstand die Naehfrage beeinflussen wurde. Auch in diesen Fallen ist also die Nachfrage nach Darlehen kein passives Element des Geldmarktes, sondern wird zu einem aktiven Element, das durch seinen Druck auf das Angebot dieses zu einer Anpassung oder Angleichung an die Nachfrage zwingt. 1 1 Aus diesen Erwagungen ergibt sich klar ein erster wesentlicher Unterschied zwischen der WicKSEixschen und unserer Theorie; denn wahrend WICKSELL behauptet, daB die Preise zu der Anderung tendieren, sooft der Diskontsatz von der Zinsrate abweicht (The influence of the rate of interest on prices, in: The Economic Journal, Juni 1907, S. 213 u. ff.) geht aus unseren Untersuchungen hervor, daB es Falle gibt, in denen sich die Preise auch trotz bestehender Unterschiede zwischen der Diskont-, der Profit- und der Zinsrate eine gewisse Zeit hindurch unverandert erhalten konnen. H A Y E K hat kurzlich einen anderen Fall klargelegt, in dem die WicKSELLsche Theorie nicht zutrifft, namlich den Fall einer fortschreitenden Wirtschaft. In einer solchen Wirt_
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Gelegentlich jeder voriibergehenden Storung des Marktes bildet sich also eine Zone, innerhalb deren sich die Preise provisorisch regeln konnen. Diese Zone ist begrenzt auf der einen Seite durch das anfangliche Preisniveau, auf der anderen Seite durch das stabile Gleichgewichtsniveau, welches den augenblicklichen Verhaltnissen entspricht. Wenn die gegenwartigen Preise, die den erwarteten zukiinftigen Preisen entsprechen, in diese Zone fallen, dann kommt es zu der provisorischen Regelung; andernfalls verschieben sie sich sofort zum neuen Gleichgewichtsniveau. Im Falle einer voriibergehenden Geldanspannung liegt die Zone der provisorischen Preisregelung unter ihrem Anfangsniveau, im Falle eines voriibergehenden Geldabzuges liegt sie dariiber, und die Breite der beiden Zonen hangt von der GroBe und der voraussichtlichen Dauer der Storung ab. Innerhalb der Grenzen dieser beiden Zonen iibt das anfangliche stabile Gleichgewichtsniveau der Preise eine Anziehungskraft auf die gegenwartigen Preise aus, wobei es sie in seinem Umkreise halt und sie hindert, sich nach dem Preisniveau, das den Bedingungen des augenblicklichen Ausgleichs entsprache, zu richten. Und deshalb bedeuten innerhalb der beiden angegebenen Zonen die Preisverschiebungen, die gelegentlich voriibergehender Geldstorungen eintreten, keine endgiiltigen Verschiebungen zugunsten neuer Gleichgewichtspositionen, sondern vielmehr zeitweilige Abweichungen von dem bestehenden Preisniveau. 1
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schaft tendiert der Geschaftsumfang sich auszudehnen und die Preise konnten hier nur dann unverandert bleiben, wenn der Geldumlaut vermehrt wurde. Wenn jedoch die beiden Zinssatze gleich sind, so kann nach WICKSELLS Theorie keine Veranderung des Geldumlaufes erfolgen und die Preise werden nicht unverandert bleiben, sondern fallen. In einer fortschreitenden Wirtschaft miiBte daher, damit die Preise unverandert bleiben, der Marktzins dauernd unter dem natiirlichen Zins stehen. Das kann jedoch nicht geschehen, weil bei einem solchen Zinssatz die Nachfrage nach Darlehen das Angebot iibersteigen miiBte. Prof. HAYEK kommt daher zu der SchluBfolgerung, daB WICKSELLS Theorie fiir eine fortschreitende Wirtschaft nicht zutrifft. (HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929, S. 60, HAYEK, Prices and Production, London 1931, S. 23/24, HAYEK, Preise und Produktion, Wien 1931, S. 25 u. ff.) Ein in gewisser Hinsicht analoger Fall wird von uns weiter unten gelegentlich der sekularen Storungen des Geldmarktes untersucht (siehe 4. Kapitel, § 4). 1 Die Falle, welche in den beiden letzten Paragraphen behandelt wurden, sind fiir die Geld- und Kredittheorie von grundlegender Bedeutung, weil sich die Preise dort auf eine andere Weise bilden, als die herrschende Lehre angibt. In dem Falle einer dauernden Storung, die genau vorausgesehen sei, verschieben sich die Preise wahrend der tlbergangszeit aus eigenem Antrieb, noch ehe die Storung eintritt, d. h. noch ehe die Veranderung des Umlaufsvolumens, in der die Storung besteht, stattfindet. Im Falle voriibergehender Storungen verandern sich die Preise nicht in dem AusmaB, das der GroBe der Storungen entsprache, sondern in einem kleineren AusmaB und bleiben an der Grenze stehen, die den in den beiden angegebenen Zonen enthaltenen Indifferenzpreisen entspricht. In beiden Fallen ist es nicht die Menge der verfugbaren Umlaufsmittel, sondern es sind die Preise, welche, um an der Indifferenzgrenze, von der sie sich angezogen fuhlen, stehen bleiben zu konnen, einen Druck auf den Geldmarkt ausiiben, um das Umlaufsvolumen soweit zu verandern, daB sie sich auf dieser Grenze halten konnen. In diesen beiden Fallen funktioniert also das Quantitatsprinzip nicht mehr und es tritt an seiner Stelle das entgegengesetzte Prinzip in Erscheinung. Schon FISHER wies in seinem Werke nach, daB ,,the quantity theory will not hold true strictly during transition periods" (The purchasing power of money, New York 1916, S. 161). Also auch er erkannte an, daB Ausnahmen von der Quantitatstheorie bestehen. Die Ausnahmen wurden jedoch von ihm nicht alle eingesehen und nicht in der gebotenen Ausfiihrlichkeit untersucht. Dieser Punkt, der von FISHER und den anderen Anhangern der Quantitatstheorie zu gutem Teil in Dunkel belassen wurde, soil durch die Ausfiihrungen des vorliegenden Kapitels geklart werden. Hiemit sind also die Falle, in denen jenes Prinzip Anwendung findet, und die Falle, in denen es keine Anwendung findet, herausgearbeitet. Anwendung findet es niimlich in den stabilen Gleichgewichtspositionen des Marktes; keine
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6. Nachdem wir die Gesetze der Gesamtnachfrage nach Darlehen festgestellt haben, wollen wir diese nun in ihre einzelnen Teile zerlegen, um jeden fur sich zu betrachten. Die verschiedenen Wirtschaften, die auf dem Geldmarkte Darlehen begehren, beschaftigen sich. entweder mit der Erzeugung, der Verteilung und dem Verbrauch der eigentlichen wirtschaftlichen Giiter oder mit der Schaffung und Verteilung von Effekten, die Kapital darstellen, also der offentlichen Wertpapiere. Die Gesamtnachfrage nach Darlehen kann daher, grob gesagt, aus zwei groBen Nachfragekategorien zusammengesetzt vorgestellt werden; aus der Nachfrage, die von dem Oiltermarkt stammt, und aus der Nachfrage, die von dem WertpapiermarJct stammt. In bezug auf die drei von PARETO 1 betrachteten Produktions- (Guterumwandlungs-) Formen umfaBt die erste Kategorie: 1. die Darlehensnachfrage seitens der Agrarier, Industriellen, Bergwerksbesitzer, also der Produzenten im engeren Sinne; 2. jene der Handler; 3. jene der Warenspekulanten. Es enthalt aber iiberdies: 4. die Nachfrage nach Darlehen seitens der Verbraucher. Die zweite Kategorie enthalt die Nachfragen nach Darlehen seitens derjenigen, welche mit Wertpapieren spekulieren. Wenn wir nun zur Untersuchung der ersten Kategorie iibergehen, wollen wir uns nicht wieder bei den Nachfragen der Verbraucher aufhalten, weil wir uns mit diesen bereits eingehend auseinandergesetzt haben. 2 Wir wollen uns also bloB mit den drei anderen Nachfragegruppen beschaftigen. Industrielle, Agrarier und Bergwerksbesitzer erwerben Produktionsgiiter und personliche Leistungen, um beide fiir die Erzeugung anderer Giiter zu verwenden, und greifen insoweit zu Bankkrediten, als ihnen die eigenen Mittel, um dies durchzufiihren, fehlen. Sie steigern, wie wir sahen, die Nachfrage nach Darlehen, sobald die Profitrate hoher ist als der Diskontsatz, sie senken sie im umgekehrten Falle. Bei Gleich gewichtspositionen ist also die Darlehensnachfrage dieser Gruppe von Darlehensnehmern gleich dem Betrage, der fiir sie notwendig ist, um die Spanne der verschiedenen Produktionen so weit auszudehnen, bis der Profitsatz mit dem Diskontsatz zusammenfalle. Zu Veranderungen dieser Nachfragekategorie infolge anfanglichen Auseinanderfallens der beiden Raten, kann es dann kommen, wenn sich der eine oder der andere oder beide Satze verandern; und zwar ist es dabei gleichgiiltig, ob der eine von ihnen hoher oder niedriger ist als die andere. Eine positive Verschiedenheit zwischen Profit und Diskont hangt ausschlieBlich von ersterem ab, wenn der Diskontsatz normal (d. h. gleich dem ZinsfuB) und der Profit hoher als der Diskontsatz ist. Dies tritt immer dann ein, Anwendung findet es hingegen: 1. in den Ubergangsperioden aus einer Gleichgewichtspositlon zu einer anderen; 2. in den Fallen vorilbergehender Geldstorungen, d. h. im wesentlichen unter dynamischen Marktverhaltnissen. Man kann daher den SchluC Ziehen, daB die Quantitatstheorie die ausschlieBlich statische Geldtheorie ist. (Bezilglich einer ausfiihrlicheren Behandlung dieses Punktes siehe unseren Aufsatz: Le Banche e il Mercato Monetario, Rom 1912, S. 205 u. fl.) Zu ahnlichen Schlilssen gelangte kiirzlich W. C. MITCHELL, Business cycles, New York 1927, S. 128 u. If. 1 PARETO, Cours d'economie politique, Lausanne 1896, Bd. I, S. 19 u. ff. Manuel d'economie politique, Paris, Kap. I l l , § 72, S. 175/76. 2 Siehe oben § 1 des Textes und die ausliihrliche Anmerkung zu § 2 dieses Kapitels.
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wenn infolge erhohter Bediirfnisse der Allgemeinheit oder aus anderen Grlinden der Preis der Verbrauchsgiiter im Vergleieh zu jenem der Produktionsgiiter, oder der Preis der Produktionsgiiter niederer Ordntmg im Vergleich zu denen entfernterer Ordnung auBerordentlich gestiegen ist. Diese Lage ist iiberdies charakteristisch fur die aufsteigende Phase der Produktionszyklen. 1 Eine aussehlieBlich auf der Prof ithohe beruhende positive Verschiedenheit zwischen Profit und Diskont tritt immer dann ein, wenn der Profitsatz normal und der Diskontsatz aus ausschlieBlich monetaren Griinden (z. B. infolge Einfuhr von Edelmetallen) niedriger ist. 2 Eine negative Verschiedenheit zwischen Profit und Diskont kann unversehens eintreten, wenn bei einem ubernormalen Profit- und bei einem unternormalen Diskontsatz der erste fallt und der zweite steigt. Diese Lage ergibt sieh im allgemeinen im Augenblieke des Ausbruchs einer Krise. Und sie hat zur Eolge, daB die Erzeugung, welche in Ausdehnung begriffen war, eine plotzliche, einschneidende Verminderung erfahrt. Die Handler, die fiir die Umwandlungen der Giiter im Raume und fiir ihre Ubertragung von Person zu Person sorgen, dienen als Vermittler zwischen den verschiedenen Produzenten, sowie zwischen diesen und den Verbrauchern. Urn diese ihre Aufgabe ohne Unterbrechung ausiiben zu konnen, pflegen sie gewisse Giitervorrate zu halten. Dazu brauchen sie aber Kapitalien, die sie nicht immer in der notigen Menge besitzen. Die Darlehensnachfrage der Handler hangt daher a b : 1. von dem Umfang ihrer Giitervorrate; 2. von deren Preisen; 3. von der Hohe ihrer eigenen Kapitalien, welche sie dem Handel zufuhren. Der Umfang der Vorrate schwankt aus verschiedenen Griinden von Handler zu Handler, aber jeder Handler ist bestrebt, unter normalen Bedingungen diejenigen Vorrate zu halten, die ihm nach seiner Erfahrung am zweckmaBigsten erscheinen. Alle zusammen werden sie daher bestrebt sein, einen bestimmten Gesamtvorrat zu halten, den wir den normalen nennen wollen. I n stabilen Gleichgewichtspositionen tendiert daher die Darlehensnachfrage der Handler zu der Ausdehnung, welche dem normalen Umfang ihrer Warenvorrdte und den iibrigen Verhaltnissen entspricht. I n Ubergangszeiten trifft dies jedoch nicht zu. Denn die Handler sind meistens bestrebt, ihre Warenvorrate zu vergroBern, sobald die Preise steigen; und sie tun ihr Moglichstes sie zu verkleinern, wenn die Preise 1
HAYEK, Prices and Production, S. 81 u. ff.; DERS., Preise und Produktion, S. 87 u. ff. Falls die Verschiedenheiten zwischen Diskont und Profit von Storungen monetaren Charakters herruhren, reichen diese hin, um den Ursprung und Ablaut der Bewegungen des Geldmarktes zu erklaren. Falls diese Verschiedenheiten von Veranderungen der Profite herruhren, sind sie hingegen ihrem Ursprung nach auf Veranderungen der Wirtschaftskonjunktur zuriickzufiihren. Um also den Ursprung dieser Verschiedenheiten zwischen Profit und Diskont und die daraufhin eintretenden Storungen auch nur soweit sie den Geldmarkt betreffen zu erklaren, geniigen die Prinzipien, welche den Geldmarkt regeln, nicht; man muB vielmehr diese in Verbindung mit der Entwicklung der Konjunktur betrachten. In diesem Falle wird also die Geldmarkttheorie der Konjunkturtheorie eingegliedert, und um den Ursprung und den Ablauf dieser Geldmarktbewegungen zu erklaren, mussen sie als ein AusfluB der Konjunktur betrachtet werden. Eine Untersuchung dieser Zusammenhange zwischen Geldmarkt und Wirtschaftszyklen findet sich in einer von uns vorbereiteten Arbeit, welche den Titel fiihren wird: „La Teoria del credito e della circolazione". 2
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fallen. Nun steigen die Preise der Produkte, wenn der Diskontsatz niedriger ist als der Profitsatz, wahrend sie im umgekehrten Falle steigen. Im ersten Falle steigt die Nachfrage der Handler nach Darlehen, weil sowohl die Warenvorrate wie deren Preise steigen; im zweiten Falle sinkt sie wegen des gleichzeitigen Sinkens beider. Bei Veranderungen des Diskonts verandert sick daher ikre Darlekensnachfrage in derselben Richtung wie jene der Produzenten. Die Spekulanten, welche fiir die Umwandlungen der Giiter in der Zeit sorgen, bauen ihre Tatigkeit auf Preisvoraussagen auf. Wenn sie voraussehen, da8 sie steigen werden, kaufen sie Produkte, um sie fiir spater aufzubewahren; aber dadurch, da8 sie so vorgehen, bewirken sie sofort die vorausgesehene Steigerung. Wenn sie voraussehen, daB die Preise fallen miissen, liquidieren sie ihre Vorrate oder verkaufen sogar in Blanko. Und dadurch verursachen sie um so fruher den vorausgesehenen Preisfall. Ihr Eingreifen ist jedoch nicht immer ein unmittelbares. Erwerb und Aufbewahrung von Produkten zu Spekulationszwecken bringen — um der Einfachheit halber von den Unkosten, die durch Einlagerung und durch etwaiges Verderben entstehen, abzusehen — Kosten mit sich; diese Kosten bestehen aus den Zinsen fiir die ganze Zeit, wahrend der die Spekulanten ihre Kapitalien in solchen Geschaften anlegen. I n dem Augenblick, in dem sie ihre Voraussagen xiber die Preissteigerung machen, besteht bereits eine hochste Grenze fiir die Preise, die sie bezahlen konnen. Und diese Grenze die wir die Indifferenzgrenze nennen wollen, ist gleich den vorhergesehenen zukiinftigen Preisen, zum ublichen Diskontsatz fiir die bis zu ihrem wirklichen Eintreten notwendige Zeit diskontiert. Sind die Preise der Produkte in dem Augenblick, in dem die Spekulanten ihre Vorhersagen machen, unter dieser Grenze, dann ist es fiir sie vorteilhaft, unmittelbar einzugreifen; und durch ihr Eingreifen steigen die Preise sofort bis zu dieser Grenze. Sind jedoch die gegenwartigen Preise hoher, so ist augenblicklich fiir sie ein Eingreifen nicht von Vorteil und sie werden es daher unterlassen. Aber in einem spateren Zeitpunkt werden sie freilich eingreifen. Denn je kiirzer allmahlich durch den Zeitablauf die fiir die Verwirklichung der Preissteigerung vorausgesehene Spanne wird, um so geringer wird die Abzugsquote, die die zukiinftigen Preise durch Diskontzinsen erleiden und die Indifferenzgrenze erhoht sich infolgedessen. Es kommt also fruher oder spater der Augenblick, in dem die zukiinftigen Preise, mbgen sie auch zunachst niedriger gewesen sein, hoher zu werden beginnen als die gegenwartigen. Von da an beginnt ein Eingreifen fiir die Spekulanten vorteilhaft zu sein, und wir konnen annehmen, daB sie eingreifen. Infolge des Voraussehens einer zukiinftigen Preissteigerung greifen demnach die Spekulanten jedenfalls ein, und zwar greifen sie sofort ein, wenn die gegenwartigen Preise der Produkte im Augenblick der Voraussage niedriger sind als die angegebene Indifferenzgrenze, wahrend sie hingegen in einem spateren Zeitpunkt eingreifen, wenn sie vorliiufig hoher sind. Um die Einkaufe, von denen hier die Rede ist, durchzufuhren, benotigen sie Kapital. Ihr Gesamtbedarf an
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Kapital hangt demnach von der Hohe ihrer Einkaufe ab, die sie vornehmen miissen, um die Preise der Produkte bis zu ihrer Indifferenzgrenze zu steigern. Aber ebenso wie die Handler, werden sie diesen Bedarf zum Teil durch eigene Mittel und zum Teil durch Darlehen decken. Dieser zweite Teil bedeutet eben ihre Nachfrage nach Bankdarlehen. — 7. Aber wenn es auch vier Gruppen von Darlehensnachfragen gibt, die vom Geldmarkt ausgehen, treten doch alle vier nicht immer gleichzeitig auf dem Markte auf. In stabilen Gleichgewichtspositionen haben die Produzenten und die Handler keine Veranlassung, ihre Erzeugung oder ihren Warenvorrat zu erhohen, bzw. zu vermindern; aber immerhin erzeugen sie in einem bestimmten AusmaB und halten Vorrate in einem bestimmten Umfange, sie benotigen also Bankdarlehen. Nicht so die Verbraucher und die Spekulanten. Sobald der Diskontsatz gleich dem ZinsfuB ist, haben die Verbraucher als Masse keinerlei Veranlassung, zum Kredit zu greifen, um ihren Verbrauch vorzuverlegen; ihre Nachfrage nach Darlehen ist daher gleich Null. Was die Spekulanten betrifft, haben diese, sobald sich der Gutermarkt im Gleichgewicht befindet und nicht irgendeine Preisveranderung in Sicht ist, keine Ursache, einzugreifen und Bankdarlehen anzusprechen. Hatten sie ubrigens in Voraussicht einer Preisanderung eingegriffen und Darlehen in Anspruch genommen, so beendigen sie ihre Operationen und zahlen die Darlehen sofort zuriick, wenn die vorausgesehenen zukunftigen Preise sich einstellen und der Markt die neue Gleichgewichtslage erreicht hat. In stabilen Gleichgewichtspositionen des Marktes ist daher auch die Nachfrage der Spekulanten nach Darlehen gleich Null. Daraus folgt, daB sich die vom Giitermarkt herruhrende Darlehensnachfrage in tjbergangsperioden aus Nachfragen aller vier Kategorien, hingegen in stabilen Gleichgewichtspositionen des Marktes nur aus den Nachfragen der Erzeuger und der Handler zusammensetzt. 8. All dies vorausgesetzt, wollen wir nun darangehen, die grundlegenden Faktoren der Darlehensnachfrage in algebraischen Symbolen darzustellen; wir wollen damit die Elemente erhalten, die notwendig sind, um allmahlich die Gleichung der Gesamtdarlehensnachfrage aufzustellen. Wenn wir mit Qvl die Menge der Produktionsgiiter und personlichen Leistungen, die die Landwirte, Industriellen und Bergwerksbesitzer im gegebenen Zeitraum insgesamt erwerben, und mit Pvl ihre Preise bezeichnen, so ist Qvl. Pvl der Geldwert ihrer Erwerbungen. Wenn wir mit Qv2 die wahrend der gleichen Zeit von den Handlern untereinander ausgetauschten Waren und mit Pp2 deren Preis bezeichnen, so ist Qv2 . Pp2 der Geldwert des Giiteraustausches der Handler. Wenn wir mit QI>S die wahrend der gleichen Zeit von den Verbrauchern erworbenen Giiter und mit PpS deren Preis bezeichnen, so ist QvZ . PpS der Geldwert der Erwerbungen der Verbraucher. Und wenn wir schlieBlich mit Qj, die Summe Qvl + Qv2 + Q9Z und mit Pv den gewogenen Mittelwert der drei Preise bezeichnen, so ist: Qp Pv = Qvl P B l + Qv2 Pvi + + Qj>3 Pj>3- V"on nun an wollen wir der Kiirze halber mit Q„ P„
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den Geldwert des Giiterumsatzes auf dem Markte bezeichnen. Er bedeutet den Bedarf des Giitermarktes an Umlaufsmitteln bei stabilen Gleichgewichtsverhaltnissen fur den betrachteten Zeitabschnitt. Treten plotzlich Storungen dauernder Art auf, so verandert sich dieser Bedarf infolge der Veranderung der ihn bestimmenden Faktoren. Uberdies erleidet er aber wahrend der Ubergangszeit weitere Storungen, die auf das Eingreifen der Spekulanten zuruckzufiihren sind. Wenn von einem gewissen Augenblick an eine dauernde Stoning, welche eine Preissteigerung erzeugen wird, vorhersehbar ist, greifen die Spekulanten, wie wir sahen, friiher oder spater ein und verursachen mit ihren Kaufen eine antizipierte Preissteigerung. Aber zu ihren Kaufen treten noch jene der Erzeuger, der Handler und der Verbraucher hinzu. Infolge ihres Eingreifens wecbseln also die Giiter, ehe sie zu den Verbrauehern gelangen, wenigstens um einmal mehr ihren Besitzer und der Gesamtumfang des Guteraustausches erhoht sich vor allem infolge ihrer Kaufe. AuBerdem bilden aber steigende Preise einen Anreiz fur die Erzeuger, ihre Erzeugung zu steigern und daher Produktionsgiiter in groBerer Menge zu erwerben; fur die Handler, mehr einzukaufen, um ihre Warenvorrate zu vergroBern; und fiir die Verbraucher, mehr einzukaufen, um noch die geltenden Preise auszuniitzen. Aus all diesen Griinden steigen die Preise im Falle einer vorhergesehenen Steigerung uber Pp; infolgedessen steigt der Umfang des Guteraustausches, sei es weil jedes Gut ofter seinen Besitzer wechselt, sei es weil nach und nach eine erhohte Gutermenge verfiigbar wird. Es erhoht sich daher der Geldwert des Giiterumsatzes. Nach alldem steigt demnach in der Ubergangszeit der Umlaufsmittelbedarf des Giitermarktes; und zwar friiher, als sich die Geldstorungen einstellen, die die vorausgesehene Preissteigerung verursachen sollten. Das Umgekehrte gilt fiir den Fall einer vorausgesehenen Preissenkung. 9. AuBer Storungen dauernder Art kann aber der Giitermarkt Storungen vorxibergehender Art ausgesetzt werden, die auf voriibergehende Storungen des Geldmarktes zuriickzufuhren sind. Wenn wir uns an § 5 dieses Kapitels erinnern und fiir die Giiterpreise wiederholen, was wir iiber die Preise im allgemeinen sagten, so wissen wir, daB bei einem Preisniveau Pv fiir jedes abweichende Preisniveau Pvl, das sich infolge voriibergehender monetarer Storungen von der Dauer t als voriibergehende Abweichung von diesem Grundniveau einstellt, die Formel gilt: P <1 + ^ t diese Formel zeigt also — innerhalb der Grenzen, in denen sie anwendbar ist 1 — die theoretischen Preisschwankungen um ein Grundniveau, die unter anderem durch vorubergehende Abweichungen des Diskonts von seinem normalen Satz verursacht wurden. Aus der Formel geht hervor, daB Pvl eine Funktion des Diskontsatzes, des ZinsfuBes und der Storungsdauer ist. Bringen wir diese Funktion in eine allgemeine Form, so 1
Siehe oben § 5 dieses Kapitels.
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schreiben wir: PPl = PP q> (s, i, t), wobei der Wert des (p, wenn s = i ist, gleich 1 ist; wenn s > i ist, ist sein Wert < 1; wenn s < i ist, ist der Wert der Funktion > 1. Aber angesichts der verschiedenen Werte, die die Funktion in den verschiedenen Fallen annimmt, bestimmt der Ausdruck Pv
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keine Nachfrage seitens der Banken und Sparer gegeniibersteht, fallen die Papiere, und wenn ihr Fallen ungerechtfertigt, das heiBt voriibergehend ist, sind damit fur die Spekulanten giinstige Voraussetzungen zum Eingreifen geschaffen. Sie ersetzen dann die fehlenden richtigen Kaufer und erwerben mit ausgeliehenem Geld die angebotenen Papiere, um sie bis zu dem Augenblick zu behalten, da sie wennmoglich mit Gewinn weiterverkauflich sind. Dadureh betatigen sie sioh als Vermittler in der Zeit zwischen den Verkaufern und den eigentlichen Kaufern. Auf einem groBen Markt sind zu jedem Zeitpunkt ungeheure Mengen von Effekten vorhanden, die nicht sofort kaufbereite Banken und Sparer finden und deshalb zunachst von den Spekulanten erworben werden. Beziiglich ibrer Unterbringung zerfallen also die in einem Lande verfiigbaren Effekten in jedem Augenblick in zwei Teile: den einen Teil bilden die Papiere in den Portefeuilles der Banken und Sparer, den andern die Papiere, die sich in den Handen der Spekulanten befinden und daher auf dem Markte fluktuieren. Die Menge der fluktuierenden Wertpapiere schwankt auBerordentlich stark: sie ist sehr gering in Zeiten, in denen wenig Wertpapiere neu ausgegeben werden, die Ersparnisse wachsen und Banken und Sparer zur Zukunft Vertrauen baben. Sie ist hingegen meistens betrachtlich in Zeiten mit starken Neuemissionen oder in Krisenperioden. I n Zeiten, in denen die Spekulanten eine Haussebewegung entfachen, zeigt sieb eine Vermehrung der fluktuierenden Papiere, weil es da leicht vorkommt, daB die Banken und Sparer den Optimismus der Spekulanten nicbt vollig teilen und die hohen Preise ausniitzen, um einen Teil ihrer Papiere zu verkaufen. Sie zeigen hingegen aus umgekehrten Ursachen eine Verminderung, wenn sich die Spekulanten auf eine Baissebewegung festlegen. Aber mag auch ihr Umfang veranderlich sein, so ist docb insgesamt bestandig eine Menge verfugbarer Effekten auf dem Markte vorhanden, zu deren Pinanzierung ein bestandiger ZuschuB von Krediten notwendig ist. Wahrend also die Darlehensnachfrage von seiten der Warenspekulanten nur in den tJbergangszeiten eine Rolle spielt, spielt die Darlehensnachfrage von seiten der Wertpapierspekulanten bestandig eine Rolle, das heiBt, sie bildet ein bestandiges Element der Gesamtnachfr age. 11. Die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes ist in jedem Augenblick gleich der Menge der fluktuierenden Wertpapiere multipliziert mit den bezuglichen Preisen. Sie ist im Gleichgewicht, sobald der Wertpapiermarkt im Gleichgewicht ist. Dies ist dann der Pall, wenn die Papiere mit Preisen notieren, die es fur Spekulanten, Banken und Sparer nicht vorteilhaft erscheinen lassen, neue Kaufe oder neue Verkaufe vorzunehmen. Dazu ist also notwendig: 1. daB der Preis der Papiere gleich ihrem gegenwartigen, zum normalen ZinsfuB kapitalisierten Ertrag sei; 2. daB Spekulanten, Banken und Sparer keine Veranderungen dieser Elemente und damit des Preises der Papiere erwarten; 3. daB der Diskontsatz gleich dem ZinsfuB, d. h. daB der Geldmarkt im Gleichgewicht sei. Daraus folgt, daB sich das Gleichgewicht der Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes verandert, wenn sich einzelne oder alle der fol-
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genden Elemente andern oder ihre Anderung erwartet wird: 1. der normale ZinsfuB; 2. der Ertrag oder das Risiko der Wertpapiere; 3. der Diskontsatz. Die beiden ersten Kategorien von Storungen rufen Veranderungen des Oleichgewichts^xei&es, der Papiere hervor; die dritte laBt ihren ublicheh Preis vorilbergehend verandern. Im ersten Falle ergibt sich eine Verschiebung des Wertpapiermarktes und der ihm entsprechenden Darlehensnachfrage aus einer Gleichgewicbtslage in eine andere; im zweiten eine vorubergehende Abweichung des einen und der andern von der Gleichgewicbtslage. Auch bei der Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes konnen also ebenso wie bei der Darlehensnachfrage iiberhaupt die StQrungen dauernden oder voriibergehenden Charakter haben. Eine dauernde Veranderung des Geldmarktes, z. B. eine Erhohung oder Verminderung der Metallvorrate, verandert den Preis der Wertpapiere, indem er sie von einem bestehenden zu einem neuen Gleichgewichtsniveau verschiebt. In dieser Hinsicht ist aber das Verhalten der Papiere mit festem und mit veranderlichem Ertrag verschieden. Der Preis der ersteren bleibt unter der Annahme, daB der normale ZinsfuB sich nicht andere, in der neuen Gleichgewichtsposition derselbe wie vorher. Der Preis der Papiere mit veranderlichem Ertrag zeigt hingegen die Neigung, sich in derselben Richtung zu verandern wie die Preise der Produkte, und zwar deshalb, weil deren Veranderung von einer gleichgerichteten Veranderung der Ertrage dieser Papiere begleitet wird. Etwas verschieden von den besprochenen sind freilich die Storungen wahrend der Ubergangszeit. Vor allem zeigt die Menge der fluktuierenden Effekten, wie oben gezeigt, die Tendenz, in Zeiten steigender Preise zu steigen und in Zeiten fallender Preise zu fallen. Und nachdem die Darlehensnachfrage von seiten des Wertpapiermarktes in jedem Augenblick gleich ist der Menge der fluktuierenden Papiere vervielfacht mit ihrem Preise, folgt diese Nachfrage im allgemeinen mehr als proportional den Veranderungen der Preise. Ebenso wie die Giiterpreise nehmen die Preise der Wertpapiere mit veranderlichem Ertrag meistens die Veranderungen, die sie durch die voriibergehenden Storungen erleiden sollten, schon vorweg. Ja, wegen der auBerordentlichen Empfindlichkeit des Wertpapiermarktes ist hier die Antizipation groBer als bei den Giiterpreisen, das heiBt, sie geht jener der Giiterpreise voraus. 1 Die Veranderung der 1 Dies geschieht aus folgendem Grund. Die Wertpapiere geben normalerweise einen Ertrag. Wenn jedoch Giiter zu Spekulationszwecken erworben und aufbewahrt werden, geben sie keinerlei Ertrag. Infolgedessen beginnen die Spekulanten im Falle einer erwarteten Preissteigerung Wertpapiere zu kaufen, sobald
^u (1 + s)k > Ft wobei Pf% das erwartete kiinftige Preisniveau der Wertpapiere ist, i deren Ertragsrate* s der Diskontsatz, Pf der gegenwartige Preis der Papiere und i t die Zeit, die vergehen muB, damit die erwartete Preissteigerung eintrete. Bei Giitern haben jedoch die Spekulanten bei erwarteter Guterpreissteigerung (nach dem in § 6 dieses Kapitels Gesagten) erst dann Veranlassung mit ihren Einkaufen zu beginnen, wenn (1 + s)*, * ^v
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Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes erfolgt daher unter Vorwegnahme der Veranderung der Geldverhaltnisse; und da der Geldmarkt durch diese Nachfrageveranderung gezwungen ist, seine derzeitige Gleichgewichtsposition verfriiht zu verlassen, bleibt er wahrend der ganzen Ubergangszeit im Zustand eines gestorten Gleichgewichts. Nun miissen das auch die festverzinslichen Papiere verspiiren. Denn im Falle einer verfruhten Preiserhohung der nicht festverzinslichen Papiere wird der Markt in einem Zustand der Spannung erhalten und die Steigerung des Diskontsatzes, die dadurch eintritt, wirkt auf eine Preissenkung der festverzinslichen Papiere hin. Im Falle einer verfriihten Preisverminderung wird der Geldmarkt in einem Zustand der Depression gehalten, und die Senkung des Diskontsatzes, die dadurch eintritt, wirkt auf eine Preissteigerung dieser Papiere. In den Ubergangszeiten ergibt sich also die Abweichung, daB die Preise der Wertpapiere mit veranderlichem Ertrag zum Steigen tendieren, wenn diejenigen der festverzinslichen zum Fallen tendieren, und umgekehrt. 1 12. All dies vorausgeschickt, gehen wir nunmehr daran, so wie beim Giitermarkt die wesentlichen Faktoren der Darlehensnachfrage von seiten
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zu sein beginnt, wobel P j , 2 der erwartete zukunftige Giiterpreis und Pp der gegenwartige ist. Es ist klar, daB bei der Annahme von Pp2 — Pf% notwendigerweise immer (1 + i)tt PP2 *2 (l + s)k (i + s)k wird. Wenn man also auch annimmt, daB Pp — Pt ist, beginnt die oben erwahnte Ungleichheit bei den Wertpapieren notwendig friiher als bei den Giitern. Aus der Tatsache, daB Wertpapiere, auch wenn sie zu Spekulationszweckeh erworben wurden, einen Ertrag abwerfen und Giiter nicht, ergibt sich also, daB es unter sonst gleichen Bedingungen fiir die Spekulanten vorteilhaft ist, mit dem Erwerb von Wertpapieren friiher zu beginnen als mit dem Erwerb von Produkten, und daB die Spekulanten auch tatsachlich so vorgehen. Daraus erklart sich, warum bei Erwartung von Preissteigerungen der Preis der Wertpapiere fast immer an der Spitze der Bewegung steht. 1 Dieses verschiedene Verhalten der festverzinslichen und der nicht festverzinslichen Wertpapiere in den verschiedenen Phasen der Wirtschaftszyklen ist auch der Grund dafur, warum die Schriftsteller, welche die Beziehungen zwischen den Veranderungen der Wertpapierpreise und der Diskontrate statistisch festzustellen versuchten, nicht zu ubereinstimmenden Ergebnissen gelangten. LAVINGTON (Short and long rates of interest, in: Economica, Nov. 1924, S. 294 u. f.) und vor ihm WILLIAMS (The rate of discount and the Price of Consols, in dem Journal of the Royal Statistical Society, Bd. LXXV, Teil IV, Marz 1912) gelangten auf Grund von Untersuchungen, die sie iiber eine langeReihe von Jahren ausdehnten, fiir England zu dem SchluB, daB zwischen der Diskontrate und dem Preis der Papiere eine inverse Korrelation besteht. OWENS und HARDY (Interest rates and Stock speculations, London) gelangen hingegen auf Grund von Untersuchungen, die sie ebenfalls auf eine lange Reihe von Jahren ausdehnten, fiir die Vereinigten Staaten zu dem SchluB, daB zwar keine bestandige und eindeutige Korrelation bestehe, daB aber die Wertpapierpreise im ganzen dazu neigen, sich in gleicher Richtung wie der Diskontsatz zu verandern. Die Untersuchungen der ersteren bezogen sich eben auf Wertpapiere mit feshm Ertrag (englische konsolidierte Staatsschuld), wahrend sich OWENS und HARDY ausschlieBlich mit Wertpapieren mit veranderlichem Ertrag beschaftigten. Nun hat in der aufsteigenden Phase der Wirtschaftszyklen, in der die festverzinslichen Papiere nach unserer im Texte dargestellten Auffassung fallen und die nicht festverzinslichen steigen, der Diskontsatz meistens die Neigung zu steigen, und in der abfallenden Phase, in der die Preise der beiden Wertpapiergruppen das umgekehrte Verhalten zeigen, die Neigung zu fallen. Die Ergebnisse dieser Autoren fiir beide Gruppen stimmen also mit unseren theoretischen Ergebnissen iiberein. Der Widerspruch zwischen ihren Ergebnissen erschiittert unsere Darlegungen nicht, sondern bestatigt sie vielmehr. Als weitere Bestatigung unseres Ergebnisses siehe die statistischen Untersuchungen von BRESCIANI-TURRONI iiber die Preisgestaltung der beiden Wertpapiergruppen in Deutschland fiir die Zeit von 1894 bis 1910 (Le variazioni cicliche dei prezzi, Palermo 1913, S. 20).
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des Wertpapiermarktes mit algebraischen Symbolen darzustellen. Bezeichnen wir mit T die Menge der in einem bestimmten Zeitabschnitt ausgetauschten Wertpapiere, und mit Pt ihren Preis, dann ist T.Pt (9) der Geldwert der ausgetauschten Wertpapiere. Dieser Ausdruck bedeutet den Umlaufsmittelbedarf des Wertpapiermarktes unter stabilen Gleichgewichtsverhaltnissen in dem betrachteten Zeitabschnitt. 13. Was den Umlaufsmittelbedarf des Wertpapiermarktes unter voriibergehenden Gleichgewichtspositionen anlangt, so geben die voriibergehenden Storungen, denen dieser Markt ausgesetzt sein kann, fast ausschlieBlich auf Geldstorungen, das heiBt auf voriibergehende Veranderungen des Diskontsatzes zuriick. Wir werden uns also nur mit diesen zu beschaftigen baben. Ist ein bestimmtes Anfangsniveau der Wertpapierpreise Pt gegeben, dann versehiebt jede voriibergehende Abweichung des Diskont- von dem Zinssatz, die die Gleichgewichtsverhaltnisse der Wertpapierpreise fur die Spekulanten und die Banken verandert, ihren Preis vom Anfangsniveau weg und verursacht — in Ubereinstimmung mit unseren Feststellungen bei der Darlehensnachfrage iiberhaupt — voriibergehende Verschiebungen der Preise von dem Grundniveau nach der Formel: „ Jl+_i)t_
* (!+«)< '
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I n dieser Formel bedeutet i die Ertragsrate der Wertpapiere von ihrem anfangliehen Grundpreis Pt (wir bezeichnen diese Ertragsrate mit demselben Buchstaben i wie den ZinsfuB, weil sie bei Gleichgewichtsverhaltnissen mit diesem zusammenfallt); s den Diskontsatz und ( die Dauer der Storung. Aus der Formel geht hervor, daB der Preis der Wertpapiere steigen muB, wenn der Diskontsatz fallt; daB er fallen muB, wenn der Diskontsatz steigt; und daB auf jeden Fall die GroBe dieser Sohwankungen bei gleichen Veranderungen des Diskonts von dem Werte des t, das heiBt von der Dauer der Storung abhangt. Wollen wir diese Beziehungen allgemein ausdriicken, so konnen wir schreiben: Ptl = Pt (px (s, i, t); hiebei bedeutet Ptl die Gruppe der Wertpapierpreise, welche, da sie inf olge voriibergehender monetaren Storungen voriibergehend von dem Anfangsniveau Pt abweichen, sich nahe vom Anfangsniveau stabilisieren konnen. Dieser Ausdruck ist jenem, den wir bei den Giiterpreisen verwendeten, analog; es gelten daher auch fur ihn die dort gemachten Bemerkungen, wobei jedoch betont werden muB, daB die Funktion (px in Wirklichkeit als veranderlicher betrachtet werden muB als die Funktion
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,,Not only are general changes ol prices ol the stock greater, but the temporary fluctuations are much greater than in the prices of commodities." (BURTON, Financial crises, New York 1910, S. 232.)
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Dieser Ausdruok bedeutet den Umlaufsmittelbedarf des Wertpapiermarktes fur den betrachteten Zeitraum entsprechend dem Preisniveau und den Schwankungen um dieses Grundniveau, die die Preise zufolge der voriibergehenden Abweichungen des Diskonts von der Zinsrate erleiden konnen. 14. Nachdem wir die Ausdriicke fiir den Umlaufsmittelbedarf des Gutermarktes und des Wertpapiermarktes getrennt aufgestellt haben, besitzen wir die Elemente, die notwendig sind, um den Ausdruck fiir die gesamte Darlehensnachfrage seitens der beiden Mdrkte aufzustellen. Dazu sind wir jetzt ohneweiters in der Lage. Wenn wir zunachst (8) und (10) addieren, erhalten wir in zwei Teile geteilt die Gesamtnachfrage nach Umlaufsmitteln in dem gegebenen Zeitraum. Wir wissen aber aus dem iiber die Darlehensnachfrage im allgemeinen Gesagten (§ 3 dieses Kapitels), daB dieser Bedarf zum Teil von Umlaufsmitteln, die von Darlehensoperationen unabhangig sind, gedeckt wird. Die Gesamtnachfrage nach Darlehen wird daher auch in diesem Palle gleich sein dem Gesamtbedarf nach Umlaufsmitteln, vermindert um: 1. den Teil (M) der Zirkulation; 2. das Umlaufsmittelvolumen, das durch direkte Investitionen der Banken geschaffen worden ist, wobei auch die Umlaufsgeschwindigkeit'bei den verschiedenen Umlaufsmitteln beriicksichtigt werden muB. Wenn wir also analog wie bei der Darlehensnachfrage im allgemeinen vorgehen, konnen wir schreiben: m — [M.V
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r> = [&> Py 9(«. h m + lT -ptn(*,i,
+ (Te .Pt + Td Pt) F J
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Wir sind damit nach langer Analyse zu der urspriinglichen Gleichung der Darlehensnachfrage zuriickgekehrt, mit dem Unterschied, daB die Darlehensnachfragen seitens der beiden Markte, die in (6) zusammengefaBt waren, in (11) voneinander getrennt sind. Im Sinne unserer obigen Darlegungen bedeutet der erste Teil des zweiten Gliedes von (11) den Geldbedarf des Gutermarktes, und der zweite Teil des zweiten Gliedes jenen des Wertpapiermarktes in dem betrachteten Zeitraum; der dritte Teil bedeutet jenen Teil des Bedarfes, der von Umlaufsmitteln, welche unabhangig von Darlehensoperationen verfugbar sind, befriedigt wird; im ganzen bezeichnet also die Gleichung die Gesamtnachfrage nach Gelddarlehen, die den Gleichgewichtspreisen Pp der Giiter und Pt der Wertpapiere sowie alien Schwankungen um diese Preise herum entspricht, denen die Marktpreise beider infolge voriibergehender Abweichungen des Diskontsatzes vom Zinssatze voriibergehend unterliegen konnen. 1 1 Es mag scheinen, daB diese Art, die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes zu bestimmen, mit der vorher aufgestellten Formel unvertraglich sei und zu zahlenmaBig verschiedenen Ergebnissen iuhre. Dem ist jedoch nicht so. Weiter oben haben wir folgenden Grundsatz ausgesprochen: daB die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes gleich ist der Menge der fluktuierenden Wertpapiere multipliziert mit ihrem Preis (siehe § 11 dieses Kapitels). Es ist leicht zu beweisen, daB die eben angewendete Formel zu dem gleichen Ergebnis fuhrt. Greifen wir zu diesem Zweck zu einem zahlenmaBigen Beispiel und stellen wir uns den einfachsten Fall vor: Kaufe und Verkaufe von Wertpapieren, die anstatt zu
Beitrage zur Geldtheorie.
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15. Die derart gefundene und dargestellte Gesamtnachfrage nach Darlehen besitzt gewisse Eigenschaften, auf welche aufmerksam gemacht •werden soil. Da sie aus den beiden oben untersuchten Gruppen zusammengesetzt ist, gehort sie zu jenem Nachfragetypus, den die Nationalokonomen Terminen taglich liquidiert werden. Betrachten wir also einen bestimmten Markt wahrend eines Zeitraumes von 60 Tagen. Nehmen wir an, daB wahrend dieser Zeit 30 Millionen Stuck Effekten umgesetzt werden und daB ihr Durchschnittspreis 100 Lire sei. Das Produkt T . Pt unserer Gleichung wird sein: 30 Millionen 100 = 3 Milliarden Lire. Und nun nehmen wir an, daB von den 30 Millionen umgesetzten Stiicken 1 Million wirkliche Stiicke verkauft wurden von Sparern, die sie tatsachlich besaBen, von neuen Gesellschaften, die sie zum erstenmal ausgaben, und von Spekulanten, die sie vorher mit Bankkredit gekauft hatten und sich nun durch den Verkauf von ihrer Schuld gegentiber der Bank befreien wollen. Die iibrigen umgesetzten 29 Millionen Stuck stellen dann nichts anderes dar als ein sukzessives Hin- und Herwandern dieser 1 Million Stiicke. Von dieser 1 Million wurden nun 500000 Stuck, die auf dem Markte erschienen, von wirklichen Sparern erworben und seien daher nicht dazu bestimmt, wenigstens im Laufe der nachsten zwei Monate wieder aul dem Markte aulzutauchen. Die mit eigenem Gelde kaufenden Sparer sind im Besitze jenes Teiles der Umlaufsmittel, die den Borsen unabhangig von Bankkrediten zuflieBen. Die Summe, welche sie fiir diesen Zweck bestimmen, betragt 50 Millionen Lire (500000 x 100) und y'
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stellt in unserer Gleichung die Teilquote — von (M) und von [Te Pt + T<j Pf] dar, die der Borse zuflieBt und in dem betrachteten Zeitabschnitt, da sie nur zu einem einzigen Besitzwechsel von Effekten gedient hat, zumindest hinsichtlich des Wertpapiermarktes eine Umlaufsgeschwindigkeit von Eins hat. Es bleiben noch die anderen 500000 Stuck zu betrachten, die von Spekulanten gekauft wurden und daher den eigentlichen Verkaufern nur durch Zuhilfenahme eines Bankkredits bezahlt worden sein konnten. Da aber der Gesamtwert der Abschliisse 3 Milliarden betragt, von denen die Kaufe der Sparer nur 50 Millionen bilden, so bleiben die iibrigen 2 Milliarden und 950 Millionen auf den sukzessiven Austausch der anderen 500000 Stuck angewiesen, die demnach in den zwei Monaten durchschnittlich 59mal Besitz gewechselt haben miissen. Aber jeder Besitzubergang wird begleitet von einem umgekehrten Ubergang des zur Zahlung verwendeten Umlaufsmittels vom Kaufer zum Verkaufer. In den beiden Monaten werden daher die von den Banken mittels Darlehen an die Spekulanten beigestellten Umlaufsmittel 59 Besitziibergange mitgemacht haben, das heiBt sie werden eine Umlaufsgeschwindigkeit von 59 gehabt haben. Wenn wir nun von (11) den Teil abtrennen, der die Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes bedeutet, um ihn allein zu betrachten, und dabei die algebraischen Symbole durch die obigen Daten ersetzen, so erhalten wir: 30000000 (T) x 100 (P<) — 50000000 \(M . V + [Te Pt + Td Pt] Vx) — 1 11 = L .50000000. 59 ( 7 a ) Nach unserer Gleichung ware die Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes gleich 50 Millionen Lire. Nun kommen wir, wohlbemerkt, auch mit der anderen Formel zu dem gleichen Ergebnis. Denn da in Wirklichkeit die Zahl von 1 Million Stuck verkavift wurde, von denen 500000 von wirklichen Sparern gekauft wurden, bleiben fiir die betrachtete Zeit durchschnittlich 500000 Stuck fluktuierende Papiere tibrig. Und da laut unserer Annahme auch diese einen Durchschnittspreis von 100 Lire haben, wird der Wert der fluktuierenden Papiere genau 50 Millionen Lire betragen. Die beiden Formeln ergeben also das gleiche Resultat. Und wenn wir der ersten, obgleich sie verwickelter ist, den Vorzug geben, so deshalb, weil sie es gestattet, die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes in die allgemeine Darlehensnachfrage einzubauen und sie mit der Theorie des Geldumlaufs in Einklang zu bringen. Der von uns betrachtete einfache Fall kann beliebig erschwert werden. Die Liquidation kann anstatt taglich, wie es iibrigens auf dem New Yorker Markt der Fall ist, wochentlich, vierzehntagig Oder monatlich angenommen werden, wie es vielen europaischen Markten entspricht. Es kann auch angenommen werden, daB die Zahlungen in den verschiedenen Borsen durch Clearinghauser vorgenommen werden, so daB nur die Saldi tatsachlich bezahlt werden. Hiedurch werden sich die Daten der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zahlenmaBig andern, und der Wert der umgesetzten Effekten wird dann anders berechnet werden miissen. Aber das schlieBliche Ergebnis wird im wesentlichen das gleiche sein, und die tatsachliche Darlehensnachfrage wird wiederum gleich sein dem Geldwerte der fluktuierenden Wertpapiere. Aus alledem ergibt sich, daB sich die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes nur andern kann, soweit sich die Menge der fluktuierenden Papiere Oder ihr Preis Oder beides andert. Die Menge der fluktuierenden Papiere kann sich entweder andern, weil neue Verkaufe
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zusammengesetzte Nachfragen nennen. 1 Und als eine solche bestimmt sich ihr Gesamtumfang in jedem Augenblick im Zusammenhang mit den Gesetzen jeder der beiden Nachfragenkomponenten und den Wirkungen und Gegenwirkungen, die sie bei ihrer gegenseitigen Anpassung aufeinander ausiiben. Die Gesamt-Darlehensnachfrage befindet sich natiirlich in stabilem Gleichgewicht, sobald sich die beiden Nachfragekomponenten in stabilem Gleichgewicht befinden; und dies ist der Fall, wenn gleichzeitig auf dem Giitermarkt, dem Wertpapiermarkt und dem Geldmarkt Gleichgewicht besteht. Daher ist der Umfang der Gesamtnachfrage bei stabilen Gleichgewichtspositionen gleich dem Umfange, den die beiden Nachfragekomponenten zusammen bei denjenigen Giiter- und Wertpapierpreisen zu erreichen trachten, bei welchen in Einklang mit ihnen und alien anderen Bedingungen die Zins-, Profit-, Diskont- und Wertpapierertragsraten untereinander gleich sind.
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seitens der Sparer oder der Banken oder neue Emissionen seitens der Handelsgesellschaften durehgefuhrt werden, oder weil sich der Teil der TJmlaulsmittel, der unabhangig von Barlehensoperationen zur Verfiigung steht, verandert. Uberdies ergibt sich, daB Umsatze zwischen reinen Spekulanten die Darlehensnachfrage nur insoweit beeinllussen, als sie etwa von Preisveranderungen begleitet sind. Denn die Umsatze zwischen Spekulanten heben einander in ihren Wirkungen gegenseitig aui. Der Spekulant, der vorher Bankdarlehen aufnehmen muBte, um Papiere kaufen zu konnen, tilgt diese Darlehen in dem Augenblick, in dem er die Papiere verkauft. In dem gleichen Augenblick muB aber der neue KauferSpekulant, um die gekauften Papiere zu bezahlen, ein Bankdarlehen erhalten. Der Name des Schuldners wechselt, das Darlehen bleibt. Das, was fur das eine Verkaufer-Kaufer-Paar gilt, gilt auch fur alle anderen. Der Umlang der bisher bestandenen Darlehen bleibt also unverandert; er andert sich hochstens insoweit, als etwa ein AbschluB, der zu einem anderen Preis als vorher getatigt wurde, bei dem neuen Kaufer ein hoheres oder niedrigeres Darlehen erfordert als jenes, das vom Verkaufer getilgt wird. Bei einer Haussebewegung steigt also die Nachfrage nach Darlehen, auch wenn die Zahl der Jluktuierenden Papiere nicht steigt, denn jeder neue Kaufer-Spekulant kauft zu einem hoheren Preis als sein Vorganger und muB sich ein groBeres Darlehen verschaffen als jenes, das vom Verkaufer getilgt wird; dieser Unterschied stellt ungefahr dessen Profit dar. Aber in Zeiten steigender Preise zeigt auch die Zahl der fluktuierenden Papiere, wie wir sahen, die Tendenz zu steigen. So erhalt die Darlehensnachfrage eine steigende Tendenz, weil sowohl die fluktuierenden Papiere wie ihre Preise zunehmen. Und nur zum Teil kann diese Steigerung der Nachfrage wettgemacht werden durch die Tatsache, daB in solchen Zeiten ein Teil der Umlaufsmittel, die unabhangig von Kreditoperationen verfugbar sind, leicht vom Giitermarkt abgezogen und auf den Wertpapiermarkt geworfen wird. — Das Umgekehrte gilt fur den umgekehrten Fall einer Baisse-Bewegung. (Siehe iiber all dieses: FANNO, La funzione dei riporti nelle operazioni di borsa, Genua 1907; FANNO, Le banche e il mercato monetario, Teil I, S. V I I ; in dem gleichen Sinne siehe auch: RICBTER-ALTSCHAFFER, Some theoretical aspects ol Stock-market speculation, in: The Journal of Political Economy, April 1931, S. 232 u. i.) Unsere Ergebnisse werden durch die neueren Erfahrungen in den Vereinigten Staaten bestatigt. Die Anleihen der Federal Banks an die Stock-brokers konnen als ein annahernder Mafistab der von Wall Street benbtigten Kredite betrachtet werden. Nun, von Januar 1926 bis September 1929, in der Zeit ungeziigelter Steigerungen, steigen diese Darlehen von 3513 Millionen Dollar auf 8549, um im Dezember 1930 auf 1893 und im Dezember 1931 auf rund 500 Millionen Dollar zu fallen. (Facts and figures relating to the American money market, New York 1931, S. 82.) Die Ausfuhrungen dieser Note reichen allein hin, um die neuerlich von ROGERS aufgestellte These zu widerlegen (The effect of stock speculation on the New York money market, in: The Quarterly Journal of Economics, Mai 1926, S. 452 u. ff.), nach der die New Yorker Borsenspekulation keinen fuhlbaren EinfluB auf den amerikanischen Geldmarkt ausube, weil jeder Ubergang von Wertpapieren infolge des dortigen Systems der taglichen Liquidierung Umlaufsmittel nur fur wenige Stunden mit Beschlag belege. Das Obige geniigt aber auch, um die Ansichten anderer Autoren zu widerlegen, die ebensowenig annehmbar sind; wir konnen auf sie hier nicht naher eingehen und verweisen diesbeziiglich auf die erschopfende Darstellung von MACHLUP, Borsenkredit, Industriekredit und Kapitalbildung, Wien 1931, Kap. V, S. 73—100. 1
MARSHALL, Principles usw., Anm. 1 auf S. 100.
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Tritt irgendeine Storung ein, so wird natiirlich das Gleichgewicht beeintrachtigt, die beiden Teil-Nachfragen und somit die Gesamtnachfrage verandern sich. Ihre Veranderung hangt aber hauptsachlich von den Veranderungen des Geldbedarfes der beiden Markte ab 1 und diese Veranderungen hangen ihrerseits von der Natur der Storung ab. I m Falle dauernder Storungen verschieben sich die Wertpapierpreise wahrend der Ubergangszeit im allgemeinen friiher als die Giiterpreise (siehe § 11 dieses Kapitels). Der Geldbedarf des Wertpapiermarktes verschiebt sich also friiher als jener des Giitermarktes, und die Darlehensnachfrage des ersteren verandert sich infolgedessen friiher als jene des zweiten. Im Falle voriibergehender Storungen verandert sich, wie wir sahen, der Giiterpreis nur auBerst wenig (siehe § 9 dieses Kapitels). Daher verandert sich der Geldbedarf des Giitermarktes nur auBerst wenig. Seine Nachfrage kann in bezug auf voriibergehende Veranderungen des Diskonts als wenig elastisch angesehen werden. Was die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes betrifft, so ist folgendes zu erwagen. Die Menge der fluktuierenden Papiere, die sich im Falle spekulativer Hausse- und Baissebewegungen meistens, wie wir sahen, in der gleichen Riehtung wie die Preisverschiebungen zu verandern tendierte, tendiert auch im Falle voriibergehender Geldstorungen dazu, sich zu verandern, aber meistens im umgekehrten Sinne wie die Preise. Denn wie wir im folgenden Kapitel zeigen werden, verkaufen die Banken Wertpapiere, sobald der Diskontsatz steigt; und eben diese Verkaufe sind es, welche wenigstens zum Teil zum Sinken der Wertpapierpreise im eben angegebenen Sinne fuhren. Wenn wir uns dies vor Augen halten und uns an (11) erinnern, so sehen wir, daB auf dem Wertpapiermarkt eine voriibergehende Diskonterhohung die Tendenz hat, gleichzeitig folgende Wirkungen hervorzurufen: 1. eine Verminderung von Pt; 2. eine Erhohung von T; 3. eine Verminderung von Te und Ta. Die Storung 1 bewirkt eine Verminderung der Darlehensnachfrage des betreffenden Marktes; die beiden anderen Storungen bewirken ihre Erhohung. Die Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes wird daher schlieBlich die Tendenz haben, zu sinken oder zu steigen oder gleich zu bleiben, je nachdem, ob die Verminderung von Pt proportional groBer oder kleiner 1 Ich sage: „hauptsachlich", weil die Darlehensnachfrage der beiden Markte auch dadurch verandert werden kann, daB sich die Verteilung der unabhangig von Darlehensoperationen verfiigbaren Umlaufsmittel zwischen den beiden Markten verandere. Wenn das Publikum infolge einer plotzlichen verstarkten Spekulationsgier einen Teil der Umlaufsmittel, iiber die es verfugt, vom Gutermarkte abzieht, um ihn auf den Effektenmarkt zu werfen, so wird sich in dem Augenblick, in dem die Ubertragung erfolgt, auf dem einen Markte eine Tendenz zur Verminderung, auf dem andern eine solche zur VergroBerung der Darlehensnachfrage einstellen. Aber mit den Storungen, welche sich aus derartigen Veranderungen ergeben und die meistenteils beim Ablaut der verschiedenen Phasen der Wirtschaftszyklen auftreten, wollen wir uns — wenigstens augenblicklich — nicht beschaftigen. Die Unterteilung der Darlehensnachfrage und der gesamten Umlaufsmittel in zwei Teile, von denen der eine zum Giiter- und der andere zum Wertpapiermarkt gehort, wurde von uns bereits in der italienischen Ausgabe der vorliegenden Arbeit 1912 eingefilhrt. Sie hat — mag sie auch nicht vollig mit ihr iibereinstimmen —• manchen Anknupfungspunkt mit der kurzlich von KEYNES gemachten Unterscheidung zwischenlndustria I circulation und Financial circulation. (Siehe K E Y N E S , A treatise on money, Bd. I, S. 243 u. ff.)
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als die anderen Faktoren oder ihr gleich ist. Und so kann es zu der Abweichung kommen, daB eine voriibergehende Erhohung des Diskontsatzes keine Verminderung, sondern eine voriibergehende Erhohung der Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes hervorruft. Diese Abweichung ist aber genau betrachtet mehr scheinbar als wirklich. Die Banken vergrbBern durch den Verkauf ihrer Papiere ihre verfugbare Geldmenge und konnen daher neue Darlehen gewahren. Anderseits miissen sie aber, um diese Papiere verkaufen zu konnen, den Spekulanten die zu ihrem Ankauf notigen Mittel beistellen, das heiBt, ihnen jene Darlehen gewahren, zu deren Gewahrung sie durch den Effektenverkauf fahig wurden. Diese Verkaufe erhohen also zwar auf der einen Seite die Menge der fluktuierenden Papiere und wirken im Sinne einer Ausdehnung der Darlehensnachfrage; auf der andern Seite aber wirken sie, da die Banken zur Ermbglichung dieser Verkaufe dem Wertpapiermarkt die ihnen verfiigbar werdenden Geldmittel zur Verfiigung stellen miissen, im Sinne einer Ausdehnung des Darlehensangebotes. Was also aus diesen verschiedenen Stbrungen zuletzt als ein die monetare Lage veranderndes Element iibrig bleibt, ist die Preissenkung, die auf nichts anderes hinauslauft als auf eine verminderte Geldspannung des Wertpapiermarktes, d. h. im wesentlichen auf eine Verminderung seiner reinen Darlehensnachfrage. Wenn wir also die Nachfrageschwankungen von jenem Teil von ihnen reinigen, die durch die gleichgerichteten Angebotsveranderungen ausgeglichen werden, so tendiert die reine Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes unter sonst gleichen Bedingungen dazu, infolge einer zeitweiligen Diskonterhohung zeitweilig zu sinken. Analog tendiert sie aus umgekehrten Ursachen im Falle seiner voriibergehendeh Senkung dazu, zu steigen. Das AusmaB, in dem sie sich in den einzelnen Fallen verandert, das heiBt ihre Elastizitat, hangt ab von dem AusmaB, in dem sich die Wertpapierpreise verandern, das heiBt von der Gestalt der Funktion (px. Diese kann nun theoretisch durch die oben angegebene Formel, welche die Gleichwertigkeit der gegenwartigen Wertpapierpreise im Verhaltnis zu ihren kiinftigen Preisen ausdriickt, als theoretisch bestimmt angenommen werden. Man kann daher annehmen, daB der Elastizitatskoeffizient der Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes durch diese Formel bestimmt ist. Da sich hingegen die Darlehensnachfrage seitens des Giitermarktes weniger stark verandert, als dies die Formel mit sich brachte, kann man also unter Berucksichtigung alles dessen annehmen, daB die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes in bezug auf voriibergehende Veranderungen des Diskontsatzes elastischer ist als jene des andern Marktes. Um zusammenzufassen, haben also die beiden Darlehensnachfragen zwei wesentliche Eigenschaften, und zwar: 1. daB sich im Falle dauernder Stbrungen die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes wahrend der Ubergangszeit friiher verandert als jene des Giitermarktes; 2. daB im Falle voriibergehender Stbrungen des Diskonts die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes elastischer ist als jene des
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andern Marktes. Aus diesen beiden wesentlichen Eigenschaften ergeben sich wichtige SchluBfolgerungen. Aus der Tatsache, daB sich die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes friiher verschiebt als jene des Giitermarktes, ergibt sich, daB sich die Gesamtnachfrage wahrend der ganzen Ubergangszeit nicht kraft des gleichzeitigen Eingreifens dieser beiden Nachfragegruppen erhoht oder vermindert, sondern daB sie sich vielmehr in einem ersten Abschnitt nur kraft des Eingreifens der Nachfrage des Wertpapiermarktes, und in einem zweiten Abschnitt nur kraft des Eingreifens auch der Nachfrage des andern Marktes erhoht oder vermindert. Nun bestehen die Zyklen, die den Gang der modernen Wirtschaft charakterisieren, bekanntlich aus zwei deutlich getrennten Phasen, einer ansteigenden und einer absteigenden, wobei normalerweise in beiden die Bewegung des Wertpapiermarktes, wie gesagt, die Tendenz hat, jener des Giitermarktes vorauszueilen. Daraus folgt, daB im Ablauf jedes Wirtschaftszyklus' die auf- und die absteigende Phase der Darlehensnachfrage der beiden Markte nicht miteinander ubereinstimmen, sondern meistens zeitlich auseinanderfallen und sich derart iiberlagern, daB das Nachfragemaximum des Wertpapiermarktes bereits uberschritten ist, wahrend die Nachfrage des andern Marktes noch die aufsteigende Linie einhalt. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen, und zwar: 1. daB sich die Veranderungen der Gesamtnachfrage auf einen langeren Zeitraum verteilen und daher allmahlicher vor sich gehen, als dies sonst der Fall ware; und 2. daB der Geldmarkt infolgedessen weniger tiefgreifenden Schwankungen mit weniger betonten Punkten der groBten Anspannung und der groBten Depression ausgesetzt ist. Und zwar gilt dies alles kraft der Raschheit, mit welcher der Wertpapiermarkt den Veranderungen der Konjunktur folgt. Man kann daher sagen, daB der Wertpapiermarkt kraft seiner raschen Veranderungsfahigkeit im Ablauf der Wirtschaftszyklen als regelnder Markt fungiert, der die verfugbaren Gelder in den Augenblicken aufnimmt, in welchen der Gutermarkt nicht in der Lage ist, sie aufzunehmen, um sie diesem in den Augenblicken, in denen er ihrer wieder dringender bedarf, zur Verfiigung zu stellen; auf diese Weise mildert er auch die Storungen des Geldmarktes. Es ergibt sich jedoch noch etwas anderes. Zu Beginn der aufsteigenden Phase steigt die Nachfrage des Wertpapiermarktes, wahrend wegen der anhaltend stockenden Darlehensnachfrage des Giitermarktes der Diskontsatz gedruckt bleibt. Sobald spater die erstere Nachfrage nach Uberschreitung ihres Hohepunktes zu sinken beginnt, wahrend jene des anderen Marktes fortgesetzt in Ausdehnung begriffen ist, wird der Diskontsatz infolge dieser Ausdehnung aller Wahrscheinlichkeit nach eine steigende Tendenz aufweisen. I n der Anfangsphase steigt also die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes, wahrend der Diskontsatz gleich oder fast gleich bleibt; in der darauffolgenden Phase fallt sie, wahrend der Diskontsatz steigt. Und so hat die Tatsache, daB der Wertpapiermarkt in seinen Bewegungen dem andern Markt vorausgeht, folgende zweite Konsequenz: daB die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes, anstatt sich eben so wie jene des Giiter-
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marktes im gleichen Sinne wie der Diskontsatz zu verandern, sich mindestens wahrend eines Teiles des Ablaufs der auf- und absteigenden Phasen in inversem Sinne verandert. 1 Was den zweiten Punkt, namlich die verschiedene Elastizitat der Darlehensnachfragen des Wertpapier- und des Giitermarktes anlangt, so ergibt sich auch daraus eine wichtige SchluBfolgerung. Es ergibt sich aus ihr, daB jegliche voriibergehende Veranderung der Lage und damit der Geldspannung die Darlehensnachfrage des ersten Marktes starker zu verandern tendiert als jene des andern. Das bedeutet aber weiters: daB die voriibergehenden Veranderungen des Kreditumfanges und der Zirkulation meistens auf Kosten des Wertpapiermarktes erfolgen. Infolge dieser auBerordentlichen Empfindlichkeit des Wertpapiermarktes gegenuber voriibergehenden Veranderungen der Geldspannung nimmt er in Augenblicken groBer Geldfliissigkeit den GeldiiberschuB auf, wahrend er ihn in Zeiten von Geldknappheit wieder auf den Geldmarkt wirft. Dadurch erspart er aber dem Geldmarkt in dem ersten Ealle eine zu schwere Depression, im zweiten eine zu starke Anspannung. Er bewirkt es also, daB sich bei jeder voriibergehenden Einengung oder Ausweitung der verfiigbaren Gesamtgeldmenge das Gleichgewicht des Marktes ohne allzu starke Verschiebungen des Diskontsatzes und damit ohne betrachtliche Veranderungen der Geldspannung auf dem Giitermarkte wiederherstellt. So erfiillt der Wertpapiermarkt, der, wie wir sahen, bei der Aufeinanderfolge auf- und absteigender Phasen als regelnder Markt fungiert, bei voriibergehenden Geldstorungen eine ahnliche Aufgabe; um den Preis seiner eigenen Unstabilitat sichert er dem Giitermarkt eine wenn auch nicht v5llig gleichbleibende, so doch verhaltnismaBig wenig veranderliche Geldspannung.
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1 DaB die Darlehensnachfragen der beiden Markte im Verhaltnis zu den Veranderungen des Diskontes in den aul- und absteigenden Phasen der industriellen Zyklen einen entgegengesetzten Verlauf nehmen, ergibt sich War aus den Statistiken der Darlehen der Amerikanischen Nationalbanken in dem Zeitraum von 1901 bis 1914. Angesichts des Aulbaues und der Einrichtung des amerikanischen Geldmarktes kann man annehmen, daB die von den New Yorker Nationalbanken ausgegebenen Darlehen vorwiegend dem Wertpapiermarkt zugute kamen, wahrend die Nationalbanken aufierhalb New Yorks vorwiegend an den Gutermarkt Darlehen gaben. Die Kurven des Umfanges dieser Darlehen konnen daher im ganzen und groBen als bezeichnend fur die Darlehensnachfrage der beiden Markte angesehen werden. Diese Kurven zeigen nun ein ausgesprochen entgegengesetztes Verhalten. Sobald die Darlehenskurve der New Yorker Banken steigt, fallt jene der anderen Banken, und umgekehrt. Legt man iiber diese beiden Kurven die Kurve des Diskontsatzes des New Yorker Marktes fur vier- bis sechsmonatige Darlehen (wobei diese Kurve ebenso wie ilbrigens die anderen beiden von dem betreffenden trend gereinigt sind), so ergibt sich bei der Diskontund bei der New Yorker Darlehenskurve die Tendenz, sich im entgegengesetzten Sinne zu bewegen, und bei den Darlehenskurven der Banken auBerhalb New Yorks und bei der Diskontkurve die Tendenz, sich in gleicher Richtung zu bewegen; dies bestatigt also die im Texte deduktiv gewonnenen Ergebnisse. (Siehe beziiglich der Darlehen der Nationalbanken: YOUNG, An Analysis of Bank Statistics for the United States, S. 29—31; und beziiglich der Diskontsatze: SNYDER, Business cycles and business measurement, New York 1927, S. 309.)
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Drittes
Kapitel.
Das Angebot an Bankdarlehen. 1. Das Angebot an Bankdarlehen ist gleich dem von den Banken geschaffenen Kreditvolumen, vermindert um jenen Teil, der von ihnen durch direkte Investitionen in Wertpapieren geschaffen wurde. Wenn wir uns die bisherigen Erwagungen ins Gedachtnis rufen, konnen wir das Darlehensangebot durch folgenden Ausdruck darstellen: 1 09 = 18 {7i-
1)] + [D ( W l - 1)] -
[T. Pt + Td Pt]
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Wie man sieht, hangt das Angebot von den Metallvorraten der Emissionsbanken, von den Reserven der Depositenbanken, von den Koeffizienten n und JIX, und von den direkten Investitionen beider Bankengruppen ab. Um die Gesetze, naeh denen sich das Darlehensangebot richtet, festzustellen, geniigt es, die Beziehungen zwischen diesem Angebot und dem Diskontsatz festzustellen. Es mufi jedoeh von Anfang an zwischen normalem und aktuellem Darlehensangebot unterschieden werden. Das normale Angebot ist gleich dem Darlehensvolumen, das der normalen Kreditausdehnung entspricht. Welche Verhaltnisse diese letztere bestimmen, haben wir bereits gesehen. Um nun das normale Angebot zu erhalten, geniigt es, den normalen Umfang der unmittelbaren Investitionen der Banken festzustellen. Die Banken konnen die verfugbaren Betrage entweder in Darlehen oder in Effekten anlegen. Ist der Preis der Effekten niedrig und ihre Ertragsrate unter Berucksichtigung aller Riskenverschiedenheiten hoher als der Diskontsatz, dann ist es firr die Banken von Vorteil, die Darlehen zu verringern und die Investitionen zu vermehren; im umgekehrten Falle ist das Umgekehrte von Vorteil. Aber durch den Kauf oder Verkauf von Effekten rufen sie in dem ersten Falle eine Erhohung, im zweiten eine Verminderung der Preise dieser Papiere hervor, also eine Wiederannaherung ihrer Ertragsrate an den Diskontsatz. Der Vorteil fur die Banken, weiter Papiere zu kaufen, bzw. zu verkaufen, wird geringer, und sobald die beiden Satze wieder miteinander ubereinstimmen, horen naturlich Verschiebungen in ihren Investitionen auf. Der Investitionsumfang, bei dem die Verschiebungen aufhoren, ist der normale Umfang. Man kann also sagen, daB der normale Umfang des Angebots an Bankdarlehen dann gegeben ist, wenn mit Beziehung auf eine bestimmte Hohe der Metallvorrate das Darlehensangebot entspricht: 1. den normalen Reserven der Depositenbanken; 2 2. den normalen Koeffizienten n und TC1 ; 3. den normalen Proportionen der verschiedenen Sorten von Umlaufsmitteln (s. Kap. 1, §6); 4. dem normalen Umfang der Investitionen der Banken in dem eben angegebenen 1 2
Siehe oben 1. Kap., § 6. Angesichts der bestehenden Beziehungen zwischen den verschiedenen Umlaufsmitteln (Kap. 1, § 6) zeigen die Reserven der Depositenbanken unter gewohnlichen Verhaltnissen die Neigung, ein bestimmtes Verhaltnis zu den Metallvorraten der Emissionsbanken aufrechtzuerhalten. Im Sinne der Ausluhrungen des Textes mussen also die Reserven der Depositenbanken als normal angesehen werden, wenn sie dieses Verhaltnis aulweisen.
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Sinne. Daraus folgt a) daB jeder bestimmten Hohe der Metallvorrate in jedem Augenblick unter sonst gleichen Bedingungen ein bestimmtes normales Darlehensangebot entspricht; und b) daB sich, wenn sich jene verandern, dieses unter sonst gleichen Bedingungen in der gleichen Bichtung proportional verandert. Das normale Angebot kann sich jedoch auch infolge Veranderungen des normalen Wertes der ubrigen Koeffizienten und Faktoren — naturlich nur, soweit diese Veranderungen Bestand haben — verandern. Das zu einem bestimmten Augenblick aktuelle Darlehensangebot wird bestimmt von dem Umfang der Darlehen, die von den Banken tatsachlich gewahrt worden und in dem betrachteten Augenblick noch nicht abgelaufen sind. Auf lange Sicht zeigt es eine Angleichung an das normale Angebot des betreffenden Zeitpunktes, und zwar deshalb, weil, wenn es geringer ist als dieses, die Banken vorteilhafterweise den Diskontsatz herabsetzen werden, um durch erhohte Darlehensnachfrage ihr Angebot anzuregen; und wenn es groBer ist, sie vorteilhafterweise den Diskontsatz hinaufsetzen werden, um die Nachfrage einzudammen und das aktuelle Angebot in die Grenzen des normalen zuruckzufuhren. Das aktuelle Angebot kann daher schwanken, sei es infolge einer Veranderung des normalen Angebots, sei es, weil sie dazu gedrangt werden, sich von diesem zu entfernen. I n dem ersten Falle bedeutet die Veranderung des aktuellen Angebots eine Verschiebung aus einer stabilen Gleichgewichtslage in eine andere; in dem zweiten Falle eine vorubergehende Entfernung von einer als unverandert angenommenen Gleichgewichtslage. Wir wollen die beiden Falle gesondert betrachten und beginnen mit dem ersten. Verandert sich das normale Darlehensangebot z. B. infolge einer Veranderung von 8, so wird dadurch das aktuelle Angebot zu groB oder zu klein, und um sich an jenes anzugleichen, wird es sich verkleinern oder vergroBern mussen. Sobald es sich infolge einer konformen Nachfrageveranderung wieder angeglichen hat, wird der Diskontsatz, wie wir bei der Nachfrage gesehen haben, wieder derselbe wie vorher, d. h. er fallt wieder mit der Profit- und Zinsrate zusammen. Aber wahrend des Angleichungsprozesses entfernt sie sich von dieser, und zwar ist sie niedriger in dem Falle, in dem infolge der Erhohung des normalen Angebots das aktuelle zu niedrig ist und sich erhohen muB, und hoher im umgekehrten Falle. Dasselbe gilt, wenn sich anstatt 8 der Normalwert der Koeffizienten TI und ut1 verandert. Man kann daher sagen, daB im Falle von Veranderungen des aktuellen Darlehensangebotes, die auf Veranderungen des normalen Darlehensangebotes zuruckzufuhren sind, zwischen Diskontsatz und Darlehensangebot eine inverse Korrelation besteht. Die vorubergehenden Abweichungen des aktuellen Angebots von dem normalen kann entweder durch vorubergehende Veranderungen der inneren Faktoren des Angebots oder durch vorubergehende Veranderungen der Nachfrage hervorgerufen werden. Die vorubergehenden Veranderungen der ersten Gruppe konnen ebenso wie die dauernden in einer VergroBerung oder Verkleinerung der Koeffizienten 8, D, n oder JI1 bestehen. Eine Ver-
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anderung, genauer eine voriibergehende Verkleinerung von S und D trat zum Beispiel in den Vereinigten Staaten vor dem Kriege gelegentlich der Anspannung des Geldmarktes im Herbst auf. 1 Eine voriibergehende Verkleinerung von nx kann gelegentlich einer Panik eintreten, die die gewohnlichen Banken zwingen mag, den Kredit einzuschranken, um ihre jederzeit falligen Verbindlichkeiten zu verringern und ihre Riicklagen zu starken. In alien diesen Fallen wird der Diskontsatz friiher oder spater steigen. Wir gelangen daher zu dem allgemeinen Satze, daB auch in den Fallen von Verdnderungen des Darlehensangebotes, die auf Verdnderungen der es konstituierenden Memente zuruckziifuhren sind, zwischen Diskontsatz und Darlehensangebot eine inverse Korrelation besteht. Die Darlehensnachfrage kann das -angebot nur in denjenigen Fallen beeinflussen, in denen sie mit Eigenbewegung ausgestattet ist; und dazu kommt es, wie wir sahen, nur: 1. in dentJbergangszeiten von einemPreisniveau zu einem andern; 2. in den Zeitabschnitten, in denen die Profite hoher oder niedriger sind als sonst, was ubrigens gewohnlich die unter 1 genannten tJbergangszeiten sind, und 3. in den Fallen eines voriibergehenden Gleichgewichts mit der Nachfrage. Die Untersuehung dieses Punktes muB sieh daher notwendig auf diese drei Falle beschranken. So oft unter sonst unveranderten Bedingungen die Darlehensnachfrage steigt oder fallt, neigt aus Griinden, die sogleich aufgezeigt werden sollen, auch der Diskontsatz zum Steigen oder zum Fallen. Unsere Aufgabe beschrankt sich also darauf, zu betrachten, welche gegenseitige Korrelationen in den angegebenen Fallen zwischen Diskont und Darlehensangebot bestehen. Um diese Frage zu beantworten, werden wir vor allem untersuchen, welches Verhalten jeder einzelnen Kategorie aus rechnerischen Griinden als das wahrscheinlichste angesehen werden muB, um sodann die Auswirkungen eines solchen Verhaltens auf das Gesamtangebot zu untersuchen. Wenn sich der Diskontsatz erhoht, wird es fur jede einzelne Bank in dem Augenblick, in dem er den Ertragssatz der Wertpapiere um ein Gewisses iibersteigt, vor allem vorteilhaft sein, einen Teil der Papiere zu verkaufen; im umgekehrten Falle wird das Umgekehrte vorteilhaft sein. Es kann daher angenommen werden, daB sich jede einzelne Bank in derartigen Umstanden vor allem bemiiBigt sehen wird, ihr gehorige Effekten zu verkaufen bzw. Effekten zu kaufen. Dadurch gelingt es ihr einerseits die Verwendung ihrer verfiigbaren Mittel derart abzuandern, daB sie den hochstmoglichen Gewinn erzielt, und anderseits ihre fur Darlehen verfiigbaren Mittel bei DiskonterhOhung zu erhohen und bei Diskontsenkung zu verkleinern. 2 Eine Veranlassung so vorzugehen, 1 ALLYN YOUNG, An analysis ol Bank Statistics for the United States, Cambridge (S. U.) 1928, S. 16. 2 Zur Bestatigung unserer Behauptungen im Texte geben wir lolgendes Stuck des Berichtes eines New Yorker Bankmannes wieder: ,,Solche Effekten (mit festem Ertrag) sind in groBem Ausmafi im Besitze von Bankinstituten, welche sie als zweite Reserve halten. Naturlich verkaulen sie diese Institute, wenn Geld nachgelragt und der Diskontsatz hoch ist, und deshalb liegt der Markt dieser Effekten in solchen Zeiten darnieder: sobald der Diskontsatz niedrig ist, tritt das Gegenteil ein. (Brief der Firma Halsey & Co., New York, angefuhrt bei KEMMEREH, Seasonal demand for money and capital, Verbffentlichung der
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besteht sowohl fur die Depositen- wie fiir die Emissionsbanken; in Wirklichkeit sind es aber vorwiegend die ersteren, die daraus einen Gewinn erzielen, weil die anderen ihre Gewinnrechnung oft anders gerichteten Erwagungen unterordnen miissen. 1 Die einzelnen Banken konnen aber auBer durch Aufnahme oder Abgabe von Effekten auch dadurch ihr Darlehensangebot vergroBern oder verkleinern, daB sie den Kredit ausdehnen oder einschranken, ohne ihre eigenen Reserven zu verandern, indem sie eben zulassen, daB sich ihre Koeffizienten 71 und n1 voriibergehend tiber oder unter ihren normalen Wert stellen; und dies deshalb, weil zwar die normalen Koeffizienten 71 und nx fiir jede Bank die vorteilhaftesten Koeffizienten sind, was aber nicht ausschlieBt, daB die Banken, wenn es notwendig ist, voriibergehend mit hoheren oder niedrigeren Koeffizienten ihr Auslangen finden. Und da voraussichtlich keine Bank, wenn sie dazu in der Lage ist, dies unter lassen wird, 2 so konnen wir ohneweiters annehmen, daB die Banken im Falle einer Veranderung der Darlehensnaehfrage, sobald sie die Moglichkeit dazu haben, ihr Angebot wenigstens zum Teil mittels einer Veranderung der Koeffizienten TC und TI1 verandern werden. Da aber das Darlehensangebot seitens der Emissionsbanken wenigstens in Landern mit starker ausgebautem Banksystem vorwiegend subsidiaren und erganzenden Charakter hat, tritt dies bei den beiden Bankgruppen nicht gleich-
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Monetary Commission, S. 217; siehe auch: BRESCIANI-TURRONI, Variazioni cicliche dei prezzi, Palermo 1913, S. 38.) Die von diesen Bankleuten dargestellten Tatsachen werden durch statistische Untersuchungen bestatigt. Fiir die Vereinigtcn Staaten von Amerika Haben wir fiir die Zeit von 1901 bis 1909 ein Diagramm entworfen, in welchem eine Kurve die Indices des mittleren New Yorker Diskontsatzes fiir vier- bis sechsmonatliche Wechsel und die andere Kurve die Indices der Investitionen der New Yorker Nationalbanken darstellt. Die Daten beziiglich des Diskontsatzes wurden der Arbeit von LAVINGTON (Short and long rates of interest, in: Economica, Nov. 1924, S. 296/297) und jene beziiglich der Investitionen der Arbeit von YOUNG (An analysis of Bank statistics for the United States, Cambridge 1928, S. 31/32) entnommen, wobei bei beiden der trend eliminiert wurde. Das Diagramm beweist schlagend, daB die Investitionen zur Steigerung tendieren, wenn der Diskontsatz fallt, und umgekehrt. Eine gleiche Tendenz haben wir bei den Investitionen der englischen Banken zwischen 1905 und 1914 sowie auch zwischen 1914 und 1927, wenn auch mit minder groBer Regelmafiigkeit, festgestellt. 1 Auch die Emissionsbanken greifen, wie wir sehen werden, zu derartigen MaBnahmen. Tatsachlich greift zu ihnen in gewissen Abstanden aber seit langer Zeit die Bank von England, und es greifen zu ihnen in systematischer Weise unter dem Namen von open-market operations die Federal Reserve Banken der Vereinigten Staaten; in beiden Landern aber nicht so sehr zu dem Zweck, ihren Gewinn moglichst zu erhohen, als um damit die Kontrolle fiber den Markt auszuuben. So schreibt ein Autor fiber die Federal Reserve Banken: ,,The profit motive does not in general seem to have been an important consideration in the determination of the open-market operations." (HARRIS, The Federal Reserve Act and Federal Reserve Policies, in: The Quarterly Journal of Economics, Mai 1931, S. 92.) Die open-market operations bestehen in den Vereinigten Staaten nicht nur im An- und Verkauf von Effekten, sondern auch von Bankakzepten seitens der Federal Reserve Banken. In unserer Darstellung meinen wir aber, wenn wir von open-market operations sprechen, nur den An- und Verkauf von Wertpapieren. (Siehe diesbeziiglich: BURGESS, The Beserve Banks and the Money Market, Kap. X I I ; KEYNES, A Treatise on Money, London 1930, Bd. II, S. 260 bis 260; WAGEMANN, Economic Rythm, New York 1930, S. 240.) 2 Im Falle einer Erhohung der Darlehensnaehfrage ist die Bank immer in der Lage, ihr Angebot in der eben bezeichneten Weise zu erhohen, wenn: 1. trotz des Bestehens eines gesetzlichen Hochstverhaltnisses zwischen sofort falligen Bankverbindlichkeiten und Reserven die Bank normalerweise einen niedrigeren Koeffizienten als den gesetzlich zulassigen anwendet, und wenn 2. trotz Nichtbestehens eines gesetzlichen Hochstverhaltnisses die Bank normalerweise einen Koeffizienten anwendet, der niedriger ist als der mit ihrer Stabilitat vereinbarliche Hochstkoeffizient.
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zeitig, sondern zuerst bei den Depositen- und spiiter bei den Emissionsbanken ein. Es ist jedoch einleucbtend, daB die Kreditausdehnung mittels Erhohung der zwei Koeffizienten 71 und TIX bei den beiden Bankgruppen nicht iiber gewisse Grenzen hinausgehen kann. Und das Vorhandensein dieser Grenzen bestimmt die Richtlinien der Kreditpolitik jeder einzelnen Anstalt und bestimmt auch, wie wir sehen werden, die Beziehungen zwischen Darlehensangebot und Diskontsatz. Was vor allem die Depositenbanken anlangt, ist es klar, daB sie ihre Koeffizienten TIX nicht ubermaBig ansteigen lassen konnen, ohne ihre Stabilitat in Gefahr zu bringen. Eine Depositenbank, die ihre Darlehen starker vergroBerte als die anderen, sieht sich aus zwei Griinden einer auBerst raschen Erhohung dieses Koeffizienten ausgesetzt, und zwar: 1. weil in der Erhohung der Darlehen selbst die Tendenz liegt, den Koeffizienten unmittelbar zu erhohen; und 2. weil die Bank, welche in der angegebenen Weise vorgeht, Schuldnerin der anderen Banken wird und daher genotigt ist, einen Teil ihrer Reserven auf diese zu iibertragen. 1 Eine Bank, die sich veranlaBt sieht, ihren Kredit iiber den normalen Umfang hinaus auszudehnen, kann dies also zwar tun, sie muB aber gleichzeitig Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, daB ihr Koeffizientyrj ubermaBig steige. Das angezeigte Mittel dafiir ist die Erhohung des Diskontsatzes. Denn abgesehen von ihren Ruckwirkungen auf die Gesamtnachfrage lenkt diese einen Teil der Nachfrage von der Bank r welche zu dem Mittel greift, von sich ab und den anderen Banken zu. Damit verhindert die erste Bank einerseits, daB der Umfang der von ihr gewahrten Kredite ubermaBig steige, und vermeidet anderseits dadurch, daB sie auch die anderen Banken zwingt, ihrerseits den Kredit auszudehnen, daB ihre eigenen Reserven abnehmen; sie beschrankt also dadurch in doppelter Hinsicht die Erhohung des Koeffizienten n^. Auf diese Art gerat aber jede Bank in die Gefahr, in der sich die erste befand, und wird darum ihrerseits den Diskontsatz hinaufsetzen. SchlieBlich gehen also samtliche Banken so vor wie die erste. Und das Ergebnis wird letztlich eine Erhohung des Gesamtkreditumfangs dieser Banken sein, und daher eine Erhohung ihres Darlehensangebotes ohne oder fast ohne Verschiebung ihrer Reserven, 2 aber mit Erhohung des freien Diskontsatzes. 3 Aus analogen Griinden sinkt das Gesamtangebot an Darlehen 1 PHILLIPS, Bank Credit, New York 1928, S. 2 1 ; LAWRENCE, Borrowed reserves and bank expansion, in: The Quarterly Journal of Economics, Aug. 1928, S. 592 u. ff.; HAWTKEY, Trade and Credit, London 1928, S. 5. 2 D E L VECCHIO, Teoria dello sconto, Anhang zum Giornale degli Economisti, Aug. 1914, §§ 57 und 63; D E L VECCHIO, Grundlinien der Geldtheorie, Tubingen 1930, S. 96/97; K E Y N E S , A Treatise on Money, Bd. II, S. 49. 3 Die Depositenbanken setzen meistens gleichzeitig mit dem Diskontsatz auch ihren EinlagenzinsfuB hinaut, und zwar wenigstens anscheinend in der Hoffnung, dadurch neue Einlagen anziehen und ihre Notenreserve vergrofiern zu konnen. Damit aber samtliche Banken dies erreichten, ware es notwendig, daB sie durch Erhohung des Diskontsatzes eine Erhohung der Gesamteinlagen erzielten. Dies ist nun aber iiberaus zweilelhatt. Eine Erhohung der Gesamteinlagen kann nur entweder auf Kosten der thesaurierten oder der umlaufenden Noten erfolgen. Die Thesaurierung ist eine Folge des MiBtrauens der Thesaurierenden gegen die Banken. Und eine Erhohung des EinlagenzinsfuBes um 1 oder 2 Prozent wird schwerlich imstande sein, dieses MiBtrauen zu uberwinden. Und was die umlaufenden
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und fallt der Diskontsatz, wenn die Nachfrage nach Darlehen sinkt. Wir konnen daher den Satz aufstellen, daB im Falle einer auf Verdnderung der Nachfrage beruhenden Verdnderung des Darlehensangebots, zwischen Darlehensangebot und Diskontsatz eine direkte Korrelation besteht. Und nachdem die Veranderung des Angebots mittels Veranderung des Gesamtkoeffizienten 7tx vor sich geht, besteht zwischen diesem und dem Diskontsatz ebenfalls eine direkte Korrelation. Die eben dargestellten Grundsatze finden jedoch nur Anwendung innerhalb jener Grenzen der Kreditausdehnung, welohe dem mit der Stabilitat dieser Banken vereinbarlichen maximalen Gesamtkoeffizienten entsprechen. Denn es ist klar, daB sich die Banken, sobald jener Koeffizient daran ist, diese Grenzen zu erreichen, bemiihen miissen, seine weitere Erhohung zu vermeiden. Und zu diesem Zwecke steht ihnen bloB der eine oder der andere der folgenden beiden Wege offen: entweder 1. rediskontieren sie bei den Emissionsbanken einen Teil ihres Wechselbestandes, um ihre eigenen Notenvorrate zu starken und mit den verstarkten Bestanden die Darlehen zu vergroBern; oder 2. setzen sie den Diskontsatz weiter hinauf, um den ubrigbleibenden Teil der Darlehensnachfrage zu den Emissionsbanken zu lenken und auf eine Erhohung der Darlehen auf eigene Bechnung zu verzichten. 1 I n beiden Eallen ist das Ergebnis jedoch im wesentlichen das gleiche. Ein Teil der Darlehensnachfrage wird zu den Emissionsbanken gelenkt; und beide Male gerat der Markt unter deren Kontrolle. Gerade hier tritt eben als subsidiares Element das ergdnzende Anbot der Emissionsbanken in das Spiel ein. Denn von der neuen Nachfrage gedrangt, werden diese, wenn die vorgeschriebene gesetzliche Spannung vorhanden ist und wenn sie es iiberdies fur angezeigt halten, schlieBlich meistens die verlangte Darlehenserhohung zugestehen und den Koeffizienten JI ansteigen lassen. Sobald also der Koeffizient TIX im Begriffe ist, die Hochstgrenze zu erreichen, hort er auf zu steigen; an seiner Stelle beginnt jedoch der Noten betrifft, muBte ihr ZulluB zu den Banken die normalen Proportionen zwischen den verschiedenen Umlaufsmitteln veriindern und damit eine Stockung des Tauschverkehrs hervorrufen; daher kann auch dieser ZufluB nicht sehr betrachtlich sein. Alles dies berucksichtigt, kann die Brhohung der Gesamteinlagen insgesamt nur sehr geringfugig sein. Demnach kann jede einzelne Bank, die ihren ZinsfuB erhbht, ihren Biniagenstand nur auf Kosten anderer Banken erhohen. Geht aber eine Bank so vor, dann miissen die tibrigen es ihr gleichtun, um sich zu verteidigen. Und wenn samtliche Banken den ZinsfuB gleichzeitig erhohen, besteht keinerlei Anreiz, dessentwegen der eigene Einlagenstand und die eigenen Reserven aut Kosten der ilbrigen erhbht werden sollten; infolgedessen bleibt die Verteilung beider zwischen den verschiedenen Banken unverandert. Die Erhohung des EiniagenzinsfuBes bewirkt also einerseits, daB ein Teil des Konjunkturgewinns von den Banken aut die Einleger iibertragen wird und bedeutet in letzter Linie eine Vorkehrung zum Schutze der Reserven jeder einzelnen Bank, welche ebenso wie die Erhohung des Diskontsatzes darauf gerichtet ist, in den Grenzen des Moglichen zu verhindern, daB eine Veranderung in der Verteilung dieser Reserven zwischen den einzelnen Banken eintrete. (Vgl. D E L VECCHIO, Teoria dello Sconto, a. a. O., § 57.) 1 In der Wirklichkeit wird der erste Weg gewbhnlich von den Banken des europaischen Festlandes und von den Member Banks des Federal Reserve-Systems befolgt, weil sowohl •die einen wie die anderen grundsatzlich einen Teil ihrer Wechselbestande bei den Emissionsbanken zu rediskontieren ptlegen. Der zweite Weg wird hingegen von den groBen englischen Banken beschritten, welche sich grundsatzlich davon feme halten, sich bei der Bank von England zu verschulden, sondern welche im Gegenteil grundsatzlich deren dauernde Glaubiger sind.
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Koeffizient n zu steigen. Und dank dem Eingreifen der Emissionsbanken ist es moglich, das Gesamtanbot an Darlehen weiter auszudehnen. Una sicb zu schiitzen (die Griinde hiefiir werden sogleicb auseinandergesetzt werden), sehen sich aucb diese Banken bald genotigt, den Diskontsatz hinaufzusetzen. Im Falle einer starken Steigerung der Darlehensnachfrage pflegen also auoh die Emissionsbanken, obgleieh sie im Verhaltnis zu den anderen im Riickstand sind, im allgemeinen das Darlehensangebot zu vergroBern und dabei eine Erhbhung ibres eigenen Koeffizienten in Kauf zu nebmen. Auch fur sie gilt daber fur den untersuchten Fall, daB sieb Darlehensangebot und Diskontsatz im gleichen Sinne verdndem. 2. Jede einzelne Bank verfiigt also, um zusammenzufassen, iiber zwei Mittel, um im Falle einer erhohten Nacbfrage das Darlehensangebot ohne Erhohung der eigenen Reserven zu erhohen, und zwar: 1. den Verkauf von Wertpapieren; 2. die Ausdebnung des Kredits mittels Erbohung des Koeffizienten TC bzw. JTJ. An diesem Punkte angelangt, miissen wir uns freilicb fragen, ob die Verkaufe von Wertpapieren, welche die verfiigbaren Mittel der betreffenden Banken vergroBern, denn auch gleichzeitig die fiir Darlehensgewahrung verfiigbaren Mittel des gesamten Banksystems vergroBern; das heiBt mit anderen Worten, und um die Frage in allgemeiner Form zu stellen, ob Veranderungen des Wertpapierbestandes der Banken in der einen oder in der andern Richtung die Lage des Geldmarktes verandern. Die verkaufenden oder kaufenden Banken konnen sowohl Emissionswie Depositenbanken sein. Die Kaufer oder Verkaufer konnen sowohl Sparer wie Spekulanten sein. Die ersteren besitzen als Kaufer die Mittel, um die Papiere zu kauf en; und als Verkaufer besitzen sie die Papiere, die sie vorher mit eigenen Mitteln gekauft baben. Die anderen miissen sicb als Kaufer diese Mittel, wie wir sahen, durch Bankdarlehen verschaffen; als Verkaufer besitzen sie Papiere, die sie vorher mit Hilfe von Darlehen gekauft haben. Es gibt also, wie man sieht, zablreiche mogliche Falle, und ibnen stehen denn auch nicht immer gleicbe Lbsungen gegeniiber. Die Wertpapierverkaufe seitens einer Bank an Spekulanten erbohen ihre Geldflussigkeit, schaffen aber gleichzeitig eine neue gleich hohe Nachfrage nach Darlehen seitens der Kaufer-Spekulanten. 1 Wenn also die verkaufende Bank eine Emissionsbank ist und die Spekulanten ihre Kunden sind, saugt die neue Darlehensnachfrage bei dieser Bank die vergroBerte Fliissigkeit wieder auf; die Operation ist schlieBlich fiir sie nichts anderes als die Umformung eigener Wertpapiere in ein durch dieselben Wertpapiere sichergestelltes Darlehen; und die Verhaltnisse des Marktes andern sich nicht. Sind die verkaufenden Banken Depositenbanken und die Spekulanten deren Kunden, so sind die Ergebnisse fiir das Banksystem als solches die gleichen. Ist schlieBlich die verkaufende 1 ,,The position is taken that they (open-market operations) are only of limited significance . . . for sales of public securities (seitens der Federal Reserve Banken der Vereinigten Staaten) are followed by an equal amount of rediscounts . . ." (HARRIS, The Federal Reserve Act and Federal Reserve Policies, a. a. O., S. 390). Bereits 1840 wies LLOYD bezuglich der Bank von England darauf hin, dafi „when the Bank sells securities, the public borrows from the Bank . . ." (Bank of Issue, 1840, angefiihrt bei HARRIS, a. a. O., Anm. 1 auf S. 390).
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Bank eine Emissionsbank und sind die Spekulanten Kunden der Depositenbanken, so werden diese zu deren Gunsten fiktive Einlagen schaffen, deren sich die Spekulanten zur Bezahlung der Papiere an die Emissionsbanken bedienen werden, indem sie den Depositenbanken die geschuldeten Betrage in Noten entnehmen. 1 Die verfugbaren Mittel der Emissionsbanken werden groBer. Aber gleichzeitig werden jene der Depositenbanken kleiner. Und schlieBlich wird das Ergebnis von dem Verhalten der ersteren abhangen. Wenn sich diese entschlieBen, ihren Koeffizienten TO unverandert aufrechtzuerhalten und daher die eingenommenen Noten fur neue Darlehen bereitstellen, werden die Depositenbanken in der Lage sein, ihre Reserven mittels eines Darlehens bei den Emissionsbanken unverziiglich wieder aufzufullen. Die vergroBerten Mittel dieser letzteren werden automatisch durch die von ihnen den Depositenbanken und von diesen den Spekulanten gewahrten Darlehen aufgesaugt. Nicht einmal in diesem Falle andert sich die Marktlage. Stehen aber die Emissionsbanken davon ab, den Erlos ihrer Effektenverkaufe fur neue Darlehen zu verwenden, 2 dann werden die Depositenbanken, da sie ihre Reserven nicht wieder auffullen konnen, ihren Kredit mindestens teilweise einschranken miissen; und als Ergebnis wird das Darlehensangebot sinken miissen. Es sinkt in diesem Falle infolge der Einschrankung des gesamten Kreditumfanges, die durch ein Sinken des Koeffizienten n verursacht wurde. Und zwar sinkt es, wenn die Depositenbanken ihren Koeffizienten nx unverandert aufrechterhalten, in einem AusmaBe, das ft^-mal so groB ist wie der Wert der verkauften Papiere. Wenn die Emissions- oder die Depositenbanken Wertpapiere von Verkaufer-Spekulanten, die ihre Kunden sind, erwerben, ergibt sich das Umgekehrte. Auch in diesem Falle also verandert sich das Angebot an Darlehen nicht. Wenn eine Emissionsbank von Spekulanten, die Kunden der Depositenbanken sind, Wertpapiere kauft, gelangen wir zu der Umkehrung der Ergebnisse, zu welchen wir fiir den Fall der Verkaufe seitens dieser Banken gelangten. Wenn also diese ihren Koeffizienten 71 unverandert aufrechterhalten, werden der Gesamtnotenumlauf und das gesamte Darlehensangebot unverandert bleiben. Und wenn hingegen die Emissionsbanken die Papiere kaufen ohne die Bankdarlehen einzuschranken, wobei sie es also zu einer Erhohung ihres Koeffizienten ui kommen lassen, wird sich das Gesamtanbot erhohen; und wenn die Depositenbanken ihren Koeffizienten nx unverandert aufrechterhalten, wird es in einem AusmaBe steigen, das ^ - m a l so groB ist wie der Betrag der gekauften Papiere. — Andere Auswirkungen als die bisher betrachteten treten ein, wenn die Banken die Effekten an Sparer verkaufen. Denn wenn die Verkaufe von Emissionsbanken vorgenommen werden, werden ihnen die Sparer1 In Landern, in welchen wie in England die Depositenbanken gewohnlich Glaubiger der Zentralbanken sind, ist der Vorgang formal verschieden, liihrt jedoch zu den gleichen Ergebnissen. 2 Dies tritt in jenen Fallen ein, in denen die Emissionsbanken nur zu dem Zwecke und mit der Absicht verkaufen, den Gesamtumfang des Kredits einzuschranken.
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Kaufer bei der Zahlung Noten bringen, die sie (es sei denn, sie hatten durch Thesaurierung gespart) den Depositenbanken, bei denen sie ihre Ersparnisse eingelegt hatten, entnommen haben. Die verfiigbaren Mittel der Emissionsbanken steigen, ohne daB eine neue, gleich hohe Darlehensnachfrage entstiinde; und die verkaufenden Banken sind daher in die Moglichkeit versetzt, neue Darlehen zu gewahren, ohne den Kredit auszudehnen. Ob dies aber geschieht oder nicht, hangt auch hier von der Kreditpolitik dieser Banken ab. Wenn sie keine neuen Darlehen gewahren, werden die Depositenbanken ihre Reserven nicht wieder auffiillen konnen und sie werden daher (wenn sie sich nicht dazu bequemen, ihren Koeffizienten jrx zu vergroBern), den Kredit, d. h. das Darlehensangebot einschranken miissen. In diesem sowie in dem analogen Palle, in dem an Spekulanten verkauft wird, vermindert sich also das Darlehensangebot, jedoch in geringerem AusmaB, und zwar genau (7ix — l)-mal so stark wie der Verkaufserlos der Papiere. 1 Genau betrachtet, sinkt es aber auch in diesem Palle, infolge der Einschrankung des Kreditumfangs, die durch das Sinken des Koeffizienten n verursacht ist. Wenn hingegen die Emissionsbanken neue Darlehen genau in der Hohe des Erloses der verkauften Papiere gewahren, steigt das Darlehensangebot, ohne daB der Gesamtumlauf steigt. Man kann allerdings einwenden, daB die Depositenbanken in einer solchen Lage wahrscheinlich an die Emissionsbanken wegen Darlehen herantreten werden, um ihre Reserven wiederherzustellen. Und soweit dies geschieht, wird daher — kann man weiter einwenden — die Vermehrung der verfiigbaren Mittel durch die neue Darlehensnachfrage seitens der Depositenbanken aufgebraucht. Diese haben aber dadurch einen Teil ihrer Reserven verloren, daB wirkliche Einlagen (jene der Sparer, die die Papiere kauften) getilgt warden, wodurch sich also ihre Verbindlichkeiten verringerten. Wenn sie daher jetzt durch selbst eingegangene Darlehen ihre Reserven auf die urspriingliche Hohe bringen, sind sie in der Lage, die von ihnen gewahrten Darlehen zu erhohen, auch wenn sie den Koeffizienten nx unverandert lassen. I n diesem Falle ist der reine UberschuB an angebotenen Darlehen nicht mehr bei den Emissionsbanken verfiigbar, sondern er geht in einem ganz gleichen Betrag in die Verfiigung der Depositenbanken liber. Alles zusammengenommen, steigt also das gesamte Darlehensangebot um den Betrag der von den Emissionsbanken verkauften Wertpapiere. Palls also diese die Wertpapiere an Sparer verkaufen, kann das Darlehensangebot —• zum Unterschied von dem Verkaufe an Spekulanten — steigen, auch ohne daB der Kreditumfang steigt. 1 Dies geschieht aus lolgendem Grunde. Man nehme an, daB die Depositenbanken zusammen Notenbestande von 1000 Millionen und zusammen Verbindlichkeiten (Einlagen) von 10000 Millionen haben, d. h. daB ihr normaler Koetlizient f± = 10 ist. Wenn eine Emissionsbank Wertpapiere um 100 Millionen an Sparer verkauft, heben diese von den Einlagen bei den Depositenbanken 100 Millionen a b ; um den gleichen Betrag sinken deren Reserven, so daB sie also nunmehr 900 Millionen betragen. Ihre Verbindlichkeiten sinken jedoch ebenfalls um 100 Millionen und betragen daher jetzt 9900 Millionen. Um nun in diesem Falle ihren normalen Koeffizienten JI, = 10 wieder herzustellen, miissen die Depositenbanken ihr Darlehensangebot von 9900 auf 9000 Millionen herabsetzen, d. h. also, um einen Betrag (900 Millionen), der (10 —l)-mal so groB ist wie der Betrag der von den Emissionsbanken verkauften Wertpapiere.
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Werden die Verkaufe an die Sparer von Depositenbanken vorgenommen, dann sinken deren wirkliche Einlagen und sinken deren Verbindlichkeiten. Sie sind daher in der Lage, die von ihnen gewahrten Darlehen n m den gleichen Betrag zu erb.6h.en, auch ohne den Koeffizienten n1 zu erbohen. Und auch in diesem Falle erhoht sich das Gesamt-Darlehensangebot des Marktes, ohne daB sich der Gesamt-Kreditumfang erhoht. I n den Fallen, wo die Banken Wertpapiere aus dem Besitze von Sparern kaufen, gilt die Umkehrung der obigen Ergebnisse. Das bedeutet, d a 8 diese Kaufe: 1. eine Verminderung des Darlehensangebots hervorrufen, wenn sie nicht von einer Erhohung der Koeffizienten m, und n1 begleitet werden; 2. das Angebot unberiihrt lassen, aber eine Erhohung des Umlaufs una ihren Betrag hervorrufen, wenn sie von den Depositenbanken vorgenommen und von einer Erhohung des Koeffizienten nx begleitet werden; 3. daB sie eine Erhohung des Umlaufsvolumens und des Darlehensangebotes zulassen, die (TZ1 — l)-mal so groB ist wie wenn sie von den Emissionsbanken vorgenommen und von einer Erhohung des Koeffizienten n begleitet werden. Die Ruckwirkungen sind also viel groBer, wenn diese Wertpapierkaufe von den Emissions-, als wenn sie von den Depositenbanken vorgenommen werden. Und dies ist fur die Kreditpolitik von grundlegender Bedeutung. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daB sich An- und Verkaufe von Wertpapieren seitens der Banken verschieden auswirken, je nachdem, ob: 1. ihre Kaufer oder Verkaufer Sparer oder Spekulanten sind; und ob 2. die Banken den Vorsatz haben, mit solchen Mafinahmen den Gesamtumfang des Kredits und der Zirkulation zu beeinflussen oder nicht. Wenn wir also nunmehr die verschiedenen untersuchten Falle bezuglich der Auswirkungen, von denen sie gefolgt werden, zusammenstellen und sie nach der Starke dieser Auswirkungen anordnen, erhalten wir als Zusammenfassung unserer Untersuchungen folgende Kasuistik: 1) Bei Wertpapierverkaufen seitens der Banken an Spekulanten, welche nicht von einer Veranderung der Koeffizienten TI und TZX begleitet sind, bleiben das Darlehensangebot und der Gesamtumfang des Kredits und der Zirkulation unverandert. Dasselbe gilt, unter sonst gleichen Bedingungen, beim Ankauf von Wertpapieren seitens der Banken von Spekulanten. 2) Bei Wertpapierverkaufen seitens der Banken an Sparer, welche nicht von Veranderungen der Koeffizienten TI und TCX begleitet sind, erhoht sich das Angebot an Bankdarleben, auch wenn sich der Umfang des Kredits und der Zirkulation nicht erhoht. Bei Ankaufen von Wertpapieren aus dem Besitze der Sparer, welche nicht von Veranderungen der beiden Koeffizienten begleitet sind, sinkt das Darlehensangebot, a,uch wenn der Umfang des Kredits und der Zirkulation unverandert bleiben. 1 1 Die deduktive Untersuchung bestatigt daher die in der Bankwelt tibliche Meinung, nach welcher bloB die Wertpapierkaute wirklicher Sparer die Lage der verkaufenden Banken verandem konnen, und wenn hiebei die Banken uber ausreichende Effektenvorrate verfilgen, eine gefahrliche Kreditanspannung verhindem und den Banken die Bewegungsfreiheit zuriickgeben konnen.
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3) Bei Wertpapierverkaufen seitens der Banken an Sparer oder Spekulanten, oder bei Ankaufen seitens dieser von Sparern oder Spekulanten, wobei diese Ver- und Ankaufe von einer Veranderung der Koeffizienten n und nx begleitet sind, verandern sich das Darlehensangebot und das gesamte Zirkulationsvolumen beide im gleichen Sinne. Sie steigen daher beide, sobald der eine oder der andere oder beide Koeffizienten steigen; und im umgekehrten Falle sinken sie beide. Die Steigerung oder Senkung des Darlehensangebots ist jedocb, wenn sie nur von der Steigerung oder Senkung des Koeffizienten n begleitet wird, groBer, sobald auf der Gegenseite Spekulanten als wenn auf der Gegenseite Sparer stehen. Da damit die moglichen Falle erschopft sind, bleibt noch zu erwagen, auf welche von ihnen die Banken bei Anspannung, bzw. bei Depression des Geldmarktes rechnen konnen. In den Fallen der Gruppe 2 hangen die An- und Verkaufe von Effekten von der Entscheidung der Sparer ab, ob sie ihre Anlagen in Wertpapieren vergrbBern oder verringern wollen; diese Entscheidung unterliegt infolge des konservativen Sinnes der Sparer keinen plotzlichen Veranderungen. Bei Anspannung oder Depression des Geldmarktes konnen also die Banken in betiachtlichem Umfang nur auf die Partnerschaft der Spekulanten rechnen, das heiBt auf jene Verkaufe und Ankaufe, welche, wenn sie nicht von einer Veranderung des Kreditumfanges begleitet sind, von sich aus das Gesamtdarlehensangebot und demnach die Marktverhaltnisse unverandert lassen. 3. Wir haben bisher jedoch nur von den unmittelbaren Wirkungen der Ver- und Ankaufe von Wertpapieren gesprochen. Die einen wie die anderen iiben aber auch mittelbare Wirkungen aus, wodurch die endgiiltigen Ergebnisse beeinfluBt werden konnen. Aus den im vorigen Kapitel dargelegten Griinden befindet sich auf dem Markte in den Handen der Spekulanten standig eine fluktuierende Menge von Wertpapieren, welche mit Bankkrediten bezahlt wurden. Wenn nun die Wertpapiere infolge von Verkaufen seitens der Banken fallen, werden die Banken, welche die fluktuierenden Papiere in Report genommen hatten, von den Spekulanten, welche sie in Report gegeben hatten, die Einzahlung des Kursunterschiedes begehren. Und der Eingang dieser Kursunterschiede wird die Lage der Banken starken. In diesem Falle verandern zwar die Wertpapierverkaufe die Marktverhaltnisse nicht unmittelbar, aber sie verandern sie mittelbar. Die Kursunterschiede, welche die Spekulanten, die die Papiere hinterlegten, zahlen miissen, sind in diesem Falle das Mittel, durch welches die in den Verastelungen der Zirkulation zerstreuten, verfugbaren Gelder zu den Banken einberufen werden; durch den Verkauf von Wertpapieren gelingt es ihnen also tatsachlich, ihre verfiigbaren Gelder zu vermehren. Entgegengesetzter Art sind die schlieBlichen Wirkungen von Wertpapierankaufen seitens der Banken, wenn diese mit Kurssteigerungen einhergehen. Denn in diesem Fall erhalten die Spekulanten, welche die Papiere vorher in Report gegeben hatten, von den Banken, welche sie
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in Report genommen hatten, den ihnen zugute kommenden Kursunterschied. Derartige Kaufe verandern also als solche auch nicht die Marktverhaltnisse, sie verandern sie aber in Hinsicht und im AusmaB dieser Kursunterschiede, weil deren Zahlung die Lage der Banken schwacht und ihre fiir andere Darlehen verfugbaren Mittel einschrankt. Wertpapierkaufe oder -verkaufe beeinflussen also die Lage des Geldmarktes nur insoweit fuhlbar, als sie von einer Steigerung oder Senkung der Preise dieser Wertpapiere begleitet sind; und sie beeinflussen sie um so starker, je groBer diese Steigerung bzw. Senkung ist. Nun hangt diese von den Voraussagen und dem Verhalten der Spekulanten ab. Von ihnen hangen daher letzlich die Auswirkungen ab. Sind die Spekulanten in dem Augenblick, in dem die Banken Wertpapiere verkaufen, wenig geneigt, solche zu kaufen, dann werden ihre Preise empfindlich fallen und wenige Verkaufe konnen geniigen, um den Banken bedeutende Summen zuflieBen zu lassen. Sind hingegen die Spekulanten in dem Augenblick, in dem die Banken Papiere verkaufen, auf Hausse eingestellt, so konnen die Verkaufe, auch wenn sie in bedeutendem Umfang vorgenommen werden, keine betrachtlichen Ergebnisse zeitigen und nicht verhindern, da6 sich die Lage der Banken weiter verschlechtere. 4. Nach dem bisher Gesagten sind wir endlich in der Lage, die Funktion der Wertpapierkaufe und -verkaufe seitens der Banken in den verschiedenen Fallen anzugeben. Wie wir sahen, gibt es Falle, in denen derartige Operationen die Marktverhaltnisse nicht andern (Verkaufe an und Verkaufe von Spekulanten ohne entsprechende Veranderung der Preise) und es gibt andere Falle, in denen sie sie wenigstens potentiell fuhlbar verandern (Verkaufe an und Verkaufe von Sparern und auch Spekulanten mit entsprechender Veranderung der Preise). Ich sage: potentiell, weil bei diesen Fallen die schlieBlichen Wirkungen verschieden sind, je nachdem, ob die Koeffizienten n und TIX und damit die Gesamtausdehnung des Kredits sich andern oder gleich bleiben. Und da dies im wesentlichen im Belieben der Banken steht, so konnen sie sich dieser Operationen zu diesem Zwecke bedienen und tun es auch. Im Hinblick auf ihren Zweck konnen demnach diese Operationen in zwei Gruppen geteilt werden: 1. in Verkaufe oder Kaufe, welche von den einzelnen Banken zu dem Zweck vorgenommen werden, den Umfang der fliissigen Mittel fiir Darlehen zu verandern, ohne die Koeffizienten TT und TI1 und damit den Kreditumfang zu verandern, ja geradezu um deren Veranderung zu vermeiden; 2. in Verkaufe, die zu dem Zwecke vorgenommen werden, um den Umfang des Gesamtkredits zu verandern. Wie die Erfahrung lehrt, werden die Operationen der ersten Gruppe gewQhnlich von den Depositenund jene der zweiten Gruppe von den Emissionsbanken durchgefuhrt. Wenn wir nun die Depositenb&nken fiir sich allein betrachten, so verkaufen sie, wie wir sahen, Wertpapiere bei angespannter Lage des Geldmarktes, um ihre fliissigen Mittel zu vergroBern. Freilich gelingt es ihnen, wie wir ebenfalls sahen, nicht immer, mit derartigen Verkaufen die verfugbaren Mittel des gesamten Banksystems tatsachlich zu vermehren. Es ist klar, daB es ihnen in den Fallen, in denen ihnen das nicht 4*
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gelingt, auch nicht gelingen kann, die verfiigbaren Mittel jeder einzelnen Bank zu vermehren. Warum, miissen wir uns fragen, verkaufen dann die Banken bei angespanntem Geldmarkt trotzdem Wertpapiere ? Sie verkaufen sie vor allem, wie wir sahen, urn moglichst hohe Gewinne zu erzielen. Sie verkaufen sie ferner, um die Risken der Kursschwankungen einzuschranken, die in Zeiten der Geldknappheit haufig sind. Sie verkaufen sie aber auch und vor allem aus folgendem Grunde: Jede einzelne Bank, welche Wertpapiere verkauft, hofft ihre eigenen verfiigbaren Mittel zu vergroBern und die Last der Bezahlung der von ihr an die Spekulanten verkauften Papiere auf die anderen Banken abwalzen zu konnen. Dies ware aber nur dann der Fall, wenn sich die Verkaufe auf wenige Banken beschrankten. Dann wiirden aber die anderen Banken Gefahr laufen, ihre Reserven einzubiiBen. Daher werden auch diese, um sich zu verteidigen, gezwungen, ebenso vorzugehen. Wenn aber wieder samtliche Banken Papiere verkaufen, wird das in der angegebenen Bichtung gehende Verhalten jeder einzelnen durch das gleichartige Verhalten aller iibrigen ausgeglichen und zuletzt ist die Lage samtlicher Anstalten die gleiche. Der Verkauf von Wertpapieren seitens der Banken in Zeiten der Geldknappheit wird zwar bei jeder einzelnen durch den Wunsch ausgelost, einen moglichst hohen Gewinn zu erzielen und die verfiigbaren Mittel zu vergroBern; im wesentlichen und endgiiltigen lauft er aber darauf hinaus, daB er ebenso wie die Erhohung des Diskontsatzes und des EinlagenzinsfuBes (wenigstens in den Fallen, in denen er nicht von einer Veranderung des Kreditumfanges begleitet ist) ein Hilfsmittel ist, das die Aufgabe hat, die normale Verteilung der Reserven zwischen den verschiedenen Banken aufrechtzuerhalten. Um zusammenzufassen, haben also die Verkaufe von Wertpapieren seitens der Depositenbanken bei Geldknappheit zwei Funktionen. Die eine ist die eben angegebene; die andere besteht in der tatsachlichen VergroBerung der fliissigen Mittel des Banksystems. Sobald diese Verkaufe nicht mit einer Preissenkung einhergehen, erfullen sie nur die erste Funktion. Sobald sie mit dieser Preissenkung einhergehen, erfullen sie beide Funktionen. Was nun die Wertpapierverkaufe und -kaufe der Emissionsba.nk.en betrifft, so verandern diese den Kreditumfang und dadurch das Darlehensangebot, wenn sie bei ihren Verkaufen nicht bemuht sind, die eingenommenen Noten durch Gewahrung neuer Darlehen wieder in Umlaut zu bringen; und wenn sie bei ihren Kaufen nicht durch Verringerung ihrer Darlehen die Zuruckberufung eines Teiles der in Umlauf befindlichen Noten herbeifuhren. Da aber die Emissionsbanken das gleiche Ergebnis auch durch die Handhabung des Diskontsatzes erzielen konnen, erhebt sich die Frage, warum sie auch zu diesen MaBnahmen greifen. 11 Durch die Handhabung des Diskontsatzes verandern die Emissionsbanken den Umfang des Kredits und damit das Angebot von Darlehen, indem sie die Nachfrage nach Darlehen beeinflussen. Die Wirksamkeit dieser Handhabung hangt also von der Elastizitat der Nachfrage ab. Nun entzieht sich diese der Kontrolle der Banken und ist meistens
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iiberaus veranderlich. In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs ist auch eine betrachtliche Erhbhung des Diskontsatzes nicht imstande, die Nachfrage fiihlbar einzudammen. I n Zeiten allgemeiner Depression ist auch ihre ansehnliche Herabsetzung nicht imstande, die Geschafte wieder zu beleben und die Nachfrage nach Darlehen zu vergroBern. Durch die Handhabung des Diskonts sind also die Emissionsbanken nicht in der Lage, den Umfang des Kredits im gewunschten AusmaB zu verandern; ihre Marktkontrolle ist infolgedessen oft nicht vorhanden oder unbedeutend. Bei der Handhabung des Effektenportefeuilles hingegen verandern die Emissionsbanken das Darlehensangebot, indem sie unmittelbar den Kreditumfang beeinflussen. J e groBer die Menge der Papiere ist, die sie verkaufen, um so groBer ist unter sonst gleichen Bedingungen die Einschrankung des Kredits. Und da die Menge der Wertpapiere, welche in Bewegung gesetzt werden soil, von ihrem Belieben abhangt, sind sie in der Lage, innerhalb der Grenzen der Aufnahmefahigkeit des Effektenmarktes und unter den Schranken, welche weiter unten angegeben werden, mit dieser Handhabung den Kreditumfang zu kontrollieren. DaB dem jedoch Schranken gesetzt sind, ist leicht zu beweisen. Bei Verkaufen kann den MaBnahmen der Emissionsbanken, sobald sich ihre Wirkungen zeigen, von den Depositenbanken entgegengearbeitet werden. Denn wenn die Effektenverkaufe der Emissionsbanken ihre Preise zum Sinken bringen, so starkt diese Senkung die Reserven der Depositenbanken und erlaubt diesen, ihre Darlehen zu vergroBern. I n solchen Fallen kann also die Krediteinschrankung im Verhaltnis zum Wert der verkauften Papiere schlieBlich unbedeutend sein. Vielleicht ist dies der Grund, warum derartige Verkaufe nicht immer das gewunschte Ergebnis haben. 1 Dasselbe kann jedoch auch eintreten, wenn die Emissionsbanken Effekten kaufen. I n diesen Fallen tritt zweifellos zunachst eine VergroBerung des Kredit- und Zirkulationsvolumens ein. Stehen aber die Geschafte still, so werden die derart vermehrten Umlaufsmittel 1 Die obigen Erwagungen gelten unter der Voraussetzung, dafi die Emissionsbanken die durch den Effektenverkauf eingenommenen Noten nicht wieder in Umlauf bringen. Und auch in diesem Falle kann, wie wir ebenfalls sahen, die Mafinahme zum Teil wirkungslos gemacht werden. Wenn sie aber dann — sei es auch aus Ursachen, die auBerhalb ihres Willensbereiches liegen — diese Noten wieder in Umlaut bringen, so kann die Wirkung der Effektenverkaufe offensichtlich geradezu Null werden. Dies ist der Grund, warum sich die open-market operations in den Vereinigten Staaten im ganzen als wenig wirkungsvoll erwiesen. Auf Grund der Statuten des Federal Reserve-Systems haben die member banks innerhalb der in den Statuten selbst niedergelegten Grenzen das Recht auf Rediskont bei den Reservebanken. Sooft diese also Wertpapiere verkaufen, um den Kredit einzuschranken, und damit die Reserven der member banks entbloBen, greifen die letzteren zur Wiederherstellung ihrer Reserven dazu, bei den Zentralbanken zu rediskontieren. Und mittels des Rediskontes bringen diese die zuerst eingezogenen Noten wieder in Umlauf. Solange es also den member banks freisteht zu rediskontieren, kann man nicht erwarten, da8 die openmarket operations besonders wirksam seien. Dies wird von den maBgebenden Seiten zugegeben. So schreibt ein Autor: „As the reserve banks have sold their investments, the volume of re-discounts of member banks with the system has tended correspondingly to increase. So long as member banks may borrow freely from the reserve banks, therefore, it would appear that the open-market operations of the reserve banks may have little effect upon the volume of credit at the disposal of the member banks." (CHANDLER in dem Journal of the New York National Bank of Commerce, Marz 1925, angeftihrt bei K E Y N E S , A Treatise on Money, London 1930, Bd. II, S. 257.)
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zu viel und anstatt in Umlauf zu bleiben, sammeln sie sich in den Kassen der Banken. Solche Wertpapierkaufe fuhren also leicht, anstatt die Wirtschaft anzukurbeln, zu dem Ergebnis, daB sich die Bankeinlagen erhohen, was eine Herabsetzung des Diskonts im Gefolge hat. Auch die Wirksamkeit dieser MaBnahme ist also davon abhangig, welehe Wirksamkeit die Herabsetzung des Diskonts auf die Ankurbelung der Wirtschaft hat. Und wenn diese gleich Null ist, ist auch die Wirksamkeit der Wertpapierkaufe gleich Null. Nimmt man jedoch diese extremen Falle aus, so bleiben zahlreiche mittlere Falle ubrig, in denen solche MaBnahmen tatsachlich den Kreditumfang verandern konnen. Dort, wo diese Veranderungen eintreten, hingegen bloB mit der Handhabung des Diskonts nicht oder wenigstens nicht in dem notigen AusmaB eingetreten waren, konnen solche MaBnahmen von Nutzen sein. Die Handhabung des Effektenportefeuilles erfullt also folgende Funktion: als Mittel der Marktkontrolle in den Fallen, in denen die Handhabung des Diskonts allein unzureichend oder unwirksam ist, die Handhabung des Diskonts zu verstarken und zu vervollstandigen. 5. Wir haben bisher die Mittel untersucht, iiber welehe die Banken verfiigen, um den Kreditumfang und das Darlehensangebot zu verandern; nunmehr wollen wir betrachten, innerhalb welcher Grenzen diese Mittel anwendbar sind, wie sie voneinander abhangen und wie sie sich am Ende gegenseitig beeinflussen. Die Untersuchung dieser verschiedenen Punkte wird uns in die Lage versetzen, die Gesetze des Gesamtangebots an Darlehen zu bestimmen. Die gewohnlichen Banken konnen (unter bestimmten Bedingungen und Verhaltnissen), wie wir sahen, das Darlehensangebot vergroBern, indem sie entweder Wertpapiere verkaufen oder den Kreditumfang vergroBern, d. h. ihren Koeffizienten nx wachsen lassen. Die Emissionsbanken konnen das gleiche tun, obwohl sie sich in Wirklichkeit meistens darauf beschranken, den Kreditumfang nur durch VergroBerung ihres Koeffizienten n zu vergroBern. Ebenso konnen die gewohnlichen Banken das Darlehensangebot verringern, indem sie entweder Wertpapiere kaufen oder den Kreditumfang einschranken; und dasselbe gilt fur die Emissionsbanken. Das gesamte Darlehensangebot ist demnach in jedem Augenblick gleich dem Angebot, das jede einzelne Bank in dem betreffenden Augenblick dem Markt durch Anwendung des einen oder des anderen oder beider angefuhrten MaBnahmen zur Verfugung stellt. Und deshalb kann sich das Gesamtangebot, das bei stabilem Gleichgewicht des Marktes jenen Umfang zu erreichen strebt, den wir den normalen genannt haben, hingegen durch das vereinzelte oder gleichzeitige Eingreifen dieser MaBnahmen iiber jenen Normalumfang hinaus ausdehnen, bzw. unter ihn sinken. Aber die Erhohung des Angebots, die durch jedes dieser Mittel erreichbar ist, ist begrenzt. Und zwar ist vor allem jene, die durch den Verkauf von Wertpapieren durch die gewohnlichen Banken zu erreichen ist, begrenzt, weil namlich die Wertpapiermenge, iiber die sie verfugen, begrenzt ist und sich daher schlieBlich erschopft, und weil,
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noch ehe dies eintritt, die Verkaufe die Preise driicken und deshalb allmahlich immer ungunstiger werden und an einem bestimmten Punkt aufhoren, einen Vorteil zu bringen. Die Darlehenserhohung, welche die gewohnlichen Banken durch Kreditausweitung erreichen konnen, ist deshalb begrenzt, weil sie den Koeffizienten nx nicht iiber bestimmte Grenzen steigen lassen konnen, ohne ihren Bestand zu gefahrden. Und schlieBlich ist auch die Darlehenserhohung, welche die Emissionsbanken durch Kreditausweitung erreichen konnen, begrenzt, weil auch sie, sei es aus Erwagungen der Vorsicht, sei es infolge gesetzlicher Bestimmungen nicht zustimmen konnen, dafi ihr Koeffizient n iiber gewisse Grenzen steige. Aus all diesen Grunden kann daher das Gesamtangebot zwar durch das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Eingreifen der angegebenen Mittel wo es notig ist auch iiber seinen normalen Umfang steigen, es kann aber insgesamt eine gewisse Grenze nicht uberschreiten. Der Hochstumfang jedoch, welchen es insgesamt in irgendeinem Augenblick erreichen kann, ist nicht immer gleich der Summe der Hochstangebote, welche die Banken in dem betreffenden Augenblick mit Hilfe der angegebenen MaBnahmen dem Markte gerade zur Verfiigung stellen konnen. Er kann das eine Mai hoher, das andere Mai niedriger sein; und zwar wegen der Reaktionen, die in den verschiedenen Fallen eintreten konnen. Die Erhohung des Darlehensangebots erfolgt namlich — wenn wir von jenem Teil von ihr, der auf Effektenverkaufe zuruckzufuhren ist, absehen — hauptsachlich durch die VergroBerung des Kreditumfangs. Nun kann diese nicht iiber gewisse Grenzen hinausgehen, ohne damit die Pestigkeit des gesamten Banksystems zu gefahrden. Die Metallvorrate der Emissionsbanken, welche den Konversionsfonds fur die Noten bilden, sind ja iiberdies der Garantiefonds aller Banken und durfen daher nicht stark fallen, wenn sich nicht auch deren Lage schwachen soil. Da die Kreditausweitung allmahlich zu einer Preiserhohung fuhrt, pflegt sie bekanntlich auf lange Sicht in Landern mit Goldwahrung den AbfluB von Reserven ins In- und Ausland hervorzurufen, in Landern mit Golddevisenwahrung nur den AbfluB der Reserven ins Ausland. Der AbfluB ins Inland beginnt, sobald die inlandischen Preise zu steigen beginnen; 1 der AbfluB ins Ausland beginnt, sobald und insoweit die inlandische Kreditausweitung jene der anderen Lander ubersteigt. 2 I n einem Lande nun, in welchem der Kredit eine gewisse Zeit hindurch unaufhorlich zunimmt, ist es unvermeidlich, daB dies schlieBlich eintritt. Denn Struktur und Ausbreitungskraft des Banksystems sind von Land zu Land verschieden und verschieden ist daher ihre Widerstandsfahigkeit. Wenn es sich also auch ereignen mag, daB anfangs alle Lander eine Zeitlang den Kredit parallel ausdehnen, so ist es doch unmoglich, daB dies ins 1 CASSEL, The Theory ol Social Economy, London, Bd. II, S. 390; PIGOU, Essays in Applied Economics, London 1923, Kap. XVI, S. 193. 2 Es tritt bei dem Banksystem eines Landes im wesentlichen das ein, was, wie wir sahen, bei einer einzelnen Bank eintritt, die den Kredit in groBeren Proportionen als die iibrigen Banken desselben Landes vergrofiert. (HAWTREY, Currency and Credit, London 1926, S. 108; DERSELBE, Trade and Credit, London 1928, S. 15/16; PHILLIPS, Bank Credit, New York 1928, S. 73; KEYNES, A Treatise on Money, Bd. II, S. 279 u. H.)
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Unendliche weitergehe. Friiher oder spater kommt der Augenblick, in dem einige Lander stehen bleiben miissen. Und sobald dieser Augenblick erreicht ist, lauft das Land oder die Lander, die ihren Kredit weiterhin ausdehnen, Gefahr, ihre Reserven zu verlieren. Der Kredit kann also gefahrlos ausgedehnt werden, solange die Metallvorrate nicht ausgefuhrt zu werden beginnen. Derjenige Kreditumfang, bei welchem ihre Ausfuhr beginnt, bezeichnet die Hochstgrenze seiner moglichen Ausdehnung. Und sobald die Grenze erreicht ist, muB der Kredit aufhoren zu steigen. Da aber diese Grenze, wie wir sahen, auBer von der Entwicklung des Kredits im Inlande auch von jener in den anderen Landern abhangt, ist sie nicht fest, sondern veranderlich; und zwar verandert sie sich von Augenblick zu Augenblick mit der Veranderung dieser Bedingungen. Sie kann also einmal bei diesem bestimmten Kreditumfang erreicht sein, und ein andermal bei einem groBeren oder geringeren. Daraus ergibt sich, daB drei Falle moglich sind, und zwar: daB der Hochstumf ang des Kredits, der der internationalen Banklage entspricht, 1. genau gleich ist dem Hochstumfang, welchen das Banksystem des Landes auf Grund seiner verfiigbaren Metallvorrate aushalten kann; oder 2. niedriger ist als dieser Umfang, so daB den Depositen- und Emissionsbanken noch eine Kreditspanne verfiigbar bleibt; oder 3. groBer ist als dieser Umfang, so daB die Depositenbanken, welche bei der hbchsten Kreditausdehnung, die ihr Aufbau und ihre Reserven zulassen, angelangt sind, im Augenblick keine weiteren Kredite geben, also die durch die internationale Geldlage zugelassene Grenze nicht erreichen konnen. Im ersten Falle hort die Kreditausweitung in dem betreffenden Lande in Anbetracht der erreichten Hochstgrenze von selbst auf; und es kann keinerlei Ausfuhr oder Einfuhr von Reserven statthaben. Im zweiten Falle besteht die Gefahr, daB die Reserven ins Ausland abwandern; und die Kreditausdehnung muB innehalten, bevor sie die den vorhandenen Reserven entsprechende Hochstentwicklung erreicht. Im dritten Falle wird eine Goldeinfuhr aus dem Auslande stattfinden; und nach einem Augenblick der Pause wird sich der Kredit weiter ausdehnen konnen, bis er die der internationalen Geldlage entsprechende Hochstgrenze erreicht hat. Aber von wem und auf welche Weise wird die Kreditausweitung aufgehalten, sobald dies notwendig ist ? Der Abzug der Metallvorrate trifft mit ganzer Schwere die Emissionsbanken. Diese sind es also, welche zum Schutze ihrer Zahlungsfahigkeit sofort eingreifen, sobald es notwendig ist, um die Kreditausdehnung abzusehneiden. Die Mittel freilich, deren sie sich zu diesem Zwecke bedienen miissen, sind verschieden, je nachdem, ob in dem Zeitpunkte, in dem ihr Eingreifen nQtig wird, die Bedingungen des ersten oder des zweiten Falles vorliegen. Liegen die Bedingungen des ersten Falles vor, so werden die gewohnlichen Banken, da sie die ihnen von den bestehenden Verhaltnissen eingeraumte Hochstentwicklung erreicht haben, in ihrem eigenen Interesse dazu gedrangt, den Diskontsatz von selbst zu erhohen und werden dies dies freiwillig tun. In diesem Falle braucht die Emissionsbank, um zu verhindern, daB sich der Kredit ubermaBig ausdehne, nur dasselbe zu
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tun. Die bloBe Erhohung des Diskontsatzes kann daher fur den Zweck geniigen. Bestehen hingegen die Bedingungen des zweiten Falles, so konnen die Depositenbanken, da sie fur den Augenblick keinerlei Anreiz haben, ihren Kredit von selbst einzuschranken, dort wo sie ein Interesse daran haben, den Diskont weiter niedrig halten und damit dem Vorgehen der Emissionsbanken entgegenarbeiten. Diese konnen sich also in einem solchen Falle in die Notwendigkeit versetzt sehen, bevor sie den Diskontsatz erhohen, die verfiigbaren Mittel der Depositenbanken vom Markte abzuziehen, um die Depositenbanken zu zwingen, dasselbe zu tun. Dieses Ergebnis konnen sie, wie wir sahen, dadurch erreiohen, da6 sie Wertpapiere verkaufen. 1 Hier konnen sich daher alle beiden MaBnahmen als notwendig erweisen. Kurz, in dem einen wie in dem anderen Falle befinden sich die Emissionsbanken in der Lage, die Kreditausdehnung zu ziigeln. Daher wird der Kreditumfang, der in Zeiten steigender Darlehensnachfrage unter diesem Drucke zur Erhohung tendiert, der sich aber nicht bis uber die von der inlandischen und intern ationalen Geklund Banklage zugelassenen Grenzen erhohen darf, in dem Augenblick, in dem dies angezeigt ist, von den Emissionsbanken angehalten. Analog, aber natiirlich umgekehrt, ist das Verhalten des Kredits in Zeiten fortschreitender Verminderung der Nachfrage nach Darlehen, also in Krisen- und Depressionszeiten. Der Umfang der Darlehen und des Kredifcs schrumpft zusammen. Die Preise fallen allmahlich, das im Inland umlaufende Gold flieBt den Banken zu, und sobald die Preissenkung im Inlande groBer ist als in den anderen Landern, fheBt ihnen auch im Ausland umlaufendes Gold zu. Die Metallvorrate steigen, das Verhaltnis zwischen diesen und dem Kreditumfang fallt und es fallen demgemaB die Koeffizienten TI und TIX bei jeder einzelnen Bank. Um zu verhindern, daB ihr Koeffizient n oder nx ubermaBig sinke, senkt jede Bank den Diskontsatz, wobei es ihr aber wahrscheinlich infolge des bestehenden Mangels an Unternehmungslust und des herrschenden MiBtrauens nicht gelingt, die Gesamtnachfrage nach Darlehen zu vergroBern. Die Herabsetzung des Diskontsatzes seitens aller Banken verhindert also zwar, daB jene Koeffizienten bei einer Bank starker fallen als bei einer andern, sie verhindert aber nicht, daB sie in Wirklichkeit empfindlich fallen. Infolge der fast vollstandigen Unelastizitat, welche die Darlehensnachfrage unter derartigen Umstanden zeigt, kann der Diskontsatz bis zu auBerordentlich tiefen Grenzen fallen. Und wir finden, daB die schlieBliche Verminderung des Kreditumfangs abhangig ist von der tatsachlichen Verminderung der Darlehensnachfrage sowie von dem AusmaB, in dem die Banken unter solchen Verhaltnissen ihre eigenen Investitionen in Effekten erhohen. Wie man sieht, ist also der Kreditumfang je nachdem, ob die Darlehensnachfrage steigt oder fallt, zum Steigen oder zum Fallen ver1 Siehe § 2 dieses Kapitels. Wahrend also die Wertpapierverkaufe, welche von den gewohnlichen Banken vorgenommen werden, im allgemeinen darauf gerichtet sind, die verfiigbaren Mittel fur Darlehen zu vergroBern, sind diejenigen, welche von den Emissionsbanken vorgenommen werden, darauf gerichtet, diese verfiigbaren Gelder im Gegenteil zu verringern.
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urteilt, wobei er manchmal iiber das Normale steigt und manchmal unter das Normale fallt. Dieser Ausdehnung oder Einschrankung des Kreditumfangs entsprechen analoge Veranderungen des Darlehensangebotes. J a , diese Veranderungen sind, genau betrachtet, meistens verhaltnismaBig groBer als jene. Denn wenn die Nachfrage steigt, so sorgt das Banksystem fair die Erhohung des Darlehensangebotes hauptsachlich durch die Ausweitung des Kredits, aber aach zum Teil durch den Verkauf von Effekten. Soweit es also gelingt, durch diese Verkaufe das Darlehensangebot tatsachlich zu erhohen, erhoht es sich starker als der Kreditumfang. Sobald jedoch die Nachfrage nachlaBt und infolgedessen das Darlehensangebot im selben AusmaB nachlaBt, kaufen die Banken, um die Krediteinschrankung aufzuhalten, Effekten. Soweit diese Kaufe ihren Zweck erreichen, verringert sich also das Darlehensangebot starker als der Kreditumfang. Aus all dem geht hervor, daB in Zeiten der Kreditausdehnung das Darlehensangebot unerhohbar wird, sobald der Kredit den nach den aUgenblicklichen Verhaltnissen zulassigen Hochstumfang erreicht hat, und die Banken bereits alle Papiere, die sie verkaufen konnten, verkauft haben. Es besteht also auch fur das Darlehensangebot ebenso wie fur den Kreditumfang zu jedem Zeitpunkt eine bestimmte Orenze, bis zu der es sich ausdehnen darf, und uber welche es nicht hinausgehen kann. Und auch fur dieses besteht ebenso wie fur den Kreditumfang eine mehr oder weniger breite Zone, innerhalb derer es schwanken kann, ohne die Stabilitat des Banksystems in Gefahr zu bringen und daher das Einschreiten der Emissionsbanken auszulosen. Die Zone, welche wir Schwankungszone des Darlehensangebotes nennen wollen, hat als obere Grenze die eben angegebene. Und da diese auBer von den vorhandenen Reserven und dem Aufbau des Banksystems des betreffenden Landes von der Kreditausdehnung der anderen Lander abhangt, ist sie von Land zu Land, Und in demselben Lande von Augenblick zu Augenblick verschieden. Freilich ist sie, wiewohl veranderlich, dennoch vorhanden. Und ihr Vorhandensein ist von grundlegender Bedeutung fur die Theorie der wirtschaftlichen Schwankungen 1 und von ebenso groBer fur die Theorie des Darlehensangebotes. Denn solange sich das Angebot innerhalb dieser Grenze befindet, erhohen zwar die Banken allmahlich den Diskont, weil sie gezwungen sind, das Angebot zu erhohen; aber da sie keine schwerwiegenden Griinde zum Eingreifen haben, erhohen sie ihn maBig, das heiBt nur soweit, daB sie eine weitere Steigerung des Anbots nicht verhindern. Es bildet sich also zwischen den Veranderungen des Anbots und jenen des Diskontsatzes eine direkte Korrelation. Sobald aber das Angebot im Begriffe ist, jene Grenze zu uberschreiten und die Emissionsbanken den Diskontsatz energisch hinaufsetzen, um das Angebot einzuschranken, bildet sich zwischen dessen Veranderungen und den Veranderungen des Diskontsatzes eine inverse Korrelation heraus. In den Fallen nun, in denen sich das Angebot innerhalb seiner Schwankungszone bewegt, werden die allmahlich immer hoheren Diskontsatze von den Darlehensnehmern 1
Siehe 4. Kap., § 10.
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ohne Schwierigkeit bezahtt, nur um iiber ein Darlehensangebot verfugen zu konnen, welches ihrem Bedarf entspricht; es ist somit die Nachfrage, welche einen Druck auf das Angebot ausiibt, auf daft es sich ihr anpasse. In den Fallen hingegen, in denen das Angebot die Hochstgrenze der Ausdehnung erreicht hat, werden immer hohere Diskontsatze den Darlehensnehmern von den Banken auferlegt, um sie zu zwingen, ihre Nachfrage einzuschranken. Hier ist es somit das Angebot, welches einen Druck auf die Nachfrage ausiibt, auf dafi sie sich im Verhdltnis zu seinen Veranderungen verandere. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daB, insolange sich das Angebot innerhalb seiner Schwankungszone bewegt, und seine Veranderungen von gleichgerichteten Veranderungen in der Nachfrage verursacht sind, sich Diskontsatz und Darlehensangebot im gleichen Sinne verdndern. In den Fallen hingegen, in welchen das Angebot daran ist, seine augenblickliche Hochstgrenze zu erreichen oder zu iiberschreiten, und der erhohte Diskontsatz von den Banken auferlegt wird, damit sich die Nachfrage entsprechend dem Angebot verandere, bewegen sich Diskontsatz und Darlehensangebot in inversem Sinne.
Viertes Kapitel.
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1. Nachdem wir die analytische Untersuchung der Nachfrage und des Angebotes der Bankdarlehen vollendet haben, wenden wir uns der Aufstellung der Gesetze des Geldmarktes zu; und hiezu ist nichts anderes notig, als die Gesetze der Nachfrage und des Angebotes, die wir bisher getrennt betrachteten, miteinander zu verknupfen. Auf jedem Markte haben Angebot und Nachfrage, sofern keine storenden Faktoren und Reibungen mitspielen, die Tendenz sich auszugleichen. Die normale Lage des Geldmarktes wird daher durch ein vollkommenes Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot dargestellt. I n Wirklichkeit aber ist dieses Gleichgewicht unaufhorlich gestort. Die Untersuchung der Gesetze des Geldmarktes umfaBt also: 1. die Untersuchung seiner Gleichgewichtspositionen; und 2. die Untersuchung der Storungen, denen er unterworfen sein kann, und der dann eintretenden Ruckwirkungen. Die Gleichgewichtslagen des Geldmarktes konnen durch eine Gleichung dargestellt werden, deren eine Seite die Nachfrage und deren andere Seite das Angebot darstellt. Verbinden wir also die beiden Ausdriicke, die wir fur die eine und fur das andere in den vorhergehenden Kapiteln erhielten, so gelangen wir zu folgender Gleichung: jQv. P g tp (s, i,«)] + [T.Pt Vl (s, i, t)] - [M . V + (Te Pt + Td Pt) V{\ = [.8(7C- 1)] + [D {7ix -
l)]-[Te
Pt + Td Pt]
(12)
Nach allem Vorausgegangenen bedeutet diese Gleichung die stabile Gleichgewichtsposition des Geldmarktes, die den Giiter- und Wertpapier-
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preisen Pp und Pt entspricht, sowie alien voriibergehenden Gleichgewichtspositionen, die sich rund um sie als voriibergehende Ab~ weichungen infolge voriibergehender Storungen ergeben konnen. Auf Grund dieser Gleichung und unter Beriicksichtigung aller Beziehungen zwischen den verschiedenen Faktoren des Geldgleichgewichts,. welche durch sie aufgezeigt werden, wollen wir die Gesetze des Geldmarktes nach den angegebenen Bichtlinien untersuchen; und zwar werden wir, wie es sich gehbrt, dabei auf dem Wege allmahlicher Annaherung vorgehen, und zuerst den Fall eines geschlossenen Marktes, nachher jenen von offenen Markten betrachten.
A. Die Gesetze des Geldmarktes fur den hypothetischen Fall eines geschlossenen Marktes (erste Annaherung).
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2. In dem hypothetischen Falle eines geschlossenen Marktes geniigt die Gleichung (12) allein, um die Gesetze des Geldmarktes darzustellen. Wie wir aus unseren Ausfuhrungen iiber die Nachfrage wissen, kann dieses Gleichgewicht stabil oder vorubergehend sein. Unsere Untersuchungen werden sich daher vor allem auf diese beiden Falle beziehen miissen. Der Geldmarkt kann sich nur dann in stabilem Gleichgewicht befinden, wenn sich Nachfrage und Angebot in stabilem Gleichgewicht befinden. Die Nachfrage ist, wie wir wissen, in Gleichgewicht, wenn die Zins-, die Profit- und die Diskontsatze untereinander gleich sind. Das Darlehensangebot ist in Gleichgewicht, sobald die Kreditausdehnung und der Umfang der Bankinvestitionen normal sind; und aus den Ergebnissen des dritten Kapitels wissen wir, wann dies der Fall ist. Beriicksichtigen wir also gleichzeitig die Nachfrage- und des Angebotsverhaltnisses, so ist der Geldmarkt eines geschlossenen Landes in Gleichgewicht, sobald: 1. die Zins-, Profit- und Diskontsatze untereinander gleich sind; 2. die Reserven der Depositenbanken normal sind; und wenn weiters in dem oben angegebenen Sinne 1 normal sind: 3. die Koeffizienten n und'*jr 1 ; 4. die Proportionen der verschiedenen Umlaufsmittel; 5. die Bankinvestitionen in offentlichen Schuldverschreibungen. Die Gleichheit zwischen Nachfrage und Angebot, von welcher das stabile Gleichgewicht des Geldmarktes abhangt und die in der Gleichung (12) ihren Ausdruck findet, hangt ihrerseits von der Bedingung ab, daB die verschiedenen Faktoren, die in der Gleichung aufscheinen, jeder einen bestimmten Wert haben. Wenn sich der Wert irgendeines von ihnen verandert, so hort jene Gleichheit auf, und um sie wiederherzustellen bedarf es zumindest der Veranderung eines der anderen. Und dies geschieht eben als Folge der Veranderungen des Diskontsatzes. Aus den bisherigen Untersuchungen wissen wir, daB von den verschiedenen Faktoren, welche in unserer Gleichung auftreten, mit Ausnahme der Preise samtliche als aktive Elemente des Geldgleichgewichts,, das heiBt als mit Eigenbewegung begabt angesehen werden konnen. Sooft sich eines dieser Elemente dauernd verandert und das Gleich1
Siehe oben 3. Kap., § 1.
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gewicht des Marktes gestort wird, verschiebt sich der Diskontsatz von seiner urspriinglichen Lage, und zwar steigt er, wenn die Natur der Storung die DarlehensnacMrage vergroBert oder das Angebot verringert, wahrend er im umgekehrten Falle sinkt. Aber infolge der Veranderungen des Diskontsatzes wird die Darlehensnachfrage die Tendenz haben, sich im ersten Falle auszudehnen und im zweiten zu verringern, wodurch im ersten Falle eine Steigerung, im zweiten eine Senkung der Preise verursaeht wird. Und ist einmal diese Preisbewegung im Gange, so steigen oder fallen sie so lange weiter, bis infolge ihrer Veranderung und der veranderten Nachfrage der Diskontsatz wieder mit den beiden anderen Satzen ubereinstimmt und der Geldmarkt seine neue Gleichgewichtslage erreicht. Es verursacht also, wie wir sehen, eine Veranderung eines einzigen Faktors der Darlehensnachfrage und des Darlehensangebots, die das bestehende Gleichgewicht stort, durch die Veranderung des Diskontsatzes den Ubergang des Marktes zu einer neuen Gleichgewichtslage. Daher stellt der Diskontsatz das ausgleichende Element dar, mittels dessen das Gleichgewicht des Geldmarktes, wenn es gestort ist, wieder hergestellt wird und der Markt von einer bestehenden zu einer neuen Gleichgewichtslage ubergeht. Aber in stabilen Gleichgewichtslagen ist die Diskontrate, wie wir sahen, gleich der Zins- und der Profitrate. Man kann also derselben Diskontrate in verschiedenen Gleichgewichtslagen begegnen, wenn in diesen die anderen beiden Raten gleich sind. Und nachdem den verschiedenen Gleichgewichtslagen ein verschiedenes Preisniveau entspricht, so schlieBt man, daJB im Hinblick auf diese Gleichgewichtslagen keinerlei quantitative Beziehung zwischen dem Diskontsatz und dem Preisniveau besteht, und daB dem gleichen Diskontsatz unendlich viele verschiedene Preisniveaus, und verschiedenen Diskontsatzen ein gleiches Preisniveau entsprechen kann. 1 Was die voriibergehenden Gleichgewichtslagen betrifft, so wissen wir, daB sie von dem Niveau der ihnen Qntsprechenden Preise abhangen, und wir wissen uberdies, daB dieses Niveau dabei als Funktion ihres vergangenen Niveaus (das gleichzeitig ihr zukunftiges ist), ferner des ZinsfuBes, der Storungsdauer und des Diskontsatzes, welcher von dem normalen abweicht, bestimmt ist. Der Diskontsatz, der in stabilen Gleichgewichtspositionen kein preisbestimmendes Element bildet, bildet also hingegen in den voriibergehenden Gleichgewichtspositionen wohl 1 Dieses Ergebnis geniigt bereits fur sich allein, eine von vielen Theoretikern unterstiltzte Geldpolitik zu widerlegen, welche darauf gerichtet ist, die Preise durch Handhabung des Diskontsatzes zu stabilisieren. (Siehe: CASSEL, The nature and necessity of interest, London 1903, S. 163; DERSELBE, The world's monetary problems, S. 138/139; DERSEI.BE, Wahrungsstabilisierung als Weltproblern, Leipzig 1928, S. 12; BELLEEBY, The controlling lactor in trade cycles, in: Economic Journal, Sept. 1923, S. 324 u. ff.; DERSELBE, Control of Credit, London 1923, S. 56 u. ff.; KEYNES, A Tract on monetary Reform, London 1923, S. 177; LAWRENCE, Stabilization of prices, New York 1928, S. 295—300.) Aus den Ergebnissen des Textes ergibt sich, daB die Handhabung des Diskonts zweifellos dazu dienen kann, die Preisschwankungen um das augenblickliche Gleichgewichtsniveau einzudammen oder die Preise geradezu auf dem Niveau zu stabilisieren, solange die Marktverhaltnisse ihnen entsprechen; sie kann aber nicht verhindern, daft sich das wirkliche Preisniveau verandere, wenn sich die Marktverhaltnisse und damit ihr Gleichgewichtsniveau verandert.
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ein solches. Aber einem vom Normalen abweichenden Diskontsatz, der ein Anzeichen fur eine abnormale Darlehensnachfrage ist, entspricht ein abnormales Angebot und demnach eine abnormale Kreditausdehnung. Die voriibergehenden Gleichgewichtslagen des Marktes sind also gekennzeiclinet durcb ein abnormales Preisniveau, eine abnormale Kreditausdehnung und einen ebenfalls abnormalen Diskontsatz. Und in jedem einzelnen Falle stabilisiert sicb das vorubergehende Gleichgewicht bei einem Diskontsatz, bei dem unter Beriicksichtigung der Beziehungen zwischen Preisen und Diskont, und zwischen Diskont und Angebot, die Darlehensnachfrage genau gleich ist dem Darlehensangebot. 3. Nachdem wir die wesentlichen Merkmale der stabilen und der voriibergehenden Gleichgewichtslagen des Geldmarktes aufgefunden haben, wollen wir nunmehr die Storungen untersuchen, denen er ausgesetzt sein kann; und zwar wollen wir derart von seiner Statik zu seiner Dynamik iibergehen. Seine stabile Gleichgewichtslage ist nicht in jedem Augenblick seine wirkliche Lage, und zwar: 1. weil sich diese infolge der fortwahrenden Veranderung der sie mitbestimmenden Faktoren fortwahrend verschiebt; und 2. weil auf dem Geldmarkt in jedem Augenblick Stbrungsfaktoren tatig sind, die danach streben, ihn vorubergehend oder endgiiltig von seiner augenblicklichen Gleichgewichtslage zu entfernen. Diese Lage ist daher nur ausnahmsweise die tatsachliche Lage des Marktes. Dies schlieBt aber nicht aus, daB sie trotzdem von groBer Bedeutung ist. Denn sie stellt eben den Gravitationsmittelpunkt des Marktes dar; einen nicht festen, sondern in jedem Augenblick in Bewegung befindlichen, aber darum nicht weniger wirklichen Gravitationsmittelpunkt. Alle Pesseln, denen der Markt unterworfen ist und die sein Funktionieren sichern, streben gerade danach, ihn an seine Gleichgewichtslage festzuhalten. Und die Bewegungen, denen er gehorcht, sind also im wesentlichen nichts anderes als durch fortwahrende Storungen verursachte Schwankungen um eine Gleichgewichtslage, die sich ohne UnterlaB verschiebt. Wir haben einen besonderen Fall des von MOORE behandelten allgemeinen Problems des beweglichen Gleichgewichts vor uns. 1 Die Untersuchung der Dynamik des Geldmarktes, welche die Untersuchung seines Funktionierens ist, besteht demnach in der Untersuchung dieser Bewegungen oder besser gesagt, dieser Reaktionen, die sich im Gefolge der auftretenden Storungen zu ergeben pflegen. Im Hinblick auf ihre Wirkungen konnen diese Storungen in zwei Gruppen geteilt werden, und zwar : 1. in jene, die die Tendenz zeigen, die stabilen Gleichgewichtslagen des Marktes zu verandern; 2. in jene, die die Tendenz zeigen, den Markt aus der augenblicklichen Gleichgewichtslage zu verschieben. Die ersteren konnen in Veranderungen der verschiedenen Faktoren (Q, M, V, F x ) bestehen, die das Gleichgewicht mitbestimmen, oder in Veranderungen der Koeffizienten {TI, nx, usw.), 2 die die Bindungen 1 2
MOORE, Synthetic Economic, New York 1929, S. 92 u. ff. Hinsichtlich der statistischen Bestiitigung der oben S. 9 erwahnten Bestandigkeit
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des verwickelten Systems darstellen und daher seine Struktur verandern; 1 und diese veranlassen sekulare (Trend-) Bewegungen des Marktes. Die zweiten konnen saisonbedingt sein oder in langeren Zwischenraumen auftreten; sie veranlassen saisonmaflige oder zyklische Bewegungen des Marktes. I n der Wirklichkeit ist es nicht immer leicht, diese verschiedenen Arten der Storungen und der Bewegungen zu unterscheiden und sie voneinander zu trennen, weil sie beinahe immer verbunden auftreten. Aufgabe der Wissenschaft ist es jedoch, zu unterscheiden und zu sondern. Und deshalb wollen wir die Tatigkeit von jeder einzelnen dieser Storungsgruppen so untersuchen, als ob sie in Wirklichkeit voneinander getrennt war en.
Storungen, welche Trendbewegungen (movimenti secolari) hervorrufen.
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4. a) Man nehme an, daB infolge der BevQlkerungsvermehrung sowie der technischen Verbesserungen und der VergroBerung der Produktion der Faktor Q, also der Umfang des Giiteraustausches, wahrend eines bestimmten Zeitabschnittes die Tendenz habe zu steigen, wahrend die vorratige Metallmenge, also im wesentlichen der Faktor M, gleich bleibe oder weniger rasch steige als Q. Infolge der Beziehungen zwischen den verschiedenen Faktoren des Geldmarktes, wie sie durch unsere Gleichung sinnfallig gemacht werden, wird die Darlehensnachfrage in dem Augenblick, in dem die Storung beginnt, groBer als ihr Angebot und der Diskontsatz steigt hoher als die Profitrate. Der Produktionsumfang und die Darlehensnachfrage werden abnehmen, das heiBt sie werden weniger stark steigen als sie sonst gestiegen waren, und die Preise werden zu sinken beginnen. Hat aber die Preissenkung eingesetzt, so wird die Profitrate sinken. Und infolge dieses Sinkens wird auch ein maBiger Diskontsatz, wofern er natiirlich nur hoher ist als der Profitsatz, geniigen, um die sinkende Bewegung der Preise anhalten zu lassen, solange der Faktor Q fortfahrt, rascher zu steigen als M. Daher erzeugt eine fortgesetzte Erhohung des Austauschvolumens, welche groBer ist als die gleichzeitige Erhohung der Metallvorrate bei den Preisen einen absteigenden Trend. Damit sich dieser Trend in Bewegung setze, muB der Druck hoher Diskontsatze vorhanden sein; spater kann er aber auch bei verhaltnismaBig gedriickten Diskontsatzen weitergehen. Daraus dieses Verhaltnisses siehe fur England: PEAKE, An academic study of some money markets, London 1926, S. 72; KEYNES, A tract on monetary reform, London 1923, S. 173, Anm. 1; derselbe A treatise on money, London 1930, Bd. II, S. 53—58; PIGOU, Industrial fluctuations, London 1928, S. 121, Anm. 1, und S. 259, Anm. 2; CRICK, a. a. O., S. 191 u. ff. 1 Diese Einteilung stimmt im wesentlichen mit jenen von MITCHELL und WAGEMANN tiberem. MITCHELL teilt die Storungen ein in: sakulare, zyklische, saisonmaBige und zufallige (Business Cycles, New York 1927, S. 203 u. ff.) WAGEMANN teilt sie hingegen ein in: 1. ver-. einzelte Storungen (welche Strukturveranderungen hervorrufen) und die er in kontinuierliche und diskontinuierliche unterteilt; 2. periodische Schwankungen, die er unterteilt in Schwankungen mit festem Rhythmus (saisonmaBige) und mit veranderlichem Rhythmus (zyklische). (WAGEMANN, Economic Rythm, New York 1930, S. 51.)
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geht hervor, daB dort, wo die Preissenkung durch eine Erhohung des Austauschvolumens hervorgerufen wird, der wirtschaftliche Fortschiitt mit einer sinkenden Preistendenz vereinbar ist. Dies gilt freilich nur fur begrenzte Preissenkungen, die namlich die Profitrate zwar herabdrucken, ohne sie aber auf Null sinken zu lassen. Wenn hingegen das AusmaB der Preissenkung grbBer ist als die reine Profitrate, kann eine derartige Preissenkung wenigstens teilweise den wirtschaftlichen Aufschwung zum Stillstand bringen. Diese Ergebnisse, welche fur ein als abgeschlossen gedachtes Land gelten, gelten ebenso fur die Weltwirtschaft, weil sie, als eine organiscbe Einheit betrachtet, eine gewaltige abgeschlossene Wirtscbaft darstellt. Ein bezeichnendes Beispiel fur den eben besprochenen Fall liefert uns die Weltwirtsehaft wahrend des letzten Viertels des X I X . Jahrhunderts. Zwischen 1873 und 1896 fallen die Goldpreise fast ohne Unterbrechung, und zwar fallen sie von der Indexzahl 111 auf 61. 1 Nun, diese fortgesetzte Preissenkung war nicht imstande zu verhindern, daB sich die Wirtschaften der einzelnen Lander fortlaufend und in einigen (Japan und Deutschland) sogar betrachtlich 2 aufwarts entwickelten und so bewiesen, daB die beiden Erscheinungen miteinander vertraglich sind. 5. /?) Betrachten wir jetzt den Pall einer erhohten Goldproduktion, welche eine Erhohung der Metallvorrate 8 hervorruft, die rascher vor sich geht als die Erhohung von Q. Mit der Erhohung von S wird sich M erhohen. Es wird also gleichzeitig eine Verminderung der Darlehensnachfrage und eine Erhohung des Darlehensangebotes eintreten. Der Diskontsatz wird fallen, wodurch die Darlehensnachfrage zur Ausdehnung und die Preise zum Steigen angeregt werden. Eine erhohte Goldproduktion, welche eine raschere Vermehrung der Goldvorrate als des Austauschvolumens hervorruft, wird also einen aufwartsgerichteten Preistrend hervorzurufen tendieren. Aber die Preiserhohung, die anfanglich durch die Diskontherabsetzung angeregt wurde, tendiert sofort dazu, den nominalen Profit- und Zinssatz in die Hohe zu treiben. Daraus schopft die Darlehensnachfrage neue Anregung sich zu vergroBern und der Diskontsatz neue Anregung zu steigen; ohne daB aber dessen Steigerung die Bewegung hemmte. Die Preissteigerung, die bei Vorliegen der angegebenen Bedingungen also, um zu beginnen, einer anfanglichen Diskontherabsetzung bedarf, schreitet, wenn sie einmal auf dem Wege ist, aueh bei erhohten Diskontsatzen fort, und wird selbst zur Ursache fur deren 1
SAUERBECK, The course of average prices of general commodities in England, London
1908. 2
MORTABA, Lezioni di statistica economica, Rom 1920, S. 209, 242, 244, 248; D E R SELBE, Effetti delle variazioni del potere di acquisto dell' oro, in dem Giornale degli Economisti, Febr. 1931, S. 142. Das Jahresmittel der Diskontrate auf dem Londoner Geldmarkt betrug 2,42 % in der Zeit von 1873 bis 1896, gegen 3,47 % in der Zeit von 1858 bis 1872 (siehe FISHER, Appreciation and interest, New York 1896, S. 94). Die Erfahrungen der Periode von 1873 bis 1896 und die Ergebnisse des Textes beweisen zur Geniige, wie iibertrieben der Alarm ist, welchen vor nicht langem sogar maCgebende Schriftsteller (siehe: SOCIETE DES NATIONS, Rapport provisoire de la Delegation de l'or, Genf 1930) wegen des Loses ausstieBen, das die Weltwirtsehaft erwarte, wenn, wie sie voraussehen, die Goldproduktion in einer nicht entfernten Zukunft sinken sollte.
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progressive Steigerung. Diese Ergebnisse, welche fiir die Weltwirtschaft im Falle einer erhohten Produktion der Edelmetalle gelten und welche ihre Bestatigung in der Gestaltung der Preise und des Diskonts in den Zeitabschnitten 1849 bis 1857 und 1894 bis 1914 finden, 1 gelten mutatis mutandis fiir die Wirtschaft eines einzelnen Landes, in welchem nicht konvertierbares Papiergeld umlauft und fortgesetzt neue Noten ausgegeben werden. Die jiingsten Erfahrungen zahlreicher Lander bestatigen dies vollstandig. 2 6. y) Veranderung der Proportionen der verschiedenen Umlaufsmittelkategorien. Man nehme an, da6 sich infolge einer allmahlichen Veranderung der Gewohnheiten der Allgemeinheit die Verwendung von Bankeinlagen als Zahlungsmittel nach und nach derart ausdehne, daB die Proportionen zwischen den verschiedenen Umlaufsmittelkategorien nicht fest bleiben, sondern sich langsam verandern. In einer solchen Lage wird der Geldmarkt keine feste Gleichgewichtsposition haben, sondern einem Trend unterworfen sein, dessen Verlauf seine aufeinanderfolgenden beweglichen Gleichgewichtspositionen bezeichnen wird. Sobald sich namlich allmahlich der Gebrauch von Bankeinlagen ausbreitet, vergroBert sich deren Umfang; wenn man jedoch annimmt, daB samtliche anderen Bedingungen unverandert bleiben, vergroBert er sich auf Kosten der umlaufenden Banknoten, welche bei den Banken eingelegt werden. Da jetzt die Banken liber steigende Reserven verfiigen, werden sie in der Lage sein, Darlehensbetrage zu gewahren, welche j r r m a l so grofi sind wie die allmahliche Steigerung der eigenen Reserven. Das normale Darlehensangebot wird schrittweise wachsen; und da sein fortwahrendes Wachsen den Diskontsatz dauernd niederhalt, wird es die Preise zum Steigen bringen. Die allmahliche Ausbreitung der Bemitzung von Schecks auf Kosten der Noten lost also auf dem Geldmarkte einen 1 Es sind dies die Zeiten, welche unmittelbar auf die Entdeckung der Goldminen in Kalifornien und Australien, bzw. auf die Entdeckung der Goldminen in Siidafrika folgten. Im ersten Falle sinkt der Marktdiskontsatz in London 1852 auf das niedrigste Jahresmittel von 1,90 %, um sodann allmahlich wieder zu steigen und 1857 auf 7,1 % zu gelangen (FISHER, Appreciation usw. S. 94). In der Zeit von 1894 bis 1914 sinkt der Diskontsatz in London im Jahre 1895 auf 0,96%, um 1907 abgesehen von voriibergehenden Schwankungen auf 4,49% zu steigen und in der ganzen Periode einen Durchschnitt von 2,90 % zu erreichen (WILLIAMS, The rate of discount and the price of consols, in dem Journal of the R. Statistical Society, Marz 1912, S. 384; LAVINGTON, Short and Long rates of interest, in: Economica, Niv. 1924, S. 295). 2 Das verschiedene Verhalten des Diskonts und der Preise im Augenblick des Beginns der Storung und in den darauffolgenden Abschnitten versetzt uns in die Lage, zwei scheinbar widerstrebende Theorien mit einander zu versohnen: namlich die Theorie von WICKSELL und jene von FISHER. Nach WICKSELL steigen, wie wir wissen, die Preise, sobald der Diskontsatz unter der (natiirlichen) Zinsrate steht. Geht man also von einer Gleichgewichtslage aus, dann steigen nach dieser Theorie die Preise, sobald der Diskontsatz fallt; das heiBt, sie zeigen eine ihr inverse Tendenz. Nach FISHER hatten hingegen Preise und Diskontsatz (nominaler Zins) die Neigung, sich in der gleichen Richtung zu bewegen. Der Widerspruch zwischen den beiden Ansichten ist jedoch nach dem Vorhergehenden nur ein scheiribarer. Damit die Preise steigen konnen, muB zweifellos anfangs (zumindest unter der hier zugrunde liegenden Annahme) der Diskontsatz fallen. Sobald jedoch einmal die Preissteigerung eingesetzt hat, konnen nach WICKSELLS Theorie die Preise weiter steigen, auch wenn nun der Diskontsatz steigt, vorausgesetzt nur, daB er hinter dem Profitsatz zurilckbleibt. Sobald also die Preissteigerung eingesetzt hat, konnen sich auch nach WICKSELLS Theorie Preise und Diskontsatze in der gleichen Richtung bewegen. Die beiden Theorien sind daher, auch wenn man von den auslosenden Erscheinungen absieht, in vblligev Ubereinstimmung.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Trend aus, welcher dureh ein allmahliches Steigen der Preise charakterisiert ist. Dieses Ergebnis wird mindestens zum Teil durch Erfahrungen bestatigt, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika in letzter Zeit gemacht wurden, wie aus der folgenden Aufstellung hervorgeht: Gesamtbetrag und Verteilung der Umlaufsmittel in den Vereinigten Staaten von Amerika.1)
Jahr
Geschatzter Betrag Betrag des bei Geschatzter des vor- den Banken Betrag des umlaufenhandenen erliegenden den Geldes Geldes Geldes in Millionen Dollar a)
b)
°)
d)
e)
f)
6060 6327 6398 6565
2369 2444 2603 2828
3691 3883 3795 3737
22.110 23.530 25.980 25.570
537 566 633 695
16,8 16,5 14,6 14,6
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1923 1924 1925 1926
Betrag der Mittels Scheck Prozendurchgefiihrte auf Scheck tuelles Zahlungen auszahlbaren Vernal tnis (jahrliche GeEinlagen von c) (Jahresmittel) samtsumme) gegen d) in Billionen °/o Dollar
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Aus diesen Angaben geht hervor, daB sich von 1923 bis 1926 der Betrag des verfugbaren Geldes in den Vereinigten Staaten um ungefahr 500 Millionen Dollar vermehrt hat und daB der allergroBte Teil davon nicht wirklich in Umlauf geblieben ist, sondern die Bankvorrate vermehrt hat, deren Einlagenbestand sich um ungefahr 3500 Millionen vermehrte, und wodurch sich der Anteil des tatsachlich umlaufenden gegemiber dem eingelegten Geld verringerte. Auf diese Tatsache fiihren maBgebende Schriftsteller das Stattfinden einer auBerordentlichen Kreditausdehnung in den Vereinigten Staaten wahrend dieser Jahre trotz der restriktiven Politik des Federal Reserve Board und der daraus folgenden Kampagne zur Steigerung der Wertpapierpreise zuriick, welche fast ununterbrochen von 1926 bis 1929 verfolgt wurde. 2 7. <5) Veranderungen, welche den vorhergehenden invers sind. Wenn das Publikum inf olge einer Panik oder eines MiBtrauens zu den Depositenbanken von diesen einen Teil der Einlagen zuriickzieht, um sie zu horten oder sie anstatt als Einlagen als Zahlungsmittel zu verwenden, werden die betroffenen Banken gezwungen sein, den Kredit in einem AusmaB, das mindestens ^ - m a l so groB ist wie der Betrag der zuriickgezogenen Einlagen, einzuschranken; und der Geldumlauf wird insgesamt um eine 1 Unter dem Ausdruck ,,Geld" (money) fassen die amerikanischen Statistiken zusammen: das Gold- und Silbergeld, die Greenbacks, die Banknoten, die Goldzertifikate und die Scheidemiinzen. Die Daten zur obigen Aufstellung fanden wir bei: YOUNG, An Analysis of bank statistics usw. Cambridge 1928, S. 66; W. C. MITCHELL, Business Cycles, New York 1927, S. 126; SNYDER, The measure of general price level, in der Review of Economic Statistics, Febr. 1928, S. 41. 2 Siehe BURGESS, The money market in 1927, in: The Review Of Economic Statistics, Febr. 1928, S. 20.
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Summe zuriickgehen, die (jit — l)-mal so gro8 ist wie dieser Betrag. Der Geldmarkt wird infolge der unvorhergesehenen Verminderung des Darlehensanbotes auBerordentlich angespannt, der Diskontsatz wird zu auBerordentlicher Hohe steigen und die Preise, dadurch in Mitleidenschaft gezogen, werden fallen. Aber infolge der groBeren Empfindlichkeit des Wertpapiermarktes werden wahrscheinlich die Preise der Wertpapiere starker fallen als die Giiterpreise, und dies auch infolge der namhaften Effektenverkaufe, zu denen sich alle Banken gezwungen sehen werden. Die endgiiltigen Auswirkungen hangen jedoch von den Emissionsbanken ab, und zwar insbesondere davon, wie weit diese in der Lage sind, durch Kreditausweitung das Loch, das sich in der Zirkulation gebildet hat, zu verstopfen. Wenn sie auf Grund ihrer Statuten oder weil sie noch eine verfugbare Spanne besitzen, in der Lage sind, den Kredit auszuweiten, konnen die Wirkungen verhaltnismaBig weniger schwer sein. Wenn sie aber die zulassige Hochstgrenze schon erreicht haben und infolgedessen nicht eingreifen konnen, wird der Geldmarkt, jeder Hilfe bar, den ganzen StoB, den die plotzliche Krediteinschrankung bedeutet, erleiden. Die Wirkungen sind ferner noch schwerer, wenn die Panik auch die Emissionsbanken trifft und das Publikum diesen Gold entzieht, um es zu horten; denn in diesem Ealle ist das Loch, das sich bildet, nicht gleich ji-mal die Menge des gehorteten Goldes, sondern (n X jr 1 )-mal so groB; und der StoB, den der Geldmarkt bekommt, kann verheerend sein. 1
Storungen, welche saisonmafiige Bewegungen hervorrufen.
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8. Es sind dies die Storungen, durch welche die vorhin betrachteten voriibergehenden Gleichgewichtslagen hervorgerufen werden. Sie treten namlich zu bestimmter Zeit auf und sind von kurzer und leicht voraussehbarer Dauer, weil sie beinahe jedes Jahr gleich sind. Wir hatten die saisonmaBigen Storungen vor Augen, als wir die Theorie der voriibergehenden Gleichgewichtslagen fur die Darlehensnachfrage aufstellten. Um nunmehr die saisonmaBigen Storungen zu untersuchen, miissen wir also nur die Grundsatze der voriibergehenden Gleichgewichtslagen, welche wir vorhin bei der Nachfrage feststellten, auf den Geldmarkt als ganzen anwenden. Die Gleichung (12) (§1 dieses Kapitels) stellt die stabile Gleichgewichtslage des Marktes in einem bestimmten Augenblick sowie das ganze System von voriibergehenden Gleichgewichtslagen, die sich um sie bilden konnen, dar. Um unsere Untersuchung zu vereinfachen, werden wir unterstellen, daB keine Trend-Bewegungen vorhanden sind, so daB die stabile Gleichgewichtslage eines bestimmten Augenblicks das ganze Jahr hindurch unverandert aufrecht bleibt. Nicht einmal unter dieser Annahme stimmt die tatsachliche Marktlage Tag fur Tag 1 Eine Panikdrohung mit den geschilderten Wirkungen trat im zweiten Halbjahr 1931 in den Vereinigten Staaten ein; unter dem Eindruek der englischen Geldkrise und der unaufhorlichen Zusammenbruche amerikanischer Banken thesaurierte dort das Publikum Noten und Gold im Betrage von ungefahr 1500 Millionen Dollar, wodurch die bereits so scharfe allgemeine Krise noch verscharft wurde. 5*
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mit der stabilen Gleichgewichtslage iiberein, weil im Verlaufe jedes Jahres die einzelnen Faktoren des monetaren Gleichgewichts kurzdauernden Storungen unterworfen sind, die meistens regelmaBig in die verschiedenen Jahreszeiten fallen. Dies sind die saisonmaBigen Storungen, mit denen wir uns beschaftigen miissen. Der Kiirze halber werden wir uns nur mit den beiden folgenden beschaftigen. 9. a) Saisonmtiflige Verdnderungen des Faktors QP, d. h. des Umfangs des Giiteraustausches. Wenn Qv in einer bestimmten Jahreszeit voriibergehend zum Beispiel infolge der Ernte steigt, wird in dieser Jahreszeit der Umlaufsmittelbedarf voriibergehend steigen. Die Darlehensnachfrage seitens des Giitermarktes und infolgedessen die Gesamtnachfrage werden steigen, und der Diskontsatz wird sich erhohen. Unter dem Druck der gesteigerten Nachfrage wird auch das Darlehensangebot die Tendenz zeigen sich auszudehnen, und zwar sei es durch Wertpapierverkaufe seitens der Banken, sei es durch eine Erhohung der Koeffizienten 7i und TIX, also durch eine auBergewbhnliche Kreditausweitung. Die Diskonterhohung wird hingegen im Sinne einer Preissenkung wirken. Aus den angefiihrten Griinden werden jedoch wahrscheinlich bloB die Pieise der Wertpapiere fallen. Nach all dem wird also der Markt der saisonmaBigen Erhohung des Umlaufsmittelbedarfes, die auf die saisonmaBige Erhohung von Qv zuriickzufiihren ist, durch eine voriibergehende Senkung derWertpapierpreise Rechnung tragen; und das voriibergehende Gleichgewicht des Marktes wird sich bei demjenigen Diskontsatz einstellen, bei welcher im Hinblick auf die durch seine eigene Steigerung hervorgerufene Senkung der Wertpapierpreise die gesamte Darlehensnachfrage genau gleich dem gesamten Angebot ist. Das Umgekehrte gilt im Falle einer voriibergehenden Verminderung von Qp. /S) Saisonmajiige Verdnderungen der Reserven der verschiedenen Banken, d. h. der Faktoren 8 und D. Um den Geldbedarf fur gewisse Austauschvorgange zu befriedigen, kann zu gewissen Zeiten eine hQhere Proportion von Noten und Gold im Verhaltnis zu Schecks notwendig sein als sonst. I n solchen Zeiten wird das Publikum den Banken Noten und Gold entnehmen, dadurch voriibergehend die Reserven verringern und eine Krediteinschrankung, ein Anziehen des Diskontsatzes und ein Sinken der Wertpapierpreise herbeifiihren. SchlieBlich wird also die Gesamtnachfrage nach Darlehen abnehmen, ebenso wird der Kreditumfang abnehmen, aber der Geldmarkt wird weiter angespannt bleiben. Und das voriibergehende Gleichgewicht des Marktes wird sich wie im vorhergehenden Falle bei einem Diskontsatz herausbilden, bei welchem unter Beriicksichtigung der Krediteinschrankung und der daraus folgenden Preissenkung der Wertpapiere die Gesamtnachfrage nach Darlehen ganz genau mit dem Angebot ubereinstimmt. Die beiden eben besprochenen Falle traten vor dem Kriege in den Vereinigten Staaten wahrend der Herbstsaison ein. Der Herbst ist in den Vereinigten Staaten die hauptsachlichste Erntezeit; das bedeutet eine Intensivierung der Austauschvorgange in dieser Jahreszeit: Uberdies trat im Herbst eine saisonmaBige Belebung der Industrie ein,
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was zu einer leichten Erhohung der Giiterpreise und zu einer neuen Vermehrung des Giiteraustausches fiihrte. 1 Infolge der doppelten Vermehrung des Austauschvolumens und infolge der Erhohung von Pv ist die Darlehensnachfrage seitens des Giitermarktes im Herbst regelmaBig gestiegen. Zu gleicher Zeit verlangten ferner die Landwirte, die ihre Erzeugnisse verkauften, in Noten oder in Metallgeld bezahlt zu werden; die Finanzierung der Ernten war also unweigerlich von einer Verminderung der Reserven der Banken begleitet, 2 welche darauf mit dem Verkauf von Effekten 3 und mit Krediteinschrankungen antworteten. Unter dem gleichzeitigen Druek einer erhohten Darlehensnachfrage und eines verminderten Anbotes war der New Yorker Geldmarkt wahrend des Herbstes regelmaBig einer starken Spannung ausgesetzt und der Effektenmarkt erfuhr einen Ruckgang, bis Angebot und Nachfrage im Fruhjahr wieder in normale Verhaltnisse zuriickfanden. 4 Eine analoge Anspannung im Herbst mit darauffolgender Senkung der Effektenpreise wurde auch in anderen Landern festgestellt. 5
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Zyklische Storungen des Geldmarktes.
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10. Die zyklischen Storungen sind Storungen mit langerer Dauer als die saisonmaBigen, welche sich jedoch nicht zu den gleichen Zeiten einstellen und daher auch nicht in immer gleichen Abstanden (3, 5, 7, 9 Jahre) auftreten. Allerdings sind sie systematische Storungen, welche dem Markt einen schwankenden Ablauf geben. Die zyklischen Bewegungen des Geldmarktes kommen von den zyklischen Bewegungen des Wirtschaftslebens. Ihr Ursprung wird also im allgemeinen auBerhalb des eigentlichen Geldmarktes, und zwar bei jenen Gruppen von Eaktoren gesucht, welche das gesamte Wirtschaftsleben beeinflussen und damit die Profite steigen und fallen machen. Dieser Wechsel der Profite -ist der Schliissel des ganzen Problems.6 Infolge des Zusammentreffens einer BRESCIANI-TURRONI, Le variazioni cicliche dei prezzi, Palermo 1913, S. 36—37. SPRAGUE, The New York money market, in: The Economic Journal, Marz 1903, S. 37 u. If.; YOUNG, An Analysis of Bank Statistics tor the United States, S. 16 u. ff. 8 Das Bestehen von Saisonzyklen bei den Bankinvestitionen kann bezuglich der Nationalbanken der Vereinigten Staaten fur die Zeit von 1901 bis 1913 aus den von YOUNG angefiihrten Daten entnommen werden (a. a. O., S. 7 und 20). Die Veranderungen der Investitionen sind iibrigens bei den New Yorker Nationalbanken groBer als bei jenen auBerhalb New Yorks. 4 Das Vorhandensein von saisonmaBigen Veranderungen der Effektenpreise auf der New Yorker Borse mit Minima im Herbst und Maxima im Fruhjahr wurde fur die Vorkriegszeit nachgewiesen von KEMMERER (Seasonal demand for money and capital, Veroffentlichung der Monetary Commission, S. 173). 5 Das Bestehen einer Geldanspannung im Herbst in England wurde von JEVONS bereits fiir die Zeit ab 1866 behauptet und untersucht (On the frequent autumnal pressure in money market, in: Investigations in currency and Finance, London 1909, S. 152—172). Bezuglich Italiens wurde das Bestehen von saisonhaften Bewegungen der Diskontrate und der Effektenpreise statistisch nachgewiesen von BACHI (Le variazioni stagionali nella vita economica italiana, in: Annali di Statistica, Rom 1919, S. 98 und 108). 6 DaB im allgemeinen die Veranderungen des Profits das Ursprungszentrum der Bewegung sind, erweist sich aus den von MITCHELL (Business Cycles, New York 1913, Bd. I, S. 467) und von LESCURE (Les crises generates et periodiques de surproduction, Paris 1923, S. 395 u. ff.) gelieferten Daten, aus welchen hervorgeht, daB sich im ersten Abschnitt der Erholungsperiode die Profite der verarbeitenden Industrien verandern, wahrend die Preise 2
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Reihe von Bedingungen (die beinahe immer von Fall zu Fall verschieden sind) steigt in einem gegebenen Zeitpunkt die Profitrate und wird daher holier als die Diskontrate. Damit bereiten sich die Bedingungen vor, welche einer Aufschwungsperiode giinstig sind; und das verspurt der Geldmarkt augenblicklich. Als erste setzen sich infolge ihrer hochsten Empfindlichkeit die Effektenborsen in Bewegung; es beginnt eine Hausse bei alten Papieren mit veranderlichem Ertrag; und die neuen Aktien, welche von neuen Unternehmungen angesichts der unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Erholung ausgegeben werden, werden miihelos aufgenommen. So steigt die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes. Allmahlich riihrt sich aber auch der Giitermarkt. Zwecks Ausdehnung der Produktion der anfanglich durch hohe Profite ausgezeichneten Industrien sowie zwecks Schaffung der Betriebe fur die neuen Unternehmungen steigt auch die Darlehensnachfrage seitens dieses Marktes. Demnach dehnt sich die Gesamtnachfrage nach Darlehen aus. Die Wiederaufnahme der industriellen Tatigkeit wirkt in der Richtung einer Preissteigerung der Giiter; sie erhoht aber nicht in gleichem MaBe parallel die Kosten, weil sich einige Kostenelemente, wie die Lohne und der Diskontzins, verspatet andern. So ruft die Erhohung der Giiterpreise eine neuerliche Erhohung der Profitrate hervor, welche sich zu abnormaler Hohe erhebt und damit der Bewegung einen neuen machtigen Auftrieb gibt. J e mehr sich aber die Produktion ausbreitet und die Nachfrage nach Darlehen steigt, um so hoher steigen die Preise. Und je starker die Preissteigerung in Erscheinung tritt, um so mehr steigen die nominalen Profite und um so groBer wird der Antrieb fur eine neuerliche Produktionsausdehnung. So schreitet die Bewegung, einmal in Schwung gebracht, fort, genahrt von Kraften, welche durch sie selbst in Tatigkeit gebracht wurden, und zwar schreitet sie fort, solange der Geldmarkt imstande ist, ihr zu folgen. Denn mit der Ausdehnung der Produktion und der Steigerung der Preise steigt der Umlaufsmittelbedarf allmahlich an; und damit die Bewegung andauern konne, muB dieser steigende Bedarf irgendwie befriedigt werden. Fur seine Befriedigung sorgt der Geldmarkt einesteils durch eine Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, 1 andernteils durch eine Erhohung des und der Diskontsatz noch unverandert sind oder sinken. BRESCIANI-TURRONI (Relazioni tra sconto e prezzi durante i cicli economici, Auszug aus dem Giornale degli Economisti, Nov. 1916, S. 46, 48, 52) ist zwar nicht in der Lage, aus den von ihm gesammelten Daten dieses Vorauseilen der Profitveranderung festzustellen, er halt es jedoch fiir wahrscheinlich; und jedenfalls gibt er zu, daB die von uns seit 1912 eingenommene Auflassung (Le Banche e il Mereato Monetario, Rom 1913), wonach den wirtschaftlichen Schwankungen die Veranderungen des Profits zugrunde liegen, begriindet ist. Unhaltbar, weil von den Tatsachen widerlegt, ist daher die Theorie von AFTALION (Les crises periodiques de surproduction, Paris, 1913, Bd. I, S. 227), wonach die Profitschwankungen die Folge der Preisschwankungen seien. Auch FISHER (The purchasing power of money, New York 1916, S. 58—60) behauptet, dafi die Steigerung der Preise vorausgeht und daB daher die bestimmende Ursache die Erhohung der Profite ist, meint dies aber nicht in Bezug auf die gewohnlichen Wirtschaftszyklen, sondern in bezug auf jene, welche von der Erhohung der Goldproduktion herriihren und welche von uns im folgenden behandelt werden. 1 Wenn man die Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes als geeignetes Mittel zur Unterstiitzung des wirtschaftlichen Aufschwungs in der aufsteigenden Phase der Wirtschaftszyklen betrachtet, so muB man hiebei mit der notigen Beschrankung und Vorsicht
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Kreditvolumens. Und die Erhohung des Kreditvolumens wird durch den Druck, welchen die steigende Darlehensnachfrage auf das Angebot ausiibt, hervorgerufen. In einem geschlossenen Markte konnen aber die Banken ihr Kreditvolumen nur erhohen, wenn sie zunachst ihren Koeffizienten nx und sodann ihren Koeffizienten n iiber die normale Grenze steigen lassen, d. h. wenn sie es zu einer abnormalen Kreditausweitung kommen lassen. Auf diese reagieren sie, wie wir sahen, durch Erhohung des Diskontsatzes, ohne damit aber verhindern zu konnen, da8 sioh die Bewegung noch eine Zeitlang fortsetze, weil sich parallel zum Diskont auch die Profitrate erhoht und daher wenigstens eine gewisse Zeit hindurch hoher bleibt. Es ist dies der oben angefuhrte Fall, in dem die steigende Nachfrage nach Darlehen einen Druck auf das Angebot ausiibt und dessen Erhohung bewirkt; in diesem Fall besteht also dann zwischen Darlehensnachfrage und -angebot, Diskontsatz und Preisen die fruher angegebene direkte Korrelation. 1 Demnach wird die aufsteigende Phase der industriellen Zyklen durch eine Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und durch eine abnormale Kreditausweitung, welche den Geldmarkt in einen Zustand steigender Anspannung versetzt, getragen und unterstiitzt. Die Kreditausweitung kann aber nicht ins Unendliche weitergehen. J e starker sich der Kredit ausdehnt und zunachst der Koeffizient TIX, sodann der Koeffizient n steigen, um so mehr wird die Lage
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vorgehen. In dieser Phase steigt namlich der Umsatz nicht bloB, weil mehr Giiter erzeugt und umgesetzt werden, sondern auch deshalb, weil dieselben Giiter bei Preissteigerungen ofter umgesetzt werden und daher die Anzahl der hintereinander vorgenommenen Tauschakte gegentiber dem Normalen zunimmt. Es bedeutet aber jeder neuerliche Umsatz derselben Ware den neuerlichen tjbergang von Geld. Je starker also die Anzahl der Tauschakte bei derselben Ware zunimmt, um so starker nimmt die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu. Diese Zunahme dient aber nicht dazu, die Ausdehnungsbewegung der Produktion und die Aufwartsbewegung der Preise zu unterstiltzen, weil sie durch eine genau gleiche Zunahme der Umsatzbewegung wettgemacht wird. Von dieser Abhangigkeit der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von den Umsatzen der verschiedenen Giiter haben sich die Nationalokonomen schon seit einiger Zeit Rechenschaft abgelegt (siehe A. YOUNG, Downward price trend prohable, in: The Annalist, 18. Jan. 1929; SNYDER, New measures in the equation of exchange, in: American Economic Review, Dez. 1924, S. 703; BRADFORD, Some aspects of the stable money question, in: The quarterly Journal of Economics Aug. 1929, S. 683). Ja einige von ihnen gelangen sogar dazu, die Moglichkeit von Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes unabhangig von analogen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter zu leugnen (siehe z. B. unter den jiingsten: DAVENPORT, Velocity, turnovers and prices, in: The American Economic Review, Marz 1930, S. 9—19; LOUNSBURY, Velocity concept and prices, in: The Quarterly Journal of Economics, Nov. 1931, S. 48). Diese Auffassung ist aber zu absolut und darum unannehmbar. Wenn zwar auch ohne Zweifel ein Teil der Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von analogen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter abhangt, und daher in ihren Wirkungen durch diese letzteren aufgehoben wird, so ist doch ein Teil davon unabhangig und kann daher die Verhaltnisse des Marktes grundlegend beeinflussen. (Siehe: BRESCIANITURRONI, Le variazioni della rapidita di circulazioni di una moneta deprezzata, in: Giornale degli Economisti, April 1925, S. 224—230; A. W. MARGET, The relation between the velocity of circulation of money and the velocity of circulation of goods, in: The Journal of Political Economy, Juni 1932, S. 269—313). — Zusammenfassend laBt sich daher sagen: daB in der aufsteigenden Phase der Wirtschaftszyklen die Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes die Expansionsbewegung der Erzeugung und das Steigen der Preise herbeizufuhren in der Lage ist und auch tatsiichlich herbeifiihrt, was jedoch nur von jenem Teil der Erhohung dieser Umlaufsgeschwindigkeit gilt, welche von den analogen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit der Waren unabhangig ist und daher in ihren Wirkungen nicht von diesen letzteren aufgehoben wird. 1
Siehe 2. Kap., § 16 und 3. Kap., § 6.
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der Banken geschwacht; dies gilt auch fur einen geschlossenen Markt, bei welchem der AbfluB der Metallvorrate ins Ausland fehlt, ja sogar in einem Land mit Golddevisenwahrung, in welchem der AbfluB ins Inland fehlt. 1 Sobald sich daher der Kredit der Grenze der hochsten Ausweitung nahert, welche mit der Stabilitat des Banksystems vertraglich ist oder als solche von den Emissionsbanken betrachtet wird, greifen diese kraftig ein, um zu verhindern, daB sich der Kredit weiter ausdehne, und um ihn im Gegenteil einzuschranken. Zu diesem Zwecke erhohen sie, wie wir sahen, plotzlich stark den Diskontsatz und verkaufen, wenn es notig ist, auch Effekten. Mit solchen Mitteln gelingt es ihnen, die Bewegung zum Stillstand zu bringen. Was namlich diese Bewegung aufrecht erhalt, ist auBer den betrachtlichen gegenwartigen Profiten die Aussicht auf weitere Profite in der Zukunft. 2 Und bei dem Vergleich zwischen Diskont und Profiten, welchen die Produzenten ihren Entscheidungen zugrunde legen, wird mehr auf die zukunftigen als auf die derzeitigen Profite geachtet. 3 Solange die Bewegung ungestort weitergeht, wird durch die gegenwartigen Profite, die infolge der Steigerung der Preise anhalten, die Erwartung hoher kiinftiger Profite genahrt. Die Bewegung geht daher weiter, weil sie auch durch diese Erwartung unterstiitzt wird. Sobald aber der Diskontsatz plotzlich stark hinaufgesetzt wird, und diese plotzliche starke Hinaufsetzung einen Konjunkturwechsel als bevorstehend voraussehen laBt, fallt die Erwartung groBer kiinftiger Profite mit einem Schlage weg und die Bewegung steht stille. 4 Die Erhohung des Diskontsatzes wirkt unter diesen Umstanden nicht so sehr als wirtschaftliches, denn als psychologisches Agens. In dem Augenblick jedoch, in welchem die Bewegung stille steht, und die Preise nicht mehr weitersteigen, sinken auch die gegenwartigen Profite und die ganze Situation erhalt ein vollig verandertes Aussehen. Durch seine Steigerung wird der Diskontsatz mit aller Wahrscheinlichkeit hoher als der Satz der gegenwartigen und zukunftigen Profite; die Produktion, die sich wahrend der Aufstiegsphase ubermaBig ausgedehnt hatte, geht zuriick; damit gehen die Nachfrage nach Darlehen sowie der Kredit zuriick, und die Preise sinken. Auch in dieser Phase sind die Preise der Wertpapiere diejenigen, welche am ersten reagieren. Wahrend sich also in der aufsteigenden Phase Darlehensnachfrage und -angebot, Preise und Diskontsatz im gleichen Sinne verandern, folgt im Augenblick des 1 Wenn namlich das Kreditvolumen zu groB wird und im Publikum der Verdacht entsteht, daB die Lage der Banken nicht mehr so gesichert sein kbnnte, besteht die Gefahr, daB das Publikum selbst, von Panik erlaBt, die Einlosung der Noten verlangt, um Goldgeld zu thesaurieren, falls es sich um ein Land mit Goldwahrung, und um ausliindische Devlsen und Goldbarren zu thesaurieren, tails es sich um ein Land mit Golddevisenwahrung handelt. 2 ,,Anticipated profits play the decisive role in fixing the direction to be taken by business expansion . . ." (MITCHELL, a. a. O., S. 106 der Ausgabe 1927). 3 Man beachte, daB sich alle Untersuchungen der vorliegenden Arbeit aufier und mehr als auf die gegenwartigen, auf die zukunftigen Profite beziehen. 4 LAVINGTON, The trade cycles, London 1922, S. 44; H A W I B E Y , Monetary reconstruction, London 1923, S. 108; SYKES, Some practical implications of the control of credit, in: The Economic Journal, Dez. 1926, S. 656; SCHUMPETER, The explanation of the business cycles, in: Economica, Dez. 1927, Anm. 1 bei S. 308.
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Konjunkturumschwungs auf die Erhohung des Diskontsatzes eine umgekehrte Bewegung der iibrigen Faktoren. Dies ist der typische Fall, in welchem — anstatt daB die Nachfrage einen Druck auf das Darlehensangebot ausiibe, damit dieses sich vergroBere — es das Angebot ist, welches, da es geringer werden muB, einen Druck auf die Nachfrage ausiibt, damit diese sich ihm anpasse. Die inverse Bewegung von Diskontsatz, Darlehensnachfrage und Darlehensangebot, die in diesem Falle stattfindet, ist inUbereinstimmung mit den oben dargelegten Grundsatzen. 1 Und die Erhohung des Diskontsatzes iibt in diesen Augenblicken infolge der angegebenen psychologischen Wirkung einen machtigen und entscheidenden EinfluB.2 H a t sich die Bewegung aber einmal umgekehrt, dann geht sie in dieser umgekehrten Richtung weiter, weil auch sie durch sich selbst genahrt wird. Die erste Senkung der Preise, die die gegenwartige Profitrate herunterdriickt und beziiglich der zukiinftigen Profite wenig hoffnungsvolle Aussichten eroffnet, drangt die Erzeuger dazu, ihre Erzeugung einzuschranken. Jede neuerliche Verringerung der Erzeugung laBt aber die Preise weiter sinken und die Preissenkung, die die Profite gedriickt halt, wird ihrerseits zur Ursache einer neuerlichen Verringerung der Erzeugung und neuerlicher Preissenkungen. So geht die Bewegung, wenn sie einmal begonnen hat, weiter, wie in der aufsteigenden Phase durch sich selbst genahrt. Aber in dem MaBe, in
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Siehe oben 3. Kap., § 6. Die Veranderungen des Diskonts, welche eine Verschiedenheit zwischen diesem und der Profit- und Zinsrate schaffen, beeinflussen die Nachfrage nach Darlehen vor allem in der Richtung, daB sie den Produktionsumfang verandern; und zwar verringert sich dieser in den Augenblicken des Konjunkturumschwunges betrachtlich infolge der Gleichzeitigkeit der Steigerung des Diskontsatzes und der Veranderung der zu erwartenden Profite; es ist demnach klar, da!3 sich auch infolge geringfiigigster Veranderungen des Diskontsatzes bedeutende Veranderungen der Nachfrage nach Darlehen einstellen konnen. Die oben dargestellte Theorie ist also imstande, alle Tatsachen des wirklichen Lebens zu erklaren. — Das gleiche kann jedoch von den Theorien jener Schriftsteller, welche im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Problem den Diskont nur unter dem Gesichtspunkte eines Produktionskostenelementes betrachten, nicht gesagt werden. Da diese Autoren meinen, daB der EinfluB des Diskontsatzes auf die Darlehensnachfrage ausschlieBlich dahin gehe, die Kosten zu verandern, konnen sie den tatsachlichen Auswirkungen der Veranderungen des Diskontsatzes nicht gerecht werden; und angesichts der offenbaren TJnverhaltnismaBigkeit zwischen der Grofie der schlieBlichen Auswirkungen und der Geringfugigkeit der auslosenden Zwischenglieder miissen sie zu dem Ergebnis gelangen, daB das Eingreifen des Diskonts im ganzen gar nicht beachtlich ist. Dies tut z. B. SNYDER, ,,Actual cost of money to merchants and manufacturers", sagt er, „is not in it self a decisive factor in the business cycles". Und spater kommt er zu dem Ergebnis: , ,The direct effect of interest rates upon the course of the business cycles seems less than many have supposed . . ." (Influence of interest rate on the business cycles, in: The American Economic Review, Dez. 1925, S. 697/698). Auch der Londoner „Economist" nimmt in einem vor einigen Jahren veroffentlichten Aufsatz den Standpunkt ein, daB die Veranderungen des Diskonts die Produktionskosten nur in sehr kleinem AusmaB beeinflussen konnen. (The Economist, 31. Marz 1925.) Treu ist der Kostentheorie avich Prof. WALDO MITCHELL, der auf Grund zahlreicher statistischer Daten, welche er zur Widerlegung der Ergebnisse von SNYDER sammelte, behaupten zu konnen glaubt, daB der ZinsfuB ein wicbtiges Element der Produktionskosten ist (WALDO MITCHELL, Interest cost and the business cycles, in: The American Economic Review, Juni 1926, S. 220 u. ff.). Diese Kontroverse verliert jegliche Bedeutung, wenn man die von uns im Texte dargestellte Ansicht annimmt; denn wenn man zugibt, daB der EinfluB des Diskontsatzes auf die Darlehensnachfrage und damit auf den Gang der Geschafte vor allem dahin geht, die Aussichten beziiglich der zu erwartenden Profitrate zu verandern und den Umfang der Produktion zu veriindern, dann ist es fur unsere Frage gleichgiiltig, ob die Veranderungen des Diskontsatzes betrachtliche Veranderungen der Produktionskosten hervorrufen oder nicht. 2
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dem sich die Erzeugung nach und nach verringert und die Preise sinken, geht die Nachfrage nach Darlehen zuriick. Ihr Ruckgang ruft eine progressive Herabsetzung des Diskonts hervor, welche zum Teil durch die Verminderung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, die beinahe immer mit dem allgemeinen Nachlassen der Geschafte einhergeht, kompensiert wird. Nach tJberwindung des Augenblickes des Konjunkturumschwungs bewegen sich also Diskont, Preise, Erzeugung, Darlehensnachfrage und -angebot wiederum in der gleichen Richtung, und die absteigende Phase wird daher durch Situationen gekennzeichnet, welche zu denen der aufsteigenden Phase zwar invers, aber analog sind. Sowie die Darlehensnachfrage allmahlich zuruckgeht, wird das Kreditvolumen kleiner und aus einem Zustand abnormaler Ausweitung gelangt es allmahlich in einen Zustand ebenfalls abnormaler Einengung, in welchen der Diskontsatz sehr tief sinkt, ohne da8 dies jedoch infolge der niedrigen Satze sowohl der gegenwartigen wie der zukunftigen Profite imstande ware, die Lage zu verbessern. 1 Und die Depression dauert so lange an, bis die Profite infolge des Auftretens irgendeines neuen Faktors wieder zu steigen beginnen. Es gibt daher, wie wir sehen, jede Stoning, welche die Profitrate erhoht, einen Antrieb fur eine aufsteigende Bewegung; und diese, einmal im Gange, zeigt infolge der gegenseitigen Verstarkung der Krafte, welche sie selbst in Tatigkeit gesetzt hatte, die Tendenz fortzudauern und wird in ihrer Entwicklung von einer abnormalen Kreditausweitung begleitet. Diese aufsteigende Bewegung fiihrt dahin, den Geldmarkt nach und nach von seiner Gleichgewichtslage zu entfernen. Sie ruft namlich eine Situation hervor, in welcher die Profit-, Diskont- und Zinssatze voneinander abweichen und in welcher die Kreditausweitung, weil sie eben abnormal ist, das Banksystem einer schweren Belastung unterwirft. Diese Belastung kann es zwar eine Zeitlang aushalten, sie darf aber nicht ins Unbegrenzte fortgesetzt werden. Wenn daher die Bewegung irgendeinem Hindernis begegnet, das die gegenseitige Unterstiitzung der storenden Tatigkeit der verschiedenen Faktoren verhindert, und so der Antrieb wegfallt, ist es natiirlich, daB der Geldmarkt seine Bewegung briisk umkehrt. Bei dieser briisken Reaktion neigt der Geldmarkt natiirlich dazu, die Gleichgewichtsposition zu unterschreiten, voriibergehend unter sie herunterzugehen. Es ergibt sich demnach, daB die zyklischen Bewegungen Schwankungsbewegungen der modernen Wirtschaften wm Hire stabile Gleichgewichtsposition, oder genauer gesagt, wm ihre nacheinander eingenommenen Oleichgewichtspositionen sind, wenn sich — wie dies in Wirklichkeit geschieht — diese wahrend der Abwicklung der zyklischen Bewegungen selbst verschieben. Da diese Schwankungsbewegungen, um auftreten zu konnen, der Hilfe des Kredits bediirfen, rufen sie schwankende Bewegungen des Geldmarktes hervor. Dies ist eben der 1 Aus diesem Grunde muB der Ausgang der in den Vereinigten Staaten von HOOVER unterstiltzten und eingeleiteten MaBnahmen, die daraul hinzielen, die industrielle Tatigkeit durch eine Politik des billigen Kredits wieder zu beleben, als sehr zweilelhaft betrachtet -werden.
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Grund, warum er wechselnd aus einem Zustand auBerster Angespanntheit in einen solchen tiefer Depression iibergeht und umgekehrt. Der Geldmarkt be.we.gt sich jedoch innerhalb dieser Orenzen nicht aus eigener Initiative, sondem infolge der Tdtigkeit aufierer wirtschaftlicher Faktoren von denen er die Initiative erhdlt. Es gibt freilich Falle wirtschaftlicher Zyklen, hervorgerufen von Storungen, deren Ursprungszentrum im Geldmarkt liegt. Das gilt zum Beispiel von dem Wirtschaftszyklus, welcher mit der Krise von 1857 endet und der wenigstens zum Teil auf den durch die VergroBerung der Welt-Gold produktion (Entdeckung der Goldlager in Australien und Kalifornien) verursachten UberfluB an flussigen Geldern zuruckzufiihren ist. I n dem groBten Teil der Falle treten jedoch die storenden Faktoren auBerhalb des Geldmarktes auf; dieser ist daher kein aktives, sondern ein passives Element der Bewegung. 1 Der Geldmarkt erwirbt die beherrschende Lage als aktives Element nur in demjenigen Augenblick der aufsteigenden Phase, in welcher der Kredit daran ist, die Hochstgrenze der Ausdehnung zu erreichen. Ist aber dieser Augenblick iiberschritten und ist durch energische Krediteinschrankung die Bewegung herumgeworfen, so kehrt der Geldmarkt wieder zu seinem passiven Verhalten zuriick und von der allgemeinen wirtschaftlichen Depression wird auch er in einen Depressionszustand hineingezogen. Wir konnen daher den allgemeinen Grundsatz aufstellen, daB innerhalb der Grenzen der von uns so genannten Schwankungszone des Darlehensangebotes 2 (welche die Zone der mbglichen Veranderungen des Geldmarktes bedeutet) die Veranderungen des Kreditvolumens mehr als durch die Tatigkeit der Banken, durch die Veranderungen des Umsatzes und der Preise bestimmt werden, und daB infolgedessenefo'e schwankenden Bewegungen des Geldmarktes nicht die Ursache, sondem vielmehr die Wirkung der industriellen Schwankungen sind.3 Dies ist der Punkt, an welchem sich die Theorie des Geldmarktes in den Rahmen der Theorie der Wirtschaftszyklen einordnet. Um also die Untersuchung der ersteren zu vervollstandigen, ware es notwendig, sie 1 Wir tibernehmeii also nicht die Auffassung von HANSEN (Cycles of prosperity and depression in the United States, Great Britain and Germany, Madison 1921), HAWTREY (Trade and Credit, London 1928, S. 169), ROPKE (Kredit und Konjunktur, in: Jahrbiicher fur Nationalokonomie und Statistik, Miirz—April 1926, S. 243—285) und anderen, wonach die wirtschaftlichen Schwankungen Brscheinungen ausschlieBlich monetaren Ursprungs waren. Wir konnen auch nicht die Auffassung von MISES annehmen (Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik, Jena 1928, S. 58), wonach die Wirtschaftszyklen auf systematische Irrtumer der Emissionsbanken zuruckzufiihren seien, welche, dem Druck der Politiker und Geschaftsleute nachgebend, die Diskontrate zu niedrig halten und dadurch (hier wendet er die Theorie von WICKSELL an) eine aufsteigende Preisbewegung begiinstigen, die dann unvermeidlich eine Reaktion hervorrufe. Die Wahrheitsliebe gebietet zu erwiihnen, daB HANSEN, der die Frage in einer jiingst erschienenen Arbeit wieder aufwirft (Business-cycle Theory, Boston), die monetare Theorie der Wirtschaftszyklen vollig umgebaut, wenn nicht verlassen hat. 2 Siehe 3. Kap., § 6, S. 58. 3 ,,Monetary and banking conditions may be said to permit these developments and even to favor them; but the active role is still playd by prices and the physical volume of trade. Not until the dollar volume of business has grown so large that it taxes the elasticity of the monetary and banking system, do the monetary factors in the equation of the exchange begin to dominate business transactions . . ." (MITCHELL, Business Cycles, New York 1927, S. 134. Im gleichen Sinne siehe: WAGEMANN, Economic Rythm, New York 1930, S. 194/195).
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mit einer Untersuchung der letzteren zu verbinden und nachzuforschen, welche Krafte es sind, durch deren Eingreifen die Profitrate einmal steigt und einmal fallt, so daB die modernen Wirtschaften schwankenden Bewegungen unterworfen sind. Diese Aufgabe, welcher wir uns vor kurzem unterzogen, 1 geht aber liber den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinaus und wir beschaftigen uns daher mit ihr hier nicht.
B. Die Gesetze des Geldmarktes bei verkehrsverbundenen Landern.
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11. Wie im vorhergehenden Falle werden wir aucb im Falle verkehrsverbundener Lander so vorgehen, da8 wir untersuchen: 1. die Bedingungen, welche die Gleichgewicktspositionen ihrer Geldmarkte bestimmen; 2. die Storungen, welchen diese unterworfen sein konnen, und ihre gegenseitigen Wirkungen und Ruckwirkungen. Zwei oder mehrere miteinander in Verkehr stehende Lander befinden sick- in monetarem Gleichgewicht, sobald keinerlei Geldiibertragung zwischen ihnen erfolgt, obwohl das Geld frei von einem Lande zum andern iibertragbar ist. Damit dies der Fall sein konne, m u 6 : 1. der innere Geldmarkt jedes einzelnen Landes im Gleichgewicht sein; und muB 2. bei Erfullung der Bedingung 1 das internationale Soil- und Habensaldo (la bilancia del dare e dell'avere internazionale) der verschiedenen Lander ausgeglichen sein.2 Welches die Bedingungen des inneren monetaren Gleichgewichtes sind, wurde bereits bei der Untersuchung des geschlossenen Marktes angegeben. Um nun die Gesetze der Gleichgewichtspositionen verkehrsverbundener Lander, oder kurz: der internationalen monetaren Gleichgewichtspositionen zu bestimmen, geniigt es also, wenn wir uns hier nur mit der Frage 2 beschaftigen. Wir werden schrittweise vorgehen, zunachst den Fall von Landern mit ubereinstimmendem ZinsfuB und erst spater jenen von Landern mit verschiedenem ZinsfuB betrachten. a) Lander mit gleichem ZinsfuB (zweite Annaherung). 12. Aus den bisherigen Untersuchungen wissen wir, daB es, schematisch gesehen, drei Gruppen gegeneinander austauschbarer Guter gibt, welche die Faktoren des inneren monetaren Gleichgewichts bilden. Es sind dies: die Produkte, die Wertpapiere und das Geld. Diesen drei Gruppen wollen wir jetzt eine vierte hinzufugen, welche wir, um die Dinge nicht zu komplizieren, bisher vernachlassigt haben: das zuhilnftige Geld, mit welchem Ausdruck wir von nun an Anweisungen bezeichnen, die kurzfristige Gelddarlehen darstellen (z. B. Wechsel) und die auf dem 1 FANNO, Cicli di produzione, cicli del credito e fluttuazioni industriali, in: Giornale degli Economist!, Mai 1931; DERSELBE, Irrtumer in der Zeit als Ursachen wirtschaftlicher Schwankungen, in: Zeitschritt lur Nationalokonomie, Bd. IV. 1932. 2 Beziiglich der verschiedenen Ausdrucke, um das zu bezeichnen, was gemeiniglich internationale Zahlungsbilanz genannt wird, und beziiglich der Grtinde, derentwegen wir dem im Text gebrauchten Ausdruck den Vorzug geben, siehe JANNACCONE, La bilancia del dare e dell' avere internazionale, Mailand 1927, S. 1 u. 11.
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Geldmarkt fortwahrend gegen gegenwartiges Geld eingetauscht werden. Diese vier Giitergruppen, welche im Innern eines jeden Landes zirkulieren, zirkulieren auch von Land zu Land und durch ihren Austausch, der Verpflichtungs- und Forderungsverhaltnisse zwischen Land und Land schafft, wird das internationale Soil- und Habensaldo jedes Landes gebildet. Wir werden daher zunachst die Bedingungen feststellen miissen, die erforderlich sind, damit diese Zahlungsbilanz in Gleichgewicht sei. Die Zirkulation dieser verschiedenen Giiter von Land zu Land gehorcht den Gesetzen des internationalen Handels. Wir wissen, daB ein internationaler Warenaustausch nur stattfinden kann, wenn Unterschiede in den komparativen Werten der in den einzelnen Landern zirkulierenden Giiter bestehen. Damit also keine internationale Geldiibertragung stattfinde und die Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander in Gleichgewicht sei, muB der komparative Wert des gegenwartigen Geldes im Verhaltnis zu den Produkten, den Wertpapieren und dem kiinftigen Gelde in alien Landern der gleiche sein. Die Gelddarlehen erweisen sich, wie wir sahen, 1 als ein Austausch von gegenwartigem Geld gegen Schuldverschreibungen, welche kiinftige Zahlungsversprechen enthalten, also kurz gegen zukiinftiges Geld. Der aktuelle Wert dieser Wertpapiere ist gleich dem Geldbetrag des in ihnen enthaltenen Zahlungsversprechens, vermindert um die zum geltenden Diskontsatz berechneten Zinsen fur die bis zur Falligkeit fehlende Zeit. Dieser aktuelle Wert ist der Preis des kiinftigen Geldes; das heiBt die betreffenden Mengen gegenwartigen und kiinftigen Geldes werden gegeneinander ausgetauscht. Diese beiden Mengen, welche voneinander je nach der Hohe des Diskontsatzes abweichen, stehen zueinander in einem bestimmten Verhaltnis. Und das Verhaltnis, in welchem gegenwartiges gegen kxinftiges Geld in einem Lande ausgetauscht wird, verglichen mit dem Verhaltnis, zu welchem es in anderen Landern ausgetauscht wird, bildet den komparativen Wert der beiden Gelder in den beiden Landern. Dieser komparative Wert ist in zwei oder mehreren Landern der gleiche, wenn in ihnen der Diskontsatz gleich ist. Er ist verschieden, wenn der Diskontsatz verschieden ist. Daraus ergibt sich, daB eine Ubertragung von gegenwartigem gegen zukiinftiges Geld aus einem Lande in das andere nicht stattfindet, und daB also unter diesem Gesichtspunkt internationales nonetares Gleichgewicht besteht, sobald die Diskontsatze in den verschiedenen Landern gleich sind. Nun hangt das internationale monetare Gleichgewicht vor allem da von ab, daB die inneren Markte eines jeden Landes in Gleichgewicht seien. Und diese befinden sich, wie man weiB, in Gleichgewicht, sobald in jedem die Diskontrate mit der Zinsrate ubereinstimmt. Da hier von Landern mit gleichen ZinsfiiBen die Rede ist, ist also die Diskontrate bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen in den verschiedenen Landern gleich hoch; und ebensowenig wie langfristige internationale Anleihen und Kapitalausfuhr sind in den Gleichgewichtspositionen internationale 1
Siehe 1. Kap., § 2.
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Anleihen mit kurzer Laufzeit moglich. Daraus folgt, daB tJbertragungen von Kapitalien und zukunftigem Geld bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen nicht als Aktiv- und Passivposten der Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander auftreten, und daB daher diese Bilanz, sobald man der Einfachheit halber die anderen Post en iibergeht, nur aus Ausfuhr und Einfuhr von Giitern und Effekten besteht. Unsere Frage lauft also darauf hinaus: festzustellen, unter welchen Bedingungen in jedem Lande der Wert der Einfuhr und der Wert der Ausfuhr von Giitern und Effekten einander gleich sind. Was die Guter anlangt, so gliedern sie sich in zahlreiche Gruppen, deren Preise sich in jedem Lande nach den betreffenden Kosten abstufen und von Land zu Land verschieden sind. Infolge dieser Verschiedenheit der individuellen Preise in den einzelnen Landern kommt es zu einem internationalen Guteraustausch, der jedoch auf Grund des Prinzips der komparativen Werte und Kosten ablauft. Hangt aber jede einzelne Ein- und Ausfuhr von den jeweiligen Preisen der betreffenden Girter in dem betreffenden Lande ab, dann hangt der Gesamtbetrag der Einund Ausfuhr eines jeden Landes von der Preisskala im eigenen und im andern Lande ab. Diese Preisskala bedeutet das allgemeine Preisniveau, also den Ausdruck Pv unserer Gleichungen. Es gibt demnach in den verschiedenen Landern Preisniveaus, bei denen in jedem von ihnen der Wert der Giiterein- und -ausfuhr ganz genau ubereinstimmt. Wir wollen vereinbaren, daB wir diejenigen Preise der verschiedenen Lander, bei denen diese Bedingung erfullt ist, gleiche Preisniveaus, oder kurzer: gleiche Preise nennen. Beziiglich der Guter gelangen wir also zu dem SchluB, daB die Zahlungsbilanz mehrerer miteinander in Verkehr stehender Lander in Gleichgewicht ist, sobald die Giiterpreise in ihnen in dem angegebenen Sinne gleich sind. Analoge Erwagungen gelten fur die Wertpapiere. Auch bei ihnen gibt es verschiedene Kategorien und Arten, und in den verschiedenen Landern ist die Vorliebe fur die einen oder anderen von ihnen verschieden. Infolge dieser verschiedengradigen Vorliebe finden andauernd Austauschakte von einem Lande zum andern statt. 1 Hingegen kann es bei Landern mit gleichem ZinsfuB, wie wir sie vor Augen haben, bei Gleichgewichtsverhaltnissen zu internationalen tJbertragungen von Effekten, welche von internationalen Kapitalsiibertragungen herriihren, nicht kommen. Der Betrag der eingefiihrten Wertpapiere muB also fur jedes Land ganz genau so groB sein wie jener der ausgefuhrten Wertpapiere. Nun kann es aber zu solchen nur bei Vorliegen von bestimmten Effekten-Preisniveaus in den einzelnen Landern kommen. Kommen wir iiberein, von 1 Es gibt ja bekanntlich Wertpapiere mit festem und Wertpapiere mit veranderlichem Ertrag. Die einen und die anderen werden von verschiedenen Gruppen von Personen bevorzugt, wobei je nach dem Bevolkerungsaufbau auch die Unterschiede zwischen den Staaten groB sind. In Frankreich werden z. B. Papiere mit festem Ertrag, in England solche mit veranderlichem Ertrag bevorzugt. Selbst wenn wir also annehmen, dafi in England und Frankreich das gleiche allgemeine Preisniveau fvir Effekten bestunde, kann sich zwischen den beiden Landern ein Austausch von Papieren mit festem gegen solche mit veranderlichem Ertrag herausbilden.
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nun an auch fur die Weftpapiere gleiche Preisniveaus oder kiirzer: gleiche Preise diejenigen zu nennen, bei denen der Wert der eingefuhrten Wertpapiere in jedem Lande gleich ist jenem der ausgefiihrten Wertpapiere, dann konnen wir sagen, daB auch beziiglich der Wertpapiere die Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander in Gleichgewicht ist, wenn ihre Preise in den betreffenden Landern im angegebenen Sinne gleich sind. Um zusammenzufassen, sind demnach in Landern mit gleichem ZinsfuB die Zahlungsbilanzen der verschiedenen Lander in Gleichgewicht, wenn: in ihnen 1. die Diskontsatze gleich sind und iiberdies: 2. die Giiterpreise, und 3. die Effektenpreise ebenfalls gleich sind. Das internationale monetare Gleichgewicht hangt also von folgenden Bedingungen a b : 1. daB der innere Geldmarkt jedes einzelnen Landes in Gleichgewicht sei; und 2. daB gleichzeitig die drei eben angegebenen Bedingungen erfullt seien. Ist jedoch das internationale monetare Gleichgewicht unter anderm von der Ubereinstimmung der Diskontraten in den verschiedenen Landern abhangig, so muB die Natur dieses Gleichgewicht je nach der Diskontrate, welche sich dabei herausbildet, verschieden sein. Das innere monetare Gleichgewicht jedes Landes kann ja, wie wir wissen, stabil oder voriibergehend sein, je nachdem ob die ihr entsprechende Diskontrate mit dem ZinsfuB ubereinstimmt oder nicht. Infolgedessen hat das internationale monetare Gleichgewicht, welches sich jedesmal bei Vorliegen der beiden oben erwahnten Bedingungen einstellt, einen voriibergehenden Charakter, wenn der Diskont von den in alien Landern gleichen ZinsfuB abweicht; es hat hingegen einen stabilen Charakter, wenn der Diskont mit dem ZinsfuB ubereinstimmt. Wenn wir diese Gleichgewichtspositionen darstellen wollen, so miissen wir nur die Gleichungen des inneren monetaren Gleichgewichts der verschiedenen Lander anschreiben. Es mogen, um den einfachsten Fall zu betrachten, nur zwei Lander miteinander in Verkehr stehen: die Lander A und B; und die Gleichungen der beiden Geldmarkte seien: Gleichung des Geldmarktes des Landes A:
lQ»gPpaVa(»a,ia,ta)]
+ [TaPta
+ (TtaPta+TaaPta)Vla
=
'2a
= [Sa (7ta -
1)] + [Da (nia -
1)] -
[Tea Pta + Tda Pta]
Gleichung des Geldmarktes des Landes
= [Sb (7ib -
1)] + [Dj, {jtlb -
1)] -
(13)
B:
[Teb Ptb + Tdb Ptb\
(14)
Angenommen, daB hiebei ia = ib sei, so wird zwischen A und B monetares Gleichgewicht bestehen, sobald: "ma tya \sa; lai ^a) = = "ab fi (5i)> H< h) Pta Via (sa, *o, h) = Ptb
(«6> h, h)
Qg\
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Hiebei wird das Gleichgewicht dauernden Charakter haben, wenn s
a
=
l
a
=
s
b
=
H
und voriibergehenden Charakter haben, wenn bei ta = tb und sa = sb sa > oder < ia und sb > oder < i 6 . 13. Nachdem wir die Gleichgewichtspositionen der Geldmarkte verkehrsverbundener Lander festgestellt haben, untersuchen wir die Storungen, welehen sie unterworfen sein konnen, wobei wir wie im vorhergehenden Abschnitte Storungen betraehten, welche: 1. Trend-hafte Bewegungen; 2. saisonmaBige Bewegungen und 3. zyklisehe Bewegungen hervorrufen.
Storungen, welche trendhafte Bewegungen hervorrufen.
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14. a) Man nehme an, daB das Land A in stiirmischem Aufsehwung begriffen sei; in diesem Falle wird sich daher Qm stiirmisch vergroBern. Das Land B befinde sich hingegen in Stillstand oder, was fur die Ergebnisse das gleiche ist, zwar auch in einem, aber weniger stiirmischen Fortschritt, so daB sich Q»& weniger rasch vergroBert als Qpa. Der Geldmarkt der beiden Lander wird sich in einem Zustand dauernder Anspannung befinden; der Diskontsatz wird daher die Tendenz zeigen, sich hoher zu halten als der ZinsfuB und die Profitrate, wahrend die Preise zum Sinken neigen werden. Da sich aber Q in A starker vergrSBert als in B, wird der Diskontsatz die Tendenz zeigen, in A hoher zu bleiben als in B. Das wird einen standigen Anleihestrom in Bewegung setzen, wobei Geld von B nach A ausgefuhrt werden wird; diese Anleihen wird aber das Land A nach und nach durch Ausfuhr von Effekten und Waren tilgen, weil der hohe Diskontsatz, der dort die Preise starker senkt als in B, unweigerlich eine solche Ausfuhr verursachen wird. Letzten Endes wird also die Stoning allmahlich die internationale Verteilung der verschiedenen Giitergruppen zur Veranderung bringen, und zwar wird sie ein Abstromen von Giitern und Effekten von A nach B und ein Abstromen von Metallgeld von B nach A, das heiBt eine progressive Erhohung der Metallvorrate des Landes, in welchem das Volumen der zirkulierenden Guter rascher gestiegen ist, hervorrufen. Es erfullt sich also auf dem Wege iiber den Geldmarkt das klassische Gesetz der internationalen Verteilung der Edelmetalle, welches von RICARDO fur Lander mit rein metallischem Geldumlauf entdeckt wurde und nach welchem jedes Land imstande ist, so viel Geld zu erhalten als es im Verhaltnis zu Inlandsumsatz und zu den inlandischen und internationalen Preisen benotigt. 1 j8) Nehmen wir nunmehr an, daB das Land B Edelmetalle produziere, das Land A aber nicht; und daB die verfiigbare Goldmenge in B infolge der Entdeckung neuer Lager im Steigen begriffen sei. Das in B produzierte Gold wird dann, soweit es nicht fur industrielle Zwecke bestimmt 1 RICARDO, The Principles of Political Economy, London, Ausg. Dent, Kap. V I I , S. 83 u. H.
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ist, die Reserven der Emissionsbanken dieses Landes vergrbBern, indem es vor allem den Notenumlauf unmittelbar vergroBert und gleichzeitig den offiziellen Diskontsatz herunterdriickt. Durch diesen niedrigen Diskontsatz wird die Nachfrage nach Darlehen vergroBert. Und durch die Erhohung dieser Nachfrage kommt es mittelbar zu einer neuen Erhohung des Notenumlaufs. Die Notenvorrate bei den Depositenbanken werden steigen, so daB auch der Marktdiskontsatz fallen wird; das gesamte Kreditvolumen wird einen kraftigen Antrieb zur VergroBerung, und die Preise zur Steigerung erhalten. Das Land B wird dann Waren und eventuell Wertpapiere von A in einem hoheren Werte als sonst einfuhren und wird dafur als Zahlung Gold nach A schicken miissen, soweit es dies nicht schon unter dem Titel kurzfristiger Anleihen gemacht hatte, um an der Spannung zwisehen den Diskontsatzen der beiden Lander zu gewinnen. Es wird sich also ein doppelter Strom von Verkehrsbeziehungen herausbilden: ein Strom von Waren und Wertpapieren von A nach B, und ein Strom von Gold von B nach A; das in B produzierte Gold wird sich nach A und sodann in analoger Weise allmahlich von A in alle anderen Lander ergieBen, und zwar ebenfalls rein nach dem klassischen Verteilungsgesetz der Edelmetalle; 1 dieses Gesetz entspricht wiederum genau jenem iiber die komparativen Kosten, das ebenfalls von RICARDO entdeckt 2 und beziiglich des internationalen Warenaustausches gegen Gold von CAIENBS ausgebaut wurde. 3 y) Man nehme schlieBlich an, das Land B sei wegen dringenden finanziellen Bedarfs oder aus anderen Griinden genotigt, eine groBe Menge nicht konvertierbaren Papiergeldes auszugeben, die Konvertibilitat der Banknoten zeitweise aufzuheben und als Gegenwert fruher erhaltener Anleihen oder auBerordentlicher Gutereinfuhr einen Teil oder die Gesamtheit der eigenen Metallvorrate nach A auszufiihren. Es wird dann wie im vorhergehenden Falle eine Erhohung der Metallvorrate der Zentralbanken von A mit den gleichen Folgeerscheinungen wie oben eintreten. Das Verlassen des Goldstandards durch ein Land oder durch mehrere Lander hat demnach analoge Wirkungen wie eine erhohte Goldproduktion. Es verursacht namlich eine allgemeine Umverteilung von Gold, Waren und Wertpapieren zwisehen den verschiedenen Landern der Erde und fuhrt infolgedessen zu einer Erhohung der Reserven und zu einer Erhohung des Kreditvolumens derjenigen Lander, welche beim Goldstandard bleiben, und daher letzten Endes zu einer Entwertung des Goldes. Und zwar ist diese naturlich um so groBer, je groBer die Zahl und die Bedeutung der Lander, welche den Goldstandard aufheben, im Verhaltnis zu denjenigen ist, welche ihn beibehalten. Der eben behandelte Tall ereignete sich von 1914 bis 1921 in den verschiedensten Landern der Erde, weiLinfolge des Ausbruchs des Weltkrieges viele Lander gezwungen waren, den Goldstandard zeitweise aufzuheben; und da sich 1 LORIA, II valore della moneta, in: Biblioteca deU'Economista, Reihe IV, Bd. VI, S. 36 u. H. 2
3
RICARDO, a. a. O.,
S. 82 u.
ff.
CAIRNES, Saggio intorno alia questione dell'oro, in: Biblioteca deU'Economista, Reihe III, Bd. VI, S. 321 u. ff. Beitrage zur Geldtheorie. 6
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das Gold in wenigen Landern sammelte, wurde es zur Grundlage einer gewaltigen Kreditausweitung, worauf es sehr schnell entwertete. Umgekehrt wie die eben dargestellten sind die Wirkungen einer allgemeinen Rtickkehr zum Goldstandard seitens der Lander, welche ihn verlassen hatten; denn da eine solche Riickkehr nur nach vorhergehender Erhohung der Metallvorrate der betreffenden Lander stattfinden kann, bringt sie unvermeidlich eine Verringerung der Reserven der iibrigen Lander mit sich, also eine Versteifung des Diskontsatzes und daher letzten Endes eine Senkung der Preise, die in Gold ausgedriickt werden, was ein MaBstab fur die Hoherbewertung des Goldes ist. Auch dieser Fall h a t sich in jiingster Zeit ereignet; denn die Preissenkung zwischen 1929 und 1931 muB, wenn sie auch das Ergebnis zahlreicher anderer Faktoren ist, doch wenigstens zum Teil auf die gleichzeitige Riickkehr zahlreicher Lander zum Goldstandard zuruckgefiihrt werden.
Storungen, welche saisonmafiige Bewegungen hervorrufen.
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15. Wie bei dem geschlossenen Markte untersuchen wir nunmehr die saisonmaBigen Storungen, welche durch Veranderungen von Qp, von 8 und von D hervorgerufen werden. Wenn sich aber die Ruckwirkungen bei verbundenen Markten von den dortigen unterscheiden sollen, dann miissen diese Storungen entweder auf ein einziges Land beschrankt sein, oder in mehreren Landern zwar gleichzeitig, aber mit verschiedener Starke auftreten. Nehmen wir wie vorhin an, daB die beiden Lander A und B miteinander verbunden seien und daB das Land A, da es ein Agrarland ist, wahrend des Herbstes, also wahrend der Erntezeit, eine saisonhafte Steigerung von Qv aufweise, von welcher jedoch das Land B nicht beriihrt werde; und daB zur Abwicklung der Ernte in A eine groBere Noten- und Goldmenge notwendig sei als sonst. Das Publikum wird sich beides, und zwar auf Kosten der Reserven der Emissions- und der Depositenbanken verschaffen. I n A wird also gleichzeitig eine Erhohung von Qv und eine Verringerung von 8 und D eintreten. Die Erhohung von Qv wird im Sinne einer Erhohung der Darlehensnachfrage wirken; die Verringerung von 8 und D wird im Sinne einer Verringerung des normalen Darlehensangebotes wirken; und aus all dem wird sich eine Steigerung des Diskontsatzes ergeben, was zur Folge haben wird, daB das iiberriormale Kreditvolumen aufrecht erhalten bleibt, daB gleichzeitig die Wertpapierpreise fallen, und daB die Wertpapiere in das Land B abwandern. Gleichzeitig wird jedoch der hohe Diskontsatz unter dem Titel kurzfristiger Anleihen Metallgeld von B nach A heriiberziehen; und dies wird auBer der Erhohung der Masse der fluktuierenden Wertpapiere auch in B einen Zustand der Geldspannung hervorrufen, was eine Erhohung des Diskontsatzes, eine Preissenkung der Effekten und eine Einschrankung des Kredits zur Folge hat. Letzten Endes wird also das Land A der Geldanspannung teils dadurch beizukommen suchen, daB es im Innern den Kredit auBergewohnlich ausweitet, teils dadurch, daB es voriibergehend
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Geld aus B einfiihrt. Das voriibergehende Gleichgewicht der beiden Markte wird sich bei Diskontsiitzen einstellen, welche in beiden Landern hoher sein werden als die betreffenden Zinssatze; sie werden aber untereinander gleich und so hoch sein, daB: 1. die in beiden Landern gesenkten Wertpapierpreise in beiden die gleichen, und zwar die den zukiinftigen Preisen angemessenen sind; 2. die voraussichtlich unveranderten Giiterpreise weiterbin in beiden Landern gleich bleiben; 3. die Nachfrage nach Darlehen in beiden Landern genau gleich dem Angebot ist. Diese Gleichgewichtsposition wird so lange andauern, bis die Ernteoperationen in A beendigt sind und daher die abnormale Erhohung von Qv aufgehort hat, bis das Metallgeld und die Noten, welche voriibergehend in den Kanalen der Zirkulation verstreut waren, zu den Banken zunickflieBen, die Geldanspannung weicht, der Diskontsatz fallt, die nach B abgewanderten Wertpapiere zuriickkehren, und das seinerzeit von JB heriibergeholte, uberfliissig gewordene Metallgeld dorthin zuriickkehrt. Wie man sieht, teilt sich also eine auch nur voriibergehende Stoning des einen Geldmarktes sofort dem andern mit, und es entsteht so zwischen den verschiedenen Markten jene Solidaritat, welche deren besondere Eigentumlichkeit ist; und inf olge der Abhangigkeit der Effekten- von den Geldmarkten dehnt sich diese Solidaritat auch auf die Effektenmarkte aus und bewirkt, daB sie sich normalerweise in alien Landern in der gleichen Bichtung bewegen. Natiirlich hangt das AusmaB, in welchem eine bestimmte Storung des einen Landes auf die anderen Lander zuriickwirkt, davon ab, wie leicht der innere Markt des ersteren der Storung allein entgegentreten kann, d. h. von der Elastizitat des Kredits und der Zirkulation. Ist die Zirkulation des Landes, in welchem die Storung eintritt, unelastisch, so wird die Metallgeldmenge, welche es im Auslande wird ansprechen nriissen, sehr bedeutend sein, und die Anstrengungen zur Erzielung einer zeitweiligen Anpassung werden zum groBten Teile von den Markten der anderen Lander gemacht werden miissen. Ist hingegen die Zirkulation in dem betreffenden Lande sehr elastisch, so wird die Metallgeldmenge, die es einfiihren muB, geringfugig sein, und die Anstrengungen zur Erzielung einer Anpassung werden zum groBten Teile von dem inneren Markte gemacht werden. Daraus ergibt sich, daB angesichts der Verbundenheit zwischen den verschiedenen Geldmarkten das Bestehen einer guten Kreditverfassung in einem Lande keineswegs bloB fur dieses, sondern auch fur alle anderen Lander von Wichtigkeit ist. Fur diese Verbundenheit zwischen den verschiedenen Markten gelegentlich saisonmaBiger Storungen und fur den EinfluB der Bankverfassung auf die Starke der B/iickwirkungen auf die anderen bietet der amerikanische Geldmarkt ein klassisches Beispiel. Vor dem Kriege konnten die Vereinigten Staaten mangels einer elastischen Bankzirkulation nur dadurch der herbstlichen Geldanspannung entgegentreten, daB sie Gold aus London einfuhrten und auch den englischen Markt einer analogen Anspannung unterwarfen. Nachdem man aber 1914 das Federal-Reserve-System eingefuhrt hatte, wobei die Emissionen 6*
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mit starker Elastizitat ausgestattet wurden, und da sich ferner in der Zwisehenzeit ungeheure Goldvorrate in den Vereinigten Staaten angesammelt haben, sind die amerikanischen Banken heute imstande, der saisonm&Bigen Bedarfsschwankungen allein Herr zu werden, und die herbstliche Geldanspannung der Vereinigten Staaten bleibt in Europa beinahe unbemerkt.
Storungen, welche zyklische Bewegungen hervorrulen.
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16. Bei verkehrsverbundenen Landern werden die zyklischen Veranderungen durch dieselben Storungen hervorgerufen wie bei einem abgeschlossenen Lande, und sie zeigen auch im wesentlichen denselben Verlauf, jedoch mit etwas groBeren Verwicklungen infolge der gegenseitigen Interferenzen der betreffenden Geldmarkte. Die Ausdehnungsbewegung beginnt beinahe niemals in samtlichen Landern gleichzeitig. Sie nimmt meistens von einem bestimmten Lande ihren Ausgang. Sie kann aber nicht auf dieses allein beschrankt bleiben. Denn wollte sich ein Land einer Ausdehnungsbewegung hingeben, wahrend sich die anderen noch in voller Krise befanden, so kame es sehr bald in eine unhaltbare Lage. Die allmahliche Preissteigerung, welche sich in ihm zweifellos einstellen wiirde, wiirde seine Handelsbilanz ungiinstig beeinflussen und zur Ursache werden, daB sein Gold ausgefuhrt wiirde. Um dies hintanzuhalten, nriiBten seine Emissionsbanken den Diskontsatz kraftig hinaufsetzen. Dadurch wurden sie aber die Bewegung gleich bei ihrer Entstehung abtoten. Damit sich also eine aufsteigende Phase durchsetzen konne, miissen alle Lander fur sie bereit sein. Und ist sie einmal begonnen, dann geht sie nachher in alien Landern weiter, da sie wie in einem geschlossenen Markte von sich selbst genahrt und von einer wachsenden Kreditausdehnung unterstiitzt wird. Die Belastung des Banksystems in verkehrsverbundenen Landern ist jedoch bedeutend groBer als in einem geschlossenen Lande. Die Bewegung geht in alien Landern infolge der Verbundenheit zwischen den verschiedenen Markten weiter, sie geht aber nicht in alien mit dem gleichen Rhythmus, mit der gleichen Starke weiter. Sie geht nicht einmal in demselben Lande immer in einem einheitlichen Rhythmus weiter. Daher kommen die standig neu auftretenden Spannungen zwischen den Preisen der einzelnen Lander wahrend der Aufstiegsperiode; freilich werden solche Spannungen, sowie sie auftreten, durch Marktarbitragen zwischen Land und Land ausgeglichen, aber gerade dadurch storen sie standig die Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander, weil sie standige Umstellungen der Zahlungsbilanz, sei es durch Anleihen, sei es durch Ubertragungen von Gold in verschiedenen Richtungen no tig machen. Wahrend der aufsteigenden Phase sind also die Banksysteme der verschiedenen Lander nicht nur den durch die aufsteigende Entwicklung entstehenden Belastungen, sondern auch den Belastungen, welche durch die Ausgleichung der standigen Storungen der Zahlungsbilanzen hervorgerufen werden, unterworfen. Diese doppelte Belastung konnen sie nun nicht unbegrenzt aushalten.
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J e mehr die Bewegung fortschreitet, urn so starker weitet sich der Kredit in den verschiedenen Landern aus, und allmahlich gelangt er dazu, die hochste fur das betreffende Banksystem zulassige Ausdehnung zu erreichen. Diese Grenze wird aber nicht uberall gleichzeitig erreicht, so daB sie zu einem bestimmten Zeitpunkt die einen Lander bereits erreicht haben, wahrend die anderen noch weit davon entfernt sind. Von diesem Augenblick an beginnen die Schwierigkeiten. Diejenigen Lander, welche im Begriffe stehen, ihre Grenze zu erreichen oder sie bereits erreicht haben, sind gezwungen, den Diskont hinaufzusetzen, denn da sie damit Gold aus dem Auslande anziehen, gelingt es ihnen, sich eine neue Spanne fur die Kreditausweitung zu schaffen und die Bewegung fortzusetzen. Dies geht aber, wie man sieht, ausschlieBlich auf Kosten der Reserven der uhrigen Lander. Daraus ergibt sich: in dem ersten Abschnitt, solange noch in samtlichen Landern eine Spanne fur die Kreditausweitung besteht, wird die Bewegung von Verschiebungen von Edelmetallen, welche im Laufe der Entwicklung nach verschiedenen Richtungen gehen, begleitet, und da es eben Verschiebungen sind, gleichen sie sich Jeicht untereinander aus, ohne einen der Beteiligten in monetare Schwierigkeiten zu bringen; geht die Bewegung ihrem Hohepunkt entgegen, wo der Kredit in gewissen Landern seine Hochstgrenze bereits fast erreicht hat, so kann die Bewegung nur weitergehen, wenn von alien anderen Landern ein bestandiger ZufluB von Edelmetallen in diese Lander einsetzt, das heiBt, wenn iiberall ein Zustand wachsender Geldanspannung geschaffen wird. Und eben deshalb muB sich dann die Bewegung sehr bald erschopfen. Lander, deren Metallvorrate ernstlich gefahrdet sind, werden ihren Diskontsatz zu Verteidigungszwecken hinaufsetzen. Darauf werden die anderen Lander mit einer analogen MaBnahme antworten, damit der GoldabfluB nicht aufhore. Und so entsteht zwischen den verschiedenen Landern ein Kampf, in dem mit Diskonterhohungen geschossen wird, um die eigenen Reserven zu erhohen bzw. zu erhalten. Nun wird diese kraftige Diskonthinaufsetzung seitens der verschiedenen Lander zum Warnungssignal fur einen nahen Konjunkturumschwung, und da dieses Signal die Erwartung bestandiger hoher Profite zerstort, ruft es die Reaktion hervor. Die Solidaritat der Wirtschaften der verschiedenen Lander, welche sich zu Beginn der Aufstiegsphase dadurch erweist, daB ein Aufschwung unmoglich ist, wenn nicht alle Lander fur ihn reif sind, und welche im Laufe des sich entfaltenden Aufschwungs bestandig anhalt, erweist sich also auch in dem Augenblick der Kulmination, da die Konjunktur wechselt. Und wenn in einigen Landern monetare Schwierigkeiten bestehen, so geniigt dies, um die Bewegung in alien anderen Landern abzuschneiden. -—•
b) Lander mit verschiedenem Zinsfufi (dritte Annaherung). 17. Nachdem wir Lander mit gleichen Zinsfufien behandelt haben, gehen wir dazu uber, die Gesetze des Geldmarktes unter der den wirklichen Verhaltnissen besser entsprechenden Voraussetzung zu unter-
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suchen, daB es sich um Lander mit verschiedenen Netto-ZinsfiiBen handelt. Es kann freilich den Anschein haben, als ob diese Annahme mit einem Gleichgewichtszustand unvereinbar ware, und dies ist sie auch, wenn man den internationalen Kapitalm&rkt betrachtet. Dieser kann sich tatsachlich nur dann in volligem Gleichgewicht befinden, wenn die Netto-ZinsfiiBe in alien Landern die gleichen sind; denn wenn diese anfanglich voneinander abweichen, entsteht beim Kapital die Tendenz, aus den Landern mit niedrigeren in solche mit hoheren ZinsfiiBen abzuwandern, und zwar theoretisch so lange, bis die verschiedenen ZinsfuBe infolge dieser Ubertragungen sich einander angeglichen haben. Aber angesichts der Schwierigkeiten und Hindernisse, welche sich aus verschiedenen Griinden den bestandigen Ubertragungen von Kapitalien aus einem Lande ins andere entgegenstellen, gelingt dies erst nach einem sehr langen Zeitraume. Und die durch die Erfahrung gelehrte Tatsache, daB sich trotz der freien Ubertragbarkeit der Kapitalien in den einzelnen Landern verschiedene ZinsfuBe halten, beweist es, wie die Tendenz den ZinsfuB zu vereinheitlichen, recht schwach wirkt und jedenfalls lange Zeit braucht um sich durchzusetzen. Wenn man daher kurze Zeitraume in Betracht zieht — und dies sind die Zeitraume, auf die sich die Gleichgewichtspositionen des Geldmarktes beziehen, — so kann angenommen werden, daB das internationale monetare Gleichgewicht mit ZinsfiiBen, welche von Land zu Land verschieden sind, vereinbar ist. Auch in diesem Fall ist das internationale monetare Gleichgewicht abhangig: 1. von dem inneren monetaren Gleichgewicht der einzelnen Lander; und 2. von dem Ausgleich ihrer Zahlungsbilanz. Diese letztere Bedingung wird aber nur unter anderen Verhaltnissen eriiillt als im vorhergehenden Beispiel und wir miissen uns daher nochmals mit ihr beschaftigen. Gehen wir wie vorher von zwei Landern A und B aus, wobei in A der Netto-ZinsfuB 3 % und in B 7% betrage. Unter diesen Verhaltnissen wird ein Strom von Kapitalien und kurzfristigen Anleihen von A nach B ausgefiihrt werden, ohne daB sich aber laut dem Gesagten die ZinsfuBe der beiden Lander wenigstens innerhalb kurzer Zeitraume in fuhlbarem AusmaBe veranderten. Die Zahlungsbilanz des Landes A wird daher zum Teil durch die gewohnlichen Soil- und Haben-Posten gebildet, welche den normalen internationalen Umsatzen von Produkten, Wertpapieren und Leistungen entspringen, und zum Teil aus einem Passivposten, welche auf den Kapital- und Anleihestrom zuruckzufuhren ist, den es nach B abgibt und dorthin abwandern laBt. Diesem Passivposten wird im Lande A ein Einf uhrstrom von Effekten und von Iciinftigem Geld gegeniiberstehen. Wenn wir mit Iva die Giitereinfuhr und mit Eva die Giiterausfuhr von A, mit Ita und Eta seine Effektenein- und -ausfuhr, und mit Imfa und Emfa seine Ein- und Ausfuhr an kiinftigem Geld in dem betrachteten Zeitabschnitt bezeichnen, so bezeichnet die Differenz Ita — Eta — Wa den Nettobetrag der transferierten Kapitalien, und die Differenz Imfa—-Emfa = Va jenen der neuen kurzfristigen Anleihen von A an B. Infolge dieser Transferierungen und dieser Anleihen
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wird jedoch das Land A Glaubiger des Landes B fur einen bestimmten Zinsen- und Dividendenbetrag, welchen wir mit dem Buchstaben G bezeichnen wollen. Uberdies kann A auch noch fiir Schiffsfrachten, Fremdenverkehr usw. Glaubiger oder Schuldner von B sein. Wir wollen den Gesamtnettobetrag dieser verschiedenen Posten mit dem Buchstaben H bezeichnen, wobei als ausgemacht gilt, daB H positiv oder negativ sein kann, je nachdem ob A wegen der Gesamtheit dieser verschiedenen Posten Glaubiger oder Schuldner von JB ist. Damit also zwischen den beiden Landern monetares Gleichgewicht bestehe, mu8 die Differenz (Eva — Ipa) zwischen dem Wert der Warenausfuhr und -einfuhr gleich sein dem Gesamtnettobetrag der iibertragenen Kapitalien und gewahrten neuen Anleihen, vermindert um die Zinsen G und um die Summe H. Wenn wir diese Differenz mit Za bezeichnen, so erhalten wir die Gleichung: Za=Wa + Va — G-H
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Aus ihr geht hervor, dafi Za von den Werten der Ausdriicke des zweiten Gliedes dieser Gleichung abhangt. Wenn G + H < Wa + Va, wird Za positiv sein und der Wert der von A ausgefuhrten Waren muB groBer sein als jener der eingefuhrten Waren. Wenn G + H = Wa + Va, mu6 die Einfuhr und die Ausfuhr gleich groB sein, und dann ist Za = 0. Ist schlieBlich G + H > Wa -f- Va, dann muB Za negativ sein, d. h. die Einfuhr muB die Ausfuhr ubersteigen. All dies vorausgesetzt, trachten wir jetzt die Faktoren, welche die verschiedenen Posten der Zahlungsbilanz bestimmen, festzustellen. Aus dem Bisherigen wissen wir, daB die Differenz Za die Tendenz hat, bei denjenigen Preisniveaus der Produkte, welche wir vereinbarungsgemaB als gleiche bezeichneten (s. § 12 dieses Kapitels), Null zu werden. Damit also eine positive (UberschuB der Ausfuhr von A) oder eine negative (UberschuB der Einfuhr von A) Differenz entstehe, muB das Preisniveau der Produkte in den beiden Landern in dem angegebenen Sinne verschieden sein; und zwar soil es im ersten Falle im Lande B hoher als im Lande A, und im zweiten in A hoher als in B sein. Diese positive oder negative Differenz zeigt die Neigung, im angegebenen Sinne um so groBer zu werden, je groBer die Differenz zwischen den Preisniveaus der Produkte in den beiden Landern ist. Sie kann daher als eine Funktion dieser letzteren Differenz aufgefaBt werden. Wenn wir, um das Problem sogleich fiir samtliche moglichen Falle (stabile und vorubergehende Gleichgewichtszustande) aufzustellen, wie in den Gleichungen (13)und (14) mit Ppa<pa (sa, ia, ta) die Preise der Produkte von A, und mit P^cpt, (s&, h> h) J e n e v o n ^ bezeichnen, so konnen wir schreiben: Z
a = Fa [Pvb
wobei Za gleich Null ist, wenn Pvb Pva(pa (sa, ia, ta); und negativ im umgekehrten Falle. Was die Einfuhr von kunftigem Gelde, also den Zustrom der kurzfristigen Anleihen betrifft, so gilt das Folgende. Vor allem werden
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derartige Anleihen zu einem Mitteldiskontsatz zwischen den inneren Satzen der beiden Markte gewahrt. Dieser stellt den Dislcontsatz des internationalen Marktes dar, und zwar fixiert er sich bei jenem Satze, bei dem sich Nachfrage und Angebot von kurzfristigen Anleihen zwischen den beiden Landern die Waagschale halten. Infolge der urspriinglichen Differenz zwischen den beiden inneren Satzen und je nach dem internationalen Satz bildet sich ein bestimmtes Zu- bzw. Abstromen neuer Anleihen zwischen den beiden Landern heraus. Infolgedessen wird der Diskontsatz potentiell die Neigung haben, in A zu steigen und in B zu fallen; und dies so lange, bis er sich dem internationalen Satz, und damit die beiden Diskontsatze untereinander, angeglichen haben. Ich sage aber: potentiell,weildiesinWirklichkeitnichteintritt. Da es sichumkurzfristige Anleihen handelt, steht dem ZufluB neuer Anleihen ein RiickfluB riickgezahlter friiher gewahrter Anleihen gegeniiber. Der AbfluB der neuen Anleihen wirkt dahin, die urspriinglichen Differenzen zwischen den Diskontraten der beiden Lander aufzuheben; der ZufluB der Riickzahlungen wirkt dahin, sie wieder herzustellen. Daher wird sich schlieBlich eine Tendenz zur Aufrechterhaltung, zur VergroBerung oder zur Verkleinerung der urspriinglichen Diff erenzen herausbilden, je nachdem ob die Riickzahlungen ebenso groB, groBer oder geringer sind als die neuen Anleihen. Der AbfluB neuer Anleihen hangt unter sonst gleichen Bedingungen von der Differenz zwischen den beiden derzeitigen Diskontraten ab, und er ist um so grofier, je grofier diese Differenz ist. Der gegenwartige ZufluB von Riickzahlungen hangt von dem friiheren AbfluB von Anleihen und damit von der Differenz zwischen den beiden Diskontraten in dem Augenblick, in welchem die jetzt zur Ruckzahlung gelangenden Anleihen gewahrt worden waren, a b ; er ist um so gro/Ser, je grofier seinerzeit diese Differenz war. (Va) kann daher als eine Funktion der gegenwartigen und friiheren Differenzen zwischen den beiden Diskontraten angesehen werden. Bezeichnen wir wie in den Gleichungen (13) und (14) mit sa und sb die gegenwartigen Diskontraten der beiden Lander, und mit s a l und sbl die Diskontraten der beiden Lander in dem Augenblick, in welchem die jetzt fallig werdenden Anleihen gewahrt wurden, so kbnnen wir schreiben: Va = fa t(»61 — * a l ) . (sb ~
*o)]»
wobei festzuhalten ist, daB die Funktion fa eine derartige Gestalt hat, daB ihr Wert gleich Null ist, wenn (sbl — sal) = (sb — sa); daB ihr Wert positiv ist (UberschuB der Anleihen gegeniiber den Riickzahlungen) sobald (sbl — sal) < (sb — sa) ist; und daB er im umgekehrten Falle negativ (UberschuB der Riickzahlungen gegeniiber den Anleihen) ist. Was den UberschuB (Wa) der Wertpapiereinfuhr gegeniiber der -ausfuhr betrifft, so muB jener Teil von ihm, der durch neue Anleihen verwendet wird und in B zur Ausgabe und Ausfuhr neuer Wertpapiere fuhrt, unterschieden werden von dem andern Teil von ihm, der auf Transferierungen alter Wertpapiere zuriickgeht. Der erste Teil hangt von der Differenz zwischen den ZinsfuBen in den beiden Landern a b ; der zweite von anderen Umstanden. Angesichts des verschiedenen Zins-
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fuBes zeigen die Wertpapiere alter Emission in den beiden Landern gewohnlich nicht die gleiche Preisgestaltung, sondern sie neigen zumindest potentiell dazu, in A hoher zu sein als in B, obwohl sie in Wirklichkeit von der standigen Arbitrage zwischen den beiden Landern fortwahrend gezwungen werden, sich einander anzugleichen. Gerade diese Arbitragegeschafte sind gewohnlich der Ausgangspunkt fur die Einfuhr dieser Wertpapiere nach A; und diese Einfuhr wird naturlich die Tendenz haben, um so groBer zu sein, je groBer unter sonst gleichen Bedingungen die Differenz zwischen den beiden Raten ist. Nun ist diese Differenz nicht immer gleich, da sie in jedem Augenblick auBer von den ZinsfuBen in den beiden Landern von ihren Geldverhaltnissen, das heiBt von ihren Diskontsatzen abhangt. Der GesamtuberschuB der Einfuhr alter und neuer Effekten nach A, oder was dasselbe ist, der Kapitalausfuhr aus A kann also als eine Funktion erstens der Differenz zwischen den ZinsfuBen in den beiden Landern, und zweitens der potentiellen Differenz zwischen den Preisen der Wertpapiere alter Emission in ihnen betrachtet werden. Wenn wir wie bei den Produkten die Preise der Effekten in A mit p ta K> Q u n d j e n e i n •# mit Ptb
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Ersetzen wir nun in (16) Za, Wa und Va durch die angegebenen Ausdriicke, so erhalten wir folgende Gleichung: F a [Ppbfb (*6> H, h) — PVa?a (sa> ia, U ] = fla U.H — ia), PtaVla («a» *a> h)
— Ptb
Dies ist die Gleichung der Zahlungsbilanz von A, ausgedruckt als Funktion der Faktoren, welche ihre wichtigsten internationalen Soil- und Habenposten bestimmen. Soil sich das internationale monetare Gleichgewicht einstellen, so muB sich diese Bilanz ausgleichen und miissen die inneren Markte der beiden Lander in Gleichgewicht sein, kurz, es miissen sich die drei Gleichungen (13), (14) und (17) gleichzeitig erfiillen. Genau betrachtet, geniigt dies aber nicht. Es ist ferner notwendig, daB der einmal erreichte Ausgleich der Zahlungsbilanz anhalten konne. Und dazu muB eine andere Bedingung erfiillt sein. Der Ausgleich der Zahlungsbilanz hangt, wie wir sahen, unter anderem von einem bestimmten AbfluB neuer kurzfristiger Anleihen ab. Und dieser hangt von den Diskontsatzen in den beiden Landern oder, um genauer zu sein, von der Spannung zwischen ihnen (sb — sa) ab. Damit also der Ausgleich der Zahlungsbilanz von Dauer sein konne, ist unter anderem notwendig, daB die beiden Diskontraten unverandert bleiben. Und dies kann nun nur dann der Fall sein, wenn der ZufluB gegenwartiger Ruckzahlungen genau so groB ist wie der AbfluB neuer Anleihen. Ist namlich der ZufluB der Ruckzahlungen geringer und ergibt sich daher ein reiner UberschuB an neuen Anleihen, so wird die Diskontrate die Tendenz haben, in A zu steigen und in B zu fallen; und die Spannung zwischen den beiden Raten wird im Abnehmen sein. Der AbfluB an neuen Anleihen wird
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daher ebenfalls zuriickgehen und der Ausgleich der Zahlungsbilanz wird, selbst wenn er urspriinglich erreicht war, zerstort werden. Zu gleicher Zeit wird aber auch das innere monetare Gleichgewicht der beiden Lander gestort sein, denn die Diskontraten entsprechen in beiden nicht mehr jenen des Gleichgewichtszustandes, weil sie sich in beiden verandert haben. Das Umgekehrte gilt fiir den entgegengesetzten Fall, in dem der ZufluB von Ruckzahlungen grbBer ist als der AbfluB von neuen Anleihen. Zur Erreichung und Aufreehterhaltung des internationalen monetaren Gleichgewichts ist es also weiters notwendig, daB der ZufluB von Ruckzahlungen fiir empfangene Anleihen ebenso groB sei wie der AbfluB neu gewahrter Anleihen, Nun ist dies nur der Fall, sobald unter sonst gleichen Bedingungen (sb — sa) = (sbl — sal) ist, das heiBt insofern die Differenz zwischen den beiden Diskontraten im Augenblick der Gewahrung der alten, jetzt zur Riickzahlung kommenden Anleihen gleich war der gegenwartigen Differenz zwischen den beiden Raten; kurz gesagt, muB also mindestens fiir die Dauer der selben Anleihen die gleiche Spannung bestehen. — Die internationalen monetaren Gleichgewichtszustande konnen aber, wie wir wissen, stabil oder voriibergehend sein; und wir wissen weiters, daB bei stabilem Gleichgewicht die Diskontraten gleich sind den betreffenden ZinsfiiBen, wahrend sie bei vorubergehendem Gleichgewicht von diesen abweichen. Um zusammenzufassen: in Landern mit verschiedenen ZinsfiiBen hangt also das intern a t i o n a l Gleichgewicht von folgenden Bedingungen a b :
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1. daB die durch die drei Gleichungen (13), (14) und (17) ausgedruckten Bedingungen gleichzeitig erfullt werden; 2. daB (sb — sa) = (sbl — sal) sei; und das Gleichgewicht, welches dann entsteht, wird dauernden Charakter haben, wenn: sa = ia und sb = ib; es wird hingegen voriibergehenden Charakter haben, wenn: s a>
und
sb > < i&.
Aus dem Bisherigen lassen sich die folgenden wesentlichen Eigenschaften der internationalen monetaren Gleichgewichtspositionen ableiten: 1. daB in ihnen der AbfluB neuer kurzfristiger auslandischer Anleihen gleich ist dem ZufluB von Ruckzahlungen friiherer; 2. daB infolgedessen unter Gleichgewichtsverhaltnissen die kurzfristigen internationalen Anleihen nicht als Aktiv- oder Pmsivsaldi in der Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander aufscheinen, wahrend sie dies hingegen sofort tun, wenn das Gleichgewicht gestort wird: daB sie also bloji bei Storwngen des internationalen monetaren Gleichgewichts eine Rolle spielen; 3. daB bei bestehendem internationalem monetarem Gleichgewicht die Diskontraten in den beiden Landern die Tendenz haben, voneinander und von der internationalen Diskontrate verschieden zu bleiben, und
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daB daher die Gleichgewichtslage verkehrsverbundener Markte mit dem Bestehen voneinander dauernd abweichender Diskontraten vereinbar ist. 1 18. Aber wenn auch bei Verhaltnissen des internationalen monetaren Gleichgewichts der NettozufluB von neuen kurzfristigen Anleihen gleich Null ist, so darf man doch nicht annehmen, daB ihr Volumen gleich Null sei. Sobald zwei Lander mit verschiedenen ZinsfiiBen zum erstenmal miteinander in Verkehr treten, bilden sioh zwischen ihnen zwei Anleibestrome heraus: einer auf langfristige und einer auf kurzfristige Anleihen. Diesem letzteren steht aber anfangs ein entgegengesetzter Strom von Ruckzahlungen nicht gegeniiber. Infolgedessen treten diese anfangs als Aktiv- und Passivsaldi (reine Aktiv- und Passivposten, partite attive e passive nette) in den Zahlungsbilanzen der beteiligten Lander auf; und wie die klassische Theorie lehrt, werden sie zum Teil in Gold und zum Teil (zum groBten Teil) in Produkten transferiert. 2 Infolge dieses Stromes neuer Anleihen vergroBert sich allmahlich das Volumen der kurzfristigen Anleihen (um nur diese zu betrachten), und zwar vergroBert es sich so lange, bis die Ruckzahlungen beginnen, also wahrend eines Zeitraumes, welcher der Laufzeit der Anleihen entspricht. I n dem Augenblick, in welchem die Riickzahlungen beginnen, ist also jenes Volumen gleich dem taglichen durchschnittlichen Zustrom von ihnen multipliziert mit ihrer durchschnittlichen Laufzeit (ausgedriickt in Anzahl der Tage); und es besteht in Wirklichkeit aus einer Menge verschiedenartiger Produkte, welche das Anleihe gebende Land nach und nach in das Anleihe nehmende Land ubertragen hat und deren Geldwert es dem andern fur die ganze Laufzeit der Anleihe zur Verfugung laBt. Der ZufluB der Riickzahlungen kann aber gleich groB, groBer oder kleiner als der AbfluB neuer Anleihen sein. Es ist klar, daB dort, wo er gleich groB ist, das Anleihevolumen nach Erreichung der angegebenen Ausdehnung konstant bleibt; wo er groBer ist, verringert es sich; wo er kleiner ist, vergroBert es sich. Nun ist der ZufluB der Riickzahlungen und der AbfluB neuer Anleihen bei Gleichgewichtsverhaltnissen gleich groB und bei Gleichgewichtsstorungen verschieden groB. Man kann daher abschlieBend sagen, daB bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen das Volumen auslandischer kurzfristiger Anleihen 1 Dieses Ergebnis wird durch die Tatsachen des taglichen Lebens bestatigt, aus welchen sich klar ergibt, daB sich trotz der engen monetaren Verbindungen zwischen den verschiedenen Landerh und trotz der Verknilpftheit der betreffenden Markte der Diskont dauernd auf verschiedener Hone halt. 2 Der Mechanismus, mittels dessen die Ubertragung der Anleihen zwischen den Landern erfolgt, wurde zum erstenmal in klarer Weise von J. ST. MILL dargestellt (Principles of Political Economy, London 1921, III. Buch, Kap. X X I , § 4, S. 627/628). Die von TAUSSIG (International Trade, New York, 1927, Kap. 17) wiederaufgenommene und ausgebaute These von MILL, welche von ihm auch unter die Kontrolle der Tatsachen gestellt wurde, findet ihre voile Bekraftigung durch einige monographische Arbeiten liber die Zahlungsbilanz verschiedener Lander, wenngleich infolge der jiingsten Veranderungen der Banktechnik heutzutage der Vorgang der Dbertragung der Anleihen nicht in alien seinen Phasen genau in der von MILL angegebenen Weise vor sich geht. Ich erwahne von diesen Arbeiten insbesondere: WILLIAMS, Argentine International Trade under inconvertible paper money, 1920; VINER, Canada's Balance of international indebtedness 1900—1913, Cambridge 1924; BRESCIANI-TURRONI, Alcuni effetti economici dei prestiti esteri in Germania, in: Giornale degli Economist!, Dez. 1929, S. 994 u. ff. Beziiglich der verschiedenen aufeinanderfolgenden Abschnitte der heutigen Ubertragungen von Anleihen siehe: VINER, a. a. O., S. 182 u. ff.
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konstant bleibt, daB es hingegen bei gestortem Gleichgewicht zu Veranderungen neigt, tmd zwar zu Steigerungen, wenn es in der Natur der betreffenden Gleichgewichtsstorung liegt, die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander zu vergroBern, und zu Verringerungen im umgekehrten Falle. Hiebei ist das Volumen der auslandischen kurzfristigen Anleihen, wie wir sahen, nichts anderes wie der Geldgegenwert einer Giitermenge, welche das Anleihe gebende Land seinerzeit an das Anleihe nehmende iibertragen hat und welches das erstere dem andern fur die ganze Laufzeit der Anleihe zur Verfiigung stellt. Wahrend nun das Anleihe nehmende Land mit seinen Ruckzahlungen dem Anleihe gebenden den Geldgegenwert dieser Giitermenge ruckzuubertragen bestrebt ist, ist dieses bestrebt, durch Gewahrung neuer Anleihen dem ersteren den Geldgegenwert einer entsprechenden Giitermenge zu iibertragen. I n Wirklichkeit kommt es also zu diesen Ubertragungen und Riickubertragungen nur insoweit die Ruckzahlungen die neuen Anleihen iibersteigen. Das Volumen dieser Anleihen besteht daher, in ihrer Substanz betrachtet, in einer Giitermenge, welche das Anleihe gebende Land gelegentlich der ersten Anleihen an das aufnehmende Land iibertragt; und obwohl diese Giitermenge urspriinglich nur als kurzfristige Anleihe iibertragen worden war, bleibt sie in Wirklichkeit dauernd als sein Geld-Gegenwert zur Verfiigung dieses letzteren Landes, wenn es auch in seinem Betrage standig wechselt. 19. Behalten wir all dies im Auge und betrachten wir nunmehr, auf welche Weise das innere und internationale monetare Gleichgewicht bei Landern mit verschiedenen ZinsfuBen wiederhergestellt wird, wenn es gestbrt ist. Wir gehen wie oben von zwei Landern A und B mit ZinsfuBen von 3 % bzw. 7% aus und nehmen an, daB zwischen ihnen ein monetarer Gleichgewichtszustand besteht, plotzlich in einem von ihnen eine Geldanspannung eintritt und sich dort die Diskontrate erhoht. Es sind zwei Falle moglich: daB dies in A oder in B, das heiBt in dem Land mit dem niedrigen oder mit dem hohen ZinsfuB geschieht. Wir werden diese zwei Falle getrennt behandeln, weil sie zu zwei verschiedenen Losungen fuhren. Tritt die Erhohung in B ein, so wird sich die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander vergroBern, der ZufluB neuer kurzfristiger Anleihen wird den AbfluB an Riickzahlungen bald iibersteigen, die Zahlungsbilanz wird sich zugunsten von B verschieben und die Differenz zwischen den neuen Anleihen und den Ruckzahlungen wird wenigstens teilweise in Gold beglichen, das demgemaB als Anleihe von A nach B iibertragen werden wird. Der hohe Diskontsatz in B wird aber zunachst die Preise der Wertpapiere, und dann jene der Giiter herunterdriicken. Die Senkung der Effektenpreise wird eine Ausfuhr dieser Effekten, das heiBt eine VergroBerung der normalen Kapitalsiibertragungen von A nach B zur Folge haben. Die Senkung der Giiterpreise wird im Sinne einer Verbesserung der Handelsbilanz von B wirken. Und B wird durch die vergrQBerte Effektenausfuhr und die Veranderung der Handelsbilanz den UberschuB an den zuvor eingegangenen und in
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Gold erhaltenen kurzfristigen Anleihen begleichen. Das Gleichgewicht wird also auf dem Wege einer Neuverteilung des Goldes, der Effekten und der Produkte zwischen A und B wiederhergestellt werden: diese Neuverteilung beginnt beim Gold unter dem Titel eines kurzfristigen Kredits, wird aber sodann durch eine entgegengesetzte Ubertragung von Produkten und Effekten zu einer endgiiltigen. Tritt hingegen die Erhohung der Diskontrate in A ein, so wird sich die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander verringern; es wird sich daher der AbfluB neuer Anleihen von A nach B verringern, so daB dieser unter den ZufluB der Riickzahlungen sinken wird. Die Zahlungsbilanz von A wird sich verbessern und die Differenz wird wenigstens zum Teil wie im vorigen Ealle mittels Ubertragungen von Gold von B nach A beglichen werden; jedoch mit dem Unterschied, daB die internationale Goldwanderung, welche im vorhergehenden Palle zunachst unter dem Titel eines Darlehens vor sich geht, hier von Anfang an (da der Diskont in A niedriger ist als in B) eine Zahlung ist, also Gold endgiiltig abgetreten wird. Nur wenn der Diskont im Lande A hoher als auf 7% steigt, kann sich der Strom der kurzfristigen Anleihen voriibergehend umkehren und die Ubertragung von Geld von B nach A kann wenigstens anfanglich zum Teil als Anleihe vor sich gehen. Diese Erwagungen versetzen uns in die Lage, ohneweiters eine fur die Kredittheorie und -praxis grundlegende Frage zu beantworten: namlich, ob Lander mit niedrigem ZinsfuB, also prinzipiell Anleihegeber, oder Lander mit hohem ZinsfuB, also prinzipiell Anleihenehmer, rascher und leichter imstande sind, Geldanspannungen zu iiberwinden. Die Anleihe nehmenden Lander benotigen, um durch Erhohung ihrer Diskontrate rasch eine Geldanspannung iiberwinden zu konnen, von den anderen Landern die Gewahrung neuer Anleihen oder die Verlangerung der alten; dies gelingt ihnen nur, soweit sie hohen Kredit genieBen, ferner soweit sie nicht schon vorher die Hochstgrenze der Verschuldung erreicht haben, und die anderen Lander keine Schwierigkeiten machen. Die Anleihe gebenden Lander hingegen verringern durch die Hinaufsetzung ihrer Diskontrate die Gewahrung neuer Anleihen; und da dies von ihrem Belieben abhangt, steht ihnen dieses Mittel immer offen. I n der Wirklichkeit wird ihnen die Sache noch dadurch erleichtert, daB die von den Landern mit niedrigem ZinsfuB den anderen Landern gewahrten kurzfristigen Anleihen nicht auf kurze Frist, sondern auf jederzeitigen Abruf riickzahlbar sind und daher in jedem beliebigen Augenblick zuriickberufen werden konnen; iiberdies ist ein Land mit niedrigem ZinsfuB gewohnlich Anleihegeber und daher Glaubiger nicht nur eines einzigen, sondern vieler Lander und es sind daher aller Wahrscheinlichkeit nach Lander mit den verschiedensten ZinsfuBen darunter. Daraus folgt, daB diejenigen von ihnen, welche beim urspriinglichen internationalen ZinsfuB Grenzlander oder fast Grenzlander sind, sofort keine kurzfristigen Anleihen mehr verlangen, wenn sich der Diskont in dem Anleihe gebenden Land und infolgedessen der internationale ZinsfuB erhoht; ja, sie zahlen sogar die vordem aufgenommenen Anleihen verfruht zuriick, um schlieB-
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lich vielleicht ihrerseits dem anderen Lande Anleihen zu gewahren. Und was fiir die urspriinglichen Grenzlander gilt, gilt fur alle, weil durch das allmahliche Steigen der Diskontrate in dem ersten Lande und durch das damit verbundene Steigen des internationalen ZinsfuBes allmahlich alle Lander zu Grenzlandern werden. Infolgedessen wird der ZufluB neuer Anleihen, die von dem Anleihe gebenden Land gewahrter werden immer geringfugiger, wahrend die Riickzahlungen progressiv anwachsen, so daB sich seine Zahlungsbilanz auBerordentlich rasch verbessert. Es geniigen daher schon kleine Diskonterhohungen in diesem Lande, um eine betrachtliche Goldmenge zuriickzuberufen. Von den beiden Landergruppen ist also die Gruppe der Lander mit niedrigem ZinsfuB normalerweise in der Lage, Geldanspannungen rascher als die andere zu iiberwinden. 20. An diesem Punkte angelangt, konnten wir auf Grund der gewonnenen Ergebnisse ebenso wie fiir die Lander mit gleichem ZinsfuB die Storungen, welchen ihr inneres und internationales monetares Gleichgewicht ausgesetzt ist, und die entstehenden Wirkungen eine nach der andern untersuchen. Wir wollen dies aber aus Raumgriinden nicht tun und iiberlassen diese Aufgabe dem Leser, falls er dafiir Interesse hat. Er wird sie ohne Schwierigkeit losen konnen. Er muB, wenn er die einzelnen Falle betrachtet, nur bei den Ausgangspositionen der Geldmarkte der verschiedenen Lander sowie bei den Endpositionen, denen sie infolge der betreffenden Storungen zustreben, die Verhaltnisse des dort untersuchten monetaren Gleichgewichts durch die eben untersuchten ersetzen. — Wir haben bisher der Einfachheit halber nur den Fall betrachtet, daB zwei Lander miteinander in Verkehr stehen, wahrend in Wirklichkeit viele Lander miteinander in wirtschaftlichem Verkehr stehen. Die Art und Weise, in welcher das monetare Gleichgewicht zwischen mehreren Landern, wenn es gestort ist, wieder hergestellt wird, ist aber genau die gleiche wie diejenige, in welcher es zwischen nur zwei Landern wiederhergestellt wird. Daher gelten die verschiedenen Ergebnisse, zu denen wir gelangten, ebenso fiir die komplexen Falle mehrerer in Verkehr stehender Lander, mit dem einzigen Unterschied, daB die Starke der Auswirkungen jeder Stoning um so geringer wird, je groBer das Gebiet des monetaren Gleichgewichts wird. Wir wollen dieses Kapitel mit der Aufstellung des allgemeinen Gesetzes der internationalen Verteilung der Edelmetalle abschliefien, das sich aus den bisherigen Untersuchungen ergibt und das, da hiebei alle Umstande beriicksichtigt wurden, als den komplexen Verhaltnissen des wirklichen Wirtschaftslebens entsprechend angesehen werden kann. Wir konnen es folgendermaBen ausdriicken: Handelt es sich um mehrere Lander mit verschiedenen Zinsfufien, so zeigen die Edelmetalle die Tendenz, eine Verteilung unter die verschiedenen Lander zu erreichen, bei welcher die betreffenden inner en Geldmdrkte in Gleichgewicht sind und bei welcher ihre Dishontraten sowie ihre Outer- und Effektenpreise so weit auseinanderliegen, dafi der Strom neuer kurzfristiger Anleihen von Land zu Land mit ihren Miickzahlungen genau ubereinstimme, und dafi sich die Zahlungsbilanz
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jedes Landes genau ausgleiche. Dieser Verteilung entspricht ein internationales monetares Gleichgewicht, das stabil ist, wenn der Diskontsatz in jedem Lande gleich dem betreffenden ZinsfuB ist; und das voriibergehend ist, wenn der Diskontsatz vom ZinsfuB abweicht.
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Kapitel.
Der Diskontsatz als Faktor des internationalen monetaren Gleichgewichtes.
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1. Jede monetare Gleichgewichtsstorung wird, wie wir sahen, durch eine Veranderung der internationalen Verteilung der Giiter, der Wertpapiere und des Geldes behoben. Die Ubertragung von Geld, welche eine Veranderung der Metallvorrate der beteiligten Lander mit sich bringt, ruft aber meistens eine Reaktion seitens ihrer Banken hervor; diese erfolgt im allgemeinen in Gestalt einer Veranderung des Diskontsatzes. Die Diskontpolitik ist demnach fur das internationale monetare Gleichgewicht von grundlegender Bedeutung. Betrachten wir nun, welches die eigentliche Funktion des Diskontsatzes ist und in welcher Weise er sie ausiibt. Bei der Behandlung der verschiedenen Storungen, welchen das monetare Gleichgewicht ausgesetzt sein kann, setzten wir die Reaktionen der Diskontrate so ein, als ob sie automatisch kraft einer strengen Verkettung zwischen den verschiedenen Faktoren des monetaren Gleichgewichts erfolgten, und als ob die Diskontrate in jedem einzelnen Lande einheitlich ware. In Wirklichkeit ist aber die Verkettung weniger streng als es nach den vorhergehenden Seiten scheinen konnte; der Geldmarkt stellt zwischen seinen verschiedenen Organen keinen vollkommenen Zusammenhang her und in jedem Lande bestehen, wie wir wissen, zumindest zwei Diskontraten: die offizielle, von den Emissionsbanken festgesetzte Rate, und die von den gewohnlichen Banken festgesetzte freie oder Marktrate. Die erste wechselt von Zeit zu Zeit ruckartig, die zweite wechselt standig entsprechend den veranderlichen Verhaltnissen des Marktes. Die beiden Raten stimmen also fast nie miteinander iiberein; und in den Gleichgewichtspositionen tendieren sie danach, sich bei derjenigen Grenze festzusetzen und in derjenigen Entfernung voneinander zu bleiben, bei der — im Hinblick auf die technischen Verschiedenheiten der Darlehen der beiden Bankengruppen — die einen das innere und die anderen das internationale monetare Gleichgewicht erzielen und bei der jede Bankengruppe die Kreditausdehnung erreiche, welche wir die normale nannten. Wir wollen den Abstand zwischen den beiden Diskontsatzen, der diesen Verhaltnissen entspricht, den normalen Abstand nennen. Tritt eine monetare Gleichgewichtsstorung ein, welche die Metallvorrate in Gefahr bringt, so erhohen die Emissionsbanken, welche davon unmittelbar betroffen werden, den offiziellen Diskontsatz. Damit aber diese Erhohung eine Wirkung habe, muB ihr die ErhOhung des freien
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Diskontsatzes nachfolgen, weil nur unter dieser Bedingung das Kreditvolumen ohne Verzug eingeschrankt und das internationale monetare Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Es handelt sich also darum zu sehen, auf welche Weise ungeachtet des Bestehens von zweierlei Diskontsatzen und trotz des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes immerhin die erforderliche Einheit der Diskontpolitik erreicht wird. Wenn in dem Augenblick, in welchem — um uns an die im 3. Kapitel, § 6, angefiihrten Falle zu erinnern — die Gefahrdung der Reserven der Emissionsbanken beginnt, die verfiigbaren Mittel der Depositenbanken nahe am Ausgehen sind, so wird es wahrscheinlich der Marktdiskontsatz sein, der sich als erster in Bewegung setzt und eine voriibergehende Verringerung des Abstandes zwischen den beiden Satzen herbeifuhrt. Und die Erhohung der Diskontrate, welche wiederum die Emissionsbanken zu Verteidigungszwecken vornehmen miissen, ist im wesentlichen nichts anderes als eine Angleichung an den Markt, wodurch der normale Abstand zwischen den beiden Raten wiederhergestellt und die erforderliche Krediteinschrankung ohne Schwierigkeit herbeigefuhrt wird. Wenn hingegen in dem Augenblick, in welchem die Metallvorrate in Gefahr zu geraten beginnen, die Depositenbanken nochreichlich Mittel verfugbarhaben und sich der Marktdiskontsatz nicht von selbst hebt, so sind in diesem Falle die Emissionsbanken gezwungen (um mit dem offiziellen Satz, den sie hinaufsetzen miissen, durchzugreifen), Effekten zu verkaufen, um die verfiigbaren Gelder des Marktes aufzusaugen. Und je nachdem, ob sie dies vor der Erhohung oder nach der unwirksam gebliebenen Erhohung des offiziellen Satzes tun, wird sich der freie Satz vor oder nach dem offiziellen erhohen; im ersten Falle wird dadurch eine voriibergehende Verminderung, im zweiten eine voriibergehende VergroBerung der Spannung zwischen den beiden eintreten; schliefilich wird sich jedoch auch hier eine allgemeine Krediteinschrankung einstellen. Sobald sich diese einstellt und der freie Diskontsatz zum Fallen tendiert, wird der Abstand zwischen den zwei Satzen wieder groBer. Sobald aber die Emissionsbanken die Gefahr der Ausfuhr von Metallvorraten fur iiberwunden ansehen, zogern auch sie nicht den Diskont herabzusetzen, sich also der Marktlage anzupassen und jedenfalls den normalen Abstand zwischen den beiden Satzen wiederherzustellen. Und wenn schliefilich ebenfalls infolge einer internationalen, aber umgekehrten monetaren Gleichgewichtsstorung Geld ins Land einstromt und sich die Metallvorrate vergroBern, dann sind es meistens die Emissionsbanken, welche den Diskont zuerst herabsetzen; daraufhin sind die anderen Banken nach und nach gezwungen, den Marktdiskontsatz herabzusetzen und eben den durch die Herabsetzung des offiziellen Satzes voriibergehend veranderten normalen Abstand wiederherzustellen. Aus alldem geht hervor, daB dort, wo es sich darum handelt, daB sich die Metallvorrate vermindern oder vergroBern, der offizielle Satz dem Marktsatz befiehlt; wahrend dort, wo diese Reserven keinen fuhlbaren Veranderungen unterworfen sind, der Marktsatz dem offiziellen befiehlt. I n dem Augenblick, in dem die
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Vorherrschaft von dem einen auf den anderen iibergeht, verandert sich der Abstand zwischen den beiden in bedeutendem MaBe. 1st aber der tjbergang geschehen, so kehrt er wieder zum Normalen zuriick. 1 Nun haben die Metallvorrate die Tendenz, bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen konstant zu bleiben, sich hingegen bei Gleichgewichtsstbrungen zu verandern. Der Marktdiskontsatz ist daher im ersten Falle der ausschlaggebende und im zweiten der beherrschte. Die Veranderung, welche der Abstand zwischen den beiden in dem zweiten Falle mitmacht, ist die Folge des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes. Die Raschheit, mit der aber der Marktsatz sich sodann nach und nach in der gleichen Richtung wie der offizielle zu verandern strebt, zeigt an, ob der offizielle Satz wieder das Ubergewicht erlangt hat. Und die Moglichkeit, dieses Ubergewicht wieder an sich zu ziehen, bewirkt es, daB sich die beiden Satze trotz des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes schlieBlich in einheitlicher Richtung je nach den Forderungen des internationalen monetaren Gleichgewichts verandern. Die Funktion der Diskontpolitik der Emissionsbanken ist also folgende: dort, wo es notig ist, mittels einer Veranderung der offiziellen Diskontrate diejenigen Veranderungen der Marktrate, welche sich von selbst nicht eingestellt hatten, welche aber zwecks Wiederherstellung des internationalen Gleichgewichts unentbehrlich sind, zu beschleunigen; damit erreicht sie eine friihere Wiederherstellung dieses Gleichgewichts. Der Diskontpolitik der Emissionsbanken liegt demnach ein Gleichgewichtsproblem zugrunde; sie sollen ein solches jedesmal rasch Ibsen und Ibsen es praktisch durch eine Reihe von Versuchen, indem sie eben den Diskontsatz so lange nach und nach hinauf- oder nach und nach herabsetzen, bis die Bewegung der Metallvorrate vollstandig aufgehbrt hat. Die Emissionsbanken sind also bei der Regelung ihres Darlehensangebotes an die uns bekannten Bedingungen 2 und bei der Regelung des Diskontsatzes an die Bedingungen des internationalen monetaren Gleichgewichts gebunden. 3 Ihre Selbstbestimmung bezuglich der Festsetzung des Diskontsatzes ist eine reine Illusion. 2. All dies vorausgesetzt, betrachten wir nunmehr, auf welchen 1 Dieses Verhalten der beiden Diskontraten, in normalen Zeiten Aufrechterhaltung eines verhaltnismaBig wenig veranderlichen Abstandes, und in Zeiten der Anspannung bzw. des Darniederliegens des Geldmarktes vorubergehende VergroBerungo der Verringerung des Abstandes, trat vor dem Kriege in England und Deutschland mit RegelmaBigkeit in Erscheinung. (Bezuglich Englands siehe: SPICER, The money market, London 1924, S. 125; PALGRAVE, Bank rate and the money market, London 1903, S. 209 u. ff.; bezuglich Deutschlands siehe: SNYCKERS, La Reichsbank et la Banque de France, Paris 1908, S. 193/194 und 201; FANNO, Le Banche e il mercato monetario, Rom 1912, S. 137/138.) Neue statistische Untersuchungen haben gezeigt, daB dies fur England trotz der Veranderungen des Geldsystems und der Bankverfassung auch heute noch gilt. (Siehe D E PIANTE, Sui movimenti del saggio ufficiale e del saggio privato dello sconto, in: Rivista Italiana di Statistica, April 1930.) 2 Siehe oben: 3. Kapitel, § 1. 8 Ein Hinweis auf diese Abhangigkeit der Diskontpolitik von den Gesetzen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts findet sich bei PARETO, Manuel usw., Kap. V I I I , § 48, S. 458. Beitrage zur Geldtheorie. 7
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Wegen es die Diskontveranderungen in Wirklichkeit vermogen, das internationale monetare Gleichgewicht, sowie es gestort ist, wiederherzustellen. Eine monetare Gleichgewichtsstorung, welche den AbfluB von Metallvorraten aus einem Lande hervorruft, ist ein Anzeichen dafiir, da6 sich in den verschiedenen Landern Werte derart gegeniiberstehen, daB das Geld zum bevorzugten Ausfuhrgut des einen Landes wird. Der GeldabfluB ruft aber in diesem Lande die Erhohung des Diskonts hervor; und seine Erhohung verandert dort den Wert des zukiinftigen Geldes, der Wertpapiere und der Produkte, verandert die komparativen Werte der einzelnen Guter in den verschiedenen Landern und schafft gunstige Bedingungen fur eine Anderung in der internationalen Verteilung dieser Guter. Das zukiinftige Geld, die Wertpapiere und die Produkte, welche vor der Diskonterhohung nicht exportfahig oder nur in einem gewissen AusmaB exportfahig waren, konnen nun in groBerem MaB ausgefiihrt werden, wahrend das gegenwartige Geld aufhort ausfuhrfahig zu sein, ja einfuhrfahig wird. Und der Austausch von zukunftigem Geld, von Wertpapieren und Gutern gegen gegenwartiges Geld, welcher zwischen dem Lande, das seinen Diskont hinaufgesetzt hat, und den anderen zustande kommt, wirkt eben dahin, die anfangliche monetare Gleichgewichtsstorung auszuschalten. Freilich bezahlt das Land, welches seinen Diskontsatz erhoht und damit seine Ausfuhr an Gutern, Wertpapieren und zukunftigem Geld steigern kann, wenigstens fiir den Augenblick mit diesen Gutern, Wertpapieren und zukunftigem Geld seine auslandischen Schulden, die es andernfalls mittels Ausfuhr von gegenwartigem Geld hatte bezahlen miissen. Das zukiinftige Geld, die Wertpapiere und die Guter fungieren also als internationales Zahlungsmittel. Ihre Fahigkeit, diese Funktion zu erfiillen, ist deshalb verschieden je nach dem Grade, in dem sich ihr Wert senken wird. Die Entwertung des zukiinftigen Geldes ist bereits in der Erhohung des Diskontsatzes inbegriffen und geht deshalb selbsttiitig und unverziiglich vor sich.1 Das kiinftige Geld fungiert also mit groBer Geschmeidigkeit (prontezza) als internationales Zahlungsmittel. Aber kunftiges Geld ausfuhren bedeutet fiir ein Land: eine kurzfristige Schuld aufnehmen, die in der Folge zuriickgezahlt werden muB; und ihre Ruckzahlung, welche seinerzeit eine umgekehrte Ubertragung von gegenwartigem Geld oder von anderem gleichwertigem Gut von einem Land in das andere verlangt, zerstort das monetare Gleichgewicht, welches die Ausfuhr des kiinftigen Geldes geschaffen hatte. Daher ist die Ausfuhr von kiinftigem Geld, trotz der Geschmeidigkeit, mit welcher sie durchzufuhren ist, ein unvollkommenes, weil provisorisches Mittel fiir internationale Zahlungen. Die Entwertung der Guter und Wertpapiere ist nicht schon in der Erhohung des Diskontsatzes inbegriffen, sie tritt vielmehr im Verlauf 1 Steigt der Diskont z. B. von 4 auf 7%, so verandert sich der kompartive Wert des gegenwartigen und des kiinftigen Geldes; 100 gegenwartige Einheiten werden nicht mehr gegen 104, sondern gegen 107 kiinftige Einheiten getauscht; und das bedeutet eine Entwertung dieser letzteren gegenuber den ersteren.
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ernes Anpassungsvorganges auf und erfolgt daher nicht mit derselben Schnelligkeit wie die Entwertung des kiinftigen Geldes. Dafiir ist aber die ausgleichende Wirkung der Ausfuhr von Giitern wie von Wertpapieren keine vorlaufige, sondern eine endgiiltige. DaB dies fur die Giiter richtig ist, leuchtet ein. Gewisse Zweifel konnten hingegen beziiglich der Wertpapiere auftauchen. Aber die Effekten, welche ein Land in einem gegebenen Zeitpunkt ausfiihrt, konnen doch vor allem Effekten des Landes sein, in welches sie eingefuhrt werden, und fiir die daher keine Veranlassung besteht, wieder in das ausfiihrende Land zuriickzukehren. Wenn es aber in zweiter Linie auch Effekten des ausfiihrenden Landes sind, die es eines Tages wieder auslosen wird, so handelt es sich meistens urn Schuldverschreibungen mit langer Laufzeit, die viele Jahre lang in anderen Landern weiterzirkulieren konnen. Wenn daher ein Land Wertpapiere zu einem gewissen Zeitpunkt gegen Geld oder anstatt Geld ein- oder ausfiihrt, um das internationale monetare Gleichgewicht wiederherzustellen, so bringt dies infolge der besonderen Eigensehaften der Effekten selbst wenigstens auf kurze Sicht nicht die Notwendigkeit eines umgekehrten Austausches, welcher monetare Gleichgewichtsstflrungen verursacht, mit sich. 1 Man kann daher, insbesondere wenn man kurze Zeitabschnitte betrachtet, annehmen, daB Wertpapiere ebenso wie Goiter nicht nur ein zeitweise wirkendes, sondern ein endgiiltiges Zahlungsmittel und daher fiir das internationale monetare Gleichgewicht von Bedeutung sind. Die Schnelligkeit, mit welcher eine Entwertung bei Wertpapieren und bei Giitern eintritt, ist jedoch verschieden, und daher ist auch die Geschwindigkeit, mit der sie die obige Funktion erfiillen, verschieden. Wir wissen namlich, daB sich die Wertpapiere infolge der groBen Empfindlichkeit des Wertpapiermarktes im Falle einer Geldanspannung, welche auf dauernde Storungen zuriickzufiihren ist, rascher entwerten werden als die Giiter, und daB sie sich im Falle einer Geldanspannung, welche auf voriibergehende Storungen zuriickzufiihren ist, sogar viel starker entwerten werden als die Giiter. Die Wertpapiere erfiillen daher ihre Aufgabe als Mittel des internationalen Zahlungsausgleiehs besser als die Giiter. Stufen wir also diese verschiedenen Mittel des Zahlungsausgleiehs in bezug auf ihre Geschmeidigkeit ab, so erhalten wir folgende Stufenleiter: An erster Stelle kommt die Ausfuhr von kunftigem Geld, das heiBt die Aufnahme einer kurzfristigen Anleihe. An zweiter Stelle kommt die Ausfuhr von Effekten; und an dritter Stelle in weitem Abstand die Ausfuhr von Giitern. 2 3. Die verschiedene Fahigkeit dieser drei Giitergruppen als Mittel des internationalen Zahlungsausgleiehs zu fungieren, hat zur Folge, daB jede 1 Eine Ausnahme bildet die tjbertragung von Effekten von einem Lande ins andere bei Report-Operationen. 2 Diese Stulenleiter erfahrt keine Veranderung, wenn man die Transportkosten der verschiedenen Giitergruppen mit in Betracht zieht. Bei EinschluB dieser Kosten miiBte die reine Theorie der auslandischen Wechselkurse dargestellt werden. Wir mlissen dies aber aus Raumgriinden unterlassen und verweisen den Leser beziiglich der Ausiuhrung dieses Punktes auf unsere Arbeit: Le Banche e il Mercato Monetario, S. 341 u. ff.
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von ihnen eine andere Erhohung der Diskontrate verlangt urn wirksam zu werden und zu einem bestimmten Ergebnis zu fuhren. Eine leichte Erhohung der Diskontrate bringt das kiinftige Geld in Bewegung, eine etwas groBere bringt die Wertpapiere in Bewegung, wahrend sehlieB lich eine betrachtliche Erhohung notwendig ist, damit auch die Produkte in Bewegung geraten. Es hangt daher von dem AusmaB der Diskontsteigerung oder, was dasselbe ist, von der GroBe der monetaren Storung ab, ob zu ihrer Ausschaltung nur eines der angefuhrten Giiter eingreift, oder ob zwei von ihnen oder schlieBlich alle drei zusammen eingreifen. Da aber zur Ausmerzung einer bestimmten monetaren Gleichgewichtsstorung die Ubertragung einer Giitermenge mit einem bestimmten Werte erforderlich ist, darf, je mehr dabei von einer bestimmten Gutergruppe iibertragen wird, um so weniger von der anderen Gruppe oder den anderen Gruppen iibertragen werden. Naturlich greifen diejenigen Giiter starker ein, welche rascher und in groBerem AusmaB ausgefuhrt werden, d. h. das kiinftige Geld und die Wertpapiere. Das rasche Eingreifen dieser beiden Gruppen befreit also die Produkte davon, in betrachtlichen Proportionen teilzunehmen, d. h. es verhindert das Notwendigwerden einer starken Diskontsteigerung, welche andernfalls unentbehrlich ware, um eine starkere Ausfuhr von Produkten zu erreichen. Die kurzfristigen Anleihen sind zwar ein geschmeidiges und wirksames, aber unvollkommenes Mittel des internationalen Zahlungsausgleichs, weil seine Wirkungen nur zeitweilige sind. Wenn man dies alles erwagt, bilden daher die Wertpapiere das vollkommenste und wichtigste Mittel des Zahlungsausgleichs. 4. Wir haben somit klargestellt, auf welche Weise durch die Handhabung des Diskontsatzes das internationale monetare Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann. Die Steigerung oder die Senkung des Diskontsatzes verandert in den verschiedenen Landern die Preise der verschiedenen Giitergruppen und damit die komparativen Werte des ktinftigen Geldes, der Wertpapiere und der Produkte im Verhaltnis zum gegenwartigen Geld; da sie infolgedessen die Richtung, die Zusammensetzung und das Volumen der Umsatze der verschiedenen Giiter zwisehen den verschiedenen Landern verandern, bewirken sie die Wiederherstellung des internationalen monetaren Gleichgewichtes. Und obzwar dieses Gleichgewicht mittels der Handhabung des Diskontsatzes wiederhergestellt wird, folgt es dabei den klassischen Grundsatzen des internationalen Handels. Der Diskontsatz ist daher nichts anderes, als das Mittel, durch welches die klassischen Gesetze des AuBenhandels zur Geltung kommen, so oft dies notwendig ist, um das monetare Gleichgewicht des Geldmarktes wieder herzustellen. Nun sind die Wirtschaften der verschiedenen Lander, wie wir sahen, trendhaften, saisonmaBigen, zyklischen und zufalligen Storungen ausgesetzt. Aber diese verschiedenen Storungen, welche wir in dem vorhergehenden Kapitel getrennt untersuchten, so als ob sie einzeln und getrennt auftraten, treten vielmehr in Wirklichkeit fortwahrend miteinander verbunden auf. Wahrend sich die Wirtschaften der verschiedenen Lander
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ihrer Tendenz nach in der von den trendhaften Storungen vorgeschriebenen Entwicklungslinie bewegen, sind sie zyklischen Storungen unterworfen; und mit diesen vermischen und verflechten sich wieder saisonmaBige und zufallige Storungen. Die Linie, in der sie sich in Wirklichkeit bewegen, ist daher die Resultierende des Wirkens aller dieser Storungen zusammen. Infolge dessen ist das innere monetare Gleichgewicht der verschiedenen Lander ununterbrochen gestort. Es ist aber nicht in alien Landern in der gleichen Richtung und in der gleichen Starke gestort. Die Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander wird also standig erschiittert und ebenso das internationale monetare Gleichgewicht. Una dieses, sobald es gestSrt ist, wieder herzustellen, wird der Diskontsatz gehandhabt. Die fortwahrenden Veranderungen, welche dieser in Wirklichkeit erleidet, uben daher folgende grundlegende Funktion aus: auf die Wiederherstellung des internationalen monetaren Gleichgewichts hinzuwirken, so oft dieses von den Storungen, denen die Wirtschaften der verschiedenen Lander standig ausgesetzt sind, gestort ist.
Kapitel.
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Sechstes
Die Struktur des internationalen Geldmarktes.
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1. Unter dem Gesichtspunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung konnen die verschiedenen Lander eingeteilt werden in: 1. Agrarlander, 2. Industrielander, 3. Lander, welche im Begriffe stehen, aus Agrar- zu Industrielandern zu werden. Die ersten haben gewohnlich einen hohen Zinssatz, die zweiten einen niedrigen, und die dritten einen solchen zwischen den beiden anderen. Aus diesen Spannungen zwischen den Zinssatzen entsteht zwischen den Landern Angebot und Nachfrage fur langfristige Anleihen. Dieses Angebot und diese Nachfrage bilden zusammen den internationalen Kapitalmarkt. Der ZinsfuB, zu welchem Anleihen gewahrt werden, liegt zwischen den hochsten und den niedrigsten Satzen der kontrahierenden Lander und kann der ZinsfuB des internationalen Marktes genannt werden. Die Lander mit hoherem ZinsfuB nehmen auf diesem Markt die Stellung von Kapitalimporteuren ein, die Lander mit niedrigerem ZinsfuB diejenige von Kapitalexporteuren. Es sind also gewohnlich die Agrarlander, welche Kapital einfuhren, und die Industrielander, welche es ausfuhren, wahrend die in Umbildung begriffenen Lander es je nach der Sachlage einmal ein- und einmal ausfuhren. Jede internationale Kapitalsubertragung wird meistens von einer tJbertragung von Wertpapieren in entgegengesetzter Richtung begleitet. Die Agrarlander fiihren daher, da sie Kapital einfuhren, Wertpapiere aus und haben den groBten Teil ihrer Schuldverschreibungen im Ausland i1 die Industrielander fiihren, da sie Kapital ausfuhren, Wertpapiere ein und besitzen 1 Vor dem Kriege war dies die Stellung RuBlands, Argentiniens, der Balkanstaaten, der britischen Dominions usw.
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daher auBer den eigenen fremde Wertpapiere -,1 die in Umbildung begriffenen Lander fuhren Kapital weder systematisch ein noch aus, so daB sie Wertpapiere systematisch weder ein- noch ausfiihren; so oft es aber die inneren und internationalen ZinsfuBe zulassen, fuhren sie ihre eigenen Schuldverschreibungen, welche sie wahrend der Periode des hohen ZinsfuBes ausgestellt und ausgefxihrt haben, wieder ein, und sorgen so fur der en allmahliche Einlosung. Diesen Spannungen zwischen den ZinsfiiBen entsprechen analoge Spannungen zwischen den Diskontraten der drei Gruppen von Landern. Also auch vom monetaren Gesichtspunkte lassen sich die Lander in drei Gruppen teilen: 1. in Agrarlander mit einem hohen Normaldiskont; 2. in Industrielander mit einem niedrigen Normaldiskont; 3. in Lander, welche in Umbildung begriffen sind und deren Diskont zwischen den beiden anderen liegt. Durch diese Spannungen zwischen den normalen Diskontsatzen entstehen standige Strome kurzfristiger Anleihen zwischen den einzelnen Landern. Den Kreuzungspunkt ihres Angebots und ihrer Nachfrage bildet der intemationale Geldmarkt. Sein Diskontsatz bildet sich auf einer mittleren Hohe zwischen denjenigen der kontrahierenden Lander. Die Lander mit einem niedrigeren als dem internationalen Diskontsatz, d. h. die Industrielander, nehmen in ihm normalerweise die Stellung von Anleihegebern ein; diejenigen mit dem hoheren Diskontsatz, d. h. die Agrar- und ofters auch die in Umbildung begriffenen Lander die Stellung von Darlehensnehmern. 2. Die verschiedene Stellung, welche die drei Gruppen von Landern auf dem internationalen Geldmarkt einnehmen, fiihrt zu wesentlichen Verschiedenheiten in der Struktur und in der Wirksamkeit der betreffenden inneren Markte und daher auch in der Art und Weise, in der sie die Anspannung ihrer Geldmarkte zu uberwinden trachten. Die offentlichen Schuldverschreibungen sind ein hervorragendes internationales Zahlungsmittel. Zu diesem Zwecke eignen sich aber nur solche, welche nicht im Besitze von Sparern sind, sondern fluktuieren, weil nur die fluktuierenden Effekten auf dem Markte verfugbar und, mit Krediten finanziert, stets zur Ausfuhr bereit sind. 2 Nun zeigen aber die Effekten, eben weil sie mit Krediten finanziert sind, die Neigung, in diejenigen Lander zusammenzustromen, in denen ihre Finanzierung am billigsten ist, und das sind normalerweise die Industrielander. Und daher sind es diese Lander, welche den groBten Besitz an eigenen und auslandischen Effekten haben, in welche auch die fluktuierenden Effekten vorwiegend zusammenstromen und deren Markte die Weltborsen bestimmend beeinflussen. Ist hingegen ein Industrieland, das normalerweise einen niedrigen ZinsfuB hat, genotigt, zu gewissen Zeiten den 1 Vor dem Kriege waren die wichtigsten Kapitalaustuhr- und Effekteneinluhrlander England und Frankreich sowie in zweiter Linie Deutschland. Der Krieg hat diesen Stand verandert. England ist im Begritfe seine beherrschende Stellung zu verlieren, Frankreich ist im Begriffe sie wiederzuerwerben, die Vereinigten Staaten sind zu einem Kapitalausfuhrland geworden, wahrend Deutschland, obwohl Industrieland, infolge der ungeheuren Verwustungen der Kriegs- und Inflationszeit Kapital eintuhrt. 2 WHITAKER, The Ricardian Theory of Gold movements, in: Quarterly Journal of Economics, Febr. 1904, S. 225.
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Diskont hinaufzusetzen, so verliert es voriibergehend seine Eignung fxir die Finanzierung fluktuierender Wertpapiere. Diese beginnen dann sehr bald aus dem betreffenden Lande abzuflieBen, was nichts anderes bedeutet als eine Folge der Neigung der fluktuierenden Wertpapiere, sich in der Richtung derjenigen Lander zu bewegen, welche ihnen gerade die giinstigsten Finanzierungsbedingungen bieten. 3. Analoges gilt fur die Guter. Vor allem halt deren Verbrauch nicht immer mit ihrer Erzeugung Schritt. Bei gewissen Giiterkategorien ist die Erzeugung stetig, wahrend ihr Verbrauch unstetig ist. Bei anderen ist der Verbrauch stetig, wahrend ihre Erzeugung unstetig ist (Agrarerzeugnisse). Infolge der mangelnden zeitlichen Koinzidenz von Erzeugung und Verbrauch, und um dem Handel im GroBen und Kleinen einen geregelten Verlauf zu sichern, werden in der Welt standig betrachtliche Vorrate aller Giiterarten geschaffen und erhalten. Diese Vorrate, welche sich in den Handen von Handlern und Spekulanten befinden, miissen, wie wir sahen, wenigstens zum Teil mit Krediten finanziert werden. 1 Soweit es also die Transportspesen zulassen, werden sie demnach moglichst in solchen Landern angelegt werden, in denen die Diskontrate am niedrigsten ist, d. h. in den Industrielandern. Und so werden diese Lander, welche bereits einen ausgedehnten eigenen AuBenhandel besitzen, 2 auch zu den Handelszentren der Welt, zu Markten zwischen den erzeugenden und verbrauchenden Landern und damit zu den Mittelpunkten des Spekulationshandels der Welt, und haben die Aufgabe, durch ihre wechselnden Preisnotierungen das Gleichgewicht zwischen Weltproduktion und Weltverbrauch der verschiedenen Lander zu sichern. 3 Infolge dieser Tendenz der Guter und der fluktuierenden Wertpapiere: sich in den Industrielandern zu konzentrieren, sind im allgemeinen die Effektenvorrate und die Warenvorrate in den iibrigen Landern gering. Wahrend also Guter und Wertpapiere in der Gleichung des Geldmarktes der Industrielander in betrachtlichen Proportionen auftreten, erscheinen sie in jenen der Ubergangslander in geringeren Siehe 2. Kapitel, § 6. Uber die Ursachen des ausgedehnten Aufienhandels der Industrielander siehe: FANNO, L'espansione commerciale e coloniale degli stati moderni, Turin 1907, S. 291-—299. 3 Das Land, welches aus den im Texte angefuhrten Grunden wahrend des XIX. Jahrhunderts die Stellung des Welthandelszentrums eingenommen und die Funktion des regelnden Mittelpunktes der Weltpreise ausgeilbt hat, war Bngland. Tatsachlich kontrollierte der Londoner Markt den Kaffeepreis starker und besser als jener von Rio de Janeiro, den Getreidepreis starker als jene von Buenos Aires, Winnipeg und Odessa. Der Preis der australischen Schafwolle wurde alljahrlich auf den Londoner Auktionen festgesetzt und die Notierungen dieses Marktes wurden zur Norm fur die anderen Lander (COGHLAN, The wealth and progress o! New South Wales, Sydney 1900, S. 693). Auch dem Kautschukhandel schrieb der Londoner Markt seine Gesetze vor, wahrend Liverpool der Weltmarkt fur Baumwolle war. Und wenn es nach und nach, insbesondere in der Nachkriegszeit, den Markten von New York und Chicago gelungen ist, jenen von London und von Liverpool die Kontrolle iiber den Handel und die Preise vieler Waren abzunehmen, so ist dies auf die Tatsache zuruckzufuhren, daB die Vereinigten Staaten nach und nach ihre Umbildung in Industriestaaten vollendet hatten und so nach und nach in die bevorzugte Lage des Knglands des XIX. Jahrhunderts kamen; da sie betrachtliche fliissige Geldmengen zu verhaltnismaBig niedrigen ZinsfiiBen zur Verftigung haben, konnen sie ein gut Teil ihrer Produktion solange im Lande behalten, bis sie sie direkt in die Verbraucherlander ausfilhren, womit sie die Moglichkeit haben, einen Druck auf die Notierungen des Welthandels auszuilben.
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und in jenen der Agrarlander in noch geringeren Proportionen. Daraus folgt wieder, daB die MaBnahmen, welche alle drei Gruppen von Landern zur Uberwindung der monetaren Spannungen ergreifen, sich in verschiedener Art auswirken. Fluktuierender Wertpapiere ganz oder fast ganz entbloBt und auch mit geringen Giitervorraten ausgestattet, besitzen die Agrarlander kein anderes Mittel dafiir als jenes, einen Teil ihrer wenigen verfiigbaren Giiter auszufiihren, urn dagegen Geld einzufiihren; sie verfiigen also nur iiber das weniger vollkommene Mittel internationalen Zahlungsausgleichs. 1 Sie konnen freilicb durcb Erhohung ihres Diskontsatzes den Zustrom auslandischer Anleihen vergrofiern und sofort Gold von den anderen Landern beziehen, dessen Einfuhr sie nachher durch Ausfuhr von Giitern begleichen konnen. Dazu sind sie jedoch, wie wir sahen, nur in der Lage, wenn sie: 1. hohen Kredit genieBen; und 2. noch nicht die hochste Verschuldensgrenze erreicht haben. Die Hinaufsetzung des Diskonts geniigt daher in diesen Landern nicht immer, um sofort Gold aus dem Ausland beziehen zu konnen und es ist ihnen nicht immer moglich, leicht und rasch die monetaren Spannungen zu iiberwinden. Die in Ubergang befindlichen Lander, welche iiber fluktuierende Wertpapiere und iiber eine groBere Giitermenge verfiigen, befinden sich diesbeziiglich in besseren Verhaltnissen. Da sie uberdies normalerweise einen ZinsfuB und einen Diskontsatz haben, die zwischen jenen der beiden anderen Landergruppen liegen und daher von dem Diskontsatz des internationalen Marktes nur wenig abweichen, haben sie normalerweise nicht viele kurzfristige Schulden an andere Lander. Im Palle einer Geldanspannung konnen sie daher schon mit einer bescheidenen Diskonterhohung, wenn sie Kredit genieBen, unter dem Titel von Anleihen Gold aus dem Ausland beziehen; diese Anleihen werden sie spater mittels Ausfuhr von Schuldverschreibungen und Giitern begleichen. So erfolgt der Geldzu- und -abfluB dieser Lander, wenn er auch insgesamt nicht betrachtlich ist, normalerweise mit groBerer Geschmeidigkeit als bei den Agrar landern. Was die Industrielander betrifft, so sind normalerweise sie es, welche Anleihen, und zwar auch auf kurze Frist, gewahren, sie haben also ihre Zahlungsbilanz so eingerichtet, daB bei ihnen ein standiger Zu- und AbfluB neuer Anleihen moglich ist; infolgedessen ist bei ihnen zu jedem Augenblick eine sehr groBe Menge kurzfristiger auslandischer Kredite vorhanden, welche fallig werden und daher zuriickberufen werden konnen. tJberdies verfiigen sie iiber zahlreiche in- und auslandische Effekten. Im Falle einer Geldanspannung geniigt es daher, daB sie nur ein wenig den Diskont hinaufsetzen, um: 1. die Gewahrung neuer Anleihen einzuschranken; 2. die Riickzahlungen friiherer Anleihen zu vergrofiern; 3. eine betrachtliche Abwanderung von Effekten herbeizufiihren; und aus 1 Kanada ist bekanntlich ein Agrarland; und VINER schreibt dariiber diesbeziiglich: ,.Security transactions in Canada are predominantly of an investment character, and the market for floating securities in Canada is too narrow to be much of the factor in settling trade balances." (VINER, Canada's balance of international indebtedness 1900—1913, Cambridge 1924, S. 183.)
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all diesen Griinden daher 4. ihre Zahlungsbilanz sehr rasch in der Richtung einer starken Edelmetalleinfuhr zu verandern. So sind die Industrielander infolge der besonderen Struktur Hirer Wirtschaft normalerweise in der Lage, monetare Anspannungen rascher und leichter zu iiberwinden als die anderen Lander. 4. Wegen dieser ihrer bevorzugten Lage nehmen sie in dem ProzeB des internationalen Geldumlaufs eine beherrschende Stellung ein. Sobald eine Geldknappheit in den Agrar- oder in den Ubergangslandem eintritt, erhohen diese ihre Nachfrage nach kurzfristigen Anleihen bei den Industrielandern. Die Gewahrung dieser groBeren Anleihen ruft nun auch bei ihnen eine Geldanspannung hervor. Die Diskonterhohung, welche darauf bei ihnen eintritt, hat aber zur Folge, daB sofort die Edelmetalle aus den iibrigen Landern auf den eben gezeichneten Wegen eingezogen werden. Und zwar gelingt es ihnen natiirlich, die Edelmetalle von denjenigen Landern einzuziehen, deren Geldmarkte sich in dem betreffenden Augenblick nicht in einem Zustand der Anspannung befinden, das heiBt, in denen die Edelmetalle weniger gesucht sind. Die Industrielander ziehen daher durch Erhohung ihrer Diskontrate auf den normalen Wegen des AuBenhandels die Edelmetallvorrate aus Landern, in denen sie verhaltnismaBig reiehlich vorhanden sind, an sich, um sie solchen Landern zu leihen, welche daran Mangel leiden. Der ProzeB des internationalen Geldumlaufs wickelt sich also meistens durch Vermittlung der Industrielander ab. Durch ihre Vermittlung wickelt sich aber auch der VerteilungsprozeB neu produzierter Edelmetalle ab. Fur die Lander, welche Gold und Silber produzieren, stellen Gold und Silber Exportwaren dar, welche sie auf Grund des Gesetzes der komparativen Kosten im Austausch gegen andere Produkte ausfuhren. Ein Land muB also imstande sein, eine grofie Giitermenge auszufuhren, d. h. mit Landern, welche Edelmetall produzieren, in unmittelbaren bestandigen Handelsbeziehungen stehen, um von ihnen eine groBe Menge Edelmetalle einfuhren zu konnen. 1 Als Produzenten von Manufakturwaren fuhren vor allem die Industrielander eigene Produkte aus, welche meistens von den Edelmetall produzierenden Landern nachgefragt werden. Da sie ferner die groBen Welthandelszentren sind, sind sie in der Lage, ihnen eine unendliche Reihe anderer Erzeugnisse zu liefern. Sie haben also die Moglichkeit, mit den Edelmetall produzierenden Landern dauernde Handelsbeziehungen aufrechtzuhalten. Und vor allem aus diesem Grunde werden sie dann zum Welteinfuhrund damit Weltverteilungszentrum der Edelmetalle. 2 Es spielen hiefiir aber auch andere Grunde mit. Ehe Gold und Silber industriellen oder monetaren Zwecken zugefuhrt werden, sind sie Waren wie andere auch. Es ist also natiirlich, daB sich ihre verfiigbaren Reserven, ebenso wie dies bei jeder beliebigen anderen Ware der Fall ist, in denjenigen Landern 1 FANNO, La moneta, le correnti monetarie e il riordinamento della circolazione nei paesi a finanze dissestate, Turin 1908, S. 114. 2 LORIA, II valore della moneta, in: Biblioteca degli Economists, Reihe IV, Bd. V I , S. 35.
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konzentrieren, in denen ihre Finanzierung am billigsten ist, also in den Industrielandern. Und so werden diese Lander, die bereits die Welthandelszentren fur andere Waren sind, auch zu den Zentren des Welthandels in Edelmetallen. 1 Sobald die Edelmetalle in die Industrielander kommen, flieBen sie dem freien Gold- und Silbermarkt zu und ihr Preis sinkt. Ihre Preissenkung regt aber das Publikum an, Metall zur Miinze2 und zu den Emissionsbanken zu tragen, um dafiir Geld und Noten einzutauschen, und gleichzeitig regt sie die Emissionsbanken an, Metalle zu kaufen, um ihre Reserven zu starken. So tritt ein Teil des eingefuhrten Goldes unmittelbar oder mit seinem Gegenwert in die Zirkulation ein und vergroBert den Faktor M unserer Gleichungen. Die Erhohung von M ruft aber in den Industrielandern eine Senkung des Diskontsatzes hervor; und da diese Senkung des Diskontsatzes die normalen Spannungen zwischen dem Diskontsatz dieser und der iibrigen Lander vergroBert, vergroBert sie den Strom kurzfristiger Anleihen von jenen zu diesen und verursacht dadurch eine Goldabwanderung aus den Industrielandern. Gleichzeitig ruft aber die Senkung des Diskonts in den Industrielandern, die dort die Preise in die H6he treibt, eine Vergrofierung ihrer Giiter- und Effekteneinfuhr hervor. Damit bezahlen die anderen Lander ihre Goldeinfuhr aus den Industrielandern. So wird der Goldausgang aus den Industrielandern, der anfanglich auf Grund von Anleihen nur fur kurze Frist erfolgte, auf Grund von Handelstransaktionen, welohe den Anleihen folgen, zu einem endgiiltigen. Und diese Anwanderung setzt sich so lange fort, bis die neuen Metalle unter die verschiedenen Lander nach dem angegebenen Gesetze verteilt sind und das — durch ihr Zustromen in die Industrielander gestorte •— Internationale monetare Gleichgewicht wiederhergestellt ist. 5. Aus dem Vorhergehenden ergeben sieh aber noch weitere wichtige Folgerungen. Die Agrarlander und die in Ubergang befindlichen Lander suchen bei den Industrielandern nicht nur gelegentlich von Geldanspannungen um Anleihen an, sondern auch dann, wenn sie sich die umlaufenden Kapitalien, deren sie bediirfen, zu verschaffen wiinschen. Alle diese Bediirfnisse befriedigen die Industrielander zunachst, wie wir sahen, dadurch, daB sie den Anleihe nehmenden Landern zum groBten Teil Giiter uberweisen. Diese Giiter, deren Geldgegenwert die Anleihe gebenden Lander den Anleihe nehmenden fur die ganze Laufzeit des Kredits uberlassen, stellen eben die zirkulierenden Kapitalien dar, welche sich die letzteren mittels der Anleihe verschaffen. 1 Da die Industrielander im allgemeinen einen niedrigen ZinsfuB haben, ergibt sich aus den Erwagungen des Textes folgender Grundsatz: daB die Edelmetalle zwar die Tendenz zeigen, voriibergehend denjenigen Landern zuzuflieBen, welche ihre Diskontrate erhoht haben, daB sie aber normalerweise die Tendenz zeigen, sich mit Vorliebe in denjenigen Landern zu sammeln, welche einen niedrigen ZlnstuB und daher eine niedrige Diskontrate haben. (Eine Andeutung dieses Grundsatzes findet sich bei: DEL, VECCHIO, Teoria dell' esportazione dei capitali, in: Giornale degli Economisti, Aug. 1910, und neuestens in seinen Grundlinien der Geldtheorie, Tubingen 1930, S. 151.) 2 Dies gilt tiir Lander mit Goldstandard. Heutzutage aber, da die Golddevisenwahrungen vorherrschen und die Munzpragung dem Publikum verschlossen ist, tragen die neu eingefuhrten Edelmetalle nur insoweit zur VergrbBerung von M bei, als sie die Vorrate der Emissionsbanken verstarken.
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Da in den Industrielandern von alien Teilen der Welt nach Anleihen nachgefragt wird, ist es bei ihnen anderseits auch leichter als anderswo, fliissiges Geld anzubringen. Daher pflegen Banken, welche vorubergehend Gelder flussig haben, anstatt sie unverwendet bei sioh liegen zu lassen, sie oft an die Banken der Industrielander zu iiberweisen. Diese bedienen sich der Gelder, um damit den anderen Landern neue kurzfristige Anleihen zu gewahren. Auf diese Weise iiben sie ihre Funktion als Weltbankiers aus. Durch die voriibergehende Uberweisung der gerade verfiigbaren Gelder an die Banken der Industrielander schaffen aber die Banken der ubrigen Lander die Bedingungen, welche fur ein Zustromen von Giitern aus den letzteren in die Industrielander guns tig sind. Und die Banken der Industrielander lenken durch Verleihung dieser Betrage an andere Lander den Guterstrom nach diesen Landern um. 1 Demnach stellen die Industrielander kraft ihrer Funktion als Weltbankiers den Landern, welche danach Bedarf haben, vorubergehend nicht nur einen Teil ihrer eigenen Produktion, sondern auch einen Teil der Produktion anderer Lander zur Verfiigung. Diese Funktion schafft jedoch, wie wichtig und grundlegend sie auch sei, fur die Lander, welche sie ausuben, eine heikle Lage. Infolge dieser Funktion sind namlich die Industrielander normalerweise auBer mit einer betrachtlichen Masse kurzfristiger Kxedite, auch mit einer betrachtlichen Masse kurzfristiger Schulden an das Ausland gebunden; ihre Zahlungsbilanz ist daher standig unvorhergesehenen starken Veranderungen ausgesetzt. Aber infolge der besonderen Struktur ihrer Wirtschaft sind sie, wie wir sahen, gewohnlich in der Lage, dariiber verhaltnismaBig leicht hinwegzukommen, und zwar insbesondere infolge der gegenseitigen Kompensation auslandischer Schulden und Anleihen, welche automatisch eintritt, wenn ein Teil der Anleihen plotzlich zuriickberufen wird. Und so verfugen die Industrielander, welche durch eine Haufung giinstiger Umstande dazu bestimmt sind, als Weltbankiers zu fungieren, gewohnlich iiber die Mittel, um gegen alle Zwischenfalle, die aus dieser ihrer Funktion entstehen mogen, rasch und wirksam vorkehren zu konnen. 6. Damit sind die Struktur des internationalen Geldmarktes und seine grundlegenden Funktionen umschrieben. Der internationale Geldmarkt besteht in der Zusammenfassung der Geldmarkte der einzelnen Lander; seinen Mittelpunkt hat er in den Markten der Industrielander. Und infolge dieser seiner zusammengesetzten Struktur wird ein betrachtlicher Teil seiner Tatigkeit durch diese einzelnen Lander und iiber sie ausgeiibt. Die Lander, welche Mangel an zirkulierenden Kapitalien haben, verschaffen sie sich, wie wir sahen, durch kurzfristige Anleihen bei den Industrielandern. Auf diese Weise entsteht eine Masse kurzfristiger 1 Bezilglich des genaueren Mechanismus, mittels welchen bei dem heutigen Aufbau der Banksysteme die Uberweisungen verfilgbarer Gelder von den Banken eines Landes an jene eines anderen Landes die Bedingungen vorbereiten, miter denen sich der Zustrom von Giitern aus jenem Lande in dieses giinstig entwickeln kann, siehe: VINER, a. a. O., S. 182 u. ft.
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Kredite zwischen Land und Land, die zwar in ihrem Betrag schwankt, aber immer vorhanden ist. Mittels dieser Kredite werden die zirkulierenden Kapitalien, welche in einigen Landern in UberfluB vorhanden sind, anderen Landern iiberwiesen und bleiben so lange zu deren Verfugung, bis die Kredite zuriickberufen werden. Werden sie aber aus bestimmten Landern zuriickberufen, so werden sie sodann oft anderen iiberwiesen, wobei sicb die Betrage nicht immer decken miissen. Das Volumen der internationalen kurzfristigen Kredite schwankt daher nicht bloB standig, sondern es wird auch standig zwischen den einzelnen Landern neu verteilt. Bei jeder Veranderung ihres Volumens und ihrer Verteilung verandern sich Volumen und Verteilung der zwischen den verschiedenen Landern zirkulierenden Kapitalien. Daher erfiillt der internationale Geldmarkt vor allem folgende Funktion: fur die Verteilung und standige Umverteilung der verfiigbaren, zwischen den verschiedenen Landern zirkulierenden Kapitalien im Verhaltnis zu dem jeweiligen Bedarf eines jeden zu sorgen. Er erfiillt aber auch noch eine andere Funktion. Die verschiedenen Lander wenden sich, wie wir sahen, um Anleihen an den internationalen Geldmarkt, so oft bei ihnen aus irgendwelchen Griinden eine Geldknappheit entsteht, welche eine internationale Neuverteilung der Edelmetalle notig macht. Die kurzfristigen Anleihen, welche sie bei derartigen Gelegenheiten aufnehmen, stellen sofort diese Neuverteilung her. Da diese aber eben mittels Anleihen hergestellt wird, hat sie zunachst den Charakter des Voriibergehenden. Anderseits hat jede nach einer bestimmten Richtung vorgenommene Geldubertragung, die einer wirklichen Gleichgewichtsstbrung entspringt, eine in umgekehrter Richtung gehende Ubertragung von Giitern und Effekten im Gefolge. Und mit dieser Ausfuhr begleichen die Schuldnerlander ihre Schulden. Daher wird die internationale Verteilung der Edelmetalle, die mit Hilfe des Geldmarktes erfolgt und zunachst voriibergehenden Charakter hat, schlieBlich zu einer endgiiltigen. J e schleuniger anfangs die Geldubertragung vor sich geht, um so schleuniger geht die darauffolgende Giiter- und Effekteniibertragung in umgekehrter Richtung vor sich. Da also der internationale Geldmarkt die unverziignche Ubertragung von Geld von Land zu Land herbeifiihrt, beschleunigt er die Giiter- und Effekteniibertragungen in umgekehrter Richtung und beschleunigt damit die Riickkehr zum internationalen monetaren Gleichgewicht. Auf Grund alles dessen iibt der internationale Geldmarkt ferner folgende zweite Funktion aus: Beim Auftauchen monetdrer Gleichgewichtsstorungen unverzuglich durch lcurzfristige Anleihen, also provisorisch, eine den neuen Gleichgewichtsbedingungen entsprechende internationale Verteilung des Goldes herbeifiihrt, bis in der Folge umgekehrte Ubertragungen von Giitern und Wertpapieren stattfinden und die neue Verteilung des Goldes dadurch endgultig und ein endgultiges und vollstdndiges neues Gleichgewicht hergestellt wird. Mit einem Wort, er ist der regelnde Mechanismus, dank welchem die sich immer erneuernden internationalen monetaren Gleichgewichtsstorungen ohne Verzug beseitigt werden und das von uns angegebene Gesetz der Ver-
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teilung der Edelmetalle ohne Verzug verwirklicht wird. Und da die Industrielander die Hauptorgane des internationalen Geldmarktes sind, so sind im wesentlichen sie es, welche in der Weltwirtschaft die beiden angefiihrten Funktionen ausiiben. 7. Unter alien Industrielandern war es wahrend des X I X . Jahrhunderts und bis zum Ausbruch des Weltkrieges England, welches die Funktion des Weltbankiers ausgeubt hat. Deutschland war in einem raschen und bewundernswerten industriellen Aufschwung begriffen, welcher es zu ungeheuren Immobilisierungen zwang, und bewegte sich in fast ununterbrochener Geldanspannung, die es ihm verbot, seinen Geldmarkt den anderen Landern zur Verfiigung zu stellen. 1 Frankreich mit seinem wenig entwiekelten Handel und der Tendenz seines Sparkapitals, langfristige Anlagen aufzusuchen, wies seinen Metallvorraten den Charakter eines stagnierenden und nicht den eines beweglichen Fonds an und es verteidigte seine eifersiichtig bewachten Metallvorrate mit einer Goldpramienpolitik, welche es auBerhalb der groBen Geldbewegungen der Erde stellte; 2 hingegen war England mit einer mehr als ein Jahrhundert alten Industrie ausgeriistet, verfugte iiber den ausgedehntesten Handel, iiber eine erstaunliche Akkumulationsfahigkeit, welche es ihm erlaubte, immer ungeheure Kapitalien fliissig zu haben, iiber eine betrachtliche Masse fluktuierender und leicht verkauflicher Effekten und einen vollkommenen Bankapparat, und besaB daher mehr als andere Lander die notwendigen Voraussetzungen, um als Geld- und Bankmittelpunkt der Erde und als Sammel- und Verteilungsmittelpunkt der Edelmetalle zu fungieren. Es iibte denn auch diese Funktion unbestritten durch mehr als ein Jahrhundert aus. DaB es die angegebenen Umstande waren, welchen England diese bevorzugte Stellung verdankte, wird durch die Tatsache erwiesen, daB auch seine Geld- und Bankposition ersehuttert zu werden begann, sobald diese Umstande allmahlich wegfielen. Da sich zuerst Deutschland, spater Japan, die Vereinigten Staaten und andere Lander aus Agrar- in Industrielander verwandelt hatten, ging Englands Industriemonopol nach und nach verloren. Und die kritische Lage seiner Industrien, welche bereits vor dem Kriege latent war, wurde seit dem Kriege zu einem dauernden Zustand. 3 Als seine industrielle Vorherrschaft vorbei war, biiBte es auch seine vorherrschende Position im Welthandel ein, und da es nicht mehr das einzige Land ist, welches fahig ist, aktive Handelsbeziehungen zu den Gold produzierenden Landern aufrechtzuerhalten, begegnet es ungeheueren Schwierigkeiten bei der Erhaltung seiner Position als Sammel- und Ver1 German Finance and Banking, in: The Economist (London), 30. Nov. 1907, S. 2077; RUPPKL, Kleine Reichsbanknoten, Leipzig 1908, S. 89/90; RAFFALOVICH, La Banque Allemande et la crise, in: Economiste Francais, 6. Sept. 1902, S.317; PRATO, Le screpulature del granito tedesco, in: La Riforma Sociale, 1914, S. 900 u. 11.; WITHERS, The meaning of money, London, S. 86. 2 RAYNAUD, La balance du commerce en 1905, Revue politique et Parlamentaire, 10. Juni 1906, S. 537/538; SNYCKERS, La Reichsbank et la Banque de Fiance, Paris 1908, S. 99. 3 CLARK, Statistical studies of the present economic position of Great Britain, in: The Economic Journal, Sept. 1931, S. 344.
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teilungsmittelpunkt des gelben Metalls. 1 Infolge der chronischen Krise seiner Industrie und seines Handels ist seine Sparfahigkeit bedeutend verringert und seine Zahlungsbilanz laBt fur Investitionen im Ausland nur mehr einen kleinen Spielraum, 2 so daB die in den letzten Jahren in London ausgegebenen in- und auslandischen Wertpapiere, wie maBgebende Fachleute behaupten, zu gutem Teil mit auslandischen, auf Sicht riickziebbaren Bankeinlagen finanziert wurden; 3 dies hat eine heikle und gefahrliche Lage firr den englisehen Wertpapier- und Geldmarkt geschaffen und erschwert immer mehr die Aufgabe der Bank von England, ihre Reserven und die Wertbestandigkeit des Pfund Sterling zu verteidigen. 4 Aus all diesen Griinden ist England trotz des bewundernswerten technischen Apparates seines Banksystems im Begriffe, auch als monetarer Mittelpunkt der Welt an Boden zu verlieren. Und wenn auch die MaBnahmen des 21. September 1931 (zeitweise Aufhebung des gold bullion standard) ohne Zweifel auf die auBergewohnlichen Umstande des Augenblicks (Deutschlands Moratorium und Einfrieren der englisehen Bankkredite an die deutschen Banken) zuriickzufuhren waren, so stellen sie doch nichts anderes dar als die akute Phase eines vieljahrigen Entwicklungsganges, welcher dahin geht, die Grundlagen der englisehen Vorherrschaft zu unterwuhlen und zugleich mit der politischen, maritimen und wirtschaftlichen Vorherrschaft die monetare Vorherrschaft der Welt auf andere Lander zu ubertragen. 5 8. Die Ergebnisse, zu welchen wir beziigiich der Wirkungsweise und der Funktionen des internationalen Geldmarktes gelangten, gelten naturlich nur in bezug auf die von uns vorausgesetzten Bedingungen und finden daher in der Wirklichkeit nur insoweit ihre Bestatigung, als diese den wirklichen Bedingungen entsprechen. Die von uns vorausgesetzten Bedingungen, welche der Leser leicht selbst herausgefunden haben wird, sind, um nur die wichtigsten hervorzuheben, die folgenden: 1. daB die zusammen den internationalen Geldmarkt bildenden Lander hohen Kredit genieBen, alle eine stabile Wahrung besitzen und daher ohne Schwierigkeit wann immer es notwendig ist lang- und kurzfristige Anleihen aufnehmen konnen; 2. daB die Anleihe nehmenden Lander die 1 EINZIG, Recent changes in the London gold market, in: The Economic Journal, Marz 1931, S. 61—67. 2 KINDEHSLEY, A new study of British foreign investments, in: The Economic Journal, Marz 1929, S. 23. 3 K E Y N E S , The British Balance of Trade, Economic Journal, Dez. 1927, S. 557. * Um ihre Reserven verteidigen zu konnen, ist die Bank von England genbtigt, ihren Diskontsatz holier zu halten als andere Lander; dadurch schadigt sie aber ihre Industrien und gefahrdet Englands Stellung als monetaren Mittelpunkt der Welt. (EINZIG, a. a. O., S. 66.) 5 DaB sich als unvermeidliche Folge der Evolution der Weltwirtschaft die Industrien in den einzelnen Landern entwickeln und ausbreiten miissen, daB die Weltwirtschaft dazu bestimmt sei, sich in ein System teilweiser geschlossener Wirtschaften zu verwandeln, und daB infolge aller dieser Umstande die wirtschaftliche Stellung Englands tief erschtittert werden musse, wurde von uns in unmiBverstandlicher Weise bereits 1906 behauptet. (Siehe: FANNO, L'espansione commerciale e coloniale degli Stati Moderni, Turin 1906, Teil I, Kap. VII, S. 85, und Teil III, Kap. X, S. 451—496.) Und daB England als Folge des Verlustes der industriellen Vorherrschaft steigenden Schwierigkeiten bei der Erhaltung seiner Position als Sammel- und Verteilungsmittelpunkt der Welt fiir Edelmetalle begegnen musse, haben wir ebenfalls bereits 1908 behauptet. (FANNO, La moneta usw., Turin 1908, S. 128.)
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von den anderen erhaltenen kurzfristigen Anleihen fur leicht realisierbare Investitionen (als zirkulierendes Kapital) verwenden, um sie ohne Schwierigkeit im angemessenen Augenblick zuriickzahlen zu konnen; 3. daB die inlandischen und auslandischen Wertpapiere von den verschiedenen Landern auBer als Mittel fiir Kapitalsanlagen als internationales Zahlungsmittel (strumento di saldo internationale) verwendet werden; 4. daB das Gold, die Giiter, und die Wertpapiere von den verschiedenen Landern frei ein- und ausgefiihrt werden diirfen; und 5. daB die Emissionsbanken der versohiedenen Lander ihre Reserven voll ausniitzen, also keine Politik der Goldthesaurierung und -sterilisierung treiben und daB daher jede Veranderung der Reserven von einer proportionalen Veranderung des Notenumlaufs gefolgt werde. Es ist klar, daB bei Fehlen einer oder einiger oder aller dieser Bedingungen der internationale Geldmarkt nicht mehr in der angegebenen Weise ablauft und seine Funktionen nicht mehr erfiillt. Wenn vor allem tatsachlich einigen Landern wegen Unbestandigkeit ihrer Wahrung oder aus anderen Griinden bei der Ge wahrung kurzfristiger auslandischer Anleihen Schwierigkeiten bereitet werden, so wird ihnen in diesem Ealle das geschmeidigste Mittel internationalen Zahlungsausgleichs fehlen; und sie werden einen Teil des etwaigen Ausfalls in ihrer Zahlungsbilanz dadurch wett machen miissen, daB sie sofort mehr Gold ausfuhren als dies sonst notwendig gewesen ware. Und wenn dann zu gleicher Zeit infolge des MiBtrauens des Publikums in sie auch ihre Wertpapiere nicht in ausreichendem Mafie als internationales Zahlungsmittel verwendet werden konnen, wird ihre Goldausfuhr noch groBer sein miissen, weil dann nur mehr Giiter als endgiiltiges Zahlungsmittel auftreten konnen und ein betrachtlicher monetarer Druck. notwendig ist, auf daB sich ihre Ausfuhr entsprechend vergroBere. Und wenn schlieBlich infolge des Bestehens oder der Neuaufrichtung stark protektionistischer Zollschranken auch dem internationalen Giiterumlauf Hindernisse entgegengestellt werden, und daher Giiter nur dann im gebotenen AusmaBe ausgefiihrt werden konnen, wenn sie stark im Preise fallen, so muB in diesem Falle ein etwaiger Ausfall in der Zahlungsbilanz zum groBen Teile durch Goldausfuhr wettgemacht werden. Das Gold ist nicht mehr subsididres internationales Zahlungsmittel, sondern es wird zum Jiauptsachlichen internatioTialen Zahlungsmittel. Die Lage kann dann leicht kritisch werden. Das MiBtrauen des Publikums zu den Wertpapieren, welche deren Verwendbarkeit in der internationalen Verrechnung beschrankt, beschrankt namlich meistens auch deren Verwendbarkeit als Mittel fiir die internationale Anlage der Ersparnisse. Die Lander, welche normalerweise Kapital ausfuhren und deren Zahlungsbilanz noch auf diese Ausfuhr zugeschnitten ist, werden dann, da sie sie nicht durch Einfuhr von Wertpapieren ausgleichen konnen, eine gewisse Zeit hindurch Gold einfuhren miissen; und um das Gold aufbewahren zu konnen, werden sie es thesaurieren miissen; dies hat zur Folge, daB die Metallvorrate der iibrigen Lander geschwacht werden und daB sich die normale internationale Ver-
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teilung dieses Metalls von Grund auf verandert. 1 Das Gold, das zum hauptsachlichen internationalen Zahlungsmittel geworden ist, wird dann auch zum Investitionsmittel fiir Ersparnisse und somit zum Mittel fur Internationale Kajritalsiibertragung. Und diese seine neue Funktion kann wesentlich zur Verscharfung der Lage beitragen. Denn wenn aus fiskalischen oder anderen Grunden, aber ohne Zusammenhang mit den internationalen Kapitalsbewegungen, unvorhergesehene Kapitalstibertragungen vorkommen, auf welche die Zahlungsbilanz der betreffenden Lander nicht vorbereitet war oder auf welche sie sich nicht sofort einstellen kann, dann muB auch. fiir diese zufalligen Kapitalsubertragungen mit Gold aufgekommen werden; und die Goldbewegung von einem Lande zum anderen kann derartige Ausdehnungen und eine derartige Geschwindigkeit annehmen, daB sie eine andauernde Gefahr fiir die Geldstabilitat der Welt wird. Solange die internationalen Goldverschiebungen selten sind und sich in bescheidenen Grenzen bewegen, kann das Gold freilich gleichzeitig und ohne Schwierigkeit die beiden Funktionen: inlandische Kreditunterlage, und internationales Zahlungsmittel, erfullen. Sobald aber infolge des Zusammenwirkens der oben angegebenen Umstande die internationalen Goldverschiebungen bedeutend werden und ohne Ordnung vor sich gehen, sind die beiden Funktionen nicht mehr miteinander vertraglich und vereinbar, weil nicht ein und dasselbe Gold standig von einem Lande ins andere iibertragen werden und gleichzeitig die solide Kredit- und Zirkulationsgrundlage eines bestimmten Landes bilden kann. Diese zweite Funktion muB friiher oder spater den gebieterischen Notwendigkeiten der ersten geopfert werden. Die inlandische Zirkulation vieler Lander kann sich also unversehens in die Notwendigkeit versetzt sehen, sich vom Golde zu trennen. Und zwar kann dies sogar den Industrielandern geschehen, die normalerweise mit den notigen Mitteln zur Verteidigung ihrer Reserven versehen sind, wenn namlich die von ihnen gewahrten kurzfristigen Anleihen von den Anleihe nehmenden Landern nicht fiir leicht losbare Zwecke verwendet, sondern 1 Die Thesaurierung, welche auf eine Sterilisierung des Goldes hinauslauft, fuhrt zu den im Texte angegebenen Folgen, weil sie einen Teil der ausgleichenden Krafte unwirksam macht. Das Gold sterilisieren bedeutet fiir die Emissionsbanken wachsende Reserven anzuhaufen, ohne das Zirkulations- und Kreditvolumen im gleichen Verhaltnis zu steigern. Die Riickwirkungen der Erhohung der Reserven auf die Preise und die Zahlungsbilanz, welche dahingehen, die uberflussigen Reserven zur Abwanderung zu bringen, bleiben also aus. Die thesaurierenden Lander konnen daher in der Anhaufung des Goldes unbegrenzt fortfahren. Das Gesetz der internationalen Verteilung der Edelmetalle in bezug auf das internationale monetare Gleichgewicht gilt nicht mehr, und es sind die ungleichmaBigsten Verteilungen des Goldes auf die verschiedenen Lander moglich. Eine Politik der teilweisen Sterilisierung des Goldes wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika seit 1915 und von Frankreich seit 1926 verfolgt und das Ergebnis bestand darin, daC zwei Fiinftel des Weltgoldes in diesen beiden Landern angehauft wurden. AFTALION hat vor kurzem geleugnet, daB die Vereinigten Staaten und Frankreich das von ihnen eingefiihrte Gold thesauriert hatten (AFTALION, L'or et sa distribution mondiale, Paris 1932); seine Auffassung wird aber durch die Tatsachen widerlegt; denn (abgesehen von den anderen Einwendungen, welche man gegen seine Darlegungen leicht finden kann) wurde das Vorhandensein von mehr als einer Milliarde Dollar sterilisierten Goldes bei den Federal Reserve Banken der Vereinigten Staaten in den auBerordentlichen MaBnahmen, welche 1931 vom Prasidenten HOOVER vorgeschlagen und vom KongreB angenommen wurden, offiziell zugegeben; und diese gingen eben darauf aus, die Schaden der Wirtschaftskrise durch Nutzbarmachung der sterilisierten Dollars zu Kreditzwecken zu mildern.
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immobilisiert wurden; denn da in diesem Falle die Geldmarkte dieser Lander aufhoren, als Ausgleichsinstanz zu wirken, was auf der automatischen ELompensation von Auslandsschulden gegen Auslandsforderungen beruhte, konnen sie sich, da sie unaufhorlichen Goldriickziehungen ausgesetzt sind, unversehens vor der Unmoglichkeit sehen diesen nachzukommen und daher in Zahlungsstockungen geraten. 1 Und ihre Zahlungsstockung kann sich auf den Welt-Geldmarkt ausbreiten. So oft sich also einige oder alle Bedingungen, welche wir unserer Theorie voraussetzungsweise zugrunde gelegt hatten, nicht erfiillen, hort der internationale Geldmarkt, wie wir sehen, auf, in der von uns angegebenen Weise zu wirken und seine grundlegenden Funktionen auszutiben. Die unserer Theorie zugrunde gelegten Verhaltnisse sind ungefahr die in der Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg vorherrschenden und sie werden sich hoffentlich in einer nicht zu fernen Zukunft wieder einstellen. Die soeben betrachteten Verhaltnisse sind hingegen, wie dem Leser sicherlich bekannt ist, diejenigen, welche sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit herausbildeten und gegenwartig noch andauern. Da also die gegenwartige Geldsituation der Welt zeigt, welches die Folgen der Geldunordnung, des mangelnden Funktionierens einiger der allerwesentlichsten internationalen Zahlungsmittel und der teilweisen Lahmung des WeltGeldmarktes sind, spricht sie nicht gegen, sondern vollauf fur unsere Theorie.
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1 Der Leser hat zweifellos erraten, da£S wir im Texte auf die Lage anspielen, welche in England im Sonimer 1931 infolge Deutschlands Unfahigkeit entstand, seine kurzfristigen Schulden den englischen Banken zuriickzuzahlen, weil Deutschland die Betrage anstatt zur Wiederherstellung seines zirkulierenden Kapitals zur Vervollstiindigung und VergroBerung seiner industriellen Anlagen verwendet hatte.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Von M. W. HOLTROP, Ijmuiden (Holland). (Aus d e m Hollandischen u b e r s e t z t v o n D r . E R I C H SCHIIT?, Wien.)
Inhaltsubersicht.
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E r s t e s H a u p t s t i i c k . Problemstellung 118 I. Das Wesen des Geldes. Die wesentliche Punktion des Geldes u n d der Geldbegriff (118). D a s Geld ist als eine Anweisung (118) u n d nicM als ein wirtschaftliches Gut (119) aufzufassen. II. DieKaufkraft desGeldes. DasPreisniveaualsKechengrofle (119). D a s Problem der Kaufkraftund der Kaufkraftveranderungen (120). Anwendung der Grenznutzenlebre auf das Geld durch MISES (120) und GEEIDANUS (120). Unanwendbarkeit der Grenznutzenlebre (121). Wesen der Quantitatstbeorie (122). Anwendung der Quantitatstbeorie durcb P I G O U (122), P I S H E E (123) u n d SCHUMPETEE (123).
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III.
SchluBfolgerung (124). Die Kaufkraft des Geldes bestimmt durcb das quantitative Verhaltnis zwischen Geld- u n d Guterstrom (125). Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit. Die Zusammensetzung des Geldstroms (126). VeranderungenindemUmfangdesGeldstroms, welcbe nicbt die Polge von Veranderungen in der Geldmenge sind, werden als Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit bezeicbnet (127). Definition des Begriffes Umlaufsgeschwindigkeit (128). Der Differenzierungskoeffizient (129). Die Effektivitat des Geldes (130) und ibre Beziehung zur Umlaufsgeschwindigkeit (131). Das Problem der Kassenbaltung (131). Der statiscbe u n d der dynamiscbe Kassenvorrat (132).
Z w e i t e s H a u p t s t i i c k . Die Intensitat der Vermogensausnutzung als bestimmender Faktor der Umlaulsgeschwindigkeit 133 I. Die Kassenhaliungsfrage als Finamierungsproblem. Der Kassenvorrat als unverwendetes Vermogen u n d unverwendetes Einkommen (133). Begriff der Pinanzierung (134) u n d des Vermogens (135). D a s sogenannte ,,Bediirfnis" nach einem Kassenvorrat (135). Der Kassenvorrat eine Polge der Unmoglicbkeit die Vermogensversorgung genau den Scbwankungen des Vermogensbedarfes anzupassen (136). II. Die Ursachen des scJiwankenden Vermogensbedarfes. Der Umlauf der Guter durcb die Produktionswirtschaft bindurch (138). H I E F E E DINGS Formel (138). Die fiinf Ursachen von Scbwankungen im Ge8*
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samtbetrag der Aktiva (139): 1. Die diskontinuierliohe Veranlagung bei kontinuierlichem Freiwerden der Mittel (140); 2. Die kontinuierliche Veranlagung bei diskontinuierlichem Freiwerden (141); 3. Die Saisonerzeugung (143); 4. Der Saisonverbraueh (143); 5. Die Veranderungen in dem Betriebsumfang (144). Die Ausgleichung der Schwankungen innerhalb desBetriebes (144). EinfluB vonDifferenzierung (144) u n d Integrierung (145). Wechselseitiger Zusammenhang zwischen den Schwankungen bei den verschiedenen Wirtschaften (145): Gegenlaufige Schwankungen (146) u n d mitlaufige Schwankungen (146), Moglichkeit einer ubrigbleibenden gesellschaftlichen Schwankung (147). Bedeutung der nicht zu den produzierten Gutern gehorigen Aktiva (147). Art und Form des Angebotes von Mitteln auf dem KreditmarM. Die angebotenen Mittel entspringen entweder dem Sparen (148) oder der Geldschopfung (148). Horten (148) u n d ,,erzwungenes Sparen" (149). Die Formen des Kreditangebots (149). Zusammensetzung von Kreditnaehfrage (150) u n d -angebot (151). TV. Die Bedeutung der verschiedenen Kreditformen fur die Anpassung des Vermogens an den weehselnden Bedarf. Das eigene Vermogen (151), das langfriatige Fremdvermogen (152). Der kurzfristige Kredit: die drei Formen des Lieferantenkredits (152), namlich der fixe Zahlungsaufschub(153), die Lieferung auf Rechnung(155) u n d d e r Abzahlungskredit (156). Der Abnehmerkredit (157). Die Geldmarktkredite (158). Der Bankkredit (158). Die Wirkung des Bankkredits, wenn die Bank nur als kreditvermittelnde (159) und wenn sie auch als geldschopfende Instanz auftritt (160). Die genaue Abgrenzung des Geldbegriffes (161). SchluBfolgerung: die optimale Intensitat der Vermogensausnutzung nicht erreichbar (163). V. Sonstige Faktoren, die die Anpassung des Vermogens an den weehselnden Bedarf beeinflussen. Die voriibergehende (163) und die dauernde (163) Anwendung zeitweiliger Vermogensubersehtisse im eigenen Betrieb. EinfluB des Zinsfufles (164) und der Erwartungen hinsichtlich des Preisverlaufs (164) auf die Intensitat der Vermogensausnutzung. Die Losung des Kassenhaltungsproblems (166).
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D r i t t e s H a u p t s t i i c k . Die Ursachen der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und ihre Folgen 166 I. Die Folgen des Entstehens und Aufhorens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Das Aufhoren von Schwankungen im Gresamtbetrag der Aktiva (167) muB im Zusammenhang betrachtet werden mit den mitlaufenden oder gegenlaufigen Schwankungen (168). E s fiihrt zu einem standigen Freiwerden von Vermogen (169), dem entweder von einer Verminderung der Geldmenge (169) oder eine Vermehrung von Aufwendungen (169) folgt, was beides eine Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. Das Entstehen von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva (170) gibt zu entgegengesetzten Erscheinungen AnlaB (171). II. Die Folgen einer Verdnderung des Ausmafies, in dem von kurzfristigem Kredit Gebraueh gemacht wird. Die Folgen eines Ubergangs zur Finanzierung mit kurzem Kredit (171). Moglichkeit einer Wechsel-
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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beziehung zwischen Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit (172). Eine zeitweilige VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit moglich, ohne daB Vermogen permanent frei wird (173). III. Die Folgen einer Verdnderung des Ausmafies, in welchem Vermogensiiberschusse tm eigenen Betrieb verwendet werden. Die Folgen einer vorubergehenden (174) u n d einer dauernden Verwendung (174) zeitweilig verftigbarer Mittel. IV. Der angebliche Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes u n d die der Guter sich dauernd gegenseitig beeinflussen, ist falscb. (176); beide hangen nur durch den Differenzierungskoeffizienten zusammen (177). Die Ansicbt BUDGES (178). Ebensowenig besteht ein Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit u n d der Intensivitat der Ausnutzung des sozialen Kapitals (178), wie SCHULTZE-GAEVEENITZ (179) und F E I L E N (179) meinen.
Die Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit und
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Viertes Hauptstiick. ihre Veranderungen
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V. Die Bedeutung der Verdnderungen in der Umlaufsgeschwindiglceit des Geldes fur das Preisniveau. Das AusmaB der preiserhohenden Wirkung einer Kaufkraftvermehrung (180) wird von der Intensitat der Vermogensausnutzung bei denjenigen Wirtschaften bestimmt, bei denen der Gesamtbetrag der Aktiva steigt und die freigewordene Geldmenge absorbiert wird (180).
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I. Die gegenwdrtige Grofie der Umlaufsgeschwindiglceit. Schwierigkeit der Feststellung (182). Umlaufsgeschwindigkeit u n d Effektivit a t (183). Statistische Daten beziiglich der Vereinigten Staaten (184), England (187), Danemark (187), Frankreich (188). Faktoren, welche heutzutage die GroBe des Kassenvorrates bestimmen (189). Die absolute GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit nicht von statischer (190), doch wohl von dynamischer Bedeutung (190). II. Die Sehwankung in der Effektivitdt des Geldes wdhrend des Saisonverlaufs. Die Saisonschwankung der Umlaufsgeschwindigkeit kein Fingerzeig fur Veranderung der Effektivitat (191). Letztere steht vielmehr im Zusammenhang mit der Geldschopfung an den Zahlungsterminen (192) und mit der regelmaBigen Saisonverknappung des Geldmarktes (192). III.
Die Sehwankung in der Effektivitdt des Geldes wdhrend des Konjunkturverlaufes. Die Daten D E S E S S A E S ' (194), B U R G E S S ' (194) u n d SNYDERS (195) bezuglich der Umlaufsgeschwindigkeit. Die Effektivitat wahrscheinlich nicht im selben AusmaB geandert (197). Die Ursachen der konjunkturellen Sehwankung der Effektivitat (198). Wesentliche Bedeutung dieser Sehwankung (201). TV. Die Effektivitdt des Geldes bei Inflation und Deflation. Die Zunahme der Effektivitat bei der Inflation in Deutschland (202) und Frankreich (203). Meinungsverschiedenheiten liber den Kausalverband der Erscheinungen (203). Die Auffassungen von VON BORTKIEWICZ u n d AFTALION (203). Die Ursachen der Veranderungen der Effektivitat bei Inflation und Deflation (204).
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V. Die sdkuldren Verdnderungen in der EffeMivitdt des Geldes. Das Pehlen statistischer Daten (205). Die Effektivitat hat nicht zugenommen, ist aber wahrscheinlich geringer geworden (206). Ursachen der Verringerung der Effektivitat (207). Die Entwicklung des Kreditwesens (208). Erstes
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Problemstellung. I. Das Wesen des Geldes.
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Von den verschiedenen Funktionen, die das Geld ausiiben kann, ist nur die Tausehmittelfunktion, oder, um einen Ausdruck zu gebrauchen, der firr die heutige Organisationsform der Wirtschaft die gemeinte Funktion besser charakterisiert, die Kaufmittelfunktion wesentlich. Wir betrachten daher als Geld die Gegenstande, die im Marktverkehr allgemein als Kaufmittel verwendet werden und dadurch ihrem Besitzer die Verfiigungsmacht iiber die auf dem Markte angebotenen Nutzleistungen verleihen. Als Geld sind auf Grund dieser Definition in erster Linie alle gesetzlichen Zahlungsmittel, in zweiter Linie alle Objekte zu betrachten, die, obwohl nicht gesetzliche Zahlungsmittel, doch allgemein angenommen werden, so die Noten der Umlaufsmittelbanken und schlieBlich, in den Landern, wo Zahlung durch Uberweisung gebrauchlich ist, alle Bankguthaben, auf welche Schecks gezogen werden konnen. Hinsichtlich dieser letzteren ist im Auge zu behalten, da6 solche Guthaben nicht notwendig in Gestalt von Kreditsaldi in den Biichern der Banken vorkommen miissen, sondern auch in einer von der Bank dem Kunden eingeraumten Dispositionsbefugnis, 1 die von ihm noch nicht ausgeniitzt wurde, bestehen konnen. Obwohl diese noch ausniitzbaren Kredite statistisch nicht zu erfassen sind, bilden sie, wenn und soweit die Verfiigung dariiber keiner einschrankenden Bestimmung unterliegt, einen ebenso wesentlichen Teil des Geldumlaufs wie die Depositen. 2 Als Wesen des Geldes betrachten wir im AnschluB an B B N D I X E N 3 und SCHUMPETER 4 seinen Charakter als Anweisung, und zwar nicht nur, wie B E N D I X E N es ausdruckt, als ein „durch Vorleistungen erworbenes Anrecht an der verkaufsreifen konsumtiblen Produktion.. . " , 5 sondern als eine Anweisung auf die am Markte angebotenen Waren und Dienstleistungen im allgemeinen. Die Versuche, dem Gelde seinem Wesen nach den Charakter eines 1
Siehe auch J . M. KEYNES, A Treatise on Money, London 1930, Vol. I, S. 41 ff. Siehe unten S. 161. F . BENDIXEN, Wesen des Geldes, III. Aufl., Milnchen 1922, S.27ff.; DERS., Geld und Kapital, III. Aufl., Jena 1922, S. 30. 4 J . SCHUMPETER, Das Sozialprodukt und die RechenpJennige, Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., 44. Bd., 1917/1918, S. 636. Siehe auch E. C. VAN DORP, Openbare les, Haarlem 1919, S. 24f., und die Buchbesprechungen Economist 1920, S. 577, und Economic Journal 1921, S. 243 H. 5 BENDIXEN, Wesen des Geldes, S. 30. 2 3
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wirtschaftlichen Gutes im Sinne MENGEBS 1 und BOHM-BAWERKS 2 zuzusprechen, d. h. eines Gegenstandes, dem die Wirtschaftssubjekte die Kraft zuerkennen, ihre Bediirfnisse zu befriedigen, halten wir fiix miBgliickt, da es sich einerseits zeigt, daB, insoweit das Geld tatsachlich ,,an sich" ein Bediirfnis befriedigt, etwa z. B. im Sinne eines Mittels zur Uberwindung der Unbequemlichkeiten des direkten Tausches, 3 dieses Bediirfnis durch das Vorhandensein der Institution „Geld" schon in vollem MaBe befriedigt wird, so daB es keine Grenze gibt, bei der die Bedurfnisbefriedigung in dieser Hinsicht abgebrochen wird und es daber aucb keinen Ankniipfungspunkt fiir eine Bewertung des Geldes auf Grund dieser Nutzleistung gibt, wahrend andererseits derNutzen des Geldes stets mit dem Nutzen der Giiter gleichgesetzt wird, die man fiir das Geld bekommen kann, 4 in welchem Falle aber von einer unabhangigen Bewertung des Geldes auf Grund seines eigenen Nutzens keine Rede mehr ist. Einiges ist von Bedeutung im Zusammenhang mit der Frage, worauf die Kaufkraft des Geldes beruht. Ware das Geld ein wirtschaftliches Gut, das von den Marktparteien als Mittel zur Befriedigung ihrer Bediirfnisse gewertet wird, dann konnte der Wert des Geldes aus den subjektiven Wertschatzungen erklart werden. Dies ist aber nicht der Pall. Die Grundlage der Kaufkraft des Geldes ist nur in seinem Charakter als Anweisung auf die am Markt angebotenen Nutzleistungen zu finden. DaB somit die Kaufkraft auf einer Eigenschaft beruht, die das Geld erst durch seine allgemeine Anwendbarkeit erhalt, die aber ihrerseits auf der Kaufkraft beruht, bedeutet nur scheinbar einen Widerspruch. Historisch h a t das Geld zweifelsohne seine Kaufkraft zuerst von seiner Eigenschaft als allgemein geschatztes Gut erhalten. Durch diese Eigenschaft wurde es auch allgemeines Kaufmittel und bekam als solches den Charakter einer Anweisung auf die Giiter. Sobald das Geld aufhorte selbst ein Gut zu sein, wurde aber der Anweisungscharakter die einzige Grundlage fiir seine Kaufkraft. Obwohl historisch eine sekundare Erscheinung, ist der Anweisungscharakter heute logisch primar.
II. Die Kaufkraft des Geldes.
Unter Kaufkraft oder Wert des Geldes verstehen wir die allgemeine objektive Geltung des Geldes auf dem Markt, wie sie im Preisniveau, d. h. im gewogenen Durchschnitt der zu einem bestimmten Preissystem gehorigen Preise, zum Ausdruck kommt. So definiert, ist der Begriff Preisniveau nur als eine FvechengroBe, eine Zahl aufzufassen. Ein derartiger gewogener Durchschnitt kann auf verschiedene Arten, welche zu verschiedenen Resultaten fuhren konnen, 1 2 3
K. MENGER, Grundsatze der Volkswirtschaftslehre, I I . Aufl., Wien 1923, S. 10 ff. EUGEN VON BOHM-BAWERK, Rechte und Verhaltnisse, Innsbruck 1881, S. 15ff. K. HELFFERICH, Das Geld, V. Aufl., 1921, S. 537; G. M. VERRIJN STUART, Inleiding
tot de leer der waardevastheid van het geld, 's Gravenhage 1919, S. 7. 4 K. HELFFERICH, 1. c. S. 544; L. MISES, Theorie des Geldes und der Umlaufmittel, Milnchen und Leipzig 1924, S. 87 u. tt.; G. M. VERRIJN STUART, De waarde van het geld, Haarlem 1922, S. 1611.
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berechnet warden, 1 ohne daB einer dieser Berechnungsmethoden ein absoluter Vorzug gegeben werden kann. Es ist namlich nicht richtig, zu meinen, daB es ein absolutes Preisniveau gibt, das auf andere Weise denn als eine Zahl zu definieren ware, und das durch die berechneten Preisniveaus nur mit groBerer oder geringerer Genauigkeit annahernd angegeben werden kann. Mit dem Begriff Preisniveau ist keine andere Vorstellung als die einer RechengroBe zu verbinden. Die Frage nach der GroBe der Kaufkraft des Geldes und nacb ihren Veranderungen bildet das Kernproblem der Geldtheorie. Die Versuche, diese Erage zu losen, gehen in zweierlei Bichtung, namlich die der Anwendung der Grenznutzenlehre auf das Geld und die der Anwendung der sogenannten Quantitatstheorie. Die Versuche, den Wert und die Wertveranderungen des Geldes mit Hilfe der Grenznutzentheorie zu erklaren, mussen, wie uns scheint, ohne Ausnahme als miBlungen betrachtet werden, und zwar auf Grund derselben Erwagungen, derentwegen wir dem Gelde die Eigenschaft eines wirtschaftlichen Gutes absprechen muBten. Auch MISES, einer der nachdriicklichsten Verfechter einer Anwendung der Grenznutzenlehre auf das Geld, kann nicht umhin, zu dem SchluB zu kommen, daB der absolute Wert des Geldes, anders als der der iibrigen Giiter, nur historisch zu erklaren ist. 2 Zur Erklarung der Wertveranderungen des Geldes geht er von einem Gleichgewichtszustand zwischen Geldvorrat und Geldbedarf aus, unter welch letzterem die Summe der Kassenhaltungsbedurfnisse der Wirtschaftssubjekte zu verstehen ist. 3 Wurde dieser Gleichgewichtszustand durchbrochen, dann miiBte eine Anderung des Grenznutzens des Geldes eintreten, die die Veranlassung zu einer Anderung des Preisniveaus ware. 4 Diese Denkfigur einer Verschiebung des Grenznutzens des Geldes gegeniiber demjenigen der Giiter ist aber gerade in M I S E S ' eigenem Gedankengang, wonach der Wert des Geldes ausschlieBlich auf seinem Charakter als Tauschmittel beruht, vollstandig ungereimt und in volligem Widerspruch zu seiner an anderer Stelle ausgesprochenen Ansicht, daB der Nutzen des Geldes mit dem Nutzen der fur das Geld zu beschaffenden Giiter identisch ist. 5 Diese letztere Auffassung ist unzweifelhaft richtig, aber damit ist dann auch ein Vergleich des Grenznutzens des Geldes mit dem der Waren ausgeschlossen. Diese beiden fallen notwendig zusammen. Auch den in neuester Zeit von dem Hollander GEEIDANUS unternommenen Versuch, den Wert und die Wertveranderungen des Geldes doch aus der subjektiven Wertschatzung einer besonderen Nutzleistung des Geldes zu erklaren — mit welchem Versuch wir uns noch einen Augenblick befassen wollen, weil er in so prinzipiellem Gegensatz zu dem von uns noch zu entwickelnden Gedankengang steht — halten wir trotz seiner Originalitat fur verfehlt. GREIDANUS meint, daB die Wirt1
Siehe IRVING FISHER, The purchasing power ot money, New York 1922, S. 418ff.
2
MISES, MISES, MISES, MISES,
3 4 6
1. 1. 1. 1.
c. c. c. c.
S. 86 ff. S. 112. S. 120. S. 75.
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schaftssubjekte ihrem Kassenvorrat einen besonderen Wert auf Grund der Tatsache beilegen, daB dessen Besitz sie instand setzt, die Giiter, die sie brauchen, gerade im giinstigsten Augenblick zu erwerben. Infolgedessen genieBen sie durch die Verfiigung iiber einen Kassenbestand als Produzenten ein Mehreinkommen und als Konsumenten eine GenuBvermehrung, welche die Grundlage fiir die Bewertung dieses Kasseniiberschusses darstellt. 1 Selbst wenn man die Bichtigkeit von GBEIDANTJS' Arbeitshypotbese anerkennen wiirde, ware zu bemerken, daB seine Erklarung einen wesentlich dynamischen Charakter hat und den Wert des Geldes in einem statischen Gleichgewichtssystem unerklart laBt. Denn nur fiir die Dynamik konnte die Bebauptung aufgestellt werden, daB die Erwerbswirtschaften durch den Besitz eines Geldvorrates imstande sein sollen, giinstige Gelegenheiten zum Ankaufe von Giitern auszuniitzen, was nichts anderes bedeuten kann als durch Ankauf unter dem Gleichgewichtspreis ein Extraeinkommen zu erzielen.2 I n der Statik kommen solche giinstige Gelegenheiten nicht vor. Zwar wird auch da eine Preisspanne zwischen den von den Produktionswirtsehaften gekauften und verkauften Giitern — d. h. zwischen den Giitern hoherer und niederer Ordnung — bestehen, aber nach der allgemein in Geltung stehenden Zinstheorie besteht diese Preisspanne ausschlieBlich aus dem Kapitalzins und es ist keinesfalls einzusehen, wie ein Teil dieser Preisspanne als Belohnung fiir die Haltung eines Kassemiberschusses abgesondert werden und dadurch als Grundlage fiir eine Erklarung des Geldwertes dienen konnte. Jedoch muB auch gerade die Bichtigkeit von GREIDANUS' Grundannahme, daB namlich der Besitz eines Geldvorrates notig sei, um die erwahnten giinstigen Gelegenheiten zum Giiterkauf auszuniitzen, bestritten werden. Notig ist dazu nur entweder der Besitz eigener liquider Mittel, z. B. der Besitz sofort falliger Geldforderungen, oder die Moglichkeit zur sofortigen Kreditbeschaffung, z. B. durch Verfiigung iiber belehnbare Werte. Der Besitz eines baren Geldvorrates ist aber ganz iiberfliissig und es kann also aus diesem Grunde auch kein AnlaB zu einer abgesonderten Bewertung desselben bestehen. Es liegt hier offensichtlich eine Verwechslung zwischen der Bewertung des Kapitaldienstes und der Bewertung des Geldes vor. Unsere SchluBfolgerung kann abschlieBend nur sein, daB die Grenznutzentheorie auf das Geld nicht anwendbar ist, und zwar deshalb, weil es nicht auBer der subjektiven Bewertung der Giiter auch noch eine davon abgeloste subjektive Bewertung des Geldes gibt. 3 Wir werden daher in unseren nachfolgenden Betrachtungen iiber die Frage der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von der Betrachtungsweise der Quantitatstheorie ausgehen. Der Kern dieser Theofie liegt darin, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch das quantitative Verhaltnis zwischen GroBen bestimmt wird, die wir vorlaufig Geldangebot 1
GREIDANUS, The Value of Money, London 1932, S. 237 ff.
2
GREIDANUS, 1. c. S.
3
235.
Siehe auch SCHUMPETER, 1. c. S. 646.
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und Geldnachfrage nennen wollen. Bei oberflachlicher Betrachtung konnte man vielleicht meinen, daB damit kein besonderes Kennzeiehen der Wertbestimmung des Geldes gegeben ist, da doch schlieBlich auch der Wert der Waren durch das quantitative Verhaltnis zwischen Nachfrage und Angebot bestimmt wird. Das ist aber nicht richtig. B.ei den Waren kann man nicht sagen, daB ihr Wert durch das quantitative Verhaltnis von Nachfrage und Angebot bestimmt wird, da Nachfrage und Angebot keine von auBen gegebenen GrbBen darstellen, sondern selbst Funktionen des Wertes sind. Beim Geld ist das gerade nicht der Fall. Da das Geld an sich kein Gegenstand subjektiver Wertschatzungen ist, sind Geldnachfrage und Geldangebot keine Funktionen des Wertes, d. i. der Kaufkraft, sondern sie werden von auBen her durch andere Faktoren bestimmt. Das Angebot, das heiBt die in Umlauf gebrachte Geldmenge (z. B. durch die Willkiir der geldschaffenden Obrigkeit oder durch die Spannung zwischen Geldzins und naturlichem Zins, die zur Geldschopfung AnlaB gibt), und die Nachfrage, welche in dem Sinn von Gesamt,,bedarf" nach Kassenvorrat aufgefaBt werden kann, werden durch Faktoren bestimmt, welche wir noch naher kennenlernen werden. Das Wesen der Quantitatstheorie liegt also darin, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch quantitative Verhaltnisse bestimmt wird, die ihrerseits nicht wieder Funktionen der Kaufkraft sind. Bei den in der jiingeren geldtheoretischen Literatur vertretenen Ansichten uber die Quantitatstheorie treten zwei sehr verschiedene Typen derselben in den Vordergrund, wovon die eine mehr auf Erklarung der Kaufkraft des Geldes, die andere mehr auf Erklarung der Kaufkraftveranderungen ausgeht. Den erstgenannten Typus finden wir am klarsten bei PIGOTT, der die gesamte Geldmenge als in einem gegebenen Augenblick in den Kassen der Wirtschaftssubjekte ruhend betrachtet und sich fragt, was diese dazu bewegt, das Geld in der Kasse zu halten. 1 Hierauf gibt PIGOTT zur Antwort, daB das Publikum, sowohl fur seine eigene Bequemlichkeit, wie auch um gegen unerwartete Vorfalle gesichert zu sein, eine gewisse Menge wirklicher Kaufkraft in Geldform zur Verfugung zu haben wiinscht. Driickt man diese reale Kaufkraft als Wert von Getreide aus, dann kann eine Nachfragekurve nach Geld konstruiert werden und der Wert der Geldeinheit stent dann in umgekehrtem Verhaltnis zur Anzahl der Geldeinheiten, aus denen die gesamte Geldmenge besteht. Fur das Problem der GroBe der Kaufkraft des Geldes gibt die Formulierung PIGOUS eine sehr befriedigende Losung. Hinsichtlich des Problems der Kaufkraftveranderungen ist aber die Betrachtungsweise PIGOTJS weniger befriedigend, und zwar deshalb, weil es sich hier, zum Unterschied von dem statischen Problem der absoluten Kaufkraft um eine rein dynamische Frage handelt. Die Theorie der Kaufkraftveranderungen kann und darf sich nicht der Aufgabe entziehen, 1 A. C. PIGOU, The value of money. Quarterly Journal of Economics. Vol. X X X I I , Nov. 1917, Cambridge 1918, S. 41.
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den Mechanismus dieser Veranderungen deutlich zu machen. Daher mu8 sie notwendig einen Zeitverlauf in Betracht ziehen. Das t u t PIGOU jedoch nicht. Seine Formel hat nur auf einen bestimmten Augenblick Bezug und ist daher firr die Behandlung des Problems der Kaufkraftveranderungen nicht zweckmaBig. Dazu eignet sich besser der zweite Typus der Quantitatstheorie, von welchem wir die Formulierungen IRVING FISHERS und SCHTTMPETERS einen Augenblick naher betrachten wollen, bei welchen nicht der Zustand eines Moments, sondern das Geschehen wahrend einer bestimmten Zeitspanne ins Auge gefaBt wird. Bekanntlich sind nach der Formulierung IRVING FISHERS die Veranderungen in der Hohe des Preisniveaus von funf Faktoren abhangig: Der in Umlauf befindlichen Geldmenge (M), der Menge von Bankdepositen, auf welche Schecks gezogen werden konnen (M'), deren respektiver Umlaufsgeschwindigkeit (V und V) und der Gesamtmenge der umgesetzten Giiter (T).1 Die Formel MY + M'V = PT besagt, daB in einem gegebenen Zeitraum Gleichheit zwischen der gesamten ausgegebenen Geldmenge und der Gesamtheit der Preise der umgesetzten Giiter besteht. 2 FISHER meint, daB zwischen diesen Faktoren ein ursachlicher Zusammenhang besteht, und zwar derart, daB M, M', V, V und T als bestimmende Faktoren betrachtet werden konnen, die mit Ausnahme von M und M' auf die Dauer unabhangig voneinander sind, wogegen P niemals selbst Veranderungen hervorbringen kann, sondern sich stets den Veranderungen der anderen vier anpassen muB. Der wesentlichste Einwand gegen FISHERS Formulierungsweise ist wohl, daB er das Problem der Wertveranderungen zu Unrecht als eine statische Frage behandelt und uns nur eine Erklarung der sakularen Preisanderungen darbietet, obwohl seine Formel gerade die Gelegenheit zu einer dynamischen Behandlung gibt. Das Geldwertproblem ist aber ganz besonders ein Konjunkturproblem; gerade der Verlauf des Preisniveaus wahrend des Konjunkturzyklus muB erklart werden und dariiber sagt F I S H E R nichts. Infolgedessen schenkt er auch dem Mechanismus der Preisanderungen wenig Beachtung; nirgends in seinem Werk wird einigermaBen ausfuhrlich bei der Frage verweilt, wie diese zustande kommen. Die Beweisfuhrung ist immer aprioristisch, mechanisch, sie folgt nicht der Wirklichkeit, sondern beschaftigt sich nur mit algebraischen GroBen. Von einer anderen Betrachtungsweise geht SCHTJMPETER aus. Gegeniiber der von F I S H E R gebrachten Antithetik der gesamten ausgegebenen Geldmenge und dem gesamten Giiterumsatz bevorzugt dieser die Gegenuberstellung von Geldeinkommen und Sozialprodukt, d. i. Gesamtheit aller Verbrauchsgiiter, die wahrend eines bestimmten Zeitverlaufs fiir die Konsumtion verfiigbar werden. 3 Diese beiden GroBen werden in einer Tauschgleichung einander gegenubergestellt, wobei die Einkommenssumme (E) als der fiir Verbrauchs1 2 3
FISHER, 1. c. S. 14. FISHER, 1. c. S. 48. SCHUMPETER, 1. C. S . 6 3 2 .
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giiter ausgegebene Geldbetrag definiert wird und das Sozialprodukt als die Summe der Produkte aus Menge und Preis der verkauften Gebrauchsgiiter (Hp^-j).1 Da nun die Einkommenssumme auch als ein Geldstrom, als das Produkt aus Geldmenge (M) und Umlaufsgeschwindigkeit (U) aufgefaBt werden kann, laBt sich die folgende Tauschgleichung aufstellen: E = M .U = p1m1 + p 2 m 2 . . . +
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M c h t alles Geld ist aber fur den Geldwert von Bedeutung. Das Geld, das sich in der Sphare der Schatz- und Reservenbildung befindet, wie z. B. gehortetes Geld, eiserne Kassenvorrate u. dgl., wie auch das Geld in der Kapitalsphare, d. i. das Geld, das auf dem Grundstucks-, Hypotheken- und Effektenmarkt zirkuliert, muB von der Geldmenge abgezogen werden. Nur fur die begrenzte, statistisch nicht bestimmbare Geldmenge in der Zirkulationssphare gilt die Quantitatstheorie. 2 Die Theorie SCHUMPETERS ist nicht, wie die FISHERS, eine mechanische Quantitatstheorie. SCHUMPETER lenkt ganz dezidiert die Aufmerksamkeit auf die groBe Bedeutung der dynamischen Faktoren und vor allem auf den stimulierenden EinfluB auf die Produktion, der von einer VergroBerung der Geldmenge ausgeht und stets zu dauernden Veranderungen fiihren wird. Auch der Mechanismus der Preisveranderungen erhalt gebuhrende Wiirdigung. Doch gilt auch hier, und in noch starkerem MaBe als bei F I S H E R , der Einwand gegen den wesentlich statischen Ausgangspunkt. Wenn SCHXTMPETER auch die Bedeutung der dynamischen Einwirkungen erkennt, so bleibt seine Gegeniiberstellung von Geldeinkommen und Sozialprodukt im Wesen statisch, und sobald er das wirkliche Geldeinkommen als Grundlage seiner Tauschgleichung fallen lassen muB und es durch den fur Verbrauchsguter ausgegebenen Geldbetrag ersetzt, wird seine Formel zu einer nichtssagenden Tautologie, wie K A E L E L S T E R in seiner formell vollkommen richtigen und doch materiell so unbilligen Kritik deuthch darlegt. 3 Als Grundlage einer dynamischen Behandlung der Geldprobleme muB denn auch die FiSHERsche Betrachtungsweise, welche alle Preise und Guterumsatze mitberechnet, bei weitem vorgezogen werden. Wenn wir nunmehr versuchen, zu einem SchluB hinsichtlich der Quantitatstheorie zu gelangen, muB vor allem auf die Erkenntnis zuriickgegriffen werden, daB das Wesen der Theorie darin liegt, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch quantitative Nachfrage- und Angebotsverhaltnisse bestimmt wird, die nicht selbst Funktion der Kaufkraft sind. Aus den beiden besprochenen Typen der Quantitatstheorie geht hervor, daB dieses quantitative Verhaltnis in zweifacher Weise angegeben werden kann. Man kann namlich mit P I G O U als Geldanbot bloB die Geldmenge annehmen und als Geldnachfrage die gesamte reale Kaufkraft, die 1 2
SCHUMPETER, 1. c. S. 635 und SCHUMPETER, 1. c. S. 667.
675.
3 KARL BLSTER, Die ,,Grundgleichung der Geldtheorie", Jahrb. f. Natlonalokonomie und Statistik, 115, 1920, S. 16.
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man in Gestalt von Kassenuberschiissen zu halten wiinscht, man kann aber auch mit F I S H E R und SCHUMPETEK als Geldangebot einen in bestimmtem Zeitraum auf den Markt gelangenden Geldstrom, der als ein Produkt aus Geldmenge und Umlaufsgesohwindigkeit zu denken ist, auffassen und als Geldnachfrage den in derselben Zeit auf den Markt kommenden Guterstrom. Beide Auffassungen haben Daseinsberechtigung und fiihren schlieBlich zum selben Ergebnis; da aber die letztere Betrachtungsweise sich zur Behandlung dynamischer Probleme besser eignet, werden wir sie in unseren weiteren Betrachtungen beniitzen. Wir gelangen somit dazu, die Quantitatstheorie dahin zu formulieren, daB die Kaufkraft des Geldes durch das quantitative Verhaltnis zwischen dem in einem gewissen Zeitraum auf den Markt kommenden Geld- und Guterstrom bestimmt wird. 1 Unter Geldstrom wollen wir nicht, wie SCHUMPETEK, nur die Einkommensverwendung verstehen, sondern die in einem bestimmten Zeitraum erfolgte gesamte Einkommensverwendung der Privathaushalte und Vermogensverwendung der Produktionswirtschaften; unter Guterstrom die Gesamtheit der Giiter und Dienstleistungen, welche in dieser selben Zeit auf dem Markt verkauft werden. Hierunter wollen wir die umgesetzten „Rechte u n ( j Verhaltnisse", wie Effekten- und andere Vermogenstitres, nicht einbeziehen. Deren Umsatze stellen keinen Teil des regelmaBigen Zirkulationsprozesse der Giiter dar und die dabei zustande kommenden Preise konnen bei der Berechnung des Preisniveaus nicht in Anschlag gebracht werden, da sie von ganz anderer Art sind als die Warenpreise. Diese Umsatze mussen als gleichartig wie die Geldiibertragungen betrachtet werden, die bei Kreditgewahrung, Schenkung usw. vor sich gehen. Soil von einem quantitativen Verhaltnis zwischen den beiden genannten Stromen die Rede sein, so mussen sie in derselben Einheit, und zwar der Geldeinheit, ausgedriickt werden. Was den Guterstrom anbelangt, ist dies nur moglich, wenn man den Begriff der Gutermenge in einen korrelativen Zusammenhang mit dem Begriff Preisniveau bringt. 2 Wir haben schon gesehen, daB dieses letztere nur als eine Zahl, als ein gewogener Durchschnitt der unterschiedlichen Preise definiert werden kann. I n derselben Weise ist die Gutermenge als der gewogene Durchschnitt der einzelnen Giitermengen zu definieren, wobei die Wagung entsprechend derjenigen vorgenommen werden muB, welche fur die Berechnung des 1 Absichtlich sprechen wir hier von einem Geld- und Guterstrom und nicht von einer Menge, da durch das "Wort Strom deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daB hier nicht von einer Menge in einem bestimmten Augenblick die Rede ist, sondern von einer Reihe aufeinanderfolgender Mengen, die ein organisches Ganzes bilden und die in einem bestimmten Zeitraum zu Markte kommen. Siehe auch AMONN, Cassels System der theoretischen Nationaliikonomie, Arch. f. Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 51. Bd., 1924, S. 333, wo der Verfasser darlegt, daB es vielleicht am zweckmaBigsten ist, den Begriff der Geldmenge so zu definieren, daB er Geldmenge, Umlaufsgeschwindigkeit und Kreditzahlungsmittel umfafit. Ein in diese Richtung gehender Versuch ftihrt notwendig zur Vorstellung eines Geldstromes. 2 Siehe FISHER, 1. c. S. 385ff.
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Preisniveaus verwendet wird. 1 Dasselbe gilt auch fur die Bestimmung von Veranderungen in der Menge der geleisteten Dienste. Die Vorstellung eines quantitativen Verhaltnisses zwischen dem Umfang des Geldstromes und dem Strom der Giiter und Dienstleistungen — welchen wir im folgenden kurz den Giiterstrom nennen werden — kann jetzt keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Ein Anschwellen des Geldstromes, d. h. Vermehrung des gesamten Geldumsatzes, bezeichnet notwendig auch eine Vermehrung des nominalen Giiterumsatzes, welche, gemaB der gegebenen Definition, in einer Erhohung des Preisniveaus oder in einer Zunahme des Guterstromes bestehen kann. 1st dieser letztere gleich geblieben, dann muB somit das Preisniveau gestiegen sein. Mit Absicht sagen wir hier „gestiegen sein" und nicht ,,steigen", denn in der hier gegebenen Formulierung fehlt der Kausalzusammenhang. Wenn man die Gleichung aufstellt: Geldstrom = Preisniveau X Giiterstrom, so ist das eine Tautologie, die keinen ursachlichen Zusammenhang zum Ausdruek bringen kann. Wenn der Geldumsatz zunimmt, so bewirkt das nicht, sondern bedeutet, da6 auch entweder das Preisniveau oder der Giiterumsatz gestiegen ist. Der ursachliche Zusammenhang geht auf Erscheinungen zuriick, die hinter dieser Formulierung liegen und deren Wirkung durch die in der Pormel gegebenen Zahlen zum Ausdruek gebracht wird. Die Vermehrung der nominalen Kaufkraft ist es, die zu groBerem Umsatz und hoherem Preisniveau fiihrt, die grbBere Giiterproduktion ist es, die den Giiterstrom zum Wachsen bringt. Die in einer Tauschgleichung zusammengestellten Faktoren sind nichts anderes als die Symptome, welche anzeigen, in welchem MaBe die tiefer gelegenen XJrsachen der stattgehabten Veranderungen wirksam gewesen sind. Eben diese XJrsachen sind von der Geldtheorie zu untersuchen.
III. Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit.
Die Faktoren, die auf die Hohe des Preisniveaus EinfluB ausiiben, konnen sich nur dann geltend machen, wenn sie das quantitative Verhaltnis zwischen dem Umfang des Geld- und des Guterstromes mitbestimmen, oder — wenn wir das Problem der Veranderungen der Kaufkraft des Geldes stellen — eine Veranderung dieses quantitativen Verhaltnisses hervorrufen. J e nachdem dabei der Umfang des Geldstromes oder der des Guterstromes beeinfluBt wird, konnen wir zwischen Faktoren unterscheiden, die von der Geldseite her, und solchen, die von der Giiterseite her auf das Preisniveau einwirken. I n den hier folgenden Ausfiihrungen werden wir uns ausschlieBlich mit den monetaren Faktoren beschaftigen. Wenn wir nunmehr den Ursachen nachzugehen versuchen, durch welche eine Veranderung im Umfang des Geldstromes hervorgerufen werden kann, beriihren wir damit das Problem der Veranderungen in der Kaufkraft des Geldes, nicht das der GroBe dieser Kaufkraft selbst. 1
Siehe auch FISHER, 1. c. S. 421.
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Wir diirfen daher bei einer Untersuchung dieser Ursachen von einem Gleichgewichtszustand ausgehen, worin nicht nur die Organisation und die Technik der Produktion, sondern auch ein bestimmtes Preisniveau und damit ein bestimmter Geld- und Giiterstrom gegeben ist. Dieser Geldstrom besteht aus dem Gesamtbetrag der Verwendungen aller Wirtschaften und umfaBt sowohl die Einkommensverwendung der Konsumwirtschaften als auch die Vermogensverwendung der Produktionswirtschaften, welch letztere aus der sich stets wiederholenden Reihe von Anschaffungen von Giitern hoherer Ordnung — Bezahlung der benutzten Dienste, Auffiillung der im ProduktionsprozeB aufgegangenen Vorrate und Ersatz der abgenutzten Produktionsmittel — bestehen, deren Umfang durch die gegebene Organisation und die Technik des Produktionsprozesses bestimmt ist. Wie, fragen wir uns, kann dieser Geldstrom in seinem Umfang zunehmen; woher nriissen die Wirtschaften die Kaufkraftvermehrung schopfen, die dafur notwendig erscheint ? DaB dies durch Vermehrung der Geldmenge geschehen kann ist ohneweiters klar. Es ist z. B. moglich, daB der Staat durch Geldschopfung seine Kaufkraft vergroBert, in welchem Falle die Wirkung sich zuerst bei den Preisen der besonderen Giiter, welche der Staat benotigt und in den Preisen der Dienstleistungen, von denen der Staat Gebrauch macht, fuhlbar machen wird. Moglich ist auch, daB eine Unternehmung von der geldschaffenden Stelle einen Kredit erhalt und diesen zur Ausdehnung ihrer Produktionstatigkeit verwendet, was dann zuerst auf die Preise der Giiter hoherer Ordnung, die Dienstleistungen dabei inbegriffen, stimulierend wirken wird. Es konnen aber ebensosehr Veranderungen im Umfange des Geldstromes eintreten, die nicht mit einer Veranderung der Geldmenge Hand in Hand gehen. So ist es z. B. denkbar, daB aus dem einen oder anderen Grund eine Konsumwirtschaft beschliefit, ihr Einkommen zu horten. Die Folge davon wird sein, daB der Strom der Verwendungen unterbrochen wird und daB sich beim Verbraucher eine Geldmenge ansammelt. Die gesamte Geldmenge bleibt dieselbe, aber der Geldstrom nimmt an Umfang ab. Anfanglich wird dadurch ein Teil der Giitervorrate unverkauft bleiben, doch spater wird notwendig eine Preissenkung eintreten miissen. TJmgekehrt ist es auch denkbar, daB einige Produktionswirtschaften noch im Besitz von Kassenreserven sind, die sie in fruheren Zeiten benotigten, die aber, wie sich jetzt herausstellt, durch die im Gleichgewichtszustand sich immer wiederholende Abwicklung desselben Haushaltsplans uberflussig sind. Gehen sie zur Verwendung dieser Gelder iiber, dann wird das anfangs vielleicht auch den Giiterstrom vergroBern, dann aber jedenfalls eine Steigerung des Preisniveaus zur Folge haben. Diese Veranderungen im Umfange des Geldstromes, die nicht mit einer Veranderung der Geldmenge Hand in Hand gehen, sind es, die allgemein als Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bezeichnet werden, da bei ihrem Eintreten die Bewegung des Geldes beschleunigt wird. Namentlich in der alteren Geldtheorie hat man der Bewegung der
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Geldstiicke von Kasse zu Kasse insbesondere Aufmerksamkeit gesohenkt und im Zusammenhang damit die Umlaufsgeschwindigkeit definiert als die durchschnittliehe Zahl der in einer bestimmten Periode vorkommenden Geldbewegungen von Hand zu Hand, welche Definition als die klassische Definition des Begriffes der Umlaufsgeschwindigkeit betrachtet werden kann. Wie wir anderweitig darzulegen versucht haben, wird aber durch diese bewegungstheoretische Definition das Augenmerk unwillkurlich. in eine falsche, zu sehr mechanische Richtung gelenkt, 1 und wir wollen daher lieber eine Anschauungsweise durchfiihren, die mehr der Kassenhaltungstheorie zugehort und die unter anderem in der Definition zum Ausdruck kommt, die IRVING F I S H E R gibt. 2 Im AnschluB an ihn definieren wir die Umlaufsgeschwindigkeit als den Quotienten, der durch Division der Gesamtheit der Umsdtze, cms denen der Geldstrom zusammengesetzt ist, durch die gesamte Geldmenge erhalten wird.3 Es ist klar, da8 die Umlaufsgeschwindigkeit, wenn sie so definiert wird, nicht als ein Faktor betrachtet werden kann, der mit der Geldmenge den Umfang des Geldstromes bestimmt, oder auf dessen Veranderung als Erklarung fur ein Zu- oder Abnehmen dieses Geldstromes hingewiesen werden konnte. Mit Unrecht werden denn auch von den meisten Anhangern der Quantitatstheorie die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit neben denen der Geldmenge als Ursache von Verschiebungen im Preisniveau genannt. Soweit diese Schriftsteller der von uns angenommenen Definition folgen, vergessen sie, da8 die Umlaufsgeschwindigkeit viel mehr durch den Umfang des Geldstromes bestimmt wird als umgekehrt; und soweit sie die Umlaufsgeschwindigkeit als die Anzahl der Geldbewegungen von Hand zu Hand definieren, erwagen sie meistens nicht gentigend, ob dieser Erscheinung wohl eine so primare Bedeutung zuerkannt werden darf, daB sie als bestimmender Faktor angefiihrt werden kann, und ob nicht vielmehr diese Bewegungsgeschwindigkeit selbst durch okonomisch wichtigere Faktoren beherrscht wird. So hat es in dem oben gegebenen Beispiel nicht den geringsten Sinn, zu sagen, daB die veranderte Bewegungsgeschwindigkeit AnlaB zur Abnahme bzw. Zunahme des Geldstromes gegeben hat, da ja doch diese Geschwindigkeit selbst nur die Resultante der Wirksamkeit der wirklich bestimmenden Faktoren ist, namlich im ersten Fall der Tatsache, daB eine Konsumwirtschaf t dazu iibergegangen ist, Einkommen unverwendet zu lassen und im anderen Fall der Tat1 M. W. HOLTROP, De Omloopssnelheid van het geld, Amsterdam 1928, S. 28ff.; DERS., Theories of the velocity ol circulation of money in earlier economic literature, Economic Journal Econ. History supplement, Jan. 1929, p. 522. 2
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FISHER, 1. c. S. 17.
Obwohl unsere Definition sich derjenigen FISHERS eng anschliefit, ist doch unsere ..Umlaufsgeschwindigkeit" nicht mit der FiSHERSchen ..Velocity of circulation" identisch. Die Gesamtheit der Umsatze, welche FISHER zur Berechnung der Umlaufsgeschwindigkeit durch die Geldmenge dividiert, umfaBt „The total money payments for goods", wobei ,.goods" zu verstehen ist im Sinne von ,.wealth, property and benefits" (FISHER, I. c. S. 6), d. h. also inklusive aller „Rechte und Verhaltnisse". Dagegen verstehen wir unter ,,Die Gesamtheit der Umsatze aus denen der Geldstrom zusammengesetzt ist" nur die Umsatze von Gutern und Dienstleistungen, exklusive der „Rechte und Verhaltnisse" (siehe oben S. 25).
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sache, daB eine Produktionswirtschaft Vermogen verwendet, das bisher brachgelegen war. Die geanderte Umlaufsgeschwindigkeit ist nichts anderes als das Symptom der Wirksamkeit gewisser, den Umfang des Geldstromes bestimmender Faktoren, deren Wesen wir noch naher untersuchen werden. Bevor wir aber unsere Untersuchung in dieser Bichtung anfangen, miissen wir darauf hinweisen, daB Veranderungen im Umfang des Geldstromes vorkommen konnen, die fiir unser Problem von keiner Bedeutung sind, da sie automatisch mit entsprechenden Veranderungen des Giiterstromes Hand in Hand gehen und daher keinen EinfluB auf das Preisniveau ausuben konnen. Diese Veranderungen hangen zusammen mit einem Wechsel im AusmaBe der Differenzierung des Produktionsprozesses. Unter Differenzierung ist die Trennung der aufeinanderf olgenden Stuf en des Produktionsprozesses — dieser letztere im weitesten Sinn genommen und daher die Tatigkeit des Handels mit umfassend — in verschiedene Produktionswirtschaften zu verstehen, womit notwendig ein wiederholter Handewechsel der Giiter verbunden ist. Wird ein Erzeugungsvorgang, der bisher in einer Unternehmung vollendet wurde, in zwei Teile gespalten, oder wird die Anzahl der Zwischenhandler vermehrt, z. B. zwischen Fabrikant und Detaillist ein Grossist eingeschaltet, so miissen die betreffenden Giiter vom ersten Bearbeiter bzw. vom Fabrikanten durch den Giitermarkt hindurch an den zweiten Bearbeiter bzw. den Grossisten ubertragen werden, was einen Zuwachs des auf den Markt gelangenden Giiterstromes bedeutet. Umgekehrt wird der zweite Bearbeiter bzw. der Grossist einen Teil der Gelder, die er vom Abnehmer der Ware empfangt, an den ersten Bearbeiter bzw. den Fabrikanten zur Bezahlung der gelieferten Ware ubertragen miissen. Dies bedeutet eine ebensogroBe Vermehrung des Geldstromes. Diese Veranderungen beinhalten weder eine Zunahme der Kaufkraft noch eine Zunahme der Giiterproduktion und sind daher fiir die Hohe des Preisniveaus ohne Bedeutung. Genau dasselbe geschieht, wenn in Zeiten von Haussespekulation die Giiter mehr als sonst ihren Eigentiimer wechseln. Wir konnen in diesen Fallen von einer Veranderung des Differenzierungskoeffizienten sprechen, womit die durchschnittliche Anzahl der Ubertragungen ausgedriickt wird, welche die Giiter auf ihrem Weg von der Produktion zum Verbrauch mitmachen. 1 Soweit also die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit eine Anderung in diesen Koeffizienten 1 Da es unmoglich ist, diese Anzahl der Handewechsel, welche die Giiter mitmachen, auf direktem Wege, namlich dadurch, daB man die Giiter in ihrem Lauf durch den Produktionsprozefi verfolgt, zu messen, so kann der Differenzierungskoeffizient nur indirekt bestimmt werden, und zwar als das Verhaltnis zwischen der Gesamtheit der Guterumsatze •— die Umsatze der Dienstleistungen dabei also nicht inbegriflen — und dem Wert des Sozialproduktes. Da iiberdies auch die Gesamtheit der Guterumsatze wohl niemals leststellbar ist, man sich vielmehr hochstens ein Bild von der Gesamtheit der Geldumsiitze machen kann —• also einschlieBlich der Ellektenumsatze, der Zahlungen auf Grund von Kredittransaktionen usw. —-, bleibt die Moglichkeit, den Differenzierungskoeffizienten nach seinem richtigen Wert statistisch festzustellen, auBerst gering, und man wird sich praklisch auf die sehr rohe Anniiherung beschranken miissen, welche in der Division des gesamten Geldumsatzes durch das nationale Einkommen liegt.
Beitrage zur Geldtheorie.
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bezeichnen, haben sie fur das Problem der Kaufkraft des Geldes keine Bedeutung. 1 Es ist daher, vor allem in Hinblick auf die statistische Feststellung der Anderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, zweckmaBig, neben dieser letzteren einen Faktor zu unterscheiden, in dem ausschlieBlich diejenigen Veranderungen im Umfang des Geldstromes zum Ausdruok kommen, die nicht von einer Veranderung desDifferenzierungskoeffizienten bedingt sind und ebensowenig durch eine Anderung der Geldmenge zustande kamen. Im allgemeinen wird als ein solcher Faktor das Verhaltnis zwischen der Summe der Preise aller Dienstleistungen in einer gegebenen Periode, d. h. dem Geldeinkommen, und der Geldmenge verwendet werden konnen; wir werden dieses Verhaltnis als die Effektivitat des Geldes bezeichnen, da dadurch das AusmaB wiedergegeben wird, in dem die Geldmenge auf das Preisniveau wirkt. Das Einkommen ist ja sowohl ein Ausdruck fiir die Menge der geleisteten Dienste wie fiir den Wert der erzeugten Guter. Da nun im allgemeinen die Gesamtheit der Giiterumsatze gleichgesetzt werden kann der Menge der erzeugten Guter, multipliziert mit der Zahl der Bewegungen von Hand zu Hand, d. h. mit dem Differenzierungskoeffizienten,2 so ist der Gesamtumsatz der Guter und Dienstleistungen gleich (Differenzierungskoeffizient + 1) X Gesamtgeldeinkommen 3 und es ist daher auch
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Umlaufsgeschwindigkeit = (Differenzierungskoeffizient -4-1) X Effektivitat.
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1 ARTHUR W. MARGETS Beitrag iiber diesen Gegenstand im Journal of Political Economy vom August 1932 macht mich darauf aufmerksam, daB diese These zu MiBverstandnissen AnlaB geben konnte. Es sei deshalb folgendes bemerkt: Es ist hiemit nicht gesagt, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung nicht indirekt einen sehr wesentlichen EinfluG aul die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ausiiben kann. Im Gegenteil werden wir spater sehen (siehe S. 144 ff.), daB ein solcher EinfluB tatsachlich besteht. Es ist nur gemeint, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung notwendig eine parallele Zunahme Oder Abnahme von Guter- und Geldumsatzen bedingt, welche rechneriseh in einer parallelen VergroBerung Oder Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeitszahlen und des Differenzierungskoeffizienten zum Ausdruck kommen, und daB diese Veranderung der Umlaufsgeschwindigkeit vollkommen unwesentlich ist. Wenn daneben die Anderung im AusmaB der Differenzierung einen EinfluB auf die H6he der Kassenvorrate ausilbt, ist das eine Erscheinung fiir sich, welche auch wieder auf die Umlaufsgeschwindigkeit riickwirkt, jetzt aber ohne parallele Anderung des Differenzierungskoeffizienten. Diese Riickwirkung ist fiir die in Frage stehenden Probleme wohl von Bedeutung. MARGET irrt also, wenn er meint, daB ich der Meinung bin, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung nur zu einer aquivalenten und kompensierenden Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes filhren kann. (ARTHUR W. MARGET, The Relation between the Velocity of Circulation of Money and the „Velocity of Circulation of Goods" I I , Journal of Political Economy, Vol XL, No. 4, August 1932, S. 492 ff.) Auch in meiner vorigen Arbeit habe ich auf die Bedeutung des Differenzierungsgrades fiir die Hfihe der Umiaufsgeschwindigkeit — und der Effektivitat — des Geldes hingewiesen (Omloopssnelheid, S. 129 u. 206 ff.). 2 Im allgemeinen, nicht unter alien Umstanden. Wenn z. B. die Produktion im Umfang abnimmt, wird anfiinglich der Teil der friiheren Produktion, der noch nicht zum Verbraucher gelangt ist, weiterflieBen und der gesamte Giiterumsatz wird daher noch einige Zeit groBer sein als durch den neuen Produktionsumfang gerechtfertigt ist. 3 Wenn Einkommen = Gilterproduktion, und Giiterumsatz = Gilterproduktion x x Differenzierungskoeffizient, so ist auch Giiterumsatz = Einkommen > Differenzierungskoeffizient und es ist daher auch der Gesamtumsatz an Waren und Dienstleistungen gleich Einkommen x Differenzierungskoeffizient + Einkommen, was soviel ist wie Einkommen x (Differenzierungskoeffizient + 1).
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Die Effektivitat wird daher denselben Einfliissen unterworfen sein wie die Umlaufsgeschwindigkeit, auBer soweit dieselben einer Veranderung des Differenzierungs&oe/fizienten entspringen; die Anderungen in der Effektivitat werden also auch ausschlieBlich diejenigen Anderungen im Umfang des Geldstromes wiedergeben, die fin* unser Problem von Bedeutung sind. 1 Um die Frage zu beantworten, welches die Erscheinungen sind, die diese Anderungen hervorbringen und wann sie ihren EinfluB ausiiben, haben wir mit einer Untersuchung der Faktoren anzufangen, die die GroBe der Kassenhaltungen bestimmen. Die Veranderungen im Umfang des Geldstromes bringen ja stets eine Veranderung in der GroBe der Kassenhaltung bei den Konsum- und Produktionswirtschaften, wo sie ihren Ursprung haben, mit sich. Der Geldstrom wird wachsen, wenn Geld in Bewegung gesetzt wird, das bisher in den Kassen liegen geblieben war; er wird abnehmen, wenn Geld in der Kasse gehalten wird, das bisher ausgegeben wurde. Die Veranderungen des Geldstromes beruhen also auf Veranderungen im Verhalten der Wirtschaften hinsichtlioh ihrer Kasse, wofiir naturlich Motive vorhanden sein miissen. Bevor wir beurteilen konnen, unter welchen Umstanden es zu einer vermehrten oder verringerten Ausniitzung der Kaufkraft kommen kann und wird, miissen wir also diese Motive kennenlernen. Nicht nur fiir die Losung des Problems der Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, sondern auch fiir die Bestimmung der Umlaufsgeschwindigkeit selbst ist das Studium des Problems der Kassenhaltung notwendig. Die gesamte in Umlauf gebrachte Geldmenge, zu der en Umfang die Umlaufsgeschwindigkeit bei gegebenem Preisniveau und gegebener Guterproduktion verkehrt proportional ist, ist ja nichts anderes als die Summe der Kasseniiberschiisse aller Haushaltungen. Die Faktoren, die den Umfang dieser Kasseniiberschiisse beherrschen, sind daher zugleich bestimmend fiir die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit. Die einzige Theorie der Umlaufsgeschwindigkeit, bei der das Problem der Kassenhaltung im Mittelpunkt der Betrachtung steht, ist die der Schule von Cambridge. Wie wir schon vorher gesehen haben, meint z. B. PIGOTJ, daB die GroBe des Kassenvorrats durch den Willen der Wirtschaftssubjekte bestimmt wird, die, um ihre laufenden Zahlungen leisten zu konnen und fiir alle Ereignisse geriistet zu sein, eine bestimmte Geldmenge in Vorrat zu haben wiinschen. Verandert sich ihre Schatzung hinsichtlioh des Kassenbedarfs, dann gehen sie zu einer VergroBerung oder Verringerung des Kassenvorrats iiber, was zu einer Zunahme oder Abnahme des Geldstromes fiihren wird. Diese Betrachtungsweise ist aber, gerade fiir den statischen Zustand, 1 Im Zusammenhang mit dem in der vorigen FuBnote Bemerkten ist es klar, daB die Effektivitat des Geldes die gemeinten Veranderungen im Umfang des Geldstromes nicht immer rein wiedergeben wird. Da aber die Zahl der Ubertragungen, die mit bestimmten Giltern in einer bestimmten Periode vorgenommen werden, doch niemals direkt gemessen werden kann, bleibt die Effektivitat nichtsdestoweniger in all den Fallen, wo durch Veranderung des Diff erenzierungskoeff izienten die Umlaufsgeschwindigkeit als MaBstab unbrauchbar geworden ist, der einzige Fingerzeig fiir die Wirkung der von uns gesuchten preisniveaubestimmenden Faktoren. 9*
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fur den sie PIGOTJ entwickelt, nicht sehr zutreffend. I n einem solchen Zustand, in dem keine unerwarteten Ereignisse eintreten, ist die eigentliche Kassenreserve, deren GroBe tatsachlich in gewissem MaBe durch den Willen der Wirtschaftssubjekte bestimmt wird, vollkommen iiberfliissig. Die Kasseniiberschusse, die dann vorkommen, und die wir als statische Kasseniiberschusse bezeichnen wollen, dienen nicht als Reserve, sondern haben ausschlieBlich die Bestimmung, zu einem bestimmten zukiinftigen Zeitpunkt fiir einen bestimmten Zweek verausgabt zu werden. Ihr Umfang ist keineswegs von dem bloBen Willen der Wirtschaftssubjekte abhangig, sondern von der Organisation und Technik des Produktionsprozesses, durch welche die Zusammensetzung des Stromes der Einnahmen und Ausgaben bestimmt wird. Im statischen Zustand wird man keinen permanenten, sondern nur zeitweilige, d. h. fluktuierende Kasseniiberschusse finden. Fiir den Umfang dieser letzteren gibt PIGOTJS Formulierung aber keine befriedigende Losung. Neben diesen statischen Kassenubersehiissen, oder richtiger, neben diesem statischen Bestandteil des Kassenvorrats gibt es einen dynamischen Bestandteil, der seinen Existenzgrund in der XJnsicherheit hinsichtlich der Zukunft hat oder auch infolge einer Durchbrechung des normalen Ganges des Umlaufsprozesses entsteht. Hiezu gehort in erster Linie die eigentliche Kassenreserve, die manchmal eigens gehalten wird, um in unvorhergesehenen Umstanden, die nur selten eintreten, geriistet zu sein, die aber meistens auch automatisch dadurch entsteht, daB der Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben stets vorsichtig geschieht, d. h. daB die Einnahmen etwas zu niedrig, die Ausgaben etwas zu hoch veranschlagt werden. Praktisch bilden diese Kassenreserven einen ziemlich toten Fonds, der in keiner einzigen Hinsicht am Umlauf teilnimmt, und sie werden denn auch von vielen Schriftstellern als nicht zur umlaufenden Geldmenge gehorig angesehen. 1 Obwohl uns letzteres nicht zweckmaBig erscheint, wollen wir doch darauf hinweisen, daB der EinfluB, den eventuelle Veranderungen im Umfang dieser standigen Kasseniiberschusse auf das Preisniveau ausiiben, kaum ein Problem genannt werden kann. Es ist klar, daB eine VergroBerung oder Verringerung dieser Reserven im Wesen mit einer Verringerung oder VergroBerung der Geldmenge gleich ist und auch dieselben Folgen haben wird. Fiir das eigentliche Problem, vor das uns die Frage der Umlaufsgeschwindigkeit stellt, sind diese standigen Kasseniiberschusse ohne Bedeutung. I n zweiter Linie miissen wir zu den dynamischen Kassenvorraten die zeitweiligen Uberschiisse rechnen, welche dadurch entstehen, daB Anschaffungen, die im normalen statischen Verlauf des Zirkulationsprozesses in einem bestimmten Augenblick stattgefunden hatten, hinausgeschoben werden. Ein solcher Aufschub, der also eine Durchbrechung des normalen Laufs des Zirkulationsprozesses bedeutet, wird z. B. stattfinden, wenn niedrigere Preise oder eine ungiinstige Konjunktur er1 So z. B. SCHUMPETER, der den Geldbetrag, welcher sich im Bereiche der „Horte und Reserven" befindet, von der umlaufenden Geldmenge abzieht; 1. c. S. 666.
Die TJmlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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wartet werden. Wir kommen auf diese Erscheinung, die das Gegenstiiok der verfriihten Verwendung zeitweiliger Kasseniiberschusse auf Grand erwarteter Preissteigerungen bedeutet, spater noch ausfiihrlich zuriick. Das Wesen des Umlaufsgeschwindigkeitsproblems liegt in den Bestimmungsgriinden des Umfanges dieser fluktuierenden Kasseniiberschiisse, in denen wir also nunmehr ein statisches und ein dynamisches Element zu unterscheiden haben. Dabei sind zwei Fragen zu beantworten. In erster Linie mufi klargemacht werden, durch welche Faktoren die GroBe dieser Kassenuberschusse und damit die GroBe der Umlaufsgesohwindigkeit bestimmt wird. Und in zweiter Linie muB erklart werden, ob, und wenn ja, in welcher Weise Veranderungen im Umfang dieser fluktuierenden Uberschusse und damit auch der Umlaufsgesohwindigkeit, notwendig mit zeitweiligen oder dauernden Veranderungen des Preisniveaus Hand in Hand gehen. Der Beantwortung dieser beiden Fragen, deren Behandlung nicht immer der Platz eingeraumt worden ist, der ihnen zukommt, wollen wir jetzt unser Augenmerk zuwenden. Hauptstuck.
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Zweites
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Die Intensitat der Vermogensausnutzung als bestimmender Faktor der Umlaufsgeschwindigkeit. I. Die Kassenhaltungsfrage als Finanzierungsproblem.
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Der Kassenvorrat — worunter wir die gesamte Geldmenge verstehen wollen, die sich im Besitze einer Wirtschaft befindet und zu der somit in Ubereinstimmung mit unserer Gelddefinition nicht nur das Bargeld im engeren Sinne gerechnet werden muB, sondern auch die Bankguthaben, iiber die durch Scheck oder Uberweisung verfugt werden kann •— kommt im Verkehr in zweierlei Form vor, namlich in der von unverwendetem Vermogen bei der Produktionswirtschaft und in der von unverwendetem Einkommen in der Konsumwirtschaft. Wir werden dieser Unterscheidung in unserer Darlegung einen moglichst geringen Platz einraumen. Die gesamte Geldmenge, die sich im Umlauf befindet, ist so sehr ein unteilbares Ganzes, in dem diejenigen Betrage, welche sich in der Einkommenssphare, und diejenigen, welche sich in der Vermogenssphare befinden, aufs engste miteinander zusammenhangen, daB es schon darum unzweckmaBig ware, die Uberschusse bei den Produktions- und bei den Konsumwirtschaften prinzipiell voneinander zu scheiden. Uberdies aber sind die Faktoren, die die GroBe des Kassenvorrats in den Produktionsund in den Verbrauchswirtschaften bestimmen, im Wesen von vollig gleicher Art, so daB es in der Tat nur auf terminologische und keineswegs auf wesentliche Schwierigkeiten stoBt, diese beiden Formen der Kassenvorrate unter einem Gesichtspunkte zu behandeln. Diesen Weg wollen wir denn auch einschlagen, und um unsere Ter-
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minologie so einfach wie moglich zu halten, wollen wir in diesem Hauptstiick auch die Konsumwirtschaft als Produktionswirtschaf t betrachten, und zwar als Produzent desjenigen produktiven Beitrags, fur den sie ihr Einkommen empfangt, sei es die Arbeit oder der Kapitaldienst oder sonstiges. So oft wir also im folgenden vom Kassenvorrat der Produktionswirtschaften sprechen, werden wir darunter zugleich — es sei denn, da8 sieh klar das Gegenteil ergibt — die der Verbrauchswirtschaften mitverstehen, und wo wir von unverwendetem Vermogen sprechen, wird darunter zugleich das noch nicht verwendete Einkommen zu verstehen sein. Das Problem der GroBe des Kassenvorrats bildet bei den Unternehmungen einen Unterabschnitt des Finanzierungsproblems. Unter Finanzieren ist die Beschaffung der Mittel zu verstehen, welche die Produktionswirtschaft benotigt, um die in ihrem Betrieb notigen Aufwendungen leisten zu konnen. 1 Den Gesamtbetrag dieser Aufwendungen in jedem bestimmten Augenblick, der sich in der Summe der Aktiva ausdriickt — unter welch letzteren wir alle Giiter und Rechte verstehen, die sich im Besitz einer Unternehmung befinden, ausgenommen das Geld —, diirfen wir als gegeben betrachten. Dies ware nicht gestattet, wenn wir das Finanzierungsproblem in seinem ganzen Umfang behandelten, da ja die Moglichkeiten und Schwierigkeiten der Beschaffung des Betriebsverraogens auch Faktoren sind, die neben den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen des Produktionsprozesses ihr Gewicht bei Bestimmung der BetriebsgrSBe in die Wagschale werfen. Fur den besonderen Unterabschnitt des Finanzierungsproblems, mit welchem wir uns beschaftigen, ist diese Riickwirkung gleichwohl von keiner Bedeutung; sowohl der
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1 Bei der als Unternehmung aufgefaSten Konsumwirtschaft wird dieser Bedarf an Mitteln subjektiv meist nicht als solcher empfunden, obwohl darin, vor allem durch den zunehmenden Gebrauch dauerhafter Gebrauchsgiiter und durch Entwicklung des Abzahlungswesens, mehr und mehr Wandel eintritt und die Okonomik der Haushaltswirtschaft auch mehr und mehr als ein nationalokonomisches Problem erkannt wird. Dabei ist dieser Vermogensbedarf der Konsumwirtschatt sehr real; er besteht vornehmlich aus zwel Teilen, namlich in erster Linie dem Vermogensbedarf, der eine Folge der Anschattung dauerhafter Gebrauchsguter ist, ilber welche jede Konsumwirtschaft in grofierem oder geringerem MaBe verfiigt, und in zweiter Linie dem Vermogensbedarf als Folge der Tatsache, daB beinahe jede Haushaltswirtschaft in ihrer Funktion als Erzeuger eines produktiven Beitrages dem Kaufer desselben Kredit gewahren muB. Beide Arten von Vermogensbedarf geben AnlaB zu wesentlichen Finanzierungsproblemen. Hinsichtlich der Anschaffung dauerhafter Verbrauchsgiiter ist dies ohne weiteres klar. Versorgung durch eigenes Vermogen, beschafft durch vorhergegangenes Sparen, oder auch durch fremdes Vermogen, beschafft durch Lieferantenkredit auf Abzahlung, sind hier die bekannten Alternativen. Aber auch der Kredit, den die Konsumwirtschaft selbst gewahren muB, stellt sie vor ein Finanzierungsproblem. Der Arbeiter z. B., der standig und taglich seine Arbeit verrichtet, erhalt meist erst am Ende der Woche Zahlung und muB daher wahrend dieser Zeit seinem Arbeitgeber Lieferantenkredit gewahren. Da er in der Zwischenzeit leben muB und daher allerlei notwendige Auslagen hat, wird er sich die notigen Mittel fur diese Kreditgewahrung auf die eine oder andere Weise verschaffen mussen, und zwar entweder aus eigenen, in fruheren Wirtschaftsperioden ersparten Mitteln oder auch durch Borgen, z. B. gleichfalls in Form von Lieferantenkredit, den er bei den Lieferanten seiner taglichen Lebensbedurfnisse aufnimmt.
Es geht daraus aufs deutlichste hervor, daB die Finanzierungsprobleme, die in der Konsumwirtschaft auftreten, einen vollkommen gleichen Anblick bieten, wie die der Unternehmung, und mit diesen auch eng zusammenhangen. Es ist denn auch vollkommen gerechtfertigt, obwohl bisher nicht gebrauchlich, hinsichtlich der Verbrauchswirtschaften gleichfalls das Bestehen eines Finanzierungsproblems anzuerkennen.
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Umfang der Produktion wie audi die Gesamtheit der Aktiva sind daher fur uns feststehende Faktoren. Im allgemeinen wird das Streben jeder Produktionswirtschaft darauf gerichtet sein, ihr Vermogen — worunter wir die Gesamtheit ihrer Mittel verstehen, d. h. also die Summe ihrer eigenen Mittel (Eigenvermogen) und der ihr von Dritten auf langere oder kiirzere Frist zur Verfugung gestellten Mittel (fremde Mittel oder Fremdvermogen) — so genau wie moglich dem erforderten Gesamtumfang ihrer Aktiva anzupassen. 1 Sie wird trachten, eine moglichst intensive Ausnutzung ihres Vermogens zu erzielen. Eine Differenz zwischen Mitteln und Aufwendungen, die nur in einem UberschuB der Mittel bestehen kann, fiihrt zur Entstehung eines Kasseniiberschusses, was grundsatzlich unerwiinscht ist, da es einen Verlust an Zinsen oder eine GewinneinbuBe bedeutet, wogegen kein einziger Vorteil besteht. Der Kassenvorrat hat ja an sich gar Jceinen 'positiven Nutzen. Unsere Auffassung weicht bier wesentlich von der der meisten anderen Schriftsteller ab, die sich mit dem Kassenhaltungsproblem beschaftigt haben. 2 Stets findet man bei ihnen den Gedanken ausgesprochen, daB die Wirtschaftssubjekte den JLasseniiberschufi positiv werten, daB sie ,,Bedurfnis" nach einem Kassenvorrat empfinden. Dies ist aber in Widerstreit mit der Wirklichkeit, was besonders deutlich wird, wenn man einen statischen Zustand ins Auge faBt. Ein Bedurfnis nach Mitteln besteht erst in dem Augenblick, wo eine Aufwendung notwendig ist, nicht schon vorher, und jede Unternehmung wiirde gerne davon absehen, einen Kassenvorrat zu halten, wenn sie nur Vorsorge treffen konnte, daB die benotigten Mittel gerade im gegebenen Augenblick zur Verfugung stiinden. Die Schwierigkeit ist aber, daB ihr das nicht gelingen kann, und zwar infolge des fortwahrenden Schwankens im Gesamtbetrag der Aktiva und der Unmoglichkeit, die Vermogensversorgung diesen Schwankungen genau anzupassen. Das, wonach die Unternehmung tatsachlich Bedurfnis empfindet, ist nicht der KasseniiberschuB, sondern das Geldkapital, d. h. Vermogen in Gestalt von Geld, um sich damit die benotigten Sachguter verschaffen zu konnen. Aber nur allzu oft wird dieser Bedarf nach Geldkapital mit dem nach Geld als solchem zusammengeworfen. 1 Der Vermogensbegriff umfaBt also die Gesamtpassivseite der Bilanz. Wir vermeiden es hier, den Begriff Kapital zu verwenden, der hier leicht zu MiBverstandnissen AnlaB geben konnte. Unter Kapital werden wir eine Gesamtheit von Kapitalgiltern verstehen. Der Kapitalbegriff bezieht sich also auf die Aktivseite der Bilanz. (Anm. des tlbers.:) Daher wird auch im folgenden haufig der Ausdruck „Vermogensbedarf" statt des im Deutschen sonst gebrauchlichen Terminus ,,Kapitalbedarf" verwendet. 2 Verwandt mit unserer Auffassung ist die von Dr. H. NEISSER, Der Kreislauf des Geldes, Weltwirtschaftl. Arch., 39. Bd., 1931/1, S. 365. Ein Beispiel fiir die andere Auffassung findet man u. a. bei KEYNES, der meint, daB die GroBe des Kasseniiberschusses durch individuelle Willensentschliisse bestimmt wird, wobei die Bequemliehkeit des Besitzes eines gewissen Kasseniiberschusses (,,degree of convenience") an den Opfern gemessen wird, die dieser Besitz mit sich bringt („degree of sacrifice"). (KEYNES, A treatise on money, Vol. I, S. 227, und Vol. II, S. 44.) Bei dieser Betrachtungsweise wird meist unwillkilrlich dem ,,durchschnittlichen" KassentlberschuB eine Bedeutung als Gegenstand wirtschaftlicher Disposition zugeschrieben, die er gar nicht besitzt.
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Ware der Gesamtbetrag der Aktiva konstant, so ware es fur die Unternehmungen ein leichtes, das Entstehen eines Kassenuberschusses hintanzuhalten, da sie sich ja dann ein fur allemal mit derjenigen Menge von Mitteln versehen konnten, die sie brauchten. Die aus den Betriebserlosen einflieBenden Betrage miiBten in diesem Falle wieder unmittelbar verausgabt werden — andernfalls wiirde der Gesamtbetrag der Aktiva ja abnehmen — und das Geld wiirde nur so kurze Zeit in den Kassen verbleiben, daB der durchschnittliche KasseniiberschuB auf eine GroBe sinken wiirde, die vernachlassigt werden kann. Durch eine Anzahl von Ursachen aber, die wir spater noch kennenlernen werden, ist der Gesamtbetrag der benotigten Aktiva — und damit auch der Vermogensbedarf — einem fortwahrenden Wechsel ausgesetzt. Mufiten nun die Produktionswirtschaften ihren Vermogensbedarf ganz aus eigenen Mitteln oder durch Langkredit dechen, so ware es notig, daji die Mittel fiir den Zeitpunkt des Maximalbedarfs ausreichen, wodurch dann in alien ubrigen Zeitpunkten ein Teil des Vermogens brachliegen wiirde. Jede Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva wiirde also zur Bildung eines vorubergehenden Kassenuberschusses Anlafi geben. DaB dies in Wirklichkeit nicht geschieht, ist eine Folge der Tatsache, daB die Unternehmungen durch. den kurzfristigen Kredit auch einen vorubergehenden Vermogensbedarf decken und so ihre Mittel mit dem wechselnden Bedarf in Ubereinstimmung bringen konnen. Wie sich spater noch zeigen wird, ist dies nur in gewissem MaBe und nicht zur Ganze moglich. Entsteht nun dadurch ein UberschuB an Mitteln, so wird die Unternehmung trachten, denselben rentabel anzulegen, sei es auBerhalb ihres eigentlichen Betriebs, sei es durch eine an sich nicht notwendige Anwendung innerhalb desselben. Nur wenn auch dies nicht moglich ist — z. B. weil es nicht feststeht, durch welche Zeit hindurch der UberschuB zur Verfiigung stehen wird, oder auch, weil diese Zeit zu kurz ist —, werden sich die Unternehmungen mit dem Vorhandensein eines Kassenuberschusses abfinden und sich darein fiigen, daB ein Teil ihres Vermogens brachliegt. Wir miissen dabei im Auge behalten, daB nicht nur die Schwankungen, die wirklich eintreten, sondern auch die, welche als moglich gedacht werden, ihren EinfluB ausuben. Es ist in der dynamischen Volkswirtschaft nicht moglich, alle Ereignisse genau vorherzusehen. Die Leitung einer Unternehmung wird nicht mit absoluter Sicherheit feststellen konnen, welche Zahlungen in Zukunft stattfinden miissen und wie groB diese sein werden. Auch wird sie haufig nicht sicher wissen, welche Mittel verfiigbar werden werden. Sie wird bei ihrer Schatzung stets vorsichtig sein miissen, was nichts anderes sagen will, als daB sie die Aufwendungen stets etwas hoher, die Mittel stets etwas niedriger veranschlagen wird, als sie sich in Wirklichkeit ergeben werden. Auch dies wird zu einem UberschuB an Barmitteln, einem Kassenvorrat fiihren, und zwar zu einem standigen, im Unterschied von dem aus der vorhergenannten Ursache entstehenden zeitweiligen KasseniiberschuB. I m Wesen entsteht dieser KasseniiberschuB in diesen beiden Fallen aus derselben Ursache, nur muB zur Erklarung des standigen Kassenvorrats
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das Unsicherheitselement mitberiicksichtigt werden. I n einer statischen Volkswirtschaft, in der keine Veranderungen vorkommen und in der somit hinsichtlich der Zukunft keine Unsicherheit besteht, ist von einem solchen standigen KassenuberschuB keine Rede. I n der Praxis sehen wir das Kassenhaltungsproblem ganz in der hier beschriebenen Weise in Erscheinung treten. Bei der periodischen Aufstellung der Kassenposition legt sich die Unternehmungsleitung die Frage vor, welche Ausgaben in der bevorstehenden Arbeitsperiode, z. B. einer Woche oder einem Monat, geleistet werden miissen, sowohl fur Lohne wie fur Betriebsauslagen, fallige Akzepte usw. Diesen werden die erwarteten Einnahmen gegemibergesetzt und festgestellt, ob ein Abgang oder ein tJberschuB bleiben wird, so daB dementsprechend MaBregeln getroffen werden konnen. Im Falle eines Uberschusses wird es von der Zeit, wahrend welcher dieser wahrscheinlich verfiigbar sein wird, abhangen, ob ein Teil der beschafften Mittel getilgt werden kann. Gewohnlich wird man aber nach einer voriibergehenden Veranlagung auBerhalb des Betriebes Umschau halten, z. B. auf Depositenkonto oder Report, mitunter wird auch eine nicht unbedingt notige Verwendung im eigenen Betrieb moglich sein, z. B. durch spekulativen Ankauf von Rohstoffen 1 und endlich kann es auch sein, daB im Hinblick auf die Unsicherheit des Zeitpunktes der Wiederaufwendung oder im Hinblick auf den geringen erzielbaren Zins, beschlossen wird, den UberschuB in der Kasse zu halten, wodurch dann ein Kassenvorrat entsteht. Wir werden nunmehr in den folgenden Paragraphen die Ursachen, die zur Bildung eines Kasseniiberschusses fiihren, systematisch untersuchen. I n erster Linie werden wir iiberlegen, wie es kommt, daB der Gesamtbetrag der Aktiva fortwahrenden Schwankungen unterworfen ist und daher fortdauernd eine Tendenz zur Bildung von Kassenuberschussen besteht. Sodann werden wir untersuchen, inwieweit die verschiedenen Kreditformen sich dazu eignen, die Mittel diesen Schwankungen anzupassen, sei es direkt, sei es indirekt, indem sie eine voriibergehende Verwendung von Uberschiissen auBerhalb des Betriebes ermoglichen. SchlieBlich werden wir noch sehen, ob auch die Verwendung im eigenen Betrieb als Mittel zur Vermeidung des Brachliegens von Vermogen belangreich ist. 2 Sobald wir uns auf diese Weise von der Bedeutung der Faktoren, die die GroBe des Kasseniiberschusses bestimmen, eine Vorstellung gemacht haben, werden wir im folgenden Hauptstiick untersuchen, wann und auf welche Weise diese Faktoren eine Veranderung im relativen Umfang der Kassenuberschiisse, d. h. also in der Intensitat der Vermogensausnutzung und dadurch auch in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zustande bringen werden. 1
Vgl. Harvard Business Reports, Vol. L, Case 133, Chicago & New York, 1925. Es sei hiebei bemerkt, dafi wir uns im folgenden nicht auf die Erscheinungen beschranken werden, die fur den gegenwdrtigen Stand des Problems von Bedeutung sind, sondern dap wir das Problem so erortern werden, wie es sich in seiner Allgemeinheit darstellt. Auch die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit in friiheren Zeiten, wo beispielsweise die Gewiihrung von kurzfristigem Kredit noch selten vorkam, wollen wir klarstellen. Die zu bringenden Beispiele werden daher nicht immer auf die Gegenwart anwendbar sein. 2
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II. Die Ursachen des schwankenden Vermogensbedarfes.
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Wenn wir nunmehr zu einer Untersuchung der Ursachen der Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva bei den verschiedenen Produktionswirtschaften iibergehen, wollen wir uns anfangs auf die Aktiva beschranken, die zur Kategorie der produzierten Giiter gehoren. Diejenigen Aktiva, die durch Kreditgewahrung zustande kommen, durch den Ankauf von Aktien, von Grand und Boden oder von besonderen Rechten, kurzum alle, welche zu den ,,Rechten und Verhaltnissen" gezahlt werden miissen, werden wir vorlaufig auBer Betracht lassen. Die Ursache der Variabilitat der erstgenannten Gruppe von Aktiva liegt in der Eigenart des Giiterumlaufsprozesses. Dieser letztere, der durch den Ausdruck ,,Umlauf" eigentlich nicht sehr richtig charakterisiert wird, da von einem Zuriickkehren der umlaufenden Bestandteile zum Ausgangspunkt keine Rede ist, besteht in der Bewegung der Giiter durch die Volkswirtschaft hindurch, wobei sie wiederholt von Hand zu Hand gehen; dies letztere ist durch die Verteilung der Produktionstatigkeit iiber verschiedene Unternehmungen erfordert. Dieser Umlauf nimmt seinen Ursprung in einer nahezu kontinuierlichen, d. h. gleichmaBig und ununterbrochen fortgehenden Leistung produktiver Dienste und wird beendet durch einen ebenfalls fast gleichmaBigen Konsum. Der hohe Grad von Kontinuitat im Entstehen und Vergehen der Giiter, welcher zur Folge hat, daB im allgemeinen •— wir werden spater einige Ausnahmen von dieser Regel kennenlernen —• die gesamte im Umlauf befindliche Menge konstant ist, fehlt der Bewegung der Giiter innerhalb der einzelnen Wirtschaften, welche einen Bruchteil des sozialen Umlaufes bildet. Der Umlauf der Giiter durch die Produktionswirtschaft beginnt mit der Verwendung des Vermogens zur Beschaffung der fur den ProduktionsprozeB benotigten Rohstoffe, Produktionsmittel und Arbeitsleistungen und wird durch den Verkauf der erzeugten Giiter beendigt, wobei die festgelegten Mittel wieder frei werden. 1 Die Eigenart dieses Umlaufs kann am besten an Hand der Formel klargemacht werden, die H I L F E K DING im AnschluB an MARX fur den Kreislauf des Kapitals gibt. 2 Diese Formel, die die Reihe der Formveranderungen wiedergibt, welche das Kapital bei seinem Kreislauf durch die Produktionswirtschaft mitmacht, lautet wie folgt: /Pm Q—W( ... P . . . W'—G' Sie besagt, daB das Geld ((?) in Waren (W) umgesetzt wird, welche entweder Produktionsmittel (Pm) oder Arbeit (.4) darstellen, daB darauf der ProduktionsprozeB P folgt, woraus eine neue Ware (W) entsteht und daB diese wieder in Geld ((?') umgesetzt wird. Die verschiedenen Phasen des Guterumlaufs werden in dieser Formel durch den Abschnitt 1 Da wir vorlaufig Kreditgewahrung und Kreditnahme auCer Betracht lassen, lallen niimlich Lieferung und Bezahlung immer zusammen. 2 R. HILFEBDING, Das Finanzkapital, Wien 1910, S. 58f.
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wiedergegeben, der zwischen den Ausdriicken G und G' liegt. Die Zeit, welche die Giiter brauehen, um diese Phasen zu durchlaufen, wird die Umlaufszeit genannt. Diese ist fur die verschiedenen Giiter, die sich durch die Wirtschaft hindurchbewegen, sehr verschieden; man denke nur an den Unterschied zwischen den dauerhaften Produktionsmitteln, die erst im Verlauf von Jahren im Endprodukt aufgehen, und den Rohstoffen, die meist nur kurze Zeit hindurch bearbeitet werden. Der Gesamtbetrag der Aktiva, dessen Schwankungen den Gegenstand unserer Untersuohung bilden, besteht aus der Gesamtheit der Giiter, die sich in einem bestimmten Augenblick durch die Unternehmung hindurchbewegen. Es ist klar, daB diese Gesamtmenge nur dann konstant bleiben kann, wenn die Giitermenge, die in die Unternehmung einstromt, andauernd derjenigen gleich ist, die sie verlaBt, d. h. wenn die beiden Phasen G — W und W — G' voilkommen parallel verlaufen. Dies wird nun im allgemeinen nicht der Fall sein und daher wird der Gesamtbetrag der Aktiva Schwankungen unterliegen. Es sind namlich verschiedene Ursachen wirksam, die aus der Technik des Produktionsprozesses entspringen und die es mit sich bringen, daB Augenblicke, in denen sich die Ausgaben haufen, von Augenblicken abgelost werden, in denen diese ganz oder fast ganz ausbleiben, ohne daB auch die Einnahmen gleiche Schwankungen erleiden, wobei aber auch das Umgekehrte vorkommt, daB namlich die Einnahmen sich periodisch haufen, ohne daB mit den Ausgaben dasselbe geschieht. Sowohl bei der Aufwendung der Mittel (Phase G — W) wie auch bei ihrem Wiederfreiwerden (Phase W — G') fehlt also in vielen Fallen nicht nur die Kontinuitat, sondern auch die Parallelitat zu der gegenlaufigen Phase, was ein wechselndes Anwachsen und Abnehmen der Giitermenge, die durch die Produktionswirtschaft hindurchstromt, und dadurch zugleich des Gesamtbetrages der Aktiva, zur Folge hat. Die Ursachen, die zu diesen Schwankungen fuhren, konnen wie folgt in fiinf Gruppen zusammengefaBt werden: I. Der Gesamtbetrag der Aktiva nimmt plotzlich zu, um dann wieder allmahlich abzunehmen, indem die im ProduktionsprozeB benotigten Giiter in Gestalt eines Vorrates, dessen einzelne Teile sukzessiv in der Produktion aufgehen, angeschafft werden —• so daB die angelegten Mittel bei regelmaBigem Absatz allmahlich aus dem Ertrag des Produktionsprozesses frei werden — und erst ersetzt werden, wenn der Vorrat erschopft ist. I I . Der Gesamtbetrag der Aktiva nimmt allmahlich zu, um sodann plotzlich wieder abzunehmen, indem der ProduktionsprozeB eine kontinuierliche Aufeinanderfolge von Aufwendungen erfordert, wahrend die angelegten Mittel auf einmal aus dem Bruttoerlos frei werden, da das Endprodukt als Vorrat oder als groBere Einheit abgesetzt wird. I I I . Der Gesamtbetrag der Aktiva bleibt lange Zeit auf einem niedrigen Niveau, indem der Ersatz der Produktionsmittel trotz Erschopfung des Vorrates nicht stattfindet, da die Saison dafiir noch nicht gekommen ist.
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IV. Der Gesamtbetrag der Aktiva bleibt lange Zeit auf einem hohen Niveau, indem die angelegten Mittel trotz Fertigstellung des Endproduktes nicht frei werden, da die Saison dafiir noch nicht gekommen ist. V. Der Gesamtbetrag der Aktiva versehiebt sich, weil die BetriebsgroBe zeitweilig oder dauernd verandert wird. Die ersten vier Falle bilden paarweise Gegenstiicke; trotzdem ist die Trennungslinie nicht immer deutlioh. Es besteht ein allmahlicher Ubergang zwischen den Fallen I und I I und ebenso zwischen I I I und IV. Stellen wir zunachst die Extreme gegeniiber, so sehen wir sub I einen vollkommen kontinuierlichen Strom von Ertragen mit periodischen Veranlagungen, sub I I einen vollkommen kontinuierlichen Strom von Veranlagungen mit periodischen Ertragen. Zwischen diesen Extremen liegen alle die Falle, in denen sowohl Ausgaben wie Einnahmen diskontinuierlich vonstatten gehen; diese Falle werden wir danach einordnen miissen, ob der Strom der Einnahmen oder der der Ausgaben relativ der kontinuierlichste ist. So wird ein Fall, wo jahrliche Ausgaben mit monatlichen Einkunften gepaart sind, unter I klassifiziert werden miissen, ein Fall wochentlicher Einkiinfte und taglicher Ausgaben unter I I . Die Mitte zwischen den Fallen I I I und IV halten die Industrien, in denen sowohl die Produktion wie der Absatz Saisoncharakter haben. SchlieBlich muB noch bemerkt werden, daB die unter I und I I beschriebenen Schwankungen vorkommen werden, ohne daB von irgendwelchen Fluktuationen in Produktion oder Absatz die Rede ist. Im Falle I I I und IV sind die Veranderungen zusammengefaBt, die in Saisonbetrieben wahrgenommen werden konnen, wahrend im Falle V die Folgen der Konjunkturschwankungen zum Ausdruck kommen. Nur der letzte Fall ist daher auf eine dynamische Volkswirtschaft beschrankt; die iibrigen werden auch in einem statischen Zustand vorkommen. Geben wir nunmehr eine Ubersicht uber die groBe Menge der Erscheinungen, die sich in diese funf Gruppen von Ursachen einordnen lassen und die — es sei noch einmal wiederholt — alle die Tendenz haben, Kasseniiberschusse ins Leben zu rufen und damit verzogernd auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu wirken. 1. Der wichtigste und am haufigsten vorkommende Fall ist zweifellos der erste, derjenige der diskontinuierlichen Veranlagung bei kontinuierlichem Freiwerden der Mittel. Das einfachste Beispiel hiefiir ist die Beschaffung von Rohstoffen oder Warenvorraten in groBen Partien und die allmahliche Verwendung oder VerauBerung derselben. Ein Fabrikant wird z. B. einen Rohstoff per Waggonladung beziehen, ein Detaillist wird monatlich einmal seinen Vorrat auffullen. Die Griinde fiir diese periodischen Anschaffungen konnen von verschiedener Art sein. In erster Linie ist es moglich, daB dadurch, daB eine groBe Menge auf einmal gekauft wird, von einem niedrigeren Preis Nutzen gezogen werden kann, sei es, weil der Verkaufer bei verschiedener GroBe der abgenommenen Menge verschiedene Preise berechnet, sei es, daB durch Ankauf im groBen eine Zwischenperson iibergangen werden kann. Ferner
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kann es sein, daB die Transportkosten wesentlich geringer ausfallen, wenn die Beschaffung in einer Einheit geschieht, fiir die ein niedriger Beforderungstarif bedungen werden kann, z. B. eine Waggonladung. Dann besteht noeh die Moglichkeit, daB das anzuschaffende Gut ein Saisonartikel ist, wie z. B. die Ernteprodukte, wovon notwendig irgendwo ein allmahlich abnehmender Vorrat gehalten werden muB. Endlich kommt es auch vor, daB das Gut nur auf periodisch abgehaltenen Markten zu bekommen ist, was in friiheren Zeiten von groBer Bedeutung war. Diese periodische Beschaffung, die bei den Rohstoffen haufig stattfindet, bildet die Regel bei den dauerhaften Produktionsmitteln, wie Maschinen und Gebauden. Diese zeigen groBe Ahnlichkeit mit den Vorraten, da auch sie allmahlich im Laufe des Produktionsprozesses verbraucht und erst nachher wieder ersetzt werden. Tatsachlich konnen sie denn auch ruhig als ein Vorrat von Dienstleistungen betrachtet werden, der sich von den ubrigen Vorraten nur darin unterscheidet, daB er technisch ein unteilbares Ganzes bildet, weshalb die Unternehmungen genotigt sind, sich diesen Vorrat periodisch anzuschaffen. Die Schwankungen in den Aktiva, die durch deren Anwesenheit verursacht werden, erstrecken sich, wenn es sich um Produktionsmittel mit langer Umschlagszeit handelt, oft iiber eine Reihe von Jahren. I n der Konsumwirtschaft finden wir ein Beispiel fiir diese Gruppe von Erscheinungen in der Beschaffung und im Verbrauch aller mehr oder weniger dauerhaften Verbrauchsgiiter, wie Kleidung, Hausrat, Automobile usw. SchlieBlich ware auch die periodische Entlohnung der Dienste, die wochentliche und monatliche Auszahlung von Lohnen und Gehaltern, die vierteljahrliche, halbjahrliche und jahrliche Zahlung von Kapitalzins, Pacht, Gewinn und Tantiemen als Beispiel fiir diese Gruppe von Ursachen zu rechnen. Durch ihre allgemeine Verbreitung sind diese Arten der periodischen Auslagen von der allergroBten Bedeutung und der Zusammenhang mit der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird schon von den ersten Schriftstellern, die diesen Gegenstand behandelt haben, hervorgehoben. Doch sind diese Falle nicht mit den zuvor genannten gleich, und zwar deshalb, weil hier die eigentliche Lieferung wohl kontinuierlich geschieht und nur die Bezahlung periodisch erfolgt. Es entsteht ein Kreditverhaltnis, welches bedeutet, daB die Unternehmung sich von den Anbietern der Dienstleistungen Mittel beschafft. Da wir nun die Folgen von Kreditgewahrungen vorlaufig auBer Betracht lassen wollten, nriissen wir eine nahere Besprechung dieser Falle auf spater verschieben. I n alien gegebenen Beispielen gewahren wir dieselbe Bewegung der Aktiva. Durch Anschaffung eines bestimmten Gutes wird ein Maximum erreicht, darauf folgt eine allmahliche Senkung bis zu einem Minimum vor dem Augenblick der Ersetzung, worauf dann wieder auf einmal das Maximum erreicht wird. 2. Die in der zweiten Gruppe zusammengefaBten Ursachen von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva sind in denjenigen Produktionswirtschaften wirksam, wo das Wiederfreiwerden der Mittel nicht kontinuierlich, sondern ungleichmaBig erfolgt.
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Dies ist iiberall der Fall, wo Synchronisierung der Produktion innerhalb der Unternehmung unmoglich ist, sei es aus technischen Griinden, sei es, weil die Produktionseinheit, d. i. die Einheit des Endprodukts, die fur den Absatz in Betracht kommt — mag dies ein Pfund Zucker, eine Tonne Zement oder ein Ozeandampfer sein —, im Verhaltnis zum Gesamtumfang der Produktion zu groB ist. Unter Synchronisierung haben wir zu verstehen, daB eine groBe Anzahl unregelmaBiger Vorgange so kombiniert wird, daB ihre Resultante eine Konstante bildet. I n den Unternehmungen kommt es zu dieser Synchronisierung dadurch, daB die Arbeit derart organisiert wird, daB an dem ProduktionsprozeB in alien seinen aufeinanderfolgenden Stadien zu gleicher Zeit gearbeitet wird, was zur Folge hat, daB das Endprodukt den Betrieb als ein kontinuierlicher Strom verlaBt. Diese Synchronisierung kann aber wegen technischer Umstande undurchfuhrbar sein, und zwar wenn der Lauf des Produktionsprozesses durch die Natur vorgeschrieben ist, wie z. B. in der Landwirtschaft. Jedes Stadium des Produktionsvorganges und auch seine Beendigung ist an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden, und da das Endprodukt dann meist auf einmal realisiert wird, so werden die sukzessiv investierten Mittel auf einmal frei. Dasselbe ist der Fall, wenn die Produktionseinheit sehr groB ist, wie z. B. beim Bau von Schiffen, Hausern und im allgemeinen bei der Ausfuhrung groBer Arbeiten, wobei die gesamte Produktionskapazitat durch die Erzeugung einer oder nur einzelner Einheiten in Anspruch genommen wird. Es ist ja ohneweiters klar, daB, um einen kontinuierlichen wochentlichen Strom von Endprodukten zu erhalten, der gesamte Jahresumsatz schon mindestens 50mal so groB sein muB wie die abzuliefernde Einheit, fur eine tagliche Kontinuitat sogar 300 mal. Nur sehr groBe Betriebskorper konnen daher bei Ausfuhrung umfangreicher Arbeiten mehr oder weniger zur Synchronisierung gelangen; bei weniger groBen ist das nicht moglich und findet infolgedessen eine allmahliche Verausgabung bei plotzlichem Wiedereinstromen der Mittel statt. Aber nicht nur durch die Technik der Produktion, sondern auch durch die des Absatzes werden die Mittel ungleichmaBig frei. I n der dynamischen Volkswirtschaft gibt es ja nirgends einen vollkommen kontinuierlichen Absatz; man braucht nur die verfiigbaren Monatsziffern einzusehen, um bemerken zu konnen, daB die Wirklichkeit sehr stark von dem statischen Idealzustand abweicht, wo alle Elemente des Umlaufsprozesses ihren Weg mit der groBten RegelmaBigkeit zuriicklegen. Sind auch die Schwankungen, absolut gesehen, nicht so groB, relativ haben sie betrachtliche Bedeutung durch ihre allgemeine Verbreitung und durch das Unsicherheitselement, das sie in alle Schatzungen bringen. Im allgemeinen werden diese Schwankungen desto wesentlicher sein, je groBer die abgesetzte Einheit im Verhaltnis zum Jahresumsatz ist, und zwar infolge des Gesetzes der groBen Zahl. So wird z. B. der Absatz eines Gewurzhandlers unzweifelhaft groBere GleichmaBigkeit aufweisen als der einer Klavierniederlage. SchlieBlich muB noch bemerkt werden, daB beziiglich der Konsum-
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wirtschaft die Einkommensgestaltung und -verwendung als Beispiel einer allmahlichen Investierung und eines periodischen Freiwerdens von Mitteln betrachtet werden konnte. Aus den soeben genannten Griinden wollen wir aber diesen Fall, der ja das Gegenstiick zur periodischen Bezahlung der Dienstleistungen darstellt, nooh nicht in unsere Betrachtungen einbeziehen. Diese zweite Gruppe von Ursachen einer Schwankung in der GroBe der Aktiva fiihrt klarerweise genau umgekehrt wie die erste zu einem allmahlichen Anwachsen der Aktiva von einem Minimum zu einem Maximum, welches im Augenblick vor dem Freiwerden der Mittel erreicht wird, worauf sie plotzlich wieder auf ein Minimum sinken. 3. Die Falle 3 und 4 betreffen die Saisonindustrien, worunter wir lediglich die Betriebe verstehen wollen, die einen mit der Saison wechselnden Umfang der produktiven Tatigkeit kennen — gemessen an der Menge der geleisteten Arbeiten — oder deren Produkt einem mit der Saison wechselnden Verbrauch zugefiihrt wird. I n diesem Sinne sind also landwirtschaftliche Betriebe noch nicht notwendig Saisonbetriebe; man kann sich sehr wohl vorstellen — obwohl das meist nicht der Fall sein wird —, daB die Aufwendung der Arbeit gleichmaBig iiber den ganzen Verlauf des Jahres verteilt wird, was dann spater auch mit dem Verbrauch der Fall sein kann. Fall 3 betrifft die Industrien mit Saisonerzeugung, welche sowohl mit gleichmaBigem wie auch mit saisonmaBigem Absatz Hand in Hand gehen kann. Es ist fast uberfliissig, bier Beispiele aufzuzahlen; man denke nur an die Landwirtschaft in der Erntezeit, an die Zuckerindustrie und eine Reihe anderer Branchen, deren Rohstoffe aus nicht aufbewahrbaren Ernteprodukten bestehen, an das Baugewerbe, das von der Witterung abhangig ist u. a., welche alle eine Zeit haben, in der der Umfang der Investitionen besonders groB ist. Es ist vollkommen klar, daB die danach wieder freiwerdenden Mittel nicht eher wieder verwendet werden konnen, als bis die Saison dafur gekommen ist, weshalb der Gesamtbetrag der Aktiva geraume Zeit hindurch auf einem niedrigen Niveau bleiben wird. In den Konsumwirtschaften finden wir hingegen gerade ein Beispiel dieser Gruppe von Erscheinungen im Saisonverbrauch, der zu einem plotzlichen starkeren Vermogensbedarf wahrend einer kurzen Zeitspanne AnlaB gibt, welcher Bedarf sodann allmahlich wieder abnimmt, weil ein Teil der verfugbar werdenden Mittel bis zur folgenden Verbrauchssaison aufbewahrt werden muB. 4. Dagegen sind in der Gruppe 4 alle Industrien zusammengefaBt, deren Erzeugnis einem saisonmaBigen Verbrauch unterliegt und die demzufolge einen saisonmaBigen Absatz haben. Dies wird haufig auch eine saisonmaBige Produktion verursachen, doch ist das keineswegs notwendig. Denken wir nur an den Absatz von Dungemitteln, Steinkohlen, Fahrradern, Spielwaren usw. Alle diese Artikel werden schon lange Zeit im voraus auf Vorrat erzeugt, was eine betrachtliche Festlegung von Geldmitteln erforderlich macht, von Mitteln, die in der Verkaufssaison
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plotzlich oder wenigstens in kurzer Zeit frei werden, um danach sukzessive wieder Verwendung zu finden. I n der Konsumwirtschaft dagegen miissen wir in diesem Zusammenhang an die Saisonarbeit denken, die ja dasselbe bedeutet wie ein an die Saison gebundener Absatz des Produkts dieser Wirtsohaft, namlich der Arbeitsleistung. 5. Die Schwankungen, die durch Ausbreitung und Schrumpfung des Produktionsumfanges wahrend des Konjunkturverlaufs entstehen, konnen mit den hier oben genannten nicht in eine Linie gestellt werden, da sie von rein dynamischer Art sind und daher in der statischen Volkswirtschaft nicht vorkommen. Daher konnen sie nur in einem Ubergangszustand einigen EinfluB auf die GroBe der Kassenuberschiisse ausiiben. Ihr Vorkommen ist zu evident, als daB dafiir noch Beispiele gegeben werden muBten. Die Erscheinungen, die wir in diesen fiinf Gruppen zusammengefaBt haben, schlieBen einander nicht im mindesten aus, im Gegenteil werden wir meist in einer einzelnen Unternehmung hinsichtlich der verschiedenen Gruppen von Produktionsmitteln sowohl Beispiele fur Fall 1 wie Fall 2 finden. Auch konnen diese sehr wohl mit Saison- und Konjunkturschwankungen Hand in Hand gehen. Wahrend bei einigen Produktionsmitteln, wie z. B. solchen mit einer sehr langen Umlaufszeit stets die periodische Investition vorherrschen wird, kann hinsichtlich anderer Aktiva das periodische Freiwerden der Mittel die Oberhand haben. Hiedurch kann es innerhalb der Unternehmung zu einer weitgehenden Ausgleichung der einzelnen Schwankungen kommen, was von groBer Bedeutung ist, da das Vermogen sich nur der per Saldo verbleibenden Fluktuation anzupassen braucht. Eine solche Ausgleichung findet vor allem haufig innerhalb einer Gruppe von gleichen Produktionsmitteln statt. Wenn z. B. eine bestimmte Maschine alle zehn Jahre ersetzt werden muB, so ist die dadurch entstehende Fluktuation der Aktiva iiber zehn Jahre verteilt. Wenn aber zehn solche Maschinen in Betrieb sind, alle von verschiedenem Alter, konnen sie nacheinander ersetzt werden, jedes Jahr eine. Die Schwankung ist dann auf ein Zehntel ihrer GroBe herabgedriickt und zugleich auf ein Zehntel ihrer Wellenlange, worunter wir die Zeitdifferenz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Hohepunkten der Schwankung zu verstehen haben. Es hat eine Synchronisierung stattgefunden. J e groBer der Umfang der Unternehmung, desto groBer diese Moglichkeit der Nivellierung. J e mehr sich hingegen die Unternehmung auf die Bearbeitung eines einzelnen Produktes beschrankt — je mehr also die Differenzierung der Produktion durchgefuhrt ist •—• oder je mehr sie sich auf die Production von Endprodukten geringer Mannigfaltigkeit verlegt —, d. h. je mehr die Produktion spezialisiert ist — desto geringer ist die Aussicht auf Ausgleichung der verschiedenen Schwankungen. Namentlich die Differenzierung der Produktion wird zu einem Wachsen der relativen Bedeutung der Fluktuationen fuhren, da ja jede Differenzierung einen neuen Bruch in der Giiterzirkulation bedeutet,
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welcher durch eine neue Giiteriibertragung iiberbriickt werden muB. Niemals wird diese tjbertragung so kontinuierlich vor sich gehen, daB die vollige Anpassung wieder erreicht wird, die bestand, als die geteilte Arbeit noch in einem Betrieb geleistet wurde. Eine Zunahme der Differenzierung wird also aus diesem Grund auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes verzogernd wirken. DaB im allgemeinen die Integration — d. i. das Gegenteil der Differenzierung, also die Zusammenziehung aufeinander folgender Stadien des Produktionsprozesses in einen Betrieb — zu einer Verminderung der Schwankungen fuhren muB, wird auch klar, wenn wir bedenken, daB sie eine Annaherung an jenen denkbaren Zustand vollkommener Einheit bedeutet, in dem die gesamte Volkswirtschaft eine einzige Unternehmung darstellt. I n diesem Zustand sind alle Fluktuationen notwendig verschwunden. Der Gesamtvorrat an produzierten Giitern ist ja konstant, da Erzeugung und Verbrauch, wodurch die Giiter hergestellt bzw. vernichtet werden, vorbehaltlich einzelner noch anzufuhrender Ausnahmen, die bier von keiner Bedeutung sind, kontinuierlich. vor sich gehen. Fur eine Schwankung im Gesamtbetrag der Mittel, die in den Bestandteilen jenes Vorrates festgelegt sind, ist daher kein Kaum. Daraus kann ein sehr wichtiger SchluB gezogen werden. Wenn eine Schwankung im ganzen nicht vorkommt, konnen ja Schwankungen in den Teilen des Ganzen nur entstehen, wenn und soweit sie einander aufheben. Wenn derjenige Teil des gesellschaftlichen Giitervorrats, der sich in Handen einer Unternehmung befindet, sich vermehrt, muB sich notwendig der Anteil einer anderen vermindern. Es besteht also ein inniger Zusammenhang zwischen den Fluktuationen der Aktiva der verschiedenen Produktionswirtschaften. Jede Vermehrung von Investitionen, und also im Zusammenhang damit von Bedarf an Mitteln, bei der einen Unternehmung geht notwendig Hand in Hand mit einer gleichgroBen Verminderung bei einer oder mehreren anderen, und es ist daher moglich, alle zeitweiligen Bediirfnisse nach Mitteln aus einem standigen Fonds zu decken, aus welchem die Produktionswirtschaften hintereinander, wenn die Reihe an ihnen ist, schopfen konnen, um zeitweilig den Betrag ihrer Investitionen zu erhohen. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen den Fluktuationen der Aktiva bei den verschiedenen Unternehmungen ist haufig leicht zu bemerken. Denken wir nur an den Umlauf der Ernteerzeugnisse. Die allmahliche Festlegung von Mitteln in der Landwirtschaft, die von einem plotzlichen Freiwerden derselben abgelost wird, findet ihr Gegenstuck in der plotzlichen Verausgabung und dem allmahlichen Freiwerden beim GetreidegroBhandel und eventuell bei anderen Unternehmungen, die den Getreidevorrat ubernehmen und bei welchen sich dieser langsam durch den Verbrauch vermindert. Dasselbe ist bei der periodischen Bezahlung der Arbeitsleistungen der Fall. Der allmahlichen Abnahme des Kassenbestandes bei den Einkommensbeziehern, die eine Folge der kontinuierlichen Auslagen im Verein mit einem periodischen Einstromen des Einkommens ist, steht die regelmaBige Zunahme des Kasseniiberschusses Beitrage zur Geldtheorie.
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bei den Produktionswirtsohaften gegeniiber, deren Absatz kontinuierlich erfolgt, bei denen aber die Auszahlung der Lohne und Gehalter wochentlich oder monatlich stattfindet: In diesen Fallen hat die Schwankung der Aktiva eine gegenldufige Schwankung in einer anderen Produktionswirtschaft, welche ihr in der Aufeinanderfolge differenzierter Betriebszweige vorangeht oder nachfolgt. Es ist aber auch noch eine andere Ausgleichung moglich. Wir werden z. B. vergebens nach der gegenlaufigen SchwankungderjenigenPluktuation der Aktiva suchen, welche durch den Gebrauch einer Dampfmaschine entsteht, die in 20 Jahren abgeschrieben werden muB. Nirgends werden wir eine iiber 20 Jahre verteilte sukzessive Veranlagung von Mitteln finden, die mit einem Freiwerden derselben am Ende dieser langen Periode endet. Diese Schwankung wird dadurch ausgeglichen, daB es Hunderte von anderen Unternehmungen gibt, die alle eine solche Dampfmaschine verwenden. Alle diese Maschinen sind verschieden alt und jedesmal muB wieder eine andere ersetzt werden. Es entsteht daher eine standige Nachfrage nach Dampfmaschinen, welche durch ein standiges Angebot befriedigt werden kann. Die Nivellierung tritt ein, indem die Spitzen der Schwankungen nicht in einem Moment, sondern nacheinander erreicht werden, so daB es zu einer Synchronisierung kommt. Der Gesamtbetrag der Investitionen in Dampfmaschinen aller dieser Unternehmungen zusammen ist eine Konstante. Gegeniiber dem vorigen Fall konnen wir hier von einer mitlaufigen Schwankung sprechen. Diese findet stets in einer Produktionswirtschaft statt, die sich in der Aufeinanderfolge differenzierter Betriebszweige auf einer gleichen Stufe befindet. In demselben Sinne, in welchem man von vertikaler und horizontaler Kombinierung in der Industrie spricht, konnen wir sagen, daB gegenlaufige Schwankungen stets in vertikaler, mitlaufige Schwankungen stets in horizontaler Richtung im Aufbau der Wirtschaft stattfinden. Ein zweites Beispiel von mitlaufiger Schwankung sehen wir in dem Falle, daB eine groBe Zahl von Detaillisten einmal im Monat ihren Vorrat bei demselben Grossisten eindeckt. Bei jedem der Detaillisten kommt es dann zu einer Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva. Aber diese wird nicht durch eine entgegengerichtete Schwankung beim GroBhandler aufgehoben, obwohl das grundsatzlich moglich ware, sondern durch synchronisierte mitlaufige Schwankungen bei den ubrigen Detaillisten. Wir diirfen ja annehmen, daB die Bestellungen an beliebigen Tagen geschehen, so daB der GroBhandler taglich, einmal an diesen, dann wieder an jenen Detaillisten liefern kann und die Guter seinen Betrieb in einem kontinuierlichen Strom verlassen. Der gesamte Vorrat in den Handen der Detaillisten und somit auch der Gesamtbetrag ihrer festgelegten Mittel ist dann konstant. Es werden aber nicht alle Schwankungen ausgeglichen. Die Behauptung, daB der soziale Gutervorrat konstant sei, ist, wie schon bemerkt wurde, nicht ganz richtig. Es ist eine Fluktuation moglich als Folge einer Diskrepanz zwischen Erzeugung und Verbrauch. I n der
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statischen Volkswirtschaft kann eine solche in Gestalt von Saisonschwankungen vorkommen, und zwar, wenn Erzeugung und Verbrauch sich im Laufe des Jahres regelmaBig gegeneinander verschieben, wodurch dann eine Produktions- und eine Verbrauchssaison entsteht. Wahrend der ersten wird der soziale Giitervorrat und damit dann auch der Gesamtbetrag der Aktiva aller Unternehmungen an Umfang zunehmen, wahrend der letzten werden sich diese wieder vermindern. Infolgedessen wird auch der Gesamtbedarf an Mitteln einer gleichen Schwankung unterliegen. AuBer diesen Saisonwellen gibt es dann xiberdies noch die dauernde dynamische Veranderung im Gesamtvorrat der produzierten Guter, welche aufs engste mit dem Konjunkturzyklus zusammenhangt. Sie zeigt sich innerhalb der Unternehmungen nicht in einer zeitweiligen, sondern in einer dauernden Vermehrung der Aktiva, die eine VergroBerung des Umfangs der Produktion bedeutet. An unserer SchluBfolgerung hinsichtlich des gegenseitigen Zusammenhanges zwischen den Schwankungen der Aktiva wird durch die Moglichkeit dieser Fluktuationen im Gesamtgiitervorrat nur eine kleine Anderung notwendig. Es stellt sich nur heraus, daB in den Fallen, in denen eine Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva Saison- oder Konjunkturcharakter hat, die Moglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daB weder eine gegenlaufige Schwankung noch eine mitlaufige Schwankung besteht, sondern diese Schwankung mit einer Fluktuation des gesellschaftlichen Gutervorrates ubereinstimmt. Zum SchluB mussen wir noch untersuchen, welcher EinfluB auf die Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva durch den Besitz derjenigen Aktiva ausgeiibt wird, die keinen Teil des gesamten Giitervorrats ausmachen. Auch diese stellen ja, insoweit sie fluktuieren, die Produktionswirtschaft vor das Problem, mit den Mitteln so vorteilhaft wie moglich zu disponieren, um die Entstehung eines Kassenvorrats zu verhindern. Wir konnen sie in zwei Kategorien teilen: Einerseits die Kreditgewahrungen und anderseits die Aufwendungen in Grund und Boden, Effekten, Patenten, sonstigen Monopolrechten usw. Der EinfluB, der durch die notwendig zu gewahrenden Kredite auf die Schwankungen der Aktiva ausgeiibt wird und der oft sehr wesentlich ist, wie uns hinsichtlich der Kreditgewahrung, die der periodischen Bezahlung der Arbeitsleistungen zugrunde liegt, schon klar wurde, laBt sich bequemer im folgenden Paragraphen besprechen; beschranken wir uns also auf die letztgenannte Kategorie. Die in Grund und Boden, Effekten, Monopolrechten usw. angelegten Betrage unterliegen im allgemeinen keinen regelmaBigen Schwankungen, da bei diesen Aktiva meist von einem allmahlichen Verbrauch und einem darauffolgenden Ersatz keine Rede ist. Doch durfen sie nicht ganz vernachlassigt werden, da ja, soweit diese Objekte durch den Betriebsverlauf im Wert sinken und daher abgeschrieben werden mussen — man denke z. B. an Bergwerke und Patente — eine Verminderung des Gesamtbetrages der Aktiva Platz greift. Wir mussen diese Gruppe von Aktiva jedoch stets abgesondert 10*
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betrachten, da fur sie nicht die Pvegeln iiber den Zusammenhang zwischen den Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva bei den verschiedenen Unternehmungen gelten, welche wir fiir die produzierten Sachgiiter aufstellten. Wahrend diese letzteren einen konstanten Betrag darstellen, der sich bei gegebenem Preisniveau nur verandern kann, wenn Erzeugung und Verbrauch sich. gegeneinander verschieben, sind die ersteren willkurlich vermehrbar, da sie nur das kapitalisierte Recht auf einen Teil des kunftigen gesellschaftlichen Einkommens vergegenwartigen. III. Art und Form des Angebotes von Mitteln auf den Kreditmarkt.
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Die Urquelle, woraus beinahe alle Mittel entspringen, welche durch die Unternehmungen im ProduktionsprozeB angelegt werden, ist das Sparen. Die Spartatigkeit, worunter zu verstehen ist, daB weniger verbraucht als produziert wird, geht im allgemeinen so vor sich, daB ein Teil des Einkommens nicht zum Verzehr verwendet, sondern unmittelbar oder mittelbar den Unternehmungen zur Verfugung gestellt wird. Bleibt diese Verwendung des gesparten Betrages aus, dann muB von Horten gesprochen werden. Die Spartatigkeit kann in zeitweilige und dauernde eingeteilt werden. Die zeitweilige geschieht im Hinblick auf einen bestimmten kunftigen Bedarf. Es besteht dabei die Absicht, das Gesparte in einer nicht allzu fernen Zukunft wieder zu verzehren, und die so verfugbar werdenden Mittel konnen daher den Unternehmungen nur vorubergehend iiberlassen werden. Das Dauersparen ist endgiiltiger Verzicht auf Konsum und setzt den Sparer instand, seine Mittel lange Zeit oder sogar standig an die Produktionswirtschaften zu ubertragen. AuBer durch Spartatigkeit konnen die Unternehmungen auch noch durch Geldschopfung Mittel erhalten. Vom Standpunkt des Unternehmers sind die aus dieser Quelle empfangenen Mittel ebenso verwendbar wie die, welche aus der Spartatigkeit entstehen, da sie ihn ja durchaus in die Lage versetzen, sich mehr Giiter zu verschaffen. Sozial gesehen ist es aber klar, daB der Giiterbesitz der samtlichen Unternehmungen durch Geldschopfung, die nicht mit einer verhaltnismaBigen Minderung des Verbrauchs Hand in Hand geht, nicht vergroBert werden kann. Die Zunahme an Kaufkraft wird zu einer Preissteigerung fuhren und die begiinstigte Unternehmung wird sich ein Mehr an Giitern nur sichern konnen, indem sie andere vom Markte verdrangt. Nur in zwei besonderen Fallen wird die Geldschopfung die Unternehmungen instand setzen, ihren gesamten Giiterbesitz zu erweitern, und zwar wenn gleichzeitig gehortet wird oder wenn „erzwungenes Sparen" auf sie folgt. Das Horten bedeutet an sich eine Nachfrageminderung, die zu einer Preissenkung fuhren wird. Diese wird eine Zunahme des Verbrauches der iibrigen Wirtschaftssubjekte zur Folge haben, wodurch das Resultat der vollzogenen Ersparung zunichte gemacht werden wird. Wird nun aber durch Geldschopfung den Produktionswirtschaften ein Kredit in
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der Hohe des gehorteten Betrages gegeben, so wird die Wirkung ganz dieselbe sein, als ob die Sparer selbst ihre Verfugungsmacht den Produzenten iiberlassen hatten. Und diese letzteren werden daher ihren gesamten Giiterbesitz wirklich erweitern konnen. Die durch Geldschopfung ins Leben gerufene Kaufkraft tritt bier an Stelle der dem Verkebr durch Hortung entzogenen. Von praktischer Bedeutung wird diese Erscheinung sein konnen, wenn das voriibergehende Sparen, welches im Hinblick auf den Bedarf der Verbrauchssaison stattfindet, in der Form des Hortens gescbieht, wie haufig der Fall sein wird, weil es den Konsumenten an Gelegenheit mangelt, ihre Ersparnisse fur kurze Zeit dem Produzenten zur Verfugung zu stellen. Die Erscheinung des „erzwungenen Sparens" kann als Folge einer Geldschopfung eintreten. Wenn durch diese letztere der Preis der Giiter und Dienstleistungen nach und nach steigt, entsteht dadurch eine Verschiebung der realen Kaufkraft zugunsten derer, deren Einkommen oder Vermogen friiher oder starker steigt als die Warenpreise und zum Nachteil derjenigen, bei denen das Umgekehrte gescbieht. Soweit diese letzteren Dienste leisten und somit Einkommen erwerben, ist ihr produktiver Beitrag im ProduktionsprozeB groBer als das Realeinkommen, das sie dafiir erhalten. Sie bringen mehr hervor, als sie verzehren und sparen daher, wenn auch nicht freiwillig, so doch notgedrungen. Diese Ersparnisse kommen denen zugute, die zur ersten Gruppe gehoren, bierunter in erster Linie den Unternehmern, welche die Kredite erhalten und dann in der Lage sind, ihren gesamten Giiterbesitz wirklich zu erweitern, ohne daB sie die Giiter anderen Unternehmern wegnehmen miiBten. Die Verfugbarstellung von Mitteln an die Produktionswirtschaften geschieht entweder in Form von Dauerbeteiligung oder in Form von Kreditgewahrung. Im ersten Falle bilden die Mittel das ,,eigene", im zweiten das „fremde" Vermogen der Unternehmungen. Die Kreditgewahrung geschieht stets fur eine begrenzte Zeit und je nach der Lange derselben wird von Langkredit oder Kurzkredit gesprochen, wobei die Dauer eines Jahres als Trennungslinie angenommen werden kann. Die wichtigsten Arten der Gewahrung von Langkredit sind die Obligationenanleihe und die Geldleihe gegen Hypothek oder Schiffshypothek. Die wichtigsten Formen von Kurzkredit sind der Lieferantenund Abnebmerkredit, die Geldmarktkredite •— das sind Diskont-, Eeportund Lombardkredit — und der Bankkredit. Dieser letztere, obwohl formell stets Kurzkredit darstellend, muB tatsachlich oft als langfristiger Kredit betrachtet werden. Diese Formen der Kreditgewahrung unterscheiden sich voneinander auBer durch die Zeit, fur welche die Mittel abgetreten werden, auch noch durch das verschiedene MaB von Sicherheit, das fur die Bezahlung von Kapital und Zinsen seitens der Kreditnehmer gegeben werden muB, ferner durch das verschiedene AusmaB, in welchem fur ihr Zustandekommen die Dienste von Mittelspersonen notig sind, und endlich, als Folge der schon genannten Umstande, durch den Unterschied der Kosten, die sie verursachen.
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Im allgemeinen wird unter sonst gleichen Umstanden eine Tendenz zu niedrigerem ZinsfuB bestehen, wenn die Kreditgewahrung fur einen kurzeren Zeitraum erfolgt. DaB dies infolge von Rentabilitats- und Liquiditatserwagungen eine notwendige Folge der Beschaffenheit der Kreditnachfrage und des Kreditangebotes ist, wird von DE JONGH klar gezeigt. 1 Ebenso wird der Zins niedriger sein, wenn die von den Unternehmungen gegebene Sicherheit groBer ist. Der Bedarf nach den Diensten von Mittelspersonen laBt eine Marge zwischen dem von den Kreditnehmern bezahlten und dem vom letzten Kreditgeber empfangenen Zins entstehen. J e starker dieser Bedarf, desto hoher wird der bezahlte und desto niedriger der empfangene Zins sein. Da dieser Bedarf nun im allgemeinen bei kurzfristiger Kreditgewahrung groBer ist als bei langfristiger, wird der erstere fur die Kreditnehmer verhaltnismaBig teurer als der letztere, wodurch der Vorteil des niedrigeren ZinsfuBes beim Kurzkredit mehr oder minder aufgehoben wird. Infolge der gesamten Wirkung aller dieser Faktoren gibt es eine bestimmte normale Relation zwischen den Kosten der verschiedenen Kreditarten. Der wohlfeilste ist der kurze Geldmarkt- und der lange Hypothekarkredit, die aber beide fiir viele Unternehmungen nicht oder nur in geringem Umfang zu erhalten sind, da diese den hohen Anforderungen an Sicherstellung nicht Geniige leisten konnen. Der teuerste ist dagegen der Bankkredit, dessen Gewahrung nicht nur durch eine Mittelsperson erfolgt — wenigstens soweit wir von der Geldschopfung absehen —, sondern bei welchem auBerdem die zu stellende Sicherheit geringer ist. Es ist auf Grund dieser Kostenverhaltnisse klar, auf welche Weise die Unternehmungen trachten werden, fiir ihren Vermogensbedarf vorzusorgen. Der Bedarf nach Dauervermogen oder Langvermogen — d. h. also Vermogen, welches standig oder fiir lange Zeit verfiigbar bleibt •— wird, soweit die eigenen Mittel dazu nicht ausreichen, durch langfristigen, eventuell hypothekarisch gesicherten Kredit gedeckt werden. Haufig wird sich dies aber als unmoglich herausstellen. Urn diese Kreditformen in Anspruch nehmen zu konnen, wird die Unternehmung ja bestimmten Anforderungen hinsichtlich ihrer GroBe und Stabilitat geniigen miissen.2 Kann sie das nicht, dann wird der langfristige Bedarf durch Kurzkredit gedeckt werden miissen, der dann jedesmal verlangert werden muB. Der voriibergehende Vermogensbedarf wird vorzugsweise durch Kurzkredit gedeckt werden, was aber ziemlich teuer sein wird, wenn Bankkredit beniitzt werden muB. Haufig so teuer, daB es vorteilhaft sein kann, einen Teil des Bedarfs durch Langkredit zu deeken, obwohl dadurch wahrend einer gewissen Zeit ein UberschuB an Mitteln entsteht. Inwieweit dies vorteilhafter sein wird, hangt von der Marge zwischen dem Zins fiir langfristigen und kurzfristigen Kredit, von der Zeit, wahrend der der voriibergehende Bedarf besteht und von dem Erlos ab, der entsteht, wenn der zeitweilige UberschuB an andere ausgeliehen wird. 3 1 B. H. DE JONGH, Beschouwingen over eenige effecten- en credietvofmen in hun beteekenis voor de financiering der onderneming, 's Gravenhage 1922, S. 110. 2
3
Siehe DE JONGH, 1. c. S. 48.
POLAK spricht hier von einem ,,Kapitaloptimum", d. i. ,,der Teil des voriiber-
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Das Angebot an Mitteln wiirde aber einer derartig zusammengesetzten Nachfrage nicht entsprechen konnen, wenn nur die voriibergehenden Ersparnisse fiir kurze Frist, die Dauerersparnisse ausschlieBlich fur lange Frist und die aus der GeldschQpfung erhaltenen Mittel fiir einen Termin angeboten wurden, der vom Willen des Geldschopfers abhangig ist. Derm, wenn auch die Gesamtheit der Dauerersparnisse wohl ungefahr mit dem gesamten konstanten Vermogensbedarf alter Produktionswirtschaften ubereinstimmen wird, so haben wir schon vorher gesehen, daB dieser letztere teilweise aus aufeinanderfolgenden, zeitweiligen Vermogensbediirfnissen der einzelnen Produktionswirtschaften bestehen wird. Ein Teil des konstanten Vermogens der Volkswirtschaft wird also auf dem Markt fiir kurzfristige Kredite angeboten werden miissen. Das wird auch in der Tat geschehen, und zwar in erster Linie seitens der soeben genannten Unternehmungen, die ihren voriibergehenden Vermogensbedarf zum Teil durch Langkredit decken und den UberschuB auf dem Kreditmarkt anbieten. In zweiter Linie durch einen Teil der Sparer, die sich noch nicht entschieden haben, auf welche Weise sie ihre Ersparnisse standig verwenden wollen und die, solange ihre Entscheidung noch in der Schwebe ist, dieselben kurzfristig abtreten. Und endlich seitens der Banken, die das Gleichgewicht auf dem Kreditmarkt dadurch aufrechterhalten werden, daB sie, je nachdem die Umstande dies erfordern, einen Teil des ihnen abgetretenen Dauervermogens kurzfristig ausleihen oder auch umgekehrt die ihnen vorubergehend uberlassenen Mittel fiir formell kurze, aber tatsachlich lange Frist an die Unternehmungen weitergeben.
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IV. Die Bedeutung der verschiedenen Kreditformen fur die Anpassung des Vermogens an den wechselnden Bedarf. Wenn wir jetzt untersuchen, welche Bedeutung die verschiedenen Kreditformen fiir die Bestrebung der Produktionswirtschaften haben, ihr Vermogen den fortwahrenden Schwankungen im Gesamtbetrag ihrer Aktiva anzupassen, miissen wir drei Fragen unterscheiden: Die wichtigste, die unser Hauptproblem darstellt, ist die, in welchem AusmaB die verschiedenen Kreditformen sich zu einer direkten Anpassung der Mittel an diese Schwankungen eignen. Sodann miissen wir uns fragen, inwieweit die Schwankungen der Aktiva selbst durch die Kreditgewahrung beeinfluBt werden, welche einen Teil der notwendigen Vermogensverwendungen bilden, und schlieBlich muB untersucht werden, inwieweit es moglich sein wird, eventuelle zeitweilige Uberschiisse auBerhalb des Betriebs rentabel anzulegen. Soweit die Finanzierung mit eigenem Vermogen bewerkstelligt wird, kann von einer direkten Anpassung an die Schwankungen der Aktiva keine Rede sein. Die erhaltenen Mittel bleiben fiir die ganze Lebensdauer der Unternehmung zu ihrer Verfiigung. Wird ausschlieBlich mit eigenem gehenden Betriebskapitalsbedarfs, dessen Deckung durch kurzfristigen Kredit schatzungsweise teurer sein wird als durch langfristigen Kredit". (Siehe POLAK, 1. c. S. 116.)
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Vermogen finanziert, dann wird die Bereitstellung von Vermogen dem maximalen Bedarf angepaBt sein miissen, so daB in alien anderen Zeitpunkten ein UberschuB wird entstehen miissen, der als Kassenvorrat verfugbar ist, es sei denn, daB eine besondere Verwendung dafiir ausfindig gemacht wird. Von den Formen, in denen das langfristige Fremdvermogen verschafft wird, sind die Hypothek und die Schiffshypothek naturgemaB am besten geeignet zur Finanzierung von unbeweglichen Giitern und Schiffen. Ein gewisses MaB von Anpassung an das allmahliche Freiwerden der in diesen Objekten festgelegten Mittel ist durch eine allmahliche Tilgung sehr wohl zu erreichen. In noch weiterem MaBe ist dies der Fall bei der Begebung von Obligationen, die ganz besonders das Finanzierungsmittel fur groBe Komplexe dauerhafter Produktionsmittel bildet, da es leicht ist, die Bedingungen fur die Tilgung so zu regeln, daB diese letztere mit dem Verbrauch der beschafften Kapitalguter parallel lauft. Auf diese Weise kann ein langdauerndes Brachliegen von Vermogen vermieden werden. Da aber die Tilgung der Obligationen hochstens ein- oder zweimal im Jahr stattfinden kann, wa.hrend die Mittel meistens mehr kontinuierlich frei werden, wird innerhalb der Jahresperiode ein langsames Anschwellen uberflussiger Mittel bis zum Augenblick der Tilgung stets fuhlbar sein. In Europa wird dieser Zusammenhang zwischen Tilgung und Wertverminderung sehr oft hergestellt. Wenn aber wie in Amerika 1 die Gepflogenheit besteht, die ausgegebenen Obligationen auf einmal zu tilgen, ist jede Anpassung des Langkredits an den fluktuierenden Bedarf unmoglich. In diesem Falle wird meist zur Errichtung eines ,,sinking fund" ubergegangen werden, wodurch die Anlage uberflussiger Mittel auBerhalb des Betriebes notwendig gemacht wird. Ein wichtigeres Mittel, um tJbereinstimmung zwischen dem Gesamtbetrag der Aktiva und dem der Mittel herzustellen, ist der kurzfristige Kredit. Wir sahen schon im § 2, daB die meisten Schwankungen sich innerhalb der Periode eines Jahres abspielen, so daB der daraus hervorgehende voriibergehende Vermogensbedarf auch nur durch Kurzkredit gedeckt werden kann. Untersuchen wir zuerst, welche Bedeutung in dieser Hinsicht der Lieferanten- und Abnehmerkredit haben. Unter dem Erstgenannten ist zu verstehen, daB einer Unternehmung durch ihren Lieferanten Mittel in der Form beigestellt werden, daB er ihr Aufschub fur Bezahlung der gelieferten Waren gewahrt. Der Abnehmerkredit ist die Beistellung von Mitteln durch die Abnehmer in Gestalt von Vorauszahlung auf die zu liefernden Giiter. Der Lieferantenlcr edit wird auf verschiedene Weisen gewahrt, die in Hinsicht auf unser Problem verschiedene Bedeutung haben. Die einfachste Form ist die, bei der die Barzahlung durch eine Zahlung ersetzt wird, die einige Zeit nach der Lieferung erfolgt. I n diesem Falle bleibt die Einheit der Lieferung und die der Bezahlung gleich groB. Dem ist nicht so, wenn auf Rechnung geliefert wird. Der Abnehmer wird dann 1
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fur die aufeinanderfolgenden Warenlieferungen belastet und die Rechnung wird von ihm periodisch bezahlt, so da8 die Bezahlungseinheit groBer ist als die Lieferungseinheit. Man denke z. B. an den Kredit, den Detailhandler ihren Kunden gewahren. SchlieBlich miissen wir noch eine dritte Form unterscheiden, bei der die Lieferungseinheit groBer ist als die Zahlungseinheit, namlich den Abzahlungskredit. Richten wir unsere Aufmerksamkeit zunachst auf die erstgenannte Form. Im allgemeinen ist diese mehr ein Mittel, um einen standigen Vermogensbedarf zu decken, als einen zeitweiligen. Denn soweit eineUnternehmung von einem Gut, welches sie benotigt, einen Minimalvorrat besitzt, was sehr haufig der Fall sein wird, kann sie die Last der Finanzierung dieses Vorrates mehr oder weniger auf den Lieferanten abwalzen, wenn sie Kredit fur eine Frist bekommt, die mindestens ebenso lang ist wie der Zeitverlauf zwisehen zwei aufeinanderfolgenden Bestellungen. I n diesem Falle wird ja stets ein Teil ihres Vorrates unbezahlt sein und je nachdem die Kreditfrist kiirzer, gleich lang oder langer ist als die durchschnittliche Vorratsdauer der betreffenden Giiter, erhalt sie standig einen Teil, das Ganze oder selbst mehr als das Ganze der Mittel, die sie fur die Finanzierung dieses Vorrates braucht. Von einer Versorgung vorubergehenden Vermogensbedarfes kann hochstens insoweit die Rede sein, als der Vorrat selbst Schwankungen unterworfen ist. Aber selbst dann wird, wie wir sehen werden, der Lieferantenkredit nur ausnahmsweise zu einer besseren Angleichung von Aufwendungen und Mitteln fiihren. Die Schwankung des Vorrates kann dreierlei Ursachen haben. Es ist moglich, daB der Absatz auf eine bestimmte Periode konzentriert ist, wahrend die Beschaffung kontinuierlich geschieht, oder daB ein kontinuierlicher Absatz mit einer periodischen Beschaffung Hand in Hand geht, oder endlich, daB sowohl der eine wie die andere periodisch erfolgt. Im ersten Fall kann der Lieferantenkredit nie etwas anderes bedeuten als eine einfache standige Beschaffung von fremden Mitteln. Die Fluktuation im Vermogensbedarf wird ja durch das ungleichmaBige Freiwerden der Mittel verursacht und hieran wird durch den Kredit nichts geandert. Aber auch die Reihe der Aufwendungen geht wie gewohnlich weiter, nur betrifft jede Zahlung jetzt nicht das letzte gelieferte Giiterquantum, sondern eine fruhere Lieferung. Das Ergebnis ist nur, daB der Kreditnehmer dem Kreditgeber einen festen Betrag schuldig bleibt in der Hohe seiner Ankaufe wahrend der Kreditfrist. Im zweiten Fall wird etwas anderes eintreten. Hier sind es die Anschaffungen, die die Schwankung verursachen, der Absatz geschieht kontinuierlich. Infolgedessen wird durch einen Lieferantenkredit von drei Monaten die Spitze des Vermogensbedarfs um drei Monate verschoben werden. Die Fluktuation der Aufwendungen kommt ja jetzt drei Monate nach der des Vorrates. Betrachten wir also diesen Fall an und fiir sich, so wird auch hier keine bessere Anpassung erzielt. Wenn aber infolge anderer Ursachen auch schon im Augenblick des Vorratsmaximums ein besonders groBer Vermogensbedarf besteht, was z. B. bei Saisonindustrien
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sehr wohl moglich ist, dann wird durch diese Verschiebung eine Haufung voriibergehenden Bedarfes hintangehalten und eine Finanzierung des Vorrates mit Mitteln, die inzwischen aus anderen Investitionen frei wurden, ermoglicht. I n diesem Fall kann also doch eine bessere Anpassung erreicbt werden. Ein gewisser Vorteil ist zu erzielen, wenn sowohl Einkauf wie Verkauf unregelmaBig vonstatten gehen. Es ist klar, daB dann die Haufung der Einkaufe derjenigen der Verkaufe vorangehen muB, was zu einer soharfen Spitze im Vermogensbedarf fiihren kann. Durch den Lieferantenkredit kann jetzt erreicht werden, daB der Aufwendung das Freiwerden der Mittel unmittelbar nachfolgt. Der voriibergehende Vermogensbedarf kann dadurch stark verringert werden. 1 Namentlich wird es in diesen Fallen haufig vorkommen, daB Lieferantenkredit ausschlieBlich aus Griinden der Finanzierung zustande kommt, wie dies bei zahlreichen Saisonindustrien beobachtet werden kann. 2 Wir diirfen aber nicht vergessen, zu untersuchen, welchen EinfluB der Lieferantenkredit auf den Kreditgeber haben wird. Es ist ja nicht unmoglich, daB bei ihm die Finanzierungsverhaltnisse ungiinstiger statt giinstiger werden und daB auf diese Weise ein eventueller Vorteil zunichte gemacht wird. Diese Frage fallt zusammen mit derjenigen nach der Bedeutung, welche die im regelmaBigen Betriebsgang notwendig zu gewahrenden Kredite fiir die Fluktuationen der Aktiva haben. Es ist nach dem Vorhergehenden nicht schwer, in dieser Hinsicht, soweit die in Rede stehende Form des Lieferantenkredits in Frage kommt, zu den folgenden SchluBfolgerungen zu gelangen. Der gegebene Kredit hat stets zur Folge, daB die Mittel eine bestimmte Zeit spiiter frei werden als sonst der Fall gewesen ware. Wenn nun beim Kreditgeber die Verkaufe kontinuierlich vor sich gehen, bedeutet der Kredit fiir ihn stets eine standige Weitergabe von Mitteln an seine Abnehmer, sowohl wenn seine eigenen Anschaffungen regelmaBig wie auch wenn sie unregelmaBig stattfinden, d. h. sowohl wenn sein Vorrat konstant ist wie auch wenn er schwankt. Wenn beim Kreditgeber die Verkaufe diskontinuierlich stattfinden, miissen wir unterscheiden, ob diese mit regelmaBigen oder unregelmaBigen Einkaufen Hand in Hand gehen. Im ersten Fall bedeutet der gegebene Kredit nicht nur eine Vermehrung des standigen Vermogensbedarf es, sondern auch eine Verschiebung der Spitze des zeitweiligen Bedarfes, da ja das Freiwerden der Mittel sich auf eine spatere Saison konzentriert. Im letzten Fall wird die Gewahrung von Lieferantenkredit die Gelegenheit bieten, die Fluktuation des Vermogensbedarfs stark zu verringern, da 1 Es ist klar, daB die hier gewahlten Beispiele als Typen betrachtet werden miissen. Praktisch kommt weder ein kontinuierlicher Aufwand noch ein kontinuierliches Freiwerden vor und mehr oder weniger werden alle Falle der Praxis die Kennzeichen des dritten Beispiels aulweisen. Nimmt man aber eine langere Periode zur Grundlage seiner Betrachtung, so treten haufig die Merkmale von Beispiel 1 und 2 mehr in den Vordergrund. So wird z. B. eine monatliche Aufiiillung eines Vorrates in bezug aul Monatsschwankungen als ein unregelmaCiger, in bezug auf Jahresschwankungen als ein regelmaBiger Aufwand angesehen werden konnen. 2
Siehe POLAK, 1. c. S. 145.
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die freiwerdenden Mittel, die zur Auffiillung des Vorrates noch nicht notig sind und daher sonst brach liegen bleiben wiirden, jetzt vorlaufig in Verwendung bleiben konnen. Unsere SchluBfolgerung kann also sein, da8 die Gewahrung von Lieferantenkredit in der in Rede stehenden Form im allgemeinen keinen ungunstigen EinfluB auf das Verhaltnis zwischen Aufwendungen und Mitteln haben wird, sondern im Gegenteil oft einen giinstigen. 1 Geht dies letztere Hand in Hand mit einer gleichfalls giinstigen Wirkung bei den Abnehmern, dann wird, wie sich von selbst versteht, die Tendenz zur Entstehung dieser Kreditform noch verstarkt werden. Wir sind im vorhergehenden stillschweigend von der Hypothese ausgegangen, daB der Lieferantenkredit entweder gar nieht oder f ortwahrend gewabrt wird, nicbt aber fallweise. Ware dies letztere der Fall, dann wiirde doch eine bessere Anpassung erreicht werden konnen, indem nur dann vom Kredit Gebrauch gemacht wiirde, wenn der voriibergehende Vermogensbedarf dazu drangte. Diese Moglichkeit brauchen wir aber im allgemeinen nicht in Rechnung zu stellen; der Lieferant wird meist nicht geneigt sein, seinem Abnehmer einmal Kredit zu gewahren und dann wieder nicht, wahrend andererseits der Abnehmer nicht leicht die Gelegenheit voriibergehen lassen wird, durch diesen billigen Kredit fur einen Teil seines standigen Vermogensbedarfs vorzusorgen. Die zweite Form des Lieferantenkredits, die Lieferung auf Rechnung, ist fur die Anpassung der Mittel an den Gesamtbetrag der Aktiva im allgemeinen nicht f orderlich, da sie die UnregelmaBigkeit in der Aufwendung und dem Freiwerden der Mittel groBer macht, als sie auf Grund der Giiterbewegung selbst ware. Wenn z. B. eine Fabrik mit kontinuierlichem Absatz einen taglichen Rohstoffeingang hat, der aber nur monatlich bezahlt wird, so hat dies auf die Finanzierung denselben EinfluB, als ob der Vorrat wirklich nur monatlich aufgefullt wiirde und somit im Laufe des Monats allmahlich von einem Maximum zu einem Minimum fluktuierte. Die Folge wiirde ein voriibergehendes Brachliegen von Mitteln sein, das bei Barzahlung nicht vorgekommen ware. I n vielen Fallen sehen wir aber, daB die periodische Bezahlung gerade an eine schon bestehende Periodizitat von Einnahmen und Ausgaben anschlieBt. Das ist z. B. der Fall, wenn Detaillisten einmal wochentlich oder einmal monatlich mit ihren Abnehmern abrechnen; diese letzteren konnen dann die gekauften Waren auf einmal aus ihrem periodisch eingeflossenen Einkommen bezahien. Augenscheinlich sichert in diesem Fall der Lieferantenkredit eine bessere Anpassung; es wird iiberfliissig, einen Teil des Einkommens unverwendet in der Kasse liegen zu lassen. 1 Es ist nicht tunlich, alle Moglichkeiten auszuarbeiten. Ein ungunstiger EinfluB ist z. B. denkbar, wenn die Verlagerung der Spitze diese gerade auf einen Zeitpunkt riickt, wo auch infolge anderer Ursachen ein zeitweiliger Vermogensbedarf besteht, oder, im letztgenannten Falle, wenn der Kredit fur eine lange Zeit gegeben wird, so daB der Augenblick des Freiwerdens der Mittel wieder hinter dem des Aufwandes zu liegen kommt. Praktisch werden diese Falle sich wohl nicht ereignen, da ja dann die Lieferanten an der Gewahrung dieses Kredits kein Interesse haben.
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meint denn auch, daB „Buchkredit" die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes vergroBert. Tatsachlich wird aber liier gar kein Vorteil erzielt; anstatt beim Abnehmer wird das Geld beim Lieferanten oder sonstwo brachliegen. Die Ursache ist, daB die verschiedenen periodischen Zahlungen nielit synchronisiert werden, sondern alle fast im selben Augenblick stattfinden, wodurch das Freiwerden der Mittel bei den Lieferanten nicht kontinuierlich, sondern diskontinuierlich stattfinden wird. Soil doch eine bessere Anpassung bei den Verbrauchern erreicht werden, so werden diese ihre Rechnungen unmittelbar nach Empfangnahme ihrer Einkommen bezahlen miissen. Da aber die Auszahlungstage der Einkommen durch Gewohnheit auf den letzten der Woche und des Monats festgelegt sind, ist das fur alle derselbe Zeitpunkt und die Rechnungen der Detailhandler werden nicht mehr allmahlich, sondern stoBweise bezahlt werden. Dies wird, vorbehaltlich zufalliger Umstande, zur Folge haben, daB bei ihnen der Vermogensbedarf ungleichmaBiger wird und das Brachliegen von Geld zunimmt. Nur wenn die Auszahlung der Einkommen nicht auf bestimmte Tage festgelegt ware und jeden Tag ein gleich holier Betrag an Einkommen einstromte, wiirde die Lage sich andern. Dann wiirde auch im Fall der Lieferung auf Rechnung der Strom der Einkimfte beim Detaillisten kontinuierlich verlaufen, da jeder seine Rechnung an einem anderen Tag bezahlen wiirde. Die Kreditgewahrung hatte hinsichtlich seines voriibergehenden Vermogensbedarfes nichts verandert und die bessere Anpassung von Aufwendungen und Mitteln beim Verbraucher wiirde nicht durch eine geringere Anpassung an anderer Stelle aufgehoben werden. Wir sehen also, daB auch durch diese Form von Lieferantenkredit ein solches Resultat im Prinzip wohl erzielt werden kann; haufig wird dies jedoch nicht vorkommen. Dagegen geht von ihm in einem hochst wichtigen Fall geradezu eine sehr ungiinstige Wirkung aus, und zwar bei der periodischen Bezahlung der Dienstleistungen, welche ein typisches Beispiel dieser Kreditform ist. Der Verkaufer der Dienste leistet diese kontinuierlich, erhalt aber Zahlung erst nach Verlauf einer bestimmten Zeit. Es ist klar genug, in welch grofiem MaBe durch diese Tatsache eine kiinsthche Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva zustande gebracht wird, die nicht im Giiterumlauf ihre Ursache hat. Hierin liegt sogar eine der hauptsachlichsten XJrsachen, die iiberall zur Bildung von Kasseniiberschussen AnlaB gibt. Diese Form von Lieferantenkredit fuhrt also eher zu einer groBeren Abweichung als zu einer vermehrten Ubereinstimmung zwischen der Summe der Aktiva und dem Gesamtbetrag der Mittel und hat somit eine ungiinstige Wirkung auf die Umlaufsgeschwindigkeit. Untersuchen wir zum SchluB die Bedeutung des Abzahlungskredits, der sich in den letzten Jahren so stark verbreitet hat. Dieser Kredit wird vor allem Konsumenten und nicht kapitalstarken Produzenten zum Ankauf dauerhafter Gebrauchsgiiter oder von Produktionsmitteln gewahrt.
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F I S H E R , 1. c. S. 81.
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Es ist klar, da8 hier fur den Kreditnehmer eine betrachtliche Ausgleichung seines voriibergehenden Vermogensbedarfes eintritt und wir konnen sogar sagen, da6 diese besondere Form von Lieferantenkredit ihr Entstehen dem Streben verdankt, die Schwierigkeit der Finanzierung einer scharfen Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva zu beseitigen. Grundsatzlich findet ja bei der Anschaffung dauerhafter Produktionsmittel oder Verbrauchsgiiter dasselbe statt wie im letztbesprochenen Beispiel des normalen Lieferantenkredits, namlich eine Haufung von Aufwendungen, der ein allmahlieh.es Wiederfreiwerden der Mittel folgt. Kann nun die Bezahlung bis zum volligen oder teilweisen Ereiwerden aufgeschoben werden, so wird die Spitze des Vermogensbedarfes eingedriickt werden. Eine Folge davon ist, daB z. B. der Anschaffung dauerhafter Gebrauchsguter nicht mehr eine Anhaufung zweckgebundener Ersparnisse vorauszugehen braucht. Auf der anderen Seite wird beim Kreditgeber nur eine permanente und keine voriibergehende Steigerung des Vermogensbedarfes eintreten, da dieser Kredit so vielen Personen hintereinander verliehen wird, daB der Gesamtbetrag der ausstehenden Eorderungen eine Konstante werden wird. Der Abzahlungskredit wird also die Anpassung von Aufwendungen und Mitteln und dadurch auch die Umlaufsgeschwindigkeit in groBem MaBstabe befordern. Weit mehr als der Lieferantenkredit ist der Abnehmerkredit ein Mittel zur ausschlieBlichen Einanzierung eines voriibergehenden Vermogensbedarfes. Diese Kreditform kommt namlich aus zwei Ursachen vor, in erster Linie aus dem Uberwiegen des Strebens der Kaufer, sich ihre Rohstoffe zu sichern, iiber dasjenige der Verkaufer, ihren Absatz anzuregen, und in zweiter Linie aus der Moglichkeit, giinstige Finanzierungsverhaltnisse herzustellen. Da dies letztere nur der Eall sein kann, so weit von Vorsorge fur voriibergehenden Vermogensbedarf die Rede ist und die erste Ursache ausschlieBlich im Eall der Ernteprodukte wirksam ist, bei denen der Zeitverlauf zwischen zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen gewohnlich ein Jahr betragt und daher zu lang ist, um durch die Kreditfrist uberbriickt zu werden, wird beim Abnehmerkredit von der Entstehung einer standigen Kreditgewahrung wohl nie die Rede sein konnen. Aus welcher Ursache er auch entspringt, stets wird der Abnehmerkredit die Anpassung der Mittel an den fluktuierenden Bedarf fdrdern. I n der Landwirtschaft z. B. finden wir einen fortwahrend steigenden Vermogensbedarf bis zum Augenblick, wo die Ernte abgesetzt wird, umgekehrt sowohl in der Verarbeitungsindustrie wie im Handel einen Vermogensbedarf, der mit der Ubernahme der Ernte sein Maximum erreicht, um sodann allmahlich abzunehmen. Der Maximalbedarf des Verkaufers fallt zusammen mit dem Minimalbedarf des Abnehmers und nichts liegt naher, als daB diese Spitzen durch eine Kreditgewahrung des Abnehmers an seinen Lieferanten in Form einer Vorausbezahlung der zu liefernden Waren eingeebnet werden. Ein Vorgang, der denn auch allgemein vorkommt.
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Es gibt aber auch noch andere Falle, in denen auf dieselbe Weise ein maximaler Vermogensbedarf beim Lieferanten mit einem VermogensuberschuB beim Abnehmer zusammenfallt. Und zwar bei der Ausfuhrung groBer Arbeiten, wie beim Bau von Schiffen und Hausern. Wenn der Betrieb des Lieferanten nicht so groB ist, daB er verschiedene Bestellungen synchronisieren kann — und das wird selten der Pall sein •—•, wiirde bei Barzahlung der Bedarf an Mitteln bei der Ausfiihrung der Arbeit fortdauernd steigen, bis zu einem Maximum im Augenblick der Ablieferung. Da nun in vielen Fallen der Abnehmer schon iriiher die Mittel, die er in einiger Zeit wird aufwenden miissen, ganz oder zum Teil verfiigbar liaben wird, so wird auch hier der Abnehmerkredit in groBem MaBe zur Vorsorge fur voriibergehenden Vermogensbedarf und zur Verwendung zeitweiliger Vermogensiiberschiisse dienen konnen. 1 Wie weit die ubrigen Kreditf ormen Gelegenheit bieten, einen voriibergehenden Bedarf an Mitteln zu befriedigen und daher also beschleunigend auf die Umlaufsgesehwindigkeit zu wirken, ist unschwer zu uberblicken. Die Geldmarktkredite stehen jederzeit den Unternehmungen zur Verfiigung, die im Besitz belehnungsfahiger Waren oder Effekten oder diskontfahiger Wechsel sind. Hinsichtlich der Belehnung und zum Teil auch hinsichtlich des Reports besteht dabei die Schwierigkeit, daB sie nur fiir ganze Monate vorgenommen werden konnen und daher nicht fiir die Pinanzierung von Fluktuationen verwendbar sind, die innerhalb der Zeit eines Monates stattfinden. Fiir Unternehmungen, die einen sehr unregelmaBigen Vermogensbedarf haben — und haufig besitzen gerade diese belehnbare Waren, man denke an den GroBhandel —, ist dies sehr hinderlich, was zur Folge hat, daB diese Belehnungstransaktionen meist in der Form von laufenden Krediten mit besonderer pfandmaBiger Deckung abgeschlossen werden. 2 Der Diskont von Wechseln gibt insbesondere die Gelegenheit, die Last des gewiihrten Lieferantenkredits auf den Geldmarkt abzuwalzen. Dabei ist es ein besonderer Vorteil, daB eine Anpassung an einen voriibergehend geringeren Vermogensbedarf leicht dadurch erhalten werden kann, daB die Wechsel ganz oder zum Teil im eigenen Portefeuille gehalten werden. Fiir die Nutzbarmachung voriibergehender Uberschiisse kommt vor allem die Anlage von Geld auf Report in Betracht, wobei aber wieder die Schwierigkeit besteht, daB dies nur fiir ganze Monate geschehen kann. Eine so gut wie vollkommene Anpassung der Vorsorge mit Mitteln an den wechselnden Bedarf ist durch den Bankkredit erreichbar, wenigstens soweit sich noch kein Giroverkehr entwickelt hat und die Bankguthaben somit noch nicht selbst den Charakter von Kaufmitteln, d. h. von Geld, erhalten haben. Durch den Bankkredit in seiner wichtigsten Form, den Kontokorrentkredit, werden die Unternehmungen instand gesetzt, sich gerade die Menge von Mitteln zu beschaffen, die sie in jedem Augenblick in ihrem Betrieb notig haben. Der Kontokorrentschuldner, 1 2
Siehe POLAK, 1. c. S. 119f. Siehe POLAK, 1. c. S. 148.
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dem von der Bank eine bestimmte Dispositionsbefugnis eingeraumt wurde, wird gemaB der auf dem Kontinent angewendeten Buchungsmethode nur fur den Betrag belastet, der von ihm in Anspruch genommen wird, so daB er Zins nur zu bezahlen braucht, soweit er von dem eingeraumten Kredit Gebrauch macht. Wenn also eine Unternehmung ihren ganzen variablen Vermogensbedarf durch Bankkredit deckt, wird sie nie einen Zinsenverlust durch einen UberschuB an Barmitteln erleiden und in dieser Hinsicht tatsachlich das Optimum erreicht haben. tjberdies verschafft die Bank den Unternehmungen die Moglichkeit, jeden UberschuB an Barmitteln, fur wie kurze Zeit dieser auch verfugbar sein mag, mehr oder weniger rentabel anzulegen, sei es in der Form der Einlage, sei es in der des Saldos in laufender Rechnung. Aus diesen letzteren erhalt zufolge der klassischen Lehre 1 die Depositenbank die Verfugungsmacht, die sie in Gestalt kurzfristiger Kredite wieder anderen abtritt. Sie tritt als Vermittler auf zwischen denjenigen, die voriibergehend einen UberschuB, und denjenigen, die voriibergehend einen Mangel an Mitteln haben, und ihre Kreditgewahrung hat genau dieselbe Bedeutung wie die, welehe zwischen Parteien direkt oder durch Vermittlung des Geldmarkts zustande kommt. I n einer Hinsicht vermag die Bank aber mehr, als ohne ihre Vermittlung geleistet werden kann. Auf dem Geldmarkt konnen nur diejenigen Uberschusse anderen Personen iibertragen werden, die fiir eine geraume Zeit, z. B. mindestens fiir einen Monat, verfugbar sind. Die Bank dagegen erhalt auch Gelder als Einlage, die taglich wieder abgerufen werden konnen, und auch von diesen wird sie einen Teil zur Kreditgewahrung verwenden konnen, da sie aus Erfahrung weiB, daB der Abruf tatsachlich nur in geringem MaBe eintreten wird, und sie ihm vollstandig wird entsprechen konnen, wenn sie einen Teil der abgetretenen Gelder fiir diesen Zweck in Reserve halt. Wird dieses Depositensystem, bei welchem also von Bezahlung durch Uberweisung noch keine Rede ist, voll angewendet, so kann dadurch eine nahezu vollstandige Angleichung der Mittel an die Schwankungen in der Summe der Aktiva erzielt werden. Der durchschnittliche KasseniiberschuB wird zu einer GroBe sinken konnen, die vernachlassigt werden kann und die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes daher zu einem Maximum ansteigen konnen, das seine Grenze nur in der Technik des Zahlungsverkehrs findet. 2 Wenn jede Produktionswirtschaft jeglichen Geldbetrag, den sie erhalt, sogleich bei der Bank deponiert und umgekehrt jeden von ihr zu bezahlenden Betrag erst unmittelbar vor der Bezahlung aus der Bank herausnimmt, wird die Riickforderung von Einlagen nie den Betrag der an einem Tag zu entrichtenden Zahlungen uberschreiten. Wenn einige Unternehmungen einen Teil ihrer Bezahlungen noch mit Geldern leisten, 1 2
Siehe SCHULZE-GAEVERNITZ, Die deutsche Kreditbank, Tubingen 1922, S. 46ff. HANS NEISSER, Der Kreislauf des Geldes, WeltwirtschaJtl. Arch. 33 (1931, I), S. 367, spricht in diesem Zusammenhang von der ,,technischen Dauer eines okonomischen Umsatzes" als einem der die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmenden Faktoren.
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die sie an demselben Tag erhalten haben, wird der Gesamtbetrag der zuriickgezogenen Einlagen sogar kleiner sein konnen als der Gesamtbetrag der Zahlungen an diesem Tag. Umgekehrt wird er groBer sein, wenn Geld iiber groBere Entfernungen verschickt und daher die Einlage schon einige Tage vor dem Zahlungstag der Bank entnommen werden muB. Die Geldreserve, die von den Banken gehalten werden muB, wird nur gerade so groB sein rmissen, daB die Bank dem Maximum der taglichen Geldriickforderungen genugen kann. Die Gelder, die des Morgens von denjenigen, die Zahlungen zu leisten haben, aus der Bank entnommen wurden, werden mittags aus der Hand derer, die Bezahlungen erhielten, wieder zu ihr zuriickkehren. Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird dann durch das Verhaltnis zwischen dem gesamten Umsatz und der Bankreserve gemessen, welch letztere die gesamte Geldmenge darstellt. Das Bankwesen hat sich aber in ganz anderer Bichtung entwickelt. Infolge der Entstehung des Giroverkehrs ist es nicht mehr notig, daB fur die Leistung von Zahlungen Geld aus den Banken genommen wird, es konnen vielmehr die Bankguthaben selbst direkt als Zahlungsmittel gebraucht werden. Die Kontokorrentsaldi und die Einlagen, auf welche Schecks gezogen werden konnen, haben vollig den Charakter von Geld angenommen. Sie sind zu allgemein angewendeten Kaufmitteln geworden. Durch diese Neuerung hat auch das Wesen der Banken eine Veranderung erfahren. Waren diese bisher nur geldiibertragende Institute, die dazu beitrugen, die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes soviel wie moglich zu vergroBern, so werden sie jetzt zu geldschaffenden Anstalten, was am deutlichsten zutage tritt, wenn wir das neue System bis zu seiner auBersten Konsequenz angewendet denken. In diesem Falle werden alle Zahlungen durch Uberweisung geleistet, das Bargeld ist aus dem Verkehr verschwunden und damit ist auch die Reserve der Banken iiberflussig geworden, da ja Ruckforderungen von Depositen, d. h. Umwechslung von giralem in bares Geld nicht mehr vorkommen kann. Die Kreditkapazitat der Banken, wenn wir diese als eine homogen handelnde Gruppe betrachten, wird dann nicht mehr durch die Menge der Einlagen beschrankt, die bei ihr eingezahlt wurden, sondern ist vollkommen unbegrenzt. Nicht die Einlage, sondern der Kredit ist primar und das Bankguthaben kommt erst durch Kreditgewahrung zustande. 1 Die Wirklichkeit halt aber noch nicht bei dieser auBersten Konsequenz und im Bankwesen der Gegenwart finden wir die beiden beschriebenen Systeme gleichsam vermengt. 2 Die Kreditkapazitat der Banken ist, obwohl sehr elastisch, nicht unbegrenzt. Die Banken benotigen ganz bestimmt eine Reserve und eine Erweiterung der Kreditgewahrung wird nach Verlauf einiger Zeit noch immer zu einer groBeren Riickforderung 1 Siehe HAHN, Theorie des Bankkredits, S. 29ff., und auch SCHUMPETER, Sozialprodukt, S. 705. 2 HAHN, Theorie des Geldmarktes, S. 294.
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von Depositen fiihren. Dessenungeachtet kann jedoch am Geldcharakter der Kontokorrentsaldi und der Scheckdepositen nicht mehr gezweifelt werden. Es besteht sogar, wie wir schon friiher bemerkten, aller AnlaB, nicht allein diese letzteren, sondern auch den unausgeniitzten Teil der gewahrten Kredite als Geld zu betrachten. Es kann ja schwer bezweifelt werden, daB die eigentliche geldschopfende Handlung in der Gewahrung von Kredit durch die Bank liegt und nicht in der allmahlichen Ausniitzung desselben durch die TJnternehmung. Durch den Kreditvertrag sichert diese letztere sich Mittel, die sie nach Wahl ausniitzen oder nicht ausniitzen kann. Das Wesen des Verhaltnisses, das hier zustande kommt, wird viel besser durch die angloamerikanische Buchungsweise ausgedriickt, bei der der Klient fur den vollen Betrag des gewahrten Kredits belastet und zugleich auf Scheckkonto erkannt wird — wobei also deutlich zutage tritt, welcher Teil der erhaltenen Mittel unausgeniitzt bleibt —, als durch die Buchungspraxis, die in unserem Lande befolgt wird, bei der der Kreditnehmer nicht fiir den eingeraumten, sondern fiir den in Anspruch genommenen Kredit belastet wird. 1 Das wesentlichste Bedenken gegen eine solche Erweiterung des Begriffes der Geldmenge ist wohl, daB diese dadurch statistisch vollkommen unbestimmbar wird; die Marge zwischen der Gesamtsumme der eingeraumten und der in Anspruch genommenen Kredite ist ja unbekannt. SchlieBlich ist aber fiir die Begriffsbestimmung das Wesen der Verhaltnisse von groBerer Bedeutung als die statistische Bestimmbarkeit und wir werden denn auch in den hier folgenden Ausfuhrungen unter der Geldmenge den Teil der Bankkredite, iiber den noch nicht verfiigt wurde, mitverstehen. 2 1 Wenn man nur den Saldo in laufender Rechnung und nicht den noch disponiblen Kredit als Geld betrachtet, muB man jede Belastung eines Klienten, der schon im Debet ist, als eine Geldschopfung auffassen, jede Belastung eines Klienten, der einen Kreditsaldo hat, als eine gewohnliche Geldiibertragung. TJmgekehrt wiirde eine Zahlung an einen Kontokorrentinhaber als Geldvernichtung betrachtet werden miissen, je nachdem, ob der Betreffende Debitor Oder Kreditor ist. Je nach dem zufalligen Stand eines Kontos wiirde also dieselbe Handlung eine ganz verscbiedene okonomische Bedeutung haben. KARL ELSTER erkennt wegen dieses Widerspruchs den Kontokorrentsaldi den Geldcharakter ab, wahrend er inn den Giroguthaben zuspricht (Seele des Geldes, S. 69fl.). Dadurch entsteht aber nur eine neue Inkonsequenz. 2 Wir befinden uns hier auf einem Grenzgebiet der Deiinitionen, wo es sehr schwierig wird, scharf zwischen dem zu unterscheiden, was noch und was nicht mehr Geld genannt werden kann. Bei der englischen Buchungspraxis, wobei der Klient sofort fiir den Kredithochstbetrag belastet und auf Scheckkonto erkannt wird, ist die Lage vollkommen klar. Der zu bezahlende Debetzins verbiirgt, daB kein groBerer Kredit aufgenommen wird, als tatsachlich auszunutzen beabsichtigt ist, und der offenstehende Kreditsaldo vergegenwartigt in voller H6he unausgeniitzte Verfiigungsmacht, d. i. Geld. Bei der westeuropiiischen Buchungspraxis, bei welcher der Kreditnehmer nur fiir den in Anspruch genommenen Teil des Kredits belastet wird und bei der seitens der Banken oft eine ziemlich scharfe Kontrolle iiber den Verlauf der individuellen Konti gefiihrt wird, muB man tatsachlich von Fall zu Fall beurteilen, inwieweit vom Vorhandensein eines Kasseniiberschusses — das ist also von freier unausgeniitzter Verfiigungsmacht — gesprochen werden muB oder nicht. Die Tatsache aber, daB die Banken nur von dem fliissig gemachten Teil des Kredits Zinsen in Anrechnung bringen, bewirkt, daB die Kreditnehmer ein Interesse daran haben, das Maximum der ihnen eingeraumten Dispositionsbefugnis so hoch wie moglich anzusetzen. In Deutschland wird hier noch eine Grenze gesetzt durch die sogenannte ,,BereitstellungsBeitrage zur Geldtheorie. 11
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Es ist klar, daB die geschilderte Entwicklung des Bankwesens der giinstigen Einwirkung, welche die Bank durch das reine Depositensystem auf die Anpassung der Mittel an die Schwankungen des Vermogensbedarfs und dadurch auch auf die Umlaufsgeschwindigkeit ausxibte, groBenteils ein Ende gemacht hat. Sobald das Bankguthaben den Geldcharakter erhalt, kann es nicht mehr als ein Teil der eigenen Mittel betrachtet werden, der im Wege der Kreditgewahrung voriibergehend anderen ubertragen wird, sondern wird zum unverwendeten brachliegenden Vermogen, zu einer neuen Form des KLasseniiberschusses, der von den Unternehmungen nach eigener Wahl in jedem beliebigen Augenblick fur den Ankauf von Giitern verwendet werden kann. 1 Nur soweit von den Banken kurzfristige Kredite gewahrt werden, wie an Saisonindustrien, und soweit sie Einlagen auf festen Termin erhalten, setzen sie die Unternehmungen nooh instand, die Versorgung mit Mitteln dem wechselnden Vermogensbedarf anzupassen. Wir konnen jetzt auf Grund des Vorangegangenen ein allgemeines Urteil iiber die Moglichkeit aussprechen, die die Unternehmungen haben, um das Brachliegen eines Teils ihres Vermogens, d. h. die Bildung eines Kasseniiberschusses, zu verhindern. Soweit der Gesamtbetrag ihrer Aktiva regelmaBigen und somit vorhersehbaren Schwankungen unterliegt, die sich iiber ein Jahr oder eine nooh langere Periode erstreoken, wird es im allgemeinen wohl moglich sein, es dahin zu bringen, daB sich
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provision", eine Provision, welche fiir den Gesamtbetrag des eingeraumten Kredits berechnet wird. In den Niederlanden besteht diese Gewohnheit aber nicht und es wird hier die Provision meist vom hochsten Debetstand oder vom hochsten Umsatz fur Debet- oder Kreditseite berechnet. Eine Folge hievon ist, daB Unternehmungen sich mitunter nur die Dispositionsbefugnis sichern oder auch sich eine groBere Dispositionsbelugnis sichern als sie in normalen Zeiten jemals brauchen, um im Falle der Not ohne viel Formalitaten die Bank in Anspruch nehmen zu konnen. In derartigen Fallen, worin also beide Parteien wissen, daB nicht beabsichtigt ist, von dem gewahrten Kredit — oder wenigstens nicht von dem Kredit in seinem vollen Umfang — normalen Gebrauch zu machen, hat es kaum Sinn, schon bei dem formellen Zustandekommen des Vertrages von einer Geldschopfung zu sprechen. Vielmehr findet die Geldschopfung erst statt, wenn die unerwarteten Umstande tatsachlich eintreten und die Bank es der betreffenden Unternehmung dann erlaubt, von dem gewahrten Kredit wirklich Gebrauch zu machen. Denn bei der iiblichen Kontrolle iiber den Verlaut der einzelnen Konti wird es der Bankleitung sofort auffallen, daB plotzlich von der eingeraumten Dispositionsbelugnis Gebrauch gemacht wird und die Leitung wird in diesem Augenblick von neuem iiberlegen, ob die Kreditgewahrung noch als gerechtfertigt zu betrachten ist. Es sind ja beinahe alle Kontokorrentkredite taglich kiindbar. In derartigen Fallen erscheint es uns daher auch richtiger, den unausgeniitzten Kredit nicht als Geld anzusehen. Ein ahnlicher Fall zeigt sich bei Saisonindustrien, die von der Bank eine bestimmte Dispositionsbefugnis erhalten haben, aber davon nur in der lebhaften und nicht in der stillen Saison Gebrauch zu machen pflegen. Der unausgeniitzte Kredit in der stillen Zeit kann nicht als ein Kassenvorrat betrachtet werden, da die Bank es keineswegs zulassen wiirde, daB daruber ohneweiters verfiigt wird. Das Wesen des Verhaltnisses wird also tatsachlich durch die Einstellung der Banken bestimmt. Der unausgeniitzte Teil eines Kontokorrentkredits — die noch verfiigbare Dispositionsbefugnis — kann nur dann als ein KasseniiberschuB betrachtet werden, wenn und soweit angenommen werden kann, daB die Bank sich gegenuber der Ausniitzung dieser Dispositionsbefugnis passiv verhalten wird. 1 Eine gleiche Veranderung erfuhr fruher die Banknote, die urspriinglich nur ein Hinterlegungsbeweis war, aber sich langsam zu einem allgemein angewendeten Kaufmittel entwickelte.
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ihnen die Mittel ziemlich genau anschlieBen. Ob aber von dieser Moglichkeit immer Gebrauch gemacht werden wird, ist nicht sicher. Dies wird von der Art und Weise abhangen, in der die Finanzierung finanziell am giinstigsten stattfinden kann. Sind die Schwankungen von kiirzerer Dauer als ein Jahr, dann wird die Anpassung in vielen Fallen schon Schwierigkeiten bereiten, vor allem fiir die Unternehmungen, die keinen Zugang zum Geldmarkt haben. Handelt es sich aber um Schwankungen, die innerhalb der Monatsperiode vorfallen oder die unregelmaBig auftreten und daher nicht genau vorhersehbar sind — das Wirtschaftsleben ist von solchen UnregelmaBigkeiten iibervoll —, dann wird es fast immer unmoglich sein, eine Anpassung der Mittel zu erzielen. Das Vermogen wird in diesem Fall groB genug sein mussen, um fiir den maximalen Bedarf Vorsorge zu treffen und in den Augenblicken, wo ein geringerer Bedarf besteht, wird notwendig ein Teil der Mittel brach liegen bleiben mussen, sei es in Gestalt eines Kasseniiberschusses im engeren Sinn oder in der eines Guthabens bei der Bank. Solange also der Gesamtbetrag der Aktiva diesen kurzen unregelmafiigen Schwankungen unterliegt, kann die optimale Intensitat der Vermogensausnutzung nicht erreicht werden und wird auch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes begrenzt bleiben.
V. Sonstige Faktoren, die die Anpassung des Vermogens an den wechselnden Bedarf beeinflussen.
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Wenn die Produktionswirtschaften einen vonibergehenden VermogensuberschuB haben, durch den es ihnen unmoglich ist, die Versorgung mit Mitteln direkt dem Bedarf anzupassen, und auch nicht dazu iibergehenkonnen oder wollen, die brachliegenden Geldmittel anderen abzutreten, besteht fiir sie noch die Moglichkeit, den UberschuB durch Verwendung im eigenen Betrieb rentabel zu machen. Diese Verwendung muB von den iibrigen, notwendigen Verwendungen auf Grund der Tatsache unterschieden werden, daB sie durch die technisch-okonomischen Erfordernisse des Produktionsprozesses nicht geboten ist, sondern ausschlieBlich erfolgt, um das zeitweilig brachliegende Vermogen nutzbar zu machen. Im allgemeinen wird dies in Form einer vonibergehenden Verwendung geschehen mussen, so daB die festgelegten Mittel beizeiten wieder frei werden. Sehr gut moglich ist z. B. ein Vorkauf von Rohstoffen, sei es, daB diese bei friiherem Ankauf regelmaBig um einen niedrigeren Preis erhalten werden konnen, wie viele Ernteprodukte, oder auch weil erwartet wird, daB sie im Preis steigen werden. Es ist aber auch denkbar, daB die Anlage nicht von voriibergehender, sondern von dauernder Art ist. Allerdings wird die betreffende Unternehmung dann in dem Augenblick, da das brachliegende Kapital sonst normalerweise anders verwendet werden miiBte, ein Manko an Vermogen aufweisen, aber wenn gleichwohl die Absicht bestand, neues Vermogen an sich zu Ziehen, braucht dies keine Schwierigkeiten hervorzurufen. Der Gebrauch der zeitweilig verfiigbaren Mittel zur vorlaufigen Finanziell*
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rung einer BetriebsvergroBerung z. B. setzt sie dann instand, die Beschaffung von neuen Geldmitteln auf einen spateren Zeitpunkt zu verschieben und darauf gleichsam zu antizipieren. Es ist klar, daB das letztere nur bei einer VergroBerung des Betriebs geschehen kann und daher eine im Wesen dynamische Erscheinung ist. Eur die Erzielung einer Anpassung zwischen dem Gesamtbetrag der Aktiva und dem Gesamtbetrag der Mittel ist diese Verwendung von tJberschussen von ganz derselben Bedeutung wie die tJberlassung derselben an andere durch Dazwischentreten des Kreditmarktes. Die Schwankungen im gesamten Umfang der Investitionen, die Anpassungsmbglichkeiten der verschiedenen Kreditformen an diese Schwankungen, die Moglichkeit, voriibergehende Vermogensuberschusse an andere zu iibertragen und die Moglichkeit der Verwendung derselben im eigenen Betrieb sind an sich noch nicht bestimmend fur die Intensitat der Vermogensausnutzung. Sie bilden nur die objektiven Grenzen, innerhalb derer die Wirtschaftssubjekte in ihrem Streben nach moglichst intensiver Ausnutzung beschrankt werden. I n welchem MaBe sie von den gegebenen Moglichkeiten Gebrauch machen werden, wird letzten Endes durch die Bedeutung bestimmt, die diese Moglichkeiten fur das Erwerbsstreben der Unternehmungen haben, welches letztere dahin gehen wird, sich so billig wie moglich mit Geldmitteln zu versehen, wenn auch dadurch das Brachliegen des Kapitals nicht auf ein Minimum beschrankt wird. Der Umstand, der dabei die wichtigste Rolle spielt, ist vor allem der ZinsfuB. Nicht so sehr dessen allgemeines Niveau ist aber von EinfluB, als vielmehr das Verhaltnis zwischen dem Zins der verschiedenen Kreditformen. Dies wird schon deutlich, wenn wir an die Wahl denken, die manchmal zwischen der Finanzierung eines zeitweiligen Vermogensbedarfs durch kurzfristigen oder langfristigen Kredit getroffen werden muB. 1 I m ersten Fall, wobei das Vermogen direkt dem Bedarf angepaBt wird, ist die Moglichkeit des Brachliegens von Vermogensteilen viel geringer als im zweiten Fall, wobei stets ein zeitweiliger VermogensuberschuB entsteht, dessen Verwendungsmoglichkeit nicht gesichert ist. Ob nun die eine oder die andere Finanzierungsart gewahlt werden wird, ist von der Marge zwischen dem Zins fur langfristigen und dem fur kurzfristigen Kredit abhangig; je kleiner diese Marge, desto groBer ist die Aussicht, daB mit Kurzkrediten finanziert und also ein Brachliegen von Vermogen vermieden wird. Wirft das brachliegende Vermogen Zinsen ab — man denke an die Habenzinsen im Kontokorrent und an die Zinsvergiitung fur Giroguthaben —, dann ist iiberdies noch die Marge zwischen diesen Zinsen und jenen fur Langkredit von EinfluB. 2 1
Siehe oben S. 150. 2 An sich scheint die Tatsache, daB brachliegendes Kapital Zinsen abwirft, eine Anomalie zu sein. Indessen ist dies in Wirklichkeit eine logische Folge der gegenseitigen Konkurrenz zwischen den verschiedenen geldschopfenden Instituten, deren gesamte Kreditgewahrungskapazitat — bei einem geschlossenen Giralgeldverkehr — wohl unbegrenzt ist, weil jeder
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I n welchem MaBe von der Moglichkeit Gebrauch gemacht werden wird, zeitweilige Uberschiisse an andere abzutreten, wird von der Marge zwischen dem Zins, den das brachliegende Vermbgen selbst abwirft, und demjenigen abhangen, welcher fur die bestimmte Frist, wahrend derer es abgetreten werden kann, auf dem Geldmarkt ausbedungen werden mag. J e kleiner diese Marge, die auch negativ sein kann, desto geringer die Tendenz zu einer intensiven Vermogensausnutzung. 1st der Zins, den das Geld in Form von Kontokorrent- oder Girosaldo abwirft, gleich Null, dann wird die Angleichung von Mitteln und Aufwendungen um so starker gefordert werden, je hoher der auf dem Geldmarkt erlangbare Zins ist. Da nun, wie wir soeben sahen, die Anpassung durch einen relativ hohen Stand des auf dem Geldmarkt zu bezahlenden Zinses gehemmt wird, folgt daraus, daB es fur die Intensitat der Vermogensausniitzung •— und damit fur die TJmlaufsgeschwindigkeit — forderlich ist, wenn die Marge zwischen dem auf dem Geldmarkt zu bezahlenden und zu fordernden Zins gering ist. AuBer dem Zins gibt es auch noch einige andere Umstande, die eine Rolle spielen. Die Intensitat kann ja auch noch durch Verwendung von Uberschussen im eigenen Betrieb vergroBert werden. In welchem MaBe dies geschehen wird, darauf haben vor allem die Erwartungen hinsichtlich des Preisverlaufs, sei es fur einen bestimmten Artikel, sei es fur alle Giiter, EinfluB. Wird eine Preissteigerung erwartet, dann wird eine moglichst intensive Veranlagung folgen, erwartet man dagegen eine Preissenkung, dann findet das umgekehrte statt. Namentlich im Konjunkturverlauf ist dies von groBer Bedeutung. Ein sehr wichtiges Beispiel hiefiir geben die Preisanderungen, die eine Wertanderung des Geldes ausdriicken. Die Erhohung des Preisniveaus, die in Inflationszeiten Platz greift, spornt das Bestreben nach Ausnutzung jedes Vermogensteiles so stark, daB mit Recht von einer Flucht vor dem Gelde gesprochen werden kann. Umgekehrt wird die Preissenkung in einer Deflation, wenn sie nur stark genug ist, nicht nur bewirken, daB vorubergehende Uberschiisse brach liegen bleiben, sondern sogar die Neigung hervorrufen, auch fur langere Zeit einen Teil des Vermogens unverwendet zu lassen. Durch das Zusammenwirken der in diesem Hauptstuck besprochenen Faktoren wird in einem gegebenen statischen Zustand der Umfang der Kasseniiberschiisse und damit zugleich, bei gegebener GroBe des Geldstromes, 1 die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit vollstandig bestimmt. neugeschalfene Kredit automatisch auch ein neues Depositum bedeutet, deren Kreditgewahrungsfahigkeit im einzelnen aber erst recht vom Umfang der eigenen Depositen abhangig ist, so daB jede fur sich ein Interesse daran hat, soviel Depositen wie moglich an sich zu Ziehen. 1 Wenn wir hier die Gr613e des Geldstromes und somit auch die Hohe des Preisniveaus als gegeben unterstellen, scheinen wir einer Zirkelerklarung zum Opfer zu fallen, derzufolge zuerst das Preisniveau den Geldstrom und damit auch die Umlaufsgeschwindigkeit bestimmen wurde, und dann umgekehrt die Umlaufsgeschwindigkeit —oder besser, die Umstande, die sie regulieren — wieder das Preisniveau. Unter Hinweis auf die von PIGOU gegebene Losung des Geldwertproblems sei aber bemerkt, daB dem in der Tat nicht so ist, da die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit schon ausgedrtickt werden kann, ohne daB die Hohe des Preisniveaus gegeben ist, und zwar indem sowohl die GroBe des Geldstromes wie die
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Drittes
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Die Bewegung des Gesamtbetrages der Aktiva der verschiedenen Produktionswirtschaften ist im statischen Zustand festgelegt, da ja Umfang und Technik der Produktion und ebenso das MaB der Differenzierung des Produktionsprozesses gegeben sind. Da nun auch die Zinsverhaltnisse feststehen, wird fiir jede dieser Produktionswirtsohaften eine bestimmte Finanzierungsart die vorteilhafteste sein, weshalb auch die Hohe des Vermogens als gegeben angesehen werden darf und damit zugleich der in den verschiedenen Augenblicken vorhandene VermogensiiberschuB, d. i. der Kassenvorrat. Die GroBe dieses letzteren wird daher durch lauter objektive Umstande bestimmt; die subjektive Bewertung des Geldes spielt dabei keine Bolle. Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit hat hiemit, soweit es die statische Seite betrifft, seine Losung gefunden. Die Oro/Se der Umlaufsgeschwindigkeit wird reguliert durch das Ausmafi, in dem es den Produktionswirtschaften bei der Finanzierung ihres Betriebes —• bzw. den Konsumwirtschaften bei Finanzierung ihres Haushalts — gelingt, das Brachliegen von Vermogen zu hindern; sie wird somit durch die Intensitdt der Vermogensausnutzung bestimmt.
Hauptstuck.
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Die Ursachen der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und ihre Folgen.
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I. Die Folgen des Entstehens und Auf horens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, die durch die Intensitat der Vermogensausnutzung bestimmt wird, kann — soweit wir die Veranderungen, die rein rechnerisch aus einer Anderung in der Differenzierung des Produktionsprozesses 1 entstehen, auBer Betracht lassen — nur dann modifiziert werden, wenn diese Intensitat sich andert. Eine solche Anderung kann — da sie ja eine Folge der Einwirkung eines der im vorigen Hauptstuck besprochenen bestimmenden Faktoren sein muB — nur aus drei Gruppen von Ursachen entstehen, namlich: 1. Aus der Entstehung neuer Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva, 2 —- d. h. also auch im Vermogensbedarf — oder auch aus dem Aufhoren fruher vorgekommener Fluktuationen. der Kasseniiberschusse in Einheiten realer Kautkraft ausgedriickt werden. Der Wert der Geldeinheit, und damit die Hohe des Preisniveaus, kann erst bestimmt werden, wenn die Anzahl der Einheiten, aus denen die gesamte Geldmenge besteht, angegeben wird (siehe oben S. 122). 1 Siehe oben S. 129 K. 2 Es versteht sich von selbst, daB das Entstehen oder Authoren dieser Schwankungen nur dann fur die Intensitat der Vermogensausnutzung von Bedeutung ist, wenn die Kapitalvorsorge den Schwankungen nicht angepaBt war, bzw. werden kann, da diese ja nur in diesem Falle zu einem periodisch wiederkehrenden voriibergehenden Brachliegen von Vermogen fuhren werden.
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2. Aus einer Anderung des AusmaBes, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird, um zeitweiligen VermQgensbedarf zu finanzieren und zeitweilige Vermogensuberschiisse rentabel anzulegen. 3. Aus einer Anderung des AusmaBes, in dem vortibergehend verfiigbare Mittel im eigenen Betrieb verwendet werden. Wir werden jetzt trachten zu untersuchen, auf welche Weise diese Ursachen zu der genannten Folge fiihren und welche weiteren Erscheinungen dabei eintreten werden. Fassen wir in erster Linie den Fall des Aufhorens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva ins Auge. Wir setzen den folgenden Fall: Ein Detaillist fullt seinen Vorrat einmal im Monat auf und verkauft daraus regelmaBig jeden Tag dieselbe Menge. Dann nimmt dieser Vorrat von z. B. 30 T Einheiten auf 1 ab, wahrend gleichzeitig der Kassenvorrat von 1 auf 30 steigt. Um unter diesen Umstanden seine Einkaufe finanzieren zu konnen, hat er ein Vermogen in der HQhe von 31 notig, welches aber im Durchschnitt nur zur Halfte verwendet wird. Nehmen wir nun an, daB es dem Detaillisten z. B. durch Verwendung eines neuen Transportmittels moglich wird, seinen Vorrat taglich zu erganzen, und daB er, nachdem er bisher seine Einkaufe zu Monatsbeginn besorgt hatte, nunmehr in der Mitte des Monats zu einer solchen taglichen Beschaffung iibergeht. 1 In diesem Falle wird unser Detaillist im Besitz eines standigen Vorrats in der Hohe von 15 Einheiten bleiben — bestehend aus dem noch unverkauften Teil der zu Beginn des Monats eingelagerten Giiter — und zugleich eines standigen Kassenvorrats in der Hohe von 15 — bestehend aus dem Erlose der in der ersten Halfte des Monates verkauften Waren —•, wahrend auBerdem noch ein taglich von 1 auf 0 abnehmender Vorrat und ein von 0 auf 1 zunehmender Kassenvorrat entstehen wird. Der durchschnittliche Betrag der Aktiva bleibt unter den neuen Verhaltnissen derselbe wie fruher, aber dadurch, daB diese Aktiva jetzt keinen Schwankungen mehr unterliegen, braucht ihre Finanzierung nicht mehr zu einem Brachliegen von Vermogen zu fiihren. Der standig verfugbare Kassenvorrat kann jetzt in beliebiger anderer Bichtung verwendet werden, wodurch eine groBere Intensitat der Vermogensausnutzung erzielt wird. Dieser Vorgang wird aber nur dann die allgemeine Intensitat der Vermogensausnutzung und damit die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes beeinflussen, wenn nicht anderweitig eine neue Fluktuation entsteht. Wir haben schon fruher bemerkt, daB jede Schwankung entweder eine 1 DaB dies gerade in der Mitte des Monats geschehen wird, scheint eine willkiirliche Unterstellung, welche im Widerstreit steht mit dem, was zu erwarten ware. Es besteht ja lur den Detaillisten gar kein Grund, einen standigen Vorrat zu halten. Er wird dies denn auch bestimmt nicht tun, sondern bis zu Monatsende warten, um erst dann seinen Vorrat aul die neue Weise aufzuiiillen. Dadurch wird der Gesamtbetrag seiner Aktiva abnehmen. DaB dies geschehen kann, hat seinen Grund in der Tatsache, daB intolge der veranderten Umstande mit einem geringeren sozialen Giitervorrat das Auslangen gefunden werden kann. Diese Erscheinung hat ihre eigenen besonderen Folgen, die aber mit unserem Problem keineswegs in Zusammenhang stehen. Um nun eine Verwechslung zwischen den Folgen der einen und jenen der anderen Erscheinung zu verhiiten, nehmen wir an, daB der durchschnittliche Betrag der Aktiva auf gleicher Hohe bleiben wird und befassen uns nicht weiter mit den Folgen der Tatsache, daB das in Wirklichkeit nicht der Fall ist.
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gegenlaufige Schwankung oder eine synchronisierte mitlaufige Schwankung hat. Wenn also irgendwo eine Schwankung aufhort, muB entweder die gegenlaufige bzw. eine mitlaufige Schwankung ebenfalls aufhoren, oder es muB anderwarts eine neue Schwankung dafiir an die Stelle treten. Diese muB dann in auf- oder abwartsgehender Richtung im Wirtschaftsaufbau gesucht werden, in dem oben besprochenen Fall z. B. bei dem Fabrikanten des betreffenden Gutes. Nehmen wir an, daB dieser kontinuierlich produziert, daB aber alle seine Abnehmer, insgesamt 30 an der Zahl, genau wie unser Detaillist, ihren Vorrat nur einmal im Monat auffiillen, und zwar alle an demselben Tag und zu einem gleichen Betrag. Bei ihnen alien wird sich dann dieselbe Fluktuation der Aktiva ergeben, wahrend bei dem Fabrikanten die gegenlaufige Fluktuation zu finden sein wird. Wenn nun unter diesen Umstanden der betreffende Detaillist zu der erwahnten Einkaufsmethode ubergeht, wird auch beim Fabrikanten die Fluktuation zum Teil verschwinden. Auch bei ihm wird ein standiger Vorrat und ein standiger KasseniiberschuB verfiigbar werden und durch die Verwendung dieses Uberschusses wird ein giinstigeres Verhaltnis zwischen Vermogen und Summe der Aktiva erreicht werden konnen. Es sind aber auch Umstande denkbar, wobei das Gegenteil stattfindet und bei dem Fabrikanten nicht eine Schwankung verschwindet, sondern erst eine entsteht. Dies wird der Fall sein, wenn ursprimglich der Schwankung beim Detaillisten nicht eine gegenlaufige Schwankung beim Fabrikanten, sondern eine mitlaufige Schwankung bei dessen iibrigen Abnehmern gegeniiberstand. Eine solche mitlaufige Fluktuation kommt vor, wenn die Schwankungen bei den verschiedenen Detaillisten synchronisiert sind, indem jeder seinen Vorrat an einem anderen Tage auffullt. Der Absatz beim Fabrikanten geschieht dann kontinuierlich und von einem veranderlichen Vorrat wird also bei ihm keine Rede sein. Seine tagliche Produktion von 30 Einheiten wird jeden Tag an einen anderen Abnehmer abgeliefert. Kommt nun unser Detaillist plotzlich mit seinen taglichen Auftragen, dann wird der Fabrikant ihn anfangs nur aus einem eventuellen Reservevorrat beliefern konnen und wenn am Monatsende die fur diesen Detaillisten bestimmten Guter bereit stehen, werden sie nicht wie fruher sogleich abgeliefert werden konnen, sondern nur allmahlich. Die Vorratsschwankung, die bei dem Detaillisten aufhort, beginnt jetzt bei dem Fabrikanten und die Folge davon wird sein, daB die Mattel, die fruher beim ersteren brach liegen blieben, dies nunmehr bei dem letzteren tun werden. Wenn aber in diesem Fall nicht allein dieser eine, sondern alle Detaillisten ihre Einkaufsweise andern, wird bei dem Fabrikanten keine neue Schwankung entstehen. Es wird sich ja dann fur diesen letzteren die Lage nur insoweit andern, daB er anstatt taglich 30 Einheiten immer an einen anderen Abnehmer, an jeden seiner Abnehmer 1 Einheit sendet. Ob also das Aufhoren einer Fluktuation bei einer bestimmten Produktionswirtschaft und die damit Hand in Hand gehende Moglichkeit, eine intensivere Vermogensausnutzung zu erzielen, tatsachlich zu einer
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allgemeinen Intensivierung der Vermogensausnutzung und damit gleichzeitig zu einer groBeren Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes fiihren wird, ist ganzlich von besonderen Umstanden abhangig und wird in jedem Fall besonders untersucht werden miissen. DaB die Produktionswirtschaften in der hier oben beschriebenen Weise instand gesetzt werden, ihr Vermogen intensiver auszunutzen, ist eine Folge der Tatsache, daB ein Betrag an Mitteln, der friiher nur voriibergehend verfiigbar war, jetzt standig verfiigbar wird. So i&t in dem gegebenen Beispiel dank der veranderten Einkaufsmethode der Kassenvorrat, der friiher von 0 bis 31 fluktuierte, in einen standigen Vorrat von 15 verwandelt. Das Vermogen, das friiher nicht ausgenutzt werden konnte, wird jetzt verfiigbar, die Verfugungsmacht, die bisher durch die Schwankungen gebunden war, wird frei. Diese Folge bringt an sich noch keine Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung mit sich. Doch ist diese in der Tat zu erwarten, da keine Rede davon sein kann, daB die Produktionswirtschaften einen standigen Kassenvorrat, der iiberflussig ist, unverwendet lassen werden. Es ist eine potentielle VergroBerung der Intensitat und damit der Umlaufsgeschwindigkeit eingetreten, auf welche die tatsachliche VergroBerung folgen wird. Diese kann auf verschiedene Arten eintreten. Die einfachste ist eine Verminderung der Geldmenge im Betrag des freigewordenen Vermbgens, was z. B. geschehen wird, wenn die betreffende Unternehmung einen Teil des Bankkredits, den sie genieBt, riickzahlt. Die vermehrte Intensitat zeigt sich dann in einer Verminderung des Vermogens, gepaart mit einem unveranderten Stand des Gesamtbetrages der Aktiva, und die vergroBerte Umlaufsgeschwindigkeit in einer Verminderung der Geldmenge, die mit einem unveranderten Gesamtbetrag der Giiterumsatze Hand in Hand geht. Es ist aber auch moglich, daB die freigewordenen Mittel zur Erweiterung des Betriebes gebraucht oder daB sie zu diesem Zweck auf dem Kapitalmarkt anderen angeboten werden. Ein solches indirektes oder direktes Angebot auf dem Kapitalmarkt bedeutet nur eine rein nominale Kaufkraftvermehrung ganz derselben Art wie diejenige, die aus einer Vermehrung der Geldmenge entsteht. Das angebotene Geldkapital stammt nicht aus dem Sparen, es steht ihm kein Giiterangebot gegeniiber und seine Verausgabung wird eine Stoning des auf dem Markt herrschenden Gleichgewichtszustandes bewirken. Genau wie im Fall einer Geldschopfung konnen wir bei Beschreibung der Erscheinungen, die infolge dieser Storung eintreten werden, von zwei Annahmen ausgehen. Wir konnen annehmen, daB das Angebot produktiver Dienstleistungen unvermehrbar ist, woraus sich dann die SchluBfolgerung ergibt, daB die nominale Kaufkraftvermehrung aussehlieBlich zu einer Verschiebung der Produktionsverhaltnisse und einer Erhohung des Preisniveaus fiihren wird, auBer soweit durch erzwungenes Sparen eine VergroBerung des gesellschaftlichen Kapitals moglich wird. Wir konnen aber auch annehmen, daB das Angebot an produktiven Diensten vermehrbar ist, z. B. durch Heranziehung von Arbeitslosen, durch Uber-
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stunden, Frauenarbeit usw., in welchem Falle die nominale Kaufkraft. vermehrung tatsachlich teilweise zu einer Zunahme der Produktion fiihren kann. Welche von diesen Hypothesen den Vorzug verdient, wird von der Zeitdauer abhangen, die wir in Betracht nehmen. DaB bei Behandlung des Konjunkturproblems von der letztgenannten Hypothese ausgegangen werden muB, bedarf keines Beweises. Wie aber die Umstande sich auch gestalten werden, stets wird die groBere Intensitat der Vermogensausnutzung sich in einer Zunahme des Gesamtbetrages der Aktiva und die groBere Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in einer Vermehrung der Guterumsatze zeigen. Wie das Aufhoren der Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva in vielen Fallen eine intensivere Vermogensausnutzung ermoglicht, wird auch umgekehrt die Entstehung einer solchen Fluktuation, wenn es nicht moglich ist, ihr die Vermogensversorgung anzupassen, zu einer weniger intensiven Vermogensausnutzung und damit auch zu einer geringeren Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes AnlaB geben konnen. Dies letztere wird der Fall sein, wenn das Auftreten der Schwankung bei der einen Unternehmung nicht eine Folge des Aufhorens einer solchen an einer anderen Stelle ist, sondern mit dem Entstehen einer gegenlaufigen oder mitlaufigen Schwankung zusammengeht. So konnen wir uns z. B. denken, daB das entgegengesetzte des zuvor besprochenen Falles geschieht, daB namlich ein Detaillist, nachdem er bisher seine Einkaufe taglich besorgt hat, dazu iibergeht, seinen Vorrat monatlich zu beziehen. Soil dies moglich sein, dann wird der Detaillist, der ja plQtzlich einen Vorrat fur einen ganzen Monat einkaufen muB, uber ein groBeres Vermogen verfiigen nriissen, als er bisher brauchte. Er wird einen neuen Betrag an Mitteln in der Hohe von 30 an sich ziehen nriissen, wovon durchschnittlich die Halfte verwendet werden und die andere Halfte brachliegen wird. Dagegen wird sich beim Fabrikanten — von dem wir annehmen, daB er tiber einen gemigenden Reservevorrat verfiigt, um plotzlich eine so groBe Menge liefern zu konnen — der Vermogensbedarf nicht dauernd vermindern, da ja der Maximalbetrag seiner Aktiva ebenso hoch bleibt wie friiher. 1 Wohl aber wird der durchschnittliche Betrag seiner Aktiva um 15 abnehmen, da der friiher bei ihm vorhandene konstante Vorrat von 30 sich in einen gleichmaBig von 0 auf 30 zunehmenden verwandeln wird, wogegen ein allmahlich von 30 auf 0 abnehmender Kassenvorrat vorhanden sein wird. Wahrend also der Gesamtbetrag der Aktiva der gesamten Produktionswirtschaften gleich geblieben ist, hat der gesamte Vermogensbedarf um 30 zugenommen, welcher Betrag aber, zum Teil in der Hand des Fabrikanten und zum Teil in der des Detaillisten, dauernd brachliegen wird. Dieser Vermogensbedarf wird entweder durch eine Einschrankung des Aufwandes der betreffenden Unternehmung, oder durch Beschaffung neuen Vermogens auf dem Kapitalmarkt, oder durch Geldschopfung gedeckt werden konnen. 1 Jeden Monat ist ja im Augenblick der Ablieterung sein Vorrat ebenso groB wie im ursprunglichen Zustand.
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Das letzte ist in seinen Folgen das einfachste. Das neue Vermogen, das bestimmt ist, unverwendet zu bleiben, wird gar keinen EinfluB auf die Preise ausiiben konnen. Die verminderte Intensitat der Vermogensausnutzung wird sich in diesem Fall in einer Zunahme des Vermogens bei unverandertem Stand des Gesamtbetrages der Aktiva zeigen. Fiihrt aber der vermehrte Kapitalbedarf zu einer Verminderung der Aufwendungen oder dazu, daB dem Kapitalmarkt Mittel entzogen werden, so wird das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage durchbrochen. Die Kaufkraft, die friiher zur Verwendung verfiigbar war, wird jetzt gebunden und bleibt unverwendet. Das Angebot iibersteigt die Nachfrage und eine Preissenkung muB eintreten. Diese wird zu dynamischen Erscheinungen derselben Art, aber von umgekehrter Wirkung fiihren, wie die, welche wir friiher erwahnten. An Stelle des erzwungenen Sparens wird ein erzwungenes Aufzehren entstehen — zu Lasten vor allem der Untemehmungen, deren Kaufkraft am ersten verringert wird —, die zu einer Schrumpfung des gesellschaftlichen Kapitals fiihren kann. Auch wird sich. vielleicht das Angebot produktiver Dienstleistungen vermindern, mit der Folge einer Verringerung der Produktion. Die Folgen der Verringerung der Intensitat der Vermogensausnutzung werden somit vollkommen denen gleieh sein, welche eingetreten waren, wenn eine Verminderung der Geldmenge stattgefunden hatte, indem denselben Untemehmungen, in denen jetzt der vermehrte Vermogensbedarf entsteht, ein Bankkredit von gleicher Hohe gekiindigt worden ware.
II. Die Folgen einer Veranderung des Ausmafies, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird.
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Auf dieselbe Weise, wie zuvor geschildert, wird auch eine Veranderung des Umfanges, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird, ihren EinfluB auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ausiiben. Wenn — um mit einem Beispiel von direkter Kreditgewahrung ohne Vermittlung des Geldmarktes anzufangen — der vorgenannte Detaillist an einem bestimmten Zeitpunkt von seinem Fabrikanten einen Abzahlungskredit bekommt, wird an dem Tag, wo zum ersten Male unter den neuen Bedingungen verkauft wird, der ganze Erlos der Verkaufe des vorigen Monats sich in seiner Kasse befinden. Dieser Betrag wird dauernd zu seiner Verfugung bleiben, da er ja die taglich zu leistenden Zahlungen aus dem Erlos seiner taglichen Verkaufe wird bestreiten konnen. Dieser ganze KassenuberschuB wird also frei und ist zur Verwendung in anderer Richtung verfiigbar, durch welche Verwendung die Intensitat der Vermogensausnutzung betrachtlich vergroBert werden wird. Wie gestaltet sich nun die Lage beim Fabrikanten ? Dies hangt, so wie friiher, davon ab, ob er seine ganze Produktion einmal im Monat verkauft, um darauf die erhaltenen Mittel allmahlich wieder zu investieren —• so daB bei ihm die gegenlaufige Fluktuation zur Schwankung der Aktiva des Detaillisten zu finden ist — oder ob sein Absatz taglich kontinuierlich geschieht.
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1st das erste der Fall, dann wird jetzt auch bei ihm die Intensitat der Vermogensausnutzung vergroBert werden, da ja die Betrage, die er jetzt taglich erhalt, sogleich wieder verwendet werden konnen, so da8 der zuvor bestandene Kassenvorrat verschwindet. Eine Vermehrung seines Vermogensbedarfs wird ungeachtet der Kreditgewahrung nicht eintreten, da diese letztere aus den friiher brachliegenden Mitteln bestritten werden kann. Auch sozial gesehen wird somit die Intensitat der Vermogensausnutzung groBer werden und die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird daher zunehmen. Wenn aber beim Fabrikanten diese gegenlaufige Fluktuation nicht zu finden ist, wird jetzt durch die Kreditgewahrung nicht nur sein Vermogensbedarf zunehmen, sondern wird iiberdies eine Fluktuation der Aktiva entstehen, so daB per Saldo die Intensitat der Vermogensausnutzung ungeandert bleibt. Auch wenn beim Geben und Nehmen von kurzfristigem Kredit von der Vermittlung des Geldmarktes oder der Banken Gebrauch gemacht wird, so wird die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit, d. h. die Intensivierung der Vermogensausnutzung, meist durch ein dauerndes Freiwerden von Vermogen, das friiher gebunden war, eingeleitet werden. Wenn z. B. eine Gruppe von Produktionswirtschaften, die bisher ihre voriibergehenden Vermogensuberschusse brach liegen lieBen, dazu tibergehen, diese auf dem Geldmarkt anzulegen, kann daraus sowohl ein standiges, wie ein variables Angebot von Geldmitteln entspringen. Das erste wird der Fall sein, wenn die Zeitpunkte, in denen die Uberschusse — von denen wir annehmen wollen, daB sie von gleichem Umfang sind — bei den verschiedenen Unternehmungen verfiigbar werden, nicht zusammenfallen, sondern aufeinanderfolgen, so daB das voriibergehende Angebot der einen Unternehmung durch das der anderen abgelQst wird. 1 Die angebotenen Mittel stehen dann scheinbar fur kurze, in Wahrheit aber fur lange Frist den Kreditnachfragenden zur Verfugung und konnen dazu dienen, einen standigen Vermogensbedarf zu befriedigen. Ein veranderliches Angebot wird auf dem Geldmarkt zustande kommen, wenn die Zeitpunkte, an denen die Vermogensuberschusse verfiigbar werden, ganz oder teilweise zusammenfallen. Dieses Angebot wird nur zur Versorgung des Bedarfes derjenigen Unternehmungen dienen konnen, bei denen in diesem Augenblick gerade ein ebenso groBer voriibergehender Vermogensbedarf besteht und die bisher gewohnt waren, diesen durch eigene Mittel zu decken. Machen diese Unternehmungen nunmehr tatsachlich von dem angebotenen Kredit Gebrauch, so werden sie dieses eigene Vermogen frei und zur anderweitigen Verwendung verfiigbar bekommen. Auch hier wird also wieder ein standiges Freiwerden von Geldmitteln Platz greifen. Es ist aber auch moglich, daB die voriibergehend angebotenen Mittel von den Produktionswirtschaften, deren Bedarf sie decken konnten, 1 Dies wird vor allem dann moglich sein, wenn zwischen den Fluktuationen der Aktiva der verschiedenen Unternehmungen ein solcher Zusammenhang besteht, daB sie zueinander im Verhaltnis von gegenlauiigen oder mitlaufenden Schwankungen stehen.
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nicht aufgenommen werden konnen, indem diese Produktionswirtschaften z. B. den fur Geldmarktkredite gestellten Anforderungen betreffend Pfandsicherung nicht geniigen konnen. 1 Die Frage muB gestellt werden, was, sofern dies der Fall ist, mit diesen zeitweilig verfugbaren Mitteln geschehen wird. Sind sie dazu verurteilt, brach liegen zu bleiben, oder gibt es noch eine andere Moglichkeit ? Das letztere ist in der Tat der Fall. Das UbermaB an Angebot auf dem Geldmarkt wird zu einer Senkung des ZinsfuBes fiihren. Diese wird einerseits zur Folge haben, daB einige Unternehmungen es nicht mehr lohnend finden werden, ihre Vermogensiiberschusse auf dem Geldmarkt zu placieren und daher dazu iibergehen werden, diese in der Kasse zu halten, wodurch das Brachliegen von Vermogen wieder zunehmen wird. Uberdies aber wird sie dazu fiihren, daB viele Kreditnehmer, die ihre Mittel bisher von der Zentralbank bezogen, sich an den offenen Markt wenden, weshalb die in Umlauf gebrachte Geldmenge abnehmen wird. Das voriibergehende Angebot von Mitteln auf dem Geldmarkt wird also zu einer voriibergehenden Verminderung der Geldmenge fiihren, was, da ja die Menge brachliegenden Vermogens geringer wird, ohne daB der Gesamtbetrag der Aktiva irgendeine Veranderung erleidet, eine zeitweilige VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. Kommt die Zeit fur die Wiederverwendung dieser Mittel durch die betreffenden Produktionswirtschaften, dann werden diese ihr Anbot vom Geldmarkt zuriickziehen, die Kreditnachfrage wird sich wieder nach der Zentralbank hin verlegen und der Geldumlauf wird sich wieder ausbreiten. Auf diese Weise ist eine gleichmaBige Wechselwirkung zwischen dem Umfang der Geldmenge und der Geschwindigkeit des Umlauf es moglich, und die durchschnittliche GroBe dieses letzteren wird viel betrachtlicher sein konnen als bei einem unelastischen Geldumlauf moglich ware. Es zeigt sich also zum SchluB, daB ein permanentes Freiwerden des zuvor brachliegenden Vermogens keine absolute Bedingung fur eine VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ist. Eine voriibergehende VergroBerung ist auch moglich, wenn das Vermogen nur zeitweilig verfugbar ist. 2 DaB eine verringerte Verwendung des kurzfristigen Kredits Erscheinungen von entgegengesetzter Tendenz zuwege bringen wird wie die oben beschriebenen, bedarf keiner Darlegung. Auch in diesem Falle wird, wenn nur ein variabler Teil der auf dem Geldmarkt angebotenen Mittel zuriickgezogen wird, die Zentralbank einen Ausweg bieten konnen; diesmal aber durch eine voriibergehende Geldschopfung, wodurch die Mittel, die brachgelegt sind, ersetzt werden. 1 Denken wir nur an den Ackerbau, der mit seinem iiberwiegend wechselnden Kapitalbedarf vor der neueren Entwicklung des Agrarkredits keinen Zutritt zum Markt filr kurzfristige Kredite hatte. 2 Es ist dabei nicht notwendig, daB, wie in dem besprochenen Fall, die VergroBerung durch eine voriibergehende Minderung der Geldmenge zustandekommt. Auch eine Vermehrung der Umsatze ist denkbar, und zwar wenn die Senkung des Zinses zur Entstehung einer Saisonindustrie AnlaB gibt. Je nachdem dann die Produktion durch Inanspruchnahme unverwendeter Produktivkrafte starker oder weniger stark erweitert werden kann, wird das Preisniveau schwacher Oder starker steigen.
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III. Die Folgen einer Veranderung des Ausmafies, in welchem Vermogensuberschusse im eigenen Betrieb verwendet werden.
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Wenn die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit durch eine Verwendung brachliegenden Vermogens im eigenen Betrieb zustande kommt, so wird — sowohl wenn diese Verwendung voriibergehend ist, so daB die Geldmittel beizeiten wieder fur ihre normale Bestimmung verfiigbar werden, wie auch wenn sie fiir langere Zeit geschieht, in welchem Fall das Vermogen auf die Dauer wird vergroBert werden miissen, urn eine normale Fortsetzung des Betriebes sicherzustellen — die groBere Umlaufsgeschwindigkeit gewohnlich nur von voriibergehender Natur sein und ihrem Eintreten wird keine permanente Freisetzung von Mitteln vorangehen. I m erstgenannten Fall wird, wie z. B. beim Vorkauf von Rohstoffen, die voriibergehende Verwendung von Vermogen meist dazu fiihren, daB Vorrate auf Lager genommen werden und die gebrauchten Mittel nunmehr bei einem anderen, gegebenenfalls dem Verkaufer der Rohstoffe, frei werden. LaBt dieser sie unverwendet, dann bleibt der Zustand unverandert, legt er sie auf dem Geldmarkt an, dann wird entweder eine dauernde oder eine voriibergehende VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit auf eine der im vorigen Paragraphen beschriebenen Arten entstehen konnen. Wenn aber die voriibergehende Verwendung in Form einer Erweiterung der Produktion erfolgt, wird hievon direkt ein stimulierender EinfluB auf das Preisniveau ausgehen, der sich in dem Augenblick in sein Gegenteil verkehren wird, wo die Produktion wieder verkleinert wird, um die betreffenden Mittel fiir ihre normale Bestimmung verfiigbar zu erhalten. Diese Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit wird also gewohnlich nur voriibergehenden Charakter haben. Es muB aber wohl im Auge behalten werden, daB, wenn eine groBe Gruppe von Produktionswirtschaften zu dieser Verwendung von Uberschiissen iibergeht, diese voriibergehenden Einflusse einander derart erganzen konnen, daB sie faktisch zu einer dauernden Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit fiihren. Die dauernde Verwendung zeitweilig verfugbarer Mittel kann nur dann vollzogen werden, wenn die Absicht besteht, das Vermogen der Unternehmung vor dem Augenblick der normalen Verwendung dieser Mittel zu vergroBern, da ja sonst in diesem Augenblick Vermogensmangel entstehen wiirde. Diese Erscheinung wird also nur in Zeiten einer Expansion eintreten konnen und ist daher im Wesen dynamisch. Die Folgen werden bis zum Zeitpunkt, da man das neue Vermogen erhalt, ganz dieselben sein, wie wenn dauernd freigesetzte Geldmittel verwendet worden waren; das Preisniveau wird steigen und die reale Erzeugung wird, wenn eine Reserve an Produktivkraft zur Verfiigung steht, vergroBert werden. In jedem Fall wird die Umlaufsgeschwindigkeit zunehmen. Sobald jedoch die VergroBerung des Betriebsvermogens stattfindet, wird die Umlaufsgeschwindigkeit wieder abnehmen. Wird also dieses Vermogen aus Geldschopfung erhalten, dann wird die Geldmenge zu-
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nehmen, ohne da8 dadurch eine neue, preisstimulierende Wirkung entsteht. Das zusatzlich geschaffene Geld nimmt nur die Stelle der fruher brachliegenden Mittel ein und dient somit fur einen Aufwand, der auoh fruher schon stattfand. Das Preisniveau wird sich auf dem gerade erreichten Stand halten und die Zunahme der Geldmenge wird nur eine Senkung der Umlaufsgeschwindigkeit auf ihre urspriingliche GroBe herbeifuhren. Entsteht dagegen das neue VermQgen aus Ersparnissen, dann wird sogar eine Preissenkung eintreten mussen. Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kann sich nur halten, wenn die verringerte Nachfrage der Sparer durch eine vermehrte Nachfrage der Kreditnehmer aufgewogen wird. Tritt nun das neue Betriebsvermogen an Stelle der zuvor in anderer Richtung verwendeten Mittel, dann dient es nur zur Aufrechterhaltung, nicht zur VergroBerung der Nachfrage der betreffenden XJnternehmungen. Durch Abnahme der Nachfrage der Sparer wird eine Senkung der Preise auf das alte Niveau eintreten, was bei unverandert gebliebener Geldmenge eine Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. I m Gegensatz zu dieser voriibergehenden Verwendung kann die Verwendung auf langere Dauer niemals zu einer tatsachlich andauernden Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit fuhren, und zwar deshalb, weil sie nur in einem dynamischen Entwicklungszustand vorkommen kann, in welchem die Produktionswirtschaften einer projektierten Erweiterung ihres Betriebskapitales vorgreifen. Wenn die Ausbreitungstendenz aufh6rt und die Volkswirtschaft wieder einem statischen Gleichgewicht zuneigt, wird die Umlaufsgeschwindigkeit notwendig wieder sinken mussen.
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IV. Der angebliche Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Guter. Unsere SchluBfolgerung, daB die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, obwohl durch nichtmonetare Faktoren verursacht, doch in ihrer Wirkung nur monetare Bedeutung haben und daher den Veranderungen der Geldmenge vollkommen gleichgestellt werden konnen, bringt uns in Gegensatz zu zwei in der Literatur vielfach vertretenen und untereinander eng zusammenhangenden Ansichten. Nach der einen steht die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes im engsten Zusammenhang mit der der Waren, nach der anderen fuhrt die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit eine intensivere Ausmitzung der Elemente des gesellschaftlichen Kapitals herbei. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und die der Guter eng miteinander zusammenhangen und beide sich nur in gleicher Richtung verandern konnen, wird schon von den merkantilistischen Schriftstellern 1 und von M A R X 2 vertreten und auch in der jiingsten 1 HOLTROP, Theories ot the Velocity ot Circulation, S. 510ff.; HOLTROP, Omloopssnelheid, S. 12 H. 2 HOLTROP, Omloopssnelheid, S. 43ff.
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Literatur tritt sie wohl noch mitunter auf.1 Nichtsdestoweniger beruht diese Auffassung — insoweit dabei an diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit gedacht wird, die fur die Hohe des Preisniveaus von Bedeutung sind und die daher nicht von einem veranderten Differenzierungskoeffizienten bedingt sind — auf einem Irrtum, wahrend sie in dem engeren Sinn, in dem sie richtig ist, eine nichtssagende Tautologie zum Inhalt hat. Unter der Umlaufsgeschwindigkeit der Waren, von der hier die Rede ist, muB die Geschwindigkeit verstanden werden, mit der die Giiter sich durch die Produktionswirtschaften hindurchbewegen; diese Geschwindigkeit wird in der Anzahl der Umsatze des Betriebskapitals wahrend einer bestimmten Periode ausgedriickt. Diese Umlaufsgeschwindigkeit ist aus zwei Faktoren zusammengesetzt: Der Geschwindigkeit, womit die Giiter die Volkswirtschaft durchlaufen, und der Anzahl von Unternehmungen, durch deren Hande sie wahrend dieses Umlaufs gehen. Wenn also z. B. die Giiter im Durchschnitt zwei Jahre brauchen, um den Weg von der Erzeugung zum Verbrauch zuriickzulegen und wahrend dieser Zeit sechsmal von Hand zu Hand gehen, so ist die durchschnittliche Zeit, die die Giiter in den einzelnen Betrieben verbringen, vier Monate, und ihre Umlaufsgeschwindigkeit, das J a h r als Zeiteinheit genommen, gleich drei. Untersuchen wir nunmehr, ob diese beiden Faktoren fur die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von Bedeutung sind. Die Geschwindigkeit, mit der die Giiter sich durch die Volkswirtschaft bewegen, wird durch die Technik der Produktion, namentlich durch die Lange der eingeschlagenen Produktionsumwege oder, was auf dasselbe herauskommt, durch die relative GroBe des Sozialkapitals bestimmt. Ein dauernder EinfluB der Umlaufsgeschwindigkeit auf diese Produktionstechnik ist undenkbar. Nur wahrend eines Ubergangszustandes kann man sich einen solchen EinfluB in geringem MaBe vorstellen, und zwar soweit die normalen, stets vorhandenen Vorrate, die einen notwendigen Bestandteil des sozialen Kapitals bilden, durch einen kraftigen Hausse-Anreiz — der sowohl mit einer Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit wie mit einer Vermehrung der Geldmenge zusammenhangen kann — einigermaBen zum Schrumpfen gebracht werden, und damit unter ihr normales Niveau kommen. I n diesem Fall ist wahrend einer gewissen Zeit ein schnellerer Umlauf der Giiter moglich, da diese dann durch kurzere Zeit hindurch in der Form von Vorraten eingelagert werden. I n dem neuen Gleichgewichtszustand, der darauf eintritt, werden die Vor1 Siehe FEDERN, Hinauf mit den Bankraten! Eine Entgegnung. Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., 42. Bd., 1916/1917, S. 208. Auch bei SCHUMPETER (Sozialprodukt, S. 683 Anm.) findet sich eine Andeutung in dieser Richtung vor, wenn er meint, dafi bei sinkendem Geldwert eine dauernde Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit dennoch unmoglich ist, weil die Produzenten ihre Mittel nicht schneller umlaufen lassen konnen. Siehe auch ARTHUR W. MARGET, The Relation between the Velocity of Circulation of Money and the ,,Velocity of Circulation of Goods", Journal of Political Economy, Vol. XL, June 1932 and August 1932, der noch verschiedene andere Vertreter dieser Auffassung zitiert.
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rate aber wieder auf ihr altes Niveau zuruckkehxen, und, obwohl die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes endgultig verandert sein kann, wird bei gleichgebliebener Technik die Umlaufsgesohwindigkeit der Giiter keine Veranderung erfahren haben. Statisch gesehen, kann also die VergroBerung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes nicht zu einer Beschleunigung der Giiterzirkulation fiihren, und ebenso wenig kann, wie ScHXTMPETBR zu meinen scheint, die VergroBerung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes von der Moglichkeit einer Beschleunigung des Giiterumlaufs abhangig sein. Bei einer Verminderung der Umlaufsgesohwindigkeit ist —• ebenso wie bei einer Verminderung der Geldmenge — dasselbe der Fall. Auf die Dauer kann sie die Umlaufsgesohwindigkeit der Guter nicht beeinflussen, aber wahrend eines Ubergangszustandes ist es moglich, daB sie zu einer Aufhaufung von Vorraten fiihrt, so daB also doch eine Verzogerung des Giiterumlaufs eintritt. Umgekehrt haben die Veranderungen der Schnelligkeit des Giiterumlaufs ebensowenig einen direkten EinfluB auf die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes. Nur ein mittelbarer EinfluB ist denkbar, insoweit eine Veranderung der Produktionstechnik, und zwar eine Anderung in der Lange der eingeschlagenen Produktionsumwege eine Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung, z. B. durch Zu- oder Abnahme von Schwankungen im Vermogensbedarf, herbeifiihren kann. Es ist aber klar, daB dieser EinfluB von den vorgenannten Schriftstellern nicht gemeint ist. Besteht somit im allgemeinen kein Zusammenhang zwischen der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes und der Geschwindigkeit, mit der die Giiter die Volkswirtschaft durchlaufen, so gilt anderes fur den zweiten Faktor, aus dem die Umlaufsgesohwindigkeit der Giiter besteht, namlich der Anzahl von Betrieben, durch deren Hande die Giiter im Durchschnitt gehen. Diese Anzahl wird durch den Grad der Differenzierung des Produktionsprozesses bestimmt und wird somit durch den Differenzierungskoeffizienten ausgedriickt, der, wie wir schon friiher bemerkten, in der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes gleichfalls inbegriffen ist. Die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes und die der Giiter enthalten daher denselben Eaktor und es ist somit klar, daB eine Veranderung desselben gleichen EinfluB auf diese beiden ausiiben muB. Aber ebensosehr springt es in die Augen, daB der Zusammenhang, der aus diesem Grunde zwischen den genannten Faktoren besteht, von keiner Bedeutung ist. Die Veranderungen der Umlaufsgesohwindigkeit, von denen hier die Rede ist, haben wir schon friiher aus unseren Betrachtungen ausgeschlossen, da sie fur die in Rede stehenden monetaren Probleme vollkommen gegenstandslos sind. Die Anderung des Differenzierungskoeffizienten kann, wie wir schon vorher gesehen haben, 1 noch auf eine andere Weise eine Anderung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes herbeifiihren, indem sie namlich einen indirekten EinfluB auf die GroBe der Kassenvorrate ausiibt. Nur in diesem » Siehe S. 144 H. Beitrage zur Geldtheorie.
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Sinne konnte wirklich von einem wesentlichen Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter gesprochen werden, obwohl zu beachten ist, da6 auch hier nicht von der volkswirtschaftlichen Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter die Rede ist, sondern nur von der Geschwindigkeit, mit welcher sie sich durch die Unternehmungen hindurch bewegen. Es ist aber nie d i e s e r Zusammenhang, von welchem bei den obengenannten Autoren die Rede ist. Deren Argumentation geht ubrigens auch in umgekehrter Richtung, denn wahrend man im allgemeinen zu beweisen versucht, daB die Umlaufsgeschwindigkeiten des Geldes und die der Waren sich nur parallel bewegen konnen, sehen wir in diesem Falle eben, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter eine Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes herbeifiihrt. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und die der Giiter notwendig zusammenhangen, ist also in dem einzigen Sinn, in dem sie Bedeutung haben kann, nicht richtig. 1 Die Ansicht, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in einer ihr im besonderen eigentiimlichen Weise zu einer intensiveren Ausnutzung des sozialen Kapitals fiihren wird, steht mit der soeben besprochenen Auffassung im engsten Zusammenhang und ist tatsachlich nur eine andere Formulierungsweise derselben. Wahrend die Schriftsteller, die den Nachdruck auf den Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des Geldumlaufs und der des Giiterumlaufs legen, zu glauben scheinen, daB eine groBere Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes nur erzielt werden kann, wenn die schon umlaufenden Elemente des sozialen Kapitals ihren Umlauf rascher zu vollfiihren beginnen, legen die Vertreter der anderen Formulierung dar, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes dazu fiihrt, daB Elemente des Sozial1 Die Auffassung, daB unter bestimmten Umstanden eine Wechselwirkung zwischen der Umlaulsgeschwindigkeit der Giiter und jener des Geldes bestehe, finden wir in der jungsten Literatur nochmals verteidigt von BUDGE, der meint, daB eine Zunahme des realen Einkommens, d. h. eine Vermehrung des Angebots von Konsumgiitern, sich so vollzieht, daB diese Giiter in kilrzeren Zeitabstanden als bisher sukzessive aut den Markt kommen, wodurch eine VergroBerung der Umlaulsgeschwindigkeit „erzwungen" werde. Als Beispiel gibt BUDGE eine Volkswirtschaft, worin bisher die Giiter auf 12 Monatsmarkten abgesetzt werden. Bei Verdoppelung der Produktion wird, wie B. meint, der Absatz auf 24 Halbmonatsmarkten geschehen, wodurch die Umlaufsgeschwindigkeit sich automatisch verdoppeln wird. Formell ist dieses Beispiel einer aus einer Veranderung im Gilterumlauf entstehenden VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit vollkommen richtig. Tatsachlich wird eine Verminderung der Diskontinuitat des Giiterumlaufs die Tendenz haben, die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu vergroBern, wie wir auch zuvor schon gesehen haben. Unrichtig ist es aber zu meinen, daB dieses Beispiel eine Widerspiegelung dessen darstellt, was in der heutigen Wirklichkeit bei VergroBerung der Giiterproduktion geschieht. Mit anderen Worten, es ist nicht richtig, daB eine VergroBerung der Produktion zu einer verringerten Diskontinuitat des Guterumlaufes fiihren wird. Der Gtiterabsatz und speziell der der Konsumgiiter, an den BUDGE im besonderen denkt, findet nicht auf 12 Monatsmarkten statt, sondern vielmehr auf 360 Tagesmarkten, d. h. nahezu kontinuierlich. Die Giiter konnen also auch nicht in schnellerer Aufeinanderfolge, sondern nur in grofierer Menge auf den Markt kommen und von einer automatischen VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit ist keine Rede. BUDGE irrt denn auch, wenn er aus diesem einfachen, schlecht gewahlten Beispiel schlieBen zu diirfen glaubt, daB die VergroBerung oder Verkleinerung der Umlaufsgeschwindigkeit stets nur eine stabilisierende Wirkung auf das Preisniveau wird ausilben konnen <S. BUDGE, Lehre vom Geld, Jena 1931, S. 250ff.).
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kapitals, welche bis dahin nicht am Umlauf teilnahmen, daher brachlagen, jetzt in den Umlauf hineingezogen werden. Beiden Auffassungen zufolge findet also eine VergroBerung der durchschnittlichen Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter statt; die Art und Weise, wie diese zustande kommen soil, ist aber verschieden. DaB durch die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit brachliegendes Kapital zur Ausnutzung gebracht wird, ist offenbar die Auffassung von SCHULZE-GAEVERNITZ, der die sozialokonomische Bedeutung des Depositensystems darin sieht, daB mittels der „fremden Gelder" — d. s. Depositen und Kontokorrentsaldi — das rasch umlaufende Kapital — bestehend aus Handelsvorraten, Industrieprodukten in Verarbeitung, reifenden Ernten und brachliegenden Goldvorraten — den Banken zur Verfugung gestellt wird. Die Banken bringen durch Kreditgewahrung diese Giiter in die Hande der Unternehmungen, die sie mit Vorteil verwenden konnen. „Es bedeutet dies keine Vermehrung, jedoch intensivste Ausnutzung des vorhandenen Kapitals." 1 Mit anderen Worten, durch die Vermogensiibertragung, die dank dem Depositensystem stattfindet, wiirden die erwahnten Giiter erst in den Besitz der Wirtschaften gelangen, die diese Giiter in ihrem Betrieb verwenden konnen. Dem brachliegenden Vermogen, das durch das Depositensystem zur Verwendung kommt, hatten also auch unverwendete brachliegende Giitervorrate gegeniibergestanden. Diese Auffassung wird buchstablich von F E I L E N verfochten, der folgendes ausfiihrt: „Ist Geld objektivierte Kaufmoglichkeit, so besagt das, daB auf der anderen Seite soviel ,Angebot' auf Abnahme wartet als Geld existiert... " 2 Und: „Es wird jederzeit ein bestimmtes Mehr an Angebot da sein infolge der Existenz des Geldes als effektiv Nachfrage eintreten kann. Denn Geld ist ja nichts anderes als zuriickgehaltene Nachfragemoglichkeit." 3 F E I L E N kommt zu dieser Ansicht auf Grund seiner Behauptung, daB jeder umlaufende Geldbetrag ein Fingerzeig dafiir ist, daB auf eine Leistung zugunsten des Sozialproduktes, d. i. ein Angebot von Giitern, keine Entnahme aus dem Sozialprodukt, d. i. eine Nachfrage nach Giitern folge, weshalb ein Teil des Angebots ohne Absatz geblieben sein muB. Nun ist vor allem schon diese Pramisse unhaltbar, aber iiberdies folgt aus ihr keineswegs die von F E I L E N gezogene SchluBfolgerung, die ja nicht mehr und nicht weniger besagt, als daB eine Verminderung der Nachfrage nicht zu einer Preissenkung, sondern zur Unverkauflichkeit der angebotenen Giiter fuhrt. Dies kann natiirlich nie der Fall sein. Ubersteigt das Angebot die Nachfrage, so tritt eine Preissenkung ein, wodurch beide wieder ins Gleichgewicht kommen, denn keine der anbietenden 1
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SCHULZE-GAEVERNITZ, 1. c. S. 46.
FEILEN, Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, Berlin-Leipzig 1923, S. 70. FEILEN, 1. c. S. 140. In WAGEMANNS Geldtheorie finden wir denselben Gedanken wieder, wenn der Verfasser eine Bilanz der Volkswirtschaft aulstellt, in welcher die gesamten Kassen- und Giroguthaben einerseits und die fur den Konsum bestimmten Giitervorrate anderseits als gleiche Posten einander gegeniibergestellt werden. Zwar gibt der Verfasser zu, daB diese Gleichheit nur eine Fiktion ist, aber dessenungeachtet wird dem Leser doch suggeriert, daB zwischen diesen beiden Vorraten ein innerer Zusammenhang besteht. (Siehe WAGEMANN, Allgemeine Geldlehre, Bd. 1, 1923, S. 156ff.) 12*
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Produktionswirtschaften kann einen Vorteil davon haben, einen Teil ihres Angebotes aus dem Markte zuriickzuziehen, es sei denn bei vollstandigem oder teilweisem Monopol, mit welchem Ausnahmsfall wir hier nicht zu rechnen brauchen. In einem statisehen Gleichgewichtszustand ist ein Brachliegen von sozialem Kapital, denn so miiBte das von F E I L E N gemeinte Auf-AbsatzWarten bezeichnet werden, unmoglich. Die Vorrate, die sich im Verkehr dauernd vorfinden, bestehen aus Giitern, die sich auf ihrem Weg zum Verbrauch befinden. Sie liegen keineswegs brach, sondern bilden einen notwendigen und normalen Bestandteil des gesellschaftlichen Kapitals. Die Auffassung FEILENS ist also nicht richtig und auch SCHULZEGAEVEKNITZ' Meinung hinsichtlich der Art und Weise, in der das Depositensystem seine giinstige Wirkung fiihlbar macht, kann nicht angenommen werden. Eine Vermehrung der Depositen, soweit diese aus der tJbertragung von vorher brachliegendem Vermogen entsteht, gibt der Bank keine Verfiigung iiber reale Giitervorrate, sondern verschafft ihr nur formale Kaufkraft, der kein Guterangebot gegeniibersteht. Der EinfluB, den das Depositensystem ausiibt, ist rein dynamisch und beschrankt sich, abgesehen von den indirekten und nicht genau nachweisbaren Nachwirkungen, auf eine Ubergangszeit.
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V. Die Bedeutung der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes fur das Preisniveau. Im vorstehenden hat sich uns gezeigt, daB eine Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit die Folge der Verwendung zeitweilig verfugbarer oder dauernd freigesetzter Mittel ist, die bisher brach liegen blieben, und daB diese Verwendung vollkommen denselben preisstimulierenden EinfluB ausubt wie die Verwendung einer neu geschaffenen Geldmenge. Wie weit dieser EinfluB auf das Preisniveau reicht, haben wir jedoch bisher noch nicht angegeben. Versuchen wir daher jetzt die Frage zu beantworten, wie nach einer Geldschopfung oder einer Intensivierung der Vermogensausnutzung wieder ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Wenn in einem bestimmten Jahr eine Geldmenge in der GroBe von 1000 Einheiten zirkuliert, wahrend der Guterumsatz 20000 betragt und der Index des Preisniveaus mit 1 angesetzt wird, konnen wir fur dieses Jahr die folgende Tauschgleichung aufstellen: 1000 X 20 = 20000 X 1 worm die Zahl 20 die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wiedergibt. Nehmen wir nun an, daB durch eine der im vorigen Paragraphen genannten Ursachen eine bisher gebundene Geldmenge in der GroBe von 10 dauernd frei wird. Wurde diese Geldmenge dem Verkehr entzogen werden, dann wiirden Guterumsatz und Preisniveau unverandert bleiben, wahrend die Umlaufsgeschwindigkeit im Verhaltnis steigen wiirde. Die Tauschgleichung wurde dann lauten: 990 X 20 20/99 = 20000 X 1
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Wird nun aber das freigesetzte Vermogen verwendet, dann wird das denselben EinfluB haben, als ob in dem Zustand, der durch die zweite Tauschgleichung wiedergegeben wird, eine Geldschopfung in der Hohe von 10 stattgefunden hatte. Die Preissteigerung, die als Folge davon eintreten wird, hangt zunachst von der Zeit ab, iiber welehe die Verausgabung der Mittel verteilt ist. 1st diese Zeit z. B. eine Woche, dann wird der Wochenumsatz, der zirka Y50 von 20000, d. i. 400 betrug, auf 410 zunehmen und — wenn das Giiterangebot nicht vermehrbar ist, wie wir annehmen wollen — werden die Preise der gekauften Giiter so steigen, daB dies einer Steigerung des Preisniveaus, d. h. des gewogenen Durchschnittes aller Preise, um 2 1 / 2 % gleichkommt. Wenn nun auch die Verkaufer der betreffenden Giiter, deren Kaufkraft ja durch den unerwarteterweise vergroBerten Erlos ihrer Produkte um denselben Betrag von 10 zunimmt, diese Geldmittel binnen einer Woche ausgeben und desgleichen auch ihre Lieferanten, dann scheint es, als ob diese Preissteigerung aufrechterhalten bleiben konnte. Tatsachlich ist das aber nicht der Fall. Die Preissteigerung bedeutet fur die betreffenden Unternehmungen eine Zunahme des Gesamtbetrages ihrer Aktiva, die — da es auch hier unmoglich sein wird, das Geldkapital genau den Schwankungen der Aktiva anzupassen — eine VergroBerung Hires durchschnittlichen Kassenvorrats induziert. Ist nun, bei einer Preissteigerung von z. B. 2 x/2%, der Betrag, um welchen alle Produktionswirtschaften zusammen ihren Kassenvorrat vergroBern miissen, groBer als der urspriinglich freigesetzte Betrag, dann wird dieser letztere den Bedarf nicht decken konnen. Die Unternehmungen werden ihre Aufwendungen etwas einschranken miissen und das Preisniveau wird wieder sinken. Ein Gleichgewicht kann erst erzielt werden, wenn die Steigerung des Preisniveaus so groB ist, daB der freigewordene oder eventuell der neu geschaffene Geldbetrag durch die notwendige VergroBerung der Kassenvorrate gerade absorbiert wird. Wann dies der Fall sein wird, ist abhangig von der Intensitat der Vermogensausnutzung bei den Unternehmungen, bei denen die Preissteigerung den Gesamtbetrag der Aktiva zum Wachsen bringt. Ist diese Intensitat derart, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bei den Unternehmungen den Durchschnitt iibertrifft, dann wird in dem neuen Gleichgewichtszustand die Umlaufsgeschwindigkeit grQBer sein als friiher; ist das Umgekehrte der Fall, dann wird sie kleiner sein. Insofern wir nun annehmen diirfen, daB auf die Dauer die Preissteigerung sich iiber die ganze Wirtschaft verteilen wird und somit uberall die Zahlungen in gleichem Verhaltnis zunehmen werden, kann der SchluB gezogen werden, daB die Umlaufsgeschwindigkeit durch die Verwendung der freigesetzten oder eventuell aus Geldschopfung erhaltenen Mittel nicht beeinfluBt wird und die Steigerung des Preisniveaus daher vollkommen dem Verhaltnis zwischen dem Gesamtbetrag dieser Mittel und der zuvor schon vorhandenen Geldmenge entsprechen muB. Wenn aber die Wirkung der Kaufkraftvermehrung sich ganz oder in groBem MaB auf eine bestimmte Gruppe von Betrieben beschrankt, was z. B. in
182
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HOLTROP
Zeiten von Konjunkturhausse der Fall sein wird, wahrend welcher die Industrie viel starker beeinflufit wird als die Landwirtschaft, wird die Umlaufsgeschwindigkeit sich andern und daher die Steigerung des Preisniveaus groBer oder geringer sein konnen als in dem soeben genannten Fall. 1
Viertes
Hauptstuck.
Die Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit und ihre Veranderungen. I. Die gegenwartige Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit.
sU p
pL
ex
Nachdem wir im vorigen Hauptstuck die Faktoren, durch welche die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmt wird und die Ursachen, durch welche Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit zustande kommen, kennengelernt haben, verbleibt uns jetzt noch die Aufgabe, mit Hilfe der verfugbaren statistischen Daten die gegenwartige GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit und die Bedeutung ihrer Veranderungen festzustellen und dabei zu untersuchen, ob die wahrgenommenen Erscheinungen aus dem zuvor Besprochenen erklart werden konnen. Der statistischen Bestimmung der Umlaufsgeschwindigkeit stehen verschiedene Schwierigkeiten im Wege. Nicht nur sind die Daten sehr sparlich, sie konnen iiberdies, soweit sie verfugbar sind, strengen theoretischen Anforderungen nicht gemigen. Die Kenntnis des Umfanges der umlaufenden Geldmenge ist mit einiger Genauigkeit nur fur die Lander zu erhalten, wo, wie in Frankreich vor 1914, die Bezahlung durch Uberweisung von so geringer und zu vernachlassigender Bedeutung ist, daB den Banksaldi der Geldcharakter fehlt, oder fur diejenigen Lander, die wohl das System der Girozahlung kennen, aber dabei die anglo-amerikanische Buchungsmethode fur Kredite und Depositen mit einer umfassenden Bankstatistik verbinden, wie die Vereinigten Staaten. Fur Lander wie Deutschland und die Niederlande kann die Geldmenge nicht bestimmt werden, auch dann nicht, wenn die Banken alle ihre Daten, betreffend Depositen und Kontokorrentsaldi, hiefur zur Verfugung stellen, da dann noch die Kenntnis des Umfanges der eingeraumten Dispositionsbefugnis, von der noch kein Gebrauch gemacht wurde, fehlen wiirde. Aber auch der Gesamtumfang der Umsatze von Gutern und Dienst1 Aus dem Vorstehenden kann noch abgeleitet werden, daB die Folgen einer Vermehrung der Geldmenge um einen bestimmten Betrag und die Folgen der Freisetzung derselben Geldmenge durch intensivere Ausniitzung des Vermogens nicht vollkommen gleichgestellt werden durfen. Der letztere Vorgang hat auf die Dauer einen etwas groBeren EinfluB auf das Preisniveau, da die freigewordene Geldmenge nicht mit der alten Umlaufsgeschwindigkeit zirkulieren wird, sondern mit derjenigen, mit welcher die ubrige Geldmenge nach jener Freisetzung umlauft. In dem oben besprochenen Fall z. B. wird bei Geldschopfung in der Hohe von 10 die Umlaufsgeschwindigkeit des neugeschaffenen Geldes gleich 20 sein und die Vermehrung der Umsatze daher 200 betragen. Bei Freisetzung eines Betrages in der Hohe von 10 wird dagegen die Umlaufsgeschwindigkeit desselben 20 20/89 sein und die Vermehrung der Umsatze daher 202 2 / 99 betragen.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
183
sU p
pL
ex
leistungen ist schwer feststellbar, da man ja dazu die Geldiibertragungen in solche, die aus einem Verkauf von Giitern entstehen und solche, bei denen dies nicht der Fall ist, trennen miiBte, was beinahe unmoglich ist. Die Umlaufsgeschwindigkeitsziffern, iiber die wir verfiigen, beruhen denn auch alle auf dem Verhaltnis zwischen dem Gesamtbetrag der von den Banken vollzogenen tJberweisungen und dem durchschnittlichen Guthaben, mit welchem diese durchgefiihrt sind. Zu diesen tJberweisungen gehoren auch diejenigen, welche aus dem Umsatz von Effekten und Grund und Boden, aus Gelddarlehen, aus Schenkung hervorgehen und auch die, durch welche Betrage von einem Konto auf ein anderes Konto desselben Klienten iibertragen werden. Bedenken wir uberdies noch, wieviele Zahlungen durch Vermittlung verschiedener Zwischenpersonen stattfinden und damit AnlaB zu drei oder vier tJberweisungen geben, dann wird es klar, daB die Ziffern, die fur die Umlaufsgeschwindigkeit gegeben werden, immer zu hoch sind und nur unter Vorbehalt benutzt werden sollten. Dazu kommt dann noch die Schwierigkeit, daB selbst abgesehen von den genannten Bedenken eine geschlossene Reihe dieser Ziffern uns iiber diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die fur unser Problem von wirklicher Bedeutung sind, noch nichts sicheres lehrt, da ja der Differenzierungskoeffizient, der in der Umlaufsgeschwindigkeit inbegriffen ist, eine Veranderung erfahren haben kann. Wir miissen daher fur die Bestimmung der gesuchten Veranderungen einen MaBstab anlegen, in dem dieser Koeffizient nicht enthalten ist. Als solcher kann, wie bereits friiher erwahnt wurde, 1 im allgemeinen das Verhaltnis zwischen dem gesamten Geldeinkommen und der gesamten Geldmenge verwendet werden, welches Verhaltnis wir die Effektivitat des Geldes genannt haben. Fur die Lander, wo die Geldmenge bestimmbar ist, kann diese Effektivitat meist leicht berechnet werden, da wir ja iiber ziemlich genaue Ziffern iiber die Volkseinkommen verfiigen. Da diese sich aber nur selten auf eine Reihe aufeinanderfolgender Jahre beziehen und selbst die besten noch einen wahrscheinlichen Fehler von 5 bis 10% haben, 2 sind sie fur die Bestimmung kleiner Schwankungen der Umlaufsgeschwindigkeit gleichfalls nicht brauchbar. Die Moglichkeit von Veranderungen des Differenzierungskoeffizienten fuhrt nicht nur zu statistischen, sondern auch zu terminologischen Schwierigkeiten. Bisher haben wir, als wir von der Umlaufsgeschwindigkeit und ihren Veranderungen sprachen, den Differenzierungskoeffizienten stets als unveranderlich betrachten konnen, wodurch es uns moglich war, diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die von monetarer Bedeutung sind, von den iibrigen zu unterscheiden. Wenn wir aber im folgenden von den Umlaufsgeschwindigkeitsziffern in der Form Gebrauch machen, in der sie uns zur Verfugung stehen, finden wir auch die Veranderungen der Differenzierung darin ausgedriickt. Da es nun zu weit1 2
Siehe oben S. 130. National Bureau of Economic Research, Income in the United States, New York 1921, S. 65 u. 85.
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ex
schweifig ware, fortwahrend zwischen „Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit im allgemeinen" und „Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die keine Folge einer Veranderung der Differenzierung sind" zu unterscheiden, werden wir im folgenden die letztgenannten als Veranderungen in der Effektivitat bezeichnen, auch wenn diese nicht unter alien Umstanden in dem Verhaltnis zwischen dem Gesamteinkommen und der gesamten Geldmenge zum Ausdruck kommen. 1 Das einzige Land, fiir welches ziemlich genaue Ziffern betreffend die Umlaufsgeschwindigkeit berechnet wurden, sind die Vereinigten Staaten. Die ersten verlaBlichen Daten sind die IRVING FISHERS, der fiir das bare Geld in den Jahren 1909 bis 1912 zu einer Umlaufsgeschwindigkeit von ungefahr 21 und fiir das Giralgeld zu einer solchen von beinahe 52 kommt. 2 Nach den viel umfassenderen Daten von BURGESS ist die letztere Ziffer aber zu hoch und dieser Schriftsteller setzt die Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen auf nicht mehr als 25 bis 35, mit 30 als wahrscheinlichem Maximum. 3 Bemerkenswert ist bei diesen letzteren Ziffern die groBe Marge zwischen den Umlaufsgeschwindigkeiten in verschiedenen Stadten der Vereinigten Staaten. I n der nachstehenden Tabelle z. B. finden wird die Ziffern fiir die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit von Bankdepositen in den Jahren 1919 und 1925. Zahl der Banken
Umlaufsgeschwindigkeit
pL
Stadt
39 3 10 3 6 11 14 6
sU p
New York . . . Albany Buffalo Kochester . . . Syracuse Boston Chicago San Francisco
1919
1925
75,2 35,3 18,0 18,4 10,8 36,6 46,3 40,3
87,7 28,5 26,2 30,3 8,9 38,3 44,0 39,0
Es geht daraus hervor, daB nicht nur die verschiedenen Stadte in demselben J a h r untereinander starke Unterschiede aufweisen, sondern iiberdies auch in ein und derselben Stadt die Umlaufsgeschwindigkeit zwischen 1919 und 1925 zuweilen auf ein vollig anderes Niveau gekommen ist, welche letztere Erscheinung anzeigt, wie vorsichtig man mit Daten sein muB, die sich nur auf ein beschranktes Gebiet beziehen. J e mehr eine Stadt ein finanzielles Zentrum bildet, desto groBer ist die Umlaufsgeschwindigkeit der Depositen. 4 Die Erklarung hiefur ist unzweifelhaft zum groBen Teil in der Tatsache zu finden, daB gerade die Zahlungen, 1
Siehe dariiber S. 131, Anm. 1.
2
FISHER, 1. c. S. 304.
3 BURGESS, Velocity of Bankdeposits, Quaterly Publication of the American Statistical Association, June 1923. 4
BURGESS, Velocity, S. 733.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
185
die bei der Berechnung der Umlaufsgeschwindigkeit tatsachlich auBer Betracht gelassen werden miissen, sich in den finanziellen Zentren mit wichtigen Borsen, vor allem also in New York, konzentrieren. Ein grofier Teil der Saldi dient dort z. B. der Verrechnung der taglichen Effektenumsatze. AuBerdem kann in den Zentren der engere Kontakt mit dem Geldmarkt von Bedeutung sein, infolgedessen es dort leichter ist als in den kleinen Provinzstadten, eventuelle Vermogensuberschusse dem Geldmarkt anzuvertrauen, statt sie als Giralgeld bei den Banken liegen zu lassen. DaB die Stadte im allgemeinen, verglichen mit dem Land als ganzem, eine hohe Umlaufsgeschwindigkeitsziffer aufweisen, geht auch noch aus den folgenden amerikanischen Ziffern hervor. 1 Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen
75,2 74,1 68,3 75,8 79,1 79,6 87,7
77,1
42,3 41,9 38,5 40,5 41,4 40,9 44,2
28,8 27,9 24,7 26,1 25,8 25,5 25,1 27,2 30,3
pL
1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 Durchsclin. 1919—1925
ganzes Land
546,8 587,7 484,0 533,9 570,3 600,1 653,4 695,3 766,0
ex
141 Stadte inkl. New York
New York
Ganzes Land Betrag der Betrag der Scheckzahlun- Depositen in gen in Milliar- Milliarden den Dollar Dollar
41,4
18,99 21,08 19,63 20,47 22,11 23,53 25,98 25,57 25,53
26,3
sU p
Die Effektivitat des Geldes ist offenbar viel kleiner, als auf Grund der hohen Ziffern fur die Umlaufsgeschwindigkeit erwartet werden miiBte. In der nachstehenden Tabelle folgt eine Berechnung dieses Faktors und des Differenzierungskoeffizienten in den Vereinigten Staaten fur die Jahre 1909 bis 1912 auf Grund der von F I S H E R gegebenen Ziffern, betreffend Geldmenge und gesamten Guterumsatz, und der Schatzungen des National Bureau of Economic Research betreffend das Volkseinkommen. 2 Es geht daraus hervor, daB die Effektivitat 1912 nur 3,34 betrug, d. h. daB die zirkulierende Geldmenge sich auf ein Drittel des Nationaleinkommens belief. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist selbst diese Ziffer noch zu hoch, da ja die neuesten Daten darauf hindeuten, daB F I S H E R die Depositen zu niedrig und ihre Umlaufsgeschwindigkeit zu hoch geschatzt hat. 1 Zit. von K E Y N E S , 1. c. Bd. II, S. 36. Quelle: New York und 141 Stadte: C. SNYDER, Business Cycles and Measurements, S. 294; ganzes Land: W. C. MITCHELL, Business Cycles, S. 126. Ziffern fur 1927: C. SNYDER, Review of Economic Statistics, Februar 1928. Alle diese Ziffern haben ausschlieBlich auf Depositen mit Geldcharakter Bezug, d. h. auf Depositen, iiber die mittels Schecks verfiigt werden kann. 2 FISHER, 1. c. S. 304; National Bureau of Economic Research, Income in the United States, New York 1921, S. 64.
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Vereinigte 3
2
1
4
Staaten. 5
6
7
8 Effektivitat = = 5:4
3,47 3,52 3,31 3,34
Jahr
cliartales Geld
Depositen
gesamte Geldmenge = = 2+ 3
gesamtes Einkommen
Geldumsatz
Differenzierungskoef. 6—5 5
1909 1910 1911 1912
1,61 1,69 1,64 1,71
6,68 7,23 7,78 8,17
8,29 8,92 9,42 9,88
28,8 31,4 31,2 33,0
387 415 422 474
12,44 12,22 12,53 13,36
in Milliarden Dollar I n diese Richtung weisen auch die Ziffern, die K E Y N E S fur das Jahr 1923 gibt 1 und die wie folgt zusammengefaBt werden konnen:
1923
3,7
Depositen
22,1
gesamtes Einkommen
Nationaleinkommen
ex
chartales Geld
Jahr
25,8
70,0
Effektivitat
2,71
pL
in Milliarden Dollar
sU p
Sehr groB zeigt sich der Diff erenzierungskoeff izient; die Summe der Geldiibertragungen iibersteigt das Gesamteinkommen um mehr als 13mal. Es verdient aber erwahnt zu werden, daB der eigentliche Differenzierungskoeffizient durch diese Berechnung nur angenahert wird. Um ihn zu bestimmen, mussen wir ja ebenso wie bei der Bestimmung der Umlaufsgesehwindigkeit die Summe der Umsatze von Giitern und Dienstleistungen beniitzen und nicht die Summe der Geldiibertrage, was wir oben taten. Die Anzahl der Ubertragungen von Hand zu Hand, welche die Giiter im Durchschnitt mitmachen, ist zweifellos geringer, als durch die genannte Zahl angegeben wird. Fur England und Wales gibt K E Y N E S die folgende Berechnung der Umlaufsgesehwindigkeit der Kontokorrentdepositen :2 (Tab. nebenstehend) Die resultierenden Umlaufsgeschwindigkeitsziffern sind aber zufolge 3 K E Y N E S ZU niedrig, da die Summe der Sohecktransaktionen groBer ist als die der Clearings, in welche ja die internen Uberweisungen zwischen Klienten derselben Bank nicht inbegriffen sind. Uberdies ist die Summe der Depositen vom 31. Dezember ohne Zweifel hoher als der Durchschnitt. Aus diesen Griinden muB die Ziffer der Kolonne 1 um 3 5 % erhoht, die Ziffern der Kolonnen 2 und 3 mussen um 6% verringert werden, wodurch 1 2
3
K E Y N E S , 1. c. Bd. II, K E Y N E S , 1. c. Bd. II,
S. 37. S. 31.
In derselben GroBenordnung liegen ubrigens die Ziffern, die EINAR COHN in National Okonomisk Tidsskrift 1930, H. 4, S. 362, fur die Umlaufsgesehwindigkeit der Kontokorrentsaldi bei den danischen Banken gibt und die wie folgt lauten:
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
187
England und Wales. 1
Jahr
1909 1913 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929
4
2
3
Clearings insgesamt
Gesamte Depositen am 31. Dezember
Kontokorrent in °/0 der Gesamtziffer
Betrag Mill. Plund
Umlaufsgeschwindigkeit
14215 17 336 42151 36717 38958 38429 41414 42302 41453 43261 45878 46495
711 836 2012 2023 1885 1856 1843 1835 1878 1923 1982 1940
52 52 62 56 56 57 56 55 54 54 53 52
370 435 1247 1133 1056 1058 1032 1009 1014 1038 1050 1009
38 40 34 32 37 36 40 42 41 42 44 46
ex
in Millionen Pfund
sU p
pL
die Umlaufsgeschwindigkeitsziffer um 4 3 % hoher wird. Die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit der ,,cash deposits" fur die Jahre 1924 bis 1929 schatzt K E Y N E S daher auf 60. Hiebei muB im Auge behalten werden, daB bei der Berechnung der Hohe der Depositen die „unused overdraft facilities" nicht beriicksiehtigt sind, deren EinfluB er aber als aufgewogen erachtet durch den der feststehenden Minimaleinlagen, die die Banken von ihren Kunden verlangen und die eigentlich nicht zu den „cash deposits" gerechnet werden durfen. Einen Fingerzeig fur die beilaufige GroBe der Effektivitat geben die folgenden, K E Y N E S 1 entnommenen Ziffern. Banknotenumlauf (abzilgl Bankreserven)
250
Einlagen in laufender Rechnung
insgesamt
1075
Volkseinkommen
Effektivitat
4000
3,02
1325
in Millionen Pfund Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929
Belastungen in laufender Rechnung
Durchschnittliche Kontokorrentsaldi
Umlaufsgeschwindigkeit
7646 6603 5464 5076 5280 5299
173 145 138 128 126 129
44 46 40 40 42 41
Millionen Kroner Der Riickgang der Umsatze und durchschnittlichen Saldi in den Jahren 1924 bis 1926 muB der Einstellung der Tatigkeit zweier Banken zugeschrieben werden. 1
K E Y N E S , 1. c. Bd. 2, S. 28. u.
38.
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Diese Ziffer ist betrachtlich holier als die Schatzung von ROBERTSON, der glaubt, daB die Geldmenge die Halfte des Volkseinkommens betrage und das Geld daher mit einer Effektivitat von 2 umlaufe. 1 Eine ahnliche Berechnung firr Frankreieh fur das Jahr 1912, bei der wir annehmen wollen, daB der Zahlungsverkehr durch Uberweisung dortselbst in diesem J a h r praktisch vollig vernachlassigt werden kann, gibt das folgende Resultat: Frankreieh. Jahr
Gesamtumlauf 3
Volkseinkommen s
Effektivitat
1912
12,55
36,50
2,91
in MiUiarden Frs.
sU p
pL
ex
also eine Effektivitat von 2,91, noch wesentlich geringer als in den Vereinigten Staaten. Diese Ziffer wird durch die Schatzung von L E R O Y BEATJLIEU bestatigt, der, zufolge WICKSELL, die Geldmenge in Frankreieh mit 8 1 / 2 MiUiarden Francs bei einem Volkseinkommen von 25 MiUiarden feststellt, was eine Effektivitat von 2,94 ergibt. 4 Wenn wir die Frage zu beantworten suchen, warum gegenwartig eine so groBe Geldmenge zirkuliert und nicht eine verhaltnismaBig kleine mit einer entsprechend groBen Umlaufsgeschwindigkeit, miissen wir beriicksichtigen, daB die Umlaufsgeschwindigkeit, obwohl sie theoretisch unendlich groB sein kann, praktisch doch durch die Technik des Zahlungsverkehrs begrenzt wird. I m allgemeinen laBt es diese Technik ja nicht zu, daB ein Betrag an ein und demselben Tag fiir zwei Zahlungen gebraucht wird. Nehmen wir an, daB sogar noch ein zweiter Tag verstreichen muB —• was vor allem beim Giralverkehr der FaU sein wird, und zwar insbesondere in groBen Landern wie den Vereinigten Staaten, wo in der T a t die technische Dauer einer Zahlung haufig noch viel langer ist —, dann wiirde eine Geldmenge in der Hohe von y i 8 0 der Summe der jahrUch zu leistenden Zahlungen technisch ausreichen. Ist der letztere Betrag zirka 15mal so groB wie das Gesamteinkommen, dann kann also eine Geldmenge von x / 1 2 dieses Einkommens alle Umsatze vermitteln. Der Rest liegt in den Kassen, nicht auf Grund technischer Notwendigkeiten des Zahlungsverkehrs, 5 sondern ausschlieBlich auf Grund der UnmbgUchkeit, das Vermogen den Schwankungen der Aktiva anzupassen. Beinahe alle vorkommenden Fluktuationen und ganz besonders solche mit verhaltnismaBig kurzer und unregelmaBiger Wellenlange 1
D. H. ROBERTSON, Banking Policy and the Price level, London 1926, S. 58, Anm. Regimes et circulations monetaires d'apres guerre. Secretariat de la Societe des Nations, London 1920. 3 Income in the U. S., S. 85. 2
4
5
WICKSELL, Vorlesungen, S. 80.
Es kann hier vermerkt werden, daB in bezug auf dieses technische Minimum der Gedanke, der Geldbedarf werde durch die physische Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmt, wohl einigermaBen verwendbar ist.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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pL
ex
werden zu einem Brachliegen von Mitteln fiihren, denn selbst wenn versucht wird, das Geldkapital im allgemeinen dem schwankenden Bedarf anzupassen, gelingt dies doch niemals vollkommen. Wenn z. B. der allmahliche Verbrauch eines groBen Komplexes dauerhafter Produktionsmittel mit periodischer Tilgung aufgenommenen Vermogens, beispielsweise einer Obligationenanleihe, Hand in Hand geht, geschehen diese Tilgungen doch nur ein- oder zweimal im Jahr. Die freiwerdenden Mittel bleiben daher noch geraume Zeit zur Verfiigung der Unternehmung und werden diese Zeit hindurch zu einem groBen Teil brach liegen bleiben. Auch unter anderen Umstanden wird der Gebrauch dauerhafter Produktionsmittel meist zur Bildung eines Kassenvorrats AnlaB geben. Selbst wenn durch den Unterschied im Alter der einzelnen Produktionsmittel innerhalb des Betriebes eine gewisse Synchronisierung der Schwankungen eintritt, wird nichtsdestoweniger ein Kassenvorrat entstehen. Denn da die Synchronisierung nie vollstandig ist, werden in unregelmaBigen Zeitabstanden zum Ersatz oder zur Reparatur der einen oder anderen Maschine recht groBe Aufwendungen stattfinden. Dem kontinuierlichen Strom von Einkunften steht dann ein unregelmaBiger Strom von Ausgaben gegeniiber, zwischen welchen der Kassensaldo gleichsam ein Reservoir bildet, das die Verbindung beider ermoglicht. Daneben werden auch die periodischen Zahlungen fur Dienste — wobei sowohl an Lohne und Gehalte wie auch an die Dividenden und Tantiemen gedacht werden muB — zu einem KasseniiberschuB fiihren. "Uberdies werden aber die unvorhersehbaren UnregelmaBigkeiten sowohl des Absatzes als der Beschaffungen von Belang sein, zu denen wir auch die kleinen, nicht ausgesprochen saisonbedingten Schwankungen rechnen kQnnen. Die Wirklichkeit des Wirtschaftslebens steht weit ab von dem statischen Schema, worin alles Geschehen sich regelmaBig wiederholt. Wenn wir nur einen Blick auf die verfiigbaren Monatsziffern werfen, werden wir aufs starkste frappiert durch die groBen UnregelmaBigkeiten, die in Produktion und Absatz augenscheinlich bestehen. So veroffentlicht z. B. das „United States Department of Commerce" in seinem ,,Survey of current business" Monatsziffern von Produktion und Absatz zahlreicher Industriezweige, wobei eine prozentweise Vergleichung mit dem vorangehenden Monat und mit demselben Monat des Vorjahrs gegeben wird. Die erstere Vergleichung betrifft also auch die Saisonschwankungen, die in Amerika unzweifelhaft viel groBer sind als in Europa, 1 die letztere nur die Konjunkturveranderungen und die unregelmaBigen Schwankungen. Die GroBe der festgestellten Abweichungen ist in der Tat auffallend. Als Beispiel sei erwahnt, daB die durchschnittliche positive und negative Abweichung bei 11 verschiedenen Industriezweigen zwischen der Produktion im Dezember 1926 und November 1926 ± 7 , 7 % und die zwischen Dezember 1926 und Dezember 1925 ± 8 , 1 % betrug. 2 Bedenken wir, daB diese Ziffern ganze Industriezweige betreffen, die selbst wieder aus 1 2
H. FELDMANN, The Regularisation of employment, New York-London 1925, S. 69. Survey of current business, Febr. 1927, Nr. 66, S. 22.
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pL
ex
zahlreichen Unternehnmngen bestehen, deren Ziffern zusammengefaBt sind und einander daher ausgleichen, dann ist es klar, daB bei den einzelnen Unternehmungen die Schwankungen noch groBer gewesen sein mussen. Die Vorratsziffern zeigen ebensogroBe Schwankungen. So finden wir die folgende mittlere Abweichung zwischen den Vorraten aller Giiter, die in die erwahnte Statistik aufgenommen sind: November 1926 gegen Oktober 1926 + 13,2%, November 1926 gegen November 1925 + 4 9 , 2 % . 1 Derartige Schwankungen der Vorrate finden wir auch in K E Y N E S „Memoranda on the Stocks of Staple Commodities" selbst nach Ausschaltung von Saisoneinfliissen.2 Diese Ziffern zeigen wohl deutlich, wie groB die UnregelmaBigkeiten sind. Dazu kommt noch, daB nicht nur die Schwankungen in der Hohe der Verwendungen, die wirklich eintreten, sondern auch die, welche von den Unternehmungen als moglich betrachtet oder erwartet werden, ihren EinfluB auf den Kassenvorrat geltend machen. Wenn mit der Moglichkeit gerechnet werden muB, daB die Verkaufe plotzlich um 10% sinken und daher die Eingange betrachtlich geringer werden, muB die Unternehmung dafiir Vorsorge treffen; sie wird z. B. einen bestimmten Betrag von Mitteln in Reserve halten, um ihn, wenn es notwendig wird, sofort verwenden zu konnen. Auf diese Weise entstehen die sogenannten Kassenreserven, die aber in keiner Beziehung von dem ubrigen Kassenvorrat zu unterscheiden sind. Sie entstehen ja aus vollkommen der gleichen Ursache. Auch sie werden durch die Schwankungen der Aufwendungen erforderlich, von denen jedoch in diesem Fall nicht bekannt ist, wann sie eintreten werden, und die lange Zeit ausbleiben konnen, wodurch es scheint, daB ein standiger Kassenvorrat gehalten wird.
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Die absolute GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit ist fur eine Volkswirtschaft, die sich in statischem Gleichgewichtszustand befindet, von keinerlei Bedeutung. Ebenso wie die GroBe der Geldmenge ist sie, was ihren EinfluB auf andere Erscheinungen betrifft, ein Faktor rein monetarer Art, der auf die Dauer nur fur die nominale Hohe der Preise von Belang ist. DaB die entgegengesetzte Auffassung auf einem MiBverstandnis beruht, ist uns bei der Besprechung des angeblichen Zusammenhanges zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter klar geworden. Nur in der Dynamik kommt der absoluten GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit oder besser der Effektivitat des Geldes besondere Bedeutung zu. Sie ist ja bestimmend fur den EinfluB, den eventuelle Ausdehnungen oder Zusammenziehungen des Geldumlaufes auf das Preisniveau ausiiben. Wenn die Effektivitat des Geldes grSBer ist. ist das 1
Survey of current business, Janner 1927, Nr. 65, S. 23. 2 K E Y N E S , Memoranda Nr. 16, Februar 1926. Weitere Daten bei SNYDER, A new index oJ the volume ol trade, Journal of the American Statistical Association, Dez. 1923; W. R. BURGESS, Fluctuations in retail and wholesale trade, in: The problems of business forecasting. Edited by Warren M. PERSONS, W. T. FOSTER and A. I. HETTINGER, London 1924, S. 35fL; E. SCHAFER, Amerikanische Einzelhandelsstatistik, Ann. d. Betr.-Wirtschai't, Bd. 1, H. 1, Jan. 1927, S. 125.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Preisniveau fur Veranderungen in der Grofie des Geldumlaufs empfindlicher und daher labiler. Und da wir im allgemeinen annehmen durfen, daB die geldschopfenden Machte, sei es die Obrigkeit oder die Banken, sieh einer zusatzlichen Geldschopfung um so eher enthalten werden, erne je grbBere Preissteigerung diese hervorbringen wird, so ist eine Inflation unter sonst gleichen Umstanden um so weniger zu erwarten, je groBer die Effektivitat des Geldes ist. Denn in diesem MaBe ist sie auch ein weniger taugliches Mittel, um ihren Zweck, namlich die Verschiebung von Kaufkraft vom Publikum auf die geldschopfende Macht oder deren Begiinstigte, zu erreichen. J e groBer die Effektivitat des Geldes, desto geringer ist die Menge der Kaufkraft, die der Geldschbpfer auf Kosten einer bestimmten Erhohung des Preisniveaus ausiiben kann; desto geringer daher auch die Belastung, die der Volkswirtschaft durch eine Inflation auferlegt werden kann. DaB dies z. B. in Zusammenhang mit der Finanzierung von auBergewohnlichen Staatsausgaben (wie Krieg) von der groBten Bedeutung sein kann, fallt in die Augen. Derselbe Umstand ist iibrigens auch von groBer Bedeutung im Zusammenhang mit der Stellung der Banken wahrend einer Konjunkturhausse. J e groBer die Effektivitat, desto weniger ist es fur die Banken moglich, ihre Klienten durch fortlaufende Kreditschopfung in den Besitz einer bestimmten Menge von Produktionsmitteln zu setzen, desto geringer daher auch die Moglichkeit, durch erzwungenes Sparen eine wirkliche Erweiterung des Produktionsapparates zu forcieren.
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II. Die Schwankung in der Effektivitat des Geldes wahrend des Saisonverlaufs. Aus den von BURGESS veroffentlichten Ziffern, betreffend die Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen geht hervor, daB diese recht betrachtlichen Saisonschwankungen unterliegt, die z. B. bei den drei Banken in Albany zwischen dem Monat mit der hochsten und dem mit der geringsten Geschwindigkeit eine Abweichung von 3 1 % des Durchschnitts und in New York mit seinen 39 Banken eine Abweichung von 2 1 % verursachten. 1 Diese Saisonschwankung ist aber keineswegs ein Fingerzeig fur diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die fur die Hohe des Preisniveaus von Bedeutung sind; sie bedeutet keine gleich groBe Eluktuation in der Effektivitat des Geldes und ist auch nicht mit einer intensiveren Vermogensausnutzung verbunden. Sie entsteht lediglich daraus, daB die tjbertragung und Bezahlung der Giiter oft in einem kurzen Zeitverlauf konzentriert ist. Man denke z. B. an die Erntebewegung, die in einem einzelnen Monat die Ubertragung einer enormen Gutermenge mit sich bringt, oder an die Zahlungen von Pachten, Coupons u. dgl., die zu einem groBen Teil in bestimmten Monaten wie Mai und November zusammengedrangt sind. DaB an solchen Zeitpunkten der 1
BURGESS, Velocity, S. 736.
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Gesamtbetrag der Geldiibertrage betrachtlich groBer ist als sonst, bedeutet keineswegs eine groBere Effektivitat. Wenn fur diese Zahlungen Gelder verwendet werden, die lange Zeit hindurch brachlagen, zeigt dies nur an, wie derartige in der ganzen Volkswirtschaft gleichzeitig vor sich gehende Begleichungen den Umlauf des Geldes verzbgern, da sie zu Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva fuhren, die auf keinerlei Weise kompensiert oder synchronisiert werden konnen. Die Schwankungen in der Effektivitat, die wahrend der Saisonbewegung wahrgenommen werden konnen, kommen in dem wahrend des Jahresverlaufs regelmaBig wechselnden Umfang der Geldmenge und der damit Hand in Hand gehenden periodischen Versteifung des Geldmarktes zum Ausdruck. Hiebei muB zwisohen derjenigen Vermehrung der Geldmenge, die ausschlieBlich zwecks Vorsorge fiir den Bedarf der Zahlungstermine stattfindet, und derjenigen unterschieden werden, welche zur Erleichterung des periodisch in bestimmten Saisonterminen, z. B. im Herbst, auftretenden Drucks auf den Geldmarkt vor sich geht. Beide stehen mit der Effektivitat in Zusammenhang, jedoch auf verschiedene Weise. Die Geldschopfung an den Zahlungsterminen ermoglicht es, die in der Technik des Zahlungsverkehrs gelegenen Hindernisse einer VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit wenigstens zum Teil zu iiberwinden. Wir haben schon bemerkt, daB diese Technik zur Folge hat, daB das Geldmengen-Minimum mit dem der Verkehr abgewickelt werden kann, mindestens so groB sein muB wie die Summe der an einem Tag zu leistenden Zahlungen. Wenn nun im Verlauf des Jahres einzelne Tage mit einem sehr groBen XJmsatz vorkommen, wird die erforderliche Geldmenge, wie sich von selbst versteht, durch den Tag mit dem maximalen XJmsatz bestimmt. Das Geld, das an diesem Tage mehr gebraucht wird als an irgendwelchen anderen, wird weiter das ganze Jahr lang brach liegen bleiben mussen. Vom Standpunkt der Unternehmung bedeutet die Unmoglichkeit, Einnahmen und Zahlungen eines Tages in Einklang zu bringen, einen zusatzlichen Vermogensbedarf, der nicht im realen Giiterverkehr, sondern in einer mangelhaften Zahlungstechnik seinen Ursprung hat. Wenn nun dieser Bedarf durch Kreditgewahrung auf Grund von Geldschopfung befriedigt werden kann — und dies ist es, was an den groBen Zahlungstagen tatsachlich geschieht —, so wird dadurch eine groBere Effektivitat des Geldes ermoglicht, als bei nicht elastischem Geldumlauf erzielbar gewesen ware. Von etwas anderer Art ist die regelmaBig wiederkehrende Saisonverknappung des Geldmarktes. Diese bedeutet, soweit sie zu einer Geldschopfung fiihrt, stets verminderte Effektivitat und damit geringere Intensitat der Vermogensausnutzung. Dies wird klar, wenn wir untersuchen, wie eine solche Verknappung eintreten kann. Diese muB die Folge einer relativen Verminderung des Angebotes oder einer relativen Zunahme der Nachfrage nach kurzfristigem Kredit sein. Das erste kann vorkommen, wenn ein groBer Betrag von Geldmitteln aus der Hand von Unter-
Die Umlaufsgeschwindigkeit dea Geldes.
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nehmungen, die diese bisher auf dem Geldmarkt anlegten, in die Hande von XJnternehmungen iibergeht, die einen betrachtlichen Teil davon zeitweilig brach liegen lassen. Dies wird z. B. oft der Fall sein, wenn das Geld, nachdem es zunachst in einzelnen Handen konzentriert war, plotzlich Tiber eine groBe Zahl von Produktionswirtschaften verteilt wird; man denke an die Tilgung groBer Darlehen, die Bezahlung groBer Dividenden oder auch an die tJbernalime der Ernte durch den Handel. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird damit durchbrochen und kann nur wiederhergestellt werden, wenn die Steigerung der Geldsatze anderen Produktionswirtschaften einen Anreiz gibt, ihre Vermogensiiberschusse nunmehr auf dem Geldmarkt anzulegen, in welchem Fall die Effektivitat des Geldes sich nicht andern wird, oder auch, wenn das Angebot durch Geldschopfung erganzt wird, in welchem Falle die Effektivitat sich verringert. 1 Ein Beispiel hiefiir bietet die Geldnachfrage vor der Erntebewegung. 2 Der Handel, der, wie wir annehmen diirfen, seine Vermogensiiberschusse auf dem Geldmarkt anlegte, zieht diese zuriick, um den Vorrat an Ernteprodukten zu ubernehmen; die Landwirte bringen die erhaltenen Gelder nicht sogleich wieder auf den Geldmarkt zuriick, sondern halten einen Teil davon, teilweise fur die in kurzer Zeit zu bezahlenden Pachten, in der Kasse. Es entsteht somit ein Druck auf den Geldmarkt. Wie stark und von welcher Dauer dieser Druck ist, hangt von der Organisation des landwirtschaftlichen Kredits und davon ab, in welchem MaBe die Landwirte in Verbindung mit dem Bankwesen stehen. Eine relative Zunahme der Nachfrage nach Kurzkredit kann in der Produktionssaison bemerkt werden, wenn die Unternehmungen voriibergehend Geldmittel brauchen, um die Saisonvorrate zu bilden, die in der Verbrauchssaison abgesetzt werden sollen. Allerdings steht dann der Vermehrung des Vermogensbedarfes das zeitweilige Sparen der Verbraucher gegeniiber, doch da dieses groBenteils in der Form von Hortung geschieht, wird das Angebot auf dem Geldmarkt nicht im gleichen Verhaltnis vermehrt werden. Die Geldsatze werden steigen und die Geldmenge wird wieder zunehmen miissen. Dadurch wird z. B. die Herbstversteifung des Geldmarktes noch verstarkt werden. So nennt KEMMEBEB, in seiner Studie iiber die Saisonvariationen in der Nachfrage nach Geld den EinfluB der kleinen Ersparnisse der Verbraucher, die vor Weihnachten gemacht werden und danach wieder zu den Banken zuriickstromen. 3 Die Saisonschwankungen in der Effektivitat des Geldes sind also eine Folge des Umstandes, daB das Geld, wenn wir die Volkswirtschaft als ein Ganzes betrachten, sich in dem einen Teil des Jahres in den Handen von Unternehmungen oder Haushalten mit geringer Intensitat der Vermogensausnutzung befindet — wo der UberschuB an Mitteln also brachliegen bleibt, so daB eine voriibergehende VergroBerung der Geldmenge 1
Siehe oben S. 172ft. Siehe auch KEMMERER, Seasonal variations. KEMMERER, Seasonal variations, S. 28 ff. Beitrage zur Geldtheorie.
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notwendig wird —, wahrend es sich in anderen Teilen des Jahres vor allem in den Handen von Unternehmungen mit sehr intensiver Vermogensausnutzung befindet, die ihren VermogensuberschuB auf dem Geldmarkt anlegen, so daJ3 die Geldmenge wieder fur eine Zeit einschrumpfen kann. Diese Saisonschwankungen bezeichnen daher eine regelmaBige Wechselwirkung zwischen Geldmenge und Effektivitat, die zur Folge hat, daB der Geldstrom kontinuierlich weiterflieBen kann.
III. Die Schwankung in der Effektivitat des Geldes wahrend des Konjunkturverlaufs.
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Da8 die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes regelmaBigen Veranderungen wahrend des Konjunkturverlaufs unterliegt, wurde zum ersten Male von D E S ESSAKS hinsichtlich der Kontokorrentsaldi bei der Banque de France erwahnt. Die Umlaufsgeschwindigkeit dieser Saldi — er berechnet sie als die halbe Summe der Belastungen und Gutschriften, dividiert durch den durchschnittlichen Saldo — erreicht in den Jahren 1810 bis 1894 fast immer einen Hohepunkt im Jahr der Krise, einen Tiefpunkt im Jahr der Liquidation. So finden wir z. B. folgende Ziffern:
Krisenjahre
124 111 145 165 103 137
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1847 1857 1866 1873 1882 1891
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Umlaufsgeschwindigkeit der Depositen bei der Banque de France: Baissejahre
1848 1858 1868 1877 1886 1892
45 77 70 66 96 115
Obwohl diese Beobachtung durch neuere Untersuchungen bestatigt wird, miissen wir doch bezweifeln, ob diesen Daten groBe Beweiskraft zugeschrieben werden darf. Es ist ja sehr die Frage, ob die Umlaufsgeschwindigkeit dieser Kontokorrentsaldi einen Fingerzeig fur die allgemeine Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes gibt. Die Saldi bei der Umlaufsmittelbank haben, was schon durch ihre enorm hohe Umlaufsgeschwindigkeit bewiesen wird, eine sehr spezielle Funktion; sie dienen als Basis des Verrechnungsverkehrs zwischen einer Anzahl finanzieller Institute und die Zahlungen, die dadurch geleistet werden, haben ihren Ursprung nur selten im Kauf und Verkauf von Giitern. Von viel mehr Belang sind die von BTJKGBSS gesammelten Daten fur die Jahre 1919 bis 1924. Diese enthalten die Umlaufsgeschwindigkeit der jederzeit falligen Bankdepositen bei 800 Banken in den 141 wichtigsten Stadten der Vereinigten Staaten. 1 Es geht daraus hervor — wie aus unten1
BURGESS, Velocity, S. 729.
Die Umlaufsgesclrwindigkeit des Geldes.
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stehendem, S N Y D E R entnommenem Schaubild abgelesen werden kann —, daB in den genannten Jahren diese Umlaufsgeschwindigkeit eine Fluktuation von 10 bis 14% liber dem Durchschnitt der 5 Jahre, bis zu 10% darunter aufwies. 1 Die Differenz zwischen Maximum und Minimum betragt somit 20 bis 24%, wahrlich nicht wenig innerhalb eines Zeitraumes von 2 Jahren. Merkwurdig ist dabei, daB diese Muktuation eine sehr groBe Korrelation, sowohl in Richtung wie in Schwingungsweite, mit den Schwankungen des „volume of trade" aufweist, von welchem letzteren fur dieselben Jahre eine neue sehr grundliche Berechnung gemacht wurde. 2
1919
1920
1921
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—•«—•—-—— Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen. ..Physical volume of trade".
Abb. 1. Umlaufsgeschwindigkeit der jederzeit falligen Depositen bei 800 Banken in den 141 wichtigsten Stadten der Vereinigten Staaten, verglichen mit dem Index des ..Physical Volume of trade". 3 (In Perzentabweichungen vom Normalstand.) Diese Ubereinstimmung ist urn so auffallender, als die Fluktuationen des Preisniveaus recht stark davon abweichen. Wahrend Giiterumsatz sowohl wie Umlaufsgeschwindigkeit schon in der zweiten Halfte 1919 zu sinken begannen, erreichte das Preisniveau seinen Hohepunkt erst 1
SNYDER, Deposits activity, S. 254. Nach SNYDER, Deposits activity, S. 253. SNYDER, A new index of the volume of trade, Journal of the American Statistical Association, Dez. 1923 und Sept. 1925. 2 3
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Mitte 1920.1 Ebenso ging bei den erstgenannten Ziffern die Senkung schon im Jahre 1921 wieder in eine Steigung iiber, wahrend dies beim Preisniveau 1922 der Fall war. Eine regelmafiige Konjunkturwelle der Umlaufsgeschwindigkeit geht auch aus den von S N Y D E R gegebenen Ziffern fur die Jahre 1875 bis 1926 hervor, welche wir gleichfalls untenstehend graphisch wiedergeben. 2 130 120
no
1875 76 77 130
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110 •
sU p
100 \ 96 •
70
85 88 87 83 89 1830 91 32 93 94- 95 96 97 98 1833
lillliii|i
120 •
80
78 73 1880 81 82 83 84
ex
wo
1300 01 02 03 04 05 OS 07 08 09 1310 11 12 13 / 4
15 IS 17 18 13 1920 21 22 23 24 25 26
Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen. „ C l e a r i n g " - I n d e x des allg. Geschaftsganges
Bewegliche D r e i -
:} m o n a t d u r c h s c h n i t t e .
Abb. 2. Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen, verglichen mit dem ,,Clearing"-Index des allgemeinen Geschaftsganges. In Perzent des Normalstandes. (Nach SNYDEE.) Diese Ziffern wurden in der Weise zusammengestellt, daB die seit 1875 veroffentlichten Bankclearings als Index des gesamten Guterumsatzes und die Depositen bei den National Banks als Index des Gesamtumf anges 1
S N Y D E R , A n e w i n d e x of business a c t i v i t y , ibid. S. 4 0 , M a r z 1924. 2 S N Y D E R , Business Cycles a n d Business M e a s u r e m e n t s , N e w Y o r k 1927, S. 152 ff. FUr d i e J a h r e 1875 bis 1924 p u b l i z i e r t in S N Y D E R , D e p o s i t s A c t i v i t y as a Measure of Business A c t i v i t y , H a r v a r d R e v i e w of E c o n o m i c S t a t i s t i c s , O k t . 1924, S. 256.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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der Depositen verwendet wurden. Nach Korrektur der Resultate zwecks Eliminierung des „secular trend" blieb eine Kurve iibrig, die fiir die friiheren Konjunkturwellen noch ansehnlichere Schwankungen zeigte als fiir die zwischen 1919 und 1923 beobachteten. Die maximale Differenz in einer Periode finden wir zwischen den Jahren 1881, mit einer Umlaufsgeschwindigkeit von + 3 0 % des Durchschnitts, und 1884 mit — 2 3 % , also eine Abweichung von 5 3 % ! Ein Vergleich dieser Umlaufsgeschwindigkeitskurve mit dem sogenannten ,,clearings index of business activity", welcher aus den mit den Veranderungen des Preisniveaus korrigierten Bankclearings besteht, 1 gibt wieder einen hohen Grad von Korrelation, auf welche aber wegen des weniger verlaBlichen Materials nicht so viel Wert gelegt werden darf wie auf die, welche fiir die Jahre 1919 bis 1924 konstatiert wurde. Es steht somit wohl fest, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Giralgeldes, wie sie durch die veroffentlichten Ziffern wiedergegeben wird, wahrend des Konjunkturverlaufs regelmaBigen Scbwankungen unterliegt. Es muB aber die Frage gestellt werden, ob die Effektivitat des Geldes sicb im selben MaBe verandert. Die Daten, die uns zur Verfugung stehen, enthalten zwei storende Elemente: die Geldiibertragungen, die keine Warenzahlungen sind, und den Differenzierungskoeffizienten. Wenn die hier erwahnten Geldiibertragungen starker zunehmen als der Giiterumsatz, bewirken sie, daB die Umlaufsgeschwindigkeit starker steigt als die Zunahme der Effektivitat. DaB dies unter dem EinfluB der Konjunktur der Fall sein wird, ist wohl wahrscheinlich. Diese Zahlungen enthalten ja unter anderem alle Effektenumsatze, die wahrend des Konjunkturverlaufs unzweifelhaft eine viel starkere Schwankung mitmachen als die sonstigen Zahlungen. Freilich wird auch durch diese Umsatze ein gewisser Geldbetrag gebunden und wird daher auch ihre Steigung eine Absorption von Geld herbeifiihren, aber im Verhaltnis zu der Zunahme der Umsatze wird dies von wenig Bedeutung sein. Bedenken wir dabei, daB diese Umsatze einen betriichtlichen Teil der gesamten Geldiibertragungen ausmachen, 2 dann muB es als nicht unwahrscheinlich betrachtet werden, daB sie die Ziffern der Umlaufsgeschwindigkeit zu starkerer Schwankung veranlassen, als durch die Veranderungen in der Effektivitat gerechtfertigt wird. Denselben EinfluB iibt wahrscheinlich der Differenzierungskoeffizient aus, der in der Hausse etwas groBer ist als in der Baisse, da die Giiter 1 SNYDER, A new clearings index of business activity. ' Beispielsweise geht aus den Ziffern der Eingange an Stempelsteuer hervor, daB in den Niederlanden fiir Rechnung von Privaten an Effekten umgesetzt wurden (in Milliarden Gulden): 1918 zirka 2,29 1921 zirka 1,57 1924 zirka 1,77 1919 „ 3,88 1922 „ 1,21 1925 „ 2,90 1920 „ 4,17 1923 „ 1,50 1926 „ 2,47 Hierin sind also die Umsatze des Berufshandels nicht inbegriffen. Wir sehen hier eine sehr heftige Schwankung; das Jahr 1920 ergab einen mehr als dreimal so groCen Umsatz wie das Jahr 1922. Die Bedeutung dieser Zahlen springt in die Augen, wenn wir bedenken, daB das gesamte Volkseinkommen 1919 zirka 5,35 Milliarden betrug. (Nach BONGER, Vermogen en Inkomen in Nederland, Amsterdam 1923, S. 47.)
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infolge der Spekulation ofter von Hand zu Hand gehen. Von groBer Bedeutung kann dieser Umstand aber nicht sein, da die betreffenden Umsatze nur einen kleinen Teil des gesamten Giiterumsatzes ausmachen durften. Es darf also wohl angenommen werden, daB die Schwankungen der Effektivitat nicht so betrachtlich waren wie die der Umlaufsgeschwindigkeit. Uber die Grofie dieses Unterschiedes laBt sick wenig sagen; daB er aber belangreich sein sollte, ist nicht wahrscheinlich.
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Wie sind die konjunkturellen Veranderungen in der Effektivitat des Geldes theoretisch zu erklaren? Diese Frage konnen wir an Hand der im vorigen Hauptstiick gegebenen Ubersicht uber die verschiedenen Ursachen einer Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung beantworten. Eine VergroBerung der Effektivitat wird wahrend eines Konjunkturaufschwunges eintreten, wenn dieser mit einer Nivellierung der Schwankungen in den Aktiva der verschiedenen Unternehmungen, mit einem intensiveren Nehmen und Geben von kurzfristigem Kredit oder mit einer Verwendung zeitweiliger Vermogensuberschizsse im eigenen Betrieb verbunden ist. Sowohl das eine wie das andere ist zu erwarten. I n der Baisse wird dagegen die Effektivitat geringer werden, insoweit sich dann die umgekehrten Erscheinungen geltend machen. Als Fluktuationen im Gesamtumfang der Verwendungen, die in der Gegenwart noch AnlaB zur Bildung von Kassenuberschiissen geben, haben wir diejenigen kennengelernt, die aus dem allmahlichen Verbrauch der dauerhaften Produktionsmittel, aus der periodischen Bezahlung der Dienstleistungen, aus geringen Saisonschwankungen und aus den zahlreichen allgemeinen UnregelmaBigkeiten im Absatz des Endproduktes und in der Beschaffung der Rohstoffe entstehen. Namentlich von den erstgenannten darf erwartet werden, daB sie die Effektivitat wahrend des Konjunkturverlaufs in betrachtlichem MaBe beeinflussen werden. Eine der wichtigsten Ursachen der Konjunkturbewegung liegt in der Konzentration der Beschaffung der dauerhaften Produktionsmittel. 1 Diese folgt daraus, daB der Ersatz dieser Produktionsmittel in hohem MaBe aufschiebbar ist, so daB er vor allem an den Zeitpunkten vollzogen wird, wo dies am vorteilhaftesten scheint. Daher wird er womoglich nicht bei sinkendem Markt, d. h. in der Baisse geschehen, wo jeder noch tiefere Preise erwartet, sondern gerade bei steigendem Markt, wo jeder furchtet, daB die Preise noch mehr hinaufschnellen werden. Dieser Aufschub wahrend der Baisse bedeutet, daB bei vielen Unternehmungen die Mittel, die aus dem Verbrauch der dauerhaften Kapitalgiiter frei werden, langer in der Kasse gehalten werden, als in einem statischen Zustand geschehen ware, wodurch die Effektivitat des Geldes geringer wird. Sobald aber die Konjunktur umschlagt, gehen alle Unternehmungen zu gleicher Zeit zum Ersatz iiber. Die brachliegenden Mittel werden verwendet, der Gesamtbetrag der Aktiva steigt iiber das normale Niveau und die Effektivitat des Geldes nimmt zu. 1
Siehe J. M. CLARK, Studies in the Economics of Overhead Costs, Chicago 1923, S. 389ff.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Dieser Tendenz zur Verringerung der Effektivitat in der Baisse steht eine solche zur VergroBerung derselben gegeniiber, die aber von geringerer Bedeutung ist. Soweit namlich bei einigen Unternehmungen die Marge zwischen direkten Kosten und Erlosen so sehr verkleinert wird, daB ein Ten* der Abschreibungen nicht mehr gedeckt wird, h a t dies zur Folge, daB die Anhaufung von Mitteln zwecks spateren Ersatzes der dauerhaften Kapitalgiiter geringer wird, als normalerweise der Fall ware. I n der Hausse wird diese Marge dann wieder groBer und der normale Zustand wird wiederhergestellt. Im Zusammenhang mit der periodischen Bezahlung der Dienste ist eine ahnliche Erscheinung zu erwarten. I n der Hausse wird die Marge zwischen Kosten und Erlosen groBer, was eine Vermehrung der Gewinne und eine Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten des Zinseinkommens bedeutet. Sind diese Gewinne dazu besthnmt, in Gestalt von Dividenden ausgeschiittet zu werden, so fuhrt dies, da diese Ausschuttungen nur einmal im Jahre stattfinden, eine relative Vermehrung der brachliegenden Mittel herbei. Werden in einem spateren Stadium der Hausse die Lohne erhoht und tritt somit wieder eine Verschiebung zugunsten des Arbeitseinkommens ein, so wird dies eine Verringerung des Brachliegens zur Folge haben. Was die Saisonschwankungen betrifft, ist wahrend des Konjunkturverlaufs keine Veranderung zu erwarten; wohl aber ist dies der Fall hinsichtlich der allgemeinen UnregelmaBigkeiten des Absatzes. Diese werden im allgemeinen in der Hausse abnehmen und in der Baisse zunehmen, was wiederum eine VergroBerung bzw. eine Verringerung der Effektivitat mit sich bringt. In einer giinstigen Konjunktur kommt ja die Erzeugung vieler Unternehmungen naher an die maximale Kapazitat heran, wodurch die Marge fur Fluktuationen verkleinert wird. Dies gilt naturlich insbesondere fur die Industrie, bei welcher die Produktionsfahigkeit durch die Werkzeuge bestimmt wird. In der Baisse ergibt jede Schwankung der Bestellungen auch eine Schwankung in Produktion und Absatz, da jede Order sofort ausgefuhrt werden kann. I n der Hausse aber, wenn eine bestimmte Produktionskapazitat erreicht ist, die nicht leicht iiberschritten werden kann, miissen viele Bestellungen einige Zeit auf die Ausfuhrung warten. Es entsteht eine Reserve unausgefuhrter Orders, die als ein Reservoir wirkt, durch das Produktion und Absatz auf demselben Niveau erhalten werden konnen. Uberdies werden auch, da nicht mehr mit der Moglichkeit eines plotzlich geringeren Absatzes gerechnet werden muB, die sogenannten Kassenreserven vermindert werden konnen, was abermals eine VergroBerung der Effektivitat bedeutet. Im allgemeinen darf also sicher der SchluB gezogen werden, daB die Schwankungen der Aktiva in der aufsteigenden Konjunktur abnehmen und in der Depression zunehmen werden, wodurch eine VergroBerung bzw. Verminderung der Effektivitat des Geldes zustande kommen wird. Das AusmaB, in dem kurzfristiger Kredit gegeben und genommen wird, ist wahrend des Konjunkturverlaufs ebenfalls Veranderungen unterworfen, und zwar vor allem in dem Sinn, daB in der riickgangigen
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Konjunktur der Geldmarktzins auf einen so niedrigen Stand sinken wird, daB dadurch der Anreiz, voriibergehende Vermogensiiberschusse dritten zu iiberlassen, so ziemlich verschwindet, um so mehr, da man in solchen Zeiten annimmt, daB jede Kreditgewahrung mit Bisken verbunden ist. Andererseits wird in der Hausse die Steigerung des Geldmarktzinses den Anreiz zur voriibergehenden tJberlassung von Uberschiissen erst recht verstarken. Allzu groBe Bedeutung mochten wir aber der letzteren Tendenz nicht zuerkennen. Im spateren Haussestadium spielt eine andere Art der Nutzbarmachung iiberschiissiger Mittel eine viel groBere Rolle. Und zwar ihre Anwendung im eigenen Betrieb. Die allgemeine Preissteigerung, die vor allem in einem spateren Stadium der Hausse eintritt, wenn die Produktion das normale Niveau zu ubersteigen beginnt, macht es fur viele Unternehmungen vorteilhaft, ihre Rohstoffe friiher einzukaufen, als sonst geschehen wiirde. Sie werden einen Sondervorrat davon anlegen, sobald sie die Mittel dazu zur Verfugung haben, was der Fall sein wird, wenn Vermogen frei wird, das nicht sogleich wieder verwendet zu werden braucht. Mittel, die zur Gewinnausschuttung und zum Ersatz von Produktionsmitteln bestimmt sind, Vermogensuberschusse infolge Saisonstille u. dgl. werden — und dies nicht nur hie und da, sondern ziemlich allgemein — zeitweilig in Vorraten angelegt werden, wodurch die Effektivitat des Geldes wesentlich zunehmen wird. Dies wird um so starker der Fall sein, je schneller das Tempo der Preissteigerung ist, was dann zur Folge hat, daB diese noch angeregt wird. Sobald aber die Preissteigerung langsamer geht, oder gar aufhort, werden die Unternehmungen mit ihren Vorkaufen einhalten. Ein Teil der freiwerdenden Mittel wird brach liegen bleiben und die Effektivitat wird wieder auf das alte Niveau sinken, mit einer noch weiteren Verminderung der Nachfrage und einem Druck auf das Preisniveau als Folge. Senkt sich dieses letztere, dann wird sogar eine umgekehrte Wirkung eintreten. Die Unternehmungen werden ihre Anschaffungen auf den letzten Moment verschieben und ihre Rohstoffvorrate aufs auBerste vermindern. I n dieser Richtung konnen sie aber nicht unbeschrankt weitergehen, da der Augenblick notgedrungener Verwendung hier eine absolute Grenze setzt. Nur hinsichtlich der dauerhaften Produktionsmittel ist das anders, wie wir schon besprachen. Neben dieser voriibergehenden wird auch eine dauernde Verwendung von Uberschiissen stattfinden. Teilweise kann dies schon im ersten Stadium der Konjunkturbesserung geschehen, das durch eine VergroBerung der Produktion, insbesondere bei den Produktionsmittel erzeugenden Industrien, gekennzeichnet ist. Diese VergroBerung entspringt nicht einer Erweiterung des Betriebsumfangs, sondern nur einer Annaherung an die normale Erzeugung. Sie erfordert also groBere Aufwendungen nur soweit die direkten Kosten, wie Lohne, Rohstoffe usw. in Frage stehen. Doch ist es moglich, daB selbst dafur die Mittel auf die Dauer fehlen, so daB neues Geldkapital aufgenommen werden muB, was aber in diesem Zeitpunkt nicht so leicht sein wird. Vorlaufig kann durch Verwendung zeitweilig verfiigbar werdender Mittel das Auslangen gefunden werden.
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Die Beschaffung neuen Kapitals kann auf den Augenblick verschoben werden, wo Gewinne ausgeschiittet oder Produktionsmittel ersetzt werden miissen. Noch allgemeiner wird diese Erscheinung eintreten, wenn das Haussestadium erreicht wird, in welchem eine allgemeine Erweiterung des Dmfanges der Betriebe stattfindet. Auch dann wird man so lange wie moglich von eigenen Mitteln Gebrauch machen, bevor man die Bank oder den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt. Es ist denn auch bekannt, da6 Dividenden haufig aus dem Erlos von Bankkrediten oder Emissionen gezahlt werden, nicht weil die Gewinne nicht wirklich erzielt wurden, sondern weil sie schon vorher fur die Erweiterung des Betriebes verwendet wurden. In alien diesen Fallen, in denen Mittel, die sonst vorlaufig unverwendet blieben, zur Erweiterung benutzt werden, tritt eine voriibergehende VergroBerung der Effektivitat ein. Sobald die Erweiterung zum Stillstand kommt und das Vermogen durch Heranziehung neuer Mittel vergrSBert worden ist, wird die Effektivitat wieder auf das normale Niveau sinken. Daraus folgt, daB die Verzogerung des Geldumlaufes schon vor dem Ende der Hausse eintreten wird. Denn sobald das Tempo der Expansion sich verlangsamt und mehr alte Investitionen konsolidiert werden als daB neue zustande kommen, wird die Steigerung der TJmlaufsgeschwindigkeit sich ins Gegenteil verkehren. Da dasselbe soeben von der zunehmenden Effektivitat festgestellt wurde, die aus dem vorzeitigen Einkauf von Rohstoffen entsteht und iiberdies in diesem spaten Haussestadium im allgemeinen nicht mehr so genau kalkuliert wird, so daB viele Unternehmungen sich reichlicher mit Mitteln versehen als unbedingt notwendig ist, ist es leicht einzusehen, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes schon sinkt, bevor der Hohepunkt der Konjunkturwelle erreicht ist, wie aus den statistischen Daten fur die Jahre 1919 und 1920 hervorgeht. Die wesentliche Rolle, welche die Veranderung der Effektivitat im Konjunkturverlauf spielt, ist hiedurch nachgewiesen. Sie ist von ganz derselben Art wie die, welche die Ausdehnung und Schrumpfung der Geldmenge spielt, aus der die Wellenbewegung des Wirtschaftslebens zwar nicht ohneweiters erklart werden kann, die aber eine unentbehrliche Vorbedingung fur diese Bewegung ist. Der Veranderung der Effektivitat kommt dabei noch ein besonderer Platz zu, da sie sowohl die Hausse wie die Baisse einleitet. Wenn nach einer langen Depression die Unternehmungen endlich wieder in groBerem MaBe zum Ersatz dauerhafter Produktionsmittel ubergehen, konnen sie dies nur durch Beniitzung der latenten Kaufkraft, die sich bei ihnen angesammelt hat. Eine VergroBerung der Geldmenge durch Kreditgewahrung der Banken ist in diesem Stadium der Konjunktur noch nicht denkbar. Erst spater, wenn die Lage sich schon besser iiberblicken laBt, wird davon die Rede sein konnen. Ebenso wird auch die erste Verminderung der Nachfrage, die der Baisse vorangeht, nicht infolge einer Schrumpfung der Geldmenge entstehen, sondern infolge einer Senkung der Effektivitat auf das normale Niveau. Zwischen diesen
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beiden Zeitpunkten wird die Veranderung der Effektivitat die im Gang befindliche Entwicklung der Konjunkturbewegung noch verscharfen. Die Effektivitat hat dariiber hinaus noch. eine ganz eigene Bedeutung, da ihre Veranderung und der damit Hand in Hand gehende dynamische EinfluB auf die Volkswirtschaft, im Gegensatz zur Veranderung der Geldmenge, nicht von den Banken reguliert wird und sich daher einer mQglichen Kontrolle durch eine zentrale Autoritat entzieht. 1 Diese wird, sofern sie eine aktive Konjunkturpolitik zu befolgen wiinscht, stets nur eingreifen konnen, nachdem die intensivere Ausnutzung des Vermogens ihren EinfluB schon fuhlbar gemaeht hat.
IV. Die Effektivitat des Geldes bei Inflation und Deflation.
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DaB die Effektivitat des Geldes in Zeiten ernsthafter und fortdauernd weitergehender Inflation in starkem MaBe zunimmt, wurde schon von SAY bemerkt und ist in den letzten Jahren durch die Tatsachen bestatigt worden. In den Jahren nach dem Kriege ist durch die andauernde Inflation in verschiedenen Landern das Tempo der Steigerung des Preisniveaus viel rascher gewesen als das der Vermehrung der Menge chartalen Geldes, ohne daB dies einer relativ starkeren Vermehrung des Giralgeldes oder einer Verminderung der Guterumsatze zugeschrieben werden konnte. Dagegen wurde bei Deflation oder Stabilisierung das Umgekehrte beobachtet. In Deutschland ist z. B. zwischen Mai 1921 und Januar 1923 der Notenumlauf auf das 23fache gestiegen, das Preisniveau auf das 251fache, d. i. l l m a l starker. Von August 1914 bis Oktober 1923 stieg der Preisindex 37mal so hoch wie die Geldmenge. 2 Einen rohen Anhaltspunkt geben auch die untenstehenden, H A H N entnommenen Ziffern betreffend den Notenumlauf in Deutschland und seinen Goldwert, gegen den Dollar kurs. 3 Zeitpunkt
Ende ,, „ ,, „
Juli 1914 Dezember 1916 Dezember 1918 Dezember 1921 Dezember 1922 J a n n e r 1923 „ Februar 1923 „ Marz 1923 15. April 1923 30. J u n i 1923 15. November 1923
Notenumlauf
1,89 Mrd. 8,06 „ 22,19 „ 113,64 „ 1280,10 „ 1984,50 „ 3512,79 „ 5517,92 „ 5837,97 „ 17291,06 „ 92,84 Trl.
Goldwert, gegen $ Kurs
1,89 Mrd. 4 6,12 99 11,68 99 2,59 99 0,73 ?J 0,17 99 0,65 9t 1,11 >9 1,16 99 0,47 99 0,155 99
1
Siehe auch F . LAVINGTON, The English Capital Market, London 1921, S. 48.
2
VON BORTKIKWICZ, S.
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256.
A. HAHN, Zur Frage des sogenannten Vertrauens in die Wahrung, Arch. t. Sozialwiss. u. Sozialpol., 52. Bd., 1924, S. 293. 4 Silber und Gold in Umlaut: 3,01 Milliarden.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Aus dem Umstand, daB wahrend der Kriegsjahre der Goldwert des Umlaufs stieg, gelit hervor, da8 die Wertminderung des Geldes nicht im Verhaltnis zur Vermehrung der Geldmenge stand. Nach 1918 aber sehen wir, mit Ausnahme nur einer einzigen Periode, wahrend derer ein Versuch zur Stabilisierung gemacht wurde, den Wert des Umlaufs sinken, ein Hinweis auf die Zunahme der Effektivitat, die nur in der genannten Periode unterbrochen wurde. Fur Frankreich laBt sich dasselbe feststellen. Wahrend der Umlauf im September 1920 ein Maximum von 39,2 Milliarden Francs erreichte, darauf im Marz 1922 auf ein Minimum von 35,5 Milliarden sank, dann wieder stieg bis zu einem Maximum im Dezember 1924 von 40,6 Milliarden, betrug die Indexziffer im April 1920 580, im Februar 1922 306 und im Februar 1924 544. 1 Kann somit iiber die Tatsachen keine Meinungsverschiedenheit bestehen, so ist diese um so groBer in betreff der Frage nach dem ursachlichen Zusammenhang zwischen der VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit -— wir folgen hier, wo ein MiBverstandnis unmoglich ist, der in der Literatur gebrauchlichen Terminologie — und der Steigerung des Preisniveaus. Wahrend einige Schriftsteller wie K E Y N E S und H A H N der An&icht sind, daB das Steigen der Preise mit eine Folge der Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit ist, 2 meinen andere, wie VON BORTKIEWICZ und AETALION, daB ein derartiger Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen nicht bestehen kann. Die Ansicht von v. BOETKIEWICZ entspringt aus der minder richtigen Auffassung, daB eine VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit nur bei einer Veranderung der Zahlungsgewohnheiten moglich sei.3 Die Bedenken AETALIONS sind von anderer Art. Dieser Schriftsteller bestreitet den quantitatstheoretischen Standpunkt im allgemeinen 4 und meint, daB nicht die Vermehrung von Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit die Ursache der Preissteigerung ist, sondern daB umgekehrt die hohen Preise die Vermehrung von Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit notwendig machen. 5 Doch wird auch von ihm die Moglichkeit einer Ruckwirkung der Umlaufsgeschwindigkeit auf die Preise, wenn diese einmal gestiegen sind, zugegeben.6 Es wurde uns zu weit fuhren, diese Auffassung in Emzelheiten zu besprechen, da dies ja von neuem zu einer prinzipiellen Betrachtung iiber die Quantitatstheorie fuhren wurde; nur eine einzige Bemerkung sei daher gemacht: Es handelt sich hier um ein Problem, das nur theoretisch gelost werden kann, da Meinungsverschiedenheit nicht iiber die Tatsachen, sondern nur iiber deren Interpretation besteht. Es ist denn auch un1 A. AFTALION, Prix, circulation et change en France de 1920 a 1924, Revue d'Economie politique 1925, Nr. 6, S. 1136. a Siehe auch J. VAN WALRE DE BORDES, The Austrian Crown, London 1924, S. 162if. s L. VON BORTKIEWICZ, Die Ursache einer potenzierten Wirkung des vermehrten Geldumlauts auf das Preisniveau. Schriften des Vereins fur Sozialpolitik, 170. Bd., 1925. 4 A. AFTALION, Les experiences monetaires recentes et la theorie quantitative. Revue d'Economie politique. 3-eme annee 1925, Nr. 3, S. 674. 5 A. AFTALION, Theorie quantitative, S. 681. 6 A. AFTALION, Theorie quantitative, S. 682.
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moglich, die Richtigkeit eines der beiden Standpunkte aus Statistiken zu beweisen, wie das AFTALION ZU tun versucht. Wenn er darlegt, daB in Frankreich den Veranderungen des Preisniveaus in den Jahren 1920 bis 1924 die Veranderungen der Geldmenge nicht vorangegangen, sondern nachgefolgt sind, 1 kann daraus der SchluB, daB somit die erstgenannte Tatsache logisch primar ist, ebensowenig gezogen werden, wie aus dem Umstand, daB die Steigerung der Getreidepreise einer schlechten Ernte voranzugehen pflegt, bewiesen werden kann, daB die GroBe der Ernte durch die Preise beeinfluBt wird. Was daraus wirklich hervorgeht, ist, daB die Umlaufsgeschwindigkeit, die durch die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte mitbestimmt wird, bei der Bestimmung des Preisniveaus die Fiihrung ubernommen hat und daB darauf die Erwartungen, durch welche Ursache immer, verwirklicht wurden. Was insbesondere die Prioritat der Veranderung des Preisniveaus im Verhaltnis zur Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit betrifft, sei bemerkt, daB davon hochstens insofern gesprochen werden kann, als die Steigerung des Preisniveaus einen Anreiz zu einer intensiveren Verwendung des Vermogens bildet, die ihrerseits wieder zu einer neuen Preissteigerung iiihrt. DaB aber eine Preissteigerung der Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit vorangehen sollte, durch welche sie erst erhalten bleiben kann •— in welchem Fall also anfangs eine Verminderung der Guterumsatze eintreten muB —, ist nur in dem Stadium der Inflation moglich, wo jede normale Preisbildung aufgehort hat und die geforderten Preise den taglichen Veranderungen der Wechselkurse nachfolgen. An einem solchen Zeitpunkt muB aber jeder Versuch, die augenblickliche Hohe des Preisniveaus theoretisch zu erklaren, notwendig fehlschlagen, da ja keine einzige der auf die Dauer wirksamen Tendenzen ihren EinfluB in gemigendem MaBe fiihlbar machen kann. Die VergroBerung der Effektivitat wahrend einer fortgesetzten Inflation entsteht auf gleiche Weise wie die, welche wir in der Konjunkturhausse beobachtet haben. Dieselben Erscheinungen treten auch hier ein, doch in verstarktem MaBe. Es wird so stark nach intensiver Vermogensausnutzung gestrebt, daB keine einzelne Fluktuation der Aktiva mehr geduldet wird. Man denke nur an das Beispiel des Moskauer Gemischtwarenhandlers, der unmittelbar nach dem Verkauf eines Pfunds Kase auf den Markt lief, um seinen Vorrat wieder aufzufiillen.2 Auch die in den Zahlungsgewohnheiten liegenden Ursachen eines tragen Geldumlaufes werden wegfallen: Die Zahlungstermine fur Lohne u. dgl. werden verkiirzt werden. In wie groBem MaBe die Produktionswirtschaften bei der Einschrankung ihrer Kassenvorrate Erfolg haben werden, wird in HOPFNBKS vergleichender Studie betreffend die Bilanzen von 1913 und 1922 einer groBen Anzahl deutscher Unternehmungen ausgefiihrt. Es geht daraus hervor, daB Geschafte, die vor dem Kriege einen Kassenvorrat von 1 2
A. AFTALION, Prix, circulation et change, S. 1214. J. M. KEYNES, A Tract on Monetary Retorm, London 1923, S. 46, Anm.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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10000 bis 100000 Mark hatten, 1922 mit Betragen von 10 bis 100 Goldmark auskamen. Zahlreiche Unternehmungen hatten einen Kassenvorrat von weniger als 10 Goldmark, die Papiermarkbetrage mit dem GroBhandelsindex umgerechnet. Der durchschnittliche Kassensaldo von 360 Gesellschaften betrug 1922 V3946 desjenigen von 1923. x Hieraus ergibt sich wohl klar, daB der Druck der Inflation nicht so sehr zu Lasten der Industrie wirkte, die ihre Kassenvorrate so sehr abnehmen lassen konnte, als zu Lasten der Verbraucher, fur die das viel schwieriger gewesen sein muB. 2 Bine Verminderung der Effektivitat wird wahrend der Inflation eintreten, sobald einige Aussicht besteht, daB die Preissteigerung nicht weitergehen wird. Wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist, wird die Effektivitat wieder ebenso schnell auf den alten Stand zuriickfallen, wie sie sich friiher davon entfernt hat. Die Menge von Umlaufsmitteln wird dann nicht nur vermehrt werden konnen, ohne daB dies irgendwelchen EinfluB auf das Preisniveau hat, sondern dies wird sogar geschehen miissen, wenn keine scharfe Geldknappheit entstehen soil. Senkt sich das Preisniveau, so wird die Effektivitat die Neigung haben, sich unter ihr normales Niveau zu vermindern, so wie in der Baisse, was die Preissenkung wiederum noch verstarken wiirde. Ganz ebenso wie wahrend der Konjunkturwelle wird also auch bei Inflation und Deflation die Veranderung der Effektivitat die bestehende Tendenz zur Veranderung des Preisniveaus verstarken, so daB man sich stets in einem fehlerhaften Zirkel bewegt. Klarer als je zeigt sich hierbei, wie groB die Marge zwischen der maximalen und der minimalen Effektivitat ist, wie groB daher auch der EinfluB, den dieser Faktor auf das Preisniveau ausuben kann.
V. Die sakularen Veranderungen in der Effektivitat des Geldes. tJber die sakularen Veranderungen der Effektivitat konnen wir statistisch wenig feststellen, da es uns an verlaBlichen Daten betreffend die Jahre vor 1896 gebricht. Es ist nur mbglich, Annahmen zu machen. Lassen wir uns dabei von den in der Literatur allgemein in Geltung stehenden Auffassungen hinsichtlich der die GroBe der Effektivitat bestimmenden Faktoren leiten, welche Auffassungen z. B. in der von 3 F I S H E R gegebenen Zusammenfassung zum Ausdruck kommen, dann konnen wir zu keiner anderen Annahme gelangen, als daB die Effektivitat andauernd und vor allem im 19. Jahrhundert stark zugenommen haben muB. Unzweifelhaft haben die Gewohnheiten der Wirtschaftssubjekte 1 SCHMALENBACH, tJber die Umlaulsgeschwindigkeit des Geldes. Zeitschr. f. handelswissenschaftl. Forschung, Febr. 1924, S. 86. 2 Diese Erscheinung ist auch von Belang fur die Beurteilung der Frage, wie weit das Publikum durch eine Inflation belastet werden kann. Wenn in zwei Landern die Effektivitat des Geldes die gleiche ist, jedoch in dem einen Land die in Umlaut gesetzte Geldmenge sich vor allem in den Handen der Verbraucher, in dem anderen Land in den Handen der Produzenten befindet, wird die tatsachliche Belastungsfahigkeit im ersten Land groBer sein, da dort die Umlaufsgeschwindigkeit weniger schnell auf die Inflation reagieren wird. 3
FISHER, 1. c. S. 79.
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sich in einer Richtung verandert, die fur die Effektivitat des Geldes forderlich gewesen ist. Die Schatzbildung hat abgenommen, der Gebrauch von ,,Book credit" hat sich wahrscheinlich nicht vermindert und der Gebrauch von Schecks hat sicher zugenommen. Auch die Zahlungsgewohnheiten in der Volkswirtschaft sind ohne Zweifel in giinstigem Sinn verandert worden; die Zahlungsperioden wurden in vielen Fallen verkiirzt. Und was schlieBlich die allgemeinen Ursachen betrifft, so hat die Bevolkerungsdichte im 19. Jahrhundert sprunghafte Fortschritte gemacht, wahrend gleichzeitig die Geschwindigkeit des Transports aufs hochste gesteigert wurde. Dieser Eindruck einer Zunahme der Effektivitat wird noch bestarkt durch die wenigen statistischen Daten, die uns zur Verfugung stehen. Die Ziffern der Umlaufsgeschwindigkeit der Kontokorrentsaldi bei der Banque de France zeigen in den Jahren 1810 bis 1893 eine Steigerung von ungefahr 50%. Die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit fur die Jahre 1810 bis 1819 betragt ungefahr 65, fur die Jahre 1884 bis 1893 ungefahr 117.1 Und auch FISHERS Ziffern fur die Jahre 1896 bis 1912 lassen eine Steigerung erkennen, und zwar von 20% fur die Umlaufsgeschwindigkeit des chartalen und von 50% fur die des giralen Geldes,2 wobei aber im Auge behalten werden muB, daB 1896 der Tiefpunkt einer Baisse war. Wenn wir uns jedoch von den Ziffern iiber die Umlaufsgeschwindigkeit wegwenden und die GroBe der Effektivitat des Geldes in der Gegenwart mit den in friiheren Zeiten vorgenommenen Schatzungen der benotigten Geldmenge vergleichen, andert sich unser Eindruck mit einem Male. Wir haben schon frtiher gesehen, daB die Effektivitat mit ungefahr 2 bis 3 angesetzt werden muB; die umlaufende Geldmenge betragt also Y 2 bis x / 3 des Sozialeinkommens. Stellen wir dem die Schatzungen von P E T T Y , CANTILLON und SMITH gegemiber, so zeigt sich, daB diese letzteren die Geldmenge auf einen viel geringeren Betrag schatzen. P E T T Y setzt das nationale Geldeinkommen mit 42000000 Pfund an und glaubt, daB eine Geldmenge von 6000000 Pfund fur die Zirkulation ausreichend sei, was eine Effektivitat von 7 bedeuten wurde. CANTHLON meint sogar, daB die Geldmenge nur y 9 des Bodenertrages zu betragen brauche und SMITH gibt an, daB die Schatzungen des benotigten Geldquantums zwischen y 6 und y 3 0 des Nationalprodukts schwanken. Nun diirfen wir freilich diesen Schatzungen keine allzu groBe Bedeutung beilegen, aber sie geben uns doch zu denken. Die Frage erhebt sich, ob es wohl wahrscheinlich ist, daB die Effektivitat in friiheren Zeiten so viel kleiner war als jetzt und ob das 19. Jahrhundert nicht etwa vielmehr eine Entwicklung in sinkender als in steigender Richtung gebracht hat. Diese Fragen konnen nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Aus einer naheren Betrachtung der Faktoren, die die Effektivitat beherrschen, geht aber hervor, daB eine Senkung keineswegs als unmQglich betrachtet werden muB. 1
D E S ESSARS, 1. c. (laut graphischer Darstellung).
2
FISHER, 1. c. S. 304/305.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Was die Fluktuationen der Aktiva betrifft, besteht aller Grund, zu glauben, daB sie in friiheren Zeiten im Verhaltnis zum Gesamtbetrag der Aktiva betrachtlicher gewesen sind als gegenwartig. J e weiter wir in der Geschichte zuriickgehen, desto groBer ist der Teil des sozialen Kapitals, der aus Warenvorraten besteht und desto geringer ist die Bedeutung des Werkzeugs. Und gerade die Fluktuationen dieser Giitervorrate miissen sehr groB gewesen sein, nicht nur weil der wesentlichste Teil davon aus Ernteerzeugnissen bestand, sondern auch weil die mangelhaften Transportverhaltnisse eine standige Auffiillung vollig aussehlossen. Infolge davon miiBte also ein weitgehendes Brachliegen von Vermogen erwartet werden und damit anscheinend auch eine geringe Effektivitat des Geldes. Es muB aber im Auge behalten werden, daB im Verhaltnis zum Gesamteinkommen das Vermogen damals so viel kleiner war als jetzt, daB selbst das Brachliegen eines ansehnlichen Teiles davon sehr wohl mit einem gunstigeren Verhaltnis zwischen dem Gesamteinkommen und dem gesamten brachliegenden Vermogen — d. i. der gesamten Geldmenge — als gegenwartig besteht, vereinigt sein konnte. In der Tat war das wahrscheinlich der Fall. Vor der industriellen Revolution vollzog sich ja ein groBer Teil der Erzeugung ganz kapitallos. M c h t nur wurden keine Werkzeuge gebraucht, der direkte Kontakt zwischen Erzeuger und Verbraucher machte es auch iiberilussig, daB bei zahlreichen Zwischenpersonen Vorrate gehalten wurden, weshalb ein groBer Teil der Schwankungen, die gegenwartig in betrachtlichem MaBe zu einem Brachliegen von Vermogen iiihren, nicht vorkommen konnte. Seit damals hat aber die enorme Zunahme des sozialen Kapitals — und damit auch des Gesamtbetrages der Aktiva aller Unternehmungen — die relative Bedeutung der Schwankungen der Aktiva so sehr vergroBert, daB ohne alien Zweifel die Effektivitat des Geldes nicht einige Male, sondern mehrere lOmal kleiner ware als vor 150 Jahren, wenn nicht durch die Entwicklung des Kreditverkehrs die Anpassung des Vermogens an diese Schwankungen viel leichter geworden ware. Insbesondere ist die vermehrte Differenzierung der Produktion eine Ursache stets neuer UngleichmaBigkeiten im Guterumlauf gewesen. Die Industrieprodukte, die der Verbraucher fruher vom Erzeuger selbst bezog, werden jetzt von zahllosen hintereinander geschalteten Unternehmungen erzeugt und gehen durch die Hande vieler Zwischenpersonen, bevor sie ihre Bestimmung erreichen. Jede Ubertragung, die stattfindet, bedeutet einen neuen Bruch in der Zirkulation der Giiter und dadurch eine Ursache neuer Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Die Frage kann gestellt werden, ob auch der Verbreitung des Geldverkehrs, durch welche groBe Mengen von Zirkulationsmitteln absorbiert worden sein miissen, eine Bedeutung fur die sakulare Entwicklung der Effektivitat zugeschrieben werden muB. Wir glauben das nicht, denn diese Verbreitung geht mit einer entsprechenden Vermehrung des gesamten Geldeinkommens Hand in Hand, da ja Elemente der Giiterproduktion, die fruher naturalwirtschaftlich verrechnet wurden, jetzt in
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Geld umgesetzt werden. Von einer Verminderung der Effektivitat ist daher keine Rede, es sei denn, daB diese in den neu vom Geldverkehr eroberten Gebieten im Durchschnitt geringer ist als die zuvor bestehende. Ein Faktor, der im Lauf der Zeiten wahrscheinlich einigen EinfluB ausgeiibt hat, ist die Schatzbildung gewesen, die friiher sehr betrachtlich war, aber spater fortdauernd abgenommen hat. 1 DaB die Entwicklung des Kreditwesens im Lauf der Jahre ein Gegengewicht gegen den ungtinstigen EinfluB der zunehmenden Bedeutung der Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva gebildet hat, laBt sich keinen Augenblick bezweifeln. I n der fruhkapitalistischen Zeit, ungefahr in der Mitte des 17. Jahrhunderts, fehlte noch fast jede Gelegenheit, sich vorubergehend Geldmittel zu verschaffen oder tJbersohusse voriibergehend nutzbar zu machen. Das Diskontieren von Wechseln war noch nicht moglich, da diese erst zu Ende des 17. Jahrhunderts endossabel wurden. 2 Nur in sehr geringem MaBe wurde von Kaufleuten untereinander gegen Pfandbestellung von Waren Kredit gegeben. 3 Der Lieferantenkredit war zwar von groBerer Bedeutung, 4 doch wir sahen schon friiher, wie selten dieser zu einer intensiveren Vermogensausniitzung fiihren kann. Es ist daher klar, daB in diesen Verhaltnissen jede Schwankung der Aktiva noch in vollem MaB zu einem Brachliegen von Vermogen fiihren muB. Die erste Veranderung dieses Zustandes fand in England statt, wo die Londoner Goldschmiede seit 1640 als Verwahrer von Kostbarkeiten und Geld auftraten, fur welches letztere 6% Zinsen vergiitet wurden. 5 Anfangs verwendeten sie die so erhaltenen Mittel im Metallhandel, aber bald liehen sie sie auch aus in Form von Vorschussen gegen Handpfand und in Form von Wechseldiskontierung. 6 Hiemit war die Moglichkeit sowohl zur Gewahrung wie zum Erhalt von Kurzkredit eroffnet und wir diirfen in diesem Auftreten der Goldschmiede den ersten Schritt zu einer systematischen VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes sehen. 7 DaB diese in der Tat merkbar beeinfluBt wurde, geht wohl daraus hervor, daB schon CANTILLON auf den Unterschied hinweist, der in dieser Hinsicht zwischen Frankreich und England besteht. Doch war es dem Depositenwesen vorlaufig noch nicht bestimmt, zu groBer Blute zu gelangen. Es wurde im 18. Jahrhundert vollstandig durch das Umlaufsmittelbankwesen verdrangt und bis in die erste Halfte des 19. Jahrhunderts wurden die Depositen als von sehr untergeordneter Wichtigkeit betrachtet. 8 Nicht nur die Bank von England, sondern auch Hunderte von Banken und Bankiers in der Provinz hatten ihren Notenumlauf, der ihnen ein viel billigeres Betriebskapital verschaffte als die 1 a
W. BAGEHOT, Lombard Street, London 1922, S. 128. W. SOMBART, Der moderne Kapitalismus, III. Aufl., Mtlnchen 1919, Bd. I, S. 525. W. ROOSEGAARDE BISCHOP, De opkomst der Londonsche Geldmarkt 1640—1826, s'Gravenhage 1896, S. 5. 3 4 5 6
SOMBART, 1. c. Bd. II, S. 530. PiOOSEGAARDE B l S C H O P , 1. C. S . 9 f f . ROOSEGAARDE BISCHOP, 1. c. S. 24/25.
' Das italienische Depositenbankwesen konnen wir in dieser Hinsicht wohl ubergehen, da diesem der kontinuierliche Zusammenhang mit der Entwicklung des modernen Bankwesens lehlt. 8
BAGEHOT, 1. c.
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Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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kostspieligen Depositen. Durch diese ausgedehnte Geldschopfung wurde nicht nur der Umlauf vergroBert, sondern auch die Umlaufsgeschwindigkeit angeregt. Denn, wenn auch die Gelegenheit fehlte, zeitweilige Vermogensuberschusse rentabel zu machen, die Gelegenheit zur Brlangung von kurzfristigem Kredit nahm zu und vor allem die Verbreitung desselben "iiber das ganze Land war im Verein mit dem Aufbliihen der Industrie von groBer Bedeutung. Eine intensivere Vermogensausnutzung wurde dadurch moglich. Das 19. Jahrhundert sah schlieBlich die Depositenbank zu voller Bliite gelangen, zuerst in England und erst viel spater auf dem Festland. GemaB ihren theoretischen Prinzipien nur ein Institut, das sich zur Aufgabe setzte, das in der Volkswirtschaft braehliegende Kapital zu sammeln und denen, die Bedarf an Kredit hatten, zur Verfugung zu stellen, und als solches ein Instrument, um die Effektivitat des Geldes auf die hochste erreichbare Hohe zu fuhren, wurde sie infolge der Entwicklung des Scheckverkehrs, durch welche die Banksaldi selbst den Charakter von Kaufmitteln und somit von Geld erhielten, zu einer neuen geldschopfenden Anstalt. Dieser Ubergang kann nieht auf einen bestimmten Augenblick verlegt werden. Er ist nicht mit einer besonderen MaBregel verkniipft, sondern aus der Art der Umstande erwachsen. Fur die Entwicklung der Effektivitat ist er, wie sich von selbst versteht, von der groBten Bedeutung, denn seitdem die Depositenbank als ein geldschaffendes Institut betrachtet werden muB, hat sie die Effektivitat des Geldes eher vermindert als vergroBert. Das Guthaben in laufender Rechnung ist zu einem zinstragenden Kassenvorrat geworden und der Anreiz, Uberschusse im Wege des Geldmarktes zeitweilig Dritten zu iiberlassen, ist groBenteils verschwunden. Es besteht aller Grund zu der Annahme, daB die jetzt in giralem Geld gehaltenen Uberschusse groBer sind als die, welche jemals in chartalem Geld gehalten werden konnten. I m allgemeinen konnen wir also den SchluB ziehen, daB die Entwicklung des Bank- und Kreditwesens anfangs stets eine stimulierende Wirkung auf die Effektivitat ausgeubt hat, die ein Gegengewicht gegen die fruher genannten verzogernden Tendenzen bildete. Diese Wirkung hat ihren Hohepunkt im reinen Depositenbankwesen erreicht, dann aber hat die Veranderung im Charakter der Depositenbank eine vollkommene Verschiebung der Lage herbeigefuhrt und eine geringere Effektivitat hervorgebracht, die aber keine dynamische Bedeutung hatte, da sie mit einer Vermehrung der Geldmenge gepaart ging. Uber die relative Bedeutung der beobachteten entgegengesetzten Tendenzen fur die sakulare Bewegung der Effektivitat konnen wir uns schwer ein Urteil bilden. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, daB die letztere im Lauf der Zeiten geringer geworden ist. Von einer andauernden Zunahme war jedenfalls keine Rede.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Zum Problem des „Neutralen" Geldes. Von JOHAN G. KOOPMANS Haag (Holland). Inhaltsubersicht.
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Vorwort 214 1. Begrenzung des Gegenstandes; Literatur. — 2. Keine Stellungnahme zu den aktuellen Problemen der heutigen Weltwirtschaftskrise. E r s t e r A b s c h n i t t . Zur Problemstellung 216 3. Der Gedanke der Geldwertstabilisierung. — 4. Das (weitere) Programm einer ..Managed Currency" uberhaupt. — 5. Dreifache Begriindung des Stabilisierungsprogrammes: a) Wegen der Wertmesserfunktion des Geldes: Beseitigung der ..Geldillusion". — 6. b) Wegen der Verwirklichung einer ..konjunkturlosen Wirtschaft". — 7. c) Wegen der Beseitigung der selbstandigen Wirkungen des Geldes uberhaupt, zumal mit Bezug auf die einzelnen Preise; die Unterscheidung zwischen ..innerem" und ..auflerem" objektivem Tauschwert des Geldes. — 8. Das Prinzip der Neutralit a t des Geldes; Prioritat gegeniiber dem Stabilitatsbegrif f; das Preisniveau ist nur Symptom. — 9. Die Bedeutung des Neutralitatsprinzips fur die Konjunkturtheorie. — 1 0 . / l l . Zusammenhang mit dem Zinstheorem W I C K S F L L S ; die Divergenz zwischen Marktzins und Gleichgewichtszins als typisch nichtneutrale Erscbeinung. •— 12. Prinzipielle Moglichkeit eines Konfliktes zwischen dem Neutralitats- u n d dem Stabilitatsbegriff. — 13. Problemstellung fur die weiteren Abschnitte. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Die Neutralitat des Geldes: Begriffliches und Methodologisches 228 14./15. Definition des ..neutralen" Geldes; der Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft. — 16. Das normative Element in dem Neutralitatsbegriffe: Zusammenhang mit der liberalistischen Wirtschaftsauffassung. — 17./18. Grundlagen fur die wirtschaftspolitische ..Wertung" der Erscheinungen u b e r h a u p t ; Prinzip von der Optimalitat der Bedurfnisbefriedigung; Produktions- und Verteilungsoptimum. — 19./21. Methodologisch notwendige Beschrankung des „Laissez-Faire"-Prinzips; wesentlich ist nur die Verwirklichung des Idealtypus. — 22. Zu diesem Zwecke konnen prinzipiell auch aktive wirtschaftspolitische MaBnahmen erforderlich sein. — 23. Die neutrale Geldversorgung als eine Anwendung jenes Prinzips. — 24. Problemstellung fur den nachsten Abschnitt: ..Wieso kann das Geld uberhaupt nichtneutral s e i n ? " ; 14*
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die traditionelle Lehre von der grundsatzlichen Indifferenz des Geldfaktors in. der Wirtschaft. Erlduterungen: 25. a) Die aprioristische Stellung des Neutralitatsprinzips gegenuber der Geldtheorie im engeren Sinne. b) Die methodologischenBeschrankungendes,,Laissez-Faire"-Prinzipssind in diesem P u n k t e nioht von praktischer Bedeutung. — 26. e) Die Bestimmung des naturalwirtschaftlichen Vergleichsobjektes; Beispiel: die Vorrathaltung (,,Hortung") in der Naturalwirtschaft. — 27. d) Die Neutralisierung des Geldes bedeutet im allgemeinen nicht die Beseitigung der ,,dynamischen" Faktoren in der Wirtschaft. — 28. Definition der Begriffe ,,Inflation" u n d ,,Deflation". D r i t t e r A b s c h n i t t . Das nichtneutrale Geld und seine Erscheinungsformen 246 29./30. Definition des Geldbegriffes. Das abstrakte und das konkrete Geld. — 31. Uberschatzung des abstrakten Geldes seitens der Anhanger des Stabilisierungsprogramms; die tibliche Identifizierung der Begriffe ,,Wertbestandigkeit" u n d ,,Neutralitat" des Geldes ist daraus teilweise zu erklaren. 32. Die NicMneutralitat des abstrakten Geldes (,,Geldillusion"): im Grunde ein subjektiv-psychologischer Tatbestand. — 33. Grundsatzliche Unmoglichkeit, die NicMneutralitat in diesem Sinne zu beseitigen. 34./35. Die NicMneutralitat des konkreten Geldes: Durchbrechung der SAYschen iLquivalenz zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage; „ h a l b e " Tauschgeschafte. — 36./37. Neugeldschopfung u n d Geldvernichtung als ,,reine Nacbfrage" bzw. ,,reiner NacMrageausfall"; beide sind an u n d firr sich nichtneutral, ungeacbtet ob das ,,Handelsvolumen" sich iindert oder nicht; Ablehnung der sogenannten „Bedarfsgeldlehre". — 38. ExTcurs: Zusammenhange mit der Quantitiitstheorie. — 39. Neues Horten u n d Enthorten als nichtneutrale Momente. — 40. Bedeutung des ,,monetaren Zeitintervalls" ftir den Wirtschaftsablauf tiberhaupt. — 41. Der ,,Nullpunkt" des neuen Hortens und Enthortens ist nicht identisch mit dem Zustande konstanter Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. — 42./44. Die spezielle Bedeutung des sogenannten ,,Induced (Dis-) Lacking" ( R O B E R T SON). — 45. Verneinung weiterer (selbstandiger) nichtneutraler Momente. — 46./47. Zusammenhang mit dem WiCKSELLschen Theorem der Zinsdivergenz. — 48. Grundsatzliche Identitat von ,,Geldinflation" u n d ,,Kreditinflation". — 49. Zusammenfassung. 50./51. Die ,,technischen" Moglichkeiten einer Verwirklichung des neutralen Geldes; Ablehnung einer „qualitativen" Kreditpolitik; die obere u n d untere Grenze einer ,,Managed Currency" iiberhaupt. — 52. Das Problem der „symptomatischen Messung" der Neutralitat des Geldes. — 53./54. Exkurs: Auseinandersetzung mit den S t a n d p u n k t e n MACHLUPS u n d H A Y E K S . — 55. Darstellung
des Problems m i t Hilfe der quantitatstheoretischen Gleichungen. — 56. Beweisthema fur den nachsten Abschnitt. V i e r t e r A b s c h n i t t . Das angebliche „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen" und dessen Widerlegung 288 57. Die Lehre von den kumulativen Preisanderungen (Kumulationstheorie). — 58. Die Lehre von den kompensatorischen
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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Preisanderungen (Kompensationstheorie). — 59. Exkurs I: Die Bedeutung der Voraussetzung, daB sich „auf der Geldseite nichts andert". — 60. Exkurs II. Nur die „absoluten" Preise, nicht die Preisrelationen sind fur unser Problem relevant. 61. Die angebotsbedingten Preisanderungen. Bedeutung der Voraussetzungen mit Bezug aui die Elastizitat der Nachfrage naeh den einzelnen Giitern; „Positionswechsel" der beiden Theorien bei Anderung dieser Voraussetzungen. — 62. Bei Elastizitat der Nachfrage gleich eins sind beide Theorien hinfallig. — 63. Bei Elastizitat der NaoMrage ungleich eins sind ebenfalls beide Theorien binfallig. — 64. Dieser letztere Pall impliziert eine veranderliche Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes; die Berechtigung dieser Voraussetzung. -— 65./66. Exkurs: Analyse der gleichen Falle unter Voraussetzung einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit. — 67. Nichtneutrale Natur dieser letzteren Voraussetzung: die Bedeutung des ,,monetarenZeitintervalls" zwischen Kaufkrafterwerb u n d Kauikraftverwendung. — 68. Insoweit die Umlaufsgeschwindigkeit tatsachlich konstant ist, sollte auch in den betreffenden Fallen die Geldmenge sich andern. — 69. „Sollgeldmenge" und Handelsvolumen: keine eindeutige Eelation. — 70. Hinfalligkeit samtlicher bisher vorgeschlagenen symptomatischen Kriterien fiir die Neutralitat des Geldes. — 71./73. Exkurs: Der Eettungsversuch des Stabihsierungsprinzips mittels entsprechender „Manipulierung" der Indexzahlen. (72. Unmoglich bei einfach-gewogenen Formeln; 73. Ebenfalls unmoglich bei Doppelgewichtsmethoden.)
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74. Die nachfragebedingten Preisanderungen. — 75. Auch in diesen Fallen keine notwendige Kompensation der einzelnen Preisanderungen untereinander. — 76. Die „sekundaren" Naohfrageverschiebungen (,,qualitative Keperkussionen"). — 77./78. Bei Beriicksichtigung jenes Momentes sind sowohl kompensatorische wie kumulative Preisanderungen moglich, jedoch nicht notwendig. — 79. Die Aquivalenz der „ p r i m a r e n " und ,,sekundaren" Preis. anderungen fiir die Zwecke der Analyse; „Amorphitat des Preissystems"; alle denkbaren Preisbewegungen sind grundsatzlich auch bei neutralem Gelde moglich. Erlduterungen: 80. Zusammenhang mit der allgemeinen ,,Interdependenztheorie" der Preise. — 81. Spezielle Preiszusammenhange: produktions- und konsumverwandte Giiter. — 82./83. Das ,,Prinzip von der Erhaltung der Kaufkraft"; Zusammenhange mit anderen Problemen der Wirtschaftstheorie. ,,Preiszahlungen" u n d „Zessionszahlungen"; grundsatzliehe Irrelevanz dieser Unterscheidung. Vereinheitlichung der theoretischen Ergebnisse. SchluBbetrachtungen 341 84. Ist die Neutralitat des Geldes schheBlich wirtscJiaftspolitisch erwunscht % — 85. Die „ K o n t i n u i t a t " der Preisentwicklung. — 86. Funktionell verschiedene Bedeutung der monetaren und der nichtmonetaren Preisanderungen; die spezifisch monetare Variante der wirtschaftlichen ,,Dynamik". Gerade das neutrale Geld verwirklicht die konjunkturlose Wirtschaft. — 87. Zusammenhange mit dem Problemkreis der Zinsdivergenz. — 88. „ W e r t u n g " der konjunkturlosen Wirtschaft: der wirtschaftliche ,,Fortschritt" auf Grund des Zwangssparens ist illusorisch; das Prinzip der
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„Okonomisierung der Kapitalverwendung". — 89. Die Grenzen des wirklichen „Fortschrittes"; ist hierbei Rucksicht auf die „unwiderruf lichen" Investierungen notwendig? — 90. Nochmalige Ablehnung der „qualitativen" Methoden der Kreditpolitik; produktive, spekulative und konsumtive Kredite. 91. Die „Lokalisierung" der Neugeldschopfung und der Geldvernichtung. — 92. Das neutrale Geld und die Goldwahrung: a) mit Bezug auf die Stabilitat der intervalutarischen Kurse. — 93. b) Mit Bezug auf die Gefahr einer ,,Goldknappbeit": grwndsdtsliohe Entbehrliehkeit der Goldwahrung. — 94. Das Problem der symptomatischen Messung bleibt zunachst ungelost; die aktuelle Bedeutung dieser Frage fur die kiinftige Konjunkturentwicklung.
Vorwort.
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1. Der vorliegende Beitrag enthalt die Hauptergebnisse einer demnachst in hollandischer Sprache zu veroffentlichenden Untersuchung iiber das Thema: „Geldversorgung und wirtschaftliches Gleichgewicht". Fiir eine nahere Begriindung mancher Thesen, die schon aus Raumriicksichten in diesem Aufsatze nur andeutungsweise hervorgehoben werden konnten, sei somit von vornherein ausdrucklich auf jene spater erscbeinende Arbeit des Verfassers verwiesen. Insbesondere soil scbon an dieser Stelle bemerkt werden, daB zumal die Ausfiihrungen iiber die technischen und organisatorischen MoglichJceiten einer „Managed Currency" — im Gegensatz zu den Fragen nach deren Erwiinschtheit und etwaigen Konsequenzen — in der vorliegenden Arbeit absichtlicb knapp gebalten sind, und daB es demnach unvermeidlich erscheint, daB in diesem Punkte manches, was vielen Lesern zunachst noch problematisch erscbeinen diirfte, obneweiters als erwiesen vorausgesetzt worden ist. Nur auf dieser Weise erschien es moglicb, innerbalb des jedem Mitarbeiter bier zur Verfiigung stehenden Raumes eine irgendwie vollstandige und geschlossene Darstellung zu bieten von einem zweiten —• und zwar, nach den Ansichten des Verfassers, weitaus bedeutungsvoileren —Aspekte des gleichen Problemkreises, namlicb der Frage nacb den Kriterien, nach denen ein nationales oder internationales „Management" der Geldversorgung —• dessen Moglichkeit einmal vorausgesetzt —- vorzugehen babe, wenn ein wirtschaftlich ,,vernunftiges" Resultat erreicht werden soil. Es handelt sich hiebei offenbar in erster Linie um die bekannte Kontroverse fiir und wider die Stabilisierung des sogenannten „allgemeinen Geldwertes", bzw. — falls Ablehnung dieses wirtschaftspoUtischen Programms —• um dessen Alternativen; und zwar beides in erster Linie mit Rucksicht auf deren konjunkturtheoretische, bzw. konj unkturpolitische Konsequenzen. Sogar auf diesem beschrankten Gebiete scheint, ebenfalls aus Raumrucksiehten, eine irgendwie vollstandige Wurdigung der einsohlagigen, bekanntlich sehr umfangreichen Literatur an dieser Stelle vollends ausgeschlossen. Den Arbeiten einzelner Autoren ist daher in diesem Aufsatze
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nur Eecbnung getragen worden, insoweit ihre Ansichten entweder fur irgendeine Lebrmeinung als typiscb gelten konnen, oder aber insoweit sie ftir unsere eigenen Ausfubrungen von besonderer Wiehtigkeit sind. Sowobl mit Eucksicbt auf den weiteren Eabmen, in dem diese Arbeit verSffentlicbt wird, als auch wegen der in mancben Punkten weitgebenden tjbereinstimmung unserer eigenen Ergebnisse mit denen dieses Verfassers, erscbien es jedoob angebraobt, uns in erster Linie eingebend mit den Schriften des Herausgebers des vorliegenden Sammelbandes, Herrn Professor P. A. HAYEK, ZU bescbaftigen und dessen Auffassungen zum Teil als Ausgangspunkt fur unsere Untersucbungen zu wablen. Da wobl angenommen werden darf, daB wenigstens fur den deutsoben Leserkreis eine ausfubrlicbe Wiedergabe jener Auffassungen sicb erubrigt, ist in den weiteren Abscbnitten dieser Abbandlung die Kenntnis der wicbtigsten Tbesen Professor HATEKS vorausgesetzt worden. Neben den Scbriften dieses Verfassers und denen der ubrigen Angeborigen der neueren „ Wiener Sebule"1 sind hauptsaoblicb die Arbeiten der zeitgenossiseben engliscben Autoren (und zwar zumal A. C. PIGOU, J. M. KEYNES 2 , D. H. ROBERTSON und E. G. HAWTRET) in diesem Aufsatze beriicksicbtigt worden. Des weiteren ist — jedoob aucb bier obne irgendweleben Ansprueb auf Vollstandigkeit — dem bollandiseben Scbrifttum etwas mebr Aufmerksamkeit gewidmet worden als dies sonst in den (von unserem Standpunkte) fremdspracbigen Veroffentbcbungen ublicb oder moglicb ist; es scbeint uns namlicb nicbt von vornberein ausgescblossen, daB die dort stattgefundene Entwicklung der Ansiebten in der Nacbkriegsperiode, gerade mit Bezug auf den bier aufgerollten Problemkreis, ein oder zwei eigentumlicbe Zuge aufweisen konnte, die in der Literatur der anderen Lander entweder ganz feblen oder docb jedenfalls weniger scbarf ausgepragt sind.3
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2. Zum Schlusse dieser einleitenden Zeilen sei noch eines hervorgehoben. Man fiihlt sicb. als Wirtschaftstheoretiker in der heutigen Zeit fast genotigt, sicb. zu entschuldigen, wenn man zu irgendeinem Gegenstand aus dem Gebiete der Geld- oder Konjunkturlebre das Wort ergreift, ohne mehr oder weniger direkt auf die gegenwartige Weltwirtschaftskrise Bezug zu nehmen. Es soil somit von vornberein darauf hingewiesen werden, daB in der vorliegenden Arbeit eine derartige direkte Stellungnahme zu den aktuellen Problemen unserer Zeit nicbt enthalten ist. Vielmebr bewegen sicb unsere Ausfubrungen nabezu fortwabrend auf dem Gebiete der abstrakten, manchmal sogar sehr weit von der Wirklichkeit entfernten Tbeorie. Zwar ist das Ergebnis — die Befiir1 Wir verstehen darunter in erster Linie die Gruppe, die von KEYNES (A Treatise on Money, Vol. I, S. 199) als die „Neo-Wicksell-Schule" gekennzeichnet worden ist. Es sind hiezu, auBer Professor HAYEK, U. a. die Autoren G. HABERLER, F. MACHLUP, A. MAHR und O. MORGENSTERN zu rechnen, wahrend als Anhanger einer verwandten Geistesrichtung auCerhalb dem eigentlichen Wiener Kreise zumal W. ROPKE sowie H. NEISSER ZU erwahnen sind. 2 Von einer nur irgendwie vollstandigen Wiirdigung der jiingsten Arbeit K E Y N E S ' (A Treatise on Money, 2 Vols., London 1930) kann im Rahmen dieses Aufsatzes selbstverstandlich nicht die Rede sein; es sei jedoch gleich an dieser Stelle bemerkt, daB die in jenem Werke vertretenen Gedankengange uns im allgemeinen ferner liegen als die Ansichten der Ubrigen oben erwahnten Autoren. s Es gilt dies unseres Erachtens zumal von den Ansichten G. M. VERRIJN STUARTS uber die Relation zwischen dem BegriHe des ,,wertbestandigen" und dem des „neutralen" Geldes (siehe unten S. 221/2), sowie auch mit Rezug auf die Ausfuhrungen M. W. HOLTROPS uber die Zusammenhange zwischen Kassenhaltung (,,Horten") und Umlaufsgeschwindigkeit (siehe unten S. 266 u. 302 if.).
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Abschnitt.
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wortung eines bestimmten Systems der Geld- und Kreditpolitik, namlich des Systems der „neutralen" Geldversorgung — erkenntniskritisch betrachtet, nicht „theoretischer", sondern „praktischer" Natur; jedoch auch dieses Ergebnis bat nicbt etwa praktiscbe Bedeutung in dem Sinne, daB von der Anwendung eines derartigen Systems obneweiters eine Erleicbterung der gegenwartigen Depression erwartet werden diirfte. Irgendeinen fix und fertigen ,,Weg axis der Krise" gibt es ja unseres Erachtens iiberhaupt nicht — jedenfalls nicht auf dem Gebiete monetarer MaBnahmen! DaB diese Auffassung dennoch nicht in Widersprucb steht zu den aueb von uns fur richtig gebaltenen „monetaren" Konjunktur- und Krisentheorien, wird in den nachsten Abscbnitten nocb ausfuhrlicher dargelegt werden; an dieser Stelle sei biezu nur bemerkt, daB dasjenige, was man nach unserer Ansicbt tatsachlich von einer verniinftigen Geld- und Kreditpolitik erwarten darf, nicbt etwa in der Uberwindung einer schon angefangenen Krise, sondern vielmehr in der Vorbeugung der nachsten . . . Hocnkonjunktur bestebt. Diese zunachst wohl etwas paradox anmutende These ist durcbaus ernst gemeint und wird im weiteren Verlaufe dieses Aufsatzes noch ausfuhrlicber begriindet werden. Zunachst sollen aber die schon existierenden Vorschlage fiir eine ,,aktive" Geld- und Kreditpolitik einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
Zur Problemstellung.
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„Die wichtigste Aufgabe der Geldtheorie scheint mir gegenwiirtig ihre Emanzipation von der sie heute fast aussclilieBlich erfullenden Geldwerttheorie zu sein." (F. A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929, S. 71.)
3. DaB in den beiden letzten Dezennien die Ansichten iiber die Fragen des Geldwesens nicht nur unter den Theoretikern, sondern vorwiegend auch unter den Mannern der Praxis eine betrachtliche Umwandlung erfahren haben, ist eine Tatsache, die an dieser Stelle wohl kaum der Erwahnung bedarf. Wie ungeheuer groB diese Umwandlung gewesen ist, realisiert man z. B., wenn man bedenkt, daB noch im Jahre 1911 die bekannten Vorschlage IRVING FISHERS beziiglicb der Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes 1 sogar in wissenschaftlichen Kreisen uberwiegend als eine durchaus wirklichkeitsfremde „Spielerei" angesehen wurden und unter Praktikern wohl kaum irgendeine Beachtung fanden — wahrend ebenderselbe Autor im Jahre 1928 imstande war, in dem Anhang seiner damaligen popularen Schrift ,,The Money Illusion" 2 auf eine stattI The Purchasing Power of Money, New York 1911, S. 337H.; weiter ausgearbeitet in dem Aufsatz „A compensated Dollar" im Quarterly Journal of Econ., Vol. 27 (1912/13), S. 213 ff. II New York 1928, S. 216ff.
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liche Reihe von AuBerungen fiihrender Theoretiker und Praktiker zugunsten seiner Lehren hinzuweisen. Indessen war sogar tatsachlich schon ein Gesetzesentwurf auf Grundlage derFiSHERschenldeen dem amerikanischen KongreB vorgelegt worden; 1 es gibt eine ,,Stable Money Association", die sich einer wachsenden Zahl Mitglieder erfreut; und, was wohl das Wichtigste ist, die Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes ist zu einem durcbaus anerkannten und „respektabeln" Programmpunkte einer Reihe fiihrender Geister auf dem Gebiete der Theorie wie der Praxis 2 geworden. Diese Entwicklung der offentlichen Meinung stellt zweifellos, dem friiheren bequemen Glauben an den sogenannten „Automatismus" der Goldwahrung gegeniiber, einen erheblichen Fortschritt dar. DaB immer weitere Kreise sich daran gewohnen, wenigstens einigermaBen auch „in Waren" anstatt nur ,,in Geld zu denken", oder, um einen beliebten Ausdruck zu verwenden, „den Geldschleier zu liiften", ist als solches gewiB nur zu begriiBen; 3 und vielleicht noch wichtiger diirfte es sein, daB immer mehr die Uberzeugung an Boden gewinnt, die monetaren Ereignisse seien nicht etwas „Naturgegebenes" und fatalistisch Hinzunehmendes, sondern einer bewuBten und vernunftgemaBen menschUchen Regulierung fahig (Prinzip der regulierten Wahrung oder ,,Managed Currency").
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4. Damit soil jedoch keineswegs gesagt sein, daB fur eine solche „aktive" Geld- und Kreditpolitik keine andere verniinftige Zielsetzung denkbar ware als eben nur diese mit soviel Eifer von den verschiedensten Seiten propagierte Stabilisierung des ,,allgemeinen Geldwertes", 4 bzw. des „allgemeinen Preisniveaus". Dennoch ist es eine unleugbare Tatsache, daB unter den zahlreichen Anhangern von dem Prinzip des ,,Managed Currency"—dm Gegensatz zu denjenigen, die sich mit dem traditionellen System der Goldwahrung begniigen, wobei, wenigstens prinzipiell, der Schwerpunkt nur bei der Aufrechterhaltung der intervalutarischen Paritat des nationalen Geldes liegt 5 — von irgendeiner anderen Zielsetzung als eben der obengenannten kaum je die Rede ist; wobei aller1 Die sogenannte ,,Strong Bill"; Einzelheiten hierilber in deutscher Sprache u. a. bei A. MAHR, Die Stabilisierung der Kaufkratt des Dollars, Weltw. Archiv 1929, Bd. 29, S. 26ff. 2 Als die bekanntesten Namen seien hier nur erwahnt G. CASSEL, J. M. KEYNES, R. G. HAWTREY, und von den Bankpraktikern zumal R. MAC KENNA (der Letter der Midland Bank). 8 AUerdings hat dies auch eine bedenkliche Seite, namlich insoweit bestimmte Interessentengruppen sich dieser Erkenntnis zwar in Zeiten sinkenden Geldwertes als durchaus zuganglich erweisen, jedoch in Zeiten steigenden Geldwertes sich ihr verschlieBen, wie dies zumal in jilngster Zeit in gewerkschaftlichen Kreisen vieltach vorkommt. 4 Aut die umfassende Problematik mit Bezug auf den Begrift des ,,Geldwertes" iiberhaupt — ,,Originarwert" Oder ,,Derivativwert" des Geldes, Anwendbarkeit der Grenznutzenlehre auf das Geld usw. — soil hier nicht weiter eingegangen werden; dies ertibrigt sich schon deshalb, weil —• wie aus den folgenden Abschnitten bald hervorgehen wird — der Begriff des Geldwertes in unseren weiteren Ausfiihrungen ohnehin nur eine sekundare Rolle spielen wird. Siehe unten S. 222 und passim. 6 Formal natiirlich zunachst bei der Aufrechterhaltung dessen GoWparitat. Es ist dies jedoch im Grunde der Aufrechterhaltung der intervalutarischen Paritat untergeordnet, weil eben der Wert des Goldes selber letzten Endes wieder von dem Geldwert in den Goldwahrungslandern abhangig ist. — Es konnte also nach dieser Auffassung der Geldwert auch niemals in alien Landern der Welt gleichzeitig unter die Goldparitat herabsinken!
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dings zugegeben werden soil, daB zwischen den verschiedenen Autoren, die sich zu dieser Auffassung bekennen, des ofteren erhebliche Meinungsverschiedenheiten an den Tag kommen, sobald es sich darum handelt, den zu stabilisierenden Gegenstand etwas exakter zu umschreiben. 1 Wie dem aber auch sei, jedenfalls findet sich in dem gesamten Schrifttum iiber diese Fragen kaum irgendein Hinweis auf ein denkbares „tertium" auBerhalb der Alternative: entweder „Managed Currency" — es sei mit oder ohne Beibehaltung der Goldwahrung 2 — mit dem Ziel einer Stabilisierung des Geldwertes, oder aber eine „automatische" Goldwahrung ohne irgend welche bewuBte Regulierung. Zumal in den mehr popularen Arbeiten —• vielleicht mit Ausnahme derjenigen, in denen einem wissenschaftlich iiberhaupt nicht ernst zu nehmenden Inflationismus das Wort geredet wird! •— pflegen die Begriffe „Managed Currency" und „Geldwertstabilisierung" schlechthin identifiziert zu werden. 3 Es diirfte ohneweiters klar sein, daB eine derartige Identifizierung jedenfalls formal-logisch unhaltbar ist. Die theoretische Moglichkeit einer Regulierung der Geldversorgung zu anderen Zwecken als eben der Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus konnte wohl kaum bestritten werden. Eine zweite Frage ist jedoch, ob — und, wenn schon, aus welchen Griinden — eine derartige von der iiblichen abweichende Zielsetzung der Geld- und Kreditpolitik irgendwie als wirtschaftlich verniinftig oder erwunscht angesehen werden konnte. Diese Frage soil in den nachsten Abschnitten weiter untersucht werden; zu diesem Zwecke empfiehlt es sich jedoch, zunachst eine Untersuchung iiber die Griinde anzustellen, die seitens der Anhanger des Stabilisierungsgedankens fiir ihre Ansichten angefiihrt zu werden pflegen.
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5. Die Argumente zugunsten der Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus (bzw. dessen reziproken GroBe, des sogenannten „allgemeinen Geldwertes") lassen sich im groBen und ganzen in drei Kategorien einteilen, wobei allerdings zuzugeben ist, daB die Trennungsstriche zwischen diesen Kategorien sich in den einzelnen Fallen ofters verwischen. AuBerdem werden selbstverstandlich von mehreren Autoren abwechselnd Argumente aus mehr als einer dieser Rubriken hervorgehoben. Dennoch diirfte die Unterscheidung wenigstens zum Zwecke einer vorlaufigen Orientierung von Nutzen sein. Zu der ersten Kategorie rechnen wir samtliche Argumente, in denen 1 2
Vgl. hievon u. a. S. 254ff. Diese letztere Frage ist unseres Krachtens prinzipiell nur von untergeordneter Bedeutung (naheres hiezu unten, §§ 92/3). Von den bisher genannten Autoren befurworten CASSEL und HAWTREY eine Geldwertregulierung unter Beibehaltung der Goldwahrung, wahrend K E Y N E S und Mc. KENNA fiir deren (permanente!) Aufhebung eintreten. Nach I. FISHERS bekanntem Vorschlag des „kompensierten" Dollars sollte die Goldwahrung zwar scheinbar aufrechterhalten werden, jedoch ohne ihr nach unserer Ansicht wichtigstes Merkmal, namlich das teste Wertverhaltnis zwischen der Geldeinheit und einer bestimmten Gewichtsmenge Feingold; es handelt sich hier also im Grunde nur noch um eine ,,Pseudo-Goldwahrung". 3 Sogar diejenigen Autoren, die unter den heutigen Verhaltnissen die Forderung ,,Zuruck zu dem 1929er Preisniveau!" erheben (die sogenannten Reflationisten), betrachten die dazu notwendige Steigerung des Preisniveaus uberwiegend als eine einmalige MaBnahme, wahrend sie fiir die Zukunft fur eine Stabilisierungspolitik eintreten.
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unter Hervorhebung der sogenannten „Wertmesserfunktion" des Geldes 1 der angebliche Widersinn betont wird von einer fortwahrend sich andernden Einhe.it der Wertmessung im Vergleich zu den mit groBter Genauigkeit ein fur allemal festgelegten physischenMaBeinheiten, wie z. B. denen der Lange, des Gewichtes, der Temperatur, der Elektrizitat usw. Es ist in erster Linie IRVING FISHER, der in einer Reihe von Schriften dieses Argument mit groBer Geschicklichkeit und unter Anfuhrung von immer neuen schlagenden Beispielen hervorgehoben hat. Daneben sollen in diesem Zusammenhange u. a. G. CASSBL sowie J. M. K E Y N E S (letzterer zumal in seinen alteren Arbeiten 2 ) erwahnt werden, zu denen sich. eine stattliche Reihe von „Epigonen" gesellt hat. Die angeblichen Nachteile einer schwankenden Einheit der Wertmessung nach diesen Autoren lassen sich hauptsachlich in zwei weitere Rubriken unterverteilen: a) Die — meistens von den betreffenden Wirtschaftssubjekten unvorausgesehenen — Anderungen in dem „Real"wert samtlicher auf eine bestimmte Geldsumme lautender Forderungen undSchulden, so wie in den sonstigen auf langere Zeit kontraktlich, bzw. reglementar festgelegten Verpflichtungen (z. B. Miet- und Pachtzinsen, Lohnen, Gehaltern, offentlichen Abgaben usw.); und b) die „Falschung" samtlicher in der schwankenden Geldeinheit angestellten geschaftlichen Kallculationen, derzufolge in Zeiten sinkenden Geldwertes Gewinne vorgetauscht und Gfters sogar ausgeschiittet werden, die realiter nicht vorhanden sind, wahrend umgekehrt in Zeiten steigenden Geldwertes eine sachlich nicht —- oder doch jedenfalls nur teilweise —• begriindete „Verlustpsychose" geschaffen wird und im allgemeinen eine rechtzeitige Anpassung des Wirtschaftslebens an veranderte Umstande erheblich erschwert wird. 3 Es ist insbesondere diese letztere Wirkung des schwankenden Geldwertes, fur die I. F I S H E R seinen bekannten Ausdruck ,,The Money Illusion" gepragt hat. 6. In die zweite Kategorie gehoren die Argumente jener Autoren, nach denen die Anderungen des durchschnittlichen Preisniveaus als die primare und kausal bestimmende Ursache der Konjunkturschwankungen, hingegen samthche weitere Konjunkturphanomene — wie z. B. die Schwankungen in der Produktionsintensitat, in den Absatzmoglichkeiten, in dem Beschaftigungsgrad der Arbeiter usw. — lediglich als Folgeerscheinungen der durchschnittlichen Preisanderungen zu betrachten sind. Die Konsequenz dieser Auffassung ist offenbar, daB von einer Stabilisierung des Geldwertes nicht mehr oder weniger erwartet wird als die vollstandige Ausmerzung der Konjunkturschwankungen; d. h. also, um ein beliebtes Schlagwort zu verwenden, die Verwirklichung 1 2
Naheres iiber diese und die sonstigen „Funktionen" des Geldes aul S. 247 ff. Insbesondere „A Tract on Monetary Reform", London 1923. Insoweit wird somit, auch schon in diesem Gedankengange, den Geldwertschwankungen eine gewisse Bedeutung als kausales Moment in dem Konjunkturverlauf beigemessen. Im Gegensatz zu den spater zu besprechenden zweiten und dritten Auffassungen handelt es sich jedoch in diesem Zusammenhange nur um eine Nebenerscheinung, die fur die Begrundung des Stabilisierungsprogramms als solchen nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist. 3
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einer „konjunkturlosen Wirtschaft". Als ein typisches Beispiel dieser iibrigens ziemlieh verbreiteten Auffassung sollen hier nur die friiheren Arbeiten R. G. HAWTREYS erwahnt werden, dessen in 1922 geschriebener Satz „The Trade Cycle is a purely Monetary Phenomenon" 1 ja beinahe sprichwortlich geworden ist. Inwieweit die hier skizzierten Gedankengange als richtig betrachtet werden diirfen, soil spater nooh untersucht werden. Es sei jedoch sohon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dafi es jedenfalls nieht zulassig ist, diese Auffassungen, wie es des ofteren gesehieht, ohne weiteres mit dem Begriffe der sogenannten ,,monetaren Konjunkturtheorien" zu identifizieren. Vielmehr bilden sie, wie dies in der HAYEKschen Schrift ,,Geldtheorie und Konjunkturtheorie" ausfuhrlich dargelegt worden ist,2 nur eine (und dazu gewiB nicht die einwandfreieste) Variante dieser Gruppe von Konjunkturtheorien; und zwar hat die einseitige Betonung dieser speziellen Variante viel dazu beigetragen, um •— durchaus zu Unreeht — die ganze Gruppe mehr oder weniger zu diskreditieren. Bei unvoreingenommener Betraehtung diirfte es klar sein, da8 aus der etwaigen Ablehnung der erwahnten speziellen Auffassung jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Unriohtigkeit einer jeden ,,monetaren" Erklarung der Konjunkturschwankungen geschlossen werden darf.
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7. Der dritten Gruppe von Argumenten zugunsten der Geldwertstabilisierung liegt der Gedanke zugrunde, daB die Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus als der Inbegriff der selbstandigen („autonomen") Einfliisse des Geldes auf den Wirtschaftsablauf zu betrachten sind. Dieser Gedankengang kniipft an die bekannte Tatsache an, da8 eine Geldinflation 3 erfahrungsgemaB nicht nur — wie dies bekanntlich von den allzu simplistischen Abarten der Quantitatstheorie 4 behauptet wird — die absoluten Geldpreise in die Hohe treibt, sondern in weitaus den meisten Fallen gleichzeitig auch die relativen Preise der einzelnen Giiter, und zumal die Relationen zwischen den Giiterpreisen und dem Arbeitslohn, sehr erheblich storend beeinfluBt. Von dieser durch wiederholte Erfahrungen ausreichend bewiesenen und auch theoretisch ohne Schwierigkeit zu begriindenden These 5 bildet die hier naher zu besprechende Auffassung sozusagen die Umkehrung: es wird hier namlich angenommen, da8, insoweit das Geld die absolute (mittlere) Hohe der Preise M?iverandert lafit, es eo ipso auch keinen selbstandigen storenden EinfluB auf die Bildung der relativen Preise und Einkommen haben konne. Mit dem Obigen soil freilich nicht behauptet werden, daB eine derartige „Umkehrung" der Argumentation von samtlichen Vertretern der hier erwahnten Auffassung bewuBt vorgenommen wird, und ebenso1 R. G. HAWTREY, The Genoa Resolutions on Currency, Econ. Journal 1922, Vol. X X X I I , S. 298. 2 F . A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929, S. 53H. 3 tiber die Definition des Inflationsbegriffes siehe S. 245/6. 1 Weiteres iiber die Quantitatstheorie auf S. 262ff und 285 ff. dieses Aufsatzes. 5 Es handelt sich hier offenbar um die bekannte, zumal von L. MISES (Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, 2. Aufl., Munchen u. Leipzig 1924, S. 119ff.) vertretene und heutzutage wohl ziemlieh allgemein anerkannte „dynamische" Theorie der Inflation, nach der die Preissteigerungen immer zunachst nur von einem beschrankten Gebiete ihren Ausgang nehmen und sich erst allmahlich iiber die ganze Wirtschaft verbreiten.
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wenig, daB sie als solohe einwandfrei ware. Es handelt sich hier eben nur um eine gedrangte und typische Darstellung des Ergebnisses. Die Begriindung dieser Auffassung bleibt jedoch bei vielen ihrer Anhanger ziemlich verworren, und es ist sogar keine Ausnahme, daB sie iiberhaupt fehlt und daB somit das Ergebnis einfach als etwas Selbstverstandlicb.es vorausgesetzt wird. 1 Insoweit aber tatsachlich von einer Begriindung die Rede ist, vermischt sich der oben angedeutete Gedankengang ofters mit einem zweiten, der von denAnderungenindenretoive»Preisen ausgeht und darzulegen versucht, daB —- insoweit keine Ursachen „von der Seite des Geldes" hinzutreten — die Steigerung oder Senkung einzelner Warenpreise niemals eine Anderung des allgemeinen Preisniveaus auslosen kann, weil eben die einzelnen Preissteigerungen stets von Preissenkungen anderer Giiter neutralisiert werden und umgekehrt. Dieses sogenannte „Gesetz der kompensatorischen (oder kontraren) Preisanderungen" 2 soil seinerseits wieder seine Begriindung finden in der Uberlegung, daB in einer reinen Tauschwirtschaft, wo es iiberhaupt keine ,,absoluten" Geldpreise gibt, und wo somit die Preise der einzelnen Giiter nur gegenseitig in den Einheiten anderer Giiter ausgedriickt werden konnen, offensichtlich eine Steigerung oder Senkung einzelner Preise immer ipso facto eine ,,kompensatorische" Anderung der iibrigen Preise bedeutet — eben insoweit letztere ihrerseits in den Einheiten der erstgenannten Giiter ausgedriickt werden. 3 Es miindet diese ganze Argumentation schlieBlich aus in die Kontroverse liber die Zulassigkeit der von MENGEB,, 4 MISBS 5 und sonstigen Autoren gemachten Unterscheidung zwischen einem ,,inneren" und einem ,,auBeren" objektiven Tauschwert des Geldes, wobei der letztere angeblich sowohl durch Ursachen „auf der Geldseite" wie „auf der Giiterseite", der erstere jedoch nur durch solche ,,auf der Geldseite" eine Anderung erfahren konne. Als typischer Vertreter der Ansicht, nach der diese Unterscheidung als prinzipiell unhaltbar zu betrachten sei, diirfte vor allem G. M. VERKIJN STUART genannt werden, der in seiner 1919 in hollandischer Sprache veroffentlichten Untersuchung iiber die Wertbestiindigkeit des Geldes6 die Berechtigung dieser Unterscheidung nicht nur ausdrucklich geleugnet, sondern auch explizite deren Widerlegung versucht hat. 7 Das Ergebnis seiner Ausfuhrungen lautet somit, daB Verschiebungen des allgemeinen Preisniveaus ausschlie/Slich durch Ursachen „auf der Geldseite" ausgelost werden konnen. Er geht sogar 1 Vgl. hiezu vor allem HAYEK, a. a. O. S. 55 If.; mit Bezug aul die vermutliche Ursache dieses zunachst ganz merkwilrdig erscheinenden Tatbestandes, sowie der tiblichen Uberschatzung des Geldwertfaktors im allgemeinen slehe S. 251/2. 2 Beziiglich der einschlagigen Literatur siehe S. 288H. 3 Wie wir spiiter noch ausiiihrlicher darlegen werden, betrachten wir diese Argumentation keineswegs als entscheidend. 4 C. MENGER, Art. „Geld" im Handworterb. d. Staatswiss., 3. Aufl., Bd. IV, S. 592 bis 598. 6
L. MISES, a. a. O. S. 104 u. 221/222.
6 „Inleiding tot de Leer der Waardevastheid van het Geld", den Haag 1919. ' Der VorwurJ HAYEKS, daB die Identifizierung der Begriffe ,,wertbestandiges" und ,,neutrales" Geld im allgemeinen ohne irgend welche Begriindung vorgenommen wird, trifft also mit Bezug auf diesen Verfasser nicht zu.
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noch einen Schritt weiter, indem er den Begriff der Wertbestandigkeit des Geldes — d. h. der Wertbestandigkeit schlechthin, denn „innere" und „auBere" Wertbestandigkeit bedeutet ihm ja das gleiche! — definitorisch umschreibt als dessen Eigenschaft, „die natiirliche Bildung der Preise und Einkommen nicht zu storen". Dies und nur dies ist nach ihm das Wesensmerkmal der „Wertbestandigkeit". 1
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8. Ob dieser Auffassung beigestimmt werden soil oder nicht, kann vorlaufig noch dahingestellt bleiben. Was uns an dieser Stelle an den hier skizzierten Lehrmeinungen interessiert, ist zunachst nur der begriffliche Unterschied zwischen dem Gelde, das einen selbstandigen EinfluB auf den Wirtschaftsablauf hat, und einem Gelde — sei es nun das Geld von „innerer" Wertbestandigkeit oder das ,,wertbestandige" Geld schlechthin — bei dem dies angeblich nicht der Fall sein soil. Mit dieser Unterscheidung begegnen wir zum ersten Male dem Begriff des „neutralen" Geldes, der von jetzt an den Hauptgegenstand unserer weiteren Untersuchungen bilden soil. Im nachsten Abschnitt werden wir versuchen, diesen Begriff genauer zu definieren und dessen theoretische und praktische Brauchbarkeit systematisch zu priifen. Auch ohne weitere Analyse diirfte es aber jedenfalls klar sein, daB die Einfuhrung dieses Begriffes in die Diskussion liber die Geldwertstabilisierung, sowohl rein theoretisch wie auch geldpolitisch betrachtet, eine bedeutende ,,Akzentverlegung" darstellt. Denn nicht nur in der VERRIJN STUARTschen, sondern, wenigstens im Prinzip, auch schon in der MENGER-MiSESschen Auffassung ist die „Neutralitdt" des Geldes der theoretisch primdre, die Wertbestandigkeit hingegen nur noch ein abgeleiteter, sekunddrer Begriff. Es steht somit nicht langer der spezifische EinfluB des Geldes auf die Preise, sondern vielmehr der allgemeine EinfluB des Geldes auf den Wirtschaftsablauf schlechthin in dem Mittelpunkte des Interesses. Schon in dieser Akzentverlegung erblicken wir daher den ersten und prinzipiell vielleicht wichtigsten Schritt in die Richtung der insbesondere von H A Y E K in seiner schon eher erwahnten Arbeit — unseres Erachtens durchaus zurecht •—• verfochtenen „Emanzipierung" der Geldtheorie von der Geldwerttheorie. 2 Es soil jedoch zugegeben werden, daB die bedeutendsten praktischen Konsequenzen dieser Auffassung solange kaum hervortreten, als im iibrigen an der Auffassung festgehalten wird, die Neutralitat und die Wertbestandigkeit des Geldes bedeuten, wenn schon nicht begrifflich, dann doch wenigstens faktisch das gleiche. Erst wenn auch dies in Abrede gestellt wird, 3 ge1 A. a. O. S. 123. Es handelt sich hier, wohlbemerkt, um die Definition des Wertiestdndigkeitsiegriffes, wahrend der Begrill der ,.Neutralitat" — allerdings ohne Verwendung dieses Wortes, siehe S. 228 —• als gegeben vorausgesetzt wird; in den meisten Fallen wird bekanntlich die logische Rangordnung dieser beiden Begriffe im umgekehrten Sinne aufgefaCt. 2 F . A. HAYEK, a. a. O. S. 7 1 ; daB diese Ablehnung jedoch nicht die „ Geldwerttheorie" in dem erweiterten Sinne triflt, wie diese u. a. von MISES aufgefaCt wird, wird von HAYEK selbst, a. a. O. S. 62, Anm., ausdriicklich hervorgehoben. 3 Wie sich unten herausstellen wird, gehbren wir selbst mit zu denjenigen Autoren, von denen auch diese ,,faktische" Identitat geleugnet wird.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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winnt die Frage nach der Prioritat des einen oder des anderen Begriffes eine hervorragende Bedeutung. Auch geldpolitisch betrachtet tritt bei der obigen Auffassung der Stabilisierungsgedanke gegeniiber dem Ideal des „neutralen" Geldes an Bedeutung zuriick. Insoweit namlich die Wertbestandigkeit des Geldes von den betreffenden Autoren iiberhaupt fur erwiinscht gehalten wird — was ja nicht von vornherein notwendig ist und auch tatsachlich nicht immer zutrifft — hat sie nicht mehr, wie in der ersten oder zweiten Auffassung, die Bedeutung eines „Selbstzweckes", sondern sinkt, wenigstens im Prinzip, zu dem Range eines bloBen Mittels herab. Noch konsequenter ware es in diesem Gedankengange vielleicht, den stabilen Geldwert nicht einmal als „Mittel", sondern lediglich als Symptom fur einen neutralen Zustand der Geldversorgung zu betrachten. 1 Das eine wie das andere gilt ubrigens naturlich nur solange, als man wenigstens von der faktischen Identitat des „neutralen" und des ,,wertbestandigen" Geldes uberzeugt bleibt; ob diese Identitat zurecht angenommen wird oder nicht, ist jedoch bisher noch eine offene Frage, mit deren Beantwortung wir uns erst in den spateren Abschnitten dieser Arbeit naher beschaftigen werden und die durch die oben besprochene Akzentverlegung als solche keineswegs entschieden wird.
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9. An dieser Stelle soil zunachst noch darauf hingewiesen werden, daB, obwohl die Konzeption eines „neutralen" Geldes als solche auch ohne direkten Zusammenhang mit dem Konjunkturproblem moglich ist, 2 dennoch die oben angedeutete „Akzentverlegung" in erster Linie fur die Konjunkturtheorie von entscheidender Wichtigkeit sein diirfte. Es ergibt sich hier namlich ganz zwanglos eine bedeutende Erweiterung in dem Gesichtsfelde der sogenannten „monetaren" Konjunkturtheorien, zu denen ja in diesem Gedankengange nicht nur diejenigen Erklarungen der Konjunkturschwankungen gerechnet werden sollen, nach denen die Anderungen des Preisniveaus (oder auch nur die der Einzelpreise) als das kausal wichtigste Moment zu betrachten sind, sondern vielmehr samtliche Theorien, die sich in irgendeiner Weise der nichtneutralen Einwirkung des Geldes auf den Wirtschaftsablauf als Erkldrungsmoment bedienen; letzteres prinzipiell unabhangig da von, ob diese Einwirkung von einer Anderung des sogenannten „allgemeinen Geldwertes" begleitet wird oder nicht. Die Schwankungen des Preisniveaus werden somit auch innerhalb der monetdren Konjunkturtheorien von der zentralen Stelle 1 An anderer Stelle —• „De Zin der Bankpolitiek", de Economist (Haarlem) 1925, S. 811 ff. — haben wir diese letztere Auffassung schon einmal ausfiihrlicher zu begriinden und dessen Konsequenzen, zumal in konjunkturtheoretiseher Beziehung, herauszuarbeiten versucht. Wir stellten uns allerdings damals noch auf den Standpunkt — von dem wir erst spater abgekommen sind —, die oben erwahnte ,,faktische" Identitat sei tatsachlich vorhanden. 2 So ist z. B. in der oben erwahnten VERRIJN STUARTSchen Arbeit von diesem Problem tiberhaupt nicht die Rede; erst in seinen spateren Schriften —• zumal dem Gutachten findie 1929er Tagung der „Vereeniging voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek" iiber das Thema „Das Wesen der Preisstabilisierung, ihre Erwunschtheit und ihre Moglichkeit" — hat dieser Verfasser seine Theorie auch nach der konjunkturtheoretischen Seite hin vervollstandigt.
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J . G. KOOPMANS
im Kausalmechanismus verdrangt und sinken in diesem Zusammenhange ebenfalls zu der Bedeutung einer bloBen Nebenerscheinung — bzw. Symptoms — herab. Nach den grundlegenden Erorterungen H A Y E K S 1 ist es wohl iiberfliissig, langer bei diesem Punkte zu verweilen. In einer Beziehung jedoch darf eine weitere Vervollstandigung unserer bisherigen Ausfiihrungen gewiB nicht unterbleiben. Samtliche bisher besprochenen Gedankengange erhalten namlich erst ihre voile Bedeutung und Tragweite, wenn man sie im Zusammenhang mit dem bekannten WiCKSBLLschen2 Theorem bezuglich der Divergenz zwischen der Geld- oder Bankzinsrate einer- und dem ,,naturlichen Kapitalzins" oder „Gleichgewichtszins"3 anderseits, bzw. deren Einflusse auf die Giiterpreise betrachtet.
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10. Bekanntlich ist von WICKSELL in diesem Zusammenhange die Ansicht vertreten worden, daB die durchsehnittliche Hohe der Geldpreise dann, und zwar nur dann, keine Anderung erfahrt, wenn der Geld- oder Bankzins mit dem ,,Gleichgewichtszins" in dem oben angedeuteten Sinne ubereinstimmt. Diese These — deren Eichtigkeit wir spater noch zu priifen haben werden —• ist an und fur sich mit jeder der drei „typischen" Begriindungsweisen des Stabilisierungsgedankens kompatibel. Dennoch ergibt sich hier bei etwas naherer Betrachtung ein erheblicher Unterschied. Sowohl zu der ersten wie zu der zweiten jener Begriindungen stent namlich die WiCKSELLsche These in keinem „imieren" Zusammenhang. Deren Vertretern kann sie somit hochstens von untergeordneter Bedeutung sein; zumal geldpolitisch betrachtet, kann ihnen, auch insoweit sie der WiCKSBLLschen Auffassung als solcher beistimmen sollten, dennoch die Zinspolitik der zentralen und sonstigen Banken nie mehr bedeuten als ein Mittel zum eigentlichen Zwecke —• eben der Stabilisierung des Geldwertes — und zwar ein Mittel, dem etwaige andere Mittel zum gleichen Zwecke prinzipiell gleichwertig sind. Der dritten der oben urnschriebenen Betrachtungsweisen hingegen laBt sich das WiCKSELLsche Theorem zwanglos als ein wesentlicher Bestandteil einordnen: in der Weise namlich, daji man die Divergenz als solche zwischen Geldzins und Gleichgewichtszins — die ja nach WICKSELL und den sonstigen Vertretern dieser Auffassung eben nur infolge der geldlichen Organisation der Wirtschaft entstehen, bzw. fortbestehen kann — als eine unmittelhare Erscheinungsform des nichtneutralen Geldes betrachtet. Es ist dies im Grunde nichts anderes als eben eine spezielle Anwendung der oben (S. 222) besprochenen „Akzentverlegung''; wie dort die Wirkungen des Geldes schlechthin, so werden hier die der — monetar bedingten — 1 2
A. a. O. Kap. I l l , passim. K. WICKSELL, Geldzins und Giiterpreise, Jena 1898, Kap. Vllff. und passim. tJber die Vertreter verwandter Lehrmeinungen in der ersten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts (zumal THORNTON und JOPLIN) siehe HAYEK, Preise und Produktion, Wien 1931, S. 12 bis 20. 3 Uber die terminologischen Fragen im Zusammenhang mit WICKSELLS Lehre siehe HAYEK, a. a. O. (Geldtheorie usw.) S. 75, Anm.; der auch nach unserer Ansicht zutreffendste Ausdruck ,,Gleichgewichtszins" stammt, wie dort angegeben wird, ursprunglich von K. SCHLESINGER, Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft, Miinchen u. Leipzig 1914, S. 128.
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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Zinsdivergenz n i c h t langer u n t e r d e m speziellen Gesichtswinkel d e r d a r a u s h e r v o r g e h e n d e n G e l d w e r t a n d e r u n g e n , sondern vielmehr v o n d e m allgemeinen S t a n d p u n k t e ihrer Einfliisse auf d e n Wirtschaftsablauf i i b e r h a u p t a u s b e t r a c h t e t . D i e wichtigsten K o n s e q u e n z e n dieser B e t r a c h t u n g s w e i s e liegen a u c h diesmal wieder i n erster Linie auf d e m Gebiete d e r K o n j u n k t u r t h e o r i e ; es ergibt sich hier namlich die Mbglichkeit, o b n e die Grundlage d e r m o n e t a r e n K o n j u n k t u r e r k l a r u n g irgendwie preiszugeben, dennoch zuerst den direhten Einffaft des Zinsfahtors auf d e n Aufbau d e r P r o d u k t i o n sowie auf die V o r r a t h a l t u n g , die Spekulation u s w . zu beriicksichtigen, w o m i t sich zugleich die Moglichkeit einer engeren A n n a h e r u n g zwischen d e n „ m o n e t a r e n " u n d einer G r u p p e d e r gemeinhin als „ n i c h t m o n e t a r " b e t r a c h t e t e n K o n j u n k t u r a u f f a s s u n g e n — z u m a l d e n „ U b e r k a p i t a l i s a t i o n s t h e o r i e n " i m S i n n e S P I E T H O F F S u n d CASSELS —
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eroffnet. 1 — AbschlieBend sei z u diesem P u n k t e n o c h b e m e r k t , daB a u c h geldpolitisch b e t r a c h t e t die Parallele zwischen d e r friiher besprochenen u n d d e r j e t z t vorliegenden A k z e n t v e r l e g u n g k l a r z u t a g e t r i t t : es w i r d hier n a m l i c h die Anpassung des Geldzinses an den Gleichgewichtszins z u m p r i m a r e n Zweck d e r Geld- u n d K r e d i t p o l i t i k , demgegemiber die S t a b i lisierung des Geldwertes h i n f o r t a n n u r n o c h eine u n t e r g e o r d n e t e — zumal symptomatische — Bedeutung haben kann.
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11. E s soil hier selbstverstandlich nicht behauptet werden, daB von samtlichen Autoren, die sich mehr oder weniger deutlich zum Neutralitatsprinzip bekannt haben, 2 die obigen Konsequenzen in voller Scharfe herausgearbeitet worden sind. E s handelt sich hier eben n u r darum, die Tragweite dieses Begriffes idealtypisch darzustellen; in concreto sind wohl viele der betreffenden Autoren zunachst halbwegs in der herkommlichen tJberschatzung der Geldwerterscheinungen stecken geblieben. I m umgekehrten Sinne ware es jedoch, in Anbetracht der engen Verwandtschaft zwischen dem WiCKSELLschen Theorem u n d dem dritten Begriindungstypus des Stabilisierungsgedankens, wohl nicht zuviel gesagt, daB jede halbwegs eingehende Analyse des „Zins-Argumentes" fast zwangslaufig von der ersten u n d zweiten der oben besprochenen Betrachtungsweisen hinweg u n d zugleich zu der dritten hinuberleitet. Deshalb ist es unseres Erachtens auch mehr als eine rein zufallige Koinzidenz, daB gerade der soeben als typischer Vertreter dieser dritten Auffassung erwahnte Verfasser, namlich G. M. V E B E I J N STUART, zugleich einer der ersten unter den zeitgenossischen Autoren war, der sich den WiCKSELLschen Auffassungen (nachdem diesen wahrend voller zwanzig J a h r e n nach ihrer ersten Veroffentlichung k a u m irgendwelche Beachtung gesehenkt worden war) angeschlossen hat. 3 U m so merkwiirdiger diinkt es uns hingegen, daB J . M. K E Y N E S , der sich bekanntlich in seinem jungsten Buch 4 ebenfalls zu den WiCKSELLschen Auffassungen bekennt, es dennoch fertig gebracht h a t , eine in manchen P u n k t e n wesentlich neue Theorie der 1 Vgl. auch hiezu wieder HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie (neben den schon oben erwahnten Stellen zumal auch S. 72/73). 2 Die einschlagige Literaturangabe findet sich auf S. 228 u. 240/1. 3 In der Periode 1898 bis 1918 haben sich unseres Wissens iiberhaupt nur S. F . ALTMANN in seinem Beitrag ,,Zur deutschen Geldlehre des 19. Jahrhundert" in der Festschrift filr GUSTAV SGHMOLLER (1908), S. 45ff., und L. MISES in der ersten Ausgabe seines oben zitierten Werkes (1912, S. 421 ff.) mit den WiCKSELLschen Auffassungen beschaftigt. 4 J . M. K E Y N E S , A Treatise on Money, London 1930, Vol. I, Ch. 13, S. 185 ff.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Geldwertstabilisierung1 aufzustellen, die, ungeachtet ilirer iiberwiegend konjunkturtheoretischen Farbung, kaum irgendeinen direkten oder indirekten Hinweis auf das Neutralitatsprinzip enthalt. Nur teilweise diirfte dies nach unserer Ansicht seine Erklarung in der Tatsaohe finden, dafi die Konzeption eines ,,neutralen" Geldes — nicM nur dem Namen nach, sondern auch begrifflich — in dem gesamten englisch-amerikanischen Schrifttum (in auffallendem Gegensatze zu dem kontinentalen) fast vollig unbekannt zu sein scheint;2 wie ubrigens bis auf die Erscheinung des eben erwahnten KETNESschen Buches auch die Ansiehten WICKSELLS bei den englischen Nationalokonomen uberhaupt keine Beachtung gefunden hatten. 12. Die „Akzentverlegung", von der in den vorhergehenden Paragraphen die Rede war, entscheidet, wie wir schon friiher bemerkten, an und fur sich keineswegs iiber die Frage, ob in der Tat — wie dies von der Mehrheit der betreffenden Autoren entweder ausdriicklich oder (haufiger!) stillschweigend angenommen wird — das „neutrale" Geld, wenn schon nicht begrifflich, dann doch wenigstens faktisch mit dem „wertbestandigen" Gelde identifiziert werden darf. Zwar wurde in den obigen Ausfiihrungen stellenweise eine bejahehde Antwort auf diese Frage vorausgesetzt — zumal wo es sich um die etwaige symptomatische Bedeutung des stabilen Geldwertes handelte — doch dies geschah immer nur rein hypothetisch, lediglich zum Zwecke der Darstellung, und unter dem ausdrucklichen Vorbehalt, daB die Zulassigkeit dieser Voraussetzung spater noch uberpriift werden sollte. Es enthalten somit die obigen Erorterungen zwar nichts, was sich der Richtigkeit jener Auffassung, nach der ,,neutrales" und ,,wertbestandiges" Geld faktisch das gleiche bedeutet, widersetzt, jedoch ebensowenig irgend etwas, das die Richtigkeit dieser Auffassung bestdtigen oder auch nur wahrscheinlich machen konnte. Sogar die Anhanger der Geldwertstabilisierung konnen daher unseres Erachtens wohl kaum in Abrede stellen, daB die Begriindung ihres „Programms" mit Hilfe des Neutralitatsgedankens, zumal im Zusammenhang mit dem WiCKSELLschen Theorem der Zinsdivergenz, wenigstens potentiell iiber die Stabilisierung als solche hinauszeigt; das heiBt also, dafS ohne eine weitere Beweisfuhrung die Stabilitat des Preisniveaus nicht einmal als Symptom fiir den neutralen Zustand der Geldversorgung gelten kannl Nach unseren obigen Ausfiihrungen diirfte es weiter auch klar sein, daB eine solche Beweisfuhrung sich im wesentlichen um das angebliche (auf S. 221 schon erwahnte) „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen" drehen wird; mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit 1 DaB K E Y N E S , ungeachtet der betrachtlichen Wandlung in seinen Aulfassungen seit der Erscheinung seiner friiheren Arbeit „A Tract on Monetary Reform" (London 1923), sich auch jetzt noch im wesentlichen zu dem Stabilisierungsprogramm bekennt, ergibt sich an zahlreichen Stellen, zumal in dem zweiten Bande des „Treatise" (vgl. z. B. Book V I I , „The Management ol Money", S. 211H. und insbesondere auch die SchluBbetrachtungen, S. 388 ff.) 2 Eine Ausnahme bildet allerdings die Stelle bei A. C. PIGOU, Industrial Fluctuations, London 1927, Ch. X I I I , Par. 9, wo im Zusammenhang mit der Frage der Geldschopfung durch die Kreditbanken ein Unterschied gemacht wird zwischen dem Falle, wo die Funktion der Bank ,.purely mediatorial" ist und den sonstigen Fallen; jener Ausdruck ware wohl ungefahr mit ,,neutral" zu ilbersetzen. Vgl. auch die spater noch zu erwahnende Stelle in Ch. X I I , Par. 5.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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dieses „Gesetzes" steht oder fdllt ja zugleich die Identifizierung der beiden Begriffe „neutrales" und „wertbestdndiges" Geld. Fur den Fall, daB dieses Gesetz nicht zutreffen diirfte, bedeutet somit der Gegensatz zwischen dem Neutralitats- und dem Stabilitatsgedanken auch wesentlich mehr als nur eine Frage der Akzentverlegung. Es ergibt sich dann namlich die Moglichkeit eines direkten und praktischen Konfliktes zwischen jenen beiden Prinzipien. Und erst in diesem Falle gewinnt auch die HAYEKsche Forderung einer „Emanzipierung" der Geldtheorie von der Geldwerttheorie ihre voile praktische Bedeutung. Es gilt dann eben, geldpolitisch betrachtet, eine Wahl zu treffen zwischen dem Zustande der Geldversorgung, wobei das Geld zwar „neutral" ist, aber das Preisniveau sich dennoch andert einerseits und dem Zustande, wobei zwar die Stabilitat des Geldwertes verwirklicht ist, jedoch die nichtneutralen Einfliisse des Geldes auf den Wirtschaftsablauf als ganzes nicht zum Verschwinden gebracht sind anderseits. (Zugunsten der letzteren Alternative konnten selbstverstandlich unter diesen Voraussetzungen nur noch die erste und zweite der oben erwahnten Begriindungen des Stabilisierungsgedankens beigebracht werden; die dritte wird offenbar in diesem Falle als Argument zugunsten der Stabilisierung des Geldwertes als solchen hinfallig.)
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13. Zusammenfassend ergeben sich also aus unseren bisherigen Ausfiihrungen zwei ungeloste Fragen: erstens eine rein theoretischer Natur, namlich ob, bzw. unter welchen Voraussetzungen, ein Konflikt zwischen dem Neutralitats- und dem Stabilitatsprinzip iiberhaupt moglich ist; und zweitens eine Frage der WirtschaftspoKfa'ft, namlich zugunsten welches dieser beiden Prinzipien man sich zu entscheiden hat, falls ein derartiger Konflikt tatsachlich moglich sein sollte. Erst die Beantwortung dieser beiden Fragen 1 ermoglicht eine wirtschaftlich vernunftige Pvegulierung der Geldversorgung ( = ,,Managed Currency"); natiirlich vorausgesetzt, daB dazu im iibrigen die technischen und organisatorischen Moglichkeiten gegeben sind. Die weiteren Abschnitte dieser Arbeit sollen in erster Linie der Beantwortung dieser beiden grandlegenden Fragen gewidmet sein, wobei wir freilich deren Rangordnung umkebren und uns zuerst mit dem zweiten Problem beschaftigen werden. Auf den ersten Blick ersebeint dies vielleicht merkwiirdig, weil es ansebeinend wenig Sinn bat, zwischen jenen beiden Prinzipien eine Wahl zu treffen, solange man nicht einmal weiB, ob von einem Konflikte zwischen ihnen iiberhaupt die Rede sein kann. Demgegenuber soil hier nur bemerkt werden, daB jedenfalls auch der Beantwortung der ersten Frage eine genauere Definition des Begriffes der Neutralitat und vorzugsweise wohl auch einige weiteren Bemerkungen liber die methodologische Stellung 1 AUerdings schlieBt sich an diese beiden Fragen noch eine dritte, deren Beantwortung wohl die meisten Schwierigkeiten bietet: namlich die Frage, nach welchen Symptomen die Neutralitat, bzw. Nichtneutralitat des Geldes festgestellt werden kann, insoweit die Stabilitat des Geldwertes zu diesem Zwecke nicht langer in Betracht kommen sollte. Zumal mit dieser dritten Frage werden wir uns im weiteren Verlaufe der vorliegenden Arbeit noch ausliihrlicher zu beschaftigen haben; es sei jedoch schon an dieser Stelle bemerkt, daB eine einwandfreie Losung dieses Problems uns bei dem heutigen Stande der Wissenschaft furs erste noch unmoglich erscheint.
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dieses Begriffes voranzugehen batten. Mit diesen Ausfuhrungen, denen die erste Halfte des nachsten Abschnittes gewidmet ist, bangt jedoob, wie sicb dort von selbst ergeben wird, die Motivierung der Erwiinschtheit eines neutralen Zustandes der Geldversorgung in mebr als einem Punkt so eng zusammen, daB eine sobarfe Trennung zwischen diesen beiden Problemkreisen praktiscb kaum moglich ware. Die Frage nacb den Eelationen zwiscben dem Begriff der Neutrabtat und dem der Geldwertstabilitat laflt sicb bingegen zwanglos in einem spateren und separaten Abscbnitte bebandeln; und weil im iibrigen die beiden Gegenstande als prinzipiell voneinander unabbangig zu betraobten sind, diirfte mit dieser Uberlegung die von uns gewahlte Eangordnung der Bebandlung binreiobend begrtindet sein.
Zweiter
Abschnitt.
Die Neutralitat des Geldes: Begriffliches und Methodologisches.
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14. Neutral 1 ist nacb unserer Terminologie das Geld dann, und zwar nur dann, wenn samtliche Vorgange in der Oeldwirtschaft dem Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft nach den Gesetzen der Gleichgewichtstheorien entsprechen. Die Tragweite dieser Definition ist offenbar in erster Linie davon abhangig, was unter ,,Gleichgewichtstheorien" iiberhaupt verstanden werden soil. Mit diesem Ausdrucke beabsichtigen wir, uns insoweit dem vorherrschenden Sprachgebrauch anschlieBend,2 zunachst nur die
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1 Das Wort ,,neutral" ist in diesem Zusammenhang unseres Wissens zuerst von WICKSELL (a. a. O. S. 93) verwendet worden und von dieser Stelle unmittelbar in die HAYEKsche Arbeit ,,Geldtheorie und Konjunkturtheorie" (S. 59) iibergegangen. Es war indessen der Ausdruck in Deutschland schon eher wieder aufgetaucht bei L. v. BORTKIEWICZ (,,Die Frage der Reform unserer Wahrung usw.", BRAUNS Annalen, Bd. 6, 1919, S. 57 und 59), von welcher Stelle er von W. G. BEHRENS (Das Geldschopfungsproblem, Jena 1928, S. 157, Anm. 1) tibernommen wurde, der ihn in dem ansehlieBenden positiven Teil seiner Untersuchung (S. 228 H.) zum ersten Male ausgiebig verwendet hat und durch dessen Arbeit wir persbnlich den Ausdruck auch zuerst begegneten. Um die Mitte von 1929 — somit etwa um ein Jahr nach der Erscheinung des BEHRENSschen Werkes — diirfte der Ausdruck in den an der Geldtheorie interessierten Kreisen in Holland ziemlich allgemein bekannt gewesen sein, und wurde er u. a. auch von G. M. VERRIJN STUART in seinem damaligen schon oben zitierten Gutachten (a. a. O. S. 96) verwendet; in der sich dabei anschlieBenden miindlichen Debatte (Utrecht, November 1929) wurde er dann von mehreren Diskussionsrednern, darunter auch von uns selbst, als eine schon ziemlich gelaufige Redewendung gebraucht. Wir erwahnen diese Einzelheiten an dieser Stelle nur deshalb, weil den hollandischen Nationalokonomen im allgemeinen und uns personlich im besonderen in der HAYEKschen Schrift „Preise und Produktion" (S. 30, Anm. 1) ein besonderes Verdienst mit Bezug auf die „Wiederbelebung" dieses Ausdruckes zugemutet worden ist, die uns nicht ganz gerechtfertigt scheint; die Prioritat in dieser Beziehung ist ja zweifellos BORTKIEWICZ und BEHRENS zuzuschreiben. Im iibrigen halten wir diese Prioritat nicht filr allzu wichtig, weil es sich dabei doch im Grunde nur um das Wort handelt, und der Begriff sich in diesem Falle — Mephistopheles zum VerdruB! — schon langst ,,eingestellt" hatte, als das Wort noch fehlte. Es war dies sogar schon langere Zeit vor der Erscheinung des oben erwahnten MisEsschen Werkes, das doch im allgemeinen wohl als der Anfang der „neuen Epoche" in der Geldtheorie betrachtet werden darf, der Fall; f iir die diesbeziiglichen Stellen, zumal derjenigen bei HELFFERICH, wo in diesem Zusammenhang —• und zwar mit dem unseres Erachtens richtigen, d. h. normativen, methodologischen Akzent (vgl. unten S. 230ff.) — von der ,,Indifferenz" des Geldes die Rede ist, siehe S. 241, Anm. l . a
Vgl. z. B. H A Y E K , a. a. O. (Geldtheorie usw.) S. 3,
Anm.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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Zusammenfassung samtlicher Theorien, die in irgendeiner Weise den Gedanken an einen — wenn auch nur hypothetischen und in der Wirklichkeit niemals vollstandig zu erreichenden — wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand 1 in den Mittelpunkt ihrer Erbrterungen stellen. Es umfaBt dieser Begriff somit, neben den Lehren der „Klassiker", nicht nur samtliche Varianten der Grenznutzenlehre, 2 sondern ebensogut auch. die sogenannten „wertfreien" wirtschaftstheoretischen Systeme (wie etwa diejenigen G. CASSELS oder Pu. LIEEMANNS). Das gemeinsame Merkmal an diesen, so wohl ihrem Ausgangspunkt •wie ihren Ergebnissen nach zum Teil durchaus verschiedenen Theorien ist bekanntlich — neben der Konzeption eines wirtschaftlichen Gleichgewiehtes als solcher — in der Hauptsache dieses, daB sie alle wenigstens zunachst von einem idealtypisch 3 vereinfachten Wirtschaftssysteme ausgehen, als dessen wichtigste Merkmale hier, ohne Anspruch auf Vollstandigkeit, hervorgehoben werden sollen: freie Konsumtionsund Berufswahl, Betriebs- und Konkurrenzfreiheit, Privateigentum an Produktionsmitteln,* Nichtexistenz von Schutzzollen und Monopolen, und zumal direkter Tausch5 ohne Vermittlung irgendeines Tauschmittels, wahrend die Verhaltnisse, die sich bei Nichterfullung einer oder mehrerer dieser Voraussetzungen ergeben, methodologisch als ,,Komplikationen" des idealtypischen Falles betrachtet werden. Zu diesen letzten, bei der Analyse zunachst zu vernachlassigenden Faktoren werden des weiteren von den Vertretern dieser Gruppe von Theorien regelmaBig samtliche sogenannten „Reibungs wider stande" gerechnet, die sich — auch bei vollstandiger Erfiillung der oben erwahnten Voraussetzungen — in der Realitat der Wirksamkeit der dem Gleichgewichte zustrebenden Krafte in den Weg stellen und somit die Tendenz aufweisen, die vollstandige Verwirklichung dieses Gleichgewichtes zu verhindern. 6 1 Es schlieBt dies allerdings die Moglichkeit von „dynamischen" Anderungen in der Wirtschaft keineswegs aus; weiteres hierzu auf S. 244/5. 1 Neben der osterreichischen, durch C. MENGER begriindeten Schule sind hierzu bekanntlich auch die englische (JEVONS, MARSHALL) und die Lausanner Schule (WALRAS) sowie die Fortbildung der letzteren durch PARETO USW. zu rechnen. 3 Vgl. zu diesem, in den nachfolgenden Paragraphen von uns wiederholt zu verwendenden Begriff in erster Lime die Ausfiihrungen MAX WEBERS ,,Gesammelte Aufsatze zur Wissenschaftslehre", Tubingen 1922, S. 190ff., und ,.Wirtschaft und Gesellschaft" (Bd. I l l , 1 d. GrundriB der Sozialbkonomik, 2. Aufl., Tubingen 1925), S. 4. Zu den „idealtypischen Konstruktionen" in diesem Sinn ist in erster Linie der Begriff des wirtschaftlichen Gleichgewichtes als solchen, weiter z. B. der sogenannte ,,Homo oeconomicus" und — auf dem engeren Gebiete der vorliegenden Arbeit — wohl auch der WicKSELLsche Begriff des ,,naturlichen Kapitalzinses" zu rechnen. 4 Es wird allerdings von manchen Vertretern der Gleichgewichtstheorien — ob zu Recht oder zu Unrecht, lassen wir hier dahingestellt — bestritten, daB diese letztere Voraussetzung ftir ihre Ergebnisse wesentlich sei. 6 Der Ausdruck „direkter" Tausch wird hier nur im Gegensatz zu dem ,,geldvermittelten" Tausche verwendet und umfaBt somit auch den naturalwirtschaftlichen Tausch zwischen drei oder mehreren Personen, der in anderem Zusammenhange wohl auch als ,,indirekter Tausch" bezeichnet zu werden pflegt. 6 Es ist hiezu z. B. der Umstand zu rechnen, daB die Menschen tatsachlich nicht oder doch hochstens nur annaherungsweise wie ein ,,Horno oeconomicus" handeln, so daB es in der Wirklichkeit gemeinhin nicht zu einem vollstandigen Ausgleich der Bediirfnisbefriedigung im Sinne des sogenannten zweiten GossENschen Gesetzes (siehe unten S. 232, Anm. 3 ) kommt. Des weiteren sind insbesondere die zeitlichen „Reibungen" (engl. ,.TimeLags") zwischen den in der reinen Theorie als simultan betrachteten Vorgangen zu erwahnen;
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15. Schon aus dieser letzteren Erwagung geht hervor, daB der ,,Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft", von dem in unserer obigen Definition die Rede war, keineswegs identisch ist mit dem Zustande, der sich ergeben wiirde, wenn man etwa in der Wirklichkeit einen Versuch anstellen sollte, das Geld abzuschaffen und tatsachlich zum direkten (oder ,,indirekten") Warentausch zuriickzukehren •} denn eben durch ein derartiges Vorgehen wiirden sich offenbar die Reibungswiderstande, denen in der idealtypischen Betrachtungsweise keine Rechnung getragen wird, ins ungemessene steigern. Den Gegenstand der Gleichgewichtstheorien bildet vielmehr — von den ubrigen oben erwahnten Vereinfachungen abgesehen — der hypothetische, in der Realitat wohl iiberhaupt nicht denkbare Zustand, in dem gleichzeitig sowohl die Friktionserscheinungen, die sich mangels eines allgemein anerkannten Tauschmittels dem Zustandekommen eines vollstandigen Gleichgewichtes widersetzen, wie auch die spezifischen Anderungen, die sich infolge der tatsachliehen Einfiihrung eines derartigen Tauschmittels in dem Wirtschaftsablauf ergeben, als nichtexistierend vorausgesetzt werden. 2 Der Sinn und Zweck des ,,neutralen Geldes", unter dessen Herrschaft sich der Wirtschaftsablauf definitionsgemaB diesem hypothetischen Zustande annahern soil, ist ja nicht, die offensichtlichen, bei der heutigen Organisation der Wirtschaft langst uberwundenen Nachteile der Nichtexistenz eines allgemeinen Tauschmittels kunstlich wieder erstehen zu lassen, sondern vielmehr, die von einem jeden anerkannten Vorziige der geldlichen Organisation der Wirtschaft mit der Eliminierung deren anderweitigen Nachteile — zumal der Inflation und der Deflation3 —- zu vereinigen.
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16. Mit diesem letzten Satze soil sogleich angedeutet sein, daB schon die Begriffsbestimmung des neutralen Geldes unseres Erachtens einen unverkennbaren wirtschaftspolitischen, d. h. also normativen Einschlag hat. Es ist eben nur dann zulassig, in diesem Zusammenhange von „Vorzugen", bzw. ,,Nachteilen" der geldlichen Organisation der Wirtschaft zu sprechen, wenn man zuvor auf Grund von anderweitigen Uberlegungen 4 zu der Ansicht gekommen ist, daB der von den Gleichgewichtstheorien in idealtypischer Vereinfachung dargestellte Verlauf der wirtschaftlichen Vorgange zugleich einen optimalen Zustand der Wirtschaft bedeutet, und daB somit eine jede durch die oben erwahnten ,,Komplikationen" bzw. „Reibungserscheinungen" verursachte Abweichung dieses idealtypischen Verlaufes als suboptimal zu betrachten ist. Es ist dies im Grunde im weiteren Verlaufe unserer Untersuchung wird sich ergeben, daB gerade diese ,,Lags" fur das Problem des neutralen bzw. nichtneutralen Geldes von der groflten Bedeutung sind. 1 Mit diesem Ausdrucke ,,zuruckkehren" ist freilich nicht gemeint, daB einer jeden Geldwirtschaft historisch immer ein Zustand naturalwirtschaftlichen Tauschverkehrs vorangegangen sein soil, obwohl dies in den meisten Fallen immerhin hochstwahrscheinlich sein durfte. 2 Fur die praktischen Konsequenzen aus diesen Uberlegungen siehe unten S. 243/4. 3 Fur die Definition dieser beiden Begriffe sei auf den SchluBparagraphen dieses Abschnittes (§ 28) verwiesen. 4 ,,Anderweitig": d. h. (wenigstens teilweise) Uberlegungen TOeWtheoretischer Art; naheres hiezu im nachsten Paragraphen.
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(einzelnen spater darzulegenden Abweichungen vorbehalten) offenbar nicMs anderes als der wohlbekannte Ausgangspunkt der liberalistischen Wirtschaftsauffassung, und es ist somit auch wohl von vornherein einleuchtend, da[3 die Neutralitat des Geldes sich iiberhawpt nur bei grundsdtzlicher Anerkennung des sogenannten ,,Laissez-faire" als das Hauptprinzip der Wirtschaftspolitik vernilnftigerweise begriinden la/St. Fur diejenigen Autoren, die letzteres Prinzip im allgemeinen schon von vornherein ablehnen, kann auch die Neutralitat des Geldes hochstens eine rein theoretische, nicht aber eine normative Bedeutung haben.
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Aus den vorhergehenden Paragraphen dieser Abhandlung diirfte es schon hinreichend klar geworden sein, daB wir uns in alien wesentlichen Punkten zu der ersteren dieser beiden Ansichten bekennen; wobei wir uns freilich, angesichts des in der jiingsten Zeit mehr als je zuvor anschwellenden Wider standes gegen die liberalistische Wirtschaftsauffassung, durchaus bewuBt sind, in weiten Kreisen als ,,unmodern" zu gelten. Eine ausfiihrliche Darlegung der Griinde, die uns dennoch — sei es auch nur unter gewissen, in den folgenden Zeilen noch zu spezifizierenden Vorbehalten — zu dieser Stellungnahme veranlassen, muB hier aus naheliegenden Griinden unterbleiben und diirfte auch (mit Ausnahme eines einzigen Argumentes, von dem im Laufe unserer weiteren Untersuchungen noch von selbst die Eede sein wird),1 fur den engeren Gegenstand, mit dem wir uns hier beschaftigen, nur von sekundarer Bedeutung sein. Zur Not lieBe sich ja unsere Fragestellung auch so einkleiden, wie denn, vorausgesetzt, dafi im ubrigen das Laissez-faire vorJierrsehe, eine verntinftige Geldpolitik auszusehen hatte, wobei dann die Frage, ob jenes als solches erwunscht sei oder nicht, ganz auBer Betrachtung bleiben konnte. Hingegen halten wir es fur durchaus zweckmaBig, uns an dieser Stelle etwas genauer von den Mindestvoraussetzungen Eechenschaft zu geben, die zu einer derartigen wirtschaftspolitischen Stellungnahme iiberhaupt — sei es im allgemeinen oder in einem speziellen Falle — methodologisch notwendig sind, weil sich eben hieraus fur die Bedeutung und Tragweite des Prinzips des neutralen Geldes, und zumal auch fur die genauere Bestimmung seines Inhaltes, mehr als eine wichtige SchluBfolgerung ziehen laBt. 17. Damit wir imstande sind, uns iiber die Erwunschtheit irgend eines — wirtschaftlichen oder sonstigen — Tatbestandes ein verntinftiges Urteil zu bilden, ist bekannthch der Hauptsache nach zweierlei notwendig, und zwar (erstens) das Vorliegen von wenigstens einem2 als solchen auBertheoretisch zu begrimdenden Bewertungsprinzip („Norm"), mangels dessen wir eben iiberhaupt nicht imstande waren, irgendein „Werturteil" auszusprechen, und (zweitens) der Nachweis, daB der jeweils in concreto vorliegende Tatbestand derart beschaffen ist, daB es den in jenem Bewertungsprinzip (bzw. -prinzipien) niedergelegten Bedingungen geniigt. Gilt es, zwischen zwei oder mehreren Tatbestanden eine Wahl zu treffen, dann ist selbstverstandlich der Nachweis erforderlich, daB der vorzuziehende Tatbestand jenen Bedingungen in hoherem Grade geniigt als die alternativen Moglichkeiten. Im ubrigen kann dieser Nachweis (im Gegensatz zu dem Bewertungs1
Siehe unten S. 239. Es konnen selbstverstandlich auch mehrere Bewertungsprinzipien vorliegen, bei deren etwaiger ,,Kollision" dann die Entscheidung immer nach auBertheoretischen Gesichtspunkten vorzunehmen ist. Ob eine derartige Kollision vorliegt Oder nicht, ist hingegen immer eine laktische, bzw. theoretische Frage. 2
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prinzip als solchem) in diesen beiden Fallen durchaus rein theoretisclier 1 N a t u r sein. Was den ersten P u n k t anbetrifft, ist eines der mit Bezug auf wirtschaftspolitische Fragen wohl am meisten hervortretenden Bewertungsprinzipien bekanntlich das der sogenannten „Optimalitat der Bediirfnisbefriedigung", oder, exakter formuliert, der Satz, dafi eine optimale Bediirfnisbefriedigung als solche eiwas Wilnschenswertes sei. ,,Optimal" bedeutet in diesem Zusammenhange: ,,maximal innerhalb der jeweils vorliegenden tatsachlichen Moglichkeiten", u n d ist somit als solcher noch kein normativer Begriff. Der obige Satz ist daher auch keineswegs eine reine Tautologie, 2 sondern dessen Aufstellung bedeutet vielmehr einen jener autonomen Akte der „praktischen Vernunft", ohne welche iiberhaupt keine Werturteile zustande kommen konnten. Inhaltlich k o m m t jener Satz wohl ungefahr auf das gleiohe Mnaus wie die wirtschaftspolitische Forderung, es solle in der Realitat das sogenannte ,,zweite GossENsche Gesetz" 8 weitmoglichst verwirklicht werden; diese letztere Formulierung setzt allerdings schon eine hohere Stufe der theoretischen Analyse voraus. Mit der Anerkennung dieses Satzes — der als solcher in unseren weiteren Erorterungen ausdriicklich vorausgesetzt bleibt — soil iibrigens keineswegs in Abrede gestellt werden, daB sich daneben in der Wirtschaftspolitik auch sonstige Bewertungsprinzipien (wie z. B . diejenigen kultureller, sozialer 4 oder national-politischer Art) gelten lassen konnen, die wir, zwecks Unterscheidung von dem obigen, von jetzt an unter die Generalbenennung ,,auCerwirtschaftliche Gesichtspunkte" zusammenfassen werden.
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18. Auch wenn wir uns zunachst zu dem erstgenannten, spezifischwirtschaftlichen Bewertungsprinzip beschranken, ergibt sich jedoch bei etwas genauerer Betrachtung schon eine erhebliche Schwierigkeit. Die Optimalitiit der Bediirfnisbefriedigung in dem oben erwahnten Sinne ist j a bekanntlich nur solange ein eindeutiger Begriff, als es sich u m die Bedurfnisse
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1 Rein theoretischer . . . oder aber faktischer bzw. empirischer; es kommt hier eben nur auf den Gegensatz zu „normativer" an! 2 Es gent dies schon daraus hervor, daB auch die entgegengesetzte Aulfassung prinzipiell nicht als widersinnig erscheint, z. B. auf der Grundlage einer asketischen Lebensauffassung, oder etwa vora Standpunkte des Bolschewismus heraus, nach dem wenigstens zunachst die „Verelendung" als solche wiinschenswert erscheint, damit die revolutionare Gesinnung lebendig erhalten werde. Allerdings erscheint dem methodologisch nicht gewandten Geiste der im Text formulierte Satz wohl meistens als eine glatte Selbstverstandlichkeit, und wir betrachten es dann auch als einen durchaus verwerflichen erkenntnistheoretischen Pedantismus, wenn von gewissen Seiten die Forderung erhoben wird, es solle dieser Satz jedesmal mit diesen Worten ausgesprochen werden, bevor uberhaupt aus einer v/htschaitstheoretischen Analyse eine wirtschaftspoKHsc/ie Folgerung gezogen werden darf. Vielmehr sollte es nach unserer Ansicht jedesmal ausdriicklich erwahnt werden, wenn jener Satz etwa ausnahmsweise nicht als selbstverstandlich vorauszusetzen ist. Insoweit dies nicht geschieht, laBt sich unseres Erachtens — ungeachtet der formalen Riehtigkeit der gegenteiligen Beteuerungen — die wirtschaftspolitische Tendenz in den Schriften der Grenznutzentheoretiker (wie z. B . in der BoHM-BAWERKschen Zinstheorie) nicht ableugnen; die offensichtliche Angst, mit der zumal die deutschsprechenden Autoren dieser Schule (die Englander sind in dieser Beziehung weit weniger formalistisch) sich davor huten, etwa als „Apologeten" irgendeines wirtschaftspolitischen Systems angesehen zu werden, erscheint uns jedenfalls rein methodologisch nicht genugend begrundet. 3 H. H. GOSSEN, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs usw., 3. Aufl., Berlin 1927, S. 12 (nicht etwa S. 5). 4 Insoweit die „sozialen" Bestrebungen selbst nur die Verwirkliehung einer optimalen Bediirfnisbefriedigung zum Zweck haben, ist allerdings von einem prinzipiellen Gegensatz zu dem ,,wirtschaftlichen" Gesichtspunkte nicht die Rede.
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ernes einzigen Individuums (oder aber diejenigen einer Gemeinwirtschaft) handelt. Hingegen sind die Bediirfnisintensitaten verschiedener Personen nicht nur praktisch — etwa mangels eines dazu geeigneten ,,Apparates" •— gegenseitig unmeBbar, sondern sogar prinzipiell unvergleichbar. E s ist daher eine unumgangliche Notwendigkeit, daB m a n sich in der Praxis bei jedem Versuch zu einer Vergleiohung der Bediirfnisse verschiedener Personen letzten Endes immer zu gewissen Folgeerscheinungen deren Bediirfnisintensitaten, die tatsachlich einem Vergleiche zuganglich sind — u n d zwar in erster Linie zu ihrer Kaufbereitschaft — beschranken muB. Nioht weniger bekannt diirfte es aber sein, daB diese letztere Erscheinung schon deshalb keineswegs als ein idealer MaBstab zu jenem Zwecke gelten kann, weil sie eben nicht nur von den Bediirfnisintensitaten der verschiedenen Personen, sondern daneben auch von deren absoluter u n d relativer Kaufkraft funktionell abhangig ist. E s geht hieraus hervor, daB sich mit dem Begriffe der „optimalen" Bediirfnisbefriedigung, sobald dieser auf mehrere Personen zugleich angewandt werden soil, uberhaupt nur dann ein verniinftiger Sinn verbinden laBt, wenn m a n wenigstens zunachst die Kaufkraftverhdltnisse dieser Personen bewufit als etwas Oegebenes, als solches einer weiteren Beurteilung nicht Zugdngliches, voraussetgt.
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Ebenso selbstverstandlich ist es jedoch, daB dies nicht mehr als eine vorlaufige Stellungnahme bedeutet, wobei m a n ohne weiteres keineswegs stehen bleiben kann, u n d daB sich hier somit neben dem in der obigen Weise eingeschrankten Prinzip der optimalen Bedurfnisbefriedigung jedenfalls die Moglichkeit, wenn schon nicht die Notwendigkeit, eines zweiten — diesmal wohl k a u m als „auBerwirtschaftlich" zu bezeichnenden — Bewertungsprinzips, namlich dessen der optimalen Kaufkraftverteilung1, ergibt. Zusammenfassend finden wir somit erstens schon innerhalb der spezifisch wirtschaftlichen Sphare eine grundsatzliche Dualitat der Bewertungsprinzipien vor, u n d auBerdem selbstverstandlich auch hier wieder die schon oben erwahnte Moglichkeit, daB weitere „auBerwirtschaftliche" Gesichtspunkte sich zu jener doppelten Grundlage der Wirtschaftspolitik gesellen, bzw. deren praktische Ergebnisse mehr oder weniger betrachtlich modifizieren. 19. Die obigen E r w a g u n g e n sind n u n b e k a n n t l i c h in erster Linie fur die Beurteilung des „Laissez-faire" als G r u n d l a g e der Wirtschaftspolitik v o n entscheidender B e d e u t u n g . Dasjenige, w a s v o n d e n A n h a n g e r n der liberalistischen Wirtschaftsauffassung als der angebliche Erfolg des Laissez-faire b e a n s p r u c h t wird, ist e b e n in w e i t a u s d e n meisten Fallen nur die Verwirklichung der o p t i m a l e n Bedurfnisbefriedigung in d e m o b e n e r w a h n t e n b e s c h r a n k t e n Sinne — was wir, u n s d e m iiblichen W o r t g e b r a u c h anschlieBend, h i n f o r t a n als d a s „ P r o d u k t i o n s o p t i m u m " bezeichnen w e r d e n •— hingegen nicht die o p t i m a l e Kaufkraftverteilung 2 u n d a fortiori n i c h t die Verwirklichung irgend welcher auBerwirtschaftlichen Zwecke. E s g e h t d a r a u s u n m i t t e l b a r die E r k e n n t n i s hervor — 1 Ob dies immer mit einer gleichmafSigen Kaufkraftverteilung identisch ist oder nicht, kann hier, als fur unseren Zweck irrelevant, dahingestellt bleiben. 2 Zwar wird des ofteren behauptet, daB auch dies der Fall sei, insoweit namlich, als jedes Wirtschaftssubjekt unter diesem Systeme den Grenzwert seiner wirtschaftlichen Leistungen zugerechnet bekommt; jedoch dieses Argument erstreckt sich bekanntlich hochstens auf die ,,Gerechtigkeit" der sogenannten funktionellen Verteilung des Sozialproduktes, nicht aber auf die grofitenteils von willkurlichen Faktoren (wie etwa Vererbung) abhangigen „interpersonalen" Reichtumsverhaltnisse.
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der sich heutzutage auch die eifrigsten Anhanger des Laissez-faire, wenn es solche iiberhaupt noch gibt, wohl kaum mehr verschlieBen konnen — daB dieses Prinzip niemals ohneweiters iiber die Erwiinschtheit irgend welcher wirtschaftspolitischen MaBnahmen entscheiden kann, sondern hochstens die Bedeutung hat, die Beweislast zuungunsten derjenigen, die eine „kiinstliche" Beeinflussung des „naturlichen" Wirtschaftsablaufes befiirworten, zu fixieren. 1 (Unter Verwendung der juristischen Fachterminologie konnte man in diesem Zusammenhange vielleicht wohl von einer „praesumtio juris", 2 d. h. einer Vermutung, sprechen, gegen die ein Gegenbeweis zulassig bleibt.) Es kann somit bei unvoreingenommener Betraohtung auch seitens derjenigen, die sich (wie der Verfasser dieses Aufsatzes) prinzipiell zu der liberalistischen Wirtschaftsauffassung bekennen, keineswegs bestritten werden, daB es in vielen Fallen erwiinscht und des ofteren sogar notwendig sein kann, die potenzielle Erreichung des ,,Produktions"optimums, obwohl diese an und fur sich zweifellos erwiinscht ware, der Verwirklichung irgendeines anderen Zweckes — einschlieBlich einer etwaigen „Korrekt u r " der Kaufkraftverteilung! — zum Opfer zu bringen. 3 Ob, bzw. inwieweit derartiges geschehen soil, ist eben in letzter Linie eine Frage der Weltanschauung, bei deren Beurteilung die wirtschaftliche Theorie als solche nicht mitzureden hat. Die eigentliche Kontroverse zwischen den Anhangern des Laissez-faire und ihren Gegnern, den ,,Interventionisten", ergibt sich hingegen erst auf der nachsten Stufe der Diskussion, das ist bei der Beurteilung der Frage, ob denn tatsachlich bei einem jeden „kiinstlichen" Eingriff in die Wirtschaftsverhaltnisse von einem Opfer an Bediirfnisbefriedigung gesprochen werden darf, bzw. ob nicht vielmehr in manchen Fallen gerade von einem solchen Eingriff eine gesteigerte Befriedigung der menschlichen Bedurfnisse zu erwarten ist. Und zwar ist das Problem in dieser Fassung nicht mehr normativer Natur, sondern wenigstens prinzipiell einer Losung mit den Mitteln der „reinen" Theorie zuganglich. 20. Wie wir schon friiher bemerkten, beabsichtigen wir keineswegs an dieser Stelle in alien Einzelheiten die Griinde darzulegen, die uns dazu veranlassen, uns im wesentlichen der ersteren dieser beiden Auffassungen anzuschlieBen; vielmehr soil auch hier nur die methodologische Struktur der betreffenden Argumente untersucht werden. Es handelt sich hiebei namlich unseres Erachtens im allgemeinen um zwei Thesen, die jede fur sich zutreffen miissen, damit von einer einwandfreien Begriindung des 1 Vgl. z. B. die nachfolgende AuBerung A. C. PIGOUS, der doch wirklich nicht als ein doktrinarer Anhanger des Laissez-faire betrachtet werden kann: ,,There is still enough life in the old doctrine of .maximum satisfaction' to throw the buiden of proof upon those who would interfere with ,natural tendencies'." (Bssays in Applied Economics, London 1923, S. 97.) 2 Im Gegensatz zu einer ,,praesumtio juris et de jure", wobei der Gegenbeweis bekanntlich nicht zulassig ist. 3 Freilich nur unter der Bedingung, daB der betreffende anderweitige Zweck sich nachweisbai nicht auch in anderer Weise — d. h. also ohne Beeintrachtigung des Produktionsoptimums — verwirklichen HeBe.
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Laissez-faire-Prinzips die Rede sein kann. Und zwar konnen wir im allgemeinen nur der ersteren dieser beiden Thesen ohneweiters beistimmen, wa-hrend die zweite nach unserer Ansicht auch und gerade im Bahmen der liberalistischen Wirtschaftsauffassung schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt bleibt, auf Grund deren wir uns denn auch schlieBlich nicht ohne einen ganz wesentlichen Vorbehalt zu dem Prinzip des Laissez-faire bekennen konnen. Die erste jener zwei Thesen geht dahin, daB es zur Verwirklichung einer optimalen Bediirfnisbefriedigung1 notwendig ist, daB der Wirtschaftsablauf in alien essentiellen Punkten dem „Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft" in dem fruher (S. 229/30) umschriebenen Sinne entspricht; die zweite hingegen besagt etwas prinzipiell anderes, im wesentlichen von dem vorhergehenden Unabhangiges, und zwar daB sich diese Ubereinstimmung zwischen der Wirklichkeit und dem Idealtypus in der Praxis am vollstandigsten erreichen laBt, indem man sich buchstablich nach dem Grundsatze ,,Laissez-faire" verhalt, d. h. die obrigkeithchen MaBnahmen der Wirtschaftspolitik auf ein absolutes MindestmaB beschrankt und im ubrigen das sogenannte ,,freie Spiel der wirtschaftlichen Krafte" obwalten laBt. Es ist vielleicht nicht ganz iiberflussig, hier mit allem Nachdruck hervorzuheben, daB diese zwei Erwagungen prinzipiell durchaus voneinander unabhangig sind, und daB somit die Anerkennung des ersteren Satzes keineswegs auch schon die des zweiten in sich schlieBt. Auch an und fur sich ist ubrigens diese zweite These alles weniger als selbstverstandlich; denn es ist zumindestens prinzipiell durchaus moglich, daB sich gerade unter den „freien wirtschaftlichen Kraften" auch solche befinden, denen in dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien nicht Rechnung getragen wird, und die somit in dem oben angedeuteten Sinne als „Komplikationen", bzw. ,,Reibungswiderstande" betrachtet werden sollten; woraus dann, den ersteren der beiden obigen Satze einmal als richtig vorausgesetzt, ohneweiters hervorgehen wiirde, daB diese Krafte die Tendenz haben, die Bediirfnisbefriedigung unter das potentiell erreichbare Optimum herabzudriicken. 21. Es konnte an dieser Stelle vielleicht noch der Einwand erhoben werden, diese Moglichkeit sei zwar in abstracto vorhanden, jedoch konne sie in der Praxis immer durch eine entspreohende Definition des ,.Idealtypus" der reinen Tauschwirtseliaft ausgeschaltet werden. Wenn man namlich bei der Trennung zwischen den ,,Wesensmerkmalen" eines derartigen Wirtsehaftssystems und den ,,unwesentlichen" Komplikationen in der Weise vorgehen wiirde, dafi diejenigen Krafte, die sich bei einer vollstandigen und buehstablichen Befolgung des „Laissez-faire" auswirken wiirden, definitorisch der ersten, samtliche Eolgeerscheinungen von etwaigen ,,kunstlichen" Mafinahmen seitens der Obrigkeit hingegen der zweiten Kategorie zugereohnet wurden, dann wiirde selbstverstandlich auch jede Abweichung zwischen dem Wirtschaftsablauf unter dem „freien Spiel der Krafte" einerseits und dem 1 Die Beschrankung dieses Ausdruckes im Sinne des ,,Produktionsoptlmums" bleibt von hier an stillschweigend vorausgesetzt.
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„idealtypischen" Wirtschaftsablauf anderseits von vornherein zum Verschwinden gebracht sein. Auf diesen Einwand ware unseres Erachtens zu erwidern, daB es zwar durchaus anerkannt werden soil, daB die genauere Bestimmung der idealtypischen reinen Tauschwirtschaft — wie ubrigens die einer jeden idealtypischen Konstruktion u b e r h a u p t ! — tatsachlich inner halb gewisser Grenzen immer eine Sache der „Willkur" bleibt, 1 bzw. daB bei der Trennung zwischen ,,Wesensmerkmalen" u n d „Komplikationen" in der T a t naoh mehr als einem einzigen Auswahlprinzip vorgegangen werden kann; daB aber erstens auf das entscMedenste bestritten werden soil, daB ein Verfahren wie das soeben angedeutete der in dem gesqmten Sehrifttum der Gleichgewichtstheorien iiblichen vereinfacbten Darstellung des Wirtschaftslebens — deren wesentliche Ziige oben auf S. 229 hervorgehoben wurden •— zugrunde liegen durfte; und daB zweitens, insoweit m a n etwa — w a s ja nach dem Obigen theoretisch moglich ware — einen Versuch anstellen sollte, die idealtypische Konstruktion der reinen Tauschwirtschaft tatsachlich auf Grund des oben skizzierten Auswahlprinzips „umzubauen", dadurch zugleich die erste der beiden Thesen, auf denen nach unseren obigen Ausfiihrungen das Prinsip des Laissez-faire beruht (namlich die These von der Optimalitdt des „idealtypischen" Wirtschaftsverlaufes), hinfdllig wiirde. Denn eben diese letztere These gilt selbstverstiindlich nicht mit Bezug auf einen jeden, wie immer konstruierten, Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft, sondern wenigstens zunachst n u r mit Bezug auf den speziellen in der oben angedeuteten iiblichen Weise vereinfachten Wirtschaftsablauf!
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Es durfte hiermit sogar nach unserer Ansicht so beschaffen sein, daB eben dasjenige Auswahlprinzip, das jener iiblichen Bestimmung des Idealtypus zugrunde liegt, im wesentliehen normativer Natur ware: das heiBt also, daB hierbei als „Wesensmerkmale" der reinen Tauschwirtschaft, bewuBt oder unbewuBt, gerade diejenigen Elemente des in der Wirklichkeit vorliegenden Tatsachenkomplexes gewdhlt worden sind, die im allgemeinen das „Produktionsoptimum" zu verwirklichen die Tendenz haben, als „ K o m plikationen" hingegen diejenigen Elemente, die der Verwirklichung dieses Optimums im Wege stehen ; 2 und zumal bei dieser Auffassung kann die zweite der obigen Fragen — namlich ob, bzw. inwieweit der in dieser Weise bestimmte „ I d e a l t y p u s " der Tauschwirtschaft identisch sei mit dem Wirtschaftsverlaufe, wie dies sich in Ermangelung samtlicher obrigkeitlichen 1 Der Ausdruck ,,Willkur" ist in diesem Zusammenhang in dem eingeschrankten Sinn zu verstehen, daB die Wahl des betreffenden Idealtypus in jedem einzelnen Falle „zweckgebunden" ist (sogenanntes pragmatisches Prinzip). 2 Nur in dieser Weise laBt sich nach unserer Ansicht die sonst wohl ganz merkwilrdig erscheinende Einmutigkeit erklaren, mit der die idealtypische Vereinlachung der Wirtschaftserscheinungen durch die Vertreter der verschiedenen Gleichgewichtstheorien immer nach ungefahr identischen Auswahlprinzipien vorgenommen wird (siehe oben S. 229). Im ilbrigen liegt dem im Texte skizzierten Verfahren keineswegs — wie sich bei oberflachlicher Betrachtung vielleicht meinen lieBe — eine methodologisch unzulassige Verwischung der Grenzen zwischen „Sein" und ,,Sein-sollen" zugrunde; iiber die Wirklichkeit findet namlich hiebei keine einzige Aussage au( Grund normativer Erwagungen statt. Ebensowenig sinkt unseres Erachtens infolge dieses Verfahrens die These von der optimalen Bediirmisbefriedigung zu dem Rang einer bloBen petitio principii herab. Denn die Beantwortung der ,,materiellen" Frage, welchen konkreten Bedingungen die Wirtschaftsorganisation geniigen soil, damit das Optimum verwirklicht werde, geht eben in diesem Gedankengange der Detinition des Idealtypus voran, und kann somit selbst nicht wieder von der letzteren beeinfluBt werden. Es bleibt mithin zwar einem jeden unbenommen, irgendeine anderweitig definierte idealtypische Konstruktion als Gegenstand der theoretischen Analyse zu wahlen, jedoch lafit sich in diesem FaUe eben nicht nachweisen, dafi ihre vollstandige Verwirklichung zugleich eine optimale Bediirjnisbefriedigung herbeifiihren wiirde!
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MaBnahmen ergeben wiirde — selbstverstandlich nicht schon von vornherein als gelost gelten, sondern ist bierzu nocb eine weitere Analyse notwendig, die — wie wir scbon oben bemerkten — unseres Erachtens keineswegs zu einer ausnahmslosen Bejahung jener Frage zu fiihren braucht. 22. Wir betrachten es mithin als einen wesentlichen Fehler, da8 zumal die alteren Vertreter der liberalistischen Wirtschaftsauffassung sich in der Hauptsache nur um den Nachweis der ersten der beiden oben (S. 235) erwahnten Thesen bemiiht, die zweite hingegen meistens als eine Selbstverstandlichkeit angenommen baben, was ja unvermeidlich zu einer erbeblichen Uberschatzung des Laissez-faire in seiner buchstablichen, rein negativen Bedeutung fiihren muBte. Und zwar ist dieser Fehler fur die weitere Entwicklung der wirtschaftspolitischen Ansicbten von groBter praktischer Bedeutung geworden; denn es laBt sicb wohl kaum bestreiten, daB eben diese iiberspitzte Auffassung des Laissez-faire, die bekanntlieh um die Mitte des neunzebnten Jahrhunderts in dem (auch nacb unserer Meinung zurecht) beriichtigten „Manchestertum" ibren Hohepunkt erreichte, am meisten dazu beigetragen hat, in einer spateren Epoche den Liberalismus uberhaupt in weiten Kreisen mehr oder weniger in Verruf zu bringen. Ebensowenig kann aber unseres Erachtens bestritten werden, daB beutzutage jene rein negative Auffassung des Laissez-faire auch fiir die liberalistisch eingestellten Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftspolitiker wohl iiberwiegend einen langst iiberwundenen Standpunkt darstellt. Zumal der Erkenntnis, daB es sich bei dem Prinzip des Laissez-faire nicht um etwas an und fiir sich Erwunschtes,. sondern vielmehr nur um ein Mattel zum Zwecke handelt, diirften sich bei dem heutigen Stande der Diskussion nur die wenigsten verschlieBen. Und von dieser Erwagung bedarf es nur noch eines einzigen weiteren Schrittes zu der Anerkennung, dap der eigentliche Sinn des „Laissez-faire" wenigstens prinzipiell iiber dessen wortliche Bedeutung Mnausweist; oder mit anderen Worten, daB sich in der Wirklichkeit (und zwar nicht einmal ausnahmsweise) ganz gut Situationen ergeben konnen, wo es zur Verwirklichung des friiher angedeuteten Zweckes — eben der weitmoglichsten Annaherung des tatsachlichen Wirtschaftsverlaufes an das idealtypische Schema der Gleichgewichtstheorien 1 — keineswegs geniigt, eine jede obrigkeitliche Intervention ohneweiters abzulehnen und es im iibrigen bei dem „freien Spiel der wirtschaftlichen Krafte" bewenden zu lassen, sondern wo vielmehr eine aktive und positive Wirtschaftspolitik erforderlich ist, damit die jeweils in der Wirklichkeit vorliegenden Storungsmomente 2 entweder von vornherein eliminiert oder aber deren Wirkungen durch entgegengesetzte MaBnahmen neutralisiert werden konnen. Es bedeutet dies somit, daB nicbt nur —• wie oben (S. 234) angenommen wurde — auf Grund von anderweitigen Zielsetzungen, sondern vielmehr 1 Auch dies ist (nach dem Obigen) selbstverstandlich kein ,,Selbstzweck", sondern vielmehr seinerseits nur wieder ein Mittel zu einem weiterliegenden Zwecke: eben das der optimalen Bedurfnisbefriedigung. a Der Ausdruck „St5rungsmomente" umfaBt in diesem Zusammenhang samtliche Abweichungen des als optimal anerkannten Idealtypus.
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aucJi schon innerhalb einer sich ausschliejUich nach dem „Produktionsoptimum" orientierenden Wirtschaftspolitik dem ,,Laissez-faire" in seiner worth chen Bedeutung hochstens die Stellung einer ,,Prasumtion" beigemessen werden darf, gegen die ein methodologisch und wirtschaftstheoretisch einwandfreier Gegenbeweis immer moglich bleibt. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, diirfte sogar die zunachst wohl ironisch gemeinte JLuBerung eines witzigen Diskussionsredners auf der 1931 er Tagung des hollandischen Vereines fur Nationalokonomie 1 — demzufolge es sich bei den in einem der damals vorliegenden Gutachten befiirworteten u n d angeblich „planwirtschaftlichen'' MaBnahmen im Grunde tiberbaupt nicht u m eine „Planwirtscbaft", sondern vielmehr nur um ,,die VerwirMichung der Ideale des Laissess-faire mittels Notverordnung" handle — einen tieferen Sinn haben. Vorausgesetzt namlich, daB etwas derartiges tatsaeblicb moglich ware — dasheiBt also, daB irgendeine Behorde imstande ware, durch eine umfassende Eegulierung des Wirtscbaftslebens eben nur die jeweils existierenden Storungsmomente zu beseitigen, ohne zugleich andere hervorzurufen, u n d somit den Wirtschaftsablauf in der T a t mit dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien in Einklang zu bringen —, dann ware dagegen vom wohlverstandenen Standpunkte des wirtschaftlichen Liberalismus betrachtet weit weniger einzuwenden als gegen die meisten interventionistischen MaBnahmen, die in der Praxis vorgenommen zu werden pflegen und die, obwohl meistens weniger umfassender Natur, fast regelmaBig die Tendenz aufweisen, die Kluft zwischen dem wirklichen u n d dem idealtypischen Wirtschaftsablauf zu erweitern.
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23. W e r unsereii Ausfuhrungen bis a n diese Stelle gefolgt ist, m u B z u n a c h s t wohl d e n E i n d r u c k b e k o m m e n h a b e n , daB wir u n s m i t d e n obigen B e t r a c h t u n g e n immer weiter v o n d e m eigentlichen G e g e n s t a n d e unserer U n t e r s u c h u n g , namlich d e m P r o b l e m des n e u t r a l e n Geldes, e n t f e r n t h a b e n . E s trifft dies jedoch n u r scheinbar zu. Denn gerade die ,,Neutralisierung" der Geldversorgung ist nach unserer Ansicht im Gfrunde nichts anderes als eben ein spezieller Fall des in dem vorhergehenden Paragraphen im allgemeinen dargelegten Prinzips: d. h. also der s y s t e m a t i s c h e n Anwend u n g b e s t i m m t e r aktiver wirtschaftspolitischer M a B n a h m e n , d e n e n n u r bei oberflachlicher B e t r a c h t u n g ein interventionistischer Zug a n z u h a f t e n scheint, deren eigentlicher Zweck jedoch keineswegs d a r i n b e s t e h t , d e n idealtypischen „ n a t u r l i c h e n " Wirtschaftsablauf abzulenken, bzw. zu korrigieren, sondern vielmehr nur darin, die Bedingungen zu schaffen, unter denen dieser idealtypische Wirtschaftsablauf sich storungslos verwirklichen kann. A u s diesem G r u n d e h a l t e n wir es d a n n a u c h fur d u r c h a u s unzulassig, ein jedes P r o g r a m m einer ,,Managed C u r r e n c y " , bzw. einer , , K r e d i t k o n t r o l l e " , ohneweiters als eine Spezies des Genus „ P l a n w i r t s c h a f t " zu bezeichnen, wie dies b e k a n n t l i c h u. a. v o n SCHUMPBTBE. nahegelegt w o r d e n ist ;2 insoweit der Zweck einer solohen K r e d i t k o n t r o l l e in der Verwirklichung einer n e u t r a l e n Geldversorgung bestehen soil, 3 1 Vereeniging voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek, Rotterdam, 31. Okt07 ber 1931; vgl. S. 127 des Tagungsberichtes. 2 J. SCHUMPETER, ,,Kreditkontrolle", Archiv f. Sozialwiss. 1925, Bd. 54, S. 325ff. 3 Es ist allerdings anzuerkennen, daB diese Bedingung mit Bezug auf K E Y N E S — auf dessen damalige Schriften die obige Bemerkung SCHUMPETERS sich Insbesondere bezog — nicht erliillt gewesen sein diirfte, und daB insoweit diesem Verfasser gegeniiber die Interpretation SCHUMPETERS immerhin zutreffend sein konnte. Es diirien jedoch nach
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handelt es sich ja nach unseren obigen Ausfiihrungen sogar um das gerade Gegenteil des planwirtschaftlichen Gedankens! Auch der scheinbare Widerspruch zwischen dem angeblich „passiven" Grundsatz des Laissez-faire einerseits und der Befiirwortung einer essentiell ahtiven1 Geld- und Kreditpolitik anderseits erscheint auf Grund unserer bisherigen Betrachtungen vollstandig gelost. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem wir behaupten, da8 in diesem Zusammenhang das Prinzip des neutralen Geldes wohl auch von sich aus zu der Verstdrkung der Mberalistischen Wirtschaftsauffassung beisteuem honnte: in dem Sinne namlich, daB die anerkanntermaBen nicht immer glanzenden Erfolge, die die (angebliche) praktische Anwendung des Laissez-faire bisher — zumal in der zweiten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts 2 — zu verzeichnen hatte, in erster Linie dem Umstand zuzusehreiben sein diirften, da8 eben ein wirklich neutrales Geld bisher (auch in Zeiten relativ stabilen Geldwertes) kaum je existiert hat! Erst die Neutralisierung der Geldversorgung wiirde also dem —• wohlverstandenen — Laissez-faire seine „fair chance" geben, die er bisher, sogar wahrend der angeblichen ,,Blutezeit" der Mberalistischen Wirtschaftsauffassung, im Grunde noch nie gehabt hat. Nach dieser Ansicht diirfte somit bei konsequenter Anwendung einer vernunftgemaBen aktiven Geldpolitik die scheinbare „Notwendigkeit", den Wirtschaftsablauf durch interventionistische MaBnahmen sonstiger Art zu „korrigieren", von selbst in Wegfall kommen.
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24. Eine unerlaBliche Voraussetzung fur samtliche obigen SchluBfolgerungen ist allerdings, daB der Geldfaktor, insoweit er sich selbst iiberlassen bleibt, tatsachlich die Tendenz hat, den Wirtschaftsablauf in einem von dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien abweichenden Sinn zu beeinflussen; oder mit anderen Worten, daB das Geld eben „seiner Natur nach" — d. h. also in Ermangelung einer speziellen auf die Verwirklichung seiner Neutralitat hinzielenden Geldpolitik — unseren obigen Ausfiihrungen gerade deshalb die KEYNESschen Ansichten auch nicht ohneweiters als reprasentativ fur das Programm des ,,Managed Currency" uberhaupt betrachtet werden. Die meisten Vertreter des Stabilisierungsgedankens betonen ja ausdriicklich, daB nichts ihnen ferner liegt als etwa die Preise der einzelnen Giiter zu regulieren. Vgl. hiezu u. a. den Untertitel des FiSHERschen Buches ..Stabilizing the Dollar" (New York 1920), namlich: „A plan to stabilize the general price-level without fixing individual prices." 1 Den Ausdruck ,,aktiv" mit Bezug auf die Geldpolitik verwenden wir an dieser und an anderen Stellen in doppeltem Sinne als einen Gegensatz, namlich erstens zu der traditionellen Lehre von dem sogenannten ,,Automatismus" der Goldwahrung und zweitens und hauptsachlich zu der (unseres Erachtens grundfalschen) „Bedarfsgeldlehre" •— bekanntlich aus dem sogenannten Banking-Principle hervorgegangen und in deutscher Sprache insbesondere von A D . WAGNER, F. VON WIESER und (mit unwichtigen Modifikationen) von F R . BENDIXEN vertreten —• nach der die ideale Organisation der Geldversorgung darin bestehen soil, sich moglichst passiv den Schwankungen des in einem jeden Augenblick als eine eindeutig bestimmte GroBe betrachteten ,,Geldhedarfs" (bzw. Kreditbedarfs) anzupassen. 8 Wir sprechen in diesem Zusammenhang absichtlich nicht von der Gegenwart und der unmittelbaren Vergangenheit; denn die heutzutage vorliegenden Wirtschaftsverhaltnisse konnen ja offenbar mit gutem Gewissen uberhaupt nicht der ,,Anwendung" des liberalistischen Prinzips zugeschrieben werden, sondern sind vielmehr als das praktische Ergebnis eines schon ziemlich weit fortgeschrittenen Interventionismus zu betrachten.
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nicht neutral ist. Die Berechtigung dieser Voraussetzung wird im weiteren Verlaufe unserer Untersuchungen nocli naher zu begriinden sein. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, daB es sich hiebei zwar nach den heutzutage vorherrsehenden Ansichten um eine ziemliche Selbstverstandiichkeit zu handeln scheint, 1 daB aber in der traditionellen Auffassung — wie diese sich aus der Bekampfung des Merkantilismus entwickelt und unter alien Meinungsverschiedenheiten iiber untergeordneten Punkte im wesentlichen bis auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts 2 behauptet hat —• durchwegs der entgegengesetzte Standpunkt eingenommen zu werden pflegte.
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Diese letztere Auffassung, nach der das Dazwischentreten des Geldes an den Tauschverhaltnissen nichts Wesentliches andern konne, und die in der bekannten AuBerung J. STUART MILLS: „There cannot, in short, be intrinsically a more insignificant thing in the economy of society, than money" 3 ihre nahezu klassische Formulierung gefunden hat, diirfte sogar nach unserer Ansicht wohl mehr als irgendein sonstiger geldtheoretischer Irrtum — an denen es ja in der Geschichte der Nationalokonomie nie gefehlt hat! — fur die Entwicklung einer vernunftgemaBen Geld- und Kreditpolitik (und dadurch indirekt auch fur eine richtige Wiirdigung des wirtschaftlichen Liberalismus tiberhaupt) verhangnisvoll gewesen sein. Denn eben der Gedanke, daB das Geld seiner Natur nach schon von selbst neutral ist — oder doch nur unter ganz ahnormalen Umstanden nichtneutral werden kann — ist offenbar mehr als irgend etwas anderes dazu geeignet, den Weg zu der Auffassung zu verschlieBen, daB die Neutralitat des Geldes als solche etwas besonderes Wiinschenswertes sein konnte. Es miifite vielmehr die erstere Auffassung wenigstens im Prinzip uberwunden sein, bevor man iiberhaupt verniinftigerweise daran denken konnte, die Verwirklichung der Neutrahtat des Geldes zu einer Maxime der Geld- und ~Kieditpolitih zu erheben. DaB es bis in die jiingste Zeit4 gedauert hat, ehe ein mehr oder weniger erheblicher Teil der Geldtheoretiker sich zu diesem letzteren Standpunkt hat durchringen konnen, er1 Es ist allerdings fiir den friiheren unbegrundeten Glauben an die Neutralitat des Geldes schlechthin zweierlei an die Stelle getreten, und zwar erstens die weitverbreitete Uberzeugung von der Neutralitat des wertbestandigen Geldes — mit der wir uns im Laufe dieser Arbeit weiter auseinandersetzen werden — und zweitens das u. E . ebenfalls unbegriindete Vertrauen in die Neutralitat einer sich jeweils passiv nach dem angeblichen ,,Geldbedarfe" richtenden Geldversorgung (vgl. hiezu Arnn. x auf der vorhergehenden Seite). 2 Die entscheidende Wendung in dieser Anschauungsweise diirfte sich nach unserer Ansicht vollzogen haben innerhalb der gleichen Periode, in der die ,,moderne" Geldtheorie iiberhaupt ihren Anfang genommen h a t ; d. h. in der Periode von 1898 (WICKSELLS „Geldzins und Giiterpreise") bis 1912 (erste Auflage von MISES' „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel"). Unter dem Einflusse der Kriegs- und Nachkriegsereignisse hat sich dann auch in diesem Punkte die „neue" Auffassung ziemlich rasch durchsetzen konnen. 3 J. STUART MILL, Principles of Political Economy, I I I . Buch, Kap. V I I , Par. 3 (Ausg. ASHLEY, S. 488). (Zitiert nach HAYEK, Preise und Produktion, S. 119, Anm.) 4 Das heiCt etwa bis in die ersten Nachkriegsjahre; in dieser Zeit hat sich dann der Neutralitatsgedanke ziemlich rasch verbreitet. Vgl. z. B. die schon oben zitierten Arbeiten
VERRIJN STUARTS (1918) und BORTKIEWICZ' (1919) sowie die Stelle bei K. ELSTER (Die
Seele des Geldes, Jena 1920, S. 215), wo das Neutralitatsprinzip •— freilich unter einer anderen Benennung — als ein schon ziemlich allgemein anerkannter geldpolitischer Grundsatz erwahnt wird. (Die Tatsache, daB dieser letztere Autor, der bekanntlich als Anhanger des KNAPPschen Nominalismus in vielen Punkten den damals vorherrsehenden geldtheoretischen Ansichten in schroffster Weise entgegentrat, sich dennoch ohne Bedenken zu jenem geldpolitischen Grundprinzip bekannte, ist unseres Erachtens ein typischer Beweis fiir die relative Irrelevanz der dogmatischen Kontroversen iiber das ,,Wesen" des Geldes; siehe S. 246/7.)
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scheint uns aus diesem Grunde dann auoh kaum merkwurdig; viel eher sollte man es unseres Erachtens als etwas Merkwurdiges betrachten, da£ es —• wenn auch nur vereinzelt — innerhalb der Periode, in der die obenerwahnte MiLLsche Auffassung noch ziemlich unbestritten vorherrschte, iiberhaupt schon Autoren gegeben hat, die den Begriff des neutralen Geldes (sei es auch unter einem anderen Namen) mit einem unverkennbar normativen Akzent verwendet haben. 1 Wie dem aber auch sei, immerhin bleibt es im Rahmen der vorliegenden systematischen Untersuchung iiber das neutrale Geld unerlaBlich, unsere von der eben erwahnten traditionellen Lehre durchaus abweichende Meinung etwas ausfiihrlicher zu begriinden: und zwar haben wir dazu nicht nur nachzuweisen, da/5 das Geld iiberhaupt nichtneutral sein kann — bzw. daB es in Ermangelung einer bewuBten ausdrucklich auf Neutralisierung gerichteten Politik in aller Hegel nichtneutral sein wird •— sondern vielmehr in erster Linie auch, wieso es nichtneutral sein kann: d. h. in welchen konkreten Eigenschaften, bzw. Wirkungen des Geldes diese Nichtneutralitat iiberhaupt bestehen kann. Der Beantwortung dieser Fragen wird der nachste Abschnitt gewidmet sein. Vorher sind aber an dieser Stelle noch einige weitere SchluBfolgerungen zu erwahnen, die aus unseren bisherigen Ausfuhrungen unmittelbar hervorgehen, und die zumal fur die Beurteilung der praktischen Tragweite des Prinzips des neutralen Geldes nicht ohne Wichtigkeit sein diirften. Insbesondere die nachfolgenden vier Punkte sind in diesem Zusammenhang noch hervorzuheben:
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25. a) Die Erwagungen, die uns dazu veranlassen, das neutrale Geld als etwas wirtschaftlich Erwiinschtes zu betrachten, gehQren offenbar nicht der Geldtheorie im engeren Sinne an, sondern sind vielmehr zum Teil methodologischer und im iibrigen allgemein-wirtschaftstheoretischer (bzw. wirtschaftspolitischer) Natur. Der eigentlichen Geldtheorie gegenuber erscheint somit das Postulat eines neutralen Geldes als etwas von vornherein Gegebenes, innerhalb ihrer engeren Sphdre weder der Begrundung noch der Widerlegung Zugdngliches, wahrend es umgekehrt zu der Aufstellung, bzw. der Beurteilung dieses Postulates auch keineswegs einer vorherigen Stellungnahme zu den spezifisch geldtheoretischen Fragen —• wie etwa denjenigen des Zusammenhanges zwischen Geld und Kredit, der Bestimmungsgriinde des Geldwertes, der Tragweite der Quantitatstheorien usw. — bedarf; sogar eine genauere Definition des Begriffes,, Geld'' ist hiezu nicht einmal erforderlich. Der Geldtheorie im engeren Sinne 1 Unter diesen „Pionieren" des Neutralitatsgedankens ist u. E. in erster Linie K. HELFFERICH ZU nennen, von dem schon in der ersten Auflage seines Buches „Das Geld" (Leipzig 1903, S. 508 u. 528) der Begriff der „Indifferenz" des Geldes verwendet wurde, der sich fast vollstandig mit demjenigen der Neutralltat in dem obigen Sinne deekt. Das gleiche gilt auch von dem schon erwahnten MENGER-MisEsschen Begriffe der ,,inneren Wertbestandigkeit" des Geldes (siehe oben S. 221); und zwar wurde diese „innere" Wertbestandigkeit von jenen Autoren auch wirtschaftspolitisch der „auBeren" Wertbestandigkeit vorgezogen. Die Identitat zwischen dem ersteren dieser beiden Begriffe und dem der Neutralitat des Geldes ist u. a. von BEHBENS (a. a. O. S. 229) hervorgehoben und von HAYEK (Preise und Produktion, S. 30, Anm. 1) ausdrucklich anerkannt worden; nur die terminologische und analytische Anlehnung an den Begriff des Geldwertes ist hiebei zunachst etwas irrefiihrend.
Beitrage zur Geldtheorie.
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k o m m t in diesem Z u s a m m e n h a n g vielmehr n u r die Aufgabe zu, erstens d e m z u n a c h s t n u r n o c h a b s t r a k t definierten Begriff des n e u t r a l e n Geldes einen k o n k r e t e r e n I n h a l t zu g e b e n ; zweitens die Bedingungen darzulegen, die zur Verwirklichung eines n e u t r a l e n Z u s t a n d e s der Geldversorgung erfiillt w e r d e n miissen; u n d d r i t t e n s die Folgeerscheinungen eines d e r a r t i g e n n e u t r a l e n Z u s t a n d e s , u n d z u m a l a u c h d e r verschiedenen d e n k b a r e n w c t o i e u t r a l e n Z u s t a n d e der Geldversorgung, z u analysieren.
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b) Aus der in den vorhergehenden Paragraphen dieses Abschnittes dargelegten engen Verwandtschaft zwischen dem Prinzip des neutralen Geldes u n d der hberalistischen Wirtscbaftsauffassung geht anderseits ohne weiteres bervor, daB das erste Prinzip grundsatzlich nur unter dem gleichen Vorbehalte, der sich nach unseren obigen Erorterungen mit Bezug auf das Prinzip des Laissez-faire im allgemeinen als notwendig herausgestellt hat, als normative Grundlage der Geld- und Kreditpolitik anerkannt werden darf. Das heiBt also, daB aueb von der Neutralisierung des Geldes im Prinzip nie mehr zu erwarten ist als eben die weitmoglichste Annaherung des tatsachbchen Wirtschaftsverlaufes an das idealtypische Scbema der Gleichgewichtstheorien u n d infolgedessen eine Verwirklicbung des sogenannten ,,Produktions"Optimums; bingegen nicht eine Verbesserung der Kaufkraftverteilung u n d erst recbt nicbt die Verwirklicbung etwaiger auBerwirtscbaftlicben Zwecke! E s diirfte ubrigens in der Praxis gerade auf dem engeren Gebiete der Geldpolitik die Bedeutung dieses in der Tbeorie unentbehrlicben Vorbehaltes erbeblicb geringer sein als mit Bezug auf die Wirtscbaftspolitik im allgemeinen. I m Gegensatz namlich zu den sonstigen Gebieten der Wirtsebafts- u n d zumal der Sozialpolitik, wo es sieb bekanntlieb in zabllosen Fallen (wenn nioht ausdrucklicb dann doob implizite) entweder u m die Korrigierung der Kaufkraftverteilung oder aber u m die Verwirklichung irgendwelcber ,,auBerwirtscbaftlicben" Zwecke bandelt, ist dies unseres Erachtens innerhalb der engeren Sphare der Geldpolitik kaum je der Fall; 1 vielmebr bandelt es sicb bei nabezu samtlichen auf diesem Gebiete in Bet r a c b t kommenden MaBnabmen — sowobl den tatsachlich vorgenommenen wie aucb den von den verscbiedensten Seiten vorgescblagenen — fast ausschlieBlich um ,,rein wirtsckaftlicbe" Gesicbtspunkte, und zwar in dem engeren Sinne der Verwirklicbung einer optimalen Bedurfnisbefriedigung. Und insoweit dies der Fall ist, kann nach unserer Ansicht von einem Vorbehalte mit Bezug auf das Neutralitatsprinzip aucb nicht die Rede sein; denn eben im Rabmen dieser engeren Zielsetzung lassen sicb nach unseren obigen Ausfuhrungen grundsatzlich nur diejenigen wirtscbaftspolitiscben MaBnahmen rechtfertigen, von denen der Nacbweis erbracbt werden kann, daB sie die Tendenz haben, die Ubereinstimmung zwischen dem wirklichen Wirtschaftsablauf und dem idealtypischen Scbema der Gleichgewichtstheorien zu fordern; das heiBt also, mit Bezug auf etwaige geldpolitiscbe MaBnabmen, der Nachweis, dafi diese tatsdchlich dem, Neutralitatsprinzip entsprechen. Man konnte diesen Tatbestand aucb etwa so ausdriicken, daB zwar anerkannt werden soil, das spezielle Postulat des neutralen Geldes sei, ebenso wie der 1 Diejenigen Falle, wo die Inflation zu Hilfe genommen wird, um ein Defizit in den offentlichen Finanzen auszugleichen, konnten auf den ersten Bliek als eine wichtige Ausnahme auf diese Regel betrachtet werden. Jedoch unter solchen Umstanden kann unseres Erachtens vernunftigerweise uberhaupt nicht mehr von einer MaBnahme der ,,Geldpolitik", sondern nur noch von einem notgedrungenen Verzicht auf eine jede Geldpolitik uberhaupt die Rede sein!
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allgemeine Grundsatz des Laissez-faire, prinsipiell der Widerlegung durch einen ,,Gegenbeweis" zuganglich, jedoch in concreto sei es unmoglich — oder doch wenigstens noch nie ernsthaft versucht •—, diesen Gegenbeweis zu erbringen. Die Konsequenz aus alledem ist, daB (solange man sich nicht iiberhaupt auf einen dem Liberalismus prinzipiell entgegengesetzten Standpunkt stellt) in der Praxis die Neutralitat des Geldes wohl vorbehaltlos als das zentrale Prinzip einer vernunftgemaBen Geldpolitik anerkannt werden darf.1
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26. c) Auf Grand unserer vorhergehenden Betrachtungen ergibt sich weiter eine zunachst ganz eindeutige Antwort auf die Frage, nach wtlchen Kriterien man in etwaigen Zweifelsfallen zu entscheiden habe, ob irgendein in der Geldwirtschaft vorliegender Tatbestand dem Neutralitatsprinzip entspricht oder nicht. Die auf den ersten Blick wohl am nachsten liegende Antwort auf diese Frage — namlich, daB man zu jenem Zwecke einen Vergleich mit den Erscheinungen anzustellen habe, die sich unter sonst gleichen Umstanden in einer geldlosen Wirtschaft ergeben wurden — kann nach unseren obigen Ausfuhrungen nicht ohneweiters als richtig anerkannt werden; wenigstens nicht insoweit, als man bei den Worten „geldlose Wirtschaft" etwa eine wirklichkeitsgetreue Vorstellung einer Naturaltauschwirtschaft mit den daran unvermeidlich verbundenen vielfachen Friktionserscheinungen ins Auge fassen wiirde. Die unseres Erachtens richtige Antwort auf die obige Frage geht vielmehr dahin, daB als „Vergleichsobjekt" in diesem Zusammenhang ausschlieBlich die idealtypische Konstruktion einer reinen Tauschwirtsehaft nach dem Schema der Gleichgewichtstheorien in Betracht kommt, und zwar in dem Sinne, daB, wenn in irgendeinem Punkte zwischen zwei oder mehreren Varianten dieser idealtypischen Konstruktion gewahlt werden soil,2 die Entscheidung immer nach normativen Gesichtspunkten vorzunehmen ist: das heiBt also, daB dabei immer diejenige Variante zu wahlen ist, bei deren Verwirklichung sich eine den alternativen Moglichkeiten gegeniiber optimale Bediirfnisbefriedigung ergeben wiirde! — Nach unseren obigen Ausfuhrungen diirfte es hinreichend klar sein, daB bei diesem Verfahren keineswegs eine methodologisch unzulassige Verwischung der Grenzen zwischen theoretischer und normativer Betrachtungsweise vorliegt. 3 Die praktische Bedeutung dieser Erwagungen laBt sich vielleicht am besten mittels eines Beispieles erlautern. Es ist in der geldtheoretischen Literatur der jiingsten Zeit bekanntlich hier und dort4 die Frage erhoben worden, ob nicht in einer Naturalwirtschaft immer die Existenz von wesent1 Es ist diesen Erwagungen noch hinzuzufiigen, daB manche derjenigen MaBnahmen.mit denen tatsachlich die Verwirklichung anderweitiger Zwecke — zumaleine Korrektur derEinkommensverteilung — beabsichtigt wird, jene Aufgabe eben nur unter einem System neutraler Geldversorgung einwandfrei erfiillen konnen. Es gilt dies insbesondere mit Bezug auf solche MaBnahmen wie etwa die progressiven Einkommens- und Vermogenssteuern sowie auch diejenige der Sozialversicherung. 2 Siehe oben S. 235/6. 3 Siehe oben S. 236, Anm. 2 ; ob der Neutralitatsbegriff als solcher dem Gebiete des „Seins" oder dem des ,,Sein-sollens" angehort, erscheint uns allerdings aut Grund unserer bisherigen Betrachtungen als eine ziemlich muBige Frage. 4 Vgl. z. B. A. C. PIGOU, a. a. O. (Industrial Fluctuations) Ch. X I I , Par. 5. 16*
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lich groBeren ,,liquiden" Warenvorraten angenommen werden miiBte als diejenigen, die unter sonst gleichen Umstanden in einer Geldwirtschaft beibehalten werden; u n d zwar in dem Sinne, daB zu der Vorrathaltung aus prodnktions- bzw. distributionstechnischen sowie aus spekulativen Griinden (die es ja in der Geldwirtschaft selbstverstandlich auch gibt) angeblich in der Naturalwirtschaft noch eine weitere Art der Vorrathaltung hinzukommen wiirde, welche die Funktion der sogenannten ..Kassenhaltung" 1 aus der Geldwirtschaft zu ubernehmen h a t t e . Insoweit n u n auf Grund dieser Erwagung die Forderung erhoben wird, man solle bei der Unterscheidung zwischen neutralem u n d nichtneutralem Gelde aueh diesem „wesentlichen" Merkmal der als Vergleichsobjekt fungierenden Naturaltauschwirtschaft Rechnung tragen, liegt unseres Erachtens ein geradezu typischer logiscber Fehler vor. Dennbierbei wird ubersehen, (erstens) daB innerhalb der ublichen idealtypischen Konstruktionen der Gleichgewichtstbeorien zu einer „Kassenh a l t u n g " in diesem Sinne iiberhaupt keine Veranlassungbesteht, und (zweitens) daB bei einer etwaigen Erweiterung jener idealtypiscben Konstruktionen nacb. dieser Richtung bin — was allerdings rein tbeoretiscb moglieb ware — zugleiob die daraus entstebende Variante dem ursprunglicnen Idealtypus gegeniiber notwendig als sub-optimal ersobeinen miifite; denn eben die oben erwannte, nioht produktionstecbniscb usw. bedingte Vorratbaltung bedeutet offenbar, vom allgemein-wirtscbaffclicben Standpunkte der optimalen Bedurfnisbefriedigung aus betracbtet, gewissermaBen eine Guteiverschwendung.2 E s bandelt sicb hier also, bei Tagesliobt beseben, keineswegs u m ein „Wesensm e r k m a l " der reinen Tauscbwirtsobaft, sondern vielmebr — wie sicb aus unseren spateren Ausfiibrungen bezuglicb der Prage des sogenannten ,,Hortens" nocb ausfiihrlicber ergeben wird — u m die gedanklicbe Hypostasierung von einem der typiseb niohtneutralen Ziigen der Geldwirtscbaft!
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27. d) Auf der a n d e r e n Seite sei jedoch ebenso n a c h d r u c k l i c h d a r a u f hingewiesen, daB d e r in u n s e r e n obigen E r o r t e r u n g e n wiederholt verw e n d e t e A u s d r u c k ,,Gleichgewichtstheorien" keineswegs d a h i n interp r e t i e r t w e r d e n darf, daB m i t d e r N e u t r a l i s i e r u n g des Geldes e t w a die Verwirklichung eines „ s t a t i s o h e n " (bzw. , , s t a t i o n a r e n " ) Wirtschaftsz u s t a n d e s beabsichtigt wird. I m Gegenteil ist n a c h unserer Auffassung ein n e u t r a l e r Z u s t a n d d e r Geldversorgung a u c h u n t e r „ d y n a m i s c h e n " Verhaltnissen nicht n u r d u r c h a u s moglich, sondern es sind sogar g e r a d e in diesem F a l l e die K o n s e q u e n z e n einer etwaigen M c h t n e u t r a l i t a t des Geldes v o n besonderer Wichtigkeit. 3 Allerdings soil hierbei d e m U m s t a n d e B e c h n u n g g e t r a g e n werden, daB es in der g e s a m t e n wirtschaftstheo1 Vgl. zu diesem Begrifl unten S. 263 ff. Es sei indessen schon an dieser Stelle bemerkt, daB wir hierunter im allgemeinen samtliche Arten der Kassenhaltung, also auch diejenige in „giraler" Form verstehen. 2 Auch wenn man die unvermeidlichen Kosten der Vorrathaltung (einschlieClich der damit verbundenen Materialverluste und Risiken) iiberhaupt vernachlassigt, bleibt namlich noch immer die Tatsache iibrig, daB die betreffenden Guter jeweils erst in einem spateren Zeitpunkte der Konsumtion zugefuhrt werden konnen, als dies sonst moglich gewesen ware, und daB somit immer ein „Disagio" im BoHMschen Sinne erlitten wird, das nicht durch irgendeinen spezifischen Wertzuwachs wahrend der Lagerzeit aulgewogen wird (insoweit namlich ein derartiger Wertzuwachs tatsachlich stattfinden wiirde —• wie z. B. bei Saisongiitern —•, handelt es sich eben wieder um eine solche Vorrathaltung, die auch in der idealtypischen Naturalwirtschaft vorgenommen worden ware; vgl. auch unten § 90). 3 Es gilt dies speziell fur die Falle einer Anderung des sogenannten ,,Umsatzvolumens"; vgl. hierzu insbesondere S. 309ff.
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retischen Literatur wohl kaum ein vieldeutigeres Begriffspaar gibt als eben das der „Statik" und der „Dynamik", und daB es somit nicht von vornherein unmoglich erscheint, daB diejenigen Falle, die wir als typische Beispiele dynamischer Verhaltnisse betrachten, von anderen Autoren zu einem irgendwie erweiterten Begriff der Statik gerechnet werden. 1 Soviel soil aber jedenfalls gewiB sein, daB mit dem Ausdrueke „Gleichgewichtstheorien" in unseren bisherigen Ausfiihrungen keineswegs gemeint wurde, von dem Begriffe der Neutralitat des Geldes diejenigen Falle auszuschlieBen, in denen infolge sogenannter „exogener" Anderungen in den grundlegenden Daten der Wirtschaft (wie z. B. in der Art der menschlichen Bedurfnisse, in den technischen Bedingungen der Produktion, in den verfiigbaren Mengen der ursprunglichen Produktionsmittel usw.) 2 eine Verschiebung der Gleichgewichtslage stattfindet, und demzufolge eine „dynamische" Anpassung des Wirtschaftslebens an diese veranderten Daten notwendig wird. 3 Hingegen durften nach unserer Ansicht gewisse andere, spater noch genauer zu definierende Erscheinungen der wirtschaftlichen Dynamik — darunter zumal auch ein Teil derjenigen Anderungen, die man ublicherweise als „endogen" bezeichnet — tatsachlich unter einem System neutraler Geldversorgung in Wegfall kommen. 4
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28. Es sei an dieser Stelle schlieBlich noch hervorgehoben, daB sich mit Hilfe des Begriff es des neutralen Geldes auch die beiden vielumstrittenen Begriffe der ^Inflation", bzw. der „Deflation" wenigstens formal eindeutig definieren lassen, und zwar als die beiden JErscheinungsformen des nichtneutralen Geldes. Als „inflatorisch" gilt uns somit nach dieser Definition ein jeder Zustand, wobei die Geldversorgung — zumal die Neugeldschopfung •— iiber das MaB der Neutralitat hinausgeht, als „deflatorisch" hingegen der Zustand, wobei die Geldversorgung geringer ist als unter den jeweils gegebenen Umstanden dem Neutralitatsprinzip entsprechen wurde. Der sogenannte „Nullpunkt" der Inflation und. Deflation ist somit ex definitione mit dem Zustand neutraler Geldversorgung identisch. Es geht bieraus ohne weiteres hervor, daB nach unserer Terminologie den beiden Begriffen ,,Inflation" und ,,Deflation" in genau dem gleichen Sinne eine (diesmal naturlich ,,negative") normative Bedeutung beizulegen 1 Im Rahmen dieser Arbeit ist es selbstverstandlich unmoglich, zu den zahllosen sich hier ergebenden Kontroversen Stellung zu nehmen. Es sei hier nur noch hervorgehoben, daB wir nach dem Obigen zwar bereit sind, die „dynamischen" Erscheinungen in unserer Analyse mit hineinzubeziehen, jedoch uns keineswegs der heutzutage in weiten Kreisen iiblichen Unterschatzung der „statischen" Theorie als solcher anschlieBen. Es bleibt diese vielmehr nach unserer Ansicht, auch fiir die Analyse dynamischer Vorgange, eine durchaus unentbehrliche Grundlage. 2 Auch die etwaigen Anderungen in der sogenannten „interpersonalen" Reichtumsverteilung sind unseres Erachtens zu dieser Gruppe zu rechnen; siehe 331/2, Anm. 4 . 3 Ob es sich hierbei um „Iortschrittliche" oder aber um „rilckschrittliche" Anderungen handelt, ist fur den Begriff der ,,Dynamik" als solcher vollstandig gleichgiiltig. Es ist vielleicht in diesem Zusammenhange nicht ganz uberfliissig, hier mit allem Nachdruck hervorzuheben, daji den Begriffen „statisch", bzw. „dynamisch", nach unserer Ansicht keinerlei normative Bedeutung beizulegen ist. 1 Siehe unten S. 309, Anm. 1 u. S. 344/5.
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ist, als dies naoli unseren obigen Ausfuhrungen mit Bezug auf den Begriff des neutralen Geldes selbst der Fall war. Insoweit konnen wir una denn auch einer der ublichen Definitionen des Inflationsbegriffes, namlich ,,Inflation. ist eine jede ubermaBige Geldschopfung",1 durchaus anschlieBen. Im ubrigen enthalt jedoch unsere obige Definition von vornherein kein einziges der ublichen materiellen Merkmale des Inflations- bzw. Deflationsbegriffes, wie etwa das einer Steigerung bzw. Senkung des allgemeinen Preisniveaus, des Vorliegens eines MiBverhaltnisses zwisehen Geldversorgung und Produktionsumfang, einer Abweiohung von den Goldparitaten usw. Ob und inwieweit ein oder mehrere dieser Merkmale mit jener Definition kompatibel sind, wird sich vielmehr erst auf Grund unserer spateren Untersuchungen uber den konkreten Inhalt des Neutralitatsbegriffes herausstellen konnen. Wenn wir also in den weiteren Absebnitten dieser Arbeit den Ausdruck Inflation bzw. Deflation verwenden, soil damit zunachst nichts anderes als eben nur eine Abweichung von dem neutralen Zustande der Geldversorgung gemeint sein. Dritter
Abschnitt.
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Das nichtneutrale Geld und seine Erscheinungsformen.
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29. I n diesem Abschnitte wird die oben auf S. 241 erhobene Frage, wieso das Geld iiberhaupt nichtneutral sein hann, einer naheren Betraclitung unterzogen werden. Zu diesem Zwecke erweist es sich als notwendig, zuerst kurz darzulegen, was nach unserer Terminologie unter dem Ausdruck „Geld" verstanden werden soil. Es ist indessen nicht unsere Absicht, der ohnehin schon stattlichen Zahl der in der Literatur vertretenen Gelddefinitionen noch eine weitere hinzuzufiigen. Auch auf die zahlreichen dogmatischen Kontroversen iiber das „Wesen" des Geldes soil in dieser Untersuchung iiberhaupt nicht eingegangen werden. Und zwar unterlassen wir dies nicht nur etwa aus Raumriicksichten, sondern vielmehr auf Grund der Uberzeugung, daB die meisten diesem Problemkreise angeh5renden Fragen — zumal diejenigen, die sich auf den Gegensatz zwisehen „Realismus" 2 und „Nominalismus" (oder „Relativismus") beziehen — fiir unseren Zweck vollstandig irrelevant sind. Ob —- um nur einige der bekanntesten Streitfragen dieser Art hier zu erwahnen — das Geld ein ,,Gut" (bzw. „Ware") oder eine „Anweisung" sei, ob die Grenznutzenlehre sich auf das Geld anwenden lasse oder nicht, ob die rechtliche (bzw. staatliche) Natur des Geldes als „Zahlungsmittel" oder aber seine wirtschaftliche Natur als ,,Tauschmittel" primar sei usw. — dies alles ist uns im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hochst gleichgiiltig. Mit Bezug auf die uns hier ausschlieBlich interessierenden „materiellen" Probleme des Geldwesens halten wir vielmehr eine sachliche Einigung zwisehen den 1
In diesem Sinne u. a. F R . BENDIXEN, Das Inflationsproblem, Stuttgart 1917, S. 13. Wir verwenden diesen Ausdruck anstatt ,,Metallismus" in Anlehnung an BEHRENS (a. a. O. S. 6), dessen Klassifikation der sich auf diesem Gebiete ergebenden Fragestellungen wir auch sonst im allgemeinen beistimmen. 2
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Anhangern der versohiedensten dogmatischen Lehrmeinungen tiber das ,,Wesen" des Geldes fur durchaus moglich. 1 Nur einer der dieser Kategorie angehorenden Fragen, namlich derjenigen, ob das Geld (sei es als Gut oder als Anweisung, als Tauschmittel oder als Zahlungsmittel) iiberhaupt als etwas Konkretes, d. h. also als ein Gegenstand der Bewertung unci des Tauschverkehrs betraehtet werden kann, oder aber ob das Geld (als ,,Rechnungseinheit", „Generalnenner aller Werte" usw.) nur als ein Abstraktum zu verstehen sei, soil in diesem Zusammenhang etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden; allerdings auoh dies nur in dem Sinne, daB wir uns der unseres Wissens zuerst von SCHTJMPETER2 und AMONN 3 vertretenen Auffassung anschlieBen, nach der diese Frage, "wenigstens in der obigen Formulierung, iiberhaupt keinen verniinftigen Sinn h a t ! Es ist namlich nach dieser Auffassung das Geld nicht eine einheitliche, sondem grundsatzlich eine dualistische Erscheinung: „Tauschmittel", bzw. „Zahlungsmittel", einerseits und „Wertmesser", bzw. „Rechnungseinheit", anderseits sind nicht etwa verschiedene „Funktionen" eines einheitlichen Objektes „Geld", sondern vielmehr zwei grundverschiedene Erkenntnisobjekte* Ob ,,das" Geld eine Ware (bzw. Anweisung) oder aber eine „abstrakte Rechnungseinheit" oder etwas derartiges (z. B. „Wertvorstellungsmittel") oder auch beides zugleich sei, erscheint somit als eine vollstandig gegenstandslose Frage; es gibt eben sowohl ein konkretes (oder ,,reales") wie auch ein abstraktes (oder „ideales") Geld, die zwar der auBeren Erscheinung nach in gewissen Hinsichten zusammenfalien konnen — wie z. B. die Rechnungseinheit „Reichsmark" einerseits und die auf Reichsmark lautenden Munzen, Noten und Giralguthaben anderseits — aber durchaus nicht immer zusammenfallen miissen.
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Letzteres hat sich in der Wahrungsgeschichte bekanntlich wiederholt beobachten lassen; als Beispiel erwahnen wir hier nur die letzte Phase der Nachkriegsinflation in Deutschland, als zwar die entwerteten Markscheine noeh uberwiegend als Tauseb- und Zahlungsmittel fungierten, jedooh fast samtliche Kalkulationen, Preisfestsetzungen und zumal auoh Kreditgeschafte nicht mehr in der entwerteten Mark, sondern in Dollar bzw. in ,,Goldmark" vorgenommen wurden. Etwas ahnliches laBt sich iibrigens — obwohl vereinzelt — auch im Falle des Auslandsreisenden beobachten, der, solange er 1 Allerdings sind die Gefahren einer einseitig-dogmatischen Stellungnahme zu diesen Fragen nicht ganzlich abzuleugnen; es tritt dies z. B. dann zutage, wenn lediglich aul Grund des angeblichen ,,Anweisungs"charakters des Geldes auf die wirtschaftspolitische Notwendigkeit seiner konstanten Kaufkralt geschlossen wird, wobei dann —• unseres Erachtens uuberechtigterweise —• die juristisch-dogmatisehe These unterschoben wird, daB von einer ,,Anweisung" nur mit Bezug auf quantitativ bestimmte Warenmengen die Rede sein kann. 2 J . SCHUMPETER, Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalokonomie, Leipzig 1908, S. 288ff. 3 A. AMONN, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalokonomie, Wien u. Leipzig 1911, S. 342ff. Von den sonstigen Autoren, die sich zu einer ahnlichen Auffassung bekennen, soil hier nur noch A. SOMMER (Das Geld und die Erscheinungsformen der Werteinheit, Conrads Jahrbilcher 1929, Bd. 130, S. 31 ff.) erwahnt werden; in Holland hat sich insbesondere M. W. HOLTROP (De Omloopssnelheid van het Geld, Amsterdam 1928, S. 78 ff.) dieser Betrachtungsweise angeschlossen. 4 Als ein ausgesprochener Gegner dieser Auffassung in der jungsten Literatur soil hier nur S. BUDGE, „Lehre vom Geld", Bd. 1, „Wesen und Wert des Geldes" Jena 1931, S. 20 ff. und passim, erwahnt werden.
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noch nicht gelernt hat, ,,in der f remden Wahrung zu denken", genotigt ist, jeden einzelnen Preis in seine eigene Geldeinheit umzurechnen; das Heimatsgeld bleibt ihm also „Wertvorstellungsmittel", obwohl er sieh bei seinen Tauschgeschaften selbstverstandlich des konkreten Geldes seines Aufenthaltsortes bedienen muB. 1 Jedoch auch in dem ,,normalen" Falle, wo die Einfieit des Tauschmittels und die Rechnungseinheit tatsachlich zusammenfallen, bleiben das konkrete u n d das abstrakte Geld begrifflieii zwei durchaus verschiedene Sachen, obwohl hier allerdings die Moglichkeit einer gewissen Wechselwirkung zwischen den beiden nicht von vornherein in Abrede gestellt werden kann. Es diirfte fur die geldtbeoretiscbe Diskussion immerhin nicht obne Bedenken sein, daB ftir diese ganzlich verschiedenen Erkenntnisobjekte durchwegs nur ein einziges Wort ,,Geld" verwendet wird; weil aber von den bisweilen vorgeschlagenen alternativen Ausdriicken — wie z. B. ,,Zahlgeld" u n d ,,Zahlgeld" nach VON GOTTL 2 — kein einziger sich bisher geniigend eingebiirgert bat, werden wir uns auch in diesem Aufsatze der herkommlichen Terminologie bedienen und nur in etwaigen Zweifelsf alien dem Worte „ G e l d " das Adjektiv ,,konkret" bzw. „ a b s t r a k t " 3 hinzufugen.
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30. W a s n a c h dieser Terminologie u n t e r a b s t r a k t e m Geld z u vers t e h e n ist, wird n a c h d e n obigen Ausfiihrungen hinreichend k l a r geworden sein. E s bleibt n u r n o c h hinzuzufugen, daB a u c h die F u n k t i o n des Geldes als S c h u l d e n a u s d r u c k s m i t t e l („ S t a n d a r d of deferred p a y m e n t s " n a c h MAKSHALL 4 ) d u r c h a u s dieser S p h a r e a n g e h o r t . 5 — Bei der g e n a u e r e n Be-
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griffsbestimmung des k o n k r e t e n Geldes ergeben sich jedoch z u n a c h s t e t w a s m e h r Schwierigkeiten. I n d e m Z u s a m m e n h a n g dieser U n t e r s u c h u n g empfiehlt es sich unseres E r a c h t e n s schon bei der Definition des C e l d begriffes in erster Linie diejenigen M e r k m a l e h e r v o r z u h e b e n , d u r c h die die Geldwirtschaft sich funhtionell v o n der reinen T a u s c h w i r t s c h a f t u n t e r s c h e i d e t ; d a s ist also die E x i s t e n z einer G r u p p e v o n T a u s c h o b j e k t e n , d e r e n erfahrungsgemaB existierender u n d somit als solcher n i c h t a b zuleugnender 6 objektiver u n d subjektiver Tauschwert sich n i c h t — oder 1 Vgl. hiezu u. m. HOLTROP, a. a. O. S. 79/80; schon aus diesen wenigen Beispielen geht u. E. hervor, daB man zur Darlegung dieses Tatbestandes keineswegs auf die fast legendarische „Makute" der Angola-Neger zuriickzugreilen braucht. 2 F . v. GOTTL, Die wirtschaftliche Dimension, 1923, S. 169 (zitiert nach SOMMER, a. a. O. S. 34). 3 Mit diesem Worte ,,abstrakt" ist freilich nicht gemeint, daB wir uns etwa der extremen Auffassung anschliefien, nach der eine Rechnungseinheit auch unabhangig von irgend welchen konkreten ,,Wertvorstellungen" denkbar ware. Es handelt sich vielmehr nur darum, daB diese Einheit nicht immer der Einheit des gleichzeitig in der betrelfenden Tauschgemeinschaft verwendeten konkreten Geldes zu entsprechen braucht. Eine unseres Erachtens einwandlreie Darstellung der Beziehungen zwischen dem konkreten und dem abstrakten Gelde uberhaupt lindet sich bei SOMMER, a. a. O. S. 39/40 u. 75. 4 A. MARSHALL, Remedies for Fluctuations of General Prices, 1887 (aufgenommen in den Memorials of Alfred Marshall, herausgegeben von PIGOU, London 1925), S. 188. 6 Hingegen ist die Funktion des Geldes als „Wertaufbewahrungsmittel" wieder dem konkreten Gelde zuzurechnen. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich nur mit Bezug auf die Funktion des Geldes als ,,gesetzliches Zahlungsmittel", weil dieser Ausdruck selbst dualistischer Natur ist und sich, genau betrachtet, eben nur in denjenigen Fallen anwenden laCt, wo die Einheit des konkreten Geldes und die des abstrakten Geldes tatsachlich zusammenfallen. 6 Den diesbeziiglichen Widerlegungsversuch K. ELSTERS in seinem Aufsatze ,,Vom Werte, den das Geld nicht hat", Conrads Jahrb. 1921, Bd. 116, S. 507, betrachten wir, wenigstens mit Bezug auf den Tauschwert des konkreten Geldes, als durchaus mifllungen; es sei denn, daB es sich hierbei — wie dies aus den Betrachtungen des Verfassers auf S. 524
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doch wenigstens nicht vollstandig — aus ihrem vielleicht, aber nicht notwendig, auch vorhandenen subjektiven Gebrauchswert ableiten laBt. Unter Verwendung von einem Stuck KNAPPscher Terminologie — womit wir uns im iibrigen keineswegs zu den Lehrmeinungen dieses Verfassers bekennen! — laBt dieser Tatbestand sich auch etwa so ausdriicken, da8 es in der Geldwirtschaft, im Gegensatz zu der idealtypischen Naturaltauschwirtschaft, 1 eine Gruppe von Objekten gibt, die den wirtschaftenden Menschen nicht (oder doch wenigstens nicht nur) eine direkte oder indirekte „reale" Befriedigung, sondern vielmehr in erster Linie nur eine „zirkulatorische" Befriedigung gewahren. 2 Sdmtliche Objekte, die diesem Kriteriurn entsprechen, werden somit von uns unter dem Namen „Geld" zusammengefaflt.
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Es umfaBt dieser Ausdruck also neben dem Gelde im engeren Sinne •— engl.: „Currency" — (erstens) all dasjenige, was z. B. durch MISES 3 als „Geldsurrogate" bzw. ,,Umlaufsmittel" angedeutet wird, darunter insbesondere das sogenannte Giral- oder tjberweisungsgeld4 — womit wir also implizite, uns der uberwiegenden Melirheit der modernen Geldtheorien anschlieBend, die Moglichkeit der „ Geldsehopfung" durch die Krediterteilung der Privatbanken und nicht nur durch diejenige der Notenbanken anerkennen5 — (zweitens) das sogenannte private Kreditgeld, d. h. Handelswechsel und Promessen, insoweit diese wahrend ihrer Laufzeit ein oder mehrere Male als Zahhmgsmittel „die Hande wechseln", (drittens) samtliche Arten des sogenannten Notgeldes, und schlieBlich auch das falsche Geld. Letztere Behauptung, die zunachst vielleicht etwas paradox anmutet, rechtfertigt sich durch die tJberlegung, daB die inflatorischen Folgen einer Geldfalschung (wenigstens solange die Falsifikate in der Zirkulation verbleiben) denjenigen einer jeden anderen Form der Inflation, zumal der direkten Ausgabe von Staatspapiergeld, funktionell vollstandig identisch sind.6
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31. Aus der oben dargelegten dualistischen Auffassung mit Bezug bis 526 hervorzugehen scheint — tiberhaupt nur um eine terminologische Frage handein dilrfte. Mit Bezug aut das abstrakte Geld stimmen wir hingegen der ELSTERSchen Auffassung in dieser Hinsicht im wesentlichen bei (vgl. auch S. 252, Anm. 4 ). 1 Zwar gibt es bekanntlich auch in einer solchen Wirtschaft Giiter, die fur ihre individuellen Besitzer keinen Gebrauchswert und dennoch Tauschwert haben; jedoch dieser Tauschwert ist dann doch immer auf einen direkten oder indirekten Gebrauchswert dieser Giiter fiir irgendwelche andere Wirtschaftssubjekte zuruckzufuhren. Eben dieses trifft hingegen mit Bezug auf das Geld nicht oder doch wenigstens nicht notwendig zu. Insoweit bekennen wir uns mithin zu einer ,,Derivativwerttheorie" (im Gegensatz zu einer „Originarwerttheorie") des Geldes: vgl. BEHRENS, a. a. O. S. 4ff. 2 G. F . KNAPP, Staatliche Theorie des Geldes, 2. Aufl., Leipzig 1918, Par. 3, S. 37 ff. 3 L. MISES, a. a. O. (2. Aufl.), S. 23ff. u. 264ff. 4 Auch das Giralgeld rechnen wir also zu dem konkreien Gelde; die gegenteilige, insbesondere von R. LIEFMANN (Geld und Gold, Stuttgart u. Berlin 1916, S. 97ff.) vertretene Auffassung fuhrt zu durchaus unklaren Ergebnissen, die sogar leicht dazu Anlafi geben konnen, daB man die unseres Erachtens richtige Bedeutung des abstrakten Geldbegriffes tiberhaupt aus dem Auge verliert. 5 Vgl. hiezu schon HARTLEY WITHERS, The Meaning of Money, 1st. ed. London 1909 (deutsche Ubersetzung von PATZAUER, Geld u. Kredit in England, Jena 1911). In deutscher Sprache wohl zuerst J. SCHUMPETER, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1. Aufl. (1912), S. 202ff., und MISES, a. a. O., 1. Aufl. (ebenfalls 1912), S. 301 ff.; spater zumal A. HAHN, Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits, 1. Aufl., Tubingen 1920, 3 . — unseres Erachtens wesentlich verbesserte! — Aufl., ebenda 1930. Heutzutage ist diese Theorie bekanntlich fast allgemein anerkannt worden. 6 Fur weitere Ausfiihrungen zu den hier nur gestreiften Fragen und zumal fiir eine griindlichere Klassifikation der Geldarten erlauben wir uns auf unsere eingangs erwahnte hollandische Arbeit zu verweisen.
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auf das Geld iiberhaupt geht nun hervor, daB es wenigstens im Prinzip auch zwei Arten der Nichtneutralitat des Geldes geben kann — eben die des abstrakten und die des konkreten Geldes — und daB diese jede fur sich gesondert zu untersuehen sind. Und zwar gilt dies nicht nur etwa fur die mehr oder weniger abnormalen Falle, wo das konkrete und das abstrakte Geld faktisch nicht zusammenfalien, sondern prinzipiell ebensogut auch fur den gegenteiligen Fall, sei es auch, daB dort eine gewisse Wechselwirkung zwischen den Einfliissen des abstrakten und denen des konkreten Geldes nach unseren obigen Ausfiihrungen nicht von vornherein unmoglich erscheint. In dem gesamten Schrifttum iiber die Probleme der Inflation, bzw. Deflation ist nun aber (mit einigen wenigen Ausnahmen, unter denen wiederum in erster Linie die HAYEKschen Arbeiten zu erwahnen sind) den nichtneutralen Wirkungen des abstrakten Geldes — zumal denjenigen, die unmittelbar aus der Funktion des Geldes als Schuldenausdrucksmittel hervorgehen •— regelmaBig weit mehr Beachtung geschenkt worden als denen des konkreten Geldes. Ganz besonders gilt dies fur die erste der drei auf S. 218ff. erwahnten Gruppen von Anhangern des Stabilisierungsgedankens, von der w i r l . FiSHEBalsdentypischenVertreterhervorhoben. Zwar handelt es sich bei dieser Gruppe uberwiegend um Autoren, die den Begriff des neutralen Geldes als solchen nicht systematisch herausgearbeitet haben, und die sich zum Teil sogar dieses Begriffes iiberhaupt nicht bewuBt geworden sein durften; jedoch dies hindert nicht daran, daB zumal der FiSHEEsche Begriff „The Money Illusion" sich demlnhalte nach weitgehend mit demjenigen deckt, das wir als die nichtneutralen Wirkungen des abstrakten Geldes bezeichnen. Es soil damit zwar keineswegs behauptet werden, daB die betreffenden Autoren sich nicht auch mit den Problemen des konkreten Geldes beschaftigt haben (die Tatsache, daB sie sich uberwiegend zu irgendeiner Variante der Quantitatstheorie bekennen, deren Gegenstand ja in erster Linie die Menge des konkreten Geldes ist, beweist schon geniigend das Gegenteil!), aber die Erscheinungen des konkreten Geldes sind ihnen im Prinzip doch nur wegen ihrer Puuckwirkungen auf das Gebiet des abstrakten Geldes von Interesse. Die Quantitatstheorien, die ja bekanntlich den Zweck haben, die Beziehungen zwischen der — konkreten — Geldmenge und dem —• zunachst ebenfalls auf das konkrete Geld bezogenen —- Geldwert darzulegen, bilden eben, insoweit die Einheit des konkreten Geldes tatsachlich mit der Einheit der Wertmessung, bzw. der Forderungen und Schulden zusammenf allt, zugleich die „Brucke", die von dem Gebiete des konkreten Geldes zu demjenigen des abstrakten Geldes hiniiberleitet. Indem sich nun das Neutralitatsprinzip erst allmahlich aus den fruher skizzierten anderweitigen Gedankengangen beziiglich der Inflation und Deflation zu einem selbstandigen Theorem entwickelt hat, ist es dessen Vertretern anscheinend nur ausnahmsweise gelungen, sich ganzlieh aus dem Banne dieser einseitigen Uberschatzung der abstrakten Natur des Geldes zu befreien. Fur eine unvoreingenommene Stellungnahme zu dem gesamten Problemkreis des neutralen, bzw. nichtneutralen Geldes
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ist diese Betrachtungsweise indessen nicht ohne schwerwiegende Bedenken. Zwar liegt es keineswegs in unserer Absicht, die Existenz jener eben erwahnten Kategorie von nichtneutralen Erscheinungen in Abrede zu stellen oder deren groBe praktische Bedeutung irgendwie herabzusetzen; vielmehr sind wir sogar der Ansicht, daB die Folgen der FiSHERschen „Geldillusion" sich auf ein noch viel weiteres Gebiet als nur dasjenige der in der Geldeinheit ausgedriickten Forderungen und Schulden erstrecken konnen. 1 Was wir jedoch auf das entschiedenste bestreiten, ist der mancbmal implizite, manchmal aber — so z. B. noch jiingstlich in ganz krasser Form in der Besprechtmg der englischen Vortrage Prof. H A Y E K S durch P. SEAEFA 2 — auch ausdrucklich ausgesprochene Gedanke, daB die Nichtneutralitat des Geldes sich in dieser Gruppe von Erscheinungen uberhaupt erschopfe, und daB also mit deren Eliminierung zugleich das ganze Problem der Nichtneutralitat des Geldes aus der Welt geschafft ware. Nach unserer Auffassung tritt vielmehr gerade erst unter dieser Hypothese das eigentliche .,vitium originis" der Inflation, bzw. Deflation rein zutage, wahrend dies sonst nur allzuleicht von zwar praktisch wichtigen, jedoch prinzipiell als sekundar zu betrachtenden Nebenerscheinungen verschleiert wird.
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32. Aus der soeben von uns bestrittenen einseitigen Auffassung iiber die Nichtneutralitat des Geldes laBt sich nun unseres Erachtens in erster Linie wohl auch die — sonst ganzlich unverstandlich erscheinende — Einmutigkeit erklaren, mit der weitaus die meisten Autoren, die in ihrer Analyse den Begriff des neutralen Geldes uberhaupt verwenden, diesen ohneweiters mit dem des „wertbestandigen" Geldes zu identifizieren pflegen. 3 Und zwar kann nach unserer Ansicht diese Identifizierung innerhdlb jener sich einseitig auf die Neutralitdt des abstrakten Geldes beziehenden Problemstellung, wenn auch nicht vollstandig, so doch wenigstens annaherungsweise tatsachlich als richtig anerkannt werden; wahrend auf der 1 Es sind zu der Nichtneutralitat des abstrakten Geldes unseres Erachtens sogar auch gewisse Erscheinungen zu rechnen, die Uberhaupt von der ,,Zeitdimension" unabhangig sind und einzig aus der direkten ,.Suggestion der absoluten Zahl" hervorgehen. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die allgemein bekannte Tatsache erinnert, daB die Differenz zwischen einem Preise von Mk 9,85 und einem von Mk 9,95 den meisten Menschen psychologisch weit weniger bedeutend erscheint als diejenige zwischen dem letzteren Preise und einem von Mk 10,05; diese und ahnliche Falle sind uns hauptsachlich deshalb wichtig, weil sie schon von vornherein klar machen, daB die Stabilisierung des Geldwertes — die sich eben nur auf die Erscheinungen in der Zeitdimension erstreckt •— die Nichtneutralitat des abstrakten Geldes niemals vollstandig zum Verschwinden bringen kann. 2 P. SRAFFA, Dr. Hayeks views on Money and Capital, Econ. Journal 1932, Vol. X L I I , S. 42(f. Der von HAYEK in jenen Vortragen wohl zuerst in die englische Sprache eingefuhrte Ausdruck ,,neutral money" war jenem Kritiker offenbar neu und hatte somit von ihm an und fur sich ebensogut nach der Seite des konkreten Geldes hin interpretiert werden konnen, wie dies von HAYEK, seiner ganzen weiteren Argumentation gemaB, zweifelsohne beabsichtigt war. Es konnte unseres Erachtens nur die herkommliche tJberschatzung der Erscheinungen des abstrakten Geldes den Referenten zu der These veranlassen, daB, insoweit man von den in Geld ausgedriickten Forderungen und Schulden sowie von der Starrheit der Geldpreise, bzw. der Geldlohne abstrahiert, das Geld dadurch eo ipso neutral werden muB, gleichgultig oh die Geldmenge sich iindert oder nicht (a. a. O. S. 44). Angesichts derartiger AuBerungen durfte man allerdings wohl beinahe daran verzweifeln, die in jenem Gedankenkreise festgebannten Theoretiker uberhaupt je von der MSglichkeit, bzw. der Bedeutung der nichtneutralen Wirkungen des konkreten Geldes ilberzeugen zu konnen! 3 Vgl. hierzu auch oben, S. 220 ff.
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a n d e r e n Seite eine mehr als n u r a n n a h e r u n g s w e i s e richtige L o s u n g dieses P r o b l e m s der K e u t r a l i t a t des a b s t r a k t e n Geldes — i m Gegensatz z u d e m des k o n k r e t e n Geldes, m i t d e m wir u n s n a c h h e r n o c h ausfiihrlicher beschaftigen w e r d e n — u n s schon d e r N a t u r der Sache nacb. utopisch erscheint.
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Zur Begriindung dieser doppelten These haben wir uns zunachst zu vergegenwartigen, daB die Wirkungen des abstrakten Geldes kraft ihrer N a t u r nur psychologischer Art sein konnen. Es k o m m t hierbei eben im Grunde alles auf die Wertvorstellungeri1 der wirtscbaftenden Individuen an, die sich in der idealtypischen ,,reinen" Tauschwirtschaft unmittelbar auf die von den verschiedenen Giitern zu gewahrende direkte oder indirekte Bediirfnisbefriedigung, in der Geldwirtsckaft bingegen iiberwiegend nur auf die in der Geldeinbeit ausgedriickten Preise dieser Guter bezieben. Und zwar gilt dies im Prinzip sowobl von den Wertvorstellungen mit Bezug auf die jeweilige Gegenwart als aucb von denen, deren Objekt entweder in der Vergangenheit 2 oder in der Zukunft liegt. „Nichtneutralitat des abstrakten Geldes" liegt somit naeb unserer obigen Definition jedesmal dann vor, wenn diese Ablenkung des wirtscbaftlicben Inter esses von dem ,,Kealwert" der Guter auf deren in der Geldeinbeit ausgedriickten „Nominalwert" die Dispositionen der Wirtschaftssubjekte — darunter aucb, jedocb nicbt ausscbbefilicb, solcbe Dispositionen, die ein in der Geldeinbeit ausgedriicktes obbgatoriscbes Verbaltnis begriinden — in einem von dem idealtypischen Verhalten des sogenannten „Homo oeconomicus" abweicJienden Sinne beeinflufit.3
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Aus dieser naheren Begriffsbestimmung gebt nun zunachst klar bervor, daB es sicb bei der Nichtneutralitat des abstrakten Geldes tatsachlich in erster Linie um eine Frage des Geldweries, u n d zwai — auf den ersten Blick merkwiirdigerweise 4 — um den Wert des konkreten Geldes bandelt. Es gilt dies jedocb nur unter dem ganz wesentlicben Vorbebalt, dafJ fur die Dispositionen eines jeden einzelnen Wirtsehaftssubjektes nur dessen Wertvorstellungen mit Bezug auf bestimmte fur ihn personlich relevante Outerkategorien wichtig sind u n d daB also in .diesem Zusammenhang aucb nicbt der sogenannte 1 Der Ausdruck ,,Wertvorste]lungsmittel" (bzw. „Wertausdrucksmittel") erscheint uns deshalb zur Charakterisierung der Funktion des abstrakten Geldes auch am besten geeignet, jedenfalls weit mehr als der vielumstrlttene Ausdruck „Wertmesser". 2 Die sich auf die Vergangenheit beziehenden Wertvorstellungen sind zumal im Zusammenhang mit der vielfach ilblichen — unseres Erachtens prinzipiell verfehlten! — „retrospektiven" Methode der Kostenberechnung von Bedeutung: so z. B. dort, wo in Inflationszeiten ein „Gewinn" kalkuliert wird, wenn irgendeine Ware zu einem hoheren Nominalpreis verkauft wird, als sie eingekauft wurde, obwohl der ,,prospektiv" bemessene Kaufpreis •— d. h. also der Wiederbeschaffungspreis — jenen Verkaufspreis betrachtlich iibersteigt (vgl. z . B . I. FISHER, The Money Illusion, S. 7ff.). Es dilrfte allerdings ungerecht sein, diese Erscheinungen zur Ganze auf das Konto der GeWillusion zu stellen! 3 Es handelt sich hiebei naturlich nicht um diejenigen Falle, in denen mehr oder weniger bewuBt nach auBerwirtschaftlichen Gesichtspunkten disponiert wird, sondern vielmehr um jene, in denen die betreffenden Wirtschaftssubjekte, von der Geldillusion getauscht, in der Meinung verkehren, daB sie rein ,,wirtschaftlich" handeln. 4 Bei genauerer Betrachtung erscheint dies freilich weniger merkwiirdig, und zwar aus dem einfachen Grunde, dafl das abstrakte Geld uierhaupt keinen ,,Wert" hat. Was man z. B. in der Inflationszeit unter dem ,,Wert" einer Goldmark — der damals nur in abstracto existierenden Geldeinheit •— verstand, war ja im Grunde nichts anderes als der Wert derjenigen konkreten Gegenstande (inklusive entwerteter Markscheine), deren in ,,Goldmark" ausgedrilckter Preis jeweils gleich eins war. Das gleiche gilt prinzipiell auch unter geordneten Wahrungsverhaltnissen: allein gibt es dort regelmiiBig einen speziellen Gegenstand, dessen in ,,Reichsmark", ,,Gulden" usw. ausgedruckter Preis immer gleich eins ist: namlich die Einheit des entsprechenden konkreten Geldes (vgl. hierzu auch HOLTROP, a. a. O. S. 79).
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„allgemeine" Geldwert — bzw. dessen reziproke GroBe, das ist der gewogene oder uiigewogene Durchschnitt sdmtlicher Preise — sondern vielmehr nur der subjektive Geldwert fur die einzelnen Wirtschaftssubjekte, bzw. (nach der Terminologie VON W I E S E E S 1 ) ihr ,,personlieber Ausschnitt aus dem Preisstande" ins GewioM fallt. Ftir ein jedes einzelne Wirtschaftssubjekt ist somit die Neutralitat des abstrakten Geldes dann, jedoeh auch nur dann verwirklieht, wenn seine mit bestimmten in Geld ausgedriickten Nennbetragen verbundenen Wertvorstellungen mit dem ,,wirklieben W e r t " der entsprechenden Geldbetrage, gemessen an den Preisen jener ftir inn personlieh relevanten Gtiter in dem entspreehenden Zeitpunkt in Gegenwart, Vergangenbeit oder Zukunft ubereinstimmen.
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33. Eine solebe tTbereinstimmung zwischen Wertvorstellungen und Wirkliebkeit ware nun prinzipiell in zwei Weisen zu verwirklieben, namlich entweder indem man die Wertvorstellungen mit der als gegeben betracbteten Wirklicbkeit, oder aber indem man die Wirkliobkeit mit den als gegeben betracbteten Wertvorstellungen in Einklang zu bringen versucht. Auf die erste dieser beiden Metboden — die offenbar im Grunde nichts anderes bedeuten wiirde als eine Art von ,,Erziehung" samtlicher Wirtschaftssubjekte, damit sie lernen, ,,in Giitern" a n s t a t t ,,in Geld zu d e n k e n " u n d dementspreebend zu handeln — soil bier indessen niebt weiter eingegangen werden, weil diese Metbode in der Praxis wohl k a u m einen erbeblicben Erfolg zu versprecben sobeint; prinzipiell ist es allerdings niebt uninteressant, bier zu bemerken, daB bei etwaiger erfolgreioher Anwendung dieser Metbode tatsacblicb sebon allein dadurcb die Nichtneutralitat des abstrakten Geldes — selbstverstandlich aber niebt diejenige des konkreten Geldes — vollstdndig zum Verscbwinden gebracbt werden konnte. 2 Von groBerer Bedeutung ist uns hingegen die umgekebrte Metbode, also die Annaherung der Wirklicbkeit an die jeweils gegebenen Wertvorstellungen; denn im Grunde ist es n a c b unserer Ansiobt eben dies, was der Mebrbeit der Befurworter einer Geldwertstabilisierung in mebr oder weniger klarer Fassung vor Augen schweben durfte. Allerdings muB bierbei als das feblende Glied der logiscben K e t t e nocb eine weitere Voraussetzung eingescbaltet werden, u n d zwar die, daB den Wertvorstellungen der Wirtschaftssubjekte, insoweit diese sieb auf zukiinftige Geldbetrage erstrecken, durebwegs die mebr oder weniger bewuBte Erwartung unveranderter durchscbnittlicber Preise zugrunde liegt; denn ware dies etwa niebt der Fall, dann wiirde siob auob offenbar infolge einer faktiscben Stabilisierung des ,,allgemeinen Preisniveaus" niebt eine tjbereinstimmung, sondern vielmebr gerade dadurcb eine Divergenz zwiscben der Wirklicbkeit u n d jenen Wertvorstellungen ergeben. I n diesem Z u s a m m e n h a n g t r e t e n n u n a b e r zugleich die prinzipiell schwachen Seiten des Stabilisierungsprogramms k l a r z u t a g e , a u c h w e n n v o n d e n technischen Schwierigkeiten, die sich dessen p r a k t i s c h e r Verwirklichung entgegensetzen durften, z u n a c h s t ganz abgesehen wird. E s ergibt sich n a m l i c h a u s u n s e r e n obigen A u s f u h r u n g e n o h n e weiteres, daB dieses P r o g r a m m erstens n u r denjenigen Erscheinungsformen der Geld1 F R . V. WIESER, „Der Geldwert und seine Veranderungen" und ,,t)ber die Messung der Veranderungen des Geldwertes", Schriften d. Ver. f. Sozialpolitik, Bd. 132, Leipzig 1910, S. 509 u. 546. 2 Vollstandig: denn jene nicht idealtypischen Handlungen, die nachher noeh ilbrig bleiben wilrden, waren ja nicht langer dem Binflusse des Geldes als solchen, sondern ausschlieBlich anderweitigen Friktionsmomenten zuzuschreiben.
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illusion gegeniiber Abhilfe bringen kann, die sich iiberhaupt in der „Zeitdimension" erstrecken; zweitens, daB es seinen Zweck verfehlen muB, insoweit den Wertvorstellungen der betreffenden Wirtschaftssubjekte bewuBt oder unbewuBt eine andere ,,Erwartung" als eben die der Stabilitat des durchselinittlichen Geldwertes zugrundeliegt; und drittens — wohl das Wichtigste — daB selbst, wenn letzteres im allgemeinen nicht der Fall sein diirfte, dennoch eben dieser „durchschnittliclie Geldwert" fur jedes einzelne Wirtschaftssubjekt etwas V erschiedenes bedeutet, weil er von einem jeden auf seinen „personlichen Preisausschnitt" bezogen wird. Die groBte Schwierigkeit des Stabilisierungsprogramms — den dessen Vertreter sich unseres Erachtens nicht immer geniigend vergegenwartigt haben 1 — ist somit diese, daB einerseits eine nur halbwegs vollstandige Eliminierung der „Geldillusion" im Prinzip nicht nur die Stabilisierung irgendeines allgemeinen Preisdurchschnittes, sondern vielmehr — zumindestens! — eine Stabilisierung samtlicher individuellen „Preisausschnitte" erfordern wiirde, wahrend auf der anderen Seite die Durchfiihrung eines jeden derartigen Programms gegen die •— siehe oben S. 238/9, Anm. 3 •— in aller Regel auch von den Vertretern des Stabilisierungsgedankens durchwegs anerkannten Grundsatz verstoBen wiirde, nach dem die Stabilisierung nur eine Regulierung des 6?eZ<2wertes bedeutet, keineswegs aber eine ,,kunstliche" Beeinflussung von der Preisbildung der einzelnen Giiter untereinander mit sich bringen soil. Aus diesem Dilemma gibt es unseres Erachtens iiberhaupt keinen Ausweg. Sogar der scheinbar naheliegende Einwand, daB es sich hiebei doch wenigstens in der Praxis wohl nur um relativ geringfugige Differenzen handeln wird, deren quantitative Bedeutung den in der Wirklichkeit vorliegenden Schwankungen des „allgemeinen" Geldwertes gegeniiber kaum ins Gewicht fallen konnte, erweist sich bei etwas genauerer Betrachtung als durchaus unstichhaltig. Vielmehr handelt es sich hiebei um solche prinzipielle (und auch quantitativ durchaus wichtige) Fragen, wie z. B., ob die zu stabilisierende Preisindexzahl die GroBhandelspreise, die Kleinhandelspreise oder etwa beide, ob sie nur die Warenpreise oder auch die Aktienkurse, bzw. die Preise der Dienstleistungen •— zumal die Arbeitslohne — ja sogar ob diese Indexzahl wohl iiberhaupt die Giiterpreise oder vielleicht nur die Lohne und sonstigen Einkommen umfassen soil.2 Es sind somit unsere obigen Erorterungen keineswegs nur als mehr oder weniger wirklichkeitsfremde Spekulationen zu betrachten, sondern sie stehen vielmehr in der engsten Beziehung zu dem ganzen Komplex praktischer Fragen, die, zumal in den letzten Jahren, in der Dis1 Zwar sind die meisten der betrellenden Autoren sich mehr oder weniger dessen bewuBt, daB mit der Wahl der zu stabilisierenden Indexzifier die eigentlichen Schwierigkeiten erst anfangen (vgl. z. B. R. G. HAWTREY, Money and Index-Numbers, Journal of the Royal Statistical Society 1930, Vol. XCIII, 1930, S. 64H.); jedoch nur die wenigsten kommen auf diesem Wege zu dem Ergebnis, daB es sich hiebei iiberhaupt nicht um eine einzige Indexzahl handeln kann. DaB man allerdings bei genauerer Analyse auch von der zunachst rein formalen Seite der Indexberechnung heraus zu einem ahnlichen Resultat kommen kann und muB, zeigt in vorziiglicher Weise G. HABERLER in seiner Schrift: „Der Sinn der Indexzahlen", Tubingen 1927. 1 In diesem letzteren Sinne insbesondere HAWTREY, a. a. O. S. 71 ff.
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kussion fur u n d wider die Geldwertstabilisierung vielfach e r h o b e n word e n sind.
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Allerdings gehen unsere SchluBfolgerungen dahin, daB alle diese Fragen, insoweit sie eben nur unter dem Gesichtswinkel der Neutralitat des abstrakten Geldes betrachtet werden, einer eindeutigen Beantwortung grundsdtzlich unzugdnglich sind. Es ist vielmehr naeh unserer Auffassung — gleichgultig ob m a n die Frage nur von dem ublichen engeren Standpunkt der angeblichen ^ e r e c h t i g k e i t " 1 mit Bezug auf die Erftlllung der in der Geldeinheit ausgedruekten kontraktlichen VerpflieMungen, oder aber von dem etwas weiteren Standpunkte der Eliminierung der ,,Geldillusion" iiberhaupt aus betrachtet — ein jeder der oben erwahnten ,,Preisaussolmitte" als Grundlage fur die Stabilisierung des Geldwertes genau so gut oder so sohlecht wie alle die anderen. Zwar leugnen wir nicht, wie wir schon auf S. 251 bemerkten, daB die Stabilisierung eines jeden dieser Preisaussohnitte die Neutralitat des abstrakten Geldes anndherungsweise verwirklichen kann, jedoch von einer vollstdndigen Losung des Problems kann hierbei prinzipiell niemals die Eede sein. Denn je mehr man sich mit Bezug auf irgendeine spezielle Gruppe von Wirtschaftssubjekten •— eben denjenigen, deren personlichem Preisausschnitt die jeweils zu stabilisierende Indexzahl am meisten entspricht — der vollstandigen Eliminierung der Geldillusion annahern wiirde, urn so rnehr miiCte man sieh davon mit Bezug auf alle die ubrigen Bevolkerungsgruppen entfernen. 2 Zusammenfassend konnen wir also sagen, dafi ein Vorzug firr irgendeine spezielle Indexzahl als Gegenstand der Stabilisierung sich in diesem Zusammenhang verniinftigerweise nicht begrtinden laBt, oder mit anderen Worten, dafi die Frage der Neutralitat des abstrakten Geldes uberhawptkein exahtes Problem ist.
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34. Ganz a n d e r s v e r h a l t es sich jedoch n a c h unserer Auffassung m i t d e m Problemkreise der N e u t r a l i t a t des konkreten Geldes, d e m wir v o n dieser Stelle a n ausschlieBlich unsere A u f m e r k s a m k e i t z u w e n d e n werden. D e n n obwohl, wie sich u n t e n noch ausfuhrlicher ergeben wird, die statistische Peststellung des jeweiligen ,,JSreutralitatspunktes" der Geldversorgung in diesem Z u s a m m e n h a n g erhebliche Schwierigkeiten m i t sich b r i n g t , h a n d e l t es sich hiebei doch wenigstens prinzipiell u m exakte, q u a n t i t a t i v g e n a u definierbare Begriffe. Schon deshalb v e r d i e n t diese Seite des N e u t r a l i t a t s p r o b l e m s n a c h unserer Ansicht m e h r Beach1 In unseren bisherigen Ausfiihrungen haben wir diesen Ausdruck „Gerechtigkeit" absichtlich vermieden; was man hierunter gemeinhin versteht (namlich die Erfiillung der von den jeweiligen Vertragsparteien ,,beabsichtigten" Leistungen), kann jedoch als ein Spezialfall der im Texte von uns erwahnten ,,t)bereinstimmung zwischen den Wertvorstellungen und der Wirklichkeit" betrachtet werden. 2 Der gleiche Einwand gilt olfenbar auch gegen ein jedes System des ,.Tabular Standard", d. h. jedes System, unter dem der Geldwert als solcher sich selbst iiberlassen bleibt, jedoch die Nominalbetrage der Forderungen und Schulden usw. jeweils entsprechend den Anderungen der Preisindexzahl ,,korrigiert" werden. Es ware allerdings denkbar, diese Korrektur filr eine jede Bevolkerungsgruppe nach einem speziellen Index vorzunehmen; jedoch auch dann ergeben sich noch prinzipiell uniiberwindbare Schwierigkeiten, sobald es sich um Geschafte zwischen Angehbrigen verschiedener dieser Gruppen handelt, die jeder mit gleichem ,,Recht" die Anwendung einer anderen Indexzahl verlangen konnten. Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, daB viele der in der Wirklichkeit vorliegenden KreditVerhiiltnisse sich in diesem Sinn ilberhaupt nicht ,,korrigieren" lieCen (sogar nicht mittels eines Kompromisses) weil, wenn beide Parteien schon bei dem GeschaltsabschluB idealtypisch-rational vorgegangen wiiren, das Geschaft eben uberhaupt nicht zusiande gekommen Wiirel Naheres zu der Frage des Tabular Standard auf S. 348/9, Anm. 6 .
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tung als ihr im allgemeinen in der bisherigen Literatur geschenkt worden ist. Es ist natiirlich auch in diesem Zusammenhang zunachst wieder die Frage zu erheben, wieso das Geld iiberhaupt nichtneutral sein harm; das heiBt also, nach unserer friiheren Definition, wieso sich infolge des Dazwischentretens des Geldes in den Tauschgeschaften eine Abweichung zwischen dem tatsachlichen Wirtschaftsablaufe und dem Idealtypus der reinen Tauschwirtsohaft ergeben kann. Wir beantworten diese Frage in erster Linie mit einem Hinweis auf die schon oben — S. 249 — definitorisch von uns hervorgehobene Eigenschaft des Geldes, keine „reale", sondern nur eine „zirkulatorische" Befriedigung zu gewahren. Es ist dies namlich nach unserer Auffassung im Grunde nichts anderes als ein Ausdruck fur die wohlbekannte Tatsache, daB ein jedes Tauschgesehaft durch das Dazwischentreten des Geldes in zwei wenigstens auBerlich selbstandige Halften —- einen ,,Verkauf" von Ware, bzw. Dienstleistung gegen Geld und einen ,,Kauf" von anderen Waren oder Dienstleistungen gegen das namliche Geld — zerlegt wird; denn eben erst durch diesen ,,komplementaren" 1 Kauf erhalt der anfangliche Verkaufer fur die von ihm hingegebene Ware eine „reale" oder „endgultige" 2 Befriedigung. Dieser Sachverhalt als solcher ist wo hi kaum zu bestreiten; bei unserer obigen Fragestellung handelt es sich nun aber darum, ob samtliche Folgen des Dazwischentretens des Geldes sich in diese zunachst rein auBere Zerlegung des Tausches in einen Verkauf und einen Kauf erschopfen, oder aber ob aus diesem Tatbestande auch ,,wesentliche" Anderungen in dem idealtypischen Wirtschaftsablauf der reinen Tauschwirtsohaft hervorgehen konnen. Es ist insbesondere diese letztere Frage, die, wie wir schon fruher —• S. 240 — bemerkten, von der traditionellen Lehre langere Zeit hindurch in dem erstgenannten Sinne beantwortet worden ist, womit also die Moglichkeit einer Mchtneutralitat des konkreten Geldes grundsatzlich geleugnet wurde. Und zwar geschah dies meistens unter Hinweis auf das sogenannte SAYsche Theorem der Absatzwege (,,Theorie des d^boucheV' 3 ), dessen Kern bekanntlich die These bildet, daB die Waren, bzw. Dienstleistungen zwar zunachst mit Geld, im Grunde jedoch mit anderen Waren oder Dienstleistungen —• eben denjenigen, die entweder der Kaufer selbst oder irgendein anderer, der ihm die Kaufsumme kreditiert, hinzugeben hatte, um selbst in den Besitz dieser Kaufsumme zu gelangen — bezahlt werden. Es wurde hieraus die Folgerung gezogen, daB das Geld immer nur als Hilfsmittel des Tausches ohne selbstandige Bedeutung zu be1 Als „komplementar" werden hier natiirlich nicht der ,,Kau£" und der ,,Verkauf" betrachtet, welche die nur juristisch zu unterscheidenden Seiten eines einzigen „Tausch"geschaftes von Geld gegen Ware darstellen, sondern vielmehr jeweils zwei verschiedene derartige Tauschgeschafte, wobei von den tauschenden Personen nur einer in den beiden Geschaften auftritt, die verkaufte, bzw. gekaufte "Ware in den beiden Geschaften eine verschiedene, und nur die Kaulswmme identisch ist. 2 Unter „endgiiltige" Befriedigung ist in diesem Zusammenhange selbstverstandlich nicht nur der Erwerb von Konsumgutern, sondern auch derjenige von Kapitalgiitern zu verstehen. 3 J. B. SAY, Traite d'Economie Politique, 8ieme ed., Paris 1876, S. 146ff.
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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trachten sei, daB im Grunde auch in der Geldwirtschaft nur Tausch von War en gegen Waren (inklusive Dienstleistungen) vorliege, und daB man somit, urn einen Einblick in den Mechanismus der Geldwirtschaft zu gewinnen, immer zunachst von dem „Geldschleier" zu abstrahieren habe.
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35. Diesen Konsequenzen konnen wir in ihrer allgemeinen Form keineswegs beistimmen. Zwar stellen wir die Richtigkeit des SAYschen Theorems im allgemeinen nicht in Abrede — die damit des ofteren verkniipften konjunkturtheoretischen Konsequenzen, zumal mit Bezug auf die angebliche Unmoglichkeit einer allgemeinen Uberproduktion, lassen wir an dieser Stelle auBer Betracht — jedoch kann es u. E. auf der anderen Seite wohl kaum bestritten werden, daB es sich bei diesem Theorem nicht um eine Regel ohne Ausnahmen handelt, und dafi gerade diese Ausnahmen fur den Wirtschaftsablauf in der Geldwirtschaft, und damit fiir das Problem der Neutralitat des konkreten Geldes, von ausschlaggebender Bedeutung sind. Zumal liegt eine mehr als nur auBerliche Abweichung zwischen der Geldwirtschaft und dem Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft offenbar in alien denjenigen Fallen vor, wo es selbstdndige „halbe" Tauschgeschafte in dem oben angedeuteten Sinne gibt, der en ,,komplementdre Halfte" sich nicht nachweisen lafit: das heiBt also, wo entweder eine geldliche Nachfrage nach Giitern oder Dienstleistungen ausgeiibt wird, ohne daB eine entsprechende „Vorleistung" 1 stattgefunden hat, oder aber eine solche Vorleistung stattfindet, ohne daB mit dem dadurch erworbenen Gelde eine „kaufkraftige Nachfrage" nach sonstigen Giitern, bzw. Dienstleistungen entfaltet wird. Es liegen nun nach unserer Ansicht derartige einseitige „halbe"' Tauschgeschdfte regelmdfiig erstens in alien denjenigen Fallen vor, wo neugeschaffenes Geld zum ersten Male in die Zirkulation gelangt, bzw. bisher zirkulierendes Geld als solches zugrunde geht, und zweitens in sdmtlichen Fallen des sogenannten „Hortens" — exakter: neuen Hortens — bzw. „Enthortens".2 Und zwar sind nach unserer Auffassung diese beiden Gruppen nichtneutraler Erscheinungen untereinander vollstdndig dquivalent, so daB die wirtschaftlichen Folgen des Hortens durch eine entsprechende Neugeldschopfung zum ganzen neutralisiert werden konnen und umgekehrt. Zunachst empfiehlt es sich allerdings, diese beiden eben erwahnten Gruppen von Erscheinungen gesondert zu betrachten. Wir lassen somit das ziemlich verwickelte Problem des Hortens vorlaufig noch beiseite und wenden uns in erster Linie der Analyse des relativ einfachen Falles der Neugeldschopfung bzw. der Geldvernichtung zu, bis auf 1 Wir entnehmen diesen Ausdruck F R . BENDIXEN („Das Wesen des Geldes", 2. Aufl., Miinchen u. Leipzig 1918, S. 29H.), selbstverstandlich aber ohne daB wir, mit diesem Verfasser, das Vorhandensein einer solchen Vorleistung als ein Wesensmerkmal des Geldes ilberhaupt betrachten. (Gegen diese letztere Auffassung ebenfalls O. ENGLANDER, Das Geld ohne Eigenwert und die Preislehre, Conr. Jahrb. 1922, Bd. 119, S. 104, sowie BEHRENS, a. a. O. S. 156 u. 270.) * Vgl. zu diesen Ausdrucken (engl. „New Hoarding" bzw. „Dishoarding") insbesondere D. H. ROBERTSON, Banking Policy and the Price Level, London 1926, Ch. V, S. 41 If.; in deutscher Sprache findet sich der Ausdruck „Enthorten" u. a. bei E. v. MICKWITZ, Kassenhaltung und Preisniveau, Arch, f. Soz. Wiss. 1929, Bd. 62, S. 555 ff. 17 Beitrage zur Geldtheorie.
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weiteres unter der ausdriicklichen Voraussetzung, daB weder neues Horten noch Enthorten stattfindet. 1
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36. Unter dieser Hypothese bedeutet nun eine jede Neugeldschopfung — gleichgiiltig ob sie durch Edelmetallgewinnung, auf dem Kreditwege2 oder sonstwie stattfindet •—• die Entfaltung einer kaufkraftigen Nachfrage nach Giitern und Dienstleistungen, die nicht in einer vorhergehenden oder simultanen „ Vorleistung", bzw. ,,Einwurf in das Sozialprodukt", begriindet ist; oder mit anderen Worten eine Nachfrage, die nicht, wie dies in der idealtypischen Naturalwirtschaft immer der Fall sein mu6, zugleich ein Angebot darstellt. Diesen spezifisch geldwirtschaftlichen Sachverhalt bezeichnen wir, in Anlehnung an die Terminologie NEISSERS, 3 als „reine Nachfrage"; 4 allerdings in dem Sinne, daB nach unserem Wortgebrauch nicht jedes, sondern nur das jeweils neugeschaffene Geld5 als die Verkorperung einer derartigen „reinen" Nachfrage zu betrachten ist. Analog ware unseres Erachtens der Vorgang bei Geldvernichtung als „reiner Nachfrageausfall" zu bezeichnen. Und zwar ist es auch hierbei prinzipiell gleichgiiltig, ob die betreffenden Geldmengen in ,,regularer" Weise —• etwa durch Kreditriickzahlungen an die Banken, bzw. durch Einziehung des Geldes seitens des Staates — oder aber in irregularer Weise — wie z. B. infolge Feuersbrunst oder Schiffbruch oder auch durch Zusammenbruch der emittierenden Bank 6 •—• als solche zugrundegehen. Denn in alien diesen Fallen ohne Unterschied unterbleibt eben die kaufkraftige Nachfrage, die dem seitens der jeweiligen letzten Besitzer jener Geldmengen geleisteten „Einwurf" in das Sozialprodukt entspricht. In beiden Fallen — Neugeldschopfung und Geldvernichtung — wird also das SAYSCJW Prinzip der Aquivalenz von Gesamtangebot und Gesamt1 Wie wir spater noch ausfiihrlicher darlegen werden, ist diesc Hypothese nach unserer Auffassung nicht etwa mit derjenigen einer konstanten „Umlaufsgeschwindigkeit" des Geldes identisch. 2 Mit Bezug auf die Geldschopfung ,,auf dem Kreditwege" konnte hier vielleicht der Einwand erhoben werden, daB in diesem Falle die Vorleistung seitens derjenigen Wirtschaftssubjekte, die zuerst mit dem neugeschaffenen Gelde „kaufend zu Markte gehen", nicht etwa lehlt, sondern vielmehr „ n u r " zeitlich hinausgeschoben wird, weil ihnen eben die Verptlichtung obliegt, die von den Banken entliehenen Summen in einem spateren Zeitpunkte samt Zinsen zuriickzubezahlen. Dieser Einwand ist unseres Erachtens deshalb nicht stichhaltig, weil im Zusammenhang unserer obigen Analyse gerade eine derartige rein zeitliche Verschiebung der Vorleistung (bzw. ,,Antizipation" der Gegenleistung) schon als solche geniigt, um das SAYSche Gleichgewicht der Wirtschaft in einem wesentlichen Punkte zu zerstoren und somit ein typisch inflatorisches Moment darstellt. Vgl. zu der Bedeutung ,,nur-zeitlicher" Verschiebungen iiberhaupt zumal auch S. 265. 3 H. NEISSER, Der Tauschwert des Geldes, Jena 1928, S. 13. 4 Vgl. hierzu insbesondere auch die Stelle bei HAYEK, a. a. O. (Geldtheorie und Konjunkturtheorie) S. 46/47, wo von ,,einer sozusagen einseitigen Anderung der Nachfrage" infolge der Eigenschaft des Geldes als „Nur-Tauschmittel" die Rede ist, und ebenfalls S. 56, wo die Theorie der Geldwirtschaft als eine ,,Theorie der einseitigen Wirkungen" bezeichnet wird. 5 ,,Nur": d. h. solange die oben eingefiihrte Hypothese bezuglich der Nichtexistenz von neuem Horten und Enthorten beibehalten wird; denn, wie sich spater noch ergeben wird, liegt eben im Falle des Enthortens nach unserer Ansicht in genau dem gleichen Sinne wie im Text eine ,,reine Nachfrage" vor. 6 In einem derartigen Falle verlieren namlich samtliche Guthaben bei der betreffenden Bank mit einem Schlage ihren Geldcharakter, und zwar gleichgiiltig, ob das Defizit der Bank sich auf einen hohen oder auf einen niedrigen Prozentsatz ihrer Verpflichtungen belauft.
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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nachfrage durchbrochen und werden demzufolge Preisverschiebungen und andere Storungs- bzw. Anpassungsphanomene ausgelost, die unter sonst gleichen Umstanden in der idealtypischen Naturalwirtschaft unter blieben waren. 1 Im Sinne unserer oben aufgestellten Definition liegt hier also jeweils ein Fall der Nichtneutralitat des Geldes — und zwar typischerweise des konkreten Geldes — vor: inflatorisch oder deflatorisch, je nachdem es sich um einen Fall der Neugeldschopfung oder der Geldvernichtung handelt. Es soil hier allerdings sogleich hinzugefiigt werden, daB insoweit gleichzeitig, sei es auch an verschiedenen Stellen der Wirtschaft, Neugeldschopfung und Geldvernichtung stattfinden, deren wirtschaftliche Folgen sich weitgehend neutralisieren, weil eben in diesem Falle die jeweils unkomplettiert gebliebenen ,,halben" Tauschgeschafte sich gegenseitig als miteinander komplementare Halften betrachten lassen. Zwar ist es naturlich moglich — und sogar auBerst wahrseheinlich — daB in jenem Falle eine Verschiebung der Nachfrage auf andere Giiterkategorien stattfinden wird, jedoch dieser Vorgang ist prinzipiell nicht verschieden von den sonstigen Nachfrageverschiebungen, die sich auch ganz unabhangig von der geldlichen Organisation der Wirtschaft ergeben konnen, und auf die wir spater in anderem Zusammenhang noch zuruckkommen werden. 2 Zunachst gilt es nur festzustellen, daB von einer Zerstorung der oben erwahnten Aquivalenz zwischen Cresawziangebot und Gesamtaachfrage solange — jedoch auch nur solange — nicht die Rede sein kann, als nicht der Umfang der Neugeldschopfung den der Geldvernichtung ubertrifft oder umgekehrt; das heifit also, solange die Gesamtgeldmenge unverdndert bleibt.
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37. Es ist dies somit zunachst der gleiche Standpunkt, der bekanntlich auch von H A Y E K — allerdings nur in seinen fruheren Schriften in voller Scharfe, 3 in „Preise und Produktion" hingegen nur noch unter gewissen Einschrankungen 4 — vertreten worden ist. In der Tat sind auch nach unserer Ansicht bestimmte Einschrankungen dieser These unerlaBlich — zumal im Zusammenhang mit dem Fragenkomplex des Hortens, bzw. Enthortens! — jedoch bei der Formulierung dieser Einschrankungen ergeben sich zwischen unseren Auffassungen und denen H A Y E K S in mehr als einem Punkte ganz wesentliche Differenzen, mit denen 1 Zumal die hier skizzierten Gleichgewichtszerstorungen betrachten wir als das „vitium originis" einer jeden Inflation oder Deflation (siehe oben S. 251); von den Auswirkungen auf das Preisniveau usw. (wenn diese schon iiberhaupt eintreten) ist jenes Moment als solches offenbar unabhangig. Indessen leugnen wir nicht, daB sich nach der Auswirkung der im Text erwahnten ,,Anpassungs"phanomene schlieBlich wieder ein neuer Gleichgewichtszustand ergeben kann, und ebensowenig, daB auch die Vorgange wahrend des Anpassungsprozesses sich eventuell wohl als ,,Tausch von Ware gegen Ware" konstruieren lieBen. Die Tatsache der „initialen" Gleichgewichtszerstorung kommt damit aber keineswegs in Weglall. 2 Siehe S. 320 H. 3 Zumal in „Geldtheorie und Konjunkturtheorie", S. 52ff., S. 112 und passim. Vgl. z. B. auch die Stelle aut S. 59: ,,. . . (die) durch die Veranderlichkeit der Geldmenge ermoglichte Falschung der natiirliehen Preisbildung..." usw. (Hervorhebung von uns), wobei das Neutralitatskriterium in aller Scharfe hervortritt. In ahnlichem Sinne auch die Broschilre des gleichen Verfassers ,,Gibt es einen Widersinn des Sparens?", Wien 1931, zumal S. 45 u. 52. 4 F. A. HAYEK, Preise und Produktion, Wien 1931, S. I l l bis 116. 17*
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wir uns am Schlusse dieses Abschnittes noch ausfiihrlicher beschaitigen werden. 1 An dieser Stelle kommt es indessen hauptsachlich auf die richtige Formulierung der Problemstellung an, und insoweit sind wir mit dem HAYEKschen Gedankengange jedenfalls vollig einverstanden: denn die erste Frage mit Bezug auf die Geldmengenanderungen — nicht etwa den Geldwerianderungen! —- sollte namlich auch unseres Erachtens immer lauten, wieso es uberhawpt moglich ist, dap die Gesamtgeldmenge zu- oder abnimmt, ohne da/i dies inflatorisch, bzw. deflatorisch wirkt. Zwar stellen wir diese Moglichkeit nicht von vornherein in Abrede; jedoch zunachst erscheint diese, den obigen Erorterungen zufolge, als durchwegs problematisch. Das heifit also nicht mehr oder weniger, als da/3 die wohlbekannte Forderung nach „Elastizitat" der Gesamtgeldmenge — in ausdrucklichem Gegensatz zu der gleichen Forderung mit Bezug auf die einzelnen Geldarten, gegen die wir nichts Wesentliches einzuwenden haben 2 — zwar richtig sein kann, jedoch, unter dem Gesichtswinkel der Neutralitdt des Geldes betrachtet, zunachst alles eher als eine Selbstverstandlichkeit ist.3 Zumal ist es im Lichte unserer obigen Ausfuhrungen betrachtet keineswegs von vornherein einleuchtend, daB im Falle einer Zuoder Abnahme in dem Produktionsumfang, bzw. in dem sogenannten ,,Handelsvolumen", immer eine entsprechende Vermehrung oder Verminderung der Geldmenge stattfinden soil, damit die Neutralitat des Geldes erhalten bleibe. Denn eine Produktionssteigerung — und sogar auch eine Zunahme in der verfugbaren Menge der wirtschaftlichen Giiter unabhangig von einer Steigerung der ,,Produktion" im engeren Sinne, wie z. B. durch die ErschlieBung von neuen Fundstatten von Mineralien — stellt eben an und fur sich keine Durchbrechung des SAYschen Gleichgewichtstheorems, d. h. also im Sinne unserer obigen Terminologie kein „reines" Angebot dar, und enthalt somit auch als solche keineswegs ein kompensierendes Moment gegeniiber den inflatorischen Wirkungen, die von der — nach der hier bestrittenen Auffassung ,,notwendigen" — Neugeldschopfung ausgelost werden wiirden; wahrend umgekehrt eine Produktionsabnahme — bzw. eine katastrophale Giitervernichtung wie durch Krieg, Erdbeben usw. — ebensowenig schon als solche als „reiner" Angebotsausfall in dem obigen Sinne gelten kann und somit auch nicht ohneweiters geniigt, um eine entsprechende Verringerung der Gesamtgeldmenge zu „rechtfertigen", bzw. deren an und fur sich deflatorische Wirkungen zu neutralisieren. 1 2
Siehe unten S. 283 ff. Im allgemeinen ist es unseres Erachtens als eine der Bedingungen fur die Neutralitat des Geldes zu betrachten, daB die verschiedenen in einer Wirtschaft verwendeten Geldarten in einera jeden Zeitpunkt in beliebiger Menge und ohne irgend welche „Friktion" in einem lesten Verhaltnis gegen eine jede andere Geldart umtauschbar sind. International betrachtet schMeflt dies offenbar die Forderung nach stabilen intervalutarischen Kursen in sich. Die Menge einer jeden einzelnen Geldart und ebenso auch die Gesamtgeldmenge in einem jeden einzelnen Lande, das an dem internationalen Tauschverkehr teilnimmt, soil somit ganz gewiB „elastisch" sein. Im gleichen Sinne auch HAYEK, a. a. O. (Preise und Produktion) S. 103/106. 8 Vgl. auch hiezu insbesondere wieder HAYEK, a. a. O. S. 99ff., und zumal F. MACHLUP, ,,B6rsenkredit, Industriekredit und Kapitalbildung", Wien 1931, S. 115ff. t)ber die Zweideutigkeit des Begrifles „Elastizitat" in dieser Beziehung vgl. auch MISES, a. a. O. (2. Aufl.) S. 317.
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Mit diesen Ausfiihrungen stellen wir uns also in einen ziemlich schroffen Gegensatz zu den Theorien des „Banking-Principle", bzw. dessen mehr oder "weniger modernisierten Erscheinungsformen (wie z. B. der BENDiXENschen Lehre der „klassischen" Geldschopfung auf Grund akzeptierter und diskontierter „echter" Warenwechsel 1 ), nach denen mit Bezug auf die Geldversorgung alles in schonster Ordnung sei, solange nur der „Parallelismus" zwischen Gesamtgeldmenge und Gesamtwarenmenge gewahrleistet bleibt. 2 Diesen ganzen Gedankengang betrachten wir in der Tat als eine der verhangnisvollsten Irrlehren auf dem Gebiete der Geldtheorie iiberhaupt, in ihren Konsequenzen jedenfalls von weit groBerer Bedeutung als samtliche Verniinfteleien iiber das „Wesen" des Geldes. Vielleicht der Form nach etwas iiberspitzt, im Prinzip aber durchaus ernst gemeint, halten wir jenen Abarten der sogenannten „Bedarfsgeld"lehre die Behauptung entgegen, dafi die Anderungen in der „Guterwelt" an und fur sich die Neutralitdt des Geldes iiberhaupt nicht zu zerstoren vermogen und dafi diesen Anderungen somit fiir die Bestimmung der jeweiligen „Sollgeldmenge"3 auch keinerlei direkte Bedeutung beizulegen ist. Wenn es schon iiberhaupt einen funktionellen Zusammenhang zwischen den Anderungen des Handelsvolumens und denen iener „Sollgeldmenge" geben durfte, existiert diese vielmehr nur indirekt, namlich iiber das Zwischenglied des Hortens, bzw. des Enthortens (vgl. hiezu unten S. 263 ff.). Solange wir aber die oben auf S. 258 eingefuhrte Hypothese beibehalten, nach der weder neues Horten noch Enthorten stattfindet,
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1 Die Forderung nach einem derartigen Systeme der Geldversorgung ist bekanntlieh von BENDIXEN keineswegs zum ersten Male erhoben worden. Wohl stammt aber von diesem Verfasser das Schlagwort von dem sogenannten „Kreditrecht des Produzenten" und insbesondere auch die Auffassung, nach der in dieser Hinsicht der ..verkaufsreifen und konsumtiblen" Produktion eine besondere Vorzugsstellung gebuhre. Gegen diesen letzteren Gedankengang ist unseres Erachtens — ganz abgesehen von den sonstigen Argumenten gegen die ..Bedarfsgeldlehre" iiberhaupt! — insbesondere folgendes einzuwenden: Entweder (1) die betretfende Produktion ist so weit fortgeschritten, daB die produzierten Gtiter tatsachlich an die Konsumenten abgeliefert und von diesen bezahlt werden konnen; dann liegt ottenbar iiberhaupt kein Kreditbedarf vor. Oder aber (2) die betreffenden Gilter befinden sich zunachst noch in der „Distributionssphare", sei es aut Transport oder auf Lager bei den Detaillisten; das heiBt aber nichts anderes, als dafi die „Produktion" zwar technisch, jedoch wirtschaftlich betrachtet noch nicht vollendet ist, so daB ein wesentlicher Unterschied mit den tibrigen Stufen der Produktion hier nicht vorliegt. Oder endlich (3) die Giiter sind zwar abgeliefert, aber noch nicht bezahlt worden; mit anderen Worten, es findet ,,Konsumfinanzierung" statt. In den beiden letzten Fallen liegt nun zwar in der Tat ein „Kreditbedarf" vor, jedoch in keinem dieser beiden Falle ist einzusehen, weshalb dieser Kreditbedarf nicht genau so wie die sonstigen Kreditbediirfnisse in der Wirtschaft durch „echtes Sparen" finanziert werden sollte, bzw. weshalb dieser sich nicht mit der sonstigen Kreditnachfrage in regelmaBiger Weise, ohne irgend welchen kiinstlichen Vorsprung, um die jeweils verfiigbare „Kapitaldisposition" (siehe S. 274, Anm. s ) bewerben, und unbefriedigt bleiben sollte, insoweit er etwa nicht den Wettbewerbszins — gleich dem Gleichgewichtszins im Sinne WICKSELI.S, siehe S. 273ff. — zu bezahlen imstande ist. Der gegenteilige Gedankengang ist unseres Erachtens geradezu ein Musterbeispiel inflationistischer Argumentation. — Der weitere, insbesondere von BEHRENS (a. a. O. S. 284 bis 309) mit groBem Geschick herausgearbeitete Einwand gegen das BENDiXENSche System — namlich daB dieses in der Wirklichkeit nicht einmal genugen wiirde, um den im Texte gemeinten ,,ParalIelismus" zu verwirklichen — ist, obwohl in der Hauptsache zweifellos richtig, in unserem Gedankengang offenbar nur von untergeordneter Bedeutung. 2 Scharf gegen diese und verwandte Lehren richtet sich zumal auch D. H. ROBERTSON, ..Theories of Banking Policy" Economica 1928, S. 131 ff., zumal S. 142. s Diesen Ausdruck — unseres Erachtens dem viel miBbrauchten Worte ..Geldbedarf" durchaus vorzuziehen — entnehmen wir BEHRENS, a. a. O. S. 254ff.
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ware unseres Erachtens in der Tat, ungeachtet irgend welcher Anderungen in dem Produktionsumfang, bzw. in dem Handelsvolumen, die Neutralitdt des Geldes nur durch absolute Konstanz der Gesamtgeldmenge aufrecht zu erhalten.
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38. E s ist vielleicht nicht ganz uberflussig, an dieser Stelle sogleich hervorzuheben, daB die obigen Behauptungen keineswegs zu den elementaren Grundsatzen der Quantitatstheorie — zumal in der bekannten Formulierung IRVING FISHERS — in Widerspruch stehen. Wir bestreiten namlich iiberhaupt nicht, daB im Falle einer Zu- oder Abnahme des Handelsvolumens ,,T" — insoweit diese nicht von einer entsprechenden Anderung auf der „Geldseite" der FisiiERschen Verkebrsgleichung M. V = E = P . T1 (d. b . also, e n t w e d e r v o n einer ,,Anderung" in der Geldmenge „M" oder aber in der Urnlaufsgeschwindigkeit „V") begleitet wird — das Preisniveau „ P " sich in die entgegengesetzte Riehtung 2 wie das Handelsvolumen andern wird. Allein fur die Frage der Neutralitat bzw. Nichtneutralitat des Geldes ist dieser Tatbestand in unserem Gedankengange keineswegs von entseheidender Bedeutung, weil wir eben nicht schon a priori von der Identifizierung der Begriffe „neutrales Geld" und ,,wertbestandiges Geld" ausgehen. Die Tatsache, daB unter den oben skizzierten Umstanden — Anderung des Handelsvolumens bei gleichbleibender Gesamtgeldmenge — das Preisniveau sich (aller Wahrscheinlichkeit nach 3 ) andern wird, verhindert also nach unserer Auffassung nicht, daB in diesem Falle dennoch die Geldversorgung strikt ,,neutral" sein k a n n , . . . ebensowenig wie etwa in anderen Fallen das Gleichbleiben des Preisniveaus uns eine Gewahr dafiir bieten wiirde, daB keine Inflation oder Deflation vorliegt!
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Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem wir ganz allgemein feststellen, dafi die bisher ubliehe quantitdtstheoretiselie Betrachtungsweise iiberhaupt auf einer anderen Ebene liegt als das Problem der Neutralitdt bzw. Nichtneutralitat des Geldes. Verdankt doch die Quantitatstheorie als solche ihre Existenz iiberhaupt erst dem Bedurfnis, eine Erklarung fur die absolute Hohe bzw. die Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus aufzustellen. Sobald hingegen dieses Preisniveau— bzw. dessen reziproke GroBe, der Tauschwert des Geldes — als solches nicht langer in dem Mittelpunkte des geldtheoretischen Interesses steht (wie dies nach unseren obigen Ausfuhrungen der Fall sein sollte), verlieren samtliche quantitatstheoretischen Satze automatisch zwar nicht an RichtigJceit, jedoch u m so mehr an Bedeutung fur die wesentlichen Fragen der Geldtheorie, darunter in erster Linie fiir das Neutralitatsproblem. Die verschiedenen GroBen aus der FiSHEEschen u n d den etwaigen sonstigen ,,Verkehrsgleichungen" bedeuten uns mithin uberhaupt nicht mehr 1 Die vollstandige FisHERSche Gleichung lautet bekanntlich M . V + M' . V = P . T, worin M' und V die Menge des Uberweisungsgeldes (Bankdepositen), bzw. dessen „spezifische" Umlaulsgeschwindigkeit darstellen. Filr unsere Zwecke genilgt jedoch die obige ,,vereinfachte" Form der Gleichung, in der ,,M" die Summe von M (im engeren Sinne) und M', und „V" das ,,gewogene" Mittel von V im engeren Sinne und V darstellt. Wo weiter in diesem Aufsatze von der FiSHERschen Verkehrsgleichung die Rede ist, wird damit immer diese vereintachte Form gemeint. 2 Nach strenger quantitatstheoretischer Auflassung sogar verkehrt proportional zu der GroBe T; ob letzteres zutriHt oder nicht, kann jedoch in diesem Zusammenhange dahingestellt bleiben. 3 Nur mlt Wahrscheinlichkeit; nicht aber mit GewiCheit, weil eben die Moglichheit existiert, daB zugleich eine kompensatorisch wirkende Anderung in der Umlaufsgeschwindigkeit V stattfindet. DaB dies tatsachlich nicht —• wenigstens nicht notwendig — der Fall sein muB, wird sich erst an einer spateren Stelle unserer Untersuchung herausstellen.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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den Ausdruek ftir die kausal-bestimmenden Momente in dem geldwirtschaftlichen Mechanismus, sondern vielmehr nur noch eine Art von ,,Koordinatensystem", mit dessen Hilfe sioh die wirklich relevanten Erscheinungen der Geldwirtschaft in einer verhaltnismaBig leicht verstandlichen Weise darstellen lassen. (Vgl. hiezu insbesondere auch S. 285ff.) Letzteres gilt sogar auch. mit Bezug auf die Gesamtgeldmenge selbst. Quantitatstheoretisch betracbtet ist namlich in erster Linie deren absolute Hohe (d. b . also die GroBe „M" aus der Verkehrsgleicbung) als kausal bestimmendes Moment des Geldwertes wichtig, wabrend die Neugeldschopfung bzw. die Geldverniebtung nur von Interesse sind, insoweit und weil sie jene GroBe M und durcb diese wieder das Preisniveau beeinflussen. Nach unserem obigen Gedankengang verhalt es sich bingegen geradezu umgekebrt: in erster Linie interessiert uns namlicb die Neugeldscbopfung bzw. Geldverniebtung als solche — eben wegen ibrer Wirkung als „reine Nachfrage" bzw. ,,reiner Nachfrage-Ausfall" — wabrend die zugleich daraus bervorgehenden Anderungen in der absoluten Hohe der Gesamtgeldmenge uns nur von sekundarer, sozusagen symptomatiscber 1 Bedeutung sind. Es liegt bier also wieder einmal eine Art von ,,Akzentverlegung" vor, die, obwobl zunachst rein tbeoretiscber Natur, im weiteren Verlaufe unserer Analyse das Ergebnis auch materiell und praktisch beeinflussen kann. 2
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39. Indessen miissen wir d a s T h e m a der G e l d m e n g e n a n d e r u n g e n j e t z t vorlaufig beiseite lassen, u m u n s zuerst e t w a s eingehender m i t d e r zweiten K a t e g o r i e der unseres E r a c h t e n s n i c h t n e u t r a l e n Ersehein u n g e n — e b e n denjenigen des n e u e n H o r t e n s u n d des E n t h o r t e n s — z u beschaftigen. U n t e r ,,neuem H o r t e n " v e r s t e h e n wir in diesem Z u s a m m e n h a n g eine jede Z u n a h m e , u n d ebenso u n t e r „ E n t h o r t e n " eine jede V e r r i n g e r u n g der , , K a s s e n b e s t a n d e " einer oder m e h r e r e r Einzelwirtschaften, einschlieBlich derjenigen in giraler F o r m , 3 und zwar gleichgultig ob es sich um „voriibergehende" oder um „definitive" Anderungen in der D e r Z u s t a n d , wobei weder neues Grofle jener Kassenbestdnde handelt.i 1 „Symptomatisch": namlich mit Bezug auf den Umfang der in dieser gleichen Grofie stattfindenden Anderungen. 2 In mathematischer Formulierung lieCe sich die Bedeutung dieser Akzentverlegung etwa so ausdriicken, daB es sich bei unserer Auflassung nur um ein Problem der Addition, bzw. Subtraktion, nicht aber um eines der Proportion (im gegebenen Fall zwischen der Geldmenge vor und nach der Anderung) handelt, was bei der quantitatstheoretischen Betrachtungsweise wohl der Fall ist. 3 Dies ist insbesondere CASSEL gegeniiber zu betonen, nach dem — unseres Erachtens durchaus zu Unrecht — nur in dem Fall einer etwaigen Metallhortung von „unangewandtem Gelde" gesprochen werden darf, weil in alien sonstigen Fallen das Geld, eben durch die Vermittlung der Banken, doch wieder irgendwo in der Wirtschait ,,angewandt" wird (vgl. z. B. Viertelj .-Ber. der Skandinaviska Kredit A. B. vom Julil929, S. 43 If.). Diese Auffassung verstofit nach unserer Ansicht gegen den sonst doch auch von CASSEL durchwegs anerkannten Gedanken der ,,Geldschopfung" — bzw. ,,Geldverdoppelung" (siehe unten S. 275 , Anm. 2 ) •— durch die Kreditbanken. * Wir machen also in dieser Beziehung keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der ,,regularen" Kassenhaltung der Einzelwirtschaften und dem ,,Horten" im engeren Sinne. Zwar leugnen wir nicht, daB diese Unterscheidung fur eine Analyse der Vrsachen des neuen Hortens und Enthortens — wie sie insbesondere von HOLTROP (De Omloopssnelheid van het Geld, Amsterdam 1928, Kap. VI und VII) vorgenommen worden ist — von groBer Bedeutung sein kann; jedoch fur die Folgen jener Vorgange, die uns an dieser Stelle ausschlieBlich interessieren, ist jene Unterscheidung unseres Erachtens vollig irrelevant. Diese Folgen treten eben ,,automatisch" ein, gleichgultig auf Grund welcher Motive die einzelnen Hortungs-, bzw. Enthortungsakte vorgenommen werden, und insbesondere gleichgultig, ob das neue Horten nach der Absichi, der betreffenden WirtschaftssubjeMe fur eine kurze oder
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Horten noch Enthorten stattfindet, ist somit identisch mit demjenigen, in dem die nominelle Hohe 1 samtlicher individuellen Kassenbestande genau gleich bleibt; das heiBt also mit dem Zustande, in dem in einem jeden Zeitpunkte (bzw. Zeitspanne) die Einnahmen und Ausgaben einer jeden Einzelwirtschaft einander genau die Waage halten. Insoweit dieser Zustand nicht verwirklicht ist, sind nun, wie wir schon fruher bemerkten, die wirtschaftlichen Folgen dieser Tatsache denjenigen einer Neugeldschopfung, bzw. einer Geldvernichtung, vollstandig dquivalent. Am deutlicbsten zeigt sich dies im Falle des neuen Hortens, wo — genau so wie in dem Falle einer Geldvernichtung — seitens des betreffenden Wirtschaftssubjektes eine ,,Vorleistung", also ein Angebot an Waren oder Diensten stattfindet, wahrend die Entfaltung der entsprechenden kaufkraftigen Nachfrage unterbleibt. Ob letzteres geschieht durch das Zugrundegehen der betreffenden Geldeinheiten oder aber infolge der Tatsache, daB das betreffende Wirtschaftssubjekt es vorzieht, die fur seine Vorleistung erworbenen Geldbetrage in der Tasche 2 zu behalten, ist offenbar fur die funktionelle Bedeutung dieses Vorgangs vollkommen gleichgiiltig; in dem einen wie in dem anderen Fall liegt eben im Sinne unserer obigen Terminologie ein „reiner Nachfrageausfall", also ein an Und fur sich nichtneutrales, deflatorisches Moment vor. Auch der TJmstand, daB, im Gegensatz zu dem Falle der Geldvernichtung, gehortetes Geld vielleicht in einem spateren Zeitpunkte noch verausgabt werden wird, verhindert nicht, daB zunachst — d. h. in der Wirtschaftsperiode, wahrend der das Horten stattfindet •— die ,,SAYsche" Aquivalenz zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage durchbrochen wird, und daB somit in diesem Falle wie in jenem genau die gleiche Kausalkette von Deflationserscheinungen sich abwickeln wird. Werden nachher die gehorteten Geldmengen tatsachlieh wieder verausgabt, dann liegt hingegen eine zweite — diesmal naturlich inflatorische •—• Zerstorung des sodann existierenden neuen Gleichgewichtszustandes 3 vor; wie iibrigens, per analogiam mit unseren obigen Ausfuhrungen, tiberhaupt jeder Akt des ,,Enthortens" •— genau so wie jede Neugeldschopfung — das fiir eine langere Zeit stattfinden soil. Vgl. hierzu auch die Ausfuhrungen VON MICKWITZ', a. a. O. (zumal S. 567) der ebenfalls samtliche Kassenvorrate unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammenzufassen versucht. — A fortiori ist es fur unseren Zweck durchaus gleichgiiltig, ob ein dem Umfange nach unveranderter Kassenbestand fortlaufend aus den gleichen konkreten Geldeinheiten besteht, oder ob fortwahrend „neue" Geldeinheiten hinzukommen und sogleich die ,,alten" wieder verausgabt werden; nach dem iiblichen Wortgebrauch wurde hier aber dennoch im ersten Falle von einem „Horte", im zweiten hingegen von einem „regularen" Kassenvorrat die Rede sein. 1 Die Anderungen in dem Realv/erte der Kassenbestande (im Fall einer Steigerung oder Senkung des allgemeinen Preisniveaus) sind also nach unserer Auffassung fiir die Frage der Neutralitat, bzw. Nichtneutralitat des Geldes ohne direkte Bedeutung; fiir ihre indirekten Folgen siehe §§ 43/44. 2 Dieser Ausdruck ist selbstverstandlich in dem erweiterten Sinne aufzufassen, der auch das Geld ,,bei der Bank" auf Scheck- und Giralkonto mitumfaCt. 3 Es soil mit diesem Ausdruck selbstverstandlich nicht geleugnet werden, daB es auch Situationen geben kann, wo in dem Augenblick, in dem schon wieder ein neuer inflatorischer oder deflatorischer Vorgang stattfindet, noch kein neuer Gleichgewichtszustand zustandegekommen ist; bei dem Beispiel im Texte handelt es sich eben nur um eine idealtypisch vereinfachte Darstellung.
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Auftreten einer ,,reinen Nachfrage", das heiBt also ein inflatorisches Moment bedeutet.
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40. Diese zunachst wohl etwas trivial anmutenden Bemerkungen sind unseres Erachtens dennoch fiir ein richtiges Verstandnis des Neutralitatsproblems von entscheidender Bedeutung. Es geht hieraus namlich unmittelbar hervor, daB eine an und fiir sich rein zeitliche Verschiebung bestimmter wirtschaftlicher Vorgange — eben der Aufschub in der Verausgabung gewisser Geldsummen — den idealtypischen Wirtschaftsablauf der reinen Tauschwirtschaft in einem ganz wesentlichen Punkte zu modifizieren imstande ist. Diese Tatsache laBt sich aueh etwa so ausdrucken, daB dem SAYschen Theorem •—• wie uberhaupt den Analysen der Gleichgewichtstheorien — die in der Naturaltauschwirtschaft allerdings ziemlich selbstverstandliche Hypothese der Simultanitat zwischen Einkommens- (bzw. Kaufhrafts-) Erwerb und Einlcommensverwen dung zugrundeliegt, wahrend diese Hypothese in der Geldwirtschaft im allgemeinen nicht verwirklicht ist ;* oder, mathematisch ausgedriickt, daB fiir das System sirnultaner Gleichungen, das (z. B. nach den Erorterungen WALBAS' und CASSELS) den Wirtschaftsablauf bestimmt, in der Geldwirtschaft ein entsprechendes System „suhzessiver" Gleichungen an die Stelle tritt. 2 Die oben erwahnten zeitlichen Differenzen oder ,,Zeitintervalle" (englisch: ,,Time-Lags") bedeuten mithin nach diesem Gedankengange geradezu den Inbegriff der Nichtneutralitat des Geldes, und die Aufgabe einer neutralen Geldversorgung bestiinde somit in erster Linie darin, diese zeitlichen Differenzen sozusagen zu uberbrucken. Das bedeutete also, wenn schon nicht die tatsachliche Wiederherstellung der Simultanitat zwischen Kaufkrafterwerb und Kaufkraftverwendung, 3 dann doch wenigstens eine derartige Regulierung der Geldversorgung, daB das Endergebnis das gleiche ist, als ob diese Simultanitat uberhaupt nicht zerstort gewesen ware 4 — oder aber, mathematisch ausgedriickt, daB die endgiiltigen Losungen (,,Wurzeln") des jeweils tatsachlich vorliegenden Systems „sukzessiver" Gleichungen rait denen des entsprechenden idealtypischen simultanen Gleichungssystems ubereinstimmen. 1 In verwandtem Sinne u. a. J. F . FEILEN, Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, Berlin u. Leipzig 1923, S. 70ff. 2 Das heiBt daB die unbekannten GroBen aus den Gleichungen einer jeden einzelnen Wirtschaftsperiode — darunter insbesondere die in dieser Periode gehildeten Einkommen! — jeweils als bekannt in das Gleichungssystem der nilchsten Periode hineingehen, und als solche aul die Einkommensverteilung in dieser naehsten Periode einwirken; und zwar ohne daB in dem System als solchem irgendeine Gewahr dafiir vorliegt, daB diese neue Einkommensverteilung (selbst wenn sich ubrigens keine Anderungen in den grundlegenden Daten der Wirtschaft ergeben) der jeweils vorhergegangenen auch nur annaherungsweise entsprechen wird. 3 Den obigen Ausdruck „(Wieder-) Herstellung der Simultanitat" verdankcn wir einer personlichen Anregung Prof. HAYEKS. 4 Es handelt sich hiebei, wohlbemerkt, nur um die Eliminierung der oben erwahnten speziellen Kategorie der Zeitintervalle, keineswegs aber um eine vollstandige Ausschaltung des ,,Zeitmomentes" in dem Wirtschaftsablauf uberhaupt. Insbesondere sind unseres Erachtens sowohl das produktionstechnische „Time-Lag" und der daraus hervorgehende Umstand, daB prinzipiell immer fur die Bedilrfnisse einer spateren Periode produziert werden muB, wie auch das Moment des sogenannten „Disagios" der Zukunftsguter (im Sinne der BoHMschen Zinstheorie) durchwegs zu den nichtwegzudenkenden Elementen der idealtypischen reinen Tauschwirtschaft zu rechnen.
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41. Wie dem aber auch sei, jedenfalls geht aus unserer obigen Analyse unmittelbar hervor, daB, genau so wie eine jede Anderung der Gesamtgeldmenge — und zwar aus genau den gleichen Griinden! — ein jeder Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgang an und fur sich ein deflatorisches, bzw. inflatorisches, d. h. also ein nichtneutrales Moment bedeutet. 1 DaB es in diesem Zusammenhang — wie wir schon eher bemerkten — vollstandig gleichgultig ist, ob Kreditgeld (Noten oder Giralguthaben) oder aber sonstige Geldarten den Gegenstand des Hortens bzw. Enthortens bilden, durfte nach unseren obigen Ausfiihrungen ohneweiters klar sein.2 Etwas schwieriger verstandlich erscheint vielleicht auf den ersten Blick die These, dafl es in dieser Beziehung ebenso gleichgultig ist, ob von den betreffendenHortungs-, bzw. Enthortungsvorgdngen eine Anderung in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes — d. h. in der GroBe „V" aus der „vereinfachten" EiSHERschen Verkehrsgleichung —• ausgelost wird oder nicht. Es liegt hier namlich der Einwand nahe, daB dieser letztere Fall iiberhaupt nicht denkbar ist, weil eben nach einer vielverbreiteten Auffassung 3 einerseits die Umlaufsgeschwindigkeit sich nur andern Jcann, insoweit neues Horten, bzw. Enthorten vorliegt, anderseits aber auch ein jeder Akt des (Ent-) Hortens eo ipso eine Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit impliziert. Dieser Einwand ist unseres Erachtens nicht stichhaltig. Die Begrtmdung dieser These nriissen wir allerdings groBtenteils bis in den nachsten Abschnitt dieses Aufsatzes hinausschieben. 4 An dieser Stelle sei hiezu nur bemerkt, daB wir der iiblichen Auffassung zwar insoweit beistimmen, daB es auch nach unserer Ansicht ganz bestimmte funktionelle Zusammenhange zwischen dem Umfange des (Ent-) Hortens und den Anderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit gibt, daB aber anderseits — wenigstens in Anbetracht der Weise, in der wir die Begriffe des „neuen Hortens" und des ,,Enthortens" definiert haben — diese Zusammenhange unseres Erachtens nicht derart einfach sind, daB das Konstantbleiben der GroBe „V" immer ohneweiters mit dem ,,Nullpunkte" des Hortens, bzw. Enthortens gleichgestellt werden durfte. Vielmehr impliziert sogar nach unserer Ansicht das Konstantbleiben der Umlaufsgeschwindigkeit unter gewissen Umstanden — zumal im Falle einer Anderung in dem Gesamtbetrage der Einnahmen, bzw. der Ausgaben von einer oder mehreren Einzelwirtschaften — notwendigerweise das Auf1 Mit dieser Auffassung entfernen wir uns zum ersten Male in einem wesentlichen Punkte von den Ansichten HAYEKS, der — zumal in seinem Aufsatze liber das ,,intertemporale" Gleichgewicht der Preise im Weltw. Archiv von 1928 (Bd. 28, S. 33ff.) —, werni nicht ausdriicklich, so doch implizite, unter bestimmten Umstanden die Existenz gewisser Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgange als eine Bedingung fiir den neutralen Wirtschaftsablauf voraussetzt, und zwar obne daB gleichzeitig von einer entsprechenden Anderung in der Gesamtgeldmenge die Rede ist. 2 Siehe oben S. 263, Anm. ". 3 Als ein typisches Beispiel dieser Auffassung seien hier nur die Ausfiihrungen HOLTROPS (a. a. O. S. 109ff. und passim) erwahnt. Allerdings ist zuzugeben, daB in den speziellen von HOI/TROP analysierten Fallen diese These im wesentlichen zutreffen durfte; die Wahl seiner Beispiele ist aber unseres Erachtens fiir eine allgemeine SchluBfolgerung in diesem Sinne zu beschrankt. 4 Siehe unten S. 302, zumal Anm. 3 .
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treten bestimmter, im Einzelfalle sogar quantitativ genau zu berechnender Hortungs- und Enthortungsvorgangen (Naheres hiezu unten, S. 300ff., zumal S. 303). Allerdings sind wir, wie schon oben angedeutet, zugleich der Ansicht, daB solche in gewissem Sinne „organisch" bedingte (Ent-) Hortungsvorgange deshalb nicht etwa weniger deflatorisch, bzw. inflatorisch sind als samtliche anderen, mehr ,,willkurlichen" Falle des Hortens oder Enthortens. Im iibrigen verschwinden selbstverstandlich auch hier (ebenso wie im Falle der Neugeldschopfung, bzw. der Geldvernichtung) die nichtneutralen Wirkungen, insoweit an verschiedenen Stellen der Wirtschaf t gleichzeitig —• daB letzteres eine ganz wesentliche Bedingung ist, wird nach dem Obigen hinreichend klar sein! — neues Horten und Enthorten stattfindet; denn in diesem Falle lassen sich eben wieder die beiderseitig unkomplettiert gebliebenen „halben" Tauschgeschafte einander als ,,komplementare Halite" zureohnen. 1 Insoweit kommt es somit auch hiebei schlieBlich nur auf den Betrag an, um den die Gesamtheit der individuellen Kassenbestande in einer Volkswirtschaft zu-, bzw. abnimmt; obwohl auf der anderen Seite auch diesmal wieder (insoweit im Gegensatz zu der quantitatstheoretischen Betrachtungsweise 2 ) die absolute GroBe der in einem bestimmten Zeitpunkte existierenden Kassenbestande — man konnte hier wohl etwa von dem Umfang des „alten Hortens" sprechen — fur den vorliegenden Problemkreis fast vollig irrelevant ist.
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42. Es konnte nun an dieser Stelle allerdings — und zwar nach unserer Ansicht ganz zurecht — ein zunachst sehr schwerwiegend erscheinender Einwand erhoben werden, namlich daB es sich, von dem Augenblicke an, wo man nicht mehr die Anderungen der einzelnen individuellen Kassenbestande, sondern nur noch die Zunahme oder Abnahme der gesamten Kassenbestande in einer Volkswirtschaft in Betracht zieht, iiberhaupt nicht mehr um einen von den Anderungen der Gesamtgeldmenge unabhangigen Vorgang handelt, weil eben die Gesamtgeldmenge in einer Volkswirtschaft offenbar in einem jeden Zeitpunkte mit der Summe ihrer einzelnen Kassenbestande identisch ist. 3 Und wenn man diesen Gedankengang etwa bis in seine letzten Konsequenzen verfolgen wiirde, so konnte sogar die SchluBfolgerung naheliegen, daB die Wirkungen samtlicher oben erwahnten nichtneutralen Vorgange sich am Ende immer vollstandig ausgleichen miissen, weil eben einer bestimmten Zunahme der Gesamtgeldmenge jeweils eine genau gleiche Zunahme der Summe aller Kassenbestande gegemiberstehen miisse und umgekehrt. Mit diesem Einwande scheint also zunachst unsere ganze bisherige Analyse mehr oder weniger in eine Sackgasse zu geraten. 1 2
Selbstverstandlich gilt auch hier wieder der gleiche Vorbehalt wie oben auf S. 259. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die (altere) Gleichung K E Y N E S ' (aus dessen ,.Tract on Monetary Reform") zu erwahnen. In dieser Gleichung —• N (gleich FISHERS M) == P . K —• sollte namlich die GrdBe K den Realwert samtlieher schon existierender Kassenbestande in der Volkswirtschaft darstellen. 3 E. V. MICKWITZ, a. a. O. S. 564, stellt diese Identitat auf Grund einer u. E. nicht ganz zureichender Motivierung in Abrede, hat aber nichtsdestoweniger die Bedeutung der in dem nachsten Paragraphen von uns erbrterten Problemstellung klar durchschaut, wie aus seiner weiteren Analyse deutlich hervorgeht.
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I n der Tat ist zuzugeben, daB aus diesem Grande unseren obigen Ausfiihrungen noch in einem Punkte eine Erganzung •— oder vielleicht eher eine Einschrankung — hinzuzufiigen ist, die dann allerdings auch dazu geniigt, den soeben angedeuteten scheinbaren Widerspruch vollstandig zu losen. Es sollte namlich, was bisher noch nicht geschah, in der obigen Analyse der Existenz einer ganz besonderen Kategorie von Hortungs- und Enthortungsvorgangen Rechnung getragen werden, die sich von den iibrigen ahnlichen Vorgangen dadurch unterscheiden, daB sie nicht als Ursachen, sondern vielmehr nur als Folgen einer (anderweitig verursachten) Inflation, bzw. Deflation aufzufassen sind, und die deshalb auch nicht in dem oben angedeuteten Shine als „kompensierendes" oder „neutralisierendes" Moment gegeniiber diesen anderweitigen nichtneutralen Erscheinungen gelten konnen. Es handelt sich hier namlich um die Vorgange, fiir die D. H. ROBERTSON in seiner bekannten Arbeit ,,Banking Policy and the Price-Level" 1 den Ausdruck „Induced Lacking" — bzw. „Induced Dislaching" — gepragt hat. Um diese beiden Begriffe richtig zu verstehen und ihre Bedeutung fiir das hier vorliegende Problem klarzulegen, ist es allerdings notwendig etwas weiter hinsichtlich der bisher noch kaum von uns beriihrten Frage auszuholen, wieso sich die Wirtschaft nach dem Auftreten inflatorischer, bzw. deflatorischer Vorgange — vorausgesetzt daB diese sich nicht fortwahrend und voneinander unabhangig wiederholen — den jeweils veranderten Bedingungen wieder anpaBt.
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43. Zunachst ist in diesem Zusammenhange zu bemerken, daB ein jeder nichtneutrale Vorgang — gleichgultig ob es sich um eine Anderung der Gesamtgeldmenge oder aber um einen Akt des Hortens oder Enthortens handelt — eine gewisse ,,Spannung" zwischen der Gesamtgeldmenge und dem Geldbedarf der Volkswirtschaft auslost („Geldbedarf der Volkswirtschaft" aufzufassen in dem, nach MISES 2 , einzig verniinftigen Sinne, in dem dieser Ausdruck uberhaupt verwendet werden kann; namlich als die Summe der Kassenhaltungsbedurfnisse aller Einzelwirtschaften). Und zwar kommt diese Spannung bei der ,,Initialentladung" des inflatorischen bzw. deflatorischen Impulses in der Guterwelt nicht etwa sofort wieder zum Verschwinden, sondern sie besteht vielmehr auch nachher fort, prinzipiell sogar in unverminderter Starke. So gelangt z. B. im Falle der Neugeldschopfung — fiir die sonstigen Falle ware der Verlauf analog zu konstruieren — die zusatzliche Geldmenge, indem deren erste Inhaber (seien dies die Goldproduzenten, der Staat oder aber die Kreditnehmer der emittierenden8 Bank) damit als Kaufer von Gtitern oder Dienstleistungen auftreten, in die Kassen der Verhdufer jener Giiter bzw. Dienstleistungen, wodurch deren Kassenbestande bis uber ihre normale Hohe anschwellen. Dadurch wird nun aber diese zweite „Schicht" von Wirtschaftssubjekten —• insoweit diese sich nicht etwa (prinzipiell „zufallig"4) zu neuem Horten in einem entsprechenden Umfange entscheiden — ebenfalls dazu veranlaBt, eine gesteigerte Nachfrage nach irgend1
D. H.
2
L. MISES, a. a. O. S. 112/113 u. 147.
3
ROBERTSON, a. a. O. S. 47 ff.
Mit diesem Ausdruck ist hier selbstverstandlich nicht nur die „Emissionsbank" im engeren Sinne, sondern vielmehr eine jede „geldschopfende" Bank — sei es die Notenbank oder irgendeine der sonstigen Kreditbanken — gemeint. * In der Wirklichkeit ware eine solche Koinzidenz sogar nicht einmal wahrscheinlich!
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welchen 1 sonstigen Giitern oder Dienstleistungen zu entfalten, wodurcb dann aber die Kassenbestande einer dritten Schicht iiber ihren bisber normalen TJmfang binauswacbsen, u n d so fort — wenigstens scbeinbar! — ad infinitum. (Es bilden diese Vorgange sozusagen die „geldtechnische Kehrseite" der bekannten, urspriingbcb zumal von M I S E S 2 * bervorgebobenen u n d beutzutage wobl ziemlich allgemein anerkannten Tatsaohe, daB die Inflationsbzw. Deflationserscbeinungen sicb in aller Eegel nicht auf einmal iiber das ganze Wirtschaftsgebiet bemerkbar maeben, sondern vielmebr im Anfang • immer n u r stellenweise zutage treten u n d sich erst allmahlicb, „wie ein Olfleck", iiber immer weitere Teilgebiete der Volkswirtscbaft verbreiten.) Nacb dieser Betrachtungsweise ist es wobl obne weiteres klar, daB die oben angedeutete „ S p a n n u n g " zwiscben der Gesamtgeldmenge u n d dem ,,volkswirtscbaftlicben Geldbedarf" jedenfalls nicbt auf einmal zum Verscbwinden kommt. Vielmehr erscbeint es sogar zunacbst problematiscb, ob eine derartige Spannung siob iiberbaupt je ausgleieben k a n n u n d nicbt etwa bis in alle Ewigkeit als ein (kumulatives!) Inflations- bzw. Deflationsmoment wirksam bleiben muB, insoweit sie nicbt von einem neuen —• von dem ersten unabbangigen u n d somit prinzipiell ,,zufaHigen" — deflatoriscben bzw. inflatorischen Vorgang neutrabsiert wird. 3 ) Denn wieviele „Handewecbsel" das zusatzlicbe Geld aucb scbon erfabren baben mag, solange nicbt eine oder mebrere Einzelwirtscbaften ibre Kassenbaltung zu vergroBern (also ,,neues H o r t e n " vorzunebmen) gewillt sind, muB immer an irgendeiner Stelle der Wirtscbaft eine Tendenz besteben bleiben, das neue, „uberscbussige" Geld los zu werden — das beiBt, damit eine ubernormale Nacbfrage nacb Giitern oder Diensten zu entfalten —, wabrend umgekebrt im Palle einer Verringerung der Gesamtgeldmenge, der kein freiwilbges Entborten gegeniiberstebt, aucb immer irgendwelcbe Einzelwirtscbaften bestrebt sein werden, ibre zu knappe Kasse zu verstarken u n d somit mit ibrer normalen Nacbfrage n a c b Giitern u n d Diensten zuruckbalten werden.
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Das beiBt: dies alles wiirde so sein, wenn nicbt tatsacblich von den Inflations- bzw. Deflationserscheinungen selbst gewisse Vorgange ausgelost wtirden, die die Tendenz baben, jene „ S p a n n u n g e n " allmabbcb zum Verscbwinden zu bringen. U n d zwar sind diese Vorgange eine direkte Eolge von den im Verlaufe der Inflations- bzw. Deflationsbewegung auftretenden 1 Ob diese Nachfrage sich auf Konsumgiiter oder aut Kapitalgiiter und (in dem letzteren Falle) auf eine Ausdehnung der Betriebsvorrate, auf die Anwendung kapitalintensiverer Methoden, oder endlich auf eine Investierung auCerhalb des eigenen Betriebes richtet, ist in diesem Zusammenhange vollig gleichgultig. Das einzige, worauf es hier ankommt, ist eben die Gesamtheit der Ausgaben in der betreffenden Einzelwirtschaft. Vorausgesetzt wird hier somit nur, daB im allgemeinen nicht etwa der TJmfang des neuen Hortens selbst, sondern vielmehr irgendeine von den sonstigen Verwendungen des „neuen" Geldes in diesem Zusammenhange den „AbschluBposten" der betreffenden Wirtschaftsrechnung bildet. 2 Vgl. hiezu die auf S. 220, Anm. 6 , zltierte Stelle. Es sei in diesem Zusammenhange noch bemerkt, daB mit der im Texte vorgetragenen Auffassung unsere „positive Theorie" beziiglich der Hortungsvorgange sich zugleich erschopft; denn in alien sonstigen Punkten sind unsere Ausfiihrungen eben mit einer jeden Hypothese iiber den TJmfang, bzw. die Richtung des (Ent-)Hortens unter verschiedenen TJmstanden kompatibel. (Naheres hiezu insbesondere auf S. 309/13.) 3 Diese letztere Auffassung dtirfte unseres Erachtens, mehr oder weniger bewuBt, zumal dem Standpunkte der sogenannten ,,Unterkonsumtionstheorien" zugrundeliegen, wenigstens insoweit diese iiberhaupt von einem monetaren Moment (Geldvernichtung oder neuem Horten) ihren Ausgangspunkt nehmen. Vgl. in diesem Zusammenhange u. m. den Versuch zur Fortbildung der MARXschen Geldtheorie durch J . F. FEILEN, a. a. O. S. 45ff. und zumal S. 69ff.
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Geldwertanderungen, denen somit an dieser Stelle zum ersten Male in unserer Analyse eine entscheidende Bedeutung beigelegt wird. 1 Aus diesen Geldwertanderungen geht namlich unter anderem hervor, daB der Eealwert samtlicher bisher existierender Kassenbestande — gerade insoweit diese nominal unverandert bleiben, das heiBt also, insoweit nach unserer obigen Definition kein neues Horten oder E n t h o r t e n stattfindet! — im Falle einer Inflation allmahlich sinkt, bzw. im Falle einer Deflation steigt. An und fur sich kommen freilich die oben angedeuteten Spannungen auch hiermit noch nicht zum Verschwinden. Insoweit jedoch — was zwar nicht immer exakt, sondern doch jedenfalls im grofien und ganzen und auf die Dauer betrachtet zutrifft — der „Geldbedarf" der Einzelwirtsehaften nicht auf einer bestimmten nominalen Hohe fixiert ist, sondern sich im Grunde vielmehr auf das geldliche Aquivalent bestimmter realer Giitermengen bezieht, 2 wird nun aber offenbar der Umfang des neuen Hortens bzw. Enthortens zwar nicht ausschlieBlich, aber doch jedenfalls auch von den jeweils auftretenden Geldwertanderungen mitbestimmt; d. h. also, daB eine irgendwie betrachtliche Senkung des Geldwertes in aller Eegel eine Reihe von neuen Hortungs vorgangen u n d urngekehrt eine merkliche Steigerung des Geldwertes eine Eeihe von Enthortungsa k t e n auslosen wird. Und eben in dem Augenblick, in dem der Umfang dieser Hortungs- bzw. Enthortungs vorgange die gleiche Hohe — jedoch im entgegengesetzten Sinne — erreieht hat als das ursprtingliche Inflations- bzw. Deflationsmoment, ist auch die Spannung zwischen Gesamtgeldmenge u n d Geldbedarf verschwunden, wie uberhaupt sich in diesem Augenblicke die bis dahin noch fortwirkenden nichtneutralen Tendenzen ausgelaufen haben. 3
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44. E s sind n u n eben diese speziellen H o r t u n g s - u n d E n t h o r t u n g s v o r g a n g e — die also ihr E n t s t e h e n in erster Linie d e m W u n s e h e d e r betreffenden Wirtschaftssubjekte verdanken, d e n Bealwert ihrer K a s s e n b e s t a n d e i m groBen u n d g a n z e n u n v e r a n d e r t zu e r h a l t e n — die
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v o n D . H . R O B E R T S O N m i t d e n o b e n e r w a h n t e n Ausdriicken „ I n d u c e d
L a c k i n g " , bzw. „ I n d u c e d Dislacking", bezeichnet w o r d e n sind. DaB diese Vorgange fur d e n Zweck unserer bisherigen Analyse in der T a t n i c h t m i t d e n iibrigen ( „ s p o n t a n e n " 4 ) H o r t u n g s - u n d E n t h o r t u n g s 1 Es diirfte nach unseren obigen Ausfiihrungen vielleicht etwas wundernehmen, daB das Vorhandensein dieser Geldwertanderungen hier ohneweiters vorausgesetzt wird. Demgegenilber ist aber zu erwidern, daB wir (insoweit durchaus der ublichen Auffassung entsprechend) bisher nirgendwo geleugnet haben, daB eine jede Inflation tatsachlich die Tendenz hat, den Geldwert bis unter dasjenige Niveau herabzudriicken, das sich unter sonst gleichen Umstanden ohne Inflation ergeben haben wtirde, und ebenso umgekehrt im Falle einer Deflation. Was wir bestreiten ist vielmehr nur, daB ohne Inflation oder Deflation keine Geldwertanderungen stattfinden konnen, oder mit anderen Worten, dafl der „Nullpunkt" der Inflation immer mit einem Zustande stabilen Geldwertes zusammenfallen mtisse und umgekehrt; und mit diesem Standpunkte ist offenbar die obige Stelle im Texte keineswegs inkompatibel. 2 Die in diesem Zusammenhange relevanten ,,Giitermengen" sind allerdings nach unserer Auffassung von Einzelwirtschaft zu Einzelwirtschaft verschieden und stehen zumal nicht in irgendeiner festen Beziehung zu dem speziellen ,,reprasentativen" Giiterkomplex (nach K E Y N E S : ,,Consumption Unit"), welcher der Berechnung der ,,allgemeinen" Indexzahl zugrundeliegt. Fur den Zweck unserer obigen Analyse ist dies jedoch vollig gleichgultig, weil es sich dabei eben uberhaupt nicht um eine mengenmapige Bestimmung des ,,Induced (Dis)lacking", sondern vielmehr nur um die jeweilige Richtung dieser Vorgange handelt. 3 In AnschluB an die vorhergehende Anmerkung ist hier noch zu bemerken, daB wir die Frage, warm jener Zeitpunkt eintreten wird, bzw. von welchen Faktoren dies abhangig ist, an dieser Stelle nicht zu beantworten versuchen werden. 4 Auch diesen Ausdruck entnehmen wir der oben erwahnten Arbeit D. H. ROBERTSONS. Der von diesem Verfasser verwendete Begriff ,.Spontaneous Lacking" umfaBt aller-
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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vorgangen auf eine Linie gestellt w e r d e n diirfen, ist n a c h d e n obigen Ausfuhrungen wohl ohneweiters e i n l e u c h t e n d ; d e n n obwohl sie keine Ausn a h m e der Regel bilden, daB ein jedes neues H o r t e n oder E n t h o r t e n als solches eine ,,reine N a c h f r a g e " , bzw. einen ,,reinen Nachfrageausfall" b e d e u t e t , stellen sie doch in d e n hier vorliegenden F a l l e n n i c h t e t w a d a s I n i t i a l m o m e n t , sondern vielmehr n u r d e n „ A u s k l a n g " eines Inflations-, bzw. Deflationsprozesses d a r , dessen samtliche n i c h t n e u t r a l e Einfliisse auf die Giiterwelt (bzw. auf d e n Wirtschaftsablauf i i b e r h a u p t ) sich indessen schon ausgewirkt h a b e n . Als , , a u t o n o n i e " n i c h t n e u t r a l e F a k t o r e n k o m m e n m i t h i n , n e b e n d e n Geldmengenanderungen, jeweils n u r die „ s p o n t a n e n " H o r t u n g s - u n d E n t h o r t u n g s a k t e in B e t r a c h t ; u n d n u r m i t Bezug auf diese — u n t e r e i n a n d e r kausal a q u i v a l e n t e n — F a k t o r e n ist unsere obige These aufreeht zu e r h a l t e n , daB, insoweit sie gleichzeitig a n verschiedenen Stellen der W i r t s c h a f t in entgegengesetztem Sinne auftreten, die inflatorischen u n d deflatorischen Tendenzen sich gegenseitig schon a b initio neutralisieren w e r d e n . 1
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E s ist diesen allerdings schon ziemlich langwierigen Betrachtungen schlieBlich noch eines hinzuzufiigen, namlich daB, insoweit — was ja nacli unserer Auffassung des Neutralitatsbegriffes immer moglich ist •— eine tweMmonetar bedingte Geldwertanderung 2 stattfindet, die dadurch ausgelosten etwaigen Hortungs- und Enthortungsvorgange, obwohl diese auf den ersten Blick dem ,,Induced (Dis-)Lacking" durchaus ahnlich sind, dennoch fur unseren Zweck den ,,spontanen" bzw. ,,autonomen" Hortungsund Enthortungsvorgangen zugerechnet werden sollten, weil es sich in diesem Falle eben nicht um die Folgeerscheinungen eines anderweitig verursachten Inflations- bzw. Deflationsprozesses handelt. Oh wir in diesem speziellen P u n k t e vollstandig mit der ROBERTSONSchen Terminologie im Einklang hleihen, diirfte allerdings etwas zweifelhaft erscheinen; 3 jedoch funktionell betrachtet muB auf Grund unserer obigen Analyse der entscheidende Trennungsstrich zwischen den verschiedenen Kategorien des Hortens u n d Enthortens jedenfalls in dem hier angegebenen Sinne gezogen werden. Eine direkte praktische Konsequenz dieser Auffassung ist u. a., daB wir (obwohl wir die ersten sind, die zugeben, daB dieser Begriff des ofteren sowohl theoretisch wie praktisch miBbraucht worden ist 4 !) die Existenz eines selbstandigen Paktors „ Geldbedarf" — und zumal auch die Moglichkeit von ,,spont a n e n " , d. h. aus wcfei-inflatorischen bzw. -deflatorischen Geldwertverschiedings neben dem „spontanen neuen Horten" in dem obigen Sinne auch das ,,Jreiwillige" Sparen (im Gegensatze zu dem sogenannten ,,erzwungenen Sparen" im Falle einer Geldentwertung, wolilr ROBERTSON den Ausdruck ,,Automatic Lacking" verwendet). In unserer obigen Analyse ist selbstverstandlich von diesen beiden letzteren Momenten nicht die Rede. 1 Vgl. hierzu auch die verwandten Remerkungen iiber den Unterschied zwischen ,,Kompensationsmomenten" und ,,Gegenwirkungen" bei E. v. MICKWITZ, a. a. O. S. 573 ff. 2 Das heiBt also eine solche Geldwertanderung, die sich eventuell bei einer (ex hypothesi) neutraler Geldversorgung ergeben konnte; oder, nach der landlauligen Ausdrucksweise, eine „von der Warenseite her" verursachte Geldwertanderung. 3 Aus der von diesem Verfasser gegebenen Definition des Regrilfes „Induced Lacking" geht namlich nicht ganz eindeutig hervor, ob dieser Regriff den im Texte besprochenen (von ROBERTSON selbst in diesem Zusammenhang nur beilaufig erwahnten) Fall mitumfassen soil oder nicht. 4 Insbesondere seitens der Ranking-Schule; siehe oben S. 261. Mit Hezug auf die praktische Bedeutung dieser urid verwandter Auffassungen sei hier nur an die HAVENSTEiNsche Periode in der Leitung der deutschen Reichsbank erinnert.
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bungen hervorgehenden JLnderungen in dieser GroCe — nicht ganz in Abrede stellen konnen. 1
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45. Mit den beiden bisher besprochenen Kategorien — Geldmengenanderungen und neuem Horten, bzw. Enthorten — sind nun nach unserer Ansicht zugleich die Moglichkeiten einer nichtneutralen Wirkung des konkreten Geldes in dem oben dargelegten Sinne vollstandig erschopft. DaB und weshalb die Anderungen in dem Umf ang, bzw. in der Zusammensetzung der Produktion oder des sogenannten „Handelsvolumens" an und fur sich (d. h. insoweit diese Vorgange nicht etwa entweder von Geldmengenanderungen oder von Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgangen begleitet werden) unseres Erachtens keineswegs als nichtneutral zu betrachten sind — namlich weil in diesen Fallen keine „reine" Nachfrage, bzw. „reiner" Nachfrageausfall vorliegt — wurde sehon friiher dargelegt. 2 Genau die gleichen Erwagungen gelten jedoch auch mit Bezug auf etwaige Bevolkerungsvermehrungen oder -verminderungen; sogar in diesem Falle erscheint somit eine entsprechende Anderung der Gesamtgeldmenge vom Standpunkte der Neutralitat des Geldes aus betrachtet nicht ohneweiters als gerechtfertigt. 3 Auf der anderen Seite durften jedoch auch die Verschiebungen zwischen Sparen und Konsumtion — d. h. naturlich insoweit das Sparen nicht etwa die Form des Hortens annimmt — als solche nicht als nichtneutrale Erscheinungen bezeichnet werden; denn auch in diesen Fallen handelt es sich um Vorgange, die sich offenbar genau so gut in einer idealtypischen Naturaltauschwirtschaf t abspielen konnten. Sogar das insbesondere in der letzten Arbeit K E Y N E S ' hervorgehobene Moment, namlich die Divergenz zwischen dem Umfang des Sparens und dem des sogenannten „Investierens" (d. h. der Produktion von Kapitalgiitern) ist unseres Erachtens — wie es auch um die Bedeutung dieses Momentes fur die Frage der Geldwerianderungen bestellt sein mag 4 — im Sinne unserer obigen Definition nicht als ein selbstdndiger nichtneutraler Vorgang zu betrachten; obwohl wir auf der anderen Seite zugeben, daB es zumindestens zweifelhaft ist, ob dieses Moment in einer Wirtschaft, wo im ubrigen die Geldversorgung neutral ware, uberhaupt je eine bedeutende Rolle spielen konnte. 5 Was endlich die Divergenz 1 Der gegenteilige Standpunkt laBt sich unseres Erachtens eben nur aufrechterhalten, solange man von der Voraussetzung ausgeht, daB eine Geldwertanderung ausschlieBlich infolge einer anderweitig verursachten Inflation, bzw. Deflation eintreten kdnne; seitens der Vertreter dieser letzteren Auffassung ist jener Standpunkt oflenbar vollkommen folgerichtig. a Siehe oben S. 260/2. 3 Es ist indessen zuzugeben, daB eine Bevblkerungsvermehrung — zumal wenn diese sich, nach einer gewissen Frist, in einer Vermehrung der Anzahl der Einzelwirtschaften bemerkbar macht — im allgemeinen von neuem Horten, und ebenso eine sinkende Bevolkerungszahl aut die Dauer von Enthortungen begleitet werden wird, genau so wie dies z. B. auch in dem unten noch zu erwahnenden Falle einer Vermehrung oder Verminderung der einzelnen Erwerbswirtschaften infolge einer abnehmenden, bzw. zunehmenden ,,vertikalen" Integration der Betriebe der Fall ist. Insoweit diirfte somit in der Praxis die landlaufige Auffassung, nach der sich der ,,Geldbedarf" der Volkswirtschaft parallel mit der Bevolkerungszahl iindert, wohl im groBen und ganzen zutreffend sein. 1 Diese letztere Frage mochten wir hier, aus Raumrucksichten, dahingestellt lassen. 8 Zumal die Tatsache, daB in diesem Falle die Marktzinsrate sich hochstens nur vortlbergehend von dem Gleichgewichtszinse entfernen konnte, muBte auch in dieser Beziehung
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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zwischen der Marktzinsrate und dem Gleichgewichtszinse im Sinne des WiCKSBLLschen Theorems (siehe oben S. 224ff.) anbetrifft, ist diese zwar zweifellos als eine nichtneutrale Erscheinung zu bezeichnen, jedoch handelt es sich unseres Erachtens auch hiebei nicht um ein den Geldmengenanderungen und den Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgangen selbstandig T&e&ewgeordnetes Moment, sondern vielmehr nur um einen speziellen Aspekt dieser beiden namlichen Kategorien nichtneutraler Vorgange. 46. Um diese letztere Behauptung zu begriinden, miissen wir zunachst etwas genauer andeuten, was wir unter dem Begriffe des „Gleichgewichtszinses" verstehen. Bekanntlich finden sich in den WiCKSELLschen Schriften mit Bezug auf die entsprechenden Begriffe „normaler" oder „naturlieher" Kapitalzins (bzw. „Realzins") mehrere Definitionen vor, von denen es wenigstens zunachst zweifelhaft ist, ob sie alle untereinander kompatibel sind. 1 Als die wichtigsten dieser Definitionen seien hier erwahnt:
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(1.) „ . . . diejenige Eate des Darlehenszinses . . . welche durch Angebot und Nachfrage festgestellt werden wtirde, falls man sich uberhaupt keiner Geldtransaktionen bediente, sondern die Bealkapitalien in natura dargeliehen wlirden."2 (2a.) „ . . . ein Stand der allgemeinen Zinssatze . . . welcher die Preise zu erhalten, d. h. weder aufwarts noch abwarts zu treiben geeignet ist." 3 (2b.) „ . . . eine Hohe der durchschnittlichen Eate des Geldzinses . . . bei welcher das allgemeine Niveau der Warenpreise keine Tendenz mehr hat, sich aufwarts oder abwarts zu bewegen"; 4 und schlieBlich (3.) , , . . . der ZinsfuB, bei welehem die Nachfrage nach Darlehenskapitalien und das Angebot an ersparten Mitteln sich gerade miteinander decken."6
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Von diesen vier Definitionen, von denen 2 a. und 2 b. offenbar untereinander materiell identisch sind, ubernehmen wir die erste als die grundlegende (sozusagen Constitutive") Definition des Begriffes „Gleichgewichtszins" weil hierin am deutlichsten der Zusammenhang mit der idealtypisehen Konstruktion einer „reinen" Tauschwirtschaft zutage tritt. Auch die unter 3. erwahnte Definition ist indessen nach unserer Ansicht mit jener ersten materiell kompatibel. Hingegen ist dies unseres Erachtens nicht ohneweiters der Fall mit Bezug auf die beiden unter 2. zitierten Begriffsbestimmungen; vielmehr ergeben sich gegen deren alternative Verwendung als eine Bremse wirken; insoweit erkennen wir dann auch die zumal von KEYNES selbst hervorgehobene Verwandtschaf t seiner Theorie mit dem WiCKSEixschen Gedankengange an, obwohl wir auf der anderen Seite — ebenso wie HAYEK, Reflections on the Pure Theory of Money of Mr. J . M. K E Y N E S , Economica 1931, S. 279ff. — gegen die Weise, in der dieser Gedankengang von KEYNES im einzelnen interpretiert wird, vieles einzuwenden haben. 1 Vgl. hiezu auch HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, S. 124/125. ;f K. WICKSEIX, Geldzins und Gilterpreise, Jena 1898, S. 93. Im gleichen Satze findet man auch das Wort ,,neutral" verwendet, siehe oben S. 228, Anm. 1. * K. WICKSEIX, Der Bankzins als Regulator der Warenpreise, Conr. Jahrb. 1897, Bd. 68, S. 233. * K. WICKSEIX, Geldzins und Giiterpreise, S. 111. 6 K. WICKSEIX, Vorlesungen uber Nationalokonomie auf Grundlage des Marginalprinzipes (Theoretischer Teil, 2. Bd., Geld und Kredit, Jena 1922), S. 220, nebst Korrektur auf S. 263. 18 Beitrage zur Geldtheorie.
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mit den beiden anderen zunachst die gleichen Einwande, die wir oben (S. 226ff.) gegen die Identifizierung a priori der Begriffe „wertbestandiges" und „neutrales" Geld angefiihrt haben. Aus der ersten Definition geht nun, im Zusammenhange mit unserer obigen Begriffsbestimmung des neutralen Geldes, ohneweiters hervor, da/3 in der Tat eine jede Divergenz zwischen dem wirhlichen Marktzins1 und dem Oleichgewichtszins als eine nichtneutrale Erscheinung zu betrachten ist. Die Analogie mit den schon bisher besprochenen Typen nichtneutraler Vorgange, zumal mit den Erscheinungen der „reinenNachfrage", bzw. des „reinen Nachfrageausfalls", tritt hingegen am deutlichsten im AnschluB an die unter 3. erwahnte Definition WICKSELLS zutage. Wie namlich in den oben von uns betrachteten Fallen die Mchtneutralitat des Geldes sich darin manifestierte, da8 eine kaufkraftige Nachfrage nach Gutern und Diensten entfaltet wurde, ohne daB seitens der betreffenden Wirtschaftssubjekte eine Vorleistung (d. b. ein entsprechendes Angebot) stattfand, so wird in den hier betrachteten Fallen seitens der Notenbanken und den sonstigen Kreditbanken ,,Kapitaldisposition" 2 zur Verfugung gestellt, wahrend der — in einer analogen Situation in der Naturaltauschwirtschaft unbedingt notwendige •— Verzicht von anderen Wirtschaftssubjekten (eben den Glaubigern) auf unmittelbare Konsumtion in entsprechendem AusmaBe fehlt. In genau dem gleichen Sinne wie oben von ,,reiner Nachfrage" (auf den Markten fiir Guter und Dienstleistungen) konnte somit in diesem Falle von ,,reinem Angebot" auf den Kreditmarkten 3 gesprochen werden; wahrend der umgekehrte Fall einer Einschrankung des Zirkulationskredites, wobei also in groBerem Umfange Kredite an die Banken zuriickbezahlt als gleichzeitig neue Kredite von ihnen verliehen werden, sich — ebenso nach Analogie des oben verwendeten Ausdruckes „reiner Nachfrageausfall" — als „reiner Angebotsausfall" auf den Kreditmarkten bezeichnen lieBe. 47. Diese Vorgange sind nun aber nicht etwa von den friiher besprochenen Momenten der Neugeldschopfung, bzw. Geldvernichtung 1 Insoweit von WICKSKLL abweichend, betrachten wir namlich die MarMzinsrate und nicht etwa die Banfczinsrate als das in diesem Zusammenhange entscheidende Moment. Es ergibt sich hiebei allerdings die Schwierigkeit, daB es bekanntlich mehrere Kreditmarkte gibt, deren Zinsraten sich keineswegs immer untereinander parallel bewegen. Und zwar sind die sich in dieser Beziehung ergebenden Divergenzen unseres Erachtens wohl nur zum kleinsten Teile aus dem Vorliegen nichtneutraler Tendenzen zu erklaren. Wir sehen uns daher gezwungen, im Prinzip die Existenz von ebensovielen verschiedenen „Gleichgewichtszinsraten" anzunehmen, als es voneinander getrennte Kreditmarkte gibt. Indessen erblicken wir hierin dennoch keine wesentliche Abweichung von den fundamentalen Grundziigen der WiCKSEixschen Autfassung. 2 Die Verwendung von diesem, bekanntlich der Zinstheorie CASSELS entnommenen Ausdruck impliziert keineswegs, daB wir uns insbesondere zu dieser Theorie — etwa im Gegensatz zu derjenigen BOHM-BAWERKS und den damit verwandten Lehren — bekennen. Es handelt sich hier eben nur um eine kurze schlagwortartige Darstellung des WICKSELLschen Gedankenganges, der unseres Erachtens im Prinzip mit einer jeden der „modernen" Zinstheorien kompatihel ist, nur mit Ausnahme derjenigen, denen •— wie z. B. der SCHUMPETERschen Zinstheorie —• der Zins als ein spezifisch ,,dynamisches" Phanomen gilt, das in einer „statischen" Wirtschaft iiberhaupt zum Verschwinden kommen muBte. 3 Die Verschiedenheit der Kreditmarkte (siehe oben Anm. *) und zumal auch die Unterscheidung zwischen ,,Geldmarkt" und ,,Kapitalmarkt" lassen wir weiter, als prinzipiell von nur sekundarer Bedeutung, auBer Betracht.
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u n a b h a n g i g , sondern i m Gegenteil d a m i t aufs engste verkniipft. Die Moglidike.it einer einseitigen A u s d e h n u n g des K r e d i t a n g e b o t e s in d e m obigen Sinne existiert j a i i b e r h a u p t n u r infolge der „geldschopferischen" M a c h t der K r e d i t b a n k e n ; d e n n insoweit diese n i c h t bestiinde, wiirde off enb a r der U m f a n g des ,,Aktivgeschaftes" jeder einzelnen B a n k (und d e m z u folge a u t o m a t i s c h a u c h der g e s a m t e n B a n k e n ) auf dasjenige ihres „ P a s s i v geschaftes" b e s c h r a n k t bleiben. Mit a n d e r e n W o r t e n w a r e es u n t e r dieser H y p o t h e s e v o n v o r n h e r e i n ausgeschlossen, daB die B a n k e n — e n t w e d e r einzeln oder kollektiv — i h r e n K r e d i t n e h m e r n je m e h r „ K a p i t a l disposition" z u r Verfiigung stellen k o n n t e n als ihnen selbst seitens des P u b l i k u m s iiberlassen w i i r d e ; d. h . also m e h r als eben diejenige Kaufk r a f t m e n g e , auf deren u n m i t t e l b a r e V e r w e n d u n g die D e p o s a n t e n jeweils zu verzichten bereit w a r e n (die „ e r s p a r t e n M i t t e l " i m Sinne der d r i t t e n WiCKSELLschen Definition). DaB hingegen in der Wirklichkeit die B a n k depositen groBtenteils n i c h t a u s in diesem Sinne „ e r s p a r t e n " Mitteln b e s t e h e n — m i t a n d e r e n W o r t e n , daB die D e p o s a n t e n , i n d e m sie „ i h r Geld d e n B a n k e n zur Verfiigung stellen", dennoch auf deren Verwendung selbst nicht zu verzichten brauchen1 •—• ist eben schon einer der Wesensziige des Systems, u n t e r d e m die B a n k e n z u selbstandiger Geld- u n d K r e d i t , , s c h o p f u n g " i m s t a n d e sind (vgl. a u c h d e n A u s d r u c k „ G e l d v e r d o p p e l u n g " , bzw. , 3 e d u p l i z i e r u n g d e r B a n k g u t h a b e n " 2 ) .
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Die Zinsdivergenz als solche dtirfte somit in diesem ganzen Zusammenhange woM eher als eine Folge wie als eine TJrsache der obigen Vorgiinge betrachtet werden; denn die Banken konnten sich ja nie leisten, mit ihrer Sollzinsrate das jeweilige Niveau des Gleichgewichtszinses zu „unterbieten", insoweit nicht ihre Noten bzw. Guthaben von dem Publikum als Geld angenommen wurden u n d mithin in der Wirtsobaft als solches funktionieren konnten. Umgekehrt betrachten wir es jedoch auch nicht als direkt falscb, wenn man etwa die Existenz einer solchen Zinsdivergenz ihrerseits wieder als eine „Bedingung" fiir die geldschopferische Tatigkeit der Banken bezeicbnet. Denn insoweit die letzteren ihre Sollzinsrate jeweils auf (bzw. iiber) dem Niveau des jeweiligen Gleichgewichtszinses festsetzen wurden, konnten ja (kraft der oben unter 3. erwahnten Definition des Begriffes „Gleichgewichtszins") von der gesamten Kundschaft der Banken niemals mehr neue Rredite in Ansprucb genommen werden, als diesen zu eben jener Zinsrate als Spardepositen zuflieBen wurden, weil namlicb das ubrige Teil des — -potentiell naturlich immer vorhandenen — ,,Kreditbedarfes" in diesem Palle durch den ZinsfuB abgeschreckt werden wurde. Alles zusammen betrachtet, hegt somit in der T a t eine gewisse „Wechselwirkung" zwischen Zinsrate, Kreditvolumen u n d TJmfang der Geldschopfung vor; allein die diesbeziighchen Zusammenhange sind im Prinzip keineswegs 1 Insoweit halten wir auch die sogenannte ,,Glaubigertheorie" des Bankkredites —• nach der nicht die Banken selbst, sondern vielmehr die jeweiligen Inhaber ihrer Noten, bzw. Depositen die ,,eigentlichen" Glaubiger der Bankdebitoren seien •— obwohl diese Aulfassung selbstverstandlich in einem gewissen Sinne zutrilft, dennoch fiir etwas irrefiihrend, weil gerade eines der sonst wesentlichen Merkmale des „Glaubigers" (eben der zeitweilige Verzicht aut die unmittelbare eigene Verwendung der kreditierten Summen) im Falle der Bankkreditoren tehlt. a Vgl. zu diesem Ausdruck K. SINGER, Referat iiber „Kreditkreation und Konjunktur", Schr. d. Ver. f. Sozialpol., Bd. 173, II, Miinchen u. Leipzig 1928, S. 319. 18*
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verwiokelter als etwa die Beziefrnngen zwischen Preis, Nachfrage und Angebot auf irgendeinem halbwegs ,,organisierteii" G-titermarkte. Im Grunde handelt es sich ja auoh bier nur um erne ganz elementare Anwendung des Marginalprinzips.
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48. Wie dem aber auch sei, jedenfalls ergibt sich aus den obigen Betrachtungen, daB zwischen den beiden Momenten der Neugeldschopfung und der Erweiterung des Zirkulationskredites — oder, wenn jemand diese Ausdrucksweise vorziehen sollte, zwischen „Geldinflation" und „Kreditinflation" 1 — durchaus enge Beziehungen bestehen. Und zwar ist dies unseres Erachtens nicht nur im qualitativen, sondern zumal auch im quantitativen Sinne der Fall; d. h. das „reine Angebot" auf den Kreditmarkten fangt genau an dem gleichen Punkte an und hort ebenfalls genau an dem gleichen Punkte auf wie die „reine Nachfrage" auf den Markten fur Guter und Dienstleistungen und umgekehrt. Zumal gilt dies unter einem solchen System der Geldversorgung, bei dem das ganze Geld — Noten sowohl wie Uberweisungsgeld — nur auf dem Kreditwege in die Zirkulation, bzw. nur durch Kreditruekzahlung aus der Zirkulation gelangen kann; eine Hypothese, die allerdings nicht nur etwa die direkte Ausgabe von Staatspapiergeld, sondern auch die Neugeldschopfung durch Edelmetallproduktion, bzw. die Geldvernichtung durch industrielle Verwendung des Miinzmetalles ausschlieBt. TJnter dieser Hypothese stellt also tatsachlich eine jede Neugeldschopf ung zugleich ein „reines Angebot" von Kredit dar und bedeutet umgekehrt eine jede Geldvernichtung zugleich einen ,,reinen Angebotsausfall" auf den Kreditmarkten. Gibt es hingegen auBerdem auch noch andere Pormen der Geldschopfung (bzw. der Geldvernichtung), dann erscheint die Beziehung zwischen Geldinflation und Kreditinflation zunachst etwas weniger eindeutig; jedoch selbst dann nriissen sich nach unserer Ansicht die inflatorischen Wirkungen der Neugeldschopfung doch noch wenigstens indirekt auch auf den Kreditmarkten bemerkbar machen und dort ein ,,reines Angebot" hervorrufen, und ebenso umgekehrt im Palle einer Geldvernichtung. Allein in diesen letzteren Fallen laBt sich nicht mehr mit der gleichen Exaktheit nachweisen, daB der ,,Nullpunkt" der Geldinflation und -deflation immer mit dem der Kreditinflation und -deflation zusammenfallen muB. 2 1 Dieses Wort wird hier selbstverstandlich nicht in dem hier und dort iiblichen Sinne verwendet, wo es auch solche Vorgange mitumlaBt, die in unserem Gedankengange iiberhaupt nicht als ..Inflation" zu betrachten sind, wie z. B. die Zahlung der Zinsen oflentlicher Anleihen aus dem Erlos neuer Anleihen. (In diesem Sinne z. B. die beiden Aufsatze V. MILDSCHUHS, ,.Kreditinflation und Geldtheorie", Arch f. Soz.-Wiss. 1924, Bd. 51, S. 714ff., und ,,Kreditinflation und Kreditdeflation in Theorie und Praxis", Zeitschr. f. d. Ges. Staatswiss. 1929, Bd. 86, S. 472ff.; gegen den ersteren Aufsatz, unseres Eracntens ganz zu Recht, H. NEISSER, a. a. O. S. 169/170.) Solange namlich diese neuen Anleihen ihrerseits wieder aus „echten", d. h. freiwittigen Ersparnissen finanziert werden, kann nach unserer Terminologie von einer ..Inflation" iiberhaupt nicht die Rede sein; und in dem gegenteiligen Falle liegt ganz einfach eine Neugeldschopfung, also ein regelrechter Fall der ,.Geldinflation" vor. 2 Nebenbei bemerkt, ergibt sich aus diesen Uberlegungen auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht ein Argument zugunsten einer ausschlieBlich kreditmaBigen Geldschopfung; namlich weil damit die Moglichkeit eines etwaigen Konfliktes zwischen den beiden Neutralitatskriterien von vornherein ausgeschaltet wurde. (Fur ein weiteres und u. E. entscheidendes Argument in diesem Sinne s. unten, S. 354/5.)
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Des weiteren sollte selbstverstandlich neben den Geldmengenanderungen auch in diesem Zusammenhange wieder den Hortungs-, und Enthortungsvorgangen Rechnung getragen werden; und zwar auch dies prinzipiell in vollstandig analogem Sinne wie oben in dem Falle der reinen Nachfrage, bzw. des reinen Nachfrageausfalls auf den Markten der Giiter und Dienstleistungen. Es bedeutet namlich offenbar ein jedes neues Horten nicht nur eine verminderte Nachfrage nach Giitern usw., sondern zugleich auch eine Anspannung — und ebenso ein jedes Enthorten eine Entspannung — auf den Kreditmarkten, und zwar ohne daB diese Erscheinungen in einer wirklichen 1 Anderung der Nachfrage oder des Angebotes nach „Kapitaldisposition" begriindet sind. Das heiBt also, daB unseres Erachtens auch in dieser Beziehung eine Geldmengenanderung solange nicht als ein nichtneutraler Vorgang zu betrachten ist, als diese von einer entsprechenden „spontanen" Anderung in der Hohe einer oder mehrerer individuellen Kassenbestanden begleitet wird, bzw. nur dazu dient, die an und fur sich ebenfalls nichtneutralen Wirkungen jener Vorgange zu kompensieren. Mit anderen Worten, es konnte auch von dem Standpunkte der Kreditmarkte aus betrachtet eine absolute Konstanz der Gesamtgeldmenge — wie dies seinerzeit von H A Y E K befurwortet wurde — nur solange die Neutralitat des Geldes verwirklichen, als eben uberhaupt kein neues Horten oder Enthorten stattfande. Aus alledem geht somit hervor, daB die Divergenz der Zinsraten im Sinne WICKSELLS, bzw. die damit unmittelbar zusammenhangenden mengenmaBigen Anderungen in dem Umfang des Zirkulationskredites, zwar zweifellos als niehtneutrale Erscheinungen zu betrachten sind, jedoch gegeniiber den schon friiher von uns analysierten Momenten der Geldmengenanderungen, bzw. des Hortens und Enthortens keine selbstandige Existenz fiihren.2 Insoweit diese letzteren Momente in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung die Neutralitat des Geldes nicht beeintrachtigen, kann also nach unserer Auffassung auch von einer Kluft zwischen Marktzins und Gleichgewichtszins nicht die Rede sein. 49. Das Ergebnis unserer bisherigen Erorterungen konnen wir somit dahin zusammenfassen, daB das konkrete Geld dann, jedoch auch nur dann, einen nichtneutralen EinfluB auf den Wirtschaftsablauf ausiibt, wenn (erstens) die Gesamtgeldmenge sich andert, wahrend kein ,,spontanes" neues Horten oder Enthorten in dem oben dargelegten Sinne stattfindet; (zweitens) in alien denjenigen Fallen, wo bei wwveranderter Gesamtgeldmenge der Umfang des spontanen neuen Hortens den des gleichzeitig stattfindenden (ebenfalls spontanen) Enthortens iibertrifft oder umgekehrt; und (drittens) immer dann, wenn sowohl eine Anderung 1 Mit „wirklichen" ist in diesem Falle offenbar gemeint: „nichtmonetar bedingten", d. h. also ,,sich aus den jeweiligen Daten der idealtypischen reinen Tauschwirtschaft ergebenden". 2 Es schlieflt dies selbstverstandlich keineswegs aus, dafi jene Erscheinungsform der Nichtneutralitat des Geldes in ihren Folgen eine selbstandige — insbesondere von dem EinfluB des nichtneutralen Geldes auf die Preise unabhangige — Bedeutung fiir den Wirtschaftsablauf haben kann, wie dies im Anfange dieses Aufsatzes (zumal S. 224/5) ausfuhrlicher dargelegt wurde.
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der Gesamtgeldmenge als auch spontanes neues Horten oder Enthorten vorliegt; letzteres jedoch mit Ausnahme derjenigen Falle, wo die Steigerung oder Senkung der Gesamtgeldmenge genau dem Betrage entspricht, um den die Gesamtheit der gleichzeitig stattfindenden spontanen Hortungsvorgange den Umfang der (ebenfalls gleichzeitig und ebenfalls spontan stattfindenden) Enthortungsvorgange iibersteigt, bzw. hinter dieser GroBe zuriickbleibt. Neutral ist hingegen nach unserer bisherigen Analyse das konkrete Geld dann — und zwar auch dies nur dann —- wenn (erstens) die Gesamtgeldmenge unverandert bleibt und gleichzeitig entweder iiberhaupt kein neues Horten und Enthorten stattfindet oder aber der Umfang des spontanen neuen Hortens und der des gleichzeitigen ebenfalls spontanen Enthortens einander genau die Waage halten; und (zweitens) in alien denjenigen Fallen, wo zwar die Gesamtgeldmenge zu- oder abnimmt, jedoch um genau den gleichen Betrag, um den der Umfang der gleichzeitig stattfindenden spontanen neuen Hortungsvorgange den der (ebenfalls spontanen) gleichzeitigen Enthortungsvorgange uberschreitet, bzw. hinter diesem zuriickbleibt. 1 Nach dieser Auffassung bestiinde somit die Aufgabe der Geld- und Kreditpolitik — insoweit einmal angenommen wird, daft deren Zweck die Verwirklichung der Neutralitat des Geldes sein soil — ganz eindeutig in der „Kompensierung der Hortungsdeflation"2 durch entsprechende Neugeldschopfungen, bzw. in der Kompensierung einer etwaigen „Enthortungsinflation" durch eine Geldvernichtung in gleichem Ausmafie.
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50. Dieses Ergebnis stimmt insoweit mit dem der traditionellen quantitatstheoretischen Lehren uberein, daft auch nach unserer Auffassung zur Erfiillung der vorliegenden Aufgabe rein techniseh betrachtet nicht mehr erforderlich ist, als eben eine einfache quantitative Regulierung der Gesamtgeldmenge. 3 Zwar ware es in der Theorie naturlich auch denkbar, das Problem von beiden Seiten zugleich anzufassen, d. h. also neben den Geldmengenanderungen ebenfalls den Umfang des neuen Hortens und Enthortens zu regulieren zu versuchen; jedoch schon eine oberflachliche Betrachtung der mannigfachen Ursachen dieser letzteren Vorgange belehrt uns daruber, daB dies prahtisch eine Unmoglichkeit ware, wenigstens solange man sich nicht etwa (was nach unseren obigen Ausfuhrungen keineswegs in ein Programm der „neutralen" Geldversorgung hineinpassen wurde!) zugleich zu einer weitgehenden planmaftigen Pvegulierung des Wirtschaftslebens iiberhaupt entschlieften wurde. Fur eine einwandfreie Erfiillung der oben umschriebenen Aufgabe ist indessen eine derartige Regulierung der individuellen Kassenbestande keineswegs unentbehrlich; 1 Zusammenfassend lafit sich das Obige auch so ausdriicken, daB das Geld solange neutral ist, als die algebraische Summe der Neugeldschopfungen ( + ) , Geldvernichtungen (—•), „spontanen" neuen Hortungen (—) und Enthortungen ( + ) in der Volkswirtschaft in jedem einzelnen Zeitabschnitt gleich null ist. 2 Diesen Ausdruck entnehmen wir der schon oben erwahnten Arbeit MACHLUPS (a. a. O. S. 121), aul die wir spater —• S. 282H. — noch ausfuhrlicher zuruckkommen werden. 3 Uber das zumal von HAYEK hervorgehobene Problem der „Lokalisierung" der Neugeldschopfung siehe § 9 1 .
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denn offenbar ist es prinzipiell ebensogut moglich, den Umfang des neuen Hortens, bzw. Enthortens jeweils als eine gegebene („unabhangig variable") GroBe zu betrachten und die Aufgabe der Geldversorgung dahin zu beschranken, den Umfang der Neugeldschopfung, bzw. der Geldvernichtung fortlaufend mit dieser GroBe in Einklang zu erhalten. Die ,,technischen" Schwierigkeiten, die sichder Erftillungeiner solchen Aufgabe in den Weg stellen, sind also prinzipiell die gleichen, die sich a u d i bei einer auf die Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus hinzielenden Geldpolitik ergeben wiirden, und die in dem diesbezuglichen Schrifttum bekanntlich wiederholt zur Diskussion gestellt worden sind. Wesentlich neue Probleme liegen somit in dieser Beziehung wohl kaum vor, so daB wir uns im Zusammenhange dieser Arbeit darauf beschranken konnen, uns in jenem Punkte einer der vorherrschenden Lehrmeinungen anzusehlieBen: namlich derjenigen, die — vorausgesetzt, daB dazu bestimmte organisatorische Bedingungen verwirklicht sind — ein quantitatives „Management" der Geldversorgung prinzipiell fur moglich halt. Mit CASSEL, K E Y N E S und den sonstigen Vertretern dieser Auffassung betrachten wir als die geeigneten Organs fur die Durchfuhrung eines derartigen „Management" die Notenbanken in den verschiedenen Landern, eventuell (insbesondere insoweit auf die gleichzeitige Verwirklichung der Neutralitat des Geldes in mehreren Landern, bzw. in der ganzen Weltwirtschaft Wert gelegt wird1) in bewuBter gemeinsamer Zusammenarbeit; als die geeignete Methode zu diesem Zwecke die quantitative Regulierung sowohl der Notenemission wie auch der „Kreation" von Guthaben bei den Notenbanken selbst (von welchen beiden GroBen nach einem bekannten, hier nicht ausfuhrlich zu wiederholenden Gedankengange der Umfang der Geldschopfung durch die sonstigen Banken in letzter Linie immer abhangig ist); und als das geeignete Instrument zur Handhabung dieser Methode die Anderungen in der Diskontrate, die wir, wenigstens im Rahmen der hier vorliegenden Aufgabe, als zu jenem Zwecke hinreichend „effektiv" betrachten. 2 Und zwar sollte die Handhabung dieses Instrumentes im allgemeinen der art stattfinden, daB die unter dessen EinfluB zustandekommende Jfar&teinsrate jeweils dem Gleichgewichtszins im Sinne WICKSELLS entspricht. 3 51. Selbstverstandlich sind wir uns durchwegs bewuBt, daB sich bei einer genaueren Analyse mit Bezug auf einen jeden dieser Punkte zaMreiche weitere Probleme ergeben, zum Teil auch solche, die noch einer befriedigenden Losung barren; 4 jedoch aus den am Anfange dieser Arbeit dargelegten * Wie wir schon oben nebenbei bemerkten, impliziert dies nach unserer Ansicht (insoweit in vollstandiger t)bereinstimmung mit der traditionellen AuHassung) u. a. auch die Stabilitat der intervalutarischen Kurse. 2 Fiir weitere Ausfuhrungen iiber die last beriichtigte Frage nach der „Eifektivitat" des Bankdiskontes erlauben wir uns auf unsere eingangs erwahnte Arbeit in hollandischer Sprache zu verweisen. 8 Es ist indessen zu diesem Zwecke (siehe auch S. 274, Anm. *) nach unserer Auffassung nicht immer notwendig — und sogar nicht immer zweckmaBig — daB auch der Bankdiskont selbst genau dem jeweiligen Gleichgewichtszinse entspricht. 4 So z. B. das schon oben beilaufig von uns gestreifte Problem des ,,multiplen" Gleichgewichtszinses. Ferner zumal auch die nahere Auswirkung von dem schon von WICKSEIX selbst aufgeworfenen Problem der sekundaren Riickwirkungen der Geldwertanderungen
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Griinden ist es uns nicht moglich, uns damit an dieser Stelle ausfuhrlicher zu beschaftigen. Nur zwei Punkte seien in diesem Zusammenhange nooh ganz kurz hervorgehoben, und zwar erstens, daB es nach unserer Auffassung (hauptsachlich wegen der oben dargelegten engen Zusammenhange zwischen dem Problem des neutralen Geldes und dem der neutralen Kreditversorgung) keineswegs gleichgultig ist, durch welche Mittel eine etwaige quantitative Eegulierung der Geldmengenanderungen stattfindet, sondern dafi hierzu vielmehr im Prinzip eben nur die Diskontpolitik •— wo notig durch die sogenannten „Open Market Operations" der Notenbanken unterstutzt 1 — in Betracht kommen kann, wahrend hingegen die eventuellen sonstigen Mittel zum gleichen Zwecke — insbesondere eine naoh anderen Gesichtspunkten als eben dem der freien Konkurrenz um die verfugbare Kreditmenge vorgenommene Bationierung des Kredites •—• im Bahmen einer auf die Neutralitat der Geldversorgung hinzielenden Politik als prinzipiell verwerflich erscheinen. Das heiBt also, daB die Zentralbanken grundsatzlich nur eine quantitative, nicht aber daneben auch noch eine qualitative Kreditpolitik treiben sollten.8 Der zweite und letzte Punkt, den wir in diesem Zusammenhange noch hervorheben mochten, ist der, daB auch nach unserer Ansicht die Moglichkeiten einer effektiven, nach diesen Grundsatzen vorzunehmenden Kreditpolitik innerhalb von zwei unuberwindlichen Grenzen beschrankt sind, namlich eine untere Grenze, die erreicht ware, wenn etwa die gesamte Zirkulation (Noten und Guthaben) der Zentralbanken hundertprozentig durch Metall gedeckt ware (d. h. also, wenn die von ihnen erteilten Kredite, inklusive ihres Besitzes an Wertpapieren und etwaigen sonstigen langfristigen Forderungen, bis auf Null zusammengeschrumpft waren3) und anderseits eine obere Grenze, die in dem Augenblicke erreicht wird, wo der Gleichgewichtszins im Sinne WICKSELLS bis unter den Nullpunkt herabsirikt;i denn in diesem
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auf die Zinsdivergenz, letzteres insbesondere im Zusammenhang mit der auf I. FISHER zuriickgehenden Unterscheidung zwischen der nominellen und der ,.effektiven" (nach der Terminologie FISHERS, die sich in dieser Beziehung von derjenigen WICKSELLS unterscheidet, „realen") Zinsrate. Eine vollkommen befriedigende Losung dieses aufierst komplizierten Problems, das, im Gegensatz zu dem WiCKSELLschen Grundgedanken als solchen, bis tief in die „Finessen" der eigentlichen Zinstheorie hineinfuhrt, liegt unseres Erachtens bisher noch nicht vor. Als eines der bisher noch ungelosten Probleme organisatorischer Art sei hier ferner (beispielsweise) noch die Frage nach der Erwunschtheit einer Zinsvergiitung fiir die Guthaben bei der Zentralbank erwahnt, damit deren „Herrschaft uber den Geldmarkt" — zumal ihre Konkurrenzfahigkeit den privaten Kreditbanken gegenilber — verstarkt werde; in Holland ist diese Forderung insbesondere von G. M. VERRIJN STUART seit langerer Zeit vertreten worden. 1 Im Grunde handelt es sich namlich auch hiebei um eine Regulierung der Marktzinsrate, nur von der Nachfrageseite anstatt von der Angebotsseite her; fiir eine Uberschatzung der selbstandigen Bedeutung dieses Mittels ist daher zu warnen. a In diesem Sinne zumal auch W. ROPKE, Kredit und Konjunktur, Conr. Jahrb. 1926, Bd. 69, S. 281/282; vgl. ubrigens auch unten, § 90. 3 Rein theoretisch ware die Zentralbank vielleicht auch wohl noch uber diese Grenze hinaus imstande, den Kreditmarkt ,,einzuengen", namlich insoweit sie etwa selbst als Kreditnehmerin auftreten und das in dieser Weise enthaltene Geld ,,zinslos" aufspeichern konnte; jedoch ware eine derartige Politik, auf die Dauer betrachtet, sogar fiir eine Zentralbank eine Sache der Unmoglichkeit, weil ihr ja bald die dazu erforderlichen „Mittel" fehlen wiirden. 1 Diese Moglichkeit besteht insbesondere infolge der auf S. 279, Anm. *, erwahnten „Komplikation" des WiCKSELLschen Theorems, d. h. der Ruckwirkung der Geldwertanderungen selbst auf die ,,effektive" Hohe einer bestimmten nominellen Zinsrate. So entspricht z. B. einer in diesem Sinne „effektiven" Gleichgewichtszinsrate von 5% pro Jahr im Falle einer in einem Tempo von 10% pro Jahr fortschreitenden Geldwertsteigerung offenbar ein „nomineller Gleichgewichtszins" von zirka 4 % % negativ (nicht etwa 5 % ; 1,05 denn = zirka 0,955 und nicht = 0,95!).
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letzteren Falle ist es offenbar unmoglich, auf dem Kreditwege irgendwelche weitere Geldmengen in die Wirtschaft j.hineinzupumpen". 1 Von diesen beiden Grenzen ist in der Praxis die letztere weitaus die wichtigste und gewiB heutzutage die aktuellste; denn diese Grenze wird u. E. in weitaus den meisten Depressionsperioden wahrend einer kiirzeren oder langeren Zeit tatsachlich erreicht und bei dem heutigen Zustande der Weltwirtschaft ist dies ganz sicher sohon liingst der Fall.2 Auf der anderen Seite sind wir jedoch der Meinung, daB es, wenn sobon nicht theoretiscb ausgescblossen, so doeb in der Praxis hochst unwahrscheinlich ist, daB diese Grenze je erreicht werden konnte, ohne daft eine Inflationsperiode vorangegangen ware, woraus bervorgebt, daB eine konsequent durcbgebaltene Politik der neutralen Geldversorgung an dieser Klippe wohl kaum je zu scbeitern braucbte. (Nebenbei bemerkt, erblicken wir gerade in diesen tlberlegungen einender wichtigsten Griinde zugunsten der Auffassung, daB eine erfolgreicbe Pobtik zur Bekampfung der Eonjunktursebwankungen nicht in der Baisse, sondern vielmehr bei der „Abbremsung" der Hausse— namlich in dem Augenblicke, wo diese einen inflatorischen Charakter annimmt — anzusetzen bat.)
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52. Bei diesen, wie wir von vornherein zugeben, ganz fragmentarischen Bemerkungen miissen wir es mit Bezug auf die Frage der „technischen" Moglichkeiten einer Politik der neutralen Geldversorgung bewenden lassen. Urn so ausfuhrlicher werden wir uns hingegen mit einer zweiten Frage zu beschaftigen haben, die sich unmittelbar hieran ansehlieBt; namlicb. derjenigen, nach welchen Kriterien die betreffenden Instanzen vorzugehen haben, damit das oben dargelegte „Programm" einer Kompensierung des spontanen neuen Hortens und Enthortens durcb. entsprechende Geldmengenanderungen einwandfrei erfullt werde. Es ergibt sich dabei namlich die ganz wesentliche Schwierigkeit, dafi die Vorgdnge des Hortens und Enthortens als solche sich einer direkten statistischen Erfassung fast vollstdndig entziehen, so daB man sich in dieser Beziehung wohl oder iibel zu irgendeiner Methode der sogenannten, ,symptomatischen" Messung 3 bequemen muB. Im Gegensatz aber zu den traditionellen Lehren, denen in dieser Hinsicht keine wesentlichen Schwierigkeiten erwachsen konnen — weil ihnen eben die Konstanz des allgemeinen Preisniveaus als ein wenigstens annaherungsweise zuverlassiges Kriterium, wenn schon nicht explizite fur die Neutralitat, dann doch fur die „Bichtigkeit" der Geldversorgung gilt — liegt hier nach unserer Auffassung wohl das theoretisch wie praktisch schwerste Hindemis vor, das sich der Verwirklichung einer auch nur annaherungsweise neutralen Geldversorgung 1 Die theoretisch vielleicht vorstellbare Moglichkeit einer negativen GeZdzinsrate betrachten wir namlich fur die Praxis als eine reine Utopie, zumal auch deshalb, weil in einem solchen Falle das Horten offenbar erst recht einen vorher ungeahnten Umfang erreichen wurde. 2 Die Auffassung HAYEKS, nach der sogar wahrend einer Depressionsperiode die Gefahren einer Inflation noch tamer drohender sind als das Umgekehrte (Preise und Produktion S. 117), geht uns somit entschieden zu weit; als das wirkliche Ubel betrachten wir vielmehr die Leichtigkeit, mit der die Wirtschaft in eine Situation hineingeraten kann, in der sozusagen ,,die Deflation sich selbst festgerannt hat". Eben aus diesem Grunde ist unseres Erachtens wahrend einer akuten Depression mit monetaren Mitteln so wenig auszurichten und konnte, wie auch oben im Texte noch einmal hervorgehoben wird, eine monetare Konjunkturpolitik nur wahrend der Hausse mit Erfolg ansetzen; vgl. hiezu auch S. 359. 3 Diesen Ausdruck entnehmen wir BEHRENS, a. a. O. S. 262ff.
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in den Weg stellt. Denn obwohl wir, wie schon oben bemerkt (der exakte Nachweis wird allerdings erst im nachsten Abschnitte erbracht werden konnen), die Geldwertstabilitat — nach welcher Indexziffermethode auch gemessen — in diesem Zusammenhange fiir ein untaugliches Kriterium halten, sind wir zunachst nicht imstande dafiir irgend etwas anderes und besseres an die Stelle zu setzen. Vielmehr sind wir sogar der Meinung, da8 aucb die hier und dort vorgeschlagenen anderweitigen quantitativen Kriterien — wobei zwar nieht auf das Preisniveau, sondern doch (in irgend welcher Kombination) auf die GroBen aus den quantitatstheoretischen Gleichungen Bezug genommen wird — sich bei genauerer Analyse fiir den vorliegenden Zweck als hinfallig erweisen. Selbstverstandlich hiingt auch dies in erster Linie wieder mit unserer schon friiher erwahnten Auffassung zusammen, nach der die Vorgange des Hortens, bzw. Enthortens nicht ohneweiters mit den Anderungen in der „TJmlaufsgeschwindigkeit" des Geldes identisch sind. Der Schliissel zu alien diesen Problemen liegt unseres Erachtens in einer kritischen Uberprilfung des schon vorher erwdhnten Argumentes der „kompensatorischen" Preisdnderungen. Erne diesbeziigliche Untersuchung werden wir im nachsten Abschnitte dieser Arbeit vornehmen; bevor wir uns jedoch dieser Aufgabe zuwenden, erscheint es uns, insbesondere auch mit Rucksicht auf die weitere Problemstellung, zweckmaBig, zuerst noch im kurzen einen Vergleich anzustellen zwischen unseren bisherigen Ergebnissen und denen derjenigen beiden Autoren, die sich unseres Wissens bisher am meisten um das hier vorliegende Problem bemiiht haben und deren Losungsversuche sich am weitesten von der traditionellen Auffassung entfernen.
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53. Wohl am nachsten mit unseren oben dargelegten Auffassungen verwandt sind unseres Erachtens in der bisherigen Literatur diejenigen F. MACHLUPS, den wir schon ofters zu zitieren die Veranlassung hatten und der zumal (wohl mehr als irgendeiner der sonstigen Angehorigen der „neueren Wiener Schule"1) den Hortungs- und Enthortungsvorgangen seine besondere Auf merksamkeit gewidmet hat.2 Allerdings bleibt zwischen der MACHLUPschen Auffassung und der unsrigen insoweit ein Unterschied bestehen, als dieser Verfasser, neben dem neuen Horten, noch zwei weitere Momente anerkennt, die nach seiner Auffassung eine Ausdehnung der Geldversorgung bzw. des Zirkulationskredites rechtfertigen konnen; wobei jedoch auf der anderen Seite zu bemerken ist, dalJ nach unserer Ansicht zumindestens eines dieser beiden Momente (namlich das „Ansteigen der Kassenvorratshaltung"imFalle einer verminderten vertikalenBetriebsintegration)nichts anderes als eben ein Spezialf all des neuen Hortens ist. 3 DaB MACHLUP es fiir notwendig halt, diesen letzteren 1 2
Siehe oben S. 215, Aran. ». Vgl. insbesondere a. a. O. S. 121 ff. ,,Es i s t . . . die Grenze der noch zutraglichen Kreditinflation durch das AusmaB der effektiven Hortungsdeflation bestimmt" usw. (Hervorhebung vom Verfasser). Hingegen spielt der Begrift der „Umlaulsgeschwindigkeit" in der MACHLUPschen Argumentation fast iiberhaupt keine Rolle. 3 Vgl. hiezu a. a. O. S. 124. Auflallend ist in diesem Zusammenhange zumal die gegenteilige Ansicht MACHLUPS mit Bezug auf etwaige Anderungen in der Bevolkerungszahl, die er auf S. 125 ausdrilcklich als ein fiir die Bestimmung der ,,Sollgeldmenge" irrelevantes Moment erwahnt. Die auf der Hand liegende Analogie zwischen diesem und dem im Texte besprochenen Falle, auf die wir schon oben (S. 272, Anm. 3 ) hinwiesen, ist diesem Ver-
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Fall speziell zu erwahnen, beweist somit wohl nur, daB er den Begriff des Hortens bzw. Enthortens etwas enger definiert als wir. 1 Ein weiterer TTnterschied mit unserer Analyse bestebt darin, daB MACHLTJP niobt explizite von dem Grundgedanken des neutralen Geldes ausgebt, sondern zunachst nur die Frage zu beantworten versucht, naob weloben Kriterien die Grenzen einer (konjunkturell betracbtet) ,,ungefahrlichen" Erweiterung des Zirkulationskredites zu bestimmen sind; dieses Problem diirfte jedocb, wie wir an anderer Stelle nocb ausfubrlicber darlegen werden, mit dem des neutralen Geldes in unserem Sinne materiell identiseb sein. Mit diesem Ausgangspunkte MACHLUPS hangt es weiter aueb zusammen, daB in seinen Gedankengangen das KEYNESSche Begriffspaar„Sparen — Investieren" eine groBereKolle spieltals in den unsrigen; in Anbetracbt der Weise, in der MACHLTJP jene beiden Begriffe definiert, erscbeint uns jedocb aucb in diesem P u n k t e eine Syntbese mit unserem Standpunkt durcbaus moglich. 2 — AnlaBlicb des Problems der kompensatoriseben Preisanderungen werden wir noeb weiter auf die MACHLUPsehe Arbeit Bezug zu nebmen baben. Hier sei nur nocb bemerkt, daB die Terminologie dieses Verfassers sicb aucb insoweit von der unsrigen unterscbeidet, daB er das nacb den obigen Kriterien zulassige AusmaB der Krediterweiterung dennocb als , C r e d i t inflation" bezeicbnet, wahrend nacb unserer Definition von einer Inflation erst dann die Eede ist, wenn jene „Zulassigkeitsgrenze" uberscbritten wird. 3
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54. E t w a s weiter als v o n d e n MACHLTjpschen Auffassungen entfernen sich unsere bisherigen Ergebnisse v o n d e n e n H A Y E K S , obwohl wir, wie sich in u n s e r e n obigen Ausfuhrungen wiederholt e r g a b , in der Begrilndung d e n G e d a n k e n g a n g e n dieses Verfassers in m a n c h e r H i n s i c h t n a h e r s t e h e n . W i r b e m e r k t e n schon oben beilaufig, daB H A Y E K in seiner jiingsten Arbeit ,,Preise u n d P r o d u k t i o n " seinen friiheren S t a n d p u n k t , n a c h d e m eine jede Neugeldschopfung Inflation u n d eine jede G e l d v e r n i c h t u n g Deflation b e d e u t e t , wenigstens teilweise preisgegeben h a t ; in d e m Sinne namlich, daB j e t z t a u c h i h m , g e n a u so wie u n s — u n d , n e b e n b e i b e m e r k t , ebenfalls g e n a u so wie der traditionellen q u a n t i t a t s t h e o r e t i s c h e n L e h r e — j e n e These n u r n o c h u n t e r d e m V o r b e h a l t einer ,,Ceteris p a r i b u s " -Klausel gilt. H i n t e r dieser rein formellen U b e r e i n s t i m m u n g zwischen d e m HAYEKschen S t a n d p u n k t e u n d d e m unsrigen verbergen sich indessen g a n z wesentliche materielle Meinungsverschiedenheiten, die sofort a n d e n T a g t r e t e n , w e n n m a n die F r a g e zu b e a n t w o r t e n versucht, welche honhrete Erscheinungen in diesem Zusammenhang als die relevanten „Cetera" zu betrachten sind. Denjenigen, die die N e u t r a l i t a t des Geldes m i t der S t a b i l i t a t des Geldwertes identifizieren, gelten als solche „ C e t e r a " bek a n n t l i c h die beiden GroBen, die, n e b e n der Geldmenge selbst u n d d e m P r e i s n i v e a u , in der FiSHEEschen Verkehrsgleichung v e r t r e t e n sind, fasser offenbar vollig entgangen. •—• Eng verwanctt mit der MACHLUPSchen Aulfassung ist ilbrigens gerade in diesem Punkte diejenige HAYEKS, siehe unten S. 285. 1 Vgl. hiezu insbesondere a. a. O. S. 121, in Zusammenhang mit S. 28/29. AUerdings ist zuzugeben, daB diese Aulfassung des Begriifes ,,Horten" sich mehr als die unsrige mit dem bisher iiblichen Wortgebrauch deckt. 2 Zumal gegen die diesbeziiglichen Ausliihrungen MACHLUPS auf S. 121 der einschlagigen Arbeit haben wir nichts Wesentliches einzuwenden. 3 Wenn uberhaupt je, so ware wohl eben fur jenen Fall einer Ausdehnung des Zirkulationskredites, die von einer gleichzeitigen Hortungsdeflation „gerechtfertigt" wird, anstatt Inflation das heutige Modewort ,.Reflation" am Platze.
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d. h. also erstens das Handelsvolumen „T" und zweitens die Umlaufsgeschwindigkeit „V". Nach unserer oben dargelegten Auffassung kommt hingegen in diesem Zusammenhange ausschlieBlich der Umfang der individuellen Kassenbestande in Betracht (deren Gleichbleiben ja nach unserer Definition mit der Nichtexistenz von Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgangen identisch ist); nach der MACHLTJPschen Auffassung waren es erstens der Umfang der „Horte" (im engeren Sinne) und auBerdem die zwei oben erwahnten weiteren Faktoren, deren Anderungen nach der Ansicht dieses Verfassers den jeweiligen Umfang der „Sollgeldmenge" mitbestimmen. Nach der HAYEKschen Auffassung endlich — d. h. der jetzigen, denn nach dem fruheren Standpunkte dieses Verfassers sollte eben von einer „Ceteris paribus"-Klausel in diesem Zusammenhang iiberhaupt nicht die Rede sein! — kommen als die diesbeziiglichen „Cetera" in Betracht (erstens) die Hohe der Umlaufsgeschwindigkeit V — aus dem Kontext laBt sich schlieBen, daB auch H A Y E K diese GroBe ganz einfach in der FiSHEKschen Weise, das heiBt als den Quotienten zwischen dem Betrage der wahrend eines Zeitabschnittes geleisteten Zahlungen 1 und der Gesamtgeldmenge definiert — und (zweitens) eine GroBe, die H A Y E K als den ,,Koeffizienten der Geldumsatze" 2 bezeichnet und die von ihm naher als „das Verhaltnis zwischen den gegen Geld getauschten Giitern zum gesamten Guterstrom" definiert wird. 3 Obwohl wir nun, wie wir schon wiederholt betonten, vollkommen damit einverstanden sind, daB die These, nach der eine jede Geldmengenanderung einen in- oder deflatorischen Vorgang bedeutet, eine gewisse Einschrankung erfordert, erscheint uns dennoch die Weise, in der diese Einschrankung von H A Y E K in concreto vorgenommen wird, alles eher als einwandfrei. Zumal die Anerkennung, daB der Faktor ,,Umlaufsgeschwindigkeit" als solcher mit zu den in diesem Zusammenhange relevanten „Ceteris" gehort — bzw., was auf das gleiche hinauskommt, die glatte Zustimmung zu der Auffassung, nach der der Effekt einer Anderung jener GroBe V mit demjenigen einer Geldmewg'ewanderung vollstandig aquivalent sei4 — stellt unseres Erachtens eine nicht ganz unbedenkliche Konzession an die „traditionelle", quantitatstheoretisch orientierte Lehre dar. Es ist dies um so auffalliger, weil in der diesbeziiglichen Argumentation H A Y E K S nicht einmal nachzuweisen versucht wird, daB (bzw. wieso) auch im Falle einer Steigerung oder Senkung der Umlaufsgeschwindigkeit eine „reine Nachfrage", bzw. ein „reiner Nachfrageausfall" vorliegt. Weil wir anderseits jedoch wohl kaum annehmen diirfen, daB der Verfasser dieses friiher von ihm selbst wiederholt nachdriicklich betonte Moment 5 in „Preise und Produktion" iiberhaupt aus dem Auge verloren hat, liegt die Vermutung nahe, daB eben auch nach seiner Auffassung die Anderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit mit den Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgangen und umgekehrt der ,,Nullpunkt des Hortens" mit der Konstanz 1 2
F. A. HAYEK, Preise und Produktion, S. 115/116. Ebenda, S. 114. Ebenda, S. 66/67. * Ebenda, S. 116. 6 F . A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, S. 47 fI. und passim. 3
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der GroBe V aus der PiSHEKschen Gleichung identisch sind. (Den Nachweis, daB dies tatsachlich nicht der Pall ist, hoffen wir, wie schon wiederholt bemerkt wurde, im nachsten Abschnitte dieser Arbeit zu erbringen.) Fur den Pall jedoch, daB jene Voraussetzung der HAYEKschen These nicht zugrunde liegen durfte •—• und daB somit von diesem Verfasser anerkannt wird, daB es auch Anderungen der Umlaufsgeschwindigkeit geben kann, ohne daB neues Horten oder Enthorten stattfindet — konnen wir nur wiederholen, daB es unseres Erachtens alles weniger als einleuchtend ist, wieso in einem derartigen Palle 'eine Steigerung der Umlaufsgeschwindigkeit den gleichen Effekt auf den Wirtschaftsablauf haben konnte wie eine Neugeldschopfung. Der einfache Hinweis darauf, daB es im Grunde nicht auf die zahlenmaBige, sondern nur auf die „effektive" (d. h. die zirkulierende) Geldmenge, bzw. auf „die Summe der pro Zeiteinheit geleisteten Zahlungen" ankommt, 1 geniigt dazu nach dem obigen Gedankengang wohl kaum.
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Auch gegen das zweite in diesem Zusammenhange von HAYEK hervorgehobene Moment — die etwaigen Anderungen in dem ,,Koeffizienten der Geldumsatze" — haben wir gewisse Bedenken. Zwar leugnen wir nieht, daB in den auf S. 112ff. von „Preise und Produktion" angefuhrten Beispielen tatsachlich eine vom Standpunkte der Neutralitiit des Geldes aus anzuerkennende Anderung in dem „Geldbedarf der Volkswirtschaft" vorliegt; jedoch dies ist nach unserer Auffassung einzig deshalb der Fall, Weil eben in diesen Beispielen ganz unzweideutig die Existenz von neuem Horten bzw. Enthorten in dem oben von uns definierten Sinne angenommen wird! TJnd zwar handelt es sich hierbei — auffalligerweise — gerade um solche Falle des (Ent-) Hortens, in denen tatsachlich die Umlaufsgeschwindigkeit „V" unverandert bleibt oder doch wenigstens prinzipiell unverandert bleiben kann.3 Insoweit durfte mithin die HAYEKsche Auffassung schlieBlich wohl doch noch mit der unsrigen kompatibel erscheinen: namlich insoweit man etwa nachweisen konnte, daB jener Tatbestand (Horten oder Enthorten bei unveranderter Umlaufsgeschwindigkeit) gerade nur dann moglich sei, wenn der ,,Koeffizient der Geldumsatze" sich andert, oder mit anderen Worten, daB das gleichzeitige Unverandertbleiben der beiden von HAYEK anerkannten ,,Cetera" tatsachlich immer mit dem „Nullpunkte" des Hortens und Enthortens zusammenfallen musse. Im Verlaufe unserer nachfolgenden Analyse wird sich indessen ergeben, daB in der Wirklichkeit auch dies nicht immer der Fall zu sein braucht. 55. Im Interesse einer leicht ubersichtlichen Darstellung der obigen Ausfuhrungen empfiehlt es sich vielleicht, deren Ergebnisse noch einmal kurz in der algebraischen Symbolensprache der quantitatstheoretischen Gleichungen zu „ubersetzen". Der Ausgangspunkt hiezu bildet die schon mehrmals erwahnte Pormel M . V = E = P . T, in der diesmal -— nach quantitatstheoretischer Auffassung in Abweichung von der Wirklichkeit! — nicht das Preisniveau P, sondern vielmehr die Geldmenge M als die „unbekannte" GroBe betrachtet wird. (Es rechtfertigt sich dieses Vorgehen dadurch, daB es sich hier eben um die Bestimmung der „Soll1
,,Preise und Produktion", S. 115. Setzt man hingegen in diesem Falle eine „entsprechende" Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit voraus, dann kann man unter Umstanden gerade hier zu dem Ergebnis kommen, daB kein neues Horten oder Enthorten vorliegt. a
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geldmenge" handelt: d. h. also urn die Frage, welche Hohe, und insbesondere welche Anderungen dieser GroBe M unter verschiedenen Umstanden erforderlich sind, damit jeweils die Neutralitat des Geldes erhalten bleibt.) Die Anhanger der „Stabilisierungsschule" — d. h. diejenigen Autoren, denen die Neutralitat des Geldes und die Konstanz des Preisniveaus als identisch gelten •—• beantworten jene Frage bekanntlich dahin, daB P stabil bleiben solle (also P = c 1 ), 1 woraus somit die Forderung hervorgeht, daB M sich sowohl proportional zu T wie verkehrt proportional zu V andern solle I Jf ^> -^ ). Nach der friiheren Auffassung
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hingegen sollte ganz einfach M unverandert bleiben, gleichgultig ob V oder T oder beide sich andern oder nicht (also M = c 2 ); nach der jetzigen Ansicht dieses Verfassers gilt letzteres indessen nur noch mit Bezug auf die Anderungen in T, hingegen soil eine jede Anderung in V von einer verkehrt proportionalen Anderung in M begleitet werden (Jkf .—' ^=. J,
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was offenbar darauf hinauskommt, daB das Produkt M . V = E (d. h. also die Summe der pro Zeiteinheit geleisteten Zahlungen) konstant zu bleiben habe (also E = c3). Diese letztere Formulierung ist allerdings noch insoweit zu korrigieren, daB nach H A Y E K auBerdem auch die Anderungen in dem „Koeffizienten der Geldumsatze" durch eine entsprechende Anderung in M (bzw. in E) begleitet werden sollten, welcher Zusammenhang sich jedoch ohne Zuhilfenahme weiterer Symbole nicht ausdriicken laBt. 2
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In AnsohluB an die obige Gleichung laBt sich ubrigens noch eine zweite3 aufstellen, die sich von der ersten dadurch unterscheidet, daB sie nicht die Gesamtheit aller wahrend eines bestimmten Zeitabschnittes stattfindenden Tauschakte, sondern vielmehr nurdiejenigenumfaBt, bei denen Einkommensteile verausgabt und Konsumguter (inklusive „konsumtiver" Dienstleistungen) dafiir eingetauscht werden.4 An die Stelle der FiSHEEschen GroBe E (,,Expenditure") tritt sodann die Summe der Gelieinkommen pro Zeiteinheit — filr die man etwa I („Income") schreiben konnte — und an die Stelle von V eine GroBe, die von SCHUMPETEE 5 und sonstigen Autoren (darunter auch HOLTROP 6 ) als die „Effizienz" des Geldes, bzw. von PIGOU 7 als dessen „Income Velocity" bezeichnet worden ist und fur die wir die Schreibweise F vorschlagen mochten. (Diese GroBe laBt sich, analog mit der FiSHERschen Definition von V, wohl am einfachsten bestimmen als der Quotient von I und M, wobei M die gleiche GroBe wie in der ersten Gleichung, namlich die Gesamt1 Mit „c,", ,,c 2 " usw. sind hier einfach konstante GroBen gemeint, deren absolute Hohe fiir unsern Zweck offenbar gleichgultig ist. 2 Auch mit Hilfe der im Texte in der Folge analysierten zweiten Formel gelingt dies nur teilweise; vgl. jedoch Anm. 4 auf der nachsten Seite. 3 Vielleicht wohl auch drei oder noch mehrere, die uns hier aber weniger interessieren. 4 In diesem Sinne zumal J. SCHUMPETER in seiner bekannten Arbeit ,,Das Sozialprodukt und die Rechenpfennige", Arch. f. Soz.-Wiss., Bd. 44 (1917/1918), S. 627ff., zumal S. 675. 5 A. a. O. S. 667 ff. 6
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HOLTROP, a. a. O.
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' A. C. PIGOU, a. a. O. (Industrial Fluctuations), Ch. XV, Par. 7.
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geldmenge, darstellt. 1 ) SchlieBlich t r i t t a n die Stelle des „ H a n d e l s v o l u m e n s " T die Summe der Realeirikommen in der Volkswirtschaft pro Zeiteinheit, d. h. also die jeweils verfugbare K o n s u m g u t e r q u a n t i t a t „Q"2 u n d a n die Stelle von P (dem ,,allgemeinen" Preisniveau samtlicher gehandelter Guter u n d Dienstleistungen) das spezielle Preisniveau der Konsumgiiter, zu bezeichnen als , , P j " . 3 Die in dieser Weise modifizierte Gleichung lautet somit M .F=I = Pf.Q. Mit der Frage nach den exakten Beziehungen zwischen diesen GroBen u n d denen der urspriinglichen FiSHERschen Gleichung 1 konnen wir u n s a n dieser Stelle leider nicht weiter besebaftigen. E s bandelt sicb bier j a nur d a r u m zu erwahnen, daB es neben den Anhangern einer Stabilisierung von P bzw. E aucb solcbe gibt, die einer Stabilisierung von Pi oder gar von I d a s W o r t reden u n d denen somit nicbt T u n d V, bzw. V allein, sondern vielmebr entweder Q u n d T oder aber T allein als diejenigen „ C e t e r a " gelten, bei deren Anderung eine entspreobende Zu- oder A b n a b m e in der Gesamtgeldmenge M erf orderlicb ware. —• SchlieBlich gibt es auch noch eine weitere A b a r t dieser Lehrmeinungen, die dabin gebt, daB nicbt etwa der Gesamtbetrag (engl. ,,aggregate") der Geldeinkommen I, sondern vielmebr das durchsehnittliohe Geldeinkommen pro Kopf der Bevolkerung (bzw. der erwerbstatigen Bevolkerung) den Gegenstand der Stabilisierung bilden soil, d. b . also — wenn m a n die einschlagige Bevolkerungszahl durch B vorstellt — daB der Quotient ( I : B) k o n s t a n t zu bleiben habe. 8 Nach dieser Auffassung ware somit neben F — in diesem Palle selbstverstandlich nicht F u n d 8 beide! — auch B zu den ,,Ceteris" in dem schon ofters erwahnten Sinne zu rechnen. (DaB u n d weshalb jedoch auch dies nach unserer Ansicht nicht zutreffend ware, wurde schon oben auf S. 272 dargelegt.)
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1 In diesem Sinne ausdriicklich HOLTROP, a. a. O. S. 112. SCHUMPETER, a. a. O. S. 665 (f. verwendet eine etwas andere Methode, indem er sowohl das gehortete wie das in der „Kapitalsphare" zirkulierende Geld von der GroBe M ausschlieBt. Er findet also fiir die „Effizienz" „U" (in seiner Terminologie gleichbedeutend mit ,,Umlaulsgeschwindigkeit") im Einzelfalle einen anderen konkreten Wert als HOLTROP und wir. Das Produkt „M . F" (nach unserer Schreibweise) ist aber jedenfalls mit dem ScHUMPETERschen Produkt ,,M . U" identisch und bezeichnet in beiden Fallen die Einkommenssumme pro Zeiteinheit (also ,,E" nach der ScHUMPETERschen, ,,I" nach unserer obigen Schreibweise). Vgl. zu der erwahnten Arbeit SCHUMPETERS zumal auch G. HABERLER, Kritische Bemerkungen zu SCHUMPETERS Geldtheorie, Zeitschr. I. Volkswirtsch. usw., N. F . Bd. IV (1924), S. 647 H. 2 Bei der genaueren Delinierung, bzw. der numerischen Berechnung dieser GroBe ergeben sich selbstverstandlich alle die gleichen prinzipiellen Schwierigkeiten, die in der FiSHERSchen Gleichung dem Begrifl des ,,Handelsvolumens" anhaften, und die bekanntlich zugleich auch den Kern des Problems der Indexzahlen bilden. Fiir weitere Ausfiihrungen zu diesem Punkte fehlt uns hier der Raum; vgl. hiezu insbesondere G. HABERLER, Der Sinn der Indexzahlen, Tubingen 1927, passim. 3 Auch diese GroBe ist selbstverstandlich im Grunde von der Wahl der einschlagigen „reprasentativen" Gutermenge ( K E Y N E S ' ,.Consumption Unit") abhangig. 1 Insbesondere konnte uns in diesem Zusammenhange der Quotient (E :I) — nach dem Obigen offenbar gleich dem Quotienten (V: F) — interessieren. Es ist namlich diese GroBe eng verwandt mit dem HoLTROPSchen sogenannten ,,Differenzierungskoeffizienten", d. h. die mittlere Anzahl der selbstandigen Unternehmungen in dem ,,vertikalen" Produktionsaufbau (HOLTROP, a. a. O. S. I l l if.). Die Identitat zwischen diesen beiden GroBen ware sogar vollstandig, wenn man unter E nicht etwa die Summe aller Zahlungen pro Zeiteinheit verstehen wurde, sondern nur derjenigen, die (nach der Terminologie KEYNES') der,,Industrial Circulation" im Gegensatz zu der ..Financial Circulation" angehoren. Anderseits besteht aber auch eine enge Verwandtschaft zwischen dieser HoLTROPschen GroBe und dem oben erwahnten HAYEKschen ,,Koeffizienten der Geldumsatze"; das fehlende Verbindungsglied zwischen diesen beiden ware unseres Erachtens die mittlere ,,technisclie" Stufenzahl der Produhtion (eventuell zu bezeichnen als der ,,Koeffizient der Kapitalintensivitat"), die sich indessen mit Hilfe der bisher verwendeten Symbole nicht darstellen laBt. 5 Vgl. zu diesen letzteren Varianten u. a. G. HABERLER, a. a. O. (,,Indexzahlen" S. 103 ff. insbesondere S. 110.
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56. Durch weitere Kombinationen dieser verschiedenen Elemente lie Ben sich nun eventuell wohl auch noch andere GroBen finden, die mit mehr oder weniger Recht entweder als Gegenstand einer Stabilisierung oder aber als MaBstab fur die Anderungen der Sollgeldmenge in Betracht kommen konnten. Jedoch fiir den Zweck unserer Untersuchung sind alle diese Varianten obne Ausnahme nur von untergeordneter Bedeutung, weil unsere Ansicbten sich eben in dieser Hinsicht prinzipiell von der quantitatstheoretischen Betrachtungsweise iiberhaupt unterscheiden. Das Ergebnis unserer nachfolgenden Analyse gebt vielmehr dahin, daB keine einzige von den oben erwahnten GroBen und ebensowenig irgendeine daraus zu bildende Kombination den adaquaten Ausdruck darstellen kann fiir die unseres Erachtens in diesem Zusammenhange einzig relevanten Vorgange des neuen Hortens und Enthortens; oder mit anderen Worten, daB das von den GroBen aus der FiSHEBschen Verkehrsgleichung gebildete ,,Koordinatensystem" — sogar wenn darin samtliche soeben erwahnten Verfeinerungen angebracht sind — dennoch nicht ausreicht, um den „geometrischen Ort" der Neutralitat des Geldes eindeutig zu bestimmen. I n concreto ist das Beweisthema des nachsten Abscbnittes also dieses, daB es in der Wirtschaft — und zwar nicht nur ausnahmsweise, sondern vielmehr ganz regelmaBig! — Falle geben kann und auch tatsachlich gibt, wo weder die Konstanz des allgemeinen Preisniveaus P noch diejenige des ,,speziellen" Preisniveaus Pi noch auch die Konstanz von M, E, I, (I: B) oder irgendeiner anderen der oben erwahnten GroBen ein zuverlassiges Kriterium fiir die Neutralitat der Geldversorgung darstellt. Speziell mit Bezug auf die Preise gehen wir sogar so weit, daB unseres Erachtens nicht nur etwa das durchschnittliche Preisniveau, sondern vielmehr auch die Anderungen in dem gesamlen Preissystem, unter welchem Gesichtswinkel auch betrachtet, zu dem Problem der Neutralitat bzw. Mchtneutralitat des Geldes iiberhaupt nicht in irgendeinem eindeutigen funktionellen Zusammenhang stehen; d. h. mit anderen Worten, daB im Prinzip ein jedes denkbare ,,Verhalten" (engl.-amerik.: ,,Behaviour") des Preissystems an und fiir sich sowohl mit einer neutralen wie mit einer nichtneutralen Geldversorgung kompatibel sein kann. Um diese These zu motivieren, werden wir, wie schon wiederholt erwahnt, hauptsachlich von dem angeblichen „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen", bzw. der darauf in der bisherigen Literatur vorliegenden Kritik, unseren Ausgangspunkt zu nehmen haben. Vierter
Abschnitt.
Das angebliche „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen" und dessen Widerlegung. 57. Unter dem Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen verstehen wir, wie schon friiher kurz angedeutet wurde, den in der wirt-
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schaftstheoretischen Literatur wiederholt vertretenen Gedankengang, nach dem eine niehtmonetar bedingte Anderung des durchschnittlichen Preisniveaus deshalb eine Sache der Unmoglichkeit sein soil, weil — insoweit sich „auf der Geldseite nichts andert" — eine Steigerung oder Senkurig einzelner Preise notwendigerweise immer von einer entgegengesetzten („kontraren") 1 Anderung in den ubrigen Preisen kompensiert, bzw. „neutralisiert" 2 werden muB. Die Bedeutung und Tragweite dieser Argumentation laBt sich, wenigstens fur unsere Zwecke, am besten klarlegen, indem wir zunachst deren Gegenstiick, namlich die Lehre, die wir als diejenige der ,,kumulativen" Preisanderungen bezeichnen mochten, ins Auge fassen. Es handelt sich hier um einen Gedankengang, der sich in der wissenschaftlichen Literatur wohl hauptsachlich bei den Vertretern der alteren — insbesondere der mehr oder weniger marxistisch gefarbten — Konjunkturtheorien (wie z. B. M. TUGAN-BARANOWSKY und M. BOTTNIATIAN) vorfindet, der aber anderseits zumal in der sogenannten „Vulgarokonomie" bis auf den heutigen Tag eine nicht zu unterschatzende Rolle spielt und in dem bekannten Satze ,,Hat der Bauer Geld, so hat's die ganze Welt" sogar einen schlagwortm&Bigen Ausdruck gefunden hat. Nach dieser Lehre hatte eine jede Preissteigerung oder Preissenkung einzelner Guter die Tendenz, die Preise aller sonstigen Guter nach der gleichen Bichtung hin in Mitleidenschaft zu Ziehen, und zwar ohne daB man zur Erklarung dieses Vorganges irgendeines spezifisch-monetaren Momentes bediirfte. Ein beliebtes Beispiel bilden den Vertretern dieser Auffassung — wie schon aus dem oben zitierten Schlagworte hervorgeht — insbesondere diejenigen „Preiswellen", die angeblich von den Preissteigerungen, bzw. Preissenkungen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse infolge abnormaler Ernteschwankungen ihren Ausgangspunkt nehmen sollen. Der Mechanismus, mittels dessen eine derartige „kumulative" Preisbewegung zustande kommt, soil im einzelnen, nach einem fur diese Auffassung typischen Gedankengange, 3 etwa in der Weise funktio1 Der Ausdruck „Gesetze der kontraren Preisbewegung" wird in diesera Sinne u. a. von E. v. MICKWITZ, a. a. O. S. 582 verwendet, leider ohne weitere Quellenangabe; der Gedankengang selbst, von dem Worte abgesehen, ist allerdings hinreichend bekannt! 2 Der Ausdruck ,,neutralisieren" bezieht sich hier selbstverstandlich nicht auf unseren spezitischen Begriff der „Neutralitat" des Geldes, sondern ausschlieBlich auf die Bedeutung der einzelnen Preissteigerungen und -senkungen fur die Anderungen der durchschnittlichen Preisindexzahl. Um jegliches MiBverstandnis in dieser Beziehung zu vermeiden, werden wir uns indessen zu diesem Zwecke von hier an ausschlieBlich der Ausdrucke ,,kompensieren", bzw. ,,kompensatorisch" bedienen. 3 Weil es sich im Zusamrrienhange dieser Arbeit keineswegs um eine dogmenhistorisch vollstandige Darstellung der betreffenden Lehre und ihrer verschiedenen Varianten handelt, sondern vielmehr nur darum, fur die ubersichtliche Darlegung der entgegengesetzten Argumentation einen geeigneten Ausgangspunkt zu gewinnen, dtirfte an dieser Stelle die Wiedergabe der betreffenden Lehre in einer ziemlich rohen und primitiven Form genugen; dies um so mehr, weil es sich fur uns im Grunde eben nicht um die Widerlegung dieser Lehre selbst, sondern vielmehr um die der entgegengesetzten Ansicht handelt. Es sei somit von vornherein zugegeben, daB die betreffende Auffassung in ihren verfeinerten Varianten —- so z. B. in der Form, in der sie von M. BOUNIATIAN vorgetragen worden ist — keineswegs den elementaren Einwiinden ausgesetzt ist, von denen auf der nachsten Seite des Textes die Rede ist, ja sogar daB sie in dieser letzteren Form zu einem betrachtlichen Teile zutreffend sein dtirfte (vgl. hiezu naher S. 329, Anm. 1 ).
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nieren, daB z. B. die „primare" Preissteigerung der landwirtschaftlichen Produkte im Falle einer MiBernte — wobei (wegen der im allgemeinen unelastischen Natur der Nachfrage nach den betreffenden Giiterkategorien) anzunehmen sei, daB die Preissteigerung pro Einheit proportional starker sein werde als die mengenmaBige Verringerung des Produktes — eine erhohte „Kaufkraft" der Landwirte zur Folge habe, und daB dadurch eine verstarkte Nachfrage nach industriellen Produkten usw. ausgelost werde. Daraus soil dann angeblich eine ,,sekundare" Preissteigerung auf den Markten dieser anderweitigen Giiter entstehen, wodurch auch die Kaufkraft ihrer Produzenten, bzw. Verkaufer sich erhohe, was wiederum eine Preissteigerung weiterer Gxiterkategorien zufolge haben miisse; und so fort, bis am Ende die Preiserhohung sich iiber samtliche Gebiete des Wirtschaftslebens erstreckt habe. Im Falle einer uberfliissigen Ernte, wo die Preise pro Einheit der landwirtschaftlichen Erzeugnisse proportional starker sinken als die mengenmaBige Steigerung des Produktes, und wo somit die Kaufkraft der Landwirte als ganzes sich verringert, soil hingegen ein entsprechender ProzeB sich in die umgekehrte Richtung abspielen. Genau der gleiche Gedankengang, nur ohne die ausdriickliche Erwahnung einer Ernteschwankung als des Initialmoments der „primaren" Preissenkung, wird bekanntlich auch von TUGAN verwendet, zumal an der Stelle, wo er die Moglichkeit einer sich aus partiellen "Oberproduktionen ergebenden ,,allgemeinen "Dberproduktion" darzulegen versucht, 1 wobei er allerdings hervorhebt, daB ein solcher Vorgang nur in der Geldwirtschaft, nicht aber in der Naturalwirtschaft denkbar sei.2 Fur den Zweck unserer spateren Analyse ist hiebei insbesondere festzuhalten, daB auch TUGAN bei seiner diesbeziiglichen Argumentation von der Voraussetzung ausgeht, daB die Nachfrage nach dem Gute, dessen Preis zuerst sinkt, relativ unelastisch sei; das heiBt also, daB die Senkung des Preises pro Einheit dieses Gutes proportional starker sei als dessen mengenmaBige Vermehrung. 58. DaB jener Gedankengang, wenigstens in der hier vorgetragenen noch ziemlich primitiven Form, 3 ganz wesentliche Irrtumer enthalt, braucht an dieser Stelle wohl kaum ausdriicklich hervorgehoben zu werden. 4 Der wichtigste und sofort auf der Hand liegende Einwand ist bekanntlich der, daB bei der obigen Argumentation vollstandig versaumt wird, gegeniiber dem Kaufkraftzuwachs bei den Produzenten, bzw. Verkauf ern der in Preis erhohten Giiter — im gegebenen Fall der Landwirte — auch den Kaufkraftentgang auf der Seite der Konsumenten eben 1 M. TUGAN-BARANOWSKY, Studien zur Theorie und Geschlchte der Handelskrisen in England, Deutsche Ausg. Jena 1901, S. 9/11. 2 Vgl. hiezu S. 294, Anm. 2. 3 Vgl. Anm. * auf der vorhergehenden Seite. 4 Eine ubersichtliche Darstellung der Einwande gegen die TuGANSche und die damit verwandten Lehren uberhaupt findet man u. a. bei L. MIKSCH, ,,Gibt es eine allgemeine tJberproduktion ?", Jena 1929, und R. STUCKEN, „Theorie der Konjunkturschwankungen", Jena 1926. Zumal auf die letztere Arbeit werden wir im Laufe dieser Untersuchung noch wiederholt Bezug zu nehmen haben.
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der gleichen Giiterkategorien (bzw. im umgekehrten Falle deren Kaufkraftersparung) in Rechnung zu stellen; oder aber — was im Grunde auf das gleiche hinauskommt — daB bei jenem Gedankengange die elementare Tatsache iibersehen wird, daB „eine jede Mark Einkommen nur einmal verausgabt werden kann". Und eben aus diesem gleichen Prinzip heraus entwickelt sich — scheinbar vollkommen folgerichtig — nun auch das weitere, der TtrGANschen Auffassung1 diametral entgegengesetzte Argument der ,,kompensatorischen" Preisanderungen: namlich indem man iiberlegt, daB eine jede 2 primare Preissteigerung einer oder mehrerer Giiterkategorien einen Mehraufwand seitens der Konsumenten dieser Giiter erfordere, dafi demzufolge nur weniger Kaufkraft fur die Gesamtheit der sonstigen Einkommensverwendungen — inklusive des Spar ens — „ubrig bleibe",3 und daB daraus (wenigstens insoweit dieser Kaufkraftausfall nicht etwa durch eine inflatorische Neugeldschopfung wettgemacht wird, in welchem Falle sich ja offenbar „auf der Geldseite" etwas andern wiirde) zwangslaufig eine Preissenkung irgend welcher sonstiger Giiter hervorgehen miisse; wahrend umgekehrt im Falle einer primaren Pieissenkung bestimmter Giiterarten — wie z. B. infolge einer verbesserten Produktionstechnik — bei den betreffenden Konsumentengruppen ein Teil der bisher fur diesen Zweck „gebundenen" Kaufkraft „freigesetzt" werde, deren Verwendung zu anderweitigen Zwecken (natiirlich insoweit nicht etwa gleichzeitig ein deflatorisches Moment, also Geldvernichtung oder neues Horten in entsprechendem AusmaBe vorliegt) automatisch die Preise gewisser anderer Giiterkategorien in die Hohe
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1 Unter diesem Ausdrucke werden wir der Kiirze wegen von hier an samtliche Varianten der oben erwahnten Lehre zusammenfassen. 8 Eine jede: denn im Prinzip ist es fiir die Vertreter dieser Auffassung gleichgiiltig, ob es sich um eine Anderung ,,von der Angebotsseite" oder „von der Nachfrageseite her" handelt. Zunachst werden wir uns indessen nur mit der ersten dieser beiden Moglichkeiten beschaftigen. 3 Dieser Ausdruck „iibrig bleiben" ist offenbar schon insoweit nicht ganz einwandfrei, als es sich hiebei im Prinzip niemals um einen einseitigen, sondern vielmehr immer nur um einen zwei-, bzw. mehrseitigen Kausalnexus handeln kann. Nur ganz ausnahmsweise — namlich im Falle einer vollstandig unelastischen Nachfrage nach dem betreffenden Gute —• konnte es buchstablich zutreffen, daB der Aufwand fiir irgendein bestimmtes Gut ganz ohne Riicksicht auf den sonstigen Bedurfnisstand des betreffenden Wirtschaftssubjektes festgestellt werden kann und daB somit die fiir alle die ilbrigen Giiter verfugbare Gesamtsumme tatsachlich als ein,,Restbetrag" erscheint; obwohl dies allerdings fiir die nicht wissenschaftlich geschulten Wirtschaftssubjekte selbst, insoweit sie sich von ihrem diesbeziiglichen Verhalten iiberhaupt Rechenschaft ablegen, eine ganz gelaufige Redewendung ist. Prinzipiell findet jedoch nach den bekannten Gesetzen der Grenznutzenlehre immer eine Abwagung zwischen samtlichtn , ) Grenzbedurfnissen" statt, woraus hervorgeht, daB bei gleichbleibender Gesamtkaufkraft ein Mehraufwand fiir irgendein bestimmtes Gut iiberhaupt nur moglich erscheint, insoweit auf anderweitige Bedurfnisbefriedigungen mehr oder weniger „freiwillig" verzichtet wird. Fiir den Zweck einer Analyse der Funktionalzusammenhange zwischen den Preisanderungen der einzelnen Giiter, wie sie hier vorgenommen werden soil, schadet diese terminologische Ungenauigkeit indessen wohl kaum; denn eben insoweit hiebei ex hypothesi angenommen wird, daB der Gesamtaufwand fiir das betreffende Gut steigt (was freilich, wie sich unten noch ergeben wird, keineswegs in samtlichen Fallen einer Steigerung seines Preises zutrifft, sondern vielmehr nur dann, wenn die Nachfrage nach diesem Gute relativ unelastisch ist), impliziert dies auch die Voraussetzung, daB tatsachlich von den betreffenden Wirtschaftssubjekten der entsprechende ,,Verzicht" auf irgend welche sonstigen Giiter geleistet wird. In diesem Sinne werden wir uns somit auch in unserer weiteren Analyse wo notig der Ausdrucke ,,iibrig bleiben", „restlicher" Kaufkraft usw. bedienen.
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t r e i b e n miisse. Mehf oder weniger stillschweigend wird schlieBlich bei d e n meisten A r g u m e n t a t i o n e n dieser A r t noch a n g e n o m m e n , daB d e r U m f a n g u n d die I n t e n s i t a t jener „ s e k u n d a r e n " Preisbewegungen auch, quantitativ denjenigen der e n t s p r e c h e n d e n p r i m a r e n P r e i s a n d e r u n g e n i n die entgegengesetzte R i c h t u n g g e n a u die W a a g e h a l t e n , so daB die allgemeine I n d e x z a h l — vorausgesetzt, daB diese in der „ r i c h t i g e n " Weise e r m i t t e l t wird 1 — sich in diesen F a l l e n niemals a n d e r n k o n n t e .
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59. Zumal diese letztere Auffassung gilt es jetzt kritisck zu uberprufen, wobei wir zunacbst zu untersucken kaben werden, inwieweit das Ergebnis auoh hier entsckeidend von irgendeiner impliziten Hypotkese mit Bezug auf die Nackfrageelastizitat der primar im Preis erkokten oder erniedrigten Giiterkategorien beeinfluBt wird. Bevor wir uns dieser Aufgabe zuwenden, ist es indessen notwendig, von vornherein zwei Uberlegungen aus der Diskussion zu eliminieren, die in sie, unseres Eracktens zu Unreckt, wiederkolt hineingetragen worden sind und die regelmaBig zu ganz erheblicken MiBverstandnissen zu fukren pflegen. Die erstere dieser beiden tjberlegungen gekt dakin, daB es, insoweit der oben formulierte Standpunkt sick etwa bei genauerer Analyse als unkaltbar kerausstellen durfte, dock immer moghck sein muB, diesem Mangel abzukelfen, indem man nur die zunackst nickt ganz eindeutig definierte Voraussetzung, nack der sick ,,auf der Geldseite nickts andert", solange umdeutet, bis eben die zu beweisende Tkese tatsaehlick zutrifft. J e nack dem Standp u n k t , den m a n den quantitatstkeoretiscken Lekren gegenuber einnimmt, lieBe sick namkck der Begriff einer „Anderung auf der Geldseite" z. B . interpretieren, erstens als eine einfacke rein mengenmaBige Steigerung oder Senkung der Gesamtgeldmenge; zweitens als eine Anderung in der „effekt i v e n " bzw. ,,zirkunerenden" Geldmenge (sieke oben S. 285); drittens etwa als eine Anderung in der,,Industrial Circulation" im Sinne K E Y N E S ' (also unter AussckHeBung der Anderungen in der „Financial Circulation") u n d scklieBlick sogar wokl auck in dem Sinne, daB man es sckon als eine „Anderung" auf der Geldseite betracktet, wenn die aus irgendwelckem Grunde als erwiinsckt oder „notwendig" betracbtete proportionale Anpassung der Gesamtgeldmenge an die jeweiligen Anderungen entweder in dem Handelsvolumen T im Sinne der FiSHERscken Gleickung oder in irgendeiner anderen GroBe in der Wirknckkeit unterbleibt. 2 In der T a t ist es okne weiteres einleucktend, daB es, indem m a n in dieser Weise nur lange genug an dem Begriff der „Anderungen auf der Geldseite" kerumdeutelt, wokl endlick gelingen muB, eine Interpretation dieses Begriffes ausfindig zu macken, bei der das Argument der kompensatoriscken 1 Die Konsequenz aus diesem Gedankengange ware offenbar, daB man die Methode der Indexzahlenberechnung von vornherein daraul einrichtete, daB die im Texte angegebene quantitative Kompensierung sich jeweils verwirklichen miisse, wie dies auch tatsachlich von manchen, spater noch einzeln zu erwahnenden Autoren gefordert wird. Es durfte unseres Erachtens allerdings — sogar wenn das „Gesetz" der kompensatorischen Preisanderungen im ubrigen zutreflend ware! — als ziemlich zweifelhaft erscheinen, ob eine einwandfreie Losung dieser Aufgabe uberhaupt moglich ware. Jedenfalls ist dies aber unter Beriicksichtigung der Einwande, die wir gegen jenes Gesetz anzufuhren haben, nicht mehr der Fall, wie wir unten (§§ 71 ff.) noch ausfuhrlichar darzulegen hoffen. s In diesem letzteren Sinne u. a. G. GASSEL, Das Geldwesen nach 1914, S. 44 (zitiert nach HAYEK, a. a. O. — ,,Geldtheorie" usw. — S. 54, Anm., der sich ausdrucklich gegen diese Auffassung wendet). Mit dem CASSELschen Gedankengange in diesem Punkte eng verwandt erscheinen u. a. die Ausfilhrungen G. M. VERRIJN STUARTS, a. a. O. („Inleiding" etc.) S. 122/6, bzw. im 1929 er Gutachten (siehe oben S.223 , Anm. a ), S. 97 ff.
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Preisanderungen in der obigen Formulierung rein formal betrachtet zutrifft. Demgegeniiber gilt es bier jedocb ein fur allemal mit allem Nachdruck festzustellen, daB mit dergleieben Vernunfteleien die Losung des uns hier einzig interessierenden Problems — namlicb der Frage, wieso sicb das Preisniveau bzw. die sonstigen bisher besprocbenen GroBen unter einem System neutraler Geldversorgung verbalten werden •— nicbt urn einen Scbritt naher gebracbt werden kann. Vielmebr muB uns bei dieser letzteren Formulierung der Problemstellung der eben angedeutete bequeme Ausweg sobon desbalb von vornberein verseblossen bleiben, weil sich offenbar unter „einem Zustande, wobei sicb auf der Geldseite nicbts a n d e r t " , in diesem Zusammenhang verniinftigerweise nicMs anderes verstehen lafit, als eben ein Zustand neutraler Geldversorgung, und zwar in dem sehon obenganz eindeutig von uns definierten Sinne: d. h. also, ein Zustand, in dem der TJmfang der Geldmengenanderungen und der des „spontanen" neuen Hortens bzw, Entbortens einander jeweils genau die Waage balten. Mit einer jeden anderweitigen Interpretation des betreffenden Ausdruckes wurde eben schon ab initio ein nichtneutrales Moment in die Analyse hineingetragen, womit die etwaigen Ergebnisse fur das bier vorliegende Problem des neutralen Geldes offenbar vollig wertlos werden miiBten.
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Als der Gegenstand unserer weiteren Analyse k o m m t somit ausschlieBlicb die Bewegung der Preise (und eventuell der sonstigen GroBen aus den quantitatstbeoretiscben Gleicbungen) in einem Wirtschaftssysteme mit ex hypothesi neutraler Geldversorgung in Betracbt, 1 wobei wir — letzteres aus praktiscben Erwagungen — womogHob immer die einfacbste Variante dieser Hypotbese (eben den Fall, in dem uberbaupt keine Geldmengenanderungen u n d ebensowenig Hortungs- oder Entbortungsvorgange vorHegen) als Ausgangspunkt wablen werden. Das in dieser Weise formulierte Problem bildet einen Teil des weiteren Problemkreises, der — insbesondere von PIGOTJ 2 — als ,,tbe Problem of Eepereussions" bezeicbnet worden ist; d. b . der allgemeinen Frage nacb den Eiickwirkungen von den Angebots- u n d Nachfrageanderungen irgendeines speziellen Gutes einerseits auf die Angebotsbzw. Naobfrageverbaltnisse mit Bezug auf alle die ubrigen Giiter anderseits. 60. Aus den obigen Ausfiibrungen gebt nun aber zugleich bervor, daB wir uns aucb in dem weiteren Verlaufe unserer Untersucbungen durcbwegs mit den Bewegungen der ,,absoluten", in Geld ausgedriickten Preise, u n d nicht n u r etwa mit denen der ,,relativen" Preisverhaltnisse der einzelnen Gtiter untereinander zu bescbaftigen haben. Das beifit also (und biermit berubren wir zugleicb die zweite von den beiden unseres Eracbtens fur das vorliegende Problem grundsatzlicb nicbt relevanten Uberlegungen), daB die scbon auf S. 221 beilaufig erwabnte u n d an und fur sicb naturlicb vollkommen ricbtige Bebauptung •— man konnte bierbei sogar wobl besser von einem ziemlicb albernen Truismus sprecben — nacb der in einer Naturaltauschwirtschaft der Preissteigerung einzelner Guter immer eine genau so groBe Senkung in den ,,Preisen" aller sonstigen Giiter entsprecben muB und umgekebrt (eben insoweit diese letzteren ,,Preise" ibrerseits selbst in den Einbeiten des zuerst erwabnten Gutes ausgedriickt werden!) fur das bier zu untersucbende 1 Es handelt sich hiebei somit um einen zwar begrenzten, sondern nach unserer Ansicht nichtsdestoweniger unentbehrlichen Bruchteil der vollstandigen „Theorie der Geldwirtschaft", deren Ausbildung zumal von HAYEK (Geldtheorie usw., S. 71 und passim; Preise und Produktion, S. 28) als die heutzutage wichtigste Aufgabe der geldtheoretischen Forschung betrachtet wird. a A. C. PIGOU, a. a. O. (Industrial Fluctuations), Ch. V.
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Problem nicht die geringste Beweiskraft oder Bedeutung hat. Denn eben diese Art von „lcontrdren" Preisanderungen Idfitsich offenbar in der Geldwirtschaft genau so gut bei einem verdnderlichen wie bet einem unverdnderliehen durchschnittlichen Preisniveau verwirklichen; oder vielmehr sie ist schon automatisch verwirklicht, sobald nur die primare Preissteigerung bzw. Preissenkung (im absoluten Sinne) stattgefunden hat, wahrend alle die ubrigen Preise in Geld ausgedriickt noch unverandert sind, und sie bleibt auch dann verwirklicht, wenn diese letzteren Preise sich etwa nicht in der „kontraren", sondern vielmehr in der gleichen Eichtung wie der erste Preis andern, also auch im Falle einer yjcumulativen" Preisdnderung im Sinne TUGANS — vorausgesetzt allerdings, daB in diesem letzteren Falle die ,,sekundaren" Preisbewegungen proportional hinter der primaren zuruckbleiben.1 Fur die Frage nach der Eichtigkeit oder Unrichtigkeit des Argumentes der kompensatorischen Preisanderungen in der Geldwirtsohaft — sogar in der Geldwirtschaft mit ex hypothesi neutraler Geldversorgung! —• hat somit dieses der Naturaltauschwirtschaft entnommene „Argument" nicht nur nicht die geringste Bedeutung, sondern es kann sogar ganz leicht zu ziemlich groben Fehlsehlussen fuhren.2
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61. Nachdem nun diese beiden Fehlerquellen, wie wir hoffen endgiiltig, beseitigt worden sind, konnen wir uns jetzt einef genaueren Betrachtung der Gegensatze zwischen den beiden obigen — weiter kurz als die „Kumulationstheorie", bzw. die „Kompensationstheorie" anzudeutenden —Lehren zuwenden. Und zwar interessiert uns in diesem Zusammenhange, wie wir schon friiher bemerkten, in erster Linie die Frage, inwieweit die den beiderseitigen Beweisfiihrungen implizite oder explizite zugrunde liegenden Voraussetzungen mit Bezug auf die Nachfrageelastizitat des primar im Preise gestiegenen, bzw. gesunkenen Gutes — das wir von hier an als ,,das Gut A" bezeichnen werden — fur die jeweiligen Ergebnisse von entscheidender Bedeutung sind. (Die Anregung zu dieser Fragestellung verdanken wir insbesondere den diesbezuglichen Ausfuhrungen R. STUCKENS. 3 )
Betrachten wir nun unter diesem Gesichtswinkel noch einmal die auf S. 291/2 wiedergegebene Argumentation der Kompensationstheorie, dann ergibt sich in der Tat, daB auch hier implizite die Voraussetzung einer relativ unelastischen Nachfrage nach dem Gute A zugrunde gelegt wurde. Denn nur unter dieser Voraussetzung laBt sich aus einer Steigerung 1 Sogar wenn Ietzteres nicht der Fall ware, d. h. also wenn die sekundare Preisanderung einer oder mehrerer Giiter die primare Preisanderung proportional ,,iiberholen" wurde (was, obwohl nicht ganz wahrscheinlich, nach dem Gedankengange der ,,Kumulationstheorie" nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint), wiirde aber die These der „kontraren" Preisanderungen in dem im Texte gemeinten Sinne noch immer zutreffen, weil eben in diesem Falle das anfanglich etwa im Preise gestiegene Gut am Ende — in den Einheiten der ,,sekundar" betrollenen Giiter ausgedriickt — im Preise gesunken ware und umgekehrt. Gerade diese Uberlegung beweist allerdings nur um so uberzeugender, wie vollkommen nichtssagend die selbstverstandliche Tatsache der „kontraren" Preisanderungen in diesem Sinne fiir den Zweck unserer eigentlichen Fragestellung ist. 2 Ein geradezu schlagendes Beispiel eines derartigen Fehlschlusses findet sich zumal auch bei TUGAN selbst, der aus eben diesem Grunde die MQglichkeit einer allgemeinen Uberproduktion fur die Naturaltauschwirtschaft in Abrede stellt, um sie nur wenige Zeilen spater fiir die Geldwirtschaft — und zwar ohne daB irgendwie von Inflations- oder Deflationserscheinungen die Rede ist —• ausdrucklich anzuerkennen! 3
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oder Senkung in dem Stiickpreise jenes Gutes auf eine gleichgerichtete Anderung in dessen Preisswrame schlieBen, wahrend auf def anderen Seite ausschlieBlich die Anderungen in dieser Preissumme — die ja off enbar zugleich den Umfang des Gesamtaufwandes fiir das Gut A darstellt — dariiber entscheiden, ob auf der Seite der betreffenden Konsumenten mehr oder weniger „Kaufkraft" fiir die sonstigen Verwendungen iibrig bleiben wird. Das ganze Ergebnis der obigen Beweisfiibrung erscheint somit tatsachlich von der Voraussetzung einer relativ unelastischen Nachfrage (exakt: einer Nachfrageelastizitdt von weniger als eins1) nach dem Gute A abhangig zu sein. Anderseits ist es indessen klar, daB mit dieser Feststellung der Wider spruch zwischen der Kompensationstheorie und der Kumulationstheorie sich keinesweg lost, weil ja genau die gleiche Hypothese mit Bezug auf die Elastizitat der A-Nachfrage auch den oben wiedergegebenen SchluBfolgerungen der Kumulationstheorie zugrunde lag. Es diirfte sich somit an dieser Stelle unserer Analyse jedenfalls lohnen, zunachst einmal zu untersuchen, wie sich das Ergebnis der beiderseitigen Beweisfuhrungen dndert, wenn man — was ja offenbar im Prinzip genau so gut moglich ist — anstatt einen relativ niedrigen einen relativ hohen Chad der Elastizitat der Nachfrage nach dem Gute A (exakt: eine Elastizitat hbher als eins) voraussetzt, was also bedeutet, daB sowohl bei einer Steigerung wie bei einer Senkung des Angebotes 2 der Stiickpreis und die Preissumme dieses Gutes sich in der entgegengesetzten Bichtung andern werden. Unter dieser Voraussetzung ergibt sich nun, wie sich bei einigem Nachdenken unschwer einsehen laBt, eine zunachst ganz merkwiirdig erscheinende Umwandlung in den Ergebnissen sowohl der TuGANschen wie der entgegengesetzten Argumentation, und zwar in dem Sinne, daB gerade die ursprungliche Beweisfuhrung der Kumulationstheorie (die von der Verstarkung oder Verringerung der Kaufkraft der A-Produzenten, bzw. Ferkaufer ihren Ausgangspunkt nimmt) sich diesmal als eine Stiitze fiir die Kompensationslehre herausstellt, wahrend aber umgekehrt das ursprungliche Rasonnement der Kompensationstheorie (wobei die Anderungen in der ,,restlichen" Kaufkraft der A-Konsumenten die entscheidende Rolle spielen) diesmal, wie auch von STTTCKEN a. a. 0 . ganz mit Recht hervorgehoben wird, vielmehr die Ergebnisse TITGANS ZU bestatigen scheint. Bei einer primaren Preissteigerung des Gutes A — infolge einer MiBernte oder aus irgendeinem anderen Grunde — stellt sich namlich die erstgenannte Beweisfuhrung (also diejenige der Kumu1 Die bekanntlich von MARSHALL stammende Klassifizierung der Nachfrageelastizitaten — Elastizitat gleich eins, hoher als eins und niedriger als eins, je nachdem sich der Preis genau proportional mit der abgesetzten Menge, weniger stark oder starker verandert — verwenden wir hier zunachst nur mit Bezug auf die in Geld ausgedriickten Preise des Gutes A; weil aber, wie sich unten noch herausstellen wird, die Geldpreise der sonstigen Guter sich nach unserer Analyse in alien diesen Fallen iiberhaupt nicht zu andern brauchen, kommt dies am Ende auf das gleiche hinaus, als ob man den Elastizitatsbegriff vom Anfang an auf den in den Einheiten dieser iibrigen Giiter ausgedriickten „Realpreis" des Gutes A bezogen hatte. 2 Mit den Fallen, wo die primare Preisanderung von der Nachfrageseite her verursacht wird, werden wir uns erst an einer spateren Stelle — S. 320ff. — beschaftigen.
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lationstheorie) wie folgt: steigender Stuckpreis des Gutes A, jedoch—fex hypothesi •— proportional weniger stark als der mengenmaBige Rxickgang des Angebotes; also sinkender Gesamterlos fur die totale verfiigbare A-Menge; sinkende Einnahmen fiir die A-Verkaufer, bzw. Produzenten; verringerte Nachfrageentfaltung auf den sonstigen Markten; mithin eine Vreissenkung der anderweitigen Giiter, die den Effekt der ,,primaren" Preissteigerung des Gutes A auf die Gesamtindexzahl entweder teilweise oder zum ganzen kompensiert, vielleicht sogar iiberkompensiert. Hingegen wiirde die anfangliche Argumentation der „Kompensationstlieorie", auf diesen Fall angewandt, etwa wie folgt aussehen: steigender Stiickpreis, jedoch sinkender Gesamtaufwand fiir das Gut A; also eine Zunahme der restlichen Kaufkraft der bisherigen A-Konsumenten; Emportreiben der Preise der sonstigen durch diese verlangten Giiter; daher im Endeffekt eine Kumulation der primaren und sekundaren Preissteigerungen; also auch hier das gerade Gegenteil des urspriinglichen Ergebnisses dieser gleichen Beweisfiihrung. (Ahnliche Resultate, nur ,,mit umgekehrtem Vorzeichen", ergeben sich selbstverstandlich auch dann, wenn man, anstatt von einer primaren Preissteigerung, von einer primaren Preissenkung des Gutes A ausgeht.) Es stellt sich somit heraus, daB infolge der Anderung in der Anfangshypothese mit Bezug auf die Nachfrageelastizitat des Gutes A die beiden streitenden Parteien zwar sozusagen die Stellung wechseln, dafS aber zundchst nichtsdestoweniger ein ungeloster Widerspruch vorliegt, dessen einwandfreie Losung unseres Erachtens auch STXJCKEN nicht gelungen ist, obwohl dieser hiezu recht wertvolle Ansatze bietet. Wie dem aber auch sei, jedenfalls ist es klar, daB fiir eine befriedigende Beantwortung des uns hier beschaftigenden Problems die Losung dieses Widerspruchs eine unumgangliche Bedingung ist. 62. Zu diesem Zwecke empfiehlt es sich nun •— auch insoweit folgen wir noch den Ausfiihrungen STUCKBNS, der allerdings den sich aus diesem Falle ergebenden Konsequenzen unseres Erachtens nicht geniigend Beachtung geschenkt hat — zunachst den vereinfachten Fall zu untersuchen, in dem (voraussetzungsweise) die Elastizitat der Nachfrage nach A genau gleich eins ist\ d. h. also, ex definitione, daB eine jede Steigerung oder Senkung des A-Angebotes von einer genau proportionalen Preissenkung bzw. Preissteigerung pro Einheit dieses Gutes begleitet wird, oder aber — was hieraus unmittelbar hervorgeht—dafl sowohl bei einer Erhohung wie bei einer Emiedrigung des Stilckpreises der Gesamterlos fiir dieses Gut unverdndert bleibt.1 Unter dieser Voraussetzung ist es nun ohneweiters klar, daBweder die Gesamtkaufkraft der A-Verkaufer noch auch die „restliche" Kaufkraft der A-Kaufer in irgendeiner Weise von einer etwaigen primaren Anderung in dem 1 Es ist hiebei prinzipiell nicht notwendig, anzunehmen, daB die betreffende Nachfragekurve iiber Hire ganze Lange einen konstanten Elastizitatsgrad aufweist; fiir den Zweck der obigen Argumentation geniigt vielmehr schon der Fall, in dem die Nachfrageelastizitat ilber einen (nicht allzu knapp bemessenen) Abschnitt dieser Kurve gleich eins ist. Das gleiche gilt selbstverstandlich auch mit Bezug auf die unten noch zu besprechenden Falle einer Nachfrageelastizitat, die groBer oder geringer als eins ist.
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mengenmaBigen Angebote, bzw. in dem Stiickpreise jenes Gutes beeinfluBt werden kann. Daraus geht aber sogleich auch die unabweisbare Konsequenz hervor, daB wenigstens in diesem speziellen Falle sowohl die „TuGANscAe" wie auch die entgegengesetzte Argumentation hinfdllig sein miissen. Das Ergebnis kann vielmehr diesmal nur sein, daB (selbstverstandlich auch bier unter dem Vorbebalte des „Ceteris paribus", was in diesem Falle insbesondere bedeutet: ,,bei unverandertem Angebot der sonstigen Giiter") kein einziger Preis in der betreffenden Volkswirtschaft aufter eben der A-Preis selbst sich dndern wird.1 Das heiBt also, daB sich bier weder eine Kumulation noch eine Kompensation der Preisanderungen ergibt, sondern daB im Gegenteil —- nacb der oben erwahnten Terminologie PIGOTTS — eine jede „Reperkussion" von der primaren Anderung des A-Preises auf die sonstigen Preise unterbleibt. Es liegt hier somit der unseres Erachtens einwandfreie Nachweis vor, daB es, auch und gerade unter einem System strikt neutraler Geldversorgung? durchaus moglich ist, daB ein einziger Preis sich andert, ohne daB an irgendeiner anderen Stelle in der betreffenden Wirtschaft eine ,,kompensatorische" oder ,,kontrare" Preisbewegung einzutreten braucht. Damit ware also das „Gesetz" der kompensatorischen Preisanderungen in seiner allgemeinsten Form bereits widerlegt. Eine zweite Frage ist indessen, ob dieser Tatbestand an und fur sich schon geniigt, urn die SchluBfolgerung zu rechtfertigen, daB in einem derartigen Falle auch die Stabilitat des „allgemeinen Preisniveaus" mit der Neutralitat der Geldversorgung inkompatibel ist. Es kbnnte hier namlich wohl noch behauptet werden, daB bei einer „richtigen" Methode der Indexziffernermittlung eben in diesem Falle auch das durchschnittliche oder allgemeine Preisniveau keine Anderung aufweisen wird.3 Und obwohl wir personlich der Ansicht sind, daB damit der Begriff des „Preisniveaus" 1 Zu einem im wesentlichen gleichen Ergebnis mit Bezug auf diesen speziellen Fall kommt, auBer STUCKEN, auch A. MAHR, a. a. O. (Weltw. Archiv 1929) S. 48/49 und zumal auch R. G. HAWTREY in seinem auBerordentlich scharfsinnigen Referat Uber „Money and Index-Numbers" (Journal of the Royal Statistical Society 1930, Vol. XC1II, S. 69 und 78). Diese letztere Arbeit ist fur unseren Zweck insbesondere deshalb von hochstem Interesse, weil der Verfasser sich nicht nur, wie dies vielfach iiblich ist, darauf beschrankt, im allgemeinen darzulegen, weshalb er die Trennung von den Ursachen der Geldwertanderungen in ,.monetary" und „non-monetary causes" fur durchaus zulassig halt, sondern sich auch im einzelnen darum bemuht, die Indexziffernmethode ausfindig zu machen, die diese Trennung in der Weise zum Ausdruck bringen wird, daB die betreffende Indexzahl nur die den monetaren Einfliissen zuzuschreibenden Geldwertanderungen registriert, hingegen fur die angeblich nichtmonetaren Einfliisse unempfindlich bleibt. Inwieweit die HAWTREYsche Losung dieser Aufgabe als gelungen zu betrachten ist, werden wirspater (S. 299/300, Anm. l ) noch eingehender untersuchen. Die hier erwahnten Autoren — STUCKEN, MAHR und HAWTREY — sind ubrigens unseres Wissens in der heutigen geldtheoretischen Literatur die einzigen, deren Gedankengange mit dem bisherigen Teil unserer Analyse mehr oder weniger verwandt erscheinen. 8 Gerade in diesem Falle liegt es ja klar zutage, daB weder eine Anderung der Gesamtgeldmenge noch irgend welcher Hortungs-, bzw. Enthortungsvorgang stattfindet; die nachher noch zu analysierenden Falle sind allerdings zumal in dieser Beziehung bedeutend verwickelter. ' In diesem Sinne auBert sich u. a. ausdrucklich G. M. VERRIJN STUART in der (gerade wahrend der Bearbeitung dieses Aufsatzes erscheinenden) zweiten Auflage seines Lehrbuches ,,Geld en Crediet", 's Gravenhage 1932. Es findet sich hier namlich auf S. 78 die Anerkennung — die allerdings im Vergleich zu den fruheren Schriften dieses Verfassers schon eine u. E. nicht zu unterschatzende Neuerung bedeutet — daB „eine Preissenkung
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schon ganz wesentlich denaturiert wird, 1 ist in der Tat zuzugeben, daB die Moglichkeit einer derartigen Konstruktion sich auf dieser Stufe unserer Analyse noch nicht ganz einwandfrei widerlegen laBt. Wir Ziehen es daher vor, auf dieses ziemlich verwickelte Problem erst spater zuriickzukommen, nachdem wir zuerst die Frage untersucht haben werden, ob und inwieweit der hier analysierte Fall der Nachfrageelastizitat gleich eins als exzeptionell, bzw. als relativ normal oder wohl gar als reprasentativ zu betrachten sei.
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63. Diese letztere Frage beantworten wir dahin, daB jener Fall nur in einer einzigen (gewissermaBen sekundaren und deshalb erst spater zu besprechenden) Beziehung 2 eine Ausnahme darstellt, daft aber das Hauptergebnis — eben die Moglichkeit einer einseitigen Preisanderung des Gutes „A", ohne dafi irgend welche sonstigen Preisanderungen stattfinden3 — das gleiche bleibt, gleichgultig ob die Elastizitdt der Nachfrage nach diesem Gute niedriger als eins, gleich eins oder hbher als eins ist. Denn insoweit diese Elastizitat ungleich eins ist, ergibt sich zwar tatsachlich gleichzeitig mit einer jeden Anderung des Stiickpreises von A auch eine Anderung in dem Gesamtaufwand fiir dieses Gut und damit — wie den Vertretern der Kompensationstheorie gegeniiber durchaus zuzugeben ist! — entweder eine Zunahme oder eine Abnahme der „restlichen" Kaufkraft der A-
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irgendeines bestimmten Gutes pro Einheit, wenn gleichzeitig der Absatz proportional steigt, keinen EinfluB auf die allgemeine Indexzahl haben dart" (im Original hollandisch), was sich offenbar auf den gleichen Fall der Nachfrageelastizitat gleich eins bezieht. Materiell stimmt nun diese Auffassung offenbar weitgehend mit der unsrigen iiberein, indera ja auch VERRIJN STUART, genau so wie wir, in jenem Falle zur Verwirklichung der Neut r a l i t y des Geldes eine kompensatorische Preisanderung irgend welchei sonstiger Gtiter nicht fiir notwendig halt. Wahrend wir nun aber (ebenso wie MAHR, a. a. O. S. 49) daraus die SchluBfolgerung Ziehen, daB in diesem Falle das durchschnittliche Preisniveau, bzw. die allgemeine Preisindexzahl, eben nicht unverandert bleibt, sucht VERRIJN STUART hingegen den Begriff des ,,stabilen Preisniveaus" derart umzudeuten, daB es auch diesen Fall mitumfaBt. (Fiir die Einwande gegen diese Methode vgl. die nachste Anmerkung und im iibrigen S. 314ff.) 1 Wir begriinden diesen Einwand zumal mit der —- unseres Erachtens vollkommen richtigen — These G. HABERLERS (Der Sinn der Indexzahlen, Tubingen 1927, S. 19 und passim), daB die einzigen „sinnvollen" Indexziffern diejenigen sind, die das Verhaltnis der Preissummen einer und derselben Gilterkombination in verschiedenen Zeitpunkten zum Ausdruck bringen: das heiBt also, in der technischen Sprache der Indexziffernmethoden, die sogenannten ,,einfach gewogenen" — engl.: „single-weighted" — Formeln, im Gegensatz zu den „Doppelgewichtsmethoden" — „double-weighted Formula's" — wobei jeweils die Preissummen verschiedener Gutermengen verglichen werden. Es laBt sich nun aber ziemlich leicht nachweisen, daB gerade diejenigen Indexzahlen, die jener Bedingung HABERI-EHS genugen, sich immer andern miissen, wenn der Stuckpreis eines einzigen Gutes A sich andert, wahrend alle die iibrigen Preise gleich bleiben — es sei denn, dafi dieses Out A in der betreffenden „reprasentativen" Gutermenge uberhaupt nicht vertreten, bzw. mit einem Gewichtskoeffizienten gleich Null versehen ware. (Nach dieser letzteren Richtung hin bewegt sich u. a. ein Teil der Ausfiihrungen HAWTREYS, der ja tatsachlich vorschlagt, die jeweils durch eine nichtmonetar bedingte Preisanderung betroffenen Giiter systematisch aus der Indexzahl zu „eliminieren" [a. a. O. S. 67 ff., zumal S. 69]. DaB und weshalb jedoch auch dieser letztere scheinbare Ausweg notwendig in eine Sackgasse fuhren muB, ja sogar den Verzicht auf eine jede verniinftige Indexermittlung uberhaupt darstellt, konnen wir erst spater — S. 316ff. — darlegen.) 2 Namlich im Zusammenhang mit der Frage der konstanten oder veranderlichen Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, siehe unten S. 303. 3 Von den Zusammenhangen zwischen den einzelnen Preisen innerhalb der sogenannten „produktionsverwandten", bzw. (spezifisch) „konsumverwandten" Gruppen wird hiebei zunachst abgesehen. Vgl. dazu unten §81.
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Konsumenten, bzw. A-Kaufer; 1 jedoch ebenso gewiB entsteht in alien diesen Fallen auch eine entsprechende Anderung in dem Geseanterlos des Gutes A (der ja offenbar dem Gesamtaufwand immer genau gleich ist) und deshalb, wie dies von TTXGAN — insoweit vollkommen richtig — betont worden ist, auch eine entsprechende, jedoch entgegengesetzt gerichtete Anderung in der Kaufkraft der A-Produzenten, bzw. A-Verkaufer. Und zwar ist in jedem einzelnen Falle — es moge die Elastizitat der Nachfrage nach A hoher oder niedriger sein als eins, und es moge der Stiickpreis von A „primar" steigen oder fallen — der Kaufkraftzuwachs der A-Verkaufer dem Kaufkraftentgang der A-Kaufer genau gleich oder umgekehrt. Das heiBt also, daB in einem jeden dieser Falle die gesamte „kaufkraftige Nachfrage" nach Nicht-A-Giltern unverandert bleibt und daB somit (bei ex hypothesi unverandertem Angebot dieser anderweitigen Guter) auch deren Preise sich nicht andern werden; wenigstens nicht, insoweit die q u a l i t a t i v e " Verteilung der Mehrnachfrage auf der einen Seite der Zusammensetzung des Nachfrageausfalls auf der anderen Seite entspricht. Es sei allerdings sogleich an dieser Stelle zugegeben, daB dieser letztere Satz einen ganz wesentlichen Vorbehalt darstellt, und daB sich, falls jene Voraussetzung in der Wirklichkeit etwa nicht erfiillt ist, allerhand Komplikationen ergeben kbnnen, mit denen wir uns am Schlusse dieses Abschnittes noch beschaftigen werden mussen. 2 Zunachst ist aber festzuhalten, daB — insoweit entgegen dem Standpunkte der Kompensationstheorie sowohl wie dem der Kumulationstheorie — eine quantitative Anderung in der gesamten kaufkrdftigen Nachfrage nach Nicht-A-Gutern nicht eintritt, ungeachtet ob die Elastizitat der Nachfrage nach A gleich eins oder aber hoher oder niedriger sei. Sowohl die TuGANsche wie die entgegengesetzte Argumentation ziehen eben nur die eine Halfte des gesamten Vorgangs in Betracht, und weil die zwei Halften in einem jeden einzelnen Falle einander vollstandig neutralisieren, ist das Ergebnis der beiden Beweisfuhrungen —• wenigstens insoweit damit die Notwendigkeit einer kumulativen, bzw. kompensatorischen Preisbewegung der NichtA-Guter nachgewiesen werden soil3 — nicht etwa je fitr die Halfte der Falle richtig, sondern vielmehr auf beiden Seiten zur Ganze falsch* 1 Die verhaltnismaflig „farblosen" Ausdrucke „Kaufer", bzw. „Verkaufer", diirften in dieser Beziehung den bisher verwendeten Worten „Produzenten", bzw. ,,Konsumenten" schon deshalb vorzuziehen sein, weil unsere ganze Beweisluhrung sich keineswegs auf die Konsumgiiter beschrankt, sondern vielmehr auch die Produktivgiiter mitumfassen soil. Unter dem ,,Gesamtaufwande fur die sonstigen Guter" im Sinne unserer obigen Analyse ist somit immer auch das Sparen (selbstverstandlich nur insoweit es nicht etwa die Form des Hortens annimmt) miteinzubegreifen. 8 Vgl. unten, §§ 76 ff. 8 Die Moglichkeit, daB sich derartige sekundare Preisbewegungen ergeben konnen — eben infolge der erst spater zu besprechenden „qualitativen" Verschiebungen innerhalb der im ganzen gleichbleibenden Nachfrage nach Nicht-A-Giltern—stellen wir hingegen nicht in Abrede; vgl. auch hiezu §§ 76ff. 4 Mit diesen SchluBfolgerungen entfernen wir uns somit auch von dem Standpunkte der drei oben erwahnten Autoren — STUCKEN, MAHR und HAWTREY — die wir mit Bezug auf den speziellen Fall der Nachfrageelastizitat gleich eins noch auf unserer Seite fanden. Im wesentlichen kommen diese namlich alle zu dem Ergebnis, daB bei einer Nachfrageelastizitat nach A niedriger als eins tatsachlich eine kompensatorische, hingegen bei einer Nach-
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64. Wir kommen somit zunachst zu dem Ergebnis, daB — wenigstens insoweit es sich um eine „von der Angebotsseite her" verursachte primare Preisanderung des Gutes A handelt — nicht nur, wie in dem speziellen Falle der Nachfrageelastizitat gleich eins, eine Anderung seines Stuckpreises (bei gleichbleibender Preissumme), sondern vielmehr auch eine Anderung eben dieser Preissumme stattfinden kann, ohne daB dies notwendigerweise zu einer entsprechenden Anderung in der Nachfrage nach den sonstigen Giitern zu fiihren braucht. Es ist dies allerdings eine These, von der wir uns keineswegs verhehlen, daB sie manchem Leser auf den ersten Blick zumindestens als paradox, vielleicht sogar wohl als „handgreif lich f alsch" erscheinen diirfte. 1 Zumal ergibt sich t i e r ja sofort die
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frageelastizitat nach A hoher als eins eine kumulative Preisbewegung der Nicht-A-Giiter stattfinden milsse, und daB also eben nur in dem Falle, wo die Nachfrageelastizitat nach A genau gleich eins ist, uberhaupt keine Reperkussionen stattfinden werden. Es ist dies wohl hauptsachlich dem Umstande zuzuschreiben, daB diese Verfasser eben alle drei nur den Effekt der Kaufkraftflnderungen bei den A-Kaufern, nicht aber die Wirkungen der Wiederverausgabung des A-Erloses seitens dessen Verkaufer ins Auge fassen; oder mit anderen Worten, daB sic zwar nicht unbedingt an dem Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen festhalten, jedoch um so mehr an der Auffassung, die man mit einem analogen Ausdrucke wohl am besten als das „Gesetz der kompensatorischen Preis sum men anderungm" bezeichnen konnte, und die im Grunde wiedernichts anderes ist als eben eine etwas exaktere Fassung des Satzes von der Mark, die sich nur einmal verausgaben lfiBt. Mit Bezug auf die Stellungnahme STUCKENS ZU diesen Fragen siehe auch unten S. 305, Anm. 2 u. S. 306, Anm. s . Bei HAWTREY wird jener Standpunkt allerdings infolge der eigentilmlichen Darstellungsweise dieses Verfassers etwas verschleiert, nach der namlich eine nichtmonetar bedingte Geldwertanderung im allgemeinen zwar durch Ursachen auf der Angebotsseite (nach HAWTREY = Kostenanderungen), nicht aber durch solche auf der Nachfrageseite ausgelost werden konne (a. a. O. S. 68); wobei er indessen die Begriffe ,,Angebot" und ,,Nachfrage" zugleich so definiert, daB ihm eben nur der spezielle Fall, wo die Nachfrageelastizitat nach A gleich eins ist, als ein ,,reiner" Fall der Angebotsanderung, hingegen alle die ubrigen Falle als eine Art Vermischung von Ursachen auf der Angebotsseite und solchen auf der Nachfrageseite gelten. Bezeichnend ist in dieser Beziehung zumal die Stelle auf S. 69, wo es heiBt: „If the crop is half the normal and the price is quadrupled, then a great part of the increase in price represents demand diverted from other products. If the price increases less than in proportion to the shortage, the difference represents demand diverted to other products. It is only in the ideal case, where elasticity of demand is equal to unity, that the demand for other products remains unaffected" usw. Gerade aus dieser Redewendung ,,Demand diverted from" — bzw. ,,to" — „other products" diirfte es nun aber ohneweiters klar sein, daB im Grunde betrachtet auch HAWTREY (insoweit mithin der iiblichen Auffassung durchaus entsprechend) das Gesetz der kompensatorischen Preisswmmenanderungen vorbehaltslos anerkennt. Den unseres Erachtens entscheidenden Schritt aus unserer obigen Analyse, der dazu fiihrt, auch dieses letztere ,,Gesetz" in Abrede zu stellen, macht HAWTREY, ebenso wie die ubrigen oben erwahnten Verfasser, also nicht mit; und eben deshalb kdnnen wir seine auf der obigen Grundlage aufgebauten weiteren SchluBfolgerungen (die dahin gehen, daB die von ihm gesuchte lndexzahl, die nur die monetar bedingten Geldwertanderungen registrleren soil, uberhaupt nicht die Guterpreise in dem iiblichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr nur die Preise der urspriinglichen Produktionsmittel, zumal der menschlichen Arbeit, zu enthalten habe) auch nicht als eine befriedigende Losung der uns hier beschaftigenden Probleme anerkennen. 1 Sogar MACHLUP, der — wie sich unten noch ausfiihrlicher ergeben wird — in mancher Hinsicht unseren diesbeziiglichen Auffassungen am niichsten steht, erscheint dennoch das Prinzip der kompensatorischen Preisstiwimcnanderungen als eine glatte Selbstverstiindlichkeit. Vgl. zumal a. a. O. S. 85: „Man sollte doch meinen, daB es bei einigem Nachdenken jedermann klar werden muB, daB unter sonst gleichbleibenden Umstanden" —• was dieser Vorbehalt in concreto bedeuten soil, ist hier allerdings nicht ganz klar! —,,eine erhohte Preissummenzahlung fiir ein Produkt nur bei verminderter Preissummenzahlung fur ein anderes Produkt moglich ist", und wenige Zeilen vorher: ,,Die Erklarung jeder Preisverschiebung wurde unmoglich, wenn man immer darauf beharrte, daB der Verkaufer mit dem fiir seine Ware erhaltenen Geld jene Guter nachfragen kdnnte, auf deren Kauf sein Abnehmer verzichtej hatte." (Auf die weiteren diesbeziiglichen Ausfuhrungen MACHI-UPS werden wir am Ende dieses Abschnittes — S. 337 ff. — noch zuriickzukommen haben.)
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Frage, wieso denn dieses Ergebnis mit dem scheinbar vollkommen selbstverstandlichen und schon einige Male beilaufig von uns erwahnten Satze in Einklang zu bringen sei, daB „eine jede Mark Einkommen nur einmal verausgabt werden kann''; was j a (in etwas weniger popularer Formulierung) darauf hinauslauft, daB die in Geld ausgedriickte Summe pro Zeiteinheit entweder aller Zahlungen iiberhaupt — also die FiSHEKsche GroBe E — oder aber aller derjenigen Zahlungen, bei denen Einkommen verausgabt wird •—• also die oben erwahnte GroBe / — als jeweils von vornherein gegeben und somit als relativ ,,unelastisch" zu betrachten sei. Auf diese Frage laBt sich jedoch naeh unserer Ansicht ganz einfacb erwidern, daB unsere obige Analyse (wenigstens mit Bezug auf diejenigen Falle, wo eine Steigerung der Preissumme des Gutes A vorliegt), tatsdchlich impliziert, da/3 bestimmte Geldeinheiten — eben diejenigen, die „zusatzlich" in die Hande der A-Verkaufer gelangen •—• innerhalb einer gleich langen Zeitspanne zweimal anstatt friiher nur einmal als Einkommen ausgegeben werden:1 namlich indem die A-Verkaufer 2 die ihnen voraussetzungsweise zuflieBenden Mehreinnahmen nicht etwa erst in der nachsten Wirtschaftsperiode, 3 sondern vielmehr schon unmittelbar innerhalb der gleichen Periode wieder verausgaben. Und zwar mufite dies, unserem Ausgangspunkte gemaB, angenommen werden, weil eben sonst ein Fall des neuen Hortens — namlich bei jenen A-Verkaufern — oder, von der andern Seite her betrachtet, eine Durchbrechung der Simultanitdt zwischen Ein-
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1 Der analoge Vorgang im Falle einer Senkung der A-Preissumme besteht offenbar darin, daB bestimmte Geldeinheiten innerhalb einer gleichen Periode einmal weniger als writer — also potentiell auch anstatt einmal iiberhaupt nicht — die Hande wechseln. Auf den ersten Blick diirfte dies allerdings weit weniger paradox erscheinen als der entsprechende Fall der „Doppelverwendung" im Falle einer Steigerung der A-Preissumme: jedoch hauptsachlich nur deshalb, weil man hiebei wohl sofort an neues Horten denken wird. Die eigentliche Schwierigkeit liegt aber gerade darin, daB man sich den betreffenden Vorgang vorstellen soil, ohne daB neues Horten vorausgesetzt werden darf; und dies ist, wenn iiberhaupt, genau so schwierig wie in dem entsprechenden Falle einer steigenden Gesamtkaufkraft (vgl. hierzu auch Anm. 8 auf der nachsten Seite). 2 Der Einfachheit wegen empfiehlt es sich fur diesen Teil unserer Analyse anzunehmen, daB als Verkaufer einer jeden Guterart nur dessen Produzenten, bzw. als deren Kaufer nur die Konsumenten auftreten; d. h, also, daB die Produktion „einstufig" ist und daB es keinen Zwischenhandel gibt. Der Vorteil dieser Vereinfachung ist zumal dieser, daB unter diesen Umstanden der Gesamtwrnstrizziffer in der betreffenden Volkswirtschaft ohneweiters mit deren Gesamtemftommensumme, und ebenso fur eine jede Einzelwirtschaft oder Gruppe von Einzelwirtschaften der Gesamterlos ihres Produktes mit ihrem individuellen Einkommen gleichzustellen ist. 3 Der Begriff der ,.Wirtschaftsperiode", wie dieser hier zum ersten Male von uns verwendet wird, ist zunachst, wie wir unmittelbar zugeben, alles weniger als eindeutig. Die Konkretisierung dieses Begriffes ist prinzipiell sogar in ganz verschiedener Weise moglich; hauptsachlich kommen zu diesem Zwecke jedoch wohl nur 1) die iiberwiegend von technischen Momenten bedingte durchschnittliche Produktionsperiode, 2) die hauptsachlich historischkonventionell bestimmte .Einfcoromensperiode — zumal die der Lohn-, Gehalts-, Pacht-, Mieten- und Zinsenzahlungen — und 3) die mit der letzteren mehr oder weniger zusammenhangende durchschnittliche Ruhezeit des Geldes — d. h. der reziproke Wert der Umlaufsgeschwindigkeit — in Betracht. In der Wirklichkeit konnen diese drei Perioden naturlich eine ganz verschiedene Lange haben (fur die Bedeutung des Verhaltnisses zwischen der ersteren und der dritten dieser GroBen, zumal im Zusammenhang mit dem Problemkreis der Geldwertstabilisierung, vgl. unter mehr D. H. ROBERTSON, a. a. O. — ..Banking Policy" usw. — S. 57 ff.), jedoch filr den iiberwiegend ..negativen" Zweck unserer Analyse konnen wir uns wohl auf den vereinfachten Fall beschranken, wo diese drei Perioden voraussetzungsgemaft zusammenfallen und wo sich somit der Ausdruck ..Wirtschaftsperiode" fur alle diese unterschiedslos verwenden laBt.
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kommenserwerb und Einkommensverwendung (s. oben S. 265), also ein typischer nichtneutraler Vorgang vorliegen wiirde, wahrend wir doch den Gegenstand unserer jetzigen Untersuchung von vornherein ausdrucklich auf den Fall einer ex hypothesi neutralen Geldversorgung beschranken sollten. Es stellt sich somit heraus, da8 eben die konsequente Beibehaltung dieser letzteren Voraussetzung zu dem Ergebnis fiihrt, daB es nicht zulassig ist, die Summe samtlicher in Geld ausgedriickten Zahlungen „E" — bzw. der Einkommen „ / " — in irgendeiner Volkswirtschaft als jeweils von vornherein gegeben und „unelastisch" zu betrachten, sondern dafi vidmehr gerade diese beiden Qr6fieri, unter einem System neutraler Geldversorgung durchwegs zu den abhdngigen Variablen des Problems zu rechnen sind j 1 was dann zugleich bedeutet, daB tatsachlich ein gleicher Geldbetrag mehrmals innerhalb einer einzelnen Wirtschaftsperiode als Einkommen verausgabt werden kann. Es impliziert dies allerdings, dafi aUch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes — die ja ex definitione mit dem Quotienten zwischen jener veranderlichen GroBe „E" und der zunachst als unverandert angenommenen Gesamtgeldmenge M identisch ist 2 — sich in den vorliegenden Fallen andern muB. In unserem Gedankengange erscheint dies aber keineswegs als eine Anomalie, sondern es liegt vielmehr gerade an dieser Stelle ein typisches Beispiel — und damit zugleich der unseres Erachtens einwandf reie Nachweis! — fiir die schon in dem vorhergehenden Absehnitte dieser Arbeit wiederholt von uns postulierten, dort aber zunachst noch unbewiesen gebliebenen Moglichkeit vor, dafi die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes eine Anderung erleiden kann auch ohne dafi neues Horten oder Enthorten stattfindet.3 Und zwar mufi sich ein derartiger Tatbestand nach den
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1 Diesen Tatbestand klar zum Ausdruck zvi bringen, halten wir, nebenbei bemerkt, fur einen der wichtigsten Vorzuge der mathematischen Systeme der Wirtschattstheorie — wie etwa derjenigen WALRAS' und CASSELS — im Gegensatz zu der iiblichen Darstellungsweise, die sich zumal in samtlichen nichtmathematischen Varianten der Grenznutzenlehre (der osterreichischen sowohl wie der MARSHALLschen) voriindet, und wobei die Einkommen als jeweils gegebene Grofien vorgestellt werden, die, zusammen mit den eigentlichen subjektiven ,,Wertungen" der Wirtschattssubjekte, erst deren ,,etfektive" Nachfragefunktionen bestimmen. Im Grunde genommen wird unseres Erachtens schon mit diesem Gedankengang ein typisch geldwirtschaftliches, und zwar in den meisten Fallen nichtneutrales Moment in die angeblich rein tauschwirtschaftliche Analyse hineingetragen. Vgl. hiezu zumal auch S. 308/9 des Textes. 2 Vgl. oben S. 284. 3 Das scheinbar paradoxe an dieser These durfte sich nach unseren obigen Ausfuhrungen (vgl. zumal S. 301, Aran. *) hauptsachlich daraus ergeben, daB der Fall, wo die Kasse irgendeiner Einzelwirtschatt, die anfanglich zur Vermittlung deren ,,regelmaBigen" Umsatze gebraucht wurde, innerhalb dieser gleichen Einzelwirtschatt ganz oder teilweise ,,stillgelegt" wird, ohne dap aber deren Gesamtumfang sich andert, uns nicht als ein Fall des neuen Hortens — und umgekehrt der Fall, wo ein bisher unverwendeter Kassenvorrat in die regelmaBigen Umsatze der betreftenden Einzelwirtschatt „eingeschaltet" wird, ohne daB aber deren Gesamtkassenbestand sich verringert, uns ebensowenig als ein Fall des Enthortens gilt. Es konnte hier nun allerdings noch eingewendet werden, dieser Wortgebrauch entferne sich ziemlich weit von dem iiblichen Begriff des Hortens und der ganze von uns hervorgehobene Gegensatz zwischen dem „Nullpunkte" des Hortens und dem Zustand konstanter Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes gehe somit am Ende wohl nur aus dieser ungewohnlichen Terminologie hervor. Demgegeniiber ware aber zu erwidern, daB es zwar im Prinzip einem jeden unbenommen bleibt, unter dem Ausdruck ,,Horten" oder ,,Enthorten" etwas anderes als wir zu verstehen, und daB es somit insoweit auch wohl moglich sein wird, eine Definition dieser Begriffe aufzustellen, nach der der Nullpunkt der betreftenden Vorgange tatsachlich mit dem Zustande konstanter Umlaufsgeschwindigkeit zusammenfallt; daB aber nichts-
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obigen Erorterungen sogar notwendigerweise in alien jenenFallen ergeben, in denen die in Geld ausgedriickte Summe der Einnahmen bzw. der Ausgaben irgendeiner Einzelwirtschaft oder Gruppe vonEinzelwirtschaften steigt oder fallt; das heiBt also u. a. auch in alien den bisher besprochenenFallen, mit der einzigen Ausnahme desjenigen, in dem die Elastizitat der Nachfrage nach A voraussetzungsgemaB genau gleich eins ist. 1 Die ilbliche Oleichstellung des Zustandes konstanter Umlaufsgeschwindigkeit mit dem „Nullpunkte" des Hortens und Enthortens ware somit nach unserer Auffassung prinzipiell nur bei konstanten Umsatzziffern samtlicher Einzelwirtschaften, also in einer fast vollstandig „statischen" Volkswirtschaft, aufrecht zu erhalten.2
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65. Die Tragweite der obigen Ausfuhrungen — die unseres Erachtens fur ein richtiges Verstandnis der Theorie des neutralen Geldes von entscheidender Bedeutung sind — tritt vielleicht noch deutlicher an den Tag, wenn wir zum Zweck des Vergleiches jetzt nocb einmal die namliehen Falle wie oben untersuchen, diesmal aber unter der ausdrucklichen Voraussetzung, daft die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes unverdndert bleibt. Das Resultat erscheint in diesem Falle allerdings, von der ublichen Auffassungsweise aus betrachtet, weitaus gelaufiger und weniger paradox als das oben gefundene; jedoch zugleich ergibt sich gerade hier in unverkennbarer Weise, da8 tatsachlich eben infolge jener Voraussetzung gewisse Hortungs- bzw. Enthortungsvorgange — d. h. also nach unserer Auffassung ebensoviele typisch nichtneutrale Faktoren! — in den zu analysierenden Wirtscbaftsablauf eingetragen werden.
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Um dies in verhaltnismaBig einfacher Weise darzulegen, empfiehlt es sich — sei es auch mehr aus praktischen als aus prinzipiellen Grunden3 — noch eine weitere ,,Arbeitshypothese" einzufuhren, namlich die, daB nicht nur etwa die „mittlere" Umlaufsgeschwindigkeit samtlicher Geldeinheiten in der betreffenden Volkswirtschaft, sondern auBerdem auch die ,,partielle destoweniger eben nur die oben von uns gewahlte Definition dieser beiden Begriffe das an jenen Vorgdngen funktionell-reUvante Moment der „reinen" Nachfrage, bzw. des „reinen" Nachfrageausfalls — also die Zerstflrung der SAYschen Aquivalenz zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot an-Gutern und Dienstleistungen — in der richtigen Weise zum Ausdruck bringt. Gerade in den am Anfange dieser Anmerkung umschriebenen Fallen (die offenbar beide eine Anderung in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes implizieren), liegt eine derartige Zerstorung des naturaltauschwirtschaftlichen Gesamtgleichgewichtes nicht vor und gibt es somit auch keine Rechtfertigung fur eine entsprechende Anderung der Gesamtgeldmenge; und eben nur auf diese materielle Erkenntnis, an der eine definitorische Vmdeutung der Begriffe „neues Horten", bzw. „Enthorten" nicht das geringsle andern kann, kommt es fur unsere Problemstellung im Grunde genommen an. 1 Wie schon oben auf S. 298 bemerkt wurde, ist ubrigens in unserem Gedankengang dieser letztere Fall eben nur in dieser Hinsicht, sonst aber keineswegs als eine Ausnahme zu betrachten. 2 Der in diesem Punkte bestehende Gegensatz zwischen unseren SehluBfolgerungen und denjenigen HOLTROPS — =». a. O. Kap. VI u. VII, passim — laflt sich unseres Erachtens wohl hauptsachlich dadurch erklaren, daB die von diesem Verfasser analysierten Falle sich fast ausschliefllich in einer in dem obigen Sinne ,,statischen" Wirtschaft abspielen; die von uns untersuchten Falle einer Anderung in dem Angebot einer oder mehrerer Guterarten werden namlich von ihm iiberhaupt nicht berilcksichtigt. Innerhalb des engeren von HOLTHOP untersuchten Gebietes diirfte somit die von uns im allgemeinen abgelehnte Gleichstellung wohl in der l a t zulassig sein. Ahnliches gilt auch hinsichtlich des schon wiederholt von uns zitierten Aufsatzes E. v. MICKWITZ'. 5 Auch ohne diese Vereinfachung wiirde ja das Ergebnis im wesentlichen das gleiche bleiben, jedoch die Darstellung wurde sich dadurch unverhaltnismaBig erschweren.
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Umlaufsgeschwindigkeit" einer jeden einzelnen Geldeinheit unverandert bleibt; u n d zwar in dem Sinne, daB diese letztere GroBe fur alle die einzelnen Geldeinheiten gleich groB sei, oder mit anderen Worten, daB die ,,mittlere" Umlaufsgeschwindigkeit — FISHEBS V — nicht nur etwa eine konstante, sondern zugleich auch eine homogene GroBe sei. E s impliziert diese Voraussetzung selbstverstandlich zugleich, daB auch die Ruheeeit einer jeden einzelnen Geldsumme zwischen je zwei aufeinander folgenden ,,Handewechseln" uberall in der betreffenden Wirtschaffc gleich groB sein muB. Des weiteren ist, wie sich bei etwas genauerer Betrachtung unschwer einsehen laBt, dies alles iiberhaupt nur moglich, insoweit auch die Verhdltniseahl zwischen dem Kassenbestande einerseits u n d der „Umsatzziffer" pro — zunachst willkurlich zu wahlender — Zeiteinheit anderseits in samtlichen Einzelwirtschaften die gleiche ist. 1 Indem m a n schlieBlich diese Zeiteinheit der oben erwahnten „Ruhezeit" des Geldes gleich setzt, wird jene ,,Verhaltniszahl" offenbar ftir alle Einzelwirtschaften gleich eins; d. h. also, daB wahrend einer jeden der in diesem Sinne bestimmten ,,Wirtschaftsperioden" jede Geldeinheit einmal und nicht mehr als einmal „die H a n d e wechselt", 2 um darauf jedesmal bis in die nachste entsprechende Periode in der Kasse des jeweiligen Empfangers ruhen zu bleiben.
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B e t r a c h t e n wir n u n u n t e r diesen V o r a u s s e t z u n g e n aufs n e u e die bisher a n a l y s i e r t e n Beispiele, d a n n ergibt sich z u n a c h s t , daB i n d e m speziellen Falle, wo die Nachfrageelastizitat des G u t e s A gleich eins g e w a h l t wird, sich a n unseren friiheren Ergebnissen n i c h t s a n d e r t . Die A- Verkdufer e r h a l t e n namlich in diesem F a l l e fur eine v e r a n d e r t e Menge ihres P r o d u k t e s ex h y p o t h e s i d e n gleiehen Gesamterlos wie zuvor, u n d i n d e m sie die betreffenden G e l d s u m m e n w a h r e n d einer der in d e m obigen Sinne b e s t i m m t e n „ W i r t s e h a f t s p e r i o d e n " in ihrer K a s s e b e h a l t e n , gleichzeitig aber eine aus der vorhergehenden Periode stammende entsprechende Anzahl Geldeinheiten verausgaben, liegt offenbar weder eine V e r m e h r u n g noch eine Verringerung in ihren bisherigen K a s s e n b e s t a n d e n vor. Bbensowenig k a n n a b e r in diesem Falle e t w a auf der Seite der A-Kdufer irgendein wirksames H o r t u n g s - oder E n t h o r t u n g s m o m e n t nachgewiesen werden. Die ganze weitere Analyse verlauft somit in diesem speziellen Falle g e n a u so wie oben, d a s heiBt also, daB a u c h diesmal iiberh a u p t keine ,,Reperkussionen" auf irgendwelche Nicht-A-Preise s t a t t f i n d e n werden. I n Abweichung v o n unserer obigen A r g u m e n t a t i o n ist jenes E r g e b nis diesmal a b e r t a t s a c h l i c h d u r c h d e n speziellen U m s t a n d bedingt, daB die fur d a s G u t A insgesamt aufgewendete Preisswmme keine A n d e r u n g e r l i t t e n h a t . I s t hingegen letzteres der Fall, m i t a n d e r e n W o r t e n , w i r d eine E l a s t i z i t a t der Nachfrage n a c h A a n g e n o m m e n , die e n t w e d e r hoher oder niedriger ist als eins, d a n n verlauft a u c h die weitere A n a l y s e ganz wesentlich verschieden v o n derjenigen in d e n v o r h e r g e h e n d e n P a r a g r a p h e n . 66. U m dies darzulegen sei zuerst eine Steigerung d e r A - P r e i s s u m m e vorausgesetzt, w a s offenbar sowohl d e r F a l l sein k a n n bei einem gesteiger1 ,,Horte" im engeren Sinne des Wortes existieren somit unter dieser Voraussetzung iiberhaupt nicht. 2 Ob gegen Kinkomraens- oder gegen Kapitalguter bleibt auch hier iiir unsere Zwecke gleichgiiltig.
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ten Angebot von A und einer Nachfrageelastizitat die grofier als eins ist, wie aueh bei einem verringerten Angebot von A und einer Nachfrageelastizitat die geringer als eins ist. In diesen beiden Varianten wird nach wie vor, infolge des zunehmenden Gesamtaufwandes fur A, die restliche Kaufkraft der A-Kdufer -— selbst Nicht-A-Produzenten — und damit ihre Nachfrage nach ihren gegenseitigen Erzeugnissen (eben den gesamten Nicht-A-Giitern) sich verringern. Jedoch wird die Nachfrage nach diesen Nicht-A-Giitem seitens der A-Verkdufer sich diesmal nicht um einen entsprechenden Betrag erhohen, sondern vielmehr, wenigstens in der ersten Periode nach der Anderung in der A-Preissumme, unverandert bleiben, weil eben nach der jetzigen Voraussetzung von dieser Gruppe zunachst nur die Einnahmen aus der vorhergegangenen Periode, in der diese Preissumme offenbar noch unverandert war, verausgabt werden. In summa wird also die gesamte Nachfrage nach Nicht-A-Gutern in diesem Falle tatsachlich zuriickgehen und kann somit auch eine „Reperkussion" auf deren Preise — in unserem Fall eine sekundare Preissenkung — nicht ausbleiben. Ob dies aber, der primaren Preisanderung des Gutes A gegeniiber, eine „kompensatorische" oder aber eine „kumulative" Preisanderung bedeutet, hangt offenbar davon ab, um welche der beiden oben erwahnten Varianten es sich im einzelnen Falle handelt; das heiBt also, da8, unter der hier gewahlten Hypothese hinsichtlich der Umlaufsgeschwindigkeit, tatsachlich fur die eine Halfte der Falle — namlich die mit relativ unelastischer Nachfrage nach A, das ist also die urspriingliche TuGANsche Hypothese ! — die Kompensationstheorie, hingegen fur die andere Halfte — diejenige mit relativ elastischer A-Nachfrage — die Kumulationstheorie als richtig erscheint, wahrend nur im Falle der Nachfrageelastizitat gleich eins nach wie vor keine von diesen beiden Lehren zutrifft. 1 Wird hingegen eine ,,primare" Senkung der A-Preissumme angenommen (auch dabei sind offenbar wieder zwei den obigen entsprechende Varianten denkbar), dann verlauft die ganze Analyse genau so wie oben, allein „mit umgekehrtem Vorzeichen": die „restliche" Nachfrage seitens der A-Kaufer nach Mcht-A-Gutern steigt, hingegen bleibt auch hier die Nachfrage nach diesen Giitern seitens der A-Verkdufer zunachst unverandert, weil diese eben in der ersten Periode nach der Preisanderung von A voraussetzungsgemaB noch ihre unveranderten Einnahmen aus der vorhergegangenen Periode verausgaben. 2 I m Endeffekt liegt hier also eine gesteigerte Nachfrage und deshalb eine Preiserhohung der Nicht-AGiiter vor, die wiederum, der primaren Preisanderung des Gutes A 1 Es ist dies somit genau der oben —• S. 299/300, Anm. i — dargelegte Standpunkt STUCKENS, MAHRS und HAWTREYS, obwohl bei diesen drei Verfassern von einer expliziten Hypothese mit Bezug auf die Konstanz der Umlaufsgeschwindigkeit nicht die Rede ist. Es laflt sich dies wohl nur in der Weise erklaren, dai3 es eben ihnen alien ohneweiters als selbstverstandlich gilt, daB eine Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit, ebenso wie eine Geldmengenanderung, immer eine „Ursache auf der Seite des Geldes" — also nach unserer Terminologie ein nichtneutrales Moment — darstellt. 2 In diesem Sinne zumal auch STUCKEN, a. a. O. S. 9: „Von der aus der vorhergehenden (ersten) Phase verfiigbaren Kaufkraft konnen die Landwirte dasselbe wie bisher fur andere Giiter aufwenden, alle andere brauchen weniger fiir Korn, konnen also mehr fur ihre Produkte aufwenden; insgesamt wird also mehr Kaufkraft hierfiir aufgewandt" usw. (Hervorhebung im Original). Beitrage zur Geldtheorie. 20
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gegeniiber, im Falle einer relativ unelastischen Nachfrage nach A eine „Kompensation", im gegenteiligen Falle hingegen eine „Kumulation" der Preisanderungen bedeutet.
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Es konnte nun an dieser Stelle vielleicht noch der Einwand erhoben werden, daB — sogar unter den hier angenommenen Voraussetzungen —die oben erwahnten ,,Eeperkussionen" doch hochstens nur wdhrend einer einzelnen „Periode" auftreten konnen, weil ja schon in der nachsten Periode auch die Einnahmenanderungen auf der Seite der A-Verkaufer sicb in dem Umfang der ihrerseits entfalteten Nachfrage nach den Nicht-A-Gutern bemerkbar machen mussen. Dabei wiirde aber ubersehen, da8 in diesem Falle eben schon innerhalb jener ersten Periode eine Beperkussion auf die Nicht-AMarkte stattgefunden hat, durch die auch die Einnahmen der dortigen, also der Nicht-A-Verkaufer, eine Anderung erlitten haben, und zwar in genau dem gleichen Umfang, jedoch in die entgegengesetzte Eichtung wie diejenigen der A-Verkaufer; oder mit anderen Worten, dafi auch fur die nachste Periode doch nur wieder eine unverdnderte in Geld ausgedruckte „Gesamtkaufkraft" verfiigbar ist (wie dies ubrigens, unter der hier angenommenen Voraussetzung einer vollstandig unveranderlichen TJmlaufsgeschwindigkeit bei gleichzeitig unveranderter Gesamtgeldmenge,1 auch offenbar nicht anders denkbar ware!) Das heiBt also, da8 unter jener Voraussetzung gerade in dem Augenblick, in dem — nach dem obigen Einwand — der primare Nachfrageausfall auf den Nicht-A-Markten durch eine entsprechend erhohte Nachfrage seitens der A-Verkaufer wettgemacht werden sollte, auch immer und notwendigerweise wieder ein „sekundarer Nachfrageausfall" an irgendeiner anderen Stelle der betreffenden Wirtschaft vorliegen mufi, und ebenso in einer jeden weiteren Periode; oder mit anderen Worten, daB die angebliche Nachfragesteigerung durch die Wiederverausgabung der hoheren Einkommen seitens der A-Verkaufer2 fortwdhrend wm, eine „Phase" gegeniiber dem ebenjalls von Einzelwirtschaft su Einzelwirtschaft weiter fortwuchemden Nachfrageausfall im Nachteil bleiben mufi.*
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Es bleibt also unter der hier angenommenen Voraussetzung tatsachlich durch eine prinzipiell unbeschrankte Zahl von ,,Perioden" hindurch eine — allerdings nach unserer Auffassung nichtneutrale •— Tendenz zu Eeperkussionen (in unserem Falle zu sekundaren Preissenkungen) bestehen, die erst infolge des sich daraus allmahlich entwickelnden Prozesses des ..Induced Dislacking" im Sinne EOBEETSONS (siehe oben S. 268ff.) zum Verschwinden kommen kann. Im Zusammenhang dieser Arbeit erubrigt es sich indessen, auf diese ziemlich verwickelten Fragen ausfiihrlicher einzugehen, weil uns hier im allgemeinen doch nur die Vorgange bei neutraler Geldversorgung interessieren und diese letztere Bedingung unter den hier angenommenen Voraussetzungen eben nicht verwirklicht ist. In der Hauptsache ist nur festzuhalten, daB in der Tat das Ergebnis mit Bezug auf die Frage der ,,Eeperkussionen" sich als ganz wesentlich verschieden erweist, je nachdem man von der Voraussetzung, daB kein Horten oder Enthorten stattfindet, 1
fallengelassen -K Bzw. seitens derjenigen Wirtschaftssubjekte, die infolge der von jenen entlalteten Mehrnachfrage eine sekundare Einkommenssteigerung erlahren. 3 In diesem Sinne ebenfalls STUCKEN, a. a. O. S. 9: „Fortlaufend wird nun in den weiteren Phasen der genannte geringere Teil der Kaufkraft (geringer im Verhaltnis zur ersten Phase) fur Korn und der groCere fur andere Giiter aufgewandt" usw. (Hervorhebung von uns). werden. 2
Diese letztere Voraussetzung wird erst im nachsten Paragraphen
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oder aber von der Hypothese einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes seinen Ausgangspunkt nimmt.
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67. Es ist nun allerdings zuzugeben, daB die sich unter dieser letzteren Voraussetzung einer konstanten (und in unseren Beispielen auBerdem homogenen) Umlaufsgescliwindigkeit des Geldes ergebenden SchluBfolgerungen in mancher Hinsicht viel „normaler" — d. h. nach herkommlichen Ansichten plausibler — aussehen als die oben in den Paragraphen 63 und 64 von uns deduzierten Ergebnisse. Zwar wird auch diesmal die These der „kompensatorischen" Preisanderungen keineswegs in ibxem vollen Umfange bestatigt (es wurde sogar im Gegenteil fiir die Halfte der bisher betrachteten Falle die Notwendigkeit kumulativer Preisanderungen dargelegt) und es ergibt sich. insoweit auch in diesem Gedankengange ein unseres Erachtens durchaus berechtigter Zweifel an die Zulassigkeit der traditionellen Identifizierung der Begriffe „neutrales" und „wertbestandiges" Geld; jedoch das Vorliegen von Reperkussionen iiberhaupt wurde diesmal — mit Ausnahme des ganz speziellen Falles, wo die Nachfrageelastizitat nach A genau gleich eins ist — nicht in Abrede gestellt, und zumal auch das „Gesetz", das wir auf S. 299/300, Anm. * als das der „kompensatorischenPreissMmmewanderungen" bezeichneten (und das im Grunde mit dem schon mehrmals erwahnten Satze von „der Mark, die sich nur einmal verausgaben laBt" identisch ist), scheint unter dieser Voraussetzung unversehrt aus der Analyse hervorzugehen. DaB jener Satz in unseren friiheren Erorterungen iiberhaupt je in Abrede gestellt werden konnte, erscheint somit unter diesem Gesichtswinkel eben nur dem Urnstand zuzuschreiben, daB in diesen Fallen eine „spontane" Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit angenommen wurde, die in der Wirklichkeit, wenn schon nicht unmoglich, so doch zumindestens ziemlich unwahrscheinlich ist; wahrend hingegen unter der weitaus ,,einfacheren" und im allgemeinen auch wohl mehr der Wirklichkeit entsprechenden Hypothese einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes die obigen mehr oder weniger paradox anmutenden SchluBfolgerungen hinsichtlich der Moglichkeit einseitiger Preisanderungen eines Gutes ,,A", ohne daB irgendwelche Reperkussionen auf die sonstigen Preise auftreten, sich samt und sonders — allerdings wieder mit Ausnahme des speziellen Falles der Nachfrageelastizitat gleich eins! — als hinfallig erweisen. Dieser Einwand, so uberzeugend er auf den ersten Blick aussehen mag, kann uns aber doch nicht dariiber hinwegtauschen, daB eben nur die erstere dieser beiden Hypothesen — also diejenige, bei der, ungeachtet der Anderungen in den Umsatzziffern der betreffenden Einzelwirtschaften, die absolute Hohe deren nominellen Kassenbestande unverandert bleibt — mit unserem allgemeinen Ausgangspunkte, namlich der Analyse des Problems der Reperkussionen unter einem System ex hypothesi neutraler Geldversorgung, kompatibel erscheint. Denn eben nur unter jener Hypothese bleibt die fiir die idealtypische reine Tauschwirtschaft wesentliche Bedingung der Simultanitat zwischen Kaufhrafterwerb und Kaufkraftverwendung (s. oben S. 265 und 301/2) — oder genauer: zwischen einer jeden 20*
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Anderung in dem Kaufkrafterwerb einer oder mehrerer Einzelwirtschaften und der entsprechenden Anderung in der Kaufkraftverwendung dieser gleichen Wirtschaften— verwirklicht; wahrend hingegen gerade unter der zweiten und angeblich „wahrscheinlicheren" Hypothese prinzipiell davon ausgegangen wird, da8 eine jede Kaufkraftanderung irgendeiner Einzelwirtschaft erst wahrend der nachsten ,,Wirtschaftsperiode", also immer mit einem kiirzeren oder langerem Aufenthalt, in einer entsprechenden Anderung ihrer Ausgaben zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten, es wird gerade unter dieser letzteren Hypothese systematischerweise die Existenz eines gewissen —• und zwar in unseren bisherigen Beispielen eines konstanten und homogenen 1 — ,,Zeitintervalls" (englisch: „Time-Lag") zwischendenjeweiligenAnderungen in dem Kaufkrafterwerb und den entsprechenden Anderungen in der Kaufkraftverwendung der einzelnen Wirtschaften vorausgesetzt, was aber nach unserer obigen Analyse offenbar nicht weniger oder mehr bedeutet als daji ein typischer nichtneutraler Zug der Geldwirtschaft hier sozusagen hypostasiert wirdl2 —• Noch einen Schritt weiter gehend, laBt sich nach unserer Auffassung sogar feststellen, daB der ganze Gedankengang, wobei mit aufeinanderfolgenden „Perioden" oder „Phasen" des Wirtschaftslebens gerechnet wird — wenigstens insoweit dabei vorausgesetzt wird, daB in diesen nicht etwa die jeweils simultan gebildeten Einkommen, sondern vielmehr diejenigen irgendeiner vorhergegangenen Phase verausgabt werden — als soldier iiberhaupt nicht mehr der Theorie der reinen Tauschwirtschaft, sondern
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1 Die Voraussetzung der „Homogenitat" ist allerdings in diesem Zusammenhange, wie schon oben auf S. 303, Anm. 3 , bemerkt wurde, nicht von wesentlicher Bedeutung. Denn insoweit diese etwa nicht verwirklicht ware, konnten ja zu den im Texte erwahnten ,,Time-Lag"-Krscheinungen hochstens noch weitere monetare Storungsmomente hinzutreten, z. B. infolge des Ubergangs von Geldeinheiten aus einer Sphare mit hbherer in eine mit niedrigerer Umlaufsgeschwindigkeit oder umgekehrt (auch wenn die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit nach wie vor als unverandert angenommen wiirde). Damit konnte sich also die Nichtneutralitat der Gesamtsituation nur noch verschlimmern, keineswegs aber zum Verschwinden kommen. Es ist indessen iiberhaupt nicht notwendig, auf alle diese Komplikationsmoglichkeiten ausfuhrlicher einzugehen, weil eben fur unser Beweisthema — namlich daB sogai bei konstanter Umlaufsgeschwindigkeit und konstanter Gesamtgeldmenge ein nichtneutraler Zustand der Geldversorgung durchaus mpglich ist — schon die Analyse des einfachsten Falles dieser Art genflgt. 2 Ein fiir diesen Gedankengang geradezu typisches Beispiel — allerdings mit Bezug auf einen anderen Problemkreis, namlich den des sogenannten ,,Kaufkraftargumentes" in der Lohndiskussion — findet sich zumal bei O. CONRAD, Absatzmangel und Arbeitslosigkeit als Dauerzustand, Wien 1926, insbesondere S. 77 ff., wo gerade dieser Gedankengang fiir die Ablehnung des Kaufkraftargumentes seitens des Verfassers von entscheidender Bedeutung ist. Fur unseren Zweck ist die betreffende Stelle hauptsachlich deshalb interessant, weil es sich hier um einen der in der Literatur ziemlich seltenen Versuche handelt, das imText erwahnte ,,Time-Lag-Argument" —dessen Richtigkeit ja in weitaus den meistenFallen mehr oder weniger implizite vorausgesetzt zu werden pflegt — ausfuhrlicher zu motivieren; und zwar geschieht dies von CONRAD hauptsachlich auf Grund der Uberlegung, daB die entgegengesetzte Auffassung eine Erhohung oder Erniedrigung der Umlaufsgeschwindigkeit impliziert, wahrend doch (wir zitieren wortlich) ,,die Unveranderlichkeit der Umlautsgeschmndigkeit des Geldes . . . ebenso wie die Unveranderlichkeit der umlaufenden Gel&mengm, eine selbstverstandliche Voraussetzung jeder derartigen theoretischen Untersuchung . . . bildet" (a. a. O. S. 78; Hervorhebungen im Original). Unser Einwand dagegen ist offenbar dieser, daB, insoweit man von der Hypothese einer neutralen Geldwirtschaft ausgeht, die betreffenden Annahmen hinsichtlich einer veranderlichen Umlaufsgeschwindigkeit keineswegs ,,unbegriindet" oder ,,unzulassig" sind, die Hypostasierung des grundsatzlich nichtneutralen Time-Lags hingegen um so mehr!
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vielmehr schon typischerweise derjenigen der Geldwirtschaft angehort,1 auch wenn dabei von dem Gelde nicht ausdriicklich die Rede ist. Schon allein die Tatsache, daB bei einer jeden derartigen Analyse notwendigerweise die Moglichkeit einer „Aufbewahrung" unverausgabter Kaufkraft durch eine oder mehrere Phasen hindurch angenommen werden muB, setzt namlich implizite die Existenz irgendeines (konkreten) Geldes voraus; in einer reinen Tauschwirtschaft konnte derartiges offenbar — fast ex definitione! •— niemals stattfinden. Die in dieser Weise vorgenommene Einschaltung eines „Time-Lag" in die Analyse laBt nun aber deren Ergebnisse nur dann unverandert, wenn die Gesamteinnahmen und -ausgaben einer jeden Einzelwirtschaft sich iiberhaupt nicht andern, d. h. also nur unter der Voraussetzung einer im striktesten Sinne statischen bzw. stationaren Volkswirtschaft. Sobald jedoch auch nur an einer einzigen Stelle der betreffenden Wirtschaft eine „dynami' sche" Anderung stattjindet (wozu selbstverstandlich in diesem Zusammenhange auch und zumal die oben analysierten Angebotsanderungen irgendeines einzelnen Gutes zu rechnen sind) gewinnt die Existenz jenes „Time^ Lags" — sogar wenn dieses, wie bisher angenommen wurde, als solches vollJcommen konstant und homogen ist — einen nicht zu unterschdtzenden Einfluji auf den Wirtschaftsablauf als ganzen, dessen Bedeutung, wie schon oben (8. 265) angegeben wurde, darin gipfelt, dafi das System simultaner Gleichungen der idealtypischen reinen Tauschwirtschaft durch ein System „sukzessiver" Gleichungen, in dem dort (Anm.2) definierten Sinne, ersetzt wird. Eliminiert man nun aber, zunachst gedanklich 2 , dieses Time-Lag — wie dies nach unseren obigen Ausfuhrungen fur eine Analyse der ,,neutralen" Geldwirtschaft ohne weiteres als notwendig erscheint — dann ist das Ergebnis offenbar nicht anders als eben daB samtliche oben gefundenen „paradoxen" SchluBfolgerungen mit Bezug auf das Problem der Reperkussionen unverandert wieder in Kraft treten; das heiBt also, daB tatsachlich in einer in diesem Sinne ,,neutralen" Wirtschaft, ungeachtetob die Nachfrageelastizitdt des betreffenden Gutes hbher als eins, gleich eins, oder niedriger als eins ist, eine Preisanderung eines einzelnen Gutes „von der Angebotsseite her" moglich erscheint, ohne daB irgendwelche Reperkussionenauf dieGesamtnachfragenachNicht-A-Guternentstehenmussen. (tjber die Moglichkeiten einer Anderung in der „qualitativen" Verteilung dieser Nachfrage zwischen den einzelnen Kategorien von Nicht-A-Gutern, sowie auch iiber die Falle, wobei die primare Preisanderung des Gutes A selbst nicht von der Angebotsseite, sondern von der Nachfrageseite her verursacht wird, werden wir in den weiteren Paragraphen dieses Ab^ schnittes noch ausfuhrlicher handeln). 68. Es bleibt schlieBlich noch zu bemerken, daB die Frage, ob und inwieweit die bei der Begriindung jener SchluBfolgerungen implizite 1 Vgl. hiezu auch oben S. 302, Anm. K Eben in diesem Sinne kann man unseres Erachtens auch von einer spezifisch monetaren Variante der wirtschaftlichen „Dynamik" sprechen; siehe S. 344/5. 2 Wie sich dessen faktische Eliminierung zustande bringen laCt, wird im nachsten Paragraphen dargelegt werden.
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angenommene Hypothese einer veranderlichen Umlaufsgeschwindigkeit in der Wirklichkeit zutrifft oder nicht — ja sogar ob diese iiberhaupt als wahrscheinlich gelten darf — im Rahmen der hier vorliegenden Problemstellung hochst gleichgultig ist. Im Prinzip waren wir sogar bereit, vollstandig zuzugeben, daB tatsachlich die den oben erwahnten Einwanden zugrunde liegende entgegengesetzte Hypothese — eben diejenige einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit, wobei somit nicht die absolute Hohe der einzelnen Kassen, sondern vielmehr deren Proportion zu den Umsatzziffern der betreffenden Einzelwirtschaften unverandert bleibt — in der Wirklichkeit als der ,,normalere" Fall zu betrachten ist. Vom Standpunkte der neutralen Geldversorgung aus laBt sich jedoch eine jede diesbeziigliche Uberlegung ganz einfach beantworten mit dem — in anderem Zusammenhange — fast sprichwortlich gewordenen Satz: „um so schlimmer fiir die Wirklichkeit"; freilich nicht in dem Sinne, daB hier, irgendeinem wirklichkeitsfremden Dogma zuliebe, die mehr oder weniger offensiehtlichen Tatsachen als solche geleugnet werden, sondern vielmehr derart, daB, insoweit diese Tatsachen (anerkannterweise) vorliegen, dies nach unserer Auffassung impliziert, daft eben in der Wirklichkeit die Geldversorgung, in den bisher analysierten Fallen, fast durchwegs nichtneutral ist; oder mit anderen Worten, daB gerade hier eine sehr wesentliche, und zwar nach unserer Meinung in dem groBten Teile der bisherigen Literatur durchaus verkannte Quelle von Inflations- und Deflationserscheinungen vorliegt. Das bedeutet nun aber offenbar nichts anderes, als daB, gerade um das Geld neutral zu erhalten, in alien diesen Fallen der in unserer bisherigen Analyse als unwirksam angenommene ,,Apparat" der Geldmere<7ewanderungen in Wirkung zu treten hatte, damit der Effekt der jeweiligen neuen Hortungs- bzw. Enthortungsvorgange neutralisiert werde. Und zwar hatte dies unseres Erachtens, unter Anwendung der friiher dargelegten Grundsatze, in concreto in der Weise zu geschehen, daB in einem jeden Falle, wo die Einnahmen irgendeiner Gruppe von Wirtschaftssubjekten (also in unseren bisherigen Beispielen der A-Verkaufer) steigen, wahrend deren Kassenhaltungsmethoden derart beschaffen sind, daB diese Mehreinnahmen erst eine Periode spater in einer entsprechenden Steigerung ihrer Ausgaben zum Ausdruck kommen (was also ohne weiteres ,,neues Horten" in einem gewissen AusmaBe impliziert) der daraus hervorgehende reine Nachfrageausfall gleichzeitig durch eine entsprechende Ausgabe neuer Geldmengen kompensiert werde; wahrend umgekehrt, insoweit die Gesamteinnahmen der A-Verkaufer sich verringern und diese dennoch ihre Ausgaben zunachst auf der gleichen Hohe erhalten — was offenbar nur moglich ist, indem sie ihre Kassenbestande entsprechend zuriickgehen lassen, also Enthortungen vornehmen 1 — die daraus hervorgehende ,,reine Nachfrage" auch unmittelbar 1 Von der Existenz des Kredites — natilrlich mit Ausnahme derjenigen Kreditformen, die zugleich eine Neugeldschopfung bedeuten — wird hiebei nicht etwa abgesehen, sondern die kreditierten Betrage gelten uns einfach als ein Tell der ,,Gesamteinnahmen" des Schuldners, bzw. der „Gesamtausgaben" des Glaubigers (im Falle einer Kreditruckzahlung
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von einer entsprechenden Verringerung der Gesamtgeldmenge neutralisiert werden sollte. Die ,,Befriedigung" eines in diesem Sinne „von der Warenseite her" vermehrten „Geldbedarfes der Volkswirtschaft" 1 ware somit in unserem Gedankengange nicht als eine Inflation, und ebenso auch die Beriicksichtigung einer entsprechenden Senkung des „Geldbedarfes" durch eine Verringerung der Gesamtgeldmenge nicht als eine Deflation zu betrachten. Insoweit nun aber in dieser Weise die Neutralitat des Geldes verwirklicht bleibt, liegt auch offenbar in genau dem gleichen Sinne, und zumal in genau dem gleichen AusmaB wie in den bisher untersuchten Fallen eine Anderung in der Gesamtsumme der pro Zeiteinheit in der betreffenden Volkswirtschaft geleisteten Zahlungen vor; d. h. also eine solche Anderung, dafi auch diesmal wieder die Gesamtnachfrage nach Nicht-A-Oiitern unverdndert bleibt2 und daB sich somit — von den qualitativen Verschiebungen innerhalb jener Nachfrage noch immer abgesehen! — iiberhaupt keine Reperkussionen auf die Preise jener Guter ergeben werden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhange nur noch, daB — wenigstens insoweit die Hypothese von der konstant bleibenden Umlaufsgeschwindigkeit auch fur die spateren Perioden beibehalten bleibt — die sich hier als zur Handhabung der Neutralitat des Geldes notwendig herausstellenden Ausdehnungen, bzw. Einschrumpfungen der Gesamtgeldmenge nicht nur etwa fur eine einzelne Periode (also gewissermaBen als „tJbergangsmaBnahme"), erforderlich sind, sondern daB vielmehr in diesen Fallen die „Sollgeldmenge" sich dauemd um einen entsprechenden Betrag erhoht bzw. verringerthat. Erst eine neue ..primare" Angebotsanderung mit entgegengesetzter Auswirkung auf die Preissumme des betreffenden Gutes — sei es das gleiche Gut A oder irgendeine andere Guterart — konnte eine derartige Anderung in dem ,,Geldbedarf der Volkswirtschaft" wieder ruckgangig machen. 69. Zusammenfassend ergibt sich hier somit, da/3 auch nach unserer Auffassung ein gewisser Zusammenhang zwischen den Anderungen in dem Sogenannten „Handel8volumen" und denjenigen in der Sollgeldmenge nicht gans in Abrede gestellt werden kann. Jedoch auf der anderen Seite durfte es ohne weiteres klar sein, daB dieser Zusammenhang sich ganz wesentlich unterscheidet von der einfachen proportionalen Eelation zwischen den beiden betreffenden GrdBen, wie diese zumal von den Anhangern der „BankingSchule" hervorgehoben zu werden pflegt. Wie bedeutend dieser Unterschied selbstverstandlich umgekehrt), so daB eine spezielle Berilcksichtigung der betretfenden Summen sich erubrigt. 1 Vgl. zu diesen Ausdriicken — zumal derjenigen des „volkswirtschaftlichen Geldbedarfes" — auch S. 261 u. 268. Aus unseren dortigen Bemerkungen diirfte es ohneweiters klar sein, daB wir mit der Verwendung dieses Ausdruckes keineswegs die Absicht haben, uns etwa den Auffassungen der Banking- Schule anzuschlieBen! 2 Der einzige Unterschied ist, daB die betreffende Anderung diesmal auf dem Wege iiber die Gesamtgeldmenge „ M " anstatt iiber die Umlaufsgeschwindigkeit ,,V" zustande kommt. Das Produkt dieser beiden GroBen ,,E" — nach unseren fruher eingeftihrten Voraussetzungen in diesem Falle mit der Gesamteinkommenssumme , , / " identisch —- erhoht und erniedrigt sich somit in diesen beiden Fallen um genau den gleichen Betrag: eben denjenigen, um den sich auch die Preissumme des Gutes A, an und fur sich betrachtet, jeweils vermehrt Oder verringert!
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ist, t r i t t sof ort an den Tag, indem m a n sich vergegenwartigt, daB nach unserem R r i t e r i u m (erstens) im Falle, wo die NaoMrageelastizitat nach dem Gute A gleich eins ist, u b e r h a u p t keine Anderung in der Sollgeldmenge vorliegt; (zweitens) daB insoweit diese NaoMrageelastizitat holier ist als eins, die GroBen „ H a n d e l s v o l u m e n " u n d , , Geldbedarf" sich zwar in die gleiche Bichtung, jedoch keineswegs in dem gleichen Ausmafi andern j 1 u n d schlieBlich (drittens), daB in samtlichen Fallen, wo die betreffende NaoMrageelastizitat niedriger ist als eins, die Sollgeldmenge sich sogar in die entgegengesetzte Bichtung wie das „ H a n d e l s v o l u m e n " andern wird: das heiBt also, daB in diesen Fallen eine Z u n a h m e des A-Umsatzes eine Verringerung der Gesamtgeldmenge erforderlioh maoht, wahrend umgekehrt gerade bei einem Kiickgang in dem mengenmaBigen Umfang des A-Angebotes eine Steigerung der Gesamtgeldmenge stattzufinden hat. 2
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Diese letzteren Ausfuhrungen beziehen sich allerdings noch immer auf den Fall einer konstanten u n d homogenen Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. E s ist indessen selbstverstandlich auoh moglich, daB — entweder im Z u s a m m e n h a n g mit den bisher besprochenen Vorgangen 3 oder auch ganzlich unabhiingig davon — noch weitere Hortungs- bzw. Enthortungsvorgange als die sich u n t e r jener Hypothese ergebenden stattfinden, die dann tatsachlich zugleich eine Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit darstellen. 4 AuBerdem trifft natiirlich auch unsere bisherige Voraussetzung, nach der die Umlaufsgeschwindigkeit selbst eine homogene, in alien Teilen des Wirtschaftslebens
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1 Letzteres ware ja nur der Fall, insoweit die Nachfrageelaslizitat des Gutes A sozusagen unendlich ware: d. h. also, wenn dessen Preis sich im Falle einer Zu- oder Abnahme des Angebotes uberhaupt nicht andern wiirde. Bei relativ geringfugigen Angebotsanderungen diirfte dies allerdings in der Praxis ziemlich regelmaBig der Fall sein, und insoweit ware mithin das Postulat von der Parallelitat zwischen „Handelsvolumen" und Gesamtgeldmenge tatsachlich richtig; jedoch ein jeder Versuch zu einer Verallgemeinerung dieser Hypothese ware offenbar vollkommen unzulassig. 8 Man konnte hier freilich noch einwenden, daB in diesen letzteren Fallen eine mengenmSpige Steigerung des Umsatzes eben dessen werim&pige Verringerung bedeutet und umgekehrt, und daB sich also in diesem ,,pragnanten" Sinne die These von dem Parallelismus zwischen Gtiterumsatz und Sollgeldmenge wohl doch noch aufrecht erhalten lieBe. Dies ware in einem gewissen Sinne allerdings zuzugeben, jedoch nur unter Hinzufugung der Bemerkung, daB gerade die dazu notwendige Umdeutung der betreffenden Begriffe maieriell die vollstandige Preisgabe des von uns bestrittenen Standpunktes impliziert, der somit in diesem Falle nur noch dem Namen nach beibehalten wiirde. Mit Bezug aut einen hiemit eng verwandten Einwand hinsichtlich der Frage der Indexziffernmethoden, siehe S. 318ff., A n m . l . 3 Namlich indem eine Steigerung oder Senkung in den Einnahmen irgendeiner Einzelwirtschaft zwar keine genau proportionale Anderung, aber doch immerhin irgendeineAnderung in deren Kassenhaltung verursacht: also z. B. wenn in dem oben besprochenen Falle einer erhohten A-Preissumme die betreffenden Verkaufer ihre Mehreinnahmen zwar teilweise schon in der gleichen, fiir den ubrigen Teil jedoch erst in der nachsten oder einer noch spateren Periode wiederverausgaben. In einem solchen Falle findet eben mit Bezug auf den einen Teil der betreffenden Geldsummen eine Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit ohne neues Horten oder Enthorten, hingegen mit Bezug auf den anderen Teil neues Horten ohne Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit statt, was, zusammen betrachtet, zu dem nach der iiblichen Auffassung wohl vollig paradox erscheinenden Ergebnis fiihrt, es konne in einer und der gleichen Volkswirtschaft gleichzeitig eine Zunahme des Hortens und dennoch eine Erhohung der Umlaufsgeschwindigkeit vorliegen! 4 Diese letztere Behauptung steht zu unseren bisherigen Ausfuhrungen keineswegs in Widerspruch, wie es vielleicht bei oberflachlicher Betrachtung den Anschein haben konnte; denn dafl es uberhaupt einen funktionellen Zusammenhang zwischen dem Umfange des Hortens und den Anderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit gibt, wurde ja unsererseits vom Anfange an nicht in Abrede gestellt. Der Unterschied zwischen unseren diesbezuglichen Auffassungen und der iiblichen Lehre bezieht sich eben nur auf die Frage des beiderseitigen ,,Nullpunktes", genau so wie wir an anderer Stelle auch die Identitat der Begriffe neutrales und wertbestandiges Geld verneinten, obwohl wir doch niemals geleugnet haben, daB tatsachlich eine jede Inflation an und fiir sich preissteigernd und ebenso eine jede Deflation preissenkend wirkt.
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gleiche GroBe sein sollte, in der Wirklichkeit keineswegs zu, so daB in der Praxis immer auch noch damit zu rechnen ist, daB schon der bloBe Ubergang von Einkommen bzw. Kaufkraft aus einer ,,Sphare" mit hoherer Umlaufsgesehwindigkeit in eine Sphare mit niedrigerer Umlaufsgesohwindigkeit oder umgekehrt eine nichtneutrale Auswirkung auf den Wirtschaftsablauf als ganzes haben kann. Insoweit m a n nun nach und nach alle diese Momente mitberiicksichtigt, ergibt sich selbstverstandlich auch die Notwendigkeit zu immer weiteren „korrigierenden" Anderungen in der Gesamtgeldmenge; jedoch alle diese Komplikationen andern nichts daran, daB das Prinzip der H a n d h a b u n g der Neutralitat des Geldes -— eben die Kompensierung von alien „ s p o n t a n e n " neuen Hortungs- u n d Enthortungsvorgangen ohne Ausnahme durch eine entsprechende Zunahme bzw. Abnahme der Gesamtgeldmenge — in alien diesen Fallen grundsatzlich das gleiche bleibt. U n d insoweit dieses Prinzip folgerichtig angewandt wird, muB auch die Auswirkung, ungeachtet irgendwelchen Anderungen u n d ,,Dishomogenitaten" in der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes, uberall gleioh sein; namlich eine virtuelle ,,Wiederlierstellung der S i m u l t a n i t a t " zwischen Kaufkrafterwerb u n d Kaufkraftverwendung 1 in alien denjenigen Fallen, wo diese zerstort zu werden droht, u n d infolgedessen das Unverdndertbleiben der Oesamtnachfrage nach alien niclit durch eine „primdre" Preisanderung affizierten Ouiem, mit anderen Worten das FeMen \<m „ q u a n t i t a t i v e n " Eeperkussionen. Es sind somit unsere diesbezuglieben SehluBfolgerungen keineswegs nur auf Grund einer speziellen, mehr oder weniger unwahrscheinlichen Voraussetzung mit Bezug auf die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes richtig, sondern vielmehr erweisen diese sich im Prinzip — wie schon auf S. 269, Anm. a erwahnt wurde — als mit einer jeden denkbaren Hypothese iiber das „Verhalten" der TJmlaufsgeschwindiglceit Icompatibel, vorausgesetzt u n d nur vorausgesetzt, daB die Gesamtgeldmenge sich jeweils so andert, daB die Neutralitat des Geldes nicht zerstort wird. Die Frage, wie die Umlaufsgesohwindigkeit in einem jeden einzelnen Falle in der Wirklichkeit reagieren wird, ist somit ein Problem fur sich, das zwar ohne Zweifel fur die Ermittlung der numerischen Hohe der jeweils notwendigen Geldmengenanderungen eine groBe Bedeutung haben kann, dessen Beantwortung jedoch fiir die Bichtigkeit oder Unrichtigkeit der oben gefundenen Ergebnisse als solche vollstdndig irrelevant t'si.8 70. A u c h insoweit m a n a b e r dieser — hier freilich n u r fluchtigerweise begriindeten — Verailgemeinerung unserer bisherigen positiven SehluBfolgerungen n i c h t b e i s t i m m e n sollte, geniigen d o c h auf der a n d e r e n Seite schon die wenigen bisher vollstandig a n a l y s i e r t e n vereinfachten Falle z u d e m unseres E r a c h t e n s einwandfreien Beweis unserer beiden negativen Thesen, namlich daB erstens d a s angebliche „ G e s e t z " der k o n t r a r e n P r e i s a n d e r u n g e n g e r a d e u n t e r einem S y s t e m n e u t r a l e r Geldversorgung keineswegs zutrifft und dafi somit die Stabilitdt des durchschnittlichen Preisniveaus alles eher als ein zuverl&ssiges Symptom fiir die 1 2
Vgl. zu diesem Ausdruck oben S. 265. Aus diesem Grunde durfte es sich auch eriibrigen, uns in diesem Zusammenhange ausfiihrlicher mit den — allerdings durchaus scharfsinnigen — Untersuchungen H. NEISSERS (Der Kreislauf des Geldes, Weltw. Archiv 1931, Bd. 33, S. 3651f.) zu beschaftigen, deren Zweck ja hauptsachlich darin besteht, die kausalen Faktoren klarzulegen, von denen das jeweilige „Verhalten" der Umlaulsgeschwindigkeit bestimmt wird, wahrend die Frage, ob, bzw. inwieweit die von ihm skizzierten Vorgange als ..neutral" zu betrachten sind, von diesem Autor tiberhaupt nicht beriihrt wird.
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Neutralitat der Geldversorgung ist;1 und zweitens, daB auch mit der etwaigen Stabilisierung entweder der Gesamtgeldmenge „M" oder aber der Summe der pro Zeiteinheit geleisteten Zahlungen „E" die Neutralitat des Geldes nicht unter alien Umstanden verwirklicht werden kann. Da weiter in keinem einzigen unserer bisherigen Beispiele eine Anderung in dem sogenannten ,,Koeffizienten der Geldumsiitze" im Sinne H A Y E K S bzw. in dem „Differenzierungskoeffizienten" im Sinne HOLTROPS 2 vorausgesetzt wurde — tatsaehlich wurden diese beiden GroBen sogar iiberall in unserer Analyse gleich eins angenommen, weil eben nirgendwo von der Existenz einer Zwischenstufe zwischen den Produzenten und den Konsumenten, und ebensowenig von anderen als den durch Geld vermittelten Umsatzen die Rede war — so gilt dieses Ergebnis offenbar auch unverandert mit Bezug auf die entsprechend ,,korrigierten", bzw. „auf Einkommen reduzierten" GroBen; das heiBt also, daB auch die Stabilitat des speziellen ,,Preisniveaus der Einkommensgiiter" („P,") bzw. die der Summe aller Geldeinkommen pro Zeiteinheit (,,/" )3 nicht mit der Neutralitat des Geldes identifiziert werden darf. Und da die obigen Beweisfuhrungen offenbar auch davon unabhangig sind, ob die Bevolkerungszahl sich andert oder nicht, kann schlieBlich auch die Stabilitat des durchschnittlichen Geldeinkommens pro Kopf der Bevolkerung* nicht als das gesuchte symptomatische Kriterium fur die Neutralitat der Geldversorgung in Betracht kommen. Damit ware also nach unserer Ansicht der liickenlose Beweis erbracht, daB nicht nur etwa die Stabilitat des „allgemeinen" Preisniveaus P, sondemganz allgemein das Unverandertbleiben von irgendwelcher Grofie aus der FiSHERscAew, bzw. den sonstigen aus dieser abzuleitenden „Verkehrsgleichungen" mit der Neutralitat der Geldversorgung inkompatibel sein kann und unter bestimmten Umstanden sogar inkompatibel sein muB, und daB somit das soeben erwahnte,symptomatische Kriterium", nach dem iiber die Zulassigkeit oder Unzulassigkeit einer bestimmten Anderung in der Gesamtgeldmenge entschieden werden kann, sich diesen Gleichungen ilberhaupt nicht entnehmen lafit. 71. Nur mit Bezug auf das Preisniveau — P oder P{ — das ja bekanntlich nicht in dem gleichem Sinne wie E, I, M usw. eine eindeutig bestimmte GroBe darstellt, bleibt immer noch der Einwand zu beriicksichtigen, den wir schon oben auf S. 297/8 mit Bezug auf den speziellen Fall der Nachfrageelastizitat gleich eins beilaufig erwahnten, und der dahin geht, es musse im Prinzip doch immer moglich sein, eine etwaige „Kluft" zwischen den Begriffen neutrales und wertbestandiges Geld x Insoweit stimmt somit unser Ergebnis vollstandig mit dem Standpunkte HAYEKS uberein, in dessen Schriften wir allerdings (vielleicht mit Ausnahme des Aufsatzes im Weltw. Archiv 1928, Bd. 28, S. 33fl., ilber „Das intertemporale Gleichgewichtssystem der Preise und die Bewegungen des Geldwertes", dessen Argumentation sich aber nach unserem Geschmack noch allzusehr auf dem Gebiete des abstrakten Geldes bewegt) einen betriedigenden Beweis fiir die Richtigkeit dieses Standpunktes vermissen. Zumal in ,,Geldtheorie und Konjunkturtheorie", S. 55 ff., wird unseres Erachtens die Richtigkeit der betreffenden AufJassung allzusehr als eine Selbstverstandlichkeit angenommen. 2 Vgl. oben S. 284fi., bzw. S. 287, Anm. '. 3 Vgl. oben S. 286. 4 Vgl. oben S. 287.
Zum Problem des ..Neutralen" Geldes.
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zu iiberbriicken, indem man nur den letzteren Begriff solange umdeutet — bzw. die Indexformel, mittels deren das Preisniveau gemessen wird, in einer solchen Weise ^ o r r i g i e r t " 1 — bis dieser eben alle diejenigen Falle mitumfaBt, von denen nachgewiesen werden kann, daB sie unter einem System strikt neutraler Geldversorgung moglich sind. Es handelt sich hiebei um einen (wie wir aus personlicher Erfahrung haben feststellen konnen, zumal auch unter den hollandischen Nationalokonomen 2 ) ziemlioh verbreiteten und beliebten Gedankengang, dessen Motivierung sich allerdings fast regelmaBig auf die allgemeine Eeststellung beschrankt, es sollen doch — nach einem in der Literatur Tiber die Indexzahlen fast allgemein anerkannten Grundsatze —• nicht nur die Preisanderungen der einzelnen Guter als solche, sondern vielmehr daneben auch deren jeweilige mengenmaBigen Umsatzziffern im Verhaltnis zueinander „beriicksichtigt" werden. 3 (Prinzip der sogenannten ,,gewogenen", im Gegen-
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1 Bei ganz genauer Analyse lassen sich hier sogar zwei gesonderte Probleme unterscheiden, die allerdings untereinander so viele Beriihrungspunkte aufweisen, daB sie in der praktischen Diskussion fast nie vollstandig zu trennen sind. Erstens gibt es namlich die Frage nach der Moglichkeit, bzw. der Beschaffenheit einer Indexzahlenmethode, mit deren Hilfe man die in unserem Sinne als „monetar" zu betrachtenden Faktoren isolieren und gleichzeitig die nichtmonetaren ausschalten konnte; und zweitens die davon im Prinzip unabhangige Frage, inwieweit fiir die verschiedenen „Preissituationen", die sich nach unserer bisherigen Analyse unter einem System neutraler Geldversorgung ergeben konnen, die Bezeichnung „siabiles Preisniveau" noch als angemessen erscheint. Diese beiden Fragen lassen sich offenbar nur dann identifizieren, wenn man den Begrifl des „Geldwertes" definitorisch mit der durch die Indexzahl ausgedruckten GroBe gleichsetzt oder umgekehrt, was indessen von vornherein keineswegs eine Notwendigkeit ist. So wird z. B. von HAWTREY, obwohl er (siehe oben S. 297, Anm. *) bei der Bereehnung seiner Indexzahl die nichtmonetaren Ursachen der Geldwertanderungen zu eliminieren versucht, deren Existenz keineswegs in Abrede gestellt; mit anderen Worten, jene Indexzahl soil eben eingestandenermaBen nicht den Ausdruck des ,,Geldwertes" als solchen darstellen. Bei einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Verfasser sollten also die beiden oben erwahnten Fragen immer getrennt behandelt werden. Auf der anderen Seite ware hingegen (sogar nach unserer Auffassung) nichts Wesentliches dagegen einzuwenden, wenn man etwa nach dem Beispiel VERRIJN STUARTS — siehe oben S. 221/2 — den Begriff der Geldwertstabilitat definitorisch mit dem der Neutralitat des Geldes gleichstellen wollte, wenn dabei eben nur nicht zugleich die Behauptung impliziert wiirde, die Verwirklichung jenes Zustandes musse sich immer in irgendeiner Weise durch eine gleichbleibende Indexzahl zum Ausdruck bringen lassen; oder mit anderen Worten, wenn man bei dieser Definition nur zugeben wollte, daft man sich damit ganz wesentlich von dem ilblichen Begriffe der „Geldwertstabilitat" entfernt. Im weiteren Verlaufe des Textes werden wir uns hauptsachlich mit der ersten der beiden oben angedeuteten Fragen beschaftigen. 2 Vgl. z. B. den Aufsatz R. VAN GENECHTENS im Weltw. Archiv 1932, Bd. 36 — ..Literatur zur Wirtschaftskrisis" — wo diese Auffassung sogar an zwei Stellen zum Ausdruck kommt, namlich S. 9 * : , , . . . Soil dies nun bedeuten, daB Inflation moglich ist, ohne daB das Preisniveau steigt ? Ich glaube nicht. Es besagt nur, daB die angewandte Indexzahl keine richtige ist" usw., und S. 16*: ..Soil man deshalb die Ansicht teilen, die . . . HAYEK . . . vertritt, daB stabiles Preisniveau und neutrales Geld noch nicht ein und dasselbe sind? Ich glaube nicht; es sollte nur eine genauere Fassung des Begriff es .stabiles Preisniveau' herausgearbeitet werden" usw. Im gleichen Sinne auBerte sich der gleiche Verfasser ubrigens auch schon im (Holl.) ..Economist" von 1930, Bd. 79, S. 180 H., anlaBlich unseres Diskussionsbeitrages zu der 1929 er Tagung der „Vereeniging voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek" (siehe oben S. 228, Anm. J ). 3 Vgl. z. B. G. M. VERRIJN STUART, a. a. O. (Geld en Crediet, 2. Aufl.) S. 78. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhange zumal auch die Stelle bei HABERLER, a. a. O. S. 12, wo dieser Autor infolge einer ahnlichen allgemeinen Redewendung sogar fiir einen Augenblick an der ausschlieBlichen Richtigkeit der sonst mit so glanzendem Scharfsinn von ihm beftirworteten Methode der ,,einfachen" Wagung irre zu werden scheint: namlich indem er die Moglichkeit zugibt, eine einwandfreie Indexzahl konne sich auch dann andern, wenn samtliche Einzelpreise unverandert bleiben — also lediglich infolge einer Anderung in den Mengenverhaltnissen — was ja offenbar nur bei Anwendung einer Doppelgewichtsmethode moglich ist.
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satz zu den „ungewogenen" Indexzahlen. 1 ) Die exakte Formulierung der Methode, nach der diese beiden Faktoren — Preis und Menge — in einer solchen Weise zu einer einzigen Indexzahl verarbeitet werden sollen, damit man so dem in dem obigen Sinne umgedeuteten Begriff der Geldwertstabilitat gerecht werde, wird freilich von weitaus den meisten der betreffenden Autoren mehr oder weniger ausdriicklich den statistischen Fachleuten iiberlassen, und zwar in der Regel ohne daB man sich dabei auch nur die Frage vorlegt, ob es sich hier nicht etwa um eine von vornherein unlosbare Aufgabe handeln konnte. 2
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Demgegeniiber ware nun unseres Erachtens zunachst zu erwidern, daB mit einer jeden derartigen Argumentierung die Beweislast bezuglich der Vnmoglichkeit des betreffenden Verfahrens in einer nicht ganz zulassigen Weise den Gegnern jenes Gedankenganges zugeschoben wird. Von einem rein formalen Gesichtspunkt aus betrachtet waren wir somit wohl berechtigt, diesen Einwand solange iiberhaupt zu vernachlassigen, bis uns eine in Einzelheiten ausgearbeitete Indexzahlenmethode vorgelegt wiirde, von der sich wenigstens auf den ersten Blick behaupten liefie, die betreffende Indexziffer bleibe tatsachlich in samtlichen nach unserer bisherigen Analyse mit der Neutralitat des Geldes kompatiblen Preissituationen unverandert und bringe zugleich alle in unserem Sinne als inflatorisch bzw. deflatorisch zu betrachtenden Momente in der richtigen Weise zum Ausdruck. Indessen wollen wir uns an dieser Stelle keineswegs auf eine derartige formal-defensive Stellungnahme beschranken, sondern wir sind vielmehr auch den positiven Beweis zu erbringen bereit, daB die betreffende Aufgabe tatsachlich schon von vornherein als unlosbar zu betrachten ist.
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72. In conoreto handelt es sich hierbei namlich um die Aufgabe, ein System der Indexzahlenberechnung zu schaffen, bei dem in samtlichen Fallen, in denen der Preis eines einzelnen Gutes A sich infolge einer Angebotsanderung auf dem betreffenden Markte andert, wahrend alle die ubrigen Preise gleich bleiben, die betreffende Indexsahl iiberhawpt Iceine Anderung cmfweisen wiirde; und zwar, nach unserer obigen Analyse, ungeachtet des Elastizitatsgrades der Nackfrage nach A, das heiBt also ungeachtet ob der mengenmaBige Umsatz dieses Gutes sich genau verkehrt proportional zu der betreffenden Preisanderung oder aber schwacher bzw. starker erhoht oder erniedrigt. Auf der anderen Seite sollte aber ein jedes monetdres Storungsmoment eindeutig in einer Steigerung oder Senkung der betreffenden Indexzahl zum Ausdruck kommen. Zur Erfiillung dieser Aufgabe erweisen sich nun zunachst, wie sich un1 Vgl. hiezu vor allem I. FISHER, ,,The Making of Index Numbers", New York 1922 (Ch. I l l , S. 42H. und passim); eine Arbeit, die iibrigens nach unserer Ansicht nie ohne den wamenden Kommentar HABERLERS gelesen werden sollte! 2 Mit Bezug auf die oben erwahnten Schritten VAN GENECHTENS ist allerdings anzuerkennen, daB dieser Verfasser in seinem soeben erwahnten hollandischen Aufsatz aus dem Jahre 1930 tatsachlich einen — freilich nach unserer Ansicht miClungenen — positiven Vorschlag fiir eine alternative Methode der Indexzahlenberechnung angegeben hat, die im wesentlichen darauf hinauskommt, in einem jeden Lande sei der Preis des „Grenzausfuhrproduktes" als reprasentativ fiir den Geldwert iiberhaupt zu betrachten.
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schwer einselien laBt, nicht nur 1 die angeblich 2 „ungewogenen", sondern vielmehr ganz allgemein samtliche „einfaoh gewogenen" Indexformeln — das heiBt also alle diejenigen, die nach der Formulierung HABERLERS 3 das Verhdltnis der Preissummen einer und derselben Guterkombination in verschiedenen Zeitpunkten zum Ausdruck bringen 4 — als unzureichend, weil es eben bei einer derartigen Methode der „ W a g u n g " uberhaupt keine Moglichkeit gibt, die Preisanderung des Gutes A rechnungsmafiig zu „kompensieren", insoweit nicht tatsachlich bei irgendwelchen Mcht-A-Gutern eine kompensatorische Preisanderung vorliegt. 5 Die einzige Moglichkeit, daB eine Indexzahl des bier besprocbenen Typus unter den oben angegebenen Umstanden unverandert bleiben konnte, ware somit die, daB — wie auch schon auf S. 298, Anm. 1 erwahnt wurde — das Gut A, dessert Preis sich dndert, in der betreffenden „reprdsentativen" Guterkombination, deren Preisdnderungen von der Indexzahl dargestellt werden, uberhaupt nicht (das heiflt also formell: mit einem Gewichtskoeffizienten gleich Null) vertreten ware. Wahrend nun aber mit Bezug auf den speziellen Fall der Nachfrageelastizitat gleich eins — eben solange jener Pall noch als eine Ausnahme betrachtet werden konnte — dieser Ausweg, obwohl zunachst als etwas ungewohnlich, 6 doch nicht von vornherein als widersinnig erschien, 7 fuhrt dieses gleiche Prinzip unter Berucksichtigung der seitdem von uns vorgenommenen Verallgemeinerung des betreffenden Ergebnisses zu der nichts weniger als grotesken Konsequenz, dafi in einem jeden einzelnen Falle sdmtliehe Giiter, deren Preise sich uberhaupt gedndert haben —- oder doch wenigstens samtliche Giiter, deren Preisanderung in die entgegengesetzte Richtung verlauft wie die entsprechende mengenmaBige Umsatzziffer u n d bei denen sich also eine Preisanderung „von der Angebotsseite h e r " vermuten lieJBe — bei der Indexberechnung mit einem Gewichtskoeffizienten gleich Null angesetzt werden miifiten. DaB damit in der T a t eine gegen die nichtmonetaren Anderungen einzelner Preise ganz grundlich „unempfindliche" Indexformel gefunden ware, ist zwar nicht abzustreiten; jedoch dies ware offenbar nur erreicht u m den Preis einer genau so groBen Unempfindlichkeit der betreffenden Indexzahl gegeniiber samtlichen monetar bedingten, also tatsachlich nichtneutralen Preisanderungen; oder mit anderen Worten, die nach dieser Methode zu berechnende „Indexzahl" konnte sich uberhaupt in keinem einzigen Falle dndern! — Wir brauchen somit wohl k a u m viele Wie dies zumal von VAN GENECHTEN (a. a. O. S. 180) nahegelegt worden ist. „Angeblich": im Grunde betrachtet gibt es namlich uberhaupt keine „ungewogenen" Indexziffern, sondern stellen die ublicherweise so bezeichneten Formeln, wie HABERLER, a. a. O. S. 10 u. S. 14 bis 16, uberzeugend dargelegt hat, vielmehr nur einen Spezialfall der „einfachen Wagung" dar. 2
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HABERLER, a. a. O. S. 19 und passim.
* Diese Formulierung schlieBt bekanntlich keineswegs aus, daB die gleichen Formeln sich teilweise aueh als „(gewogener) Durchschnitt der Preisverhaltnisse", bzw. als „Verhaltnis der (gewogenen) Preisdurchschnitte" darstellen lassen, wie dies u. a. von HABERLER (a. a. O. S. 13/14) mit Bezug auf die beiden am haufigsten verwendeten Formeln dieser Kategorie — namlich die LASPEYRESsche I —s———— \ -S Pi •
und die PAASCHEsche
^r,—-2—— \
2
—
Pi - 'h I
nachgewiesen worden ist. 6 Genau so wenig wie eine Indexziffer dieser Kategorie sich etwa andern konnte, wenn samtliche Einzelpreise unverandert blieben. • „Ungewohnlich" zumal deshalb, weil die angeblichen „Gewichts"koetfizienten hier offenbar nicht mehr — wie dies ursprilnglich der „Sinn" der Wagung sein sollte, und auch in den beiden in der vorhergehenden Anmerkung erwahnten Formeln noch tatsachlich der Fall war — zu der prozentualen ,,Bedeutung" der betreffenden Giiterarten innerhalb des gesamten Handelsvolumens in irgend welchem nachweisbaren Zusammenhang stehen. ' Vgl. oben S. 297/8.
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W o r t e dariiber zu verlieren, dafi m a n mit der tatsachlichen Durchfuhrung eines derartigen „Eliminationsprinzips" dem Begriff des . . I n d e x e s " den letzten Rest von vemtinftigem Sinn rauben wiirde. 73. D a m i t ware also in dem fur die von uns bestrittene Auffassung giinstigsten Fall die Moglichkeit einer befriedigenden Losung der vorliegenden Aufgabe schon jedenfalls von vornherein auf die sogenannten ..Doppelgewichtsm e t h o d e n " b e s c h r a n k t : das heiBt somit auf diejenigen Metboden, bei denen jeweils das Verhaltnis der Preissummen zweier verschiedener (je fur d e n betreffenden Zeitpunkt als ..reprasentativ" betrachteten) Gtiterkombinationen ermittelt wird. E s sind n u n , wie wir schon oben (S. 298, Anm. *) b e m e r k t e n , im allgemeinen gegen eine jede derartige Methode der Indexzahlenberechnung ganz schwerwiegende Bedenken anzufuhren, wobei wir u n s hauptsachlich auf die diesbeziiglichen Erorterungen H A B E B L E B S stiitzen. Indessen wollen wir an dieser Stelle jenen P u n k t vollstandig beiseite lassen, 1 u m u n s zunachst ausschlieBlich m i t der F r a g e zu beschaftigen, ob (bzw. wieso) sich mittels einer derartigen Methode die oben umschriebene Aufgabe rein „techniseh" betraehtet erfullen lieBe.
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D a s Ergebnis ist freilich auch in dieser Beziehung nach unserer Ansieht d u r c h a u s negativ, u n d diirfte sogar fur diejenigen, die in diesem P u n k t e auf die Doppelgewichtsmethode ihre ..letzte Hoffnung" gesetzt h a b e n , k a u m weniger enttauschend sein als unsere obigen Schlufifolgerungen m i t Bezug auf die entsprechende F r a g e u n t e r einem System der ..einfachen" W a g u n g . Auch hier laBt sich namlich eben nur in dem speziellen Falle d e r Nachfrageelastizitat gleich eins das erwunsehte Resultat in einer relativ einfachen u n d zunachst wohl plausibel erscheinenden Weise verwirklichen: namlich indem m a n in einem jeden der aufeinander folgenden Z e i t p u n k t e
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1 Zumal deshalb, weil diese letzteren Einwande sich inshesondere auf die zweite der auf S. 315, A n m . l erwahnten Fragen beziehen, mit der wir uns hier ja nicht in erster Linie zu beschaftigen haben. Gerade mit diesen Einwanden hangt ubrigens auch unsere Ablehnung. des in Anm. 2 auf S. 312 erwahnten Argumentes mit Bezug auf die Umdeutung des Begriffes Handelsvolumen im Sinne einer „wertmaBigen" anstatt einer rein „physischen" Grofie aufs engste zusammen. Es ist namlich diese Umdeutung nach unserer Ansieht hauptsachlich deshalb unzulassig, weil diese konsequenterweise dazu fiihren muflte, auch die Indexzahlen aus der Vergleichung der Preissummen von jeweils zwei „wertmapig" aquivalenten anstatt „physisch" gleichen Giiterkombinaiionen zu ermitteln, was aber unseres Erachtens eine nahezu vollstandige Denaturierung des Begriffes „Preisniveau", bzw. „Preis" bedeuten wiirde. Denn mit Bezug auf irgendein einzelnes Gut, dessen Geldpreis pro physischer Einheit (z. B. pro Tonne oder pro Hektoliter) etwa bis auf die Halfte zuruckgeht, wird doch auch wohl niemand vernunftigerweise daran denken, dennoch von einem ,,unverandertem Preise" zu sprechen, auf Grund keiner anderen Uberlegung als eben dieser, daB ja infolge der besseren Versorgung mit der betreffenden Ware der (Grenz-) Wert, bzw. (Grenz-) Nutzen ihrer physischen Einheit sich gleichzeitig auch um die Halfte verringert h a t ! Das Wort ..Preis" hat nun einmal in der Wirtschaftstheorie die ganz einfache und nicht miBzuverstehende Bedeutung der jeweils pro physischer Einheii des betreffenden Gutes — und nicht etwa pro ,,Util" im Sinne FISHERS — herzugebenden, bzw. zu erhaltenden Geldsumme, und es ist kein einziger triftiger Grund dajur beizubringen, weshalb das gleiche Wort in der Zusammensetzung „Preisniveau" auf einmal etwas grundsdtzlich anderes bedeuten sollte. — Vielleicht (obwohl wir auch dies durchaus bezweifeln mochten) lieBe sich wohl behaupten, die Neutralitat des Geldes in unserem Sinne miisse eben die Stabilisierung des geldlichen Aquivalentes der „Util", also des sogenannten „subjektiven Geldwertes", verwirklichen; jedoch auch wenn dies etwa richtig ware, bedeutete es nach dem Obigen docb noch immer etwas ganz anderes als die Stabilisierung irgend eines durchschnittlichen „Preisniveaus". — Es soil hier Ubrigens noch einmal ausdrucklich wiederholt werden daB bei unserer weiteren Argumentation im Texte der in dieser Anmerkung behandelte Fragenkomplex ganzlich auBer Betracht bleibt, weil es sich dort eben nur um die rein „technische" Seite des Indexproblems — d. h. also um die erste der beiden auf S. 315, A n m . l erwahnten Fragen — handeln soil.
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den Preis des betreffenden Gutes mit der dazu gehorigen Umsatzziffer „wd
., 3 ' —) zu betrachten ware — wiirde eben nur dann angei-Pi-Qi I messen erscheinen, wenn man sich auf den oben von uns abgelehnten Standpunkt stellen wiirde, nach dem das sogenannte „Gesetz der kompensatorischen PreissMmmenanderungen" unter einem System neutraler Geldversorgung immer zutreffen miisse; oder mit anderen Worten, wenn die Neutralitat des Geldes tatsachlich mit der Konstanz der Gr&Be „E" identisch ware. etwa nach der Formel
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besteht, nur aus den Anderungen der einzelnen Preise u n d den entsprechenden Anderungen in den Umsatzziffern, also ohne Zuhilfenahme irgendwelcher weiterer Erkenntnisquellen, die Frage, ob es eine „Geldwertanderung" gebe, zu beantworten, bzw. deren Grofie zu ermitteln. Wenn m a n somit tatsachlich imstande ware, diese letztere Frage anderswoher zu beantworten — was j a bei dem hier besprochenen Einwande mebr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt wird —, dann wiirde man eben uberhaupt keine Indexzahl mebr braucben! Die wirkliebe Sobwierigkeit ist vielmebr die, daB wir einerseits bisber uber eine solcbe anderweitige Erkenntnisquelle zu diesem Zweoke (leider) nicht verfiigen, wahrend anderseits das nacb der ublichen Auffassung bierzu brauobbare Instrument —• eben die Indexziffern — sich gerade nacb unserer Analyse als fur diesen Zweck unzureiebend erweist; was sicb auoh in der Weise ausdrucken laJJt, daB ein nur aus den Daten mit Bezug auf die Preise u n d die umgesetzten Mengen bestebendes ,,Koordinatensystem" (siebe oben S. 288) eben niebt dazu ausreicbt, den „geometriscben O r t " der Neutralitat des Geldes eindeutig zu bestimmen. AbschlieBend ware zu dieser Seite des Problems nocb darauf hinzuweisen, daB dieses letztere Ergebnis offenbar aucb niobts damit zu t u n b a t , ob in der betreffenden Indexzabl die GroBbandels- oder die Kleinbandelspreise, bzw. die Preise der Konsumgiiter allein oder auob diejenigen der Produktivgtiter entbalten sind, u n d ebensowenig damit, ob diese Indexzabl die Arbeitslobne, die Boden- und Immobilienpreise, die Effektenkurse usw. mitumfaBt oder nicbt 1 . Im Verbaltnis zu den oben aufgezeigten grundsatzlioben Mangeln, die eine jede denkbare Indexzabl in dieser Beziebung aufweist, sind alle diese P u n k t e offenbar nur von untergeordneter Bedeutung.
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74. Bei diesen SchluBfolgerungen k o n n t e n wir es somit, nacb. d e r „ n e g a t i v e n " Seite unseres B e w e i s t h e m a s hin, wohl i m groBen u n d g a n z e n b e w e n d e n lassen. N a c h der positiven Seite hin liegt a b e r j e t z t nocb. die Aufgabe vor zu u n t e r s u c h e n , inwieweit diese SchluBfolgerungen a u c h auf diejenigen Falle a n w e n d b a r sind, in d e n e n die „ p r i m a r e n " P r e i s a n d e r u n gen n i c h t v o n der Angebotsseite, sondern v o n der Nachfrageseite her veru r s a c h t werden. W i r k o n n e n u n s allerdings in diesem P u n k t e verhaltnismaBig k u r z fassen u n d zwar a u s einem d o p p e l t e n G r u n d e : n a m l i c h erstens weil die Analyse dieser Falle in fast alien wesentlichen P u n k t e n m i t u n s e r e n obigen Ausfuhrungen vollstandig parallel verlauft, u n d zweitens 1 Dieser letztere Punkt ist zumal fur die Beurteilung gewisser aktueller Fragen wichtig, wie z. B. ob es in den Vereinigten Staaten vor der 1929er Borsenkrise eine Inflation gegeben hat oder nicht. Es ist dies bekanntlich (zumal von CASSEL C. s.) vielfach verneint worden, weil ja damals keine Steigerung, vielmehr sogar eine — wenn auch nicht sehr betrachtliche — Senkung der Warenpreise im engeren Sinne vorlag. Indessen hat aber die ttberzeugung, daB es damals dennoch tatsachlich eine Inflation gegeben haben miisse, dermaBen an Boden gewonnen, daB sogar diejenigen Autoren, denen die Begriffe neutrales und wertbestandiges Geld ein und dasselbe bedeuten, sich dieser Erkenntnis nicht ganz haben verschlieBen konnen, wobei ihnen dann aber die Ausrede zu Hilfe kommen soil, man hatte eben bei einer ,,richtigen" Ermittlung der Indexziffern in 1929 auch die Hausse am Effektenmarkte mitberiicksichtigen sollen. Nach unseren obigen Ausfuhrungen wird jedoch mit dieser ,,Korrektur" keineswegs das Wesentliche getroffen: vielmehr hatten namlich infolge der damaligen Verbesserung der Produktionsmethoden usw. samtliche Warenpreise unter einer in unserem Sinne neutralen Geldversorgung mehr oder weniger betrachtlich siriken sollen, und sollte schon die Tatsache, daB dies nicht oder doch nur in ganz schwachem AusmaBe geschah — also ganz abgesehen von den Vorgangen an der Effektenborse — bei richtiger Betrachtung untriiglich auf das Vorliegen einer „echten" Inflation hingewiesen haben.
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weil der einzige m e h r oder weniger b e d e u t s a m e U n t e r s c h i e d wohl eher eine Vereinfachung als eine K o m p l i z i e r u n g des P r o b l e m s d a r s t e l l t : n a m l i c h insoweit es in d e n j e t z t zu u n t e r s u c h e n d e n F a l l e n i m allgemeinen ausgeschlossen ist, daB die A n d e r u n g e n in d e m Stiickpreis irgendeines b e s t i m m t e n Gutes u n d die e n t s p r e c h e n d e n A n d e r u n g e n i n d e r Preissumme dieses G u t e s in die entgegengesetzte R i c h t u n g verlaufen k o n n e n , 1 so d a 8 die bisher in dieser Beziehung v o r g e n o m m e n e „ D r e i t e i l u n g " , die sich a n der Klassifizierung d e r Nachfrageelastizitaten kniipfte, sich diesmal eriibrigt.
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Anstatt gegebener und als unveranderlich zu denkender Nachfragefunktionen mit einem ftir jede einzelne Giiterart bestimmten Elastizitatsgrad wird also diesmal eine veranderliche Nachfrage bei gegebenem u n d ex hypothesi unverdnderlichem Angebote vorausgesetzt. Allerdings laBt sich auch unter diesem letzteren Ausdruck nooh Versobiedenes versteben, namlich erstens die absolute Konstanz des mengenmaBigen Angebotes von samtlichen Giitern — also in dem Sinne, daB dieses Angebot auch einer anderweitig verursachten Preisanderung gegeniiber „unempfindlich" bleibt — und zweitens die Konstanz der sogenannten AngebotafunJctionen oder Angebots,,kurven", wobei also immerhin noch mit einer mengenmaBigen Anderung des Angebotes im Falle einer von der Nachfrageseite her verursachten Preissteigerung oder Preissenkung zu rechnen ist. Weil aber fur unseren Zweck dieser letztere Pall dem ersten gegeniiber keine wesentliche Komplikationen mitbringt, werden wir uns hier, der Einfachheit der Darstellung halber, ausschheBlich auf die erste dieser beiden Varianten, also auf die Hypothese eines mengenmaBig vollig ,,starren" Angebotes, beschranken. 2 I m iibrigen ist selbstverstandlich auch hier wieder unsere allgemeine Voraussetzung einer ex hypothesi neutralen Geldversorgung—-in dem oben in Einzelheiten defmierten Sinne — beizubehalten, was somit auch alle die gleichen Konsequenzen wie zuvor mit Bezug auf den Problemkreis des Hortens u n d der Umlaufsgeschwindigkeit mit sich bringt. Insbesondere gilt uns also auch diesmal, aus den fruher dargelegten Griinden, die Voraussetzung eines Zeitintervalles („Time-Lag") zwischen den Anderungen in dem Einkommens- oder Kaufkrafterwerb irgendwelcher Einzelwirtschaften u n d den entsprechenden Anderungen in deren Kewdkredtverwendung als mit jener allgemeinen Hypothese inkompatibel und deshalb ftir den Zweck unserer Analyse unzulassig (wenigstens insoweit die damit jeweils notwendigerweise verbundenen Hortungsbzw. Enthortungsvorgange nicht durch eine entsprechende u n d gleichzeitige Anderung in der Gesamtgeldmenge neutralisiert werden, in welchem letzteren Palle aber auch das Endergebnis wieder genau so sein wird, als ob das betreffende „ L a g " uberhaupt nicht vorhanden ware). 1 Namlich weil in diesen Fallen eine Preissteigerung entweder uberhaupt keine Anderung oder aber eine Steigerung des mengenmaBigen Angebots, normalerweise aber nicht eine Angebotssenkung, und umgekehrt eine Preissenkung nur eine Angebotsverringerung, nicht aber ein steigendes Angebot hervorrufen wird. (Sogar wenn dies anders ware, wiirde es jedoch unsere Ergebnisse noch nicht wesentlich beeinflussen!) 2 Auch hier handelt es sich namlich fur unseren Zweck hauptsachlich urn den Nachweis von Moglichkeiten, nicht von Notwendigkeiten, so daB uns scbon die Untersuchung der relativ einfachsten Falle geniigt. Es sei indessen anerkannt, daB wir hiemit eine der nach den Auffassungen PIGOUS bedeutsamsten Gruppen von „Reperkussionen" — namlich die Anderungen in der ,,Arbeitsbereitschaft" der Nicht-A-Produzenten infolge einer Anderung des A-Preises — von unseren Betrachtungen ausschlieBen. Fur eine vollstandige ,,Theory of Repercussions" sollte somit dieser Punkt in der Tat eingehender beriicksichtigt werden als dies uns hier moglich ist.
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75. Unter diesen Voraussetzungen ist es nun nach unserer Ansicht auch im Falle einer ausschliefilich „von der Nachfrageseite her" wirkenden Ursache durchaus moglich, da/5 der Preis eines einzelnen Gutes A sich andert, wdhrend alle die iibrigen Preise gleich bleiben, d. h. also ohne daB irgendwelche ,,Reperkussionen" stattfinden. Auf den ersten Blick diirfte diese Behauptung hier allerdings noch eher wundernehmen als mit Bezug auf die Preisanderungen von der Angebotsseite her, weil ja gerade bei gleichbleibendem Angebote — dem SAYschen Prinzip der Aquivalenz von Angebot und Nachfrage zufolge 1 — auch die „Kaufkraftkomponente" der Nachfragefunktionen 2 sich, wenigstens primar, nicht andern kann und somit eine „ Anderung von der Nachfrageseite her" ausschlieBlich in einer Anderung der rein psychischen Komponente jener Funktionen (d. h. also der subjektiven Wertungen mit Bezug auf die einzelnen Giiter) bestehen muB. Weil nun der Effekt einer derartigen Anderung offenbar 3 nur darin bestehen kann, daB eine Verschiebung der „effektiven" oder „kaufkraftigen" Nachfrage von der einen Guterkategorie auf die andere stattfindet, diirfte es somit den Anschein haben, daB doch wohl wenigstens fur diese Falle das Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen 4 immer zutreffen miiBte. Der betreffende Vorgang lieBe sich typischerweise etwa derart vorstellen, daB z. B. eine Gruppe von A-Kaufern sich entschlieBt, hinfortan zugunsten irgendwelcher Nicht-A-Verwendungen — auch hier eventuell inklusive des Sparens 5 — auf den GenuB des Gutes A entweder zum ganzen oder teilweise zu verzichten; ein Vorgang, der offenbar auf der einen Seite eine Senkung des A-Preises verursachen wird, jedoch auf den ersten Blick mit genau der gleichen Notwendigkeit auch eine Preissteigerung der betreffenden Nicht-A-Giiter auszulosen scheint. Zwar ist hiebei naturlich auch der Umstand zu beriicksichtigen, daB eben infolge der A-Preissenkung die bisher „extramarginalen" Kauferschichten dieses Gutes wenigstens teilweise zu einer Ausdehnung ihres A-Genusses auf Kosten irgendwelcher anderweitigen Verwendungen veranlaBt werden, 6 und daB somit insoweit immer eine der ursprunglichen Bewegung entgegengesetzte 1 An und fur sich betrachten wir es naturlich keineswegs als unzulassig, daB man sich in diesem Zusammenhange — wo es sich ja nach unseren Voraussetzungen ausschliefilich um die Analyse der Vorgange bei ex hypothesi neutraler Geldversorgung handeln soil — auf das SAYsche Prinzip beruft, weil dieses nach unserer Auffassung (siehe oben S. 256 ff.) eben nur im Falle einer Zerstorung der Neutralitat des Geldes nicht zutrifft. 2 Vgl. oben S. 302, Anm. 1. 3 „Offenbar": diesen Sachverhalt als solchen stellen wir namlich keineswegs in Abrede. Nur die daraus iiblicherweise gezogenen SchluBfolgerungen sind unseres Erachtens unzutreffend. 4 In erster Linie naturlich auch hier das Gesetz der kompensatorischen Preissummenanderungen; jedoch nach dem auf der vorhergehenden Seite Bemerkten — vgl. zumal A n m . 1 — kommt dies fur die hier untersuchten Falle immer auf das gleiche hinaus. 5 Selbstverstandlich aber auch hier nur insoweit das Sparen nicht etwa die Form des Hortens annimmt. 6 In welchem Ausmafie dies stattfinden wird, und zumal auch wie intensiv die Preissenkung in jedem einzelnen Falle sein muB, damit ein neues Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach A zustandekommt, ist offenbar in erster Linie von der Elastizitat der A-Nachfrage bei eben jenen submarginalen Kauferschichten abhangig; jedoch ob diese Elastizitat hoher als eins, gleich eins oder niedriger als eins ist, macht hier nur einen graduellen, nicht aber einen prinzipiellen (d. h. einen Richtungs-) Unterschied.
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Kaufkraftiibertragung von den betreffenden Nicht-A-Verwendungen auf das Gut A stattfinden muB, wahrend umgekehrt wieder diejenigen unter den bisherigen A-Kaufern, deren Bediirfnis an diesem Gute sich nicht geandert hat, dieses hinfortan dennoch billiger enthalten und somit eine groBere restliche Kaufkraft fur andere Verwendungen ,,iibrig behalten" werden; jedoch laBt sich ziemlich leicht nachweisen, daB auch unter Berucksichtigung dieser komplizierenden Umstande der Gesamtaufwand fur das Gut A sich unter den hier angenommenen Voraussetzungen immer verringern wird — weil ja eine ex hypothesi gleichbleibende A-Menge zu einem erniedrigten Stuckpreis verkauft wird — und daB somit auch tatsachlich seitens der betreffenden Kaufergruppen am Ende immer ein NettoiiberschuB an Kaufkraft den Nicht-A-Verwendungen zugefuhrt werden muB. Dennoch halten wir die scheinbar auf der Hand liegende SchluBfolgerung, daB es nun auch notwendig eine Preissteigerung irgendwelcher dieser Nicht-A-Giiter geben miisse, fur verfehlt. Es laBt sich namlich gegen diese Behauptung genau der gleiche Einwand erheben wie gegen die oben auf S. 290ff. wiedergegebene Argumentation der „Kompensationstheorie" im Falle der angebotsbedingten Pf eisanderungen: namlich, dafi die betreffende Theorie auch hier nur die eine Seite des Gesamtvorganges (eben die „Freisetzung" von Kaufkraft auf der Seite der A-Kaufer), nicht aber die entsprechende Kaufkraftverringerung auf der Seite der AVerkdufer in Betracht zieht. Es lieBe sich also auch hier zunachst eine diametral entgegengesetzte Theorie, etwa im Sinne TTTGANS, aufstellen, nach der man (allerdings genau so einseitig) argumentieren konnte, jener Kaufkraftentgang bei den A-Verkaufern miisse notwendigerweise eine sekundare Nachfrageverringerung nach den bisher von diesen gekauften Giitern, dadurch aber eine weitere Kaufkraftverringerung auf der Seite deren Verkaufer, und also am Ende eine kumulative Preissenkung samtlicher Giiter auslosen. Die richtige Losung des sich hier ergebenden scheinbaren Widerspruchs liegt nun unseres Erachtens auch in diesem Falle wieder genau in der Mitte: namlich in dem Sinne, daB man eben in jedem einzelnen Falle sowohl die aus der Tatsache der „Nachfrageverschiebung" auf der Seite der A-Kaufer hervorgehenden und als solche von uns keineswegs in Abrede gestellten Reperkussionstendenzen, wie auch die Folgen der entsprechenden Kaufkraftverringerung auf der Seite der A-Verkaufer zu berucksiehtigen hat. Und zwar ist auch diesmal wieder die Steigerung der Nachfrage nach den gesamten Mcht-A-Giitern in jedem einzelnen Falle genau so groji wie die entsprechende Nachfrageverringerung auf der anderen Seite und umgekehrt, so daB sich auch hier die beiderseitigen Folgen immer im ganzen neutralisieren miissen und eine (quantitative) „Reperkussion" auf die gesamte Mcht-A-Nachfrage iiberhaupt nicht eintreten wird; oder mit anderen Worten, es ist eben auch hier eine einseitige Preissenkung1 des Gutes A moglich, wahrend alle die ubrigen Preise 1 Unter entsprechend veranderten Voraussetzungen natiirlich ebensogut auch eine Preissteigerung. 21*
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unverandert bleiben. Das scheinbar paradoxe an dieser SchluBfolgerung diirfte sich ganz einfach dadurch erklaren lassen, daB zwar, wie eingangs von uns zugegeben wurde, die Gesamtkaufkraft der betreffenden Volkswirtscliaft sich bei gleichbleibendem Angebot samtlicher Giiter nicht „primar" andern kann, daB aber eine ,,sekundare" Anderung dieser GroBe — eben infolge der primaren Nachfrageverschiebungen — keineswegs ausgeschlossen erscheint. 1 Den Einwand, daB die betreffenden Wirkungen auf der Seite der A-Verkaufer jeweils erst ,,um eine Periode" spater wie diejenigen auf der Seite der Kaufer auftreten konnen, begegnen wir selbstverstandlich auch diesmal wieder in der gleichen Weise wie oben auf S. 301 ff.; namlich in dem Sinne, daB dies zwar unter der Voraussetzung einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bei ebenfalls konstanter Gesamtgeldmenge der Fall sein muBte, daB aber gerade diese letztere Voraussetzung in den bier besprochenen Fallen notwendigerweise bestimmte Hortungs- bzw. Enthortungsvorgange impliziert und deshalb mit unserem allgemeinen Ausgangspunkt einer voraussetzungsgemaB neutralen Geldversorgung nicht kompatibel ist, so daB, wenn schon die Umlaufsgeschwindigkeit tatsachlich unverandert bleiben sollte, gerade deshalb zur Handhabung der Neutralitat des Geldes entsprechende Anderungen in der Gesamtgeldmenge unerlaBlich sind.
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76. Es liegt nun allerdings den obigen SchluBfolgerungen auch diesmal wieder die (wie wir von vornherein anerkennen, ganz wesentliche) stillschweigende Voraussetzung zugrunde, die wir schon einmal an einer fruheren Stelle unserer Analyse •—• siehe oben, S. 299ff. — begegneten, deren eingehende Beriicksichtigung wir jedoch absichtlich bis an diesen Punkt hinausgeschoben haben: namlich die Voraussetzung, daB die — in summa unverandert gebliebene — ,,effektive" Nachfrage nach den Nicht-A-Gutern sich auch in der gleichen Weise wie zuvor fiber die einzelnen Kategorien der Nicht-A-Giiter verteilen wird. Das bedeutet also in dem obigen Beispiel, daB die A-Verkaufer 2 gerade auf diejenigen speziellen NichtA-Giiter zu verzichten bereit sein sollten, auf die die A-Kaufer voraussetzungsgemaB ihre von dem Gut A abgelenkte Kaufkraft ubertragen und umgekehrt. Es ist nun aber durchwegs zuzugeben, daB das Zutreffen dieser Voraussetzung in der Wirklichkeit, obwohl keineswegs als unmoglich, doch ebensowenig als notwendig, ja sogar nicht einmal als wahrscheinlich zu betrachten ist. Mit anderen Worten es bleibt, obwohl es nach unserer Analyse keine Beperkussionen in ,,quantitativem" Sinne — d. h. mit Bezug auf den Umfang der gesamten Nicht-A-Nachfrage •— geben 1 Es scheint hier allerdings noch der Einwand moglich, auch jene sekundaren Anderungen mussen in diesen Fallen immer gleichzeitig nach zwei Richtungen hin auftreten — eben von der A-Seite und von der B-Seite aus — so daB am Ende doch wieder eine Kompensation stattfinden miisse. Dabei wird aber ubersehen, daB nach unseren obigen Voraussetzungen gerade die sekundaren Erscheinungen von der A-Seite aus schon das Eintreten der angeblichen primaren Preisanderung auj der B-Seite von vornherein verhindern werden, so daB es zu einer von der B-Seite ausgehenden sekundaren Kausalkette uberhaupt nicht kommen kann. Vgl. hiezu auch Anm. 2 auf der nachsten Seite. 2 Und ebenso die neu herangezogenen A-Kaufer, von denen auf den vorhergehenden Seiten die Rede war.
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kann, das Vorliegen „qualitativer" Reperkussionen im allgemeinen durchaus moglich. Und zwar konnen wir — gerade auf Grund unserer in dem vorhergehenden Paragraphen gewonnenen SchluBfolgerungen mit Bezug auf die moglichen Folgen einer „Nachfrageverschiebung" iiberhaupt 1 —• die sich aus jener Moglichkeit ergebenden Komplikationen keineswegs schon von vornherein auf Grund der einfachen Uberlegung als unwichtig beiseiteschieben, daB es sich dabei docb immer ,,nur" um eine Ubertragung der Naehfrage von der einen Giiterkategorie auf die andere, nicbt aber ran einen „reinen" Nachfrageausfall, bzw. um eine reine Nachfragesteigerung bandeln kann. Vielmehr erweist sich, wenigstens mit Bezug auf die positive Seite unserer Analyse — die negative bleibt hievon allerdings unberiihrt, weil es ja immerhin auch Falle geben kann, in denen keine 5 ,qualitativen Heperkussionen" stattfinden! — eine nochmalige Uberprufung unserer bisherigen SchluBfolgerungen mit Riicksicht auf die sich hier ergebenden Komplikationsmoglichkeiten als unbedingt notwendig.
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77. Zu diesem Zwecke seien nun zunachst die Voraussetzungen mit Bezug auf die primare Nachfrageverschiebung in dem letzten von uns besprochenen Beispiel in der Weise modifiziert, daB seitens der betreffenden ehemaligen A-Kaufer nicht etwa im allgemeinen „irgendwelche" NichtA-Giiter, sondern vielmehr nur tin einziges — hinfortan als „ B " z u hezeichnendes — bestimmtes Gut innerhalb dieser Gruppe verlangt werde (wahrend, der Einfachheit wegen, eine gleiche Voraussetzung auch hinsichtlich derjenigen A-Kaufer gemacht werden moge, die, ohne daB sich ihr Bedurfnisschema geandert hat, das Gut A hinfortan bilhger beziehen und somit einen entsprechend groBeren Teil ihrer Gesamtkaufkraft fiir sonstige Zwecke „ubrig behalten"). Alles weitere hdngt nun davon ab, in welcher Weise die A-Verkdufer den infolge der primaren Preissenkung ihres Produktes erlittenen Kaufkrajtverlust in einer entsprechenden Verringerung ihrer Ausgaben zum Ausdruck bringen werden. Eine der diesbezuglichen Moglichkeiten — allerdings nur eine einzige unter vielen anderen —• ware offenbar die, daB jene A-Verkaufer ihrerseits auf eben das gleiche Gut „ B " verzichten, das von den bisherigen A-Kaufern in groBerer Menge wie zuvor nachgefragt wird. I n diesem Falle liegen (ex definitione) keine ,,qualitativen" Reperkussionen vor und es wiirde sich also tatsachlich das obige Schema verwirklichen, nach dem — neben der primaren Senkung des A-Preises — uberhaupt keine weitere Preisanderungen stattfinden. 2 Zumal der B-Preis bliebe hier offenbar unberiihrt, 1 Wenn es sich niimlich herausgestellt hatte, daB eine Nachfrageverschiebung — im Gegensatz zu einer Anderung von der Angebotsseite her — das durchschnittliche Preisniveau tatsachlich nicht beeinllussen konne, dann hatte selbstverstandlich auch das Vorliegen qualitativer Reperkussionen an unseren bisherigen Ergebnissen nichts Wesentliches andern konnen! 2 Der zunachst auf der Hand liegende Einwand, man sollte in diesem Falle neben der Kaulkraftverringerung auf der Seite der A-Verkaufer docb auch den entsprechenden Kaufkraftawwacfe auf der Seite der B-Verkaufer beriicksichtigen, beruht offenbar solange auf einem ZirkelschluB, als nicht zuerst der Beweis erbracht wird, daB die Gesamtkaufkraft der B-Verkaufer sich tatsachlich erhohen muB; und eben dies ist unter den hier geltenden Voraussetzungen nicht der Fall, weil ja die Mehrnachfrage nach B infolge der primaren Bedarfsverschiebung bei der ersterwahnten Kauferschicht sogleich durch einen entsprechenden
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und die B-Verkaufer wiirden von dem ganzen Vorgange iiberhaupt nur bemerken, daB die Zusammensetzung ihrer Kundschaft &ich andert, wahrend jedoch ihr Umsatz, sowohl mengenmaBig wie wertmaBig betrachtet, genau gleich bleibt. Die von ihnen entfaltete Nachfrage nach anderweitigen Giitern konnte demnach ebenfalls unverandert bleiben, so daB auch ,,sekundar" keine Veranlassung zu irgendwelchen weiteren Reperkussionen vorliegen wiirde. Ganz anders verhalt es sich indessen, sobald wir annehmen, die A-Verkaufer richten die durch ihre verringerten Einnahmen notwendig gewordene Nachfrageeinschrankung nicht etwa auf das gleiche Gut „ B " , sondern vielmehr auf irgendein anderes Gut ,,C". Und zwar ist in diesem Falle, je nach der Beschaffenheit der Nachfragefunktionen der Bund der C-Verkaufer, noch wieder ganz Verschiedenes moglich. Zuerst sei also angenommen, daB dem B-Markte — dem ja voraussetzungsgemaB die Mehrkaufkraft seitens der bisherigen A-Kaufer zuflieBt — von keiner anderen Seite Nachfrage entzogen wird, so daB hier tatsachlich kein „Ausgleich" stattfindet und daher der B-Preis solange steigen muB, bis eine entsprechende Anzahl der bisher gerade noch marginalen B-Kaufer ausgeschaltet worden ist. 1 In diesem Falle erhohen sich also die Gesamteinnahmen der B-Verkaufer, 2 so daB diesmal auch der Effekt der von ihnen auf den iibrigen Markten entfalteten Mehrnachfrage zu berucksichtigen ist. Es ware nun offenbar wieder denkbar — allerdings auch diesmal nur als eine einzige unter vielen andern Moglichkeiten —• daB diese B-Verkaufer ihrerseits gerade dasjenige Gut C verlangen, auf dessen GenuB die A-Verkaufer ex hypothesi verzichtet haben. Unter dieser Voraussetzung wiirde also auf dem C-Markte der Ausgleich zustande kommen -— d. h. die C-Verkaufer wechselten diesmal die Kundschaft, ohne daB aber der Preis ihres Produktes oder die Summe ihrer Einnahmen sich anderte -— so daB es wiederum keine weiteren Reperkussionen geben wiirde. Allein in diesem Falle ware eben nicht nur der A-Preis gesunken, sondern daneben auch der B-Preis gestiegen, so daft hier das uns wohlbekannte Schema der „Kompensationstheorie" sich tatsachlich verwirklicht hatte. Jedoch erscheint auf der anderen Seite — insoweit nur die Voraussetzungen mit Bezug auf die Nachfragefunktionen der betreffenden Kaufer- und Verkauferschichten in etwas anderer Weise gewahlt werden •— eine ,,Kumulation" der Preisanderungen nach diesem Gedankengange ebensowenig ausgeschlossen. Man braucht hiezu ja nur anzunehmen, es finde auf dem C-Markte kein Ausgleich gegeniiber dem Nachfrageausfall seitens der A-Verkaufer statt und es wiederholte sich hier somit das gleiche Spiel wie am A-Markte: d. h. also eine Preissenkung, durch die Nachfrageausfall seitens der A-Verkaufer wettgemacht wird. Es liegt daher in diesem Falle tatsachlich zu irgend welchen weiteren Reperkussionen als den im Texte berucksichtigten keine einzige Veranlassung vor. 1 Wie intensiv die B-Preissteigerung zu diesem Zwecke sein mufl, ist offenbar auch hier wieder in jedem einzelnen Falle von der Elastizitat der B-Nachfrage bei den betreffenden marginalen Kauferschichten abhangig. a Es wird hier namlich, alles zusammen betrachtet, eine gleichgebliebene B-Menge zu einem erhohten Stiickpreis verkauft.
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die bisher submarginalen Kauferschichten herangezogen werden, dennoch aber eine Verringerung des Gesamterloses fur das Gut C, 1 so daB aucb die C-Verkaufer diesmal ihre NacMrage nach anderweitigen Giitern entsprechend einschranken mussen. Nichts verhindert uns nun weiter anzunehmen, das Gut, auf dessen GenuB die C-Verkaufer demzufolge verziehten, sei eben das gleiohe Gut „ B " , auf das die A-Kaufer voraussetzungsgemaB ihre NacMrage iibertragen haben 2 ; und wenn dem so ist, kommt offenbar der Ausgleicb diesmal wieder auf dem B-Markte zustande — namlich indem die B-Verkaufer die C-Verkaufer als Kunden verlieren, hingegen die ehemaligen A-Kaufer an deren Stelle als Kunden gewinnen — so daB wiederum der B-Preis bzw. der Gesamt-B-Erlos sich nicht zu andern braucht und zu irgendwelchen weiteren Reperkussionen keine Veranlassung bestebt. Allein in diesem Falle sind am Ende sowohl der A-Preis wie der C-Preis gesunken, wahrend kein einziger Preis sich erhbht hat, so dap diesmal — scheinbar ganz im Sinne TTJGANS — tatsdchlich eine Icurmdative Preissteigerung vorliegt.
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78. Noch einen Schritt weitergehend findet man sogar, daB die sich hier ergebenden Kumulationsmoglichkeiten keineswegs nur auf je zwei Guter beschrankt bleiben, sondern daB sich vielmehr in analogerWeise nachweisen laBt, daB — naturlich wieder unter entsprechenden Voraussetzungen uber die Beschaffenheit der Nachfragefunktionen bei den verschiedenen Gruppenvon Wirtschaftssubjekten— sogar eine stufenweise fortschreitende Kumulation gleichgerichteter Preisdnderungen durchaus moglieh ist, und zwar noch immer ohne daB an irgendeiner Stelle der Wirtschaft eine entgegengesetzte Preisbewegung aufzutreten braucht, wahrend dennoch die Neutralitat der Geld-
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1 Weil ja in diesem Falle eine gleichgebliebene C-Menge zu einem erniedrigten Stuckpreis verkauft wird. 2 Man konnte vielleicht zunachst bezweifeln, ob die von uns gemachten immer weiteren Voraussetzungen mit Bezug aul die Nachfragefunktionen der verschiedenen Gruppen von Wirtschaftssubjekten nicht etwa untereinander inkompatibel Oder aus irgend welchem anderen Grunde unzulassig seien. Darauf ist zu erwidern, dafi unseres Erachtens tatsachlich dafilr Sorge getragen werden muB, daC man in diesem Punkte nicht etwa eine Voraussetzung macht, die zu den Grundprinzipien der Grenznutzenlehre in Widerspruch steht (wie dies z. B. der Fall sein wiirde, wenn man annahme, von einem bestimmten Gute wurde seitens einer Kauferschicht, deren Gesamtkaufkraft zunachst unverandert bleibt, im Falle einer Preiserhohung mehr, bzw. im Falle einer Preissenkung weniger gekauft als zuvor). Derartige Annahmen liegen indessen, wie sich leicht nachprilfen lafit, unseren bisherigen und den unten noch zu besprechenden Beispielen richt zugrunde. Im iibrigen beziehen sich die verschiedenen nach und nach von uns gemachten Voraussetzungen (wenigstens insoweit diese uberhaupt fur einen und den gleichen Fall gelten sollen) fast durchwegs auf das Verhalten verschiedener Gruppen von Wirtschaftssubjekten, so daB sie schon aus diesem Grunde untereinander wohl kaum inkompatibel sein dilrften. Diesen allgemeinen Bemerkungen ist weiter noch hinzuzufiigen, daB wir, zwecks Verifizierung unserer obigen SchluBfolgerungen, sogar mehrere von den im Texte besprochenen Beispielen auch zahlenmaBig — also unter Annahme ganz bestimmter „Bedurfnisskalen" bei den verschiedenen Wirtschaftssubjekten — ausgearbeitet haben, und zwar ohne daB sich dabei irgend welche fiir das Ergebnis wesentliche Unstimmigkeiten herausgestellt haben. Dennoch ist aber zuzugeben, daB eine wirklich vollstandige und luckenlose Darstellung der im Texte besprochenen Zusammenhange grundsdtzlich wohl nur mit Hilfe der mathematischen Methode — d. h. also unter Verwendung allgemeingultiger algebraischer Formeln anstatt konkreter Zahlenbeispiele — mbglich ware; insbesondere deshalb, weil man unseres Erachtens nur bei Anwendung dieser Methode eine klare Obersicht daruber gewinnen kann, wie viele Voraussetzungen man in einem jeden Falle machen muB, bzw. darf, damit der jeweilige Wirtschaftsablauf einerseits eindeutig bestimmt, anderseits aber nicht ,,iiberbestimmt" erscheint.
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versorgung in unserem Sinne kein einziges Mai durchbrochen wird. 1 Man braucht hierzu ja nur anzunehmen, 2 die C-Verkaufer in unserem letzten Beispiel entzogen ihre Nachfrage nicht etwa dem Gute B , sondern einem yierten Gute D , die D-Verkaufer ihrerseits verzichten in entspreehendem AusmaB auf den E-GenuB u n d erst die E-Verkaufer auf das Gut B , womit sich dann der Kreis wieder schlieBt u n d die Reperkussionen ein Ende nehmen. Der Fall unterscheidet sich daher von dem vorhergehenden insoweit, daB diesmal nicht nur der A- u n d der C-Preis, sondern daneben auch — u n d zwar lediglicb infolge „qualitativer Eeperkussionen", nicht etwa durch eine neue „ p r i m a r e " Bedarfsverschiebung —• der D- und der E-Preis gefalien sind, wahrend nichtsdestoweniger noch immer kein einziger Preis in der betreffenden Wirtschaft zu steigen braucht. Und eben dieses letztere Beispiel durfte es nun auch sogleich Mar machen, daB m a n sich die betreffende Eeihe A—C—D—E genau so gut noch mit einer beliebigen Anzahl weiterer Giiter verlangert denken konnte, ohne daB dies an dem Ergebnisse etwas Wesentliches andern wiirde; das heiBt also, daB die kumulative Preissenkung sich ebensogut auf zehn oder zwanzig wie auf drei oder vier Giiter erstrecken konnte, wahrend noch immer keine kompensatorische Preissteigerungen irgendwelcher sonstiger Giiter einzutreten brauchte, . . . vorausgesetzt und nur vorausgesetzt, daft eben das letzte Glied jener „Kette" A—0—D usw. am Ende wieder bei dem primar in verstdrktem Ausmaji nachgefragten Gute B anknupjt und somit verhindert, dafi etwa von dort aus eine ahnliche Kette von entgegengesetzten Preisbewegungen ihren Anfang nimmt. Selbstverstandlich lassen sich ubrigens die obigen Beispiele mittels entsprechender Anderungen in den Voraussetzungen auch so gestalten, daB sich — aus der namlichen primaren Bedarfsverschiebung von A auf B — anstatt einer kumulativen Pieiasenkung eine kumulative ~PTei&steigerung (ohne kompensatorische Preissenkungen) ergibt: so z. B . wenn man etwa annimmt, die B-Verkaufer verlangten mehr C, die C-Verkaufer mehr D, die D-Verkiiufer mehr E usw., bis am Ende eine Gruppe von Verkaufern erreicht wiirde, die ihrerseits mehr A verlangen u n d dadurch den primaren Kaufkraftausfall auf dem A-Markte wettmachen. 3 1 DaB dies tatsachlich nicht der Fall ist, geht nach unseren obigen Darlegungen zumal daraus hervor, daB auch unter den jetzt folgenden Voraussetzungen noch immer unser Ausgangspunkt beibehalten wird, nach dem von einem ,,Time-Lag" zwischen Kaufkrafterwerb und Kaufki aftverwendung bei keiner von den betreffenden Gruppen von Wirtschaftssubjekten die Rede sei. 2 Auch diese Annahmen beziehen sich wieder auf jeweils andere Gruppen von Wirtschaftssubjekten als die vorhergegangenen und konnen somit schon deshalb mit jenen — und selbstverstandlich auch untereinander — nicht inkompatibel sein. 3 Es handelt sich hiebei offenbar noch immer um ziemlich stark vereinfachte und schematisierte Beispiele. Zumal durfte es in der Wirklichkeit kaum je der Fall sein, daB die etwaigen Mehreinnahmen irgendeiner Gruppe von Wirtschaftssubjekten tatsachlich zum ganzen fur eine einzige Guterkategorie aufgewendet werden, was ja eine unverhaltnismaBig groBe Nachfrageelastizitat fiir dieses spezielle Gut im Gegensatz zu alien den ubrigen Gutern voraussetzen wiirde. Man muB also in der Praxis unbedingt damit rechnen, daB die ,,Reperkussionen" in dem obigen Sinne sich in weitaus den meisten Fallen uber eine Unzahl einzelner Markte ,,verasteln" werden, wobei natiirlich zugleich die Intension ihrer Auswirkung auf einen jeden dieser Markte entsprechend geringer wild. Fiir die Richtigkeit unserer obigen Ergebnisse bedeutet indessen auch diese Komplikation noch immer keinen wesentlichen Unterschied: denn der Effekt — namlich die einseitige Kumulation gleichgerichteter Preisanderungen, ohne daB irgendwo eine kompensatorische Preisbewegung stattfindet — bleibt ja auch dann noch grundsatzlich der gleiche, insoweit nur, anstatt des gesamten „Kaufkraftstromes", dessen einzelne Verzweigungen am Ende zu dem A-, bzw. dem B-Markte zuruckflieBen. Es laBt sich dies z. B. in der Weisc schematise!! vorslellen, daB (in unserem letzten Beispiel aus dem Texte) der primare Mehrerlos des Gutes B sich infolge der Wiederverausgabung seitens der B-Verkaufer nicht zum ganzen auf den C-Markt konzentriert, sondern vielmehr zunachst uber die C-, D- und E-Markte verteilt, dann aber infolge der Wiederverausgabung seitens
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Es ist somit unseres Erachtens die SchluBfolgerung zulassig, daB hier tatsachlich eine „Theorie der kumulativen Preisbewegungen" vorliegt, die zwar keinen Anspruch auf Allgemeingultigkeit erheben kann oder will — weil ja unter Umstanden das Auftreten kompensatorischer Preisanderungen genau so gut moglich ist — die aber auf der anderen Seite auch nicht den gleichen Einwdnden ausgesetzt sein dilrfte wie die TvGANsche und die ubrigen bisher besprochenen Abarten der Kumulationstheorie.1
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der C-Verkaufer in gleicher Weise iiber die D-, E- und A-Markte, infolge der Wiederverausgabung seitens der D-Verkaufer iiber die C-, E- und A-Markte usw.; wobei also das Wesentliche ist, daB jeweils ein Bruchteil der „weitergewalzten" Kaufkraft zum A-Markte zuruckflieBt. Und zwar genugt die Gesamihe.it dieser Bruchteile im Prinzip genau so gut wie der etwaige ungeteilte Kaufkraftstrom dazu, die Auswirkung des primaren Kaufkraftausfalls auf dem A-Markte wettzumachen. Nur dann, wenn samtliche sekundar bereicherten Gruppen der C-, D-, E-Verkaufer usw. uberhaupt keine groBere A-Menge wie zuvor begehren wiirden (was allerdings, z. B. im Falle eines Modewechsels, moglich, jedoch keineswegs notwendig ist), erschiene somit eine Senkung des A-Preises in der Tat unvermeidlich. — Gerade durch diese Ausdehnung der betreffenden Moglichkeiten erscheint nun aber nach unserer Ansicht die Wahrscheinlichkeit, daB es auch bei ungestorter Neutralitat des Geldes tatsachlich einseitig-kumulative, rein nachfragebedingte Preisbewegungen geben kann, um vieles groBer, als wenn diese Moglichkeit ausschlieBlich von der exakten Verwirklichung des engeren im Texte dargelegten Schemas abhangig ware. 1 Zumal die Formulierung, die M. BOUNIATIAN der Kumulationstheorie gegeben hat —- urspriinglich in seiner bekannten Arbeit iiber die Wirtschaftskrisen, jiingstlich noch etwas eingehender in seiner kleineren franzbsischen Schriit: ,,La Loi de Variation de la Valeur et les Mouvements generaux des Prix", Paris 1927, S. 116ff. und 127 ff., wie auch in seiner Besprechung von PIGOUS ,,Industrial Fluctuations" im Archiv (. Soz.-Wiss. 1927, Bd. 58, S. 449ff., unter dem Titel „Industrielle Schwankungen; Bankkredite und Warenpreise", insbesondere S. 475/476 — stimmt mit den hier vertretenen Gedankengangen weitgehend iiberein. Das von diesem Verfasser hervorgehobene Moment der „Konzentration" der Kaufkraftverwendung, bzw. des Kaulkraftentzugs, seitens der Produzenten des primar verteuerten oder verbilligten Gutes gegenuber der ,,DiItusion" auf der Seite dessen Konsumenten (a. a. O. S. 121 und passim) ist ja otfenbar im Grunde nichts anderes als eben ein Spezialfall der ,,qualitativen Reperkussionen" in dem obigen Sinne. Zwar dilrfte dieses Moment nach unserer Auffassung fur das Zustandekommen einer kumulativen Preisanderung nicht unbedingt notwendig sein (weil ja nach unserer obigen Analyse auch eine beiderseitige „Konzentrierung" der Kaufkraft, bzw. des Kaufkraftentzugs einen ahnlichen Effekt haben kann, insoweit diese sich nur an beiden Seiten auf verschiedene Giiterkategorien richtet); jedoch die Voraussetzung einer „Diffusion" auf der einen Seite diirfte es tatsachlich um vieles wahrscheirilicher machen, daB der „Ausgleich" gerade auf den primar betroffenen Markten und nicht erst etwa auf einer entfernteren Stufe (wie dies in den nachsten Zeilen des Textes schematisch dargelegt wird) zustande kommt. Im allgemeinen diirfte dem BOUNIATiANSchen Gedankengange wohl am genauesten eine Art Umkehrung des in der vorhergehenden Anmerkung ausgearbeiteten Beispiels entsprechen: namlich in der Weise, daB die primare Nachfrageubertragung von den Nicht-A-Markten (diffus) auf den A-Markt (konzentriert) stattfindet; daB der MehrerlSs fur A durch die A-Verkaufer (konzentriert) fur das Gut B aufgewendet wird; daB dadurch auch die Kaufkraft der B-Verkaufer steigt, jedoch um etwas weniger als die der A-Verkaufer (weil ja die B-Verkaufer selbst in diesem Falle teilweise durch den primaren Nachfrageausfall auf samtlichen Nicht-A-Markten betroffen worden sind); daB diese vermehrte Kaufkraft der B-Verkaufer sich ihrerseits auf den C-Markt konzentriert; daB dadurch auch die Gesamtkaufkraft der C-Verkaufer steigt, jedoch wieder um etwas weniger, und so fort, bis endlich auf dem letzten der Nicht-A-Markte der vollstandige Ausgleich zustande kommt, wobei also im Endeffekt samtliche Preise in der betreffenden Wirtschaft, sei es auch in verschiedenem AusmaBe, gestiegen sein wiirden und wiederum kein einziger sich erniedrigt hatte. Das bedeutet somit, daB wir die BouNiATiANsche Auffassung, insoweit diese eben nichts weiter sein will als nur eine Theorie der Moglichkeit — selbstverstandlich aber nicht der Notwendigkeit! — kumulativer Preisanderungen, grundsatzlich als einwandfrei betrachten, was indessen noch keineswegs bedeuten soil, daB wir uns nun etwa auch zu der Konjunkturund Krisenlehre dieses Verfassers bekennen. Vielmehr handelt es sich hiebei nach unserer Auffassung nur um eine Theorie derjenigen Vdrgange, die von der Gesamtheit der Konjunkturerscheinungen ubrig bleiben wiirden, wenn das Geld tatsachlich neutral ware, d. h. also um die Theorie einer Konjunkturbewegung, die voraussetzungsgemaB ihrer ,,monetaren Giftzahne" beraubt ware! Wie sich aus unseren SchluBbetrachtungen (S. 344ff.) noch er-
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D e n n in d e n obigen Beispielen w u r d e j a iiberall ausdriicklicb der Effekt d e r beiderseitigen K a u f k r a f t a n d e r u n g e n — auf der Kaufer- wie auf d e r Verkauf erseite —• in gleichem MaBe beriicksichtigt u n d w u r d e n samtlicbe , 3 e P e r k u s s i o n s k e t t e n " i m m e r bis a n die Stelle verfolgt, wo sich ( n a c b d e n jeweiligen Voraussetzungen) nacbweisen laBt, daB und wie sie zu einem E n d e k o m m e n miissen.
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Im iibrigen ist es natiirlich aucb moglicb, daB tatsacbbch aus einer einzigen primaren Nacbfrageverscbiebung von A auf B zunachst zwei derartige „ K e t t e n " hervorgehen, von denen die eine die Preise zu erhohen, die andere bingegen sie zu erniedrigen die Tendenz bat, was also wieder eber dem Gedankengange der Kompensationstbeorie entsprecben durfte; jedocb immerbin in dem Sinne, daB sich im allgemeinen nicbts dariiber aussagen laBt, an welcher Stelle der Wirtscbaft die beiden entgegengesetzten ,,Stromungen" einander begegnen, und dadureh der Ausgleicb zustande kommt, und sumal nicht dariiber, wie viele „Glieder" eine jede der beiden Ketten bis an diesen Punkt aufweisen wird, d. h. also, wie viele Preise bis dahin gestiegen und wie viele gesunken sein werden.1 Von einer quantitativ genauen „Kompensierung" der beiderseitigen Preisbewegungen — obwobl dies auf der anderen Seite, auch bei ganz „normaler", d. b . niebt absicbtlieb zu diesem Zwecke ,,manipulierter" Berecbnung der Indexzablen nicbt von vornberein als ausgesoblossen zu betraobten ware — konnte somit aucb bier wobl nur in den seltensten Fallen die Kede sein. Bei siimtlichen bisber analysierten Fallen ist sohlieBlicb insbesondere darauf acbtzugeben, daB diese zwar alle voneinander versohieden sind, insoweit es sicb u m die Voraussetzungen mit Bezug auf die Nacbfragefunktionen der sekundar betroffenen Gruppen von Wirtscbaftssubjekten handelt, 2 daB aber das voraussetzungsgemaBe Verbalten derjenigen Kaufergruppe, bei der die primare Naobfrageiibertragung von A auf B stattfinden soil, in alien den bisber betracbteten Varianten des Problems quabtativ wie quantitativ genau der gleiche war. geben wird, kommt aber gerade infolge dieser Voraussetzung das unseres Erachtens wesentliche an dem Konjunkturphanomen von vornherein zum Verschwinden; und eben dafur zeigt BOUNIATIAN (wohl hauptsachlich aul Grund seiner Anlehnung an die Gedankengange der Banking-Schule) nicht das geringste Verstandnis. Zumal seine Versuche, die obige Preistheorie zu einer Uberproduktionstheorie zu gestalten, sind nach unserer Ansicht durchaus miClungen, was wohl hauptsachlich mit seiner vollkommenen Verkennung der Bedeutung des Zinses als Konjunkturmoment zusammenhangen durfte. 1 Auch iiber die Intensitat der betreffenden Prelsanderungen lieBe sich in diesem Falle offenbar nichts Allgemeingilltiges aussagen. 2 Bei etwas genauerer Beobachtung durfte es sich allerdings herausstellen, daB sogar die Voraussetzungen, die wir bisher fiir jeweils versehiedene Varianten des Problems gemacht haben, keineswegs alle untereinander inkompatibel sind, so dafi es wenigstens prinzipieU auch denkbar ware, daft diese Voraussetzungen in einem einzelnen Falle alle zugleich vermrklieht waren. Die Konsequenz daraus ware somit, daB in einem solchen Falle die Reperkussionen alternativ nach dem einen oder nach dem anderen Schema ablaufen konnten. Und zwar durfte es sich dabei um eine Erkenntnis von auBerordentlicher Tragweite handeln, weil hier ja offenbar nichts weniger behauptet wird als die Mbglichkeit, dafi auch bei scheiribar vollstdndig gegebenen „Daten" der Wirtschaftsablauf dennoch nicht immer eindeutig bestimmt ist. So paradox diese Behauptung zunachst auch anmutet, so hat sie sich dennoch sogar in mehreren, von uns bis in alle Einzelheiten ausgearbeiteten Zahlenbeispielen durchaus bestatigt. Es durfte unseres Erachtens eine auBerst reizvolle Aufgabe sein, den sich hier eroffnenden Problemkreis weiter theoretisch zu durchforschen, wozu allerdings die Zuhilfenahme der mathematischen Methode unbedingt notwendig erscheint. (Ein — freilich bisher nur noch ziemlich fragmentarischer — Teil der Ergebnisse, zu denen wir mit Bezug auf diese Fragen gekommen sind, ist von uns in der hollandischen Zeitschrift „de Economist" von 1932, Bd. 8 1 , S. 679 ff. veroffentlicht worden.)
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79. Aus alledem laBt sich somit die SchluBfolgerung Ziehen, daB es sich mit Bezug auf die „qualitativen Reperkussionen" zwar ganz gewiB nicht um eine Komplikation von relativ untergeordneter Bedeutung handelt, die man bei der Analyse ohne wesentlichen Schaden vernachlassigen konnte, und daB sogar die (urspriinglich von uns abgelehnten) Kumulations- bzw. Kompensationstheorien sich bei gebiihrender Beriicksichtigung dieses Momentes a m E n d e tatsachlich als je fiir einen Teil der einschlagigen Falle als zutreffend erweisen, da/3 aber anderseits zwischen der Richtung und der Intensitat1 der jeweiligen primdren Preisbewegungen und denjenigen der daraus hervorgehenden sekunddren Erscheinungen iiberhaupt kein eindeutiger Funktionahusammenhang besteht, wie dies ja von den beiden einschlagigen Theorien in ihrer urspriinglichen Fassung behauptet wird. Welche von diesen beiden Moglichkeiten zutrifft, ist vielmehr in jedem einzelnen Falle eine reine quaestio facti. Die diesbezuglichen Zusammenhange sind iiberhaupt so locker und lassen so viele untereinander wesentlich verschiedene Varianten zu, daB es sich zum Zwecke einer einfachen Darstellung unseres Erachtens sogar eher empfehlen dxirfte, die in der Wirklichkeit, ,sekundaren'' — und deshalb den entsprechenden ,,primaren" Bedarfsverschiebungen 2 Mnfergeordneten — Anderungen in der Verteilung der kaufkraftigen Nachfrage dennoch in der Analyse samt und sonders als selbstdndige und somit den jeweiligen wirklich „primaren'' Momenten neb en geordnete Nachfrageverschiebungen zu betrachten.
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Ein derartiges Vorgehen — das ubrigens keine weitere Bedeutung als eben die eines rein gedanklichen Hilfsmittels haben soil — dtirfte sich zumal dadurch rechtfertigen, daB es ja fiir die Folgen der betreffenden Vorgange im Grunde betrachtet offenbar nicht den geringsten Unterschied bedeutet, ob es sich dabei um einen „wirklichen" Fall der Geschmacks- bzw. Bedurfnisanderung (bei ein und demselben Wirtschaftssubjekte) oder aber um eine Nachfrageverschiebung infolge einer Kaufkraftiibertragung auf ein oder mehrere andere Wirtschaftssubjekte mit einem von vornherein anderen Bedurfnisschema3 handelt, weil ja das an diesen Vorgdngen preistheoretisch relevante Moment in beiden Fallen dock nur das Zustandekommen einer neuen Kombination zwischen bestimmten „Kaujkraftintensitdten" und bestimmten subjektiven Naohfragefunktionen ist.* Auf der anderen Seite bietet 1 Mit Bezug auf die Intensitat ist diese These allerdings in den obigen Ausfiihrungen noch nicht luckenlos erwiesen. Es diirfte jedoch zu diesem Zwecke die tlberlegung geniigen, daB einerseits die einer „qualitativen Reperkussion" zu verdankenden sekundaren Preisanderungen unter bestimmten Umstanden offenbar prozentual starker sein konnten als die sie verursachenden primaren Preisanderungen selbst, wahrend sie auf der anderen Seite, wie schon oben nachgewiesen wurde, grundsatzlich auch vollstandig fehlen, d. h. also zu einer „Intensitat" gleich Null zusammenschrumpfen konnen. 2 Die gleiche Darstellungsweise ware ilbrigens auch auf diejenigen Falle anwendbar, wo die primare Preisanderung selbst nicht von der Nachfrage-, sondern von der Angebotsseite herriihrt. 3 Insoweit namlich die Bediirfnisskalen der betreffenden Personen untereinander vollstandig gleich sind, bleibt offenbar eine jede Kaufkraftiibertragung zwischen ihnen sowohl jur den Preisverlauf wie fiir den Wirtschaftsablauf iiberhaupt vollstandig irrelevant: oder mit anderen Worten, die Moglichkeit, daB es ,.qualitative Reperkussionen" geben konnte, erscheint wenigstens fiir diesen Fall von vornherein ausgeschlossen. * Es laBt sich dies auch so ausdrucken, da/3 die wirtschaftliche Bedeutung einer „interpersonalen" Kaufkraftiibertragung sich in den daraus hervorgehenden Verschiebungen in der
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diese Methode aber den nicht zu unterschafczenden Vorteil, daB damit d a s sonst sehr kompliziert ersclieinende Bild der Verzweigungen und Verschlingungen der verschiedenen Reperkussionsketten (das ja in nur wenig komplizierteren Fallen als den oben besprochenen schon k a u m mebr in alle Einzelheiten zu verfolgen ware) sich wenigstens zunachst in eine ganz leicht ubersichtliche Nebeneinanderstellung von angeblich „selbstandigen" Preisanderungen je eines einzelnen Gutes verwandelt. 1 Gerade mittels dieser gedanklichen Hilf skonstruktion kommt somit die grundsatzliche „ A m o r p h i t a t ' ' des Preissystems als ganzes — zu deren Anerkennung die obige Analyse u n s ja nach und naeh genotigt h a t — in der denkbar scharfsten Weise zum Ausdruck u n d es durffce insbesondere mehr als je zuvor klar werden, dafi sich t a t sachlich, mittels geeigneter Voraussetzungen mit Bezug auf die Nachfragefunktionen der verschiedenen Gruppen von Wirtschaftssubjekten, auch ohne die Reranziehung irgendwelcher Vrsachen „auf der Geldseite" grundsatzlich eine jede denkbare Anderung, nicht nur des durchschnittlichen Preisniveaus, sondem vielmehr gans allgemein der gesamten Preislconstellation erkldren liefie (im Prinzip sogar aus einer einzigen „primaren" Nachfrageanderung, jedenfalls aber aus einer entsprechenden Kombination von nachfrage- u n d angebotsbedingten Preisanderungen); wahrend umgekehrt auch die Auswirkung einer tatsiichlich vorhandenen Inflation bzw. Deflation auf die Preise grundsatzlich immer durch entsprechende „von der Warenseite h e r " verursachte Preisanderungen in der entgegengesetzten Eichtung verschleiert, iiberdeckt und moglicherweise sogar vollstandig kompensiert oder tiberkompensiert werden kann.
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D a m i t b e s t a t i g t sich also a m E n d e a u c h diejenige These, die u n t e r d e n verschiedenen v o n u n s i m P a r . 56 (siehe o b e n S. 288) hervorgeh o b e n e n B e h a u p t u n g e n wohl als die weitgehendste u n d z u n a c h s t u n wahrscheinlichste zu b e t r a c h t e n w a r : namlich, daB i m P r i n z i p ein jedes denkbare ,,Verhalten" des gesamten Preissystems sowohl m i t einem Zus t a n d n e u t r a l e r Geldversorgung wie m i t einem Z u s t a n d e der Inflation oder der Deflation k o m p a t i b e l ist, und dafi sich somit auf Grund einer ausschlie/Slichen Betrachtung des Preisverlaufes, in welcher Weise immer sie auch vorgenommen wird, grundsatzlich nie ein einwandfreies Urteil iiber die jeweilige Neutralitdt oder Nichtneutralitdt des Oeldes abgeben Id/St. Sogar eine ganz eindeutig k u m u l a t i v e Preissteigerung oder -senkung, die samtliche Giiterkategorien mitumfaBt, u n d die m i t h i n alle die auBeren M e r k m a l e einer Inflation bzw. Deflation aufzuweisen scheint, „effektiven" Nachfrage vollstandig erschopft. Eben deshalb ist diese Bedeutung unseres Erachtens auch grundsatzlich genau so groB im Falle einer ,,entgeltlichen" wie im Falle einer ,,unentgeltlichen" Kauikraftubertragung, wie z. B. Schenkung, Erbschaft, Tributleistung, Steuerzahlung usw. (Vgl. hiezu auch unsere Ausfuhrungen liber den angeblichen Unterschied zwischen ,,Preiszahlungen" und ,,Zessionszahlungen", siehe unten S. 337 tf.) Zugleich geht hieraus aber hervor, daB eben auch diese rein auBerwirtschaftlich bedingten Anderungen in der Besitz- und Einkommensverteilung den Wirtschaftsablauf gegebenenfalls ganz wesentlich beeinflussen kbnnen, so daB der jeweilige Stand dieser Verteilung tatsachlich mit zu den ,,grundlegenden Daten" der Wirtschaft (siehe oben S. 245, zumal Aran. 2) zu rechnen ist. 1 Zwar lieBe sich auch bei dieser Betrachtungsweise noch immer das Bild einer „ K e t t e " von aufeinanderfolgenden und kausal miteinander verbundenen Reperkussionserscheinungen beibehalten, jedoch diesmal nur in dem Sinne, daB die Bichtung und Intensitat eines jeden weiteren Gliedes aus einer derartigen Kette als von der Richtung und Intensitat siimtlicher vorhergegangener Glieder aus der gleichen Kette vollstandig unabhangig betrachtet werden sollten.
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konnte also, insoweit man nicht etwa iiber vollstandige Daten mit Bezug auf den monetaren Kausalmechanismus (zumal iiber den Umfang der jeweiligen Hortungs- bzw. Enth.ortungsvorga.nge) verfugt, niemals mit Bestimmtheit, sondern hochstens nur mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit 1 als ein „echter" Inflations- oder Deflationsfall bezeichnet werden. Das heiBt also nicbt mehr und nicht weniger, als daB die ganze Frage der ,,symptomatischen Messung" der Inflation tmd Deflation von einer grundsatzlich ganz anderen Seite als der bisher ilblichen heraus angefafit werden sollte; wobei wir allerdings die ersten sind die zugeben, erstens, daB wir personlich irgendeine zuverlassigere Methode fiir diesen Zweck zunachst nicht angeben konnen, und zweitens und hauptsachlich, dafi es uns sogar in dem hochsten Grade zweifelhaft erscheint, ob diese Frage wohl iiberhaupt einer einwandfreien Losung zuganglich ist. Sogar diese letztere Anerkennung erscheint uns aber anderseits keineswegs als ein geniigender Grund dafur, daB man sich, nur aus Mangel an etwas Besserem, mit einer zu diesem Zwecke nachweisbar durchaus unrichtigen und irrefiihrenden Messungsmethode — eben der des sogenannten allgemeinen Preisniveaus •— zufrieden geben sollte.
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80. Einer letzten Frage konnen wir allerdings in diesem Zusammenhange schwerlich ausweichen, namlich der, ob es, nach dem was in unseren obigen Untersuchungen iiber die unseres Erachtens „wahre Natur" des Wirtschaftsablaufs unter einem System neutraler Geldversorgung an den Tag gekommen ist, wohl noch der Miihe wert sei, die „symptomatischen Kriterien" fiir die Neutralitat oder Nichtneutralitat des Geldes ausfindig zu machen; und zumal, ob das Bestreben, in der Wirklichkeit einen Zustand neutraler Geldversorgung herzustellen, im Lichte der jetzt gewonnenen Erhenntnisse wohl iiberhawpt noch irgendeinen vemunftigen Sinn hat. Der Beantwortung dieser doppelten Frage sollen die SchluBbetrachtungen dieser Arbeit gewidmet sein. Bevor wir dazu iibergehen, konnen wir aber nicht umhin, an dieser Stelle noch auf gewisse, bisher ungeniigend von uns beriicksichtigte Zusammenhange zwischen den obigen Ausfuhrungen und einigen allgemeinen 1 Zu diesem Punkte der „Wahrscheinlichkeit" sei abschlieflend noch folgendes bemerkt. Naturlich ist es nicht abzustreiten, daB infolge des sogenannten „Gesetzes der groCen Zahlen" wenigstens die nachfragebedingten Preissteigerungen und Preissenkungen, im groBen und ganzen und auf die Dauer betrachtet, einander wohl ungetahr die Waage halten diirften, und daB sich insoweit aus einer lortgesetzten kumulativen Preisbewegung wohl tatsachlich mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer Inflation, bzw. Deflation schlieBen HeBe. Jedoch dies ist und bleibt etwas grundsatzlich anderes als der angeblich eindeutig bestimmte Funktionalzusammenhang, der nach der ublichen Fassung der Kompensationstheorie in dieser Beziehung gelten soil. Dazu kommt weiter noch die Uberlegung, daB dieses Wahrscheinlichkeitsargument doch hochstens nur mit Bezug auf die nachfragebedingten, keineswegs aber auch mit Bezug auf die angebotsbedingten Preisanderungen zutreffend sein konnte, weil ja die Ietzteren offenbar tatsachlich auf langere Zeit in eine und die gleiche Richtung vorliegen konnen (wie z. B. im Falle einer allgemeinen Verbesserung in den Produktionsmethoden). Ein Gedankengang, wie etwa der oben mit Bezug auf die Inflation in den Ver. Staaten vor der 1929 er Krise von uns vertretene (vgl. oben S. 320, Anm. x) bleibt also auch von diesem letzten Einwand grundsatzlich unberuhrt.
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Problemen der Preistheorie — zumal der angeblich 1 oder wirklich ,,rein tauschwirtschaftlichen" Preistheorie — hinzuweisen. Zunachst diirfte namlich die Frage auf der Hand liegen, ob unsere ganze bisherige Theorie hinsichtlich der Moglichkeit ,,einseitiger" Preisanderungen, die ja sogar in der These von der „Amorphitat" des Preissystems als ganzes gipfelte, nicht in einem schroffen Widerspruch steht zu der — gerade seitens der Anhanger der auch von uns keineswegs abgelehnten mathematischen Methode 2 wiederholt betonten —• Lehre von dem „Zusammenhang aller Preise" oder der „Interdependenztheorie". Bei etwas genauerer Betrachtung ergibt sich aber unseres Erachtens, daB hier im Grande iiberhaupt kein wirklicher Widerspruch vorliegt. Denn gerade alle diejenigen Momente, die seitens der Anhanger dieser Interdependenztheorie gewbhnlich mit mehr oder weniger Nachdruck hervorgehoben werden — zumal die Tatsache, daB die Nachfrage nach einem jeden einzelnen Gute nicht nur von dem Preise die'ses Gutes selbst, sondern vielmehr auch von den Preisen samtlicher iibrigen Giiter mitbestimmt wird — sind ja in unserer obigen Analyse, eben unter der Kategorie der ,,qualitativen Reperkussionen", durchwegs mitberucksichtigt worden. Was wir in den bisherigen Paragraphen dieses Abschnittes darzulegen versucht haben, ist also keineswegs, daB die Interdependenztheorie als solche unrichtig ist, sondern vielmehr nur, daB es uns auch und gerade im Eahmen dieser Theorie3 durchaus moglich erscheint, daB die jeweiligen ,,Daten" der Wirtschaft — d. h. also die unabhangig variablen GroBen aus dem fruher erwahnten System „simultaner" Gleichungen —• derart beschaffen sein konnen, daB eben infolge einer Anderung in einer oder in wenigen dieser Daten auch nur eine einzige bzw. ganz wenige der abhdngig variablen GroBen (zumal der Preise) in Mitleidenschaft gezogen werden. Was wir tatsachlich ablehnen, ist somit nur die zwar scheinbar aus der Interdependenztheorie hervorgehende, jedoch fur ihren Grundgedanken keineswegs wesentliche Behauptung, daB ,,eine jede Anderung irgendeines einzelnen Preises immer eine Anderung aller anderen Preise mit sich bringen musse"; die etwas vorsichtigere Formulierung der gleichen These, die dahin geht, man solle bei einer jeden Angebots- oder Nachfrageanderung eines einzelnen Gutes immer die Moglichkeit in Betracht Ziehen, daB neben dem Preise dieses Gutes selbst sich auch ein oder mehrere (im Grunde sogar alle) andere Preise in der Volkswirtschaft andern konnen, erscheint uns hingegen grundsatzlich einwandfrei und auch mit unseren obigen Ausfuhrungen durchaus kompatibel. 81. Unmittelbar hieran anschlieBend sei bemerkt, daB wir bestimmte Momente, denen zufolge in der Wirklichkeit tatsachlich ein ganz bestimmter „Zusammenhang", zwar nicht zwischen alien Preisen, aber doch jedenfalls zwischen den Preisen groBer ,,Familien" von Giitern 1
Vgl. zu diesem Worte „angeblich" unsere Bemerkungen auf S. 308/9. Zumal G. CASSEL, Theoretische Sozialokonomie, V. Aull., Leipzig 1932, S. 123 ff. Wie sich schon oben ergab, sogar eher als im Rahmen derjenigen Theorien, die mit den Einkommen als jeweils „vorgegebenen" Daten rechnen. 2 3
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existiert — zumal das Moment der sogenannten „Kostenverwandtschaffc" oder jjProduktionsverwandtschaft" 1 zwischen den einzelnen Giitern •— in unserer bisherigen Analyse absichtlich vernachlassigt haben. Die obigen Thesen hinsichtlich der Moglichkeit einseitiger Preisanderungen sollen also keineswegs implizieren, daB etwa auch der Preis eines einzelnen Gutes innerhalb einer kostenverwandten Oruppe sich andern konnte, ohne daB die Preise der iibrigen zu der gleichen Gruppe gehorenden Giiter in Mitleidenschaft gezogen wiirden; insoweit ware vielmehr auch nach unserer Ansicht ganz gewiB die Notwendigkeit und nicht nur etwa die Moglichkeit von ,,Reperkussionen" anzuerkennen. 2 Jedoch imRahmen unserer obigen Beweisfiihrung erscheint die Vernachlassigung dieses Momentes nichtsdestoweniger durchaus gerechtfertigt, und zwar aus drei Griinden: erstens weil es sich dabei grundsatzlich nur um die Moglichkeit einseitiger Preisbewegungen handelte und weil es ja offenbar auch solche Giiter gibt, die tatsachlich auBerhalb einer jeden Produktionsverwandtschaft mit irgendwelchen anderen Giitern stehen ;3 zweitens weil uns in dem Zusammenhange unserer weiteren Problemstellung in erster Linie doch immer nur die Widerlegung der Lehre von den kompensatorischen Preisanderungen interessierte, wahrend es sich hingegen bei den hier besprochenen „Komplikationen" fast ausschlieBlich um Falle gleichgerichteter (also nach unserer obigen Terminologie ,,kumulativer") Preisanderungen handelt; und drittens und hauptsachlich, weil der in diesen Fallen wirksame Mechanismus kausal betrachtet auf einer ganz anderen Ebene liegt als derjenige, aus dessen angeblicher Wirkung die SchluBfolgerungen der Kompensationstheorie hergeleitet werden: denn wahrend es sich dort regelmaBig um Preiszusammenhange ,,uber die Nachfrageseite" handelt, ist diesmal ausschHeBlich von Zusammenhangen iiber die ,,Angebotsseite" die Rede. (Formal lieBe sich iibrigens das Moment der Kostenverwandtschaft wohl auch in unsere obige Analyse mit hineinbeziehen, namlich indem man durch die Symbole „A", „ B " usw. nicht mehr wie bisher die einzelnen Giiterarten, sondern nur noch jeweils eine ganze in sich „ge1 Unter diesem Ausdrucke sind hier sowohl die Falle der ,,alternativeu" Kostenverwandtschaft (verschiedene Endprodukte bei verschiedener Verwendung der gleichen Kostengilter) wie auch die der ,,komplementaren" Kostenverwandtschaft — englisch: ,,joint cost" —• zu verstehen, d. h. die Falle, wo sich bei einer und der gleichen Verwendung bestimmter Kostengilter mehrere Endprodukte nebeneinander ergeben. 2 Das gleiche gilt auch fur die Falle ,,spezifischer" Konsumverwandtschaft zwischen einzelnen Giitern (im Gegensatz zu der „generellen" Konsumverwandtschaft zwischen samtlichen Giitern, die schon ohneweiters aus der Beschranktheit der Kaufkraft der einzelnen Wirtschaften hervorgeht, und die wir im Rahmen unserer Problemstellung offenbar nicht hatten vernachlassigen konnen, ohne daB diese selbst gegenstandslos geworden ware). Eine „spezifische" Konsumverwandtschaft in diesem Sinne liegt unseres Erachtens dann vor, wenn schon die rein psychologische Bewertung irgendeines Gutes (im Gegensatz zu der ,,effektiven" Nachfrage nach diesem Gute, wobei dies grundsatzlich immer der Fall ist) nicht nur, nach den allgemeinen Gesetzen der Grenznutzenlehre, von dem verfilgbaren Vorrat dieses bestimmten Gutes selbst, sondern daneben auch von dem verfilgbaren Vorrat eines oder mehrerer anderer Giiter abhangig ist. Auch hier ist selbstverstandlich, genau so wie im Falle der Produktionsverwandtschaft, eine Unterteilung in ,,alternative" und „komplementare" Konsumverwandtschaft moglich, je nachdem eine bessere Versorgung mit den betreffenden anderweitigen Giitern den Grenznutzen des ersterwahnten Gutes zu verringern oder zu erhohen die Tendenz hat. 3 Wie z. B. die unten noch zu erwahnenden Gemalde beriihmter Meister.
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schlossene" Gruppe von untereinander produktionsverwandten Gtitern andeutet, innerhalb deren sich dann tatsachlich die Existenz eines eindeutig bestimmten Funktionalzusammenhanges zwischen den einzelnen Preisen nachweisen liefie, wahrend gleichzeitig nach aufien — d. h. also mit Bezug auf die „Reperkussionen" der einzelnen Oruppen untereinander — unsere obigen Ergebnisse vollauf giiltig blieben.)
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82. Der wichtigste Punkt, den wir an dieser Stelle nocb zu beriihren haben, liegt indessen auf einem etwas anderen Gebiete und hangt unmittelbar mit der Erage nach der grundsatzlichen Berechtigung des Prinzips zusammen, das (von S. 298 an) unserer ganzen bisherigen Analyse zugrunde lag und das sich — mit einem unseres Wissens zuerst von dem franzosischen Autor J. R U E B T verwendeten Ausdruck 1 — wohl am besten als das ,,Prinzip der Erhaltung der Kaufkraft" bezeichnen laBt. Es handelt sich hiebei namlich um einen Gedankengang, dessen Anwendungsgebiet keineswegs nur auf das uns bisher beschaftigende Problem der Reperkussionen zwischen den Giiterpreisen im engeren Sinne beschrankt bleibt, sondern der vielmehr auch in den Diskussionen uber wenigstens drei oder vier andere Gebiete der Wirtschaftstheorie eine bedeutende Rolle spielt: namlich erstens in der sogenannten „Transfer"frage, 2 zweitens in der Kontroverse iiber die angebliche „Absorbierung" von Kaufkraft durch die Effektenborse ;3 drittens im Zusammenhang mit dem Problem der „Abbremsung" der Konjunkturschwankungen durch eine planmaBige zeitliche Verteilung der offentlichen Bauarbeiten usw. ;* und endlich auch mit Bezug auf das sogenannte „Kaufkraftargument" in der Lohndiskussion. 5 I n alien diesen Punkten handelt es sich ja grundsatzlich immer um die gleiche Erage, namlich ob die Verwendung von ,,Kaufkraft" zu irgendeinem bestimmten Zwecke (Reparationsleistung, Effektenkauf, Bautatigkeit, Lohnerhohung usw.) zwangslaufig die fur die Gesamtheit der iibrigen Verwendungen verfugbare Kaufkraftmenge um einen entsprechenden Betrag verringern mu8, oder aber ob letztere dennoch unverandert bleiben kann, weil ja der Kaufkraftentgang auf der einen Seite (wie z. B. durch Steuererhebung oder durch die Preiserhohung der mit Hilfe der verteuerten Arbeit hergestellten Gxiter) von einer genau so groBen Kaufkraftzunahme an irgend1 J . R U E F F , „Mr. K E Y N E S ' views on the Transfer Problem", Econ. Journal 1929, Bd. 39, S. 389/390 (zusammen mit weiteren diesbeziigllchen Schrlften RUEFFS zitiert bel G. HABERLER, Transfer und Preisbewegung, Zeitschr. f. Nat.-Okon. 1930, Bd. I, S. 551/552). 2 Vgl. zumal die beiden in der vorhergehenden Anmerkung erwahnten Arbeiten RUEFFS und HABERLERS. Mit der uberaus umfangreichen weiteren Literatur zu diesem Punkte konnen wir uns hier selbstverstandlich nicht beschaftigen. 3 F . MACHLUP, a. a. O. (Borsenkredit usw.) passim. Fur ein Verzeichnis der weiteren diesbezuglichen Literatur (zumal die Schriften CASSELS) sei auf die Literaturangaben bei
MACHLUP verwiesen.
4 Vgl. hiezu insbesondere R. G. HAWTREY, Trade and Credit, London 1928, Ch. VI (Public Expenditure and the Demand for Labour), S. 104ff„ sowie auch die darauf stattgefundene Diskussion zwischen PIGOU und HAWTREY im Econ. Journal von 1929, Bd. 39, S. 183 ff. u. 636 ff. 6 Vgl. z. B. die schon oben (S. 308, Anm. 2) von uns zitierte Arbeit O. CONRADS und die von diesem erwahnten weiteren Schriften. Die meistens als ,,orthodox" betrachtete Theorie verhalt sich bekanntlich in diesem Punkte dem Prinzip der Kaufkrafterhaltung gegeniiber fast allgemein ablehnend.
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einer anderen Stelle der Wirtschaft (Reparationsempfanger, Effektenverkaufer oder -Emittenten, Bauunternehmer und Produzenten der Baumaterialien, Arbeiter usw.) wettgemacht wird. Das Merkwurdige ist indessen, daB, ungeachtet der offensichtlichen Verwandtschaft der Problemstellung in alien diesen Fallen, von einem gemeinschaftlichen und einheitlichen Losungsversuch fast nie die Rede ist, und daB es sogar keineswegs zu den Ausnahmen gehort, daB von ein und demselben Verfasser die „Erhaltung der Kaufkraft" mit Bezug auf das eine dieser Probleme bejaht, hingegen mit Bezug auf eines oder mehrere der iibrigen ebenso ausdrucklich verneint wird. Zwar diirfte es sich hiebei des ofteren um einen den betreffenden Autoren selbst nicht ganz klar gewordenen inneren Widerspruch der Anschauungen handeln, jedoch fehlt es auf der anderen Seite ebensowenig an Versuchen, die Berechtigung einer je nach dem Zwecke der betreffenden Kaufkraftverwendung verschiedenen Stellungnahme zu dieser Frage wissenschaftlich zu begriinden. Und zwar kmipfen die meisten dieser Versuche mehr oder weniger ausdrucklich an die bekannte WiESERsche Unterscheidung zwischen „Preiszahlungen" und ^Zessionszdhlungen"1 an, von denen die ersten eine „wirkliche" Kaufkraftverwendung, welche die fur andere Zwecke verfugbare Kaufkraft entsprechend vermindert, darstellen sollen, die zweiten hingegen „nur" eine Kaufkraftiibertragung, welche die Gesamtkaufkraft der Wirtschaft unberiihrt laBt, oder, wie es u. a. von B E N D I X E N 2 ausgedriickt worden ist: einen „volkswirtschaftlich indifferenten Personenwechsel".
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83. Der Zusammenhang zwischen dieser Unterscheidung und unserer obigen Analyse tritt insbesondere in der in anderem Zusammenhange schon wiederholt von uns erwahnten Arbeit F . MACHLTTPS klar zutage, zumal an der Stelle, wo dieser Verfasser — der einerseits die WiESERsche Unterscheidung ausdrucklich als Ausgangspunkt seiner Untersuchungen wahlt 3 — dennoch im Laufe einer unseres Erachtens an und fur sich durchaus richtigen Analyse zu der Anerkennung gezwungen wird, es gebe unter den Preiszahlungen auch solche, „die bloB die unmittelbar indifferente Wirkung der Zessionszahlung haben", 4 wie z. B. im Falle des Verkaufs ,,eines besonders geschatzten Bildes eines beriihmten Malers", das „als nicht reproduzierbares Gut gelte". 5 Und zwar besteht diese „Indifferenz" nach der Ansicht des Verfassers in concreto darin, daB (wir zitieren noch immer wortlich): ,,Der hohe Preis des Bildes alle iibrigen Preise unberiihrt (lasse)", wenigstens: „sofern der 1 F . WIESER, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft, GrundriB der Sozialokonomik, II. Aufl., Tubingen 1924, S. 180 u. 188; Art. „Geld" im Hdwb. der Staatswiss., IV. Aufl., Jena 1927, Bd. IV, S. 684. Im ahnlichen Sinne unterscheidet u. a. O. CONRAD, a. a. O. S. 81 ff., zwischen „wirksamen" und „blinden" Gliedern in der Kette der Kaufakte. Auch die bekannte KEYNESsche Unterscheidung zwischen ..Industrial Circulation" und ,,Financial Circulation" bewegt sich in der gleichen Richtung. 2 F . BENDIXEN, a. a. O. („Wesen des Geldes") S. 34 u. 37. 3
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F . MACHXUP, a. a. O.
S. 86.
Ebenda (im Original gesperrt). Ebenda S. 87. Beitrage zur Geldtheorie.
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A x die ihm zugeflossene Kaufkraft in der gleichen Weise verwendet, wie sie der B bei unterbliebenem Bilderwerb verwendet hatte". 2 Diese Ausfuhrungen decken sich nun offenbar auf der einen Seite bis in Einzelheiten genau mit der in den vorhergehenden Paragraphen dieses Abschnittes von uns vertretenen Ansicht hinsichtlich der Moglichkeit einseitiger Preisanderungen •— zumal auch mit Bezug auf die Notwendigkeit des Vorbehaltes, da6 es keine „qualitativen Reperkussionen" gebe — jedoch auf der anderen Seite besteht zwischen der MACHLTJPschen Auffassung und der unsrigen der ganz wesentliche Unterschied, dafi der betreffende Sachverhalt fur uns als die Regel, fur MACHLTJP hingegen als eine nur mit Bezug auf eine ganz spezielle Kategorie von ,,zessionszahlungsahnlichen Preiszahlungen" 3 zutreffende Ausnahme gilt, wahrend eine Ausdehnung des gleichen Prinzips auf samtliche Zahlungen — ungeachtet ob Preiszahlungen oder Zessionszahlungen •— von ihm ausdrucklich abgelehntwird. 4 Gerade eine derartige „halbwegige" Stellungnahme durfte sich nun aber nach unserer Ansicht in diesem Punkte als vollstandig unhaltbar erweisen. Vielmehr ergibt sich unseres Erachtens eben aus dem obigen Beispiel MACHLUPS ganz iiberzeugend, nicht nur wie unklar, verschwommen, vieldeutig und willkurlich, 5 sondern zumal auch wie irrelevant diese ganzeUnterscheidung zwischen,,Preiszahlungen" und „Zessionszahlungen" fur die uns hier beschaftigenden Probleme ist. Eine jede KompromiBlosung ist hier nach unserer Ansicht unmbglich, man hat eben zwischen zwei grundsatzlich unvereinbaren Gedankengangen die Wahl zu treffen: d. h. entweder man halt sich —- unseres Erachtens zu Unrecht! —-
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Das heifit der Verkaufer des Bildes. A. a. O. S. 87. A. a. O. S. 86. Das Kriterium, durch das sich diese spezielle Gruppe der Preiszahlungen von den ubrigen unterscheiden laBt, wird vom Verfasser auf S. 88 naher ausgearbeitet, und zwar in dem Sinne, daB die gleichen SchluBfolgerungen wie im Falle des Bildverkaufs fur alle diejenigen Giiter zutreffen, die „Gegenstand des Tauschverkehrs sind, aber aus technischen, juristischen oder wirtschaftlichen Grunden trotz Erhohungen ihres Preises zu keiner vermehrten Produktion AnlaB geben". Zumal die Hineinbeziehung der ,,wirtschaftlichen Griinde" durfte hier unseres Erachtens von Interesse sein und das Anwendungsgebiet dieses Prinzips nicht unbetrachtlich erweitern. Wie sich aus einer FuBnote a. a. O. ergibt, umfaBt namlich die oben umschriebene Gruppe von Giitern nach der Ansicht MACHLUPS Z. B. auch die Monopolgiiter, insoweit die Nachfrage nach ihnen unelastisch ist. Wie diese Auffassung sich mit der in der nachsten Anmerkung von uns erwahnten Aufierung des gleichen Verfassers hinsichtlich des Gesetzes der kompensatorischen Preissummenanderungen in Einklang bringen laBt, bleibt allerdings ungelfist. 4 F . MACHLUP, a. a. O. S. 85, von uns ausfuhrlicher zitiert auf S. 300, Anm. a . 5 Es laBt sich ja (auch ganz abgesehen von den bei MACHLUP besprochenen Beispielen) ganz leicht eine Unmenge von Zweifelsfallen aufzahlen, die man je nach Wahl als eine ,,Preiszahlung" oder als eine ,,Zessionszahlung" im Sinne WIESBRS bezeichnen konnte. Als Beispiele seien hier nur erwahnt die Lohne fiir Notstandsarbeiten (in denen ja immer eine groBere oder kleinere Unterstiltzungsquote steckt), die sogenannten ,,Trinkgelder" (Geschenk oder Lohn fiir geleistete Dienste ?), die fiir bestimmte obrigkeitliche Leistungen zu entrichtenden Gebilhren, die nicht als „Steuern" im engeren Sinne aufzufassen sind, die Zinsen der „unproduktiven" offentlichen Anleihen usw. Sogar die Beamtengehalter waren nach der Ansicht mancher Autoren zu den Zessionszahlungen zurechnen. Wie aus diesem letzten Beispiel hervorgeht, ist die vorliegende Unterscheidung iiberhaupt aufs engste verwandt mit dem — ubrigens genau so verschwommenen! —• Unterschied zwischen ,,produktiven" und ,,unproduktiven" Leistungen. (Das Unterscheidungsmerkmal „entgeltlich/ unentgeltlich" —• wobei dann die unentgeltlichen Zahlungen als Zessionszahlungen zu betrachten sind — ware rein formal bis zu einer gewissen Hohe einwandfrei, laBt dafur aber auch die meisten der soeben erwahnten Zweifelsfalle materiell genau so ungelost wie vorher.)
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an das Gesetz der kompensatorischen Preisswmmewanderungen (z. B. auf Grund des ,,Time-Lag-Argumentes", siehe oben S. 307ff.), dann gilt dies aber genau so gut auch fur den MACHLUPschen Fall des Bildverkaufs, und es muBte also auch dort die kaufkraftige Nachfrage nach anderweitigen Giitern um einen entsprechenden Betrag zuriickgehen; oder aber man erkennt — mit uns — die MACHLtrpsche Losung fur diesen speziellen Fall als richtig an, muB dann aber auch die voile Konsequenz daraus ziehen, daft namlich die Unterscheidung zwischen „Preiszahlungen" und „Zessionszahlungen" vollstandig aufgegeben werden mufi, und daB man, wenn iiberhaupt, 1 eine nach ganz andern Gesichtspunkten vorzunehmende Unterscheidung an ihre Stelle setzen sollte. 2 Das grundsatzlich Falsche an den sich auf die erstgenannte Unterscheidung stutzenden Lehren erblicken wir insbesondere darin, daB hiebei iibersehen wird (erstens), daB eine jede Zahlung, sogar eine ganz unzweideutige „Preiszahlung", doch immer und notwendig auch eine „Zession" von Kaufkraft darstellt und sich mithin insoweit keineswegs von den iibrigen ,,Zessionszahlungen" unterscheidet 3 , und (zweitens) daB die Zession als solche immer dann, jedoch zugleich auch nur dann, fiir das Preissystem bzw. fiir den Wirtschaftsablauf als Ganzes ,,indifferent" ist, wenn eben demzufolge keine Anderungen in der Struktur der ,,effektiven" Nachfrage stattfinden, d. h. also, wenn es im Sinne unserer bisherigen Terminologie keine „qualitativen Reperkussionen" gibt. Ob letzteres der Fall ist oder nicht, ist jedoch eine Frage fiir sich, die offenbar nicht das geringste damit zu tun hat, ob die betreffende Zahlung eine, ,Preiszahlung" oder etwas anderes ist. — DaB schlieBlich auch das sogenannte „Time-Lag-Argument" niemals einen Unterschied zwischen den Vorgangen im Falle einer Preiszahlung und im Falle einer (Nur-) Zessionszahlung begriinden kann, geht unseres Erachtens unzweideutig aus den eigenen Worten MACHLUPS hervor, der — mit Bezug auf den von anderer Seite behaupteten Unterschied zwischen dem Falle des Effektenkaufs und den iibrigen Zessionszahlungen im 1 Das heiBt mit Bezug auf irgend eine andere Problemstellung als die hier untersuchte; denn fiir diese selbst ist ja nach unserer Auffassung eine jede Unterscheidung in diesem Sinne iiberhaupt uberflussig. 2 Gerade in den obigen Beispielen MACHLUPS diirfte unseres Erachtens der Ansatz zu einer solchen anderweitigen Unterscheidung vorliegen, und zwar in dem Sinne, daB hiebei der Schwerpunkt auf die Frage verlegt wird, ob das betreff ende Gut (Gemalde, Monopolgut usw.) aufSerhalb einer jeden Kostenverwandtschaft mit anderen Gictern steht oder nicht. Vgl. auch die Stelle a. a. O. S. 85/86: „Zu Veranderungen im Interdependenzsystem der Preise [mussen] nur jene Preiszahlungen AnlaB geben, die an sich eine Entscheidung iiber die Giitererzeugung, uber die Disposition von Produktionsmitteln, bewirken" (Hervorhebung von uns). Es handelt sich dabei aber, wie oben auf S. 335 dargelegt wurde, um eine grundsatzlich andere Problemstellung als die unsrige (und, nebenbei bemerkt, auch als die ursprtmgliche MACHLupsche!), namlich um die Frage der Preiszusammenhange ,,iiber die Angebotsseite" anstatt um diejenigen iiber die Nachfrageseite. 3 Der wirkliche Unterschied zwischen einer ,,Preiszahlung" und einer ,,Nur-Zessionszahlung" erschopft sich unseres Erachtens darin, daB sich in dem ersten Falle eine (nach unserer obigen Terminologie „primare") Preisanderung des betreffenden Gutes selbst ergeben wird — was aber offenbar auch fiir die Gemalde usw. und zumal auch fiir die Effekten gilt —• wahrend hingegen im Falle einer ,,reinen" Zessionszahlung von einer solchen primaren Preisanderung ex definitione (namlich mangels eines Objektes!) nicht die Rede sein kann. Um diesen vollig selbstverstandlichen Sachverhalt handelt es sich indessen bei der Diskussion fiir und wider das Prinzip der Erhaltung der Kaufkraft ganz gewifl nicht.
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engeren Sinne — ganz allgemein (und zwar nach unserer Ansicht ganz zu Recht) schreibt: „Der Zeitablauf zwischen Zahlungsempfang und Nachfrageentfaltung darf entweder in keinem Fall oder in alien Fallen mit gleicher Berechtigung vernachlassigt werden." 1 Die Konsequenz aus alledem ist somit, daji tatsachlich das sogenannte „Prinzip von der Erhaltung der Kaufkraft" in einem jeden Falle der Kaufkraftubertragung, gleichgiiltig ob „entgeltlich" oder „unentgeltlich", zutrifft. Das bedeutet also, daB eine jede Zahlung ( = ,,Zession"!) fur den Wirtschaftsablauf ,,indifferent" ist, insoweit nur die betreffenden Zahlungsempfanger — es moge sich um Giiter- oder Effektenverkaufer, um Kreditnehmer oder Lohnarbeiter, um Reparations- oder Alimentationsglaubiger oder um wen auch sonst bandeln — die betreffenden Kaufkraftmengen in der gleicben Weise verwenden, wie dies sonst der Zahlende getan hatte (d. b. also insoweit es keine „qualitativen Reperkussionen" in dem obigen Sinne gibt); jedoch auf der anderen Seite aucb, daB keine einzige Zahlung — sogar nicbt der Idealtypus der „reinen" Zessionszahlung, namlich die Geldscbenkung—als,, volkswirtscbaf tlich indifferent'' betracbtet werden kann, insofern es tatsachlich einen Unterschied zwischen den beiderseitigen Verwendungen, also eine q u a l i t a t i v e Reperkussion" gibt. Letzteres und letzteres allein ist das in dieser Beziehung ausschlaggebende Rriterium. H a t man sich diese Zusammenhange einmal klargemacht, dann durfte auch eben dadurchder unserenfruheren SehluBfolgerungen zunachst wohl noch immer anhaftende Schein des Paradoxen zum groBten Teile verschwinden. Es stellt sich dann namlich heraus, daB es sich dort, bei Tageslicht besehen, eben nur um eine etwas erweiterte Anwendung genau des gleichen Prinzips handelt, das auf manchen anderen Teilgebieten der Wirtschaftstheorie — und zwar gerade von den im allgemeinen nicht als „ketzerisch" geltenden Autoren! — durchwegs anerkannt zu werden pflegt. 2 Die damit gewonnene Vereinheitlichung der Theorie — die vielleicht ruckwirkend auch auf die Analyse der ubrigen oben erwahnten Problemkomplexe befruchtend wirken konnte 3 -— durfte 1 A. a. O. S. 90/91 (Hervorhebungen im Original). Wir konnen dieser AuBerung MACHLUPS grundsatzlich beistimmen, obwohl der Verfasser — der eben nicht von dem Prinzip der Neutralitat des Geldes in unserem Sinne ausgeht — die Frage der ,.Berechtigung" der diesbezuglichen Voraussetzungen nach einem etwas anderen Gesichtspunkte vornimmt als wir und zumal der Frage, ob faktisch eine Zeitspanne vorhanden sei oder nicht, eine u. E. etwas zu groBe Bedeutung beimiBt. (Siehe oben S. 309 fi.) Zu diesem Punkte ware unsererseits noch zu bemerken, daB, wenn tatsachlich zwischen einem Effektenverkauf und der Wiederverwendung der betreffenden Geldsummen seitens des Verkaufers eine Zeitspanne vorliegt, dies nach unserer Auffassung auch in genau dem gleichen Sinne ein nichtneutrales, also deflatorisches Moment darstellt, wie in den entsprechenden oben analysierten Fallen des Guterverkaufs. 2 Zumal in der Transferfrage und in der Kontroverse liber die ,,Absorbierung" von Kaufkraft durch die Effektenborse; mit Bezug auf die Frage der offentlichen Arbeiten ist die Stellungnahme unter den maBgebenden Autoren schon weit weniger eindeutig. 3 Letzteres gilt zumal filr die Lohnfrage. In der Tat ergibt sich hier unseres Erachtens die Moglichkeit zu einem weiteren Ausbau der Theorie, der vielleicht sogar zu einer gewissen Synthese zwischen der ,,Kaufkraftlehre" und dem entgegengesetzten Standpunkte ftihren konnte. An dieser Stelle sei hiezu nur erwahnt, daB wir uns mit Bezug auf diese Probleme keiner der beiden extremen Auffassungen vorbehaltlos anschlieBen konnen, daB aber filr die Praxis unsere SehluBfolgerungen in diesem Punkte, ungeachtet der obigen
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nach unserer Meinung schon als solche als ein Argument von nicht zu unterschatzender Beweiskraft zugunsten der in diesem Abschnitte dargelegten Auffassungen gelten.
Schlufibetrachtungen.
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84. Die theoretische Geschlossenheit des Systems, die wir am Ende des vorhergehenden Abschnittes erreichten, kann selbstverstandlich die Tatsache nicht verschleiern, daB wir in praktischer Hinsicht — d. h. mit Bezug auf die Frage der jeweiligen symptomatischen Beurteilung der Neutralitat oder Niohtneutralitat des Geldes — mehr als je zuvor mit leeren Handen dastehen, weil eben samtliche Kriterien, die anscheinend zu diesem Zwecke in Betracht kommen konnten, sich im Laufe unserer obigen Untersuchungen als hinfallig erwiesen haben. Auf der anderen Seite sind wir aber vorlaufig ebensowenig imstande, etwas anderes und besseres an ihre Stelle zu setzen. Es bleibt aber immerhin noch die Frage zu untersuchen, die schon oben auf S. 333 andeutungsweise hervorgehoben wurde, namlich ob dieses negative Resultat im Grunde genommen wohl so bedauernswert ist als dies zunachst den Anschein haben diirfte. Wenn es ja um den Wirtschaftsablauf im allgemeinen und den Preisverlauf im besonderen unter einem System neutraler Geldversorgung tatsachlich so bestellt ist, wie dies von uns in dem vorhergehenden Abschnitte dieser Arbeit dargelegt wurde, ist es dann (so lieBe sich hier vielleicht argumentieren) wohl iiberhaupt noch der Muhe wert, sich um die praktische Verwirklichung des neutralen Geldes viel zu kummern ? Von den angeblichen Vorteilen des Stabilisierungsprogramms — wie etwa der „Gerechtigkeit" bei der Erfullung der in der Geldeinheit ausgedriickten Obligationsverhaltnisse, der Rationalisierung der wirtschaftlichen Kalkulationen, der Vermeidung der mangelhaften Anpassung der Lohne und sonstigen „starren" Kostenelemente an die Preisanderungen der Endprodukte usw. — wurde ja bei einer Verwirklichung der Neutralitat des Geldes in unserem Sinne sowieso nur ziemlich wenig iibrig bleiben, und von der Eliminierung der Konjunkturschwankungen, wie sie von den mehr anspruchsvollen unter den Vertretern des Stabilisierungsgedankens versprochen wird, anscheinend erst recht nichts! 1 Es erscheint somit die Frage berechtigt, ob es — einmal zugegeben, daB die Neutralitat des Geldes und die Stabilitat des durchschnitthchen Preisniveaus tatsachlich zwei verschiedene Dinge sind — nicht dennoch vorzuziehen ware, den letzteren dieser beiden Zustande und nicht den ersten in der Praxis zu verwirklichen. Und einmal angenommen, daB diese Frage zu bejahen sei, ware dann die Konsequenz davon nicht, Ausfuhrungen, denen der Gegner des Kaufkraftargumentes noch immer am nachsten stehen. Aus der anderen Seite lehnen wir aber auch die Auflassung ab, nach der schon die bloBe Existenz einer allgemeinen Arbeitslosigkeit als solche immer ein untriigliches Symptom fur eine „t)berhohung" der (Real-) Lohne darstelle und nach der somit in diesem Falle ein neues Gleichgewicht uberhanpt nur mittels einer Lohnsenkung herzustellen ware. 1 Letzteres allerdings nur anscheinend, wie wir in den nachfolgenden Seiten noch darzulegen holfen.
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daB unserer ganzen obigen Analyse von dem Wirtschaftsablauf unter einem System neutraler Geldversorgung nur noch eine rein theoretische Bedeutung beizulegen ware, und daB zumal die Frage nach den symptomatiscben Kriterien der Neutralitat des Geldes zum groBten Teile ihre Bedeutung verlieren wurde, weil man sich eben fur die praktischen Zwecke der Geldpolitik doch nach wie vor mit den mehr oder weniger ,,verfeinerten" Methoden der Indexzahlenberechnung zufrieden geben konnte ? Obwobl wir keineswegs in Abrede stellen, daB dieser Gedankengang auf den ersten Blick etwas durchaus Bestecbendes hat — ware doch dadurch mit einem Schlage sowohl das auBerst schwierige, wenn nicht gar unlosbare Problem der symptomatischen Messung der Neutralitat des Geldes aus dem Wege geschafft und zugleich die angeblichen ,,Vorteile" des Stabilisierungsprogramms trotz aller unserer obigen Einwande sicbergestellt — glauben wir dennoch einen jeden Losungsversuch in diesem Sinne auf das entschiedenste ablebnen zu rmissen, und zwar aus mehreren Grunden. Zunachst natiirlich schon deshalb, weil, wie sich leicht einsehen laBt, die ganze metbodologiscb-aprioristische Begriindung der Erwunschtheit eines Zustandes neutraler Geldversorgung, wie wir diese im zweiten Abschnitte der vorliegenden Arbeit zu entwickeln versucht haben, von unseren spateren Erorterungen mit Bezug auf den konkreten „Inhalt" des JSTeutralitatsbegriffes iiberhaupt nicht beriihrt, geschweige denn widerlegt worden ist. 1 Auf dieses rein formale und abstrakte Argument brauchen wir uns indessen an dieser Stelle keineswegs zu beschranken, weil es sich ja unseres Erachtens auch unmittelbar und in concreto nachweisen laBt, daB und weshalb der Vfirtschaitapolitische Konflikt zwischen dem ,,Programm" der Neutralitat des Geldes und dem der Geldwertstabilitat (der aus der wirtschaftstheoretischen Erkenntnis von der Mchtidentitat dieser beiden Begriffe hervorgeht) durchwegs im Sinne der ersteren Alternative zu entscheiden ist. 85. Zunachst noch eine kurze Bemerkung zu der engeren preistheoretischen Seite des Problems, die allerdings nach unserer Auffassung keineswegs die wichtigste ist. Schon in diesem Zusammenhang ware jedoch darauf hinzuweisen, daB die Neutralitat des Geldes im Sinne unserer obigen Ausfuhrungen zwar nicht die Stabilitat des sogenannten Preisniveaus, dafur aber tatsachlich etwas anderes verwirklicht, was, mit Rucksicht auf die Vermeidung sinn- und funktionsloser wirtschaftlicher Schwankungen und zumal auch auf die moglichst baldige Anpassung der Wirtschaft an, eine jede ,,dynamischeu Anderung in ihren 1 Die einzige Widerlegiingsmoglichkeit bestiinde namlich darin, daB gerade infolge unserer obigen Untersuchungen irgendwie ein ,,Systemfehler" der idealtypischen Naturaltauschwirtschaft als solcher aufgedeckt ware, auf Grund dessen diese sich eben nicht mehr als optimal betrachten lieCe. Davon ist aber, soweit wir sehen konnen, durchaus nicht die Rede. Zumal versagt auch nach unserer Analyse der Preismechanismus nicht in denjenigen Fallen, in denen er seine wesentlichste Funktion zu erfullen hat, namlich bei der Bestimmung der Wahl zwischen den jeweiligen alternativen Verwendungsmoglichkeiten der insgesamt verlugbaren Produktionsguter und Arbeitskrafte; d. h. also innerhdW der verschiedenen produktionsverwandten Oruppen, wo auch wir (siehe oben S. 334/6) die Existenz ganz bestimmter ,,Zusammenhange" zwischen den einzelnen Preisen (sogar unter einem System neutraler Geldversorgung in unserem Sinne) nicht in Abrede gestellt haben.
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grundlegenden Daten,1 nicht weniger wichtig sein diirfte: namlich die Kontinuitat in der Entwicklung der einzelnen Preise und damit auch in dem Preissystem als ganzen. 2 Mit diesem Ausdruck ,,Kontinuitat" ist hier insbesondere der Tatbestand gemeint, daB die Preise samtlicher Giiter, die nicht von einer „spezifischen" 3 (primaren oder sekundaren) Anderung in den Nachfrage- oder Angebotsfunktionen betroffen werden, unter einem System neutraler Geldversorgung in unserem Sinne vollig unverandert bleiben konnen, wahrend hingegen unter einem System der Geldwertstabilisierung die Preisanderungen irgendwelcher einzelnen Giiter immer eine kompensatorische Anderung in einem oder mehreren — potentiell sogar in alien — iibrigen Preisen erfordern, auch wenn dazu keinerlei spezifische Veranlassung vorliegt. Anstatt des Durchschnittes samtlicher Preise wiirde somit unter einem System neutraler Geldversorgung in unserem Sinne jeweils ein (allerdings der Zusammensetzung nach stetig wechselnder) ,,Kern" individueller Preise — eben aller derjenigen, die jeweils nicht von einer spezifischen Angebots- oder Nachfrageanderung betroffen worden sind — stabil bleiben. Zumal fur die ,,Rationalisierung" der Wertvorstellungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte, d. h. also fur die Eliminierung der „Geldillusion" (siehe oben S. 250ff.), diirfte dies unseres Erachtens von wenigstens ebenso groBer Bedeutung sein als die Stabilisierung irgendeines Preisdurchschnittes, weil ja hiemit erreicht wiirde, da/3 die Geldpreise der einzelnen Giiter (auch der Kostenguterf) jeweils genau so lange unverandert bleiben, als nicht ein wirtschaftlich rationelleri Grund vorliegt, um entweder ihre Produktion oder ihre Konsumtion auszudehnen bzw. einzuschranken, oder aber die betreffenden Produktionsmethoden zu andern.5 Sogar mit Bezug auf die Vermeidung der Geldillusion — d. h. also auf dem Gebiete der Neutralitat des abstrakten Geldes — diirfte somit ein System neutraler Geldversorgung in dem oben dargelegten Sinne gegeniiber der Stabilisierung irgendeines „durchschnittlichen Geldwertes" ganz bestimmte wirtschaftspolitische Vorteile aufzuweisen haben. 1 Fur die Frage, was unter diesen ,,grundlegenden Daten" der Wirtschaft zu verstehen ist, siehe oben S. 245. 2 Diese These steht nicht, wie es zunfichst vielleicht den Anschein haben diirfte, zu unseren obigen Bemerkungen uber die ,,Amorphitat" des Preissystems in Widerspruch. Bei diesen letzteren Bemerkungen handelte es sich ja um die Frage, ob die iiberhaupt moglichen Anderungen des Preissystems bei neutraler Geldversorgung innerhalb eines relativ engen ,,Rahmens" (wie etwa dessen der Konstanz des durchschhittlichen Preisniveaus oder der Gesamtpreissumme in der Wirtschaft) beschrankt sind, was wir bekanntlich verneinen. Damit ist aber noch keineswegs gesagt, dafi nicht jede einzelne „Phase" aus einem solchen — prinzipiell schrankenlosen — Anderungsprozefi bestimmte Ubereinstimmungsmerkmale mit der jeweils vorhergegangenen Phase autweisen musse: und eben dieser letztere Tatbestand ist es, den wir hier mit dem Ausdruck ,,Kontinuitat" des Preissystems bezeichnen. 3 Das heiBt solche Anderungen, die sich ausschliejilich auf die speziellen Angebotsoder Nachfrageverhaltnisse des einen betreffenden Gutes beziehen. 4 Unter ,,rationell" ist hier zu verstehen: „in den jeweils vorliegenden Anderungen der grundlegenden Daten der Wirtschaft begriindet". 5 Letzteres zumal im Falle einer Preisanderung der Kostengiiter, und zwar gleichgultig, ob diese direkt aus einer Anderung in deren Angebotsfunktionen oder aber indirekt aus der Preisanderung einer oder mehrerer von den iibrigen Konsumgiitern innerhalb der gleichen kostenverwandten Gruppe hervorgeht.
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86. Der Schwerpunkt des Problems liegt indessen nach unserer Auffassung auch diesmal wieder bei der Neutralitat des konkreten Geldes, d. h. also bei der Vermeidung des oben (S. 258ff.) von uns nachgewiesenen „vitium originis" einer jeden Inflation oder Deflation; namlich der Zerstorung der „SAYschen" Aquivalenz zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage an Giitern und Diensten, dessen Bedeutung sich nach unseren obigen Ausfiihrungen (S. 222ff.) keineswegs in den — freilich immer auch vorhandenen — Auswirkungen auf die Preise erschopft. Die Tatsache, da8 es auch unter einem System strikt neutraler Geldversorgung kumulative Preisanderungen geben kann, und da6 diese sich potentiell sogar auf samtliche Giiterkategorien erstrecken konnen, bedeutet somit an und fur sich noch keineswegs, daB zwischen diesen Fallen einer- und denen der tatsachlichen monetar bedingten kumulativen Preisanderungen anderseits nicht ganz wesentliche funktionelle Unterschiede bestiinden, denen zufolge diese beiden Gruppen von Vorgangen auch wirtschaftspolitisch durchaus verschieden zu „werten" sind. Und zwar betrachten wir als einen der bedeutendsten dieser Unterschiede den Umstand, daB die (nach unserer obigen Analyse ausschlieBlich aus den „qualitativen" Reperkussionen hervorgehenden) nichtmonetar bedingten Kumulationen gleichgerichteter Preisanderungen immer nur eine Moglichkeit darstellen, daB diesen aber keineswegs das Moment der Zwangsldufigkeit anhaftet, das fur die Kumulation der Preisanderungen in den echten Inflations- bzw. Deflationsfalien — wo es sich ja tatsachlich urn ^quantitative" Reperkussionen handelt 1 — charakteristisch ist. Von den verheerenden Wirkungen der mit unausweichlicher Notwendigkeit nach und nach samtliche Markte „ansteckenden" Nachfrageanderungen, wie diese einerseits (deduktiv betrachtet) in einem jeden Inflations- bzw. Deflationsfall immer auftreten miissen 2 und anderseits (erfahrungsgemaB) fiir den sogenannten Konjunkturverlauf geradezu typisch sind, braucht also bei den nichtmonetar bedingten Preisbewegungen — auch insoweit sich dabei faktisch eine Kumulation gleichgerichteter Preisanderungen ergibt — iiberhaupt nicht die Rede zu sein. Im wesentlichen der gleiche Tatbestand laBt sich in etwas anderem Zusammenhange auch in der Weise ausdriicken, daB die Preisanderungen unter einem System neutraler Geldversorgung, mogen sie kumulativ auftreten oder nicht, doch prinzipiell immer auf dem kiirzesten Wege einer den jeweils veranderten ,,Daten" der Wirtschaft entsprechenden neuen Gleichgewichtslage zuzustreben die Tendenz haben, wobei dann die eventuellen Kumulationen daraus hervorgehen, daB hierbei (eben infolge der fiir den 1 Weil namlich, wenn die inflatorische „reine Nachfrage" sich zuerst auf das Gut A richtet, dann aber die A-Verkauler mehr Kaufkraft fiir die gesamten Nicht-A-Guter aufwenden, dies nicht von einer entsprechenden Kaufkraftverringerung auf der Seite irgend einer sonstigen Kaufergruppe begleitet, bzw. wettgemacht wird, so daB die „reine Nachfrage" (wenigstens solange das erst sekundar auftretende Moment des „Induced Lacking", siehe oben S. 268ff., sich nicht durchgesetzt hat) in unvetmindertem Ausmafi auch auf die Nicht-A-Markte tibergreift. — Ebenso naturlich mit umgekehrtem Vorzeichen im Falle eines deflatorischen Nachfrageausfalls. 8 Wobei es allerdings immer moglich bleibt, daB ihr Effekt auf die Preise durch nichtmonetare Preisanderungen in die entgegengesetzte Richtung tiberdeckt wird.
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Zustand neutraler Geldversorgung typischen Simultanitat zwischen Kaufkrafterwerb und Kaufkraftverwendung) samtliche aus dieser Anpassung hervorgehenden sekundaren Naebfrageverschiebungen schon gleichseitig — man durfte wobl fast sagen „antizipando" — mitberucksichtigt werden. Insoweit hingegen das nacb unseren obigen Ausftibrungen typisch nichtneutrale Moment eines Zeitintervalls zwischen Kaufkrafterwerb und Kaufkraftverwendung vorliegt, bat dieszur Folge, daB die wirtschaftbchenKrafte sieb wenigstens zunachst in eine Kichtung bewegen, die nicbt zu einer solcben neuen Gleichgewichtslage fiihrt, sondern die vielmebr jedesmal neue Spannungen zwiscben Angebot und Nachfrage nacb den einzelnen Gutern auslost und infolgedessen aueb immer neue Anpassungen notwendig macbt. Und eben daraus entsteht dann die schon auf 8. 309, Anm. x von uns erwdhnte spezifisch-monetdre Variante der wirtschafilichen „Dynamik", die sieb von den sonstigen dynamiscben Vorgangen gerade dadurcb unterscbeidet, daB die in einer jeden „Pbase" wirkenden Krafte selbst den Effekt baben, die sie bestimmenden Daten der Wirtscbaft — zumal die Struktur der effektiven Naebfrage — sozusagen riickwirkend umzuandern, so daB, selbst ohne dafi sich neue ,,'primdre" Datenanderungen ergeben, eine Gleicbgewicbtslage prinzipiell niemals zustande kommen kann. Genau der gleicbe Tatbestand ist es aber, der, wenigstens nacb den sogenannten „endogenen" Krisentbeorien, aucb fur die neuzeitlichen Konjunkturbewegungen als typisch anzusehen ist.
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Aus alledem geht somit hervor, daB es — weil eben auch das Konjunkturphanomen als solches nach unserer Auffassung nicht von vornherein mit den Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus zu identifizieren ist — nicht nur als keineswegs ausgeschlossen, sondern sogar als auBerst wahrscheinlich zu betrachten ist, dap sich gerade mittels einer neutralen Geldversorgung im Sinne unserer obigen Untersuchungen — also ungeachtet der dabei immer moglich bleibenden Geldwertanderungen — dennoch das Ideal einer „konjunkturlosen Wirtschaft"1 verwirklichen oder doch wenigstens so weit wie uberhawpt moglich erzielen liejie. 87. Samtliche diesbeziiglichen Erorterungen bleiben indessen unseres Erachtens solange an der Oberflache der Erscheinungen haften, als nicht auch in diesem Zusammenhange das — in dem vorhergehenden Abschnitt nur scheinbar von uns vernachlassigte 2 — Problem der Gleich1 DaB es sich hiebei unseres Erachtens tatsachlich um ein „ldeal" handelt — was bekanntlich von vielen Autoren mehr oder weniger nachdrucklich in Abrede gestellt wird — hangt offenbar aufs engste mit der von uns verwendeten Definition des Konjunkturbegriffes zusammen. Insoweit man es namlich, ungeachtet unserer obigen Ausfuhrungen, vorziehen sollte, den Zustand der Konjunkturlosigkeit dennoch delinitorisch mit dem Zustande eines konstanten durchschnittlichen Preisniveaus gleichzustellen — was selbstverstandlich als solches immer „erlaubt" bleibt — gilt uns eben die Verwirklichung eines solchen Zustandes nicht mehr ohne weiteres als erwiinscht! Ganz abgesehen von diesen terminologischen Fragen, handelt es sich hier ja im Grunde doch nur darum, ob die in dem vorhergehenden Abschnitte gefundenen Konsequenzen einer tatsachlichen Verwirklichung des neutralen Oeldes wirtschaftspolitisch und konjunkturpolitisch betrachtet „akzeptabel" sind oder nicht; und diese Frage beantworten wir entschieden bejahend, wobei lur uns zumal das in dem nachsten Paragraphen noch zu beriicksichtigende Moment des Gleichgewichtes aul den Kreditmarkten von ausschlaggebender Bedeutung ist. 2 Eine ausdruckliche Bezugnahme auf diese Seite des Problems war namlich in jenem Abschnitte von vornherein uberflussig, weil es sich dort eben nicht um die Wesensmerkmale der neutralen Geldversorgung als solcher, sondern vielmehr ausschliefflich um die Frage ihrer etwaigen symptomatischen „Erfassung" aus den Preisbewegungen handelte.
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gewichtsstorungen auf den Kreditmarkten, und zwar insbesondere das Moment der Divergenz zwischen Marktzins und Gleichgewichtszins im Sinne WICKSELLS, in den Kreis unserer Betraehtungen miteinbezogen wird, wodurch die ganze Darstellung erst die richtige „Perspektive" erhalt. Es diirfte sogar nicht zuviel behauptet sein, daB, selbst wenn sich sonst kein einziger wesentlicher Unterschied zwischen den „monetaren" und den „nichtmonetaren" Preisbewegungen nachweisen lieBe, dennoch schon die blofie Biicksicht auf eben dieses Gleichgewicht der Kreditmdrkte dazu genugen wilrde, den Zustand neutraler Geldversorgung ohxie Preisstabilitat demjenigen eines nur mittels nichtneutraler MaBnahmen der Geldversorgung zu verwirklichenden stabilen Preisniveaus wirtschaftspolitisch betrachtet vorzuziehen! Zugleich steht aber (siehe oben S. 224ff.) dieses Moment des Gleichgewichtes auf den Kreditmarkten fur uns auch in dem Mittelpunkte der Konjunkturtheorie, und zwar in der Weise, daft eben das Nichtvorliegen einer Zinsdivergenz in dem obigen Sinne filr uns recht eigentlich den Inbegriff der „konjunkturlosen Wirtschaft" darstellt.1 Damit kniipfen wir also am Ende auch wieder an die Gedankengange HAYEKS an, von denen wir uns im Laufe des vorhergehenden Abschnittes zunachst ziemlich weit entfernt hatten. 2 Allein es ergibt sich zwischen den Ansichten dieses Autoren und den unsrigen insoweit noch ein ganz wesentlicher Unterschied, daB H A Y E K (wenigstens in seinen alteren Arbeiten) gerade auf Grund des hier hervorgehobenen Momentes die wirtschaftspolitische Erwilnschtheit einer strikt neutralen Geldversorgung keineswegs ohne Vorbehalt zugibt, sondern sich vielmehr zu der Auffassung bekennt, die Konjunkturschwankungen seien gewissermaBen als „der Preis des Fortschrittes iiber jenes MaB, den die Menschen freiwillig durch ihr Sparen ermQglichen und der ihnen darum abgelistet werdenmuft", zu betrachten und es werden dadurch „die auBerwirtschaftlichen Paktoren des Fortschrittes, wie die technischen und kommerziellen K e n n t n i s s e . . . in einer Weise gefordert, die wir nicht missen mochten".3 Die Uberlegung, daB bei tatsachlicher Verwirklichung des neutralen Geldes „die Stabilitat der Wirtschaft 4 damit erkauft (wiirde), daB der Zins dauernd hoher stxinde als dies sonst der Fall ware" und daB dadurch „der technische Fortschritt verlangsamt wiirde, weil die Ausniitzung von Erfindungen und die ,Herbeifuhrung neuer Kombinationen' erschwert 1 Und umgekehrt nattirlich das Vorliegen eines derartigen Zinsdivergenz als ein nicht wegzudenkendes Wesensmerkmal der Konjunkturschwankungen iiberhaupt. Eben deshalb betrachten wir auch die u. E. an und fur sich einwandfreie Preisanderungstheorie BOUNIATIANS (siehe oben S. 329, Anm. *) mitnichten als eine belriedigende Konjunkturtheorie. (Uber die theoretische Moglichkeit, den Konjunkturbegriff in anderer Weise zu definieren, siehe Anm. L aut der vorhergehenden Seite.) 2 Die HAYEKschen Versuche, die Nichtidentitat der Begriffe neutrales mid wertbestandiges Geld nachzuweisen, beruhen ja, wie schon oben (S. 314, Anm. x) erwahnt wurde, auf einem ganz anderen Gedankengange als die unsrigen; nur im Ergebnis stimmen wir in diesem Punkte (nicht aber mit Bezug auf die wirtschaftspolitische Wertung der betreffenden Zustande, siehe unten) diesem Autor vollig bei. 3 F . A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, S. I l l (Hervorhebungen von uns). 4 Selbstverstandlich nicht zu verwechseln mit der Stabilitat der Preise oder des Preisniveaus!
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(wiirde)", 1 geniigt ihm somit, urn — auch ganz abgesehen von den von uns hervorgehobenen Schwierigkeiten mit Bezug auf die „Symptomatik" 2 — einen jeden Versuch zur praktischen Verwirklichung des neutralen Geldes entschieden abzulehnen. 3
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88. Gerade an diese letzteren AuBerungen HAYEKS — wobei wir wohl nicht weit fehl gehen, wenn wir darin den Geist der SCHTJMPBTEEschen Schriften iiber die wirtschaftliche „Entwicklung" 4 wiederzuerkennen glauben •— kniipft nun aber in unserem Gedankengange das entscheidende Argument zugunsten der praktischen Verwirklichung von der Neutralitat des Geldes an. Denn eben gegen den angeblichen „Fortschritt", den sich die Menschheit nur mittels des im Grunde inflatorischen 5 Zwangssparens „ablisten" lieBe, hegen wir den allerschwersten Verdacht. 6 Und zwar nicht nur deshalb — obwohl auch dies naturlich in der Praxis schon von der allergroBten Bedeutung ist —• weil einem jeden derartigen Aufschwung zwangslaufig spdter einmal eine Krise und Depression folgen muB (wenn die Hausse an und fur sich tatsachlich einen „Fortschritt" darstellte, konnte man dies ja zur Not wohl noch mit in Kauf nehmen, oder jedenfalls lieBe sich dann verniinftigerweise noch dariiber streiten, ob die Nachteile von den Vorteilen aufgewogen werden oder nicht), sondern vielmehr in erster Linie deshalb, weil eben schon wdhrend der Hausse, und zwar zumal unter dem Einflusse des zu niedrigen Zinsstandes, die insgesamt verfiigbaren Produktionsmittel — einschlielSlich der Arbeitskrafte —• in suboptimaler Weise zwischen der Produktion von Oegenwartsgiitern und derjenigen von Zukunftsgutern verteilt werden. Das heiBt also nicht mehr und nicht weniger, als daB der angebliche „Fortschritt" wahrend einer Aufschwungsperiode — insoweit sie eben nur mittels des „Zwangssparens" ermoglicht wird — uberhaupt nur technisch, nicht aber wirtschaftlich als wirklicher Fortschritt zu werten sei. Die „neuen Kombinationen", wie sie von den dynamisch veranlagten UnterA. a. O., S. 112. Diese letzteren Schwierigkeiten werden treilich nach unserer Auffassung von HAYEK unterschatzt, weil dieser ja, wie oben erwahnt wurde, die Losung (unseres Eraehtens zu Unrecht) in der Stabilisierung der FiSHERschen Grofle „E" erblickt, die sich notigenfalls wohl ohne prinzipielle Schwierigkeiten mit leidlicher Genauigkeit messen lieBe. Hingegen wird eine andere Schwierigkeit, namlich die der sogenannten „Lokalisierung" der Neugeldschopfung und Geldvernichtung, nach unserer Ansicht von HAYEK ii&erschatzt, wie wir in den folgenden Seiten noch darzulegen holfen. 3 Im gleichen Sinne auch in der auf S. 314, Anm. 1, zitierten Arbeit im Weltw. Archlv 1928, S. 66. In den spateren HAYEKschen Schriften, zumal in „Preise und Produktion", kommt indessen dieser ablehnende Standpunkt gegentlber einer eventuellen praktischen Verwirklichung des neutralen Geldes schon auffallig weniger kraB zum Ausdruck. 1 Vgl. hiezu neben der bekannten ScHUMPETERSchen Arbeit ,,Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (2. Aufl., Miinchen und Leipzig 1927, passim) zumal auch den Aufsatz dieses Verfassers ttber „Kreditkontrolle", Arch. f. Soz.-Wiss. 1925, Bd. 54, S. 289ff., insbesondere S. 313 bis 324. 5 Diese inflatorische Natur des Zwangssparens, wie auch seine Bedeutung als Krisenmoment, wird allerdings — insoweit im Gegensatz zu SCHUMPETER — von HAYEK mit aller wiinschenswerten Klarheit hervorgehoben. 6 Zumal zu diesem Punkte haben wir uns ausfilhrlicher geauBert in dem auf S. 223, Anm. ", erwahnten Aufsatz in der hollandischen Zeitschrift „De Economist" von 1925, Bd. 14, S. 806ff„ wie auch in unserem Diskussionsbeitrag fur die ,,Vereeniglng voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek" in Utrecht, 2. Nov. 1929, vgl. S. 41 ff. des Tagungsberichtes. 8
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nehmern (im Sinne SCHTJMPETERS) vorgenommen werden, sollten somit nach diesem Gedankengange besser uberhawpt nicht zustande hommen, es sei denn, daB sie imstande waren denjenigen ZinsfuB zu tragen, der in jedem einzelnen Falle notwendig ist, urn entweder die (freiwillige) Spartatigkeit in einem entsprechenden AusmaBe anzuregen, 1 oder aber die dazu benotigte ,,Kapitaldisposition" 2 einer oder mehreren anderen bisher marginalen, jedoch infolge der Einfuhrung der neuen Produktionsmethoden submarginal werdenden Unternehmungen zu entziehen, so daB tatsachlich ohne „reines Angebot" durch Neugeldschopfung 3 ein neues Gleichgewicht zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage zustande kommen kann. Und zwar ist die in dieser Weise erzwungene Betriebseinstellung j ener submarginal gewordenen Unternehmungen keineswegs nur als ein unvermeidlicher, an und fiir sich vielleicht wohl zu bedauernder Nebenumstand der aus irgendwelchen anderen Griinden „leider" notwendigen Zinserhohung zu betrachten, sondern es ist vielmehr gerade dies der eigentliche Sinn und Zweck einer jeden Zinserhohung uberhawpt, deren „Funktion" ja grundsdtzlich immer darin besteht, als eine Bremse gegen die Kapitalverschwendung in volkswirtschafUich unrentablen Betrieben zu wirlcen. Gerade insoweit die Geld- und zumal die Kreditpolitik jeweils dem Prinzip derNeutralitat in dem obendargelegten Sinne entspricht, erfullt sie somit auchzugleichihre„immanente" volkswirtschaftliche Aufgabe, namlich die der ,,Okonomisierung der Kapitalverwendung" schlechthin ;* und zwar verwirklicht sich hiebei nicht etwa nur die (relative) Ubereinstimmung zwischen „Investieren" und „Sparen" im Sinne K E Y N E S ' , 5 sondern vielmehr zugleich auch das (,,absolute") quantitative Optimum des Sparens und des Investierens beider, also der Kapitalbildung uberhaupt. 6
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1 Es wird hiebei also stillschweigend vorausgesetzt, daB der Umfang des Sparens iiberhaupt von der Zinshohe beeinflufit wird. Zwar geben wir zu, daB dies fiir eine vielleicht breite Schicht der Sparer nicht zutrifft, namlich fiir diejenigen, denen schon die Zukunftsversorgung als solche, auch abgesehen von dem ZinsgenuB, einen ausreichenden Grund zum Sparen bedeutet. In bestimmten Fallen ist es sogar denkbar, daB bei einzelnen Individuen gerade infolge einer steigenden Zinsrate die ,,Sparquoten" sich vtrringern. Jedoch mit Bezug auf die „marginalen" Ersparungen — auf die es ja in diesem Zusammenhange ausschlieBlich ankommt — trifft unseres Erachtens immer das umgekehrte zu. Vgl. zu diesen Fragen insbesondere W. RGPKE, Theorie der Kapitalbildung, Tubingen 1928, S. 28ff. 2 Zu der gleichzeitigen Verwendung von diesem der CASSELschen Zinstheorie entnommenen Begriffe und (an anderer Stelle) von Elementen aus der des ofteren damit als unvereinbar betrachteten BoHM-BAWERKschen Zinslehre siehe oben S. 274, Anm. 2 . 3 Selbstverstandlich auch hier mit Ausnahme derjenigen Neugeldschopfungen, die nur dazu dienen, urn gleichzeitig stattfindendes neues Horten zu neutralisieren. 4 Vgl. hiezu insbesondere A. MULLER, Okonomische Theorie der Konjunkturpolitik, Leipzig 1926, S. 48; eine Arbeit, die ubrigens fiir unseren Zweck auch deshalb interessant ist, weil der Verfasser schon vor der Erscheinung der diesbezuglichen HAVEKschen Schriften— sei es auch auf Grund einer u. E. nicht ganz befriedigenden Motivierung — ausdriicklich gegen die Identifizierung der Begriffe neutrales und wertbestandiges Geld Stellung genommen hat. 5 Siehe oben S. 272. e Mit diesen Uberlegungen entscheiden wir uns also endgultig fiir die praktische Verwirklichung des neutralen Geldes in dem obigen Sinne und damit implizite gegen die Stabilisierung des durchschnittlichen Preisniveaus, insoweit diese nur mittels nichtneutraler MaBnahmen zu verwirklichen ware. Es bleibt hiebei indessen zu bemerken, daB es im Rahmen dieses Gedankenganges noch immer moglich bleibt, auch bestimmte „Vorteile" aus dem Stabilisierungsprogramm (zumal diejenigen, die sich auf das Gebiet des abstrakten Geldes beziehen) zu verwirklichen, namlich mittels Anwendung des ,,Tabular Standard". Gegen ein
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Diese letztere Schlufifolgerung hangt insbesondere damit zusammen, daB uns als „suboptimal" bzw. ,,volkswirtschaftlich u n r e n t a b e l " in dem obigen Sinne eben nicht nur die eigentliche FehlinvesUerung von K a p i t a l im engeren Sinne gilt, sondern zumal auch die Zuvielinvestierung uberhaupt, d. h. die Investierung in einem soleben AusmaBe, daB deren marginaler E r t r a g die marginalen ,,Kosten", einschliefilich des „Warte-Opfers" der marginalen Sparer, niobt mehr wettmacht. In einem jeden soleben Falle — der j a prinzipiell immer vorliegt, sobald die Ausdehnung des Produktionsapparates nicht mebr zur Ganze aus freiwilligen Ersparnissen finanziert werden kann — wird namlicb ein weniger rentabler „Produktionsumweg" einer mehrwertigen unmittelbaren Konsumtion vorgezogen, was unseres Eraehtens im Prinzip genau so verwerflich ist als eine jede sonstige Verwendung von Produktionsmitteln, wobei die Kosten ( = „entgangener Nutzen"!) nicht wettgemacM werden. Dieser Erkenntnis konnen siob unseres Eraehtens nur diejenigen verschlieBen, die entweder die BoHMsche Lehre von dem „Disagio" der Zukunftsguter uberhaupt ablehnen, oder aber — obwohl sie sieh formell zu dieser Lehre bekennen — dennoch in irgendeinem versteckten Winkel ihres UnterbewuBtseins dieses Disagio nicht ganz so ernst nehmen als alle die sonstigen „Kosten"-Elemente der Produktion! Stellt m a n sich hingegen auf den Standpunkt, die subjektive Bevorzugung der Gegenwartsguter durch die Mehrheit der Wirtschaftssubjekte 1 sei genau so real wie die (ebenfalls rein subjektive) Vorliebe der Konsumenten fur das eine Konsumgut uber das andere, und jene Bevorzugung sei somit auch in genau dem gleichen 8inne wie diese als eine gegebene, vom wirtschaftlichen StandpunM aus nicht weiter zu ,,iiberpriifende" oder zu wertende Grundlage fur das Wirtschaften uberhaupt zu betrachten, dann ist es auch ohne weiteres klar, daB eine nur mittels des Zwangssparens ermoglichte Ausdehnung des Produktionsapparates — selbst •wenn es moglioh ware, den damit notwendigerweise verbundenen konjunkturellen Rucksehlag irgendwie zu v e r m e i d e n — dennoch, vom rein wirtschaftlichem Standpunkte aus betrachtet, niemals als ein „ F o r t s c h r i t t " zu werten ist. 2 Und eben auf Grund dieser Erkenntnis wird auch dem in der Programm in diesem Sinne, wie es in der jungsten Zeit zumal in Holland von W. C. MKES R. Azn. wieder mit Bifer propagiert wird (unter anderem in einem Gutachten fiir den Verein fiir Handelsrecht, 1932), haben wir insoweit keine grundsatzlichen Bedenken, weil eben die diesbezuglichen MaCnahmen an und fur sich die Neutralitat des konkreten Geldes nicht beeintrachtigen konnen; es sei denn, daB vielleicht als eine sekundare Auswirkung dieses Systems unter gewissen Umstanden eine Zunahme des Hortens zu beftirchten ware. Auf der anderen Seite ist jedoch mit allem Nachdruck zu betonen, daB auch die einwandfreieste Durchfuhrung eines derartigen Systems (wobei allerdings die frtiher — S. 255, Anm. 2 — in dieser Beziehung erwahnten prinzipiellen Schwierigkeiten nicht zu unterschatzen sind) die Notwendigkeit, daneben auch die Neutralitat des konkreten Geldes zu verwirklichen, keineswegs aufheben kann, weil eben nur durch diese letztere MaBnahme das „vitium originis" der Inflation und Deflation — und damit auch erst das unseres Eraehtens wesentlichste jjbel der Konjunktursehwankungen, namlich die periodische „Falschung" der Zinsraten — zum Verschwinden gebracht werden kann. In der hollandischen Wochenschrift „Economisch Statistische Berichten" vom 19. Okt. und 30. Nov. 1932 haben wir uns zu dieser Seite des Problems ausfiihrlicher geauBert. 1 Es handelt sich hiebei offenbar nur um die sogenannten „ersten' - und „zweiten" Grttnde, nicht aber um den „dritten Grund" der BoHMSchen Zinstheorie. 2 Es bleibt allerdings auch in diesem Gedankengange nocb immer moglich, das Optimum der Kapitalbildung (bzw. der wirtschaftlichen „Wohlfahrt" uberhaupt) bewuBt irgend welchen auBerwirtschaftlichen Zwecken zum Opfer zu bringen. Ob aber das von HAYEK in diesem Zusammenhange hervorgehobene Moment der ,,technischen und kommerziellen Kenntnisse" ein solches Opfer rechtfertigt, erscheint uns zumindest zweifelhaft; zumal weil es sich doch auch dabet offenbar nicht um einen ,,Selbstzweck", sondern vielmehr nur wieder um ein Mitiel zur Verwirklichung sonstiger (und zwar an und fiir sich rein wirtschaftlicher) Zwecke handelt.
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Literatur vielfach vorherrschenden Bualismus in der Beurteilung des Konjunkturphanomens, auf den ja die Abneigung vieler Autoren gegen den Gedanken einer „Managed Currency" iiberhaupt zuriickzufuhren sein durfte — etwa in dem Sinne, daB man zwar anerkennt, die Geldwertstabilisierung sei ganz schon, wenn es nur dazu nicht aotwendig ware, den ebenso schonen konjunkturellen Aufschwung mittels einer Zinserhohung im Keim zu ersticken1 — grundsatzlich der Boden entzogen, well ja gerade diese „Erdrosselung" der Haussetendensen sich als der eigentliche Sinn und Zweclc der Zinserhohung iiberhawpt herausstellt, demgegenuber den etwaigen sonstigen Zwecken einer „Managed Currency" nur eine sekundare Bedeutung beizulegen ist.
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89. Anderseits ist es vielleicht nioht ganz iiberfliissig, hier mit allem Nachdruck hervorzuheben, daB ein System neutraler Geldversorgung in unserem Sinne ebensowenig zu der Unterbindung eines jeden wirtscbaftlichen Fortschrittes, d. h. also zu einer vollstandigen „Statisierung" oder „Erstarrung" des Wirtschaftslebens zu fuhren braucht. Es handelt sich ja bei einem derartigen System keineswegs darum, den jeweiligen „neuen Kombinationen"den Konkurrenzkampf mit den alten und iiberkommenen Produktionsmethoden ungebiihrlich zu erschweren, sondern vielmehr nur darum, die kunstliche Erleichterung dieses Konkurrenzkampf es, wie diese aus der inflatorisohen ,,Falschung" der Zinsraten hervorgeht, aus dem Wege zu schaffen. Und zwar werden von den darauf hinzielenden MaBnahmen der Geld- und Kreditpolitik die sehon existierenden Unternehmungen im allgemeinen genau so schwer betroffen wie die neuen. Der Unterschied zwischen der neutralen und der inflatorisohen Finanzierung dieser letzteren besteht im Prinzip eben nur darin, daB ihnen in dem zweiten Falle, zunachst ziemlich „reibungslos", ein Platz neben den alten Unternehmungen eingeraumt wird — wonach dann der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Parteien sich im Grunde betrachtet auf Kosten der adaquaten Versorgung der Wirtschaft mit Oegenwartsgiltem ahspielt (Zwangssparen!) — wahrend hingegen im ersten Fall iiberhaupt nur denjenigen neuen Unternehmungen ein Platz eingeraumt wird, die diesen schon ab initio auf Kosten der bisher marginalen Unternehmer und Produzenten zu erkampfen imstande sind. Gerade die neutrale Geldversorgung ist also fiir den wirtschaftliohen ,,Fortsohritt" insoweit ganz bestimmt erforderlich, als eben infolge der Kreditverteuerung die jeweils submarginal werdenden und daher nioht mehr existenzberechtigten unter den alten Unternehmungen viel schneller und griindlicher „ausrangiert" werden, als dies bei inflatorischer Finanzierung der neuen Produktionsmethoden der Fall sein konnte. 2 Auch der zunachst auf der Hand liegende Einwand, daB ja gerade ein 1 Eine ahnliche „dualistisehe" Auflassung mit Bezug auf das Konjunkturphanoraen, allerdings in den Einzelheiten etwas abweichend begriindet, findet sich zumal auch bei L. A. HAHN, Die konjunkturlose Wirtschaft, Geld und Kredit II, Tubingen 1929, S. 77 bis 80. 2 In diesem Sinne konnten wir somit auch der zunachst wohl etwas paradox anmutenden AuBerung des ehemaligen Reichsbankprusidenten Hj. SCHACHT beistimmen, nach dem ein Land, in dem die Anzahl der Konkurse unter dem normalen Durchschnitt bleibt, dem wirtschaftlichen Rilckschritt verfallt.
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derartig schneller ,,Abbau" der alten TJnternehmungen unter bestimmten Umstanden nicht nur privatwirtschaftlich sondern zumal auoh volkswirtschaftlich erhebliche Kapitalverluste mit sich bringen miisse (insbesondere wenn es sich u m solcbe Unternehmungen bandelt, die mit einem verhaltnismaBig groBen Anlagekapital arbeiten, das sich, naclidem es einmal in einer bestimmten Kichtung investiert worden ist, nicht mehr ohne betrachtliche Kosten „freimachen", d. h. fur andere Zwecke verwenden lafit), k a n n unseres Erachtens das obige Ergebnis grundsatzlich nicht andern. Denn eben in solchen Fallen werden die betreffenden alten Unternehmungen sich auch tatsachlich nicht ohne weiteres durch eine Zinserhohung als Kreditbewerber ausschalten lassen, sondern es vielmehr vorziehen, wenigstens zeitweilig (namlich solange bis die betreffenden Anlagekapitalien „ a b g e n u t z t " sind) 1 auch „mit Verlust" weiterzuarbeiten, 2 was dann allerdings die Kreditbedingungen fur die neuen Unternehmer erschweren u n d insoweit tatsachlich das Tempo des ,,Fortschrittes" etwas verlangsamen wird, jedoch auch dies prinzipiell nur in einem solchen AusmaBe als eben eine derartige Verlangsamung mit Kiicksicht auf die sonst drohenden ,,Umstellungsverluste" als volkswirtschaftlich erwunscht zu betrachten ist. Auch dieses Moment der ,,unwiderruflichen Investierungen" geniigt somit unseres Erachtens grundsatzlich nicht, u m hier etwa ein von dem Neutralitatsprinzip abweichendes System der Geld- und Kreditpolitik zu befiirworten; es lafit sich im Gegenteil aueh und zumal fur diesen Fall feststellen, daB das jeweils erreichbare Optimum der „Umstellung" sich gerade n u r mittels einer strikt neutralen Geldversorgung in dem obigen Sinne verwirkhchen lafit. Zumal die Gewahrung von weiteren, d. h. iiber die ,,Neutralitiitsgrenze" hinausgehenden Krediterleichterungen an die alten Unternehmungen — etwa auf Grund der Uberlegung, daB m a n dadurch der Volkswirtschaft die sonst unvermeidlichen Kapitalverluste ersparen konnte — ist nach unserer Ansicht in genau dem gleichen Sinne als ein ,,planwirtschaftlicher Unfug" zu betrachten wie die entgegengesetzte Politik einer kunstlichen Anregung der wirtschaftlichen Neuerungen (sei es mittels inflatorischer Verbilhgung des Kredites oder sonstwie); wahrend eine etwaige gleichzeitige Anwendung dieser beiden Methoden — wobei also nach unseren obigen Ausfuhrungen die Kapitalbildung auf Kosten einer mehrwertigen unmittelbaren Bedurfnisbefriedigung vor sich ginge — erst recht keine Aufhebung, sondern sogar eher eine Verdoppelung des Ubels bedeuten wtirde. 90. Gerade auf G r u n d dieser letzteren E r w a g u n g e n b e s t a t i g t sich n u n unseres E r a c h t e n s a u c h durchwegs die schon in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g e ( S . 279/80) v o n u n s hervorgehobene These, n a c h d e r fur eine einwandfreie Verwirklichung der n e u t r a l e n Geldversorgung ausschliefilich die rein quarititativen M e t h o d e n der Zinspolitik (inklusive der s o g e n a n n t e n „Open1 Der Ausdruck „abgeniitzt" ist hier ausschliefilich im Sinne der physischen und technischen Anwendbarkeit, nicht etwa im Sinne der rein rechnungsmaBigen „Abschreibung" oder „Amortisierung" aufzufassen; vgl. hierzu auch die nachste Anmerkung. s Die Redensart ,,mit Verlust weiterarbeiten" erweist sich allerdings bei genauerer Betrachtung als nicht ganz einwandfrei, weil hiebei von einem „Verlust" doch nur insoweit die Rede ist, als man von den friiher aufgewendeten, augeriblicklich aber nicht mehr relevanten geldlichen Kostenbetragen ausgeht (,,retrospektive Kalkulation"). Insoweit sich namlich auch bei ,,prospektiver" Kalkulation noch ein Verlust ergeben wiirde, d. h. also, insoweit der zu erwartende Produktionserlos nicht einmal die jeweils noch zu investierenden variablen Kosteribetrage gutmachen wtirde (wobei die betreffenden Anlagekapitalien eventuell mit einem nach der ergiebigsten unter den noch moglichen alternativen Verwendungen zu berechnenden Werte in die Kalkulation einzusetzen wiiren), wird eben rationellerweise iiberhaupt nicht mehr weitergearbeitet!
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Market-Operations"), keineswegs aber die qualitativen Methoden der Kreditpolitik, wie etwa die Kreditrationierung, in Betracht kommen. Bei dieser letzteren Methode wiirde ja tatsachlich die Gefahr einer iibermaBigenBevorzugung des Alten unduberkommenennahe liegen, undzwar um so mehr, je weniger die Zuteilung der „Kontingente" dem freien Ermessen der betreffenden Instanzen iiberlassen bliebe, bzw. je mehr in diesem Punkte nach angeblich „objektiven" Gesichtspunkten vorgegangen wiirde. Denn auBerhalb der privatwirtschaftlichen Rentabilitat (die ja gerade bei einem System der Kjeditrationierung nicht ohneweiters als das ausschlaggebende Kriterium betrachtet wird), gibt es zu diesem Zweck eben iiberhaupt keinen anderen objektiven MaBstab als den ,,historischen", der selbstverstandlich als solclier immer eine Bevorzugung des Althergebrachten auf Kosten des Fortschrittlichen mit sich bringt. 1
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Im ubrigen gehen wir in diesem Punkte sogar so weit, dafi wir im Prinzip eine jede nach qualitativen Gesichtspunkten vorgenommene „Auslese" zwischen den verschiedenen Kreditbewerbern (naturlich mit Ausnahme derjenigen, die sich ausschliefilich auf die ,,Kreditwurdigkeit" iiberhaupt, also auf die Frage nach der Sicherheit der vollstandigen und rechtzeitigen Kreditruckzahlung bezieht2) als verwerflich betrachten. Insbesondere gilt dies mit Bezug auf die Vorzugsstellung, die sowohl in der Theorie -wie in der Praxis den angeblich „produktiven" gegenuber den ,,spekulativen" Krediten eingeraumt zu werden pflegt, wobei dann insbesondere das Argument ins Gewicht fallt, dafi es doch nicht zu den Aufgaben der Geldversorgung gehoren kann, es der Spekulation zu erleichtern, bestimmte Warenbestande „von dem Markte fernzuhalten", anstatt diese im ,,regularen" ZirkulationsprozeB ihrer ,,naturlichen"Bestimmungzuzufuhren. Demgegeniiber ware unseres Erachtens zu bemerken, dafi diese Abneigung gegen die spekulativen Kredite nur insoweit berechtigt erscheint, als die seitens der betreffenden Kreditbewerber erwartete Preissteigerung der aufzuspeichernden Waren nicht den Ausdruck eines „wirklichen" Wertzuwachses bedeutet (wie dies allerdings unter einem System nichtneutraler Geldversorgung, wo es ja immer sinn- und funktionslose Preisanderungen im Ubermafi gibt, tatsachlich des ofteren der Pall sein diirfte). Diese gleiche Erwagung gilt hingegen nicht langer unter einem System neutraler Geldversorgung in dem oben dargelegten Sinne, wobei eben kein einziger Preis sich andert, insoweit daftir nicht eine spezifische — d. h. eine in den Angebots- und Nachfragefunktionen mit Bezug auf das betreffende einzelne Gut begriindete — Veranlassung vorliegt, und wobei somit auch eine jede Steigerung irgendeines einzelnen Preises tatsachlich eine „wirkliche" Mehrwertigkeit des betreffenden speziellen Gutes in dem spateren Zeitpunkte zum Ausdruck bringt. 3 Insoweit nun diese spe1 Genau so wie dies in der jiingsten Zeit auch mit Bezug auf die Importkontingentierungen in den verschiedenen Landern in krasser Weise zutage tritt. 2 Wobei es unseres Brachtens prinzipiell gleichgiiltig bleibt, ob diese Sicherheit aus der Natur der Verwendung der kreditierten Summen selbst oder aber aus irgendwelchen additionellen Bedingungen des Kreditvertrages (Hypothek, Burgschaft usw.) Oder sogar ausschlieBHch aus den allgemeinen Vermogensverhaltnissen des Kreditnehmers hervorgeht. Die Auslese zwischen den Kreditbewerbern in diesem Sinne ist iibrigens nach unserer Ansicht ausschlieBHch Sache der privaten Kreditgeber — natiirlich einschlieBlich der privaten Banken — nicht aber der Zentralbanken. a Zwar handelt es sich bei den spekulativen Geschaften oHenbar nicht um die Aus-
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zifische Mehrwettigkeit des Ibetreffenden Gutes die allgemeine Minderwertigkeit der Zukunftsguter als solchen — wie diese in der Gleichgewichtszinsrate zum Ausdruck k o m m t — iibertrifft, wird auch gerade durch das speculative Aufspeicliem jenes Gutes ein echter Wertzuwachs verwirlclieht, der den aus „produktiver" Tatigkeit im engeren Sinne hervorgehenden Wertsteigerungen im Prinzip vollstandig aquivalent ist, so daB gerade vom „volkswirtsehaftlichen" Standpunkte aus betrachtet eine bewuBte Erschwerung der Kreditbedingungen fur diese Falle sich keineswegs rechtfertigt. 1 Eine analoge tjberlegung diirfte unseres Erachtens sogar auch mit Bezug auf die Effektenspekulation gelten, worauf jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Bei alledem ist tibrigens noch vollstandig von der Frage abgesehen worden, ob niobt — mit Bucksicht auf den Zusammenhang aller Kreditmarkte, kraft deren die marginale Kapitaldisposition am E n d e doch immer der privatwirtschaftlich am rentabelsten erscbeinenden Verwendung zugefiihrt wird — eine „effektive" Diskrimination zwiseben den spekulativen u n d den angeblich produktiven Krediten scbon von vornberein als unmoglich zu betracbten ware. 2 AbscMieBend ware zu diesem P u n k t e noch zu bemerken, daB alles was bier mit Bezug auf die eventuelle Erscbwerung der Kreditbedingungen zuungunsten der spekulativen Verwendungen bervorgeboben wurde, im analogen Sinne aucb mit Bezug auf die sogenannten „konsumtiven" Kredite, zumal das Abzablungsgesebaft, zutreffen diirfte. Aucb in dieser Hinsicht ware somit ein jeder Versucb zu einer qualitativen Selektion zwiseben den einzelnen Kreditbewerbern je naob dem „sicbtbaren Verwendungszweck" 3 der kreditierten Summen — d. b . also, abgeseben von der Frage der Kreditwurdigkeit iiberbaupt in dem oben angedeuteten engeren Sinne — unseres Eracbtens grundsatzlicb abzulebnen.*
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91. E s bleibt indessen i n diesem Z u s a m m e n h a n g e n o c h eine weitere F r a g e z u erortern, n a m l i c h ob n i c h t schon die Durchfiihrung v o n einem S y s t e m der angeblich n e u t r a l e n Geldversorgung wie dies v o n u n s befiirwortet wird, notwendigerweise eine gewisse q u a l i t a t i v e Beeinflussung d e r Volkswirtschaft impliziert, weil es j a offenbar rein technisch z u d e n Unmoglichkeiten g e h o r t , die jeweils n o t w e n d i g e n Neugeldschopfungen bzw. Geldvernichtungen gerade an denjenigen Stellen der Wirtschaft vorzun e h m e n , wo die e n t s p r e c h e n d e n n e u e n H o r t u n g s - bzw. E n t h o r t u n g s nutzung schon tatsaehlich vorliegender, sondern vielmehr nur urn diejenige antizipierter Preisanderungen, und es konnen somit die betreffenden Erwartungen der Kreditnehmer immerhin noch fehlschlagen. Derartiges gilt aber in genau dem gleichen Sinne auch mit Bezug aut die angeblich „produktiven" Kredite, wobei ja ebenfalls die (kiinftige) Nachfrage nach den betreffenden Produkten falsch eingeschatzt werden kann! Eine Auslese zuungunsten der ..spekulativen" Kredite als solche IaBt sich somit auch aus diesem Grunde nicht rechtfertigen. 1 Insoweit diirfte auch unsere Analyse am Ende doch noch an den HAYEKschen Gedankengang iiber das „intertemporale Gleichgewicht der Preise" — siehe oben S. 314, Anm. * — ankniipfen. 2 Vgl. zu dieser letzteren Frage zumal auch F . MACHLUP, a. a. O. S. 130/131 und passim, insbesondere die „Thesen" Nr. 25 bis 27 auf S. 213. 3
F . MACHLUP, a. a. O. S. 213, These Nr. 26.
* Insoweit stellen wir uns mithin in diesem Punkte in bewuBten Gegensatz zu den Auffassungen HAYEKS, wie diese zumal in ,,Preise und Produktion" S. 58ff. und 81 ff. herausgearbeitet worden sind, und aus denen tatsaehlich die Forderung nach einer qualitativen Auslese zwischen der ,,produktiven" und der „konsumtiven" Krediterteilung hervorzugehen scheint. Beitrage zur Geldtheorie.
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vorgange stattfinden; oder mit anderen Worten, weil es sogar bei einer quantitativ ganz richtigen Geldversorgung prinzipiell unmoglich ist, diese in einwandfreier Weise zu „lokalisieren". Zu diesem Punkte, der speziell von H A Y E K hervorgehoben worden ist, 1 ware unseres Erachtens zu bemerken, daB zwar die grundsatzliche Richtigkeit dieses Einwandes in der Tat anzuerkennen ist, daB aber dessen praktische Bedeutung bei weitem geringer sein durfte als dies auf den ersten Blick den Anschein haben konnte. Es unterscheiden sicb namlich die Auswirkungen einer solchen „falschen Lokalisierung" der Geldschopfung im Grunde iiberhaupt nicht von denjenigen RTachfrageverschiebungen, die prinzipiell auch bei einem jeden Kreditgeschaft stattfinden konnen, indem namlich der Kreditnebmer die ibm iiberlassene Kaufkraft in anderer Weise anwendet, als dies sonst der Kreditgeber getan hatte. Ein wesentlich neues Moment wiirden die betreffenden „Lokalisierungsfehler" somit nur darstellen in einer Wirtschaft, wo es iibrigens iiberhaupt keine Kreditgeschafte gabe, was aber offenbar nicht nur zu der Wirklichkeit, sondern auch — was fur unseren Zweck wohl noch wichtiger ist — zu den Voraussetzungen einer idealtypischen reinen Tauschwirtschaft in Widerspruch steht. Vielmehr wird dort bekanntlich immer die Existenz eines im Prinzip einheitlich gedachten und vollkommen ausgeglichenen Kreditmarktes angenommen, was man sich etwa in der Weise vorstellen konnte, daB in einem jeden Zeitpunkte samtliche nicht fur unmittelbare Verwendung seitens der jeweiligen Inhaber benotigten Kaufkraftmengen einem einzigen groBen Sammelbecken zuflieBen, aus dem auf der anderen Seite (genau so wie dies auf einem jeden anderen einheitlichen „Markte" geschieht) samtliche Kreditbediirfnisse der Reihe ihrer „Dringlichkeit" nach befriedigt werden. Je mehr sich nun ein derartiger Zustand in der Praxis verwirklicht — und tatsachlich diirfte nach unserer Ansicht der Kreditmarkt wohl mehr als irgendein sonstiger Markt sich in der Wirklichkeit diesem idealtypischen Zustande annahern — um so mehr wird es auch offenbar gleichgultig sein, an welcher speziellen Stelle des betreffenden ,,Sammelbeckens" die fur die Handhabung der Neutralitat des Geldes jeweils notwendigen „Neugeldinjektionen" bzw. Geldentziehungen vorgenommen werden, weil deren eigentlicher Effeht dock immer nur an der marginalen Stelle des Kreditmarktes zum Ausdruck kommen wird.2 Durch diese Uberlegung kommt also die Frage der Lokalisierung als ein selbstandiges Problem der Geldversorgung unseres Erachtens vollstandig in Wegfall, vorausgesetzt und nur vorausgesetzt, daB in der Tat eine jede Neugeldschopfung und Geldvernichtung uber das Zwischenglied des Kreditmarktes stattfindet, wie dies bekanntlich bei der heutigen Organisation der Geld- und Kreditverfassung fur weitaus den groBten Teil der Geldmengenanderungen tatsachlich zutrifft. Denn eben unter dieser Voraussetzung verwirklicht der Mechanismus des Kreditmarktes schon automatisch eine moglichst einwandfreie „Lokalisierung" der jeweiligen Geldmengen1
HAYEK, a. a. O. (Preise und Produktion) S. 116/117. Auch in diesem Punkte ist insbesondere auf die verwandten Auflassungen MACHLUPS hinzuwcisen. *. 2
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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dnderungen, was, nebenbei bemerkt, nach unserer Ansicht sogar als einer der wichtigsten Vorziige der kreditmaBigen Geldschopfung tiberhaupt zu betrachten sein diirfte. 1 Ein wirkliches Storungsmoment ergibt sich also in diesem Zusammenhang nur insoweit, als die neugeschaffenen Geldmengen, ohne zunachst durch das „Sammelbecken" des allgemeinen Kreditmarktes hindurch zu passieren, direkt irgendeiner spezifischen Verwendung zugefuhrt werden, wie dies zumal im Falle der metallischen Neugeldschopfung — sowohl bei der eigentlichen Gold„produktion" wie auch bei der monetaren Anwendung bisher nichtmonetar verwendeter Metallbestande — oder z. B. im Falle der Geldfalschung 2 geschieht; und selbstverstandlich ebenso auch in den umgekehrten Fallen einer Geldvernichtung durch nichtmonetare Verwendung des Miinzmetalles, bzw. einer „unregelmaBigen" Geldvernichtung wie etwa durch Feuersbrunst oder Sehiffbruch. Es handelt sich hiebei jedoch samt und sonders um Ausnahmefalle, deren quantitative Bedeutung gegeniiber der „regularen" Form der Geldvernichtung durch Kreditriickzahlung wohl kaum ins Gewicht fallt.
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92. Es taucht hier indessen noch eine letzte Frage auf, die allerdings systematischerweise besser schon bei dem Problemkreise der ,,technischen" Moglichkeiten der Verwirklichung eines neutralen Geldes (vgl. oben S. 278ff.) besprochen worden ware, deren vollstandige Beantwortung jedoch erst auf Grund der Ergebnisse des vorhergehenden Abschnittes moglich ist: ndmlich, ob das Prinzip der Neutralitat des Geldes iiberhaupt mit der Beibehaltung bzw. Wiederherstellung der Qoldwahrungz kompatibel ist. Diese Frage diirfte unseres Erachtens — abgesehen von dem soeben hervorgehobenen Storungsmomente der metallischen Neugeldschopfung, das sich zwar theoretisch nicht ableugnen laBt, jedoch praktisch von ganz untergeordneter Bedeutung erscheint — grundsatzlich zu bejahen sein; allerdings in dem Sinne, daB man sich dabei keineswegs auf den sogenannten „Automatismus" der Goldwahrung verlassen kann, sondern daB vielmehr, mit oder ohne Goldwahrung, zwecks Aufrechterhaltung der Neutralitat des Geldes doch jedenfalls ein adaquates „Management" der Oeldversorgung unumgdnglich notwendig erscheint. Auf der anderen Seite ist dieses „Management" jedoch keineswegs in dem Sinne aufzufassen, daB sich damit die einzelnen Volkswirtschaften binsichtlich ihrer Stellung im zwischenstaatlichen Verkehr etwa von dem „Zwange" befreien lieBen, die ihnen die Beibehaltung bzw.Wiederherstellung eines sogenannten automatischen Goldwahrungssystems auflegen wiirde. Denn eben das essentielle Merkmal der Goldwahrung im internationalen Verkehr, ndmlich die 1 Dies um so mehr, weil die ilbrigen angeblichen „Vorteile" dieser Methode der Geldschoplung (zumal insoweit diese sich auf die Ideologien der Bedarfsgeldlehre stiitzen) in unserem Gedankengang als ziemlich zweifelhaft zu betrachten sind. Vgl. iibrigens auch oben S. 276, Anm. a . 2 Siehe oben S. 249. 8 TJnter „Goldwahrung" verstehen wir hier ein jedes System der Geldverfassung, wobei, gleichgultig mit welchen Mitteln, eine teste Wertrelation zwischen der Geldeinheit und einer bestimmten Gewichtsmenge Feingold innegehalten wird; es umfaBt dieser Ausdruck somit auch die sogenannten „Goldkern-" und „Goldwechsel"-Systeme.
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nahezu vollstandige Stabilitat der intervalutarischen Kurse, sollte wnseres Erachtens gerade bei einer wirklich neutralen Geldversorgung jedenfalls aufrecht erhalten bleiben, weil es j a — siehe oben S. 260, A n m . 2 — n a c h u n s e r e m G e d a n k e n g a n g e m i t zu d e n W e s e n s m e r k m a l e n der N e u t r a l i t a t des Geldes gehort, daB sich die einzelnen G e l d a r t e n i m m e r reibungslos u n d in fester R e l a t i o n gegeneinander u m t a n s c h e n lassen, wobei es prinzipiell vollig gleichgiiltig bleibt, ob die betreffenden Geldarten auf die gleiche oder auf verschiedene Wdhrungseinheiten lauten.
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Eine jede Auffassung, die etwa dahin ginge, das Neutralitatsprinzip konnte gleichzeitig in zwei oder mehreren Landern eine derart verschiedene H a n d h a b u n g der Geld- u n d Kreditpolitik erforderlich maehen, daB eben dadurch eine Abweichung von den intervalutarischen Paritaten unvermeidlich wtirde — was selbstverstandlich umgekehrt impliziert, daB in einem solchen Falle die Beibehaltung der Goldwahrung ein Hindernis fur die einwandfreie VerwirkHchung der Neutralitat des Geldes darstellen wtirde —, lehnen wir somit auf das entschiedenste ab. Vielmehr bedeutet uns, genau so wie den strengsten Anhangern des „automatischen" Goldwahrungssystems, eine jede irgendwie betrachtliche Instabilitat der intervalutarischen Kurse ein untrugliches Symptom dafur, dafi in wenigstens einem der betreffenden Lander ein nichtneutraler Zustand der Geldversorgung vorliegt. Es bedeutet dies offenbar nicht mehr u n d nicht weniger, als daB zwecks Handhabung einer neutralen Geldversorgung — und zwar gleichgiiltig, ob es tatsdohlich eine Goldwahrung gibt oder nicht — doch jedenfalls die sogenannten „8pielregeln" der Goldwahrung im internationalen Verkehr, d. h. Krediteinschrdnkung bei senkendem bzw. Krediterweiterung bei steigendem intervalutarischen Kurse der eigenen Wdhrung,1 auf das genaueste befolgt werden sollten. Und zwar trifft dies unseres Erachtens sogar auch dann zu, wenn die betreffenden Kursanderungen mehr oder weniger nachweisbar nicht aus dem „regularen" Waren- u n d sonstigen Verkehr, sondern vielmehr aus ,,abnormalen" Kapitalbewegungen (zumal auch bei Erschutterung des internationalen Vertrauens) hervorgehen. 2 Mit Bezug auf diese Seite des Problems halten wir somit ein jedes Bestreben der maBgebenden Instanzen in den einzelnen Landern, sich — entweder unter ausdrucklicher Berufung auf das Neutralitatsprinzip oder sonstwie — den von nationalem 1 Es sei denn, daB diese Kurssteigerung, bzw. -senkung nachweisbar einem nichtneutralen Zustande der Geldversorgung in dem betreflenden fremden Wahrungsgebiete zuzuschreiben ware. Diese theoretisch notwendige Einschrankung der betreffenden These kann allerdings praktisch ein nicht zu unterschatzendes Gefahrmoment bedeuten, weil ja die maBgebenden Instanzen in den einzelnen Landern wohl immer zunachst geneigt sein werden, die ,,Schuld" an den Kursschwankungen dem Auslande zuzuschreiben und aus diesem Grunde die jeweils notwendigen MaBnahmen zu unterlassen oder doch wenigstens hinauszuschieben. Zumal um derartigem vorzubeugen, diirfte unseres Erachtens eine gewisse ,,Kooperation" und vor allem ein regelmaBiger Gedankenaustausch zwischen den Leitern der einzelnen Notenbanken von Nutzen sein; wobei allerdings auf der anderen Seite auch wieder die Gefahr besteht, daB eben diese ,,Kooperation" nur allzuleicht dazu miBbraucht werden konnte, um sich durch gegenseitige Abmachungen den (vom nationalen Standpunkte aus betrachtet) ,,unangenehmen" Konsequenzen der Spielregeln der Goldwahrung in dem obigen Sinne zu entziehen. 2 Eine jede derartige Kapitalbewegung impliziert namlich ipso facto eine Steigerung des ,,Gleichgewichtszinses" in denjenigen Landern, denen die betreffenden Kapitale entzogen werden, und es wurde demzufolge notwendigerweise eine Inflation vorliegen, insoweit nicht auch der Marktzins in dicsen Landern erhoht wilrde. Das umgekehrte gilt natiirlich fiir die Lander, denen die betreffenden Kapitale zuflieBen.
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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Standpunkt betrachtet ,,unangenehmen" Konsequenzen des Goldwahrungssystems zu entziehen, fur grundsatzlich verfehlt. 1
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93. Anderseits bietet aber auch die strikteste Stabilitat der inter valutarischen Kurse offenbar noeh nicbt die geringste Gewahr dafiir, daB nieht, weltwirtschaftlich betracbtet, dennoch eine Inflation oder Deflation vorliegen kann. Es bleibt somit neben den zwischenstaatlichen Wirkungen des Goldwahrungssystems — an den wir, vom Neutralitatsstandp u n k t aus betracbtet, prinzipiell keinen ,,Makel" aufzuweisen finden — nocb immer die Frage zu berucksichtigen, ob nieht dennoch die Goldwahrung der Geld- u n d Kreditpolitik (in samtlichen Liindern zusammen betrachtet) gewisse Schranken auferlegt, die unter bestimmten Umstanden eine einwandfreie H a n d h a b u n g der Neutralitat des Geldes verbindern konnten. Und zwar ist in diesem Zusammenhange offenbar in erster Linie an die (in den letzten Jahren zumal in den Schriften CASSELS 2 wiederholt hervorgehobenen) Moglichkeit zu denken, daB eine zunehmende rein quantitative Goldknappheit, auf die nicbt einmal allzulange bemessene Dauer betrachtet, samtliche Bestrebungen zur Neutralisierung der Geldversorgung paralysieren und ein sozusagen permanentes Deflationsmoment darstellen konnte. Dazu ist unseres Erachtens zu bemerken, daB diese Moglichkeit zwar nieht von vornherein ausgeschlossen sein durfte — u n d in der Tat gegebenenfalls nur durch eine (international vorzunehmende) Lockerung der gesetzlichen Deckungsvorschriften der Notenbanken, wie dies auch von CASSEL und anderen Autoren befiirwortet wird, zu beseitigen ware — daB aber auf der anderen Seite diese Gefahr uns quemtitativ u n d in concreto weit weniger bedrohlich erscheint als sie in den diesbezuglichen Erorterungen CASSELS, unter Berufung auf die statistischen Daten hinsichtlich der Goldproduktion einerseits und den jahrlichen Prozentsatz von der Erweiterung der wirtschaftlichen Tatigkeit uberhaupt anderseits — dargestellt wird. E s ist hierbei namlich zu bedenken, daB der von CASSEL angestellte rein numerische Vergleich zwischen jenen beiden GroBen eben nur dann sinnvoll und relevant ist, wenn man, mit diesem Autor, implizite oder explizite die unbedingte Erwunschtheit eines stabilbleibenden durchschnittlichen Preisniveaus anerkennt; denn eben nur bei diesem Ausgangspunkte laBt sicb das Postulat von dem ,,ParaHelismus" zwischen dem Handels- bzw. Produktionsvolumen einer- und der „Sollgeldmenge" anderseits uberhaupt halbwegs (d. h. auch dort nur noch unter der Voraussetzung einer unveranderlichen Urnlaufsgeschwindigkeit des Geldes) aufrechterbalten. In unserem Gedankengange hingegen, wobei die Sollgeldmenge nach ganz anderen Gesichtspunkten bemessen wird, ist offenbar ein jeder derartiger Vergleich zwischen der Goldproduktion einer- und dem allgemeinen Prozentsatz der Wirtschaftserweiterung anderseits prinzipiell irrelevant und laBt sich (wenigstens solange m a n die rein nachfragebedingten Preisanderungen auBer Betracht laBt), sogar nachweisen, daB die prozentuale Zunahme der Sollgeldmenge grundsatzlich immer hinter der Zuwachsquote der Produktion usw. zuruckbleiben muB. Wir brauchen in diesem Zusammenhange wohl nur an unsere obigen Erorterungen hinsichtlich der Giiter mit einer Nachfrageelastizitat gleich eins (deren etwaige mengenmaBige Zunahme die Sollgeldmenge uberhaupt un1 Vgl. in diesem Sinne auch HAYEK, „Das Schicksal der Goldwahrung", Der Deutsche Volkswirt, Februar 1932, S. 642If. und 677 ff. 2 Z. B. in der kleinen Arbeit „Post-War Monetary Stabilisation", New York 1928, S. 44 ft.
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verandert laBt) und zumal derjenigen mit einer Nachfrageelastizitat niedriger als eins zu erinnern, bei denen — auch Mer unter der Voraussetzung einer konstanten TJmlaufsgeschwindigkeit des Geldes — eine mengenmaBige Ausdehnung der Produktion sogar eine T7'erringerung der Sollgeldmenge mit sich bringt (siehe oben S. 312). Es erscheint uns somit die SchluBfolgerung zulassig, daB die Gefahr einer ,,Goldknappheit" im Sinne CASSELS, obwohl nicht vollkommen imaginar, doch jedenfalls weit weniger aktuell und zumal in quantitativer Hinsicht weniger wichtig ist als dies nach der Argumentation dieses Verfassers zunachst den Anschein haben dtirfte.
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A u s alledem g e h t somit hervor, daB in d e r T a t die B e i b e h a l t u n g bzw. Wiederherstellung der Goldwahrung grundsdtzlich n i c h t m i t d e m P r i n z i p der n e u t r a l e n Geldversorgung i n k o m p a t i b e l ist. Auf der anderen Seite ist aber die Goldwahrung zur VerwirJclichung dieses Prinzips nach unserer Ansicht ebensowenig notwendig oder auch nur forderlich. Insbesond e r e w a r e v o n einer „ a u t o m a t i s c h e n " H a n d h a b u n g der N e u t r a l i t a t d e r Geldversorgung u n t e r einem solchen W a h r u n g s s y s t e m g e n a u so wenig die R e d e als ohne dieses; d a s einzig Wesentliche ist namlich in b e i d e n F a l l e n die Durchfiihrung einer einwandfreien ( q u a n t i t a t i v e n ) K r e d i t - u n d Zinspolitik, und insoweit die mafigebenden Instanzen dazu iiberhaupt imstande sind, konnten sie diese Aufgabe prinzipiett ebensogut ohne Hilfe der Goldwahrung als mit dieser erf Mien!1 Z u m a l die Aufrechte r h a l t u n g der G o l d p a r i t a t e n (insoweit i i b e r h a u p t v o r h a n d e n ) ist jedenfalls n u r als eine reine W i r k u n g , bzw. als ein Symptom, der „ r i o h t i g e n " Geldpolitik, keineswegs a b e r als ein k a u s a l b e d e u t s a m e s M o m e n t zu b e t r a c h t e n . Insoweit beruht mithin die Theorie vom neutralen Gelde auf einer durchwegs a-metallistischen Grundlage und es dtirfte unseres Erachtens der ganzen Frage von der prahtischen Beibehaltung oder Abschaffung der Goldwahrung wohl eher eine ,,psychologische" als eine wirhliche und prinzipielle Bedeutung beizulegen sein. 94. D a s einzig wesentliche P r o b l e m bleibt in u n s e r e m G e d a n k e n g a n g e vielmehr d a s der einwandfreien , , s y m p t o m a t i s c h e n M e s s u n g " der jeweiligen N e u t r a l i t a t bzw. N i c h t n e u t r a l i t a t der Geldversorgung; ein P r o b l e m , d a s einerseits a u c h i m Verlauf dieser S c h l u B b e t r a c h t u n g e n — also i m Gegensatz zu d e m o b e n auf S. 341 e r w a h n t e n S t a n d p u n k t e — n i c h t s v o n seiner theoretischen u n d p r a k t i s c h e n B e d e u t u n g verloren h a t , d a s 1 Aus ahnlichen Grunden erscheint uns auch der Gedanke einer ,,Warenwahrung", wie sie heutzutage zumal in Holland von J. GOUDRIAAN propagiert wird („De labilisatie van het economisch leven en de middelen ter bestrijding; de noodzakelijkheid von een wereldgrondstoflenvaluta", Wochenschr. Econom. Stat. Berichten, 1931, S. 922 ft. und 944 ff.; weiter in austiihrlichen polemischen Auseinandersetzungen mit mehreren Kritikern in der gleichen Zeitschrift wahrend 1931 und 1932; Zusammenfassung in englischer Sprache unter dem Titel „How to stop Deflation", London 1932) als grundsatzlich verlehlt und jedenfalls dem System der Goldwahrung in keinem einzigen wesentlichen Punkte vorzuziehen; dies sogar abgesehen von der tlberlegung, daB sich unter einem solchen System (vorausgesetzt, daB es sich in der Tat erfolgreich verwirklichen liefie) doch hochstens nur die Stabilisierung eines nicht einmal einwandfrei „gewogenen" Durchschnittes aus einer ziemlich beschrankten Anzahl Preise — nach den Vorschlagen GOUDRIAANS sogar nur der Rohmaterialien — erreichen liefie. Auch aber insoweit letzteres tatsachlich erwilnscht ware, lieBe sich dieser Zweck doch jedenialls genau so gut auch ohne „Warendeckung", bzw. Einlosbarkeit des Geldes in Waren — namlich mittels einer direkten quantitativen Regulierung der Geldmengenanderungen — verwirklichen.
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aber anderseits einer befriedigenden Losung auch urn keinen Schritt naher gebracht worden ist, so da8 wir leider zunachst nur feststellen konnen, da8 — ganz abgesehen von den damit verbundenen ,,technischen" Schwierigkeiten, die unseres Erachtens im Prinzip wohl iiberwindbar waren — die wissenschaftliche Grundlage filr ein einwandfreies ^Management" der Geldversorgung bis auf weiteres fehlt.1 Insoweit bleibt mithin auch das Endergebnis unserer Untersuchungen durchwegs negativ, und wir konnen an dieser Stelle hochstens der Hoffnung Ausdruck geben, da8 die vorliegende Arbeit vielleicht eine Anregung zu weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiete darstellen konnte. Auf der anderen Seite diirfte indessen der Nachweis der Unrichtigkeit fast samtlicher bisher vorgeschlagenen Losungsversuche jenes Problems und insbesondere von der Nichtidentitat der Begriffe ,,neutrales" und „wertbestandiges" Geld, auch fur die Praxis nicht ohne Wichtigkeit, vielleicht sogar nicht ohne eine gewisse aktuelle Bedeutung sein. Liegt doch gerade bei der in der heutigen Literatur 2 noch immer vorherrschenden Ideologie der Geldwertstabilisierung tatsachlich die Gefahr ganz nahe, da8 die Wirtschaft, wenn es ihr schon iiberhaupt gelingen sollte, sich friiher oder spater von der Lahmung der heutigen Depression zu befreien, in kiirzester Zeit wieder in das prinzipiell genau so groBe tlbel eines neuen krankhaften Aufschwungsfiebers verfallen konnte, und zwar ohne daft dieser Zustand zunachst als solcher erkannt wiirde; letzteres gerade deshalb, weil man sich (genau so wie in den Jahren 1927 bis 1929) auf Grund einer falschen theoretischen Einstellung ganz leicht nochmals der bequemen Uberzeugung hingeben diirfte, daB bei auBerlicher ,,Prosperitat" der Wirtschaft alles in schonster Ordnung sei, solange nur das durchschnittliche Preisniveau (sei es einschlieBlich oder ausschlieBlich der Effektenkurse!) keine Steigerung aufweist. J e mehr hingegen die maBgebenden Kreise von der grundsatzlichen Unrichtigkeit dieser Auffassung durchdrungen werden, um so groBer ware auch die Wahrscheinlichkeit, daB (sogar ohne eine einwandfreie wissenschaftliche Losung des Problems der „Symptomatik" in dem oben dargelegten Sinne) die Geld- und Kreditpolitik gerade in derjenigen Phase, in der die technischen Moglichkeiten einer vernunftgemaBen Beherrschung des Konjunkturverlaufs am groBten sind — niimlich im Anfangsstadium der Inflation — ihre eigentliche und immanente Aufgabe, die somit in diesem Stadium tatsachlich in einer Vorbeugung der ndchsten Hochkonjunktur bestilnde,3 nicht wieder verfehlen diirfte. Insoweit ware mithin auch den an und fur sich rein theoretischen und dazu uberwiegend negativen Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung am Ende eine gewisse konkrete und praktische Bedeutung nicht ganz abzusprechen. 1 In diesem Sinne, allerdings auf Grund einer etwas anderen Motivierung, auch HAYEK, Preise und Produktion, S. 110/111. 2 Freilich mit Ausnahme eines Teiles der bankingtheoretisch orientierten Autoren, deren Ansichten jedoch gerade in diesem Punkte noch weitaus gefahrlicher — d. h. inflationistischer —• sind als die der Anhanger des Stabilisierungsgedankens! 3 Siehe eingangs S. 216.
Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheoretischen Analyse. Von GUNAR MYRDAL, Dozent der Nationalokonomie an der Universitiit Stockholm. (Aus d e m Schwedischen u b e r s e t z t v o n
Dr.
GEKHABD MACKENROTH,
Halle a. S.)
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E r s t e s K a p i t e l . Einleitende Vorbemerkungen 365 1. Die Kolle vereinfachender Approximationen in der Geldtheorie der Nachkriegszeit (365). — 2. Der ,,come-back" der traditionellen Quantitatstheorie (367). — 3. Kritik an der Quantitatstheorie: von seiten der Empiristen (367). — 4. Von seiten der Theoretiker (368). — 5. Die neuen Ideen Wicksells, ihre Diskussion in Schweden (369). — 6. Ihr Eindringen in die osterreichische Scbule (370). — 7. Entwicklung in den angelsachsischen Landern (370). Z w e i t e s K a p i t e l . Wicksells geldth e oretische Problemstellung 371 8. Geldtheorie und Gleiehgewichtstheorie der relativen Preise. Doktrinkistorische Erklarung fiir die Trennung zwischen beiden (371). — 9. Die Quantitatstheorie. Eine Intregration derselben in die zentrale Preisbildungstheorie nicht moglich, weil Geld nicht mit anderen Giitern in der Preisbildungstheorie gleichgestellt werden kann (372). — 10. Auch eine befriedigende Koordination der Quantitatstheorie u n d der allgemeinen Preistheorie nicht moglich. Grunde daftir u n d Kritik der Quantitatstheorie (373). — 11. Die Behandlung des Kredits als Beispiel fur die verhangnisvollen Wirkungen der Trennung von Geldtheorie u n d Preistheorie (374). — 12. Auch die herkommlichen Problemansatze in der Behandlung des Konjunkturproblems unbefriedigend. Das hangt ebenfalls zusammen mit jener Trennung (375). — 13. Wicksells Theorie von Angebot und Nachfrage der ,,Gesamtheit der W a r e n " (377). — 14. Sparen, konsumtive Nachfrage, Investierungen und Produktion von Konsumgutern (378). — 15. Wicksells hypothetisches Prinzip fur die Erklarung eines veranderten Gleichgewichtsverhaltnisses von Angebot u n d Nachfrage aller Konsumgiiter: die Relation zwischen „Geldzins" und „naturlichem Zins" (379). — 16. Der Wicksellsche kumulative ProzeB: die Umstellung der Produktion (380). — 17. Fortsetzung: die Steigerung der Preise u n d Einkommen, ihre kumulativen Wirkungen (381).
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D r i t t e s K a p i t e l . Der Gleichgewichtsbegriff in der Geldlehre Wicksells 382 18. Eine Konjunkturtheorie in nuce, Wicksells Vorbehalte dazu (382). — 19. Die immanente Methode der folgenden Analyse (383). — 20. Sie beabsichtigt vor allem, die Antizipationen in das geldtheoretische System einzubauen. Kritisclie Anmerkungen zu Keynes u n d Hayek (384). — 21. Die Rolle des geldtheoretisehen Gleichgewichtskriteriums in der Konstruktion Wicksells (385). — 22. Das geldtheoretische Gleichgewicht b a t nicbt wie das Gleicbgewicht in der Preistheorie eine ,,virtuelle Realitat", es bindet auch nur gewisse Preisbildungsrelationen (386). — 23. Die Gleichgewichtsbedingungen bei Wicksell (387). — 24. Die herkommliche Methode, von einer „stationaren Ausgangslage" auszugehen, ist unzureichend (388).— 25. Die Gleichgewichtsbedingungen haben ausschlieBlich rein instrumentale Bedeutung. Der Ansatz der nacbiolgenden Analyse (389). — 26. Die Gleichgewichtsbedingungen miissen so formuliert werden, daB sie beobachtbare und meBbare GroBen enthalten (390). V i e r t e s K a p i t e l . Die erste Bedingung des geldtheoretisehen Gleichgewiehts: die Ertragsquote des Realkapitals 391 27. Kritik an Wicksells Lehre vom „nattirlichen Zins", konstruiert als eine physische Grenzproduktivitat des Zeitfaktors. Der ,,naturliche Zins" muB als eine Tauschwertproduktivitat definiert werden (391). — 28. Fortsetzung: die Tauschwertproduktivitat muB in absoluten Geldpreisen gerechnet werden, d. h. es mussen Kredit u n d Geldzins schon in denjenigen Zustand eingeschlossen werden, fur den der ,,naturliche Zins" bestimmt wird (392). — 29. Die Ertragsquote des Realkapitals. Die zwei Berechnungsweisen: ex -post oder ex ante der bezogenen Periode (394). — 30. Die antizipierte Wertveranderung der Realkapitalien (394). — 31. Definition der Ertragsquote (396). — 32. Der Unterschied zwischen der ex-anteu n d eaj-posi-Berechnung der Ertragsquote. Die drei Arten von Gewinnen und Verlusten (397). — 33. Der Geldzins immer gleich der Ertragsquote der schon vorhandenen Realkapitalien (398). — 34. Definition der Ertragsquote der geplanten Realinvestierungen (400). — 35. Endgultige Formulierung fur Wicksells erste Bestimmung der geldtheoretisehen Gleichgewichtslage (401). — 36. Schwierigkeiten bei praktischer Anwendung dieses Gleichgewichtskriteriums: i und i0 nicht empirisch feststellbar (402). — 37. Umformulierung der Gleichgewichtsbedingung: tlbereinstimmung zwischen Kapitalwerten und Reproduktionskosten des Realkapitals. Die Vorteile dieser Umformulierung (403). — 38. Schwierigkeiten bei der Anwendung auch dieser Formel. Versuche, diese Schwierigkeiten zu uberwinden. Die technische Entwicklung u n d die Veranderung der relativen Preise (404). — 39. Weitere Schwierigkeit: die Unbestimmtheit der Preisbildung innerhalb von ,,going concerns" (405). — 40. Fortsetzung: die Rentabilitatsdifferenzen sind verschieden groB in verschiedenen Unternehmen u n d haben verschiedene Wirkungen auf das Realinvestierungsvolumen (406). — 41. Zusammenfassung (408). F i i n f t e s K a p i t e l . Die zweite Bedingung des geldtheoretisehen Gleichgewichts: Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren 409 42. Die Stellung der zweiten Bestimmung des geldtheoretisehen
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Gleichgewichts im Wioksellschen System (409). — 43. Unklarheit des Begriffs „ S p a r e n " (410). — 44. Abstraktes Beispiel: Veranderung der Antizipationen, als Folge davon verandertes Sparen, aber unveranderte Investierungen (411). — 45. Diskussion des Sparbegriffes (412). — 46. Weitere Diskussion des Beispiels: das veranderte Sparen ist investiert worden in veranderten Wertanderungsansatzen. Die endgultige Forrnulierung der zweiten Gleichgewichtsbedingung (414). — 47. Eealinvestierungen miissen als BruttogroBe gerechnet werden, die Neuinvestierungen lassen sioh in der vollen Dynamik nioht ausscheiden (415). — 48. Die praktische Anwendbarkeit dieser Formel (418). — 49. Weitere Diskussion des abstrakten Beispiels des § 44: Geldzins unverandert gehalten trotz Veranderung der Antizipationen (420). — 50. Storung einer theoretiscben Gleiebgewicbtslage durcb Senkung des Geldzinses (422). — 51. Storung einer geldtbeoretiscben Gleichgewichtslage durch gesteigerte Spartatigkeit (423). — 52. Dieselbe Storung bei einem schon im Gang befindlieben depressiven Wioksellschen Prozefi (424). — 53. Zum gegenteiligen Ergebnis kommt m a n bei der Annahme, daB vermehrte Spartatigkeit mildere Kreditbedingungen ermoglieht. Dies ist zutreffend bei niehtfreier Valuta (425). — 54. Diskussion der beiden Argumente (426). — 55. Auch in einem Wicksellsoben ProzeB ergibt eine esc-posJ-Berechnung voile Ubereinstimmung zwischen gebundener Kapitaldisposition u n d Eealinvestierung wabrend einer Periode. Die Erklarung liegt in den Gewinnen u n d Verlusten, die bei einer nacbtraglicben Verbuebung in die Ertragsbereobnungen bereinkommen (427). — 56. Noebmals der Untersobied von ex-ante- u n d ea;-post-Bereobnungen: die Gegenuberstellung erfaBt das Veranderbebkeitsmoment (430). — 57. Zusammenfassung (431).
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S e c b s t e s K a p i t e l . Die dritte Bedingung des geldtheoretischen Gleichgewichts : die Bewegungstendenz des „Preisniveaus" 434 58. Die Stellung der dritten Bestimmung des geldtbeoretiscben Gleiobgewicbts im Wicksellscben System (434). — 59. Davidsons Kritik (436). — 60. Eine Bewegungstendenz des allgemeinen Preisniveaus wurde fiir das geldtbeoretiscbe Gleicbgewicbt belanglos sein, wenn sie als vollkommen gleicbformig fiir alle einzelnen Preise vorstellbar ware (437). — 61. Diese Voraussetzung ist unbaltbar. Die scbwerbeweglicben Preise bewirken eine Bindung des Preissystems. Statistiscbe Definition des bei Gleicbgewicbt konstant zu baltenden Preisniveaus (438). — 62. Diskussion der Gewicbtssysteme: relative Bedeutung fiir das Volumen der EeaHnvestierungen und reziproker Wert der Reaktionsgescbwindigkeit (440). — 63. Die Produktivitatsdiskussion und die Wicksell-Davidsonscbe Kontroverse (441). — 64. Es ist nicbt moglicb, eine generelle Preisniveauformel zu konstruieren, die die beiden ersten Gleiobgewicbtsbedingungen ersetzen kann (443). •— 65. Die Komplikation im Falle monopolistischer Marktsituation, ausgefiibrt am Beispiel des Arbeitsmarkts (444). — 66. Die Wirkung einer Veranderung monopolistischer Intensitat auf dem Arbeitsmarkt (446). — 67. Fortsetzung u n d Ergebnis: unter monopolistischen Voraussetzungen ist Gleichgewicht nur denkbar bei einem gewissen Auseinanderf alien des
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Gleichgewichts von Angebot und NacMrage (448). — 68. „ I n n e r e " u n d „auJ3ere" Ursachen fur Preisveranderungen (450). — 69. Arbeitslosigkeit ein notwendiges Kesultat der privatkapitalistischen Organisation des Wirtschaftslebens auf dem Arbeitsmarkt (452). — 70. Ergebnisse betreffs der dritten Gleichgewichtsformel und Zusammenfassung (453). S i e b e n t e s K a p i t e l . Die geldpolitische IndiKerenz der geldtheoreti- 454 schen Gleichgewichtslage 71. Geldtbeoretisches Gleichgewicht wird gleicherweise bewirkt duroh eine Vielzahl von Kombinationen von Kreditbedingungen u n d anderen kontrollierbaren sozialen Daten (454). — 72. Das Problem der Ineffektivitat des Diskonts (456). — 73. Faktoren, die wahrend einer Depression die kaufkraftige konsumtive NacMrage aufrecbterhalten (457). — 74. Diese Faktoren bewirken eine Widerstandsfahigkeit des geldtheoretiseben Gleicbgewichts gegeniiber einer Veranderung der Kreditbedingungen (459). — 75. Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Analyse (459). — 76. Dieselbe Datenkonstellation im Falle einer nicht isolierten Wirtscbaft. Die Empfindlichkeit der Valutasituation gegeniiber restriktiver Kreditpolitik, wenn internationale Kapitalbewegungen ausgeseblossen sind (460). — 77. Fortsetzung: die Empfindlichkeit des Imports von Konsumgutern gegeniiber restriktiver Kreditpolitik (462). •— 78. Fortsetzung: die Empfindlichkeit des Imports von Produktionsgiitern (463). — 79. Irrige Auffassungen iiber die Effektivitat der KreditpoUtik (464).
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A c h t e s K a p i t e l . Das geldtheoretische Gleichgewicht als geldpolitiscbe Norm 465 80. Der Zustand des geldtheoretiseben Gleichgewichts als geldpolitiscbe Norm (465). — 81. Die wichtigste zugrundeliegende allgemeine Wertvorstellung: Ausgleich oder Absohwachung der Konjunkturbewegungen (466). — 82. Verbindung zwischen einem Wicksellschen kumulativen ProzeB und einem Konjunkturzyklus. Wert- und Sachpramisse der nachfolgenden Analyse (467). — 83. Geldtheoretisches Gleichgewicht kann erreicht werden durch verschiedene Kombinationen von Kreditbedingungen und ist daher geldpolitisch indifferent (468). — 84. Es kann ferner erreicht werden durch eine Vielzahl von Kombinationen von Wirtschaftspolitik iiberhaupt und Geldpolitik (469). — 85. Die „Isolierung" der Geldpolitik eine institutionelle Tatsache in der privatkapitalistiscnen Wirtschaft. Analyse einer solchen ,,isolierten" Geldpolitik (470). — 86. Fortsetzung der Analyse: die Wirkungen auf die verschiedenen „Preisniveaus" (472). — 87. Fortsetzung: der Gegensatz zwischen Konjunkturstabilisierung und Preisstabilisierung unter herrschenden institutionellen Verhaltnissen (473). — 88. Verschiedene Arten moglicher Preisstabilisierung. Stabilisierung eines Index schwerbeweglicher Preise widerspricht der Konjunkturstabilisierung am wenigsten (474). — 89. Preisstabilisierung h a t doch in einer Hinsicht auch eine konjunkturstabilisierende Wirkung, indem sie die Antizipationen der Unternehmer beeinflufit. Entsprechende Korrektur an der Definition des zu stabilisierenden Preisindex (475). — 90. Kritik anderer geldpolitischer Postulate
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mehr allgemeinen Charakters: die Norm maximaler Ausnutzung der Produktionsmittel (476). — 91. Fortsetzung der Kritik: die Norm, daB die Geldpolitik ein bestimmtes Ziel offentlich erklaren und sich danach an seine unbedingte Durchfuhrung halten solle, ist formaler Natur und materiell inhaltslos. Dasselbe gilt fur die Norm, daB die Geldpolitik die Abweichungen zwischen „wirklichem" und „beabsiclitigtem" Inhalt von Kreditkontrakten auf einem Minimum halten soil (477). — 92. Fortsetzung der Kritik: die Norm, daB die Geldpolitik die Risiken im Geschaftsleben moglichst mindern soil, bedeutet entweder nur Aufrechterhaltung geldtheoretischen Gleichgewichts oder steht maximal in Widerspruch zur Forderung der Konjunkturstabilisierung (479). — 93. Fortsetzung der Kritik: Davidsons Norm, daB das Preisniveau fur Fertigprodukte sich in umgekehrter Proportion zur Produktivitat bewegen soil, ist bestenfalls eine Approximation an die von uns vorgeschlagene Norm. Anmerkung zur mechanistischen Konjunkturauffassung (479). N e u n t e s K a p i t e l . Wissenschaftstheoretisclie ScMuBbemerkungen . . . 481 94. Die vorangegangene Analyse nur ein theoretisehes Idealisationsmodell, aufgebaut auf der Wicksellschen Hypothese (481). -— 95. Die in dieser Hypothese enthaltenen allgemeinen Voraussetzungen: ,,rationelles Handeln" und „freie Konkurrenz" sind nach unseren Umformulierungen als Voraussetzungen uberflussig (481). — 96. Das Idealisationsmodell nur ein theoretisch korreliertes System von Fragestellungen an das Beobachtungsmaterial. Die zwei wirtschaftstheoretischen Fronten: gegen den reinen Empirismus und gegen den absolutistischen Theoretismus (483). — 97. Die Front gegen den naiven Empirismus (484). — 98. Die Front gegen den klassizistischen Theoretismus (485). — 99. Das common-senseElement in der Forschung (486). Erstes
Kapitel.
Einleitende Vorbemerkungen.
1. Eigentlich ist es schwer zu begreifen, daB wahrend der ereignisreichen Jahre, die seit dem Ausbruch des Weltkrieges verflossen sind, die Nationalokonomen iiberhaupt einmal Zeit und Rune zu klarem Denken und zu sorgfaltiger Beobachtung gefunden haben. Die Veranderungen auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik und besonders in der monetaren Sphare haben den Charakter gewaltiger Umwalzungen gebabt, die die kapitalistische Ordnung in ihren Grundfesten erschiittert haben. Immer hat es sich. darum gehandelt — und das gilt heute mehr als je zuvor —-, schnelle und mutige Beschliisse zu fassen. Die Praxis hat daher an die Forschung in erster Linie die Forderung nach moglichst einfachen theoretischen Konstruktionen gestellt, von denen angenommen werden konnte, daB sie von den gehetzten Finanziers und Staatsmannern unmittelbar verstanden und angewendet werden konnten, die eine immer recht zweifelhafte und unsichere Kontrolle iiber die finanziellen
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und politischen Institutionen der Welt in der Hand hatten. Den Forderungen des Tages sind diejenigen Nationalokonomen am besten gerecht geworden, die umkomplizierte, „ready-made" theoretische Erklarungen und Verhaltungsmaximen sozusagen „von der Stange" liefern konnten, die unmittelbar Bezug nahmen auf die Erscheinungen, die an der Oberflache der Ereignisse sich abspielten und daher wichtig erschienen. Der groBere oder geringere Marktwert der wissenschaftlichen Arbeit bat wahrend dieser Zeit zweifellos zum grofien Teil darin bestanden, daB ibre Ergebnisse in Schlagworten formulierbar waren. Es soil ohneweiters zugegeben werden, da8 eine gewisse journalistische Oberflachlichkeit gerade in dieser Periode auch von einem tieferen Gesichtspunkt aus einen wirklichen Wert fur eine praktische Orientierung iiber das scbnell wechselnde Bild der Ereignisse gehabt haben mag. Dies allerdings nur dann, wenn diese Oberflachlichkeit auf der Grundlage von Studien er.langt worden war, die griindlicher waren, als in den vereinfacbten Konstruktionen zum Ausdruck kam, die den Praktikern als wissenscbaftliche Ergebnisse prasentiert wurden. In solchen Fallen haben die vereinfachten Konstruktionen den Cbarakter bewu/Ster Approximationen, von Fall zu Fall angepafit an die jeweils gegebenen speziellen Umstande. Sie haben also nicht irgendwelche wissenschaftliche Allgemeingultigkeit. Urn iiberhaupt eine Geltung zu haben, selbst in der speziellen Situation, fur die sie prasentiert werden, miissen sie, wie gesagt, auf einer recht umfassenden Analyse hbchst komplizierten Characters begriindet werden, die sich eben nur nicht mit den Ergebnissen zugleich vortragen lieB, ohne daB diese weitgehend die Einfachheit wieder verloren hatten, die gerade vom praktischen Gesichtspunkt aus ihren Wert ausmachte. Als ein gutes Beispiel fiir eine solche, einer gewissen Situation angepaBte und intelligent vereinfachte approximative Formel erscheint dem Verfasser dieses Aufsatzes GUSTAV CASSBLS Theorie der Kaufkraftparitdten. Wer CASSELS Darstellungen dieser Theorie sorgfaltig studiert, wird finden, daB CASSBL selbst diese Theorie als eine stark vereinfachte Approximation bezeichnete, die ihren Wert gerade darin hatte, daB sie in scharfen Konturen einen einzigen Gedanken hervorhob, von dem CASSEL — meines Erachtens mit Recht — glaubte, daB er gerade damals mit allem Nachdruck den verantwortlichen Politikern und Bankleuten ins Gemtit gehammert werden muBte. Ware diese Natur der Kaufkraftparitatstheorie erkannt worden, hatte man von vornherein eingesehen, daB es sich bei ihr nur um eine fiir eine bestimmte Situation praktisch zurechtgeschnittene und stark vereinfachte Approximation handelte, so ware die wissenschaftliche Diskussion von den langatmigen Auseinandersetzungen iiber dieses Thema verschont geblieben. Zu beweisen, daB die Theorie der Kaufkraftparitaten nicht allgemeine wissenschaftliche Geltung besitzt und daB sie bei starken Erschutterungen der internationalen Austauschverhaltnisse nicht in die Theorie des internationalen Handels paBt, diese Aufgabe ist doch allzu simpel, um wirklich ambitiosere Forscher zu reizen, besonders da das schon von dem Begriinder der Theorie mit aller wiinschenswerten Deutlichkeit zugegeben wird.
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2. Die Theorie der Kaufkraftparitaten ist nur angefiihrt worden als ein Beispiel fur diese schlagwortartig vereinfachten Theorien, die in den bewegten Zeiten praktische Bedeutung und, ich betone es nochmals, auch praktischen Wert bekommen konnten. Vom Standpunkte der geldtheoretischen Probleme, die im folgenden zur Behandlung kommen sollen, ist es jedoch von noch groBerem Interesse, darauf hinzuweisen, wie die alte traditionelle Quantitdtstheorie einen offenbaren „come-back" erlebt hat, zwar in variierender Ausgestaltung, aber doch in der Hauptsache mit dem theoretischen Gehalt, den IRVING FISHES, in seiner bekannten Standardformel gepragt hat. Dieses gilt nicht nur fur die mehr auf praktische Dinge hin orientierten Autoren, sondern auch fur die eigentlich wissenschaftliche Diskussion. Bei den Anforderungen an die Einfachheit der Formulierungen, die diese Zeit stellte, kann das nicht wundernehmen. Vielleicht kein anderes Stuck des ererbten Komplexes okonomischer Theorie gestattet in so hohem Grade Vereinfachung und Popularisierung wie die Quantitatstheorie, was ihr unter den obwaltenden Umstanden auBerordentlich zugute kam. Sie enthalt auBerdem genug „common sense", um nicht als praktische Orientierung fur die Geldpolitik ganz und gar untauglich zu sein. Sie kniipft an wirtschaftliche Realitaten an, die unmittelbar vor aller Augen liegen. Bei naherem Zusehen deckt sie trotzdem genug theoretische Unklarheiten und Ratsel auf, um die Theoretiker zu interessieren und ihnen eine hinreichende Menge personlicher Capricen beziiglich ihrer Formulierung im einzelnen zu gestatten; mit einem Worte: sie hat in hochstem Grade alle Voraussetzungen in sich, eine wissenschaftliche Diskussion moglich, wenn auch nicht immer fruchtbar zu machen. Und schlieBlich ist es in der Tat schwer, einen theoretischen Problemansatz zu finden, der fur die Zwecke einer theoretischen Entwicklung der Geldprobleme geeigneter ist. 3. Damit soil jedoch nicht gesagt sein, daB die Quantitatstheorie in der Periode, um die es sich hier handelt, ohne Kritik geblieben ist, auch wenn wir die mehr verschleierten Varianten derselben ihr zurechnen. So ist sie z. B. von vielen Autoren mit empirizistischen Vorurteilen gegen die sogenannte klassische Theorie abgelehnt oder — soweit sie sie dennoch haben — wenigstens nicht immer explicite als eine notwendige Voraussetzung ihrer Schlusse formuliert worden. Dieses ist nun auch schon fruher der Fall gewesen, sowohl in England als auch ganz besonders in Deutschland. Es ist aber charakteristisch, daB der empirizistische Protest gegen abstrakte theoretische Analyse trotz allem heute genau so wie fruher diese am meisten schablonisierte und im schlechten Sinne „ theoretische" Theorie verhaltnismaBig verschont hat. Dieses erklart sich teilweise daraus, daB besonders der moderne amerikanische Institutionalismus von den Generalisationen der klassischen Theorie gerade liber die Rolle des Geldes im Wirtschaftsleben so viel iibernommen hat. Die Institutionalisten haben ja das Geld und das Profitstreben als eine „Institution" der privatkapitalistischen Gesellschaft hingestellt. Sie haben mit anderen Worten nicht dieselben Ein-
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wande gegen die grundlegenden Begriffe in der Geldtheorie gehabt, die sie gegen andere Teile der uberkommenen Theorie vorzubringen gewuBt haben (und dafiir haben sie auch gute Grande gehabt: wie ich sogleich ausfiihren werde, bat in der Tat die ,,Oberflachlichkeit" der Quantitatstheorie sie vor der verfehlten metaphysischen Tiefe bewahrt, in die gerade die zentrale Tauschwertlehre dank der Anstrengungen der Grenznutzenschule abgesunken ist). Ein weiterer Umstand noeh bindert die prinzipiellen Empirizisten daran, gegen die Quantitatstheorie allzu kritiscb zu sein. Wenn sie sich bemuhen, tbeoretischer Spekulation aus dem Wege zu geben, so sind sie docb gehandikapt bei einem Problem wie dem Geldproblem, das eine so offenbar praktiscbe Bedeutung hat. Seine Fragestellung ist ja immer nach den wahrscheinlichen Wirkungen alternativ moglicher Verhaltensweisen in die Zukunft. Diese konnen nicht beobachtet werden. Speziell von empiristischem Gesichtspunkt ist die Situation einzigartig, alle Aussagen iiber das politische Problem miissen letzthch auf eine zum Teil theoretische Spekulation begriindet werden, der man, besonders wenn man wie die Empirizisten der zentralen Gleichgewichtstheorie aus dem Wege zu gehen versucht, nur schwer eine andere Gestalt geben kann als die klassische Quantitatstheorie. 4. Von grbBerer Bedeutung ist jedoch vermutlich der Umstand, daB die Quantitatstheorie allmahlich auch Kritik erfahrt von den Nationalokonomen, die sich nicht prinzipiell abweisend gegen abstrakte Theorie verhalten, eine Kritik, die wirklich die alte Quantitatstheorie durch eine vollkommenere Geldtheorie ersetzen will. Ein anderer Typ geldtheoretischer Erklarung ist heute im Entstehen, bei dem nicht mehr wie in der traditionellen Quantitatstheorie das Hauptgewicht auf die Menge der Zahlungsmittel gelegt wird. Das ist in gewissem Grade eine neue Erscheinung, denn WICKSELL hat recht, wenn er in seiner kritischen Analyse der Diskussion iiber die Quantitatstheorie betont, 1 daB der Quantitatstheorie fruher kaum jemals von einer anderen, besser durchgearbeiteten Theorie der Rang streitig gemacht worden ist. Schon am Ende des 18. und mehr noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben viele okonomische Theoretiker mit Erfolg Sehwachenund Schwierigkeiten in der Quantitatstheorie nachgewiesen, es ist ihnen aber eigentlich niemals gelungen, eine andere theoretische Erklarungshypothese an die Stelle der Quantitatstheorie zu setzen. Erfolgreich sind die Kritiker nur gewesen, wo sie sich auf die Aufgabe beschrankt haben, kleinere Verbesserungen der Quantitatstheorie vorzubringen und in diese einzufuhren. Die allgemeine Methode der Analyse in der Geldtheorie ist aus diesem Grunde fur mehr als ein Jahrhundert im Prinzip die gleiche geblieben, jeder, der eine fundamental andere Geldtheorie aufzubauen versucht hat, ist in den Schwierigkeiten stecken geblieben. 1 K. WICKSELL, ,,Geldzins und Gilterpreise", Jena 1898 (hiernach zitiert „Geldzins"), S. I l l u. 39 ff., und DERS., „Vorlesungen iiber Nationalokonomie auf der Grundlage des Marginalprinzips", Jena 1913—1922, 2. Band, ,,Geld und Kredit" (hiernach zitiert „Vorlesungen" nach 2. Aufl. 1928) S. 160 u. a. St.
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Aber wahrend der letzten Jahrzehnte ist gleichwohl eine andere Art geldtheoretischer Erklarung entstanden. Diese durchdringt auch allmahlich immer mehr die unmittelbar praktischen geldpolitischen Diskussionen iiber Tagesprobleme zwischen Experten, Bankleuten, Journalisten und Politikern. Es ist sehr bezeichnend fur das eigentumliche Verhaltnis von wirtschaftlicher Entwicklung und okonomischer Forschung, da8 diese neue und tiefer schurfende Einstellung zu den geldtheoretisohen Problemen wesentlich von denselben Ereignissen angeregt und vorangetragen worden ist, die auf der anderen Seite den besonders einfaehen und vom aUgemeinwissenschaftlichen Standpunkt aus oberflachlichen Theorien praktische Bedeutung verliehen haben. 5. Die Autoren, die gegenwartig diese neue Art der geldtheoretisohen Problemstellung vertreten, fiihren sie zuriick auf KNTJT WICKSELL. 1 Wer in der alteren okonomischen Literatur einigermafien bewandert ist, weiB jedoch, da8 die geldtheoretische Diskussion in England und anderswo vor etwa 100 Jahren, angeregt durch ahnliche Erfahrungen wie die Diskussion heute in der Nachkriegszeit, schon eine ganze Reihe der Gedanken zutage gefQrdert hat, die WICKSELL spater nur zu einer mehr zusammenhangenden Geldtheorie verarbeitete. 2 Von WICKSELL ausgehend zerfallt die wissenschaftliche Entwicklung in mehrere Linien. Lange blieb es der schwedischen Nationalokonomie allein vorbehalten, Trager dieser neuen geldtheoretisohen Tradition zu sein. Die schwedischen Nationalokonomen sind fast alle unter den EinfluB WICKSELLS gekommen, und in der Ekonomisk Tidskrift ist in den letzten Jahrzehnten eine zuweilen recht lebhafte geldtheoretische Diskussion gefuhrt worden, an der WICKSELL bis zu seinem Tode im Jahre 1926 selbst wesentlichen Anteil nahm. Die meisten schwedischen NationalQkonomen durften sich dariiber einig sein, daB neben WICKSELL sein Kollege an der Universitat Uppsala, DAVID DAVIDSON, dafiir die nicht nur urnfassendsten, sondern auch inhaltsreichsten Beitrage geliefert hat. Auf Grund der Arbeiten WICKSELLS und dieser Diskussion in der Ekonomisk Tidskrift hat nun jungst ein Schuler WICKSELLS in Schweden, E E I K LINDAHL, eine mehr systematische Darstellung gewisser Partien der Geldlehre zu geben versucht in zwei Arbeiten iiber Ziele und Wege der Geldpolitik, 3 die jedoch wie die ganze Diskussion in der Ekonomisk Tidskrift noch immer nur in schwedischer Sprache vorliegen. 1 Siehe die in voriger Anmerkung zitierten Arbeiten, dazu ,,Der Bankzins als Regulator der Warenpreise" in Jahrbtichern fur Nationalokonomie und Statistik, III. Folge, 13. Bd., 1897, und „The Influence of the Rate of Interest on Prices" in Economic Journal, 1907. WICKSELL hat dazu noch eine Reihe von geldtheoretischen Aufsatzen in der Ekonomisk Tidskrift veroffentlicht, die jedoch nur auf Schwedisch vorliegen. 2 WICKSELL hat niemals eine ubermaBige Originalitat fur sich in Anspruch genommen. Er gab sich vielmehr die groBte Muhe, gerade an diese hier andeutungsweise erwahnte altere Diskussion anzukniipfen, vor allem an RICARDOS Theorie iiber den Zusammenhang von Goldmenge, ZinsfuB und Preisniveau (siehe ,,Geldzins", S. IV und passim). DAVID DAVIDSON betonte spater mit erneutem Nachdruck den Zusammenhang der WiCKSELLSchen Theorie mit der klassischen Geldlehre. Als doktrinhistorische Skizze siehe nunmehr auch FRIEDHICH A. HAYEK, ,,Preise und Produktion", Wien 1931, Kap. 1. ' „Penningpolitikens mal", Lund 1929, und „Penningpolitikens medel", Lund 1930; siehe die Besprechung von MACKENROTH im Weltwirtschaftlichen Archiv, ,,Ziele und Wege der Geldpolitik", Weltw. Archiv 1932, I, S. 171*. Beitrage zur Geldtheorie. 24
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6. Danach waren es vor allem gewisse Theoretiker der osterreichischen Schule, besonders M I S E S 1 und H A Y E K , 2 die zuerst die Bedeutung von WICKSELLS genialer Idee einsahen. DaB es gerade die Osterreicher waren, die den AnschluB an WICKSELL fanden, ist nieht verwunderlich: WICKSELL selbst war ein Schiller BOHM-BAWERKS und pflegte seine Gedanken in solche Formen und Konstruktionen zu kleiden, die sich direkt an die osterreichischen Denkgewohnheiten anschlossen. Nachdem so einmal die Osterreicher das Eis gebrochen hatten, drangen die WlCKSELLschen Ideen in viele deutsche geld- und konjunkturtheoretische Arbeiten ein. Die altere deutschsprachliche Literatur ist nahezu chemisch frei von derartigen Gedankengangen. WICKSELLS altere deutsche Publikationen waren auch in Deutschland fast unbemerkt geblieben. Ein bezeichnendes Beispiel ist HELFFERICHS groBes Werk „Das Geld", eine Arbeit, der WICKSELL selbst seinerzeit einen gewissen Wert beimaB, obwohl er ihren Mangel an wirklich zentralen theoretischen Fragestellungen hervorhob. Mit einer verstandlichen Wehmut bemerkte WICKSELL in seiner ausgezeichneten Besprechung des Buches in der Ekonomisk Tidskrift, daB HELFFERICH auf seiner 58 Seiten starken Bibliographie iiber die Geldliteratur WICKSELLS „Geldzins und Giiterpreise" ganz ubersehen hatte, wahrend er mit deutscher Griindlichkeit alle mogliche und unmogliche Makulatur registriert hatte. 7. Die englische Schule von Theoretikern hat sich nur sehr langsam zu der Fragestellung WICKSELLS durchgerungen. Nicht nur MARSHALL, sondern auch PIGOTJ und HAWTRE Y scheinen mit WICKSELLS Arbeiten nicht wirklich vertraut zu sein. D. H. ROBERTSONS kleine bedeutsame Arbeit „Banking Policy and the Price Level" 3 enthalt zwar viele der neuen Gedanken, aber auch er hat off enbar keine griindliche Kenntnis von dem Inhalt der geldtheoretischen Arbeiten WICKSELLS und derjenigen seiner Schiiler und ist daher unnotigerweise gezwungen gewesen, fiir sich selbst zu denken. J. M. K E Y N E S ' neue brillante, wenn auch nicht immer theoretisch klare Arbeit „A Treatise on Money" 4 ist vollkommen durchdrungen von WiCKSELLschem EinfluB, obwohl auch K E Y N E S ' Arbeit unter dieser sympathischen angelsachsischen Art unfreiwilliger Originahtat einigermaBen leidet, die ihren Grund in gewissen systematischen Liicken in der Kenntnis der deutschen Sprache bei der Mehrzahl der englischen Nationalokonomen hat. I n Amerika wieder findet man Spuren der modernen Ideen eher in allerlei popularen Schriften vom Typ der Serienbriefe von POSTER und CATCHINGS an die Presse und im Bussinessjargon als in Publikationen mit mehr wissenschaftlichen Intentionen. Ich denke dabei in erster Linie an die zum Teil recht vulgaren Doktrinen von Uberproduktion und Unterkonsumtion, ,,lack of purchasing power" u. a. Wenn auch die Doktrinen 1 „Theorie des Geldes und der Umlaulsmittel", Miinchen 1912, 2. Aufl. Munchen 1924, und ,,Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik", Jena 1928. 2 „Geldtheorie und Konjunkturtheorie", Wien 1929, und „Preise und Produktion", Wien 1931. 3 London 1926. 4 London 1930.
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in der Gestalt, die sie dabei gewohnlich bekommen, den ,,searching criticism" eines guten Graduate von Chicago oder Harvard kaum aushalten diirften, so haben sie doch gleichwohl einen Hauch jenes modernen theoretischen Realismus, der, von WICKSELL ausgehend, langsam seinen Weg in die Geldtheorie zu finden beginnt und die alte oberflachliche Quantitatstheorie verdrangen wird. Zweites Kapitel.
Wicksells geldtheoretische Problemstellung.
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8. Ich werde nun zunaehst als Grundlage meiner spateren Ausfuhrungen eine kurze Skizze des allgemeinen theoretischen Hintergrundes fiir diese neuen, von WICKSELL ausgehenden Ansatze in der Geldlehre zu geben versuchen. Es ist eine Eigentiimlichkeit aller systematischen Darstellungen der orthodoxen okonomischen Theorie, daB in ihnen die Geldtheorie mit der zentralen Preisbildungstheorie nicht innerlich verbunden und integriert ist. Die Geldlehre ist meist nur ein ziemlich loses Anhangsel an die Preisbildungstheorie. Die zentralen okonomischen Probleme — nach der klassischen Theorie die der Produktion, des Tausches und der Verteilung — werden durchweg als solche der Tauschwerte bzw. relativen Preise behandelt. Wenn man die zentralen okonomischen Probleme in dieser Weise auffaBt, so abstrahiert man damit bei ihrer grundlegenden Behandlung selbstverstandlich vollkommen von jeder Geldproblematik. Doktrinhistorisch gesehen beruht naturlich diese scharfe Spaltung des theoretischen Systems in zwei getrennte Abteilungen darauf, daB die Theoretiker immer auf der Suche nach dem ,,Werte" der Guter waren, ,,Wert" hier zu verstehen in einem ,,tieferen" Sinne als lediglich Tauschwert. Mindestens von der Zeit an, als die Produktionsfcosiewwertlehre der klassischen Theorie durch die Grenzmtfcewwertlehre der neuklassischen Theorie ersetzt worden war, erkannte man dem Gelde jeden selbstandigen ,,Wert" in dem erwahnten ,,tieferen" Sinne ab. Der „Wert" des Geldes war nur mittelbar und abgeleitet aus seiner Kaufkraft gegemiber Giitern und Diensten. Der ,,Wert" — in jenem „tieferen" Sinne — der Guter und Dienste muBte daher als unabhdngig von ihrem zufalligen absoluten Preis in Geldeinheiten sein. Dieser „Wert" muBte daher auch fiir wissenschaftliche Untersuchungen zuganglich sein, die vom Geldphanomen abstrahierten. Er mufite geradezu in dieser Isolierung vom Gelde und Geldpreise studiert werden: ,,das Geld", so heiBt es immer, ,,ist nur ein Schleier", dieser „Schleier" muB geluftet werden, damit er nicht die tiefer gelegenen Beziehungen verbirgt. Selbst Theoretiker wie WALBAS und einige seiner Schiiler: CASSEL, PABETO und F I S H E B , bei denen die hedonistisch-metaphysischen Grundlagen ihres theoretischen Denkens nicht so klar hervortreten, haben sich doch angelegen sein lassen, diese Trennungslinie klar und scharf zu ziehen 24*
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zwischen der eigentlichen Preisbildungstheorie auf der einen Seite und der Geldtheorie auf der anderen. Die eigentliche Preistheorie haben auch diese Theoretiker dann auf einem Studium der relativen Tauschwerte aufgebaut, wobei die Geldproblematik auBer Betracht gelassen oder besser gesagt aufgescboben wurde als eine Komplikation, die erst spater gesondert zur Bebandlung kommen sollte. 9. Das ist also die doktrinhistorische Erklarung fur die Methode, die zentrale Preisbildungslehre von der Geldlehre zu sondern. Betrachten wir nun die Gleichgewichtstheorie fiir die relativen Preise als einen Versucb, eine Erklarung der okonomischen Wirklichkeit zu geben, so ist diese Theorie offenbar unvollstandig, was aucb. alle Gleichgewichtstheoretiker eingeseben haben. Es fehlt eine Gleichung, die namlich, durch die der m u l t i p l i k a t i v e F a k t o r bestimmt wird, mit Hilfe dessen die relativen Preise der Gleichgewichtstheorie zu absoluten Geldpreisen umgerechnet werden konnen. Die Aufgabe der Geldtheorie ist dann, diese fehlende Gleichung zu liefern. Die herkommliche Geldlehre, die dergestalt an die zentrale Preisbildungstheorie angehangt wird, ist, wie schon angedeutet, die Quantitatstheorie. Diese Theorie, die ja ubrigens sehr viel alter ist als die eigentliche Gleichgewichtstheorie fiir die relativen Preise, soil ein gewisses quantitatives Verhaltnis von Geldmenge — oder allgemeiner: Zahlungsmittelmenge — auf der einen Seite und dem ,,aUgemeinen Preisniveau" demonstrieren. Die Quantitatstheorie muB jedoch weiter beweisen, daB ein gewisser kausaler Zusammenhang zwischen beiden besteht, dergestalt namlich, daB ceteris paribus das Preisniveau durch die Zahlungsmittelmenge bestimmt wird. Denn sonst liefert die Quantitatstheorie nicht das fehlende Glied in der Preistheorie. Der multiplikative Faktor (in der Quantitatstheorie: das,,Preisniveau") muB als eine Funktion der Zahlungsmittelmenge angegeben werden konnen, die wieder ihrerseits anders bestimmt werden muB als lediglich durch Inbeziehungsetzung zum „Preisniveau". Die Kausalkette muB von der Zahlungsmittelmenge zum Preisniveau gehen. Bevor wir weitergehen, mochte ich noch einiges hervorheben. Eine engere Zusammenordnung dieser Geldlehre mit der allgemeinen Preislehre — die natiirlich voraussetzen wurde, daB das Geld mit den anderen Gutern gleichgestellt und in das Preisbildungssystem eingeordnet wurde — ist so lange iiberhaupt nicht moglich, wie sich die Geldlehre an die Geldmenge halt. Die beiden Theorien fuBen dann namlich auf vollkommen verschiedenartigen Erklarungsprinzipien. Das Geld kann nicht behandelt werden als eines der Guter im Preisbildungssystem, deren Tauschbeziehungen in den Begriffen von Angebot und Nachfrage analysiert werden. Diese verlieren namlich ihre theoretische Bestimmtheit, wenn sie auf das Geld angewendet werden. Denn das Geld wird, wie schon immer hervorgehoben, nicht aus dem Zahlungs- und Tauschverkehr herausgenommen wie andere Guter, die fiir eine bestimmte produktive oder konsumtive Verwendung gekauft und verkauft werden. Das Geld bleibt innerhalb des Zahlungsmechanismus, wahrend Giiter und Dienste
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diesen nur passieren. Diese Antithese tritt sehr schon in der Grenznutzentheorie zutage: der „subjektive Nutzen" des Geldes ist nur von seiner Kaufkraft gegeniiber anderen Waren abgeleitet, sein ,,subjektiver Wert" wird mit anderen Worten direkt von seinem Tauschwert bestimmt, wahrend es bei alien anderen Giitern genau umgekehrt liegt. 1 10. Wenn nun eine wirkliche Integration der Quantitatstheorie mit der zentralen Preislehre auch nicht moglich ist, gibt es nicht wenigstens eine einfache Koordination beider ? Auch eine solche hat ihre groBen Schwierigkeiten. Diese treten sofort zutage, wenn man die Quantitatstheorie iiber einen lediglich formellen Truismus hinausentwickeln will. Ein solcher Ausbau ist nun in der Tat der Quantitatstheorie aufgezwungen worden, ganz einfach wegen der auBerordentlichen und offenbaren Bedeutung der Erscheinungen, von denen sie handelt. Die Geldtheorie ist immer in sehr viel hoherem Grade dazu gezwungen, in engeren Kontakt mit aktuellen Problemen zu treten, als die allgemeine Gleichgewichtstheorie der relativen Preise, die auf ihrer steilen Hohe von Abstraktionen besser dagegen geschiitzt war. Ich kann mich hier bei diesem Streit um die Quantitatstheorie, der mehr als ein Jahrhundert andauerte, nicht aufhalten. 2 Das Ergebnis ist eine ununterbrochene Komplizierung und Relativierung der einfachen und bestimmten Formeln gewesen. Jedermann weiB heute, daB, selbst wenn man den Kredit in die Zahlungsmittelmenge einschlieBt, keinesfalls eine einfache Beziehung zwischen der Zahlungsmittelmenge und dem „Preisniveau" besteht, da die XJmlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel —• und iibrigens auch die der Giiter — wahrend eines dynamischen Prozesses nicht als konstant angenommen werden kann. Jedermann weiB weiter, daB der Ausdruck „Preisniveau" in der Gleichung der Quantitatstheorie ein recht merkwiirdiges Etwas ist, da „Preise" von „purely pecuniary rights", wie HAWTREY sagt, darin einbegriffen sind, und auBerdem aus vielen anderen Griinden, z. B. wegen der Unmoglichkeit des ,,totalen Umsatzes" als Wagungsprinzip fiir einen Preisindex. Der Ausdruck ,,Preisniveau" kann also in der Quantitatstheorie nicht so definiert werden, daB er wirklich den multiplikativen Faktor erbringt, den die Theorie der relativen Preise erfordert, um bestimmt zu sein. Nun ist es allerdings durchaus moglich, dem Begriff ,,Preisniveau" eine andere Bedeutung beizulegen, die ihn fiir die Preisbildungsanalyse brauchbarer macht. Bekanntlich haben sich darin besonders englische Theoretiker der Cambridge-Schule versucht. Aber in einer Quantitatsgleichung, in der man das ,,Preisniveau" in dieser Richtung modifiziert, wird dafiir der Ausdruck Zahlungsmittelmenge um so weniger greifbar. Die Versuche in dieser Richtung beweisen nur, wenn man nicht schon vorher davon iiberzeugt war, daB jede Bestimmtheit in der Beziehung zur Zahlungsmittelmenge verschwindet, wenn man mit dem Buchstaben P 1
Siehe WICKSEIX, „Den dunkla punkten i penningteorien", Ekonomisk Tidskrift, S. 487, „Vorlesungen" o S. 28, „Geldzins" S. 17, 21, 27. LINDAHL, ,,Om forhallandet mellan penningmangd och prisniva", Juridiska Fakultetens i Uppsala minnesskrift 1929, 9. 1903,
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in der Quantitatsgleichung wirklich eine bestimmte und handgreiflichere Art von Preisniveau meint. Die recht komplizierte quantitative Beziehung, die doch zwischen der Zahlungsmittelmenge und dem ,,Preisniveau" besteht, ist nun, wie schlieBlich ebenfalls heute allgemein anerkannt ist, durchaus nicht von der Art, daB man sagen kann, die Zahlungsmittelmenge bestimme das Preisniveau und nicht umgekehrt. Die Bankleute, die ja mit der GroBe ,,Zahlungsmittelmenge" in engstem Kontakt stehen, haben ja vielmehr stets geltend gemaoht, daB die Kausalkette in umgekehrter Pvichtung geht, daB die Zahlungsmittelmenge nur den Bedarf des Wirtschaftslebens an Tauschmitteln gehorsam reflektiert, wobei man vom Zahlungsmittelbedarf seinerseits sagen kann, daB er ja von der Hohe des Preisniveaus und seinen Veranderungstendenzen abhangt. Oft haben die Bankleute sich mit diesem Hinweis nur von der Verantwortung fur den wirklichen Verlauf der Ereignisse lossagen wollen, und sie haben diese Behauptung zuweilen als Bestandteil eines logisch falschen Arguments verwendet. Aber in gewissem AusmaB haben sie gleichwohl recht gehabt, wenn sie die einsgerichtete kausale Beziehung von der Zahlungsmittelmenge zum „Preisniveau" geleugnet haben. Die Veranderungen des ,,Preisniveaus" und der Zahlungsmittelmenge sind namlich beide gleichzeitig abhangig von Faktoren, die auBerhalb des eigentlichen Zahlungsmechanismus liegen, an den sich die Quantitatstheorie halt, wenn sie einen Zusammenhang von ,,Preisniveau" und Zahlungsmittelmenge behauptet. Und da nun, wie schon ausgefuhrt, die Menge der Zahlungsmittel und ihr ,,Tauschwert"(= reziproker Wert des „Preisniveaus") sich nicht ohneweiters in die Gleichgewichtstheorie der relativen Preise einfugen lassen, ist man auf der Basis der Quantitatstheorie niemals zu einer befriedigenden Analyse dieser tiefer liegenden Ursachenfaktoren vorgedrungen. Die Quantitatstheorie ist daher immer eine auBerliche und unbestimmte Geldlehre geblieben. 11. All dieses und vieles mehr sind schon lange Gemeinplatze, die von gewissenhaften Quantitatstheoretikern im allgemeinen zugegeben werden. Mangels einer befriedigenden theoretischen Konstruktion hat man sich gleichwohl der quantitatstheoretischen Pormel bedient, um damit praktische Probleme in Angriff zu nehmen, deren Lbsung nicht warten konnte, bis man zu vollkommeneren Fragestellungen vorgedrungen war. Und darin hat man natiirlich durchaus recht getan. Man kann sogar sagen, daB die oberflachliche Problemstellung der Quantitatstheorie, die ja gerade in dieser Isolierung der Geldprobleme von den zentralen Preisbildungsproblemen liegt, fiir die Geldlehre in mancher Hinsicht von Vorteil gewesen ist. Die Geldlehre ist dadurch wenigstens verschont geblieben von dem abstrusen logizistischen Wirrwarr von objektivem und subjektivem, individuellemund sozialem, marginalem und totalemNutzenund Wert, der letztlich der Verderb der zentralen Preisbildungstheorie gewesen ist. Die Geldlehre ist in dieser Beziehung immer niichterner gewesen, was ja eine gute Folge ihrer Oberflachlichkeit ist. Aber vom Standpunkt der zentralen Preisbildungstheorie erfullte,
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wie gesagt, die Quantitatstheorie nicht die Forderung, die man an sie stellte. Sie lieferte dieser Theorie nicht den multiplikativen Faktor, den sie brauchte, um relative Preise zu absoluten Preisen in Geldeinheiten zu machen. Die Preislehre blieb daher mit logischer Notwendigkeit auBerst abstrakt und wirklichkeitsfremd. Die Preise, wie sie in der Preistheorie erklart werden, beziehen sich nur auf einen einzigen Augenblick. Es scheint daher unmoglich, Zeitkontrakte in Geldeinheiten, also z. B. Kreditkontrakte, in die zentrale Preisbildungstheorie in befriedigender Weise einzubauen. Diese Unmoglichkeit, den Kredit in die Preisbildungstheorie hineinzuarbeiten, ist natiirlich um so bedauerlicher, als der Kredit die Hauptmasse aller Zahlungsmittel ausmacht (oder ihre Umlaufsgeschwindigkeit bestimmt, wenn man nur Miinzen und Noten als Zahlungsmittel rechnet). Das Problem des Kredites hat man daher aus der Preisbildungstheorie herausnehmen und vollkommen der Geldlehre iiberlassen miissen. Aber auch in der Geldlehre (Quantitatstheorie) war kein Raum fur eine befriedigende Behandlung des Kredites: der Kredit ist doch ein kausaler Faktor nicht nur fur das ^Freisniveau", sondern auch fur die relativen Preise, die ja von der Rentabilitat der Unternehmungstatigkeit und damit von Angebot- und Nachfragepreis fur Kredit mitbestimmt werden. Das Problem des Kredits erf ordert also notwendigerweise eine mit der zentralen okonomischen Theorie wirklich integrierte Geldtheorie, und eine solche war die Quantitatstheorie nicht. Infolgedessen hat der Kredit in der uberkommenen okonomischen Theorie allenthalben eine ganz untergeordnete Rolle zugeteilt erhalten und eine theoretisch inkonsequente Behandlung erfahren. Das Beispiel vom Kredit ist nur herausgegriffen worden als typisch fur die verhangnisvollen Wirkungen einer Trennung von Geldtheorie und zentraler Preisbildungstheorie. 12. Nun sind natiirlich okonomische Theoretiker nicht nur logische Automaten, und sie haben daher ihre zentrale Gleichgewichtstheorie der relativen Preise auch fiir die Behandlung aktueller Probleme verwendet, wo es sich eigentlich um absolute Geldpreise handelte. Oft haben dabei die zuvor erwahnten Schwierigkeiten die Ergebnisse ihrer Analyse nicht verdorben, namlich da nicht, wo die Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Preisen unwesentlich war. Aber noch 6fter ist es schief gegangen, besonders dann, wenn das Zeitelement und die Konjunkturerscheinungen in das Problem hereinspielten. Ich mochte hier nur ein Beispiel anfuhren. I n der Gleichgewichtstheorie der relativen Preise ist, wie bekannt, der Satz enthalten, daB das Angebot eines jeden Gutes selbst Nachfrage nach alien anderen Giitern darstellt. Allgemeine tJberproduktion ist also ex hypothesi ausgeschlossen. Dieser Satz, von den altesten Klassikern her ubernommen und selbst nur ein Teil der zuvor behandelten Isolierungspramisse, hat die okonomischen Theoretiker natiirlich oft Schwierigkeiten iibersehen lassen, die manche praktischen Probleme mit sich bringen. Wenn sie dann diesen theoretischen Schwierigkeiten wirklich grundlich nachgingen und zu
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sorgfaltigen Konjunkturstudien kamen, so hatten sie danach gewohnlich keinen JSTutzen mehr von ihrer sorgfaltig ausgearbeiteten Gleichgewichtstheorie der relativen Preise. Die mehr empiristisch eingestellten Okonomen haben daher immer triumphierend feststellen konnen, daB die Theoretiker mit ihrer Theorie gar nichts anfangen konnten, sobald es sich urn die Behandlung aktueller Probleme und besonders der Konjunkturprobleme handelte. Andere haben sich diesen Problemen nun von der Quantitatstheorie her genahert. Ihre Resultate waren aus einem andern Grunde dem Vorwurf der Oberflachlichkeit und des Doktrinarismus ausgesetzt. Die Quantitatstheorie legt eine Uberbetonung der Bewegungen des allgemeinen „Preisniveaus" nahe, was insofern Kritik hervorruft, als ja jeder Geschaftsmann weiB, daB es so etwas wie ein homogenes Preisniveau nicht gibt. Er kennt ja die Bedeutung der Veranderungen der Preisrelationen innerhalb des „Preisniveaus". Die Behandlung des Konjunkturproblems von der Quantitatstheorie her fuhrt weiter gewohnlich zu einer Unterschatzung der Bedeutung von Veranderungen der Produktionsrichtung, der Konsumtion und des Sparens oder legt wenigstens eine Art von Analyse nahe, bei der die letztgenannten Veranderungen so behandelt werden, als waren sie hervorgerufen von einer primaren Veranderung des Preisniveaus. Auch das ist recht nachteilig, da ja diese Veranderungen offenbar vielfach den Veranderungen in Preisen und „Preisniveau" zeitlich vorhergehen, weshalb diese schwerlich als die Ursachen jener angesprochen werden konnen. Die Quantitatstheoretiker scheinen weiter regelmaBig der Versuchung ausgesetzt zu sein, eine zu einfache und direkte Beziehung vorauszusetzen zwisehen Kredit und der Kreditpolitik, vor allem dem Diskontsatz auf der einen Seite und dem Preisniveau und den Konjunkturbewegungen auf der anderen Seite. Alles in allem: mangels einer rationellen Koordination von Preisbildungstheorie und Geldtheorie sind die Theoretiker zu einer gefahrlichen Oberflachlichkeit in der Behandlung des Konjunkturproblems gezwungen. Es ist gleichgiiltig, ob sie den Ausgangspunkt von der Preisbildungstheorie oder von der Geldtheorie nehmen oder ob sie, wie heute noch ublicher, die okonomische Theorie dieser Schwierigkeiten wegen iiberhaupt dahingestellt sein lassen und von einem dritten Standpunkt aus herangehen: gewohnlich einige recht allgemeine Generalisationen aus beobachteten Fakten, zurechtgelegt als eine Art „Konjunkturtheorie", gleichgestellt mit Preistheorie und Geldtheorie. Wenn nun alle drei Moglichkeiten sich immer offensichtlicher als unbefriedigend erweisen, kommt man so zu einem vierten Ausweg, der darin besteht, daB man die statistische Beobachtung einrichtet nach einem mehr oder weniger vollstandigen Aggregat von allerlei Hypothesen, die theoretisch unkoordiniert sind und von denen man offen zugibt, daB sie unbefriedigend sind. Diese vierte besonders merkwurdige Art der Fragestellung ist bekanntlich jiingst von W. C. MITCHELL durchgearbeitet worden, 1 hat aber sehr viel altere Vorbilder. Auch diese Methode ist jedoch recht oberflachlich, wenn auch 1
Siehe besonders ..Business Cycles. The Problem and its Setting", New York 1927.
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in einem anderen Sinn. Sie ist oberflachlich wie jede eklektische Addition mangels logischer Analyse, welch letztere allein eine wirkliche Korrelation der sonst offenbar widerspruchsvollen oder jedenfalls unzusammenhangenden theoretischen Elemente ermoglicht. 13. Als WICKSELL um die Mitte der neunziger Jahre die geldtheoretische Untersuchung begann, deren Ergebnisse er im Jahre 1898 in seiner Arbeit ,,Geldzins und Giiterpreise" vorlegte, stieB er auf ungefahr dieselben Schwierigkeiten und Uberlegungen, die wir hier in auBerster Kiirze anzudeuten versuchten. Bei der Inangriffnahme der Untersuchung war er in erster Linie interessiert an dem Streit um den Bimetallismus, der schon lange im Gange war. Da aber die allgemeine Preisentwicklung gerade damals umschlug, verlor dieser direkt praktische Gesichtspunkt an Interesse, und WICKSELL arbeitete sich dafiir immer tiefer in die zentralen theoretischen Fragestellungen hinein. Er geriet dabei sofort in Konflikt mit der iiberkommenen Quantitatstheorie. WICKSELL war in aktuell politischen Fragen sehr radikal, in wissenschaftlichen Fragen aber um so konservativer. 1 — Seine ganze Lebensanschauung stimmte ideal uberein mit dem Utilitarismus der alten englischen Klassiker. Seine erste okonomische Schulung hatte er aus J. S. MILLS ,,Principles" bekommen, die sich eng an die klassische Tradition hielten. — Der alten Quantitatstheorie hat WICKSELL daher immer seine gehorigen Reverenzen erwiesen. Seine eigene Theorie betrachtete er als ein Bindeglied, das die Quantitatstheorie mit der zentralen Preisbildungstheorie zusammenkoppeln sollte.2 In den einleitenden Bemerkungen zum funften Kapitel werde ich Gelegenheit nehmen, auf die Frage einzugehen, inwiefern und in welchem Sinne dies zutrifft. Es ist nicht leicht, in wenigen Worten eine wirklich adequate Darstellung der Grundideen der WiCKSELLschen Problemstellung zu geben. I n „Geldzins und Giiterpreise" wird seine Darstellung standig unterbrochen durch eingestreute kritische Partien iiber altere Geldtheorien. Seine eigene Theorie wird eigentlich nur ausgefiihrt in einer Darlegung, die er unter sehr abstrakten und kunstlichen Voraussetzungen vortragt und die nicht einmal von direkten Denkfehlern frei ist. In seinen ,,Vorlesungen" ist seine Darstellung direkter und realistischer, aber recht kurz und nicht so in die Tiefe gehend wie in der alteren Arbeit. Im folgenden iibergehe ich diese Mangel WICKSELLS beziiglich seiner Darstellung und theoretischen Exaktheit, um sein eigentliches Hauptargument um so besser in den Griff zu bekommen. Ich mochte dabei ausgehen von ein paar AuBerungen WICKSELLS, die er zwar mehr nebenbei tat, die mir aber doch den eigentlichen Kern seiner Theorie zu enthullen scheinen. Um den Gedankengang klarer und vollstandiger herauszuarbeiten, fiige ich ein paar SchluBfolgerungen ein, die eigentlich erst von LINDAHL in seinen schon oben erwahnten Arbeiten gezogen worden sind. 1 Vgl. hiezu eine Arbeit von EMIL SOMMARIN, dem Nachfolger WICKSELLS aul dem Lehrstuhl filr NationaloUonomie an der Universitat Lund: „Das Lebenswerk von K N U T WICKSELL", Zeitsehrift fur Nationalokonomie, II. Bd., 2. H., 1930. 8 „Vorlesungen" S. V.
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argumentiert ungefahr wie folgt :x Die allgemeine Problemstellung der Analyse der Preisbildung eines bestimmten einzelnen Gutes in der zentralen Preislehre ist ja die, daB wir den Ursachenkomplex in zwei Kategorien teilen: Angebot und Nachfrage. Wenn der Preis eines Gutes steigt, so sagen wir, daB es darauf beruht, daB die Nachfrage steigt oder das Angebot sinkt, wobei Gleichgewicht nur zu einem hoheren Preise erreicht wird. Danach forschen wir nach den Ursachen fur die erhohte Nachfrage oder das verminderte Angebot. Wenn nun alle Preise (das „Preisniveau") steigen, so muB sich diese Erscheinung in gleicher Weise erklaren lassen: es muB sich sagen lassen, daB die Nachfrage nach alien Giitern steigt, bzw. das Angebot aller Giiter sinkt. WICKSELL war sich wohl bewuBt, wie ketzerisch eine solche Problemstellung vom Standpunkte der iiberkommenen Gleichgewichtstheorie der relativen Preise war: nach dieser war ja das Angebot eines Gutes gleich zeitig Nachfrage nach alien anderen Giitern, ein verandertes Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage aller Giiter war undenkbar, ja war gerade der Gedanke in den Theorien der Uberproduktion und Unterkonsumtion, den zu widerlegen die Okonomen der klassischen Schule seit jeher als ihre besondere Pflicht angesehen hatten. WICKSELL machte auch gleich den nicht ganz klaren Vorbehalt, daB die Klassiker naturlieh „in letzter Hand" recht hatten. Aber gleichwohl konnten „in erster H a n d " Angebot und Nachfrage fur die „Zusammenfassung aller Waren" ihr gegenseitiges Verhaltnis andern. Und WICKSELL iiberspitzte sogar seine Behauptung zu der Formulierung: „Jede Geldwerttheorie, die diesen Namen verdienen soil, muB daher imstande sein, nachzuweisen, wie und aus welchem Grunde die monetare oder pekuniare Nachfrage nach Waren unter gegebenen Umstanden das Warenangebot iibersteigen oder, umgekehrt, darunter bleiben wird", was die Anhanger der Quantitatstheorie nach WICKSELL nicht genug beachtet hatten. 2 14. Was ist nun der genaue Inhaltdes Begriffs ,,Nachfrage und Angebot der Gesamtheit aller Waren" ? WICKSELL h a t nicht immer ausgesprochen, daB er damit nur Konsumguter meinte, aber LINDAHL hat hier wie in anderer Beziehung WICKSELLS Gedankengang zu groBerer Konsequenz vervollstandigt. Die Nachfrage nach samtlichen Konsumgiitern ist dann offenbar der Teil des totalen Nationaleinkommens, gerechnet in Geld, der nicht gespart wird. Das Angebot samtlicher Konsumguter wird dann naturlieh gleich dem totalen Sozialprodukt minus oder plus Veranderungen in der Lagerhaltung und minus Investierungen in dauerhaftem Realkapital. WICKSELL konnte so die Gleichung andeuten, die LINDAHL spater entwickelt und kommentiert h a t : Derjenige Teil des gesamten Nationaleinkommens, der nicht gespart wird, ist stets gleich der Menge umgesetzter Konsumguter, multipliziert mit ihrem Preisniveau.3 Unter stationaren Bedingungen, wo Sparen durch Voraussetzung
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„Vorlesungen" S. 180f., 291f. ,,Vorlesungen" S. 181. Siehe LINDAHL, „Penningpolitikens medel", S. 12 fl.
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ausgeschlossen ist, ist diese Gleichung, wie LESTDAHL hervorhebt, nur ein kondensierter Ausdruck des Systems von Preisbildungsgleichungen, welches aussagt, daB das Gesamteinkommen das gesamte Sozialprodukt kauft. Darin liegt schon beschlossen, daB die Problemstellung, die von dieser Gleichung dargestellt wird, eine Verflechtung von Geldlehre und Preisbildungstheorie moglich macht, die intimer ist als die der Quantitatsgleichung. Auch der Ausdruck „Preisniveau" hat eine klarere Bedeutung bekommen. Wenn man nun die Gleichung auf eine bestimmte Lage eines dynamischen Ablaufs anwenden will, muB man natiirlich, wie schon angedeutet, das Einkommen zerlegen in Sparen und honsumtive Nachfrage und ebenso das Produktionsergebnis in Investierungen in Realkapital und Produktion von Konsumgiitern. I n der Kombination dieser vier Ausdrucke liegt die neue geldtheoretische Fragestellung WICKSBLLS. 15. Die nachste Frage ist nun die: wie soil man weiter verfahren, um ein hypothetisches Prinzip fur die Erklarung eines veranderten Gleichgewichtsverhaltnisses von Angebot und Nachfrage aller Konsumgiiter zu erhalten, oder noch praziser: fur das veranderte Verhaltnis zwischen Sparen und Konsumtion, Investierung und Produktion von Konsumgiitern. Die Ausfiihrungen des vorhergehenden Paragraphen enthalten Gedankengange, die teilweise nur implicite bei WICKSELL ZU finden sind, die Antwort auf diese zweite Frage findet sich bei ihm aber um so ausdriicklicher. WICKSBLL verweist hier auf den Geldzins als zentrales Erklarungsprinzip. Der Geldzins muB offenbar von zentraler Bedeutung in diesem Problem sein, da er in gewisser Weise die Tauschrelation zwischen Waren im allgemeinen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten bezeichnet. Der Geldzins als Preis unterscheidet sich von alien andern Preisen darin, daB er nicht nur in der abstrakten Preislehre, sondern auch im wirklichen Leben nicht anders ausgedriickt werden kann denn als eine Vvei&relation. Es kann ihm nicht die Form eines absoluten Geldpreises gegeben werden, da die Objekte, die damit gekauft und verkauft werden, schon auf einen Geldausdruck gebracht sind. Auf dem Kreditmarkt ist der Geldzins ja gleich den Kosten fiir die Einheit Kapitaldisposition wahrend einer Einheitsperiode. In der zentralen Preistheorie — WICKSBLL war ein Schiiler BOHMBAWBKKS — entspricht der so definierte Geldzins der physischen Grenzproduktivitat der Produktionsumwege (,,naturlicher" oder „realer" Zins). Was geschieht nun, fragte sich WICKSELL, wenn dieser Preis, diese Preisrelation zwischen den kiinftigen und gegenwartigen Konsumgiitern auf dem Geld- und Kreditmarkte so festgelegt wird, daB der Geldzins nicht ubereinstimmt mit dem ,,naturlichen" oder „realen" Zins in der zentralen Preisbildungstheorie 1 Bei einem Studium dieser Frage kam WICKSELL ZU einer Losung des zuvor formulierten Problems der Ursachenfaktoren, die den Erscheinungen Sparen und Konsumtion, Investierung und Konsumguterproduktion zugrunde liegen. Er hatte so, um einen ghickliehen Ausdruck LINDAHLS
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zu gebrauchen, das Schwergewicht der Geldlehre von dem oberflachlichen Niveau des Zahlungsmeehanismus, auf dem sich die alte Quantitatstheorie hielt, in die eigentliche zentrale Preisbildungslehre verlegt. 16. I m nachsten Kapitel werde ich nun zu der Frage iibergehen, was eigentlich eine Ubereinstimmung von „naturlichem Zins" und Geldzins bedeutet und in welchem Sinne eine solche Ubereinstimmung wirklioh geldtheoretisches Gleichgewicht bewirkt. Zuvor mochte ich nur noch eine kurze Schilderung des theoretischen Schemas geben fur den kumulativen Prozefi, der nach WICKSELL ablauft, wenn eine solche Ubereinstimmung nicht besteht. Ich referiere dabei wieder nicht nur WICKSELL, sondern WICKSELL ergiinzt mit den Ergebnissen der folgenden Diskussion in Schweden, und verweise dafur vor allem auf LINDAHLS Arbeit ,,Penningpolitikens medel", deren groBtes Verdienst in der Tat eine eingehende und klare Analyse des WiCKSELLschen kumulativen Prozesses ist. Wir nehmen also eine Ausgangssituation an, in der vollkommene Ubereinstimmung zwischen Geldzins und „natiirlichem Zins" besteht. Die Faktoren auf der Geldseite sind dann nach WICKSELL „neutral" gegemiber den Preisen. Wir nehmen ferner an, daB danach eine Zinsdifferenz entsteht, sei es auf Grund einer Senkung des Geldzinses oder, was nach WICKSELL wahrscheinlicher ist, auf Grund einer Steigerung des ,,naturlichen Zinses" selbst. Die unmittelbare Folge dessen sind erhdhte Kapitalwerte fur die vorhandenen Realkapitalien. Die Kapitalwerte sind ja gleich der diskontierten Summe zukunftiger Bruttoertrage minus Bruttobetriebskosten, eine Verbilligung des Kredits senkt nicht die Preiserwartungen der Unternehmer, sondern steigert sie eher. Letzteres ist jedoch nicht notig fur den SchluB, dieser grundet sich vielmehr darauf, daB eine verhaltnismaBige Senkung des Geldzinses eine Minderung des Diskonts bedeutet, der zu berechnen ist, wenn man die zukiinftigen, aus den Realkapitalien zu erwartenden Ertrage zu Kapitalwerten zusammenaddiert. (Wenn die Unternehmer eine Preissteigerung zu antizipieren beginnen, was fruher oder spater geschehen muB, wenn der Geldzins nicht heraufgesetzt wird, so bekommt der ganze ProzeB, worauf WICKSELL hingewiesen und was LINDAHL ausgefuhrt hat, Wind in die Segel und lauft immer schneller ab.) J e groBer die am Ausgangsmoment noch verbleibende Dauerhaftigkeit der Realkapitalien ist, um so mehr steigen die Kapitalwerte, die ja dann Einkiinfte in einer um so ferneren Zukunft reprasentieren, diskontiert nach dem nun niedrigeren Geldzins. Diese Steigerung der Kapitalwerte ist nun nur ein Ausdruck fur die groBeren Gewinnchancen bei langeren Produktionsumwegen, die unmittelbar aus dem relativ zu niedrigen Geldzins folgen. Diese besonderen Gewinnchancen sind um so groBer, je langer der Produktionsumweg ist. Die Unternehmer werden diese Gewinnchancen in der Weise wahrnehmen, daB sie in gewissem AusmaB die Produktion umstellen von direkter Konsumgiiterproduktion auf Realkapitalproduktion, die sich ja nun mehr lohnt. Sie werden weiter in jeder Art von Produktion kapitalistischere Methoden zur Durchfuhrung bringen. Dadurch werden die Pro-
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duktionsfaktoren in gewissem AusmaB der Konsumguterproduktion entzogen und in der Realkapitalproduktion eingesetzt, soweit namlich nicht in der Ausgangslage ungeniitzte Produktionsfaktoren vorhanden waren, die sofalls zuerst in die Produktion von Realkapital hereingezogen werden, ohne daB die Konsumguterproduktion zuriickgehen miiBte. 17. Eine solche Uberfiihrung von Produktionsfaktoren kann jedoch nicht stattfinden ohne eine Steigerung ihrer Preise und Einkommen. Die Unternehmer sind auch auf Grund der soeben erwahnten besonderen Gewinnchancen in der Lage, hohere Preise zu zahlen. Das gesamte Nationaleinkommen steigt daher. Soweit die Produktionsfaktoren der Konsumguterproduktion entzogen sind, geht diese Produktion gleichzeitig mengenmaBig zuriick. GemaB der Gleichung oben Kapitel I I , § 14, werden durch diese beiden Veranderungen (oder nur eine von beiden, wenn die Konsumguterproduktion trotz Ausweitung der Produktion von Realkapital nicht eingeschrankt wird) eine Tendenz zur Steigerung der Konsumguterpreise ausgelost, vorausgesetzt, daB das Sparen nicht plotzlich steigt und geniigend kraftig steigt, um die konsumtive Nachfrage wieder zu reduzieren. Aber sobald die Konsumguterpreise gestiegen sind, steigen die Kapitalwerte aufs neue, da steigende Konsumguterpreise die Unternehmer in ihren Preiserwartungen optimistischer machen mussen. Wiirden wir nur annehmen, daB die Unternehmer standig mit ungefahr unveranderten zukiinftigen Konsumgiiterpreisen rechneten, miiBte die neue Steigerung der Kapitalwerte ungefahr proportional der Steigerung der Konsumguterpreise sein. In gewissem Grade miiBte die urspriingliche Steigerung der Kapitalwerte sogar kompensiert sein durch die hoheren Leistungen an die Produktionsfaktoren in der Produktion. Die neue Steigerung der Kapitalwerte und Gewinnchancen aus den erhohten Konsumguterpreiserwartungen halt jedoch den ProzeB in Gang. Die Unternehmer bekommen dadurch einen neuen Anreiz, sich auf langere Produktionsumwege einzulassen mit wieder den gleichen Wirkungen auf Produktionsrichtung und Produktionsmethoden, auf Einkommen, relatives Angebot von Konsumgutern, Konsumguterpreise und wieder schlieBlich Kapitalwerte usw. Der ProzeB ist, wie WIOKSELL sich ausdriickte, kumulativ, er kann nicht aufhoren, solange eine Differenz zwischen „naturlichem Zins" und Geldzins besteht. Wir haben hier einen Wettlauf verschiedener „Preisniveaus": der Preise fur Healkapitalien, Produktionsfaktoren und Konsumwaren. Solange eine positive Zinsdifferenz besteht, behalten die Kapitalwerte ihren Vorsprung, auch wenn einzelne Konsumguter und vielleicht noch mehr einzelne Produktionsfaktoren (besonders Eohstoffe in der Realkapitalproduktion) iiberproportional steigen. Behielten die Kapitalwerte diesen Vorsprung nicht, so wiirde der „naturliche Zins" nicht langer jene positive Differenz gegeniiber dem Geldzins aufweisen. Eine negative Differenz hat ungefahr entsprechende, nur entgegengesetzte Wirkungen. Ich habe hier nur versucht, das allgemeine Schema des WICKSBLL-
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schen Prozesses zu geben. Bei einer mehr realistischen Darstellung muB man naturlich das Vorhandensein verschiedener Arten von Geldzins auf dem Kreditmarkt beriicksichtigen, ferner das Bestehen von allerlei Kreditrestriktionen und Kxeditdiskriminationen, die in anderer Weise als durch die Regulierung der Zinsbedingungen bewirkt werden. Unausgenutzte Produktionskapazitaten in den Unternehmen und unausgenutzte Produktionsmittel (Arbeitslosigkeit) auf gewissen Stadien des Prozesses, Beharrungsvermogen des Lohn- und Preissystems u. a. miissen natiirlich in das Schema hineingearbeitet werden. Schon WICKSELL hat mit dieser intensiveren Analyse des kumulativen Prozesses begonnen, und LINDAHL ist, wie schon erwahnt, WICKSELL darin gefolgt. Drittes
Kapitel.
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18. Der WiCKSELLsche kumulative ProzeB ist, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, ein dynamischer Ablauf in der einen oder anderen Bichtung von einer geldtheoretischen Gleichgewichtslage aus. WICKSELL gab nun die Ursachen an, warum das Banksystem friiher oder spater durch Veranderung der Kreditbedingungen (d. h. in W I C K SELLS idealtypischer Konstruktion: durch Veranderung des „Geldzinses" gegenuber dem ,,naturlichen Zins") einen solchen ProzeB abstoppen muBte, wodurch gewohnlich ein ProzeB der gleichen Art in umgekehrter Richtung eingeleitet wurde. Da von ausgehend konnte WICKSELL eine ganze Konjunkturtheorie entwerfen. Dabei konnte er natiirlich auch eine ganze Menge Umstande beriicksichtigen, die sich sonst nur schwer in eine „monetare" Konjunkturerklarung einfugen lassen: daB eine steigende Konjunktur durch umfangreiche Investierungen in Realkapital und uberhaupt eine Umstellung des Produktionsprozesses in Richtung auf hohere Kapitalintensitat gekennzeichnet ist, daB die Kapitalwerte und die Preise fur Rohstoffe der Kapitalguterproduktion den Preisen der Konsumgiiter vorauseilen, daB iiberhaupt der Preissteigerung der Konsumgiiter gewisse Umstellungen in der Richtung der Produktion vorhergehen usw. Gerade indem er „das allgemeine Preisniveau" nicht als einen homogenen Begriff behandelte, sondern in verschiedene Preisniveaus fur verschiedene Arten von Gixtern zerlegte und indem er eine genauere Analyse der Produktionsveranderungen selbst gab, vermied er die offenbare AuBerlichkeit, die sonst die einfachen monetaren Konjunkturerklarungen kennzeichnet, bei denen nur mit einem steigenden oder fallenden „Preisniveau" als verursachendem Paktor gearbeitet wird. Obendrein war WICKSELL gewissenhaft genug, standig hervorzuheben, daB er mit seiner Geldlehre nicht eine vollstandige Konjunkturerklarung geben wollte. Die ,,Ursachen" der Konjunkturen sah WICKSELL mehr in technischen Veranderungen, die den natiirlichen Zins verschoben,
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obwohl dann naturlich eine mangelnde Anpassungsfahigkeit in der Handhabung des Geldzinses die Situation zum Konjunkturverlauf „zuspitzte". 1 19. WICKSELLS Theorie stent und fallt offenbar mit dem Begriff eines geldtheoretischen Gleichgewichts. Der Inhalt der Theorie ist ja der, daB ein WiCKSELLscher kumulativer ProzeB in der einen oder anderen Bichtung in Gang kommt, wenn kein Gleichgewicht besteht. Jede Analyse nach dem WiCKSELLschen Schema setzt eine Kenntnis dariiber voraus, ob eine bestimmte Preisbildungslage eine geldtheoretische Gleiehgewichtslage ist oder nicht, und wenn sie es nicht ist, auf welcher Seite von Gleichgewicht die analysierte Lage sich befindet. Der Begriff des geldtheoretischen Gleichgewichts ist also fur die ganze WiCKSELLsche Geldtheorie von zentraler Bedeutung, und es wird die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, den Inhalt dieser eigenartigen Konstruktion klarzustellen. LINDAHL hat in der zuvor oft angefiihrten Arbeit „Penningpolitikens medel" versucht, von diesem Begriff des geldtheoretischen Gleichgewichts loszukommen, und hat WICKSELL in diesem Punkte sogar kritisiert. Ich stimme mit LINDAHL insofern uberein, als ich WICKSELLS Begriff des geldtheoretischen Gleichgewichts ebenfalls als recht unklar und zum Teil falsch ansehe, wenn auch im wesentlichen aus anderen Griinden, als sie LINDAHL anfuhrt. Aber fur mich scheint die Aufgabe daher um so zwingender, dieser Vorstellung des geldtheoretischen Gleichgewichts eine klarere und theoretisch haltbarere Durcharbeitung zu geben. Meines Erachtens ist namlich diese Gleichgewichtsvorstellung notwendig in jeder geldtheoretischen Analyse nach dem Wichsellschen Schema enthalten.2 Meine Analyse wird insofern immanenter Natur sein, als ich zunachst die eigentlichen Grundlinien der WiCKSELLschen Geldtheorie iibernehmen und meine Argumente entwickeln werde unter der Voraussetzung einer Richtigkeit dieser Erklarung in ihren Grundziigen. Nach und nach wird dabei jedoch die WiCKSELLsche Konstruktion in verschiedener Hinsicht modifiziert werden. Wenn ich diese immanente Methode fur die Darstellung meiner Ergebnisse gewahlt habe und diese als eine Weiterentwicklung der WiCKSELLschen Theorien vortrage, statt meine Darstellung direkter und systematischer nur nach positiven theoretischen Grundsatzen zu disponieren, so beruht das einmal auf meiner prinzipiellen Einstellung, die dahingeht, daB wir besonders in dem gegenwartigen Ent1
Siehe unten Kap. VIII, §82. Ich habe LINDAHL in diesem Punkte in einer schwedischen Veroffentlichung, „Om penningteoretisk jamvikt", Ekonomisk Tidskrilt, 1931, h. 5 und 6, eingehend kritisiert und darin nachgewiesen, daB seine Argumente gegen die geldtheoretische Gleichgewichtsvorstellung falsch sind, daB ferner seine eigenen auBerst wertvollen positiven Beitrage zum Ausbau und zur Verbesserung der WiCKSELLschen Geldtheorie samtlich implizite die Vorstellung eines geldtheoretischen Gleichgewichts enthalten und daB seine Versuche, von dieser Vorstellung loszukommen, explizite immer dazu gefiihrt haben, daB seine theoretische Analyse in verschiedener Hinsicht nicht so in die Tieie gedrungen ist, wie sonst moglich gewesen ware. LINDAHLS Arbeit, von der ich in anderen Dingen, als die hiernach einer intensiven Analyse unterzogen werden, mehr gelernt habe als von irgendeinem anderen modernen geldtheoretischen Werk, liegt nur auf schwedisch vor, ich werde daher meine Kritik hier nicht wiederholen, sondern mich ganz auf eine positive Darstellung konzentrieren, die unmittelbar an WICKSELL anknupft. 2
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wicklungsstadium der Qkonomisehen Theorie die Linien der Tradition — positiv sowohl wie negativ •— zu den alteren Generationen von Okonomen klar halten sollen, damit unsere Literatur nicht mehr als notig in babylonische Barbarei verfallt. Ich hoffe auBerdem, daB diese Darstellungsweise fur den Leser im Auslande insofern von Vorteil ist, als ich dabei den Gedankengang WICKSELLS vollstandiger klarlegen kann, als mir in der kurzen Ubersicht des vorigen Kapitels mQglich war. Ich halte das fiir eine dankbare Aufgabe, auch wenn meine eigene positive Analyse deshalb vielleicht etwas schwieriger zu durchschauen sein wird, als sonst moglich gewesen ware. Es ist namlich offenbar, daB das Interesse fiir WICKSELL im Auslande im Wachsen begriffen ist und daB die Nationalokonomen des Auslandes, die natiirlich nicht in engerem Kontakt stehen mit den der schwedischen Nationalokonomie zum Teil eigenfrumlichen Gedankenlinien, nach denen WICKSELL arbeitete, und keinen Zugang zu der Literatur in schwedischer Sprache haben, offensichtlich groBe Schwierigkeiten haben miissen, sich lediglich auf Grund der beiden deutschen Arbeiten WICKSELLS ZU orientieren, die obendrein, worauf z. B. H A Y E K hingewiesen hat, reichlich schlecht iibersetzt sind. 20. Dagegen muB ich in dieser Arbeit leider auf Kritik und systematische Zitierung auslandischer Literatur verzichten. Das wiirde namlich allzu weitlaufige Abschweifungen mit sich bringen, die bei dem mir in diesem Sammelband zur Verfugung gestellten Raum nicht moglich sind. Da ich es aus den angefiihrten Griinden doch iibernommen habe, in erster Linie WICKSELLS eigene und fiir die ganze moderne Geldtheorie grundlegende Theorie zu behandeln, hoffe ich, daB man mir verzeihen wird, wenn ich die sonst sehr wohl begriindete Forderung nach literarischer Dokumentierung auBer acht lasse. Ich hoffe jedoeh spater in einem anderen Zusammenhang die hier gegebene positive Darstellung durch eine Kritik vor allem an K E Y N E S und H A Y E K erganzen zu konnen, deren Arbeiten mir natiirlich am nachsten stehen. Eine mehr allgemein gehaltene Bemerkung soil jedoeh im Vorbeigehen eingefugt werden, da sie vielleicht geeignet ist, das Spatere eher begreiflich zu machen. Meine folgende Darstellung beabsichtigt vor allem, die Antizipationen in das geldtheoretische System einzufiigen, und eine Kritik von K E Y N E S und H A Y E K , wenn ich sie ausfuhren wiirde, miiBte mit dem Hinweis beginnen, daB ihr theoretisches System keinen Platz hat fiir eine rationelle Einordnung des Unsicherheitsmomentes und der Antizipationen. I n der Arbeit von K E Y N E S ist dasganz offenbar: in seinem theoretischen Teil arbeitet ja K E Y N E S mit einem Begriff „Profit", den er nach J. B. CLAEK einfach als ,,windfalls" definiert, d. h. als vollkommen unerwartete Einkommensuberschilsse. „Einkommen" wird einfach definiert als Entgelt fiir die Produktionsmittel ( = „Produktionskosten"). I n diesem Begriff ssystem ist offenbar kein Platz fiir Risiko und Antizipationen, fiir Kapitalgewinne und Kapitalverluste und fiir einen brauchbaren Ausdruck fiir antizipierten Wertzuwachs bzw. antizipierte Wertminderung von Realkapital. Darin liegt meines Erachtens der eigentliche AnlaB,
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warum die Begriffe „Investierung" und „Sparen" bei K E Y N E S SO unklar und widerspruchsvoll sind und warum sein ganzes Gleichungssystem so unbefriedigend ist. Hier liegt auch die Erklarung, warum seine ganze Behandlung des „naturlichen Zinses" und uberhaupt der Rentabilitat der Produktionsumwege bei der rein theoretischen Diskussion so in den Hintergrund getreten und lediglich ersetzt ist durch einige recht undeutliche und unklare Andeutungen. Es ist ein guter Beweis fur K E Y N E S ' geniale Intuition, wenn er trotz dieser durchaus mangelhaften theoretischen Grundlage zu praktischen Ergebnissen kommt, die in vieler Beziehung seinen zentraltheoretischen Fragestellungen uberlegen sind. HAYEKS Arbeiten scheinen gegeniiber denen von K E Y N E S das Verdienst einer intensiveren Analyse der Produktionsumwege und damit der Rentabilitatsfragen zu haben. Aber die Analyse von H A Y E K ist rein stationar oder quasi-stationar, ich kann nicht sehen, wie er den Risikound Antizipationsfaktor seinem System einbauen k5nnte, das durch ganz abstrakte Voraussetzungen gebunden ist, die einfach nicht fallen gelassen werden konnen. Wahrend die Analyse von K E Y N E S gleichwohl mehr allgemein sein will, richtet H A Y E K — nach osterreichischen Traditionen — seine eingehende Analyse auf einen wirklichkeitsfremden Fall, in dem er u. a. den Antizipationsfaktor durch Voraussetzungen ausgeschlossen hat, die fur die ganze Analyse grundlegend sind. Es ist also im Grunde derselbe Haupteinwand, den ich, wenn auch aus verschiedenen Griinden, sowohl gegen H A Y E K wie gegen K E Y N E S vorzubringen habe: ihre theoretische Problementwicklung hat keinen Raum fiir das Veranderlichkeitsmoment und die risikogebundene Antizipation zukiinftiger Veranderungen. Dieser Einwand ist recht entscheidend, da — wie K E Y N E S in den praktischen Partien seiner Arbeit mehrfach bemerkt, wenn auch nicht in der theoretischen Problementwicklung — das ganze Geldproblem am Antizipationsfaktor hangt. Dieses sei nur in Parenthese bemerkt. 21. Um die Rolle des Gleichgewichtsbegriffes in WICKSELLS Geldlehre klarzustellen, erinnere ich noch einmal daran, daB der kumulative ProzeB von einer Gleichgewichtslage aus durch eine Umstellung der Produktion zustande kommt, die, wenn der dynamische ProzeB aufwarts geht, eine vermehrte, in der Abwartsbewegung eine verminderte Konstruktion von Realkapital mit sich bringt. Durch diese Produktionsumstellung kommt der ganze ProzeB zustande. LINDAHL hat — gegeniiber WICKSELL, der in diesem Punkte merkwurdigerweise unklar war — sehr schon nachgewiesen, 1 daB der ganze ProzeB unterbleiben wiirde, wenn diese Produktionsumstellung nicht stattfande (z. B. wenn die Arbeiter in der Kapitalgiiterproduktion und in der Konsumgiiterproduktion im Verhaltnis zueinander ,,non competing groups" sind). Denn dann wiirden die Preise der Konsumguter nicht steigen bzw. fallen, was ja, wie schon erwahnt, eine notwendige Voraussetzung fiir die kumulative Natur des Prozesses ist. 1
Siehe „Penningpolitikens medel", S. 36, Anm. 3. Beitrage zur Geldtheorie.
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Die Umstellung der Produktion wird ihrerseits in Gang gesetzt und gehalten durch die positive oder negative Abweichung des „naturlichen Zinses" vom Geldzins, die ja das Merkmal fur mangelndes geldtheoretisches Gleichgewicht ist. Diese Differenz bringt es mit sich, daB die Unternehmer in der Aufwartsbewegung „Investierungsgewinne" machen konnen, indem sie ihre Produktion erweitem oder solche neu beginnen, d. h. indem sie investieren. In der Abwartsbewegung wiirden sie aber durch Erweiterung oder Neukonstruktion „Investierungsverluste" realisieren, weshalb sie in diesem Falle von Realinvestierungen Abstand nehmen. So kommt der kumulative ProzeB in der einen oder anderen Richtung zustande, wobei die Realinvestierungen das verfugbare Sparkapital ubertreffen oder dahinter zuriickbleiben und wobei auch allmahlich die Preise nach oben oder nach unten gedriickt werden. Wenn die Realinvestierungen nicht mehr diesen besonderen Gewinn abwerfen oder jenen besonderen Verlust mit sich bringen wiirden, d. h. wenn das Gleichgewichtskriterium erfiillt ware, so wiirde der ProzeB aufhoren, vorher nicht. Das also ist die Rolle des geldtheoretischen Gleichgewichtskriteriums in dieser idealtypischen Konstruktion WICKSELLS : eine Abweichung nach der einen oder anderen Richtung lost einen kumulativ fortschreitenden ProzeB aus, der, wie WICKSELL gezeigt hat, nicht endet, bevor die geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen in einer oder der anderen Weise wiederhergestellt sind. Der ProzeB kommt zustande, weil eine gewisse aktuelle Situation die Gleichgewichtsbedingungen nicht erfiillt. Der Gleichgewichtsbegriff kommt also notwendig in jeder Analyse nach dem WiCKSELLschen Schema vor, denn ein wichtiges Datum, das in einer aktuellen Situation durch Beobachtung erlangt, aber in einem abstrakten Argument durch eine Hypothese ersetzt wird, ist gerade die Position der betreffenden Gesamtlage in bezug auf die Gleichgewichtsbedingung. 22. Diese gegeniiber einer gewissen aktuellen oder hypothetischen Preisbildungssituation prazisierte Gleichgewichtsbedingung hat nun, wie 1 WICKSELL stets betonte, durchaus nicht den gleichen Charakter wie die Bedingung fur vollstandiges Preisbildungsgleichgewicht in der allgemeinen statischen Preisbildungsanalyse. In dieser, die ja nur die relativen Preise angeht, wird z. B. angenommen, daB eine Abweichung von der Gleichgewichtslage Reaktionskrafte auslost, die das Gleichgewicht wiederherstellen. In der ganzen Preisbildungsanalyse, die sich im Rahmen dieses allgemeinen Schemas halt, denkt man sich sogar die Gleichgewichtslage als eine Art Richtpunkt, auf den hin die Entwicklung mehr oder weniger direkt tendiert. Das Gleichgewicht soil also in dieser Art von Preisbildungsanalyse eine Art ,,virtuelle Realitat" haben analog der Oberflache bewegten Wassers, die ja standig da ist, obwohl nur im Sinne einer dahingehenden Tendenz. Im geldtheoretischen Schema ist das Verhaltnis genau umgekehrt: eine Abweichung von der Gleichgewichtslage — wie klein sie auch sein mag, betont WICKSELL 2 — lost eine dynamische Ent1 2
„Geldzins", S. 92, 93 u. a. St. „Geld7.ins", S. 92, 111 u. a. St.
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wicklung aus, bei der das Gleichgewicht endgiiltig verlassen wird. Aus diesem Grunde heiBt ja die Bewegung kumulativ. Die geldtheoretische Gleichgewichtsbedingung bindet ferner nur gewisse spezifische Preisbildungsrelationen, die wir im folgenden naher festzulegen versuchen, und gestattet im iibrigen beliebige Veranderungen. Die relativen Preise konnen sich andern, ebenso das Preisniveau und alles andere, wenn nur diese spezifischen geldtheoretischen Gleichgewichtsbeziehungen festgehalten werden. Die nicht spezifischen Relationen miissen sich geradezu andern, damit trotz eintretender Primarveranderungen die spezifischen Gleichgewichtsbeziehungen aufrechterhalten werden konnen. Wie besonders K E Y N E S hervorzuheben pflegt, ist es unmoglich, in einer Welt der Veranderung sich alles stabil zu denken. In der Tat kann man sich kaum mehr als einen einzigen Punkt als fest vorstellen; an die so gesetzte Stabilisierungsbedingung mu6 sich dann alles andere wegen der Primar veranderungen anpassen. I n der Geldtheorie ist nun dieser feste Punkt, wie gesagt, so gewahlt, da8 eine Abweichung von der Stabilitat einen sich beschleunigenden ProzeB auslost von der Art, wie er in der Geldlehre analysiert wird. Der ProzeB geht fiber eine Verschiebung der Produktionsrichtung. 23. Die Frage ist nun: welches sind die spezifischen geldtheoretischen Gleichgewichtsbeziehungen ? Wie ist die geldtheoretische Gleichgewichtslage zu bestimmen ? WICKSELL legt bekanntlich die Gleiehgewichtslage dadurch fest, daB er den Geldzins angibt, der geldtheoretisches Gleichgewicht herstellt. Diesen Gleichgewichtszins, den WICKSELL den „normalen Zins" nennt, legt er fest gegeniiber GroBen auf drei verschiedenen Gebieten der Preisbildung: 1. Produktivitat der Umwegsproduktion, 2. Verhaltnisse auf dem Kapitalmarkt und 3. Verhaltnisse auf dem Warenmarkt. Der „normale Leihzins" soil nun (1) iibereinstimmen mit der technischen Grenzproduktivitat der Realkapitalien (dem „realen" oder „naturlichen" Zins), soil (2) Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Sparmitteln herstellen und soil schlieBlich (3) ein unverandertes ,,Preisniveau" in erster Linie der Konsumgiiter garantieren. 1 WICKSELL nimmt an, daB diese drei Kriterien fur den normalen Zins identische Resultate ergeben, beweisen kann er das freilich nicht, dazu sind seine Konstruktionen gar zu lose und widerspruchsvoll. Im folgenden will ich nun versuchen zu beweisen, daB sie nicht identisch sein konnen: nur zwei der Gleichgewichtsbestimmungen, namlich die erste und die zweite, sind identisch und entsprechen dem in der ganzen Theorie implizierten Hauptargument — doch nur nachdem sie in sehr wesentlichen 1 WICKSELLS Terminologie ist nicht immer War. Wir halten uns hier jedoch an den Grundgedanken seines ganzen Werkes und bezeichnen als „naturlichen Zins" die Produktivitatsrelation, wiihrend der ,,normale Zins" prinzipiell ein Leihzins ist, derjenige namlich — und hier besteht die Moglichkeit einer Unklarheit —, der ilbereinstimmt mit dem „natiirIichen Zins" oder derjenige, der Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt bewirkt, oder derjenige, der ein unverandertes Preisniveau garantiert.
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Hinsichten korrigiert und prazisiert sind. Gegeniiber den Verhaltnissen auf dem Warenmarkt bedeutet jedoch die Erfullung dieser beiden geldtheoretischen Gleichgewichtsbeziehungen etwas ganz anderes als „unverandertes Preisniveau". 24. I n den nun folgenden drei Kapiteln werde ich naoheinander die drei Gleichgewichtskriterien WICKSELLS eingehend behandeln. Einleitungsweise mochte ich jedoch auf die eigentiimliche Methode verweisen, mit der es WICKSELL und seinen Schiilern gelungen ist, diese grundlegenden Gleichgewichtsbestimmungen im Unklaren zu lassen und diese Unklarheit zu verschleiern. Die Methode besteht darin, daB sie fur die theoretische Beweisfiihrung stets einen „stationaren okonomischen Zustand" als Ausgangspunkt wahlen. In einer allgemein „stationaren" Wirtschaft sind natiirlich W I C K SELLS drei geldtheoretische Gleichgewichtsbedingungen leicht zu definieren und dazu samt und sonders ex hypothesi erfullt •—• ubrigens auch eine Unmenge anderer, z. B. bei K E Y N E S : Ubereinstimmung von Produktionskosten und Produktpreisen, ferner eine Preisbildungslage, bei der die Unternehmer, wenn sie vor der Wahl standen, ihre Investierungen wiederholen wiirden usw., und bei H A Y E K : unveranderte Menge von Zahlungsmitteln. Da wird ja Gleichgewicht in alien nur denkbaren Hinsichten angenommen; eine eingehendere Analyse dessen, was eigentlich in den speziell geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen liegt, konnte, wenn man sich dieser Methode der „stationaren Ausgangslage" bedient, weniger dringend erscheinen. WICKSELLS Theorie ist jedoch, wie schon angedeutet, ein Versuch, einen dynamischen Ablauf zu analysieren und schlieBt daher notwendig die Vorstellung ein, daB es moglich sein muB, die Bedingung dafur anzugeben, ob geldtheoretisches Gleichgewicht herrscht in einem beliebigen Momente eines solchen Ablaufs, der natiirlich nicht stationar ist, noch sein kann. Die Methode der „stationaren Ausgangslage" ist daher unzureichend, sie verdeckt die theoretischen Probleme, ohne sie zu losen. I n einer stationaren Gleichgewichtslage hat man u. a. auch in denjenigen Verhaltnissen Gleichgewicht, durch deren Bindung man geldtheoretisches Gleichgewicht ausschliefien wilrde, sobald Primarveranderungen eintreten wiirden (z. B. festes „Preisniveau" fur Fertigprodukte, s. u. VI). Unsere Analyse muB dagegen versuchen zu zeigen, welche spezifischen Relationen erfullt sein mussen, damit eine Lage sich im geldtheoretischen Gleichgewicht befindet. DaB diese speziell geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen in einem stationaren Zustand erfullt sind, ist selbstverstandlich; in diesem sind aber auch eine Menge anderer Bedingungen erfullt, die unter dynamischen Voraussetzungen mit geldtheoretischem Gleichgewicht unvereinbar sind. Die herkommliche Methode der Behandlung einer geldtheoretisch relevanten Veranderung, die von einer solchen „stationaren Ausgangslage" ausgeht, kann daher zwar gewisse allgemeine Resultate fur den Verlauf des WiCKSELLschen Prozesses von einer geldtheoretischen Gleichgewichtslage aus erbringen. Urn aber diese Ergebnisse auf eine aktuelle
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Lage anwenden zu konnen, muB man die Position der verschiedenen PreisbildungsgroBen dieser Nichtgleichgewichtslage in bezug auf eine angenommene geldtheoretische Gleichgewichtslage festlegen konnen. Zunachst muB man angeben, welche von den im „stationaren Zustand" erfiillten Gleichgewichtsrelationen wirklich geldtheoretisch wichtig sind und wie sie sich unter nichtstationaren Bedingungen ausnehmen. Sonst kommt man niemals dazu, die Theorie in einer realistischen Analyse zu verwenden. 25. Die spezifischen Gleichgewichtsbedingungen haben also ausschliefftich rein instrumentale Bedeutung bei der Analyse wirklicher Lagen und Ablaufe, die nur durch ihre Anwendung charakterisiert werden in gewisser, geldtheoretisch wichtiger Hinsicht. Sie bedeuten nicht eine ,,virtuelle Wirklichkeit" oder Tendenz, sondern nur die Bedingung dafiir, daB eine kumulative Tendenz im Sinne WICKSELLS nicht im Gange ist. Wenn man studiert, wie die GroBen dieser Beziehungsgleichungen in einer bestimmten Preisbildungslage aktuell aussehen, so kann man uber diese Lage auch sagen, ob in ihr geldtheoretisches Gleichgewicht herrscht oder nicht, und wenn nicht, auf welcher Seite des Gleichgewichts man sich befindet und wie stark die Tendenz der Abweichung ist. Dieser rein instrumentale Charakter der Gleichgewichtsbeziehungen muB stark unterstrichen werden vor allem deshalb, weil die Vorstellung des geldtheoretischen Gleichgewichts sowohl bei WICKSELL wie auch bei den meisten seiner Schuler eine doppelte Aufgabe h a t : sie ist nicht nur ein solcher rein instrumentaler Hilf sbegriff in der geldtheoretischen Analyse, sondern bezeichnet gleichzeitig auch ein bestimmtes geldpolitisches Programme Es ist jedoch nicht schwer, in diesem speziellen Komplex von Problemen Theorie und Politik streng auseinanderzuhalten. Unsere Darstellung gilt in den nachsten Kapiteln ausschlieBlich dem rein geldtheoretischen Problem, fur dessen Analyse die Gleichgewichtsvorstellung instrumentalist. Das geldpolitische Problem, bei dem die Gleichgewichtsvorstellung eventuell zur Verhaltensnorm werden konnte, soil in Kapitel V I I I behandelt werden. Die Gleichgewichtsbeziehungen werden also zunachst nur studiert in ihrer Eigenschaft als wichtige Hilfsmittel fur die Analyse aktueller oder hypothetischer momentaner Preisbildungslagen, die selbst durchaus nicht mit Notwendigkeit die Gleichgewichtsbedingungen zu erfiillen brauchen. Die Konstruktion dieses analytischen Instruments ist die primare Aufgabe der Geldlehre. Die damit ermoglichte Charakterisierung einer Lage vom geldtheoretischen Gesichtspunkt aus ist unmittelbar wichtig, nicht zuletzt fur die Geldpolitik, deren Fragestellung stets an eine aktuelle Lage ankniipft, in der man Plane faBt fur einen zukiinftigen Verlauf, der gegenwartig nur antizipiert wird. Jedoch ist die geldtheoretische Gleichgewiehtsbestimmung vor allem auch indirelct von Bedeutung, indem sie das Problem des Ablaufs von einer Lage zur anderen stellt und die Analyse dieses im eigentlichen Sinne dynamischen Problems ermoglicht. Die Grundlage fur ein Studium eines solchen Verlaufs muB namlich die Analyse momentaner Lagen sein —
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Ausgangslage und unmittelbar folgende Lagen — die selbst nicht Gleichgewichtslagen in irgendeinem Sinne sind, also auch nicht in geldtheoretischem Sinne, wiewohl sie, wenn der WiCKSELLsche Apparat bei ihrer Analyse iiberhaupt zur Anwendung kommen soil, festgelegt werden miissen beziiglich der wirklichen Werte jener GroBen, die in die geldtheoretischen Gleichgewichtsbeziehungen eingehen, was natiirlich etwas ganz anderes ist als daB sie etwa selbst Gleichgewichtslagen sind. Unsere zentrale Fragestellung im folgenden ist daher die: wie muB eine Preisbildungslage in einem nichtstationaren Ablauf beschaffen sein, damit diese Lage als geldtheoretische Gleichgewichtslage charakterisiert werden kann vom Standpunkte des grundlegenden Gedankenganges aus, der sich durch WICKSELLS Geldlehre zieht ? Wenn diese Frage positiver und praziser beantwortet werden kann als bisher geschehen, so wiirde damit viel gewonnen sein. Vor allem wiirde eine Anwendbarkeit der Theorie auf praktische Situationen ermoglicht, die ja unmoglich unter dem Gesichtspunkt festgelegt werden konnen, ob und in welcher Hinsicht sie von einem ceteris-paribus-stationaren Zustand abweichen. 1 WICKSELL und fast alle seine Schiiler haben ja doch gerade versucht, der geldtheoretischen Gleichgewichtslage speziellere Definitionen zu geben, weil sie erkannten, daB die Preisbildung nicht notwendig stationar sein muB, um die Forderung einer „Neutralitat" der Geldseite gegeniiber der Preisentwicklung zu erfiillen, oder wie immer die verschiedenen Autoren diese Vorstellung eines geldtheoretischen Gleichgewichts formuliert haben. 26. Es soil nun noch einiges hervorgehoben werden, bevor ich zu der eigentlichen Analyse der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen iibergehe. Wir miissen die Forderung erheben, daB sie so formuliert sind, daB sie beobachtbare und meBbare GroBen enthalten. Sonst ist ja jede praktische Anwendung der Theorie in der Analyse eines aktuellen Ablaufs ausgeschlossen. Die Theorie muB schlieBlich doch gewisse einfache und bestimmte Formeln liefern, die dazu durch Beobachtung hinreichend greifbar sind, um in einer statistischen Analyse verwendet werden zu konnen. Wer wie der Verfasser dieser Arbeit die abstrakte okonomische Theorie iiberhaupt nur ansieht als einen Inbegriff von Fragestellungen an das Beobachtungsmaterial — die natiirlich moglichst klar und untereinander widerspruchsfrei formuliert sein miissen: darin liegt die ganze Aufgabe der abstrakten Analyse — dem ist diese Forderung selbstverstandlich. 2 1 Die Voraussetzung eines ,,stationaren" Zustandes setzt nicht nur allgemeines Gleichgewicht (von gewisser Beschaffenheit) bei gegebenen Preisbildungsfunktionen voraus. sondern dariiber hinaus eine bestimmte Form dieser Funktionen. Siehe MYKDAL, ,,Prisbildningsproblemet och foranderligheten", Uppsala 1927, S. 5, Anm. 1 u. a. St., sowie L I N DAHX, ,,Prisbildningsproblemet fran kapitalteoretisk synpunkt", Ekonomisk Tidskrift 1929, S. 411. 2 Den Angritfen der theoriefeindlichen Empiristen kann man ja nur mit einer praktisch anwendbaren Theorie begegnen, siehe z. B. das folgende Zitat aus WAGEMANNS „Konjunkturlehre", Berlin 1928, S. 166, und vergleiche dazu das wissenschattstheoretische Problem unten Kapitel IX. WAGEMANN schreibt tlber WICKSELLS Geldlehre: ,,In diesem wie in anderen Fallen werden die empirisch testgestellten Tatsachen durch die .Theorie' eher verdunkelt als geklart. Denn es ist doch reine Metaphysik, wenn davon geredet wird, dafi die Zinssatze dem
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Kapitel.
Die erste Bedingung des geldtheoretischen Gleichgewichts: die Ertragsquote des Realkapitals.
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27. WICKSELLS grundlegende Bestimmung des geldtheoretischen Gleiehgewichts bezieht sich, wie schon gesagt, auf die Produktivitat der Umwegsproduktion. Diese erste Gleichgewichtsbestimmung WICKSELLS ist insofern grundlegend, als sie nach WICKSELL die Verbindung herstellt zwischen der Geldtheorie und der Kapitalzinstheorie und damit auch der zentralen Preisbildungstheorie. Der „naturliche" oder „reale" Zins soil danach gleich sein der physischen Mehrproduktivitat der gesparten Boden- und Arbeitsleistungen, dem „Realertrag des Kapitals in der Produktion", der rein technischen „Rentabilitat des Wartens". Die Bedingung fixr geldtheoretisches Gleichgewicht soil sein, daB der Geldzins ubereinstimmt mit dem so definierten „naturlichen Zins". Dieser „naturiiche Zins" soil in seiner Reinheit hervortreten in einem gedachten Zustand ohne geldmafiige Transaktionen und daher auch ohne Kredit. 1 Die Wirtschaftssubjekte wurden dann genotigt sein — um hier einen besonders treffenden Ausdruck IRVING FISHERS anzuwenden —, die ,, time-shapes" ihrer Einkommensstrome ihren eigenen „time-preference schedules" bei gegebenen Marktbedingungen anzupassen, und zwar lediglich durch Veranderungen der Produktionsweise, durch Tausch von Realkapital und Waren und Leihtransaktionen in natura, dagegen nicht durch Kreditkontrakte. Beifreier Beweglichkeit usw. wird sich dann, so nimmt WICKSELL an, ein iiber den ganzen PreisbildungsprozeB hin einheitliches Zeitagio herausbilden, das direkt zum Ausdruck kommt in alien den besonderen Tauschrelationen, in denen Antizipationen zukiinftiger Preisverhaltnisse involviert werden. Dieses Zeitagio wiirde natiirlich verschieden hoch sein fur verschiedene Perioden des zukunftigen Preisbildungsablaufs, der in die Investierungs- und Einkommenskalkulationen der Wirtschaftssubjekte eingeschlossen ist. Die Einheitlichkeit wiirde nur bestehen fur ein und dieselbe zukunftige Einheitsperiode. Dieser Zinsfaktor in den eigentlichen Tauschrelationen wiirde nun ,,natiirlich" oder „real" sein, in dem Sinne, daB er die physische Grenzproduktivitat des Zeitfaktors bei gegebenen technischen Funktionen ,naturlichen Kapitalzins' entsprechen miiBten. Oder weiB man diesen Zins irgendwie positiv zu bestimmen ? . . . Welche konkreten Gleichungen weiB man fiir diese beiden Faktoren aufzustellen ? Erklart wird mit der Begriflsmystik dieser — der scholastischen Humoralpathologie so verzweifelt verwandten — Theorie hier gar nichts" usw. WAGEMANN hat sachlich durchaus recht. WICKSELLS „naturlicher Zins" gehort iiberhaupt nicht dieser Welt an. Aber die Frage ist, ob man nicht durch eine Vervollstandigung des WiCKSELLschen Gedankengangs zu Fragestellungen kommen kann, die nicht nur bei der Deutung der „empirisch festgestellten Tatsachen" von Nutzen sein konnen, sondern auch bei deren Beobachtung. ,,Tatsachen" sind ja eben nicht so leicht greifbare Dinge, besonders wenn sie allgemeineren Charakters sind. Jeder Formulierung von ,,Tatsachen" liegen umfangreiche theoretische Hypothesen zugrunde, was WAGEMANN vielleicht ubersehen haben dilrfte. 1 „Geldzins", S. 93tt.
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und iibrigen primaren Preisbestimmungsfaktoren widerspiegeln wiirde. Die Vorstellung einer physischen Produktivitat setzt jedoch voraus, da8 es nur einen einzigen Produktionsfaktor gibt (neben dem Warten) und nur ein einziges Produkt und daB dariiber hinaus beide von der gleichen physischen Qualitat sind. Die Vorstellung ist daher in einer realistischen Analyse unbrauchbar, da solche Voraussetzungen, wenn man sie machen wiirde, die Moglichkeiten einer fortschreitenden Anpassung der Analyse an die Wirklichkeit ausschlieBen. Die Voraussetzungen sind namlich begrifflich unentbehrlich fur die Theorie des naturlichen oder realen Zinses als einer physischen Grenzproduktivitat, sie konnen nicht fallen gelassen und durch weniger abstrakte Voraussetzungen ersetzt werden. Im weiteren Verlauf seines Arguments deutet nun WICKSELL die Moglichkeit an, diese Voraussetzungen einer qualitativen Homogenitat der Produktionsfaktoren und Produkte durch eine andere zu ersetzen: die Annahme bestimmter relativer Warenpreise. Dabei muB hinzugefugt werden: auch unveranderliche relative Preise fur die Produktionsmittel und unveranderliches Verhaltnis dieser zu den Warenpreisen, also gegebene und unveranderliche Preise uberhaupt. Eine solche Annahme verbaut aber gleichfalls den Weg fiir einen fortschreitenden Ausbau der Analyse. Die Tauschrelationen, die dabei als gegeben und unveranderlich angenommen werden miissen, sind namlich selbst abhangig und bestimmen ihrerseits ebenfalls das betreffende Zeitagio. Es ist ja geradezu das groBe Verdienst WICKSELLS, daB er die okonomische Theorie auf Wege gefiihrt hat, auf denen die Bestimmung der Preise mit der Bestimmung des Kapitalzinses theoretisch zusammengekoppelt wird. Wenn man also die WiCKSELLsche Konstruktion des naturlichen Zinses fiir die geldtheoretische Analyse wirklich brauchbar machen will, so muB man die Vorstellung einer physischen Produktivitat mit der Vorstellung einer Tauschwertproduktivitat ersetzen. 28. Wenn man die Notwendigkeit dieser Umdefination zugibt, erhebt sich jedoch sogleich die Frage, wieweit die WiCKSELLsche Hypothese eines Fehlens aller Geld- und Kredittransaktionen noch fiir den Gedankengang von Bedeutung ist. Sind namlich die Tauschwerte nicht primar gegeben, sondern nur im Rahmen des Preisbildungsablaufs bestimmt, durch den auch die Tauschwertproduktivitat des Wartens bestimmt wird, so kann ja diese letztere kaum aus der Menge samtlicher Tauschrelationen entnommen werden, in denen sie enthalten ist, es sei denn durch Rechenoperationen, die eine einheitliche, abstrakte Recheneinheit fiir die Tauschwerte voraussetzen; wenigstens ist dieses Vorgehen theoretisch das einfachste. Der Tauschwert der Recheneinheit ist dabei prinzipiell gleichgultig. Er kann an irgendein konkretes Gut angekmrpft werden. Nun bedeutet die Einfuhrung einer abstrakten Recheneinheit gewiB nicht eo ipso auch die Einfuhrung von Kreditkontrakten. Angenommen aber, daB nun die Wirtschaftssubjekte einige ihrer Naturaltransaktionen durch Rreditkontrakte ersetzen, die sie in jener Recheneinheit kontrahieren, so bekommt diese dadurch naturlich auch die iibrigen Eigenschaften einer Geldeinheit. Dies brauchte an und fiir sich den Gedankengang
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noch nicht zu zerstoren; denn da der eigene Tauschwert der Recheneinheit prinzipiell gleichgiiltig ist, konnte wohl die Geldeinheit ebenso wie jede andere dafiir verwendet werden. Jedoch besteht ein recht wesentlicher Unterschied: durch Kreditkontrakte bekommt die Recheneinheit eine reale Bedeutung fur die Tauschrelationen; der Preisbildungsablauf wird namlieh dann beeinfluBt von Anderungen im Tauschwert der Geldeinheit gegeniiber verschiedenen Giitern. Was WIOKSELL mit seiner Hypothese einer Abwesenheit aller geldmaBigen Transaktionen in Wahrheit meint, ist naturlich offenbar f olgendes: er "will bei der Bestimmung des natiirlichen Zinses die ganze Geldproblematik ausschlieBen. Diese Erwagungen fiihren uns zu dem SchluB, dafi die Hypothese einer Abwesenheit aller Geldtransaktionen durchaus nicht uberfliissig, weil gleichgiiltig ist, sondern vielmehr falsch.1 Wir haben ja den Begriff der physischen Produktivitat des Wartens mit dem der Tauschwertproduktivitat ersetzen miissen, weil diese abhangt von relativen Preisen, die nicht als unveranderlich angenommen werden konnen. Aber die Bedingungen, zu denen Kredit gegeben und genommen wird (hier ganz abstrakt: „Geldzins"), haben ihrerseits EinfluB auf diese relativen Preise und iiber diese auf die Tauschwertproduktivitat des Realkapitals. Es muB unser SchluB also der sein, daB Kredit und Geldzins schon in die Konstruhtion eingeschlossen werden miissen, durch die der „natiirliche Zins" bestimmt wird. Was sollte rein theoretisch die „Differenz" zwischen Leihzins und naturlichem Zins bedeuten, wenn man wirklich mit WICKSELL daran festhielte, das eine Vergleichselement, den „naturlichen Zins", nur fiir einen hypothetischen Zustand zu definieren, der Kreditkontrakte ausschlieBt und damit auch das andere Vergleichselement, den Geldzins ? Eines ist ja allerdings selbstverstandlich: wenn man in dieser Weise WICKSELLS Vorstellung einer physischen, rein technischen Produktivitat durch die Vorstellung einer Tauschwertproduktivitat ersetzt und danach alle (relativen) Tauschwerte in (absoluten) Geldpreisen rechnet, um den Kredit und den Leihzins schon in denjenigen Zustand einzuschlieBen, fiir den auch der „naturliche Zins" bestimmt wird, so werden mit Notwendigkeit die Antizipationen der absoluten zukunftigen Geldpreise durch die verschiedenen Unternehmer mitbestimmend fiir die Produktivitatsbeziehung, an die WicKSELL denkt, die also nicht mehr lediglich von den Antizipationen der relativen Preise oder Tauschwerte 1 WICKSRLL sagt: ,,Wenn nun das Geld von den Geldverleihern tatsachlich zu diesem Zinssatze dargeliehen wird, so dient der Gebrauch des Geldes nur als eine Binkleidung eines Vorgangs, der, rein begritflich gesprochen, sich ebenso gut ohne Geld hatte vollziehen konnen, und es werden die Bedingungen des okonomischen Gleichgewichts in ganz derselben Weise erfullt." (,,Geldzins", S. 95 f., Kursivierrung von mir.) Diese Behauptung ist nur unter absolut stationaren Bedingungen zutreffend, wo alle relativen Preise (einschlieBlich des Geldwertes) unveranderlich sind; sie ist also nicht richtig unter den wirklichkeitsnaheren Voraussetzungen, die WICKSELL gleich danach behandelt, daB namlieh verschiedene Primarveranderungen eintreten, die nicht vollstandig und mit Sicherheit vorausgesehen sind. Der Tauschwert des Geldes wird namlieh dann mit Notwendigkeit gegeniiber verschiedenen Giitern in verschiedener Weise verandert, und bei jedem Zinssatz wird deshalb der Kredit von verschiedener Bedeutung fiir die Rentabilitat verschiedener Arten von Unternehmungstatigkeit und damit fiir die Tauschrelationen. Das Geld ist dann nicht mehr nur eine „Einkleidung" des Preisbildungsablaufs. Vgl. MYRDAL, ,,Prisbildningsproblemet och foranderligheten", Uppsala 1927, S. 179f. u. a. St.
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durch die Unternehmer abhangt. Man hat also die ganze Problematik des Geldes und Geldwertes schon in die Analyse des „naturlichen Zinses" eingeschlossen, was WICKSELL in seiner Konstruktion dadurch vermeiden wollte, daB er den „natiirlichen Zins" auf eine physische Produktivitat bezog. Das lafit sich aber, wie sich zeigt, nicht vermeiden: gerade aus den Griinden nicht, die wir aus der WiCKSELLschen Geldtheorie entnehmen konnen. Es ist unmoglich, sich relative Tauschwerte zu denken, die in ihrer Entwicklung unabhangig sind von den absoluten Geldeinheiten, in denen Kreditkontrakte abgeschlossen werden. 29. WICKSELLS Ausdriicke „naturlicher" oder „realer" Zins beziehen sich jedoch so sehr auf eine rein physische Produktivitat, daB ich, um falsche Assoziationen zu vermeiden, im folgenden doch eine neue Terminologie einfuhren mochte. Ich mochte die in Geldeinheiten errechnete preismaBige Produktivitat, die ich an Stelle der WiCKSELLschen physischen Produktivitat einfuhre, als Ertragsquote des Bealkapitals bezeichnen. Wir fragen uns nun, wie sich diese Ertragsquote errechnet. Jede Berechnung einer Ertragsquote muB sich naturlich auf eine zeitliche Periode beziehen. Zwei verschiedene Berechnungsweisen sind dabei moglich: man kann entweder die Ertragsquote ex post oder ex ante betrachten. Nach erster Berechnungsweise wird die Ertragsquote aus den wahrend der Periode verwirklichten Ertragen und Kosten errechnet. Nach der zweiten Berechnungsweise wird die Ertragsquote von Ertragen und Kosten berechnet, die im Ausgangsmoment nur in Eorm kapitalisierter Antizipationen von solchen Ertragen und Kosten vorhanden sind. Die erste Berechnungsweise ist eine „Buchfuhrung" iiber das, was wahrend einer vergangenen Periode geschehen ist, die zweite Berechnungsweise ist die Kalkulation von etwas, das in Zukunft geschehen wird. Diese letzte Berechnungsweise, die die auf eine Gegenwartslage diskontierten Antizipationen, d. h. die erwartete Rentabilitdt des Unternehmens zugrundelegt, ist naturlich fur die Dispositionen der Unternehmer entscheidend und nicht die Rentabilitat wahrend einer verflossenen Periode. Diese hat hochstens indirekte Wirkung, indem sie einen Anhalt gibt fur die Berechnung zukunftiger Rentabilitat. Da die Gegeniiberstellung von Geldzins und „naturlichem Zins" in der Geldtheorie WICKSELLS die Funktion hat zu erklaren, wie der kumulative ProzeB durch die Verhaltensreaktionen der Unternehmer zustande kommt, ist es offenbar, daB in dieser Theorie nur die antizipierte Ertragsquote von unmittelbarem Interesse ist. Nur um diese kann es sich hier handeln. Wir werden dabei auch angeben, worin der Unterschied liegt zwischen diesen beiden Berechnungsweisen, d. h. wie die ,,Buchfuhrung" fur eine schon vergangene Periode sich von den exante-Kalkulationen fur dieselbe Periode unterscheidet. 30. Um mit dem Geldzins verglichen werden zu konnen — was ja in der Konstruktion WICKSELLS vorausgesetzt wird —, muB die Ertragsquote offenbar errechnet werden als die Quote zwischen Nettoertrag eines Realkapitalobjektes und seinem Kapitalwert. Dieser Nettoertrag
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muB aus den gleichen Griinden so berechnet werden, daB prinzipiell das vom Kapitalwert reprasentierte Vermogen unverandert erhalten bleibt. Die Forderung, daB die Ertragsquote von einem unveranderten Vermogenswert berechnet werden soil, um mit der Definition des Zinses kongruent zu sein, enthalt zunachst folgendes. Eine gewisse Wertanderung des Realkapitales ist regelmaBig antizipiert, und diese antizipierte Wertanderung muB also aus dem Rohertrag kompensiert werden, ehe der Reinertrag vorliegt. Der Nettoertrag muB so berechnet werden, daB man vom Bruttoertrag nicht nur die an die kooperierenden Produktionsmittel gehenden Betriebskosten absetzt, sondern auch einen Betrag, der der im betreffenden Zeitablauf eintretenden Wertminderung bzw. dem Wertzuwachs entspricht. Wertminderung und Wertzuwachs enthalten die kontinuierliche und vorausgesehene Wertanderung, die das Realkapital wahrend eines Zeitabschnitts erfahrt. In dieser Wertveranderung sind Kapitalgewinne und Kapitalverluste nicht einbegriffen, die ja stets Abweichungen von den Antizipationen darstellen und die darum erst nach ihrem Eintreffen in der Berechnung der danach kalkulierten, antizipierten Ertragsquote berucksiehtigt werden diirfen. Auf dem Umweg iiber den dadurch verursachten hoheren bzw. niedrigeren Kapitalwert beeinflussen sie dann auch die Berechnung der danach geltenden Wertanderungsansatze und damit des Nettoertrages und der Ertragsquote. 1 Von den Kapitalgewinnen und Kapitalverlusten wird sogleich weiteres zu sagen sein, wenn wir zu den ex-post-Berechnungen der Unternehmungsresultate kommen. Sie treten naturlich nicht in den ex-ante-Kalkulationen auf, die Erwartungen von Gewinnen und Verlusten sind da in den Ertrags- und Kostenerwartungen eingeschlossen. Beziiglich des Wertanderungsansatzes soil hier nur noch eines hinzugefugt werden. Er bestimmt sich zunachst nicht nach dem rein ,,technischen" VerschleiB, bzw. der Ausreifung (z. B. bei wachsendem Wald) in der nachstfolgenden Einheitsperiode. Fiir das spezielle theoretische Argument, ftir das der Begriff der Ertragsquote hier verwendet werden soil,2 spielt es namlich keine Rolle, ob die (positive oder negative) Wertanderung durch solche antizipierte technische Veranderungen verursacht wird oder mit vorausgesehener Veranderung der relativen Preise zusammenhangt: bevor die Ertragsquote fiir ein Kapitalobjekt berechnet werden kann, muB ein Betrag vom Bruttoertrag abgezogen oder ihm zugezahlt werden, der genau der antizipierten Wertveranderung des Kapitalobjekts vom gegenwartigen bis zum nachsten (am Ende der nachsten Einheitsperiode liegenden) Kalkulationsmomente entspricht und der am einfachsten als die antizipierte Differenz der Kapitalwerte beider Zeitpunkte berechnet wird. 3 1
Siehe unten Kap. IV, § 32. Siehe unten Kap. IV, § 33. 2 Wir denken uns dann den Kapitalwert eines Realkapitales zusammengesetzt aus zwei GroBen: 1. dem hypothetischen Kapitalwert des Realkapitales, der sich ergeben wiirde, wenn ganz dieselben Bruttoertrage und Betriebskosten fiir eine ewige Zukunft 2
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Fur ein Kapitalobjekt von ewiger Dauer in einer stationaren Wirtschaft wiirde dieser Betrag naturlich gleich Null zu setzen sein. I n einem aktuellen Fall wiirde die Berechnung gerade dieser GroBe in der Nettoertragsberechnung um so schwerer durchzufuhren sein, als die preismaBigen Erwartungen der Unternehmer nur in groben Wahrscheinlichkeitsreihen vorliegen und die ganze Berechnung durch gewisse nicht a priori gegebene wertmafiige Attitilden gegeniiber dem Risikomoment dieser Wahrscheinlichkeitsreihen kompliziert wird. 31. Der Nettoertrag (e') fur ein Unternehmen, berechnet fur eine Einheitsperiode ex ante in einem Preisbildungsmoment ergibt sich als: die diskontierte Summe samtlicher Antizipationen der Bruttoeinkommen in der nachsten Einheitsperiode (b'); minus diskontierte Summe samtlicher Antizipationen der Bruttokosten in Form von Betriebskosten fiir kooperierende Produktionsmittel in der gleichen Periode (m'); minus Wertanderungssaldo, berechnet fiir die Periode, teils mit Rticksicht auf samtliche Einkommens- und Kostenerwartungen fiir die ganze verbleibende Dauerhaftigkeit des Realkapitals und teils mit Riicksicht auf die in der Preisbildungslage herrschenden und fiir die Zukunft antizipierten Zinssatze. Der Wertanderungssaldo ist dann definiert als die Differenz zwischen dem gegenwartigen Kapitalwert des Realkapitales und dem antizipierten Kapitalwert am Ende der Einheitsperiode. Auch dieser Wertanderungssaldo ware auf den gegenwartigen Moment zu diskontieren (d'). Es ergibt sich also
e' = b'~ (m' + d').
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Vor der Diskontierung muB jede Einkommens- oder Kostenerwartung (es besteht ja fiir jedes einzelne Einkommens- oder Kostenelement eine ganze Wahrscheinlichkeitsreihe) multipliziert werden mit einem Koeffizienten, der den angenommenen Wahrscheinlichkeitsgrad angibt und danach mit einem zweiten Koeffizienten, der die wertmaBige Attitiide gegeniiber dem Risikomoment ausdriickt, die auf Seiten des Unternehmers gerade gegeniiber einer so beschaffenen Wahrscheinlichkeit gegeniiber einem so beschaffenen zukiinftigen Kosten- oder Einkommensantizipiert wtlrden, wie fur die nachstliegende Einheitsperiode, und 2. dem Kapitalwert der Antizipationen von zukiinftigen Abweichungen davon. Um den totalen gegenwartigen Vermogenswert, der die Summe dieser beiden Kapitaiwerte ist, unverandert zu erhalten (abgesehen von Gewinnen und Verlusten, die in Zukunft von geanderten Antizipationen verursacht werden konnen), muB der zweite Kapitalwert getilgt und verzinst werden, was offenbar gleichbedeutend ist mit den (positiven oder negativen) Einzahlungen zu einem ,.sinking fund". Der Tilgungsplan dieses zweiten Kapitalwertteiles muB dann so bestimmt werden, daB — bei gegebenen Antizipationen auch bezilglich zukiinftiger Zinssatze — erstens dieser Kapitalwertteil am Ende der Dauerhaftigkeit des Realkapitals ganz amortisiert wird, und daB ferner fiir jeden zukiinftigen Zeitpunkt die Summe der beiden Kapitalwertteile gleich dem antizipierten Kapitalwert des Realkapitales an diesem Zeitpunkt ist. Verzinsung und Amortisation dieses zweiten Kapitalwertteiles reprasentiert dann einen Wertanderungsansatz, der die Differenz zwischen dem Kapitalwert eines Realkapitals am Reginn einer Periode und dem antizipierten Kapitalwert am Ende dieser Periode entspricht.
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element besteht. In Wirklichkeit geschieht natiirlich diese Bereehnung nur grob und summarisch, was jedoch nicht hindert, daB in der Analyse das theoretische Schema dieser Bereehnung klar vor Augen gehalten werden muB. 1 Die Ertragsquote erhalt man dann durch Dividieren des so berechneten Nettoertrages durch den Kapitalwert (c^) des Kapitalobjekts im Kalkulationsmomente. 32. Alles Gesagte bezieht sich auf eine Ertragsberechnung ex ante. Aus Griinden, die ich vorher entwickelt habe, ist es diese Bereehnung ex ante, die dem Hauptargument in der Theorie WICKSELLS entspricht. Es sei nun aber als eine Parenthese in der positiven Darstellung kurz angedeutet, wie eine ex post ausgefuhrte Ertragsberechnung aussieht, und in welchen Beziehungen diese sich von der ausgefuhrten ex - ante- Bereehnung unterscheidet. Der allgemeine Grund, warum hier ein Unterschied besteht, ist das Unsicherheitsmoment in den Antizipationskalkulen. Der technische ProduktionsprozeB erfordert Zeit, wahrend dieser Zeit treten Veranderungen ein, die nicht in voller Gewifiheit antizipiert werden. Daraus folgen Gewinne und Verluste. Diese Gewinne und Verluste sind prinzipiell weder Einkommens- oder Ertragselemente noch Kostenelemente, sie sind auch nicht Kapitalwerte. Sie sind nicht Preise, sondern Preisdnderungen. Es sei hier zwischen drei Arten von Gewinnen und Verlusten unterschieden: 1. Die eigentlichen Kapitalgewinne und Kapitalverluste. Sie entstehen dadurch, daB die Antizipationen des TJnternehmers beziiglich zukunftiger Ertrage und Kosten sich andern, wobei unmittelbar der Kapitalwert des Realkapitales steigt oder fallt; denn dieser Kapitalwert ist ja nichts anderes als eine Summe diskontierter Ertrags- und Kostenerwartungen. Wenn diese Kapitalgewinne und Kapitalverluste sich nur auf die nach der betreffenden Periode anfallenden Ertrage und Kosten beziehen, bezeichnen sie nicht einen Unterschied zwischen den Ertragsquoten ex post und ex ante. Der Kapitalwert steigt oder fallt zwar im Momente der Antizipationsanderung mit dem Betrage der Gewinne oder des Verlustes, aber in derselben Proportion steigt oder fallt auch der Wertanderungsansatz und damit der Nettoertrag, so daB die Quote zwischen Kapitalwert und Nettoertrag ex post und ex ante die gleiche ist (angenommen unveranderte Zinserwartungen). Auch bei unveranderten Antizipationen zukunftiger Ertrage und Kosten konnen Kapitalgewinne und -verluste dieser Art entstehen, wenn namlich die Zinserwartungen, die ja die Diskontierungsfaktoren darstellen, sich andern. Auch dadurch andern sich die Wertanderungsansatze und mit ihnen die Kapitalwerte, die Ertragsquoten werden den neuen Zinserwartungen angepaBt. Nun konnen sich auch zugleich Ertrags- wie 1 Fur dieses und das Folgende verweise ich auf meine Arbeit „Prisbildningsproblemet och foranderligheten", Uppsala 1927, in der ich versucht habe, den Antizipationsfaktor in die Preisbildungserklarung hineinzuarbeiten.
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Kosten- wie Zinserwartungen andern, was dann nur noch eine rechnerische Komplikation 1st.1 2. Die Ertrags- und Kostengewinne bzw. -verluste. Diese entstehen auch infolge von Veranderungen der Antizipationen, aber in unmittelbarem Zusammenhang mit eintretenden Ertragen oder Kosten. Sie entstehen, wenn diese im Momente ihrer Fdlligkeit ein Plus oder ein Minus gegeniiber dem Werte darstellen, mit dem sie in den vorhergehenden Antizipationen eingesetzt waren. Das muB ganz regelmaBig der Fall sein, insoweit Ertrage und Kosten nicht mit voller GewiBheit antizipiert worden sind. Der Gewinn oder Verlust liegt dann gerade in dem Umstande, daB der Kapitalwert im Momente der Realisierung des erwarteten Ertragsoder Kostenelements nicht proportional mit dem Ertrag oder den Kosten gesunken bzw. gestiegen ist, was naturlich geschehen ware, wenn das Ertrags- oder Kostenelement genau den dafiir angesetzten Erwartungen in den ex-ante-Kalkulationen entsprochen hatte. 2 3. Die Investierungsgewinne und Investierungsverluste. Diese entstehen, wenn die neukonstruierten Realkapitalien im Momente der Betriebsfertigstellung einen Kapitalwert realisieren, der groBer bzw. kleiner ist als die Summe der Produktionskosten dieser neuen Realkapitalien. Antizipationen solcher Investierungsgewinne und -verluste durch die Unternehmer sind der privatkapitalistische Motor im Ablauf des WiCKSELLschen dynamischen Prozesses. I n diesem Zusammenhang, wo wir nur die Ertragsquote der vorhandenen Realkapitalien besprechen, konnen sie auBer acht gelassen werden. Es soil hier nur noch folgendes hervorgehoben werden: In einer ex-post-Rechnung sind Gewinn- und Verlustmomente unvermeidbar. Es ist z. B. unmoglich, sie einfach dadurch zu vermeiden, daB man eine „sehr kurze Periode" analysiert. Auch eine theoretische ex-postBerechnung, die die zeitliche Lange der Periode immer kiirzer machen wiirde und dadurch AnschluB an die Zinseszinsformel zu gewinnen versuchen wiirde, konnte diese Schwierigkeit nicht umgehen: Ertrage und Kosten miissen ja irgendwann einmal aktuell eintreten, und da sie naturlich das Moment der Uberraschung enthalten, soweit sie nicht in voller GewiBheit antizipiert worden sind, erhalt man Gewinn- und VerlustgroBen in der Einkommensberechnung, gleichgiiltig, wie kurz man die Perioden wahlt, in die man den Ablauf zerlegt. Ganz Entsprechendes gilt fur die Veranderungen des Wertanderungsansatzes, die bei Kapitalgewinnen und Kapitalverlusten mit den Veranderungen der Erwartungen verbunden sind. 33. Kehren wir aber zu unserer durch die Argumentation prinzipiell gebotenen ex-ante-Berechnung der Ertragsquote zuriick. Wir haben den Nettoertrag analysiert und die Ertragsquote definiert als die Quote, 1 t)ber die Beziehung zwischen Ertragsquote, definiert als die Relation des Nettoertrages zum Kapitalwert, und Kapitalzins siehe Kap. IV, § 33. 2 Diese Ertrags- und Kostengewinne bzw. -verluste wiirden den ,,windfalls" bei KEYNES entsprechen, wenn KEYNES diesem Begriff eine klare Definition gegeben hatte, was er freilich nicht getan hat. Ftir die unter (1) besprochenen Kapitalgewinne und Kapitalverluste hat er uberhaupt keinen Platz in seinem System.
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die sich durch Division des so festgestellten Nettoertrages durch den Kapitalwert ergibt. Nun ist jedoch der Kapitalwert nichts anderes als die diskontierte Summe aller antizipierten zukiinftigen Bruttoeinkommen minus Betriebskosten. Ferner ist die Ertragsquote, um mit dem Zins zusammengestellt werden zu konnen, so definiert worden, da8 der Vermogenswert unverandert bleibt •— das ist ja der Grund, warum die antizipierte Wertminderung vom Bruttoeinkommen abgezogen und der antizipierte Wertzuwachs hinzugerechnet worden ist. Also ist der Kapitalwert auch gleich dem kapitalisierten Wert eines ewigen Nettoertrages in der Hbhe desjenigen der nachsten Einheitsperiode (oder gleich dem kapitalisierten Wert eines unveranderten Nettoertrages fiir eine beliebige Anzahl von Zeiteinheiten in der Zukunft plus Kapitalwert am SchluB dieser Periode. Der Kapitalwert ist mit anderen Worten von diesem Gesichtspunkt aus gesehen nur ein preisbildungsmaBiger Reflex der beiden GroBen: Nettoertrag und „Marktzins" (und was den letzteren betrifft, wenn wir verschiedene Arten desselben berucksichtigen: ein Reflex der gerade fiir das betreffende Unternehmen relevanten Arten von „Marktzins"; siehe dariiber Kap. IV, § 36). Dieses bedeutet unter anderem, daB immer und notwendig eine Ubereinstimmung zwischen der so definierten Ertragsquote und dem Leihzins auf dem Markte besteht; denn die Kapitalwerte und der Nettoertrag sind so definiert, daB sie standig diese Gleichung erfullen nmssen. Wenn es sich in einem Einzelfall zeigen sollte, daB das Nettoeinkommen der nachstfolgenden Periode sich zum Kapitalwert nicht verhalten wiirde wie der Marktzins, so muB die Ursache die sein, daB man entweder nicht mit den fiir das betreffende Unternehmen relevanten Arten von Marktzins gereehnet hat oder daB man nicht den „richtigen" Wertanderungsansatz errechnet hat, den namlich, der mit Rucksicht auf alle Antizipationen (und nicht nur die technischen oder buchfuhrungsmaBigen) diese vorausschauende Bilanz aller Einkommens- und Kostenelemente schafft, die gerade durch eine Ubereinstimmung des Marktzinses auf der einen Seite und der Quote von Nettoertrag und Kapitalwert auf der anderen Seite gekennzeichnet wird. Und nur wenn man in diesem Sinne „richtig" kalkuliert hat, kann das Verhaltnis von „Marktzins" und „naturlichem Zins" uberhaupt die Rolle erfullen, die ihm in der WiCKSELLschen Geldlehre zuerteilt wird (was naturlich mein einziges Kriterium in dieser immanenten Analyse ist; es handelt sich hier nicht um einen begrifflichen Realismus). Es ist z. B. nicht moglich, eine mangelnde Ubereinstimmung zwischen „Marktzins" und ,,naturlichem Zins" dadurch vorstellbar zu machen, daB man ganz einfach den Teil der Wertminderung oder des Wertzuwachses ignoriert, der nicht auf vorausgesehenen, rein technischen Veranderungen des Realkapitals beruht, d. h. den Teil ignoriert, der aus antizipierten Preisanderungen sich ergibt. Denn angenommen, man verfiihre in dieser Weise und errechnete einen technisch bestimmten Amortisationsfaktor, von dem wir einmal annehmen wollen, er ware geringer als Wertminderung minus Wertzuwachs nach unserer Definition: man bekame dann eine „Ertragsquote", die hoher ware als der „Markt-
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zins". Wenn aber die Unternehmer fallende Produktpreise antizipieren wiirden und diese die Differenz zwischen solcher „Ertragsquote" und „Marktzins" kompensieren wiirden, so wiirde die betreffende Differenz keinen Anreiz zur Realinvestierung geben. Und das ist gerade die Funktion der Differenz in der WiCKSELLSchen Geldlehre. Aus diesem Grande kann die Wertanderung nicht durch eine mehr oder weniger konventionelle, technisch oder buchf iihrungsmaBig bestimmte Amortisationsrate dargestellt werden, wenigstens nicht im Rentabilitatsproblem. Wir werden aber im folgenden feststellen, da8 es sich bei einem anderen, fur die Geldlehre zentralen Problem anders verhalt. 1 34. Die Ertragsquote des Realkapitals muB also, wenn sie in W I C K SELLS Geldlehre passen soil, so definiert werden, daB sie immer mit dem Marktzins ubereinstimmt, und dieses Ergebnis erscheint im ersten Augenblick fur den ganzen Gedankengang recht gefahrlich. WICKSELL setzt ja voraus, daB eine Differenz zwischen ,,naturlichem Zins" und Geldzins bestehen kann. Jedoch ist zu beachten, daB sich das Argument bisher ausschlieBlich auf das schon vorhandene Realkapital bezieht. Nun sollte jedoch nach WICKSELL die Differenz zwischen „naturlichem Zins" und Marktzins ihre Wirkung gerade darin haben, daB sie zu Investierungen anreizte. 2 Das theoretische Argument WICKSELLS erfordert also, daB bei der Errechnung der Ertragsquote, die ich fiir WICKSELLS „naturlichen Zins" einsetze, die zur Neukonstruktion aufgelegten oder geplanten und nicht die vorhandenen Realkapitalien in Betracht gezogen werden. Wenn wir hiernach von Ertragsquote sprechen, meinen wir damit die Ertragsquote der geplanten Realinvestierungen. Diese ware offenbar zu definieren als Quote aus Nettoertrag der geplanten Realinvestierungen und ihren Produktionskosten. Die so definierte Rentabilitatsquote ware ein Ausdruck fiir den antizipierten ,,Investierungsgewinn", d. h. den Kapitalgewinn, den der Unternehmer dadurch machen kann, daB er Produktionsmittel kauft und zu Realkapital umschafft, das dann, wenn der Investierungsgewinn positiv ist, im Momente der Betriebsfertigstellung einen hoheren Wert darstellt als die Summe seiner Reproduktionskosten. Der antizipierte Investierungsgewinn ist natiirlich gleich dem kapitalisierten Wert der Differenz zwischen erwartetem Nettoertrag und Leihzins. Aus Griinden, die spater klar werden werden, soil diese Definition jedoch etwas modifiziert werden: statt des Nettoertrags der geplanten Realkapitalien wird derjenige der vorhandenen Realkapitalien gesetzt und statt der Produktionskosten der geplanten die Beproduktions'koaten der 1
Siehe Kap. V, § 48. WICKSELL, ,,Vorlesungen", S. 179: ,,Einen Darlehenszins, welcher so einen unmittelbaren Ausdruck des realen KapitalzinsfuBes bildet, nennen wir normal. Um diesen Begriff wirklich scharf zu fassen und zu definieren, mussen wir uns jedoch liber den eigentlichen Begriff des Realkapitals klar Rechenschaft geben. Natiirlich handelt es sich hier zunachst nicht um das bereits an die Produktion gebundene, mehr oder minder teste Kapital, wie Gebaude, Schiffe, Maschinen usw., denn sein Ertrag hat nur mittelbaren EinfluB auf den ZinsfuB, insofern namlich, als er zum Anwenden neuen Kapitals in der Produktion verlocken oder davon abschrecken kann. Dieses letztere, das Kapital in seiner beweglichen, freien und ungebundenen Form, ist gerade das, was hier in Frage kommt." 2
Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheoretischen Analyse.
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vorhandenen Realkapitalien. Die Ertragsquote der geplanten Realinvestierungen wird dann also reprasentiert — wieso das moglich ist, wird sich spater ergeben — durch das Verhaltnis von Nettoertrag (e') und Reproduktionskosten (r'1) der vorhandenen Realkapitalien. Bei dieser Definition fur die Ertragsquote der Neuinvestierungen (i0') als
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habe icb zunachst davon abgesehen, daB die technische Entwicklung und die Entwicklung der fur die Produktionskosten des Realkapitals relevanten relativen Preise fur das geplante neue Realkapital standig eine neue Konstruktionsmethode zur optimalen macht, die von der der alten Realkapitalien abweicht. Diese wirklichkeitsfremde Approximation wird weiter unten Kap. IV, § 38 diskutiert und fallen gelassen werden. I n einer aktuellen Situation wiirde es sicher eine sehr schwierige, wenn nicht praktisch unmogliche Aufgabe sein, die so definierte Ertragsquote der Neuinvestierungen eines Unternehmens zu errechnen, und zwar wegen des darin entbaltenen schwer greifbaren Nettoertragsbegriffes. Dieser Umstand soil uns aber gegenwartig nicht kummern, sondern spater behandelt werden. Das einzige, was zunachst behauptet wird, ist, daB die Definition in abstracto klar ist und daB sie gerade das zum Ausdruck bringt, was WICKSELL in seiner merkwurdigen Konstruktion des „naturlichen Zinses" zum Ausdruck bringen wollte, und die Ergebnisse enthalt, zu denen WICKSELL von seinen Ausgangspunkten aus hatte kommen miissen, wenn er seinen Gedankengang folgerichtig zu Ende gedacht und dabei besonders das in der Veranderlichkeit enthaltene Antizipationsmoment in den Ertrags- und Kapitalisierungsberechnungen beriicksichtigt hatte. 1 35. Wir haben also die Ertragsquote eines Unternehmens fur Realinvestierungen definiert als
Ferner ist in diesem Unternehmen
e' = 6' — (m' + d').
Addieren wir nun die Einkommen fur samtliche Unternehmer in einer geschlossenen Wirtschaft, so erhalten wir: He = Eb — ( I m +
2d),
wobei He das gesamte Nationaleinkommen in Geld darstellen wiirde, wenn alle Einkommen als Kapitaleinkommen berechnet werden. Eine wichtige allgemeine Voraussetzung der WiCKSELLschen Theorie ist nun, daB der ,,naturliche Zins" fiir alle Unternehmen in der Wirtschaft derselbe ist, d. h. bei Gleichgewicht, wo er gleich dem Geldzins (i) ist. Er spricht ja standig von dem „naturlichen Zins" in der bestimmten 1 WICKSELL spricht oft selbst von ,,Gewinnchancen" und ahnlichem, statt vom ,,naturlichen Zins". 26 Beitrage zur Geldtheorie.
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Form. tJbertragen wir diesen Gedankengang auf die Ertragsquote in unserer Definition, so erhalten wir: • t
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• //
— *o
• ///
— *o
• ////
— •'o
•
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— *o>
wenn i0 = i. Dann ist auch
• _
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B — (M _ + D) f
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wobei i0 die in der ganzen Wirtschaft einheitliche Nettoertragsquote bei Realinvestierungen darstellt, wobei ferner B = Eb, M = Em, D = Ed und Bx = Erx. Die Voraussetzung, die zu diesem letzten Ergebnis fiihrt, ist jedocb. offenbar nicht zu halten, und es soil sogleich unsere Aufgabe sein, berauszufinden, wie wir sie fallen lassen konnen. Nehmen wir sie zunachst als erfiillt an, so konnen wir die WiCKSBLLsche Gleichgewichtsbedingung folgendermaBen formulieren: . _ . _ B—(M + D)
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Dieses ware also der Inhalt in WICKSELLS erster Bestimmung der geldtheoretischen Gleichgewicbtslage. 36. Vom Standpunkt der praktischen Anwendbarkeit ist jedoch an der Gleichung i = i0 in der soeben festgelegten Bedeutung mancherlei auszusetzen. Sie ist naturlich theoretisch klarer und praktisch greifbarer als nach WICKSELLS eigener Definition, denn sein ,,naturlicher Zins", gedacht als eine physische Grenzproduktivitat, ist ja ein Begriff, der iiberhaupt nicht dieser Welt angehort. Aber trotz dieser verhaltnismaBig groBeren Klarheit erbietet die Formel nach wie vor gewisse Schwierigkeiten bei ihrer praktischen Anwendung. Zunachst ist i, der Geldzins, eine recht verwickelte Angelegenheit, sobald man die Formel auf das Beobachtungsmaterial anwenden will. I n der Wirklichkeit gibt es ja keinen einheitlichen ,,Geldzins", sondern eine Menge verschiedenartiger Zinssatze, differenziert nach der verschiedenen Laufzeit der Darlehen usw. Eine ganze Menge anderer Diskriminationen zwischen verschiedenen Arten von Kredit durch Differenzierung der anderen Kreditbedingungen neben dem Zinssatz sind ferner ein regelmaBiges Element der gewohnlichen Bankpolitik und werden das in der Zukunft vielleicht noch mehr sein, wenn die Bankpolitik starker in den Dienst der Geldpolitik gestellt wird und die Bankleute einen klareren Blick fur die Bedeutung der verschiedenen Elastizitatsgrade verschiedener Arten von Kreditnachfrage bekommen. 1 Der WicKSELLsche „Geldzins" steht also in seiner Geldtheorie als abstrakter Meprdsentant oiler dieser verschiedenartigen „Bedingungen" fur Kreditgewahrung, und bei der 1
Siehe LINDAHL, „Pennmgpolitikens medel", S. 22, 51 ff.
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Airwendung der Theorie kann er daher nicht ohneweiters in der Wirklichkeit wiedergefunden werden. Ebenso schwer greifbar ist i0, der „natiirliche Zins", den wir bestimmt haben als eine Quote zwischen Nettoertrag und Reproduktionskosten des Realkapitals. Zunachst ist diese GroBe, wie schon hervorgehoben, nicht die gleiche fur verschiedene Unternehmungen. Aber auch wenn wir zunachst davon absehen und uns nur an ein einzelnes Unternehmen halten, so ist i0' praktisch schwer zu bestimmen. Der Nettoertrag kann nur berechnet werden auf Grund einer Kenntnis der Preiserwartungen der Unternehmer sowie einer Kenntnis ihrer wertmaBigen Einstellungen gegeniiber dem Risikofaktor. Diese Schwierigkeit tritt besonders hervor beim Bestimmen der antizipierten WertanderungsgroBe. Und wir haben soeben gezeigt, daB in dem geldtheoretischen Argument, in dem die GroBe i0 verwendet wird, diese WertveranderungsgrbBe nicht ersetzt werden kann durch eine konventionelle, technisch oder buchfuhrungsmaBig bestimmte Abschreibungsquote (s. o. Kap. IV, §33). 37. Der Gleichgewichtsbedingung kann man jedoch sehr einfach eine andere Form geben, die dasselbe besagt, aber bei einer praktischen Anwendung in der Analyse einer aktuellen Lage nicht auf dieselben Schwierigkeiten stoBt. Wir haben gemaB Definition:
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. e' e" e'" i — —j = —r,= —fn usw.
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— ., in USW. 'i
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DemgemaB konnen wir ohneweiters die Beziehungen zwischen i und i0 ersetzen durch die Beziehungen von r1 und c r Die geldtheoretische Gleichgewichtsbedingung konnte also ebensogut formuliert werden als fibereinstimmung zwischen Kapitalwert und Beproduktionskosten des Realkapitals. Statt der Differenz zwischen ia und i konnten wir die Dijferenz zwischen cx und rx einsetzen. Diese Gleichgewichtsformel hat nun vom Standpunkt ihrer praktischen Anwendbarkeit wesentliche Vorteile. Zunachst ist die schwer greifbare GroBe „Geldzins" nicht explizite in der Gleichgewichtsformel enthalten. Aber trotzdem sind alle die realen Kreditbedingungen, die durch die GroBe ,,Geldzins" in der WiCKSELLschen Theorie reprasentiert werden, implizite in den Kapitalwerten enthalten. Und mehr noch: fur jedes Realkapitalobjekt enthalt sein Kapitalwert gerade die Arten von Kreditbedingungen und diese gerade in den Proportionen, die fur die Kapitalisierung zukiinftiger Einkommens- und Kostenerwartungen in gerade dieser Sektion des Wirtschaftslebens von Bedeutung sind. I m Kapitalwert ist der „Geldzins" in der Weise ausgedriickt, die fur das geldtheoretische Argument adaquat ist. Ahnlich liegt es mit der Nettoertragsquote. I n der neuen Formel ist der Nettoertrag nicht explizite enthalten. Aber in den Kapitalwerten 26*
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sind gerade die Antizipationen iiber zukiinftige Preis- und Produktionsverhaltnisse und gerade die Risikoattitiiden, die die eigentliche Schwierigkeit bei einer praktischen Anwendung des Nettoertragsbegriffes ausmachen, schon ausgedriickt, und zwar, wie wir schon feststellten, in einer fur das Argument adaquaten Weise. Die ReproduktionsTcosten der Realkapitalien miissen natiirlich auch fur die neue Formel durch Beobachtung festgestellt werden, gleichwie fiir die alte. Wir sind aber dem ganzen Komplex „Geldzins" und seiner Bestimmung ebenso wie dem Begriff „Nettoertrag" aus dem Wege gegangen. Beide werden adaquat dargestellt von den faktischen Kapitalwerten. Es ist dem nur hinzuzufiigen, daB wir bier nicht nur die Kapitalwerte —• was ja selbstverstandlich ist —, sondern auch die Reproduktionskosten des Realkapitals prinzipiell auffassen als Summen von Antizipationen, die auf einen Zeitpunlct diskontiert sind. Zuzugeben ist, daB fur die Zusammenstellung der Produktionskosten die Diskontierung von geringerer praktischer Bedeutung ist, da der von den darauf beziiglichen Antizipationen umspannte Zeitraum gewohnlich so sehr viel kiirzer ist, ganz einfaoh deshalb, weil im allgemeinen die Produktionszeit dauerhafter Realkapitalien wesentlich kiirzer ist als ihre Ausnutzungszeit. Aber prinzipiell sind auch die Reproduktionskosten in Antizipationen zu rechnen. Diese Methode ist dadurch bedingt, daB Neukonstruktion von Realkapital doch eine gewisse Zeit beansprucht, wahrend fiir die Geldtheorie der momentane Beschlu/S zur Neukonstruktion entscheidend ist, der zu den relevanten Nachfrageverschiebungen fiihrt. 38. Die praktische Anwendung dieser Gleichgewichtsformel cx — r 1 = = 0
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wiirde ungefahr wie folgt aussehen: man wiirde zwei Indizes konstruieren, einen fiir cx und einen fiir rr. Der Kapitalwertindex wiirde die Kapitalwerte des vorhandenen Realkapitals reprasentieren. Der Beproduktionskostenindex wiirde Angaben enthalten miissen iiber Preise fiir die Mengen von Arbeit, Kapitaldisposition (wahrend der in Aussicht genommenen Konstruktionszeit), Maschinen und Werkzeuge sowie Rohmaterialien, die in die Produktionskosten der RealkapitaHen eingehen. Die Mengen miiBten natiirlich gewogen werden nach der relativen Bedeutung der verschiedenen Preisgruppen fiir die Produktionskosten verschiedener Arten von Realkapital. Wenn diese beiden Indizes parallel lauf en wiirden, wiirde dann geldtheoretisches Gleichgewicht bestehen. Die Differenz ihrer Bewegungen wiirde die geldtheoretisch relevanten Rentabilitatsdifferenzen zum Ausdruck bringen. Eine Menge Schwierigkeiten muB jedoch noch iiberwunden werden, ehe eine solche praktische Anwendung der Gleichgewichtsformel moglich sein soil. Alle diese Schwierigkeiten entstehen durch gewisse abstrakte und wkklichkeitsfrem.de Annahmen in der urspriinglichen Analyse, die nun fallen gelassen werden miissen. Eine Schwierigkeit liegt zunachst in der technischen Entwicklung
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und der Veranderung der relativen Preise. Aus diesen beiden Griinden konstruiert man namlich neues Realkapital nicht in ganz derselben Weise, wie das alte konstruiert war. Ich erinnere an meine Voraussetzung fur die vorhe:gehende Analyse beziiglich unveranderter Technik (s. o. Kap. IV, § 34). Nur wegen dieser Voraussetzung habe ich durch die Beziehung cx — rt den antizipierten „Investierungsgewinn" darstellen konnen, die Formel miifite eigentlich lauten c 2 — r2, wobei c 2 der erwartete Wert des neuen, nach einer neuen technischen Optimalmethode konstruierten Realkapitals ist und r 2 gleich der Summe der dafiir vorausberechneten Produktionskosten; sowohl c 2 wie auch r 2 sind natiirlich schwerer greifbar, besonders c2, das nicht durch einen Marktpreis reprasentiert ist wie c 1; sondern nur in den Antizipationen der Unternehmer existiert. Mit Riicksicht auf die veranderte Konstruktionstechnik miifite man also vor der Zusammenstellung der Indizes cx und rx den letzteren mit Hilfe eines Korrektionsausdruckes adjustieren, durch den moglichst genau die folgende Grofie zu erfassen ware: der Vnterschied im ervxirteten Nettoertrag einer gegebenen Investierungssumme, einmal wenn investiert nach der alten Konstruktionsmethode und das andere Mai, wenn investiert nach der neuen optimalen Methode. Man hatte dabei natiirlich auch Veranderungen in der optimalen Unternehmungsgrofie zu beriicksichtigen. Der erwartete Nettoertrag wiirde dann natiirlich als e in unserer zuvor diskutierten Nettoertragsformel definiert werden, d. h. als e = b — (m -f d). Ein Korrektionskoeffizient, der in dieser Weise konstruiert wiirde, wiirde zwar die Schwierigkeit restlos losen, es ware aber doch in der Praxis ausgeschlossen, einen vollstandig befriedigenden Korrektionsausdruck dieser Art zu gewinnen wegen Mangels der notwendigen Daten. Es ware aber vielleicht nicht unmoglich, gleichwohl eine statistisch anwendbare Losung dieses indextheoretischen Details zu linden. 39. Eine andere Schwierigkeit liegt in dem Umstand, dafi die Realkapitalien samt und sonders in „going concerns" gebunden sind. Die Kosten fiir verschiedene Realkapitalien sind zum grofien Teil verbundene Kosten, ebenso wie die Einkommen, und unter dynamischen Bedingungen haben daher die einzelnen Realkapitalien kerne bestimmten Kapitalwerte. Es gibt kerne Preisbildung innerhalb der Unternehmen, und die buchmafiigen Werte sind zum grofien Teil Fiktionen. Die Unternehmen selbst sind daher die kleinsten Preisbildungseinheiten. x Wenn man dann den Kapitalwertindex in der Weise berechnet, dafi man die Werte ganzer ,,going concerns" nimmt, so muB in die Kosten fiir Neuaufbau oder Ausdehnung von „going concerns" eine Menge Organisations- und Reklamekosten u. a. eingerechnet werden, die dann fiir den Reproduktionskostenindex zu beriicksichtigen waren. Bei einer statistisch approximativen Losung des Problems diirfte man hierin jedoch kaum auf uniiberwindbare Schwierigkeiten stoBen. 1
Siehe MYRDAL, „PrisbildnmgsprobIemet och foranderligheten", S. 57ff.
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Aber wie sollen Kapitalwerte von „going concerns" beobachtet werden ? Ein Vorschlag ware natiirlich der, einfach einen Index der Borsenwerte fur Aktien und Obligationen von Industrieunternehmen zu verwenden. Jedocb ist nur eine sehr geringe Anzahl aller Unternehmen an der Borse notiert. Die an der Borse notierten Unternehmen, als Gruppe betrachtet, unterscheiden sich dazu in so fundamentalen Beziehungen von den nichtborsenmaBig notierten Unternehmen, nicht zum wenigsten auch was die preisbildungsmaBige Bestimmung der Kapitalwerte angeht, daB man sie unmoglich als reprasentativ in statistischem Sinne ansehen kann. Die Auswahl ist das genaue Gegenteil von „random", und der statistische Fehler muB groB und von systematischem Charakter sein. Die Unternehmen, die an den Borsen notiert werden, sind z. B. meistens „eingearbeitet" auf ihren Markten, sie haben eine monopolistische Stellung auf ihren Markten, die der Durchschnitt aller Unternehmen nicht hat, und die Verbindung zwischen ihren Kapitalwerten (an der Borse) und dem Reproduktionskostenindex kann nicht als typisch angesehen werden als Bestimmungsgrund fur Tempo und Urnfang der Realinvestierungen. Es ist also zunachst klar, da8 ein solcher Borsenindex erganzt werden muB durch Kapitalwerte fur andere Firmen, die von anderen Beobachtungsgebieten entnommen sind (Werte von landwirtschaftlichen Betrieben und stadtischen Grundstiicken, nicht borsenmaBig notierte Industriefirmen usw.). Diese Erganzung diirfte moglich sein durch vollstandigere Preisbeobachtungen auf den betreffenden Markten, als sie gegenwartig zur Verfugung stehen. 40. Bei einer Kritik des Borsenindex als Kapitalwertindex haben wir schon eine mehr prinzipielle Schwierigkeit beriihrt, die in der Tat ihre Wurzel hat in einer bei praktischer Anwendung unhaltbaren abstrakten Voraussetzung der WiCKSELLschen Geldtheorie. Ich denke dabei an die Voraussetzung der „freien Konkurrenz" in der speziellen Bedeutung einer vollkommenen Beweglichkeit auf den Markten und vollkommenen Konkurrenz der Kapitalisten untereinander, so daB ganz automatisch der „naturliche Zins" bei Gleichgewicht sich fur verschiedene Unternehmungen auf die gleiche Hohe einstellt. Es wird dann weiter angenommen, daB die Unternehmungstatigkeit sofort einsetzt, sobald eine noch so kleine Zinsdifferenz dennoch entsteht (eine Seite des sogenannten „rationellen Handelns" 1 ). Eigentlich in Widerspruch zu diesen Voraussetzungen hat WiCKSELL doch die Vorstellung einer irgendwie „gleichmaBig" verteilten Tragheit, mit der Wirkung, daB der kumulative ProzeB dennoch Zeit erfordert und nicht „lawinenartig" wird. Bei jedem Studium einer aktuellen Lage erhebt sich nun die Frage: wie soil man sich verhalten, wenn, wie dies regelmaBig der Fall sein diirfte, die Differenz verschieden grofi ist in verschiedenen Firmen und geradezu positiv in der einen und negativ in der anderen ? Welches Prinzip kann man mit anderen Worten angeben fiir eine Zusammenstellung 1
Siehe Kap. IX, § 95.
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der Differenzen unserer beiden Indizes in verschiedenen Wirtschaftszweigen zu einem Generalindex fur diese Differenz von cx und rx, der angeben soil, ob aufs Ganze der Wirtschaft gesehen ein geldtheoretischer Gleichgewichtszustand besteht oder nicht und im letzteren Falle, in welcher Richtung die Abweichung vom Gleichgewicht verlauft und wie stark sie ist ? Eine solche gesamtwirtschaftliche Zusammenstellung mufi vorgenommen werden. Die Vorstellung eines geldtheoretischen Gleichgewichtszustandes bezieht sich nicht auf die einzelnen Unternehmen, sondern auf die Gesamtwirtschaft. Das wird im nachsten Kapitel besonders klar werden, wo der Ausdruck Ur2, d. h. die totalen Investierungen, dem totalen „freien Sparkapital" gegenubergestellt werden. Ein Wiegen ganz einfach auf Grund der GroBe der schon investierten Kapitalwerte kann vom Standpunkte des geldtheoretischen Arguments aus nicht richtig sein. Selbst wenn wir annehmen wiirden, daB die Differenz in zwei Wirtschaftszweigen gleich groB ware, wurde ein solches Wiegen doch nicht zulassig sein. I n einer Industrie, die mit sehr dauerhaftem Realkapital arbeitet, das nur langsam ausgenutzt wird, und in der die festen Kosten infolgedessen verhaltnismaBig groB sind, reagiert weder die GroBe der Realinvestitionen noch der Grad der Kapazitatsausniitzung in derselben Weise gegeniiber „schlechten Zeiten" (d. h. einer negativen Differenz), wie in einer Industrie, in der diese technischen Daten umgekehrt liegen. I n guten Zeiten kann die Investierungsreaktion gegeniiber einer positiven Differenz in diesen beiden Industrien in ganz anderer Weise verschieden sein als gegeniiber einer negativen Differenz in schlechten Zeiten. Sogar fur dieselbe Industrie und fur eine gleichgroBe Differenz von c x und r1 kann die Investierungsreaktion verschieden sein, je nach der Bewegungsrichtung der Differenz. Gerade bei Investierungen sind die okonomischen Vorgange nicht einfach reversibel, sondern die Elastizitat hat eine verschiedene GroBe, je nachdem, in welcher Richtung der Rentabilitatskurve man sich bewegt. Neben vielen anderen Umstanden spielt hier auBerdem das Monopolelement wieder hinein: ein Unternehmen in einer bestimmten Monopolsituation beziiglich Angebot und Nachfrage reagiert auf eine Verschiebung der Rentabilitatsdifferenz in anderer Weise mit Realinvestitionen als ein Unternehmen, das mehr unter dem Drucke der Konkurrenz steht. Ich betone, daB diese Schwierigkeit, die sich typisch genug bei jedem Versuche ergibt, die Theorie mit der Wirklichkeitsbeobachtung zu konfrontieren, nicht dadurch umgangen werden kann, daB man diese Konfrontierung vermeidet: sie liegt implizite schon im Argument. Jedoch ist auch diese Schwierigkeit nicht prinzipiell unuberwindlich. Die Rolle der Rentabilitatsdifferenz in der Geldtheorie ist ja die, daB sie ein Anreiz zu vermehrter Realinvestierung ist. Durch sie entsteht die Verschiebung in der Richtung der Produktion, die spater neue Veranderungen verschiedener Preisniveaus nach sich zieht und den WiCKSBLLschen kumulativen ProzeB in Gang setzt, der nicht abstoppt, bevor die Differenz nicht wieder verschwunden ist. Das ist das Hauptargument der WICK-
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SBLLschen Geldtheorie. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es daher klar, daB eine Zusammenstellung der in verschiedenen Wirtschaftszweigen festgestellten Differenz von c x und rx zu einem einheitlichen Ausdruck Sw (C-L — rt) geschehen muB unter Anwendung einer Methode, durch die jede einzelne solche Differenz gewogen wird im Hinblick auf ihre Wirkungen auf die Grofie der in Produktionskosten gemessenen Realinvestition. Die Gewichtszahlen miissen von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig wechseln und miissen ebenso wechseln nach dem Vorzeichen, der GroBe und der Bewegungsrichtung der Differenz und der allgemeinen Konjunkturlage der Gesamtwirtschaft. Diese Koeffizienten fiir die Elastizitat der Realinvestierungen gegeniiber Rentabilitdtsdnderungen, die wir definieren als die absolute GroBenveranderung der Realinvestition eines Unternehmens, die wahrend einer Periode verursacht wird von einer Einheitsanderung der Differenz cx — r1} konnen offenbar nicht anders festgestellt werden als durch ein statistisches Studium des Verhaltens verschiedener Industrien in verschiedenen Konjunkturphasen. Die Aufgabe diirfte vielleicht nicht ganz hoffnungslos sein mit den Methoden und dem Material, die wir fiir die Zukunft erwarten diirfen. I n der Monopoltheorie und in der Theorie der verbundenen Ertrage und Kosten haben wir Instrumente, mit denen solche empirischen Studien der Elastizitat der Realinvestierungen organisiert werden konnten. Eine groBe Schwierigkeit ware doch dabei die Tatsache, daB diese Elastizitat verschieden gedacht werden muB, je nachdem die Reaktionsperiode als langer oder kiirzer angenommen wird. 41. Unsere Analyse hat bisher die Theorie des „naturlichen Zinses" von WICKSELL theoretisch zu klaren und zu berichtigen versucht, sie hat danach die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich auch bei klarerer und richtigerer Formulierung der Theorie aus einer Gegenuberstellung mit dem statistischen Beobachtungsmaterial ergeben, und sie hat schlieBlich Methoden angedeutet, durch die diese Schwierigkeiten vielleicht bis zu einem gewissen Grade uberwunden werden konnten. Es muB jedoch hinzugefiigt werden, daB auch sehr grobe Approximationen besser sind als iiberhaupt keine. Selbst wenn wir nur verhaltnismaBig unsichere Angaben hatten iiber die Differenz zwischen Kapitalwerten und Reproduktionskosten in einer Anzahl wichtiger Wirtschaftszweige und wenn wir danach diese Differenzen wiegen und zusammenstellen konnten mit Hilfe der ungefahren Elastizitatskoeffizienten, die eine mit den Verhaltnissen des betreffenden Wirtschaftszweiges wohl vertraute Person schatzungsweise zur Verfugung stellen konnte, so wiirde das Ergebnis doch in hohem Grade aufschluBreich sein, besonders wenn wir diese Angaben einigermaBen frisch bekommen konnten. Wenn ich also im folgenden von Bentabilitdtsdifferenz spreche, meine ich: fiir ein Einzelunternehmen q\ = (cj/ — r x '), wobei r x ' mit dem Kap. IV, §38 begriindeten Korrektionskoeffizienten bereinigt ist; fiir die ganze Wirtschaft Q =Uw[c1—r1), wobei diese Differenz durch eine Addition der Differenzen (c1 •—• r x ) in verschiedenen Wirtschaftszweigen erlangt sein soil. Bei der Addition sind gemaB der in Kap. IV, § 40
Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheoretischen Analyse. 409 angegebenen Begriindung die Differenzen (cx — r x ) verschiedener Firmen mit der fur die verschiedenen Wirtschaf tszweige in absoluten Investierungssummen angegebenen Elastizitat fiir die betreffende Differenz gewogen. Ich erinnere nochmal daran, da8 die ganze Diskussion in diesem Kapitel eine immanente kritische Analyse von WICKSELLS erster Gleichgewichtsformel ist: daB bei geldtheoretischem Gleichgewicht Geldzins mit „naturlichem Zins" ubereinstimmt. Ich habe dabei gezeigt, (1) daB der „naturliche Zins" als eine preismaBige Ertragsquote definiert werden muB, (2) daB diese Ertragsquote exakt als i0 = —
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werden muB, (3) daB in einer Analyse, die die ganze Wirtschaft umfaBt, die Summe der Differenzen aller i0 und i dureh diejenige der Differenzen aller cx und r x ersetzt werden kann und aus Griinden der praktischen MeBbarkeit ersetzt werden muB, und (4) daB seblieBlich, urn eine Generaldifferenz Q fiir die gesamte Wirtschaft zu erlangen, die Differenzen c x — rx in verschiedenen Wirtschaftszweigen mit Investierungselastizitaten gewogen werden miissen. Das theoretische Kriterium in dieser Analyse ist immer das Hauptargument WICKSELLS gewesen. Das endgultige Ergebnis wiirde also sein, daB die korrekte Formulierung von WICKSELLS erster Gleichgewichtsbedingung lauten miiBte: Q = 0.
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Eiinftes Kapitel.
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Die zweite Bedingung des geldtheoretischen Gleichgewichts: Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren. 42. WICKSELLS zweiter Vorschlag zur Bestimmung des geldtheoretischen Gleichgewichts setzt den „normalen Zins" in Beziehung zu der Lage auf dem Kapitalmarkt. Der Geldzins, heiBt es, ist „normal", wenn er Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage von Sparmitteln herstellt, d. h. tibereinstimmung zwischen Sparen und Investieren, um den heute iiblichen Ausdruck anzuwenden. Wenn eine solche tibereinstimmung besteht, so bedeutet das, sagt WICKSELL, daB der Geldzins auf dem Niveau des „naturlichen Zinses" gehalten wird. Sinkt dagegen der Geldzins unter den „natiirlichen Zins", so ist das Gleichgewicht auch auf dem Kapitalmarkt gestort: die Investierungen iibersteigen dann die Moglichkeiten der realen Kapitalbildung, die das „wirkliche Sparen" eigentlich zulaBt. „Kunstliche Kaufkraft" muB dann in Form einer Ausweitung des Bankkredites geschaffen werden, wobei allmahlich auch eine Erhohung der Notenmenge oder ihrer Umlaufsgeschwindigkeit oder beider GroBen zustande kommt. Steigt dagegen der Geldzins iiber den „naturlichen Zins", so geschieht das Umgekehrte. I n beiden Fallen kommt, nach WICKSELL, in der einen oder anderen Bichtung
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ein kumulativer ProzeB in Gang von der Art, "wie wir im zweiten und dritten Kapitel naher dargestellt haben, wiewohl wir ihn dort nur unter dem Gesichtspunkt einer Veranderung der Ertragsquote der Neuinvestierungen und der dadurch verursachten Verschiebung der Produktionsrichtung betrachtet haben. Durch diese Erganzung seiner geldtheoretischen Analyse vom Standpunkte des Kapitalmarkts aus versucht WICKSELL, seine Geldlehre, die durch die Verbindung von Geldzins und „naturlichem Zins" in der zentralen Kapitalzins- und Preisbildungstheorie verankert worden ist, auch mit der alten Quantitatstheorie zu verkniipfen. Die Quantitatstheorie wird dadurch selbst vertieft, aber gleichzeitig in mancher Beziehung theoretisch modifiziert. Auf diese Ankniipfung an die Quantitatstheorie werden wir im folgenden nicht naher eingehen. Das Gesagte nur zur Einleitung, urn den theoretischen Zweck und die Rolle der zweiten Normalzinsbestimmung bei WICKSELL anzudeuten. Es muB nun gleich darauf hingewiesen werden, da8 WICKSELL diese Konstruktion nur sehr lose und unklar vorgetragen hat. Hier wie im vorhergehenden Palle wird es sich jedoch durch eine von WICKSELLS Hauptargument ausgehende immanente Analyse als moglich erweisen, zu einer solchen Formulierung der Bestimmung vorzudringen, die WICKSELL ihr hatte geben miissen, wenn er seinen Gedankengang sorgfaltiger durchgearbeitet hatte. 43. Die Unklarheit bei WICKSELL liegt vor allem darin, daB er niemals richtig angegeben hat, was er eigentlich mit Sparen und mit Investieren meint (oder Angebot und Nachfrage von Sparmitteln, wie WICKSELL gewohnlich sagt), und da8 er noch weniger klar gezeigt hat, in welchem Zusammenhang diese Relation zu der zuvor behandelten Rentabilitatsrelation steht. Um unsere Behandlung einigermaBen zu disponieren, wollen wir zunachst davon ausgehen, daB Investieren (oder Nachfrage nach Sparmitteln) Bealinvestierung bedeutet. Mit dieser relativen Klarheit wollen wir uns zunachst begniigen. 1 Die Frage ist dann nur, was man mit Sparen oder Angebot an Sparmitteln in diesem Zusammenhang meint. Bei WICKSELL und seinen Schulern kann man oft vermuten, daB sie mit Sparen etwas „Realeres" meinen, als sich direkt aus der uberkommenen Definition des Sparens als des nichtkonsumierten Teiles des Nettoeinkommens ergibt. Man umschreibt auch im geldtheoretischen Argument das Sparen oft als ein Freisetzen von Produktionsfaktoren von der Produktion von Konsumgiitern filr die Produktion von Realkapital, und der Ausdruck „Kapitalbildung" steht oft sowohl fur „ Sparen" als fur ,,Realmvestieren". Man ubernimmt hier einen Gedankengang unverandert aus der Theorie der relativen Preise oder der Tauschwertlehre, wo man ja von der Geldproblematik abstrahiert und deshalb nicht zwischen Sparen und Realinvestieren zu unterscheiden braucht. 1
Siehe tiber mogliche Fassungen des Begriffes „Investierungen" Kap. V, § 47.
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Nun ist es jedoch offenbar, daB gerade im Geldproblem eine solche „reale" Definition des gesellschaftlichen Sparens nicht aufrechterhalten werden kann — d. h., wenn Sparen von Realinvestieren unterschieden werden soil, was ja geschehen mu/S, da man in dieser Geldlehre eine Ubereinstimmung bzw. Nichtubereinstimmung beider behandelt. Die Veranderung des eigentlichen Produktionsprozesses, die man im Auge hat und in der sich das Sparen ausdriicken soil, ist doch vom Standpunkte der Nachfrage nichts anderes als Realinvestition. Selbst wenn diese Veranderung, wie in dem WiCKSELLschen kumulativen ProzeB, mangelndes Gleichgewicht zwischen naturlichem Zins und Geldzins bedeuten wiirde, so wiirde ja trotzdem genaue Ubereinstimmung zwischen ,,realem Sparen" und Realinvestition bestehen, da ja beide Ausdriicke dieselbe Sache bezeichnen, nur von zwei Standpunkten aus gesehen. Fur die Formulierung der geldtheoretischen Gleichgewichtsbestimmung ist daher dieser „reale" Begriff des Sparens durchaus unbrauchbar, wie brauchbar er auch in anderer Beziehung sein mag. Wenn man in der modernen geldtheoretischen Literatur immer konsequenter einen Unterschied zwischen Sparen und realer Kapitalbildung hat machen wollen, so hat man daher das „ Sparen" nur als einen Teil des Einkommens definieren konnen, den Teil namlich, der nicht zur Nachfrage nach Konsumgutern verwendet wird. Das Argument ist ja dann wie bekannt das, daB Sparen und reale Kapitalbildung nicht notwendig aneinander gebunden sind: zwischen dem BeschluB des Sparers, nicht sein ganzes Geldeinkommen zu konsumieren, und dem BeschluB des Unternehmers, eigenes oder fremdes Kapital zu realinvestieren, liegen ja die ganze Preisbildung und vor allem die Preisbildungsrelationen, die in der Geldlehre studiert werden. Damit hat man naturlich den Anspruch fallen gelassen, daB dem Sparen unmittelbar irgend etwas ,,Reales" in der wirklichen Kapitalbildung entspricht. Diese Trennung von Sparen und Kapitalbildung ist vom GesichtspunM des KapitalmarJctes aus die eigentliche Quintessenz der modernen, von WICKSBLL ausgehenden Geldlehre. 44. Die Frage ist nun: kann eine Ubereinstimmung zwischen Realinvestieren und Sparen in dieser letzteren Bedeutung als notwendige Bedingung fur die geldtheoretische Gleichgewichtslage nachgewiesen werden, die im vorhergehenden Kapitel beziiglich der Ertragsquote des Realkapitals bestimmt worden ist ? Ich will zuerst eine Seite des Problems durch ein ganz abstraktes Beispiel beleuchten. Angenommen, wie gewohnlich, eine Wirtschaft in vollkommenem geldtheoretischen Gleichgewicht, bei der dazu fur alle Unternehmer r x = cv die Rentabilitatsdifferenz also uberall = 0. Nun geschieht nichts weiter, als daB die Unternehmer aus dem einen oder anderen Grunde sich wesentlich optimistischere Vorstellungen uber die zukunftigen Ertrage der dauerhaften Produktionsmittel machen. Angenommen nun weiter, daB die Geldzinssatze unverzuglich hinreichend heraufgesetzt werden, um die Kapitalwerte konstant zu halten trotz des groBeren Optimismus der Unternehmer beziiglich der zukunftigen Er-
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trage aus ihren Realkapitalien. 1 Wenn nun auch die Kapitalwerte konstant gehalten werden, so stehen doch ungeachtet dessen die Nettoertrage aus Realkapitalien nach einer solchen Veranderung der Preiserwartungen hoher als zuvor. Die Nettoertrage sind gestiegen, da die Kostenansatze fiir Wertminderung des Realkapitals geringer, die Einkommensansatze fur Wertzuwachs groBer geworden sind.2 Dies ist ja auch ohne ausdriickliches Einfiihren der Wertminderungs- und Wertzuwachsansatze in den Einkommensbereehnungen selbstverstandlich: es ist ja unbestreitbar, daB die optimistischeren Preiserwartungen die Kapitalwerte in die H6he treiben, und da man unserer Annahme gemaB den Geldzins heraufgesetzt hat, um die Kapitalwerte unverandert zu erhalten, so nriissen natiirlich in den Einkommen in der Gesellschaft hohere Zinsen auf imveranderte Kapitalwerte gerechnet werden. Es sind keine Ursachen zu erkennen, warum andere Einkommen gesunken sein sollten, das totale Einkommen der Gesellschaft muB daher gestiegen sein. Wir nehmen nun weiter an, daB die Wirtschaftssubjekte in ihrer Gesamtheit einen unveranderten Betrag des gestiegenen Totaleinkommens fiir den Kauf von Konsumgiitern verwenden. Dies bedeutet, daB das totale Sparen (definiert als der nichtkonsumierte Teil des Einkommens) exakt um den absoluten Betrag der Gesamteinkommenssteigerung gestiegen ist. Was geschieht nun unter den angegebenen Voraussetzungen mit dem Preisniveau der Konsumguter ? — Nichts. Es ist kein Grund vorhanden, warum die Produktion von Konsumwaren sich andern sollte. Und, da der Teil des Gesamteinkommens, der zur Nachfrage nach Konsumgutern verwendet wird, ebenfalls unverandert geblieben ist, bleibt auch das Preisniveau der Konsumguter unverandert. Die Kapitalwerte sind ebenso wie die Arbeitslohne unverandert, ebenso uberhaupt alle anderen Einkommen mit Ausnahme der Kapitaleinkommen. Da der Geldzins entsprechend der veranderten Ertragsquote der Investierungen ebenfalls heraufgesetzt ist, besteht kein Extraanreiz zu Investitionen. Die Realinvestitionen nehmen also ihren Fortgang in genau demselben Umfang und in genau denselben Produktionszweigen wie zuvor, aber das Sparen ist dennoch gestiegen. Wir haben also den eigentiimlichen Vorgang, daB das Sparen gestiegen ist, die Gesamtinvestierungen aber unverandert geblieben sind, alles bei voller Erhaltung der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingung bezuglich der Rentabilitatsdifferenz. 45. Ich sehe den Einwand voraus, der hier gemacht werden wird: ,,Der SchluB, zu dem das Argument fiihrt, beruht ganz einfach darauf, 1 Ich sehe hier davon ab, dafi eine ZinsfuCanderung auf die Kapitalwerte verschiedener Arten von Realkapital unterschiedliche Wirkungen hat, je nach ihrer verschiedenen Dauerhaftigkeit. Die Nichtberiicksichtigung dieses Punktes kann in die Form einer vereinfachenden Voraussetzung gekleidet werden, derart, daB alle Realkapitalobjekte die gleiche Dauerhaftigkeit haben oder vielleicht noch besser, daC die Preiserwartungen um so starker gestiegen sind, je dauerhafter das Realkapital ist. 2 Der Wertminderungsansatz ist ja in diesem Falle gesunken zum Teil wegen der optimistischeren Preiserwartungen, die eine geringere Wertminderung erfordern, und zum Teil wegen der angenommenen Zinssteigerung; vgl. Kap. IV, §§ 30 u. 31, Kap. V, §§ 49 (Anm. 2, S. 420) u. 50 (Anm. 1, S. 422).
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daB im gewahlten Beispiel das Einkommen von den Preiserwartungen abhangig gemacht ist. Eine optimistischere Einstellung der Unternehmerwelt bedeutet daher trotz Mchtvermehrung der Produktmenge erhohtes Einkommen. Da nun das Sparen als der nichtkonsumierte Teil dieses Einkommens definiert worden ist, muB als unmittelbare Folge dieser Anderung in den Preiserwartungen auch das Sparen gestiegen sein. Dies kann jedoch nicht richtig sein. Auch wenn das Sparen in Beziehung zum Einkommen definiert werden muB, damit aus den zuvor angegebenen Griinden Sparen und reale Kapitalbildung uberhaupt auseinandergehalten werden konnen, so miiBte es doch moglich sein, dem Begriff des Einkommens und damit auch des Sparens einen ,mehr objektiven' Inhalt zu geben, was hier bedeuten wiirde: mindestens den Begriff des Sparens von den rein subjektiven Anderungen der Preiserwartungen unabhangig zu machen. Und dann ware der im Beispiel gegebene Beweis uberhaupt kein solcher. Denn von einem ,objektiveren Gesichtspunkt' aus gesehen, kann man nicht sagen, daB das Sparen gestiegen ist, solange die beiden Prozesse der Produktion und der Konsumtion unverandert wie bisher verlaufen." Hierauf habe ich folgendes zu erwidern: das Einkommen aus dauerhaften Objekten kann nur bestimmt werden durch eine Art Zurechnung unter Einkalkulation zukiinftiger PreisbildungsgroBen — soweit man unter Einkommen etwas anderes verstehen will als reine Konsumtion. Letzteres kann man bei der Festlegung des Begriffes des Sparens als des nichtkonsumierten Teiles des Einkommens jedoch nicht meinen. Das Ergebnis des „Zurechnungsprozesses", nach dem sich das Einkommen ergibt und damit dieses selbst sind aber bestimmt vom ZinsfuB und samtlichen Preiserwartungen in einer Weise, wie wir es im vorhergehenden Kapitel naher ausgefuhrt haben. Theoretisch kommt die Abhangigkeit des gegenwartigen Einkommens von den zukiinftigen Preiserwartungen zum Vorschein bei einer Analyse der Wertminderungs- und Wertzuwachsansatze, die bei dieser eigentumlichen Zurechnung auf Gegenwart und Zukunft in Rechnung gestellt werden miissen. Jeder Versuch, das Sparen „mehr objektiv" oder „rein technisch" — d. h. hier: unabhangig von den Antizipationsanderungen — zu bestimmen, ist daher unhaltbar, sobald man uberhaupt einmal das Sparen zum Einkommen in Beziehung setzt und es aufgegeben hat, das reale Sparen als eine Einstellung der Produktion statt als eine Einkommensverwendung zu bestimmen. Wenn nun auch im wirklichen Leben diese subjektiv bestimmte Zurechnung ganz und gar „nach dem Gefiihl" vorgenommen wird, so wird sie doch eben gemacht, und die Antizipationen bestimmen faktisch die GroBe des Einkommens und damit auch des Sparens. Es bedarf jedoch nur des Zugestandnisses, daB unter dynamischen Verhaltnissen die Antizipationsanderungen irgendeinen EinfluB auf das Einkommen haben, gleichgultig welchen, so ist damit schon der Begriff des Sparens der Sphare des „Objektiven" entriickt. Es gibt meines Erachtens nur einen Weg, auf dem man wirklich einen solchen objektiv-technischen
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Sparbegriff konstruieren kann. Man miifite dann wie in den elementaren tausch-theoretischen Argumenten ganz einfach Sparen und reale Kapitalbildung gleichsetzen. Dann aber bliebe, wie schon gesagt, der Begriff des Sparens in der geldtheoretischen Analyse unbrauchbar, in der man gerade die Wirkungen einer mangelnden Ubereinstimmung beider studieren will. Hierzu nur noch einen weiteren Hinweis. Eine „objektivere" Bestimmung des Sparbegriffes kann auch nicht dadurcb erlangt werden, daB man das Einkommen (und das Sparen) nur von gewissen Arten von Antizipationsanderungen abhangig macht, z. B. von den Antizipationsanderungen, die ,,objektiv motiviert" sein sollen oder nur auf „rein produktionstechnische Umstande" sich beziehen sollen. Vom Standpunkte der Wirkung auf die geldtheoretische Gleichgewichtslage vom Rentabilitatsstandpunkt aus — dieses muB ja das entscheidende Kriterium sein — ist es ja vollkommen gleichgiiltig, inwieweit die Veranderung der Antizipationen objektiv bestimmt war oder nicht. Es ist gleichgiiltig, ob sie auf (richtigen oder unrichtigen) Beobachtungen rein technischer Umstande von Bedeutung fur den zukiinftigen Ablauf und das zukiinftige Ergebnis des technischen Produktionsprozesses beruhen, in den die betreffenden Eealkapitalien eingehen, oder ob sie sich auf die Veranderung zukiinftiger relevanter Preiserwartungen beziehen. Alle Antizipationen gehen, wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt, 1 ein in die Bestimmung sowohl der Ertragsquote wie des Kapitalwertes, aus deren Gegeniiberstellung mit dem Geldzins bzw. den Reproduktionskosten des Realkapitals jene Differenz entsteht, deren Nullage geldtheoretisches Gleichgewicht im Sinne WICKSELLS bezeichnet, die aber, wenn eine negative oder positive Grofie, den dynamischen ProzeB auslost, der das Resultat des mangelnden Gleichgewichts ist. Der Umstand, daB die GroBe unseres laufenden Einkommens, das fiir konsumtive Zwecke oder Sparzwecke zur Verfugung steht, in dieser Weise letztlich von unserer eigenen subjektiven Verrechnung zwischen Gegenwart und Zukunft bestimmt ist, verdiente in der Konjunkturerklarung erhohte Aufmerksamkeit. Dadurch wird bewirkt, daB man bei gewissen Voraussetzungen eine plotzliche und unerwartete Steigerung des Sparens haben kann, wahrend gleichzeitig geldtheoretisches Gleichgewicht weiter besteht und die Realinvestierungen vollkommen unverandert bleiben. 46. Wir kehren nun zuruck zu dem angefiihrten abstrakten Beispiel und fragen: wo ist das MeArsparen geblieben ? Verbirgt sich nicht der gedankliche Fehler hinter einer vom Standpunkte der WiCKSELLschen Geldtheorie „falschen" Bestimmung des Investierungsbegriffes ? Der noch nicht ausgewiesene SpariiberschuB dient nicht zur Deckung von Kapitalgewinnen, denn solche sind in dem gewahlten Beispiel nicht gemacht worden, da der Geldzins so adjustiert gedacht worden ist, daB eine momentane Kapitalwertsteigerung nicht stattgefunden hat. Das 1
Kap. IV, §§ 30, 31, 33.
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Kennzeichnende fiir Gewinne und Verluste, definiert wie oben im vierten Kapitel, ist auBerdem, da6 sie nicht durch Sparen oder Kapitalverzehr abgedeckt werden, denn warum sollte die Wertanderung dann Gewinn oder Verlust sein ? Der noch nicht ausgewiesene SpariiberschuB deckt statt dessen eine Differenz zwischen den vor der Antizipationssteigerung und den nachher geltenden Wertanderungsansatzen. Der SpariiberschuB wird „investiert in einer neuerwarteten Erhohung der Wertsteigerung und einer neuerwarteten Senkung der Wertminderung. Rechnet man diesen Zuwachs zur „Investierung" — der also in einer fiir die Zukunft erhohten Wertzuwachserwartung und einer gesenkten Wertminderungserwartung besteht — als eine mit der Realinvestierung gleichgestellte Art von Investierung, dann bekommt man natiirlich bei geldtheoretischem Gleichgewicht auch in diesem Fall eine Ubereinstimmung von Angebot und Nachfrage nach Sparmitteln. Dann sind es jedoch nicht mehr nur die Realmvestierungen, die eine vermehrte „Nachfrage nach Sparen" ausmachen, sondern wie gesagt auch jene Erhohung des Wertzuwachses und Senkung des Wertminderungsansatzes. Noch eine andere Konsequenz muB man in diesem Falle ziehen. Man muB namlich mit so etwas wie einer „negativen Investierung" rechnen. Eine „negative Mehrinvestierung" wiirde z. B. vorliegen, wenn veranderte Antizipationen einen hoheren Wertminderungs- oder geringeren Wertzuwachsansatz nach sich ziehen wiirden, d. h. eine Erhohung der erwarteten Wertminderung oder Minderung der Werterhohung. Eine solche ,,negative Mehrinvestierung" wiirde die Folge sein, wenn in dem gewahlten Beispiel die Veranderung der Preiserwartungen in negativer Richtung gegangen sein wiirde, d. h. wenn die Unternehmer pessimistischer geworden und die Geldzinssatze entsprechend hdrabgdsetzt worden waren. Die WiCKSBLLsche Gleichgewichtsbedingung fiir den Kapitalmarkt miifite also richtig so formuliert werden: der Geldzins ist normal, wenn er tJbereinstimmung zwischen Sparen und „Wertinvestierung" bewirkt, wobei letzterer Ausdruck zu definieren ist als: Bruttorealinvestierung + -f- Wertzuwachs — Wertminderung. Will man statt des Sparens die Realinvestierung allein auf der einen Seite der Gleichung haben, so kann die Gleichgewichtsbedingung auch wie folgt formuliert werden: Der Geldzins ist normal, wenn er tJbereinstimmung zwischen Bruttorealinvestierung auf der einen Seite und auf der anderen Seite Sparen + Wertminderung —— Wertzuwachs des vorhandenen Realkapitals bewirkt. Letztere Formel erscheint mir natiirlicher und an sie werde ich die f olgenden Ausfuhrungen anschlieBen. 47. In der gegebenen Gleichgewichtsformel ist nun die Realinvestierung als eine BruttogroRe gerechnet, was wohl zu beachten ist. Sie schlieBt also ein sowohl „Neuinvestierung" wie ,,Re-investierung". Wenn man in der Geldtheorie seine Aufmerksamkeit oft nur auf den Teil der Realinvestierungen gerichtet hat, der Neuinvestierungen darstellt, so hat dabei natiirlich die Absicht vorgeschwebt, auf der anderen Seite der Gleichung nur das Sparen zu haben, das ja nur das wahrend der Periode
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verfiigbar werdende Mehr an Kapitaldisposition darstellt, gleichwie die Neuinvestierungen den Zuwachs des vorhandenen Realkapitals. Dieser ganze Gedankengang ist jedoch zumindestens gekimstelt. Wenn man einmal die stationaren oder die quasistationaren Schemata der Preisbildungsanalyse verlassen hat, konnen namlich die neuen Realinvestierungen theoretisch nur dadurch von den Re-investierungen getrennt gehalten werden, daB man die Gesamtrealinvestierungen urn die Wertminderung- bzw. Wertzuwachsansatze korrigiert. Dadurch bekommt man aber die Preisbildungsposten wieder in den Begriff herein, die man dadurch hat umgehen wollen, daB man nur von Sparen und Neuinvestieren gesprochen hat. Da nun Wertminderung und Wertzuwachs nur als Wertsummen angegeben werden konnen, gilt fur die Neuinvestierungen dasselbe. Es gibt mit anderen Worten keine Moglichkeit, eine konkrete Menge von Realkapitalkonstruktionen als Neuinvestierungen auszuscheiden, die sich aus der Summe aller Investierungen und zum Unterschied von Re-investierungen herausdefinieren lieBen. Ganz allgemein ist der Gedankengang der, daB die Neuinvestierungen der Teil der Produktionskosten der. totalen Realinvestierungen sind, der die Kosten fur die Realinvestierungen iibersteigt, die erforderlich sind, um das vorhandene Realkapital bei unverandertem Kapitalwert zu erhalten. Wenn man dann den Kapitalwert in Geldeinheiten rechnet, so widerspricht das theoretische Resultat den eigentlichen Intentionen des quasistationaren Denkens jedesmal, wenn mehr allgemeine Preisbewegungen im Gange sind oder erwartet werden. Versucht man da eine Reduktion des Wertes der Geldeinheit auf konstanten „Geldwert", so wird die Sache nur schlimmer, einmal wegen des rein konventionellen Elementes, das in jeder Indexberechnung enthalten ist — und jede Bestimmung des Geldwertes geht uber eine Indexberechnung, sei es, daB man den Begriff des Geldwertes an die Konsumgiiter kniipft, wie WICKSBLL und LINDAHL, oder an die Produktionsgiiter wie DAVIDSON. Vor allem aber werden ja Wertminderung und Wertzuwachs durchaus nicht von den herrschenden Preisen der Gegenwartslage bestimmt, sondern von antizipierten Preisen in der Zukunft, die sich doeh wohl schwerlich in Indexberechnungen einfugen lassen, ohne daB das begriffliche Unbestimmtheitsmoment der Indexformel ins Phantastische gesteigert wird, ganz zu schweigen von dem Moment der statistischen Unsicherheit bei der Feststellung dieser Preiserwartungen. — Die Ursache alles dessen ist eben, daB es unmoglich angeht, gewisse Realinvestierungen auszuscheiden, die zum Unterschied von anderen Neuinvestierungen darstellen soUen. I n einer stationaren oder quasistationaren Wirtschaft wiirde man naturlich die dem Sparen entsprechenden Neuinvestierungen getrennt halten konnen von dem Teil der Bruttoinvestierungen, der produktionstechnisch der Abnutzung entsprache und Amortisation und Ersatz des vorhandenen Realkapitals darstellen wiirde. I n einer rein stationaren Wirtschaft wiirden die beiden ersteren GroBen, Neuinvestierungen und Sparen = 0 sein miissen. Alle Realinvestitionen wiirden Re-investierungen
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darstellen. Darnach kann man sich ein quasistationares Preisbildungsschema vorstellen, in dem (1) die Veranderungen von der Art sind und die GroBe haben, daB sie ihre Preiswirkungen aufheben, in der die Preise daher unverandert bleiben (z. B. in einer ,,gleichmaBig fortschreitenden Wirtschaft"), oder wo (2) die Veranderungen zwar nicht ihre Wirkungen auf die Preise aufheben, wo sie jedoch vollstandig und mit Sicherheit vorausgesehen werden. I n einem quasistationaren Preisbildungssohema dieser Art wiirden Sparen und Neuinvestitionen nicht = 0 sein. Aber die Re-investierungen konnten nach wie vor von den Neuinvestierungen getrennt gehalten werden, letztere wiirden naturlich exakt wertmaBig mit dem Sparen ubereinstimmen. Dies miiBte so sein auf Grund der in der allgemeinen Gleichgewichtsvorstellung enthaltenen Voraussetzungen, die uber die Voraussetzungen eines nur geldtheoretischen Gleichgewichts hinaus erfullt sein miiBten. Die Re-investierungen und die Wertamortisationen konnen unter diesen Voraussetzungen eines allgemeinen Preisbildungsgleichgewichts rationell errechnet und abgesetzt werden und das Interesse kann dann nur auf Sparen und Neuinvestierungen gerichtet werden. In diesen stationaren und quasistationaren Preisbildungsschematen gibt es jedoch ex hypothesi kein Geldproblem von der Art, wie es aus der Nichtuberemstimmung Sparen und Investieren entsteht. Wenn man nun in der Geldlehre zuweilen von Sparen und JSTeuinvestierungen spricht, so ist man von einer falschen stationaren Analogie ausgegangen, indem man mehr oder weniger ausdrucklich vorausgesetzt hat, daB sich Neuinvestierungen und Re-investierungen wirklich technisch scheiden lieBen. Das kann man naturlich in der Wirklichkeit nicht durchfiihren, und die oben gegebene Gleichgewichtsformel, die die BruttogrdBe der Realinvestierungen gleich Sparen -(- Wertminderung — Wertzuwachs setzt, enthalt damit auch alles, was uberhaupt gesagt werden kann. Wollte man eine Gleichgewichtsformel haben, die den Nettobetrag der neuen Realinvestierungen ausweist, so laBt sich das nach dem Vorhergehenden recht leicht durchfiihren: man hatte nur auf beiden Seiten der Gleichung Wertminderung minus Wertzuwachs abzusetzen. Die neuen ,,Realinvestierungen" werden damit zu „Wertinvestierungen", wie wir es oben genannt haben, d. h. Bruttorealinvestierungen + Wertzuwachs — —• Wertminderung des vorhandenen Kapitals. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daB die neuen ,,Realinvestierungen" nur als eine Wertsumme angegeben werden konnen, die sich in ihrer GroBe verdndert, wenn auch die Gesamtrealinvestierungen unverandert sind, sobald sich die Wertzuwachs- und Wertminderungsansatze verandern. Die Neuinvestierung ist mit anderen Worten nur ein Teil des Wertes der Realinvestierungen und sowohl der Wert wie auch die Quote, die den Teil bestimmt, sind von der Preisbildung abhangige Variable, die nur mit der Preisbildung selbst zu bestimmen sind. Mit Realinvestierungen meine ich im folgenden immer die Gesamtrealinvestierungen ohne Aufteilung in Re-investierungen und Neuinvestierungen. Beitrage zur Geldtheorie.
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48. Was die Moglichkeiten angeht, in der praktischen Anwendung der eben gegebenen Gleichgewichtsformel die in ihr enthaltenen GroBen theoretisch zu prazisieren und zu beobachten, will ich mich in diesem Zusammenhang mit wenigen Hinweisen begniigen. Die theoretische Bestimmung und praktische Feststellung der genannten Realinvestierungen stoBt wohl kaum auf groBere prinzipielle Schwierigkeiten. Praktisch scheint eine Schwierigkeit darin zu liegen, daB man in Einzelf alien die Aufwendungen, die man als Realinvestierungen rechnet, nicht unterscheiden kann von denen, die man als Unterhalt und Reparationen des vorhandenen Realkapitals anzusprecben hat, in welch letzterem Falle sie dann natiirlich nicht Re-investierungen, sondern schon in den Betriebskosten enthalten sind. Sie durfen dann nicht als Realinvestierungen gerechnet werden, was ja Doppelrechnung bedeuten wurde. Eine Entscheidung muB hier notwendig rein konventioneller Natur sein. Aber an und fur sich diirfte das fur das Problem kaum eine Rolle spielen. Denn in demselben Grade wie die Realinvestierungen dadurch vermindert werden, daB man etwas als Betriebskosten rechnet, wurde man auch den Wertminderungsansatz auf der anderen Seite der Gleichung zu senken haben. I n diesem Ausdruck liegt in der Tat die ganze Schwierigkeit beschlossen, die gleich noch behandelt werden wird. Der Hinweis zeigt zunachst, daB der Wertminderungsansatz seiner GroBe nach davon abhangt, wie man die GroBe Realinvestierung ansetzt, beide GroBen miissen nur komplementar definiert werden. Beztiglich der Realinvestierung ist nur noch eins hinzuzufiigen, daB sie in diesem geldtheoretischen Argument in den in Geld zu rechnenden antizipierten Produktionskosten des neuerstellten Realkapitals zu messen ist und nicht in seinem antizipierten oder realisierten Werte. Denn sonst waren in Realinvestierung die antizipierten bzw. die realisierten Investierungsgewinne schon eingerechnet, was natiirlich unrichtig ware: nur die infolge eines Realinvestierungsbeschlusses entstehenden Investierungskosten stellen Anspriiche an freie Kapitaldisposition. Die andere Seite der Gleichung muB in der Praxis schwerer greifbar sein, auch wenn sie in der abstrakten Theorie klar definiert werden kann. Den gesamten Realinvestierungen steht eine GroBe gegenuber, die ich im folgenden „freie Kapitaldisposition" nenne, eine GroBe, die auBer dem eigentlichen Sparen auch noch Wertminderung minus Wertzuwachs enthalt. Dieses Kapital ist ,,frei" vom Standpunkte des privaten Unternehmers in dem Sinne, daB er auBer dem gesparten Teil des Einkommens und ohne sein Realkapital zu verkaufen oder zu beleihen, gerade iiber einen so groBen Teil des investierten Vermogens verfiigen kann, wie der GroBe Wertminderung minus Wertzuwachs entspricht (Wertminderung und Wertzuwachs sind ja dem Saldo der Bruttoertrage und Betriebskosten nur darum ab- bzw. zugerechnet, um den Nettoertrag definitionsmaBig kongruent mit Geldzins zu machen; Kap. IV, § 30). Die freie Kapitaldisposition ist also mehr oder weniger als die Kaufkraft, um die der Unternehmer bei gegebenem Einkommen und gegebener Konsumtion sein Vermogen vermehrt oder vermindert (sein Sparen), je
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nach der Beschaffenheit des Realkapitals, das er besitzt. Man konnte sagen, die freie Kapitaldispositlon entsprache dem „Lohnfonds", wobei diese Vorstellung so zu modifizieren ware, daB sie in eine nicht quasistationare Betrachtung paBt. Die Schwierigkeit bei der praktisehen Anwendung der Theorie liegt naturlich darin, daB der Ausdruck Wertminderung minus Wertzuwachs nicht durch einen technisch oder buchfuhrungsmaBig bestimmten Amortisationsfaktor dargestellt werden kann. I n dem vorgefuhrten Beispiel haben wir das ja gerade gezeigt. Rein praktisch ist jedoch die Schwierigkeit nicht so groB, wie es scheinen will. Eine Anderung des wirklichen Wertanderungsfaktors, z. B. eine Erhohung der Wertminderung oder eine Senkung des Wertzuwachses, die durch eine entsprechende Veranderung eines konventionellen Amortisationsfaktors noch nicht wiedergegeben wird, bedeutet allerdings zunachst, daB die Wertminderungssumme zu niedrig berechnet wird. Wenn aber der gleiche konventionelle Amortisationsfaktor auch in den Nettoertragsberechnungen fiir den Wertminderungsansatz eingesetzt wird — also fiir d in der Gleichung e = 6 — (m -\- d) —, so wird das Einkommen und infolgedessen auch das Sparen um exakt denselben Betrag zu niedrig berechnet und die beiden Fehler heben sich auf in der Summe von Sparen und Wertminderung: der freien Kapitaldisposition, die dergestalt unabhangig wird vom Wertminderungsansatz. Diese Gleichgewichtsformel diirfte also rein praktisch vielleicht nicht auf unubersteigliche Schwierigkeiten bei ihrer Anwendung stoBen, wenn man sich nur eine Statistik iiber Realinvestierungen, Sparen und Amortisation beschaffen konnte und bei ihrer Beschaffung und Auswertung sorgfaltig darauf achten wurde, daB keine Posten gleichzeitig als Realinvestierungen und Unterhalt gerechnet wurden, daB die Unterhaltskosten gewissenhaft von den Bruttoeinnahmen als Kosten abgesetzt wurden und daB der Nettoertrag, aus dem das Sparen durch Abzug der Konsumtion berechnet werden soil, mit Hilfe desselben Amortisationsfaktors berechnet wird, der bei der direkten Kalkulation der Amortisationen angesetzt ist. Praktisch liegt das Problem sogar noch einfacher, da man fiir solche Zwecke die „innere Kapitalbildung im Unternehmen", die ja sowohl in der Landwirtschaft wie auch in der Industrie statistiseh schwer greifbar ist, ganz und gar unter den Tisch fallen lassen kann, wenn man nur darauf achtet, daB bei Einkommen, Sparen und Amortisation ebenfalls entsprechende Betrage in Fortiall kommen, dadurch namlich, daB man die Einkommen in entsprechender, prinzipiell falscher Weise zu niedrig ansetzt. Ebenso kann die Herstellung von dauerhaftem Konsumkapital als Realinvestierung gerechnet werden oder nicht, wie man will, wenn nur gleichzeitig ein entsprechender Teil der Einkommen zum Sparen resp. zur Konsumtion gerechnet bzw. nicht gerechnet wird. Alle in diesem Paragraphen erwahnten Vereinfachungen konnen gemacht werden, ohne daft sie an und fiir sich eine Approximation bedeuten. Die Gleichgewichtsformel bleibt in ihrem geldtheoretischen 27*
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Gehalt ganz exakt. Dadurch wird diese Formel — die freie Kapitaldisposition bei geldtheoretischem Gleiohgewicht = den totalen Realinvestierungen — verhaltnismaBig recht einfach in der praktischen Anwendung. Das ist recht wichtig, vor allem deshalb, weil die im vierten Kapitel vorgelegte Ertragsquotenformel Schwierigkeiten bei ihrer praktischen Anwendung erbietet. 49. Nach diesem kleinen Exkurs iiber die praktische Anwendbarkeit der zweiten WiCKSELLschen Gleichgewichtsformel kehre ich zu dem rein theoretischen Problem zuriick. Wenn dabei eine entsprechende Vereinfachung des Arguments durch einen konventionellen Amortisationsfaktor sich nicht durchfiihren laBt, so nur wegen der Konsequenzen des konventionellen Amortisationsfaktors fur die Bestimmung der Nettoertrage und Kapitalwerte. Die theoretische Aufgabe muB namlich sein, den Zusammenhang dieser zuvor dargelegten Gleichgewichtsbedingung des Kapitalmarktes mit der im vorigen Kapitel aufgestellten Gleichgewichtsbedingung zu untersuchen, und dort ist ja eine Vereinfachung durch ein entsprechendes Argument nicht durchfiihrbar, wie wir schon gezeigt haben. 1 Diese theoretisch entscheidende Gegenuberstellung der beiden Gleichgewichtsbedingungen wollen wir nun schrittweise vornehmen. Ich wiederhole, daB in dem gewahlten Beispiel die geldtheoretische Gleichgewichtsbedingung erfullt war trotz eingetretener Veranderungen in den Antizipationen. Das war dadurch moglich, daB in der freien Kapitaldisposition die beiden Komponenten —• einmal das spontane Sparen, das zugenommen hat, und Wertminderung minus Wertzuwachs auf der anderen Seite, welcher Ausdruck abgenommen hat, — sich um prazise den gleichen Betrag verandert haben, wiewohl in entgegengesetzter Richtung. Die Realinvestierungen auf der anderen Seite sind ebenfalls unverandert geblieben. Dies beruht jedoch seinerseits ausschlieBlich darauf, daB wir gewisse Voraussetzungen gemacht haben, (1) daBkeine anderen Primarveranderungen eintreten, (2) daB die Konsumtion trotz der veranderten Einkommen unverandert bleibt und (3) der Geldzins gerade hinreichend erhoht wird, um die Kapitalwerte unverandert zu erhalten. Diese Voraussetzungen sollen nun fallen gelassen werden, die letztere zuerst, um zu untersuchen, wie sich die Ausdrucke unserer Kapitalmarktgleichung bei mangelndem Gleiohgewicht verhalten. Angenommen nun wie zuvor ein Zustand in vollem geldtheoretischem Gleiohgewicht. In der Ausgangslage erfolgt wie im vorigen Falle eine Veranderung der Antizipationen auf Seiten der Unternehmer bezuglich der zukunftigen Ertrage aus Realkapital in optimistischer Richtung. Daraufhin steigen die Kapitalwerte, wenn, wie wir jetzt annehmen wollen, der Geldzins unverandert gehalten wird. Auch die Kapitaleinkommen steigen dann (gleieher Zins auf hohere Kapitalwerte).^ Angenommen weiter, daB, wie 1 2
Siehe Kap. IV, § 33. Ceteris paribus steigen die Kapitaleinkommen nicht so sehr wie im vorigen Falle. Die Nettoertrage steigen in diesem wie im vorigen Falle wegen der geringeren Wertminderung,
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im vorigen Falle, die Wirtschaftssubjekte eine unveranderte Kaufkraft zur Nachfrage nach Konsumgiitern verwenden. Das Sparen ist dann wie dort um den Gesamtbetrag der Einkommenserhohung gestiegen. Als unmittelbare Ergebnisse erfolgen jedoch in diesem Falle gewisse Kapitalgewinne, die nicbt direkt Einkommen oder Sparen darstellen. Einkommen und Sparen steigen nur um den Zinsbetrag auf den durch den Kapitalgewinn erhohten Gesamtkapitalwert. In der Ausgangslage ist keine Bewegungstendenz fur das Preisniveau der Konsumgiiter gegeben. Dem zunachst noch unveranderten Angebot an Konsumgiitern steht eine unveranderte Kaufkraft als Nacbfrage gegeniiber. Die Vermehrung des Einkommens ist ja durch ein um den gleichen Betrag erhohtes Sparen kompensiert worden. Betrachten wir nun die Ausdriicke in unserer Gleicbung fur das Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkte, so ist es zunachst offenbar, daB das Sparen gestiegen ist, daB aber Wertminderung minus Wertzuwachs gesunken ist. Da wir das Sparen um exakt den Betrag der Einkommenserhohung haben wachsen lassen und da das Einkommen nur auf Grund einer geringeren Wertminderung und eines erhohten Wertzuwachses gestiegen ist, ist offenbar der Ausdruck, den wir als freie Kapitaldisposition bezeichnet haben, vollkommen unverandert geblieben. Auf der anderen Seite steht die Realinvestierung. Eur sie besteht unmittelbar eine Tendenz zum Steigen. Es Megt namlich eine positive Rentabilitatsdifferenz vor, die ein Anreiz zu vermehrter Investierung ist. Das Gleichgewicht wird also gestort, und die Tehdenz zur Vermehrung der Investierung muB mangels einer entsprechenden Tendenz der freien Kapitaldisposition durch eine Schaffung von Kaufkraft gedeckt werden, der keine Kapitaldisposition entspricht. 1 Die Vermehrung der Investierung bedeutet also eine Tendenz zu der typischen Produktionsumstellung des WiCKSEixsehen kumulativen Prozesses bei Aufwartsbewegung. Auf Grund dessen entsteht dann eine vermehrte Nachfrage nach Produktionsmitteln, deren Preis steigt, daraus folgt vermehrte Nachfrage nach Konsumgiitern und — wenn freie Produktionsfaktoren nicht mehr zur Verfiigung stehen — verminderte Produktion und vermindertes Angebot von Konsumgiitern, mit dem Ergebnis, daB zunachst das Konsumgiiterpreisniveau steigt und darnach die Kapitalwerte einen neuen Puck nach oben erfahren. Wahrend dieses ganzen Prozesses besteht aus den soeben angegebenen Griinden eine Tendenz zu mangelnder tJbereinstimmung zwischen Realinvestierung und freier Kapitaldisposition. Angenommen nun weiter, daB unter den zuvor angegebenen Voraussetzungen nicht die ganze Einkommenssteigerung in der Ausgangsaber die Wertminderung ist in diesem Falle nur direkt gesunken, wegen der optimistischeren Antizipationen, aber nicht, wie im vorigen Falle, dazu wegen eines erhohten ZinsfuCes. Vgl. Kap. V, § 44 (Anm. 2, S. 412) und Kap. V, § 50 (Anm. 1, S. 422). 1 Wir haben allerdings jetzt auch gewisse Kapitalgewinne wegen der gestiegenen Kapitalwerte: dieser Erhohung der Kapitaldisposition steht jedoch eine genau gleichgroBe Steigerung im Werte des Realkapitals gegeniiber. Diese Vermehrung der Kapitaldisposition, die nicht vom Sparen ausgeht, ist mit anderen Worten im Augenblicke ihres Entstehens schon gebunden. Sie reprasentiert nicht freie Kapitaldisposition.
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lage gespart wird, sondern daB ein Teil davon auf die Nachfrage nach Konsumgutern verwendet wird. Diese Annahme ist in der Tat naherliegend. Das Sparen ist dann ebenfalls gestiegen, wenn auch nicht mit dem Gesamtbetrag der Einkommenssteigerung. Unter diesen Umstanden wiirde schon vom Anfang an das Konsumgiiterpreisniveau eine Tendenz zur Steigerung zeigen, was natiirlich den WiCKSELLschen ProzeB beschleunigen wiirde. Unter diesen Umstanden ist es offenbar, daB in der Ausgangslage eine Tendenz bestehen wiirde, das Gleichgewicht zwischen Realinvestierung und freier Kapitaldisposition durch eine Bewegung beider Seiten der Gleichung in entgegengesetzter Richtung zu storen. Die Realinvestierungen steigen, wegen der positiven Rentabilitatsdifferenz, wahrend die freie Kapitaldisposition gleichzeitig sinkt: das Sparen ist zwar gestiegen, aber nicht um den Betrag der ganzen Einkommenssteigerung, die sich aus der gesunkenen Wertminderung und dem gestiegenen Wertzuwachs ergibt. Der Ausdruck Sparen + Wertminderung — Wertzuwachs, d. h. die freie Kapitaldisposition ist also gesunken. 50. Die primare Anderung in alien unseren Beispielen ist bisher eine Antizipationsanderung gewesen. Um der Vollstandigkeit willen wollen wir nun den WiCKSELLschen Standardfall behandeln, um zu sehen, wie sich das Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkte dann stellt: eine geldtheoretische Gleichgewichtslage wird durch eine Senkung des Geldzinses gestort. Unmittelbare Wirkung sind erhohte Kapitalwerte der Realkapitalien. Dadurch entsteht eine positive Rentabilitatsdifferenz, und so wird schon in der Ausgangslage eine Tendenz zu vermehrter Realinvestierung ausgelost. Die Bewegungstendenz fur das eine Glied der Gleichung ist also gegeben. Was die freie Kapitaldisposition angeht, ist die Lage etwas komplizierter. Wenn wir der Einf achheit halber uns zunachst unveranderte Antizipationen denken, so bedeutet der gesunkene Zins unmittelbar erhohte Wertminderung und geringeren Wertzuwachs.1 Die Bruttoeinnahmen abzuglich Kosten fur die kooperierenden Produktionsmittel miissen vermindert werden um die fur die Periode erwartete Wertminderung des Realkapitals, wahrend der entsprechende Wertzuwachs ihm zuzurechnen ist, um das Einkommen zu ergeben, 2 und die Erwartungen sowohl fur die Bruttoeinnahmen sowie fur die erwahnten Betriebskosten sind in der Ausgangslage als unverandert angenommen worden. Das bedeutet natiirlich, daB die Einkommen gesunken sind. Wenn nun weiter angenommen wird, daB die Konsumtion unverandert ist, wiirde dann natiirlich das Sparen gesunken sein, aber nur um den Betrag, um dem 1 Die Sache liegt dann am klarsten, wenn man sich vorstellt, daB der Unternehmer einen ..sinking fund" unterhalt, in den er Einzahlungen macht, um sein Kapitalvermogen unverandert zu erhalten (unsere Einkommensdelinition bezieht sich ja aul unveranderten Vermogenswert zwischen den momentanen Gewinnen und Verlusten). Die Einzahlungen in diesen ,,sinking fund" miissen natiirlich grofier werden, wenn einige von ihnen zu einem geringeren ZinsfuS verzinst zu denken sind. 2 Siehe Kap. IV, §§ 30, 31.
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die Wertminderung erhbht und der Wertzuwachs gesunken sind. Die freie Kapitaldisposition ist also unverandert geblieben. Die Tendenz zur Storung des Gleichgewichtes wiirde darum ausschlieBlich von der Bewegungstendenz der Realinvestierungen ausgehen. Wenn nun auch die Antizipationen sich andern wiirden, und dies natiirlich in optimistischer Richtung, was bei Senkung des Geldzinses friiher oder spater eintreten muB, so hat das an und fur sich keine Wirkung auf die freie Kapitaldiposition, wenn die Konsumtion unverandert gehalten wird. Die freie Kapitaldisposition bleibt also unverandert, 1 wahrend natiirlich die Realinvestierungen wegen der Antizipationsanderung abermals stimuliert werden. Wenn aber auch die Nachfrage nach Konsumgiitem mit den wegen der Antizipationsanderung steigenden Einkommen wachst, dann wird die freie Kapitaldisposition sinken, wahrend gleichzeitig die Realinvestierungen noch starker steigen werden. 2 51. Wir wollen nun zunachst ganz kurz den oft behandelten Fall vornehmen und uns die Frage nach den geldtheoretischen Wirkungen einer gesteigerten Spartdtigkeit vorlegen. Wir wahlen wie zuvor eine Ausgangslage, die sich in vollstandigem geldtheoretischem Gleichgewicht befindet. I n dieser Lage soil sich die Sparkurve verandern, so daB das gesamte Sparen steigt. Dies ist die einzige Primarveranderung, was unter anderem bedeutet, daB Geldzins und iiberhaupt Kreditbedingungen unverandert bleiben. In der Ausgangslage haben wir da neben einem vermehrten Sparen unveranderte Wertminderungs- und Wertzuwachsansatze (solange namlich die Preiserwartungen unverandert angenommen werden). Da das Sparen primar gestiegen ist, so hat sich auch die freie Kapitaldisposition vermehrt. Die Realinvestierungen werden nicht direkt stimuliert (wir werden sogleich das Gegenteil feststellen). Es ist also selbstverstandlich, daB die Steigerung der Spartatigkeit unmittelbar ein Auseinanderfallen des geldtheoretischen Gleichgewichts auf dem Kapitalmarkt bewirkt, indem die freie Kapitaldisposition gestiegen ist, die Realinvestierungen dagegen nicht. Ein WiCKSBLLscher ProzeB nach unten ist also ausgelost. Es ist jedoch weiter offenbar, daB die Realinvestierungen nicht nur nicht steigen, sondern geradezu sinken miissen. Die Vermehrung der Spartatigkeit muB namlich einen gewissen Preisfall fur Konsumguter bewirken. Dieser Preisfall muB seinerseits die Kapitalwerte herabdriicken, die Folge davon ist, daB eine negative Rentabilitatsdifferenz entstehen muB, was natiirlich bedeutet, daB die Realinvestitionen eingeschrankt werden. Das Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt wird also gestort nicht nur durch eine Steigerung der freien Kapitaldisposition, sondern dariiber hinaus durch ein gleichzeitiges Sinken der Realinvestierungen. Ein WiCKSELLseher ProzeB nach unten ist also durch die Steigerung des Sparens ausgelost worden, wobei, paradox genug, die Vermehrung 1 Wegen der kongruenten aber entgegengesetzten Wirkung der Antizipationsanderungen auf die beiden Komponenten der freien Kapitaldisposition: Sparen und Wertminderung minus Wertzuwachs. Vgl. Kap. V, § 49. 2 Vgl. Kap. V, § 49.
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des Sparens ununterbrochen erne Verminderung der realen Kapitalbildung nach sich zieht. Dieser ProzeB bricht nicht ab, wenn nicht entweder das Sparen von neuem so kraftig herabgedriickt wird, daB es mit dem Niveau der nunmehr auf Grund der primaren Sparvermehrung verminderten Realinvestierungen in Einklang ist oder daB so kraftige Zinssenkungen und Krediterleichterungen vorgenommen werden, daB die Kapitalwerte so stark steigen und damit die Realinvestierungen so stark stimuliert werden, daB sie wieder das Niveau der freien Kapitaldisposition erreichen, wobei beide Male Q = 0 wird. 52. In den abstrakten Beispielen dieses Kapitels haben wir bisher immer vorausgesetzt, daB eine Primarveranderung in einer Ausgangslage eintritt, die die geldtheoretisehe Gleichgewichtsbedingung Q = 0 erfullt. Wir sind so vorgegangen ausschlieBlich mit Riicksicht auf die Einfachheit und Klarheit unserer Ausfiihrungen. Die Schliisse konnen jedoch ohne weiteres auch auf Preisbildungslagen ubertragen werden, die diese Bedingung nicht erfullen, d. h. wo Q ' 5g. 0 ist. Die Fragestellung wird dann natiirlich dahin abzuandern sein, inwieweit die Primarveranderung eine schon bestehende Abweichung vom geldtheoretischen Gleichgewicht verstdrkt oder abschwacht. Dies soil nur fur eine Art von Primarveranderung naher ausgefuhrt werden. Im AnschluB an die Ausfiihrungen des letzten Paragraphen wahle ich dafur die aktuelle Streitfrage, inwieweit eine Sparveranderung eine herrschende Depression verscharft oder mildert. Die Annahmen sind hiernach die folgenden: ein WiCKSEixscher ProzeB nach unten ist schon eine Zeitlang in Gang. Die Kapitalwerte halten sich unter den Reproduktionskosten der Realkapitalien, d. h. die Rentabilitatsdifferenz ist negativ, daher bleiben die Realinvestierungen standig hinter der zur Verfiigung stehenden freien Kapitaldisposition zuriick. Die Frage ist nun, wieweit in dieser Lage eine gesteigerte Spartatigkeit diese Depression verscharfen oder mildern wiirde, d. h. wieweit sie die negative Rentabilitatsdifferenz vergrSBern oder verringern wiirde. Damit wir wissen, wovon wir reden, muB ein strenges ceteris paribus beachtet werden, was unter anderem bedeutet, daB der Geldzins unverandert bleibt und iiberhaupt ganz dieselbe Kreditpolitik in beiden Fallen gefiihrt wird. Mit Rucksicht auf die Ausfiihrungen zuvor ist die Frage dann leicht zu beantworten. Die erste und unmittelbare Wirkung der vermehrten Spartatigkeit muB eine Beschleunigung des vor sich gehenden Preissturzes fur Konsumgiiter sein. Dies mufi wieder bei denselben Zinssatzen den Fall der Kapitalwerte beschleunigen und kann erst auf dem Umweg uber die nun starker fallenden Kapitalwerte und die dadurch starker eingeschrankten Realinvestierungen auf die Reproduktionskosten des Realkapitals wirken (die auBerdem, wie bekannt, eine Menge schwer beweglicher Preise enthalten, besonders Arbeitslohne, wahrend die Kapitalwerte ja sehr empfindlich sind). Es ist also offenbar, daB eine gesteigerte Spartatigkeit die negative Rentabilitatsdifferenz steigern und die Realinvestierungen vermindern muB. Da das neuentstandene
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Sparen auBerdem primar die freie Kapitaldisposition erhoht hat, haben wir also doppelten Grand fur ein starkeres Auseinanderfallen des Gleichgewichts auch auf dem Kapitalmarkt. Das Ergebnis ist also, daB eine vermehtte Spartatigkeit ceteris paribus eine Depression verschdrfen mufi. Eine verringerte Spartatigkeit hat naturlich umgekehrte Wirkungen, d. h. sie mildert eine Depression, indem sie die Konsumgiiterpreise hochhalt und damit auch die Kapitalwerte gegeniiber den Reproduktionskosten des Realkapitals und indem sie auf Grund dessen sehlieBlieh auch das Volumen der Realinvestierungen gegeniiber der durch die Sparverminderung primar reduzierten freien Kapitaldisposition hochhalt. 53. Es ist zu beachten, was wir hier vorausgesetzt haben, daB namlich das Banhsystem seine Kreditbedingungen unverdndert halt. Die ganze zentrale geldtheoretische Analyse wird ja unter der Voraussetzung einer freien Valuta entwickelt, was in diesem Zusammenhang in erster Linie bedeutet, daB das Banksystem jede beliebige Art von Kreditbedingungen durchhalten kann, was wieder voraussetzt, daB das Banksystem in der Lage ist, alle auftretenden Kreditanspruche zu befriedigen. Sonst lieBe sich ja ein ceteris paribus fur die Kreditbedingungen nicht allgemein aufrecht erhalten. Wenn man iiber die Wirkungen einer vermehrten Spartatigkeit auf Konjunkturlage und geldtheoretisches Gleichgewicht zuweilen eine gegenteilige Auffassung ausgesprochen hat, hat man naturlich angenommen, daB die vermehrte Spartatigkeit mildere Kreditbedingungen und dabei speziell niedrigere Zinssatze ermoglicht, wie sie ohne die Vermehrung der Spartatigkeit nicht moglich sein wiirden. Die milderen Kreditbedingungen und niedrigeren Zinssatze wiirden dann ihrerseits die Kapitalwerte und auch das Volumen der Realinvestierungen hochhalten. Man wurde also auf diesem Wege zu einer Milderung der Depression als Folge der vermehrten Spartatigkeit kommen, wahrend hier eine Tendenz zur Verscharfung behauptet wurde. Dieses Argument, in dem man die Kreditbedingungen abhangig sein laBt von dem verfugbaren Sparen und damit die Haltbarkeit der ceterisparibus-Voraussetzung der beiden vorhergehenden Paragraphen beziiglich der Kreditbedingungen bestreitet, dieses Argument bedeutet, daB man nicht mit einer freien Valuta rechnet. Und naturlich ist es an und fur sich richtig: wenn die Wahrung eines Landes an das Gold gebunden ist oder an eine andere Valuta oder schon wenn die Zentralbank eines Landes bestimmte Riicksichten auf die internationalen Wechselkurse nimmt, so ist das Banksystem dieses Landes nicht in der Lage, jede beliebige Art von Kreditbedingungen durchzuhalten. Daher ware es vollkommen in der Ordnung, wenn man die Ergebnisse der beiden vorhergehenden Paragraphen prinzipiell anerkennen, aber einen Vorbehalt hinzufiigen wurde mit Riicksicht auf eine unmittelbare Anwendung der erlangten Schliisse fur eine Situation, in der die Wahrung nicht frei ist. 1 1 Besonders mit Riicksicht auf die gegenwartige Lage muC betont werden, daB kein Land eine freie Wahrung im zuvor erwahnten Sinne hat, nicht einmal die Lander, die die Goldwahrung aufgegeben haben. Kein Land wagt es, eine Geldpolitik zu fuhren, ohne
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54. Es braucht mit anderen Worten kein theoretischer Widerspruch zwischen den beiden Argumenten zu bestehen. Unter einer wirklichkeitsfremden Voraussetzung freier Wahrung und einem ceteris paribus betreffs Kreditbedingungen wiirde eine vermehrte Spartatigkeit die Depression verscharfen, aber unter mehr realistischen Verhaltnissen, wo die Valuta stets irgendwie gebunden ist, gibt eine vermehrte Spartatigkeit die Grundlage fur eine Ausweitung und Verbilligung des Kredites und wird daher die Depression mildern. Gegen dieses letztere Argument muB man jedoch darauf hinweisen: selbst wenn es an und fiir sich durchschlagend ware (siehe dariiber unten), so handelte es sich doch nur um eine Gegentendenz gegen die primare Tendenz zur Depressions verscharfung. Diese mu8 sich auf jeden Pall ergeben aus der vermehrten Spartatigkeit und dem Druck auf die Konsumguterpreise, der ja die unmittelbare und notwendige Wirkung der vermehrten Spartatigkeit als einer verminderten konsumtiven Nachfrage sein und seinerseits die Kapitalwerte herabdriicken muB, selbst wenn gleichzeitig mildere Kreditbedingungen diese Kapitalwerte steigern sollten. Es erscheint aber recht unwahrscheinlich, daB selbst bei gebundener Valuta eine vermehrte Spartatigkeit an und fiir sich eine wesentliche Ausweitung und Verbilligung des Kredites ermoglichen sollte. Das Gegenteil ist sogar wahrscheinlicher. Die freie Kapitaldisposition iibersteigt ja bei einem depressiven ProzeB das Volumen der Realmvestierungen; vom Standpunkte des Kapitalmarktes aus ist das geradezu das Moment, durch das der depressive ProzeB in Gang gehalten wird. Die Quantitat der verfugbaren Kapitaldisposition wird zwar gewohnlich vermindert, aber die Realinvestierungen sinken noch starker. Auch wenn das Extrasparen nicht zustande gekommen ware, so gibt es doch sowieso iibergenug verfiigbare Kapitaldisposition. Bei gebundener Valuta kann zwar das Banksystem trotz dieses unausgenutzten tJberschusses an Kapitaldisposition gleichwohl aus Liquiditdtsgriinden daran gehindert sein, den Kredit auszuweiten und zu verbilligen. Es ist dieses Paradoxon eines gleichzeitigen tJberschusses an Kapitaldisposition und einer doch mangelnden Liquiditat des Banksystems bei gebundener Valuta, das den Gedankengang so leicht verwirrt. Aber dieses Paradoxon ist in der Tat nur scheinbar. Die mangelnde Liquiditat hangt zusammen mit den Verlusten, die die Banken auf alte Engagements gemacht haben und noch machen, und mehr noch mit den Kapitalverlusten, die sie fiir die Zukunft erwarten, sie hangt auBerdem mit den aus den gleichen Griinden gesteigerten Anspruchen der Allgemeinheit und des Geschaftslebens auf bewegliche Mattel zusammen. Ein „frisches Sparen" wiirde naturlich unter solchen Umstanden an und fiir sich den Riicksicht aul die internationalen Wechselkurse, sei es nun auf Grund eines reinen ValutaAberglaubens, sei es auf Grund eigentumlicher nationaler Prestigeriicksichten, verbunden mit der Vorstellung von „gunstigen Wechselkursen", oder auf Grund einer rationell begrundeten Furcht vor Repressalien des Auslandes in Form von Valuta-Dumping-Zollen o. a., oder aus Furcht vor einer Spekulation auf Inflation oder schlieBlich und vornehmlich wegen einer nicht naher beschreibbaren Art von Konglomeration aller dieser Beweggriinde.
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Kreditmarkt erleichtern. Da aber das Sparen in seiner Eigenschaft als verminderte konsumtive Nachfrage gleichzeitig den Depressionsdruck verstarkt und die primaren Illiquiditatsursachen vermehrt, so ist es wahrscheinlich oder wenigstens moglich, daB die Liquiditat der Banken und damit auch ihre Fahigkeit und Bereitwilligkeit zur Ausweitung und Verbilligung des Kredites sich nicht bessert, sondern sogar verschlechtert. I n letzterem Falle wiirde die Gebundenheit der Valuta also AnlaB zu einer extrakrisenverscharfenden Tendenz geben, die ihre Wertung addieren wiirde zu den direkten krisenverscharfenden Wirkungen einer vermehrten Spartatigkeit, die auf dem Umweg iiber einen Riickgang der konsumtiven Nachfrage gehen. Damit soil jedoch nieht gesagt sein, da8 nicht unter besonderen Umstanden auch das Gegenteil denkbar ware. Denken wir uns z. B. ein Land mit Goldwahrung in einer allgemeinen Weltdepression und nehmen wir an, da8 der groBte Teil der konsumtiven Nachfrage in diesem Lande sich auf Importwaren richtet oder daB wenigstens durch eine geschickte Propaganda die durch eine vermehrte Spartatigkeit bewirkte Verminderung der konsumtiven Nachfrage auf die Konsumtion der Importwaren gewalzt werden kann, so bewirkt naturlich der Riickgang der konsumtiven Nachfrage keine direkte Senkung der Kapitalwerte und des Volumens der Realinvestierungen in diesem Lande. Wenn nun die durch die vermehrte Spartatigkeit hervorgerufene Verscharfung der Depression in den Landern, aus denen das betreffende Land importiert, aus irgendwelchen Griinden nicht unmittelbar eine Minderung der Nachfrage nach den Exportwaren dieses Landes bewirkt, so kann naturlich der Kreditmarkt in diesem Lande erleichtert werden und die vermehrte Spartatigkeit wiirde wirklich die Depression im Lande mildern, freilich im Auslande dafur um so mehr verscharfen. 55. Wenn ich nun im vorhergehenden eine mangelnde tjbereinstimmung zwischen Kapitaldisposition und dem Gesamtvolumen der Realinvestierungen als Kennzeichen fur einen ablaufenden WiCKSELLschen ProzeB in der einen oder anderen Richtung angesprochen habe, so hat es sich dabei aus Griinden, die im vorigen Kapitel naher diskutiert wurden, immer um die Tendenzen einer momentanen Lage gehandelt, in der die betreffenden GroBen (Einkommen, Sparen, Konsumtion, Realinvestitionen usw.) dargestellt werden durch Preiserwartungen zuhilnftiger Perioden, die auf die Gegenwart diskontiert sind. Denkt man aber an die faktische Entwicklung wahrend einer Periode und stellt man fur eine Periode ex post die wahrend derselben gebundene Kapitaldisposition und die Realinvestierungen einander gegeniiber, wird man gleichwohl finden, daB sie doch iibereingestimmt haben, wie wenig auch die Verhaltnisse an jedem einzelnen Punkte dieser verflossenen Periode die geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen erfiillt haben, d. h. wie kraftig auch immer der WiCKSELLsche dynamische ProzeB in der einen oder anderen Richtung verlaufen ist. Eine solche nachtragliche Ubereinstimmung fur die ganze Wirtschaft ist selbstverstandlich, denn sonst miiBte man mit dem Entstehen abstrakter Vermogenstitel rechnen,
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die nicht durch eine gesellschaftliche Addierung individueller Forderungen mit korrespondierenden Schulden ausgeglichen werden und die doch weder direkt noch indirekt Kapitalwerten von Realkapitalien entsprechen (oder Bargeld). Die Frage ist nur, wie diese Ubereinstimmung zustande kommt. Diese nachtragliche Ubereinstimmung kommt offenbar zustande durch die Gewinne und Verluste. Wir haben im vorhergehenden Kapitel 1 drei verschiedene Arten von solchen unterschieden: 1. die Kapitalgewinne und Kapitalverluste, die dadurch entstehen, daB die Antizipationen der Unternehmer bezuglich zukiinftiger Ertrage und Kosten sich andern, wobei die Kapitalwerte der vorhandenen Realkapitalien steigen oder fallen, ohne daB die Ertrage und Kosten der eben geendeten Periode verandert werden; 2. die Erlrags- und Kostengewinne bzw. -verluste, die eben darin bestehen, daB diese letztgenannten Ertrage und Kosten einen positiven resp. negativen Saldo gegeniiber deru Werte darstellen, mit dem sie in den vorhergehenden Antizipationen eingesetzt waren, und 3. die Investierungsgewinne und Investierungsverluste, die die Differenz zwischen realisiertem Wert der neukonstruierten Realkapitalien und deren Produktionskosten darstellen. Von diesen drei Arten von Gewinnen und Verlusten sind es nur die beiden letztsn, die eine nachtragliche Ubereinstimmung zwischen Realinvestierung und War ten be wirken. Die Gewinne und Verluste erster Art sind namlich Anderungen der Kapitalwerte des vorhandenen Realkapitals, die gleichzeitig mit ihrem Entstehen den rechenmaBigen Wert des gebundenen Kapitals steigern bzw. mindern, d. h. desjenigen, welches nicht in Sparen oder antizipierter Wertanderung disponibel vorliegt. Sie verursachen zwar eine Erhohung bzw. Senkung der Wertanderungssaldi in Bezug auf den Teil der Periode, der nach ihrem Entstehen liegt, aber gleichzeitig auch eine entgegengesetzte Anderung des Nettoertrages und damit auch des Sparens, so daB die freie Kapitaldisposition unverandert bleibt. Diese Kapitalgewinne und Kapitalverluste konnen daher keine direkte Kompensation fur jene Differenz des freien Wartens und der Realinvestierungen darstellen. Anders bezuglich der Gewinne und Verluste zweiter Art. Sie bestehen ja direkt darin, daB die Unternehmer andere Bruttoertrage und Bruttokosten und auch einen anderen Saldo realisiert sehen, als sie antizipiert haben. I n einer nachtraglichen Ertragsrechnung werden diese Gewinne und Verluste als Einkommen und Kosten gerechnet. Bei einem aufwarts gerichteten WiCKSELLschen ProzeB iiberschreiten die Gewinne dieser Art regelmaBig die Verluste und soweit sie keine Anderung der konsumtiven Nachfrage bewirken, miissen sie dem ex post gerechneten Sparen zugerechnet werden. Dieses erhalt darum in der ex-post-Berechnung gegeniiber der ex-ante-Berechnung ein Plus, das die bestehende Differenz zwischen der freien Kapitaldisposition ex ante und der — in diesem Falle hoheren — gebundenen Kapitaldisposition 1
Siehe Kap. IV, § 32.
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ex post oder Realinvestierung wahrend der Kalkulationsperiode deckt. Bei einem abwarts gerichteten ProzeB iiberwiegen die Verluste, die freie Kapitaldisposition ex ante ist geringer als die gebundene ex post, die Differenz wird in diesem Falle durch die Verluste ausgeglichen. Das Ergebnis ist auch bier wieder eine Ubereinstimmung von gebundener Kapitaldisposition ex post und Realinvestierung wahrend einer abgeschlossenen Periode. Dieser Ausgleich iiber das ex post gerechnete Sparen wird natiirlich erschwert, wenn die konsumtive Nachfrage stark verandert wird. Nehmen wir den Fall eines abwarts gerichteten Prozesses. Die Schrumpfung des Einkommens wird um so weniger auf Kosten des Sparens gehen, je mehr die Konsumtion heruntergedriickt wird. Gegen diese Konsumtionseinschrankung wirkt indessen die wahrend eines solchen Prozesses entstehende Umgruppierung der ,,Einkommensverteirung" zugunsten der Gesellschaftsschichten mit niedriger Sparquote auf Kosten jener mit hoherer Sparquote. In dem Grade, wie der Konsum dadurch aufrechterhalten wird, brauchen offenbar die Verluste nicht so groB zu werden, wie sie sonst sein miiBten, um die nachtraglich notwendige buchmaBige Ubereinstimmung zwischen Kapitaldisposition und Realinvestierungsvolumen zustande zu bringen. Das bedeutet, daB die Intensitat des depressiven Prozesses dann auch nicht so groB ist, wie sie sonst sein wiirde. Bei einem aufwarts gerichteten WiCKSBLLschen ProzeB hat man, wie gesagt, ein Plus zum verbuchten Sparen, das die dann negative Differenz zwischen freier Kapitaldisposition und Realinvestierung ausgleicht. Wie im vorhergehenden Falle, so brauchen auch hier die Gewinne nicht so groB und iiberhaupt der dynamische ProzeB nicht so intensiv zu sein, wie wenn der Konsum nicht so viel gestiegen ist. Die wegen der Preissteigerung folgende Umgruppierung der ,,Einkommensverteilung" zugunsten der Gesellschaftsklassen mit relativ hoherer Sparquote wirkt darum abschwachend auf die Intensitat des dynamischen Prozesses. Die Herstellung der nachtraglichen Ubereinstimmung zwischen Realinvestierung und gebundener Kapitaldisposition erfolgt auBer durch die Ertrags- und Kostengewinne bzw. -verluste auch noch durch die Gewinne und Verluste dritter Art: die Investierungsgewinne bzw. Investierungsverluste. Diese entstehen, weil wahrend der Periode neukonstruiertes Realkapital im Momente seiner Betriebsfertigstellung einen hoheren bzw. niedrigeren Kapitalwert bekommt, als den Kosten seiner Produktion entspricht. Wahrend eines abwarts gerichteten WICKSELLschen Prozesses wird ein Teil der positiven Differenz zwischen Kapitaldisposition und Investitionen durch die von den ,,Fehlinvestierungen" entstehenden Investierungsverluste gerade im Momente, wo die freie Kapitaldisposition gebunden wird, weggenommen. Das Umgekehrte ist der Fall bei einem aufwarts gerichteten WiCKSELLschen ProzeB: ein Teil der negativen Differenz zwischen Kapitaldisposition und Investieren wird ausgefullt durch die Investierungsgewinne, die in dem Momente entstehen, wo die freie Kapitaldisposition gebunden wird. Am einfachsten kann die Sache theoretisch so konstruiert werden, daB man die Real-
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investierungen in den ex-ante-Berechnungen in Investierungskosten miBt, die ja die eigentliche Nachfrage nach freier Kapitaldisposition darstellen, die Realinvestierungen in der ex-post-Buchfiihrung aber in den realisierten Kapitalwerten der neuerstellten Realkapitalien. Der Unterschied zwischen diesen beiden Messungen der Realinvestierungen stellen offenbar die Investierungsgewinne und die Investierungsverluste dar. 56. Diese standige und notwendige nachtragliche tJbereinstimmung zwischen der wahrend einer Periode gebundenen Menge Kapitaldisposition und dem Volumen der Realinvestierungen muB, auch wenn ein WICKSBLLscher ProzeB im Gange ist, fur jede Periode ex post gesehen sich ergeben und bedeutet aus den angefuhrten Griinden nicht einen theoretischen Widerspruch zu dem standigen Auseinanderfallen beider GroBen in den ex-ante-Kalkulationen in jeder momentanen Preisbildungslage wahrend eines solchen Prozesses. Der Gegensatz bezeichnet nur den allgemeinen Unterschied, der zwischen einer nachtraglichen „Buchfuhrung" besteht, die ja immer „stimmt", wie gewaltsam auch die Veranderungen sein mogen, die eingetroffen sind, und den vorausschauenden Kalkulationen, die man in einer gewissen Lage anstellt und die ja trotzdem eine Differenz ergeben konnen. Fur die geldtheoretische Analyse ist jedoch nicht diese truistische Ubereinstimmung bei nachtraglicher Verbuchung fiir eine Periode von Interesse, sondern die Veranderungen wahrend der Periode, die notwendig sind, um Ubereinstimmung herzustellen. Dieses im eigentlichen Sinne dynamische Problem der Bewegung wahrend einer Periode kann nur behandelt werden, wenn man von den in einer momentanen Preisbildungslage besiehenden Tendenzen ausgeht, die bestimmt sind durch die in dieser Lage herrschenden Antizipationen. Diese Antizipationen bestimmen namlich das Verhalten der Wirtschaftssubjekte und damit auch die Veranderungen der ganzen Preisbildung, die f aktisch wahrend der Periode zufolge des Handelns der Individuen zustande kommen. Dieses muB stark unterstrichen werden. Es ist z. B. unmoglich, das geldtheoretische Problem mit einer Analyse von Gleichgewichtsperioden anzugehen, wie ich an einer anderen Stelle eingehender nachgewiesen habe. 1 Es lage ja sonst nahe, die zentrale Analyse auf kurze Gleichgewichtsperioden abzustellen, in denen keine Veranderungen vor sich gehen. Die Veranderungen wiirden dann in die Ubergangslagen zwischen diesen Gleichgewichtsperioden zu verlegen sein. Wahrend der Gleichgewichtsperioden wiirde man dann auch auf dem Kapitalmarkt Gleichgewicht haben und dies nicht nur nachtraglich und auf Grund der Veranderungen, die ich soeben behandelt habe, sondern ganzeinfach ex hypothesi, weil man alle Veranderungen auBerhalb der Gleichgewichtsperioden verlegt hat. Dieses Schema ware jedoch zunachst unfruchtbar, denn, wie ich soeben hervorhob, sind es gerade die eintretenden Veranderungen (die Abweichungenvonden fruheren Antizipationen), die von geldtheoretischem Interesse 1
„Om penningteoretisk jamvikt", Ekonomisk Tidskrift 1931, S. 228 If.
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sind, und diese konnen offenbar nicht mit dieser Methode erfafit werden. Aber das Schema ist sogar noch unhaltbarer, und zwar deshalb, weil die soeben erwahnte Voraussetzung unhaltbar ist. Ein Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt wahrend eines WiCKSELLschen Prozesses kann nur nachtraglich entstehen und auf Grund von Veranderungen der angegebenen Art, die in die Periode selbst fallen. Eine solche ,,Gleichgewichtsperiode", wie kurz man sie sich auch denken moge, kann mit anderen Worten iiberhaupt nicht entstehen. 1 Die Methode bedeutet eine theoretisch unmogliche Vermischung des Antizipationsgesichtspunktes mit dem einer nachtraglichen Registrierung. 57. Wir haben nun nur noch eine Verallgemeinerung unserer Schliisse zu versuchen. Eigentlich ist unsere Analyse der Bedingung fur Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt bisher rein kasuistisch gewesen. Um die Ergebnisse unserer Untersuchung in diesem Teil festzulegen, miiBten wir zeigen, daB die beiden Gleichgewichtsbedingungen •— die eine, die sich auf die Rentabilitatsdifferenz der Realinvestierungen bezieht, und die zweite, die sich auf Nachfrage und Angebot von Kapitaldisposition bezieht •—, ganz allgemein miteinander ubereinstimmen, so daB die eine sich aus der anderen ableiten laBt. Um mich nicht allzusehr in diese verwickelte Materie zu verlieren, mochte ich mich einiger algebraischer Symbole bedienen. Samtliche Quantitaten, die mit groBen Buchstaben bezeichnet sind, bedeuten Gesamtsummen fur alle Unternehmen in der Wirtschaft. Samtliche Quantitaten, die mit kleinen Buchstaben bezeichnet sind, beziehen sich auf einzelne Unternehmen. Wie immer in dieser Arbeit, sind samtliche GroBen in Geldeinheiten angegeben. Sie beziehen sich alle auf eine momentane Preisbildungslage. Fur die GroBen, die nicht direkt momentane Kapitalwerte sind, bedeutet das, daB sie Summen von individuellen, auf die betreffende Preisbildungslage diskontierten Antizipationen fur Einkommen, Sparen, Konsumtion usw. wahrend eines willkiirlich gewahlten zukiinftigen Zeitabschnittes darstellen. Alle Einkommen sind der Einfachheit halber als Kapitaleinkommen konstruiert, was naturlich, wie jeder Theoretiker weiB, durchaus moglich ist, wenn auch die Methode besonders im Hinblick auf die Arbeitslohne nicht die iibliche ist. Es bezeichnen: E das Einkommen, B den Bruttoertrag der Unternehmer, 8 das Sparen, Ka den Bruttoertrag der Unternehmer bei Absatz von Konsumgiitern, Kn die Ausgaben der Konsumenten fur Konsumgiiter, M die Ausgaben der Unternehmer fur kooperierende Produktionsmittel (Summe ihrer Betriebskosten einschlieBlich Materialkosten), D den Wertanderungsansatz gleich Wertminderung minus Wertzuwachs des vorhandenen Realkapitals, 1
Vgl. hiezu Kap. IV, § 32.
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Ct den Kapitalwert des vorhandenen Realkapitals, C 2 den Kapitalwert (als diskontierte Erwartung) des Realkapitals, das man wahrend der Periode zu konstruieren beschlieBt. (72 ist als BruttogroBe zu rechnen und schlieBt ein den Kapitalwert sowohl fur Neuinvestierung wie auch Re-investierung. 1
V = 8 + D
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Der fiir die Konstruktion von C 2 notwendige Zeitraum soil der Einfachheit halber mit der gewahlten Einheitsperiode zusammenfallen. r / , r-l', r{" ... usw. sind die Reproduktionskosten fiir die in C1 enthaltenen Realkapitalien Cj', c / ' , c / " ... usw. der einzelnen Unternehmen. Samtliche r x -Ausdrucke sind mit Riicksicht auf die Veranderung der Technik seit dem urspriinglichen Bau der Ci-Realkapitalien mit einem Korrektionsfaktor adjustiert, der bewirkt, daB die Bedingung erfullt ist cx : rx = c 2 : f2. Q ist die Rentabilitatsdifferenz = 2W (cx — r x ). Die einzelnen (c r — f 1 )-Ausdriicke sind in dieser Summe gewogen mit dem Realinvestierungselastizitatskoeffizienten der einzelnen Untemehmen. 3 E2 ist die Summe der Produktionskosten fiir C 2 , V die freie Kapitaldisposition. Wir haben daneben folgende Definitionen: S = E — Kn (1) (2)
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E = B — (M + D) (3) Was fiir den einen Unternehmer Ausgabe ist, ist jedooh Einkommen fiir den in der Produktionskette nachsten Unternehmer. Wenn wir gewisse Voraussetzungen beziiglich der Preiserwartungen machen, konnen wir in Definition (3) einen Teil der 6-Posten gegen die ra-Posten streichen, die sich auf dieselben Giiter beziehen, ja eigentlich alle 6-Posten, die nicht entweder totale Bruttoeinnahmen der Unternehmer fiir Konsumgiiter (Ka) oder fiir wahrend der Periode gebautes Realkapital (C2) darstellen. Wir erhalten dann B-M = Ka + C2 (4) Diese letztere Annahme ist natiirlich niemals vollstandig erfullt. Die Voraussetzung dafiir wiirde sein: a) daB alle Unternehmer eine neutrale wertmaBige Attitude gegeniiber der Risikoiibernahme haben und b) daB jede einheitliche Tendenz zu optimistischer oder pessimistischer Irrationalitat in den Risikovorstellungen der Unternehmer fehlt. 4 I n einzelnen Fallen stimmt (4) durchaus nicht iiberein mit der Wirklichkeit: ein einzelner Unternehmer, der ein Halbfabrikat fiir seine Produktion 1
Fiir Begrundung siehe Kap. V, § 47. Siehe Kap. IV, § 38. Siehe Kap. IV, § 40. 4 Was diese beiden Voraussetzungen eigentlich enthalten, habe ich in meiner Arbeit ,,Prisbildmngsproblemet och loranderligheten", Uppsala und Stockholm 1927, ausgefiihrt. Ich kann auf diese Frage nicht eingehen, ohne den Gang der Darstellung zu storen, ich muli daher den Leser bitten, die Gleichung (4) als eine starke Approximation zu akzeptieren. 2 3
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kauft, macht sich oft natiirlich ganz andere Preisvorstellungen dariiber als die Unternehmer, die dieses Produkt herstellen und verkaufen. Auch als Ganzes braucht die Gleichung in der Wirklichkeit nicht erfiillt zu sein. Ich unterstreiche also, daB die Gleichung (4) nur eine Annaherung bedeutet, deren Zulassigkeit sehr wohl in Frage gezogen werden kann. Mit einer entsprechenden Begriindung und einem entsprechenden Vorbehalt gestatte ich mir auBerdem, zu schreiben: K n = Ka
(5)
Die Bedingung fiir geldtheoretisches Gleichgewicht, die ich in Kapitel IV naher ausgefiihrt habe, ist Q= 0
(6)
Nehmen wir diese Bedingung als erfiillt an und fuhren wir ferner die stark approximierende Voraussetzung ein, daB (6) uns gestattet zu schreiben C2 = B2, (7) so wird (3), (4) und (5)
— Ka
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Bt = E+D oder (1)
Ba = S + D oder (2)
i? 2 = V
(8)
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Wenn die Gleichgewichtsbedingung (6) erfiillt ist, ist also auch (8) erfiillt. Bei mangelndem Gleichgewicht ist QgO
(9)
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Dann ist auch
C 2 §J5 R2,
was die Antizipation eines Zustandes mit iiberwiegend positiven oder negativen Investierungsgewinnen im Falle von Realinvestierungen bedeutet. 1 Auf Grund dessen steigt bzw. sinkt B2 (die Realinvestierung), wobei auch C 2 steigt bzw. sinkt. Der ProzeB geht solange wie eine solche positive oder negativeRentabilitatsdifferenz besteht, d. h. solange 0 ^ 0 . Gewisse zuvor erwahnte Umstande bewirken, soweit keine geldtheoretischen Eingriffe vorgenommen werden (Veranderung des ZinsfuBes) oder preisbildungsprimare Veranderungen eintreten, daB das Gleichgewicht (8) nicht wieder hergestellt wird und der WiCKSELLsche ProzeB kumulativ verlauft. Ich hebe nochmals hervor, daB wir zu diesen Ergebnissen nur dadurch gekommen sind, daB wir gewisse Annahmen gemacht haben, die in der Wirklichkeit nicht notwendig erfiillt sind. Die Herausstellung 1 Wenn ein negativer Investierungsgewinn antizipiert ist, wird natiirlich nicht investiert. Ein negativer Investierungsgewinn kann in den ex-ante-Kalkulationen nie auftreten, sondern nur als Folge einer „Fehlinvestierung" realisiert werden, was eben bedeutet, daB er nicht antizipiert war. 28 Beitrage zur Geldtheorie.
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dieser Annahmen, die zu einer tJbereinstimmung der ersten und der zweiten Gleichgewichtsbestimmung bei WICKSELL fiihren, und die dafiir notwendige exaktere Formulierung dieser Gleichgewichtsbedingungen sind vielleicht das wichtigste Ergebnis der bisherigen Analyse. Sechstes Kapitel.
Die dritte Bedingung des geldtheoretischen Gleichgewichts: die Bewegungstendenz des „Preisniveaus".
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58. Durch eine dritte Bestimmung der geldtheoretischen Gleichgewichtslage -will WICKSELL dieselbe in Beziehung setzen zu den Verhdltnissen auf dem Warenmarkt. Der normale Zins ist, sagt er, der Geldzins, der gerade notig ist, um das „allgemeine Preisniveau" (der Fertigprodukte) unverdndert zu erhalten. Einen richtigen Beweis fur diesen Satz konnte jedoch WICKSELL nicht erbringen. 1 Wie ich sogleich nachweisen werde, ist der Gedanke auch falsch. Um nun zu zeigen, wie WICKSELL ZU dieser Behauptung kommen konnte, mochte ich an ein paar fruhere Ausfiihrungen ankniipfen. WICKSELL war sich selbst natiirlich vollkommen klar dariiber, daB die Konstruktion des „naturlichen Zinses", durch die er den ,,normalen Zins" und damit die geldtheoretische Gleichgewichtslage mit der Ertragsquote des Realkapitals in Verbindung bringen wollte, fur seine ganze Theorie grundlegend war. Durch diese theoretische Konstruktion gliickte es ihm ja, die Geldlehre mit der Kapitalzinstheorie zu verbinden und dadurch mit der ganzen zentralen Preislehre. Da WICKSELL jedoch nur ein veralteter theoretischer Apparat zur Verfugung stand, der ihn den „naturlichen Zins" als eine physische oder technische Grenzproduktivitat definieren lieB, so blieb, wie ich einleitend zu Kapitel IV gezeigt habe, diese ganze Konstruktion unvollstandig und voller Widerspriiche. Der ,,naturliche Zins" war nur bestimmt in einer auBerst abstrakten theoretischen Scheinwelt, die neben anderen auch die Eigentumlichkeit hatte, daB in ihr von dem Phanomen des Kredites und damit des Geldzinses uberhaupt abstrahiert wurde. Die Verbindung von ,,Geldzins" und ,,naturlichem Zins" gelang also WICKSELL nicht. Wie er den ,,naturlichen Zins" bestimmt hatte, konnten die beiden GroBen theoretisch gar nicht nebeneinander gestellt werden. Die ,,Differenz" zwischen Geldzins und , ; natiirlichem Zins" bleibt bei WICKSELL notwendig eine hochst unklare Vorstellung. Und am allerwenigsten konnte WICKSELL an die Moglichkeit einer statistischen Be1 Dieser Satz, daB eine Ubereinstimmung von Geldzins und natiirlichem Zins ein unverandertes Preisniveau voraussetzt, wird am klarsten und konsequentesten in ,,Geldzins" herausgestellt. In den „Vorlesungen" und in einer Reihe von Zeitschriftenaufsatzen zeigt WICKSELL bekanntlich Neigung, den Satz in mancher Hinsicht einzuschranken (vor allem mit Rucksicht auf die Geldproduktion und uberhaupt die sogenannte direkte Inflation), ohne jedoch, soviet ich sehen kann, zu einer klaren und vollstandigen Ersatzkonstruktion zu kommen. Ich halte mien im folgenden an die in dem iilteren Werk gegebene klarere Formulierung.
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obachtung seiner GroBen, mit denen er arbeitete, denken, so daB er in einer aktuellen Lage hatte entscheiden konnen, ob eine solche Differenz bestand, ob sie positiv oder negativ war. 1 Sehr viel gliicklicher war WICKSELL auch bei seiner Analyse der Verhaltnisse auf dem Kapitalmarkte nicht. Da er die Begriffe „Angebot und Nachfrage von Sparmitteln", die fiir ibn grundlegend sind, in Unklarheit lieB, gelang es ihm nie, seine Analyse des Kapitalmarktes so weit durchzufiihren, daB er zu einer Fragestellung vorgedrungen ware, die sich direkt an das statistische Beobachtungsmaterial richtete. Dennoch war es offenbar auch hier wie iiberall sonst das groBe rein praktische Interesse des Problems, das WICKSELL auch bei seinen geldtheoretischen Untersuchungen reizte. Da ihm die entscheidenden Partien seines Arguments jedenfalls keine praktisch anwendbare Formel fiir die Analyse einer aktuellen Lage vom geldtheoretischen Gesichtspunkt gaben, so versuchte er eine solche mit umso groBerem Eifer durch ein Studium der Verhaltnisse auf dem Warenmarkte zu gewinnen. Da ihn jedoch seine Untersuchung iii den entscheidenden Parteien — Ertragsquote des Realkapitals und Verhaltnis von Sparen zu Investieren — nicht zu groBerer Klarheit gefuhrt hatten, konnte er aus den beiden vorhergehenden Gleichgewichtskonstruktionen auch nicht eine Gleichgewichtsformel fiir die Bewegungstendenz des Preisniveaus in theoretisch bindender Weise herleiten. In der Tat akzeptierte er die bequeme Formel eines konstanten Preisniveaus mehr nach dem Gefuhl und als Ergebnis einer aprioristischen, normativ bestimmten Intuition. Es war ja offenbar, daB der dynamische ProzeB, der bei mangelndem Gleichgewicht ausgelost wurde, friiher oder spater zu einer allgemeinen Preissteigerung bzw. einem allgemeinen Preisfall fuhren muBte. Der SchluB lag dann nahe, daB Gleichgewicht ein „konstantes Preisniveau" bedeutete. WICKSELL scheint auBerdem von Anfang an iiberzeugt gewesen zu sein, daB eine Veranderung des „Preisniveaus" ganz allgemein schadlich und wirtschaftlich ungerechtfertigt war. 2 Und da fiir ihn auch die geldtheoretische Gleichgewichtsbeziehung zwischen Geldzins und ,,naturlichem Zins" mehr als ein theoretisches Instrument war, namlich ein geldpolitisches Ideal, 3 so kam er von neuem zu dem SchluB, daB der Geldzins, der mit dem natiirlichen Zins iibereinstimmte, auch ein unverandertes Preisniveau fiir Konsumgiiter garantiert. Das alles ist natiirlich eine recht schlechte Logik, aber eine haltbarere theoretische Konstruktion ist WICKSELL nie gelungen. Er war auf der Suche nach einer praktisch brauchbaren Formel, um die unklaren Ergebnisse seiner theoretischen Ausfuhrungen iiber die Produktivitat und den Kapitalmarkt anwenden zu konnen, einer Formel, die dariiber hinaus auch seine moralisierenden Instinkte befriedigte. In dieser Lage bot sich ihm die Beobachtung der Verschiebungen des Preisniveaus als 1 WICKSELL hat stets hervorgehoben, daB man den „naturlichen Zins" unmoglich oder „so gut wie unmoglich" durch eine statistische Beobachtung in einer aktuellen Situation feststellen konne. 2 ..Geldzins", S. 2ff. und ..Vorlesungen", I, 2, S. 52 u. a. St. 3 Siehe unten Kap. VIII, § 80 ff.
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ein Ausweg und eine Moglichkeit, dadurch doch noch indirekt feststellen zu konnen, ob sich Geldzins und ,,naturlicher Zins" im Gleichgewicht befinden. Eine prinzipiell durchaus nicht klare Konstruktion erscheint also richtig, da sie sich „praktisch" erweist, ein Wert wird eine Wahrheit, was ja eine alte Erfahrung aus der Geschichte der okonomischen Doktrinbildung ist. 1 Und indem er das Schwergewicht auf das „allgemeine Preisniveau" verlegte, kam er ja auBerdem in enge Beruhrung mit den Traditionen der alten Quantitatstheorie, die WICKSELL ja niemals ganz beseitigen, sondern nur verbessern wollte. Dies nur, um eine kurze Rekapitulation der inneren Bedingungen fur die WiOKSELLsche Analyse zu geben. 59. Der WiOKSELLsche Satz, daB ein konstantes ,,Preisniveau" eine geldtheoretische Gleichgewichtsbedingung war, erfuhr schon von Anfang an eine Kritik von Seiten DAVIDSONS. In seiner beriihmten Besprechung von ,,Geldzins und Guterpreise" in der Ekonomisk Tidskrift 1899 und spater in einer Reihe von Aufsatzen in derselben Zeitschrift, deren Herausgeber DAVIDSON war und noch ist, hob er hervor: wenn ceteris paribus die technische Produktivitat der Produktionsmittel aus irgend einem Grunde steigt, so muB das Preisniveau fur Fertigprodukte entsprechend herabgedriickt werden, damit nicht das Geldwesen aus dem Gleichgewicht geraten und ein typischer kumulativer ProzeB einsetzen soil. Die theoretische Methode, mit der DAVIDSON seine Behauptung zu beweisen versucht, 2 ist in hohem Grade interessant. Er hat durchaus richtig erkannt, daB die erste Gleichgewichtsbedingung WICKSELLS bezuglich Produktivitat und Pventabilitat des Realkapitals fur seine ganze geldtheoretische Konstruktion von zentraler Bedeutung ist, und er versucht daher zu beweisen, daB die hier in Frage kommende dritte Gleichgewichtsbedingung mit jener ersten unvereinbar ist. Eine erhohte Produktivitat muB namlich nach DAVIDSON den ,,naturlichen Zins" steigern, und wenn dann der Geldzins nicht entsprechend dieser Steigerung des naturlichen Zinses erhoht wird — wobei das Preisniveau sinken muB —, ist das geldtheoretische Gleichgewicht gestort. 3 WICKSELL, der 1 In diesen Bahnen muB WICKSELLS Denken verlaulen sein. Siehe z. B. folgende Zeilen, wo er hervorhebt, daB die Banken sich daraul einrichten sollen, ,,den durchschmttlichen GeldzinsfuB zur Ubereinstimmung rait dem naturlichen KapitalzinsfuBe zu bringen": „Nicht etwa in der Weise, daB die Banken den Stand des naturlichen Kapitalzinses wirklich ermitteln sollten, um darnach ihre eigenen Zinssatze einzurichten. Dies ware selbstverstandlich unausfuhrbar, zugleich aber auch vollkommen ubertliissig, da ja eben der jedesmalige Stand der Guterpreise fiir die Ubereinstimmung oder Nichtilbereinstimmung der beiden Raten ein zuverlassiges Kennzeichen darstellt. Der Vorgang wilrde vielmehr einfach der folgende sein: bei unveranderten Preisen wurde auch der Zinssatz der Banken unverandert bleiben, bei steigenden Preisen miiBte der Bankzins erhoht, bei fallenden Preisen erniedrigt, und jedesmal auf dem so erreichten Stande erhalten werden, bis eine weitere Bewegung der Preise eine neue Veranderung der Zinssatze in dieser oder jener Richtung verlangt" („Geldzins", S. 172 f.). 2 Er bringt dabei auch einen rein normativen Gedankengang eines absoluten „Geldwertes" herein, motiviert mit einer klassischen Produktionskostenwertlehre. Davon soil jedoch hier abgesehen werden, solange wir nur das rein theoretische Problem behandeln. s Das Argument ist vielleicht am klarsten in den folgenden Zeilen von DAVIDSON ausgesprochen: „Die Steigerung der Produktivitat hat ja die Gewinnaussichten erhoht, solange die Warenpreise unverandert sind, und somit ist der natilrliche oder reale Zins gegeniiber dem Geldzins zu hoch geworden. . . Dieses Ergebnis erscheint vielleicht ver-
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vor DAVIDSONS theoretischem Scharfsinn auBerordentlichen Respekthatte, war bereit, ihm gewisse Zugestandnisse zu machen, was den zunachst hier nichtbehandelten geldpolitischen Aspekt betraf — also bezuglich des Inhalts der Forderung nach „allgemeiner Gerechtigkeit" — in der rein theoretischen Frage hielt er jedoch seinen Standpunkt aufrecht, da8 ein konstantes „Preisniveau" eine Bedingung des geldtheoretischen Gleichgewichts sei. Die endgultige Klarung dieses alten Problems ist natiirlich in erster Linie deshalb unmoglich gewesen, weil die Grundbegriffe der Geldtheorie: Ertrag, antizipierte Wertanderung der Realkapitalien, Rentabilitat, Angebot und Nachfrage von Sparmitteln usw. theoretisch nicht hinreichend klar definiert worden sind. Wie ich schon angedeutet habe, ist dabei besonders die Rolle der Antizipationen auBer acht gelassen worden, was gerade fur die Geldtheorie recht bedenklich ist, wo von einer Analyse der Antizipationen so ungefahr alles abhangt 1 und — was den Verlauf in der Zeit angeht — auBerdem von dem sogenannten Tragheitsfaktor der Preisbildung, womit man ja der Tatsache Ausdruck geben will, daB die preisbildungsmaBigen Reaktionen nicht momentan sein konnen, sondern in verschiedenem Grade Zeit erfordern. Ein anderes Hindernis fur die Klarheit des Gedankenganges, das in der Auseinandersetzung iiber das Preisniveau besonders hinderlich gewesen ist, war die direkte, wertmetaphysische Verkoppelung absolutistisch-normativer Ideen und rein theoretischer Analyse. 60. Ich mSchte nun hienach der Methode DAVIDSONS folgen und von der Lehre iiber den „naturlichen Zins" ausgehen, die, wie ich gezeigt habe, implicite das Hauptargument der WiCKSELLschen Theorie enthalt. Aus den im vierten Kapitel angegebenen Griinden ersetze ich dabei die WiCKSELLsche Gleichgewichtsbedingung i = i0 mit der Formel Q = 0. Welche Forderungen stellt eine Entwicklung des Preissystems, in der die Rentabilitatsdifferenz standig auf 0 gehalten wird, fur die Bewegungstendenz des ,,Preisniveaus" ? Soviel ich sehen kann, an und fur sich zunachst gar keine. Die Gleichgewichtsbedingung enthalt gewisse Relationen von Preisen und antizipierten Preisen —- Relationen der Preise fur Realkapital und die bltlffend, denn es bedeutet, daB man mif WICKSELOLS theoretischen Satzen ah Ausgangspunkt zu ganz anderen praktischen Resultaten kommt, als er sie im Auge hatte: Erhaltung der Warenpreise auf unveranderter Hone" (Ek. Tidskr. 1909, S. 23, Kursiv von mir). — Der Gedanke WICKSELLS in der Frage der praktischen Geldpolitik ist nun ja, daB dieser angefangene ProzeB der Fortentwicklung von einem Gleichgewicht moglichst schnell durch eine Steigerung des Geldzinses abgestoppt werden soil, die aul jeden Fall ein Steigen der Warenpreise verhindert, das sonst eintreten wurde. Aber gerade weil man dabei fur eine gewisse Zeitspanne ein mangelndes Gleichgewicht zugelassen hat, kann es seine Schwierigkeiten haben, dieses Resultat ohne eine Krise zu erreichen, so muB man DAVIDSON interpretieren. Ubrigens interessiert uns gerade in diesem Zusammenhang, wo wir die rein theoretische Frage behandeln, von DAVIDSONS These nur so viel, wie in der Behauptung enthalten ist, daB bei stattfindenden Produktivitatsveranderungen ein unverandertes Preisniveau kein Gleichgewicht zwischen Geldzins und natilrlichem Zins garantiert. 1 WICKSELL, der ja immer quasi-stationar dachte, bemerkt dennoch gelegentlich, und nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit DAVIDSON, daB man zu ganz verschiedenen Ergebnissen kommen kann, je nachdem, was fur Voraussetzungen man iiber die Art der Antizipationen macht.
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Produktionsmittel, die in seine Reproduktionskosten eingehen, Fertigprodukte, Betriebskosten usw. sowie den Preis fur Kredit —, aber wenn diese Preisrelationen erfiillt sind, wiirde eine gleichgerichtete Bewegung der absoluten Preise das geldtheoretische Gleichgewicht nicht aufheben. Das Ergebnis ist unabhangig davon, ob diese allgemeine Preisbewegung antizipiert ist oder nicht: die Antizipationen konnen ja fur die Rentabilitatsdif ferenz nur im Zusammenhang mit den Veranderungen der eben erwahnten Relationen von Bedeutung werden. Dasselbe gilt fiir die zweite Gleichgewichtsbedingung. An und fur sich bedeutet die Gleichung, die bei geldtheoretischem Gleichgewicht tJbereinstimmung zwischen Realinvestierungen und der freien Kapitaldisposition fordert, fiir die Bewegung der absoluten Preise gar niohts. Denken wir uns eine vollkommen gleichmaJJige Preisbewegung in der einen oder anderen Richtung, so wiirde das Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkte nicht gestQrt werden. Die beiden Seiten der Gleichung wurden in gleichem Verhaltnis wachsen, auch hier wieder unabhangig davon, ob diese Preisbewegung antizipiert ist oder nicht. Denn auch diese zweite Gleichgewichtsbedingung kann nicht aufgehoben werden ohne eine Veranderung der Preisrelationen. Das liegt ja schon in dem zuvor aufgezeigten Zusammenhang der beiden Gleichungen. Unsere beiden Gleiehgewichtsbedingungen (Q = 0 und i? 2 = V) waren also an und fiir sich durchaus unbestimmt in bezug auf die Preisentwicklung. Sie wurden keine Bestimmung der absoluten Preisbewegung enthalten, sondern nur Bedingungen fiir gewisse Preisrelationen. I n letzterer Hinsicht wurden sie jedoch voile Bestimmtheit geben. Sowohl WICKSELL wie auch DAVIDSON wurden also unrecht gehabt haben: die Entwicklung des Preisniveaus wiirde mit geldtheoretischem Gleichgewicht gar nichts zu tun haben. Aber so leicht werden wir der beriihmten alten Streitfrage nicht entrinnen konnen. 61. Wenn ich gezeigt habe, da6 die beiden Gleiehgewichtsbedingungen an und fiir sich jede beliebige Bewegung des Niveaus der absoluten Preise gestatten, so habe ich doch gleichwohl einen Vorbehalt hinzufiigen mussen: wenn diese Bewegung vollkommen gleichformig fiir die verschiedenen Preise ware. 1 Diese Voraussetzung ist jedoch unhaltbar. Zunachst bestehen ja Kreditkontrakte zu festen Zinssatzen und andere Kontrakte, die sich auf eine Zeitspanne erstrecken. Bei jeder allgemeinen Preisbewegung, die nicht von samtlichen Preisbildungssubjekten mit voller GewiBheit antizipiert wird, muB also die Einkommens- und Vermogensverteilung verandert werden. Dadurch werden wieder die Angebots- und Nachfragefunktionen verschiedener Giiter und infolgedessen auch die Preisrelationen dieser Giiter verandert, einschlieBlich der spezifischen Preisrelationen, die in den beiden geldtheoretischen Gleiehgewichtsbedingungen relevant sind. 1 Wenn ich hier und im lolgenden von Preisen und Preisrelationen spreche, so meine ich alle Preise: liir Produktionsmittel, Zwischenprodukte und Fertigprodukte usw., aul alien Markten, GroBhandels- und Kleinhandelsmarkten dem Arbeitsmarkte usw.
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Nun kann man zwar die in den Gleichungen implizierten spezifischen Gleichgewichtsrelationen sich gleichwohl standig erfiillt denken (trotz einer gewissen „Streuung" der nichtspezifischen Preisrelationen), namlich. durch gewisse, diesen Zwecken angepaBte Veranderungen des Geldzinses oder allgemeiner der Kreditbedingungen. Aber unter der Annahme einer Kreditpolitik, die geldtheoretiscb.es Gleichgewicht aufrechterhalt, wiirde die allgemeine Preisbewegung ziemlich bald zum Stillstand kommen. Es gibt namlich gewisse Tragheitsfaktoren in der Preisbildung. Es ist eine Erfahrungstatsache, da8 gewisse Preise reagibler sind als andere. Die schwerbeweglichen Preise bewirken also eine Bindung des Preissystems: die Gleichgewichtsrelationen miissen die reagiblen Preise an das absolute Niveau der schwerbeweglichen anpassen. Der eigentliche Inhalt der das Gleichgewicht erhaltenden Veranderung der Kreditbedingungen, wovon ich zuvor gesprochen habe, ist der, daB man durch die Kreditpolitik und besonders durch den Geldzins die besonders beweglichen Kapitalwerte an die Reproduktionskosten der Realkapitalien anpaBt, die ja selbst recht unbewegliche Preise enthalten, z. B. Arbeitslohne. Es ist bezeichnend, zu welchen Beispielen wir greifen muBten, wenn wir illustrieren wollten, daB die geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen nichts liber die allgemeine Preisbewegung aussagen. Es wiirde sich namlich dann zeigen, daB wir da zu den beiden traditionellen preisbildungstheoretischen Abstraktionen greifen muBten, durch die das Tragheitsmoment aus der Preisbildung fortgezaubert wird — entweder direkt, wie in der Annahme eines atomistischen Zustandes, die das ja explicite enthalt, oder indirekt, wie in der Annahme, daB samtliche Individuen alle Veranderungen der primar preisbestimmenden Faktoren und alle Wirkungen dieser Veranderungen antizipieren, wo also die vollstandigen Antizipationen die Wirtschaftssubjekte von den Tragheitsfaktoren unabhangig machen, indem sie sich im voraus auf die zu erwartenden Veranderungen einstellen konnen. I n Wirklichkeit besteht aber immer Ungewifiheit iiber die zukiinftigen Daten, und da gleichzeitig alle Preisbildungsreaktionen Zeit erfordern, miissen aus diesen beiden Grihnden die beiden vorigen Gleichgewichtsbedingungen in der Tat auch eine bestimmte Bedingung fur die Entwicklung des Preisniveaus enthalten. Es ist auch, ganz in abstracto, leicht zu sagen welche, und ich habe sie in der Tat schon angedeutet. Wir konnen samtliche Preise statistisch ordnen nach der Schnelligkeit, mit der sie sich unter dem EinfluB einer verandernden Bewegungsursache selbst verandern. Die Beaktionsgeschwindigkeit fur Preise verschiedener Giiter und fur die Preise desselben Gutes auf verschiedenen Markten hangt von den verschiedenen institutionellen Umstdnden ab — gegriindet auf Gesetz, tibung, Konsumgewohnheiten, Produktionsmethoden usw. —, die die Reaktionsbedingungen der verschiedenen Markte bestimmen: Bedingungen nicht nur fur Angebot und Nachfrage, sondern auch fur Angebotspreise und Nachfragepreise. Wenn unsere beiden Gleichgewichtsbedingungen bestimmte Annahmen iiber die Preisrelationen erfordern, so enthalten diese Bedingungen gerade wegen der unterschiedlichen Reaktionsgeschwindig-
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keit der Preise die weitere Bedingung, daB das „Preisniveau" bei geldtheoretischem Gleichgewicht standig die Bewegungstendenz liaben muB, die die Erfiillung der in den Gleichgewichtsbedingungen enthaltenen Preisrelationen unter den geringstmoglichen Verdnderungen der schwerbeweglichen Preise gestattet. Das Preisniveau, das nach den beiden zuvor analysierten Gleichgewichtsbedingungen stabilisiert werden muBte, um geldtheoretisches Gleichgewicht bei stattfindenden Primarveranderungen zu erhalten, ist also der Ausdruck fur die allgemeine Preisbewegung, den man gewinnen konnte durch eine Indexberechnung, in der die einzelnen Preise gewogen sind, einmal (1) mit Riicksicht auf ihre relative Bedeutung fiir die Rentabilitdtsberechnungen der Unternehmer und damit das Volwmen ihrer Realinvestierungen und zum anderen (2) mit Riicksicht auf den reziproken Wert der Reaktionsgeschwindigkeit. Eine Stabilisierung eines so errechneten Preisniveaus bedeutet aber bei einem dynamischen Preisbildungsablauf gar nicht notwendig Stabilisierung des „allgemeinen Preisniveaus" oder eines Index fiir Konsumgiiter. 62. Diese Gleichgewichtsbestimmung der fiir geldtheoretisches Gleichgewicht erforderlichen absoluten Preisbewegung soil sogleich etwas eingehender kommentiert werden. Wie aus dem Vorhergehenden sich ergibt, liegt sie schon in den beiden zuvor analysierten Gleichgewichtsbedingungen beschlossen und kann daher wegen deren theoretischer Beziehung zum Hauptargument der WiCKSBLLschen Theorie als endgultig festgestellt angesehen werden, soweit die Geltung dieser Theorie als Erklarung oder Erklarungshypothese iiberhaupt reicht. Die theoretische Bedeutung dieser Gleichgewichtsbestimmung liegt darin, daB sie die Bestimmtheit auch bezuglich der allgemeinen Preisentwicklung angibt, die die beiden vorhergehenden Gleichgewichtsbedingungen schon enthalten. Sie ist auBerdem von Bedeutung, indem sie den Weg frei macht fiir eine fortschreitende, mehr realistische Analyse des Preisbildungszusammenhanges. Durch Angabe der Gewichtssysteme, die aus dieser Gleichgewichtsbedingung abgeleitet werden konnen, und besonders des zweiten Gewichtsprinzips, wird namlich die abstrakte Geldtheorie direkt alien den institutionellen Verhaltnissen gegeniibergestellt, die in Wirklichkeit die Preisbildung bestimmen, aber die so oft in dieser Theorie tibersehen werden. Nur von einer solchen Konfrontation mit den Realitaten des sozialen Lebens auf dem Umweg liber die Reaktionsgeschwindigkeiten der Preise kann man eine Vervollstandigung der Geldtheorie in der Zukunft erwarten. Was die beiden Gewichtssysteme angeht, so will ich nur noch folgendes hinzufugen. Die Notwendigkeit des ersten Gewichtsprinzips ist selbstverstandlich. Vom geldtheoretischen Gesichtspunkt aus muB ein Preis, der fiir die Rentabilitat verschiedener Unternehmen von groBerer Bedeutung ist, naturlich schwerer wiegen als ein in dieser Hinsicht weniger wichtiger Preis. I n abstracto laBt sich auch leicht naher angeben, wie ein Wiegen nach diesem Prinzip vor sich gehen soil. Die partielle Gewichtszahl fiir einen bestimmten Preis in bezug auf ein bestimmtes Unternehmen ist die Grofie der Veranderung der Rentabilitatsdifferenz c\ — r\,
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die durch eine gewisse Veranderung des betreffenden Preises entsteht. Die schlieBliche Gewichtszahl fur samtliche Unternehmen in der Gesellschaft ist ganz einfach die Summe dieser Gewichtszahlen fiir individuelle Unternehmen, die man erhalt, wenn man bei der Addition der individuellen Gewichtszahlen diese wiegt mit der Realinvestierungselastizitat der einzelnen Unternehmen fiir gerade so groBe Veranderungen der Rentabilitatsdifferenz. Diese so berechnete schliefiliche Gewichtszahl miBt natiirlich gerade die Bedeutung einer Anderung des betreffenden Preises mit Rucksicht auf das Volumen der Realinvestierungen. 1 Das zweite Gewichtsprinzip ist selbst in abstracto schwerer zu prazisieren. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist namlich verschieden groB auf lange und auf kurze Sicht, in verschiedenen Phasen des Konjunkturablaufes, gegeniiber verschiedenen Arten von Veranderungsursachen und verschiedener Starke dieser Veranderungsursachen. Die Reaktionsgeschwindigkeit wechselt auch mit dem Inhalt der Antizipationen. Die Angabe des Gewichtsprinzips stellt daher mehr Probleme, als sie lost. Sie markiert nur die Grenze zum Gebiete des Institutionellen, wo eine rein begriffliche, preisbildungstheoretische Systematisierung sich wegen der dann notwendigen Willkurlichkeit der Voraussetzungen nicht mehr lohnt. 63. Durch diese Bestimmung der allgemeinen Preisbewegungstendenz bei geldtheoretischem Gleichgewicht — nach der relativen Bedeutung der verschiedenen Preise fiir das Volumen der Realinvestierungen und dem reziproken Wert ihrer spezifischen Reaktionsgeschwindigkeiten 2 — mag es scheinen, als ob die theoretische Analyse auf ein ganz anderes Gebiet uberfuhrt worden ist als das, auf dem sich die Auseinandersetzung zwischen WICKSBLL und DAVIDSON bewegte. Diese Diskussion wiirde demnach falsch orientiert gewesen sein mit Rucksicht auf den eigentlichen Ansatz der Analyse und die dabei angewendeten theoretischen Kriterien. Das ist auch zweifellos der Fall. Aber ein eigentumlicher Umstand, der von tieferem methodischen Gesichtspunkt aus rein zufallig ist, bewirkt gleichwohl, daB die DAViDSONsche These vielleicht eine Portion Richtigkeit behalt, obwohl nur als eine theoretische Approximation an die zuvor angegebene rationelle Losung des Problems. Wenn wir namlich davon ausgehen, daB die Preise der originaren Produktionsmittel dominierend sind unter den schwer beweglichen und fiir das Volumen der Realinvestierungen bedeutsamen Preisen — dies bedeutet praktisch zunachst eine Annahme, daB die Arbeitslbhne verhaltnismaBig schwer bewegliche Preise sind, daB sie einen wesentlichen Teil der Kosten aller Arten von Produktionsmitteln ausmachen und daB die Preise der Fertigprodukte eine verhaltnismaBig hohe Reaktionsgeschwindigkeit haben —, 1
Fiir nahere Begrundung vgl. Kap. IV, § 40. 2 Dabei ist wie gesagt der letztere Ausdruck der theoretisch primare: nur der verschiedenen Reaktionsgeschwindigkeiten fiir verschiedene Preise kann das „Preisniveau" fiir das geldtheoretische Gleichgewicht von theoretischer werden: nur aus dem Grunde wird auch ein Wiegen mit Rucksicht auf die relative vom Rentabilitatsgesichtspunkt erfordert.
auf Grund uberhaupt Bedeutung Bedeutung
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so ist das Ergebnis unserer zuvor angegebenen dritten Gleichgewichtsbestimmung, daB der Geldzins normal ist, der die in beiden Gleichungen Q = 0 und B2= V enthaltenen Gleichgewichtsbeziehungen bei unverdnderten Produktionsmittelpreisen aufrechterhalt. Bei einer allgemeinen Produktivitatssteigerung wiirde dann die Gleichgewichtsbedingung erfordern, daB eine entsprechende Adjustierung der Preise fur Fertigprodukte nach unten erfolgt, ganz wie DAVIDSON gegen WICKSELL stets hervorgehoben hat. Ich habe jedoch zuvor gesagt, daB diese Ubereinstimmung von einem tieferen methodischen Gesichtspunkt aus ein Zufall ist: sie beruht nicht auf irgend etwas Besonderem in den Produktivitatsanderungen. Sie beruht ganz einfach darauf, daB wir die Reaktionsgeschwindigkeit der Arbeitslohne als gering angenommen haben. Wiirden wir dagegen annehmen,- daB die Arbeitslohne besonders reagibel waren, wahrend die Preise fur Fertigprodukte schwer beweglich waren, so wiirden die Gleichgewichtsbedingungen bei derselben Primarveranderung eine Steigerung der Arbeitslohne bei unveranderten Preisen fur Fertigprodukte erfordern, wie WICKSELL es behauptete. Mit anderen Worten: DAVIDSON hatte gegemiber WICKSELL recht nicht aus den Griinden, die er selbst vorbrachte, sondern auf Grund gewisser, von keiner der beiden streitenden Seiten in diesem Zusammenhange vorgebrachter institutioneller Momente, die den Widerstandsgrad verschiedener Markte gegeniiber auBeren Veranderungsursachen bestimmen. DAVIDSONS These ist darum bestenfalls nur eine Approximation an eine richtige Formulierung. Es gibt auch andere schwerbewegliche Preise neben den Arbeitslohnen. Die Arbeitslohne sind auch nicht uberall gar so schwer beweglich, z. B. gewohnlich nicht in der Landwirtschaft. Die Arbeitslohne bestimmen auch nicht allein die Rentabilitat, denn die Arbeitslohne machen noch nicht die ganzen Produktionskosten aus. DAVIDSONS Behauptung ist also bestenfalls eine praktisch brauchbare Faustregel. Aber dann erhebt sich die Frage, wieweit sie praktisch brauchbar ist. LINDAHL hat meines Erachtens am Ende seiner Arbeit „Penningpolitikens mal" unfreiwillig, aber biindig bewiesen, wie schwer durchfuhrbar jede Messung der allgemeinen Produktivitat sich stellt 1 und damit auch wie wenig die Produktivitatsformel eine methodische Vereinfachung bedeutet. Unsere Formulierung, die ohne Umwege direkt abstellt auf die relative Bedeutung der einzelnen Preise fur Rentabilitat und Volumen der Realinvestierungen und reziproken Wert ihrer Reaktionsgeschwindigkeit, ist naturlich auch von praktisch-statistischem Gesichtspunkt leichter greifbar, ganz abgesehen davon, daB sie vollstandiger ist: auch sehr grobe Approximationen unserer Indexformel wiirden richtigere Resultate geben als die Produktivitatsformel. Die Produktivitatsformel h a t auBerdem den groBen Nachteil, daB 1 Jede Messung der Produktivitat ist ja schon deshalb undurchfuhrbar, weil sie eine Aufspaltung der Produktivitatsveranderungen in qualitative und quantitative erfordert. Vgl.
im ubrigen auch MACKENROTHS Besprechung von LINDAHL, a. a. O.
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sie das Denken so leicht in die wertmetaphysischen Bahnen fiihrt, die durch die Traditionen der Nationalokonomie nur allzu ausgefahren sind. Es ist ja geradezu diese Werteinstellung, die eigentlich die Aufstellung dieser Formel motiviert hat, wenn es auch in einer wissenschaftlichen Analyse wie dieser naturlich vollkommen moglich ist, die Produktivitatsformel theoretisch davon frei zu halten. 64. Bevor ich weitergehe, will ich zunachst einen Umstand hervorheben. Wahrend eine statistische Feststellung der aktuellen Werte fur die GroBen in den beiden zuvor diskutierten Gleichgewichtsbedingungen —Q = 0 und B2 = V — eine Antwort gibt auf die Frage, ob wir uns in einer Gleichgewichtslage befinden oder nicht und ob wir uns im letzteren Falle auf dieser oder jener Seite einer Gleichgewichtslage befinden und wie stark der Impuls fur eine Gleichgewichtsabweichung ist, so sagt uns die Feststellung, daB in einer gewissen Lage die schwerbeweglichen Preise einigermaBen stillstehen, eigentlich recht wenig iiber das tatsachliche Aussehen dieser Lage. DaB die schwerbeweglichen Preise einigermaBen stillstehen, ist ja nicht so merkwiirdig, sie wiirden es nicht nur bei Gleichgewieht, sondern auch bei Nicht-Gleichgewicht tun — wenigstens bis der WiCKSELLsche ProzeB schon ein gutes Stuck vorangekommen ware —•, das ist ja gerade das Kennzeichen ihrer mangelnden Reagibilitat. Diese letztere Gleichgewichtsbestimmung ist nur die Anwendung der Gleichgewichtsformeln in einer speziellen Hinsicht und muB daher, um eine vollstandige Bestimmtheit zu ergeben, gleichwohl die allgemeine Bedingung enthalten, daB jede der beiden Gleichungen — und dann natiirlich auch beide, da sie sich auseinander herleiten lassen —- erfullt sind. Man kann mit anderen Worten den Gleichgewichtscharakter einer Lage durch ein bloBes Studium der allgemeinen Preisbewegung nicht hinreichend charakterisieren, auch wenn man bei der Beobachtung dieser allgemeinen Bewegung die vom Gleichgewichtsgesichtspunkt theoretisch motivierten Gewichtsprinzipien angewendet hat. Man kann auch nicht von geldtheoretischem Gesichtspunkt aus eine Preisentwicklung allein dadurch charakterisieren, daB man untersucht, wie sich die verschiedenen „Preisniveaus" im Verhaltnis zueinander bewegen: z. B. wie das „Preisniveau fur Konsumguter", naher bestimmt durch ein gewisses Gewichtsprinzip, sich gegeniiber unserem zuletzt definierten Preisindex bewegt, gewogen mit Rucksicht auf die Bedeutung fur Realinvestierungen und Reaktionsgeschwindigkeit: sagen wir der Einfachheit halber „Lebenshaltungskosten" gegeniiber „Arbeitslohnen" (wobei gewisse Annahmen erfullt sein muBten, von denen wir einige zuvor diskutiert haben). Das gegenseitige Verhaltnis beider Preisindices (und das gegenseitige Verhaltnis aller anderen denkbaren solchen) muB namlich, damit geldtheoretisches Gleichgewicht aufrechterhalten werden kann, sich in ganz anderer Weise verandern, je nachdem, welche Primarveranderungen auftreten. Diese Veranderungen der Gleichgewichtsverhaltnisse „verschiedener Preisniveaus" untereinander konnen wieder nur berechnet werden bei Kenntnis aller Primdrveranderungen des aktuellen Falles, fur diesen Zweck analysiert von jeder der beiden zuvor auf-
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gezeigten Gleichgewichtsformeln aus. Diese letzteren konnen daher unmoglich in der geldtheoretischen Analyse einer gegebenen Lage oder einer gegebenen Entwicklung umgangen werden. Das ist der eigentliche Grund, warum es prinzipiell unmoglich ist, das geldtheoretische Gleichgewicht nur in den Ausdrucken „Preisniveau" oder als Verhaltnis von „Preisniveaus" zu bestimmen. Dieser recht negative SchluB sollte also das Resultat unserer Analyse in diesem Kapitel sein. Die Definition eines Preisindex, dessen Konstanz erforderlich ist fur Aufrechthaltung des geldtheoretischen Gleichgewichtes, hat, das habe ich eben zugegeben, mehr den Charakter eines Unterstreichens eines offenen Problems als einer Losung. Sie vermag uns jedoch wenigstens vor einem iibermaBigen Glauben *an die konjunkturstabilisierenden Wirkungen einer Stabilisierung des sogenannten allgemeinen Preisniveaus zu bewahren. Es ist ja sogar im vollen Ernst vorgeschlagen worden, man solle die Geldpolitik darauf abstellen, die hochst. reagiblen GroBhandelspreise der Welthandelswaren zu stabilisieren, und dieses noch dazu zuweilen gerade mit der Begriindung, weil diese Preise so reagibel sind: damit hat man naturlich zwei an und fur sich nicht allzu klare und theoretisch einander widersprechende Gedankengange in hochst bedenklicher Weise ineinander vermengt: auf der einen Seite den geldtheoretisch motivierten Stabilisierungsgedanken und auf der anderen Seite die Idee eines empfindlichen „Konjunkturbarometers". 65. Wenn man ^monopolistische" Preisbildungsvoraussetzungen hat, ist noch eine Reihe weiterer Umstande zu bedenken. Mit „monopolistischen" Preisbildungsvoraussetzungen meine ich in diesem Zusammenhang den Fall, daB Angebot- oder Nachfragepreis eines Gutes nicht nur vorubergehend, sondern dauernd auf einem solchen Niveau gehalten werden kann, daB nicht die ganze Menge des Gutes nachgefragt oder angeboten wird, bzw. daB das Angebot oder die Nachfrage sich nicht ausdehnen bis zu solchen Mengen, wie sie bei der herrschenden Preislage an und fur sich — mit Rucksicht auf die Form der entsprechenden Nachfrage- und Angebotskurven — fur den Anbietenden oder Nachfragenden rentabel waren, wenn namlich diese nicht damit rechneten, daB entsprechende Nachfrage und entsprechendes Angebot gegenuber ihrem Angebot und ihrer Nachfrage reagierten (was ja bei ,,freier Konkurrenz" vorausgesetzt wird). Diese Voraussetzungen sind ja in hohem Grade auf dem Arbeitsmarkte aktuell, aber vielleicht auch auf der Mehrzahl anderer Markte hat die Sache ihre Bedeutung. Das Ergebnis ist dann ein mangelndes Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, wobei doch beide nur potentiell sein konnen. Der Einfachheit halber wollen wir nur an den Arbeitsmarkt denken. Wenn das monopolistische Element allein auf die Angebotsseite beschrankt ist, ubersteigt das Angebot die Nachfrage beim geltenden Preis, und dieser Zustand liegt ziemlich offen fur statistische Beobachtung (Arbeitslosigkeit). Ist das monopolistische Element dagegen nur auf die Nachfrageseite beschrankt, so ist der Zustand fur direkte Beobachtung fur gewohnlich weniger zuganglich: die uberschieBende Nachfrage ist
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ja in diesem Falle nur potentiell und besteht in einer schwer greifbaren „unvollstandigen Ausniitzung" (wirklicher oder potentieller) Kapazitat. Bei doppelseitigem Monopol auf dem Arbeitsmarkte ist bekanntlich der Zusammenhang noch verwickelter. Man kann ja dann eine Arbeitslosigkeit haben, die vom Arbeitergesichtspunkt aus ein nicht nachgefragtes Angebot ist bei dem Lohn, den man aufrechterhalt, wiihrend gleiehzeitig auf der Arbeitgeberseite eine mit Rucksicht auf diesen gleichen Lohn potentielle Nachfrage vorliegt, die nicht aktuell wird. Die herrschende Arbeitslosigkeit ist dann eines der Ergebnisse dieses doppelseitigen Monopols, und es ist von einer gewissen Wichtigkeit, daB der komplizierte Zusammenhang nicht allzu sehr fur didaktische Zwecke vereinfacht wird. Die Arbeitslosigkeit ist natiirlich, von einem Standpunkt aus gesehen, eine direkte Folge des Arbeitermonopols insofern, als eine groBere Menge Arbeitskraft bei niedrigerem Lohn aktuell nachgefragt wiirde. Sie ist aber gleiehzeitig auch bedingt durch die Differenz potentieller und aktueller Nachfrage von seiten der Arbeitgeber, insofern als eine vollstandige Aktualisierung der nur potentiellen Nachfrage nach Arbeitskraft die Nachfrage bei dem gleichen Arbeitslohn um einen Teil, respektive mit der ganzen oder sogar mit mehr als der ganzen Menge Arbeitskraft erhohen wiirde, die arbeitslos ist, wobei im letztgenannten Falle, wenn Nachfragemonopolismus wegfallt, die Arbeitslosigkeit sogar bei steigendem Lohn eliminiert werden konnte. Die aktuell herrschende Arbeitslosigkeit kann, wenn man so will, direkt als MaBstab genommen werden fur die Intensitat des in theoretisch-technischem Sinne monopolistischen Elementes auf der Arbeiterseite, was in diesem Falle eine Definition der monopolistischen Intensitat sein wiirde. Die entsprechende monopolistische Intensitatszahl fur die Arbeitgeberseite ist schwerer greifbar, denn sie muBte als Differenz zwischen potentieller und aktueller Nachfrage nach Arbeitskraft angegeben werden, und nur die aktuelle ist statistisch erfafibar. Monopolistische Intensitat in dieser Bedeutung ist ein Resultat der Kraft und des Willens, eine gewisse Nachfrage oder ein gewisses Angebot ohne Preisnachgabe zu halten, bzw. einen gewissen Preis ohne Angebots- oder Nachfragenachgabe zu halten, und sie wird dann gemessen in dieser aus mangelndem Gleichgewicht der Nachfrage und des Angebots entstehenden Spanne. Was speziell das schwer greifbare monopolistische Element auf der Arbeitgeberseite angeht, so ist vielleicht noch weiter darauf hinzuweisen, daB auf Grund der Zwischenstellung der Unternehmer zwischen Arbeitsmarkt und Warenmarkt jedes Angebotsmonopol auf dem Warenmarkt notwendig ein entsprechendes Nachfragemonopol auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, d. h. soweit nicht die Warenangebotseinschrankung standig kompensiert wird durch wachsende Lagerhaltung, was jedenfalls nicht auf die Dauer moglich ist. Ein wesentlicher Teil des Arbeitgebermonopolismus auf dem Arbeitsmarkt hat natiirlich diesen Charakter. Auf der anderen Seite bedeutet jeder Nachfragemonopolismus auf dem Arbeitsmarkt in gleicher Weise ein Angebotsmonopol auf dem Warenmarkt, insofern nicht eine vom Rentabilitatsgesichtspunkt aus nicht bedingte
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vollstandige Substitution anderer Produktionsfaktoren (Kapitaldisposition) fiir die bloB potentiell, aber nicht aktuell nachgefragte Arbeitskraft die Produktion und das Warenangebot aufrechterhait bei der Konstellation von Warenangeboten und Nachfragepreisen, die bei gegebener Nachfrage herrschen wiirde, wenn kein Arbeitgebermonopol bestande, was auf die Lange der Zeit ebenfalls nicht haltbar ist. Die theoretische Relation zwischen Angebotsmonopol auf dem Warenmarkt und Nachfragemonopol auf dem Arbeitsmarkt wird mit anderen Worten reguliert durch die Zuwachsgeschwindigkeit der Lagerhaltung und die nicht durch Rentabilitat motivierte rein arbeitsmarktpolitische „Rationalisierung" in der Produktion. Wenn man wahrscheinlich aus sehr gutem Grund leugnet, daB eine solche Art von Rationalisierung in der Industrie eine groBe Rolle spielt und gleichzeitig feststellen kann, daB eine Lager vermehrung diesen Charakters im allgemeinen ungewohnlich ist und auf langere Sicht sogar unmoglich, so hat man damit die beiden Arten von Monopolismus auf der Arbeitgeberseite verkoppelt. Dieser Zusammenhang der beiden Monopolprobleme liegt in der Natur der Sache, indem die Monopolgewinnberechnung fiir die ganze Rentabilitatsaufstellung gelten muB, in der der Arbeitslohn ein Kostenelement und der Warenpreis ein Einkommen ist. Die beweglichen Elemente werden — neben den Preisen, der dadurch bedingten totalen Produktion und totalen Nachfrage nach Produktionsmitteln — nur dargestellt durch die Moglichkeiten, das Verhaltnis von Produktion und Absatz (Lagerhaltung) und das Verhaltnis der Produktionsmittel untereinander (Substitution) zu verandern. Eine allgemeine Voraussetzung fiir die WiCKSEixsche idealtypische Konstruktion ist nun die gewohnlich nicht explicite statuierte Annahme einer „freien Konkurrenz" in einer recht speziellen Bedeutung. Ein gewisser Mangel an momentaner Preisbildungsanpassung ist natiirlich in die Rechnung mit aufgenommen: bei einer allgemeinen Voraussetzung einer unendlich groBen Reaktionsgeschwindigkeit wiirde ein kumulativer ProzeB, der Zeit erfordert, sich niemals entwickeln konnen, was WICKSELL schon angedeutet und LINDAHL naher ausgefiihrt h a t : der Verlauf wiirde ,,lawinenartig" werden. Aber dennoch hat man eine Pramisse betreffend ,,freie Konkurrenz", die — neben der schon zuvor behandelten Bedeutung, daB bei Gleichgewicht der ,,natiirliche Zins" i0 fiir alle Unternehmen der betreffenden Wirtschaft gleich hoch angenommen wird 1 — den eigentlichen Inhalt hat, daB man von monopolistischen Preisbildungselementen der eben angedeuteten Art abstrahiert. Diese Voraussetzung ist nicht ohne Bedeutung fiir die theoretischen Zusammenhange, die in diesem Kapitel diskutiert werden. 66. Um einen abstrakten Beweis fiihren zu konnen, mache ich jetzt einige vereinfachende und ganz willkurliche (also bewufit unwirkliche) Voraussetzungen: (1) die Arbeitslohne sind der einzige Preis, der eine Reaktionszeit groBer als 0 hat fiir gerade die Veranderungsursachen, die 1 Die Unhaltbarkeit dieser Annahme hat ja in der vorhergehenden Analye seine wesentliche Umformulierung der ersten WicKSELLschen Gleichgewichtsbedingung veranlaflt. Siehe Kap. IV, § 40.
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als Folgewirkungen geldpolitiseher MaBnahmen vorliegen konnen, womit nach dem Vorhergehenden die Erfiillung der Gleichgewichtsformeln bei konstantem Arbeitslohn Gleichgewichtsbedingung sein wiirde; (2) der Arbeitslohn ist auch der einzige Preis, bei dessen Bildung monopolistische Elemente tatsachlich vorkommen; (3) das Monopolelement ist ganz auf die Angebotsfunktionen beschrankt; (4) es wird eine Geldpolitik gefiihrt, die ohne andere Riicksichten nur darauf ausgeht, geldtheoretiscb.es Gleichgewicht aufrechtzuerhalten; (5) in der Ausgangslage herrscht geldtheoretisches Gleichgewicht. Um unserem Ergebnis nicht vorzugreifen, nehmen wir ferner an: (6) die Gleiehgewichtsbedingungen sind erfiillt bei tJbereinstimmung von Angebot und Nachfrage nach Arbeitskraft (d. h. die Arbeitslosigkeit ist gleich 0 und es besteht keine vom Rentabilitatsgesichtspunkt potentielle Nachfrage nach Arbeitskraft, die nicht aktualisiert wird). In dieser Lage wird das monopolistische Element auf der Angebotsseite aktiviert. Die Arbeiter schlieBen sich zusammen und fiihren eine Steigerung ihrer Arbeitslohne durch. Das ist die einzige Primarveranderung (7). Damit geldtheoretisches Gleichgewicht weiterhin besteht, miissen dann alle anderen Preise in genau demselben Grade gesteigert werden wie der Arbeitslohn. Wenn wir annehmen konnten, daB in samtlichen relevanten Skalen von Antizipationen eine entsprechende Verschiebung nach oben auf die Steigerung des Arbeitslohnes direkt folgen wiirde (was ja an und fur sich nicht unnaturlich sein wiirde mit Riicksicht auf die angenommene Geldpolitik, von der wir auch annehmen, daB sie offen erklart wird und bekannt ist), so wiirde diese Anpassung aller Preise nach oben unmittelbar und ohne Zinssenkung zustande kommen. Eine Arbeitslosigkeit wiirde in solchem Falle nicht entstehen. Die Arbeiter, die als Folge ihrer monopolistischen Lohnsteigerung nicht in Arbeitslosigkeit geraten, wiirden dann -— angenommen, daB die monopolistische Intensitat konstant ist, von ihrer Aktivierung in der Ausgangslage aus — neuerlich ihre Lohne steigern kSnnen mit genau dem gleichen Ergebnis fur die allgemeine Bewegung des ganzen Preissystems nach oben usw. Auf Grund eines StoBes nach oben, der in Form monopolistischer Aktivierung bei den schwerbeweglichen und darum auch dominierenden Preisen eingesetzt hat — den Preisen, die die geringste Reaktionsgeschwindigkeit fur auBere Veranderungsursachen haben —, wiirde unter allgemeiner Beibehaltung geldtheoretischen Gleichgewichts ein allgemeiner Preissteigerungsprozeji einsetzen, der sich jedoch von dem WiCKSELLschen kumulativen ProzeB in der einen wichtigen Hinsicht unterscheiden wiirde, daB die ganze Zeit uber geldtheoretisches Gleichgewicht aufrechterhalten sein und daB darum die fur den WiCKSELLschen ProzeB typischen Verschiebungen der Produktionseinrichtung usw. ausbleiben wiirden. Die Geschwindigkeit dieser Bewegung des ganzen Preissystems wiirde bestimmt werden von der Geschwindigkeit, mit der die Arbeiter ihre Lohne monopolistisch steigern. Es ist nur hinzuzufugen, daB der ganze Vorrat an Kontrakten mit
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zeitlicher Bindung, die beim Beginn des Prozesses bestehen, natiirlich gewisse Einkommens- und Vermbgensverschiebungen veranlassen wiirde. Soweit dadurch ein gegeniiber dem totalen Einkommen hoheres oder geringeres Spar en hervorgerufen wiirde, wiirde das Gleichgewicht bei hoherem oder geringerem Geldzins erreicht werden. Auf Grund dessen und der damit verbundenen Verschiebungen der Hachfrage nach verschiedenen Konsumgiitern wiirden gewisse Umstellungen der Produktion durchgefiihrt werden, und der reale Arbeitslohn wiirde die Tendenz zeigen, sich nach oben oder nach unten zu bewegen. Diese Wirkungen sind jedoch wahrscheinlich von geringerer GroBenordnung und wiirden jedenfalls unter den gegebenen Voraussetzungen (speziell der ersten) der Hauptwirkung der Primarveranderung nicht im Wege stehen, die in der allgemeinen aufwarts gerichteten Preisbewegung liegt. Das ist das einzige, worauf wir in diesem Zusammenhange unser Interesse zu richten haben. Wenn wir nun unter sonst gleichen Voraussetzungen annehmen wiirden, daB die Antizipationen nieht in dieser Weise momentan reagieren, so wiirde der eigentliche Unterschied der sein, daB die Zentralbank, um die vorausgesetzte Geldpolitik (4) durchzufiihren, gewisse Krediterleichterungen vornehmen muBte, um dem restlichen Preissystem eine Bewegung nach oben zu geben, die die Arbeitslohne schon durch das monopolistische Verhalten der Arbeiter haben. Denken wir uns statt dessen das auslosende Monopolmoment ausschlieBlich auf die Nachfrageseite verlegt, d. h. zu den Arbeitgebern, so wiirde ein ganz ahnlicher GleichgewichtsprozeB in Gang kommen, wiewohl in diesem Falle nach unten. Eine Arbeitslosigkeit wiirde auch in diesem Falle nicht entstehen, da wir ja jetzt ,,freie Konkurrenz" der Arbeiter um die Arbeitsplatze angenommen haben. Wird dagegen die Primarveranderung von einer doppelseitigen monopolistischen Lohnpolitik dargestellt, so wiirde das geldtheoretische Gleichgewicht nur bei einer gewissen Arbeitslosigkeit zustande kommen und bei einer gewissen Differenz zwischen potentieller und aktueller Nachfrage nach Arbeitskraft, d. h. einer gewissen aktuellen, aber allmahlich nur potentiellen ,,Unterproduktion". Das Preissystem wiirde sich dann in Ruhe befinden oder nach der einen oder anderen Seite in Bewegung sein, je nach der relativen Starke der beiden Monopolisten. 67. Angenommen nun, bei unveranderten Ausgangspramissen und einer Aktivierung eines einseitigen Arbeitermonopolismus als einziger Primarveranderung, daB die Antizipationsskalen nieht unmittelbar wie im ersten Falle nach oben adjustiert werden, aber daB trotzdem der Geldzins nicht herabgesetzt wird. Dies wiirde eine bestimmte Abweichung von der angenommenen Geldpolitik bedeuten: die Gleichgewichtsformel ware nicht mehr erfiillt und ein WiCKSELLscher ProzeB nach unten wiirde in Gang kommen, dargestellt durch eine Umrichtung des Produktionsprozesses auf verminderte reale Kapitalbildung, Arbeitslosigkeit (auf Grund des angenommenen Arbeitermonopolismus) und Preissenkungen, zuerst fur die Realkapitalien und darnach fur die Konsumgiiter usw.
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Wenn nun jedoeh die Geldpolitik, nachdem die Gleichgewichtslage einmal verlassen ist, sich darnach darauf einstellt, den Fortgang dieses Prozesses zu verhindern — was wenigstens in dem gewahlten Beispiel, in dem eine monopolistische Arbeitslohnsteigerung als einzige Primarveranderung angenommen worden ist, bedeuten wiirde, daB sie darauf eingestellt wird, das Entstehen einer groBeren Arbeitslosigkeit zu verhindern als der, die gerade der monopolistischen Intensitat entspricht, d. h. der Arbeitslosigkeit, die die Arbeiter in Kauf nehmen ohne eine Lohnsenkung zu gestatten — und wenn man durch eine teilweise kurzfristige Zinssenkung wirklich diese Geldpolitik durchfiihren kann, so wiirde nach gewissen Preis- und Produktionsverschiebungen eine neue Gleichgewichtslage sich herausbilden, in der die Gleichgewichtsformeln wieder erfiillt waren. Diese Gleichgewichtslage wiirde sich durch hohere (relative) Arbeitslohne auszeichnen, dazu durch eine gewisse Arbeitslosigkeit (groB genug, um das monopohstische Lohnsteigerungsmoment zu balancieren), einen niedrigeren ZinsfuB (soweit nicht die Spartatigkeit auf Grund der Einkommens- und Vermogensverschiebungen wesentlich gemindert wird, allgemeiner daher: einen ZinsfuB, der Gleichgewicht zwischen der veranderten Kapitaldisposition und den Realinvestierungen zustande bringt, welch letztere bei unverandertem ZinsfuB sinken wiirden), relativ gesehen niedrigere totale Einkommen fiir die Kapitalisten, etwas veranderte relative Preise fiir Realkapital und Konsumgiiter (verandert u. a. mit Rucksicht auf die indirekte Nachfrage der verschiedenen Giiter nach Arbeit und Kapitaldisposition bei ihrer Produktion oder Reproduktion), sowie eine etwas veranderte Produktionseinrichtung (verandert mit Rucksicht sowohl auf die Umstellung der Nachfrage nach verschiedenen Konsumgiitern, die durch die Einkommens- und Vermogensveranderung hervorgerufen wird, wie auch mit Rucksicht auf die allgemeine Anpassung der Substitutionsverhaltnisse verschiedener Produktionen und ihrer Zeiteinrichtung, die eine Eolge der veranderten Produktionskostenpreise sowie des veranderten ZinsfuBes ist). Dabei wiirden dann wie gesagt die Gleichgewichtsbedingungen wieder erfiillt sein. Die Abweichungen wahrend des dynamischen Prozesses konnen langer oder kurzer sein, je nach der Anpassungsfahigkeit der Geldpolitik. Wenn der ProzeB eine langere Zeit gelaufen ist, wird die neue geldtheoretische Gleichgewichtslage bei um so niedrigeren Arbeitslohnen und Preisen stabilisiert werden. Der allerkiirzeste Weg ware der, den monopolistisch erhohten Lohn zu stabilisieren. (Wenn die als Folge der Lohnerhohung bei geldtheoretischem Gleichgewicht und einigermaBen konstanten Konsumgiiterpreisen entstehende Arbeitslosigkeit die monopolistische Intensitat iibersteigen wiirde, so wiirden dabei diese Konsumgiiterpreise ebenso wie dieKapitalwerte steigen). Das Wichtigste ist jedoeh: wenn die Abweichungen von den Gleichgewichtsbedingungen wahrend des Prozesses liquidiert sind, so ergibt sich in der neuen Gleichgewichtslage, die bei dieser Art von Geldpolitik entsteht, darnach ein fester Arbeitslohn, wobei eine gewisse Arbeitslosigkeit eine Bedingung fiir den Gleichgewichtszustand sein wiirde, eine so groBe namlich, wie erforderlich Beitrage zur Geldtheorie.
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ist, urn die monopolistische Intensitat zu balancieren. Die Geldpolitik muB ganz einfach abgestellt werden auf diese Arbeitslosigkeit, damit das Ergebnis nicht wird: entweder ein fester geldtheoretischer Gleichgewichtszustand bei einer ununterbrochenen Bewegung des ganzen Preissystems nach oben oder ein WiCKSELLScher ProzeB, der sich vom Gleichgewicht fortbewegt und nach unten gerichtet ist. Wird nun unter sonst unveranderten Voraussetzungen das Monopolelement auf die Arbeitgeberseite verlegt und eine entsprecbende Geldpolitik vorausgesetzt, so wiirde das Resultat ganz dasselbe sein, natiirlich mit umgekehrten Vorzeichen fur samtliche GroBen. Der Arbeitslosigkeit wiirde dann eine nichtaktualisierte, nur potentielle Nachfrage entsprechen. Bei doppelseitigem Monopolismus wiirde das Ergebnis abhangen von der relativen Starke der beiden Monopolisten, und in der Endlage wiirden wir als Gleichgewiclitsbedingung sowohl eine gewisse Arbeitslosigkeit wie eine Differenz zwischen potentieller und aktueller Nachfrage nach Arbeitskraft haben, die erstere groB genug, um den Arbeitermonopolismus zu balancieren und die letztere groB genug, um den Arbeitgebermonopolismus zu balancieren. 68. Dabei haben wir natiirlich mit recht speziellen Voraussetzungen gearbeitet. Wir haben ja unter anderem eine unendlich groBe Reaktionsgeschwindigkeit bei samtlichen Preisen auBer den Arbeitslohnen vorausgesetzt. Der Text kann jedoch nicht weiter mit einer theoretischen Kasuistik belastet werden. Der Zweck der gewahlten abstrakten Beispiele war ja nur, den Boden zu bereiten fur gewisse allgemeine Behauptungen betreffend die Bedeutung des Monopolelements fur den Inhalt der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingung mit Riicksicht auf die allgemeine Preisbewegung. Diese Schliisse sind in der Hauptsache die folgenden. Unsere Indexformel fiir das Preisniveau, das mit Riicksicht auf die Gleichgewichtsformeln konstant gehalten werden soil, beriicksichtigt die Reaktionsgeschwindigkeit der Preise fiir ,,auBere" Veranderungsursachen (darunter auch Antizipationsanderungen). Jede Veranderung monopolistischer Intensitat auf der Angebots- oder Nachfrageseite oder auf beiden Seiten fiir irgendein Gut stellt jedoch eine „innere" Veranderungsursache dar, die das Niveau des Preises verschiebt, im Verhaltnis zu dem die Reaktionsgeschwindigkeit fiir diesen Preis hier zunachst konstruiert worden ist. 1 Monopolelemente sind nun faktisch in der Preisbildung meistens gerade fiir die Preise enthalten, deren Reaktionsgeschwindigkeit fiir „aufiere" Veranderungsursachen verhaltnismaBig gering ist. Die 1 Der Unterschied zwischen „auBeren" und ,,inneren" Preisveranderungsursachen, die aus den im Text angegebenen Griinden von grundlegender Bedeutung ist tur die geldtheoretische Seite der Preisbewegungen, beruht auf einer groBen Menge in hohera Grade heterogener institutioneiler Verhaltnisse. In dieser Arbeit muB ich mich in der Hauptsache damit begmigen, die „auBeren" Veranderungsursachen mit geldpolitischen Eingriffen verschiedener Art gleichzusetzen und mit anderen preisbildungsprimaren Veranderungen des Typs, wie sie gewohnlich in der okonomischen Gleichgewichtstheorie unterVoraussetzung freier Konkurrenz behandelt werden, wahrend die „inneren" Veranderungsursachen Anderungen der monopolistischen Intensitat bedeuten.
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geringe Reaktionsgeschwindigkeit hat im wesentlichen ihre Ursachen in den gleichen institutionellen Verhaltnissen, die Raum firr monopolistische Elemente lassen; wie sogleich behandelt werden soil, wird geradezu die geringe Reaktionsgeschwindigkeit eines Preises oft durch eine Veranderung der monopolistischen Intensitat hervorgerufen, in dem Sinne, daB dadurch ein Preis gehalten wird, trotz ,,aufierer" Ursachen fiir Preisveranderungen. In unserem abstrakten Beispiel, wo wir ja eine unendlich groBe Reaktionsgeschwindigkeit fiir alle anderen Preise auBer dem Arbeitslohn voraussetzten, wiirde eine Geldpolitik, die darauf ausginge, geldtheoretisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten, eine Aufwartsbewegung des ganzen Preissystems verursachen. Wenn wir in diesem Beispiel die realistischere Annahme machen wiirden, daB die Preise anderer Giiter nicht eine unendlich groBe Reaktionsgeschwindigkeit haben, so wiirde das Niedrighalten der Arbeitslosigkeit nicht langer mQglich sein unter Erhaltung geldtheoretischen Gleichgewichts, selbst wenn man eine solche Bewegung des ganzen Preissystems nach oben zulassen wollte. Der Versuch wiirde vielmehr zu einem WiCKSBLLschen kumulativen ProzeB fiihren, der sich vom geldtheoretischen Gleichgewicht hinweg nach oben bewegen wiirde. Und dieser ProzeB wiirde sich nicht abstoppen lassen, solange man die Arbeitslosigkeit unter dem Niveau hielte, das der Intensitat des Monopolelements auf lange Sicht entspricht. Er wiirde nur um so groBere Beschleunigung erfahren. Das Vorhandensein dieser monopolistischen Elemente in der Preisbildung fuhrt daher zunachst zu dem Hinweis, daB die geldtheoretische Gleichgewichtslage nur bei einem gewissen Auseinanderfalien des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage verschiedener Giiter aufrechterhalten werden kann, naher bestimmt: die Abweichungen vom Gleichgewicht miissen so groB sein, daB sie gerade die aktuelle Intensitat des Monopolisten balancieren. Was die Giiter betrifft, deren Angebot nicht monopolistisch eingeschrankt werden kann (z. B. Arbeitskraft, d. h. wenn wir nur den ganzen Arbeitsmarkt beriicksichtigen), so tritt dieser Mangel an Gleichgewicht direkt in einem Uberangebot bei geltenden Angebotspreisen hervor (d. h. in einer Arbeitslosigkeit bei der Arbeit oder in einer vermehrten Lagerhaltung bei den Waren). Was wieder die Mehrzahl der Giiter angeht, so liegt dieses mangelnde Gleichgewicht nur in einer Differenz zwischen potentiellem und aktuellem Angebot bzw. Nachfrage. Dieser monopolistische Preiskampf und die Spannung zwischen Angebot und Nachfrage, die dadurch auf dem Markte entsteht, kann also nicht durch Geldpolitik aufgehoben werden, soweit man namlich nicht annehmen kann, daB diese die monopolistische Intensitat auf die Dauer vermindern oder beseitigen kann. Wenn man daher im Hinblick auf den Arbeitsmarkt nach einer einseitigen Analyse der Monopolsituation nur mit Riicksicht auf die Angebotsseite eine Geldpolitik vorschlagt mit dem Ziel, die Arbeitslosigkeit auf einem Minimum zu halten nnd sich dabei 29*
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zuweilen geradezu denkt, daB ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ein brauchbares Kriterium fur geldtheoretisches Gleichgewicht ware, so enthalt das gewiB etwas Richtiges, namlich mit Riicksicht auf die Lage wahrend eines WiCKSELLschen kumulativen Prozesses nach unten, wenn auf Grund der dabei vor sich gehenden Verschiebungen der Produktionseinrichtung, der Tragheit der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt, der geringen Reaktionsgeschwindigkeit des Arbeitslohns (u. a. beruhend auf einer zufalligen Intensivierung des Angebotsmonopolismus) u. a. ein gewisser Teil der Arbeitslosigkeit mit dem mangelnden geldtheoretischen Gleichgewicht im Zusammenhang steht. Aber immer nur ein gewisser Teil, ein anderer Teil hangt direkt mit dem Angebotsmonopolismus auf lange Sicht zusammen und indirekt mit dem Nachfragemonopolismus (und damit auch mit dem Angebotsmonopolismus auf dem Warenmarkte). 69. Dieser Hinweis ist auch von Bedeutung bei der Beurteilung anderer als direkt geldpolitischer MaBnahmen gegemiber der sogenannten permanenten Arbeitslosigkeit. Insofern diese MaBnahmen bezuglich Kapitalzufuhr, Technik, Nachfrageeinrichtung usw. — darauf ausgehen, die Nachfrage nach Arbeitskraft zu steigern, so kann das naturlich vom Arbeiterstandpunkt in hohem Grade erstrebenswert sein, da das Einkommen der Arbeiterklasse dadurch gesteigert werden kann. Aber in dem Grade wie die monopolistische Intensitat auf lange Sicht sowohl auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite dadurch nicht reduziert wird, sinkt damit auch nicht die ,,permanente" Arbeitslosigkeit, soweit und solange man nicht einen WiCKSBLLschen kumulativen ProzeB nach oben gestattet. Die Monopolstellung paBt sich nur einer neuen Lohnlage an, wobei die permanente Arbeitslosigkeit naturlich groBer oder kleiner werden kann als sie vorher war, je nach den veranderten Bedingungen. Gewohnlich muB das Niveau der Arbeitslosigkeit sogar steigen mit Riicksicht auf die groBere Widerstandskraft, die die Arbeiterklasse durch die erhohten Lohneinkommen gegen den Lohndruck der Arbeitgeberseite bekommt. Vorstellungen von einem anderen Ergebnis hangen zusammen mit einer liberal-theoretischen Einstellung zu den bkonomischen Problemen, die ja allzuoft nach einer in euphemistischen technischen Ausdriicken durchgefuhrten institutionellen Beschreibung der Akzessorien des Arbeitsmarktes in der allgemeinen Analyse die Monopolsituation des Kampfes zwischen Arbeitskaufer und Arbeitsverkaufer und die daraus folgende Spannung zwischen totalem Angebot und potentieller Nachfrage fortzaubern will. Die Arbeitslosigkeit wird dann leicht reduziert zu einer bloBen „Anpassungs-" und „Erschutterungserseheinung", wahrend sie gleichzeitig ein Teil der Kosten ist, die die Arbeiterklasse fur ihren Lohnkampf zahlt (ein anderer Teil ist naturlich die Steigerung der Lebenshaltungskosten auf Grund der Warenmarktmonopole, letztere dabei betrachtet als die andere Seite des Nachfragemonopolismus der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkte). Die Arbeitslosigkeit ist mit anderen Worten insofern ein notwendiges
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Resultat der privatkapitalistischen Organisation des Wirtschaftslebens auf dem Arbeitsmarkt, was natiirlich nicht hindert, daB sie durch wechselseitiges Nachgeben im Interesse beider Partner herabgedruckt werden kann. Denkt man sich einen weitgehenden Ausgleich der Arbeitslosigkeit durch ein solches interessemaBiges Ubereinkommen, so wiirde natiirlich die Voraussetzung dafiir sein, daB nicht nur die Hohe des Lohnes, sondern auch die Nachfrage nach Arbeitskraft in die Verhandlungen auf dem Arbeitsmarkt einbezogen wiirde, was wieder voraussetzen wiirde, daB sowohl die „Rationalisierung" wie auch die Warenmarktmonopole in diesen Verhandlungen erortert und reguliert wiirden mit Rucksicht auf ihren Zusammenhang mit der aktuellen Nachfrage nach Arbeitskraft. Eine solche extreme „industrielle Demokratie" liegt jedoch ziemlich auBerhalb der aktuellen Moglichkeiten. Um so fester steht daher unser SchluB, daB die geldtheoretische Gleichgewichtslage auf Grund der in der Preisbildung enthaltenen Monopolelemente einen gewissen Mangel an Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bedingt, der im allgemeinen nur besteht in einer Differenz zwischen ihrer potentiellen und aktuellen Hohe, aber fur Arbeitskraft und andere Giiter, deren Angebot nicht monopolistisch beschrankt werden kann, direkt in Form von Arbeitslosigkeit und unverkauften Lagern zutage tritt. 70. Dieser SchluB erschiittert jedoch nicht unsere Gleichgewichtsformel in bezug auf das Preisniveau — daB die Erfullung der Gleichgewichtsbedingungen eine moglichst unveranderte Hohe eines Preisindex erfordert, der gewogen ist mit Rucksicht auf die Realinvestierungsbedeutung der Preise und ihre Reaktionszeit —, denn in dieser Formulierung sind explicite nur Preise enthalten, aber nicht (Angebots- und Nachfrage-) Mengen. Eine wirkliche Anderung der Gleichgewichtsbestimmung wird jedoch durch das Monopolelement veranlaBt insofern, als wir vor einer Zusammenstellung die Preise, deren in der angegebenen Weise gewogenes Mittel konstant gehalten werden soil, mit Rucksicht auf die „inneren" Preisveranderungen adjustieren miissen, die unter gegebenen Bedingungen im iibrigen von Veranderungen der monopolistischen Intensitat verursacht werden. Mit anderen Worten: diese „inneren" Preisveranderungen sollen akzeptiert werden (dazu ihr Ergebnis in bezug auf das Verhaltnis von Angebot und Nachfrage) und die Preise sollen erst danach konstant gehalten werden. I n Wirklichkeit ist jedoch diese Schwierigkeit nicht so groB, wie es scheinen will. Wenigstens auf kiirzere Sicht fallen namlich die monopolistischen Intensitatsveranderungen — d. h. die Veranderungen der Kraft, eine gewisse Nachfrage- oder Angebotsveranderung ohne Preisnachgabe zu ubernehmen, bzw. einen gewissen Preis ohne Nachfrageoder Angebotsnachgabe zu halten •— in hohem Grade gerade mit „auBeren" Ursachen fiir Preisveranderung zusammen. Eine gesteigerte Preiskampfintensitat kommt gewohnlich daher, daB man einen gewissen Preis trotz veranderter Marktstellung halten will. Das bedeutet, daB der Preis nach der monopolistischen Intensitatsveranderung der alte Preis bleibt. Die Intensitatsveranderung ist nur eine der Ursachen fiir die geringe
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Reaktionsgeschwindigkeit. Waren alle Intensitatsveranderungen von dieser Art, so wiirde unsere Gleichgewichtsformel also unverandert bestehen bleiben konnen. Die Relevanz der monopolistischen Intensitatsveranderungen wiirde nur darin liegen, daB gerade die Preise, in bezug auf welche sie groBere Aktualitat haben, unseren speziellen Preisindex um so starker beherrschen. Bevor wir diese Frage verlassen, muB vielleicht noch darauf hingewiesen werden, daB geringe Reaktionsgeschwindigkeit eines Preises doch nicht ausschlieBlich auf einer solchen spezifischen Veranderlichkeit des eigentlichen Monopolelementes und seiner Intensitat auf den Markten beruht. Andere Ursachen sind: feste Preiskontrakte (Tarife und Lieferungskontrakte), mangelnde Ubersicht und Kenntnis der iibrigen Markte, Gewohnheiten und Konventionen, Preise unverandert zu erhalten unabhangig von der Richtung der auBeren Veranderungsursachen usw.
Siebentes Kapitel.
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Die geldpolitische Indifferenz der geldtheoretischen Gleichgewichtslage.
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71. In der ersten Gleichgewichtsformel WICKSELLS i0 — i = 0 war i, d. h. der Geldzins, wie wir gezeigt haben, nur ein abstrakter „Reprasentant" fiir eine bunte Menge verschiedener Zinssatze auf dem Kreditmarkt und eine noch buntere Menge verschiedener Arten von sonstigen Kreditbedingungen. Das war ja der Grund, warum wir nicht bei der WiCKSELLschen Gleichgewichtsformel haltmachen konnten, sondern iiber cx und rx zu der Formel vordrangen. 1 Diese Tatsache, daB es in der Wirklichkeit nicht einen ,,Geldzins" im Singular gibt, sondern nur ein heterogenes System von Kreditbedingungen verschiedener Art, hat jedoch noch eine andere Folge fiir die geldtheoretische Analyse. Es muB namlich moglich sein, sich verschiedene Kombinationen von verschiedenen Zinssatzen und von Zinssatzen mit anderen Kreditbedingungen zu denken, welche Kombinationen jeweils gleicherweise geldtheoretisches Gleichgewicht bewirhen. Die in den drei vorhergehenden Kapiteln gegebene Bestimmung des geldtheoretischen Gleichgewichts ist mit anderen Worten insofern „unbestimmt" oder „indifferent", als man innerhalb des „Geldzinses", d. h. innerhalb des Komplexes von Kreditbedingungen, die in WICKSELLS Analyse durch den Geldzins dargestellt werden, gewisse systematische Verschiebungen verschiedener Arten von Kreditbedingungen gegeneinander vornehmen kann, die sich gegenseitig aufheben, ohne daB die Gleichgewichtsformeln erschiittert werden. 1
Siehe oben Kap. IV, § 41.
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Beobachtet man dazu den wichtigen Umstand, da6 auch Veranderungen aller anderen Arten primar preisbestimmender Faktoren neben den Kreditbedingungen eine Abweichung von der Gleichgewichtsbedingung mit sich bringen, soweit sie nicht durch kompensierende Veranderungen anderer solcher Faktoren oder der Kreditbedingungen selbst ausgeglichen werden, so erweitert sich das Feld fur die „indifferenten" Lagen naturlich noch mehr. Vom praktischen Gesichtspunkt aus ist es da vielleicht zweckmaBig, alle die sozialen Momente, die neben den Kreditbedingungen offentlicher Kontrolle unterworfen sind oder unterworfen werden konnen, zusammenzufassen. Nur die dabei ausgeschlossenen Momente erscheinen von diesem geldpolitischen Gesichtspunkt aus als gegebene Daten des Problems, gegeniiber denen samtliche kontrollierbaren Momente in bestimmten Kombinationen miteinander und mit den Kreditbedingungen geldtheoretisches Gleichgewicht ergeben. Diese Grenzziehung wiirde dann die Unterscheidung bezeichnen zwischen den „geldpolitischen Mitteln" auf der einen Seite und allem anderen, was von preisbildungsmaBiger Relevanz ist. Die Abgrenzung hat naturlich keine direkte Bedeutung fur die geldtheoretische Analyse als solche, aber um so mehr indirekte wegen der geldpolitischen Probleme. Sie wird ganz und gar von der institutionellen und politischen Struktur der betreffenden Wirtschaft bestimmt und ist also nicht fest: in einer „liberalen" Wirtschaft ist nicht viel mehr als der Diskontsatz kontrollierbar (und auch dieser nicht bei „automatischer" internationaler Goldwahrung). Der Grad von „Planwirtschaft" im formalen Sinne wird gemessen von Anzahl und Art der Verhaltnisse der ganzen Preisbildung, die man sich als sozialer Kontrolle unterworfen vorstellt. Diese Kontrolle kann man sich jedoch niemals nur mit Riicksicht auf geldtheoretisches Gleichgewicht bestimmt denken, was daher die Kombinationsmoglichkeiten vom geldjxilitischen Standpunkt aus zu einem umso schwereren Problem macht. Dariiber mehr in Kapitel VIII. Vom geldtheoretischen Gesichtspunkt aus ist nur hinzuzufiigen, dafi, wahrend die Kreditbedingungen in der WiCKSELLschen Gleichgewichtsformulierung durch den „Geldzins" reprasentiert werden und nur indirekte Wirkung auf den „naturlichen Zins" haben, die iibrigen kontrollierbaren Verhaltnisse direkte Wirkung nur auf den „naturlichen Zins" 1 haben, aber naturlich nicht auf den „Geldzins" ( = die Kreditbedingungen). Wenn man diese Moglichkeit von Kombinationen zugibt, gegeniiber denen die geldtheoretische Gleichgewichtsbedingung „indifferent" ist, so ist man deshalb noch nicht aus dem Rahmen der Gleichgewichtsvorstellung herausgetreten. Im Gegenteil, dieses Kombinationsproblem kann iiberhaupt nur im Rahmen der Gleichgewichtsvorstellung erortert werden. Die Kombinationen werden gerade durch eine Analyse der Frage zu begriinden sein, wie sie auf die Rentabilitatsdifferenz und damit 1
Auf dem Umweg uber die Wirkung auf die Tauschrelationen.
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auf die Richtung des Produktionsprozesses, das Sparen usw. wirken. Der „normale Geldzins" ist bei WICKSELL nur eine unvollkommene Formulierung der geldtheoretischen Gleichgewichtsvorstellung, die man unmQglich umgehen kann, wenn man das WiCKSELLsche Denkschema iiberhaupt benutzen will. 72. Das Problem der Indifferenzlagen der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingung kann hier nicht bis in alle Einzelheiten behandelt werden, obwohl es natiirlich nicht zuletzt fur die geldpolitische Diskussion von groBer Bedeutung ist. Nur als Beispiel und wegen ihrer besonders groBen Aktualitat fiir die Gegenwart soil die Spezialfrage, die man als das Problem der Ineffektivitat des Diskonts bezeichnet, hier mit einigen Worten erortert werden. Wenn man annimmt, daB der Diskont zunachst nur fiir die Festsetzung gewisser Zinssatze auf dem Kreditmarkt Bedeutung hat und wenn man auBerdem annimmt, daB die Zentralbank auch auf anderen Wegen als nur durch den Diskont die Hbhe der anderen Zinssatze beeinflussen kann, so kann die Zentralbank eine gewisse Position der GroBen in beiden Gleichgewichtsbedingungen herbeifuhren oder halten durch eine ganze Reihe verschieden hoher Diskontsatze, wohlgemerkt, wenn die nicht vom Diskont unmittelbar beeinfluBten Zinssatze in einer Weise adjustiert werden, die unter den obwaltenden Preisbildungsverhaltnissen geeignet ist, gerade dieses Resultat zu ergeben. Wir haben hier ein einfaches und typisches Beispiel fiir ein geldtheoretisches Indifferenzgebiet, abhangig von gewissen, teilweise einander aufhebenden gegenseitigen Verschiebungen innerhalb des „Geldzinses". Die Frage einer Ineffektivitat des Diskonts bezieht sich jedoch in erster Linie auf etwas ganz anderes. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, daB die Satze fiir langfristige Kredite nur der indirekten Regulierung unterworfen sind, die durch die Diskontfestsetzung geschieht. Urn deutlich zu machen, daB wir das Indifferenzfeld innerhalb des „Geldzinses" ganz dahingestellt sein lassen, wollen wir ausdriicklich annehmen, daB die Kreditbedingungen im Verhaltnis zueinander in einer festen „Standard-Kombination" festgelegt sind 1 und daB sie nur gleichzeitig in der einen oder anderen Richtung verandert werden konnen. Die Frage ist dann, in welchem Grade und unter welchen Bedingungen eine Verscharfung oder eine Milderung der Kreditbedingungen im allgemeinen das geldtheoretische Gleichgewicht einer Preisbildungslage unberiihrt lafit. Wie gewohnlich behandeln wir hier eine geschlossene Wirtschaft, als die z. B. auch die Welt als Ganzes angesehen werden kann. Denken wir uns eine Verscharfung der Kreditbedingungen. Nehmen wir der Einfachheit halber weiter an, daB die Ausgangslage geldtheoretisches Gleichgewicht ist. Der Gang des Argumentes ist dann der folgende. Durch eine Verscharfung der Kreditbedingungen werden die Kapitalwerte gegenuber den Reproduktionskosten der Realkapitalien herabgedriickt. 1
Siehe daruber ausliihrlicher unten Kap. VIII, § 83.
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Die dadurcli entstehende negative Rentabilitatsdifferenz bedeutet, daB die Unternehmer ihre Realinvestierungen etwas einschranken. Die Einkommen in der Gesellschaft werden herabgedriickt, zunachst in der Kapitalguterindustrie und dann in der Konsumguterindustrie, daraufhin sinkt die Nachfrage nach Konsumgiitern, was wieder einen Druck auf alle Kapitalwerte auslost usw. nach dem allgemeinen Schema des WICKSELLschen Prozesses, wie es oben in Kapitel I I I skizziert worden ist. Dieser ganze ProzeB bekommt natiirlich seinen besonderen Charakter dadurch, daB die institutionellen Verhaltnisse ja solche sind, daB ein wesentlicher Widerstand gegen eine Senkung des Arbeitslohnes besteht. Die Tarife laufen zunachst auf eine verhaltnismaBig lange Sicht, was natiirlich die Konjunkturempfindlichkeit der Arbeitslohne gering macht, und auch bei dem schlieBlichen Ablauf der Tarif vertrage widersetzen sich die Arbeiter nach Kraften der Herabsetzung des Lohnes. Rein erfahrungsmaBig ist bekannt, daB derjenige Partner auf dem Arbeitsmarkte am zahesten kampft, der sich in der Defensive befindet. Die monopolistische Intensitat der Arbeiter steigt also mit anderen Worten, wenn ein Druck auf die Lohne wirksam wird. Das ist nur ein anderer Ausdruck dafur, daB sich die Arbeiter damit abfinden, eine groBere Arbeitslosigkeit als vorher zuzulassen. Da die Lohnsenkung dann jedenfalls nicht so stark werden kann, wie fur eine unveranderte Arbeitslosigkeit erfordert wird, so steigt diese, die Produktion wird eingeschrankt und das Gesamtgeldeinkommen der Wirtschaft fallt starker, als es dem Riickgang der Einkommenssatze entspricht. 73. Soweit liegt die innere Mechanik des depressiven Prozesses ziemlich klar. Nun ist jedoch zu beachten, daB die Gesamtkaufkraft der Gesellschaft, die Konsumguter nachfragt, bedeutend weniger eingeschrankt wird, als das Gesamteinkommen gesunken ist. Dies bedeutet natiirlich, daB das totale Sparen nicht nur auf Grund der Einkommensminderung gesenkt wird, sondern auBerdem wegen der geringeren Sparquote. Die politische und allgemein institutionelle Entwicklung in der Wirtschaft der spatkapitalistischen Lander tendiert dahin, das relative Gewicht dieser konjunkturmaBigen Verschiebung in der Einkommensverwendung standig zu erhohen. Die Ursachen dafiir liegen unter anderem im folgenden. Die arbeitslosen Arbeiter miissen ja leben und mit Riicksicht auf die immer bestimmter hervortretende soziale Idealbildung diirfen sie nicht allzu schlecht leben. Die Offentlichkeit tritt also auf verschiedenen Wegen fur sie ein. Sei es, daB diese Kosten fur die Versorgung der Arbeitslosen durch offentliche Anleihen oder durch starkeres Anziehen der Steuerschraube (soweit diese das Sparen trifft) gedeckt werden, so sinkt dadurch das totale Sparen und damit auch die fur Realinvestierungen verfugbare Kapitaldisposition in unserer zweiten Gleichgewichtsformel (jRg = V) gegeniiber dem Niveau, das sie haben wiirde, wenn die Unterstutzungen nicht gezahlt wiirden. Wenn nun die Unterstutzungen an die Arbeitslosen auch noch zum Teil die Form von Notstandsarbeiten annehmen, so steigt gleichzeitig die gesamte Realinvestierung auf der
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anderen Seite der Gleichgewichtsformel. (Die offentliche Unternehmertatigkeit ist insoweit eine unabhangig Variable im Problem, da die Realinvestierung, in der sie zum Ausdruck kommt, dem EinfluB entriickt ist, der von einer Verschiebung der ersten Gleichungsformel Q = 0 ausgeht. Oder man konnte auch von einer ,,negativen Investierungselastizitat" sprechen.) Die Arbeitslosen zehren weiter von ibren eigenen Sparbetragen und denen ihrer Verwandten, was ebenfalls die GroBe V mindert. Entsprechendes gilt fur die anderen Klassen der Gesellschaft. Dm nicbt die Aussiehten der Kapitalbeschaffung fiir die Zukunft zu verderben (und aucb aus anderen Griinden), versuchen die Industrieunternebmen im allgemeinen, trotz Sinkens der wirklich verdienten Nettoeinkommen die Dividendenausschuttungen bocbzuhalten, indem sie auf Reservefonds zuriickgreifen oder zukiinftige Einnahmen vorwegnebmen. Durch allerlei Bucbfiibrungstransaktionen, die sich ja, wie bekannt, nicht einmal immer im Rahmen der Gesetze und der kaufmannischen Sauberkeit balten, was jedocb in diesem Zusammenhang obne Bedeutung ist, versucben sie dabei sogar oft, mindestens zum Teil die Tatsacbe zu versebleiern, daB sie nun Kapital ausscniitten und nicht nur Einkommen. Insofern bleibt natiirlich die GroBe der Einkommen unverandert, die die couponschneidenden Kapitalisten-Einkommenbezieher zu konsumtiven Zwecken und zum Sparen zur Verfiigung zu haben glauben. Diese Ansatze zu einer „Konjunkturstabilisierung der Dividendeneinkommen", die ja in weniger weitgehenden Formen zuweilen sogar als motivierte Ausschiittungspolitik vorgetragen werden, diirfen in ibrer Bedeutung fiir diesen Zusammenbang nicht unterschatzt werden. Sie stehen in ibrer Wirkung der offentbcben Arbeitsmarktpolitik ziemlicb gleich. Ferner stehen alle Arten von gehobenen Angestellten mit kaufmannischer oder technischer Beschaftigung zu ihren Firmen in solchem Verhaltnis, daB ihre Gehalter nicht so bald herabgesetzt und sie jedenfalls nicht unmittelbar entlassen werden. Die offentlicben Beamten haben eine noch festere Position beziiglich Anstellung und Gehalt. Dies alles tendiert naturHcb dabin, daB die gesamten Geldeinkommen dieser gesellschaftlichen Gruppen auf ihrem Niveau gehalten werden. Abgesehen davon sind ja die Konsumgewobnheiten der Mittel- und Oberklasse ziemlich stabilisiert und setzen jeder Veranderung einen betrachtlichen Widerstand entgegen, besonders einer Herabdruckung des Lebensstandards. Das ist ganz natiirlich sowohl im Hinblick auf das groBere wirtschaftliche Sicherheitsgefuhl dieser Gesellschaftsklassen, ihre groBere Gebundenheit an soziale Konventionen (ein sehr wesentlicher Teil ihres Konsums ist ja bekanntlich von „sozialem" Charakter, d. h. bat seinen Grund in Prestigeriicksichten u. a.) wie auch im Hinblick auf die verhaltnismaBige Starrheit des materiell-technischen Konsumtionsrahmens (Wohnungen und andere teure und dauerhafte Konsumobjekte, personliche Bedienstete u. a.). Um nun zunachst den ersten Punkt zu behandeln, so sind es ja vor allem diese gesellschafthchen Schichten, die sparen konnten und die daher nun auch ihr Sparen betrachtlich einschranken oder sogar Kapital verzehren konnen, wenn ihre Einkommen
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sinken. Etwas wollen sie doch wohl von ihrem so viel gepriesenen Sparen haben. Die burgerliche Rationalisierung des Sparens, sein „Motiv" ist ja, da8 man bei schlechten Zeiten etwas zum Leben haben will. All dieses bewirkt ein Sinken von V. 74. Die festen Konsumgewohnheiten und die Unveranderlichkeit der Kaufkraftsumme, die Konsumgiiter nachfragt, wirkt also im allgemeinen einer Wiederherstellung der Beziehung R2= V entgegen, die ja dadurch aus dem Gleichgewicht geraten ist, da8 B2 vermindert worden ist wegen eines geringeren Wertes von C 2 , der durch ein hoheres i bewirkt worden ist, wodurch Q < 0 geworden ist. So viel iiber die Tendenzen auf dem Kapitalmarkt. Betrachten wir nun die Verhaltnisse auf dem Konsumgiitermarkt. Hier wirkt natiirlich die Aufrechterhaltung der konsumtiven Geldnachfrage im Sinne einer Hochhaltung der Konsumgiiterpreise. Diese stellen sich also hoher, als sie bei weniger festen Konsumgewohnheiten stehen wiirden, d. h. wenn die konsumtive Nachfrage entsprechend der Minderung der Einkommen proportional gesunken ware. Nun gibt jedoch gerade der Preissturz der Konsumwaren dem WiCKSELLschen ProzeB seinen progressiven und kumulativen Charakter. Bei der Beschreibung dieses Prozesses wird namlich angenommen, daB der Preissturz der Konsumgiiter die Antizipationen der Unternehmer auch fur ihre zukiinftigen Einkommen herabdriickt. Wegen dieser Beziehungen zwischen Konsumgiiterpreisen und C1 verhindern die festen Konsumgewohnheiten einen Fall von Clf und da die relative Hohe von Gx gegeniiber Rx die GrbBe Q und damit R2 normiert, wird die Realinvestierung besser aufrecht erhalten. Die festen Konsumgewohnheiten wirken also in jeder Beziehung im Sinne einer Aufrechterhaltung des geldtheoretischen Gleichgewichts trotz Verscharfung der Kreditbedingungen (Steigerung von i). Auf dem Warenmarkt ist ferner zu merken, daB eine gewisse allgemeine Produktionseinschrankung doch stattgefunden hat. Diese Produktionseinschrankung gilt zwar in erster Linie der Kapitalguterindustrie und bedeutet also nur im geringeren Grade eine Einschrankung des Angebots der Konsumgiiter. Fur gewisse Waren kann das Angebot geradezu zunachst gesteigert werden dadurch, daB die Lager auf den Markt geworfen werden und dem ProduktionsprozeB eine kurzere Zeiteinrichtung gegeben wird. Aber in dem Grade, wie die alten Realkapitalien ausreifen, bewirkt die Produktionseinschrankung natiirlich so allmahlich auch eine immer starkere Einschrankung des Konsumgiiterangebots. Dieses wirkt dann in der gleichen Richtung wie die Konsumfestigkeit, d. h. das Preisniveau der Konsumgiiter wird gehalten. — Wie schon hervorgehoben, ist es aber gerade der Preisfall fur Konsumgiiter, der dem WiCKSELLschen ProzeB das Momentum einer fortgesetzten Progressivitat geben soil. Sinken die Konsumgiiterpreise nicht, so muB der ProzeB abstoppen. 75. Bisher hat es sich nur um Tendenzen gehandelt. Positiv behaupten will ich aber folgendes: wenn (1) die Krafte, die den Konsum aufrecht-
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erhalten, stark genug sind und (2) die Elastizitat der totalen Realinvestierung bei negativer Differenz zwischen C1 und 2 ^ verhaltnismaBig gering ist, so werden die Wirkungen der Kreditpolitik neutralisiert. Diese beiden Bedingungen sind in umso hoherem Grade gegeben, je mehr die Kreditversteifung in Unternehmerkreisen als voriibergehend angesehen wird. Der EinfluB des Staates geht heute auch immer bestimmter darauf hin, die konsumtive Kaufkraft durch die Sozialpolitik zu erhalten und durch Umfang und Zeitpunkt der offentlichen Unternehmertatigkeit die Elastizitat der totalen Realinvestierung zu mindern. Naturlich liegt auch hier ein Unterschied vor bei einer Betrachtung auf kurze und auf lange Sicht; wenn man mehr als ein oder zwei Jahre uberblickt, so sind die Konsumgewohnheiten nicht so fest, wahrend die Realinvestierungselastizitat vielleicht steigt (soweit nicht, wie wohl gewohnlich, eine technische Entwicklung dazwischenkommt, die den Wert einer Menge Realkapitalien kraftig reduziert, indem sie sie obsolet macht und damit ein Aufrechterhalten der Realinvestierungen auf lange Sicht trotz Rentabilitatsdifferenz fur die alten Realkapitalien ermoglicht). Aber anderseits sinkt das Angebot an Konsumgiitern auf langere Sicht wieder umso kraf tiger. Die Konjunkturlage nach einer solchen Kreditversteifung kann unter gewissen Bedingungen sehr wohl, mindestens fiir eine betrachtliche Zeit in der Zukunft sich in Relationen stabilisieren, die sogar die Gleichgewichtskriterien voll erfullen, namhch Q = 0 und V = R2. Die neue Gleichgewichtslage wiirde sich da auszeichnen durch: einigermaBen unverandertes Preisniveau fiir Konsumguter; Kapitalwerte, die um so viel niedriger sind, wie dem hoheren Geldzins entspricht, oder allgemeiner den scharferen Kreditbedingungen; etwas niedrigere Arbeitslohne vor allem in den Kapitalgiiterindustrien; eine gewisse und vielleicht ganz betrachtliche Arbeitslosigkeit, besonders in den Kapitalgiiterindustrien; ein Produktionsvolumen, das aufs Ganze eingeschrankt ist, aber vor allem wieder in den Kapitalgiiterindustrien, was eine kiirzere Zeiteinrichtung des Produktionsprozesses bedeutet; eine Spartatigkeit, die soweit gesunken ist, daB die freie Kapitaldisposition mit den Realinvestitionen iibereinstimmt, die nach dem vorhergehenden in Hirer Breite eingeschrankt sind und dazu eine kiirzere Zeiteinrichtung erhalten haben. 76. Dies ist natiirlich nur ein abstraktes Beispiel. Es laBt sich a n Hand desselben aber nachweisen, daB die Kreditpolitik auch unter sehr haltbaren und in der Tat immer wahrscheinlicheren Voraussetzungen beziiglich der Konsumgewohnheiten recht wirkungslos sein kann in bezug auf die Aufrechterhaltung der Gleichgewichtsrelationen. Nicht wirkungslos ist sie dagegen mit Hinsicht auf die sozialen Bedingungen beziiglich Produktionsumfang, Produktionseinrichtung, Beschaftigungsgrad und Kapitalwerte u. a., unter denen geldtheoretisches Gleichgewicht aufrechterhalten wird; das geht ebenfalls aus dem Beispiel hervor und ist vielleicht wichtiger zu unterstreichen als die Ineffektivitat des Diskonts im Hinblick auf das Indifferenzfeld des geldtheoretischen Gleichgewichts und eventuell im Hinblick auf das „Preisniveau". Um diese
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zweite Seite des Problems noch besser zu beleuchten, will ich meine abstrakten Voraussetzungen noch ein wenig modifizieren. Dabei wird isich das Argument recht eng an Verhaltnisse anschlieBen, die in einer Reihe von Landern, darunter auch in meinem eigenen Lande, einigermaBen aktuell sind. Wir denken uns ein Land, das nicht isoliert ist, sondern in Verbindung mit dem Auslande steht, jedoch nur durch den Warenhandel; sowohl die lang- sowie auch die wesentlicheren kurzfristigen Kapitalbewegungen sind aus irgend einem Grunde ausgeschlossen. Der internationale Handel dieses Landes mit anderen Landern wird durch Barzahlung oder sehr kurzfristige Kredite abgewickelt, die Zentralbank gleicht Tages- und Wochenschwankungen in der internationalen Zahlungsbilanz durch Valutahandel aus. (Dieser Ausgleich der Fluktuationen der Zahlungsbilanz durch kurze Warenkredite und den kurzfristigen Valutahandel der Zentralbank stellt also die einzige Form von Kapitalbewegung dar, die vorkommt.) Wir nehmen an, daB sich dieses Land ebenso wie das Ausland ein paar Jahre hindurch in einem abwarts gerichteten WiCKSELLschen ProzeB befunden hat und noch befindet. Die Beschleunigung des Prozesses ist jedoch aufgehalten worden gerade durch die Faktoren, die ich zuvor beruhrt habe, die eine Aufrechterhaltung des Einkommens und des Konsums bewirken. Die Zentralbank sieht ein dauerhaftes Steigen der Wechselkurse voraus — wegen der Intensitat der Depression im Auslande und der davon direkt oder indirekt verursachten Veranderungen der internationalen Tauschrelationen — und will aus irgend einem Grunde, der auBerhalb unserer Diskussion bleibt, diese Entwertung ihrer Valuta verhindern (oder die Zentralbank glaubt zwar, die herrschenden Wechselkurse halten zu konnen, will sie aber aus irgend einem Grunde herabdriicken) und iiberlegt die Moglichkeiten, diesen Zweck durch kreditpolitische Mittel zu erreichen. Da die internationalen Kapitalbewegungen gemaB unserer Annahme auBerhalb jeder Kontrolle durch die Kreditpolitik der Zentralbank sind, muB die Kreditpolitik, um die Valutasituation zu beeinflussen, auf den AuBenhandel wirken. Um den Fall noch mehr zu vereinfachen, nehmen wir jedoch weiter an, daB wegen besonderer Umstande auf den auslandischen Absatzmarkten des betreffenden Landes das Exportvolumen bei unveranderten Wechselkursen nur durch sehr wesentliche Senkungen der Exportpreise erhoht werden kann, und setzen schlieBlich noch voraus, daB wegen der Rentabilitatsbedingungen der Exportindustrien die Preise schon so tief herabgedriickt sind, daB sie bei gegebenen Wechselkursen fur alle Wirkungen der Kreditpolitik verhaltnismaBig unempfindlich sind. (Wir halten uns zunachst nicht weiter damit auf, was diese Annahme eigentlich bedeutet, sondern postulieren sie lediglich.) Es bleiben dann nur die Wirkungen der Kreditpolitik auf den Import zu untersuchen. Wir setzen zunachst voraus, daB die vorhandenen Lager a n Importwaren nicht so groB sind, daB wesentliche Veranderungen des Importvolumens auf lange Sicht zu erwarten sind von einer Kreditpolitik, die sich eine Veranderung der Lagerhaltung zum Ziele setzt.
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77. Unter diesen nicht sinnlosen Voraussetzungen kann die Kreditversteifung mit dem angegebenen Zweoke einer Wirkung auf die Valuta es unmittelbar nur auf ein Herabdrucken des Importvolumens absehen. Die Kreditpolitik muB mit anderen Worten als eine indirehte Importsperre gemeint sein. Ein anderer Sinn einer Kreditpolitik mit dem Zwecke der Valutaverteidigung kann unter den gegebenen Voraussetzungen nicht vorgestellt werden (und unter den gleichen Voraussetzungen ist es auch recht wenig glaubhaft, daB die Kreditversteifungspolitik mit Puiicksicht auf die innere Konjunktur des Landes erwiinscht ist. Das brauchen wir jedoch bier nicht zu diskutieren: wir untersuchen gegenwartig nur die Wirkungen der Kreditpolitik auf die Valuta.) Angenommen nun zunachst, daB der Import ausschliefilich in Konsumgiitem besteht, oder in Produktionsmitteln, die unmittelbar in der Konsumguterindustrie Verwendung finden. Die Absicht der Kreditpolitik muB es dann sein, durch eine Verscharfung der Depression im Inlande die Produktion, den Beschaftigungsgrad und infolgedessen auch die Einkommen soweit herabzudriicken, daB dadurch auch die konsumtive Nachfrage nach alien Waren (einschlieBlich der einheimischen) soweit sinkt, daB der Teil der Konsumeinschrankung, der dabei auf die Importwaren entfallt, so groB wird, daB die gewunschte Wirkung auf die Zahlungsbilanz erreicht wird. (Dies ist der Grund, warum die Kreditpolitik zuvor als eine indirekte Importsperre bezeichnet worden ist, denn das gleiche Resultat fur die Zahlungsbilanz und demnach fur die Wechselkurse hatte natiirlich durch eine direkte Importsperre irgendwelcher Art erreicht werden konnen. Soweit sich die Inlandsprodukte mit den Importwaren in Substitutionskonkurrenz befinden, wiirden dadurch unter den alten, nicht verscharften Kreditbedingungen die einheimische Produktion, der Beschaftigungsgrad, die Einkommen usw. geradezu gesteigert statt herabgedriickt worden sein, d. h. die Depression ware gemildert worden). Die Effektivitat der Kreditpolitik wird dann von der Elastizitat der honsumtiven Nachfrage gegeniiber dem Depressionsdruck bestimmt. Wenn die Einkommen aufrechterhalten und die Konsumgewohnheiten ebenfalls festgehalten werden, so sinkt natiirlich auch nicht der Konsum von Importwaren. Die einzige Wirkung des Kreditdrucks ist dann eine verminderte Produktion und Beschaftigungsgrad: die Preise konnen ungefahr unverandert bleiben (auBer den Kapitalwerten), ebenso der Import. Dies ist in umso hoherem Grade der Eall, wenn die Importwaren Lebensnotwendigkeiten oder Konsumgiiter geringer Nachfrageelastizit a t sind. Es kann also sehr wohl geschehen, daB man mit einem sehr verschiedenen Kreditdruck ungefahr dasselbe Resultat beziiglich der Valutasituation und auch beziiglich der Preise fiir Konsumgiiter erreicht; dabei besteht jedoch der eine bedeutsame Unterschied, daB dieses Ergebnis bei einem geringeren Kreditdruck mit einem groBeren Produktionsvolumen erreicht wird, dazu mit einer Produktionseinrichtung auf langere Sicht, einem hoheren Beschaftigungsgrad vor allem in der Kapitalgiiterproduktion. Die bei verschieden harter Kreditpolitik variierende Real-
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investition kann sich dabei sehr wohl parallel der Veranderung des Sparens und der freien Kapitaldisposition bewegen, wobei auch die Konjunkturlage von geldtheoretischem Gleichgewichtsgesichtspunkt aus genau die gleiche wird. Man kann dann sagen, daB die Kreditpolitik im Hinblick auf ihre Ziele ineffektiv ist, wohl gemerkt, wenn diese an so formelle Dinge wie Valutakurse und Preisniveau gekniipft sind. Es ist nur eines hinzuzufiigen. Wenn im Inlande entgegen unserer urspriinglichen Annahme ungewohnlich groBe Lager von Importwaren oder einheimischen Waren vorhanden sind, die Importwaren ersetzen konnen, so konnte unter diesen Umstanden die Kreditpolitik rein vorubergehend effektiv werden, wenn es ihr namlich gelange, den Umfang dieser Lager herabzudriicken. 78. Dabei haben wir uns, wie gesagt, vorgestellt, daB der Import lediglich aus Konsumgutern und Rohmaterialien sowie Halbfabrikaten fur die eigene Konsumguterindustrie des Inlandes u. a. besteht. Denken wir uns nun, daB der Import wesentlich aus Gutern besteht, die in der einheimischen Kapitalguterindustrie Verwendung finden, so ist naturlich die Kreditpolitik in bezug auf die Valutasituation effektiver. Die Absicht der Kreditpolitik ist dann, die Kapitalguterindustrie in eine Depression zu bringen, ihr Produktionsvolumen und damit auch ihren Bedarf an auslandischen Produktionsmitteln zu vermindern. Dieses Ergebnis kann wirklich auf diesem Wege erreicht werden, denn angenommen, daB die Festigkeit der Einkommen und der Konsumgewohnheiten einen gewissen Widerstand entgegensetzt und geradezu bewirkt, daB die Lage vom Standpunkt des geldtheoretischen Gleichgewichts aus auch nach der Verscharfung der Kreditpolitik ungefahr dieselbe ist wie zuvor, so bedeutet doch gleichwohl die neue Lage eine Verschiebung der Produktionseinrichtung, die eine verringerte Kapitalproduktion und daher auch einen geringeren Bedarf sowohl an auslandischen urie auch an einheimischen Produktionsmitteln bewirkt. (Auch in diesem Falle hatte das gleiche Resultat durch eine direkte Importsperre erreicht werden konnen, und wenn die auslandischen Produktionsmittel durch einheimische ersetzt werden konnen, hatte dann das Resultat bei einem wesentlich groBeren Produktionsvolumen und dazu unter Erleichterung des Depressionsdruckes erreicht werden konnen.) Bis jetzt haben wir durchwegs angenommen, daB das Exportvolumen auBerhalb der Reichweite fur die Kontrollmoglichkeiten der Kreditpolitik liegt. Wir lassen nun diese Voraussetzung fallen und nehmen an, daB das Exportvolumen bei einer Senkung der Exportpreise wirklich wesentlich gesteigert werden kann. Die Erage ist dann zunachst, inwieweit ein Kreditdruck dieses erreichen kann. Sind betrachtliche Lager von Exportwaren vorhanden, so kann die Kreditpolitik eine voriibergehende Erleichterung der Valutasituation erreichen, wenn es ihr namlich gelingt, diese Lager in der Handelsbilanz zu mobilisieren. Auf die Dauer kann der Export nur durch ein Herabdrucken der Produktionskosten der Exportindustrie stimuliert werden. Dies kann jedoch seine betrachtlichen Schwierigkeiten haben, wenn die
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Arbeitslohne und andere Kostenelemente schwer beweglich sind. 1st dazu die Nachfrageelastizitat der Importwaren gleich 1 oder geringer als 1, so steigt der Gegenposten des Exports in der Zahlungsbilanz nicht. — Es ist also sehr wohl moglich, daB die Kreditpolitik auch in dieser Hinsicbt auf die Wechselkurssituation unwirksam ist. Zum SchluB mochte ich nocb einmal betonen, daB es selbstverstandlich ist, daB kurz gesagt alle offentlichen Eingriffe gegen die sozialen Wirkungen des depressiven Prozesses die Effektivitat der KreditpoUtik hindern miissen, wenn es sich darum handelt, ftir diesen oder jenen Zweck die Depression zu verscharfen. Wie icb scbon hervorgehoben habe, ist es in den zuvor angefiihrten Beispielen der Sinn der Kreditpolitik, die Depression (mit Rucksicht auf die Lage der Valuta) zu verscharfen, und wenn dann andere offentliche Organe gleichzeitig alles tun, um die Wirkungen auf Einkommen und Konsum zu mildern, hat man die typische Desintegration des politischen Verhaltens, die iiberhaupt die meisten LebensauBerungen der spatkapitalistischen Gesellschaft kennzeichnet, hat man die ,,Planlosigkeit", die das bittere Erbe des liberalen Automatismus ist, nachdem dieser Automatismus selbst allenthalben durch Gruppenkontrolle ersetzt worden ist, die nicht zentralisiert worden ist, u. a. deshalb, weil der Zusammenhang einfach nicht gesehen wird. 79. Nur eines muB hier noch hinzugefugt werden. Im Hinblick auf diese hier beispielsweise illustrierten breiten Indifferenzgebiete ist es naturlich falsch, wenn man zuweilen von der Voraussetzung einer einigermaBen unveranderten Situation auf dem Kapitalmarkt oder von verhaltnismaBig stabilen Preis- und Valutaverhaltnissen den SchluB zieht, daB man gerade die Kreditpolitik, die Diskontsatze und die Kreditrestriktionen gehabt hat oder hat, die notwendig sind, um diese Positionen zu halten. Es ist namlich moglich und in Krisenzeiten wie den gegenwartigen sogar wahrscheinlich, daB man ungefahr die gleichen Positionen sowohl mit einem wesentlich harteren wie mit einem wesentlich geringeren Kreditdruck halten wiirde — dann freilich mit einem groBeren bzw. geringeren Produktionsvolumen und Beschaftigungsgrad und einer mehr bzw. weniger angespannten Sozialpolitik. Eines noch gefahrlicheren Irrtums macht man sich naturheh schuldig, wenn man von den gleichen Voraussetzungen aus den SchluB zieht, daB wir in der Kreditpolitik wirklich ein Mittel in der Hand haben, mit dem wir die in den Pramissen enthaltenen Verhaltnisse wirklich effektiv kontrollieren und stabilisieren konnen. Wenn sie eine gewisse Periode hindurch wirklich stabilisiert sind, so ist das das Ergebnis eines weit komplizierteren Ursachennetzes, und die Fahigkeit der Kreditpolitik, das gleiche Resultat bei wesentlichen Verschiebungen innerhalb der anderen Ursachen zu erreichen, ist damit durchaus nicht erwiesen. Der allerschUmmste Irrtum liegt naturlich vor, wenn man darin einen Beweis speziell fur die Effektivitat des Diskonts sieht. Wenn nur die Zentralbank fur einen hinreichenden Druck auf die Liquiditat der Privatbanken sorgt — was nach den im obigen Beispiel angenommenen Depressionsbedingungen die einfachste Sache der Welt ist, da die Zentral-
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bank geradezu in den meisten Fallen besondere und vielleicht umfassende StiitzungsmaBnahmen treffen muB — kann die Zentralbank natiirlich einen umso niedrigeren Diskont halten und vice versa und in beiden Fallen dasselbe Resultat erreichen beziiglich des Volumens der Realinvestierungen im Verhaltnis zur freien Kapitaldisposition. Die Verschiebung innerhalb des „Geldzinses" der WiCKSELLschen Theorie ist natiirlich trotzdem nicht ohne Bedeutung, am allerwenigsten fur die Rentabilitat der Banken, aber auch nicht fiir die Richtung des Kreditstromes und der Realinvestitionen und allgemein fiir die Einkommensverteilung in der Gesellschaft. Acbtes
Kapitel
Das geldtheoretische Gleichgewicht als geldpolitische Norm.
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80. Unsere Ausfiihrungen haben sich bisher nur auf den rein theoretischen Zusammenhang bezogen. Wenn einmal eine bestimmte Geldpolitik zur Spraehe gekommen ist, so nur als hypothetische Pramisse in einem rein theoretischen Argument. Die geldtheoretische Gleichgewichtsvorstellung ist mit anderen Worten nur in ihrer Eigenschaft als ein wichtiger Hilfsbegriff bei der theoretischen Analyse kausaler oder finaler Zusammenhange untersucht worden. Wir haben dabei gefunden, daB diese Gleichgewichtsvorstellung fiir die ganze geldtheoretische Arbeitsmethode, die WICKSELL eingefiihrt hat, grundlegend war. Wir haben uns danach bemiiht, den geldtheoretischen Gleichgewichtsbegriff zu prazisieren und seine Beziehungen zu der geldtheoretischen Problemstellung und der statistischen Wirklichkeitsbeobachtung zu klaren. Wie ich in der Einleitung der Arbeit zeigte, hat jedoch die Gleichgewichtsvorstellung neben ihrer Eigenschaft als theoretisches Instrument in der uberkommenen Geldlehre auch noch eine andere Rolle gespielt. Sie ist namlich aufgestellt worden als Norm fiir die Geldpolitik. So schon bei WICKSELL. I n den prinzipiellen Betrachtungen ist die tjbereinstimmung des Geldzinses mit dem „naturlichen Zins" zur Norm erhoben. I n praktisch orientierten Argumenten ist es wieder die Konstanz des durchschnittlichen Preisniveaus, die als Korm hingestellt wird, freilich mit der zuerst genannten prinzipiellen Normgebung als Motivierung. DAVIDSON lenkte, wie schon erwahnt, bald die Aufmerksamkeit auf die Moglichkeit einer theoretischen Differenz zwischen diesen beiden Normierungen bei WICKSELL und forderte, in tjbereinstimmung mit WICKSELLS prinzipiellen Erklarungen an den ,,naturlichen Zins" ankniipfend, daB bei Anderungen in der allgemeinen Produktivitat das „Preisniveau" fiir Fertigprodukte nach oben oder nach unten adjustiert werden solle proportional der Senkung oder Steigerung der Produktivitat. Dadurch sollte der ,,Geldwert" — bei DAVIDSON definiert auf der Grundlage der Produktionskostenanalyse der klassischen Wertlehre — ebenfalls Beitrage zur Geldtheorie.
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unverandert gehalten werden, was nach DAVIDSON der Eorderung nach Gerechtigkeit in der Einkommensverteilung Geniige tat. 81. Diesen und ahnlichen geldpolitischen Postulaten allgemeiner Natur liegt eine Menge in hohem Grade inkongruenter Vorstellungen als Motiv zugrunde. Die entschieden wichtigste Wertvorstellung fur die Erhebung des geldtheoretischen Gleichgewichts zur geldpolitischen Norm ist jedoeh die, daB man dadurch die ^Konjunkturbewegungen" ganz beseitigen oder we.nigste.ns mildern will. Diese gedankliche Verbindung zwischen dem geldtheoretischen Hilfsbegriff: geldtheoretisches Gleichgewicht und dem geldpolitischen Ideal: Konjunkturausgleich ist auch recht naheliegend. Der WICKSELLsche kumulative ProzeB — der ja ausgelost wird, weil eine Abweichung vom geldtheoretischen Gleichgewicht vorliegt — hat ja offenbar den Charakter bestimmter Phasen von Konjunkturbewegungen, wie wir sie aus der Erfahrung kennen. Besonders wenn man mit WICKSELL durch eine quantitatstheoretische Konstruktion diese Geldtheorie mit dem Golde oder einem anderen Bestimmungsfaktor verkoppelt und so zwei in gewissem Grade elastische Begrenzungen fur die Kredit- und Geldmenge schafft, zwischen denen ein „Kreditzyklus" sich entwickeln kann, kann man innerhalb des geldtheoretischen Schemas das ganze Konjunkturproblem theoretisieren und damit dieses geldtheoretische Schema selbst konkretisieren, indem man eine Menge von Beobachtungen hineinarbeitet, die direkt dem Studium der Konjunkturbewegungen entnommen sind. Diese Problematik soil hier nicht weiter diskutiert werden. Ich begniige mich, darauf hinzuweisen, daB die WiCKSELLsche Geldtheorie von diesem Gesichtspunkt betrachtet, eine ganze Konjunkturtheorie in nuce enthalt, die mindestens in dieser Hinsicht — aber auch nur in dieser Hinsicht — vom „monetary type" ist, indem sie gewisse Zusammenhange und Geschehnisse hervorhebt, die unbestreitbar eine Wirkung auf den Konjunkturablauf haben, und die dazu politisch kontrolliert werden konnen (wobei man natiirlich in erster Linie an das Banksystem als instrumentales Zwischenglied fur die politische Kontrolle gedacht hat). Es ist daher ganz natiirlich, daB der Zweck, der in erster Linie die geldpolitische Normsetzung motiviert hat, gerade dieser gewesen ist, die Konjunkturbewegungen moglichst zu dampfen oder ganz zu beseitigen. Es ist ferner natiirlich, daB von diesem Wertgesichtspunkt aus die Aufrechterhaltung der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingung Ausdruck fur die geldpolitische Norm geworden ist. Der WiCKSELLsche kumulative ProzeB bringt in seinem Verlaufe eine Anderung nahezu aller Relationen des Preisbildungsprozesses mit sich, aber die kausal primare ist doch in WICKSELLS Theorie gerade die Relation zwischen „Geldzins" und „naturlichem Zins" (oder gemaB der vorhergehenden Untersuchung allgemeiner und richtiger: die Relation zwischen Kapitalwerten und Reproduktionskosten des Realkapitals oder zwischen freier Kapitaldisposition und Realinvestitionen). Nur wenn und soweit die spezifischen geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen nicht erfullt sind, bleibt der ProzeB im Gange.
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Gerade wegen des kumulativen Charakters des Prozesses ist es, wie oft hervorgehoben, urn so wichtiger, ihn so bald als moglich abzustoppen, urn die gewaltsamen Reaktionen zu verhindern, die „Ruckschlage", die spater durch die notwendig werdenden scharferen MaBnahmen ausgelost werden. Es gilt, den KonjunkturprozeB in statu nascendi abzustoppen, bevor er noch in Gang gekommen ist. Es gilt einzugreifen, sobald ein Auseinanderfallen des Gleichgewichts sich zeigt in der Relation, die die Icausal primare Stellung im Verlauf hat, d. h. eben in der Gleichgewichtsbedingung selbst. 1 Die Norm wiirde dann ganz einfach die ununterbrochene Aufrechterhaltung der geldtheoretischen Oleichgewichtsbedingungen sein, und wir baben ja zuvor ausgefiihrt, was dieses eigentlich bedeutet. 82. Man brauoht jedoch hier nur darauf hinzuweisen, daB es von verschiedenen Interessenstandpunkten aus doch sehr wohl in Frage gestellt werden kann •— und wie bekannt, tatsachlich in Frage gestellt worden ist •—, ob und wieweit wirklich ein unbestrittenes allgemeines Interesse vorliegt, daB die Konjunkturbewegungen in dieser Weise ausgeschaltet werden. Dabei will ich mich aber hier nicht aufhalten, sondern fur Zwecke des Arguments postulieren, daB ein Konjunkturausgleich wirklich allgemeines Interesse hat. Nun ist ja aber in Wirklichkeit der okonomische Verlauf von so viel verwickelterer Natur, daB ein vollstandiger Ausgleich der Konjunkturausschlage nicht notwendig nur durch die standige Erfiillung der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingung erreicht wird. Ich habe im vorigen Kapitel die wichtige Frage der geldtheoretischen Indifferenzgebiete angeschnitten. Ohne dieses Problem hier noehmals in seiner ganzen Reichweite zu behandeln, will ich nur darauf hinweisen, daB es durchaus moglich ist, daB ein verhaltnismaBig vollstandiger Konjunkturablauf — mit den charakteristischen Bewegungen der Preise, des Produktionsvolumens, der Produktionseinrichtung, des Beschaftigungsgrades, der Arbeitslohne usw. — sich bei ununterbrochener Aufrechterhaltung des geldtheoretischen Gleichgewichts abspielt, wobei sowohl Q = 0 und auch V = R2 trotzdem erfullt bleiben2 (was naturlich durchaus nicht hindert, daB ein Studium gerade dieser Relationen und dabei vor allem der dann synchronisierten Bewegungen der verschiedenen enthaltenen GroBen innerhalb dieser Relationen doch von der groBten Bedeutung sein kann fiir die theoretische Analyse auch eines solchen Gleichgewichtsablauf es). Es besteht jedoch kaum ein Zweifel, daB die meisten Konjunkturablaufe in Wirklichkeit sich doch in kausaler Verbindung mit gewissen 1 Noch fruher in der Kausalkette stehen naturlich die Veriinderungen der preisbestimmenden Faktoren, die ihrerseits die ursprilngliche Abweichung von der Gleichgewichtsbedingung hervorgerufen haben (z. B. technische Erfindungen, Veranderungen der Antizipationen, der Einkommen und des Sparens usw.), aber der Inhalt der WICKSELLschen Theorie ist ja gerade, daB dennoch der Prozefi nicht in Gang kommen wiirdc, wenn nur der „Geldzins" dem veriinderten „naturlichen Zins" adjustiert wiirde, das wilrde mit unseren Bezeichnungen heiCen, wenn dadurch Q — 0 und J?2 = V gehalten wiirde. Naturlich wiirden dann die Preisrelationen, Produktion und Konsumtion und auch, worauf schon DAVIDSON hingewiesen hat, sogar das Preisniveau sich verschieben. 2 Siehe ein abstraktes Beispiel Kap. VII, §§ 72 bis 79.
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Abweichungen von den geldtheoretischen Gleiehgewichtsrelationen entwickeln und davon ihre starke Amplitude bekommen. 1 Auch wenn daher die Konjunkturbewegungen lediglich durch eine Geldpolitik, der es gelingt, geldtheoretisches Gleichgewieht dauernd zu erhalten, nicht vollkommen abgeschafft werden konnen, so kann doch das Ziel einer Milderung der Konjunkturen gleichwohl eine solche Geldpolitik rechtfertigen. Diese wiirde dann sozusagen der erste Schritt zu einem Ausgleich der Konjunkturausschlage sein — und eventuell der einzige Schritt, den man bereit ware, vorzuschlagen, falls namlich der verbleibende Rest der Konjunkturbewegungen nicht unerwiinscht ware. 2 Dem sei nun wie ihm wolle. I m folgenden wollen wir ausgehen von der Wertjwdmisse, daB die Konjunkturbewegungen gemildert werden sollen, und der Sachprdmisse, daB dies in erster Linie eine Erhaltung der geldtheoretischen Gleichgewichtsbedingungen bedeutet. 83. Dann stehen wir jedoch sogleich vor der folgenden Schwierigkeit, die nicht totgeschwiegen werden darf. Die Norm ist, selbst wenn sie, wie hier geschehen, ohneweiters akzeptiert wird, in mancherlei Hinsicht gerade als Norm „unbestimmt", indem sie prinzipiell und praktisch verschiedene Losungen gestattet. Die soeben beriihrten theoretischen Indifferenzgebiete der Gleichgewichtsbedingung werden hier von Bedeutung: geldtheoretisches Gleichgewieht kann durch ziemlich verschiedene Kombinationen von Kreditbedingungen erfiillt werden. Diese versehiedenen Kombinationen von Kreditbedingungen sind ferner nicht politisch indifferent, sondern bedeuten notwendig eine verschiedengeartete Diskriminierung verschiedener Arten von Kreditnachfrage. Da nun die faktischen Verhaltnisse verschiedene Arten von Kreditnachfrage in wechselndem AusmaB fur die versehiedenen Wirtschaftszweige bedeutsam machen und dazu innerhalb desselben Wirtschaftszweiges fur groBe und kleine Unternehmer, kapitalstarke und kapitalschwache usw., so wiirden verschiedene Sozialgruppen ein Interesse haben an unterschiedlichen Kombinationen von Kreditbedingungen. Sie wiirden mit anderen Worten in verschiedener Weise an den Regulierungen der einzelnen Bestandteile des Komplexes ,,Geldzins" interessiert sein, durch welche Regulierungen bewirkt wird, daB eine gesamtwirtschaftliche Rentabilitatsdifferenz nicht aufkommen kann, welches ja allein der vorausgesetzte Zweck derselben ist. Dieser Umstand ist aber vielleicht an und fur sich noch nicht von groBerer Bedeutung wahrend der verhaltnismaBig ruhigen Zeiten, die wohl auf eine konsequente gleichgewichtsstabilisierende Geldpolitik folgen wiirden, wohlgemerkt, wenn man gleichzeitig eine liberale Gewerbepolitik voraussetzen konnte, die mindestens nicht durch eine Diskriminierung der Kreditbedingungen den Kapitalzustrom an das Wirtschafts1 Dies war auch WICKSELLS Einstellung. Er gehorte nicht zu denen, die die Konjunkturbewegungen zu einer rein monetaren Angelegenheit reduzieren wollen, was sonst nahe gelegen hatte im Hinblick auf die Geldlehre, auf der er aufbaute. Die Geld- und Kreditverhaltnisse gaben den Konjunkturbewegungen nur ihre ,,Zuspitzung", wie er immer wieder hervorhob. 2
Vgl. WICKSELL, Vorlesungen I, II, S. 198.
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leben in bestimmte Kanale zu leiten versuchte. Es wiirde sich unter solchen Verhaltnissen eine gewisse, in vieler Hinsicht konventionelle „ Standardkombination" von Zinssatzen und iibrigen Kreditbedingungen herausbilden, die mehr oder weniger fest' gegeben sein wiirde (wobei auch die inneren Relationen der Kombination bei wechselnder allgemeiner Hohe von i natiirlich sich verschieben konnten, wenn es fiir diese Verschiebungen nur eine feste Regel gabe). I n der Tat war die Organisation des Kreditmarkts in den Jahrzehnten vor dem Weltkriege von diesem Idealtyp nicht allzu weit entfernt, obwohl besonders der internationale Markt fiir langfristigen Kredit und damit auch das Verhaltnis dieses Kreditmarktes zu anderen nicht ganz auBerhalb der Reichweite gewisser imperialistischer Einfliisse und Riicksichten stand, die eine solche Standardkombination auch fiir jene Periode zu einem nicht ganz treffenden Bild der Wirklichkeit machen. Die Annahme einer solchen Standardkombination von Kreditbedingungen als einer institutionellen Tatsache wiirde das Gebiet der theoretischen Indifferenzlagen in hohem Grade einschranken, das von unmittelbar praktischem Gesichtspunkt aus von Bedeutung ist: solange man namlich nicht eine Anderung der Standardkombination in Betracht zieht. Jedoch haben whim vorhergehenden Teil gezeigt, da8 auch eine gleichformige Milderung oder Verscharfung der ganzen Standardkombination von Kreditbedingungen manchmal nicht zu einem WiCKSELLschen kumulativen ProzeB zu fiihren braucht (bzw. die Progressivitat eines schon vorsichgehenden solchen Prozesses zu mildern oder zu verscharfen braucht), wenigstens nicht unmittelbar. Die hier diskutierte geldpolitische Norm lafit daher, selbst wenn wechselseitige Verschiebungen innerhalb des Komplexes ,,Geldzins" durch die Annahme der Standardkombination ausgeschlossen sind, Raum fiir eine gewisse Diskrimination, die gerade wegen der verschiedenen Wirkungen nicht zuletzt auf die Einkommens- und Vermogensverteilung nicht ohne politische Bedeutung ist. 84. Den bisherigen Ausfiihrungen liegt die stillschweigende Voraussetzung eines ceteris paribus fiir alle anderen Dinge auBer dem „Geldzins", d. h. auBer den Kreditbedingungen zugrunde. Sie sind von verhaltnismaBig geringer Bedeutung gegeniiber den Konsequenzen, die sich durch ein Fallenlassen dieser abstrakten, wirklichkeitsfremden Voraussetzung ergeben. Bedenkt man namlich, daB alle anderen Verhaltnisse des sozialen Lebens sowie die Art ihrer Reguherung und Veranderung ebenfalls die geldtheoretischen Gleichgewichtsrelationen beeinflussen, so erweitert sich, wie schon gesagt, das Indifferenzfeld und damit die „Unbestimmtheit" des Gleichgewichtskriteriums als geldpolitischer Verhaltensnorm. Es handelt sich ja hier nicht nur um Geldpolitik, sondern um die ganze Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, die Institutionen, die den Arbeitsmarkt, die Kartellgesetzgebung usw. regulieren. Verschiedene Kombinationen von Regelungen fiir diese sehr verschiedenartigen Dinge geben alle zusammen mit einer dabei wechselnden Hohe der Standardkombination von Kreditbedingungen stabilisierte geldtheoretische Gleichgewichtsrelationen.
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Es ist daher nicht nur prinzipiell, sondern auch praktisch unmoglich, die geldpolitische Betrachtung auf einer objektiven Ebene zu halten, indem man lediglich eine allgemeine Norm wie einen Ausgleich der Konjunkturausschlage aufstellt. Diese Norm kann namlich auf verschiedenen Wegen erreicht werden, wobei alle Arten sozialer und okonomischer Fragestellungen eine unterschiedliche Beantwortung erfahren, wobei jeweils auch die Kreditschraube starker oder weniger stark angezogen werden mu8. In diesen wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und finanzpolitischen Fragen sind mit anderen Worten die Regulierungen nicht in einer mehr oder weniger konventionellen „Standardkombination" festzulegen gleich der, die friiher im weiten AusmaB und fur betrachtliche Perioden speziell fur die Kreditbedingungen Geltung hatte. Diese Regulierungen gehoren mit anderen Worten zu den Faktoren, die in einer wissenschaftlichen Analyse des geldtheoretischen Problems beweglich gehalten werden miissen. Sie sind keineswegs gegebene Daten des Problems, sondern um sie dreht sich gerade der politische Kampf in jedem Lande, und die wissenschaftliche Diskussion muB sie daher in Form alternativer Voraussetzungen beriicksichtigen, wenn sie Anspruch auf Gultigkeit und praktisches Interesse erheben will. Das geldpolitische Problem kann unmoglich isoliert werden, gerade weil eine verschiedene Regulierung in alien diesen Beziehungen eine verschiedene Geldpolitik motivieren muB, selbst bei einer gegebenen allgemeinen Norm, oder anders ausgedriickt: einer gegebenen Norm einen anderen realen Inhalt geben muB. Verschiedene soziale Gruppen haben ganz verschiedene Interessen bezuglich Art und Inhalt einer konjunkturstabilisierenden Geldpolitik, selbst wenn man annimmt, daB diese an und fur sich als eine alien gemeinsame Zielsetzung angesehen werden konnte. Wenn das bisher in den politischen Kampfen nicht mehr beachtet worden ist, so beruht das naturlich in erster Linie darauf, daB die Geldpolitik (im engeren Sinne) gebunden war durch die international Goldwahrung, die man auBerdem „automatisch" funktionieren lieB oder jedenfalls auBerhalb des Gebietes des rationell Kontrollief baren hielt. Aber in dem Augenblick, wo das geldpolitische Problem wirklich zur Diskussion steht — selbst wenn sich die Diskussion nur auf die Frage beschrankt, wie eine internationale Goldwahrung zum Zwecke eines Konjunkturausgleiches reguliert werden kann — wird das Problem des Zusammenhanges zwischen Geld'politik und aller ubrigen Wirtschaftspolitik sogleich von Bedeutung. 85. I n einer Wirtschaft, in der eine sozialistische Zentralisierung aller Wirtschaftspolitik nicht durchgefuhrt ist, besteht jedoch eine ,,Isolierung" der Geldpolitik von anderer Wirtschaftspolitik als institutionelle Tatsache. Der Zusammenhang ist naturlich ebenso von geldtheoretischer Bedeutung, wenn man die Fragen nach den Wirkungen verschiedener Konstellationen von Geldpolitik und iibriger Wirtschaftspolitik erortert. Geldpolitisch liegt jedoch die Sache insofern einfacher, als alle andere Wirtschaftspolitik zusammen mit alien Primarveranderungen die unabhangigen Variablen darstellen, denen sich die Zentralbank bei der
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Verfolgung ihrer Ziele anzupassen hat, welche diese nun auch immer sein mogen. Um nun in meinen Ausfuhrungen nicht zu allgemein zu sein, will ich die Analyse dieser institutionell bedingten „isolierten" Geldpolitik dadurch vorbereiten, daB ich an ein einfaches Gedankenexperiment ankniipfe. Ich fuhre dabei die Gleichgewichtsbedingung in der Form Q = 0 ein. Q ist, wie der Leser sich erinnern diirfte, Zw (cx — r x ). I n diesem Ausdruck sind die Rentabilitatsdifferenzen innerhalb der einzelnen Unternehmen addiert, mit der Realinvestierungselastizitat der betreffenden Unternehmen fur die betreffenden Rentabilitatsdifferenzen als Gewichtszahl. 1 Um die Darstellung zu vereinfachen, bediene ich mich hienach etwas unzutreffend der Ausdriicke C x und Rx zur Bezeichnung der Summe von Kapitalwerten bzw. der Reproduktionskosten der Realkapitalien, die man erhalten wiirde, wenn man c / , c / ' , c x '" . . . . usw. bzw. r / , r x ", r x '" . . . . usw. nicht einfach addierte, sondern addierte mit denselben Elstizitatskoeffizienten als Gewichtszahlen, wobei (C1 — Rt) = = Sw (c± — r x ) sein wiirde. Aus irgend einem Grunde steigt Rt (z. B. wegen einer starkeren monopolistischen Intensitat des Arbeitsangebotes oder schwacherer Intensitat der Arbeitsnachfrage, sei es wegen Gesetzgebung betreffend Arbeitszeitverkiirzung, SicherheitsmaBnahmen, erweiterte Sozialversicherung oder was nur immer; die Ursachen liegen auBerhalb des Problems). Die Gleichgewichtsbedingung Q = 0 kann dann offenbar durch MaBnahmen aufrechterhalten werden, die u. a.: (1) entweder C1 um ebensoviel steigern wie Rt gestiegen ist oder (2) Rx herabdriicken auf seinen alten Wert oder (3) eine Bewegung sowohl von C x wie von i? 1 bewirken, die wie immer beschaffen sein mag, wenn sie nur beide GroBen auf dasselbe Niveau bringt, so daB Q = 0. Die Menge offener Alternativen bezeichnet eine Seite des zuvor diskutierten Indifferenzfeldes. Wie man auch verfahrt, immer wird geldtheoretisches Gleichgewicht herrschen, wenn nur Cx und R1 wieder in Ubereinstimmung gebracht werden. Sorgt man dagegen nicht in der einen oder anderen Weise fur die Erfullung dieser Bedingung, sondern laBt man die primar entstandene Differenz bestehen, so setzt unweigerlich ein sich allmahlich immer mehr beschleunigender depressiver ProzeB ein. — Das genau Umgekehrte wiirde der Fall sein, wenn i? x zu sinken tendiert (z. B. infolge eines technischen Fortschrittes oder wegen einer Veranderung der zuvor erwahnten oder anderer institutioneller Regulierungen). Soviel iiber die Voraussetzungen der Situation und iiber die relevanten Ursachenzusammenhange. Wir nehmen nun eine Geldpolitik an, die ganzlich isoliert ist von aller iibrigen Wirtschaftspolitik. Die Geldpolitik, deren Norm unverandertes geldtheoretisches Gleichgewicht ist, hat nur eine Regulierung der Kreditbedingungen zu ihrer Verfugung, wahrend alle andere Politik von geldpolitischen Rucksichten freigehalten wird. Die Kreditbedingungen denken wir uns in Form einer festen 1
Siehe oben Kap. IV, § 41.
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Standardkombination gegeben. Wir sehen ab von dem Problem der ,,Ineffektivitat" der Kreditpolitik. Die Geldpolitik ist dann wirklich voll „bestimmt". Die Kreditbedingungen haben namlich in der Hauptsache direkte Wirkungen nur auf Cx und wiirden nur durch ein — auf Grund der als erfullt vorausgesetzten geldpolitischen Norm ausgeschlossenes — Auseinanderfallen des geldtheoretischen Gleichgewichts daneben indirekte Wirkungen auf Bt haben. Daraus folgt, daB von den zuvor aufgefuhrten Alternativen eigentlich nur die erste offensteht. Die Geldpolitik mu8 bestrebt sein, durch standig verandertes Anziehen der Kreditschraube C x an Bx anzupassen (wobei, wie wir zuvor gezeigt haben, nicht nur Cx = B1 bzw. Q = 0, sondern auch V — B2 standig erfullt wird). i? 1 ist nach unserer Voraussetzung die von der Geldpolitik unabhangige Variable: Bx ist mit anderen Worten der Faktor, der die Veranderungen reprasentiert, an die sich die Geldpolitik anzupassen hat mit allem, was in ihre Domane fallt, urn die geldpolitische Gleichgewichtsbedingung zu erfullen, die unserer Annahme gemaB ja eben geldpolitische Norm ist. Die Veranderungen der unabhangigen Variablen schlieBen die Resultate aller preisbildungstheoretischen Primarveranderungen plus Resultate aller sonstigen offentlichen Wirtschaftspolitik neben der Geldpolitik ein. Die Geldpolitik ware dann wirklich ,,bestimmt", aber nur in dem Sinne, daB sie von aller anderen Politik isoliert ware, deren aktuelle Gestaltung doch naturlieh ihren wirklichen Inhalt bestimmen nriiBte. 86. Dieses Gleichgewicht wird jedoch bei einem standig wechselnden Niveau fur Cx erreicht. Da ferner C1 nach der vorausgesetzten Geldpolitik niemals einen Widerstand gegen R1 bieten kann (ohne daB gleichzeitig die vorausgesetzte Geldpolitik aufgegeben wird), so ist es im hohen Grade wahrscheinlich, daB die Mehrzahl der Krafte innerhalb der Preisbildung, die Sx zu steigern tendieren, an Starke gewinnen, wahrend alle, die B1 zu mindern tendieren, an Starke verlieren. Die Folge dessen ist, daB die Geldpolitik leicht eine fortlaufende Steigerung von J?x bedeuten kann, die Folge einer entsprechenden Steigerung von Cx und naturlieh einschlieBend eine allgemeine Preisbewegung nach oben, wenn auch unter dauernder Aufrechterhaltung des geldtheoretischen Gleichgewichts.1 Diese Gleichgewichtsbewegung — „Inflation", wenn man so will und wenn man nicht diesem Ausdruck eine spezieller Bedeutung gibt, z. B. ihn nur fur solche Preisbewegungen gebraucht, die in einem kumulativen WiCKSELLschen ProzeB entstehen — kann jedoch nicht politisch uninteressant sein: die steigenden Kapitalwerte haben u. a. unmittelbare Folgen fiir die Vermogensverteilung. Die geldpolitische Norm muB offenbar irgendwie erganzt oder verandert werden, um auch anderen Interessen als nur denen der kapitalistischen Unternehmer Geniige zu tun. Jedoch haben wir hier eine Isolierung der Geldpolitik angenommen, der nur eine Macht iiber die Kreditbedingungen zuerkannt ist und iiber sonst nichts. Unter dieser Voraussetzung ist, wie gesagt, keine andere 1
Vgl. oben Kap. VI, § 66ff.
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Geldpolitik moglich. Die Zentralbank kann zwar gezwungen werden, die Anpassung der Kapitalwerte an die Reproduktionskosten aufzugeben — das kann z. B. der Fall sein, wenn die Valuta nicht frei ist, sondern an eine andere Norm gebunden als geldtheoretisches Gleichgewicht — aber dann wird das geldtheoretische Gleichgewicht aufgehoben und die depressive Phase eines Kreditzyklus setzt ein. Das ist aber gegen unsere allgemeine Voraussetzung. Nun gibt es jedoch Moglichkeiten, auch direkt und also ohne XJmweg iiber eine durch Anziehung der Kreditschraube bewirkte allgemeine Depression auf Rx einzuwirken. Jede andere Politik, die einen EinfluB auf Rx (und Cx) haben kann, kommt hier in Betracht. Wenn man also die Folgen einer Anpassung von Cx an Rx nicht ohne weiteres hinnehmen will (z. B. fur die Einkommensverteilung), aber gleichzeitig Gx = Rx erhalten will, welches die allgemeine Voraussetzung ist, unter. der wir hier argumentieren, so muB dann eine der unendlich vielen Kombinationen von Kreditpolitik und sonstiger Wirtschaftspolitik gewahlt werden, die diese Bedingungen erfiillt. 87. Man konnte vielleicht geradezu vorschlagen, statt einer Geldpolitik, die standig Cx an Rx anpafit („isolierte Kreditpolitik") vielmehr Ct konstant zu setzen und S1 anzupassen. Eine solche Losung konnte ja in vieler Hinsicht erwiinscht sein, z. B. insofern, als durch sie die Risiken des Geschdftslebens gemindert werden.1 Gx konstant zu halten ware ja an und fur sich nicht schwer. Cx ist ja ceteris paribus nichts anderes als ein Preisbildungsreflex des „Geldzinses", d. h. der allgemeinen Kreditbedingungen: jede Veranderung der cetera kann durch eine zweckmaBige Anderung der Kreditbedingungen kompensiert werden. Aber wie soil man Rx an Cx anpassen ? Die Kreditbedingungen haben ja direkte Wirkungen hauptsachlich nur auf Gv Der Schwerpunkt der Geldpolitik muBte dann geradezu auf diese anderen Regulierungen gelegt werden, die wir zuvor durch eine Isolierungspramisse auBerhalb der Geldpolitik zu halten versucht haben. Bei der Organisation, die die Wirtschaftspolitik in der gegenwartigen Entwicklungsphase der kapitalistischen Epoche uberall hat, ist jedoch, wie schon angedeutet, diese letztere Geldpolitik, die sich das Ziel setzt, die Geschaftsrisiken zu reduzieren, nicht nur unbestimmt, weil sie viele Losungen gestattet, sondern es ist auch irgend eine Losung dafur schwer durchfiihrbar. Solange man nicht eine durchgreifende Integration der Wirtschaftspolitik uberhaupt durchgefiihrt hat, durch die eine wechselseitige Obstruktion verhindert wird, gibt es faktisch eine „Isolierung" institutioneller Art von Geldpolitik und sonstiger Wirtschaftspolitik. Direkt beherrscht die Zentralbank eigentlich nur den Kreditmarkt. I n der Hauptsache muB sich die Zentralbank dann damit begniigen, Rx als eine von ihrer eigenen Politik unabhangige Variable anzusehen. Wenn sie der allgemeinen Norm folgt, geldtheoretisches Gleichgewicht 1
Vgl. unten Kap. VIII, § 92.
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zu erhalten, muB sie sich also darauf beschranken, mit Hilfe der Kreditschraube Cx an Rx anzupassen, wie in unserem ersten Falle. Da jedoch R x wegen mancherlei Veranderungen im Wirtschaftsleben standig in Bewegung sich. befindet, kann, wie gesagt, die Geldpolitik dabei nicht eine Konstanz von C1 garantieren (oder iiberhaupt von ,,Preisniveaus") mit Konsequenzen fiir die Einkommen- und Vermogensverteilung usw., die zuvor beriihrt sind. Wenn diese Konsequenzen unerwiinscht erscheinen und wenn die Zentralbank sie verhindern will, hat sie auf Grund der angegebenen institutionellen Isolierungsbedingungen keine andere Wahl, als geldtheoretisches Oleichgewicht als allgemeine geldpolitische Norm aufzugeben. SiemuB — durch die von der Geldpolitik selbst dadurch verursachten Kreditzyklen hindurch — versuchen, die Stabilitat von 01 (oder eines anderen ,,Preisniveaus") zu erhalten, auch wenn das Abweichungen von der Bedingung Cx = Rx voraussetzt. Darin liegt zutiefst der theoretische Konjlikt unter den herrschenden institutioneUpolitischen Verhdltnissen zwischen Konjunkturstabilisierung und Preis8tabilisierung. 88. Eine praktische Schwierigkeit bei einer solchen Preisstabilisierung ist daher folgende. Ungeachtet, welches Preisniveau stabilisiert wird, so kann — auf Grund verschiedenartiger Primarveranderungen im Preissystem, von denen viele sicher von zyklischer Natur sind und mit der Dauerhaftigkeit der Realkapitalien u. a. zusammenhangen und auch wegen veranderter wirtschaftspolitischer Regulierungen in mancherlei Richtung — diese Preisstabilisierung nicht bei einem ungestorten geldtheoretischen Gleichgewicht erreicht werden. Da ferner der WICKSELLsche ProzeB eine progressive und kumulative Tendenz hat, kann die betreffende Preisstabilisierung nur aufrechterhalten werden bei gelegentlich recht starkem Wechsel u. a. der Kreditbedingungen und damit auch aller Arten von Vieisrelationen. Der Konjunkturzyklus ist also damit nicht ausgeglichen. Preisstabilisierung und Konjunkturausgleich sind gewissermaBen konkurrierende, einander widersprechende Bedingungen; allerdings gibt es hier Gradunterschiede, je nachdem, welche Art von „Preisniveau" man stabilisiert. Will man einen moglichst hohen Konjunkturausgleich haben, aber doch gleichzeitig eine Garantie gegen allzu groBe und vor allem einsgerichtete Bewegungen der Preise, die fiir die Verteilung von Bedeutung sind, nriiBte man also einen Index derjenigen Preise zu stabilisieren suchen, die eine geringe Realctionsgeschmndigheit haben. Das kame in der Praxis oft auf eine Stabilisierung der Arbeitslohne heraus. Fiir eine nahere Begriindung verweise ich auf Kapitel VI. Diese Stabilisierung der in sich selbst schon recht stabilen Preise steht nicht so sehr im Widerspruch mit der Forderung nach Aufrechterhaltung des geldtheoretischen Gleichgewichts gerade wegen der breiten und elastischen Bewegungsmarginale, die sie fiir andere Preise zulafit. Die Stabilisierung des Niveaus der schwerbeweglichen Preise gibt eine gewisse Freiheit fiir alle anderen Preisniveaus. Von unserem Gesiehtspunkt aus ist speziell wichtig, daB die Zentralbank in hQherem Grade ohne
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Erschiitterung dieses Index Gx an die Veranderungen von B1 anpassen kann, notabene bis Rx auch gegen diese elastischen Marginale zu driicken beginnt. Es ist also die „Unbestimmtheit" dieser Preisstabilisierung auf kurze Sicht als geldpolitische Norm, die ihren relativen Vorzug vom Standpunkte eines Ausgleiches der Konjunkturausschlage ausmacht. Und es sind wohl oft nur die Verteilungswirkungen auf lange Sicht, denen entgegenzuwirken man eigentlich interessiert ist, interessiert bis zu dem Grade, daB man bereit ist, die Konsequenzen mit in Kauf zu nehmen, die in einer Abweichung vom geldtheoretischen Gleichgewicht und in den dadurch hervorgerufenen Erschutterungen bestehen. Von den gleichen Gesichtspunkten aus ist natiirlich Gx dasjenige Preisniveau, das man zu allerletzt in einer privatkapitalistischen Gesellschaft mit einer Organisation der Geldpolitik von der eben beschriebenen Art stabilisieren sollte. Die Stabilisierung von Cx wiirde das Wirtschaftsleben ununterbrochen in WiOKSELLsche Prozesse nach der einen oder anderen Richtung sturzen, sobald R1 sich bewegen wiirde. Das gleiche gilt natiirlich fur alle Preisniveaus reagibler Warenpreise, nicht zuletzt fur dasjenige, das in Laienkreisen als das „Preisniveau" schlechthin gilt, d. i. eine Art summarischer GroBhandelspreisindex. 89. Hier haben wir nur die Schwierigkeiten der Preisstabilisierung vom konjunkturpolitischen Gesichtspunkt in Erwagung gezogen. Die direkte Ankniipfung der Geldpolitik an ein Preisniveau hatte jedoch, wie vor allem LINDAHL mit Recht hervorgehoben hat, auch ihre wesentlichen Vorteile von ganz demselben Gesichtspunkt aus. Der Vorteil liegt darin, daB eine erklarte und wirklich durchgefiihrte Preisstabilisierung die Antizipationen der Unternehmer regelt. Dadurch werden die Bewegungen vorweggenommen, die auf den Veranderungen des Vertrauens der Unternehmer in die Zukunft beruhen, ein Moment, das ja so wohl im wirklichen Konjunkturverlauf wie auch in dem kumulativen ProzeB der WiCKSBLLSchen Theorie mitverursachend wirkt und die Amplitude der Ausschlage vergroBert. Wiirde man einen Preisindex konstruieren, dessen Stabilisierung in dieser Hinsicht einen maximalen Konjunkturausgleich mit sich brachte, hatte man natiirlich die schwerbeweglichen Preise gleichwohl mit Riicksicht auf ihre Bedeutung in den Rentabilitats- und Investierungsberechnungen der betreffenden Unternehmer zu wiegen. Wir kommen auf diesem Wege gerade zu dem Index, den wir in Kapitel VI naher diskutierten, wo die Preise verschiedener Giiter bzw. derselben Giiter auf verschiedenen Markten gewogen sind im Hinblick auf den reziproken Wert der spezifischen ReaktionsgeschwindigJceiten der Preise und zurn anderen nach Hirer Bedeutung fur die Realinvestierungen. Im Hinblick auf die Ausfiihrungen des Kapitels VI, § 40 diirfte bei der Berechnung des letzten Gewichtsprinzips eigentlich nicht nur die Rentabilitatsveranderung in Betracht gezogen werden, die bestimmte Veranderungen eines bestimmten Preises fur so und so viele Unternehmen von der und der GroBe bedeutet, sondern diese Ziffer multipliziert mit der Realinvestierungselastizitdt des be-
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treffenden Wirtschaftszweiges. Dagegen durfte in diesem Zusammenhang dieser Index nicht standig mit Rucksicht auf die „inneren" Veranderungsursachen adjustiert werden, da man ja u. a. gerade den Wirkungen derselben auf das ganze Preissystem durch gewisse Abweichungen vom Gleichgewichtsgrundsatz entgehen will. Letzterer Hinweis muB willkommen sein, da ja die Grenze zwischen „inneren" und „auBeren" Preisveranderungen nicht klar zu Ziehen ist. 1 Die Regel, daB ein solcher Preisindex stabilisiert werden miisse, wenn man einen maximalen Konjunkturausgleich ohne allzugroBe und einsgerichtete allgemeine Preisbewegungen erreichen will, ist also unsere SchluBfolgerung aus den aufgezeigten Sach- und Wertpramissen. Ich hebe noch einmal hervor, daB eine so formulierte geldpolitische Norm nicht bestimmt ist im Hinblick auf ihren faktischen Inhalt vom Interessenstandpunkt verschiedener Sozialgruppen aus. Sie wird erst bestimmt durch die gesamte iibrige Wirtschaftspolitik. I n einer Situation wie der gegenwartigen (1932), die aus dem geldtheoretischen Gleichgewicht geraten ist und in der seit mehreren Jahren ein depressiver WiCKSELLscher ProzeB im Gange ist mit der Wirkung, daB auch die schwerbeweglichen Preise sich in einer langsamen und etwas verzogerten Bewegung nach unten befinden, miiBte man, um mit einer solchen Geldpolitik einzusetzen, naturlich zunachst eine Steigerung der Kapitalwerte und aller reagiblen Preise durchfuhren, eine Steigerung auf ein Niveau, das geldtheoretisches Gleichgewicht bei dem gegenwartigen Niveau der schwerbeweglichen Preise gibt und dadurch den fortgesetzten Fall der letzteren bei standig starker werdender Depression verhindert. 90. Ich will nun nur noch ganz kurz ein paar andere geldpolitische Postulate mehr allgemeinen Charakters einer Prufung unterziehen, die in der geldpolitischen Diskussion eine Rolle spielen. Bei ihrer Aufstellung versucht man gewohnlich, sie theoretisch miteinander und mit den zuvor erorterten allgemeinen Normen zu koordinieren. Ich iibergehe hier alle Versuche, die Stabilisierung des ,,Preisniveaus" als allgemeine geldpolitische Norm hinzustellen. Unter Hinweis auf das Vorhergehende betone ich nur, daB alle ernsteren Versuche, die in moderner Zeit gemacht wurden und die die in der Normsetzung enthaltene Behauptung, daB konstanies ,,Preisniveau" wirklich Konjunkturausgleich bedeutet, nicht nur postuliert und in reinen Verbalismen umschrieben haben, doch zweierlei iibersehen haben mussen, namlich einmal die Primarveranderungen, deren Wirkungen auf die Preisrelationen nicht „gleichformig" sind oder die nicht gerade in Veranderungen der Kreditbedingungen bestehen, und auBerdem die institutionellen Momente, die eine wechselnde Reaktionsgeschwindigkeit fur verschiedene Preise oder fur dieselben Preise auf verschiedenen Markten bedingen. DaB dazu auch die rein theoretische Unbestimmtheit der Norm wegen der zuvor diskutierten Indifferenzerscheinungen in weitestem AusmaB iibersehen worden ist, braucht kaum hinzugefiigt zu werden. 1
Siehe oben Kap. VI, § 68.
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Ich iibergehe auch allerlei vage geldpolitisehe Normsetzungen, deren groBtes Verdienst in dem argumentum ad hominem besteht, das sie enthalten, indem sie bei der Wahl der Worte an allerlei common-senseAssoziationen ankmipfen. Bei versierten Theoretikern sind sie deshalb auch mehr eine literarische Verbramung praziserer Behauptungen. Dahin gehoren z. B. die Forderungen, daB man das Geldwesen stabilisieren solle oder das Wirtschaftsleben usw., daB man Gleichgewicht im Wirtschaftsmechanismus schaffen solle, daB man Inflation und Deflation verhuten solle usw. Eine oft gehorte Norm ist auch die, daB die Geldpolitik darauf ausgehen miisse, die Produktionsmittel maximal in Beschdftigung zu halten. Sie wird gewohnlich dahin formuliert, daB die Arbeitslosigkeit auf einem Minimum gehalten werden soil. Ich verweise auf Kapitel VI, §§ 65—70, wo nachgewiesen ist, daB eine Geldpolitik mit dieser einzigen Norm zu gewissen allgemeinen kumulativen Preisbewegungen fuhren wiirde, die die Advokaten einer solchen Politik sicher nicht gutzuheiBen bereit waren, oder daB sie recht umfassende offentliche Marktregulierungen voraussetzen wiirde, fur die sie sicherlich noch weniger eintreten wiirden. Diese und ahnliche mehr allgemeine geldpolitisehe Normangaben sind gewShnlich nur als eine Forderung zu verstehen, daB man die Ausschlage der Abweichungen vom geldtheoretischen Gleichgewicht nicht allzu groB werden lassen darf. 91. An und fur sich theoretisch voll bestimmt ist dagegen die allgemeine Forderung, die oft aufgestellt worden ist und die in der schwedischen Literatur besonders LINDAHL erhoben hat, daB die Geldpolitik sich ein bestimmtes Ziel setzen und dieses dann unerbittlich durchfuhren soil und daB die gesetzte Norm der Allgemeinheit mitgeteilt werden soil, damit sie ihre Preisantizipationen maximal darauf einstellen kann. Diese Postulate sind jedoch vom normativen Gesichtspunkt aus rein formal. Sie konnen mit jeder beliebigen Geld- und Konjunkturpolitik in jeder beliebigen Richtung vereinigt werden. Sie haben ihre Bedeutung hauptsachlich als geldpolitisehe Mittel; indem sie die Antizipationen der Unternehmer und damit auch die Preis- und Konjunkturbewegungen beeinflussen, erleichtern sie die Durchfuhrung der aufgestellten geldpolitischen Norm. Da sie als geldpolitisehe Mittel die inhaltsmaBige Normbestimmung nicht uberfliissig und gleichgultig machen — wegen des Zeit-, Tragheits- und Unsicherheitsmomentes, denn sonst wiirde es faktisch der Fall sein: in einer Welt, in der alles vollstandig vorausgesehen wiirde, ware die Preisentwicklung natiirlich gleichgultig — bleibt das ganze hier diskutierte Problem ungelost. Eine geldpolitisehe Normangabe, die sehr haufig angetroffen wird, enthalt die Forderung, daB das Risiko fur Veranderungen des ,,realen Inhalts" von Vertragen minimal gemacht werden sollen, d. h. daB die Geldpolitik bewirken soil, daB die Abweichung zwischen ,,wirklichem" und ,,beabsichtigtem" Inhalt von Kreditkontrakten so klein wie moglich werden soil. Diese geldpolitisehe Norm wird gewohnlich, wenn auch nicht immer, dazu benutzt, die praktische Forderung zu motivieren, daB das
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sogenannte Preisniveau konstant gehalten werden soil. Man setzt dabei voraus, daB Kreditkontrakte eingegangen werden mit dem Gedanken, daB die Preise unverandert bleiben werden, und hebt hervor, daB alle Veranderungen des allgemeinen Preisniveaus Erschiitterungen der Einkommens- und Vermogensverteilung mit sieh bringen. Diese Erschiitterungen sind, sagt man, wittkiirlich und zufallig, und sie konnen daher nicht erwiinscht sein, nicht einmal vom Gesichtspunkt der Personen aus, die die herrschende Einkommens- und Vermogensverteilung nicht als gerechtfertigt oder sonst vertretbar ansehen. Das ist ja nun durchaus nicht so ganz selbstverstandlich. Man konnte sich ja denken, daB von gewissen politischen Gesichtspunkten aus in einer gegebenen Situation eine solche Verschiebung der Eigentumsverteilung, unter Umstanden kombiniert mit gewissen Preisregulierungsund BesteuerungsmaBnahmen gegen den gewinnenden Partner in der VermQgens- und Einkommensumschichtung zugunsten eines Dritten, durchaus nicht zufallig, sondern beabsichtigt ware. Warum sie dann nicht ,,rationell" sein sollte, ist schwer einzusehen. Viel wichtiger ist jedoch, daB es so unendlich viele andere Fvticksichten gibt, die bei den geld- und konjunkturpolitischen Erwagungen bedeutsam werden miissen, als gerade diese auf die Glaubiger-Schuldnerverhaltnisse. Breite Volksschichten sind iiberhaupt weder Glaubiger noch Schuldner und ihre Interessen konnten ja in gewissen Fallen von dieser geldpolitischen Norm divergieren, die eigentlich nur auf die Interessen der Besitzenden Rucksicht nimmt. Diese ganze wertmaBige Seite der Angelegenheit mag hier jedoch dahingestellt bleiben. Es bleibt jedoch dabei, daB auch diese Normangabe in hohem Grade formell ist. Ihr Inhalt hangt ja davon ab, was die Kapitalisten, die Anleihen aufnehmen und geben, sich iiber Zielsetzung und Erfolg der Geldpolitik fur Vorstellungen machen. Wenn wir hier in der allgemeinen Normdiskussion letzteres iibergehen und ganz einfach maximalen Erfolg voraussetzen, so fordert doch die Zielsetzung eine Fixierung. Ist diese Fixierung ihrerseits gegeben, so bekommen die Kontrakte dann selbstverstandlich „den beabsichtigten Inhalt", der ubereinstimmt mit der bestimmteren Norm, ungeachtet, was diese ihrerseits realiter enthalt. Dieser „reale Inhalt" — ein Gedanke, der gewohnlich verknupft wird mit juristischen Ausfuhrungen iiber ,,naturliches Recht" usw. — ist also ziemlich wenig aufschluBreich dariiber, wie eine rationale Geldpolitik auf lange Sicht eingestellt werden soil. Und auf kurze Sicht begegnen sich, wie gesagt, so viele andere, teilweise sich iiberkreuzende Interessen. Bestenfalls muB man diese Norm, daB die eingegangenen Kreditkontrakte ihren beabsichtigten Inhalt erfullen sollen, deuten als eine Motivierung fur die allgemeine und unbestimmte Wertpramisse, daB nicht allzugroBe und einsgerichtete Preisbewegungen zugelassen werden diirfen. Kombiniert man diese Wertpramisse mit der Pramisse, daB die Konjunkturbewegungen moglichst ausgeglichen werden sollen, so kommt man zu der SchluBfolgerung, die ich oben zu prazisieren versucht habe,
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daB man namlich eine moglichst vollstandige Erfiillung der Gleichungen Q — 0 und B2= V erreichen soil unter moglichst geringen Bewegungen eines Preisindex, der gewogen ist mit Riicksicht auf die Realinvestierungsbedeutung der Preise und den reziproken Wert ihrer spezifischen Reaktionsgeschwindigkeit. 92. Die zuweilen erhobene Forderung, daB die Geldpolitik darauf eingestellt werden soil, die Risiken im Geschdftsleben moglichst zu mindern, d. h. die Gewinne und Verluste der Unternehmer so klein wie moglich zu halten, zielt entweder auf die Neuinvestierungen. Dann muB die Forderung dahin gedeutet werden, daB Q = 0 oder Ew (cx — r x ) = 0 sein sollen, d. h. daB geldtheoretiscb.es Gleichgewicht aufrechterhalten werden soil. Inhalt und Konsequenzen einer solchen Politik sind zuvor untersueht worden. Oder auch man will die Gewinne und Verluste der Unternehmer iiberhaupt niedrig halten. Dann bedeutet die Forderung ein Konstanthalten von Cv vgl. dazu Kap. V I I I , §§ 85—88. Wie ich dort hervorhob, ist jedoch Gx der Preisindex, den man am allerwenigsten stabilisieren darf, wenn man — ohne eine durchgreifende sozialistische Zentralisierung und Integrierung der Wirtschaftspolitik iiberhaupt — ein Maximum von Konjukturstabilisierung anstreben will, das mit der Forderung nach einiger Stabilitat der Preisverhaltnisse vereinbar ist. Die Ursache liegt ja u. a. darin, daB eine Anpassung von R1 an Cx insofern eine umso schwerer durchfuhrbare Geldpolitik ist, als die traditionellen geldpolitischen Mittel — die Kreditpolitik — direkte Wirkungen hauptsachlich nur fiir C x haben, die GroBe, die konstant gehalten werden soil, aber nicht fiir Rx, die GroBe, die angepaBt werden soil. Die Wirkungen auf Rx gehen eigentlich nur iiber Abweichungen vom geldtheoretischen Gleichgewicht, die der Konjunkturstabilisierung entgegenwirken. Die Konjukturstabilisierung fordert mit anderen Worten, daB den Unternehmern gewisse Kapitalgewinne und Kapitalverluste aufgebiirdet werden miissen iiber das Minimum hinaus, das erreicht werden kbnnte, wenn die Geldpolitik ohne Rucksicht auf Konjunkturstabilisierung darauf eingestellt wiirde, diese Gewinne und Verluste moglichst niedrig zu halten. Die Aufrechterhaltung geldtheoretischen Gleichgewichts bei Veranderlichkeit der primar preisbestimmenden Faktoren ist mit anderen Worten nicht dasselbe wie ein moglichst risikofreier Zustand fiir die Kapitalisten. Geldtheoretisches Gleichgewicht bedeutet nur einen Gewinn- und Verlustausgleich fiir die aktuellen Realinvestitionen. Das ist aber etwas ganz anderes als eine Gewinn- und Verlustausgleichung auch fiir das vorhandene Realkapital. 93. Zuletzt soil nur noch die geldpolitische Norm beriihrt werden, die von DAVIDSON aufgestellt worden ist und die auch sonst in der Geldliteratur angegeben wird: das Preisniveau fiir Fertigprodukte soil sich in umgekehrter Proportion zur Produktivitat bewegen. Aus Griinden, die in Kapitel VI, § 63 naher ausgefiihrt sind, kann diese geldpolitische Norm mit gewissen Vorbehalten angesehen werden als eine Approximation an die folgende Norm: daB ein Spezialindex, in dem die Preise gewogen sind nach Reaktionsgeschwindigkeitundlnvestierungsbedeutung,
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konstant gehalten werden soil. Wir haben gezeigt, daB diese Norm zu der des Risikoausgleicb.es fur die kapitabstischen Unternehmer im Gegensatz steht. Diese geldpolitiscbe Norm, da8 das Preisniveau sicb in umgekehrter Proportion zur Produktivitat bewegen soil, hat DAVIDSON auf eine Begriindung gestutzt, die icb andeutungsweise scbon in Kapitel IV berfihrte, und dazu auf gewisse allgemeine Postulate der „Gerechtigkeit" in den Verteilungsverhaltnissen und eines ,,Geldwertes" im absoluten Sinn. Da ich mich hier nicbt auf die allgemeine erkenntnistheoretische Diskussion der allgemeinen okonomischen Wertlehre einlassen kann, die fiir eine Priifung speziell dieses Arguments von DAVIDSON erforderlich ware, verweise icb auf eine in einem anderen Zusammenhang durchgefuhrte prinzipielle Kritik der ganzen Denkmethode, die solcbe Argumente uberhaupt erst moglich macbt. 1 Es liegt umso weniger Grund vor, bier diese Argumente DAVIDSONS ZU behandeln, die von meinem Standpunkt aus zunachst iiberflussig sind, als icb ja mit bestimmten Vorbehalten und unter gewissen prazisierten Sacb- und Wertpramissen soeben selbst eine Geldpolitik vorgeschlagen babe, die eine gewisse Art von Preisstabilisierung bedeutet, fiir die DAVIDSONS Norm auf Grund gewisser tatsachlicber Verhaltnisse und ungeachtet ihrer falschen Motivierung doch eine gewisse Approximation darstellt. Ganz unkommentiert lasse icb hier die rein mechanistische Konjunkturauffassung. Gewohnlich hebt sie ja hervor, daB die Hochkonjunkturen „notwendig" sind, um dem Wirtschaftsleben einen Stimulus zu geben, daB die Krise und die Depression „notwendig" sind fiir eine „Liquidierung" der Investierungsirrtiimer, die wahrend der Hochkonjunktur begangen werden. Die mechanistische Auffassung hat ja viele Nuancen. Als Ganzes bedeutet sie eine eigenartige konjunkturtheoretische und geldtbeoretische Rationalisierung der liberalokonomischen pobtischen Einstellung, deren negativfatalistische Attitiiden gegeniiber planmaBiger okonomischer Kontrolle sie doktrinarisiert und in einen quasi-naturwissenschaftlichen Apparat eingekleidet hat. Ibre psychologische Verankerung hat diese eigentiimlicbe konjunkturpolitische Einstellung in der Gewohnheit der Menschen, in Rhythmen und Zyklen zu denken: wir gehen ja, indem wir erst das eine Bein vorstrecken und dann das andere, nach der Flut kommt Ebbe, nach Sonnenscbein kommt Regen, nach Tag kommt Nacht; und ebenso miissen auch gute und schlechte Zeiten naturgegeben aufeinander folgen. CASSEL hat einmal scherzhaft angedeutet, daB die ganze Einstellung ihre Grundlage letztlich vielleicht in primitiv puritanischen Ideen bat: das Gliick ist irgendwie vom tjbel, ist etwas Unmoralisches, das von einem reinigenden Leiden begleitet werden soil, um vergolten zu werden, ebenso gehort es sich, ist richtig und naturlich, daB auf die expansiven Aufschwungszeiten mit all ihren schadlichen Irrtumern schwere Zeiten folgen. 1 ,,Das politische Element in der nationalokonomischen Doktrinbildung", Berlin 1932, und ,,Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalokonomie", demnachst in Zeitschrift fiir Nationalokonomie, Wien.
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Neuntes Kapitel.
Wissenschaftstheoretische Schlufibemerkungen.
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94. Ich erinnere an die einleitend festgelegten Richtlinien fur die hiemit durchgefiihrte Untersuchung: sie sollte mindestens in ihrem Ansatz immanent sein. Es war meine Absicht, den Inhalt der geldtheoretischen Gleichgewichtsvorstellung zu klaren, ausgehend vom Hauptargument der WiCKSELLschen Geldtheorie, das ich fur gegeben nahm. Ich versprach jedoch, am Ende eine Prufung der allgemeinen preisbildungstheoretischen Voraussetzungen vorzunehmen, die dieser zentralen Hypothese zugrunde liegen. Es bleibt mir nur noch diese Aufgabe zu erfullen iibrig. Die Hypothese, auf der ich aufgebaut habe, war die Lehre des WiCKSELLschen dynamischen Prozesses und besonders seine ursachliche Verkniipfung mit einem Nichtgleichgewichtszustand in der Beziehung i = i0, die jedoch selbst durch eine Prufung vom Standpunkte der Hauptthese aus einen anderen und bestimmteren Inhalt als bei WICKSELL bekommen hat. Die Untersuchung hat demnach den iiblichen Verlauf genommen, von dieser Hypothese ausgehend, haben wir die Theorie ausgebaut nach den Kriterien: theoretische Prazision und theoretische ELorrelativitat. Die Ergebnisse bestehen dann in einem in sich nicht mehr widersprechenden und in erweitertem Umfange expliziten theoretischen Idealisationsmodell, aufgebaut auf der WiCKSELLscAera Hypothese. Wenn ich nun dazu ubergehe, diese Hypothese selbst zu priifen oder richtiger gesagt die allgemeinen Voraussetzungen, die sie enthalt, um auch diese explizit zu machen, so stelle ich fest, da6 ich schon wahrend des Ganges der Untersuchung diese Voraussetzungen in verschiedener Hinsicht diskutiert habe. Im weitesten AusmaBe kann ich mich daher mit Hinweisen auf schon Gesagtes begniigen. 95. Die wichtigste Voraussetzung ist natiirlich das alte wohlbekannte Postulat des ,,rationellen Handelns". Der Gedanke ist ja, daB man eine Menge privater Unternehmer hat, die „rationell" handeln, indem sie ihren Gewinn zu maximieren suchen. Sobald der Geldzins unter die naturliche Rentabilitat sinkt, stiirzen sie sich auf diese Gewinnmoglichkeit. Dadurch kommt eine Veranderung der Einrichtung der Produktion (und im Falle unausgenutzter Produktionskapazitat auch des Produktionsvolumens) zustande als Ergebnis einer Rentabilitatsdifferenz. Ich war nun stets der Ansicht, daB diese Hypothese des ,,rationalen Handelns" in der okonomischen Theorie recht schlecht behandelt worden ist. Die Grenznutzentheoretiker haben sich ja angelegen sein lassen, sie mit einer ganzen popular-psychologischen Lust- und Unlustmechanik als Erklarung zu unterbauen. Die Erklarung sollte in dem allgemeinen „Gliicksstreben" liegen, das man in diesen Termen rationalisiert hat. Und da nun die Menschen nicht immer ganz „rational" sind, so sollte die Hypothese nur eine approximative Gultigkeit haben. Ganz abgesehen davon, ob eine solche ,,Erklarung" fur die iiblichen Beitrage zur Geldtheorie.
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Nachfrage- und Angebotskurven moglich ist, 1 so ist doch jedenfalls klar, da8 diese Grenznutzenumschreibung fiir die „Unternehmerrationalitat" vollkommen iiberflussig ist. Man behauptet ja nichts Merkwiirdigeres, als daB ein Unternehmer, der sowohl Debet wie Kredit in Geld rechnet — also eine Quantitat, nicht unmittelbar „Nutzen" oder „Grenznutzen" —, so handelt, daB er den grofiten UberschuB herausbekommt, ebenfalls in Geld. Warum nimmt man nicht diese Behauptung direkt als ein unter privatkapitalistischen Verhaltnissen durch gewisse institutionelle Tatsachen bedingtes behavior ? Was kommt es der okonomischen Theorie zu und was geht es sie an, daB es eine liberal-metaphysische Rationalisierung gegeben hat und noch gibt, die speziell dieses behavior fiir „rational" in einem tieferen Sinne erklart hat, um darauf eine soziale Apologie zu begriinden ? In welchem Grade gibt das eine fiir wissenschaftliche Zwecke notwendige theoretische Erklarung ? Warum kniipft man nicht direkt an die auf empirischer Basis arbeitende Disziplin „Betriebswirtschaftslehre" an ? Diese Voraussetzung erscheint also fiir WICKSELLS Hypothese nicht weiter gefahrlich, wenn man sie nur nicht allzu „tief" nimmt. GefahrHcher ist dagegen die Voraussetzung einer „freien Konkurrenz" in der speziellen Bedeutung, die zuvor aufgezeigt worden ist. Vor allem ist das ja ein offenbarer Mangel gegeniiber der Wirklichkeit, wenn man bei Gleichgewicht i0 als gleich hoch im gesamten Wirtschaftsleben annimmt. Weiter reagieren ja verschiedene Wirtschaftszweige gegeniiber einer gewissen Differenz zwischen i0 und i in verschiedener Weise. Beide Voraussetzungen sind jedoch fallengelassen worden dadurch, daB wir in der Gleichgewichtsformel an Stelle von i0 und i die beiden GroBengruppen c^ und r1 zusammengestellt haben und dazu die Realinvestierungselastizitat eingefiihrt haben, gedacht als eine prinzipiell meBbare behavioristische Reaktion des Realinvestierungsvolumens gegeniiber einer Rentabilitatsdifferenz von bestimmter GroBe. Danach sind auch die monopolistischen Elemente nicht mehr Fremdkorper in WICKSELLS Theorie (nach Einfiihrung des rein behavioristischen Begriffes der Investierungselastizitat entfallt natiirlich auch jede Spur einer Notwendigkeit fiir eine hedonistische Erklarungshypothese fiir das ,,rationelle Handeln"). Eine groBe Schwierigkeit fiir alle praktischen Analysen, die von WICKSELLS Theorie ausgehen, ist gewohnlich der Unterschied von Wirkungen auf lange und auf kurze Sicht. Diese Schwierigkeit kann jedoch prinzipiell dadurch iiberwunden werden, daB man die Investierungselastizitat mit Riicksicht auf den in Frage stehenden zukunftigen Zeitraum differenziert. Die Auflosung des WiCKSELLschen i in alle seine verschiedenartigen Elemente macht auch keine prinzipielle Schwierigkeit und setzt die Ausgangshypothese selbst nicht in Frage, besonders wenn die Relation i0: i ersetzt worden ist durch cx : rv Die Folge ist nur, daB wir mit Kombinationen von Kreditbedingungen zu arbeiten haben. 1
Vgl. hiezu „Das politische Element usw.". Kapitel IV.
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Ebensowenig liegt eine prinzipielle Schwierigkeit der WiCKSELLschen Theorie darin, wenn wir feststellten, daB alle sonstige Wirtschaftspolitik Wirkungen auf die Gleichgewichtslage hat, denn es ist klar, daB jede Anderung von Daten das i verandert, bei dem Gleichgewicht erreicht wird, ebenso wie den Inhalt des wirtschaftlichen Zustandes, der dann herrscht. Auch die interessante Frage der Indifferenzlagen ist an und fur sich keine prinzipielle Schwache der Theorie. Der Ausdruek „Indifferenzlage" deutet ja an, daB das Problem gerade in den Ausdrucken dieser Theorie gestellt wird. WICKSELL war ja selbst oft nahe an den verlockenden Fragestellungen der indifferenten Preisbildungslagen, obwohl er den Gedankengang nicht gerade in der Geldtheorie anwendete. Ein Problem, das dagegen im vorhergehenden kaum beriihrt worden ist, entsteht durch die internationale Komplikation. WICKSELLS Theorie gilt in erster Linie fur eine geschlossene Wirtschaft und ist fur eine allgemeine weltwirtschaftliche Analyse unmittelbar nur dann anwendbar, wenn die Konjunkturentwicklung in verschiedenen Teilen der Welt einigermaBen synchronisiert verlauft. In gewissem Grade ist das ja faktisch der Fall. Bei einer intensiveren Analyse nriissen jedenfalls internationale Verschiedenheiten beriicksichtigt werden. Eine prinzipielle Schwierigkeit, diese Differenzierung im Rahmen der WICKSELLschen Theorie zu bewerkstelligen, besteht jedoch nicht: man h a t nur mit Rucksicht auf die internationalen Kapitalbewegungen V in der Kapitalmarktsgleichung zu modifizieren und weiter naturlich i, E und alles andere zu analysieren fur internationale Verhaltnisse. Gerade der Umstand, daB WICKSELLS geldtheoretische Problemstellung sich in jedem Punkte korrigieren, differenzieren und komplizieren laBt im Hinblick auf die Forderungen, die sich bei einer Gegenuberstellung mit der Wirklichkeitsbeobachtung ergeben, macht diese Problemstellung wissenschaftlich so fruchtbar. Sie baut offenbar nicht — wie z. B. der klassische Produktionskostengrundsatz, um nur ein Beispiel zu nennen — auf bestimmten Voraussetzungen, die begrifflich notwendig sind, nicht fallengelassen werden konnen und daher den Weg fur eine fortschreitende, immer realistischere Analyse verbauen. 96. Wenn man absieht von dem Komplex Wahrheit—Wert, den WICKSELL als typischer Utilitarist naturlich in einem systematischen Dunkel lassen muBte, so hatte WICKSELL neben seiner Genialitat auch eine sehr klare und durchdachte Erkenntnistheorie: die beiden Forschereigenschaften arbeiteten iibrigens ideal zusammen; denn es waren seine erkenntnistheoretischen Einsichten, die trotz der wertmetaphysischen Vernebelung das Feld fur seine geniale Intuition freihielten. Er charakterisierte seine Geldtheorie stets als eine Hypothese. Etwas anderes kann eine abstrakte Konstruktion dieser Art auch nie sein. — Aber was ist dann eigentlich der Sinn eines solchen, bewuBt hypothetischen, weitlaufig ausgebauten abstrakten Idealisationsmodells ? Man wird es richtig zu charakterisieren haben als ein theoretisch korreliertes System von Fragestellungen an das Beobachtungsmaterial. Es ist eine Art der Organisation der Beobachtung, bezeichnet ein Element 31*
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des Begreifens im Wissen. Nur rohe Beobachtungen geben keine richtige Erkenntnis. Ohne eine durchdachte Theorie, die Beobachtungen organisiert, wird die Erkenntnis notwendig grob falsch, weil sie dann gewohnlich in eine unkontrollierte, meist gar zu einfache Theorie eingeordnet wird. Abstrakte Theorie ist dergestalt immer und notwendig a priori gegeniiber festgestellten ,,Fakten" und ,,Gesetzen". Letztere existieren iiberhaupt fur die Wissenschaft nur durch hypothetische Theorie. (Ob sie dariiber hinaus eine andere Art von Existenz haben, ist zum Gluck nicht Aufgabe der Spezialwissenschaft zu entseheiden.) Die Haupttermen der theoretischen Forschung sind daher „Problem" und ,,Hypothese", nicht ,,Tatsache" und „Gesetz". Prinzipiell hat jeder Aussagesatz seinen Bedingungssatz, auch wenn er in einer logischen Abbreviation vorliegt. Das Ideal der abstrakten Theorie ist daher der vollkommene logische Zirkel. Deshalb kann sie keine materiale Kenntnis der Wirklichkeit enthalten. Dieser Apriorismus, von dem man nicht loskommt, muB in den Sozialwissenschaften gegenwartig stark unterstrichen werden. Dabei muB man jedoch ebenso nachdriicklich hervorheben, daB diese Art von Apriorismus nicht ohne weiteres eine Verteidigung der alten common-sensededuktiven absolutistischen Theorie ist, die prinzipiell nicht darauf aus war, korrelative Fragestellungen zu liefern, sondern sogenannte allgemeine Zusammenhdnge zu konstatieren. Beide wissenschaftstheoretischen Fronten — gegen den naiven Empirismus und gegen den absolutistischen Theoretismus — miissen klargehalten werden. 97. Urn mit dem ersteren zu beginnen, so muB man bei dieser methodischen Einstellung bedauern, daB die an und fiir sich so wohlberechtigte institutionalistische Reaktion in Amerika gegen das absolutistische Theoretisieren der sterilen nach-CLARKschen Periode zuweilen gar mit ausgesprochener Absicht das Unmogliche in Angriff nimmt: zu beobachten und Antworten zu geben, ohne klar und korrelativ zu fragen. Naturlich fragen diese Forscher, naturlich haben sie aprioristische abstrakte Theorie. Oft fragen sie sogar sehr intelligent, aber es muB hervorgehoben werden, daB die in den Fragestellungen notwendig enthaltene Theorie nicht deshalb einen groBeren Anspruch auf Glaubwiirdigkeit hat, nur weil sie nicht anders ausgewiesen wird, als implizite in den „Ergebnissen". Die implizierte Theorie schleicht sich also an der ersten Kontrollstation vorbei, an der unerschiitterlichen logischen Forderung nach innerer Widerspruchsfreiheit. Eine kritische Einstellung gegemiber der alten klassischen Schule mit ihrer deduktiven oder „intuitiven" Konstatierung allgemeiner Gesetze muB zu einer um so scharferen Durchfuhrung des Erfordernisses der Vollstandigkeit, Klarheit und Korrelativitat beziiglich der in der abstrakten Theorie enthaltenen Systeme von Hypothesen, d. h. Fragestellungen fiihren. —• Es ist ein anspruchsloser Versuch in dieser Richtung, der in dieser Arbeit vorgelegt worden ist. Aber obgleich die abstrakte Theorie von diesem Gesichtspunkt aus aprioristisch ist, hat sie doch gleichzeitig eine empirische Ankniipfung. Darin liegt die ganze Schwierigkeit. Experiment und Beobachtung sind
Der GleichgewicMsbegriff als Instrument der geldtheoretischen Analyse.
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gleichwohl letztlich souveran. Schon die „Voraussetzungen" der Theorie werden ja standig dem Kriterium unterworfen, ob sie der Wirklichkeit entsprechend sind, d. h. ob sie sich widerspruchsfrei mit unseren Vorstellungen von der Wirklichkeit vereinigen lassen. Die theoretische Kritik sehreitet so auf zwei Wegen voran: Korrelativitat innerhalb und urn die Idealisationsmodelle. Und je nachdem wie die abstrakte Theorie differenziert, kompliziert und verifiziert wird, enthalt die Hypothese immer mehr und mehr Empirie, die Fragestellungen enthalten schon Elemente von Antworten. 98. Das Dilemma des naiven Empirizismus ist klar. Fur gewohnlich ist auch sein Programm gar nicht so ernst gemeint und nur als ein Protest gegen die alte klassische, common-sense-deduktive okonomische Theorie formuliert, die allgemeine Gesetze konstatieren wollte, statt korrelative Systeme von Fragestellungen zu konstruieren. Die folgenden Zeilen versuchen nun, die andere wissenschaftstheoretische Front klarzustellen, die wir im Auge haben, die nicht gegen den modernen Institutionalismus geht, sondern gegen den klassischen Epigonismus. Es ist namlich recht merkwiirdig zu beobachten: die wissenschaftliche Richtung, zu der sich der Verfasser dieser Arbeit nicht zahlt, die abstrakte Theorie mit sehr viel ambitioseren Priitentionen treibt, als nur moglichst klare und vollstandige Fragestellungen an die Empirie zu liefern, schafft zuweilen eine Illusion von „Realismus", rationalisiert in dem alten vernunftigen Gedanken, daB, wie man zwei Beine zum Gehen braucht, man auch in der Wissenschaft eine Zusammenarbeit von ,,Deduktion" und „Induktion" braucht. Allzu oft muB die „Induktion" dabei aber bei „praktischen Beispielen zur Beleuchtung des Gedankenganges" stecken bleiben, und damit ist man, oft ohne es zu wissen, in dem theoretischen Absolutismus, wo man auf „deduktivem" Wege allgemeine Gesetze konstatiert, die man nachher mit ausgewahlten Beispielen illustriert. Und im letzteren liegt dann der ganze Realismus. Die Evidenz ist systematisch selektiv. Die ,,praktischen Beispiele" mogen brauchbar sein bei einer popularen Darstellung fur einen wissenschaftlich nicht geschulten Leserkreis, dem man durch psychologische Assoziation oder geradezu durch Suggestion Gedankengange nahebringen will, die sie sonst nicht begreifen. Hier spreche ich nur von den Methoden der wissenschaftlichen Forschung, wo solche Beispiele wenigstens nicht mit dieser Begriindung gerechtfertigt werden konnen. Die psychologische Assoziation bezeichnet ja vielmehr in der Forschung die eigentlichen Abwege, die Verbalismen. Eine wirklich empirische Verifikation der abstrakten Theorie sieht ganz anders aus: dabei wird die Reichweite der. Schliisse logisch durch explizite Untersuchungspramissen begrenzt und man strebt den hochstmoglichen Grad von Vollstandigkeit an, den man fiir die beschriebenen Beobachtungen erreichen kann. Betrachtet als wissenschaftliche Empirie sind die praktischen Beispiele nur ein verwerfliches Zerrbild. In der abstrakten Analyse sind sie ebensowenig von Nutzen, da sie gerade durch ihren scheinbaren Realismus vollstandige und adaquate
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Aufweisung der Pramissen verhindern statt sie zu befordern. Gerade dadurch machen sie es moglich, da8 die theoretischen Behauptungen nicht in ihrer prinzipiellen Willkurlichkeit erkannt werden und einen soheinbaren Inhalt • von Wirklichkeitserkenntnis bekommen, ein Gedanke, der ja iiberhaupt ganz unhaltbar ist. Wenn ich also im vorhergehenden, wo ich einen Gedankengang logisch durch ein Beispiel habe klarmachen wollen, meine Beispiele ganz abstrakt konstruiert habe, so ist das ganz absichtlich geschehen. Die Forschungsmethode der praktischen Beispiele wie der historischen Parallelen scheint mix in eine Epoche unserer Wissenschaft zu gehoren, die seit langem iiberwunden sein sollte: die Methode ist ebenso unbefriedigend als Empirie wie sie hinderlich ist fiir theoretische Klarheit. Eine theoretisch durchdachte empirische Analyse einer aktuellen Lage sieht ganz anders aus. Es ist auch bezeichnend fiir WICKSELLS erkenntnistheoretische Klarheit, daB er diese billige Methode von „Realismus" stets verschmahte. 99. Aber dennoch gibt es eine Erklarung, wenn auch nicht eine Rechtfertigung fiir die „Methode der praktischen Beispiele", sie liegt in dem heuristischen Gesichtspunkt. Rein psychologisch spielen namlich die praktischen Beispiele in der Forschung eine Rolle als Vermittler eines common-sense-Elementes, dessen die soziale Forschung bedarf, wenn es auch erst bereinigt werden muB. Es liegt ja so, daB wir ununterbrochen Voraussetzungen wahlen milssen auf Gebieten, fiir die ein in befriedigender Weise organisiertes und kontrolliertes Beobachtungsmaterial nicht vorliegt oder vielleicht mit unserer gegenwartigen Beobachtungstechnik iiberhaupt nicht zu beschaffen ist (z. B. was die Vorstellungen der Unternehmer iiber die Zukunft betrifft). Hier kommt ein common-sense-Element herein: die Konstruktion baut auf einer sehr bunten, induktiven Allgemeinerkenntnis der sozialen AuBenwelt. Solche Art von common-sense beherrscht faktisch einen groBen Teil unserer ganzen Hypothesenbildung; und die Genialitat eines groBen Forschers wie WICKSBLL liegt in dem treffsicheren common-sense, der ihn durch ein zuweilen recht unklares Denken dennoch zu Fragestellungen fiihrt, die sich als wissenschaftlich relevant erweisen. Jedoch ist es gerade dieses common-sense-Element in der okonomischen Theorie, das eine strenge und wissenschaftstheoretisch klare kritische Analyse zu einer unabweisbareren Forderung macht. I n den meisten Fallen ist namlich dieser common-sense in so vielen unbewuBten volitiven Elementen begriindet, die zum mindesten ausgesprochen werden miissen, wenn sie nicht die theoretische Klarheit beeintrachtigen sollen. Ferner hat jeder common-sense seiner Natur nach eine absolutistische Tendenz, d. h. er ist unwissenschaftlich. Durch common-sense denkt man nicht ununterbrochen in willkurlichen Fragestellungen, sondern in fast unmittelbaren Antworten. Dieses common-sense-Element hat also seinen Grund, seine Erklarung und eine gewisse Rechtfertigung in einem tatsachlichen Mangel
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an Moglichkeiten einer vollwissenschaftlichen Empirie auf gewissen Gebieten, die oft Zwischenglieder der theoretischen Argumente bezeichnen. Es ist daher selbstverstandlich, daB bei ihrer Priifung die rein abstrakte Kritik das einzige Mittel ist. Die kritische Richtung in der Nationalokonomie hat daher auf dem Felde der Abstraktion ihre Hauptaufgabe darin, all die in der abstrakten Theorie enthaltene c ommon-senseErkenntnis ununterbrochen und schonungslos an den Tag zu ziehen. Wenn sie explizit gemacht wird, dann wird sie dadurch zur Hypothese. Das common-sense-Element kann nicht ganz ausgeschaltet werden, denn dann wiirde unsere Fragestellung jeden rationellen Zusammenhang mit der Wirklichkeit verlieren oder richtiger gesagt, sie wiirde ganz willkiirlich werden. Aber es kann an den Tag gezogen und von aller Metaphysik, popularen Oberflachlichkeit und hineinvermengten direkten Fehlschliissen bereinigt werden. Dadurch wird iibrigens auch die meistens vom common-sense beherrschte wissenschaftliche Intuition selbst fruchtbarer. AuBerdem wird es klar, wo und wie man durch Spezialforschung auf verschiedenen Gebieten doch den common-sense durch empirische Forschung ersetzen kann. Auf dem Gebiete der Empirie muB naturlich mit den so bereinigten Fragestellungen die Beobachtung des Materials organisiert werden. Diese empirische Forschungsarbeit ist naturlich das Wichtigste. Wer wie der Verfasser dieser Arbeit das Ideal der abstrakten Theorie in einem fehlerfreien, geschlossenen logischen Zirkel sieht — doch so, daB die Zirkelkonstruktionen bei der empirischen Arbeit moglichst anwendbar werden — kann sich jedenfalls nicht einem ubermaBigen Glauben hingeben, durch abstrakte Forschung wirkliche Erkenntnis zu liefern.
Das Valutaproblem in den skandinavischen Landern.1 Von KNUT WICKSELL. (Aus dem Schwedischen iibersetzt von
JOHANNA MORGENSTEKN,
Wien..)
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Vor einiger Zeit wurde ich von Professor DAVIDSON ersucht, etwas iiber die letzte Valutasteigerung in Danemark und Norwegen zu schreiben. Etwas zu hastig iibernahm ich diesen Auftrag. Als ich namlich einleitend die Frage der Preissteigerung und der Preissenkung wahrend dem Kriege und nachher behandeln wollte, wurde ich von einem starken Zweifel befallen, der mich ubrigens schon fruher beschaftigt hat, namlich, inwiefern die Erklarung der Preisbewegungen, welche wir NationalQkonomen, besonders hier in Schweden, in seltener Ubereinstimmung annahmen, sich schlieBlich nicht als — ich will nicht sagen fehlerhaft —aber doch unvollstandig zeigen wiirden und ob nicht die Praktiker trotz verschiedener offensichtlich unrichtiger und unlogischer Vorstellungen in gewisser Hinsicht das in Frage kommende Phanomen klarer gesehen haben als wir. Die Behandlung dieses Problems hat nun unerwartet einen, in Anbetracht des vorliegenden Themas, ganz unverhaltnismaBigen Umfang erreicht, wofur ich urn Entschuldigung bitte. Die hauptsachlichste Streitfrage war einerseits die Bedeutung der Warenknappheit fur die Preissteigerung und anderseits die Rolle, welche das Aufhoren der Warenknappheit vor der darauffolgenden Preissenkung gespielt hat. Das Vorhandensein einer solchen Warenknappheit wahrend dem Kriege kann ja in keiner Weise bestritten werden. I n den kriegfuhrenden Landern kam sie schon dadurch zustande, daB ein groBer Teil der arbeitsfahigen Bevolkerung zu den Fahnen oder in die Munitionsfabriken gerufen wurde. Der Mangel an gewohnlichen Konsumwaren, der dadurch entstand, konnte wohl notdiirftig eine Zeitlang aus den bei Kriegsbeginn befindlichen Lagerbestanden, welche besonders in Deutschland sehr groB waren, oder in den Ententelandern durch Wareneinfuhr von auswarts behoben werden; aber nach und nach, als der Krieg anhielt und seine Ausdehnung zunahm, wurde dies naturlich immer schwerer. I n den neutralen Landern hatte die Warenknappheit einen mehr abgeleiteten Charakter, der teils auf den Importschwierigkeiten, teils auf dem beschleunigten Export in 1 [Dieser Aufsatz erschien ursprunglich in schwedischer Sprache in der Ekonomisk TidskriJt, 1925, Helt 10—11.]
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die kriegfiihrenden Lander beruhte. DaB sie aber aucb in diesen neutralen Landern allmahlich sebr fuhlbar wurde, ist uns alien wohlbekannt. I n welcher Art und in was fur einer Weise dieser Warenknappheit nach FriedensschluB abgehoKen wurde und zum SchluB aufhorte, ist wohl ein reichlich dunkles Kapitel, auf welches ich noch zuruckkommen werde, aber iiber die Tatsache selbst, daB ihr, im Vergleich zum Kriege, in den meisten Landern ganz bedeutend abgehoKen wurde und in manchen mehr als abgeholfen wurde, kann ebensowenig Zweifel herrschen. Die Praktiker glauben in dieser Warenknappheit den wichtigsten, um nicht zu sagen den einzigen Grund der Preissteigerung zu sehen, zumindest in den Landern, welche ihre Valuta wahrend dem Kriege nicht vollig zerstorten und ebenso in dem Aufhoren der Warenknappheit die Hauptursache des starken Preissturzes einige Zeit nach dem Kriege, die Vermehrung der Umsatzmittel und ihre spatere Verminderung ware daher nur eine Folge und eine beinahe unvermeidliche Folge der schon eintretenden Preissteigerung bzw. Preissenkung gewesen. Die Theoretiker dagegen versuchten geltend zu machen, daB die Warenknappheit an und fiir sich hochstens einen, mit dieser proportionellen, also in den meisten Fallen wenig bedeutenden Teil der Preissteigerung verursacht haben kann. Wurde sich die Summe der Umsatzmittel pari passu mit der Warenknappheit vermindert haben, so wurde, schlieBt man, iiber haupt keine Preissteigerung entstanden sein. Bei unveranderter Geldmenge wieder muBte allerdings eine Preissteigerung entstehen, aber, wie gesagt, nur eine proportionelle, also in den am wenigsten heimgesuchten Landern, nur von 10 oder 20%. Da inzwischen die tatsachliche Steigerung bis zu mehreren 100% ging, so muB die Hauptursache „auf der Geldseite" bei einer allzu liberalen Kreditpolitik der Banken, besonders der Notenbanken, gelegen sein und das vor allem gegemiber den Anspruchen der Regierungen. I n dem Lande, in dem man es am wenigsten erwartet hatte, in England, befaBte sich ja iibrigens die E-egierung selbst damit, Banknoten herzustellen. Die beiderseitigen Beweisgriinde erhalten vielleicht ihren pragnantesten Ausdruck in einem Abschnitt aus G. CASSELS bekannten Buch ,,Das Geldwesen nach 1914", 1 den ich mir zu zitieren erlaube: „Als man dieses ausschlaggebende Moment hervorhob (daB der treibende Faktor in der Preissteigerung das war, was wir Inflation nennen), wurde von seiten der Banken gewohnlich geantwortet, daB sie nicht die Nachfrage zuriickhalten konnten. Als sich die Warenknappheit verscharfte, hielt das Publikum um so hartnackiger an seinen Lebensansprtichen fest und kaufte, trotzdem die Preise stiegen. Das Publikum war, so meinte man, bei diesen Kaufen durchaus nicht an seine laufenden Einnahmen gebunden, sondern konnte seinen Bankguthaben so viel Barmittel, wie es nur wollte, entnehmen und sich damit die Kaufkraft verschaffen, die es zum Wareneinkauf — selbst bei stark erhohten Preisen — benotigte. Diese Erklarung hat etwas reeht Bestechendes fiir sich, so dafl es angebracht erscheint, der Aufklarung 1
1925,
Erschienen im Marz 1922 [deutsche Ubersetzung von WOLFGANG BIERMER, Leipzig S. 46].
Das Valutaproblem in den skandinavischen Landern.
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dieses Irrtums einige Worte zu widmen. Die Depositen des Publikums bei den Banken sind ja in der Eegel fur gewerbliche Zweeke ausgeliehen. Wenn das Publikum einen Teil dieser Gutbaben kiindigt, um sich eine zusatzliche Kaufkraft zu verschaffen, dann muB eine entspreohende Menge Geldmittel aus dem Erwerbsleben gezogen werden. Dadurch wird die Kaufkraft der TTnternehmer und letzten Endes auch die der Arbeitnehmer geringer, so daB eine Steigerung der Gesamtkaufkraft, uber welche die betreffende Wirtschaft verfiigt, nicht eintritt. Eine Erhohung der Gesamtkaufkraft wird nur dann hervorgerufen, wenn die Banken von sich aus neue Zahlungsmittel sohaffen, um die Einlagen zuriickzahlen zu konnen, welche das Publikum zuruekfordert, d. h. also keine Einschrankung in ihrer Kreditgewahrung an die Wirtschaft vornehmen, wie sie eigentlich aus solchen Abhebungen des Publikums hatte resultieren miissen. Aber damit stehen wir inmitten eines reguliiren Inflationsprozesses, der als unausbleibliche Folge ein Anwaclisen der Preise nach sich zieht."
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Die Schwache dieser Beurteilung sowohl von CASSELS Seite als auch vielleicht bei den Vertretern der Ansicht, die er bekampft, scheint mir in einer unklaren Auffassung des Begriffes Kaufkraft zu liegen. Da es sich hier nur um eine geldliche Kaufkraft handelt, so muB man sich sagen, daB eine allgemeine Preissteigerung auf den Warenmarkten und den Markten fiir Dienstleistungen aus sich selbst heraus die Kaufkraft schafft, welche erforderlich ist, um die erhohten Preise zu bezahlen. Ware die Preissteigerung ganz gleichformig, so wiirde jedermann in seiner Eigenschaft als Verkaufer von Waren oder als Uberbringer von Dienstleistungen in den Besitz genau dieser Kaufkraft kommen, welche er in seiner Eigenschaft als Kaufer braucht. Ist die Preisbildung mehr unbestandig —• was tatsachlich wahrend des Krieges in hohem Grade der Fall war — so bekommt naturlich der eine mehr, der andere weniger, aber die Summe der Kaufkraft wird noch immer fur den Zweck ausreichend sein und braucht daher keinen ZuschuB von seiten der Banken. Allerdings reicht diese geldliche Kaufkraft, wie groB sie auch sein mag, nicht aus, um auch nur im Durchschnitt jedem die Warenmenge zu verschaffen, welche er zu verbrauchen wiinscht, denn in solch einem Palle wiirden ja alle zusammen mehr Waren erhalten, als es auf dem Markte gibt, was unsinnig ware, aber das ist es ja gerade, was die Preissteigerung hervorruft. Die so entstandene geldliche Kaufkraft reicht in jedem Pall aus, die Preissumme, welche tatsachlich fur die vorhandenen Waren und Leistungen gefordert wird, zu bezahlen. Was ferner erforderlich ist, sind vielmehr einzig vermehrte Umsatzmittel. Wiirden alle diese Zahlungen mittels Schecks vor sich gehen, so wiirde diese Zunahme in der Tat rein automatisch erfolgen, alle Anweisungen an die verschiedenen Bankkonti mit darauffolgenden Ubertragungen von Konto zu Konto wiirden, wenn die Preise stiegen, in immer hoheren Betragen geschehen, ohne daB jedoch anfangs die durchschnittliche GroBe oder die Summe dieser Konti irgend eine Vermehrung erfahren wiirde — nach und nach wiirden sie allerdings unliebsam klein werden im Verhaltnis zu dem erweiterten (monetaren) Umfang des Umsatzes und eine Verstarkung erfordern, welche unbedingt eine erhohte
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Beanspruchung des Bankkredites voraussetzt — aber anderseits wird die Bewegung der Ein- und Auszahlungen der Banken mehr oder weniger automatisch anschwellen, wenn die Preise steigen. Werden hingegen Umsatzmittel auBerhalb der Banken gebraucht, d. h. Banknoten (und Kleingeld), so werden natiirlich bei einer Preissteigerung die Notenbanken fur eine erhohte Emission von Banknoten (und Kleingeld) in Anspruch genommen werden. Wenn diese sich nun glatt weigern wiirden ihren Banknotenfonds zu vergroBern, so wiirden sie allerdings einen lastigen Mangel an Umsatzmitteln hervorrufen und dadurch die Preissteigerung ohne Zweifel in gewissem Grade mafiigen, daB sie aber geradezu die Preissteigerung verhindern konnten oder die Preise zu ihrem Ausgangspunkt zuruckfiihren konnten, scheint nicht wahrscheinlich. Erstens konnte man ja dann — wie es in den Vereinigten Staaten wahrend der Krise 1907 geschah •— in fast jedem beliebigen Umfang zu Schecks und Giroverkehr iibergehen, und wenn auch die Privatbanken sich weigern wiirden ihre Kredite zu vergroBern, so konnte eine erhohte Umlaufsgeschwindigkeit sowohl bei Banknoten als auch bei Giroumsatzen die unzureichende Menge notdiirftig ersetzen. Nach einer Angabe von BOKTKIBWITSCH im Verein fiir Sozialpolitik 1 soil die Preissteigerung in Deutschland sich zu guter Letzt — wenn ich mich recht erinnere — auf das 37fache der Vermehrung der Notenmenge belaufen haben. Dies geschah allerdings unter dem Druck auBerst abnormer Umstande, aber eine zwei- bis dreifache Vermehrung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gegeniiber der normalen stoBt vielleicht auch bei geordneten Verhaltnissen auf keine unubersteigbaren Schwierigkeiten. Die ganze Quantitatstheorie beruht bekanntlich auf dem Grundsatze, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu jedem Zeitpunkt eine annahernd konstante GroBe ist, und die Begrundung fiir diese These liegt in. der Annahme einer gewissen Gleichformigkeit unserer Zahlungsgewohnheiten. Eine solche besteht auch ganz gewiB, wenn sie aber mit dem wahrscheinlich viel kraftigeren Konservati&mus in unseren Lebensgewohnheiten in Streit gerat, so scheint es nicht zweifelhaft, welche dieser Richtungen Oberhand gewinnen diirfte und dies obwohl, oder besser gesagt, gerade weil der herkommliche Konsumbedarf nicht langer befriedigt werden kann. A fortiori muB sich eine bloBe Erschwerung des Kredites durch erhbhten ZinsfuB zur Verhinderung der Preissteigerung in diesem Falle als unwirksam erweisen: ein erhbhter ZinsfuB ist allerdings beinahe ein untriigliches Mittel, die Nachfrage nach Kredit von seiten der Unternehmungen zu verringern, aber schwerlich wirkt er im selben Grad auf den, der auf Grund des erhohten Umsatzvolumens nur seinen Kassenbestand zu verstarken wiinscht. Es diirfte also nicht geleugnet werden konnen, daB die Voraussetzung: Warenknappheit als erste Ursache zur Preissteigerung zu einer ganz anderen Problemstellung fuhrt als diejenige, mit der die Geldtheorie sich 1
Schriften des Vereines liir Sozialpolitik 170 (1924).
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bisher beinahe ausschlieBlich beschaftigt hat. 1 Unter normalen Verhaltnissen, wenn die Produktion und der Verbrauch von Waren in beinahe unveranderten Verhaltnissen vor sich geht, kann eine Preissteigerung — abgesehen von den Wirkungen einer abnorm erhohten Goldproduktion —• eigentlich nur durch eine allzu liberate Kreditgewahrung von seiten der Banken hervorgerufen werden, wodurch die Unternehmungen sich mit einer vermehrten geldlichen Kaufkraft versorgen konnen, welche nicht langer der entspricht, auf welche durch freiwilliges Sparen gleichzeitig Verzicht geleistet wird. In diesem Falle liegt die Abhilfe offenbar in einer Zuriickhaltung der Kredite, z. B. durch eine Erhohung der Zinssatze fur Ausleihungen, wodurch die Kreditnachfrage sich verringert und vielleicht gleichzeitig eine Ermutigung zum Sparen gegeben wird. Hier wieder handelt es sich nicht um irgend eine neue Kaufkraft — denn diese wird, wie gesagt, ohne weiteres durch die Preissteigerung selbst geschaffen — ein relativer Mangel an Umsatzmitteln wieder kann allerdings die Zahlungen bei den hohen Preisen mehr oder minder erschweren, aber ganz verhindern kann er sie nicht, wenn nur die Kaufkraft selbst vorhanden ist.
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Wiirde es sich um einen wirklichen, physischen Markt, z. B. um einen Jahrmarkt handeln, wo die Leute der umliegenden Ortschaften ihre Produkte austauschten, so konnte, sagen wir, ein aufkommendes Gerticht uber verhinderte Zufuhr in Zukunft eine vermehrte Nachfrage nach alien Waren und eine allgemeine Preissteigerung verursachen. Dazu ist es nattirlich nicht notig, daB die Menge des auf dem Markte befindlichen materiellen Geldes sich vermehrt hatte, sondern das Eesultat ware nur, daB am letzten Markttag, wenn alle Geschaite beglichen werden, Forderungen und Schulden in groBerem AusmaB als gewohnlich gestrichen werden, und daB das vorhandene Geld gleichzeitig einen rascheren Umlauf bekame—-was jedoch nicht hindert, daB im gewohnlichen Fall das mitgebrachte Geld in einem ziemlich konstanten Verhaltnis zu dem erwarteten Umsatz stehen diirfte. Es ist allerdings wahr — und dies sollte in gewissem Grade fiir Ansicht sprechen — daB auf Grund des intimen Zusammenhanges zwischen Geld- und Kapitalmarkt jede Vorkehrung der Banken, die dazu geeignet ist, die Unmenge der Umsatzmittel einzuschranken, gleichzeitig abschreckend auf die Nachfrage der Unternehmungen nach Kredit (und aufmunternd fiir die Sparer) wirken muB, welche selbstverstandlich pro tanto einen Impuls nach der Richtung einer Preissenkung in sich tragt. Die Starke dieser entgegenwirkenden Richtung diirfte jedoch unter den angenommenen Voraussetzungen nicht uberschatzt werden, und es ist sicher, daB, wenn sie iiberhaupt soil wirken konnen, die kreditabschwachenden Vorkehrungen ganz am Anfang der Preissteigerung vorgenommen werden muBten. Nachher diirfte es zu spat sein, denn wie sollte die Zinssteigerung um einige wenige Prozente pro Jahr auf die UnterCASSBLS
1 Dieses Ubersehen —• wenn es ein solches ist —- ist um so bemerkenswerter, da, wie ja alle Nationalokonomen wohl wissen, die Knappheit einer bestimmten Ware, z, B. Getreide, zu einer weit mehr als entsprechenden Preissteigerung dieser Ware fiihren kann. Im allgemeinen nimmt man hier an, daB der Geldprels der iibrigen Waren im entsprechenden Grade fallt, aber irgend ein tatsachlicher Beweis daJiir ist mir nicht bekannt.
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nehmungen abschreckend wirken konnen, die schon angefangen haben, mit einer fortschreitenden Preissteigerung von vielleicht ebenso viel Prozenten pro Monat zu rechnen ? Es ist daher anderseits einfach unlogisch, wenn die Bankleute wahrend des Krieges, als Grund gegen eine Erhohung der Zinssatze anzufuhren pflegten, teils, daB eine solche Erhohung nicht imstande gewesen ware, die Preissteigerung zu verhindern, teils, daB die hbheren Zinsen dem ,,legitimen Geschaftsleben" geschadet hatten. Es ist klar, daB das eine dieser Argumente das andere entzweischlagt. Gerade in dem MaBe, in dem eine Zinssteigerung nicht vollkommen die Preissteigerung aufhalten konnte, konnte sie ja auch nicht schadlich sein, weder fur das legitime noch fiir das illegitime Geschaftsleben — sondern hatte nur dazu beigetragen, deren iibermaBig hohen Gewinne ein wenig zu verringern. Aber sollte jemand fragen konnen, unter der Annahme der obgenannten Pramisse — ich erlaube mir hier zu betonen, daB ich keine Garantie fiir deren Richtigkeit iibernehme, sondern sie selbst hypothetisch im Vertrauen auf das Urteil praktischer Manner akzeptiert habe — wie sollte da, abgesehen von einer Ruckkehr zu normalen Verhaltnissen in bezug auf Produktion und Verbrauch von Waren, ein Preisgleichgewicht iiberhaupt zustande kommen ? Es ist nicht leicht darauf zu antworten. Wenn neuer Kredit vollkommen verweigert wird, so muB naturlich das Preisgleichgewicht zuletzt entstehen, wenn die Spannung zwischen Preisniveau und Menge von verfiigbaren Umsatzmitteln so groB geworden ist, daB sie der Tendenz nach einer neuen Preissteigerung vollkommen entgegenarbeitet. Stellen hingegen die Banken, wenn auch unter harteren Bedingungen, Umsatzmittel zur Verfugung, so mag es scheinen, als ob, theoretisch gesehen, die Preissteigerung immer fortschreiten wurde, denn diese kann ja nicht eher aufhoren, als bis das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Waren erreicht ist, und das geschieht nie, solange ein allgemeines Bestreben vorhanden ist, einen Verbrauch aufrecht zu erhalten, der physisch unmoglich zufriedengestellt werden kann. Aber selbst dieses Bestreben muB zu guter Letzt aufhoren. Bei ununterbrochener Warenknappheit wird das Publikum selbstverstandlich nach und nach angesichts des Unvermeidlichen resignieren und von dem Versuch, seinen Lebensstandard auf den ehemals normalen zu erhohen, Abstand nehmen. Damit wurde Angebot und Nachfrage neuer dings auf diesem niedern Niveau in Einklang kommen und irgend ein AnlaB zu einer weiteren Preissteigerung ware nicht mehr vorhanden. Aber soweit der Warenmangel auch die Lebensbedurfnisse umfaBte, wiirde dies bei freier Konkurrenz nicht ohne schwere Leiden fiir die armeren Klassen ablaufen konnen, da die besser Situierten naturlich trotz der Knappheit ihren Bedarf an den wichtigsten Lebensmitteln vollkommen befriedigen werden konnen. Dafiir war die Rationierung ganz gewiB eine segensreiche Einrichtung und hatte meiner Meinung nach einen noch groBeren Umfang annehmen konnen; sie hatte z. B. auch die Brennstoffe einschlieBen konnen, was indirekt als eine Rationierung der Wohnungen gewirkt
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haben wiirde, so daB das Mietgesetz — welches keine wie immer geartete Rationierung in sich schlieBt — vielleicht uberfliissig gewesen ware. Wie schwer indessen eine derartige Resignation in der Tat ist, diirfte jeder, der wahrend des Krieges, bisweilen vielleicht auBerhalb der Markzeichen der Gesetzlichkeit, einem Kilo Butter, einem Kilo Roggenkaffee oder einem Sack Kartoffeln nachjagte, zur Geniige bezeugen konnen. Tatsachlich horten die Preise ja auch nicht vor dem Waffenstillstand und nicht einmal da definitiv zu steigen auf. II.
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Ich habe im vorhergehenden nach alter Gewohnheit hauptsachlich so gesprochen, als ob es die Verhaltnisse in Schweden betrafe. Tatsachlich trifft jedoch die oben erwahnte Schilderung, soweit sie im iibrigen richtig ist, unmittelbar nur fur die kriegfiihrenden Lander zti, die unter alien Umstanden als Ausgangspunkt der Preissteigerung betrachtet werden miissen. Dort war es, wie erwahnt, die starke Nachfrage der Regierung nach Waren und Leistungen fur Kriegszwecke, welche direkt die Knappheit an Rohprodukten und Arbeitskraften fur die burge-iliche Produktion hervorrief, welche zufolge der mehrmals erwahnten Hypothese selbstandig eine allgemeine Preissteigerung hatte hervorrufen miissen. 1 DaB diese sich in hohem Grad dadurch verscharfte, daB die Regierungen — welche keine Waren zu verkaufen hatten und folglich standig neue Kaufkraft brauchten •— sich diese nicht von Anfang an, sei es durch Steuern oder durch eine Volksanleihe zu entsprechend hohem ZinsfuB — sagen wir mit 12 oder 15 Prozent •—• verschafften, sondern sich die neue Kaufkraft statt dessen teils direkt durch die Notenpresse (wie in England), teils durch eine Anleihe bei den Notenbanken zu einem nur nominellen ZinsfuB (wie in Frankreich, Deutschland und anderen Landern) und erst dann bei der Allgemeinheit, d. h. hauptsachlich bei den ,,Kriegsgewinnern", und auch diese zu einem durch vorangehende Manipulationen kunstlich niedergedriickten ZinsfuB verschafften — braucht wohl nicht bezweifelt werden. Was hingegen die neutralen und besonders die skandinavischen Lander betrifft, so muB man sagen, daB dort die Preissteigerung — trotzdem sie gleich groB und sogar noch groBer wurde als in mehreren der kriegfiihrenden Lander, z. B. in England und Amerika — doch im wesentlichen ein indirektes und abgeleitetes Phanomen gewesen sein diirfte, was wohl am einfachsten damit bewiesen wird, daB es wahrscheinlich nur durch die sogenannte Goldsperre (im Pebruar 1916) und durch das Herunterdriicken der auslandischen Wechselkurse unter pari moglich war, ein noch starkeres Steigen unseres Preisniveaus, als es schon eintrat, zu 1 Man konnte, wenn man wollte, die Sache so vereinfachen, daB man sich die game waHenfilhrende oder arbeitsfahige BevQlkerung der Reihe nach einige Wochen im Jahr auf eigene Kosten an der Front, respektive ohne Entschadigung in den Waffenfabriken diensttuend denkt, wodurch ein im entsprechenden Grade vermindertes Angebot von Arbeitskraften (und teilweise verminderten Kapital) lur die herkommliche Produktion von Lebensmitteln noch ubrig bleiben wiirde.
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verhindern. Hatten die skandinavischen Lander wahrend des Krieges den Goldstandard beibehalten, wozu sie ohne Zweifel fahig waren und worauf zu Kriegsbeginn von norwegischer Seite aus bestanden wurde, so ware es uns unmoglieh gewesen, eine Preissteigerung und sogar eine recht bedeutende zu verhindern. 1 Das Ausland hatte dadurch, daB es Gold hieher schickte, nach Belieben Banknoten bei der Reichsbank beheben und sich damit unsere Waren erzwingen konnen — wofern dem nicht ein allgemeines Exportverbot entgegengesetzt wurde. Wir hatten eine Menge Gold hereinbekommen, aber die Aufrechterhaltung des Goldstandards nach dem Kriege ware deshalb nieht leichter, sondern schwerer geworden, da dooh die Deflation, die deshalb erforderlich geworden ware, einen noeh groBeren Umfang angenommen hatte. Vielleicht waren wir, um ihr zu entgehen, gezwungen gewesen, die Goldzahlungen einzustellen, eben auf Grund des Golduberflusses, und hatten in der gegenwartigen Stunde vielleicht alle drei eine entwertete Papiervaluta gehabt — ebenso wie Spanien, trotz seines unerhorten, wahrend des Krieges erworbenen Goldvorrates. Unseren Bankfuhrern und Politikern kann hochstens deshalb ein Vorwurf gemacht werden, weil sie die Preissteigerung nicht verhindert haben, aber nicht, weil sie sie im eigentlichen Sinne verursacht haben, und es ware ihnen vielleicht — wenn die oben entwickelte Theorie richtig ist und vorausgesetzt, daB es ihnen dennoch gegliickt ware — unmoglieh gewesen, damit mehr zu erreichen als geschehen ist. Professor CASSBL verficht bekanntlich in alien Hinsichten eine entgegengesetzte Meinung. Sein Standpunkt aber, besonders in der bereits zitierten Abhandlung iiber das Geldwesen nach 1914, ist so unklar, daB es mir nicht moglich ist, seine eigentliche Meinung zu verstehen. CASSEL war an der Empfehlung Goldsperre im Jahre 1916 beteiligt, er soil sogar die sehr verniinftige Motivierung dafur verfaBt haben, welche ursprunglich dazu bestimmt war, dem Reichstag vorgelegt zu werden, obgleich es nicht dazu kam. CASSEL bedauert auch — in Ubereinstimmung mit mir und, wie ich glaube, der Mehrheit der schwedischen KTationalokonomen—,daB diese Goldsperre nicht mit gebiihrender Kraft und ZielbewuBtsein durchgefuhrt wurde, was teilweise darauf beruhte, daB Danemark und Norwegen sich nur ungern an die Vorschriften hielten und spater die Absichten der Reichsbank dadurch ,,sabotierten", daB sie uns ihre Goldmunzen sandten. Nichtsdestoweniger erklart CASSEL nun, daB es besser gewesen ware, wenn iiberhaupt keine Goldsperre zustande gekommen ware und er behauptet (S. 70), daB die Nationalokonomen, welche noch im Sommer 1918 eine energische Handhabung der „Goldsperre" beantragten, „desorientiert" gewesen waren, weil unsere Valuta schon zu dieser Zeit, laut CASSEL „bedeutend writer ihrem Goldwert stand". 2 Als Ersatz lobt er den „klareren Blick" bei denprakti1 In den Niederlanden, deren Zentralbank wenigstens behauptete, alles angebotene Gold zu pari anzunehmen —• obgleich auch dort gewisse Einschrankungen vorgenommen sein worden durften, stieg der Engrospreisindex wahrend der letzten Kriegsjahre bedeutend iiber den unsrigen, obwohl ihre Importschwierigkeiten kaum einen groBeren Umfang gehabt haben konnten als die unsrigen. 2 „Nach KriegschluB", sagte er, „hatte Schweden dann eine efJektive Goldvaluta
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schen Bankleuten, welche bei der gleiehen Gelegenheit ,,die Erwiinschtheit hervorhoben, daB die Reichsbank sich weniger abweisend als bisher zu der Zufuhr von Gold stellen m6ge, und die Meinung aussprachen, daB die Stellung unseres Landes gegeniiber dem Ausland (nach dem Kriege) so werden konnte, daB ein Goldexport in groBem Umfang erforderlich werden konnte". Irgend ein Zwang, Gold zu exportieren, dtirfte fur die Reichsbank bis heute nicht vorgelegen sein; das Gold, das tatsaehlich verschifft wurde, hat sie vermutlich mit Vergnugen losgeschlagen; es ist also insofern schwer einzusehen, worin der „klarere Blick" der Bankleute bestanden haben soil. Dagegen war es ja vom rein geschaftlichen Gesichtspunkt sehr vorteilhaft gewesen, den Goldvorrat auf Kosten des Valutavorrates zu vermehren, wenn man hatte voraussehen konnen, daB ein Teil der Valuten mit der Zeit wertlos werden wurde; in diesem Falle gab es aber zu jener Zeit nichts, was die Privatbanken gehindert hatte, auf eigene Kosten Gold zu importieren, anstatt Valuten zu kaufen, etwas, woriiber man doch nie sprechen horte. AuBerdem ware, wenn CASSEL recht hat, der R a t der Bankdirektoren an die Reichsbank ebenso vergebens gewesen wie der entgegengesetzte der Nationalokonomen, denn wenn die schwedische Valuta unter ihrer Goldparitat lag, so konnte die Reichsbank iiberhaupt kein Gold hereinbekommen und wenn, so nur durch Uberzahlung. Wie verhalt sich das aber mit CASSELS Behauptung ? Tatsachlich stand, wie DAVIDSON hervorhebt, zu jener Zeit der Dollarkurs ganze 91 Ore, also reichlich 20% unter Paritat. Folglich mtiBten nach seiner Meinung die Dollarnoten zu jener Zeit tiefer gelegen sein, vielleicht 30% oder mehr unter ihrer Goldparitat, was schwer vorstellbar ist, da sie kurz danach, ohne irgend eine vorhergehende oder nachfolgende Deflation, mit Gold eingelost werden konnten. Was CASSEL eigentlich sagen will, dtirfte sein, daB das schwedische Preisniveau wahrend des Krieges durch innere Inflation (vor alien Dingen durch „ die Verschwendung der Staatsmachte") so hoch getrieben wurde, daB, wenn die Handelsbilanz ausgeglichen gewesen ware, es sich gezeigt hatte, daB unsere Valuta erheblich unter dem Dollar lag und daher auch unter dem Gold. Durch unsere Importschwierigkeiten mit den darauffolgenden „gunstigen" Handels- und Zahlungsbilanzen wurden inzwischen auf eine Art, die er jedoch nicht naher ausfuhrt, unsere Valuta (wie auch, wenn auch in geringerem Grad, die Kronen der Nachbarstaaten) auswarts iiber ihren „wirklichen inneren" Wert und sogar iiber ihre Paritat gerade dem Dollar gegeniiber bewertet. Es ist dies nun allerdings denkbar; wenn dies aber das wirkliche Verhaltnis auch fur Schweden gewesen war, so durfte es schwer zu erklaren sein, warum nicht die Minderwertigkeit unserer Wanning an den Tag kam, sobald in Amerika durch Wiederaufnahme der Einlosung von Dollarnoten und durch die Freigabe des besessen und die friihere Paritat zwischen der schwedischen Krone und dem Dollar hatte dann wenigstens, grob gesehen, aufrecht erhalten bleiben kSnnen". Kann irgend ein Mensch das glauben ? Warum HeB da beispielsweise Holland (um nicht von Spanien zu reden) seine Valuta tiel unter den Dollar sinken und seit 1921 auch unter unsere Wanning? Beitrage zur Geldtheorie.
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Goldexportes ein freier Goldmarkt errichtet wurde und deshalb die schwedische Krone nach einem zufalligen Sinken, ohne daB aber irgendwelche drastische MaBregeln fiir deren Hebung von uns vorgenommen wurden, bereits im Dezember 1922 ihre Paritat gegeniiber dem Dollar wieder erreichte, etwas, was CASSEL, trotz seiner oft erwahnten prophetischen Gabe, offenbar nicht voraussah (siehe z. B. S. 75).
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Fiir mich liegt die Sache so: der abnorm hohe Stand des schwedischen Preisniveaus wahrend des Krieges hatte drei Ursachen, welche sich in ebenso hohem, ja sogar in noch hoherem Grade geltend gemacht hatten, wenn wir uns vollkommen passiv verhalten und alles Gold entgegengenommen hatten, das uns angeboten wurde. Zuerst eine allgemeine Inflation von solch einem AusmaB, daB sie auch ein Goldstandardland wie die Vereinigten Staaten umfaBte. Ferner der Umstand, welcher auch bei beibehaltener Miinzparitat die europaischen Preisniveaus iiber das amerikanische gesteigert haben wiirde, namlich Amerikas kolossaler Uberexport wahrend und nach dem Kriege, welcher tatsachlich bewirkte, daB die Preissteigerung der Laderaume, im ganzen ungeheuer groB, in der Bichtung von Amerika nach Europa bedeutend mehr stieg, als in der entgegengesetzten Richtung, ein Umstand, welcher indirekt auch unsere Importwaren verteuert haben diirfte, obgleich unser direkter Import von Amerika in den letzten Kriegsjahren ziemlich unbedeutend war (er wurde spater um so groBer).1 Endlich die bekannten Importhindernisse, welche aus gewissen Griinden Schweden harter betrafen als die anderen skandinavischen oder neutralen Lander und welche selbstverstandlich auf die gleiche Art wirkten wie hohe oder prohibitive Einfuhrzolle es getan hatten, d. h. eine Steigerung der allgemeinen Warenpreise bewirkten. Auch diese Steigerung hatte, wie gesagt, bei normalem Goldstandard, also bei Goldparitat, bei uns stattgefunden, ja die Steigerung diirfte in solch einem Falle noch starker geworden sein und hatte am Ende vielleicht alien Uberexport verhindert. Als wir uns weigerten, Gold entgegenzunehmen, sank statt dessen der Wechselkurs unter die Paritat — und er muBte sinken —, was die Exporteure und die sie finanzierenden Banken geneigter gemacht haben diirfte, unter billigen Bedingungen Kredit an das Ausland zu bewilligen, oder, wenn die Zahlungen in schwedischem Geld festgesetzt waren, den auslandischen Kaufer veranlaBten, auch unter harteren Bedingungen Kredit anzustreben — in der Hoffnung auf einen zukiinftigen Kursgewinn. Dieses Eeizmittel hatte gefehlt, als wir Bezahlungen in Gold erhielten; es ist daher leicht moglich —• und es wird auch nicht von DAVIDSON bestritten — daB die Spannung zwischen Wechselkursen und Preisniveau in solch einem Falle nicht ganz so groB geworden ware, wie sie nun tatsachlich, z. B. im Herbst 1917, wurde. — Ich wage natiirlich nicht zu behaupten, daB diese Konstruktion in alien Details das Bichtige trifft; aber irgend eine zwingende Notwendigkeit, hier eine „innere 1 Dieses Phanomen diirfte sich in verstarktem Grade bemerkbar gemacht haben, als die Vereinigten Staaten ihre Heere und Kriegsmaterial nach Europa sandten, sie aber geschwacht zurtickzogen.
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Inflation" anzunehmen, scheint nicht vorzuliegen — dagegen eine versaumte innere Deflation, welche jedoch, wenn sie zustande gekommen ware, den Dollarkurs noeh tiefer gebracht haben miiBte. Worin bestand denn eigentlich ,,die verhangnisvolle Fehlbeurteilung der Lage", deren die erwahnten Nationalokonomen nach CASSEL sich schuldig gemacht hatten ? III.
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Was .die Zeit nach dem Kriege mit ihren uneinheitlichen und oft ratselvollen Preisbewegungen betrifft, so muB ich bekennen, daB ich viel lieber die Erklarungen ihrer verschiedenen Phasen von irgend einer sachkundigen Person horen mochte, als selbst zu versuchen, eine solche zu geben. Es ist ohne weiteres klar, daB, als unsere Importsehwierigkeiten (und auch die der iibrigen neutralen Lander) author ten und der ExportiiberschuB sich in einem besonders kraftigen ImportiiberschuB verwandelte, welcher groBtenteils aus Amerika kam, die Diskrepanz zwischen einem Dollarkurs weit unter pari und einem Preisniveau (oder besser Preisindex), das bei uns mehr als 50% iiber dem amerikanischen lag, schleunigst verschwinden muBte 1 ; inwiefern dies durch eine ubersturzte Senkung unserer Warenpreise oder durch eine Steigerung des amerikanischen Wechselkurses weit iiber die Paritat geschehen sollte, hing natiirlich von den Umstanden ab. Hatte CASSEL seinen Willen durchgesetzt, als er im Friihjahr 1919, als der Dollarkurs zuerst iiber die Paritat stieg, darauf bestand, daB wir zur normalen Goldwahrung iibergehen und den Goldexport freigeben sollten, so ware offenbar die erste Alternative eingetreten; ob zum Wohle unseres Landes, lasse ich dahingestellt. Sogar noch im Marz 1922 preist CASSEL seinen Eat als gut an und beliauptet, daB, wenn er befolgt worden ware, ,,keine gewaltsamen Storungen hatten eintreten brauchen" (S. 175). Soviel ich verstehe, hatte es zur Folge haben mussen, daB unser Preisniveau dieselbe Entwicklung in Kronen mitgemacht hatte, die es nun in Gold gerechnet erfuhr, d. h. dividiert durch das Verhaltnis des Dollarkurses zur Paritat. Wir waren mit anderen Worten von der Indexziffer 369 im Janner 1919 ungefahr bis aui 246 im Janner des folgenden Jahres herabgekommen, hatten darnach eine neue Steigerung bis zirka 296 im Juli 1920 erhalten, und wieder einen Preisfall bis zirka 150 im Oktober 1921. Die Freiheit von Storungen ware also aufierordentlich relativ gewesen. Am Schlusse des Buches (S. 217) warnt CASSEL wieder mit den starksten Worten gegen jeden Versuch, die Banknoten in Gold einlosbar zu machen, bevor nicht das Preisniveau „in Ubereinstimmung mit dem GoldmunzfuB, den man einfuhren will, gebracht worden ist" und macht in diesem Zusammenhang eine kleine Andeutung in der Eichtung, daB man „der Eeichsbank eine verniinftigere Leitung" verschaffen sollte; bekanntlich ist doch kein anderer als er selbst jemals mit solch einem abenteuerlichen Vorschlag wie dem seinigen vom Jahre 1919 gekommen, welcher damals von der Leitung 1 In Gold berechnet blieb unser Preisniveau bis Dezember 1922 holier als das der Vereinigten Staaten.
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der Reichsbank bekampft wurde. Wie ist es moglich, daB dergleichen Widerspruche innerhalb ein und desselben des Verstandes bestehen konnen? CASSEL war nun aufierdem (S. 218) zu der Meinung gekommen, ,,daB es fur ein kleines europaisches Land kaum moglich" ist, die Einlosung der Banknoten in Gold allein vorzunehmen; daB dies nicht mit der Wirklicbkeit ubereinstimmte, ist eine Sache fur sieb; in was fur einem Verhaltnis stand sie aber zu seinem immer verteidigten Standpunkt von 1919?
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Tatsachlich begannen wir nun mit einer nur langsamen Preissenkung, die sogar von einer neuen Steigerung im Jahre 1920 unterbrochen wurde, die jedoch hauptsachlich nur die Engrospreise betraf. 1 Statt dessen stieg der Dollarkurs beinahe ununterbrochen und erreichte seinen hochsten Punkt (37% iiber pari) im Dezember 1920 — jedoch erst naehdem die amerikanisehe Deflation mehrere Monate angedauert hatte. Diese starke Deflation, in welche bekanntlieh eine Menge Lander — jedoch nicht alle — hineingezogen wurden, ist ganz gewiB ein durchaus einzig dastehendes Phanomen in der Geschichte des Geldwesens. Es ware hoffnungslos, dieses Phanomen oder auch nur zum groBen Teil von rein geldlichem Gesichtspunkt aus mit Einbeziehung der „deflationistischen" Politik der Federal Reserve Boards und der iibrigen Zentralbanken erklaren zu wollen. DaB ein hoher Bankzins ceteris paribus alle Verkaufer geneigter machen muB, gegen Barzahlung zu verkaufen, und alle Kaufer weniger geneigt macht, gegen Barzahlung zu kaufen, und daher eine gewisse Tendenz hat, den Barpreis, d. h. das aktuelle Preisniveau niederzudriicken, diirfte schwerlich zu bestreiten sein; und daB ein Bankzins, welcher den ralen Ertrag des Kapitals in der Produktion ununterbrochen liber- oder untersteigt, einen kumulativen EinfluB auf die Preise haben diirfte, kann meiner Meinung nach ebenfalls festgehalten werden. 2 DaB aber eine Zinssteigerung von einigen wenigen Prozenten pro Jahr 1 DaB diese Steigerung, wie DAVIDSON hervorhebt, zumindest zum Teil dadurch verursacht wurde, daB die Reichsbank zu zeitig ihren Diskont herabsetzte, diirfte nicht zu bestreiten sein. Naehdem, was CASSEL dariiber auBert (S. 172f.), kann der uneingeweihte Leser schwerlich eine andere Auffassung bekommen, als daB er selbst ein Gegner dieser MaBregel sei. In Wirklichkeit hatte er ungefahr eine Woche friiher auf einer noch starkeren Herabsetzung des Diskontes bestanden, mit der seltsamen Motivierung, daB der Dollar schon iiber die Paritat gestiegen sei. Unleugbar auch ein origineller Einsatz zu seinem gleichzeitigen Vorschlag betreffs der Freigabe des Goldexportes. 2 Merkwiirdigerweise wird dieser Satz von CASSEL bestritten, obwohl er von sich aus geeignet ware, in nicht geringem Grade sein eigenes Argument zu verstarken. Noch weiter als CASSEL geht in dieser Hinsicht SCHUMPETER (Kreditkontrolle, Arch, fur Sozialwissenschaft 1925, H. 1, S. 295), welcher meint, daB ein s tan dig hoher Bankzins am Anfang allerdings eine Preissenkung mit sich fiihrt, aber zu guter Letzt zu wirken aufhoren muB, weil er fahig ist, die Produktion zu verringern und dadurch die Warenknappheit zu erhohen. Meinerseits bin ich davon ausgegangen, daB die GroBe der Produktion —• abgesehen von Krisenphanomen — im ganzen unverandert bleibt, solange die realen Produktionsfaktoren, Erde, Arbeit und Realkapital, sich nicht verandern. Der Bankzins wirkt nur auf die Konkurrenz der Unternehmnugen iiber deren Produktionsfaktoren, indem er deren und die ubrigen Preise ununterbrochen zum Sinken oder zum Steigen bringt, solange der ungewohnliche hohe, resp. niedrige Bankzins besteht. Ware CASSELS und noch mehr SCHUMPETERS Auffassung richtig, so konnten die Banken ad libitum ihre Zinssatze erhohen oder senken, ohne andere Gefahr als die einer einmaligen Senkung resp. Erhohung der Warenpreise hin, was unsinnig erscheint. Wie kompliziert indessen das ganze Problem ist, geht unter anderem daraus hervor, daB ein hoher Bankzins, besonders wenn er auch den Preis senkt, geeignet sein sollte, ein freiwilliges Sparen hervorzulocken und daher die GroBe des Realkapitals
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gerechnet, und von mehr ist ja in der Regel nie die Rede gewesen, an und fur sich eine Preissenkung von zirka 5 % im Monat sollte verursachen konnen, wie in dem denkwiirdigen Jahre 1921, scheint a priori auBerst unwahrscheinlich, und ich sehe nicht ein, wie der Ursachenzusammenhang hier theoretisch konstruiert werden konnen soil. Und anderseits, wenn ein derartig katastrophaler Preisfall aus anderen Griinden entstanden -ware, scheint es ebenso hoffnungslos, ihn durch eine liberale Kreditpolitik maBigen zu wollen, insofern nicht die Banken geradezu Geld ausleihen ohne Zins und Riickzahlungsverpflichtung — etwas, was iibrigens in groBem MaBe — namlich gegeniiber dem Staate — in den Landern stattgefunden haben diirfte, die an der allgemeinen Deflation nicht teilnahmen, wie Osterreich, RuBland und Deutschland, sowie auch, wenn nur in etwas geringerem Grad, Italien und Frankreich. Man wird dazu verleitet, auch hier sich der Meinung derer anzuschlieBen, die das Hauptgewicht „auf die Warenseite" legen, wie auch auf das damit eng zusammenhangende „psychologisehe Moment". Der Deflation in den Vereinigten Staaten ging bekanntlich in der zweiten Halfte des Jahres 1919 und zu Beginn 1920 eine kraftige Preissteigerung voraus (die die unsrige weit iibertraf). Dies diirfte wohl mit dem relativen Warenmangel in Zusammenhang zu bringen sein, der in Amerika als Folge des auBerst starken Uberexportes (ganze 4 Milliarden Dollar) wahrend dem Jahre 1919 entstanden sein muB. Der darauffolgende Preissturz hatte, wie des ofteren hervorgehoben wurde, am Anfang den Charakter einer Erholung, einer Reaktion gegen die vorhergehende starke Preissteigerung. Dies besagt aber nicht viel. Ware es so, daB eine durch Warenmangel hervorgerufene Preissteigerung durch die Widerwilligkeit der Banken, Zahlungsmittel zu besorgen, zum Stillstand gebracht worden ware, so wurde, wenn auch der Warenmangel aufhort, die abwartsdriickende Tendenz offenbar die Oberhand gewinnen und die Preise zu fallen anfangen. Wenn aber, wie es meist der Fall war, die Menge der Zahlungsmittel einigermaBen mit der Preissteigerung gleichen Schritt hielt, so scheint man kaum mehr erwarten zu durfen, als daB mit einem normalen Vorrat an Waren die Preissteigerung aufhort, ohne sich jedoch in das Gegenteil zu verwandeln. Es gibt hier indessen einen weiteren Umstand, der allenfalls eine Rolle spielt. Bei anhaltender Warenknappheit muB, wie wir bereits erwahnten, die preissteigernde Tendenz auch ohne Zuriickhaltung des Bankkredites zuletzt aufhoren, namlich, wenn das Publikum vor ihr resignierte und sich an die verringerte Konsumtion gewohnte, mit der es sich Jahr um Jahr notgedrungen zufrieden geben muBte. Ist dieser Fall eingetreten, so wurde ein normaler WarenzufluB sich jetzt als WareniiberfluB darstellen, als ein uberschiissiges Angebot von Waren, fur die eine steigert, ein niedriger Bankzins hingegen mit der darauffolgenden Preissteigerung, bei Personen mit testem Einkommen ein unfreiwilliges Sparen erzwingt, was auch zu einer Vermehrung des Realkapitals fuhren diirfte. Alle diese Sachverhalte klar zu erortern, mag eine Aufgabe zukiinttiger Forschung sein.
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entsprechende Nachfrage sich noch nicht entwickeln konnte. Wir erhielten da dasselbe Phanomen, nur in umgekehrter Weise, das wir in der Einleitung zu schildern versuchten. Wie luftig eine solche Konstruktion auch soheinen mag, so hat sie doch vielleicht groBere Realitat als die so oft gehorte Erklarung des Deflationsphanomens, „daB es eine Menge Waren gab, aber die Leute waren zu arm, sie zu kaufen". Das ist wohl, im grofien gesehen, undenkbar. Man kann nicht auf einmal arm und reich sein, Waren zum Verkauf besitzen, und dennoch keine Mittel haben, andere Waren zu kaufen. Die eine Nation kann naturlich vollauf Waren haben und die andere gleichzeitig die notwendigsten vermissen; wie aber dies zu einer Senkung oder Steigung des internationalen Preisniveaus fiihren soil, ist unklar. I n der Tat bilden ja die Waren immer die Nachfrage nach anderen Waren, wie uns bereits J. B. SAY lehrte.
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Es ist aber schlieBlich ziemlich naheliegend, daB die in einundeinhalb bis zwei Jahren nach Kriegsende eingetretene starke Deflation den Charakter eines Kriegsphdnomens hatte. Das Aufhoren des Krieges brachte nicht sofort einen allgemeinen UberfluB an Waren mit sich, es erleichterte allerdings in hohem Grade den Warenaustausch zwischen den meisten Landern, aber die Produktion reichte bei weitem nicht an die der Vorkriegszeit heran. Nebenbei diirften die Importeure unter Beihilfe von Kredit in grofiem AusmaB die teuern Importwaren auf Lager gehalten haben, um eine tJberfullung des Marktes zu verhindern und um nicht ihres Verdienstes verlustig zu gehen. Wenn CASSEL sich auf den vermeintlichen WarenuberfluB wahrend der Jahre 1919 und 1920 als „ziemlich lastig fiir eine Theorie, welche die Warenknappheit zu den eigentlichen Erklarungsgrund fiir die Preissteigerung machen wollte" 1 beruft, so ist dieses Argument vielleicht nicht so stark wie es scheinen mag. Nach und nach wurde mittlerweile diese Lagerhaltung allzu bedriickend und riskant, zum Teil zweifelsohne auf Grund des hohen Bankzinses, hauptsachlich aber vermutlich als Folge der sich immer mehr erweiternden Produktion und der Zufuhr von Waren, besonders — wie iibrigens auch CASSEL bemerkt — nach dem die eben noch kriegfuhrenden Staaten begannen, ihre gewaltigen Kriegsvorrate zu verkaufen. Besonders Englands gesparter Kriegsvorrat iiberstieg alles, was man sich vorstellen konnte, unter anderem hatte England wahrend dem Kriege fiir einige Jahre voraus die ganze australische Schafschur aufgekauft. Dazu kam als wichtiger Faktor der vielbesprochene Kauferstreik. 2 Als die Preise zu fallen begannen, schob ein jeder seine Einkaufe so weit als moglich auf, in der Hoffnung, daB die Preise weiter fallen wiirden, zur selben Zeit, als die Warenbesitzer ihre Verkaufe aus Angst vor einem weiteren Preisfall zu forcieren versuchten. Ein derartiger Kauferstreik, der, wenn ich mich nicht irre, ein gewohnliches Phanomen ist, gehort 1 2
Waren.
AngefUhrte Arbeit, S. 53. Wahrend des Krieges hatte er sein Gegenstuck in der sogenannten Hamsterung von
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•iibrigens in gewissem Grade zu den Ursachen des Preisfalles, den wir eben andeuteten. Derjenige, der einen sonst wiinschenswerten Einkauf aufschiebt, unterwirft sich einer Entbehrung, welche ihm umso leichter werden muB, als er zufolge der vorhergehenden Warenknappheit sich schon an eine einfachere Lebensart gewohnen muBte. (In vereinzelten Fallen hinsichtlich einiger Waren kann ja die Tendenz in entgegengesetzter Richtung gehen.) Unter der Annahme nun — welche, wie allerdings zugegeben werden muB, nicht besonders gut motiviert ist •— daB der EinfluB der Warenknappheit und der der wiederkehrenden normalen Warenversorgung auf die Preisbewegungen sich sozusagen gegenseitig aufheben, so wiirde auf alle Falle die betrachtliche, iibrigbleibende Preissteigerung 2 als das gesamte Resultat der Inflation aufzufassen sein, die mittlerweile ihren Ursprung auf der „Geldseite" aus einer allzuwilligen Kreditgebung hatte. Es diirfte wohl auch nicht zu bezweifeln sein, daB die Bankzinsen, sowohl wahrend des Krieges als auch in den ersten Friedensjahren — und dies auch in den Landern, die ihre Valuta relativ am besten schutzten -—• allzu niedrig waren im Verhaltnis zu dem realen Zins, der durch den im Krieg verursachten Mangel an beweglichem Realkapital in die Hohe getrieben worden sein muB. Es ist leider wahr, daB die zuletzt genannten Begriffe auBerst schwer klar zu definieren und abzugrenzen sind, aber das verhindert nicht, daB sie in Wirklichkeit den Urgrund des okonomischen Phanomens ausmachen, wie ein tieferes Studium desselben deutlich zeigt. Betrachtet man die Sache auf diese Art, so scheint es mir, als ob der Streit zwischen Praktikern und Nationalokonomen in eine hohere Sphare aufsteigen konnte; und da ein allgemeiner, plotzlich auftretender Waren mangel schwerlich zu befurchten sein diirfte, auBer wenn ein neuer Weltkrieg ausbrechen wiirde, so diirfte also unter normalen Verhaltnissen einzig eine kluge und weitsehende Bankpolitik erforderlich sein, um dem Warenpreisniveau und der Kaufkraft des Geldes all die Bestandigkeit zu geben, die iiberhaupt moglich oder wiinschenswert ist.
IV. Um zu den skandinavischen Landern zuriickzukehren, so besteht j a hinsichtlich ihrer die Eigentiimlichkeit, daB, wahrend es Schweden ahnlich wie zwei anderen neutralen Landern, Holland und der Schweiz, und sogar zeitiger als diesen gelang, ohne besondere Anstrengungen oder anderen Schwierigkeiten, als solchen, die die Preissenkung selbst verursacht, seine Valuta auf die Paritat mit dem Dollar und dem Golde zuruckzufiihren, so hat dies trotz verschiedener Bemiihungen Danemark und besonders Norwegen noch nicht gelingen wollen. DaB die Ursache 2 Diese diirfte am besten am Lebenskostenindex zu messen sein, der sowohl Detailpreise als auch Mieten in sich schlieBt.
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dazu mehr in den ungunstigen auBeren Verhaltnis dieser Lander liegt — der U-Bootkrieg und seine Folgen fur Norwegen, fehlgeschlagene Transitgeschafte, die Finanzierung von Said-Jutland fiir Danemark usw. —- als in irgend einer iibernatiirlichen Weisheit unserer Bank- und Finanzleute, ist wohl offenbar, aber nichtsdestoweniger konnte man sagen, daB die schwedische Valuta von der Goldsperre von 1916 an auf eine relativ rationellere Art als die der Nachbarlander gefuhrt wurde. Wenn man das Engrospreisniveau der drei Lander durch den gleichen Dollarkurs dividiert, so kommt man, wie ein norwegischer Verfasser nachwies, 1 zu dem Resultat, daB die Kaufkraft des Dollars, sowohl wahrend des Krieges als auch nachher, mit wenigen Ausnahmen in Schweden niedriger stand als in Norwegen und noch mehr als in Danemark. Dies diirfte zeigen, daB die Preissteigerung in Schweden hauptsachlich auf auBeren Umstanden beruhte, nach deren Aufhoren das Preisniveau von selbst herabging und die Valuta ihre Paritat gegemiber dem Dollar wieder erreichte, wogegen die Preissteigerung in Norwegen und Danemark zumindest nach dem Kriege zum Teil auf einer inner en Inflation beruhte, welche dauernd wurde und sich sogar auBerst verscharfte, weshalb die Entwertung der Valuta gegeniiber dem Dollar (und gegeniiber der schwedischen Krone) nicht zum Verschwinden gebracht werden konnte. Wahrend der zuletzt vergangenen Jahre war die Entwertung so weit gegangen, daB im Juli 1924 die danische Krone ungefahr auf 60 Ore, die norwegische Krone ungefahr auf 50 Ore in schwedischem Gelde stand.
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Wahrend der folgenden Zeit ist jedoeh bekanntlich eine wohltuende Veranderung hierin eingetreten, so daB beide Valuten um mehr als 50% stiegen. Die danische Krone steht nach der letzten Notierung ihrer Paritat so nahe, daB eine Riickkehr zu ihr recht nahe zu liegen scheint, um so mehr, da das danische Preisniveau (wenn die Ziffern der Finanztidendes zuverlassig sind) schon im Oktober dieses Jahres ganz neben dem schwedischen stand. (Man moge sich jedoeh erinnern, daB es hier eigentlich nicht die direkten Preisniveaus, sondern Indexzahlen betrifft, die durch einen Vergleich mit einem Preisniveau eines um 12 Jahre zuriickliegenden Grundjahres gewonnen wurden.) Das Verhalten Norwegens liegt bei weitem nicht so giinstig; unser Wechselkurs auf Norwegen steht in diesem Augenblick ungefahr bei 76 Ore, aber das dortige Preisniveau verglichen mit unserem, wurde nicht einmal einem Kurs von zirka 72 Ore entsprechen. Der Fortschritt seit 1924 ist jedoeh sehr bedeutend. Da diese Entwicklung hauptsachlich wahrend dem Jahre 1925 stattfand, so waren mir ausfiihrlichere Kommentare dazu nicht zuganglich. Ziemlich allgemein wird sie indessen, zumindest zum Teil, einem Umstand zugeschrieben, den wir bisher nur fluchtig beriihrten, der aber wahrscheinlich wahrend der in Frage kommenden Periode keine 1 EMIL DIESEN, Preisniveau, Valuta, Kurse usw. Statsok. Tidskr. 1922. Soviel ich sehen kann, stimmen seine fiir Schweden angegebenen Ziffern, jedoeh nicht in allem, mit denen von DAVIDSON in H. 1 der Ek. Tidskr. 1925 angefuhrten uberein.
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geringe Rolle spielte, namlich der auslandischen Haussespekulationen in Valuten der beiden Lander. Derartige Spekulationen haben ja nach dem Kriege einen sehr schlechten Ruf bekommen, sie wurden in einem gewaltigen MaBstab unternommen, fiihrten aber zu ungeheuren Verlusten der Spekulanten, weil ganz einfacb das betreffende Land, wie es sich zeigte, seine Valuta durchaus nicht zu verbessern wiinsehte, sondern im Gegenteil — solange es ging — von deren sukzessiven Verschlechterung lebte. 1 Aber auch unter normaleren Verhaltnissen haben die Haussespekulationen, sei es in Waren oder Wertpapieren, falls die Hausse nur durch die Spekulation selbst hervorgerufen wurde, die Unannehmlichkeit, daB, wenn der Gewinn realisiert werden soil, also das Spekulationsobjekt verkauft wird, der Preis aufs neue durch das vermehrte Angebot sinkt. I n solch einem Falle haben indessen die Spekulanten in dem deutliehen Wunsch und auch der offiziell ausgesprochenen Absicht, der beiden Lander zur Paritat der Krone zuriickzukommen, eine selbstverstandliche Stiitze gehabt. Sie konnten darauf rechnen, daB, wenn die Valuta durch ihr Zutun gesteigert wurde und etwas langere Zeit diesen hoheren Wert behielt, die Machthaber im Lande sie nicht wieder gerne aufs neue fallen sehen, sondern ihre Bemuhungen dahin richten wurden, dies zu verhindern. Haben z. B. die Spekulanten auf Danemark gezogene Wechsel oder andere danische Wertpapiere aufgekauft, so ist dies im Grunde gleichbedeutend damit, daB Danemarks Import teilweise kreditiert wurde (oder dessen Export vorausbezahlt wurde); man kann dann erwarten, daB eine regelrechte auslandische Anleihe aufgenommen wird, um die schwebende Handelsschuld zu konsolidieren, anstatt daB man letztere aufs neue die Valuta niederdriicken laBt. Ungliicklicherweise ist den Spekulanten vielleicht nicht damit gedient, die Valuta langere Zeit unverruckt zu lassen, und wenn sie vor der Zeit ihre Gewinne zu ernten suchen, so kann ein neuer Kursfall eintreten. Eine derartige Spekulation, die also im Grunde genommen nichts anderes ist als eine zeitweilige auslandische Anleihe, bildet aber unleugbar eine gute Unterstutzung der einheimischen Deflationsbestreben; der Import wird erleichtert, die Importwaren werden reichlicher und billiger, der ganze Vorgang geht wahrscheinlich leichter und angenehmer vor sich, als wenn er ausschlieBlich auf den eigenen Vorkehrungen des Landes, auf Kreditrestriktion und einheimischer Anleihe basierte. 1 Wahrend des Krieges und in den ersten Friedensjahren dtirften die Spekulationen in den minderwertigen Valuten uberwiegend in der Hausse-Richtung gegangen sein, indem man an deren zukunftige Verbesserung glaubte und hoffte. Da inzwischen fur gewisse Lander diese Hoffnung aus den obengenannten Griinden immer vereitelt wurde, so ist es sehr naturlich, daB die Spekulation zuletzt in eine Baisse-Richtung umsehlug, d. h. man begann mit einer fortschreitenden Verschlechterung der Valuta zu rechnen; und da die MaBnahmen der Regierungen um diese Baisse-Spekulation aulzuhalten tells unzureichend waren, teils ausblieben, so konnte sie, wie in Frankreich wahrend spaterer Jahre, eine sehr starke Senkung der Valuta und dadurch mittelbar der Warenpreise, auch ohne irgend eine entsprechende innere Inflation mit sich ftihren. (Siehe dariiber einige Aufsatze von A. AFTALION in der Revue d'Economie politique 1924.) In Deutschland ging es schlieClich so weit, daB die eigene Valuta vollkommen aufhorte, die Rolle des Wertmessers zu spielen — auBer fur die augenblicklichen Tauschtransaktionen — und sich statt dessen sozusagen zu einem selbstandigen Vermogensobjekt verwandelte, das wahrend einer standigen Spekulation a la baisse zu volliger Wertlosigkeit herabsank.
506
K. WICKS ELL
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In seinem zuvor erwahnten Aufsatz (S. 302) macht SCHUMPETER hin^ sichtlich Englands die wahrscheinlich richtige Bemerkung, daB, als England seine Absicbt, zu seinem Goldstandard zuriickzukehren, bekanntgab und die ganze Welt die wichtigen Griinde, die fiir dieses Ziel sprachen, kannte, man sioh allgemein „a la hausse des Pfundes" verbielt und England Kapital zufiihrte, welches in bohem MaBe dessenBemuhungen erleiehterte. ScHtrHPETER scbeint eine daraus entstebende lastige Diskrepanz zwiseben Englands Wecbselkurs und seinen Preisniveau zu befurcbten, was siob aber nicbt bestatigt baben durffce. Im ganzen wirken zwar die Bewegungen des Wecbselkurses und des Preisniveaus wecbselseitig in derselben, nicbt in entgegengesetzter Eicbtung aufeinander ein, was darauf binweist, daB beide durcb eine gemeinsame, binter ibnen liegende Ursacbe bervorgerufen werden — wie SCHUMPETER ubrigens selbst hervorbebt. Aber nichts bekommt man umsonst; die erweiterte Konsumtion von Importwaren wird definitiv mittels auslandischer Verschuldung gekauft, und fiir diese muB das Land auBerdem — als Folge der Kurssteigerung — eine Art verborgenen Kapitalrabatt, entsprechend den Kursgewinnen der Spekulanten, zahlen. Es scheint mir daher unzweifelhaft, daB es besonders fiir Norwegen das allerbeste ware, die Goldzahlungen zum ungefahr bestehenden Kurswert unmittelbar aufzunehmen. Das hindert ja nicbt, sondern erleichtert vielmehr, daB der Staat von da an die Ersatzanspriiche priift, die mit Recht sowohl gegen den Staat selbst als auch gegen Privatpersonen auf Grund der Wertsenkung des Geldes geltend gemacht werden konnen. Wie ich in meinem Vortrag in der Nationalokonomischen Gesellschaft bemerkte, kann ubrigens diese Frage der Entschadigung nicht einmal in den Landern, welche ihre Noten zur Paritat in Gold einzulosen vermoohten, als abgeschlossen betrachtet werden, da das Gold immer noch so viel weniger wert ist als vor dem Kriege. Irgend ein zwingender Grund, zu einem neuen Miinzfufi iiberzugehen, besteht dagegen, soviel ich sehen kann, durchaus nicht. Die gegenwartigen Banknoten konnen ganz einfach gegen neue Noten zu einem etwas geringeren Betrag umgetauscht werden, welche unmittelbar gegen Gold zu der alten Paritat umgewechselt werden konnen. Dadurch wiirde unter anderem die Wiederaufnahme der Miinzunion zwischen den skandinavischen Landern in hohem Grade erleichtert werden, eine Idee, die ich meinerseits nicht fallen lassen will. Diese Miinzunion, nebst den Zusatzbestimmungen, die teils durch ausdruckliehes tjbereinkommen, teils durch die Praxis hinzugefiigt wurden, und die bewirkten, daB die drei Lander fiir die wichtigsten Beziehungen praktisch genommen ein und dieselbe Wahrung hatten, kann als ein Vorbild im kleinen fiir die zukiinftige Ordnung des Geldwesens der ganzen Welt auf einer einheitlichen Basis angesehen werden, das so lange den Nationalokonomen vorschwebte. Nun, da diese Plane auf dem Wege zur Verwirklichung zu sein scheinen, ware es wirklich traurig, wenn das MiBgliicken des Urbildes als ein Einwand von denen beniitzt wiirde, die sich aus altem Vorurteil und Schlendrian dazu getrieben fiihlen, sich alien Neuheiten zu widersetzen.
Das Valutaproblem in den skandinavischen Landern
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Mit diesen einfachen Bemerkungen will ieh schlieBen. Ich sehe vollkommen ein, da6 ich dieses Mai in hoherem Grade als gewohnlich die Nachsicht meiner Leser in Anspruch genommen habe. Was ieh niederschrieb, ist eigentlich nur ein Versuch gewesen, meine eigenen Gedanken in einer schweren und verwickelten Frage zu klaren. Es wiirde mich freuen, wenn dies auf den geneigten Leser den EinfluB hatte, daB er seinerseits dieselbe Prozedur vornimmt — auch wenn sich seine Gedanken dabei schlieBlich von den meinen weit entfernen sollten.
Namenverzeichnis. AFTALION, A. 70, 112, 203f., 505
DAVENPORT, H. J .
A L T M A N N , S. F . A M O N N , A. 125,
DAVIDSON, D . 369, 416, 4 3 6 f l , 4 4 1 1 ,
225 247
71
4 6 5 f l , 4 7 9 1 , 489, 4 9 7 1 , 500, 504
106 B A C H I , E . 69 B A G E H O T , W . 208 B A R O N E , E . 15 B E A U L I E U , L . 188 BECKHART, B. H. 7 E I N Z J G , P . 110 B E H R E N S , W . G. 228, 241, 246, 249, E L S T E R , K . 124, 161, 240, 2 4 8 1 E N G L A N D E R , O. 257 257, 261, 281 B E L L E R B Y , J . B . 61 E S S A R S , P . D E S 194, 206 B E N D I X E N , F . 118, 239, 246, 257, 261,
ex
D E L VECCHIO, G. 4 4 1 , D E P I A N T E 97 D E V I T I D E MARCO 5 D I E S E N , E . 504
337
F A N N O , M. V I I I , 2, 35, 76, 97, 103,
B O H M - B A W E R K , E . V. 4, 12, 15, 119,
105, 110
232, 265, 274, 348f., 370, 379
sU p
pL
F E D E R N , W . 176 B O N G E R 197 F E I L E N , J . F . 1 7 9 1 , 265, 269 B O R T K I E W I E Z , L . V. 202f., 228, 240, F E L D M A N N , H . 189 F I S H E R , I. 5, 1 1 1 , 1 5 1 , 20, 22, 6 4 1 , 492 70, 120, 123—128, 156, 1 8 4 1 , B O U N I A T I A N , M. 289, 329, 346 2 0 5 1 , 216—219, 239, 2 5 1 1 , 262, B R A D F O R D , F . A. 71 2 6 6 1 , 280, 283—288, 292, 301, B R E S C I A N I - T U R O N I , C. 31, 43, 69,
70f., 91
B U D G E , S. 178,
247
304, 314, 316, 318, 347, 367, 371, 391
B U R G E S S , E . W . 43, 6 6 , 1 8 4 , 1 9 0 1 , 1 9 4 F O S T E R , W . T. 190, 370 B U R T O N , T. E .
32
GENECHTEN, E . VAN 3 1 5 f l
GOSSEN, H . H . 229, 232 GOTTL, F . v . 248 GOUDRIAAN, J . 358 CANTILLON, E . 206, 208 CASSEL, G. 55, 61, 2 1 7 f l , 225, 229, GRAZIANI, A. 14 263, 265, 269, 274, 279, 292, 302, G R E I D A N U S , T. 1 2 0 1 CAIRNES, J . E .
81
C ANN AN, E . 8
320, 334, 336, 348, 3 5 7 1 , 366, 371, H A B E R L E R , G. 215, 254, 287, 480, 4 9 0 1 , 493, 4 9 6 f l , 502 315—318, 336 CATCHINGS, W . 190, 370 C H A N D L E R 53 CLARK, C. G. 109 CLARK, J . B . 15, 384, 484 CLARK, J . M. 198 COGHLAN, T. A. 103 C O H N , E . 186 CONRAD, O. 308, 3 3 6 1 C R I C K , W . F . 8, 62
H A H N , L. A. 160, 2 0 2 1 , 2 4 9 1 H A N S E N , A. H. 75 H A R D Y , C. O. 31 H A R R I S , S. E . 43, 46 H A V E N S T E I N 271 H A W T R E Y , E . G. 8, 44, 55, 72,
298,
75,
215, 2 1 7 1 , 220, 254, 297—300, 305, 315, 336, 370, 373
510
Namenve
H A Y E K , F . A. 14, 21 f.,
24, 215f., M I C K W I T Z , E . v . 257, 264, 267, 271,
220—228, 240f., 250f., 258ff., 289, 303 265f., 273, 277f., 281, 283—287, MIKSCH, L. 290 292f., 3 1 4 1 , 346—349, 353f., 357, M I L D S C H U H , V. 276 359, 3 6 9 1 , 384f., 388 M I L L , J . S. 91, 2 4 0 1 , 377 H E L F F E R I C H , K . 119, 228, 241, 370 M I S E S , L . V. 14, 75, 119—222, 225, 240, 241, 249, 260, 2 6 8 1 , 370 H E T T I N G E R , A. I . 190 M I T C H E L L , W A L D O 73 HlLDEBRAND 5 M I T C H E L L , W . C. 23, 63, 66, 69, 72, HlLFERDING, R. V I I I , 138
HOLTROP, M. W . 128, 175, 215, 247f.,
252, 263, 266, 2 8 6 1 , 303, 314
75, 185, 376 M O O R E , H. L. 62 MORGENSTERN, O. 215
MORTARA, G . 64
JANNACONE 76 J E V O N S , W . S. 69, 229 J O N G H , B . H . D E 150, 152 J O P L I N , T. 224
M U L L E R , A. 348 M Y R D A L , G. X , 390, 393, 405 N E I S S E R , H.
K E M M E R E R , E . W . 42, 69, 193 K E Y N E S , J . M. 14, 36, 4 3 1 , 53, 55,
14, 135, 159, 215, 258,
276, 313
ex
6 1 1 , 110, 118, 135, 185fl, 190, O W E N S , R. N . 31 2 0 3 1 , 215, 2 1 7 f l , 2 2 5 1 , 2 3 8 1 , 267, 270, 2 7 2 1 , 279, 283, 287, 292, PAASCHE 317 337, 348, 370, 3 8 4 1 , 3 8 7 1 , 398 PALGRAVE, R. H . I . 97 KlNDERSLEY, E . 110
P A N T A L E O N I , M. 4, 15 P A R E T O , V. 23, 97, 229, 371 P E A K E , E . G. 62 P E R S O N S , W . M. 190 P E T T Y , W . 206 P H I L I P P S , C. A. 8, 44, 55
pL
K N A P P , G. F . 240, 249 KOOPMANS, J . G. I X
sU p
L A S P E Y R E 317 L A U G H L I N , J . L. 5, 8, 11 LAVINGTON, F . 31, 43, 65, 72, 202 L A W R E N C E , J . S. 8, 44, 61 L E H F E L D T , R. A. 11 L E S C U R E , J . 69 L I E F M A N N , R. 229, 249
PiGOU, A. C. 8, 55, 62, 122, 124, 1 3 1 1 , 215, 226, 234, 243, 286, 293, 297, 329, 336, 370 P O L A K , J . N . 150, 154, 158 P R A T O , G. 109
L I N D A H L , E . I X , 369, 373, 377—380,
383, 385, 390, 402, 416, 442, 446, E A F F A L O V I C H , A. 109 R A Y N A U D 109 475, 477 L L O Y D , J . 46 L O R I A , A. 14, 81, 105
LOUNSBURY 71
MACHLUP, F . 35, 215, 260, 278, 2 8 2 f l ,
300, 336—340, 3 5 3 1
261, 268, 2 7 0 1 , 301, 306, 370 R O G E R S , J . H. 35
ROOSEGAARDE-BlSCHOP, W . 2 0 8
MACKENNA, R. 2 1 7 1 M A K E N R O T H , G. 369, 442
MAHR, A. 215, 217, 2 9 7 f l ,
R E I S C H , R. 8 R I C A R D O , D . 8 0 1 , 369 R I C H T E R - A L T S C H A F E R , H . 35 R O B E R T S O N , D . H . 8, 188, 215, 257,
305
MARGET, A. W . 71, 130, 176
R O P K E , W . 75, 215, 280, 348 R U E F F , J . 336 RTJPPEL, W . 109
MARSHALL, A. V I I I , 1 4 1 , 35, 229, 248,
295, 302, 370 M A R X , K. 138, 175 M E E S , W . C. 349 M E N G E R , C. 119, 2 2 1 1 , 229,
SAUERBECK, A. 64
SAY, J . B . 202, 256—260, 2 6 4 1 , 303, 322, 344, 502 241
SCHACHT, H .
350
Namenverzeichnis.
511
T U G A N - B A E A N O W S K I , M. 289ff., 294f., SCHAFER, E . 190 297, 299, 305, 323, 327, 329 SCHLESINGEE, K . 2 2 4 SCHMALENBACH, E . 2 0 5 V E R K I J N - S T U A R T , G. M. 119, 215, SCHMOLLEE, G. 2 2 5 221 ff., 225, 228, 240, 280, 292, S C H U L Z E - G A E V E E N I T Z , G. V. 159, 179,
297f., 315, 319 180 SCHUMPETEB, J . 72, 118, 121, 123ff., V I N E E , J . 91, 104, 107 132, 160, 176f., 238, 247, 249, 274, W A G E M A N N , A. D E 14, 43, 63, 75, 179, 286f., 347f., 500, 506 390f. SELIGMAN, E . K. A. 13 SINGER, K. 275 SMITH, A. 206 S N Y C K E B S , A. 97, 109 S N Y D E R , C. 39, 66, 7 1 , 73, 185, 190,
195ff.
sU p
TAUSSIG, F . W . 15, 91 THORNTON, H . 14, 224
W I E S E E , F . V. 239, 253, 337f. W I L L I A M S , J . H . 91 W I L L I A M S , T. T. 31, 65 W I T H E R S , H . 5, 8, 109, 249
pL
305f. S U P I N O , C. 5, 14 S T K E S , J . 72
188, 224ff., 228f., 240, 261, 273 bis 277, 279f., 346, 368—371, 373, 377—394, 397—403, 406—411, 414ff., 420—424, 427—431, 433 bis 438, 440ff., 446ff., 450ff., 454 bis 457, 459, 461, 465—469, 472, 474ff., 481ff., 486
ex
SOMBART, W . 208 SOMMARIN, E . 377 SOMMEE, A. 247, 248 S P I C E R , E . E . 97 S P I E T H O F F , A. 225 S P E A G U E , O. M. W . 69 SEAFFA, P . 251 S T U C K E N , R. 290, 294—297, 299, 300,
W A G N E R , A. 239 W A L R A S , L . 229, 265, 302, 371 W A L R E S D E S B O R D E S , L . VAN 203 W E B E R , M. 229 W H I T A K E E 102 W I C K S E L L , K. 14, 16, 21 f., 65, 75,
YOUNG, A. A. 39, 42f., 66, 69, 71