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Manfred Stöhr Johannes Dichgans Ulrich W. Buettner Christian W. Hess Evozierte Potenziale SEP – VEP – AEP – EKP – MEP 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Manfred Stöhr Johannes Dichgans Ulrich W. Buettner Christian W. Hess
Evozierte Potenziale SEP – VEP – AEP – EKP – MEP
Mit Beiträgen von Michael Bach, Christian Gerloff, Thomas Haarmeier, Hildegard Kroiß, Konrad Scheglmann, Rolf-Detlef Treede
4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Mit 350 Abbildungen und 50 Tabellen
123
Prof. Dr. Manfred Stöhr Fritz-Strassmann-Str. 35, 86156 Augsburg
Prof. Dr. Johannes Dichgans Neurologische Universitätsklinik, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Prof. Dr. Ulrich W. Buettner Neurologische Klinik, Kantonsspital Aarau, 5001 Aarau, Schweiz
Prof. Dr. Christian W. Hess Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, 3010 Bern, Schweiz
ISBN 3-540-01773-9
Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2005 Printed in The Netherlands Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Meike Seeker; Gisela Zech-Willenbacher Lektorat: Christine Bier, Nußloch Design: deblik Berlin SPIN 10880591 Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck: Krips BV, Meppel, Niederlande Gedruckt auf säurefreiem Papier
2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 4. Auflage Die klinische Neurophysiologie hat in den letzten Jahrzehnten eine faszinierende Ausweitung und Differenzierung ihres Methodenspektrums erfahren, wobei der Teilbereich der multimodal evozierten Potenziale eine besonders große Bedeutung gewonnen hat. In jüngster Zeit hat dieser zuweilen stürmische Entwicklungsprozess eine gewisse Verlangsamung erfahren, die zwei Gründe haben dürfte: 1. Eine ganze Reihe von neurophysiologischen Verfahren hat zwischenzeitlich eine Perfektionierung durchlaufen, die für Weiterentwicklungen nur noch wenig Platz lässt, so dass sich viele wissenschaftlich interessierte Neurowissenschaftler anderen Gebieten zuwenden, die ein größeres Entwicklungspotenzial versprechen. So verständlich diese Tendenz ist, darf sie doch nicht dazu führen, dass das zwischenzeitlich erreichte hohe Niveau der neurophysiologischen Diagnostik durch Vernachlässigung gefährdet wird, wie sich dies bereits in einigen Kliniken abzeichnet, in denen kein Mitarbeiter mehr über profunde Kenntnisse auf diesem Gebiet verfügt und niemand mehr in der Lage ist, eine hochqualifizierte Abklärung einer Epilepsie oder eines Guillain-BarréSyndroms oder eine exakte Topodiagnostik von Hirnstammläsionen mittels neurophysiologischer Verfahren durchzuführen. 2. Die großartige Entwicklung der bildgebenden Diagnostik führt in Kombination mit der Bildgläubigkeit vieler Neurowissenschaftler zu einer sachlich unangemessenen Bevorzugung von CT-, MRT-, SPECT- und PET-Untersuchungen ohne zu bedenken, dass Krankheiten des Nervensystems zu strukturellen und funktionellen Änderungen führen und demgemäß einer komplementären Diagnostik bedürfen. Darüber hinaus lässt uns die bildgebende Diagnostik bei einer Vielzahl von Krankheiten im Stich, bei denen die Neurophysiologie eindrucksvolle Krankheitsmanifestationen aufzeigt – vom nonkonvulsiven Status epilepticus, über die Prognostik komatöser Zustände, bis hin zu Entmarkungen von Rückenmarksbahnen und Immunneuropathien. Während die visuell- und die akustisch evozierten Reizantworten sowie die ereigniskorrelierten Potenziale in der Diagnostik diverser Hirnerkrankungen unverzichtbar sind, ermöglichen die somatosensibel-, motorisch- bzw. durch Schmerzreize evozierten Potenziale zusätzliche Funktionsprüfungen von spinalen Bahnen sowie von Anteilen des peripheren Nervensystems. Dies trifft z. B. bei spinalen Verlaufsformen von multipler Sklerose oder in der Frühdiagnose des GuillainBarré-Syndroms zu. Das nunmehr in der 4. Auflage erscheinende Standardwerk der evozierten Potenziale wurde in allen Abschnitten, unter Einbeziehung der neuesten Literatur, vollständig überarbeitet und durch verbessertes Bildmaterial noch anschaulicher gestaltet, wofür allen Mitarbeitern herzlich gedankt wird. Dank sei auch den neurophysiologischen Assistentinnen und den Sekretärinnen der beteiligten Kliniken sowie dem Springer Medizin Verlag (insbesondere Frau Bier, Frau Scheddin, Frau Seeker und Frau Zech-Willenbacher) für die gute Kooperation und die vorzügliche Ausstattung des vorliegenden Werkes. Manfred Stöhr
Augsburg, im Januar 2005
VII
Inhaltsverzeichnis 1 Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung . . . . . . . . . M. Stöhr 2 Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Stöhr
1
21
3 Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm . . . . . . . . . . 253 M. Bach, T. Haarmeier, J. Dichgans 4 Akustisch evozierte Potenziale (AEP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 U. W. Buettner 5 Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 T. Haarmeier, J. Dichgans 6 Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 H. Kroiß, K. Scheglmann, M. Stöhr 7 Ereignis-korrelierte Potenziale (EKP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 C. Gerloff 8 Motorisch evozierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 C. W. Hess 9 Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 R.-D. Treede Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
IX
Mitarbeiterverzeichnis Bach, Michael, Prof. Dr. Universitäts-Augenklinik, Killianstr. 5, 79106 Freiburg
Buettner, Ulrich W., Prof. Dr. Neurologische Klinik, Kantonsspital Aarau, 5001 Aarau, Schweiz
Dichgans, Johannes, Prof. Dr. Neurologische Universitätsklinik, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Hess, Christian W., Prof. Dr. Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, 3010 Bern, Schweiz
Gerloff, Christian, Priv.-Doz. Dr. Neurologische Universitätsklinik, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Haarmeier, Thomas, Priv.-Doz. Dr. Neurologische Universitäts-Klinik, Universität Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen
Kroiß, Hildegard, Dr. Neurologische Klinik und Klinische Neurophysiologie, Zentralklinikum Augsburg, Stenglinstr. 2, 86156 Augsburg
Scheglmann, Konrad, Dr. Neurologische Klinik und Klinische Neurophysiologie, Zentralklinikum Augsburg, Stenglinstr. 2, 86156 Augsburg
Stöhr, Manfred, Prof. Dr. Fritz-Strassmann-Str. 35, 86156 Augsburg
Treede, Rolf-Detlef, Prof. Dr. Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Fachbereich Medizin, Johannes Gutenberg Universität, Saarstr. 21, 55099 Mainz
XI
Abkürzungsverzeichnis Kapitel 1 und 2
ALS C2 C3 EMAP EMG EP Fz HWK L1 LSEP Med-SEP MEP MNAP MRT MS MTA-F N20 N 20 NAP NLG NSEP P40 PNS SEP SNAP SSEP Tib-SEP TOS ZNS
Amyotrophische Lateralsklerose Dornfortsatz des 2. Halswirbelkörpers Ableitepunkt von der Kopfhaut ( s. 10- bis 20-System) Evoziertes Muskelaktionspotenzial Elektromyogramm 1. Evoziertes Potenzial 2. Erb-Punkt Ableitepunkt von der Kopfhaut ( s. 10- bis 20-System) Halswirbelkörper Dornfortsatz des 1. LWK Lumbale somatosensible evozierte Potenziale Reizantwort nach Stimulation des N. medianus Motorisch evozierte Potenziale Nervenaktionspotenzial nach Stimulation eines gemischten Nerven (»mixed nerve action potential«) Magnetresonanztomographie Multiple Sklerose Medizinisch-technischer Assistent für Funktionsdiagnostik International gebräuchliche Nomenklatur zur Kennzeichnung eines Potenzials aufgrund von mittlerer Latenz und Polarität Kennzeichnung eines Potenzials aufgrund von aktueller Latenz und Polarität (bei einer Einzelmessung) Nervenaktionspotenzial Nervenleitgeschwindigkeit Somatosensible Reizantworten vom Nacken (= zervikales SEP, neck-SEP) ( s. N20) Peripheres Nervensystem Überbegriff für alle spinalen, subkortikalen und kortikalen somatosensiblen Reizantworten Sensibles Nervenaktionspotenzial Somatosensible Reizantworten bei Ableitung von der Kopfhaut (Skalp-SEP) Reizantworten nach Stimulation des N. tibialis Thoracic-outlet-Syndrom Zentrales Nervensystem
Kapitel 3
CAR CSNB
»Cancer-associated-retinopathy« Kongenitale stationäre Nachtblindheit
XII
Abkürzungsverzeichnis
DTL-Elektrode EOG ERG Fpz FRP GABA IFCN LED MERG MRI NNO OHT OP RBN STR VEP
Dawson-Trick-Litzkow-Fadenelektrode Elektrookulogramm Elektroretinogramm Frontopolar platzierte Elektrode Frühe Rezeptorpotenziale Gammaaminobuttersäure International Federation of Clinical Neurophysiology »Light-emitting diodes« Musterelektroretinogramm »Magnetic resonance imaging« Neuritis Nervi optici Okuläre Hypertension Oszillatorisches Potenzial Retrobulbärneuritis »Scotopic threshold response« Visuell evozierte Potenziale
Kapitel 4
AEHP AEP BAEP BAER BER BERA CAR CERA CGM CM ECochG FAEP HMSN IC IPL LL MAEP PAR SAEP SEP SOC SP VEP VCN
Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale Akustisch evozierte Potenziale »Brain stem auditory evoked potentials« »Brainstem auditory evoked response« »Brainstem evoked response« »Brain stem electric response audiometry« »Crossed acoustic response« »Cortical electric response audiometry« »Corpus geniculatum mediale« »Cochlear microphonics« Elektrocochleographie Frühe akustisch evozierte Potenziale Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Colliculus inferior Interpeaklatenzen Lemnicus lateralis Akustisch evozierte Potenziale mittlerer Latenz Postaurikularreflex Späte akustisch evozierte Potenziale Sensible evozierte Potenziale »Superior olivary complex« Summationspotenzial Visuell evozierte Potenziale Ventral cochlear nucleus
XIII Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 5
AEHP CT EP IgG MEP MRI SEP VEP
Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale Computertomogramm Evozierte Potenziale Immunglobulin-Index der Klasse G Motorisch evozierte Potenziale »Magnetic resonance imaging« Sensible evozierte Potenziale Visuell evozierte Potenziale
Kapitel 6
AEP CT EEG FAEP KG MAEP SEP VEP
Akustisch evozierte Potenziale Computertomogramm Elektroenzephalogramm Frühe akustisch evozierte Potenziale Körpergewicht Mittlere akustisch evozierte Potenziale Somatosensorisch evozierte Potenziale Visuell evozierte Potenziale
Kapitel 7
AEHP BAEP BP CNV Cz DC EEG EP EOG ERG ERP fMRT LRP M1 MAEP MEG MMN MO MP Nd-Welle NS PET
Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale Brainstem acoustic evoked potentials Bereitschaftspotenzial Kontingente negative Variation Elektronenposition am Vertex »Direct current« Elektroenzephalogramm Ereignis-korrelierte Potenziale Elektrookulogramm Elektroretinogramm »Event-related potentials« funktionelle Kernspintomographie »lateralized readless potential« primär motorischer Kortex Mittellatente akustisch evozierte Potenziale Ganzkopf-Magnetenzephalographie »Mismatch negativity« »Movement potential« »Motor potential« »Negative difference-wave« »Negative slope« Positronen-Emissionstomographie
XIV
Abkürzungsverzeichnis
PMC ppMP S1 SEP SMA ssMRCP VEP
prämotorischer Kortex »parietal peak of MP« primär somatosensorischer Kortex Somatosensibel evozierte Potenziale supplementär-motorische Area »Steady-state Movement-Related Cortical Potentials« Visuell evozierte Potenziale
Kapitel 8
ADCA ADM AEHP AL ALS BB CPEO EMG EOCA EPSP HAM HTLV L KG MEP MS OPCA PET PLZ SD SEP SPECT Tibant, TA ZML
Autosomal-dominante zerebelläre Ataxien Musculus abductor digiti minimi Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale Armlänge Myatrophische Lateralsklerose Biceps brachii Chronische progressive externe Ophthalmoplegie Elektromyogramm »Early onset cerebellar ataxy« Erregende postsynaptische Potenziale HTLV-1-assoziierte Myelopathie Human T-lymphotropic virus Kortiko-muskuläre Latenz Körpergewicht Motorisch evozierte Potenziale Multiple Sklerose Olivopontozerebelläre Atrophie Positronen-Emissionstomographie Periphere Leitungszeit Standardabweichung Sensible evozierte Potenziale »Single photon emission computer tomography« Tibialis anterior Zentrale motorische Leitungszeit
Kapitel 9
AEP CT EOG LEP MRT PNP SEP
Akustisch evozierte Potenziale Computertomographie Elektrookulogramm Laser-evozierte Potenziale Magnetresonanztomogramm Polyneuropathie Sensorisch evozierte Potenziale
1 Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung M. Stöhr
1.1
Einleitung
–2
1.2
Physiologie der Impulsleitung
1.3
Pathophysiologie der Impulsleitung
–2 –4
1.3.1 Impulsleitung in demyelinisierten Axonen – 4 1.3.2 Impulsleitung bei Axondegeneration – 12
1.4
Nahfeld- und Fernfeldaktivität Literatur
– 16
– 14
1
2
Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
1.1
Einleitung
Der diagnostische Einsatz multimodal evozierter Potenziale setzt Kentnisse der Impulsleitung in Nervenbahnen unter normalen und pathologischen Bedingungen voraus, da nur dann eine zutreffende Interpretation der verschiedenartigen möglichen Abweichungen erfolgen kann.
Adäquate Reizung von Sinnesorganen führt zur Entstehung von Generatorpotenzialen in den spezifischen Sinnesrezeptoren. Die Höhe des Generatorpotenzials bestimmt die Zahl und die Frequenz der Nervenaktionspotenziale in den angeschlossenen Nervenfasern. Die Aktionspotenziale erreichen über mehrere hintereinandergeschaltete Neurone die spezifischen sensorischen Rindenfelder, wobei bereits vor deren Eintreffen im Kortex Prozesse der Filterung und Integration in den einzelnen synaptischen Schaltstationen ablaufen. ! Die Fortleitung von Informationen in peripheren Nerven und in zentralnervösen Leitungsbahnen ist eine Fortleitung von Aktionspotenzialen und als solche messbar. Bei elektronischer Summation einer genügend großen Zahl von Reizantworten gelingt diese Messung von der intakten Körperoberfläche aus und stellt damit eine klinisch anwendbare nichtinvasive Untersuchungsmethode dar.
So lassen sich z.B. nach Stimulation eines sensiblen Beinnerven sensible Nervenaktionspotenziale über proximaleren Abschnitten dieses Nerven und über den zugeordneten Hinterwurzeln registrieren. Im Bereich der synaptischen Umschaltstellen in Hinterhornneuronen des Lumbosakralmarks sowie im Nucleus gracilis werden weitere von der Haut ableitbare postsynaptische Potenziale generiert. Schließlich führt das Eintreffen der Erregung in der primären somatosensiblen Rinde zur Ausbildung einer hohen kortikalen Primärantwort, die von variableren Potenzialschwankungen, die im Zusammenhang mit der kortikalen Erregungsverarbeitung stehen, gefolgt wird. Alle einem modalitätsspezifischen Reiz bzw. einer elektrischen Stimulation sensibler Afferen-
zen folgenden Reizantworten werden unter dem Begriff »Evozierte Potenziale« subsumiert. Dabei ist in allen derzeit klinisch untersuchten Sinnessystemen – dem akustischen, dem visuellen, dem somatosensiblen und dem olfaktorischen – die wichtigste Messgröße die Latenz der Reizantworten. Die diagnostische Methode der »Evozierten Potenziale« untersucht also in erster Linie die Geschwindigkeit, mit der die Impulse in dem jeweiligen Sinnessystem geleitet werden. Weitere Messparameter sind die Amplitude und die Form der Reizantworten, die unter anderem abhängen von der Zahl der funktionsfähigen Neuronen und dem Grad an Synchronizität, mit dem die Impulse in den verschiedenen Nervenfasern einer sensorischen Bahn übertragen werden. Messungen evozierter Potenziale (mit Ausnahme der späteren kortikalen Reizantworten) stellen somit eine Funktionsprüfung der jeweiligen sensorischen Leitungsbahn dar und erlauben Rückschlüsse auf deren Funktionstüchtigkeit. Die Prinzipien der Impulsleitung und die Mechanismen ihrer Störung werden im Folgenden soweit besprochen, wie es zum Verständnis der späteren Kapitel notwendig erscheint.
1.2
Physiologie der Impulsleitung
Die durch ein Rezeptorpotenzial bzw. durch elektrische Reizung induzierte Erregung einer Nervenfaser pflanzt sich entsprechend den Gesetzen der Längsausbreitung von Potenzialen von dem jeweils erregten zu dem noch nicht erregten Membranbezirk fort. Dies geschieht durch einen Einstrom positiver Ladungen im erregten Membranbezirk, deren Überschuss im Faserinneren nach beiden Seiten abfließt. Der in der Leitungsrichtung gelegene Membranabschnitt wird dadurch elektrotonisch depolarisiert. Erreicht die elektrotonische Depolarisation die Schwelle, wird dort durch Na+-Einwärtsstrom ein Aktionspotenzial ausgelöst (⊡ Abb. 1.1). In marklosen Nervenfasern liegt eine gleichmäßige Erregbarkeit der Axonmembran vor, woraus sich eine kontinuierliche Erregungsausbreitung ergibt. An markhaltigen Nervenfasern erfolgt die Erregungsausbreitung dagegen saltatorisch (Huxley u. Stämpfli 1949), da nur die RanvierSchnürringe eine Zellmembran mit einer genügend
3 1.2 · Physiologie der Impulsleitung
1
⊡ Abb. 1.1 a, b. Fortleitung von Aktionspotenzialen in marklosen und markhaltigen Axonen. In einer marklosen Nervenfaser (a) erfolgt die Impulsleitung von einem Punkt der diffus erregbaren Axonmembran zum nächsten, d.-h. kontinuierlich. In markhaltigen Nervenfasern (b) breitet sich die Erregung von einem Schnürring über das Internodium zum nächsten Schnürring aus, in welchem nach ausreichender elektrotonischer Depolarisierung ein neues Aktionspotenzial generiert wird. Die Impulsleitung in markhaltigen Nervenfasern erfolgt somit saltatorisch. (Aus Barchi 1980)
großen Dichte an Na+-Kanälen besitzen. Die dazwischenliegenden Internodien weisen durch die Umhüllung mit einer Markscheide einen hohen Membranwiderstand auf. In diesen fließt daher bei einer Potenzialänderung fast kein Strom durch die Membran, so dass sich ein Aktionspotenzial von einem Schnürring nahezu verlustlos elektrotonisch über das Internodium zum nächsten Schnürring ausbreitet. Hieraus resultiert eine beträchtliche Beschleunigung der Impulsleitung, die bis zu einem gewissen Grad mit der Länge der Internodien zunimmt (Paintal 1978). Die Leitungsgeschwindigkeit in einer Nervenfaser hängt von verschiedenen Faktoren ab (Waxman 1980 a). Der wichtigste Faktor ist die Faserdicke, mit der die Leitgeschwindigkeit in einer an-
nähernd linearen Beziehung steht (Waxman u. Bennett 1972). Die Geschwindigkeit der elektrotonischen Ausbreitung der Membranströme nimmt nämlich mit dem Faserdurchmesser zu, da der Längswiderstand des Faserinneren durch den Faserquerschnitt bestimmt wird. Bei markhaltigen Nervenfasern gibt es einen im Hinblick auf die Leitgeschwindigkeit optimalen Anteil der Markscheidendicke am Gesamtdurchmesser der Nervenfaser (entsprechend einem Verhältnis von Axon- zu Gesamtdurchmesser von 0,6–0,7 (Smith u. Koles
1970)). Für jeden gegebenen Faserdurchmesser besteht weiter eine optimale Länge des Internodalsegments, die dem 100- bis 200fachen Wert der Faserdicke entspricht (Brill et al. 1977). Bei zunehmender Ausdehnung des Areals, welches der Ranvier-Knoten einnimmt, wächst die Leitgeschwindigkeit bis zu einem Wert, der dem in normalen markhaltigen Nervenfasern entspricht. Eine weitere Vergrößerung, wie sie z. B. bei paranodaler Demyelinisierung vorkommt, vermindert dagegen die Leitgeschwindigkeit erneut (Hardy 1971). Außer diesen morphologischen Faktoren ist die Amplitude des Na+-Einstroms von Bedeutung: »Je mehr Strom nach der Umladung der Membran in der Erregung noch zur Verfügung steht, desto mehr Strom kann in anliegende noch nicht erregte Bezirke fließen und ihre Depolarisation beschleunigen« (Dudel 1980). ! Physiologischerweise ist die mit dem Na+-Einstrom korrelierte Anstiegssteilheit des Aktionspotenzials größer in dicken als in dünnen markhaltigen Fasern. Bei 37°C variiert die Dauer der Anstiegsphase je nach Faserdicke zwischen 70 und 400 µs, die des gesamten Aktionspotenzials zwischen 0,3 und 1,6 ms ▼
4
1
Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
(Paintal 1978). Bei gleich großen Internodalabständen wird somit eine dicke Faser schneller leiten, da wegen der kürzeren Anstiegsphase des Aktionspotenzials die Schwellenerregbarkeit des benachbarten Schnürrings rascher erreicht wird. Messungen an der Katze haben gezeigt, dass die internodale Leitungszeit an dicken Fasern 16 µs, an dünnen markhaltigen Fasern 20 µs beträgt. An den dicken Fasern wird der nächste Schnürring erregt, sobald das Aktionspotenzial etwa 21%, an den dünnen, sobald es etwa 14% seiner Gesamtamplitude erreicht hat, woraus sich ein Sicherheitsfaktor der Impulsübertragung auf den nächsten Ranvierschen Knoten von 5 bzw. 7 ergibt (Paintal 1978).
Außer der Leitgeschwindigkeit einer Nervenfaser ist ihre Fähigkeit zur Übermittlung frequenter Impulsfolgen funktionell bedeutsam. Schnellleitende Fasern sind wegen ihrer kürzeren Refraktärperiode imstande, höherfrequente Impulsserien fortzuleiten (Paintal 1978). Eine Temperaturabnahme bedingt wegen der hierbei auftretenden Verlängerung der Refraktärperiode (Temperaturabhängigkeit der energieliefernden Prozesse) eine Reduktion der maximal übertragbaren Impulsfrequenz. Im Hinblick auf die Möglichkeit von Impulsblockierungen ist schließlich die Sicherheit der Erregungsübertragung wichtig. Der Sicherheitsfaktor der Impulsweiterleitung ist definiert durch das Verhältnis der Amplitude des Aktionspotenzials zu der für eine Erregung des nächsten Ranvier-Knotens benötigten minimalen Amplitude (Frankenhaeuser 1973). Der Sicherheitsfaktor und damit die Sicherheit der Impulsweiterleitung werden erhöht durch eine Erhöhung der Aktionspotenzialamplitude, eine Schwellenerniedrigung, eine Abnahme der Stromverluste zwischen dem erregten und dem benachbarten erregbaren Knoten und schließlich durch Temperaturerniedrigung wegen der hierbei verlängerten Dauer des Aktionspotenzials.
Pathophysiologie der Impulsleitung
1.3
1.3.1 Impulsleitung in demyelinisierten
Axonen Der Begriff Demyelinisation umfasst ein weites Spektrum morphologischer Veränderungen an markhaltigen Axonen und reicht von diskreten paranodalen Läsionen bis hin zum völligen Verschwinden der Markscheide über ganze Internodien hinweg (⊡ Abb. 1.2). Unabhängig von der Ätiologie manifestiert sich der demyelinisierende Prozess häufig primär in der Paranodalregion (Spencer u. Weinberg 1978), wobei bereits diskrete paranodale Veränderungen zu Änderungen der Impulsleitung führen können (Koles u. Rasminsky 1972). Die funktionellen Auswirkungen der Demyelinisation von Axonen auf die Impulsleitung scheinen im peripheren Nervensystem (PNS) und im zentralen Nervensystem (ZNS) identisch zu sein (Rasminsky 1973; McDonald 1974 a), wobei eine hochgradige Demyelinisierung von peripheren Nerven oder zentralnervösen Leitungsbahnen zum Leitungsblock führt, während weniger schwere Veränderungen eine Verzögerung, Dispersion und Amplitudenminderung des rostral der Läsion abgeleiteten Summenpotenzials zur Folge haben (⊡ Abb. 1.2) (McDonald 1963; Cragg u. Thomas 1964 a; Lehmann u. Ule 1964; McDonald u. Sears 1970).
Experimentelle Untersuchungen über Impulsleitungsstörungen in demyelinisierten Axonen Die Leitungsverzögerung in einem demyelinisierten Axon kann theoretisch durch zwei Mechanismen bedingt sein: 1. Verlängerung der internodalen Überleitungszeit bei erhaltener saltatorischer Erregungsleitung. 2. Übergang von saltatorischer in kontinuierliche Impulsleitung.
Verschiedene experimentelle Befunde sprechen für das Vorkommen beider Mechanismen (Rasminsky u. Sears 1972; Bostock u. Sears 1976; Sears 1979).
5 1.3 · Pathophysiologie der Impulsleitung
1
A
B
C
D
⊡ Abb. 1.2. Schematische Darstellung verschiedenartiger krankhafter Veränderungen an Axonen und deren Konsequenzen für die Impulsleitung. (Stim Stimulation am peripheren Abschnitt des Axons. Rec 1 und 2 distale und proximale Ableitung des Aktionspotenzials). Ein Leitungsblock in einem Teil der Axone einer Leitungsbahn bedingt eine Amplitudenerniedrigung des rostral der Schädigungsstelle registrierten Aktionspotenzials. Nach Aufhebung des Lei-
tungsblocks durch Remyelinisierung oder Übergang in eine kontinuierliche Impulsleitung resultiert häufig eine Latenzzunahme des rostral der Läsion registrierten Potenzials, oft kombiniert mit einer Desynchronisation der Impulswelle. Die Degeneration eines Teils der Axone einer Leitungsbahn (partielle Axonotmesis) bedingt eine Erniedrigung der Summenaktionspotenziale distal und proximal der Läsionsstelle
6
Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
1
⊡ Abb. 1.3 a–c. Saltatorische Impulsleitung in einer demyelinisierten Nervenfaser mit verlängerten internodalen Überleitungszeiten. a Sukzessive Potenzial-Registrierung von mehreren aufeinanderfolgenden Internodien einer demyelinisierten Vorderwurzelfaser der Ratte (Zeitskala 100 µs; Verstärkung 100 µV). b Latenzen der initialen Potenzialgipfel über
eine Nervenfaserstrecke von 12 mm. (Die beiden Pfeile zeigen Beginn und Ende der in a gezeigten Originalregistrierung.) c Internodale Überleitungszeit von neun aufeinanderfolgenden Internodien. Die normale internodale Überleitungszeit ist durch eine gestrichelte Linie markiert. (Aus Rasminsky u. Sears 1972)
In normalen markhaltigen Nervenfasern der Ratte ermittelten Rasminsky u. Sears (1972) eine durchschnittliche internodale Überleitungszeit von etwa 20 µs. An demyelinisierten Fasern zeigte sich eine ausgeprägte Leitungsverzögerung zwischen aufeinanderfolgenden Schnürringen, wobei die Überleitungszeiten Werte von maximal 600 µs erreichten (⊡ Abb. 1.3). Als Ursache der Leitungsverzögerung werden Stromverluste durch mangelhafte Isolation der Internodien (Tasaki 1955) und eine verminderte Membranerregbarkeit im Bereich der Ranvier-Knoten angeschuldigt (Rasminsky 1978). Letztere könnte durch den Verlust der paranodalen polyanionischen Matrix mitbedingt sein, die offensichtlich bei der Aufrechterhaltung normaler Ionengradienten eine Rolle spielt (De Baecqué et al. 1976; Landon u. Hall
1976). Die Bedeutung des Ionenmilieus für die Geschwindigkeit der Impulsleitung wird ersichtlich aus raschen Änderungen der Nervenleitgeschwindigkeit bei Urämiepatienten während der Hämodialyse (Fleming et al. 1972; Niemann et al. 1984) und aus Leitgeschwindigkeitsänderungen unter ischämischer Depolarisation (Stöhr 1981 b). Als dritter Faktor trägt eine lokale Verkleinerung des Axondurchmessers mit hieraus resultierender Erhöhung des Längswiderstands des Faserinneren zu der Leitungsverzögerung bei. In remyelinisierten Fasern spielen daneben eine verminderte Dicke der Markscheide sowie eine Verkürzung der Internodalsegmente eine Rolle.
7 1.3 · Pathophysiologie der Impulsleitung
1
! Fällt der Sicherheitsfaktor der Impulsübertragung, z.B. durch exzessive Stromverluste innerhalb des demyelinisierten Internodiums unter 1, resultiert ein Leitungsblock.
Computersimulationen der Impulsleitung in demyelinisierten Fasern haben aufgezeigt, dass ein erstaunlicher Grad an Demyelinisierung toleriert wird, bevor ein Leitungsblock eintritt. Sofern die Entmarkung auf ein einzelnes Internodium der Modellfaser beschränkt ist, erfolgt eine Impulsfortleitung, bis die Dicke der Markscheide unter 2,7% des normalen Werts abfällt (Koles u. Rasminsky 1972) (⊡ Abb. 1.4). Die Wahrscheinlichkeit des Leitungsblocks wächst mit der Anzahl der betroffenen Internodien. So werden z. B. zwei aufeinanderfolgende Segmente mit einer Verdünnung der Markscheide auf 4% des normalen Werts nicht mehr passiert (Koles u. Rasminsky 1972). Die zweite diskutierte Möglichkeit der Impulsverzögerung in einem demyelinisierten Axon, nämlich die der kontinuierlichen Impulsleitung, erschien bis vor kurzem unwahrscheinlich, da die entsprechenden Abschnitte der Axonmembran durch ein weitgehendes Fehlen von Na+-Kanälen charakterisiert sind. Bostock u. Sears (1976, 1978) und Sears (1979) demonstrierten jedoch an demyelinisierten Nervenfasern der Ratte das Vorkommen von kontinuierlicher Impulsleitung über Distanzen bis zu 1,8 mm hinweg. Die Leitgeschwindigkeit in dem kontinuierlich leitenden Segment erwies sich dabei bis auf 2–5% des normalen Werts reduziert (⊡ Abb. 1.5). Diese Beobachtung spricht für die prinzipielle Fähigkeit demyelinisierter Axonsegmente, Aktionspotenziale zu generieren, was die vorherige Ausbildung einer genügend großen Zahl von Na+-Kanälen voraussetzt. Vermutlich setzt im Anschluss an eine segmentale Demyelinisierung eine Neuverteilung der Na+-Kanäle in der Axonmembran ein, die zumindest in manchen Fällen die Voraussetzung für eine kontinuierliche Impulsleitung schafft (Rasminsky 1978). Bei nachfolgender Remyelinisierung resultiert wohl eine erneute Konzentrierung im Bereich der neugebildeten Ranvierschen Knoten (Waxman 1980b). Außer den Phänomenen der Impulsblockierung und Leitungsverzögerung in demyelinisierten
⊡ Abb. 1.4 a, b. Impulsleitung in demyelinisierten Nervenfasern. Computersimulation der Impulsleitung in einer demyelinisierten Faser mit einer Reduktion der Markscheidendicke im Internodium 4/5 auf 2,7% (a) bzw. 2,5% (b). Im oben gezeigten Beispiel findet noch eine Impulsüberleitung statt, wenn auch mit einer beträchtlichen Verzögerung, während im unten gezeigten Beispiel eine Impulsblockierung resultiert. (Aus Koles u. Rasminsky 1972)
Nervenfasern sind weitere funktionelle Veränderungen von klinischer Bedeutung. So besitzen demyelinisierte Nervenfasern eine verminderte Fähigkeit zur Übermittlung frequenter Impulsfolgen. An demyelinisierten Hinterstrangfasern der Katze konnte eine Erhöhung der Refraktärperiode der Impulsübertragung (»refractory period of transmission«) 1 von normalerweise 0,5–1 ms auf bis zu 4,2 ms festgestellt werden (McDonald u. Sears 1970). 1
Minimales Interstimulusintervall, bei dem der Zweite von zwei in einem lädierten Nervensegment eintreffenden Impulsen dieses nicht mehr zu passieren vermag.
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Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
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⊡ Abb. 1.5. Kontinuierliche Impulsleitung in einer demyelinisierten Nervenfaser. Die Leitgeschwindigkeit zwischen dem 1. und 2. Ranvierschen Knoten ist weitgehend normal, während die zwischen dem 2. und 3. sowie 3. und 4. Knoten stark verzögert erfolgt (internodale Überleitungszeiten 30, 160 bzw. 110 µs). Der Sitz der Ranvierschen Knoten ist an der jeweils abrupten Latenzverlängerung zu erkennen. Im Anschluss an die Erregung des 4. Ranvier-Knotens erfolgt ein Übergang in kontinuierliche Impulsleitung mit stetiger Latenzzunahme zwischen den verschiedenen Ableitepunkten vom gleichen Internodium. Die Impulsleitungsgeschwindigkeit in diesem Segment beträgt etwa 2 m/s. (Aus Bostock u. Sears 1978)
Die Übertragung von Impulsserien (»trains«) ist bis herab zu Frequenzen von 80 Hz – die innerhalb des physiologischen Frequenzspektrums gelegen sind – gestört (Rasminsky u. Sears 1972). ! Für die Übermittlung frequenter Impulsfolgen ist die Refraktärität der Nervenfasern von Bedeutung. Laufen zwei Impulse dicht hintereinander über eine normale Nervenfaser, trifft der zweite Impuls auf Schnürringe mit erhöhter Erregbarkeitsschwelle, die außerdem – nach ausreichender elektrotonischer Depolarisierung – niedrigere Aktionspotenziale erzeugen. Der Sicherheitsfaktor der Erregungsübertra▼
gung ist damit für den zweiten Impuls niedriger als für den ersten (Tasaki 1953). Liegt in einer demyelinisierten Nervenfaser bereits eine kritische Erniedrigung des Sicherheitsfaktors vor, kann diese eine weitere Reduktion nicht mehr tolerieren, und es resultiert ein Leitungsblock für den zweiten Impuls. Dabei reicht es aus, wenn der Sicherheitsfaktor der Impulsübermittlung an einer einzigen Faserstelle unter 1 abfällt, so dass ganz umschriebene Läsionen große funktionelle Auswirkungen haben können. (Im Unterschied dazu reflektiert die Leitgeschwindigkeit einer Nervenfaser die Leitungseigenschaften der Gesamtheit der Nervensegmente.) Läuft nicht nur ein Doppelimpuls, sondern eine Impulsserie über die demyelinisierte Nervenfaser, resultiert eine weitere Erhöhung des kritischen Interstimulusintervalls, d. h. des Intervalls bei dessen Unterschreitung die Impulsübertragung wegen zunehmender Verringerung der Potenzialamplitude ausfällt oder nur noch intermittierend gelingt (McDonald u. Sears 1970; Rasminsky u. Sears 1972). Vermutlich spielen hierbei Änderungen der axonalen Erregbarkeit infolge intra- und perineuraler Verschiebungen der Elektrolytkonzentrationen eine Rolle.
Aus dem Gesagten folgt, dass in demyelinisierten Nervenfasern, außer den Extremen der erhaltenen oder blockierten Impulsleitung die Möglichkeit der intermittierenden Blockierung besteht, deren Wahrscheinlichkeit mit zunehmender Impulsfrequenz wächst. Die Impulsleitungsgeschwindigkeit und die Sicherheit der Erregungsübertragung hängen nicht nur von der Beschaffenheit der Axone selbst ab, sondern sie unterliegen auch metabolischen und Temperatureinflüssen. Diese Einflüsse sind von besonderer funktioneller Bedeutung, wenn der Sicherheitsfaktor der Impulsübertragung bereits auf einen kritischen Wert abgesunken ist. Die Temperaturabhängigkeit der Impulsleitung in demyelinisierten Axonen ist tierexperimentell wiederholt nachgewiesen worden (Davis u. Jacobson 1971; Paintal 1978). Rasminsky (1973) demonstrierte an demyelinisierten Nervenfasern
9 1.3 · Pathophysiologie der Impulsleitung
mit stark verlängerter internodaler Überleitungszeit einen Leitungsblock bei Temperaturerhöhung, der sich bei nachfolgender Temperatursenkung wieder zurückbildete. (Unter gleichzeitiger Anoxie trat die Blockierung bereits bei niedrigeren Temperaturen ein.) Als Grund des Leitungsblocks bei ansteigender Temperatur werden eine Verminderung des Membranstroms (Rasminsky 1973) und eine Verkürzung des Aktionspotenzials (Stämpfli u. Hille 1976) mit entsprechender Erniedrigung des Sicherheitsfaktors der Impulsübertragung angeführt. Außer der Temperatur wirken sich alle metabolischen Faktoren, welche die Membranerregbarkeit beeinflussen, auf den Sicherheitsfaktor der Impulsübertragung aus. Von negativem Einfluss sind jene Faktoren, die zu einer Verminderung des Na+-Einwärtsstroms am Ranvierschen Knoten führen, z.B. eine Erniedrigung der extraneuralen Na+-Konzentration und eine Herabsetzung des Ruhemembranpotenzials mit hierdurch bedingter (verstärkter) Inaktivierung des Na+-Systems. Dagegen setzt eine verminderte extrazelluläre Ca++-Konzentration die Schwellenerregbarkeit herab und verbessert damit die Überleitung in Nervensegmente mit niedrigem Sicherheitsfaktor (Rasminsky 1978). Dieser wird außerdem verbessert durch Faktoren, die die Dauer des Aktionspotenzials verlängern und damit den Effekt einer Abkühlung simulieren (Schauf u. Davis 1974), z. B. durch 4-Amino-Pyridin, das die K+-Kanäle blockiert. Tierexperimentell ließ sich zeigen, dass das Gift des Skorpions Leiurus quinquestriatus, das die Na+-Inaktivierung hemmt, die Blockierungstemperatur demyelinisierter Fasern um bis zu 12°C heraufsetzt (Sears 1979). Damit wurde ein neues Prinzip in der symptomatischen Behandlung von Entmarkungskrankheiten etabliert, dessen möglicher künftiger Einsatz bei Patienten allerdings noch ungewiss ist.
Klinische und elektrodiagnostische Konsequenzen der Impulsleitungsstörungen bei demyelinisierenden Prozessen Die aufgezeigten Störungen der Erregungsleitung in demyelinisierten Axonen ermöglichen sowohl ein Verständnis für bestimmte klinische Phänomene als auch für die hierbei auftretenden Verände-
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rungen der Nervenleitgeschwindigkeiten und der evozierten Potenziale. Klinische Auswirkungen. Der Ausfall von Nerven-
fasern in einem Nerven oder einer sensorischen Leitungsbahn durch Leitungsblock führt zu entsprechenden neurologischen Ausfallserscheinungen, wobei allerdings ein erheblicher Teil des Faserbestands betroffen sein muss, ehe eindeutige mit klinischen Methoden fassbare Symptome resultieren (McDonald u. Kocen 1975; Bernstein et al. 1978). Die Auswirkungen einer isolierten Leitungsverzögerung sind nicht genau bekannt und vermutlich wegen zentralnervöser Adaptationsvorgänge von geringerer Bedeutung. Eine ungleichmäßige Leitungsverzögerung in den Axonen einer Bahn mit entsprechender zeitlicher Dispersion des Summenpotenzials wird dagegen Funktionen beeinträchtigen, die an eine exakte zeitliche Folge von Impulsmustern geknüpft sind, wie z. B. das Vibrationsempfinden und die Flimmerverschmelzungsfrequenz (McDonald 1974 a; McDonald u. Kocen 1975). Intermittierende Impulsblockierungen in demyelinisierten Nervenfasern wurden als mögliche Erklärung für rasche aktivitätsabhängige Funktionseinbußen angeführt (McDonald u. Sears 1970); vermutlich spielen hierbei aktivitätsabhängige Variationen der Membranerregbarkeit eine Rolle (Rasminsky u. Lettvin 1978; Swadlow u. Waxman 1978; Stöhr 1981a). Ein Charakteristikum bei vielen MultipleSklerose-Kranken ist das ständige Fluktuieren der Symptome. Dieses steht nur teilweise in einem direkten Zusammenhang mit einer Verschlechterung bzw. Besserung des Krankheitsprozesses. So sind beispielsweise flüchtige Symptomänderungen in Abhängigkeit von der Körpertemperatur eine geläufige Erscheinung (Uthoffsches Phänomen), die sich auch in entsprechenden Variationen der evozierten Potenziale widerspiegelt. Diese Fluktuationen erklären sich aus der Abhängigkeit der Impulsleitung in demyelinisierten Axonen von der Körpertemperatur und der allgemeinen Stoffwechselsituation. So findet sich innerhalb der gesamten Faserpopulation einer sensorischen Leitungsbahn bei Entmarkungskrankheiten häufig eine größere Fasergruppe mit einem Sicherheitsfaktor in der Nähe von 1. In einem solchen Fall reichen geringe Änderungen der
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Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
Körpertemperatur oder der – die Nervenerregbarkeit beeinflussenden – Stoffwechselparameter aus, um die Impulsleitung in dieser Fasergruppe zu ermöglichen bzw. zu blockieren und damit neurologische Symptome zu bessern oder zu verschlechtern. So ist z. B. die durch Hyperventilation induzierte Alkalose und Konzentrationsänderung an ionisiertem Kalzium geeignet, eine kurzfristige Verbesserung der Impulsleitung in demyelinisierten Fasern des N. opticus herbeizuführen, wobei der Aufhebung eines Leitungsblocks in einem Teil der Faserpopulation in Kombination mit einer verbesserten Überleitung frequenter Impulsserien die größte Bedeutung zukommen dürfte (Davies et al. 1986). Innerhalb Stunden bis weniger Tage auftretende Symptomänderungen bei multipler Sklerose wurden vereinzelt auch auf die Wirkung blockierender Serumfaktoren zurückgeführt, nachdem Seren MS-Kranker am Rückenmark des Froschs solche Effekte erkennen ließen (Schauf u. Davis 1974). Allerdings zeigten spätere Untersuchungen, dass hierdurch nicht die Impulsleitung in Nervenfasern, sondern ausschließlich die synaptische Impulsübertragung beeinflusst wird. Außerdem sind solche blockierenden Faktoren (»neuroelectric blocking factors«) auch in Seren von Normalpersonen nachweisbar, so dass deren pathogenetische Bedeutung bei MS fraglich erscheint. Ein weiteres Charakteristikum vieler Entmarkungskrankheiten ist die Remissionstendenz, der verschiedene Ursachen zugrundeliegen. Im Bereich des peripheren Nervensystems (PNS) ist der wichtigste Faktor die Remyelinisation. Sofern lediglich eine geringgradige paranodale Demyelinisierung vorlag, ist eine Wiederherstellung der normalen Verhältnisse durch bloße Längsausdehnung der Myelinscheide möglich. Ansonsten erfolgt diese durch Bildung neuer Internodien durch Schwannsche Zellen, wobei die Anordnung der Ranvierschen Knoten in den remyelinisierten Nervenabschnitten unregelmäßiger ist als normal (Spencer u.Weinberg 1978) und kürzere Internodalabstände vorliegen (⊡ Abb. 1.6). Parallel dazu tritt im Verlauf der Remyelinisierung eine progrediente Beschleunigung der Nervenleitgeschwindigkeit ein (Morgan-Hughes 1968; Kraft 1975). Auch bei zentralnervösen Entmarkungskrankheiten kommt eine Remyelinisierung (durch
⊡ Abb. 1.6. Schematische Darstellung der Anordnung und Länge der Internodalsegmente in der Regenerationsphase nach segmentaler Demyelinisierung und Waller-Degeneration. (Aus Bradley 1974)
Oligodendrogliazellen) vor (Smith et al. 1979), allerdings in geringerem Ausmaß als im PNS (McDonald 1974 b) und als nach kompressionsbedingten unifokalen Demyelinisierungen im Rückenmark und im N. opticus (Gledhill u. McDonald 1977; Clifford-Jones et al. 1980). Am N. opticus der Katze konnte – trotz fortbestehender lokaler Kompression – in der fünften Woche eine partielle Remyelinisierung durch Oligodendrozyten beobachtet werden (Clifford-Jones et al. 1985). Eine solche Remyelinisierung scheint bei der Funktionsverbesserung von Läsionen, die auf akute oder chronische Kompression zurückgehen, eine wichtige Rolle zu spielen, während die Remyelinisierung bei multipler Sklerose auf die Randbezirke der Plaques beschränkt und damit von untergeordneter Bedeutung ist (Prineas u. Connell 1979; Smith et al. 1981).
11 1.3 · Pathophysiologie der Impulsleitung
Die remyelinisierten Internodien sind kürzer als normal und teilweise ohne feste Beziehung zum Axondurchmesser (Blakemore u. Murray 1981). Nach Berechnungen von Waxman u. Brill (1978) erleichtert eine solche Verkürzung der Internodalsegmente unmittelbar proximal eines Entmarkungsherds die Impulsfortleitung über die Entmarkungszone hinweg. Weitere Erklärungsmöglichkeiten für eine Symptombesserung sind die Rückbildung einer ödembedingten Faserkompression und das Verschwinden eines Leitungsblocks durch Ausbildung einer kontinuierlichen Impulsleitung. Außerdem wird eine Adaptation des Gehirns an die veränderte Informationsübertragung diskutiert, d. h. dieses lernt möglicherweise ein gestörtes Signal korrekt zu interpretieren (McDonald u. Kocen 1975; Namerow 1978). Entmarkungskrankheiten gehen nicht nur mit neurologischen Ausfallssymptomen einher, sondern führen häufig auch zu neurologischen Reizerscheinungen, wie z. B. Parästhesien, Schmerzen oder Lichtblitzen. Außer spontanen –, gibt es mechanisch induzierte Formen, wie z. B. die Nackenbeuge-Parästhesien (Lhermitte-Zeichen) bei MSHerden und Tumoren des Halsmarks oder die durch Augenbewegungen induzierten visuellen Reizsymptome bei Optikusneuritis (Davis et al. 1976). In Analogie zu Beobachtungen am peripheren Nervensystem lassen sich diese Reizerscheinungen auf eine spontane bzw. mechanisch induzierte Impulsbildung in demyelinisierten Nervenfasern – eventuell in Kombination mit einer ephaptischen Impulsübertragung auf benachbarte Fasern – zurückführen (Rasminsky 1978; Stöhr 1998). Ein Beleg für diese Annahme konnte durch die Registrierung repetitiver Spontanentladungen in afferenten Rückenmarksfasern der Katze nach experimenteller fokaler Demyelinisierung erbracht werden (Smith u. McDonald 1982), wobei außerdem eine pathologische Mechanosensitivität der betroffenen Axone auffiel. Gallamin (Flaxedil) erhöhte die Impulsrate, was auf dessen blockierenden Effekt auf die K+-Kanäle bezogen wurde. Klinische Beobachtungen legen nahe, dass nicht nur mechanische Reize, sondern auch eine Ischämie (z. B. im Rahmen einer Orthostasereaktion) geeignet ist, eine pathologische Impulsbildung an demyelinisierten Leitungsbahnen auszulösen.
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Für die Genese solcher spontaner oder induzierter ektopischer Erregungen ist vermutlich eine Herabsetzung des Ruhemembranpotenzials von Bedeutung, so dass dieses näher an der Erregungsschwelle liegt und damit bereits durch leichte Oszillationen einzelne oder repetitive Aktionspotenziale generiert werden. Mögliche Auslöser sind ein Stromfluss in benachbarten Axonen, Änderungen im periaxonalen Ionenmilieu, mechanische Reize oder Ischämie. Elektrodiagnostische Konsequenzen. Im Zusammenhang mit der Ableitung evozierter Potenziale sind weniger die Veränderungen in einzelnen Nervenfasern als vielmehr diejenigen der gesamten Faserpopulation eines Sinnessystems bedeutsam.
Die Gesamtzahl der in einer sensorischen Leitungsbahn befindlichen Nervenfasern wird bei einer Entmarkungskrankheit meistens unterschiedlich schwer betroffen sein, wobei sich im Extremfall ein Leitungsblock aller Fasern mit einem entsprechenden kompletten Funktionsausfall (z. B. einer völligen Erblindung bei einer Retrobulbärneuritis) ergibt. Häufiger ist eine Impulsblockierung in einem Teil der Fasern, eine variable Impulsverzögerung in den übrigen Fasern mit der einleitend erwähnten häufigen Kombination von Latenzzunahme, Amplitudenminderung und Dispersion der Gesamtimpulswelle anzutreffen ( s. Abb. 1.2 u. 1.7). Die Störungen der Impulsleitung in demyelinisierten Axonen erlauben eine befriedigende Erklärung der bei Entmarkungskrankheiten vorkommenden Normabweichungen der evozierten Potenziale. Die Latenzzunahme ist vermutlich
vorwiegend durch eine verlangsamte Leitgeschwindigkeit in demyelinisierten Axonen bedingt, zumal die Impulswelle beim Passieren einer einzelnen Plaque Verzögerungen von bis zu 20 ms erfahren kann (Bostock u. Sears 1978). Da die Aktionspotenziale in den rasch leitenden dicken Nervenfasern kürzer sind und der Sicherheitsgrad der Impulsübertragung dort niedriger liegt (Paintal 1978), dürften die dicken häufiger als die dünneren markhaltigen Fasern eine Blockierung erfahren, was sich ebenfalls negativ auf die Leitungszeiten auswirkt. Die durch variable Impulsverzögerung in den einzelnen Anteilen der Gesamtfaserpopulation zustandekommende verstärkte zeitliche Disper-
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Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
sion der Impulswelle bedingt möglicherweise eine zusätzliche synaptische Verzögerung (Noël u. Desmedt 1980). Nach Namerow (1978) soll sie außerdem zu einer Verbreiterung der kortikalen Reizantwort führen, wie sie auch durch repetitive Nachentladungen in einem Teil der Axone der untersuchten Leitungsbahn denkbar ist. Eine eindeutige Amplitudenreduktion tritt wegen der Verstärkereigenschaften der synaptischen Umschaltstationen nur beim funktionellen Ausfall eines großen Teils der jeweiligen Leitungsbahn ein, und ein kompletter Ausfall der kortikalen Reizantworten findet sich nur im Zusammenhang mit einer hochgradigen Funktionsbeeinträchtigung des jeweiligen Sinnessystems. Pathologische Reizantworten nach Serienstimulation mit 40 oder 100 Hz reflektieren die beeinträchtigte Fähigkeit demyelinisierter Axone zur Übermittlung frequenter Impulsserien (Sclabassi et al. 1974; Regan 1977). Unter einer hochdosierten i. v.-Stoßtherapie mit Kortikoiden können bei Multiple Sklerose-Patienten innerhalb weniger Tage Befundbesserungen resultieren, die in erster Linie auf die Aufhebung eines Leitungsblocks zurückzuführen sind, so dass erniedrigte Reizantworten eine Amplitudensteigerung erfahren (⊡ Abb. 1.7) und ausgefallene Komponenten wieder auftreten können. Längerfristig sind auch – besonders bei konsequenter Immunsuppression – bei einem Teil der Patienten Verkürzungen zuvor pathologisch verlängerter Latenzwerte möglich (Stöhr 1992). Einzelheiten der Veränderungen evozierter Potenziale bei Entmarkungskrankheiten werden in den entsprechenden Abschnitten der Kap. 2–4 dargestellt.
1.3.2 Impulsleitung bei
Axondegeneration Bei der Waller-Form der Nervenfaserdegeneration findet sich ein kombinierter Untergang von Axon und Myelinscheide, der simultan an verschiedenen Stellen im Verlauf der Nervenfaser beginnt ( s. Abb. 1.6). Elektrophysiologisch besteht die früheste Veränderung in einer progredienten Amplitudenreduktion des Summenaktionspotenzials bei unveränderter Nervenleitgeschwindigkeit (NLG).
Erst kurz vor dem Erlöschen der elektrischen Erregbarkeit tritt häufig eine geringgradige Leitungsverzögerung ein. Ob diese auf einer Abnahme der Leitgeschwindigkeit der noch funktionsfähigen Fasern beruht oder auf einem längeren Überleben physiologischerweise langsamer leitender Axone, ist unbekannt (Gutmann u. Holubar 1952; Causey u. Stratmann 1953; Kaeser u. Lambert 1962; Sumner 1978). ! Außer infraläsionellen Veränderungen können umschriebene Nervenläsionen auch zu degenerativen Erscheinungen proximal der Läsion führen. Cragg u. Thomas (1961) ermittelten tierexperimentell proximal einer Nervenquetschung eine Verkleinerung des Axondurchmessers, die mit einer Herabsetzung der maximalen Leitgeschwindigkeit um 10–20% einherging. Proximal einer Nervendurchschneidung resultierte eine Nervenleitgeschwindigkeitsminderung um 40%, sofern eine nachfolgende Nervenregeneration verhindert wurde. Ähnlich ausgeprägte Leitgeschwindigkeitsänderungen finden sich beim Menschen proximal von traumatischen Nervenläsionen und Engpasssyndromen (Ebeling et al. 1960; Thomas 1960; Anderson et al. 1970; Stöhr et al. 1977, 1978). Vermutlich liegt dieser Leitungsverzögerung eine Kombination von vermindertem Axondurchmesser und bevorzugter retrograder Degeneration der dicken markhaltigen Nervenfasern zugrunde.
Folgt der Waller-Degeneration eine Regeneration, leiten die regenerierenden Fasern zunächst mit extrem verlangsamter NLG bis herab zu 1 m/s. Nach Abschluß der Regeneration finden sich wegen der ungenügenden Remyelinisierung und der verkleinerten Internodalabstände ( s. Abb. 1.6) bleibende Impulsleitungsverzögerungen von etwa 75% der Norm (Cragg u. Thomas 1964b). Toxisch und metabolisch bedingte Axondegenerationen (z. B. durch Alkohol, Fehlernährung,
Urämie, Neoplasmen, Medikamente und Umweltgifte) entsprechen dem »Dying-back«-Typ (Sumner 1978). Im Fall des primären sensiblen Neurons bedeutet dies das Auftreten einer multifokalen terminalen Axondegeneration sowohl am peripheren als auch am zentralen Fortsatz der Spinalganglienzelle. Bei fortbestehender Schädigung schreitet die
13 1.3 · Pathophysiologie der Impulsleitung
⊡ Abb. 1.7. Amplitudenabnahme des Trigeminus-SEP bei akutem Entmarkungsherd in der rechten Brücke. Ein frischer Entmarkungsherd bedingt initial oft einen Leitungsblock der durch diesen verlaufenden Nervenfasern mit entsprechender Amplitudenabnahme der Reizantwort (z. B. des TrigeminusSEP nach rechtsseitiger Unterlippenstimulation bei rechts-
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pontiner Läsion – Zeile 1). Bei optimaler Remyelinisierung tritt im Lauf von Wochen bis wenigen Monaten eine Befundnormalisierung ein (Zeile 3). Häufiger resultiert allerdings eine Defektheilung mit Impulsleitungsverzögerung und damit Latenzzunahme des Reizantwortpotenzials
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Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
Axondegeneration allmählich in Richtung des Zellkörpers fort, ohne dass eine neuronale Degeneration eintritt. Leitgeschwindigkeitsmessungen bei diesem Typ von Axondegeneration haben normale oder allenfalls mäßig herabgesetzte Werte ergeben. Letztere beruhen auf dem bevorzugten Betroffensein der dicken markhaltigen Fasern am Degenerationsprozess (Fullerton u. Barnes 1966; Sumner 1978). Sofern eine axonale Atrophie eintritt, resultiert wegen der Korrelation zwischen Leitgeschwindigkeit und Faserdurchmesser eine leichtere Verlangsamung der Impulsleitung (Höfinger et al. 1982). Die bei chronischen Formen gelegentlich anzutreffenden ausgeprägteren Leitungsverzögerungen, die besonders die terminalen Axonabschnitte betreffen, beruhen vermutlich darauf, dass die entsprechenden Nervenanteile aus hypoplastischen regenerierten Fasern bestehen (Mawdsley u. Mayer 1965; Janz u. Neundörfer 1968; Fullerton 1969). Krankheitsbilder mit neuronaler Degeneration, wie z.B. der neuronale Typ der neuralen Muskelatrophie, die progressive spinale Muskelatrophie und die Friedreich-Erkrankung, führen zu keiner oder allenfalls zu einer leichten Verlangsamung der Impulsleitung, wobei letztere durch einen bevorzugten Ausfall der rasch leitenden dicken Axone bedingt ist. Die überwiegende Mehrzahl der elektrophysiologischen Untersuchungen bei den erwähnten Formen von Axondegeneration wurde im Bereich des PNS durchgeführt. Jedoch scheinen die Verhältnisse im ZNS weitgehend identisch zu sein. So fanden McDonald u. Robertson (1972) im Anschluss an eine Durchschneidung von Rückenmarksbahnen keine Minderung der Leitgeschwindigkeit im Funiculus gracilis bis zu dem Zeitpunkt, da ein Erlöschen der elektrischen Erregbarkeit eintrat. Gleichermassen führte die langsam progrediente Hinterstrangdegeneration nach experimenteller Tri-ortho-kresyl-phosphat-Vergiftung zu keiner Änderung der Leitgeschwindigkeit in den überlebenden Fasern (McDonald u. Robertson 1972). Damit sollten Untersuchungen der evozierten spinalen und kortikalen Potenziale eine ähnliche Differenzierung zwischen degenerativen und demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS erlauben, wie dies durch neurographische Messungen im Bereich des PNS seit längerem möglich ist.
1.4
Nahfeld- und Fernfeldaktivität
Im Unterschied zum neurophysiologischen Experiment lässt sich in der Klinik die über eine Leitungsbahn laufende Impulswelle weder intra- noch extrazellulär von den Axonen bzw. Nervenzellen registrieren. Vielmehr erlaubt die Untersuchungsmethode der evozierten Potenziale entweder eine Nahfeldableitung von der benachbarten Hautoberfläche, oder aber eine Fernfeldableitung, d. h. eine Messung der sich durch Volumleitung – im zeit-
lichen Zusammenhang mit einer aszendierenden Impulswelle – ausbildenden elektrischen Felder. Dabei gelten die folgenden Gesetzmäßigkeiten: 1. Die über eine Leitungsbahn fortgeleitete Impulswelle geht häufig auf eine annähernd synchrone Aktivierung parallel verlaufender Axone zurück, die bei günstigen Ableitebedingungen als Nahfeldaktivität in der Nähe des neuralen Generators registriert werden kann (ähnlich wie bei der Messung sensibler Nervenaktionspotenziale an den Gliedmaßen). Da in einem solchen Fall ein Dipol entsteht, der sich mittels Volumleitung über weite Strecken ausbreitet, ist auch eine Fernfeldregistrierung möglich. Bei einer im Rückenmark oder Hirnstamm aszendierenden Erregung gelingt dies am besten mit einer rostral (z. B. am Skalp) und einer kaudal (z. B. an Hand oder Fuß) platzierten Ableitelektrode, so dass die Verbindungslinie zwischen den Ableitelektroden dem Vektor des elektrischen Feldes entspricht. Dabei wird eine auf den Kortex zulaufende Erregung als Skalppositivität registriert. Liegen die beiden Ableitelektroden dagegen auf einer Isopotenziallinie – z. B. an zwei verschiedenen Stellen der Kopfhaut – erfolgt keine Registrierung der subkortikalen Aktivität ( s. Abb. 1.8, Zeile 3). Die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung eines entfernt messbaren Potenzialfeldes ist umso größer, je höher die Zahl und der Synchronisationsgrad der aktiven Neurone ist. Volumgeleitete Potenziale reflektieren also nur den Beginn einer synchronisierten Entladung am Generatorort. Eine deutliche Desynchronisation der Impulsentstehung bzw. -weiterleitung kann somit einen Potenzialausfall bewirken, obwohl keine Unterbrechung der Impulsfortleitung besteht (Kaji u. Sumner 1990).
15 1.4 · Nahfeld- und Fernfeldaktivität
Fernfeldpotenziale wurden ursprünglich durch positive Polarität, weite Verteilung und konstante Latenz charakterisiert. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass die Polarität positiv oder negativ sein kann und zwar in Abhängigkeit von der Beziehung zwischen Elektrodenposition und Orientierung des Dipols. Die Latenzen können bei Veränderung der Körper- bzw. Gliedmaßenstellung variieren. 2. Die in einer Leitungsbahn – z. B. zwischen N. medianus und sensibler Rinde – aufsteigende Impulswelle wird bei Ableitung zwischen Kopfhaut und kontralateraler Hand nicht während der gesamten Leitungszeit von etwa 20 ms registriert, z. B. in Form einer mit Annäherung der Erregung an den Kortex zunehmenden Positivität, zumal sehr langsame Potenzialschwankungen bei den üblichen Verstärkereinstellungen ohnehin weggefiltert werden. Vielmehr zeigen sich in dem gewählten Beispiel lediglich drei bis vier positive Auslenkungen nach durchschnittlich 9, 11 und 13 bis 14 ms (⊡ Abb. 1.8). Diese skalppositiven Potenziale korrelieren dabei mit Zeitpunkten, zu denen die Impulswelle folgenden Gegebenheiten unterliegt: a) Es besteht eine Änderung in der Geometrie und Größe des Volumleiters, z.B. am Übergang der röhrenförmigen Gliedmaße in den Rumpf [ebenso wie z. B. zwischen Finger und Mittelhand (Kimura et al. 1986)]. b) Der Vektor des elektrischen Feldes ändert sich durch Richtungsänderung der Leitungsbahn, wie z. B. am Übergang des N. medianus in den Armplexus in Höhe der Axilla oder am Übergang der Zervikalwurzeln in den Hinterstrang. c) Die Impulswelle gelangt an eine Stelle mit geänderter Leitfähigkeit des Volumleiters. So besitzt z.B. Knochen eine geringere elektrische Leitfähigkeit als die Weichteile. Gelangt nun z. B. eine Impulswelle über die Zervikalwurzeln zum Halsmark, bewirkt die geänderte Leitfähigkeit der Wirbelsäule eine Änderung des sich mittels Volumleitung im Körper ausbreitenden elektrischen Feldes (Kaji et al. 1986). d) Durch synaptische Aktivierung des nächsthöheren Neurons wird ein starkes elektri-
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⊡ Abb. 1.8. Registrierung der Fernfeldaktivität von der Kopfhaut nach Medianusstimulation rechts. Ableitungen von den Skalppositionen F3 und C′3 gegen eine Handreferenz (Zeile 1 u. 2) erlauben die Erfassung von in einiger Entfernung davon generierten Potenzialen: P9 (7,9 ms), P11 (10,1 ms), P13 (11,5 ms) und P14 (12,8 ms), die in Armplexus, Hinterstrang und kaudalem Hirnstamm entspringen ( s. 2.4.1.1). Ein Teil dieser Aktivität wird bei Ableitung vom zerviko-okzipitalen Übergang (C2/Fz) als Nahfeldaktivität mit negativer Polarität aufgezeichnet: N11 (10,1 ms) und N13 (11,5 ms)
sches Feld aufgebaut – unter der Voraussetzung, dass dieses zumindest teilweise axial orientiert ist und dass die Ableitelektroden an den Enden des Dipols liegen, d. h. längs und nicht quer zum elektrischen Feld. Diese Voraussetzungen treffen in dem gewählten Beispiel für den Nucleus cuneatus zu (Kaji et al. 1986). 3. Die synaptische Aktivierung einer Nervenzellpopulation innerhalb eines sensorischen Kerngebiets führt in Abhängigkeit von der räumlichen Anordnung der Neurone zu unterschiedlichen Konsequenzen bezüglich der Ausbildung
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Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
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⊡ Abb. 1.9. Schematische Darstellung der Entstehung offener und geschlossener elektrischer Felder in Abhängigkeit von der räumlichen Anordnung der aktivierten Strukturen. (Nach Llinas u. Nicholson)
eines elektrischen Feldes. Weisen die elektrischen Felder individueller Neurone in unterschiedliche Richtungen, tritt eine gegenseitige Löschung ein (Wood u. Allison 1981). Bei radiärer Anordnung der Dendriten resultiert hieraus ein auf das Kerngebiet begrenztes elektrisches Feld mit maximaler Negativierung im Zentrum und einer Null-Potenziallinie in der Peripherie [»closed field structure« nach Lorente de Nò (1947) (⊡ Abb. 1.9)]. Ein solches geschlossenes elektrisches Feld mit ausschließlicher Ausbildung eines negativen postsynaptischen Potenzials im Zentrum scheint in den somatosensiblen Thalamuskernen vorzuliegen, so dass deren Aktivierung nicht als Fernfeldaktivität von der Kopfhaut registrierbar ist (Arezzo et al. 1979). Allerdings können parallel in ein Kerngebiet verlaufende oder daraus entspringende Axone bei ihrer Aktivierung Dipole aufbauen, die entfernt davon ableitbar sind und in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Erregung des betreffenden Kerngebiets stehen. 4. Infolge der Komplexität zentralnervöser Strukturen lassen sich aus der Polarität kortikaler Reizantworten kaum Rückschlüsse auf den zugrundeliegenden Generator ziehen. Die jeweils erregte Stelle eines Axons, Dendriten bzw. Zellkörpers weist einen Netto-Einwärtsstrom posi-
tiver Ionen auf, so dass das extrazellulär abgeleitete Potenzial an dieser Stelle negativ ist. So zeigen z. B. Tiefenableitungen von den vertikal orientierten Pyramidenzellen in Schicht IV des primären sensiblen Kortex eine negative kortikale Primärantwort. Das zur gleichen Zeit von der Hirnoberfläche abgeleitete Potenzial ist demgegenüber positiv, infolge eines simultanen Netto-Ausstroms positiver Ionen in den apikalen Dendriten. Kurze Zeit später werden diese elektrotonisch depolarisiert, so dass nunmehr eine Negativierung an der Hirnoberfläche eintritt (Wood u. Allison 1981). Die Ableitung eines negativen Potenzials von der Hirnoberfläche oder von der Kopfhaut kann demnach nicht als Beweis für eine Erregung des unmittelbar darunterliegenden Rindenfeldes angesehen werden, sondern diese kann auch mit einer Skalppositivität einhergehen. Bei einer tangentialen Ausrichtung des Dipols kann die kortikale Aktivierung simultan als Negativität oder Positivität – je nach der Lage der Ableitelektrode am Skalp – abgegriffen werden.
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18
1
Kapitel 1 · Physiologie und Pathophysiologie der Impulsleitung
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1
2 Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP) M. Stöhr
2.1
Einleitung
– 22
2.1.1 Klinische Bedeutung von SEP-Ableitungen – 22 2.1.2 Übersicht über wichtige Stimulations- und Ableitungstechniken
– 23
2.2
– 25
Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
2.2.1 Rückenmark und Hirnstamm 2.2.2 Thalamus – 28 2.2.3 Kortex – 28
– 26
2.3
Methodik
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7
Äußere und innere Untersuchungsbedingungen Stimulationsorte – 34 Reizparameter – 42 Ableiteorte – 46 Verstärker und Averager – 53 Potenzialregistrierung und -ausmessung – 54 Klinische Daten – 55
– 33
2.4
Normalbefunde
– 33
– 56
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5
SEP nach Armnervenstimulation – 56 SEP nach Beinnervenstimulation – 85 Kortikale Reizantwort nach Trigeminusstimulation – 105 SEP nach N.-pudendus-Stimulation – 110 Beeinflussung der somatosensiblen kortikalen Reizantworten durch physiologische, pharmakologische und untersuchungstechnische Faktoren – 112 2.4.6 Auswertung von SEP-Kurven – 113
2.5
SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems – 114
2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4
Erkrankungen des peripheren Nervensystems Myelopathien – 147 Multiple Sklerose – 178 Enzephalopathien – 197
Literatur
– 228
– 115
22
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2.1
Einleitung
2 SEP-Ableitungen sind eine faszinierende Möglichkeit auf nichtinvasive Weise Informationen über die Funktion der somatosensiblen Leitungsbahnen im peripheren und zentralen Nervensystem zu erhalten.
Vor der Durchführung derartiger Untersuchungen müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Vonseiten des Arztes ist eine umfassende neurologische und neurophysiologischeAusbildung, einschließlich einer mindestens einjährigen Tätigkeit in einem Labor für evozierte Potenziale erforderlich. Der die Untersuchung durchführende neurophysiologische Assistent (MTA-F) benötigt vor einer selbstständigen Ableitung ein mindestens sechsmonatiges Training. Er muss in der Lage sein dem Patienten den Ablauf und den Zweck der Untersuchung zu erklären und optimale Ableitebedingun-
a ⊡ Abb. 2.1 a, b. Somatosensible kortikale Reizantworten nach Stimulation des N. ulnaris am Ellenbogen (Superpositionstechnik). Bei rechtsseitiger Stimulation (a) treten die Reizantworten auf der linken Seite, maximal über der Postzentral-
gen – insbesondere eine gute Entspannung – zu schaffen. Bereits während der Untersuchung muss er eine kursorische Beurteilung der erhaltenen Kurven und deren Reproduzierbarkeit vornehmen können, um bei unzureichender Qualität Kontrollmessungen anzuschließen. Eine spezielle Qualifizierung wird bei Ableitungen im Operationssaal, auf der Intensivstation und bei Neugeborenen benötigt.
2.1.1 Klinische Bedeutung
von SEP-Ableitungen Von der Kopfhaut des Menschen ableitbare somatosensible evozierte Potenziale (SEP) 1 wurden erstmals von Dawson (1947 a) beschrieben. Sie zeigten sich vorwiegend über der primären sensiblen Rinde kontralateral zur Seite der Stimulation lokalisiert (⊡ Abb. 2.1). Eine genauere Analyse dieser Reizant1
s. Abkürzungsverzeichnis am Beginn des Buches.
b region (Spur 3) auf. Bei linksseitiger Stimulation (b) findet sich eine optimale Reizantwort über der Postzentralregion der rechten Hemisphäre (Spur 2). (Aus Dawson 1947 a)
23 2.1 · Einleitung
2
worten wurde erst nach Einführung elektronischer Mittelungsverfahren (Dawson 1954) möglich, bei denen die in fester zeitlicher Beziehung zum Reiz stehenden evozierten Potenziale aufsummiert, reizunabhängige Potenzialschwankungen, wie das Grund-EEG oder Muskelartefakte, dagegen eliminiert werden. Auf diese Weise gelingt die Aufzeichnung und Messung niedrigster bioelektrischer Signale bis herab zu einer Größenordnung um 0,05 µV. Damit lassen sich die elektrischen Phänomene der Impulsgeneration und -übermittlung in den somatosensiblen Anteilen des peripheren und zentralen Nervensystems von der Körperoberfläche aus abgreifen, was einen recht genauen Einblick in die Vorgänge der Impulsleitung und -verarbeitung erlaubt. Für die klinische Neurologie bedeutet die Registrierung somatosensibler Reizantworten von Rückenmark und Gehirn eine nichtinvasive diagnostische Hilfsmethode, die folgende über den klinischen Untersuchungsbefund hinausgehenden Informationen zu liefern vermag (Starr 1978): 1. SEP-Messungen stellen eine objektive und mit gewissen Einschränkungen quantitative Funk-
degeneration (bzw. einen Leitungsblock) in der betroffenen Leitungsbahn. 4. Berechnungen der peripheren und zentralen Impulsleitungsgeschwindigkeit geben Auf-
tionsprüfung des somatosensiblen Systems dar. Dies ist von besonderer Wichtigkeit zum
Somatosensible kortikale Reizantworten (SEP) können nach elektrischer Stimulation von Armnerven (Dawson 1947 a; Alajouanine et al. 1958), Beinnerven (Tsumoto et al. 1972; Terao u. Araki 1975) und nach Stimulation von Trigeminus-Endästen (Stöhr u. Petruch 1979; Bennett u. Jannetta 1980; Drechsler 1980) abgeleitet werden. Die beste Potenzialausprägung findet sich dabei über dem Anteil des somatotopisch gegliederten sensiblen Kortex, der dem stimulierten Körperabschnitt entspricht, d. h. über dem Hand-, Bein- bzw. Gesichtsfeld ( s. Abb. 2.5). Darüber hinaus lassen sich niedrige kortikale Reizantworten nach elektrischer Stimulation von Hautafferenzen in einzelnen Rumpfsegmenten registrieren (Baust et al. 1972; Terao und Araki 1975; Jörg 1977; Jörg u. Hielscher 1990). Damit ist es möglich, die den genannten Körperregionen zugeordneten sensiblen Leitungsbahnen einer objektiven Prüfung zu unterziehen, wobei der Nachweis einer Läsion in der Regel durch alleinige Ableitung der kortikalen Reizantwort möglich ist. Soll darüber hinaus der Ort der Schädigung innerhalb des ZNS lokalisiert werden, ist eine ergänzende Aufzeichnung spinaler und sub-
Nachweis klinisch inapparenter Läsionen dieses Systems und bei der Untersuchung von Patienten, die keine verwertbaren Angaben bei der klinischen Sensibilitätsprüfung machen können oder wollen (Kinder, Bewusstseinsgestörte, Psychotiker, Schwachsinnige, Patienten mit hysterischer Anästhesie, Simulanten). Dabei gelingt ein Läsionsnachweis häufig auch dann, wenn sich mit neuroradiologischen Methoden keine strukturellen Schädigungen aufdecken lassen. 2. Bei Ableitung von mehreren Stationen der untersuchten somatosensiblen Bahn und/oder Analyse der in verschiedenen Abschnitten generierten frühen SEP-Komponenten (bei alleiniger Ableitung von der Kopfhaut) lässt sich eine Lokalisationsdiagnostik des vorliegenden Krankheitsprozesses vornehmen. 3. Das Ausmaß und die Relation von Latenzverzögerungen und Amplitudenerniedrigungen erlauben Rückschlüsse auf einen möglichen demyelinisierenden Prozess oder eine Axon-
schluss über Lokalisationsschwerpunkte systematischer Krankheitsprozesse mit Entmar-
kungsvorgängen im peripheren und/oder zentralen Nervensystem. 5. Besonders bei Entmarkungskrankheiten lassen sich oft klinisch stumme Läsionen aufdecken. Darüber hinaus ist die Methode von zunehmender Bedeutung bei bestimmten physiologischen und psychologischen Fragestellungen, z. B. beim Studium von Reifungs- und Alterungsprozessen von Sinnessystemen sowie bei der Aufdeckung affektiver und kognitiver Einflüsse auf die Verarbeitung sensorischer Informationen.
2.1.2 Übersicht
über wichtige Stimulationsund Ableitetechniken
24
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
kortikaler SEP-Komponenten notwendig, z. B. durch simultane Ableitung von Kopfhaut, Nacken und Erb-Punkt nach Armnervenstimulation.Krankheitsprozesse, die ausschließlich oder zusätzlich das periphere Nervensystem (PNS) betreffen, erfordern entweder eine ergänzende Messung sensibler Nervenleitgeschwindigkeiten (NLG) mit konventionellen Methoden oder SEP-Ableitungen nach distaler und proximaler Nervenstimulation, um aus der Latenzdifferenz die sensible NLG zwischen den Reizpunkten zu ermitteln. Durch simultane Aufzeichnung der SEP von verschiedenen Ableitepunkten am Kopf und durch Einbeziehung späterer Potenzialanteile in die Analyse lassen sich unter Umständen auch kortikale Prozesse außerhalb der primären sensiblen Rinde erfassen und lokalisieren. Dabei sollen auch Normalbefunde diagnostisch hilfreich sein, so z. B. wenn ein normales SEP trotz schwerer Lagesinnstörung die Intaktheit des primären somatosensiblen Kortex aufzeigt und auf einen parietalen Herd hinter dem Gyrus postcentralis hinweist (Giblin 1980). Aus dem bisher Gesagten geht bereits hervor, dass Ableitungen somatosensibler Reizantworten nicht schematisch, sondern angepasst an das jewei-
lige klinische Bild und die sich daraus ergebende Fragestellung erfolgen müssen. So kann es z. B. bei Verdacht auf das Vorliegen einer Multiplen Sklerose (MS) diagnostisch wichtig sein, eine klinisch stumme Beteiligung der Hinterstränge zu erfassen, was am häufigsten durch Ableitung der kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation gelingt. Bei bereits klinisch deutlichen Hinterstrangsymptomen lässt sich bei ausgeprägter Latenzverlängerung der Nachweis eines demyelinisierenden Prozesses führen. Bei Verdacht auf eine spinale Form von MS ist das Auffinden eines etwaigen supraspinalen Herdes – z. B. durch Vergleich der zervikalen und kortikalen Reizantworten oder durch ein pathologisches SEP nach Trigeminusstimulation – diagnostisch hilfreich. Bei demyelinisierenden Systemerkrankungen mit somatosensibler Beteiligung kann es von Interesse sein, die Leitgeschwindigkeiten im peripheren und zentralen Nervensystem zu vergleichen, um den Lokalisationsschwerpunkt der Störung zu erfassen. Schließlich vermögen vergleichende Analysen der spinalen, subkortikalen und kortikalen Reizantworten bei Rückenmarks-, Hirnstamm- und Thalamusprozessen eine recht genaue Lokalisation des Läsionsortes innerhalb der sensiblen Leitungsbahnen zu liefern.
⊡ Tabelle 2.1. Übersicht über die verschiedenen Stimulations- und Ableitetechniken zur objektiven Prüfung des somatosensiblen Systems mittels evozierter Potenziale. Die Ableitepunkte an der Kopfhaut entsprechen dem internationalen 10 – 20-System und sind in Abschnitt 2.3 detailliert beschrieben
Stimulationsort
Ort der Ableitung
Diagnostische Aussage
N. trigeminus
C5 bzw. C6
Nachweis von Läsionen der trigeminalen Leitungsbahn zwischen Peripherie und Kortex
Armnerven
C3′ bzw C4′ Nacken (C 7 + C 2) Erb-Punkt
1. Globale Funktionsprüfung des somatosensiblen Systems 2. Lokalisierung des Läsionsortes 3. Messungen der Leitungsgeschwindigkeit im peripheren und zentralen Anteil des somatosensiblen Systems
Nn. intercostales
parasagittal
Höhenlokalisation von Rückenmarksprozessen
Beinnerven
Cz′ Nacken (C 2) L 1, L 5
Information über den funktionell den Beinen zugehörigen Anteil des somatosensiblen Systems (Einzelheiten s. Spalte »Armnerven«)
25 2.2 · Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
2
Eine Übersicht über die wichtigsten Untersuchungs- und Ableitetechniken zur Prüfung der einzelnen Abschnitte des somatosensiblen Systems findet sich in ⊡ Tabelle 2.1.
Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
2.2
SEP-Ableitungen stellen eine Funktionsprüfung des somatosensiblen Systems dar.
Dieses besteht in der Peripherie aus Haut-, Muskelund Gelenkrezeptoren, die spezifische äußere bzw. innere Reize in Nervenimpulsfolgen transformieren. Auf mehreren aufeinanderfolgenden Ebenen werden die Impulsfolgen in Neuronenverbänden weiterverarbeitet, wobei nur ein geringer Teil des sensiblen Informationsflusses bewusst erlebt wird (Zimmermann 1980). Bei der klinischen Sensibilitätsprüfung wird versucht, aus den Angaben des Untersuchten über die Wahrnehmung verschiedener Testreize Rückschlüsse auf die Funktion dieses Sinnessystems zu ziehen. SEP-Untersuchungen stellen demgegenüber eine objektive Funktionsprüfung dar. Diese gestattet innerhalb gewisser Grenzen den von der Mitarbeit des Untersuchten unabhängigen Nachweis bzw. Ausschluss einer somatosensiblen Funktionsstörung, was unter anderem bei Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsstörungen (einschließlich Narkose) bedeutsam ist. Außerdem lassen sich hiermit häufig Schädigungen des somatosensiblen Systems erfassen, die sich der klinischen Sensibilitätsprüfung entziehen. ! Die Leitungsbahnen und Schaltstationen des somatosensiblen Systems, die für die Generation spinaler, subkortikaler und kortikaler SEP-Komponenten bedeutsam sind, zählen zum sog. spezifischen somatosensiblen System (⊡ Abb. 2.2).
Das spezifische (=lemniskale) System der Somatosensorik umfasst anatomisch die Hinterstränge samt deren zuführenden Afferenzen aus der Peripherie, die Hinterstrangkerne, den medialen Lem-
⊡ Abb. 2.2. Lemniskales System der Somatosensorik. Dorsalansicht der Hinterstränge und des medialen Lemniscus. 1 Nucleus ventralis posterolateralis, 2 Lemniscus medialis, 3 Fibrae arcuatae internae, 4 Nucleus cuneatus medialis, 5 Nucleus gracilis, 6 Fasciculus cuneatus (Arm), 7 Fasciculus gracilis (Bein), 8 Radix dorsalis nervi spinalis, 9 Ganglion spinale. (Aus Nieuwenhuys et al. 1978)
niscus, den ventrobasalen Thalamuskern, den Tractus thalamocorticalis und die primäre sensible Rinde. Außerdem gehören hierzu ein Teil des Vorderseitenstrangs (der sog. Tractus neospinothalamicus) sowie der Tractus spinocervicalis (AlbeFessard 1967). Meldungen über mechanische Hautreize und über die Gelenkstellung werden mittels dieses Systems schnell, modalitätsspezifisch und mit exakter somatotopischer Reizabbildung zum Thalamus und Kortex geleitet. Der bewusstwer-
26
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
dende Anteil der hierdurch übermittelten Information stellt die epikritische Sensibilität dar, d. h. taktile und kinästhetische Empfindungen von diskriminativem Charakter (Brodal 1969). Zum unspezifischen (=extra-lemniscalen) System zählen Teile des Vorderseitenstrangs (Tractus palaeo-spinothalamicus und Tractus spinoreticularis), der Formatio reticularis des Hirnstamms sowie einige Kerne des medialen Thalamus und deren kortikale Projektionsgebiete. Es ist durch langsame Impulsleitung – wahrscheinlich wegen zahlreicher in Serie durchlaufener synaptischer Umschaltungen – und durch diffuse kortikale Projektion charakterisiert (Zimmermann 1980). Seine etwaige Beteiligung an der Generation späterer SEP-Komponenten ist bislang strittig. Der bewusst werdende Anteil der in diesem System fortgeleiteten Information stellt die protopathische Sensibilität dar.
2.2.1 Rückenmark und Hirnstamm Die durch mechanische bzw. elektrische Reizung von Rezeptoren oder sensiblen Nervenfasern indu⊡ Abb. 2.3. Verschaltung der Hinterwurzelafferenzen im Rückenmark. Von einem Teil der dicken myelinisierten Fasern zweigen nach dem Eintritt ins Rückenmark Kollateralen ab, die in den Hintersträngen nach rostral verlaufen, um überwiegend in den Hinterstrangkernen zu endigen. Die übrigen über die Hinterwurzel eintretenden Afferenzen zeigen eine synaptische Umschaltung auf Hinterhornneurone. Von diesen erfolgt eine Weiterleitung über gekreuzte und ungekreuzte aszendierende Bahnen sowie eine Umschaltung auf motorische und sympathische Efferenzen der jeweiligen Rückenmarksegmente und auf den Eigenapparat des Rückenmarks. Hemmende Einflüsse auf das Hinterhornneuron bestehen über absteigende Bahnen ( s. 2.2.4). (Aus Zimmermann 1980)
zierten Impulse erreichen über die afferenten Nervenfasern der peripheren Nerven das Spinalganglion. ! Bei den routinemäßig angewandten Reiztechniken ( s. 2.3) werden wahrscheinlich nur die dicken markhaltigen sensiblen Fasern der Gruppen I und II erregt, d. h. Afferenzen von den Mechanorezeptoren der Haut, Muskeln und Gelenke. Demgemäß betragen die aus den Latenzdifferenzen der SEP nach distaler und proximaler Nervenstimulation ermittelten sensiblen Nervenleitgeschwindigkeiten 60 – 70 m/s. Die bei motorisch überschwelliger Stimulation gemischter Nerven eintretende Miterregung motorischer α-Fasern spielt bei der Generierung der subkortikalen und kortikalen somatosensiblen Reizantworten vermutlich keine Rolle (Chiappa et al. 1980).
Die über die Hinterwurzeln in das Rückenmark einlaufenden afferenten Impulse werden entsprechend den Verschaltungen der zentralen Neuriten der pseudo-bipolaren Spinalganglienzellen weitergeleitet (⊡ Abb. 2.3):
27 2.2 · Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
Ein Teil der dicken myelinisierten Afferenzen der Gruppen I und II besitzt Kollateralen, die direkt in den ipsilateral aufsteigenden Hinterstrang eintreten und in den Nuclei gracilis und cuneatus in der Medulla oblongata endigen. Die Hinterstränge setzen sich jedoch nicht nur aus Neuriten 1. Ordnung, sondern, besonders im Funiculus gracilis, auch aus Neuriten 2. Ordnung (Glees u. Soler 1951; Rustioni 1973) und aus deszendierenden Axonen zusammen (Brown 1973). Alle anderen Hinterwurzelaxone verlaufen zu Hinterhornneuronen und zwar: 1. zu den Neuronen des Tractus spinothalamicus, deren Axone im kontralateralen Vorderseitenstrang aufsteigen (Bowsher 1961); 2. zu den Ursprungszellen des lateralen Tractus spinocervicalis in Lamina III, IV und V des Hinterhorns, deren Axone im hinteren Teil des ipsilateralen Seitenstrangs zum Nucleus cervicalis lateralis in Höhe C 1 und C 2 projizieren (Rexed u. Ström 1952; Eccles et al. 1960); 3. zu spinozerebellären Neuronen des Hinterhorns, deren Axone im ipsilateralen dorsalen und kontralateralen ventralen Tractus spinocerebellaris verlaufen; 4. direkt oder über Interneurone zu motorischen Vorderhornzellen sowie zu sympathischen Neuronen; 5. Kollateralen endigen nach auf- oder absteigendem Verlauf im Hinterstrang an Hinterhornneuronen benachbarter Segmente (Szentágothai 1964). Als Generatoren der subkortikalen und der frühen kortikalen somatosensiblen Reizantworten sind besonders die Strukturen, in denen die Hinterstrangmodalitäten (Zweipunktediskrimination, Stereoästhesie, Vibrations- und Bewegungsempfindung) geleitet, umgeschaltet und verarbeitet werden, von Bedeutung. Deren Fortleitung erfolgt beim Menschen wohl überwiegend im Hinterstrang. ! Semmes (1973) bezweifelt, dass die »Hinterstrangmodalitäten« tatsächlich nur an die Intaktheit der Hinterstränge und deren rostrale Fortsetzungen gebunden sind. Als Argument wird angeführt, dass Hinterstrang▼
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durchschneidungen bei verschiedenen Versuchstieren sowie einzelnen Patienten öfters nicht oder nur vorübergehend zu den erwarteten Sensibilitätsausfällen führten (de Vito 1954; Cook u. Browder 1965; Christiansen 1966). Bei zusätzlicher Durchschneidung des Tractus spinocervicalis waren die Ausfälle schwerwiegender und andauernder; ein völliger Funktionsausfall trat allerdings nur auf, wenn auch noch eine Vorderseitenstrangdurchschneidung vorgenommen wurde (Levitt u. Schwartzman 1966; Vierck 1966). SEPAbleitungen nach Stimulation des N. tibialis nach bilateraler Hinterstrangdurchschneidung führten bei der Katze zu keiner Veränderung der Reizantworten; diese fielen erst nach zusätzlicher Durchschneidung des Tractus spinocervicalis aus [bis auf eine über den Vorderseitenstrang geleitete niederamplitudige Komponente bei Nervenstimulation mit 30facher (!) Schwellenstromstärke (Katz et al. 1978)]. Am Affen wurde von Asanuma et al. (1980) nach Hinterstrangdurchschneidung lediglich eine Erniedrigung der kortikalen Reizantwort auf die Hälfte des Ausgangswerts ermittelt; dasselbe Ergebnis fand sich nach Durchschneidung der ventrolateralen Rückenmarksanteile, einschließlich des Tractus spinothalamicus. Aus diesen Ergebnissen wurde geschlossen, dass die verschiedenen somatosensiblen Submodalitäten nicht ausschließlich, sondern nur bevorzugt in bestimmten aszendierenden Leitungsbahnen geleitet werden und dass beim Ausfall einer Bahn unter Umständen eine weitgehende Kompensation möglich sei. Allerdings berichten Cusick et al. (1979) über einen nahezu kompletten Ausfall der kortikalen Reizantwort nach selektiver Hinterstrangausschaltung beim Affen und umgekehrt über eine intakte Fortleitung der somatosensiblen Reizantworten zum ventrobasalen Thalamuskern und Kortex bei segmentaler Rückenmarkdurchschneidung mit selektivem Erhaltenbleiben der Hinterstränge. Unter diesen Bedingungen erwies sich nur die im Bereich des Centrum medianum des Thalamus registrierte Reizantwort als stark erniedrigt. Simpson et al. ▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
(1981) zeigten, dass nach Peronaeusstimulation beim Affen die frühen Reizantworten (bis 40 ms) an die Intaktheit der Hinterstränge gebunden waren und dass die Vorderseitenstränge nur für spätere Potenzialanteile (mit Latenzen über 70 ms) eine mögliche Bedeutung besitzen.
Insgesamt passen die zuletzt zitierten Befunde am besten zu den bisherigen klinischen Erfahrungen mit SEP-Befunden bei Patienten mit umschriebenen Läsionen in einzelnen somatosensiblen Bahnen. So scheint die im Rahmen der Schmerztherapie gelegentlich durchgeführte Chordotomie mit Ausschaltung des Vorderseitenstrangs im wesentlichen zu einem irreversiblen Ausfall des Schmerzund Temperatursinns zu führen. Darüber hinaus wird das Berührungsempfinden, das teilweise über den Vorderseitenstrang geleitet wird (Rose u. Mountcastle 1959; Brown 1973), leicht herabgesetzt, während Zweipunktediskrimination, Stereoästhesie, Vibrations- und Bewegungsempfinden unbeeinflusst bleiben und nur bei Läsionen im Bereich der Hinterstränge beeinträchtigt werden. Die Axone des Hinterstrangs endigen z. T. in den Nuclei cuneatus und gracilis in der kaudalen Medulla oblongata an Interneuronen, die der Impulsverarbeitung innerhalb der Hinterstrangkerne dienen, sowie an Schaltneuronen, deren Axone die Information zum Thalamus weiterleiten. Die synaptische Übertragung auf die Schaltneurone erfolgt mit einem hohen Sicherheitsfaktor, d. h. dass bereits wenige Impulse in einer afferenten Faser zur postsynaptischen Impulsauslösung führen. Die Axone der in den Hinterstrangkernen bzw. im Nucleus cervicalis lateralis befindlichen Neurone zweiter Ordnung kreuzen im Lemniscus medialis und projizieren zum ventrobasalen Kern des Thalamus. Die Fasern des Tractus neo-spinothalamicus schließen sich in der Medulla oblongata dem Lemniscus medialis an. Die epikritische Sensibilität des Gesichts läuft vorwiegend über den sensorischen Hauptkern des Trigeminus (der funktionell den Hinterstrangkernen entspricht) und – nach Kreuzung in der Trigeminusschleife – ebenfalls zum Ventrobasalkern des Thalamus (Darian-Smith 1973).
Inwieweit die Tractus spinocerebellares, welche mechanozeptive Informationen aus Haut, Muskeln und Gelenken zum Zerebellum übertragen, für einzelne SEP-Komponenten von Bedeutung sind, ist noch ungewiss.
2.2.2 Thalamus Der spezifische Relaiskern des somatosensiblen Systems ist der ventrobasale Kern, der unterteilt wird in den Nucleus ventralis posterolateralis (VPL) und den Nucleus ventralis posteromedialis (VPM). Zum VPL projizieren vorwiegend die Neurone zweiter Ordnung aus den kontralateralen Hinterstrangkernen sowie der Tractus neospinothalamicus, zum VPM die entsprechenden Axone aus den Trigeminuskernen. Dass die spezifischen Thalamuskerne nicht nur der Weiterleitung der Impulse, sondern auch deren Verarbeitung dienen, wird daraus ersichtlich, dass insgesamt nur 8% aller Synapsen in den ventrobasalen Relaisneuronen von Endigungen des Lemniscus medialis besetzt werden (Welker 1973). Modalitätsspezifität und Somatotopik der einlaufenden Informationen bleiben im Thalamus erhalten (Bates 1973).
Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass neben dem VPL auch dem PO-Komplex (posterior group complex) und der Zona incerta eine gewisse Bedeutung als somatosensiblen Umschaltstationen zukommt (Berkley 1986).
2.2.3 Kortex Primäre sensible Rinde Die Axone der Relaisneurone des ventrobasalen Thalamuskerns endigen in zwei verschiedenen Regionen der Großhirnrinde: Die beim Primaten funktionell entscheidende Repräsentation S I nimmt nahezu den gesamten Gyrus postcentralis ein, während die phylogenetisch ältere Repräsentation S II am Fuß der Postzentralwindung und im parietalen
29 2.2 · Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
Operculum liegt. In S I ist – mit Ausnahme der Mundregion – nur die kontralaterale Körperhälfte repräsentiert (Woolsey 1958), und es bestehen Verbindungen nur mit dem ipsilateralen Thalamus (Mehler 1966; de Vito 1967; Rinvik 1968). Die Ausschaltung von S I führt vor allem zu Störungen in der Lokalisation und der räumlichen Diskrimination von Hautreizen (Corkin et al. 1964). Das Kortexfeld S II ist wesentlich kleiner als S I und weist eine bilaterale Repräsentation der Körperoberfläche auf. Die somatotopische Abbildung der Körperoberfläche in S I entspricht nicht den tatsächlichen Proportionen, sondern der funktionellen Bedeutung der einzelnen Körperteile mit überproportionaler Vertretung der Hand- und Mundregion, die beim Menschen die höchste Innervationsdichte besitzen. Dabei spiegelt sich die Aufeinanderfolge der Dermatome auf der Körperoberfläche in der kortikalen Repräsentation wider (Werner u. Whitsel 1968), wobei zumindest einzelne Körperteile, wie z. B. die Hand, mehrfach repräsentiert sind (Jones u. Powell 1973). Der somatosensible Kortex zeigt, außer der somatotopischen, eine weitere Gliederung in verschiedene Felder mit unterschiedlichem Afferenzzustrom (Jones u. Powell 1973; ⊡ Abb. 2.4): Area 3 a erhält Informationen von primären Muskelspindelafferenzen, Area 3 b von Hautafferenzen (Tast- sowie möglicherweise Schmerz- und Temperatursinn) und Area 1 Afferenzen von Haut und Gelenken. Area 2 erhält einerseits Afferenzen von tiefliegenden Mechanorezeptoren; andererseits finden sich hier komplexe Neurone, die z. B.
⊡ Abb. 2.4. Schema der Gliederung des sensomotorischen Kortex. Sagittalschnitt durch die sensomotorische Zentralregion. (Aus Kornhuber 1972)
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spezifisch auf bewegte Hautreize bestimmter Richtung antworten (Hyvärinen et al. 1972). Bei Primaten erhält nur Area 3 b eine starke thalamische Projektion, während zu Area 1 und 2 deutlich weniger thalamokortikale Fasern, zudem solche von dünnerem Kaliber verlaufen. Die meisten ventrobasalen Thalamusneurone senden ihre Axone nur in eines der genannten Rindenfelder. In den Assoziationsfeldern des parietalen Kortex (Area 5 und 7) liegen überwiegend komplexe Neurone, die weniger durch einfache Reize, als durch funktionell sinnvolle Reizkombinationen erregt werden und integrativen Funktionen dienen. ! Abtragung dieser Assoziationsfelder beim Affen führt demgemäß zu einer Beeinträchtigung komplexer somatosensibler Funktionen, wie der Stereoästhesie bzw. der Kinästhesie (Bates u. Ettlinger 1960; Wilson 1965). Von Semmes (1973) wurde kritisch eingewandt, dass es sich beim Tasterkennen von Objekten um keinen rein rezeptiven Vorgang handle, sondern dass in diese Leistung auch die Art des Betastens, d. h. ein motorischer Vorgang integriert sei. Der ipsilateralen Hemisphäre wird in Bezug auf somatosensible Wahrnehmungen meist keine Bedeutung beigemessen, jedoch sind im Tierexperiment die sensiblen Ausfälle in einer Körperhälfte nach bilateralen Läsionen schwerwiegender als nach alleiniger kontralateraler Schädigung (Semmes u. Mishkin 1965).
Die Zytoarchitektonik der primären sensiblen Rinde entspricht dem Typ des granulären Kortex mit besonders starker Ausprägung der äußeren und inneren Körnerschicht (II. und IV. Schicht), wobei die spezifischen thalamo-kortikalen Afferenzen in dichten Plexus in Lamina IV enden, ohne vorher Kollateralen zu anderen Rindenschichten abzugeben. ! Die Nervenzellen sind in S I und S II vertikal zur Oberfläche in Neuronensäulen (Columnen) angeordnet, die sich über alle Rindenschichten erstrecken und funktionelle Einheiten für Lokalisation und Modalität darstellen (Mount▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
castle 1957; Werner u. Whitsel 1968). Die seitliche Ausbreitung der terminalen Axonarborisation der spezifischen thalamo-kortikalen Afferenzen entspricht mit 0,2 – 0,5 mm etwa dem Columnendurchmesser in S I. Alle in einer Columne angeordneten Zellen antworten auf einen entsprechend lokalisierten peripheren Hautreiz mit annähernd identischen Latenzzeiten (Mountcastle 1957).
Die thalamo-kortikalen Neurone endigen teilweise direkt an den dendritischen Fortsätzen der Pyramidenzellen, zum anderen Teil an Typ-7-Neuronen (Jones u. Powell 1973; Jones 1975). Die Axone letzterer Zellen treten in synaptischen Kontakt mit den apikalen Dendriten der Pyramidenzellen, die als Generatoren der kortikalen Reizantwort angesehen werden (Creutzfeldt u. Houchin 1974). Die Neurone der Area 3 b und 1 haben überwiegend kleine und kontralateral gelegene rezeptive Felder.
Verbindungen zwischen sensiblem Kortex und anderen Hirnarealen Die primäre sensible Rinde zeigt Verbindungen mit verschiedenen kortikalen und subkortikalen Strukturen: 1. Die einzelnen Areae von S I stehen in wechselseitiger Verbindung mit S II (Jones u. Powell 1973). 2. Reziproke Verbindungen zum motorischen Kortex (Area 4) dienen der Kontrolle von Bewegungen, wobei z.B. die Handregion der Postzentralwindung mit der Handregion der Präzentralwindung verbunden ist (Pandya u. Kuypers 1969). 3. Spärlichere Bahnverbindungen bestehen zur supplementär-motorischen Rinde (Jones u. Powell 1968, 1969). 4. Einbahnige Verbindungen zu den parietalen Assoziationsfeldern (Area 5 und 7) stehen im Dienst der Integration der Sinneseindrücke, einschließlich der somatosensibel-visuellen Integration. 5. Ausgedehnte kommissurale Verbindungen zur kontralateralen somatosensiblen Rinde weisen nur die Repräsentationen von Kopf, Rumpf und proximalen Gliedmaßenabschnitten auf (Ebner u. Myers 1962).
6. Deszendierende Verbindungen zu Thalamus, Hinterstrangkernen und Rückenmark erlauben eine kortikale Kontrolle der afferenten Zuflüsse ( s. 2.3.4).
Evozierte Potenziale im somatosensiblen Kortex Die somatotopische Gliederung des sensiblen Kortex lässt sich, außer durch lokale Kortexreizung am wachen Menschen (Foerster 1936; Penfield u. Rasmussen 1950), auch durch Ableitung evozierter Potenziale von der Hirnoberfläche nach sukzessiver Rezeptorstimulation in verschiedenen Hautarealen ermitteln (Woolsey u. Erickson 1950; Jasper et al. 1960; Kelly et al. 1965), wobei die Ergebnisse beider Methoden eine gute Übereinstimmung aufweisen (Libet 1973). Dabei hat das primäre evozierte Potenzial (der Initialkomplex), das über den schnellen lemniscalen Weg mit minimal drei Synapsen verläuft, eine maximale Amplitude in dem Areal von S I (und S II), welches dem Projektionsort des jeweiligen Reizpunktes entspricht. Ableitungen der kortikalen Reizantworten nach Trigeminus-, Armnerven- bzw. Beinnervenstimulation erfolgen deshalb am günstigsten über dem zugeordneten kortikalen Projektionsgebiet, da hier die beste Ausprägung der primären Reizantwort zu erwarten ist (⊡ Abb. 2.5). Diese wird als Ausdruck langsamer postsynaptischer Potenzialschwankungen in kortikalen Neuronenverbänden angesehen. Die späteren SEP-Anteile treten auch außerhalb der somatosensiblen Projektionsareale auf, was teils auf eine verzögert eintreffende Impulswelle über das langsam leitende extralemniscale System mit diffuser Projektion zum Kortex, teils auf eine intrakortikale Erregungsausbreitung von S I zu anderen Rindenfeldern zurückgeführt wird. ! Libet et al. (1972) beschreiben somatosensible Reizantworten in der supplementär-motorischen Rinde des Menschen, Bignall u. Imbert (1969) fanden bei Affen SEP in polysensorischen frontalen Regionen, die nach Abtragung der primären sensiblen Rinde erhalten blieben. Evozierte Potenziale nach propriozeptiver, nicht aber nach exterozeptiver Stimulation, die nach Resektion des Gyrus postcentralis ▼
31 2.2 · Anatomie und Physiologie des somatosensiblen Systems
⊡ Abb. 2.5. Somatotopische Gliederung des somatosensiblen Kortex. Schematische Darstellung der Leitungsbahnen sowie der kortikalen Projektionen der von Gesicht und Extre-
mitäten in das Rückenmark eintretenden Afferenzen. (Aus Stöhr 1980)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
bestehen bleiben, zeigen, dass beim Affen propriozeptive Afferenzen direkt zum motorischen Kortex verlaufen (Kruger 1956). Nach Asanuma et al. (1980) verschwinden die durch Stimulation des rein motorischen Ramus profundus n. radialis evozierten Reizantworten in der motorischen Rinde nach Hinterstrangdurchschneidung, während sie nach Vorderseitenstrangdurchschneidung keine Änderung aufweisen. Einzelzellableitungen beim Menschen zeigten auf Bewegung der kontralateralen Extremität, nicht aber auf taktile Reize reagierende Neurone in der präzentralen Rinde (Goldring u. Ratcheson 1972). Möglicherweise handelt es sich bei diesen direkten Projektionen zu außerhalb des sensiblen Kortex gelegenen Rindenfeldern um Leitungswege für nicht bewusstwerdende somatosensible Informationen (Libet 1973).
Schwache Hautreize, die noch zu keiner bewussten Empfindung führen, können bereits eine kortikale Reizantwort auslösen, die in diesem Fall nur aus dem Primärkomplex besteht; die späteren Reizantworten erscheinen erst bei einer Reizintensität im Bereich der sensiblen Schwelle (Libet 1973). Die der Primärantwort zugrundeliegende neuronale Aktivität scheint somit nicht auszureichen, um eine bewusste Sinnesempfindung hervorzurufen.Außerdem erreichen die frühen SEP-Anteile, die eine Aktivierung thalamokortikaler Afferenzen und sensibler Rindenfelder reflektieren, bereits bei niedriger Stimulusintensität (d. h. schwacher Reizempfindung) eine maximale Amplitude. Das bedeutet, dass sich nicht die gesamte Intensitätsskala der Reizempfindung darauf zurückführen lässt, sondern dass diese offenbar eher in Zusammenhang steht mit der »besser« gradierten Aktivierung der ausgebreiteten neuronalen Systeme, die den späten Reizantworten zugrundeliegen (Rosner u. Golff 1967; Franzen u. Offenloch 1969; Werner u. Whitsel 1973). Einzelheiten der Aktivierung und Hemmung somatosensibler kortikaler Neurone lassen sich im Tierexperiment besser als mit Oberflächenableitungen von der Hirnrinde mittels Einzelzellableitungen ermitteln. Elektrische Einzelreize in bestimmten Hautbezirken oder an peripheren
Nerven rufen bei Einzelzellregistrierung typischerweise eine hochfrequente Entladungsserie hervor, die nach einem Intervall von 40–150 ms gelegentlich von einer zweiten Impulssalve gefolgt wird, die möglicherweise über eine andere Leitungsbahn läuft (Towe u. Amassian 1958). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich nach direkter Stimulation ventrobasaler Thalamusneurone (Li et al. 1956). Die Latenz der frühen repetitiven Antwort und die Anzahl der darin enthaltenen Potenziale korrelieren mit der Reizstärke, wobei nach klarer Überschreitung der sensiblen Schwelle nur noch geringe Latenzverkürzungen auftreten (Towe u. Amassian 1958).Bezüglich der Reizfrequenz ist bemerkenswert, dass S I-Neurone bei Stimulation innerhalb ihres rezeptiven Feldes Frequenzen bis zu 100/s folgen.
Deszendierende Hemmung im somatosensiblen System Zur Erklärung bestimmter Enthemmungsphänomene von somatosensiblen Reizantworten sind die bislang besprochenen Mechanismen der Impulsleitung und -verarbeitung nicht ausreichend. Deshalb soll kurz auf die deszendierende Hemmung im somatosensiblen System eingegangen werden, die eine zentrale Modulation des somatosensiblen Impulseinstroms über deszendierende Bahnen ermöglicht (Towe 1973). Absteigende hemmende Wirkungen gehen aus von S I und vom motorischen Kortex; hierdurch wird die synaptische Übertragung der afferenten Information im ipsilateralen Thalamus, in den kontralateralen Hinterstrangkernen und im kontralateralen Hinterhorn moduliert. Darüber hinaus gehen vom periaquäductalen Grau des Mittelhirns überwiegend bilaterale Hemmungen auf Hinterhornneurone aus, die teils direkt, teils über hemmende spinale Interneurone an den Schaltneuronen angreifen (Zimmermann 1980). Die funktionelle Bedeutung der absteigenden Hemmung besteht in einer Schwellenanhebung der synaptischen Übertragung, z. B. um triviale Dauerreize oder um funktionell unwichtige Reize [wie die monosynaptische Reflexerregbarkeit im Sitzen (Mauritz et al. 1981)] zu unterdrücken. Außerdem gestatten deszendierende Mechanismen der präsynaptischen Hemmung eine selektive Beeinflussung des Impulseinstroms in den verschiedenen somatosensiblen Kanälen, so dass aktuell wichtige
33 2.3 · Methodik
Informationen bevorzugt weitergeleitet werden können (Schmidt 1973).
2.3
Methodik
Zur Ableitung somatosensibler Reizantworten sind dieselben Voraussetzungen nötig wie zur sensiblen Neurographie, d. h. eine Apparatur mit Reizeinheit, Verstärker und Averager. Auf wünschenswerte Besonderheiten in der Geräteausstattung wird in den folgenden Abschnitten detailliert eingegangen. Von einer Standardisierung der SEP-Untersuchungen sind wir bis heute noch weit entfernt, d. h. dass von verschiedenen Arbeitsgruppen recht unterschiedliche Reiz- und Ableitetechniken angewandt werden. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf weitverbreitete Methoden, die sich in der klinischen Routinediagnostik bewährt haben.
2.3.1 Äußere und innere
Untersuchungsbedingungen SEP-Untersuchungen erfolgen am besten in einem ruhigen, elektrisch abgeschirmten Raum mit einer Temperatur von über 22 °C. SEP-Registrierungen sind aber auch in Krankenzimmern und in Operationssälen durchführbar. Der Untersuchte sitzt entweder in einem bequemen Sessel mit Kopf- und Armstützen oder liegt auf einer gut gepolsterten und ausreichend breiten Liege (mindestens 80 cm). Er wird vor der Untersuchung über alle Einzelheiten informiert – um ängstliche Erwartungshaltungen abzubauen – und aufgefordert, möglichst tief zu entspannen. Besonderes Augenmerk ist auf die mimische, die Nacken- und die Kaumuskulatur zu legen, um die Einstreuung von Muskelaktionspotenzialen sowie myogene Reflexantworten (somatomotorische Potenziale, Cracco u. Bickford 1968) auszuschalten. Da die Entspannung durch einen während der Untersuchung auftretenden Harndrang gestört wird, empfiehlt sich eine Blasenentleerung vor Untersuchungsbeginn. Auch frierende und schmerzgeplagte Patienten können sich schlecht entspannen, so dass eine ausreichende Erwärmung und die
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Gabe eines rasch wirksamen Analgetikums eventuell erforderlich sind. Wichtig ist weiterhin, dass in dem Untersuchungsraum Stille herrscht, kein Telefon klingelt und die Türen während der Untersuchung geschlossen bleiben. Der untersuchende Arzt bzw. neurophysiologische Assistent sollten hektische Betriebsamkeit vermeiden, da sich deren Unruhe auf den Patienten überträgt. Die Hauttemperatur der untersuchten Gliedmaßen sollte über 34 °C liegen, was entweder durch von der Hauttemperatur geregelte Heizelemente oder durch einfaches Erwärmen der Gliedmaßen im Wasserbad bzw. Einhüllen in angewärmte Tücher erreicht werden kann. Der Einfluss der Temperatur auf die SEP-Latenzen ist in ⊡ Abb. 2.6 illustriert, die zeigt, dass sich eine Erniedrigung der Hauttemperatur erwartungsgemäß nur auf die Leitgeschwindigkeit im peripheren Nervensystem (PNS) auswirkt. Wird die erste Komponente der zervikalen bzw. lumbalen Reizantwort als Bezugspunkt für die Latenzmessung der nachfolgenden Komponenten genommen, kann die Hauttemperatur der stimulierten Gliedmaßen vernachlässigt werden. Die Körperkerntemperatur spielt lediglich in der Intensivmedizin ( s. Kap. 6) und bei Operationen unter Hypothermie eine Rolle, wobei die Latenz des kortikalen Primärkomplexes bei einer Temperaturerniedrigung von 1 °C um 1,56 ms zunimmt (Markand et al. 1990). Bei Temperaturen um 20 °C resultiert ein Ausfall der kortikalen Reizantworten (Guérit et al. 1989). Der Bewusstseinszustand spielt keine Rolle, sofern lediglich die frühen SEP-Anteile untersucht werden sollen. In diesem Falle ist wegen der meist besseren Entspannung ein Zustand des Dösens oder Schlafens während der Ableitung erwünscht. Bei Ableitung vom Nacken oder von der Lumbalregion kann die Registrierung beurteilbarer Reizantworten bei ungenügender Muskelentspannung unmöglich sein. In solchen Fällen führt die perorale oder parenterale Gabe eines rasch wirkenden Hypnotikums (z. B. 1 Tablette Tavor 1,0 Expidet unter Beachtung entsprechender Kontraindikationen und Vorsichtsmaßregeln) fast immer zu einer prompten Entspannung. Wegen der Abhängigkeit der späteren SEPKomponenten vom Wachheitsgrad ist bei deren Registrierung auf einen möglichst gleichblei-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
benden Zustand entspannter Aufmerksamkeit zu achten, wobei man den Patienten am besten einen Punkt an der Wand bzw. an der Zimmerdecke fixieren lässt (Goff et al. 1977). Zur optimalen Registrierung des Vertexpotenzials mit einer Negativität um 100 – 150 ms ist eine gezielte Aufmerksamkeitslenkung auf den Reiz erforderlich (Desmedt u. Robertson 1977; Hillyard et al. 1978), während die sog. P-300-Komponente durch für den Untersuchten bedeutsame oder unerwartete Stimuli hervorgehoben werden (Squires et al. 1975) ( s. Kap. 7). Im Schlaf werden die Latenzen der späteren SEP-Komponenten mit zunehmender Schlaftiefe zunehmend länger (Shagass 1972), und es resultieren Amplitudenänderungen frontaler und parietaler SEP-Komponenten ( s. 2.4.5). Bei Ableitungen am Krankenbett können Artefakte durch Wechselstrom und Magnetfelder auftreten, zu deren Vermeidung möglichst alle Überwachungs- und sonstigen Geräte auszuschalten sind, wie z. B. Monitore, Temperatur- und Hirndrucksonden, Beatmungsgeräte, Heizdecken, Blutdruckmessgeräte und Luftbetten. Die Kabel der Reiz- und Ableitelektroden dürfen sich nicht überkreuzen und ein Kontakt mit anderen Kabeln (z. B. EKG) muss vermieden werden. Schließlich ist eine Erdung der EP-Apparatur erforderlich.
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2.3.2 Stimulationsorte ⊡ Abb. 2.6. Temperaturabhängigkeit der SEP-Latenzen. Stimulation des linken N. medianus am Handgelenk. Simultane Ableitung der Reizantworten vom ipsilateralen Erb-Punkt (EP) und vom kontralateralen Skalp (C’4) gegen eine frontomediane Referenz (Fz). Die einzelnen Gipfel sind durch Polarität und aktuelle Latenz (in ms) definiert, wobei Negativität (N) einen Ausschlag nach oben bedeutet. Die Latenz der primären kortikalen Negativität (N 20) beträgt bei einer Hauttemperatur am Unterarm von 33 °C 19,4 ms, bei Erniedrigung der Hauttemperatur auf 28 °C (15 min nach lokaler Abkühlung des Unterarms durch zwei Kühlelemente) 20 ms. Annähernd die gleiche Latenzdifferenz ergibt sich von seiten des über dem Erb-Punkt registrierten Potenzials, so dass trotz verschiedener Hauttemperatur keine signifikante Änderung des Intervalls EP-Potenzial/N 20 resultiert
In Abhängigkeit von der jeweiligen Fragestellung können im Rahmen von SEP-Untersuchungen verschiedenste Reizorte gewählt werden, deren wichtigste im Folgenden besprochen werden. Unabhängig vom jeweiligen Reizort lässt sich durch Abreiben der Reizstellen mit Äther, leichtes Abschmirgeln der Haut und Einreiben von Elektrodencreme der Hautwiderstand senken, was den Vorteil hat, dass geringere Stromstärken genügen, um eine adäquate Nervenreizung herbeizuführen. Die Reizelektroden werden stets so platziert, dass die Kathode proximal der Anode liegt. Lediglich bei Stimulation am Mund ist zur Verminderung des Reizartefakts meist ein alternierender Wechsel der Stimuluspolarität notwendig. Die Erdelektrode wird nach Möglichkeit zwischen Reiz- und Ableitelektroden platziert, um den Reizartefakt zu verringern. Bei
35 2.3 · Methodik
der Platzierung der Reizelektrode und der Einstellung der Reizstärke muss darauf geachtet werden, dass tatsächlich nur der gewünschte Nerv stimuliert wird. Eine unbeabsichtigte Miterregung eines benachbarten Nervs (z. B. des N. ulnaris bei Medianusstimulation) kann zu einer partiellen gegenseitigen Löschung der mit zeitlicher Differenz aufsteigenden Impulswellen führen.
Obere Extremitäten An den oberen Extremitäten wird die Stimulation meist mittels einer bipolaren Oberflächenelektrode durchgeführt, die über dem Stamm eines sensiblen oder gemischten Nerven fixiert wird. Am häufigsten erfolgt die Stimulation am N. medianus in ⊡ Abb. 2.7. Medianus-SEP. Technik der Stimulation und der Ableitung der Reizantworten vom Erb-Punkt, von der unteren und oberen Nackenpartie und von der Kopfhaut (über dem Handareal der primären sensiblen Rinde), fakultativ auch vom N. medianus in der Ellenbeuge. Anstelle einer Ableitung über dem Dornfortsatz C 7 kann diese auch über dem Dornfortsatz C 6 vorgenommen werden. Als Referenzort für die kaudale Nackenableitung empfiehlt sich das Jugulum, während für die übrigen Ableitepunkte die gemeinsame Fz-Referenz verwendet wird ( s. 2.3.4)
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Höhe des Handgelenks (⊡ Abb. 2.7), da hierbei höhere Reizantworten als nach Reizung anderer Armnerven auftreten (⊡ Abb. 2.8). Falls jedoch die Impulsleitung in speziellen Armnerven bzw. deren Plexus- oder Wurzelanteilen interessiert, können auch der N. ulnaris an der ulnaren Beugeseite sowie der N. radialis (Ramus superficialis) an der radialen Streckseite des Handgelenks gereizt werden. Die Stimulation des N. musculocutaneus erfolgt am besten distal des Ellbogens, jedoch sind die Reizantworten selbst bei Gesunden nicht immer befriedigend. Um die Miterregung motorischer Nervenfasern zu vermeiden – was wahrscheinlich bei den meisten Fragestellungen unnötig ist ( s. unten) – kann
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
(⊡ Abb. 2.9). Im Übrigen zeigen sowohl die subkortikalen wie die kortikalen Reizantworten nach motorisch überschwelliger Stimulation des N. medianus am Handgelenk eine identische Aufeinanderfolge wie nach Fingerstimulation bei deutlich höheren Amplituden (⊡ Abb. 2.9). Entsprechend der Distanzverkürzung zwischen Reiz- und Ableiteort sind die Latenzen bei Stimulation am Handgelenk um 2 – 3 ms kürzer als bei Fingerstimulation. Ein Nachteil der Stimulation der Finger II und III ist, außer den niedrigeren Amplituden, das besonders bei älteren Personen häufige Vorliegen eines klinisch okkulten Karpaltunnelsyndroms mit hierdurch bedingter Latenzverlängerung der zervikalen und kortikalen Reizantworten.
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⊡ Abb. 2.8. Kortikale Reizantworten nach Stimulation der Nn. medianus, ulnaris und radialis (Ramus superficialis) in Höhe des Handgelenks. Das SEP nach Ulnaris- und Radialisstimulation zeigt eine deutlich niedrigere Amplitude als das SEP nach Medianusstimulation
die Stimulation entweder motorisch unterschwellig oder im Bereich der Finger mittels Ringelektroden vorgenommen werden (Debecker u. Desmedt 1964). Wegen der niedrigeren Reizantworten empfiehlt sich in letzterem Fall eine simultane Stimulation an zwei Fingern (in der Regel an den Fingern II und III). Soll dabei speziell die Impulsleitung im N. medianus geprüft werden, müssen die Elektroden distal des Grundglieds liegen, um eine Miterregung sensibler Radialisfasern an der Dorsalseite des Grundglieds zu vermeiden. ! Als Vorteil der Fingerstimulation wird angeführt, dass hierbei eine relativ homogene Faserpopulation von Haut- und Gelenkafferenzen erregt wird, während bei Stimulation gemischter Nerven zusätzlich Muskelafferenzen und motorische Fasern stimuliert werden (Desmedt u. Brunko 1980). Letzteres ließe sich allerdings durch motorisch unterschwellige Stimulation vermeiden, wobei die Ausprägung des SEP immer noch deutlich besser ist als bei simultaner Stimulation von zwei Fingern ▼
Falls sich bei Stimulation mit Oberflächenelektroden ein Reizartefakt störend bemerkbar macht, können feine, über dem Nerven eingestochene Nadelelektroden zur Stimulation verwendet werden. Dabei reduziert sich die erforderliche Reizstärke auf etwa 1/10, was eine beträchtliche Reduktion des Stimulusartefakts zur Folge hat (Wiederholt 1980). ! Die von Wiederholt (1980) angegebene bilaterale Medianusstimulation bei SEP-Ableitung vom Nacken erhöht zwar die Amplitude der einzelnen Komponenten, führt aber bereits bei geringen Seitendifferenzen in der peripheren Nervenleitgeschwindigkeit zu schwer kontrollierbaren Überlagerungen der rechtsund linksseitigen Reizantworten und kann daher nicht empfohlen werden.
Dient die SEP-Untersuchung der Bestimmung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit in den einzelnen Abschnitten des Armes, erfolgt eine sukzessive Nervenreizung in Höhe der Finger, des Handgelenks, der Ellenbeuge und des proximalen Oberarmes. Aus den Latenzzeitdifferenzen und den Distanzen zwischen den Stimulationspunkten lassen sich die sensiblen Nervenleitgeschwindigkeiten ermitteln. Eine alternative Methode besteht in der Stimulation der Finger II und III bzw. des N. medianus am Handgelenk mit Ableitung der Reizantworten von verschiedenen Stellen zwischen Reizort und Kortex (⊡ Abb. 2.10). Hiermit lassen
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⊡ Abb. 2.9 a – d. Kortikales und zervikales SEP nach Medianusstimulation unter verschiedenen Reizbedingungen (a – c Stimulation am Handgelenk, d Stimulation der Finger II und III. Nomenklatur s. 2.4.1). Bei Medianusstimulation am Handgelenk finden sich identische Latenzen der verschiedenen SEP-Komponenten unabhängig davon, ob die Reizstärke 4 mA über der motorischen Schwelle (a), 1 mA unter der motorischen Schwelle (b) oder 1 mA über der sensiblen Schwelle gelegen ist. Die Ausprägung der Reizantworten wird jedoch mit abnehmender Reizstärke schlechter, wobei die vermutlich dem ersten sensiblen Neuron zugehörigen Komponenten N 9 und N 11 besonders deutlich betroffen sind. Bei Stimulation an den Fingern II und III (d) sind die Reizantworten niedriger, während die Form weitgehend der nach Handgelenksstimulation entspricht. (Die um knapp 3 ms längeren Latenzen sind durch Wahl einer entsprechend längeren Kippverzögerung ausgeglichen)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Abb. 2.10. a Simultane Aufzeichnungen der Reizantworten von Kopfhaut (C′4), Nacken (C 6), ErbPunkt (EP) sowie vom N. medianus am proximalen Oberarm nach linksseitiger Medianusstimulation am Handgelenk. Die unterste Spur zeigt das sensible Nervenaktionspotenzial in Höhe des Handgelenks nach Stimulation der Finger II und III. b Leitgeschwindigkeiten in den einzelnen Abschnitten der somatosensiblen Leitungsbahn zwischen Fingern und Kortex. Die Berechnung erfolgte an Hand der in a dargestellten Untersuchungsergebnisse. Als Zeit des Eintreffens der Impulswelle im Rückenmark wurde der Beginn von N 11 gewählt. Die zentrale Leitgeschwindigkeit wurde aus den Latenzdifferenzen des Beginns von N 11 und N 20 geschätzt, wobei eine 4-malige synaptische Verzögerung von je 0,3 ms von der gemessenen Latenzdifferenz abgezogen wurde (Desmedt u. Brunko 1980)
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sich nicht nur die sensiblen Nervenleitgeschwindigkeiten in den einzelnen Abschnitten des Armes, sondern auch die zentrale Überleitungszeit zwischen Rückenmark und sensibler Rinde errechnen (⊡ Abb. 2.10).
Untere Extremitäten An den unteren Extremitäten erfolgt die Stimulation meist am N. tibialis, wobei die distale Reizung in Höhe des Innenknöchels meist als weniger unangenehm empfunden wird als die Reizung in der Kniekehle (⊡ Abb. 2.11). Alternative Reizorte sind der N. suralis in Höhe des Außenknöchels, der N. peronaeus superficialis in Höhe des distalen Unterschenkels sowie die Nn. peronaeus communis und saphenus in Höhe des Knies (⊡ Abb. 2.12). Als Alternative zur N. saphenus-Stimulation (Synek u. Cowan 1983) wurde von Buddenberg u. Hopf (1985) die Reizung des N. femoralis in der Leiste – mit Nadel- oder Oberflächenelektroden – empfohlen. Bilaterale Stimulation (Terao u. Araki 1975) ergibt zwar bei Gesunden höhere Potenziale, ist aber bei Störungen der sensiblen Leitungsbahnen wegen häufig asymmetrischer Impulsverzögerungen fragwürdig. Bei Verdacht auf eine Meralgia parästhetica erfolgt eine Stimulation des N. cutaneus femoris lateralis. Bei vergleichender Stimulation der Nn. tibialis und suralis wurde wiederholt auf eine kürzere Latenzzeit des kortikalen Antwortpotenzials nach Tibialisstimulation hingewiesen, die auf das Vorhandensein schnelleitender I a-Spindel-Afferenzen in diesem Nerven zurückgeführt wurde (Burke et al. 1981). Vogel et al. (1986) fanden allerdings die entscheidende Latenzdifferenz im supraspinalen Abschnitt und diskutierten eine kürzere zentrale Leitungszeit der Muskel- gegenüber den kutanen Afferenzen aufgrund unterschiedlicher kortikaler Projektionen. Pelosi et al. (1987) fanden die schnellsten peripheren und zentralen Leitgeschwindigkeiten von allen untersuchten Beinnerven nach Stimulation des N. peronaeus am Kniegelenk. ! Zur Ermittlung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit am Unterschenkel kann die sukzessive Stimulation in Höhe des Sprunggelenks und des Kniegelenks angewandt ▼
⊡ Abb. 2.11. Tibialis-SEP. Technik der Stimulation hinter dem Malleolus medialis und der Ableitung der Reizantworten über den Dornfortsätzen L 5 und L 1 (gegen eine Referenz am Beckenkamm), sowie über C 2 und Cz′ (3 cm hinter Cz entsprechend dem Beinprojektionsfeld der primären sensiblen Rinde). Fakultative Registrierung des sensiblen Nervenaktionspotenzials des N. tibialis in Höhe der Kniebeuge und ggf. zusätzlich von der Glutäalfalte
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Direktstimulationen und -ableitungen vom Rückenmark z. B. mittels epidural platzierter Elektroden sind in erster Linie beim Monitoring während operativer Eingriffe am Rückenmark bzw. der Wirbelsäule von Bedeutung (Kaschner et al. 1984; Schramm 1985 a; Beri`c et al. 1985).
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Gesicht
⊡ Abb. 2.12. Vergleich der kortikalen Reizantworten nach Stimulation verschiedener Beinnerven. Die Stimulation der Nn. tibialis und suralis erfolgte in Höhe des Sprunggelenks, die des N. peronaeus communis proximal des Fibulaköpfchens. (Ableitung von Cz′ gegen Fz)
werden, zur Ermittlung der sensiblen NLG am Oberschenkel die Aufzeichnung des Caudaequina-Potenzials nach Stimulation in Kniehöhe ( s. 2.3.4).
SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation können auch zur indirekten Bestimmung der Leitgeschwindigkeit des Rückenmarks (bzw. dessen Hinterstränge) herangezogen werden (Small u. Matthews 1984; Eisen et al. 1984; Eisen 1986). Allerdings sind diese Verfahren ungenau und bringen unseres Erachtens keine Verbesserung der diagnostischen Aussagekraft gegenüber Messungen der Latenzdifferenzen und Amplitudenquotienten sequenziell registrierter Potenziale ( s. 2.4.2).
Die elektrische Reizung des N. trigeminus erfolgt am besten am Mund, da die Lippen – neben der Zungenspitze – die höchste Innervationsdichte besitzen und daher bei simultaner Stimulation von Ober- und Unterlippe einer Seite die höchsten Reizantworten zu erwarten sind (⊡ Abb. 2.13). Ist eine getrennte Untersuchung des zweiten und dritten Trigeminusastes indiziert, kann eine selektive Reizung von Ober- bzw. Unterlippe (Stöhr u. Petruch 1979) oder eine Stimulation der Nn. infraorbitalis bzw. mentalis durchgeführt werden (Drechsler 1980). Bennet u. Jannetta (1980) stimulierten das Zahnfleisch im Bereich des oberen Eckzahns und führen als Vorteil dieser Methode den relativ geringen Reizartefakt an, was auch für die von Altenmüller et al. (1990) propagierte Reizung am vorderen seitlichen Zungenrand zutreffen soll. Sofern bei Stimulation der Lippen eine Erregung des M. orbicularis oris vermieden und die Stimuluspolarität nach der Hälfte der zu applizierenden Reize umgekehrt wird, kann jedoch auch bei dieser einfacheren Stimulationsmethode ein störender Reizartefakt fast immer vermieden werden. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, empfiehlt sich die Stimulation mit einer feinen über den Nn. infraorbitalis bzw. mentalis eingestochenen Nadelelektrode.
Rumpf- und Gliedmaßendermatome Die Stimulation einzelner Dermatome kann im Rahmen einer objektiven Segmentdiagnostik hilfreich sein (Baust et al. 1972; Jörg 1977; Scarff et al. 1979; Pop et al. 1988; Slimp et al. 1992). Die sukzessive Stimulation aufeinanderfolgender Dermatome in kraniokaudaler Richtung ermöglicht eine Höhenlokalisation von spinalen Querschnittssyndromen, da die kortikalen Reizantworten beim Unterschrei-
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⊡ Abb. 2.13. Technik der Ableitung der kortikalen Reizantworten nach Trigeminusstimulation am Mund (links). (Aus Stöhr 1980) Trigeminus-SEP nach simultaner Stimulation von
Ober- und Unterlippe (rechts). (Ableitung von C6 gegen eine frontomediane Referenz)
ten des jeweiligen Niveaus eine pathologische Ausprägung oder einen Verlust aufweisen. Die im Seitenvergleich vorgenommene Stimulation einzelner Segmente bei Radikulopathien erleichtert die segmentale Zuordnung der Störung und ermöglicht eine Objektivierung angegebener Sensibilitätsstörungen (Katifi u. Sedgwick 1986). Ein Nachteil der segmentalen Stimulation kutaner Rezeptoren sind die niedrigen Amplituden der hierdurch evozierten kortikalen Reizantworten, so dass diese selbst bei Summation einer großen Zahl von Einzelantworten nicht immer eindeutig beurteilbar sind. Außerdem sind Besonderheiten der auf diese Weise evozierten SEP zu beachten. So fehlen z. B. bei Hautstimulation an der Dorsalseite des Unteroder Oberarmes die frühen Komponenten P 15 und N 20; außerdem tritt die Reizantwort nicht nur kontra- sondern auch ipsilateral zur Seite der Stimulation in fast identischer Weise auf (Desmedt u. Brunko 1980). Im Bereich der oberen und unteren Extremitäten erscheint es daher günstiger, bestimmte sensible oder gemischte Nerven, welche vorwiegend Afferenzen der zu untersuchenden Segmente enthalten, anstatt der entsprechenden Dermatome zu stimulieren (Elleker u. Eisen 1980; Eisen 1986).
Methoden für dessen Funktionsprüfung entwickelt. U. a. erfolgten Ableitungen der spinalen und kortikalen Reizantworten nach Stimulation einzelner Pudendusäste. Kaplan (1981) verwendete koaxiale Nadelelektroden, die lateral des M. sphincter urethrae externus eingestochen wurden. Günstiger und für den Patienten angenehmer dürfte die Stimulation des R. dorsalis penis vel clitoridis sein, wie sie von Haldeman et al. (1982) verwendet wurde, wobei sich Reizfrequenzen von 2 – 3 Hz und Reizstärken in Höhe der 2½ bis 3fachen sensiblen Schwelle bewährt haben. Beim Mann werden dabei zwei Ringelektroden an der Basis des Penis – in einer Distanz von etwa 1 cm – befestigt. Bei der Frau erfolgt die Platzierung von Plättchenelektroden neben der Klitoris (Anode) sowie 1 cm dahinter zwischen Labia minora et majora (Kathode). Bei beiden Geschlechtern erfolgt somit mittels dieser Methode eine simultane Stimulation beider Seiten, was bei den ohnehin niedrigen Reizantworten einen Vorteil darstellt. Allerdings ist dieses Verfahren daher zur Feststellung einseitiger N.-pudendus-Läsionen nicht geeignet; bei einer entsprechenden Fragestellung muss daher unilateral mittels Plättchenelektroden von etwa 5 mm Durchmesser gereizt werden (Haldeman 1986). Die Ableitung der spinalen Reizantworten erfolgt in Höhe BWK 12/LWK 1 gegen eine Beckenkamm-Referenz, die der kortikalen evozierten Potenziale von Cz′ gegen Fz (Haldeman 1986).
Nervus pudendus Wegen der Bedeutung dieses Nerven bei Blasen-, Mastdarm- und Potenzstörungen wurden in den letzten Jahren verschiedene neurophysiologische
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
! Bei Stimulation des N. dorsalis penis lässt sich mittels Oberflächenelektroden über dem M. bulbocavernosus außerdem der Bulbocavernosus-Reflex registrieren, der zusätzliche Aussagen über den sensiblen und vor allem den bei SEP-Messungen nicht erfassbaren motorischen Anteil des Reflexbogens gestattet (Haldeman et al. 1982).
Nach rektaler Stimulation konnten Loening-Baucke et al. (1991) reproduzierbare kortikale Reizantworten ableiten, wobei der geringere Teil der Probanden eine Latenz um 26 ms, der größere eine solche um 52 ms aufwies.
2.3.3 Reizparameter Rechteckimpulse kurzer Dauer (0,05 – 0,2 ms), möglichst von einem Stimulator mit Konstantstromausgang (Giblin 1980), werden in ihrer Intensität so lange gesteigert, bis die Reizstärke – bei Reizung gemischter Nerven – 3 – 4 mA über der motorischen Schwelle liegt (Goff et al. 1980). Bei Stimulation sensibler Nerven wählt man meist die 3- bis 4fache Schwellenstromstärke (Buettner et al. 1980; Desmedt u. Brunko 1980; Small et al. 1980), versucht jedoch unter der Schmerzschwelle zu bleiben. Eine supramaximale Reizstärke ist zu vermeiden, da diese die Weiterleitung in Ia-Fasern behindert (Aminoff u. Eisen 1998). ! Nach Halliday (1967 a) soll sich die Latenz der kortikalen Reizantworten nach Überschreiten der sensiblen Schwelle nicht mehr ändern; sobald die Reizintensität über der motorischen Schwelle liegt, sollen außerdem Form und Amplitude der Reizantwort bei weiterer Erhöhung der Reizstärke keinen signifikanten Änderungen mehr unterliegen (Larson et al. 1966; Tsumoto et al. 1972). Wie aus ⊡ Abb. 2.14 hervorgeht, sind diese Angaben nicht ganz korrekt. Mit zunehmender Reizstärke nach Überschreiten der sensiblen Schwelle treten geringe, aber eindeutige, Latenzverkürzungen auf, und die Amplituden der Reizantworten nehmen auch nach Überschreiten der motorischen Schwelle noch ▼
deutlich zu. Auch Small et al. (1980) beschreiben eine deutliche Latenzverkürzung mit zunehmender Reizintensität, wobei die kürzeste Latenz erst bei 2- bis 2,5facher sensibler Schwelle erreicht ist. Die Amplitude des SEP beträgt bei Reizung an der motorischen Schwelle 85% des Maximums, die des simultan registrierten Nervenaktionspotenzials des N. medianus nur 50% (Dawson 1956). Lesser et al. (1980) fanden bei einer Reizstärke, die der Summe von motorischer und sensibler Schwelle entspricht, maximale oder nahezu maximale kortikale Reizantworten (was etwa dem oben angegebenen Wert entspricht, da die sensible Schwelle bei Stimulation des N. medianus am Handgelenk meist zwischen 3 – 4 mA gelegen ist).
Die Wahl der Reizfrequenz hängt von der Art der Untersuchung ab. Um die Untersuchungsdauer abzukürzen, besteht von Seiten des Untersuchers ein Bedürfnis, möglichst hohe Reizfrequenzen zu verwenden. Dieses Bestreben wird begrenzt durch die bei zu hoher Stimulusfrequenz auftretenden Formund Amplitudenänderungen der Reizantworten. Generell werden postsynaptische Komponenten bei niedrigeren Reizfrequenzen beeinträchtigt als Komponenten, die vom ersten sensiblen Neuron stammen; mit zunehmender Zahl der durchlaufenen Synapsen wird die Reizfrequenzabhängigkeit weiter ansteigen. Hieraus ergeben sich die folgenden Richtlinien: Sollen die späteren SEP-Anteile mit Latenzen über 100 ms registriert werden, ist eine Frequenz von 0,2 – 0,5/s optimal, während sonst eine 1/s-Stimulation möglich ist, um den Zeitbedarf für die Untersuchung abzukürzen. Wenn nur die subkortikalen Komponenten und die kortikale Primärantwort registriert werden sollen, lässt sich die Reizfrequenz auf 5/s steigern, wobei nur geringe Amplitudenreduktionen und keine signifikanten Latenzänderungen eintreten (Buettner et al. 1980; Pratt et al. 1980; Small et al. 1980; Wiederholt 1980; Aminoff u. Eisen 1998). Die Abhängigkeit der kortikalen Reizantworten von der Reizfrequenz nach Medianusstimulation ist in ⊡ Abb. 2.15 dargestellt. Delberghe et al. (1990) fanden bei einer Frequenzerhöhung von 1,6 auf 5,7 Hz keine signifikanten Änderungen der Komponente N20, wäh-
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⊡ Abb. 2.14 a, b. Abhängigkeit der Latenzen und Amplituden der kortikalen und zervikalen Reizantworten von der Reizstärke. a Bei Stimulation an der sensiblen Schwelle findet sich in dem dargestellten Experiment, trotz Summierung von 2000 Reizantworten, kein verwertbares Nacken- und Skalp-SEP. Mit zunehmender Reizstärke resultiert ein progredienter Amplitudenanstieg der zervikalen (N 13a) und kortikalen (N 20/P 25) Reizantwort, wobei 3 – 4 mA über der motorischen Schwelle die maximalen Amplituden erreicht
sind. Die Latenzen zeigen lediglich zwischen sensibler und motorischer Schwelle eine geringe Verkürzung, um nach Erreichen der motorischen Schwelle konstant zu bleiben. b Kortikale Reizantworten (oben) und zervikale Reizantworten (unten) bei Reizstärken von 1,5 mA über der sensiblen Schwelle (jeweils obere Spur) bzw. 3,5 mA über der motorischen Schwelle (jeweils untere Spur). Die Erhöhung der Reizintensität führt zu einer Latenzverkürzung von 0,3 ms
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.15 a, b. Kortikale Reizantworten bei unterschiedlichen Reizfrequenzen. a SEP nach Medianusstimulation mit Reizfrequenzen zwischen 1 und 10/s. Die kortikale Primärantwort zeigt bis zu einer Reizfrequenz von 10/s keine Latenzänderung und keine Amplitudenreduktion. b Bei Applikation
eines Doppelreizes mit einem Intervall von 33 ms (entsprechend einer Reizfrequenz von 33/s) ist die Latenz der 2. Reizantwort genau 33 ms länger als die der kortikalen Primärantwort auf den konditionierenden Reiz
rend P 22, P 27 und N 30 eine deutliche Amplitudenreduktion aufwiesen. Als akzeptabler Kompromiss kann die Wahl einer Reizfrequenz um 3/s, unter Vermeidung subharmonischer Frequenzen von 50 Hz gelten.
Die Anwendung physiologischerer Stimulationsformen, wie sie elektrische Haut- oder Nervenrei-
! Seit kurzem wird als Alternative zur elektrischen Stimulation eine Magnetstimulation durchgeführt, die in schmerzloser Weise auch über proximalen Nervenabschnitten und im Lumbalbereich möglich ist (Tsuji u. Murai 1991; Kunesch et al. 1993). Eine Indikation hierfür besteht nur, wenn z. B. in Folge einer Polyneuropathie keine adäquate Stimulation distaler Nervenabschnitte gelingt, um auch in solchen Situationen Aussagen über die zentralnervöse somatosensible Impulsleitung treffen zu können.
zungen darstellen, haben bisher keine klinische Bedeutung erlangt. Kurze mechanische Hautreize (Kjellman et al. 1967; Pratt et al. 1979; Claus et al. 1987), aktive bzw. passive Fingerbewegungen (Shibasaki et al. 1980), Muskeldehnung (Ganchev u. Yankov 1980; Starr et al. 1980; Cohen et al. 1985) oder abrupte Änderungen der Hauttemperatur (Fruhstorfer et al. 1973; Duclaux et al. 1974, 1975) führen zwar zu messbaren kortikalen Reizantworten, wobei methodischer Aufwand und/oder vergleichsweise schlechte Ausprägung der Reizantworten einer breiteren klinischen Anwendung bisher entgegenstehen.
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! Theoretische Vorteile der mechanischen Hautreizung sind die Einbeziehung der spezifischen Rezeptoren und Nervenendigungen in die Funktionsprüfung sowie die Homogenität der hierbei aktivierten Faserpopulation. Als Nachteil erscheint die desynchrone Aktivierung, da bei jedem Reiz Serien von Impulsen in den entsprechenden Mechanorezeptoren ausgelöst werden, während ein kurzer Rechteckreiz normalerweise einen einzelnen Nervenimpuls erzeugt (Paintal 1978). Allerdings scheint das durch mechanische Hautreizung evozierte Potenzial vorwiegend auf der Aktivierung rasch adaptierender »on«-Rezeptoren zu beruhen, da eine Erhöhung der Stimulusdauer von 5 auf 50 ms keine wesentliche Änderung des evozierten Potenzials hervorruft (Pratt et al. 1980). Da die evozierten Reizantworten nach mechanischer Hautstimulation noch niedriger sind als die nach elektrischer Stimulation an den Fingern, erscheint die Anwendbarkeit dieser Stimulationsform in der Diagnostik von Erkrankungen des peri▼
⊡ Abb. 2.16 a, b. Verbesserung des Signal-Rauschverhältnisses mit zunehmender Zahl der summierten Einzelantworten. Sowohl das Nacken-SEP (a) als auch das Skalp-SEP (b) zeigen erst nach 256 Wiederholungen ihre endgültige
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pheren und zentralen Nervensystems fraglich. Ob neuere Reizqualitäten, wie z. B. kurze Luftstöße mit einer Anstiegszeit von 1 ms zu besseren Ergebnissen führen, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.
Zur elektrophysiologischen Untersuchung des Schmerzsystems (Aδ-Fasern und zentrale Schmerzafferenzen) dienen kurze schmerzhafte CO2-Laserimpulse. Über der Kopfhaut lassen sich nach Stimulation an der Hand eine vorwiegend kontralaterale, temporoparietale Komponente N 170 (Kunde u. Treede 1993) sowie eine diffus verteilte über dem Vertex mit maximaler Amplitude ableitbare Welle P 320 (Kakigi et al. 1989) ableiten. Die Leitgeschwindigkeit des Tractus spinothalamicus wurde mittels dieser Methode auf 8 – 10 m/s errechnet (Kakigi u. Shibasaki 1991; Treede et al. 1991; s. Kap. 9). Die Summe der zu applizierenden Einzelreize hängt von der Ableitstelle und von der Ausprägung des SEP ab. Bei Normalpersonen reichen meist 128 Wiederholungen aus, um eine beurteilbare kortikale Reizantwort zu erhalten, während unter pathologischen Bedingungen eventuell 1000 – 2000
Form. Bei schlechter Entspannung weist ersteres häufig erst nach 512 – 1024 Wiederholungen seine definitive Ausprägung auf
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Reizantworten aufsummiert werden müssen. Bei Ableitung der lumbalen und zervikalen Reizantworten sind bereits bei gesunden Personen 512 – 1024 Wiederholungen erforderlich. Bei Patienten kann, besonders bei gleichzeitiger schlechter Entspannung, eine Summation von bis zu 3000 Antworten erforderlich sein, um eine hinreichend exakte Auswertung vornehmen zu können. Generell gilt, dass die Verbesserung des Signal-Rauschspannungs-Verhältnisses und damit die Güte der Aufzeichnung mit der Zahl der summierten Reizantworten ansteigt (⊡ Abb. 2.16). Die Wiederholungszuverlässigkeit der SEP nach Medianusstimulation ist besonders für die diagnostisch wichtigen Latenzwerte der Komponenten N 13 und N 20 sowie für die Amplitude N 20/ P 25 ausgezeichnet (Strenge 1989).
2.3.4 Ableiteorte Zur Ableitung der spinalen und kortikalen Reizantworten werden üblicherweise mit Kontaktpaste gefüllte EEG-Elektroden verwendet. Zur Herabsetzung der Impedanz auf unter 5000 Ohm empfiehlt sich ein Abreiben der Haut mit Äther und eventuell ein Abkratzen der oberflächlichen Hautschicht. Dabei ist es wichtig, dass die Impedanzen in allen Ableiteelektroden möglichst einheitlich sind. Um Problemen mit dem Hautwiderstand und der Fixierung von Oberflächenelektroden am behaarten Kopf zu entgehen, können auch feine subkutan platzierte Nadelelektroden [z. B. DISA-Platin-Elektroden Typ 25 C 04 oder auch die wesentlich billigeren Insektennadeln aus Stahl (Vogel 1985)] verwandt werden. Die Latenzen und Amplituden der registrierten Potenziale weisen keine signifikanten Unterschiede in Abhängigkeit von der Wahl der Oberflächen- bzw. Nadelelektroden auf (Dumitru u. Lester 1991). ! Bei einer simultanen Potenzialregistrierung über mehrere Kanäle müssen hohe Amplitudendifferenzen (1 : 50 oder mehr) zwischen 2 Signalen (z. B. bei gleichzeitiger EMAP- und SEP-Ableitung) beachtet werden, da in diesem Fall eine Kontamination der niedrigen Welle ▼
durch »Cross-talk« auftritt (Nagaoka et al. 1992). Im eigenen Labor wird zunächst mit einem in TECA-Elektrolytpaste getauchten Glasfaserstift (Bigraph Glasradierer) die Haut durch mehrmaliges Reiben in einer Richtung abgeschmirgelt. Auf den so präparierten Hautbezirk wird eine mit Beckmann-Adhäsivpaste gefüllte Ableitelektrode aufgedrückt und danach mit einer Mullkompresse abgedeckt.
Die Anordnung der Ableitelektroden am Kopf geschieht am besten in Anlehnung an das internationale 10 – 20-System (⊡ Abb. 2.17). Bei Stimulation von Armnerven findet sich in der Regel ein maximales primäres evoziertes Potenzial über der Handregion der kontralateralen sensiblen Rinde, die etwa 7 – 8 cm lateral der Mittellinie und 2 – 3 cm hinter der Scheitelohrlinie gelegen ist [zwischen C3 und P3 bzw. C4 und P4 (Giblin 1964)]. Von diesen auch als C′3 bzw. C′4 bezeichneten Punkten erfolgt die routinemäßige Ableitung des SEP nach Armnervenstimulation. Bei Stimulation von Beinnerven erfolgt die Registrierung 3 cm hinter Cz in der Mitte des Scheitels (Cz′). Von einzelnen Autoren wird eine paramediane Anordnung 2 – 3 cm lateral der Mittellinie bevorzugt (Giblin 1980), wobei höhere Amplituden ipsilateral zur Seite der Stimulation gefunden werden ( s. Abb. 2.52). Bei Stimulation von Trigeminus-Endästen wählt man als Ableiteort C5 bzw. C6, die der Mundregion des sensiblen Kortex entsprechen. Wegen des schrägen Verlaufs des Sulcus centralis ist hier ein Versetzen um 2 – 3 cm hinter die Scheitelohrlinie nicht erforderlich. Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die monopolare Ableitung der bipolaren vorzuziehen ist (Giblin 1980). Uneinigkeit herrscht jedoch über die optimale Platzierung der Referenzelektrode. Für Routineuntersuchungen am meisten zu empfehlen ist eine frontomediane (Fz) oder frontolaterale Anordnung (F3 bzw. F4) (Giblin 1964; AAEM 1999). Bei dieser Referenz findet man in der Regel die beste Ausprägung des SEP und die geringste Artefakteinstreuung (⊡ Abb. 2.18 u. Abb. 2.19). Eine frontale Referenz ist außerdem dann besonders geeignet, wenn es in erster Linie um die Messung des Beginns der primären korti-
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⊡ Abb. 2.17. Internationales 10 – 20-System. Bei Ableitungen der SEP liegt die Ableitelektrode nach Trigeminusstimulation bei C5 bzw. C6, nach Armnervenstimulation 2 – 3 cm
hinter C3 bzw. C4 (=C3′ bzw. C4′) und nach Beinnervenstimulation 3 cm hinter Cz (=Cz′). Die am häufigsten verwendeten Referenzpunkte sind Fz, F3 bzw. F4 sowie A1 bzw. A2
kalen Reizantwort geht, da bei dieser Referenz die subkortikalen Potenziale – außer P15 – weitgehend eliminiert werden, so dass ein klarer Abgang der primären kortikalen Negativität (N 20) resultiert (Noël u. Desmedt 1980). Werden Ohr, Kinn oder eine extrakephale Referenz (Hand, Bein) gewählt, kommen vor N 20 mehrere subkortikale positive Komponenten zur Darstellung, die von diagnostischer Bedeutung sein können (Cracco 1973, 1980). Analoge Informationen erhält man jedoch eindeutiger mittels einer Nackenableitung (⊡ Abb. 2.19) ( s. 2.4.1). Da sich bei Wahl einer extrakephalen Referenz außerdem EKG-Einstreuungen störend auswirken, welche auch durch Impulstriggerung in der iso-elektrischen Phase des EKG nicht völlig zu beseitigen sind (Wiederholt 1980), erscheint es am günstigsten, die Registrierung der kortikalen SEPAnteile mittels einer frontalen Referenz vorzunehmen und simultan dazu die subkortikalen Kompo-
nenten vom Nacken (gegen Fz) abzuleiten. Das zur Seite der Stimulation kontralaterale Ohrläppchen (Goff et al. 1977) oder eine Verbindung beider Ohrläppchen als Referenz ist vorteilhaft, wenn die räumliche Verteilung der Reizantworten über der Schädeldecke (Skalptopographie) untersucht werden soll. Bei bestimmten Fragestellungen, insbesondere wenn z. B. bei Verdacht auf Chorea Huntington oder präzentrale Prozesse eine Mituntersuchung der frontalen SEP-Komponenten notwendig ist, empfiehlt sich dagegen die Wahl einer extrakephalen Referenz ( s. Abb. 2.146).
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.18 a, b. Einfluss des Referenzortes auf die Ausprägung des Skalp-SEP. a SEP nach linksseitiger Medianusstimulation am Handgelenk. Bei Wahl einer frontomedianen (Fz) oder einer ipsi- oder kontralateralen frontolateralen Referenz (F3 bzw. F4) annähernd identische Ausprägung der primären Reizantwort. Von den subkortikalen Komponenten ist lediglich P 15 sichtbar. Bei Wahl des zur Seite der Stimulation ipsioder kontralateralen Ohrläppchens (A1 bzw. A2), des Kinns
oder einer extrakephalen Referenz (Hand) stellen sich vor P 15 2 – 3 positive Komponenten dar (Einzelheiten s. 2.4.1). b SEP nach distaler Tibialisstimulation links. Ableitung von Cz′ gegen eine frontomediane (Fz), Ohr- (A2) bzw. Handreferenz. Die frontomediane Referenz besitzt den Vorteil der geringsten Artefakteinstreuung. Bei Wahl einer Ohr- oder extrakephalen Referenz stellen sich vor P 40 niedrige positive Vorwellen dar, die subkortikalen Generatoren zugeordnet sind ( s. 2.4.2)
49 2.3 · Methodik
Die Nachteile der Ableitung von Fernfeldaktivität durch Wahl einer extrakephalen Referenzelektrode umfassen folgende Punkte 1. Die Artefakteinstreuung ist wesentlich größer als bei Wahl einer kephalen Referenz. 2. Die Abgrenzung von kortikaler Nahfeldaktivität gegen subkortikale Fernfeldaktivität ist erschwert (⊡ Abb. 2.19). 3. Die registrierte Fernfeldaktivität hängt in hohem Grad von der Geometrie sowie von Leitfähigkeitsänderungen des Volumleiters ab ( s. Kap. 1). 4. Simultan in verschiedenen Leitungsbahnen aszendierende Aktivität überlagert sich, was die Zuordnung einzelner Wellen zu bestimmten Anteilen des somatosensiblen Systems erschwert. 5. Schließlich stellt ein extrakephaler Bezugspunkt keineswegs – wie oft unterstellt – eine völlig indifferente Elektrodenposition dar (Kaji u. Sumner 1990).
Zur Untersuchung der Skalptopographie kortikaler Reizantworten wird das Brain-Mapping verwendet, das bei Registrierung mittels 16 – 24 Skalpelelektroden eine anschauliche Darstellung der Feldverteilung der verschiedenen Potenziale ermöglicht (Duffy 1986; Maurer u. Dierks 1987). Eine Registrierung subkortikaler und spinaler SEP-Komponenten nach Armnervenstimulation
ist mittels verschiedener Ableitetechniken möglich, da diese nicht nur an ihrem jeweiligen Ursprungsort, sondern noch in größerer Entfernung davon (als sog. Far-field-Potenziale) registriert werden können (Cracco 1973; Matthews et al. 1974). Am meisten empfiehlt sich eine Ableitung vom Nacken und zwar oberhalb der Dornfortsätze C 7 und C 2 unter Benutzung einer frontomedianen Referenz (Matthews et al. 1974; Jones 1977; Chiappa et al. 1980; Small et al. 1980). Günstig ist hierbei die gleichzeitige Registrierung des distal des Armplexus generierten Potenzials über dem Erb-Punkt (EP-Potenzial), da dieses als markanter Bezugspunkt für Latenzmessungen zu den folgenden Komponenten geeignet ist. Außerdem empfiehlt sich die gleichzeitige Aufzeichnung der frühen kor-
2
tikalen Reizantwort von der Kopfhaut. Sofern vier Verstärker und Averager zur Verfügung stehen, wird somit simultan von den genannten vier Ableitepunkten registriert und damit eine optimale Information erhalten (⊡ Abb. 2.19) ( s. Abb. 2.23). Selbstverständlich ist auch eine sukzessive Registrierung der einzelnen Reizantworten möglich, wobei allerdings der Zeitaufwand für die Untersuchung verdoppelt bzw. vervierfacht wird. Eine alternative Ableitetechnik der Komponente N 13 a über der unteren Nackenpartie (d. h. oberhalb des Dornfortsatzes C 7 oder C 6) besteht in der Wahl des Jugulums als Referenzort. Diese Schaltung hat den Vorteil, dass nicht über eine kephale Referenz das Fernfeldpotenzial P 13 eingespeist wird, so dass tatsächlich nur die örtliche Negativität registriert wird. Obligat erscheint diese Ableitetechnik bei Verdacht auf einen kaudalen Halsmarkprozess, da nur damit ein isolierter Ausfall von N 13 a erfasst werden kann (⊡ Abb. 2.19). ! Cracco u. Cracco (1976) registrieren die subkortikalen SEP-Komponenten vom Vertex (Cz) und benützen den Rücken der nichtstimulierten Hand als Referenzort. Diese Methode hat die Nachteile einer EKG-Artefakt-Einstreuung einerseits, einer meist niedrigeren Amplitude der einzelnen Komponenten andererseits, so dass sie sich für Routineuntersuchungen weniger eignet (Chiappa et al. 1980; Chiappa 1983).
Von der American Clinical Neurophysiology Society (ACNPS) wurde 1991 folgendes Ableiteschema empfohlen: Nach Medianus-Stimulation rechts Erbipsi, C5 und C3′ gegen Erbkontra sowie C3′ gegen C4′. Ein davon verschiedenes Ableiteprogramm favorisiert die American Association of Electrodiagnostic Medicine (AAEM 1999): Erbipsi gegen Erbkontra, C5 oder C2 gegen Fz, C3′ gegen Erbkontra und C3′ gegen Fz. Da über der unteren und der oberen Nackenpartie unterschiedliche Potenziale (N13a und N13b) generiert werden, ist die wahlweise Ableitung über C5 bzw. C2 nicht einsichtig. Vielmehr müsste bei Verwendung dieses Schemas generell über C5 (oder besser zwischen C6 und C7) die Komponente N13a als Nahfeld-Potenzial registriert werden. N13b würde dann nicht als Nahfeld-Potenzial über C2, son-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Abb. 2.19. Vergleich der SEP-Ableitungen mit kephaler und extrakephaler Referenz. 1. Das EP-Potenzial ist bei Ableitung vom Erb-Punkt gegen Fz nahezu identisch mit dem bei Ableitung gegen den kontralateralen Erb-Punkt mit dem Vorteil der deutlich geringeren Artefakteinstreuung. (Die bei Fz-Referenz sichtbare Nachschwankung entspricht den Wellen P14 und N18, die als Fernfeldaktivität über der gesamten Kopfhaut ableitbar sind und daher auch von der Referenzelektrode bei Fz registriert werden.) Die Latenz des EP-Potenzials ist etwas länger als die der Wellen N9 bzw. P9. 2. Die Ableitung der Komponente N13a gegen Fz ergibt ein weitgehend identisches Potenzial wie bei Wahl einer Jugulum-Referenz (außer der bei Fz-Referenz auftretenden positiven Nachschwankung als Korrelat von N18). 3. N13b kommt nur bei Ableitung oberhalb des Dornfortsatzes C2 gegen eine Fz-Referenz klar zur Darstellung; eine damit korrelierende P13-Welle fehlt (und ist bei Ableitungen an einem größeren Normalkollektiv nur inkonstant vorhanden). 4. Die Ableitung von C’4 gegen den kontralateralen Erb-Punkt ermöglicht die Darstellung von P9 und P11; dies erscheint entbehrlich, da diese Aktivität bereits bei C7/Fz als N9 und N11 registriert wird. Dagegen kommt P14 nur bei Verwendung einer extrakephalen Referenz klar zur Darstellung. Da P14 im Anfangsteil des Lemniscus medialis entspringt, kann es beim Vorliegen eines Hirnstammprozesses sinnvoll sein diese Montage zu wählen. Ein Nachteil dieser Ableitung besteht in einer Überlagerung von N18 und N20, so dass kein klar definierter N20-Gipfel erhalten wird, wie dies bei der Ableitung von C’4 gegen Fz der Fall ist
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dern als Fernfeld-Potenzial P13 in der Ableitung C3′ gegen Erbkontra dargestellt, wobei allerdings die Beurteilung dieser Komponente öfters Schwierigkeiten bereitet ( s. unten). Spinale evozierte Potenziale nach Beinnervenstimulation lassen sich in der Regel – außer bei
Kleinkindern – nur unter günstigen Bedingungen, d. h. bei guter Entspannung der Rückenmuskulatur einwandfrei registrieren. Die Stimulation erfolgt entweder an den Nn. peronaeus communis bzw. tibialis in Höhe des Kniegelenks (Liberson u. Kim 1963; Cracco 1973; Delbeke et al. 1978; Cracco 1980) oder am N. tibialis in Höhe des Sprunggelenks
(Jones u. Small 1978), die nach eigenen Erfahrungen verlässlichere Befunde liefert und zudem für die Patienten angenehmer ist. Die Ableitungen erfolgen am besten über der Cauda equina zwischen den Dornfortsätzen L 4/L 5 oder L 5/S 1 und über dem Lumbosakralmark zwischen den Dornfortsätzen D 11/D 12 oder D 12/L 1. Die Ableitung erfolgt nach Cracco (1980) mittels bipolarer Technik. Bei monopolarer Registrierung werden als Referenzorte D 6 wegen einer dort nahezu fehlenden Reizantwort (Delbeke et al. 1978) oder Fz (Jones u. Small 1978) vorgeschlagen. Eigene Untersuchungen zeigten, dass eine abdominale Referenz knapp unterhalb des Nabels oder seitlich in Höhe des Beckenkamms den Vorteil einer geringeren Muskel- und EKG-Artefakteinstreuung mit sich bringt. ! Wegen der Unannehmlichkeiten für den Patienten und der potenziellen Gefahren nur beim Versagen der Oberflächenregistrierung und unter strenger Indikationsstellung zu ▼
51 2.3 · Methodik
empfehlen sind Ableitungen von Potenzialen über dem Rückenmark (HWS und unterer BWS-Bereich) mittels epidural (Shimoji et al. 1971, 1977; Caccia et al. 1976) oder mittels subarachnoidal platzierter Nadelelektroden (Ertekin 1973, 1976 a, b). Als Kompromiss zwischen den potenziell gefährlichen epiduralen und intrathekalen Ableitungen und den manchmal zu unbefriedigenden Ergebnissen führenden Oberflächenableitungen bieten sich Registrierungen mittels bis auf die Spitze mit Teflon überzogenen monopolaren Nadelelektroden an, wie sie zur sensiblen Neurographie Verwendung finden. Werden diese im Thorakal- und Lumbosakralbereich je nach Statur maximal 60 mm zwischen zwei Dornfortsätzen eingestochen, führt dies zu einer deutlichen Amplitudensteigerung der evozierten Potenziale sowie zu einer geringeren Muskelartefakteinstreuung im Vergleich zur Oberflächenableitung, ohne dass die Gefahr einer Verletzung epiduraler und radikulärer Strukturen besteht. Weitgehend ungefährlich erscheint auch die subarachnoidale Ableitung in Höhe der Cauda equina (Magladery et al. 1951 a, b). Erfolgt die Einführung der Ableitelektrode in eine Lumbalpunktionskanüle im Rahmen einer ohnehin indizierten Liquorentnahme (Jörg 1977), bedeutet dies keine zusätzliche Belastung für den Patienten. Allerdings lassen sich mit dieser Methode nur die über die Cauda equina verlaufenden und nicht die weiter rostral im Rückenmark generierten Potenziale registrieren. Außer den beiden genannten Ableiteorten am thorakolumbalen und lumbosakralen Übergang lassen sich evozierte spinale Potenziale nach Beinnervenstimulation auch über weiter rostral gelegenen Anteilen der Brustwirbelsäule erhalten. Wegen der immer niedriger werdenden Amplituden spielen diese Registriermöglichkeiten bisher kaum eine Rolle. Der Interessierte sei auf die Arbeiten von Cracco (1973, 1975), Cracco et al. (1973, 1974, 1980) sowie Jones u. Small (1978) verwiesen.
Von größerer Bedeutung sind Nackenableitungen nach Beinnervenstimulation (Jones u. Small 1978),
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da die zervikalen in Kombination mit den lumbalen und kortikalen Reizantworten wichtige lokalisatorische Rückschlüsse, d.h. eine Differenzierung spinaler von supraspinalen Prozessen zulassen. Allerdings sind die vom Nacken (oberhalb des Dornfortsatzes C2) registrierten SEP oft von niedriger Amplitude und nur bei ausreichender Entspannung der Nackenmuskulatur zu erhalten ( s. Abb. 2.48). 4-Kanal-Ableitungen im eigenen Labor erfolgen nach folgendem Schema: L5/S1 und Th12/L1 gegen Beckenkamm, C2 und Cz′ gegen Fz ( s. Abb. 2.48 und 2.49). Das von der ACNPS 1991 empfohlene Ableiteschema umfasst gleichfalls Th12 gegen Beckenkamm und Cz′ gegen Fz; statt über C2 wird über C5 abgeleitet, was wegen des zervikookzipitalen Ursprungs der dort registrierten Komponente N30 schwer verständlich ist. Da die kortikale Reizantwort gelegentlich nicht über Cz′ sondern parasagittal (und zwar ipsilateral zur Seite der Stimulation) eine maximale Amplitude aufweist, wird die vierte Ableitelektrode dort positioniert und gegen Fz verschaltet. Das von der AAEM (1999) favorisierte Ableiteprogramm entspricht weitgehend dem eigenen Schema: L3 und Th12 gegen Beckenkamm und Cz′ gegen F′pz; zusätzlich wird von der Fossa poplitea sowie fakultativ von C2 und parasagittal registriert. Die Wahl der Analysezeit hängt von der Wahl des Stimulations- und Ableiteortes und der Fragestellung ab (⊡ Tabelle 2.2). Bei alleiniger Registrierung der frühen SEP-Anteile genügen nach Armnervenstimulation 30 – 50 ms, nach Beinnervenstimulation 60 – 100 ms. Stellen sich bei diesen Analysezeiten keine Reizantworten dar, muss eine weitere Messung mit doppelter Analysezeit nachfolgen, um auch stark verzögerte Reizantworten zu erfassen. Zur Untersuchung der späten SEP-Anteile werden Analysezeiten von 500 ms und mehr benötigt (Giblin 1980).
Beim Einsatz von SEP-Untersuchungen in der Diagnostik von Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind ergänzende Ableitungen der Nervenaktionspotenziale der stimulierten Nerven, z. B. in der Ellenbeuge bzw. Kniekehle, hilfreich ( s. 2.5.1).
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2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Tabelle 2.2. Übersicht über die Ableiteorte, Stimulationsbedingungen und Verstärkereinstellungen bei routinemäßig angewandten SEP-Untersuchungen. Für alle Ableitungen kann eine frontomediane Referenz (Fz) gewählt werden, wobei die »lumbalen« Reizantworten artefaktfreier mittels einer Referenz am Beckenkamm zu erhalten sind. Zur Stimulation werden Einzelreize von 0,1 ms Dauer gewählt, wobei die Reizintensität 4 mA über der motorischen Schwelle liegt. Bei Reizung sensibler Nerven wählt man die 3- bis 4fache sensible Schwelle. Bezüglich der häufigsten Stimulationsorte wird auf Tabelle 2.1 verwiesen
Untersuchungsziel
Ableiteort (10 – 20-System)
Analysezeit (ms)
Skalp-SEP – späte Komponenten
C3′ bzw C4′ (Armnervenstimulation) Cz′ (Beinnervenstimulation)
500
Skalp-SEP – frühe Komponenten
dto.
50 – 100
Nacken-SEP (Armnervenstimulation)
Dornfortsätze C 7 + C 2
20
Nacken-SEP (Beinnervenstimulation)
Dornfortsatz C 2
Lumbal-SEP (R + S-Antwort)
Dornfortsätze L 5 + L 1
Filtereinstellungen (Hz) 0,5 – 2000
Reizfrequenz (Hz)
Summierte Einzelantworten
0,2 – 0,5
128
1–5
128 – 512
20 (50) – 1000
5
512 – 1024
50
20 (50) – 1000
5
1024 – 2048
50
20 (50) – 1000
5
1024 – 2048
5 (10) – 2000
Empfohlene Ableiteschemata bei Armnervenstimulation (rechte Seite)
Ableiteort
Referenz
Eigenes Labor
Erb-Punkt (EP) C7 C2 C3′
Fz Fz Fz Fz
ACNPS (1991)
EP C5 C3′ C3′
EPkontra EPkontra EPkontra C4′
AAEM (1999)
EP C5 (oder C2) C3′ C3′
EPkontra Fz EPkontra Fz
53 2.3 · Methodik
2
⊡ Tabelle 2.2 (Fortsetzung) Empfohlene Ableiteschemata bei Beinnervenstimulation (rechte Seite)
Ableiteort
Referenz
Eigenes Labor
L5/S1 Th12/L1 C2 Cz′
Beckenkamm Beckenkamm Fz Fz
ACNPS (1991)
Th12 C5 Cz′ C3′ bzw. C4′
Beckenkamm Fz Fz Fz
AAEM (1999)
Fossa poplitea L3 Th12 Cz′ (fakultativ C2 und parasagittal)
Patella Beckenkamm Beckenkamm F′pz
2.3.5 Verstärker und Averager Wegen der häufig niedrigen Amplitude der somatosensiblen Reizantworten werden zu deren Registrierung Verstärker mit niedrigem Grundrauschen und guter Gleichtaktunterdrückung benötigt. Diese müssen außerdem eine genügend große Bandbreite besitzen, um die verzerrungsfreie Wiedergabe, sowohl der kurzen frühen als auch der langsameren späten SEP-Anteile zu gewährleisten. Die empfohlenen Filtereinstellungen hängen entscheidend von der jeweiligen Fragestellung und damit Untersuchungstechnik ab: Als obere Grenzfrequenz werden üblicherweise 2 – 3 kHz verwendet (Giblin 1980), wobei diese bei stärkerer Muskelartefakteinstreuung bis auf 1 kHz reduziert werden kann, ohne dass eine nennenswerte Verzerrung des Signals eintritt (Desmedt et al. 1974) (⊡ Abb. 2.20 a). Die Wahl der unteren Grenzfrequenzen ist abhängig von der Analysezeit: Sollen die langsamen späten SEP-Komponenten untersucht werden, sind Einstellungen von 0,5 – 1 Hz angemessen; bei Untersuchung der früheren SEP-Komponenten (bis 100 ms) können Einstellungen von 2 – 5 Hz, bei störenden Grundlinienschwankungen auch 10 Hz gewählt werden (⊡ Abb. 2.20 a). Bei Registrierung der kurzen Komponenten des Nacken-SEP kann die
untere Grenzfrequenz bis auf 150 Hz heraufgesetzt werden (Aminoff u. Eisen 1998), wodurch eine klarere Ausprägung der einzelnen Wellen ohne Latenzverschiebungen erreicht werden kann (⊡ Abb. 2.20 b). Zur Ableitung der lumbosakralen Reizantworten nach Beinnervenstimulation wird von Dimitrijevic et al. (1978) eine Bandbreite von 60– 2000 Hz, im eigenen Labor eine solche von 50 – 1000 Hz verwendet. Die Wahl der Verstärkung richtet sich nach der Höhe des zu erwartenden SEP. Zur Ableitung der kortikalen Reizantwort kann eine Verstärkerempfindlichkeit von 5 µV/Div empfohlen werden. Falls ein Averager mit automatischer Artefaktunterdrückung zur Verfügung steht, wird die Verstärkung so gewählt, dass die Reizantworten in Phasen schlechter Entspannung (z. B. während des Schluckakts) eliminiert werden. Averager. Durch elektronische Mittelung einer größeren Zahl von Reizantworten lässt sich eine Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses um einen Faktor gleich der Quadratwurzel aus der Zahl der Durchgänge erreichen, z. B. um den Faktor 32 bei 1024 Summationen ( s. Abb. 2.16). Um EMG, EKG und Bewegungsartefakte zu eliminieren, ist der Einsatz einer automatischen Artefaktunterdrü-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.20 a, b. Abhängigkeit von Latenz, Amplitude und Form der somatosensiblen Reizantworten von den Filtereinstellungen des Verstärkers. a Kortikale Reizantworten nach Stimulation des N. medianus am Handgelenk. Die oberste Spur zeigt das SEP bei Verwendung der routinemäßigen Filtereinstellungen (untere Grenzfrequenz 2 Hz, obere Grenzfrequenz 2 kHz). Bei Filterung der Frequenzen über 500 Hz (Spur 2) finden sich keine Latenzverschiebungen und nur geringe Formabweichungen. Das gleiche gilt für eine Erhöhung der unteren Grenzfrequenz auf 10 Hz (Spur 3). Bei
weiterer Erhöhung der unteren Grenzfrequenz auf 20 oder 100 Hz (Spur 4 u. 5) resultiert eine zunehmende Latenzverkürzung, Amplitudenreduktion und Verzerrung des SEP. b Zervikale Reizantworten nach Medianusstimulation am Handgelenk. Die stufenweise Heraufsetzung der unteren Grenzfrequenz von 5 auf 100 Hz führt zu einer zunehmenden Verbesserung in der Abgrenzung der verschiedenen Komponenten voneinander, ohne dass signifikante Latenzveränderungen eintreten
ckung empfehlenswert. Dadurch wird vermieden, dass irrelevante Signale durch die Averager-Einheit passieren. Die Speicherkapazität sollte nicht unter 1024 Adressen betragen. Um eine Vorstellung über die, trotz elektronischer Mittelung, verbleibende Hintergrundaktivität zu bekommen, empfehlen sich gelegentliche Registrierungen unter den üblichen Bedingungen, jedoch ohne dass ein elektrischer Reiz appliziert wird. Eine weitere Kontrollmöglichkeit stellt die routinemäßige ein- bis zweimalige Wiederholung jeder Messung dar, wobei nur eindeutig reproduzierbare Potenzialanteile als Reizantworten gewertet werden dürfen.
2.3.6 Potenzialregistrierung
und -ausmessung Registrierung. Das auf dem Oszilloskop darge-
stellte Signal kann mittels einer Polaroidkamera fotografiert oder mittels eines X-Y-Schreibers bzw. eines systemintegrierten Schreibers registriert werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer weiteren Signalverarbeitung in einem Computer (on-line oder über ein Bandspeichergerät), was für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen interessant sein kann, für die klinische Anwendung der Methode aber entbehrlich erscheint.
55 2.3 · Methodik
2
Polarität. Im Unterschied zu manchen amerikanischen Labors gilt in Europa die Konvention, dass die Negativität eines Potenzials an der aktiven Elektrode – in Beziehung zur Referenzelektrode – als Auslenkung nach oben dargestellt wird. Latenzzeitmessungen zu den einzelen SEP-Kom-
ponenten sind entweder auf dem Oszillographen mit Hilfe eines systemintegrierten Markers, auf dem Registrierpapier oder automatisch mittels Computer möglich. Wegen der größeren Genauigkeit empfiehlt es sich, Intervalle zwischen zwei Komponenten direkt auszumessen und nicht durch Subtraktion der Absolutwerte zu errechnen. Amplitudenmessungen erfolgen teils von der Grundlinie zum Gipfel der jeweiligen Komponente (base-to-peak), teils zwischen den Gipfeln benachbarter Komponenten (peak-to-peak). Die Grundlinie ergibt sich aus der Verlängerung der ersten 10 ms der Kurve; ist z. B. wegen eines langdauernden Reizartefakts oder einer Kippverzögerung keine gerade Linie am Anfangsteil der Gesamtkurve sichtbar, wird die Basis aus dem Verlauf der Gesamtkurve geschätzt (Goff et al. 1977), (⊡ Abb. 2.21). Terminologie. Die Bezeichnung der kortikalen, teilweise auch der subkortikalen SEP-Komponenten erfolgt in Anlehnung an die von Vaughan (1969) gebrauchte Terminologie aufgrund deren Polarität und mittlerer Latenz bei Normalpersonen (z. B. N 20, P 45) (Donchin et al. 1977). Bei Messungen an Patienten werden teilweise auch die aktuell gemessenen (statt der mittleren) Werte angeführt (z. B. N 23, P 41). Um eindeutig klarzustellen, welche der beiden Bedeutungen gemeint ist (»observational«oder »theoretical«-Nomenklatur), sollte letztere durch Setzen in Anführungszeichen oder durch einen Querbalken kenntlich gemacht werden (»N 20« oder N 20). Speziellere Nomenklaturen sind in den einzelnen Kapiteln erwähnt. Die Unterscheidung myogener von neurogenen Komponenten kann Schwierigkeiten bereiten. Prinzipiell gilt, dass Wellen, die auch bei Direktableitung von der Hirnoberfläche auftreten, neurogen, solche, die vorwiegend über Skalpmuskeln vorkommen und eine große inter-und intraindi-
⊡ Abb. 2.21. Messung der Amplituden der spinalen und kortikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation
viduelle Variabilität zeigen, myogen sind (Goff et al. 1977).
2.3.7 Klinische Daten Obwohl selbstverständlich alle einer SEP-Ableitung unterzogenen Patienten zuvor neurologisch untersucht sein müssen, empfiehlt sich eine nochmalige, möglichst quantitative, Prüfung des Bewegungssinnes, des Vibrationsempfindens und der Zweipunktediskrimination in dem untersuchten Körperabschnitt. Es ist nämlich für die Bewertung von SEP nicht gleichgültig, ob z. B. eine leichtere Latenzverzögerung von einer Extremität mit geringer, schwerer oder fehlender Sensibilitätsstörung stammt. Wegen der Abhängigkeit der SEP-Laten-
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2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
zen von der Armlänge, der Beinlänge bzw. der Körpergröße, müssen je nach Untersuchung einzelne oder alle diese Parameter ermittelt werden. Schließlich ist die Messung und gegebenenfalls Erhöhung der Hauttemperatur auf einen Wert von über 34 °C wegen der bekannten Temperaturabhängigkeit der Nervenleitgeschwindigkeit im peripheren Nervensystem wichtig. Messungen der Arm- und Beinlänge sowie der Hauttemperatur sind allerdings nicht erforderlich, wenn die Latenzen der kortikalen Reizantworten nicht absolut, sondern von der ersten Komponente des Nacken-SEP bzw. des lumbalen SEP ab gemessen werden ( s. 2.4). Wegen der Altersabhängigkeit der kortikalen Reizantworten (Drechsler 1977; Desmedt u. Cheron 1980 a) muss schließlich das Lebensalter des Untersuchten registriert und bei der Auswertung berücksichtigt werden.
2.4
Normalbefunde
Die somatosensiblen Reizantworten von Rückenmark und Gehirn stellen eine komplexe Aufeinanderfolge von Potenzialschwankungen infolge sequenzieller Aktivierung von Leitungsbahnen und Kernen des somatosensiblen Systems dar, die von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Prinzipiell ist zu bedenken, dass ein bestimmter sensibler Reiz – z. B. ein elektrischer Stimulus – je nach Stärke zu einer Erregung nur der niederschwelligen oder auch der höherschwelligen Axone und damit zu einer Aktivierung nur des lemniscalen oder auch des extralemniscalen sensiblen Systems führt. In beiden Fällen resultiert eine räumlich und zeitlich strukturierte Aktivierung verschiedener subkortikaler und kortikaler Strukturen. Der sensible Impulseinstrom wird aber nicht nur durch Eigenschaften des Reizes und der aktivierten Leitungsbahnen, sondern auch durch erregungsbegrenzende deszendierende Einflüsse bestimmt, wie unter anderem aus den SEP-Amplitudensteigerungen beim Ausfall inhibitorischer Mechanismen ersichtlich wird ( s. 2.5.4). Sukzessive Erregungen derselben oder verschiedener Hirnareale im Rahmen der Erregungsverarbeitung führen zur Entstehung sich überlagernder elektrischer Felder mit unterschiedlicher
räumlicher Orientierung, die als Potenzialschwankungen von der Kopfhaut ableitbar sind. Entsprechend ihrer mittleren Latenz werden die Potenziale in Gruppen mit kurzer (bis 30 ms), mittlerer (30 – 75 ms) und langer Latenz (>75 ms) eingeteilt. Polarität und Ausprägung bestimmter SEPKomponenten hängen dabei von der Platzierung der Ableitelektroden und der Wahl des Referenzortes ab. So zeigt sich z. B. bei Ableitung der SEP über der Frontal- und Parietalregion nach kontralateraler Medianusstimulation eine Serie früher positiver Auslenkungen, sofern Ohr, Kinn oder Hand als Referenzorte dienen. Bei postzentraler Ableitung gegen eine frontale Referenz werden diese über beiden Hirnregionen gleichermaßen vorkommenden Potenziale dagegen völlig oder teilweise eliminiert. Wegen der erheblichen auf methodische und psychophysiologische Faktoren zu beziehenden Variabilität, vor allem der späteren kortikalen Reizantworten sowie wegen interindividuell wechselnder Beziehungen zwischen bestimmten Skalppositionen und Hirnregionen (Krönlein 1898; Duff 1980), muss die Eigenständigkeit einer jeden SEPKomponente durch bestimmte Charakteristika, wie Latenz, Amplitude, Skalpverteilung und Verhalten gegenüber experimentellen Änderungen der Untersuchungssituation, bewiesen werden. Wegen dieser Abhängigkeit der somatosensiblen Reizantworten, unter anderem von der jeweiligen Untersuchungsmethodik, beschränkt sich die folgende Darstellung der Normalbefunde auf allgemein übliche Reiz- und Ableitetechniken, wobei technisch einfachen und unproblematischen Verfahren, die sich in der klinischen Routinediagnostik bewährt haben, der Vorzug gegeben wird.
2.4.1 SEP nach Armnervenstimulation Spinale und subkortikale Reizantworten Eine Untersuchung der spinalen und subkortikalen SEP-Komponenten gelingt am einfachsten durch Ableitung vom Nacken gegen eine frontomediane Referenz, wobei die registrierten Potenziale teils in der Nähe der Ableitelektrode, teils entfernt davon generiert werden. Diese meist als zervikales oder Nacken-SEP (neck-SEP, NSEP) bezeichnete komplexe Reizantwort besteht üblicherweise aus drei
57 2.4 · Normalbefunde
2
⊡ Abb. 2.22. Ableitetechnik und Normalbefund bei Untersuchung des peripheren Abschnitts des ersten sensiblen Neurons an der oberen Gliedmaße
bis vier Komponenten, die verschiedenen Generatoren zugeordnet sind und die am zuverlässigsten bei simultaner Ableitung in mehreren Niveaus bestimmt werden können (⊡ Abb. 2.22–2.25). ! Direktableitungen von der dorsalen Rückenmarksoberfläche bei Katze und Affe zeigen nach Stimulation niederschwelliger Hautafferenzen ein steil ansteigendes negatives Potenzial, das von mehreren kleineren Wellen gefolgt wird und auf eine synaptische Erregung von Hinterhornneuronen zurückgeführt wird (Gasser u. Graham 1933; Bernhard 1953; Beall et al. 1977). Beim Menschen lassen sich ähnliche Potenziale bei epiduraler Ableitung registrieren (Shimoji et al. 1971, 1972; Ertekin 1973, 1976 a).
Eine alternative Registriermethode für die spinalen und subkortikalen SEP-Komponenten besteht in der Ableitung vom Scheitel gegen eine extrakephale (z.B. Hand- oder Schulter-)Referenz. Hierbei stellt sich eine Serie von positiven Wellen dar
(⊡ Abb. 2.24), bei denen es sich ausschließlich um volumgeleitete Far-field-Potenziale handelt, die vermutlich die Aktivität der verschiedenen Abschnitte der somatosensiblen Leitungsbahn reflektieren. ! Untersuchungen von Arezzo et al. (1979) beim Affen sowie von Desmedt u. Cheron (1980 b) beim Menschen sprechen gegen einen Ursprung dieser Wellen im Nucleus cuneatus bzw. im VPL des Thalamus. Diese Kerne besitzen einen »geschlossenen« Aufbau (»closedfield« structure, Lorente de Nó 1947 a, b; Klee u. Rall 1977), was sich negativ auf die räumliche Ausbreitung der dort lokalisierten postsynaptischen Aktivität auswirkt ( s. Kap. 1). Es erscheint daher wahrscheinlicher, dass alle von der Kopfhaut abgeleiteten spinalen und subkortikalen Komponenten Leitungsbahnaktivität entsprechen, angefangen vom peripheren Nerven über Hinterstrang und Lemniscus medialis bis hin zum Tractus thalamocorticalis (Arezzo et al. 1979).
58
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.23. Generatoren der SEP nach Medianusstimulation (Aus Stöhr et al. 1991)
Komponente 1 (NSEP 1, N 9, P 9). Komponente 1 lässt sich bei Ableitung vom Nacken vorwiegend über den unteren Hals- (und den obersten Brust-) wirbeln als niedere negative Auslenkung registrieren. Gelegentlich geht dieser eine niedrige negative Vorwelle, die Armnervenaktivität entsprechen dürfte, voraus. Bei Ableitung vom Vertex gegen eine extrakephale Referenz stellt sie sich als erste einer Reihe von positiven Wellen dar (P9) (⊡ Abb. 2.24, Abb. 2.26).
Komponente 1 wird als Resultat eines diagonal orientierten Dipols mit Negativität an Axilla und Schulter, Positivität an Nacken und Kopf interpretiert und wird in extramedullären Afferenzen, vermutlich im distalen Plexus brachialis generiert (Cracco u. Cracco 1976; Jones 1977; Chiappa et al. 1980; Yamada et al. 1980). Die negative Polarität bei Nackenableitung und Wahl einer frontalen Referenz hängt damit zusammen, dass die Positivität dieses »Far-field«-Potenzials bei Fz eine größere Amplitude aufweist als
59 2.4 · Normalbefunde
2
⊡ Abb. 2.24. Normales Medianus-SEP bei Wahl einer fronto-medianen bzw. einer Hand-Referenz (Einzelheiten s. Text)
am Nacken. Bei Nackenableitung gegen eine extrakephale Referenz erscheint Komponente 1 mit »richtiger« Polarität als P 9. Bei simultaner Ableitung von C 7 und dem Erb-Punkt zeigt sich, dass das über letzterem registrierbare »EP-Potenzial« eine bis 1 ms längere Latenz als N 9/P 9 aufweist (Desmedt u. Brunko 1980), so dass zwischen N 9 und EP-Potenzial differenziert werden muss. Die Latenzdifferenz zwischen diesen beiden Komponenten spricht dafür, dass Komponente 1 volumgeleiteter Aktivität der zwischen Axilla und Supraklavikulargrube verlaufenden Impulswelle entspricht.
Beispiel Yasuhara et al. (1990) fanden bei einem um 90° elevierten Arm eine Aufsplitterung von P 9 in 2 Subkomponenten. Die Komponente P 9 a wurde auf eine Richtungsänderung der aufsteigenden Impulswelle, die Komponente P 9 b auf Änderungen in der Geometrie des Volumleiters zurückgeführt.
Das vom Erb-Punkt ableitbare triphasische »EPPotenzial« ist nicht nur als Bezugspunkt für die
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
a
b
c
⊡ Abb. 2.25. a Normvariante der Reizantwort bei C 7 mit niedrigerer (base-to-peak-)Amplitude von N 13 a gegenüber N 11 a. b Ableitung von N 13 a über der unteren Nackenpartie gegen eine Fz-Referenz (Spur 4) bzw. gegen das Jugulum. Das von der Fz-Referenz abgegriffene P 13 erhöht fälschlicherweise die Amplitude von N 13 a; die gleichfalls abgegriffene Welle N 18 bedingt die nachfolgende tiefe Positivität. Bei Ableitung
gegen eine Jugulumreferenz erfährt die Komponente N 13 a eine reine Darstellung ohne Kontamination durch P13 und N18. c Unterschiedliche Latenzen von N13a (C 7) und N13b (C2) bei einem retardierten 2-jährigen Jungen als Hinweis auf unterschiedliche Generatoren dieser beiden Komponenten. Die relative Verzögerung von N13b gegenüber N13a beruht auf der langsameren Ausreifung des ZNS gegenüber dem PNS
61 2.4 · Normalbefunde
folgenden Komponenten, sondern darüber hinaus zur Ermittlung der globalen sensiblen NLG des untersuchten Armes geeignet (Quotient aus der Distanz zwischen Reiz- und Ableitelektrode und der Latenzzeit zum ersten positiven Gipfel). Diese beträgt im Beispiel der ⊡ Abb. 2.10 70 m/s, im Beispiel der ⊡ Abb. 2.22 66 m/s. Der Mittelwert bei jungen Erwachsenen ist 71,1±4 m/s, bei 80-jährigen 61,2±5,9 ms (Desmedt u. Cheron 1980 c). Komponente 2 (NSEP 2, N 11, P 11). Komponente 2 ist bei Nackenableitung am besten über der unteren Nackenpartie ableitbar (⊡ Abb. 2.26) und beginnt etwa 1,5 ms nach dem EP-Potenzial, etwa 2 ms nach N 9 ( s. Tabelle 2.3). Sie ist gelegentlich nicht als klar abgegrenzte Welle, sondern lediglich als Knotung im aufsteigenden Schenkel von N 13 sichtbar. Die Latenz dieser Komponente ist bei Ableitung in Höhe C 2 gering, aber signifikant länger als bei Ab-
2
leitung in Höhe C 7 (im Mittel etwa 0,4 ms, s. Tabelle 2.3). Jones (1977) folgert hieraus, dass N 11 aus der Verschmelzung von zwei Subkomponenten entsteht. Bei Ableitung vom Vertex gegen eine extrakephale Referenz erscheint diese Komponente als zweite in der Abfolge von drei bis vier positiven Wellen (P 11) (⊡ Abb. 2.24 u. 2.26). Der Ursprungsort der zweiten Komponente ist umstritten. Die Mehrzahl der Autoren ist sich allerdings darin einig, dass diese von Neuronen 1. Ordnung, d. h. von Hinterwurzeln oder Hinterstrang stammt (Jones 1977; Hume u. Cant 1978; King u. Green 1979; Yamada et al. 1980). Das von der Kopfhaut abgeleitete Farfield-Potenzial 2 (P 11) wird ausschließlich auf die im Hinterstrang aufsteigende Impulswelle zurückgeführt (Desmedt u. Cheron 1980 b). Jones (1977) postuliert eine Entsprechung zu den bei intrathekaler Ableitung (Ertekin 1973,
⊡ Abb. 2.26. Normale spinale und subkortikale Reizantworten nach Medianusstimulation (Einzelheiten s. Text)
62
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
1976 a) registrierten DR- (dorsal roots) Potenzialen und bezieht die erste Subkomponente auf Hinterwurzel-, die zweite Subkomponente auf Hinterstrangaktivität. Allison et al. (1980 b) konnten durch vergleichende Untersuchungen an gesunden Versuchspersonen und drei verschiedenen Tierspezies (Affe, Katze, Ratte) diese Vorstellung unterstützen: »N 12 a« (= N 11 a, = 1. Subkomponente von NSEP 2) stammt demnach von primären intramedullären Afferenzen, »N 12 b« (= 2. Subkomponente von NSEP 2) vom Tractus cuneatus. Auf den präsynaptischen Ursprung von N 11 a u. b weisen auch deren Persistenz bei Hypothermie bis etwa 10 °C hin (Taylor et al. 1985). Aufgrund intraoperativer Ableitungen vom Halsmark vertreten Jeanmonod et al. (1991) eine Entstehung von N 11 a u. b im proximalen Hinterwurzelabschnitt sowie in den sich nach Eintritt in das Rückenmark aufzweigenden Axonen. Letztere verlaufen sowohl zum Hinterhorn als auch zum Nucleus cuneatus.
Die geringe Latenzdifferenz zwischen unterem (N 11 a) und oberem Halsmark (N 11 b) ließ sich sowohl bei Oberflächen- als auch bei epiduraler Ableitung nachweisen (Desmedt u. Cheron 1981; Beric et al. 1986) ( s. Tabelle 2.5). ! Als Normvariante findet sich gelegentlich bei gesunden Personen eine höhere Amplitude von N 11 als N 13 (Dal-Bianco et al. 1985), so dass N 11 als Hauptkomponente der zervikalen Reizantwort imponiert (⊡ Abb. 2.25a). Komponente 3 (NSEP 3, N 13, P 13). Bei Ableitung vom Nacken gegen eine frontale Referenz stellt sich die 3. Komponente meist als Hauptgipfel dar, der sowohl über der oberen wie über der unteren Zervikalregion gut zur Darstellung kommt (⊡ Abb. 2.24–2.26). Die mittleren Latenzen von N13 sind bei Ableitung in Höhe C 7 und C 2 mit 13,5 bzw. 13,7 ms nahezu identisch (⊡ Tabelle 2.3 a, b). Jones (1977) beschreibt bei etwa der Hälfte der Untersuchten
⊡ Tabelle 2.3 a. Normwerte der SEP-Latenzen, Latenzintervalle und Amplituden sowie deren Seitendifferenzen (Medianusstimulation). Die Normwerte wurden anhand eines Kollektivs von 48 gesunden Versuchspersonen (20 Frauen, 28 Männer) mit einer mittleren Größe von 1,75 m (1,55 – 1,85 m) ermittelt. Das Durchschnittsalter beträgt 36 (14 – 78) Jahre
Komponente
Ableitung
Latenz
Seitendifferenz der Latenz
Latenzintervall (IPL) (ab N 9/P 9)
EP-Potenzial
EP
10,2 ± 0,88
0,15 ± 0,08
–
N9
C7
9,46 ± 0,59
0,26 ± 0,12
–
N 11 a (Beginn)
C7
10,4 ± 0,76
N 11 a (Gipfel)
C7
11,7 ± 0,88
N 11 b
C2
12,2 ± 0,66
N 13 a
C7
13,5 ± 0,92
0,22 ± 0,19
4,0 ± 0,46
N 13 b
C2
13,7 ± 0,88
0,24 ± 0,20
4,2 ± 0,49
N 14
C2
14,6 ± 0,65
P 15
C3′ bzw. C4′
15,1 ± 0,84
N 20
C3′ bzw. C4′
19,3 ± 1,19
Amplitude (µV)
– 0,19 ± 0,12
2,3 ± 0,41 2,7 ± 0,46
1,66 ± 0,67 (Range 0,6 – 3,8)
5,2 ± 0,52
0,25 ± 0,33
9,8 ± 0,76
1,96 ± 0,85 (Range 0,6 – 5)
2
63 2.4 · Normalbefunde
⊡ Tabelle 2.3 b. Zusammenstellung der wichtigsten Latenz- und Amplituden-Parameter des Medianus-SEP Latenzen (ms)
EP (N 10)
N 13 a
N 13 b
N 20
P 25
Mittelwert (±SD)
10,2 ± 0,88
13,5 ± 0,92
13,7 ± 0,88
19,3 ± 1,19
23,1 ± 1,8
oberer Grenzwert (m + 2,5 SD)
12,4
15,8
15,9
22,3
27,8
1,1
3,3
maximale RechtsLinks-Differenz
0,74
Latenzintervalle (ms)
EP-N 13 a
mittleres Intervall (±SD)
3,37 ± 0,6
maximales Intervall (m + 2,5 SD)
4,87
maximale RechtsLinks-Differenz
0,61
Amplituden (µV) a
EP(N 10)
0,7
EP-N 20
0,74
N 13 a – N 13 b
N 13 a –N 20
N 13 b – N 20
0,17 ± 0,16
5,75 ± 0,6
5,61 ± 0,58
10,96
0,57
7,25
7,06
0,7
0,58
0,98
1,02
N 13 b
N 20
N 20 –P 25
9,03 ± 0,77
N 13 a
Mittelwert (±SD)
3,71 ± 2,3
1,63 ± 0,73
1,61 ± 0,69
2,26 ± 0,99
4,93 ± 2,2
Streubreite
0,8 – 12,3
0,4 – 4,1
0,4 – 3,9
0,6 – 5,3
0,9 – 10
maximale physiol. Seitendifferenz b
48
36
38
AmplitudenQuotienten
EP/N 13 a
N 13 b/N 13 a
N 20/N 13 a
Mittelwert (±SD)
2,32
0,98
1,43
Streubreite
1,1 – 8,8
0,72 – 1,7
0,65 – 8,9
a
b
46
45
Amplitudenmessungen der Komponenten N 13 a + b und N 20 von der Grundlinie aus (base-to-peak), des EP-Potenzials von der positiven Vorwelle zum negativen Hauptgipfel (peak-to-peak). Maximale bei Normalen vorkommende Amplitudenminderung im Vergleich zur (100% gesetzten) kontralateralen Seite.
eine Doppelgipfligkeit von N 13. Bei Ableitung vom Vertex gegen eine extrakephale Referenz stellt sich diese Komponente als 3. positive Welle (P 13) dar (⊡ Abb. 2.24 und 2.26). Bei Klärung des Ursprungsortes dieser Komponente wurde angeführt, dass es sich wegen deren Empfindlichkeit gegenüber höheren Stimulationsfrequenzen (Pratt et al. 1979) sowie aufgrund der hohen Amplitude um postsynaptische Aktivität
handeln dürfte. Unter Mitberücksichtigung der Latenzdifferenz zur vorangehenden Komponente von knapp 2 ms kommen damit einerseits das Hinterhorn, andererseits der Nucleus cuneatus (Hume u. Cant 1978; Kimura et al. 1978; Sances et al. 1978) in Frage. Jones (1977), Allison et al. (1982), Stöhr u. Riffel (1982 u. 1985) sowie Buchner et al. (1987) unterscheiden bezüglich des Ursprungs zwei unterschiedliche Wellen, von denen die eine (N 13 a) dem
64
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
65 2.4 · Normalbefunde
Hinterhorn, die andere (N 13 b) dem Nucleus cuneatus zugeordnet wird. Hinweisend darauf sind ein selektiver Verlust von N13a bei intramedullären Prozessen im kaudalen Halsmark bzw. von N13b bei Läsionen am zervikookzipitalen Übergang (⊡ Abb. 2.27), ebenso wie deutlichen Latenzdifferenzen zwischen den beiden Komponenten bei mangelhafter Ausreifung der spinalen somatosensiblen Leitungsbahnen (⊡ Abb. 2.25c). Die mit maximaler Amplitude über dem kaudalen Halsmark registrierbare Welle N 13 a stellt ein postsynaptisches Hinterhornpotenzial dar,
das mit umgekehrter Polarität prävertebral (z. B. mit Ösophaguselektroden, Desmedt u. Cheron 1981) registrierbar ist. Daraus kann auf einen horizontalen, antero-posterior ausgerichteten Dipol geschlossen werden, wobei diese Ausrichtung auch erklärt, warum diese Aktivität nicht als Fernfeldpotenzial am Skalp ableitbar ist. Nach Medianusstimulation liegt das Amplitudenmaximum von N 13 a in Höhe HWK 6/7, während oberhalb HWK 3 sowie unterhalb BWK 1 ein steiler Amplitudenabfall eintritt (Desmedt u. Cheron 1981). Der Ursprung von N 13 a im Hinterhorn ließ sich auch anlässlich einer intramedullären Ableitung bei der Operation einer Syringomyelie belegen (Urasaki et al. 1990). Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch der bei dieser Erkrankung vorkommende isolierte Verlust von N 13 a (bei regulärem N 13 b und N 20) (Sonoo et al. 1990; Cosi 1991). ! Da das Hinterhorn innerhalb des lemniskalen somatosensiblen Systems nicht in Serie geschaltet ist, sondern im Nebenschluss liegt, ist bei zentralen Rückenmarksläsionen ein isolierter Ausfall von N 13 a denkbar, ohne dass die Impulsweiterleitung über Nucleus cuneatus und Thalamus zum sensiblen Kortex beeinträchtigt sein muss. Allerdings ist ein solcher Ausfall von N 13 a nur bei Wahl einer extra▼ ⊡ Abb. 2.27. a Im Hirntod eintretende starke Erniedrigung und monophasische Deformierung von N 13 b über C 2 (aktuelle Latenz bei Fz-Referenz-Ableitung = 14 ms) und weitgehender Verlust von P 13 (Hand-Referenz-Ableitung), bei normalen Reizantworten über C 7. b Isolierter Verlust der bei einer Vorableitung regelrechten Komponenten N 13 b
2
kephalen Referenz erfassbar, da bei Verwendung einer kephalen Referenz die Komponente P 13 ( siehe unten) in den Verstärker eingespeist wird und bei C 7 als negative Auslenkung gleicher Latenz erscheint. Generell muss man sich bewusst sein, dass die Komponente N 13 a bei Ableitung von C 7 gegen Fz aus einer Addition der Hinterhornaktivität mit der Skalppositivität P 13 entsteht und nur bei Verwendung einer extrakephalen Referenz in reiner Form sichtbar wird. Um einen bei intramedullären Prozessen im kaudalen Halsmark (z. B. Syringomyelie) möglichen isolierten Ausfall von N 13 a zu erfassen, empfiehlt es sich, die Ableitung von der unteren Nackenpartie (C 7 oder C 6) nicht gegen eine Fz-Referenz, sondern gegen das Jugulum vorzunehmen ( s. Abb. 2.25 b).
Der Ursprung der über der oberen Nackenpartie ableitbaren Komponente N 13 b wird kontrovers beurteilt. Allison et al. (1982) und Stöhr et al. (1982 b u. 1987) favorisieren teils aufgrund tierexperimenteller Befunde, teils aufgrund von Beobachtungen bei Prozessen am zerviko-medullären Übergang und im Hirntod (⊡ Abb. 2.27) eine Entstehung im Nucleus cuneatus. Kaji et al. (1986) konnten an der Katze zeigen, dass in diesem kein geschlossenes, sondern ein offenes elektrisches Feld mit teilweiser rostro-kaudaler Orientierung entsteht, so dass die mit gleicher Latenz vom Skalp ableitbare Fernfeldaktivität P 13 gleichfalls dorthin lokalisiert werden könnte. Dabei ist die steile initiale Auslenkung des postsynaptischen Potenzials im Nucleus cuneatus für dessen Registrierbarkeit als FernfeldPotenzial wichtig, da der Volumleiter als Kondensator wirkt. Einschränkend muss gesagt werden, dass der Ursprung von N 13 b sowie der vermutlich damit identischen Fernfeldaktivität P 13 im Nucleus cuneatus nicht gesichert ist.
(Fz-Referenz) und P 13 (Hand-Referenz) nach Eintritt des Hirntodes. Die Ausprägung von N 13 a ist regelrecht. (Die annähernd identische späte Negativität bei C 2, C4′ und Fz entspricht vermutlich einer negativen Fernfeldaktivität, die mit der Repolarisation des Generators von N 13 a im unteren Zervikalmark koinzidiert)
66
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
! Neuere intraoperative Ableitungen über dem Nucleus cuneatus ergaben eine hohe negative Welle mit maximaler Amplitude knapp distal davon. Reizfrequenzen bis 16/s hatten keine Amplitudenreduktion zur Folge, so dass ein präsynaptischer Ursprung von N 13 b angenommen wurde (Morioka et al. 1991); Hisada et al. 1999). Auch Doppelreizversuche (Araki et al. 1997) und Läsionsstudien (Restuccia et al. 1995) belegten einen präsynaptischen Ursprung von N13b/P13, während N14/P14 ( s. unten) rostral des Nucleus cuneatus, d. h. im kaudalen Teil des Lemniscus medialis generiert wird (Ozaki et al. 1995).
Für praktisch-diagnostische Zwecke bleibt festzuhalten, dass N 13 in die beiden Subkomponenten N 13a und b unterteilt werden muss, deren Generatoren einerseits im Hinterhorn des kaudalen Halsmarks, andererseits in Höhe des Nucleus cuneatus gelegen sind. Dabei spielt es für die Höhenlokalisa-
tion eines Krankheitsprozesses eine untergeordnete Rolle, ob N 13 b nun innerhalb des Nucleus cuneatus oder knapp rostral bzw. kaudal davon entspringt, wobei letztere Annahme immer wahrscheinlicher wird. Außerdem ist unter einem klinischen Blickwinkel Chiappa (1983) zuzustimmen, wenn er sich gegen eine routinemäßige Ableitung von N 13 b mittels einer extrakephalen Referenz ausspricht und eine Ableitung von C 2 gegen Fz favorisiert. Hierbei addieren sich die Nahfeldnegativität am zerviko-okzipitalen Übergang (C 2) und die Fernfeldpositivität am Skalp (Fz) zu einem meist ausreichend hohen und damit diagnostisch gut verwertbaren Potenzial. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass N 13 b und P 13 unterschiedlichen Generatoren zuzuordnen ist, erschiene dieser Kunstgriff gestattet, da die Latenzgleichheit zumindest einen Ursprung der beiden Wellen in eng benachbarten Anteilen der somatosensiblen Leitungsbahn nahelegt. ! Durch Schlaf und Narkose wird N 13 nicht nennenswert beeinflusst (Allison et al. 1980). Da in diesen Zuständen der Tonus der Nackenmuskulatur und die Aktivität spinaler Reflexe unterdrückt werden, spricht diese Tatsache gegen die ursprünglich erwogene Annahme einer myogenen Reflexantwort.
Komponente 4 (NSEP 4, N 14, P 14). Komponente 4
lässt sich bei Ableitung vom Nacken am besten über der oberen Nackenpartie als Knotung im absteigenden Schenkel des Hauptgipfels registrieren (⊡ Abb. 2.28). Bei Ableitung vom Vertex wurde von Yamada et al. (1980) eine vierte positive Welle (P 14) beschrieben, nachdem bereits Kritchevsky u. Wiederholt (1978) auf die häufige Doppelgipfligkeit der dritten positiven Welle hingewiesen hatten (⊡ Abb. 2.24). ! Einschränkend ist zu sagen, dass N14 (Ableitung C 2/Fz) und P 14 (Ableitung Vertex/Hand) keine konstant ableitbaren Komponenten darstellen, so dass manche Autoren keine klare Unterscheidung von P 13 und P 14 treffen, sondern von einem P 13 – 14-Komplex sprechen. Verwirrenderweise wird der Terminus P 14 gelegentlich auch zur Kennzeichnung der Welle P 13 verwendet. N 14 repräsentiert vermutlich keine Nahfeldaktivität vom zervikookzipitalen Übergang, sondern stellt die über die frontale Referenzelektrode – mit umgekehrter Polarität – eingespeiste Komponente P 14 dar.
Am ehesten reflektiert der P 14-Komplex die Aktivität in sequenziell und/oder parallel erregten Strukturen (z. B. Lemniscus medialis und Tractus spino-cerebellaris), wobei eine interindividuell variable Überlagerung der elektrischen Felder für inkonstante Ableitbedingungen sorgt. Unter der Voraussetzung einer parallelen Aktivierung von Hirnstammstrukturen würde im Übrigen die von den Kritikern der Fz-Referenz häufig angeführte »Kontamination« von N 13 a durch P 13 in analoger Weise für die Skalppositivität im Latenzbereich um 13 – 14 ms zutreffen. Der Ursprung dieser Komponente ist bislang am wenigsten geklärt. Als Generatoren werden »Hirnstamm« (ohne nähere lokalisatorische Zuordnung), Kleinhirn und besonders Thalamus vermutet (Jones 1977; Yamada et al. 1980). Neuerdings wird auch ein Ursprung von P 14 im Nucleus cuneatus diskutiert (Kaji u. Sumner 1990). Simultane Aufzeichnungen von C 2 und C3′ (bzw. C4′) gegen eine frontomediane Referenz zeigen, dass N 14 (C 2) im Mittel 0,5 ms vor P 15 (C3′, C4′) auftritt, was gut zu dem von Allison et al. (1982) vertre-
67 2.4 · Normalbefunde
2
⊡ Abb. 2.28. Vermutliche Ursprungsorte der Komponenten 1 – 4 zwischen Armplexus und Thalamus. N 9 reflektiert das Eintreffen der Impulswelle im kaudalen Armplexus. Die bevorzugt bei Ableitung über der unteren Nackenpartie registrierten Komponenten N 11 a u. N 13 a entsprechen dem Einlaufen der Impulswelle über die Hinterwurzeln bzw. postsynapti-
scher Aktivität in Hinterhornneuronen. Die besonders über der oberen Nackenpartie zur Darstellung kommenden Komponenten N 11 b u. N 13 b dürften mit der Aktivierung des Tractus cuneatus zusammenhängen. N 14 korrespondiert mit der über dem Lemniscus medialis verlaufenden Impulswelle, P 15 mit postsynaptischer Aktivität im VPL des Thalamus
tenen Ursprung von Komponente 4 im medialen Lemniscus passen würde. Für die vom Skalp gegen
Komponente N 14 bzw. P 14 wahrscheinlich, wobei deren Ursprung in den Lemniscus medialis lokalisiert werden kann.
eine Handreferenz abgeleitete Komponente P 14 nehmen Desmedt u. Cheron (1980 b) ebenfalls eine Entstehung im Lemniscus medialis an; hierfür spricht auch das Erhaltenbleiben dieser Komponente bei Thalamusläsionen (Maugière u. Courjon 1981). Zusammengefasst ist aufgrund der zitierten Befunde sowie weiterer Beobachtungen von Anziska u. Cracco (1981), Nakanishi et al. (1983), Hashimoto (1984) und Kaji et al. (1986) eine eigenständige
P 15. Bereits 1962 (Allison 1962; Goff et al. 1962) fiel bei SEP-Ableitungen von der Kopfhaut eine niedrige positive Vorzacke mit diffuser Skalpverteilung auf, die aufgrund von Polarität und Latenz als P 15 bezeichnet wurde. Bei Ableitung gegen eine frontomediane Referenz stellt sich P 15 als kurze, scharf definierte Welle dar, während bei Verwendung einer Ohr- oder extrakephalen Referenz die
68
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
bereits beschriebene breitere positive Auslenkung mit drei bis vier Einzel-Peaks sichtbar wird. Der letzte positive Gipfel dieses Komplexes fällt dabei bei einem Teil der Ableitungen zeitlich mit P 15 (bei frontomedianer Referenz) zusammen, erscheint aber in der Regel 0,2 – 0,9 ms früher (Stöhr u. Riffel 1982). Nachdem verschiedene Untersucher bei Direktableitungen vom Thalamus ein hohes Potenzial mit entsprechender Latenz nachweisen konnten (Ervin u. Mark 1964; Albe-Fessard u. Liebeskind 1966; Larson et al. 1966; Narabayashi 1969; Fukushima et al. 1976; Hume u. Cant 1978; Celesia 1979; Albe-Fessard et al. 1986), erscheint ein Ursprung von P 15 im VPL des Thalamus naheliegend. Bei simultaner Ableitung aus dem somatosensiblen Thalamuskerngebiet und vom Skalp fielen Beginn und Gipfel des Potenzials an beiden Ableitestellen zusammen, und es resultierte bei Erhöhung der Reizintensität ein simultaner Amplitudenanstieg beider Potenziale (Albe-Fessard et al. 1986). Bei der Katze lässt sich im VPL eine Reizantwort von analoger Latenz registrieren, die bei Ableitung von der Hirnoberfläche als positive Zacke in der Anstiegsphase der primären kortikalen Antwort sichtbar wird (Allison 1965). Des weiteren passt die diffuse Ausbreitung von P 15 über der gesamten ipsi- und kontralateralen Kopfhaut gut zur Annahme eines subkortikalen Ursprungs (Broughton 1969). P 15 repräsentiert demnach vermutlich das Eintreffen der kortikopetal laufenden sensiblen Impulswelle in der letzten subkortikalen Umschaltstation.
Normalwerte. Die absoluten Latenzen und Amplituden der spinalen und subkortikalen Reizantwor-
! Eigenartigerweise stellt sich die Komponente P 15 in der Regel bei Ableitung von C3′ bzw. C4′ gegen eine frontale Referenz besser – oder sogar ausschließlich – dar, als gegen eine extrakephale Referenz (Riffel u. Stöhr 1982; s. Abb. 2.24). Unter Berücksichtigung der Gesetze der Volumleitung ( s. Kap. 1) ist dieses Verhalten nur verständlich, wenn man einen antero-posterioren Dipol mit entsprechender Potenzialdifferenz zwischen frontalen und parietalen Skalpregionen unterstellt. Da tierexperimentelle Untersuchungen zeigten, dass die Erregung der somatosensiblen Thalamuskerne zur Entstehung eines ge▼
ten nach Armnervenstimulation sind in ⊡ Tabelle 2.3 zusammengefasst. Wegen der Abhängigkeit der absoluten Latenzen von der Armlänge sind bei der Beurteilung individueller Messwerte armlängenkorrigierte Latenzwerte vorzuziehen (Small et al. 1978; King u. Green 1979). Um die Einflüsse von Armlänge, Hauttemperatur und etwaiger subklinischer Neuropathien auszuschließen, ist es einfacher und exakter, N 9 (bzw. bei Vertexableitung P 9) oder das EP-Potenzial als Bezugspunkt zu nehmen und die Latenzen der nachfolgenden Komponenten von hier aus zu bestimmen (Jones 1977; Chiappa et al. 1980; Spudis et al. 1980; Yamada et al. 1980; Desmedt u. Cheron 1980 b). Die entsprechenden Normwerte dieser Latenzdifferenzen sind ⊡ Tabellen 2.3 zu entnehmen.
schlossenen elektrischen Feldes führt, wurde hieraus gefolgert, dass dieses nicht als Fernfeldaktivität vom Skalp ableitbar sein dürfte. Sofern diese Feldverteilung auch für den Menschen zutrifft, könnte man P15 alternativ den in den Thalamus ein- bzw. austretenden Faserbündeln des Lemniscus medialis bzw. des Tractus thalamo-corticalis zuordnen. Verschiedene Untersucher vermuten einen präthalamischen Ursprung von P 15 im Hirnstamm und/oder Kleinhirn bzw. führen es auf die simultane Aktivität mehrerer neuraler Generatoren zurück (Greenberg et al. 1977; Chiappa et al. 1980; Stockard u. Sharbrough 1980). Nakanishi et al. (1978) beschreiben ein Erhaltenbleiben von P 15 bei Thalamusläsionen, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass es sich bei den von diesen Autoren registrierten frühen positiven Wellen nicht zweifelsfrei um P 15, sondern möglicherweise um eine frühere Komponente (P 13 – 14) handelt; in diese Richtung weisen die in dieser Arbeit beschriebenen auffallend kurzen Latenzen von »P 15« (11,1 – 14,4 ms). Besser et al. (1988) folgern aus einer fehlenden Darstellung von P 15 bei Verwendung einer extrakephalen Referenz, dass es sich bei dieser Komponente vermutlich um eine »virtuelle Welle« handelt.
69 2.4 · Normalbefunde
! Bei diesem Verfahren sind die Faktoren Hauttemperatur, Armlänge und Neuropathien ausgeschaltet; dagegen kann sich eine Erniedrigung der Körperkerntemperatur latenzverlängernd auswirken, in erster Linie durch eine Verzögerung der synaptischen Überleitung (Budnick et al. 1981).
2
EP-Untersuchungen bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems machen eine Erhöhung der Armtemperatur auf mindestens 34°C sowie eine Messung der Armlänge zwingend erforderlich. Weiterhin empfiehlt sich in solchen Fällen eine ergänzende Ableitung des Nervenaktionspotenzials des N. medianus in der Ellenbeuge um die Impulsleitung in distalen und proximalen Armabschnitten getrennt zu erfassen. Die Latenzmessung erfolgt in diesem Fall zur ersten positiven Auslenkung der Nervenaktionspotenziale sowie des EP-Potenzials.
Außer den absoluten Latenzwerten der Komponenten 1 – 4 sollten die Seitendifferenzen ermittelt werden, die im eigenen Normalkollektiv sehr gering sind, so dass bereits Rechts-Links-Differenzen von unter 1 ms als pathologischer Befund verwertbar sind (⊡ Tabelle 2.4), sofern keine Armlängendifferenz vorliegt (⊡ Abb. 2.29). Auch im Hinblick auf die Amplituden sind Seitendifferenzen von größerer Bedeutung als die interindividuell stark variierenden Absolutwerte, wobei RechtsLinks-Unterschiede von mehr als 40% als pathologisch gelten können (⊡ Tabelle 2.4). Schließlich stellt die Amplitudenrelation N 20/N 13 einen diagnostisch wertvollen Parameter dar, der bei gesunden Versuchspersonen einen Minimalwert von 0,6 nicht unterschreitet, so dass ein niedrigerer Quotient auf eine Läsion rostral der Hinterstrangkerne hindeutet. Bei halbseitigen Läsionen des lemniscalen Systems stellen meist Seitendifferenzen der Latenzen
⊡ Abb. 2.29. »Pathologische« Seitendifferenz der SEP-Latenzen bei unterschiedlicher Armlänge. Als pathologisch gewertete Rechts-Links-Differenz des EP-Potenzials sowie der nachfolgenden Wellen bei einer 29-jährigen Patientin mit
psychogener Sensibilitätsstörung im rechten Arm. Die Seitendifferenz der SEP-Latenzen beruht auf einer linksseitigen Armverkürzung um 12 cm bei Zustand nach Poliomyelitis in der Kindheit
70
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Tabelle 2.4. Obere Normgrenzwerte (m + 2,5 SD) der absoluten Latenzen, der Latenzintervalle (IPL) sowie der Seitendifferenzen dieser Parameter und der Amplituden. Eisen u. Odusote (1980) bestimmten etwas höhere Rechts-linksDifferenzen der Latenz von N 13 (m + 2,5 SD = 1,15 ms) und N 20 (m + 2,5 SD = 1,28 ms), bei etwas geringerer Seitendifferenz der IPL 13 – 20 (m + 2,5 SD = 0,8 ms)
Latenz (ms)
Seitendifferenz der Latenz (ms)
Latenzintervall
(m + 2,5 SD)
(m + 2,5 SD)
(m + 2,5 SD)
Seitendifferenz des Latenzintervalls (ms) (m + 2,5 SD)
Seitendifferenz der Amplitude (%) (m + 2,5 SD)
N9
10,9
0,56
N 11 a (C 7)
13,9
0,49
IPL 9 – 11 a = 3,3
0,71
N 13 a (C 7)
15,8
0,70
IPL 9 – 13 a = 5,2
0,79
35
N 13 b (C 2)
15,9
0,74
IPL 9 – 13 b = 5,4
0,80
33
N 20
22,3
1,10
IPL 13 a – 20 = 7,2
0,95
36
den empfindlichsten Indikator für eine Läsion dar. Bei bilateralen Läsionen sind die Intervalle zwischen den einzelnen Komponenten (Inter-PeakLatenzen, IPL) besonders aussagekräftig und ermöglichen in der Regel eine exaktere Beurteilung als die alleinige Berücksichtigung der absoluten Latenzen. Die oberen Normgrenzwerte der wichtigsten Latenzintervalle (IPL 1 – 2, IPL 1 – 3) sind ⊡ Tabelle 2.4 zu entnehmen. Als Maß für die Leitungszeit zwischen Hinterstrangkernen und Kortex wird meist die Latenzdifferenz zwischen N 13 b und N 20 herangezogen (Hume u. Cant 1978). Die von verschiedenen Untersuchern gefundenen Werte für die mittlere Latenzdifferenz liegen eng beisammen und zeigen kleine Standardabweichungen, was die diagnostische Brauchbarkeit dieses Parameters unterstreicht: 5,6±0,5 ms (Hume u. Cant 1978), 5,3 ms (Chiappa et al. 1980), 5,7±0,6 ms (Ganes 1980 b), 5,45±0,7 ms (Eisen u. Odusote 1980) und 5,61±0,58 ms (eigene Messwerte). Bei Berücksichtigung einer 2½fachen Standardabweichung liegt der obere Normgrenzwert der IPL 3 – 20 zwischen 6,9 und 7,25 ms; darüber befindliche Messwerte sprechen für eine zentrale Verzögerung der Impulsleitung. In geringem Umfang müssen außer den bereits genannten Faktoren auch Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. So zeigen alle SEP-Kompo-
nenten eine Latenzzunahme mit zunehmendem Alter und weisen bei Männern höhere Werte als bei Frauen auf (Allison et al. 1983). Demgegenüber weisen die Rechts-Links-Differenzen nur diskrete altersabhängige und keine geschlechtsspezifischen Unterschiede auf (Allison et al. 1983; Mamoli et al. 1985). Die zentrale Überleitungszeit (N 13 b – N 20) bleibt nach Untersuchungen von Hume et al. (1982) zwischen dem 10. und 49. Lebensjahr konstant, verlängert sich in der fünften und sechsten Lebensdekade um 0,3 ms, um danach erneut stabil zu bleiben. Die Amplituden der zervikalen Reizantworten nehmen mit zunehmendem Alter ab (Strenge u. Gundel 1983). Bezüglich Normwerten bei Kindern darf auf die Zusammenstellung von Willis et al. (1984) und Gibson et al. (1992) verwiesen werden. ! Desmedt u. Brunko (1980) messen die zentrale Überleitungszeit (central afferent transit time) anhand der Latenzdifferenz zwischen dem Beginn von N 11 und dem Beginn der kortikalen Primärantwort (N 20) ( s. Abb. 2.10). Die tatsächliche Leitungszeit (conduction time) ist kürzer, da 3 – 4 synaptische Verzögerungen (synaptic delay) von je etwa 0,3 ms mitberücksichtigt werden müssen. Wird die gesamte ▼
71 2.4 · Normalbefunde
synaptische Verzögerung (total synaptic time) von etwa 1,2 ms von der zentralen Überleitungszeit abgezogen, lässt sich daraus und aus der Distanz zwischen C 7 und postzentralem Handfeld die zentrale Leitgeschwindigkeit (central conduction velocity) schätzen. Diese beträgt bei jungen Erwachsenen 42 m/s und bleibt, im Gegensatz zu der peripheren NLG, bis ins hohe Alter unverändert (Desmedt u. Cheron 1980 b, c). Bei reifen Neugeborenen liegen die Werte um 10 m/s entsprechend der mangelhaften Ausreifung des somatosensiblen Systems (Desmedt 1971). Detaillierte Berechnungen bzw. Schätzungen der Impulsleitungsgeschwindigkeit in den einzelnen Abschnitten des lemniscalen Systems ergaben bei jungen Erwachsenen die folgenden Werte (Desmedt u. Cheron 1980 b): Finger – Handgelenk
63,2 ± 3,2 m/s
Handgelenk – Halsmark 71,1± 4 m/s (Eintrittsstelle der Afferenzen bei C6/C7) Hinterstrang (C6 – Nucleus cuneatus, s = 70 mm) Lemniscus medialis (Nucleus cuneatus– VPL, s = 70 mm)
58 m/s 40,5 m/s
Tractus thalamocorticalis 33 m/s (VPL-somatosensibler Kortex, s = 70 mm)
⊡ Abb. 2.30 a, b. P 16 und P 18 im aufsteigenden Schenkel der kortikalen Primärantwort. Medianusstimulation am Handgelenk. Ableitung über der kontralateralen sensiblen
2
Kortikale Reizantworten Vorgipfel (P 16 und P 18). Bei Registrierung der somatosensiblen Reizantworten von der Kopfhaut finden sich bei hoher Verstärkung vor der kortikalen Primärantwort die bereits beschriebenen spinalen und subkortikalen Komponenten. Bei Wahl einer Hand- oder Ohrreferenz stellen sich diese als eine Serie von aufeinanderfolgenden positiven Wellen dar, während bei einer frontalen Referenz eine niedrige breitbasige Negativität, gefolgt von P 15, zur Darstellung kommt ( s. Abb. 2.24). Im Anschluss an P 15 findet man bei Ableitung von der Handregion des somatosensiblen Kortex gegen eine kephale oder extrakephale Referenz eine negative Auslenkung, die in N 20 kulminiert. Die Dauer der Anstiegszeit entspricht dabei mit durchschnittlich 4,2 ms (⊡ Tabelle 2.3 a) annähernd der von Larson u. Sances (1968) bei stereotaktischen Operationen ermittelten Latenz vom VPL des Thalamus zum Kortex von 3 – 4 ms. Der aufsteigende Schenkel dieser Negativität weist zwei Vorgipfel auf (⊡ Abb. 2.30), deren Ursprung und Bedeutung bislang unklar sind und deren Charakteristika im Folgenden beschrieben werden. Allison et al. (1982) bezeichnen diese N 20 vorausgehenden Komponenten, entsprechend Polarität und mittlerer Latenz, als P 16 und P 18. Die im eigenen Untersuchungsgut gefundenen mittleren Latenzen betragen 16,5 bzw. 17,9 ms. Die Latenz
Rinde gegen eine frontomediane Referenz (a) bzw. simultan gegen eine frontomediane und Ohrreferenz (b)
72
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Tabelle 2.5. Latenzen der SEP-Komponenten kurzer, mittlerer und langer Latenz nach kontralateraler Medianusstimulation am Handgelenk (Mittelwerte und Standardabweichungen)
2
Autor
P 16
P 18
N 20
P 25
Giblin (1964) W-Form V-form
18,3 ± 0,6 19,4 ± 0,9
22,1 ± 0,04 –
Domino et al. (1965)
19,2 ± 0,8
24,3 ± 0,7
Broughton et al. (1969)
19,1 ± 1,5
25,6 ± 4,4
Goff et al. (1977)
21,3 ± 2,1
24,4 ± 1,9
Hume u. Cant (1978) Fz-Referenz Ohr-Referenz
19,4 ± 1,1 19,4 ± 1,1
22,2 ± 1 21,7 ± 1,1
Grisolia u. Wiederholt (1980)
18,7 ± 0,35 (Med) 18,6 ± 0,45 (Rad) 19,2 ± 0,45 (Uln)
Eisen u. Odusote (1980)
19,1 ± 0,9
26,2 ± 2,4
19,3 ± 1,19
23,1 ± 1,87
Eigene Normwerte
16,5 ± 0,85
der fakultativen dritten positiven Vorwelle beträgt 19,49 ms, was deren Bezeichnung als P 19 rechtfertigt (⊡ Tabelle 2.5). P 16 und P 18 kommen über der gesamten hinteren Schädelhälfte – kontralateral zur Seite der Stimulation – gut zur Darstellung, teilweise akzentuiert über temporalen Skalppositionen (⊡ Abb. 2.31). Präzentral sind sie mit geringer Latenzverschiebung als flache Wellen nachweisbar (⊡ Abb. 2.31), während sie ipsilateral zur Seite der Stimulation nicht eindeutig identifizierbar sind (⊡ Abb. 2.32). Unter Berücksichtigung der zeitlichen Beziehungen von P 16 und P 18 zu dem vermutlich im Thalamus entspringenden P 15 und dem kortikalen N 20 ( s. unten) dürften diese Vorwellen mit der Erregungsausbreitung im Tractus thalamocorticalis bzw. mit dem Eintreffen der Erregung in verschiedenen kortikalen Areae zusammenhängen. Interessant sind in diesem Zusammenhang Oberflächenableitungen vom somatosensiblen Kortex der Katze (S I), wo sich innerhalb der ersten 3 ms nach erfolgter Stimulation thalamokortikaler Affe-
17,9 ± 0,83
renzen insgesamt vier positive Auslenkungen registrieren lassen (Allison 1965). Durch digitale Filterung (300 – 2500 Hz) lassen sich die unter normalen Ableitebedingungen manchmal schwer erkennbaren Vorwellen hervorheben. Eisen et al. (1984) fanden mittels dieser Methode regelmäßig eine Serie von drei bis vier negativ-positiven Wellen auf dem ansteigenden Schenkel von N 20 mit Latenzen um 16, 18, 19 (bzw. 20) ms. Bezüglich der Entstehung dieser Wellen vermuten diese Autoren »thalamische oszillatorische Entladungen«. Tiefenableitungen vom VPL des Menschen mittels implantierter Elektroden ließen – außer volumgeleiteter Aktivität von tieferen Strukturen – ein P 15, P 16 und zum Teil weitere positive Komponenten erkennen, die dem VPL und dem Tractus thalamo-corticalis zugeordnet wurden (Katayama u. Tsubokawa 1987). Ein Ursprung von P 16 und P 18 im Tractus thalamo-corticalis liegt auch bei Berücksichtigung der Skalpverteilung (⊡ Abb. 2.31 u. 2.32) nahe, die für einen leicht nach okzipital und temporal geneigten Dipol spricht.
2
73 2.4 · Normalbefunde
⊡ Tabelle 2.5 (Fortsetzung)
P 30
N 35
30,7 ± 1,5 26,8 ± 2,2
39,6 ± 2 36 ± 4,3
49 ± 8 45 ± 5
31,3 ± 0,6
47 ± 0,4
79 ± 7
34,5 ± 4,1
44 ± 3
64 ± 7
89 ± 11
128 ± 15
199 ± 30
28,6 ± 3,4
34,5 ± 4,8
45 ± 5
55 ± 6
80 ± 7
140 ± 13
192 ± 16
26,9 ± 1,5 26,5 ± 1,4
23,6 ± 2,4 32 ± 3,1
43,6 ± 3,9 42,9 ± 3,2
54,0 ± 2,6 55,7 ± 2,6
33,7 ± 3,1
42 ± 4,1
33,2 ± 2,67
42 ± 4,64
27,4 ± 1,74
P 45
Kortikaler Primärkomplex und SEP-Komponenten mittlerer Latenz (N20–P25–P30–N35–P45–N55).
Nach Stimulation des N. medianus am Handgelenk tritt innerhalb der ersten 30 – 40 ms nach Reizbeginn über dem sensiblen Handfeld der kontralateralen Hemisphäre ein V-förmiger, seltener ein W-förmiger Komplex als frühe kortikale Reizantwort in Erscheinung (⊡ Abb. 2.33). Die erste Komponente dieser Antwort beginnt nach Giblin (1964) mit einer Latenz von 16,1 ms und zeigt einen negativen Gipfel bei 19,39 ms (N 20). Der nachfolgende positive Gipfel hat eine mittlere Latenz von 26,78 ms (P 25 oder P 27); sofern dieser durch eine dazwischenliegende kleine negative Zacke (mittlere Latenz 26,14 ms) in zwei Gipfel aufgespalten ist, liegen deren Latenzen mit 22,14 bzw. 30,71 ms annähernd symmetrisch nach beiden Seiten verschoben. Giblin (1964) vermutet, dass im somatosensiblen Kortex generell zwei positive Peaks mit mittleren Latenzen von 22 und 31 ms generiert werden, jedoch in der Mehrzahl der Fälle zu einer einzelnen positiven Welle mit dazwischenliegender Latenz verschmel-
N 55
– –
P 80
P 140
P 190
– –
–
– –
54,7 ± 5,4
zen. Duff (1980) bestreitet diese Ansicht, da er bei Ableitungen über der Zentralregion nie diese Doppelgipfligkeit feststellen konnte, sondern nur über weiter okzipital gelegenen Skalppositionen. Allison et al. (1980) sind dagegen der Ansicht, dass zwei frühe positive Wellen (P 25 und P 30) typisch sind für das menschliche SEP und von zwei räumlich und funktionell geschiedenen kortikalen Areae stammen ( s. unten). N20/P25 stellt sich am klarsten bei Ableitungen von der kontralateralen Postzentralregion gegen eine fronto-mediane Referenz dar ( s. Abb. 2.24). Bei
Ableitungen gegen eine Ohr- oder extrakephale Referenz wirkt sich die dabei mitregistrierte subkortikale Aktivität oft störend aus, während diese bei Verwendung einer Fz-Referenz weitgehend eliminiert wird. Bei Subtraktion der frontalen oder auch der ipsilateral-parietalen Aktivität von der kontralateral-parietalen verbleibt die kortikale Primärantwort in reiner Form (⊡ Abb. 2.34), da die postzentrale Aktivität dabei nicht durch subkortikale Aktivität – vor allem durch N 18 – kontaminiert wird.
74
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.31. Ausprägung von P 16 und P 18 über verschiedenen Skalppositionen. Stimulation des N. medianus links; Ableitung über der rechten Kopfhälfte gegen eine gemeinsame frontomediane Referenz
⊡ Abb. 2.32. Ausprägung von P 16 und P 18 über ipsi- und kontralateralen Skalppositionen gegen eine gemeinsame Ohrreferenz. P 13,8 und P 15 sind über allen Ableitepunkten erkennbar, während P 16,6 und P 18,1 (= P 16 und P 18) nur über den kontralateralen Ableitepunkten eindeutig identifiziert werden können
⊡ Abb. 2.33 a, b. Kortikaler Primärkomplex mit V-förmiger (a) bzw. W-förmiger (b) Ausprägung
a
b
75 2.4 · Normalbefunde
a
2
b
⊡ Abb. 2.34 a. Handreferenzableitung nach Medianusstimulation rechts über der kontralateralen und der ipsilateralen sensiblen Rinde. Die positiven Vorwellen P 9, P 11 und P 13/14 kommen über beiden Ableitpunkten in identischer Form zur Darstellung, ebenso die Komponente N 18 (aktuelle Latenz 15,7 ms). Die darauffolgende Negativität (N 20, aktuelle Latenz 18,7 ms) wird nur über der kontralateralen sensiblen Rinde registriert. Bei Subtraktion der ipsilateralen von der kontralateralen Reizantwort verbleibt außchließlich die negative Nah-
feldaktivität vom kontralateralen sensiblen Kortex, wie man sie in identischer Form bei Fz-Referenz-Ableitungen findet; b Auch bei simultaner Handreferenzableitung über Fz und C3 kommen P 9, P 11, P 13, P 14 und N 17 in identischer Form zur Darstellung. Die postzentrale Negativität N 20 findet sich ausschließlich über C3′ und lässt sich durch Subtraktion der Fz-Ableitung von der C3′ Ableitung am klarsten darstellen (Spur 4). In der Handreferenzableitung ist demgegenüber keine klare Latenzbestimmung der postzentralen Negativität möglich
Die leichte Formänderung des Primärkomplexes durch die von der Referenzelektrode aufgenommenen frontalen Wellen P 22 und N 30 (Desmedt u. Bourguet 1985) ist unseres Erachtens ohne Belang, da sie weder die Latenz- noch die Amplitudenmessung (base-to-peak) von N 20 beeinträchtigt und formale Kriterien ohnehin bei der Auswertung weitgehend unberücksichtigt bleiben. Das Hauptaugenmerk bei der klinischen Anwendung
von SEP-Untersuchungen sollte auf einer möglichst klaren Darstellung der Komponente N 20 liegen, wie sie am besten mit einer Fz-Referenz erreicht wird. Ableitungen gegen eine extrakephale Referenz zeigen 2–3 ms vor N 20 eine negative Vorwelle mit diffuser – frontal betonter – Skalpverteilung (N 18), die kontralateral-postzentral von der regionalen Negativität über der somatosensiblen Rinde abgelöst
76
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
wird ( s. Abb. 2.36 b, Spur 3). N 18 wurde auf postsynaptische Aktivität im Thalamus bzw. auf eine Summe postsynaptischer Aktivität von verschiedenen Kerngebieten des Hirnstamms und Thalamus bezogen (Tsuji et al. 1984; Katayama u. Tsubokawa 1987), wobei für letztere Annahme die manchmal zu sehende Mehrgipfligkeit dieser Welle sprechen könnte ( s. Abb. 1.8). Eigene Erfahrungen – mit Erhaltensein von N 18 bei Thalamusläsionen ( s. Abb. 2.129) und sogar bei pontinen Prozessen ( s. Abb. 2.128) – sprechen für einen in kaudalen Hirnstammanteilen gelegenen Entstehungsort. Tomberg et al. (1991) und Sonoo et al. (1992, 1999) favorisieren einen Ursprung von N 18 im Nucleus cuneatus. Welche Vorsicht bei der lokalisatorischen Zuordnung von Skalpaktivität geboten ist, zeigt das Auftreten einer Skalpnegativität im gleichen Latenzbereich nach Eintritt des Hirntodes. Diese ist einer volumgeleiteten Halsmarkaktivität zuzuordnen ( s. Abb. 2.27). Es handelt sich also bei der Komponente N 18 um negative Fernfeldaktivität, bei der bislang unklar ist, ob sie aus dem unteren Hirnstamm oder dem Halsmark stammt. Das Vorkommen einer solchen Negativität im Hirntod belegt zumindest eine Beteiligung des Halsmarks am Entstehen einer Skalpnegativität im Latenzbereich um 18 ms. Obwohl der Komponente N 18 bislang keine große diagnostische Bedeutung zukommt, ist deren Kenntnis aus zwei Gründen von Bedeutung: Einerseits ist – besonders bei Hand-Referenz-Ableitungen – die Trennung der subkortikalen (N 18) von der postzentralen (N 20) Negativität teilweise unscharf und es kommt vor, dass Erstere eine höhere Amplitude besitzt als Letztere. Als N 20 ist somit die letzte und nicht unbedingt die höchste negative Welle über der Postzentralregion in diesem Latenzbereich anzusprechen. Andererseits kann ein Verlust der Welle N 20 bei Läsionen rostral des Thalamus übersehen werden, wenn die verbleibende Komponente N 18 damit verwechselt wird. Günstig ist in solchen Fällen eine simultane ipsiund kontralaterale Registrierung, da die subkortikale Aktivität beiderseits zur Darstellung kommt ( s. Abb. 2.34). N 20 (bei Nervenreizung am Handgelenk) bzw. N 22 (bei Stimulation der Finger) wird als primäre kortikale Antwort auf den thalamokortikalen Er-
regungseinstrom angesehen (Desmedt u. Brunko 1980). Es ist weitgehend auf die kontralaterale Hirnhälfte hinter dem Sulcus centralis beschränkt.
Die Amplitude des Primärkomplexes ist maximal über der gesamten Parietalregion und nimmt über okzipitalen, temporalen und parasagittalen Ableitepunkten ab (⊡ Abb. 2.35 und 2.36). Über der ipsilateralen Hemisphäre ist dieser als niedrige Schwankung, sowohl bei frontolateraler Referenz (⊡ Abb. 2.35) als auch bei Ableitung zum gleichseitigen Ohr (⊡ Abb. 2.36) sichtbar. Da das ipsilaterale Potenzial ein verkleinertes Abbild der kontralateralen Reizantwort mit annähernd identischer Latenz darstellt und da sich bei Direktableitungen vom Kortex ipsilateral zur Seite der Stimulation kein Primärkomplex findet (Papakostopoulos u. Crow 1980), ist eine Ausbreitung durch Volumleitung und keine zusätzliche ipsilaterale Generation anzunehmen (Goff et al. 1962; Debecker u. Desmedt 1964; Giblin 1980). Ipsilateral zur Seite der Stimulation stellen sich die über allen Ableitepunkten registrierbaren subkortikalen SEP-Komponenten besonders deutlich dar (⊡ Abb. 2.36). Eine von Cracco (1980) beschriebene Latenzzunahme von N 20 in anteroposteriorer Richtung ließ sich in eigenen Untersuchungen – in Übereinstimmung mit Befunden von Desmedt u. Brunko (1980) – nicht bestätigen (⊡ Abb. 2.35). ! N20 stellt eine Besonderheit des menschlichen SEP dar, während Oberflächenableitungen von der Großhirnrinde bzw. vom Skalp bei allen darauf untersuchten Tierspezies eine primär positive Auslenkung ergeben. Die initiale kortikale Negativität des SEP beim Menschen findet sich nicht nur bei Skalpregistrierung, sondern auch bei Direktableitungen von der Oberfläche des Gyrus postcentralis (Papakostopoulos u. Crow 1980). Dem kortikalen Primärkomplex folgen in typischen Aufzeichnungen eine weitere negativ-positive Schwankung (N 35 und P 45) sowie eine Negativität zwischen 50 und 70 ms (N 55) (⊡ Abb. 2.37). Die durch N 35 getrennten positiven Gipfel P 30 und P 45 führen zu der charakteristischen W-Konfiguration [»spätes W« nach Giblin (1980), im Unterschied zu dem ▼
77 2.4 · Normalbefunde
⊡ Abb. 2.35. Skalpverteilung der frühen SEP-Komponenten (Stimulation des rechten N. medianus am Handgelenk; Ableitung über verschiedenen ipsi- und kontralateralen Skalppositionen gegen eine frontolaterale Referenz). Alle frühen SEP-Komponenten kommen über der hinteren Schädelhälfte, kontralateral zur Seite der Stimulation, annähernd identisch zur Darstellung. Präzentral erscheint die primäre Antwort mit umgekehrter Polarität und wird gefolgt von einem hohen N 30. Über parasagittalen und temporalen Ableitepunkten nimmt die Amplitude der Primärschwankung ab. Ipsilateral
2
zur Seite der Stimulation findet sich lediglich ein niedriges N 20, das als verkleinerte Kopie der durch Volumleitung fortgeleiteten kontralateralen Reizantwort anzusehen ist. Lediglich die subkortikalen Komponenten stellen sich annähernd identisch wie auf der Gegenseite dar. [Eine alternative Erklärung für das ipsilaterale N 20 besteht in der Annahme einer Einstreuung von P 22 über die frontale Referenzelektrode, was allerdings das ipsilaterale N 20 bei Ohr-Referenz-Ableitungen ( s. Abb. 2.38) nicht erklärt]
78
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
fakultativen »frühen W« infolge Doppelgipfligkeit der N 20 folgenden positiven Welle]. P 30 und P 45 können durch eine breite positive Welle mit dazwischenliegender Latenz ersetzt sein (Hirsch et al. 1961). Dies beruht nach Duff (1980) vermutlich auf einem relativ posterolateralen Elektrodensitz, da N 35 hierbei verschwinden kann; dasselbe soll bei Wahl einer frontalen, d. h. in der Nähe des vermuteten N 35-Generators gelegenen, Referenz eintreten (was sich in eigenen Ableitungen nicht bestätigen ließ; s. z. B. Abb. 2.37). P 45 erscheint wie P 30 vorwiegend postzentral und kontralateral zur Seite der Stimulation; die Latenzen sind bei Ableitung von verschiedenen Punkten der Kopfhaut weitgehend identisch (Desmedt u. Brunko 1980). N 35 und N 55 weisen nach Goff et al. (1977) Amplitudenmaxima über der vorderen Schädelhälfte auf. ▼
⊡ Abb. 2.36. Skalpverteilung der frühen SEP-Komponenten (Stimulation des linken N. medianus am Handgelenk. Ableitung von verschiedenen Ableitepunkten gegen eine linksseitige Ohr-Referenz). Über allen Ableitepunkten zeigt sich ein gut ausgeprägtes P 13,7 und P 15,1. Die kortikale Primärantwort stellt sich nur über der hinteren Hälfte der zur Stimula-
Dass dies nicht ausnahmslos gilt, zeigt ⊡ Abb. 2.36, die wie die Untersuchungen von Goff et al. (1977) mittels einer Ohrreferenz gewonnen wurde und die eine maximale Amplitude von N 35 über der Postzentralregion zeigt. Frontale SEP-Komponenten. Besonders im Hinblick auf die häufige Verwendung einer frontalen Referenzelektrode muss die dort erscheinende Aktivität Berücksichtigung finden, wobei die mit diffuser Skalpverteilung auftretende subkortikale Aktivität (P 9, P 11, P 13, P 14 und N 18) bereits dargestellt wurde. Bevorzugt über der kontralateralen Präzentralregion lässt sich im selben Latenzbereich wie N 20 eine positive Welle (P 22) registrieren ( s. Abb. 2.35 u. 2.36). Ob diese lediglich ein Spiegelbild von N 20 darstellt, oder aber auf eine direkte thalamokortikale Aktivierung des motorischen Kortex zurückgeht, ist umstritten ( s. unten).
tion kontralateralen Hemisphäre dar. In der Sagittallinie und über der ipsilateralen Hemisphäre ist der Primärkomplex durch eine träge Schwankung ohne eindeutig identifizierbare Komponenten ersetzt. Präzentral und frontal dominieren eine hohe Negativität (N 23)
79 2.4 · Normalbefunde
Die Komponente N 30 (⊡ Abb. 2.34) stellt eine bifrontal bis zur Zentralregion vorkommende Negativität dar, deren Ursprung aufgrund der Skalpverteilung im supplementären motorischen Kortex vermutet wird (Desmedt u Bourguet 1985), wobei dieser einerseits Projektionen von Area 4, andererseits von Area 1, 2 und 5 erhält (Jones et al. 1978). Läsionen in der Capsula interna führen zu Veränderungen dieser Welle (Yamada et al. 1984). Die Entstehung der Komponenten P 22 und N 30 ist umstritten. Maugière u. Desmedt (1991) unterstellen eine thalamopräzentrale Projektion sowie einen präzentralen Ursprung und festigen diese Annahme durch einen isolierten Verlust dieser Wellen bei kleineren kapsulären Läsionen mit rein motorischem Ausfallmuster. Dieser ließ sich allerdings in eigenen Messungen nicht bestätigen ( s. Abb. 2.138). Dagegen sind Allison et al. (1991) sowie Buchner u. Scherg (1991) der Ansicht, dass innerhalb der ersten 30 ms nach Reizbeginn keine Beiträge des motorischen Kortex vorliegen und alle frühen kortikalen Komponenten im kontralateralen somatosensiblen Kortex generiert werden. Dies stimmt im Wesentlichen mit den eigenen Erfahrungen überein. Lediglich in einem Fall erwiesen sich die frontalen Komponenten (mit allerdings bilateral schlechter Charakterisierung von P 20 und N 30) trotz einseitigem Ausfall von N 20 seitengleich ausgeprägt, was für die Existenz
⊡ Abb. 2.37. SEP-Komponenten früher und mittlerer Latenz (Medianusstimulation am Handgelenk rechts; Ableitung über der kontralateralen Postzentralregion)
2
einer eigenständigen thalamopräzentralen Projektion sprechen könnte. Sofern es sich bei weiteren Untersuchungen bestätigen sollte, dass die Wellen P 22 bzw. N 30 auf eine direkte thalamo-kortikale Aktivierung motorischer Rindenfelder zurückzuführen sind, könnte deren ergänzende Ableitung (gegen eine Ohr- oder Handreferenz) von Bedeutung werden bei der diagnostischen Erfassung frontaler (vor allem präzentraler) Läsionen, einschließlich der zugeordneten thalamo-kortikalen Verbindungen. Späte SEP-Komponenten (SLP und Vertexpotenzial). Die jenseits einer Latenz von 70 ms erschei-
nenden Wellen werden als späte SEP-Komponenten zusammengefasst (Goff et al. 1980) (⊡ Abb. 2.38). Im Vergleich zu den relativ konstant und vorwiegend kontralateral zur Seite der Stimulation erscheinenden Wellen kurzer und mittlerer Latenz sind die späten Komponenten durch bilaterales Auftreten, große interindividuelle Variabilität bezüglich Latenz und Amplitude und starke intraindividuelle Beeinflussung durch Vigilanz und psychische Faktoren gekennzeichnet. ! So ist die Amplitude der negativen Komponente des Vertexpotenzials ( s. unten) direkt korreliert mit dem Grad der Aufmerksamkeit auf den sensiblen Reiz. P 300 wird dagegen hervorgehoben durch Reize, die entweder unerwartet oder – im Zusammenhang mit einer gestellten Aufgabe – bedeutsam sind (Halli▼
⊡ Abb. 2.38. Späte SEP-Komponenten
80
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
day 1980). Eine generelle Amplitudenreduktion wurde bei längerer Dauer der Ableitung und bei Diskriminationsleistungen, die eine motorische Reaktion einschließen, beobachtet (Lille et al. 1975), außerdem bei Gewöhnung an eine bestimmte Aufgabe, Unaufmerksamkeit und Schlaf (Velasco u. Velasco 1976; Velasco et al. 1980). In »typischen« Skalpableitungen findet sich eine aus mindestens drei Komponenten (P 65, P 80, P 100) bestehende Positivität. Deren Variabilität resultiert aus einer Überlagerung von myogenen Potenzialen (P 65, N 70 und frontal akzentuiertes P 100) mit neurogener Aktivität (P 80 und über der hinteren Schädelhälfte akzentuiertes P 100; Goff et al. 1980). Direktableitungen von der Oberfläche der Zentralregion zeigen einen Potenzialkomplex mit Charakteristika, die denen des primären SEP-Komplexes N 20/P 30 gleichen und der deshalb SLP (somatic late potential) genannt wird. Dieser Komplex tritt vorwiegend kontralateral auf als P 80 – 100/N 150 – 200 mit Polaritätsumkehr bei Ableitung vor dem Sulcus centralis (Goff et al. 1980). Ob dem positiven Anteil dieses Komplexes bei Ableitung von der Kopfhaut P 80 oder hinteres P 100 entspricht, ist ungeklärt. Die negative Komponente des SLP wird bei Skalpregistrierung gewöhnlich durch die positive Auslenkung des Vertexpotenzials verdeckt.
Das Vertexpotenzial N 140/P 190 stellt eine hohe bilaterale Welle mit maximaler Ausprägung über dem Scheitel dar. Ob dieses Potenzial nach somatosensibler Stimulation innerhalb der sensiblen Rinde entsteht (Stohr u. Goldring 1969; Vaughan u. Ritter 1970) oder ob es sich hierbei um eine modalitätsunspezifische Antwort eines nicht sinnesspezifischen thalamokortikalen Systems bzw. kommissuraler Strukturen (Williamson et al. 1970) handelt, ist bislang unentschieden. Eine unterschiedliche Beeinflussung der negativen und positiven Auslenkung in psychophysischen Experimenten weist darauf hin, dass mindestens zwei unterschiedliche Prozesse an deren Genese beteiligt sind. Allison et al. (1992) postulieren eine bilaterale Entstehung der Wellen N 140 und P 190 im Frontallappen.
! Bei Tiefenableitungen vom Kortex zeigt sich ein gleichartiger Komplex mit umgekehrter Polarität sowie diffuser bilateraler Ausprägung (Goff et al. 1980). Bei Oberflächenableitungen lässt sich keine Polaritätsumkehr zwischen vorderer und hinterer Zentralregion feststellen (Goff et al. 1980). Noch spätere somatosensible Reizantworten mit Latenzen bis zu 3,5 s wurden von Kusske et al. (1976) und von Rush et al. (1976) beschrieben, besitzen aber bislang keine klinische Bedeutung. Wegen der erwähnten erheblichen Variabilität der späten SEP-Antworten existieren bis heute keine Normalitätskriterien. Unter der Voraussetzung eines gleichbleibenden Wachheits- und Aufmerksamkeitsgrades kann zur Beurteilung der Normalität bzw. Abnormität der Reizantworten bei einseitigen Hemisphärenprozessen, deren Ausprägung über der gesunden Hemisphäre (bei kontralateraler Stimulation) herangezogen werden (Williamson et al. 1970).
Bei der Ableitung von späten SEP-Komponenten ist zu beachten, dass die Reizfrequenz wegen deren langer Erholungszeit auf 0,2/s gesenkt werden muss. Dafür reichen ca. 50 Reizwiederholungen aus, um verwertbare Kurven zu erhalten. Ursprung der kortikalen SEP-Komponenten. Über
den Ursprung der frühen kortikalen Reizantworten existieren unterschiedliche Ansichten. Die Analyse des Entstehungsorts einer bestimmten Komponente wird dadurch erschwert, dass deren Amplitudenmaximum in einer bestimmten Region keineswegs gleichbedeutend ist mit einem dort befindlichen Ursprungsort. Diese Schlussfolgerung ist nur dann erlaubt, wenn es sich um einen kortikalen Generator handelt, dessen Dipol annähernd vertikal zur Skalpoberfläche orientiert ist (Goff et al. 1977). Geht man davon aus, dass P 15 die subkortikale Aktivität in Höhe des Thalamus repräsentiert, dürfte die nachfolgende in N 20 gipfelnde Negativität mit der Impulsausbreitung im Tractus thalamocorticalis (volumgeleitete kortikopetale Welle; Giblin 1964) bzw. mit der Ankunft der Impulswelle in der primären sensiblen Rinde in Verbindung stehen (Desmedt et al. 1976).
81 2.4 · Normalbefunde
! Die meisten bis heute bekannten Fakten weisen darauf hin, dass N 20 und die nachfolgende Positivität auf postsynaptischen Potenzialen der apikalen Dendriten kortikaler Pyramidenzellen in Area 1 – 3 beruhen, die ein »open-field«-System ( s. 2.4.1) darstellen (Eccles 1951; Towe 1966; Klee u. Rall 1977). Dass sich beim Menschen zeitlebens eine primäre Negativität – anstatt einer primären Positivität, wie bei allen anderen Säugetieren – findet, wird mit Besonderheiten der Zytoarchitektonik der sensiblen Rinde erklärt. Die relativ lange Dauer dieser frühen Negativität legt dabei nahe, dass eine sequenzielle Abfolge synaptischer Aktivierung vorliegt, was durch die Verlängerung von N 20 beim Neugeborenen beim Übergang vom REM- zum SW- (slow-wave) Schlaf gestützt wird (Desmedt u. Manil 1970; Desmedt u. Debecker 1972). Die höhere Amplitude von N20 bei sehr alten Normalpersonen wurde auf Alterungsprozesse der Pyramidenzellen mit Überwiegen der apikalen über die basalen Dendriten zu erklären versucht (Desmedt u. Cheron 1980 a). Bei einigen unreifen Säugetieren zeigen Oberflächenableitungen ein vorwiegend negatives SEP über dem somatosensiblen Kortex (Persson 1963; Desmedt 1971), was auf eine mangelhafte Ausreifung basaler Dendriten der kortikalen Pyramidenzellen bezogen wird (Purpura et al. 1964; Adinolfi 1971). Von diesen Ausnahmen abgesehen, besteht die kortikale Primärantwort bei allen untersuchten Spezies, außer dem Menschen, aus einer positiv-negativen Schwankung, d. h. einer primären Positivität, gefolgt von einer primären Negativität. In Anlehnung hieran wurden P 25 (Giblin 1964) bzw. P 30 (Allison 1962) des menschlichen SEP als primäre Positivität gewertet. Broughton (1967, 1969) interpretiert dagegen den Komplex N 20/P 30 als positiv-negative Primärantwort, die infolge der horizontalen Anordnung des Dipols in der Tiefe des Sulcus centralis (Area 3) bei Ableitung vom Gyrus postcentralis mit umgekehrter Polarität erscheint. Bei Ableitung über der präzentralen Rinde lässt sich derselbe Komplex mit »rich▼
2
tiger« Polarität als P 20/N 30 registrieren, ein Befund, der von Allison et al. (1980) im wesentlichen bestätigt wurde. Nach dieser Annahme stellen N 20/P 30 die Primärantwort der sensiblen Rinde dar. Daneben finden sich Hinweise auf eine zweite, davon unabhängige Primärantwort P 25/N 35. Die Repräsentation von P 25 über der kontralateralen Parietalregion ist eng umschrieben, was von Allison et al. (1980) auf den Ursprung dieser Welle an der Oberfläche des Gyrus postcentralis in einem eng umschriebenen Bezirk (etwa Area 1 entsprechend) bezogen wird, wobei der Dipol senkrecht zur Hirnoberfläche ausgerichtet ist. ! Nach Allison et al. (1980) scheinen somit in der primären sensiblen Rinde des Menschen zwei separate Generatoren zu existieren, die beide eine primäre positiv-negative Antwort hervorbringen. Die erste kann als P 20/N 30-Komplex vor dem Sulcus centralis registriert werden (bzw. mit umgekehrter Polarität N 20/P 30 dahinter), während die zweite als P25/N 35-Komplex über einem eng umschriebenen Bezirk an der Oberfläche des Gyrus postcentralis erscheint (Allison et al. 1980; 1991) (⊡ Abb. 2.39). Der erste Generator entspricht Area 3, die starke Projektionen vom VPL, bestehend aus dicken und daher rasch leitenden Axonen, bekommt (Jones u. Powell 1970). Der zweite Generator entspricht Area 1, zu der weniger und dünnere thalamokortikale Axone verlaufen, was sowohl das spätere als auch das räumlich begrenztere Auftreten des P 25/N 35-Komplexes erklären könnte. N 20/P 30 weist einen tangential orientierten Dipol in Area 3b, P 25/N 35 einen radial orientierten Dipol in Area 1 auf. Eine Exzision der motorischen Rinde führt weder beim Menschen noch beim Affen zu einem Verlust dieser Potenziale (Allison et al. 1991). Buchner et al. (1996) konstatieren, dass Läsionen in Area 1 die Welle N 20 nicht beeinträchtigen, während P 22 verschwindet.
Kombinierte Oberflächen- und Tiefenableitungen beim Affen durch Arezzo et al. (1981) scheinen diese Auffassung zu bestätigen. Interessant ist, dass in
82
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.39. Hypothetische Darstellung des Ursprungs der frühen kortikalen SEP-Komponenten. Ein Dipol-Generator in Area 3 (in der Tiefe des Gyrus postcentralis) erhält ausgedehnte afferente Projektionen vom Thalamus. Dessen synaptische Aktivierung führt vermutlich zur Entstehung eines P 20/N 30Komplexes über dem Gyrus praecentralis sowie eines N 20/ P 30-Komplexes hinter dem Sulcus centralis. Ein zweiter Generator wird in der Area 1 vermutet, wobei dieser den P 25/N 35Komplex hervorbringt. Das Fragezeichen in der Abbildung soll die Unsicherheit ausdrücken, ob die Projektionen zu Area 1 eine separate thalamokortikale Bahn darstellen oder Axonkollateralen der thalamischen Projektion zu Area 3 entsprechen. (Sagittalschnitt durch die Handregion des menschlichen senso-motorischen Kortex). (Aus Allison et al. 1980 a)
Barbituratnarkose nur diese beiden postzentral generierten Komplexe auftreten, während die im Wachzustand nachfolgenden Komponenten – die offenbar auf einer Erregungsausbreitung zu anderen Hirnarealen beruhen – fehlen (Arezzo et al. 1981). Die von Allison et al. (1980) in Anlehnung an Broughton (1967, 1969) erfolgte Interpretation ist nicht unwidersprochen geblieben. Papakostopoulos u. Crow (1980) fanden bei Direktableitungen vom menschlichen Kortex eine initiale präzentrale Positivität, die gegenüber der postzentralen Negativität um 1 – 2 ms verzögert war (Mittelwert präzentral 19,2 ms, postzentral 18 ms). Damit lässt sich nach Ansicht dieser Autoren die Phasenumkehr der ersten kortikalen Komponente nicht auf einen in der Tiefe der Zentralfurche gelegenen Dipol mit anteroposteriorer Ausrichtung zurückführen. Auch Desmedt u. Bourguet (1985) meinen, dass die präzentrale Positivität (P 20, P 22) kein Spiegelbild von N 20 sein kann, da der zeitliche Ablauf dieser beiden Wellen nicht übereinstimmt und
außerdem eine Ausbreitung von P 22 nach ipsilateral eintritt. Demgegenüber sind Tsuji u. Murai (1986) sowie Wood et al. (1985) der Ansicht, dass N 20/P 20 auf einen einzelnen tangential (anteroposterior) ausgerichteten Dipol mit Ursprung in der primären sensiblen Rinde zurückzuführen ist, wobei die kombinierte Registrierung der elektrischen und der magnetischen Felder höchstens kleinere Beiträge radiär orientierter Quellen im somatosensiblen bzw. motorischen Kortex ergab. Der Verlust von N 20 bei parietalen Infarkten mit Erhaltenbleiben einer prä-rolandischen Welle P 22 (Maugière et al. 1983; Maugière u. Desmedt 1991) weist darauf hin, dass zumindest ein Teil der präzentralen Positivität auf eine thalamo-kortikale Aktivierung des motorischen Kortex zurückgeht. Der Ursprung der dem kortikalen Primärkomplex folgenden Komponenten, deren Nomenklatur noch uneinheitlich ist, wurde von Allison et al. (1992) in die folgenden Hirnregionen lokalisiert: P 45, N 60 und P 100 in die kontralaterale Area 1, N 70 – P 70 in die kontralaterale Area 3 b, N 120 – P 120 in die sekundäre sensible Rinde (bilateral), sowie N 140 und P 190 in den Frontallappen (bilateral). Eigene Untersuchungen bei Patienten mit hinter der primären sensiblen Rinde lokalisierten parietalen Läsionen, sprechen dagegen für die Bedeutung der parietalen sensiblen Assoziationsfelder (Areae 5 u. 7) für die Generierung der Wellen bereits ab N 35 (Stöhr et al. 1983) ( s. Abb. 2.133). Normalwerte. Die Mittelwerte der Latenzen und
Amplituden der wichtigsten SEP-Komponenten sind in ⊡ Tabelle 2.3 und 2.5 dargestellt. Die von verschiedenen Autoren ermittelten Werte der diagnostisch besonders wichtigen Latenz der Komponente N 20 variieren von 16,6 ms (Bergamini et al. 1965) bis 21,3 ms (Goff et al. 1977), wobei vermutlich Unterschiede der Armlänge bzw. Körpergröße, des Lebensalters und eventuell der Hauttemperatur in den verschiedenen Kollektiven als Grund für die große Streuung anzunehmen sind. Um eine schärfere Abgrenzung zwischen normalen und pathologischen Latenzzeiten zu erreichen, müssen die individuellen Messwerte zu den erwähnten Parametern in Beziehung gesetzt werden. Eine alternative Möglichkeit der Latenzmessung von N 20 besteht in der Wahl einer vorangehenden Komponente als
2
83
27,8 19,3 ± 1,19 Eigene Normwerte
22,3
0,4 ± 0,35 19,1 ± 0,9 Eisen u. Odusote (1980)
21,4
19,4 ± 1,1 Hume u. Cant (1978)
22,2
0,25 ± 0,33
1,96 ± 0,85
0,6 – 5
23,1 ± 1,87
1,6 ± 1,5 32,2 26,2 ± 2,4
24,7 22,2 ± 1
Seitendifferenz m + 2,5 SD
0,9 ± 0,96
4,76 ± 2,22
2 – 10
1 – 6,3 3,0 ± 1,2
Range m Range
m m m
m + 2,5 SD
Seitendifferenz
Amplitude (N 20/ P 25) Latenz Amplitude Latenz
Bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern, teilweise auch noch bei Schulkindern, sind Sensibilitätsprüfungen entweder unmöglich oder sie ergeben wenig verlässliche Resultate. Aus diesem Grund sind SEP-Untersuchungen in dieser Altersgruppe besonders wertvoll, um Informationen über die periphere und zentrale sensible Impulsleitung zu gewinnen. Beim Vergleich mit dem SEP des Erwachsenen sind zwei Faktoren zu beachten, die sich gegensätzlich auf die SEP-Latenzen auswirken: 1. mangelnde Ausreifung der somatosensiblen Leitungsbahnen mit entsprechend langsamerer Leitungsgeschwindigkeit, 2. kürzere Distanz zwischen Reiz- und Ableitort. Bei gesunden und reifen Neugeborenen findet sich nach Fingerstimulation anstelle der N 22-Komponente des Erwachsenen eine N 30-Komponente, wobei die Anstiegsphase (Zeit zwischen Beginn und Gipfel) etwa dreimal so lange dauert wie bei diesem (Desmedt et al. 1976). In der postnatalen Periode tritt dann eine rasch progrediente Latenzverkürzung ein. Während des Altersabschnitts von 6 Monaten bis 8 Jahren ist die Latenz der frühen
Komponente P 25
Anhang: SEP-Untersuchungen bei Neugeborenen und Kleinkindern
Komponente N 20
! Buchner et al. (1992) beschreiben nach rechtsseitiger Medianusstimulation eine längere Latenz von N 20, während nach linksseitiger Stimulation eine höhere Amplitude dieser Welle vorliegen soll.
Autor
Bezugspunkt ( s. 2.4.1). Die entsprechenden Latenzdifferenzen sind in ⊡ Tabelle 2.4 angeführt. Wichtigste Messgröße ist die zentrale Überleitungszeit, die eine globale Information über die sensible Leitgeschwindigkeit im Zentralnervensystem liefert ( s. 2.4.1). Die Amplituden der frühen kortikalen SEPKomponenten zeigen starke interindividuelle und intraindividuelle Schwankungen (⊡ Tabelle 2.6), so dass deren Bestimmung eine geringere diagnostische Bedeutung als den Latenzen zukommt (Ciganek 1968). Nach Eisen et al. (1979) sind Amplitudenwerte von weniger als 55% des kontralateralen Vergleichswerts, im eigenen Untersuchungsgut solche von weniger als 64%, als pathologisch anzusehen ( s. Tabelle 2.3, 2.4 und 2.6).
⊡ Tabelle 2.6. Latenz und Amplitude von N 20 und P 25 nach kontralateraler Medianusstimulation (Mittelwerte, Normgrenzwerte und Seitendifferenzen) (Normwerte bei Kindern s. Zhu et al. 1987)
2.4 · Normalbefunde
84
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.40 a – c. Latenz und Dauer der primären kortikalen Negativität bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern (SEP nach Fingerstimulation). a Dauer der Anstiegsphase der primären kortikalen Negativität bei 35 normalen im Wachzustand untersuchten Kindern (Alter in Monaten auf der Abszisse). Links im Bild sind die Werte von 39 reifen Neugeborenen, die im REM-Schlaf untersucht wurden, angegeben (Mittelwert und Standardabweichung). Die Daten von 16 normalen Erwachsenen befinden sich ganz rechts im Bild. b (Anfangs-)Latenz von N 22 (in ms). c Körpergröße (in cm – Ordinate rechts) und (Anfangs-)Latenz von N 22: Körperlänge (ms/m – Ordinate links). (Aus Desmedt et al. 1976)
kortikalen Negativität (Abgang) mit Werten zwischen 5,5 – 16 ms kürzer als beim Erwachsenen, um sich in der Folgezeit mit zunehmendem weiterem Längenwachstum dessen Werten, die im Mittel um 19 ms liegen, anzunähern (⊡ Abb. 2.40). Die weitgehende Konstanz in der (Abgangs-)Latenz der pri-
mären Negativität mit dem Lebensabschnitt zwischen einem halben und 8 Jahren ist auf die bereits erwähnten, sich gegensätzlich auswirkenden Faktoren, Reifegrad und Körpergröße zurückzuführen. Mit anderen Worten, die infolge des zunehmenden Längenwachstums zunehmende Distanz zwischen Reiz- und Ableiteort führt wegen der parallellaufenden Ausreifung des somatosensiblen Systems zu keinerlei Latenzverlängerung. Wird der Einfluss der Körpergröße – durch Bildung des Quotienten Latenz/Körpergröße (ms/m) – ausgeschaltet, wird deutlich, dass es etwa 8 Jahre benötigt, bis die Leitungsgeschwindigkeit des lemniskalen Systems adulte Werte erreicht (Laget et al. 1975; Desmedt et al. 1980). Da die periphere Nervenleitgeschwindigkeit bereits nach einem, spätestens nach zwei Jahren, der des Erwachsenen entspricht (Gamstorp u. Shelburne 1965; Desmedt et al. 1973), muss dies auf einer entsprechend langsamen Ausreifung der zentralen somatosensiblen Leitungsbahnen beruhen (Desmedt et al. 1976). Berechnungen der zentralen Leitgeschwindigkeit im somatosensiblen System beim reifen Neugeborenen zeigen Werte um 10 m/s, was etwa einem Viertel der zentralen Leitgeschwindigkeit des normalen Erwachsenen entspricht. Im Lauf der ersten Lebensjahre tritt dann eine progrediente Beschleunigung der zentralen Impulsleitung ein, bis mit dem achten Lebensjahr annähernd adulte Werte (40 – 50 m/s) erreicht sind (Normwerte s. Zhu et al. 1987; Taylor u. Sagan 1988; George u. Taylor 1991; Mattigk 1991; Gibson et al. 1992; Lowitzsch et al. 1993). ! Beim Neugeborenen folgen der ersten kortikalen Negativität im Wachzustand und im REM-Schlaf 1 oder 2 positive Wellen innerhalb der ersten 100 ms nach Reizbeginn sowie eine große negative Auslenkung zwischen 200 und 300 ms (Desmedt et al. 1980). Im Gegensatz dazu zeigt sich im SW- (slow wave) Schlaf im Latenzbereich zwischen 200 und 300 ms eine ausgeprägte positive Welle; darüber hinaus ist in diesem Schlafstadium die Anstiegsphase von N 30 verlängert. Beim Vergleich mit SEPProfilen von älteren Kindern – bei denen die Ableitung in der Regel im Wachzustand erfolgt – sollten daher nur Neugeborenen-SEP ▼
85 2.4 · Normalbefunde
herangezogen werden, die ebenfalls im Wachzustand gewonnen wurden (was wegen Bewegungsartefakten schwierig sein kann) oder solche, die während des REM-Schlafs erfolgten (Desmedt et al. 1980). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die genannten Charakteristika der späteren Anteile des Neugeborenen-SEP nur bei Interstimulusintervallen von mindestens 7 ms in voller Ausprägung erscheinen (Desmedt et al.1980).
SEP-Ableitungen nach Armnervenstimulation erlauben eine Funktionsprüfung des betreffenden Armnerven (einschließlich dessen Fortsetzung in Armplexus- und Zervikalwurzeln) sowie der zugehörigen zentralen somatosensiblen Leitungsbahn. Zur Lokalisierung einer Läsion ist die Kenntnis der Ursprungsorte der wichtigsten SEPKomponenten erforderlich, die in ⊡ Abb. 2.23 und 2.28 dargestellt sind, wobei folgende Zuordnungen gelten: EP-Potenzial → kaudaler Armplexus → Hinterhorn N13a (kaudales Halsmark) → rostraler Tractus cuneatus N13b/P13 → distaler Lemniscus medialis N14/P14 → primäre sensible Rinde N20 Eine Läsion der somatosensiblen Leitungsbahn an irgendeiner Stelle führt zu einer Verzögerung, Erniedrigung, Deformierung oder zum Verlust aller rostral davon generierten Potenziale, was deren lokalisatorische Zuordnung ermöglicht. Beim Verdacht auf eine periphere Nervenläsion ergeben ergänzende Ableitungen der Nervenaktionspotenziale in Höhe des Ellenbogens und der Axilla weitergehende diagnostische Informationen.
2.4.2 SEP nach Beinnervenstimulation Bei der Mehrzahl der bisher an Normalpersonen und Kranken durchgeführten SEP-Untersuchungen erfolgte eine elektrische Stimulation des N. medianus. Diese Bevorzugung der Armnervenstimulation mag im neurophysiologischen Experiment gerecht-
2
fertigt sein, keinesfalls jedoch in der diagnostischen Anwendung der SEP-Methode, und zwar aus verschiedenen Gründen:
1. Myelopathien kaudal der Segmente C 8/D 1 sind aufgrund ihrer Lokalisation nur durch SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation erfassbar. 2. Bei der Multiplen Sklerose ist die statistische Wahrscheinlichkeit, eine Demyelinisierung durch pathologische Latenzverzögerung zu erfassen, nach Beinnervenstimulation größer als nach Armnervenstimulation, und zwar wegen der größeren Länge und des dadurch bedingten häufigeren Betroffenseins des Funiculus gracilis gegenüber dem Funiculus cuneatus. 3. Systemerkrankungen des peripheren Nerven (z. B. neurale Muskelatrophie) und des Rückenmarks (z. B. Friedreich-Erkrankung) bevorzugen häufig die den unteren Gliedmaßen zugehörigen Neurone und sind daher frühzeitiger durch SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation zu erkennen.
! Auf der anderen Seite sind die spinalen und subkortikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation besser ausgeprägt als die nach Beinnervenstimulation, so dass bei Prozessen im Halsmark oder rostral davon häufig die erstere Stimulationsmethode eindeutigere Befunde ergibt.
Beim routinemäßigen diagnostischen Einsatz von SEP-Untersuchungen nach Beinnervenstimulation sollten zumindest Ableitungen über dem Lumbosakralmark (BWK 12/LKW 1) und über der sensiblen Rinde (Cz′) vorgenommen werden, um den peripheren und den zentralen Abschnitt des spezifischen somatosensiblen Systems getrennt zu erfassen. Bei manchen Fragestellungen ist es vorteilhaft zusätzlich über LWK 5 und HWK 2 zu registrieren, um eine genauere Schädigungslokalisation zu erreichen. ⊡ Abb. 2.41 zeigt eine solche Aufzeichnung und die den einzelnen Reizantworten zugrundeliegenden Generatoren.
86
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.41. Spinale und kortikale Reizantworten nach Tibialisstimulation und deren Ursprungsorte
Lumbosakrale Reizantworten Nach Stimulation der Nn. tibialis und peronaeus communis finden sich über allen Wirbelsäulenabschnitten niedriggespannte Reizantworten, die erstmals subarachnoidal von Magladery et al. (1951 a, b), von der Hautoberfläche von Liberson u. Kim (1963) sowie Cracco (1973) abgeleitet wurden. Bei der Analyse dieser Reizantworten ist zu bedenken, dass durch die Stimulation gemischter Beinnerven Haut-, Gelenk- und Muskelafferenzen, bei motorisch überschwelliger Reizung darüber hinaus motorische Fasern erregt werden. Dies führt aufgrund der unterschiedlichen Leitgeschwindigkeiten der verschiedenen Faserpopulationen zu einem
desynchronen Impulseinstrom über Cauda equina, Hinter- und evtl. Vorderwurzeln in das Rückenmark. Durch reflektorische Aktivierung von α-Motoneuronen (über Ia-Afferenzen) kommt im Bereich der Cauda equina eine vermutlich dem H-Reflex entsprechende deszendierende Impulswelle hinzu. Aszendierende und deszendierende Impulswelle in der Cauda equina sowie Reizverarbeitung und -weiterleitung im Lumbosakralmark bedingen eine relativ komplexe Abfolge von Potenzialen, deren wichtigste in den folgenden Abschnitten beschrieben werden.
87 2.4 · Normalbefunde
Die technischen Schwierigkeiten bei der Registrierung spinaler und subkortikaler Reizantworten nach Beinnervenstimulation sind größer als die nach Armnervenstimulation, und zwar wegen der niedrigeren Amplituden infolge der geringeren Zahl sensibler Afferenzen einerseits, wegen teilweise starker EKG- und EMG-Artefakteinstreuung andererseits.
Reizantworten bei subarachnoidaler und epiduraler Ableitung. Nach supramaximaler Stimulation
des N. tibialis in der Kniekehle findet sich bei subarachnoidaler Ableitung in Höhe der Dornfortsätze L 3/L 4 (Cauda equina) ein triphasisches Potenzial mit einer Amplitude zwischen 6 und 12 µV (gemessen von der ersten negativen zur zweiten positiven Komponente) und einer Latenz des ersten negativen Gipfels zwischen 8,5 und 13,5 ms. Dieses Potenzial wird bei einem Teil der Ableitungen von einer zweiten kleineren Welle gefolgt (Ertekin 1973). Bei Ableitung in Höhe des Lumbosakralmarks (zwischen den Dornfortsätzen D 10/11 bzw. D 11/12) erscheint ein wesentlich höheres, 12 – 88 µV hochgespanntes triphasisches Potenzial, gefolgt von einer langsameren negativen Nachschwankung (⊡ Abb. 2.42). Die mittleren Latenzen und Amplituden der einzelnen Wellen sind aus ⊡ Abb. 2.42 zu ersehen. Der aufsteigende Schenkel der ersten negativen Auslenkung weist bei einem Teil der Untersuchten Unregelmäßigkeiten oder Knotungen auf (Ertekin 1973). Gleichartige Reizantworten von ge-
a
b
2
ringerer Amplitude können nach Stimulation des N. peronaeus communis in Höhe des Fibulaköpfchens registriert werden (Ertekin 1973). Bei epiduraler Ableitetechnik (Shimoji et al. 1972, 1977; Caccia et al. 1976; Matsukado et al. 1976) sind die Reizantworten nur etwa ein Drittel so hoch wie bei subarachnoidaler Registrierung, während Form und Latenzen des primären triphasischen Anteils, von wenigen Ausnahmen abgesehen, annähernd identisch sind. Die langsame negative Nachschwankung kommt allerdings nicht oder schlechter ausgeprägt zur Darstellung (Ertekin 1978 a). Reizantworten bei Oberflächenregistrierung. Die
nichtinvasiven Ableitetechniken mittels Haut- oder subkutan plazierter Nadelelektroden haben gegenüber den obengenannten Verfahren die Vorteile der Risikofreiheit und Schmerzlosigkeit, jedoch den Nachteil einer wesentlich niedrigeren Amplitude der evozierten Potenziale. Dennoch lassen sich bei ausreichender Entspannung der Rückenmuskulatur bei allen Normalpersonen reproduzierbare Potenziale gewinnen. Erwartungsgemäß wurde sowohl tierexperimentell bei Kaninchen (Rossini et al. 1980) und Katze (Happel et al. 1975) als auch beim Menschen (Ertekin 1978 a) eine weitgehende Übereinstimmung dieser bei Oberflächenableitung gefundenen Potenziale mit denen bei subarachnoidaler Registrierung bzw. Direktableitung von der Rückenmarksoberfläche gefunden. Bei der von Cracco et al. (1973, 1980) verwendeten bipolaren Ableitetechnik zeigt sich über den lumbalen und thorakokaudalen Wirbelsäulenab-
c
⊡ Abb. 2.42 a–c. Spinale Reizantwort in Höhe D 10/11 bei subarachnoidaler Ableitung (supramaximale Stimulation des N. tibialis in der Fossa poplitea). In a und b ist der initiale triphasische Komplex mit langsamerer negativer Nachschwan-
kung bei kurzer und mittlerer Analysezeit dargestellt. Unter c findet sich eine schematisierte Reizantwort mit Angabe der mittleren Latenzen und Amplituden. (Aus Ertekin 1973)
88
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
schnitten ein in der Regel triphasisches Potenzial mit einer initial-positiven Komponente und einer maximalen Ausprägung in Höhe des thorakolumbalen Übergangs. Bei Verlagerung der Ableitelektrode in die Tiefe nimmt die Amplitude zu; zugleich wird die Potenzialform komplexer. Knotungen der negativen Komponente lassen sich gelegentlich auch bei Oberflächenableitungen über dem Lumbosakralmark beobachten und entsprechen nach Cracco et al. (1980) vermutlich der sequenziellen Abfolge von präsynaptischer, synaptischer und postsynaptischer Aktivität in der HinterwurzelHinterhorn-Region. Bei Säuglingen besteht die Reizantwort oft aus einem frühen biphasischen Potenzial, das vermutlich der präsynaptischen Aktivität der in das Rückenmark einlaufenden Afferenzen entspricht. Unmittelbar danach folgt eine relativ hochgespannte negativ-positive Welle, welche aufgrund tierexperimenteller Untersuchungen an der Katze am ehesten mit der synaptischen Aktivierung von Hinterhorn-Neuronen und postsynaptischer Aktivität zusammenhängt (Cracco u. Evans 1978). Über der mittleren und oberen Thorakalregion sowie vom Nacken werden zunehmend niedrigere Antwortpotenziale erhalten. Bei monopolarer Ableitung gegen eine thorakale Referenz (D 6) zeigt sich in Höhe der Dornfortsätze L 3 bis S 1 ein Antwortpotenzial mit niedriger positiver Vorwelle und zwei aufeinanderfolgenden negativen Gipfeln (Delbeke et al. 1978; Dimitrijevic et al. 1978) (⊡ Abb. 2.43). Identische Potenziale zeigen sich bei Verwendung einer im eigenen Labor bevorzugten abdominalen oder Beckenkamm-Referenz ( s. Abb. 2.19), welche die Artefakteinstreuung durch EKG und Atemmuskulatur verringert. Nach der Terminologie von Magladery et al. (1951 a) wird der erste Gipfel mit R (dorsal root response), der zweite mit A (anterior root response) bezeichnet. Phillips u. Daube (1980) bezeichnen die 1. Komponente als Kauda- die zweite als Rückenmarkgipfel (»Cauda-peak« und »Cord-peak«), da sie die A-Welle als volumgeleitete S-Welle (»spinal cord response«, s. u.) interpretieren, die mit maximaler Amplitude in Höhe L 1 abzuleiten ist. Die mittleren Latenzen und Amplituden der einzelnen Komponenten sind ⊡ Tabelle 2.7 zu entnehmen.
! Die R-Antwort (N 18) repräsentiert die über Cauda equina und Hinterwurzeln einlaufende afferente Impulswelle.
Hierfür sprechen deren Nachweis bei motorisch unterschwelliger Stimulation (Delbeke et al. 1978) (⊡ Abb. 2.44), die Latenzzunahme bei Ableitung über dem Dornfortsatz L 4 gegenüber S 1 und die sehr kurze Refraktärperiode (Dimitrijevic et al. 1978; Seyal u. Gabor 1985; Wiethölter et al. 1985). Bei motorisch überschwelliger Nervenstimulation tragen eventuell antidrom verlaufende Impulse in motorischen α-Axonen zu dieser Komponente bei (Delbeke et al. 1978). Aus dem Beginn der R-Antwort und der Distanz zwischen Reiz- und Ableitelektrode lässt sich die sensible Nervenleitgeschwindigkeit im proximalen Abschnitt des N. tibialis bzw. N. peronaeus bestimmen. Deren Mittelwert zwischen Fossa poplitea und unterer LWS beträgt nach Delbeke et al. (1978) 67 m/s, nach Dimitrijevic et al. (1978) 64±6 m/s, nach Monster (1980) 65 m/s. Detaillierte Informationen liefert die simultane Aufzeichnung der Reizantworten von Fossa poplitea, Glutealfalte, Dornfortsatz L 5 und L 1 nach distaler Tibialisstimulation (⊡ Abb. 2.43 c). Aus den Latenzintervallen lassen sich die sensiblen Leitgeschwindigkeiten zwischen den einzelnen Ableitepunkten ermitteln, was bei der differenzialdiagnostischen Abgrenzung zwischen Wurzel-, Plexus- und proximalen Beinnervenläsionen von Bedeutung sein kann. Die A-Welle entspricht nach Delbeke et al. (1978) am ehesten reflektorisch über Ia-Fasern ausgelöster deszendierender Aktivität in α-Motoneuronen im Bereich von Vorderwurzeln und Cauda equina, da deren Amplitude der des simultan registrierten H-Reflexes parallel läuft (⊡ Abb. 2.44). ! Wird der H-Reflex mit zunehmender Reizstärke unterdrückt (durch Kollision der reflektorisch ausgelösten mit antidromen Impulsen in den motorischen Axonen), kann die A-Welle verschwinden; sie kann aber auch erhalten bleiben. Letzteres Verhalten ist verständlich, wenn man die schnellere Impulsleitung in den I a-Afferenzen berücksichtigt, die dazu führt, dass die obenerwähnte Kollision an variablen ▼
2
89 2.4 · Normalbefunde
⊡ Tabelle 2.7. Tibialis-SEP – Normwerte (Aus Riffel et al. 1984)
Latenzen (ms)
N 18
N 22
N 30
P 40
Mittelwert (±SD)
18,4 ± 1,2
21,7 ± 1,6
29,5 ± 1,9
38,8 ± 2,0
oberer Grenzwert (m + 2,5 SD)
21,4
25,8
34,3
43,9
1,5
1,2
1,9
2,1
maximale Seitendifferenz
Latenzintervalle (ms)
N 18 – N 22
mittleres Intervall (±SD)
3,8 ± 0,9
maximals Intervall (m + 2,5 SD)
6,0
maximale Seitendifferenz
2,66
Amplituden (µV)a
N 18
Mittelwert (±SD)
N 22 – N 30
N 30 – P 40
7,9 ± 0,1
8,8 ± 1,6
10,4 2,41 N 22
12,9 2,82 N 30
N 22 – P 40 17 ± 1,7 21,3 3,5 P 40
0,3 ± 0,2
0,6 ± 0,3
0,6 ± 0,3
1,8 ± 1,3
Streubreite
0,05 – 0,8
0,15 – 1,1
0,15 – 1,25
0,35 – 5,2
maximale Seitendifferenz (m + 2,5 SD)
0,51
0,5
0,54
Amplituden-Quotienten
N 22/N 18
P 40/N 22
Mittelwert (±SD)
3
4,9
Streubreite
1,1 – 6,6
0,85 – 27,3
a
2,5
Amplitudenmessungen von der Grundlinie zum nachfolgenden Potenzialgipfel (base-to-peak)..
Stellen distal des Niveaus der motorischen Vorderhornzellen stattfindet, so dass durchaus in den proximalsten Abschnitten der motorischen Axone noch reflektorische Aktivität auftreten kann (Dimitrijevic et al. 1978). Dass die A-Welle mitunter bei Stimulation im Bereich der motorischen Schwelle deutlicher hervortritt als die R-Welle wird von Dimitrijevic et al. (1978) damit erklärt, dass die Aktivierung einer propriozeptiven Ia-Faser zu einer reflektorischen Aktivierung mehrerer α-Motoneurone führen kann.
Entsprechend der Interpretation der A-Welle als Ausdruck einer in der Cauda equina deszendierenden Impulswelle nimmt deren Latenz nach Unter-
suchungen von Wiethölter et al. (1985) an der Ratte in kraniokaudaler Richtung zu. ! Da eine A-Welle nach eigenen Untersuchungen auch bei distaler Tibialisstimulation – die bekanntlich nicht zum Auftreten eines H-Reflexes in den Plantarmuskeln führt – gesehen wird ( s. Abb. 2.45), müssen auch andere Mechanismen in Erwägung gezogen werden. Zu denken wäre z. B. an F-Wellen-Aktivität, sofern die Reizstärke deutlich über der motorischen Schwelle liegt. Wegen der annähernd gleichen Latenzen von A- und S-Welle muss auch an eine Identität dieser beiden Komponenten gedacht werden, eine Auffassung, die von ▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.43a – c. Lumbosakrale Reizantworten bei Oberflächenableitung (motorisch überschwellige Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis). a, b Bei Ableitung in Höhe der Dornfortsätze L 4/L 5 (Cauda equina) stellen sich zwei negative Wellen (R- und A-Antwort), bei Ableitung in Höhe D 12/L 1 (Lumbosakralmark) ein höhergespanntes triphasisches Potenzial mit fakultativ doppelgipfligem negativem Gipfel (S-Antwort, N22) dar. c Simultane Ableitung der
Reizantworten in Höhe des Lumbosakralmarks, der Cauda equina, der Glutaealfalte und der Fossa poplitea nach distaler Tibialisstimulation. Die aus den Interpeaklatenzen und den Distanzen zwischen den Elektroden ermittelten sensiblen Nervenleitgeschwindigkeiten betragen 62 m/s zwischen Malleolus medialis und Fossa poplitea, 67 m/s zwischen Fossa poplitea und Glutaealfalte sowie 66 m/s von dieser zur Cauda equina in Höhe des Dornfortsatzes (DF) L 5
91 2.4 · Normalbefunde
2
jedoch bezüglich des H-Reflexes überschwelliger Stimulation, spricht gegen einen Zusammenhang mit antidrom laufenden motorischen Impulsen, die zumindest in manchen Fällen beobachtete Amplitudenreduktion bei supramaximaler Reizintensität für die obenerwähnte Impulskollision und gegen einen Zusammenhang mit der Erregung langsamer leitender Afferenzen (⊡ Abb. 2.45).
Phillips u. Daube (1980) aufgrund der über allen Ableitepunkten zwischen L 5 und S 1 identischen Latenz der zweiten Welle vertreten wird. Dieser Annahme widerspricht jedoch die Tatsache, dass die Amplitude der A-Antwort nicht mit der der S-Antwort, sondern (zumindest bei niedrigen Reizintensitäten) mit der des H-Reflexes korreliert und dass die Latenzen der beiden Komponenten im Einzelfall unterschiedlich sein können ( s. Abb. 2.44). Das Auftreten bei motorisch unterschwelliger, ▼
Die über der Cauda equina (in Höhe der Dornfortsätze L 3 und S 1) registrierbare doppelgipflige Ant-
⊡ Abb. 2.44 a, b. Abhängigkeit der Amplituden der R (N18), A- und S (N22)-Antwort von der Reizstärke (Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis; Ableitung der Reizantworten in Höhe der Dornfortsätze L 5 und L 1). a Die Amplitude der S-Antwort zeigt bei einer Reizstärke von 4 mA über der motorischen Schwelle eine nahezu maximale Höhe (untere Spur), ist jedoch bereits bei einer Reizstärke von 1 mA unter der motorischen Schwelle gut ausgeprägt (obere Spur). b Bei Stimulation mit einer Reizstärke von 18 mA (keine M-Antwort im M. soleus und inkonstant sichtbarer niedriggespannter
H-Reflex) sind die R- und die S-Welle gut erkennbar, während die A-Welle kaum sichtbar ist (oberes Kurvenpaar). Bei Erhöhung der Reizstärke auf 30 mA (maximale H-Reflex-Amplitude, niedrige M-Antwort) tritt die A-Welle deutlicher hervor (mittleres Kurvenpaar). Bei maximaler Stimulation mit 60 mA ausgeprägte Zunahme der Amplitude der R-Antwort bei geringerer Zunahme der Amplitude der S-Antwort; obwohl Letztere ansteigt, ist die A-Welle nicht mehr sicher identifizierbar, so dass diese nicht als volumgeleitete S-Welle interpretiert werden kann
92
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.45. Patient mit umschriebener Myelitis im Lumbosakralmark. R (N18)- und S (N22)-Welle (17.4 bzw. 22.2 ms) normal ausgeprägt; A-Welle (sowie R-A-Intervall) latenzverlän-
gert. Die Latenzunterschiede zwischen S-Welle und A-Welle belegen, dass Letztere keine volumgeleitete S-Welle darstellen kann
wort entspricht also aufgrund unserer bisherigen Kenntnisse am ehesten einer aszendierenden (R) und – nach reflektorischer Aktivierung von α-Motoneuronen – einer deszendierenden Impulswelle (A), die mit einem mittleren Intervall von 3,9 ms aufeinanderfolgen (Riffel u. Stöhr 1982). Die in Höhe des Lumbosakralmarks (D 11 bis L 2) mit maximaler Amplitude registrierbare Reizantwort, die eine annähernd identische Latenz wie die bereits besprochene A-Welle besitzt, wird nach Magladery et al. (1951 a) als S-Antwort (spinal cord response) (= N 22) bezeichnet und mit einer Aktivierung von Gruppe-II-Fasern in Verbindung gebracht (Abbruzzese et al. 1978). Dieser Annahme entspricht die gute Ausprägung der S-Antwort bereits bei motorisch-unterschwelliger Stimulation (⊡ Abb. 2.44). Besonders bei Stimulation der Nn. peronaeus communis bzw. tibialis in der Fossa poplitea ist der Gipfel der S-Antwort oft 2-gipflig ( s. Abb. 2.43), wobei der Vorgipfel vermutlich der R-Welle, d. h. aszendierender über die Hinterwurzeln einlaufender Aktivität entspricht (Phillips u. Daube 1980). Die S-Antwort ist im Vergleich zur
R- und A-Antwort deutlich höhergespannt, triphasisch und entspricht – außer der niedrigeren Amplitude – weitgehend der bei epiduraler bzw. subarachnoidaler Ableitung gefundenen Reizantwort ( vgl. Abb. 2.42 und 2.43). Die mittlere Amplitude der ersten negativen Komponente beträgt nach Jones u. Small (1978), 1,5 µV, nach eigenen Messungen an einem größeren Kollektiv 0,67±0,41 µV ( s. Tabelle 2.9). Der nach einer kurzen positiven Vorwelle ansteigende negative Schenkel kann 1 – 2 Knotungen enthalten (Delbeke et al. 1978). Die S-Antwort ist mit rasch abnehmender Amplitude, jedoch gleichbleibender Latenz, auch über der mittleren und oberen BWS registrierbar. Die mittleren Latenzen der S-Antwort sind in ⊡ Tabelle 2.7 a angeführt, deren Korrelation mit der Körpergröße in ⊡ Abb. 2.46. ! Aufgrund der maximalen Amplitude der S-Antwort in Höhe der lumbosakralen Intumeszenz ist ein Ursprung in diesem Niveau naheliegend, ohne dass bisher gesicherte Aus▼
93 2.4 · Normalbefunde
2
⊡ Abb. 2.46. Korrelation der Latenz von N 22 mit der Körpergröße (Punkte: männliche Probanden, offene Kreise: weibliche Probanden). (Aus Riffel u. Stöhr 1982)
sagen hierüber möglich sind. Die von Delbeke et al. (1978) vermutete Beziehung zu präsynaptischer Aktivität im Hinterstrang wäre zwar mit der von Dimitrijevic et al. (1978) gefundenen Dauer der relativen Refraktärperiode von etwa 3 ms in Einklang zu bringen. Die rasche Amplitudenabnahme über rostraleren Ableitepunkten (z. B. D 6) wäre dadurch aber nicht ausreichend erklärt. Außerdem verlaufen im Funiculus gracilis offenbar nur wenige sensible Neuriten erster Ordnung und wie in den anderen vom Lumbosakralmark aszendierenden afferenten Rückenmarksbahnen überwiegend solche zweiter Ordnung (Glees u. Soler 1951; Rustioni 1973). Die relativ hohe Amplitude des negativen Hauptgipfels spricht nach Jones u. Small (1978) dafür, dass diesem eine synaptische Aktivierung von Neuronen des Lumbosakralmarks zugrundeliegt. Delbeke et al. (1978) bringen dagegen in Anlehnung an Austin u. McCouch (1955) nur die Knotungen im aufsteigenden Schenkel der S-Antwort hiermit in Zusammenhag, und zwar die erste ▼
Knotung mit Aktivität im Hinterhorn endigender sensibler Fasern, die zweite Knotung mit synaptischer Aktivierung von Hinterhornneuronen. Die nachfolgende Positivität soll auf einer rückläufigen Depolarisierung der sensiblen Afferenzen im Rahmen der präsynaptischen Hemmung beruhen (Gasser u. Graham 1933). El-Negamy u. Sedgwick (1978) fanden bei Doppelreizversuchen [im Gegensatz zu Dimitrijewic et al. (1978) sowie Phillips u. Daube (1980)] eine Amplitudenabnahme der S-Antwort bei Interstimulusintervallen von bis zu 60 ms und schließen daraus auf einen postsynaptischen Generator, der aufgrund der Ergebnisse bei unterschiedlichen Reizstärken durch niederschwellige Hautafferenzen aktiviert werden soll.
Zur Klärung der widersprüchlichen Befunde bei Doppelreizversuchen durch die zitierten Autoren erfolgten eigene Untersuchungen an 5 Normalpersonen mit folgenden Ergebnissen: Die S-Antwort auf den konditionierten Reiz erscheint bei Stimulusintervallen zwischen 4 und 10 ms erniedrigt und
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2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
meist deformiert. Diese Erniedrigung und Deformierung der konditionierten S-Antwort ist jedoch nur vorgetäuscht. Wird nämlich von der Reizantwort nach Doppelreizung die Reizantwort nach Einzelreiz subtrahiert, zeigt sich bis herab zu Stimulusintervallen von 4 ms eine normale S-Antwort auf den zweiten Reiz (⊡ Abb. 2.47). Bei Interstimulusintervallen von 3 ms ist dagegen die konditionierte S-Antwort erniedrigt und leicht verzögert, während die konditionierte R-Antwort bei diesem Intervall noch normale Latenzen und Amplituden aufweist. Trotz dieser nur geringen Differenz in der relativen Refraktärperiode der R- und S-Antwort erscheint ein postsynaptischer Ursprung der S-Welle aufgrund der Relationen zwischen Amplitude und Reizstärke wahrscheinlich: Die Amplitude der R-Welle zeigt mit zunehmender Reizintensität einen progredienten Anstieg, wie dies für sensible Nervenaktionspotenziale charakteristisch ist (EPPotenzial, s. 2.4.1). Die S-Antwort weist dagegen bereits bei Reizstärken knapp über der motorischen Schwelle eine nahezu maximale Amplitude auf (⊡ Abb. 2.44) und verhält sich damit ähnlich wie die Komponenten N 13 und N 20 nach Armnervenstimulation ( s. Abb. 2.13). Schließlich weist die in Relation zur R-Antwort geringere Amplitudenreduktion der S-Antwort bei Läsion des N. ischiadicus bzw. des Plexus sacralis auf deren postsynaptischen Ursprung hin ( s. 2.5.1). ! Intraoperative Ableitungen über dem Lumbosakralmark bestätigten die Annahme eines postsynaptischen Ursprungs der S-Antwort (N 22,) in Hinterhornneuronen, wobei ein dorsoventral liegender Dipol beschrieben wurde (Jeanmonod et al. 1991).
Gleichzeitig stellte man vor der Komponente N 22 noch eine präsynaptische N 21 Komponente fest. ! Die lumbosakralen Reizantworten lassen sich bei Wahl einer Kniereferenz auch von der Kopfhaut als Fernfeldpotenziale ableiten, wobei P 17 unmittelbar distal des Plexus sacralis und P 24 im Conus medullaris entspringen soll (Dumitru u. Jewett 1993).
An der Ratte erlischt die S-Antwort wenige Sekunden nach dem Tod, während die R-Antwort bis zu 18 min persistiert (Wiethölter et al. 1985).
⊡ Abb. 2.47. Verhalten der S (N22)-Antwort bei DoppelreizVersuchen (Ableitung der S-Antwort in Höhe des Dornfortsatzes L 1 nach distaler Tibialisstimulation). Bei Applikation von Einzelreizen stellt sich eine gut ausgeprägte S-Antwort dar (obere Kurve). Bei Applikation von Doppelreizen, die mit einem Intervall von 4 ms aufeinanderfolgen, erscheint die Antwort auf den ersten Reiz normal, die dem zweiten Reiz folgende Antwort zwar zeitlich nur leicht verzögert, jedoch erniedrigt und deformiert (mittlere Spur). Bei Subtraktion der Einzelreizantwort von der Doppelreizantwort sieht man, dass die dem zweiten Reiz folgende S-Antwort bezüglich Latenz, Amplitude und Ausprägung weitgehend der S-Antwort nach Einzelreiz entspricht (dass also die in der mittleren Spur anscheinend sichtbare Amplitudenerniedrigung nur vorgetäuscht ist) (untere Spur)
! Sehr gut mit den Befunden beim Menschen vereinbar sind die von Beall et al. (1977) beim Affen gewonnenen Befunde. Diese fanden bei Direktableitung von der dorsalen Rückenmarksoberfläche ein kurzes bi- oder triphasisches Potenzial, das dem Einlaufen der afferenten Impulswelle über die dicken markhaltigen Hinterwurzelafferenzen entspricht. Daran anschließend wurden, je nach Reizstärke, 1 – 3 negative Wellen (N 1 – 3) registriert, ▼
95 2.4 · Normalbefunde
welche eine Erregung von Hinterhornneuronen reflektieren. Die Hauptkomponente N1 folgt der Aktivierung niederschwelliger A-αund β-Afferenzen, zeigt ein Amplitudenmaximum bei 2,43facher sensibler Schwelle und wird von einer positiven Auslenkung gefolgt. N2 erscheint als Schulter im absteigenden Schenkel von N1 nach Aktivierung höherschwelliger A-β- und/oder A-δ-Fasern und besitzt ein Amplitudenmaximum bei 4,35facher Schwellenintensität. N3 tritt als späte langsame Welle nur bei hohen Reizintensitäten auf, wie sie in der klinischen Diagnostik nicht verwendet werden und entspricht der Aktivierung langsam leitender A-δ-Fasern. Nach Suralisstimulation ist N1 über den Rückenmarkssegmenten L3–S2 ableitbar, mit einem Amplitudenmaximum bei L7/S1. Mikroelektrodenableitungen zeigen ein Amplitudenmaximum im Hinterhorn (Lamina IV und V) und eine Polaritätsumkehr ventral des Zentralkanals. Auch Seyal u. Gabor (1985) postulieren einen horizontal antero-posterior gerichteten Dipol mit dorsaler Negativität und ventraler Positivität (N 22/P 22-Komplex) in Analogie zu dem N 13/P 13-Komplex im unteren Halsmark nach Armnervenstimulation ( s. oben).
Die bei Oberflächenableitungen vom Menschen registrierbare S-Welle (N 22) dürfte demnach mit der bei Direktableitungen vom Affen beobachteten Welle N 1 (»initial intermediary cord potential«) identisch sein und wie diese auf die Erregung von Hinterhornneuronen über niederschwellige Afferenzen (A-Alpha, A-Beta) zurückgehen. Außer den Termini N22 und S-Antwort ist auch die Bezeichnung SLP (»stationary lumbar potential«) geläufig.
Zervikale Reizantworten Nach Stimulation von Beinnerven lässt sich vom Nacken gegen eine kephale Referenz ein negatives Potenzial ableiten (N 30), das bei guter Ausprägung ein bis zwei Knotungen im aufsteigenden Schenkel aufweist (⊡ Abb. 2.48). Das Potenzial ist bei Verwendung einer sakralen Referenz weniger deutlich
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oder nicht sichtbar. Jones u. Small (1978) vermuten, dass es auf einen Dipol zwischen Zervikalregion und Kopfhaut zurückgeht, wie er bei der Fortleitung afferenter Impulse über Hirnstamm und Thalamus zu erwarten wäre. In solch einem Fall findet sich kaudal der Impulswelle eine Negativität, rostral davon eine über die Kopfhaut verteilte Positivität (Woodbury 1960). Über den Ursprung der zervikalen Reizantwort nach Tibialisstimulation lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekulieren. Die von Jones u. Small (1978) ermittelten Latenzdifferenzen zwischen Gipfel des zervikalen und Beginn des kortikalen Potenzials von 3 – 4 ms lassen an den Thalamus als Generator denken. Einige Messungen ergaben z. T. etwas größere Latenzdifferenzen, so dass auch Nucleus gracilis und Lemniscus medialis in Frage kämen. Für diese Annahme spricht auch, dass die Latenz der bei Skalpregistrierung öfters sichtbaren – der kortikalen Primärantwort vorausgehenden – positiven Zacke, bei der man in Analogie zu dem »thalamischen« P 15 nach Medianusstimulation von einem P 31 sprechen könnte, um 1 – 2 ms länger ist. Intraoperative Direktableitungen über den Hinterstrangkernen zeigten im selben Latenzbereich eine hohe Negativität deren maximale Amplitude knapp distal der Hinterstrangkerne registriert wurde. Aufgrund dieses Amplitudenmaximums und des fehlenden Effekts einer Erhöhung der Reizfrequenz bis 16/s wurde ein präsynaptischer Ursprung postuliert (Morioka et al. 1991 a); am wahrscheinlichsten stellt N30 ein Pendant zur Welle N 13 b dar und entspringt im Tractus gracilis knapp distal des Nucleus gracilis. Die Normwerte der zervikalen Reizantwort
nach Beinnervenstimulation finden sich in ⊡ Tabelle 2.7. Bei Oberflächenableitung in Höhe C 2 gegen eine frontomediane Referenz beträgt die mittlere Latenz nach Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis 30,7±1,5 ms, die mittlere Amplitude 0,8±0,2 µV (Jones u. Small 1978). Die anhand eines größeren eigenen Normalkollektivs (n = 30) ermittelten Werte betragen 29,5±1,9 und 0,6±0,3 µV, so dass die zervikale Reizantwort nach distaler Beinnervenstimulation gemäß Polarität und mittlerer Latenz als N 30 zu bezeichnen wäre (Riffel et al. 1984).
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Die simultane Aufzeichnung lumbosakraler, zervikaler und kortikaler Antworten nach Tibialisstimulation (⊡ s. Abb. 2.41) stellt eine wertvolle Bereicherung in der Lokalisationsdiagnostik bei Sensibilitätsstörungen an den Beinen dar. Sowohl pathologische Latenzdifferenzen als auch Formund Amplitudenänderungen von einem Niveau zum nächsten erlauben Rückschlüsse auf den Ort der Schädigung ( s. 2.5).
2
⊡ Abb. 2.48. Zervikale und kortikale Reizantworten nach Tibialisstimulation bei Wahl unterschiedlicher Referenzen. Die Ableitung oberhalb des Dornfortsatzes C 2 zeigt einen negativen Hauptgipfel (N 30), der am deutlichsten bei Wahl einer Fz-Referenz zur Darstellung kommt und dessen aufsteigender Schenkel öfters eine Knotung erkennen lässt. Bei Wahl einer extrakephalen Referenz sind bei üblichen Filtereinstellungen eine bis mehrere positive Vorwellen vorhanden ( s. auch Abb. 2.49). Bei Ableitung über Cz′ gehen der Hauptkomponente P 40 (aktuelle Latenz = 38,4 ms) eine negative (N 33) und – bei Wahl einer Ohr- sowie besonders einer Handreferenz – mehrere positive Vorwellen voraus, deren konstanteste die Welle P 30 darstellt, die annähernd zeitgleich mit der zervikalen Negativität N 30 erscheint
Eine Berechnung der Leitgeschwindigkeit in den Hintersträngen des Rückenmarks aufgrund der lumbosakralen und zervikalen Potenziale ist bislang mit Unsicherheiten behaftet, da der Ursprung der einzelnen Komponenten noch nicht hinreichend geklärt ist. Außerdem ergeben sich Ungenauigkeiten bei der Messung der Distanz, zumal Elektrodensitz und Ursprungsort der Potenziale nicht übereinstimmen. Eine anhand der ⊡ Abb. 2.41 durchgeführte Berechnung Elektrodendistanz : Latenzdifferenz zwischen zervikalem und lumbalem Potenzial ergibt einen Wert von 60 m/s, und zwar gleichgültig, ob der Beginn oder der Gipfel der Potenziale zur Messung herangezogen wird. Dieser Wert stimmt gut überein mit der von Desmedt u. Cheron (1980 b) ermittelten Leitgeschwindigkeit in den Hintersträngen nach Medianusstimulation von durchschnittlich 58 m/s, ist jedoch deutlich niedriger als der von Sauer u. Schenck (1977) bei Kindern ermittelte Wert von 74 m/s. Letzterer ist vermutlich zu hoch, wenn man die von tierexperimentellen Untersuchungen her bekannte langsamere Impulsleitung in den Hintersträngen im Vergleich zu den peripheren Nerven berücksichtigt (Lloyd u. McIntyre 1950; Brown 1968; Loeb 1975). Ableitungen der Skalpaktivität nach Beinnervenstimulation gegen eine Hand- oder Kniereferenz lassen teilweise positive Vorwellen im gleichen Latenzbereich wie den oben beschriebenen lumbosakralen und zervikalen Reizantworten erkennen (s. Abb. 2.49). Yamada et al. (1982) unterscheiden nach distaler Tibialisstimulation die Komponenten P11 (Kniekehle),
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97 2.4 · Normalbefunde
P 17 (Plexus sacralis), P 21 (Cauda equina), P 24 (Conus medullaris), P 27 (Halsmark) und P 31 (Hinterstrang), Desmedt u. Cheron (1983) P 17 (N. ischiadicus in Höhe des Gesäßes). P 21 (Hinterstrang in Höhe BWK 12), P 26 (Hinterstrang in Höhe des thorako-zervikalen Übergangs) und P 30 (Lemniscus medialis). Inwieweit diese – außer P 30 – selbst bei Normalpersonen oft fehlenden oder kleinamplitudigen Fernfeldpotenziale mit den als Nahfeldintensität registrierten Komponenten übereinstimmen oder aber differenten Generatoren zuzuweisen sind, ist noch nicht hinreichend geklärt. Die im Latenzbereich um 21 ms ableitbare Positivität ist vermutlich auf Hinterstrangaktivität nahe dem Eintrittsbereich der lumbosakralen Nervenwurzeln in das Rückenmark zurückzuführen und nicht auf postsynaptische Hinterhornaktivität im Lumbosakralmark, und zwar wegen der dort gefundenen horizontalen Ausrichtung des Dipols ( s. oben).
Kortikale Reizantworten (Skalp SEP) Vorgipfel. Die kortikale Reizantwort nach distaler Beinnervenstimulation beginnt üblicherweise mit einer primär positiven Auslenkung (P 40) mit einer nur angedeuteten oder fehlenden initialen Negativität (Tsumoto et al. 1972; Noël u. Desmedt 1975; Dorfman 1977) ( s. Abb. 2.50). ! Diesem Primärkomplex vorausgehende niederamplitudige Vorwellen lassen sich bevorzugt bei Wahl einer Ohr- oder extrakephalen Referenz registrieren (wobei letztere Referenz auch die Aufzeichnung der bereits erwähnten Fernfeldpotenziale – die der Nerven- bzw. Hinterstrangaktivität entsprechen – gestattet). Seyal et al. (1983) unterscheiden die Komponenten P 28 mit vermutlichem Ursprung im Lemniscus medialis (analog P 14 nach Medianusstimulation), P 31, die dem VPL des Thalamus zugeordnet wird und N 34, die in Analogie zu N 18 nach Medianusstimulation als thalamische oder thalamokortikale Aktivität angesehen wird. Alle diese Komponenten besitzen eine diffuse Skalpverteilung, im Unterschied ▼
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zu der lokalen parasagittalen Lokalisation der nachfolgenden Welle P 38 (P 40). Kakigi et al. (1982) registrierten P 25, P 28, N 31 und P 36, wobei die 2 – 3 ms kürzeren Latenzen mit der geringeren Körperlänge der untersuchten Normalpersonen zusammenhängt. Desmedt u. Bourguet (1985) fanden bei Wahl einer Ohrreferenz als einzige positive Vorwelle P 30 mit diffuser Skalpverteilung und einem Amplitudenmaximum frontozentral, gefolgt von einem kontralateral-parietal lokalisierten N 33 und einem – Area 4 zugeordneten – kontralateral-prärolandisch gelegenen N 37. Auch nach Peronaeusstimulation am Fibulaköpfchen wurden der kortikalen Primärantwort (P 27) vorangehende Fernfeldpotenziale beschrieben (Rossini et al. 1981; Vas et al. 1981). Bei digitaler Filterung (300 – 2500 Hz) lassen sich mehrere Vorwellen selbst bei Wahl einer kephalen Referenz erkennen (Eisen et al. 1984).
Insgesamt sind die bislang erhobenen Befunde uneinheitlich. Wie aus den ⊡ Abbildungen 2.48 und 2.49 ersichtlich wird, ist die einzige konstant ableitbare positive Welle die Komponente P 30, die eine diffuse Skalpverteilung aufweist und mit gleicher oder geringfügig späterer Latenz wie N 30 (Ableitung C 2/Fz) erscheint. Als Ursprungsort dieser Komponente ist aufgrund von Beobachtungen an Patienten mit Hirnstammprozessen ( s. 2.5.4) der Funiculus gracilis oder Nucleus gracilis bzw. der Anfangsteil des Lemniscus medialis anzusehen. Den P 30 inkonstant vorangehenden positiven Wellen ( s. Abb. 2.49) kommt bislang keine praktische Bedeutung zu. Kortikaler Primärkomplex und nachfolgende SEPKomponenten. Ein auffallender Formunterschied
der primären kortikalen Antwort nach Beinnervenstimulation gegenüber der nach Armnervenstimulation besteht in dem häufigen Fehlen einer initialen Negativität. Als Erklärungsversuch wurde die durch die längere Strecke bedingte größere zeitliche Dispersion der von den unteren Extremitäten stammenden sensiblen Impulse angeführt, die zu einer weniger synchronen Aktivierung der Hirnrinde führen soll (Tsumoto et al. 1972; Dorf-
98
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
man 1977). Außerdem wurde die unterschiedliche räumliche Orientierung der kortikalen Generatoren hierfür verantwortlich gemacht (Dorfman 1977): Das Handfeld liegt parallel zur Schädeloberfläche, das Fußfeld dagegen median in der Tiefe des Interhemisphärenspalts. Jedoch zeigt auch das SEP nach Trigeminusstimulation oft eine schlecht ausgeprägte bis fehlende initiale Negativität, obwohl das Gesicht – wie die Hand – über der Konvexität des somatosensiblen Kortex repräsentiert ist (⊡ Abb. 2.51). Die Komponente N 33 ist gelegentlich auch bei Wahl einer Fz-Referenz gut sichtbar, während sie in den ⊡ Abb. 2.48 und 2.49 nur bei Verwendung einer Ohr- oder Handreferenz zur Darstellung kommt. Desmedt u. Bourguet (1985) fanden diese Welle auf die zur Seite der Stimulation kontralaterale Parietalregion begrenzt, während Seyal et al. (1983) sowie Kakigi u. Shibasaki (1983) eine diffuse Skalpverteilung beschreiben und – in Analogie zu N17 (N18) nach Medianusstimulation – einen thalamischen oder thalamo-kortikalen Ursprung postulieren. Auch in ⊡ Abb. 2.49 stellt sich N33 (mit einer aktuellen Latenz von 31 ms) über parietalen und frontalen Ableitepunkten in annähernd identischer Form dar, was deren subkortikale Entstehung nahelegt. Über der kontralateralen Frontalregion stellt sich im gleichen Latenzbereich wie P 40 (P 38) eine negative Welle dar, die von Desmedt u. Bourguet (1985) als N 37 klassifiziert und hypothetisch mit einer Aktivierung des motorischen Kortex in Verbindung gebracht wird. Ob diese Komponente einen eigenständigen Generator (z. B. die motorische Rinde) besitzt oder ein Spiegelbild von P 40 darstellt, kann bislang nicht entschieden werden.
2
⊡ Abb. 2.49. Tibialis-SEP – Vorwellen und kortikaler Primärkomplex. Bei Wahl einer Handreferenz sind drei positive Vorwellen (Latenzen 13,7, 21,3 und 27 ms) erkennbar, wobei die letzte zeitgleich mit der Komponente N 30 bei Ableitung über C 2 erscheint. N 33 (Latenz 31 ms) findet sich nicht nur parietal (Cz′), sondern ebenso frontal (Fz) und wird dort von einer weiteren negativen Welle (Latenz 35,5 ms) gefolgt, die annähernd simultan mit P 40 (Latenz 35 ms) auftritt
Das SEP nach Beinnervenstimulation ist während der ersten 80 ms nach Reizbeginn durch einen W-förmigen Komplex aus zwei bis drei negativen und zwei positiven Wellen charakterisiert,
der nach links- und rechtsseitiger Stimulation in identischer Weise erscheint (⊡ Abb. 2.50). Die Aufeinanderfolge der verschiedenen Wellen entspricht der nach Trigeminus- und nach Armnervenstimulation, wobei die entsprechenden Komponenten nach Beinnervenstimulation um etwa 21 bzw. 15 ms längere Latenzen aufweisen (⊡ Tabelle 2.8 Abb. 2.51). Demnach scheint die zeitliche Abfolge der reizinduzierten kortikalen Aktivität nach Tri-
2
99 2.4 · Normalbefunde
⊡ Abb. 2.50. Kortikale Reizantwort nach Tibialisstimulation. W-förmiger SEP-Komplex innerhalb der ersten 80 ms nach Reizbeginn (Ableitung 3 cm hinter der Scheitelohrlinie gegen eine fronto-mediane Referenz). Die Reizantworten nach linksund rechtsseitiger Stimulation sind annähernd identisch
geminus-, Armnerven- und Beinnervenstimulation weitgehend identisch zu sein. Von klinischer Bedeutung ist die oft bessere Ausprägung der 2. positiven Welle im Latenzbereich um 60 ms. Bei einer stark erniedrigten oder fehlenden P40-Komponente kann P60 die erste positive Auslenkung darstellen und mit einer stark verzögerten P40-Welle verwechselt werden.
⊡ Abb. 2.51. Vergleich der frühen kortikalen Wellen nach Trigeminus-, Medianus- und Tibialisstimulation. (Bei Medianusstimulation erfolgte eine Verzögerung zwischen Reiz und Kippstart des Oszillographen von 6 ms, nach Tibialisstimulation von 21 ms, um die unterschiedlichen Strecken zwischen Reizort und Ableiteort zu kompensieren.) Bei allen drei Stimulationsorten finden sich ähnlich konfigurierte Reizantworten, wobei nur nach Medianusstimulation konstant eine frühe kortikale Negativität auftritt
Die Skalpverteilung der kortikalen Primärantwort sowie des W-Komplexes bei der routinemäßig angewandten frontomedianen Referenz zeigen die ⊡ Abb. 2.52 und 2.53. Die Potenzialausprägung ist in der Mittellinie 3 cm hinter der Scheitelohrlinie (Cz’) am besten und wird nach beiden Seiten sowie
nach frontal und okzipital schlechter. Die Komponente P 40 (auch als P 38 oder P 37 klassifiziert)
⊡ Tabelle 2.8. Vergleich der Mittelwerte der Latenzen der kortikalen Reizantworten nach Medianus- und Tibialisstimulation
N1
P1
N2
P2
N3
Medianus-SEP
ms
19
26
33
43
62
Tibialis-SEP
ms
33
40
49
58
78
Differenz
ms
14
14
16
15
16
100
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.52 a, b. Skalpverteilung der kortikalen Primärantwort nach Beinnervenstimulation. a Bei Querreihenableitung 3 cm hinter der Scheitelohrlinie gegen eine frontomediane Referenz zeigt sich eine maximale Ausprägung der Reizantwort in der Sagittallinie (Cz′). Ipsilateral (7) ist die Reizantwort höher als kontralateral (6) und erscheint außerdem
mit kürzerer Latenz (38 gegenüber 42 ms), wobei kontralateral eine vorausgehende Negativität (Latenz = 37 ms) sichtbar ist. b Bei Längsreihenableitung in der Sagittallinie maximale Ausprägung der Reizantwort 3 cm hinter der Scheitelohrlinie. (Stimulation N. tibialis rechts)
stellt somit eine lokale Aktivität mit einem Amplitudenmaximum in der Sagittallinie etwa 3 cm hinter der Scheitel-Ohr-Linie (Cz′) dar. Bei parasagittaler Ableitung ist die Amplitude ipsilateral zur Seite der Stimulation höher als kontralateral; da-
manchmal sind Amplitude und Ausprägung von P40 einige Zentimeter parasagittal (ipsilateral zur Seite der Stimulation) besser, so dass manche Autoren eine ergänzende parasagittale Registrierung empfehlen (AAEM 1999).
rüber hinaus ist die Latenz von P 40 ipsilateral kürzer (⊡ Abb. 2.52 und 2.53). Der Grund für diese auch von anderen Autoren (Beric u. Previc 1981; Kakigi u. Shibasaki 1983) gefundene Amplitudenund Latenzverschiebung ist bislang unklar. Die von Cruse et al. (1982) diskutierte tangentiale Anordnung des im Beinfeld innerhalb des Interhemisphärenspalts generierten Dipols erklärt nicht das übliche mediane Amplitudenmaximum. Nur
Normalwerte. Amplituden und Latenzen der kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation sind unter anderem abhängig vom Niveau des Reizortes (Knie- oder Sprunggelenk) und von der Wahl des stimulierten Nerven (N. tibialis, N. peronaeus communis, N. suralis, N. saphenus). Die von verschiedenen Untersuchern gewonnenen Daten sind in ⊡ Tabelle 2.9 zusammengefasst.
101 2.4 · Normalbefunde
⊡ Abb. 2.53 a, b. Skalpverteilung der frühen und mittleren Potenziale nach Beinnervenstimulation. a Die Querreihenableitung 3 cm hinter der Scheitelohrlinie zeigt eine maximale Potenzialausprägung in der Sagittallinie mit zunehmender Amplitudenminderung nach beiden Seiten. b Die Längs-
2
reihenableitung in der Sagittallinie demonstriert die optimale Potenzialausprägung 3 cm hinter der Scheitelohrlinie. Über dem okzipitalen Ableitepunkt tritt die initiale negative Auslenkung am deutlichsten hervor. (Stimulation N. tibialis rechts)
2 102
Autoren
Stimulation
N 1 (N 33) a
P 1 (P 40)
N 2 (N 50)
P 2 (P 60)
N 3 (N 75)
Tsumoto et al. (1972) (n = 41)
N. peronaeus comm. (Fossa poplitea)
–
34,3 ± 2
44,8 ± 3,3
55,6 ± 4,7
74,2 ± 5,6
–
Trojaborg u. Petersen (1979) (n = 17)
N. peronaeus comm. (Fossa poplitea)
–
44 ± 3,9
57 ± 4,8
72 ± 7,3
–
5 ± 2,5
–
Jones u. Small (1978) (n = 10)
N. tibialis (Malleolus med.)
33,9 ± 1,7
39,7 ± 2
–
2,1 ± 0,8
–
Eigenes Normkollektiv (n = 38)
N. tibialis (Malleolus med.)
33,1 ± 2,1
39,6 ± 2,3
48,6 ± 3,2
58 ± 3,5
Eisen u. Odusote (1980) (n = 25)
N. tibialis (Malleolus med.)
31,9 ± 1,7
38,6 ± 2,2
49 ± 1,8
60 ± 2,1
Eisen u. Elleker (1980) (n = 15)
N. suralis (Malleolus lat.)
35,1 ± 1,9
42,1 ± 1,4
53,1 ± 2,3
67,9 ± 2,3
N. saphenus (vor dem Malleolus med.)
36,8 ± 2,8
43,4 ± 2,2
54 ± 2,3
66,7 ± 3,3
N. peronaeus sup. (oberhalb des Malleolus lat.)
33,1 ± 2,2
39,9 ± 1,8
51 ± 1,9
65 ± 3,3
a
34 ± 3,3
–
–
–
77,8 ± 5,8
–
Seitendifferenz P 1 (P 40)
0,89 ± 0,68
0,8 ± 0,6
Ampl. (N 33/P 40)
–
2,8 ± 1,41
–
Seitendifferenz Ampl. (N 33/P 40) –
0,67 ± 0,78
–
Bei fehlendem N 33 Abgangs-Latenz von P 40. Die in Klammern befindlichen Bezeichnungen der SEP-Komponenten beziehen sich auf distale Beinnervenstimulation.
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Tabelle 2.9. Kortikale Reizantworten nach Beinnervenstimulation. Mittlere Latenzen der drei ersten negativen und der zwei ersten positiven Komponenten, Amplitude des Primärkomplexes sowie Seitendifferenzen der Latenz und Amplitude von P 40 (s. auch Tabelle 2.10)
103 2.4 · Normalbefunde
2
Beispiel Im eigenen Labor durchgeführte Untersuchungen an 38 Normalpersonen (Ebensperger 1980) ergaben eine Altersabhängigkeit der SEP-Latenzen, die jedoch mit 0,04 ms/m pro Lebensjahr in der Routinediagnostik vernachlässigt werden darf. In Analogie zu den Befunden beim Medianus-SEP kann man annehmen, dass die Latenzzunahme im höheren Lebensalter vorwiegend auf die verlangsamte periphere NLG zurückzuführen ist. Bei simultaner Aufzeichnung der lumbosakralen und kortikalen Reizantworten mit Messung der Latenzdifferenz kann der Altersfaktor weitgehend ausgeschaltet werden (ebenso wie die Einflüsse der Hauttemperatur und etwaiger Latenzverzögerungen durch subklinische Neuropathien). Kakigi (1987) fand allerdings nicht nur eine deutliche altersabhängige Latenzzunahme von N22, sondern darüber hinaus eine geringere Verlängerung der Latenzintervalle N22–N30 (spinale Überleitungszeit) sowie N30–P40, besonders bei über 75-jährigen. Dagegen blieben die Latenzintervalle zwischen der ersten kortikalen Welle und den nachfolgenden Potenzialen stabil. Die Amplituden sowohl der spinalen als auch der frühen und mittleren kortikalen Reizantworten nahmen mit zunehmendem Lebensalter ab. Auch Allison et al. (1983) beschreiben eine Alters- und Geschlechtsabhängigkeit der meisten SEP-Parameter; bezüglich Einzelheiten darf auf die Originalarbeit verwiesen werden. Geschlechtsunterschiede in den SEP-Latenzen ließen sich nicht feststellen, sofern nicht absolute, sondern Körperlängen-korrigierte Werte berücksichtigt wurden (Ebensperger 1980). Dies ist erforderlich, da eine hohe Korrelation der SEPLatenzen mit der Beinlänge und noch eindeutiger mit der Körpergröße besteht (Dorfman 1977; Ebensperger 1980) (⊡ Abb. 2.54 und 2.55).
Diagnostisch wichtiger als Mittelwerte sind die Normgrenzwerte, jenseits derer eine pathologische Impulsverzögerung anzunehmen ist. In ⊡ Tabelle 2.10 sind diese Normgrenzen angeführt, wobei die Körperlängen-korrigierten Messwerte – zumindest bei Körpergrößen unter 1,60 m und über
⊡ Abb. 2.54. Abhängigkeit der P 40-Latenz von der Körpergröße (Ableitung Cz′ gegen Fz nach distaler Tibialisstimulation). Die obere Kurve zeigt das SEP einer gesunden Versuchsperson mit einer Körperlänge (KL) von 1,91 m, die untere Kurve das SEP von einer Versuchsperson mit einer Körpergröße von 1,59 m. Die Latenz der ersten positiven Welle (P 40) beträgt im ersten Fall 44, im zweiten Fall 34,5 ms
1,80 m – als Beurteilungsgrundlage heranzuziehen sind (⊡ Tabelle 2.10). Außer den absoluten Latenzen sind die Seitendifferenzen der Latenzen von großer diagnostischer Bedeutung. Der Mittelwert der Rechts-linksDifferenz von P 40 liegt bei gesunden Versuchspersonen unter 1 ms (0,89±0,68 ms), der obere Grenzwert bei 2,6 ms. Damit stellt bereits eine relativ geringe Seitendifferenz von P 40 einen verlässlichen Indikator für eine Läsion des lemniskalen Systems dar, auch wenn die absoluten Latenzen noch innerhalb des Normbereichs liegen. Außer den Latenzen müssen die Amplituden der kortikalen Primärantwort bei der Befundauswertung berücksichtigt werden. Wegen der beträchtlichen intra- und inter-individuellen Schwankungen (Ciganek 1968) können nur starke absolute Erniedrigungen und Seitendifferenzen als pathologisch gewertet werden. Die niedrigste in unserem Normalkollektiv gemessene Amplitude N 22/P 40 betrug 0,35 µV, so dass darunterliegende Werte als
104
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.55. Korrelation der Latenz von P 40 mit der Körpergröße (Ableitung Cz′ gegen Fz bei distaler Tibialisstimulation; offene Kreise = Frauen, ausgefüllte Kreise = Männer)
⊡ Tabelle 2.10. Normgrenzwerte der Latenzen des kortikalen Primärkomplexes nach distaler Tibialisstimulation. Neben den absoluten Latenzen sind die körperlängen-korrigierten Latenzwerte sowie die Seitendifferenzen der Latenz von N 33 und P 40 dargestellt. (Die angegebenen Werte entsprechen dem jeweiligen Mittelwert unter Addition der zweieinhalbfachen Standardabweichung) N 33
38,3 ms
N 33/KL
22,1 ms/m
P 40
45,3 ms
P 40/KL
25,7 ms/m
∆N 33
2,5 ms
∆N 33/KL
1,5 ms/m
∆P 40
2,6 ms
∆P 40/KL
1,6 ms/m
verdächtiger Befund anzusehen sind. Im Seitenvergleich können Amplituden, die weniger als 45% des kontralateralen Vergleichswerts betragen, als pathologisch angesehen werden (Ebensperger 1980). Beim intraindividuellen Vergleich mit der SEPAmplitude nach Medianusstimulation gilt ein Verhältnis von <0,5 (Tib./Med.-SEP) als pathologisch (Dorfman et al. 1980). Die Potenzialform ist von geringerer Bedeutung als Latenzen und Amplituden. Da bei Gesunden die Komponenten P 1 bis N 3 (P 40 bis N 80) ausnahmslos nachweisbar sind, kann ein Verlust
einer dieser Komponenten und damit der W-Form bei Ableitung am wachen Patienten als pathologischer Befund gelten (z. B. eine monophasische Deformierung, s. 2.5.3). ! Normwerte bei Kindern s. Gilmore et al. (1985) sowie Zhu et al. (1987).
105 2.4 · Normalbefunde
SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation erlauben eine Funktionsprüfung des betreffenden Beinnerven (einschließlich dessen Fortsetzung in Beinplexus und lumbosakralen Nervenwurzeln) sowie der zugehörigen zentralnervösen Leitungsbahn. Zur Lokalisierung einer Läsion ist die Kenntnis der Ursprungsorte der einzelnen SEP-Komponenten erforderlich, die in ⊡ Abb. 2.41 dargestellt sind, wobei folgende Zuordnungen gelten: → Cauda equina N18 → Hinterhorn (Lumbosakralmark) N22 N30/P30 → Fasciculus gracilis vor dem Eintritt in den Nucleus gracilis → primäre sensible Rinde P40 Eine Läsion der somatosensiblen Leitungsbahn an irgendeiner Stelle führt zu einer Verzögerung, Erniedrigung, Deformierung oder zum Verlust aller rostral davon generierten Potenziale, was deren lokalisatorische Zuordnung ermöglicht. Beim Verdacht auf eine Läsion innerhalb des peripheren Nervensystems ergeben ergänzende Ableitungen der Nervenaktionspotenziale in Höhe der Kniekehle und der Glutealfalte weitergehende diagnostische Informationen.
2.4.3 Kortikale Reizantworten
nach Trigeminusstimulation Wie nach Stimulation von Arm- und Beinnerven ist es möglich, auch nach Stimulation trigeminaler Afferenzen eine kortikale Reizantwort abzuleiten. Diese Möglichkeit ist wegen der Häufigkeit von Sensibilitätsstörungen im Gesicht bei weitgehendem Mangel an anderen objektiven Untersuchungsverfahren von diagnostischer Bedeutung. Orbicularis-oculi- und Kornealreflex-Messungen erlauben bekanntlich nur eine Funktionsprüfung der Afferenzen des ersten Astes und darüber hinaus nur die Erfassung von Läsionen, die innerhalb des Reflexbogens gelegen sind. ! Bei einseitiger mechanischer Stimulation an Gesicht oder Zunge mittels kurzer taktiler ▼
2
Reize (Larsson u. Prevec 1970; Ishiko et al. 1980) finden sich über weite Teile der Kopfhaut ausgebreitete Reizantworten mit Amplitudenmaxima in der kontra- und ipsilateralen Temporalregion. Die mittleren Latenzen der ersten negativen und positiven Auslenkung betragen bei Zungenstimulation und Ableitung von C3/F3 12,9 bzw. 22,6 ms (Ishiko et al. 1980). Die Ableitung der vergleichsweise späten bilateralen SEP nach elektrischer Stimulation der Zahnpulpa – die nur Schmerzfasern enthält – ist in der Schmerzforschung von Interesse (Melzack u. Haugen 1957; Keller et al. 1974; Chan 1979; Rohdewald et al. 1982). Sowohl tierexperimentell (Kerr et al. 1978) als auch beim Menschen (Rohdewald et al. 1982) scheinen die Amplituden der durch Zahnpulpastimulation ausgelösten Reizantworten mit dem Effekt analgesierender Maßnahmen (Elektroakupunktur bzw. Analgetika) zu korrelieren. Nach elektrischer Stimulation der trigeminalen Endäste an den Lippen ( s. Abb. 2.12) lässt sich über der gesamten kontralateralen Postzentralregion ein W-förmiger Potenzialkomplex innerhalb der ersten 50 – 60 ms nach Reizbeginn registrieren (Stöhr u.
Petruch 1979; Badr et al. 1983). Dieser weist in der Regel ein Amplitudenmaximum über der Gesichtsregion des somatosensiblen Kortex (C5 bzw. C6) auf. Ipsilateral zur Seite der Stimulation findet sich eine abgeflachte Reizantwort mit annähernd gleichen Latenzen wie kontralateral (⊡ Abb. 2.56), die am ehesten auf eine Ausbreitung durch Volumleitung und nicht auf einen ipsilateralen Potenzialursprung zurückgeht. Der erste negative Gipfel (N 13) ist häufig schlecht ausgeprägt oder fehlt völlig, während sich die nachfolgende positive Auslenkung (P 19) konstant und reproduzierbar darstellt. Die bei einem Teil der Ableitungen sichtbaren niedrigen Vorwellen vor N 13 gehen möglicherweise auf die Aktivität in subkortikalen Generatoren zurück, wurden jedoch bisher nicht systematisch untersucht. In Analogie zu den Befunden nach Medianusstimulation dürfte eine frühe positive Komponente mit einer
2
106
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2.4 · Normalbefunde
kontralateralen Hemisphäre eine maximale Ausprägung und nehmen zur Sagittallinie hin, sowie über der ipsilateralen Hemisphäre zunehmend an Amplitude ab. b Längsreihenableitung 9 cm lateral der Sagittallinie über der ipsi- und kontralateralen Hemisphäre. Maximale Ausprägung des Potenzials über der kontralateralen Hemisphäre in der Scheitelohrlinie
107
⊡ Abb. 2.56 a, b. Kortikale Reizantwort nach Trigeminusstimulation – Skalpverteilung (simultane unilaterale Ober- und Unterlippenreizung; Ableitung von den dargestellten Ableitepunkten gegen eine frontomediane Referenz). a Querreihenableitung über der ipsi- und kontralateralen Hemisphäre. Die Reizantworten zeigen über den temporalen Positionen der zur Seite der Stimulation
2
108
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
mittleren Latenz um 9 ms (P 9) thalamischen Ursprungs sein.
2
Bei bestimmten Fragestellungen ist es sinnvoll, die Ober- bzw. Unterlippe einer Seite isoliert zu reizen, um damit Läsionen, die auf den zweiten
bzw. dritten Trigeminusast oder die entsprechenden Anteile im Wurzel- oder Kerngebiet beschränkt sind, zu erfassen. Hierbei ist zu beachten, dass nach Unterlippenstimulation N 13 akzentuierter erscheint und dass die Latenz von P 19 im Mittel um 1 ms kürzer ist als nach Oberlippenstimulation (Buettner et al. 1982). Vermutlich ist diese leichte Latenzdifferenz von P 19 bei Ober- und Unterlippenstimulation für die gelegentlich bei simultaner Reizung von Ober- und Unterlippe beoachtete Doppelgipfligkeit des ersten positiven Gipfels verantwortlich (Buettner et al. 1982). ! Die Bevorzugung der Lippenstimulation ergab sich aus der Überlegung, dass der Mund in der primären sensiblen Rinde überproportional vertreten ist, was der hohen peripheren Innervationsdichte, den sehr kleinen rezeptiven Feldern der Trigeminuskernneurone und daraus folgend dem hohen räumlichen Diskriminationsvermögen entspricht (Darian-Smith 1973). Aus ähnlichen Überlegungen heraus käme auch die Zunge in Betracht ( s. unten). Sie ist jedoch weniger gut zugänglich, ebenso das Zahnfleisch, an dem Bennett u. Janetta (1980) stimulieren. Eine Stimulation der Nn. mentalis (Drechsler 1980) und infraorbitalis ist als Alternative zur getrennten Unterbzw. Oberlippenstimulation möglich. Altenmüller et al. (1990) führen eine halbseitige elektrische Zungenstimulation durch, mit der sie bei allen gesunden Versuchspersonen eine positive Welle mit einer mittleren Latenz von 21 ms und einer maximalen Amplitude über der kontralateralen sensiblen Rinde ableiten konnten. Wegen der vergleichsweise geringen räumlichen Distanz zwischen Reiz- und Ableitelektrode können störende Reizartefakte auftreten und die Beurteilung der Reizantworten erschweren. Der eigentliche Stimulusartefakt lässt sich relativ einfach durch alternierende ▼
Polarität eliminieren. Wesentlich störender wirkt sich eine Miterregung mimischer Muskeln aus, die bereits bei Reizstärken von 4 mA auftreten kann; die Bedeutung dieses Muskelpotenzials an der Ausprägung des initialen Artefakts sieht man an dessen einseitigem Fehlen bei Patienten mit kompletter peripherer Fazialislähmung. Falls dieser Muskelartefakt die Beurteilung des SEP unmöglich macht, muss die Reizintensität auf schwellennahe Werte gesenkt werden. Dies erniedrigt zwar die Amplitude, führt jedoch zu keiner signifikanten Latenzverschiebung, so dass selbst in diesen Fällen eine Latenzmessung möglich ist (Buettner et al. 1982). Als Alternative bietet sich in diesen Fällen eine Stimulation der Nn. infraorbitalis bzw. mentalis mit feinen subkutan platzierten Nadelelektroden an.
Die mittleren Latenzen der drei ersten kortikalen SEP-Komponenten nach Trigeminusstimulation sind ⊡ Tabelle 2.11 zu entnehmen. Wie daraus hervorgeht, ist deren zeitliche Abfolge weitgehend identisch mit der Aufeinanderfolge der drei ersten Komponenten nach Medianus- und Tibialisstimulation, wobei lediglich entsprechend der kürzeren Strecke das Intervall zum Reizbeginn um 6 bzw. 18 ms vorverlegt ist ( s. Abb. 2.51). Wegen der konstanten Ausprägung besonders gut für Latenzmessungen geeignet ist P 19, dessen oberer Normgrenzwert 22,3 ms beträgt (Stöhr u. Petruch 1979; ⊡ Tabelle 2.11). Die mittlere Seitendifferenz dieser Welle liegt bei 0,55 ms; Differenzen von mehr als 1,93 ms sind als pathologisch anzusehen (⊡ Tabelle 2.11). Mit zunehmendem Lebensalter steigen die Latenzen gering an, ohne dass für P19 statistische Signifikanz erreicht wird (⊡ Abb. 2.57). Die Amplitude N 13/P 19 zeigt große interindividuelle und mäßige intraindividuelle Schwankungen. Der Mittelwert beträg 2,6±1,0 µV, die mittlere Rechts-links-Differenz 0,51 µV, so dass lediglich Amplitudendifferenzen von mehr als 1,86 µV als eindeutig pathologisch gelten können (⊡ Tabelle 2.11). Allerdings zeigen Messungen an gesunden Versuchspersonen nie Seitendifferenzen der Amplitude von mehr als 50%, so dass größere Reduktionen zumindest als verdächtiger Befund gewertet werden können.
109 2.4 · Normalbefunde
⊡ Tabelle 2.11. Kortikale Reizantworten nach Trigeminusstimulation am Mund
(a) Mittlere Latenzen von N 13, P 19 und N 27 sowie mittlere Amplitude der Primärschwankung (N13/P 19) Latenzen (ms)
Mittelwert SD Oberer Grenzwert (m + 2,5 SD)
Amplitude (µV)
N 13
P 19
N 27
N 13/P 19
12,5
18,5
26,9
2,6
0,87 14,7
1,51 22,3
2,23
1,0
32,5
(b) Seitendifferenzen der Latenzen und der Amplitude N 13/P 19 (n = 83 für N 13 und P 19, n = 80 für N 27, n = 41 bzw. 40 für die Seitendifferenzen). (Aus Stöhr u. Petruch 1979) Seitendifferenz der Latenzen (ms)
Seitendifferenz der Amplitude (µV)
N 13
P 19
N 27
N 13/P 19
Mittelwert
0,45
0,55
0,72
0,51
SD
0,35
0,55
0,63
0,54
Oberer Grenzwert (m + 2,5 SD)
1,34
1,93
2,29
1,86
⊡ Abb. 2.57. Trigeminus-SEP. Korrelation der Latenzen von N 13 und P 19 mit dem Lebensalter. (Aus Stöhr u. Petruch 1979)
2
110
2
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Nach Befunden von Salar et al. (1982) stellt das Trigeminus-SEP eine Funktionsprüfung des – der Fortleitung der epikritischen Sensibilität dienenden – spezifischen somatosensiblen Systems dar und ist bei isolierter Beeinträchtigung des Schmerzempfindens normal. In seltenen Fällen sieht man abnorm hohe und komplexe Reizantworten, die in fester zeitlicher Beziehung zum Reizbeginn stehen und im gleichen Latenzbereich wie die übliche kortikale Reizantwort liegen (⊡ Abb. 2.58). Diese bisher ausschließlich bei Patienten mit Spasmus hemifacialis beobachteten Potenziale stellen vermutlich eine myogene Reflexantwort dar. Altenmüller et al. (1990) fanden bei elektrischer Zungenstimulation Reflexantworten im Latenzbereich zwishen 15 und 25 ms, jedoch nur bei Anspannung der Kaumuskulatur. Beispiel Huang u. Feely (1982) fanden an der Katze nach Stimulation des N. infraorbitalis und Ableitung vom Vertex gegen eine extrakephale Referenz eine Serie von drei Fernfeld-Potenzialen innerhalb der ersten 5 ms nach Reizbeginn, die sie mit einer Erregung des N. trigeminus, des sensorischen Hauptkerns bzw. des Nucleus spinalis nervi trigemini in Zusammenhang brachten. Beim Menschen beschrieben Singh et al. (1982) nach Mentalisreizung eine frühe Skalpantwort mit einer mittleren Latenz von 3,2 ms (neben den Komponenten P 9, N 14, P 23 und N 34). Leandri et al. (1985) sowie Leandri u. Campbell (1986) registrierten nach Stimulation des N. infraorbitalis mittels Nadelelektroden und Ableitung vom Vertex gegen C 7 die Wellen W 1 (0,98 ms), W 2 (1,92 ms) und W 3 (2,57 ms) und nahmen hierfür folgende Ursprungsorte an: Eintritt des N. maxillaris in das Ganglion Gasseri (W 1), Trigeminuswurzel an der Eintrittsstelle in die Brücke (W 2), sowie Tractus spinalis V (W 3). Da in den Canalis infraorbitalis eingestochene Nadelelektroden einerseits schmerzhaft sind, andererseits eine mechanische Nervenschädigung hervorrufen können, erscheint uns diese Methode, zumindest für die Routinediagnostik, ungeeignet.
⊡ Abb. 2.58. Trigeminus-SEP bei Spasmus hemifacialis links. Nach rechtsseitiger simultaner Ober- und Unterlippenstimulation regelrechte kortikale Reizantwort; nach linksseitiger Stimulation wesentlich höhergespanntes reproduzierbares Potenzial im gleichen Latenzbereich, bei dem es sich aufgrund der hohen Amplitude und der abnormen Konfiguration um eine myogene Reflexantwort handeln dürfte, wie wir sie bislang nur beim Spasmus hemifacialis beobachten konnten ( s. unterschiedliche Verstärkung)
Nach Hashimoto (1988) lassen sich hohe kortikale Reizantworten nicht nur nach elektrischer Stimulation von Trigeminusästen evozieren, sondern auch durch ultrakurze Luftstöße. Als Vorteil dieses Verfahrens werden die fehlenden Stimulus- und Muskelartefakte sowie die höheren Amplituden der Reizantworten angegeben.
2.4.4 SEP nach N.-pudendus-
Stimulation Nach Stimulation des N. dorsalis penis vel clitoridis lassen sich nur beim Mann mit einer gewissen Regelmäßigkeit spinale Reizantworten in Höhe LWK 1 ableiten, wobei der negative Gipfel eine mittlere Latenz um 13 ms besitzt (⊡ Tabelle 2.12). Ein kortikales Antwortpotenzial findet sich bei beiden Ge-
111 2.4 · Normalbefunde
2
⊡ Tabelle 2.12. Pudendus-SEP. Mittlere Latenzen und Standardabweichungen der spinalen und kortikalen Reizantworten. (Nach Haldeman 1986)
Spinale Reizantworten (N 1)
Kortikale Reizantworten Beginn
P1
N1
Frau
–
32,9 ± 2,9
39,8 ± 1,3
49,1 ± 2,3
Mann
12,9 ± 0,8
35,2 ± 3,0
42,3 ± 1,9
52,6 ± 2,6
schlechtern, wobei allerdings dessen Amplitude bei der Frau um etwa die Hälfte niedriger ist als beim Mann [0,2 – 1 µV im Vergleich zu 0,5 – 2 µV (Haldeman 1986)]. Dieser Amplitudenunterschied wird einerseits auf die größere Anzahl sensibler Axone im N. dorsalis penis, andererseits auf die ungünstigeren Reizbedingungen bei der Frau zurückgeführt. Die Konfiguration des Pudendus-SEP ähnelt dem des Tibialis-SEP mit einer initialen Positivität (P 1) und mehreren nachfolgenden negativ-positiven Schwankungen (⊡ Abb. 2.59). Die mittlere Latenz von P 1 liegt um 40 ms und damit im selben Bereich wie nach distaler Tibialis-Stimulation (⊡ Tabelle 2.12). Die zentrale Überleitungszeit nach N. pudendus-Stimulation ist mit etwa 30 ms fast doppelt so lang wie die nach Tibialisstimulation, wobei die Ursache hierfür unklar ist. Denkbar wäre eine Impulsfortleitung in langsamer leitenden Axonen oder ein andersartiger Leitungsweg mit Einschaltung zahlreicherer Synapsen. Untersuchungen der Skalpverteilung durch Haleman et al. (1982) zeigten ein Amplitudenmaximum 2 cm hinter Cz, was zu der sensiblen Repräsentanz der Genitalregion in der Tiefe des Interhemisphärenspaltes passt.
⊡ Abb. 2.59. Vergleich des Tibialis- und Pudendus-SEP beim gleichen Probanden. Die zentrale Überleitungszeit beträgt nach Tibialisstimulation 18,9 ms, nach Pudendusstimulation 27,6 ms. Das Pudendus-SEP wird somit entweder in langsamer leitenden Axonen oder über einen anderen Leitungsweg mit Einschaltung mehrerer Synapsen fortgeleitet
112
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2.4.5 Beeinflussung der somato-
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sensiblen kortikalen Reizantworten durch physiologische, pharmakologische und untersuchungstechnische Faktoren Einflüsse der Bewusstseinslage und sedierender Medikamente Aufmerksamkeit, Bewusstseinshelligkeit und zentralnervös wirksame Medikamente beeinflussen hauptsächlich die späten bilateral auftretenden SEP-Komponenten. Die subkortikalen SEP-Anteile und der kortikale Primärkomplex bleiben durch Änderungen der Bewusstseinslage und Verabreichung zentralnervös wirksamer Medikamente meist unbeeinflusst. Der Einfluss des spontanen bzw. des medikamentös induzierten Schlafs auf das SEP wurde wiederholt untersucht. Wegen der bereits im Wachzustand bezüglich Ausprägung und Latenz recht variablen späten SEP-Komponenten sind die beobachteten interindividuell uneinheitlichen Veränderungen schwer zu interpretieren.Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass die Latenzen der dem kortikalen Primärkomplex folgenden Komponenten im Schlaf oft zunehmen (teilweise an verschiedenen Ableitepunkten in unterschiedlichem Ausmaß) und dass sich Ausprägung und Skalpverteilung der dem Primärkomplex folgenden Wellen teilweise beträchtlich verändern. So kann z.B. die typische initiale W-Form in eine V-Form übergehen. Eine Änderung der Vigilanz muss somit als wichtiger das SEP beeinflussender Faktor stets mitberücksichtigt werden. Der Einfluss der Aufmerksamkeit auf die Ausprägung des Vertexpotenzials wurde bereits in Abschnitt 2.4.1 beschrieben, ebenso Potenzialänderungen während gezielter Lenkung der Aufmerksamkeit und bei Durchführung von Diskriminationsleistungen. Bestimmte spätere Komponenten – besonders der P-300-Komplex – können selektiv durch Leistung bestimmter Aufgaben hervorgerufen oder verstärkt werden (Hillyard u. Picton 1979) ( s. Kap. 7). Medikamentöse Einflüsse auf das SEP wurden vielfach untersucht, wobei unterschiedliche Resultate erhalten wurden. Baust et al. (1977) fanden nach intravenöser Verabreichung von Neuroleptika,
Antidepressiva und Psychostimulantien keine signifikanten Änderungen, während andere Autoren nach Gaben von Neuroleptika und Barbituraten Latenz-, Amplituden- und Formänderungen später SEP-Anteile beschreiben (Abrahamian et al. 1963; Saletu et al. 1972, 1973; Clark u. Rosner 1973; Lehmann u. Schmidt 1980). Unter den Antikonvulsiva bewirken Phenytoin und Carbamazepin eine Herabsetzung der zentralen Impulsleitungsgeschwindigkeit, wobei die Latenzzunahme der kortikalen Reizantworten mit dem Plasmaspiegel korreliert (Green et al. 1982; Mervaala et al. 1987). Ob dieser Effekt auf einer Beeinflussung der Axonmembran oder auf einer Verlängerung der Synapsenzeit beruht, ist bislang ungeklärt. Phenobarbital, Primidon und Valproinsäure ließen in den zitierten Studien keinen Einfluss auf die SEP-Latenzen erkennen.
Einflüsse reizinduzierter myogener Potenziale Die Beurteilung einer SEP-Kurve kann durch zufällig einstreuende EMG-Aktivität erschwert werden; diese ist jedoch als solche leicht zu erkennen, da sie zu einer gleichmäßigen Deformierung der ganzen Kurve führt. Damit sind zumindest Fehlbeurteilungen ausgeschlossen. Ein ernsteres Problem stellen myogene Reflexantworten dar, die in einer festen zeitlichen Beziehung zum Reiz stehen und damit wie eine SEP-Komponente aufsummiert werden. Vermutlich stellen solche somatomotorischen Potenziale spino-bulbo-spinale Reflexe dar. Nach Medianusstimulation (an Handgelenk oder Fingern) erscheinen sie bei Ableitung von Nacken und Kopfhaut mit Latenzen um 15 ms und können daher leicht mit SEP-Komponenten entsprechender Latenz verwechselt werden, zumal ihre Amplitude die der somatosensiblen Reizantwort übersteigen kann. Für die Erkennung myogener Potenziale ist wichtig, dass deren Amplitude mit zunehmender Muskelkontraktion zunimmt und eine maximale Ausprägung über der jeweils angespannten mimischen, Kau- bzw. Nacken-Muskulatur besitzt (Cracco 1980). Umgekehrt verschwinden diese Potenziale bei völliger Muskelentspannung, so dass bei jeder SEP-Ableitung sorgfältig darauf geachtet werden muss. Bezüglich der bei Patienten mit Spasmus hemifacialis beobachteten Reflexpo-
113 2.4 · Normalbefunde
tenziale nach Trigeminusstimulation wird auf Abschnitt 2.4.3 verwiesen.
Untersuchungstechnische Einflüsse Durch inadäquate Untersuchungstechnik können falsch-pathologische SEP-Befunde zustande kommen. Niedrige Reizstärken und besonders eine erniedrigte Hauttemperatur wirken sich latenzverzögernd aus, wobei deutliche Seitenunterschiede in der Hauttemperatur ausreichen, um eine pathologische Seitendifferenz der spinalen und kortikalen Reizantworten hervorzurufen. Beispiel Zwei Studien überprüften den Einfluss von ausgeprägten Änderungen der Körperkerntemperatur auf die Ausprägung der somatosensibel evozierten Potenziale. Dabei führte eine aus therapeutischen Gründen induzierte Hyperthermie von 42 °C zum Verlust der kortikalen Reizantworten nach Fingerstimulation, wobei die frühen Komponenten unmittelbar nach Beginn der Abkühlungsphase wieder auftraten (Dubois et al. 1981). Den Einfluss einer Körpertemperatursenkung um 5 – 6 °C untersuchten Gollehon et al. (1983) an der Katze, wobei sowohl die spinalen als auch die kortikalen Potenziale eine Latenzzunahme um durchschnittlich 40% sowie teilweise erhebliche Formänderungen erfuhren. Nach Normalisierung der Körpertemperatur erreichten die spinalen Potenziale rasch ihre ursprüngliche Form und Latenz, während die Erholungszeit bei den kortikalen evozierten Potenzialen verzögert verlief.
Eine zu niedrige am Nerven wirksame Reizstärke kann auch bei anfangs korrekter Einstellung durch Bewegung der stimulierten Gliedmaße mit Verschiebung der Reizelektrode eintreten. Dadurch wird die Zahl der erregten Fasern deutlich reduziert, was eine unter Umständen beträchtliche Amplitudenabnahme der Reizantwort zur Folge hat. Erfolgt diese Verschiebung der Reizelektrode nur auf einer Seite, können hieraus falsch pathologische Seitendifferenzen in der SEP-Amplitude resultieren. Es empfiehlt sich daher bei motorisch überschwel-
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liger Stimulation eines gemischten Nerven zu kontrollieren, ob die hierbei auftretende Kontraktion von Hand- bzw. Fußmuskeln von Beginn bis Ende der Stimulationsperiode unverändert bleibt. Bei nachlässiger Plazierung der Ableitelektroden können hierdurch bedingte abnorme Potenzialkonfigurationen bzw. bei nur einseitig fehlerhafter Anlage Seitendifferenzen bezüglich Form, Amplitude und Latenz auftreten. Besonders krasse Potenzialänderungen treten bei Verschiebung der Ableitelektrode von der Postzentral- zur Präzentralregion auf, so dass unter allen Umständen gewährleistet sein muss, dass diese bei Arm- oder Beinnervenstimulation 2 – 3 cm hinter der ScheitelOhr-Linie angelegt sind. Bei asymmetrischer Kopfform ist es im Zweifelsfall günstiger, die Elektroden weiter okzipital zu platzieren, da dies von keiner wesentlichen Änderung der Potenzialform und der Latenzen gefolgt ist ( s. Abb. 2.36). Von praktischer Bedeutung ist schließlich, dass der Patient während der Untersuchung weder die stimulierte noch eine andere Gliedmaße bewegt, da dies – ebenso wie Berührungsreize – zu Veränderungen (besonders zu einer Amplitudenminderung) frontaler und parietaler SEP-Komponenten führen kann (Abbruzzese et al. 1981; Kakigi u. Jones 1985; Cohen u. Starr 1987). Bei der diagnostischen Bewertung der SEP-Latenzen nach Arm- und Beinnervenstimulation muss deren Korrelation mit Körper- und Gliedmaßenlänge berücksichtigt werden, was besonders für extreme Maße zutrifft ( s. 2.4.1 und 2.4.2). Prinzipiell sollte jeder nicht zum klinischen Bild passende SEP-Befund kontrolliert werden, ehe hieraus diagnostische Schlüsse gezogen werden (Noterman u. Colon 1986).
2.4.6 Auswertung von SEP-Kurven Bei jeder Kurvenauswertung sind einige Grundregeln zu beachten, um Fehlinterpretationen zu vermeiden: 1. Aus den Kurvenausdrucken müssen die Patientendaten, die Reizparameter, die Ableiteorte sowie Besonderheiten während der Untersuchung (z. B. Grad der Entspannung) hervorgehen.
114
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2. Bei auffälliger Konfiguration der kortikalen Reizantwort muss an die Möglichkeit einer fehlerhaften Positionierung der Ableiteelektroden gedacht und ggf. eine Kontrolle veranlasst werden. 3. Viele MTA besitzen den Ergeiz schöne oder wenigstens auswertbare Kurven zu liefern und wiederholen die jeweilige Messung so oft bis zwei Ableitungen Kurvenschwankungen im erwarteten Latenzbereich aufweisen, die sich halbwegs zur Deckung bringen lassen. Da es sich hierbei oft um Artefaktogramme handelt, muss der Auswerter darauf bestehen, dass alle Durchgänge ausgeschrieben werden, da nur so eine Aussage über die vorhandene oder fehlende Reproduzierbarkeit der Potenziale möglich ist. 4. Die Kurvenauswertung wird erleichtert, wenn die einzelnen Durchgänge nicht untereinander ausgeschrieben sondern superponiert werden, und wenn eine hohe Verstärkung gewählt wird. 5. Bei alleiniger Ableitung der kortikalen Reizantworten müssen Armlänge (Medianus-SEP) bzw. Körpergröße (Tibialis-SEP) sowie die Hauttemperatur berücksichtigt werden. Eine
pathologische Latenzzunahme des kortikalen Primärkomplexes erlaubt keine Zuordnung der Läsion in das periphere oder zentrale Nervensystem, so dass zumindest eine Zweikanal-Ableitung empfehlenswert ist. 6. Jede SEP-Auswertung muss den Seitenvergleich berücksichtigen. So kann sich eine im Normbereich gelegene absolute Latenz der kortikalen Reizantwort im Seitenvergleich als pathologisch verzögert herausstellen. 7. SEP-Befunde müssen im Hinblick auf die beim Patienten vorliegende Symptomatik beurteilt werden. Bei jeder Diskrepanz zwischen klinischen Befunden und SEP sollte eine besonders kritische Kurvenbefundung und möglichst eine Befundkontrolle erfolgen, bevor weitreichende diagnostische Schlüsse gezogen werden.
2.5
SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
Entsprechend der Ausdehnung des sensiblen Systems zwischen Körperperipherie und sensiblem Kortex können Läsionen dieses Funktionssystems in unterschiedlichen Abschnitten auftreten. Die folgende Darstellung von SEP-Befunden bei neurologischen Erkrankungen richtet sich nach den jeweiligen Lokalisationsschwerpunkten: »Peripherie« (Abschnitt distal der Eintrittsstelle der somatosensiblen Afferenzen in das Rückenmark bzw. in den Hirnstamm), Rückenmark, Hirnstamm, Thalamus und Großhirn. Die typischerweise mit multifokalen Läsionen einhergehende Multiple Sklerose wird in einem eigenen Abschnitt besprochen. ! Systematische SEP-Untersuchungen an größeren Kollektiven wurden bislang nur bei einigen neurologischen Krankheitsbildern durchgeführt, wobei die meisten Studien den kortikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation bei der Multiplen Sklerose gelten. Die nachfolgend beschriebenen SEP-Befunde können deshalb keinen Anspruch auf bleibende Gültigkeit erheben, sondern repräsentieren nur den gegenwärtigen Stand unseres Wissens. Bei bisher unzulänglich untersuchten Krankheitsbildern wurde versucht, den Mangel an umfassenden Untersuchungsergebnissen durch instruktive Einzelbeispiele aus dem eigenen Krankengut auszugleichen.
Als erste Autoren haben Alajouanine et al. (1958) auf die diagnostische Möglichkeit der SEP bei Erkrankungen des peripheren (PNS) und des zentralen Nervensystems (ZNS) hingewiesen, gefolgt von Giblin (1964), Bergamini et al. (1965, 1966) sowie Halliday (1967 a). Prinzipiell können bei einer Läsion des somatosensiblen Systems an einer beliebigen Stelle pathologische SEP-Befunde auftreten. Giblin (1980) beschreibt als charakteristischen Befund bei Läsionen zwischen peripherem Nerven und Thalamus eine Latenzverlängerung und bei Läsionen in der somatosensiblen Rinde eine Amplitudenerniedrigung des SEP ohne Latenzzunahme. Wie in den folgenden Abschnitten gezeigt wird, ist dies nicht zutreffend: Einerseits kommen auch
115 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
bei einer Schädigung kaudal des Thalamus häufig Reizantworten von kleiner Amplitude ohne signifikante Latenzverlängerung vor; andererseits findet sich eine pathologische Latenzzunahme gelegentlich auch bei Prozessen rostral des Thalamus. Entscheidend für das Ausmaß der Latenzverzögerung ist weniger die Lokalisation als die Art des zugrunde liegenden krankhaften Prozesses. Generell finden sich deutliche Latenzverzögerungen bei allen peripher- und zentralnervösen Erkrankungen, die mit einer segmentalen Demyelinisierung verbunden sind. Eine leichtere Latenzzunahme in Kombination mit einer oft ausgeprägten Amplitudenreduktion resultiert bei Erkrankungen mit Ausfall der dicken, schnelleitenden Axone. Die Amplitude der SEP ist u. a. eine Funktion der Gesamtanzahl afferenter Neurone; diese ist daher beim Untergang oder Leitungsblock einer entsprechenden Zahl von Axonen in einem beliebigen Abschnitt des lemniskalen Systems erniedrigt. SEP-Untersuchungen sind nicht nur zum Nachweis einer Funktionsbeeinträchtigung des lemniskalen Systems geeignet, sondern umgekehrt auch zu deren Ausschluss. Angaben über eine ausgepräge Minderung des Tast-, Vibrations- und vor allem des Bewegungsempfindens (Lagesinns) sind bei regelrechten SEP-Befunden unglaubhaft. Untersuchungen an Patienten mit hysterischer Anästhesie durch Alajouanine et al. (1958) sowie Bergamini et al. (1967) ergaben übereinstimmend regelrechte kortikale Reizantworten. ! Moldofsky u. England (1975) studierten die Habituation des SEP bei Patienten mit hysterischer Anästhesie und fanden nach Stimulation auf der betroffenen Seite im Widerspruch zu psychophysiologischen Hemmungstheorien eher eine Fazilitation als eine Habituation. Auch bei Anästhesie unter Hypnose ließen sich bei mechanischer und elektrischer Stimulation keine SEP-Veränderungen nachweisen, sofern stärkere Reize appliziert wurden (Halliday u. Mason 1964). Dagegen sollen nach Levy u. Behrman (1970) sowie Levy u. Mushin (1973) schwellennahe Reize in anästhetischen Hautbezirken zu niedrigeren Antworten führen als bei identischer Reizung an nichtanäs▼
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thetischen kontralateralen Arealen, was auf zentralnervöse Hemmungsmechanismen zurückgeführt wird.
Von »negativer« Bedeutung sind SEP-Untersuchungen nicht nur bei hysterischer Anästhesie, sondern auch bei Begutachtungen. Bekanntlich ist die Beurteilung hierbei angegebener Sensibilitätsstörungen bei aggravierenden und simulierenden Personen mitunter recht schwierig. Hier können Ableitungen somatosensibler Reizantworten nach Stimulation in der wirklich oder angeblich betroffenen Körperregion zumindest ausgeprägtere Störungen objektivieren bzw. ausschließen.
2.5.1 Erkrankungen des peripheren
Nervensystems Die elektrophysiologische Diagnostik von Erkrankungen des peripheren Nervensystems gilt allgemein als eine Domäne der Elektromyographie. Wie die folgenden Abschnitte zeigen, gibt es hierbei jedoch auch zahlreiche dankbare Indikationen für die SEP-Methode, und zwar besonders bei proximal lokalisierten Veränderungen und beim Betroffensein von neurographisch schwer zugänglichen Nerven.
Pathophysiologische Vorbemerkungen Zum Verständnis der SEP-Befunde bei Neuropathien müssen die Auswirkungen der hierbei vorkommenden krankhaften Veränderungen auf die Impulsleitung bekannt sein. Eine ausführliche Darstellung von Störungen der Impulsleitung bei unterschiedlichen Läsionstypen findet sich in Kapitel 1. ! Bei toxisch oder mechanisch bedingter Axondegeneration besteht im akuten Stadium eine normale oder allenfalls leicht herabgesetzte Nervenleitgeschwindigkeit (NLG). Verzögerungen der Impulsleitung bei diesem Schädigungstyp kommen jedoch in der Regenerationsphase vor ( s. Kap. 1). Neuropathien, die mit einer segmentalen Demyelinisierung einhergehen, führen obligat zu einer meist ausgeprägten Herabsetzung der maximalen mo▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
torischen und sensiblen NLG. Prinzipiell treten segmentale Entmarkungsvorgänge lokal bei akuter und besonders chronischer Druckeinwirkung auf den Nerven und in generalisierter Form u. a. bei diabetischer Polyneuropathie, Polyneuritis Guillain-Barré und neuraler Muskelatrophie auf (Kaeser u. Lambert 1962; Lehmann u. Ule 1964; Mayer u. Denny-Brown 1964; Thomas u. Lascelles 1966; Dyck u. Lambert 1968). Die nach ausgedehnter segmentaler Demyelinisation eintretende Remyelinisation, z. B. in Fällen von idiopathischer Polyneuritis, führt zwar zu einer Wiederbeschleunigung, jedoch nicht zu einer Normalisierung der Impulsleitung.
Die überwiegende Mehrzahl der Neuropathien lässt sich durch die neurologische Untersuchung in Kombination mit den klassischen Methoden der Elektromyographie und Elektroneurographie diagnostizieren. In diesen Fällen können SEP-Untersuchungen höchstens eine zusätzliche Bestätigung mit erhöhter diagnostischer Sicherheit vermitteln. Von größerer diagnostischer Bedeutung ist die SEP-Methode unter den folgenden Bedingungen: 1. Die Schädigung der sensiblen Nervenanteile ist so weit fortgeschritten, dass die sensible Neurographie (Messung der sensiblen NLG und
des sensiblen Nervenaktionspotenzials [SNAP]) schwierig oder unmöglich ist. Die Nervenaktionspotenziale sind kurz und in ihrer Amplitude stark abhängig von der Synchronizität der Impulse in den dicken markhaltigen Fasern. Das bedeutet, dass die SNAP bereits bei leichter bis mäßiger zeitlicher Dispersion der Impulse deutlich erniedrigt sind (Gilliatt u. Sears 1958), so dass besonders an den unteren Extremitäten frühzeitig Schwierigkeiten bei der Registrierung von SNAP auftreten können. Die sensible Neurographie ist wegen ihrer Empfindlichkeit besonders geeignet, leichtere Schädigungen im Bereich der sensiblen Nervenfasern zu erfassen. Bei ausgeprägteren Neuropathien lassen sich SNAP dagegen nicht mehr oder nur noch nach zeitaufwendiger Platzierung einer Nadelelektrode in unmittelbarer Nähe der sensiblen Faseranteile des untersuchten Nerven registrieren, wobei eine Nadelelektrode, von manchen Patienten, vor allem von Kindern, nicht toleriert wird. In
solchen Fällen ist es oft einfacher, die sensible NLG anhand der kortikalen Reizantworten nach sukzessiver Stimulation eines peripheren Nerven in verschiedenen Niveaus zu messen; manchmal ist dies auch die einzig mögliche Methode, um noch eine sensible NLG-Messung zu erhalten (Bergamini et al. 1965; Desmedt u. Noël 1973, 1975; Assmus 1978). Das Gesagte trifft nicht nur für Neuropathien mit einem schweren Ausfall sensibler Fasern zu, sondern ebenso für frühe Reinnervationsstadien nach abgelaufener Waller- bzw. toxischer Degeneration (Desmedt u. Noël 1973). SEP-Messungen sind jedoch kein Ersatz für die sensible Neurographie, da sie zu unempfindlich sind, um leichtere Läsionen im Bereich des peripheren Nervensystems (PNS) zu erfassen. Die Möglichkeit trotz eines weitgehenden Verlustes der sensiblen Faseranteile des stimulierten Nerven noch spinale und vor allem kortikale Reizantworten abzuleiten, beruht auf zwei Mechanismen: a) Bereits normalerweise wächst die Amplitude der spinalen und zerebralen Antwortpotenziale bei einer Nervenstimulation mit ansteigender Reizstärke rascher an als die der sensiblen Nervenaktionspotenziale (SNAP), so dass schon unter physiologischen Bedingungen ein zentralnervöser Verstärkungsmechanismus vorhanden sein muss (Eisen 1986). b) Bei einem Ausfall sensibler Faseranteile im ersten sensiblen Neuron (z. B. bei umschriebenen und ausgebreiteten Neuropathien oder bei der Friedreich-Erkrankung) kommt es offensichtlich zu einem synaptischen Verstärkungseffekt bei der Impulsübertragung auf nachgeschaltete sensible Neurone. Hierfür sprechen die im Vergleich zu den stark erniedrigten oder gar ausgefallenen SNAP oft weitgehend normal-amplitudigen spinalen und kortikalen Reizantworten ( siehe z. B. Abb. 2.102). Bei jungen Katzen ließ sich nach Denervierung der Vorderpfote eine Vergrößerung der rezeptiven Felder sowie eine gesteigerte Erregbarkeit der funktionell zugeordneten Nucleus-cuneatus-Neurone als mögliche neurophysiologische Grundlage ermitteln (Kalaska u. Pomeranz 1982). Auch der Thalamus scheint aufsteigende Impulswellen zu synchronisieren und zu verstärken, so dass das Eintreffen einzelner Aktionspotenziale in
117 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
wenigen Axonen für die Ableitung einer kortikalen Reizantwort möglicherweise ausreicht. Die synaptische Verstärkung dürfte demnach auf verschiedenen Mechanismen an den synaptischen Umschaltstellen beruhen, wie z. B. Verstärkung der zeitlichen und räumlichen Summation, Fortfall der lateralen Hemmung und Re-Synchronisierung der Impulswelle beim Vorliegen einer temporalen Dispersion. 2. Ein zweites Anwendungsgebiet von SEP-Untersuchungen bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems betrifft die im Bereich der proximalen Nervenanteile bzw. im Bereich der Nervenplexus und Nervenwurzeln lokalisierten Läsionen, die einer unmittelbaren sensiblen Neurographie nicht zugänglich sind. Sofern bei diesen Schädigungslo-
kalisationen die motorischen Nervenfasern deutlich beteiligt sind, reichen Elektromyographie in Kombination mit F-Wellen und H-Reflexuntersuchungen oft aus. Dominieren dagegen die sensiblen Ausfälle, erlauben SNAP-Messungen bei einer Läsion distal des Spinalganglions durch die Amplitudenerniedrigung zwar den Nachweis, nicht jedoch die Lokalisation des Prozesses. Rostral des Spinalganglions lokalisierte Schädigungen sind generell nur noch durch SEP-Untersuchungen zu diagnostizieren. Die SEPMethode stellt unter diesem Aspekt keine Konkurrenz zur sensiblen Neurographie, sondern eine nach rostral verlängerte sensible Neurographie dar, wobei die vergleichende Anwendung beider Methoden eine gute Übereinstimmung in den Ergebnissen zeigte (Robertson u. Lambert 1978). ! Schädigungen einzelner peripherer Nerven gehen vielfach mit einer Erhöhung der Reizschwelle einher. Ganz besonders trifft dies für frische Reinnervationsstadien zu. In diesen Fällen muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass die Stimulation des geschädigten Nerven nicht zu einer Miterregung benachbarter gesunder Nerven mit niedrigerer Reizschwelle führt, da hierdurch Normalbefunde vorgetäuscht werden können. 3. Die SEP-Methode erlaubt die Untersuchung von Nerven, die aus anatomischen Gründen keiner sensiblen Neurographie zugänglich sind. Hierzu
zählen die Nn. ilio-inguinalis, -iliohypogastricus
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und -intercostobrachialis. Andere Nerven sind mit Hilfe der SEP-Methode einfacher zu untersuchen als durch die sensible Neurographie, wie z. B. die Nn. plantares und der N. cutaneus femoris lateralis. 4. Beim Einsatz von SEP-Untersuchungen bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems ist die hierbei mögliche klinisch latente Mitbeteiligung zentralnervöser Strukturen zu beachten, wie sie u. a. bei Diabetes mellitus, Kollagenosen, NeuroBorreliose sowie beim Guillain-Barré-Syndrom vorkommen (Eisen 1986; Pfadenhauer et al. 1988). Solche mehrere Abschnitte des somatosensiblen Systems involvierenden Krankheitsprozesse lassen sich nur mit der SEP-Methode exakt und vollständig erfassen ( s. Abb. 2.81).
Kompressionssyndrome peripherer Nerven In dem folgenden Abschnitt werden die häufigsten Engpasssyndrome sowie andersartige chronische Druckläsionen einzelner peripherer Nerven besprochen. Dabei wird keine Vollständigkeit angestrebt; vielmehr soll an Hand einiger exemplarischer Beispiele die Anwendung und die Leistungsfähigkeit der SEP-Methode bei dieser Krankheitsgruppe aufgezeigt werden. Karpaltunnelsyndrom. Beim Karpaltunnelsyndrom ist der Nachweis einer Leitungsverzögerung der sensiblen Medianusfasern oft ergiebiger als der einer verlängerten motorischen Latenz zur lateralen Daumenballenmuskulatur, aber neurographisch nicht immer möglich. In solchen Fällen gelingt dies durch Vergleich der Latenzen des ersten negativen Gipfels der kortikalen Primärantwort (N 1) nach Stimulation an den Fingern II und III (N 22) einerseits, knapp proximal des Handgelenks (N 20) andererseits (Desmedt et al. 1966). Um andere Möglichkeiten einer distalen Leitungsverzögerung auszuschließen, empfiehlt sich entweder ein Vergleich mit der Gegenseite (falls diese nicht mitbetroffen ist) oder besser mit dem ipsilateralen N. ulnaris, der sukzessive am Kleinfinger und Handgelenk stimuliert wird. ! Um bei einer intendierten Stimulation sensibler Medianusfasern an den Fingern eine Miterregung sensibler Fasern des N. radialis aus▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
zuschließen – die bekanntlich die Rückseite der Fingergrundgelenke II und III innervieren –, müssen die Reizelektroden an den distalen Phalangen angebracht werden ( s. 2.3).
Der typische Befund eines ausgeprägten linksseitigen Karpaltunnelsyndroms ist in ⊡ Abb. 2.60 a dargestellt. Die Latenz von N 1 bei Stimulation der Finger II und III beträgt 25 ms, bei Stimulation am Handgelenk 18,1 ms. Aus der Latenzdifferenz von 6,9 ms errechnet sich bei einer Distanz von 16 cm zwischen den beiden Stimulationsorten eine sensible NLG von 23 m/s. Die bei Ableitung des SNAP vom N. medianus in Höhe des Handgelenks gemessene Latenz lag in diesem Fall bei 5,7 ms, woraus sich eine sensible NLG von 28 m/s ergibt. ! Auf diskrepante Ergebnisse zwischen den beiden Messmethoden haben bereits Desmedt et al. (1966) aufmerksam gemacht. Diese Autoren fanden in einem Fall bei direkter Messung eine sensible Latenz zwischen Fingern und Handgelenk von 9 ms, bei SEP-Ableitung eine Latenzdifferenz von 16 ms, d. h. 7 ms mehr als erwartet. Hierbei muss man berücksichtigen, dass bei der sensiblen Neurographie nur die NLG der schnellstleitenden Fasern gemessen wird, während die kortikale Reizantwort bei ausgeprägten Neuropathien möglicherweise der integrierten Aktion einer größeren Faserpopulation entspricht, wobei die Leitgeschwindigkeiten der einzelnen Fasern bei Kompressionssyndromen stark auseinanderklaffen können. Ob diese Integration im Niveau des Kortex (Desmedt 1971) oder in den Hinterstrangkernen bzw. dem Thalamus (Giblin 1980) stattfindet, ist strittig. Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, liegt in der Möglichkeit retrograder Nervenveränderungen, wie sie beim Karpaltunnelsyndrom von Thomas (1960) und von Stöhr et al. (1978) festgestellt wurden. Diese führen in Abhängigkeit von der Schwere und Dauer der Nervenkompression zu einer Leitungsreduktion im Bereich des Unterarms in der Größenordnung von 10 – 20% und tragen sicher zu den aufgezeigten Diskrepanzen bei, die im ▼
eigenen Krankengut allerdings nicht annähernd das im obigen Beispiel genannte Ausmaß erreichen (⊡ Abb. 2.60 b).
SEP-Untersuchungen zum Nachweis eines Karpaltunnelsyndroms sind sicher keine Routinemethode, sondern nur ein diagnostischer Notbehelf in den Fällen, in denen bei der sensiblen Neurographie mit Oberflächen- oder Nadelelektroden kein SNAP mehr registriert werden kann oder wo der Patient eine Nadelableitung vom Nerven nicht toleriert. Ulnarisneuropathie am Ellenbogen (UNE). Spontan auftretende und in der Folgezeit chronisch progrediente Ulnarisparesen gehen am häufigsten auf eine Nervenkompression im Bereich des Sulcus ulnaris zurück, wobei pathogenetisch verschiedene anatomische und funktionelle Faktoren zusammenwirken (Sunderland 1978). Neurographisch lassen sich verzögerte motorische und sensible NLG im Ellenbogensegment des N. ulnaris feststellen, während distal davon meistens normale oder weniger stark verminderte NLG gemessen werden (Gilliatt u. Thomas 1960; Trojaborg 1964; Jebsen 1967; Payan 1969; Eisen u. Danon 1974). Trotz dieser anscheinend klaren Verhältnisse ergeben sich immer wieder Abgrenzungsschwierigkeiten gegen⊡ Abb. 2.60 a, b. SEP-Befunde beim Karpaltunnelsyndrom. a 42-jährige Patientin mit mäßiggradigem Karpaltunnelsyndrom links. Bei Stimulation an den Fingern II und III beträgt die Latenz von N 1 auf der linken Seite 25, auf der rechten Seite 21,9 ms (Zeile 1 u. 2). Bei Stimulation am Handgelenk (Zeile 3 u. 4) annähernd seitengleiche Ausprägung des Primärkomplexes mit nahezu identischen Latenzen von N 1 (rechts 17,9, links 18,1 ms). Aus den Latenzdifferenzen nach Finger- und Handstimulation und der Distanz zwischen den Reizpunkten ergibt sich links eine sensible NLG von 23 m/s. b Retrograde Veränderungen beim Karpaltunnelsyndrom. 55-jähriger Mann mit ausgeprägtem, seit zweieinhalb Jahren manifestem Karpaltunnelsyndrom links. Nach Medianusstimulation am Handgelenk – d. h. proximal des Karpaltunnels – finden sich rechts normale Reizantworten; nach linksseitiger Stimulation ist das EP-Potenzial leicht verzögert und stark amplitudengemindert, was nur durch eine retrograde Degeneration von weiter distal geschädigten, schnellleitenden sensiblen Axonen erklärbar ist. Die im Vergleich zum EP-Potenzial geringere Latenzverzögerung und Amplitudenminderung der zervikalen und kortikalen Reizantworten weist auf zentrale Kompensationsmechanismen hin
119 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
über Ulnaris-Kompressions-Syndromen im Bereich der Hand sowie gegenüber Läsionen des unteren Armplexus oder der Wurzel C 8. Außerdem lässt sich die Funktionsbeeinträchtigung sensibler Ulnarisfasern in Höhe des Ellenbogens mittels der Methode der sensiblen Neurographie nur durch die zeitlich aufwendige und für den Patienten schmerzhafte Platzierung von drei Nadelelektrodenpaaren am Handgelenk sowie distal und proximal des Sulcus ulnaris messen. Hierbei bietet die SEP-Methode den Vorteil der rascheren Durchführung und der geringeren Schmerzhaftigkeit, allerdings mit dem Nachteil einer geringeren Messgenauigkeit. Bei Ableitung vom Kortex (und eventuell simultan damit vom Erb-Punkt) braucht lediglich eine sukzessive transkutane Ulnarisstimulation an Handgelenk, proximalem Unterarm und distalem Oberarm durchgeführt zu werden, um einen Latenzsprung zwischen den Stimulationsorten 2 und 3 zu erfassen. Bei lange bestehendem Kubitaltunnelsyndrom ist die NLG z. T. auch distal der Schädigungsstelle erheblich reduziert, so dass die sonst typische Dissoziation zwischen den NLG im Unterarm- und Ellenbogensegment fehlt oder zumindest nicht signifikant ist. Hier erlaubt der Nachweis einer normalen sensiblen NLG proximal des Ellenbogens – durch Vergleich der SEP-Latenzen nach Stimulation am distalen Oberarm und in der Axilla – den Ausschluss einer weiter proximal lokalisierten Nervenschädigung. Im Gegensatz zu den chronischen Kompressionssyndromen besteht bei den häufigen lagerungsbedingten akuten Ulnarisläsionen durch einmalige äußere Druckeinwirkung in der Regel nur eine Amplitudenreduktion der somatosensiblen Reizantworten, ohne eindeutige Latenzverzögerung bei Stimulation distal der Schädigungsstelle. Kompressionssyndrome des Armplexus. Die
chronische Kompression unterer Plexusanteile im Rahmen eines Thoracic-outlet-Syndroms (TOS) kann in Anfangsstadien erhebliche diagnostische Schwierigkeiten bereiten. An elektrodiagnostischen Verfahren stehen die Messung des SNAP nach Kleinfingerstimulation im Seitenvergleich, die Messung der motorischen NLG des N. ulnaris zwischen Erb-Punkt und Oberarm und die im Sei-
tenvergleich erfolgende Bestimmung der F-Wellen-Latenz zum Thenar (Wulff u. Gilliatt 1979) zur Verfügung. Möglicherweise liefert die Bestimmung der F-Wellen-Dispersion noch feinere diagnostische Kriterien als die bloße Messung der minimalen F-Wellen-Latenz. Allen genannten Verfahren haften Ungenauigkeiten und/oder messtechnische Schwierigkeiten an, besonders der Nervenstimulation am Erb-Punkt. Von daher erscheint es wünschenswert, durch SEP-Untersuchungen die sensible Impulsleitung des N. ulnaris im Niveau des Armplexus zu erfassen. Dies gelingt durch Stimulation des N. ulnaris am Handgelenk und simultane Aufzeichnung der Reizantworten vom Erb-Punkt, Nacken und Skalp. In typischen Fällen ist die Latenz des am Erb-Punkt registrierten Potenzials und/oder die von N 13 a verzögert (⊡ Abb. 2.61). Da der Generator des EP-Potenzials distal der Schädigungsstelle gelegen ist, kann die in einem Teil der Fälle gefundene Latenzverzögerung dieses Potenzials nicht auf eine Demyelinisierung im Läsionsbereich zurückgeführt werden, sondern dürfte auf einer bevorzugten Degeneration der schnellleitenden sensiblen Axone beruhen. Hierfür spricht auch die oft deutliche Amplitudenminderung des EP-Potenzials (⊡ Abb. 2.61). Charakteristischer für das Thoracic-outlet-Syndrom ist die alleinige oder bevorzugte Erniedrigung und Latenzverzögerung von N 13 a als Hinweis auf die zwischen Erb-Punkt und Halsmark – d. h. im unteren Primärstrang des Armplexus – lokalisierte Kompression mit konsekutivem Leitungsblock und demyelinisierenden Veränderungen (Jerret et al. 1984), wobei sich die Latenzzunahme von N 13 am besten durch Bestimmung des Latenzintervalls EP – N 13 im Seitenvergleich ermitteln lässt. Die häufigste Veränderung besteht allerdings in einer Amplitudenreduktion von N9 und seltener von N13a, wobei sich pathologische Befunde bei schwerem TOS in 100%, bei mäßig ausgeprägtem TOS in 67% und beim alleinigen Vorliegen subjektiver Symptome bei 25% der Patienten finden (Cakmur et al. 1998).
121 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.61. Thoracic-outlet-Syndrom rechts. Nach Ulnarisstimulation auf der betroffenen Seite leichte Latenzzunahme und starke Amplitudenminderung des EP-Potenzials (29% des kontralateralen Vergleichswertes), was als Hinweis auf eine Degeneration schnellleitender sensibler Axone des N. ulnaris (bzw. des unteren Primärstrangs des Armplexus) anzusehen ist. Außerdem fehlt die bei rein infraganglionärer Schädigung übliche relative Amplitudenzunahme der zervi-
kalen Reizantwort; diese ist sogar noch stärker erniedrigt als das EP-Potenzial (16% des kontralateralen Vergleichswertes bei Messung base-to-peak), was als Hinweis auf einen zusätzlichen Leitungsblock zwischen Erb-Punkt und kaudalem Halsmark – also wohl im Bereich des unteren Primärstrangs – anzusehen ist. Die öfters beschriebene Zunahme des Latenzintervalls EP-N 13 ist im vorliegenden Fall nicht nachweisbar
Beispiel Yiannikas u. Walsh (1983) fanden beim Thoracicoutlet-Syndrom mit alleinigen Schmerzen ein normales Ulnaris-SEP. Bei hinzutretenden Sensibilitätsstörungen war das EP-Potenzial (N9) teils normal und nur N13 pathologisch verändert; teils war bereits N9 erniedrigt und verzögert, was als Hinweis auf eine Degeneration schnelleitender Axone interpretiert wurde. Im übrigen sind SEPUntersuchungen beim Thoracic-outlet-Syndrom nicht nur zu dessen Nachweis, sondern auch zur
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objektiven Verlaufskontrolle nach operativer Dekompression geeignet (Siivola et al. 1983). Veilleux et al. (1988) fanden bei 20 Patienten mit TOS nur 3-mal ein pathologisches UlnarisSEP und halten daher diese Methode für entbehrlich. Bei Betrachtung des Patientenkollektivs fällt allerdings auf, dass nur 3 der untersuchten Patienten Sensibilitätsstörungen und nur einer Paresen aufwies, so dass sich offenbar darunter zahlreiche Verdachtsfälle mit bloßen Reizerscheinungen befanden.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Idiopathische Trigeminusneuralgie. Die Ursache
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des Tic douloureux ist letztlich ungeklärt (Selby 1975), jedoch zeigt die operative Exploration der hinteren Schädelgrube in einem hohen Prozentsatz eine Kompression einer oder mehrerer Trigeminuswurzeln durch benachbarte Gefäße, meist Äste der Kleinhirnarterien (Jannetta u. Rand 1967; Gardner 1968; Jannetta 1977). Für eine rostrale Schädigungslokalisation spricht auch die normale Leitgeschwindigkeit der einzelnen Trigeminusäste zwischen retroganglionärem Abschnitt und Austrittspunkt (Cruccu et al. 1987). Wegen der Seltenheit einer Mitschädigung der ersten Trigeminuswurzel sind Messungen des Orbicularis-oculi-Reflexes – dessen Afferenz über V 1 verläuft – von geringem Wert. Untersuchungen der kortikalen Reizantworten nach Trigeminusstimulation am Mund ergeben dagegen in knapp der Hälfte der Fälle eine pathologische Latenzverzögerung auf der betroffenen Seite (Stöhr et al. 1981). Beim isolierten Betroffensein der zweiten bzw. dritten Trigeminuswurzel ist eine pathologische Seitendifferenz zwischen gesunder und kranker Seite teilweise nur bei isolierter Stimulation von Ober- bzw. Unterlippe zu erhalten. Ob eine ipsilaterale Latenzverzögerung des Trigeminus-SEP als Hinweis auf eine blande Wurzelkompression mit lokaler Demyelinisierung interpretiert werden kann – was für die Art des operativen Vorgehens von Bedeutung wäre – muss erst durch umfangreichere Untersuchungen vor und nach operativer Dekompression der Trigeminuswurzeln im Kleinhirnbrückenwinkel erwiesen werden. Leandri et al. (1988) fanden bei Messung der frühen Skalpantworten nach Infraorbitalisreizung in 9 von 38 Patienten eine Latenzzunahme von W 3 (bzw. ein verlängertes Latenzintervall W 1 – W 3 bei normalem Intervall W 1 – W 2), während nach retroganglionärer Glycerolinjektion meist die Komponenten W 2 und W 3 verschwanden.
Spina iliaca anterior (Flügel et al. 1984) häufig ein Schädigungsnachweis durch Ausfall oder Verzögerung der kortikalen Reizantwort nach Stimulation auf der betroffenen Seite erbracht werden (⊡ Abb. 2.62). Gelegentlich ist auch nach Nervenstimulation auf der scheinbar gesunden Seite ein pathologisches SEP registrierbar, was als Hinweis auf eine klinisch latente Kompression gelten kann (Flügel et al. 1984). Als pathologisch gelten nach Flügel et al. (1984) ein einseitiger SEP-Ausfall, eine pathologische Verlängerung der absoluten Latenz (>34,6 ms rechts, >34,1 ms links) sowie eine Seitendifferenz von über 2,6 ms (m + 2,5 SD). Wiezer et al. (1996) fanden bei 24 Patienten 18-mal ein ipsilateral verzögertes und 3-mal ein ausgefallenes SEP, in einem Fall eine bilaterale Verzögerung und 2-mal einen Normalbefund.
Meralgia paraesthetica. Die Meralgia paraesthetica
als häufigstes endogenes Beinnervenkompressionssyndrom lässt sich wegen der niedrigen sensiblen Nervenaktionspotenziale des N. cutaneus femoris lateralis oft nicht durch die sensible Neurographie dieses Nerven nachweisen. In diesen Fällen kann durch Stimulation des Nerven knapp unterhalb des Leistenbandes (Eisen 1986) bzw. 10 cm distal der
⊡ Abb. 2.62. Meralgia paraesthetica. Bei Stimulation im Hautversorgungsareal des N. cutaneus femoris lateralis links zeigt sich eine gut ausgeprägte kortikale Reizantwort mit grenzwertiger Latenz. Nach Stimulation der symptomatischen rechten Seite tritt ein deutlich latenzverzögerter kortikaler Primärkomplex auf
123 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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nicht erfassbar sind, erfolgreich eingesetzt werden, so z. B. bei Schädigungen der Nn. intercostobrachialis, ilio-inguinalis, iliohypogastricus, genitofemoralis sowie bei Rumpfnerven- und Pudendusläsionen (wobei Delodovici u. Fowler [1995] die diagnostische Aussagekraft des Pudendus-SEP bei urogenitalen Syndromen allerdings als gering einschätzen).
⊡ Abb. 2.63 Kortikale Reizantwort nach Stimulation des N. plantaris medialis
Armnervenläsionen. Ein instruktives Beispiel wurde von Desmedt und Noël (1973) beschrieben. Beispiel
!
Normwert der absoluten Latenz von P 32: 31,8±1,1 ms rechts, 31,8±0,9 ms links (Flügel et al. 1984); 31,8±1,8 ms (Eisen 1986).
Tarsaltunnelsyndrom. Bei diesem Krankheitsbild
kann der Nachweis einer Schädigung des N. plantaris medialis, bzw. -lateralis durch eine sensible Neurographie Schwierigkeiten bereiten. In diesem Fall lässt sich durch Stimulation des N. plantaris medialis, bzw. -lateralis im Seitenvergleich die Latenz des kortikalen Antwortpotenzials als Beurteilungskriterium heranziehen (Dumitru et al. 1991) (⊡ Abb. 2.63). Bei der Morton-Metatarsalgie zeigt die distal der Kompression erfolgende Stimulation des betreffenden Digitalnerven vielfach eine pathologisch erniedrigte und/oder verzögerte kortikale Reizantwort.
Traumatische, operative und radiogene Nerven- und Plexusläsionen SEP-Untersuchungen bei dieser Gruppe von peripheren Nervenläsionen sind besonders bei proximaler oder unklarer Lokalisation der Schädigung indiziert, sofern die konventionellen elektrodiagnostischen Verfahren keine Klärung ermöglichen. Die bisherigen Erfahrungen erstrecken sich vorwiegend auf Armplexusläsionen (Desmedt u. Noël 1973; Zveˇˇrina u. Kredba 1977; Jones 1979; Stöhr et al. 1981) und auf Untersuchungen des Reinnervationsverlaufs nach Nervenverletzungen (Desmedt u. Noël 1973; Assmus 1978). SEP-Untersuchungen können aber auch bei andersartigen Nervenläsionen, die neurographisch
In diesem Fall lag eine ältere inkomplette Medianusläsion im Bereich des Handgelenks vor. Das SNAP nach Fingerstimulation zeigte eine ausgeprägte Amplitudenerniedrigung und Aufsplitterung bei einer nur leichten bis mäßigen Latenzverzögerung von 1,6 ms gegenüber dem N. ulnaris der gleichen Seite. Die kortikalen Reizantworten nach Stimulation des III. bzw. V. Fingers wiesen eine Latenzdifferenz von 1,9 ms auf; ansonsten zeigte die kortikale Reizantwort nach Mittelfingerstimulation nur eine leichte Erniedrigung der primären negativen Auslenkung.
Die SNAP- und SEP-Befunde in diesem Fall zeigen den komplementären Aspekt der beiden Untersuchungsmethoden. Während durch das sensible Nervenaktionspotenzial die verbliebenen krankhaften Veränderungen des verletzten Nerven eindrucksvoll demonstriert werden, entspricht das – außer der Latenzzunahme – weitgehend unauffällige SEP der eingetretenen guten Funktionsrückkehr der Sensibilität im autonomen Versorgungsareal des verletzten Nerven. Die beiden Aspekte ergänzen sich und sind versicherungsrechtlich von Bedeutung (Debecker et al. 1971). Die Bedeutung von SEP-Untersuchungen bei Fällen, in denen kein SNAP registriert werden kann, soll an einem eigenen Fallbeispiel veranschaulicht werden.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Beispiel Bei dem 16-jährigen Jungen war 16 Monate vor der Untersuchung im unmittelbaren Anschluss an den operativen Verschluss einer Faszienlücke am Unterarm eine massive ödematöse Anschwellung des gesamten Unterarms aufgetreten, die zu einer ischämischen Nekrose der dort lokalisierten Muskeln und zu einer ischämischen Schädigung der Nn. ulnaris, medianus und radialis geführt hatte. Nach elektrischer Stimulation der Finger II bzw. V ließen sich keine sensiblen Nervenaktionspotenziale über den Nn. medianus und ulnaris am Handgelenk registrieren. Im Ninhydrintest zeigte sich eine Anhidrose im Bereich der Fingerkuppen. Die SEP-Untersuchung mittels motorisch unterschwelliger Medianusstimulation in Höhe des Handgelenks ergab die folgenden Resultate: Bei Ableitung über dem Erb-Punkt ließ sich keine verwertbare Reizantwort registrieren, während bei Skalpregistrierung ein im Vergleich zur Gegenseite um 3,4 ms verzögertes SEP mit deutlich erniedrigtem Primärkomplex erschien und die Funktionsfähigkeit eines Teils der sensiblen Medianusfasern mit in der Folgezeit bestätigter relativ günstiger Prognose anzeigte (⊡ Abb. 2.64).
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Armplexusläsionen. Die Diagnose der häufigen
traumatischen Armplexusparesen 1 ist aufgrund von Anamnese und klinischem Befund ohne Schwierigkeiten zu stellen. Unter Zuhilfenahme von EMG und Prüfung der direkten faradischen Erregbarkeit lässt sich darüber hinaus rasch entscheiden, ob eine Degeneration der (motorischen) Axone oder nur ein Leitungsblock bzw. eine Kombination beider Schädigungstypen eingetreten ist (Stöhr 2005). Schwierigkeiten bereiten dagegen die exakte Lokalisierung der Schädigung, die für die prognostische Beurteilung (Drake 1964) und die Indikation für eine etwaige Operation von Bedeutung ist. Bei einem Wurzelausriss ist die Prognose sehr schlecht und an operativen Möglichkeiten höchstens die Anastomosierung der wichtigsten Armnerven mit 1
Dieser Ausdruck wird im Folgenden als klinisches Etikett gebraucht, unabhängig davon, ob die Schädigung den Armplexus selbst, einzelne Zervikalwurzeln oder beide Strukturen betrifft.
⊡ Abb. 2.64. Ischämische Neuropathie der Unterarmnerven bei Volkmann-Kontraktur. Nach rechtsseitiger Medianusstimulation am Handgelenk finden sich regelrechte Reizantworten über dem Erb-Punkt und über dem Handfeld der kontralateralen Hemisphäre (Spur 2 u. 4). Nach Stimulation auf der betroffenen linken Seite lässt sich über dem Erb-Punkt keine verwertbare Reizantwort registrieren. Bei Ableitung über der kontralateralen Hemisphäre zeigt sich eine Erniedrigung und leichte Deformierung des Primärkomplexes (neben einer auffallend hohen zweiten negativen Welle). Die Latenz von N 20 ist im Vergleich zur gesunden Seite um 3,4 ms verzögert
den oberen Interkostalnerven zu erwägen (Millesi et al. 1973; Kretschmer 1981). Bei einer distal davon – im Bereich des Armnervengeflechts und/oder der Spinalnerven – gelegenen Läsion besteht bei erhaltener Kontinuität die Möglichkeit der spontanen Regeneration; bei Kontinuitätsunterbrechung kann diese durch Nervennaht oder autologe Nerventransplantation ermöglicht werden (Millesi et al. 1973). Zur Lokalisationsdiagnostik standen bisher folgende Verfahren zur Verfügung: 1. Die erhaltene Schweißsekretion in einem anästhetischen Hautareal zeigt eine Schädigung proximal der sympathischen Ganglien an (Schliack 1977). 2. Der Nachweis von Denervierungsaktivität in der paravertebralen Muskulatur beweist einen Sitz der Schädigung proximal des Abgangs des Ramus dorsalis vom Spinalnerven.
125 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
3. Ein erhaltenes SNAP, trotz Anästhesie im Hautareal des untersuchten Nerven, spricht für eine Läsion proximal des Spinalganglions (Bonney u. Gilliatt 1958; Warren et al. 1969). 4. Die invasive Methode der Myelographie erlaubt in der Regel den positiven Nachweis eines Wurzelausrisses in einem oder mehreren Segmenten. Trotz der genannten diagnostischen Möglichkeiten bleibt die exakte Schädigungslokalisation in einem Teil der Fälle unklar, besonders wenn die einzelnen Verfahren widersprüchliche Ergebnisse erbringen, was teilweise auf eine gleichzeitige Schädigung verschiedener Strukturen zurückzuführen ist. Hier können SEP-Untersuchungen zur definitiven Klärung beitragen (Jones 1979; Stöhr et al. 1981; Jones u. Halliday 1982). ! Nach Jones (1979) und Stöhr et al. (1981) führt eine Schädigung distal des Spinalganglions zum Ausfall bzw. bei partiellen Läsionen zur Erniedrigung der über dem Erb-Punkt abgeleiteten Reizantwort, wobei Amplitudendifferenzen von mehr als 40% gegenüber der gesunden Seite diagnostisch verwertbar sind ( s. Abb. 2.66). Bei einer isolierten Schädigung proximal des Spinalganglions bleibt das EP-Potenzial unverändert, während die vom Nacken ableitbaren nachfolgenden Komponenten N11 und N13 erniedrigt oder ausgefallen sind (⊡ Abb. 2.65 a). Gleiche Ergebnisse, allerdings nur von 2 Patienten, werden von Anziska u. Cracco (1980 a) berichtet. Bei kombinierten Schädigungen – distal und proximal des Spinalganglions – erlauben die Amplitudenbeziehungen zwischen dem EP-Potenzial und N13a eine Schätzung des jeweiligen Schädigungsgrades. Aus dem Ausmaß der Amplitudenerniedrigung des EP-Potenzials gegenüber der gesunden Seite lässt sich die Schwere der infraganglionären Schädigung abschätzen, aus dem Grad der Amplitudenerniedrigung des Nacken-SEP, in Relation zu der des EP-Potenzials, das Ausmaß der supraganglionären Schädigung (⊡ Abb. 2.65 b).
Die genannten Beurteilungsprinzipien gelten bei globalen Armplexusläsionen uneingeschränkt.
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Sind nur die Segmente C 6 und C 7 betroffen, gelten sie für die Stimulation des N. medianus, sind nur C 8 und Th 1 beteiligt, für die Stimulation des N. ulnaris. Beim Typ der oberen Armplexusparese ergibt nur die isolierte Stimulation des Daumens mittels Ringelektroden oder die des Ramus superficialis nervi radialis bzw. des Hautastes des N. musculocutaneous pathologische Befunde. Unter Mitberücksichtigung der von Jones et al. (1981), Synek (1983), Yiannikas et al. (1983) sowie Eisen (1986) publizierten Erfahrungen gelten die in ⊡ Tabelle 2.13 dargestellten topischen Beziehungen zwischen Stimulationsort und lädiertem Armplexus- bzw. Zervikalwurzelanteil. Die konsekutive Reizung einzelner sensibler oder gemischter Armbzw. Fingernerven erlaubt damit eine objektive Funktionsprüfung der einzelnen Armplexusanteile und Zervikalwurzeln. Generell spricht eine Amplitudenreduktion des EP-Potenzials für eine infra(post-) ganglionäre Schädigung, die der zervikalen und kortikalen Reizantwort für eine supra-(prä-) ganglionäre Läsion. In Abhängigkeit von den Ergebnissen einer solchen Funktionsprüfung lässt sich ein infraganglionärer, supraganglionärer und gemischter Schädigungstyp ermitteln (Stöhr et al. 1981) und zusätzlich feststellen, ob der gesamte Armplexus – bzw. die zugeordneten Zervikalwurzeln – in die Schädigung einbezogen sind, oder aber nur einzelne Anteile. Auch intraoperativ ist am freigelegten Armplexus eine Funktionsprüfung durch elektrische Stimulation der einzelnen Anteile möglich. Ein normales – distal der Stimulation registriertes – Nervenaktionspotenzial weist dabei auf die Intaktheit der Spinalganglien und der infraganglionären Anteile hin, während normale spinale bzw. kortikale Reizantworten die erhaltene Leitungsfunktion proximal des Stimulationsortes belegen (Sugioka et al. 1982). Umgekehrt weist ein Ausfall von Reizantwortpotenzialen auf eine Kontinuitätsunterbrechung zwischen Reiz- und Ableiteort hin; innerhalb der ersten 3 – 4 Monate nach Eintritt der Schädigung muss man auch mit der Möglichkeit eines bloßen Leitungsblocks rechnen.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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a ⊡ Abb. 2.65 a, b. Traumatische Armplexuslähmung. a 20-jähriger Mann mit kompletter posttraumatischer Armplexuslähmung links. Nach Stimulation der Nn. medianus, ulnaris und radialis (Ramus superficialis) am linken Handgelenk findet sich ein regelrechtes SNAP (unterste Zeile) und EP-Potenzial (mittlere Zeile). Das NSEP ist bis auf die 1. Komponente ausgefallen. Diese Konstellation spricht für eine supraganglionäre, d. h. radikuläre, Läsion in den Segmenten C 6 – D 1 [Supra-(prä)ganglionärer Schädigungstyp]. b 17-jähriger Jugendlicher mit kompletter schlaffer Lähmung und Anästhesie des linken Armes nach Mopedunfall. Nach Stimulation des rechten N. medianus am Handgelenk finden sich normale Reizant-
worten über allen Ableitestellen. Nach Stimulation auf der betroffenen linken Seite sind über dem N. medianus und dem Erb-Punkt niedrige Reizantworten von normaler Latenz abzuleiten, während vom Nacken und von der Kopfhaut trotz hoher Verstärkung kein SEP registriert werden kann. Die Erniedrigung des EP-Potenzials auf etwa 1/10 des kontralateralen Vergleichswertes spricht für das Vorliegen einer ausgeprägten, jedoch inkompletten infraganglionären Läsion, der Ausfall des Nacken-SEP für einen Funktionsausfall der Wurzel C 6 und C 7 [gemischter (kombinierter) Schädigungstyp]. Myelographisch konnte ein Ausriss der 6. und 7. Zervikalwurzeln links nachgewiesen werden
127 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
b ⊡ Abb. 2.65 (Fortsetzung)
! Bei Stimulation am medialen Oberarm und in der Axilla können kortikale Reizantworten auch bei komplettem Ausfall des Armplexus erhalten werden, und zwar über die Nn. intercostobrachiales, die ihren Faserbestand im Wesentlichen aus den Segmenten Th 2/3 beziehen (Zvěřina u. Kredba 1977).
Die aufgezeigten Anwendungsmöglichkeiten der SEP-Methode bei traumatischen Armplexusparesen gelten natürlich auch für Armplexusläsionen anderer Ätiologie. Von besonderer Bedeutung sind sie für die Objektivierung und Lokalisation von Operations-, Anästhesie- und Bestrahlungsfolgen (⊡ Abb. 2.66).
Beispiel Ein besonderes diagnostisches Problem ergab sich im Falle eines 30-jährigen Kfz-Meisters, der im Anschluss an eine in Plexusanästhesie durchgeführte operative Versorgung einer Ellenbogenfraktur Schmerzen und Sensibilitätsstörungen in den Fingern I bis III mit erheblicher Störung der Feinmotorik bemerkte. Die klinische Untersuchung erbrachte bezüglich Kraft, Muskeltrophik, Reflexverhalten und Schweißsekretion regelrechte Resultate. Bei der Sensibilitätsprüfung wurden auf das Hautareal des N. medianus begrenzte Hautempfindungsstörungen
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Tabelle 2.13. Topische Beziehungen zwischen verschiedenen Stimulationsorten und den einzelnen Anteilen des Armplexus Stimulationsort
Sekundärfaszikel
Primärstrang
Zervikalwurzeln
N. ulnaris (evtl. Finger 5)
medialer
unterer
C 8 (Th 1)
N. medianus – Mittelfinger – Daumen
lateraler lateraler
mittlerer oberer
C6–8a C7 C6
N. radialis (R. superficialis)
dorsaler
mittlerer u. oberer
C 7 (C 6)
N. musculocutaneus (R. cutaneus antebrachii lateralis)
lateraler
oberer
C 5 (C 6)
a
Bei Stimulation des N. medianus am Handgelenk werden sowohl die exterozeptiven Afferenzen vom Hautversorgungsareal des N. medianus an der Hand (C 6 und C 7) als auch die propriozeptiven Afferenzen von der Daumenballenmuskulatur (C 8) stimuliert.
mit erheblicher Störung der Stereoästhesie und der Zweipunktediskrimination angegeben. Die EMG-Befunde aus den Myotomen C 6 – 8 waren normal, die motorische NLG des N. medianus in allen Abschnitten zwischen Erb-Punkt und Handgelenk regelrecht. Die sensible Neurographie des N. medianus ergab bei normaler NLG eine ausgeprägte Erniedrigung des SNAP auf der betroffenen Seite, wodurch die eingetretene Schädigung zwar objektiviert, aber nicht lokalisiert war. Die darauf durchgeführte SEP-Ableitung erbrachte die in ⊡ Abb. 2.67 dargestellten Befunde: Nach linksseitiger Medianusstimulation am Oberarm zeigte die kortikale Reizantwort nur eine im Vergleich zur Gegenseite nichtsignifikante Latenzverzögerung und Amplitudenreduktion, während die Ableitung der Reizantwort vom Erb-Punkt eine pathologische Amplitudenerniedrigung auf 37% des kontralateralen Vergleichswertes ergab. Damit war die Lokalisation der Schädigung proximal des Ellenbogens nachgewiesen, so dass sowohl eine traumatische als auch eine operative Medianusläsion im Bereich
des Ellenbogens ausschieden und eine Schädigung des entsprechenden Faszikels im Rahmen der Plexusanästhesie anzunehmen war.
Das letzte Beispiel demonstriert außer den lokalisatorischen Möglichkeiten die größere Empfindlichkeit der SEP-Ableitung vom Erb-Punkt gegenüber derjenigen von der Kopfhaut, so dass bei partiellen Nervenläsionen immer eine (möglichst simultane) Aufzeichnung beider Reizantworten vorzunehmen ist. Beinnerven- und Beinplexusläsionen. Bei Nerven-
läsionen an den unteren Extremitäten ergeben sich sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten der SEP-Methode eher häufiger als an den oberen Extremitäten, da hier relativ oft proximal lokalisierte Läsionen vorkommen und weil die Registrierung sensibler NAP an den Beinen größere Schwierigkeiten bereitet als an den Armen. Jedoch sind die praktischen Erfahrungen mit SEP-Ableitungen bei Beinnervenund Beinplexusläsionen noch relativ gering. Verletzungen des N. ischiadicus bei Beckentraumen, Hüftgelenks- und Femuroperationen und
129 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.66. Postoperative untere Armplexuslähmung rechts. 21-jährige Patientin mit inkompletter unterer Armplexusparese rechts nach operativer Revision eines (intraoperativ nicht bestätigten) Verdachts auf das Vorliegen eines kostoklavikulären Syndroms. Das SNAP vom N. ulnaris und das EP-Potenzial ist nach rechtsseitiger Ulnarisstimulation auf
etwa 1⁄3 des kontralateralen Vergleichwerts erniedrigt, was auf eine ausgeprägte infraganglionäre Schädigung hinweist. NSEP 3 und N 20 sind dagegen – wegen des synaptischen Verstärkungsfaktors – nicht erniedrigt. Diese Befundkonstellation ist typisch für eine isolierte Armplexusläsion ohne Wurzelbeteiligung [Infra-(post-)ganglionärer Schädigungstyp]
besonders durch intragluteale Injektionen sind bei bevorzugter Schädigung sensibler Nervenanteile schwer zu objektivieren. Bei Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis und simultaner Aufzeichnung der Reizantworten in Höhe der Fossa poplitea, der Glutaealfalte sowie der Dornfortsätze L 5 und L 1 findet sich in solchen Fällen eine Erniedrigung aller Reizantworten, sofern eine Waller-Degeneration eingetreten ist, eine isolierte Erniedrigung der lumbosakralen Komponenten,
sofern es nur zu einer Neurapraxie kam. Wegen des synaptischen Verstärkungseffekts ist die Amplitudenreduktion der Komponente N 22 in Höhe L 1 ( s. 2.4.2) weniger ausgeprägt, als die der kaudal davon registrierten Potenziale (⊡ Abb. 2.68 a). Zur Abgrenzung gegenüber Polyneuropathien und zur Abschätzung des Schweregrads der Läsion empfiehlt sich in allen Fällen eine Untersuchung beider Seiten. Bei schlecht entspannten Patienten muss man sich gelegentlich mit der Ableitung der korti-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
des Peronaeusanteils eine Stimulation des N. peronaeus communis oberhalb des Fibulaköpfchens vorzunehmen ist. Bei radiogenen Beinplexusläsionen fanden wir nach Tibialisstimulation eine Verlängerung des Latenzintervalls zwischen dem sensiblen Nervenaktionspotenzial in der Kniekehle und der Komponente N 18 (Cauda equina), bzw. N 22 (Lumbosakralmark). Ein Betroffensein lumbaler Plexusanteile lässt sich durch Stimulation des N. saphenus objektivieren.
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Trigeminusläsionen. Läsionen einzelner Trige-
⊡ Abb. 2.67. Armplexusschädigung durch axilläre Plexusanästhesie. Nach Medianusstimulation am Oberarm links (Spur 1) und rechts (Spur 2) findet sich auf der betroffenen linken Seite nur eine geringgradige (nicht als pathologischer Befund verwertbare) Deformierung und diskrete Verzögerung der kortikalen Reizantwort. Bei Ableitung vom Erb-Punkt findet sich dagegen eine ausgeprägte Amplitudenreduktion des evozierten Summenpotenzials (Amplitude links 0,7 µV, rechts 1,9 µV) bei seitengleicher sensibler NLG zwischen Reizort und Ableitepunkt (links 62 m/s, rechts 63 m/s). (Die Stimulation erfolgte mit einer Reizstärke von 1 mA unter der motorischen Schwelle)
kalen Reizantwort begnügen, die den Nachweis ausgeprägter Läsionen, jedoch keine Schädigungslokalisation ermöglicht (⊡ Abb. 2.68 b). Analoge Verhältnisse liegen bei (intraabdominellen) Läsionen des N. femoralis vor, bei denen die Objektivierung mittels eines Saphenus-SEP gelingt (Synek u. Cowen 1983; Synek 1985). Beinplexusparesen durch Tumorinfiltration, Bestrahlung, operative Eingriffe oder Beckentraumen lassen sich, falls der Plexus sacralis betroffen ist, auf die gleiche Weise wie Ischiadikusparesen untersuchen, wobei bei bevorzugtem Betroffensein
minusäste sind bei Gesichtsschädelfrakturen, bei einer Vielzahl von gesichts- und kieferchirurgischen Eingriffen sowie bei Nasennebenhöhlenund intrakraniellen Operationen möglich (Stöhr 1996). Sind die Nn. infraorbitalis, alveolaris inferior, mentalis oder lingualis betroffen, erbringt die im Seitenvergleich durchgeführte Nerven- bzw. Lippenstimulation den auf keine andere Weise möglichen objektiven Nachweis der eingetretenen Schädigung, wobei typischerweise eine erniedrigte oder fehlende kortikale Reizantwort mit normaler oder nur gering verlängerter Latenz gefunden wird (⊡ Abb. 2.69). Zu gleichartigen Befunden führen Schädigungen der Trigeminuswurzeln bei basalen entzündlichen oder tumorösen Prozessen, wobei eine chronische Kompression, z. B. bei Kleinhirnbrückenwinkeltumoren, daneben eine deutliche Latenzverzögerung bewirken kann. In einer Untersuchung von Stöhr et al. (1981) zeigten 41% der Patienten mit idiopathischer Trigeminusneuralgie auf der symptomatischen Seite eine pathologische Latenzzunahme von P 19. Dieser Befund ist gut mit einer umschriebenen Demyelinisierung bei einer Nervenkompression durch benachbarte Strukturen (z. B. Gefäße) vereinbar. Beispiel Salar et al. (1982) führten bei 25 Patienten nach erfolgter Thermokoagulation des Ganglion Gasseri eine Ableitung der kortikalen Reizantwort nach Trigeminusstimulation durch und fanden eine dem Ausmaß der taktilen Hypäs-
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131 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.68 a, b. Ischiadikusläsionen. a Spritzenschädigung des N. ischiadicus mit vorwiegendem Betroffensein der sensiblen Anteile des N. tibialis. Nach Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis finden sich erniedrigte SNAP in Höhe der Fossa poplitea (0,22 µV) und des Sulcus glutaeus (0,04 µV). Die sensiblen NLG im Unterschenkel- (c = 50 m/s) und Oberschenkelsegment (c = 55 m/s) liegen im unteren Normbereich. Über der Cauda equina (L 5) ist trotz sehr hoher Verstärkung keine R-Welle registrierbar. Die S-Welle in Höhe des Lumbosakralmarks (L 1) ist leicht verzögert; die Amplitude ist niedrig (0,15 µV), jedoch wegen der synaptischen Verstärkung relativ weniger stark reduziert als die der sensiblen NAP. Ein abnormer zweiter negativer Gipfel stammt möglicherweise von langsamer leitenden sensiblen Afferenzen, die weniger stark geschädigt wurden und deren Anteil an der Ausprägung des spinalen Potenzials daher stärker hervortritt oder von
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impulsinduzierten Nachentladungen an der Läsionsstelle. (In der untersten Spur stellt sich mit einer Latenz von 47 ms nach Reizbeginn ein hohes triphasisches Potenzial dar, dessen Ursprung unklar ist. Möglicherweise führt die afferente Impulswelle im Läsionsbereich des Nerven zur Auslöung von Impulsen, die zentrifugal über den Nerven zurücklaufen.) b Ischiadikusparese links nach Verlängerungsosteotomie (bei Chondrodystrophie). Nach distaler Stimulation des N. tibialis am nichtbetroffenen Bein niederamplitudige Reizantwort mit doppelgipfligem P 40. Die Latenz von P 40 ist unter Berücksichtigung der Körpergröße (1,31 m) mit 31,8 ms normal. Nach Stimulation auf der betroffenen linken Seite deformierte Reizantwort mit einer P-40-Latenz von 39,3 ms. Diese ist unter Berücksichtigung der von der rechten Fußsohle aus gemessenen Körpergröße von 1,38 m pathologisch verlängert; zudem liegt eine hochpathologische Seitendifferenz von 7,5 ms vor
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
thesie proportionale Amplitudenreduktion und Latenzverlängerung. Aus den erhaltenen Befunden wurde geschlossen, dass die der kortikalen Reizantwort zugrundeliegende Impulswelle in dicken markhaltigen Fasern geleitet wird. Leandri et al. (1988) fanden pathologische frühe Reizantworten nach N.-infraorbitalis-Stimulation bei allen Patienten mit Tumoren an der Schädelbasis, die zu Sensibilitätsstörungen im Gesicht geführt hatten, außerdem bei 7 von 12 Patienten ohne klinischen Hinweis auf eine Trigeminusbeteiligung. Bei parasellärer Tumorlokalisation erwiesen sich W 2 und W 3 als verzögert oder ausgefallen, während Raumforderungen im Kleinhirnbrückenwinkel überwiegend die Komponente W 3 alterierten.
Sensible Reinnervation. Die Kenntnis des Reinnervationsverlaufs nach Nervenverletzungen ist von entscheidender Bedeutung, um die Indikation und
⊡ Abb. 2.69 a, b. SEP-Befund bei inkompletter peripherer Trigeminusläsion. 30-jähriger Mann mit teilreseziertem Chordom in der mittleren Schädelgrube rechts mit postoperativer Anästhesie in V 1, Hypästhesie in V 2. a Die kortikale Reizantwort ist nach Oberlippenstimulation auf der linken Seite normal, nach Stimulation auf der rechen Seite mäßig-
den Zeitpunkt eines etwaigen operativen Vorgehens (Erst- oder Reoperation) festlegen zu können. Der Nachweis der Reinnervation einzelner Muskeln ist zwar elektromyographisch einige Wochen früher als durch die klinische Untersuchung möglich, gelingt aber bei proximalen Läsionen dennoch erst nach vielen Monaten, so dass wertvolle Zeit verlorengeht, ehe über die Operationsindikation anhand des Reinnervationsverlaufs entschieden werden kann. SEP-Untersuchungen erlauben eine frühzeitigere Feststellung, ob die Reinnervation in Gang kommt oder ausbleibt. So gelingt z. B. bei einer Läsion des Armplexus oder der subaxillären Armnerven der Nachweis eines Aussprossens sensibler Axone durch Stimulation am Oberarm und Ableitung der kortikalen Reizantworten zu einem Zeitpunkt, da weder Reinnervationspotenziale noch SNAP registriert werden können (⊡ Abb. 2.70 a, b). Durch Stimulation des regenerierenden Nerven an verschiedenen Punkten lässt sich im Rahmen von Verlaufsuntersuchungen feststellen, bis zu welcher Stelle die regenerierenden Axone jeweils vorgewachsen sind.
gradig erniedrigt und leicht verzögert. b Entsprechend dem kompletten Sensibilitätsausfall im Hautareal des ersten Trigeminusastes ist der ipsi- und kontralaterale Orbicularis-oculiReflex nach Stimulation des rechten N. supraorbitalis ausgefallen, nach Stimulation auf der Gegenseite normal
133 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.70 a – c. SEP-Befunde bei Reinnervation. a 20-jähriger Mann mit Durchtrennung der Nn. medianus und ulnaris am Oberarm mit nachfolgender Primärnaht (5 Monate vor der Untersuchung). Nach Stimulation des N. medianus in der Axilla ist die kortikale Reizantwort mit einer Latenz des ersten negativen Gipfels von 15,6 ms normal. Nach Medianusstimulation in der Ellenbeuge zeigt sich eine stark verzögerte und erniedrigte Reizantwort mit einem bei 2-maliger Messung konstanten negativen Gipfel mit einer Latenz von 36,5 ms. Aus der Latenzdifferenz und der Distanz zwischen den Reizpunkten errechnet sich eine sensible NLG zwischen Ellenbeuge und Axilla von 9,7 m/s. b 21-jähriger Mann mit Zustand nach kompletter traumatischer Ulnarislähmung in Höhe des distalen Oberarms. Nerventransplantation 13 Monate vor der Untersuchung. Die Sensibilität ist im Bereich des Kleinfingers aufgehoben, im Bereich der ulnaren Handpartie stark herabgesetzt. Nach Stimulation des N. ulnaris am Oberarm (proximal der Schädigungsstelle) normales SEP (obere Zeile); nach Stimulation etwa 10 cm distal der Schädigungsstelle Verlust der primären kortikalen Negativität bei normaler Ausprägung der nachfolgenden Komponenten. Aus den Latenzdifferenzen von 7,2 ms (∆N1)
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bzw. 7,4 ms (∆P1) und der Distanz zwischen den Reizpunkten errechnet sich eine sensible NLG von 24 bzw. 23 m/s. c 42-jähriger Mann mit Durchtrennung und nachfolgender Replantation der linken Hand (Dr. Reill, BG-Unfallklinik Tübingen). Bei der 22 Monate postoperativ durchgeführten gutachtlichen Untersuchung wurde von dem Verletzten ein weitgehender Sensibilitätsverlust in der gesamten Hand angegeben; nur die Temperaturwahrnehmung war intakt, und Schmerzreize wurden wahrgenommen, ohne lokalisiert zu werden. Im Ninhydrintest Hyperhidrose an der Handinnenfläche, Hyphidrose an der Beugeseite der Langfinger. Nach Stimulation an den Fingern II und III findet sich links eine im Vergleich zur Gegenseite um 2,5 ms verzögerte, jedoch gut ausgeprägte Reizantwort (N1 rechts= 22,4 ms, links=24,9 ms). Bei Stimulation 5 cm proximal des Handgelenks betragen die Latenzen 18,9 bzw. 19,1 ms. Die sensible NLG zwischen den Fingern II und III und dem Handgelenk beträgt links 26, rechts 49 m/s bei identischer Hauttemperatur. Aufgrund der SEP-Befunde ist der angegebene Verlust der taktilen Sensibilität unglaubwürdig; vielmehr muss eine partielle Reinnervation von markhaltigen, der epikritischen Sensibilität dienenden Fasern unterstellt werden
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Beispiel
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Desmedt u. Noël (1973) fanden 6 Monate nach einer kompletten ischämischen Schädigung des Armplexus ein gut ausgeprägtes und im Vergleich zur Gegenseite 6,2 ms verzögertes SEP nach Medianusstimulation in der Axilla, ein niedriges und stark verzögertes SEP nach Stimulation oberhalb der Ellenbeuge. Aus der Latenzdifferenz errechnete sich eine sensible NLG im Bereich des Oberarms von 7,4 m/s, ein Wert, welcher der Leitgeschwindigkeit frisch regenerierender Axone entspricht.
Unabhängig von der Frage der Operationsindikation ist die Kenntnis des Reinnervationsverlaufs wichtig für die Patient wie Arzt gleichermaßen interessierende Frage der Prognose nach Nerventraumen und Nervenoperationen. Beispiel Assmus (1978) untersuchte den Reinnervationsverlauf bei 37 Patienten mit Nervennaht bzw. Nerventransplantation nach vorwiegend distalen Medianus- und Ulnarisläsionen mit folgenden Ergebnissen: Im Stadium der Analgesie fehlt eine kortikale Reizantwort. Im Frühstadium der Reinnervation (Schmerzwahrnehmung ohne Reizlokalisation), wo weder ein motorisches noch ein sensibles Antwortpotenzial nach Stimulation des betroffenen Nerven registrierbar war, trat ein mit P 2 beginnendes SEP auf, während der kortikale Primärkomplex erst mit dem Wiedererwerb taktiler Empfindungen hervortrat und sich bezüglich der Latenz bis zum Abschluss der Reinnervation fortlaufend verkürzte (⊡ Abb. 2.70 c). Bei einer umschriebenen Nervenläsion kann sich eine lokalisatorische oder diagnostische Fehlbeurteilung daraus ergeben, dass auch bei Stimulation proximal der Läsionsstelle eine verzögerte, leicht erniedrigte und deformierte Reizantwort auftreten kann. Da diese Veränderungen mit der Schwere und Dauer der Nervenverletzung korrelieren, dürfte es sich um den Ausdruck retrograder Nervenveränderungen
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handeln, wie sie sowohl tierexperimentell (Cragg u. Thomas 1961) als auch beim Menschen (Stöhr 1977) beschrieben wurden.
Polyneuropathien SEP-Untersuchungen sind bei dieser Krankheitsgruppe indiziert zur Erfassung vorwiegend proximal lokalisierter Veränderungen, wie sie sowohl symmetrisch als auch schwerpunktmäßig vorkommen, außerdem, wenn aufgrund der Schwere der Neuropathie keine SNAP mehr registriert werden können. Polyneuritiden (GBS). Bei akuter motorischer Polyneuritis sind die spinalen (Ertekin 1978 b) und die
kortikalen Reizantworten bezüglich Latenz und Amplitude regelrecht. Selbst bei hochgradigen Paresen und stark verlangsamter motorischer Nervenleitgeschwindigkeit ergaben eigene Untersuchungen meist keine Hinweise auf eine subklinische Beteiligung sensibler Fasern. Bei akuter gemischter Polyneuritis mit Pallhypästhesie und eventuell weiteren sensiblen Störungen zeigt sich nahezu ausnahmslos eine Latenzzunahme des SEP, und zwar nach Beinnervenstimulation häufiger als nach Armnerven- und Trigeminusstimulation. Erfolgt die Nervenstimulation an der untersuchten Gliedmaße in verschiedenen Niveaus, lassen sich die sensiblen NLG zwischen den Reizpunkten ermitteln. Hieraus und aus der unterschiedlichen Ausprägung der Reizantworten von den verschiedenen Reizorten aus ergeben sich Hinweise auf den bevorzugten Sitz der Schädigung. Dabei zeigen sich drei Prädilektionstypen: 1. Die Demyelinisierung mit Leitungsblock und/ oder Leitungsverzögerung betrifft überwiegend die distalen Nervenabschnitte. 2. Der Prozess betrifft vorwiegend die proximalen Nervenabschnitte (⊡ Abb. 2.71). 3. Sowohl distale als auch proximale Nervenabschnitte sind etwa gleich schwer betroffen. Von besonderer Bedeutung sind SEP-Untersuchungen beim zweiten Typ mit bevorzugter Prozesslokalisation in den proximalen Abschnitten und er-
135 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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verzögerungen nachzuweisen (Olney u. Aminoff 1990). Bei einem bevorzugten Betroffensein motorischer Faseranteile ist allerdings die HochvoltStimulation aussagekräftiger. Beispiel
⊡ Abb. 2.71. Polyneuroradikulitis. Rezidivierende Polyneuritis (dritter Schub) bei 62-jährigem Patienten mit »benigner Gammopathie«, die sich im weiteren Verlauf als Initialstadium eines Plasmozytoms herausstellte. Nach Medianusstimulation am Handgelenk und simultaner Ableitung der aszendierenden Impulswelle von mehreren Ableitepunkten zeigt sich eine diffuse, bevorzugt jedoch den Abschnitt zwischen Erb-Punkt und Halsmark betreffende Leitungsverzögerung. Die zentrale Überleitungszeit liegt mit 7,2 ms im obersten Normbereich
bringen dabei zuverlässigere Befunde als Messungen der F-Antworten (Walsh et al. 1984). In einer Untersuchung von Gilmore u. Nelson (1989) hatten 17 von 19 Patienten mit akutem Guillain-Barré-Syndrom ein abnormes Tibialis-SEP (insbesondere einen Ausfall oder eine Verzögerung von N 22), während sich nur bei 12 Patienten ein pathologischer Ausfall der F-Wellen zeigte. Somit sind SEP-Untersuchungen bei Immunneuropathien in erster Linie bei unauffälligen Resultaten der konventionellen Neurographie indiziert, um proximale Leitungsblöcke und Leitungs-
In einer Studie von Brown u. Feasby (1984) erwies sich die Nervenleitgeschwindigkeit zwischen Erb-Punkt und Halsmark bei 10 von 11 innerhalb der ersten beiden Wochen nach Krankheitsbeginn untersuchten Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom als herabgesetzt. Diese Häufigkeit pathologischer Befunde bei Armnervenstimulation entspricht nicht den eigenen Erfahrungen, und auch nach Beinnervenstimulation weist zumindest die Patientengruppe mit rein motorischen Ausfällen öfters normale SEP-Befunde auf. Beim Miller-Fisher-Syndrom (das als Sonderform der idiopathischen Polyneuritis aufgefasst werden kann), bei dem Hirnnervenausfälle mit Ophthalmoplegie dominieren, fand sich in einem untersuchten Fall bei noch normalen motorischen und sensiblen NLG an Armen und Beinen ein grenzwertiges Nacken-SEP nach Medianusstimulation am Handgelenk (Latenz von N 13 a 16,1 ms), bei deutlich verzögerter kortikaler Primärantwort (N 20 = 25 ms; Differenz N 13 a/ N 20 = 8,9 ms). Dieser Befund weist auf eine Demyelinisierung im Bereich des zweiten und/oder dritten Neurons hin. In einem anderen Fall erwies sich die Latenz des EP-Potenzials nach Medianusstimulation als verzögert (14,8 ms); zusätzlich bestand eine Verlängerung des Latenzintervalls (EP-Potenzial – N 13 a) sowie ein grenzwertiges Latenzintervall (N 13 a – N 20). Bei weiteren 6 Patienten bestand die entscheidende Veränderung in einer isolierten Zunahme der IPL EP-N 13a.
Bei Armplexusneuritis (neuralgische Schulteramyotrophie) als schwerpunktmäßiger entzündlicher Reaktion am peripheren Nervensystem sind Amplituden und Latenzen des SEP, entsprechend der vorwiegend motorischen Ausfälle normal oder grenzwertig. Die Polyneuritis cranialis geht in mehr als 1⁄3 der Fälle mit meist einseitigen Sensibilitätsstörungen
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
im Gesicht einher (Stöhr 1977). Sowohl in diesen Fällen als auch bei manchen Patienten ohne nachweisbare sensible Ausfälle findet sich eine uni- oder bilaterale Latenzverlängerung der kortikalen Reizantwort nach Trigeminusstimulation. Gleichartige Befunde sind gelegentlich bei der idiopathischen Fazialisparese anzutreffen, was deren Klassifikation als Hirnnervenmononeuritis mit fakultativer Mitbeteiligung anderer Hirnnerven zu stützen vermag. Metabolische Polyneuropathien. Der wichtigste Vertreter dieser Gruppe – die diabetische Polyneuropathie – zeigt häufig eine symmetrische, distal betonte Demyelinisierung mit entsprechender Verlangsamung der motorischen und sensiblen Impulsleitung sowie einer vermehrten Streubreite in den NLG der einzelnen Nervenfasern mit Aufsplitterung und Erniedrigung der Antwortpotenziale (Kaeser 1970; Buchthal 1973). Dementsprechend sind auch die spinalen und kortikalen Reizantworten nach Arm- und besonders Beinnervenstimulation verzögert und z. T. erniedrigt (Ertekin 1978 b). Die distale Prädominanz des Prozesses kommt in der unterschiedlichen Ausprägung des SEP nach proximaler und distaler Nervenstimulation klar zum Ausdruck (⊡ Abb. 2.72). Bei 40% der Diabetiker wurde außerdem eine subnormale spinale Leitgeschwindigkeit als Hinweis auf die häufige Mitbeteiligung der Hinterstränge festgestellt (Gupta u. Dorfman 1981). Beim juvenilen Diabetes zeigt sich ein solcher Befund sogar häufig beim Fehlen neurologischer Symptome (Cracco et al. 1984). Ohnishi et al. (1983) wiesen bei drei Diabetikern mit Polyneuropathie bevorzugt die Hinterwurzeln betreffende segmentale De- und Remyelinisierungen sowie eine verminderte Zahl myelinisierter Fasern im Fasciculus gracilis nach und betrachten die Hinterstrangläsion am ehesten als eine Folge einer primären Schädigung im Bereich der Hinterwurzeln und/oder Spinalganglienzellen. Untersuchungen des Pudendus-SEP bei zehn Diabetikern mit »neurogener Blasenstörung« durch Kaplan (1982) ergaben in 3 Fällen einen bilateralen Ausfall, in 7 Fällen eine bilaterale Verzögerung der kortikalen Reizantworten. Bei Urämie-Patienten beschreiben Lewis et al. (1978) sowie Serra et al. (1979) eine Kombination
⊡ Abb. 2.72. Diabetische Polyneuropathie. 76-jähriger Mann mit den klinischen Zeichen einer leichten Polyneuropathie bei langjährig bestehendem Diabetes mellitus. Triceps-suraeReflex beiderseits ausgefallen, symmetrische Minderung des Vibrationsempfindens an den Füßen. Nach Stimulation des N. tibialis in der Kniekehle normal ausgeprägtes, nach Stimulation hinter dem Innenknöchel erniedrigtes SEP. Aus den Latenzdifferenzen errechnet sich eine sensible NLG im Unterschenkelabschnitt des N. tibialis von 30 m/s. Die ausgeprägtere Latenzverzögerung und Amplitudenreduktion nach distaler Nervenstimulation belegt die distale Prädominanz des demyelinisierenden Prozesses
von Latenzverlängerung und Amplitudenerhöhung der kortikalen Reizantwort. Niemann et al. (1984) wiesen in einer Untersuchung an 13 seit 1 – 8 Jahren dauerdialysierten Patienten nach, dass sich diese Leitungsverzögerung ausschließlich im peripheren Abschnitt des somatosensiblen Systems abspielt und dass die zentrale Überleitungszeit dabei normal ist (mittlere Latenz des EP-Potenzials 11,9 ms, von N 13 a 15,5 ms im Vergleich zu 10,2 bzw. 13,5 ms bei Gesunden). Vergleichende Untersuchungen je eine Stunde vor und nach einer Dialyse ergaben keine signifikanten Änderungen der Latenzen und Amplituden. Es zeigte sich nach der Dialyse lediglich eine leichte Tendenz zur Latenzverkürzung und Amplitudenerhöhung aller Komponenten. Da sich diese – nichtsignifikanten – Änderungen am deutlichsten am EP-Potenzial beobachten ließen, spielt eine Aktivitätsabnahme der deszendierenden Hemmung wohl keine Rolle, sondern es handelt sich eher um Auswirkungen einer Änderung des Membranpotenzials durch
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die Elimination dialysabler Substanzen. Rossini et al. (1983) fanden ebenfalls bei 27 Urämiepatienten nach Armnervenstimulation (mit einer Ausnahme) normale zentrale Leitgeschwindigkeiten. Allerdings wiesen 11 Patienten nach Peronaeusstimulation eine zentrale Impulsleitungsverzögerung auf, die sich ausschließlich auf spinaler Ebene abspielte, so dass eine den zentralen Fortsatz des ersten sensiblen Neurons miteinbeziehende Axonopathie unterstellt wurde. Terao u. Araki (1975) beobachteten einen Fall von myxödematöser Polyneuropathie, bei der die P-40-Latenz nach distaler Tibialisstimulation mit 48 ms mäßig verlängert war. Unter Substitution mit Schilddrüsenhormonen verkürzte sich die Latenz auf 37 bzw. 38 ms, und es trat eine deutliche Amplitudenzunahme ein. Exotoxische Polyneuropathien. Die alkoholische Polyneuropathie, die man entsprechend der wohl
multifaktoriellen Genese auch als nutritiv-toxische Polyneuropathie klassifizieren kann, führt in den meisten Fällen zu einer Axondegeneration mit distal- und beinbetonten motorischen und sensiblen Ausfallserscheinungen. Die Diagnose lässt sich aufgrund der klinischen und der EMG-Befunde (mit mehr oder weniger ausgeprägter Denervierung der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur) meist leicht stellen. SEP-Untersuchungen tragen, ebenso wie NLG-Bestimmungen, wenig zur Diagnose bei. Werden SEP-Ableitungen durchgeführt, zeigen sich meist normale oder leicht verlängerte Latenzen der spinalen und kortikalen Reizantworten, wobei in ausgeprägten Fällen eine mäßige bis starke Amplitudenerniedrigung besteht. Andere mit primärer Axondegeneration einhergehende Polyneuropathien zeigen gleichartige Befunde. Eine Sonderstellung nimmt die Cisplatin-Neuropathie ein, bei der es sich um eine Neuronopathie mit selektivem Verlust sensibler Spinalganglienzellen und hieraus folgender Degeneration der dicken markhaltigen Fasern handelt. Es ist davon auszugehen,dass für dieses ungewöhnliche Läsionsmuster Besonderheiten der Blut-Nerven-Schranke im Spinalganglion verantwortlich sind. Die SEPBefunde entsprechen interessanterweise denjenigen der Friedreich-Krankheit mit einer Erniedrigung oder einem Ausfall des EP-Potenzials bei rela-
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tiv gut erhaltenen aber latenzverzögerten zervikalen und kortikalen Reizantworten (⊡ Abb. 2.73). Die bevorzugt im Rahmen einer Sepsis auftretende Critical Illness-Polyneuropathie (CIP) geht in 68% mit einer oft ausgeprägten Amplitudenreduktion des EP-Potenzials einher. Hierzu kontrastierend weist die kortikale Primärantwort N20/P25 in vielen Fällen eine ausgesprochen hohe Amplitude auf; in 1/3 der Fälle finden sich passager Riesenpotenziale mit einer Amplitude >10 µV. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine Enthemmung inhibitorischer Neurone im Rahmen einer begleitenden Sepsis-Enzephalopathie (Pfadenhauer u. Rittner 1996).
Bei Neuropathien mit isolierter oder bevorzugter Beeinträchtigung des Schmerz- und Temperaturempfindens ist neuerdings die CO2-Laserstimulation verfügbar, mit der Leitungsstörungen in Aδ-Fasern nachgewiesen werden können (Kakigi et al. 1991) ( s. Kap. 9).
Systemerkrankungen des peripheren Nervensystems Neurale Muskelatrophie (hereditäre motorische und sensible Neuropathie, HMSN). Die HMSN Typ I
stellt eine autosomal-dominante Erkrankung mit Manifestation in der 2. – 4. Lebensdekade dar (Dyck 1975). Die ersten Symptome sind in der Regel Schwäche und Atrophie der Fußmuskeln sowie der Streckergruppe am Unterschenkel. Die gleichfalls distal- und beinbetonten Sensibilitätsstörungen treten in der Regel zurück und werden von einem Teil der Betroffenen nicht registriert, so dass sich differentialdiagnostische Schwierigkeiten gegenüber dem Peronealtyp der progressiven spinalen Muskelatrophie ergeben können. Entsprechend der histologisch nachweisbaren segmentalen Demyelinisierung – bei der umstritten ist, ob es sich um primäre oder sekundäre Veränderungen handelt (Dyck 1975) – zeigen sich neurographisch verlangsamte motorische und sensible NLG mit distaler Akzentuierung, wobei die Registrierung der SNAP wegen Amplitudenerniedrigung und Desynchronisierung schwierig bis unmöglich sein kann. In diesen Fällen empfiehlt sich der Ein-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Abb. 2.73. Cisplatin-Neuropathie. Nach Medianusstimulation rechts Ausfall des EP-Potenzials bei gut erhaltenen aber erheblich latenzverzögerten zervikalen und kortikalen Reizantworten. Die Veränderungen entsprechen weitgehend denen des M. Friedreich ( s. 2.5.2). (Nach Tibialisstimulation fand sich bei derselben Patientin ein Verlust des sensiblen Nervenaktionspotenzials in der Fossa poplitea sowie der Komponente N 22; P 40 war mit niedriger Amplitude und einer Latenz von 63,8 ms ableitbar)
satz der SEP-Methode, die zudem eine Feststellung des Lokalisationsschwerpunkts des Prozesses ermöglicht (⊡ Abb. 2.74). Noël u. Desmedt (1980) fanden bei einer Untersuchung von 8 Patienten bei Ableitung des SEP nach sukzessiver Medianusstimulation an den Fingern II und III, am Handgelenk sowie in der Ellenbeuge und Axilla, dass die ermittelten sensiblen NLG in den distalen Nervenabschnitten besonders stark herabgesetzt waren,dass aber bei schwer betroffenen Fällen auch noch die proximalsten Nervenabschnitte deutliche Leitungsverzögerungen aufwiesen. Beim Vergleich der Latenzen des Nacken- und Skalp-SEP zeigten sich Hinweise auf ein Mitbetroffensein des zentralen Fortsatzes der Spinalganglienzellen, während proximal der Hinterstrangkerne – also im 2. und 3. sensiblen Neuron – keine Impulsverzögerung erkennbar war. Auch nach Untersuchungen von Sauer (1980) erfolgt die Impulsleitung im ZNS mit normaler Geschwindigkeit. Dagegen wiesen 3 von 13 Patienten in einer Untersuchungsreihe von
Jones u. Halliday (1982) eine Verlängerung der zentralen Überleitungszeit auf, was sich mit eigenen Erfahrungen deckt ( s. Abb. 2.74). Eigene Untersuchungen des Trigeminus-SEP an 12 Patienten mit HMSN Typ I zeigten, dass außer den spinalen Bahnen auch die Hirnnerven in den Prozess einbezogen sein können. Pathologische Leitungsverzögerungen im N. trigeminus waren bei 6 der 12 Patienten nachweisbar. Bei der HMSN Typ II sind die SEP-Latenzen normal oder weniger stark herabgesetzt als bei Typ I, was darauf zurückzuführen ist, dass genügend Neurone vom degenerativen Prozess verschont bleiben, um eine annähernd normale Impulsleitungsgeschwindigkeit zu garantieren. Da der Prozess überwiegend die Nerven der unteren Extremitäten betrifft, sind – wenn überhaupt – pathologische Befunde nur nach Stimulation von Beinnerven zu erhalten. Bei der HMSN Typ III (Déjerine-Sottas) mit Beginn in der Kindheit und ausgeprägter klinischer
139 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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SEP-Latenzen normal oder grenzwertig; bei ausgeprägteren Fällen fanden wir, entsprechend der hinzutretenden Degeneration dickerer markhaltiger Fasern, eine Amplitudenreduktion. ! Bei einem Kind mit der (histologisch bislang nicht verifizierten) Diagnose einer kongenitalen Insensitivität für Schmerz (Chatrian et al. 1975) zeigten sich gut ausgeprägte spinale und kortikale Reizantworten von normaler Latenz (⊡ Abb. 2.75). Sonstige Systemerkrankungen. Beim M. Refsum sind aufgrund der engen morphologischen Entsprechungen zur HMSN Typ III (Fardeau u. Engel 1969) sowie aufgrund der publizierten neurographischen Messungen (Refsum u. Eldjarn 1967) mäßige bis starke Latenzverzögerungen zu erwarten, jedoch liegen bisher keine entsprechenden Publikationen vor. ! Bei metachromatischer Leukodystrophie beschreibt Desmedt (1971) eine aufgrund von SEP-Untersuchungen ermittelte verlangsamte sensible Impulsleitung. ▼ ⊡ Abb. 2.74. Neurale Muskelatrophie (HMSN I). Ausgeprägte, vorwiegend die distalen Abschnitte betreffende Impulsleitungsverzögerung (sensible NLG am nicht dargestellten Abschnitt Zeigefinger – Handgelenk = 26 m/s). Die verlangsamte Impulsleitung erstreckt sich jedoch bis in den proximalsten Abschnitt des peripheren sensiblen Schenkels mit einem noch deutlich verlängerten Latenzintervall EP-N 13 a von 6,2 ms (Normalwert = 3,3 ms). Selbst die zentrale Überleitungszeit liegt mit 7,5 ms noch leicht über dem oberen Normgrenzwert von 7,2 ms ( s. Text)
Symptomatik entsprechen die neurographischen und SEP-Veränderungen nach eigenen Untersuchungen an einer Sippe denen schwerbetroffener Fälle vom Typ I. Hereditäre sensible Neuropathie (HSN,ThévenardSyndrom). Die HSN Typ I ist durch langsam progre-
diente, vorwiegend dissoziierte Sensibilitätsstörungen sowie schmerzlose Ulzera an den Füßen gekennzeichnet (Dyck u. Ohta 1975). Entsprechend dem bevorzugten Ausfall der dünnen marklosen Fasern sind sowohl die sensiblen NLG als auch die
⊡ Abb. 2.75. Kongenitale Insensitivität für Schmerz. 7-jähriges Mädchen mit seit Geburt bestehender fehlender Reaktion auf Schmerzreize. Fehlende klinische und elektromyographische Hinweise auf eine Neuropathie. Nach distaler Tibialisstimulation normale spinale und kortikale Reizantworten (die kurzen Latenzen erklären sich aus der Körpergröße von 1,29 m)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Die hereditäre Neuropathie mit abnormer Nerven-Druckempfindlichkeit geht lediglich mit einer verlangsamten Impulsleitung im PNS, nicht jedoch innerhalb des ZNS einher (Ebner et al. 1981; Strenge et al. 1982). Bei der »giant axonal neuropathy« wird zusätzlich zu der peripheren auch eine zentrale Herabsetzung der Impulsleitungsgeschwindigkeit unterstellt, ist aber bislang nur für die optischen und akustischen Leitungsbahnen nachgewiesen (Majnemer et al. 1986). Ausschließlich motorische Axone betreffende Systemdegenerationen, wie die verschiedenen Formen der progressiven spinalen Muskelatrophie und die amyotrophische Lateralsklerose, führen erwartungsgemäß zu keinerlei Veränderungen der somatosensiblen Reizantworten bezüglich Latenz, Ausprägung und Amplitude. Jedoch beschreiben Bosch et al. (1985) in Einzelfällen eine Latenzverzögerung von N 20 (N 19) – bei normalen N 13und P 14-Latenzen – als Hinweis auf eine fakultative Mitbeteiligung des sensiblen Systems. Häufiger fanden diese Autoren einen Ausfall oder eine Verzögerung der bei bilateraler Medianusstimulation normalerweise angeblich konstant nachweisbaren Komponenten N 32 und N 60, wobei diese Veränderungen bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose oder progressiver Bulbärparalyse häufiger vorkommen als bei denen mit progressiver spinaler Muskelatrophie. Keiner dieser Patienten wies eine Sensibilitätsstörung an den Händen auf. Gott u. Karnaze (1985) beobachteten bei der Dystrophia myotonica eine Zunahme des Latenzintervalls EP– N 13 und betrachteten dies als Hinweis auf eine klinisch latente Mitbeteiligung der proximalen Anteile des peripheren Schenkels des ersten sensiblen Neurons.
Nervenwurzelläsionen Radikulopathien unterschiedlicher Genese, z.B. bei Diskusprolaps, Zoster, Tumorkompression bzw. -infiltration oder Radikulitiden nach Zeckenbiss sind ein dankbares Anwendungsgebiet für die SEP-
Methode, da die sensible Neurographie hierbei normale Befunde in Bezug auf NLG und SNAP-Parameter liefert. Die Kombination von normalen SNAP mit pathologischen spinalen und kortikalen Reizantworten erlaubt außer der Objektivierung einer Sensibilitätsstörung auch die Lokalisierung der Läsion rostral des Spinalganglions. Bei Aufzeichnung der verschiedenen spinalen und subkortikalen SEPKomponenten ist in geeigneten Fällen eine recht exakte Lokalisationsdiagnostik möglich. Der vielfach erhobene Einwand, dass zum Nachweis von Nervenwurzelläsionen keine neurophysiologischen Messungen nötig seien, sondern dass dies eine Domäne von neuroradiologischen Verfahren darstelle, vergisst zwei Fakten: 1. Neuroradiologische Untersuchungen sind nur bei der Diagnostik derjenigen Monoradikulopathien hilfreich, die auf eine mechanische Kompression (z. B. durch prolabiertes Bandscheibengewebe, Exostosen oder Tumoren) zurückgehen, nicht jedoch bei solchen entzündlicher, metabolischer, ischämischer oder toxischer Genese. 2. Der radiologische Nachweis z. B. eines lateralen Bandscheibenvorfalls LWK 4/5 bedeutet noch lange nicht den Nachweis eines L4oder L 5-Syndroms. Selbst ausgeprägte morphologische Veränderungen können nämlich symptomlos bleiben, so dass der Kausalzusammenhang zwischen einem bestimmten radiologischen Befund mit den Beschwerden des Patienten in jedem einzelnen Fall erst einmal nachgewiesen werden muss, in der Regel durch Exploration, klinische Untersuchung und neurophysiologische Diagnostik. Bei mechanischen – und daher meist kurzstreckigen – Nervenwurzelläsionen sind die Latenzen der spinalen und kortikalen Reizantworten oft nicht signifikant verändert. Daher kommt der Amplitude – besonders dem Seitenvergleich und dem Amplitudenquotienten zwischen rostral und kaudal der Läsion generierten Potenzialen – eine größere diagnostische Bedeutung zu (Eisen 1986), zumal bei den häufigen Kompressionsschäden oft überwiegend ein Leitungsblock resultiert. Um eine etwaige zusätzliche infraganglionäre (Nerven- oder Plexus-)Läsion nicht zu übersehen, sollte generell das SNAP des stimulierten Nerven mitregistriert werden. Die zum Nachweis der häufigsten zervikalen und lumbosakralen Nervenwurzelläsionen geeig-
141 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
netsten Stimulationsorte sind in ⊡ Tabelle 2.14 aufgrund eigener Erfahrungen und der Ergebnisse von Eisen (1986) zusammengestellt. Eine Domäne der SEP-Methode sind Radikulopathien mit im Vordergrund stehenden sensiblen Störungen, da hierbei die elektromyographischen und neurographischen Techniken oft versagen (Eisen u. Hoirch 1983). Selbst beim Vorliegen bloßer sensibler Reizerscheinungen und Schmerzen sind die SEP-Befunde oft pathologisch (Feinsod et al. 1982; Perlik et al. 1986). Der oft schwierige Nachweis einer Schädigung kaudaler Sakralwurzeln wird durch das Pudendus-SEP erleichtert (Nainzadeh u. Lane 1987). Schließlich erlauben SEP-Messungen eine objektive Therapiekontrolle nach operativer Wurzeldekompression (Gonzalez et al. 1985). ! Die in ⊡ Tabelle 2.14 nicht erwähnten Verfahren der Motor-point-Stimulation (Eisen 1986), bei der die propriozeptiven Ia-Fasern erregt werden, sowie der Dermatomstimulation, bei welcher die kutanen Afferenzen zur Funktionsprüfung herangezogen werden, sind nach ▼
eigenen Erfahrungen, aber auch anhand der Publikationen anderer Autoren (Eisen 1986; Rodriquez et al. 1987; Schmied et al. 1988) weniger geeignet, in erster Linie wegen der bereits bei Normalpersonen vielfach sehr niedrigen Reizantworten. Am ehesten gelingt noch der Nachweis einer L5-Läsion durch SEP-Ableitung nach N.-peroneus-superficialis-Stimulation, zumal dieser Nerv überwiegend Fasern des Dermatoms L5 enthält (Dumitru u. Dreyfuss 1996), während die Ergebnisse der eigentlichen Dermatomstimulation weniger aussagekräftig sind (Wilbourn u. Aminoff 1998). Möglicherweise sind bessere Ergebnisse durch Anwendung schmerzhafter Infrarot-LaserReize zu erwarten (Lorenz et al. 1996). Bezüglich positiver Ergebnisse mit der Dermatomstimulation wird auf die Veröffentlichungen von Jörg (1983), Dvonch et al. (1984), Katifi u. Sedgwick (1987), Braune u. Wunderlich (1997) sowie Walk et al. (1992) verwiesen.
Da die SEP-Befunde bei Radikulopathien weniger von deren Ätiologie als von ihrer Lokalisation und
⊡ Tabelle 2.14. Geeignete Stimulationsorte zum Nachweis radikulärer Läsionen
Stimulationsort
Betroffenes Segment
Latenz N 1 bzw. P 1 a
N. cutaneus antebrachii lateralis (2 cm distal der lateralen Ellenbeuge)
C 5 (C 6)
17,4 ± 1,2
Daumen
C6
22,5 ± 1,1
Finger II und III
C7
21,2 ± 1,2
Finger V (evtl. N. ulnaris am Handgelenk)
C8
22,5 ± 1,1
N. saphenus (proximal des Malleolus medialis)
L4
43,4 ± 2,2
N. peronaeus superficialis (Sprunggelenk)
L5
39,9 ± 1,8
N. suralis (hinter Malleolus lateralis)
S1
42,1 ± 1,4
N. tibialis (hinter Malleolus medialis)
S 1 (S 2)
39,5 ± 2,2
N. pudendus
S2–S4
39,8 ± 1,3 (Frauen) 42,3 ± 1,9 (Männer)
a
2
Latenzen teilweise nach Eisen (1986) sowie Haldeman (1987).
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
dem Schweregrad abhängen, erfolgt die Unterteilung dieses Abschnitts unter lokalisatorischen Gesichtspunkten. Zervikalwurzeln. Bei Sensibilitätsstörungen an der
oberen Extremität ist öfters unklar, ob diese auf einer Armnerven-, Armplexus-, Zervikalwurzeloder Halsmarkschädigung beruhen. Während der Nachweis von Armnervenläsionen eine Domäne der Elektromyographie und Neurographie darstellt, ist beim Nachweis der sonstigen Möglichkeiten die SEP-Methode von Nutzen. Dabei reicht zur Objektivierung einer Sensibilitätsstörung vielfach die Aufzeichnung der kortikalen Reizantworten aus; für eine Lokalisierung der Störung ist dagegen die simultane Aufzeichnung der Reizantworten vom Erb-Punkt und von der unteren Nackenpartie nötig (eventuell ergänzt durch eine Ableitung von der oberen Nackenpartie und vom kontralateralen kortikalen Handfeld). Der Ort der Stimulation richtet sich nach Anamnese und klinischem Befund, d. h. nach der Lokalisation der Parästhesien bzw. Sensibilitätsstörungen (⊡ Tabelle 2.14).
⊡ Abbildung 2.77 stammt von einem Patienten mit Zoster in den Segmenten C 5 – Th 2. Da die entzündlichen Veränderungen bei diesem Krankheitsbild vorwiegend die Spinalganglien selbst betreffen und bei entsprechender Ausprägung zur Waller-Degeneration sensibler Axone führen, ist die Erniedrigung des über dem Erb-Punkt abgeleiteten Potenzials und aller nachfolgenden Komponenten verständlich. Das
▼
Beispiel ⊡ Abbildung 2.76 zeigt die bei einer Läsion der Wurzel C 8 erhobenen Befunde. Nach ipsilateraler Ulnarisstimulation am Handgelenk zeigen sich eine leichte Latenzzunahme und eine starke Amplitudenerniedrigung aller Reizantworten ab Komponente N 11. Interessant ist die zusätzliche, wenn auch weniger ausgeprägte Amplitudenminderung der über dem Erb-Punkt registrierten (im distalen Armplexus generierten) Komponente, welche nicht zu dem Fehlschluss einer dort lokalisierten Schädigung verleiten darf. Ob die Erniedrigung des EP-Potenzials nur bei länger bestehenden Wurzelläsionen vorkommt und den Ausdruck retrograder Veränderungen an den Spinalganglienzellen und derem distalen Fortsatz darstellt, ist bislang ungeklärt. Teilweise beruht sie auch auf einer begleitenden Degeneration motorischer, im N. ulnaris verlaufender Axone.
▼
⊡ Abb. 2.76. Wurzelkompressionssyndrom C 8. 53-jähriger Mann mit rezidivierendem Wurzelkompressionssyndrom C 8 links bei zervikaler Osteochondrose. Nach Ulnarisstimulation am rechten Handgelenk sind die über dem Erb-Punkt und in Höhe des Dornfortsatzes C 7 abgeleiteten Reizantworten regelrecht. Nach Ulnarisstimulation am linken Handgelenk findet sich eine normale Anfangslatenz des EP-Potenzials bei verzögertem Anstieg des aufsteigenden Schenkels und mäßiger Amplitudenerniedrigung. Die Komponenten N 11 und N 13 sind leicht verzögert (Rechts-links-Differenz von N 13 mit 0,9 ms leicht pathologisch) und stark erniedrigt (N 13-Amplitude nach rechtsseitiger Stimulation 0,6 µV, nach linksseitiger Stimulation 0,15 µV ( s. auch Text)
143 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
mehrerer Lumbosakralwurzeln lassen sich durch verschiedene Untersuchungsverfahren ermitteln. An invasiven Methoden wurden die epidurale (Caccia et al. 1976) und subarachnoidale Ableitung (Jörg 1976, 1977) sowie eine Direktableitung von einzelnen Wurzeln in dem entsprechenden Foramen intervertebrale (Matsuda et al. 1977) angewandt. Einfacher und diagnostisch meist ausreichend sind Oberflächenableitungen vom Skalp bei Stimulation der den verschiedenen lumbosakralen Segmenten zugeordneten Beinnerven (Eisen u.
Elleker 1980). Im eigenen Labor erfolgt meist die Kombination dieser nichtinvasiven Methode mit einer simultanen Oberflächenableitung der lumbosakralen Reizantworten. Bezüglich der zum Nachweis einer Schädigung der verschiedenen lumbosakralen Nervenwurzeln geeigneten Stimulationsorte darf auf ⊡ Tabelle 2.14 verwiesen werden. Bei den häufigsten diskogenen Wurzelläsionen findet sich als typischer Befund eine Amplitudenreduktion und Deformierung der Reizantwort (bis hin zum Ausfall des SEP) bei normaler oder nur leicht verlängerter Latenz (Eisen 1986). Eisen u. Elleker (1980) beschreiben bei einem Patienten mit L-3/L-4-Syndrom ein pathologisch erniedrigtes und desynchronisiertes SEP nach ipsilateraler Saphenusstimulation, bei einem weiteren Patienten mit einem schweren L-5-Syndrom einen Ausfall des SEP nach ipsilateraler Stimulation des N. peronaeus superficialis. Läsionen der Wurzel S 1 lassen
⊡ Abb. 2.77. Zoster in den Segmenten C 5 bis Th 2 links. Nach Medianusstimulation am linken Handgelenk Erniedrigung des EP-Potenzials auf etwa ein Viertel des kontralateralen Vergleichswertes (unterschiedliche Verstärkung!) sowie ausgeprägte Latenzverlängerung der – zusätzlich deformierten –
zervikalen Reizantworten als Hinweis auf eine Einbeziehung der Hinterwurzeln im Sinne einer segmentalen Demyelinisierung. Zentrale Überleitungszeit mit 6,4 ms normal. (Nach 6 Monaten weitgehende Normalisierung der Latenzen bei noch deutlicher Amplitudenreduktion des Plexuspotenzials)
signifikant verlängerte Intervall EP-Potenzial/ N 13 weist auf eine pathologische Latenzverzögerung der noch leitungsfähigen sensiblen Fasern hin (Stöhr et al. 1983).
Lumbosakralwurzeln. Läsionen einzelner oder
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
2
⊡ Abb. 2.78. Wurzelkompressionssyndrom L 5/S 1 links (bei Spondylolisthesis). Nach Tibialisstimulation hinter dem Malleolus medialis normale Ausprägung der sensiblen NAP in Höhe der Fossa poplitea und des Sulcus glutaeus. Das Caudapotenzial (R-Antwort) in Höhe L 5 erscheint niedrig, aber mit normaler Latenz. Die spinale Reizantwort (S-Welle) ist sowohl pathologisch verzögert als auch erniedrigt
sich anhand eigener Erfahrungen am besten durch Stimulation des N. suralis am Außenknöchel oder durch Tibialisstimulation hinter dem Malleolus medialis erfassen, wobei erniedrigte Reizantworten mit fehlender oder nur geringer Latenzverzögerung erhalten werden (⊡ Abb. 2.78 und 2.79). Entzündliche, metabolische, toxische oder ischämische Schädigungen lumbosakraler Nervenwurzeln sind teilweise langstreckiger und können zusätzlich – oder auch ausschließlich – Leitungsverzögerungen bedingen. Cauda equina. Läsionen der Cauda equina durch
Traumen, Tumoren, operative Eingriffe und mediale Bandscheibenvorfälle führen zumindest in
⊡ Abb. 2.79. Wurzelkompressionssyndrom L4. Normale kortikale Reizantworten nach Stimulation der Nn. peroneus superficialis (L5) und suralis (S1) bei hochgradig erniedrigtem P40 nach N. saphenus-Reizung (L4).
Frühstadien zu keinen Veränderungen der sensiblen NLG und der SNAP an den Beinen. Demgegenüber zeigen die lumbosakralen und kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation eine Amplitudenreduktion entsprechend dem Ausmaß des Funktionsausfalls der sensiblen Axone bis hin zum völligen Verschwinden der evozierten Potenziale (⊡ Abb. 2.80 a, b). Die Latenzen sind bei partiellen Läsionen teilweise leicht verlängert, vermutlich infolge eines bevorzugten Ausfalls der dickeren
⊡ Abb. 2.80 a, b. Kaudasyndrome. a Kaudasyndrom bei M. Bechterew. Nach Tibialisstimulation normale Nervenaktionspotenziale über Kniekehle (POP), Glutäalfalte (GLUT) und Cauda equina (L 5) sowie normale Nervenleitgeschwindigkeiten im Unterschenkel-, Oberschenkel- und Beckenabschnitt. Über dem Dornfortsatz L 1 ist lediglich eine positive Vorwelle registrierbar, während N 22 nicht sicher identifiziert werden kann. Die kortikale Primärantwort P 40 (Cz′) ist niedrig und mit 50,2 ms pathologisch verzögert. b 50-jährige Frau mit medialem Bandscheibenprolaps und komplettem sensiblen Querschnitt ab S 1. Nach distaler Tibialisstimulation werden normale Reizantworten in Höhe der Fossa poplitea und des Sulcus glutaeus abgeleitet, während über Cauda equina (L 5) und Lumbosakralmark (S 1) ein Potenzialverlust besteht
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
markhaltigen Axone (Gelfan u. Tarlov 1956). Bei chronischer Tumorkompression beobachteten Ertekin et al. (1980) auch stärkere Latenzverzögerungen der über dem Lumbosakralmark registrierten und der kortikalen Potenziale. Möglicherweise entwickelt sich unter dieser Bedingung in den nichtdegenerierten sensiblen Nervenfasern eine segmentale Demyelinisierung mit lokaler Verzögerung der sensiblen Impulsleitung. Dasselbe gilt für die beim Syndrom des engen Spinalkanals zu beobachtenden Leitungsverzögerungen mit Verlängerung der Latenz von N 22 (und entsprechend der nachfolgenden Wellen). In der Spätphase des M. Bechterew können sich Kaudasyndrome entwickeln, wobei die in ⊡ Abb. 2.80 a dargestellten Befunde gleichfalls auf eine chronische Demyelinisierung im Bereich der Cauda equina hinweisen. Bei der Tabes dorsalis ergab sich eine Latenzverlängerung der Komponente N 22 bei normaler zentraler Überleitungszeit. Es ist daher anzunehmen, dass vorwiegend die Hinterwurzeln – und nicht die Hinterstränge – betroffen sind. Untersuchungen an größeren Kollektiven fehlen bislang. ! Sofern die Schädigung nur die Wurzeln S 2 – 4 betrifft, sind die Reizantworten nach Beinnervenstimulation erwartungsgemäß normal. In diesen Fällen stehen an elektrodiagnostischen Verfahren die Messung des Bulbocavernosusreflexes (Allert u. Jelasic 1974; Ertekin u. Reel 1976), die EMG-Ableitung aus dem M. sphincter ani externus sowie das Pudendus-SEP zur Verfügung.
Sofern aufgrund des klinischen Bildes Unklarheiten bestehen, ob lediglich eine Conus-Cauda-Läsion oder darüber hinaus auch eine Rückenmarksschädigung vorliegt, kann eine subarachnoidal über dem Lumbosakralmark platzierte Elektrode zur elektrischen Hinterstrangstimulation verwendet und die Reizantwort vom Nacken und von der Kopfhaut registriert werden (Nashold et al. 1972). Bei ungestörter Hinterstrangfunktion sind die Antwortpotenziale bezüglich Latenz, Form und Amplitude regelrecht, so dass ein solcher Befund beweist, dass die Schädigung ausschließlich kaudal der Reizelektrode lokalisiert ist. Eine Amplituden-
erniedrigung oder ein Ausfall der auf diese Weise evozierten Potenziale kann dagegen nicht als sicherer Hinweis auf eine zusätzliche Rückenmarksläsion gelten, da besonders bei schweren und chronischen Conus-Cauda-Läsionen eine aszendierende Degeneration von Hinterstrangaxonen vorkommt (Guttmann 1976), welche als einzige Erklärung für falsch-pathologische Befunde in solchen Fällen dienen kann (Ertekin et al. 1980). Neuroborreliose. Bei der Neuroborreliose können
zervikale, thorakale und lumbosakrale Nerven und Nervenwurzeln betroffen sein. Entsprechend dem häufigeren Befall lumbosakraler Anteile zeigen SEP-Ableitungen nach Tibialis-Stimulation in 67%, nach Medianus-Stimulation nur in 57% pathologische Befunde. Um eine optimale Ausbeute zu erhalten, empfiehlt sich eine Auswahl des jeweils geeignetsten Stimulationsortes in Abhängigkeit von der Klinik (Pfadenhauer et al. 1988; 1996). Jedoch ergeben sich bei etwa 1/3 der Patienten pathologische Befunde auch bei einer Stimulation asymptomatischer Nerven. Dabei dominieren Amplitudenreduktionen bis hin zum Ausfall einzelner Komponenten, oft in Kombination mit Latenzverlängerungen (⊡ Abb. 2.81–2.83). Interessant ist eine bei 16% der Patienten vorkommende klinisch stumme Mitbeteiligung des ZNS mit Verzögerung der zentralnervösen Impulsleitung (⊡ Abb. 2.82 und 2.83). Der elektrophysiologische Nachweis einer zentralnervösen Leitungsstörung ist besonders bei klinisch mono- oder oligoradikulärer Symptomatik bedeutsam, und scheint bei einseitiger oder asymmetrischer Ausprägung weitgehend pathognomonisch für die Neuroborreliose zu sein. Nach erfolgreicher Behandlung zeigen die SEP-Veränderungen eine gute Rückbildungstendenz.
Krankheitsprozesse an proximal gelegenen Anteilen des PNS sowie Läsionen von neurographisch nicht oder nur unbefriedigend untersuchbaren Nerven, stellen ein dankbares und bislang unterbewertetes Indikationsgebiet für SEP-Untersuchungen dar, die in solchen Situationen oft die entscheidende Information liefern
▼
147 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.81. Neuroborreliose. Nach Medianusstimulation grenzwertige Latenz des EP-Potenzials, jedoch signifikante Verlängerung der IPL EP-N 13 a (6,8 ms) und EP-N 13 b (6,9 ms) als Hinweis auf eine Impulsleitungsverzögerung zwischen
können. Hierzu zählen Arm- und Beinplexusläsionen, Radikulopathien, Immunneuropathien sowie Läsionen proximal lokalisierter Hautnerven. Darüber hinaus ermöglichen diese Messungen die Miterfassung einer fakultativen zentralnervösen Mitbeteiligung, z. B. bei diversen Systemerkrankungen und bei der Neuroborreliose.
2.5.2 Myelopathien Das im Spinalkanal knöchern umschlossene Rückenmark ist mittels bildgebender Verfahren nur unzureichend untersuchbar, so dass der spinalen Funktionsdiagnostik mittels SEP und Magnetstimulation eine besonders große Bedeutung zukommt. Die ersten Publikationen über SEP-Befunde bei Rückenmarksläsionen stammen aus den frühen
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Armplexus und Halsmark. Zentrale Überleitungszeit mit 6,2 m normal. Bei einer Kontrolluntersuchung 10 Monate später (rechts) Verkürzung der IPL EP-N 13 auf 5 ms
60er-Jahren von Giblin (1960, 1964), Halliday u. Wakefield (1963) und Larson et al. (1966). Diese Autoren fanden übereinstimmend, dass bei ausschließlich dissoziierter Sensibilitätsstörung die SEP bezüglich Form, Latenz und Amplitude normal sind. Dagegen wurde bei Stimulation an einer Gliedmaße mit mehr als geringgradiger Beeinträchtigung des Lagesinns entweder ein Ausfall oder eine abnorme Konfiguration, Amplitudenminderung und Latenzverlängerung der kortikalen Reizantwort festgestellt. Aufgrund dieser Korrespondenz zwischen den Hinterstrangmodalitäten der Sensibilität und den somatosensiblen Reizantworten wurde die SEP-Methode bei Myelopathien als Funktionsprüfung der Hinterstränge angesehen. ! Zu dieser Auffassung passen die beim Primaten (Cusick et al. 1979) erhobenen Befunde nach experimentellen Rückenmarksläsionen, ▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.82. Neuroborreliose mit der klinischen Symptomatik eines S 1-Syndroms rechts. Nach linksseitiger Tibialisstimulation regelrechte Reizantworten. Nach rechtsseitiger Stimulation zeigt sich einerseits eine Erniedrigung des Nervenaktionspotenzials in der Kniekehle sowie eine Herabsetzung der NLG
während die den SEP zugrundeliegende afferente Impulswelle bei anderen Säugetieren, wie z. B. der Katze, neben den Hintersträngen noch andere Leitungswege passiert (Katz et al. 1978).
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen beim Menschen führen Myelopathien nur dann zu abnormen spinalen, subkortikalen und kortikalen Reizantworten, wenn die Hinterstränge oder aber die dem Stimulationsort entsprechenden HinterwurzelHinterhorn-Segmente betroffen sind, was bei einer Vielzahl von Rückenmarkserkrankungen der Fall
am Unterschenkel auf 45 m/s (kontralateral 52 m/s) als Hinweis auf eine infraganglionäre Schädigung. Außerdem ist die Überleitungszeit N 22 (L 1) – P 40 (Cz′) auf 21,6 ms (gegenüber 18,6 ms auf der Gegenseite) verlängert, als Ausdruck einer zusätzlichen zentralen Leitungsverzögerung
ist. Wird bei einem Patienten aufgrund der Vorgeschichte und des neurologischen Befunds die Verdachtsdiagnose einer Rückenmarkserkrankung gestellt, besteht eine Indikation zur SEP-Diagnostik, sofern Ursache und Lokalisation des Prozesses unklar und mit einfacheren, gleichfalls nichtinvasiven Methoden, nicht zu klären sind. Die Wahl des Stimulationsorts und der Ableitepunkte richtet sich dabei nach der vermuteten Höhe des Prozesses: In jedem Fall sollten die SEP nach Beinnervenstimulation, bei Läsionen, die vermutlich oberhalb D 1 liegen, zusätzlich die nach Armnervenstimulation registriert werden. Im ersteren Fall ist eine
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a
b ⊡ Abb. 2.83 a, b
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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c ⊡ Abb. 2.83 a–c. Neuroborreliose mit Lähmung der Fußund Unterschenkelmuskulatur links. a Die Verlängerung der F-Wellenlatenz im M. abductor hallucis links sowie der H-Reflexlatenz im M. soleus links weisen auf eine periphere Impulsleitungsverzögerung hin (ebenso wie Denervierungszeichen in den Myotomen L 5 + S 1); b Nach lumbaler Magnetstimulation grenzwertige-, nach kortikaler Stimulation ausgeprägte Latenzverlängerung im M. abductor hallucis links. Die zentralmotorische Überleitungszeit ist links im Vergleich zur Gegen-
seite nahezu verdoppelt (wobei man berücksichtigen muss, dass in diesen Wert die Leitungszeit in der Cauda equina mit eingeht ( s. Text). c Im Tibialis-SEP zeigt sich eine Erniedrigung und Verzögerung der Komponente N22 bei unauffälligem sensiblen Nervenaktionspotenzial in der Glutaealfalte, so dass eine Leitungsstörung in der Cauda equina bzw. im Lumbosakralmark anzunehmen ist. Darüber hinaus besteht eine supraspinale Leitungsverzögerung mit Verlängerung des Latenzintervalls N 30 – P 40 auf 10,8 ms
gleichzeitige Aufzeichnung der lumbosakralen und zervikalen, im letzteren Fall die der zervikalen Reizantworten für eine genauere Lokalisationsdiagnostik nützlich. Bei Halsmarkläsionen kommen in Abhängigkeit von der Prozessausdehnung innerhalb des Rückenmarksquerschnitts isolierte SEP-Veränderungen nach Arm- oder Beinnervenstimulation vor, so dass der Stimulationsort in Abhängigkeit von etwaigen Parästhesien oder Sensibilitätsstörungen gewählt werden sollte. Beim Fehlen sensibler Symptome ist
die Beinnervenstimulation meist diagnostisch ergiebiger. Außerdem hat sich der Stimulationsort nach der vermutlichen Schädigungshöhe zu richten. So lassen sich Halsmarkprozesse in den Segmenten C8/Th1 nur durch Ulnaris-, nicht aber durch Medianusstimulation erfassen ( s. Abb. 2.99), während bei weiter rostral lokalisierten Halsmarkerkrankungen die Medianusstimulation – wegen der höheren Reizantworten – zu bevorzugen ist. Sofern sich die Läsion auf den Rückenmarksquerschnitt bis zur Hinterwurzeleintrittszone der
151 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.84. SEP-Muster bei Läsionen im Bereich der Nervenwurzeln oder Hinterwurzeleintrittszone. Das EP-Potenzial kommt regelrecht zur Darstellung, während alle nachfolgenden Komponenten (N13a-N13bN20) ausfallen bzw. bei inkompletter Leitungsunterbrechung erniedrigt und evtl. verzögert erscheinen. (Aus Stöhr u. Kraus 2002)
dem stimulierten Nerven zugeordneten Segmente ausdehnt, fällt bereits die Komponente N11a pathologisch aus (⊡ Abb. 2.84), während bei mehr zentral gelegenen Prozessen mit Einbeziehung des Hinterhorns nur die Welle N13a verändert ist (⊡ Abb. 2.85). Rostral der Segmente C 5/6 liegende Schädigungen lassen die Komponenten N 11 a und N 13 a (C 7) unbeeinträchtigt, während die am zerviko-medullären Übergang generierten Wellen N 11 b und N 13 b pathologisch verändert sind (Stöhr et al. 1982 b) (⊡ Abb. 2.86). Allerdings gibt es rostrale Halsmarkprozesse, bei denen eine vaskuläre Fernschädigung tieferer zervikaler Segmente eintritt. In einem solchen Fall sind trotz der rostralen Schädigungslokalisation bereits die Reizantworten in Höhe C 7 verändert; typischerweise treten außerdem atrophische Lähmungen der Handmuskeln mit entsprechenden Zeichen einer partiellen Denervierung im EMG auf. Bei der Beurteilung der kortikalen Reizantworten nach Tibialisstimulation muss beachtet werden, dass der Primärkomplex (P 40) früher ausfällt als die nach-
folgenden Wellen, so dass P 60 irrtümlich für eine stark verzögerte Komponente P 40 gehalten werden kann (Riffel et al. 1982). Bei diffusen und multifokalen Myelopathien resultiert oft ein vollständiger Ausfall der kortikalen Reizantwort (Schiff et al. 1984).
SEP-Untersuchungen erlauben nur eine Funktionsprüfung der Hinterstränge. Eine ergänzende Untersuchung der Pyramidenbahn ist einerseits mittels long-loop-Reflexen (Ackerman et al. 1986), andererseits mittels elektrischer oder magnetischer Stimulation des motorischen Kortex (Hess et al. 1987) möglich.
Spinale Tumoren Halsmarktumoren. Extradurale, intradurale und intramedulläre Tumoren in Höhe des Zervikalmarks bedingen bei Teilunterbrechung des Hinterstrangs einer Seite eine Erniedrigung, bei subkompletter bis kompletter Unterbrechung einen Ausfall
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Abb. 2.85. Ausfallsmuster bei einer isolierten Hinterhornschädigung. Sofern lediglich die Impulsweiterleitung zum Hinterhorn unterbrochen ist, resultiert ein isolierter Ausfall der Komponente N13a wobei zu dessen Nachweis eine Ableitung über HWK7 gegen eine Jugulum-Referenz erforderlich ist. Die Impulsweiterleitung über den Tractus cuneatus ist in solch einem Fall normal mit entsprechend regulärer Darstellung der Komponenten N13b und N20. (Aus Stöhr u. Kraus 2002)
der subkortikalen und kortikalen Reizantworten nach ipsilateraler Arm- bzw. Beinnervenstimulation. Die Wahl des Stimulationsorts richtet sich nach der Lokalisation der angegebenen Parästhesien bzw. der festgestellten Sensibilitätsstörungen. Betreffen diese nur die unteren Extremitäten, empfiehlt sich eine Stimulation des N. tibialis. Sind die Dermatome C 8/D 1 beteiligt, kann der N. ulnaris zur Reizung herangezogen werden (⊡ Abb. 2.99). Prozesse, welche die Afferenzen des Segments C7 einbeziehen, lassen sich durch Stimulation der Finger II und III erfassen, solche, die C 7 und C 6 betreffen, am besten durch Medianusstimulation am Handgelenk (⊡ Abb. 2.87). Bei Halsmarktumoren mit Läsion der Afferenzen oberhalb C 6 kann
ein beliebiger Armnerv zur Stimulation gewählt werden, jedoch empfiehlt sich wegen der am besten ausgeprägten Reizantworten die Wahl des N. medianus in Höhe des Handgelenks (⊡ Abb. 2.88). Bei Wahl der angegebenen Stimulationsorte zeigt die über der kontralateralen Handregion abgeleitete kortikale Reizantwort, je nach Ausmaß der Funktionsstörung, eine Erniedrigung, seltener einen Ausfall. Für die exakte lokalisatorische Zuordnung des Prozesses wichtiger ist das über den Dornfortsätzen C 2 und C 7 registrierte NackenSEP, wobei folgende Befunde zu erwarten sind: 1. Die erste Komponente (N 9), die von distalen Anteilen des Armplexus stammt, ist in allen Fällen erhalten und weist eine normale Latenz
153 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.86. SEP-Muster bei Läsionen im Tractus cuneatus. Hinterstrangläsionen rostral des Segmentes C6 gehen mit normalen Reizantworten über dem Erb-Punkt und HWK7 ein-
her, während die Wellen N13b und N20 ausgefallen bzw. bei partieller Leitungsunterbrechung erniedrigt sind. (Aus Stöhr u. Kraus 2002)
auf. Die Amplitude ist entweder normal oder, besonders bei länger bestehenden Prozessen, erniedrigt, wofür möglicherweise retrograde degenerative Veränderungen verantwortlich sind (vgl. ⊡ Abb. 2.87). 2. Die zweite Komponente (N11) ist häufig, die dritte Komponente (N13) stets pathologisch, sofern sich der Prozess im Niveau der dem stimulierten Nerven entsprechenden Rückenmarkssegmente abspielt und zu einer HinterwurzelHinterhorn-Läsion geführt hat (⊡ Abb. 2.84). In diesem Fall sind alle Komponenten ab N 11 a bzw. N 13 a pathologisch verändert. Seltener kommt es bei intramedullären Raumforderungen zu einem isolierten Verlust der im Hinterhorn generierten Komponente N 13a bei ungestörter Impulsfortleitung über die Hintersträn-
ge und damit zu einer normalen Ausprägung der Wellen N13b und N20 (Ibánez et al. 1992) (⊡ Abb. 2.85). 3. Prozesse rostral des Niveaus der in das Rückenmark eintretenden Afferenzen bedingen eine Dissoziation der von der unteren und oberen Nackenpartie abgeleiteten Reizantworten: Die Komponenten 2 und 3 des Nacken-SEP sind bei Ableitung in Höhe C 7 normal, in Höhe C 2 dagegen pathologisch erniedrigt und verzögert (⊡ Abb. 2.88). Die kortikale Reizantwort nach Armnervenstimulation liefert bei Halsmarktumoren keine über die Nacken-Ableitung hinausgehenden Informationen, kann aber manchmal noch registriert werden, wenn die zervikalen Potenziale bereits ausgefallen
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
können (⊡ Abb. 2.89). Außerdem kann die Latenz der kortikalen Reizantwort bei Raumforderungen am zervikookzipitalen Übergang deutlich verzögert sein ( s. Abb. 2.88). Sind durch einen Halsmarktumor lediglich die Faseranteile des Fasciculus gracilis komprimiert, besteht nach eigenen Erfahrungen als einziger pathologischer Befund eine Amplitudenreduktion und eventuell leichte Latenzverlängerung der SEP nach Beinnervenstimulation (⊡ Abb. 2.90) (Riffel et al. 1982). Noël u. Desmedt (1980) berichten dagegen über deutlichere Verzögerungen des Suralis-SEP bei Halsmarkkompressionen durch verschiedenartige extradurale Raumforderungen.
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Brustmarktumoren. Eine im Thorakalmark lokali-
⊡ Abb. 2.87. Extradurale Raumforderung in Höhe C 6/7. 54-jährige Frau mit seit Jahren schubweise progredienter Gangstörung, teilweise kombiniert mit Blasenmastdarmstörungen und Parästhesien in der rechten Hand; unter Cortisonbzw. ACTH-Therapie jeweils befriedigende Rückbildung der neurologischen Symptome. Nach Stimulation des rechten N. medianus am Handgelenk normales EP-Potenzial. Bei Ableitung über dem Dornfortsatz C 7 starke Amplitudenreduktion und leichte Latenzverzögerung ab N13a. Die kortikale Reizantwort ist bei geringer Latenzverzögerung deutlich erniedrigt. Nach linksseitiger Medianusstimulation finden sich regelrechte Reizantworten
oder nicht mehr sicher beurteilbar sind. In der Regel zeigt N 20 eine mehr oder minder ausgeprägte Amplitudenreduktion bei fehlender oder nur mäßiger Latenzverlängerung ( s. Abb. 2.87). Bei langstreckigen Halsmarktumoren kommen allerdings auch erhebliche Latenzverzögerungen vor, die zur Verwechslung mit einer Multiplen Sklerose führen
sierte Raumforderung mit Funktionsbeeinträchtigung der Hinterstränge führt, je nach Ausprägung, entweder zu einer Amplitudenreduktion und eventuell leichten Latenzverzögerung oder zum Ausfall der SEP nach Beinnervenstimulation (Terao u. Araki 1975). Außerdem sind die vom Nacken ableitbaren subkortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation pathologisch, was bei klinisch unklarer Schädigungslokalisation den Ausschluss einer supraspinalen bzw. suprabulbären Genese gestattet (⊡ Abb. 2.90). Die spinalen Reizantworten in Höhe des Lumbosakralmarks zeigen eine normale Ausprägung, ebenso sämtliche SEP-Komponenten nach Armnervenstimulation.Arteriovenöse Malformationen rufen ähnliche SEP-Veränderungen hervor wie spinale Tumoren (Linden u. Berlit 1996).
⊡ Abb. 2.88 a, b. Kompression des oberen Zervikalmarks durch ein malignes Schwannom. a Nach linksseitiger Medianusstimulation Ausfall der Reizantworten bei C 2. (Erniedrigung von N 13 a bei C 7 durch Ausfall der durch die Referenzelektrode bei Fz normalerweise registrierten Komponente P 13.) N 20 verzögert und amplitudengemindert. Diese Konstellation ist typisch für eine Halsmarkschädigung rostral der Segmente C 5/6. b Die Ableitung der zervikalen Reizantworten gegen eine Handreferenz zeigt eine normale N 13 a-Komponente (C 7) und einen Ausfall von N 13 b. Die Subtraktion der C 2- von der C 7-Antwort resultiert daher in einer hohen N 13-Welle, während normalerweise N 13 dabei eliminiert wird. (Aus Stöhr et al. 1982)
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⊡ Abb. 2.89. Ependymom von C 6 bis zum unteren Pons reichend. Bei fehlender reproduzierbarer N 13 b-Komponente ist der kortikale Primärkomplex erheblich verzögert. Solche, für spinale Tumoren atypischen ausgeprägten Latenzverzögerungen, finden sich gelegentlich bei langstreckigen Raumforderungen
⊡ Abb. 2.90. Extradurale Raumforderung (Lymphom) in Höhe BWK 8. 19-jähriger Mann mit rasch progredienter schlaffer Paraparese der Beine. Diskrete Lagesinnstörung an den Zehen; Pallhypästhesie am Großzehengrundgelenk von 3/8 rechts, 4/8 links. Die über dem Lumbosakralmark (Dornfortsatz L 1) abgeleitete Welle N 22 ist nach links- und rechtsseitiger distaler Tibialisstimulation normal. Nach Tibialisstimu-
! Zur exakten Feststellung des Niveaus einer thorakalen Raumforderung wurden sukzessive Reizungen in den einzelnen Dermatomen bei kortikaler Ableitung der Reizantworten vorgeschlagen (Jörg 1977). Diese recht zeitaufwendige Methode bringt allerdings nach beschränkten eigenen Erfahrungen wegen der vielfach sehr niedrigen Reizantworten nicht immer befriedigende Resultate. Rascher durchführbar ist die von Terao u. Araki (1975) angewandte Methode der bilateralen Stimulation des 10. Interkostalnerven in der vorderen Axillarlinie, in Kombination mit Arm- und Beinnervenstimulation, die allerdings auch nur eine grobe Lokalisierung des Prozesses gestattet. Unseres Erachtens sollte sich die SEP-Diagnostik bei Prozessen im Thorakalmark auf deren Nachweis und auf den Ausschluss einer spinalen oder multifokalen Entmarkung beschränken und die genauere Lokalisationsdiagnostik bei Verdacht auf eine Raumforderung der daraufhin indizierten MRT überlassen.
lation links Verlängerung des Latenzintervalls N 22 – N 30 auf 12,5 ms (oberer Normgrenzwert = 10,2 ms), sowie pathologische Verkleinerung des Amplitudenquotienten P40/N 22. Nach Stimulation rechts Ausfall der Komponente N 30 (C 2) und stark pathologische Reduktion des Amplitudenquotienten P 40/N 22
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Tumoren im Lumbosakralmark. Bei dieser Tumorlokalisation sind die kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation in identischer Weise verändert wie bei rostraleren Prozessen. Bei tiefem Tumorsitz mit Einbeziehung des Rückenmarksegments S1 besteht darüber hinaus eine Amplitudenminderung und eventuell Latenzverzögerung der in Höhe des thorakolumbalen Übergangs abgeleiteten Komponente N22, wobei langsam progrediente Raumforderungen auch zu ausgeprägteren Latenzzunahmen führen sollen (Ertekin et al. 1980). Bei einem Tumorsitz oberhalb des Rückenmarksegments S1 kann das klinische Bild einer Polyneuropathie mit schlaffer Paraparese und strumpfförmigen Sensibilitätsstörungen vorliegen; hier weist die intakte Komponente N 22 (S-Welle) auf die normale Funktion der peripheren Leitungsbahnen und den Läsionssitz rostral des Segments S1 hin. Tumoren im Conus-Cauda-Bereich führen je nach Ausmaß der Kompression zu einer Erniedrigung oder einem Ausfall der spinalen Antwort (N 22), während über kaudalen Anteilen der Cauda equina (zumindest bei frischeren Prozessen) ein normales Potenzial registriert werden kann. Restuccia et al. (1993) fanden bei 10 von 12 Patienten mit kernspintomographisch nachgewiesenen Läsionen des Lumbosakralmarks einen Ausfall der Welle N 22 (»N 24«). In einer weiteren Untersuchung (Restuccia et al. 2000) erlaubten Ableitungen der Komponenten N22 und P40 nach Tibialis-
stimulation, der Komponenten N14 und P27 nach Peroneusstimulation sowie des Cauda-equina-Potenzials in 50 bzw. 70% der Fälle den objektiven Nachweis und die Lokalisation der Schädigung in das Lumbosakralmark. Schließlich scheint bei der Höhenlokalisation erwähnenswert, dass auch hohe lumbale- oder thorakolumbale Raumforderungen zu einem Ausfall von N 22 führen können, sofern sich eine über mehrere Segmente ausbreitende infraläsionelle Fernschädigung entwickelt. Bedeutung des Tibialis-SEP in der Differentialdiagnose zwischen spinalen Raumforderungen und multipler Sklerose. Die kortikalen Reizantworten
nach Beinnervenstimulation haben eine besonders große praktische Bedeutung für die Differentialdiagnose spinaler Raumforderungen gegenüber spinalen Entmarkungen. Die bei 20 Patienten mit spinalen Tumoren gefundenen Latenz- und Amplitudenwerte sind in ⊡ Tabelle 2.15 zusammenfassend dargestellt. Wie daraus ersichtlich wird, sind die P-40-Latenzen der SEP nach Tibialisstimulation im Vergleich zur Norm nur geringgradig verlängert, während die mittlere Seitendifferenz mit 1,9 ms etwa doppelt so groß ist wie in einem Normalkollektiv. Auf den Einzelfall bezogen, zeigten nur 4 Patienten eine uni- oder bilaterale Verlängerung der absoluten Latenz, wobei der obere Normgrenzwert von 45,3 ms um maximal 4,9 ms über-
⊡ Tabelle 2.15. Mittlere Latenz und Amplitude des SEP nach distaler Tibialisstimulation bei Rückenmarkstumoren (n = 20) im Vergleich zu einem Normalkollektiv (n = 38)
(ms)
Latenzdifferenz (ms)
Amplitude N 33/P 40 (µV)
Amplitudendifferenz (µV)
39,6 2,3 33,7 – 45,2
0,89 0,68 0 – 2,2
2,8 1,41 0,9 – 8,8
0,67 0,78 0 – 3,8
42,4 3,78 37 – 50,2
1,92 1,16 0 – 3,8
1,01 1,19 0–6
0,69 0,9 0 – 3,5
Latenz P 40
Normalpersonen Mittelwert SD Streubereich Rückenmarkstumoren Mittelwert SD Streubereich
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
schritten wurde. Eine pathologische Seitendifferenz der Latenz bestand in insgesamt 4 Fällen, davon zweimal bei normalen absoluten Latenzwerten. Im Gegensatz zu den fehlenden bzw. nur leichten Latenzänderungen zeigen sich deutliche Veränderungen in der Amplitude der primären kortikalen Antwort. Die mittlere Amplitude ist auf 44% der Norm erniedrigt; in Einzelfällen besteht ein unioder bilateraler Ausfall der SEP. ! Typisch für eine spinale Raumforderung ist somit eine Kombination von Amplitudenreduktion mit fehlender bzw. nur leichter Latenzverzögerung des Tibialis-SEP. Diese übersteigt den oberen Normwert von 45,3 ms (bei distaler Tibialisstimulation) um nicht mehr als 5 ms, den Grenzwert der Seitendifferenz (2,6 ms) um nicht mehr als 1,2 ms. Diese Befunde sind einleuchtend, wenn man bedenkt, dass eine tumorbedingte unilokuläre Hinterstrangläsion eher zu einer Leitungsunterbrechung in einem mehr oder weniger großen Teil von dessen Faserpopulation disponiert als zu einer isolierten herdförmigen Demyelinisierung von Hinterstrangafferenzen mit verzögerter Impulsleitung (Riffel u. Stöhr 1985).
Bei teilweiser Mitberücksichtigung der spinalen Reizantworten fanden Riffel et al. (1982, 1983, 1984) nur bei knapp einem Fünftel der raumfordernden spinalen Prozesse eine Verzögerung von P 40 (aufgrund des absoluten Latenzwertes, des Seitenvergleichs der absoluten Latenz bzw. aufgrund des Latenzintervalls N 22 – P 40). Die Mehrzahl der Untersuchten wies lediglich eine mehr oder minder ausgeprägte Amplitudenreduktion von P 40 auf. Wichtigster Parameter zur Erfassung einer spinalen Raumforderung ist der Amplitudenquotient P 40/N 22, der bei zwei Drittel dieser Patienten erniedrigt ist (Riffel et al. 1984). Auch bei experimenteller Rückenmarkskompression stellt eine Amplitudenreduktion bis hin zum Ausfall des SEP die entscheidende Veränderung dar (Schramm et al. 1979).
Zervikale Myelopathie Über Veränderungen des Nacken-SEP nach Medianusstimulation berichteten El-Negamy u. Sedgwick (1978) bei 9 Patienten mit zervikaler Myelo-
pathie. Sie fanden ein normales N 9, während die nachfolgenden Komponenten entweder fehlten oder eine Latenzverzögerung und Amplitudenerniedrigung aufwiesen. Matthews (1980) untersuchte 11 Fälle, wobei auch in diesem Kollektiv N 9 im Allgemeinen identifiziert werden konnte und in 7 Fällen von niedrig gespannten, deformierten und verzögerten subkortikalen Komponenten und einem entweder stark verzögerten oder fehlenden N 20 gefolgt war. Eigene Untersuchungen belegen, dass diskogen-vertebragene Halsmarkschäden zu gleichartigen SEP-Veränderungen führen wie andere extradurale Raumforderungen entsprechender Lokalisation (Stöhr et al. 1982 b; Riffel et al. 1983; Stöhr u. Hartmann 1999). Nach Armnervenstimulation sind das über dem Erb-Punkt registrierte Potenzial und die Komponente N 9 erhalten. Die Hauptkomponente der zervikalen Reizantwort (N 13), z. T. auch bereits N 11 sind erniedrigt, deformiert und meist leicht verzögert, mit teilweiser Befundbesserung nach operativer Entlastung. Bei ausschließlicher Läsion oberhalb der den stimulierten Nerven zugeordneten Rückenmarkssegmente zeigt sich dieser Befund nur bei Ableitung von der oberen Nackenpartie, während sich über dem unteren Nacken N11a und N13a normal darstellen (⊡ Abb. 2.91), vorausgesetzt, dass keine vaskuläre Fernschädigung infraläsioneller Halsmarkabschnitte eingetreten ist. Das kortikale Antwortpotenzial ist in Abhängigkeit vom Ausmaß der Schädigung erniedrigt, zeigt aber selbst bei ausgeprägter Amplitudenreduktion nur eine geringe Zunahme der absoluten Latenz sowie des Latenzintervalls N 9/ N 20 bzw. N13 a/N 20. Restuccia et al. (1994) beschreiben einen erstaunlich hohen Prozentsatz von Patienten mit pathologischer N13 a-Komponente, als Ausdruck einer segmentalen Schädigung: 93,4% nach Radialis-, 84,2% nach Medianus- und 64,5% nach Ulnarisstimulation. Veränderungen von P14 als Hinweis auf eine Hinterstrangbeteiligung waren in diesem Kollektiv seltener, während Berthier et al. (1996) häufiger Hinterstrang- als segmentale Läsionen beobachteten, was mit den eigenen Erfahrungen ebenso übereinstimmt wie mit intraoperativen Ableitungen von Tani et al. (1999), die am häufigsten einen partiellen Leitungsblock zwischen HWK 5
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und HWK 7 – also rostral der segmentalen Zuflüsse von den Armnerven – aufdeckten. Interessanterweise hatte 1/3 der Patienten von Berthier et al. (1996) keine kernspintomographischen Hinweise auf eine Halsmarkkompression, was die Beobachtungen von Miyoshi u. Kimura (1996) bestätigt und deren Forderung nach einer komplementären Diagnostik mittels Bildgebung und Neurophysiologie untermauert. Die seltenen Kompressionen am zervikookzipitalen Übergang gehen mit normalen N13a- und N13b-Komponenten einher (⊡ Abb. 2.92), was den Ursprung von N13b im rostralen Anteil des Tractus cuneatus belegt. Der kortikale Primärkomplex ist in solch einem Fall pathologisch erniedrigt (oder ausgefallen) und evtl. leicht verzögert (⊡ Abb. 2.92). Bei asymptomatischen Zervikalkanalstenosen sind die SEP-Befunde meist regelrecht (Tavy et al. 1999).
Zusammenfassend zeigen SEP-Ableitungen nach Armnervenstimulation folgende Befunde 1. Bei einer Schädigung in Höhe der dem stimulierten Armnerven entsprechenden Segmente (z. B. C6 und 7 nach N.-medianusStimulation): pathologische Welle N13a. 2. Bei einer Schädigung rostral davon: normales N13a, pathologisches N13b (bzw. P14). 3. Bei einer Schädigung in Höhe des Foramen okzipitale magnum: N13a und b regelrecht, N20 pathologisch.
⊡ Abb. 2.91a, b. Zervikale Myelopathie HWK 3/4. Nach Medianusstimulation links (a) Erniedrigung und diskrete Latenzverzögerung von N 13 b (C 2) gegenüber N 13 a (C 7). Nach Stimulation an der stärker betroffenen rechten Hand (b) Ausfall von N 13 b (C 2) und N 20 (C4′). Die im Vergleich zur Gegenseite mäßig erniedrigte Welle N 13 a ist auf den Ausfall der von der Referenzelektrode bei Fz normalerweise abgegriffenen Komponente P 13 zurückzuführen, weist also nicht auf eine zusätzliche Läsion des kaudalen Halsmarks hin
Verschiedene Autoren behaupten bei der Diagnostik der zervikalen Myelopathie eine Überlegenheit des Tibialis-SEP (Yu u. Jones 1985; Perlik u. Fisher 1987). So fanden Maertens de Noordhout et al. (1997) bei 36% ihrer Patienten ein pathologisches Medianus-SEP, jedoch bei 73% ein pathologisches Tibialis-SEP und dies teilweise ohne klinisches Korrelat. Ähnliche Befunde werden von Masur et al. (1989) mitgeteilt. Eigene Erfahrungen bestätigen die größere diagnostische Treffsicherheit von SEPAbleitungen nach Beinnervenstimulation, wobei hiermit allerdings keine Lokalisierung der Schädigung in das kaudale, mittlere oder rostrale Hals-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.92. Zervikookzipitale Dysplasie mit Läsion am Übergang vom Halsmark zur Medulla oblongata. a Nach Medianus-Stimulation li. und re. sind die Komponenten N13a und N13b erhalten, während N20 nach Stimulation re. ausge-
fallen ist und nach Stimulation li. verzögert zur Darstellung kommt (zentrale Überleitungszeit 8,5 ms). b MRT des zervikookzipitalen Übergangs
mark gelingt. Der typische Befund im Tibialis-SEP besteht in einer Amplitudenreduktion und geringen Latenzzunahme von P40 (m = 41,7 ms gegenüber einem Normalwert von m = 39,6 ms; Riffel et al. 1983). Gelegentlich findet sich nur eine geringe Verlängerung des Latenzintervalls N22–N30 und ein grenzwertiger Amplitudenquotient P40/N22 wie im Beispiel der ⊡ Abb. 2.93. Bei sukzessiver Stimulation der Dermatome C 4 und S 1 fand Jörg (1980) bei der Mehrzahl seiner 28 zervikalen Myelopathien fehlende, erniedrigte oder verzögerte kortikale Reizantworten bei Stimulation unterhalb der zervikothorakalen Übergangsregion, und zwar auch bei Patienten ohne manifeste Sensibilitätsstörungen. Dabei waren signifikante Latenzzunahmen seltener und weniger ausgeprägt als bei Patienten mit spinaler MS. Die in 10 Fällen postoperativ durchgeführte Kontrolle
ergab 5-mal eine Besserung, 3-mal keine Befundänderung und 2-mal eine Befundverschlechterung. In Übereinstimmung mit Befunden von Schramm et al. (1980) wurde gefolgert, dass normale kortikale Reizantworten nach multisegmentaler Stimulation eine zervikale Myelopathie nahezu ausschließen.
Syringomyelie Die einzelnen Komponenten des Nacken-SEP und die frühen kortikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation sind bei rein dissoziierten Sensibilitätsstörungen an den Armen bezüglich Latenz und Amplitude normal. Bei uni- oder bilateraler Affektion des Hinterhorns in den dem stimulierten Nerven entsprechenden Zervikalsegmenten (C 6 und 7 bei N. medianus-Stimulation) resultiert ein isolierter Ausfall der dort generierten Komponente
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⊡ Abb. 2.93. Zervikale Myelopathie. Bei nur geringgradiger klinischer Symptomatik zeigt sich eine Verlängerung des Latenzintervalls N22/N30 auf 10,6 ms, als Hinweis auf eine spinale Leitungsverzögerung. Der Amplitudenquotient P40/ N22 ist grenzwertig
⊡ Abb. 2.92b
N 13 a, wobei dieser Befund am besten bei Ableitung von der unteren Nackenpartie gegen eine Referenz am Jugulum zu erfassen ist (Urasaki et al. 1990; Restuccia und Mauguière 1991; Buchner et al. 1991; Morioka et al. 1993) ( s. Abb. 2.85). In schweren Fällen von Syringomyelie, in denen die Hinterstrangmodalitäten mitbetroffen sind, bestehen häufig erniedrigte (oder sogar ausgefallene) zervikale und kortikale Reizantworten im Anschluss an die
erste Komponente des Nacken-SEP (N 9) (Matthews 1980; Anderson et al. 1986; ⊡ Abb. 2.93 b). Sofern nur die oberen zervikalen Segmente betroffen sind, ergeben sich normale SEP über der unteren-, erniedrigte, deformierte und teilweise leicht verzögerte SEP über der oberen Nackenpartie (⊡ Abb. 2.94). Die zentrale Überleitungszeit (N 13 a – N 20) ist öfters – besonders bei Patienten mit einem begleitenden Tiefstand der Kleinhirntonsillen – verzögert (Anderson et al. 1986). Eigene Untersuchungen der kortikalen Reizantworten nach Tibialisstimulation bei 9 Syringomyeliepatienten, wovon 6 eindeutige Hinterstrangsymptome an den Beinen aufwiesen, ergaben als charakteristischen Befund niederamplitudige, teils deformierte Reizantworten von normaler bis grenzwertiger Latenz (Mittelwert der P-40-Latenz = 41,9±4,6 ms, Mittelwert der Amplitude 1,1±0,9 µV). Wie in einem operativ bestätigten Fall von Green u. McLeod (1979) zeigte sich bei einem Patienten trotz fehlender Störung der epikritischen Sensibilität ein stark deformiertes SEP als Hinweis auf eine
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⊡ Abb. 2.94. Syringomyelie mit ausschließlichem Betroffensein der Segmente C 1 – 4. Die Welle N 13 a ist normal, die Welle N 13 b (C 2) ist verzögert und plateauartig deformiert, so dass keine exakte Latenzbestimmung möglich ist. Die zentrale Überleitungszeit (N 13 a – N 20) liegt mit 9,6 ms deutlich über dem oberen Normgrenzwert von 7,2 ms
Traumatische Rückenmarksläsionen ⊡ Abb. 2.93. Syringomyelie. 45-jähriger Patient mit dissozierter Empfindungsstörung an beiden Händen sowie schwerer Störung der epikritischen Sensibilität an der rechten Hand. Nach linksseitiger Medianusstimulation (A) regelrechte Reizantworten über dem Erb-Punkt sowie über den Dornfortsätzen C 7 und C 2. Nach rechtsseitiger Medianusstimulation (B) normale Ausprägung des Potenzials über dem Erb-Punkt und der ersten Komponente des Nacken-SEP. Die übrigen Komponenten der zervikalen Reizantwort – sowie die hier nicht dargestellte kortikale Reizantwort – sind ausgefallen
klinisch stumme unilaterale Hinterstrangläsion. Eine pathologische Latenzzunahme von P 40 nach linksseitiger Stimulation fand sich nur bei einem Patienten mit einem links dorsolateralen von C 5 bis L 4 reichenden spinalen Gliastift. Bei CO2-Laserstimulation in Hautpartien mit dissoziierter Sensibilitätsstörung lassen sich pathologische kortikale Reizantworten – in den meisten Fällen ein Potenzialausfall – nachweisen (Treede et al. 1991; Kakigi et al. 1991).
Tierexperimentelle Befunde. Experimentelle
Rückenmarkstraumen bei verschiedenen Versuchstieren ergaben eine um so günstigere Prognose bezüglich der Rückbildung der Lähmungserscheinungen, je besser die SEP in frühen Stadien erhalten blieben bzw. je früher diese sich erholten (d’Angelo et al. 1973; Ducker et al. 1978; Cusick et al. 1979). Bei Affen zeigte selbst eine bis zu 19 Tagen verzögerte Rückkehr des SEP eine gute Erholung des Rückenmarks an (Singer et al. 1971). Sofern sich an experimentelle Rückenmarkstraumen eine medikamentöse oder operative Therapie anschloss, ließ sich der eintretende Erfolg oder Misserfolg in der Regel anhand der SEP-Befunde voraussagen (De La Torre et al. 1975; Bennett u. McCallum 1977). Fehlings et al. (1989) fanden eine signifikante Korrelation zwischen Impulsleitungsstörungen in somatosensiblen (und motorischen) Leitungsbahnen und dem Ausmaß der posttraumatischen Minderung der spinalen Durchblutung. SEP- (und
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MEP-)Ableitungen erwiesen sich an der Ratte als zuverlässige Techniken, um die physiologische Integrität bei Rückenmarksverletzungen zu prüfen. Kortikale Reizantworten bei traumatischen Rückenmarksläsionen des Menschen. Ein kom-
plettes traumatisches Querschnittssyndrom geht mit einem Ausfall der kortikalen Reizantworten einher, sofern ein unterhalb oder in Höhe der Rückenmarksläsion eintretender peripherer Nerv stimuliert wird (Perot 1973; Rowed et al. 1978). Allerdings gibt es klinisch als komplett imponierende Querschnittssyndrome, bei denen ein erhaltenes SEP die anatomische Kontinuität aufsteigender sensibler Bahnen dokumentiert und Anlass zur Durchführung einer Maximaltherapie gibt (Iob et al. 1980; Sedgwick et al. 1980). Ein solcher Kontinuitätsnachweis durch das SEP ist auch bei bewusstseinsgestörten Verletzten mit zusätzlichem Schädelhirntrauma, bei Patienten, die unklare Angaben bei der Sensibilitätsprüfung machen, bei hysterischer Paraplegie sowie in Spätstadien bei gutachtlichen Untersuchungen eine wertvolle Ergänzung zum klinischen Befund. Bei klinisch partiellen traumatischen Querschnittslähmungen bestehen typischerweise niederamplitudige SEP von normaler oder gering verlängerter Latenz. Bei kaudal vom Halsmark lokalisierten Läsionen wird ein Verhältnis der SEPAmplitude nach Tibialis- und Medianusstimulation von weniger als 1 : 2 als objektives Kriterium für eine pathologische Amplitudenreduktion betrachtet (Dorfman et al. 1980). Neben dem diagnostischen Wert wird SEP-Ableitungen im Frühstadium einer Rückenmarksverletzung eine prognostische Bedeutung zuerkannt (Bricolo et al. 1976; Dimitrijevic et al. 1980; Ziganow u. Rowed 1980). Erhaltene oder nach passagerem Verlust wieder nachweisbare SEP weisen auf eine gute Funktionsrückkehr hin, bevor diese sich im klinischen Befund abzeichnet (Rowed et al. 1978). Im Gegensatz dazu sind York et al. (1983) der Ansicht, dass erhaltene SEP keine verlässliche prognostische Aussage erlauben und dass nur deren Ausfall als Indiz für eine infauste Prognose gelten kann. Auch bei Untersuchungen im Spätstadium besteht im allgemeinen eine Übereinstimmung zwischen »Güte« des SEP und Ausmaß der Funk-
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tionsrückkehr (Dimitrijevic et al. 1980). Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass SEP-Untersuchungen lediglich eine Funktionsprüfung der Hinterstränge darstellen und dass deren Funktionsrückkehr, z. B. bei traumatischer Hämatomyelie nicht notwendigerweise mit einem gleichsinnigen Verhalten anderer Rückenmarksbahnen, insbesondere der deszendierenden motorischen Bahnen verknüpft ist. Trotz dieser Einschränkung erlauben SEP-Ableitungen nach Medianus-, Tibialis- und Pudendusstimulation eine prognostische Einschätzung der Handfunktion, der Gehfähigkeit sowie der Kontinenz (Curt u. Dietz 1996; Iseli et al.
1999), wobei andere Autoren die Meinung vertreten, dass dies ebenso zuverlässig anhand des klinischen Befundes möglich sei (Jacobs et al. 1995; Kraft et al. 1998). Bedenkt man allerdings die vielfach unzuverlässigen Angaben der Patienten bei der Sensibilitätsprüfung ist eine objektive Befunderhebung zweifellos von Vorteil. Sofern infolge einer begleitenden Schädel-Hirn-Verletzung eine Bewusstseinsstörung vorliegt, sind SEP-Untersuchungen ohnehin die einzige Möglichkeit die funktionelle Integrität der Hinterstränge zu prüfen und eine etwaige Schädigung durch Stimulation verschiedener Nerven zu lokalisieren. Spinale Reizantworten bei traumatischen Rückenmarksläsionen. Die Hinterhornneurone stehen un-
ter supraspinalem Einfluss und zeigen im Tierexperiment nach lokaler Unterkühlung oder Durchschneidung des Rückenmarks eine Änderung ihres Reaktionsverhaltens (Wall 1973). Von daher erscheint es überraschend, dass die in Hinterhornneuronen generierte Komponente N 13 a nach Armnervenstimulation sowie N 22 nach Beinnervenstimulation keine Änderung bei rostral des Generatororts lokalisierter Rückenmarksläsion aufweisen. Shimoji et al. (1973) zeigten erstmals an einem Tetraplegiker mit komplettem traumatischem Querschnitt in Höhe C 5, dass die epidural und subarachnoidal registrierten spinalen Reizantworten unterhalb dieses Niveaus normal ausgeprägt waren. Sedgwick et al. (1980) und Ertekin et al. (1980) konnten diesen Befund bestätigen. Dies bedeutet, dass das von höheren Einflüssen isolierte Rückenmark normale somatosensible Reizantworten erzeugt; so zeigt sich z.B. bei frischen Rücken-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
marksläsionen bis herab zum Segment L 3 ein normales N 22 nach Tibialisstimulation, was in eklatantem Gegensatz zu dem Ausfall der reflektorischen Erregbarkeit der Vorderhornneurone im Stadium des spinalen Schocks steht (Sedgwick et al. 1980). Bei traumatischen Halsmarkschädigungen zeigt das Nacken-SEP die bereits bei den spinalen Raumforderungen besprochenen Veränderungen mit erhaltenem N 9 und z. T. N 11 bei Deformierung und Verzögerung bzw. Ausfall der nachfolgenden Komponenten (Sedgwick et al. 1980). Schädigungen des Lumbosakralmarks mit Einbeziehung der Segmente L 4 bis S 2 bedingen einen Verlust von N 22 bei erhaltenem Cauda-equina-Potenzial (N 18), während bei weiter rostral gelegenen Verletzungen diese beiden Komponenten erhalten und nur die zervikalen und kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation pathologisch verändert sind (Ertekin et al. 1980; Sedgwick et al. 1980). Lehmkuhl et al. (1984) fanden allerdings bei 33 von 48 im Spätstadium untersuchten Patienten mit Zustand nach Rückenmarksverletzung oberhalb des Lumbosakralmarks pathologische lumbosakrale Reizantworten und vermuten als Grund hierfür entweder eine große Längsausdehnung der traumatischen Rückenmarksläsion oder aber ischämische bzw. degenerative infraläsionelle Veränderungen. Bestimmung des Niveaus und der Längsausdehnung einer Rückenmarksverletzung. Zur Höhen-
bestimmung einer Rückenmarksläsion mittels somatosensibler evozierter Potenziale wurden zwei unterschiedliche Techniken vorgeschlagen: 1. Bei Ableitung der Reizantwort von der Kopfhaut und sukzessiver Stimulation in einzelnen Dermatomen wird die Reizelektrode so lange in kaudalere Segmente verlagert, bis kein bzw. ein pathologisches SEP registriert wird (Baust et al. 1972). Mittels dieser Methode soll selbst bei fehlenden Sensibilitätsstörungen in einem Teil der Fälle eine Bestimmung des Schädigungsniveaus möglich sein; bei bereits klinisch bestimmbarem sensiblem Querschnittsniveau ist der SEP-Befund in der Segmentzuordnung genauer (Jörg 1977; Schramm et al. 1980). 2. Bei uni- oder bilateraler Beinnervenstimulation erfolgt eine simultane Potenzialaufzeichnung über mehreren Rückenmarkssegmenten.
Oberhalb der Läsionsstelle findet sich hierbei eine pathologisch veränderte oder ausgefallene Reizantwort (Cracco et al. 1980). Beide Methoden sind zeitaufwendig und liefern wegen der häufig niedrigen und bei Ableitung vom Rücken teilweise artefaktgestörten Reizantworten nicht immer zuverlässige Resultate. Der diagnostische Gewinn dieser Methoden ist daher wenig überzeugend, so dass deren Anwendung wohl auf spezielle Fälle beschränkt bleiben dürfte. Eine alternative Möglichkeit der Segmentdiagnostik bei Halsmarkläsionen besteht in der sukzessiven Stimulation von Armnerven, die Afferenzen aus verschiedenen Segmenten führen ( s. Tabelle 2.14). Bei Rückenmarksläsionen in Höhe des thorakolumbalen Übergangs lässt sich klinisch nur die obere Grenze der Läsion erfassen, nicht jedoch die Längsausdehnung in kaudaler Richtung. Damit bleibt unklar, ob die über lumbosakrale Segmente verlaufenden Blasenreflexbögen erhalten sind und mit der Entwicklung einer Reflexblase gerechnet werden kann. In solchen Fällen zeigt ein Ausfall der Komponente N 22 nach Tibialisstimulation eine Ausdehnung der Schädigung nach kaudal mindestens bis zu den Segmenten L 5/S 1 an, ein Ausfall der lumbosakralen Reizantwort nach Pudendusstimulation eine Einbeziehung der Segmente S 2 – 4. Fehlt zusätzlich der Bulbo-cavernosus-Reflex, kann gleichfalls eine Schädigung der Segmente S 2 – 4 unterstellt werden, mit entsprechend ungünstiger Prognose im Hinblick auf die Entwicklung einer reflektorischen Blasen- und Mastdarmentleerung.
SEP-Ableitungen während Rückenmarksund Wirbelsäulenoperationen Operationen am Rückenmark und an der Wirbelsäule sind mit dem Risiko einer intraoperativen Rückenmarksschädigung behaftet, die in Narkose unbemerkt bleibt. Bei Skolioseoperationen nach Harrington wird deshalb nach erfolgter Aufrichtung der sog. Aufwachtest (Vauzelle et al. 1973) durchgeführt. Diesem haften nicht nur einige Risiken an (Engler et al. 1978), sondern es erscheint auch fraglich, ob in der bis zum Erwachen aus der Narkose benötigten Zeit nicht schon eine irrever-
165 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
sible Rückenmarksschädigung eingetreten ist. Aus diesen Gründen ist eine in Narkose durchführbare Funktionsprüfung des Rückenmarks wünschenswert (Engler et al. 1978; Eulert et al. 1979; Legatt 1995; Nuwer et al. 1993; Stöhr et al. 1999). ! Tierexperimentelle Befunde belegen, dass SEP-Ableitungen eine rasche Erkennung von akuten Rückenmarksläsionen ermöglichen. So sind akute Rückenmarkskompressionen mittels Ballon beim Affen von einem unmittelbaren Verschwinden der epidural in Höhe C 1/C 2 abgeleiteten Reizantwort nach Stimulation des N. ischiadicus gefolgt (Kobrine et al. 1979). Auch Hardy et al. (1972) fanden bei ▼
⊡ Abb. 2.95. Kortikale Reizantwort beim Kaninchen nach Beinnervenstimulation während experimenteller Wirbelsäulenextension. Bei Extension der Wirbelsäule mit 7,5 kp regelrechtes SEP. Bei Verstärkung der Extension auf 15 kp deutliche Amplitudenabnahme bei fehlender Latenzverzögerung. Eine Verstärkung der Extension auf 20 kp ist von einem
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experimenteller Rückenmarkskompression ein Verschwinden der SEP, wobei dieser Effekt durch gleichzeitigen Blutdruckabfall verstärkt, durch gleichzeitigen Blutdruckanstieg abgeschwächt wurde. Das SEP des Kaninchens zeigt bei zunehmender Wirbelsäulenextension eine progrediente Amplitudenreduktion und beim Überschreiten eines kritischen Werts einen – bei rascher Entlastung reversiblen – Ausfall (Eulert et al. 1979) (⊡ Abb. 2.95). Aufgrund dieser Studien sowie Befunden von Croft et al. (1972) scheinen SEP-Studien zur Überwachung der funktionellen Integrität des Rückenmarks während Rückenmark- und Wirbelsäulenoperationen geeignet.
Verlust der Reizantwort gefolgt. 10 min nach erfolgter Entlastung ist eine vollständige Restitution der kortikalen Reizantwort eingetreten. (Die Abbildungen wurden freundlicherweise von Herrn Dr. Mitzkat und Herrn Prof. Dr. Eulert, Orthopädische Universitätsklinik Tübingen, zur Verfügung gestellt)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Über positive Erfahrungen mit dieser Methode berichteten McCallum u. Bennett (1976), Engler et al. (1978), Nash et al. (1978), Eulert et al. (1979), Owen et al. (1980), Spielholz et al. (1980), Worth et al. (1982) Maccabee et al. (1983), Nuwer u. Dawson (1984) sowie Schramm (1985) bei verschiedenartigen orthopädischen und neurochirurgischen Eingriffen.
Amplitudenminderung tolerabel ist, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Worth et al. (1982) fanden nur bei 1 von 7 operierten Kindern einen länger als 20 min nach erfolgter Skoliose-Aufrichtung anhaltenden Amplitudenabfall von mehr als 50% und nahmen dies zum Anlass, die Distraktion zu verringern.
Beispiel Das praktische Vorgehen sei am Beispiel der Skoliose-Operation erläutert und muss bei anderen Eingriffen entsprechend modifiziert werden: 1. Am Tag vor der Operation wird die kortikale Reizantwort nach Beinnervenstimulation abgeleitet, um einen Ausgangsbefund zu haben und um präoperative pathologische Befunde auszuschließen. Zur Stimulation wird am besten der N. tibialis hinter dem Innenknöchel verwendet, da diese Stelle auch intraoperativ gut zugänglich ist, so dass der richtige Elektrodensitz laufend kontrolliert werden kann. Bei niedriger SEP-Amplitude empfiehlt sich eine bilaterale Stimulation, da intraoperativ infolge Narkoseeinflüssen mit einer weiteren Amplitudenreduktion gerechnet werden muss. Ableite- und Stimulationspunkte werden markiert. 2. Am Tag der Operation erfolgt nach Einleitung der Narkose, aber vor Operationsbeginn, die erste Ableitung im Operationssaal, um etwaige Störquellen eliminieren zu können und um einen Ausgangswert in Narkose zu haben. 3. Intraoperative Messungen sind erforderlich unmittelbar vor und nach erfolgter Aufdehnung der Wirbelsäule sowie in 5- bis 10-minütigen Abständen danach, um eine stärkere Amplitudenreduktion möglichst rasch zu erfassen. Leichte bis mäßige Amplitudenreduktionen können im Zusammenhang mit der Vertiefung der Narkose und mit einer Blutdrucksenkung vorkommen. Exakte Angaben darüber, welches Ausmaß an
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Zusammengefasst muss bei der Anwendung eines intraoperativen SEP-Monitorings bei Wirbelsäulen- oder Rückenmarksoperationen auf folgende Faktoren geachtet werden: 1. Bei Beinnervenstimulation und Skalpableitung muss ein präoperativer Befund vor und nach Einleitung der Narkose vorliegen, um die günstigsten Reiz- und Ableitebedingungen in Bezug auf Reizintensität, Filtereinstellungen und Verstärkung festzulegen, um einen Ausgangswert zu haben und um zusätzlich festzustellen, ob der betreffende Patient überhaupt für diese Funktionsprüfung geeignet ist. 2. Günstiger als die Skalpableitung ist die epidurale spinale Ableitung (Schramm 1985) oder die Ableitung mit zwischen den Dornfortsätzen eingestochenen Nadelelektroden (Lueders et al. 1982). Dabei empfiehlt es sich nicht nur die Potenziale rostral, sondern auch diejenigen kaudal des gefährdeten Rückenmarksabschnitts aufzuzeichnen, um technische Fehler (z. B. eine ungenügende Reizstärke) erkennen und ausschalten zu können. 3. Bei einer kritischen intraoperativen Amplitudenminderung der evozierten Potenziale (mehr als 50% bei mehreren aufeinanderfolgenden Ableitungen) muss ermittelt werden, ob hierfür eine Änderung der Narkoseart oder -tiefe, ein Butdruckabfall, eine Senkung der Körpertemperatur oder Änderungen der PO2-/PCO2Konzentration verantwortlich sein können, ehe Konsequenzen in Bezug auf das weitere operative Vorgehen gezogen werden. Generell wird von der Anwendung halogenierter Narkotika wegen ihres negativen Einflusses auf die SEP abgeraten und eine N2O-Narkose empfohlen.
167 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
Ergänzend zu den Amplitudenbestimmungen sollten auch Latenzmessungen erfolgen, wobei persistierende Verzögerungen, die mehr als 10% ausmachen, als kritische Werte anzusehen sind. Bei alleiniger Berücksichtigung der Amplitudenwerte werden 72% der intraoperativen Komplikationen korrekt erfasst. Die Ergebnisse werden durch Einbeziehung der Latenzmessungen verbessert (Dawson et al. 1991; Herdmann et al. 1992).
Erfolgt ein Rückenmarksmonitoring im Rahmen von operativen Eingriffen an der Aorta und am Herzen, so empfiehlt sich eine Stimulation der Cauda equina, da die Beinnerven bei Abklemmung der Aorta descendens infolge der resultierenden Ischämie der Beine rasch unerregbar werden (Guérit et al. 1997; Kawada et al. 1996).
In den letzten Jahren erfolgt ein Neuromonitoring bei zahlreichen operativen Eingriffen, deren Darstellung speziellen Monographien vorbehalten bleibt (Stöhr et al. 1999). Bei Operationen am Gehirn, an den hirnversorgenden Arterien, an den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten, aber auch an den großen Gelenken lässt sich hiermit die Komplikationsrate im zentralen bzw. peripheren Nervensystem vermindern (Epstein 1996; Horsch u. Ktenidis 1996; Pereles et al. 1996).
Vaskuläre Myelopathie Patienten mit Infarkt im zervikalen Versorgungsareal der A. spinalis anterior und dissoziierter Sensibilitätsstörung zeigen normale spinale und primäre kortikale Reizantworten sowohl nach Arm- als auch nach Beinnervenstimulation. Bei 8 Patienten mit der Verdachtsdiagnose einer chronischen vaskulären Myelopathie zeigte die Ableitung des Tibialis-SEP in 3 Fällen eine geringe Latenzzunahme von P 40 (maximal 3 ms über dem oberen Normgrenzwert), in 1 Fall in Kombination mit einer pathologischen Seitendifferenz von 3,5 ms. Ausgeprägte und den gesamten Rückenmarksquerschnitt einbeziehende vaskuläre Rückenmarksläsionen können zu einem mehr oder minder vollständigen Verlust der rostral der Schädigung generierten SEP-Komponenten führen. Im Unterschied
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zu der infausten Prognose bei Rückenmarkstraumen mit SEP-Ausfall ist ein solcher Befund bei vaskulären Rückenmarksläsionen teilweise reversibel (⊡ Abb. 2.96). In seltenen Fällen mit zentraler Rückenmarksschädigung besteht ein isolierter Ausfall der Welle N13a als Hinweis auf eine umschriebene Hinterhornläsion, bei ungestörter Impulsweiterleitung über den Tractus cuneatus und deshalb normaler Ausprägung der Wellen N13b und N20.
Entzündliche Rückenmarkserkrankungen (außer MS) Myelitis transversa. Akute Myelitiden mit partiellem, selten komplettem Querschnittssyndrom, können sich im Anschluss an Virusinfekte und Impfungen entwickeln, bleiben allerdings ätiologisch häufig unklar. Vereinzelte Mitteilungen (Terao u. Araki 1975; Baran u. Jefferson 1979; Terao et al. 1980; Riffel et al. 1983) und eigene Erfahrungen zeigen als Hauptbefund nach Beinnervenstimulation eine Erniedrigung der spinalen bzw. kortikalen Reizantworten ohne signifikante Latenzverzögerung. Verlaufsuntersuchungen zeigten eine gute Übereinstimmung zwischen zunehmender Normalisierung der spinalen SEP und der klinisch feststellbaren Besserung (Terao et al. 1980). In Einzelfällen kommen allerdings leichtere Verlängerungen der P 40-Latenz bzw. des Latenzintervalls N 22 – P 40 vor, was dann die Abgrenzung gegenüber spinalen Formen von MS erschwert. Insgesamt weisen 77% der Patienten ein pathologisches Tibialis-SEP auf, wobei 32% im Krankheitsverlauf eine Besserungstendenz erkennen lassen (Kalita u. Misra 2000). Unter Hinzuziehung der EMG- und MEP-Befunde ist eine recht genau objektive Abschätzung des Betroffenseins der Hinterstränge, der Pyramidenbahnen und der motorischen Vorderhornkerne möglich. Selten besteht eine isolierte Hinterhornbeteiligung mit Latenzverzögerung und/oder Amplitudenreduktion von N22; bei ungestörter Impulsleitung über den Tractus gracilis ist das Latenzintervall N22–P40 in solch einem Fall verkürzt (⊡ Abb. 2.97). Ist das Zervikalmark betroffen, bestehen unioder bilaterale Veränderungen der zervikalen Reizantworten (⊡ Abb. 2.98). Bei Einbeziehung des
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.96. Vaskuläre Halsmarkläsion (nach ausgedehnter Verletzung der Halsweichteile mit vermutlicher Einbeziehung von Radikulararterien). Bei der ersten Ableitung (15. 12. 83) Verlust der spinalen Reizantworten nach N 11 und fehlender kortikaler Primärkomplex. Bei der ersten Kontrolle (23. 10. 84) partielle Restitution von N 13 a (13,8 ms) und N 13 b (letzter Gipfel des deformierten Potenzials bei 15,4 ms). Dreieinhalb Jahre später ist eine Befundnormalisierung eingetreten
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Lues spinalis erfolgten durch Caccia et al. (1976), die mittels epiduraler Ableitetechnik einen Ausfall der spinalen Reizantwort rostral der Läsion feststellen konnten. Die Tabes, bei der sich die primären Veränderungen nicht im Rückenmark, sondern vermutlich in den Hinterwurzeln der Lumbosakralregion abspielen, zeigt als auffälligsten morphologischen Befund eine Entmarkung im Bereich der Hinterstränge (Peters 1970), wobei unklar ist, ob diese ausschließlich sekundär nach vorangehender Axondegeneration auftritt.
Beispiel Neurographische und SEP-Untersuchungen bei einem 56jährigen Patienten mit florider Tabes dorsalis ergaben bei normalen Nervenleitgeschwindigkeiten an den Beinen einen Ausfall des H-Reflexes sowie eine leicht pathologische Latenzzunahme der über den Dornfortsätzen L 5 und L 1 abgeleiteten Reizantworten (N 18 = 22 ms, N 22 = 26,7 ms). Die Latenzintervalle von der Welle N22 zu den zervikalen und kortikalen Reizantworten erwiesen sich mit 8,4 bzw. 20,2 ms als normal, so dass sich kein Hinweis auf eine zusätzliche Leitungsverzögerung in den Hintersträngen ergab. ⊡ Abb. 2.97. Hinterhornläsion im Lumbosakralmark. Nach Tibialis-Stimulation re. (TIB R) ist die Latenz der Komponente N22 2,1 ms gegenüber li. (TIB L) verspätet. Da die Leitungsverzögerung den Funiculus gracilis ausspart, besteht eine abnorme Verkürzung des Latenzintervalls N22/P40 auf der kranken Seite (12,9 ms gegenüber 16,8 ms auf der Gegenseite)
Unter Berücksichtigung der wenigen bisher publizierten Fallberichte stellt die Verzögerung und Deformierung der Komponente N22 die gravierendste Veränderung dar und weist – in Kombination mit den neurographischen Befunden – auf eine Demyelinisierung lumbosakraler Nervenwurzeln hin.
unteren Zervikalmarks kann es zweckmäßig sein,
den N. ulnaris anstelle des N. medianus zur Stimulation heranzuziehen (⊡ Abb. 2.99). Lues spinalis und Tabes dorsalis. Bei der luischen Myelitis spielen die Rückenmarksgefäße mit hierauf zu beziehenden ischämischen Gewebseinschmelzungen eine entscheidende pathogenetische Rolle, wobei dieses Krankheitsbild zusätzlich durch die entzündlichen Veränderungen an den Meningen charakterisiert ist. SEP-Untersuchungen bei
Granulomatöse Myelitiden. Spinale Granulome
kommen unter anderem bei Tuberkulose und M. Boeck vor und werden in der Regel als Rückenmarkstumoren verkannt, wie in dem folgenden kasuistischen Beispiel.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.98a, b. Myelitis im Segment C6 li. 22-jähriger Patient mit akut aufgetretenen Sensibilitätsstörungen im Dermatom C6 li., Abschwächung des Bizepsreflexes li., Pleozytose im Liquor (54/3 Zellen) sowie intrathekaler IgG-Produktion. a Nach N.-medianus-Stimulation li. (MED li.) Verzögerung und Deformierung der Komponente N13a mit entsprechender Verzögerung der nachfolgenden Komponenten. (Nach Daumenstimulation li. Ausfall der zervikalen Reizantworten). b Die MRT zeigt in Höhe HWK5 li. dorsolateral eine hyperintense Zone mit ringförmiger Kontrastmittelanreicherung
171 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.99. Querschnittsmyelitis mit oberem Niveau bei C 8. Nach linksseitiger Medianusstimulation (oben) normale spinale und kortikale Reizantworten. Nach linksseitiger Ulnarisstimulation normale Ausprägung der Komponente N 13 a bei deutlicher Erniedrigung von N 13 b und N 20. Die Diskrepanz zwischen Medianusund Ulnaris-SEP ist durch die Höhenlokalisation des Prozesses erklärt. Die normale Ausprägung von N 13 a bei pathologischer Erniedrigung von N 13 b im Ulnaris-SEP spricht dafür, dass das im Eintrittssegment zum Hinterhorn verlaufende Faserbündel nicht affiziert ist, während die im Hinterstrang aufsteigenden Faseranteile zu einem erheblichen Teil funktionell ausgefallen sind
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Beispiel
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Die 26-jährige Patientin entwickelte subakut ein progredientes Querschnittssyndrom mit motorischen und sensiblen Ausfällen ab dem Segment C 8. Myelographisch ergab sich der Nachweis einer von Unterkante HWK 7 bis Mitte HWK 5 reichenden intramedullären Raumforderung. Bei der Operation fand sich ein intramedullärer, diffus wachsender Tumor in dem beschriebenen Bereich, wobei die histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes epitheloidzellig-granulomatöse Infiltrate mit zahlreichen Riesenzellen ergab. Nach Ausschluss einer Tuberkulose und einer Riesenzellangiitis bei Kollagenose wurde die Diagnose eines spinalen M. Boeck gestellt und eine Prednisontherapie eingeleitet, die zu einer deutlichen und anhaltenden Befundbesserung führte. Entsprechend der Lokalisation des Prozesses im unteren Halsmark mit Verschonung der Afferenzen aus den Dermatomen C 6/7 ist das NSEP nach Medianusstimulation normal, während nach Ulnarisstimulation ein fast kompletter Ausfall aller Komponenten nach N 9 besteht (⊡ Abb. 2.100 a). Bei Ableitung von der Kopfhaut weist N 20 eine hochgradige Amplitudenreduktion bei normaler Latenz (19,8 ms) auf (nicht abgebildet). Nach links- und rechtsseitiger Tibialisstimulation sind die über dem Lumbosakralmark registrierten Reizantworten normal; die kortikalen Reizantworten erwiesen sich präoperativ als hochgradig erniedrigt bei normaler P-40-Latenz (37 ms), während im Anschluss an die Operation und eine 3-wöchige Cortisonbehandlung die in ⊡ Abb. 2.100 b dargestellten SEP registriert werden konnten. Diese weisen eine geringe, aber konstante Amplitudenminderung und Latenzverzögerung nach linksseitiger Stimulation auf, liegen jedoch bezüglich Ausprägung und absoluten Latenzen noch innerhalb des Normbereichs.
Arachnitis spinalis. Eine chronisch progressive Arachnitis spinalis kommt im Gefolge von Rückenmarkstraumen, -operationen, Meningitis spinalis sowie nach Myelographien und intrathekalen Arzneimittelgaben vor. Die Symptomatik ist durch
sensible und motorische Reiz- und Ausfallerscheinungen charakterisiert und kann eine spinale Raumforderung imitieren. Die SEP-Befunde bei einer klinisch als Caudasyndrom imponierenden, jedoch überwiegend das Lumbosakralmark affizierenden Arachnopathie, welche myelographisch und operativ bestätigt wurde, sind in ⊡ Abb. 2.101 dargestellt. Borreliose. Borrelieninfektionen gehen mit einer
variablen Affektion des peripheren oder zentralen Nervensystems einher. Häufig sind beide Anteile gleichzeitig in Mitleidenschaft gezogen. Eine klinisch oft latente Mitbeteiligung des ZNS lässt sich am besten durch eine 4-Kanalableitung über den einzelnen Abschnitten der somatosensiblen Leitungsbahnen erfassen. Betroffen sein können hier spinale und supraspinale Anteile ( s. Abb. 2.83). Im Fall der ⊡ Abb. 2.83 ist die zentralmotorische Überleitungszeit auf der linken Seite massiv verzögert. Solche Befunde kommen zwar nicht nur bei zentralnervösen sondern auch bei Cauda equinaAffektionen vor, da die Laufzeit in der Cauda equina in die Berechnung eingeht. Da die ebenfalls über die Cauda equina verlaufenden F-Antworten jedoch nur eine leichte Latenzzunahme aufweisen, muss der Hauptteil der Verzögerung innerhalb des Tractus cortikospinalis erfolgen, was die klinisch latente zentralnervöse Mitbeteiligung beweist. Ebenso belegt die SEP-Ableitung eine kombinierte peripher- und zentralnervöse Affektion. Neuroborreliosen mit zentralnervöser Beteiligung können mit ähnlichen SEP-Veränderungen einhergehen wie die multiple Sklerose, so dass es wichtig ist nach – teilweise gering ausgeprägten – Affektionen im Bereich des PNS zu fahnden und dementsprechend Mehrkanalableitungen durchzuführen. Verlaufsuntersuchungen nach erfolgreicher Behandlung der Borrelieninfektion zeigen interessanterweise eine gute Rückbildungstendenz zentralnervöser Impulsleitungsverzögerungen, was bekanntlich bei der MS kaum je der Fall ist. Somit scheint die Remyelinisierung innerhalb des ZNS durchaus in effektiver Weise möglich zu sein, sofern es gelingt die pathogene Ursache auszuschalten. HIV-Myelopathie. Bei HIV-Myelopathie zeigt sich
im Tibialis-SEP ein verlängertes Latenzintervall
173 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.100a, b. Spinaler Morbus Boeck. 26-jährige Frau mit subakut aufgetretener Querschnittssymptomatik mit einem sensiblen Niveau bei C8. a Armnervenstimulation: Das EP-Potenzial und die einzelnen Komponenten des Nacken-SEP nach linksseitiger Medianusstimulation sind regelrecht. Nach linksseitiger Ulnarisstimulation normale Darstellung des EP-Potenzials sowie der ersten Komponente des Nacken-SEP bei
weitgehendem Verlust der nachfolgenden Komponenten. b Beinnervenstimulation: Nach rechts- und linksseitiger Tibialisstimulation hinter dem Malleolus medialis findet sich beiderseits eine normale Welle N22 (über dem Dornfortsatz L1). Die kortikale Reizantwort ist nach Stimulation auf der stärker betroffenen linken Seite gering (nicht signifikant) verzögert und erniedrigt (Intervall-N 22/P40 rechts 15,6 ms, links 16 ms)
N 22 – P 40 (Smith et al. 1990; Cosi 1991), wobei solche zentralen Impulsleitungsstörungen auch bei Patienten ohne fassbare Sensibilitätsstörungen an den Beinen auftreten können (Kakigi et al. 1988, 1992). Die normalen spinalen und kortikalen Reizantworten nach Medianusstimulation werden als
Indiz für einen unterhalb des Zervikalmarks – also vermutlich im Thorakalmark – gelegenen Schädigungsort gewertet. SEP-Untersuchungen bei dieser Patientengruppe sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil die klinische Diagnostik durch die häufig beglei-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
tende periphere Neuropathie erschwert wird. Dementsprechend sind oft sowohl die peripheren als auch die zentralen Leitungszeiten verlängert, wobei die zentrale Leitungsverzögerung auf die thorakolumbalen Rückenmarksabschnitte begrenzt ist (Tagliati et al. 2000).
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Friedreich-Krankheit
⊡ Abb. 2.101a, b. Arachnitis spinalis. 39-jähriger Mann mit chronisch progredienter Arachnitis spinalis im Bereich des Lumbosakralmarks mit segmentalen und suprasegmentalen Lähmungen, vorwiegend am rechten Bein. a Normalbefund mit regelrecht ausgebildetem spinalem (L 1) und Cauda- (L 5) Potenzial (Stimulation des N. tibialis hinter dem Malleolus medialis). b Bei dem Patienten sind das sensible Nervenaktionspotenzial (SNAP) in der Fossa poplitea und das Caudapotenzial (L 5) bezüglich Latenz und Ausprägung normal. Bei Ableitung über dem Dornfortsatz L 1 stellt sich lediglich eine sehr niedrige Vorwelle mit einer Latenz von 17,6 ms dar; die N22-Antwort fehlt
Die Friedreich-Ataxie manifestiert sich vor dem 25. Lebensjahr und verläuft progredient mit Gangataxie sowie an den Beinen beginnender Störung des Vibrations- und Lagesinns (Friedreich 1875; Harding 1981). Im histologischen Befund dominieren ein Untergang von Achsenzylindern mit begleitenden Entmarkungsvorgängen, u. a. in den Hintersträngen, mit nukleodistalem Beginn und ohne wesentliche Mitbeteiligung der Spinalganglienzellen (Peters 1970). Der atrophisierende Prozess läßt sich bis zu den Hinterstrangkernen verfolgen, greift jedoch nur selten auf den Lemniscus medialis über. Im distalen Fortsatz der Spinalganglienzellen spielen sich gleichartige Veränderungen ab, wobei ein selektiver Verlust der dicken markhaltigen Axone, teilweise verbunden mit sekundärer segmentaler Demyelinisierung eintritt (Hughes et al. 1968; Dyck et al. 1971; Dyck u. Lais 1973). Zahlreiche neurophysiologische Untersuchungen bei diesem Krankheitsbild haben uneinheitliche Befunde ergeben. Messungen der sensiblen NLG erbrachten teils verlangsamte (McLeod 1971; Oh u. Halsey 1973; Peyronnard et al. 1976), teils normale Werte (Dyck et al. 1971; Jones et al. 1980; Sauer 1980) und als einzigen konstanten Befund eine dem Ausmaß der Faserdegeneration entsprechende Amplitudenminderung der sensiblen Nervenaktionspotenziale. SEP-Studien mit Medianusstimulation an den Fingern oder am Handgelenk zeigten meistens verzögerte kortikale Reizantworten mit einer Verbreiterung von N 20 zwischen Beginn und Gipfel (Bergamini et al. 1966; Jones et al. 1980; Caruso et al. 1987). In einer Studie von Jones et al. (1980) an 22 Patienten war N 13 häufig ausgefallen, jedoch, falls identifizierbar, nur gering verzögert, während N 20 eine deutliche Verzögerung und eine Verlängerung des Intervalls zwischen Beginn und Gipfel von normalerweise 2,5 ms auf 10,7 ms aufwies. Letzteres Phänomen wurde auf eine abnorme zeitliche Streuung der die Hinterstränge und den
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medialen Lemniscus durchlaufenden afferenten Impulswelle bezogen, während die Ursache der Latenzzunahme – verlangsamte zentralnervöse Leitgeschwindigkeit oder verlängerte synaptische Übertragungszeit – offengelassen wurde. Nach Stimulation von Beinnerven fand sich entweder ein Ausfall oder eine Verzögerung des SEP (Giblin 1964; Colon et al. 1978). Detailliertere Messungen mit Einbeziehung spinaler Reizantworten zeigten, dass die periphere Impulsleitung mit normaler oder nur geringgradig herabgesetzter Geschwindigkeit erfolgt, während sie innerhalb des ZNS verzögert ist (Sauer u. Schenck 1977; Mastaglia et al. 1977; Jones et al. 1980). Sauer (1980) sowie – mittels subarachnoidaler Ableitung – Ertekin (1978 b) lokalisierten die Impulsverzögerung vorwiegend in die Hinterstränge. Im Gegensatz zu diesen Befunden beschreiben Chiappa et al. (1980) bei einem Patienten mit Verlust des Lage- und Vibrationssinnes niedrige kortikale Reizantworten mit normaler Latenz, was besser zum morphologischen Charakter dieser Erkrankung mit primärer axonaler Degeneration passen würde. Solange noch einige der schnellleitenden afferenten Axone funktionsfähig sind, sollten diese mit normaler Geschwindigkeit leiten und wegen des Verstärkungseffekts des thalamokortikalen Systems die Registrierung niedriger, aber nicht signifikant verzögerter SEP ermöglichen. Noël u. Desmedt (1976) führen aus, dass bei Anwendung einer genügend hohen Reizstärke SEPLatenzen innerhalb des Normbereichs gefunden werden (17 – 25 ms nach Stimulation an den Fingern). Als Besonderheit erwähnen diese Autoren eine Verdoppelung bzw. Verdreifachung der primären kortikalen Negativität, d. h. 2 – 3 in Intervallen von durchschnittlich 9,4 ms aufeinanderfolgende, niedere negative Gipfel, die von einer hohen positiven Komponente gefolgt werden. Die 2. bzw. 3. dieser negativen Komponenten wird hypothetisch auf eine Re-Exzitation des Gyrus postcentralis über eine thalamokortikale Schleife – nach partieller Denervierung von VPL-Neuronen infolge Faserausfall im Lemniscus medialis mit kollateraler Reinnervation der frei gewordenen Synapsen – zurückgeführt. Eine alternative Erklärung bestünde in der Annahme einer ausgeprägten Erniedrigung des kortikalen Primärkomplexes bei besserem Er-
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haltenbleiben der nachfolgenden Komponenten, so dass die hohe positive Komponente nicht P 25, sondern P45 entsprechen würde (Beltinger et al. 1987). Beispiel Eigene Untersuchungen (Beltinger et al. 1987) zeigten nach Medianusstimulation ein ausgefallenes oder erniedrigtes EP-Potenzial normaler Latenz sowie ein normales Latenzintervall N 9 –13. Die Amplitude von N 13 erwies sich vielfach als vergleichsweise hoch (Abb. 2.102 a). N 20 stellte sich erniedrigt und mit leicht bis mäßig verlängerter Latenz dar, mit entsprechender Zunahme der zentralen Überleitungszeit N 13 – N 20. Starke Latenzverlängerungen zur ersten negativen Welle wurden auf einen Ausfall von N 20 mit Erhaltensein späterer Komponenten zurückgeführt. Nach Tibialisstimulation bestand ausnahmslos ein Verlust von N 18 (Kaudapotenzial), während N 22 demgegenüber mit vergleichsweise hoher Amplitude registriert werden konnte (⊡ Abb. 2.102 b). N 30 war ebenso wie die kortikale Reizantwort nur in 2 von 9 Fällen erhalten, wobei die Latenzen – soweit eindeutig bestimmbar – nur eine leichte Zunahme aufwiesen, ebenso wie die Überleitungszeiten N 22 – N 30 (⊡ Abb. 2.102 b) und N 30 – P 40.
Andere Formen von hereditärer Ataxie führen vielfach zu ähnlichen aber meist weniger ausgeprägten Veränderungen wie die Friedreich-Erkrankung (Pedersen u. Trojaborg 1981; Nuwer et al. 1983). Gelegentlich wurden pathologische Befunde bereits bei Familienangehörigen mit nur diskreter Symptomatik festgestellt (Caruso et al. 1987). Spätmanifeste zerebelläre Ataxien gehen mit unauffälligen neurophysiologischen Befunden einher, es sei dann, es werden im Verlauf weitere Systeme einbezogen. Einen frühzeitigen Hinweis darauf können pathologische neurophysiologische Befunde geben. Trotz der aufgezeigten Diskrepanzen in den von verschiedenen Untersuchern erhobenen Befunden erlauben SEP-Untersuchungen eine hinreichend sichere Abgrenzung der Friedreich-Erkrankung gegenüber Systemdegenerationen, die ausschließlich das periphere oder das zentrale Nervensystem betreffen (Jones et al. 1980).
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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aa
b
⊡ Abb. 2.102a, b. Friedreich-Erkrankung. a Nach Medianusstimulation erniedrigtes EP-Potenzial von normaler Latenz. N 13 a und b vergleichsweise hochamplitudig. Latenzintervall EP-N 13 regelrecht. N 20 erniedrigt und leicht verzögert, sowie abnorme Konfiguration der nachfolgenden Wellen mit hohem »N 38«. Zentrale Überleitungszeit (N 13 b – N 20) mit 8,7 ms
leicht verlängert. b Nach Tibialisstimulation Ausfall von N 18 bei gut erhaltener Welle N 22 mit normaler Latenz (23,8 ms). Spinale Überleitungszeit (N 22 – N 30) mit 10,8 ms nur gering verlängert. Die kortikale Reizantwort ist erhalten, wobei sich P 40 vermutlich in dem initialen lang abfallenden Schenkel verbirgt
Sonstige Rückenmarkserkrankungen
der rostral der Hinterstrangkerne befindlichen somatosensiblen Leitungsbahnen schließen. Green u. McLeod (1979) beschreiben in einem Fall eine Verzögerung der subkortikalen und frühen kortikalen Reizantworten nach Medianusstimulation, ohne genauere Angaben zu machen, Krumholz et al. (1981) bei 2 von 7 Patienten mit einem Vitamin-B12Mangel einen Ausfall des Peronaeus-SEP (wobei nur diese beiden Patienten deutliche klinische Zeichen einer Myelopathie aufwiesen).
Funikuläre Spinalerkrankung. Diese besonders die
Hinterstränge und Pyramidenbahnen betreffende Vitamin B12-Mangelerkrankung ist histologisch durch multiple, beim Fortschreiten des Leidens konfluierende kleine Entmarkungsherde in den langen Rückenmarksbahnen gekennzeichnet, während ein Zerfall von Achsenzylindern erst in späteren Stadien eintritt (Peters 1970; Hemmer et al. 1998). Entsprechend diesem morphologischen Befund fanden wir eine mäßige bis starke Verlängerung der P-40-Latenz nach distaler Tibialisstimulation oder einen Ausfall von P 40. Nach Medianusstimulation zeigte sich das EP-Potenzial normal bis grenzwertig verzögert (⊡ Abb. 2.103). Die zervikalen Reizantworten sind erniedrigt und verzögert, die kortikalen Primärkomplexe stark verzögert oder ausgefallen. Das lässt auf eine Einbeziehung
Vitamin-E-Mangel. Ein Vitamin-E-Mangel kann zu einer Myelopathie mit selektivem Untergang dicker, markhaltiger Axone u. a. im Hinterstrang mit entsprechend pathologischen SEP-Befunden führen (Satya-Murti et al. 1986). An Ratten wurde durch normale lumbale und verlängerte kortikale Reizantworten eine Verzögerung der zentralen
177 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.103. Funikuläre Myelose mit ausgeprägten sensomotorischen Ausfällen an allen Gliedmaßen. Nach Medianusstimulation rechts leicht verzögertes EP-Potenzial. Keine reproduzierbaren zervikalen Reizantworten, jedoch niedriger
und stark verzögerter reproduzierbarer kortikaler Primärkomplex. (Nach Tibialisstimulation erhaltene sensible Nervenaktionspotenziale bei Ausfall der Komponenten N 22 und P 40 beiderseits)
Überleitungszeit demonstriert (Goss-Sampson et al. 1988).
zentralen Impulsleitung und eine Erniedrigung der kortikalen Wellen vorlag.
Metabolische Myelopathien. Im Rahmen eines Diabetes mellitus, einer Leberzirrhose oder einer Urämie finden sich nicht nur Polyneuropathien, sondern auch Myelopathien mit Einbeziehung der Hinterstränge ( s. 2.5.1). So weisen nach Gupta u. Dorfman (1981) 40% der Diabetiker eine Verzögerung der spinalen Leitgeschwindigkeit als Hinweis auf eine Funktionsbeeinträchtigung der Hinterstränge auf. Subakute Myelo-Optico-Neuropathie (SMON).
Terao u.Araki (1975) beschrieben SEP-Untersuchungen bei einem 60-jährigen Patienten mit mäßiggradigen Sensibilitätsstörungen kaudal des unteren Abdomens, wobei die kortikalen Reizantworten nach Medianusstimulation normal, nach Tibialisstimulation pathologisch erniedrigt waren. 5 von Shibasaki et al. (1982) untersuchte Patienten wiesen ein normales Medianus-SEP auf, während nach Tibialisstimulation zweimal eine Verzögerung der
Beispiel Ein persönlich untersuchter Verdachtsfall mit jahrzehntelanger hochdosierter Einnahme von Oxychinolinderivaten bot klinisch eine vorwiegend zentrale linksbetonte Paraparese der Beine mit klinischen und elektromyographischen Zeichen einer Mitbeteiligung des peripheren Nervensystems im Sinne einer symmetrischen Polyneuropathie. Die motorischen NLG an den unteren Extremitäten lagen zwischen 32 und 37 m/s. Das SEP nach distaler Tibialisstimulation rechts zeigte eine pathologische Latenzverzögerung von P 40 auf 48,2 ms, während nach linksseitiger Tibialisstimulation ein stark erniedrigtes und deformiertes SEP registriert wurde, das keine eindeutige Latenzmessung erlaubte.
Strahlenmyelopathie. Untersuchungen des Tibia-
lis-SEP bei 4 eigenen Patienten mit Strahlenmyelo-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
pathie ergaben in je einem Fall die folgenden uneinheitlichen Ergebnisse: Normalbefund – beiderseitige Latenzzunahme von P40 auf 52 bzw. 50,8 ms – normale Latenzen bei pathologischer Seitendifferenz von 3,8 ms – Ausfall der kortikalen Reizantwort. Spina bifida mit Myelomeningozele. Bei Kindern mit dieser Fehlbildung fanden Baran u. Jefferson (1979) eine dem Ausmaß der Rückenmarksschädigung korrespondierende Erniedrigung der lumbalen und thorakokaudalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation. Auch Duckworth et al. (1976), welche die kortikalen Reizantworten bei 18 Kindern im Alter von 3 Tagen bis 3 Jahren untersuchten, betonen die gute Korrelation mit der klinischen Sensibilitätsprüfung. Damit scheint es möglich, bei diesem Krankheitsbild das Ausmaß der Sensibilitätsstörung objektiv festzustellen, was besonders bei Säuglingen und Kleinkindern sowie zur Dokumentation von Operationsergebnissen wertvoll ist.
eine verlängerte zentrale Überleitungszeit im Medianus-SEP und bei etwa der Hälfte der Patienten eine isolierte Veränderung der prärolandischen Komponenten. Auch Georgesco et al. (1997) verweisen auf häufige Veränderungen in der Ausprägung der kortikalen Reizantworten. Tethered cord-Syndrom. Dieses sowohl das Rücken-
mark als auch die Cauda equina betreffende Krankheitsbild geht mit pathologischen lumbalen und kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation einher, wobei das Ausmaß der Veränderungen gut mit dem klinischen Schweregrad korreliert (Yamada et al. 1983; Roy et al. 1986). M. Behçet. Untersuchungen an 54 Patienten durch
Stigsby et al. (1994) ergaben in 38% ein pathologisches Medianus-SEP, in 21% ein abnormes TibialisSEP, wobei eine Amplitudenreduktion bei fehlender oder nur geringer Verlängerung der zentralen Überleitungszeiten den dominierenden Befund darstellte.
Familiäre spastische Paraplegie. Eine Untersu-
chung an 11 Patienten durch Pelosi et al. (1991) zeigte nach Beinnervenstimulation in 8 Fällen pathologische kortikale Reizantworten (4-mal erniedrigt oder ausgefallen, 7-mal verzögert). Nach Medianusstimulation wiesen nur 2 Patienten erniedrigte kortikale Reizantworten auf. Chronisch progrediente spastische Paraparesen unklarer Ätiologie. In der Gruppe von Patienten
mit progressiver spastischer Paraparese verbleiben auch nach maximaler Diagnostik, einschließlich MRT, Myelographie und teilweise spinaler Angiographie, eine relativ große Zahl, bei der die Diagnose offenbleibt. Unter 16 Fällen dieser Art war das Tibialis-SEP 10mal normal. In 5 Fällen zeigte sich eine leichte uni- oder bilaterale Latenzverzögerung auf Werte zwischen 46 und 49 ms, in einem weiteren Fall eine Amplitudenerniedrigung auf 0,3 µV bei grenzwertiger Latenz. Amyotrophe Lateralsklerose. Bei ALS und progressiver Bulbärparalyse sollen in bis zu 30% pathologische SEP-Befunde erhalten werden, meist ohne fassbare Sensibilitätsstörungen (Jamal 1990). Zanette et al. (1990) fanden unter 26 Patienten 3-mal
2.5.3 Multiple Sklerose Einleitung Die Encephalomyelitis disseminata ist morphologisch durch linsen- bis pflaumengroße, in der weißen und grauen Substanz des ZNS verstreute Plaques charakterisiert, in denen sich in der akuten Phase entzündliche perivenöse Infiltrate mit einem meist diskontinuierlichen Markscheidenzerfall finden, während die Axone, zumindest in der Frühphase, in der Regel erhalten bleiben. Die neurologische Symptomatik bei dieser Erkrankung beruht auf einer Störung der Impulsleitung in solche Entmarkungszonen durchlaufenden Nervenfasern. Entsprechend der Ausdehnung der sensiblen Bahnen zwischen Rückenmark und somatosensiblem Kortex sind Teile des lemniskalen Systems häufig betroffen, so dass Parästhesien und/oder Sensibilitätsstörungen zu den häufigsten Symptomen dieser Erkrankung zählen. Elektrophysiologisch liegen den sensiblen Ausfallserscheinungen Impulsverzögerungen und/oder Blockierungen der einen Entmarkungsherd passierenden Afferenzen zugrunde (McDonald 1977). Die Plaques haben eine durch-
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schnittliche Ausdehnung von 10 mm, d.h. dass etwa 20 Internodien von je 0,5 mm der dicksten sensiblen Axone innerhalb eines solchen Entmarkungsherdes liegen. Da die Impulsleitung in einem Plaque bis zum 20- bis 40fachen verlangsamt sein kann (d. h. von 20 auf 400 – 800 µs von einem Schnürring zum nächsten, Bostock u. Sears 1978), resultiert bei dessen Passage eine maximale Impulsverzögerung von 10 – 20 ms. Beim Durchlaufen größerer oder mehrerer aufeinanderfolgender Plaques sind noch ausgeprägtere Verzögerungen in der sensiblen Impulsleitung möglich. Ob die bei MS-Patienten beobachteten Latenzzunahmen der somatosensiblen Reizantworten ausschließlich auf diesem Mechanismus beruhen oder ob daneben andere Faktoren eine Rolle spielen, ist bislang unklar. Noël u. Desmedt (1980) vermuten, dass eine quantitativ dezimierte und zudem desynchronisierte Impulswelle eine zusätzliche Verzögerung der synaptischen Impulsübertragung zur Folge hat, infolge einer unter diesen Umständen erforderlichen zeitlichen Summation. Eigene Beobachtungen bei Untersuchungen des Tibialis-SEP machen es außerdem wahrscheinlich, dass in einzelnen Fällen der Primärkomplex der kortikalen Reizantwort bis zur Unkenntlichkeit reduziert ist, so dass P 2 die erste eindeutig identifizierbare positive Auslenkung darstellt und als stark verzögertes P 1 gemessen wird. Für diesen Mechanismus spricht, dass Kontrollmessungen nach Besserung des klinischen Bildes ausgeprägte Latenzverkürzungen (bis 20 ms nach Tibialisstimulation) aufzeigen können, die vermutlich nicht auf einer beschleunigten Impulsleitung, sondern auf dem Wiedererscheinen der zuvor ausgefallenen Primärschwankung beruhen. ! In der Diagnostik der MS sind evozierte Potenziale in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: 1. Erfassung klinisch stummer Herde (Gronseth u. Ashman 2000), 2. Objektivierung von Symptomen wie Parästhesien oder Visusstörungen, 3. Lokalisierung z. B. einer Sensibilitätsstörung in das periphere oder zentrale Nervensystem bzw. in spinale oder supraspinale Abschnitte der somatosensiblen Leitungsbahnen, ▼
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4. Nachweis des demyelinisierenden Charakters der Krankheit, wozu sich besonders die VEP und SEP eignen (Stöhr 2002) Darüber hinaus sind evozierte Potenziale gut für eine objektive Verlaufsbeobachtung und für eine Überprüfung therapeutischer Maßnahmen geeignet, während die Korrelation zwischen MRT-Befunden und Behinderungsgrad unbefriedigend ist (Fuhr u. Kappos 2001; O’Connor et al. 1998). Schließlich ermöglichen evozierte Potenziale eine genauere prognostische Abschätzung (Hume u. Waxman 1988). In frühen Krankheitsphasen – vor allem beim ersten Schub einer multiplen Sklerose – zeigen sich öfters keine Latenzverzögerungen, sondern lediglich Amplitudenminderungen der spinalen bzw. kortikalen Reizantworten ( s. Abb. 1.7) bis hin zum Ausfall einzelner Komponenten als Ausdruck eines partiellen bzw. kompletten Leitungsblocks
(⊡ Abb. 2.104). Kontrollmessungen in der Remissionsphase lassen dann meist eine mehr oder weniger deutliche Leitungsverzögerung als Ausdruck einer Defektheilung erkennen (⊡ Abb. 2.104). Die Leitungsverzögerung beruht auf der herabgesetzten Leitgeschwindigkeit in entmarkten, aber durch die Ausbildung neuer Natrium-Kanäle bzw. durch Remyelinisierung wieder leitfähig gewordenen Axonabschnitten. Zahlreiche SEP-Untersuchungen bei MultipleSklerose-Patienten in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass die theoretisch zu erwartenden Normabweichungen tatsächlich in einem hohen Prozentsatz vorkommen (Baker et al. 1968; Namerow 1968; Tamura u. Kuroiwa 1972; Fukushima u. Mayanagi 1975; Mastaglia et al. 1977; Small et al. 1978; Lehmann et al. 1979; Ebensperger 1980; Eisen u. Odusote 1980). Dabei scheint den SEP-Latenzen nach Beinnervenstimulation eine höhere diagnostische Treffsicherheit zuzukommen als denen nach Armnervenstimulation, was bei der größeren Länge des Fasciculus gracilis gegenüber dem Fasciculus cuneatus auch naheliegt (Trojaborg u. Petersen 1979; Riffel et al. 1982; Shibasaki et al. 1982; Tackmann 1985). Eine in manchen Fällen wichtige Ergänzung sind SEP-Ableitungen nach Trigeminusstimulation (Petruch et al. 1980; Eisen et al. 1981;
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.105. Multiple Sklerose. Medianus-SEP vor und unmittelbar nach einer 5-tägigen i. v.-Stoßtherapie mit jeweils 500 mg Prednisolon. Vor der Behandlung (A) zeigt sich eine signifikante Amplitudenreduktion des kortikalen Primärkomplexes bei normaler Latenz. Unmittelbar nach der Therapie besteht – parallel zur klinischen Besserung – ein deutlicher Amplitudenanstieg des kortikalen Primärkomplexes bei unveränderter Latenz
⊡ Abb. 2.104. Verlaufsuntersuchung des Medianus-SEP bei multipler Sklerose. Anlässlich des ersten Krankheitsschubs (5/86) Aussparung des somatosensiblen Systems mit regelrechter kortikaler Reizantwort. Während des zweiten Schubs (4/87) Ausbildung einer Hemihypästhesie mit Ausfall des kortikalen Primärkomplexes nach kontralateraler Medianusstimulation. In der Remissionsphase (7/87) ist der kortikale Primärkomplex wieder nachweisbar und zeigt nunmehr eine Latenzverlängerung
Buettner et al. 1982), zumal damit der zum Ausschluss eines spinalen Prozesses wichtige supraspinale Herd nachweisbar ist. Im Vergleich zur klinischen Sensibilitätsprüfung haben SEP-Ableitungen zwei entscheidende Vorteile, den der Objektivität und den des Nachweises klinisch inapparenter Läsionen (Desmedt u. Noël 1973). Außerdem hinterlassen in einem früheren Krankheitsstadium aufgetretene Entmarkungsherde im lemniskalen System mit nachfolgender kompletter klinischer Remission in aller
Regel pathologische Leitungsverzögerungen und sind damit noch Jahre später nachweisbar. Eine Besserung oder gar Normalisierung einer Leitungsverzögerung in der Remissionsphase wird nur ausnahmsweise beobachtet. SEP-Ableitungen vor und nach therapeutischen Maßnahmen – z. B. einer hochdosierten i. v.-Stoßtherapie mit Prednisolon (Stöhr 1992) – zeigen parallel zur klinischen Funktionsverbesserung auftretende Amplitudensteigerungen bestimmter Komponenten als Ausdruck einer (partiellen) Aufhebung eines Leitungsblocks (⊡ Abb. 2.105). Schließlich lassen sich durch Mehrkanalableitungen bei identischer klinischer Symptomatik unterschiedliche Schädigungslokalisationen innerhalb des somatosensiblen Systems demonstrieren. So ließ sich z. B. die bei einer Patientin aufgetretene Sensibilitätsstörung der rechten Hand beim ersten Schub auf einen supraspinalen Herd beziehen, während eine gleichartige Symptomatik bei
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⊡ Abb. 2.106. Multiple Sklerose. Medianus-SEP einer Patientin, die jeweils im Zusammenhang mit 2 verschiedenen Schüben ausgeprägte Störungen der epikritischen Sensibilität der rechten Hand aufwies. Beim ersten Schub (linke Seite) zeigt sich eine signifikante Amplitudenminderung und Formveränderung des kortikalen Primärkomplexes (sowie ein weitgehender Ausfall der hier nicht dargestellten Wellen mittlerer Latenz). Bei einem späteren Schub mit identischer klinischer
Symptomatik zeigen sich eine deutliche Amplitudenminderung von N 13 a sowie eine Amplitudenreduktion und eine leichte Latenzverzögerung von N 13 b, während die kortikale Reizantwort im Vergleich zur Vorableitung eine partielle Normalisierung aufweist. Die klinisch weitgehend identische Symptomatik bei 2 verschiedenen Schüben kann somit einmal auf einen supraspinalen, das andere Mal auf einen zervikalen Entmarkungsherd zurückgeführt werden
einem späteren Schub einem Herd im ipsilateralen Zervikalmark zuzuschreiben war (⊡ Abb. 2.106). Die diagnostische Bedeutung der SEP bei MS erstreckt sich besonders auf Frühformen (Matthews et al. 1982), auf Fälle mit primär chronischem Verlauf und auf solche mit klinisch unifokaler – z.B. rein spinaler – Symptomatik, bei denen die bekannten klinisch-diagnostischen Kriterien versagen oder nur eine Verdachtsdiagnose erlauben. Dabei sind unter den verschiedenen EP-Modalitäten die SEP am besten geeignet um klinisch stumme Herde aufzudecken (Aminoff u. Eisen 1998). Abnorme SEP-Befunde ergeben sich bei klinisch sicherer MS bei etwa 90% aller Patienten; beim Fehlen von Parästhesien oder Sensibilitätsstörungen weisen die SEP in ca. 50% auf die subklinische Beteiligung der somatosensiblen Leitungsbahnen hin (Kraft et al. 1998). Bei klinischem Verdacht auf
das Vorliegen einer MS sind SEP-Untersuchungen häufig in der Lage, die Diagnose zu erhärten, wenn durch eine mäßig bis stark pathologische Latenzverzögerung der Nachweis eines Entmarkungsprozesses gelingt. Die Diagnose wird gesichert, falls die simultane Aufzeichnung spinaler und kortikaler evozierter Potenziale bzw. die sukzessive Stimulation von Gesichts-, Arm- und Beinnerven multifokale Entmarkungen aufdeckt. Auf der anderen Seite sind SEP-Untersuchungen bei klinischem Verdacht auf MS von »negativer« diagnostischer Bedeutung, sofern bei adäquater Untersuchung keine Latenzverzögerungen gefunden werden und aufgrund dieser Tatsache die Indikation zur weiterführenden invasiven Diagnostik (z. B. einer Myelographie) gestellt werden muss. Damit kann der einen Gruppe von Patienten die unnötige invasive Diagnostik durch SEP-Untersuchungen erspart werden, wäh-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
rend diese bei der anderen Gruppe die Indikation zur invasiven Diagnostik stützt. Im Vergleich zur Magnetresonanztomographie (MRT) liefern Untersuchungen der evozierten Potenziale etwa in gleicher Häufigkeit pathologische Befunde (Paty et al. 1986; Cutler et al. 1986; Giesser et al. 1987; Aminoff u. Eisen 1998), besitzen jedoch darüber hinaus drei Vorteile: 1. Untersuchungen der evozierten Potenziale sind kostengünstiger und in den meisten neurologischen Kliniken und Praxen durchführbar. 2. Die Erfassung spinaler Herde gelingt mit der MRT nur gelegentlich, während Tibialis-SEPUntersuchungen in einem hohen Prozentsatz pathologisch sind ( s. unten). 3. Die EP-Befunde sind beim Nachweis deutlicher Leitungsverzögerungen spezifischer für die Annahme einer Entmarkungskrankheit. Demgegenüber sind hyperindense Herde im MRT völlig unspezifisch, da dieses Verfahren keine Unterscheidung zwischen Entzündung, Ödem oder Infarzierung zulässt und – vor allem im höheren Lebensalter – bei einer großen Zahl offensichtlich gesunder Personen herdförmige Veränderungen aufzeigt (Ormerod et al. 1987). Als Hinweis auf die Möglichkeit einer MS kann dabei höchstens der Nachweis von mindestens vier Herden mit erhöhter Signalintensität in der weißen Substanz gelten, wobei die häufigen symmetrischen Veränderungen im Bereich der Vorderhörner nicht berücksichtigt werden dürfen und mindestens zwei Herde periventrikulär lokalisiert sein müssen (Poser 1987). Ein zuverlässiger Rückschluss auf bestimmte Funktionsstörungen lässt sich bei zerebralen Herden unterschiedlicher Größe und Lokalisation nicht ziehen (Bräu et al. 1986). Das Vorkommen ausgedehnter MRT-Veränderungen ohne entsprechende klinische oder elektrophysiologische Funktionsstörungen spricht dafür, dass abnorme MRT-Signale nicht (oder nicht nur) auf eine Demyelinisierung bezogen werden können (Turano et al. 1991). Die Relevanz von MRTVeränderungen im Hinblick auf die Diagnose einer multiplen Sklerose muss deshalb in jedem Einzelfall kritisch von einem erfahrenen Neurologen überprüft werden.
Im Hinblick auf die diagnostische Aussagekraft sämtlicher Zusatzuntersuchungen muss betont werden, dass die akute disseminierte Enzephalomyelitis mit identischen Befunden im Liquor, in den evozierten Potenzialen und im MRT einhergehen kann, wie der erste Schub einer multiplen Sklerose, so dass immer auch der Verlauf – mit schubweiser oder kontinuierlicher Verschlechterung – mit herangezogen werden muss, um die Diagnose einer multiplen Sklerose zu sichern (Poser 1987). Krankheitsbilder, die mehr oder weniger häufig zu der Fehldiagnose MS führen, sind monophasische (z. B. postinfektiöse) Enzephalomyelitiden, erregerbedingte Erkrankungen des ZNS (z. B. Neurolues und Neuroborreliose), M. Boeck, M. Behçet, Retikulosen, entzündliche Gefäßprozesse, Lupus erythematodes, chronische Intoxikationen und Hirntumoren (Poser u. Ritter 1980). Spinale Tumoren werden in 5% der Fälle als MS verkannt (Kuhlendahl u. Ischebeck 1975). Ähnlich verhält es sich mit spinalen Angiomen und mit der zervikalen Myelopathie, beides Krankheitsbilder, bei denen schubweise Verschlechterungen und Remissionen vorkommen und die Fehldiagnose einer MS nahelegen. Soweit bis heute bekannt, fehlen bei den angeführten Krankheitsbildern (vermutlich mit Ausnahme der monophasischen Enzephalomyelitis) die bei MS in einem hohen Prozentsatz vorkommenden pathologischen Leitungsverzögerungen im ZNS, so dass SEP-Untersuchungen die Differentialdiagnose erleichtern. Die größten differentialdiagnostischen Probleme ergeben sich bei dem Syndrom der chronischprogredienten Paraspastik, dem autoptisch am häufigsten eine chronische spinale MS zugrundeliegt (Yamamoto et al. 1984). Hinweisend auf diese Form sind ausgeprägte Latenzverzögerungen der zervikalen bzw. kortikalen Reizantworten nach Tibialisstimulation bei normaler lumbaler Komponente N 22, da spinale Raumforderungen nahezu ausnahmslos zu einer höchstens leichten Latenzverlängerung führen und mehr mit einer Amplitudenminderung einhergehen (Riffel et al. 1982; Riffel et al. 1984) (⊡ Abb. 2.107). Sehr zuverlässig im Hinblick auf die Diagnose einer spinalen MS ist auch die Kombination einer Paraspastik mit VEP-Latenzzunahme und Nachweis von oligoklonalen Banden im Liquor (Kempster et al. 1987), so dass
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⊡ Abb. 2.107. Tibialis-SEP bei spinaler Verlaufsform einer multiplen Sklerose und bei einer spinalen Raumforderung. Spinale Formen von multipler Sklerose gehen in einem hohen Prozentsatz mit einer oft ausgeprägten Latenzzunahme der kortikalen Reizantwort (P 40) einher, während spinale Raumforderungen höchstens zu einer leichteren Latenzverlängerung, jedoch meist deutlichen Amplitudenminderung führen
bei dieser Konstellation auf eine Myelographie verzichtet werden kann. SEP-Untersuchungen sind nicht nur beim diagnostischen Nachweis des Krankheitsbildes MS bedeutsam, sondern gelegentlich auch bei Verlaufsuntersuchungen dieser Erkrankung. Hierbei ist eine methodische Schwierigkeit zu beachten, die sich aus der Abhängigkeit des Ausmaßes der Leitungsstörungen von der Körpertemperatur ergibt ( s. Kap. 1). Die dem Kliniker gut bekannte Symptomzunahme bei Temperaturanstieg spiegelt sich im Ausmaß der SEP-Veränderungen, so dass unterschiedliche Körpertemperaturen bei wiederholten Untersuchungen Befundbesserungen bzw. -verschlechterungen vortäuschen können. Matthews et al. (1979) untersuchten den Einfluss einer Temperaturerhöhung von 0,5 – 1 °C auf das Nacken-SEP bei MS-Kranken und fanden, dass hierdurch normale Potenziale teilweise abnorm und leicht ab-
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norme Potenziale ausgelöscht wurden, was auf einen Leitungsblock in demyelinisierten Axonen zurückgeführt wurde. In analoger Weise zeigten Phillips et al. (1983) bei Hyperthermie sowie Kazis et al. (1982) bei Fieber eine Zunahme an pathologischen EP-Befunden. Unter der Voraussetzung gleicher Untersuchungsbedingungen spiegeln Verlaufsuntersuchungen den stationären oder progressiven Verlauf der Erkrankung in dem untersuchten System wider, während sich Besserungen des klinischen Bildes seltener in den SEP-Befunden widerspiegeln (Matthews u. Small 1979) (⊡ Abb. 2.104 und 2.106). Entsprechend der häufigen Progredienz des Leidens erhöhte sich in einer Studie von Walsh et al. (1982) an 56 Patienten mit sicherer MS die Zahl pathologischer EP-Befunde innerhalb von 21⁄2 Jahren von 91 auf 98%. Bei Verdachtsfällen von multipler Sklerose lassen EP-Untersuchungen auch gewisse prognostische Rückschlüsse zu. So betrug die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verschlechterung des Krankheitsbildes in einer Studie von Hume u. Waxman (1988) 71%, sofern mittels evozierter Potenziale eine klinisch stumme Läsion in irgendeiner Leitungsbahn nachgewiesen werden konnte. Im Gegensatz dazu betrug das Risiko einer späteren Verschlechterung bei normalen EP-Befunden nur 16%.
Kortikale und zervikale Reizantworten nach Armnervenstimulation Kortikale Reizantworten. Kortikale Reizantworten nach Medianusstimulation am Handgelenk wurden in der MS-Diagnostik erstmals von Namerow (1968) sowie von Baker et al. (1968) an größeren Patientenkollektiven untersucht, wobei pathologische Reizantworten in 74 bzw. 76% der Fälle erhalten wurden. Dabei zeigte sich eine Korrelation zwischen dem Schweregrad der sensiblen Ausfallserscheinungen und dem Ausmaß der Latenzverzögerung, jedoch traten teilweise auch nach Stimulation von Gliedmaßen, die keine sensiblen Störungen aufwiesen, abnorme SEP auf. Desmedt u. Noël (1973) fanden ausnahmslos verlängerte Latenzen, sofern an der stimulierten Hand eine Lagesinnstörung nachweisbar war. Die Latenzverzögerung kann bis zu 50 ms betragen, wobei die frühe kortikale Negativität (N 20) in diesen Fällen oft klein, teilweise auch deformiert, zur Darstellung kommt
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
der kortikalen Reizantwort nach rechts- und linksseitiger Medianusstimulation diagnostisch bedeutsam seien, wobei Seitendifferenzen von >1,0 ms als pathologisch angesehen wurden ( s. Tabelle 2.4 und 2.6).
2
⊡ Abb. 2.108. Multiple-Sklerose-Herd im kaudalen Zervikalmark. Verlust der zervikalen Reizantworten bereits über der unteren Nackenpartie als Hinweis auf einen Entmarkungsprozess im kaudalen Halsmark. Hochgradige Verzögerung des kortikalen Primärkomplexes mit entsprechender Verlängerung der zentralen Überleitungszeit. Der Ausfall von N 11 a weist auf eine Prozessausdehnung bis in die Hinterwurzeleintrittszone hin
(⊡ Abb. 2.108). In anderen Fällen ist dagegen die übliche Potenzialform weitgehend erhalten, was dafür spricht, dass nur eine Verzögerung und quantitative Reduktion der das ZNS durchlaufenden afferenten Impulswelle eintritt, während die nachfolgende kortikale Verarbeitung weitgehend normal und mit regulärem zeitlichen Ablauf erfolgt. Bei alleiniger Registrierung der kortikalen Reizantwort sind die von Namerov (1968) und Baker et al. (1968) mitgeteilten Prozentsätze an pathologischen Befunden sicher überhöht. In einer Studie von Trojaborg u. Petersen (1979) fand sich selbst in der Gruppe von Patienten mit klinisch sicherer MS nur in 64% der Fälle ein pathologischer SEP-Befund nach Medianusstimulation. Lehmann et al. (1979) weisen darauf hin, dass weniger die absoluten Latenzen, als vielmehr die Latenzdifferenzen
Zervikale Reizantworten. Das Nacken-SEP wurde in der MS-Diagnostik u. a. von Mastaglia et al. (1977), Small et al. (1978), Chiappa (1980) und Eisen u. Odusote (1980) eingesetzt, wobei auch bei fehlenden Sensibilitätsstörungen an der stimulierten Hand häufig abnorme Befunde festgestellt wurden. Damit scheint das Nacken-SEP gut geeignet, klinisch stumme Plaques innerhalb des lemniskalen Systems aufzudecken. Mastaglia et al. (1977) fanden unter 52 Patienten mit sicherer, wahrscheinlicher oder möglicher MS in 57% einen pathologischen Befund, Small et al. (1978) in 59%; in den Untergruppen mit sicherer MS lagen die Werte in den beiden Studien bei 94 bzw. 69%. In der OxfordSerie erwies sich die Ableitung des Nacken-SEP als diagnostisch ergiebiger als die Ableitung der kortikalen Reizantworten (Matthews 1980). Chiappa (1980) fand bei Berücksichtigung des EP-Potenzials, der Komponenten N 13 (»B«) und N 20 sowie der Latenzdifferenzen zwischen diesen Komponenten bei 48 von 80 Patienten (60%) einen pathologischen Befund. Am häufigsten pathologisch waren dabei die Intervalle zwischen den genannten SEP-Komponenten. Über ähnliche Erfahrungen berichten Anziska et al. (1978), Ganes (1980 a) und Strenge et al. (1980). Eisen u. Odusote (1980) erfassten neben den absoluten Latenzwerten von N 13 (»N 14«) und N 20 auch deren Seitendifferenzen nach rechts- und linksseitiger Stimulation. Darüber hinaus wurden das Intervall N 13/N 20 sowie dessen Seitendifferenz an insgesamt 105 Patienten mit sicherer oder vermutlicher MS bestimmt. Dabei ergaben sich folgende Befunde: N 13 zeigt einen Ausfall in 36,2%, eine Verlängerung der absoluten Latenz in 1,4%, eine pathologische Rechts-links-Differenz in 17,1%. N 20 ist in 19,5% ausgefallen, in 20% verlängert und in 26,7% bezüglich der Rechts-links-Differenz pathologisch. Das Intervall N 13/N 20 erwies sich in 16,7% der Fälle als verlängert, dessen Seitendifferenz in 46,7%. Damit scheint der zuletzt genannte Parameter den empfindlichsten Indikator einer pathologischen Latenz-
185 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
a
b
⊡ Abb. 2.109. Multiple Sklerose. a Normale Reizantworten vom Erb-Punkt sowie von der unteren Nackenpartie. b Ausfall von N 13 a. Parallel dazu Ausfall des Bizeps- und Trizepsreflexes ( s. Text)
verzögerung darzustellen. Außer den Latenzwerten sollten auch Form und Amplitude der Reizantworten berücksichtigt werden. Sofern Leitungsstörungen zwischen Hinterwurzel und Hinterhorn in einem Segment liegen, über welches klinisch prüfbare Eigenreflexe verlaufen, kann hieraus eine Reflexabschwächung oder gar ein Reflexverlust resultieren (Heuß u. Stöhr 1991). Nach eigenen Erfahrungen erlaubt die exakte Analyse der zervikalen
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und kortikalen Reizantworten nicht nur den Nachweis eines demyelinisierenden Prozesses, sondern auch dessen Lokalisation innerhalb des ZNS. Befindet sich ein Herd im unteren Halsmark, so ist bereits das Nacken-SEP über dem Dornfortsatz C 7 verändert, bei Einbeziehung der Hinterwurzeleintrittszone einschließlich der Komponente N 11 a (⊡ Abb. 2.108). Liegt der Entmarkungsherd im oberen Halsmark, kommt es ausschließlich zu einer Latenzzunahme der über dem Dornfortsatz C 2 registrierten Komponente N 13 b mit entsprechender Zunahme des Latenzintervalls N 13 a – N 13 b (⊡ Abb. 2.110). Bei supraspinaler Prozesslokalisation sind schließlich alle zervikalen Reizantworten regelrecht, und lediglich N 20 weist eine pathologische Latenzzunahme mit entsprechender Verlängerung der zentralen Überleitungszeit auf (⊡ Abb. 2.111). Eine etwas genauere Lokalisation einer supraspinalen Plaque gelingt durch zusätzliche Berücksichtigung der dem kaudalen Hirnstamm zugeordneten Welle N 18, deren Ausfall auf einen infrathalamischen Schädigungsort hinweist (⊡ Abb. 2.112). Alleinige Messungen der kortikalen Reizantworten nach Stimulation der symptomatischen Seite sind vielfach unzureichend, um leichtere pathologische Befunde aufzudecken, wie dies im Beispiel der ⊡ Abb. 2.113 veranschaulicht wird. Der nach Medianusstimulation rechts über C3′ ableitbare Primärkomplex liegt bezüglich Latenz und Amplitude im Normbereich; erst beim Vergleich mit dem nach linksseitiger Stimulation über C4′ abgeleiteten Potenzial werden die verminderte Anstiegssteilheit von N 20 sowie die relative Latenzverlängerung deutlich. Die Mitberücksichtigung der zervikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation erhöht aufgrund der bisher vorliegenden Studien die Zahl der pathologischen Befunde. Allerdings muss betont werden, dass die Ableitung des Nacken-SEP wegen der meist stärkeren Muskelartefakteinstreuung technisch schwieriger und zeitraubender ist. Außerdem erfordert dessen Beurteilung mehr Erfahrung, da die Erkennung der einzelnen Komponenten bei pathologischer Erniedrigung und/ oder Verzögerung Schwierigkeiten bereiten kann. Schließlich ist das Nacken-SEP in einem deutlich höheren Prozentsatz als das Skalp-SEP ausgefallen,
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
a
2
b
⊡ Abb. 2.110 a, b. MS-Herd im rostralen Zervikalmark. Nach rechtsseitiger Medianusstimulation normale Reizantworten (a). Nach linksseitiger Medianusstimulation (b) ist die Latenz von N 13 b (C 2) gegenüber N 13 a (C 7) um 3,6 ms verlängert, als Hinweis auf einen das obere Halsmark einbeziehenden Prozess. Die zentrale Überleitungszeit liegt mit 6,3 ms im Normbereich
was zwar als sicherer pathologischer Befund gewertet werden darf, jedoch in keiner Weise spezifisch ist für die Diagnose MS. Zusammenfassung. Fasst man die Ergebnisse der bisherigen SEP-Untersuchungen mittels Armnervenstimulation bei MS-Patienten zusammen, ergeben sich die folgenden Richtlinien für eine optimale Diagnostik: Bei getrennter rechts- und linksseitiger Medianusstimulation am Handgelenk werden das EP-Potenzial, das Nacken-SEP (über
⊡ Abb. 2.111. Multiple Sklerose; supraspinaler Entmarkungsherd. Die Latenzen der zervikalen Reizantworten sind regelrecht. N 20 ist demgenüber stark verzögert mit entsprechender Zunahme der zentralen Überleitungszeit (N 13 b – N 20) auf 14,6 ms (Mittelwert = 5,61 ms)
dem Dornfortsatz C 7 und über dem Dornfortsatz C 2) sowie N 20 simultan (notfalls nacheinander) aufgezeichnet. Bei der Auswertung der Reizantworten wird zunächst auf einen Ausfall von N 13 und N 20 geachtet, was (bei erhaltenem EP-Potenzial) auf einen Prozess zwischen Halsmark und somatosensibler Rinde hinweist, ohne charakteristisch zu sein für die MS. Sind N 13 und N 20 erhalten, werden deren absolute Latenzen sowie deren Seitendifferenzen ermittelt. Schließlich erfolgt die Messung der Latenzintervalle EP-Potenzial/N 13, N 13/N 20 sowie deren Rechts-links-Differenzen. Übersteigen die absoluten Latenzen, die Latenzintervalle bzw. die Rechts-links-Differenzen dieser Parameter die in ⊡ Tabelle 2.4 angegebenen NormGrenzwerte, kann eine pathologische Latenzverzögerung angenommen werden. Dabei muss betont
187 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
⊡ Abb. 2.112. Multiple Sklerose: supraspinaler Entmarkungsherd. Nach linksseitiger Medianusstimulation findet sich ein normales SEP. Nach rechtsseitiger Stimulation liegen die Latenzen der zervikalen Reizantwort bei C 2 (N 13 b) und die der positiven Fernfeld-Potenziale bei Hand-Referenz-Ab-
⊡ Abb. 2.113. Multiple Sklerose. Kortikale Reizantworten nach Medianusstimulation links (Spur 1) und rechts (Spur 2). Erst im Seitenvergleich wird die pathologische Veränderung des kortikalen Primärkomplexes über C3′ deutlich, wobei einerseits eine verminderte Anstiegssteilheit von N 20 andererseits eine pathologische Seitendifferenz der Latenz sowie eine grenzwertige Amplitudenreduktion vorliegen
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leitung (P 9, 11, 13 und 14) im Normbereich. N 18 (links bei 19,3 ms) fehlt; N 20 ist stark erniedrigt und verzögert. Diese Befundkonstellation spricht für eine Prozesslokalisation im Hirnstamm zwischen zerviko-medullärem Übergang und Thalamus
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
werden, dass leichte Latenzzunahmen keineswegs spezifisch sind für die MS, sondern z. B. auch bei raumfordernden Prozessen im Halsmark vorkommen; allerdings sind diese dabei nahezu ausnahmslos geringgradig und mit einer ausgeprägten Amplitudenreduktion und Potenzialdeformierung verbunden. Mäßige bis starke Latenzverzögerungen sind dagegen weitgehend spezifisch für Entmarkungsvorgänge und zusammen mit Anamnese und klinischem Befund ein gewichtiger Baustein in der MS-Diagnostik. Sind sowohl das Intervall EP-Potenzial/N 13 als auch das Intervall N 13/N 20 verlängert, spricht dieser Befund für eine multifokale (oder systematische) Demyelinisierung.
Gelegentlich finden sich bei MS-Patienten normale zervikale und kortikale Reizantworten nach Medianusstimulation, jedoch pathologische Befunde nach Ulnaris- oder Radialisreizung. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Patienten irgendwann umschriebene Parästhesien oder Sensibilitätsausfälle in der ulnaren Handpartie bzw. am radialen Handrücken verspürten. Bei entsprechenden Angaben empfiehlt sich daher statt einer Stimulation des N. medianus eine solche des N. ulnaris bzw. des N. radialis (Ramus superficialis).
Somatosensible Reizantworten nach Beinnervenstimulation Kortikale Reizantworten. Wegen der größeren
Länge des Fasciculus gracilis im Vergleich zum
Fasciculus cuneatus sollten SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation bei MS-Patienten in einem höheren Prozentsatz pathologische Befunde erbringen als nach Armnervenstimulation. Bei den diagnostisch besonders schwierigen spinalen MSFormen sind Entmarkungsherde im Thorakal-, Lumbal- und Sakralmark prinzipiell nur durch Stimulation an den unteren Extremitäten erfassbar. Entsprechend diesen Überlegungen konnten Trojaborg u. Petersen (1979) zeigen, dass das SEP nach Peronaeusstimulation am Fibulaköpfchen in einem höheren Anteil der sicheren MS-Fälle pathologisch ausfiel als das SEP nach Medianusstimulation am Handgelenk (82 : 64%). In einer 1978/79 im eigenen Labor durchgeführten Studie an 80 Patienten fand Ebensperger (1980) bei möglicher MS in 31%, bei wahrscheinlicher MS in 50% und bei sicherer MS in 92% eine uni- oder bilaterale pathologische Latenzverzögerung des Tibialis-SEP und/oder eine pathologische Seitendifferenz der Latenzen. Sofern ein- oder beidseitige Störungen des Vibrations- und/oder Lagesinns an den unteren Extremitäten bestanden, erhöhten sich diese Werte auf 50, 77 bzw. 100% (⊡ Tabelle 2.16). ! ⊡ Abbildung 2.114 zeigt die in den einzelnen Gruppen gemessenen Latenzen von P 40 im Vergleich zu einem Normalkollektiv, wobei die durchgezogene Linie den Mittelwert, die gestrichelte Linie den oberen Grenzwert der Norm (+2,5 SD) repräsentieren. Mit zunehmendem Grad der diagnostischen Wahrscheinlichkeit fallen immer mehr Latenzwerte ▼
⊡ Tabelle 2.16. Häufigkeit pathologischer Latenzwerte des Tibialis-SEP (in %) bei 80 Patienten mit möglicher (n = 16), wahrscheinlicher (n = 26) bzw. sicherer (n = 38) MS. Die einzelnen Gruppen sind unterteilt in Fälle mit bzw. ohne Hinterstrangsymptomatik an den Beinen. (Aus Ebensperger 1980) Mögliche MS
Wahrscheinliche MS
Sichere MS
Gesamtkollektiv
Ohne Hinterstrangsymptome
25
23
73
39
Mit Hinterstrangsymptomen
50
77
100
89
Insgesamt
31
50
92
66
189 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
aus dem Normbereich heraus; außerdem werden nicht nur die absoluten Latenzen der drei ersten Gipfel des SEP länger, sondern es tritt zusätzlich eine Amplitudenerniedrigung und eine Zunahme der Standardabweichungen ein. Die Häufigkeitsverteilung für die Messgröße P 40/KL (körperlängenkorrigierte P 40-Latenzen) lässt erkennen, dass diese bei Normalpersonen um den Mittelwert von 23,3 ms herum statistisch normal verteilt ist (Chi-Quadrat-Anpassungstest, p 0,05), was auch noch für die Hauptblöcke in den Gruppen der möglichen und wahrscheinlichen MS zutrifft. Im Gegensatz zu den Befunden von Lehmann et al. (1979) beim SEP nach Medianusstimulation fallen die absoluten Latenzwerte des SEP nach Tibialisstimulation häufiger in den pathologischen Bereich als die Rechts-links-Differenzen ( s. unten). Aller▼
⊡ Abb. 2.114. Latenzen der kortikalen Reizantwort (P 40) nach Tibialisstimulation in einer Normalpopulation (N) sowie bei Patienten mit möglicher (M), wahrscheinlicher (W) und sicherer (S) MS. (Die Latenzwerte der MS-Patienten sind in zwei Gruppen unterteilt, wobei »+« eine Störung der Hinterstrangsensibilität an den Beinen, »–« ein Fehlen diesbezüglicher Störungen symbolisieren). Mit zunehmendem Wahr-
2
dings zeigten sich in 4 Fällen des untersuchten Kollektivs pathologische Seitendifferenzen von mehr als 2,3 ms, trotz noch im Normbereich gelegener absoluter Latenzzeiten. Damit erhöht die Mitberücksichtigung von Seitendifferenzen die Zahl der pathologischen Befunde und hilft zudem – beim Nachweis deutlicher Asymmetrien – beim Ausschluss von systematischen Demyelinisierungen des peripheren und zentralen Nervensystems.
Der diagnostisch ergiebigste Einzelparameter ist der körperlängenkorrigierte Latenzwert von P 40 (P 40/KL), der in 56% des obigen Kollektivs pathologische Werte aufweist, gefolgt von den absoluten Latenzen von P 40 (52%). Die Latenzen der späteren Gipfel sind in einem deutlich geringeren Prozentsatz verlängert. Dies ist verständlich, wenn man berücksichtigt, dass Entmarkungsherde häufig die sensiblen Leitungsbahnen im Rückenmark
scheinlichkeitsgrad der Diagnose MS fällt eine immer größere Zahl von Messungen über den oberen Normgrenzwert von 45,3 ms (gestrichelte Linie). In den Gruppen mit wahrscheinlicher und sicherer MS finden sich die ausgeprägtesten Latenzverzögerungen bei vorhandenen Sensibilitätsstörungen, ebenso die größte Häufigkeit von ausgefallenen SEP (leere Kreise am oberen Bildrand). (Aus Ebensperger 1980)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
und Gehirn betreffen und der Gipfel P 40 unmittelbar mit dem Eintreffen der Impulswelle im somatosensiblen Kortex zusammenhängt. Die nachfolgenden Gipfel, die vermutlich im Wesentlichen auf kortikalen Verarbeitungsprozessen beruhen, sind dagegen oft nur noch indirekt, infolge der quantitativ abgeschwächten und desynchronisiert eintreffenden afferenten Impulse beeinträchtigt (sofern die kortikale Erregungsausbreitung nicht durch entsprechend lokalisierte zusätzliche zerebrale Plaques in Mitleidenschaft gezogen wird). Bei ungestörter Verarbeitung der Impulse in der Hirnrinde können die Gipfel N 50, N 60 und N 80 (wegen der größeren Variabilität ihrer Latenzen), trotz verspäteter Ankunft des Signals im sensiblen Kortex noch in den normalen Latenzbereich fallen. Isolierte Latenzverlängerungen von N 50 bzw. N 80, bei normalen Latenzen von N 33 und P 40 wurden von uns nur in2 Fällen beobachtet; ähnliche Erfahrungen berichten Yamada et al. (1978) sowie Eisen et al. (1979). Wie bereits oben erwähnt, ist die Seitendifferenz von P 40 in manchen Fällen der einzig pathologische Parameter. Jedoch ist die Seitendifferenz von P 40 – gleichgültig, ob absolut genommen oder ob auf die individuelle Körperlänge bezogen – mit je 44% weniger oft pathologisch als die absoluten Latenzen von P 40. In der Routinediagnostik erscheint es ausreichend, die Latenz von P 40 und deren Seitendifferenz zu bestimmen, wobei zumindest bei Körperlängen unter 1,60 m und über 1,80 m die körperlängenkorrigierten Normwerte zur Beurteilung heranzuziehen sind ( s. Tabelle 2.10). Beispiele für pathologische kortikale Reizantworten nach Tibialisstimulation zeigen ⊡ Abb. 2.115 und 2.116. Am charakteristischsten sind ausgeprägte Latenzverzögerungen bei gut erhaltener Amplitude und normaler Potenzialform (⊡ Abb. 2.116 b). Weniger typisch und insgesamt seltener sind mäßige bis starke Latenzverzögerungen in Kombination mit einer starken Amplitudenreduktion (⊡ Abb. 2.116 c). Außer den absoluten Latenzen und den Latenzzeitdifferenzen von P 40 können mit gewissen Einschränkungen auch die Amplitude N33/P 40 sowie Formänderungen des Tibialis-SEP zur Beurteilung herangezogen werden (⊡ Abb. 2.117). Dabei sind Amplituden von weniger als 0,9 µV bzw. von weniger als 45% des kontralateralen Vergleichswertes
⊡ Abb. 2.115. Spinale Erstmanifestation einer multiplen Sklerose. Nach Tibialis-Stimulation re. (TIB re.) Normalbefund, nach Stimulation li. (TIB li.) Ausfall der Welle N30 und Verzögerung der Welle P40 um 3,6 ms
pathologisch. Ein völlig fehlendes Tibialis-SEP ist bei MS-Patienten selten, sofern eine genügend große Zahl von Reizantworten aufsummiert wird und nur bei hochgradiger Beeinträchtigung der Hinterstrangsensibilität zu erwarten. Im Hinblick auf die Potenzialform hat ein Verlust der bei Normalpersonen ausnahmslos vorkommenden W-Form innerhalb der ersten 100 ms als Normabweichung zu gelten. Bei MS-Patienten mit Störungen des Lage- und/oder Vibrationsempfindens fehlt öfters das typische triphasische Potenzial und zeigt statt dessen eine monophasische Deformierung (Übergang der W- in eine U-Form), die sich bei guter Remission erneut in ein triphasisches Potenzial zurückverwandelt. Dieses
191 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
⊡ Abb. 2.117 a, b. Amplituden- und Formabweichungen des SEP nach Beinnervenstimulation bei 2 MS-Patienten. a Amplitudenreduktion und weitgehende monophasische Deformierung des SEP (bei gleichzeitiger starker Latenzverlängerung). b Normale P-40-Latenz nach linksseitiger Tibialisstimulation. Nach rechtsseitiger Stimulation stellt sich die erste eindeutig identifizierbare positive Welle stark verzögert mit einer Latenz von 70 ms dar. Möglicherweise stellt dieser Gipfel nicht P 40, sondern die mäßig verzögerte Komponente P 60 dar ( s. Text)
⊡ Abb. 2.116 a – c. Kortikale Reizantworten nach Tibialisstimulation bei 2 Patienten mit MS. a Normales Tibialis-SEP. b Normal konfigurierte kortikale Reizantwort bei MS mit stark verlängerter P 40-Latenz (65 ms). c Mäßige Verlängerung der P 40-Latenz (57 ms) nach rechtsseitiger Tibialisstimulation bei unauffälliger Potenzialform. Starke Latenzzunahme (P 40 = 65 ms) sowie starke Amplitudenreduktion und Potenzialdeformierung nach linksseitiger Stimulation
Phänomen stellt vermutlich die Grundlage für die gelegentlich beobachteten starken Latenzverkürzungen von P 1 (bis 20 ms) bei klinischer Remission dar: Wird bei U-förmigem Potenzial dessen Spitze als P 1 (P 40) genommen, obwohl es vermutlich auf eine Verschmelzung von P 1 und P 2 (P 60) zurückgeht, verkürzt sich die Latenz um mindestens 10 ms, wenn die W-Form wieder erscheint.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
! Die gegebene Interpretation U-förmiger Reizantworten stützt sich auf folgende Beobachtungen: Die Dauer der gesamten monophasisch-positiven Welle liegt zwischen 34 und 50,9 ms und entspricht damit etwa der Zeit, die der Potenzialkomplex P1 – N 2 – P 2 bei Normalpersonen (44,7±5 ms) sowie bei MS-Kranken mit erhaltener W-Form des SEP einnimmt. Des weiteren sieht man gelegentlich MS-Patienten, bei denen ein W-förmiges SEP bei Stimulation an einem Bein und ein U-förmiges SEP bei Stimulation am anderen Bein auftreten, wobei die Gesamtdauer beider Komplexe etwa gleich ist. Schließlich gibt es Übergangsformen zwischen tri- und monophasischen Potenzialen, bei denen N 2 nur noch andeutungsweise zu erkennen ist (⊡ Abb. 2.117 b und c).
Die größte diagnostische Bedeutung hat das Tibialis-SEP bei Patienten, bei denen die klinische Untersuchung keine Hinweise auf Sensibilitätsstörungen an den unteren Extremitäten liefert oder wo eine hinreichend sichere Einschätzung der sensiblen Funktionen, z. B. wegen ungenauer Angaben, nicht möglich ist. Hier gelingt es, klinisch stumme Läsionen im lemniskalen System aufzudecken bzw. fragliche Befunde zu objektivieren. Dagegen sind SEP-Untersuchungen weniger geeignet, die Wirksamkeit bestimmter Therapieverfahren zu kontrollieren, da die Befunde mit dem Schweregrad der Sensibilitätsstörungen und deren Verlauf schlecht korrelieren (Tamura u. Kuroiwa 1972; Matthews u. Small 1979; Ebensperger 1980). Vermutlich bleibt ein pathologisch verändertes SEP in der Folgezeit abnorm, auch wenn klinisch eine gute oder sogar völlige sensible Funktionsrückkehr eintritt. SEP-Untersuchungen bei MS dienen daher in erster Linie dem Nachweis und der Lokalisation von Entmarkungsherden im lemniskalen System und sind zur Quantifizierung der sensiblen Ausfälle nur bedingt geeignet. Dagegen lassen sich durch Verlaufsuntersuchungen klinisch nicht erfassbare Befundverschlechterungen und damit die Progredienz des Leidens dokumentieren.
Da sich aus der Literatur Hinweise auf eine mögliche Mitbeteiligung des peripheren Nervensystems bei Multipler Sklerose ergeben (Pollock et al. 1977; Eisen et al. 1978; Hopf u. Eysholt 1978), erfolgten in dem oben erwähnten Kollektiv Messungen der sensiblen NLG des N. tibialis im Unterschenkelabschnitt durch Vergleich der SEP-Latenzen nach Nervenstimulation hinter dem Innenknöchel und in der Kniekehle. Der hierbei gefundene Mittelwert von 57,9 m/s ist statistisch nicht signifikant unterschieden von dem in einem Normalkollektiv erhaltenen Wert von 54,2 m/s. Bei direkter Messung der sensiblen NLG des N. tibialis fanden Eisen u. Odusote (1980) ebenfalls normale Werte. Anhangsweise sei erwähnt, dass mit der Methode der bilateralen Stimulation von bis zu 17 Dermatomen (C 4 bis L 5) bei 12 von 15 Patienten mit wahrscheinlicher spinaler MS Veränderungen der kortikalen Reizantworten beschrieben wurden, wobei die häufigste Abnormität in der Kombination von Amplitudenreduktion mit ausgeprägter Latenzverzögerung bestand (Jörg 1980).
Spinale und subkortikale Reizantworten nach Beinnervenstimulation. Wie in Abschnitt 2.5.3 ge-
zeigt wurde, ist die Registrierung der zervikalen Reizantworten nach Armnervenstimulation geeignet, die diagnostische Ausbeute an pathologischen Befunden bei MS-Patienten deutlich zu erhöhen. Eine ähnliche Erhöhung der Trefferquote ist durch Einbeziehung der lumbalen und zervikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation zu er warten. Darüber hinaus sollte hiermit eine Lokalisation des Prozesses zwischen Lumbosakralmark und Medulla oblongata einerseits, dieser und der somatosensiblen Rinde andererseits (bzw. sowohl in dem einen als auch in dem anderen Abschnitt) möglich sein. Bei Anwendung invasiver Ableitetechniken (epidurale bzw. subarachnoidale Platzierung von Nadelelektroden) ist dieses Ziel in der Regel zu erreichen (Ertekin 1978 b). Wegen der diesen Techniken innewohnenden potenziellen Risiken können diese allerdings nicht bzw. höchstens in Ausnahmefällen empfohlen werden.
193 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
Oberflächenableitungen erlauben meist nur bei guter Entspannung die Ableitung von N 22 in Höhe des Dornfortsatzes L 1 und besonders der bereits bei Gesunden niedrigen zervikalen Reizantwort (N 30), so dass die Registrierung dieser Komponenten nur bei guter Entspannung erfolgversprechend ist. ! Vorläufige Erfahrungen bei der Ableitung lumbaler Reizantworten nach Beinnervenstimulation an kleinen Patientenzahlen wurden von Terao et al. (1980) sowie von Eisen u. Odusote (1980) mitgeteilt. Letztere fanden bei einem Kollektiv von 10 Patienten mit sicherer oder vermuteter spinaler MS durchwegs normale Latenzen der S-Antwort (N 22), während die P 40-Latenz des gleichzeitig registrierten SEP bzw. das Intervall N 22/P 40 ausnahmslos unioder bilateral verlängert waren. Ein Beispiel für eine pathologische Verlängerung des Intervalls N 22/P 40 zeigt ⊡ Abb. 2.118; die zusätzliche Aufzeichnung der zervikalen Reizantwort (N 30) demonstriert durch die Verlängerung des Intervalls N 22/N 30 bei normalem Intervall N 30/P 40, dass in diesem Fall die Leitungsverzögerung ausschließlich auf spinalem Niveau stattfindet. Im Beispiel der ⊡ Abb. 2.119 ist das Latenzintervall N 22/N 30 stark, das Intervall N 30/P 40 leicht verzögert, so dass eine einzige Messung den Nachweis spinaler und supraspinaler Entmarkungsherde erbringt und durch die normale Latenz von N 22 eine periphere Ursache für die verlängerte P 40-Latenz ausschließt.
Aufgrund eigener Erfahrungen mit spinalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation erhöht sich die Gesamtzahl an pathologischen Befunden nicht wesentlich. Jedoch schließt eine mit normaler Latenz erscheinende und regelrecht konfigurierte N 22-Antwort eine kaudal vom Lumbosakralmark gelegene Läsion als Ursache einer eventuellen Latenzverzögerung von P 40 aus und beweist damit die Verzögerung der Impulsleitung innerhalb des ZNS. Außerdem ergeben sich durch simultane Aufzeichnung der lumbalen und zusätzlich der zervikalen Reizantworten in einem Teil der Fälle wertvolle lokalisatorische Informationen (⊡ Abb. 2.119).
⊡ Abb. 2.118. Lumbales, zervikales und kortikales SEP nach Tibialisstimulation bei »spinaler MS«. Die über dem Dornfortsatz L 1 registrierte Welle N 22 ist bezüglich Latenz und Ausprägung normal, während das zervikale und kortikale SEP (N 30 bzw. P 40) eine mäßige Latenzverzögerung aufweisen. Das Latenzintervall N 22/N 30 ist mit 15,2 ms mäßig verzögert, das Intervall N 30/P 40 dagegen normal, so dass die Leitungsverzögerung in den Funiculus gracilis lokalisiert werden kann
So weist die in ⊡ Abb. 2.120 dargestellte, nach linksseitiger Tibialisstimulation deformierte Welle N 22 auf einen Sitz des Krankheitsprozesses im Lumbosakralmark hin. In ⊡ Abb. 2.121 zeigen sich nach rechtsseitiger Tibialisstimulation regelrechte spinale und kortikale Reizantworten. Nach linksseitiger Tibialisstimulation ist die über dem Lumbosakralmark registrierte Komponente N 22 bezüglich Ausprägung und Latenz normal. Die zervikale Reizantwort ist erniedrigt und deformiert und
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.119. Tibialis-SEP bei MS. Mit 20 ms stark verlängertes Latenzintervall N 22/N 30 als Ausdruck eines demyelinisierenden Prozesses innerhalb des Rückenmarks; zusätzlich mit 13 ms leicht verlängertes Latenzintervall N 30/P 40 als Hinweis auf einen supraspinalen Entmarkungsherd
beim Vergleich mit dem kontralateralen Vergleichswert signifikant verzögert. Die zusätzliche Verzögerung zwischen dem zervikalen und dem kortikalen Potenzial weist auf eine weitere Impulsverzögerung rostral des Nucleus gracilis hin. Beispiel Der letztgenannte Fall ist differentialdiagnostisch recht interessant. Es handelt sich um eine 33-jährige Patientin, die 3 Monate vor der Untersuchung mit Hitzeparästhesien im rechten Bein sowie einer Unsicherheit und Schwäche des linken Beins erkrankte. Die neurologische Untersuchung zeigte eine dissoziierte Sensibilitätsstörung ab D 9 rechts sowie eine geringe Lagesinnstörung und eine leichte zentrale Parese des linken Beins. Wegen des für ein Angiom
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⊡ Abb. 2.120. Lumbale und kortikale Reizantworten nach Tibialisstimulation bei einem Patienten mit »spinaler MS«. Nach rechtsseitiger Tibialisstimulation regelrechte Reizantworten über den Dornfortsätzen L 5 und L 1 sowie regelrechtes P 40. Nach linksseitiger Tibialisstimulation normale Reizantwort über L 5, verbreiterte und deformierte Reizantwort über L 1 sowie verzögertes und erniedrigtes P 40. Der Befund spricht für einen im linken Lumbosakralmark lokalisierten demyelinisierenden Prozess, wobei das Ausmaß der Latenzverzögerung der kortikalen Reizantwort allein durch die Verbreiterung des Potenzialkomplexes in Höhe des Lumbosakralmarks erklärt werden kann
195 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.121. Lumbale, zervikale und kortikale Reizantwor- ten bei einer Patientin mit akuter MS. Nach rechtsseitiger Tibialisstimulation normale lumbale, zervikale und kortikale SEP. Nach linksseitiger Tibialisstimulation regelrechtes Antwortpotenzial in Höhe des Dornfortsatzes L 1 bei pathologisch deformiertem, erniedrigtem und verbreitertem zervikalem SEP. Das kortikale SEP ist deutlich verzögert (Latenzdifferenz zwischen links- und rechtsseitiger Stimulation 7 ms). Das Intervall zwischen zervikaler und kortikaler Reizantwort beträgt nach rechtsseitiger Stimulation 7,1 ms, nach linksseitiger Stimulation 9 ms (bei Wahl der spätesten negativen Komponente des zervikalen Antwortpotenzials). Die Befunde sprechen für eine Läsion der dem linken Bein zugeordneten Teile des lemniskalen Systems auf spinalem und supraspinalem Niveau
typischen myelographischen Befundes und wegen der mit einer linksseitigen vaskulären Rückenmarksschädigung gut zu vereinbarenden Symptomatik erfolgte eine spinale Angiographie, die jedoch keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer Gefäßmissbildung ergab. Die daraufhin veranlasste SEP-Untersuchung erbrachte die oben beschriebenen Befunde mit Hinweisen auf Entmarkungsherde zwischen Lumbosakralmark und Hinterstrangkernen einerseits, rostral davon andererseits.
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Die Einbeziehung der lumbalen und zervikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation erhöht einerseits die diagnostische Sicherheit, insbesondere, was den Ausschluss von Nerven-, Plexusund Wurzelläsionen als mögliche Ursachen einer Latenzverzögerung von P 40 betrifft; andererseits ergeben sich daraus in manchen Fällen wertvolle lokalisatorische Hinweise, welche den Patienten unnötige invasive Eingriffe ersparen können.
SEP nach Trigeminusstimulation Eigene Untersuchungen an 46 Patienten mit sicherer MS zeigten mit 61% eine uni- oder bilaterale pathologische Zunahme der absoluten Latenz von P 19, eine pathologische Seitendifferenz von P 19 oder einen unilateralen Ausfall der Reizantwort. Damit weist die Methode eine vergleichbare diagnostische Trefferquote wie die Registrierung der akustisch-evozierten Hirnstammpotenziale auf (Robinson u. Rudge 1977). Von besonderem Inte-
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resse ist dabei die Tatsache, dass fast die Hälfte der Fälle mit pathologischem Befund keine Sensibilitätsstörungen im Gesicht aufwies. Auch in dem Patientengut von Eisen et al. (1981) hatten 41,4% der Patienten mit wahrscheinlicher oder sicherer MS ohne klinische Hinweise auf eine
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Beteiligung der trigeminalen Leitungsbahnen ein pathologisches Trigeminus-SEP.
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Beispiel ⊡ Abbildung 2.122 zeigt den typischen Befund eines beträchtlich verzögerten Trigeminus-SEP bei einer Patientin mit wahrscheinlicher MS, wobei sich kernspintomographisch ein ipsilateraler (also linksseitiger) hyperindenser Herd in der Brücke darstellen ließ. Der aufgrund des zusätzlich registrierten Orbicularis-oculi-Reflexes anzunehmende zusätzliche medulläre Herd blieb dagegen im MRT unsichtbar.
Trotz der nicht unerheblichen Trefferquote sind Untersuchungen der kortikalen Reizantworten nach Trigeminusstimulation bei Verdacht auf Multiple Sklerose nur von nachgeordneter diagnostischer Bedeutung. Sie kommen dann zum Zug, wenn mit den geläufigeren Methoden keine zweifelsfreie diagnostische Klärung gelingt. Eine solche Indikation ist der Nachweis des supraspinalen Herdes bei klinisch rein spinalen MS-Formen. Selbst wenn in diesen Fällen bereits ein pathologischer VEP-Befund erhoben wurde, wird man vor dem Verzicht auf eine Myelographie des öfteren eine weitere diagnostische Bestätigung wünschen, zumal ein- oder beidseitige Visusstörungen mit pathologischem VEP-Befund keineswegs spezifisch sind für die Diagnose MS ( s. Kap. 5). Aus diesem Grund darf das Vorliegen eines pathologisch verzögerten VEP im Rahmen einer spinalen, zerebellaren oder Hirnstammsymptomatik nicht kurzschlüssig zur Diagnose MS verleiten, sondern be-
⊡ Abb. 2.122a – c. Trigeminus-SEP bei MS. a Erhebliche Ver- zögerung der kortikalen Reizantwort (P 19) nach Trigeminusstimulation links, bei normaler Latenz auf der Gegenseite. b Die Registrierung des Orbicularis-oculi-Reflexes zeigt nach linksseitiger Stimulation einen Verlust des Frühreflexes und eine Verzögerung des Spätreflexes als Hinweis auf eine pontine sowie eine zusätzliche medulläre Läsion. c Kernspintomographisch lässt sich als Korrelat der P 19-Verzögerung sowie des Frühreflexausfalls ein Herd in der linken Brücke nachweisen. Der aufgrund der verzögerten späten Orbicularis-oculiReflexkomponente zusätzlich zu unterstellende Herd in der Medulla oblongata war dagegen im MRT nicht nachweisbar
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197 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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2.5.4 Enzephalopathien Erkrankungen des Gehirns mit Einbeziehung des spezifischen somatosensiblen Systems führen in Abhängigkeit von der Schädigungslokalisation zu typischen Veränderungen der über der sensiblen Rinde ableitbaren Reizantworten. Dabei besteht eine gute Korrelation zwischen dem Grad der SEPVeränderungen und dem Ausmaß der Sensibilitätsminderung, wobei unter den verschiedenen sensiblen Qualitäten die Kinästhesie (»Lagesinn«) und die Stereoästhesie am wichtigsten sind (Stöhr et al. 1983). Die Pallästhesie bleibt demgegenüber nach Untersuchungen von Buettner (1984) bei einseitigen Hemisphärenprozessen weitgehend ungestört.
⊡ Abb. 2.123 a – c. Kortikale Reizantworten nach Trigeminusstimulation bei multipler Sklerose. a Normalbefund. b Einseitige Verlängerung der absoluten Latenz (26 ms) sowie pathologische Seitendifferenz (4 ms) von P 19. c Ausgeprägte, annähernd symmetrische Latenzzunahme nach links- und rechtsseitiger Trigeminusstimulation
darf der Ergänzung durch andere diagnostische Verfahren. ⊡ Abbildung 2.123 zeigt die bei MS am häufigsten vorkommenden pathologischen Befunde bei Ableitung des Trigeminus-SEP. Diese bestehen entweder in einer mäßigen bis starken beiderseitigen Latenzverzögerung von P19, oft in Kombination mit einer leichten bis mäßigen Amplitudenreduktion (⊡ Abb. 2.123 c), in einer pathologischen Seitendifferenz von P 19 von mehr als 1,93 ms (⊡ Abb. 2.123 b) oder in einer Kombination beider Befunde.
! Nach Untersuchungen von Reisecker (1988) führen u. U. bereits asymptomatische zerebrale Gefäßprozesse, ebenso wie Multiinfarktdemenzen ohne nachweisbare Sensibilitätsstörungen zu einer Verlängerung der zentralen Überleitungszeit als Hinweis auf eine klinisch latente Schädigung der somatosensiblen Impulsleitung. Abbruzzese et al. (1984) betonen die differential-diagnostische Bedeutung von pathologisch erniedrigten oder verzögerten kortikalen Reizantworten bei der Multiinfarktdemenz gegenüber der Alzheimer-Demenz, bei der SEP-Veränderungen fehlen.
Obwohl die das Gehirn erreichende somatosensible Information nicht nur sequentiell, sondern auch parallel zu verschiedenen Rindenfeldern geleitet wird (Buettner 1984) spielt Letztere im Hinblick auf die Funktionsdiagnostik mittels der SEP-Methode kaum eine Rolle; d. h. je weiter kaudal die lemniskale Leitungsbahn affiziert ist, um so frühere SEP-Anteile sind betroffen, wobei mit wenigen Ausnahmen auch die nachfolgenden Komponenten in analoger Weise verändert sind. Die innerhalb des lemniskalen Systems geleiteten Impulse werden in den Hinterstrangkernen der Medulla oblongata auf das zweite, in den Ventrobasalkernen des Thalamus auf das dritte sensible Neuron umgeschaltet. Entsprechend diesen ana-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
tomischen Gegebenheiten bietet sich eine Unterteilung der Enzephalopathien in Krankheiten des Hirnstamms, Thalamus und Großhirns an.
Hirnstammerkrankungen Die Diagnostik von Hirnstammerkrankungen bereitet häufig Schwierigkeiten, besonders weil den neuroradiologischen Verfahren hier Grenzen gesetzt sind. Aus diesem Grund ist eine Verfeinerung der neurophysiologischen Diagnostik bei dieser Krankheitsgruppe wünschenswert.
Außer Elektronystagmographie, frühen akustischevozierten Potenzialen und Messungen des Orbicularis-oculi-Reflexes können auch SEP-Untersuchungen nach Armnerven-, Beinnerven- und Trigeminusstimulation zum Nachweis und zur Lokalisation solcher Prozesse beitragen. Lagesinn und Vibrationsempfinden einerseits, Schmerz- und Temperaturwahrnehmung andererseits, werden nicht nur im Rückenmark, sondern auch noch im Hirnstamm in räumlich getrennten Bahnen geleitet. Die erstgenannten Qualitäten laufen über den Lemniscus medialis, letztere über den weiter lateral gelgenen Tractus spinothalamicus. Die Fasern des Lemniscus medialis kreuzen rostral der Pyramidenbahn, um paramedian zwischen den unteren Oliven aufzusteigen. Anschließend bildet die Fasermasse der medialen Schleife eine queroval orientierte Formation, die an der Grenze zwischen Brückenfuß und Brückenhaube gelegen ist. In Abhängigkeit vom Sitz einer Hirnstammläsion können einerseits Syndrome mit dissoziierter Sensibilitätsstörung (z.B. laterales Oblongata- und laterales Pons-Syndrom), andererseits solche mit bloßer Störung der epikritischen Sensibilität oder aber aller sensiblen Modalitäten (z. B. paramedianes Oblongatasyndrom, Syndrom der oralen Brückenhaube) resultieren. Der Lemniscus medialis bleibt sowohl bei allen lateral lokalisierten Läsionen als auch bei Prozessen, die nur den Brückenfuß bzw. dorsale Anteile der Brückenhaube betreffen, verschont, so dass bei diesen Schädigungslokalisationen keine SEP-Veränderungen auftreten. Pathologische SEP-Befunde bei Hirnstammprozessen sind dagegen – unabhängig von
deren Ätiologie – immer dann zu erwarten, wenn entweder die ipsilateralen Hinterstrangkerne (bzw. der diesen entsprechende Trigeminushauptkern) oder der kontralaterale Lemniscus medialis (Tractus bulbothalamicus und truncothalamicus) in die Schädigung einbezogen werden. Gefäßsyndrome. Beim lateralen Oblongatasyndrom (Wallenberg), lateralen Ponssyndrom und beim Weber-Syndrom sind die nach Arm- und Beinnervenstimulation evozierten SEP bezüglich Ausprägung und Latenzen normal. Damit bestätigt sich der bereits von Rückenmarksprozessen bekannte Befund, dass beim Vorliegen einer dissoziierten Sensibilitätsstörung keine Veränderungen der frühen kortikalen Reizantworten auftreten (Alajouanine et al. 1958; Nakanishi et al. 1974; Noël u. Desmedt 1975; Giblin 1980). Überraschenderweise zeigten eigene Untersuchungen beim Wallenberg-Syndrom in mehr als der Hälfte der Fälle eine Latenzverzögerung und/ oder Amplitudenreduktion der kortikalen Reizantworten nach Trigeminusstimulation am Mund (⊡ Abb. 2.124). Da bei diesem Syndrom typischerweise nur der spinale Trigeminuskern lädiert sein
⊡ Abb. 2.124. Kortikale Reizantworten nach Trigeminusstimulation beim Wallenberg-Syndrom. 58-jähriger Mann mit lateralem Oblongatasyndrom mit ausgeprägter Hypalgesie und Thermhypästhesie im Versorgungsareal des rechten N. trigeminus. Diskrete Störung der epikritischen Sensibilität mit leicht verminderter Wahrnehmung feiner Berühungsreize (Watte) und einer um 2 mm größeren Zweipunktediskrimination an der rechten als an der linken Oberlippe. Das SEP nach rechtsseitiger Ober- und Unterlippenstimulation ist erniedrigt und pathologisch verzögert (27 ms)
199 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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soll, könnte man an eine Fortleitung des »Trigeminus-SEP« über diesen Kernanteil denken. Dies ist aufgrund experimenteller Untersuchungen von Keller et al. (1974) an der Katze wenig wahrscheinlich; bei dieser fällt nach Zerstörung des spinalen Trigeminuskerns (Subnucleus oralis) nur das durch Reizung der Schmerzafferenzen der Zahnpulpa evozierte Potenzial aus, während das durch Reizung der markhaltigen Afferenzen des N. infraorbitalis evozierte Potenzial unverändert bleibt. Aufgrund dieser Befunde kann man davon ausgehen, dass das »Trigeminus-SEP« beim Menschen nach Lippenstimulation (mit 3facher sensibler Schwelle) über den Trigeminushauptkern fortgeleitet wird. Die beim Wallenberg-Syndrom häufig pathologische Reizantwort spricht daher nicht für eine Impulsfortleitung der durch Stimulation niederschwelliger Lippenrezeptoren ausgelösten Impulswelle über den Nucleus spinalis trigemini, sondern für die häufige Ausdehnung der Infarzierung bis in die Brückenhaube. Weitere Indizien für diese Annahme sind die bei manchen Patienten mit Wallenberg-Syndrom zu beobachtenden pathologischen Seitendifferen-
zen der Zweipunktediskrimination an den Lippen sowie eine pathologische Latenzzunahme des Orbicularis-oculi-Frühreflexes (und nicht nur eine für eine Läsion des spinalen Kerns charakteristische Latenzverlängerung des Spätreflexes).
⊡ Abb. 2.125. Trigeminus-SEP bei Wallenberg-Syndrom. 69-jährige Patientin mit lateralem Oblongatasyndrom bei Vertebralarterienverschluss rechts. Es besteht eine ausschließlich dissoziierte Empfindungsstörung in der rechten Gesichtshälfte. Das Trigeminus-SEP nach linksseitiger Lippenstimulation ist normal (bei auffallend guter Ausprägung der ipsilateralen Reizantwort und grenzwertiger Latenz). Nach rechtsseitiger
Stimulation leichte, aber signifikante Latenzzunahme von P 19 (24,1 ms), wobei die Reizantwort ipsilateral höhergespannt ist als kontralateral. Der Orbicularis-oculi-Spätreflex ist bei Ableitung vom rechten Auge nach rechtsseitiger Stimulation verzögert (52 ms), nach linksseitiger Stimulation grenzwertig (39 ms)
Beispiel Einen in mancher Hinsicht ungewöhnlichen Befund bei einer 69-jährigen Patientin mit Wallenberg-Syndrom rechts zeigt ⊡ Abb. 2.125. Typisch ist die Verlängerung des Orbicularis-oculiSpätreflexes, relativ häufig die eben diskutierte leichte, aber eindeutige Latenzverzögerung von P 19 nach Lippenstimulation auf der betroffenen Seite. Ungewöhnlich ist dagegen das Auftreten einer hohen kortikalen Reizantwort ipsilateral zur Seite der Stimulation. Dieser Befund könnte durch die tierexperimentell ermittelte Projektion bestimmter – oralen Strukturen zugehöriger – Neurone des sensorischen Hauptkerns zum ipsilateralen VPM (DarianSmith 1973) bedingt sein.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Ponsinfarkte bedingen SEP-Veränderungen bei dorsaler-, teilweise auch bei zentraler Lokalisation, während ventral gelegene Läsionen die somatosensiblen Leitungsbahnen verschonen. ! Bei manchen Patienten erlauben die individuellen SEP-Veränderungen eine recht genaue Schädigungslokalisation, so z. B., wenn ein pathologisches Medianus-SEP rechts und ein Trigeminus-SEP links den Infarkt rostral der Kreuzung des Lemniscus medialis und distal der Kreuzung des Lemniscus trigemini festlegen lässt.
Beim Locked-in-Syndrom (Plum u. Posner 1966) infolge ausgedehnter Infarzierung im Bereich des Brückenfußes, meist mit partieller Aussparung der Brückenhaube, beschreiben Noël u. Desmedt (1975) eine Kombination von Amplitudenreduktion und Latenzzunahme des SEP nach Arm- und Beinnervenstimulation, wobei das Ausmaß dieser Veränderungen abhängig ist vom Schweregrad des Betroffenseins der Axone des Lemniscus medialis. Bei schwerer Schädigung des Lemniscus medialis resultiert beim Locked-in-Syndrom ein kompletter Ausfall der somatosensiblen kortikalen Reizantwort, wobei die relative Intaktheit der Großhirnrinde durch ein normales EEG und ein regelrechtes blitzevoziertes VEP angezeigt wird (Cant 1980). Pathologische SEP-Befunde beim Locked-inSyndrom (bei dem eine Sensibilitätsprüfung in der Regel nicht möglich ist) zeigen eine Ausdehnung der Schädigung bis in ventrale Anteile der Brückenhaube an. Sind nur die Reizantworten nach Armnervenstimulation pathologisch, weist dies darauf hin, dass nur die medialen Anteile des Lemniscus medialis betroffen sind. Werden auch die weiter lateral lokalisierten Projektionen von den unteren Gliedmaßen einbezogen, resultieren zusätzlich pathologische SEP nach Beinnervenstimulation. Anziska u. Cracco (1980 a) untersuchten die subkortikalen »Far-field«-Potenziale nach Medianusstimulation bei Patienten mit unterschiedlich lokalisierten (überwiegend ischämischen) Hirnstammprozessen. Die Komponente P 3 (P13) war bei 2 Patienten mit medullären Infarkten ausgefallen; in einem weiteren Fall mit medial lokalisierter Schädigung im Bereich der Medulla oblon-
gata resultierte eine abnorme Verlängerung des schon normalerweise öfters zweigipfligen P 3. Die Autoren folgerten daraus, dass der erste Anteil dieser Welle in der kaudalen Medulla oblongata, der zweite Anteil (der vermutlich P14 entspricht) nach Passage der Schädigungsstelle, d. h. rostral der Medulla oblongata generiert wird. Ein erhaltenes P 3 bei Ausfall von N 20 wurde bei einem Patienten mit Infarzierung im Bereich von Brücke und Mittelhirn gefunden. Eine wichtige Indikation für SEP- (sowie AEP-)Untersuchungen sind besonders Hirnstamminfarkte im Akutstadium, da die kraniale Computertomographie im Frühstadium oft negative Ergebnisse liefert und die Beurteilung der Hirnstammschichten bei den oft unruhigen und wenig kooperativen Patienten außerdem schwierig sein kann. Sonstige Hirnstammerkrankungen. Blutungen
und Tumoren im Bereich des Hirnstamms führen zu prinzipiell gleichartigen Veränderungen wie Infarkte entsprechender Lokalisation. Chiappa et al. (1980) untersuchten einen Patienten mit vorwiegend linksseitiger Blutung in Höhe des Mittelhirns und fanden nach rechtsseitiger Medianusstimulation einen Ausfall von N 20, während »wave B« (N13 b) normal war. In der unteren Medulla oblongata lokalisierte Prozesse führen dagegen zu mehr oder minder starken Veränderungen dieser Welle, sofern die Hinterstrangkerne in die Schädigung einbezogen sind. Die Wichtigkeit der Medianus-SEP für die frühzeitige Feststellung der Prognose von Ponsblutungen ergibt sich aus einer Untersuchung von Ferbert et al. (1990), bei der 11 (von insgesamt 17) Patienten, die einen bilateralen Verlust des kortikalen Primärkomplexes aufwiesen, ausnahmslos verstarben. Diese Befunde stimmen mit den eigenen Erfahrungen überein (Stöhr et al. 1991; Riffel et al. 1994). Beispiel ⊡ Abbildung 2.126 zeigt die Befunde bei einem Patienten mit einem Ependymom im Bereich der rechten Medulla oblongata, der beinbetonte Störungen der Pall- und Kinästhesie rechts
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201 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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b ⊡ Abb. 2.126a, b. Ependymom im Bereich der rechten Medulla oblongata. a Nach Stimulation des linken N. medianus am Handgelenk regelrechte Ausprägung der Komponenten N 9, 11, 13 sowie normale kortikale Reizantwort. Nach rechtsseitiger Stimulation sind N11 und N13a bei Ableitung in Höhe des Dornfortsatzes C 7 erniedrigt, jedoch bezüglich der Latenz normal. Bei Ableitung über dem Dornfortsatz C 2 Erniedrigung, Deformierung und deutliche Latenzverzögerung der Komponente N13b. Die kortikale Reizantwort ist erniedrigt, deformiert und leicht verzögert. b Die zervikale und kortikale Reizantwort ist nach linksseitiger Tibialisstimulation regel-
recht. Nach rechtsseitiger Tibialisstimulation ist das über dem Dornfortsatz C 2 abgeleitete Nacken-SEP bei normaler Latenz deutlich erniedrigt. Der nachfolgende scharfgipflige Komplex ist aufgrund der üblichen Kriterien und wegen der höheren Amplitude als bei Skalpableitung vermutlich subkortikalen Ursprungs. Die über dem Scheitel registrierte Reizantwort ist verzögert und stark erniedrigt. Dabei ist unklar, ob es sich um ein kortikal generiertes Potenzial oder um die Fortleitung des in der Nackenableitung erscheinenden abnormen Komplexes handelt, was aufgrund der gleichen Latenz und Wellenfolge naheliegt
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
neben einer dissoziierten Sensibilitätsstörung in der rechten Gesichts- und linken Körperhälfte aufwies. Die spinalen, subkortikalen und kortikalen Reizantworten nach linksseitiger Medianusstimulation sind regelrecht. Nach rechtsseitiger Medianusstimulation ist N 9 bezüglich Latenz und Amplitude normal. Die Komponenten N 11 und N 13 a sind bei Ableitung in Höhe C 7 in ihrer Latenz normal, jedoch deutlich (und bei mehrfachen Messungen an verschiedenen Tagen konstant) erniedrigt. Bei Ableitung in Höhe C 2 ist N 13 b nicht nur erniedrigt, sondern darüber hinaus signifikant verspätet. Die kortikale Reizantwort ist auf der kranken Seite um 2,5 ms verzögert, stark erniedrigt und deformiert (Abb. 2.126 a). Ähnliche Befunde ergeben sich nach Tibialisstimulation, wobei in der Nackenableitung zusätzlich ein bisher nicht beschriebener abnormer später Komplex – vermutlich subkortikalen Ursprungs – hervortritt. Die Erniedrigung der über dem Dornfortsatz C 2 registrierten Reizantwort nach Medianus- und Tibialisstimulation (N 13 b bzw. N 30) bei einem medullären Prozess passt gut zu der hypothetischen Annahme eines Ursprungs dieser Komponenten in den Hinterstrangkernen.
Knapp rostral der Hinterstrangkerne, d.h. im Anfangsteil des Lemniscus medialis vor dessen Kreuzung lokalisierte Schädigungen lassen N 13 b unverändert (⊡ Abb. 2.127 a); jedoch fehlt die normalerweise bei Fz-Referenzableitung sichtbare positive Nachschwankung, die vermutlich einer Einspeisung der diffusen Skalpnegativität N 18 über die Referenzelektrode entspricht. Die kortikale Reizantwort ist ebenso wie bei weiter rostral gelegenen Hirnstammprozessen in unterschiedlichem Ausmaß erniedrigt und teilweise verzögert, mit entsprechender Verlängerung der zentralen Überleitungszeit. Bei pontinen Raumforderungen fanden wir die zervikalen Reizantworten ebenso wie die bei HandReferenzableitung registrierbaren Fernfeldpotenziale P 9, 11 und 13/14 ebenso unbeeinträchtigt wie N 18, während der kortikale Primärkomplex je nach dem Grad der Leitungsunterbrechung erniedrigt oder wie in ⊡ Abb. 2.128 ausgefallen ist.
Wang et al. (1982) wiesen bei 14 von 28 Patienten mit infratentoriellen Raumforderungen eine verlängerte zentrale Überleitungszeit nach Medianusstimulation nach, wobei die Leitungsverzögerung jeweils zwischen die Komponenten N 13b (»N 14«) und P 15 lokalisiert werden konnte. Drei weitere Patienten mit noch normaler zentraler Überleitungszeit wiesen bereits ein pathologisch verlängertes Latenzintervall »N 14 –P 15« auf. Dabei wurde offengelassen, ob die Leitungsstörung auf eine Kompression der Leitungsbahn oder eine kompressionsbedingte regionale Ischämie zurückzuführen ist. Mittels Trigeminusstimulation konnte bei 6 von 11 Patienten mit Kleinhirnbrückenwinkeltumoren eine ipsilaterale Latenzzunahme der Welle P 19 ermittelt werden (Buettner et al. 1982). SEP-Untersuchungen bei Patienten mit Syringobulbie wurden bisher nicht publiziert. Bei einem eigenen Patienten mit der Verdachtsdiagnose einer oligosymptomatischen Syringobulbie (ausgeprägte Gesichtsskoliose, linksseitiges Horner-Syndrom, dissoziierte Sensibilitätsstörungen in den Hautarealen V 1 und 2 links sowie trophischen Störungen am gleichen Auge) fanden wir nach Stimulation der linken Oberlippe ein mit normaler Latenz erscheinendes SEP. Die Messung des Orbicularisoculi-Reflexes ergab nach linksseitiger Stimulation eine ausgeprägte Verzögerung und Erniedrigung des Spätreflexes auf beiden Seiten, während nach rechtsseitiger Stimulation regelrechte Reflexantworten erhalten wurden. Bei pontiner Myelinolyse sind das EP-Potenzial und die über den Dornfortsätzen C 7 und C 2 abgeleiteten zervikalen Reizantworten regelrecht. Der kortikale Primärkomplex ist unterschiedlich stark erniedrigt. Obeso et al. (1980) beschreiben bei Hirnstammläsionen unterschiedlicher Ätiologie eine Amplitudenzunahme der späteren SEP-Anteile nach Medianusstimulation. Diese war bei komatösen Patienten deutlicher als bei solchen mit erhaltenem Bewusstsein. Die Ursache der Amplitudensteigerung wurde in einer Zerstörung der aktivierenden Formatio reticularis vermutet.
203 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.127a–c Melanommetastase in der linken Medulla oblongata. a Nach Medianusstimulation rechts Normalbefund. b Nach Medianusstimulation links sind die zervikalen Reizantworten bezüglich Latenz und Amplitude (base-to-peak) regelrecht; jedoch fehlt die bei Wahl einer Fz-Referenz übliche positive Nachschwankung ( s. Text). N 20 ist erniedrigt, deformiert und verzögert, die zentrale Überleitungszeit entsprechend auf 11,4 ms verlängert. c MRT: Rundherd in der linken Medulla oblongata. (Aus Stöhr u. Kraus 2002)
Thalamusläsionen Die thalamischen Umschaltstationen des lemniskalen Systems sind der VPL und VPM, während der Tractus spinothalamicus zu mehreren Kernen (Nucleus ventralis posterolateralis, Nucleus parafascicularis, Nucleus centralis lateralis) projiziert (Bowsher 1961).
Abhängig von Lokalisation und Ausdehnung einer Thalamusläsion kommen unterschiedliche Typen von Sensibilitätsstörungen vor: 1. Ausfall oder Minderung aller sensiblen Qualitäten. 2. Isoliertes Betroffensein der epikritischen Sensibilität. 3. Dissoziierte Sensibilitätsstörung.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
⊡ Abb. 2.128. Karzinommetastase in der linken Brücke. Die zervikalen und kortikalen SEP nach linksseitiger Medianusstimulation sind normal, während sich nach rechtsseitiger Stimulation ein Verlust des kortikalen Primärkomplexes einschließlich der Komponente P 15 findet. Die positiven Fernfeldpotenziale P 9, 11 und 13 sind ebenso erhalten wie die nachfolgende Negativität (N 18, aktuelle Latenz 19,3 ms)
In verschiedenen klinischen Studien wurden pathologische SEP-Befunde beim Vorliegen der Ausfallstypen 1 und 2 festgestellt. Domino et al.
(1965) fanden bei Patienten mit kryogenen Läsionen im VPL einen Verlust aller Komponenten des SEP nach kontralateraler Gliedmaßenstimulation. Tsumoto et al. (1973) beobachteten bei 4 Patienten mit ischämischen bzw.hämorrhagischen Thalamusläsionen mit Hemihypästhesie für alle Qualitäten eine Erniedrigung bzw. einen Verlust der frühen und späten Komponenten über beiden Hemisphären nach kontralateraler Medianusstimulation, während nach Stimulation auf der gesunden Seite normale SEP über beiden Hemisphären resultierten. Ein gleichartiges Ausfallsmuster ergab sich bei 2 Patienten mit kombinierter Läsion des Thalamus und der Capsula interna, bei denen die Hemihypästhesie von einer Hemiparese begleitet war. Noël u. Desmedt (1975) untersuchten 2 Patienten mit einem Thalamussyndrom vaskulärer Genese und fanden die frühe negative kortikale Reizantwort ausgefallen bzw. erniedrigt und deutlich verzögert. Diese deutliche Latenzverzögerung wurde als differentialdiagnostisches Kriterium gegenüber kortikalen Läsionen im Bereich des Parietallappens gewertet, was allerdings von späteren Untersuchern
19,3
nicht bestätigt werden konnte (Strenge u. Tackmann 1979; s. a. Abb. 2.130 a). Über das Verhalten der N 20 vorausgehenden SEP-Komponenten sind die Feststellungen verschiedener Autoren uneinheitlich. Anziska u. Cracco (1980 a) sowie Yamada et al. (1984) beobachteten bei Patienten mit Blutung bzw. Infarkt im Thalamus eine regelrechte Aufeinanderfolge der N 20 vorangehenden drei positiven Komponenten (P 1 – 3) bei einem Verlust von N 20. Nakanishi et al. (1978) beschreiben ein bezüglich Latenz und Ausprägung normales P 15 bei Patienten mit Thalamusläsion (wobei kritisch anzumerken ist, dass die angegebenen P 15-Latenzen auffallend kurz sind [11,1 – 14,4 ms]). Im Unterschied dazu beschreiben Noël u. Desmedt (1975) bei einem Kind mit spontaner Blutung im Bereich von Thalamus, Capsula interna und Tectum mit verbleibender spastischer Hemiparese 14 Monate nach dem Ereignis nicht nur einen kompletten Ausfall der kortikalen Reizantwort nach kontralateraler Fingerstimulation, sondern darüber hinaus einen Ausfall von P 11 (entsprechend P 15 beim Erwachsenen), was auf dessen Ursprung im oder kaudal des Thalamus hinweist. Buettner (1984) schließt aus einem fehlenden oder verzögerten P 15 auf eine Läsion an der ventro-
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⊡ Abb. 2.129a, b. Thalamus- und Capsula-interna-Infarkt rechts mit sensomotorischer Hemisymptomatik links. In der frontalen und parietalen Hand-Referenzableitung (Spur 1 und 2) sind die positiven Fernfeldpotenziale P 9, P 11 und P 13/14 ebenso erhalten wie N 18. Die C4’-Ableitung gegen eine frontomediane Referenz lässt eine fragliche positive Vorwelle (La-
tenz 15,8 ms) erkennen, während sämtliche späteren Komponenten ausgefallen sind. Die frontale Registrierung zeigt keinen eindeutigen P 22/N 30-Komplex, was als Hinweis auf eine Mitbeteiligung der thalamofrontalen Bahn gewertet werden kann, sofern man die von Mauguiére et al. (1983) vertretene Hypothese akzeptiert ( s. unten)
kaudal liegenden Eingangsseite, während ein bezüglich Latenz und Ausprägung normales P 15 auf einen dorsolateral bzw. im Anfangsteil des Tractus thalamo-corticalis gelegenen Prozess hinweist. Allerdings findet sich nach eigenen Untersuchungen (Stöhr et al. 1983) ein Verlust der Komponente P 15 nicht nur bei thalamischen Schädigungen, sondern auch bei solchen in der Capsula interna und im Centrum semiovale, was unter der Voraussetzung eines thalamischen Ursprungs von P 15 auf retrograde Erregbarkeitsänderungen bzw. eine retrograde Degeneration hindeutet. Die kortikale Primärantwort (N20) ist selbst bei diskreten Sensibilitätsstörungen pathologisch erniedrigt (⊡ Abb. 2.130 a) (Buettner 1984). Von lokalisationsdiagnostischer Bedeutung ist das Erhaltensein der bei Hand-Referenzableitung sichtbaren Welle N 18 (⊡ Abb. 2.129), was auf deren
subthalamische Entstehung hinweist (Mauguière et al. 1983). Nai-Shin (1986) betont schließlich, dass aufgrund der somatotopischen Gliederung des VPL eine mehr medial gelegene Läsion eher zu einem pathologischen Ausfall des Medianus-SEP, eine mehr lateral lokalisierte Läsion zu Veränderungen der SEP nach Beinnervenstimulation führen würde. Insgesamt erlauben SEP-Untersuchungen bei Prozessen mit Affektion der sensiblen thalamischen Relaisstationen eine objektive und weitgehend quantitative Funktionsprüfung der epikritischen Sensibilität. Dies ist von besonderer Bedeutung bei den häufigen lakunären Infarkten, die sich teilweise der neuroradiologischen Darstellung entziehen (Abbruzzese et al. 1988), ebenso wie bei Infarkten in der Akutphase sowie bei leichterer Ischämie mit bloßer Unterschreitung des Funk-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
P22
2
P22
⊡ Abb. 2.130. a Thalamusinfarkt links. Nach Medianusstimulation rechts und Ableitung über C3’ ist P 15 leicht verzögert und abgeflacht, N 20 gleichfalls leicht verzögert und erniedrigt. b Thalamusnaher kapsulärer Infarkt mit Leitungsunterbrechung der somatosensiblen Bahn ohne begleitende Hemiparese. Nach Stimulation des N. medianus links resultiert ein Ausfall der kortikalen Reizantwort (Spur 6). Die frontalen Reizantworten sind dagegen nach rechts- und linksseitiger
Stimulation bezüglich Latenz und Ausprägung seitengleich (Spur 1 u. 4). Dieser Befund spricht für die Existenz einer direkten Bahnverbindung vom Thalamus zum frontalen Kortex. Einschränkend muss allerdings betont werden, dass »P22« und »N30« – wie dies auch in den einschlägigen Publikationen der Fall ist – öfters nur mit etwas Phantasie als eigenständige Wellen zu erkennen sind
tionsstoffwechsels. Aber auch in Fällen mit computertomographischem oder kernspintomographischem Nachweis eines Thalamusprozesses erlaubt das morphologische Bild keine eindeutigen Rückschlüsse auf das Vorhandensein bzw. das Ausmaß der begleitenden Funktionsstörungen: Ausgedehntere Infarkte oder Blutungen können mehr oder minder symptomlos verlaufen, winzige Herde einen halbseitigen Sensibilitätsverlust nach sich ziehen. Um ein klares Bild vom Ausmaß der Sensibilitätsminderung zu erhalten, ist deshalb ein entsprechender Funktionstest einzusetzen.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen treten bei Thalamusläsionen eine Amplitudenreduktion und fakultativ leichte Latenzverzögerungen der Komponenten P 15 und N 20 ein. Bei hochgradiger Schädigung resultiert ein Ausfall des kortikalen Primärkomplexes sowie von P 15. Die zervikalen Reizantworten (N 9 – N 13) und deren vermutliche Korrelate bei Skalpregistrierung (P9 – P 13/14 bleiben demgegenüber unverändert, ebenso die Komponente N 18.
207 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
Bei Thalamusläsionen mit ausschließlicher Störung der Schmerz-, Temperatur- und Berührungswahrnehmung, aber intaktem Vibrationsund Lagesinn, beobachteten Tsumoto et al. (1973) eine isolierte Erniedrigung bzw. einen Ausfall der zweiten negativen und der zweiten positiven Komponente (N 35 und P 45) des SEP nach Medianusstimulation. Die einzige Ausnahme betraf einen Patienten mit Hyperpathie, der normale frühe Komponenten in Kombination mit einer Amplitudensteigerung von N 3 (N 55) aufwies. Erkrankungen des Cerebellums scheinen zu keinen Veränderungen der subkortikalen und frühen kortikalen Reizantworten zu führen, wie Untersuchungen von Matthews (1980) an Patienten mit isolierter Kleinhirndegeneration und eigene Erfahrungen bei Patienten mit Kleinhirntumoren sowie toxischer Kleinhirnrindendegeneration belegen. Normale kortikale Reizantworten nach Trigeminus-, Medianus- und Tibialisstimulation fanden wir auch bei einer Patientin mit Dyssynergia cerebellaris Hunt sowie bei Patienten mit M. Gerstmann-Sträußler (Schumm et al. 1981).
Zerebrale Prozesse Abhängigkeit der SEP-Befunde vom Sitz der Läsion. Zum Verständnis der SEP-Befunde bei zerebralen Läsionen unterschiedlicher Lokalisation sind einige Vorbemerkungen über den Ursprung der verschiedenen kortikalen SEP-Anteile in den verschiedenen Hirnrindenfeldern nötig. Diesbezüglich existieren zwei Hypothesen, von denen die »duale« in Anlehnung an tierexperimentelle Befunde (Rose u. Mountcastle 1959; Jasper et al. 1960; Albe-Fessard u. Fessard 1963) annimmt, dass die frühen kortikalen Reizantworten auf die Aktivierung des lemniskalen Systems, die späten bilateral erscheinenden Komponenten dagegen auf der Aktivierung des diffus projizierenden extralemniskalen Systems beruhen
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(Abrahamian et al. 1963; Uttal u. Cook 1964; Bergamini u. Bergamasco 1967; s. auch 2.2). Die zweite Hypothese unterstellt, dass sämtliche SEP-Komponenten ausschließlich auf eine Aktivierung des lemniskalen Systems zurückgehen.
Diese Annahme stützt sich unter anderem auf Befunde von Stohr u. Goldring (1969) sowie Slimp et al. (1986), die nach Exzision des somatosensiblen Handfeldes kein SEP nach kontralateraler Medianusstimulation mehr registrieren konnten. Der fehlende Nachweis der bilateralen späten Komponenten unter dieser Bedingung spricht gegen deren Fortleitung über das diffus projizierende extralemniskale System. Des weiteren wurde in verschiedenen klinischen Studien bei Patienten mit zerebralen Prozessen bisher kein eindeutiger Fall eines selektiven Ausfalls der frühen kortikalen Reizantworten bei normalen späten Komponenten gefunden, wie dies nach der dualen Hypothese bei Patienten mit isolierter Läsion des lemniskalen Systems zu erwarten wäre (Williamson et al. 1970; Tsumoto et al. 1973). Schließlich fanden Larson et al. (1966) nach Hinterstrangstimulation normale SEP vor und nach Vorderseitenstrangdurchschneidung einige Segmente darüber. Die gesamte kortikale Reizantwort scheint nach diesen Befunden das Ergebnis einer Aktivierung des lemniskalen Systems und des primären somatosensiblen Kortex darzustellen. Ohne intakte frühe Antwort können offenbar keine normalen späten Komponenten generiert werden. Obwohl die Mehrzahl der bisher vorliegenden Befunde für die Richtigkeit der zweiten Hypothese spricht, ist die Rückführung der verschiedenen SEP-Komponenten auf die Aktivierung eines oder zweier sensibler Systeme bisher noch nicht definitiv geklärt. Man kann allerdings davon ausgehen, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten eine Läsion des lemniskalen Systems – einschließlich der primären somatosensiblen Rinde – zu einer Erniedrigung bzw. einem Ausfall sowohl der frühen als auch der späten Reizantworten über beiden Hemisphären führt, wenn die Stimulation auf der hypästhetischen Seite erfolgt, während die Stimulation auf der nichtbetroffenen Seite normale Reizantworten über beiden Hemisphären hervorbringt (Liberson 1966; Williamson et al. 1970;
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Stöhr et al. 1983). Darüber hinaus scheint eine gute Korrelation zwischen dem Ausmaß der Störung der epikritischen Sensibilität und dem Schweregrad der SEP-Abnormität zu bestehen (Alajouanine et al. 1958; Liberson 1966; Laget et al. 1967; Williamson et al. 1970; Tsumoto et al. 1973; Stöhr et al. 1983; Buettner 1984). Die Latenzen liegen – sofern messbar – meist im Normbereich,können allerdings nach eigenen Erfahrungen und vereinzelten Mitteilungen (Obeso et al. 1980; Shahani et al. 1980) auch Verlängerungen in der Größenordnung von einigen Millisekunden aufweisen. Ausgeprägtere Latenzverzögerungen, wie sie fakultativ bei Läsionen des lemniskalen Systems an irgendeiner Stelle zwischen den Rezeptoren und dem somatosensiblen Kortex vorkommen, werden bei kortikalen Läsionen nicht beobachtet. Verschiedene klinische Studien untersuchten die Beziehungen der kortikalen Reizantworten zum Sitz der Läsion in verschiedenen Hirnrindenfeldern. Wie bereits erwähnt, führen Läsionen im Bereich der Postzentralregion zur Erniedrigung bzw. zum Verlust der kortikalen Reizantwort nach kontralateraler Arm- bzw. Beinnervenstimulation. Dieser Verlust des SEP zeigt sich meist nicht nur bei Ableitung über der Postzentralregion, sondern auch bei Ableitung über dem Frontallappen, woraus zu schließen wäre, dass das frontal registrierte Potenzial über parietofrontale Assoziationsbahnen fortgeleitet wird. Bei Läsionen im Stirnlappen fanden Noël u. Desmedt (1980) nach kontralateraler Medianusstimulation ein normales SEP bei postzentraler und ein fehlendes SEP bei frontaler Ableitung. Hieraus wurde gefolgert, dass der frontale Kortex infolge der dort lokalisierten Läsion nicht mehr über parietofrontale Bahnen aktiviert wird. Der frontale Generator scheint somit dem parietalen nachgeordnet zu sein, so dass die frontale Reizantwort sowohl bei dort als auch bei postzentral lokalisierten Läsionen ausfällt. Neuere Studien belegen, dass diese ausschließliche Aktivierung des Frontallappens über den Parietallappen offenbar nicht zutrifft (⊡ Abb. 2.130 b). Vielmehr dürfte parallel zu der thalamo-parietalen eine direkte thalamo-frontale Aktivierung eintreten, die für die Entstehung der Komponenten P 22 und N 30 verantwortlich gemacht wird. Hierfür spricht das Erhaltenbleiben dieser Wellen nach Resektion des
Gyrus postcentralis (Slimp et al. 1986) ebenso wie nach kapsulären Infarkten mit ausschließlich sensibler Hemisymptomatik (Mauguière et al. 1983 u. 1987). Umgekehrt führen kapsuläre Läsionen mit rein motorischen Ausfällen zu einem isolierten Verlust dieser Komponenten, während die postzentrale Aktivität (N 20 – N 27) erhalten bleibt (Mauguière et al. 1983). Wie ⊡ Abb. 2.138 bei einem gleichartigen Fall beweist, trifft diese Aussage zumindest nicht generell zu, d. h. trotz einer Plegie eines Armes infolge eines kapsulären Infarktes können P22 und N30 normal zur Darstellung kommen. Schließlich spricht die in ⊡ Abb. 2.131 (Zeile 4) sichtbare Nulllinie im Anschluss an den rudimentären kortikalen Primärkomplex gegen eine erhaltene frontale Aktivität. Diese müsste in solch einem Fall von der Referenzelektrode bei Fz aufgegriffen und – mit umgekehrter Polarität – als P30; eingespeist werden, was offensichtlich nicht der Fall ist. Die Existenz einer direkten thalamokortikalen Aktivierung erscheint damit fragwürdig. In einer Untersuchung von Giblin (1960, 1964) fanden sich bei 33 von 41 Patienten mit vorwiegend einseitigen Hemisphärenprozessen die erwarteten Korrelationen zwischen klinischem und SEP-Befund, d. h. 23 Patienten ohne sensible Ausfälle hatten ein normales SEP, während die kortikale Reizantwort bei 10 weiteren Patienten mit sensiblen Ausfällen weitgehend fehlte. Sofern überhaupt noch ein Potenzial abgrenzbar war, war die Latenz des initialen negativen Gipfels normal. Interessanter sind die verbleibenden 8 Patienten dieser Studie mit unerwarteten SEP-Befunden: Ein Junge mit Hemiparese aber ohne nachweisbare Sensibilitätsstörungen, wies ein hochgradig abnormes, kaum erkennbares SEP über der geschädigten Hemisphäre auf, während bei den 7 restlichen Patienten, trotz eindeutiger Sensibilitätsstörungen vom »kortikalen Typ«, Normalbefunde resultierten. Bei den letztgenannten Fällen war die elektrische Schwelle an den betroffenen Gliedmaßen fluktuierend erhöht, und alle, bis auf einen, zeigten eine halbseitige Aufmerksamkeitsstörung bei simultaner bilateraler taktiler Reizung. Diese Phänomene wiesen auf einen Sitz der Läsion im hinteren Anteil des Parietallappens hin. Normale SEP-Befunde, trotz eindeutiger Störungen des Lagesinns und der Steroästhesie, erlauben demnach nach Giblin (1980) eine Lokali-
209 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
Nach Hemisphärektomie resultiert selbstverständlich ein Verlust des SEP im Anschluss an die Komponente P 15; niedrige Potenzialschwankungen nach mehr als 40 ms, wie sie von Noël u. Desmedt (1980) bei einem Kind registriert werden konnten, wurden als fortgeleitete späte intrathalamische Potenziale interpretiert, wie sie von Fukushima et al. (1976) bei Direktableitung vom Thalamus anläßlich stereotaktischer Eingriffe beschrieben wurden. Eine eigene Studie an 30 Patienten mit einseitigen Hemisphärenläsionen (Stöhr et al. 1983) erlaubte die Unterscheidung von vier unterschiedlichen SEP-Typen, die von lokaldiagnostischer Bedeutung sind:
Unterscheidung vier unterschiedlicher SEP-Typen
⊡ Abb. 2.131. Hirninfarkt mit Betroffensein des Gyrus postcentralis rechts. Nach Medianusstimulation auf der symptomatischen linken Seite zeigt sich sowohl bei Ableitung gegen eine Ohr- als auch gegen eine Fz-Referenz eine Amputation von N 20 und ein Verlust der nachfolgenden Wellen. Die Komponenten P 13/14 (C4’ – A1) und P 15 (C4 – Fz) sind erhalten (SEP-Typ 2). (Aus Stöhr u. Kraus 2002)
sation der Schädigung in den hinteren Anteil des Scheitellappens. Eigene Untersuchungen zeigten bei mehreren Patienten mit dieser Schädigungslokalisation isolierte Veränderungen der dem kortikalen Primärkomplex folgenden Potenziale ( s. unten und ⊡ Abb. 2.133).
Typ 1 ist durch Veränderungen aller SEP-Komponenten nach N 13 b bzw. P 14 charakterisiert und korreliert mit Prozessen im Thalamus bzw. den angrenzenden Teilen des Tractus thalamocorticalis (⊡ s. Abb. 2.129 u. 2.130 a). Typ 2 zeigte eine erhaltene Welle P 15, wobei der nachfolgende negative Schenkel vorzeitig abbricht, so dass N 20 gewissermaßen amputiert wird und die folgenden Wellen fehlen (⊡ s. Abb. 2.131 u. 2.132). Dieses SEP-Muster wurde bei Patienten mit Läsionen im Bereich des Gyrus postcentralis (Areae 1 bis 3) gefunden, wobei die Lokalisationsdiagnostik gemäß der computertomographischen Kriterien von Gado et al. (1979) vorgenommen wurde. Eine nur zweimal festgestellte – als Typ 2 a bezeichnete – Variante bestand in einer isolierten Veränderung von N 20, während die nachfolgenden Anteile normal ausgeprägt waren (⊡ s. Abb. 2.137). Dieses Verhalten kann nur durch die Annahme einer parallelen Aktivierung zweier unterschiedlicher Rindenfelder erklärt werden, von denen das für den Ursprung von N 20 verantwortliche Areal isoliert geschädigt sein muss. Typ 3 zeigt einen erhaltenen kortikalen Primärkomplex, jedoch einen Ausfall der späteren Komponenten (⊡ s. Abb. 2.133 – 2.135) und kor▼
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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⊡ Abb. 2.132. Hirninfarkt des linken zentralen und parietalen Kortex. Nach Medianusstimulation rechts zeigt die Fz-Referenzableitung eine Amplitudenminderung und Deformierung von N 20 mit Verlust der nachfolgenden Komponenten. Registrierungen mittels Handreferenz weisen nahezu simulta-
reliert mit Prozessen, die dorsal der primären sensiblen Rinde – d. h. in den sensiblen Assoziationsfeldern – lokalisiert sind. Typ 4 mit ausschließlichen Veränderungen ab N 3 (N 55) konnte in dieser Studie nur in einem Fall von angiospastischem Insult mit Betroffensein von Area 39 beobachtet werden. Ein
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ne ipsi- und kontralaterale Antworten auf und erst durch Superposition bzw. Subtraktion wird der kleine Rest an verbliebener Nahfeldaktivität über der kontralateralen sensiblen Handregion klar erkennbar. (Aus Stöhr et al. 1983)
Beispiel für diesen Ausfallstyp stellt die ⊡ Abb. 2.136 dar: Nach Stimulation der anästhetischen Hand ist nicht nur der kortikale Primärkomplex erhalten (wie beim Typ 3), sondern darüber hinaus die darauf folgende Negativität. Erst die weiteren Komponenten sind ausgefallen.
211 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
a
b
c
⊡ Abb. 2.133a–c. Hirninfarkt rechts-parietal (a). b SEP-Typ 3 mit normalem kortikalen Primärkomplex, aber Verlust der nachfolgenden Komponenten als Hinweis auf ein Betroffensein der hinter der primären sensiblen Rinde gelegenen sensiblen Assoziationsfelder. c Keilförmiger Infarkt im Stadium
der Luxusperfusion. Ähnliche Befunde in bilateraler Ausprägung kommen bei schweren toxischen und hypoxischen Hirnschäden sowie bei Apallikern vor, bei denen die primären sensorischen Rindenfelder offenbar länger funktionstüchtig bleiben als die Assoziationsgebiete
Von praktischer Bedeutung sind besonders die Ausfallsmuster 1, 2 und 3, die eine Schädigungslokalisation in den Thalamus (bzw. thalamusnahe Anteile des Tractus thalamo-corticalis), die primäre sensible Rinde bzw. in die dahinter befindlichen sensiblen Assoziationsfelder erlauben. Aufgrund der Befunde von Maugière u. Desmedt (1991) bei umschriebenen Blutungen in der Capsula interna, die zu einer kontralateralen Hemiparese ohne begleitende Sensibiltätsstörungen führten, könnte man einen Typ 5 postulieren,
der durch erhaltene parietale und ausgefallene frontale Komponenten (P 22 und N30) definiert wäre. Eigene Messungen konnten das Vorkommen
eines solchen Typs allerdings nicht bestätigen (⊡ Abb. 2.138) und auch in der zitierten Arbeit fallen deutliche Amplitudenminderungen der parietalen Antwortpotenziale auf, so dass eine klinisch latente Mitbeteiligung des Tractus thalamocorticalis möglich erscheint und die frontalen Veränderungen auch als nachgeordnetes Phänomen interpretiert werden könnten.
212
Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Selbstverständlich gelten die genannten Kriterien sinngemäß auch für SEP-Veränderungen nach Beinnervenstimulation, so dass z. B. ein das Beinfeld des Gyrus postcentralis einbeziehender Prozess zu Veränderungen ab der Komponente P 40 führt (⊡ s. Abb. 2.139).
2
! Ebner et al. (1982) sowie Ebner u. Lücking
(1985) vertreten demgegenüber die Ansicht, dass parasagittale Prozesse die Komponenten P 40 – N 50 verschonen und erst zu einer Veränderung ab N 70 führen. Nai-Shin (1987) stellt demgegenüber in Übereinstimmung mit eigenen Befunden fest, dass hierbei bereits die Welle P 40 erniedrigt oder ausgefallen ist. Vaskuläre Prozesse (Hirninfarkt und Hirnblutung).
Aufgrund tierexperimenteller und klinischer Studien scheinen SEP-Untersuchungen geeignet, sowohl globale als auch regionale zerebrale Ischämien bestimmter Lokalisation zu erfassen.
a
b ⊡ Abb. 2.134a, b. Media-Teilinfarkt rechts. Bei Fz-(a) und Handreferenz (b) Ableitung geringe, aber noch nicht als pathologisch zu wertende Amplitudenerniedrigung von N 20 über C4’. Die entscheidende Veränderung besteht in dem weitgehenden Wellenverlust im Anschluss an den kortikalen Primärkomplex, wie dies besonders aus dem Seitenvergleich der superponierten Kurven (Spur 3) und aus der Subtraktion C3’ minus C4’ (Spur 4) deutlich wird
Tierexperimentelle Untersuchungen bei Katzen mit globaler zerebraler Ischämie durch Blutdrucksenkung zeigten erste Hinweise auf eine Amplitudenreduktion der primären somatosensiblen Reizantwort bei mittleren arteriellen Blutdruckwerten um 35 – 45 mm Hg. Bei Unterschreitung dieser Werte trat eine rasche weitere Amplitudenabnahme ein. Bei Druckwerten zwischen 15 und 25 mm Hg kam es zu einem Verschwinden des SEP (Gregory et al. 1980). Nach temporärem Mediaverschluss beim Affen fanden Branston et al. (1976), dass eine ausbleibende vollständige Erholung der somatosensiblen Reizantwort nach Beendigung der Okklusion mit einem größeren Grad an Gewebshypoxie in dem minderdurchbluteten Hirnareal einherging und dementsprechend häufig von irreversiblen Anoxieschäden gefolgt war. Luft- anstatt Sauerstoffatmung während der arteriellen Okklusion führte zu einer zusätzlichen Amplitudenreduktion des SEP, ein Befund, der eine gewisse klinische Bedeutung hat im Hinblick auf die normobare Sauerstofftherapie.
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213 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
⊡ Abb. 2.135 a – c. Glioblastoma multiforme im linken Parietallappen. a Die präoperative Ableitung lässt nach Medianusstimulation auf der hypästhetischen rechten Seite eine erhaltene kortikale Primärantwort mit schwerer Deformierung der nachfolgenden Wellen erkennen (Typ 3). b Postoperativ sind die späten Komponenten ausgefallen und N 20 ist nunmehr erniedrigt, deformiert und verzögert (Typ 2). c Computertomographisch ist postoperativ (unten) eine Ausdehnung der Läsion auf die primäre sensible Rinde zu erkennen, die präoperativ verschont war. (Aus M. Stöhr in: Maurer et al. 1988)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
MED L 21.7 .
2 MED R 24.8 .
2.5 µV 0
20
40
60
80
ms
⊡ Abb. 2.136. Glioblastoma multiforme (multifokal). Die Beteiligung des Centrum semiovale li. erklärt die Verzögerung von N20 um 3,1 ms. Interessanter ist der Verlust aller Wellen im Anschluss an die zweite Negativität, der auf eine zusätzliche Leitungsunterbrechung hinter der Postzentralregion verweist
Von der gleichen Arbeitsgruppe (Symon et al. 1979) wurde gezeigt, dass Patienten mit Subarachnoidalblutung beim Hinzutreten ischämischer Komplikationen ein pathologisches SEP über der betroffenen Hemisphäre mit Verlängerung der zentralen Überleitungszeit entwickeln, so dass diese zur Überwachung und rechtzeitigen Erkennung entsprechender Komplikationen geeignet erscheint. Eisenberg et al. (1979) konnten anlässlich der Operation intrakranieller Aneurysmen nachweisen, dass die nach direkter Kortexreizung ableitbare Reizantwort einen Index für die zerebrale Durchblutung darstellt: Die Amplitude der Reizantwort verkleinert sich parallel zur Erniedrigung des mittleren arteriellen Drucks und steigt nach Blutdruckerhöhung erneut an. Mit diesem Verfahren ließ sich das individuell tolerierte Maß an intraoperativ induzierter Hypotension überwachen. Schramm et al. (1990) postulieren ein SEP-Monitoring, um eine nach Klippung eines Aneurysmas resultierende regionale Ischämie frühzeitig zu erfassen. SEP-Veränderungen resultieren nämlich bereits bei einem Unterschreiten des Funktionsstoffwechsels – und nicht erst nach eingetretener Infarzierung – so dass noch Zeit bleibt, um Gegenmaßnahmen treffen zu können ( s. Kap. 6).
Untersuchungen der SEP gestatten somit einerseits den Nachweis ischämisch bedingter Funktionsstörungen des somatosensiblen Systems, andererseits erlauben sie gewisse Rückschlüsse auf dessen Erholungsfähigkeit. So gelten erhaltene kortikale Reizantworten eine Woche nach dem Infarktereignis als prognostisch günstig (MacDonell et al. 1989), während zwei Monate nach dem Ereignis fehlende SEP und MEP auf eine sehr schlechte Prognose bezüglich der Rückbildung von Paresen verweisen (Feys et al. 2000). Die SEP-Befunde bei herdförmiger zerebraler Ischämie und intrazerebraler Blutung entsprechen den im vorangehenden Absatz dargelegten Grundsätzen. Dabei scheinen sich die kortikalen Reizantworten bei regionalen Mangeldurchblutungen mit Unterschreitung des Funktions- oder aber des Strukturstoffwechsels in der akuten Phase nicht zu unterscheiden. Eine Ischämie oder Blutung in der Postzentralregion bzw. im hinteren Anteil der Capsula interna führt meist zu einem Verlust bzw. zu einer Erniedrigung aller SEP-Komponenten ab N 20, während die vorangehende positive Vorzacke (P 15) in der Regel erhalten bleibt. Der Ausfall der SEP erstreckt sich auf die ipsi- und kontralaterale Hemisphäre, sofern die Stimulation auf der hemianästhetischen Seite vorgenommen wird. Bei Stimulation auf der Gegenseite finden sich über beiden Hemisphären regelrechte Reizantworten. Typische Beispiele zeigen die ⊡ Abb. 2.131 – 2.133. Außer Amplitudenminderungen bzw. dem Ausfall einzelner oder aller kortikaler Reizantworten kommen auch Verlängerungen der zentralen Überleitungszeit vor und zwar vor allem bei zwischen Thalamus und Postzentralregion gelegenen Infarkten (Reisecker 1988). Interessant sind die von Green u. Hamilton (1977) erhobenen Befunde bei dem Syndrom der Anosognosie für eine bestehende Hemiparese. Bei Medianusstimulation auf der hemiplegischen Seite zeigte sich ein Verlust der kortikalen Reizantwort. Dieser offensichtliche Mangel an kortikaler Reizverarbeitung wurde als wahrscheinliche Ursache des fehlenden Bewusstwerdens der hemiplegischen Seite angenommen. Die SEP-Befunde nach Beinnervenstimulation entsprechen denen nach Armnervenstimulation,
215 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.137. Astrozytom des rechten Seitenventrikeldachs mit Einwachsen in beide frontale Marklager sowie in den Stammganglienbereich rechts. Die zervikalen Reizantworten sind nach links- und rechtsseitiger Medianusstimulation regelrecht, ebenso die kortikale Primärantwort nach rechtsseitiger Stimulation. Nach linksseitiger Stimulation zeigt sich ein Ausfall der frühen kortikalen Negativität (N 20). Bei längerer
Analysezeit (rechte Bildhälfte) weist die kortikale Reizantwort nach linksseitiger Stimulation – trotz des Ausfalls von N 20 – eine gute Ausprägung der nachfolgenden Komponenten auf (Typ 2 a). Dagegen sind bei Stimulation auf der Gegenseite die dem normalen Primärkomplex folgenden Komponenten erniedrigt und deformiert
so dass eine detaillierte Besprechung unnötig erscheint. Die Stimulation eines Beinnerven ist der Armnervenstimulation dann vorzuziehen, wenn die Hemihypästhesie an der unteren Extremität stärker ausgeprägt ist. Regionale Durchblutungsstörungen im Bereich der entsprechenden thalamokortikalen Projektion bzw. der Postzentralregion resultieren in einer mehr oder minder ausgeprägten Amplitudenreduktion von P 40 bei regelrechtem N 30. Gelegentlich hinzutretende Latenzverlängerungen von P 40 auf der betroffenen Seite er-
reichten im eigenen Krankengut einen Maximalwert von 4,2 ms über dem oberen Normgrenzwert. Eine Untersuchung der nach Tibialis-Stimulation evozierten Potenziale mittlerer Latenz durch Kovala et al. (1991) ergab häufig pathologische Seitendifferenzen der Komponenten P57 und N75. Tumoren des Großhirns. Raumfordernde Prozesse
im Bereich der sensiblen Projektionen vom Thalamus zum Kortex sowie in der Postzentralregion führen in der Regel zu einer Amplitudenreduktion
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
operativer Entfernung des Tumors bestand eine Befundverschlechterung mit nunmehr bereits sichtbarer Veränderung der Welle N 20, die erniedrigt, deformiert und verzögert erscheint (Typ 2). SEP-Untersuchungen erlauben somit eine objektive Erfassung der prä- und postoperativen sensiblen Defizite.
P22
Beispiel
N30 P22
⊡ Abb. 2.138. Kleiner Infarkt in der Capsula interna rechts mit Plegie des linken Armes bei intakter Oberflächen- und Tiefensensibilität. Nach Medianusstimulation auf der betroffenen linken Seite zeigen sich keinerlei Veränderungen der frontalen Wellen P20 (P22) und N30; vielmehr kommen diese seitengleich normal zur Darstellung
aller Komponenten ab N 20 bis hin zum Ausfall des SEP. Je nachdem welcher Teil dieses somatotopisch gegliederten Systems am stärksten betroffen ist, finden sich die frühesten und ausgeprägtesten Veränderungen in den kortikalen Reizantworten nach Trigeminus-, Medianus- bzw. Tibialisstimulation (⊡ Abb. 2.135 – 2.137 und 2.139). Im Beispiel der ⊡ Abb. 2.135 von einem Patienten mit einem linksparietalen Glioblastom zeigte die präoperative Ableitung nach Medianusstimulation rechts einen erhaltenen kortikalen Primärkomplex, während die folgenden Komponenten hochgradig deformiert erschienen (Typ 3). Nach
Ein besonders interessanter Befund wurde bei einem Patienten mit einem teilresezierten Astrozytom (Grad II) des rechten Seitenventrikeldachs mit Wachstum über den Balken nach links erhoben (⊡ Abb. 2.137). Die neurologische Untersuchung dieses Patienten zeigte eine leichte spastische Hemiparese links, eine Störung der epikritischen Sensibilität an der linken Hand (Stereohypästhesie, erschwerte Zweipunktediskrimination, gestörte Reizlokalisation sowie diskrete Lagesinnstörung) und eine leichte Hemihypalgesie rechts. Computertomographisch fand sich ein hypodenser Tumor im rechten mehr als im linken frontalen Marklager, der rechts den Stammganglienbereich mit einbezog. Die SEP-Untersuchung zeigt seitengleiche normale zervikale Reizantworten. Die kortikale Primärantwort ist nach rechtsseitiger Stimulation normal, während nach linksseitiger Stimulation ein Ausfall von N 20 zu verzeichnen ist. Trotz dieses Ausfalls von N 20 sind die nachfolgenden Komponenten gut ausgeprägt, was auf eine isolierte Läsion der somatosensiblen Projektionen zu Area 3 hinweisen könnte. Nach rechtsseitiger Stimulation sind die dem normalen Primärkomplex folgenden Komponenten erniedrigt und deformiert, vermutlich infolge einer Störung in der kortikalen Erregungsverarbeitung.
Parasagittal lokalisierte Prozesse beziehen primär das Beinfeld des sensiblen Kortex ein und lassen sich deshalb früher durch SEP-Ableitungen nach Beinnervenstimulation erfassen. Dabei führt ein Betroffensein der primären sensiblen Rinde zu Veränderungen bereits des kortikalen Primärkomplexes mit Erniedrigung, Deformierung und teilweiser Latenzzunahme von P 40 (⊡ Abb. 2.139).
217 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
a
b ⊡ Abb. 2.139 a, b. Parasagittales Glioblastom im rechten Parietallappen. a Nach Tibialisstimulation links regelrechte Ausprägung der subkortikalen Komponenten. P 40 ist erniedrigt, deformiert und verzögert, und es besteht ein Ausfall der nor-
malerweise nachfolgenden Komponenten. (Ableitung nach Tibialisstimulation links mit 4fach höherer Verstärkung.) b Computertomogramm nach Kontrastmittelanreicherung. (Aus M. Stöhr in Maurer et al. 1988)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Beispiel
Beispiel
Ein isolierter Ausfall späterer SEP-Komponenten findet sich im Beispiel der ⊡ Abb. 2.140. Es handelt sich hierbei um eine 28-jährige Patientin mit pilozytischem Astrozytom im temporoparietalen Marklager rechts mit spastischer Hemiparese links, Hemihypalgesie links sowie geringer linksseitiger Herabsetzung des Berührungsempfindens bei intakter Stereo-, Pall- und Kinästhesie. Sowohl nach linksseitiger Medianus- als auch nach linksseitiger Tibialisstimulation ist die kortikale Primärantwort regelrecht, während ab N 35 bzw. P 60 eine pathologische Deformierung und Erniedrigung sichtbar ist. Diese kann man, je nachdem, welchem Konzept man folgt ( s. oben), auf eine Leitungsstörung im extralemniskalen System oder auf eine gestörte kortikale Erregungsverarbeitung zurückführen.
So zeigt ⊡ Abb. 2.141 die SEP eines 53-jährigen Mannes mit diskreter beinbetonter Hemiparese rechts ohne eindeutige Sensibilitätsstörungen. Die kortikalen Reizantworten sind nach Medianus- und besonders nach Tibialisstimulation rechts bezüglich der Latenzen normal, bezüglich der Amplituden im Vergleich zur Gegenseite deutlich und bei mehrfachen Kontrollen konstant erhöht. Computertomographisch und angiographisch ergab sich die Verdachtsdiagnose eines vorwiegend linksseitig lokalisierten malignen Glioms im hinteren Balkendrittel.
Werden durch eine zerebrale Raumforderung statt sensibler Bahnverbindungen inhibitorische Systeme affiziert, sind Amplitudensteigerungen zu erwarten, die tatsächlich – wenn auch selten – festgestellt werden.
⊡ Abb. 2.140. Malignes Astrozytom im temporoparietalen Marklager rechts. 28-jährige Patientin mit rasch progredienter linksseitiger Hemiparese und Hemihypalgesie sowie leichter linksseitiger Störung des Berührungsempfindens bei intakten epikritischen Funktionen. Sowohl nach Medianus- als auch nach Tibialisstimulation findet sich auf der betroffenen Seite eine normale Ausprägung des kortikalen Primärkomplexes bei pathologischer Deformierung und Erniedrigung ab N 35 (Medianus-SEP) bzw. ab P 60 (TibialisSEP)
Bei einem Verschluss-Hydrozephalus beobachteten Wang et al. (1982) eine Verlängerung der zentralen Überleitungszeit – speziell des Teilabschnitts P 15 – N 20 – mit Normalisierung nach erfolgter Drainage. Findler u. Feinsod (1982) fanden bei einem zu Gesichtsschmerzen führenden Hydrozephalus eine Amplitudenminderung und Latenzzunahme des Trigeminus-SEP, wiederum mit eintretender Normalisierung nach Anlage eines Shunts.
219 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
2
Zusammengefasst ergeben sich bei Hirntumoren mit Läsionen des lemniskalen Systems prinzipiell gleichartige Befunde wie bei Hirninfarkten, wobei die mit Abstand häufigste Veränderung in einer Amplitudenreduktion und Deformierung aller SEP-Komponenten ab N 20 bzw. P 40 bis hin zum Ausfall der kortikalen Reizantwort besteht. Gelegentlich finden sich aber auch isolierte Normabweichungen der dem Primärkomplex folgenden Anteile, deren pathophysiologische und lokalisatorische Bedeutung noch weiterer Klärung bedarf. In Frage kommt eine Störung der Impulsverarbeitung
nach ungestörtem Eintreffen der Impulswelle im somatosensiblen Kortex einerseits, eine vorzugsweise Schädigung von langsamer leitenden somatosensiblen Leitungsbahnen andererseits. Die in ⊡ Abb. 2.141 beschriebene Amplitudenerhöhung nach Stimulation auf der betroffenen Seite stellt am ehesten ein Enthemmungsphänomen infolge einer Beeinträchtigung inhibitorischer Systeme dar ( s. Epilepsie).
⊡ Abb. 2.141. Malignes Gliom im hinteren Balkendrittel. 53-jähriger Mann mit leichter beinbetonter Hemiparese rechts ohne eindeutige Sensibilitätsstörungen. Das SEP nach Media-
nus- und besonders nach Tibialisstimulation zeigt eine deutliche Amplitudenerhöhung bei Stimulation auf der betroffenen rechten Seite
Hirntraumen. Bei Hirntraumen sind SEP-Untersuchungen sowohl in der Früh- als auch in der
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Spätphase von Bedeutung (Greenberg et al. 1977, 1980). In der Frühphase nach schwerem Schädelhirntrauma scheinen SEP-Untersuchungen eine prognostische Aussage zu ermöglichen, insofern ein bilateraler Verlust des kortikalen Primärkomplexes nur sehr selten und dann meist in einem vegetativen Zustand überlebt wird (Kroiss u. Stöhr 1996; Riffel et al. 1994; Stöhr et al. 1999; s. Kap. 6). In der Spätphase nach Schädelhirntrauma sind SEP-Untersuchungen gelegentlich hilfreich bei der gutachtlichen Einschätzung der verbliebenen Unfallfolgen. Bekanntlich werden von den Untersuchten häufig auf einzelne Gliedmaßen begrenzte oder halbseitige Sensibilitätsstörungen angegeben, die mittels klinischer Kriterien nicht immer verifizierbar oder falsifizierbar sind. In diesen Fällen können im Seitenvergleich vorgenommene Messungen der somatosensiblen zervikalen und kortikalen Reizantworten zumindest deutliche Läsionen innerhalb des lemniskalen Systems objektivieren. Bei Polytraumatisierten können diese Untersuchungen auch bei der lokalisatorischen Zuordnung einer bestehenden Sensibilitätsstörung in das periphere oder bestimmte Anteile des zentralen Nervensystems nützlich sein, wie in dem folgenden kasuistischen Beispiel ( s. auch Kap. 6). Beispiel Bei einem Bergunfall erlitt die 57-jährige Patientin sowohl ein gedecktes Schädel-Hirn-Trauma mit protrahierter Bewusstseinsstörung (ohne computertomographische Veränderungen) als auch eine schwere Prellung im Bereich des linken Gesäßes mit Ausbildung eines Hämatoms. Eine schlaffe Teillähmung des linken Beins mit Abschwächung des Triceps-surae-Reflexes wurde dementsprechend auf eine traumatische Ischiadicus-Läsion zurückgeführt. Aufgrund des Tibialis-SEP musste diese diagnostische Zuordnung revidiert werden, da die Komponente N 22 (oberhalb des Dornfortsatzes LWK 1) eine seitengleich normale Ausprägung aufwies. Dagegen erwies sich die Komponente P 40 nach linksseitiger Tibialisstimulation als erniedrigt und verzögert, und es bestand ein Verlust der nachfolgenden Wellen. Ein solches Ausfalls-
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muster ist typisch für eine die primäre sensible Rinde betreffende Schädigung; dementsprechend konnte in der nach Stabilisierung des Zustandsbildes angeschlossenen Kernspintomographie ein parasagittaler Kontusionsherd rechts nachgewiesen werden (⊡ Abb. 2.142).
Epilepsie Bei symptomatischen Epilepsieformen können – wie generell bei herdförmigen Hirnläsionen – SEPUntersuchungen lokalisatorisch hilfreich sein (Kataoka et al. 1980). Interessanter sind die bei manchen Epilepsieformen vorkommenden Amplitudenerhöhungen der somatosensiblen kortikalen Reizantworten, wie sie erstmals von Dawson (1947 b) bei progressiver Myoklonusepilepsie beschrieben wurden. Dieses durch große epileptische Anfälle, Myoklonien und Demenz charakterisierte Syndrom umfasst heterogene, teils sporadische, teils autosomal rezessiv, seltener auch dominant vererbte Krankheitsbilder (Halliday 1967 b). Die SEP-Anomalien sind bei den genetisch unterschiedlichen Gruppen jedoch einheitlich und lediglich abhängig vom Ausmaß und von der Lokalisation der Myoklonien. Halliday u. Halliday (1980) fanden bei 13 von 22 Patienten Amplituden von P 32 (bei Fingerstimulation), die über dem bei 32 gesunden Probanden ermittelten Maximalwert lagen; bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Myoklonien aufwiesen, lagen die Amplituden im Normbereich. Dasselbe gilt für Patienten, bei denen die Myoklonien durch Verabreichung von Benzodiazepinen unter Kontrolle gebracht werden konnten (Sutton u. Mayer 1974; Halliday u. Halliday 1980). Bei ein- und demselben Patienten schwanken die Amplitudenveränderungen nicht nur in Abhängigkeit von der jeweiligen allgemeinen Myoklonusaktivität, sondern auch in Abhängigkeit von deren somatotopischer Verteilung. Sind die Myoklonien z. B. auf eine Extremität beschränkt, so finden sich abnorm hochgespannte SEP nur oder zumindest überwiegend bei dortiger Stimulation. Nach Shibasaki u. Yamashita (1986) reichen die Amplituden von P 25 und N 33 normalerweise bis
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⊡ Abb. 2.142a, b. Parasagittaler Kontusionsherd. a Nach Tibialisstimulation links Erniedrigung und Verzögerung von P 40 sowie Ausfall der folgenden Komponenten als typisches Ausfallsmuster bei einer Läsion innerhalb der primären sensiblen Rinde. b Kernspintomographischer Nachweis der rechtsparasagittal gelegenen Rindenprellung. Klinisch war vor Kenntnis des SEP-Befundes die Diagnose einer traumatischen Ischiadicus-Schädigung gestellt worden, was durch die seitengleich normale Komponente N 22 (L 1) ausgeschlossen ist. (Einzelheiten s. Text)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
maximal 8,6 bzw. 8,4 µV, während bei Myoklonusepilepsie Werte bis 40 bzw. 75 µV beobachtet wurden. Die Amplitude von N 20 sowie die der subkortikalen Wellen ist dabei meist normal und kann sogar erniedrigt sein (Jones u. Halliday 1982). Die Skalpverteilung von P 25 und N 33 entspricht den normalen Verhältnissen mit maximaler Ausprägung in der kontralateralen Postzentralregion (Kakigi u. Shibasaki 1987). Auch die frontale Komponente N 30 weist eine Amplitudensteigerung auf (Ebner u. Deuschl 1988), ebenso die kortikalen Reizantworten nach Beinnervenstimulation (Kakigi u. Shibasaki 1987) (⊡ Abb. 2.143). Bei essenzieller Myoklonie, einer autosomal dominanten Erkrankung mit benignem Verlauf fanden Halliday u. Halliday (1980) normale oder nur leicht erhöhte SEP-Amplituden, obwohl alle Patienten zum Zeitpunkt der Untersuchung Myoklonien aufwiesen. Dieser Befund korreliert mit dem EEG, das bei essenzieller Myoklonie normal, bei progressiver Myoklonusepilepsie ausnahmslos pathologisch ist und neben Veränderungen des Grundrhythmus bilaterale Spikes oder Polyspikeslow-wave-Komplexe erkennen läßt. Bei Mittelung der EEG-Aktivität in fester zeitlicher Beziehung mit der Muskelzuckung lassen sich bei der Myoklonusepilepsie kortikale Spikes 7 – 15 ms vor dem Auftreten einer Muskelzuckung an der kontralateralen oberen Extremität nachweisen, was in dieser Form bei Patienten mit anderen Typen von Myoklonie nicht beobachtet wird (Shibasaki et al. 1978). Dieser myoklonuskorrelierte kortikale Spike gleicht in Zeitrelation und Skalptopographie der N 33Komponente des SEP. »Riesen-SEP« (»giant-SEP«) kommen nicht nur bei progressiver Myoklonusepilepsie, sondern auch bei damit verwandten Störungen, wie z. B. der neuronalen Ceroid-Lipofuszinose vor, außerdem in bestimmten Stadien der Jakob-Creutzfeldt-Erkrankung und in manchen Fällen von Dyssynergia cerebellaris myoclonica (Ramsay-Hunt) und bei posthypoxischer Myoklonie. Die Riesenpotenziale bei Dyssynergia cerebellaris myoclonica nehmen unter Alkohol ab (Lu u. Chu 1991). Schließlich kommen bei Wismut-, Cienam-, Lithium- und Amitriptylin-Intoxikationen ähnliche Symptome wie bei Jakob-CreutzfeldtErkrankungen einschließlich Myoklonien und »giant-SEP« vor, die nach Medikamentenentzug
a
b ⊡ Abb. 2.143a, b. »Riesen-SEP« bei Melanommetastase in der rechten Zentralregion mit im linken Bein beginnenden motorischen Jackson-Anfällen. a Nach Tibialisstimulation an dem betroffenen linken Bein erscheint P 40 gering verzögert (Seitendifferenz 2,7 ms). Der auffallendste Befund besteht jedoch in einer Amplitudenerhöhung auf das Vierfache des kontralateralen Vergleichswertes. (Die leichte Latenzverlängerung von P 40 auch nach rechtsseitiger Stimulation beruht auf einer leichten peripheren Leitungsverzögerung bei Polyneuropathie.) b Melanom-Metastase im MRT
223 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
verschwinden (Smith u. Kocen 1988; Foerstl et al. 1989; eigene Beobachtungen) (⊡ Abb. 2.144). Bei mit Myoklonien einhergehenden hypoxischen Hirnschäden fanden wir in 2 von 24 Fällen Riesen-SEP (Riffel et al. 1994). Eine u. U. massive Zunahme der Amplitude N 20/P 25 beobachteten wir bei einer größeren Zahl von Sepsispatienten mit Encephalopathie. Interessanterweise entwickelt sich in vielen dieser Fälle parallel dazu eine vorwiegend axonale »critical illness«-Neuropathie mit Amplitudenabnahme bzw. Verlust des EP-Potenzials nach Medianusstimulation. Unter Berücksichtigung des dadurch verminderten Impulseinstroms aus der Peripherie ist die Amplitudenerhöhung des kortikalen Primärkomplexes um so erstaunlicher und wohl nur durch einen selektiven Ausfall zentralnervöser inhibitorischer Systeme zu erklären. Insgesamt entwickeln 32% der Sepsispatienten eine passagere Amplitudenerhöhung der Welle N20/P25 auf >10 µV, wobei dieser Befund häufig kombiniert ist mit einer Verlängerung der zentralen Überleitungszeit (N13b–N20) sowie einer Doppelgipfligkeit von N20 (Pfadenhauer u. Rittner 1996). Eine weniger ausgeprägte Amplitudenerhöhung als bei Myoklonusepilepsie findet sich gelegentlich bei Patienten mit photosensibler Epilepsie (Broughton et al. 1969) und auf der Seite einer Hirnstamm- oder Parietallappenläsion (Halliday 1967 a, Laget et al. 1967; Jones u. Halliday 1982) (⊡ Abb. 2.128). !
Bei 6 von 21 Patienten mit Parietallappenläsionen fanden Laget et al. (1967) höhere Amplituden über der betroffenen als über der gesunden Hemisphäre, was besonders die negative Komponente mit einer Latenz von 100 – 160 ms nach Reizbeginn betraf. Allen diesen Patienten gemeinsam waren fokale sensible Anfälle, so dass die Amplitudenerhöhung hiermit in Zusammenhang gebracht wurde.
Auch bei der Epilepsia partialis continua wurden gelegentlich hochgespannte SEP beobachtet, besonders bei Stimulation an der betroffenen Gliedmaße (Kugelberg u. Widén 1954; Sutton u. Mayer 1974). Chiappa et al. (1980) sahen bei 2 Patienten mit Epilepsia partialis continua ein abnorm hoch-
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⊡ Abb. 2.144. Wismut-Intoxikation mit Myoklonien (und einem klinischen Bild ähnlich einer Jakob-Creutzfeldt-Erkrankung). »Riesen-SEP« mit einer Amplitude von N 20/P 25 von 14 µV
gespanntes P 2 bei Stimulation an dem betroffenen Arm. Interessant ist die in ⊡ Abb. 2.145 dargestellte Konstellation bei einer 77-jährigen Patientin mit einer kleinen Blutung im zentralen Marklager links, die zu einer geringen motorischen und einer mäßigen sensiblen Hemisymptomatik rechts geführt hatte. Dementsprechend ist N20 nach Medianus-Stimulation an der betroffenen Hand leicht verzögert und etwas verplumpt. Nach Stimulation an der symptomfreien Hand zeigt sich überraschenderweise eine auf 24 µV erhöhte Amplitude der Komponente N20/P25 und auch die nachfolgende negativ-positive Welle ist um ein Mehrfaches höher als deren Entsprechung auf der Gegenseite, so dass eine Disinhibition der gesunden Hirnhälfte durch die kranke kontralaterale Seite unterstellt werden muss. Differentialdiagnostisch müssen Amplitudensteigerungen beim Vorliegen eines Knochendefekts bedacht werden. Die Ursache der SEP-Amplitudenerhöhung ist bis heute unklar. In Anlehnung an tierexperimentelle Befunde bei experimentellen myoklonischen Syndromen (Cesa-Bianchi et al. 1967; Zuckermann u. Glaser 1972) diskutieren Halliday u. Halliday (1980) die Bedeutung epileptischer Entladungen im Nucleus reticularis gigantocellularis in der Medulla oblongata mit Weiterleitung zu den spinalen Motoneuronen. Bei der progressiven Myoklonus-
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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b ⊡ Abb. 2.145a, b. Blutung im zentralen Marklager li. a Nach Medianus-Stimulation am hypästhetischen re. Arm ist N20 im Vergleich zur Gegenseite leicht deformiert und verzögert. Von größerem Interesse ist die nach Stimulation auf der gesunden
Seite registrierte erhebliche Amplitudenzunahme von N20/ P25 sowie der nachfolgenden negativ-positiven Schwankung (Einzelheiten siehe Text). b Computertomographisch sichtbare Blutung im zentralen Marklager li.
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epilepsie soll eine dieses retikuläre Kerngebiet kontrollierende, über den sensomotorischen Kortex laufende und somatotopisch strukturierte Reflexschleife in die pathologische Aktivitätssteigerung einbezogen sein, so dass außer Myoklonien Veränderungen der EEG- und SEP-Aktivität auftreten. Da SEP-Amplitudensteigerungen nicht nur bei der progressiven Myoklonusepilepsie, sondern weniger regelmäßig und in geringerem Grade auch bei diversen anderen Hirnschädigungen vorkommen, lassen sich diese allgemeiner auf einen Ausfall inhibitorischer, zentralnervöser Mechanismen mit pathologisch gesteigerter kortikaler Erregbarkeit zurückführen.
Diffuse und multifokale Enzephalopathien Perinatale Asphyxie. Neugeborene mit perinataler
Asphyxie unterschiedlichen Grades weisen in 65% ein pathologisches SEP auf, wobei das Ausmaß der SEP-Abnormität dem der Asphyxie entspricht (Hrbek et al. 1977). Die häufigsten Veränderungen bestehen in einer Latenzzunahme und einem abnormen Muster der kortikalen Reizantwort. Auf der Grundlage der beobachteten SEP- (sowie der zusätzlich registrierten VEP-)Veränderungen wurde ein Score entwickelt, der eine quantitative Einschätzung des Schweregrades der Normabweichung ermöglicht. Neugeborene, die bei wiederholten Untersuchungen einen anhaltend hohen Abnormitätsgrad aufweisen, zeigen im Allgemeinen einen ungünstigen weiteren Verlauf. Degenerative Erkrankungen des ZNS. Cracco et al. (1980) untersuchten 17 Kinder mit unterschiedlichen degenerativen Erkrankungen des ZNS im Alter von 2 – 12 Jahren, darunter 10 Kinder mit TaySachs-Erkrankung. Bei 14 dieser Kinder waren die kortikalen Reizantworten nach Medianus- und Peronaeusstimulation aufgehoben, die spinalen Potenziale meist erniedrigt und verlängert.Die Leitgeschwindigkeit im Rückenmark war bei 12 Patienten herabgesetzt (bei durchwegs normalen peripheren Nervenleitgeschwindigkeiten). Bei einem Patienten mit GM3-Gangliosidose mit gelegentlichen myoklonischen Zuckungen an den Händen erwiesen sich die kortikalen Reizantworten nach Medianusstimulation als stark erhöht; nach Peronaeusstimulation und Ableitung der spinalen Reiz-
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antwort über dem kaudalen Rückenmark folgte dem negativen Komplex eine positive Nachschwankung von hoher Amplitude, die in dieser Form bei gesunden Kindern nicht vorkommt. Der Typ Bielschowsky-Jansky der neuronalen Ceroid-Lipofuscinose ist im Unterschied zu den anderen Untertypen dieser Erkrankung gleichfalls durch stark erhöhte SEP-Amplituden charakterisiert (Harden et al. 1973; Sauer u. Schenck 1977; Tackmann u. Kuhlendahl 1979; Vercruyssen et al. 1982). Verzögerungen der spinalen und kortikalen Reizantworten wurden beschrieben bei Sphingolipidosen, Mukopolysaccharidosen, PelizaeusMerzbacher-Erkrankung, meta chromatischer Leukodystrophie und Adrenoleukodystrophie
(Markand et al. 1982; d’Allest et al. 1982). Die bei Adrenomyeloneuropathie ausgeprägteren SEPVeränderungen nach Beinnervenstimulation wurden von Vercruyssen et al. (1982) als Ausdruck eines bevorzugten Betroffenseins des Fasciculus gracilis gewertet. Fraktionierte SEP-Ableitungen durch Restuccia et al. (1997) erbrachten bereits in frühen Krankheitsphasen Befunde, die auf ein initiales Betroffensein des Tractus cuneatus und des Tractus gracilis mit Verlust der Wellen P14 bzw. P30 verweisen; besonders männliche Patienten zeigen darüber hinaus ein häufiges Mitbetroffensein des peripheren Nervensystems (Kaplan et al. 1997). In einer Studie von Nai-Shin (1986) an 16 Patienten mit M. Wilson wiesen neun SEP-Veränderungen auf, wobei uni- oder bilateral verlängerte zentrale Überleitungszeiten nach Medianusstimulation (n = 8) und Tibialisstimulation (n = 5) dominierten. Je ein Patient wies einen unilateralen bzw. bilateralen Ausfall des kortikalen Potenzials nach Medianus- und Tibialisstimulation auf. Unter einer Penicillamin-Therapie sind die zentralen Leitungsverzögerungen teilweise reversibel (Grimm et al. 1990). Das Down-Syndrom ist durch eine Verlängerung des Latenzintervalls EP-N 13 in Kombination mit einer Amplitudensteigerung des kortikalen Primärkomplexes gekennzeichnet (Kakigi 1989), wohl als Ausdruck einer vorzeitigen Alterung des Gehirns (Kakigi u. Shibasaki 1991). Goff et al. (1983) führten Verlaufsuntersuchungen an zwölf Kindern mit Reye-Syndrom durch
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
und fanden initial einen Verlust oder eine ausgeprägte Amplitudenminderung der kortikalen Reizantworten nach Medianusstimulation. Sofern im weiteren Verlauf eine rasche Erholung der frühen kortikalen Antworten zu sehen war, stellte dieser Befund ein günstiges prognostisches Zeichen im Hinblick auf ein Überleben dar; erholten sich außerdem die späteren Komponenten (>100 ms nach Reizbeginn) konnte daraus außerdem auf eine befriedigende Restitution geschlossen werden. In der Differentialdiagnose der Demenz sprechen normale SEP für den Alzheimer-Typ, während eine verlängerte zentrale Überleitungszeit oder eine Amplitudenreduktion des kortikalen Primärkomplexes auf eine Multiinfarktdemenz hinweisen (Abbruzzese et al. 1984).
Pathologische SEP bei Chorea Huntington wurden erstmals von Takahashi u. Okada (1972) sowie von Oepen et al. (1980) beschrieben und in der Folgezeit systematisch weiter untersucht. Die konstanteste Veränderung besteht dabei nach Noth et al. (1984) in einer Amplitudenminderung der Wellen N 20/P 25 unter 2 µV (Medianusstimulation) und N 33/P 40 unter 1 µV (Tibialisstimulation), wobei bereits 43% der symptomfreien Nachkommen entsprechende Veränderungen aufwiesen. Josiassen et al. (1982) sowie Abbruzzese et al. (1990) beschreiben ein verlängertes Latenzintervall P 15 – N 20 bzw. N 13 – N 20, welches ebenfalls bereits bei einem Teil der Risikopersonen gefunden wurde. Eigene Messungen wiesen bereits vor Jahren darauf hin, dass die Amplitudenreduktion von N 20 zumindest teil-
⊡ Abb. 2.146. Chorea Huntington. Bei Wahl einer Fz-Referenz ist die kortikale Primärantwort bei Chorea Huntington signifikant erniedrigt (Spur 3 rechts). Ableitungen gegen eine Hand-Referenz zeigen dagegen einen N 20/P 25-Komplex von deutlich höherer Amplitude (Spur 2 rechts). Die frontale
Hand-Referenz-Ableitung entspricht formal weitgehend der parietalen mit einer abnorm breiten negativen Welle (Spur 1). Hieraus resultiert bei Wahl einer Fz-Referenz eine entsprechende Amplitudenreduktion der postzentralen Negativität
227 2.5 · SEP bei Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems
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⊡ Abb. 2.147. Chorea Huntington. Bei Wahl einer Fz-Referenz ungewöhnlich gut ausgeprägter Primärkomplex (Spur 3). Bei Ableitung mittels Handreferenz normales N 20 (Spur 2) mit Fehlen der normalerweise nachfolgenden Wellen. Als auffälligster Befund findet sich eine abnorme frontale Negativität im Latenzbereich um 20 ms (Spur 1). Die in diesem Beispiel
auffallend gut erhaltene N 20-Komponente in der Fz-Referenz-Ableitung resultiert aus der leichten Latenzverschiebung zwischen N 20 (19,1 ms) und der abnormen frontalen Negativität (20,9 ms), so dass keine gegenseitige Löschung dieser Negativitäten eintritt
weise nur vorgetäuscht ist insofern die frontale Referenzelektrode im gleichen Latenzbereich eine abnorme frontale Negativität aufgreift (⊡ Abb. 2.146). In einigen neueren Untersuchungen wird auf die häufige Erniedrigung, bzw. den Ausfall der frontalen Wellen P 20 (P 22) und N 30 hingewiesen (Abbruzzese et al. 1990; Yamada et al. 1991; Töpper et al. 1993, 1996). Wie ⊡ Abb. 2.146 und 2.147 belegen, besteht die entscheidende Veränderung allerdings im Auftre-
ten einer frontalen Negativität im Latenzbereich um 20 ms, so dass zusammen mit der Welle N 18 eine breite Negativität resultiert, die jedoch nur bei Wahl einer (bei dieser Fragestellung indizierten) extrakephalen Referenz sichtbar wird. Huttunen et al. (1993) bestätigten diesen Befund und wiesen dessen Konstanz bei 1/s-, ebenso wie bei 5/s Stimulation nach.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
Metabolische Enzephalopathien. Untersuchungen
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somatosensibler Reizantworten bei endokrinen Störungen erfolgten bisher vorwiegend an Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen (Takahashi u. Fujitani 1971; Vitová et al. 1978). Bei hepatischer Enzephalopathie resultiert mit zunehmender Schwere eine progrediente Latenzzunahme mit schließlichem Verschwinden der Potenziale mittlerer Latenz (Chu u. Yang 1988). Beim Coma hepaticum erleichtert eine pathologische N70-Komponente die Indikation zur Lebertransplantation (Grimm, persönliche Mitteilung). Bei Stoffwechselerkrankungen wurden SEPUntersuchungen unter anderem bei Hämodialysepatienten durchgeführt: Im Vergleich zu einem Normalkollektiv zeigen diese sowohl Latenzverlängerungen als auch Amplitudenerhöhungen, wobei Lewis et al. (1978) keine eindeutigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Stoffwechselparametern im Blut und dem Ausmaß der SEP-Veränderungen feststellen konnten. Zur Erklärung der Kombination von Latenzzunahme und Amplitudensteigerung wurde eine gleichzeitige Funktionsbeeinträchtigung sowohl des somatosensiblen Systems als auch inhibitorischer Systeme angenommen. Nach erfolgreicher Nierentransplantation zeigten Latenzen und Amplituden eine Normalisierungstendenz. Kurzzeitige Veränderungen der evozierten kortikalen Potenziale im Zusammenhang mit der Hämodialyse bestanden in einer Latenzverkürzung und Amplitudenzunahme (Lewis et al. 1980): Die Latenzen wiesen einen Minimalwert innerhalb der ersten 24 h, die Amplituden ihren Maximalwert 1 h nach der Dialyse auf. Niemann et al.(1984) fanden allerdings bei einer Überprüfung dieser Befunde ausschließlich Leitungsverzögerungen innerhalb des peripheren Nervensystems, außerdem fehlende signifikante Amplitudenänderungen sowohl im Zusammenhang mit der Erkrankung, als auch mit der Hämodialyse.
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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Kapitel 2 · Somatosensible Reizantworten von Nerven, Rückenmark und Gehirn (SEP)
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3 Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm M. Bach, T. Haarmeier, J. Dichgans
3.1
Grundlagen
3.1.1
Historische Entwicklung, Prinzip des VEP und Begriffsbestimmungen – 256 Apparative Ausstattung und Ableitemethodik visuell evozierter Potenziale – 259
3.1.2
– 256
3.2
Das normale VEP
– 264
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9
Elektrophysiologische Grundlagen – 264 Generatorstrukturen visuell evozierter Potenziale – 265 Kritische Reizparameter – 266 Kritische Probandenparameter – 274 Grafische Darstellung und Auswertung der VEP – 276 Auffallend konfigurierte Potenziale bei Normalpersonen – 280 Reproduzierbarkeit des VEP – 284 Praktischer Untersuchungsgang in einem VEP-Labor – 284 Das multifokale VEP – 285
3.3
Pathophysiologie des VEP
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5
Reizspezifität – 286 Topische Zuordnung von Läsionen – 287 Latenzverzögerung und Amplitudenminderung des VEP – 287 Ursachen der Demyelinisierung und der axonalen Degeneration – 288 Pathophysiologie der Latenzverzögerung bei demyelinisierenden Erkrankungen – 288
– 286
3.4
VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5
VEP bei Retrobulbärneuritis – 289 VEP bei multipler Sklerose – 293 Wertigkeit weiterer VEP-Methoden in der Diagnostik der MS – 294 VEP bei Patienten mit ausschließlich spinaler Symptomatik – 301 Verlaufsuntersuchungen mit VEP bei multipler Sklerose – 301
– 289
3.5
VEP bei anderen Störungen der zentralen Sehbahn
– 303
3.5.1 3.5.2 3.5.3
Gesichtsfelddefekte – 303 VEP bei Kompression des Sehnervs – 305 VEP bei Kompression im Bereich des Chiasmas
3.6
VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung – 308
3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6 3.6.7 3.6.8 3.6.9 3.6.10 3.6.11 3.6.12 3.6.13 3.6.14 3.6.15 3.6.16 3.6.17 3.6.18 3.6.19 3.6.20 3.6.21 3.6.22 3.6.23 3.6.24 3.6.25 3.6.26
Demenz vom Alzheimer-Typ – 309 Parkinson-Syndrom – 309 Multisystematrophie – 310 Friedreich-Ataxie – 310 Autosomal dominante Ataxien – 310 Huntington-Chorea – 311 Amyotrophe Lateralsklerose – 311 Hereditäre motorische und sensible Neuropathie Typ I Mitochondriale Erkrankungen – 312 Myotone Dystrophie – 312 M. Wilson – 312 Neurofibromatosis Recklinghausen – 313 Migräne – 313 Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung – 314 HIV-Infektionen – 314 Lues – 314 Neuroborreliose – 315 M. Behçet – 315 Pseudotumor cerebri – 315 Hydrozephalus – 315 Schädelhirntraumen – 316 Myoklonusepilepsie – 316 Epilepsie – 316 Kortikale Blindheit – 316 Koma – 318 Albinismus – 319
3.7
VEP bei psychiatrischen Erkrankungen
3.7.1 3.7.2
Psychogene Blindheit – 319 Akute Alkoholintoxikation und chronischer Alkoholismus
3.8
VEP bei internistischen Erkrankungen
3.8.1 3.8.2
Vitamin-B12-Mangel – 320 Diabetes mellitus – 320
– 307
– 311
– 319
– 320
– 320
3 3.8.3 3.8.4 3.8.5
Hypothyreose – 321 Niereninsuffizienz – 321 Hepatogene Enzephalopathie
3.9
Veränderungen der VEP durch Medikamente
3.9.1 3.9.2 3.9.3
Narkotika – 322 Antikonvulsiva – 322 Potenziell neurotoxische Substanzen
3.10
Intraoperatives Monitoring mit dem VEP
3.11
Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
3.11.1 3.11.2 3.11.3 3.11.4 3.11.5 3.11.6 3.11.7 3.11.8 3.11.9 3.11.10
ERG-Messtechnik – 324 ERG-Generatoren – 326 Apparative Voraussetzungen und Ableittechniken – 326 Elektroden – 329 Untersuchungsgang beim Helligkeits-ERG – 330 Klinische Indikationen für das Helligkeits-ERG – 335 Grenzen der Aussagekraft des ERG – 341 Das multifokale ERG – 341 Das Pattern-ERG – 344 Kombination von PERG und VEP – 347
3.12
Das VEP in der Ophthalmologie
3.12.1 3.12.2 3.12.3 3.12.4 3.12.5 3.12.6 3.12.7
Indikationen für das Blitz-VEP – 348 Muster-VEP bei Amblyopie – 349 VEP bei Glaukom – 350 VEP bei retinalen Erkrankungen und bei Nachtblindheit Ischämische Optikusneuritis – 352 Stauungspapillen und Papillitis – 352 Optikusatrophie – 352
Literatur
– 355
– 321
– 322
– 322
– 322 – 323
– 348
– 350
256
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Das vorliegende Kapitel präsentiert den aktuellen Stand der klinischen Anwendung der visuell evozierten Potenziale (VEP) und des Elektroretinogramms (ERG). Der erste Teil befasst sich mit den für den Neurologen wichtigeren VEP (Abschn. 3.2 bis 3.10), ihm folgt die Darstellung des ERG (Abschn. 3.11) und ophthalmologischer Anwendungen der VEP (Abschn. 3.12). Für beide Methoden werden zunächst die modernen Standards zur Ableitung und Auswertung referiert, bevor Prinzipien der Pathophysiologie und schließlich spezifische Erkrankungen betrachtet werden. Zur schnellen Orientierung sei auf die Abschnitte 3.1.2 und 3.2.5 verwiesen, in denen die Methodik der VEP zusammengefasst ist. Eine Übersicht zur Elektroretinographie findet sich in den ⊡ Tabellen 3.2 und 3.4.
3
3.1
Grundlagen
3.1.1
Historische Entwicklung, Prinzip des VEP und Begriffsbestimmungen
Visuell evozierte Potenziale (VEP) sind nach adäquater retinaler Reizung über dem okzipitalen Kortex abzuleiten. Sie gestatten in begrenztem Umfang eine atraumatische Untersuchung der Physiologie und Pathophysiologie des visuellen Systems. Die ersten Beobachtungen von Änderungen der elektrischen Hirnaktivität nach visueller Reizung wurden von Caton im Tierversuch bei direkter kortikaler Ableitung 1875 und 1877 berichtet. Beim Menschen wurden analoge Phänomene erst mehr als 50 Jahre danach durch Adrian u. Matthews (1934) entdeckt. Sie stellten Änderungen des okzipitalen Alpharhythmus bei Flimmerlichtstimulation fest, ein Effekt der seither als »photic driving« bekannt ist. Da die lichtinduzierten Elektroenzephalogramm-(EEG-)Antworten in ihrer Amplitude kleiner als der Alpharhythmus sind, konnten sie damals nicht sicher von der EEGGrundaktivität getrennt und quantifiziert werden. Erst die Einführung der Summations- und Mittelungstechnik, die Dawson 1954 zunächst für die somatosensorisch evozierten Potenziale (SEP) ent-
wickelt hatte, ermöglichte es, das VEP aus der Grundtätigkeit des EEG hervorzuheben. Die Methoden zur Evozierung visueller Potenziale und deren Auswertung wurden in den letzten Jahren v. a. im englischsprachigen Raum mehrfach zusammenfassend beschrieben, an dieser Stelle sei auf einige Standardwerke verwiesen (Regan 1988; Chiappa 1990; Celesia 1993). Die VEP-Literatur ist inzwischen so reichhaltig, dass es unmöglich ist, hier alle Aspekte dieser Methode ausführlich darzustellen. Wir setzten den Schwerpunkt auf die genaue Beschreibung praxisnaher Standardverfahren, die sich langjährig im klinischen Einsatz in der Neurologie und der Ophthalmologie bewährt haben. Praxisnah sollen auch die Einrichtung eines VEP-Labors, Faktoren, die Ableitung und Auswertung beeinflussen, und Artefaktquellen besprochen werden. Der in der letzten Auflage erweiterte Abschnitt über Elektroretinographie (ERG; Kap. 3.11) wurde um aktuelle Entwicklungen des multifokalen ERG und PatternERG ergänzt. Weniger ausführlich werden die VEP im Kindesalter abgehandelt, hier verweisen wir auf entsprechend spezialisierte Lehrbücher (z. B. Rothenberger 1987). Auf die Rolle von VEP und ERG im Tierversuch wird nur insoweit eingegangen, als die Ergebnisse für das Verständnis der neurophysiologischen Basis der VEP und ERG von Bedeutung sind. Die späten »kognitiven« VEP-Komponenten sind im Kap. 7 kurz beschrieben. Zugunsten der Übersichtlichkeit wurde in dieser Auflage auf die Darstellung experimenteller VEP-Techniken, z. B. nach Farbreizung oder nach Stimulation mit bewegten Mustern verzichtet. Eine ausführliche Übersicht findet sich bei Regan (1988), eine Kurzdarstellung bei Altenmüller et al. (1989). ⊡ Abbildung 3.1 zeigt schematisch den Aufbau einer Einrichtung zur Stimulation, Ableitung und Registrierung von VEP. Der optische Reiz ist in der Regel ein Schachbrettmuster, bei dem helle und dunkle Anteile sich mit einer definierten Frequenz austauschen. Dieses Muster wird inzwischen mit einem Rechner auf einem Computermonitor erzeugt; damit kann die Bildwiederholungsrate deutlich höher als die 50 Hz der Videonorm gewählt werden, somit jenseits der Flimmerverschmelzungsfrequenz. Das EEG wird über der Okzipital-
257 3.1 · Grundlagen
3
⊡ Abb. 3.1. Blockschaltdiagramm einer Anlage zur Auslösung, Ableitung und Auswertung der VEP
region abgeleitet, verstärkt, gefiltert und das VEP durch reizsynchronisiertes Mitteln (»averaging«) aus der Grundaktivität des EEGs extrahiert. Wie bei anderen evozierten Potenzialen wird hier in fester zeitlicher Korrelation mit jedem visuellen Reiz über einen Zeitabschnitt von beispielsweise 500 ms das EEG in einen Datenspeicher eingelesen und rechnerisch summiert. Aus den so gemittelten EEG-Kurven hebt sich das zeitlich mit dem Reiz korrelierte Potenzial heraus. Das Potenzial kann bezüglich Latenz und Amplitude ausgewertet werden, wobei –vereinfacht– die Amplitude mit der Anzahl der funktionstüchtigen Fasern korreliert und die Latenz Auskunft über den Funktionszustand der Markscheiden gibt. ! Die VEP-Amplitude korreliert mit der Anzahl
funktionstüchtiger Fasern, die Latenz mit dem Funktionszustand der Markscheiden.
Zum besseren Verständnis des nachfolgenden Texts sind einige Begriffsbestimmungen zu der Art der Stimulation und der VEP-Auswertung nötig: Bei den visuellen Reizen werden blitzevozierte Potenziale und musterumkehrevozierte Potenziale
unterschieden. Die blitzevozierten Potenziale können durch unstrukturierte Lichtblitze her vorgerufen werden, z. B. durch die im EEG üblichen Photostimulatoren oder mit Hilfe von Leuchtdioden, die in einer »Blitzbrille« angebracht sind. Der Nachteil der Blitzreizung ist eine sehr viel größere interindividuelle Streuung der Potenziallatenz und damit eine geringere Sensitivität und Spezifität. Der Vorzug dieser Reizmethode besteht darin, dass man nicht auf die Mitarbeit der Patienten angewiesen ist. Bei Musterreizung wird die globale Leuchtdichte konstant gehalten. Vorteil der Musterumkehrreizung ist der sehr viel geringere interindividuelle Streubereich der Latenzen. Nachteilig sind die hohen Anforderungen an die Kooperation der Patienten in Bezug auf Fixation und Akkommodation und an die exakte optische Korrektion. Die Variation der zeitlichen Aufeinanderfolge der visuellen Reize lässt transiente und Steady-state-Potenziale unterscheiden. Transiente evozierte Potenziale sind die Antwort auf eine plötzliche lokale oder globale Leuchtdichteänderung; danach vergeht bis zum nächsten Reiz ausreichend Zeit
258
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Reizfrequenz [Wechsel/s]
3
⊡ Abb. 3.2. Übergang vom transienten VEP zum Steadystate-VEP bei Zunahme der Musterumkehrfrequenz. VEP, evoziert durch Umkehr des Schachbrettmusters, gemittelte Kurven nach jeweils 64 Durchgängen. Die schwarzen Pfeile markieren den Zeitpunkt der Musterumkehr
(z. B. 0,5 s), bis die visuelle Signalverarbeitung abgeschlossen und das System zum Ruhezustand zurückgekehrt ist. Bei der Steady-state-Stimulation wird mit schnell repetitierenden Reizen stimuliert. Bei genügend hoher Reizfrequenz (bei VEP ab etwa 6 Wechseln/s) wird das signalverarbeitende System dabei in einen Schwingungszustand versetzt, wobei okzipital ein beinahe sinusförmiges VEP in fester zeitlicher Korrelation zur Reizfrequenz abgeleitet werden kann. ⊡ Abbildung 3.2 zeigt den kontinuierlichen Übergang von einer transienten Stimulation zur Steady-state-Stimulation. Die visuellen Potenziale werden dabei durch Umkehr eines Schachbrett-
musters ausgelöst. Es wurden jeweils 64 Durchgänge gemittelt. Bei stufenweiser Zunahme der Reizfrequenz von 1,2 bis 8,3 Wechseln/s kann die Entwicklung des Steady-state-VEP verfolgt werden. Bis zu einer Reizfrequenz von 3,13 Wechseln/s bleiben die einzelnen VEP-Komponenten unverändert. Dann ändert sich die Form des VEP und es findet ein allmählicher Übergang in ein annähernd sinusförmiges Muster statt. Nach Größe und Art der Reizmuster unterscheiden wir: ▬ die Ganzfeldreizung, durch die beide Gesichtsfeldhälften, entweder durch diffuse Lichtblitze oder Schachbrettmuster, mit einer Reizgröße von mehr als 20 Sehwinkelgraden gereizt werden, ▬ die Halbfeldreizung, d. h. die getrennte Stimulation der nasalen und temporalen Retinahälften, und ▬ die foveale Stimulation mit Reizen, die foveal mit maximal drei Sehwinkelgraden (3°) präsentiert werden. Für die Routineableitung genügt die Ganzfeldstimulation, bei Gesichtsfelddefekten ist die Halbfeldstimulation nützlich. Die foveale Stimulation hat sich wegen der größeren interindividuellen Streuung der Latenzen in zahlreichen Labors nicht durchgesetzt, verbessert aber die Sensitivität der Methode bei Entmarkungskrankheiten und wird in der Tübinger Neurologie routinemäßig durchgeführt. Der neue ISCEV-VEP-Standard empfiehlt, mindestens zwei Karogrößen einzusetzen (0,25° und 1°). In ⊡ Abbildung 3.3 sind typische, jeweils einmal replizierte VEP-Kurven dargestellt. Die beiden oberen Kurven zeigen die aus 128 bzw. 64 Durchgängen gemittelten Potenziale nach transienter Schachbrettmusterreizung (Reizwechsel mit 1,6 Wechseln/ s), oben nach fovealer Reizung (schachbrettgemusterter Kreis mit 3° Durchmesser), in der Mitte nach Ganzfeldreizung. Die unterste Reihe zeigt das gemittelte VEP bei Steady-state-Stimulation mit 8,3 Wechseln/s und Schachbrettmusterreiz. Die Nomenklatur der Potenziale ist jeweils über und unter den Kurven eingetragen. Die Potenzialkomponenten werden nach Polung (N = negativ, P = positiv) und Latenz benannt. In Anlehnung an
259 3.1 · Grundlagen
3
⊡ Abb. 3.3. VEP einer gesunden Versuchsperson. Die Kurven sind jeweils einmal repliziert. In der oberen Reihe sind die 128fach gemittelten transienten Schachbrettmuster-VEP nach fovealer Stimulation (Reizfeld 3°) abgebildet, in der mittleren Reihe nach Ganzfeldreizung (Reizfeld 15°, 64 Mittelungen). Die Musterumkehrfrequenz F beträgt 1,6 Wechsel/s. Man beachte die deutlich kleinere Amplitude nach fovealer Reizung. In der unteren Reihe sind die Steadystate-Potenziale nach Ganzfeldreizung gezeigt. Hier beträgt die Musterumkehrfrequenz 8,3 Wechsel/s. Die wichtigsten Auswertekriterien sind anhand der mittleren Kurven demonstriert: die Latenz (L) vom Reizbeginn (Schachbrettmuster-Umkehr) bis zur maximalen positiven Auslenkung (P100) sowie die »Peak-to Peak«- Amplitude vom negativen Peak N75 zum positiven Peak P100 (A1) und von N140 zu P100 (A2)
die EEG-Konvention ist Negativität meist nach oben, Positivität nach unten gerichtet. Demnach ist P100 die positive Komponente 100 ms nach Schachbrettumkehr. In der mittleren Kurve sind zusätzlich die beiden wesentlichsten Auswertekriterien dargestellt. Neben der Latenz L vom Reizbeginn bis zur höchsten Amplitude der positiven Komponente wird die Amplitude zwischen zwei Peaks des VEP in µV gemessen. Dabei kann die Amplitude N75P100 (A1) oder die Amplitude P100-N140 (A2) herangezogen werden.
3.1.2
Apparative Ausstattung und Ableitemethodik visuell evozierter Potenziale
Stimulation mit Blitzreizen Es können handelsübliche Stroboskope benutzt werden, die gegenüber den heute mehr gebräuchlichen (LED-)Blitzbrillen den Vorteil einer höheren Lichtintensität haben. Die abgegebene Lichtintensität und die Spektralfarbe des abgegebenen Lichts muss bekannt
260
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
sein und konstant gehalten werden, da beide Parameter Form und Ausprägung des evozierten Potenzials mitbestimmen. Die Blitzdauer liegt in der Regel bei etwa 10 µs und damit deutlich innerhalb des zeitlichen Summationsbereiches (Bloch-Gesetz). Es muss gewährleistet sein, dass auch mit zunehmender Reizfrequenz die pro Blitzreiz abgegebene Lichtenergie konstant bleibt.
Stimulation mit Musterreizen Halliday et al. (1973a) führten die Stimulation mit einem Diaprojektor und einem beweglichen Spiegel ein. Sie projizierten das Bild über ein Spiegelgalvanometer, das so angesteuert wurde, dass durch Drehung des Spiegels um einen konstanten Winkel das Quadrat- oder Streifenmuster genau um eine Quadrat- oder Streifenbreite verschoben wurde. Die Gesamtleuchtdichte blieb dabei erhalten und der Musterwechsel fand in sehr kurzer Zeit (5–10 ms) statt. Dieser Reizmodus wird mit »Musterumkehr«, »pattern reversal« oder »phase inversion« bezeichnet. Nachteilig ist, dass durch Altern der Projektionsbirne, Verstauben des optischen Systems, Ausbleichen der Dias sowie Beschlagen des Spiegels Leuchtdichte und Kontrast abnehmen können und daher regelmäßige Kontrollen notwendig sind. Diese Methode wurde zunächst abgelöst von Fernsehbildschirmen, angesteuert von speziellen Mustergeneratoren, später angesteuert von Computern mit geeigneten Programmen. Heute sollte statt eines Fernsehers oder Videomonitors ein Computermonitor mit einer möglichst hohen Bildwiederholrate eingesetzt werden (LCD sind derzeit noch nicht geeignet). Der langsamere Bildaufbau der Videomonitore (50 Hz = 20 ms) führte gegenüber dem Drehspiegelsystem zu einer Latenzverlängerung und zu weniger »spitz« ausgeprägten Potenzialen (Lith et al. 1978). Bei heute üblichen Bildwiederholraten von 75 Hz ist dies nicht mehr relevant. Um eine minimale Standardabweichung zu erreichen, muss der Triggerzeitpunkt mit dem Bildaufbau synchronisiert werden. Wie bei den Drehspiegelsystemen führen Altern der Röhre und Veränderungen der Bildschirmbeschichtung zu deutlicher Abnahme von Kontrast und Leuchtdichte. Es ist also auch bei kommerziellen Bildschirmen unbedingt notwendig, die Leucht-
dichte und den Kontrast in regelmäßigen, am besten jährlichen Abständen zu überprüfen (Brigell et al. 1998). Neben dem bisher beschriebenen Musterumkehrreiz kann auch das Muster aus einem homogenen Hintergrund erscheinen, bezeichnet als »pattern onset«, »pattern on/off« oder »Muster-einaus«. Wichtig ist eine Justierung der Leuchtdichte der homogen grauen Reizphase dergestalt, dass sich beim Erscheinen bzw. Verschwinden des Musters die mittlere Leuchtdichte nicht ändert. Nachteil des Muster-ein-aus-Reizes im Gegensatz zum Musterumkehrreiz ist die erheblich höhere interindividuelle Variabilität – wenn auch noch nicht so schlimm wie bei Blitzreizen. Vorteile des Muster-ein-aus-Reizes sind: ▬ Nur mit dieser Reizung ist die Sehbahnfehlprojektion bei Albinismus erkennbar; dies mag an der unterschiedlichen Gewichtung von V1-V2-Aktivierung bei den beiden Reiztypen liegen. ▬ Bei Patienten mit Nystagmus ist das Musterumkehr-VEP stark reduziert, die Muster-einaus-Antwort bleibt dabei weitgehend erhalten (Saunders et al. 1998). Dies liegt wohl daran, dass bei Musterumkehrreiz durch die Überlagerung mit den Augenbewegungen retinal gesehen die Musterumkehr gar nicht erfolgt bzw. örtlich unscharf ist. ▬ Schließlich eignen sich kurze »Musterpulse« gut zu Sehschärfeabschätzungen mit dem VEP (Howe et al. 1981; Hajek u. Zrenner 1988; Bach et al. 1998).
Die Ableitung visuell evozierter Potenziale Die VEP werden mit Hilfe von Oberflächenelektroden abgeleitet, die über dem Okzipitalpol angeklebt werden. Die genaue Positionierung ist einerseits ein Streitgebiet, andererseits sind die Unterschiede verschiedener Positionen oft klein gegenüber den interindividuellen Unterschieden der kortikalen Morphologie (Stensaas et al. 1974). Wir empfehlen, die Platzierung im Raster des 10-20-Systems (American Encephalographic Society 1994) zu halten. Für Routineableitungen haben sich sog. »monopolare« Schaltungen durchgesetzt. Als Standardposition wird in unseren Labors die differente Elektrode in der Mittellinie an der Posi-
261 3.1 · Grundlagen
3
tion Oz, also etwa 3 cm über dem Inion platziert. Dies entspricht recht gut einer Position über dem Okzipitalpol, wobei mit größeren interindividuellen Variationen gerechnet werden muss (Steinmetz et al. 1989). Wie detaillierte topographische Potenzialverteilungsstudien von Lehmann u. Skrandies (1980a) gezeigt haben, ist die Amplitude des P100Potenzials in diesem Bereich am höchsten. ⊡ Abbildung 3.4 zeigt diese Potenzialverteilung mit maximaler Amplitude über der Okzipitalregion. Gegenüber der Referenz ist dieses Potenzial positiv. Als
Referenz können Fz, Fpz oder gemittelte Ohrelektroden (»linked ear«) verwendet werden. Entgegen der häufig benutzten Nomenklatur sind die Referenzelektroden aber nicht »inaktiv«. So kommt es bei Fpz zu Artefakteinstreuungen durch Lidschläge und Augenbewegungen (dies kann aber auch erwünscht sein, weil Lidschläge dann leicht als Artefakte erkannt und verworfen werden können). Bei Blitzreizen kann die Fpz-Referenz ERG-Signale aufnehmen und somit ein VEP vortäuschen. Deshalb muss bei Kleinkindern mit der Frage Blind-
⊡ Abb. 3.4. Topographische Darstellung eines Musterumkehr-VEP. Oben die Originalkurve in einer Ableitung über Oz gegen Vertex (Cz). Unten links die mit 28 Ableiteelektroden erstellte »Potenzialverteilungskarte« (sog. Farbmap). Links ist die Verteilung zum Zeitpunkt der ersten maximalen okzipitalen Negativität N75 dargestellt, rechts zum Zeitpunkt der ers-
ten maximalen Positivität P100. Das Kopfschema zeigt jeweils die frontalen Elektroden oben, okzipitale unten. Gut zu erkennen ist die symmetrisch über dem Okzipitalpol ausgeprägte positive Potenzialverteilung der P100 (rechtes Kopfdiagramm)
262
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
heit immer Fz als Referenz verwendet werden. Beim Ohr und Mastoid kann temporobasale Hirnaktivität einstreuen. Um diese Störfaktoren zu vermeiden, sind einige Autoren zu bipolaren Schaltungen mit zwei okzipital platzierten Elektroden übergegangen. Bei dieser Form der Ableitung kann jedoch ein erkennbares Potenzial fehlen, wenn unter beiden Elektroden identische Potenziale entstehen. Die 1992 von der International Federation of Clinical Neurophysiology (IFCN) festgelegten Standards empfehlen routinemäßig Zweikanalableitungen mit Oz als differente Elektrode und zwei unterschiedlichen Referenzen. Im ersten Kanal wird Fpz und im zweiten Kanal das Mastoid als Referenz geführt (Celesia u. Brigell 1999). Vorteil der Zweikanalableitung ist v. a., dass die gelegentlich auch bei gesunden Probanden hauptsächlich bei Ableitung gegen Fpz auftretenden doppelgipfeligen Potenziale bei Ableitung gegen das Mastoid seltener sind und so Schwierigkeiten bei der Auswertung derartiger Potenziale entfallen (Abschn. 3.2.6). Die neueste ISCEV-VEP-Norm empfiehlt für alle »prächiasmatischen« Fragestellungen Oz-Fz. Die genaue Platzierung der Masseelektrode ist mit der heutigen Verstärkertechnik nicht mehr von Bedeutung, geeignet sind Ohrclipelektrode, Stirnelektrode (falls nicht schon belegt), Cz oder ein Armband. Bei vermuteter postchiasmaler Läsion und damit asymmetrischem Gesichtsfelddefekt sollte in jedem Fall mit zusätzlichen Elektroden über dem linken und rechten okzipitalen Kortex (O1 und O2) abgeleitet werden, als Referenz dieselbe Elektrode wie die bei Oz. Dabei müssen die Elektroden symmetrisch zur Mittellinie geklebt werden. Das »brain mapping« visuell evozierter Potenziale mit Multielektrodenableitungen vom gesamten Kopf kann genaue Aufschlüsse über die topographische Verteilung der VEP geben (Lehmann u. Skrandies 1980a). Der Vorteil einer Unabhängigkeit von der Referenzelektrode wird dadurch gewährleistet, dass zunächst eine räumliche Analyse der Dipole (Spannungsmaxima und -minima) zu einem definierten Zeitpunkt erfolgt und erst in einem zweiten Analyseschritt das Verhalten der Dipole über die Zeit beschrieben wird (Lehmann 1986, 1987). Es werden zzt. einige Geräte kommerziell angeboten, über welche VEP-Daten als »Maps«
dargestellt werden können und so eine weitere statistische Datenverarbeitung ermöglichen. Wegen des Zeitaufwandes beim Anbringen der zahlreichen Elektroden haben diese Darstellungen bislang keinen Einzug in die klinische Routine gehalten.
Elektroden Wir empfehlen zur Ableitung der VEP entweder Goldnapfelektroden oder gesinterte Silber-Silberchlorid-Elektroden. Vorteil der gesinterten Silber-SilberchloridElektroden soll die weitgehend verzerrungsfreie Aufnahme des Nutzsignals sein. Sie müssen jedoch regelmäßig neu chloriert werden. Subkutane Nadelelektroden z. B. aus Platin haben die Nachteile, dass sie nach Verwendung sterilisiert werden müssen, dass der Einstich schmerzhaft ist und dass die abgeleiteten Potenziale im Vergleich zu Ableitungen mit Oberflächenelektroden kleinere Amplituden aufweisen. Vorteile sind, dass sie rascher platziert werden können und während der Ableitung ihren Widerstand nicht ändern. Voraussetzung für eine artefaktarme Ableitung ist die Verwendung gleichartiger Elektroden, d. h. es dürfen unter keinen Umständen Oberflächen- und Nadelelektroden kombiniert verwendet werden. Vor Anbringen der Elektroden muss die Kopfhaut vorbehandelt werden, z. B. mit einer kommerziellen Reinigungspaste; kurzes kräftiges Reiben ist effektiver als langes Reiben mit leichtem Druck. Der Übergangswiderstand sollte unter 10 kΩ liegen. Wichtiger als ein allgemein niedriger Übergangswiderstand ist, dass zwischen den einzelnen Elektroden die Unterschiede möglichst gering sind (unter 3 kΩ), da sonst eine optimale Gleichtaktunterdrückung der Differenzverstärker nicht mehr gewährleistet ist. Die Widerstandsmessung (richtiger: Impedanzmessung) sollte mit einer Wechselspannung von 12–30 Hz erfolgen. Die meisten kommerziell vertriebenen VEP-Geräte enthalten heute eine derartige Messeinrichtung.
Verstärker Die Verstärkung der VEP-Signale kann mit den üblichen EEG-Verstärkern erfolgen, wobei auf gute Gleichtaktunterdrückung zu achten ist. Die untere Grenzfrequenz sollte bei 0,3 Hz liegen, d. h. bei einer Zeitkonstante von 0,5 s.
263 3.1 · Grundlagen
Zeitkonstante τ und Grenzfrequenz f sind in folgender Formel verknüpft: τ = 1/(2 * π * f). Wenn die Frequenz f in Hz=1/s angegeben wird, erhält man die Zeitkonstante τ in Sekunden. Als Faustregel gilt, dass die Zeitkonstante etwa 3-mal so lang wie die interessierende Potenziallatenz (beim VEP z. B. 100 ms) gewählt werden sollte. Eine zu kurz gewählte Zeitkonstante führt zu einer Abschwächung der Potenzialamplitude und zu scheinbarer Latenzverkürzung. So reduziert bereits eine Zeitkonstante von 0,12 s (entspricht einer unteren Grenzfrequenz von 1,3 Hz) die Amplitude der P100 um etwa 30%. Als äußerster Wert scheint eine untere Grenzfrequenz von 1 Hz akzeptabel. Die obere Grenzfrequenz sollte zwischen 100 und 300 Hz liegen. Bei einer oberen Grenzfrequenz von 100 Hz sind die Latenzen von P100 im Durchschnitt 7 ms länger als bei einer Grenzfrequenz von 1 kHz (Celesia 1982). Dies muss beim Vergleich von Normwerten aus verschiedenen VEP-Labors berücksichtigt werden. Auch deshalb ist es notwendig, dass sich jedes Labor unter konstanten Verstärkerbedingungen eigene Normwerte erstellt. Vorteil der geringeren Bandbreite (z. B. 1–100 Hz) ist die optisch bessere Darstellung der Potenziale durch Eliminierung langsamerer Spannungsschwankungen und hochfrequenter Störungen. Da heute in vielen Labors die weitere Datenverarbeitung digital über Rechner durchgeführt wird, können auch digitale Filter zur Glättung der Kurven eingesetzt werden. Diese haben den Vorteil, dass die Glättung latenzneutral erfolgen kann (Bach u. Meigen 1999). Neben den oben genannten Verstärkereigenschaften sind einige weitere technische Grundforderungen zu nennen: Durch hohe Eingangsimpedanz (>100 MΩ) sind auch bei höheren Übergangswiderständen der Elektroden Messungen möglich. Darüber hinaus sollten eine hohe Eingangsempfindlichkeit (>2 µV/cm) und ein geringer Rauschpegel (<5 µV bei kurzgeschlossenen Eingängen) gewährleistet sein. Die meisten heute im Handel üblichen Verstärker erfüllen diese Forderungen.
3
Ableitbedingungen und Artefaktquellen Damit der Patient sich gut entspannen kann, sollte vor Beginn der Untersuchung über den Sinn und den technischen Ablauf der VEP-Untersuchung aufgeklärt werden. Die VEP-Untersuchung muss in einem leicht abgedunkelten Raum erfolgen, so dass die Umfeldleuchtdichte leicht unter der des Bildschirms liegt. Um eine möglichst artefaktarme Ableitung zu erreichen, empfiehlt es sich, den Raum zu klimatisieren (sonst Gefahr von Schwitzartefakten im Sommer) und akustisch abzuschirmen. Auch die Luftfeuchtigkeit sollte kontrolliert werden (optimal: 70–80%), da zu trockene Luft zu vermehrten Lidschlagartefakten führen kann. Die Möglichkeit, die Blickfixation des Patienten zu überwachen, sollte gewährleistet sein. Nur so ist eine Fehlinterpretation von Ereignissen, die durch mangelnde Fixation bedingt sind, zu vermeiden. Meist genügt es, die Augenposition zu beobachten. Die Untersuchung muss unterbrochen werden, wenn das VEP-Muster nicht mehr in der Mitte der Pupille reflektiert wird. Bei besonderen Fragestellungen ist die Aufzeichnung des Elektrookulogramms (EOG) oder noch besser eine elektronische Überwachung der Fixation z. B. durch eine auf die Pupille justierte Infrarotkamera notwendig. Ferner muss darauf geachtet werden, dass während der Ableitung keine unerwünschten Stimuli (z. B. blinkende Leuchtdioden, Klickgeräusche bei Schachbrettwechsel) wirksam werden. Die günstigste Ableitposition ist entspanntes Sitzen in einem bequemen Sessel mit höhenverstellbarer Armlehne und Nackenstütze. Schwierig ist die Lagerung bei Patienten mit ausgeprägter Spastik; hier kann ein Rollstuhl mit Gurten als Untersuchungssitz günstig sein. Es ist dann darauf zu achten, dass der Abstand vom Auge zum Bildschirm konstant bleibt. Kinder werden am besten auf dem Schoß von Mutter, Vater oder der Kinderschwester gehalten. Erfahrungsgemäß ist es bei Verwendung moderner Verstärker und Platzierung der Vorverstärker direkt am Untersuchungsstuhl in der Regel nicht notwendig, den Raum elektrisch abzuschirmen. Dies gilt aber nur, wenn sich in Nachbarräumen keine Quellen großer elektromagnetischer Felder (z. B. Röntgenapparate) befinden. Bei entsprechenden Ableitbedingungen
264
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
können die meisten Artefakte so weit reduziert werden, dass eine gute Ableitung möglich ist. Niedrige Elektrodenwiderstände und gute Gleichtaktunterdrückung können 50-Hz-Netzeinstreuung weitgehend reduzieren. Viele Verstärker bieten zusätzliche Filteroptionen für diesen Frequenzbereich, sog. »Notch-Filter« (Kerbfilter), diese sollten jedoch vermieden werden, da sie Probleme nur maskieren und die Kurvenform verzerren. Biologische Artefakte wie Schweißpotenziale und einstreuende Muskelpotenziale, vorwiegend vom Nacken, können durch entsprechende Lagerung des Patienten und Klimatisierung des Raums weitgehend vermieden werden. Während der VEP-Ableitung ist Blickfixation in der Mitte des Schachbrettmusters erforderlich, wodurch vertikale und horizontale Augenbewegungen als Artefaktquellen weitgehend ausgeschaltet werden. Es ist kontraproduktiv, den Patienten aufzufordern, gar nicht zu blinzeln. Moderne VEP-Systeme erlauben die Erkennung und Elimination von Artefakten durch eine Amplitudenschwelle, die z. B. bei ±100 µV liegen kann. Eine ganz wesentliche Voraussetzung für eine gute Qualität der VEP-Ableitung ist das Geschick, mit dem die Untersucher ein entspanntes, kooperationsfreudiges Klima während der Untersuchung erzeugen. Häufig wird hier beruhigender Zuspruch und viel Geduld benötigt. Ist der Patient nicht in der Lage, ausreichend zu kooperieren, muss die Untersuchung abgebrochen werden. Die ableitetechnischen Voraussetzungen – vorgeschlagene Qualitätsstandards angelehnt an die Standards der »International Federation of Clinical Neurophysiology« (IFCN 1992), weitgehend übereinstimmend mit der ISCEV-Norm (Odom et al. 2004) – für VEP sind in folgender Übersicht zusammengefasst: ▬ Elektrodenposition: Ableitelektrode Oz, als Referenz Fpz; IFCN empfiehlt 2-Kanal-Ableitung: Oz-Fpz und Oz-Mastoid (Vorteil: W-Form der P100 kann eventuell als Interaktion mit der frontalen N100 interpretiert werden); ISCEV empfiehlt bei prächiasmalen Fragestellungen einen Kanal (Oz-Fpz). ▬ Als Reiz ein invertierendes Schachbrettmuster (Details: Abschn. 3.2.5)
▬ Filtereinstellung der Verstärkers: Bandbreite
1 Hz–100 Hz. ▬ Mittelungsschritte: Summierung von etwa
2×100 Einzeldurchläufen. ▬ Analyseintervall: 500 ms.
3.2
Das normale VEP
3.2.1
Elektrophysiologische Grundlagen
Das visuelle System des Menschen besteht aus mehreren Subsystemen, die anatomisch und funktionell getrennt betrachtet werden können. Die parallel geschalteten direkten retinokortikalen Verbindungen sind in weitem Umfang reizspezifisch. Das bedeutet, dass spezifische visuelle Reize spezifische Bahnsysteme getrennt aktivieren können (z. B. das parvo- und das magnozelluläre System). Da diese Bahnsysteme unterschiedliche Kennlinien und Eigenschaften hinsichtlich neuronaler Umschaltzeiten und Leitgeschwindigkeiten besitzen, sind Latenz und Amplitude des kortikal abgeleiteten VEP abhängig von der Zeitfrequenz und Ortsfrequenz, der Leuchtdichte, des Kontrasts und der retinalen Lokalisiation des Reizes, um nur einige kritische Reizparameter zu nennen (Abschn. 3.2.3). Auf Einzelheiten der Physiologie des visuellen Systems kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, wir verweisen auf die entsprechenden Lehrbücher (z. B. Regan 1989; Schmidt u. Thews 1990; Kandel et al. 2000). Der in der Routinediagnostik verwendete Schachbrettmusterumkehrreiz ist für den Sehphysiologen ein sehr komplexes Gebilde, das die verschiedensten Bahnsysteme (foveale und periphere, kontrast- und helligkeitsempfindliche, vertikal und horizontal orientierte Systeme) unterschiedlich stark aktiviert. Betreffen Erkrankungen der visuellen Afferenz verschiedene Neuronenpopulationen oder Bahnsysteme in bestimmten Ausmaßen, so kann durch Verwendung eines inadäquaten Stimulus der entscheidende pathologische Befund maskiert werden. Entsprechende Beispiele werden im Abschn. 3.4.2 aufgeführt. Bodis-Wollner et al. wiesen bereits 1986 darauf hin, dass die schlechte Prognose vieler klinischer VEP-Forscher für die
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Weiterentwicklung des klinischen Einsatzes der VEP letztlich darauf beruht, dass immer die gleichen »Standardparadigmen« in einer Art freiwilliger Selbstbeschränkung eingesetzt werden. Diese sind jetzt bezüglich ihrer diagnostischen Signifikanz ausgeschöpft. Hoffnungen, durch den Einsatz von noch spezifischeren Reizen eine verbesserte elektrophysiologische Differentialdiagnostik des visuellen Systems mittels des VEP zu erreichen, haben sich allerdings bisher nicht erfüllt. Eine Ausnahme bildet diesbezüglich nur die Elektroretinographie (ERG), die vor allem in der ophthalmologischen Diagnostik einen deutlichen Fortschritt erbrachte (Abschn. 3.11), darüber hinaus ist das multifokale VEP vielversprechend (Abschn. 3.2.9). ! Der in der Routinediagnostik verwendete
Schachbrettmusterumkehrreiz ist für den Sehphysiologen sehr komplex.
Der breite Einsatz der VEP in der täglichen Praxis wird sich nach wie vor auf die gut standardisierten Routineparameter (Ganzfeldstimulation mit Schachbrettmustern, Ableitung mit einer oder wenigen okzipitalen Elektroden) beschränken. Daher wird diese bewährte, wenn auch limitierte Methodik im Abschn. 3.2.5 ausführlich dargestellt.
3.2.2
Generatorstrukturen visuell evozierter Potenziale
Im Unterschied zu den somatosensibel und den akustisch evozierten Potenzialen (SEP, AEP) sind die elektrophysiologischen Grundlagen der VEP bisher erstaunlich unzureichend erforscht.
⊡ Abb. 3.5. Schematisiertes blitzevoziertes Potenzial mit Aufteilung in Primärantwort, Sekundärantwort und rhythmische Nachentladungen. Beachte die unterschiedlichen Zeitachsen. (Nach Cigánek 1961)
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Eine – analog zu den akustisch evozierten Hirnstammpotenzialen (AEHP) – topische Analyse der Umschaltstationen der Sehbahn anhand der verschiedenen Potenzialkomponenten gelingt bei den VEP nicht. Nur beim ERG ist in begrenztem Umfang eine Zuordnung zu den verschiedenen Netzhautstrukturen möglich (Abschn. 3.9.1). Cigánek beschrieb 1961 als erster detailliert die verschiedenen Komponenten des Blitz-VEP (⊡ Abb. 3.5). Er schloss aus der Tatsache, dass die Peaks I–III eine kurze Latenz aufweisen (40–80 ms) und im Wach- und Schlafzustand gleich gut reproduzierbar sind, dass diese Komponenten in der Area 17 generiert werden. Nach Creutzfeld et al. (1966a, 1966b), Kiloh et al. (1972) und Mitzdorf (1988) ist das EEG (und damit das VEP) die Summe der Aktivitäten größerer Neuronenverbände, die sich konstruktiv und destruktiv überlagern. Damit ein messbares Oberflächenpotenzial entsteht, muss eine Synchronizität vieler Quellen vorliegen. Diese Quellen sind nicht die Aktionspotenziale (Spikes) selber, sondern die exzitatorischen und inhibitorischen postsynaptischen Potenziale (EPSP, IPSP). Das EEG wird wahrscheinlich von den postsynaptischen Potenzialen der großen Pyramidenzellen dominiert, weil nur die Ströme in ihren langen axialen Dendriten große, nicht gleich lokal kompensierte Stromschleifen aufbauen können. Wenn der Kortex nicht eingefaltet ist, dann führen die EPSP zu Oberflächennegativität, die IPSP zu Oberflächenpositivität (Mitzdorf 1988). Wegen der komplexen Einfaltung insbesondere von V1 (Area 17) sollte man besser nicht spezifische Schlüsse aus der Polarität des VEP ziehen. Es ist z. B. nicht klar, warum VEP nach Farbreiz bei ge-
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
nauer Equiluminanz durch eine Negativität dominiert sind, ebenso wie VEP nach Bewegungsreiz. ! Das EEG wird von den postsynaptischen Po-
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tenzialen der großen Pyramidenzellen dominiert. ! Wegen der komplexen Einfaltung insbesonde-
re von V1 (Area 17) sollte man keine spezifischen Schlüsse aus der Polarität des VEP ziehen.
Jeffreys (1971, 1977) unterteilte die komplexe VEPAntwort nach Wechsel der Leuchtdichte in drei Unterkomponenten: ▬ C 1 mit einer Latenz von N 75 ms, ▬ C 2 mit 100 ms und ▬ C 3 mit 150 ms Latenz.
3.2.3
Kritische Reizparameter
Eine Übersicht zu diesem Thema findet sich bei Regan (1988). In diesem Handbuchartikel sind auch die Korrelationen zwischen Reizparametern, psychophysischen Daten und VEP dargestellt.
Leuchtdichte Als Leuchtdichte L wird das Verhältnis zwischen der senkrecht zu einem Flächenelement von der Lichtquelle ausgestrahlten Lichtstärke (Candela, cd) und der in Quadratmetern gemessenen Fläche der Lichtquelle bezeichnet. Die für die Schachbrettmusterstimulation relevante mittlere Leuchtdichte des Reizfeldes errechnet sich nach der Formel: (Lmax + Lmin)/2,
Bei Ableitung von der Okzipitalregion gegen Ohrreferenz ist C 1 positiv, C 2 negativ und C 3 wieder positiv. Nach Jeffreys u. Axford (1972a, b) entsteht C 1 durch Zunahme der Oberflächennegativität an der medialen Oberfläche der Fissura calcarina während C 2 und C 3 im extrastriären Kortex (Area 18 u. 19), hauptsächlich an der Konvexität des Okzipitalpoles, generiert werden sollen. Ein subkortikaler Generator der frühen VEP-Komponenten (um 50 ms) scheint nach den Ergebnissen intrazerebraler Ableitungen bei stereotaktischen Thalamotomien am Menschen (Ducati et al. 1988) unwahrscheinlich. Insbesondere konnten die Autoren kein VEP in Nachbarschaft des Corpus geniculatum laterale nachweisen. Das Fehlen eines vom Corpus geniculatum laterale generierten visuell evozierten kortikalen Potenzials ist vermutlich anatomisch bedingt. Nach Lorente de No (1947) und Klee u. Rall (1977) entsteht durch die Faltung des Corpus geniculatum laterale ein »geschlossenes« Feld, d. h. durch entgegengesetze Ausrichtung der elektrischen Dipole wird der Summendipol ausgelöscht und so das elektrische Feld maskiert. Beim derzeitigen Kenntnisstand ist auch offen, in welchem Ausmaß V1 und V2 zu VEP auf Musterumkehr und auf Onsetreize beitragen. Di Russo et al. (2002) fanden bei Quadrantenstimulation im On-off-Modus eine hohe örtliche Übereinstimmung von fMRI-Aktivität und VEP-Dipollokalisation in V1.
wobei Lmax die maximale Leuchtdichte auf den weißen Feldern, Lmin die minimale Leuchtdichte auf den schwarzen Feldern bezeichnet. Für den Sehvorgang spielt v. a. die Netzhautbeleuchtungsstärke eine Rolle, die in Troland (td) gemessen wird. Sowohl bei blitz- als auch bei musterevozierten Potenzialen führen Veränderungen der Leuchtdichte zu Veränderungen der Latenzen und der Amplitude des VEP: Wird die Leuchtdichte erhöht, nimmt über einen großen Bereich von Leuchtdichten die Amplitude des VEP zu und die Latenz ab (⊡ Abb. 3.6, 3.7, 3.8). Als Faustregel gilt, dass eine Verzehnfachung der Leuchtdichte die Latenz um 10 ms reduziert, oberhalb von 100 cd/m2 tritt aber langsam Sättigung ein (Bach et al. 1985). Da auch die Latenz des Patternelektroretinogramms (PERG) parallel zum VEP mit abnehmender Leuchtdichte zunimmt, darf man annehmen, dass retinale Faktoren für die starke Abhängigkeit der VEP-Latenz von der Leuchtdichte verantwortlich sind (Bach et al. 1985). ! Je heller, desto schneller.
Für die Praxis ergibt sich aus diesen Ergebnissen, dass zur Ableitung gut reproduzierbarer VEP die Leuchtdichte des Reizes relativ hoch und immer gleich sein muss. Unter diesen Bedingungen sind die intra- und interindividuellen Unterschiede der VEP-Latenzen und Amplituden am geringsten. Bei
267 3.2 · Das normale VEP
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⊡ Abb. 3.6. Zunahme der Latenz von P100 und Abnahme der Amplitude des VEP nach transienter Musterumkehrstimulation bei Vorsetzen von Graufiltern zunehmender Dichte (Ausgangsleuchtdichte 36,25 cd/m2). Die gestrichelte Linie kennzeichnet die Latenz von P100 ohne Filter
der Verwendung von Diaprojektoren vermindert sich die Leuchtdichte bei Alterung der Glühbirne. Erhebliche abnutzungsbedingte Veränderungen entstehen aber auch bei Computerbildschirmen. So fanden sich bei einer Untersuchung zweier ursprünglich identischer Monitore nach drei Jahren bei dem einen Bildschirm eine mittlere Leuchtdichte von 71 cd/m2, beim anderen von 36,1 cd/m2! Daher sollte die mittlere Leuchtdichte regelmäßig durch ein geeignetes Messgerät geprüft werden (Brigell et al. 1998). Getönte Brillen, verschmutzte Kontaktlinsen oder eine starke Miose verändern ebenfalls die retinale Leuchtdichte und können so zu falschen Resultaten führen.
Lmax – Lmin C = 00 * 100%, Lmax + Lmin wobei C den Kontrast ausgedrückt in Prozent, Lmax die maximale Leuchtdichte und Lmin die minimale Leuchtdichte bezeichnet. Im Tübinger Labor beträgt die Leuchtdichte der hellen Quadrate 140 cd/m2, der dunklen Quadrate 2 cd/m2. Daraus ergibt sich der Kontrast: 140 – 2 C = 02 * 100% = 97% 140 + 2 bei einer mittleren Leuchtdichte von 142 cd/m2/2 = 71 cd/m2.
Kontrast Der Kontrast eines Reizmusters, d. h. das Verhältnis von hellen und dunklen Anteilen wird durch folgende Formel beschrieben:
Eine Abnahme des Reizkontrasts, d. h. des Verhältnisses der Leuchtdichte heller und dunkler Anteile im Reizfeld zueinander führt zu einer Zunahme
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.7. Arithmetische Mittel und Standardabweichungen der Latenzen von P100 von 10 gesunden Versuchspersonen (20 Augen) in Abhängigkeit von der Leuchtdichte des Reizmusters. Die Ausgangsleuchtdichte bei Filter 0 betrug 36,25 cd/m2, bei Filterdichte 3,0 0,36 cd/m2
⊡ Abb. 3.8. Mittelwerte und Standardabweichungen der VEP-Amplitude bei 10 gesunden Versuchspersonen (20 Augen) unter Variation der Leuchtdichte des Reizmusters (gleiche Bedingungen wie in ⊡ Abb. 3.7)
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der Latenz von P100. Die Amplitude des VEP ist grob dem Logarithmus des Kontrasts proportional (Campbell u. Kulikowski 1972; Riggs 1977). Bei Verwendung hoher Leuchtdichten (über 1000 cd/m2) kommt es schon bei niedrigen Kontrasten (15%) zu einer Sättigung der VEP-Amplitude (Spekreijse et al. 1973). Bei mittleren Leuchtdichten zwischen 10 und 50 cd/m2 wird die Sättigung bei einem Kontrast von 50% erreicht. In der Regel ist davon auszugehen, dass ein Kontrast zwischen 80 und 90% ausreicht. Dies entspricht auch den Empfehlungen der IFCN (Celesia u. Brigell 1999). Der neue ISCEVVEP-Standard (Odom et al. in press) empfiehlt mindestens 75%.
Reizfeld Die Größe des Reizfeldes beeinflusst die Amplitude des VEP bis zu einer bestimmten Größe: Bartl et al. (1978) fanden maximale Amplituden ab einer Reizfeldgröße von 7,5°–10°. Eine weitere Vergrößerung des gereizten Gesichtsfeldes erbringt keine Amplitudenzunahme. Große Bildschirme (12°×15°) erleichtern die Ableitung der VEP, da dann auch Patienten mit Zentralskotom mit ihrem verbliebenen peripheren Gesichtsfeldrest die Bildschirmmitte zumindest ungefähr fixieren können und auch unkooperative Fehlfixationen weniger Einfluss haben. Generell nimmt das VEP mit zunehmender Exzentrizität schneller ab als auf Grund der abnehmenden Zapfendichte zu erwarten wäre. Ursache dafür ist die retinotope Abbildung des Gesichtsfeldes auf dem Kortex. Während das zentrale Gesichtsfeld am kaudalen Pol des Okzipitalkortex – und damit elektrodennah – repräsentiert ist, sind die Quellen bei 10° Exzentrizität bereits mehre Zentimeter nach rostral verschoben und damit weiter von der Oz-Elektrode entfernt (Horton u. Hoyt 1991). Form und Latenz der musterevozierten VEP hängen entscheidend davon ab, welche Retinaorte stimuliert werden. Dabei ergeben sich die deutlichsten Unterschiede bei Reizung der oberen und unteren Gesichtsfeldhälfte, aber auch bei Vergleich der Reizung der unteren Gesichtsfeldhälfte und beider horizontaler Felder zeigen sich deutliche Unterschiede. ⊡ Abbildung 3.9 zeigt bei Stimulation der unteren Gesichtsfeldhälfte (obere Kurve) die gut ausgeprägte P100, bei Reizung beider horizon-
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taler Gesichtsfeldhälften (untere Bildhälfte) ändert sich die Konfiguration, N75 nimmt in der Amplitude zu, P100 nimmt ab. Während Halliday u. Michael (1970) und Jeffreys u. Smith (1979) diese Änderung der Potenzialkonfiguration durch unterschiedlich lokalisierte Generatoren und andersartige Ausrichtung der elektrischen Dipole im Okzipitalkortex erklären, zeigten Lehmann u. Skrandies (1979) mit ihren topographischen Darstellungen, dass Latenzverlängerungen der verschiedenen Komponenten bei gleicher Oberflächenverteilung und Dipolausrichtung die Änderung der VEP-Konfiguration verursachen. Die Amplitude der positiven Komponente P100 ist bei Stimulation der unteren Gesichtsfeldhälfte meist höher als bei Stimulation beider Gesichtsfeldhälften mit zentralem Fixierpunkt. Wir empfehlen, das Reizmuster größer als 20° Durchmesser zu wählen und die Mitte fixieren zu lassen. Eine Reihe von Tricks erleichtert die Fixation bzw. deren Kontrolle: Unbedingt muss das Fixationsziel deutlich erkennbar sein, entweder durch eine auf dem Monitor angebrachte Marke, Leuchtdiode oder durch entsprechende Programmierung des Reizmusters. Es soll erfolgreich sein, den Patienten mit einem Laserzeiger auf das Fixationsziel zeigen zu lassen. Im »Freiburg Evoked Potentials System« (Bach 2000) z. B. erscheint in unregelmäßigen Abständen anstelle des Fixationskreuzes eine Ziffer (mit einstellbarer Größe), die vom Patienten anzusagen ist.
Halbfeldreizung Bei getrennter Reizung des nasalen und temporalen Gesichtsfelds entsteht im Idealfall bei paramedian zum Inion rechts und links platzierten Elektroden eine Phaseninversion des VEP jeweils ipsilateral zur gereizten Hemiretina. ⊡ Abbildung 3.10 zeigt eine Ableitung mit einer horizontalen Elektrodenkette bei Halbfeldreizung. Es entsteht eine sog. »paradoxe« Lateralisation der P100 mit maximaler Amplitude des Potenzials über dem ipsilateralen Okzipitalpol. Dieses Phänomen wird durch die Projektion der elektrischen Dipole in der Sehrinde zur jeweils kontralateralen Schädeloberfläche erklärt (Barrett al. 1976; Blumhardt u. Halliday 1979), ist aber sehr variabel und nach unserer Erfahrung nur bei etwa 50% der gesunden Probanden nachweisbar.
3 270 Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.9. Variation der Form des VEP bei Veränderung des Fixierpunkts und damit Reizung verschiedener Retinaanteile. Linke Bildhälfte: Reizung des linken Auges; rechte Bildhälfte: Reizung des rechten Auges. Bei Reizung der unteren Gesichtsfeldhälfte, also der oberen Retinahälfte (oben) entstehen die höchsten Amplituden. Bei zentralem Fixierpunkt (unten) sind die Potenziale schwächer ausgeprägt
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⊡ Abb. 3.10. Halbfeldreizung und Ableitung mit einer horizontalen Elektrodenkette bei einem gesunden Probanden. Die maximale Amplitude der P100 wird jeweils ipsilateral zum gereizten Halbfeld abgeleitet. (Nach Barrett et al. 1979)
Blumhardt (1986) weist auf die methodischen Schwierigkeiten der Halbfeldreizung hin: Durch unterschiedliche Faltung des Okzipitalkortex können auch unter physiologischen Bedingungen erhebliche Asymmetrien der VEP nach Halbfeldstimulation entstehen, die einen pathologischen Befund vortäuschen können. Darüber hinaus ist die Phaseninversion von dem gewählten Reiz abhängig: Lehmann u. Skrandies (1980b) zeigten, dass bei kleinen Quadraten die foveal entstehenden Vektoren vorwiegend ipsilateral zur gereizten Hemiretina projizieren. Schließlich kann bei erhaltenen Gesichtsfeldresten aufgrund einer »günstigen« Dipolprojektion der funktionell erhaltenen Kortexareale ein »normales« VEP nach Reizung der erkrankten Gesichtsfeldhälfte entstehen (Blumhardt et al. 1982; Celesia et al. 1983). Aufgrund der unterschiedlichen Projektion der Dipole und der Phasenverschiebung der Potenzialkomponenten können auch Latenzunterschiede nicht sicher interpretiert werden (Blumhardt 1986). Es ergibt sich, dass für die Auswertung der halbfeldevozierten Potenziale sehr strenge Kriterien angelegt werden müssen. Wir interpretieren daher lediglich das Fehlen des VEP nach einseitiger Halbfeldstimulation bei gut evoziertem Potenzial nach Stimulation des anderen Halbfeldes oder eine Amplitudenminderung auf unter 20% des höheren Wertes der anderen Gesichtsfeldhälfte als pathologisch (⊡ Abb. 3.31, 3.32). Auf diese Weise können jedoch nur recht große Gesichtsfelddefekte objektiviert werden, die weit genauer psychophysisch durch Gesichtsfeldmessung
bestimmt werden können. Die Halbfeldstimulation bei unkooperativen Patienten ist sinnlos, da bei ungenauer Fixation die Ergebnisse nicht verwertbar sind. Das multifokale VEP (Abschn. 3.2.9) ist eine interessante zukünftige Alternative zur Halbfeldreizung.
Reizmuster Schachbrett Die Größe der Schachbrettkaros muss in Winkelgraden bzw. in Winkelminuten angegeben werden. Ein Sehwinkelgrad besteht aus 60 Sehwinkelminuten (60′), eine Sehwinkelminute aus 60 Sehwinkelsekunden (60″). Die in Winkelgraden bzw. Winkelminuten angegebene Karogröße errechnet sich nach der Formel: a = arctan(b/d), wobei a die Karogröße in Winkelgrad angibt, b die Karobreite in mm und d den Abstand vom Auge zum Monitor in mm. Die Karogröße misst man am besten über 10 Karos hinweg und teilt dann durch 10. Da die Errechnung der Karogröße häufig praktische Schwierigkeiten macht, sei hier ein Beispiel gerechnet: Die auf dem Bildschirm ausgemessene diagonale Karobreite b betrage 8 mm, der Abstand d vom Auge zum Bildschirm betrage einen Meter (1000 mm); dann errechnet sich die Karogröße zu: a = arctan(b/d) = arctan(8/1000) = arctan(0,008) ~ 0,46°.
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Im Freiburger Labor wählen wir den Bildschirmabstand so, dass sich besonders einfache Umrechnungen ergeben: Bei 57 cm Betrachterabstand entspricht 1 cm auf dem Schirm 1°, bei 114 cm (geeignet für VEP) entspricht 1 cm gerade 0,5°. Maximale VEP-Amplituden werden bei einer Karogröße um 0,2° im Schachbrettmuster gefunden. Bei kleineren und größeren Karogrößen nimmt die VEP-Amplitude wieder ab (Harter u. White 1968; Harter 1970). Die Variation der VEPAmplitude mit der Karogröße wird durch die Größenzunahme der rezeptiven Felder zur Netzhautperipherie hin erklärt. Dadurch werden bei unterschiedlichen Karogrößen foveale und periphere Systeme unterschiedlich gereizt. Spekreijse et al. (1973) weisen darauf hin, dass die Variation der VEP-Amplitude nicht allein von der Größe der rezeptiven Felder abhängt, sondern dass auch die Gesamtzahl visueller Kontraste eine Rolle spielt. Bei sehr großen Karos (>2°) ähnelt die Potenzialkonfiguration dem blitzevozierten VEP (Padmos et al. 1973; Regan 1975). Bei diesen Karogrößen evoziert offenbar nur der Wechsel der Leuchtdichte im rezeptiven Feld das VEP, während die kontrastspezifischen Anteile und damit die räumliche Struktur keinen Einfluss mehr haben. Die Latenz der VEP verlängert sich bei sehr großen (>2°) oder sehr kleinen (<0,2°) Karogrößen. Bei zu großen Karos kommt es zunehmend zu rein helligkeitsinduzierten Antworten, die eine etwas längere Latenz haben, bei sehr kleinen Quadraten werden vorwiegend foveale Areale gereizt, die ebenfalls langsamer fortleiten (Lueders et al. 1980). Des Weiteren ist der retinale Kontrast aufgrund der normalen endlich auflösenden Augenoptik reduziert. Meienberg et al. (1979) fanden bei einer Karogröße von 0,2° eine mittlere Latenz von 104±5,7 ms gegenüber 99±5,7 ms bei 1° Reizung. Für die Ableitung bei Patienten mit Sehstörungen z. B. nach einer Retrobulbärneuritis können wegen des Zentralskotoms evtl. nur relativ hohe Karogrößen um 1° kortikale Antworten auslösen; die Latenz ist bei einer Neuritis unabhängig von der Karogröße erhöht. Der Einsatz von Streifenmustern mit rechteckigem oder sinusförmigem Helligkeitsprofil bringt keine klinischen Vorteile und wird daher nicht mehr für den Routineeinsatz empfohlen.
Korrelation unterschiedlicher Reizmuster mit der Sehschärfe Oft stellt sich die Frage nach einer objektiven Einschätzung der Sehschärfe. Dieses Problem ist bisher nicht wirklich befriedigend gelöst. Nur in der Entwicklungsphysiologie (Teller 1997) hat sich das VEP als ein gutes Instrument zur Untersuchung der Sehschärfe, des Stereo- und Farbensehens erwiesen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass bei normalen Kleinkindern das VEP meist sehr hohe Amplituden hat und mit Methoden wie dem »Sweep-VEP« (Norcia et al. 1989) erstaunlich schnell valide Resultate erhoben werden können. Beim Sweep-VEP wird ein Reizparameter (z. B. Ortsfrequenz oder Kontrast) kontinuierlich hoch- oder heruntergefahren (»sweep«) und in der Ergebnisdarstellung z. B. zu hohen Ortsfrequenzen hin zur Nullantwort extrapoliert. In der für uns häufigen und klinisch relevanten Frage nach Visusobjektivierung beim Erwachsenen im Rahmen unklarer Visusminderung mit eventueller funktioneller Sehstörung (Abschn. 3.11.10) zeigen sich große praktische Probleme: Die Amplituden sind deutlich niedriger als bei Kleinkindern und die Reizfixation bzw. Akkommodation ist nicht zuverlässig, evtl. sogar absichtlich suboptimal. Es gab eine Reihe von Anläufen, dieses Problem zu lösen (Howe et al. 1981; Hajek u. Zrenner 1988; Bach et al. 1998; Heine et al. 1999). In der vorigen Auflage dieses Buches wurden Erfahrungen aus der Tübinger Neurologie wie folgt dargestellt: Registriert wurde das VEP nach Schachbrettmusterstimulation (Ortsfrequenz 0,5 cyc/°) und nach Streifenmusterstimulation mit breiten (3 cyc/°) und schmalen (9 cyc/°) Streifen bei 173 normalsichtigen Augen und 76 Augen mit Visusminderung. Danach wurde derjenige Visus bestimmt, bei dem bei 90% der betroffenen Augen bei einem definierten Reizmuster kein VEP mehr abzuleiten war. Nach diesen Kriterien ist der Visus größer als 0,05, wenn bei der transienten Schachbrettstimulation noch ein VEP evoziert wird (Diener u. Zimmermann 1985). Ist bei Verwendung von Streifenmustern von 3 cyc/° ein VEP abzuleiten, ist der Visus größer als 0,2, bei 9 cyc/° größer als 0,7. Die so gewonnenen Visuswerte können zwar keine psychophysische Visusmessung ersetzen, erlauben
273 3.2 · Das normale VEP
aber Rückschlüsse, wenn auffällige Diskrepanzen zwischen dem psychophysisch angegebenen Visus und den VEP-Amplituden bestehen (z. B. bei Simulation). ! Das Problem einer objektiven Einschätzung
der Sehschärfe ist bisher nicht befriedigend gelöst.
In der Freiburger Augenklinik wurde der Versuch unternommen, die Auswertung zu objekivieren (Bach et al. 1998). Sowohl in der oben dargestellten Vorgehensweise als auch bei Hajek u. Zrenner (1988) sowie Heine et al. (1999) muss subjektiv eingeschätzt werden, bei welchen Karogrößen »keine VEPAnwort erkennbar« ist. In der Freiburger Augenklinik wird zur Objektivierung die Pattern-onsetPulsreizung (Howe et al. 1981; Hajek u. Zrenner 1988) im Steady-state-Modus (40 ms an, 93 ms aus, dies führt zu 7,5 Wechseln/s) mit sechs Karogrößen bis hinab zu 0,045° verwandt. Die Pulsreizung löst meist hohe Amplituden aus und die Steady-state-Auswertung erlaubt es, ein wohldefiniertes Signifikanzmaß einzusetzen (Meigen u. Bach 1999) sowie die »wahre« Amplitude aus der nichtlinearen Signalrauschüberlagerung (Strasburger 1987; Norcia et al. 1989) zu extrahieren (Meigen u. Bach 1999). Aus der Amplitudenregression kann man dann mit Hilfe einer Normpopulation auf den Visus mit eingeschränkter Genauigkeit schätzen: Mit 95% Wahrscheinlichkeit liegt der psychophysisch erhobene Visus im Bereich zwischen »geteilt durch 2« und »mal 2« um den VEP-Visus. Die zunächst befremdliche Formulierung »geteilt durch bzw. mal 2« trägt der logarithmischen Skala des Visus Rechnung (der Visus sollte immer auf logarithmischen Skalen aufgetragen werden, weil das der subjektiven Einschätzung der Patienten besser entspricht. Konsequenterweise hat die psychometrische Funktion dann auch eine etwa konstante Steigung; Bach u. Kommerell 1998a, b). Oft werden nur ganz grobe Visusangaben benötigt (z. B. »normal oder <0,1?«). Dafür reicht es aus, ein Standard-VEP mit zwei Karogrößen durchzuführen. Dennoch ist das Ergebnis nicht »objektiv«, denn die Akkommodation und Fixation des Patienten ist nicht immer verlässlich. Man kann die
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Akkommodation durch Zykloplegie (medikamentöse Lähmung des Ziliarmuskels) ausschalten, ferner hat es sich hier als sehr wertvoll erwiesen, simultan PERG und VEP abzuleiten (Abschn. 3.11.10).
Zeitfrequenz der Stimulation Die Konfiguration des blitzevozierten Potenzials wird durch die zeitliche Frequenz der Stimulation mitbestimmt. Wird mit sinusförmig moduliertem Licht konstanter mittlerer Leuchtdichte gereizt, so zeigt die VEP-Amplitude, aufgetragen gegen die Stimulationsfrequenz, drei Maxima: Der »Niederfrequenzbereich« hat ein Amplitudenmaximum bei 10 Hz, der »mittlere Frequenzbereich« bei 16 Hz, der »Hochfrequenzbereich« zwischen 45 und 60 Hz (Spekreijse et al. 1977; Regan 1977). Aus der frequenzabhängigen Phasenverschiebung des VEP lässt sich die Latenz berechnen: Für den Niederfrequenzbereich kommt man für hohe Leuchtdichten auf eine Latenz von 120 ms, für den mittleren Frequenzbereich auf 90–100 ms, für den Hochfrequenzbereich auf eine Latenz von 50 ms. Aus den unterschiedlichen Latenzen und der Topographie der drei Potenzialkomponenten schließen die Autoren auf unterschiedliche Generatorstrukturen, ohne dass eine sichere Zuordnung möglich ist (Regan 1988). Bei Reizung mit Schachbrettmustern sollte die Frequenz nie in Hz, sondern in »Wechsel/s« (engl. »reversals/s« oder »rps«) angegeben werden, da die Antworten wegen der Reizsymmetrie mit der doppelten Frequenz der Reizfrequenz auftreten (jeder Wechsel löst eine Antwort aus). Bei Variation der Zeitfrequenz ergibt sich ein Amplitudenmaximum zwischen 5 und 7 Wechseln/s, bei höheren Frequenzen nimmt die VEP-Amplitude wieder ab (Regan 1975; Röver u. Berndt 1977). Wir reizen bei unserer »Steady-state-Bedingung« mit 8,2 Wechseln/s. Bei dieser Frequenz ist meist ein sinusförmiges VEP ohne Aufsplitterung abzuleiten, das v. a. eine zuverlässige Amplitudenmessung erlaubt. Die Latenz von P100 ist bei der Steady-state-Stimulation mit 8 Wechseln/s um durchschnittlich 5–8 ms gegenüber der transienten Stimulation verlängert. Unterhalb von 3 Wechseln/s ist das VEP als transient anzusprechen.
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3.2.4
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Kritische Probandenparameter
VEP im Kindesalter
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Etwa ab dem Alter von fünf Jahren entsprechen die Latenzen und Amplituden der kindlichen VEP denen der Erwachsenen. Für die Untersuchung von Neugeborenen und Kleinkindern können blitzevozierte oder musterevozierte Potenziale verwendet werden. Vorteil der blitzevozierten Potenziale ist es, dass sie keine exakte Fixation erfordern, Nachteil ist jedoch die äußerst hohe interindividuelle Streuung. Für spezielle klinische Zwecke hat sich das blitzevozierte Potenzial jedoch bewährt, insbesondere wenn bei Säuglingen und Kleinkindern eine objektive Erfassung der Funktion des visuellen Systems nötig ist. Einige Autoren berichten dennoch über gute Erfahrungen mit schachbrettmusterevozierten Potenzialen bei Neugeborenen und Säuglingen (Penne et al. 1982). Voraussetzung dafür ist die normalerweise kurz nach der Geburt entwickelte Fixationsfähigkeit. Offenbar ist der angebotene Reiz für die meisten Säuglinge attraktiv genug um eine Ableitung zu ermöglichen. Grundsätzlich muss bei Ableitung von Säuglingen und Kleinkindern mit Schachbrettmustern die Augenposition kontrolliert werden. Die Untersuchung muss unterbrochen werden, wenn sich das Bild des Musters nicht mehr in der Mitte der Pupille spiegelt. Eine gute Übersicht über die methodischen Besonderheiten der VEP-Ableitung im Kindesalter findet sich bei Rothenberger (1987). Blitzevozierte VEP können schon bei Frühgeborenen ab der 25. Gestationswoche abgeleitet werden. Bis zur 30. Gestationswoche besteht das Potenzial aus einer langsamen negativen Komponente mit einer Latenz um 300 ms. Zwischen der 30. und 35. Gestationswoche entwickelt sich die für das gesunde Neugeborene charakteristische Potenzialkonfiguration. Sie besteht aus einer okzipital gut ableitbaren positiven Welle mit einer Latenz unter 200 ms und einer nachfolgenden langsamen negativen Nachschwankung (Taylor et al. 1987). Im Vergleich zu Erwachsenen sind die Amplituden höher. Nach Untersuchungen von Weinmann et al. (1965) an 230 neurologisch gesunden Kindern werden die Latenzen der einzelnen Komponenten mit zunehmender Markreifung
deutlich kürzer. Alle Komponenten der VEP zeigen während der ersten drei Monate eine zunehmende Differenzierung, es besteht jedoch eine ausgeprägte interindividuelle Variabilität. So berichten Visser et al. (1983) über nahezu »ausgereifte« VEP bei wenige Monate alten Babys, während Mellor u. Fielder (1980) darauf hinweisen, dass die Abwesenheit der VEP in den ersten Lebensmonaten nicht notwendigerweise als pathologisch zu werten sei. Die intraindividuelle Variabilität der VEP wird dadurch erhöht, dass sich die Latenzen mit dem Vigilanzzustand des Kindes ändern. So stellte Harden (1982) bei Ableitung schlafender Kinder Latenzverzögerungen der positiven Hauptkomponente bis zu 50 ms gegenüber dem Wachzustand fest. Eine ausführliche Übersicht über die Entwicklung der kindlichen VEP findet sich bei Harden (1982), die klinische Anwendung wird zusammenfassend bei Rothenberger (1987) und Teller (1997) dargestellt.
VEP bei Erwachsenen Ab dem Alter von 55 Jahren nimmt die Latenz der P100 statistisch signifikant zu (Halliday 1982; Knierim et al. 1985). Die Latenzzunahme ist deutlicher bei Präsentation kleiner Reizmuster (Ponte u. Giuffre 1989). Die Latenzzunahme im Erwachsenenalter ist dabei nicht nur durch eine verlangsamte Leitgeschwindigkeit im N. opticus bedingt, sondern v. a. auch durch die zunehmende Trübung der brechenden Medien und die relative Miose (Allison 1987). Bei Erstellung der Normwerte sollte daher nach Möglichkeit die Altersgruppe ab 55 getrennt berücksichtigt werden. Ist das nicht realisierbar, so können als Faustregel nach den Ergebnissen von früheren Studien aus der Tübinger Neurologie (Diener u. Zimmermann 1985) für die transiente und für die Steady-state-Schachbrettreizung bei Patienten zwischen 55 und 60 Jahren zu dem oberen Grenzwert 2 ms addiert werden, bei den 60- bis 70-Jährigen 3 ms. Die Amplituden zeigen keine signifikanten Unterschiede in den verschiedenen Altersgruppen (Celesia u. Daly 1977; Halliday 1982).
275 3.2 · Das normale VEP
Geschlecht, Kopfgröße und Körpertemperatur In mehreren Studien ist eine Geschlechtsabhängigkeit der VEP mit signifikant kürzeren Latenzen bei Frauen beschrieben (Stockard et al.1979; EmersonHannover et al. 1994). In der von Halliday (1982) untersuchten Population war bei Frauen die Latenz von P100 nur 3,5–3,9 ms kürzer. Nach Studien von Guthkelch et al. (1987) korrelieren die Latenzunterschiede mehr mit der anhand der Zirkumferenz bestimmten Kopfgröße als mit dem Geschlecht. Als weitere Faktoren werden hormonelle Einflüsse und die höhere Körpertemperatur der Frauen (im Mittel +0,14 °C) angeführt (Stockard et al. 1979). Marsh u. Smith (1994) fanden bei Schwangeren im Mittel 2–5 ms kürzere Latenzen von P100 als bei der nichtschwangeren Kontrollgruppe. Als mögliche Ursache dieses Effekts wird eine Hemmung des inhibitorischen Transmitters Gammaaminobuttersäure (GABA) durch Östrogene diskutiert, die in einer gesteigerten Erregbarkeit resultieren würde. Für einen hormonellen Einfluss sprechen auch Verlaufsuntersuchungen über den Zyklus mit leicht verkürzten Latenzen kurz vor der Menstruation (Simpson et al. 1981).
Aufmerksamkeit Die meisten Studien, bei denen blitzevozierte Potenziale untersucht wurden, zeigen, dass bei Nachlassen der Aufmerksamkeit die Amplitude des VEP geringfügig abnimmt, die Latenz aber unverändert bleibt (Cigánek 1969; Groves u. Eason 1969; Kopell et al. 1969; Harter u. Salmon 1972). Eine stärkere Abhängigkeit der Amplitude von der Aufmerksamkeit zeigen die späten VEP-Komponenten ab 200 ms (Courchesne et al. 1975). Beim musterevozierten VEP führt ein Nachlassen der Aufmerksamkeit zu schlechterer Fixation und eventuell zur Defokussierung, so dass dadurch Amplitudenminderungen entstehen können. Die Latenzen werden durch Ermüdung nicht beeinflusst, so lange korrekt auf den Stimulus akkommodiert wird. Nach unseren Erfahrungen sollte die VEP-Ableitung nicht länger als 3 min ohne Pause durchgeführt werden. Diese Zeit genügt in der Regel auch beim schlecht entspannten Patienten, um die notwendigen etwa 100 Durchläufe einer Reizbedingung zu erhalten. Insgesamt ist überraschend,
3
wie wenig sich Aufmerksamkeit auf das VEP auswirkt. Während mit der funktionellen Kernspintomographie stark unterschiedliche Aufmerksamkeitseffekte gefunden wurden (40% im CGL (O’Connor et al. 2002) und 0–20% in V1 (Tootell et al. 1998, Mehta et al. 2000, O’Connor et al. 2002)), ist sich die Literatur einig, dass die P100 gegenüber Aufmerksamkeitsschwankungen vergleichsweise unempfindlich ist, so lange keine Fixations- und Akkommodationsschwankungen auftreten. ! Die P100 hängt nicht von der Aufmerksamkeit
ab, so lange korrekt fixiert- und akkommodiert wird.
Visus Zwischen dem Visus und der Ortsfrequenz des Reizes bei maximalem Kontrast einerseits und der VEP-Amplitude andererseits besteht die in Abschn. 3.2.3, »Reizfeld«, beschriebene Beziehung (⊡ Abb. 3.11).
Refraktion Schon leichtere Refraktionsstörungen mit geringfügigem Verschwommensehen (0,25–0,5 Dioptrien) können die Amplitude des VEP bei kleinen Karogrößen erheblich verkleinern. Bei einer Defokussierung um zwei Dioptrien kann die Amplitude des VEP um bis zu 60% vermindert werden (Regan u. Richards 1973). Bei großen Karos um 1° kann es zunächst zu einer Vergrößerung der Amplitude kommen, ein Effekt, der durch die zusätzliche Helligkeitsreizung bei verwischten Karokanten erklärt wird (Regan u. Richards 1973). Auch die Latenzen werden durch die Refraktion beeinflusst: Bobak u. Mitarbeiter (1987) zeigten, dass es durch Vorsetzen von positiven und negativen Linsen bei kleinen Karogrößen (6,9 Perioden/Grad) zu deutlicher Latenzzunahme um bis zu 8 ms pro Dioptrie kommen kann. Dieser Effekt ist bei positiven Linsen ausgeprägter, da ihr Effekt »wegakkommodiert« werden kann. Bei größeren Karos (2,3 Perioden/Grad) ist der Effekt schwächer. Bei Vorsetzen einer drei Dioptrien starken positiven Linse sind aber immer noch Latenzzunahmen um 5 ms zu erwarten. Ursache ist die dann unscharfe optische Abbildung mit niedrigerem Kontrast auf der Retina. Niedriger Kontrast
276
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.11. VEP-Amplituden bei Variation der Ortsfrequenz eines Streifenmusters. Mittelwerte und Standardabweichungen von 10 gesunden Versuchspersonen (20 Augen). Die Zahlen unter den Messpunkten ab einer Orts-
frequenz von 10 Grad–1 zeigen, bei welcher Anzahl an Augen noch ein messbares VEP abzuleiten war. Ab diesem Punkt ist die Funktion gestrichelt. Über 20 Grad–1 war bei keiner Versuchsperson ein VEP abzuleiten
hingegen führt zu höheren Latenzen (Abschn. 3.2.3., »Kontrast«). Für die Praxis ergibt sich, dass die Ableitung der VEP immer mit optimal korrigierter Refraktion erfolgen muss – das heißt, mit einer für den Untersuchungsabstand geeigneten Brille ohne Nahteil. Die willentliche Defokussierung z. B. kann zu falsch-positiven Befunden führen und ist bei der Ableitung in der Regel nicht kontrollierbar.
vorgetäuscht werden kann. Generell sollte die VEPAbleitung mit spielender Pupille durchgeführt werden, da dabei auch die optische Abbildung optimal ist (korrekte Refraktion vorausgesetzt). Die Einflüsse von Medikamenten auf das VEP sind im Abschn. 3.9 zusammengestellt.
3.2.5
Grafische Darstellung und Auswertung der VEP
Pupillenweite Bei enger Pupille nimmt wegen der geringeren retinalen Leuchtdichte die Latenz zu. Hawkes u. Stow (1981) zeigten, dass bei medikamentöser Miose die Latenzverlängerung bis zu 12 ms betragen kann, während bei Mydriasis die Latenzen bis zu 10 ms kürzer werden. Dies ist v. a. bei Patienten mit Retrobulbärneuritis, die vor der VEP-Untersuchung ophthalmologisch untersucht wurden und weitgetropft sind, von großer praktischer Bedeutung, da dadurch im VEP Normalität
Die Auswertung der VEP für klinische Zwecke geschieht in der Regel nach elektronischer Mittelwertbildung (»averaging«). Dies ist notwendig, da die Amplitude der VEP in den meisten Fällen sehr viel kleiner ist als die spontane EEG-Aktivität, so dass die spezifische Reizantwort nach einmaliger visueller Reizung im EEG nicht erkannt werden kann. Prinzip des Mittelns ist die systematische Verstärkung einer ereignisgebundenen, im Zeitverlauf
277 3.2 · Das normale VEP
genau definierten Änderung der spontanen Hirnaktivität durch Wiederholung des Reizes (z. B. Schachbrettmusterumkehr). Dadurch gelingt die Trennung der ereignisgebundenen Potenzialänderungen von »zufälligen« Potenzialschwankungen der EEG-Hintergrundaktivität (»Rauschen«). Bei der heute in der Regel üblichen digitalen Mittelwertbildung wird das EEG nach dem Lichtreiz über einen definierten Zeitabschnitt (meist 250–500 ms) aufgezeichnet und analog-digital gewandelt. Die obere Grenzfrequenz der EEG-Verstärker muss der Abtastrate angepasst werden. Um Aliasingfehler zu vermeiden, muss die Abtastrate mehr als doppelt so hoch sein wie die obere Grenzfrequenz. Auf mögliche Latenzverzögerungen durch Analogfilter wurde schon hingewiesen; bei digitalen Filtern tritt dieses Problem nicht auf. Die Anzahl der zu mittelnden Durchgänge wird durch das SignalRausch-Verhältnis bestimmt. Während sich die Amplitude des summierten Potenzials direkt proportional zur Anzahl der Durchgänge n erhöht, steigt die zufallsverteilte Hintergrundaktivität des EEG nur mit der Wurzel von n an. Wenn die ereignisgebundene EEG-Aktivität und die physiologischerweise immer vorhandene EEG-Hintergrundaktivität unabhängig voneinander sind, nimmt – beim Mitteln ihr Verhältnis mit 1/√n zu. In der Praxis kommt man bei guten Ableitebedingungen mit 64 Durchgängen aus (⊡ Abb. 3.12). Bei schwachen ⊡ Abb. 3.12. Transientes VEP nach 2, 4, 8, 16, 32 und 64 Mittelungen. Bereits nach 8 Durchgängen ist das Potenzial gut zu identifizieren (P100). Nach 32 und 64 Durchläufen tritt durch die Verbesserung des SignalRausch-Verhältnisses mit Abnahme zufälliger Störsignale das Potenzial deutlicher hervor
3
Reizantworten mit sehr niedrigen Amplituden, wie sie zum Beispiel bei fovealer Stimulation entstehen, sind 128 Mittelungen notwendig. In der Regel erbringen noch mehr Mittelungen keine Verbesserung der Signalqualität, da bei zunehmender Untersuchungsdauer auch mehr störende Artefakte auftreten. Die Polung der einzelnen Potenzialgipfel wird in Analogie zur EEG-Polung meist so festgelegt, dass Negativität nach oben, Positivität nach unten gerichtet ist. Doch wird auch, v. a. in der Ophthalmologie und in der Grundlagenforschung, Positivität nach oben aufgetragen, so dass man sich am besten das »Lesen« beider Polaritäten antrainiert, um einer möglichen »Thatcher-Täuschung« (Thompson 1980; ) zu entgehen. Für die Nomenklatur der Potenzialspitzen hat es sich bewährt, nach Angabe der Polarität (»P« für Positiv, »N« für Negativ) die durchschnittliche Latenz zu nennen, also z. B. P100 für ein positives Potenzial 100 ms nach Reizbeginn. Weniger günstig ist die Durchnummerierung der einzelnen positiven Peaks mit P0, P1, P2, P3, wobei P0 bei Blitzstimulation durchschnittlich nach 40 ms, P1 nach 65 ms, P2 nach 100 ms und P3 nach 180 ms erfolgt. Besonderer Nachteil dieser Nomenklatur ist die häufig fehlende Ausprägung von P0 und P1 v. a. bei anderen Stimulationsformen, wodurch es beim
278
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Durchnummerieren zu missverständlichen Bezeichnungen kommen kann. Außerdem können Verwechslungen mit der »kognitiven P300« entstehen, die gelegentlich ebenfalls als P3 bezeichnet wird.
3
Die für klinische Fragestellungen wichtigste VEPPotenzialkomponente ist die P100 (P2). Sie ist am konstantesten evoziert und hat bei okzipitaler Ableitung die höchste Amplitude. Allerdings kann die Identifikation dieser Komponente gelegentlich schwierig sein. Grundsätzlich gilt, dass jeder Befund mindestens einmal repliziert werden muss. Nach diffusen Blitzreizen sind die Potenziale in der Regel schlechter evoziert und die Latenzen weniger gut reproduzierbar, insbesondere interindividuell. Bei Schachbrettmusterumkehr lässt sich unter Normalbedingungen die P100 immer sicher identifizieren. Kriterium ist die starke Ausprägung der positiven Spitze mit vorangehender und nachfolgender deutlicher Negativität, wobei die steile negativ-positiv-negative Deflektion N75/P100/
N140 entscheidend für die Latenzbestimmung ist. Beim Erwachsenen liegt die Latenz oberhalb von 90 ms. Die Amplitudenmessung erfolgt am besten entweder zwischen aufeinanderfolgenden Potenzialgipfeln, z. B. zwischen N75 und P100, bzw. als Mittelwert der Amplituden von N75-P100 und P100N140. Bei einer fehlenden N75 verwenden wir den Baselinewert (Mittelwert von 0–40 ms) wobei wir darauf achten, dass die gleichen Komponenten auch zur Amplitudenmessung nach Stimulation des anderen Auges herangezogen werden. Wie ⊡ Abb. 3.13 zeigt, ist die Amplitudenmessung bei Steady-state Potenzialen einfacher, da hierbei jeweils eine Gerade durch alle negativen und positiven Potenzialgipfel gezogen werden kann und der Abstand zwischen beiden Geraden gemessen wird. Noch einfacher ist es, eine Fourieranalyse durchzuführen (Bach u. Meigen 1999) und die Antwort bei der Wechselfrequenz auszuwerten. Aus der Fourier-Phase kann man die Latenz errechnen (Regan 1989; Heinrich u. Bach 2001). Steady-state-Stimulation ist sinnvoll, wenn die Funktion bei hohen Zeitfrequenzen geprüft wer-
⊡ Abb. 3.13. Normale VEP bei transienter Schachbrett- und fovealer Reizung und Steady-state-Reizung (unterste Zeile). Die Latenz (L) wird vom visuellen Reiz (Ordinate) bis zu P100 gemessen. Die Amplitude (A) ergibt sich aus der Spannungs-
differenz zwischen N75 und P100. Bei Steady-state-Reizung kann durch Anlegen jeweils einer Geraden durch die positiven und negativen Potenzialgipfel die Amplitude leichter bestimmt werden (untere Kurve rechts)
! Die für klinische Fragestellungen wichtigste
VEP-Potenzialkomponente ist die P100.
279 3.2 · Das normale VEP
den soll oder wenn systematische Amplitudenmessung an der Signalrauschgrenze – z. B. bei Visusabschätzungen – erfolgreich sein sollen (Meigen u. Bach 1999). Für Steady-state-Reizung ist eine Frequenz von 8 Wechseln/s günstig – schon im Steady-state-Bereich und noch ausreichend vom Alphabandmaximum entfernt. Bei Wechselfrequenzen von deutlich über 10 Wechseln/s nimmt die Amplitude stark ab. Wenn die Messungen Fourier-analytisch ausgewertet werden sollen, ist darauf zu achten, dass genau eine ganze Zahl von Reizperioden in das Analyseintervall passt (Bach u. Meigen 1999). Die meisten kommerziellen VEP-Geräte enthalten heute Optionen, mit denen Amplituden und Latenzen der Peaks digital abgelesen und ausgedruckt werden. Angesichts der zahlreichen verschiedenen Ableitemöglichkeiten sowie der großen Variation der Reizparameter ist es unumgänglich, dass jedes Labor Mittelwerte und Standardabweichungen der einzelnen Peaks (Latenzen und Amplituden) sowie die Normgrenzen (in der Regel arithmetisches Mittel ±3 Standardabweichungen) anhand einer Normgruppe selbst bestimmt. Die Alters- und Geschlechtsverteilung des Normkollektivs muss dabei dem zu untersuchenden Patientenkollektiv entsprechen. Sinnvolle Reizparameter, angelehnt an die Standards der International Federation of Clinical Neurophysiology (IFCN; 1992; Celesia u. Brigell 1999) bzw. der International Society for Clinical Electrophysiology in Vision (ISCEV; www.iscev.org; Odom et al. 2004), und Auswertekriterien sind im Folgenden zusammengefasst.
Mittlere Leuchtdichte 40 cd/m2 oder höher.
Achtung: Leuchtdichte einmal im Jahr kontrollieren (Brigell et al. 1998)! Kontrast; ISCEV: >75%, IFCN: 80–90%. Achtung: Der Kontrast wird von der Umgebungsleuchtdichte beeinflusst. Daher sollte die Ableitung in einem abgedunkelten Raum erfolgen. Nach IFCNStandard sollte die Hintergrundleuchtdichte im Bereich der mittleren Reizhelligkeit liegen. Musterwechselfrequenz für die transiente Reizung 1–2 Wechsel/s, für Steady-state-Reizung etwa 8 Wechsel/s Blickfixation oberer Bildschirmrand oder Bildschirmmitte, bevorzugt Leuchtdiode als Fixationspunkt Je nach Fragestellung mehrere Reizarten; für die Demyelinisierung haben sich bewährt: foveale Reizung, transiente Ganzfeldreizung und Steady-state-Ganzfeldreizung
Auswertekriterien Laborinterne Normgruppe mit mindestens 40 Augen
Latenz: P100 Amplitude: N75-P100 oder P100-N140;
Reizparameter Monokuläre Reizung Schachbrettmuster Definierte und konstante quadratische Ka-
rogröße, ausgedrückt in visuellen Winkelgraden (Winkelminuten), nicht etwa in mm oder cm. ISCEV: 2 Karogrößen, 0,25° und 1°; IFCN: 3 Karogrößen, 0,25°, 0,5° und 1° Ganzfeldreiz, Durchmesser mindestens 10° (ISCEV) bzw. 8° (IFCN)
▼
▼
einheitliches Kriterium für beide Augen wählen Konservative Festlegung der oberen Normgrenzen und der als pathologisch bewerteten Seitendifferenzen (Mittelwert + 3 Standardabweichungen) Amplitudenminderung nur im Seitenvergleich und wenn >50% Differenz pathologisch bewerten Berücksichtigung von Fehlerquellen: Amblyopie (Abschn. 3.12.2), nichtkorrigierter Visus, Unaufmerksamkeit Berücksichtigung von Alter, ophthalmologischen und internistischen Erkrankungen
3
280
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Gesonderte Beschreibung und Bewertung
3
von auffällig konfigurierten Potenzialen z. B. W-Form, fehlende N75 etc. Kritische Wertung der Ableitesituation Grundsätzlich Replikation aller Befunde
⊡ Tabelle 3.1 zeigt die in der Tübinber Neurologie erhobenen oberen Normgrenzen und die Standardabweichungen. Die Population (n=60) setzt sich aus gesunden Normalpersonen und Patienten mit Läsionen peripherer Nerven oder lumbalen Bandscheibenläsionen zusammen.
3.2.6
Auffallend konfigurierte Potenziale bei Normalpersonen
In Lehrbüchern werden in der Regel besonders gut ausgeprägte Potenziale abgebildet. Erfahrungsgemäß können in der Laborrealität jedoch auch bei optimaler Ableitetechnik atypisch konfigurierte Potenziale zu Schwierigkeiten bei der Interpreta-
tion der Befunde führen. Im Folgenden sollen derartige, am häufigsten auftretende Befunde kurz illustriert werden. In ⊡ Abb. 3.14 sind die replizierten Kurven nach fovealer, transienter und Steady-state-Reizung bei einer 54-jährigen gesunden Normalperson abgebildet. Unter fovealer Reizung (oben) fehlt eine eindeutig positive Auslenkung, gut zu erkennen ist nur die nachfolgende N140. Unter transienter Schachbrettreizung (Mitte) sind die Potenziale schlecht ausgeprägt. Erst unter Steady-state-Reizung (unten) finden sich normal konfigurierte Potenziale. Hier ist es von Vorteil, dass mehrere Reizformen verwendet wurden. Die Ursache der atypischen Konfiguration liegt in der Regel in der individuellen Anatomie des okzipitalen Kortex (Celesia 1993). Nach unserer Erfahrung ist allerdings eine fehlende P100 bei transienter Reizung in unter 0,1% der Probanden zu erwarten. Der Befund wurde als Normalbefund gewertet. ⊡ Abbilddung 3.15 zeigt ebenfalls eine Ableitung bei einer gesunden Normalperson. Hier fällt nach transienter Ganzfeldreizung die beidseitig stark ausgeprägte negative Komponente N75 auf.
⊡ Tabelle 3.1. Laborinterne Normwerte der Tübinger Neurologie in den neunziger Jahren. Obere Normgrenzen der Latenz von P100 (Mittelwert x und drei Standardabweichungen ) sowie Mittelwerte der Amplituden N75-P100 mit Standardabweichungen. Ganz rechts die obere Normgrenzen für die interokularen Latenzdifferenzen
Reizform
Latenz
Amplitude
Kästchengröße
x+3σ
σ
Foveal 22,5’
124
3,4
SB trans 22,5’
119
SB trans 45’
Delta L rechts/links σ
x+3σ
4,1
3,8
11 ms
2,1
9,5
6,4
11 ms
121
2,1
8,8
5,4
14 ms
ST-ST 22,5’
123
2,7
10,4
6,2
12 ms
Streifen 2,7 cycl/d
121
3,8
10,4
5,3
18 ms
Streifen 10,7 cycl/d
keine Normwerte, nur Feststellung, ob P100 evoziert
Halbfeld temporal
125
4,2
5,9
3,7
25 ms
Halbfeld nasal
119
4,1
6,5
3,5
19 ms
x+3σ
281 3.2 · Das normale VEP
3
⊡ Abb. 3.14. Atypisch konfigurierte Schachbrettmusterumkehrpotenziale bei einer gesunden Normalperson. Unter fovealer Stimulation (oben) fehlt eine P100, erkennbar ist lediglich N140. Unter SB-trans (Mitte) sind die Potenziale schlecht ausgeprägt, aber unter Steady-state (unten) sind die VEP unauffällig
Auch dieser Befund ist als Normalbefund zu werten. Wichtig ist in diesem Fall jedoch, sich zu vergewissern, dass die Polarität der Elektroden nicht verwechselt wurde. Die Konfiguration der Potenziale unter Steady-state Reizung (unten) lässt einen derartigen Ableitefehler ausschließen.
Bei Gesunden kommt es in 1–2% der Ableitungen zu einer doppelgipfeligen P100, der sog. WForm (⊡ Abb. 3.16, obere Kurve). Tritt die W-Form beidseitig auf und ist die Latenz der zweiten positiven W-Auslenkung noch innerhalb des Normbereichs, kann man in der Regel von einem
3 282 Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.15. Atypisch konfigurierte Potenziale mit ungewöhnlich hochamplitudiger N75 unter SB-trans Reizung. Auch nach Steady-state Reizung zeigt sich diese Komponente noch durch eine frühe negative Exkursion
283 3.2 · Das normale VEP
3
⊡ Abb. 3.16. W-Form der P100 bei Ableitung gegen eine frontopolare Referenz (oben). Beide Peaks sind noch im
Normbereich. Nach Ableitung gegen Mastoid ist die W-Form nicht mehr nachweisbar
Normalbefund ausgehen. Topographische Multielektrodenableitungen haben gezeigt, dass die Ursache die Überlagerung der okzipitalen P100 durch eine negative Welle im Bereich des frontalen Kortex ist, die bei Ableitung gegen eine frontale Referenz erst sichtbar wird. Die frontale N100 weist dabei meist eine um etwa 5–10 ms kürzere Latenz auf (Spitz et al. 1986). Durch Ableitung gegen eine Mastoidreferenz kann dann häufig eine eingipflige P100 erzielt werden (⊡ Abb. 3.16, untere Kurve). Tritt die W-Form reproduzierbar unter Verwendung beider Referenzelektroden auf, besteht bei diesem Befund der Verdacht auf eine bilateral abgelaufene fokale Demyelinisierung mit partieller Verlangsamung der Leitfähigkeit einer Fasersubpopulation (Abschn. 3.4.2). So war in einer
Untersuchung von Marra (1990) die W-Form immerhin bei 21% der Patienten mit wahrscheinlicher multipler Sklerose (MS) nachweisbar. Manche Autoren bestimmen die Latenz der P100 dadurch, dass der absteigende Schenkel der N75 und der aufsteigende Schenkel von N140 nach unten verlängert werden und der Schnittpunkt der beiden Geraden als P100 definiert wird. Dieses Verfahren scheint uns unsicher. Wir vermeiden im Zweifelsfall eine klare Zuordnung der Latenz und beschreiben die Potenzialkonfiguration und die dabei auftretenden Latenzen. Akutelle Erfahrungen der Tübinger Neurologie und Freiburger Augenklinink zeigen, dass die W-Form äußerst selten auftritt, insbesondere nicht bei allen Karogrößen.
284
3.2.7
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Reproduzierbarkeit des VEP
Die Reproduzierbarkeit betreffende Untersuchungen variieren in der Literatur stark. Meienberg et al. (1979) leiteten bei 10 Versuchspersonen musterumkehrevozierte Potenziale über eine Gesamtdauer von 17 min ab. Es wurden jeweils 64 Antworten gemittelt. Dabei blieb die Latenz von P100 unverändert, die anderen Komponenten wiesen jedoch große Variationen auf. In einer zweiten Studie wurden bei 20 Versuchspersonen die VEP insgesamt 12-mal in 14-tägigem Abstand abgeleitet. Dabei ergaben sich intraindividuelle Latenzdifferenzen bis zu 5 ms. In Untersuchungen der Tübinger Neurologie (Diener u. Scheibler 1980) wurden bei 14 gesunden Normalpersonen die VEP 2-mal innerhalb von 2–4 Wochen abgeleitet. Die mittlere Latenzdifferenz und Standardabweichung zwischen der ersten und zweiten Untersuchung betrug 2,64±2,48 ms für die Schachbrettstimulation. Wir nehmen daher signifikante Veränderungen der VEP bei Wiederholung nur an, wenn bei Schachbrettstimulation eine Änderung von mehr als 10 ms auftritt. Zum gleichen Ergebnis kommt Hacke (1985) anhand von Messungen bei 35 Probanden und testtheoretischer Analyse. Oken et al. (1987) empfehlen aufgrund ihrer Daten, eine signifikante Änderung der Latenz erst ab 12 ms anzunehmen. Hacke (1985) zeigt in seiner Untersuchung auch, dass unterschiedliche Vorinformationen die Latenzberechnung und die Interpretation des Befundes beeinflussen können. Diese Fehlerquelle ist »auswerterspezifisch« und sollte durch entsprechende Ausbildung vermeidbar sein. Aunon u. Cantor (1977) ließen bei ihren Versuchspersonen die VEP wiederholt in ihrem Labor und zum Vergleich in vier anderen Laboratorien untersuchen. Die Variation der Latenzen war zwischen den einzelnen Laboratorien doppelt so hoch wie innerhalb des eigenen Labors. Diese Versuche unterstützen die Forderung, dass jedes VEP-Labor seine Normwerte an einer entsprechenden Normalpopulation selbst erarbeiten muss.
3.2.8
Praktischer Untersuchungsgang in einem VEP-Labor
Eine VEP-Untersuchung sollte nur bei entsprechender Indikation erfolgen. Die Aussagekraft der VEP-Untersuchung hängt entscheidend von der Präzision der Frage ab, die der zuweisende Arzt an das VEP-Labor stellt. Die klare Fragestellung kann durch entsprechende Anforderungsformulare erleichtert werden. Bei der in einer neurologischen Praxis oder Klinik am häufigsten auftretenden Frage nach einer Demyelinisierung untersuchen wir routinemäßig die VEP unter fovealer Stimulation, unter transienter Schachbrettreizung mit kleinen Karos (0,4°) und unter Steady-state-Reizung, ebenfalls mit kleinen Karos. Selbstverständlich muss die Reizung grundsätzlich monokular und mit möglichst gut ausgeglichener Refraktion (Brille) erfolgen. Wir beginnen mit der fovealen Reizung, da hier die höchste Konzentration des Patienten erforderlich ist, anschließend erfolgen die transiente und die Steady-state-Reizung. Besteht die Frage nach einer Objektivierung des Visus, reizen wir mit transienten Schachbrettmustern mit kleinen (0,4°) und großen Karos (0,8°) sowie mit breiten und schmalen Streifen. Bei der Frage nach Gesichtsfelddefekten untersuchen wir mit transienter Reizung (kleine Karos, 0,4°) und Halbfeldreizung. VEP bei hochgradigem Visusverlust (Visus <0,1) sowie Untersuchungen bei nicht kooperationsfähigen Patienten erfolgen mit Hilfe von blitzevozierten Potenzialen. Grundsätzlich muss jeder Befund mindestens einmal repliziert werden. Ist er bei der Replikation nicht mehr pathologisch, gilt der Spruch »im Zweifel für den Angeklagten« und der Befund wird als Normalbefund gewertet. Entscheidend für die Qualität der Laborarbeit ist auch die Kontrolle von Befunden durch klinisches Feedback. Fehlende Angabe der Verdachtsdiagnose oder fehlende klinische Angaben (Gesichtsfelddefekte, Visus) sollten nicht toleriert werden. Die ableitende MTA gewinnt durch enge Kopplung von klinischer Information und elektrophysiologischen Befunden Erfahrung. Es hat sich seit Jahren sehr bewährt, dass die ableitende MTA und auswertende Ärzte die Befund-
285 3.2 · Das normale VEP
erhebung gemeinsam durchführen. So können einerseits Informationen zu Erschwernissen bei der Ableitung schnell mitgeteilt und andererseits technische Unzulänglichkeiten rasch rückgemeldet werden. ! Jeder Befund muss mindestens einmal repli-
ziert werden.
3.2.9
Das multifokale VEP
Eine neue Methode für die objektive Perimetrie ist das multifokale VEP (mfVEP). Wie beim multifokalen ERG (mfERG, Abschn. 3.11.8) wird es durch eine geeignete Reizmustersteuerung und Analysetechnik möglich, simultan die VEP-Antwort vieler Gesichtsfeldorte zu vergleichen, obwohl nur eine Elektrode verwendet wird (Sutter u. Tran 1992; Baseler et al. 1994).
3
Für das VEP wird dazu ein »Dartboard-Muster« verwendet (⊡ Abb. 3.17a). Da dessen Elementgröße mit der Exzentrizität stark zunimmt, lassen sich auch noch bei über 20° Exzentrizität VEP-Antworten nachweisen (Klistorner u. Graham 1999; Hood et al. 2000b). Wenn das zuverlässig funktioniert, eröffnen sich damit aufregende Möglichkeiten. So wurden enge Korrelationen zwischen (glaukomatösen und traumatischen) Gesichtsfeldausfällen und den entsprechenden lokalen mfVEP-Antworten berichtet (Klistorner et al. 1998). Leider zeigt (nicht nur in unseren Händen) das mfVEP allerdings auch bei Normalpersonen keineswegs an allen vom Reiz überdeckten Gesichtsfeldorten deutliche Antworten, dies ist wahrscheinlich auf die interindividuell stark schwankende Form und Faltung des primären visuellen Kortex (V1) zurückzuführen (Stensaas et al. 1974; Hasnain et al. 1998); manche Gebiete in V1 sind so »unglücklich«
a ⊡ Abb. 3.17a, b. Multifokales VEP. a Reizmuster, b Ergebniskurven. a Reizmuster für das multifokale VEP. Das DartboardMuster links ist in 60 Sektoren zu 4*4 leicht verzerrten Karos aufgeteilt. Bei jedem Schritt der m-Sequenz werden die Hälfte aller Sektoren, aber jedes Mal in anderer Kombination, im Kontrast invertiert (Beispiel rechts). Der Betrachter sieht ein scheinbar regellos flackerndes Muster. b Aus der Kenntnis der zugrunde liegenden m-Sequenz kann die lokale VEP-Antwort rückgerechnet werden. Hier sind die VEP-Kurven geographisch entsprechend dem gereizten Gesichtsfeldort angeordnet (mit einer Vergrößerung im Zentrum, damit die Kurven sich nicht überlagern). Man erkennt: An vielen Gesichtsfeldor-
ten entstehen klare VEP-Antworten, sie unterscheiden sich stark in Amplitude und Form, oberhalb und unterhalb des horizontalen Meridians tritt eine Umpolung auf (insbesondere oben links, bei vertikaler bipolarer Ableitung wie oben rechts angedeutet); dies ist Folge der kortikalen Einfaltung und Invertierung des generierenden Dipols. Durch weitere Montagen (z. B. horizontal bipolar, unten links) kann an den Orten, wo aufgrund der kortikalen Einfaltung auf die Elektroden kein Signal projiziert wurde, eine deutliche Antwort erhalten werden (unten rechts). Idealerweise kombiniert man verschiedene Elektrodenmontagen
286
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.17b
orientiert, dass sie ihre Aktivierung nicht auf die Ableitelektroden projizieren. Durch Re-Referenzierung der Messelektroden (Klistorner et al. 2000; Hood et al. 2002b) sowie Kombination von Onsetund Reversalreizen (Hoffmann et al. 2003) haben sich bereits vielversprechende Ansätze zur Verbesserung ergeben. ⊡ Abbildung 3.17b zeigt, dass weitere Ableitungen ein solches »Loch« auffüllen können. Die klinische Anwendbarkeit ist noch unklar, vorgeschlagen wurden interokularer Vergleich bei Glaukom (Hood et al. 2000b) sowie Erfassung von Gesichtsfeldausfällen bei Glaukom (Graham et al. 1999). Grundsätzlich bleibt zu hoffen, dass eine Weiterentwickung des mfVEP endlich ein »objektives Gesichtsfeld« ermöglichen wird.
3.3
Pathophysiologie des VEP
3.3.1
Reizspezifität
Viele pathologische VEP-Befunde lassen sich aus der Kenntnis der Physiologie und Pathophysiologie des visuellen Systems ableiten. Dabei ist es wichtig zu wissen, welche Anteile des visuellen Systems bei den verschiedenen Reizarten überwiegend erfasst werden. So wird ein feinstrukturierter Reiz vor allem foveale Ganglienzellen erregen, deren Axone nur dünn bemarkt sind, deshalb langsamer leiten und für demyelinisierende Erkrankungen vulnerabler zu sein scheinen (Abschn. 3.4.2). Grobstrukturierte Reize mit großem Reizfeld hingegen erregen die schneller leitenden, parazentral gelegenen Ganglienzellen. Hochfrequente Steady-state-Reize wiederum erregen stärker die bewegungsempfindlichen visuellen Kanäle und sollen bevorzugt Er-
287 3.3 · Pathophysiologie des VEP
krankungen detektieren, die zu verlängerten Refraktärzeiten führen (Regan u. Neima 1984). Andere selektive Verfahren wie Farbreizung, Binokularreizung und skotopische Reize haben aus methodischen Gründen bisher keine Bedeutung in der klinischen VEP-Diagnostik erlangt. Da die in der Praxis verwendeten VEP-Reize in der Regel nicht eine funktionelle oder anatomische Einheit isoliert erregen und die Erkrankungen der visuellen Afferenz meist mehrere Systeme betreffen, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, sind die pathologischen Veränderungen meist unter mehreren Reizbedingungen zu finden.
3.3.2
Topische Zuordnung von Läsionen
Die topische Zuordnung von Läsionen der visuellen Afferenz gelingt nur begrenzt. Mit Halbfeldstimulation kann zwischen einer prächiasmatischen und retrochiasmatischen Läsion differenziert werden, jedoch sind in der Regel die psychophysischen Methoden mit Gesichtsfeldbestimmung weit überlegen (Abschn. 3.5.1). Erschwert wird die Bewertung der Halbfeldpotenziale dadurch, dass bereits bei Gesunden die Potenziale nach Reizung des rechten oder des linken Halbfelds sehr variabel sind (Abe u. Kuroiwa 1990). Eine sichere Zuordnung der Potenzialkomponenten zu den unterschiedlichen Schaltstationen der zentralen Sehbahn wie es für die AEHP möglich ist gelingt beim visuellen System nicht, da Potenzialantworten vom Corpus geniculatum laterale nicht abgeleitet werden können. Aussichtsreich scheint die Kombination von Musterelektroretinogramm und VEP. Bei Einsatz beider Methoden kann häufig zwischen Erkrankungen der Netzhaut, des Sehnervs und der retrochiasmatischen Abschnitte differenziert werden (Abschn. 3.12; Celesia 1993). ! Das VEP allein kann zwischen retinalen Erkran-
kungen, Läsionen des Sehnerven und retrochiasmatischen Läsionen nicht unterscheiden.
3.3.3
3
Latenzverzögerung und Amplitudenminderung des VEP
Grundsätzlich gibt das VEP Auskunft über die Anzahl der leitenden Fasern (Amplitude) und über den Zustand der Markscheiden (Latenz). Latenzverzögerungen und Amplitudenminderungen des VEP können auf mehrere Arten zustande kommen. Ophthalmologische Ursachen sind Trübungen der brechenden Medien und ausgeprägte Miosis, die zu einer Verminderung der Leuchtdichte des Reizes auf der Retina führen. Es kommt hierdurch zu stärkerer Amplitudenminderung und leichter Latenzverzögerung. Refraktionsanomalien führen zu Verminderungen des Kontrasts und damit v. a. zur Amplitudenminderung. Wie zu erwarten, betreffen diese Veränderungen in gleicher Weise das in der Ganglienzellschicht der Netzhaut generierte Muster-ERG und das VEP. Die wichtigste Ursache der Latenzverzögerung ist die örtlich begrenzte Demyelinisierung, bei der in der Regel die Kontinuität des Axons erhalten bleibt. Sie führt durch Verlust der saltatorischen Erregungsleitung zu einer fokal begrenzten Verlangsamung der Erregungsfortleitung. ! Die wichtigste Ursache der Latenzverzögerung
ist die örtlich begrenzte Demyelinisierung.
Betrifft die Entmarkung alle Fasern des Sehnervs (fokale Querschnittdemyelinisierung), so kann es zum Bild eines normal geformten »spitzen« Potenzials mit deutlicher Latenzverzögerung kommen. Ist nur ein Teil der Fasern betroffen (dissoziierte Leitungsverzögerung), so tritt durch die zeitliche Dispersion der Impulsleitung das Bild eines »plumpen« Potenzials oder einer W-Form auf (Abschn. 3.2.6), wobei häufig auch die Amplitude der P100 gemindert ist. Bei ausgedehnterer Entmarkung kann ein völliger Leitungsblock mit Erlöschen des Potenzials entstehen. Die zuweilen zu beobachtende schnelle Erholung der VEP-Amplitude bei entzündlichen Erkrankungen des Sehnervs beruht auf der Reversibilität des Leitungsblocks, wenn das in der akuten Phase bestehende perifokale Ödem abklingt. Tückisch sind die sog. »Pseudolatenzverzögerungen« bei Ausfall der parafovealen Fasern. Da foveale Fasern aufgrund ihrer geringeren Bemar-
288
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
kung langsamer leiten als die parafovealen, kann der Ausfall parafovealer Fasern beim Ganzfeldreiz zu einer »Demaskierung« der fovealen Potenziale mit längerer Latenz führen und so eine Latenzverzögerung bzw.«Demyelinisierung« vortäuschen. Eine getrennte Ableitung von fovealen VEP und Ganzfeld-VEP wird diesen Fehler rasch aufdecken, da im diskutierten Fall foveale VEP und GanzfeldVEP weitgehend identisch sein müssen.
3.3.4
Ursachen der Demyelini sierung und der axonalen Degeneration
Als Ursachen einer Demyelinisierung kommen neben multipler Sklerose (MS) und Retrobulbärneuritis (RBN) auch andere entzündliche Erkrankungen (z. B. Lues), immunologische Erkrankungen (z. B. Sjögren-Syndrom, Sarkoidose), toxisch metabolische Prozesse (z. B. funikuläre Myelose) und auch Neurodegenerationen in Frage. Darüber hinaus kann chronische Druckwirkung im Randgebiet von Tumoren oder an der Sehnervpapille beim Glaukom zur umschriebenen Demyelinisierung führen (Abschn. 3.12.3). Ein Beispiel einer ausgeprägten bilateralen Latenzverzögerung, die nicht durch eine MS bedingt ist, ist in ⊡ Abb. 3.18 dargestellt. Dieser Patient litt unter einer ausgeprägten funikulären Myelose, die auch zu einer Markscheidenschädigung des Sehnervs führ-
te. Nach Vitamin-B12-Gabe sind derartige Latenzverzögerungen häufig rückläufig (Abschn. 3.8.1). ! Der Befund einer latenzverzögerten P100 wird
bei verschiedenen Erkrankungen beobachtet und ist keinesfalls spezifisch für die multiple Sklerose.
Axonale Degeneration tritt nicht nur durch chronische Ischämie oder Kompression des N. optikus ein, sondern findet sich u. a. auch bei spinozerebellären Erkrankungen (z. B. bei der Friedreich-Ataxie), bei Tabak-Alkohol-Amblyopie oder als Folge von ausgedehnter Demyelinisierung. Es ist sehr wichtig, sich bei der Befundung von VEP darüber im klaren zu sein, dass der Befund der Latenzverzögerung von P100 durch ganz unterschiedliche Krankheitsbilder verursacht werden kann. Eine verzögerte P100 ist nicht spezifisch für MS oder RBN. Es wird auch klar, dass man nicht uneingeschränkt die Latenzverzögerung einer Demyelinisierung und Amplitudenminderung einem Verlust leitender Sehnervfasern gleichsetzen darf.
3.3.5
Pathophysiologie der Latenzverzögerung bei demyelinisierenden Erkrankungen
Die Entstehung der Latenzverzögerungen bei demyelinisierenden Erkrankungen, also insbesonde-
⊡ Abb. 3.18. Beidseitig deutliche Latenzverzögerung der P100 (hier als P1 bezeichnet) nach transienter Schachbrettreizung bei einem Patienten mit funikulärer Myelose
289 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
re bei RBN und MS wird allgemein auf die umschriebene Demyelinisierung von Fasern zurückgeführt. In tierexperimentellen Untersuchungen mit fokaler Demyelinisierung konnte McDonald 1977 in demyelinisierten Fasern den Leitungsblock und bei weniger ausgedehnter Demyelinisierung verminderte Leitgeschwindigkeit und verlängerte Refraktärzeit nachweisen. Fasern, die außerhalb der Demyelinisierungszone waren, zeigten dagegen ganz normale Eigenschaften. In autoptischen Untersuchungen an Sehnerven verstorbener MS-Patienten fand McDonald (1977) Markscheidenläsionen über Strecken zwischen 3 und 30 mm. Bei einer Internodaldistanz von 200 µm finden sich auf 10 mm Länge 50 Internodien. Eine normale Internodalzeit (bei saltatorischer Erregungsleitung) beträgt etwa 20 µs, d. h. die Erregungsleitung erfolgt mit 1 cm/ms, entsprechend einer Leitgeschwindigkeit von 10 m/s. In entmarkten Fasern ist die Erregungsfortleitung um den Faktor 25 langsamer, so dass zur Überwindung von 10 mm entmarkter Strecke 25 ms benötigt werden. ! Die bei Patienten mit MS beobachtete Latenz-
verzögerung der P100 lässt sich durch Demyelinisierung nur teilweise erklären.
Blumhardt (1986) weist zu Recht darauf hin, dass die Demyelinisierung nicht allein für die beobachteten extremen Latenzverzögerungen von bis zu 100 ms verantwortlich gemacht werden kann. Er nimmt eine multifaktorielle Genese der Latenzverzögerung an: Neben der »wahren« Verzögerung der Leitgeschwindigkeit durch Demyelinisierung kann es durch Änderung der VEP-Konfiguration zur Demaskierung späterer VEP-Komponenten kommen, die dann als »falsche« P100 interpretiert werden. Blumhardt stellt die diagnostische Signifikanz der Latenzverzögerung bei demyelinsierenden Erkrankungen nicht in Frage. Eine einfache, lineare Korrelation zwischen Stärke der Latenzverzögerung und Ausdehnung der Demyelinisierung ist aber nicht anzunehmen.
3.4
3
VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
Für den Kliniker ist der Nachweis oder der Ausschluss von Entmarkungsvorgängen im visuellen System das Hauptindikationsgebiet zur Verwendung der VEP. Dabei ist ein entscheidender Vorteil der Methode, dass nicht nur die klinisch manifesten, sondern in einem hohen Prozentsatz auch asymptomatisch abgelaufene Demyelinisierungen objektiviert werden können. Das wesentliche VEP-Kriterium für die abgelaufene Markscheidenschädigung ist die Latenzverlängerung von P100. Dies betrifft gleichermaßen die monosymptomatische RBN wie die MS, wobei letztere bekanntlich auch ohne anamnestisch fassbare Sehnervenschädigung ablaufen kann.
3.4.1
VEP bei Retrobulbärneuritis
Klinik Bei Patienten mit dem klinisch manifesten Bild einer RBN kommt es meist akut zu einem ausgeprägten, einseitigen Visusverfall. Bei vielen Kranken bestehen darüber hinaus Schmerzen bei Augenbewegungen, Gesichtsfeldausfälle und ein relativer afferenter Pupillendefekt. Der Augenhintergrund ist in diesem Stadium zumeist unauffällig, gelegentlich wird ein Papillenödem beobachtet. Der typische Verlauf der Retrobulbärneuritis ist durch ein wenige Tage dauerndes akutes Stadium der Progredienz und danach rasche Remission der Symptome innerhalb von vier Wochen charakterisiert. Verbesserungen des Visus werden noch bis ein Jahr nach Retrobulbärneuritis beobachtet. Residuen mit Visusminderung um mehr als 50% sind nur bei 10% der Patienten zu erwarten (Beck 1998). Häufiger bleibt jedoch eine leichte Störung des Farbsinns bestehen (Bradley u. Whitty 1967).
Prognose Die Prognose ist bei einer einmaligen Attacke offen und die Diagnose MS aus dem Solitärsymptom keinesfalls zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit, eine klinisch sichere MS nach isolierter RBN zu entwickeln, steigt mit
290
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
der Dauer des Beobachtungsintervalls (10 Jahre: 39%, 20 Jahre: 49%, 30 Jahre: 54%, 40 Jahre: 60%; Rodriguez et al. 1995). Frauen haben ein höheres Risiko als Männer (2:1), ebenso Träger von HLA-DR2 sowie Patienten mit bereits initial positiven oligoklonalen Banden (Hickman et al. 2002). Nach jüngeren Untersuchungen ist der stärkste Prädiktor für die Entwicklung einer MS der kernspintomographische Nachweis (asymptomatischer) Marklagerläsionen, die bei isolierter Retrobulbärneuritis in etwa 60% beobachtet werden (Martinelli et al. 1991; Frederiksen et al. 1991; Frederiksen et al. 1996). So erfüllten 51% der Patienten mit mindestens drei Läsionen innerhalb von fünf Jahren die Diagnosekriterien einer klinisch sicheren MS, während nur 16% der Patienten ohne bildmorphologische Hinweise auf Entmarkungsherde im selben Intervall eine MS entwickelten (Optic Neuritis Study Group 1997). Anders als die Kernspintomographie ist die Ableitung somatosensorisch oder akustisch evozierter Potenziale bei Patienten mit isolierter RBN nur in 10–20% der Fälle pathologisch. Die deutlich überlegene Sensitivität und Prädiktionskraft der Kernspintomographie ist die Ursache eines bereits weitgehend vollzogenen Paradigmenwechsels in der Diagnostik der MS: Sie gründet sich heute v. a. auf kernspintomographische Kriterien und verlässt evozierte Potenziale (Kap. 5). ! Die VEP bei Retrobulbärneuritis sind fast im-
mer pathologisch. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer RBN eine MS zu entwickeln, lässt sich jedoch durch evozierte Potenziale nicht zuverlässig abschätzen (Kap. 5). Für diese Fragestellung ist die kernspintomographische Evaluation disseminierter Marklagerläsionen entscheidend.
Durchführung der VEP und Diagnose Rouher et al. (1969) beschrieben erstmals Veränderungen der blitzevozierten Potenziale bei RBN mit Amplitudenminderung und Potenzialverplumpung. Aber erst Halliday et al. (1972, 1973a, 1976) haben durch Einführung der Schachbrettmusterstimulation und Nachweis der Latenzverzögerung von P100 um bis zu 60 ms das entscheidende Kri-
terium der Demyelinisierung erkannt und die Grundlage der bis heute wichtigsten klinischen Anwendung der VEP-Untersuchung geschaffen. Ihren Untersuchungen entsprechend sind in der elektrophysiologischen Diagnostik der RBN die musterevozierten Potenziale nach transienter oder Steadystate-Reizung den blitzevozierten Potenzialen an diagnostischer Treffsicherheit deutlich überlegen. Nur in der akuten Phase bei einem Visus <0,1 können blitzevozierte Potenziale von Vorteil sein, da sich mit dieser Reizmethode dann häufig noch ein Potenzial auslösen lässt, während schachbrettmusterevozierte Potenziale meist erloschen sind. Die Überlegenheit der musterevozierten gegenüber den blitzevozierten Potenzialen in der Diagnostik der RBN wird durch zwei Faktoren bestimmt: Die Standardabweichungen der Latenzen der blitzevozierten Potenziale sind schon bei normalen Versuchspersonen mehr als 3-mal so hoch wie bei musterevozierten Potenzialen (Halliday et al. 1979). Außerdem konnte in mehreren Studien übereinstimmend gezeigt werden, dass die Latenzverzögerung bei RBN nach Blitzstimulation im Mittel geringer ist als nach Musterstimulation (Wildberger 1976; Maugière et al. 1979; Harding et al. 1980). Die Überlegenheit der Musterstimulation gegenüber der Blitzstimulation in der Diagnostik der RBN illustrieren eindrucksvoll die ⊡ Abb. 3.19a und b. Während sich bei Blitzstimulation die standardisierten Gauß-Verteilungskurven der Latenz von P100 bei Patientenaugen mit RBN und gesunden Kontrollpersonen in einem großen Bereich überschneiden (⊡ Abb. 3.19a), kommt es nach Musterstimulation zu einem deutlicheren Unterschied in den Verteilungskurve der Latenzen in beiden Populationen (⊡ Abb. 3.19b). ! Leitsymptom der frischen Retrobulbärneuritis
(RBN) mit herabgesetztem Visus ist die Amplitudenminderung nach Schachbrettreizung.
Dabei korreliert die Amplitudenminderung, nicht jedoch die Latenzverzögerung mit dem psychophysisch bestimmten Visus (Halliday et al. 1973b; Jones 1993). Dies zeigt die in ⊡ Abb. 3.20 dargestellte Verlaufsuntersuchung einer protrahiert verlaufenden RBN am rechten Auge (rechte Spalte). Erst bei einem Visusabfall auf 0,05 kommt es zu einer deutlichen Amplitudenreduktion, die Latenzverzö-
291 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
a
3
b
⊡ Abb. 3.19a, b. Gauss-Verteilungskurven für die Latenzen von P100 bei Blitzreizung (a) und Musterreizung (b) bei Patienten mit einseitiger Retrobulbärneuritis (schraffiert) und bei einer gesunden Vergleichsgruppe (gepunktet). Aufgrund
der geringeren Standardabweichung der Latenzen bei den gesunden Kontrollen unterscheidet die Musterumkehrstimulation zwischen beiden Kollektiven deutlich besser. (Mod. nach Halliday 1982)
⊡ Abb. 3.20. Transiente schachbrettmusterevozierte Potenziale eines 29-jährigen Mannes mit akuter Retrobulbärneuritis rechts. Linke Bildhälfte: linkes Auge; rechte Bildhälfte: rechtes Auge. Die schwarzen Pfeile markieren die P100, die gestrichelten Linien die oberen Normgrenzen von P100. Mit
zunehmendem Visusverfall kommt es zur Amplitudenminderung, nach Abklingen der akuten Phase bleibt ein latenzverzögertes, plumpes Potenzial mit fast normalisierter Amplitude bestehen
292
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
gerung ist zu Beginn nicht sehr ausgeprägt. Nach Abklingen der RBN (27. Tag, unterste Reihe) bleiben eine massive Latenzverzögerung und ein plumpes Potenzial bestehen. Die Amplitudenzunahme ist hier durch die Remyelinisierung oder auch durch Restitution von Ionenkanälen in den Internodien bedingt, wobei aber offenbar eine langsamere Nervenleitgeschwindigkeit bestehen bleibt. Ein gelegentlich zu beobachtendes Phänomen ist die Mitreaktion des gesunden Auges im Verlauf einer RBN. So ist in ⊡ Abb. 3.20 bei Reizung des nichtbetroffenen linken Auges am 15. Tag eine diskrete Latenzverlängerung und Amplitudenminderung von P100 nachweisbar, die jedoch noch innerhalb der Norm liegt. Die Ursache dieser Mitreaktion ist bislang nicht geklärt. Diskutiert werden
⊡ Abb. 3.21. Transiente VEP nach Schachbrettmuster und Steady-state-Reizung bei einer gesunden Vergleichsperson (oben) und bei einem Patienten nach einer Retrobulbärneu-
eine Dissemination der Entzündung, aber auch der Einfluss anderenorts freigesetzter Zytokine, die den gesunden Sehnerv subklinisch beeinträchtigen (Chiappa 1990; Jones 1993; Brusa et al. 1999). Miller et al. (1988) fanden in 27% pathologisch verzögerte VEP am gesunden Partnerauge und bei 20% dazu korrelierend Entmarkungszonen im Kernspintomogramm. ! Leitsymptom nach Abklingen der akuten Pha-
se der RBN sind die deutlichen Latenzverzögerungen von P100 bei normalisiert hohen Amplituden. ⊡ Abbildung 3.21 zeigt den typischen Befund nach Ablauf einer RBN: Es kommt zu normal hohen Amplituden, jedoch deutlichen Latenzverzögerungen.
ritis beidseits (unten). Die senkrechten Linien kennzeichnen die Obergrenzen für die Latenzen von P100 (schwarze Pfeile)
293 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
Innerhalb der ersten sechs Monate findet man bei über 90% der klinisch betroffenen Augen pathologische Latenzverzögerungen (Jones 1993; Brusa et al. 2001). Langzeitverläufe zeigen, dass sich die Latenzen der P100 im ersten Jahr nach durchgemachter RBN deutlich, im zweiten Jahr nur noch gering erholen, bevor sie im dritten Jahr ein weitgehend stabiles Niveau erreichen (Brusa et al. 2001). Bei etwa 20% der Patienten mit initialer Latenzverzögerung ist nach zwei Jahren eine Befundnormalisierung zu beobachten (Jones 1993; Heinrichs u. McLean 1988), bei den meisten bestehen jedoch trotz des zumeist gut restituierten Visus Latenzverzögerungen fort. Es ist also davon auszugehen, dass reparative Mechanismen mit Remyelinisierung der Fasern erstaunlich langsam, zumeist unvollständig ablaufen. Vergleicht man die Sensitivität der Muster-VEP-Untersuchung mit derjenigen von MRI-Untersuchungen, so zeigt sich, dass das VEP unmittelbar nach einer frischen RBN mit über 90% pathologischer Befunde (Miller et al. 1988) ähnlich sensitiv ist wie moderne MRI-Techniken. So fanden Kupersmith et al. (2002) in einer kernspintomographischen Untersuchung bei 101 von 107 Patienten (94%) pathologische Kontrastmittelaufnahmen der Sehnerven der betroffenen Augen.
3.4.2
VEP bei multipler Sklerose
Die Diagnostik der MS basiert heute, anders als noch vor wenigen Jahren, v. a. auf dem kernspintomographischen Nachweis zeitlich und örtlich disseminierter Entmarkungsherde (vgl. Kap 5; »McDonald Kriterien«; McDonald et al. 2001). Dennoch leisten die VEP in der Diagnostik der MS nach wie vor einen wesentlichen Beitrag, indem sie klinisch stumme Entmarkungsherde im Bereich der visuellen Afferenz nachweisen können. Diese bleiben gelegentlich auch der MRI verborgen und belegen den demyelinisierenden Charakter der Läsion. ! Grundsätzlich entsprechen die VEP-Befun-
de bei MS denen nach abgelaufener RBN. Leitsymptom ist die Latenzverzögerung von P100.
3
Wie in Abschn. 3.3.3 dargelegt, ist jedoch die Latenzverzögerung der P100 ein unspezifischer Befund, der auch bei zahlreichen anderen neurologischen, ophthalmologischen und internistischen Erkrankungen beobachtet wird. Die Wertigkeit der VEP in der Diagnostik der MS im Vergleich zu anderen EP-Methoden, zur Kernspintomographie und zur Liquoruntersuchung wird in Kap. 5 dargestellt.
Sensitivität der musterevozierten Potenziale bei MS Die Inzidenz pathologischer VEP-Befunde steigt mit der Schwere der Erkrankung und der Sicherheit der Diagnose. In ⊡ Abb. 5.1 (Kap. 5) sind kumulierte Daten aus 23 Studien zusammengefasst (Literaturzitate aus Kap. 5, ⊡ Tabelle 5.1). Die Patienten wurden entsprechend klinischer Klassifikationen (McAlpine et al. 1972; Poser et al. 1983) in drei Gruppen eingeteilt: ▬ mögliche MS, ▬ wahrscheinliche MS und ▬ sichere MS. Bei sicherer MS finden sich in 82% der Fälle pathologische VEP, bei wahrscheinlicher MS in 72% und bei möglicher MS in 41%. Für die diagnostische Wertigkeit des VEP ist hier nicht hauptsächlich die Sensitivität von Bedeutung, sondern vielmehr die Information, die das VEP zusätzlich zum klinischen Befund erbringt: Ein pathologisches VEP bei einem MS-Patienten mit mehreren RBN in der Vergangenheit, temporal abgeblasster Papille und reduziertem Visus bringt keine Zusatzinformation. Mit anderen Worten, die Bedeutung der VEP für die Diagnose der MS hängt entscheidend von der Zuverlässigkeit ab, mit der klinisch stumme Herde entdeckt werden. Einer Metaanalyse zufolge weisen von allen elektrophysiologischen Verfahren die VEP mit Werten zwischen 25 und 83% die höchste Sensitivität bei Patienten mit klinischem Verdacht auf MS auf (Gronseth u. Ashman 2000). Ein Zusammenhang zwischen pathologischen SEP oder AEHP bei Patienten mit klinisch möglicher MS und der Entwicklung einer klinisch sicheren MS hingegen konnte nicht überzeugend belegt werden.
294
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
! Die VEP stellen den wichtigsten elektrophysio-
3
logischen Test in der Diagnostik der MS dar. Tatsächlich sind sie die einzigen evozierten Potenziale, die in den aktuellen Diagnosekriterien zur MS (McDonald-Kriterien) Berücksichtigung gefunden haben (vgl. Kap. 5).
Typische VEP-Befunde bei MS ⊡ Abbildung 3.22 zeigt den typischen VEP-Befund bei einem 21-jährigen Patienten mit klinisch sicherer MS. Nach drei Schüben ohne anamnestisch fassbare RBN ist das foveale VEP links ausgefallen, rechts latenzverzögert und amplitudengemindert, das transiente Ganzfeld-VEP links latenzverzögert, amplitudengemindert und schlecht evoziert, rechts deutlich verplumpt. ⊡ Abbildung 3.23 zeigt den VEP-Befund bei einer 50-jährigen Patientin mit einer seit 28 Jahren benigne verlaufenden, klinisch sicheren MS. Zwei Episoden mit jeweils links- oder rechtsseitiger RBN sind vor 20 Jahren abgelaufen. Jetzt finden sich beidseitig sehr ausgeprägte Latenzverzögerungen der P100 auf nahezu 200 ms. Das letzte Beispiel illustriert, warum man bei der Darstellung der Kurven ein Zeitintervall von mindestens 300 ms aufzeichnen soll.
Wert der zusätzlichen fovealen Reizung in der Diagnostik der MS Die dünn bemarkten fovealen Axone des papillomakulären Bündels sind bei demyelinisierenden Erkrankungen besonders häufig betroffen (Feinsod et al. 1973; Rinalduzzi et al. 2001). Aus diesem Grund kann bei MS durch zusätzliche Verwendung eines fovealen Reizes eine Verbesserung der Sensitivität erreicht werden. Zu beachten ist dabei, dass als adäquater Reiz der fovealen Ganglienzellen feinstrukturierte Reize, z. B. Muster mit kleiner Karogröße (<0,27°; Bodis-Wollner et al 1986) zu bevorzugen sind. Da die Axone der fovealen Ganglienzellen langsamer leiten als die der parafoveal gelegenen, entstehen längere Latenzen (Ogden u. Miller 1966; Hoffman u. Stone 1971). ⊡Abbildung 3.24 zeigt die Ableitung bei einem Patienten mit klinisch möglicher MS ohne klinische oder anamnestische Anhaltspunkte für Störungen der visuellen Afferenz. Nur nach fovealer
Stimulation (oberste Kurve) finden sich pathologisch verzögerte Potenziale. In einer vergleichenden Untersuchung in der Tübinger Neurologie zeigte sich, dass bei 51 Patienten mit klinisch möglicher MS 14 Patienten (27%) unter Ganzfeldreiz einen pathologischen Befund aufwiesen. Der zusätzliche Einsatz eines fovealen Reizes mit einer Schachbrettmustergröße von 22,5′ erbrachte bei weiteren 11 Patienten den Nachweis einer Latenzverzögerung, erhöhte also die Sensitivität um 22 auf 49%. Die Untersuchung von 60 in der Altersverteilung entsprechenden Patienten mit Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Bandscheibenvorfälle, Druckparesen, Nervenverletzungen) erbrachte jedoch auch bei drei Patienten (5%) pathologische Ganzfeld-VEP und bei vier Patienten (7%) pathologische foveale VEP. Die Spezifität der fovealen VEP ist somit derjenigen der Ganzfeldreizung vergleichbar. Wir empfehlen daher beim Verdacht auf eine Entmarkungskrankheit die zusätzliche Durchführung einer fovealen Stimulation mit einem adäquaten Reiz. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Patienten kooperieren und während der Ableitung gut fixieren.
3.4.3
Wertigkeit weiterer VEP-Methoden in der Diagnostik der MS
In verschiedenen Laboratorien wurde versucht, durch Einführung zusätzlicher oder alternativer Reizmethoden die Sensitivität und Spezifität der VEP-Befunde bei demyelinisierenden Erkrankungen zu erhöhen. Einige Gruppen variierten Muster- oder Feldgröße, Leuchtdichte oder Umkehrfrequenz des herkömmlichen Schachbrettmuster-VEP, andere setzten vollkommen neue Stimulationstechniken ein, so z. B. Farbreize oder visuelle Bewegung. Grundsätzlich kann durch Erweiterung der Auswerteparameter zwar die Sensitivität der Methode erhöht werden. Damit wird aber häufig zugleich die Spezifität gesenkt, so dass das Risiko falsch-positiver Befunde ansteigt. Gerade bei der für den Patienten folgenschweren Suche nach Entmarkungsherden ist es wichtig, konservative Kriterien anzulegen und eher einen Verlust der Sensiti-
3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS 295
⊡ Abb. 3.22. Typischer VEP-Befund bei klinisch sicherer MS ohne abgelaufene Retrobulbärneuritis. Foveale VEP (obere Reihe) sind links ausgefallen, rechts schlecht evoziert und nicht sicher reproduziert. Die Ganzfeld-VEP (untere Reihe) sind links latenzverzögert, rechts verplumpt. Typisch ist das die durch niedrige Amplitude schlechte Reproduzierbarkeit der Ableitungen
3
296
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.23. VEP-Befund bei klinisch sicherer MS nach langjährigem Verlauf mit beidseitig extremer Latenzverzögerung von P100 auf 200 ms unter Ganzfeldreizung
3
vität hinzunehmen als einen Verlust der Spezifität. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, dass mit Verlängerung des Untersuchungsgangs und mit Erweiterung der Reizparameter auch die Anforderungen an die Kooperation der Patienten größer werden und dadurch häufiger Artefakte auftreten, beispielsweise durch schlechte Fixation. Der Informationsgewinn wird durch verschlechterte Ableitequalität zunichte gemacht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich letztendlich keines der nachfolgend beschriebenen Verfahren in der klinischen Routine durchsetzen konnte.
Detektion retrochiasmatischer Entmarkungsherde durch VEP Unseren Erfahrungen nach bewirken postchiasmatische, d. h. in der Sehstrahlung angesiedelte Ent-
markungsherde geringere Latenzverzögerungen als prächiasmatische Herde. Sie sind bei unseren Normwerten für Halbfeldreizung zumeist nicht signifikant. Novak et al. (1988) konnten durch zusätzliche homonyme Halbfeldreizung die Sensitivität bei möglicher MS um 10%, bei wahrscheinlicher MS nur um 3% steigern. Eine Korrelation mit kernspintomographischen Befunden erfolgte in dieser Studie nicht. Werden zur Detektion postchiasmatischer Entmarkungsherde zusätzlich zur Latenz noch Asymmetrien der Potenziale nach Reizung des rechten oder linken Halbfelds als Kriterium herangezogen, so erhält man eine gute Korrelation zwischen Kernspintomographie und asymmetrischer Potenzialkonfiguration. Falsch-positive Befunde sind hier jedoch so häufig, dass sich dieses
297 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
⊡ Abb. 3.24. VEP-Befund bei einem Patienten mit klinisch möglicher MS ohne anamnestische Anhaltspunkte für Störungen der visuellen Afferenz. Nur nach fovealer Reizung (oberste Kurve) zeigt sich eine pathologische Latenzverzögerung der P100. Transiente Ganzfeldreizung und Steady-state-Ganzfeldreizung weisen einen Normalbefund auf
3
298
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Verfahren in der Praxis bislang nicht durchsetzen konnte (Rigolèt et al. 1989; Abe u. Kuroiwa 1990).
Einfluss der Leuchtdichte auf die Sensitivität der VEP bei MS
3
Wie in Abschn. 3.2.3 dargelegt ist, nehmen mit abnehmender Leuchtdichte auch beim Gesunden die Latenzen der VEP zu und die Amplituden ab. Trägt man die Änderung der Latenz gegen die Leuchtdichte des Reizmusters auf, so ist nach Cant et al. (1978) die Steigung dieser Funktion bei einem Teil der MS-Patienten steiler als bei Normalpersonen, bei anderen aber flacher. In der Tübinger Klinik konnte dieser Effekt in einer Untersuchung von 23 MS-Patienten unter Verwendung der Filterdichten 0,3-, 0,6-, 1,2- und 3-log-Einheiten (Ausgangsleuchtdichten: 36,25 cd/m2) nicht repliziert werden. Wie ⊡ Abb. 3.25 zeigt, nimmt bei transienter und Steady-state-Stimulation die Latenz des VEP mit abnehmender Leuchtdichte bei MS-Patienten im ⊡ Abb. 3.25. Mittelwert der Latenzen von P100 (unten, in ms) und der Amplitude (oben, in µV) des VEP von 20 gesunden Normalpersonen und 23 Patienten mit MS in Abhängigkeit von der Abnahme der Leuchtdichte des Reizmusters (Filter 0=36,25 cd/m2)
gleichen Umfang zu wie bei Gesunden. Keiner der MS-Patienten mit unter Standardbedingungen normalem VEP hatte nach Vorsetzen der Filter pathologische Latenzen. Der Steigungskoeffizient der Funktion Leuchtdichte zu Latenz war danach bei MS-Patienten entsprechend dem Gesunder. Dies gilt unabhängig davon, ob die Latenz pathologisch verzögert oder normal ist. Wie der obere Teil der ⊡ Abb. 3.25 zeigt, verhalten sich auch die Amplituden des VEP bei Leuchtdichteänderungen bei MSPatienten wie bei Gesunden.
Einfluss der Körpertemperatur auf das VEP bei MS Uhthoff beschrieb 1890 erstmals bei Patienten mit MS eine vorübergehende Sehverschlechterung unter körperlicher Anstrengung. Kurzzeitige Verschlechterung der Symptome der MS bei Erhöhung der Außen- und Körpertemperatur und auch bei psychologischem Stress sind
299 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
bekanntermaßen häufig. Das Uhthoff-Phänomen ist jedoch nicht spezifisch für demyelinisierende Erkrankungen, sondern kann auch nach Schädelhirntraumen (Wildberger et al. 1987) oder bei zerebrovaskulären Erkrankungen auftreten (Pause et al. 1985). Die neurophysiologischen Beobachtungen sind widersprüchlich. Regan et al. (1977) beobachteten bei der Hälfte der Patienten mit MS eine signifikante Verlängerung der Latenz des VEP nach Erhitzen des Körpers. Bei gesunden Vergleichspersonen war dieser Effekt nicht nachweisbar. Persson u. Sachs (1980) untersuchten 15 Patienten mit MS nach körperlicher Belastung, von denen sieben ein UhthoffPhänomen zeigten. Sie fanden nur bei Kranken mit Uhthoff-Phänomen signifikant reduzierte Amplituden, allerdings ohne Änderung der Latenz. Wildberger et al. (1987) untersuchten fünf Patienten, die ein Uhthoff-Phänomen aufwiesen, mit VEP und psychophysisch bestimmter Kontrastsensitivität. Sie fanden bei allen Patienten nach körperlicher Anstrengung psychophysisch eine Abnahme der Kontrastsensitivität. Nur drei der fünf Patienten zeigten signifikante Amplitudenabnahmen nach Schachbrettmusterstimulation. Bei einem Patienten kam es zu einem paradoxen Anstieg der Amplitude, der unerklärt bleiben musste. Matthews et al. (1978) schließlich beobachteten einen gleich starken Hyperthermieeffekt auf die Amplitude des Schachbrettmuster-VEP bei Gesunden und bei MS-Kranken. Nach Halliday u. McDonald (1977) entsteht die Amplitudenminderung des VEP nach Erhöhung der Körpertemperatur durch einen reversiblen Leitungsblock in den Nervenfasern des N. opticus. Dieser Temperatureffekt fand sich auch im Tierversuch an demyelinisierten Axonen (Rasminsky 1973).
Einfluss der Hyperventilation auf das VEP bei multipler Sklerose Davies et al. (1986) untersuchten den Effekt von Hyperventilation auf die Latenzen des VEP bei gesunden Probanden und bei Patienten mit MS. Dabei zeigte sich generell unter Hyperventilation eine Latenzverkürzung. Diese war jedoch bei Patienten mit MS signifikant deutlicher ausgeprägt als bei Gesunden. Während die maximale Latenz-
3
verkürzung bei Gesunden 5 ms nicht überschritt (im Mittel 1,4 ms), kam es bei Patienten mit MS zu Latenzverkürzungen bis über 20 ms (im Mittel 10,4 ms). Dieser Effekt konnte regelmäßig auch bei Patienten nachgewiesen werden, deren P100 noch im Normbereich lag. Bednarik u. Novotny (1989) schließlich konnten diesen Befund an einer großen Patientengruppe replizieren und zeigten, dass dieser spezifisch bei demyelinisierenden Erkrankungen auftritt. Der Hyperventilationseffekt wurde durch die verbesserte Impulsübertragung mit Aufhebung des Leitungsblocks in demyelinisierten Fasern bei Senkung des extrazellulär ionisierten Kalziums erklärt.
Einfluss der Reizmustergröße auf die VEP bei MS Feinstrukturierte Reizmuster erhöhen auch bei Verwendung großer Reizfelder die Sensitivität der Methode. Sie erregen nur kleine rezeptive Felder wie beim fovealen VEP. So untersuchten Oishi et al. (1985) 304 Patienten mit der Verdachtsdiagnose MS und 702 Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen (keine RBN) mit Schachbrettmustern unterschiedlicher Karogröße von 25′, 50′ und 100′ und einem Reizfeld von 12°×16°. Sie erreichten die höchste Trefferquote bei kombinierter Anwendung der kleinen (25′) und der großen (100′) Karos, die kleinste bei ausschließlicher Verwendung der mittelgroßen Karos (50′). Bei Verwendung aller drei Karogrößen waren die Latenzen der VEP in der Gruppe der Patienten mit klinisch sicherer MS bei 82% pathologisch, bei wahrscheinlicher MS bei 83% und bei möglicher MS bei 69%. Bei den 39 Patienten, die unter den drei Reizbedingungen z. T. normale, z. T. pathologische Befunde hatten, war die häufigste Befundkonstellation in allen drei Gruppen die pathologische Verzögerung nach Reizung mit 25′, verbunden mit Normalbefunden nach Reizung mit 50′ oder mit 100′. Durch kombinierte Anwendung der drei Reize konnte die Sensitivität in den Gruppen mit wahrscheinlicher MS und mit möglicher MS nur um etwa 5% gehoben werden. Ein besseres Ergebnis mit Steigerung der Sensitivität um 10% bei möglicher MS erzielten Novak et al. (1988) an einer kleineren Patientengruppe.
300
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Auch bei dieser Reizkombination wird die erhöhte Sensitivität mit einer erniedrigten Spezifität erkauft: So zeigten in der Studie von Oishi et al. (1985) immerhin 16% der 702 Kontrollpersonen pathologische Befunde unter mindestens einer Stimulationsform.
Streifenmuster, Leuchtdioden, visuelle Ermüdbarkeit bei MS Einige Autoren bevorzugen in der Diagnostik der MS statt Schachbrettmusterstimulation die Reizung mit schmalen vertikalen Streifen (BodisWollner et al. 1978, 1979; Tartaglione et al. 1987). Die gegenüber der herkömmlichen Schachbrettstimulation mit Mustergrößen von 30′–50′ leicht erhöhte Sensitivität ist wohl wiederum durch die höhere Ortsfrequenz des Reizes bedingt. Auf der Suche nach einer für demyelinisierende Erkrankungen spezifischen Methode verwendeten Regan u. Neima (1984) die Beobachtung rascherer Ermüdbarkeit demyelinisierter Fasern zur Diagnostik. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass in demyelinisierten Fasern aufgrund der verlängerten Refraktärzeit bei repetitiver Reizung schon bei sehr viel niedrigeren Frequenzen ein Leitungsblock auftritt als im normal bemarkten Axon (McDonald u. Sears 1970). Regan u. Neima (1984) führten einen Reiz ein, der durch Übereinanderprojektion Schachbrettmusterumkehr und Flimmerreize kombinierte. Bei neun der zehn untersuchten Patienten mit MS fanden sie eine raschere visuelle Ermüdbarkeit, die sich durch Amplitudenminderung im VEP objektivieren ließ. Bei Parkinsonkranken konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden, dagegen bei drei von zehn Patienten mit erhöhtem intraokulärem Druck. Ursache für letzteren Befund ist die bei chronisch erhöhtem Augeninnendruck an der Sehnervpapille durch mechanische Druckwirkung entstehende Demyelinisierung (McDonald 1982).
Durch visuelle Bewegung evozierte Potenziale (motion-onset VEP) und Farbumkehr VEP Visuelle Signale werden parallel, d. h. in zwei anatomisch weitgehend getrennten funktionellen Systemen analysiert, einem ersten, das der Analyse von Bewegung dient (magnozelluläres System),
und einem zweiten, das v. a. Farbe und Form verarbeitet (parvozelluläres System). Beide Systeme können durch Auswahl geeigneter Reize vergleichsweise selektiv stimuliert werden, durch Bewegungsreize (z. B. Punktkinematogramme) einerseits und durch (isoluminante) Farbwechsel anderseits. Die Idee, dass bei Patienten mit MS durch selektive Reizung der genannten Systeme die Sensitivität der VEP verbessert werden könnte, gründet sich darauf, dass ▬ das bewegungsempfindliche System besonders schnell leitende, dick bemarkte Fasern enthält und ▬ die farbsensitiven Pβ-Ganglienzellen besonders dünne, vulnerable Fasern aufweisen ( s. foveales VEP). In einer Untersuchung von 30 Patienten mit klinisch sicherer MS konnte die Sensitivität durch Ableitung eines motion-onset VEPs keinesfalls erhöht werden. Tatsächlich war die Rate pathologischer Befunde (16%) derjenigen eines konventionellen Musterumkehr VEPs (68%) sogar deutlich unterlegen (Herbst et al. 1997). Im Gegensatz zum Bewegungs-VEP konnte jedoch durch den Einsatz von Farbumkehr-VEP eine höhere Sensitivität erzielt werden. So fanden Sartucci et al. die durch isoluminanten Farbumkehr evozierten VEP bei Patienten mit MS (n=14) nicht nur signifikant deutlicher latenzverzögert als die Musterumkehr-VEP (Porciatti u. Sartucci 1996), sondern berichteten in einer zweiten Studie auch eine Zunahme der Anzahl pathologischer Befunde um bis zu 13% (Sartucci et al. 2001). Diesem Zugewinn steht jedoch ein hoher methodischer Aufwand entgegen (individuelle Bestimmung des Isoluminanzpunktes; präzise Farbkontrolle).
Kombination von VEP-Untersuchungen mit psychophysischen Methoden Durch Kombination der VEP mit psychophysischen Methoden kann die Sensitivität gesteigert werden. So bestimmten Wist et al. (1978) mit Hilfe des Pulfrich-Phänomens interokuläre Latenzunterschiede bei Patienten mit MS und erhöhten in Kombination dieser Methode mit den musterevozierten Potenzialen ihre Sensitivität bei MS-Patienten auf 100%.
301 3.4 ·VEP bei demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS
Die Rate falsch-positiver Befunde bei Patienten mit anderen Erkrankungen lag bei nur 6%. Auch durch Kombination der VEP mit der Bestimmung der Flimmerverschmelzungsfrequenz kann die Trefferrate leicht verbessert werden (Salmi 1985). Ähnliches gilt für die Kombination der VEP mit der psychophysischen Evaluation des Bewegungssehen (Detektion eines durch Bewegung definierten Buchstabens; Regan et al. 1991; Herbst et al. 1997). Ramani et al. (1984) bestimmten zusätzlich zu den Muster-VEP die kritische Frequenz des »Photicdriving« bei Blitzreizung mit 20–60 Hz und fanden keine Verbesserung ihrer Sensitivität.
belle 5.5) bei 52% pathologisch und erlauben nach den McDonald-Kriterien auch dann die Diagnose einer MS, wenn die örtliche Dissemination durch MRI allein nicht hinreichend belegt ist. Wie in Kap. 5.5 dargelegt ist, sollte bei rein spinaler Symptomatik auch bei elektrophysiologischem Nachweis eines supraspinalen Herds nicht auf eine neuroradiologische Zusatzdiagnostik des Myelons durch Kernspintomographie oder auch durch Myelographie verzichtet werden, da die häufige zervikale Enge, arteriovenöse Durafisteln oder ggf. ein spinaler Tumor ausgeschlossen werden müssen.
3.4.5 In der Vergangenheit wurde vielfach versucht, durch Einführung zusätzlicher oder alternativer Reizmethoden die Sensitivität und Spezifität der VEP-Befunde bei demyelinisierenden Erkrankungen zu erhöhen. Da der hierdurch erreichte Zugewinn an Sensitivität vergleichsweise klein ist (VEP nach körperliche Belastung, Halbfeldreizung, VEP nach Hyperventilation, Stimulation mit feinstrukturierten Reizen oder Farbreizen) bzw. ganz fehlt (Bewegungs-VEP) und diesem Zugewinn ein beträchtlicher methodischer Aufwand gegenüber steht, haben sich diese Methoden für die klinische Routine nicht durchsetzen können.
3.4.4
VEP bei Patienten mit ausschließlich spinaler Symptomatik
Eine besonders wichtige Rolle spielen die VEP bei Patienten mit ausschließlich spinaler Symptomatik, ein Umstand, dem auch in den neuen Diagnosekriterien der MS Rechnung getragen wird (McDonald et al. 2001; Kap. 5). Nach Untersuchungen von Edwards et al. (1986) ist bei etwa 15–20% der MS-Patienten mit einem isolierten Befall des Myelons zu rechnen. Eine solche Manifestation entspricht klinisch zumeist einer (primär) chronisch progredienten Verlaufsform. Die VEP sind bei diesen Patienten nach kumulierten Daten aus 10 Studien (Literaturangaben ⊡ Ta-
3
Verlaufsuntersuchungen mit VEP bei multipler Sklerose
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle bleiben einmal eingetretene Latenzverlängerungen im VEP in Verlaufsuntersuchungen auf Dauer bestehen. Immerhin fanden Matthews u. Small (1979) in Verlaufsbeobachtungen bei neun von 51 MS-Patienten noch mehrere Jahre nach initial pathologischen VEP-Latenzen eine Normalisierung. Im Tübinger Labor wurde der Verlauf über drei Jahre an 68 MS-Patienten dokumentiert (Diener u. Scheibler 1980). Dabei wurden signifikante Veränderungen des VEP bei Schachbrettstimulation angenommen, wenn sich von einer bis zur nächsten Untersuchung die Latenz von P100 um mehr als 10 ms änderte. ⊡ Abbildung 3.26 zeigt ein Beispiel für VEP-Veränderungen eines Patienten im Beobachtungszeitraum von drei Wochen mit geringgradiger, transienter Sehstörung. Im Verlauf der 32 Monate – über diesen Zeitraum wurde die Gesamtgruppe regelmäßig nachuntersucht – kam es bei 28% zu signifikanten Besserungen des VEP, bei 12% zu signifikanter Verschlechterung (⊡ Abb. 3.27). Verschlechterungen der VEP gingen häufig mit dem Auftreten akuter oder rezidivierender RBN einher. Die Angaben der Literatur über die Häufigkeit einer Normalisierung initial pathologischer VEP Befunde variieren erheblich (2%: Lowitzsch u. Welkoborski 1983; 19%: Frederiksen u. Petrera 1999). Die unterschiedlichen Prozentzahlen der angesprochenen Studien sind einerseits durch die unterschiedlich lange Beobachtungsdauer, andererseits auch durch unterschiedliche Auswahlkrite-
302
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.26. Verlaufsbeobachtung der VEP bei MS mit geringgradiger transienter Sehstörung. Während sich die Latenz des Schachbrettpotenzials vom linken Auge (links) gering verbessert, kommt es beim rechten Auge (rechts) zu einer Latenznormalisierung
⊡ Abb. 3.27a–c. Änderungen der Latenz von P100 (b, c) oder der Amplitude (a) bei 2 aufeinanderfolgenden VEP-Ableitungen. Jeder Kreis kennzeichnet ein Auge. 31 MS-Patienten (b) und 14 gesunden Kontrollpersonen wurden untersucht (c). Das Amplitudenkriterium (a) bezog sich auf die Evozierung
von P100, wenn vorher kein Potenzial evozierbar war (vier MSPatienten). Nach den Ergebnissen der Kontrollgruppe (c) wurden die Grenzen für signifikante Latenzänderungen auf mehr als 10 ms für die Schachbrettstimulation festgelegt
303 3.5 ·VEP bei anderen Störungen der zentralen Sehbahn
rien für Nachuntersuchungen bedingt. So wird die Anzahl der Verschlechterungen selbstverständlich höher sein, wenn Patienten nur in einem erneuten Schub untersucht werden, der z. B. Anlass zur erneuten Klinikeinweisung ist. Die Normalisierung des VEP kann mehrere Ursachen haben. Echte Remyelinisierung mit Verbesserung der Erregungsleitung ist im Tierversuch beschrieben (Smith et al. 1979). Auch die Reorganisation der Verteilung von Ionenkanälen im Bereich der Internodien dürfte zur Restitution der Nervenleitung beitragen (z. B. Rasminsky 1984). Häufig können jedoch zudem aufgesplitterte Potenziale mit schwer zu bestimmenden Latenzen zu einer scheinbaren Latenzverkürzung führen. ! Pathologische Latenzverzögerungen der P100
nach RBN bleiben zumeist bestehen, wenngleich sich gelegentlich noch mehrere Jahre später Befundverbesserungen nachweisen lassen.
3.5
VEP bei anderen Störungen der zentralen Sehbahn
3.5.1
Gesichtsfelddefekte
Nach wie vor existieren vergleichsweise wenige systematische Untersuchungen zu den VEP bei Störungen der zentralen Sehbahn. Neben den methodischen Schwierigkeiten, insbesondere der großen Variabilität der Potenzialkonfiguration nach Halbfeldreizung bereits unter physiologischen Bedingungen (Abschn. 3.2.3), haben sicherlich auch die technischen Verbesserungen und die weite Verbreitung der MRIBildgebung die elektrophysiologischen Verfahren in den Hintergrund gedrängt. Ein entscheidender Vorteil der VEP-Untersuchung gegenüber den bildgebenden neuroradiologischen Verfahren ist aber, dass Aussagen über den Funktionszustand der visuellen Afferenz gemacht werden können. So leistet das Halbfeld-VEP bei Hypophysentumoren einen Beitrag zur Beurteilung der funktionellen Störung durch Druck auf das Chiasma (Abschn. 3.5.3).
3
Wie in Abschn. 3.2.3 ausgeführt, entsteht bei Ableitung mit horizontalen Elektrodenketten häufig eine paradoxe Lateralisation mit größter Amplitude der Halbfeld-P100 ipsilateral zum gereizten Gesichtsfeld. Erklärt wird dieser Befund mit der retinotopen Projektion der zentralen und parazentralen (0–8°) Gesichtsfeldhälften jeweils zum posteromedialen Okzipitalpol. Dort entstehende Potenziale projizieren nach außen zur gegenüberliegenden Okzipitalregion und werden dort mit der größten Amplitude abgeleitet. Am kontralateral zum Reizfeld gelegenen Okzipitalpol findet eine Polaritätsumkehr statt. Halliday (1982) stützt diese Erklärung durch Befunde an Patienten mit Hemisphärektomien und Lobektomien eines Okzipitallappens. ⊡ Abbildung 3.28 zeigt eine derartige Ableitung bei einem Patienten mit homonymer Hemianopsie und Makulaspaltung. Bei Reizung des gesunden Halbfelds mit Aussparung der Makula durch einen 2° parazentral neben dem Reiz gelegenen Fixationspunkt waren alle ipsi- und kontralateralen VEP-Komponenten wie beim Gesunden abzuleiten. Vom blinden Halbfeld aus waren VEP (z. B. durch Streulicht) bei gleichartiger parazentraler Reizung nicht zu erhalten. Aus diesen Befunden schlossen die Autoren, dass alle VEP-Potenzialkomponenten, die bei Halbfeldstimulation abgeleitet werden können, von der kontralateralen Hemisphäre generiert werden. Das Phänomen der paradoxen Lateralisation bei transienter Halbfeldstimulation wurde von mehreren Untersuchern bestätigt, findet sich aber je nach Kollektiv in unterschiedlicher Häufigkeit. Ursächlich sein dürften individuelle Asymmetrien des Okzipitalkortex und Unterschiede der Ausbreitung des striären Kortex (Stensaas et al. 1974). So fand das Tübinger Labor nur bei 16 von 32 Normalpersonen eine paradoxe Lateralisation, während andere Gruppen sie bei bis zu 90% der Probanden nachwiesen (Arruga et al. 1980; Streletz et al. 1981; Onofrij et al. 1982; Regan 1988). ! Die Sensitivität der Halbfeldstimulation mit
Musterumkehrreizen bei homonymer Hemianopsie ist enttäuschend gering.
So zeigt sich, dass selbst bei perimetrisch nachgewiesener kompletter homonymer Hemianpsie nur
304
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.28. Monokulare Halbfeldreizung des linken Auges mit Schachbrettmuster bei einem Patienten mit rechts-okzipitaler Lobektomie. Die Reizung erfolgt unter Aussparung der Makula (parazentrale Fixation). Die Reizung des rechten Halbfeldes (rechte Bildhälfte) ergibt die erwartete paradoxe Lateralisation der P100 über dem rechten Okzipitalpol. Nach Reizung des linken Halbfelds (linke Bildhälfte) entsteht kein Potenzial. (Mod. nach Blumhardt et al. 1977)
bei 70% (Brigell et al. 1990) bis 86% (Haimovic u. Pedley 1982) die VEP pathologisch sind. Celesia et al. (1983) verglichen die VEP-Methode mit der Goldmann-Perimetrie und mit dem Konfrontationstest bei 50 Patienten und fanden für die VEP eine Trefferrate von 79%, für die Goldmann-Perimetrie von 100% und für den Konfrontationstest von 96%. Brainmapping mit zusätzlicher Einbeziehung der Skalptopographie steigerte die Sensitivät von 70% bei konventioneller Halbfeldableitung mit horizontalen Ketten auf 85% bei Einbeziehung der Topographie (Brigell et al. 1990). Zum Nachweis bereits bestehender Gesichtsfeldausfälle ist das Halbfeld-VEP also weniger geeignet. Wertvoll ist es hingegen bei chiasmalen oder retrochiasmalen Prozessen, die noch nicht zu psychophysischen Ausfällen geführt haben, aber bereits subklinisch die Sehbahn betreffen (Abschn. 3.5.3). Wie oben angedeutet wurde, bietet die Ableitung multifokaler VEP für die Zukunft eine vielversprechende Möglichkeit, Gesichtsfelddefekte zu objektivieren (Abschn. 3.2.9). Systematische Studien mit multifokalen VEP bei Patienten mit neurologisch bedingten Gesichtsfeldstörungen liegen bisher nicht vor. Hood et al. (2000) konnten bei drei Patienten Gesichtsfelddefekte bei RBN durch Nachweis retinotoper Latenzverzögerungen nachvollziehen.
! Hinsichtlich der Beurteilung von Gesichtsfeld-
defekten ist das VEP der Perimetrie deutlich unterlegen.
Halbfeldstimulation bei unklaren Latenzverzögerungen im Ganzfeld-VEP Gelegentlich kann die Halbfeldstimulation auch bei unklaren Latenzverzögerungen der GanzfeldP100 nützlich sein. ⊡ Abbildung 3.29 zeigt hierfür ein Beispiel. Bei dieser Patientin, die wegen kurzdauernder Attacken mit globaler Aphasie die Ambulanz aufsuchte, ergab die Ableitung der VEP nach Ganzfeldreizung beidseits eine Latenzverzögerung der P100 (obere Reihe). Bei Halbfeldreizung des linken Gesichtsfelds (mittlere Reihe) war die Latenz der P100 sowohl nach Reizung des links-temporalen wie auch des rechts-nasalen Gesichtsfelds im Normbereich. Bei Halbfeldreizung des rechten Gesichtsfelds (untere Reihe) waren dagegen die Potenziale deutlich latenzverzögert. Die daraufhin veranlasste Perimetrie ergab eine bisher subjektiv nicht bemerkte und auch dem Untersucher entgangene homonyme Quadrantenanopsie nach rechts oben. Durch eine Computertomographie (CT) und Angiographie wurde schließlich eine links-temporal gelegene arteriovenöse (AV-)Malformation gesichert, die zu einer Kompression der retrochiasmalen Sehbahn geführt hatte.
305 3.5 ·VEP bei anderen Störungen der zentralen Sehbahn
3
⊡ Abb. 3.29. Musterevozierte Potenziale bei einer Patientin mit linkstemporal gelegener AV-Malformation. Klinisch: homonyme Quadrantenanopsie nach rechts. Nach Ganzfeldreizung mit Schachbrettmustern (obere Reihe) Latenzverzögerung von P100 beidseits (obere Normgrenze ist die gestrichelte Linie). Nach Halbfeldreizung der linken Gesichtsfeldhälfte (mittlere Reihe) sind die Latenzen beidseits im Normbereich. Nach Reizung der rechten Gesichtsfeldhälfte (untere Reihe) entsteht beidseits eine deutliche Verzögerung der Latenz von P100
Halbfeldstimulation bei Posteriorinsulten Die Befunde bei homonymer Hemianopsie nach Posteriorinsulten unterscheiden sich nicht von den oben beschriebenen Veränderungen, d. h. eine Differenzierung der ursächlichen Pathomechanismen ist mit VEP nicht möglich. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, dass die registrierten VEP-Antworten vom erhaltenen Halbfeld generiert werden. Die VEP-Befunde bei Posteriorinsulten sind im Vergleich zu den in Kap. 3.5.1 beschriebenen Veränderungen nach okzipitalen Lobektomien – wie zu erwarten – weniger einheitlich, da häufig zentrale Gesichtsfeldanteile oder auch kleinere periphere Gesichtsfeldinseln
erhalten bleiben (Abschn. 3.6.24). Bislang fehlen dazu systematische Untersuchungen an größeren Kollektiven.
3.5.2
VEP bei Kompression des Sehnervs
Im Gegensatz zu den Befunden bei RBN und MS sind bei Kompressionen des Sehnervs und des Chiasmas Latenzverlängerungen seltener und in der Regel deutlich geringer, dagegen Amplitudenreduktionen v. a. bei schweren Visusstörungen häufig.
306
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
! Leitsymptom der Kompression des Sehnerven
ist die Amplitudenminderung der P100.
3
Ein praktisch wichtiges Problem ist die Diagnostik einer Kompression des Sehnervs im Canalis opticus nach Mittelgesichtsfrakturen. Hier kann eine frühzeitige Funktionsdiagnostik dazu beitragen, die Indikation einer Entlastungsoperation zu prüfen. In der Tübinger Neurologie wurden 10 polytraumatisierte Patienten mit Mittelgesichtsfrakturen in sediertem Zustand mit Blitz-VEP untersucht. Dazu wurde eine LED-Blitzbrille auf die geschlossenen Augenlider gelegt und durch die Lider gereizt. Es zeigte sich, dass die VEP einen hohen prognostischen Wert besaßen. Bei vier Patienten mit gut auslösbarem VEP bestand nach Erholung keine Visusminderung, während bei vier Patienten mit einseitig erloschenem VEP die Augen später eine Amaurose oder eine höchstgradige Visusminderung aufwiesen (Altenmüller et al. 1991). Die frühe Entlastungsoperation hat in diesem Kollektiv die Prognose nicht gebessert. Diese Beobachtung spiegelt wider, dass die Operation nur in seltenen Fällen zum Funktionserhalt des Sehnerven beizutragen vermag (Steinsapir u. Goldberg 1994; Guy et al. 1989). Bei Patienten mit gut auslösbaren VEP erscheint eine Dekompression in jedem Fall verzichtbar. ⊡ Abbildung 3.30 zeigt das Beispiel eines Patienten mit rechtsseitig erloschenem Blitz-VEP und späterer rechtsseitiger Amaurose. Die erhaltenen frühen Komponenten bis 90 ms sind ERG-Einstreuungen, welche über die frontopolare Referenz registriert werden.
⊡ Abb. 3.30. Blitz-VEP bei einem komatösen Patienten mit traumatischer Optikuskompression rechts. Linksseitig gut auslösbare P100 nach 148 bzw. 152 ms. Rechts sind nach einer durch ERG-Einstreuungen entstehenden Welle im Latenzbereich unter 100 ms keine reproduzierbaren Potenziale mehr nachweisbar. Das Auge blieb trotz sofortiger operativer Dekompression amaurotisch
Ein weiteres Beispiel einer ausgeprägten Amplitudenreduktion zeigt ⊡ Abb. 3.31 bei einem Patienten mit Tuberculum-sellae-Meningeom und Kompression beider Sehnerven. Die Muster-VEPBefunde vor und nach Operation sind dargestellt. Dabei entspricht am rechten Auge die deutliche Amplitudenzunahme von P100 der postoperativen Verbesserung des Visus. Am linken, postoperativ amaurotischen Auge ist kein VEP mehr ableitbar. Ein wichtiges Anwendungsgebiet der VEP-Untersuchungen ist die Verlaufsbeobachtung bei Gliomen des N. opticus. Groswasser et al. (1985) untersuchten 25 Kinder mit Optikusgliomen. Auf der betroffenen Seite waren bei allen Patienten entweder pathologische VEP mit deutlicher Latenzverzögerung oder gar keine Muster-VEP evozierbar. Auch auf der klinisch nicht betroffenen Seite waren bei fünf der 25 Patienten pathologische Befunde zu erheben, obwohl nach neuroradiologischen Kriterien (CT) keine Invasion des Chiasmas zu sichern war. Durch zusätzliche Ableitungen nach Halbfeldstimulation konnte die Beteiligung des Chiasmas im weiteren Krankheitsverlauf dokumentiert werden. Verlaufsuntersuchungen über sechs bzw. neun Jahre zeigten bei zwei der Patienten mit initialen Zeichen der chiasmalen Beteiligung eine deutliche Besserung der VEP-Befunde mit zuletzt normalen Halbfeld-VEP nach Stimulation der nichtbetroffenen Seite. Eine solche spontane Befundbesserung wird v. a. bei Kindern mit Neurofibromatose Typ I beobachtet und rechtfertigt zunehmend zurückhaltendere Therapiestrategien. Diese beschränken sich darauf, die Ausbreitung des Tumors auf das Chiasma durch Operation zu verhindern und so-
307 3.5 ·VEP bei anderen Störungen der zentralen Sehbahn
3
⊡ Abb. 3.31. VEP vor (oben) und nach (unten) der Operation eines Tuberkulum-Sellae Meningeoms. Die schwarzen Pfeile kennzeichnen P100, die gestrichelten Linien die oberen Normgrenzen der Latenz. Postoperative Verbesserung des Visus rechts korreliert mit Amplitudenzunahme der P100, Visusverlust links mit Amplitudenabnahme
mit die Sehkraft des gesunden Auges zu erhalten oder bei Chiasmabeteiligung eine weitere Tumorprogression durch Chemotherapie oder Bestrahlung aufzuhalten (Listernick et al., 1997). Wenngleich die Chiasmabeteiligung heute vor allem kernspintomographisch evaluiert wird, trägt das VEP als guter Verlaufsparameter zur Gesamtbeurteilung bei.
3.5.3
VEP bei Kompression im Bereich des Chiasmas
Die umfangreichsten Erfahrungen bei Patienten mit Hypophysentumoren haben Gott et al. (1979) mitgeteilt. Sie fanden nur bei 14% ihrer 83 Patienten pathologische Ganzfeld-VEP nach Musterreizung. Eine Halbfeldreizung wurde nicht durchgeführt. Der Wert der Halbfeldstimulation bei Chiasmakompression ist unumstritten. Sie steigert die Sensitivität der VEP-Untersuchung je nach Autor und Kollektiv um 15–55% (Holder u. Bullok 1989; Chiappa 1990; Brecelj 1992). In ⊡ Abb. 3.32 sind die
Ableitungen einer Patientin mit einem chromophoben Hypophysenadenom, bitemporaler Hemianopsie und beidseitiger Visusminderung gezeigt. Es bestanden normale Ganzfeldpotenziale, aber pathologische Potenziale nach Reizung der jeweiligen temporalen Halbfelder. Holder u. Bullock (1989) untersuchten 34 Patienten mit Hypophysenadenomen. Bei 31 Patienten mit perimetrisch nachweisbaren Gesichtsfelddefekten fanden sie pathologische VEP. Die Autoren heben hervor, dass zusätzlich bei zwei Patienten trotz vollständig intakter psychophysischer Untersuchungen pathologische Halbfeld-VEP zu erhalten waren. Auch hier zeigt sich als Stärke der elektrophysiologischen Methoden der Nachweis subklinischer Läsionen. In einer Verlaufsuntersuchung an 11 Patienten mit Hypophysentumoren vor und nach Operation fanden auch wir bei allen Patienten mit präoperativ perimetrisch nachgewiesenen Gesichtsfelddefekten pathologische Halbfeld-VEP (Sadowski et al. 1995). Eine prognostische Aussage hinsichtlich des postoperativen Befundes war nur mit dem Muster-
308
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Abb. 3.32. VEP einer Patientin mit einem Hypophysentumor. Durch Halbfeldreizung kann die bitemporale Hemianopsie objektiviert werden. Das Potenzial nach Reizung des nasalen Halbfelds entspricht weitgehend dem bei ungeteiltem Reizfeld
ERG möglich: Alle vier Patienten mit präoperativ pathologischem Muster-ERG zeigten postoperativ keine Regeneration ihrer visuellen Funktionen. Von den Patienten mit präoperativ intaktem Muster-ERG erholten sich postoperativ nur drei von sieben Patienten. Die Befunde zeigen, dass ein pathologisches Muster-ERG auf eine irreversible Degeneration der retinalen Ganglienzellen hinweist, während die VEP bei intaktem Muster-ERG prognostisch unsicher sind. ! Bei Patienten mit Kompression des Chiasma
opticum eignet sich weniger das VEP als vielmehr das Muster-ERG zur Einschätzung des axonalen Schadens und erlaubt somit prognostische Aussagen hinsichtlich des postoperativen Sehvermögens.
3.6
VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche VEPStudien bei unterschiedlichen neurologischen, internistischen und psychiatrischen Erkrankungen durchgeführt. Dabei wird deutlich, dass weder eine Verlängerung der Latenz noch eine Amplitudenabschwächung spezifisch für demyelinisierende Erkrankungen sind.
! Ein verzögertes VEP weist lediglich auf eine
Störung der visuellen Afferenz hin, wobei diese Störung in den brechenden Medien, der Retina oder der zentralen Sehbahn liegen kann.
Umgekehrt führen nicht alle Erkrankungen des visuellen Systems zu Veränderungen der VEP. Um die Befunde richtig interpretieren zu können und um Fehldiagnosen zu vermeiden, muss der Neurologe die Bedingungen und Erkrankungen kennen, die zu Veränderungen der VEP führen können. Das VEP dient also bei den im Folgenden angesprochenen Erkrankungen nicht als Instrument, eine spezifische Diagnose zu sichern, sondern vielmehr ▬ als wissenschaftliches Werkzeug, Krankheitsentitäten phänomenologisch zu charakterisieren und ▬ als Methode, beim individuellen Patienten subklinische Läsionen zu erfassen und deren Verlauf zu kontrollieren. Die wichtigsten Befunde bei psychiatrischen und internistischen Erkrankungen werden im Abschn. 3.7. und 3.8. referiert. Die ophthalmologischen Erkrankungen werden ausführlicher im Abschn. 3.12 behandelt.
309 3.6 ·VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
3.6.1
Demenz vom Alzheimer-Typ
Visser et al. (1976) untersuchten als erste blitzevozierte Potenziale bei 19 Patienten mit Alzheimer Demenz (AD). Sie stellten als Gruppeneffekt Latenzverzögerungen der P100 fest, allerdings im Vergleich zu einer erheblich jüngeren Kontrollgruppe. Der Befund latenzverzögerter blitzevozierter Potenziale bei Patienten mit AD wurde nachfolgend von verschiedenen Untersuchern bestätigt (Philpot et al. 1990; Zimmer et al 1991; Brodie et al. 1992) und darf trotz gelegentlicher Negativbefunde (z. B. Coben et al. 1983) als valide gelten. Da das ERG von Patienten mit AD typischerweise normal ist (Rizzo et al. 1992; Kergoat et al. 2002), scheidet die Retina als Ursache der Latenzverzögerung aus. Überraschenderweise findet sich bei Patienten mit AD keine konsistente Änderung der P100 nach Musterumkehrreizung (Harding et al. 1981; Coben et al. 1983; Rizzo et al. 1992; Zimmer et al. 1991). Wright et al. (1986) nahmen an, dass diese Diskrepanz auf unterschiedlichen Generatoren der blitzevozierten bzw. durch Musterumkehr evozierten P100 (»P2«) beruhen könnte. Neben der Tatsache, dass die Blitz-P2 eine deutlich längere Latenz aufweist als die P100 unter Musterumkehr, spricht auch die Beobachtung, dass die beiden Potenziale unterschiedlich pharmakologisch beeinflusst werden können, für diese Interpretation. So zeigte eine Gruppe gesunder junger Erwachsener (n=10) nach Injektion des Anticholinergikums Scopolamin eine den AD-Patienten vergleichbare Latenzverzögerung der Blitz-P2, jedoch unveränderte Musterumkehrpotenziale (Bajalan et al. 1986). ! Es erscheint möglich, dass die Veränderungen
des Blitz-VEP bei AD-Patienten eine Schädigung visueller Assoziationsareale widerspiegeln.
Da die beschriebenen Latenzverzögerungen jedoch reine Gruppeneffekte darstellen und keine Spezifität aufweisen, kann das VEP zur Differentialdiagnose demenzieller Erkrankungen im Einzelfall nicht beitragen (Coburn et al. 2003). Generell gilt, dass die späteren »kognitiven« Komponenten wie die P300 wesentlich sensitiver für demenzielle Krankheitsbilder sind als das herkömmliche VEP.
3.6.2
3
Parkinson-Syndrom
Psychophysische Messungen der Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom ergaben eine verminderte Kontrastsensitivität und reduzierte Sehschärfe (Jones et al. 1992). Bodis-Wollner u. Yahr (1978) berichteten erstmals über Latenzverzögerungen der VEP beim Parkinson-Syndrom. Sie verwandten vertikale sinusoidale Streifenmuster als Reiz und fanden bei etwa 60% der Patienten verlängerte Latenzen der P100. Diese Latenzverzögerung ist nicht streng reizspezifisch. Sie tritt, wenngleich weniger deutlich, auch bei Schachbrettmusterstimulation auf (Sollazzo 1985; Bashkar et al. 1986) und verstärkt sich bei höheren Ortsfrequenzen der Reize (BodisWollner et al. 1986) sowie bei niedrigem Kontrast (Peppe et al. 1995). Ursache der Latenzverzögerung ist vermutlich ein dopaminerges Defizit retinaler Neurone. In Übereinstimmung mit dieser Deutung fanden Stanzione et al. (1989), dass bei ParkinsonPatienten bereits die P50 des Muster-ERG verzögert ist und sich diese Latenzverzögerung unter dopaminerger Medikation zurückbildet. Diese Beobachtung wurde durch Untersuchungen von Peppe et al. (1995) bestätigt. In einer Gruppe von neu diagnostizierten Parkinson-Patienten (n=13) fanden sie die Latenzen der P50 deutlicher als diejenigen der P100 verlängert. Auch die Rückbildung der Latenzverzögerungen durch Gabe von L-Dopa wurde repliziert mit wiederum stärkeren Veränderungen der retinalen Latenzen. Die Annahme eines retinalen dopaminergen Defizits als Ursache der Sehstörungen und VEP-Veränderungen von Parkinson-Patienten erscheint vor dem Hintergrund der hohen Prävalenz dopaminerger Neurone in der Retina (amakrine Zellen), jedoch einer vermutlich nur spärlichen dopaminerger Innervation des okzipitalen Kortex (Phillipson et al. 1987) plausibel. Eine Amplitudenminderung des ERG und gestörte Kontrastsensitivität finden sich auch bei Patienten mit progressiver supranukleärer Blickparese (PSP; Steele-Richardson-Olszeschwski-Syndrom; Langheinrich et al. 2000). Zur Unterscheidung eines idiopathischen Parkinsonsyndroms von einer PSP können ERG und VEP somit nicht beitragen.
310
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
! Die P100 von Patienten mit idiopathischem
Parkinsonsyndrom ist häufiger latenzverzögert. Diesem Befund liegt vermutlich ein dopaminerges retinales Defizit zugrunde.
3
3.6.3
Multisystematrophie
Es liegen bisher nur wenige VEP-Untersuchungen von Patienten mit Multisystematrophie (MSA) vor. Die Befunde sind widersprüchlich. Delalande et al. (1998) verglichen als erste Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom mit MSA-Patienten (n=12) und beobachteten nur in der ersten Gruppe Defizite der Kontrastsensitivität sowie Latenzverzögerungen der P100. Die Autoren folgern, dass VEP die klinisch oft schwierige Unterscheidung zwischen idiopathischem Parkinsonsyndrom und MSA erleichtern können. Diese Schlussfolgerung muss aufgrund einer späteren Untersuchung angezweifelt werden, in der 14 von 35 untersuchten MSA-Patienten pathologische VEPLatenzen aufwiesen (Abele et al. 2000). Die Häufigkeit pathologischer Befunde in der Subgruppe von Patienten mit einer MSA vom zerebellären Typ (10 von 27; 37%) unterschied sich in dieser Untersuchung nicht von derjenigen der Patienten mit vorherrschender Parkinsonsymptomatik (4 von 8; 50%). Die Ursache der Latenzverzögerung der P100 bei MSA ist bisher nicht geklärt. Insofern die für die MSA typischen oligodendroglialen zytoplasmatischen Einschlusskörper in der zentralen Sehbahn zu fehlen scheinen (Papp et al. 1994), könnte – ähnlich wie bei Parkinson-Patienten – eine retinale Störung ursächlich sein.
3.6.4
Friedreich-Ataxie
Pathologische Amplitudenminderungen oder Latenzverzögerungen der P100 bei Friedreich-Ataxie sind häufig und finden sich bei 50–90% der Patienten (Pandolfo u. Manot 2002). Führendes Merkmal ist die Amplitudenminderung. So fanden Livingstone et al. (1981) bei 30% der 21 untersuchten Patienten das Musterumkehr-VEP ausgefallen, bei weiteren 15% betrug die Amplitude weniger als 3 µV. Eine pathologische Latenzverzö-
gerung wurde bei insgesamt 38% beobachtet. Gemäß einer Untersuchung von Caroll et al. (1980b), in der 64% der untersuchten Patienten ein pathologisches VEP aufwiesen, bestand eine sehr gute Korrelation zwischen elektrophysiologischen und klinisch-neuroophthalmologischen Befunden, insbesondere zwischen Papillenabblassung und VEP-Latenzverzögerung. Eine Korrelation zwischen Erkrankungsdauer und Latenzverzögerung ließ sich in keiner dieser Studien finden. Die abnormen Latenzverzögerungen traten überwiegend beidseitig auf und betrugen im Mittel etwa 20 ms gegenüber normalen Vergleichspersonen, so dass es sich hier nicht um Gruppeneffekte handelt. Normalbefunde werden gelegentlich auch bei Patienten mit langer Erkrankungsdauer gefunden. Das pathologische VEP ist somit kein obligater Befund. ! Die VEP von Patienten mit Friedreich-Ataxie
sind in über 50% der Fälle pathologisch. Leitsymptom ist die Amplitudenminderung.
3.6.5
Autosomal dominante Ataxien
Zur Gruppe dieser hereditäten Ataxien gehören die ▬ autosomal-dominanten zerebellären Ataxien (ADCA der Klassifikation von Harding 1983), die nach heutiger (molekulargenetischer) Klassifikation als spinozerebelläre Ataxien (SCA) bezeichnet werden, und die ▬ episodischen Ataxien, die klinisch durch das intermittierende Auftreten einer Kleinhirnsymptomatik charakterisiert sind. Die Inzidenz pathologischer VEP-Befunde in früheren Untersuchungen von Patienten mit dominanten Ataxien variiert erheblich (50%: Nousiainen et al. 1987; <10%: Ghezzi u. Montagnini 1985). Diese Streuung dürfte u. a. auf die genetische Heterogenität der untersuchten Kollektive zurückzuführen sein. Tatsächlich findet man bei den verschiedenen SCAs unterschiedlich häufig pathologische VEP-Befunde. Untersuchungen der Tübinger Neurologie zufolge weisen Patienten mit SCA1 deutlich häufiger eine pathologische Latenzverzögerung auf (~80%) als solche mit SCA2 (36%) oder
311 3.6 ·VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
SCA3 (25%; Abele et al. 1997). Diese Veränderungen gehen zumeist nicht mit Sehstörungen einher. Andere spinozerebelläre Ataxien scheinen selten (SCA 5) oder nie (SCA6) VEP-Veränderungen zur Folge zu haben (van Dijk et al. 1995; Pandolfo u. Manot 2002). Häufig ist die Amplitudenminderung oder der Ausfall des VEP bei Patienten mit SCA7, bedingt durch die pigmentäre Retinadegeneration, die frühzeitig elektroretinographisch erfasst werden kann (Enevoldson et al. 1994). Systematische VEPUntersuchungen größerer Kollektive von Patienten mit den übrigen SCA-Formen und den episodischen Ataxien fehlen bisher. ! Pathologische VEP bei Patienten mit autoso-
mal-dominanter Ataxie sind häufig, erlauben jedoch beim individuellen Patienten keine Differenzierung der verschiedenen Subgruppen.
3.6.6
3.6.7
3
Amyotrophe Lateralsklerose
Somatosensorische Potenziale sind gelegentlich bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) verzögert oder amplitudengemindert. So fanden Ghezzi et al. (1989) bei acht von 27 Patienten mit klinisch sicherer ALS pathologisch verzögerte Medianus-SEP. Dieser Befund wurde durch Palma et al. (1993) unter Anwendung strenger statistischer Kriterien (Bonferroni-Korrektur multipler Testung) bestätigt. Während diese Befunde für eine Beteiligung des somatosensiblen Systems bei der ALS sprechen, liegen keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung des visuellen System vor. In beiden Studien zeigten die untersuchten Patienten normale VEP.
3.6.8
Hereditäre motorische und sensible Neuropathie Typ I (HMSN I)
Huntington-Chorea
Bei Huntington-Chorea kommt es nach Untersuchungen von Ellenberger et al. (1978) in 94% der Fälle (n=18) zu Amplitudenminderung von P100 ohne Latenzverzögerung. Sie untersuchten blitzevozierte Potenziale. Zum gleichen Ergebnis kommen Oepen et al. (1982) bei Schachbrettstimulation. In einer umfangreichen Studie an 36 Huntington-Chorea-Patienten und 55 Risikopersonen (direkte Nachkommen von an Huntington-Chorea erkrankten Patienten) leiteten Hennerici et al. (1985) Schachbrettumkehr-VEP nach Ganz- und Halbfeldstimulation von medianen, über dem Inion platzierten und lateralen okzipitalen Elektroden ab. Nach Ganzfeldstimulation fanden auch sie bei 65% der manifest Erkrankten und bei 30% der zu der Risikogruppe gehörenden Personen eine signifikante Amplitudenreduktion von P100 ohne Latenzverzögerung. ! Bei Patienten mit Chorea Huntington findet
sich häufig eine Amplitudenminderung der P100 bei normaler Latenz.
Bei neuraler Muskelatrophie vom Typ HMSN I sind die Latenzen der VEP gelegentlich verlängert. Tackmann u. Radü (1980) beobachteten dies an sieben Augen von fünf Patienten und schlossen daraus, dass der N. opticus bei neuraler Muskelatrophie häufiger betroffen ist, als klinisch vermutet werden kann. Diese Befunde wurden von verschiedenen Autoren bestätigt (Carroll et al. 1983: fünf von 15 Patienten mit pathologisch verlängerter Latenz der P100; Kowalski et al. 1991: 11 von 37 Patienten; Gadoth et al. 1991: sieben von 16 Patienten), sind jedoch nicht unwidersprochen. So konnten Leblhuber et al. (1986) keine signifikante Latenzverzögerung in einer Gruppe von 21 Patienten mit HMSN I nachweisen. Nevsimalova et al. (1990) fanden die VEP-Latenzen nur bei den zwei ältesten der 31 untersuchten Patienten verzögert. Wenn man die angesprochenen Studien zusammenfasst, sind bei etwa 25% der Patienten mit HMSN I pathologische VEP-Befunde zu erwarten. Ähnliche Latenzverzögerungen wurden bei der HMSN II nicht beobachtet (Gjerstadt et al. 1988).
312
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
! Das VEP erlaubt keine zuverlässige Abgren-
zung der HMSN I gegenüber der FriedreichAtaxie: Ein pathologisches VEP schließt auch bei jungen Patienten eine HMSN I keinesfalls aus.
3 3.6.9
Mitochondriale Erkrankungen
Mitochondriale Erkrankungen führen zu Schäden v. a. solcher Organe, die eine hohe Stoffwechselaktivität aufweisen. Erwartungsgemäß findet sich deshalb bei diesen Störungen ein hoher Anteil von Patienten mit pathologischen VEP-Befunden. Diese sind häufig auf retinale Schäden zurückzuführen wie bei der Leber-Optikusatrophie, bei der praktisch immer deutliche Amplitudenminderungen der VEP und auch Latenzverzögerungen beobachtet werden (Harding u. Crews 1982), z. T. spiegeln sie jedoch auch eine Schädigung des zentralen Nervensystems wider. Ambrosio et al. (1995) untersuchten 17 Patienten mit muskelbioptisch gesicherter chronisch-progressiver externer Ophthalmoplegie. Es zeigten 76% pathologische Befunde im PERG oder in den VEP. Zwei der Patienten mit verzögerter P100 hatten unauffällige retinale Befunde (PERG; Funduskopie). Finsterer (2001) untersuchte eine heterogene Gruppe von 26 Patienten mit gleichermaßen muskelbioptisch gesicherter mitochondrialer Erkrankung, von denen 11 Hinweise auf eine okuläre Manifestation boten. Bei neun von diesen 11 Patienten (81%) war die P100 pathologisch verlängert, die Amplituden unverändert. Der Anteil pathologischer Latenzverzögerungen in der Gruppe der Patienten ohne Hinweise auf eine okuläre Manifestation betrug 53% (acht von 15). Der Autor folgert, dass das VEP die Detektion asymptomatischer Schäden der Sehbahn bei mitochondrialen Erkrankungen wesentlich verbessert. ! Das VEP ist nicht nur bei der Leber-Optikusa-
trophie, sondern häufig auch bei anderen mitochondrialen Erkrankungen pathologisch verändert.
3.6.10
Myotone Dystrophie
Gott et al. (1983) fanden bei 10 von 17 Patienten mit myotoner Dystrophie abnorme VEP nach Schachbrettmusterstimulation. Kranke mit Katarakt waren von dieser Studie ausgeschlossen. Achtmal waren die Latenzen der P100 verlängert, zweimal fanden sich nur pathologische interokulare Latenzdifferenzen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Sandrini et al.(1986). Sie registrierten zusätzlich zu den VEP das Elektroretinogramm und entdeckten bei 13 von 20 Patienten sowohl ERG- wie VEP-Abnormalitäten. Nur zwei Patienten zeigten ausschließlich Latenzverzögerungen der P100 im VEP. Offenbar kommt es bei myotoner Dystrophie sowohl zu Membranschäden der Retina und dort – nach den ERG-Befunden mit Amplitudenminderung der b-Welle v. a. zu einer Schädigung der bipolaren Zellen – wie auch zu Beteiligung der zentralen visuellen Afferenz. Auch die Veränderung der akustisch evozierten Hirnstammpotenziale (AEHP) bei myotoner Dystrophie objektiviert die weitreichende Beteiligung des ZNS bei dieser Erkrankung.
3.6.11
M. Wilson
Satishchandra u. Swamy (1989) fanden bei sieben von 13 neurologisch asymptomatischen MorbusWilson-Patienten pathologische Latenzverzögerungen der P100. Offenbar erhöht sich der Prozentsatz pathologischer Befunde bei neurologisch symptomatischen Morbus-Wilson-Patienten nicht wesentlich: So fanden Arendt et al. (1994) nur bei 53% der symptomatischen Patienten pathologische VEP, wobei keine Korrelation zum Schweregrad der Erkrankung bestand. Auch besteht nach einer Untersuchung von Hermann et al. (2002) keine Korrelation zwischen VEP-Befunden und Schwere der kernspintomographisch fassbaren subkortikalen und kortikalen Veränderungen. Dieselben Autoren berichten in einer Folgearbeit, dass die AEHP die höchste Sensitivität beim neurologisch manifesten M. Wilson aufweisen (Anzahl pathologischer Befunde: 18 von 28=64%), gefolgt vom Medianus-SEP
313 3.6 ·VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
(43%), während das VEP nur 28% pathologische Befunde zeigte. ! Bei Patienten mit M. Wilson sind die VEP selte-
ner als die AEHP und die SEP pathologisch.
3.6.12
Neurofibromatosis Recklinghausen
Jabbari et al. (1985) untersuchten in einem Screening-Test die schachbrettevozierten VEP bei 30 Patienten mit Neurofibromatosis Recklinghausen (NF1) ohne ophthalmologische Symptome. Bei sieben der 30 war die P100 entweder einseitig (n=5) oder beidseits (n=2) verzögert. Dabei zeigte das Orbita-CT in fünf Fällen eine Verdickung des Sehnervs, im Schädel-CT wurde zusätzlich 3mal ein Hydrozephalus internus nachgewiesen. Eine optimale Sensitivität zeigte das VEP auch in einer Untersuchung von North et al. (1994). Die Autoren verglichen eine Gruppe von 10 Kindern mit NF1 und radiologisch nachgewiesenem Optikusgliom mit einer zweiten Gruppe von 20 Kindern mit NF1, aber MR-tomographisch intakter Sehbahn. Alle Kinder mit Gliom zeigten pathologische VEP. Der hohen Sensitivität stand jedoch ein hoher Anteil falsch-positiver Befunde gegenüber (Spezifität 60%), vermutlich bedingt durch die eingeschränkte Kooperationsfähigkeit von Kindern unter fünf Jahren. Die Zuverlässigkeit des VEP als ScreeningMethode erscheint auch aufgrund einer Untersuchung von Rossi et al. (1994) fragwürdig, in der die VEP von sechs Kindern mit kernspintomographisch nachgewiesenem Gliom unauffällig waren. ! Nicht zuletzt aufgrund der widersprüchlichen
Befunde findet das VEP als Screening-Methode in den aktuellen Konsensusrichtlinien zur NF1 keine Berücksichtigung.
Es wird stattdessen die ophthalmologische Untersuchung und zur Verlaufskontrolle zusätzlich die Kernspintomographie empfohlen (Listernick et al. 1997).
3.6.13
3
Migräne
In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass bei Migränepatienten im freien Intervall die VEP-Amplitude erhöht ist (Lehtonen 1974; Kennard et al. 1978; Conolly et al. 1982). Untersuchungen von Schoenen et al. (1995) zufolge sind die erhöhten Amplituden auf eine fehlende Habituation des Schachbrett-VEP zurückzuführen. Anders als Gesunde, die bereits nach 2-minütiger Stimulation eine Amplitudenminderung des VEP entwickeln, bleiben die Amplituden der Migränepatienten unverändert oder nehmen sogar zu (Afra et al. 1998). Diese Effekte wurden als Hinweis auf eine erhöhte Erregbarkeit des Okzipitalkortex gewertet. In einer Studie der Tübinger Neurologie (Diener et al. 1989) waren bei 58 Patienten mit Migräne bei transienter und Steady-state Schachbrettreizung um im Mittel 4 µV höhere Amplituden und um etwa 4 ms längere Latenzen nachweisbar. Unter Behandlung mit Betablockern (Metoprolol und Propanolol) war unabhängig vom Behandlungserfolg eine signifikante Verminderung der VEP-Amplitude nachweisbar, die verlängerten Latenzen blieben aber weiter bestehen. Die Behandlung mit Nifedipin hatte keinen wesentlichen Effekt auf Amplituden oder Latenzen. In anderen Untersuchungen (z. B. Polich et al. 1986) waren die Amplitudendifferenzen zwischen Kontrollen und Migränepatienten nicht signifikant. Eine Ursache für die z. T. widersprüchlichen Literaturbefunde ist darin zu suchen, dass erhöhte VEP-Amplituden möglicherweise nur bei Patienten mit kurzer Erkrankungsdauer nachweisbar sind. So berichten (Khalil et al. 2000) signifikant größere Amplituden für ihr Gesamtkollektiv von 92 Migränepatienten, jedoch den umgekehrten Effekt, d. h. signifikant kleinere Amplituden für eine Subgruppe von Patienten mit einer Erkrankungsdauer von über 30 Jahren. Diese Diskrepanz führen die Autoren auf akkumulierte Langzeitschäden des okzipitalen Kortex zurück. Für diese Interpretation spricht auch, dass die Amplitudenerhöhung bei Migränepatienten im Kindes- und Jugendalter ausgeprägter zu sein scheint (ca. 7 µV), was Lahat et al. (1997) zufolge sogar als diagnostisches Kriterium im Jugendalter herangezogen werden kann.
314
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
! Bei der in Erwachsenenstudien dokumentier-
ten Amplitudenerhöhung der P100 handelt es sich um so kleine Gruppeneffekte, dass im Einzelfall das VEP zur Differentialdiagnose der Migräne nichts beitragen kann.
3 3.6.14
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
Auch bei der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung sind VEP-Veränderungen beschrieben worden (Lee u. Blair 1973). Während die frühen Komponenten (N60, P100) nicht verzögert waren, lagen die Latenzen der späten Komponenten (ab N140) deutlich über der Norm. Spiegel et al. (2002) fanden bei allen untersuchten Patienten (n=6) bereits die P100 pathologisch verändert: Ein Potenzialverlust zeigte sich für fünf Augen, eine Latenzverzögerung für sechs Augen. Drei der Patienten waren an der HeidenhainVariante erkrankt, bei der präferenziell der parietookzipitale Kortex befallen ist. Gelegentlich sind die Amplituden der P100 bei der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung auffällig erhöht (Finsterer et al. 1999; Spiegel et al. 2002). Als Ursache wird ein Verlust kortikaler Inhibition mit resultierender Hyperexzitabilität diskutiert, die sich bei diesen Patienten in typischer Weise auch motorisch in Form reizgetriggerter Myoklonien (»startle response«) manifestiert. ! Die P100 ist bei Patienten mit Creutzfeldt-
Jakob-Erkrankung häufig latenzverzögert oder amplitudengemindert, selten finden sich »Riesenpotenziale«.
3.6.15
HIV-Infektionen
Pierelli et al. (1993) fanden bei 5% von 129 neurologisch asymptomatischen HIV-positiven Patienten pathologische Muster-VEP bei Ganzfeldreizung. Die AEHP sind sensitiver und ergaben bei 22% pathologische Interpeaklatenzen. Auch Jabbari et al. (1993) entdeckten nur bei 1,3% der neurologisch asymptomatischen Patienten pathologische VEP und bei 4% pathologische AEHP. Die Tibialis-SEP waren in diese Untersuchung miteinbezogen und erbrachten von allen evozier-
ten Potenzialen mit 11% die höchste Trefferquote. Diesen Ergebnissen zufolge tragen die durch Ganzfeldreizung evozierten VEP nicht zur Frühdiagnose der HIV-Enzephalophatie bei. Nach einer Untersuchung von Malessa et al. (1995) kann die Sensitivität der VEP jedoch erheblich durch foveale Reizung verbessert werden. Während erneut nur 3% der 100 untersuchten, neurologisch asymptomatischen HIV-Patienten pathologische VEP-Befunde bei Ganzfeldreizung zeigten, waren es bei fovealer Reizung (Stimulusgröße 1°×1°) 17%. Die Autoren berichten zudem über eine signifikante Korrelation zwischen dem Stadium der Erkrankung (definiert durch das Ausmaß der CD4-Zell-Depletion) und der Abnahme der P100-Amplitude. Sie deuten dies als Hinweis auf eine sich im Erkrankungsverlauf entwickelnde axonale Schädigung des N. opticus.
3.6.16
Lues
Lowitzsch u. Westhoff (1980) untersuchten mit Schachbrettmusterumkehr 40 Patienten mit Neurosyphilis und fanden bei 50% ein verzögertes VEP. Verzögerungen wurden bei meningitischen Formen, aber auch bei Lues cerebrospinalis und Tabes dorsalis beobachtet. Von 61 Patienten mit Lues latens wiesen nur 6% pathologische Latenzen auf. Conrad et al. (1983) untersuchten 79 Patienten mit Neurosyphilis und fanden nur bei 20% ihrer Patienten pathologische Latenzverzögerungen, wobei entsprechend der dabei häufig beobachteten Optikusatrophie die Gruppe mit Tabes dorsalis besonders häufig (50%) betroffen war. Im Vergleich zu ophthalmologischen Untersuchungen (Visus, Gesichtsfeld, Pupillenreaktion etc.) ist die Sensitivität der VEP bei dieser Erkrankung nicht überlegen. Interessant ist, dass die Latenzverzögerungen im Vergleich zur MS erheblich geringer ausgeprägt sind. Wahrscheinlich spiegelt sich hier die unterschiedliche Pathophysiologie der Sehnervenschädigung wider: Während bei der Neurosyphilis überwiegend eine Perineuritis, Meningitis oder Retinitis auftritt, sind die Entmarkungsherde der MS bevorzugt im papillomakulären Bündel lokalisiert und führen entsprechend zu Visusverfall und Zentralskotom.
315 3.6 ·VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
! Das VEP ersetzt keinesfalls die ophthalmologi-
sche Untersuchung von Patienten mit Neurosyphilis oder HIV.
3.6.17
Neuroborreliose
Selten kommt es im Rahmen einer Neuroborreliose zu einer Optikusschädigung, bedingt durch direkte Entzündung des Sehnerven oder auch indirekt vermittelt durch erhöhten Hirndruck (Rothermel et al. 2001). Vereinzelt haben wir bei Neuroborreliose im Stadium 3 pathologische Latenzverzögerungen der VEP beobachtet. Systematische Studien dazu fehlen bisher.
3.6.18
M. Behçet
Stigsby et al. (1994) untersuchten 54 Patienten mit M. Behçet. Von 28 Patienten mit neurologischen Ausfällen zeigten 11 (39%) pathologische VEP. Auch drei (25%) neurologisch asymptomatische Patienten wiesen pathologische Befunde auf. Die Sensitivität der AEHP scheint bei dieser Erkrankung jedoch höher zu sein: Bei 52% der neurologisch symptomatischen und 31% der asymptomatischen Patienten fanden sich pathologische AEHP.
3.6.19
Pseudotumor cerebri
Nach Untersuchungen von Sørensen et al. (1985) kommt es beim Pseudotumor cerebri zu Latenzverzögerung der P100. Bei 13 untersuchten Patienten waren die Mittelwerte der Latenzen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant verlängert, aber nur zwei Patienten zeigten signifikante Normabweichungen von mehr als der 3-fachen Standardabweichung. Verlaufsuntersuchungen bei allen Patienten ergaben, dass die Latenzen der P100 linear mit dem intrakraniellen Druck korrelierten. Nach Ansicht der Autoren helfen wiederholte VEP-Untersuchungen, den geeigneten Zeitpunkt für eine operative Entlastung zu bestimmen. Auch Timman et al. (1993)
3
fanden bei sechs Patienten im Verlauf eine sehr gute Korrelation des psychophysisch bestimmten Visus und der Latenzverzögerung der P100. Dennoch dürfte, einer Untersuchung von Verplanck et al. (1988) zufolge, die Sensitivität psychophysischer Untersuchungen derjenigen der VEP deutlich überlegen sein: Von 15 untersuchten Patientinnen zeigten 43% pathologische Befunde in der Perimetrie, 60% für die Kontrastsensitivität, jedoch nur 15% für die VEP.
3.6.20
Hydrozephalus
Sklar et al. (1979) leiteten die VEP bei sieben Kindern und drei erwachsenen Patienten mit Hydrozephalus ab. Dabei ergaben sich verlängerte Latenzen und Hemisphärenasymmetrien. Nach Anlegen eines Shunts verkürzten sich die Latenzen. Präoperativ beobachtete Veränderungen der Potenzialkonfiguration bildeten sich zurück. Bei einigen Patienten kam es bei Shuntinsuffizienz zu einer erneuten Verschlechterung der VEP. McSherry et al. (1981) berichten über ein acht Wochen altes Kind mit Hydrozephalus, bei dem sich unmittelbar nach Anlage eines Shunts die Latenz des VEP um 20 ms verkürzte. Da die o. g. Autoren die übliche Altersentwicklung der VEP und die Abhängigkeit der Latenzen von der Schädelgröße nicht in Betracht zogen, können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden. McInnes (1980) fand nur bei zwei von 10 Kindern mit Hydrozephalus verlängerte Latenzen. Beide Kinder hatten eine abnorme Schädelgröße, nach Anlage des Shunts normalisierten sich die Latenzen nicht. Christophis (1998) untersuchte 172 Erwachsene mit infratentoriell und 100 Patienten mit supratentoriell gelegenen großen raumfordernden Läsionen. 65% der Patienten zeigten ausgeprägte Latenzverzögerungen oder Amplitudenminderungen der P100. Schwerste Befunde, zumeist Ausfälle der VEP, zeigten Patienten mit beginnender infratentorieller Herniation. Diese Befunde erwiesen sich bei rascher Operation als reversibel. Da der Ausfall des VEP in einigen Fällen der klinischen Manifestation der Hirndrucksymptomatik vorausging, empfiehlt der Autor die wiederholte Ableitung von VEP, um
316
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
frühzeitig bei Risikopatienten eine infratentorielle Herniation zu entdecken.
3.6.21
3
Schädelhirntraumen
Gupta et al. (1986) untersuchten in einer kontrollierten Studie 33 Patienten mit Schachbrettmusterreizung nach Schädelhirntraumen im Verlauf. Zehn Patienten zeigten pathologische Latenzverzögerungen der P100. Die VEP-Verzögerungen korrelierten mit der Schwere des Traumas und der Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen.
3.6.22
Myoklonusepilepsie
Halliday u. Halliday (1980) fanden bei progressiver Myoklonusepilepsie vergrößerte Amplituden der P100 nach Blitzstimulation. Verglichen mit den somatosensorisch evozierten Potenzialen (SEP) war die Amplitudenvergrößerung der P100 weniger deutlich. Patienten mit benignem Myoklonus zeigten keine Amplitudenvergrößerung. Auch Mervaala et al. (1986) untersuchten 16 Patienten mit progressiver Myoklonusepilepsie. Im Gegensatz zu Halliday fanden sich mit Schachbrettmusterstimulation normale Amplituden, jedoch signifikante Latenzverzögerungen der P100. ! Verglichen mit den somatosensorisch evozier-
ten Potenzialen (SEP) ist die Amplitudenvergrößerung der P100 bei Patienten mit Myoklonusepilepsie weniger deutlich.
3.6.23
Epilepsie
Die Veränderungen der VEP bei Epilepsie sind uneinheitlich und umstritten. Bei Ableitungen von Epileptikern sollte immer darauf geachtet werden, ob Antikonvulsiva eingenommen werden, da dadurch Latenzverzögerungen entstehen können (Abschn. 3.9). Versuche, bei photosensitiven Epilepsien mit Hilfe der VEP eine bessere Quantifizierung der neuronalen Übererregbarkeit zu erhalten als mit
herkömmlicher Photostimulation im EEG, waren nicht erfolgreich (Lücking 1969). Obwohl in Studien (z. B. Lee et al. 1980; Gokcay et al. 2003) gezeigt werden konnte, dass bei photosensiblen Epilepsien die VEP-Amplitude größer ist, sind diese Befunde so unspezifisch, dass sie keine klinische Relevanz haben. Insgesamt scheint das VEP zur Beurteilung von Epilepsien keinen wesentlichen Beitrag zu leisten. ⊡ Abbildung 3.33 veranschaulicht ein Beispiel erhöhter kortikaler Erregbarkeit mit Riesenpotenzialen v. a. der späteren Komponenten N140 und P250 bei einer symptomatischen okzipitalen Epilepsie. Nach einem Schädelhirntrauma litt dieser Patient unter fokal (mit Flimmerskotomen) beginnenden, sekundär generalisierenden Anfällen. ! Die Veränderungen der VEP bei Epilepsie sind
uneinheitlich und nicht selten durch Antikonvulsiva bedingt.
3.6.24
Kortikale Blindheit
Die VEP-Befunde bei kortikaler Blindheit sind nicht einheitlich. Während einige Autoren (Kooi u. Sharbrough 1966; Rouher et al. 1968; Abraham et al. 1975) erloschene VEP nach Blitzreizung fanden, berichteten Hess et al. (1982) über vier Fälle mit kortikaler Blindheit bei bilateralen Posteriorinsulten, die reproduzierbar blitzevozierte VEP aufwiesen. Nach Schachbrettstimulation zeigten diese keine Potenziale. Auch Bodis-Wollner (1977) fand bei einem kortikal blinden 6-jährigen Jungen normale blitzevozierte VEP. Dieser Junge hatte computertomographisch eine bilaterale Läsion der Areae 18 und 19, nicht aber der Area 17. Die durch die angeführten Beispiele verdeutlichte Diskrepanz, die gelegentlich zwischen klinischer Sehtestung und den VEP bei Patienten mit Läsionen des okzipitalen Kortex besteht, hat mehrere mögliche Ursachen: ▬ Intaktheit der Area 17 – des Generators zumindest der ersten VEP-Komponente (Di Russo et al. 2002) – ist keinesfalls gleichbedeutend mit einer ungestörten visuellen Wahrnehmung. Umfangreiche Läsions- und Aktivierungsstudien legen nahe, dass die Area 17 (ähnlich wie die Retina) eine notwendige Voraussetzung für normales Sehen ist, jedoch keinesfalls der Trä-
317 3.6 ·VEP bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen – Vorbemerkung
3
⊡ Abb. 3.33. Riesenpotenziale bei einem Patienten mit symptomatischen okzipitalen Anfällen, die sich als Flimmerskotome manifestieren. Die Ableitung erfolgte mit fovealer Reizung im anfallsfreien Intervall. Die »Riesenamplituden« der späten Komponenten N140 und P250 sind ein Hinweis auf die abnorm erhöhte kortikale Erregbarkeit
ger bewusster visueller Wahrnehmung (z. B. Rees et al. 2002). ▬ Auch Patienten mit kompletter Läsion der Area 17 einer Seite können bei Stimulation im hemianopen Gesichtsfeld Aktivierungen der ipsiläsionalen visuellen Assoziationsareale aufweisen, die sich von den Aktivierungen der gesunden Seite kaum unterscheiden (z. B. Goebel et al. 2001). Diese unter Umgehung von Area 17 entstehende Aktivierung wird vermutlich über einen colliculo-pulvino-extrastriären Pfad vermittelt. ▬ ⊡ Abbildung 3.34 illustriert eine weitere Ursache für die mögliche Diskrepanz zwischen Sehleistung und VEP-Befund. Die Abbildung zeigt einen Patienten mit computertomographisch
nachgewiesenem bilateralen Posteriorinsult und fast komplettem Ausfall des peripheren Gesichtsfelds beider Seiten. Das erstaunlich gut erhaltene VEP dürfte hier im Wesentlichen durch die erhaltene Makulaafferenz getragen sein, die überproportional zur Entstehung des VEP beiträgt. Da der Patient nicht in der Lage war, den kleinen fovealen Reiz zu fixieren, konnten die fovealen VEP nicht ausgelöst werden. ! Durch Fehlen blitzevozierter Potenziale kann
zwar eine kortikale Blindheit objektiviert werden, der Umkehrschluss auf eine psychogene Blindheit aufgrund erhaltener VEP ist jedoch nur bei vollständig unauffälliger Kernspintomographie zulässig.
318
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.34. VEP bei einem Patienten mit bilateralem Posteriorinsult und einem Gesichtsfeldrest von 2°. In der Verhaltensbeobachtung wirkte der Patient blind. Linke Bildhälfte: Reizung des linken Auges; rechte Bildhälfte: Reizung des
3.6.25
Koma
Pfurtscheller et al. (1985) fanden in einer Studie an 30 komatösen Patienten keine Korrelation der VEP mit dem klinischen Verlauf. Adler et al. (1991) konnten allerdings bei komatösen Patienten eine sehr gute Korrelation zwischen dem intraventrikulären Druck und der Amplitude von P100 nachweisen.
rechten Auges. Bei transienter Musterreizung sind VEP evozierbar. Die Steady-state-Reizung ergibt links kein Potenzial, rechts ist ein schlecht evoziertes Potenzial ableitbar. Unter den Kurven ist der perimetrische Befund abgebildet
Druckzunahme führte in enger zeitlicher Korrelation zu einer Abnahme der Amplitude, die bei Druckentlastung rasch reversibel war. Der prädiktive Wert der VEP hinsichtlich einer sekundären Verschlechterung ist jedoch dem der SEP deutlich unterlegen (Dauch 1991).
319 3.7 ·VEP bei psychiatrischen Erkrankungen
3.6.26
Albinismus
Bei Tieren mit binokularem Sehen und beim Menschen verlaufen die Fasern von der temporalen Retinahälfte ungekreuzt zum Kortex. Beim Albinismus, einer genetisch determinierten ektodermalen Anomalie, finden sich Fehlprojektionen der optischen Afferenz zum Corpus geniculatum mit gekreuzter Projektion auch von der temporalen Retinahälfte. Beim menschlichen Albino kreuzen etwa 20° des nasalen Gesichtsfelds (d. h. der temporalen Retinahälfte) zur Gegenseite. Das bedeutet, dass jede Hemisphäre überwiegend visuelle Afferenzen aus dem kontralateralen Auge erhält. Mehrere Autoren berichteten über deutliche Asymmetrien der mit okzipitalen bipolaren Reihenschaltung abgeleiteten VEP nach monokulärer Blitzreizung (Creel et al. 1974) und Schachbrettreizung (Coleman et al. 1979; Carroll et al. 1980a). ! Als typischer Befund zeigt sich bei Albinos
nach monokulärer Reizung eine Lateralisierung der P100 zum kontralateralen okzipitalen Kortex mit dort zumeist auch kürzerer Latenz.
Es sind verschiedene Parameter zur Quantifizierung der Lateralisierung der P100 definiert worden. Von diesen findet v. a. der von Apkarian u. Shallo-Hoffmann (1991) vorgeschlagene AmplitudenAsymmetrie-Index Anwendung. Dieser Index berechnet sich als Summe der für das rechte und linke Auge ermittelten Differenzen der ipsi- und kontralateral abgeleiteten P100-Amplituden. Ein Index von null bedeutet hier perfekte Symmetrie, ein solcher von zwei eine fehlende P100 über dem ipsilateralen Kortex. Als Normgrenze wird üblicherweise ein Index von 0,7 angenommen. Unter Anwendung dieser oder ähnlicher Symmetrieanalysen fanden einige Autoren bei allen Albinos eine pathologische Lateralisierung (Apkarian et al. 1983; Torok 2001). Die Sensitivität in anderen Studien war jedoch z. T. erheblich niedriger (z. B. 83%: Soong et al. 2000; 45%: Bouzas et al. 1994; 18%: Jarry et al. 2000). Generell gilt, dass das Blitz-VEP weniger sensitiv ist als das Muster-VEP (Pott et al. 2003; Dorey et al 2003), das aufgrund der häufig assoziierten Nystagmen als Schachbrett-onset-VEP abgeleitet werden muss.
3
! Zur Klärung der Projektionsverhältnisse bei
Albinos muss ein Schachbrett-onset-VEP abgeleitet werden.
Zu der Varianz der Studienergebnisse könnte auch beitragen, dass der Albinismus selbst eine sehr heterogene Störung mit variablem Phänotyp darstellt. So konnten Dorey et al. (2003) in einer Studie mit 40 Albinos zeigen, dass das Ausmaß der P100Lateralisierung mit der Vollständigkeit der klinischen Ausprägung des Phänotyps korreliert. Sie weisen zudem darauf hin, dass Asymmetrien der Latenzen sensitiver sind als Amplitudenparameter. Das VEP mit »Albinoparadigmen« ist insbesondere bei rein okulärem Albinismus wichtig, da diese Patienten vom äußeren Aspekt her keine Stigmata aufweisen.
3.7
VEP bei psychiatrischen Erkrankungen
Ältere Untersuchungen zu den VEP bei Depressiven und Schizophrenen ergaben keine konsistenten Normabweichungen der frühen Komponenten bis P100. Gruppeneffekte waren häufig durch die Gabe von Medikamenten oder durch ungünstige Ableitbedingungen mit schlechterer Fixation bedingt (Shagass 1972). Neuere Untersuchungen, die den Einfluss von Medikamenten sicher ausschließen, liegen nicht vor.
3.7.1
Psychogene Blindheit
Die VEP sind besonders zur Objektivierung funktioneller Sehstörungen nützlich, sei es Simulation oder eine psychogene Sehstörung. Simulierte Sehstörungen sind bei solchen Patienten nicht selten, die nach einem Unfall eine Entschädigung erwarten oder bei Personen, die auf ihre Wehrdiensttauglichkeit untersucht werden, wobei häufig ein leichtes okuläres Trauma vorausgegangen ist (Kramer et al. 1979). Psychogene Sehstörungen gehen meist mit Angaben über ein vermindertes visuelles Auflösungsvermögen,
320
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
röhrenförmige oder spiralige Gesichtsfeldeinschränkungen oder Nachtblindheit einher. Behrman u. Levy (1970) untersuchten bei 14 Patienten mit vermuteter psychogener Sehstörung die VEP nach Dunkeladaptation. Alle Patienten gaben psychophysisch eine deutlich pathologische Dunkeladaptationskurve an. Die skotopischen VEP waren dagegen bei 12 der untersuchten Patienten normal. Halliday (1982) untersuchte mehrere Fälle mit vermuteter einseitiger psychogener Blindheit. Wie klinisch zu erwarten war, fand er nach Schachbrettstimulation normale VEP. Die Diagnose »psychogene Blindheit« aufgrund erhaltener VEP muss jedoch zurückhaltend gestellt werden, da bei hochgradigen Gesichtsfeldeinschränkungen und in einigen Fällen selbst bei kortikaler Blindheit noch VEP ableitbar sind (Abschn. 3.6.24). ! Bei der Abklärung funktioneller Sehstörungen
ist insbesondere die simultane Ableitung von PERG und VEP hilfreich (Abschn. 3.11.10).
3.7.2
Akute Alkoholintoxikation und chronischer Alkoholismus
Einmalige Dosen von Alkohol scheinen keinen Einfluss auf die Amplitude oder Latenz der Musterumkehr-VEP zu haben (Skalka et al. 1986; Quintyn et al. 1999; Resende et al. 2001). Beim chronischen Alkoholismus unterscheiden sich die Befunde offenbar in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium: Kupersmith et al. (1982) fanden bei acht Patienten mit Tabak-Alkohol-Amblyopie unter transienter Blitzstimulation trotz Visusminderung auf 1/10 normale Latenzen. Haan et al. (1983) berichten über normale Befunde bei 77 chronischen Alkoholikern, die keine alkoholbedingten neurologischen Begleiterkrankungen hatten. Meinck et al. (1990) stellten dagegen bei vier von 40 chronischen Alkoholikern ohne neurologische Ausfälle pathologische Latenzen fest. In dieser Studie waren die AEHP mit 38% jedoch wesentlich sensitiver als die VEP. In einer im Mittel etwa sechs Jahre älteren Patientengruppe schließlich fanden Chan et al. (1986) bei 23% der Alkoholiker pathologische VEP. Im späten Stadium mit dekompensierter Leberzirrhose und einer milden hepatischen
Enzephalopathie liegt der Anteil pathologischer Befunde bei 50% (Johansson et al. 1989). ! Einmalige Alkoholintoxiaktion hat keinen Ein-
fluss auf das VEP, bei chronischem Alkoholismus jedoch stellen sich im Verlauf häufig pathologische VEP-Befunde ein.
3.8
VEP bei internistischen Erkrankungen
3.8.1
Vitamin-B12-Mangel
Eine ganze Reihe von Kasuistiken weisen auf pathologische VEP-Befunde bei Vitamin-B12-Mangel hin. Das Leitsymptom ist die Latenzverzögerung, die pathophysiologisch durch die defekten Myelinscheiden zu erklären ist (⊡ Abb. 3.18). Krumholz et al. (1981) untersuchten sieben Patienten und fanden bei zwei von ihnen pathologische Latenzen, die sich ein Jahr nach Therapie wieder normalisiert hatten. Eine noch höhere Inzidenz pathologischer Latenzverzögerungen fanden Fine et al. (1990): Sieben von 10 Patienten wiesen pathologische Latenzen oder pathologische interokuläre Latenzdifferenzen auf.
3.8.2
Diabetes mellitus
Untersuchungen der VEP bei Diabetikern ergeben übereinstimmend pathologische Latenzverzögerung der P100. Patienten mit Erkrankungen des Auges (Katarakt, Glaskörpertrübungen, diabetische Retinopathie) oder Visusstörungen waren von diesen Studien ausgeschlossen. ! VEP Veränderungen bei Diabetes mellitus
(und anderen Stoffwechselerkrankungen wie Hypothyreose, Niereninsuffizienz oder Leberzirrhose) sind häufig und potenziell reversibel.
Puvanendran et al. (1983) fanden bei 10 von 16 Diabetikern um mehr als drei Standardabweichungen verlängerte VEP-Latenzen nach Schachbrettreizung. Die Befunde korrelierten nicht mit der Erkrankungsdauer oder den Blutzuckerwerten, zeigten jedoch eine gute Korrelation mit der periphe-
321 3.8 ·VEP bei internistischen Erkrankungen
ren Nervenleitgeschwindigkeit. Eine signifikante Korrelation fanden Fierro et al. (1996) zudem zwischen VEP- und SEP-Latenzen bei Diabetikern. Contocostas et al. (1986) stellten bei neun von 19 Patienten und Yaltkaya et al. (1988) bei 18 von 25 Patienten verlängerte Latenzen der P100 nach Schachbrettstimulation fest. Die Latenzverzögerung des VEP bei Diabetikern ist potenziell reversibel: In einer Verlaufsuntersuchung von Fierro et al. (1999) zeigten sich die Latenzen von 11 der 16 Patienten mit initial pathologischem VEP nach einem Jahr intensivierter Insulintherapie normalisiert (Fierro et al. 1999).
3.8.3
Hypothyreose
Jüngeren Studien zufolge kann eine hypothyreote Stoffwechsellage unabhängig von einer mechanischen Kompression des Sehnerven im Rahmen einer endokrinen Orbitopathie zu VEP-Veränderungen führen. Khedr et al. (2000) untersuchten 23 Patienten mit Hypothyreose und fanden die VEP-Latenzen bei 52% über das 2,5-fache der Standardabweichung erhöht. In einer Untersuchung von Tamburini et al. (1998) zeigten drei von neun Patientinnen mit erstdiagnostizierter Hypothyreose verlängerte Latenzen. Bei sieben waren die P100-Amplituden erniedrigt (Mittelwert 2 µV). Ein Jahr nach medikamentöser Substitution hatten sich die Latenzen im Mittel signifikant, wenngleich nur um 3 ms verkürzt. Erstaunlich deutlich hatten sich die Amplituden erholt (Mittelwert 9 µV).
3.8.4
Niereninsuffizienz
Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Urämie kann als Komplikation eine urämische Enzephalopathie auftreten. Rossini et al. (1982) untersuchten die VEP nach Blitz- und Schachbrettstimulation bei 43 Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz. Die blitzevozierten Potenziale zeigten bei 54% eine latenzverzögerte P100, die schachbrettevozierten bei 46%. Bei Steady-state-Stimulation waren die Latenzen sogar bei 58% der Patienten verzögert. Kuba
3
et al. (1983) untersuchten in einer Verlaufsstudie 88 Patienten, die an chronischer Niereninsuffizienz litten, mit Schachbrettstimulation. Leider beschrieben die Autoren nur Gruppeneffekte. Sie fanden bei dialysierten Patienten verlängerte Latenzen der P100 und Amplitudenreduktionen. Patienten, die noch nicht dialysepflichtig waren, zeigten weniger deutliche Latenzverzögerungen. Bei transplantierten Patienten waren die Amplituden der VEP gegenüber einer Kontrollgruppe unverändert, die Latenzen verzögert. Es bestand keine signifikante Korrelation zwischen Nierenretentionswerten im Blut und der Latenzverzögerung. Neun Patienten wurden unmittelbar vor und nach der Dialyse untersucht und zeigten keine Änderung ihrer VEP. Eine weitere Verlaufsstudie an 18 Patienten vor und nach Nierentransplantation zeigte nach der Nierentransplantation eine signifikante Verkürzung der Latenz von P100 (Brown et al. 1987). Auch in dieser Studie werden nur Gruppeneffekte beschrieben.
3.8.5
Hepatogene Enzephalopathie
Auch bei der hepatogenen Enzephalopathie sind VEP-Veränderungen beschrieben. Johansson et al. (1989) untersuchten 42 Patienten mit Leberzirrhose. Die Latenzen der P100 waren gegenüber einer Kontrollgruppe verlängert, besonders für die Subgruppe derjenigen Patienten mit den klinischen Zeichen einer beginnenden Enzephalopathie (n=17). Von diesen wiesen sieben pathologische VEP-Latenzen auf. Die Wertigkeit des VEP als Screeningmethode für die frühzeitige Diagnose einer subklinischen hepatogenen Enzephalopathie dürfte gering sein: Zhu et al. (1993) fanden in einer Gruppe von 30 Patienten mit Leberzirrhose nur bei 13% die VEP pathologisch verzögert, obwohl eine neuropsychologische Testung bereits bei 65% Ausfälle zeigte. In einer weiteren Untersuchung zeigte keiner der Patienten (n=22) ein pathologisches VEP (Mehndiratta et al. 1990). Patienten mit äthyltoxischer Genese ihrer Zirrhose wurden in diesen Studien ausgeschlossen.
322
3.9
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Veränderungen der VEP durch Medikamente
Eine Reihe von zentral wirkenden Pharmaka führt zu signifikanten Veränderungen der P100-Latenz.
3 3.9.1
Narkotika
Insbesondere für die intraoperativen Monitoringtechniken (Abschn. 3.10) sind die Veränderungen der VEP-Latenzen und Amplituden unter Narkotika von Bedeutung. Unter Barbituraten, Halothan, Isofluran, Lachgas und Äther kommt es im Narkosestadium zu Latenzverzögerungen und Amplitudenminderung der P100 (Brazier 1970; Shagass 1972; Chi et al. 1986), unter Enfluran nehmen die Amplituden um das 3- bis 5-fache zu (Burchiel et al. 1975). Bei intraoperativen Ableitungen muss auch berücksichtigt werden, dass unter Hypothermie massive Latenzverzögerungen der P100 auftreten (Reilly et al. 1978). Benzodiazepine scheinen nur eine Amplitudenminderung der P100 zu verursachen (Rockstroh et al. 1991).
3.9.2
Antikonvulsiva
Für die neurologische Praxis sind vor allem die durch Antikonvulsiva beobachteten VEP-Veränderungen von Bedeutung. Am häufigsten werden (milde) Latenzverzögerungen unter Carbamazepin beobachtet (Rockstroh et al. 1987), während Valproinsäure das VEP nicht zu beeinflussen scheint (Nyrke et al. 1984; Harding et al. 1985). Gefürchtet sind Gesichtsfeldstörungen unter Therapie mit Vigabatrin, die – wenngleich subjektiv zumeist unbemerkt – irreversibel sind (Johnson et al. 2000). Typischerweise kommt es zu einer konzentrischen Einengung des Gesichtsfeldes, die etwa die zentralen 30° ausspart und temporal weniger stark ausgeprägt ist als nasal (z. B. Kälviainen et al. 1999). Die Häufigkeit dieser Nebenwirkung wird auf etwa 30% geschätzt und beschränkt den Einsatz von Vigabatrin auf wenige Indikationen (Add-on-Therapie bei ansonsten therapieresistenten fokalen Epilepsien, West-Syndrom). Anders als das ERG, das bei betroffenen Patienten häufig pathologisch ist
und die Sehstörung als retinale Schädigung ausweist, ist das VEP zumeist normal (Krauss et al. 1998). So zeigten in einer Untersuchung von Daneshvar et al. (1999) nur drei von 10 betroffenen Patienten eine Latenzverzögerung, vermutlich bedingt durch den kräftigen Beitrag der erhaltenen Afferenzen aus dem zentralen Gesichtsfeld. Das VEP ist somit als Screening-Methode ungeeignet – auch das ERG, wenngleich sensitiver, ist unzuverlässig. Regelmäßige Gesichtsfeldkontrollen sind deshalb unerlässlich. Anders als Vigabatrin scheint das strukturverwandte Tiagabin nicht zu Gesichtsfeldstörungen zu führen (Krauss et al. 2003).
3.9.3
Potenziell neurotoxische Substanzen
Als Verlaufsparameter für die Überwachung der Therapie mit potentiell neurotoxischen Substanzen kann das VEP beim Einsatz von Ethambutol und Deferoxamine wertvoll sein. Dabei kommt es vor Auftreten der klinischen Symptome einer Sehnervschädigung zu deutlichen Latenzverzögerungen, die bei rechtzeitigem Absetzen der Medikation reversibel sind (Yiannikas et al.1983). Die intrathekale Anwendung von Iopamidol (z. B. Solutrast) bei Myeloradikulographien führt etwa 24 h nach Applikation zu Latenzverzögerungen, die innerhalb von drei Tagen vollständig reversibel sind. Unter Iohexol (z. B. Omnipaque) scheinen diese Effekte nicht aufzutreten (Broadbridge et al. 1984). Nach intrathekaler Iopamidolgabe sollte also ein Sicherheitsabstand von etwa vier Tagen bis zur VEP-Untersuchung eingehalten werden.
3.10
Intraoperatives Monitoring mit dem VEP
Der Wert des intraoperativen Monitoring mit blitzevozierten Potenzialen ist umstritten. Eine Anwendungsmöglichkeit scheint allenfalls das modalitätsspezifische Funktionsmonitoring bei Operationen im Bereich der Orbita, des Sehnerven und des Chiasmas zu sein. Grundsätzlich sind die Bedingungen zur intraoperativen Ableitung der VEP im Vergleich zu so-
323 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
matosensibel evozierten Potenzialen (SEP) oder zu akustisch evozierten Potenzialen (AEP) eher ungünstig. Das blitzevozierte Potenzial unterliegt schon unter Normalbedingungen großen intraindividuellen und interindividuellen Schwankungen hinsichtlich Latenz, Form und Amplitude. Narkotika, Muskelrelaxanzien, Hypothermie und Hyperventilation beeinflussen darüber hinaus Konfiguration und Latenz der Potenziale (Abschn. 3.4.3, 3.9), so dass Normwerte nicht zuverlässig sind und nur der intraoperative Vergleichsbefund (d. h. das eigentliche »monitoring«) gewertet werden kann. So sind auch die kritischen Bemerkungen von Cedzich et al. (1988) zu verstehen, die in einer Untersuchung an 45 Patienten (25 mit Tumoren der Sellaregion, 10 mit anderen, die Sehbahn nicht betreffenden Tumoren und 10 mit Bandscheibenvorfällen) feststellten, dass in allen Gruppen intraoperativ starke Schwankungen der VEP-Latenzen und -Amplituden auftraten, wobei diese jedoch weder in Beziehung zur aktuellen intraoperativen Manipulation noch zum funktionellen Ergebnis der Operation (d. h. postoperativem Visus, Gesichtsfeld) standen. Die Autoren vermuten, dass hier weniger die Funktion der visuellen Afferenz als vielmehr pharmakologische Einflüsse und unspezifische Faktoren eine Rolle spielen und zweifeln den Wert des VEP-Monitoring ganz grundsätzlich an (Cedzich u. Schramm 1990). So verursacht z. B. die Kraniotomie selbst eine Latenzverzögerung, deren Ursache unklar ist. Harding et al. (1987) konnten mit in Kontaktlinsen eingebauten Photostimulatoren bessere Ergebnisse erzielen. Sie fanden bei Eingriffen in der Orbita, dass ein länger als 4 min dauernder Verlust der VEP während des Eingriffs in allen Fällen mit einer postoperativen Visusverschlechterung korrelierte (Harding et al. 1990). Aufgrund dieser Ergebnisse schlagen die Autoren vor, dass ein VEP-Monitoring bei orbitalen Eingriffen regelmäßig durchgeführt werden sollte. In der Traumatologie legte Gellrich (1999) umfangreiche Ergebnisse simultaner Ableitung des Blitz-VEP und des Blitz-ERGs vor. Nur wenn das ERG normal ausfällt, ist das VEP verwertbar (andernfalls verhindert z. B. Netzhautdegeneration oder massive Bulbuseinblutung die Einschätzung der Sehbahnfunktion). In der Mehrheit der
3
Fälle war ein klinisches Afferenzdefizit nicht beurteilbar, da die Patienten intubationsbedingt nicht ansprechbar und die Pupillenreaktionen durch systemische oder lokale Medikation maskiert waren. In diesen Fällen gilt folgende Graduierung: (1) VEP nicht reproduzierbar: Es besteht wenig Hoffnung, doch hat in Einzelfällen eine Dekompression wieder die Sehfunktion herstellen können. (2) Das VEP ist pathologisch, aber reproduzierbar: Eine situationsadäquate Dekompression ist indiziert. (3) Das VEP ist normal: Ein die Sehbahn dekomprimierender Eingriff ist nicht erforderlich. Die Blitz-VEP bzw. -ERG Untersuchung ist ebenso für den intraoperativen Einsatz etabliert, wo sie vor allem bei ausgedehnten Orbitarekonstruktionen Anwendung finden kann.
3.11
Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
Das Elektroretinogramm (ERG) ist inzwischen ein »weites Feld« geworden. Es ist der Oberbegriff für alle in der Netzhaut evozierten Licht- und Musterantworten, die nichtinvasiv mit Corneaelektroden gemessen werden können (⊡ Abb. 3.35). Dass Potenziale der grundsätzlich nicht direkt zugänglichen Netzhaut am äußeren Auge (in der Regel an der Hornhaut) überhaupt gemessen werden können, ist auf die Generierung eines Feldpotenzials durch retinale Ionenströme zurückzuführen, insbesondere durch Kalium- und Natriumströme. Dieses Feldpotenzial ist in der Regel nur dann ausreichend groß, wenn die Zellverbände eine radiäre Anordnung aufweisen (z. B. Photorezeptoren, Bipolarzellen), so dass sich die Einzelzellpotenziale messbar addieren können. Nichtradiär ausgerichtete Zellverbände haben jedoch einen modulierenden Einfluss auf das Hauptpotenzial. Neben dem klinischen ERG werden Netzhautpotenzialmessungen auch zu grundlagenwissenschaftlichen Zwecken durchgeführt. Dieses kann nichtinvasiv geschehen, wird gewöhnlich aber an isolierten Zellen oder Zellverbänden durchgeführt.
324
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
▬ In der Tat dominiert bei ganz schwachen Blit-
▬
3 ▬ ▬ ⊡ Abb. 3.35. Blitzevoziertes ERG. Positivität ist nach oben aufgetragen, Negativität nach unten. Nach den frühen Rezeptorpotenzialen (FRP), die in den Rezeptoraußensegmenten generiert werden, entsteht die häufig doppelgipfelige a-Welle in den Rezeptorinnensegmenten. Danach folgen als hochfrequente Bestandteile der b-Welle die oszillatorischen Potenziale (OP), die in der inneren plexiformen Schicht generiert werden. Die b-Welle und die nachfolgende c-Welle entstehen in den Müller-Zellen und im Pigmentepithel. Sie sind Ausdruck der Depolarisation und anschließenden Hyperpolarisation der Müller-Zellen und der Hyperpolarisation der Pigmentepithelapikalmembran. (Mod. nach Ikeda 1982)
Auf diese Verfahren soll hier nicht eingegangen werden. Die Varianten des klinischen Elektroretinogramms unterscheiden sich v. a. durch die Lichtreize und den dadurch jeweils stimulierten Hauptgenerator (⊡ Tabelle 3.2). Auf Spezialuntersuchungen, die sich klinisch (noch) nicht durchgesetzt haben, wird hier nicht näher eingegangen; dazu gehören die »scotopic negative response« (Sieving et al. 1986), das »early receptor potential« (Goldstein and Berson 1970), das multifokale ERG (Miyake 1998) und die »photopic negative response« (Viswanathan et al. 1999).
3.11.1
ERG-Messtechnik
Durch geeignete Lichtreize und Analysen lassen sich mit dem ERG drei Zelltypen funktional gut unterscheiden: Bei sehr lichtschwachen Blitzen werden die Zapfen gar nicht aktiviert, eine Antwort kann also nur von den Stäbchen und ihren Folgestrukturen stammen.
▬
zen die Antwort der Bipolarzellen in der b-Welle (ein historischer Zufall, dass die Buchstaben übereinstimmen). Bei steigender Blitzenergie wird die vorher verdeckte a-Welle als reine Stäbchenantwort sichtbar. Bei einer Blitzintensität von >1 cd/m2s mischt die Zapfenantwort dazu. Wenn man Lichtblitze auf einem Lichthintergrund von etwa 10 cd/m2 gibt, dann stammt die Antwort nahezu ausschließlich von den Zapfen, da die Stäbchen bereits in Sättigung sind. Wenn man darüber hinaus auch noch mit 30 Hz Flimmerlicht reizt, dann können nur die Zapfen mit 30 Hz antworten, da ihre Flimmerverschmelzungsfrequenz mit 50–60 Hz darüber liegt (die Flimmerverschmelzungsfrequenz der Stäbchen liegt mit 20 Hz darunter).
Reizfarbe Stäbchen haben eine andere spektrale Empfindlichkeit als das Zapfensystem insgesamt und auch als jeder einzelne Zapfentyp. Aufgrund ihres Empfindlichkeitsmaximums im Blau-Grün-Bereich werden die Stäbchen mit kurzwelligem Licht effektiver gereizt als die große Masse der Zapfen (Grün- und Rotzapfen). Daher verwenden einige Laboratorien zur Ableitung der Stäbchenantwort blaues Licht. Die Blauzapfen, die damit theoretisch auch gereizt werden können, sind gegenüber schwachen Reizen unempfindlich und ohnehin wegen ihrer relativ geringen Zahl in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen. Umgekehrt ist es möglich, durch Rotlichtreizung den Beitrag der Stäbchen zum Potenzial zu reduzieren. Doch ist es generell ausreichend, allein über die Lichtintensität, Hintergrund und Blitzfrequenz zwischen Stäbchen und Zapfen zu selektieren. Für die Durchführung des klinischen ERG hat die ISCEV (International Society for Clinical Electrophysiology of Vision; www.iscev.org) seit 1989 einen weltweiten Standard erarbeitet. Er dient der Vergleichbarkeit klinischer und grundlagenwissenschaftlicher Untersuchungen und findet zunehmend Verbreitung (Marmor 1990). Die alle vier Jahre erfolgenden Aktualisierungen haben die ursprünglichen Vereinbarungen weitgehend bestä-
325 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
⊡ Tabelle 3.2. Je nach Reizintensität (linke Spalte) und Reizart (Blitz vs. Muster, zweite Spalte) können im ERG unterschiedliche Neuronensysteme aktiviert werden
Reizintensität
Reizart
Bezeichnung
Ganz schwach, < 0,03 cd·s/m2
GanzfeldBlitz
Scotopic negative response
Schwach, ≈ 0,3 cd·s/m2
GanzfeldBlitz
Skotopisches, also dunkeladaptiertes Blitz-ERG
Stäbchen- und Bipolarzellen
Abschn. 3.9
Nachtblindheit, Retinitispigmentosa
Stark, ≈ 3 cd·s/m2
GanzfeldBlitz
Photopisches, also helladaptiertes Blitz-ERG
Zapfenfunktion
Abschn. 3.9
Zapfendystrophie
Ganz stark, > 100 cd·s/m2
GanzfeldBlitz
ERP
Rezeptor- Außensegmente
(Goldstein u. Berson 1970), hier nicht behandelt
Stark, ≈ 3 cd·s/m2
Lokaler Blitz auf Streulicht-unterdrückendem Hintergrund
Fokales ERG
Photopisch, > ≈ 1 cd/m2
Lokale Blitze nach m-Sequenz
mfERG
Ortsaufgelöste Zapfenfunktion, Makulafunktion
Abschn. 3.9.8
Makulafunktion, areolärer Schaden
Photopisch, > ≈ 1 cd/m2
Lokale Blitze auf adaptierendem Hintergrund
phNR
Ganglienzellen
Hier nicht behandelt (Viswanathan et al. 1999)
Glaukom (?)
Photopisch, > ≈ 1 cd/m2
Musterwechsel
PERG
Ganglienzellfunktion. Wg. Reizort: Makulafunktion
Abschn. 3.9.9
Glaukom, Makulafunktion, unklare Visusminderung
ERP early receptor potential PERG Pattern-ERG = Muster-ERG phNR photopic negative response mfERG multifokales ERG
Generator
Bemerkung
Typische Frage
Sieving (1986), hier nicht behandelt
Ersetzt durch mfERG, hier nicht behandelt
3
326
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
tigt (Marmor u. Zrenner 1998). Die nachfolgend erläuterte Durchführung der ERG-Untersuchung orientiert sich eng an den Prinzipien dieses Standards.
3
3.11.2
ERG-Generatoren
Früher wurde angenommen, dass die b-Welle indirekt über die Müllerzellen vermittelt wird (Newman u. Frishman 1991), neuere Hinweise lassen hingegen vermuten, dass die dunkeladaptierte bWelle direkt von den Stäbchen-Bipolarzellen generiert wird (Tian u. Slaughter 1995; Lei u. Perlman 1999; Shiells u. Falk 1999). Eine normale b-Welle bei niedriger Blitzintensität erlaubt den Rückschluss auf eine regelrechte Funktion der Stäbchen, weil sonst die Bipolarzellen gar nicht angesteuert würden, die Stäbchenantwort selbst wird von der überlagernden b-Welle ver-
deckt. Die Flimmerantwort bei 30 Hz muss über die Zapfen aufgenommen werden (für die Stäbchen liegt die Flimmerverschmelzungsfrequenz bei 20 Hz), wird aber wahrscheinlich dann von den dadurch angesteuerten On- und Off-Bipolarzellen generiert (Kondo u. Sieving 2002)). ! Die a-Welle erlaubt einen Rückschluss auf die
Stäbchen, die b-Welle auf die Bipolarzellen, das Flimmer-ERG auf die Zapfen (⊡ Tabelle 3.3).
3.11.3
Apparative Voraussetzungen und Ableittechniken
Der Standardreiz des Helligkeits-ERG ist ein kurzer Blitzreiz. Er sollte nicht länger als 5 ms dauern, um die Integrationszeit der Photorezeptoren nicht zu überschreiten. Zur Anwendung kommen häufig Gasentladungslampen (z. B. Xenonblitzlampen),
⊡ Tabelle 3.3. Ursprung der ERG-Komponente
Anatomische Struktur
ERG-Komponente
Bemerkung
Rezeptoraußensegmente
Frühes Rezeptorpotenzial (ERP)
Wird durch Photopigmentveränderungen in den Photorezeptoren generiert
Rezeptorinnensegmente
a-Welle
Spiegelt die Hyperpolarisierung der Rezeptoren als Folge des Transduktionsprozesses wider
Müllerzellen
b-Welle
Depolarisation der Müllerzelle (Gliazelle) und transretinaler Kaliumstrom als Folge insbesondere der Depolarisation von Bipolarzellen
Müllerzellen und Pigmentepithel
c-Welle
Summe der Hyperpolarisation der Müllerzellen (korneanegativ) und der Pigmentepithelapikalmembran
Innere plexiforme Schicht
Oszillatorische Potenziale (OP)
Hochfrequente Bestandteile der b-Welle. Möglicherweise spielen die Amakrinzellen eine wesentliche Rolle bei der Generierung der OP
Skotopische Schwellenantwort (STR)
Negatives, stäbchendominiertes Potenzial, das schwellennah noch vor dem Auftreten der b-Welle abgeleitet werden kann
Muster-ERG
Andere Reizparameter. Ursprung »Ganglienzellen« noch nicht abschließend gesichert und wahrscheinlich nicht der einzige
Ganglienzellen
327 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
3
▬ durch die eine kurze Blitzdauer realisiert wer-
den kann (in der Regel etwa 10 µs), ▬ welche die für das ERG notwendige Helligkeit
erzeugen können und ▬ die auch bei höherfrequenter Reizung (z. B. bei
30 Hz) eine relativ gleichmäßige Leistung erzielen können. Neuerdings (seit 2002) können auch mit ultrahellen LEDs ausreichende Reizintensitäten erzielt werden, Vorteile sind bessere Langzeitstabilität und fehlendes Geräusch (d. h. es wird kein akustisches Potenzial erzeugt). Durch längere Reize kann im photopischen ERG prinzipiell die Funktion der depolarisierenden Zapfenbipolarzellen (On-Antwort) von derjenigen der hyperpolarisierenden Zapfenbipolarzellen (Off-Antwort) differenziert werden (Sieving 1993). Klinisch hat sich dies allerdings nicht als erforderlich erwiesen (Rüther u. Kellner 1998). Um die Netzhaut gleichmäßig auszuleuchten, was für eine stabile und vergleichbare Messung unabdingbar ist, sollte ein echter Ganzfeldreiz verwendet werden. Dabei handelt es sich um eine durch die Blitzlichtquelle homogen ausgeleuchtete Kugel, in die der Patient hineinschaut. ⊡ Abbildung 3.36 zeigt eine derartige im Handel erhältliche Stimulationseinheit. Alternativverfahren sind denkbar, z. B. Bildschirmreizung oder eine Punktleuchtquelle mit Diffusor, aber nicht so zuverlässig hinsichtlich der gewünschten diffusen Ausleuchtung der gesamten Netzhaut. Der Blitzreiz muss in Bezug auf Helligkeit und Reizfrequenz modulierbar sein. Der Standardblitz (1,5–3,0 cds/m2) sollte um mindestens drei logarithmische Einheiten abschwächbar sein. Dabei finden Neutralgraufilter Verwendung, welche die Farbe des Reizlichts prinzipiell nicht verändern. Zusätzliche Farbfilter sind zwar dem Standard entsprechend nicht unbedingt erforderlich, können jedoch bei der Differenzierung der Zapfen und Stäbchen hilfreich sein ( s. oben). Zur Beschreibung der im Labor verwendeten Reizmodalitäten und zur Überprüfung, ob die im ERG-Standard vorgeschriebenen Intensitäten eingehalten werden, ist eine Kalibrierung des Blitzreizes und der Hintergrundbeleuchtung notwendig (Brigell et al. 1998; Brigell et al. 2003). Zur Messung von Blitzreizen
⊡ Abb. 3.36. Vollfeldreizapparatur für die Ableitung des Helligkeits-ERG (sog. Ganzfeld). Das Gerät ist mit Filtereinschüben für den Blitzreiz und die Hintergrundsbeleuchtung ausgerüstet. (Abb. freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Firma Jaeger u. Toennies, Höchberg)
sind integrierende Photometer erforderlich wie sie auch in der Photographie Anwendung finden, weil sehr kurze Blitzreize gemessen werden müssen. Da sie kürzer als die Integrationszeit der Photorezeptoren sind, ist die für die Netzhaut relevante Reizstärke nicht nur von der Reizintensität, sondern ebenfalls von der Reizdauer abhängig. Dies wird von integrierenden Photometern berücksichtigt. Die Intensität muss an der Stelle des Ableiteraumes gemessen werden, wo sich dann während der Untersuchung die Augen des Patienten oder Probanden befinden. ⊡ Tabelle 3.4 fasst die Richtlinien des internationalen ERG-Standards für die Reizparameter zusammen. Grundsätzlich bestehen für das ERG ähnliche apparative Voraussetzungen hinsichtlich Verstärker (0,3–300 Hz), A-D-Wandler und Mittelwertrechner, und auch ähnliche Störquellen wie für das VEP.
328
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Tabelle 3.4. Richtlinien des internationalen ERG-Standards hinsichtlich der Lichtquelle beim Helligkeits-ERG
3
Lichtquelle
Gasentladungslampen, Stroboskope
Stimulationsart
Vollfeldreiz (»Ganzfeld«)
Farbtemperatur des Standardreizes
Etwa 7000 K
Intensität des Standardblitzes
1,5–3,0 cds/m2
Farbe des Standardblitzes
Weiß
Leuchtdichte der Umfeldbeleuchtung
17–34 cd/m2
Allerdings sind die Potenziale des Blitz-ERG in der Regel um ein Vielfaches höher als die der VEP. Die Potenzialgrößen im ERG haben eine große Bandbreite. Die Maximalantwort des HelligkeitsERG erreicht im dunkeladaptierten Auge Werte um 800 µV. Eine Mittelung solch großer Potenziale ist grundsätzlich nicht notwendig, kann aber zur Reduzierung des Einflusses der Messvariabilität beitragen. Bei kleinen Potenzialen, z. B. bei tapetoretinaler Degeneration, ist jedoch häufiges Mitteln notwendig (Berson et al. 1985). Durch die heute übliche Digitalisierung der analogen ERG-Signale ist dies in der Regel leicht möglich, wobei der zu diesem Zweck verwendete Analog-Digital-Wandler eine Abtastfrequenz über 600 Hz aufweisen sollte. Insbesondere bei kleinen ERG-Potenzialen, wie sie auch beim Muster-ERG zu finden sind, ist eine restriktive Artefaktunterdrückungsstrategie zu verwenden, sofern dies das Ableitegerät zulässt. Störpotenziale durch Lidschlag, Augen- und Kopfbewegungen können die Reizantwort erheblich verändern. Die Gipfelzeiten der in der klinischen Routine relevanten Potenziale der a- und der b-Welle liegen bei 10–100 ms. Die Gipfelzeit ist abhängig vom Rezeptortyp: Die Stäbchen weisen eine langsamere Antwortcharakteristik als die Zapfen auf. Aber auch der Adaptationszustand der Netzhaut, die Reizstärke und eine mögliche Netzhautschädigung nehmen Einfluss auf die Gipfelzeit: Mit zunehmender Helladaptation und Reizstärke wird die Gipfelzeit kürzer, Photorezeptorschädigungen hingegen führen häufig zu einer Verlängerung der Gipfelzeit.
Die Registrierdauer für Einzeldurchläufe sollte daher nicht unter 250 ms betragen. Die Darstellung der Potenziale wird meist durch einen Monitor oder ein Oszilloskop realisiert. Zur besseren Beurteilung des Einflusses von Artefakten ist es notwendig, dass die Antworten zu jeder Zeit vom Untersucher gesehen werden können (»Onlinedarstellung«). Dabei sollte die Möglichkeit bestehen, die Untersuchung zu unterbrechen oder nichtverwertbare Antworten aus der Antwortmittelung zu entfernen – falls überhaupt gemittelt wird. Es ist erstaunlich, wie ähnlich Störpotenziale den physiologischen Antworten sein können. Dies kann man sich leicht verdeutlichen, wenn man eine Ableitung ohne Reizdarbietung durchführt. Allerdings fehlt dann auch der durch den Reiz ausgelöste Lidschlagartefakt, der gelegentlich sehr kurze Latenzen hat und einer späten ERG-Antwort ähneln kann. Zur Messung der Netzhautpotenziale ist ein Frequenzfenster des Verstärkers von 0,3–300 Hz sinnvoll. Für die Messung der höherfrequenten oszillatorischen Potenziale ist es erforderlich, dass die obere Grenzfrequenz einstellbar ist; bei Ableitung der langsamen c-Welle sind meist Gleichstromverstärker notwendig. Letztere bleiben aufgrund der schwierigen Handhabung Speziallabors vorbehalten. In jüngster Zeit werden hilfreiche Softwarelösungen für die Nachbearbeitung der abgeleiteten Potenziale angeboten, mit denen beispielsweise ein nachträgliches Mitteln oder die Frequenzanalyse durch numerische Fourier-Transformation möglich ist.
329 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
3.11.4
Elektroden
3
unten; Arden et al. 1979; Holder 1988) oder die DTL-Elektrode (⊡ Abb. 3.37 oben; ⊡ Abb. 3.38
Die ERG-Ableitung steht und fällt mit der Wahl und Handhabung der Ableitelektroden. Kontaktlinsenelektroden (⊡ Abb. 3.37 Mitte) liefern wohl die störungsärmsten und zuverlässigsten Potenziale. Durch ihren definierten Sitz auf der Kornea und die passive Lidöffnung werden inter- und intraindividuell sowie auch interokular besonders stabile Potenziale abgeleitet. Werden Kontaktlinsenelektroden verwendet, so kann man bei einer interokularen Amplitudendifferenz von mehr als 25% von einem pathologischen Befund ausgehen. Zwischen Kontaktlinsenelektrode und Hornhaut sollte eine höherviskose, leitende Flüssigkeit eingebracht werden. Hauptnachteil dieser Art von Elektroden ist die schlechte Akzeptanz durch die Patienten, insbesondere bei Kindern. Auch ist grundsätzlich die Gefahr einer Hornhautschädigung (Erosio) gegeben. Deshalb sind weltweit zahlreiche Laboratorien dazu übergegangen, Alternativelektroden zu verwenden. Es kommen z. B. die Goldfolienelektrode (⊡ Abb 3.37
(Dawson et al. 1979) in Frage. Beide können ohne Lokalanästhesie verwendet werden. Sowohl im Labor der Freiburger wie der Tübinger Augenklinik wird seit einigen Jahren die DTL-Elektrode, eine nach den Beschreibern Dawson, Trick und Litzkow bezeichnete Fadenelektrode, routinemäßig eingesetzt. Der im Vergleich zur Kontaktlinsenelektrode größeren Variabilität und geringeren Potenzialgröße der Antworten stehen die bessere Verträglichkeit und die damit verbundene Erleichterung der Untersuchung von Kindern gegenüber. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die DTL-Elektrode auch für das multifokale ERG und das Pattern-ERG eignet. Die DTL-Elektrode kann wegen ihrer sehr guten Verträglichkeit und ihres zuverlässigen Sitzes ohne Hornhautschädigung auch schon vor der Dunkeladaptation bei guten Lichtverhältnissen eingelegt werden. Die Qualität der Ableitung hängt allerdings entscheidend von der Erfahrung des Untersuchers im Anbringen dieser Elektroden ab (Anleitung z. B. bei Bach 1998).
⊡ Abb. 3.37. ERG-Ableitelektroden. Bei der abgebildeten Kontaktlinsenelektrode (Mitte) handelt es sich um eine monopolare Henkes-Elektrode mit Lidspekulumfunktion (Mitte).
Fadenelektrode (oben) und Goldfolienelektrode (unten) eignen sich auch zur Ableitung eines Muster-ERG
330
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.38. Fadenelektrode am Auge. Der metallbedampfte Nylonfaden liegt hier etwas tief im Bindehautsack; dies führt möglicherweise zu niedrigeren Amplituden. Die Verwendung
der Fadenelektrode ist auch mit Kontaktlinsen möglich, was z. B. bei der Ableitung eines Muster-ERG von großem Vorteil sein kann
! Die ERG-Ableitung steht und fällt mit den Ab-
stand möglichst weniger als 5 k beträgt. Geeignete Positionen für die Erdungselektrode sind die Stirn oder das Ohrläppchen. Bei Kindern ist es manchmal erforderlich, die Erdung mit einem kommerziell erhältlichen Armband am Handgelenk anzubringen. Kontaktlinsenelektroden und Hautelektroden müssen nach den für ophthalmologische Messinstrumente üblichen Reinigungsmethoden behandelt werden. Zur Vermeidung insbesondere viraler Infektionen ist nach der Entfernung von Gel- oder Elektrodenpastenresten eine Desinfektion z. B. in alkoholhaltigen Lösungen erforderlich. Besser noch ist es, die Fäden der Fadenelektroden nicht zu desinfizieren bzw. zu sterilisieren, sondern nach jeder Untersuchung zu ersetzen, da der Desinfektionsvorgang negative Auswirkungen auf die Ableitequalität hat.
leitelektroden.
Die Verwendung von Hautelektroden als Ableitelektroden wird zwar vom Standard ausdrücklich abgelehnt, gelegentlich mag aber bei sehr schwierigen Ableitbedingungen ihr Einsatz sinnvoll sein. Für alle Alternativelektroden zur Kontaktlinsenelektrode wird gefordert, dass die Stabilität der Ableitung und die Vergleichbarkeit der abgeleiteten Potenziale mit Kontaktlinsenelektroden durch das jeweilige Labor gezeigt werden muss. Das an der Hornhaut zu messende Feldpotenzial wird nicht absolut gemessen, sondern mit einem Referenzpotenzial verglichen. Die dazu notwendige Referenzelektrode sollte möglichst nah an der Ableitelektrode angebracht sein. Günstig ist die Integration der Referenzelektrode in eine Kontaktlinsenelektrode (»bipolare Elektrode«). Bei Fadenelektroden wird als Referenz eine Hautelektrode an dem äußeren Augenwinkel angebracht. Hierzu können die im Handel erhältlichen Gold- oder Silber-Silberchlorid-Napfelektroden verwendet werden. Zu beachten ist dabei, dass der Hautwider-
3.11.5
Untersuchungsgang beim Helligkeits-ERG
Der praktische Untersuchungsgang bei HelligkeitsERG und Pattern-ERG unterscheidet sich grund-
331 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
sätzlich. Im klinischen Alltag haben beide Untersuchungsmethoden jeweils eigenständige Indikationen und werden daher in der Regel unabhängig voneinander eingesetzt. Im Folgenden werden die Untersuchungsbedingungen des Helligkeits-ERGs beschrieben; das Pattern-ERG ist in Abschn. 3.11.9 erläutert. Im Standard für die klinische Elektroretinographie werden detaillierte Angaben zum Untersuchungsgang gemacht (Marmor et al. 1989, 1998), im gewissen Rahmen jedoch auch Modifikationsmöglichkeiten eingeräumt. Das Helligkeits-ERG wird im Gegensatz zum Muster-ERG grundsätzlich bei Mydriasis abgeleitet, um die retinale Beleuchtungsstärke möglichst konstant zu halten. Man sollte die Pupillengröße am Ende der Messung dokumentieren, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Zur Ableitung der Stäbchenpotenziale muss der Patient ausreichend dunkeladaptiert sein, was in Dunkelheit in der Regel nach 20 min erreicht ist. Der Kranke sollte vor der Untersuchung keinen hellen Lichtquellen ausgesetzt werden. Ist dieses unumgänglich, ist es erforderlich mindestens 1 h mit der Ableitung eines ERG zu warten. Fluoreszenzangiographie oder Fundusphotographie sollten vermieden werden. Die Zeit der Dunkeladaptation kann durchaus dazu genutzt werden, die Elektroden zu setzen, wobei dann dunkles Rotlicht verwendet werden sollte, wie es auch bei der Entwicklung von Photos benutzt wird. Dieses Licht hat jedoch Einfluss auf die Stäbchenadaptation. Bleibt die Beleuchtungssituation für jeden Patienten gleich, kann dieser systematische Fehler vernachlässigt werden. Eine spezielle Situation ergibt sich für die Untersuchung von Kindern. Durch besser tolerierte Ableitelektroden, z. B. Fadenelektroden, wurde die Ableitung des ERG bei Kindern wesentlich erleichtert. Häufig ist bei kooperativen Kindern die Untersuchung ohne Sedierung möglich. Falls nicht, hat sich die Verwendung von Chloralhydrat als Sedativum bewährt. Kooperation mit den Pädiatern ist dabei in vielen Fällen hilfreich. Eine Vollnarkose zur Ableitung des ERG ist unseres Erachtens grundsätzlich nicht indiziert. Die Interpretation des Kinder-ERG ist zuweilen problematisch, da sich die Antworten zumindest im ersten Lebensjahr von der gewohnten Morpho-
3
logie und Potenzialgröße unterscheiden. Quantitative Aussagen sind somit schwierig. Jedoch sollte es immer möglich sein, ein sog. erloschenes ERG von einer lediglich fehlenden Zapfenantwort oder aber einem annähernd normalen ERG unterscheiden zu können. Der Standard empfiehlt als Mindestuntersuchungsumfang fünf Antworten, drei im dunkeladaptierten, zwei im helladaptierten Zustand:
Dunkeladaptiert Stäbchenantwort Maximalantwort (Stäbchen-Zapfen-Antwort) Oszillatorische Potenziale
Helladaptiert Zapfeneinzelblitzantwort 30-Hz-Flimmerantwort
Stäbchenantwort Hierfür muss der im Standard definierte »Standardblitz« von 1,5–3,0 cds/m2 um 2,5 logarithmische Einheiten z. B. mit Neutralgraufiltern abgeschwächt werden. Zur Ableitung der Stäbchenantwort ist die Verwendung von blauem Reizlicht sinnvoll, um die Stäbchenspezifität zu erhöhen (Abschn. 3.11.1.). Wird bei dieser Reizintensität gemittelt, so sollte ein Interstimulusintervall von 2 s eingehalten werden. Der Reiz ist zu hell, um eine skotopische Schwellenantwort (»scotopic threshold response«, STR) zu evozieren, und zu schwach für die Hervorrufung der Stäbchen-a-Welle. Bei der Informationsweiterleitung von den Photorezeptoren zu den inneren Netzhautschichten wird das Signal verstärkt, so dass die b-Welle bei niedrigeren Reizintensitäten deutlicher hervortritt als die a-Welle. Daher wird bei dem um 2,5 logarithmische Einheiten abgeschwächten Reiz in der Regel nur die Stäbchen-b-Welle sichtbar. Von dieser werden Amplitude und Gipfelzeit bestimmt (⊡ Abb. 3.39).
332
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.39. Stäbchenantwort. Die b-Wellenamplitude beträgt 180 µV, die Gipfelzeit 79 ms. Die Reizintensität des weißen Blitzes beträgt 0.005 cds/m2
Maximalantwort Hier wird mit dem ungefilterten Standardblitz gereizt. Das Resultat ist eine Mischantwort aus Stäbchen- und Zapfenanteilen (⊡ Abb. 3.40). Es handelt sich um die ERG-Antwort mit der größten Amplitude (bis etwa 800 µV). Soll gemittelt werden, so ist hier das Interstimulusintervall auf 5 s zu verlängern, um eine Adaptation des Stäbchensystems zu verhindern. Die Stäbchen-Zapfen-Mischantwort besteht aus einer a-Welle und einer b-Welle, auf der zumeist höherfrequente Potenziale sichtbar werden: die oszillatorischen Potenziale. Diese machen die Bestimmung der Amplitude und der Gipfelzeit der b-Welle zuweilen schwierig. Die Amplitude der a-Welle wird von der Grundlinie aus gemessen, die der b-Welle vom a-Wellental bis zur Spitze der b-Welle. Es hat sich als hilfreich herausgestellt, das Verhältnis von b-Wellen- und a-Wellenamplitude zu errechnen (b/a-Quotient), um eine eventuell vorhandene selektive b-Wellenreduktion quantifizieren zu können.
Oszillatorische Potenziale Hier sind die Reizmodalitäten wie bei der Maximalantwort, jedoch werden die langsamen Anteile der Antwort durch elektronische Filter eliminiert (untere Grenzfrequenz 75–100 Hz), so dass nur die
⊡ Abb. 3.40. Maximalantwort (1,6 cds/m2 weißer Blitz im dunkeladaptierten Auge). Die Amplitude der a-Welle (Cursor 1 und 4) beträgt ca. 200 µV, die der b-Welle (Cursor 3 und 4) 420 µV bei einer Gipfelzeit von 43,5 ms. Gut zu sehen sind die der a- und b-Welle aufgelagerten oszillatorischen Potenziale. Das vierte OP, auf dem der Cursor positioniert wurde, verdeckt das eigentliche b-Wellenmaximum. Die große, späte negative Nachschwankung ist ein Lidschlagartefakt
auf der b-Welle befindlichen schnellen Potenziale zur Darstellung gelangen (⊡ Abb. 3.41). Die Interpretation der oszillatorischen Potenziale (OP) ist manchmal schwierig, da auch die hohen Frequenzanteile von Artefakten die Morphologie der physiologischen OP aufweisen können. Aus diesem Grunde halten wir eine Mittelung der OP für sinnvoll. Zu beachten ist dabei, dass das erste OP verworfen wird, da es sich morphologisch von allen weiteren unterscheiden kann. Bei der Mittelung der OP muss zudem ein Interstimulusintervall von 15 s eingehalten werden. Die quantitative Auswertung der OP ist nicht einfach und ihre Aussagekraft noch nicht abschließend bestimmt. Der Standard weist daher darauf hin, dass die qualitative Auswertung meist ausreichend ist. Anschließend findet für mindestens 10 min eine Helladaptation bei 17–34 cd/m2 statt. Die Einhaltung einer Adaptationszeit von 10 min ist unabdingbar, da die zu messenden Zapfenpotenziale in dieser Zeit in ihrer Amplitude ansteigen (Gouras u. MacKay 1989). Vom helladaptierten Auge werden mindestens zwei Ableitungen vorgenommen:
333 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
⊡ Abb. 3.41. Oszillatorische Potenziale. Gleiche Reizbedingungen wie in ⊡ Abb. 3.40. Das hier ausgemessene OP (90 µV) hat eine Gipfelzeit von 24,2 ms (Cursor 2) und ist unter Tübinger Ableitbedingungen das größte
3
⊡ Abb. 3.42. Zapfeneinzelblitzantwort. Reizstärke 1,6 cds/m2, weißes Licht, helladaptiertes Auge. Die Amplitude der a-Welle (Cursor 1 und 4) beträgt 50 µV, die der b-Welle 200 µV (Cursor 4 und 3, Gipfelzeit: 30,8 ms). Auch bei dieser Ableitung sind überlagernde oszillatorische Potenziale auf a- und b-Welle sichtbar
Zapfeneinzelblitzantwort Der Begriff »Einzelblitz« wird in Abgrenzung zum 30-Hz-Flimmerreiz verwendet. Es wird mit dem Standardblitz gereizt. Die Amplitude dieser Antwort beträgt etwa ein Viertel der Amplitude der Maximalantwort (bis etwa 200 µV). Wird gemittelt, so ist lediglich ein Interstimulusintervall von nur 0,5 s erforderlich. Bei dieser Antwort sind a- und b-Welle zu erkennen (⊡ Abb. 3.42). Auch hier finden sich häufig oszillatorische Potenziale, welche die Interpretation erschweren.
30-Hz-Flimmerantwort Hier wird ebenfalls mit dem Standardblitz gereizt, jedoch wird dieser mit 30 Hz moduliert, was zu einer sinusartigen Antwort führt (⊡ Abb. 3.43). Die Intensität des Reizlichts kann aufgrund der höheren Reizfrequenz abnehmen; deshalb muss der 30-Hz-Flimmerreiz gesondert kalibriert werden. Die Ableitung kann für den Patienten wegen der großen Lichtmenge etwas unangenehm sein; deshalb sollten die ersten Antworten (z. B. 1 s lang) verworfen werden. Ausgewertet werden grundsätzlich Amplitude und Gipfelzeit der ersten Flimmerantwort. Grundsätzlich gelten als geläufige Messparameter die Gipfelzeit und die Amplitudengröße. Die Gipfelzeit beschreibt die Zeit vom Stimulus bis zum
⊡ Abb. 3.43. 30-Hz-Flimmerantwort. Reizbedingungen wie bei der Zapfeneinzelblitzantwort, jedoch mit 30 Hz moduliert. Die Amplitude (Cursor 1 und 2) beträgt 120 µV
interessierenden Gipfel, in der Regel der b-Welle. Die Amplitude wird normalerweise von der Grundlinie oder vom vorhergehenden Maximum bzw. Minimum aus gemessen. Der Terminus »Latenz« bezeichnet beim ERG die Zeit vom Reiz bis zum Potenzialbeginn und ist in der ERG-Routinediagnostik von untergeordneter Bedeutung.
334
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Erweiterungen des Standardprotokolls
3
Zu dem fünf Antworten umfassenden Standardprotokoll gibt es sinnvolle Erweiterungen. Beispielsweise kann im dunkeladaptierten ERG eine Reizintensitäts-b-Wellen-Amplitudenfunktion aufgestellt werden (Arden et al. 1983). Dazu ist es erforderlich, mit z. B. acht unterschiedlichen Reizintensitäten zu messen. Die Stimuli sollten so gewählt werden, dass über einen Intensitätsanstieg von etwa zwei logarithmischen Einheiten ein steiler Amplitudenanstieg zu beobachten ist. Die erhaltene Funktion kann durch die Gleichung V In 9 = 0 In – In50 Vmax beschrieben werden (Michaelis-Menten-Gleichung, im Zusammenhang mit dem ERG erstmalig erwähnt bei Naka u. Rushton 1966). Dabei ist V
⊡ Abb. 3.44. Amplitudenreizintensitätsfunktion (V-log-IFunktion) einer normalsichtigen Person. Deutlich ist der S-förmige Verlauf erkennbar. Die Reizintensität s, bei der die
(µV) die b-Wellen-Amplitude bei einer bestimmten Reizintensität I (cd · s/m2), Vmax die Maximalamplitude und I50 die Reizintensität, die eine halbmaximale Amplitude hervorruft. Der Exponent n beschreibt die Steigung der Kurve und beträgt normalerweise 1. Ein Beispiel für eine derartige Amplitudenreizintensitätsfunktion ist in ⊡ Abb. 3.44 für eine normalsichtige Versuchsperson gezeigt. Als Faustregel gilt, dass ein einfacher Verlust von Photorezeptoren zu einer Verminderung von Vmax führt, während intrazelluläre Schadensmechanismen zu Veränderungen insbesondere von s führen, selten auch von n. Eine teilweise lichtabsorbierende Trübung der optischen Medien würde in der Regel zu einer Rechtsverschiebung führen, d. h., dass die gleiche Reizintensitäts-b-Wellenamplitudenfunktion durch eine höhere Reizintensität erzeugt wird. Mit dieser Ableite- und Analysemethode erhält man somit durch das ERG einen wichtigen Hinweis
halbmaximale Amplitude erreicht wird, beträgt ca. 0,2 cds/m2 (Pfeil). Die Steigung n beträgt erwartungsgemäß annähernd 1
335 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
auf den jeweils zugrunde liegenden Schadensmechanismus. In letzter Zeit sind interessante Analysemethoden der Stäbchen- und Zapfen-a-Welle entwickelt worden (Hood u. Birch 1992, 1994, 1997). Ausgehend von Phototransduktionmodellen, die bei der Untersuchung einzelner Photorezeptoren entwickelt wurden, wird versucht, durch die mathematische Analyse früher Anteile der ERG-a-Welle herauszufinden, ob der Phototransduktionsprozess oder andere retinale Mechanismen beeinträchtigt sind. Um diese Analyse durchführen zu können, sind sehr helle Reize notwendig, die weit über die im Standard geforderte Lichtintensität hinausgehen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird zumindest in nächster Zeit diese Art der ERG-Analyse Speziallabors vorbehalten bleiben. Bei der Darstellung der Ergebnisse sollten die gewählten Reizbedingungen, die aktuell gemessenen Werte und die im durchführenden Labor gültigen Normbereiche aufgeführt werden. Es ist leider nicht möglich, in der Literatur oder vom Hersteller genannte Normwerte zu übernehmen, da viele nur schwer kontrollierbare Variablen der jeweiligen Ableitebedingungen die Messergebnisse laborspezifisch beeinflussen können. Auch für das ERG gilt daher, dass eigene Normwerte erstellt werden müssen. Die Festlegung von Normwerten ist nicht einfach. Wir stellten keinen wesentlichen Einfluss des Geschlechts auf die wichtigen ERG-Parameter fest, jedoch sind in der Literatur höhere Amplitudenwerte bei Frauen beschrieben worden (z. B. Zeidler 1959). Wie bei vielen anderen Autoren zeigte sich auch bei unseren Untersuchungen, dass sich das ERG mit dem Alter verändert. Will man Normwerte für unterschiedliche Altersklassen aufstellen, erhöht sich der Aufwand erheblich. Denkbar ist die Verwendung eines in der Literatur genannten Faktors, um insbesondere das ERG älterer Menschen besser beurteilen zu können. Die bei unseren Normwertuntersuchungen erhaltenen b-Wellenamplitudenreduktionen im Alter (Jacobi 1993) ergaben, dass die Stäbchenamplituden von 80-Jährigen gegenüber 20-Jährigen etwa auf 80–90%, die Zapfenantwort auf etwa 70% reduziert sind. Beschränkt man sich auf eine Altersgruppe, z. B. auf 15- bis 35-Jährige, so sind selbst in diesem Fall die
3
aus statistischer Sicht erforderlichen Probandenzahlen normalerweise nur schwer zu erreichen. Es scheint angemessen, dass jedes Untersuchungslabor zumindest 20 augengesunde Probanden für diese Altersgruppe zur Schätzung der laborspezifischen Normwerte untersucht und die Altersabhängigkeit nach Literaturwerten abschätzt (Westall et al. 1998).
3.11.6
Klinische Indikationen für das Helligkeits-ERG
Die Kenntnis der ERG-Generatoren (Stäbchen, Zapfen und Bipolarzellen) bestimmt die Fragen, zu denen das ERG differentialdiagnostische Aussagen liefern kann. Es ist dabei stets zu bedenken, dass das ERG eine Summenantwort der gesamten Netzhaut ist. Das bedeutet, dass lokal umgrenzte Ausfälle in der interindividuellen Variabilität untergehen. Das gilt auch für Makuladefekte: Selbst bei der zentralen progressiven Zapfendystrophie (Schliebs et al. 1995; Kellner 2001) mit einem weitgehenden Makulafunktionsausfall ist das ERG – insbesondere das Flimmer-ERG – normal, weil die Zapfen in der Fovea (unerwarteterweise) weniger als 3% aller Zapfen ausmachen (Tyler 1996). Nur das multifokale ERG hat eine klinisch verwertbare Ortsauflösung.
Tapetoretinale Degenerationen Hauptindikation für das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie ist der Nachweis erblicher Degenerationen der Netzhaut (tapetoretinale Degenerationen). Schon früh wurde erkannt, dass die ERG-Antworten bei Retinitis-pigmentosa-Patienten stark erniedrigt oder nicht mehr nachweisbar sind (Karpe 1945; ⊡ Abb. 3.45). Bei der typischen Retinitis pigmentosa handelt es sich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie, die zunächst mit einer Dämmerungssehschwäche einhergeht und im weiteren Verlauf zu hauptsächlich peripheren (ringförmigen und konzentrischen) Gesichtsfeldeinengungen führt. Das ERG dient dem objektiven Nachweis einer solchen Netzhauterkrankung und wird immer dann eingesetzt, wenn sich aufgrund der subjekti-
336
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
3
⊡ Abb. 3.45. Linke Bildhälfte: ERG einer milden StäbchenZapfen-Dystrophie (Retinitis pigmentosa). Die Stäbchenantwort (unten) ist erheblich und die Maximalantwort (mittlere Kurve) ebenfalls stark erniedrigt. Die Zapfenantwort im 30-Hz-
Flimmer (oben) ist gut erhalten, jedoch im Vergleich zur Norm verspätet. Rechts sind die entsprechenden Normalantworten abgebildet
ven Beschwerden, des Gesichtsfeldbefundes, des Augenhintergrundbefundes oder der Familienanmnese ein Verdacht ergibt. Das ERG zeigt bereits in den Erkrankungsfrühstadien Veränderungen, insbesondere des Stäbchenanteils (Gouras u. Karr 1964), und ist damit ein sensitiver Untersuchungsparameter. Der gebräuchliche Terminus »erloschenes ERG« sollte vermieden werden, da die Potenziale der (Rest-)Photorezeptoren ja noch vorhanden sind, obwohl wir sie wegen methodischer Begrenzungen nicht mehr registrieren können. In diesen Fällen stark erniedrigter ERG-Antworten ist es erforderlich, die Antworten häufig zu mitteln, um durch die Verbesserung des Signal-zu-RauschVerhältnisses eventuell doch noch Restpotenziale nachweisen zu können. Darüber hinaus gibt der Einsatz von elektronischen Filtern mit schmalem Frequenzfenster die Möglichkeit, Antworten auf eine bestimmte Reizfrequenz bis hinunter zum
1 µV-Niveau nachzuweisen (Andreasson et al. 1988). Noch besser ist der Einsatz einer geeigneten Fourier-Analyse (Bach u. Meigen 1999; Meigen u. Bach 1999): Durch die Verfügbarkeit von Frequenzanalysetechniken (numerische Fourier-Analyse) auch in klinisch gebräuchlichen Geräten bietet es sich heutzutage an, den spezifischen Antwortgehalt bei bestimmten Reizfrequenzen nachträglich zu extrahieren. Um z. B. Zapfenrestpotenziale darstellen zu können, kann ein 30-Hz-Flimmerreiz mit maximaler Intensität angeboten werden. Die nach häufiger Mittelung erhaltene Antwort kann über die numerische Fourier-Analyse auf ihren 30-Hz-spezifischen Gehalt hin analysiert werden. Man sollte dabei aber auch eine Messung mit geschlossenen Augen durchführen, um Geräteartefakte (Blitzlampe, Kondensator) erkennen zu können. Die Darstellung kleiner Restpotenziale ist zur objektiven Abschätzung des Verlaufs einer tapetoretinalen Dege-
337 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
neration unabdingbar. Dies wird in Zukunft möglicherweise noch wichtiger, wenn die rasch fortschreitende Grundlagenforschung erste Therapiemodelle entwickelt haben wird. ! Bei jedem Retinitis-pigmentosa-Patienten
sollte (mindestens) einmal ein ERG gemessen werden.
Neben der Retinitis pigmentosa als Stäbchen-Zapfen-Dystrophie sind die selteneren Zapfen- und Zapfen-Stäbchen-Dystrophien mittels ERG zu objektivieren (Fishman 1976). Ein ERG sollte stets bei refraktionsunabhängigem Visusverlust, Blendempfindlichkeit und Farbsinnstörungen durchgeführt werden. Charakteristisch für diese Erkrankungen ist, dass sie häufig in ihren Frühstadien funduskopisch nicht erkannt werden können. In solchen Fällen ist das ERG die Untersuchungsmethode der Wahl. Schwieriger ist die Diagnostik bei isolierten Makulaerkrankungen, z. B. bei der juvenilen Makuladystrophie (Stargardt-Syndrom). Da die gesamte Makula nur einen Anteil von weniger als 5% an der Zapfen-b-Welle im ERG hat und der Rest auf Aktivität der peripheren Zapfen beruht, sind isolierte Makulaerkrankungen zumindest im Frühstadium durch das ERG nicht zuverlässig zu diagnostizieren. Es konnte gezeigt werden, dass selbst eine bis zu drei Papillendurchmesser umfassende, experimentelle Läsion der zentralen Retina (Lasernarbe) zu keiner Einschränkung der ERG-Antwort führt (François u. De Rouck 1966). Für diese Fälle wäre es wünschenswert, lokale Elektroretinogramme zuverlässig ableiten zu können. Bisher hat sich weltweit noch keine Methode für das lokale ERG
⊡ Abb. 3.46. Potenzialverteilung der zentralen 30° der Netzhaut beim Stargardt-Syndrom. Im Vergleich zum Normalbefund (links) zeigt sich eine deutliche zentrale Potenzialvermin-
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durchsetzen können; möglicherweise werden in naher Zukunft Untersuchungen der zentralen Netzhauttopographie in dieser Hinsicht Fortschritte bringen (Sutter u. Tran 1992). Ein Beispiel für eine derartige Ableite- und Auswertetechnik ist in ⊡ Abb. 3.46 bei einem Patienten mit StargardtSyndrom gezeigt. Eine Sonderstellung nimmt die vitelliforme Makuladystrophie ein. Bei ihr ist das ERG klassischerweise nicht verändert, aber das Elektrookulogramm (EOG) als Parameter für die Funktion des Pigmentepithels und des Pigmentepithel-Photorezeptorenkomplexes pathologisch. Es zeigt die diffuse Schädigung des Pigmentepithels an. Dieses trifft interessanterweise auch für Fälle verminderter Expression dieser autosomal-dominant vererbten Erkrankung zu. Bei diesen steht dann der normalen Sehfunktion und dem normal erscheinendem Fundus das stark veränderte und diagnostisch wegweisende EOG gegenüber. Ein normales ERG bei verändertem EOG wird auch bei der Musterdystrophie der Makula gefunden, jedoch ist das EOG bei dieser zentralen Netzhautveränderung häufiger normal. Neben den typischen Stäbchen-Zapfen-, Zapfen- und Zapfen-Stäbchen-Dystrophien stellen auch die Sonderformen der Netzhaut-, Pigmentepithel- und Choroidaldystrophien eine Indikation zur Durchführung eines ERG dar. Zur Identifizierung eines Bassen-Kornzweig-, Bardet-Biedl-, Kearns-Sayre-, Refsum- oder Usher-Syndroms ist das ERG zum Beweis der Netzhautaffektion notwendig. Zu nennen sind darüber hinaus Sonderformen wie Atrophia gyrata, Chorioideremie, Netzhautdystrophien mit weißen Flecken und die
derung. Im herkömmlichen Helligkeits-ERG sind unter Umständen keine Veränderungen sichtbar
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
vitreoretinalen Dystrophien (X-chromosomale juvenile Retinoschisis, Goldmann-Favre-Erkrankung und Wagner-(Stickler)-vitreoretinale Degeneration). In all diesen Fällen kann das Ausmaß und der Verlauf der Netzhautschädigung durch das ERG bestimmt werden. Schließlich hat das ERG klinische Relevanz für die Erkennung von Überträgerinnen X-chromosomal vererbter tapetoretinaler Degenerationen. Insbesondere bei Frauen, die möglicherweise für die X-chromosomal vererbte Retinitis pigmentosa heterozygot sind, ist das ERG neben der Familienanamnese und der Ophthalmoskopie hilfreich (Berson et al. 1979). Einige Autoren behaupten, dass mit der Ophthalmoskopie und dem ERG nahezu 100% der Heterozygoten erkannt werden können (Fishman et al. 1986). Ein solch hohes Maß an Diagnosesicherheit wäre sehr hilfreich für die genetische Beratung.
Stationäre Netzhauterkrankungen Von den progressiven tapetoretinalen Degenerationen sind die stationären Erkrankungen der Stäbchen und der Zapfen abzugrenzen. Dazu ist das ERG die Methode der Wahl. Als stationäre Stäbchenerkrankung ist insbesondere die kongenitale stationäre Nachtblindheit (CSNB) relevant. Nachtsehstörungen mit Fundusveränderungen (Oguchi-Syndrom, Fundus albipunctatus) sind durch die morphologischen Befunde und durch ihre spezifischen Dunkeladaptationscharakteristika diagnostizierbar. Für die Diagnose der CSNB ohne Fundusveränderungen ist das ERG notwendig. Bei beiden Formen der CSNB (Carr 1991) ist das Stäbchen-ERG nicht oder kaum nachweisbar und sind die Zapfenantworten in unterschiedlicher Ausprägung verändert. Der Typ II (SchubertBornschein-Typ) zeichnet sich darüber hinaus durch starke Verminderung der b-Welle bei erhaltener a-Welle in der Maximalantwort vom dunkeladaptierten Auge aus. ⊡ Abb. 3.47 zeigt die dafür typischen Befunde. Miyake unterscheidet beim Schubert-Bornschein-Typ darüber hinaus eine komplette von einer inkompletten Form (Miyake et al. 1986). Bei der Letzteren ist das Zapfen-ERG stärker als bei der kompletten Form verändert.
Schließlich sei darauf hingewiesen, dass bei Angabe von Nachtsehstörungen immer erfragt werden sollte, ob die Möglichkeit eines Vitamin-AMangels besteht (spezielle Diät, gastrointestinale Operation). Nicht immer müssen andere Erscheinungen einer Xerophthalmie wie z. B. die typischen Bitot-Flecken der Bindehaut vorliegen. Dunkeladaptation und insbesondere das Stäbchen-ERG können bei Vitamin-A-Mangel vermindert sein (Dhanda 1955). Nach Substitutionstherapie kann eine Normalisierung der Befunde eintreten. In Abgrenzung zu den progressiven Zapfendystrophien ist das ERG hilfreich bei der Diagnose von stationären Erkrankungen des Zapfensystems. Die komplette und inkomplette Achromatopsie (Krill 1977) sind durch unterschiedlich ausgeprägte Visusminderung und fehlendes bzw. herabgesetztes Farbunterscheidungsvermögen gekennzeichnet. Im ERG finden sich charakteristischerweise normale Stäbchenpotenziale und nicht oder kaum nachweisbare Zapfenantworten (⊡ Abb. 3.48). Eine Abgrenzung von stationären und progressiven Zapfenerkrankungen erlauben in der Regel: ▬ Anamnese (seit der Geburt vorhandene Sehfunktionseinschränkungen), ▬ Fundusaspekt (fehlende Veränderungen bei den stationären Zapfenerkrankungen) und das ▬ ERG, insbesondere im Verlauf.
Kongenitaler Nystagmus, kongenitale Sehminderung Liegt bei einem Kind ein kongenitaler Nystagmus vor und muss der Verdacht auf eine schwere, von Geburt an bestehende Sehminderung geäußert werden, ist das ERG insbesondere bei Fehlen eines morphologischen Substrats differentialdiagnostisch wegweisend. Angeborene, schwere Netzhautdystrophien wie die kongenitale Amaurose Leber können von stationären Netzhauterkrankungen wie der CSNB, die auch mit Nystagmus einhergehen kann, und der kompletten und inkompletten Achromatopsie abgegrenzt werden. Dies ist für die Einschätzung der weiteren Entwicklung des Kindes von erheblicher Bedeutung. Finden sich weder Fundus- noch ERG-
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⊡ Abb. 3.47. Linke Bildhälfte: ERG bei kongenitaler stationärer Nachtblindheit (CSNB), inkompletter Schubert-Bornschein-Typ. Unten zeigt sich eine angedeutete Stäbchen-bWelle. Die mittlere Kurve weist die typische Konfiguration eines »negativen ERG« auf, d.h., die a-Welle ist ebenso groß wie oder sogar größer als die b-Welle. Die späte Negativität ist
ein Lidschlagartefakt. Das Zapfen-ERG (oben) ist bei der inkompletten Form ebenfalls vermindert und zeigt häufig, wie hier abgebildet, bei 30-Hz-Flimmerreizung einen Doppelgipfel. Rechts sind die entsprechenden Normalantworten abgebildet
Veränderungen, so ist nach zentralen Ursachen zu fahnden. Auch können infolge der Bewegungsunruhe Visusstörungen bestehen, diese sind aber weniger ausgeprägt. Beim okulären oder okulokutanen Albinismus (Abschn. 3.6.26) sind die ERG-Antworten normal oder, wie von einigen Autoren beschrieben, sogar supernormal (Krill u. Lee 1963). Als Begründung für die erhöhten Amplituden wird die aufgrund des Pigmentmangels vermehrte Reflektivität des Fundus angeführt.
Bei einem Zentralarterienverschluss (Karpe u. Uchermann 1955), einem Zentralvenenverschluss (Johnson et al. 1988), der diabetischen Retinopathie (Bresnick et al. 1984) und anderen vaskulären Erkrankungen der Netzhaut sind ERG-Veränderungen beschrieben worden. Für die Verlaufskontrolle und die Indikationsstellung zur Therapie spielt das ERG in diesen Fällen jedoch eine untergeordnete Rolle. Die Bestimmung der Netzhautfunktion bei trüben Medien mittels ERG, z. B. präoperativ, ist zwar von gewissem theoretischen Interesse; in der Regel führt aber das »stumme« ERG nicht dazu, die operative Entfernung der Medientrübung zu unterlassen. Es ist natürlich durchaus möglich, dass trotz nichtnachweisbarem ERG-Potenzial eine brauchbare, insbesondere zentrale Netzhautfunktion er-
Sonstige ERG-Indikationen In der Literatur sind eine Vielzahl von weiteren Indikationen für das ERG beschrieben worden, die in unterschiedlichem Ausmaß Eingang in die klinische Routine gefunden haben.
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
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⊡ Abb. 3.48. Linke Bildhälfte: ERG bei Stäbchen-Monochromasie (Achromatopsie). Die Stäbchenantwort (unten) ist regelrecht. Die Maximalantwort (mittlere Kurve) befindet sich an der unteren Norm, da sie im Normalfall (rechts) auch Zap-
fenanteile enthält. Bei der 30-Hz-Flimmerableitung (oben) ist lediglich Rauschen erkennbar. Rechts sind die entsprechenden Normalantworten abgebildet
halten ist. Man kann sich dies verdeutlichen, wenn man an die typische Retinitis pigmentosa denkt: Trotz kaum mehr nachweisbarer ERG-Potenziale kann noch ein sehr brauchbarer Gesichtsfeldrest vorhanden sein. Entscheidend für das ERG bei getrübten Medien ist auch die Art der Trübung. Bei Kataraktformen, die das Licht hauptsächlich streuen, nicht aber absorbieren, können die ERGPotenziale normal oder sogar erhöht sein; bei Glaskörperblutungen andererseits wird häufig das Reizlicht absorbiert und damit das ERG vermindert. Bei einer Anamnese, die eine Netzhautintoxikation einschließlich der Siderosis retinae oder eine »cancer-associated-retinopathy« (CAR) möglich erscheinen lässt, sollte unbedingt ein ERG zur Differentialdiagnostik und Bestimmung der aktuellen Netzhautfunktion durchgeführt werden. Die Siderosis und andere Netzhautintoxikationen aufgrund intraokularer Fremdkörper sind heute aufgrund
der Fortschritte in der vitreoretinalen Chirurgie seltener geworden. Neben eisenhaltigen Fremdkörpern sind v. a. Kupferbestandteile gefährlich für die Netzhautfunktion. Engmaschige ERG-Kontrollen bei belassenem intraokularen Fremdkörper sind hauptsächlich in der ersten Phase (1. Woche) nach der Verletzung wichtig. Anschließend sind Kontrollen in Abhängigkeit von der Lokalisation des Fremdkörpers und der klinischen Symptomatik durchzuführen. Bei stabilem Befund führen wir jährliche Kontrolluntersuchungen durch. Bezüglich der Siderosis ist erwähnenswert, dass auch länger bestehende Glaskörperblutungen sekundär durch das freiwerdende Eisen Netzhautschädigungen durch Siderosis bedingen können. Bei der Chloroquin- bzw. Hydroxychloroquinretinopathie können ERG und EOG verändert sein, meistens jedoch in Spätstadien. Psychophysische Tests und morphologische Befunde sind in Frühstadien sensitiver als die Elektrophysiologie. Aller-
341 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
dings ziehen wir diese, abhängig von der Dosis, regelmaßig (z. B. jährlich) zur objektiven Verlaufskontrolle mit hinzu. Andere potentiell retinotoxische Medikamente und damit Indikationen zum ERG im Verdachtsfall sind z. B. Chlorpromazin, Thioridazin und Indomethacin. Entzündliche Erkrankungen der Netzhaut, des Pigmentepithels bzw. der Choroidea können zuweilen zu einem Fundusaspekt führen, der einer Netzhautdystrophie sehr ähnlich ist, z. B. der Retinitis pigmentosa. Das ERG eignet sich in diesen Fällen zur Differentialdiagnostik, da die ERG-Potenziale bei entzündlichen Erkrankungen typischerweise weniger verändert sind, die Variabilität aber groß ist. Massive Netzautveränderungen z. B. als Folge einer luetischen Chorioretinitis können auch zu einer starken Verminderung der ERG-Amplituden führen.
3.11.7
Grenzen der Aussagekraft des ERG
Wie beim VEP ist auch beim ERG eine hohe Kompetenz der Untersucher unerlässlich. Typische Fehler, die sich leicht vermeiden lassen, sind: ▬ unzureichende Dauer und Intensität von Dunkel- und Helladaptation, ▬ fehlende Mydriasis, ▬ falscher oder ungenügender Elektrodensitz, ▬ Verrutschen der Elektroden während der Messung, ▬ geschlossene Augen (bei Ableitung oder Helladaptation), ▬ ERG-vortäuschende Augenbewegungen bzw. Lidschläge. Die starken Störungen bei Nystagmus können eine Ableitung unmöglich machen. Von Vorteil ist, dass beim ERG eine Refraktionskorrektur nicht erforderlich ist. ! Das (normale) ERG ist eine Summenantwort
der gesamten Netzhaut.
Physiologische Grenzen der Aussagekraft ergeben sich daraus, dass das ERG eine Summenantwort der gesamten Netzhaut darstellt.
3
Rein areolare Ausfälle belassen die Amplitude im Normbereich. Sogar ein kompletter Makulaausfall ist im Zapfen-ERG nicht erkennbar, da sich in der Makula weniger als 5% aller Zapfen befinden. Die dort sehr hohe Zapfendichte kompensiert nicht den sehr kleinen relativen Flächenanteil (Tyler 1996).
3.11.8
Das multifokale ERG
Das mfERG ist der größte Entwicklungsschritt der okulären Elektrophysiologie in den letzten Jahren. Es beseitigt einen wesentlichen Nachteil des normalen ERGs, nämlich die fehlende Ortsauflösung, indem es eine Funktionskartierung bietet (⊡ Abb. 3.49). Insbesondere kann damit die Rezeptorfunktion in der Makula von perimakulären Gebieten getrennt werden. Aufgrund der Häufigkeit und Variabilität von Makulaerkrankungen bestehen breite Einsatzmöglichkeiten. Der lokale Vergleich (z. B. Zentrum vs. Peripherie) macht die Auswertung unabhängig von der hohen interindividuellen Amplitudenvariabilität aller elektrophysiologischen Verfahren. Eine sehr ausführliche Übersicht hat Hood (2000) zusammengestellt, es existiert inzwischen auch eine ISCEV-Empfehlung dafür (Marmor et al. 2003).
Ursprung des mfERGs Aufgrund der Helligkeit werden im mfERG nur Potenziale des Zapfensystems gemessen. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass der Hauptgenerator des mfERGs in den von den Zapfen angesteuerten On- und Off-Bipolarzellen liegt (Hood et al. 2002a). Eine Messung der Stäbchenantwort mit dem mfERG ist zwar möglich (Hood and Birch 1997), aber klinisch zu aufwendig und nicht ausreichend relevant.
Messtechnik, multifokales Prinzip Die multifokale Messtechnik geht auf Arbeiten von Marmarelis u. Marmarelis (1978) zurück und wurde von Sutter für visuelle Anwendungen erstmals eingesetzt (Fletcher et al. 1988; Sutter u. Tran 1992). Sie beruht auf einer orthogonalen Folge von Reizmustern (basierend auf einer m-Sequenz), die
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
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⊡ Abb. 3.49a–c. ERG-Kampimetrie. In rascher Folge werden mittels Monitor verschiedene Areale der zentralen Netzhaut (30°) gereizt. Abgebildet ist ein Feld mit 61 Sechsecken, die unabhängig voneinander moduliert werden und peripher größer sind als zentral (a). Bei jeder Reizkonfiguration wird das Gesamthornhautpotenzial gemessen und die Potenziale anschließend mit der jeweiligen Reizkonfiguration kreuzkorreliert. Dadurch ergibt sich eine Karte von 61 ERG (b). Bei dem hier abgebildeten Beispiel handelt es sich nur um die linearen Komponenten (1. Kernel), von denen man annimmt, dass sie die Funktion der äußeren Netzhaut widerspiegeln (Photorezeptorenantwort). Die einzelnen ERG-Antworten sind nicht mit den bekannten Komponenten (z. B. a- und b-Welle) zu vergleichen. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Sechseckgröße lässt sich eine Potenzialhöhenkarte der zentralen Netzhaut erstellen (c), die an die Verteilung der Zapfen in der Netzhaut erinnert
es erlaubt quasisimultan zu stimulieren und aus dem Signal einer einzigen Messelektrode eine ortsaufgelöste Funktionskartierung zu errechnen. Der theoretische Hintergrund ist sehr komplex (Victor 1992) und kann hier nicht genauer dargestellt werden. Doch sollte erwähnt werden, dass das multifokale Prinzip sehr allgemein anwendbar ist, z. B. auch auf Einzelzellantworten oder auf die Pupillenantwort (Wilhelm et al. 2000). Darüber hinaus kann es interessant sein, statt der Antwort des sog. 1. Kerns (engl. »first order kernel«) auch höhere Komponenten zu betrachten. Der erste Kern stellt beim mfERG den Unterschied zwischen Hell- und Dunkelantwort dar, der Kern zweiter Ordnung z. B. würde der Antwort auf jeden Reizwechsel entsprechen (Sutter 2000). Beim ERG ist das Letztere weniger interessant und das Pattern-mfERG ist bislang nicht vielversprechend. Aber beim VEP, hier dem multifokalen VEP entspricht gerade der Kern zweiter Ordnung der üblichen Antwort auf Musterumkehr (Abschn. 3.2.9 zum mfVEP). Die elektrische Summenantwort der Netzhaut wird genauso wie beim Ganzfeld-ERG mit einer Korneaelektrode abgeleitet. Die multifokalen Stimuli werden auf einem Monitor dargeboten. Dabei wird mit einem Reizfeld von 61 oder 103 Sechsecken (Größe ±30°) durch schnellen Wechsel der Sechsecke zwischen schwarz oder weiß ein Reizmuster erzeugt (⊡ Abb. 3.49a). Dabei bleibt die mittlere Helligkeit des Monitors konstant. Der Helligkeitswechsel jedes einzelnen Sechsecks erfolgt entsprechend derselben, doch jeweils um einen Schritt verschobenen sog. m-Sequenz. Diese m-Sequenz ist so gewählt, dass die Reizung jedes Sechsecks unabhängig von allen anderen Sechsecken ist und alle möglichen Kombinationen bezüglich Zeitablauf und der Nachbarsechsecke ausbalanciert sind (in der Freiburger Augenklinik setzen wir eine m-Sequenz mit 30.000 Schritten ein). Mit dem Wissen, wann ein Sechseck einen weißen Lichtreiz abgegeben hat, kann hinterher aus den Reizantworten auf den Anteil jedes einzelnen Sechsecks zurückgerechnet werden, obwohl Reizantworten eine Summe über die ganze Netzhaut darstellen. Das kommt einem zunächst wie Zauberei vor; der mathematische Hintergrund ist die gegenseitige Orthogonalität aller Schritte einer m-Sequenz. Die Untersuchung wird in der Regel in mehrere Abschnitte von
343 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
z. B. 30 s Dauer geteilt, die gesamte Messzeit beträgt abhängig von den genauen Messparametern 5– 10 min. Die Darstellung erfolgt zunächst als Überblick über die Messkurven jedes einzelnen Sechsecks (⊡ Abb. 3.49b). Da die Fläche der einzelnen Blitzsechsecke umgekehrt proportional zur Photorezeptordichte gewählt wurde (⊡ Abb. 3.49a), ergeben sich normalerweise überall etwa gleichgroße Kurven. Diese Kurven kann man nun auswerten, wie man es vom (photopischen) ERG gewohnt ist, doch verlangt die Informationsfülle nach übersichtlicherer Darstellung. Sehr populär ist eine (evtl. farbige) 3-D-Darstellung, die das Ergebnis auf den ersten Blick auch einem Laien verständlich darstellen soll (⊡ Abb. 3.49c). Für diese Darstellung muss die lokale mfERG-Kurve in eine einzige Zahl »destilliert« werden, die dann der Höhe im 3-D-Diagramm entspricht. Es ist klar, dass dabei Informationen verloren gehen müssen, man sucht also nach Verfahren, die das Wesentliche isolieren. Wie meist, kommt es vor allem auf zwei Parameter an: Amplitude und Latenz. Am besten betrachtet man noch die Kurvenform. Das Standardverfahren, um Amplituden zu bestimmen, ist eine Tal-Gipfel-Auswertung. In der Tat kann man das erfolgreich machen, jedoch sind mfERG-Kurven wegen der kleinen lokalen Stimulationsfläche oft stark rauschüberlagert: Die TalGipfel-Auswertung liefert bei Rauschen Zahlenwerte, die die eigentliche Antwort stark überschätzen. Sutter setzte als Erster beim mfERG das Templateverfahren ein. Dabei bildet man ein »Skalarprodukt« der lokalen mfERG-Kurve mit einer Musterkurve (Muster = Template). Das Verfahren läuft darauf hinaus, dass man eine Korrelation zwischen Muster und aktueller Antwort berechnet. Das Ergebnis ist erheblich rauschresistenter als eine Tal-Gipfel-Auswertung, hat aber mehrere Probleme: ▬ Zum einen reduzieren auch Latenzverschiebungen das Skalarprodukt. Klinisch relevante Latenzerhöhungen (Seeliger et al. 1998) erscheinen also als Antwortminderungen, wenn man nicht auch die Originalkurven betrachtet. ▬ Des Weiteren stellt sich die Frage: wo bekommt man ein geeignetes (Referenz-)Muster her? Ein Weg ist natürlich die Erstellung einer ausrei-
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chend großen Normalpopulation. Das ist richtig, aber enorm zeitaufwändig. ▬ Auch muss wegen der Altersabhängigkeit der Latenz noch eine Altersschichtung vorgenommen werden. Eine einfachere und für viele Anwendungen geeignete Lösung ist es, den »Ringmittelwert« als Muster zu wählen. Der Ringmittelwert mittelt alle Antworten konstanter Exzentrizität. Das ist in der Mitte nur eine, der nächste Ring enthält sechs Antworten, dann werden es zunehmend mehr. Alle areolaren Funktionsausfälle heben sich dann gegenüber dem Ringmittelwert deutlich hervor (z. B. ⊡ Abb. 3.46, M. Stargardt). Schliesslich muss noch darauf hingewiesen werden, dass im 3-D-Diagramm die Antwortdichte des mfERGs aufgetragen wird. Typischerweise skaliert man die lokale Reizgröße (die kleinen »Bienenwaben« aus ⊡ Abb. 3.49a) umgekehrt der Zapfendichte, so dass sich in etwa überall gleich große Antworten ergeben (⊡ Abb. 3.49b). Zur Erstellung des 3-D-Diagramms dividiert man dann durch diese lokale Reizfläche, man erhält die Antwortdichte (in nV/°), die bei normaler Netzhautfunktion sehr schön die physiologische Zapfenverteilung widerspiegelt (⊡ Abb. 3.49c). Das Problem tritt nun auf, wenn überhaupt keine (oder sehr kleine) Antwort vorliegt und man die automatisierte Auswertung laufen lässt: Ob Tal-Gipfel oder Skalarprodukt ( s. oben) – es gibt immer irgendwelche Zahlen, die in etwa überall gleich groß sind, weil einfach mehrfach gleichartiges Rauschen ausgewertet wird. Nun dividiert man diese Zahlen durch die lokale Reizgröße. Es entsteht dann ein Zentralgipfel (wie in ⊡ Abb. 3.49c), weil im Zentrum durch kleinere Zahlen dividiert wird als peripher; die entsprechende 3-D-Darstellung ist zwar verrauscht, täuscht aber eine zentrale Restfunktion vor. Als Fazit bleibt, dass man zur Analyse des mfERG immer die Originalkurven heranziehen muss, so schön die bunte 3-D-Darstellung auch aussehen mag. ! Das multifokale ERG stellt eine topographi-
sche Karte der Rezeptorfunktionskartierung dar.
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Klinische Anwendung
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Die derzeit klinisch eingesetzte lokale Blitzreizung im mfERG misst die Funktion von Photorezeptoren und Bipolarzellen am hinteren Pol. Das mfERG ist eine wichtige Ergänzung zum Ganzfeld-ERG, da Letzteres die Makulafunktion nicht widerspiegelt. Die Kombination von Ganzfeld-ERG und mfERG erlaubt, die Differenzierung zwischen regionalen Makulaerkrankungen und generalisierten Netzhautfunktionsstörungen (z. B. Zapfen- vs. Makuladystrophie (Kellner et al. 1998). Eine wesentliche Bedeutung hat das mfERG bei der Früherkennung z. B. eines Stargardt-Syndroms, weil bereits bei noch morphologisch unauffälliger Makula pathologische Veränderungen im mfERG vorliegen und so eine Abgrenzung zu funktionellen Sehstörungen eindeutig möglich ist (⊡ Abb. 3.46). Toxische Makulopathien sind ebenfalls frühzeitig im mfERG zu entdecken (Rüther u. Kellner 1998; Kellner et al. 2000), bei der Frage nach Chloroquinschäden stellt das mfERG möglicherweise eine bessere Alternative zum EOG dar, doch fehlt hier noch eine Vergleichsstudie an denselben Patienten. Darüber hinaus ist das mfERG eine wichtige Ergänzung zum VEP und PERG bei der Lokalisierung der Ursache unklarer Sehstörungen. Das Normalverfahren des mfERG ist nicht für die Glaukomdiagnostik geeignet (Hood et al. 2000a; Bach 2001; Palmowski et al. 2002), es wird aber immer wieder versucht. Medientrübungen stören das mfERG, aber die Korrektion ist nicht so wichtig wie bei PERG bzw. VEP (Palmowski et al. 1999), bis zu fünf Dioptrien Fehlkorrektion sollen die Antwort nicht relevant stören.
3.11.9
Das Pattern-ERG
Das Helligkeits-ERG stellt seit nunmehr vielen Jahren eine verbreitete und etablierte Untersuchungsmethode dar. Beim Musterelektroretinogramm (PatternERG, PERG) wird statt eines Helligkeitsreizes zur Evozierung eines retinalen Potenzials ein zeitlich modulierter Musterreiz verwendet, wobei die Gesamtleuchtdichte bei jeder Reizkonfiguration konstant bleibt. Meistens handelt es sich um Schach-
brettmusterwechselreize oder Streifenmuster. Eingeführt wurde das PERG durch Riggs et al. (Riggs et al. 1964). Seit den Untersuchungen von Maffei u. Fiorentini (Maffei u. Fiorentini 1981) geht man davon aus, dass das PERG-Potenzial v. a. die Funktion der retinalen Ganglienzellschicht widerspiegelt. Sie hatten bei der Katze festgestellt, dass im Falle einer retrograden Degeneration des Sehnervs nach seiner Durchtrennung die Antworten des HelligkeitsERG erhalten blieben, während die des PERG nicht mehr nachweisbar waren. Dieses Phänomen konnte auch beim Affen reproduziert werden (Maffei et al. 1985). Beim Menschen wurde der Hypothese eines Ganglienzellursprungs des PERG von Sherman (1982) widersprochen, Untersuchungen bei Optikusatrophie (Harrison et al. 1987; Bach et al. 1992) unterstützen jedoch einen Ganglienzellursprung des PERG. Geht man davon aus, dass die retinalen Ganglienzellen zumindest ein wesentlicher Generator der PERG-Antwort sind, ist mit dem PERG eine Untersuchungsmethode etabliert worden, mit der eine primäre axonale Neuropathie des Sehnervs, wie sie beispielsweise beim Glaukom vorkommt, potenziell nachgewiesen oder sogar quantifiziert werden kann. Aber auch eine retrograde Neuropathie, z. B. als Folge einer demyelinisierenden Erkrankung des Sehnervs oder als Folge einer Kompression, wird vom PERG erfasst. Beim transienten PERG kann man eine positive P50- und eine negative N95-Komponente unterscheiden (⊡ Abb. 3.50). Es gibt Hinweise, dass die N95 die Aktivität von Aktionspotenzialen in den Ganglienzellen widerspiegelt (Viswanathan et al. 2000) und die P50 eher die Rezeptoraktivität (Holder 2001b). Da aber beide Komponenten bei Ganglienzellatrophie verloren gehen, verfolgen wir derzeit die Hypothese, dass die P50 von EPSP bzw. IPSP in den Ganglienzellen generiert wird. ! Das Pattern-ERG spiegelt im Wesentlichen die
Ganglienzellfunktion wider.
Mittlerweile ist wie beim Helligkeits-ERG die Untersuchungstechnik beim PERG ebenfalls standardisiert (Bach et al. 2000; http://www.iscev.org/standards/): ▬ Das Reizfeld sollte etwa 10–16° umfassen. Bei Verwendung eines Schachbrettmusters ist eine Karogröße von 0,8° sinnvoll (Bach u. Holder
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1996). Die Abhängigkeit der PERG-Antwort von der Musterreizgröße (»spatial tuning«) ist bei Reizung mit sinusförmigen Streifenmustern besser nachzuweisen, da das Schachbrettmuster eine komplexe Mischung von unterschiedlichen Ortsfrequenzen darstellt (May u. Lovegrove 1987). ▬ Der Kontrast zwischen dunklem und hellem Muster sollte möglichst groß sein und 80% nicht unterschreiten. Die Leuchtdichte der weißen Flächen sollte mehr als 80 cd/m2 betragen und der Untersuchungsraum wenig erleuchtet (bis 10 cd/m2) sein (Bach u. Schumacher 2002). ▬ In der Mitte des Bildschirms muss ein Fixationsreiz vorhanden sein, der vom Patienten gut wahrgenommen werden kann. Bei niedriger Reizfrequenz (z. B. 4 Musterwechsel/ s) erhält man eine komplexe Antwort mit mehreren Komponenten (transiente Reizung, ⊡ Abb. 3.50). Es lassen sich normalerweise zwei negative Komponenten bei etwa 35 und 95 ms und eine positive bei etwa 50 ms ermitteln (N35, P50, N95). Die N35 ist häufig sehr klein und manchmal gar nicht zu identifizieren. Die Angaben über die Zeitwerte sind Anhaltspunkte; die genauen Zeitverhältnisse sind von den Reizbedingungen abhängig. Relevante Messparameter sind die Amplitude der P50, gemessen vom N35-Tal zum P50-Gipfel, und die N95-Amplitude, gemessen vom P50-Gipfel zum N95-Tal. Wird die Musterwechselrate erhöht, beispielsweise auf 16 Musterwechsel/s, zeigt sich eine sinusartige Antwortkurve (Steady-state-Reizung, ⊡ Abb 3.51). Die Steady-state-Reizung besitzt den Vorteil leichterer Auswertbarkeit, da mittels Fourier-Analyse die Amplituden und Phasen der Musterwechselantwort leicht ermittelt werden können. Wird eine Steady-state-Reizung durchgeführt, so ist es wichtig, eine Fourier-Analyse durchzuführen. Aufgrund des relativ geringen Zeitaufwands ist es nahe liegend, bei jeder PERG-Untersuchung sowohl die transiente als auch die Steady-state-Antwort abzuleiten. Das PERG der klinischen Routine wird grundsätzlich bei Helladaptation durchgeführt. Im Gegensatz zum Helligkeits-ERG wird mit spielender Pupille abgeleitet, was zu einer besseren Abbil-
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⊡ Abb. 3.50. Transiente Muster-ERG-Antwort. 1,9 Musterwechsel pro Sekunde, mittlere Leuchtdichte 85 cd/m2, Kontrast 95%, Karogröße 0,75°* 0,63°, Reizfeldgröße 22°* 18°. Bei dieser Ableitung sind deutlich das N35 (Cursor 1 und 4, Amplitude 1,2 uV), das P50 (Cursor 5 und 4, Amplitude 5.3 uV) und das N95 (Cursor 5 und 6, Amplitude 9 µV) erkennbar
⊡ Abb. 3.51. Steady-state-Muster-ERG-Ableitung; 15 Musterwechsel pro Sekunde, sonstige Parameter wie in ⊡ Abb. 3.50. Die Amplitude der sinusartigen Schwingung beträgt 7,3 µV (numerische Fourier-Analyse)
dungsqualität des Musters auf der Netzhaut führt. Aus diesem Grunde ist es auch erforderlich, die für den Beobachtungsabstand erforderliche Refraktion zu verwenden. Als aktive Ableitelektroden sind Kontaktlinsenelektroden ungeeignet, da sie die optische Abbildung des Musters auf der Retina verschlechtern. Goldfolien- oder Fadenelektroden
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Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
sind besser. Referenz und Erdungselektroden können wie beim Helligkeits-ERG positioniert werden (d. h. Referenz immer an der ipsilateralen Schläfe). Binokulare Ableitung ist sinnvoll. Sie hat den Vorteil der Fixationserleichterung und der geringeren Untersuchungszeit. Nur bei simultan abgeleitetem VEP ( s. unten) muss monokular abgeleitet werden. Wichtig ist eine gute Artefaktunterdrückung des Messsystems, da z. B. auf Lidschläge zurückzuführende Potenziale die PERG-Antwort erheblich verändern und die Verstärkeranlage kurzzeitig übersteuern können. Da es sich beim PERG grundsätzlich um sehr kleine Potenziale handelt (unter etwa 10 µV), muss in der Regel gemittelt werden. Im Freiburger Labor werden z. B. 2-mal 80 Durchläufe gemittelt. Den Patienten können zwischenzeitlich, insbesondere bei hohen Mittelungszahlen und höherem Alter, Stimulationspausen eingeräumt werden. Zum Nachweis der Reproduzierbarkeit sollten von jeder Reizkonfiguration (wie immer in der Elektrophysiologie) mindestens zwei Ableitungen durchgeführt werden. Die Ergebnisse sollen wie beim Helligkeits-ERG die Reizbedingungen und laborspezifischen Normwerte ausweisen.
Indikationen für das PERG Die Indikationen für das Muster-ERG (PERG) sind eingeschränkter als die für das Helligkeits-ERG. Dies liegt einerseits daran, dass es noch nicht so lange Gegenstand der klinischen Forschung ist, andererseits an der aufgrund der kleinen Potenziale schwierigeren Ableitung. Von der International Society of Clinical Electrophysiology of Vision wurde ein Standard für das PERG formuliert (Bach et al. 2000). Die Ausführungen über die Methodik des PERG in Kap. 3.9.5 orientieren sich eng an den bisher vorliegenden Entwürfen für diesen PERG-Standard. Die Vereinheitlichung der Untersuchungsparameter und des Untersuchungsablaufs wird möglicherweise den Anstoß für eine breitere Anwendung in der Klinik geben. Gemäß der gut begründeteten Hypothese, dass der wesentliche Bestandteil des PERG-Potenzials auf die Funktion der retinalen Ganglienzellen zurückzuführen ist, stellen primäre Erkrankungen des dritten retinalen Neurons aus theoretischen Erwägungen eine Indikation für das PERG dar. Bei
primären Erkrankungen des Sehnerven, z. B. der typischen Neuritis nervi optici (NNO), kann es neben einer Beeinträchtigung von Funktion und Integrität des Sehnerven zu retrograden Veränderungen der Ganglienzellen kommen. Diese können zu Veränderungen im PERG führen (Bradshaw 1992). Die diagnostische Relevanz bei der NNO ist aufgrund der typischen Klinik jedoch sehr begrenzt und das PERG eher aus theoretischen Erwägungen interessant. Eine andere in der ophthalmologischen Praxis häufige primäre Schädigung des dritten retinalen Neurons ist das Glaukom. Beim manifesten Glaukom wurde tatsächlich eine Reduktion der PERG-Amplitude beschrieben (Wanger u. Persson 1983; Bach et al. 1988; Zrenner et al. 1988). Damit bildet es neben Gesichtsfeldausfällen, Papillenveränderungen, Farb- und Kontrastsehstörungen einen weiteren Verlaufsparameter bei dieser deletären Erkrankung und trägt damit zur Therapieevaluation bei. Wichtiger scheint die Anwendung bei der okulären Hypertension (OHT). Bei OHT-Patienten findet sich ein über der Norm liegender Augeninnendruck, es sind jedoch keine Gesichtsfeldeinschränkungen oder Papillenveränderungen erkennbar. Hier stellt sich die Frage, ob ein von einer OHT Betroffener im weiteren Verlauf Sehnervenschäden im Sinne eines Glaukoms erleiden wird und damit einer drucksenkenden Therapie unterzogen werden sollte oder ob der erhöhte Augeninnendruck auch nach langer Dauer ohne Schädigung des Sehnervs toleriert wird. Es konnte nachgewiesen werden, dass bei OHT-Patienten mit verändertem PERG das Risiko, im weiteren Verlauf Gesichtsfeldausfälle zu entwickeln, erhöht ist (Pfeiffer et al. 1993; Unsoeld et al. 2001). Die Kombination von zwei Karogrößen hat sich dabei als besonders nützlich erwiesen: Bei 0,8° ist der Schaden durch ein frühes Glaukom am deutlichsten, bei 15° minimal (Bach et al. 1988; Johnson et al. 1989). Wenn man den Quotienten der Amplituden dieser beiden Karogrößen bildet, so erhält man ein Maß, das von den interindividuellen Streuungen (Otto u. Bach 1997) weniger beeinflusst wird (Bach 2001; Unsoeld et al. 2001). Insgesamt ist die diagnostische Sicherheit des PERG heute noch nicht so groß, dass man allein aufgrund des PERG-Befunds eine drucksenkende Therapie begründen könnte. Nach wie vor ist die Gesamtkonstellation aller relevanten Befun-
347 3.11 · Das Elektroretinogramm in der Ophthalmologie
de wegweisend, wobei neben der Höhe des Augendrucks, der Familienanamnese und den zusätzlich bestehenden Allgemeinerkrankungen insbesondere die Papillenmorphologie eine wichtige Rolle spielt (Bach u. Funk 1993). Eine andere, zzt. noch nicht abschließend erforschte Anwendungsmöglichkeit ist die Prognostik bei komprimierenden oder traumatischen Erkrankungen des Sehnerven. Hat ein Patient wegen eines chiasmanahen Tumors eine komprimierende Schädigung des Traktus, des Chiasmas oder des Sehnervs erlitten, die zu entsprechenden Gesichtfeldausfällen geführt hat, so beeinflusst die zu erwartende Entwicklung der Sehfunktion die Operationsindikation. Man kann davon ausgehen, dass bei einer Schädigung der Ganglienzellen durch die retrograde Degeneration des Sehnervs die Prognose schlechter ist als bei intakter Ganglienzellfunktion. Ein normales oder nur gering vermindertes PERG würde folglich eine positive Prognose erlauben. Trotz vielversprechender Berichte (Lorenz et al. 1989) bereiten geringe Sensitivität und Spezifität dieser Untersuchung noch Probleme. Dies erfuhren wir auch in eigenen Untersuchungen (Sadowski et al. 1995). Es bleibt zu hoffen, dass sich der Vorhersagewert dieser Methode durch verfeinerte PERGAbleite- und Auswerteverfahren steigern lässt. Parmar et al. (2000) fanden z. B. heraus, dass sich bei Vergleich der P50- und N95-Komponenten der prognostische Wert erheblich steigern lässt. Klinische Anwendungen des PERG bei hereditären Optikusatrophien werden in Kombination mit dem VEP dargestellt (Abschn. 3.12.7). Da das PERG – je nach Ausdehnung des Reizmusters – intakte Zapfenfunktion im Netzhautzentrum voraussetzt, ist es auch bei zahlreichen Makulaerkrankungen frühzeitig verändert (Holder 2001a, b). In Zusammenhang mit dem mfERG erlaubt das PERG eine differenziertere Makulafunktionsdiagnostik: Bei Störung der makulären Photorezeptoren oder Bipolarzellen sind mfERG und PERG pathologisch verändert. Bei einer isolierten Schädigung der Ganglienzellen ist das mfERG normal und das PERG pathologisch. Da sich außer beim Glaukom bei den meisten Makulaerkrankungen die Funktionsstörungen in den äußeren Netzhautschichten finden und das mfERG darüber hinaus eine Beurteilung der regionalen Verteilung der
3
Funktionsausfälle erlaubt, erscheint uns jedoch das mfERG bei der Diagnostik von Makulaerkrankungen sinnvoller als das PERG. Doch ist zu bedenken, dass mit jedem VEP-System ohne weiteres PERGs abgeleitet werden können, während die multifokalen Messverfahren ein teures Spezialgerät voraussetzen.
3.11.10
Kombination von PERG und VEP
Optimale Karogröße für den PERG-Reiz ist 0,8° (Bach u. Holder 1996). Da bei dieser Karogröße auch ein deutliches VEP ausgelöst wird (optimal wäre 0,2°), ist es sehr einfach möglich, auf denselben Reiz gleichzeitig PERG und VEP abzuleiten. Damit stehen zwei Abgriffe am Anfang und am Ende der Sehbahn zur Verfügung. Diese kombinierte Ableitung des PERG und des VEP erlaubt weitere Aufschlüsse über die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen der Sehverschlechterung und kann bei Entmarkungserkrankungen die Sensitivität der Methode anheben. Celesia et al. (1986) untersuchten 35 MultipleSklerose-Patienten mit PERG und VEP und beschrieben vier unterschiedliche Typen pathologischer Befunde. Bei 34 Augen fanden sie lediglich eine verlängerte retinokortikale Leitungszeit (d. h. Latenz zwischen b-Welle des PERG und P100 des VEP). Dieser Befund mit normalem PERG aber pathologisch verzögertem VEP spricht für eine Demyelinisierung im Bereich der Sehbahn. Bei drei Augen waren weder PERG noch VEP ableitbar. Die Autoren vermuten hier eine schwere u. a. axonale Schädigung des Sehnervs mit retrograder Degeneration der Ganglienzellen. Klinisch war bei diesen Patienten eine deutliche Papillenatrophie bzw. ein Zentralskotom nachweisbar. Bei vier Augen waren bei normalen PERG keine VEP ableitbar. Die Autoren nehmen einen totalen Leitungsblock im Bereich des Sehnerven an. Als Mischbefund von Demyelinisierung und axonaler Schädigung waren bei fünf Augen eine verminderte Amplitude des PERG und eine verzögerte VEP nachweisbar. Die Untersuchung von Kaufman u. Celesia (1985) demonstriert, wie durch kombinierte Anwendung von PERG und VEP genauere Kenntnisse patho-
348
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
physiologischer Mechanismen bei Erkrankungen der Netzhaut und der visuellen Afferenz gewonnen werden können. Sehr wichtig erscheint uns die simultane Ableitung von PERG und VEP bei der Abklärung funktioneller Störungen (Howard u. Dorfman 1986; Mace u. Trimble 1991; Hoffmann u. Hochapfel 1995; Rudolph u. Henningsen 1998; Saitoh et al. 2001). Die Ergebnisse im Labor der Freiburger Augenklinik werden folgendermaßen eingeschätzt: Wenn bei niedrig angegebenem Visus (z. B. <0.3) das VEP auch bei 0,2° Karos normal ausfällt, dann ist die Ursache der Visusminderung nicht im Bereich der Sehbahn bis einschließlich V1 zu suchen. Wenn das VEP pathologisch ausfällt, das PERG jedoch normal, dann liegt sicher ein Leitungsblock vor. Ist auch das PERG pathologisch, dann hilft es, zusätzlich mit sehr großen Karos (>5°) zu reizen: Optische Einflüsse (z. B. Fehlakkommodation) spielen dann keine Rolle. Bleibt bei großen Karos das PERG pathologisch, dann liegt ein Netzhautschaden vor, der mit dem ERG genauer abzuklären wäre. ! Simultane Ableitung von PERG und VEP ist
leicht möglich und erlaubt, »Anfang und Ende« der Sehbahn zu vergleichen.
3.12
Das VEP in der Ophthalmologie
Erst seit der Einführung von Musterstimulationstechniken haben Untersuchungen des VEP in der Ophthalmologie diagnostische Bedeutung erlangt. Dennoch ist ihre Anwendung v. a. in den Praxen der niedergelassenen Ophthalmologen lange nicht so weit verbreitet wie bei den Neurologen. Ein elektrophysiologisches Labor in der Augenklinik wird in aller Regel seinen Schwerpunkt auf die differentialdiagnostisch ergiebigere Elektroretinographie (ERG) legen. Im Folgenden seien dennoch die wesentlichen Anwendungen der VEP in der Ophthalmologie kurz dargestellt.
3.12.1
Indikationen für das Blitz-VEP
Wie in der Neurologie ist auch in der Ophthalmologie das Muster-VEP dem Blitz-VEP vorzuziehen. Dennoch ergeben sich immer wieder Situationen, in denen das Blitz-VEP einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert hat. So stellt sich bei der Untersuchung von mehrfach behinderten Kindern häufig die Frage nach der Intaktheit der Sehbahn. Neben der Beobachtung des Kindes hinsichtlich seines Fixationsverhaltens, seiner Reaktion auf Licht und der Prüfung der Pupillenreaktion kann das Ergebnis der Blitz-VEP-Untersuchung weitere Aufschlüsse zu dieser Fragestellung bringen. Allerdings sind die Ergebnisse hinsichtlich der weiteren visuellen Entwicklung eines Kindes äußerst vorsichtig zu interpretieren. Die Untersuchung sollte vornehmlich beim nichtsedierten Kind durchgeführt werden, um besser vergleichbare Resultate zu erzielen. Es sollten nur reproduzierbare Potenziale interpretiert werden. Bei eindeutigem Nachweis einer N75 und P100 lässt sich zumindest die Aussage treffen, dass visuelle Reize vom Auge verarbeitet und bis zu den Areae 17 weitergeleitet werden. Dies ist für die Gesamtbeurteilung der Situation des Kindes häufig von großer Bedeutung. Ist es aufgrund einer Trübung der Linse oder des Glaskörpers nicht möglich, die Netzhaut, insbesondere die Fovea, zu erkennen, so stellt sich die Frage, wie das Sehvermögen nach einer operativen Entfernung der Trübung sein wird. Zur Beantwortung dieser Frage stehen mehrere Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung (z. B. Laserinterferometer, »potential acuity meter«). Es hat sich herausgestellt, dass die präoperative Ableitung eines Blitz-VEP einen überraschend hohen prädiktiven Wert besitzt (Odom et al. 1987; Van Lith u. Van Dahlen 1992). Unter Berücksichtigung der Anamnese (wie war der Visus vor dem Entstehen der Trübung?) lässt sich auf diese Weise häufig eine valide Vorhersage treffen, was für Operateur und Patient gleichermaßen wichtig ist. Erleichtert wird die Beurteilbarkeit des präoperativen Blitz-VEP, wenn es sich um eine einseitige Trübung handelt. In ⊡ Abb. 3.52 sind dafür beispielhafte Ableitungen gezeigt.
349 3.12 · Das VEP in der Ophthalmologie
3
⊡ Abb. 3.52. 48-jähriger Patient mit perforierender Verletzung des linken Auges in der Jugend. Die Linse war stark getrübt, so dass ein Funduseinblick nicht möglich war (»mature cataract«). Der Visus links betrug »Erkennen von Handbewegungen«, das rechte Auge war regelrecht. Im präoperativ durchgeführten Blitz-VEP zeigten sich seitengleiche Potenzia-
le (Gipfelzeit ca. 145 ms, Amplitude ca. 11 µV; jeweils zwei Ableitungen zum Nachweis der Reproduzierbarkeit, Positivität nach oben aufgetragen, Nomenklatur P1 entspricht P100). Dieses Ergebnis ließ einen guten postoperativen Visus erwarten. Der Visus kurz nach der Kataraktextraktion betrug 0,6, eine weitere Verbesserung ist möglich
Bei ausgeprägten Veränderungen der Netzhautmitte oder fortgeschrittenem Funktionsverlust des N. opticus sind mit dem Muster-VEP häufig keine Potenziale mehr ableitbar. Hier stellt das Blitz-VEP neben anderen klinischen Funktionsparametern (z. B. Visus, Gesichtsfeld) einen wertvollen Verlaufsparameter dar. Dieses gilt gleichermaßen für degenerative, hereditäre oder toxische Sehnerverkrankungen.
Alter von etwa acht Jahren) auf der Makula eines Auges kein scharfes Bild abgebildet wird, oder Strabismus mit nicht fusionierbaren Doppelbildern vorliegt (Blakemore 1991; Sengpiel u. Blakemore 1996). Als zugrunde liegender pathophysiologischer Mechanismus wird angenommen, dass ein kortikaler Wettstreit zwischen den Afferenzen vom normalen und vom benachteiligten Auge stattfindet. Dauerhaft unterdrückte synaptische Verbindungen verlieren an Effizienz, gehen schließlich ganz verloren und können nach Ende der plastischen Phase nicht wiederhergestellt werden. Im Hinblick auf die Amblyopie sind die VEP unter drei Gesichtspunkten interessant: ▬ In der Forschung können durch VEP Aufschlüsse über die neurophysiologischen Grundlagen der Amblyopie gewonnen werden. ▬ VEP bieten eine Möglichkeit, die Amblyopie bereits in früher Kindheit zu objektivieren, wenn aktive Mitarbeit bei psychophysischen Untersuchungen noch nicht möglich ist. ▬ Pathologische VEP-Befunde bei Amblyopie stellen gelegentlich ein differentialdiagnostisches Problem in der Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen des visuellen Systems dar.
3.12.2
Muster-VEP bei Amblyopie
Als Amblyopie wird ein bleibender Verlust der Sehschärfe als Folge verschiedener Erkrankungen des visuellen Systems in früher Kindheit bezeichnet. Meist entsteht Amblyopie durch Schielen oder ausgeprägte Refraktionsunterschiede zwischen beiden Augen mit Unterdrückung des Seheindrucks eines Auges. Extremer Astigmatismus kann zur Amblyopie in nur einer Sehachse führen (meridionale Amblyopie). Seltenere Ursachen der Amblyopie sind der kindliche Katarakt oder Glaskörpertrübungen. Amblyopie entsteht, wenn während einer plastischen Phase (beim Menschen bis zum
350
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
Gemäß den pathophysiologischen Annahmen treten die zu erwartenden Änderungen der VEP nach Stimulation mit Reizen höherer Ortsfrequenz auf. Wie bei allen Visusstörungen ist die Amplitude des VEP das wesentliche Kriterium. Die meisten Autoren fanden bei Amblyopie unveränderte Latenzen von P100, jedoch deutlich verringerte Amplituden (Sokol u. Bloom 1973; Regan 1977; Levi u. Harwerth 1978; Spekreijse 1980; Srebro 1984; Levi u. Manny 1986; Sokol 1986). Dabei zeigen die VEP von amblyopen Augen gegenüber gesunden Augen ein verändertes Verhalten der Amplituden aufgetragen gegen die Ortsfrequenz der Reizelemente (Sokol u. Bloom 1973; Levi u. Walters 1977; Levi u. Harwerth 1978). Während für große Karos oder breite Streifen die VEP-Amplituden bei Ableitung vom amblyopen Auge gleich groß oder sogar größer als bei Ableitung vom gesunden Auge sind, entstehen, wie nach den obigen Ausführungen zur Entstehung der Amblyopie zu erwarten, deutliche Amplitudenminderungen bei kleinen Karos im Schachbrettmuster oder bei schmalen Streifen. Zur Untersuchung der Amblyopie muss deshalb die Karogröße zwischen 0,1° und 1° variabel sein. Die größte diagnostische Sensitivität ist bei Stimulation mit kleinen Karos zu erwarten. ! Bei Amblyopie hängt die Latenzerhöhung von
der Karogöße ab.
Differentialdiagnostische Schwierigkeiten gegenüber demyelinisierenden Erkrankungen treten selten auf, da es bei Amblyopie in der Regel nicht zur Latenzverzögerung, sondern nur zur Amplitudenminderung kommt. Problematisch sind die Fälle, bei denen bei einer ausgeprägten Amblyopie die Antworten auf feinstrukturierte Reize ausgefallen sind. In ⊡ Abb. 3.53 ist hierfür ein Beispiel gegeben. Die rechtsseitig amblyope Patientin zeigt zunächst bei Reizung mit großen Karos (0,8°; unterste Kurve rechts) ein Potenzial mit normaler Latenz von P100, jedoch reduzierter Amplitude. Die Latenzdifferenz rechts-links (10 ms) liegt noch im Normbereich. Unter fovealer Reizung und Ganzfeldreizung mit Karos von 0,35° ist dagegen kein Potenzial ableitbar.
3.12.3
VEP bei Glaukom
Die Frühdiagnose des Glaukoms und die entsprechende Therapie ist nach wie vor für die weitere Prognose entscheidend. Wie beim Pattern-ERG (Abschn. 3.9.7) können auch mit Muster-VEP pathologische Befunde vor Einsetzen des Gesichtsfeldverlusts oder der Visusminderung nachgewiesen werden. Da das Leitsymptom im Frühstadium eine leichte bis mäßige Latenzverzögerung von P100 ist, müssen die Befunde differentialdiagnostisch von den VEP bei entzündlichen Erkrankungen abgegrenzt werden. Dies kann gelegentlich ein Problem darstellen. Nach Untersuchungen von Towle et al. (1983) werden die pathologischen Befunde meist bei höherfrequenter Reizung (7,5 Hz) mit gröberen Schachbrettmustern (0,8°) erhoben: Neun von 40 Augen mit erhöhtem intraokulären Druck (ohne sonstige pathologische Befunde) und 16 von 30 Augen mit bereits eingetretenen Gesichtsfeldverlust durch chronisches Glaukom wiesen pathologische VEPBefunde auf. Hierbei traten meist Latenzverzögerungen und seltener Amplitudenminderungen auf. Diese Ergebnisse stimmen mit denen anderer Untersucher gut überein (Huber 1981; Howe u. Mitchell 1986). Für die klinische Praxis ist es v. a. für den Neurologen wichtig, dass er das Glaukom als Ursache einer Latenzverzögerung von P100 kennt, damit bei diesen Patienten nicht fälschlicherweise eine Entmarkungskrankheit angenommen wird.
3.12.4
VEP bei retinalen Erkrankungen und bei Nachtblindheit
Bei retinalen Erkrankungen ist in der Regel das ERG diagnostisch ergiebiger als das VEP (Abschn. 3.11.6). Gelegentlich kann jedoch die Befundkombination von Blitz-ERG, Muster-ERG und MusterVEP Zusatzinformationen erbringen. So kommt es bei Retinitis pigmentosa früh zu pathologischen Veränderungen des Blitz-ERG (Abschn. 3.11.6, »Tapetoretinale Degenerationen«) während die VEP auch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien leicht auslösbar sein können und da-
3.12 · Das VEP in der Ophthalmologie 351
3
⊡ Abb. 3.53. Typischer VEP-Befund bei einer rechtsseitig amblyopen Patientin, die unter MS-Verdacht in die Klinik eingewiesen wurde. Linksseitig normale Potenziale. Rechsseitig ist nach Reizung mit kleinen Karos (Karogröße 22,5′) bei fovealer- und bei Ganzfeldreizung kein Potenzial ableitbar. Erst bei Reizung mit großen Karos (Karogröße 44,5›, unterste Kurve) lässt sich ein Potenzial mit normaler Latenz ableiten, das allerdings im Seitenvergleich amplitudengemindert ist
352
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
mit vor allem qua Amplitudenmessung der weiteren Verlaufsdokumentation dienen. Im Gegensatz dazu ist der typische Befund bei Makuladegenerationen durch pathologische Veränderungen der VEP und Muster-ERG, zugleich aber gut erhaltene Blitz-ERG charakterisiert (Sherman 1986). Nach Untersuchungen von Bass et al. (1985) an 20 Patienten mit Makulaerkrankungen sind die typischen VEP-Veränderungen nach Schachbrettstimulation Latenzverzögerungen von P100 (45%) und seltener Amplitudenminderung (20%). Die differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber demyelinisierenden Erkrankungen wird dadurch erschwert. ! Bei retinalen Erkrankungen ist in der Regel das
ERG diagnostisch ergiebiger als das VEP.
Fujimura et al. (1975) vergleichen die evozierten Potenziale bei dunkel adaptierten Augen mit der psychophysischen Erkennungsschwelle. Die Amplituden der skotopisch evozierten Potenziale nehmen mit der Dauer der Dunkeladaptation zu und erreichen nach etwa 30 Minuten ein Maximum. Die erste positive Welle des skotopischen VEP liegt zwischen 270 und 300 ms. Da eine enge Korrelation zwischen psychophysisch bestimmter Schwelle und den VEP besteht, ist es auf diese Weise möglich, Nachtblindheit zu objektivieren.
3.12.5
Ischämische Optikusneuritis
Bei den meist älteren Patienten mit ischämischer Optikusneuritis treten häufiger Amplitudenminderungen als Latenzverzögerungen von P100 auf (Wilson 1978; Harding et al. 1980). Da diese Befunde unspezifisch sind und auch bei demyelinisierenden Erkrankungen auftreten können, haben verschiedene Arbeitsgruppen versucht, durch Zusatzuntersuchungen spezifische Veränderungen für die ischämische Optikusneuritis zu finden. Nach Harding et al. (1980) ist ein triphasischer P100-N150-P200-Komplex nach Blitzstimulation charakteristisch, außerdem war das ERG stets pathologisch. Thompson et al. (1986) heben nach Ergebnissen einer Studie an 18 Patienten hervor, dass im Gegensatz zu den demyelinisierenden Optikusneuritiden (die oft zentrale und periphere Fasern gleichermaßen betreffen) bei der
ischämischen Optikusneuropathie die Latenzverzögerung meist durch völligen oder teilweisen Ersatz der vorwiegend foveal generierten P100 durch die parafoveal generierte P 135 entsteht. Dies kann durch Halbfeldstimulation und Ableitung mittels horizontaler okzipitaler Elektrodenkette gezeigt werden.
3.12.6
Stauungspapillen und Papillitis
Nach Halliday (1982) führen Stauungspapillen weder zu Latenzverzögerung noch zu Amplitudenminderung. Dies gilt für die Blitz- und auch die Schachbrettmusterstimulation. Lowitzsch u. Neuhann (1983) untersuchten 62 Patienten mit intrakranieller Drucksteigerung und Stauungspapillen. Selbst bei ausgeprägten Stauungspapillen bis zu vier Dioptrien blieb das VEP normal. Erst bei länger anhaltender chronischer Stauung wurden selten geringe Latenzverzögerungen und Amplitudenminderungen beobachtet. Wenn die Stauungspapille durch eine Papillitis, d. h. durch eine papillennahe Sehnerventzündung bedingt ist, zeigt sich im VEP in der Regel eine deutliche Latenzverzögerung von P100, bei einem Zentralskotom meist auch eine Amplitudenminderung. Der Befund entspricht dem der RBN; Abschn. 3.4.1). Das VEP kann hier für die Differentialdiagnose Stauungspapille oder Papillitis entscheidend sein.
3.12.7
Optikusatrophie
Bei der erblichen Leber-Optikusatrophie (LHON), die meist bei jungen Männern zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr auftritt, kommt es zu einer rasch progredienten axonalen Degeneration und Demyelinisierung häufig beider Sehnerven. Hier finden sich wie bei anderen mit erheblichen Visusminderungen einhergehenden Formen der Optikusatrophie deutliche Amplitudenminderungen der VEP und häufig Latenzverzögerungen (Bronner et al. 1976). Harding u. Crews (1982) untersuchten 17 Patienten mit Leber-Optikusatrophie und fanden bei allen pathologische VEP, wobei pa-
353 3.12 · Das VEP in der Ophthalmologie
⊡ Tabelle 3.5. Die vier wichtigsten elektrophysiologischen Unterschungsmethoden der Sehbahn. Die Kombination von getestetem neuralem Substrat (zweite Zeile) mit dem entsprechenden Pathomechanismus ergibt die Indikation (Beispiele in der achten Zeile)
Elektroretinogramm, ERG, Blitz-ERG
mfERG
PERG
VEP
Funktion, die geprüft wird
Netzhautfunktion dunkeladaptiert, a-Welle: Stäbchen dunkeladaptiert, b-Welle: Bipolare helladaptiert, 30 HzFlimmern: Zapfen
Lokale Funktion der Zapfen + Bipolarzellen
Funktion der Ganglienzellen
Funktion der gesamten Sehbahn bis zum visuellen Kortex
Kurzbeschreibung
Nach Dunkeladaptation und Mydriasis lösen Blitzreize eine Netzhaut-Massenantwort aus, die mit Hornhautelektroden gemessen wird. Stäbchen, Zapfen und Bipolarantwort lassen sich durch Kurvenform und geeignetes Reizparadigma unterscheiden.
Variante des helladaptierten ERG. Eine Abfolge spezieller Reizmuster erlaubt aus der Massenantwort auf die lokale Funktion zurückzurechnen. Gerne als dreidimensionaler »Berg« dargestellt, doch sollten lieber die Originalkurven interpretiert werden.
Wenn statt Blitzreizen Musterreize verwendet werden, bei denen sich die mittlere Helligkeit nicht ändert, entfallen die Rezeptorantworten und es bleibt ein kleines Ganglienzellensignal übrig. Wegen der kleinen Amplitude ist Mittelung über 100 Reizwechsel nötig. Bei kleinem Reizmuster dominiert der Einfluss der Makula.
Aus dem EEG über dem Hinterkopf lässt sich durch Mittelung von 100 Reizen die Aktivität des Sehzentrums (V1, V2) darstellen.
Reiz
Blitz
Zeitlich und örtlich moduliertes Muster, 60–250 Sechsecke
Schachbrett-Musterumkehr
Schachbrett-Musterumkehr, ggf. Blitz und Muster-Ein/Aus, Halbfeld, foveal
Optik
Keine Abbildung nötig
Optische Abbildung nötig mit einer Genauigkeit von nur ± 3 dpt
Sehr wichtig, schon ± 0,5 dpt Fehlrefraktion stören
Wichtig, schon ± 1 dpt Fehlrefraktion wirksam
Elektroden
Hornhautelektroden (Kontaktlinsen, Fädchen, Goldfolie etc.)
Hornhautelektroden (Kontaktlinsen, Fädchen, Goldfolie etc.; wie beim ERG)
Hornhautelektroden (Fädchen, Goldfolie etc., ähnlich ERG, doch mit guter Optik)
EEG-Oberflächenelektroden
Anforderung an die Mitarbeit
Gering, kurzzeitige Fixation erforderlich, Nystagmus problematisch
Sehr hoch: genaue und ruhige Fixation möglichst ohne Lidschläge über 10 Minuten (mit Pausen); das mfERG stellt von allen Methoden die höchsten Anforderungen an die Mitarbeit
Hoch: mehrminütige Fixation erforderlich (mit Pausen); etwas weniger anspruchsvoll als beim mfERG
Hoch: mehrminütige Fixation erforderlich (mit Pausen). Etwas weniger anspruchsvoll als beim PERG
3
354
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
⊡ Tabelle 3.5 (Fortsetzung)
3
Elektroretinogramm, ERG, Blitz-ERG
mfERG
PERG
VEP
Indikation (Beispiele)
Retinitis pigmentosa, Zapfendystrophie, hereditäre NetzhautAderhautdystrophien, Syndrome mit Netzhautaderhautbeteiligung, Konduktorinnen XLRP, CSNB, Intoxikationen (Blei), Vitamin-AMangel.
Makulafunktion, M. Stargardt, foveolare Zapfendystrophie, unklare Visusminderung, Resochin-Kontrolle, Normalverfahren des mfERG nicht für Glaukomdiagnostik geeignet
Unklare Visusminderung, funktionelle Sehstörung (in Verbindung mit dem VEP), Makulafunktion, Früherkennung von Glaukom
Demyelisierende Erkrankung, Amblyopie, Albinismus, Raumforderung, unklare Visusminderung
Besonderheiten
V-log(I)-Kurve: Kennlinie Amplitude vs. log(Blitzintensität) unterscheidet zwischen Netzhautschaden und Medienabsorption
Der lokale Vergleich (z.B. Zentrum vs. Peripherie) macht die Auswertung unabhängig von der hohen interindividuellen Amplituden-Variabilität elektrophysiologischer Verfahren
Oft simultan mit dem VEP sinnvoll
Oft simultan mit dem PERG sinnvoll. Achtung: Auch Netzhauterkrankungen (z.B. Zapfendystrophien) verändern das VEP, da es die gesamte Sehbahn erfasst.
mfERG multifokales ERG PERG Pattern-Elektroretinogramm VEP visuell evoziertes Potenzial
thologische Amplitudenminderungen am häufigsten vorkamen. Die Untersuchung gesunder Familienangehöriger von Patienten mit Leber-Optikusatrophie ergab normale VEP-Latenzen, so dass mit dieser Methode Erbträger nicht identifiziert werden können (Dorfman et al. 1977; Caroll u. Mastaglia 1979). Die autosomal-dominante Optikusatrophie (DOA oder ADOA, OPA1-Gen) tritt als mittlere bis starke Sehstörung in früher Kindheit auf. Zu starker Visusminderung kommen temporale Papillenabblassung, Farbsehstörungen und ein zentrozökales Skotom (Votruba et al. 1998). Holder et al. (1998) fanden, dass das VEP bei neun von 13 Patienten mit DOA ganz fehlte. Das PERG zeigte etwa in der Hälfte der DOA-Augen ein pathologisches P50– N95-Verhältnis, war aber nie erloschen.
Eine abschließende Synopsis über die VEP und die verschiedenen ERG-Methoden findet sich in ⊡ Tabelle 3.5. Es sollen hier noch einmal die wesentlichen Indikationen der verschiedenen Verfahren angesprochen werden. Das Blitz-ERG ist die Methode der Wahl zur Diagnose retinaler Dystrophien. Da es eine Summenantwort der Retina (Stäbchen, Zapfen, bipolare Zellen) darstellt, kann es eine globale, nicht jedoch eine lokale Netzhautschädigung erfassen. Dem gegenüber bietet das aufwändige und erheblich von der Mitarbeit des Patienten abhängige multifokale ERG eine retinale Funktionsprüfung mit hoher räumlicher Auflösung. Insbesondere eignet es sich zur Evaluation makulärer Schäden, die dem Blitz-ERG zumeist entgehen. Das Muster-ERG
▼
355 Literatur
wird wie das VEP durch Schachbrettmusterumkehrreize evoziert und wird am besten in Kombination mit dem VEP abgeleitet. Da das VEP die Funktion der gesamten Sehbahn bis zum visuellen Kortex widerspiegelt, kann durch die Kombination mit dem PERG zwischen retinaler Läsion und einer Schädigung der zentralen visuellen Afferenz unterschieden werden. Während das Muster-ERG vor allem zur Früherkennung des Glaukoms eingesetzt wird, dient das VEP in erster Linie der Evaluation demyelinisierender Erkrankungen, mechanischer Kompressionen der Sehbahn und unklarer Visusminderungen. Für die Diagnose eines Albinismus muss das VEP mit Schachbrett-onset-Reizen evoziert werden. Amplitudenabschätzungen sind am besten mit der Steady-state Reizung möglich. Bei Gesichtsfelddefekten empfiehlt sich die Halbfeldstimulation.
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368
3
Kapitel 3 · Visuell evozierte Potenziale und Elektroretinogramm
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4 Akustisch evozierte Potenziale (AEP) U. W. Buettner
4.1
Einleitung
– 370
4.1.1 Geschichtlicher Rückblick – 370 4.1.2 Anatomische und physiologische Grundlagen 4.1.3 Schall, Schallmessung, Schallleitung – 372
– 371
4.2
Apparative Voraussetzungen und Untersuchungstechnik am Menschen – 375
4.3
Klassifizierung akustisch evozierter Potenziale
4.4
Frühe akustisch evozierte Potenziale
– 379
– 379
4.4.1 Zusammenfassung – 383 4.4.2 Mikrophon-, Summations- und Nervenaktionspotenzial – 383 4.4.3 FAEP und akustisch evozierte Hirnstammpotenziale (AEHP, BAEP) – 384 4.4.4 FAEP und AEHP bei Läsionen des Gehörs und der Hörbahn – 394
4.5
AEP mittlerer Latenz (MAEP)
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Myogene Reflexanteile – 419 »Crossed acoustic response« – 421 40-Hz-Antwort – 421 Neurogene kortikale Komponenten mittlerer Latenz
Literatur
– 424
– 418
– 422
370
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4.1
Einleitung
Akustisch evozierte Potenziale stellen eine Funktionsuntersuchung des afferenten auditorischen Systems dar.
4
Akustisch evozierte Potenziale gehören seit über 20 Jahren zum festen Repertoire der Diagnostik einer Neurologischen Klinik. Dass es sich um eine etablierte Untersuchungstechnik handelt, verdeutlichen aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen. Sie beziehen sich überwiegend auf klinische Randbereiche, wie z. B. das Monitoring auf der Intensivstation und während Operationen, das Koma, Entwicklungsstörungen in der Pädiatrie, neue Auswertetechniken und Lokalisationsdiagnostik, 3D-Verfahren und Dipolanalyse. Im klinisch-neurologischen Alltag werden AEP meist sehr gezielt eingesetzt, da die moderne Bildgebung generell das diagnostische Vorgehen verändert hat und Fragen der Funktion zunächst in den Hintergrund gedrängt worden sind. Gerade deshalb ist eine traditionell gehaltene methodische Anleitung notwendig, um eine Qualitätssicherung zu gewährleisten. Unter dem Begriff »akustisch evozierte Potenziale« versteht man eine Vielzahl unterschiedlicher elektrischer Phänomene, die mit Elektroden vom äußeren Gehörgang und von der Kopfhaut bei Beschallung eines oder beider Ohren abgeleitet werden können. Die wichtigsten Methoden zur Darstellung akustisch evozierter Potenziale und ihrer klinischen Anwendungen werden nachfolgend, hauptsächlich unter neurologischen und neurochirurgischen Gesichtspunkten, dargestellt. Alle übrigen Anwendungsmöglichkeiten werden weniger ausführlich behandelt, wobei jeweils auf weiterführende Literatur verwiesen wird. Die Rolle der akustisch evozierten Hirnstammpotenziale (AEHP) in der Intensivmedizin und ein Überblick über den klinischen Einsatz aller EP-Techniken bei der multiplen Sklerose werden in gesonderten Kapiteln beschrieben ( s. u.).
4.1.1 Geschichtlicher Rückblick Die allgemeine Entwicklung der Hörphysiologie wurde in mehreren Übersichtsarbeiten erörtert (Davis et al. 1934; Békésy 1960; Wever 1961; Keidel u. Neff 1974, 1975). Schon wenige Jahre nach Entdeckung des Elektroenzephalogramms (Berger 1929, 1930) wurden durch Kornmüller (1933), Davis (1939) und Davis et al. (1939) von der Kopfhaut des Menschen ableitbare Potenziale beschrieben, die nach Applikation eines auditorischen Reizes auftreten. Erst die Einführung von Mittelungstechniken (Dawson 1951, 1954) ermöglichte eine intensivere Erforschung reizabhängiger Potenziale im ZNS am intakten Organismus und damit die klinisch-diagnostische Anwendung v. a. der im Hirnstamm generierten frühen Komponenten des AEP. Während sich Physiologen im wesentlichen für die frühen Reizantworten, nämlich die Mikrophonpotenziale, das Summationspotenzial (Keidel 1971) und das Nervenaktionspotenzial vom VIII. Hirnnerven (Saul u. Davis 1932; Spreng u. Keidel 1967) sowie für die Eigenschaften einzelner Neurone der Hörbahn interessierten, versuchten Otologen und Pädiater (Gibson 1978), diese frühen Komponenten für eine objektive Audiometrie bei Kindern und Erwachsenen zu nutzen. Ebenso wurden die später als mittlere Antworten bezeichneten Potenziale mit Latenzen zwischen 10 und 50 ms nach Reizdarbietung (myogene Antworten) und die späten Antworten mit Latenzen >50 ms (SAEP) für eine objektive Audiometrie (CERA, »cortical evoked response audiometry«) und als Korrelat neuropsychologischer Wahrnehmung (»event related potentials«, ERP) benutzt. Erst relativ spät wurden die frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP) entdeckt (Sohmer u. Feinmesser 1967; Jewett u. Williston 1971), im englischen Schrifttum überwiegend als »brainstem auditory evoked potentials« (BAEP) bezeichnet, die gleichermaßen das Interesse von Otologen und Neurologen geweckt haben. Die FAEP werden sowohl zur objektiven Audiometrie als auch zur Diagnostik von Hirnstammerkrankungen eingesetzt. Die speziell für den Otologen wichtigen Aspekte sind ausführlich bei Gibson (1978) beschrieben.
371 4.1 · Einleitung
Von den zahlreichen beschriebenen Techniken haben für die Neurologen die FAEP und für die Otologen die BERA (Hirnstammaudiometrie) ihre Bedeutung erhalten.
4.1.2 Anatomische und physiologische
Grundlagen Das Hörorgan und die Hörbahn faszinieren durch die Abstimmung von Anatomie und Physiologie, wodurch Schallereignisse in ihren räumlichen und zeitlichen Eigenschaften analysiert und dem zentralen Nervensystem zur Synthese angeboten werden.
Das Hörorgan umfasst das äußere Ohr, den äußeren Gehörgang, das Mittelohr mit Trommelfell, die Gehörknöchelchen sowie das Innenohr (⊡ Abb. 4.1). Dieses enthält 2 Sinnesorgane: den Vestibularapparat und das Corti-Organ; letzteres liegt eingebettet in der Kochlea (⊡ Abb. 4.2). Innerhalb der Kochlea
⊡ Abb. 4.1. Hörorgan. Die halbschematische Abbildung zeigt die anatomischen Beziehungen von Schläfen-, Felsenbein, äußerem Ohr, Kochlea und Vestibularapparat. Utric.=Utriculus,
4
befinden sich verschiedene Flüssigkeitsräume, die durch Membranen voneinander getrennt sind: der Perilymphraum, der im ovalen und runden Fenster an das Mittelohr grenzt und der Endolymphraum, der einerseits durch die Reissner-Membran, andererseits durch die Basilarmembran und die Haarzellen vom Perilymphraum getrennt ist. Die Basilarmembran, ein fibröses Band, trägt den sensorischen Apparat, die inneren und äußeren Haarzellen sowie die Stützzellen. Die den Haarzellen aufliegende Tektorialmembran hat innigen Kontakt zu den Zilien der Haarzellen. Diese sind sekundäre Sinneszellen, d. h. sie bilden keine Neuriten aus, sondern werden von den Nervenzellen des G. spirale cochleae innerviert. Auf die Struktur der Sinneszellen und der verschiedenen synaptischen Endigungen (Spoendlin 1966) kann hier nicht eingegangen werden. Die aufsteigende Hörbahn ist im Vergleich zu anderen Sinnessystemen recht komplex verschaltet, wobei mehrfach kreuzende, z. T. aszendierend-parallele Bahnen beschrieben sind (⊡ Abb. 4.3 und 4.4). Die zentralen Neuriten der im G. spirale cochleae gelegenen Zellen des ersten auditorischen Neurons werden im kochleären Kernkomplex (dorsaler, anteroventraler und poste-
Sacc.= Sacculus, H =Hammer, A =Amboss, S=Stapes. (Aus Klinke 1972)
372
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4
⊡ Abb. 4.2. Querschnitt durch die Kochlea und Darstellung des Corti-Organs. (Aus Klinke 1972)
roventraler Kern) umgeschaltet. Von dort bestehen Verbindungen zum Cerebellum sowie ungekreuzt und gekreuzt zum oberen Olivenkomplex und durch den Lemniscus lateralis zum lateralen Schleifenkern (Nuclei lemnisci laterales). Eine binaurale Verschaltung findet sich erst auf der Ebene der oberen Olive. Von hier laufen Verbindungen zum kontralateralen Schleifenkern, Colliculus inferior und Corpus geniculatum mediale. Es bestehen komplexe Verschaltungen, die sowohl eine sequenzielle als auch eine parallele, afferente Leitung der Information ermöglichen. Im Mittelhirn finden sich wiederum verschiedene kreuzende Verbindungen zum ipsilateralen (bezogen auf das erste Neuron) Colliculus inferior und Corpus geniculatum mediale. Der letzte Abschnitt der Hörbahn ist die Radiatio acustica. Sie verläuft im sublentikulären Teil der Capsula interna zur Heschl-Querwindung im temporalen Kortex. Neben der afferenten Hörbahn gibt es efferente Verbindungen, deren Funktion möglicherweise in einer hemmenden Modulation der afferenten neuronalen Aktivität besteht (Iurato 1974). Diese sind in den ⊡ Abb. 4.3 und 4.4 nicht eingezeichnet.
4.1.3 Schall, Schallmessung,
Schallleitung Ohne Kenntnis der physikalischen Messtechnik von Schall fällt es schwer die Zusammenhänge zwischen Schallereignis und Wahrnehmung zu verstehen.
Der adäquate Reiz für das Gehör ist der Schall. Schwingungen elastischer Körper breiten sich als Longitudinalwellen aus, indem schwingende Moleküle ihre Energie auf Nachbarmoleküle übertragen. Die Übertragung des Schalls ist somit in festen, flüssigen und gasförmigen Medien möglich. Die Anregung schallübertragender Medien (wie z. B. Luft) erfolgt in der Regel durch schwingende feste Körper (Saiten eines Musikinstruments, Stimmgabeln, Stimmbänder usw.). Physikalisch wird der Schall durch den Schalldruck und dessen zeitlichen Verlauf charakterisiert. Der Hörbereich des Menschen umfasst ca. 6 Zehnerpotenzen Schalldruckänderung. Zur Kennzeichnung eines bestimmten Schalldrucks verwen-
373 4.1 · Einleitung
⊡ Abb. 4.3. Die Hörbahn. Bahnen und Lagebeziehungen bei dorsaler Sicht: 1 Gyri temporales transversi, 2 Hörstrahlung, 3 Corpus geniculatum mediale, 4 Brachium colliculi inferioris, 5 Colliculus inferior, 6 Commissura colliculi inferioris, 7 Lemniscus lateralis, 8 Nucleus lemnisci lateralis, 9 Nucleus lateralis oli-
det man eine logarithmische Skalierung. Ein Beispiel soll die Berechnung erläutern: Als Bezugspunkt wurde ein Schalldruck nahe der menschlichen Hörschwelle gewählt (2 ·10–4 µbar). Beträgt ein willkürlicher Messwert, z.B. 2 ·101 µbar (20 µPascal; 1 µbar = 1 µPascal), so ergibt das Verhältnis des Messwerts Px zum Bezugswert P0 einen 100 000fachen Schwellenwert. Px 2 · 101 1. 4 = 94 = 100000 P0 2 · 10–4 Da diese Verhältnisse sehr unhandlich sind, einigte man sich auf eine logarithmische Skalierung, deren Einheit das Dezibel ist (dB). Px 2. L = 20 · log10 4 dB P0 L = Schalldruckpegel (»sound pressure level«, SPL). Angewandt auf 1. ergibt sich
4
vae superioris, 10 Nucleus medialis olivae superioris, 11 Corpus trapezoideum, 12 Nucleus corpus trapezoidei, 13 Striae acusticae dorsales, 14 Nervus cochlearis, 15 Nucleus cochlearis ventralis, 16 Nucleus cochlearis dorsalis, 17 Pedunculus cerebellaris inferior. (Aus Nieuwenhuys et al. 1981)
2 · 101 L = 20 · log10 93 dB 2 · 10–4 = 20 · log10 · 100000 dB = 20 · 5 dB = 100 dB ein Schalldruckpegel von 100 dB. Ein Schallereignis, das aus einer Sinusschwingung nur einer einzigen Frequenz besteht, nennt man einen Ton. Innerhalb des Bereichs hörbarer Frequenzen (10 Hz –16 kHz) hängt die Wahrnehmung eines Schalls davon ab, ob der Schall das Ohr überschwellig erregt oder nicht. Der Schalldruckpegel, bei dem die Hörschwelle erreicht wird, ist frequenzabhängig, d. h. der Verlauf der Hörschwellenkurve hängt von der Frequenz des Testtons ab. Zwischen 1 und 5 kHz findet sich das Minimum der menschlichen Hörschwellenkurve (⊡ Abb. 4.5). Ein Maß für die subjektiv empfundene Lautstärke ist der Lautstärkepegel (dB phon, »hearing level«
374
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
dBHL), der auf der Hörschwellenkurve basiert und durch den Schalldruckpegel bei 1 kHz definiert ist (⊡ Abb. 4.5). Bei einer Frequenz von 1 kHz entsprechen 10 dB Schalldruckpegel einem Lautstärkepegel von 10 dB, während ein Lautstärkepegel von 10 dB bei 20 Hz einem Schalldruckpegel von 73 dB entspricht. Bei Applikation von Schallreizen für die Ableitung evozierter Potenziale wird die Reizintensität häufig in dBSPL (dB, »sound pressure level«) oder dBHL (»hearing level«) angegeben. Bei »click«-evozierten Potenzialen eignet sich als Einheit der Lautstärkepegel des physikalisch als Frequenzgemisch definierten »clicks« über der individuellen Hörschwelle (dBSL, »sensory level«). Dies ist insoweit korrekt, als den Neurologen nicht der Grad einer Schalleitungs- bzw. Innenohrschwerhörigkeit interessiert, sondern retrokochleär lokalisierte pathologische Prozesse. Für audiometrische Zwecke eignet sich diese Einheit naturgemäß nicht. Eine wichtige Referenz stellt das Buch von Hoth u. Lenarz (1994) dar. Die Hörschwelle von Normalhörenden (dBHL) ist vom Stimulus abhängig. Da ein »Click« von 100 µsec subjektiv schwächer wahrgenommen wird, obwohl der Spitzenwert P0 = 20 µPascal entspricht, besteht experimentell eine Differenz der Hörschwelle für 100 µsec Clicks von 30 dB (»normalized Hearing Level« – dB nHL). Es gilt somit: L (dB p. e. SPL) ~ L (dB nHL) + 30.
4
! Für die praktische Anwendung ist es wichtig ⊡ Abb. 4.4. Die Hörbahn. Schematische Darstellung der neuronalen Verbindungen. 1 Gyri temporales transversi, 2 Corpus geniculatum mediale, 3 Brachium colliculi inferioris, 4 Colliculus interior, 5 Commissura colliculi inferioris, 6 Lemniscus lateralis, 7 Nucleus lemnisci lateralis, 8 Decussatio lemnisci lateralis, 9 Nucleus lateralis olivae superioris, 10 Nucleus medialis olivae superioris, 11 Nucleus corporis trapezoidei, 12 Nervus cochlearis, 13 Nucleus cochlearis ventralis, 14 Nucleus cochlearis dorsalis, 15 Corpus trapezoideum, 16 Striae acusticae dorsales. (Aus Nieuwenhuys et al. 1981)
zu wissen, ob der dargebotene Schalldruckpegel (L) in dB »peak equivalent« SPL oder in dB nHL (0 dB p. e. SPL entsprechend 30 dB nHL) gemessen wird.
Schallwellen werden über das äußere Ohr und Mittelohr dem Innenohr zugeleitet. Dabei dienen die beiden ersten als Schalleitungsorgan, das Mittelohr zusätzlich durch Trommelfell und Gehörknöchelchenkette als Organ der Impedanzanpassung. Hierdurch wird eine größere Nutzung der Schallenergie durch geringere Reflexion erreicht. Die optimale Schallübertragung des äußeren und Mittelohrs erfolgt in einem Frequenzbereich zwischen 1000 und 3000 Hz. Schallenergie kann auch über den Schädelknochen auf das Innenohr übertragen werden. Die
375 4.1 · Einleitung
4
⊡ Abb. 4.5. Hörschwellenkurve und Kurven gleicher Lautstärkepegel. In einer doppeltlogarithmischen Darstellung sind die Hörschwellenkurve (gestrichelt), die Kurven gleicher
Lautstärke (Lautstärkepegel) und der Hauptsprachbereich (schraffiert) eingezeichnet. (Nach Klinke 1972)
durch Knochenleitung an das Innenohr geleitete Schallenergie liegt in allen Frequenzbereichen zwischen 30 und 60 dB unter dem durch Luftleitung erreichbaren Wert (Zwislocki 1957; Nixon u. von Gierke 1959; Berendes et al. 1965; Tonndorf 1966, 1968). Durch die am ovalen Fenster auf das CortiOrgan übertragene Schallenergie wird die Basilarmembran nach der Wanderwellenhypothese (Ranke 1950; Békésy 1960) so ausgelenkt, dass eine Folge von Wellen unterschiedlicher Amplitude und Frequenz entsteht. Hohe Frequenzen haben eine maximale Wanderwellenamplitude nahe dem ovalen Fenster und werden früh gedämpft, während bei niedrigen Frequenzen das Maximum der Wanderwellenamplitude in der Nähe des Helikotremas liegt. Die Auslenkungen der Basilarmembran führen zu Verschiebungen der Membrana tectoria gegenüber den äußeren und inneren Haarzellen. Dadurch werden die Zilien der Sinneszellen abge-
schert. Diese Abscherung stellt letztlich den adäquaten mechanischen Reiz dar, der in eine neuronale Impulsfolge umgewandelt wird.
Apparative Voraussetzungen und Untersuchungstechnik am Menschen
4.2
Die Methodik ist bei Anwendung der beschriebenen Standards von Seiten der Technik einfach.
Die für die Ableitung akustisch evozierter Hirnstammpotenziale (AEHP) verwendete Methodik wird wie folgt beschrieben: 1. Allgemeine Untersuchungsbedingungen Ruhe, bequeme Lagerung, bei Verspannung Sedierung
376
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
2. Stimulation Elektromagnetisch abgeschirmter Kopfhörer mit überprüfter Reizpolarität und bekanntem Frequenzgang a) Klickreize 100 µs Dauer. Stimulationsfrequenz zwischen 10 und 15 Hz, ungerade Wiederholungsrate (z.B. 11,9 Hz) empfohlen. Sog- und Druckpulse getrennt mitteln und abspeichern. Sonst nur Sogpulse verwenden. Alternierende Stimulation nur zur Darstellung von Peak I b) Schalldruck: 80 dB HL. Falls Schwellenbestimmung möglich, 70 dB über individueller Hörschwelle, maximal 95 dB HL. Kontralateral 30 dB unter Klickschalldruck verrauschen c) Gerät muss entweder auf L (dB p. e. SPL) oder L (dB nHL) eingestellt werden ( s. 4.1.3). 3. Analysezeit 10 ms 4. Filtereinstellung Untere Grenzfrequenz 100 , obere Grenzfrequenz 3000 Hz 5. Elektrodenposition Vertex (Cz) gegen ispilaterales Ohrläppchen oder Mastoid, falls möglich über 2.-Kanal simultane Ableitung kontralateral 6. Mittelungsschritte 1000–2000 Durchgänge, Potenzial muss mindestens einmal reproduziert werden 7. Auswertung a) Absolute Latenz und Latenzintervalle, InterPeak-Latenz I–V, bzw. I–III und III–V sowie Seitendifferenzen dieser Parameter b) Amplitudenrelation IV–V/I Der Untersuchungsraum muss genügend Platz für Patient, Liege, Untersucher, Averager- und Drucker (etwa 16 m2) bieten. Wegen der Empfindlichkeit des Ableitsystems (Potenziale im Nanovolt-Bereich) ist eine elektromagnetische Abschirmung sinnvoll. Wichtig ist weiterhin, dass keine Artefakte, z. B. durch betriebene Geräte im gleichen oder in benachbarten Räumen, einstrahlen. Eine akustische Abschirmung des Raums ist ideal, doch für viele klinische Bedürfnisse, z. B. in der neurologischen Diagnostik, nicht notwendig, da dies z. T. durch gute Kopfhörer erreicht wird.
Der Patient sollte sich bequem in liegender oder halbliegender Position befinden, wobei es sich als günstig erweist, den Kopf in einer schalenförmigen Halterung unabhängig vom Rumpf zu lagern, damit Nacken- und Halsmuskulatur weitgehend entspannt sind. Für die Untersuchung der AEHP, FAEP und der frühen kortikalen Reizantworten muss sich der Patient gut entspannen können. Falls dies durch die beschriebenen Manipulationen nicht zu erreichen ist, sollte bei dringender Indikation zur Untersuchung eine Sedierung ( z. B. Diazepam) oder eines kurz wirkenden Hypnotikums (z. B. ½-1 Tbl. RohypnolR) erfolgen (Beeinflussung der AEP durch Medikamente, siehe S. 391–392). Dieser Aufwand lohnt sich, weil dadurch der Anteil sicher zu beurteilender Kurven erhöht wird. Es gibt zahlreiche verschiedene Untersuchungsgeräte, die zur Ableitung von AEP geeignet sind. An dieser Stelle kann auch wegen der raschen Entwicklung von Technik und Elektronik nicht auf einzelne Geräte eingegangen werden. Die Reizapparatur besteht aus einem Generator, der eine definierte elektrische Reizform herstellt und verstärkt. Dieses elektrische Signal wird dem elektromechanischen Wandler (in der Regel einem Kopfhörer, z. B. TDH 39) zugeführt, der die akustische Wellenform generiert. Sowohl die Reizfrequenz als auch die Einzelreizdauer müssen für verschiedene Fragestellungen in weiten Grenzen variabel sein. Jeder Reiz wird durch einen Triggerimpuls ausgelöst. Dieser Triggerimpuls wird gleichzeitig dem Averager zugeführt und löst den Mittelungsvorgang aus. Die Konstanz von Amplitude und Form des Reizes ist von größter Wichtigkeit, da beide den Output (das evozierte Potenzial) bestimmen. Zur Wahl stehen verschiedene Reizformen. Einerseits sind dies frequenzspezifische Reize, andererseits zeitlich gut definierte »clicks«, die nichts weiter darstellen als ein Frequenzgemisch, das durch einen elektrischen Rechteckreiz generiert wird und die höchsten Frequenzanteile unmittelbar zu Beginn aufweist. Hierdurch wird die gesamte Basilarmembran, insbesondere der proximale Anteil, ausgelenkt und somit ein hoher Grad der Synchronisation afferenter Fasern erreicht. Die akustische Wellenform eines »click« ist in ⊡ Abb. 4.6 dargestellt. Sie hängt weitgehend von den Eigen-
377 4.2 · Apparative Voraussetzungen und Untersuchungstechnik am Menschen
4
⊡ Abb. 4.6. Elektromechanische Wandlung eines elektrischen Impulses in mechanische Schwingungen. Darstellung eines Sogimpulses (rarefaction) und eines Druckimpulses
(condensation). Alternative akustische Reizformen stellen sinusoidale »tone bursts« (kurze Anstiegszeiten) und »tone pips« (kurze Plateauzeiten) dar (schematische Darstellung)
schaften des elektromechanischen Wandlers ab. Die Hauptenergie liegt meist im Frequenzbereich zwischen 1 und 4 kHz. »Click«-evozierte Potenziale werden insbesondere für AEP kurzer und mittlerer Latenz verwendet. Besondere Bedeutung besitzen Variationen der frühen akustisch evozierten Potenziale aufgrund unterschiedlicher Polarität des »click«. Man unterscheidet Druck- und Sogimpulse (»condensation« und »rarefaction«) sowie eine alternierende Reizform. Die Erregung der Sinneszellen auf der Basilarmembran erfolgt zeitlich synchron zu dem Sogimpuls. Ein auditorisches Neuron antwortet nur während des Sogimpulses, wenn die Basilarmembran zur Scala vestibuli ausgelenkt wird. Es stellt sich als außerordentlich wichtig heraus, sämtliche Reizparameter zu definieren und möglichst zu normieren, um eine Vergleichbarkeit der Resultate desselben und verschiedener Labors zu erreichen. Die Bedeutung der verschiedenen Stimulusformen für die klinische Anwendung wird noch diskutiert. Ein reiner Ton ist ein frequenzspezifischer Reiz. Zur Wahrnehmung eines bestimmten Tons bedarf es einer Tondauer von mindestens 200 ms. Zur Vermeidung von Artefakten sollten Anstieg und Abfall eine bestimmte Mindestzeit nicht unterschreiten. Die Darbietung reiner Töne stößt also auf physiologisch vorgegebene Grenzen. Prototypen dargebotener Reintonreize sind in ⊡ Abb. 4.6 schematisch wiedergegeben. Ein »Ton-Pip« hat eine kurze Anstiegszeit, kein Plateau und eine kurze Abfallzeit, während ein »Ton-Burst« variable Anstiegszeiten und Plateauzeiten besitzt. Anwendungen von fre-
quenzspezifischen Reizen stellen besondere Anforderungen an Apparatur (Generator und elektromechanischer Wandler) und Untersucher, da Resonanzfrequenzen von Wandler, Gehörgang und Mittelohr berücksichtigt werden müssen. Tonale Reize sollten bei der Untersuchung der späten Komponenten Verwendung finden. Der Reizgenerator sollte neben der »Click«- und Reintongenerierung verschiedener Frequenz, Plateauform und Amplitude die Möglichkeit bieten, zusätzlich die Maskierung des Reizes durch weißes Rauschen möglichst variabler Frequenzanteile zu ermöglichen. Dieses empfiehlt sich, weil sowohl bei audiometrischen Anwendungen (ein Überhören von einem auf das andere Ohr muss vermieden werden) als auch bei neurologischen Anwendungen eine monaurale Stimulation erfolgen sollte. Der kontralaterale Vertäubungspegel muss streng genommen eine Mittelohrschwerhörigkeit berücksichtigen. Bei z. B. 90 dBSL Clickstimulation eines Ohres wird das kontralaterale Ohr ca. 40 dB über Knochenleitung erhalten. Falls das kontralaterale Ohr z. B. eine Mittelohrhörminderung von 50 dB besitzt, liegt folgende Situation vor: Das weiße Rauschen (90 dB – 30 dB) beträgt 60 dB. Hiervon sind 50 dB Mittelohrhörminderung abzuziehen. Das entspricht 10 dB Rauschen am kontralateralen Ohr gegenüber 40 dB Click über Knochenleitung. Somit hätte eine insuffiziente Vertäubung stattgefunden. Für die Routine bei unbekannter Mittelohrhörminderung empfiehlt sich eine Vertäubung von Clickreiz (dBSL) minus 30 dB, wobei in Zweifelsfällen eine Rücksprache mit Oto-
378
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
logen und ggf. eine Anpassung erfolgen muss. In einer Methodenempfehlung von Buchner et al. (2002) wird eine etwas höhere Vertäubung angegeben, nämlich Clickreiz (dBSL) minus 20 dB. Jedenfalls muss der Patient die applizierten Schalldrucke auch tolerieren können. In der Regel genügen magnetisch abgeschirmte Kopfhörer, um die im Transducer entstehenden magnetischen Felder zu reduzieren. Die Untersuchung mit Lautsprechern im freien Schallfeld ist wegen der dabei erfolgenden binauralen Stimulation und möglicher Echoeffekte für die meisten Untersuchungen nicht sinnvoll. Die Ableitung der evozierten Potenziale erfolgt mit Elektroden, die, abgesehen von speziellen Techniken, bei der Elektrokochleographie (ausführlich bei Gibson 1978), über den aktiven Skalpregionen und um den äußeren Gehörgang platziert werden (z. B. Mastoid oder Ohrläppchen). Unter besonderen Bedingungen (Intensivstation) können Nadelelektroden auch im äußeren Gehörgang befestigt werden. Die Erdelektrode wird an Hand oder Stirn befestigt, während differente und indifferente Elektroden, entsprechend dem »Ten-twenty-System« ( s. Kap. 2), je nach Fragestellung, angelegt werden (»indifferente« Elektrode C′Z, differente Elektrode A1/2 oder M1/2). Als Elektroden werden Oberflächenelektroden wie z. B. Ag/AgCl-Elektroden oder Goldelektroden bzw. Platinnadelelektroden benutzt. Erstere werden mit Kollodium aufgeklebt, letztere werden subkutan in der Haut plaziert. Bei der Platinnadelelektrode wird der Nachteil geringer Schmerzhaftigkeit des Einstichs durch die artefaktarme Registrierung und den festen Sitz der Elektroden sowie den geringen Zeitbedarf der Elektrodenplazierung ausgeglichen. Der Übergangswiderstand der Elektroden sollte < 5 kΩ sein, was auch bei Nadelelektroden kein Problem ist. Die Potenziale werden in einem nahe am Patienten liegenden Vorverstärker mit höherer Eingangsimpedanz, als sie die Ableitelektroden besitzen, z. B. 100mal, vorverstärkt. Hierdurch kann verhindert werden, dass auf dem Weg zum Averager eingefangene Artefakte die ohne Vorverstärkung sehr kleinen biologischen Signale überdecken. Eine weitere Verstärkerstufe stellt den endgültigen »gain« ein. Ein bekanntes Eichsignal kann simultan gemittelt werden, damit man unmit-
telbar ein Maß für die Amplitude des gemittelten Signals erhält. Ursache vieler Unterschiede in Form, Latenz und Amplitude von Potenzialen zwischen verschiedenen Normalpopulationen ist die unterschiedliche Einstellung der Filter des gemittelten Frequenzbands. Ohne Filterung ist die Übertragung der Signale nur durch die Verstärkermerkmale selbst begrenzt. Für die verschiedenen, unten z. T. ausführlich beschriebenen Anwendungen sind optimale Frequenzbereiche bekannt, in denen die Hauptenergie des Signals liegt. Um Artefakte oder unerwünschte Einflüsse aus benachbarten Frequenzbereichen zu vermindern, sollte man deren Verstärkung durch geeignete Filter verhindern. Es dürfen durch die Filterung keine Artefakte z. B. frequenzspezifische Latenzverzögerungen durch Phasenverschiebung und Amplitudenminderungen eingeführt werden ( s. Abb. 4.17). Für die späten kortikalen Komponenten wird z. B. eine Bandpassfilterung von 1,6 – 13 Hz empfohlen, da die Hauptenergie des Signals im Frequenzbereich zwischen 4 und 6 Hz liegt. Die frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP), soweit vom Hirnstamm generiert, werden am günstigsten mit einem Bandpass zwischen 0,1 und 3 kHz gefiltert. Das verstärkte und noch nicht gemittelte Signal zeigt häufig schon an, ob eine brauchbare Ableitung vorliegt oder nicht. Oft treten hochamplitudige Muskelartefakte auf, bedingt durch schlechte Entspannung oder einen Postaurikularreflex, oder eine 50-Hz-Netzstörung, die vor der Fortsetzung der Untersuchung beseitigt werden müssen. Der Averager sollte eine automatische Artefaktunterdrückung besitzen, die hochamplitudige Störsignale ausschließt. Ziel des Mittelungsprozesses ist es, durch Mittelung einer bestimmten Anzahl von zeitlich reizabhängigen Registrierintervallen ein relativ kleines, reizevoziertes Signal zu summieren, während andere, nicht reizabhängige Signale (z. B. Rauschen, Muskelaktionspotenziale und Elektroenzephalogramm) durch Summation von positiven und negativen Anteilen im Mittel gegen Null streben. Es besteht ein einfacher mathematischer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Mittelungen (n), der Amplitude des reizabhängigen Signals (S) und der Amplitude des
379 4.2 · Apparative Voraussetzungen und Untersuchungstechnik am Menschen
Rauschens (R). Das Signal-Rausch-Verhältnis (Q) beträgt: Q=
9 S n· 3 R
√
Die gemittelte Kurve wird anschließend beurteilt und ausgemessen. Die Latenzmessung erfolgt am einfachsten auf dem Bildschirm mit einem Marker. Es ist in jedem Fall notwendig, neben den Patientendaten die Reizparameter, Ableitorte, Verstärker- und Filtereinstellungen zu protokollieren.
Neben den beschriebenen methodisch-technischen Details darf der Faktor »Mensch« nicht vergessen werden. Ruhe, Entspannung und Lagerung sind nicht zu unterschätzende Faktoren, die die Qualität der Ableitung beeinflussen.
Klassifizierung akustisch evozierter Potenziale
4.3
Im Folgenden geht es zunächst darum, die vielfältigen Phänomene nach Schallapplikation, nach topographischen und elektrophysiologischen Kriterien zu ordnen.
Elektrische Phänomene nach akustischer Stimulation treten in einem weiten Zeitbereich auf. Die optimale Registrierung erfordert, je nach interessierendem elektrischen Phänomen, unterschiedliche methodische Voraussetzungen. In ⊡ Abb. 4.7 sind AEP verschiedener Latenz zusammengefasst. Die Zeitachse ist logarithmisch eingeteilt, damit die gleichzeitige Darstellung der frühen Komponenten ≤ 10 ms), der mittleren Komponenten (10 – 50 ms) und der späten Komponenten (≤ 1000 ms) möglich ist. Insbesondere die späten Komponenten sind in Latenz und Amplitude sehr variabel.
4.4
4
Frühe akustisch evozierte Potenziale
Der Begriff »frühe akustisch evozierte Potenziale« (FAEP) umfasst elektrische Ereignisse innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts. Über die Methoden, mit denen sie untersucht und über den Ort, an dem sie generiert werden, macht er jedoch keine Aussage. Die Einigung über die Bezeichnungsweise der im Hirnstamm generierten akustisch evozierten Potenziale (AEHP) bereitet große Schwierigkeiten. Einleuchtend erscheint die von Otologen für ihre spezielle Untersuchung gewählte Bezeichnung »brainstem evoked response audiometry« (BERA); im übrigen besteht im englischen Sprachraum wenig Einigkeit über die Bezeichnung dieser Potenziale. Die Begriffe »brainstem auditory evoked potenzial« (BAEP), »brainstem acoustic evoked response« (BAER), »brainstem evoked response« (BER) und »auditory brainstem evoked potentials« (ABEP oder ABP) bezeichnen die gleichen Phänomene. Auch im deutschen Sprachraum besteht keine einheitliche Nomenklatur. »Frühe akustisch evozierte Potenziale« (FAEP) stehen neben den »akustisch evozierten Hirnstammpotenzialen« (AEHP). Mit dem Hinweis, dass »response« missverständlich sein könnte, bezugnehmend auf die Verhaltensänderung eines Individuums nach einem äußeren Reiz, wurde wiederholt der Versuch gemacht, für den angloamerikanischen Sprachraum den Begriff »brainstem auditory evoked potential« (BAEP) als einzigen Begriff einzuführen. Diesem entspricht im Deutschen die Bezeichnung »akustisch evozierte Hirnstammpotentiale« (AEHP), welcher im weiteren Verlauf verwendet wird. »Frühe akustisch evozierte Potenziale« (FAEP) bleibt als Oberbegriff erhalten, dem neben dem AEHP auch die Elektrokochleographie zuzuordnen ist. Sohmer u. Feinmesser (1967) leiteten erstmals Potenziale des VIII. Hirnnerven am Menschen ab. In der Folge waren es insbesondere Jewett u. Williston (1971), welche die heute als AEHP bzw. BAEP bezeichneten Potenziale am Menschen ausführlich analysierten. Sie beschrieben 4 Potenziale, die auf das Nervenaktionspotenzial folgen, und ordneten diese Far-field-Potenziale im Gegensatz zu den
380
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4
⊡ Abb. 4.7. Schema der unter verschiedenen Bedingungen ableitbaren akustisch evozierten Potenziale. Die halblogarithmische Darstellung lässt die Zeitskala, wie auch die einzelnen Potenziale, verzerrt erscheinen. Die Unterteilung der Zeitachse erfolgt entsprechend Angaben zahlreicher Autoren in 3 Abschnitte. Die in den entsprechenden Zeitabschnitten auftretenden Potenziale sind mit den entsprechenden Bezeichnungen (auch Methoden) angegeben, wobei Potenziale, die in einem bestimmten Zeitabschnitt nur unter bestimmten methodischen Bedingungen auftreten, nicht dargestellt sind. Im Unterschied zu allen übrigen evozierten Potenzialen werden bei nahezu allen Autoren und durchgehend
auch in dieser Darstellung vertexpositive Potenziale der AEP nach oben wiedergegeben. CM = kochleäre Mikrophonpotenziale, SP = Summationspotenzial, CochG = Elektrokochleographie, FAEP = frühe akustisch evozierte Potenziale, AEHP = akustisch evozierte Hirnstammpotenziale, BAEP = brainstem auditory evoked potential, BERA = brainstem electric response audiometry, MAEP = medium latency auditory evoked potentials, 40 Hz = 40-Hz-Antwort, CAR = crossed acoustic response, CERA = cortical electric response audiometry, SAEP = späte akustisch evozierte Potenziale, ERP = »event related potential«
Near-field-Potenzialen bei der Elektrokochleographie Hirnstammgeneratoren zu. Diese Befunde am Menschen konnten in nachfolgenden Tierexperimenten im Wesentlichen bestätigt werden (Lev u. Sohmer 1972; Buchwald u. Huang 1975; Achor u. Starr 1980; Velasco et al. 1982; Wada u. Starr 1983 I,II,III; Moeller 1983; Moeller u. Burgess 1986; Caird u. Klinke 1987). Bei guter Korrelation zwischen Tiefenableitungen und Oberflächenregistrierungen besteht heute Einigkeit darüber, dass die Welle I mit dem Nervenaktionspotenzial des VIII. Hirnnerven identisch ist und im distalen Nervenabschnitt generiert wird, während der 2. Gipfel ebenfalls im N. cochlearis, vermutlich nach Austritt aus dem Porus acusticus internus, entsteht. Hier lieferten neben neueren tierexperimentellen Untersuchungen auch Modelluntersuchungen (Scherg u. von
Cramon 1985) sowie Ableitungen am Menschen (Hashimoto et al. 1981; Stöhr et al. 1986; Curio et al. 1987) weitere Informationen. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die Nennung der Kerngebiete nur der Orientierung dient. Dipole werden ( s. unten) nur in Strukturen ableitbar, die ein gerichtetes Potenzial generieren (Scherg 1991). Moeller et al. (1981) und Moeller u. Janetta (1982) kommen in aufeinanderfolgenden Arbeiten diesbezüglich zu widersprüchlichen Ergebnissen. Der 3. Peak wird in der Gegend des Nucleus cochlearis ventralis lokalisiert. Während die bisher beschriebenen Komponenten anatomisch ipsilateral und von ungekreuzten Faserbündeln generiert werden, findet auf dem Niveau des oberen Olivenkomplexes (4. Peak) eine binaurale Interaktion statt (Levine 1981; Caird et al. 1985). Bezüglich des 5. Peaks muss von einer Ent-
381 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 4.8. Hypothetische Zuordnung der einzelnen AEHP zu Strukturen der Hörbahn
4
Primäre Hörrinde
Corpus geniculatum mediale
Colliculus inferior
?V
Nucleus lemnisci lateralis
II I
Oliva superior IV
II
III IV V
Nucleus cochlearis ventralis u. dorsalis
VI
0.15 µV
I
III
0
stehung unterhalb des Colliculus inferior ausgegangen werden (Scherg u. von Cramon 1985; Wada u. Starr 1983 III; Caird u. Klinke 1987). Die Komponenten VI und VII sind hinsichtlich ihrer Entstehung weiterhin ungeklärt. Dies wird verständlich, geht man davon aus, dass die Annahme einer ausschließlich sequenziellen Zuordnung von Strukturen der Hörbahn und Potenzialen sich nicht als realistisch erweist. Es ist anzunehmen, dass die Farfield-Potenziale in Faserbündeln entstehen, wobei
5
10 ms
vermutlich verschiedene Strukturen zu ein und demselben Potenzial beitragen (Robinson u. Rudge 1981; Scherg u. von Cramon 1985; Scherg 1991). Eine vereinfachte Darstellung findet sich in ⊡ Abb. 4.8 und ⊡ Tabelle 4.1. Klinische Untersuchungen an Patienten mit gut definierten Hirnstammläsionen können diese Zuordnung nur zum Teil stützen (Sohmer et al. 1974; Starr u. Hamilton 1976; Starr 1977; Stockard u. Rossiter 1977; Kjaer 1980a; Maurer et al. 1980a,b; Stöhr et al. 1986; Curio et al. 1987;
382
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Tabelle 4.1. Zuordnung von Potenzialen zu Hirnstrukturen ( s. auch Abb. 9)
4
Potenziale
Hirnstrukturen/Regionen
I
N. cochlearis
II
N. cochlearis (etwa P. acusticus internus)
III
Kochleäres Kerngebiet (ipsilateral)
IV
Obere Oliven
V
Brücke
VI, VII
Keine exakten Angaben erhältlich
Po
Postauricularreflex (meist bilateral)
Na
Subcorticales bzw. primär
Pa
Corticales auditorisches Ereignis
⊡ Abb. 4.9. Hypothese zur Entstehung des AEHP. Schematische Darstellung des Hörnervs und der aufsteigenden Hörbahn im unteren Hirnstamm. Die Abstände der einzelnen Strukturen sind entsprechend den Laufzeiten der Erregung bei einer mittleren Nervenleitgeschwindigkeit von 18 m/sec und einer synaptischen Umschaltzeit von 0,7 ms gezeichnet, um die Erregungsausbreitung entlang der Strukturen auf eine feste Zeitskala beziehen zu können. Dem Aufbau des Dipolfeldes I am Initialsegment des Hörnervs (AN) folgt nach nur 0,65 ms das sekundäre Dipolpotenzial I- beim Austritt des Hörnervs aus dem Porus acusticus internus (PAI). Die Länge des Hörnervs von ca. 25 mm beim Menschen führt dazu, dass erst ca. 2 ms (einschließlich der synaptischen Umschaltzeit von 0,7 ms) nach dem Aufbau des Dipolfeldes I das Dipolfeld III – entlang der aus dem ventralen Cochleariskern (VCN) aus-
Waring 1998). Der Versuch, durch Korrelation von Tiefenableitungen mit Oberflächenableitungen klare Zuordnungen zu erhalten, ist aus theoretischen Gründen nur mit Einschränkungen möglich. Dies liegt daran, dass der Dipol, der zu dem in Frage kommenden Potenzial beiträgt, nicht mit dem im Nahfeld (Tiefenableitung) abgeleiteten Potenzial identisch sein muss. Letzteres dürfte sogar der Regelfall sein. Keinesfalls können Tiefenableitungen als Referenz für ein Far-field-Potenzial benutzt werden. Was besagt die gleichzeitige Aktivität an einer Mikroelektrode und einer Oberflächenelektrode? Nichts weiter, als dass die Ereignisse zeitlich koinzidieren. Eine anschauliche Darstellung vermittelt ⊡ Abb. 4.9, die im Wesentlichen aus Modelluntersuchungen stammt (Scherg u. von Cramon 1985) und die bekannten anatomischen Gegebenheiten berücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die im farfield von der Kopfhaut messbaren Dipolgenerato-
laufenden ventralen Hörbahn aufgebaut wird. Die Länge der Bahnverbindungen zu den Olivenkernen (medial und lateral – MSO/LSO) und die Umschaltzeiten in den Neuronen 3. Ordnung stimmen genau mit der Hypothese überein, dass die Wellen IV und V überwiegend an den efferenten Axonen dieser Neurone generiert werden, wenn die Erregung den ipsilateralen bzw. kontralateralen Lemniscus lateralis (LL) verlässt. Wegen der Richtungsänderung der aufsteigenden Hörbahnen im Trapezkörper (TB) und anderer Verzweigungen, z. B. der direkten Projektionen des VCN auf die Kerngebiete im mittleren Trapezkörper (MNTB) und im Lemniscus lateralis (NLL) ist die Überlagerung noch wesentlich komplexer und erfordert zumindest noch eine nicht sicher zuzuordnende Dipolquelle III – zur Erklärung der Skalpverteilung des AEHP. (Aus Scherg u. von Cramon 1985)
383 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
ren in den Faserbündeln beim Ein- und Austritt aus den Kernen entstehen. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Volumenleitung durch Änderungen der Bahnrichtung, Ein- und Austritt aus unterschiedlichen Medien Änderungen erfährt. Hierauf wird im Zusammenhang mit Problemen der Zuordnung im pathologischen Fall eingegangen. Tumoren, entzündliche und ischämische Herde verursachen in der Regel Gegendipolfelder durch ein Stoppfeld, wenn eine Impulswelle den Bereich einer Läsion errreicht und diese nicht oder nur verlangsamt passieren kann. Diese Gegendipolfelder sind der Grund für eine Verminderung des der Läsion vorgeschalteten Dipolfeldes, das von der noch intakten Struktur generiert wird. Hierdurch kommt es sehr häufig zu einer fehlerhaften Lokalisation von Läsionen aufgrund der normalen Zuordnung von Peaks zu ihren Generatoren. Läsionen werden somit allein aufgrund der Auswertung der AEHP häufig zu tief im Verlauf der Hörbahn lokalisiert (Scherg 1991). Auf dieses Problem wird noch eingegangen.
4.4.1 Zusammenfassung Die Stärke der Interpretation von FAEP liegt darin, dass sowohl die zeitliche Auflösung wie die örtliche Zuordnung vergleichsweise (VEP, SEP) sehr gut ist. Man sollte sich aber bewusst sein, dass Läsionen des Nervensystems selbst eine Veränderung von anatomisch intakten Dipol-Generatoren bewirken.
4.4.2 Mikrophon-, Summations-
und Nervenaktionspotenzial Drei frühe Potenziale können gleichzeitig abgeleitet werden, das Mikrophonpotenzial, das Summationspotenzial und das Nervenaktionspotenzial.
Die Mikrophonpotenziale und das Summationspotenzial lassen auf die Funktionsfähigkeit der Haarzellen zumindest der basalen Kochlea schließen, während die Ableitung des Nervenaktionspotenzials eine Funktionsdiagnostik des gesamten peripheren Hörorgans erlaubt. ⊡ Abbildung 4.10 illustriert die Trennung der gleichzeitig
4
⊡ Abb. 4.10. Elektrokochleographie. Illustration zur Methode der Trennung von kochleären Mikrophonpotenzialen (CM), Summationspotenzialen (SM) und Nervenaktionspotenzialen (AP) durch Umpolung der Reizphase. (Modifiziert nach Gibson 1978)
registrierten Mikrophonpotenziale und des Nervenaktionspotenzials nach »click«-Reizung verschiedener Polarität. Bei akustischer Reizung mit unterschiedlicher Polarität führt die Subtraktion der Registrierungen zur Amplitudenzunahme der polaritätsgetreuen Mikrophonpotenziale und zur Amplitudenreduktion der nicht der Polarität des Reizes folgenden Potenziale (Summationspotenzial, Nervenaktionspotenzial). Umgekehrt führt eine Addition zur Elimination der Mikrophonpotenziale und zu sauberer Darstellung des Nervenaktionspotenzials. Die Abhängigkeit der Latenz und Amplitude des Nervenaktionspotenzials von der Reizstärke nach »click«-Reizung wird in ⊡ Abb. 4.11 demonstriert. Die klinische Anwendung beschränkt sich im Wesentlichen auf die objektive Schwellenbestimmung des kochleo-neuronalen Transducers nach »click«-Reizung und nach Reizung mit reinen Tönen (Spoor 1974), wobei Töne unterhalb 500 Hz schlecht zu beurteilende Nervenaktionspotenziale evozieren. Lücken zwischen Elektrokochleographie und psychoakustisch bestimmter Hörschwelle von 10–40 dB sind nicht ungewöhnlich. Durch die Steilheit der in ⊡ Abb. 4.11 dargestellten Amplituden- und Intensitätsfunktion kann ein Recruitment (hierbei handelt es sich um einen
384
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.11. Abhängigkeit der Amplitude und Latenz des Nervenaktionspotenzials (»click«-evoziert) einer Normalperson von der Reizstärke bei der Elektrokochleographie. dBHL = dB hearing level. (Modifiziert nach Gibson 1978)
4
Lautheitsausgleich bei Innenohrläsionen im überschwelligen Prüfbereich) festgestellt werden. Bei Schalleitungsstörungen verschiebt sich die Amplituden-Intensitäts-Funktion nach rechts. In diesem Fall sind sowohl Mikrophonpotenziale als auch Summationspotenziale in ihrer Amplitude kleiner. Bei einem kochleären Hörschaden wird die Amplituden-Intensitäts-Funktion steiler als normal.
4.4.3 FAEP und akustisch evozierte
Hirnstammpotenziale (AEHP, BAEP) Das folgende Kapitel vermittelt Grundkenntnisse der speziellen Methodik der FAEP und AEHP, über normale Kurvenverläufe und Normwerte, natürliche Variabilität und Einflussfaktoren, zudem werden Hilfen zur Identifikation von Komponenten gegeben. Letzteres ist extrem wichtig bei schlecht ausgeprägten oder pathologischen Kurvenverläufen.
Definition und Indikation AEHP sind Teil der »frühen akustisch evozierten Potenziale«. Sie werden nach einem monaural oder binaural applizierten »click«-Reiz im VIII. Hirnnerven und Hirnstamm generiert und als
Far-field-Potenziale von der Kopfhaut abgeleitet. Die Indikation zur Ableitung von AEHP (BAEP; in der Otologie BERA) ergibt sich bei Verdacht auf Erkrankungen der Kochlea, des Hörnerven und des Hirnstamms. Im Einzelnen führen Systemerkrankungen, Raumforderungen (insbesondere im Kleinhirnbrückenwinkel), Ischämien, Blutungen, demyelinisierende Erkrankungen, entzündliche Erkrankungen und das Koma zu Veränderungen der AEHP. Außerdem werden AEHP zur Überwachung während Operationen in der hinteren Schädelgrube (Monitoring) und zur objektiven Audiometrie bei Kindern und Erwachsenen angewandt. Eine häufige Indikation stellt auch der Wunsch nach Differenzierung zwischen kochleärer und retrokochleärer Hörstörung dar.
Spezielle Methodik und Durchführung der Untersuchung Die allgemeine Methodik wurde schon in Kap. 4.2 ausführlich beschrieben. Einige Besonderheiten der AEHP sollen hier erörtert werden. Für audiometrische Indikationen (BERA) werden vorwiegend Töne verschiedener Frequenz und Amplitude bei höherer Reizwiederholungsrate (≤50 Hz) verwendet. Zur Ableitung von AEHP wird nahezu ausschließlich ein »click« benutzt, der durch elektromechanische Wandlung eines 100 µs dauernden Rechteckreizes entsteht. Die Pulsrate beträgt üblicherweise ca. 10 Hz, geringere Reizfrequenzen
385 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
verbessern die Qualität der Ableitung nur unwesentlich und dauern entsprechend länger, während höhere Reizfrequenzen die Ausprägung sämtlicher Komponenten beeinträchtigen. Bewährt hat sich hier die Anwendung von Reizfrequenzen, die in keinem ganzzahligen Verhältnis zu möglichen Störsignalen (50 Hz) stehen, (z. B. 11,9 Hz), um die Registrierung von Artefakten zu vermindern. Zunächst wird für jedes Ohr die individuelle psychoakustische Hörschwelle für »clicks« gemessen. In Kenntnis der nachfolgend ausgeführten Abhängigkeit des AEHP von der Hörschwelle muss ein Reiz von ca. 70 dBSL (sensory level) monaural rechts und danach links angeboten werden. Das kontralaterale Ohr sollte durch »weißes Rauschen« 30 dB unterhalb der »click«-Reizstärke vertäubt werden, damit ein Überhören vermieden wird. Man benötigt für eine gute Darstellung der Potenziale in der Regel 1024-2048 Mittelungen, die, um die exakte Reproduzierbarkeit zu demonstrieren, grundsätzlich an jedem Ohr einmal wiederholt werden sollten. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Polarität des Reizes definiert ist, und dass zunächst möglichst keine alternierende Stimulation gewählt wird (Maurer 1985; Tackmann u. Vogel 1987). Aus theoretischen Erwägungen ist der sog. Sogreiz (rarefaction) dem Druckreiz (condensation) vorzuziehen. Die Polarität der Ableitungen bei der Darstellung ist konventionsgemäß so zu wählen, dass vertexpositive Potenziale nach oben zeigen. Es erweist sich zudem als vorteilhaft, bei monauraler Stimulation simultan bilateral abzuleiten, wenn die Apparatur über 2 gleichwertige Kanäle verfügt (Mizrah et al. 1983). Diese methodische Erweiterung erleichtert die Zuordnung der Potenziale und ermöglicht gegebenenfalls Aussagen über pathologische Unterschiede der ipsi- und kontralateral abgeleiteten Potenziale. Eine methodische Übersicht speziell der AEHP findet sich zu Beginn des Abschnitts 4.2. Methodisch ergeben sich zahlreiche Varianten, auf die nur zum Teil eingegangen werden kann. Hierzu gehören die Applikation verschiedenartiger Stimuli (Hess u. Ludin 1987; Maurer et al. 1984) sowie die Anwendung neuer Ableit- und Analysetechniken. Hier müssen insbesondere die Modelluntersuchungen (Scherg u. von Cramon 1985; Scherg 1991) und Vielkanalanalysen mit Lissajous-
4
Figuren zur Dipollokalisation (Pratt et al. 1984, 1985, 1986; Martin et al. 1986, 1987; Witt et al. 1991) genannt werden. Erwähnenswert erscheint auch die Anwendung von verschiedenbandigem Rauschen und deren Kreuzkorrelationsfunktion (Wilson u. Dobie 1987). Mann u. Meyer-Wahl (1986, 1987) haben die Kreuzkorrelationsfunktion von Ableitungen der rechten und linken Seite als zusätzliches Beurteilungskriterium empfohlen. Hierbei handelt es sich sämtlich um Methoden, die noch keinen Platz in der Routineuntersuchung besitzen, jedoch bei speziellen Fragestellungen und Analysen eingesetzt werden können.
Normalbefunde Die ⊡ Abb. 4.12 und 4.13 zeigen Originalregistrierungen von AEHP, wie sie bei monauraler akustischer Reizung bei einer entspannten Normalperson abgeleitet werden können, und geben einen Eindruck von der erstaunlichen intraindividuellen Konstanz dieser Potenziale. Die unterscheidbaren vertexpositiven Gipfel sind mit römischen Ziffern gekennzeichnet. Die meisten vertexnegativen Gipfel sind gleichfalls gut reproduzierbar. Die einzelnen Potenziale (I–VI) sind deutlich erkennbar, die wichtigste Amplitudenrelation IV–V/I (gemessen von der jeweils höchsten Positivität bis zur nachfolgenden Negativität) ist >1 (dies gilt speziell bei Ableitungen vom Mastoid). Intra- und interindividuell treten eine Reihe von Varianten auf, die als Normvarianten betrachtet werden. Oftmals besteht eine nicht voraussagbare Variabilität aufgrund von Variationen in der Ableittechnik. Eine häufig anzutreffende Variation ist die unterschiedliche Ausprägung des IV/V-Komplexes (z. B. ⊡ Abb. 4.12). Die deutlichen Unterschiede intraindividueller Variabilität zwischen ⊡ Abb. 4.12 und 4.13 beruhen auf methodischen Unterschieden (⊡ Abb. 4.12 – Sog-»clicks« und alternierende »clicks«; ⊡ Abb. 4.13 – jeweils Sog-»clicks«). Durch das in ⊡ Abb. 4.12 benutzte Verfahren überlagern sich die Kurven zwar nicht so »schön«, jedoch wird zusätzliche Information über einen ansonsten möglicherweise verrauschten Peak I gewonnen. Meist ist der IV-Gipfel im aufsteigenden Schenkel des V-Gipfels erkennbar. Gelegentlich dominiert er den Komplex, während in anderen Fällen eine Unterteilung des IV/V-Komplexes unmöglich ist.
386
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.12. AEHP einer Normalperson (weiblich, 16 Jahre). Die Angaben über den Kurven geben die Seite der Stimulation und links den jeweiligen Ableitort an. In der Regel wurden simultan ipsiund kontralaterale Antworten registriert. Die Wiederholung erfolgte zur besseren Darstellung des Peak I. Deshalb wurde nach Sogstimulation eine alternierende Stimulation gewählt. Dies wird erkennbar durch größere intraindividuelle Variabilität, als sie sonst gesehen wird ( s. Abb. 4.14). Der Wert dieser Art der Wiederholung liegt in der artefaktfreien Darstellung des I-Peaks. Sogpulse und alternierende »clicks«, 70 dBSL, Bandpass-Filter 0,1–3 kHz, Nadelelektroden
⊡ Abb. 4.13. Normalbefund. 60-jährige Frau mit subjektiven Beschwerden in Form von Unsicherheit und Schwindel nach links-hemisphärischer atypischer Blutung. Das AEHP zeigt in
jeder Hinsicht normale Potenziale, kontralateral fehlende Peak I und einen IV/V-Komplex mit Peak IV im aufsteigenden Schenkel
Ein kleiner Gipfel zwischen III und IV wird gelegentlich angetroffen und als doppelgipfliger III-Peak bezeichnet. Die Identifikation und Kennzeichnung der Komponenten ist bei guten Ableitungen einfach, bereitet jedoch gerade bei pathologischen Verhältnissen häufig Schwierigkeiten. Deswegen ist es besonders wichtig, die Variationen des AEHP bei nichtpathologischen Verhältnissen (z. B. bei methodischen Unterschieden oder verschiedenen Kollektiven) zu kennen. Die wichtigsten Kriterien umfassen die InterPeak-Latenzen (IPL) I–III, I–V, III–V einerseits, das
Amplitudenverhältnis von IV–V/I andererseits. Letzteres wird nur herangezogen, wenn aufgrund der niedrigen Eingangsverstärkung von einer weitgehend artefaktfreien Ableitung ausgegangen werden kann. Die Inter-Peak-Latenzen werden vom I. Gipfel zu den übrigen und außerdem zwischen dem III. und V. Gipfel gemessen. Wichtige zusätzliche Informationen werden durch den Vergleich der monauralen Ableitungen beider Seiten gewonnen. Normwerte für Latenzen beinhalten auch minimale Inter-Peak-Latenzen (nicht zu unterschreitende Intervalle), woraus sich häufig Hilfen bei der
387 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
Zuordnung aufeinander folgender Gipfel ergeben. Wesentliche Kennzeichen der AEHP sind ihre gute Reproduzierbarkeit und ihre geringe Streuung in aufeinanderfolgenden Ableitungen am gleichen Individuum, die geringe interaurale Variabilität sowie die minimalen interindividuellen Schwankungen bei Normalpersonen. Es ist empfehlenswert, die aufgeführten Normwerte nur als Richtwerte für eigene Untersuchungen zu verwenden und sie nicht kritiklos auf die eigenen Verhältnisse zu übertragen. Dies ist deshalb wichtig, da bei den meisten Normuntersuchungen nicht alle methodischen Einzelheiten, welche die Potenziale beeinflussen, bekannt sind. Es besteht keine Einigkeit über das für den Normbereich festzulegende Vielfache der Standardabweichungen (Optimum ± 3-SD) vom Mittelwert. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Normkollektive für die verschiedenen Messparameter publiziert (Ainslie u. Boston 1980; Ebner et al. 1980; Lacquanti et al. 1979; Maurer et al. 1980a; Picton et al. 1974; Prasher u. Gibson 1980a; Robinson u. Rudge 1977; Starr u. Achor 1975; Stockard et al. 1979, 1980; Stockard u. Rossiter 1977; Tackmann et al. 1979). Diese unterstreichen die klinische Eignung auch von Inter-Peak-Latenzen (IPL), fordern aber den Untersucher gleichzeitig auf, eine Qualität der Ableitungen zu sichern, durch die insbesondere der Gipfel I als Referenzpotenzial regelmäßig dargestellt wird. Die Inter-Peak-Latenzen I–III bzw. III–V beschreiben jeweils die Funktion diagnostisch wichtiger Abschnitte der Hörbahn im Kleinhirnbrückenwinkel und in dem Pons. Toleranzgrenzen für interaurale Differenzen von Latenzen und Inter-Peak-Latenzen werden in der Literatur nur summarisch angegeben. Interaurale Latenzdifferenzen für Einzelpeaks unter gleichen Reizbedingungen sind bei Werten von >0,5 ms als pathologisch anzusehen. Die Angaben über die Amplituden der einzelnen Potenziale schwanken intra- und insbesondere interindividuell so stark, dass ihre Auswertung klinisch-diagnostisch kaum Anwendung findet. Die Angaben in ⊡ Tabelle 4.2 beschränken sich auf die in diesem Zusammenhang wichtigsten Gipfel. Nur der Amplitudenquotient IV–V/I kann diagnostisch verwertet werden. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, ob das Mastoid oder das Ohrläppchen als Referenz benutzt wurde. Da Peak I nach Ableitung vom Ohrläppchen eine
4
höhere Amplitude aufweist als bei Ableitung vom Mastoid (Stockard et al. 1980), wird der Quotient IV–V/I stark beeinflusst. Für Mastoidreferenzen ist die IV–V/I-Amplitude normalerweise >1, für A1,2-Referenzen (Ohrläppchen) >0,5.
Nichtpathologische Variabilität Alter. Frühgeborene, Neugeborene und Säuglinge
weisen in Abhängigkeit von der Reife des Nervensystems längere absolute Latenzen und Inter-PeakLatenzen auf (Hecox u. Galambos 1974; Starr et al. 1977; Stockard et al. 1979, 1980). Die Inter-Peak-Latenzen I–V verkürzen sich bei einem Frühgeborenen (30 Wochen) auf ca. 5 ms bei einem termingerecht geborenen Kind. Der I. Gipfel ist entsprechend verzögert. Normwerte für Frühgeburten und pünktlich geborene Kinder finden sich bei Krumholz et al. (1985). Brivio et al. (1993) haben ein größeres Kollektiv von Neugeborenen und Kleinkindern untersucht und sowohl alterskorrelierte Werte als auch Normwerte für beide Geschlechter erstellt. ⊡ Tabelle 4.3 zeigt die IPL I–V in den ersten 36 Lebensmonaten. Aus Untersuchungen von KenDror et al. (1987) mit unterschiedlichen Reizwiederholungsraten muss geschlossen werden, dass synaptische Reifung und Entwicklung der Myelinscheiden unterschiedlich verlaufen. Über ähnliche Ergebnisse berichtete auch Lasky (1984). Rowe (1978) erstellte Normwerttabellen für verschiedene Erwachsenen-Altersgruppen. Aus ihnen ging hervor, dass eine Normalpopulation mit einem Altersdurchschnitt von 25,1 Jahren ca. 0,3 ms kürzere Latenzen für sämtliche Gipfel aufweist als eine Normalpopulation mit dem Altersmittel von 61,7 Jahren. Die Inter-Peak-Latenz I–V war dagegen in der Gruppe der älteren Probanden nur geringfügig verändert. Unberücksichtigt blieb in dieser Studie das Geschlecht der Probanden. Neuere Untersuchungen (Chu 1985; Rosenhall et al. 1985) kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Geschlecht. Die Untersuchungen von Normalpo-
pulationen verschiedenen Geschlechts ergaben signifikante Inter-Peak-Latenzunterschiede (Kjaer 1979; Stockard et al. 1979; Michalewski et al. 1980; Rosenhall et al. 1985; Thivièrge u. Coté 1987). Frauen haben im Mittel eine um 0,1 – 0,2 ms kürzere I–V-IPL (⊡ Tabelle 4.2) sowie nach Stockard et al.
388
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Tabelle 4.2. Normwerte (Buettner et al. 1983)
4
Peak-Latenzen
I
II
III
IV
V
w < 40 Jahre
1,5 (0,5)
2,6 (0,5)
3,5 (0,5)
4,7 (0,6)
5,3 (0,5)
w ≥40 Jahre
1,5 (0,5)
2,6 (0,5)
3,6 (0,5)
4,6 (0,6)
5,5 (0,5)
m < 40 Jahre
1,5 (0,5)
2,6 (0,5)
3,6 (0,5)
4,7 (0,6)
5,4 (0,5)
m ≤ 40 Jahre
1,6 (0,5)
2,6 (0,5)
3,6 (0,5)
4,7 (0,5)
5,5 (0,6)
I–II
I–III
I–V
III–V
1,1 (0,4)
2,0 (0,4)
3,85 (0,6)
1,8 (0,5)
I–II
I–III
I–V
III–V
<0,3
<0,4
<0,4
<0,4
Interpeak-Latenzen (IPL)
Seitendifferenzen von Interpeak-Latenzen
Seitendifferenzen einzelner Peaks (rechts – links) < 0.5-ms Amplituden-Relation IV-V/I >1 (bei Ohrläppchenableitung > 0.5) w = weiblich, m = männlich
(1979) auch eine gegenüber Männern verkürzte Latenz des I. Gipfels. Außerdem finden sich bei Frauen größere Amplituden der AEHP. Die Latenzunterschiede werden durch die im Mittel kleineren Schädeldimensionen erklärt. Temperatur. Aus Untersuchungen von Stockard
et al. (1978 b) ist bekannt, dass Hypothermie die IPL des menschlichen AEHP verlängert. Bei einer intraösophagealen Temperatur von 32 °C, wie sie z.B. bei Thorax-Bypass-Operationen nicht ungewöhnlich ist, werden die Toleranzgrenzen der Normalpopulation überschritten. Temperatureffekte sollten insbesondere bei intraoperativen Ableitungen und Untersuchungen unter Intensivüberwachung berücksichtigt werden. Hypothermien treten auch bei akuten Intoxikationen, z. B. mit C2H5OH, auf.
Grundsatz unberührt (Sohmer u. Feinmesser 1973). Erfahrungsgemäß gut reproduzierbare Ergebnisse liefert die Ableitung vom Vertex (CZ) gegen den Mastoidfortsatz MI/C bzw. gegen das Ohrläppchen (A1/2). Im Beispiel der ⊡ Abb. 4.14 werden die geringen Änderungen von Form und Amplitude der Potenziale bei den verschiedenen Ableitorten sichtbar, insbesondere die Änderung der Amplitudenverhältnisse ( s. 4.4.2.3). In der Ableitung gegen das Ohrläppchen ist die Amplitude des I. Gipfels deutlich höher. Da der Peak V eher etwas niedriger ist, verringert sich somit das Amplitudenverhältnis IV–V/I deutlich. Zum Vergleich wurde gleichzeitig parietal 4 cm oberhalb der Mastoidelektrode eine Ableitung vorgenommen. Diese erweist sich als weniger gut, obwohl die einzelnen Komponenten noch unterschieden werden können. Monaurale, binaurale und kontralaterale Reizung.
Ableitort. Die Position der Ableitelektroden spielt
eine große Rolle für die Ausprägung der relativen Amplituden der AEHP. Dagegen sind die Latenzen der Potenziale von Änderungen des Ableitortes im
Klinische Routineableitungen sollten grundsätzlich nach monauraler Stimulation mit Ableitung ipsilateral zur Reizung erfolgen, damit einseitige Hirnstammprozesse erfasst werden können, wobei
389 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Tabelle 4.3. Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale bei Kleinkindern (Nach Brivio et al. 1993)
Alter (Monate)
IPL I–V (ms) männlich (n=79)
weiblich (n=79)
0
5,15 (0,19)
5,06 (0,20)
3
4,78 (0,18)
4,79 (0,19)
6
4,55 (0,17)
4,59 (0,18)
9
4,42 (0,16)
4,45 (0,17)
12
4,34 (0,16)
4,35 (0,17)
18
4,26 (0,16)
4,22 (0,16)
24
4,23 (0,16)
4,16 (0,16)
36
4,22 (0,16)
4,10 (0,16)
⊡ Abb. 4.14. AEHP bei verschiedenen Nadelpositionen. MI – Mastoid ipsilateral (Höhe äußerer Gehörgang), AI – Ohrläppchen ipsilateral, P – 4 cm oberhalb der Mastoidelektrode. Latenzdifferenzen fallen nicht auf, dagegen die in AI gegenüber MI bessere Ausprägung des Peak I; Peak V verhält sich umgekehrt. Auch 4 cm von der Mastoidelektrode entfernt lassen sich die Hirnstammpotenziale gut ableiten
4
die normalerweise geringen Seitendifferenzen in der Diagnostik ausgenutzt werden. Binaurale Stimulation kann, falls notwendig, zur besseren Diagnose der Komponenten herangezogen werden, da die Amplituden nach binauraler Reizung signifikant höher sind als nach monauraler Stimulation (Starr u. Achor 1975; van Olphen et al. 1978; Ainslie u. Boston 1980). Bei kontralateral zum Reiz erfolgender Ableitung fehlt der Gipfel I, die übrigen Peaks sind dargestellt, jedoch nicht, wie Starr u. Achor (1975) angeben, ohne Latenz- und Amplitudenänderung. Die Inter-Peak-Latenzen II–III sind verkürzt, diejenigen von IV–V sind verlängert (Stockard et al. 1978 a; Prasher u. Gibson 1980 a). Hinweise für eine binaurale Interaktion ergeben sich für AEHP-Komponenten nach Peak III (Ainslie u. Boston 1980; Dobie u. Norton 1980; Levine 1981). Polarität des Reizes. Die Polarität des Reizes ist in der Regel am Reizgenerator wählbar. Es werden Sog- (rarefaction) und Druckimpulse (condensation) sowie die alternierende Reizung unterschieden. Stockard et al. (1978a, 1979; Peake u. Kiang 1962) konnten wesentliche Unterschiede in Ausprägung und Latenz der Potenziale unter verschiedenen Reizbedingungen, insbesondere bei Kindern, zeigen. ⊡ Abbildung 4.15 zeigt einen typischen Befund. Sogimpulse erzeugen hiernach in der Regel gut unterscheidbare IV- und V-Gipfel, während Druckimpulse die Amplitude von V erhöhen, gleichzeitig jedoch die Abgrenzung gegenüber IV verschlechtern. Die Latenz von V bleibt im wesentlichen unverändert, während die Latenzen von I bei Sogimpulsen etwas kürzer sind als bei Druckimpulsen. Die alternierende Stimulation vermindert den Reizartefakt, der sich allerdings selten störend auswirkt. Schon aus theoretischen Erwägungen muss es bei letztgenannter Reizform zu einer schlechteren Synchronisation der Potenziale durch Mittelung zeitlich verzögerter Reizantworten kommen. Auch Maurer (1985) weist auf die Notwendigkeit hin, entweder Sog- oder Druckimpulse zu benutzen. Bezüglich der Kurvenmorphologie kann es jedoch zu zahlreichen, nicht vorhersagbaren Varianten kommen (Sand u. Sulg 1984). Die unterschiedliche Wellenform und das Auftreten von zusätzlichen Komponenten der AEHP bei verschiede-
390
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
bei demyelinisierenden Prozessen nur zusätzlich zur normalen Ableitung durchgeführt werden. Reizstärke. Bei abnehmender Reizstärke resultiert nicht nur eine Verschiebung sämtlicher Wellen in Richtung höherer Latenzen (⊡ Abb. 4.16), sondern auch eine leichte Verkürzung der IPL I–V und eine stärkere Verkürzung der IPL I–III. Bei Schallleitungsstörungen kommt es zu Parallelverschiebungen der Latenz-Intensitäts-Kurven, aus denen sich der Grad der Hörminderung ergibt. Es muss bemerkt werden, dass der I-Gipfel am empfindlichsten auf Verminderung der Reizstärke mit Amplitudenabnahme reagiert; dies verändert auch das diagnostisch wichtige Amplitudenverhältnis IV–V/I in weiten Grenzen. Deshalb ist grundsätz-
4
⊡ Abb. 4.15. Einfluss der Reizpolarität auf Latenz, Amplitude und Ausprägung der einzelnen Potenziale. Auffälligstes Phänomen ist die häufige Aufspaltung des IV–V-Komplexes in einzelne Peaks bei Sogimpulsreizung. Störend kann sich gelegentlich der große Reizartefakt sowohl bei Sog- als auch bei Druckimpulsen auswirken
ner Reizpolarität lässt auf multiple Generatoren einzelner Wellen schließen (Sand 1986; Coutin et al. 1987). Reizfrequenz (Rate). Durch Erhöhung der Reizfrequenz auf 50–70 Hz verlängern sich die Latenzen aller Komponenten des AEHP (Rowe 1978; Stockard et al. 1978a). Zusätzlich wird der erste Gipfel mit zunehmender Frequenz kleiner, während der IV–VKomplex relativ gut erhalten bleibt (Pratt u. Sohmer 1976; Terkildsen et al. 1976). Die hochfrequente Reizdarbietung (50 Hz) ist für audiometrische Zwecke ausreichend und hat den Vorteil kürzerer Untersuchungszeiten. Für die Hirnstammdiagnostik (z. B. bei Verdacht auf lokalisierte Entmarkungsherde bei multiple Sklerose) ist die hochfrequente Applikation von »clicks« (20/s) und »click«-Paaren umstritten (Robinson u. Rudge 1977; Chiappa et al. 1980; Pratt et al. 1981), da unter Frequenzbelastung zwar pathologische Veränderungen des AEHP erstmals sichtbar werden können, jedoch die Möglichkeit einer Beurteilung der Ableitungen sehr schnell abnimmt. Eine Frequenzbelastung sollte demnach
⊡ Abb. 4.16. Einfluss der Reizintensität (dBSL) auf Amplitude und Latenz der AEHP. Auch bei niedrigen Reizintensitäten (z. B. hier 20 dBSL) bleibt ein gut unterscheidbarer Peak Verhalten
4
391 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Tabelle 4.4. Abhängigkeit der Latenzen (ms) des 5. Gipfels von der Reizstärke (Nach Starr, 1977) dBSL
5
15
25
35
45
55
65
75
ms
8,1
7,7
7,1
6,6
6,0
5,8
5,5
5,4
lich die Stimulation mit 70 dB über der individuellen Hörschwelle (70 dBSL) sinnvoll. Bei stärkerer Hörminderung ist dies allerdings nicht möglich. Häufig sind Ableitungen wegen unzureichender Reizstärke (≤95 dBSL) bei peripheren Hörstörungen nicht zu beurteilen. ⊡ Tabelle 4.4 zeigt die Abhängigkeit des Peak V von der Reizstärke. Bei Innenohrschwerhörigkeit oder retrokochleären Hörbahnläsionen kommt es ganz entsprechend den Befunden bei der Elektrokochleographie zu einem Recruitment-Phänomen.
im natürlichen (Campbell u. Bartoli 1986; Gail et al. 1995) noch im medikamenteninduzierten Schlaf werden Latenz- und Amplitudenveränderungen gefunden; Ausnahme ist eine Amplitudenzunahme als Folge geringerer Muskeleinstreuung. Ketamin beeinflusst die AEHP nicht. Aufmerksamkeit scheint die Latenzen der AEHP nur geringfügig (Brix 1984) oder nicht (Collet u. Duclaux 1986) zu beeinflussen. Es gibt eine umfangreiche anästhesiologische Literatur der MAEP und SAEP als Wachheitsmarker unter Einfluss von Anästhesie,
Filter. Die Hauptenergie der AEHP liegt zwischen
800 und 1200 Hz, woraus sich der Frequenzbereich des Spektrums ergibt, der verstärkt werden muss. Die in den meisten Labors durchgeführte Filterung mit einem Hochpass von 100 Hz und Tiefpass von 3 kHz ist ein guter Kompromiss, der zu einer befriedigenden Abgrenzung der einzelnen Komponenten ohneVerzerrungen desAEHP führt.Untersuchungen mit Varianten des Hochpassfilters (Terkildsen et al. 1976; Chiappa et al. 1979; Elton et al. 1984) zeigen, dass ein 250- bzw. 300-Hz-Filter zu einer bemerkenswerten Amplitudenverminderung und Latenzverkürzung führt, während Herabsetzung des Tiefpasses (Jewett u. Williston 1971; Cacace et al. 1980) zu Verzögerungen der Latenzen führt, ohne die IPL wesentlich zu verändern. ⊡ Abbildung 4.17 zeigt bei einer Versuchsperson den Einfluss verschiedener Hoch- und Tiefpassfilterungen. Die Weiterentwicklung von rechnergestützten Untersuchungen evozierter Potenziale eröffnet die Möglichkeit der Verbesserung des Signal-RauschVerhältnisses durch digitales Filtern, was ohne Phasenveränderungen möglich ist (Elton et al. 1984; Friedman et al. 1982). Einflüsse von Wachheitsgrad, Medikamenten und Stoffwechselstörungen. Wachheitsgrad und Auf-
merksamkeit beeinflussen die AEHP nicht. Weder
⊡ Abb. 4.17. Beeinflussung der AEHP einer Normalperson durch verschiedene Filtergrößen. Sowohl absolute Latenzen als auch Amplituden werden durch die Bandpasswahl geändert. Eine Herabsetzung der unteren Grenzfrequenz (16 Hz) bewirkt eine Amplitudenabnahme durch starke Grundlinienschwankungen, während eine Heraufsetzung (625 Hz) eine Amplitudenabnahme wegen des Ausblendens von Frequenzanteilen des AEHP bewirkt. Eine Herabsetzung der oberen Grenzfrequenz führt sowohl zu einer Amplitudenabnahme als auch zu einer Latenzverzögerung vom I. Peak an
392
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
worauf jedoch in diesem Artikel nicht eingegangen werden kann (Hooff et al. 1997). Die bei Alkoholintoxikation verlängerten Inter-Peak-Latenzen (IPL) (Squires et al. 1978; Church u. Williams 1982) sollen nach Jones et al. (1980) zumindest zum Teil auf einem Temperatureffekt beruhen, da Alkohol die Kerntemperatur des Körpers sinken lässt. Verlängerte IPL wurden auch bei chronischer und akuter Intoxikation mit membranwirksamen Pharmaka wie Diphenylhydantoin und Carbamazepin gefunden (Stockard et al. 1980; Hirose et al. 1986; Mervaala et al. 1987).Valproinsäure dagegen scheint keinen Einfluss auf Latenzen oder die Amplitude der AEHP zu besitzen (Mervaala et al. 1987). Baclofen beeinflusst zumindest im Tierexperiment (Martin 1982) die im Hirnstamm generierten AEHP-Komponenten im Sinne einer deutlichen Amplitudenminderung bei intravenöser Applikation von 2-3 mg/kg Baclofen. Partiell reversible AEHP-Veränderungen lassen sich bei chronischer Niereninsuffizienz nachweisen (Rossini et al. 1984; Komsuoglu et al. 1985; Pratt et al. 1986). Es fanden sich sowohl Amplitudenminderungen als auch Latenzverzögerungen, die nach Dialyse partiell reversibel waren. Pratt et al. (1986) führte diese Veränderungen auf Schwankungen des Kalziumblutspiegels zurück. Nach Untersuchungen von Knoll et al. (1982) eignen sich AEHP für Verlaufsuntersuchungen an Patienten mit Niereninsuffizienz. AEHP zeigen keine Veränderungen bei Diabetikern ohne Hinweise auf autonome Störungen oder Neuropathien (Lingenfelser et al. 1992) und auch insulininduzierte Hypoglykämien bei Diabetikern und gesunden Probanden weisen eine ausgesprochene Stabilität der AEHP auf (⊡ Abb. 4.18) (Lingenfelser et al. 1992, 1993; Durrant et al. 1991). Ein gemischtes Krankengut wird aufgrund von Mikro- und Makroangiopathie gelegentlich zu Veränderungen der AEHP führen (Nakamura et al. 1991). ! AEHP zeigen geringfügige Veränderungen
durch Medikamente. Am ehesten noch Latenzverlängerungen durch Kanalblocker wie Phenytoin und Carbamazepin.
⊡ Abb. 4.18. Gesunder Proband, bei dem insulininduzierte Absenkungen des Blutzuckerspiegels erfolgten und jeweils für die Untersuchungsintervalle konstant gehalten wurden. Die AEHP waren vor, während und nach der temporären Absenkung des Blutzuckers in Form, Latenz und Amplitude unverändert
Identifikation der Komponenten Die in ⊡ Abb. 4.12 und 4.13 beschriebenen AEHP von Normalpersonen stellen auch den Unerfahrenen nicht vor größere diagnostische Probleme. Dies ändert sich, sind die AEHP wegen mangelnder Entspannung oder bei unzureichender Technik nicht gut ausgeprägt. Voraussetzung für eine exakte Diagnostik jedoch bleibt die klare Reproduktion von Kurven oder zumindest Kurventeilen. Es ist unzureichend, einen Peak n als n-ten Gipfel zu bezeichnen, weil er in einer bestimmten Ableitung als n-ter Gipfel nach dem Reiz auftritt, oder, weil er aufgrund von Latenz und Amplitude am ehesten dem Peak n entsprechen könnte. Eine
393 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
derartige Betrachtung vernachlässigt Merkmale der Kurven, die sich nicht ausschließlich durch Latenz und Amplitude wiedergeben lassen. Der Erfahrene bezieht zusätzliche Merkmale, wie Abstände, Amplitudenverhältnisse und Kurvenpunkte zwischen den Peaks, mit ein. Dies ermöglicht ihm, bestimmte Muster zu entdecken, die ihm vertraut sind. Deshalb besteht ein beträchtlicher Bias bei der Beurteilung von AEHP-Kurven durch Auswerter mit sehr unterschiedlicher Erfahrung. Auch werden automatisierte Auswertealgorithmen propagiert (Pratt et al. 1993). Inwieweit sich letzteres durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Erster Gipfel. Als Bezugspunkt für Latenzmes-
sungen sollte nicht der Reiz, sondern ein gut identifizierbarer I-Peak genommen werden. Der Wert eines AEHP ist stark eingeschränkt, wenn der erste Peak nicht erkennbar ist, da dieser die Basis für wichtige IPL (IPL I–III, I–V) darstellt und zeigt, dass eine Erregung des N. acusticus eingetreten ist. Die einfachste Art, eine bessere Ausprägung dieses Gipfels zu erhalten, ist die Erhöhung der Reizstärke. Überlagern Reizartefakte den ersten Gipfel, sollte als Kontrolle grundsätzlich zunächst eine »alternierende« Reizung erfolgen. Falls auch diese unbefriedigende Ergebnisse bringt, kann der Peak I, soweit vorhanden, sicher dargestellt werden, indem die aktive Elektrode im äußeren Gehörgang befestigt wird. Unter stationären Bedingungen empfiehlt sich vorab die medikamentös induzierte Entspannung (Diazepam, Flunitrazepam). Zweiter Gipfel. Dieser Gipfel wird, falls notwendig,
besser durch simultane oder kontralaterale Ableitung hervorgehoben. Bei kontralateraler Ableitung ist die Amplitude eher höher als bei ipsilateraler Registrierung, während die Latenzen kontralateral etwas länger sind. Dritter Gipfel. Dieser Peak kann bei Normal-
personen gelegentlich zweigipfelig sein. Bestehen Unklarheiten in der Identifikation dieses Gipfels können Amplitudenverringerung und Latenzverkürzung bei kontralateraler Ableitung als diagnostische Kriterien herangezogen werden. Auch
4
minimale Latenzintervalle zwischen Peak III und den benachbarten Peaks helfen bei der Identifikation. IV–V-Komplex. Die Gipfel IV und V haben eine
sehr variable Form mit Auftreten folgender Normvarianten ohne Krankheitswert: 1. zweigipfeliger Komplex mit deutlichen Einzelgipfeln IV und V; 2. niedriger IV-Gipfel, der oft nur als Knotung in der aufsteigenden Flanke zum V-Gipfel erscheint; 3. kleiner V-Gipfel oder Sattel in der absteigenden Flanke des IV-Gipfels; 4. völlig fusionierter Komplex mit Auftreten von nur einem Gipfel. Eine weitere Normvariante stellt ein IV–V–VI-Komplex dar, bei dem der VI-Gipfel in der absteigenden Flanke des V-Gipfels zu erkennen ist. Diese Varianten können bei einem Individuum unter gleichen Untersuchungsbedingungen in der gleichen Sitzung auftreten oder durch geringe Änderung der Reizparameter, insbesondere der Reizphase (⊡ s. Abb. 4.15) und Reizrate, bedingt sein. Der V-Gipfel sticht als Gipfel mit der größten Amplitude in der Regel hervor und ist besonders unempfindlich gegen Reizabschwächung und Erhöhung der Reizfrequenz (Terkildson et al. 1976). Binaurale Reizung erhöht die Amplitude des IV–VKomplexes um 50–100%. Sechster Gipfel. Der Peak VI wird von vielen Autoren ebenfalls ausgewertet, gewöhnlich jedoch diagnostisch nicht verwendet, da er inkonstant und mit einer größeren Latenzstreuung auftritt als zumindest die Hauptgipfel des AEHP, nämlich die Peaks I, III und V. Dies bedeutet allerdings nicht, dass er gelegentlich bei der Beurteilung z. B. eines Krankheitsverlaufs nicht nützlich sein könnte.
394
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4.4.4 FAEP und AEHP bei Läsionen
des Gehörs und der Hörbahn
4
Traditionelle Beurteilungskriterien der FAEP und AEHP müssen unter Berücksichtigung der Eigenschaften von Dipolen grundsätzlich kritisch hinterfragt werden.
Allgemeine Beurteilungskriterien Phänomenologisch lassen sich bei Untersuchungen der AEHP die folgenden Auffälligkeiten beschreiben: 1. ein- oder beidseitiges Fehlen aller Komponenten, 2. beidseitig schlechte Ausprägung, 3. ein- oder beidseitige Amplitudenminderung einzelner Komponenten, 4. ein- oder beidseitige Latenzverzögerungen einzelner oder sämtlicher Peaks gegenüber Reizbeginn oder verlängerte Inter-Peak-Latenzen bestimmter Inter-Peak-Intervalle. 5. AEHP-Veränderungen können einzeitig (irreversibel oder reversibel) oder chronisch progredient auftreten, was durch Verlaufsuntersuchungen verfolgt werden kann. ad 1. Das einseitige Fehlen der AEHP bei unilateraler
Beschallung spricht unter optimalen technischen Voraussetzungen für eine schwere periphere Läsion (Kochlea oder N. acusticus), während beidseitiges Fehlen entweder völlige Ertaubung als Ursache hat (traumatisch oder toxisch) oder als Zeichen des Hirntods zu werten ist (Starr 1976). Wir untersuchten eine 31-jährige Patientin, bei der es postoperativ zu akutem Nierenversagen und möglicherweise in Zusammenhang mit Diuretikaund Antibiotikainfusionen innerhalb weniger Tage zu beidseitig völliger Ertaubung kam. Während im übrigen sämtliche klinisch-neurologischen und apparativen Untersuchungen normal waren, wiesen die beidseits völlig fehlenden AEHP den toxischen Schaden des Hörorgans nach. ad 2. Ein- oder beidseitig schlecht ausgeprägte AEHP bei gut erhaltenem I-Gipfel sprechen für eine re-
trokochleäre Läsion. Ursächlich kommen umschriebene Tumoren, diffus infiltrierende oder vaskuläre pontine Prozesse bzw. Entmarkungsherde (praktisch immer Peak I und II erhalten) in Betracht. ad 3. Isolierte Amplitudenminderungen einzelner Komponenten sind besonders aussagekräftig, wenn sie
mit einer guten Darstellung der ersten Potenziale einhergehen. Für die Routineauswertung ist besonders der Quotient IV-V/I geeignet, der für Mastoidableitungen normalerweise >1 ist. Der Grund für eine Amplitudenreduktion sind pathogenetisch unterschiedliche Läsionen der Hörbahn (z. B. durch Druck, Trauma, Ischämie oder Demyelinisierung). Eine relative Amplitudenreduktion des IV–V-Komplexes wird nur diagnostisch verwertet, wenn die Standardableitbedingungen (insbesondere Eingangsverstärkung und Stimmulationsstärke) eingehalten werden können. Fehlinterpretationen bei der Amplitudenbeurteilung treten auf, wenn die Ableitungsqualität nicht ausreicht, um gut reproduzierbare Amplitudenmessungen zu erlauben. ad 4. Latenzverzögerungen. Latenzverzögerungen ein-
zelner Komponenten und mit ihnen in der Regel alle Folgenden erlauben eine annähernde Lokalisation der Schädigung im Verlauf der Hörbahn. Die Läsion der Hörbahn kann dabei entweder direkt oder durch Fernwirkung (Herniation mediobasaler Hirnanteile am Tentoriumschlitz) entstanden sein. Zahlreiche Autoren haben auf die lokalisatorische Bedeutung von Latenzverzögerungen hingewiesen (Starr u. Achor 1975; Starr u. Hamilton 1976; Rosenhamer 1977; Ebner et al. 1980; Kjaer 1980a; Maurer et al. 1980a, b; Buettner et al. 1983). Beispiele hierfür werden im folgenden behandelt. Bei Demyelinisierungen kann die Lokalisation eines Herdes durch isolierte Inter-Peak-Latenzverlängerungen (z. T. auch durch zusätzliche Amplitudenminderungen nachfolgender Potenziale) bestimmt werden. Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkels können häufig durch den erhaltenen I-Peak (und Peak II) und das Fehlen bzw. die Verzögerung der nachfolgenden Gipfel identifiziert werden. Dagegen führen weiter rostral gelegene pontine Prozesse häufig zu fehlenden oder verzögerten späte-
395 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
ren Gipfeln bei gut erhaltenen Potenzialen I, II evtl. auch III. Eine Seitenlokalisation ist mit Sicherheit nur bei Verzögerungen des I. Peaks sowie aller auf den I. Peak folgenden Gipfel möglich (schon Peak II wird kontralateral zur Stimulation gut abgeleitet). Weiter zentralwärts gelegene Läsionen erlauben in der Regel auch bei simultaner kontralateraler Ableitung keine Zuordnung zu einer Seite, da die Anteile der pontinen und mesenzephalen Hörbahn mittelliniennahe liegen, und bisher keine Einigkeit darüber besteht, wie groß der jeweilige Beitrag der Hörbahnstrukturen beider Seiten an den einseitig ableitbaren Potenzialen ist. ad 5. Die zeitliche Dynamik von AEHP-Veränderungen
lässt sich durch Verlaufsuntersuchungen erfassen. Dies ist von besonderem Interesse beim Koma zur näherungsweisen Beurteilung des Ausmaßes einer drohenden Mittelhirnkompression bei Hirntraumen und supratentoriellen Tumoren sowie Hirnstammkompression durch Tumoren der hinteren Schädelgrube, für Verlaufsuntersuchungen bei Systemerkrankungen, z. B. der Friedreich-Erkrankung, der zerebellären Ataxien und insbesondere der Encephalomyelitis disseminata. Als weitere Anwendungsmöglichkeit bietet sich die intraoperative Untersuchung als Monitoring der kochleären bzw. der Hirnstammfunktion an. In wichtigen Teilbereichen bedarf es weiterer Untersuchungen. Es gibt eine Vielzahl von Fallbeschreibungen, die aufgrund einer klinisch und/ oder bildgebend definierten Läsion Hypothesen über die Generierung der verschiedenen Komponenten aufstellen. Hier geht es meist um die Generierung der Gipfel II und V. Es soll jedoch folgendes in Erinnerung gerufen werden: 1. Die Gleichzeitigkeit elektrischer Ereignisse (z. B. bei einer neurochirurgischen Direktableitung vom Hirnstamm und vom Skalp) bedeutet nicht, dass sie identisch sind; d. h. in der näheren Umgebung eines vermuteten Generators sind zur gleichen Zeit verschiedene Generatoren aktiv, die nicht von der Skalpelektrode abgeleitet werden, weil z.B. der Dipol anders gerichtet ist oder aber entgegen gerichtete Dipole den in Frage stehenden Dipol neutralisieren.
4
2. Bisher wurde der Ort der Generierung eines Potenzials im Normalfall bei einem Ausfall des Potenzials mit einer Läsion an diesem Ort in unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Diese Annahme dürfte häufig zu einer Fehlinterpretation der Läsionshöhe bzw. der Zuordnung zu Generatoren geführt haben (Zanette et al.1990). Erstmals und besonders zutreffend hat Scherg (1991) darauf hingewiesen. ⊡ Abbildung 4.19 versucht diesen Sachverhalt zu erklären. Die wichtigste Schlussfolgerung für den Kliniker ist, eine gewisse Zurückhaltung in der Vorhersage von Läsionsorten bei Ausfall einzelner Komponenten des AEHP zu üben. Mögliche Mechanismen, die dem zugrunde liegen, wurden bereits besprochen.
Schallleitungs- und Innenohrstörungen Auf die Bedeutung der AEHP für die Diagnostik von Schalleitungs- und Innenohrstörungen wurde schon eingegangen. Näheres findet sich bei Gibson (1978). Im Gegensatz zur Schallleitungsstörung (Auswertung des Gipfels V), bei der es zu einer Parallelverschiebung der Latenz-Intensitäts-Kurve kommt (Yamada et al. 1975; McGee u. Clemis 1982), gehen kochleäre Läsionen mit einer größeren Steilheit der Latenz-Intensitäts-Kurve einher, die dem »Recruitment-Phänomen« entspricht. Dabei könnte den AEHP eine Bedeutung bei der Objektivierung von sog. Lärmschwerhörigkeiten zukommen (Gibson 1978).
Encephalomyelitis disseminata AEHP gehören neben dem Trigeminus-SEP, dem Orbicularis-oculi-Reflex und der Elektronystagmographie zu den wichtigsten neurophysiologischen Untersuchungsmethoden, die einen Demyelinisierungsherd im Bereich des Hirnstamms nachweisen können. Aus klinischen Untersuchungen (Abb u. Schaltenbrand 1956; Poser 1978; Daugherthy et al. 1983; Fischer et al. 1985) ist bekannt, dass die audiologische Untersuchung bei Encephalomyelitis disseminata nur in 3–6 % der Fälle eine Läsion des Hörsystems aufdeckt. Dagegen liegen zahlreiche Untersuchungen über die Anwendung von AEHP bei Encephalomyelitis disseminata vor (Robinson u. Rudge 1975, 1977, 1980, 1983; Starr u. Achor 1975; Kjaer 1979,
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
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⊡ Abb. 4.19. Dipolquellen der aufsteigenden Hörbahn im Normalfall (oben) und bei lokalisierten Läsionen (unten). Lage und Orientierung der Dipole stimmen sehr gut mit dem Aufbau von Dipolfeldern entlang der aus den Kerngebieten der ersten 3 Neurone (Ganglion spirale, VCN: ventral cochlear nucleus, SOC: superior olivary complex) auslaufenden Faserbündel überein. Wegen der bilateralen Organisation der Hörbahn sollte sich die auslaufende Dipolaktivität aus dem Colliculus inferior (IC) und dem Corpus geniculatum mediale (CGM) im Normalfall größtenteils auslöschen. Bei Läsionen kann es zum indirekten Verschwinden einer Potenzialwelle kommen, wenn wegen Unterbrechung oder Verlangsamung der Erregungsausbreitung der Aufbau des Dipolfeldes durch ein entgegengesetztes Dipolfeld (Pfeile) kompensiert wird. So kann eine Läsion im Bereich des Trapezkörpers den Dipol III, eine Läsion des IC den Dipol V scheinbar verändern, wenn rostrale Abschnitte des Lemniscus lateralis (LL) mit betroffen sind. Auch Veränderungen des Volumenleiters im Bereich des Hörnerven können zu sekundären Dipolquellen führen, die das AEHP im Bereich der Welle II verändern. Der kortikale (AC) N19-Dipol fällt bei einer einseitigen Unterbrechung der Hörstrahlung (AR) nur auf der Läsionsseite aus (Nach Scherg 1991)
1980b, c; Chiappa 1980; Maurer et al. 1980a, b; Prasher u. Gibson 1980b; Tackmann et al. 1980a; Fischer et al. 1981, 1986; Stockard u. Sharbrough 1980), die in einem wesentlich höheren Prozentsatz klinisch okkulte Entmarkungen der Hörbahn nachwiesen. Die Erhöhung von Intensität und »click«-Rate kann qualitative Veränderungen bewirken, führt
jedoch in keinem Fall zum Nachweis zusätzlicher demyelinisierender Läsionen (Elidan et al. 1982). Prasher et al. (1982) beschrieben als möglicherweise wichtigstes zusätzliches Beurteilungskriterium eine fehlende binaurale Summation der AEHP. In zahlreichen Untersuchungen werden Sensitivität und Spezifität verschiedener elektrophysiologischer Methoden (auch der AEHP) für die Aufdeckung klinisch inapparenter Läsionen bei der Encephalomyelitis disseminata verglichen (Lacquanti et al. 1979; Chiappa 1980; Green et al. 1980; Kjaer 1980 b; Tackmann et al. 1980b). Dabei zeigt sich eine vergleichsweise (VEP, SEP) geringe Sensitivität der AEHP bei MS, was den Wert der AEHP bei der Suchdiagnostik stark einschränkt (Fuhr u. Kappos 2001). Eine schlüssige Erklärung für die häufig auftretende Diskrepanz zwischen schweren Veränderungen der AEHP bei MS und subjektiv ungestörtem Hörvermögen ohne audiometrisch fassbare Ausfälle wurde bisher nicht gegeben. Möglicherweise ist das Gehör bezüglich einfacher Hörfunktionen durch redundante Bahnverbindungen abgesichert, so dass nur differenziertere Hörprüfungen, z. B. das Richtungshören bei dichotischer Reizdarbietung, mit den AEHP korrelierende Befunde ergeben (Levine et al. 1993). Eine relativ geringe Demyelinisierung könnte somit frühzeitig pathologische Veränderungen der AEHP verursachen, ohne nachweisbare klinische Ausfälle hervorzurufen. Ebenso wichtig erscheint die Tatsache, dass die Hörbahn von der oberen Olive an gekreuzt und ungekreuzt verläuft und somit wesentliche Hörfunktionen bei unilateralen Läsionen erhalten bleiben. Ein AEHP bei nur einseitiger Demyelinisierung zentral des kochleären Kernkomplexes kann allein dadurch schon zu pathologischen Kurven führen, dass eine Desynchronisation paralleler Afferenzen auftritt. Ein entscheidendes Argument AEHP in der Diagnostik der multiplen Sklerose einzusetzen ist nicht die Suchdiagnostik, sondern Hirnstammfunktionsstörungen nachzuweisen und so die Bedeutung von Hirnstammsymptomen besser zu verstehen. Einige Beispiele sollen die Verschiedenartigkeit der Befunde bei vermuteter und sicherer Encephalomyelitis disseminata illustrieren. ⊡ Abbildung 4.20 zeigt die Ableitung einer Patientin mit dem Verdacht auf eine multiple Sklerose,
397 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
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⊡ Abb. 4.20. 55-jährige Frau mit Verdacht auf Encephalomyelitis disseminata aufgrund eines fraglichen Liquorbefundes, pathologischer AEHP und SEP. Diagnostisch handelt es sich um eine mögliche MS nach McDonald-Kriterien. Die AEHP
sind auffällig nach Stimulation links mit grenzwertiger Interpeaklatenz (IPL) I–V mit 4,4 ms und nach Stimulation rechts ipsilateral einer verlängerten IPL-Latenz I–V mit 4,5 ms. Die Amplitudenrelationen sind noch in der Norm
wobei auffällig einerseits nach Stimulation links grenzwertige Interpeaklatenzen I–V sind, auf der rechten Seite jedoch ein als pathologisch anzusehender Befund mit verlängerter Interpeaklatenz I–V mit 4,5 ms. Die Amplitudenrelation des IV/VKomplexes ist beiderseits noch in der Norm. In ⊡ Abb. 4.21 zeigt sich bei einer 53-jährigen Frau ein Befund mit in ihrer Schwere kontrastierenden Veränderungen der AEHP bei Nachweis einer demyelinisierenden Läsion im rechten Hirnstamm im Bereich der Hörbahn. ⊡ Abbildung 4.22 zeigt die Ableitung bei einem 20-jährigen Mann mit gesicherter Encephalomyelitis disseminata und beidseits pathologischen Veränderungen der AEHP. Links zeigt sich eine pathologische IPL I–V sowie Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes, rechts eine ebenfalls deutlich verlängerte IPL I–III und I–V mit Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes. Auffällig ist die schlechte Evozierbarkeit der kontralateralen Potenziale. Auch die folgenden Beispiele (⊡ Abb. 4.23– 4.25) belegen die Vielgestaltigkeit von Veränderungen der AEHP bei MS und weisen insbesondere nach, dass sich keine MS-spezifischen Befunde erheben lassen, was v. a. im Vergleich der ⊡ Abb. 4.23 und 4.24 mit den ⊡ Abb. 4.23 und 4.24 deutlich wird. ⊡ Abbildung 4.25 zeigt Befunde, die ebenfalls unspezifisch sind, aber größere lokalisatorische
Bedeutung haben. Auf beiden Seiten finden sich intakte Wellen I–III, dann allerdings eine Amplitudenminderung des IV–V Komplexes (links) und rechts zusammen mit einer Desynchronisation bzw. Auftreten neuer Generatoren. Dies weist auf eine Läsion rostral der kochleären Kerne hin.
Raumfordernde Prozesse im Kleinhirnbrückenwinkel und Hirnstamm Raumfordernde Prozesse des Hirnstamms und im Kleinhirnbrückenwinkel stellen die wichtigste Indikation zur Ableitung der AEHP dar. Die Erwartung, mit dieser Methode könne entsprechend der funktionellen Störung des AEHP eine exakte Lokalisation der raumfordernden Prozesse erfolgen, ist jedoch nicht zu erfüllen. Dagegen kann zumindest in Frühstadien ein intraaxial wachsender Tumor von einem Kleinhirnbrückenwinkeltumor unterschieden werden. Gerade im Bereich des Hirnstamms ist eine sinnvolle Kombination elektrophysiologischer, bildgebender, radiologischer, neurologischer und otologischer Verfahren notwendig, damit diagnostische Sicherheit gewährleistet ist. Zum Nachweis von Hirnstammtumoren und ihrer Zuordnung zu den AEHP existiert eine umfangreiche Literatur (Starr u. Achor 1975; Starr u. Hamilton 1976; Stockard u. Rossiter 1977; Maurer et al. 1979; Stockard u. Sharborough 1980; Kjaer 1980a; Eggermont u. Don 1986; Bockenheimer et al. 1984; Bonafé
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
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b ⊡ Abb. 4.21a–c. 53-jährige Patientin mit Encephalomyelitis disseminata (nach McDonald-Kriterien). a Die AEHP zeigen schwerwiegende Veränderungen nach Stimulation rechts mit gut abgrenzbarem Peak I und danach schlechter Abgrenzung der nachfolgenden Peaks und einem Peak V, der allenfalls bei 7 ms vermutet werden kann. Nach Stimulation links sind die ipsilateral ableitbaren Potenziale rechts schlecht ausgeprägt. Es lassen sich jedoch sehr gut die Peaks I, II und III abgrenzen,
wobei offensichtlich auch kontralateral auf dem Niveau der oberen Olive eine Verzögerung auftritt. Im Folgenden finden sich nur schwer beurteilbare Potenziale mit einem völlig desynchronisierten IV/V-Komplex. b Die Abbildungen zeigen einerseits die magnetresonanztomographisch nachweisbare Läsion im Pons rechts, schematisch etwas vereinfachend in Bezug zur Hörbahn eingezeichnet. c Schematische Darstellung des Läsionsortes mit Bezug zur Hörbahn
399 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 4.22. 20-jähriger Mann mit Encephalomyelitis disseminata und beidseits pathologischen InterPeak-Latenzen I–V sowie rechts auch I–III
⊡ Abb. 4.23. 49-jähriger Mann mit Encephalomyelitis disseminata und beidseits schwerst veränderten AEHP links mit Abbruch nach Peak II und rechts Abbruch nach Peak III und verlängerter IPL I–III
⊡ Abb. 4.24. 25-jährige Patientin mit Encephalomyelitis disseminata, normalen Latenzen links, dazu allerdings eine Amplitudenminderung des IV–V Komplexes, rechts Abbruch der Potenziale nach Peak II. Ein derartiger Befund spricht für eine Läsion im Bereich der mittleren Brücke rechts
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.25. 18-jährige Frau mit wahrscheinlicher MS. Links besteht eine eindeutige Amplitudenminderung des IV–V Komplexes, während rechts nach normalen Peaks I-III sowohl eine leichte Amplitudenminderung auffällt als auch eine ungewöhnliche Konfiguration als Ausdruck der Veränderung von Dipolgeneratoren in der Brücke
et al. 1985; Clemis u. McGee 1979; Clemis u. Mitchell 1977; Eggermont et al. 1980; Hart et al. 1983; Maurer et al. 1982; Robinson u. Rudge 1983; Selters u. Brackmann 1977; Thomson et al. 1982). Kleinhirnbrückenwinkeltumoren. Neben der Reintonaudiometrie, der kalorischen Vestibularisprüfung, Röntgenaufnahmen der Felsenbeine nach Stenvers, der Magnetresonanz- und der Computertomographie stellen die AEHP eine wichtige Untersuchungsmethode in der Frühdiagnostik des Akustikusneurinoms und anderer Kleinhirnbrückenwinkeltumoren dar. Maurer et al. (1979, 1982) und Chiappa (1982) fanden bei Anwendung der AEHP als Screening-Test praktisch keine falsch-negativen Ergebnisse. Auch Rosenhamer (1977), Selters u. Brackmann (1977), Bockenheimer et al. (1984), Bonafé et al. (1985), Clemis u. Mitchell (1977) beschrieben sehr hohe Trefferquoten, jedoch gelegentlich falsch-negative Befunde. Umgekehrt muss in etwa 30% mit falsch-positiven Befunden (pathologische AEHP) gerechnet werden, weshalb dann andere Hirnstammprozesse ausgeschlossen werden müssen. Stockard et al. (1980) fassen die bei Akustikusneurinomen vorkommenden AEHP-Veränderungen wie folgt zusammen: Am häufigsten treten ipsilaterale Verzögerungen der Latenzen ab Peak I oder II mit nachfolgend schlechter Ausprägung der Potenziale auf. Ipsilateral können sämtliche Poten-
ziale fehlen oder schlecht ausgeprägt sein. Kontralateral zur Tumorseite kommt es in vielen Fällen zu Veränderungen der Inter-Peak-Latenzen III–V. Veränderungen der AEHP bei Kleinhirnbrückenwinkeltumoren wurden verschiedentlich nach Ausfalltypen klassifiziert (Maurer et al. 1982). Dies bedeutet unseres Erachtens keinen wesentlichen Informationsgewinn, da die Korrelation zu Tumorgröße, -art und klinischer Symptomatik gering ist. Wichtiger erscheint der sich implizit schon aus früheren Arbeiten ergebende Hinweis, dass sog. falsch-negative Befunde zumindest bei intrameatal wachsenden Tumoren, die bekanntlich meist von der vestibulären Portion ausgehen, vorkommen. Infolgedessen ist bei anhaltend verdächtiger Symptomatik eine Kontrolle und weitere Diagnostik mit Audiometrie, kalorischer Vestibularisprüfung, Luftmeatographie und ggf. Magnetresonanztomographie mit Gadolinium unerlässlich (Buettner et al. 1988). ⊡ Abbildung 4.26 zeigt das Beispiel eines 29-jährigen Mannes, der wenige Monate vor der Diagnostik kurze Schwindelattacken mit Gangataxie hatte, und der auch bei stationärer Aufnahme bis auf diese Symptomatik neurologisch unauffällig war. Die intensive Diagnostik ergab, wie in ⊡ Abb. 4.26a, b erkennbar, sowohl bei der Luftmeatographie als auch bei der Magnetresonanztomographie mit Gadolinium den Nachweis beidseits intrakanalikulär
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b ⊡ Abb. 4.26. a Computertomographie – Luftmeatographie bei einem 29-jährigen Mann mit beidseitig vorwiegend intrakanalikulär wachsendem Akustikusneurinom (Pfeile).
b Magnetresonanztomographie bei gleichem Patienten zeigt ohne (links) und nach Gadoliniumgabe (rechts) entsprechend der Computertomographie die beidseitigen Tumore
wachsender Akustikusneurinome. ⊡ Abbildung 4.27 zeigt das dazugehörige Audiogramm, das ebenfalls für ein Akustikusneurinom völlig untypisch ist. Es fand sich allenfalls auf dem rechten Ohr eine leichte Tieftonsenke. Der Stapediusreflex war normal. Die AEHP (⊡ Abb. 4.28) wiesen auch nach zahlreichen Kontrollen normale Potenziale auf. Die IPL I–III auf der linken Seite war in allen Kontrollableitungen an der obersten Normgrenze, wurde jedoch jeweils als normal beurteilt. Rechts ergaben sich keinerlei Auffälligkeiten. Schließlich wurde das Akustikusneurinom zunächst rechts operiert, ohne dass es zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Hörvermögens gekommen ist. Die postoperativ abgeleiteten Potenziale waren links erwartungsgemäß unverändert, rechts in Amplitude und Latenz eher verbessert. Dieses lehrreiche Beispiel macht deutlich, dass man
sich in der Diagnostik von raumfordernden Prozessen der hinteren Schädelgrube nicht auf eine einzelne Methode verlassen darf, auch wenn ihr der Ruf der »Unfehlbarkeit« vorausgeht. In den folgenden Abbildungen (⊡ Abb. 4.29– 4.34) sollen Beispiele von Patienten mit Kleinhirnbrückenwinkeltumoren gezeigt werden, um auf das Spektrum von Veränderungen hinzuweisen, das ca. 95% der Fälle abdeckt. Hierbei kam es darauf an, nachzuweisen, dass nahezu jedes denkbare pathologische Kurvenmuster auftreten kann. Hirnstammtumoren. Intraaxial gelegene Tumoren des Pons führen vorwiegend zu Verzögerungen der IPL I–V bzw. I–III und III–V bei normaler Ausprägung von Peak I. Auf den ⊡ Abb. 4.35 – 4.37 sind Beispiele für derartige Tumoren dargestellt.
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
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⊡ Abb. 4.27. Gleicher Patient wie ⊡ Abb. 4.28. Audiometrie vor und nach Operation rechts. Vor der Operation zeigt sich auf der Eingriffseite ein geringes Tieftondefizit, nach der Ope-
⊡ Abb. 4.28. AEHP vor und nach Operation rechts (gleicher Patient wie in ⊡ Abb. 4.28 und 4.29). Die Ableitungen zeigen im Wesentlichen normale AEHP auf beiden Seiten, wobei einzig eine grenzwertige IPL I–III auf der linken Seite auffällig ist. Die Seitendifferenz der IPL I–III ist ebenfalls im obersten Grenzbereich. Nach Operation eines Akustikusneurinoms sind die Potenziale besser ausgeprägt und die Latenz kürzer, insbesondere die des Peak I
ration ein pankochleärer Hörverlust von 40 dB auf der rechten Seite. Der Stapediusreflex war normal
403 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
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⊡ Abb. 4.29. 22-jähriger Mann mit einem kleinen Akustikusneurinom rechts. Die Ableitung der linken Seite ist normal. Rechts ist die IPL I–III auf 3 ms verlängert, links mit 1,9 ms normal. Hierdurch bedingt kommt es auch zu einer Verlängerung der IPL I–V
⊡ Abb. 4.30. 24-jähriger Mann mit einem 3 cm im Durchmesser betragenden Akustikusneurinom auf der linken Seite, dort pathologische Veränderungen mit Fehlen der Potenziale nach Peak II. Auf der rechten Seite findet sich eine leicht verlängerte IPL I–V
Bemerkenswert sind die insgesamt unspezifischen, z. T. schweren Veränderungen der Potenziale, wobei jedoch in allen Fällen zumindest der Peak I normal war. Im Fall der ⊡ Abb. 4.36 mit Ausfall sämtlicher Potenziale nach Peak I bzw. II hätte man zunächst an einen Kleinhirnbrückenwinkeltumor und nicht an einen diffus infiltrierenden Tumor gedacht.
Gefäßmalformationen Möglicherweise häufiger als bisher bekannt, führen Gefäßmalformationen in der hinteren Schädel-
grube zu pathologischen Veränderungen der AEHP. Irrtümlich können ischämische Gefäßprozesse des Hirnstamms oder der Kleinhirnbrückenwinkelprozesse angenommen werden. Dies geschah bei dem einzigen, unseres Wissens vor 1983, beschriebenen Fall einer aneurysmatisch erweiterten Basilararterie (Stockard et al. 1980), was zu Veränderungen der AEHP geführt hat. Insbesondere durch Jannetta (1966, 1977) und Jannetta u. Rand (1967) wurde die Vorstellung von Dandy (1934) wieder aufgegriffen, dass Krankheitsbilder wie Fazialisspasmus, Trigeminusneuralgie
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.31. 63-jährige Frau mit einem 1 cm im Durchmesser betragenden Akustikusneurinom links. Fehlen sämtlicher Potenziale nach Peak I bzw. Nichtbeurteilbarkeit der folgenden Komponenten. Normalbefund auf der rechten Seite
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⊡ Abb. 4.32. 29-jähriger Mann mit einem Akzessoriusneurinom links. Auf der linken Seite pathologische Veränderungen mit erhaltenem Peak II, verlängerter IPL I–III und praktisch fehlenden späteren Komponenten. Rechts normale Potenziale
und Hörstörungen durch abnorm verlaufende bzw. elongierte ektatische Gefäße und deren Druck auf Nervenwurzeln zurückzuführen seien. Seitdem bei Patienten mit Fazialisspasmus und Trigeminusneuralgie regelmäßig evozierte Potenziale abgeleitet werden (Trigeminus-SEP und AEHP), konnte in einigen Fällen, bei denen im weiteren diagnostischen Ablauf und teilweise intraoperativ eine Gefäßanomalie erkannt wurde, ein pathologisches AEHP registriert werden, so dass diese nichtinvasive Methode bei den genannten Krankheitsbildern diagnostisch hilfreich sein kann (Buettner et al. 1983).
Die ⊡ Abb. 4.38 zeigt im wesentlichen eine deutliche Verzögerung der IPL I–III und z. T. konsekutive Verlängerung auch der IPL I–V. Ein derartiger Befund ist gut vereinbar mit dem vermutlich pathophysiologisch zugrundeliegenden Prozess an der Nervenwurzel. Bei AEHP-Veränderungen, die denen bei Kleinhirnbrückenwinkeltumoren ähneln,müssen Malformationen der Gefäße in der hinteren Schädelgrube mit in Betracht gezogen werden. Möglicherweise gehören in diese Gruppe jene 5% der von Chiappa (1982) berichteten falsch-positiven AEHP-Befunde mit Verlängerung der Inter-Peak-Latenzen I–III.
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⊡ Abb. 4.33a–c. 59-jähriger Patient mit Akustikus-Neurinom links. a Es zeigen sich auf der rechten Seite normale akustisch evozierte Hirnstammpotenziale sowohl in Latenz wie mit einer Interpeaklatenz I–V von 3,8 ms und einer noch normalen Amplitudenrelation IV–V/I. Nach Stimulation links kommt ein sicherer Peak I zur Darstellung. Die übrigen Komponenten sind nicht sicher zuzuordnen. Es ist zu einer ausgeprägten Amplitudenminderung und Desynchronisation aller folgenden Potenziale gekommen. Der Peak II ist allenfalls noch nachweisbar. b MRI sowohl in T1- wie T2-Gewichtung zeigt eine große Raumforderung im Kleinhirnbrückenwinkel links ca. 2–3 cm im Durchmesser und Kompression des Hirnstammes. c Schematische Darstellung des Läsionsortes und wahrscheinlicher Beziehung zur Hörbahn
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
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⊡ Abb. 4.34a–c. 71-jährige Patientin mit einem Kleinhirnbrückenwinkel-Tumor links. a Bei der Ableitung der AEHP rechts ergeben sich keine Besonderheiten. Die Latenzen, Interpeaklatenzen und Amplitudenrelationen sind in der Norm. Bei Ableitung links finden sich nur sehr schlecht reproduzierbare Potenziale, wobei auch der Peak I nicht sicher identifiziert ist. Möglicherweise handelt es sich um einen Peak I bei etwa 2,7 ms. Ein möglicher Peak V liegt bei 7,9 ms, damit ergäbe sich eine verlängerte Interpeaklatenz und auch eine Verschiebung sämtlicher Potenziale zu späteren Latenzen hin. b MRI axial und koronar mit Darstellung der rundlichen 2–3 cm im Durchmesser betragenden Kontrastmittel aufnehmenden Raumforderung im linken Kleinhirnbrückenwinkel. c Die schematische Darstellung zeigt die Beziehung des Tumors zur Hörbahn
407 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 4.35. 25-jähriger Mann mit einem Medulloblastomrezidiv. Der Tumor wuchs unterhalb des Ponsniveaus vorwiegend intramedullär und im IV. Ventrikel. Die AEP zeigen deutliche IPL I–III-Verlängerungen beidseits bei im übrigen unauffälligem Befund
⊡ Abb. 4.36. 25-jährige Frau mit einem Astrozytom Grad II des Hirnstamms. Rechts sind die Potenziale nach Peak I schlecht bzw. gar nicht erkennbar. Links findet sich eine pathologische IPL I–V sowie eine pathologische Amplitudenminderung des IV–V Komplexes
⊡ Abb. 4.37. 55-jährige Frau mit 3 Metastasen der rechten Kleinhirnhemisphäre und Kompression des IV. Ventrikels von dorsolateral. Rechts finden sich pathologische IPL I–III bzw. I–V, links eine pathologische Amplitudenminderung des IV–V Komplexes bei im übrigen gut ausgeprägten Potenzialkomponenten
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.38. 53 Jahre alter Mann mit einem Hemispasmus facialis links. Die IPL I–III auf der linken Seite beträgt 2,6 und auf der rechten Seite 2,4 ms. Somit besteht auf der linken Seite eine deutliche Latenzverzögerung
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Hirnstammischämien Regionale Durchblutungsstörungen des Hirnstamms führen nur zu AEHP-Veränderungen, wenn sie die auditorische Afferenz im Pons oder im Mesenzephalon einbeziehen. Die pontinen Kerne und Bahnen des Hörsystems liegen dorsal in unmittelbarer Nachbarschaft des 4. Ventrikels, während sich z. B. die langen motorischen und somatosensiblen Bahnen weiter ventral befinden. Ein ischämischer Insult mit motorischen oder sensiblen Ausfallserscheinungen geht daher nicht notwendigerweise mit AEHP-Veränderungen einher. Nach Untersuchungen am Tier (Sohmer et al. 1986) können die Folgen eines primär hypoxischen Hirnschadens (Beeinträchtigung aller Wellen; s. Brunko et al. 1985) und die eines Abfalls des arteriellen Mitteldrucks (rostro-kaudal zunehmende Pathologie) unterschieden werden. Trotz einer
⊡ Abb. 4.39a
Reihe klinischer Untersuchungen, welche auf die diagnostische Bedeutung bei Hirnstammischämien hinweisen (Starr u. Hamilton 1976; Kjaer 1980 a; Gilroy et al. 1977; Ferbert et al. 1988; Ferbert und Buchner 1991; Kaji et al. 1985; Stern et al. 1982) sind die Veränderungen meist unspezifisch. ⊡ Abbildung 4.39 demonstriert eine Läsion der Hörbahn im Tegmentum der Brücke auf dem Niveau kreuzender Bahnen. Auffällig ist u.a. die völlige Desynchronisation der Potenziale, die auf Cavernom, Blutung und Operation zurückzuführen sein dürfte. In ⊡ Abb. 4.40 ist eine umschriebene kleine ischämische Läsion nachweisbar, die zu deutlichen Veränderungen der Peaks IV/V führt. Die Läsion ist vermutlich in den Bereich des linken Lemniscus lateralis zu lokalisieren und umfasst sowohl eine Amplitudenminderung des IV/V-Komplexes nach
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⊡ Abb. 4.39a–c. 44-jährige Patientin mit einem Cavernom, das präoperativ im Tegmentum der linken Brücke lokalisiert war. a Die Bilder geben den Zustand nach Exstirpation des Cavernoms wieder, nachdem dieses wiederholt geblutet hatte. Die AEHP zeigen eine sehr schlechte Ausprägung, so nach Stimulation rechts nur sehr unsicher erkennbare Peaks. Zumindest Peak I, III und V lassen sich zuordnen. Der IV/VKomplex ist aufgesplittert. Eine sichere Pathologie ergibt sich jedoch nicht. Auf der linken Seite sind die Potenziale ebenfalls sehr schlecht evoziert und sicher reproduziert nur ein Peak I und V, jedoch mit normalen Latenzen und Interpeaklatenzen. Insofern ergibt sich kein pathologischer Befund. b MRI mit axialen und koronaren Flair und Kontrastmittelsequenzen. Die Läsion in dem Tegmentum der linken Brücke ist als hypointense Läsion zu erkennen. c Die schematische Abbildung zeigt die Beziehung des Läsionsortes zur Hörbahn
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
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411 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 4.41a, b. 54-jähriger Patient mit Basilaristhrombose und dem klinischen Syndrom eines Locked-in-Syndroms. a Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale nach Stimulation rechts mit guter Ausprägung von I–III und deutlicher Amplitudenminderung und Verzögerung des IV/V-Komplexes nach Stimulation rechts. Auf der linken Seite Nachweis von
⊡ Abb. 4.40a–d. 59-jährige Patientin mit pontomesenzephaler Ischämie links nach Rezidivoperation nach Jannetta bei vorbestehender Trigeminusneuralgie. a AEHP nach Stimulation rechts mit gut ausgeprägtem Peak I und schlecht reproduzierbarem Peak V, der bei 6,6 ms pathologisch verzögert ist. Die Annahme, dass der mit einem vertikalen Strich versehene Peak tatsächlich Peak V ist, gründet darauf, dass die Interpeaklatenz III–V Minimalwerte von 1,3 ms sicher nicht unterschreiten sollte. Eine Interpeaklatenz zwischen III und IV mit 1,2 ms ist für die Annahme eines hier lokalisierten V Peak zu kurz. Nach Stimulation links deutliche Verzögerung der Interpeaklatenz I–V mit 5,1 ms und zudem auch noch Amplitudenminderung des IV/V-Komplexes gegenüber I. Die Bildgebung zeigt die sehr umschriebene ischämische Läsion in b–d
4
Peak I–III und vermutlich deutlicher Verzögerung von V. Derartige Befunde weisen auf eine pontine Schädigung der Hörbahn hin. b Die Computertomogramme zeigen die Hypodensität als Korrelat der überwiegend rostralen basilären Durchblutungsstörung
Stimulation links, wie eine sehr schlechte Ausprägung des Peak V nach Stimulation rechts. Basiläre Durchblutungsstörungen wie in den ⊡ Abb. 4.41 und 4.42 können sehr unterschiedliche Veränderungen in den akustisch-evozierten Hirnstammpotentialen hervorrufen. Diese können zu lokalisierbaren Veränderungen führen wie in ⊡ Abb. 4.41 oder aber eher zu diffusen Veränderungen mit deutlich verschlechtert auslösbaren Potenzialen.
412
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4
a
b
c
⊡ Abb. 4.42a–c. 69-jähriger Patient mit einer Basilaristhrombose und Zustand nach lokaler Lyse-Therapie. a AEHP mit sehr schlecht ausgeprägten akustisch evozierten Hirnstammpotenzialen. Nach Stimulation rechts reproduzierbar Peak I, III und V mit deutlicher Verlängerung der Interpeaklatenz sowohl I–III als auch I–IV. Nach Stimulation links mit ausreichender Sicherheit nur ein Peak V nachweisbar. Ein derartiger Befund weist auf eine diffuse Schädigung der Hörbahn hin, wobei die Funktion offensichtlich zumindest teilweise erhalten ist. b, c Computertomographische Darstellungen der vorwiegend in den distalen Abschnitten des Versorgungsbereiches der A. basilaris nachweisbaren hypodensen Bezirke
413 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
4
⊡ Abb. 4.43. 43-jährige Frau mit pontomesenzephaler Blutung. Im AEHP links Veränderungen ab Peak II mit Verlängerung der IPL I–III und Abbruch der darauf folgenden Potenziale sowie rechts einer Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes und einer IPL I–V Verlängerung
Blutungen im Bereich des Hirnstamms. Bezüglich
der AEHP bei Hämorrhagien gibt es zahlreiche Einzelbeschreibungen. Primärlokalisation und Sekundärwirkungen bestimmen die vielfältigen Varianten möglicher AEHP-Veränderungen (Ferbert et al. 1990). Die Beispiele der ⊡ Abb. 4.43 und 4.44 zeigen jeweils schon eine Beeinträchtigung der Potenziale nach Peak III. Im Fall der ⊡ Abb. 4.43 lag eine Blutung im Bereich des kranialen Hirnstamms mit neurologischen Ausfällen im Bereich des linken N. trigeminus, einer Abduzens- und Fazialisparese sowie einer gleichseitigen Anakusis vor. Die AEP weisen einen Abbruch nach Peak III (kochleärer Kern) links und eine Verlängerung der IPL I–V rechts mit Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes auf. ⊡ Abbildung 4.44 zeigt die Folgen einer traumatischen mesenzephalen Blutung. Schwere einseitige Hörstörungen sind selten zentral und nur bei Schädigungen in der Eintrittszone des Nervs in den Hirnstamm zu erwarten. Das Beispiel der ⊡ Abb. 4.45 zeigt eine thalamische Blutung links mit Ventrikeleinbruch und Tamponade. Die Potenziale nach Stimulation rechts sind gut ausgeprägt, während links eine Zuordnung kaum möglich ist. Der wahrscheinlichste Ort der Läsion ist sicher im Bereich des Mittelhirns, andererseits möglicherweise aufgrund der Ventrikeltamponade auch im Bereich der linken pontinen Hörbahn. Eine intrakranielle Drucksteigerung im Gefolge einer Meningoenzephalitis führt präfinal
auch zu einem Ausfall der AEHP. Im vorliegenden Fall ( s. Abb. 4.46) zeigt die Erhaltung einzelner Peaks eine Restfunktion des Hirnstammes an.
Überwachung von Operationen in der hinteren Schädelgrube Verschiedentlich wird neuerdings eine Überwachung der Hirnstammfunktion durch AEHP bei Operationen in der hinteren Schädelgrube befürwortet (Hashimoto et al. 1980; Chiappa 1982; Bertrand et al. 1987; Krieger et al.1993). Insbesondere bei Operationen im Kleinhirnbrückenwinkel, bei denen ein wichtiges Ziel die Erhaltung der Hörfunktion ist, kann die intraoperative Ableitung von AEHP nützlich sein (Grundy et al. 1982). Auf mögliche Temperatureffekte während Hypothermie bei Operationen ist schon verwiesen worden.
Rolle der AEHP (FAEP) bei bildgebend unzureichend darstellbaren Erkrankungen AEHP-Abnormalitäten weisen, wie aus den vorangegangenen Kapiteln hervorgeht, keine Spezifität für einen bestimmten Krankheitsprozess auf, sondern spiegeln allenfalls deren Lokalisation wieder. So erklären sich auch zahlreiche Befunde über pathologische AEHP bei sehr verschiedenen Erkrankungen. Bei spinozerebellären Systemerkrankungen (z. B. Friedreich-Ataxie) sowie progredienten Polyneuropathien [z. B. hereditäre motorische und sensible Neuropathie (HMSN I–III)] sind in einem hohen Prozentsatz pathologische AEHP beschrieben worden (Stockard u. Sharbrough 1980;
414
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.44. 32-jähriger Mann mit posttraumatischer mesenzephaler Blutung und Amplitudenminderung der IV-V Komplexe beidseits
4
Satya-Murti et al. 1980; Satya-Murti u. Cacace 1982; Jabbari et al. 1983; Amantini et al. 1984; Schäfer u. Stober 1985). Satya-Murti et al. (1980) und MüllerFelber et al. (1993) geben die Häufigkeit pathologischer AEHP bei der Friedreich-Ataxie und der neuralen Muskelatrophie (HMSN) jeweils mit 100%, für andere progrediente Polyneuropathien mit 50% an. Eigene Untersuchungen an 12 Patienten mit neuraler Muskelatrophie (HMSN I und II) zeigten in vier Fällen eine verlängerte Latenz I–II bzw. I–V ( s. Garg et al. 1982). Bei HMSN III wurden sowohl zentrale als auch periphere Veränderungen der Hirnstammpotenziale gefunden (Baiocco et al. 1984). Untersuchungen der Dystrophia myotonica zeigten in einem hohen Prozentsatz (53%) pathologische AEHPBefunde (Zeitlhofer et al. 1986; Huygen et al. 1994). Auch Patienten mit zerebellärer Ataxie und Multisystemerkrankungen haben häufig pathologische Amplitudenminderungen sämtlicher pontiner Komponenten oder zumindest des IV–V-Komplexes (⊡ Abb. 4.47 u. 4.48) ( s. Uematsu et al. 1987; Prasher u. Bannister 1986). Mitochondriale Zytopathien weisen in unterschiedlichem Ausmaß Veränderungen der elektrophysiologischen Untersuchungstechniken auf. Für die AEHP werden unterschiedliche Sensitivitäten zwischen 50 und 100% berichtet (Lupo et al. 1992; Sartucci et al. 1993). Auch andere chronisch degenerative Prozesse des Zentralnervensystems, in denen die weiße Substanz
betroffen ist, zeigen pathologische Veränderungen der AEHP. Untersucht wurden bisher Patienten mit Adrenoleukodystrophie (Black et al. 1979; Markand et al. 1980; Grimes et al. 1983) sowie mit der Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit und Metachromatischer Leukodystrophie (Markand et al. 1980). Die ⊡ Abb. 4.49 zeigt Befunde bei einer Patientin mit Huntington-Chorea, wobei sich als wesentlich eine deutliche Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes auf der linken Seite darstellt. Von anderen Autoren (Bollen et al. 1986) wurden dagegen auch Latenzverzögerungen beschrieben. Bei der zentralen pontinen Myelinolyse wurden verschiedentlich pathologische AEHP abgeleitet (z. B. Stockard et al. 1976). Rosenhamer u. Silfverskjöld (1980) untersuchten Alkoholkranke, die einen ausgeprägten feinschlägigen Extremitätentremor zeigten, und fanden bei 10 von 13 Patienten verlängerte IPL (I-V), womit auch die Beteiligung extrazerebellärer Strukturen nachgewiesen war. Beim Stilling-Türk-Duane-Retraktionssyndrom wiesen pathologische AEHP bei 9 von 14 Patienten mit Verlängerung der Inter-Peak-Latenzen I–III (Jay u. Hoyt 1980) auf eine pontine Läsion hin. Meningitiden mit bevorzugtem Befall des Hirnstamms, wie die Neurobrucellose führen nach ersten Berichten zu AEHP-Veränderungen, die mit der Schwere der Erkrankung gewisse Korrelationen aufweisen (Yaqub et al. 1992).
415 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
4
a
b
c
⊡ Abb. 4.45a–c. 54-jährige Patientin mit einer intrazerebralen Blutung im linken Thalamus und Ventrikeleinbruch. a Nach Stimulation rechts reproduzierbare Peaks I–V mit einer Interpeaklatenz I–V von 4,4 ms an der obersten Normgrenze. Nach Stimulation links nur fraglich ein Peak V bei 6,2 ms nachweisbar. Auffällig die schlechte Ausprägung der Potenziale nach Stimulation links. Insofern auffälliger, aber nicht sicher pathologischer Befund. b, c Computertomographischer Nachweis der ausgedehnten Blutung im Thalamus mit Beeinträchtigung des Mittelhirnes und Tamponade des vierten Ventrikels. Der Läsionsort der Hörbahn muss sehr wahrscheinlilch im Bereich des Mittelhirnes angenommen werden
416
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4
a
b ⊡ Abb. 4.46a, b. 45-jähriger Mann mit progressivem generalisierten Hirnödem und schwerer intrakranieller Druckerhöhung auf 60 mmHg im Gefolge einer Meningoenzephalitis. a AEHP nach Stimulation links. Fraglich Nachweis eines Peaks V mit deutlich verzögerter Latenz bei 7 ms, sonst keine weiteren Peaks nachweisbar. Nach Stimulation rechts Peak III und IV/V-Komplex mit massiver Verzögerung nachweisbar. Die pathologischen Veränderungen des AEHP zeigen nicht
das typische Muster einer rostrokaudalen Ausdehnung bei primär supratentorieller Schädigung, sondern sprechen eher für ein generalisiertes Hirnödem mit früher Beteiligung pontomesenzephaler Strukturen. b Die computertomographische Darstellung zeigt das generalisierte Ödem und die typischen parenchymalen Veränderungen im Gefolge einer schweren Hypoxämie
Zusammenfassende Einschätzung der klinischen Bedeutung von FAEP und AEHP
AEHP ergeben sich ausschließlich durch Läsion der auditorischen Afferenz; dennoch ist ihr Einsatz als Begleit- oder Suchdiagnostik bei Erkrankungen, die mit Schwindel und Ataxie einhergehen, sinnvoll: 1. Diagnostik von Kleinhirnbrückenwinkelprozessen (Sensitivität ca. 95%) 2. Encephalomyelitis disseminata (Sensitivität ca. 40–50%); Lokalisation des Herds
Es wird deutlich, dass die AEHP nur ein Mosaiksteinchen in der neurologischen Diagnostik darstellen. AEHP stellen keinen direkten Marker für Schwindel und Ataxie dar. Pathologische Veränderungen der
417 4.4 · Frühe akustisch evozierte Potenziale
4
⊡ Abb. 4.47. Zwei Patienten mit oligopontozerebellärer Atrophie. Die beim Patienten A praktisch aufgehobenen AEPH sichern eine schwere pontine Schädigung, während es bei Patient B in einem deutlich früheren Stadium der Erkrankung nur diskrete Hinweise auf eine pontine Beteiligung gibt. Diese bestehen in einer Amplitudenminderung des IV–V-Komplexes links
⊡ Abb. 4.48. 29-jähriger Mann mit spinozerebellärer Ataxie (genetisch SCA 7). AEHP sowohl nach Stimulation rechts wie links mit Nachweis zumindest dreier Komponenten, die nach Stimulation links dem Peak I, II und III zugeordnet werden können. Die Latenzen sind für Peak III deutlich verzögert. Ein
IV/V-Komplex ist nachweisbar desynchronisiert und verzögert. Nach Stimulation rechts ebenfalls massive Veränderung von AEHP-Peaks. Die Kennzeichnung ist rein tentativ und die Zuordnung unsicher. Es handelt sich jedoch zweifellos um einen Prozess mit ausgeprägt demyelinisierender Pathologie
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Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
4
⊡ Abb. 4.49. 26-jährige Frau mit einer Huntington Chorea. Die AEHP zeigen eine IV–V/I-Amplitudenminderung links auf
3. Hirnstammischämien; je nach Ausmaß und Lokalisation der Ischämie unterschiedliche Angaben zur Sensitivität (40–80%) 4. Multisystemerkrankungen; AEHP wichtig zum Nachweis der Brückenbeteiligung 5. Neuronitis vestibularis und Labyrinthausfall; wichtige Zusatzuntersuchung, meist normale AEHP, in der Literatur bis zu 40% pathologische AEHP bei Neuronitis vestibularis
Die Fülle von Befunden, die sich bei der Ableitung von FAEP und BAEP bei verschiedensten Krankheitsbildern ergeben, erlaubt nur in den seltensten Fällen sog. typische Kurvenveränderungen hervorzuheben wie z. B. Befunde bei Prozessen im Kleinhirnbrückenwinkel oder bei Schädigung in der Region der cochleären Kerne. Wichtiger als die Zuordnung von pathologischen Kurven zu Krankheitsentitäten ist der Nachweis einer Funktionsstörung im Verlauf der Hörbahn, womit die Stärke der elektrophysiologischen Untersuchung, unterstrichen werden soll. Die Möglichkeit mittels FAEP bzw. BAEP auch Lokalisationsdiagnostik zu betreiben, tritt demgegenüber in den Hintergrund.
4.5
AEP mittlerer Latenz (MAEP)
Die AEP mittlerer Latenz (MAEP; 10–50 ms) sind schematisch in ⊡ Abb. 4.8 dargestellt. Sie wurden schon wesentlich früher entdeckt und beschrieben als die AEHP. Geisler et al. (1958) beschrieben Potenziale mit einer Latenz von 8–30 ms, die sie zunächst als neurogen deuteten. Später (Bickford et al. 1963a, b; Cody u. Bickford 1969) wurde deutlich, dass zumindest ein Teil der dargestellten Potenziale myogenen Ursprunges ist. Die Nomenklatur dieser Wellen N0, P0, Na, Pa und Nb geht auf Goldstein u. Rodman (1967) zurück. Davis (1965 a) nannte diese Potenziale »sonomotor responses«. Die in Kap. 4.5.1 ausführlich besprochenen myogenen Antworten sind mit der Methode der »crossed acoustic response« (Douek et al. 1973; CliffordJones et al. 1979; Dus u. Wilson 1975) zu klinischer Anwendung gelangt, während die neurogenen Anteile der Antwort bisher weitgehend unerforscht sind. Picton et al. (1974) und Robinson u. Rudge (1977) ordneten N0, P0, Na den Generatoren im Thalamus und Kortex zu (Scherg 1991). Davis (1976) und andere Autoren halten für wahrscheinlich, dass neurogene und myogene Antworten sich unter den üblichen Untersuchungsbedingungen weitgehend überlagern. Die Dualität der Antworten mittlerer Latenz ist auch von Goldstein (1965), Lowell
419 4.5 · AEP mittlerer Latenz (MAEP)
(1965), Vaughan u. Ritter (1970), Yokoyama et al. (1987) betont worden. Kortikale Oberflächenableitungen während Operationen unterstützen die Annahme der neurogenen Genese zumindest von Pa (Ruhm et al. 1967; Hashimoto 1982; Lee et al. 1984).
4.5.1 Myogene Reflexanteile Es ist unumstritten, dass nach akustischer Reizung von der Kopfhaut, je nach Elektrodenlokalisation und Entspannung der Versuchsperson, verschiedene Muskelantworten nach akustischer Reizung erhalten werden können (Kiang et al. 1963; Cody et al. 1964; Yoshie u. Okudaira 1969; Meier-Ewert et al. 1974). Diese werden im Folgenden dargestellt. Inionantwort. Mit einer aktiven Elektrode an der
okzipitalen Protuberanz kann ein Potenzial abgeleitet werden, das möglicherweise in der Nackenmuskulatur entsteht. Es ist unwahrscheinlich, dass es sich dabei um einen Reflex handelt, der ausschließlich das auditorische System als Afferenz benutzt, da er auch bei tauben Patienten mit intaktem vestibulären System abgeleitet wurde (Cody et al. 1964; Townsend u. Cody 1971; Gibson 1974). Das hervorstechendste Potenzial hat eine inion-negative Latenz von etwa 30 ms. Bickford (1966) fand eine Inionantwort auf taktile Reize hin, so dass es sich um eine polymodale Reflexantwort handeln könnte. Das Reflexpotenzial ist stark abhängig von der Muskelvorspannung. Eine klinische Anwendung hat die Inionantwort nicht erfahren.
4
dergegeben werden. Genannt werden nur die Änderungen gegenüber Abschnitt 4.2. Die allgemeinen Untersuchungsbedingungen sind bei beiden Ableitungen verschieden. Zur Untersuchung des MAEP ist es wichtig, insbesondere Kiefer- und Gesichtsmuskulatur gut zu entspannen, während bei der Untersuchung des PAR eine Vorinnervation erwünscht ist. Als Stimulationsfrequenz werden Werte zwischen 5–10 Hz bei einer Analysezeit von 50 ms und einer Filtereinstellung von 10 (20)–1000 Hz gewählt. Bei der Auswertung ist zunächst darauf zu achten, ob ein relevanter PAR auftritt, sodann werden die Latenzen N0, P0, Na und Pa ausgemessen. Der typische Reflex (⊡ Abb. 4.50, 4.54, 4.55) besteht in einer scharfen positiv-negativen Potenzialschwankung (vertexpositiv – CZ gegen Mastoid), die mit einer Latenz von 12–15 ms entsprechend etwa P12, N15 ipsi- und kontralateral auftritt. Auch diese Reflexantworten hängen stark von Muskel-
a
Postaurikularisreflex. Der Postaurikularisreflex
(PAR), im Tierreich wahrscheinlich ein Reflex zur Optimierung der Richtcharakteristik des Ohrs, wird mit einer aktiven Mastoidelektrode am besten unmittelbar über dem gleichnamigen Muskel abgeleitet. Er ist in seiner Amplitude sehr variabel und habituiert in wechselndem Ausmaß; wie bei allen transkutan abgeleiteten Muskelpotenzialen hängt die Amplitude stark von der Elektrodenlage ab (Kiang et al. 1963; Vaughan u. Ritter 1970; Streletz et al. 1977). Nachstehend soll die Methodik zur Ableitung der akustisch evozierten Potenziale mittlerer Latenz (MAEP) und des Postaurikularreflexes (PAR) wie-
b
⊡ Abb. 4.50 a, b. Variable Ausprägung des Postaurikularisreflexes. a starke Reflexantwort P0/Na. b schwache Reflexantwort P0/Na. Schematische Darstellung der bei der Bewertung der Reflexantwort eingehenden Amplitudenmaße
420
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
anspannung und Kopfposition ab. Anspannungen der Nackenmuskulatur und Kopfbeugung erhöhen die Amplitude, so dass eine Kopfwendung nach ipsilateral zu Amplitudenerhöhung und Wendung nach kontralateral zu Amplitudenminderung führt. Untersuchungen an kurarisierten Patienten (Cody et al. 1964; Graham et al. 1975) bewiesen die myogene Natur der Antwort. Jacobson et al. (1964) blockierten den N. facialis mit Lokalanästhetika und fanden gleichfalls einen Ausfall des Postaurikularreflexes. Wir versuchten, in einer Untersuchungsreihe bei Patienten mit elektromyographisch gesicherter ein- oder beidseitig kompletter peripherer Fazialisparese MAEP abzuleiten mit dem Ziel, die myogenen und neurogenen Anteile der Potenziale zu differenzieren. Diese Untersuchung (Trost 1988) zeigt, dass bei kompletter Fazialisparese der Postaurikularisreflex zwar fehlt, dass jedoch ein kleines Potenzial P0/Na in der Regel verbleibt, das somit als neurogen anzusehen ist oder aber andere Reflexbögen benutzt. Soweit bekannt, ist der Reflexbogen des Postaurikularreflexes polysynaptisch, wobei die Afferenz von der Kochlea über das primäre auditori-
sche Neuron zum kochleären Kernkomplex und von dort zum ipsi- und kontralateralen Kernkomplex der oberen Olive verläuft. Ob von hier eine direkte Verbindung zum motorischen Fazialiskerngebiet verläuft, oder ob weitere Synapsen zwischengeschaltet sind, ist nicht bekannt (⊡ Abb. 4.51). Es wurde bereits erwähnt, dass der Postaurikularisreflex variabel ist und von verschiedenen Bedingungen und Reizparametern abhängt. Muskeltonus, Aufmerksamkeit, Reizform, Reizfrequenz, Reizdauer und Reizstärke beeinflussen die Postaurikularis-Reflexantworten und sollen eingehender bei deren klinischen Anwendungen besprochen werden.
⊡ Abb. 4.51. Schema der kürzesten Bahnverbindung des ungekreuzt bzw. gekreuzt verlaufenden akustischen Postaurikularisreflexes. Die gestrichelten Verbindungen zwischen
oberer Olive und den übrigen Hirnnervenkernen sind anatomisch nicht bekannt
Temporalisreflex. Dieser Reflex soll nach Untersu-
chungen von Meier-Ewert et al. (1974) mit einer Latenz von ca. 35 ms auftreten, ausschließlich den akustischen Nerven als Afferenz benutzen und eine hohe Schwelle besitzen, so dass er in der klinischen Diagnostik nur als unerwünschter Muskelartefakt bei nicht entspannten Patienten eine Rolle spielt. Es sollte deshalb für Ableitungen der AEP auf gute Entspannung der Kiefermuskulatur geachtet werden.
4
421 4.5 · AEP mittlerer Latenz (MAEP)
⊡ Tabelle 4.5. Auswertekriterien für den Postauricularreflex; a Latenzen zur Standardabw. und Auftreten; b Seitendifferenzen der Latenzen; c Crossed Acoustic Response (CAR); d Vergleich der Latenzen bei einseitiger Ableitung und ipsi- und kontralateraler Stimulation
a. P0
x (ms)
3 SD (ms)
Auftreten (%)
ipsi
12,4
3,7
58,4
kontra
12,.6
2,9
57,1
∆ x (ms) b. P0
ispsi kontra
0,6 1,0
2,5 3,4
c. P0
Stimulation einseitig, Ableitung ipsi und kontra (=CAR)
0,9
2,3
d. P0
Ableitung einseitig, Stimulation ipsi und kontra
1,2
2,3
4.5.2 »Crossed acoustic response« Douek et al. (1973), Humphries et al. (1976) und Clifford-Jones et al. (1979) führten den bereits beschriebenen Postaurikularisreflex (P12, N15) in die klinische Diagnostik ein. Es handelt sich nicht, wie die Terminologie besagt, um eine kontralateral zur Seite der Stimulation auftretende Reflexantwort, sondern um einen sowohl ipsi- als auch kontralateral auslösbaren Reflex, eine Tatsache, die diagnostisch verwertet wird. Der Reflex ist schon nahe der psychoakustischen Schwelle auslösbar. Dies kann man für eine objektive Audiometrie v. a. bei Kindern ausnutzen (Gibson 1974). Auch bei Erkrankungen des Hirnstamms, z. B. Encephalomyelitis disseminata oder Tumoren, kann die Bestimmung der »Crossed acoustic response« (CAR) diagnostisch hilfreich sein. Die maximalen Latenzdifferenzen zwischen ipsi- und kontralateralen Ableitungen bei Reizung beider Ohren (4 Ableitungen) werden von CliffordJones et al. (1979) für Normalpersonen mit 0,6 ms (SD 0,3) angegeben. Eigene Normuntersuchungen (⊡ Tabelle 4.5) weisen jedoch eine deutlich höhere Schwankungsbreite der Mittelwerte von P0 auf als von diesen Autoren beschrieben (Trost et al. 1986).
Das Beispiel einer Patientin mit wahrscheinlicher Encephalomyelitis disseminata wird in der ⊡ Abbildung 4.52 gezeigt. Hier werden die Grenzwerte für Latenzdifferenzen von P0 überschritten. Auffällig ist die Doppelgipfeligkeit der Reflexantwort (rechts unten) als Ausdruck der Teilschädigung kreuzender Verbindungen. Wichtiger als in der Diagnostik ist der Postaurikularreflex als Quelle von Artefakten, da er aufgrund seiner gelegentlich hohen Amplitude die Ableitung der AEHP und FAEP erschwert und die Technische Assistentin zur Verzweiflung bringen kann (Beispiele ⊡ Abb. 4.54 und 4.55). Abhilfe schafft die Verkürzung des Average-Intervalls, Lagerung, Sedierung usw.
4.5.3 40-Hz-Antwort Unter der 40-Hz-Antwort versteht man ein neurogenes Potenzial, das nach »click«-Stimulation bei einer Reizfrequenz von 40 Hz optimal zur Darstellung gelangt und einer 40-Hz-Sinuswelle ähnelt (Galambos et al. 1981; Klein 1983; Spydell et al. 1985; Firsching et al. 1987). Untersuchungen an Patienten mit lokalisierten Läsionen legen eine Entstehung im Mittelhirn nahe (Spydell et al. 1985).
422
4
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Abb. 4.52. 24-jährige Patientin mit Encephalomyelitis disseminata. Die intraindividuelle Latenzvariabilität überschreitet die in der Literatur und im eigenen Normkollektiv angegebenen Grenzwerte. Der Doppelgipfel in der Ableitung rechts unten weist auf mehrere kreuzende Bahnenverbindungen hin, die durch Demyelinisierung selektiv gestört werden können
4.5.4 Neurogene kortikale
Komponenten mittlerer Latenz
⊡ Abb. 4.53. Normale Ableitung der MAEP bei einer Probandin. Dargestellt sind AEHP und MAEP in ipsi- und kontralateralen Ableitungen ohne erkennbare Überlagerung durch Reflexpotenziale. Die Amplitudenrelation zwischen den korticalen Potenzialen und den Hirnstammpotenzialen ist bei vorgegebener Technik als typisch zu bezeichnen
Es ist bisher umstritten, welche Bedeutung neurogenen Potenzialen mittlerer Latenz (MAEP; 10– 50 ms) zukommt. Bisher ist auch nicht bekannt, inwieweit die beschriebenen Reflexpotenziale neurogene Potenziale kontaminieren. Letzteres erscheint wahrscheinlich, da Reflexpotenziale trotz großer inter- und intraindividueller Variabilität eine wesentlich höhere Amplitude haben als die zu erwartenden neurogenen Potenziale. Ergänzend zu den in Abschn. 4 gemachten Ausführungen zeigen Untersuchungen an der Katze (Kaga et al. 1980) und am Menschen (Celesia et al. 1968), dass neurogene Potenziale mittlerer Latenz von der Kopfhaut ableitbar sind. In vergleichenden Untersuchungen mit Ableitungen vom Skalp, von der Kortexoberfläche und Tiefenableitungen sowie Ableitungen nach Abtragung des primären auditorischen Kortex sehen die meisten Autoren in der Komponente Pa eine neurogene Antwort des primären auditorischen Kortex. Aufgrund von Dipolquellen-Potenzialuntersuchungen ordnen Scherg u. von Cramon (1986) den Komponenten Na und Pa Aktivität im primären und sekundären auditorischen Kortex zu. Dies wird durch die Untersuchungen der Parietalantwort von Mast (1963, 1965) sowie durch die Ergebnisse von Picton et al. (1974) und Streletz et al. (1977) und eigene Untersuchungen (Wilking 1988;
423 4.5 · AEP mittlerer Latenz (MAEP)
⊡ Abb. 4.54. AEHP bei einer 73-jährigen Patientin mit unklarer Ataxie. Die Potenziale nach Stimulation links sind, soweit beurteilbar, sowohl in Latenz wie der Amplitudenrelation normal. Der vertikale Strich zeigt den ohne gleichzeitige kontralaterale Ableitung schwer zuzuordnenden Peak V. Zudem erkennt man schon nach Stimulation links in den ipsilateralen Ableitungen etwa bei 8–10 ms einen steilen Amplitudenanstieg eines muskulären Artefaktes, nämlich des PostaurikularReflexes. Dieser zeigt sich besonders gut nach Stimulation auf
4
der rechten Seite. Man beachte bitte die unterschiedliche Verstärkung der Potenziale. Die frühen akustisch evozierten Potenziale sind in den oberen Ableitungen bei einer Zeitachse von 3 ms sehr kleinamplitudig eingezeichnet (Peak V). Danach zeigt sich eine Abfolge von hochamplitudigen Potenzialen N0, P0, Na, die einem Postaurikular-Reflex entsprechen. Das Vorhandensein eines hochamplitudigen Postaurikular-Reflexes erfordert häufig eine verstärkte Artefakt-Unterdrückung und führt zu einem verlangsamten Average-Prozess
⊡ Abb. 4.55. Postaurikular-Reflex bei 18-jähriger Patientin. Die Abbildung soll den Postaurikular-Reflex demonstrieren und zeigen, dass dieser Reflex mindestens eine Größenordnung höheramplitudig sein kann als die normalen FAEP und bei nicht angepassten Ableitbedingungen gelegentlich zu nicht beurteilbaren AEHP führen können
⊡ Abb. 4.56. Patient mit insulinpflichtigem Diabetes. Obere Spur – normoglykämisch, untere Spur – hypoglykämisch. Pa ist unter Hypoglykämie pathologisch verzögert
424
Kapitel 4 · Akustisch evozierte Potenziale (AEP)
⊡ Tabelle 4.6. Latenzen der MAEP in ms (±SD) – Normkollektiv n=26 (Lingenfelser et al. 1993) BAEP
V
5,60
(±0,16)
MAEP
N0 P0 Na Pa
9,51 12,38 17,02 30,03
(±0,99) (±0,77) (±1,35) (±2,38)
4
Trost 1988) gestützt. ⊡ Abbildung 4.53 zeigt eine normale Ableitung, wobei die neurogenen Komponenten (AEHP und MAEP) kaum durch Muskelartefakte überlagert sind. Nach den AEHP kommen in allen Ableitungen P0, Na und Pa gut zur Darstellung. Die Ableitungen sind bei einseitiger Stimulation im Normalfall beidseits abzuleiten. Goff et al. (1977) untersuchten Patienten vor und während Thiopentalnarkose und kamen zu dem Schluss, dass nur P25 (entsprechend Pa) neurogen sei, während P12 wegen seiner Narkoseempfindlichkeit keine frühe kortikale Reizantwort darstellen könne. ⊡ Tabelle 4.6 zeigt unsere Normwerte für MAEP, die aufgrund eines großen Kollektivs zusammengestellt wurden. Klinische Untersuchungen von insulinabhängigen Diabetikern (Lingenfelser et al. 1993) bezüglich hypoglykämiebedingter zerebraler Funktionsstörungen wiesen speziell für die kortikalen MAEP-Antworten pathologische Latenzveränderungen unter Hypoglykämie nach (⊡ Abb. 4.56). Auch der Einsatz der MAEP bei der Suche nach zusätzlichen Läsionen bei MS dürfte hilfreich sein (Versino et al. 1992).
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5 Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose T. Haarmeier, J. Dichgans
5.1
Paradigmenwechsel in der Diagnose der multiplen Sklerose – 434
5.2
Sensitivität der evozierten Potenziale bei klinisch sicherer MS – 436
5.3
Diagnostische Aussagekraft der EP-Befunde bei der MS mit schubförmiger Verlaufsform – 437
5.4
Evozierte Potenziale bei primär chronisch-progredienter MS – 439
5.5
Die Wertigkeit evozierter Potenziale als Surrogatmarker für natürlichen Verlauf und Prognose – 440
5.6
Zusammenfassung und praktische Empfehlungen Literatur
– 442
– 441
434
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
Die evozierten Potenziale (EP) haben seit Einführung und Fortentwicklung der Kernspintomographie erheblich an Bedeutung in der Diagnostik der multiplen Sklerose (MS) verloren. Im Folgenden sollen nicht nur die Gründe, die zu diesem Paradigmenwechsel geführt haben, kritisch beleuchtet werden, sondern es soll im Vergleich zur Kernspintomographie und zur Liquordiagnostik auch eine Übersicht zur Wertigkeit der evozierten Potenziale außerhalb der aktuellen, v. a. auf kernspintomographischer Untersuchung basierenden Diagnosekriterien gegeben werden. Für diese Bewertung sind auch die diagnostischen Rahmenbedingungen, der für die Untersuchung erforderliche Zeitaufwand sowie potenzielle Risiken und Kosten zu berücksichtigen. Es sei bereits hier betont, dass die Markscheidenfunktion derzeit nur mit elektrophysiologischen Messungen zuverlässig erfasst werden kann. Grundsätzlich ergänzen sich elektrophysiologische und morphologische Methoden, wobei je nach Fragestellung der Stellenwert unterschiedlich ausfallen kann. Für den klinischen Alltag ergibt sich die Notwendigkeit, die einzelnen diagnostischen Maßnahmen sorgfältig abzuwägen.
5
5.1
Paradigmenwechsel in der Diagnose der multiplen Sklerose
Die multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündlich demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Ursache bis heute ungeklärt ist. Bei 80–90% der Patienten beginnt die Erkrankung mit einer schubförmig remittierenden Verlaufsform, die in ca. der Hälfte der Fälle in einen Verlauf mit sekundärer Progression übergeht. Es zeigen 10–20% der Patienten von Beginn an eine stetige neurologische Verschlechterung, d. h. einen primär chronisch-progredienten Verlauf. Weder klinische Charakteristika noch einzelne diagnostische Tests sind hinreichend für die Diagnose einer MS. Entscheidend ist der Nachweis einer sowohl zeitlichen wie auch räumlichen Dissemination von demyelinisierenden ZNS-Läsionen, der durch Kom-
bination von Anamnese, klinischer Untersuchung und paraklinischen Tests geführt wird. Während die evozierten Potenziale (EP) als nichtinvasive Verfahren in den 70er- und frühen 80er-Jahren unter den paraklinischen Tests eine vorrangige Rolle in der Frühdiagnostik der MS spielten (Halliday et al. 1973), haben sie seit Einführung der Kernspintomographie dramatisch an Bedeutung verloren. Dieser in den 90er-Jahren beginnende Paradigmenwechsel wurde im Jahr 2001 auch formal vollzogen, indem eine internationale Expertenkommission neue Diagnosekriterien für die MS definierte (»McDonald-Kriterien«, McDonald et al. 2001), die v. a. auf kernspintomographischer Untersuchung basieren und sich mittlerweile trotz vereinzelt geäußerter Kritik (z. B. Poser u. Brinar 2001, Giovannoni et al. 2003) als Standard durchgesetzt haben. In den bis dato angewandten »Poser-Kriterien« (Poser et al. 1983; Poser 1987, ⊡ Tabelle 5.1) hatten die evozierten Potenziale und die Kernspintomographie dasselbe diagnostische Gewicht: So konnte der Nachweis einer klinisch inapparenten Läsion bei einem Patienten mit unzureichender klinischer Evidenz für Dissemination die Reklassifizierung in die nächsthöhere Diagnosekategorie (z. B. den Wechsel von »klinisch wahrscheinlicher MS« zu »klinisch sicherer MS«, ⊡ Tabelle 5.1) zur Folge haben – unabhängig davon, ob dieser Nachweis durch Kernspintomographie oder durch evozierte Potenziale erfolgte. Zu dem elektrophysiologischen Nachweis klinisch stummer Herde konnten sowohl visuell evozierte Potenziale (VEP), somatosensorisch evozierte Potenziale (SEP), akustisch evozierte Hirnstammpotenziale (AEHP) als auch motorisch evozierte Potenziale (MEP) beitragen. In den McDonald-Kriterien finden die evozierten Potenziale mit Ausnahme der VEP keine Berücksichtigung mehr und auch die Bedeutung der VEP ist auf wenige Befundkonstellationen, konkret auf die Evaluation einer MS mit primär chronisch-progredienter Verlaufsform, beschränkt (⊡ Tabelle 5.2). ! Die Kernspintomographie hat somit die Elektrophysiologie formal weitgehend aus der Diagnostik der MS verdrängt und nimmt auch einen größeren Stellenwert als die Liquoruntersuchung ein.
435 5.1 · Paradigmenwechsel in der Diagnose der multiplen Sklerose
5
⊡ Tabelle 5.1. Diagnostische Kriterien nach Poser et al. (1983). Zum paraklinischen Nachweis von Läsionen können MRI und evozierte Potenziale beitragen
Klinisch gesicherte MS
Laborunterstützte gesicherte MS
Klinisch wahrscheinliche MS
Laborunterstützte wahrscheinliche MS
Anzahl der Schübe
Anzahl klinisch objektivierbarer Läsionen
Anzahl paraklinisch objektivierter Läsionen
2
2
2
1 und
1
2
1 oder
1
1
2
1
1 und
2
1
1
2
1
1 und
2
1
1
2 oder
Pathologischer Liquorbefund (erhöhter IgG-Index; Nachweis von OKB)
+ +
1
+
1 + 1
+
OKB oligoklonale Banden
Inhaltlich schließen die neuen Diagnosekriterien mit den möglichen Kategorien »MS«, »mögliche MS« und »keine MS« (Legende der ⊡ Tabelle 5.2) eine Lücke in der unklaren Terminologie für die Einordnung beim ersten Schub. Wesentlich ist, dass auf Grundlage der neuen Kriterien bereits bei Patienten mit erstem und isoliertem klinischen Syndrom eine MS diagnostiziert werden kann (vierte Zeile von ⊡ Tabelle 5.2), vorausgesetzt, die kernspintomographischen Zeichen der zeitlichen und räumlichen Dissemination sind erfüllt. Die MRI-Kriterien der multiplen Sklerose nach McDonald et al. (2001), Barkhof et al. (1997) und Tintoré et al. (2000) lauten wie folgt. Das MRI weist räumliche Dissemination nach, wenn drei der vier folgenden Kriterien erfüllt sind: ▬ Eine kontrastmittelaufnehmende Läsion oder 9 T2-hyperintense Läsionen (Läsionsdurchmesser mindestens 3 mm; eine spinale Läsion kann eine zerebrale Läsion ersetzen),
▬ mindestens eine infratentorielle Läsion, ▬ mindestens eine subkortikale Läsion, ▬ mindestens drei periventrikuläre Läsionen.
Das MRI weist zeitliche Dissemination nach, wenn ▬ eine erste MRI-Untersuchung, durchgeführt frühestens drei Monate nach klinischem Schub, eine kontrastmittelaufnehmende Läsion an einer Lokalisation zeigt, die bei dem vorausgegangenen Schub klinisch nicht bestand, oder ▬ eine zweite MRI-Untersuchung, durchgeführt frühestens drei Monate nach erstem MRI, neue kontrastmittelaufnehmende Läsionen oder neue T2-Läsionen zeigt. Unter dem Aspekt einer protektiven Wirkung von einsetzenden Therapien im Frühstadium mag diese Entwicklung hin zu einer möglichst frühen Diagnose der MS berechtigt sein. Dennoch muss bei jedem Patienten abgewogen werden, welche di-
436
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
agnostischen Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt sinnvoll und notwendig sind.
5.2
5
Sensitivität der evozierten Potenziale bei klinisch sicherer MS
In den 80er- und 90er-Jahren wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt, welche die Ergebnisse der Untersuchungen mit VEP, SEP, AEHP und MEP mit denjenigen der Liquordiagnostik und der Kernspintomographie bei Entmarkungskrankheiten verglichen. Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die Häufigkeit pathologischer EP-Befunde entscheidend davon abhängt, in welchem Stadium der Erkrankung die evozierten Potenziale gemessen werden. Für die Stadieneinteilung wurde in den vorliegenden Studien üblicherweise auf klinische Kriterien zurückgegriffen wie die Kriterien von McAlpine (McAlpine et al. 1972) oder auch die klinischen Kriterien der Poser-Klassifikation (Poser et al. 1983). Einen Überblick über die Häufigkeit pathologischer EP-Befunde gibt ⊡ Abb. 5.1, in der kumulierte Daten aus insgesamt 23 Studien mit Angaben zur klinischen Klassifikation dargestellt sind. Es sollen hier zunächst die Ergebnisse der Patienten mit sicherer MS betrachtet werden. Bei diesen finden sich je nach Methode bei 56–82% der Betroffenen pathologische evozierte Potenziale. ⊡ Abbildung 5.1 spiegelt wider, dass die meisten Arbeitsgruppen höhere Sensitivitätsraten für die VEP als für die sensibel evozierten Potenziale finden (z. B. Comi et al. 1993; Staffen et al. 1993) und dass die SEP wiederum häufiger pathologisch sind als die AEHP (Hume u. Waxmann 1988). Unter den somatosensorisch evozierten Potenzialen sind die Trefferquoten beim Tibialis-SEP höher als beim Medianus-SEP (Trojaborg et al. 1981; Chiappa u. Ropper 1982) und die Kombination beider Verfahren aussagekräftiger als die Anwendung nur einer Methode (Khosbin u. Hallett 1981; Kjaer 1983). Obwohl vergleichende Untersuchungen, welche die MEP miteinbeziehen, darauf hindeuten, dass diese Methode eine höhere Sensitivität aufweist als die somatosensorisch evozierten Potenziale (Hess et al. 1987; Ravnborg et al. 1992; Beer et al. 1995), ist die Häufigkeit patholo-
⊡ Abb. 5.1. Häufigkeit pathologischer Befunde bei der MS. Mittelwerte kumulierter Daten aus Beer et al. (1995), Chiappa u. Ropper (1982), Comi et al. (1983), Farlow et al. (1986), Fierro et al. (2002), Filippini et al. (1994), Giang et al. (1994), Giesser et al. (1987), Hess et al. (1987), Hume u. Waxman (1988), Iragui et al. (1986), Japaridze et al (2002), Kempster et al. (1987), Khoshbin u. Hallett (1981), Lee et al. (1991), Mayr et al. (1991), O’Riordan et al. (1998), Ormerod et al. (1986a,b, 1987), Ravnborg et al. (1992), Schmierer et al. (2002), Soustiel et al. (1996)
gischer MEP-Befunde für die Gesamtheit der in ⊡ Abb. 5.1 berücksichtigten Studien kleiner als die Häufigkeit pathologischer SEP-Befunde. Insgesamt streut die Sensitivität der verschiedenen Studien erheblich, für die VEP zwischen 40 und 100%, für die SEP zwischen 34 und 87%, für die AEHP zwischen 40 und 78% und für die MEP zwischen 57 und 88%.
Es bleibt festzuhalten, dass – werden alle vier EP-Methoden kombiniert untersucht – die Trefferquote auf 90% steigt und damit eine ähnlich hohe Sensitivität erreicht wird wie mit der Kernspintomographie (Rossini et al. 1989) und der Liquordiagnostik.
437 5.3 · Diagnostische Aussagekraft der EP-Befunde bei der MS
5.3
Diagnostische Aussagekraft der EP-Befunde bei der MS mit schubförmiger Verlaufsform
Der Nutzen der unterschiedlichen Methoden in der MS-Diagnotik besteht nicht in erster Linie in deren Sensitivität, sondern vielmehr in der Zusatzinformation, die in Ergänzung zur klinischen Untersuchung gewonnen wird. Zum Beispiel wird ein pathologisches VEP bei einem Patienten mit Retrobulbärneuritis keine wesentliche Zusatzinformation bieten. Entscheidend ist die Detektion klinisch stummer Läsionen, die eine Dissemination belegen. Wichtiger als die Sensitivität einer Methode ist somit ihr diagnostischer und prädiktiver Wert, d. h. die Zuverlässigkeit, mit der ein pathologischer Befund bei unzureichender klinischer Evidenz die MS diagnostizieren lässt bzw. deren zukünftige Manifestation voraussagt. Der diagnostische Wert hängt nicht allein von der Sensitivität einer Methode ab, sondern in gleicher Weise auch von ihrer Spezifität (in diesem Fall Prozentsatz normaler Befunde nicht an einer MS erkrankter Patienten): Eine Methode mit hoher Sensitivität kann ihre Aussagekraft durch unzureichende Spezifität gänzlich einbüßen. ⊡ Abbildung 5.1 gibt erste Hinweise darauf, dass die evozierten Potenziale bezüglich der Früherkennung der MS der Kernspintomographie unterlegen sein dürften: Während die Häufigkeit pathologischer MRI-Befunde für die Patientengruppe mit »möglicher MS« 72% beträgt, werden pathologische EP-Befunde nur etwa halb so häufig beobachtet (SEP 42%, VEP 41%, MEP 34%, AEHP 25%). Es muss betont werden, dass die hier bestimmte Häufigkeit pathologischer Befunde kein valides Sensitivitätsmaß darstellt. Häufigkeit pathologischer Befunde und Sensitivität entsprechen sich nur dann, wenn die Diagnose der untersuchten Patienten bekannt ist (wie bei Patienten mit »klinisch sicherer MS«), jedoch keinesfalls, wenn nur eine Verdachtsdiagnose besteht, z. B. eine »mögliche MS«. Mit anderen Worten, um in frühen Erkrankungsstadien zuverlässig Sensitivitätswerte und Spezifitätsparameter zu erfassen, müssen aufwändige Langzeitbeobachtungen durchgeführt werden, die den Übergang einer vermuteten in eine klinisch sichere MS dokumentieren. Dies ist eine Anstren-
5
gung, die – trotz einer Fülle von Untersuchungen – bedauerlicherweise nur wenige Arbeitsgruppen unternommen haben. Problematisch erscheint auch der Verzicht auf eine gründliche klinische Charakterisierung der Patienten. In der Regel wurden die Ergebnisse der elektrophysiologischen Untersuchungen ohne Berücksichtigung der durch klinische Untersuchung lokalisierten Läsion ausgewertet, so dass offen bleibt, welche evozierten Potenziale bei spezifischer klinischer Befundkonstellation besonders zur Diagnose beitragen. Gronseth u. Ashman (2000) fassen die Ergebnisse der wenigen Longitudinalstudien, die den angesprochenen Qualitätskriterien genügen (Filippini et al. 1994; Lee et al. 1991; Hume u. Waxman 1988; Mathews et al. 1982), in einer Metaanalyse wie folgt zusammen. Ein pathologisches VEP erweist sich als signifikant positiver Prädiktor für die Konversion einer klinisch vermuteten in eine klinisch sichere MS. Es wird deshalb von den Autoren als »wahrscheinlich wertvoll« für die Identifikation von Patienten eingestuft, die ein erhöhtes Risiko haben, eine MS zu entwickeln. Im Gegensatz zu den VEP ist die Studienevidenz für die AEHP unzureichend, um sie als Methode der Früherkennung zu empfehlen. Die SEP werden aufgrund widersprüchlicher Datenlage als »möglicherweise wertvoll« eingestuft. Interessanterweise erhöht nach diesen Autoren die Kombination der Methoden den prädiktiven Wert nicht, weil Spezifität verloren geht und so der Zugewinn an Sensitivität aufgewogen wird. Für die MEP liegen unseres Wissens bisher keine Longitudinalstudien vor, die den prädiktiven Wert dieser Methode bzgl. der Konversion einer möglichen in eine sichere MS zuverlässig einschätzen lassen. In Anbetracht der vergleichsweise spärlichen Datenlage erscheinen die aktuellen Diagnosekriterien der MS (⊡ Tabelle 5.2), die – wie ausgeführt – mit Ausnahme der VEP evozierte Potenziale ausschließen, als konsequente, möglicherweise aber zu radikale und voreilige Umsetzung der Empfehlungen von Gronseth u. Ashman. Der geringe prädiktive Wert der evozierten Potenziale lässt sich auch nach solchen Studien vermuten, in denen Patienten mit isolierten neurologischen Ausfällen aus anderen Gründen longitudinal verfolgt wurden. Diese sind zumeist zur Evaluation der Kernspintomographie durchge-
438
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
⊡ Tabelle 5.2. Neue diagnostische Kriterien der MS, modifiziert nach McDonald et al. (2001): Übersicht über die für die Diagnose der MS geforderten Befunde in den Zusatzuntersuchungen (rechte Spalte) in Abhängigkeit von den verschiedenen klinischen Ausgangspunkten (Spalten 1 und 2). Sind die Kriterien nur teilweise erfüllt, wird eine »mögliche MS« diagnostiziert. Ist keines der Kriterien erfüllt, lautet die Diagnose »keine MS«
5
Klinische Präsentation (Anzahl der Schübea)
Anzahl klinisch objektivierbarer Läsionen
Weitere, für die Diagnose der MS erforderliche Kriterien
2 oder mehr
2 oder mehr
keine (zusätzliche Evidenz durch MRI und LP wünschenswert)
2 oder mehr
1
Nachweis räumlicher Dissemination durch – MRIb oder – mindestens 2 MS-typische Läsionen und positiven Liquorbefundc oder – weitere klinische Läsionen im Verlauf
1
2 oder mehr
Nachweis zeitlicher Dissemination durch – MRId oder – zweiten klinischen Schub
1 (monosymptomatische Präsentation)
1
Nachweis räumlicher Dissemination durch – MRIb oder – mindestens 2 MS-typische Läsionen und positiven Liquorbefundc und Nachweis zeitlicher Dissemination durch – MRId oder – zweiten klinischen Schub
0 (primär progredienter Verlauf )
1
positiver Liquorbefundc und Nachweis räumlicher Dissemination durch – MRI (mindestens 9 T2-Läsionen im Gehirn oder mindestens 2 Rückenmarksläsionen oder 4–8 Hirnläsionen plus 1 Rückenmarksläsion) oder – pathol. VEPe plus 4–8 MRT-Läsionen oder – pathol. VEPe plus < 4 Hirnläsionen plus eine Rückenmarksläsion und Nachweis zeitlicher Dissemination durch – MRId oder – kontinuierliche Progression für 1 Jahr
a
b c d e
Als Schub werden neu aufgetretene Symptome und klinische Ausfälle definiert, die länger als 24 Stunden andauern, nicht auf Temperatureinflüsse zurückzuführen sind und frühestens 30 Tage nach der letzten vorausgegangenen Symptomatik entstehen. MRI-Kriterien für räumliche Dissemination (Abschn. 5.1). Ein positiver Liquorbefund liegt vor bei Nachweis oligoklonaler Banden oder bei erhöhtem IgG-Index. MRI-Kriterien für zeitliche Dissemination (Abschn. 5.1). Pathologische VEP, die typisch sind für MS ( Latenzverzögerung bei gut erhaltener Konfiguration).
439 5.4 · Evozierte Potenziale bei primär chronisch-progredienter MS
führte Untersuchungen, bei denen zumindest initial evozierte Potenziale abgeleitet und dokumentiert wurden. Die meisten Studien verfolgten die homogene und am besten charakterisierte Gruppe der Patienten mit isolierter Retrobulbärneuritis (Frederiksen et al. 1996; Ghezzi et al. 1999). Von diesen entwickeln, abhängig von der Dauer des Beobachtungsintervalls, im Verlauf bis zu zwei Drittel eine MS (10 Jahre: 39%, 20 Jahre: 49%, 30 Jahre: 54%, 40 Jahre: 60%; Rodriguez et al. 1995). Die Häufigkeit pathologischer Befunde sowohl der SEP als auch der AEHP zum Zeitpunkt der Retrobulbärneuritis ist jedoch enttäuschend niedrig. Sie beträgt für die in ⊡ Tabelle 5.3 zusammengefassten Studien nur 17% (SEP) bzw. 15% (AEHP). Demgegenüber steht ein deutlich höherer Anteil von Patienten mit bereits initial pathologischem Liquorbefund (~50%) und kernspintomographischen Hinweisen auf eine MS (53%). Folgeuntersuchungen der 1993 von Beck et al. publizierten Optikusneuritisstudie zeigen, dass der kernspintomographische Nachweis von Marklagerläsionen ein starker Prädiktor für die Entwicklung einer MS ist: 51% der Patienten mit mindestens drei Läsionen erfüllten innerhalb von fünf Jahren die Diagnosekriterien einer klinisch sicheren MS, während nur 16% der Patienten ohne bildmorphologische Hinweise auf Entmarkungsherde im selben Intervall eine MS entwickelten (Optic Neuritis Study Group 1997). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Ghezzi et al. (1999) in einer Untersuchung von 102 Patienten mit Retrobulbärneuritis. Nach einer medianen Beobachtungszeit von sechs Jahren sahen sie die klini-
⊡ Tabelle 5.3. Häufigkeit pathologischer Befunde von SEP, AEHP, Liquoruntersuchung und Kernspintomographie bei Patienten mit isolierter Retrobulbärneuritis. Kumulierte Daten aus Frederiksen et al. (1991, 1996), Ghezzi et al. (1999), Hume u. Waxmann (1988), Jacobs et al. (1993), Martinelli et al. (1991), Mathews (1978), Miller et al. (1988), Omerod et al. (1986b), Optic Neuritis Study Group (1997)
SEP
AEHP
MRI
Liquor
43/253
12/78
298/566
46/87
17%
15%
53%
52%
5
schen Kriterien für eine MS bei 37 der 71 Patienten mit initial pathologischem MRI-Befund erfüllt (52%). Keiner der Patienten mit normalem MRI (n=31) hatte eine MS entwickelt. Ähnlich gute Korrelationen zwischen kernspintomographischem Ausgangsbefund und Langzeitverlauf von Patientengruppen mit anderen isolierten neurologischen Syndromen als der Retrobulbärneuritis (Barkhof et al. 1997; O’Riordan et al. 1998; Tintoré et al. 2000; Brex et al. 2002) lassen es als nur folgerichtig erscheinen, dass die Frühdiagnostik der schubförmig verlaufenden MS heute von der MRI dominiert wird.
Der prädiktive Wert der evozierten Potenziale ist der Aussagekraft der Kernspintomographie in frühen Phasen der schubförmig verlaufenden MS unterlegen. Nur für die VEP wurde sicher gezeigt, dass sie zur Frühdiagnostik einer klinisch vermuteten schubförmigen MS beitragen.
5.4
Evozierte Potenziale bei primär chronisch-progredienter MS
Zehn bis zwanzig Prozent der MS-Patienten zeigen von Beginn an eine stetige neurologische Verschlechterung, einen primär chronisch-progredienten Verlauf (Edwards et al. 1986; Thompson et al. 1997, 2000; Wolinsky u. PROMiSe Study Group 2003). Häufigstes klinisches Syndrom ist die spastische Paraparese der Beine als Ausdruck der präferenziell spinalen Manifestation der Erkrankung (Andersson et al. 1999), die in der Regel mit Störungen der Tiefensensibilität verbunden ist. Seltener finden sich zerebelläre Zeichen, visuelle Störungen oder Hirnstammsymptome. Die kernspintomographische Untersuchung zeigt häufiger zerebrale Marklagerläsionen als spinale Signalveränderungen (Andersson et al. 1999), insgesamt werden bei etwa 70–80% der Patienten pathologische MRI-Befunde erhoben. Das Ausmaß der Veränderungen ist jedoch bedeutend kleiner als bei Patienten mit schubförmig verlaufender MS. So sind kontrastmittelaufnehmende Herde selten (10–20%). Die in
440
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
⊡ Tabelle 5.4. Häufigkeit pathologischer Befunde von VEP, AEHP, Kernspintomographie und Liquoruntersuchung bei Patienten mit primär progredienter Verlaufsform. Kumulierte Daten aus Andersson et al. (1999), Bashir u. Whitaker (1999), Edwards et al. (1986), Hume u. Waxman (1988), Kempster et al. (1987), Sater et al. (1999), Staffen et al. (1993), Turano et al. (1991), Uldry et al. (1993), Wolinsky, PROMiSe Study Group (2003)
5
VEP
AEHP
MRI
Liquor
67/130
35/130
129/163
902/1184
52%
27%
79%
76%
der T2-Wichtung ermittelte »Läsionslast« ist wenig schwer (Wolinsky u. PROMiSe Study Group 2003). Vermutlich ist dies durch Unterschiede der zugrunde liegenden Pathomechanismen bedingt. Für die Diagnostik ergibt sich das praktische Problem, dass Patienten die formalen Kriterien der zeitlichen und örtlichen Dissemination sowohl klinisch als auch kernspintomographisch (Abschn. 5.1) nur selten erfüllen. In dieser Situation wird auch in den aktuellen Diagnosekriterien nach McDonald auf die Liquoruntersuchung, die in ca. 75% der Fälle pathologisch ist, und auf die evozierten Potenziale zurückgegriffen. Von den EP erbringen hier die VEP mit 52% die größte Anzahl pathologischer Befunde und somit Hinweise auf einen zusätzlichen supratentoriellen Entmarkungsherd, während die AEHP mit 27% deutlich weniger ergiebig sind (⊡ Tabelle 5.4). Wie aus ⊡ Tabelle 5.2 hervorgeht, kann der Befund eines pathologischen VEP in Kombination mit einer allein gesehen unzureichenden Anzahl kernspintomographisch detektierter T2-Läsionen die räumliche Dissemination belegen. Da derzeit keine Therapie für die primär chronisch-progrediente Verlaufsform etabliert ist, muss alle Diagnostik weniger den Nachweis einer MS als vielmehr den Ausschluss anderer, behandelbarer Ursachen wie zervikale Myelopathie, spinale Tumoren, infektiöse Myelitiden oder auch eine spinale arteriovenöse Durafistel zum Ziel haben. Vor allem die Beurteilung der klinischen Relevanz der durchaus häufigen zervikalen Enge, die nicht notwendi-
gerweise zu einer Myelonschädigung führen muss, ist gelegentlich schwierig. Hier können die Elektromyographie mit Suche nach segmentaler Denervierung, die VEP, AEHP und auch die Liquoruntersuchung wertvolle Informationen für die Differentialdiagnose liefern.
Die kernspintomographischen Kriterien einer zeitlichen und örtlichen Dissemination sind bei Patienten mit primär chronisch-progredienter MS häufig nicht erfüllt. Zum Nachweis supratentorieller Entmarkungsherde wird deshalb bei diesen Patienten auch heute noch auf evozierte Potenziale, v. a. auf die VEP zurückgegriffen.
5.5
Die Wertigkeit evozierter Potenziale als Surrogatmarker für natürlichen Verlauf und Prognose
Obwohl die Kernspintomographie mit hoher Sensitivität klinisch stumme Läsionen aufzudecken und damit die Entwicklung einer MS bei isoliertem klinischen Syndrom gut vorauszusagen vermag, besteht zwischen bildmorphologischen Parametern und klinischem Befund häufig eine erstaunliche Diskrepanz. So ist in Querschnittsuntersuchungen die Korrelation zwischen der Anzahl bzw. dem Volumen der Läsionen in der T2-gewichteten Bildgebung und der klinischen Behinderung zumeist schwach oder fehlt gänzlich (IFNB Multiple Sclerosis Study Group 1995; Simon et al. 1998). Werden Patienten longitudinal verfolgt, so lässt sich in einigen Studien keine (O’Connor et al. 1998, Simon et al. 1998), in anderen eine nur moderate (IFNB Multiple Sclerosis Study Group 1995; O’Riordan et al. 1998) Korrelation zwischen der Zunahme der Läsionen und den klinischen Veränderungen im gegebenen Zeitraum feststellen. Einer Metaanalyse zufolge korreliert auch die Anzahl der Kontrastmittel aufnehmenden Läsionen nur schwach mit der Manifestation neuer Schübe und in keiner Weise mit langsam sich entwickelnden Veränderungen des klinischen Status (Kappos et al. 1999). Insgesamt scheinen Atrophie-
441 5.6 · Zusammenfassung und praktische Empfehlungen
maße, ermittelt z. B. für das zervikale Myelon oder das Zerebrum, und auch die T1-Läsionslast bessere Surrogatmarker darzustellen als die T2-Läsionslast und die Kontrastmittel aufnehmenden Läsionen (Truyen et al. 1996; Übersicht bei McFarland et al. 2002). Nach jüngeren Untersuchungen besteht zumindest auf Gruppenniveau für Patienten mit isolierten neurologischen Syndromen eine Korrelation zwischen initialer T2-Läsionslast und dem Grad der sich entwickelnden klinischen Behinderung nach längerer Beobachtungszeit (10 Jahre, Sailer et al. 1999; 14 Jahre, Brex et al. 2002). Im Gegensatz zur Kernspintomographie wird die Wertigkeit der evozierten Potenziale als Surrogatmarker für den klinischen Verlauf wahrscheinlich unterschätzt. Grundsätzlich gilt, dass sich pathologische EP bei MS-Patienten durchaus – auch als Therapiefolge (Waxmann 1988; Kandler et al. 1991; Salle et al. 1992) – zurückbilden können (Brusa et al. 2001; Fuhr et al. 2001). Die EP sind somit, auch unter Berücksichtigung ihrer guten Reproduzierbarkeit, prinzipiell als Verlaufsparameter geeignet. Während frühe Untersuchungen zumeist schwache Korrelationen zwischen EP-Befunden und Klinik zeigten (Anderson et al. 1987), ergaben spätere Querschnittsuntersuchungen übereinstimmend signifikante Korrelationen (Kandler et al. 1991; Salle et al. 1992; Facchetti et al. 1997; Davies et al. 1998; O’Connor et al. 1998; Fuhr et al. 2001; Schmierer et al. 2002). Beste elektrophysiologische Marker boten hierbei die MEP, die allerdings auch am häufigsten untersucht wurden (Kandler et al. 1991; Salle et al. 1992; Fachetti et al. 1997; Schmierer et al. 2002), oder die Kombination von Methoden (VEP/SEP/AEHP, O’Connor et al. 1998; MEP/VEP, Fuhr et al. 2001). Interessant sind v. a. die Studien von O’Connor et al. (1998) und Facchetti et al. (1997), welche die Wertigkeit der EP und der Kernspintomographie im selben Patientenkollektiv miteinander vergleichen. Beide Untersuchungen zeigen, dass die Ergebnisse der Elektrophysiologie besser mit dem klinischen Befund (EDSS-Wert, Expanded Disability Status Scale) korrelieren als die MRI: Während die Korrelationskoeffizienten für die EP bei O’Connor et al. (1998) deutlich höher waren als für die MRI (0,68–0,72 versus 0,27–0,34), bestand in der Untersuchung von Facchetti et al. (1997) eine signifikante Korrelation nur zwischen
5
EDSS-Wert und EP-Befunden. Auch die Zunahme der funktionellen Behinderung, die O’Connor et al. (1998) innerhalb von zwei Jahren bei ihren Patienten feststellten, spiegelte sich in den evozierten Potenzialen wider, nicht jedoch in Veränderungen des kernspintomographischen Befundes. In einer Untersuchung von Fuhr et al. (2001) korrelierten die Ergebnisse aus VEP und MEP sogar mit dem nach zwei Jahren gemessenen EDSS. Für eine Prädiktion des individuellen Verlaufs ist diese Korrelation zweifellos zu schwach. Für Gruppenuntersuchungen jedoch, so schließen die Autoren, bietet die Kombination aus VEP und MEP eine Abschätzung des weiteren klinischen Verlaufs.
Anders als die Kernspintomographie zeigen die evozierten Potenziale eine erstaunlich gute Korrelation zum klinischen Befund. Ihre Bedeutung als Surrogatmarker für den klinischen Verlauf wird vermutlich unterschätzt.
5.6
Zusammenfassung und praktische Empfehlungen
Seit der Einführung wirksamer, schubprophylaktischer Therapien in die Behandlung der MS besteht klinischer Bedarf für eine frühzeitige Diagnose bei Patienten, die bisher in die Kategorien der »möglichen« oder »wahrscheinlichen« MS fielen oder auch bei Patienten mit erstem neurologischen Syndrom. Die hierdurch angestoßene Reevaluation der verfügbaren paraklinischen Tests hat offen gelegt, dass die in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelte Kernspintomographie für dieses Patientenkollektiv den evozierten Potenzialen überlegen ist – ein Umstand, dem durch Modifikation der MS-Diagnosekriterien formal Rechnung getragen wurde. Gemäß dieser Kriterien tragen von den EP nur noch die VEP und diese wiederum nur noch zur Diagnose einer primär chronisch-progredienten MS bei (⊡ Tabelle 5.2). Ungeachtet dieser Entwicklung haben die EP unseres Erachtens in der klinischen Praxis nach wie vor einen hohen Stellenwert. Grundsätzlich
442
5
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
gilt, dass keine der etablierten Untersuchungsmethoden für die MS spezifische Befunde erbringt. Dies gilt auch für die Kernspintomographie, zumal T2-hyperintense Läsionen bei bis zu 20% gesunder Probanden, bei 30–70% der Hypertoniker und bei 30–100% der Demenzpatienten auftreten (Yetkin et al. 1991). Die Spezifität der kernspintomographischen Veränderungen kann zwar erheblich gesteigert werden, wenn die in die McDonald-Kriterien einfließenden Kriterien von Barkhof et al. (1997) oder Tintoré et al. (2000) berücksichtigt werden (Abschn. 5.1). Dennoch zeigen die bisher vorliegenden Studien, in denen die Zuverlässigkeit der neuen Kriterien geprüft wurde, mit Sensitivitätsraten zwischen 74 und 83% und Spezifitätsraten zwischen 83 und 86% (Dalton et al. 2002; Tintoré et al. 2003) beachtliche, aber keinesfalls perfekte Trefferquoten. Auch McDonald et al. (2001) weisen explizit darauf hin, dass die Diagnose der MS den Ausschluss anderer Ursachen erfordert. Aus diesem Grund erscheint uns vor Einleitung zumeist langfristig angelegter therapeutischer Maßnahmen sowohl die Liquorpunktion als auch die elektrophysiologische Untersuchung indiziert. Während die Liquoruntersuchung Hinweise auf die entzündliche Genese der Erkrankung liefern kann und bakteriologische sowie virologische Untersuchungen ermöglicht, kann die Diagnose der MS durch den Nachweis des demyelinisierenden Charakters der Läsionen (typischer Befund: verlängerte Latenz, gut erhaltene Potenzialkonfiguration) erhärtet werden. Die EP sind trotz der Weiterentwicklungen der Kernspintomographie mit funktioneller Bildgebung (fMRI) und Magnetisierungs-Transfer-Bildgebung (MTI) die einzige Methode, die es erlaubt, die Funktion der Markscheiden zu erfassen. Aufgrund der oben referierten Datenlage (Abschn. 5.2 u. 5.3) erscheint die Kombination von VEP, MEP und Tibialis-SEP am aussagekräftigsten. Wie in Abschn. 5.5 ausgeführt, dient eine solche Basisdokumentation auch als Ausgangsbefund, mit dem spätere Untersuchungen valide verglichen werden können. Um diagnostische Unsicherheiten zu vermeiden, müssen hohe Ansprüche an die Ableiteund Auswertetechnik evozierter Potenziale gestellt werden. Von praktischer Bedeutung für die VEP sind insbesondere optimale Korrektur von Brechungsanomalien, ungestörte Fixation und Aus-
schluss einer Amblyopie. Bei den sensibel evozierten Potenzialen muss eine begleitende Polyneuropathie ausgeschlossen werden. Dies geschieht über eine zusätzliche spinale Ableitung mit Berechnung der zentralen Leitungszeit oder eine neurographische Bestimmung der sensiblen Leitgeschwindigkeit. Es sind obere Normgrenzen für pathologische Latenzen aus hauseigenen Mittelwerten plus drei Standardabweichungen empfehlenswert, um nicht eine zu hohe Rate an falsch-positiven Befunden zu produzieren. Pathologische Befunde müssen mindestens einmal repliziert werden. Bei einem ersten Schub und wenn sehr subtile Befunde vorliegen, die absehbar kein therapeutisches Handeln nach sich ziehen werden, muss die Indikation weiterführender diagnostischer Maßnahmen kritisch abgewogen werden. Wenn nicht auf alle Zusatzdiagnostik verzichtet wird, so ist hier die Ableitung evozierter Potenziale zur Objektivierung unspezifischer subjektiver Beschwerden der am wenigsten invasive und – verglichen mit der Kernspintomographie – deutlich kostengünstigere, erste diagnostische Schritt. Unbedingt muss vermieden werden, dass die Diagnose MS durch den Radiologen (womöglich im Wartezimmer der MRI-Praxis) gestellt wird. Auch zukünftig soll die MS durch den Neurologen unter Beachtung der Anamnese, des klinischen Befundes und ggf. apparativer Zusatzbefunde gestellt und dann unter Berücksichtigung der individuellen seelischen und Lebenssituation mit dem Patienten im eingehenden ärztlichen Gespräch erörtert werden.
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444
5
Kapitel 5 · Die Wertigkeit der evozierten Potenziale in der Diagnostik der multiplen Sklerose
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5
6 Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin H. Kroiß, K. Scheglmann, M. Stöhr
6.1
Allgemeines
– 449
6.2
Die Untersuchungsverfahren in ihren Besonderheiten in der Intensivmedizin – 450
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5
Akustisch evozierte Potenziale in der Intensivmedizin – 450 Somatosensibel evozierte Pozentiale in der Intensivmedizin – 451 Visuell evozierte Potenziale in der Intensivmedizin – 452 Motorisch evozierte Potenziale in der Intensivmedizin – 453 Ereigniskorrelierte Potenziale in der Intensivmedizin – 454
6.3
Nichtkrankheitsbedingte Einflüsse auf die evozierten Potenziale – 454
6.3.1 6.3.2 6.3.3
Einfluss der Körpertemperatur auf die evozierten Potenziale – 455 Einfluss von Hypotension und Blutgasänderungen auf die evozierten Potenziale – 455 Pharmakologische Einflüsse auf die evozierten Potenziale – 456
6.4
Vergiftungen
6.5
Stoffwechselentgleisungen
– 459 – 462
6.6
Schweres Schädelhirntrauma
6.6.1
Schädigungsmuster der evozierten Potenziale und deren Verlauf im posttraumatischen Koma – 464 Prognose des posttraumatischen Komas – 465 Vergleich der Wertigkeiten verschiedener Untersuchungsverfahren im posttraumatischen Koma – 471 Praktischer Nutzen der evozierten Potenziale im posttraumatischen Koma – 471
6.6.2 6.6.3 6.6.4
– 463
6.7
Globale hypoxische Hirnschädigung
6.7.1
Veränderungen der evozierten Potenziale während und nach globaler Hypoxie – 473 Prognose der globalen hypoxischen Hirnschädigung
6.7.2
– 472
– 473
6.8
Intrakranielle Blutung
6.8.1 6.8.2
Veränderungen der evozierten Potenziale nach intrakranieller Blutung – 476 Prognose im Koma nach intrakranieller Blutung
6.9
Ischämische Insulte
6.10
Entzündliche Hirnerkrankungen
6.11
Hirntod
6.11.1 6.11.2 6.11.3 6.11.4 6.11.5
Feststellung des Hirntodes – 481 Frühe akustisch evozierte Potenziale im Hirntod – 481 Frühe somatosensibel evozierte Potenziale im Hirntod – 485 Visuell evozierte Potenziale im Hirntod – 487 Praktischer Nutzen der afferent evozierten Potenziale bei der Feststellung des Hirntodes – 488
Literatur
– 476
– 477
– 478 – 480
– 480
– 488
449 6.1 · Allgemeines
Evozierte Potenziale (EP) werden seit den siebziger Jahren auch in der Intensivmedizin genutzt, wo sie mittlerweile einen festen Platz eingenommen haben. Grundsätzlich sind EP-Messungen unabhängig von der Mitarbeit des Untersuchten und eignen sich deshalb besonders zur Untersuchung des bewusstseinsgetrübten und komatösen Patienten. EP sind objektive Messwerte, die erlauben, einen Funktionszustand zuverlässig zu beurteilen. Dazu kommt die besondere Stabilität der frühen EP, die von Medikamenten und reversiblen metabolischen Störungen praktisch nicht beeinflusst werden, ein besonders günstiger Umstand, da ein Großteil der intensivmedizinisch betreuten Patienten wegen erforderlicher analgesierender, sedierender oder muskelrelaxierender Medikamente klinisch-neurologisch schwer beurteilbar ist.
6.1
Allgemeines
Die evozierten Potenziale (EP) ermöglichen Einblicke in den Funktionszustand des peripheren und zentralen Nervensystems und der Sinnesorgane. Funktionsstörungen in unterschiedlichen Sinnessystemen lassen sich mit Hilfe der afferent evozierten Potenziale nachweisen und durch die verschiedenen EP-Komponenten z. T. genau lokalisieren. ▬ Die frühen EP-Komponenten spiegeln funktionell die aufsteigenden Bahnen wider, vom Nerv bis zur Postzentralwindung bei sensibler Reizung, vom Ohr bis zum Zwischenhirn bei akustischer Reizung. ▬ Die EP-Komponenten mittlerer Latenz entstehen in Projektions- und Assoziationsfeldern verschiedener kortikaler Regionen, nämlich temporal bei akustischer Reizung, okzipital bei optischer Reizung sowie parietal und frontal bei sensibler Reizung. ▬ Späte Komponenten der EP entsprechen vielfältigen schlecht lokalisierbaren kortikalen Generatoren, sie werden unterteilt in exogene und endogene, auch sog. kognitive Potenziale.
6
Die efferent evozierten motorischen Potenziale erfassen die Funktion der motorischen Bahn von der Präzentralwindung bis zum Muskel. In der Intensivmedizin dienen die EP verschiedenen Aufgaben: der diagnostischen Abklärung, der Überwachung des Krankheitsverlaufes und vor allem der prognostischen Einschätzung. Daneben können die mittleren und späten EP herangezogen werden, um die Tiefe der medikamentösen Sedierung abzuschätzen und zu steuern. Die EP-Messung kann direkt am Bett erfolgen und erübrigt einen aufwändigen und riskanten Transport des Patienten. Die Messungen sind beliebig oft durchführbar und bergen keinerlei Gefahren für den Patienten. Lediglich vor den motorisch evozierten Potenzialen (MEP) müssen Kontraindikationen beachtet werden. Komatöse Patienten werden, um Zeit zu sparen, häufig mit Nadelableitelektroden untersucht. Beim unruhigen Patient oder in elektrisch aufgeladenen Räumen treten Artefakte auf. Hilfreich ist ein geformtes Schaumstoffkissen, um den Kopf zu fixieren und bequem zu lagern, manchmal ist eine Sedierung mit z. B. kurz wirksamen Benzodiazepinen erforderlich. Alle nicht unbedingt nötigen elektrischen Geräte wie Lampen, Heizdecke, Luftkissenbett, Monitor etc. sollten ausgeschaltet werden, zusätzliche Erdelektroden können am Patientenbett und Untersuchungsgerät angebracht werden, Stromkabel sollen nicht in die Nähe der Ableitelektroden kommen. Bei der Interpretation der Messung ist auf folgende Grundsätze zu achten: ▬ Die Messkurve muss reproduzierbar sein. ▬ Eine frühe Reizantwort muss vorhanden sein, um das Fehlen von späteren Reizantworten werten zu können. ▬ Eine erniedrigte Körpertemperatur zur Zeit der Ableitung muss bei der Interpretation von Latenzverzögerungen in Rechnung gezogen werden. ▬ Medikamentöse Einflüsse sind bei der Interpretation von mittleren und späten Komponenten zu beachten. ▬ Prinzipiell können Luft und Kontrastmittel im Subarachnoidalraum die Volumenleitung zur Kopfhaut beeinträchtigen.
450
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Die frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP) und die frühen somatosensibel evozierten Potenziale nach Stimulation des N. medianus (Med-SEP) sind zu Routineuntersuchungsverfahren in der Intensivmedizin geworden und weit verbreitet. Aufwändiger ist der kombinierte Einsatz der multimodal evozierten Potenziale mit SEP, VEP und AEP bei Analysezeiten bis 500 ms (Greenberg et al. 1977b; Rappaport et al. 1981; Guerit et al. 1993). Die Befunde erlauben die Differenzierung in Schädigungsmuster und Schweregrad.
6 EP sind ein wichtiger, manchmal der einzige zuverlässige Funktionstest des Nervensystems und der Sinnesorgane von intensivmedizinisch behandelten komatösen Patienten.
6.2
Die Untersuchungsverfahren in ihren Besonderheiten in der Intensivmedizin
Sämtliche EP-Modalitäten zur Untersuchung des wachen Patienten können auch in der Intensivmedizin eingesetzt werden. Die Stimulationstechnik muss dabei ohne Befragung und Mitarbeit des Patienten auskommen und demgemäß angepasst werden. Die einzelnen Modalitäten dienen primär der Funktionsprüfung der jeweiligen Sinnesmodalität und ihrer Reizweiterleitung. Darüber hinaus können sie bei isolierten Läsionen die Schädigungslokalisation ermitteln und bei diffusen Schädigungen als Stichprobe des Schädigungsgrads verstanden werden.
6.2.1
Akustisch evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Zur Untersuchung der FAEP des komatösen Patienten hat sich die folgende Technik bewährt: Stimulation einseitig über Kopfhörer mit Sog-Druck-alternierenden 0,1 ms dauernden Klickreizen einer Lautstärke von 95 dB mit einer Frequenz von 11,3/s,
während das gegenseitige Ohr mit einem 55 dB lauten ständigen Rauschen vertäubt wird. Die Ableitung erfolgt vom ipsilateralen Mastoid oder Gehörgang gegen eine Cz-Referenz, Analysezeit 10 ms, oberer Frequenzfilter 3000 Hz, unterer 150 Hz. Die Auswertung berücksichtigt Vorhandensein und Fehlen der Wellen I bis VII, Absolutlatenzen der Wellen I, III, V, ihre Interpeaklatenzen und Seitendifferenzen sowie das Amplitudenverhältnis V zu I (Normwerte unter Abschn. 4.4.2). Die Welle I ist bei Platzierung der Ableitelektrode im Gehörgang größer als über dem Mastoid, der Normwert des Amplitudenquotienten V zu I bei Gehörgangsableitung >0,5, bei Mastoidableitung >1,0. Normale FAEP belegen intakte Schallleitung, Schallempfindung und Reizweiterleitung in Hörnerv und aufsteigender zentraler Hörbahn des Hirnstamms. Bei primär supratentorieller raumfordernder Hirnschädigung belegen normale FAEP die erhaltene Funktion des Hirnstamms, während ein schrittweiser bilateraler Ausfall immer früherer FAEP Wellen die fortschreitende transtentorielle Herniation anzeigt (⊡ Abb. 6.1). Sobald Welle V fehlt, ist der Prozess nach aller Erfahrung irreversibel. Bei primär infratentorieller Hirnschädigung zeigen pathologische Veränderungen der Wellen III, IV und V die Schädigung der dorsolateral gelegenen Hörbahn im Pons an. Die fehlende oder verzögerte Welle I dagegen belegt eine periphere Hörstörung. So eignen sich die FAEP auch zur Überwachung der Hörfunktion z. B. unter der Therapie mit potenziell ototoxischen Medikamenten. Die ototoxische Schädigung zeigt sich am bilateralen Verlust der Welle I und Anstieg der Hörschwelle bei Reizung mit unterschiedlichen Lautstärken (⊡ Abb. 6.2; Abschn. 4.4.2).
Die FAEP überprüfen Hör- und Hirnstammfunktion. Bei primär supratentorieller Raumforderung ist die transtentorielle Herniation vom sukzessiven Ausfall immer früherer FAEP-Wellen begleitet; sobald Welle V ausfällt, ist die Prognose infaust.
451 6.2 · Die Untersuchungsverfahren in ihren Besonderheiten in der Intensivmedizin
6
⊡ Abb. 6.2. FAEP zur Bestimmung der Hörschwelle beim nicht kooperationsfähigen Patienten. Bei Stimulation mit unterschiedlichen Lautstärken, erscheint an der Schwelle nur Welle V, deren Latenz sich mit zunehmender Lautstärke verkürzt
6.2.2
⊡ Abb. 6.1. FAEP-Verlaufsuntersuchungen bei nichtbeherrschbarer supratentorieller Raumforderung. Zunächst sind Wellen I bis VII normal. Während der in rostrokaudaler Richtung fortschreitenden Einklemmung fallen schrittweise immer frühere FAEP-Wellen aus
Somatosensibel evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
In der Intensivmedizin wird für die sensibel evozierten Potenziale (SEP) üblicherweise der N. medianus elektrisch stimuliert. Die Oberflächenreizelektrode wird am Handgelenk mit der Kathode proximal fixiert. Kann der Patient nicht über die sensible Schwelle befragt werden, soll die Reizstärke 4 mA über der motorischen Schwelle gewählt werden. Ist der Patient muskelrelaxiert, muss die Reizstärke gesteigert werden bis die Amplitude des Potenzials am Erb-Punkt keinen weiteren Zuwachs mehr zeigt. Die Reizdauer soll 0,1–0,2 ms betragen, die maximal mögliche Reizfrequenz ist abhängig von der Analysezeit, bis 50 ms 5,3 Hz, bis 100 ms 3,3 Hz, über 100 ms 1,3 Hz. Als Filtereinstellung empfiehlt sich für die obere Grenzfrequenz 1500 Hz, für die untere, abhängig von der Analysezeit, bis 50 ms 30 Hz, bis 100 ms 5 Hz, über 100 ms 1 Hz. Durch eine fraktionierte Ableitung kann die Reizweiterleitung verfolgt und eine Schädigung genau lokalisiert werden. Auch in der Intensivmedizin haben sich die vier Ableiteorte gegen Fz-Referenz in den meisten Fällen bewährt:
452
▬ ▬ ▬ ▬
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Erb-Punkt, Dornfortsatz des 7. Halswirbels, Dornfortsatz des 2. Halswirbels, Skalp über dem kontralateralen Handfeld C3′/4′.
Die üblichen Messwerte sind die Latenzen und Amplituden der Potenziale vom Erb-Punkt, der Wellen N13 a und N13 b, sowie N20, P25 und N70, davon abgeleitet die zentrale Überleitungszeit N13a–N20 (ZÜZ) und das Amplitudenverhältnis N20/N13a (Normwerte Abschn. 2.4.1). Die Latenz der N70 ist stark vom Lebensalter abhängig, für ein Lebensalter in Jahren errechnet sich der Mittelwert: ▬ MW=(56,6–0,2098 a + 0,0071 a2) ms und die obere Grenze des 95%-Vertrauensbereiches: ▬ (68,1–0,2520 a + 0,0076 a2) ms (Zumsteg u. Wieser 2002). Bei Ableitung von F3/4 gegen A1/2 kommen die Komponenten P20 und N30 zur Darstellung. Orientierende Normwerte für die N13b-P20 Überleitungszeit und für die Amplitude P20-N30 finden sich bei Gütling et al. (1993). Die SEP erfassen die sensible Leitungsbahn vom Handgelenk bis zur Postzentralregion und geben Auskunft über die Intaktheit des N. medianus, des Armplexus, der Wurzeln C6 und C7, des hinteren Halsmarkes, des zentralen Hirnstammes, des lateralen Thalamus, der primären sensiblen Rinde und des parietalen Assoziationskortex bzw. der frontalen supplementär motorischen Region. Die SEP zeigen Störungen des peripheren Nervensystems wie Armplexusläsion und Polyneuropathie, eine Halsmarkläsion und eine diffuse oder lemniskal bzw thalamokortikal lokalisierte Hirnschädigung an (⊡ Abb. 6.3). Der bilaterale Verlust der N20 bei erhaltener N13 im Koma nach diffuser oder primär supratentorieller Hirnschädigung ist ein sehr ungünstiges Zeichen. Von diesen Patienten sterben 99% ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen oder bleiben in einem persistierenden vegetativen Zustand (Riffel et al. 1994; Madl et al.1996; Pohlmann-Eden et al. 1997). Zu den wenigen berichteten Ausnahmen gehören Kinder, vor allem nach Schädelhirntrauma, die sich zum Teil gut erholt haben (Abschn. 6.6.2;
⊡ Abb. 6.3. SEP des N. medianus eines 29-jährigen Patienten, der als Motorradfahrer verunglückte. Nach Stimulation rechts fehlt die kortikale Reizantwort bei schwerem Schädelhirntrauma, nach Stimulation links fehlen sämtliche Reizantworten bei traumatischer Armplexusläsion
Riffel et al. 1994; Carter et al.1999; Sleigh et al. 1999; Wohlrab et al. 2002), und Einzelfälle von Erwachsenen in der Frühphase nach Reanimation (Guerit et al. 1993), bei schwerer Carbamazepinintoxikation sowie bei Kombination von erhöhtem Hirndruck, Sedierung, Hypothermie (Schwarz et al. 1999). Im posthypoxischen Koma ist bei bilateralem Fehlen der N20 nach 24 h die Prognose eines Erwachsenen infaust. Bilateral normale kortikale Primärkomplexe und spätere Komponenten zeigen einen günstigen Verlauf an.
Die Med-SEP überprüfen die sensible Leitungsbahn vom Handgelenk bis in die Postzentralregion. Die kortikale Reizantwort N20 hat bei komatösen Patienten eine große prognostische Bedeutung. Ist sie beidseits normal, ist die Prognose gut, ist sie beidseits ausgefallen, ist die Prognose sehr schlecht.
6.2.3
Visuell evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Die visuell evozierten Potenziale (VEP) haben bisher in der Intensivmedizin keine wesentliche Bedeutung erlangt. Es ist anzunehmen, dass dies mit
453 6.2 · Die Untersuchungsverfahren in ihren Besonderheiten in der Intensivmedizin
6
⊡ Abb. 6.4. LED-VEP eines 28-jährigen polytraumatisierten Patienten mit Mittelgesichtsfraktur. Nach Stimulation links
normale Reizantwort, nach Stimulation rechts keine Antwort bei Verletzung des rechten N. opticus
technischen Schwierigkeiten und Problemen der Auswertung zusammenhängt. Auch werden die VEP durch Medikamente und andere Faktoren stärker beeinflusst als die FAEP und die frühen SEP. Beim unkooperativen Patienten ist nur die Blitzlichtstimulation möglich, die mit Stroboskopblitzlampe oder Leuchtdiodenbrille (LED-Brille) durchgeführt werden kann. Aus praktischen Gründen hat sich die Leuchtdiodenbrille durchgesetzt, sie ist handlicher und erlaubt auch eine monokuläre Reizung. Ihr Nachteil ist die geringere Lichtintensität, die eine Stimulation bei geöffneten Augen erfordert, und bei geschwollenem, nicht zu öffnendem Augenlid unzureichend sein kann. Als Reizfrequenz empfehlen sich 2 Hz. Die Ableitung erfolgt von Oz gegen Fz oder Ohrreferenz (Kap. 3). Pfurtscheller et al. (1985) leiten an fünf unterschiedlichen Regionen der Kopfhaut ab. Die untere Filtergrenzfrequenz soll höchstens 1 Hz, die obere zwischen 100 und 300 Hz gewählt werden, die Analysezeit mindestens 500 ms betragen. Das LED-VEP setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen (Abschn. 3.2). Die erste große positive Welle P100 findet sich normalerweise im Latenzbereich von 70–140 ms. Im eigenen Labor lag für Erwachsene der Mittelwert bei 118 ms, der obere Grenzwert bei 151 ms (MW + 3 SD) und der Grenzwert der Seitendifferenz bei 11 ms. Die Form
der Reizantwort schwankt interindividuell erheblich und damit auch die Amplituden von absteigendem Schenkel N75–P100 und aufsteigendem Schenkel P100–N140, weshalb wir zur Amplitudenbestimmung die jeweils höhere wählen. Im Normalfall ist sie nicht kleiner als 2,5 µV und beträgt mindestens 41% der Gegenseite (Scheglmann 1999). Guérit et al. (1993) schenken auch den Komponenten I, III und VII Beachtung. Die LED-VEP prüfen die visuelle Funktion von Auge bis Sehrinde, sie werden einseitig auffällig bei Schädigung des Auges und des N. opticus, beidseitig auffällig bei bilateraler Schädigung der Sehrinde und diffuser Hirnschädigung. Beim polytraumatisierten Patienten können sie eine Verletzung des N. opticus aufdecken (⊡ Abb. 6.4). Akut erhöhter Hirndruck führt rasch zur Verzögerung der N140 (Gummerlock et al. 1994). Bei schwerer isolierter Hirnstammläsion bleiben die VEP im Gegensatz zu den übrigen EP erhalten.
6.2.4
Motorisch evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Zur Untersuchung der motorisch evozierten Potenziale (MEP) in der Intensivmedizin wird die magnetische und bei komatösen Patienten auch die elektrische transkranielle Kortexstimulation ein-
454
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
gesetzt und durch die Wurzelstimulation ergänzt. Kontraindikationen sind intrakranielle Metallteile, Herzschrittmacher und eine instabile Wirbelsäule. Bei unkooperativen Patienten kann durch einen kurz vorausgehenden Schmerzreiz an der entsprechenden Extremität die Reizantwort fazilitiert werden (Ying et al. 1992). Die MEP sind in hohem Maße empfindlich auf Sedativa (ausführliche Darstellung in Kap. 8 und bei Rhode et al. (1999)). Die transkortikale elektrische Reizung erregt Pyramidenzellen oder die davon ausgehenden Axone, während die transkortikale Magnetstimulation die Pyramidenzellen indirekt über Interneurone erregt. Die MEP geben Aufschluss über die Funktion des ersten und zweiten Motoneurons. Komatöse Patienten mit beidseits fehlenden MEP haben einen schlechten Ausgang, die prognostische Bedeutung der MEP für den Ausgang eines Komas wird gegenüber den SEP als gering eingeschätzt (Zentner u. Ebner 1988, 1992; Ying et al. 1992). Eine prognostische Bedeutung für Paresen konnte belegt werden (Escudero et al. 1998; Rhode et al. 1999; Schwarz et al. 2000). Asymmetrische pathologische Befunde im Koma waren in fast 90% mit anschließenden Paresen assoziiert, deren Schweregrad aber unabhängig vom MEP-Befund war. Die MEP nach Wurzelstimulation und nach zisternaler Stimulation sind geeignet zur frühzeitigen Diagnose von Läsionen peripherer proximaler Nerven und motorischer Hirnnerven bei unkooperativen Patienten (Jaspert et al. 1990).
unregelmäßig mit häufigen Hintergrundreizen ab. Antwortkurven auf Hintergrundreize und auf Zielreize werden verglichen und voneinander subtrahiert. Die erhaltene Differenzkurve entspricht der endogenen Antwort. Untersucht wurden: ▬ die frontale N100, auch als »processing negativity« bezeichnet, die als Korrelat einer Orientierungsreaktion gilt und auf Ziel- und Hintergrundreize ausgelöst wird, ▬ die N200 »mismatch negativity«, die einen passiven Diskriminationsprozess widerspiegeln soll (Fischer et al.1999) und ▬ die frontozentrale Komponente der P300 P3a. Die Auftretenshäufigkeit der EKP wird erhöht, wenn Stimmen von Angehörigen die Zielreize begleiten oder als Zielreiz den Vornamen des Patienten rufen (Signorio et al. 1995; Mazzini et al. 2001). Waren EKP im Koma ableitbar, so war dies zu einem sehr hohen Anteil mit einem guten Ausgang verknüpft. Die EKP-Untersuchung ist auch aufschlussreich bei Patienten im persistierenden vegetativen Zustand.
Sämtliche EP-Modalitäten können auch in der Intensivmedizin eingesetzt werden. Die größte praktische Bedeutung haben FAEP und MedSEP.
6.3 6.2.5
Ereigniskorrelierte Potenziale in der Intensivmedizin
In letzter Zeit erschienen auch Berichte über ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) in der Intensivmedizin (Signorio et al. 1995; Kane et al. 1996; Fischer at al. 1999; Guérit et al. 1999; Kotchoubey et al. 2002). Erhaltene EKP belegen eine komplexe Reizverarbeitung. Beim Komatösen werden sie mit einem »passiven auditorischen Oddballparadigma« erzeugt (Kap. 7). Als Reize dienen Töne von zwei verschiedenen Frequenzen oder Worte mit unterschiedlicher Bedeutung. Seltene Zielreize wechseln
Nichtkrankheitsbedingte Einflüsse auf die evozierten Potenziale
Um die EP unter Intensivbedingungen werten zu können, ist es wichtig, medikamentöse und andere, nichtkrankheitsbedingte Einflüsse zu kennen und abzuschätzen. Der Einfluss von Medikamenten und anderen Faktoren auf die EP in der Intensivmedizin ist überschaubar und im Hinblick auf die FAEP und frühen SEP sehr gering ausgeprägt. Mögliche Änderungen der Potenziale durch Hypothermie sollten immer berücksichtigt werden, wobei diese Änderungen quantifizierbar und bei Erwärmung reversibel sind.
455 6.3 · Nichtkrankheitsbedingte Einflüsse auf die evozierten Potenziale
6.3.1
Einfluss der Körpertemperatur auf die evozierten Potenziale
Koma und Intoxikationen sind häufig von Änderungen der Körpertemperatur begleitet. Bereits ein Temperaturabfall um 0,5°C kann die EP signifikant verzögern (Jones et al. 1980). Die zentrale Überleitungszeit des Med-SEP nimmt um ca. 0,6 ms/°C bei Abkühlung zu, die I–V Interpeaklatenz der FAEP um ca. 0,2 ms/°C. Unter Hypothermie zeigen die EP eine reversible Verlängerung der Absolut- und Interpeaklatenzen bis sie schließlich verschwinden; dabei fallen spätere Komponenten bereits bei höheren Temperaturen aus als frühere. Die Latenzen und Interpeaklatenzen der FAEP-Wellen nehmen bei Abkühlung um 4–7% je °C zu, Welle I um ca. 0,15 ms/°C, Welle V um ca. 0,4 ms/°C, wobei von manchen Autoren v. a. im Temperaturbereich unter 30°C auch eine exponentielle Zunahme der Latenzen gesehen wurde (Kaga et al. 1979; Samra u. Lilly 1983; Markand et al. 1987, 1990b; Rossi u. Britt 1984). Bei ca. 26°C sind die Latenzwerte verdoppelt (Markand et al. 1987). Das Verhalten der FAEP-Amplituden wird widersprüchlich beschrieben (Janssen et al. 1991). Sowohl Markand et al. (1987) als auch Rossi und Britt (1984), letztere bei Katzen, sahen zunächst einen Zuwachs und bei weiterer Kühlung eine Abnahme der Amplituden. Zwischen 19 und 25°C verschwinden die mittleren und auch die frühen akustisch evozierten Potenziale (Kaga et al. 1979; Kileny et al. 1983; Markand et al. 1984, 1987). Ein entsprechender Temperatureinfluss findet sich auch für die SEP: Bei zunehmender Kühlung nehmen die Latenzen um 5–10% je °C zu (Russ et al. 1987; Guérit et al. 1990; Markand et al. 1990b). Die zentrale Überleitungszeit des Med-SEP nimmt um ca. 0,6 ms/°C zu, sie verdoppelt sich bei ca. 27°C (Hume u. Durkin 1986; Russ et al. 1987; Markand et al. 1990a). Die SEP-Amplituden zeigen keine sichere Temperaturabhängigkeit (Markand 1990b). Späte somatosensibel evozierte Potenziale fallen meist schon bei 25°C aus, die kortikale N20-Komponente fällt bei ca. 20°C aus, N14/P14 bei ca. 17°C, N13 unter 15°C und N10 unter 10°C (Markand et al. 1984, 1990b; Guérit et al. 1990; Taylor et al. 1985). Auch die Latenzen der VEP nehmen bei Temperaturabfall zu, die Amplituden ab (Reilly et al. 1978; Russ et al.
6
1984). Die VEP sind im Vergleich zu den FAEP und SEP gegen Temperatureinflüsse am wenigsten stabil und lassen sich unter 25°C Körpertemperatur meist nicht mehr nachweisen (Markand et al. 1984). Bei künstlich erzeugter Hyperthermie fanden verschiedene Autoren im Tierversuch eine Verkürzung der Latenzen und Interpeaklatenzen der frühen und mittleren akustisch evozierten Potenziale (MAEP) um ca. 5% pro °C (Marsh et al. 1984b; Mustafa et al. 1988; Ahmed 1991; Takahashi et al. 1991). Unmittelbar vor dem hitzeinduzierten Kollaps verlängerten sich die MAEP-Latenzen, bis sie schließlich irreversibel ausfielen, während die FAEP hinsichtlich Form und Interpeaklatenz I–V unverändert blieben (Mustafa et al. 1988). Auch die SEP zeigen unter Hyperthermie eine reversible Latenzverkürzung (Panjwani et al. 1991; Strenge 1991); Panjwani et al. (1991) beobachteten im Tierversuch unter länger dauernder maximaler Hyperthermie nach anfänglicher Latenzverkürzung eine Verlängerung und schließlich den Verlust von kortikalen SEP mittlerer Latenz als Ausdruck einer strukturellen Hirnschädigung. Ähnliches gilt auch für die VEP (Harris et al. 1962).
6.3.2
Einfluss von Hypotension und Blutgasänderungen auf die evozierten Potenziale
Inwieweit sich eine arterielle Hypotonie auswirkt, ist nicht systematisch untersucht. Bis zu einem systolischen Blutdruck von 80 mmHg ist nicht mit wesentlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. In Einzelfällen wurden geringe Erniedrigungen und Verzögerungen der SEP (Worth et al. 1982; Nuwer 1986) und der VEP (Smith 1975) beschrieben. Blutgasveränderungen in Form einer leichten Hypoxie (nach Beatmung mit einem Gasgemisch von 9–13% O2) und einer Hyperkapnie (nach Beatmung mit einem Gasgemisch von 7,5–10% C02) lassen die FAEP unverändert (Sohmer et al. 1982). Eine durch mechanische Hyperventilation induzierte Hypokapnie führt nur zu geringfügigen Änderungen der SEP (Schubert u. Drummond 1986; (hypoxiebedingte Veränderungen Abschn. 6.7.1).
456
6.3.3
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Pharmakologische Einflüsse auf die evozierten Potenziale
Barbiturate
6
Die FAEP bleiben unter Barbiturattherapie unverändert auch wenn das EEG ein Burst-suppressionMuster oder keine Aktivität mehr zeigt (⊡ Abb. 6.5; Newlon et al. 1983; Kroiß et al. 1993). Bei sehr hohen Thiopentaldosierungen (Serumthiopentalkonzentration bei 283 µmol/l) wurden Latenzverlängerungen der FAEP beobachtet, so war z. B. die Welle V um 0,67 ms verzögert (Drummond et al. 1985). Möglicherweise sind diese geringfügigen Veränderungen auf das Absinken der Körpertemperatur unter Barbituraten zurückzuführen (Nuwer 1986). Auch im Tierversuch ist die Stabilität der FAEP unter Barbituratgabe belegt (Bobbin et al. 1979; Cohen u. Britt 1982; Sutton et al. 1982). Bei höheren Dosierungen wurde bei Katzen eine geringe Verzögerung insbesondere der Welle V nachgewiesen
⊡ Abb. 6.5. FAEP eines komatösen Patienten nach zerebraler Massenblutung unter Thiopentaltherapie. Bei einer Serumthiopentalkonzentration von 231 µmol/l (klinisch sind zu diesem Zeitpunkt alle Hirnstammreflexe ausgefallen; im EEG zeigt sich ein Burst-suppression-Muster) sind die FAEP hinsichtlich der Latenzen, Interpeaklatenzen, Amplitudenrelationen und auch weitgehend hinsichtlich der Amplituden unbeeinträchtigt
(Sutton et al. 1982; Marsh et al. 1984a). Bei gleichzeitigem starken Abfall des arteriellen Blutdrucks beobachteten Shapiro et al. (1984) an Ratten nach 200 mg Pentobarbital/kg KG eine Amplitudenabnahme der FAEP und in Einzelfällen auch einen reversiblen Wellenverlust. Zwei Einzelfälle mit wahrscheinlich medikamentös mitbedingtem reversiblen Ausfall der FAEP wurden beschrieben: hochdosierte Lidocaintherapie kombiniert mit Thiopental (García-Larrea et al. 1988) und hochdosierte Pentobarbitaltherapie mit mäßiger Hypothermie und stark erhöhtem intrakraniellen Druck (Link et al. 1988). Auch die SEP zeigen in ihren frühen Anteilen bis zum kortikalen Primärkomplex keine wesentliche Änderung unter Barbiturattherapie, während nachfolgende Potenzialanteile, d. h. die Wellen mittlerer und später Latenz, erheblich erniedrigt werden und auch ausfallen können (Abrahamian et al.1963; Allison et al. 1963; AlbeFessard et al. 1970; Clark u. Rosner 1973; Hosick
457 6.3 · Nichtkrankheitsbedingte Einflüsse auf die evozierten Potenziale
6
⊡ Abb. 6.6. SEP des N. medianus, abgeleitet über dem Dornfortsatz C2 und über C4‘ bei einem Patienten nach Schädelhirntrauma unter Thiopentaltherapie. Es finden sich keine von der Serumthiopentalkonzentration abhängigen Veränderungen des kortikalen Primärkomplexes und der zervikalen Reizantwort hinsichtlich Latenz und Amplitude
u. Mendel 1975; Kaplan 1977; Hume u. Cant 1981; Sutton et al. 1982). Die frühen Antworten sind resistent auch bei Dosierungen, die zu einem Burstsuppression-Muster oder einem isoelektrischen EEG führen (Kaplan 1977; Ganes u. Lundar 1983; Lundar et al. 1983; Newlon et al. 1983; Kroiß et al. 1993; ⊡ Abb. 6.6). Auch bei der doppelten Thiopentaldosis, die ausreicht, ein isoelektrisches EEG zu erzielen, blieb der kortikale Primärkomplex erhalten, eine Verlängerung der zentralen Überleitungszeit um 2,1 ms und Amplitudenreduktionen von N20 um 60% wurde beobachtet (Drummond et al. 1985). Die VEP werden dagegen durch Barbituratgabe deutlich beeinflusst. Bei niedriger Dosierung nehmen die Amplituden zu (Brazier 1970), bei
mittlerer Dosierung ab (Serumkonzentration 100– 140 µmol/l Pentobarbital; Sutton et al. 1982; Ganes u. Lundar 1983; Newlon et al. 1983), bei hoher Dosierung – das EEG in den meisten Fällen isoelektrisch – fallen sie aus (Domino et al. 1963; Domino 1967; Nuwer 1986).
Propofol Durch Propofol werden FAEP und frühe SEP kaum verändert (Chassard et al. 1989; Scheepstra et al. 1989).
Etomidat Etomidat führt kurzzeitig zu einem Amplitudenanstieg des kortikalen Primärkomplexes des MedSEP (Mc Pherson et al. 1986; Koht et al. 1988).
458
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Benzodiazepine
6
Diazepam in einer Dosierung von 0,2 mg/kg KG ändert die FAEP nicht (Döring u. Daub 1980), während in Bezug auf die SEP geringe Veränderungen beschrieben wurden. Die Gabe von 10 mg Diazepam i.v. verlängert die Latenz von N20 um l ms und erniedrigt für etwa eine Stunde die Amplitude um 10% (Prevec 1980). Spätere Potenzialanteile zeigen eine weitere Amplitudenabnahme (Grundy et al. 1979). Bolusinjektionen von Midazolam führen zu keiner Änderung der FAEP und nur zu geringen Änderungen der N20-Latenz, jedoch zur Abflachung und Verzögerung der mittleren und späten SEP und AEP (Koht et al. 1988; Kochs et al. 1989; Sloan et al. 1990). In unserem Labor wurde kein Einfluss von Flunitrazepam 2 mg oral auf die FAEP und die frühen SEP beobachtet; sofern der Patient infolge der Flunitrazepamgabe einschläft, resultieren u. U. Abflachungen und Verzögerungen der mittleren und späten Potenzialanteile der SEP.
Fentanyl Fentanylgabe ändert die FAEP und die frühen SEP nicht, während die SEP-Wellen mittlerer und später Latenz beeinflusst werden (Grundy et al. 1980; Samra et al. 1984; Hume u. Durkin 1986). Auch die VEP zeigten selbst unter hohen Fentanyldosen keine Änderung der P100-Latenz, jedoch nahm die Amplitude ab (Chi et al. 1987).
gerungen der Interpeaklatenz I–V der FAEP (von 4,0 auf 4,4 ms) und zu einer Verzögerung der Welle N20 des Med-SEP um 1,4 ms (Green et al. 1982). Auch Stockard et al. (1978b) beschreiben bei der Phenytoindauermedikation eine Verlängerung der Interpeaklatenz I–V der FAEP. Valproinsäure soll keinen Effekt auf die frühen SEP haben, aber ebenfalls zu einer geringfügigen Verzögerung der Welle V um 0,1 ms führen (Mervaala et al. 1987). Vigabatrin führt in therapeutischer Dosis beim Menschen zu keinen Änderungen der SEP (Liegeois-Chauvel et al. 1989). Im Tierversuch sind unter sehr hohen Dosen reversible Verlängerungen der zentralen Überleitungszeit der SEP um 30% beschrieben, die von Mikrovakuolenbildung in verschiedenen Hirnregionen begleitet waren; die FAEP blieben unbeeinträchtigt (Arezzo et al. 1989).
Lidocain Nach i.v.-Gabe von Lidocain wurde eine Verzögerung und Amplitudenminderung der Welle V der FAEP beschrieben (Ruth et al.1985).
Muskelrelaxanzien Die Gabe von Muskelrelaxanzien ändert die Latenzen und Amplituden der afferent evozierten Potenziale nicht; der einzige Effekt ist eine Verbesserung der Ableitbedingungen infolge fehlender Muskelartefakteinstreuung.
Antiepileptika In therapeutischer Dosierung haben die Antiepileptika keinen oder nur geringen Einfluss auf die EP. Unter Carbamazepintherapie wurden keine Veränderungen der frühen SEP (Carenini et al. 1988) oder nur geringfügige Verspätungen von N20 des Med-SEP um 0,4 ms bzw. der Welle V der FAEP um 0,1 ms festgestellt. Phenobarbital und Primidon haben keinen Einfluss auf die evozierten Potenziale (Green et al. 1982). Bei Phenytoinkonzentrationen im therapeutischen Bereich (10–20 µg/ml) lassen sich keine signifikanten Änderungen der evozierten Potenziale nachweisen. Bei Überdosierungen (Serumkonzentrationen >20 µg/ml) kommt es zu leichten Verlän-
Aminoglykosidantibiotika und Furosemid Aminoglykosidantibiotika und Furosemid können ototoxisch sein, die FAEP zeigen dann eine periphere Hörstörung an.
FAEP und frühe SEP sind gegen medikamentöse Einflüsse weitgehend resistent. Ein Abfall der Körpertemperatur erhöht die Latenzen und muss bei der Bewertung immer mitberücksichtigt werden.
459 6.4 · Vergiftungen
6.4
6
Vergiftungen
Mit Barbituraten, Benzodiazepinen oder Alkohol Vergiftete werden häufig unterkühlt aufgefunden. Da Hypothermie die evozierten Potenziale wesentlich beeinflusst, nämlich verzögert und erniedrigt, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, ist sie bei der Auswertung immer mitzuberücksichtigen, ggf. sollte der Patient vor Ableitung der evozierten Potenziale aufgewärmt werden. Die FAEP und die frühen SEP sind gegenüber toxischen Einflüssen weitgehend stabil. Dies gilt auch dann, wenn die klinische Untersuchung eines komatösen, nicht auf Schmerzreize reagierenden Patienten eine Beeinträchtigung, evtl. sogar einen Ausfall der Hirnstammfunktion aufzeigt. In solchen Situationen sind die FAEP und die frühen SEP diagnostisch und prognostisch richtungsweisend. Ausnahmen sind Intoxikationen mit begleitenden schweren Hypothermien, Intoxikationen mit Carbamazepin und möglicherweise auch Phenytoinintoxikationen.
Barbituratvergiftung Barbiturate können zu einem Ausfall aller Hirnstammreflexe und zu einem isoelektrischen EEG führen, wodurch fatale Fehleinschätzungen möglich sind. Der Einsatz der FAEP und der frühen SEP, die gegenüber Barbiturateinflüssen weitgehend stabil sind, ist deshalb bei Barbituratintoxikationen besonders hilfreich (Abschn. 6.3, ⊡ Abb. 6.7 u. 6.8). Im Tierversuch wurde die Stabilität der frühen akustischen und somatosensibel evozierten Potenziale auch nach Höchstdosen gezeigt (Marsh et al. 1984a; Saito et al.1997): In einer Versuchsanordnung, bei der die Hälfte der Versuchstiere an der Pentobarbitalüberdosierung verstarb, zeigte sich eine Amplitudenabnahme der Wellen (außer der Welle I) um 50% und eine Latenzzunahme der Interpeaklatenz I–V um 20%.
Alkoholvergiftung Bei einem Blutalkoholspiegel von 1‰ werden geringe Verzögerungen der Wellen II–VII sowie der Interpeaklatenz I–V gesehen (die Welle V kam durchschnittlich 0,12 ms später); die Amplituden blieben unbeeinflusst (Church u. Williams 1982).
⊡ Abb. 6.7. FAEP einer 16-jährigen komatösen Patientin mit Barbituratintoxikation und Hypothermie. Zum Zeitpunkt der ersten Ableitung sind alle Hirnstammreflexe ausgefallen, das EEG ist isoelektrisch. Die FAEP sind mit allen Wellen erhalten. Nach Erwärmung und Intensivtherapie haben sich Latenzen und Interpeaklatenzen nach einem Tag normalisiert. Die Patientin erholte sich weitgehend
⊡ Abb. 6.8. SEP des N. medianus einer 16-jährigen Patientin mit Barbituratintoxikation und Hypothermie (dieselbe Patientin wie ⊡ Abb. 6.7). Am ersten Tag ist der kortikale Primärkomplex erhalten, aber verzögert und erniedrigt, spätere Potenzialanteile fehlen. Im Verlauf normalisiert sich der Primärkomplex und spätere Potenzialanteile N35, P45 und N70 sind wieder nachweisbar
460
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Manche Autoren meinen, dass die Verzögerung allein durch die begleitende Hypothermie bedingt ist (Jones u. Stockard 1980; Jones et al. 1980). Andere Autoren dagegen vertreten die Ansicht, dass bei akuter Alkoholintoxikation sowohl im Tierversuch (Chu et al. 1978; Squires et al. 1978a) als auch beim Menschen (Squires et al. 1978b; Church u. Williams 1982) zusätzliche geringe temperaturunabhängige Veränderungen der FAEP auftreten. Auch beim chronischen Alkoholmissbrauch soll es zu leichten Verlängerungen der FAEP-Latenzen kommen (Chu et al. 1978, 1982). Interessanterweise wurde im Stadium des Alkoholentzugs mit Hyperreagibilität der Probanden (bzw. der Versuchstiere) eine Verkürzung der Interpeaklatenz I–V bzw. der Latenzen der Wellen VI und VII unter der Norm gefunden (Chu et al. 1978; Church u. Williams 1982). In Bezug auf die VEP zeigt sich unter Alkoholeinfluss eine Latenzzunahme der Potenziale, während der Effekt auf die Amplitude als uneinheitlich beschrieben wird (Hetzler et al. 1981; Seppäläinen et al. 1981). Bei niedriger Alkoholdosierung kommt es nicht zu signifikanten SEP-Veränderungen (Seppäläinen et al. 1981). Anzumerken bleibt, dass alle Alkoholeffekte am Menschen bei niedriger Alkoholdosierung untersucht wurden und Studien bei schwerer Alkoholintoxikation mit begleitendem Koma bislang fehlen.
Methanolvergiftung
⊡ Abb. 6.9. SEP des N. medianus links einer 20-jährigen Patientin bei Intoxikation mit Opiaten und trizyklischen Antidepressiva (Verlaufsuntersuchung). Die frühen Reizantworten sind erhalten, die zentrale Überleitungszeit initial verlängert, am folgenden Tag normalisiert. Auch die FAEP wiesen
eine reversible Verlängerung der I-V Interpeaklatenz auf. Die klinische Untersuchung ergab ein reaktionsloses Koma mit klinisch fehlender Hirnstammfunktion bis auf minimale Lichtreaktion, Extremitäten schlaff ohne Eigenreflexe. Die Patientin erwachte am zweiten Tag und erholte sich vollständig
Bei Methanolintoxikationen kann mit den VEP die Optikusneuropathie und Retinopathie erfasst werden. Patienten mit normalen VEP und SEP erholten sich gut, Patienten ohne kortikale Reizantworten in VEP und SEP starben (Hantson et al. 1999).
Benzodiazepinvergiftung Starr u. Achor (1975) fanden bei drei komatösen Patienten nach Diazepamintoxikation normale FAEP.
Vergiftungen mit Neuroleptika und trizyklischen Antidepressiva Normale FAEP gaben auch im Koma nach Amitriptylin-, Imipramin- und Perphenazinvergiftung Hinweise auf eine intakte Hirnstammfunktion und eine günstige Prognose (Starr u. Achor 1975). Rumpl et al. (1988) beschrieben zwei Patienten mit schweren Amitriptylinintoxikationen (Plasmaspiegel bis 4 µg/l), die erhaltene SEP hatten, wobei die zentrale Überleitungszeit um ca. 1 ms verlängert war. Reversible Verlängerungen von zentralen Leitungszeiten des Med-SEP und der FAEP bei schwerster Mischintoxikation mit trizyklischen Antidepressiva und Opiaten haben auch wir beobachtet (⊡ Abb. 6.9).
461 6.4 · Vergiftungen
Phenytoinvergiftung Überdosierungen führen zu leichten Verzögerungen der FAEP-Interpeaklatenz I–V und des kortikalen Primärkomplexes im Med-SEP (Stockard et al. 1978b; Green et al. 1982). Bei schweren Phenytoinintoxikationen wurden Deformierungen, Amplitudenreduktionen und leichte Latenzverlängerungen der FAEP beobachtet, jedoch kein Ausfall von Potenzialanteilen. Ob schwere Phenytoinintoxikationen beim Menschen zum Ausfall aller FAEP-Wellen führen können, wie es im Rattenversuch bei Konzentrationen um 50 ng/ml gezeigt wurde (Hirose et al.
⊡ Abb. 6.10. FAEP eines 18-jährigen Patienten mit Phenytoinintoxikation. Initial schlechte Ausprägung der Wellen I und III sowie Latenzzunahme sämtlicher Komponenten. Mit Abfall
6
1986), ist nicht nachgewiesen. Eigene Erfahrungen zeigen erhaltene FAEP bei Serumkonzentrationen um 60 µg/ml (⊡ Abb. 6.10). Dennoch wird bei jeder Phenytoinintoxikation aufgrund der tierexperimentellen Untersuchungen zu besonderer Vorsicht bei der Wertung der evozierten Potentiale geraten.
Carbamazepinvergiftung Schwarz et al. (1999) berichteten von einer tief komatösen ateminsuffizienten Patientin mit einem Serumcarbamazepinspiegel von über 80 µg/ml, die einen reversiblen Verlust der kortikalen Reizant-
des Phenytoinspiegels progrediente Verkürzung der Latenzen und der Latenzintervalle I–III und III–V
462
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
6.5
6
⊡ Abb. 6.11. SEP des N. medianus eines zunächst komatösen Patienten mit Kohlenmonoxydintoxikation. Am ersten Tag ist der kortikale Primärkomplex erhalten, aber erniedrigt, spätere Potenzialanteile sind weitgehend ausgefallen. Parallel zu einer klinischen Besserung sind am vierten Tag der Primärkomplex und spätere Potenzialanteile normal ableitbar
worten des Med-SEP und der FAEP-Wellen II–V aufwies und sich gut erholte. Einen ähnlichen Fall berichteten Motzek-Noé et al.(2003). Die tief komatöse Patientin mit Carbamazepinspiegeln bis 125 µg/ml hatte keine Hirnstammreflexe und sowohl FAEP als auch Med-SEP zeigten keinerlei Antworten, auch sie erholte sich vollständig. In der EEG-Untersuchung hatten beide Patientinnen ein Burst-suppression-Muster. Schwere Carbamazepinintoxikationen sind folglich als Ausnahme zu betrachten.
Kohlenmonoxidvergiftung Kohlenmonoxidvergiftung führt zu Hypoxämie, so dass Veränderungen der evozierten Potenziale wie bei einer globalen hypoxischen Hirnschädigung anderer Ursache gefunden werden (Abschn. 6.7). Die FAEP sind somit initial meist normal, während die SEP und die VEP je nach Ausmaß der kortikalen Schädigung verändert sind (⊡ Abb. 6.11).
Bei den meisten Intoxikationen bleiben FAEP und Med-SEP unverändert erhalten. So sind bei tiefst komatösen Patienten ohne Hirnstammreflexe normale FAEP und Med-SEP diagnostisch und prognostisch richtungsweisend.
Stoffwechselentgleisungen
Stoffwechselentgleisungen führen ebenso wie die meisten toxischen Substanzen zu keinen wesentlichen Veränderungen der FAEP und der frühen kortikalen SEP. Verspätete und amplitudengeminderte Potenziale am Erb-Punkt im Medianus-SEP sind häufig Ausdruck einer begleitenden Polyneuropathie; der im Verlauf ggf. eintretende Verlust der kortikalen Reizantworten zeigt die Irreversibilität der Schädigung an. So wurden im Koma bei Urämie, bei diabetischer Ketoazidose sowie im hepatischen Koma normale FAEP gefunden (Starr u. Achor 1975). Im Tierversuch führten schwere Hypoglykämien mit erheblichen EEG-Veränderungen nicht zu einer Beeinflussung der FAEP (Deutsch et al. 1983). Durrant et al. (1991) fanden lediglich durch die begleitende Hypothermie bedingte Latenzverlängerungen der FAEP.
Hepatische Enzephalopathie Die FAEP sind meist normal, Verlängerungen der Interpeaklatenzen können auftreten, insbesondere bei M. Wilson, bei der alkoholischen Leberzirrhose und im Coma hepaticum. Die VEP können verzögert sein, ebenso die kortikalen Komponenten des Medianus-SEP, die sich zur Überwachung des Krankheitsverlaufs eignen. Zunächst sind die späten und mittleren Komponenten betroffen, ihr Ausfall ist reversibel. Der Verlust der N70 im fulminanten Leberversagen deutete auf einen schlechten Verlauf hin, der nur durch Lebertransplantation reversibel war. Der Ausfall auch des Primärkomplexes gilt als irreversibel (Davies et al.1991; Madl et al. 1994; Chu et al. 1997; Kuhlbusch et al.1998).
Septische Enzephalopathie Pfadenhauer et al. (1997) untersuchten 95 Patienten mit Sepsis und begleitenden Bewusstseinsstörungen und fanden in 93% pathologische MedianusSEP. Typisch (62%) war die Kombination von peripherer und zentraler Läsion. Die peripheren Reizantworten waren meist symmetrisch amplitudengemindert im Sinne einer axonalen Polyneuropathie, die kortikalen Primärkomplexe dagegen
463 6.6 · Schweres Schädelhirntrauma
6
⊡ Abb. 6.12. SEP des N. medianus eines 53-jährigen komatösen Patienten mit Sepsis und Multiorganversagen. Amplitudenminderung bzw. Fehlen des Plexuspotenzials zeigt die »Critical-illness-Polyneuropathie« an, die kortikalen Primärkomplexe sind überhöht zu Riesenpotenzialen. Bei der klinischen Untersuchung waren die Hirnstammreflexe erhalten, die Extremitäten ohne Muskeleigenreflexe und schlaff gelähmt. Die Konstellation von peripherer axonaler Schädigung mit kortikalen Riesenpotenzialen ist typisch für die septische Enzephalopathie
⊡ Abb. 6.13. SEP des N. medianus rechts eines 55-jährigen komatösen Patienten mit Sepsis. Initial findet sich die typische Konstellation für die Sepsis: Amplitudenminderung des Plexuspotentials und geringe Verzögerung aller Reizantworten als Ausdruck der »Criticalillness-Polyneuropathie«, kortikales Riesenpotenzial. Bei der Verlaufsuntersuchung waren die auffälligen Befunde rückläufig
einige Tage lang auffällig hoch, in 25% der Fälle größer als 10 µV und oft doppelgipfelig (⊡ Abb. 6.12, 6.13).
Metabolische Enzephalopathien sind häufig von Polyneuropathien begleitet, die zur Amplitudenminderung oder Verzögerung der Armplexuspotenziale führen.
6.6
Schweres Schädelhirntrauma
Ein Schädelhirntrauma (SHT) ist Folge einer direkten oder indirekten Gewalteinwirkung auf Schädel und Gehirn. Primär können lokal Quetschungen, Blutungen und Substanzverluste neben diffusen Schäden, sog. diffuse axonale Schädigung oder Kavitationstrauma, auftreten. Die primäre Schädigung liegt meist supratentoriell. Primäre Hirnstammschädigungen
464
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
im Rahmen von diffusen schweren SHT wurden beschrieben (Oppenheimer 1968; Ommaya u. Gennarelli 1974; Adams et al. 1982), die isolierte traumatische Hirnstammläsion ist selten (Tomlinsen 1970; Crompton 1971; Mitchell u. Adams 1973; Minderhoud et al. 1976; Stein et al. 1996), Stein berichtet über vier von 122 Patienten mit schwerem SHT, wir konnten bei 103 Patienten keinen Fall beobachten (Riffel et al. 1987). Sekundäre Schädigungen setzen sofort oder verzögert ein durch Ödem, Zunahme von Blutungen, Infarzierung, Infektion und Liquorabflussstörung, die letztlich nach Ausschöpfung der supratentoriellen Reserveräume zur »Einklemmung«, d. h. der Hirnstammkompression durch transtentorielle Herniation von Temporallappenanteilen mit sekundärer Hirnstammschädigung führen können. Zusätzliche Schäden können als akute Ursache des Schädelhirntraumas vorbestehend sein, während des Traumas durch Blutdruckabfall und Hypoxämie im Rahmen von begleitenden Verletzungen, Verlegung der Atemwege oder im Verlauf bei Sepsis und Multiorganversagen eintreten. Die meisten dieser strukturellen Läsionen werden durch die Computertomographie dargestellt. Die Funktionsstörung wird mit Hilfe des klinischen Befundes und elektrophysiologischer Zusatzuntersuchungen erfasst. Die klinisch-neurologischen Untersuchungsbefunde sind ein gutes Maß für die Schwere eines Schädelhirntraumas und für die Prognose (Gerstenbrand u. Lücking 1970; Plum u. Posner 1972; Teasdale u. Jennett 1974; Jennett u. Bond 1975; Jennett et al. 1976; Jennett et al. 1981; Narayan et al. 1981; Neunzig u. Kunze 1987; Born 1988). Die Einteilung des Schweregrades richtet sich nach der Dauer der begleitenden Bewusstseinsstörung. Beim leichten SHT dauert sie weniger als 1 h, beim mittelschweren eine bis 24 h und beim schweren SHT über 24 h. Die Komatiefe wird meistens mit der Glasgow-Komaskala (GKS) bestimmt (Teasdale u. Jennett 1974).
6.6.1
Schädigungsmuster der evozierten Potenziale und deren Verlauf im posttraumatischen Koma
Akustisch evozierte Potentiale im posttraumatischen Koma Nach SHT sind periphere Hörstörungen häufig. Wir fanden sie bei 19% unserer Patienten mit schwerem SHT, wobei es in weniger als der Hälfte der Fälle zum Ausfall aller Wellen der betroffenen Seite kam; in der Mehrzahl lag eine Amplitudenminderung, Verzögerung oder ein Ausfall nur der Welle I vor, selten sahen wir den peripher bedingten bilateralen Ausfall aller Wellen (Podoshin u. Fradis 1975; Stockard et al. 1980; Lindsay et al. 1981; Goldie et al. 1981; Hall et al. 1982; Healy 1982; Scherg u. Speulda 1982; Facco et al. 1983; Riffel et al. 1994). Durch fremdanamnestische Angaben, Inspektion des Gehörgangs und des Trommelfells, radiologische Untersuchung des Felsenbeines und Überprüfung der Medikation kann meistens die Ursache der peripheren Hörstörung aufgedeckt werden. Ein nach Ausschluss einer peripheren Hörstörung nachgewiesener primärer bilateraler Verlust der Wellen I–V kann vielfach ein Hinweis auf den bereits eingetretenen Hirntod sein (Abschn. 6.11.2). Zentral bedingte Veränderungen der FAEP sind häufig symmetrisch und zeigen meist eine sekundäre Hirnstammläsion im Rahmen der transtentoriellen Herniation an, da primäre Hirnstammläsionen selten sind (Starr 1976; Goldie et al. 1981; Chiappa u. Ropper 1982; Karnaze et al. 1982; Mjoen et al. 1983; Walser et al. 1983; Anderson et al. 1984; ⊡ Abb. 6.1). FAEP-Veränderungen korrelieren mit dem klinischen Befund; so konnte ein Zusammenhang von FAEP-Veränderungen und Pupillen-Licht-Reflex (Greenberg et al. 1977 b; Anderson et al. 1984; Karnaze et al. 1985) sowie okulozephaler Antwort (Greenberg et al. 1977b) nachgewiesen werden. Eigene Untersuchungen konnten einen Zusammenhang zwischen dem Grad der FAEP-Veränderung und dem GKS-Wert und einen noch engeren Zusammenhang der FAEP mit einer Hirnstammfunktionsskala aufzeigen, in der Atmung, Augenbewegungen, Pupillen-Licht-, Korneal-, okulozephaler,
465 6.6 · Schweres Schädelhirntrauma
vestibulookulärer und Hustenreflex erfasst wurden (Riffel et al. 1987, 1994). Weniger stabil als die Wellen I–V sind die Wellen VI und VII der FAEP, deren Generatoren im Thalamus bzw. suprathalamisch vermutet werden. Sie können bei Gesunden in 92% (Welle VI) bzw. in 58% (Welle VII) abgeleitet werden. Das Vorhandensein bzw. das Fehlen der Wellen VI und VII beim Schädelhintrauma steht in Wechselbeziehung zur Glasgow-Komaskala (Harslem et al. 1985). Seltener wurden auch die akustisch evozierten Potentiale mittlerer Latenz untersucht (Greenberg et al. 1977a, b; Lindsay et al. 1981; Kaga et al. 1985; Ottaviani et al. 1986). Greenberg et al. (1977b) fanden eine gute Korrelation zwischen MAEP-Latenz und dem klinischen Befund sowie der Dauer des Komas. Auch Kaga et al. (1985) und Ottaviani et al. (1986) belegten, dass die Berücksichtigung auch der MAEP eine Zusatzinformation zur alleinigen FAEPBeurteilung brachte.
Somatosensibel evozierte Potenziale im posttraumatischen Koma Im Med-SEP hatten von unseren 157 Patienten mit schwerem Schädelhirntrauma 90% pathologische Auffälligkeiten des kortikalen Primärkomplexes N20-P25, die in 19% unilateral waren und in 81% bilateral. Bei 35% unserer Patienten fehlte bilateral der kortikale Primärkomplex. Unter den 143 pathologischen SEP mit erhaltener kortikaler Reizantwort fanden wir in den meisten Fällen, nämlich bei 101 Ableitungen, eine Amplitudenminderung N20-P25, bei 41 Ableitungen Amplitudenminderung und ZÜZ-Verlängerung und lediglich bei drei Ableitungen nur eine verlängerte ZÜZ (Riffel et al. 1994). Der Amplitudenquotient N20/N13a ist also im Vergleich zur zentralen Überleitungszeit der wesentlich sensitivere Parameter für eine Hirnschädigung. Die frontalen Reizantworten sind noch häufiger als die parietalen ausgefallen oder verspätet (Cusumano et al. 1992; Gütling et al. 1993). Wellen mit längerer Latenz als 100 ms waren nie nachweisbar (Greenberg et al. 1977b). SEP-Befunde korrelieren mit anderen klinischen Parametern, so z. B. mit der Dauer des Komas (Adler et al. 1983; Greenberg et al.1977b), mit dem Punktewert auf der Glasgow-Komaskala (Lindsay
6
et al. 1981; Pfurtscheller et al. 1985; Riffel et al. 1987, 1994) und der Innsbrucker Komaskala (Zeitlhofer et al. 1989), der besten motorischen Antwort (Riffel et al. 1994), der Dekortikations- bzw. Dezerebrationshaltung, dem okulozephalen Reflex und der Lichtreaktion der Pupillen (Greenberg et al. 1977b) sowie einer Hirnstammskala (Riffel et al. 1987, 1994). Die Besserung der SEP in der Frühphase geht der klinischen Besserung zeitlich voraus (Claassen u. Hansen 2001). Frühe und mittlere SEP zeigen bei Patienten, die länger als 10 Tage im Koma oder Koma vigile sind, im folgenden Jahr einen Trend zur Normalisierung von Amplituden und Latenzen. Die Erholung scheint bei der N20 des Med-SEP am schnellsten vorzugehen, auch ohne folgende klinische Besserung, die der N30 und vor allem des kortikalen Primärkomplexes nach Tibialisstimulation langsamer und in guter Korrelation zum klinischen Befund (Mazzini et al. 1999). Verschlechterungen der SEP treten bei sekundären Schädigungen auf, am häufigsten in der Frühphase und bei bereits pathologischen Ausgangsbefunden (Newlon et al.1982).
Visuell evozierte Potenziale im posttraumatischen Koma Visuell evozierte Potenziale (VEP) werden beim schweren SHT selten eingesetzt (Greenberg et al. 1977b; Lindsay et al. 1981; Narayan et al. 1981; Newlon et al. 1982; Anderson et al.1984). In der Auswertung berücksichtigt werden die Anzahl der Wellen in einem Latenzbereich bis 200 ms (Greenberg et al. 1977a, b) bzw. bis 500 ms (Rappaport et al. 1977, 1981). Dabei konnten Zusammenhänge zwischen VEP-Veränderungen und Dekortikations- oder Dezerebrationshaltung, Dauer des Komas (Greenberg et al. 1977b) und GlasgowKomaskala (Lindsay et al. 1981) nachgewiesen werden.
6.6.2
Prognose des posttraumatischen Komas
Von unseren 242 Patienten mit schwerem Schädelhirntrauma verstarb die Hälfte, davon zwei Drittel
466
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
an der zerebralen Schädigung und ein Drittel an extrazerebralen Komplikationen. Die Überlebenden erholten sich zu 30% gut, 44% behielten eine mäßige und 22% eine schwere Behinderung, 4% blieben im persistierenden vegetativen Zustand (Riffel et al. 1994). Der Ausgang nach SHT wird meist nach den Kriterien der Glasgow-Outcomeskala (GOS) bewertet (Jennet u. Bond 1975). Der initiale Punktwert auf der GKS gilt als guter prognostischer Parameter, allerdings zeigen manche Patienten mit einem niedrigen, also schlechten, Punktwert trotzdem einen guten Verlauf.
Prognose des posttraumatischen Komas mit akustisch evozierten Potenzialen Die Vorhersage eines schlechten Verlaufs ist mit hoher Sicherheit mit den FAEP möglich. Fehlt mindestens unilateral Welle V, so kann ein schlechter Ausgang vorhergesagt werden. In unserer Studie verstarben alle Patienten, bei denen die FAEP einen Verlust der Welle V anzeigten (⊡ Abb. 6.14). So konnten mit Hilfe der FAEP 67% der Patienten, die später im Hirntod verstarben, bereits bei der ersten FAEP-Untersuchung 6– 120 h nach der Verletzung identifiziert werden. Bei bilateral pathologischen FAEP (⊡ Abb. 6.15) ohne
⊡ Abb. 6.14. FAEP eines 39-jährigen komatösen Patienten nach schwerem Schädelhirntrauma. Am ersten Tag sind beidseits die Wellen V verzögert und links auch die Latenzintervalle I–III und III–V verlängert. Drei Tage später zeigt die Verlaufs-
Wellenverlust innerhalb der ersten 48 h verstarben 63%, bei unilateral pathologischen 33% und bei bilateral normalen FAEP nur 15% der Patienten (Riffel et al. 1994). Auch andere Autoren berichten über eine sehr schlechte Prognose bei fehlender Welle V, referieren jedoch in Einzelfällen ein Überleben (Tsubokawa et al. 1980; Uziel et al. 1982). Stein et al. (1996) bestätigten die Aussagekraft der fehlenden Welle V auch bei Patienten mit primären traumatischen Hirnstammläsionen. Fehlt darüber hinaus auch beidseits Welle III oder mehr Wellen, weist dies auf den eingetretenen Hirntod hin (Abschn. 6.11). Auch der Verlust der Welle VI (und VII) kündigt einen ungünstigen Verlauf an. Keiner unserer Patienten, bei dem in der ersten Untersuchung beidseits die Welle VI (und VII) fehlte, überlebte (Harslem et al. 1985; Harslem 1987). Die Vorhersage des guten Verlaufs ist mit den FAEP nicht möglich. Normale FAEP sind besonders in der Initialphase eines Schädelhirntraumas ohne prognostischen Wert (Andersen et al. 1984; Cant et al. 1986; Reisecker et al. 1987; Riffel et al 1987). So haben 15–40% der Patienten mit anfangs normalen FAEP trotzdem einen ungünstigen Verlauf (Cant et al. 1986; Riffel et al. 1987, 1994). Offensichtlich wird bei Ableitung der FAEP in der Frühphase nach dem Schädelhirntrauma die sekundär eintretende Hirn-
untersuchung bilateral den Verlust der Welle V als prognostisch infaustes Zeichen. Am folgenden Tag verstarb der Patient im Hirntod
467 6.6 · Schweres Schädelhirntrauma
6
⊡ Abb. 6.15. FAEP eines 17-jährigen komatösen Patienten am ersten Tag nach schwerem Schädelhirntrauma. Der Amplitudenquotient V/I ist beidseits vermindert. Dieser Patient erholte sich im weiteren Verlauf vollständig. FAEP-Veränderungen beim Schädelhirntrauma sind, solange kein Wellenverlust eingetreten ist, prinzipiell reversibel
stammläsion oft noch nicht erfasst. Dies führt dazu, dass manche Autoren überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den FAEP und dem Ausgang finden und die FAEP für prognostisch bedeutungslos halten (Lindsay et al. 1981; Cusumano et al. 1986; Guérit 2000). Die Zuverlässigkeit der Prognose erhöht sich jedoch, wenn eine Kontrolluntersuchung der FAEP nach der Akutphase, ca. 3–6 Tage nach dem Schädelhirntrauma, erfolgt (Greenberg et al. 1977b; Seales et al. 1979; Tsubokawa et al. 1980; Lütschg et al. 1983; Facco et al. 1988). Aber auch dann lässt sich bei normalem Befund nur eine günstige Prognose in Bezug auf das Überleben stellen, nicht aber auf den Behinderungsgrad: Die FAEP von komatösen Patienten, die apallisch bleiben, unterscheiden sich nicht von den FAEP der Patienten, die unbehindert überleben (Riffel et al. 1994). Das Wiederauftreten einer fehlenden Welle VI (und VII) konnte bei Patienten nach Schädelhirntrauma wiederholt festgestellt werden und ist Hinweis auf eine gute Prognose (Harslem et al. 1985; Harslem 1987). Greenberg et al. (1977a) fanden eine gute Korrelation zwischen den MAEP und dem Ausgang. Auch Lindsay et al. (1981) konnten eine Korrelation
zwischen der Anzahl der AEP-Wellen mittlerer und später Latenz und dem Verlauf nachweisen.
Prognose des posttraumatischen Komas mit somatosensibel evozierten Potenzialen Zahlreiche Untersuchungen weisen auf die hervorragende prognostische Bedeutung der SEP im posttraumatischen Koma hin. (Larson et al. 1973; Greenberg et al. 1977b; De la Torre et al. 1978; Hume et al. 1979; Greenberg et al. 1980; Hume u. Cant 1981; Rumpl et al. 1983; Walser et al. 1983; Cant et al. 1986; Reisecker et al. 1987; Riffel et al. 1987,1994; Judson et al.1990; Gütling et al.1994; Stein et al.1996; Sleigh et al.1999; Claassen u. Hansen 2001). Ein vielfach berücksichtigter Parameter ist die zentrale Überleitungszeit zwischen N13 a und N20 (ZÜZ; Walser et al.1983; Cant et al. 1986). Je stärker die zentrale Überleitungszeit verlängert ist, desto ungünstiger ist der Verlauf. Rumpl et al. (1983) fanden z. B. bei einer Gruppe von Patienten mit gutem Ausgang eine durchschnittliche zentrale Überleitungszeit von 6,2 ms, in einer Gruppe von Patienten, die im Hirntod verstarben, eine zentrale Überleitungszeit von 7,8 ms. Eine Verbesserung der prognostischen Aussagekraft wird erreicht, wenn außer der zentralen
468
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Überleitungszeit weitere Messparameter berücksichtigt werden. Gütling et al. (1994) stellen die Prognose unter Berücksichtigung der frontalen zentralen Überleitungszeit N14-P20 und der Amplitude P20/N30, die gegenüber der alleinigen Berücksichtigung der ZÜZ genauer war. Claassen u. Hansen (2001), die SHT mit diffusem axonalen Schaden untersucht haben, fanden eine verbesserte Prognosekraft, wenn die N20-P25 Amplitude mitbewertet wurde. Bei Berücksichtigung der Wellen mittlerer und später Latenz (Greenberg et al. 1977a, b; De la Torre et al. 1978, 1980; Lindsay et al. 1981; Pfurtscheller et al. 1983) erfolgt meistens die Summierung der Wellen in einem Latenzbereich bis zu 200–300 ms, wobei die Prognose günstiger ist, je mehr Wellen auf der schlechteren Seite gezählt werden können. Andererseits können die Potenziale mittlerer und später Latenz wegen ihrer Beeinflussbarkeit durch zentral dämpfende Pharmaka nur bei einem geringen Teil der Patienten zur Prognosestellung herangezogen werden. Wir selbst haben prognostische Untersuchungen durchgeführt unter Berücksichtigung der zentralen Überleitungszeit und der Amplitude N20/ P25 (Riffel et al. 1994) an über 200 komatösen Patienten mit schwerem Schädelhirntrauma . Die SEP-Befunde wurden verschiedenen Graden zugeordnet:
▬ SEP-Grad 1: kortikale Reizantwort N20/P25
beidseits ausgefallen, ▬ SEP-Grad 2: kortikale Reizantwort N20/P25
beidseits pathologisch, aber mindestens einseitig vorhanden, ▬ SEP-Grad 3: kortikale Reizantwort N20/P25 einseitig normal; Gegenseite mit erniedrigtem bzw. verzögertem oder ausgefallenem N20 ▬ SEP-Grad 4: kortikale Reizantwort N20/P25 beidseits normal. ⊡ Tabellen 6.1 und 6.2 zeigen den Ausgang unserer Patienten auf der GOS-Skala in Beziehung zum initialen GKS-Punktewert und dem SEP-Grad. Nur die SEP trennten scharf zwischen gutem und schlechtem Verlauf, während ein guter Punktewert auf der GKS zwar einen günstigen, nicht aber einen ungünstigen Verlauf zuverlässig voraussagte. Immerhin überlebten 20% der Patienten mit zunächst minimalem GKS-Punktewert mit nur mäßiger oder ohne Behinderung. Fast alle Patienten mit SEP-Grad 1, also beidseits fehlenden kortikalen Reizantworten, hatten einen sehr schlechten Verlauf: 51 starben an der zerebralen Schädigung (⊡ Abb. 6.16); ein Patient blieb im vegetativen Zustand, zwei schwerstbehindert und ein 3-jähriges Mädchen überlebte mäßig behindert (⊡ Abb. 6.17). Umgekehrt hatten alle Patienten mit SEP-Grad 3 und 4, also ein- oder beidseitig normalen SEP (n=43), einen guten weiteren Verlauf: Alle überleb-
⊡ Tabelle 6.1. Initialer Punktewert auf der Glasgow-Koma-Skala innerhalb der ersten 120-h bei 178 Patienten nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma und Ausgang nach der Glasgow-outcome-Skala. (Bewertet werden Augenöffnung, beste motorische Antwort und beste verbale Antwort. Ein Patient kann zwischen 3 und 15 Punkten erreichen)
Ausgang
Punktewert auf der Glasgow-Koma-Skala 3
4–6
62
11
Vegetatives Stadium
2
4
Schwere Behinderung
6
15
Mäßige Behinderung
10
21
10
1
9
11
9
5
Hirntod
Gute Erholung
7–9
>9
1
6
469 6.6 · Schweres Schädelhirntrauma
⊡ Tabelle 6.2. Initiale SEP-Gradierung innerhalb der ersten 120-h nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma bei 158 Patienten und Ausgang nach der Glasgow-outcoma-Skala. (1-=-N-20 beidseits fehlend; 2-=-N-20 mindestens einseitig erhalten, aber pathologisch; 3-=-N-20 einseitig normal; 4-=-N-20 beidseits normal)
Ausgang
SEP-Gradierung 1
2
51
11
Vegetatives Stadium
1
5
Schwere Behinderung
2
17
Mäßige Behinderung
1
23
12
5
4
15
11
Hirntod
Gute Erholung
⊡ Abb. 6.16. SEP des N. medianus eines 23-jährigen komatösen Patienten nach schwerem Schädelhirntrauma mit malignem Hirnödem. Am ersten Tag sind noch minimale kortikale Reizantworten erkennbar, die am nächsten Tag nicht mehr nachweisbar sind. Der bilaterale Verlust der kortikalen Reizantwort bedeutet eine sehr schlechte Prognose. Der Patient stirbt zwei Tage später im Hirntod
3
4
⊡ Abb. 6.17. SEP des N. medianus eines 3-jährigen komatösen Mädchens nach schwerem Schädelhirntrauma. In der Erstableitung am dritten Tag fehlen beidseits die kortikalen Reizantworten. 17 Tage später ist beidseits ein erheblich erniedrigtes und verspätetes Potential nachweisbar. Das Mädchen überlebte mit mäßiger Behinderung. Bei Kindern sind bilateral fehlende kortikale Reizantworten kein sicheres Zeichen einer ungünstigen Prognose
470
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
⊡ Abb. 6.18. SEP des N. medianus eines 15-jährigen komatösen Patienten nach schwerem Schädelhirntrauma mit offener Schädelfraktur und epiduralem Hämatom links okzipital. Am zweiten Tag findet sich nach Stimulation rechts eine Amplitudenminderung des kortikalen Primärkomplexes, die zentrale Überleitungszeit ist normal. Dieser Befund spricht für eine gute Prognose. Im Verlauf kommt es parallel zur klinischen Restitutio ad integrum zu einer Normalisierung der SEP
ten, entweder mäßig behindert oder ohne Behinderung. Patienten mit SEP-Grad 2 (n=60) zeigten variable Verläufe. Je rascher und vollständiger sich ein initial pathologischer SEP-Befund bei Verlaufsuntersuchungen einer Normalisierung näherte, umso besser war der Verlauf (⊡ Abb. 6.18). Bei Patienten mit persistierendem vegetativen Zustand besserten sich die SEP-Befunde nicht. Kontrolluntersuchungen pathologischer Befunde (SEP-Grade 2 u. 3) verbesserten die Prognosegenauigkeit (⊡ Abb. 6.16, 6.18). Nach Cusumano et al. (1992) hat in der dritten Woche nach einem Schädelhirntrauma die frontale N30-P45-Amplitude eine größere prognostische Bedeutung als der postzentrale Primärkomplex. Auch Mazzini et al. (1999) sehen ab der dritten Woche die N30, aber auch den kortikalen Primärkomplex des Tibialis-SEP als prognostisch aussagekräftiger an. Die schlechte Prognose bei beidseits fehlendem kortikalen Primärkomplex wurde auch von
anderen Autoren beschrieben (Hume u. Cant 1981; Greenberg et al. 1982; Walser et al. 1983; Anderson et al.1984; Haupt u. Schumacher 1988; Zentner u. Ebner 1988; Judson et al. 1990; Sleigh et al. 1999). Berichte über Patienten, die trotz beidseits fehlenden kortikalen Reizantworten das Bewusstsein wiedererlangten, sind selten. Rumpl et al. (1983) berichteten über einen Patienten mit gutem Verlauf und führten die beidseits nur vorübergehend fehlende kortikale Reizantwort auf eine primäre traumatische Hirnstammläsion zurück; die beigefügte Abbildung lässt allerdings erkennen, dass eine stark amplitudengeminderte Antwort noch vorhanden war. Auch Lindsay et al. (1990) berichten über einen Patienten, bei dem Tage nach dem Trauma die kortikalen Reizantworten noch fehlten, der sich aber gut erholt haben soll. Die sehr ungünstige Prognose bezieht sich auch auf Kinder, hier sind jedoch Ausnahmen möglich (Goodwin et al. 1991; Riffel et al. 1994; Pohlmann-
471 6.6 · Schweres Schädelhirntrauma
Eden et al. 1997; Carter et al. 1999; Sleigh et al. 1999) (⊡ Abb. 6.17). Die SEP sind auch brauchbar für die Vorhersage eines guten Verlaufs. Bilateral normale Primärkomplexe sagen einen günstigen Verlauf voraus (Houlden et al. 1990; Riffel et al. 1994). Hutchinson et al. (1991), Goodwin et al. (1991) sowie Lindsay et al. (1990) kamen ebenso zu diesem Ergebnis, beobachteten jedoch einige Patienten mit zunächst bilateral normalen Reizantworten, die später an zerebralen Komplikationen verstarben. Nach den Untersuchungen von Greenberg et al. (1982) lagen dann immer sekundäre Insulte zugrunde. Der gute Verlauf konnte am sichersten vorhergesagt werden, wenn auch mittlere und späte SEP-Komponenten vorhanden waren.
Prognose des posttraumatischen Komas mit visuell evozierten Potenzialen Die prognostische Aussagekraft der VEP wird unterschiedlich beurteilt: Greenberg et al. (1977b) sehen keinen Zusammenhang zwischen VEP-Veränderungen und Ausgang, während Lindsay et al. (1981) einen solchen herstellen konnten. Anderson et al. (1984) sehen VEP-Veränderungen vorwiegend in der Voraussage eines schlechten Verlaufes als zuverlässig an.
6.6.3
Vergleich der Wertigkeiten verschiedener Untersuchungsverfahren im posttraumatischen Koma
Die prognostische Aussagekraft der FAEP beschränkt sich auf den drohenden schlechten Ausgang und entspricht damit einer klinischen Hirnstammfunktionsskala, übertrifft diese aber an Genauigkeit und Empfindlichkeit (Riffel et al. 1994). Die somatosensibel evozierten und multimodal evozierten Potenziale sind in der Prognosestellung genauer als der klinische Befund (Tsubokawa et al. 1980; Greenberg et al. 1982; Facco et al. 1983; Cant et al. 1984; Karnaze et al. 1985; Ottaviani et al. 1986; Riffel et al. 1987, 1994; Houlden et al. 1990; Judson et al. 1990). In vielen Einzelfällen bestätigen sie zwar lediglich die klinisch-neurologische Einschätzung, wobei jeder intensivmedizinisch Tätige aber
6
eine solche Bestätigung gerade bei Problempatienten durchaus zu schätzen weiß. In anderen Fällen und besonders bei sedierten bzw. relaxierten Patienten, die die Mehrheit ausmachen, bringt der Einsatz der evozierten Potenziale wichtige, klinisch nicht erfassbare Zusatzinformationen (Lindsay et al. 1990). Dies gilt sowohl im Vergleich zum GKS (Greenberg et al. 1982; Ottaviani et al. 1986; Riffel et al. 1987, 1994) als auch im Vergleich zur aussagekräftigsten klinischen Befundkonstellation (Greenberg et al. 1982). Veränderungen der evozierten Potenziale im Verlauf gehen gelegentlich klinischen Veränderungen voraus und sagen mehr aus über den Ausgang als das Auftreten oder Fehlen von Komplikationen (Newlon et al. 1982). Narayan et al. (1981) und Newlon u. Greenberg (1984) weisen darauf hin, dass die evozierten Potenziale die Zuverlässigkeit der klinischen Prognose verbessern, wohingegen dieses durch den Einsatz von Schädel-Computertomogrammen und Hirndrucksonden nicht gelingt. In ihrer prognostischen Bedeutung sind die evozierten Potenziale auch intrakraniellen Druckmessungen (Anderson et al. 1984), dem Schädel-Computertomogramm (Tsubokawa et al. 1980; Cant et al. 1984; Ottaviani et al. 1986; Cusumano et al. 1992) und dem EEG (Ottaviani et al. 1986; Ganes u. Lundar 1988) überlegen. Kernspintomographische Untersuchungen zeigen prognostisch signifikante Läsionen in Balken, Basalganglien und Mittelhirn und waren bei der Untersuchung von Wedekind et al. (1999) in ihrer prognostischen Aussagekraft mit den SEP vergleichbar, erfordern jedoch einen wesentlich größeren Aufwand.
6.6.4
Praktischer Nutzen der evozierten Potenziale im posttraumatischen Koma
Für die Prognose nach einem schweren Schädelhirntrauma eignen sich am besten die SEP, die gleichermaßen zuverlässig sind in der Voraussage eines guten und eines schlechten Verlaufs (Cant et al. 1986; Reisecker et al. 1987; Riffel et al. 1986, 1987, 1994). Der Einsatz weiterer evozierter Potenziale erbringt im Hinblick auf die Prognosestellung keine
472
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Zusatzinformation (Greenberg et al. 1982; Riffel et al. 1987; Zentner u. Ebner 1988; Cusumano et al. 1992), so dass je nach personeller Besetzung und apparativer Ausstattung eine Beschränkung auf die Ableitung der SEP empfohlen werden kann (Lindsay et al. 1981). Am effektivsten ist nach eigener Erfahrung die Ableitung des Med-SEP beidseits innerhalb der ersten fünf Tage mit Bestimmung der zentralen Überleitungszeit N13a-N20 sowie des Amplitudenquotienten N20-P25/N13a. Eine Gradeinteilung dieser SEP-Befunde in beidseits normal, einseitig normal, beidseits pathologisch und beidseits ausgefallen (Komponente N20) ist hilfreich (⊡ Abb. 6.19). Bei pathologischen Befunden ist eine Kontrolluntersuchung ab dem sechsten Tag sinnvoll, im günstigen Fall normalisieren sich die Befunde. Pathologische Befunde nach Ablauf der ersten fünf Tage sind prognostisch schlechter einzuschätzen. Fehlen die kortikalen Reizantworten beidseits, empfiehlt sich ergänzend eine Untersu-
EP-BEFUNDE
PROGNOSE
ge Ta <5 Tage >5
<5 Tage >5 Tage
⊡ Abb. 6.19. Prognostische Bedeutung der frühen EP bei komatösen Patienten nach schwerem Schädelhirntrauma
chung der FAEP, die bei Fehlen der Welle V beim Erwachsenen zuverlässig den drohenden Hirntod vorhersagen.
Im posttraumatischen Koma hat das Med-SEP eine herausragende prognostische Bedeutung. Es ist der zuverlässigste Prädiktor sowohl des schlechten als auch des guten Verlaufs und informiert über die zu erwartende Lebensqualität.
6.7
Globale hypoxische Hirnschädigung
Die globale hypoxische Hirnschädigung tritt als Folge von hypoxischen und ischämischen Zuständen auf, am häufigsten nach Herz-Kreislauf-Stillstand mit erforderlicher Reanimation. Während Anoxie kommt es nach 6–10 s zum Verlust des Bewusstseins, nach 2–3 min ist mit einem bleibenden Hirnschaden zu rechnen (Luft 1965; Bassetti u. Scollo-Lavizzari 1987). Besonders hypoxieempfindliche Strukturen des Nervensystems sind Hirnrinde, Thalamus, Hippocampus, Nucleus caudatus und Putamen. Die frühen somatosensibel evozierten Potenziale messen Funktionen von Thalamus und Hirnrinde und sind deshalb besonders gut geeignet, eine hypoxische Hirnschädigung zu erfassen (Ganji u. Peters 1981; Walser u. Keller 1984; Zegers de Beyl et al. 1984; Walser et al. 1985, 1986; Haupt u. Szelies-Stock 1988; Zentner u. Ebner 1988; Diehl 1990; Riffel et al. 1994). Aufgrund der größeren Hypoxieresistenz des Hirnstammes sind die frühen akustisch evozierten Potenziale meist normal (Guérit et al. 1993). So hatten unter unseren mindestens 6 h nach Hypoxie noch komatösen Patienten zwei Drittel normale FAEP, aber nur ein Viertel normale Med-SEP (Riffel et al. 1994). Das typische Schädigungsmuster sind fehlende oder amplitudengeminderte kortikale Primärkomplexe N20/P25 des Medianus-SEP bei normalen zervikalen Reizantworten und normalen FAEP. Der Grad der SEP-Veränderungen steht in Beziehung zum klinischen Befund. Bei niedrigstem GlasgowKomaskalenwert bzw. lichtstarren Pupillen fehlt meist N20/P25, während bei gezielter oder auswei-
473 6.7 · Globale hypoxische Hirnschädigung
chender Reaktion auf Schmerzreize auch N20/P25 normal ist (Diehl 1990; Riffel et al. 1994). Wenige Fälle mit völlig fehlenden FAEP bei normaler Hirnstammfunktion wurden beschrieben, bei denen eine ischämische Kochleaschädigung anzunehmen ist (Brunko et al.1985).
6.7.1
Veränderungen der evozierten Potenziale während und nach globaler Hypoxie
In der frühesten Phase der hypoxischen Schädigung können pathologische SEP und FAEP vorübergehende funktionelle Störungen widerspiegeln und sich in den folgenden Stunden normalisieren. So ist aus tierexperimentellen Untersuchungen und Einzelbeobachtungen am Menschen bekannt, dass sowohl die AEP als auch kortikale SEP während akuter globaler Ischämie oder Hypoxie nach wenigen Minuten verschwinden und mit wiederhergestellter Sauerstoffversorgung innerhalb von Minuten bis Stunden wieder auftauchen (Hossmann u. Kleihues 1973; Branston et al. 1974; Kataoka et al. 1978; Gregory et al. 1980; McPherson et al. 1986b; Ropper 1986; Coyer et al. 1987; Yang et al.1997; Schmitt et al. 1993; Guérit et al. 1993). Gezielte Verlaufsuntersuchungen in der Frühphase nach dem Schädigungsereignis zeigten, dass die Erholungszeit für die verschiedenen Komponenten des kortikalen Medianus-SEP tendenziell unterschiedlich ist (Lechner et al. 1997; Gendo et al. 2001). Frühere Komponenten erholen sich rascher als spätere. Der kortikale Primärkomplex kann noch bis zum Ablauf von 24 h in seiner Amplitude zu- und seiner Latenz abnehmen. Die Komponente N35 ist bei einem Teil der Patienten erstmals nach 9 h, die N70 erstmals nach 14 h wieder nachweisbar, Amplitudenzuwachs und Latenzverkürzung dieser mittleren Komponenten können bis 48 h in Anspruch nehmen. Umgekehrt ist aber auch eine Verschlechterung möglich. Initial noch erhaltene Reizantworten können wenige Stunden oder erst Tage später ausfallen, erklärbar durch eine in Gang gekommene fortschreitende Schädigung. So beobachteten Lechner et al. (1997) und Gendo et al. (2001) bei einzelnen Patienten einen sekundären Ausfall des kortikalen
6
Primärkomplexes innerhalb der ersten 12 h nach dem Schädigungsereignis. ⊡ Abbildung 6.20 demonstriert eine Verschlechterung der FAEP.
6.7.2
Prognose der globalen hypoxischen Hirnschädigung
Die Prognose von Patienten mit globaler hypoxischer Hirnschädigung ist insgesamt schlecht. Bleiben sie länger als 6 h im Koma, sterben 80% innerhalb der ersten Wochen, davon etwa eine Hälfte im extrazerebralen Organversagen und die andere an der Hirnschädigung. Nur 3–20% überleben einen solchen Zustand weitgehend unbeschadet (Bell u. Hodgson 1974; Willoughby u. Leach 1974; Bates et al. 1977; Earnest et al. 1979; Diehl 1990; Riffel et al. 1994; Bassetti et al.1996; Zandbergen et al. 1998). Bereits zu Beginn erhebt sich bei jedem einzelnen Patienten die Frage, wie stark sein Gehirn geschädigt ist, also ob er das Bewusstsein jemals wiedererlangen wird oder ob alle Bemühungen nur sein Überleben im vegetativen Zustand ermöglichen und seinen Tod unnötig hinauszögern. Die Vorhersage des schlechten Verlaufs ermöglichen am frühzeitigsten und zuverlässigsten unter allen verfügbaren Untersuchungsmethoden die somatosensibel evozierten Potenziale. Das bilaterale Fehlen der kortikalen Reizantworten im Medianus-SEP bei komatösen Erwachsenen und Jugendlichen, abgeleitet ab 24 h nach der hypoxischen Schädigung, ist ein unbestrittenes sicheres Vorzeichen des schlechten Verlaufs (⊡ Abb. 6.21), das einen Abbruch der Therapie rechtfertigt. Ab dem dritten Tag sind auch das Fehlen der Reaktion auf Schmerzreiz oder des Pupillenlichtreflexes prognostisch infauste Zeichen. Zu sämtlichen anderen Untersuchungsmethoden sind Ausnahmefälle berichtet oder liegen noch keine ausreichenden Erfahrungen vor (Zegers de Beyl et al. 1984; Walser et al. 1985; Haupt u. SzeliesStock 1988; Rothstein et al. 1991; Guérit et al. 1993; Riffel et al. 1994; Berek et al. 1995; Bassetti et al. 1996; Chen et al.1996; Madl et al. 1996; Pohlmann-Eden et al. 1997; Zandbergen et al. 1998). In eigenen Untersuchungen fehlte bei 38 (42%) von 91 untersuchten Patienten bilateral der kortikale Primärkomplex.
474
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
⊡ Abb. 6.20. FAEP einer 65-jährigen komatösen Patientin nach Operation eines Aneurysma dissecans der gesamten Aorta. Am ersten Tag nach der Operation waren die FAEP normal. Im weiteren Verlauf fielen immer frühere FAEP-Wellen aus, bis die Patientin am achten Tag im Hirntod verstarb
6
⊡ Abb. 6.21. SEP des N. medianus einer 43-jährigen komatösen Patientin nach Herz -Kreislauf-Versagen im Status asthmaticus. Klinisch-neurologisch zeigte die Patientin eine ungerichtete Reaktion auf Schmerzreize und erhaltene Hirnstammreflexe. Das EEG war schwer allgemeinverändert. Die bilateral fehlende kortikale Reizantwort war Hinweis auf die schlechte Prognose; die Patientin verstarb im Verlauf
6
475 6.7 · Globale hypoxische Hirnschädigung
⊡ Tabelle 6.3. Initiale SEP-Gradierung innerhalb der ersten 120-h nach schwerer hypoxischer Hirnschädigung bei 91 Patienten und Ausgang. (1-=-N-20 beidseits fehlend; 2-=-N-20 mindestens einseitig erhalten, aber pathologisch; 3-=-N-20 einseitig normal; 4-=-N-20 beidseits normal)
Ausgang
Hirntod
SEP-Gradierung 1
2
33
7
3
4
Vegetatives Stadium
2
Bewusstsein wiedererlangt
2
2
10
12
8
10
Im Multiorganversagen verstorben
5
Mit Hilfe dieses Befundes konnten über 85% der Patienten, die später an der zerebralen Schädigung verstarben, identifiziert werden (⊡ Tabelle 6.3; Beltinger et al. 1992; Riffel et al. 1994; Kroiß u. Stöhr 1996). In der Literatur schwankt die Sensitivität zwischen 28 und 73%, durchschnittlich 44% bezogen auf die Gesamtheit der verstorbenen Patienten. Guérit et al. (1993) betonen, dass die bilateral fehlenden kortikalen Reizantworten erst 24 h nach dem Ereignis aussagekräftig sind, da sie zwei Patienten beobachtet haben mit am ersten Tag zunächst fehlenden, am zweiten Tag wieder vorhandenen kortikalen Reizantworten, die sich gut erholten. Tendenziell mit einem schlechten Verlauf verknüpft sind auch Ausfall oder erhebliche Verzögerung der späteren SEP-Komponente N70 (Madl et al. 1993, 2000; Sherman et al. 2000). Vorsicht bei der prognostischen Bewertung von späteren SEP Komponenten wird allerdings immer geboten sein, da diese weniger resistent sind gegen medikamentöse, metabolische und physikalische Einflüsse. Auch pathologische FAEP sind tendenziell mit einem schlechten Verlauf verknüpft. Nach unseren Untersuchungen an Erwachsenen sind das Fehlen der Wellen VI und VII, pathologische Interpeaklatenzen oder eine Amplitudenminderung der Welle V prognostisch ungünstig. Keiner unserer Patienten mit pathologischen FAEP überlebte (Riffel et al. 1994). Der Verlust der Welle V ist ein prognostisch infaustes Zeichen (Fisher et al.1992).
Die Vorhersage des guten Verlaufs der Hirnschädigung im Koma nach globaler Hypoxie ist nur tendenziell, also in keinem Einzelfall mit Gewissheit möglich. Günstige Zeichen sind gezielte Reaktion auf Schmerzreiz, normale Med-SEP mit bilateral erhaltenen Komponenten N70, normale ereigniskorrelierte Potentiale und normale Reagibilität im Elektroenzephalogramm (Mullie et al.1988; Bassetti et al.1996; Guérit 2000). In unseren Untersuchungen verstarb keiner der 20 Patienten mit beidseits normaler N20/P25 an hirnorganischen Komplikationen, die Hälfte verstarb allerdings an ihrer Grundkrankheit, über deren Prognose SEPUntersuchungen natürlich nichts aussagen (⊡ Tabelle 6.3). Andere Autoren berichten, dass manche Patienten trotz normaler Med-SEP im Koma oder vegetativen Stadium bleiben (Brunko u. Zegers de Beyl 1987) und umgekehrt können sich auch Patienten mit zunächst amplitudengeminderter kortikaler Reizantwort vollständig erholen (⊡ Abb. 6.22; ⊡ Tabelle 6.3). Guérit et al. (1993) schließen aus ihren Ergebnissen, dass je früher, rascher und vollständiger die Erholung des Primärkomplexes innerhalb der ersten 10 Tage eintritt, desto besser der Ausgang. Madl et al. (1993) beobachteten einen positiven Ausgang nur bei Patienten mit auch erhaltener N70 innerhalb 74–117 ms. Die Vorhersage eines guten Verlaufes gelang ihnen mit Hilfe der zwischen 8–24 h nach Herzstillstand bestimmten N70Latenz bis zu einem Grenzwert von 130 ms bei 94% der Patienten mit 97% Sicherheit (Madl et al. 2000).
476
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
⊡ Abb. 6.22. SEP des N. medianus einer 44-jährigen komatösen Patientin drei Tage nach Herz-Kreislauf-Versagen im Status asthmaticus. Der klinisch-neurologische Befund und das EEG waren identisch mit denen der Patientin von ⊡ Abb. 6.21. Der kortikale Primärkomplex ist beidseits erhalten, aber amplitudengemindert. Die Patientin verließ die Klinik ohne neurologisches Defizit
6 Nur tendenziell steht das Ausmaß der SEP-Veränderungen in Zusammenhang mit dem Grad des verbleibenden neurologischen Defizits. Auch bei Neugeborenen mit Geburtsasphyxie haben SEP und VEP-Befunde prognostische Bedeutung (Taylor et al. 1992; Whythe 1993; De Vries et al. 1994; Majnemer u. Rosenblatt 1996).
Im Koma nach hypoxischer Hirnschädigung ist bei Erwachsenen und Jugendlichen das bilaterale Fehlen der kortikalen Reizantworten im Med-SEP, abgeleitet ab 24 h nach der hypoxischen Schädigung, ein unbestrittenes sicheres Vorzeichen des schlechten Verlaufs, das einen Abbruch der Therapie rechtfertigt.
6.8
Intrakranielle Blutung
6.8.1
Veränderungen der evozierten Potenziale nach intrakranieller Blutung
Bei supratentorieller intrazerebraler Blutung, die sensible Bahnen oder Gyrus postzentralis betrifft, sind die kortikalen SEP auf der Seite der Schädigung ipsilateral pathologisch, während die kontralateralen kortikalen SEP und die frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP) in der Initialuntersuchung meist normal sind. Kommt es im Rahmen einer transaxialen Druckentwicklung zu einer Hirnstammschädi-
gung, finden sich FAEP-Veränderungen in Form einer pathologischen Welle V, in fortgeschrittenen Stadien auch früherer Wellen (Klug 1982; Lumenta 1987; ⊡ Abb. 6.1). Beim komatösen Patienten mit infratentorieller intrazerebraler Blutung sind pathologische FAEP die Regel. Meist findet sich ein Ausfall der Welle V ipsilateral (Chiappa 1982; Engelbrecht 1990; Riffel et al. 1994). Wir beobachteten bei Patienten nach Ponsblutung in allen fünf Fällen ipsilateral ein Fehlen der Welle V und des kortikalen SEP, häufig waren auch die Befunde der Gegenseite pathologisch (⊡ Abb. 6.23). Bei komplizierten Kleinhirnblutungen können pathologische FAEP und SEP im Verlauf auftreten. Symmetrische Veränderungen sprechen für Hydrozephalus occlusus, asymmetrische und vorwiegend die FAEP betreffende für eine direkte Hirnstammkompression. Bei Subarachnoidalblutung ist das Auftreten ischämischer Komplikationen eine der Hauptursachen für klinische Verschlechterungen und Mortalität. Beim Affen geht die künstlich erzeugte Minderung des regionalen Blutflusses mit einer Erniedrigung und Verzögerung des kortikalen Potenzials einher und falls sich die somatosensible Reizantwort nicht erholt, ist auch die klinische Erholung inkomplett (Branston et al. 1974). Auch beim Menschen fanden Symon et al. (1979) nach Subarachnoidalblutung einen Zusammenhang zwischen dem regionalen Blutfluss, dem klinischen Befund und der zentralen Überleitungszeit. Eine Zunahme der zentralen Überleitungszeit wird begleitet von einer Verschlechterung des klinischen Befundes, erfasst über die Stadieneinteilung nach Hunt u. Hess (1968)
477 6.8 · Intrakranielle Blutung
6
⊡ Abb. 6.23. FAEP eines 37-jährigen komatösen Patienten mit hypertensiver Blutung in die Brückenhaube. Links: Welle V fehlt, die I–III-Interpeaklatenz ist verlängert; im Verlauf Verlust auch der Wellen IV und III. Rechts: Welle V ist amplitudengemindert und geht im Verlauf verloren. Der Patient überlebte schwerbehindert. Das bilaterale Fehlen der Welle V ist bei primär infratentoriellen Läsionen kein prognostisch infaustes Zeichen
(Wang et al. 1984; Symon u. Wang 1986), wobei die klinische Stadieneinteilung den Befund differenzierter widerspiegelt (Symon u. Wang 1986). Auch andere Arbeitsgruppen sehen einen Zusammenhang zwischen der zentralen Überleitungszeit und dem klinischen Befund (Fox u. Williams 1984). Blazcyk et al. (1983) fanden bei 70% der Patienten, deren schlechter klinischer Zustand eine Operation ausschloss, beidseits keine kortikale Reizantwort. Nach einer operativen Klippung des Aneurysmas kommt es meist zu einer leichten Verlängerung der zentralen Überleitungszeit, die sich im Laufe einer Woche wieder verkürzen kann (Symon u. Wang 1986).
6.8.2
Prognose im Koma nach intrakranieller Blutung
Facco et al. (1998) berichteten über 70 komatöse Patienten nach spontaner intrazerebraler hypertensiver Blutung (25) und nach Subarachnoidalblutung (45). Es überlebten 30%, 70% blieben im vegetativen Zustand oder starben. Die prognostische Einschät-
zung der Patienten gelang mit Hilfe der frühen evozierten Potenziale weit besser als mit der klinischen Untersuchung. Der sicherste Prädiktor eines schlechten Verlaufes (Tod oder apallisches Syndrom) waren beidseits fehlende kortikale Reizantworten des Med-SEP mit einer Spezifität von 97% bei einer Sensitivität von 73%. Wurden zusätzlich auch pathologische FAEP berücksichtigt mit IPL I–V über 4,7 ms oder V/I Amplitudenquotient unter 0,5 auf mindestens einer Seite, so konnte die Sensitivität auf 96% gesteigert werden bei Abnahme der Spezifität um 1%. War dagegen sowohl eine kortikale Reizantwort im Med-SEP erkennbar, als auch im FAEP die IPL I–V nicht über 4,7 ms und der Amplitudenquotient nicht unter 0,5, so konnte mit einer Spezifität von 95% und einer Sensitivität von 90% eine quoad vitam gute Prognose gestellt werden. Die SEP gaben auch Auskunft zur Überlebensqualität: Nur Patienten mit bilateral normalen Med-SEP zeigten eine restitutio ad integrum. Diese prognostische Bedeutung der SEP haben auch Reisecker et al. (1985, 1987) bei einer Gruppe vorwiegend komatöser Patienten nach intrakranieller Blutung (19 von 25 Patienten) nachgewiesen. Bei beidseits erhaltenen kortikalen SEP überlebten sieben von 11 Patienten, bei einseitig erhaltenen
478
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
SEP überlebten vier von acht, alle im pflegebedürftigen Zustand. Das beidseitige Fehlen der kortikalen SEP initial oder im Verlauf wurde niemals überlebt. Das Ausmaß der SEP-Veränderungen wies auf eine Einschränkung der Überlebensqualität hin und war in der Prognose genauer als die GlasgowKomaskala und auch als das EEG. Auch nach unseren Untersuchungen (Engelbrecht 1990; Riffel et al. 1994) lässt sich dieser Stellenwert der SEP in der Prognose der verschiedenen spontanen intrakraniellen Blutungen belegen. Bei supratentorieller intrazerebraler Blutung überlebte keiner der insgesamt sieben Patienten mit bilateralem Verlust der kortikalen Reizantwort länger als drei Tage, auch wenn der Punktewert auf der Glasgow-Komaskala auf eine günstigere Prognose hinwies. Bei bilateral pathologischen FAEP ist die Prognose ungünstiger als bei einseitig veränderten FAEP (Lumenta 1984). Der bilaterale Verlust der Welle V, initial oder im Verlauf, ist prognostisch infaust (Klug 1982; Reisecker et al. 1987; Riffel et al. 1994).
Subarachnoidalblutung Beim Grad 3 nach Hunt u. Hess (1968), dessen klinische Prognose zweifelhaft ist, scheint das Hinzuziehen der zentralen Überleitungszeit die Prognosegenauigkeit zu erhöhen. Symon u. Wang (1986) betonen den Nutzen der SEP in der Prognose, während Blazcyk et al. (1983) keinen Zusammenhang zwischen der zentralen Überleitungszeit und dem Ausgang bzw. dem Auftreten postoperativer Komplikationen finden. Eine signifikante Interhemisphärendifferenz der zentralen Überleitungszeit (Symon u. Wang 1986) bzw. das bilaterale Fehlen der kortikalen Reizantwort (Blazcyk et al. 1983; Symon u. Wang 1986; Engelbrecht 1990) scheint jedoch zuverlässig mit einem sehr schlechten Ausgang einherzugehen. In unserem Patientengut verstarben alle fünf Patienten mit diesem Befund (Riffel et al. 1994). Die Hoffnung, eine Verlängerung der zentralen Überleitungszeit sage eine klinische Verschlechterung zuverlässig voraus, hat sich nicht erfüllt (Fox u. Williams 1984; Symon u. Wang 1986). Dies mag daran liegen, dass die Anzahl der Ableitungen nicht unbegrenzt erhöht werden kann (Symon u. Wang 1986).
Infratentorielle intrazerebrale Blutungen Bei bilateralem Ausfall der Welle II verstarben alle Patienten von Ferbert et al. (1990), bei Klug (1982) und York (1986) auch die Patienten mit bilateral fehlenden Wellen III. Der bilaterale Verlust der kortikalen SEP wurde von keinem Patienten überlebt und gilt deshalb als prognostisch sehr schlechtes Zeichen. Alle Patienten mit mindestens einseitig normalem SEP überlebten, das gilt als quoad vitam günstiges Zeichen (Ferbert et al. 1990; Riffel et al. 1994).
Auch im Koma nach intrazerebraler Blutung besitzt das Med-SEP große prognostische Aussagekraft.
6.9
Ischämische Insulte
Patienten mit ischämischem Insult werden intensivmedizinisch behandelt, wenn ihr Bewusstsein getrübt ist oder sie vegetativ entgleist sind, wie bei Hirnstamminsult oder sekundärer Hirnstammkompression durch raumfordernden Kleinhirninfarkt oder bei drohender transtentorieller Herniation nach großem supratentoriellem Infarkt. Evozierte Potenziale können zu diagnostischen Fragen, zur prognostischen Einschätzung und zur Verlaufskontrolle eingesetzt werden.
Mediainfarkt Beim Mediainfarkt kann auf der betroffenen Seite der kortikale Primärkomplex des Medianus-SEP bei erhaltener Komponente P15 fehlen. Ein zusätzlicher Ausfall der Komponente P15 wird bei Läsion des ventroposterolateralen Thalamuskerns, teilweise auch bei Prozessen im Centrum semiovale, die nahe an den Thalamus heranreichen, gesehen (Stöhr et al. 1983). Kommt es zu einem kompletten Ausfall des kortikalen Primärkomplexes, so ist ein schweres neurologisches Defizit zu erwarten (Vredeveld 1981, 1986). Beim raumfordernden Mediainfarkt mit Kompression der gegenseitigen Hirnhälfte und des Hirnstamms zeigen sich Veränderungen auch der kontralateral
479 6.9 · Ischämische Insulte
registrierten SEP und der FAEP (Ferbert et al. 1985b; Riffel et al. 1994).
Hirnstammischämien, Basilaristhrombose Bei Hirnstammischämien kommt es zu FAEP-Veränderungen, wenn die Kerne und Bahnen des Hörsystems miteinbezogen sind (Starr u. Hamilton 1976; Kjaer 1980; Ragazzoni et al. 1982). SEP-Veränderungen sind je nach Einbeziehung der lemniskalen Bahnen mehr oder weniger ausgeprägt. Eine Basilaristhrombose führt im akuten Stadium meist zu einer pathologischen Veränderung der Wellen IV und V, kann aber auch eine zusätzliche Verzögerung der Interpeaklatenz I–III oder einen Ausfall aller FAEP-Wellen nach bzw. einschließlich der Welle I verursachen (⊡ Abb. 6.24; Ferbert et al. 1986b). Die fehlende oder verzögerte Welle I kann Hinweis auf eine Mangeldurchblutung im Versorgungsgebiet der A. labyrinthi sein (Hacke et al. 1982). Es gibt Einzelbeobachtungen über das Wiederauftreten einer fehlenden Welle I bzw. fehlender Wellen I–V (Taylor et al. 1985; Buchner et al. 1986), jedoch sind uni- oder gar bilaterale Wellenverluste in aller Regel als prognostisch ungünstiges Zeichen zu werten. Initial normale FAEP weisen auf einen günstigen Verlauf hin (Stern et al. 1982). Beim Locked-in-Syndrom gibt es variable FAEP-
⊡ Abb. 6.24. FAEP einer 79-jährigen komatösen Patientin mit Ponsinfarkt. Welle V ist beidseits amplitudengemindert und verzögert. Welle IV (rechts 5,2 ms, links 5,1 ms) sollte nicht mit einem IV–V-Komplex verwechselt werden; die normale III–V-Interpeaklatenz beträgt mindestens 1,3 ms
6
Veränderungen, wobei am häufigsten nur der IV– V-Komplex pathologisch deformiert, erniedrigt oder verzögert ist (Gilroy et al. 1977; Ferbert et al. 1986b). Beidseits fehlende kortikale Med-SEP sprechen für eine großflächige Einbeziehung des Hirnstamms in die Infarktzone, die Patienten sind in der Regel komatös, ihre Prognose ungünstig (Ferbert et al. 1986b). Waren initial SEP und FAEP beidseits pathologisch, starben die Patienten oder blieben im Locked-in-Syndrom; die Prognose bei dieser Befundkonstellation, die einen großen Querschnitt der Läsion zeigt, kann als äußerst ungünstig gelten (Krieger et al. 1993).
Kleinhirninfarkt Beim raumfordernden Kleinhirninfarkt erlauben engmaschige klinische Verlaufskontrollen und FAEP-Ableitungen eine Verschlechterung frühzeitig zu erkennen (Ferbert et al. 1985b).
Bei ischämischen Insulten weisen die EP je nach betroffenem Gefäßgebiet typische Läsionsmuster auf, die zur initialen Lokalisationsdiagnostik beitragen können. Verlaufsuntersuchungen kann prognostische Bedeutung zukommen.
480
6.10
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Entzündliche Hirnerkrankungen
Berichte über den Einsatz evozierter Potenziale bei Patienten mit entzündlichen Hirnerkrankungen beschränkten sich lange Zeit auf Einzelbeobachtungen oder geringe Fallzahlen. In den letzten Jahren wurden von indischen Arbeitsgruppen mehrere systematische Untersuchungen veröffentlicht.
Eitrige Meningitis
6
Bei eitriger Meningitis fanden Jain u. Maheshwari (1984) bei 15 komatösen Patienten in der Mehrzahl (67%) pathologische FAEP. Özdamar et al. (1983) stellten bei Kleinkindern nach bakterieller Meningitis mittels der FAEP in 15% eine Schallleitungsschwerhörigkeit bei Otitis media und in 12% eine Schwerhörigkeit durch Schädigung des Innenohres oder des Hörnerven fest. In weniger als 10% wiesen die FAEP-Veränderungen auf eine Hirnstammläsion hin (Hecox et al. 1981; Özdamar et al. 1983).
Herpes-simplex-Enzephalitis Bei schwerer Herpes-simplex-Enzephalitis fanden Grimm et al. (1991) bei fünf Patienten normale FAEP. Einer dieser fünf Patienten verstarb im Verlauf. Er hatte im Gegensatz zu den Überlebenden keine kortikalen SEP.
Japanische Enzephalitis Bei der japanischen Enzephalitis berichteten Kalita u. Misra (1999) bei sieben von 12 meist komatösen erwachsenen Patienten normale FAEP, bei den restlichen fünf Patienten einen verminderten Amplitudenquotienten V/I, der zu Hirnstammläsionen in bildgebenden Untersuchungen korrelierte, aber keine prognostische Bedeutung hatte. Auch SEP und MEP-Befunde, aber auch alle anderen technischen Befunde waren in einer Untersuchung an 28 Patienten mit japanischer Enzephalitis nicht entscheidend für die Prognose, die am besten mit Glasgow-Komaskalawert, Reflexänderungen und Alter bestimmt werden konnte (Misra et al. 1998).
Zerebrale Malaria Tuberkulöse Meningitis Bei der tuberkulösen Meningitis sind bei Kindern in über der Hälfte pathologische FAEP, meist Latenz- und Interpeaklatenzverlängerungen, nachweisbar (Kapoor et al. 1997). Die prognostische Bedeutung von evozierten Potenzialen untersuchten Misra et al. (2000) an 54 Patienten mit tuberkulöser Meningitis im Vergleich zu klinischen, radiologischen und elektroenzephalographischen Befunden. Dabei fanden sie, dass die prognostische Einschätzung am genauesten ist, wenn die klinische Untersuchung durch SEP-Ableitungen ergänzt wird. Entscheidende Beurteilungskriterien waren Glasgow-Komaskalawert, normale Kraft aller Extremitäten gegenüber Parese mindestens einer Extremität, normale SEP von allen Extremitäten gegenüber pathologischem Befund von mindestens einer Extremität.
Neurobrucellose Bei der Neurobrucellose waren in allen Fällen die FAEP pathologisch mit Hinweis auf periphere oder zentrale Läsion (Uldry et al.1993).
Bei zerebraler Malaria stellten Kochar et al. (2000) eine prognostische Bedeutung der evozierten Potenziale fest: Sie untersuchten bei 25 Erwachsenen FAEP beidseits und Medianus-SEP einer Seite; alle fünf Patienten mit sowohl pathologischen FAEP als auch SEP verstarben, während fünf der sechs Patienten mit normalen Befunden überlebten.
Bei entzündlichen Hirnerkrankungen sind FAEPVeränderungen häufig. EP-Befunde haben nur teilweise prognostische Bedeutung.
6.11
Hirntod
Eine Person ist hirntot, wenn ihr gesamtes Gehirn, das heißt Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm, endgültig jede Tätigkeit aufgegeben haben, während Atmung, Herz- und Kreislauftätigkeit durch kontrollierte Beatmung künstlich aufrecht erhalten werden. Ethisch und juristisch betrachtet ist diese Person tot.
481 6.11 · Hirntod
Evozierte Potenziale werden mit zunehmender Erfahrung und Verbreitung seit den 80er-Jahren bei der Feststellung des Hirntodes eingesetzt, wo sie sich mittlerweile als neurophysiologische Untersuchung neben der Elektroenzephalographie bewährt haben.
6.11.1
Feststellung des Hirntodes
Im Hirntod versagen innerhalb von Tagen bis spätestens Wochen auch alle übrigen Organe. Rücksicht auf Angehörige, Wirtschaftlichkeit und Explantationsvorhaben gebieten, den eingetretenen Hirntod möglichst frühzeitig festzustellen. In Deutschland legen die Richtlinien des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer dabei die Vorgehensweise fest (Kriterien des Hirntodes 1997). Zunächst ist eine akute schwere Hirnschädigung nachzuweisen und zwischen primärer und sekundärer sowie zwischen primär supra- und infratentorieller Hirnschädigung zu unterscheiden. Zu den primären Hirnschädigungen zählen z. B. Schädelhirnverletzung, Hirnblutung und Hirninfarkt. Sekundäre Hirnschädigungen treten während Hypoxie, Kreislaufstillstand oder metabolischer Entgleisung auf. Supratentoriell beginnt die Hirnschädigung z. B. bei Stammganglienblutung, infratentoriell z. B. bei Basilaristhrombose. Alle Möglichkeiten einer nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Gehirntätigkeit, nämlich Vergiftung, zentralnervös dämpfende Medikamente, neuromuskuläre Blockade, Hypo- und Hyperthermie, Kreislaufschock, endokrine und metabolische Entgleisung und entzündliche Erkrankung müssen ausgeschlossen sein. Bei der klinischen Untersuchung des komatösen Patienten müssen Reaktion auf Schmerzreize im Trigeminusbereich, an Hirntätigkeit gebundene Bewegungen oder Haltungen, Hirnstammreflexe und Atemantrieb fehlen. Da die klinische Untersuchung nur den Ausfall des Hirnstammes nachweisen kann, muss bei einer primär infratentoriellen Schädigung zum Beweis des Funktionsausfalles des gesamten Gehirns zusätzlich ein isoelektrisches EEG vorliegen. Die Irreversibilität des Funktionsausfalls und damit der Hirntod sind erst dann nachgewiesen, wenn die klinischen Ausfallsymptome bei Erwachsenen und bei
6
Kindern ab dem dritten Lebensjahr mit primärer Hirnschädigung nach mindestens 12 h, mit sekundärer Hirnschädigung nach mindestens drei Tagen erneut nachgewiesen worden sind. Die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalles kann statt durch die Verlaufsbeobachtung auch nachgewiesen werden durch ein isoelektrisches EEG, das Erlöschen von evozierten Potenzialen oder den zerebralen Zirkulationsstillstand. Bei Kindern unter drei Jahren sind längere Beobachtungszeiten und zusätzlich apparative Untersuchungen vorgeschrieben. Unter den verschiedenen apparativen Untersuchungen zur Sicherung der Hirntoddiagnose kommen in erster Linie die neurophysiologischen Methoden zur Anwendung, da sie rasch am Krankenbett durchführbar sind und dem evtl. noch nicht hirntoten Patienten eine mögliche Gefährdung infolge von Nebenwirkungen oder Transport ersparen. Die Ableitebedingungen sind trotz Intensivstation und maschineller Beatmung beim hirntoten Patienten ausgesprochen günstig, da keine Artefakte durch Muskelverspannungen oder Bewegungen auftreten.
6.11.2
Frühe akustisch evozierte Potenziale im Hirntod
Vor der FAEP-Untersuchung sollten wie vor der klinischen Untersuchung Wirkung sedierender Medikamente, Intoxikationen, Hypothermie, Kreislaufschock und metabolische Entgleisung ausgeschlossen oder behoben sein. Insbesondere bei Barbituratnarkose, Intoxikationen und metabolischen Entgleisungen ist es aber gerade ein großer Vorzug der FAEP, dass sie gegen diese Umstände resistenter sind als klinisch prüfbare Funktionen und EEG (Abschn. 6.3; ⊡ Abb. 6.5, 6.7). Häufigste Ursache des Hirntodes ist die primär supratentorielle Hirnschädigung, die zunehmend Raum fordert und durch die folgende transtentorielle Herniation, die sog. Einklemmung, sekundär zur Hirnstammschädigung und schließlich zum Hirntod führt. Während die Hirnstammfunktionen in kraniokaudaler Richtung ausfallen, verschwinden zunehmend auch weiter kaudal entstehende und damit frühere FAEP-Wellen, bis schließlich auch die unterste im Hirnstamm gene-
482
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
rierte Komponente, Welle III am pontomedullären Übergang erlischt, (⊡ Abb. 6.1, 6.14, 6.20; Generatoren s. Abschn. 4.4.), während meistens zu diesem Zeitpunkt auch schon die medullären Funktionen, also Hustenreflex und Atemantrieb ausgefallen sind. Dabei wurde nie ein späteres Wiederauftreten von Welle III–V im Verlauf beschrieben. (Starr 1976; Goldie et al. 1981; Klug 1982; Stöhr et al. 1986, 1987a, 1991). Diese Erfahrung bestätigte Klug im Tierversuch (1982): Selbst wenn der intrakranielle Druck unmittelbar nach dem Verschwinden der Wellen III–V gesenkt wurde, blieben sie ausgefallen. Demnach kann bei primär supratentorieller Hirnschädigung nach transtentorieller Herniation
⊡ Abb. 6.25. FAEP im Hirntod: In der ersten Ableitung (10.30 Uhr) lassen sich noch Welle I und Welle II nachweisen, in der zweiten Ableitung (10.30 Uhr) ist nur noch Welle I erhalten, in der dritten Ableitung (14.15 Uhr) fehlen alle Wellen
mit sekundärer kraniokaudal progredienter Hirnstammläsion der schrittweise bilaterale Ausfall der Welle III–V nicht nur den Verlauf dokumentieren sondern auch die Irreversibilität beweisen und damit weitere Beobachtungszeit erübrigen (Kriterien des Hirntodes 1997). Im Unterschied zur sekundären Hirnstammläsion zeigt der bilaterale Ausfall der Wellen III–V bei der vergleichsweise seltenen primären Hirnstammerkrankung lediglich den Funktionsverlust der Hörbahn in der dorsolateralen Brücke an und steht weder stellvertretend für den Ausfall des gesamten Gehirns noch des Hirnstamms (Starr 1976; Buchner et al. 1986; Stöhr et al. 1987a).
483 6.11 · Hirntod
⊡ Abb. 6.26. FAEP mit bilateralem Ausfall aller Komponenten im Hirntod
⊡ Abb. 6.27. FAEP mit bilateralem Ausfall aller Komponenten nach Welle I im Hirntod
⊡ Abb. 6.28. FAEP mit bilateralem Ausfall aller Komponenten nach Welle II im Hirntod
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484
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Im Hirntod erlöschen meist rasch auch die im peripheren N. acusticus generierten Wellen. Initial sind häufig die Welle I und eine kleine Welle II erhalten. Innerhalb von wenigen Stunden formen sie sich in eine breitere, häufig zunächst auch größere, einzige Welle um, die allmählich kleiner wird und schließlich verschwindet (⊡ Abb. 6.25). Die ⊡ Abb. 6.26, 6.27 und 6.28 zeigen die verschiedenen mit der Annahme des Hirntodes vereinbaren FAEP-Befunde. Dabei ist das beidseitige Fehlen aller Wellen der am häufigsten angetroffene Befund. Goldie et al. (1981) fanden ihn bei 77%, Stöhr et al. (1991) bei 65% und Starr (1976) bei 59% der hirntoten Patienten. Das Fehlen aller Wellen kann aber auch durch eine vorbestehende periphere Hörstörung bedingt sein und ist daher auch bei
sekundärer Hirnstammläsion nicht beweisend für einen Ausfall der Hirnstammfunktion (Starr 1976; Uziel u. Benezech 1978). Bei 6% der komatösen Patienten von Goldie et al. (1981) fehlten auf Grund einer peripheren Hörstörung alle FAEPWellen. In Frage kommt z. B. vorbestehende Taubheit (Starr 1976; Goldie et al. 1981), Verletzungen wie Felsenbeinfrakturen, Hämatotympanon etc. (Goldie et al. 1981; Klug 1982), Entzündung, Schädigung durch ototoxische Antibiotika (Piek et al. 1985), kochleäre Ischämie nach Herz-KreislaufStillstand (Brunko et al. 1985) oder Thrombose der A. basilaris bzw. A. cerebelli inferior anterior (Buchner et al. 1986). Zum Ausschluss einer vorbestehenden peripheren Hörstörung sind vorangehende FAEP-Ableitungen mit erhaltener Welle I
⊡ Abb. 6.29. SEP nach N.-medianus-Stimulation rechts eines komatösen Patienten nach schwerem Schädelhirntrauma, links gegen eine frontale (Fz) Referenz, rechts gegen eine extrakephale (kontralaterale Hand) Referenz. Links: amplitudengeminderte, verzögerte kortikale Reizantwort bei normalen mehrgipfeligen Reizantworten über C2 und C7 (N9, N 11,
N13, N14). Rechts: Die Ableitung von der Kopfhaut gegen eine Handreferenz (oberste Spur) zeigt drei frühe positive Zacken (P9=11,4 ms, P11=14,0 ms, P14=16,8 ms), die als Fernfeldaktivität abgegriffen werden und in ihren Latenzen der N9, N11 und N14 entsprechen, und die träge Schwankung N18 (22 ms)
485 6.11 · Hirntod
6
Frühe somatosensibel evozierte Potenziale im Hirntod
am besten geeignet (Klug 1982; Hall et al. 1985; Stöhr et al. 1986,1987a). Erhaltene Welle I und Ausfall aller folgenden FAEP-Komponenten (⊡ Abb. 6.27) konnten Goldie et al. (1981) in 17%, Stöhr et al. (1991) in 13% der hirntoten Patienten nachweisen. Eine zusätzlich erhaltene kleine Welle II (⊡ Abb. 6.28) ist bei Ableitung unmittelbar nach dem klinisch ermittelten Eintritt des Hirntodes anzutreffen (⊡ Abb. 6.25) und wurde in 22% (Stöhr et al. 1991) bzw. in 6% (Goldie et al.1981) registriert. Pathophysiologische Erklärungsmöglichkeiten für die passager persistierende Funktion von Kochlea und N. acusticus im Hirntod finden sich bei Sohmer et al. (1984) und Stöhr et al. (1986).
6.11.3
⊡ Abb. 6.30. SEP des N. medianus rechts im Hirntod, links gegen eine frontale (Fz) Referenz, rechts gegen eine extrakephale (kontralaterale Hand) Referenz beim selben Patienten wie ⊡ Abb. 6.29. Links: Mit Fz-Referenz ist der Verlust der kortikalen Reizantwort zu erkennen. Über der Nackenpartie fehlt N14. N13 zeigt jetzt einen kürzeren Abstand von N11 (1,2 ms statt 1,8 ms, s. Abb. 6.29). Die Amplitudenminderung der zervikalen Reizantworten ist im Vergleich zur Voruntersu-
chung (⊡ Abb. 6.29) über C2 wesentlich stärker ausgeprägt als über C7. Unverändert erhalten sind lediglich N9 (10,6 ms) und N11 (13,0 ms) über C7, sowie das EP-Potenzial (unterste Spur). Rechts: Die Ableitung gegen eine Handreferenz zeigt in gleicher Weise bei Ableitung von der Kopfhaut den Verlust der Komponente P14, zervikal die Amplitudenminderung der negativen Nahfeldaktivität nur über C2 nicht über C7, sowie die Verkürzung des Latenzintervalles P11-N13 auf 1,2 ms
Im Hirntod ist der Ausfall sowohl der kortikalen als auch der im Hirnstamm generierten Komponenten zu fordern. Die SEP nach Armnervenstimulation erfassen durch ihre Generatoren in Halsmark und Medulla oblongata (Abschn. 2.4.1) noch kaudalere Hirnstammabschnitte als die FAEP und können deshalb den schrittweisen Abbruch der Impulsweiterleitung bis ins unterste und letzte Niveau der kraniokaudal fortschreitenden sekundären Hirnstammschädigung nach primär supratentorieller Schädigung demonstrieren (⊡ Abb. 6.29, 6.30).
486
6
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
Die SEP sind wie die FAEP weitgehend stabil gegen medikamentöse Einflüsse (Abschn. 6.3). Allerdings sollten, wie bei der klinischen Untersuchung, sedierende Medikamente, Intoxikationen, Hypothermie, Kreislaufschock und metabolische Entgleisungen ausgeschlossen sein, da unter diesen Gegebenheiten reversible SEP-Änderungen möglich sind. Die Stimulation erfolgt vorzugsweise am N. medianus (Anziska u. Cracco 1980; Goldie et al. 1981; Ganes u. Nakstad 1981; Stöhr et al. 1987a–c), die Ableitung meist fraktioniert über dem ErbPunkt, der Nackenhaut und dem Skalp gegen Fz oder eine extrakephale Referenz. Goldie et al. (1981) leiten entweder über dem Dornfortsatz C7 oder über dem Dornfortsatz C2 ab, Ganes u. Nakstad (1984) etwa über dem Dornfortsatz C4. Stöhr et al. (1987a–c, 1991) zeigten die Vorteile der simultanen Ableitung vom Dornfortsatz C7 und C2 (Abschn. 2.4.1), Wagner (1996) benützt zusätzlich Ohrelektroden und eine Nasopharyngealelektrode, die allerdings schwieriger zu platzieren ist. Die Nasopharyngealelektrode erlaubt bei FzReferenz die isolierte Ableitung der oberhalb des kraniozervikalen Übergangs generierten Anteile der P13/14 und damit auch die eindeutige Feststellung ihres Ausfalles im gerade eingetretenen Hirntod (Wagner 1996). Die ⊡ Abb. 6.30 und 6.31 zeigen die verschiedenen mit der Annahme des Hirntodes vereinbaren SEP-Befunde bei Verwendung der Ableitorte nach Stöhr et al. (1987a–c, 1991): Neben dem bilateralen Verlust der kortikalen Reizantwort fand sich bei 92% der Hirntoten eine ausgeprägte Amplitudenminderung oder ein Ausfall des über dem Dornfortsatz C2 registrierten Potentials N13b bilateral (⊡ Abb. 6.30, Abb. 2.27; Stöhr et al. 1991). In Ableitungen gegen eine Fz-Referenz hat N13b meist keine positive Nachschwankung mehr, in Ableitungen gegen eine extrakephale Referenz kann sie auch völlig fehlen. Die vom Skalp ableitbaren Fernfeldpotentiale P13/14 und N18 können ebenfalls völlig fehlen. Im intraindividuellen Vergleich von Untersuchungen vor und nach Eintritt des Hirntodes (⊡ Abb. 6.29, 6.30; Wagner 1996) lassen sich zusätz-
liche Veränderungen feststellen: Ausfall der N14, Verkürzung der Interpeaklatenz N11-N13 und P9P13/14, Abflachung der P13/14, bei Fz-Referenz Verminderung der »peak to peak« gemessenen Amplitude von N13a. Sonoo et al. (1999) schlagen vor, den Verlust der N18-Komponente einzusetzen als ausschlaggebendes Beurteilungskriterium für den Nucleus-cuneatus-Funktionsverlust in der untersten Medulla oblongata. Nach unserer Erfahrung ist der Vergleich der N13b mit N13a meist eindeutiger und deshalb brauchbarer. Der Verlust der Komponente N13b belegt den Abbruch der Impulsleitung beim Übertritt in die Medulla oblongata und steht in Übereinstimmung mit neuropathologischen Untersuchungen (Walker et al. 1975), die bei etwa der Hälfte der im Hirntod Verstorbenen eine Einbeziehung dieser Region in die Nekrosezone zeigen. Neben dem bilateralen Verlust der kortikalen Reizantworten, dem Ausfall oder der ausgeprägten Amplitudenminderung von N13b (über C2) fanden Stöhr et al. (1991) bei 18 von 62 hirntoten Patienten außerdem den Verlust bzw. die ausgeprägte Amplitudenminderung von N13a (über C7) bilateral (⊡ Abb. 6.31 links). Ein solcher Befund zeigt ein Fortschreiten des zentralnervösen Funktionsausfalls bis in kaudale Halsmarksegmente an und findet sich erst in späteren Stadien des Hirntods. Neben dem bilateralen Verlust der kortikalen Reizantwort sowie von N13b und N13a kommt ein Ausfall auch von N11 vor (⊡ Abb. 6.31 rechts). Diese Konstellation konnten Stöhr et al. (1991) bei fünf von 62 hirntoten Patienten nachweisen. Hier sind offensichtlich auch die Hinterwurzeleintrittszonen im unteren Halsmark in die Läsion einbezogen. Bei einer primär supratentoriellen Hirnschädigung mit kraniokaudalem Fortschreiten der Schädigung belegt der Ausfall der kortikalen Reizantworten und der im zervikomedullären Übergang generierten Komponente N13b (sowie ggf. weiterer Komponenten) den Hirntod. In keinem Fall haben wir ein späteres Wiederauftreten eines einmal ausgefallenen Potenzials bei einer solchen Konstellation beobachten können. Auszuschließen sind lokale Prozesse im Halsmark, wie z. B. begleitendes traumatisches Querschnittsyndrom bei Schädelhirntrauma, begleitende hypoxische-ischämische
487 6.11 · Hirntod
6
⊡ Abb. 6.31. Verlaufsuntersuchung der somatosensorisch evozierten Potenziale (SEP) im Hirntod (Fz-Referenz). Links: Verlust der kortikalen Reizantwort (oberste Spur). Über C2 ist eine rudimentäre Negativität erkennbar. Über C7 erkennt man eine größere Negativität, sie tritt 1,2 ms vor der Antwort über C2 auf und entspricht N11 (vgl. ⊡ Abb. 6.30 links). Das EP-Potenzial ist normal. Rechts: Die Kontrolluntersuchung sechs Tage später zeigt den Verlust sämtlicher spinaler Reizantworten. Über dem Dornfortsatz C7 ist eine negative Welle N9 (Latenz 11,0 ms) ableitbar; diese wird über die frontale Referenzelektrode eingespeist und ist dem im Armplexus generierten elektrischen Feld zuzuordnen
Myelonschädigung nach Herz-Kreislauf-Stillstand bzw. Hypoxie (Fauvage u. Combes 1993) sowie begleitende Myelitis bei Enzephalomyelitis, da hierbei die SEP-Befunde denen im Hirntod entsprechen können. Der Ausschluss einer solchen Möglichkeit geschieht am einfachsten durch frühzeitige Ableitungen in der initialen Krankheitsphase, in der bei alleiniger Hirnschädigung nahezu immer N13b, oft auch kortikale Reizantworten registrierbar sind.
6.11.4
Visuell evozierte Potenziale im Hirntod
Im Hirntod ist in den VEP nur noch eine frühe Negativität (N50) nachweisbar, die einem erhaltenen Elektroretinogramm entspricht (Arfel 1967; PerezArroyo u. Chiappa 1985). Die visuellen Bahnen ziehen nicht durch den Hirnstamm. Bei isoliertem Hirnstammfunktionsverlust können VEP nachweisbar sein und den
Hirntod ausschließen (Pfurtscheller et al. 1985; Ferbert et al. 1986a). Ferbert et al. (1986a) beobachteten bei einem Patienten mit Blutung in der hinteren Schädelgrube und komplettem Hirnstammfunktionsverlust noch über einen Zeitraum von 14 h erhaltene VEP. Allerdings zeigte in diesem Zeitraum und darüber hinaus auch das EEG erhaltene Großhirnaktivität an. Das Erlöschen der VEP vor der EEG-Aktivität wurde auch von Walter u. Arfel (1972) berichtet. Beim Menschen ist ein erhaltenes VEP bei sonst fehlenden klinischen und elektroenzephalographischen Zeichen von Hirnaktivität bisher nur in einem Fall beobachtet worden: Pfurtscheller et al. (1985) berichteten über ein Kind nach schwerem Schädelhirntrauma mit über 5 h erhaltenen VEP trotz isoelektrischem EEG und Hirnstammareflexie.
488
Kapitel 6 · Evozierte Potenziale in der Intensivmedizin
6.11.5
6
Praktischer Nutzen der afferent evozierten Potenziale bei der Feststellung des Hirntodes
Bei primär supratentorieller Hirnschädigung können FAEP und SEP den sekundären irreversiblen Hirnstammfunktionsverlust belegen, ▬ wenn die FAEP einen beidseitigen Ausfall der Wellen III–V zeigen. Der Ausfall aller Wellen hat die gleiche Bedeutung, wenn in Voruntersuchungen mindestens die Wellen I nachgewiesen wurden. ▬ wenn die Med-SEP neben dem bilateralen Verlust der kortikalen Reizantwort auch den Verlust der Komponente N13b über C2 und ggf. weiterer zervikaler Komponenten bei erhaltener Reizantwort des Armplexus zeigen. Nach den deutschen Richtlinien (Kriterien des Hirntodes 1997) ergänzen diese Befunde bei der Feststellung des Hirntodes die klinische Untersuchung und machen ab dem dritten Lebensjahr eine weitere Beobachtungszeit überflüssig. Bei primär infratentoriellen Hirnschädigungen können die VEP trotz vollständigen Hirnstammfunktionsverlustes erhalten sein und den Hirntod ausschließen. Bei reversiblen Zuständen wie Intoxikation und metabolischer Entgleisung sind FAEP und SEP dem EEG überlegen und können meist den Hirntod rasch ausschließen.
Mit Eintritt des Hirntodes fehlen sämtliche im Gehirn generierte EP. Das FAEP kann anfänglich noch Welle I und II aus dem Hörnerv zeigen, das SEP noch die im Halsmark generierten Anteile N11 und N13a der zervikalen Reizantworten, das VEP noch eine Retinaantwort, bis später auch diese verschwinden. Bei der Feststellung des Hirntodes nach primär supratentorieller Hirnschädigung können FAEP und Med-SEP eingesetzt werden, bei primär infratentorieller Läsion zusätzlich VEP.
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6
7 Ereignis-korrelierte Potenziale (EKP) C. Gerloff
7.1
Einleitung
– 501
7.1.1 Begriffsbestimmungen – 502 7.1.2 Arten und Nomenklatur von EKP
7.2
N100
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.2.7
Bedeutung – 504 Komponenten – 504 Generatoren – 504 Einflussgrößen – 505 Pathophysiologie – 505 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 506
7.3
N200
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7
Bedeutung – 506 Komponenten – 506 Generatoren – 506 Einflussgrößen – 507 Pathophysiologie – 507 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 508
7.4
»Mismatch negativity«
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7
Bedeutung – 508 Komponenten – 508 Generatoren – 508 Einflussgrößen – 508 Pathophysiologie – 508 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 509
7.5
N400
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4
Bedeutung – 510 Komponenten – 510 Generatoren – 511 Einflussgrößen – 512
– 504
– 504
– 505
– 506
– 510
– 507
– 508
– 509
7.5.5 Pathophysiologie – 512 7.5.6 Ableitung und Auswertung 7.5.7 Klinische Relevanz – 513
– 513
7.6
P300
– 514
7.6.1 7.6.2 7.6.3 7.6.4 7.6.5 7.6.6 7.6.7
Bedeutung – 514 Komponenten – 514 Generatoren – 515 Einflussgrößen – 515 Pathophysiologie – 517 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 521
7.7
»Contingent negative variation«
7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4 7.7.5 7.7.6 7.7.7
Bedeutung – 521 Komponenten – 521 Generatoren – 522 Einflussgrößen – 522 Pathophysiologie – 523 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 523
7.8
Das Bereitschaftspotenzial (BP) und andere bewegungskorrelierte Potenziale – 524
7.8.1 7.8.2 7.8.3 7.8.4 7.8.5 7.8.6 7.8.7
Bedeutung – 524 Komponenten – 524 Generatoren – 525 Einflussgrößen – 526 Pathophysiologie – 526 Ableitung und Auswertung Klinische Relevanz – 529
7.8
DC-Potenziale bei komplexen neurokognitiven Prozessen Literatur
– 531
– 519
– 521
– 523
– 528
– 529
501 7.1 · Einleitung
Einleitung
7.1
Ereignis-korrelierte Potenziale (EKP; engl. »event-related potentials«, ERP) sind hirnelektrische Korrelate konzertierter neuronaler Aktivität. Im klassischen Sinne stellen sie hirnelektrische Spannungsfluktuationen über die Zeit dar und bestehen aus einer Reihe von negativen und positiven Spannungsänderungen relativ zu einer Ruhespannung (»baseline«) vor Beginn des Ereignisses.
Die Maxima und Minima der EKP (in Anlehnung an die internationale Literatur häufig auch im Deutschen als »peaks« bezeichnet) werden für die gängigen Potenziale mit einem Buchstaben und einer dazu gehörigen Zahl bezeichnet. Der Buchstabe ist üblicherweise ein »N« für negativ oder ein »P« für positiv; die Zahl gibt ungefähr die Latenz an, mit der ein Peak nach Beginn des Ereignisses auftritt. Die EKP und ihre systematische Erforschung sind eng an die psychophysiologische Forschung gebunden. Bereits für Hans Berger war der Glaube an eine materielle Grundlage der »psychischen Energie« die Triebfeder, die ihn zur Entdeckung des menschlichen Elektroenzephalogramms (EEG) geführt hat. Die EKP sind in aller Regel von niedrigerer Amplitude (z. B. 5–10 µV) als das originale EEG (30–60 µV), so dass sie in den Roh-EEG-Daten (in den sog. Einzeldurchläufen) meist nicht zu erkennen sind. Ganz entscheidend für das Gewinnen reliabler EKP-Daten ist dementsprechend die Steigerung des Signal-Rausch-Verhältnisses durch Mittelung. Mittelung der Einzeldurchläufe des EEG erfolgt synchronisiert mit einem Trigger, mit dem üblicherweise der Beginn des Ereignisses von Interesse markiert wird. Diese Technik wird auch (engl.) »averaging« genannt und wird heute generell mit digitalisierten (A/D-gewandelten) EEGDaten durchgeführt. Die Technik ist aufwändig und stellt hohe Qualitätsanforderungen an Versuchsaufbau, Kontrolle der Reiz- und Ableiteparameter und Mitarbeit der Probanden, so dass sich die EKP trotz ihrer langen Präsenz in den Neurowissenschaften nicht zu einer klinischen Routinemethode entwickelt haben. Ihr Einsatz ist auf wenige spezi-
7
fische klinische Fragestellungen bei einzelnen Krankheitsbildern beschränkt und wird jeweils im Zusammenhang mit dem beschriebenen EKP-Typ nachfolgend beschrieben. Ein Beispiel ist der Einsatz der sog. P300, um bei Patienten mit Vigilanzstörungen Hinweise auf residuale kognitive Funktionen zu erhalten. Um so größer ist die Bedeutung der EKP für wissenschaftliche Fragestellungen. Sie sind fester Bestandteil im Spektrum moderner funktioneller Neuroimaging-Methoden. Gegenüber Techniken wie der funktionellen Kernspintomographie (fMRT) oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET) haben EKP zwei entscheidende Vorteile: 1. Sie repräsentieren ein direkteres Maß für neuronale Aktivierung, da sie unmittelbar aus den aufsummierten exzitatorischen postsynaptischen Potenzialen der apikalen Dendriten von Pyramidenzellen entstehen und nicht von Variablen der neurovaskulären Kopplung beeinflusst werden. 2. ihre Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, entspricht einer Echtzeit-Darstellung neuronaler Aktivität und ist damit geeignet, rasche Änderungen neuronaler Aktivität authentisch abzubilden. Diese Vorteile bezahlt man bei den EKP mit einer relativ schlechten räumlichen Auflösung. Die prinzipielle Einschränkung resultiert hier aus Ambiguität von Lösungen des sog. »inversen Problems«. Gemeint ist, dass von elektrischen Feldern an der Kopfoberfläche nie mit letzter Sicherheit auf die zugrunde liegenden elektrischen Generatoren zurückgeschlossen werden kann. So ist es möglich, dass eine kleine Population von Neuronen, z. B. in der Tiefe der sylvischen Fissur, mit hoher Amplitude elektrisch aktiv ist und dadurch ein elektrisches Feld über der betreffenden Hemisphäre erzeugt, das nicht von einem Feld unterschieden werden kann, welches von einer distribuierten Schicht kortikaler Neurone im Bereich der Hemisphärenkonvexität erzeugt wird. Dieses Problem kann durch Steigerung der Zahl der abgeleiteten Kanäle reduziert, jedoch nie ganz eliminiert werden. Systeme mit 64–128 Kanälen sind heute in zahlreichen Laboratorien vorhanden. Die hieraus entstehenden großen Datenmengen können mit der gegenwärti-
502
7
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
gen Computertechnik problemlos analysiert werden. Es gibt mittlerweile einzelne Systeme mit bis zu 256 Kanälen EEG, was nach entsprechenden Modellierungsstudien einen weiteren Vorteil in der räumlichen Auflösung bringt. Der Grenznutzen von solch hohen Kanalzahlen ist allerdings gering, und pragmatisch durch die aufwändige Elektrodenmontage belastet, die dann weit über eine Stunde dauern kann. Durch sehr hohe Eingangswiderstände an den Verstärkern wird mittlerweile versucht, die Notwendigkeit zu umgehen, sehr kleine Übergangswiderstände an den einzelnen Elektroden zu erreichen. Bei über 100 Kanälen ist dieses Verfahren hilfreich. Im folgenden Abschnitt sollen die gängigen EKP-Komponenten beschrieben werden. Dabei werden jeweils die hier aufgelisteten Aspekte systematisch Berücksichtigung finden: ▬ Bedeutung, ▬ Komponenten, ▬ Generatoren, ▬ Einflussgrößen, ▬ Pathophysiologie, ▬ Ableitung und Auswertung und ▬ klinische Relevanz. Ähnlich wie in der letzten Auflage (vorheriger Autor: E. Altenmüller) wird vertieft auf die Welle P300 eingegangen werden. Zudem wird das Kapitel um eine ausführlichere Darstellung von bewegungskorrelierten Potenzialen erweitert werden. Auch hier sei nochmals bzgl. der in früheren Auflagen ausführlicheren Beschreibung psychophysiologischer EKP-Forschung auf zusammenfassende Darstellungen von Rockstroh (1989) sowie auf Altenmüller u. Gerloff (1998) verwiesen.
7.1.1 Begriffsbestimmungen Der Begriff EKP ist nicht scharf definiert. Pragmatisch sind die EKP abzugrenzen von evozierten Potenzialen von kurzer Latenz (im Bereich bis etwa 100 ms) wie somatosensorisch evozierte Potenziale (SEP), visuell evozierte Potenziale (VEP) und akustisch evozierte Hirnstammpotenziale (AEHP). Die genannten kürzer latenten evozierten Potenziale hängen überwiegend von den physikalischen Reiz-
parametern ab. So variieren die einzelnen Komponenten der SEP z. B. in Abhängigkeit von der Stimulationsfrequenz. Beim AEHP bestimmt die Lautstärke der angebotenen Clicks Amplitude und Latenz der frühen Komponenten. Die EKP spiegeln vielmehr komplexere Verarbeitungsprozesse des Kortex wider und sind dadurch nicht zwingend von den physikalischen Reizparametern abhängig. Um die Differenzierung zwischen den kürzer latenten evozierten Potenzialen und den EKP zu betonen, wurden diese unterschiedlichen Potenzialformen zum Teil auch als exogene Potenziale (mit kürzerer Latenz) und endogene Potenziale (EKP) bezeichnet. Diese Differenzierung ist insofern problematisch, als naturgemäß beiden Potenzialformen Depolarisationen der apikalen Dendriten von Pyramidenzellen zugrunde liegen und somit die Grenzziehung zwischen den Potenzialformen arbiträr ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Übergang zwischen den EKP und den sog. langsamen Hirnpotenzialen (auch »slow potentials«, »slow waves« oder »DC-Potenziale« genannt; Abschn. 7.9). Unter diesen Potenzialen versteht man Änderungen der hirnelektrischen Aktivität, die häufig erst 500 ms nach Reizbeginn nachweisbar sind, dann über mehr als eine Sekunde andauern und als Korrelate komplexer Informationsverarbeitungsprozesse angesehen werden. Zu dieser Gruppe gehören prinzipiell auch die »contingent negative variation« (CNV; Abschn. 7.7) und das Bereitschaftspotenzial (BP, engl. »readiness potential«, RP, oder »movement-related cortical potential«, MRCP; Abschn. 7.8) als Beispiele bewegungskorrelierter Potenziale. Dennoch werden die bewegungskorrelierten Potenziale hier getrennt von den langsamen Potenzialen während komplexerer kognitiver Aufgaben behandelt. CNV und BP haben zum einen Latenzen, die zwischen denen der EKP und der langsamen kognitiven Potenzialen liegen (für einige Komponenten von CNV und BP sind die Latenzen sogar im Bereich der EKP), zum anderen haben die bewegungskorrelierten Potenziale teilweise Einzug in die klinische Neurologie gehalten, was für langsame kognitive Potenziale nicht der Fall ist. Die Grenzziehung zwischen EKP, bewegungskorrelierten und kognitiven langsamen Hirnpotenzialen ist unscharf und im Grunde allenfalls aus methodischer Sicht notwendig. Entschei-
503 7.1 · Einleitung
⊡ Abb. 7.1a, b. Schematisierte Darstellung der endogen und exogen evozierten Potenziale nach (a) visueller und (b) auditorischer Reizung auf einer logarithmischen Zeitskala. Nach visueller Reizung umfassen exogene Potenziale das Elektroretinogramm (ERG) und die in den Areae 17 und 18 generierten Potenziale P65 und N75. Die P100 ist zwar weitgehend durch physikalische Reizparameter determiniert, kann aber durch Aufmerksamkeitszuwendung (gestrichelte Linie) größer werden. Analog wird die N100 nach akustischer Stimulation größer bei Aufmerksamkeitszuwendung (gestrichelte Linie in b). Die exogenen Potenziale nach auditorischer Reizung umfassen vor allem die Hirnstammpotenziale (AEHP oder engl. BAEP für »brainstem acoustic evoked potentials«), gefolgt von den mittellatenten akustisch evozierten Potenzialen (MAEP). Die den mittellatenten Potenzialen folgenden sind für visuelle und akustische Stimulation sehr ähnlich, auch in ihrer topographischen Verteilung. Die frühen, exogenen Wellen zeichnen sich dagegen durch eine strenger reizspezifische Topographie aus. Weitere Erläuterungen s. Text
7
a
b
dend ist, dass sehr lang anhaltende, u. U. gleichförmige Änderungen der hirnelektrischen Aktivität mit entsprechenden Verstärkern abgeleitet werden müssen, da sie sonst artefiziell zur »Baseline« (elektrisches Spannungsniveau einer definierten Vorperiode, auch »Ruheperiode«) zurückkehren. Für die Analyse der langsamen Hirnpotenziale sind Ver-
stärker mit sehr langer Zeitkonstante notwendig (>5–10 s), idealer Weise sog. DC-Verstärker, mit denen ein Rechtecksignal authentisch wiedergegeben werden kann. ⊡ Abbildung 7.1 illustriert die unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen für kurz latente evozierte Potenziale, EKP und DC-Potenziale.
504
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
7.1.2 Arten und Nomenklatur von EKP
7
Die Nomenklatur für EKP ist nicht systematisch, sondern gewachsen. Sie richtet sich z. T. nach der Art der Auslösung (z. B. »mismatch negativity«, MMN), z. T. nach den vermuteten psychophysiologischen Korrelaten (z. B. »processing negativity« oder Bereitschaftspotenzial) oder im einfachsten Fall nach Polarität und Latenz (z. B. P300, N400). Gelegentlich wird zusätzlich zu diesen Bezeichnungen noch eine Aussage zur Topographie gemacht (z. B. frontale N100, fpMP = »frontal peak of the motor Potential«). Hinsichtlich der Polarität hat sich eingebürgert, mit dem Buchstaben »P« positive, mit »N« negative Spannungsauslenkungen zu bezeichnen. Im Falle der einfachen Nomenklatur wird nachfolgend die ungefähre Latenz des Peaks angegeben. So stellt die Welle N100 einen negativen Peak etwa 100 ms nach Reizbeginn, die P300 einen positiven Kurvenverlauf mit Peak ca. 300 ms nach Reizbeginn dar. Es muss dabei bedacht werden, dass diese Art der Latenzbezeichnung nur ein sehr grobes Maß ist. In typischer Weise wird dies bei der P300 beobachtet, die häufig erst nach 350 oder 400 ms auftritt. Nicht zuletzt deshalb sind einige Autoren dazu übergegangen statt P300 nur P3 anzugeben; in diesem Fall steht die 3 für die dritte positive EKP-Schwankung nach Beginn des Ereignisses. Nachteil dieser Vereinfachung ist, dass z. B. im Falle von Hirnläsionen und Ausfall einzelner Komponenten die Nummerierung nicht mehr konsistent ist. Ein weiterer Nachteil ist, dass bei schlechtem Signal-Rausch-Abstand durchaus Schwankungen der EKP vorliegen können, die zusätzliche Komponenten vortäuschen. In Anbetracht dieser Unschärfen ist es empfehlenswert, vor der Benennung einer bestimmten Komponente in einem experimentellen Paradigma sämtliche Faktoren mit zu berücksichtigen, d. h. sowohl die Auslösung, den psychophysiologischen Kontext als auch Polarität und Latenz der Komponente. Stellt sich dabei heraus, dass die beoachtete Wellenform in eine der gut beschriebenen Kategorien fällt, sollte eine übliche Bezeichnung gewählt werden (wie z. B. P300 oder Bereitschaftspotenzial). Sollte das Paradigma erheblich von bisher untersuchten Paradigmen abweichen, ist es sinnvoller, die
Welle durch Polarität und Latenz deskriptiv zu benennen. Nachdem heute EEG-Ganzkopfableitungen mit über 30 Kanälen in elektrophysiologischen Laboren zum Standard geworden sind, kommt hinzu, dass die Topographie der einzelnen Komponenten von EKP genau beschrieben werden kann. Die Topographie wiederum hängt häufig von den physikalischen Reizeigenschaften ab. So ist eine N100 nach visueller Reizung eher okzipital im Bereich der Sehrinde lokalisiert, während ihr Maximum nach akustischer Reizung eher in der Zentralregion Vertex-nah zu finden ist (Summation von Potenzialen, die bilateral im primären auditorischen Kortex erzeugt werden). Auch dies zeigt, dass eine sorgfältige Beschreibung von gemessenen Komponenten heutzutage mehr erfordert als nur die Auswahl eines der traditionell überlieferten Komponentennamen. Die vollständige Beschreibung einer Komponente muss Qualität (Form), Zeit und Ort bezeichnen.
7.2
N100
7.2.1 Bedeutung Ihr Auftreten etwa 100 ms nach Reizbeginn ist ähnlich nach visuellen und auditorischen Reizen und kann als Korrelat einer »Orientierungsreaktion« verstanden werden (Sokolov 1975). Sie reflektiert vermutlich die Analyse der physikalischen Stimuluseigenschaften, z. B. Frequenz und weitere Klangcharakteristika eines Tones.
7.2.2 Komponenten Die N100 (N1) ist eine negative Welle mit Peak zwischen 90 und 200 ms nach Reizbeginn. Sie wird meist von einer positiven Welle, der sog. P2 und einer zweiten Negativierung, der N2, gefolgt.
7.2.3 Generatoren Die N100 wird in den zur Stimulationsmodalität gehörigen primären und assoziativen sensorischen
505 7.2 · N100
7
Kortexarealen generiert (z. B. bilateraler primärer und assoziativer auditorischer Kortex nach akustischen Reiz).
7.2.4 Einflussgrößen Die N100 wird durch jeden »neuartigen« Reiz ausgelöst, egal ob dem Reiz Aufmerksamkeit zugewandt wird oder nicht. Selektive Aufmerksamkeitszuwendung führt zu einer Amplitudenzunahme der N100. Wiederholte Darbietung desselben Reizes führt zur Amplitudenabnahme (»Habituation«; s. Abb. 7.2, wiederholte Darbietung eines akustischen Warnsignals vor der akustischen Präsentation von Substantiven).
7.2.5 Pathophysiologie Demyelinisierende Läsionen wie bei einer Encephalomyelitis disseminata können zu Latenzverzögerungen der N100 führen. Giesser et al. (1992) fanden eine Latenzverzögerung der N100 bei Patienten mit Demenz bei Encephalomyelitis disseminata, nicht jedoch bei Patienten ohne Zeichen einer demenziellen Entwicklung. Patienten mit Demenz bei AIDS zeigten in einem Oddball-Paradigma ebenfalls eine verzögerte N100 (Goodin et al. 1990). Latenzverzögerungen und Amplitudenminderungen der N100 wurden weiterhin bei Patienten mit Epilepsie beschrieben (Grippo et al. 1996; Verleger et al. 1997).
7.2.6 Ableitung und Auswertung Typische Paradigmen, in denen eine N100 auftritt und differenziell analysiert werden kann, sind das auditorische Oddball-Paradigma (d. h. in einer Gruppe gleichförmiger Hintergrundreize werden hin und wieder andersartige Zielreize, sog. »oddballs«, eingestreut) oder auch ein S1-S2-Paradigma wie es bei der »Contingent Negative Variation« (CNV; Abschn. 7.7) oder als Warnstimulus (WS) bei komplexeren kognitiven Aufgaben und Registrierung von langsamen Hirnpotenzialen verwendet wird. Aus diesem Zusammenhang wird bereits klar,
⊡ Abb. 7.2. Habituation der auditorisch ausgelösten N100 (N1) im Verlauf eines Experiments. Nach 3 s Baseline-Registrierung erfolgte ein akustischer Reiz (880 Hz, 70 dB), der mit einer Latenz von etwa 100 ms eine N1 auslöst. Es erfolgte eine getrennte Mittelung der Durchläufe 1–20 (oberste Kurve), 21–40 (mittlere Kurve) und 41–60 (unterste Kurve). Im ersten Experiment (durchgezogene Linien) kommt es zu einer deutlichen Habituation mit Abnahme der Amplitude von N1 im Verlauf des Experimentes. Am Tag darauf wurde das Experiment beim gleichen Probanden wiederholt und erbrachte nahezu identische Resultate (gepunktete Linien). Die der N1 unmittelbar folgende positive Komponente wird gelegentlich als P2 bezeichnet
dass meist die N100 nicht die kritische EKP-Komponente für die Wahl der Filtereinstellungen darstellt. Die N100 kann bereits mit den Einstellungen des Routine-EEG (Zeitkonstante τ = 0,3 s, obere Grenzfrequenz 70 Hz, A/D-Rate 250 Hz) problemlos abgeleitet werden. Das Interesse an den nachfolgenden, langsameren Komponenten wie CNV oder P300 macht es erst nötig, die Zeitkonstante zu erhöhen, mindestens auf 5–10 s oder bis hin zur Ver-
506
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
wendung von DC-Verstärkern (τ = ∞). Wichtig ist, die obere Grenzfrequenz nicht zu niedrig zu wählen, da es sich bei der N100 um eine steile Komponente handelt, deren Amplitude bei oberen Grenzfrequenzen unter 30 Hz abnehmen kann. Die Elektrodenwiderstände sollten unter 5 kΩ gehalten werden. Generell sind für die Ableitung von EKP oder langsamen Hirnpotenzialen aufgrund ihrer Polarisationseigenschaften Ag/AgCl-Elektroden (sog. reversible Elektroden) zu empfehlen. Beispiel
7
Eine Beispielkonfiguration wäre demnach: Zeitkonstante τ = ∞ (DC), obere Grenzfrequenz 50 Hz, A/D-Rate 250 Hz.
Die optimalen Elektrodenpositionen hängen von der verwendeten Stimulusmodalität ab. Sie sollten bei auditorischer Reizung die Elektrode Cz nach dem 10/20-System beinhalten, bei visueller Reizung auch parietale und okzipitale Kanäle einschließen (Pz, Oz) und jeweils gegen eine Referenz aus über einen Widerstand verbundenen Mastoidoder Ohrelektroden eingeleitet werden. Eine wesentliche Lateralisierung ist bei gesunden Versuchspersonen nicht zu erwarten. Der auditorische Stimulus kann z. B. als Ton mit 880 Hz und 70 dB präsentiert werden. Die Auswertung beinhaltet die Messung der Amplitude (»Peak-to-Base«) und der Latenz des negativen Peaks.
7.2.7 Klinische Relevanz Die N100 hat keine etablierte klinische Relevanz. Sie kann prinzipiell zur Evaluation und Quantifizierung der neuronalen Prozesse, die einer »Orientierungsreaktion« zugrunde liegen, herangezogen werden, z. B. bei dementen Patienten oder bei Patienten mit Bewusstseinsstörungen ( s. auch Anwendung der P300 in der Charakterisierung von Demenzen, Abschn. 7.6.5).
7.3
N200
7.3.1 Bedeutung Die N200 (N2) wird als Ausdruck der Reizbewertung verstanden.
7.3.2 Komponenten Je nach Auslösemodus unterscheidet man die N2a, die einen passiven Diskriminationsprozess widerspiegeln soll (Kujala et al. 2001; Sams et al. 1985), die N2b, welche einem aktiven Diskriminationsprozess entspricht (Ritter et al. 1984) und die N2c, welche durch Kategorisierung unterschiedlicher Reize ausgelöst wird (Näätänen 1987). Die N2a entspricht der sog. »mismatch negativity« (MMN), die im Abschn. 7.4 detaillierter besprochen wird, da sie sich zu einem separaten, weit verbreiteten Parameter der kognitiven Neurophysiologie entwickelt hat.
7.3.3 Generatoren Von der N2a (MMN) wird angenommen, dass sie in primären und sekundären sensorischen kortikalen Arealen generiert wird (Simson et al. 1977), da ihre topographische Verteilung modalitätsspezifisch ist, d. h. von der Art des präsentierten Stimulus (z. B. akustisch oder visuell) abhängt. Hinweise auf einen zusätzlichen Generator im rechten Frontalkortex stammen aus magnetenzephalographischen Untersuchungen (Sams u. Näätänen 1991). Die N2b hat eine etwas längere Latenz als die N2a und hat eine ähnliche topographische Verteilung wie die später beschriebene P300 (P3a). Die topographische Verteilung der N2b ist im Wesentlichen unabhängig von der Modalität des Stimulus und hat ein frontozentrales Maximum (Woods et al. 1993). Die N2c (auch »classification N2« genannt; Näätänen 1987) hat ihre maximale Amplitude über weiter posterior gelegenen Hirnregionen. In der N2c lassen sich häufig verschiedene Subkomponenten identifizieren.
507 7.3 · N200
7.3.4 Einflussgrößen
7
Die N2a wird in ihrer Topographie von der Modalität des präsentierten Stimulus beeinflusst. Latenz und Amplitude hängen von den Stimuluseigenschaften ab, genauere Angaben dazu finden sich im Abschnitt »mismatch negativity«, die als identisch mit der N2a gilt (Abschn. 7.4). Die N2b tritt auf, wenn Änderungen der physikalischen Stimuluseigenschaften Bedeutung für die gestellte Aufgabe haben und der Proband dem Stimulus Aufmerksamkeit zuwendet. Physikalische Eigenschaften des Stimulus selbst haben keinen wesentlichen Einfluss auf die N2b. Ihre Amplitude hängt im Wesentlichen von Aufgaben-immanenten, endogenen Faktoren ab, wie die Schwierigkeit den Stimulus zu kategorisieren und das Ausmaß an Aufmerksamkeit, das dem Stimulus geschenkt wird. Die Latenz der N2b korreliert hoch mit der Reaktionszeit in der gestellten Aufgabe, was zusätzlich die Repräsentativität der N2b für endogene kognitive Prozesse und Reaktionen belegt. Weiterführende Angaben zur N2b, die praktisch immer von einer P300 (sog. N2b/P3a-Komplex) gefolgt wird, finden sich z. B. bei Näätänen (1990). Die N2c tritt auf, wenn disparate Stimuli in zwei Kategorien eingeteilt werden müssen und reflektiert damit ebenfalls endogene kognitive Prozesse und nicht Stimuluseigenschaften per se.
dern betreffen auch andere Komponenten, z. B. die P300. Außerdem haben sich diese Parameter nicht als wertvoll in der Differentialdiagnose des Parkinson-Syndroms von anderen akinetisch-rigiden Syndromen wie der Multisystematrophie oder dem Steele-Richardson-Olszewski (PSP) erwiesen. Latenzverzögerungen der N2 sind bei der Huntington-Krankheit beschrieben (Hömberg et al. 1986). Auch bei der amyotrophen Lateralsklerose gibt es einen Bericht von Gil et al. (1995) über eine Latenzverzögerung der N2 (und P300). Bei diesen Krankheiten sind die früheren Komponenten, wie die N100, meist nicht betroffen. Latenzverzögerungen mehrerer Komponenten inklusive N2 bei der multiplen Sklerose (z. B. Gil et al. 1992; Honig et al. 1992; Triantafyllou et al. 1992) sind aufgrund der Pathophysiologie der Krankheit mit Demyelinisierungen nicht verwunderlich, scheinen partiell mit dem Ausmaß der klinischen Schädigung zusammenzuhängen (Gil et al. 1993) und insbesondere bei Patienten mit demenzieller Entwicklung aufgrund der multiplen Sklerose vorhanden zu sein (Dijk et al. 1992; Giesser et al. 1992). Es wird offensichtlich, dass die N200 als Ausdruck der Reizbewertung von verschiedenen pathophysiologischen Szenarien gestört sein kann, dass sich also keine Spezifität für bestimmte Läsionstypen, bislang auch nicht eine Spezifität für bestimmte Läsionslokalisationen feststellen lässt.
7.3.5 Pathophysiologie
7.3.6 Ableitung und Auswertung
Abnormalitäten der N200 sind in aller Regel an Veränderungen des gesamten N2/P3-Komplexes gebunden. Sie finden sich z. B. bei der Demenz vom Alzheimer-Typ (Golob u. Starr 2000; Green u. Levey 1999, Verleger et al. 1992), wobei sich meist eine N2Amplitudenminderung findet. Es wird davon ausgegangen, dass diese N2-Abnahme Probleme in der Selektion adäquater Antworten widerspiegelt. Veränderungen der N2 sind auch bei der Parkinson-Krankheit und anderen neurodegenerativen Krankheiten beschrieben. So kommt es beim idiopathischen Parkinson-Syndrom zu Latenzverzögerungen der N2 in der sog. »Oddball-Task« (Ebmeier et al. 1992; Hansch et al. 1982). Die Veränderungen sind nicht spezifisch für die N2, son-
Ähnlich wie bei der N100 muss bei der Wahl der Filtereinstellungen berücksichtigt werden, inwieweit nachfolgende, langsamere Komponenten von Interesse sind. Beispiel Eine Beispielkonfiguration wäre Zeitkonstante τ = ∞ (DC), obere Grenzfrequenz 50 Hz, A/DRate 250 Hz.
Um alle Komponenten (N2a, N2b, N2c) zu erfassen, muss sowohl über den frontozentralen als auch den Vertex-nahen und parietalen Kortexarealen abgeleitet werden (z. B. Fz, Cz, Pz als Minimalvariante;
508
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
über Widerstand verbundene Mastoid- oder OhrReferenz). Die Elektrodenwiderstände (Ag/AgClElektroden) sollten unter 5 kΩ gehalten werden. Die Auswertung beinhaltet die Messung der Amplitude (»Peak-to-Base«) und der Latenz der negativen Peaks N2a, N2b und N2c.
7.3.7 Klinische Relevanz
7
Zwar finden sich bei zahlreichen Erkrankungen Amplitudenminderungen oder Latenzverzögerungen der N200, jedoch ist die Spezifität dieser Resultate gering und ein Anwendungsbereich in der klinischen Routine speziell für diese Komponente existiert nicht. Gleichwohl ist die Analyse des gesamten N200-P300-Komplexes (Abschn. 7.6) zur Evaluation kognitiver Residualfunktionen bei komatösen Patienten in Einzelfällen einsetzbar.
7.4
»Mismatch negativity«
7.4.1 Bedeutung Die »mismatch negativity« (MMN) entspricht der N2a (Abschn. 7.3, N200). Sie entsteht, wenn physikalisch deviante auditorische Stimuli selten inmitten häufiger Standardstimuli präsentiert werden. Näätänen sieht die MMN als einziges valides objektives Maß für die Genauigkeit zentraler auditorischer Verarbeitungsprozesse im menschlichen Gehirn an (Näätänen u. Rinne 2002). Die MMN ist in der auditorischen Domäne gut charakterisiert. Über die Existenz eines MMN-Analogons in der visuellen Domäne besteht Uneinigkeit (Pazo-Alvarez et al. 2003), so dass sich die folgenden Angaben ausschließlich auf die akustisch evozierte MMN beziehen.
7.4.2 Komponenten Bei der MMN handelt es sich um eine negative Komponente der EKP, die üblicherweise ihr Maximum zwischen 100 und 200 ms nach dem Beginn des devianten Stimulus hat.
7.4.3 Generatoren Die MMN hat zwei Hauptgeneratoren, nämlich den bilateralen auditorischen Kortex im Temporallappen und einen frontalen Generator, der vorwiegend rechtshemisphärisch lokalisiert ist (zumindest rechtshemisphärisch deutlich überwiegt; Alho 1995; Giard et al. 1990; Paavilainen et al. 1991). Die Aktivität des frontalen Generators kommt etwas später als die Aktivität, die auf den auditorischen Kortex bilateral zurückgeführt werden kann (Rinne et al. 2000). Dies weist darauf hin, dass hier zumindest partiell ein serieller Prozess abgebildet ist, in dem auditorische Verarbeitungsschritte den frontalen Stimulusevaluationsvorgang einleiten (Näätänen 1990).
7.4.4 Einflussgrößen Die MMN hängt konzeptionell von der Gegenwart einer Gedächtnisspur ab, die durch die vorangehenden (häufigen) Standardstimuli geformt wird. Erst dann kann das Gehirn auf einen »devianten« neuen Stimulus aktiviert werden. Das Interstimulusintervall, in dem eine MMN gut evoziert werden kann, liegt unter 10 s. Werden die Stimuli mit deutlich längerer Interstimuluslatenz dargeboten, wird diese negative Komponente nicht mehr beobachtet. Wichtig zu erwähnen ist, dass die MMN besonders deutlich auftritt, wenn die Probanden nicht auf die Reize achten. Daher wird vermutet, dass die MMN automatische, vorbewusste kortikale Verarbeitungsprozesse auditorischer Reize widerspiegelt. Es besteht eine gute Übereinstimmung zwischen MMN und Sprachleistungen (Kraus et al. 1993, 1995; Winkler et al. 1999), so dass MMNUntersuchungen z. B. auch für Konsonant-VokalSilben nach Cochlea-Implantation angewandt wurden, um eine quantitative neurophysiologische Evaluation des Effektes dieser Implantate auf kognitive auditorische Funktionen zu ermöglichen.
7.4.5 Pathophysiologie Nachdem die MMN zumindest die Intaktheit einiger Aspekte von Gedächtnis erfordert, liegt nahe,
509 7.4 · »Mismatch negativity«
pathologische Veränderungen bei Patienten mit Demenz zu erwarten. Dennoch sind die Ergebnisse bei der Demenz vom Alzheimer-Typ nicht ganz einheitlich. Normale Wellenformen für die MMN wurden von Gaeta et al. (1999) und von Pekkonen et al. (1994) berichtet, reduzierte Amplituden von Kazmerski et al. (1997) und Pekkonen et al. (1994) in einer etwas anderen Form der Reizdarbietung. Nach der jetzigen Studienlage ist es möglich, dass die Länge des Interstimulusintervalls kritisch bestimmt, ob bei der Alzheimer-Demenz eine pathologische MMN gefunden wird; hier sind weitere Studien notwendig. Bislang ließe sich die Arbeitshypothese aufstellen, dass längere Interstimulusintervalle sensitiver sind für eine Differenzierung von Patienten mit Alzheimer-Demenz und Normalprobanden. Beim idiopathischen ParkinsonSyndrom konnten erste Ergebnisse, die auf eine reduzierte MMN hinweisen (Pekkonen et al. 1995), in neueren Studien nicht reproduziert werden (Pekkonen et al. 1998; s. auch Vieregge et al. 1994). Auch wurde in einer neueren Arbeit kein Zusammenhang zwischen einer pharmakologischen Modulation des noradrenergen oder dopaminergen Systems und der MMN gefunden (Hansenne et al. 2003). Interessanterweise hängt die Sensitivität der MMN für bestimmte Läsionen vom Stimulusmaterial ab. So findet sich bei Patienten mit einer Aphasie vom Wernicke-Typ bei Darbietung von synthetischen Vokalen eine fehlende MMN (Aaltonen et al. 1993; allerdings wurden nur zwei WernickeAphasie-Patienten im Vergleich mit zwei BrocaAphasie-Patienten untersucht). Ilvonen et al. (2001) berichteten, dass auch bei Darbietung reiner Töne die MMN bei Patienten mit Wernicke-Aphasie kleiner ist als bei gesunden Kontrollpersonen. Auch der Neglect als Folge einer rechtshemisphärischen Läsion führt zu einer Amplitudenreduktion der MMN, wenn der Reiz auf der vernachlässigten Körperseite dargeboten wird (Deouell et al. 2000).
7.4.6 Ableitung und Auswertung Das typische Paradigma ist die Darbietung wiederholter akustischer Stimuli, z. B. 65 dB, 75 ms Dauer, 10 ms aufsteigende und absteigende Flanke, 1000 Hz Frequenz, mit einem gelegentlich einge-
7
streuten, davon physikalisch abweichenden akustischen Stimulus (z. B. 25 ms Dauer in 10% der Fälle). Idealerweise sollte der Proband dabei seine Aufmerksamkeit auf eine andere Tätigkeit lenken (z. B. Lesen eines Buches, Ausführung einer visuellen Aufgabe). Andere Formen der »Deviation« sind selbstverständlich möglich (Lautheit, Lokalisation des akustischen Stimulus im Raum etc.). Für klinische Anwendungen sollte die Ableitung von 4 Kanälen angestrebt werden, die aufgrund der frontozentralen Lokalisation der MMN z. B. aus F3, F4, Fz, Cz bestehen sollten. Der Referenzkanal kann als über einen Widerstand zusammengeführte Mastoid- oder Ohr-Elektroden positioniert werden. Die Elektrodenwiderstände (Ag/AgCl-Elektroden) sollten unter 5 kΩ gehalten werden. Der Bandpass sollte von 0,1–100 Hz sein, mindestens jedoch von 0,3–30 Hz. Falls DC-Verstärker verfügbar sind, empfiehlt sich bei EKP generell die Ableitung mit unterer Grenzfrequenz DC (τ = ∞), um für langsame Komponenten maximale Amplituden zu gewährleisten. Gemittelt werden sollte mindestens das Intervall von 500 ms nach Stimulusbeginn mit einer Digitalisierungsrate (A/D-Rate) von 250 Hz. Mindestens 200 deviante Stimuli sollten in ein gemitteltes Potenzial eingehen. Um die Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, sollte für klinische Anwendungen dieses Potenzial jeweils ein Mal repliziert werden. Die Auswertung beinhaltet die Messung der Amplitude (»Peak-to-Base«) und der Latenz des negativen Maximums.
7.4.7 Klinische Relevanz Zwar gilt auch für die MMN, dass sie nicht zu den klinischen Routinemethoden der Neurologie oder Psychiatrie gehört, jedoch hat die MMN einige potenzielle klinische Anwendungsbereiche. Da die MMN im Gegensatz zu den EKP mit längeren Latenzen unabhängig von einer Aufmerksamkeitszuwendung evozierbar ist, kann sie zur Evaluation bei Patienten mit schlechter Compliance, einschließlich Neugeborenen und Kleinkindern, angewendet werden. So kann die MMN bei Untersuchungen zur Störung der Sprachentwicklung eingesetzt werden (z. B. Kujala et al. 2001). In dieser Arbeit konnte z. B. bei sieben Jahre alten Schülern
510
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
a
7
b
⊡ Abb. 7.3a, b. »Mismatch negativity« (MMN) bei Kindern mit Dyslexie, die an einem Trainingsprogramm teilnahmen. a MMN abgeleitet während eines Paradigmas, in dem Standard- und, seltener, deviante akustische Reize präsentiert wurden. Nach dem bei diesen Kindern durchgeführten Lesetrai-
ning war die MMN erhöht. b Die MMN-Amplitude korrelierte mit der Verbesserung der Leseleistung, gemessen in Korrektheit der gelesenen Wörter und Lesedauer pro Wort (in s). (Mod. nach Kujala et al. 2001)
mit Dyslexie, die ein audiovisuelles PC-basiertes Trainingsprogramm durchliefen, eine systematische Zunahme der MMN im Vergleich mit einer nichttrainierten Kontrollgruppe mit Dyslexie nachgewiesen werden. Dabei korrelierte die Größe der MMN mit der messbaren Besserung der Leseleistung in der trainierten Gruppe (⊡ Abb. 7.3). Bei Patienten im Koma gilt die MMN als Prädiktor für das Wiedererlangen des Bewusstseins (Kane et al. 1993, 1996). In einer Untersuchung von Fischer et al. 2000 war die MMN bei 33 von 128 komatösen Patienten nachweisbar. Dreißig von diesen 33 Patienten erlangten das Bewusstsein wieder innerhalb von etwa sechs Tagen nach Ableitung, so dass für die MMN eine Spezifität von 90,9% angegeben wurde. Die in dieser Studie ebenfalls untersuchte N100 dagegen hatte eine Spezifität von nur 57,6%, war allerdings mit 73,7% sensitiver als die MMN, die nur eine Sensitivität von 31,6% aufwies.
nitive Prozesse spezifisch, sondern spiegelt viel allgemeiner den Aufbau und die Verletzung von Erwartung wider. Eine N400 tritt z. B. auf bei einem visuell präsentierten Satz »Er bestrich das warme Brot mit Socken«. In diesem Fall macht das Wort »Socken« den Satz semantisch unsinnig und wird mit einer N400 beantwortet (⊡ Abb. 7.4). Die N400 kann auch durch Aufbau und Verletzung der Erwartung von bestimmten musikalischen Reizen induziert werden, z. B. durch Abwandlung bekannter Melodien (Besson et al. 1994).
7.5
N400
7.5.1 Bedeutung Die erstmals 1980 von Kutas und Hillyard in Zusammenhang mit Sprachleistungen beschriebene N400 ist wahrscheinlich nicht für sprachlich-kog-
7.5.2 Komponenten Die N400 ist eine negative Kurvendeflektion mit Beginn etwa 250 ms nach dem Beginn des unerwarteten Stimulus. Der Peak der N400 erfolgt bei ungefähr 400 ms. Ein typischer Kurvenverlauf ist in ⊡ Abb. 7.4 gezeigt. Die N400 kann von einer späten positiven Komponente gefolgt sein, der P600 mit Maximum zwischen 600 und 900 ms nach Beginn des unerwarteten Stimulus. Diese Komponente wurde auch als »syntactic positive shift« (SPS) bezeichnet (Hagoort 1993; Hagoort et al. 1996) und wird als Ausdruck syntaktischer Inkongruenz verstanden (z. B. »keinen Abend ist er pünktlich nach Hause kommen«).
511 7.5 · N400
7
SHOES. ⊡ Abb. 7.4. Das klassische N400-Paradigma. Die EKP wurden während der Wortpräsentation der drei Testsätze über Cz (Elektrodenposition am Vertex) abgeleitet. Ein semantisch unsinniger Reiz (gestrichelte Linie) erzeugte eine deutliche N400-Komponente, während ein passender Satzabschluss
(durchgezogene Linie) keine Negativierung hervorruft. Wird das letzte Wort mit größeren Buchstaben als die vorangegangenen präsentiert, entsteht eine positive Welle, die einer P300 entspricht (gepunktete Linie) und hier aufgrund ihrer realen Latenz mit P560 benannt wurde. (Aus Kutas u. Hillyard 1980)
7.5.3 Generatoren
dehnt messbaren Potenzialfeldern muss immer bedacht werden, dass diese durchaus durch Fortleitung von hochamplitudigen Potenzialen aus der Tiefe des Gehirns generiert werden können. In diesem Kontext ist erwähnenswert, dass man bei Patienten invasiv zu etwa derselben Latenzzeit in Paradigmen der Erwartungsverletzung Potenziale im Gyrus fusiformis ableiten konnte (z. B. McCarthy et al. 1995; Nobre u. McCarthy 1995). Auch neuere Ganzkopf-Magnetenzephalographie-Studien (MEG) weisen auf eine komplexe Topographie hin. In einer Arbeit von Halgren et al. (2002) wurde ein der N400 im EEG entsprechendes Magnetfeld (N400m) u. a. durch einen Generator im linken Sulcus temporalis superior hervorgerufen. Es war begleitet von Aktivierungen anterior-temporal, perisylvisch, orbital, frontopolar und dorsolateral präfrontal links sowie anterior-orbital und temporal rechts. Einen Versuch, die Unklarheiten bzgl. der Generatorstrukturen der N400 zu reduzieren, unternahmen Rossell et al. (2003), die fMRT (in einem sog. »event-related« Design) und komplementär EKP analysierten. Mittels der fMRT und ihrer hohen Ortsauflösung wurden der anteriore mediale Temporalcortex und der linke Gyrus marginalis im Bereich des temporoparietalen Überganges als aktivierte Strukturen identifiziert. Auch diese Daten legen einen Einfluss der medialen Temporallappenstrukturen für die Generierung der N400 nahe.
Die topographische Verteilung der N400 ist in den meisten Studien durch ein temporoparietales und rechtshemisphärisch betontes Maximum gekennzeichnet (Kutas et al. 1988). Im Gegensatz dazu beschrieben Neville et al. (1982) eine Linkslateralisierung der N400, was für ein sprachassoziiertes Potenzial eher den Erwartungen entspräche. Eine mögliche Erklärung dieser Diskrepanz ist, dass die häufigere Rechtslateralisierung der N400 durch Überlappung mit der positiven P300 zu erklären ist (Rugg et al. 1986). Häufig ist die P300 linkshemisphärisch betont, was dann zu einer scheinbaren Amplitudenminderung der N400 linkshemisphärisch und konsekutiv rechtshemisphärischer Dominanz der N400 führt. Die Probleme in der Interpretation der Topographie einzelner EKP-Komponenten bei räumlich-zeitlicher Überlappung einzelner Wellen wird hierbei deutlich. Sofern sich die Generatoren der einzelnen Komponenten unterscheiden, kann durch moderne Quellenanalyse und die mathematische Beschreibung wahrscheinlicher Generatoren zusätzliche Trennschärfe erzielt werden. Wichtig erscheint es allerdings, das experimentelle Paradigma so zu gestalten, dass Überlappungen minimiert bzw. in entsprechenden Kontrollexperimenten die einzelnen Komponenten getrennt voneinander variiert werden (z. B. P300 und N400). Bei auf der Kopfoberfläche weit ausge-
512
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
7.5.4 Einflussgrößen
7.5.5 Pathophysiologie
Die N400-Amplitude wird im Wesentlichen durch das Ausmaß der Erwartung z. B. eines bestimmten Wortes innerhalb eines Satzes bestimmt. Dabei muss dieses Wort nicht wirklich am Ende des Satzes lokalisiert sein; es muss lediglich genug Vorinformation bestehen, um dieses Wort als unerwartet klassifizieren zu können. Die Effekte von Stimuluspräsentation (visuell/auditorisch), Wortwiederholung, Worthäufigkeit und Position des unerwarteten Wortes im Satz sind in ⊡ Abb. 7.5 zusammengefasst.
Die N400 muss als komplexes Potenzial verstanden werden, das durch die Aktivität mehrerer neuraler Generatoren entsteht. Entsprechend finden sich Veränderungen der N400 bei zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Nachdem die N400 Gedächtnisleistungen voraussetzt, ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Formen von Demenzen Latenzverzögerungen und Amplitudenminderungen der N400 verursachen (Iragui et al. 1993, 1996). Die N400 ist ebenfalls amplitudengemindert und latenzverzögert bei apha-
⊡ Abb. 7.5. Modulation der N400 durch Variationen des Versuchsaufbaus. Gezeigt ist ein rechts temporoparietal abgeleitetes Signal. Inkongruente Wörter evozieren eine vermehrte N400-Amplitude (links oben), unabhängig davon, ob die Darbietung des Stimulusmaterials in schriftlicher Form, akustisch oder in Form von Zeichnungen erfolgt (Mitte). Links unten ist gezeigt, dass die N400-Amplitude positiv mit dem Grad
der »Erwartungsverletzung« variiert (durchgezogene Linie = erwartetes Wort, gepunktete Linie = völlig unerwartetes Wort, dazwischen Wörter, die kategorisch unterschiedlich nahe am erwarteten Wort lagen). Rechts sind die Einflussgrößen Wortwiederholung, Wortfrequenz und Wortposition im Satz illustriert. (Mod. nach Federmeier et al. 2003)
7
513 7.5 · N400
7
sischen Patienten mit rezeptiver Störung (sensorischer Aphasie; Swaab et al. 1997). In dieser Studie
7.5.6 Ableitung und Auswertung
wurden die Befunde bei Aphasie-Patienten verglichen mit Patienten, die ähnlich große rechtshemisphärische Läsionen hatten. Bei letzteren kam es nicht zu einer Attenuierung der N400. Latenzverzögerungen der N400 werden bereits bei Patienten mit mildem kognitiven Defizit im Rahmen einer beginnenden Alzheimer-Krankheit beobachtet (Olichney et al. 2002). Beim idiopathischen Parkinson-Syndrom untersuchten Tachibana et al. (1999) das sog. »repetition priming«, d. h. die Reduktion der N400-Amplitude unter bestimmten Konditionen mit wiederholten Reizen und wechselnder Relevanz für die Aufgabe. Hier zeigte sich kein spezifischer Unterschied zwischen Parkinson-Patienten und gesunden Kontrollen. Lediglich war die Amplitude der N400 bei ParkinsonPatienten generell etwas kleiner (Minamoto et al. 2001; Tachibana et al. 1999). Die weitgehend ungestörte frühe, automatische Verarbeitung syntaktischer Sprachreize bei Parkinson-Krankheit wird auch durch eine neuere Studie von Friederici et al. (2003) bestätigt. In dieser Studie wiesen pathologische Veränderungen der späteren Komponente P600 bei den Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom daraufhin, dass spätere integrative Anteile der Sprachverarbeitung bei BasalganglienDysfunktion gestört sein könnten. Dass die Generatoren der N400 distribuiert sind, wird unterstützt durch Arbeiten, die Attenuierungen der N400 bei Patienten mit frontalen (Friederici et al. 1999) und parietalen (Reuter et al. 1994) Läsionen zeigen. Dementsprechend gibt es auch keine sichere Möglichkeit, mit der N400 Broca- und Wernicke-Aphasiker zu differenzieren (Hagoort et al. 1996; Swaab et al. 1997, 1998). Die N400 kann mit intrakraniellen Ableitungen registriert werden. Hierbei zeigte sich (Grunwald et al. 1995), dass die N400, abgeleitet von der nichtdominanten Hemisphäre, einen prädiktiven Wert dafür hatte, wie sehr die nichtdominante Hemisphäre nach einer epilepsiechirurgischen Operation für die Funktion der resezierten Hemisphärenanteile kontralateral einspringen würde.
Die typischen Stimuli wurden oben beispielhaft erwähnt. Der Grad der Unerwartetheit bzw. Inkongruenz bestimmt die Amplitude der N400. Die N400 kann sowohl durch visuelles als auch durch auditorisches Material ausgelöst werden (z. B. auch durch Zeichensprache). Die auditorische Stimulation ist für Patientenuntersuchungen am besten geeignet. Mindestens 50 (besser 80) Stimuli für jede Bedingung (kongruent/inkongruent) sollten abgeleitet werden. Jeder kritische Stimulus sollte sich vom vorhergehenden kritischen Stimulus unterscheiden, da es den sog. Wiederholungseffekt gibt, der zu einer Abnahme der N400 führt. Die Sätze sollten bzgl. Wortfrequenz, Länge und Klasse der entsprechenden Wörter vergleichbar sein. Ein Bandpass von 0,1–30 (100) Hz sollte verwendet werden. Falls DC-Verstärker verfügbar sind, sind diese zu bevorzugen. Die Digitalisierungsrate sollte 250 Hz nicht unterschreiten. Die Dauer der gemittelten Epochen nach Stimulusbeginn sollte mindestens 800 ms sein. Um die temporoparietale bis nach bifrontal reichende Verteilung der N400 zu erfassen, empfehlen sich Multikanal-Ableitungen nach dem erweiterten 10/20-System (z. B. 28–32 Kanäle). Als Minimalvariante sollten mindestens 5 Kanäle (F3, F4, Pz, P4, P3) abgeleitet werden, referenziert gegen über einen Widerstand verbundene Mastoid- oder Ohr-Elektroden. Die Elektrodenwiderstände sollten unter 5 kΩ gehalten werden. Um einen möglicherweise systematischen Einfluss von Augenbewegungen zu erfassen, sollte bei jeder N400-Studie das Elektrookulogramm (EOG) mit abgeleitet und aufsummiert werden. Klinisch applizierbare Normwerte existieren nicht. Die Beurteilung muss sich auf vorhanden/ nicht vorhanden beschränken, bzw. wenn Amplituden- und Latenzvergleiche angestrebt sind, muss eine Kontrollgruppe gleichen Alters und Geschlechtes und mit vergleichbarem Bildungsstand herangezogen werden.
7.5.7 Klinische Relevanz Ein klinisch orientierter Einsatz der N400 ist denkbar z. B. in der Evaluation des rezeptiven Vokabu-
514
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
lars der Patienten mit Hirnläsionen oder neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere bei Patienten, die aufgrund einer erheblichen Dysarthrie oder wegen motorischer (expressiver) Aphasie nicht ohne weiteres verbal zu explorieren sind. Technisch sind Einzelfalluntersuchungen möglich.
7.6
P300
Verarbeitungsprozesse an, die Amplitudenverteilung über der Kopfoberfläche kann als Maß für die Allokation neuraler Resourcen gesehen werden. Inhibitorische Prozesse (z. B. vom präfrontalen Kortex ausgehend) werden für die Generierung der P300 von Michalski aufgrund experimenteller Daten postuliert (Michalski 2001). Rockstroh et al. (1996) argumentieren, dass die P300 die Inhibition regulärer Verarbeitungsvorgänge im sensorischen Kortex widerspiegelt.
7.6.1 Bedeutung 7.6.2 Komponenten
7
Die P300 (P3) wurde kurz nach der Entdeckung der CNV und des Bereitschaftspotenzials erstmals beschrieben (Sutton et al. 1965). Diese positive Kurvendeflektion mit einer Latenz um 350 ms tritt auf, wenn in einer Gruppe gleichförmiger Hintergrundreize hin und wieder »oddballs« eingestreut werden, auf welche die Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit lenken müssen. Nach wie vor besteht Uneinigkeit über die genaue psychophysiologische Bedeutung der P300, dennoch ist sie die von allen EKP am meisten angewendete Komponente. Da Konfiguration und vermutlich auch psychophysiologische Grundlagen der P300 von Paradigma zu Paradigma unterschiedlich sind und vermutlich mehrere Subkomponenten der P300 bestehen, wurde auch vorgeschlagen, diese Wellenform als späten positiven Komplex (LPC, »late positiv complex«) zu bezeichnen und dabei der Tatsache gerecht zu werden, dass unterschiedliche Typen positiver Wellen in ähnlichen Situationen zwischen 280 und 700 ms beobachtet werden können. Im weitesten Sinne repräsentiert die P300 eine Art Kategorisierung und Evaluation des dargebotenen Stimulusmaterials. Donchin et al. haben die P300 im Sinne eines Context-update-Modells interpretiert (Donchin et al. 1988). Eine Alternativinterpretation ist, dass die P300 eine Deaktivierung (daher auch Positivierung) nach Ende einer perzeptuellen Epoche darstellt. Diese Interpretation wird gestützt durch Beobachtungen, dass nach länger anhaltenden, negativen DC-Potenzialen am Ende der Stimulusdarbietung positive Deflektionen ähnlich der P300 gesehen werden (Deecke u. Lang 1988). Die P300 zeigt nach der Theorie von Donchin u. Coles (1988) die Geschwindigkeit der kognitiven
Unterschieden werden drei positive Komponenten, die P3b, P3a und die sog. »slow wave«. Sie treten in Abhängigkeit von spezifischen experimentellen Bedingungen auf. Die P3b entspricht der klassischen P300 und wird im »Zwei-Stimulusdiskriminationsparadigma« (engl. »oddball-paradigma«) ausgelöst. Ihre Latenz beträgt je nach Auslösemodalität zwischen 340 und 700 ms, ihre maximale Amplitude liegt über dem zentroparietalen Kortex. Voraussetzung der P3b im Oddball-Paradigma ist die Aufmerksamkeitszuwendung auf den Zielreiz. Die P3a ist am deutlichsten ausgeprägt, wenn jeder Zielreiz neuartige Reizmerkmale aufweist (Squires et al. 1975). Gegenüber der P3b hat sie eine kürzere Latenz zwischen 250 und 350 ms und hat eine andere topographische Verteilung, nämlich mit frontozentralem Maximum. Die P3a tritt auch dann auf, wenn den Zielreizen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, ähnlich wie die N100. Daher wird sie eher als Korrelat der noch weitgehend automatisierten Orientierungsreaktion aufgefasst. Die P3a habituiert nach mehreren Versuchsdurchläufen. Schließlich folgt eine positive »slow wave« zum Zeitpunkt 600–1400 ms. Diese ist nicht an eine Zwei- oder Drei-Stimulusdiskriminationsaufgabe gebunden, sie tritt auch dann auf, wenn generell präsentierte Reize für die Lösung einer anspruchsvollen Aufgabe von Bedeutung sind. Der Übergang zwischen dieser Komponente und anderen Formen langsamer Hirnpotenziale oder sog. DC-Potenziale (Gleichspannungspotenziale) als Korrelate komplexer kognitiver Prozesse ist fließend. Aufgrund
515 7.6 · P300
der Variabilität dieser späten Potenziale kommt ihnen keine klinische Relevanz zu.
7.6.3 Generatoren Die Frage, wo die P300 generiert wird, muss derzeit offen bleiben. Zahlreiche Arbeiten hatten eine Identifikation der Generatoren zum Ziel, wobei zwei Ansätze verfolgt werden: ▬ zum einen die Ableitung von Oberflächen-EEG mit möglichst hoher Kanalzahl (z. B. 128 Kanäle), ▬ zum anderen die Kombination von klassischen elektrophysiologischen Methoden wie dem EEG mit neueren Imaging-Methoden wie der fMRT. Bei letzterem wird mit beiden Methoden im Wesentlichen das gleiche Paradigma untersucht und es werden die elektrisch gemessenen und daraus errechneten Quellenlokalisationen mit den Maxima der metabolischen Aktivierung in der fMRT verglichen. Zusätzliche Informationen können von invasiven Messungen, z. B. mit intrakraniellen Elektroden, gewonnen werden. Letztlich sind Paradigmen, ähnlich dem der P300-Induktion im Oddball-Paradigma auch im Tierversuch anwendbar. In dieser Weise haben z. B. Maunsell u. Gibson (1992) bei Makaken mittels extrazellulärer Ableitungen die Latenzen zellulärer Antworten auf visuelle Stimuli untersucht. Brankack et al. (1996) haben mit extrazellulären Ableitungen weit ausgedehnte neokortikale Ursprünge und einen hippokampalen Anteil (CA1-Region) der auditorischen P300 bei Ratten gezeigt, so dass man davon ausgehen kann, dass die P300 als Summationspotenzial von Aktivität an zahlreichen unterschiedlichen Orten entsteht (Frodl-Bauch et al. 1999). Auch beim Menschen zeigten invasive Ableitungen von implantierten Elektroden P300-artige Komponenten über dem medialen Temporallappen und im Hippokampus (Halgren et al. 1995a, b). Es ist aber zu bedenken, dass nicht jedes in der Tiefe abgeleitete Potenzial automatisch auch zu einem gleichzeitig an der Kopfoberfläche gemessenen Potenzial beiträgt. Häufig ist die Amplitude von in der Tiefe abgeleiteten Potenzialen so niedrig, dass aus
7
physikalischen Gründen eine Fortleitung bis zur Kopfoberfläche nicht zu erwarten ist. Dass umgekehrt die P300 nicht alleine vom Temporallappen ausgeht, ergibt sich aus dem Fehlen erheblicher pathologischer Veränderungen der P300 bei Patienten nach Resektion eines Temporallappens (Lutzenberger et al. 1987). Diese Beobachtung wurde bei Affen bestätigt. Selbst bilaterale Temporallappenresektionen brachten die P300 nicht zum Verschwinden (Paller et al. 1992). Nach neueren Multikanal-EEG-Ableitungen in Kombination mit kernspintomographischen Untersuchungen werden vor allem die temporoparietalen lateralen Kortexareale als Generatoren favorisiert. Im Einklang damit zeigten Yamaguchi u. Knight (1991), dass Schäden im Bereich der Temporoparietal-Region zu topographischen Änderungen der P300 führen. Zusammengefasst geht man also davon aus, dass die P300 vorwiegend im Bereich des temporoparietalen Überganges und den benachbarten parietalen und temporalen neokortikalen Regionen generiert wird. Vermutlich ist der Beitrag subkortikaler Strukturen des limbischen Systems eher indirekt (weitere Literatur: Anderer et al. 2003; Basar-Eroglu et al. 2001; Soltani u. Knight 2000).
7.6.4 Einflussgrößen Das für die P300 typische Oddball-Paradigma ist meist auditorisch. Die P300 wird erzeugt durch eine Abweichung des Zielreizes vom (häufigeren) Hintergrundreiz bzgl. Tonhöhe oder Lautstärke. Die Verwendung visueller Reize induziert längere Latenzen, die Potenzialkonfiguration bleibt aber ähnlich. Auch somatosensibel evozierte P300-Wellen durch elektrische Reizung an Mittelfinger oder Zeigefinger sind möglich (Desmedt u. Robertson 1977; Desmedt et al. 1983). Auch hier ändert sich die Potenzialkonfiguration nicht wesentlich im Vergleich zu auditorischer oder visueller Reizung. Die P300 wird über diese begrenzten modalitätsspezifischen Einflüsse hinaus nicht wesentlich durch die physikalischen Reizeigenschaften beeinflusst, so lange die Entdeckung der Zielreize dadurch nicht erschwert oder erleichtert wird. Die Amplitude der P300 hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der die Zielreize auftreten. Mit ab-
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7
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
nehmender Auftretenswahrscheinlichkeit des seltenen Reizes nimmt die Amplitude der P300 meist zu. Mit Auftretenswahrscheinlichkeit ist gemeint, in wie viel Prozent der Zielreiz im Vergleich zum Hintergrundreiz auftritt (z. B. 10% Zielreiz, 90% Hintergrundreize). Diese Zahlen werden als globale Auftretenswahrscheinlichkeit bezeichnet, die lokale Auftretenswahrscheinlichkeit bezeichnet, wie oft in einer hintereinander folgenden Reizserie, z. B. von fünf Reizen, die Zielreize auftreten. Es muss beim Auswählen des Paradigmas berücksichtigt werden, dass zu seltene Zielreize das Experiment unnötig in die Länge ziehen, daher werden Auftretenswahrscheinlichkeiten zwischen 15 und 20 % als bester Kompromiss angesehen. Werden die seltenen Zielreize in weniger als 10 % der Fälle präsentiert, wird die Qualität der P300 nicht mehr verbessert und das Experiment dauert unnötig lange. In der ⊡ Abb. 7.6 ist der Effekt der Auftretenswahrscheinlichkeit in einem auditorischen Oddball-Paradigma dargestellt. Die lokale Auftretenswahrscheinlichkeit beeinflusst die Amplitude der P300 ebenfalls. Treten in einer Reizserie zwei Zielreize hintereinander auf, dann zeigt die durch den zweiten Zielreiz erzeugte P300 eine geringere Amplitude als die durch den ersten erzeugte. Dieser Effekt gilt auch, wenn zwischen zwei dicht aufeinander folgenden Zielreizen noch einige wenige Hintergrundreize eingestreut sind (Duncan-Johnson u. Donchin 1977; Squires et al. 1977). Eine echte Zufallsverteilung von Ziel- und Hintergrundreizen ist daher in der Praxis nicht sinnvoll. Es ist eine Pseudorandomisierung mit mindestens zwei Hintergrundreizen zwischen den Zielreizen zu bevorzugen. Unabhängig von der Abfolge von Ziel- und Hintergrundreizen ist auch das Interstimulusintervall (ISI) zwischen zwei Zielreizen, also die dazwischen liegende Zeit, ein kritischer Reizparameter. In einem gewissen ISI-Bereich nimmt die P300Amplitude zu, je größer der zeitliche Abstand zwischen den zwei Zielreizen ist (Polich 1987; Squires et al. 1977). In der Praxis haben sich ISI von 1–3 s durchgesetzt, auch wenn selbst bei ISI von unter 1 s noch eine P300 ausgelöst werden kann (Woods u. Courchesne 1986). Werden die Zielstimuli den Hintergrundstimuli zunehmend in ihren physikalischen Eigenschaften
⊡ Abb. 7.6. Effekt der Auftretenswahrscheinlichkeit von Hintergrundreizen und Zielreizen im »Zwei-Stimulusdiskriminationsparadigma«. Durchgezogene Linien: Hohe Töne mussten gezählt werden. Gepunktete Linien: Die Reizserie war zu ignorieren. Man erkennt, dass die höchsten P300-Amplituden entstehen, wenn die beachteten hohen Töne mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 % eingestreut sind (unten links). Aber auch die seltene Präsentation von »Hintergrundreizen« (tiefe Töne zu nur 10%) erzeugt eine P300 (oben rechts). (Aus Duncan-Johnsen u. Donchin 1977)
angeglichen, wird die Differenzierung zwischen den beiden Signalen schwieriger. Die Schwierigkeit, mit der der Zielreiz (der abweichende Reiz) entdeckt werden kann, ist für die Latenz der P300 entscheidend. Sie nimmt mit zunehmender Schwierigkeit zu. Die Schwierigkeit kann auch dadurch erhöht werden, dass die Signale zwar unterschiedlich sind, jedoch die Signalqualität generell schlechter wird, z. B. durch Überlagerung von Rauschen. Weiterhin kann die Reizkategorisierung durch Komplizierung der Versuchsaufgabe zu einem erhöhten Schwierigkeitsgrad führen (Kutas et al. 1977; ⊡ Abb. 7.7). Probanden-immanente Faktoren, die die P300 beeinflussen, sind zum einen der Grad der Auf-
517 7.6 · P300
⊡ Abb. 7.7. Zunahme der P300-Latenz bei zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Kategorisierung von Zielreizen. (Aus Kutas et al. 1977)
merksamkeitszuwendung, zum anderen das Alter der Probanden. Die Altersabhängigkeit der P300 ist in ⊡ Abb. 7.8 dargestellt. In Kindheit und Jugend verkürzt sich die Latenz bis zum Alter von 15– 20 Jahren, danach nimmt sie stetig zu. Dies gilt für auditorische visuelle und somatosensorische Reize (Barrett et al. 1987; Maeshima et al. 2003; Pfefferbaum et al. 1984a; Polich et al. 1985). Die Amplitude der P300 scheint im Gegensatz zur Latenz nicht in systematischer Weise durch physiologisches Altern beeinflusst zu werden (Beck et al. 1980; Maeshima et al. 2003), obwohl es einzel-
⊡ Abb. 7.8. Zusammenhang zwischen P300-Latenz und Alter. Befunde von 47 gesunden Probanden, die mit einem auditorischen ZweiStimulusdiskriminationsparadigma untersucht wurden. (Aus Goodin et al. 1978)
7
ne Berichte über eine Abnahme der P300-Amplitude bei älteren Probanden gibt (Puce et al. 1989). Die altersbedingten Änderungen der P300-Latenz machen es in jedem Fall notwendig, bei klinischer Anwendung alterskorrigierte Normwerte zu verwenden. Um reliabel zu sein, empfiehlt es sich, diese in dem entsprechenden Labor innerhalb eines standardisierten Versuchsaufbaus zu erheben, bevor Latenz- und Amplitudenveränderungen bei Patienten quantitativ interpretiert werden ( s. Abschn. 7.6.6). Es muss weiterhin bedacht werden, dass die Steigung der Korrelation zwischen Alter und P300-Latenz bei Männern steiler ist als bei Frauen (Hirayasu et al. 2000).
7.6.5 Pathophysiologie Änderungen der P300 kommen bei zahlreichen psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen vor, insbesondere bei solchen, bei denen Abnormitäten bestimmter Transmittersysteme angenommen werden (Frodl-Bauch et al. 1999). Eine umfassende Übersicht findet sich bei Polich u. Herbst (2000). Die Studien an Patienten wurden im Wesentlichen mittels des typischen Oddball-Paradigmas mit akustischer Stimulation durchgeführt. Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ und anderen Demenzen wird eine Latenzverzögerung der P300 beobachtet (Squires 1980; ⊡ Abb. 7.9), die mit dem Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsdefizit
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Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
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7
⊡ Abb. 7.9a–d. P300-Latenz, Alter und Hirnleistungsschwäche. Im auditorischen Zwei-Stimulusdiskriminationsdparadigma (Odball-Paradigma) wurden (a) Normalprobanden, (b) nichtdemente psychiatrische Patienten, (c) nichtdemente neurologische Patienten mit verschiedenen Hirnerkrankun-
gen und (d) demente Patienten mit neurologischen Erkrankungen untersucht. Die bei Normalpersonen erhobene alterskorrigierte Regressionsgrade und deren einfache und zweifache Standardabweichung wurde für die Darstellung der Patientengruppen übertragen. (Aus Squires et al. 1980)
korrespondiert (Polich et al. 1990). Es wird angenommen, dass diese Latenzverzögerung mit der Abnahme cholinerger Neurotransmission bei der Alzheimer-Krankheit einhergeht (Hollander et al. 1987). Die P300 wurde auch herangezogen, um die Pseudodemenz bei Depression von anderen Demenzen zu differenzieren (Giedke et al. 1981). Polich et al. (1990) berichten, dass bei Pseudodemenz die P300-Latenz unverändert ist, allenfalls die Amplitude ist vermindert. Saito et al. (2001) schließen aus ihren Daten, dass die P300 möglicherweise sogar als Screeningmethode für eine beginnende Alzheimer-Krankheit einsetzbar ist. Hierzu ist anzumerken, dass eine differentialdiagnostische Relevanz der P300 in der Abgrenzung von Alzheimer-Demenz und anderen Demenzformen nicht vorliegt. Bei den unterschiedlichen Formen von Demenz korreliert die Latenzverzögerung der P300 stets mit dem Schweregrad des klinischen Bildes. Ein interessanter Befund ist, dass bei der Alzheimer-Demenz lediglich P300 und N200 latenzver-
zögert sind, während in einer früheren Studie bei subkortikalen Demenzformen bereits die N100 verzögert war (Goodin u. Aminoff 1986). Sollte sich dies in weiteren Studien bewahrheiten, könnte dieser Befund einen Wert in der (groben) Charakterisierung der Demenzen erlangen. Bei Patienten mit idiopathischem ParkinsonSyndrom ist die P300-Amplitude niedriger (O’Donnell et al. 1987), wobei einige Studien zu dem Schluss kommen, dass Amplitudenveränderungen beim idiopathischen Parkinson-Syndrom mit der Entwicklung einer begleitenden Demenz zusammenhängen, jedoch nicht mit den pathophysiologischen Prozessen der idiopathischen Bewegungsstörung selbst (Tanaka et al. 2000). Auch bei visueller Stimulation gibt es Hinweise auf eine Latenzverzögerung der P300 beim idiopathischen Parkinson-Syndrom (Antal et al. 2000; Filipovic et al. 1997; Wang et al. 1999). Bei der Schizophrenie werden Änderungen der P300 und ihr diagnostischer Wert kontrovers dis-
519 7.6 · P300
kutiert. Meist wird über eine Amplitudenabnahme der P300 berichtet (O›Donnell et al. 1999), welche mit dem Auftreten und Ausmaß sog. Negativsymptome korrelieren könnte (Pritchard 1981). Auch Bruder et al. (2001) berichten über eine Korrelation von klinischen Scores (»Brief Psychiatric Rating Scale«, PPRS) und Negativsymptomen mit Veränderungen der P300. Frühe Komponenten dagegen scheinen bei der Schizophrenie mit kürzerer Latenz und höherer Amplitude aufzutreten. In einem modernen statistischen Ansatz der MRI-Volumetrie fanden Martin-Loeches et al. (2001) bei Schizophrenen eine signifikante negative Korrelation zwischen P300-Amplitude und präfrontalem Liquorvolumen. Diese und andere Ergebnisse führten dazu, dass die P300-Amplitude von einigen als Marker für eine Neurodegeneration bei Schizophrenie interpretiert wird. Bei Huntington-Chorea fanden Hömberg et al. (1986) pathologische P300-Latenzen bei 86% der Patienten (n = 30). Auch bei Verwandten ersten Grades war die Latenz in 23% pathologisch. Nachdem jetzt molekulargenetische Methoden zur Diagnostik zahlreicher erblicher neurodegenerativer Erkrankungen zur Verfügung stehen, haben diese elektrophysiologischen Befunde ihre diagnostische Bedeutung verloren; sie könnten allerdings zur Unterscheidung von Phänotypen nützlich sein. Zur geringen Spezifität der P300 trägt die Manifestation von Veränderungen bei einer Vielzahl von weiteren Erkrankungen bei, z. B. bei metabolischen Enzephalopathien (Cohen et al. 1983) und Patienten mit Down-Syndrom (Squires et al. 1979). Im Hinblick auf die Generatoren der P300 sind Studien an Neglect-Patienten erwähnenswert, nach denen die P300 bei einer unilateralen parietalen Hirnläsion dann latenzverzögert war, wenn die Reize im Gesichtsfeld ipsilateral zum Neglect dargeboten wurden, während sie bei Darbietung im »gesunden« Gesichtsfeld normal waren (Lhermitte et al. 1985). Bei Patienten mit Frontalhirnläsion berichtet Knight (1984) über eine Amplitudenminderung der sog. »Novel-P3«, die im Wesentlichen der P3a mit frontalem topographischen Maximum entspricht und – wie eingangs erwähnt – als Korrelat einer Orientierungsreaktion verstanden wird. Schließlich sollte noch erwähnt werden, dass Latenz und Amplitude der P300 medikamentösen
7
Einflüssen unterliegen, insbesondere führen Anticholinergika zu Latenzverzögerung und Amplitu-
denminderung (Meador et al. 1987). Umgekehrt erzeugt die Gabe von cholinerg wirkendem Physostigmin eine Amplitudenzunahme und Verkürzung der Latenz der P300 (Maurer et al. 1989). Entsprechend kann die P300 als elektrophysiologischer Verlaufsparameter während der Therapie von Patienten mit Alzheimer-Demenz unter Medikation mit zentralwirkenden Cholinesteraseinhibitoren angewandt werden (Thomas et al. 2001). So zeigten Werber et al. (2003) eine Verbesserung der Latenzverzögerung der P300 um im Mittel 24 ms bei Patienten, die mit Tacrin, Donepezil oder Rivastagmin behandelt wurden. Es wurden Korrelationen zwischen der P300-Latenz und dem mittleren »ADAS-cog-Score« (»Alzheimer-Disease assessment-scale, cognitive part«) und zwischen der P300-Latenz und dem Minimentalstatus gefunden. Die Amplitude der P300 wurde dabei nicht signifikant beeinflusst. Die P300 wird nur gering beeinflusst durch Phenothiazin (Baribeau-Braun et al. 1983) und trizyklische Antidepressiva (Pfefferbaum et al. 1984b). Ebenso scheinen Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital keinen ausgeprägten Effekt auf die P300 zu haben (Meador et al. 1990).
7.6.6 Ableitung und Auswertung Eine Übersicht über die kritischen Reiz- und Ableiteparameter für klinische P300-Untersuchungen findet sich in ⊡ Tabelle 7.1. Die notwendigen Verstärkereigenschaften sind bei den meisten heute kommerziell erhältlichen Systemen gegeben. Wichtig ist wie bei allen EKP, dass die Möglichkeit zur Mittelung von Einzeldurchläufen besteht. Außerdem muss die untere Grenzfrequenz <0,1 Hz sein, da sonst die langsamen Schwankungen, die im Rahmen der P300 wesentlich sind, nicht hinreichend gut registriert werden können. Idealerweise sollte ein DC-Verstärkersystem verwendet werden. Die Apparatur muss erlauben, Hintergrundreize und Zielreize getrennt zu mitteln. Stimulationssysteme, die sowohl Präsentation als auch Antwortverhalten der Probanden aufzeichnen und dabei gleichzeitig die zur Online-Mittelung notwendigen
520
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
⊡ Tabelle 7.1. Technische Angaben zur Ableitung einer P300
Empfohlene Modalität
Auditorisches Zwei-Stimulusdiskriminationsparadigma
Reizparameter
7
Zielreiz
2.000 Hz mit 20% Auftretenswahrscheinlichkeit
Hintergrundreiz
1.000 Hz mit 80% Auftretenswahrscheinlichkeit
Flankenanstieg/-abfall
10 ms
Dauer
50 ms
Intensität
65 dB SPL
Interstimulusintervall
2s
Ableitebedingungen Position
Sitzend
Augen
Geschlossen
Verhaltenskontrolle
Knopfdruck oder Fingerbewegung
Ableiteparameter Elektrodenposition
Fz, Cz, Pz
Elektrodenmaterial
Silber/Silberchlorid
Referenz
Verbundene Mastoidelektroden
Erdung
Stirn
Artefaktkontrolle
EOG-Registrierung
Obere Grenzfrequenz
30–70 Hz
Untere Grenzfrequenz
0,01 Hz
Länge der Einzelsweeps
750ms, 50 ms Baseline
Mittelungsschritte
20 Zielreize
Replikation
Mindestens einmal
EOG Elektrookulogramm
521 7.7 · CNV
Triggersignale an den EEG-Verstärkung geben, sind kommerziell erhältlich. Für klinische Zwecke empfiehlt sich die Anwendung eines einfachen auditorischen Oddball-Paradigmas. Es sei nochmals angemerkt, dass es wichtig ist, das Antwortverhalten der Probanden zu berücksichtigen, am besten, indem man falsche Interpretationen (z. B. ein Hintergrundreiz wird für einen Zielreiz gehalten) quantitativ auswertet. Liegen viele Fehlantworten vor, spricht dies für ein Aufmerksamkeitsdefizit oder mangelnde Compliance. Beides hat Auswirkungen auf die Amplitude der P300. Für eine sinnvolle Auswertung ist es unabdingbar, dass die Ableitung mindestens ein Mal repliziert wird. Bestimmt werden sollen die maximale Amplitude (Peak-Amplitude) und die Gipfellatenz (Peak-Latenz). Die Amplitude wird gemessen in Bezug auf die Baseline, also die Prästimulusperiode. Bei bis zu 30 % der Probanden kommt es beim Oddball-Paradigma zu einem zweigipfligen Kurvenverlauf. Dabei handelt es sich meist um eine Überlagerung der frontozentral betonten P3a mit kürzerer Latenz und der zentroparietal betonten P3b mit etwas längerer Latenz. In diesem Fall soll für die Latenzzuweisung auf jeden Fall der Peak mit maximaler Amplitude in den parietalen Ableitungen gewählt werden.
7.6.7 Klinische Relevanz Der primäre Anwendungsbereich der P300 liegt in der Evaluation dementer Patienten. Wie oben ausführlicher beschrieben, kann zum einen zwischen Pseudodemenz bei Depression und anderen Demenzformen differenziert werden, zum anderen können P300-Latenzen als Verlaufsparameter für demenzielle Prozesse (mit und ohne cholinerger Medikation) verwendet werden. Ob darüber hinaus ein differentialdiagnostischer Wert in der Unterscheidung kortikaler und subkortikaler Demenztypen vorliegt (zusätzliche Verlängerung der N100-Komponente bei subkortikalen Demenzen), ist nach wie vor strittig. Da die P300-Latenz im Wesentlichen eine Verlangsamung kognitiver Prozesse repräsentiert, ist die Spezifität von Veränderungen der P300-Latenz niedrig.
7.7
7
»Contingent negative variation«
7.7.1 Bedeutung Die »contingent negative variation« (CNV) und das Bereitschaftspotenzial (BP, Abschn. 7.8) gehören zu den motorisch evozierten kortikalen Potenzialen, auch bewegungskorrelierte kortikale Potenziale genannt (engl. »movement related cortical potentials«, MRCP). Die CNV unterscheidet sich vom Bereitschaftspotenzial dadurch, dass sie immer im Rahmen einer extern getriggerten Bewegung abgeleitet wird, während das Bereitschaftspotenzial die kortikale Aktivität im Zusammenhang mit selbstinitiierten Willkürbewegungen darstellt. Die CNV (Erstbeschreibung durch Walter et al. 1964) wird als Ausdruck eines Vorbereitungs- und Orientierungsprozesses im Hinblick auf die Ausführung einer geforderten motorischen Antwort verstanden ( s. z. B. Brunia u. Boxtel 2001; Fabiani et al. 2000). Die typische Wellenform einer CNV ist in ⊡ Abb. 7.10 dargestellt. Meist wird der erste Stimulus (Warnsignal, S1) mit einer N100 beantwortet, dann baut sich zwischen S1 und dem nachfolgenden, sog. imperativen Stimulus (S2) eine langsam zunehmende Negativierung auf. Bei dieser handelt es sich um die eigentliche CNV. Die auf S2 folgende Antwort muss zur Auslösung einer CNV nicht unbedingt motorischer Natur sein, es kann sich dabei z. B. auch um innere Wortgenerierung oder stilles Zählen handeln. Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass die CNV Ausdruck von Erwartung (S2) und der Allokation kortikaler Resourcen ist (Birbaumer et al. 1988; Lutzenberger et al. 1985).
7.7.2 Komponenten Es wird eine frühe und späte CNV unterschieden (»early« CNV, »late« CNV; Connor u. Lang 1969). Die frühe CNV repräsentiert die Orientierungsreaktion auf S1 (das Warnsignal), die späte CNV wird als Korrelat der Antwortvorbereitung (typischerweise Bewegungsvorbereitung) gedeutet. Die frühe CNV beginnt unmittelbar nach S1, die späte CNV beginnt 0,5–1,0 s vor S2. Dies konnte in verschiedenen Studien mit unterschiedlichen ISI zwischen S1 und S2 verifiziert werden.
522
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
1997). Bereits an dieser Stelle soll erwähnt werden, dass sich die Generatoren der späten CNV von den Generatoren des Bereitschaftspotenzials (Abschn. 7.8) unterscheiden. Evidenz dafür liefert z. B. eine Arbeit von Ikeda et al. (1994), in der Patienten mit selektiver Läsion des zerebellothalamischen Schaltkreises kein Bereitschaftspotenzial mehr generieren konnten, jedoch weiterhin eine normale späte CNV zeigte.
7.7.4 Einflussgrößen a
7
b ⊡ Abb. 7.10a, b. a CNV abgeleitet von FCz in einem Matchto-sample-Paradigma. Nach dem Warnsignal (S1) soll der Proband die Zeitdauer eines vorher präsentierten Sample-Reizes (z. B. ein Ton von bestimmter Dauer) abschätzen und bei Erreichen des geschätzten Tonendes eine motorische Antwort geben. Die N100 als Antwort auf S1 ist deutlich erkennbar. Danach folgt eine graduelle Negativierung, die eigentliche CNV. Da die Antwort nie zum gleichen Zeitpunkt in Relation zu S1 erfolgt, ist zwar die frühe CNV gut dargestellt, das Potenzial wird jedoch mit zunehmender Dauer immer variabler. b Durch erneutes Mitteln, nun synchronisiert mit S2 oder in diesem Beispiel mit dem Zeitpunkt der motorischen Antwort, kann die späte CNV in einem zweiten Auswerteschritt besser dargestellt werden. (Mod. nach Pfeuty et al. 2003)
7.7.3 Generatoren Die späte CNV lässt sich in subduralen Ableitungen von präfrontalen, temporalen und okzipitalen kortikalen Arealen ableiten; bei einzelnen Patienten wurde sie auch im primären motorischen und primären somatosensorischen Kortex registriert. Die frühe CNV wurde in präfrontalen Arealen und in der supplementär-motorischen Area (SMA) nachgewiesen (Hamano et al. 1997; Ikeda et al. 1994,
Die Amplitude der CNV steigt, wenn der Zeitdruck bzgl. der Antwort auf S2 erhöht wird (Brunia u. Vingerhoets 1980). Die CNV-Amplitude steigt ebenfalls, wenn bei der Antwort eine höhere Muskelkraft gefordert ist (Brunia 2003). Die Schwierigkeit der Antwortauswahl scheint keinen Einfluss auf die späte CNV zu haben. Die topographische Verteilung der CNV hängt zumindest teilweise vom verwendeten Stimulusmaterial ab. Im Allgemeinen ist die CNV symmetrisch bifrontal verteilt, eine Linkslateralisation kann auftreten, wenn verbale Stimuli oder verbale Antworten involviert sind. Eine unterschiedliche topographische Ausbreitung der CNV während motorischer und nichtmotorischer Aufgaben wurde auch von Cui et al. (2000) berichtet. Unsicherheit über die Länge des ISI (randomisierte Darbietung von S2 nach 1, 3 und 8 s; s. Loveless u. Sanford 1974) führt zu einer Amplitudenreduktion oder sogar zu einem Fehlen der späten CNV-Komponente. Aufgrund dieser Beobachtung wird vermutet, dass ein Teil der späten CNV eigentliches Zeitschätzen repräsentiert, zusätzlich zur antizipatorischen Aktivität vor der geforderten Antwort. Neue Arbeiten weisen darauf hin, dass ganz allgemein eine zunehmende Menge an verfügbarer Vorinformation (z. B. zu bewegende Seite, Bewegungsrichtung und geforderte Kraft) zu den höchsten CNV-Amplituden führen, gleichzeitig auch zu den kürzesten Reaktionszeiten. Ist die Vorinformation nur partiell vorhanden, reduziert sich die CNV-Amplitude und die Reaktionszeit wird länger.
523 7.7 · CNV
7.7.5 Pathophysiologie Die komplexe Natur der CNV (multiple Generatoren, mehrere überlappende psychophysiologische Prozesse) spiegelt sich in uneinheitlichen Ergebnissen klinischer Studien. Ein Beispiel ist die Dystonie als komplexe sensomotorische Integrationsstörung. So untersuchten Kaji et al. (1995) die CNV bei Patienten mit zervikaler fokaler Dystonie (Torticollis) und beschrieben reduzierte CNV-Amplituden vor getriggerten Kopfwendungen. Allerdings untersuchten Lim et al. (2004) Pianisten mit einer fokalen Dystonie der Hand und fanden gesteigerte Amplituden der späten CNV vor Bewegungen der erkrankten Hand. Bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom fanden Pulvermüller et al. (1996) kleinere CNV-Amplituden im Vergleich zu altersentsprechenden Kontrollpersonen, was als verminderter Basalganglieneingang gewertet wurde. Relativ konsistent ist die Beobachtung, dass Unterbrechungen des zerebellothalamokortikalen Schaltkreises zum primären Motorkortex
das Bereitschaftspotenzial attenuieren oder eleminieren (Gerloff et al. 1996; Ikeda et al. 1994, 1997; Sasaki et al. 1979; Shibasaki et al. 1978), während die CNV in diesen Situationen weiterhin nachweisbar ist (Ikeda et al. 1994). Bei chronischen zerebellären Läsionen sind die Ergebnisse dagegen nicht einheitlich. Während Wessel et al. (1994) intakte CNVKonfigurationen fanden, berichten Verleger et al. (1999b) über reduzierte CNV-Amplituden. Verleger et al. dokumentierten allerdings bei ihren Patienten auch extrazerebelläre Symptome, so dass dies der Grund für die Diskrepanz zwischen den Studien sein könnte. Alternativ können bereits kleine Änderungen des Versuchsaufbaus Diskrepanzen in der CNV erzeugen. Einige Studien bei Patienten mit Schizophrenie berichten über kleinere CNV-Amplituden (van den Bosch 1983; Verleger et al. 1999a; Wagner et al. 1996). Auch hier bleibt letztlich zu fragen, inwieweit relativ unspezifische Veränderungen der CNV-Amplitude bei einem Krankheitsbild mit weitgehend unklaren zugrunde liegenden Pathomechanismen, wie der Schizophrenie, einen grundlegenden Kenntnisgewinn erwarten lassen. Auf die Linkslateralisation der CNV bei verbal dargebotenem Stimulusmaterial wurde bereits hingewiesen. Interessanterweise ist diese
7
Linkslateralisation bei Patienten mit Aphasie tatsächlich reduziert (Cohen et al. 2001). Eine vorsichtige Schlussfolgerung aus den zur Verfügung stehenden Daten ist, dass eine intakte CNV eine weitgehend normale Basalganglienfunktion und intakte frontale kortikale Strukturen voraussetzt.
7.7.6 Ableitung und Auswertung Die CNV wird meist im S1-S2-Paradigma abgeleitet, wobei das übliche ISI 1–3 s beträgt. Das S2-Signal ist üblicherweise die Aufforderung zur Antwort (GO-Variante), meist motorischer Art, kann jedoch auch als sog. NO-GO-Variante dargeboten werden, also wechselweise mit einem Stimulus, der das Unterlassen der vorbereiteten Antwort fordert. Die Filtereinstellungen und Anforderungen an die Montage sind identisch mit denen des Bereitschaftspotenzials und werden in Abschn. 7.8.6 ausführlich beschrieben. Kropp et al. (2000) untersuchten in einem TestRetest-Design Reliabilität und Stabilität der bei Cz abgeleiteten CNV bei 27 Probanden (ISI 3 s, 2. Messung nach 10 Tagen). Die Korrelationskoeffizienten zwischen den beiden Ableitungen waren 0,855 für die frühe CNV und 0,631 für die späte CNV. Die statistischen Retest-Parameter (Spearman Brown) waren 0,922 für die frühe CNV und 0,774 für die späte CNV.
7.7.7 Klinische Relevanz Da der CNV zum einen multiple Generatoren zugrunde liegen, deren Identität nicht geklärt ist, und die CNV verschiedene, einander überlappende psychophysiologische Prozesse reflektiert, hat ihre Anwendung für klinische Zwecke bislang keinen Stellenwert.
524
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
7.8
Das Bereitschaftspotenzial (BP) und andere bewegungskorrelierte Potenziale
7.8.1 Bedeutung
7.8.2 Komponenten Das Bereitschaftspotenzial ist eine rampenartige Negativierung, die sich in mehrere Komponenten
Bewegungsbeginn MP –15.0 Amplitude (µV)
7
Das Bereitschaftspotenzial wurde erstmals von Kornhuber u. Deecke (1964) beschrieben. Es entsteht vor selbstinitiierten Bewegungen. Der Unterschied zur CNV besteht darin, dass beim Bereitschaftspotenzial weder Warnsignale noch imperative Signale gegeben werden, sondern dass der Proband den Zeitpunkt der Bewegung selbst wählt. Dementsprechend gilt das Bereitschaftspotenzial als Korrelat prämotorischer und sensomotorischer Prozesse im Zusammenhang mit selbstinitiierten Willkürbewegungen. Die entscheidende technische Idee, die seinerzeit der Einführung des Bereitschaftspotenzials vorausging, war, die abgeleiteten EEG-Kurven kontinuierlich in sog. Puffern zu speichern, so dass bei einer Willkürbewegung, egal zu welchem Zeitpunkt sie durchgeführt wurde, immer die letzten 2–3 s davor aus dem Speicher abgerufen werden konnten. Dieser Prozess wird auch als sog. »back-averaging« bezeichnet ( s. auch Abschn. 7.8.6).
zerlegen lässt. Eine erste langsam ansteigende Komponente beginnt meist etwa 1,5 s vor Bewegungsbeginn und wird als das eigentliche Bereitschaftspotenzial (BP) bezeichnet. Etwa 500 ms vor Bewegungsbeginn nimmt die Steigung der Rampe deutlich zu und es entwickelt sich eine neue Komponente, die sog. NS′ (»terminal negative slope«). Es kommt dann eine kurze Positivierung, die wiederum von einer negativen Welle gefolgt wird, dem sog. Motorpotenzial (MP), das typischerweise auch das absolute Maximum der gesamten Kurve widerspiegelt (⊡ Abb. 7.11). Diese Komponenten unterscheiden sich auch im Hinblick auf ihre Topographie. Das frühe Bereitschaftspotenzial (die eigentliche Komponente »BP«) ist typischerweise symmetrisch über dem frontozentralen mesialen Kortex zentriert und relativ weit ausgedehnt, die Komponenten NS′ und MP sind fokaler über der Zentralregion kontralateral zur bewegten Hand lokalisiert. Einige Autoren differenzieren Subkomponenten des MP nach ihrer Topographie und Latenz (Übersicht bei Toma u. Hallett 2003). Ein früh auftretender parietaler Peak wird als ppMP (»parietal peak of MP«), ein nachfolgender Peak mit frontalem Maximum als fpMP (»frontal peak of MP«) bezeichnet. Dabei wird der Beobachtung Rechnung getragen, dass im MP vermutlich sowohl Aktivität des M1 als auch nachfolgend von S1 beinhaltet ist. Die in PMC, M1 und S1 generierten späten Bereitschaftspotenzial-Komponenten können isoliert auch in einem abgewandelten Paradigma, den sog. »Steady-state Movement-Related Cortical Poten-
NS′ –10.0 BP
–5.0
0.0 –3.5
–3.0
–2.5
–2.0
⊡ Abb. 7.11. Bereitschaftspotenzial vor einer einfachen Fingerbewegung. Der schraffierte Bereich entspricht 3 Stan-
–1.5 Zeit [s]
–1.0
–0.5
0.0
0.5
dardabweichungen der Amplitudenschwankungen in der Baseline-Periode (–3,5 bis –3,0 s vor Bewegungsbeginn)
525 7.8 · Das Bereitschaftspotenzial (BP) und andere bewegungskorrelierte Potenziale
7
rungsverläufe in PMC, M1 und S1 geht (Gerloff et al. 1998a). Die ssMRCP sind auch im MEG charakterisiert (Gerloff et al. 1998b).
7.8.3 Generatoren
⊡ Abb. 7.12. »Steady-state Movement-Related Cortical potenzial« (ssMRCP). Durch Mittelung der EEG-Einzeldurchläufe während ca. 500 raschen Fingerextensionen entsteht ein Potenzial mit 3 Peaks in direkter Umgebung des EMG-Beginns (»0«). Dipolanalysen lokalisieren die Generatoren des ersten Peaks (*, »premovement peak«) in den lateralen prämotorischen Kortex bilateral (Brodmann Area, BA, 6), des zweiten Peaks (●, »motor potenzial«) mit parietal-negativer und frontal-positiver Verteilung in den primären motorischen Kortex und des dritten peaks (▲) mit frontal-negativer und parietalpositiver Verteilung in den primären somatosensorischen Kortex
tials« (ssMRCP) dargestellt werden (Gerloff et al. 1997; ⊡ Abb. 7.12). Hierbei werden statt isolierten selbstinitiierten Bewegungen repetitive selbstinitiierte Bewegungen mit einer Bewegungsrate von 1–2 Hz durchgeführt. Dies hat den Vorteil, dass gerade bei der Untersuchung von Patienten in kurzer Zeit 500– 1.000 Bewegungen abgeleitet werden können. Somit wird ein deutlich besseres Signal-RauschVerhältnis erreicht als beim klassischen Bereitschaftspotenzial-Paradigma, bei dem üblicherweise nicht mehr als 100 Mittelungen erfolgen. Bei Intervallen zwischen den Einzelbewegungen von 10 s beim Bereitschaftspotenzial kommt man rechnerisch auf gut 20 min Ableitezeit, bei Artefaktüberlagerung sind es schnell 40 min oder mehr, wenn 100 Artefakt-freie Durchgänge erzielt werden sollen. Bei 2 Hz Bewegungsrate dagegen können 1.000 Bewegungen in ca. 10 min abgeleitet werden und das Signal-Rausch-Verhältnis ist für die späten Komponenten besser. Da die frühen Vorbereitungsprozesse (frühes BP) mit dieser Technik wegfallen, ersetzen die ssMRCP das Bereitschaftspotenzial nicht, liefern aber je nach Fragestellung eine gute Ergänzung bzw. Alternative, wenn es um Aktivie-
Aufgrund human- und tierphysiologischer Daten ist anzunehmen, dass die Vorbereitung einer Bewegung sowohl in den prämotorischen Zentren SMA (supplementär-motorischen Area) und PMC stattfindet als auch in M1 und S1 (Neshige et al. 1988), dies im Verbund mit Aktivierung von Kleinhirn und Basalganglien. Diese Überlegungen gelten für das klassische Bereitschaftspotenzial und für die sog. ssMRCP. Weite Teile dieser Premovement-Aktivierung laufen parallel in SMA, PMC, M1 und S1 ab (Ikeda et al. 1992; Neshige et al. 1988; Mushiake et al. 1991). Es gibt jedoch eine Reihe von Hinweisen, z. B. aus neueren fMRT-Studien (Wildgruber et al. 1997), dass ebenfalls serielle Aktivierungsschritte vorhanden sind, nämlich eine initial vorwiegende Aktivierung der prämotorischen Zentren (v. a. SMA), gefolgt von einer Aktivierung des M1 und S1. Der Vergleich von Ergebnissen elektrophysiologischer Studien mit solchen, in denen »metabolische« Aktivierungsmaxima anhand von Änderungen des regionalen Blutflusses (z. B. PET) oder der Blutoxygenierung (fMRT) festgestellt werden, ist jedoch nicht unproblematisch. Aus theoretischen Überlegungen leitet sich nicht zwingend die Hypothese ab, dass die Lokalisation hirnelektrischer Generatoren und metabolischer Aktivierungsmaxima topographisch identisch sein muss. Nach einer kombinierten EEG-fMRT-Studie ist die topographische Übereinstimmung zwischen den Generatoren der späten BP-Komponenten und den Aktivierungsmaxima in M1 und S1 im fMRT nur mäßig (Gerloff et al. 1996). Die euklidische Abweichung zwischen den beiden Methoden betrug 18,6±7,6 mm. Ähnliche Differenzen (~17 mm) sind in der Literatur für Vergleiche zwischen Aktivierungsmaxima in MEG und PET oder MEG und fMRT beschrieben (Beisteiner et al. 1995; Walter et al. 1992). Ein technischer Grund für die relativ großen Abweichungen könnte darin liegen, dass die Generatoren langsamer Potenziale wie des BP mathematisch schwieriger zu bestimmen sind als zirkumskripte Peaks
526
Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
wie epileptische Spikes oder die N20 eines SEP, vor allem aufgrund des in den langsamen Potenzialen relativ niedrigen Signal-Rausch-Verhältnisses.
7.8.4 Einflussgrößen
7.8.5 Pathophysiologie Das Bereitschaftspotenzial ist bei vielen Erkrankungen pathologisch verändert, die Störungen zentraler motorischer Verarbeitungsprozesse mit sich bringen.
Bewegungsbeginn
–20
Amplitude (µV)
7
Die Topographie des Bereitschaftspotenzials in seiner Gesamtheit (BP, NS›, MP) hängt von der zu bewegenden Extremität bzw. dem zu bewegenden Körperteil ab. Bei rechtshändigen Bewegungen findet sich das Maximum der NS′ und des MP typischerweise kontralateral zur bewegten Hand, bei Bewegungen eines Beines ist auch für die späten Komponenten das Aktivierungsmaximum meist nahe der Mittellinie zu finden. Dies spiegelt im Wesentlichen die homunkuläre Organisation des M1 und S1 sowie des prämotorischen Kortex wider. Bei Bewegungen der dominanten Hand ist die Lateralisierung typischerweise stärker ausgeprägt als bei Bewegungen der nichtdominanten Hand. Die Amplitude der frühen Komponente (BP) hängt von der Komplexität der durchzuführenden Bewegung ab (⊡ Abb. 7.13). So ist das Bereitschaftspotenzial vor einer komplexen Zielbewegung höher als vor einer einfachen Fingerextension ohne Anforderungen an die räumliche Koordination ( s. auch Simonetta et al. 1991). In ähnlicher Weise zeigt das frühe BP auch höhere Amplituden
in Abhängigkeit von der zeitlichen Struktur von Bewegungen, z. B. vor der Ausführung komplexer bimanueller Rhythmen im Vergleich zu einfachen Rhythmen (Lang et al. 1990; s. auch Kitamura et al. 1993). Höhere BP-Amplituden wurden auch im Zusammenhang mit vermehrter Kraftanstrengung (Becker u. Kristeva 1980) oder höherem passiven Widerstand (Kristeva et al. 1990) berichtet. Die späten Komponenten hingegen (NS′, MP) erreichen, vermutlich aufgrund der höheren kortikomuskulären Synchronisation, auch bei einfachen, schnell und kraftvoll ausgeführten phasischen Bewegungen nahezu maximale Amplituden. Bei sanfterem oder rampenartigem Bewegungsbeginn können die späten Komponenten (NS′, MP) schwer voneinander abgrenzbar sein. Die höhere Amplitude des frühen BP bei komplexeren Bewegungen wird am ehesten auf eine vermehrte Aktivierung in prämotorischen Arealen, insbesondere in der SMA zurückgeführt, eine Schlussfolgerung, die im Wesentlichen auf komparativen Neuroimaging-Untersuchungen beruht (Deiber et al. 1996).
–15 –10 –5 0.0 –3.0
–2.5
–2.0
5 ⊡ Abb. 7.13. Bereitschaftspotenzial (BP) vor unterschiedlich komplexen Bewegungen. Der EMG-Beginn ist mit »0.0« markiert. Die fettgedruckte Linie zeigt das BP vor einer schwieri-
–1.5
–1.0
–0.5
0.0
0.5
Zeit [s] gen Zielbewegung an, die dünne Linie das BP vor einer einfachen Fingerextension
527 7.8 · Das Bereitschaftspotenzial (BP) und andere bewegungskorrelierte Potenziale
So reicht das Spektrum klinischer Untersuchungen vom Parkinson-Syndrom über Dystonie und Huntington-Chorea, myoklonische Störungen, fokale Hirnläsionen unterschiedlichster Lokalisation bis hin zu Schizophrenie und Depression. Im Folgenden seien nur die wesentlichen Befunde kurz erwähnt. Ein häufiger Befund bei ParkinsonPatienten ist eine Amplitudenminderung des frühen BP (Deecke et al. 1977; Dick et al. 1989; Fève et al. 1992; Jahanshahi et al. 1995; Simpson u. Khuraibet 1987). Asymmetrien der ParkinsonSymptomatik entsprechen dabei häufig Asymmetrien der Bereitschaftspotenzial-Veränderungen. Die Applikation von Levodopa bei Parkinson-Patienten führt tendenziell zur Normalisierung des Bereitschaftspotenzial (Fève et al. 1992), wobei die Amplitudenzunahme im sog. »ON« unter Levodopa im Wesentlichen die späteren Komponenten des Bereitschaftspotenzial betrifft. Diese Beobachtungen stützen die Interpretation, dass ein intaktes Bereitschaftspotenzial von einer intakten dopaminergen Transmittersituation im striatonigralen prämotorischen System abhängt. Die Amplitudenabnahme wie auch der z. T. berichtete verspätete Beginn des Bereitschaftspotenzial korreliert mit dem Schweregrad des Parkinson-Syndromes, nicht jedoch mit der Dauer des Krankheitsverlaufs (Simpson u. Khuraibet 1987). Genauere topographische Analysen wiesen darauf hin, dass von der Amplitudenminderung insbesondere die frühe, über der Mittellinie maximale Komponente des Bereitschaftspotenzials betroffen ist, dass die späteren Komponenten NS′ und MP häufig in normaler Amplitude vorhanden, evtl. sogar in Einzelfällen erhöht sind (Dick et al. 1987; Jahanshahi et al. 1995, Playford et al. 1992). Diese Befunde entsprechen der Tatsache, dass beim idiopathischen Parkinson-Syndrom die prämotorische Störung im Vordergrund steht, während die mehr exekutiven Areale wie der primäre Motorkortex durchaus ein normales Potenzial aufbauen. Aus den physiologischen Untersuchungen ist klar, dass die Bereitschaftspotenzial-Amplitude durchaus mit der gemessenen Muskel-(EMG-)Aktivität positiv korreliert. Für die Dystonie mit ihrer gesteigerten und inadäquaten Agonist-/Antagonisten-Kokontraktion und dem »overflow« von Mus-
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kelaktivität von einer Muskelgruppe auf die nächste, könnte man daher annehmen, dass auch die Bereitschaftspotenzial-Amplituden vermehrt sind. Überraschenderweise ist dies nicht der Fall. Fève et al. (1994) fanden eine reduzierte Bereitschaftspotenzial-Amplitude und -steigung. Deuschl et al. (1995) zeigten in einer Studie mit hoch auflösender Analyse der Bereitschaftspotenzial-Topographie, dass die Amplitude in einem Intervall von 300– 200 ms vor EMG-Beginn reduziert war. Diese Ergebnisse stimmen nicht ohne weiteres mit Daten zu Änderungen des regionalen zerebralen Blutflusses bei Dystonie-Patienten überein, in denen eher Muster von Überaktivierung in präfrontalen und prämotorischen Arealen, häufig kombiniert mit verminderter Aktivierung in primären sensomotorischen Arealen demonstriert wurde (CeballosBaumann u. Brooks 1997; Ceballos-Baumann et al. 1995). Störungen des zerebellothalamokortikalen Schaltkreises sind sowohl tierexperimentell als auch humanphysiologisch gut untersucht und führen zu einer Amplitudenreduktion der späten Bereitschaftspotenzial-Komponenten, während das frühe BP meist normal oder gar in seiner Amplitude gesteigert ist (Gerloff et al. 1996; Tarkka et al. 1993; Wessel et al. 1994). Bei Patienten mit unilateralen vaskulären Läsionen des Zerebellums, die sich in einem Zeitraum von 8–10 Monaten von ihren klinischen Defiziten erholt hatten, waren auch die initial gemessenen pathologischen Veränderungen des späten Bereitschaftspotenzials nach diesem Beobachtungsintervall rückläufig (Gerloff et al. 1996). Während diese Patienten keine schwere Läsion des Nucleus dentatus hatten, berichten Shibasaki et al. (1986; Ikeda et al. 1994; Kitamura et al. 1999) komplett ausgefallene Bereitschaftspotenziale bei Patienten nach schweren Läsionen dieses Kleinhirnkernes. Patienten mit Nucleus-dentatusLäsionen haben meist auch klinisch eine schlechtere Prognose als solche, bei denen diese Struktur erhalten bleibt. Der Myoklonus kann als typisches Gegenbeispiel für eine Willkürbewegung gesehen werden und somit auch als eine Modellerkrankung für die Prüfung der Frage, ob das Bereitschaftspotenzial wirklich nur vor Willkürbewegungen auftritt. Untersuchungen von Shibasaki u. Kuroiwa (1975) und
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Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
Obeso et al. (1985) bestätigen dies. Bei MyoklonusPatienten lässt sich charakteristischerweise durch Backaveraging ein Myoklonus-korrelierter, kortikaler Spike nachweisen. Hieraus ergibt sich die mögliche klinische Anwendung des Bereitschaftspotenzials in der Differenzierung psychogener myokloniformer Entäußerungen gegenüber primär somatisch bedingten kortikalen (mit vorangehendem Spike) oder subkortikalen (ohne vorangehenden Spike) Myoklonien (Terada et al. 1995; Toro u. Torres 1986;). Chronische unilaterale Läsionen der SMA vermindern das typische Maximum des Bereitschaftspotenzials in Cz und Fz, führen aber nicht zu einem Ausfall des Bereitschaftspotenzials vor Bewegungen der Hand kontralateral zur SMALäsion. Weitere Läsionsstudien an Patienten mit unterschiedlichen ischämischen oder neoplastischen Läsionen legen nahe, dass subkortikale Läsionen eher zu bilateralen Veränderungen des Bereitschaftspotenzials führen, während kortikale Läsionen typischerweise pathologische Amplitudenminderungen auf der Läsionsseite bedingen (Shibasaki et al. 1975). Auch hier scheint ein Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der klinischen Symptomatik und der Abnormität des Bereitschaftspotenzials zu bestehen (Platz et al. 2000; Saitoh et al. 1987). Bereitschaftspotenzial-Untersuchungen haben auch Hinweise geliefert auf eine vermehrte Rekrutierung der ungeschädigten, also zur paretischen oberen Extremität ipsilateral gelegenen Hemisphäre. Kitamura et al. (1996) fanden eine normal lateralisierte NS′-Komponente bei Bewegungen des intakten Armes, während die NS′ bei Bewegungen des erholten, vormals paretischen Armes über beide Hemisphären nachzuweisen war. Zu den Befunden bei fokalen Läsionen ist festzuhalten, dass sämtliche beobachteten Veränderungen des Bereitschaftspotenzials eher die Schwere des klinisch-neurologischen Defizits widerspiegeln als Läsionsort, Läsionsgröße oder Ätiologie der Läsion. Dies wird besonders deutlich, wenn man betrachtet Studien, in denen parietale und präfrontale Läsionen bzgl. ihres Effektes auf das Bereitschaftspotenzial verglichen wurden (Deiber et al. 1997; Roland 1984; Sakai et al. 1998; Übersicht bei Gerloff 2003).
7.8.6 Ableitung und Auswertung Minimalanforderungen für die Registrierung eines Bereitschaftspotenzials ist die Ableitung von mindestens drei Kanälen, nämlich Cz, C3 und C4. Bei dieser Kanalzahl können allerdings topographische Veränderungen des Potenzialkomplexes vollständig übersehen werden. Der Minimalansatz eignet sich aber durchaus zur Beantwortung der Frage, ob es sich um einen »echten« Myoklonus handelt oder um eine psychogene Bewegungsstörung. Die Zeitkonstante sollte so lang wie möglich gewählt werden (möglichst niedrige untere Grenzfrequenz), idealerweise sollten DC-Verstärker benutzt werden. Eine obere Grenzfrequenz von 50 Hz und eine Digitalisierungsrate von 250 Hz sind ausreichend. Mit modernen digitalen EEG-Systemen kann die Ableitung problemlos im kontinuierlichen Modus erfolgen. Dies hat den Vorteil, dass die Einzelbewegungen »off-line« (also nach Ende der Ableitung) akribisch markiert werden können, so dass Fehlbefunde durch Unschärfen bei der Detektion des Bewegungsbeginns vermieden werden. Auch erlaubt dies dann eine strikte visuelle Artefaktanalyse, die der automatischen, auf Schwellenwerte angewiesenen Artefakt-Detektion beim »online-Averaging« überlegen ist. Zwar wird meist beschrieben, dass das Bereitschaftspotenzial 1,5 s vor Bewegungsbeginn startet, jedoch zeigen Untersuchungen mit längerer Vorperiode, dass erste Negativierungen häufig bereits bei 2–2,5 s vor EMG-Beginn sichtbar sind ( s. auch komplexe Bewegung in ⊡ Abb. 7.12). Es empfiehlt sich daher, mindestens 3 s vor Bewegungsbeginn bei der Mittelung zu berücksichtigen. Nach Bewegungsbeginn sollten mindestens 500 ms berücksichtigt werden. Dieses Intervall kann aber je nach Interesse an den sensorischen Komponenten oder an kortikaler Aktivität während kontinuierlich fortgeführter Bewegungen beliebig gewählt werden. Limitierend ist normalerweise das Auftreten von Zwinkerartefakten, die meist nicht beliebig lange vermieden werden können. Bei Patientenstudien kann der Einsatz von Algorithmen notwendig werden, mit denen die auf einen Lidschlag zurückzuführenden typischen Positivierungen mit frontalem Maximum herausgerechnet werden. Auf jeden Fall sollte das EOG mit abgeleitet und aufsummiert werden. Die Elek-
529 7.9 · DC-Potenziale bei komplexen neurokognitiven Prozessen
trodenwiderstände sollten unter 5 kΩ gehalten werden. Referenziert werden kann gegen über einen Widerstand verbundene Mastoid- oder OhrElektroden. Die Auswertung kann zum einen schlichtweg das Vorhandensein oder Fehlen des Bereitschaftspotenzials notieren (z. B. bei der Differentialdiagnose eines Myoklonus), zum anderen können die einzelnen Komponenten identifiziert und ihre Amplitude sowie ihre Steigung quantifiziert werden. In diesen Fällen ist naturgemäß jeweils eine entsprechende Kontrollgruppe für das angewendete Paradigma notwendig. Eine besondere Betrachtungsweise des BP ist das lateralisierte BP, besser bekannt als das »lateralized readiness potential« (LRP). Das LRP dient der vergleichenden Darstellung lateralisierter präparatorischer Prozesse. Zu diesem Zweck wird z. B. das BP vor einer rechtshändigen Bewegung mit demjenigen vor einer linkshändigen Bewegung nach folgender Formel verrechnet: LRP = [Mittelwert (C3′ – C4′)linke Hand + Mittelwert (C4′ – C3′)rechte Hand]/2 C3′ bezeichnet die Elektrode nahe am motorischen Kortex der linken, C4′ die der rechten Hemisphäre. Wird, wie in der Formel gezeigt, jeweils die Differenz ipsi- minus kontralaterale Aktivierung berechnet, erhält man bei einer vorwiegend kontralateralen Dominanz des BP (egal, welche Hand bewegt wird) eine Positivierung des LRP, bei vorwiegend ipsilateraler Dominanz eine Negativierung. Dieses Maß hat vor allem in der experimentellen Psychologie Bedeutung.
7.8.7 Klinische Relevanz Das Bereitschaftspotenzial lässt, wenn vorhanden, eine klare Aussage darüber zu, dass ein motorischer Vorgang willkürlich und selbstinitiiert durchgeführt wird. Somit kann das Bereitschaftspotenzial generell in der Differentialdiagnose unwillkürlicher Bewegungsstörungen und psychogener Bewegungsstörungen eingesetzt werden. Als quantitative Verlaufsparameter, z. B. während der medikamentösen oder operativen (Tiefenhirnsti-
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mulation) Therapie von Bewegungsstörungen, ist ihr Einsatz möglich, jedoch nicht im klinischen Alltag etabliert.
7.9
DC-Potenziale bei komplexen neurokognitiven Prozessen
Langsame Hirnpotenziale gehören nicht im eigentlichen Sinne zu den EKP und haben bislang in der klinischen Neurologie und Psychiatrie keine Anwendung gefunden. Sie seien daher hier nur kurz aufgeführt. Eine ausführlichere Darstellung findet sich z. B. bei Rockstroh et al. (1989) oder Rösler et al. (1997). DC-Potenziale sind operationell definiert als Potenziale mit einer Frequenz <0,5 Hz. Streng genommen können auch das Bereitschaftspotenzial und die CNV zu den langsamen Hirnpotenzialen gezählt werden. Die langsamen Hirnpotenziale (Synonym »slow potentials«, »slow waves« oder DC-Potenziale) werden wie die kürzer latenten Formen der EKP und das Bereitschaftspotenzial durch synaptische Aktivität kortikaler Pyramidenzellen und ihrer Dendriten generiert. Gruppierter und synchroner afferenter Zufluss zu den Dendritenbäumen kortikaler Pyramidenzellen führt als kortikale Aktivierung zu Oberflächen-negativen Feldpotenzialen, die mit geeigneten Elektroden und Verstärkersystemen abgeleitet werden können. Sie können prinzipiell als Ausdruck kortikaler Aktivierung beliebiger Hirnareale interpretiert werden, sofern diese durch ihre anatomische Struktur in der Lage sind, Oberflächen-negative Potenziale einer Amplitude zu produzieren, die ausreicht, diese an der Kopfoberfläche messbar zu machen. Hierzu gehören weite Teile des frontalen, temporalen, parietalen und lateralen okzipitalen Kortex. Sehr schwierig zu interpretieren sind Potenziale, die im Mittelspalt oder in der Tiefe des Gehirns generiert werden. Häufige Anwendungsbereiche sind thematisch Sprachverarbeitung, mentale räumliche Aufgaben, wie die mentale Würfelrotation, arithmetische Aufgaben oder kortikale Verarbeitungsmuster bei Musikverarbeitung und Bewegungssehen (Altenmüller 1986; Beisteiner et al. 1994; Patzwahl et al. 1994). ⊡ Abb. 7.14 zeigt ein Beispiel für typische DC-Potenziale während mentaler Würfelrotation und mentaler Suche von Synonymen.
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Kapitel 7 · Ereignis-korrelierte Potenziale
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⊡ Abb. 7.14. Topographische Verteilung von DC-Potenzialen (langsamen Hirnpotenzialen) während mentaler Würfelrotation (fettgedruckte Linien) und mentaler Suche von Synonymen (dünne Linien). »Grand average« über 16 rechtshändige
Probanden. Sprachverarbeitung führt zu einer links frontotemporal betonten Aktivierung, Würfelrotation erzeugt vor allem parietal eine Aktivierung ohne wesentliche Hemisphärenlateralisation
In typischen Paradigmen ist es notwendig, die Probanden in der einen oder anderen Form darüber zu informieren, dass die kognitive Aufgabe begonnen werden soll. Dafür wird meist ein Warnstimulus (WS) verwendet, der dann eine N100 auslöst, häufig gefolgt von einer Positivierung und dann einem langsam ansteigenden oder Plateau-artig verlaufenden negativen Potenzial, dem eigentlichen DC-Potenzial. Die Topographie hängt von der Art der gestellten Aufgabe ab, so findet sich bei Sprachaufgaben meist eine Linkslateralisierung mit Maximum über der linken Frontotemporalregion, hingegen bei räumlichen Aufgaben eher eine bilaterale, gelegentlich rechtsbetonte parietale Aktivierung. Die DC-Potenziale scheinen in diesem Bereich mit den neueren metabolischen Imaging-Verfahren (z. B. fMRT) zu konkurrieren, durch die in ähnlicher Weise insbesondere anhaltende fokale Aktivierungen dargestellt werden können, allerdings mit hoher räumlicher Auflösung. Die räumliche Auflösung der langsamen Hirnpotenziale ist inhä-
rent schlecht, da das Fehlen umschriebener fokaler Maxima mathematische Ansätze, die genauen elektrischen Generatoren zu rekonstruieren, erheblich erschwert. Dies wird noch potenziert durch die Tatsache, dass die Ableitung der langsamen Hirnpotenziale technisch äußerst aufwendig und damit sehr störungsanfällig ist. Augenbewegungen z. B. führen hier zu häufig irreparablen Änderungen des DC-Niveaus. Gleichermaßen sind auch Schwitzund Elektrodendepolarisationsartefakte ein Problem. Neben optimalen Ableitebedingungen, die häufig nur durch spezielle Elektrodensysteme erreicht werden können ( s. z. B. Bauer et al. 1989) ist ein hohes Maß an Kooperationsfähigkeit der Probanden notwendig, wodurch die klinische Anwendbarkeit wiederum erschwert wird. Zu den technischen Anforderungen gehört weiterhin, dass idealerweise DC-Verstärker benutzt werden sollten, um ein artefizielles Rückstellen des elektronegativen Potenzials zu vermeiden. Trotz all dieser Schwierigkeiten, haben die DC-Potenziale die einzigartige Qualität, dass sie komplexe kogni-
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tive Abläufe und ihre hirnelektrischen Korrelate mit einer zeitlichen Auflösung im Bereich von Millisekunden abbilden können, so dass sie sich in vielen Fällen als komperative Methode zu Neuroimaging-Untersuchungen wie PET oder fMRT anbieten.
Ereignis-korrelierte Potenziale (EKP) sind physiologische Korrelate komplexer Informationsverarbeitungsprozesse. Es existieren zahlreiche experimentelle Untersuchungsansätze, die in der Kognitionsforschung und in der Erforschung pathophysiologischer Prozesse bei neurologischen Erkrankungen wichtige Einsichten in die Organisation von Wahrnehmen, Erkennen, Lokalisieren und Handeln ermöglicht haben. Die klinische Anwendbarkeit ist aufgrund der komplexen zugrunde liegenden Generatorstrukturen und aufgrund technischer Limitationen beschränkt. Sie reduziert sich auf einige wenige Potenzialkomplexe wie die »mismatch negativity« (MMN), die N400, die P300 und bewegungskorrelierte Potenziale, wie das Bereitschaftspotenzial. Die Analyse dieser Potenziale ist auch auf Individualdatenbasis möglich und somit in Einzelfällen anwendbar. Die Interpretation muss sich dann allerdings in aller Regel auf Vorhandensein oder Abwesenheit der entsprechenden Potenziale beschränken, so z. B. in der Evaluation bewusstseinsgetrübter, komatöser Patienten (MMN, P300) oder in der Differentialdiagnose von Demenz und depressiver Pseudodemenz (P300) und schließlich in der Differentialdiagnose zwischen »echten« Myoklonien und einer psychogenen Bewegungsstörung (Bereitschaftspotenzial).
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8 Motorisch evozierte Potenziale C. W. Hess
8.1
Einleitung
– 541
8.2
Physiologische Grundlagen
8.3
Methodische Grundlagen
8.3.1 8.3.2 8.3.3
Prinzip der Magnetstimulation – 544 Reizinduzierte kortikomuskuläre Impulsübermittlung – 546 Konfiguration und Position der Reizspule auf dem Kopf – 548
8.4
Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5
Variabilität der Reizantworten – 552 Fazilitierung der Reizantworten – 552 Einfluss der Reizstärke – 556 Medikamentöse Einflüsse auf die MEP – 557 Bestimmung der kortikomotorischen Reizschwelle
8.5
Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
– 559
8.5.1 8.5.2
Technik der Kortexreizung und Wahl der geeigneten Muskeln Messung der peripheren Leitungszeit – 561
– 559
8.6
Elektrodiagnostik der kortikomuskulären Bahnen zur zephalen Muskulatur (Hirnnerven) – 567
8.6.1 8.6.2
Gesichtsmuskulatur (N. facialis) – 567 Kau- und Zungenmuskulatur (N. trigeminus, N. hypoglossus)
8.7
Normalbefunde der MEP von den Extremitätenmuskeln
– 573
8.7.1 8.7.2 8.7.3
Kortikomuskuläre Latenz und zentrale motorische Leitungszeit Amplituden – 573 Weitere Ableitparameter – 576
– 573
8.8
Befunde bei Patienten
8.8.1 8.8.2 8.8.3 8.8.4
Grundsätzliches zur Interpretation pathologischer MEP – 577 Multiple Sklerose – 578 Myatrophische Lateralsklerose und primäre Lateralsklerose – 580 Spastische Spinalparalysen aund spinale Muskelatrophie – 580
– 542 – 544
– 551
– 557
– 569
– 577
8.8.5 8.8.6 8.8.7 8.8.8 8.8.9 8.8.10
Myelopathien – 581 Heredoataxien, hereditäre Neuropathien und verwandte degenerative Krankheiten – 583 Extrapyramidale Erkrankungen – 583 Enzephalomyelopathien und chronische Enzephalitiden Zerebrovaskuläre und residuelle Hirnschäden – 584 MEP bei psychogener Lähmung – 585
8.9
Sicherheitsfragen und Kontraindikationen Literatur
8
– 588
– 586
– 584
541 8.1 · Einleitung
Eine junge Patientin leidet seit mehreren Monaten unter unklaren fluktuierenden sensiblen Störungen an den Extremitäten. Zur Zeit der Abklärung ist sie fast beschwerdefrei und möchte am liebsten gar nichts mehr untersucht haben. Bei der nervösen, angespannten Patientin findet man im Neurostatus außer etwas rechtsbetont sehr lebhaften Eigenreflexen nichts sicher abnormes. Sie kann die Beine schlecht entspannen, und bei der Prüfung des Babinski-Reflexes zeigt sie einen starken Fluchtreflex, so dass man die Extension der Großzehe (ohne Fächern der anderer Zehen) nicht als pathologisch verwerten kann. Man kann die Patientin überzeugen, doch noch schnell die motorisch evozierten Potenziale (MEP) zu den Mm. tibiales durchführen zu lassen; das dauert ja nur 30 min! Und siehe da: Die Potenziale sind sehr klein, dispers und die zentral-motorischen Überleitungszeit zum rechten Bein ist eindeutig pathologisch verlängert! Die Abklärung nimmt eine neue Wende: Eine MRT- und Liquor-Untersuchung sind unabwendbar geworden. Es wird eine MS diagnostiziert und schließlich eine β-Interferontherapie eingeleitet. Die MEP sind in der Durchführung bestechend einfach und liefern meist eindeutige Resultate. Deren Interpretation ist allerdings nicht immer so leicht, wie es aufgrund des geschilderten Falles aussehen mag: Die zunächst plausibel scheinende Interpretation, dass eine Verlängerung der zentralmotorischen Überleitungszeit für einen demyelinisierenden Pathomechanismus, verkleinerte MEPAmplituden für axonalen Schäden im ZNS spricht, erweist sich als falsch, die Sache ist komplizierter. Lesen Sie über die neurophysiologischen Hintergründe, Durchführung und korrekte Interpretation der MEP!
8.1
Einleitung
Für die elektrophysiologische Erfassung der zentralen motorischen Bahnen werden heute die MEP mittels transkranieller Magnetfeldpulsreizung (einfachheitshalber als »Magnetreiz« bezeichnet) des motorischen Kortex gebraucht. Da mit jedem einzelnen angemessenen Magnetpuls
8
am Skalp eine Muskelzuckung ausgelöst und in der Oberflächenableitung vom Muskel damit auch ein stattliches Muskelsummenpotenzial evoziert wird, besteht bei den MEP meist keine Notwendigkeit der Mittelwertbildung (»Averaging«) vieler Reizantworten. Die elektrisch-anodische transkranielle Kortexreizung mittels Hochvoltgerät wird heute wegen deren Schmerzhaftigkeit in der Routinediagnostik nicht mehr praktiziert. Die für die Magnetstimulation errechnete in den Kopf gebrachte elektrische Ladung bzw. im menschlichen Gehirn mutmaßlich entstehende Ladungsdichte ist zudem niedriger als bei der elektrischen Kortexreizung (Barker et al. 1987). Ein weiterer Grund, die Magnetstimulation zu bevorzugen. Auch hinsichtlich des Reizerfolges bestehen zwischen der mit anodisch-elektrischen Hochspannungsreizen und der mit Magnetfeldpulstechnik durchgeführten transkraniellen motorischen Kortexreizung grundsätzliche Unterschiede, die ihre Erklärung in der Erregung unterschiedlicher neuronaler Strukturen im Kortex finden (Day et al. 1987b; Hess et al. 1987a). Die mittels elektrischer Kortexreizung gewonnenen Erkenntnisse konnten deshalb nicht unbesehen auf die Magnetfeldpulstechnik übertragen werden. Die elektrische Kortexreizung kommt noch bei Patienten im Koma oder in Narkose im Rahmen eines peroperativen Monitorings zum Einsatz, wo die Schmerzhaftigkeit keine Rolle spielt. Aus diesem Grunde scheint es nicht angebracht, die elektrische Kortexstimulation als völlig obsolet zu betrachten. Die für experimentelle Zwecke entwickelte transkranielle magnetische Doppel- oder Salvenreizung (Hufnagel et al. 1993; Roth et al. 1992) hat für die Ableitung der MEP in der diagnostischen Routine vorläufig keine Bedeutung erlangt. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich in erster Linie auf die mit der Einzelreiz-Magnetstimulation erhobenen Befunde. Die motorische Kortexreizung mit Magnetfeldpulsen wird seit 1986 an verschiedenen Zentren routinemäßig angewandt. Obwohl der Reizmechanismus der transkraniellen Magnetstimulation noch nicht genau geklärt ist, hat sich die Methode inzwischen als wenig aufwendige und rasch durchführbare »Bedside«-Methode in der klinisch-neurophysiologischen Diagnostik etabliert.
542
8.2
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Physiologische Grundlagen
Die Pyramidenbahn besteht aus Axonen der primären motorischen Area 4 nach Brodmann, der unmittelbar frontal anschließenden Area 6 und der postzentralen »sensiblen« Areae 1, 2, 3, 5 und 7 (⊡ Abb. 8.1). Nur der Kortex der Area 4, welcher am dicksten ausgebildet ist, enthält die in der Lamina V liegenden Betz-Riesenpyramidenzellen mit den dick bemarkten kortikofugalen Nervenfasern von 11–22 µm Durchmesser. Diese machen beim Menschen ca. 3–4% der Axone der Pyramidenbahn aus. Der überwiegende Anteil hat nämlich einen Durchmesser von <4 µm und stammt von den kleinen Pyramidenzellkörpern (Lassek 1942). In Überein-
stimmung mit den morphologischen Befunden findet man bei den Primaten eine bimodale Verteilung des Geschwindigkeitsspektrums der kortikospinalen Nervenleitung mit Maxima um 8–12 m/s und um 50–55 m/s (Humphrey u. Corrie 1978), wobei letzteres der Leitgeschwindigkeit der Betz-Pyramidenzellen entspricht. Im Tierversuch konnten die meisten Autoren sowohl bei Kortexreizung an der Oberfläche (Amassian u. Cracco 1987; Kernell u. Wu 1967; Landau et al. 1965), als auch bei intrakortikaler Reizung mit Mikroelektroden (Jankowska et al. 1975), überwiegend oder ausschließlich eine Aktivierung dieser raschleitenden Pyramidenzellen nachweisen. Bei Primaten nehmen die Pyramiden-
8
⊡ Abb. 8.1. Darstellung des Ursprungs und Verlaufs der rechtsseitigen Pyramidenbahn. Seitliche Ansicht auf den rechten Kortex; rechts Hälfte des Kleinhirns und Hirnstamms
mit Ausnahme der Pyramidenbahn entfernt. Handregion der Area 4 bezeichnet (H)
543 8.2 · Physiologische Grundlagen
zellen mit rasch leitenden Axonen im Rückenmark u. a. auch exzitatorischen monosynaptischen Kontakt mit α-Motoneuronen auf. Sie stehen im Dienst der raschen präzisen Willkürmotorik (Fetz u. Cheney 1980; Landgren et al. 1962a; Phillips u. Porter 1964; Preston u. Whitlock 1961). Im Gegensatz dazu konnten inhibitorische kortikospinale Einflüsse nach Kortexreizung immer nur di- oder trisynaptisch über ein hemmendes Interneuron auf die Motoneurone wirkend nachgewiesen werden (Jankowska et al. 1976; Landgren et al. 1962b). Sie entstammen möglicherweise kollateralen Abzweigungen derselben Pyramidenzellen, welche auch monosynaptisch erregend auf die (»antagonistischen«) α-Motoneurone einwirken. Die hemmenden Interneurone empfangen eher spärlichen synaptischen Kontakt von den Pyramidenzellkollateralen (Jankowska et al. 1976). Beim Menschen konnte mit subtilen Methoden eine durch Kortexreizung induzierte, gering hemmende Einwirkung kurzer Latenz auf die Motoneurone sehr eindeutig auch nachgewiesen werden (Calancie et al. 1987; Mills 1988; Palmer et al. 1992; Triggs et al. 1992). Diese spielt aber für praktische Belange bei der üblichen Methode der MEP eine untergeordnete Rolle. Ferner induziert die transkranielle Magnetstimulation intrakortikale hemmende Mechanismen, welche an der postexzitatorischen Innervationslücke (kortikale »silent period«) beteiligt sind (Fuhr et al. 1991; Roick et al. 1993; Triggs et al. 1993; Wilson et al. 1993; Ziemann et al. 1993). Diese, der reizinduzierten Aktivierung anschließende, 50–200 ms dauernde Innervationslücke kommt wahrscheinlich sowohl durch spinale Reflexmechanismen wie auch durch einen Unterbruch der fördernden kortikospinalen Aktivität, infolge der reizinduzierten intrakortikalen Hemmung, zustande. Mit intrazellulären Ableitungen konnte nachgewiesen werden, dass mehrere Pyramidenzellen im Sinne einer kortikospinalen Konvergenz fördernd auf ein Motoneuron einwirken (Asanuma u. Sakata 1967; Landgren et al. 1962b; Liddell u. Phillips 1952). Umgekehrt besteht auch eine kortikospinale Divergenz, indem eine Pyramidenzelle mittels Kollateralen auf verschiedene Motoneurone monosynaptisch fördernd Einfluss nimmt, und die von einer Pyramidenzelle beeinflussten Motoneurone
8
sogar verschiedene (meist synergistisch arbeitende) Muskeln innervieren können (Buys et al. 1986; Fetz u. Cheney 1980). Für die Interpretation der Befunde beim Menschen ist von Bedeutung, dass im Tierversuch kortikale Einzelreize mit Bewegungseffekt immer hochfrequente Salven von deszendierenden Impulsen in den raschleitenden kortikospinalen Neuronen induzieren (Patton u. Amassian 1954) und zwar in Form von repetitiven Entladungen innerhalb derselben raschleitenden Axone (Kernell u. Wu 1967). In der gleichen Größenordnung rasch leitende, hochfrequente, deszendierende Salven nach transkranieller Kortexreizung, nicht aber nach subkortikalen Reizungen, konnten inzwischen auch beim Menschen abgeleitet werden (Berardelli et al. 1991; Thompson et al. 1991; Burke et al. 1993). Auch während spontaner Bewegungen beobachtet man bei der Katze relativ hochfrequente Entladungsserien in den rasch leitenden kortikospinalen Axonen, welche am besten mit den spontanen Bewegungen korrelieren, während die langsamer geleiteten Erregungen eher mit tonischen Bewegungen korrelieren (Evarts 1966). Die dadurch an den betreffenden α-Motoneuronen bewirkte zeitliche Summation von erregenden Einflüssen ist notwendig, da die Motoneurone einen relativ hohen Summationsbedarf an erregenden postsynaptischen Potenzialen (EPSP) haben, um zur Entladung gebracht zu werden. Die durch Kortexreize induzierten kortikofugalen Salven zeigen Entladungsfrequenzen bis zu 800 Hz (Kernell u. Wu 1967). Die mit Tiefenelektroden im Hirnstamm von der Pyramidenbahn abgeleitete erste ankommende Impulswelle wird nach Patton und Amassian (1954) als »D-Welle« (D = direkt), und alle später auf einen Einzelreiz folgenden Impulse werden als »I-Wellen« (I = indirekt) bezeichnet, weil man annimmt, dass der erste Impuls Folge einer direkten Erregung der Pyramidenzellen ist, während alle nachfolgenden Impulse durch zusätzliche indirekte, transsynaptische Aktivierung der Pyramidenzellen entstehen. Die schon von Fritsch und Hitzig (1870) gemachte Beobachtung, dass im Tierexperiment der motorische Kortex bei Oberflächenreizung für die Anode eine niedrigere Schwelle hat als für die Kathode, hat sich inzwischen mehrfach bestätigt und
544
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
trifft auch für den menschlichen Kortex zu. Zahlreiche experimentelle Befunde weisen darauf hin, dass die Pyramidenzellen mit dieser Methode direkt unterhalb ihrer Zellkörper am Axonhügel oder an einem der ersten Schnürringe gereizt werden, indem mit der Anode außerhalb des Kortex die Bildung virtueller Kathoden in der Tiefe des Kortex bewirkt wird (Amassian et al. 1987; Hern et al. 1962; Patton u. Amassian 1954). Abgesehen vom diagnostischen Interesse hat die nicht invasive transkranielle Kortexstimulation am kooperierenden Individuum die Möglichkeiten eröffnet, systemphysiologische Untersuchungen über die zentrale Motorik am gesunden und kranken Menschen und Vergleiche mit den beim Primaten erhobenen Befunden vorzunehmen. Es zeigte sich z. B., dass beim Menschen die spinalen Motoneurone proximaler, trunkaler, respiratorischer, abdominaler, oesophagealer Muskulatur und sogar der quergestreiften Sphinktermuskeln vom motorischen Kortex durch raschleitende oligo- oder monosynaptische kortikospinale Projektionen aktiviert werden können (Gandevia u. Rothwell 1987; Gandevia u. Applegate 1988; Gandevia u. Plassman 1988a; Gandevia et al. 1990; Opsomer et al. 1989; Ertekin et al. 1990; Colebatch et al. 1990; Gea et al. 1993; Urban et al. 1993; Loening-Baucke et al. 1994; Jost u. Schimrigk 1994; Aziz et al. 1994; Plassman u. Gandevia 1989). Ferner wurden Untersuchungen zur bilateralen kortikalen Repräsentation möglich, welche zeigten, dass die Motoneurone trunkaler und proximaler Extremitätenmuskeln v. a. der unteren Extremitäten vom motorischen Kortex einer Seite unterschiedlich ausgeprägte ipsilaterale kortikospinale Projektionen erhalten (Cowan et al. 1983; Gandevia u. Applegate 1988; Colebatch et al. 1990; Brouwer u. Ashby 1990; Berardelli et al. 1991; Wassermann et al. 1991; Urban et al. 1993; Carr et al. 1994), während dies für die Handmuskeln nicht der Fall ist (Capaday et al. 1991). Aufgrund der längeren Latenzen handelt es sich bei den ipsilateralen Projektionen allerdings z. T. um indirekte langsamer leitende (kortiko-retikulo-spinale) oder solche, welche via Corpus callosum über die kontralaterale Hemisphäre einwirken. Gewichtige und rasch leitende ipsilaterale kortikospinale Verbindungen zu Extremitätenmuskeln konnten bei Patienten mit angeborenen Spiegelbewegungen und solchen, bei
welchen in der frühen Jugend eine Hemisphärektomie vorgenommen werden musste, nachgewiesen werden (Benecke et al. 1991; Cohen et al. 1991; Britton et al. 1991a; Capaday et al. 1991).
8.3
Methodische Grundlagen
8.3.1
Prinzip der Magnetstimulation
Die Magnetstimulation beruht auf dem physikalischen Prinzip der elektromagnetischen Induktion durch ein sich rasch änderndes Magnetfeld. Die Reizwirkung an den nervösen Strukturen kommt nicht durch das Magnetfeld selbst, sondern durch die im Gewebe induzierten Ströme zustande. Ein im Magnetfeld verlaufender Leiter, in unserem Fall das Hirngewebe, wirkt als Sekundärstromkreis und ist Träger des induzierten Stroms. Anstelle der an sich zutreffenden Bezeichnung der Magnetfeldpulsstimulation wird im folgenden einfachheitshalber der Begriff »Magnetstimulation« benutzt. Da die induzierte Spannung im Sekundärstromkreis der Änderungsgeschwindigkeit des Magnetfeldes proportional ist, benötigt man für die Magnetstimulation einen möglichst kurzen Magnetfeldpuls. Neben der Größe des maximal erreichten Magnetfeldes ist folglich die Anstiegzeit bis zum Erreichen des Maximums der für die Reizstärke relevante Parameter. Wenn das Magnetfeld sehr rasch anschwillt, wird es einen größeren Stromstoß im Sekundärstromkreis induzieren, als wenn es langsam aufgebaut wird. Deshalb wird die Form des Magnetfeldpulses meist so gestaltet, dass er möglichst rasch ein Maximum erreicht, um dann relativ langsam wieder abzunehmen (⊡ Abb. 8.2). Damit wird im leitfähigen Gewebe, welches als Sekundärstromkreis dient, während des raschen Anschwellens des Magnetfeldes ein einziger kurzer Stromstoß induziert, ohne in der Abklingphase einen relevanten entgegengesetzten Strom zu erzeugen. Ein solch monopolarer Magnetreiz ist richtungsspezifisch, weshalb die Reizspule je nach gewünschter Richtung des induzierten Reizstroms gewendet werden muss, damit die richtige Seite nach oben schaut. Bezüglich der Stromrichtung kommt es wegen uneinheitlichen Angaben gelegentlich zu Verwirrung: Die Richtung kann einer-
545 8.3 · Methodische Grundlagen
8
⊡ Abb. 8.3. Schematischer Schaltkreis eines Magnetstimulators: Über den Netzanschluss wird ein Kondensator (C) aufgeladen und anschließend durch die Reizspule (L) entladen. Parallel geschaltet sind ein Widerstand (R) und eine Diode (D), welche ein Nachschwingen verhindern. (Nach Polson et al. 1992)
⊡ Abb. 8.2. Typischer Magnetreiz, einige Zentimeter unterhalb der Magnetspule gemessen, wo eine maximale Feldstärke von ca. 0,5 Tesla erreicht wird. Zeitlicher Verlauf des Magnetfelds und des induzierten Stroms dargestellt. Reizspule mit 12 mΩ Impedanz und 35 µH Selbstinduktion. (Aus Hess u. Ludin 1988 c)
seits auf den induzierenden Strom in der Spule oder den (entgegengesetzten) induzierten Strom im Gewebe und andererseits konventionell (positiver Fluss) oder physikalisch (Richtung des negativen Elektronenflusses) definiert werden. Im praktischen Gebrauch wird auf einfache Weise durch bilaterale Muskelableitung der oberen Extremitäten die Situation sofort geklärt, weil auf der einen Seite die Reizantworten mit kleinerer Reizstärke evoziert werden ( s. 8.3.3). Beim bipolaren oder polyphasischen Magnetreiz, wie er von einem der kommerziell erhältlichen Magnetstimulatoren generiert wird, spielt die Polarität hingegen keine Rolle, weil dem ersten induzierten Stromstoß unmittelbar ein entgegengesetzt fließender nachfolgt (Claus et al. 1990a; Claus 1991). Dies hat den praktischen Vorteil, dass man nicht darauf achten muss, welche Spulenseite nach oben schaut und dass man z.B. beide Hemisphären mit gleicher Reizcharakteristik simultan reizen kann. Der minimale zeitliche Unterschied zwischen den 2 Reizphasen kann vernachlässigt werden. Nachteilig ist der bipolare Magnetreiz immer dann, wenn man die Reizwirkung möglichst auf eine Zielstruktur im Kortex begrenzen möchte. Der Magnetfeldpuls wird generiert, indem der von einer Kondensatorentladung herrührende Stromstoß durch eine geeignete Reizspule als Primärstromkreis geleitet wird. Die Form des Mag-
netfeldpulses wird von der Kondensatorladung, der Reizspulencharakteristik (Impedanz, Selbstinduktion bzw. Induktivität) und vom parallelgeschalteten Widerstand bestimmt (⊡ Abb. 8.3). Der induzierte Stromstoß unterscheidet sich in der Dauer kaum vom Reizstrom des elektrischen Hochspannungsstimulators. Das Gewebe schwächt das durchdringende Magnetfeld nicht ab. Dadurch wirkt der Magnetfeldpuls in die Tiefe, ohne dass, wie bei der elektrischen Reizung, an der Oberfläche hohe Stromdichten notwendig wären, um genügend Reizstrom in das Gewebe zu bringen. Die absolute Schmerzlosigkeit der Magnetstimulation erklärt sich durch die minimalen in der Haut und im umgebenden Muskel fließenden Ströme, welche bei der Reizung entstehen. Um das Magnetfeld möglichst tief in das Gewebe zu bringen, benützt man meist eine Reizspule von mehreren konzentrischen Windungen, welche man flach auf den Schädel halten kann, damit alle Drahtschleifen möglichst nahe an den Kopf zu liegen kommen. Durch starke Bündelung der Drahtschleifen kann der induzierte Kreisstrom konzentrierter und damit etwas fokaler gestaltet werden. Um eine entscheidend mehr fokussierte Reizwirkung zu erreichen, welche sich z. B. nur auf eine Hemisphäre begrenzen lässt, bedarf es allerdings spezieller Spulenkonfigurationen. Dies wird durch relativ kleine Zwillingsspulen (= Doppelspule, »Schmetterlingsspule«, »8-förmige« Spule) erreicht, wobei die maximale Reizwirkung unter dem Kontaktpunkt der beiden entgegengesetzt durchflossenen Spulen liegt (Rösler et al. 1989; Cohen et al. 1990). Bei sehr fokalen Spulen ist allerdings die optimale Spulenposition auf dem Kopf entschei-
546
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
dend wichtig, weil sowohl Amplitude wie auch Latenz kritisch davon abhängen (Fuhr et al. 1991). Um die erforderliche Tiefenwirkung zu erreichen, muss der mittlere Radius der Reizspulen in der Größenordnung des Abstands des angestrebten Reizorts von der Spulenebene sein. Damit bleiben der Fokussierung des Magnetreizes enge Grenzen gesetzt. Grundsätzlich vermag der Reiz größerer Spulen mehr in die Tiefe zu dringen, während kleine Spulen auf Kosten der Tiefenwirkung fokaler reizen. Große, haubenförmig, der Kopfrundung angepasste Doppelspulen, entfalten die größte Tiefenwirkung und erreichen damit leichter das Rindenareal der Beinmuskeln. Das kann bei der Verwendung eines schwachen Reizgenerators vorteilhaft sein oder wenn man ohne Vorinnervation auskommen muss, wie etwa in der Traumatologie. Für die klinische Routine ist mit wenigen Ausnahmen ein wenig fokussierter Reiz vorteilhaft, weil dadurch ein mühsames Aufsuchen der optimalen Spulenposition entfällt ( s. 8.3.3) und die Gefahr falsch positiver Befunde kleiner ist. Aus diesem Grunde sollten große, konzentrisch gewundene (also nicht schmal gebündelte) Spulen verwendet werden, bei welchen ein Spulensegment auch in der Breite möglichst viel Fläche abdeckt. Im Allgemeinen sind kreisförmige Spulen zweckmäßig, für die unteren Extremitäten manchmal große Doppelspulen vorteilhaft. Das Magnetfeld nimmt mit zunehmender Distanz von der Reizspule zuerst sehr rasch ab, um bei weiterer Entfernung dann immer langsamer abzufallen (⊡ Abb. 8.4). Deshalb hat der Abstand des
⊡ Abb. 8.4. Ausbreitung des Magnetfelds in orthograder Richtung über der Spule. Man beachte die rasche Abnahme des Magnetfelds innerhalb eines Abstands von der Spule von 5 cm. (Aus Hess u. Ludin 1988 c)
Kortex vom Skalp und damit z.B. die Schädeldicke oder eine etwaige Hirnatrophie bereits einen merklichen Einfluss auf die erforderte Reizstärke bzw. auf die transkraniell ermittelte Reizschwelle. Die direkte Reizung der kortikospinalen Bahn im Hirnstamm oder Rückenmark gelingt mit elektrischen Hochspannungsreizen und neuerdings auch mit starken Magnetreizen (Ugawa et al. 1994). Da die motorischen Wurzeln offensichtlich eine niedrigere Reizschwelle haben, überdecken die dadurch evozierten peripheren Reizantworten unweigerlich eine etwaige Reizwirkung im Rückenmark, wenn man von den oberen Extremitäten ableitet. Es gelingt jedoch mit Ableitung von Muskeln der unteren Extremität, solange man die Reizelektroden in gebührendem Abstand von der Cauda equina, also etwa auf zervikalem Niveau, appliziert. Die Muskelsummenpotenziale weisen allerdings auch bei sehr großer Reizstärke und entsprechender Schmerzhaftigkeit eine nur bescheidene Amplitude auf. Die Methode wurde deshalb nur vereinzelt bei Patienten angewandt (Ingram u. Swash 1987).
8.3.2
Reizinduzierte kortikomuskuläre Impulsübermittlung
Reizt man den motorischen Kortex mit dem Magnetstimulator und misst den Potenzialabgang der evozierten Muskelsummenpotenziale, so bleiben nach Abzug der peripheren Leitungszeit, z. B. im Arm, und einer synaptischen Verzögerung im Rü-
547 8.3 · Methodische Grundlagen
ckenmark für die zentrale Leitungszeit bis zum Zervikalmark noch ca. 5–5,5 ms übrig. Dieser Wert verkürzt sich sogar bis auf ca. 3–3,5 ms, wenn der Kortex anodisch-elektrisch gereizt wird. Aufgrund dieser sehr kurzen Leitungszeiten besteht kaum Zweifel, dass die Reizantworten primär durch die dickbemarkten kortikospinalen Axone der BetzRiesenpyramidenzellen vermittelt werden. Die Beobachtung schließlich, dass die durch anodischelektrische transkranielle Reizung evozierten Reizantworten eine um ca. 2 ms kürzere Latenz aufweisen als die durch magnetische Kortexreizung evozierten (Hess et al. 1987a), lässt indirekt auf die gereizten Strukturen im Kortex schließen, da man annehmen muss, dass die durch den Magnetreiz und elektrischen Reiz evozierten Muskelantworten letztlich über dieselben kortikospinalen Axone vermittelt werden. Während man bei der transkraniellen anodisch-elektrischen Kortexreizung wie im Tierversuch eine Erregung der Pyramidenzellen direkt unter dem Zellkörper annimmt (siehe 8.2), vermutet man, dass die Magnetstimulation mit den üblichen Reizstärken für die Erregung der Arm-Hand-Region die Pyramidenzellen vorwiegend transsynaptisch erregt (Day et al. 1987b; Hess et al. 1987a). Das heißt, dass man mit dem Magnetreiz wahrscheinlich den Pyramidenzellen vorgeschaltete, mehr oberflächlich im Kortex liegende, neuronale Strukturen erregt. Daraus erklären sich grundsätzliche Unterschiede zwischen den beiden Reizarten, indem z.B. der stärker fazilitierende Effekt der willkürlichen Vorinnervation bei der Magnetstimulation teilweise kortikalen Ursprungs sein muss (Hess u. Ludin 1988 c; Mazzocchio et al. 1994). Aus diesem Grund hat der Erregungszustand des motorischen Kortex bei der Magnetstimulation den größeren Einfluss auf den Reizerfolg als bei der transkraniellen Elektrostimulation. Wird ein Zielmuskel innerhalb einer unterschiedlich zweckgerichteten Aktion aktiviert, so kann bei kortikaler Magnetstimulation (nicht aber bei Elektrostimulation) eine Abhängigkeit der Reizantwort von der spezifischen Situation gefunden werden (Datta et al. 1989; Flament et al. 1993; Nielsen et al. 1993). Zudem muss bei der Magnetstimulation – zumindest bei Ableitung von der oberen Extremität – durchaus mit einem gewissen psychischen Einfluss auf den Reizerfolg gerechnet
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werden. Auch im Hinblick auf Patientenuntersuchungen sind Unterschiede zu erwarten, weil der Magnetreiz mit den üblichen Reizstärken einen intakten Kortex voraussetzt, was beim elektrischen Reiz nicht unbedingt der Fall ist. Mit zunehmend starken Magnetreizen v. a. bei einer bestimmten Spulenposition mit medio-lateraler induzierender Stromrichtung über dem Arm-Hand-Areal (Werhahn et al. 1994) muss man allerdings mit immer mehr direkter Reizung der Pyramidenzellaxone (unter »Umgehung« des Kortex) rechnen, was sich u. a. in einer Verkürzung der Anfangslatenz auf gleiche Werte, wie bei der Elektrostimulation, auswirkt. Bei der Erregung der Kaumuskeln wird allerdings auch mit der Magnetspule die direkte Reizung leichter erzielt: Die Reizung präsynaptischer neuronaler Elemente entfaltet hier offensichtlich zu wenig Wirkung, so dass die direkte Reizung der kortikobulbären Neurone mit entsprechend atypischer Spulenposition wirksamer ist und für die Routineanwendung empfohlen wird (Guggisberg et al. 2001). Auch bei Reizung des Beinareals kann man sich wegen der Geometrie der Pyramidenzellen und ihren Axonen im Interhemisphärenspalt bei hohen Reizstärken auf die oben genannte Gesetzmäßigkeit nicht ganz verlassen (Priori et al. 1993; Terao et al. 1994), obwohl gesamthaft gesehen – wie bei den oberen Extremitäten – auch hier eine überwiegend transsynaptische Aktivierung zum Tragen kommt (Terao et al. 2000). Aufgrund von Tierversuchen (Kernell u. Wu 1967) und Untersuchungen am Menschen (Berardelli et al. 1991; Boyd et al. 1986; Day et al. 1987a; Hess et al. 1987a; Hess et al. 1988a; Thompson et al. 1991; Van der Linden u. Bruggeman 1993) müssen wir annehmen, dass ein einzelner Kortexreiz, wenn er zu einem Reizerfolg in der Peripherie führt, nicht nur eine einzelne Erregung sondern vielmehr eine kurze hochfrequente Salve von repetitiven deszendierenden Impulsen in den Pyramidenzellen auslöst. Dabei beträgt der Abstand zwischen 2 aufeinanderfolgenden Impulsen etwa 1,4 ms (Kernell u. Wu 1967; Patton u. Amassian 1954). Die spinalen α-Motoneurone mit ihrem relativ hohen Summationsbedarf an fördernden Einflüssen benötigen mehrere auf sie einwirkende erregende postsynaptische Potenziale (EPSP), um bis zur Entladungs-
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
schwelle depolarisiert zu werden. Das Einwirken einer Salve von EPSP führt zu einer zeitlichen Summation, dergestalt, dass das Motoneuron beim Eintreffen vielleicht des 3. oder 4. Impulses feuert. Dieser Summationsbedarf wird geringer, wenn der Erregungszustand der α-Motoneurone bereits erhöht ist. Das ist z. B. dann der Fall, wenn das Motoneuron zur Aufrechterhaltung einer willkürlichen, leichten tonischen Innervation bereits etwas aktiv ist. Es leuchtet ein, dass unter diesen Umständen beim Eintreffen einer reizinduzierten kortikospinalen Impulssalve das Motoneuron schon früher, vielleicht schon beim 1. oder 2. Impuls, also etwa 1,4 oder 2,8 ms früher, mit einer Entladung reagiert. Dadurch erklärt sich hauptsächlich die sprunghafte Latenzverkürzung, welche unter fazilitierenden Maßnahmen beobachtet wird (siehe 8.4.2) (Hess et al. 1987; Hess u. Ludin 1988 c; Thompson et al. 1991). Mittels elektrischer Hochvoltstimulation der kortikospinalen Bahn an der Schädelbasis und am Hals des Menschen konnte durch Vorinnervation der Zielmuskeln zwar eine Fazilitierung mit Amplitudenzunahme ( s. 8.4.2 u.), aber keine Latenzverkürzung erzielt werden, weil mit dieser (für die klinische Anwendung kaum taugliche) Reizart erwartungsgemäß nur je ein deszendierender Impuls ausgelöst wurde (Ugawa et al. 1991). Ein hervorstechendes Merkmal der MEP ist deren Fazilitierung, indem eine willkürliche Vorinnervation bei unveränderter Reizstärke der motorischen Kortexreizung die evozierten Muskelantworten stark vergrößert und gleichzeitig die Reizschwelle senkt. Der Mechanismus der Fazilitierung ist noch nicht genau bekannt und dürfte von der Reizart (elektrisch versus magnetisch), der Reizstärke, wie auch von der Wahl des Zielmuskels abhängen. Wahrscheinlich entsteht Fazilitierung sowohl auf spinalem (Maertens de Noordhout et al. 1992) wie auch auf kortikalem Niveau (Mazzocchio et al. 1994), indem der Erregungszustand der spinalen Motoneurone und des motorischen Kortex für den Reizerfolg wichtig sind. Auch durch Erhöhung der Reizstärke am Kortex kann die Anzahl der reizinduzierten aktivierten Pyramidenzellen vermehrt werden. Da zahlreiche Pyramidenzellen auf ein α-Motoneuron konvergieren, wird dadurch die räumliche Summation von EPSP erhöht. Wenn die Gesamtheit reizindu-
zierter fördernder Einflüsse groß genug ist, können gewisse Motoneurone als Antwort auf den Kortexreiz zweimal oder vielleicht sogar mehrmals entladen (Hess et al. 1987a; Berardelli et al. 1991). Aus diesem Grund können die kortikal evozierten MEP – im Gegensatz zu den peripher motorisch evozierten Muskelsummenpotenzialen – formal nicht als »supramaximal« bezeichnet werden. Ferner ist bekannt, dass auf spinaler Ebene die α-Motoneurone bei reizinduzierter Aktivierung nach der gleichen natürlichen Gesetzmäßigkeit des Henneman-Größenprinzips (Henneman 1957) wie bei Willkürinnervation rekrutiert werden: Bei nur leicht überschwelligen Reizen entladen vorwiegend kleine α-Motoneurone mit ihren langsamer leitenden Axonen und erst bei stärkeren Reizen werden auch die großen Neurone zur Entladung gebracht (Hess et al. 1987a; Hess et al. 1988a; Awiszus u. Feistner 1994). Auch dies könnte unter gewissen Bedingungen für Latenzunterschiede verantwortlich sein. Der Entstehungsmechanismus der auf einen Kortexreiz folgenden relativ kleinen späten Muskelantworten, wie man sie v. a. unter Vorinnervation und mit stärkeren Reizen beobachtet, ist im einzelnen noch nicht geklärt. Sie erscheinen auch bei einseitiger Hemisphärenreizung oft bilateral und haben eine Latenz einerseits um 50–80 ms und andererseits um 100–130 ms (Holmgren et al. 1990; Dimitrijevic et al. 1992). Neben reflektorischen Reizantworten, im Sinne einer propriozeptiven Aktivierung der Motoneurone und unspezifischer reizinduzierter Schreckreaktion (Calancie et al. 1987), handelt es sich wahrscheinlich z. T. auch um die Folge einer Aktivierung langsamer oder indirekter kortikospinaler Systeme. Für die klinische Diagnostik sind sie nur insofern von Bedeutung, als dass sie bei pathologisch fehlender kurzlatenziger Primärantwort, eine extreme Verlängerung der Latenz vortäuschen können (z.B. bei ALS).
8.3.3
Konfiguration und Position der Reizspule auf dem Kopf
Konfiguration und Ausbreitung des Magnetfeldes und des induzierten elektrischen Feldes können berechnet werden. Die induzierten Ströme hingegen sind schwerer vorauszusagen, da sie wesentlich
549 8.3 · Methodische Grundlagen
⊡ Abb. 8.5. Schematische Darstellung der Reizspule, bestehend aus konzentrischen Windungen eines flachen Kupferdrahts. Der induzierte Strom im darunterliegenden Gewebe als Sekundärleiter fließt in entgegengesetzter Richtung als der Strom in der Spule. (Aus Hess u. Ludin 1988 c)
von der spezifischen elektrischen Impedanz im Medium abhängen, und das biologische Gewebe in dieser Hinsicht inhomogen ist. Die Gesetzmäßigkeiten der Reiztechnik sind dementsprechend großenteils empirisch erarbeitet. Ausgehend von den physikalischen Gesetzen sind einige Voraussetzungen gegeben. Unter einer flachen kreisförmigen Reizspule von konzentrischen Windungen weist das induzierte elektrische Feld kreisförmige geschlossene Feldlinien auf, welche in einer parallelen Ebene zur Reizspule liegen und eine dem induzierenden Strom entgegengesetzte Richtung aufweisen (⊡ Abb. 8.5). Entsprechend haben auch die induzierten Ströme generell die Tendenz, unter der Spule parallele (gegenläufige) Kreise zu beschreiben. Hält man z.B. die Reizspule tangential auf den Vertex des Schädels, so fließen die induzierten Ströme im Kortex ebenfalls vorwiegend tangential (»horizontal«) kreisförmig unter der Spule. Dies ist ein wichtiger Unterschied zur transkraniellen anodisch-elektrischen Kortexstimulation, bei welcher die Reizströme unter der Anode eine zur Schädelebene mehr oder weniger vertikale Richtung haben. Dies könnte für das unterschiedliche Verhalten der elektrisch evozierten Reizantworten mitverantwortlich sein (Day et al. 1989). Wir müssen ferner davon ausgehen, dass bei der Magnetreizung am Kopf die weitaus größten Ströme im Liquor fließen, welcher über der Konvexität näher bei der Magnetspule liegt als der Kortex selbst und mit einem spezifischen Widerstand von nur 65 Ω×cm eine 4 bis 6-mal bessere Leitfähigkeit hat als die graue Hirnsubstanz mit ihrem spezifischen Widerstand von
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ca. 250–300 Ω×cm (Bennett 1969; Ranck 1963). Die Leichtigkeit, mit welcher der N. facialis, in seinem intrakraniellen Verlauf gereizt werden kann, dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein. Die korrekte Reizspulenposition auf dem Kopf hängt einerseits von den anvisierten Zielmuskeln, andererseits aber auch von der Spulenkonfiguration ab. Da sich für die klinisch-neurophysiologische Diagnostik große kreisförmige Reizspulen und die Applikation von Einzelreizen am besten bewährt haben, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf diese. Die Tatsache, dass der Magnetreiz, seitlich relativ ausgebreitet, in das Gehirn dringt, hat im Routinegebrauch den großen Vorteil, dass bei Verwendung einer großen kreisförmigen Spule (7–10 cm mittlerer Durchmesser) die genaue Position nicht sehr kritisch ist und deshalb nicht durch Erprobung lange gesucht werden muss. Dies gilt v.a. für die Erregung der Handmuskeln, für welche die kreisförmige Reizspule innerhalb eines Bereiches von mehreren Zentimetern über dem Skalp hinsichtlich Amplituden und Latenzen dieselben Muskelantworten produziert (Hess et al. 1988b). Viel wichtiger als die genaue Lokalisation ist die Flussrichtung des Stroms in der Spule, welche im relevanten Spulensegment, welches über der zu reizenden motorischen Kortexregion liegt, mit dem entsprechenden Gyrus ungefähr einen rechten Winkel bilden muss (⊡ Abb. 8.6a): über dem Arm-Hand-Areal soll das Spulensegment in einem spitzen Winkel zur Sagittallinie des Schädels oder über dem Bein-Fuß-Areal ungefähr in koronarer Richtung liegen (Rösler et al. 1989; Claus 1990; Brasil-Neto 1992). Appliziert man dagegen den Reiz für das Arm-Hand-Areal im relevanten Spulensegment mit einer koronaren Stromrichtung, also eher längs des postzentralen Gyrus, so besteht (v.a. wenn monopolar von medial nach lateral fließend) bei sehr hohen Reizstärken die Gefahr einer unsystematischen und deshalb unerwünschten sprunghaften Latenzverkürzung (Werhahn et al. 1994). Eine wichtige Ausnahme von dieser Regel bilden, wie oben erwähnt, die Kaumuskeln, die mit einer dem Gyrus parallelen Ausrichtung des relevanten Spulensegmentes gereizt werden (Guggisberg et al. 2001; s. dazu auch ⊡ Abb. 8.19). Bei Stimulatoren mit monopolarem Reiz muss zudem auf die kor-
550
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
a
8
b ⊡ Abb. 8.6a, b. Optimale Spulenpositionen auf dem Skalp für unterschiedliche Spulengrößen und -konfigurationen. Die Pfeile zeigen die korrekte Stromrichtung in der Spule beim Gebrauch monopolarer Reizgeräte für die Erregung der Extremitätenmuskeln der rechten Seite an. a Erregung von Hand- und Armmuskeln; b Erregung von Beinmuskeln
rekte Spulenpolarität geachtet werden: die konventionell definierte Stromrichtung (positive Ladung) im relevanten Spulensegment muss von vorn nach hinten (Arm-Hand-Areal) bzw. von lateral nach medial (Bein-Fuß-Areal) zeigen (⊡ Abb. 8.6b). Für die große kreisförmige Reizspule bedeutet dies,
dass der induzierende Strom, von oben gesehen, im Gegenuhrzeigersinn bevorzugt die linke Hemisphäre erregt und umgekehrt. Bestehen Unsicherheiten bezüglich der Stromrichtung, so registriere man die Reizantworten von 2 homologen Handmuskeln mit der Reizspule genau über dem Vertex. Man bestimme sodann simultan auf beiden Seiten die Reizschwelle, welche auf der »richtigen« Seite deutlich tiefer liegt. Diese Gesetzmäßigkeit gilt allerdings nur, so lange man das Zentrum der Spule ungefähr im Bereich des Scheitels hält. Für eine optimale Reizspulenposition müssen dann die Spulenwindungen der einen Seite über bzw. leicht medial von der entsprechenden motorischen Rinde zu liegen kommen. Will man also die Hand- oder Armmuskeln erregen, so muss das Zentrum der Spule, je nach deren Größe, ungefähr über dem Vertex, bzw. 1–2 cm lateral davon auf der Seite der zu stimulierenden Hemisphäre liegen (⊡ Abb. 8.6a). Der Unterschied der Position für die Erregung der Hand- bzw. Armmuskeln ist bei einer relativ großen Spule zu vernachlässigen. Reizt man allerdings mit der »falschen« Stromrichtung in der Spule eines monopolaren Generators, kann man bei genügend großer Reizstärke ebenfalls eine Reizantwort im entsprechenden Zielmuskel erhalten, deren Latenz jedoch im Mittel um 2–3 ms länger ist als die mit »adäquater« Stromrichtung evozierten (Day et al. 1989). Dies ist zu berücksichtigen, wenn man von beiden Händen oder Armen simultan ableitet: Häufig kann man dann auf beiden Seiten eine Reizantwort evozieren, darf dabei jedoch nur diejenige auf der »richtigen« Seite als für die Leitungszeit maßgeblich verwenden. Benützt man allerdings einen Magnetstimulator mit bipolarem Reiz, so muss man sich nicht um die Flussrichtung bzw. Spulenpolarität kümmern und kann beide Hemisphären simultan reizen. Für die unteren Extremitäten besteht bezüglich der optimalen Spulenposition je nach untersuchtem Muskel eine z.T. beträchtliche interindividuelle Variabilität. Dies gilt v. a. für die proximalen Beinmuskeln, welche nicht immer zuverlässig erregbar sind. Überhaupt braucht es für die Beinmuskeln im allgemeinen deutlich höhere Reizstärken und je nach verwendetem Reizgerät kann es bei manchen Individuen schwierig sein, mit der kreisförmigen Spule zuverlässige Reizantworten von
551 8.4 · Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
den Beinmuskeln zu erhalten. Dies erklärt sich einerseits aus den topographischen Verhältnissen des kortikalen Beinareals an der medialen Hemisphäreninnenfläche und andererseits möglicherweise auch aus den spärlicheren raschen monosynaptischen pyramidalen Verbindungen zu den Beinmuskeln. Als beste Position für die Beinmuskeln erweist sich in den meisten Fällen eine mediane oder leicht paramediane gegen die zu stimulierende Hemisphäre verschobene Spule, wobei ihre hinteren Windungen annähernd über der entsprechenden motorischen Rinde, also etwa 1–2 cm hinter dem Vertex, und das Zentrum folglich einige Zentimeter von dem Vertex liegen müssen (⊡ Abb. 8.6b). Der Strom in der relevanten hinteren Spulenwindung fließt dann über dem entsprechenden motorischen Areal in Richtung von der zu stimulierenden Hemisphäre weg. Ähnliche Resultate kann man oft auch erzielen, indem man die Spule mit umgekehrter Flussrichtung median über das Okziput legt, so dass der vordere Teil etwa über das motorische Areal zu liegen kommt. Beachtet man die o. g. Regeln, spielt die genaue Charakteristik des verwendeten Magnetfeldpulses für den Reizerfolg eine untergeordnete Rolle, vorausgesetzt der Stimulator ist leistungsfähig genug, die Schwellenreizstärke für den jeweiligen Zielmuskel zu erreichen. Insbesondere für die Handmuskeln werden nach allem, was wir bis heute wissen, mit den verschiedenen kommerziell erhältlichen Apparaten die gleichen Resultate erzielt, wenn die oben beschriebene Reiztechnik angewandt wird. Einschränkend muss bemerkt werden, dass es mit leistungsstärkeren Magnetstimulatoren und geeigneten Spulen möglich ist, unter Verwendung hoher Reizstärke mehr in die Tiefe zu wirken und dadurch analog dem elektrischen Reiz die Pyramidenzellen auch direkt – also nicht transsynaptisch – zu erregen, was natürlich bedeutend kürzere Latenzen zur Folge hat. Das Phänomen kann bei Individuen mit grazilem Schädelbau bereits mit den gängigen Reizvorrichtungen gelegentlich beobachtet werden. Zur Zeit bestehen noch wenig Erfahrungen über Kortexstimulation bei Kindern, bei denen mögliche Auswirkungen der altersspezifischen Verhältnisse sicher auch berücksichtigt werden müssen.
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Ein sehr wichtiger Faktor für die Reizwirkung der Magnetstimulation besteht in der Spulenkonfiguration. Ein besser fokussierter Magnetreiz bzw. eine bessere Tiefenwirkung kann z. B. mit einer Zwillingsspule mit gegenläufigem Induktionsstrom erreicht werden (Rösler et al. 1989; Cohen et al. 1990). Je nachdem, ob als Ziel eine bessere Fokussierung oder ein tieferes Eindringen ins Gewebe im Vordergrund steht, wird man entweder eine kleine oder große Zwillingsspule (Doppelspule) wählen. Sehr große, haubenförmig der Schädelkonvexität angepasste Zwillingsspulen erlauben eine ausgeprägte Tiefenwirkung, was für die Erregung gewisser Beinmuskeln mit eher schwachen Reizgeräten vorteilhaft sein kann. Bei den Zwillings- bzw. Doppelspulen entsteht die Reizwirkung unter dem Berührungspunkt, welcher über das anvisierte motorische Areal gehalten werden muss. Der etwaige Vorteil gegenüber einer weniger fokalen Kortexreizung muss allerdings durch die Notwendigkeit einer genaueren Positionierung der Spule erkauft werden, was beim Routineeinsatz einen gewissen Nachteil bedeutet.
Die Magnetstimulation des motorischen Kortex erzielt seine Reizwirkung über einen Magnetpuls, der im darunter liegenden Gewebe einen kurzen Reizstrom induziert. Um die Reizspule korrekt auf dem Kopf zu platzieren, müssen die Gesetzmäßigkeiten der Reizstrominduktion und die topographischen Verhältnisse der anvisierten Kortexregion berücksichtigt werden. Als Faustregel gilt, dass das relevante Segment der Spule über der Zielregion liegend etwa senkrecht den entsprechenden Gyrus des motorischen Kortex überdecken muss.
8.4
Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
Im Gegensatz zu den afferent ausgelösten evozierten Potenzialen erübrigt sich bei den motorisch evozierten Potenzialen (MEP) eine elektronische Mittelwertbildung mittels Averager, da einzelne Muskelzuckungen mittels Oberflächenelektroden
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
abgeleitet werden. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man deshalb geneigt sein, in der Ableitung der MEP lediglich eine Ausweitung der konventionellen motorischen Neurographie zentralwärts zu sehen. Eine derart vereinfachte Betrachtungsweise wird der Tatsache nicht gerecht, dass wir es mit einer synaptisch verbundenen Neuronenkette zu tun haben und dass die im Abschn. 3.3 dargelegten Gesetzmäßigkeiten der neuronalen Erregbarkeit den Reizerfolg wesentlich mitbestimmen. Die durch motorische Kortexreizung hervorgerufenen Muskelantworten unterscheiden sich deshalb in mehrfacher Hinsicht grundsätzlich von den durch periphere Nervenreizung ausgelösten.
8.4.1
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Variabilität der Reizantworten
Die motorisch evozierten Potenziale zeigen eine inhärente Variabilität, die sich darin äußert, dass sich die abgeleiteten Muskelsummenpotenziale auch unter konstanten Reiz- und Ableitbedingungen hinsichtlich Konfiguration, Amplitude und auch Latenz bei jedem Versuch leicht unterscheiden. Diese Variabilität ist wahrscheinlich Ausdruck einer leicht fluktuierenden Erregbarkeit der beteiligten Neurone. Diese Variabilität nimmt mit zunehmender Reizstärke ab und ist auch geringer beim Gebrauch großer Reizspulen (Kiers et al. 1993). Je nach Reizstärke und Zielmuskel kann die Variationsbreite der Anfangslatenz (Fußpunkt des Sumenpotenzials) auch beim Normalen mehrere Millisekunden betragen. In den kleinen Handmuskeln wurde unter leichter Vorinnervation ( s. 8.4.2) über mehrere Reize eine maximale Spannweite der Latenz von 3 ms gefunden (Hess 1987; Britton et al. 1991). Dabei muss die Reizantwort mit der kürzesten Latenz durchaus nicht jene mit der größten Amplitude sein. Bei 20% überschwelligen Reizen (Schwelle bezogen auf den entspannten Muskel) reichte der mittlere Latenzunterschied der MEP aufeinanderfolgender identischer Kortexreize (sog. »mean consecutive difference«) bei Oberflächenableitungen vom leicht willkürlich aktivierten M. abductor digiti minimi verschiedener gesunder Individuen von 0,51–0,81 ms mit Extremwerten bis 1,8 ms (Hess, unpublizierte Daten). Die analogen Werte für 50% überschwellige Reize bei Ableitung
vom M. interosseus dorsalis I reichten von 0,25– 0,86 ms mit einer Standardabweichung von 0,17 ms (Britton et al. 1991). Die Amplituden der MEP variieren noch mehr. Die Variation innerhalb eines Gesunden bei Ableitung vom leicht willkürlich aktivierten M. abductor digiti minimi und 20% überschwelligen Reizen, ausgedrückt als mittlerer Unterschied aufeinanderfolgender identischer Kortexreize (sog. »mean consecutive difference«), reichte bis 17% der mittleren Amplitude mit Extremwerten bis 40% Fluktuation zwischen 2 Reizen (Hess, unpublizierte Daten). Für Routinezwecke hat es sich am besten bewährt, für eine Messung 4 Reizantworten auszulösen, um einerseits die kürzeste Latenz als maßgeblich auszuwerten (Hess et al. 1987b). Dieses Vorgehen ist der arithmetischen Mittelwertbildung bzw. dem elektronischen Averagen in der Regel vorzuziehen. Analog kann man auch bei der Amplitude die größte der vier evozierten Reizantworten als maßgeblich nehmen (Hess et al. 1987b), wobei gewisse Autoren wegen der noch größeren Streuung hier eine Mittelwertbildung bevorzugen (Mills 1999).
8.4.2
Fazilitierung der Reizantworten
Eine praktisch wichtige Eigenschaft der motorisch evozierten Potenziale (MEP), welche in der diagnostischen Anwendung berücksichtigt werden muss, ist ihre Fazilitierung durch willkürliche Kontraktion des Zielmuskels. Eine willkürliche Vorinnervation führt bei unveränderter Reizstärke zu einer starken Amplitudenzunahme der Reizantworten, während gleichzeitig die Reizschwelle gesenkt wird. Dies kann man sich praktisch zunutze machen, indem man den Probanden oder Patienten auffordert, den Zielmuskel leicht und gleichmäßig anzuspannen, während man die Kortexreize appliziert. Dadurch lässt sich die Muskelantwort gewissermaßen auf den Zielmuskel fokussieren, weil man nun eine Reizstärke einsetzen kann, welche in den entspannten Muskeln nur eine vernachlässigbar kleine oder gar keine Reizantwort auslöst, während im Zielmuskel schon eine große Antwort entsteht. Eine solche »periphere« Fokussierung ist
553 8.4 · Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
vorteilhaft, weil der Magnetreiz am Kortex relativ diffus ist und unweigerlich zahlreiche Muskelgruppen anspricht und damit volumengeleitete Potenzialeinstreuung benachbarter Muskeln bewirken kann. Je nach topographischer Lage des Zielmuskels entsteht daraus die Gefahr einer fehlerhaften Latenz- und Amplitudenmessung. Die Fazilitierung ist vom Ausmaß der willkürlichen Vorinnervation, von der Reizstärke und vom Zielmuskel abhängig (⊡ Abb. 8.7 u. 8.8). Wenn man den Kortex magnetisch überschwellig (≥1,2× Reizschwelle) reizt und von einem Handmuskel (M. abductor digiti minimi oder M. interosseus dorsalis I) ableitet, führt schon eine geringe Willkürkontraktion zu einer starken Potenzialvergrößerung, indem die Fazilitierung bereits mit ca. 10–20% der maximalen Kraft des Muskels eine Potenzialamplitude von 95% (M. abductor digiti minimi) bzw. von 70% (M. interosseus dorsalis I) des maximalen Wertes erreicht (Hess et al. 1987a; Meyer 1992; Nielsen 1994). Im Gegensatz zu den Handmuskeln fehlt bei proximalen Arm- und Beinmuskeln dieser stark fazilitierende Effekt geringer Vorinnervation ⊡ Abb. 8.7. Kortiko-muskuläre Latenzen (oben) und relative Potenzialamplituden (unten) der MEP in Abhängigkeit der willkürlichen Vorinnervation bei Oberflächenableitungen vom M. abductor digiti minimi (ADM), M. biceps brachii (Biceps) und tibialis anterior (TibAnt) bei überschwelliger Kortexreizung. Die Latenzen zeigen im entspannten Zustand (Vorinnervation 0) eine um 2–3 ms längere Latenz als unter Kontraktion, um bei einer Vorinnervation von ≥5% (ADM) bzw. ≥20% (Biceps, TibAnt) konstant zu bleiben. Der fazilitierende Effekt der Vorinnervation auf die Potenzialamplituden ist beim ADM am ausgeprägtesten, wo er schon bei sehr geringer Willkürkontraktion von 5% der maximalen Kraft zum Tragen kommt; beim Biceps findet sich eine beinahe lineare Abhängigkeit zwischen Potenzialamplitude und Vorinnervation; der TibAnt nimmt diesbezüglich eine Zwischenstellung ein. (Nach Kischka et al. 1993)
8
(⊡ Abb. 8.7), und man findet (auch bei starker Reizstärke) eine eher lineare Beziehung zwischen Ausmaß der Vorinnervation und Größe der Amplitude, wie das für die Vorderarmmuskeln (Mm. flexor und extensor carpi ulnaris) und den Mm. biceps brachii nachgewiesen wurde (Hess u. Ludin 1988; Kischka et al. 1993; Hayes et al. 1991). Der M. tibialis anterior, welcher an den unteren Extremitäten durch Kortexstimulation vergleichsweise leicht aktiviert wird (Brouwer u. Ashby 1990), verhält sich diesbezüglich ähnlich wie die Handmuskeln, indem mit 10 bzw. 20% Vorinnervation (bezogen auf die maximale Kraft des Muskels) bereits schon 82 bzw. 90% der maximalen Amplitude erreicht werden (⊡ Abb. 8.7). Beim M. tibialis anterior wird folglich mit zunehmender Vorinnervation ebenfalls beinahe eine Sättigung der Amplitude erreicht, weshalb eine Beurteilung der Amplitude statthaft ist und es sich um einen geeigneten Zielmuskel handelt (Kischka et al. 1993; Maertens de Noordhout et al. 1992). Der M. soleus dagegen hat sich in dieser Hinsicht als ungünstig erwiesen. Dieser Muskel ist für die Ableitung der MEP auch deshalb
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8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
wenig geeignet, weil er durch Kortexreizung weniger zuverlässig zu aktivieren ist (Brouwer u. Ashby 1990) und dessen Motoneurone beim Menschen von der Pyramidenbahn wahrscheinlich vorwiegend polysynaptisch angesteuert werden (Advani u. Ashby 1990). Es bestehen folglich auch bezüglich der Fazilitierung zwischen verschiedenartigen Muskelgruppen große Unterschiede, welche berücksichtigt werden müssen: Die Aussagekraft der Amplitude wird für die proximalen Arm- und Beinmuskeln damit sehr eingeschränkt und kann, streng genommen, nur unter Berücksichtigung der gemessenen Vorinnervation verwertet werden, was für Routineableitungen wohl außer Betracht fällt. In praxi darf somit nur bei Ableitung von den Handmuskeln, gewissen kranialen Muskeln und vom M. tibialis anterior die Amplitude als quantitativ verwertbarer Parameter gebraucht werden ( s. 8.4.2). Die MEPAmplituden der Vorderarmmuskeln (z. B. des M. extensor carpi radialis) können nur bei kräftiger Vorinnervation bedingt bewertet werden. Die Fußmuskeln sind hingegen weniger geeignet, weil die MEP-Amplituden schon beim Gesunden sehr klein sein können (Kloten et al. 1992). Es gibt keine Muskeln, für welche zuverlässige Amplituden-Normwerte für die Ableitung in entspanntem Zustand existieren. Der stark fazilitierende Effekt, schon bei geringer Willkürinnervation der kleinen Handmuskeln und des M. tibialis anterior, kommt allerdings nur bei überschwelligen Kortexreizen zum Tragen und fehlt bei Schwellenreizen (⊡ Abb. 8.8). Deshalb darf man sich bei fehlenden Reizantworten oder abnorm kleinen Potenzialamplituden niemals mit schwachen Kortexreizen zufrieden geben, sondern muss durch Anheben der Reizstärke versuchen, eine normale Potenzialgröße zu erreichen ( s. 8.5.1). Die Latenzen der Summenpotenziale werden unter fazilitierender Vorinnervation beträchtlich kürzer. Zwischen den Reizantworten, welche vom entspannten Muskel und jenen, welche bei einer leichten willkürlichen Vorinnervation abgeleitet werden, besteht ein Latenzunterschied des Potenzialanfangs von 2–3 ms (⊡ Abb. 8.7 u. 8.9). Mit zunehmendem Ausmaß der Vorinnervation ändern sich allerdings die Latenzen nicht mehr wesentlich,
⊡ Abb. 8.8. Einfluss der Reizstärke auf die Potenzialamplitude in Abhängigkeit der willkürlichen Vorinnervation am Beispiel des M. abductor digiti minimi. Der stark fazilitierende Effekt einer sehr geringen willkürlichen Vorinnervation von ≤5% der maximalen Kraft kommt nur bei überschwelligen Kortexreizen zum Tragen (obere Kurve, Vierecke), während bei unterschwelligen Reizen die Relation zwischen Amplitude und Vorinnervation auch bei diesem Handmuskel fast linear ist (Reizstärke bezogen auf den entspannten Zustand des Muskels). (Nach Hess 1987a; Hess et al. 1987)
selbst wenn die Amplitude noch deutlich zunimmt, und dies gilt sowohl für die distalen wie für die proximalen Muskeln. Diese Tatsache kommt der Routineanwendung der Methode natürlich entgegen, weil sie für die Latenzmessung von der Notwendigkeit einer genauen Eichung der Vorinnervation entbindet. Diese kann im Interesse einer wenig gestörten Grundlinie v. a. für die Handmuskeln möglichst klein gehalten werden. Diese Latenzverkürzung wird bei den Handmuskeln schon bei einer minimen Vorinnervation von 2,5–5% (M. abductor digiti minimi) bzw. 10–15% (M. interosseus dorsalis I) der maximalen Kraft beobachtet und ist bei weiterer Zunahme weitgehend stabil (Hess et al. 1987a; Meyer 1992; Nielsen et al. 1994). Beim den Mm. tibialis anterior und biceps brachii ist die Latenz bei einer Vorinnervation über 15–20% der maximalen Kraft stabil (Kischka et al. 1994). Bei mehr proximalen Muskeln (Mm. tibialis anterior, extensor oder flexor carpi radialis, vastus medialis) soll-
555 8.4 · Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
⊡ Abb. 8.9. Die kortiko-muskulären Latenzen der MEP in Abhängigkeit der willkürlichen Vorinnervation bei Oberflächenableitung vom M. abductor digiti minimi (ADM) und M. biceps brachii (Biceps) im Vergleich. Bei beiden Muskeln bewirkt eine geringe Vorinnervation von 10% der maximalen Kraft eine deutliche Latenzverkürzung von ca. 3 ms gegenüber dem entspannten Zustand. (Aus Hess u. Ludin 1988 c)
te deshalb die Vorinnervation ca. 20% der maximalen Kraft betragen (Kloten et al. 1992; Ravnborg et al. 1991). Wegen dieses Latenzunterschieds muss bei einer Untersuchung immer klar vermerkt werden, ob ein Resultat mit oder ohne Fazilitierung zustande kam. Wird eine Untersuchung beim wachen Probanden oder Patienten ohne Vorinnervation durchgeführt, so muß mit akustischer Überprüfung des Ruhe-EMG sichergestellt werden, dass der Zielmuskel auch wirklich vollständig entspannt war, weil schon die geringste Innervation zu einer
⊡ Abb. 8.10. Einfluss der willkürlichen Innervation anderer Muskeln auf die MEP im M. abductor digiti minimi. Durch Anspannung des homologen kontralateralen oder eines benachbarten ipsilateralen Muskels kann eine etwa halb so starke Potenzialvergrößerung erzielt werden, als würde der Zielmuskel selbst kontrahiert. (Aus Hess u. Ludin 1988)
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sprunghaften Latenzverkürzung führt und das Resultat dadurch verfälscht. Dabei ist zu bedenken, dass es gewissen Patienten außerordentlich schwer fällt, einen Muskel völlig entspannt zu halten. Von praktischer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Reizantworten in den Handmuskeln auch fazilitiert werden können. indem der homologe kontralaterale oder ein benachbarter ipsilateraler Handmuskel kräftig innerviert wird (Hess et al. 1986b). Hinsichtlich der Amplitude ist die Wirkung lange nicht so ausgeprägt wie bei Vorinnervation des Zielmuskels selbst (⊡ Abb. 8.10). Die Latenzen werden aber etwa im gleichen Ausmaß verkürzt, als würde der Zielmuskel selbst angespannt. In gewissen Fällen kann man sich diese Eigenschaft zunutze machen, nämlich bei Patienten mit vollständiger Plegie des untersuchten Muskels oder bei Patienten mit starkem Tremor, welche keine fein graduierte tonische Innervation ausüben können. Dies verursacht große störende Grundlinienschwankungen in der Ableitung. Durch kräftige kontralaterale Kontraktion lässt sich dann viel eher ein befriedigendes Potenzial erreichen. Wie von tierexperimentellen Untersuchungen zu erwarten war, können die MEP auch durch Afferenzen beeinflusst werden (Claus et al. 1988b; Date et al. 1991). Dabei kann durch geeignete zeitliche Abstimmung zwischen dem Kortexreiz und der afferenten Erregung auch eine Fazilitierung erreicht werden. Die Muskelspindelafferenzen spielen dabei wahrscheinlich eine hervorragende Rolle. Die Beeinflussung kann sowohl auf spinaler wie auch auf kortikaler Ebene zustande kommen. Für die
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
praktischen Belange der MEP sind diese afferent induzierten Einflüsse allerdings nicht von Bedeutung, da sie gegenüber der willkürlichen Vorinnervation quantitativ zu vernachlässigen sind. Für die Untersuchung komatöser Patienten kann man sich reflektorisch ausgelöste Bewegungen für die Fazilitierung der Reizantworten zunutze machen. Man löst diese am einfachsten manuell aus: Ein schwacher Schmerzreiz, der Babinski-Reflex (M. tibialis anterior) oder häufig auch nur eine ungerichtete Manipulation an der entsprechenden Extremität unmittelbar vor Applikation des Kortexreizes genügen im allgemeinen.
8.4.3
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Einfluss der Reizstärke
Durch Erhöhung der Reizstärke kann erwartungsgemäß die Amplitude der Reizantwort vergrößert werden, wobei in entspanntem Zustand eine etwa lineare Abhängigkeit der Potenzialamplitude wie auch der isometrisch gemessenen Zuckungskraft von der Reizstärke besteht (Hess et al. 1987a; Kloten et al. 1992). Bei leichter Vorinnervation des Zielmuskels wächst die Amplitude mit zunehmender Reizstärke zuerst stark an, zeigt aber bei hoher Reizintensität nur noch eine geringe oder keine Zunahme mehr. Allerdings nehmen die Fläche unter der Potenzialkurve, die Dauer des Summenpotenzials (Day et al. 1987a; Hess et al. 1987a) und auch die Zuckungskraft weiter zu. Sie erreichen im untersuchbaren Bereich der Reizstärken keine Sättigung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei hohen Reizstärken unter Vorinnervation eine zunehmende Anzahl von Motoneuronen doppelt oder mehrfach entladen ( s. o.). Aus diesem Grunde ist es auch nicht sinnvoll, bei den MEP von einer »supramaximalen Reizstärke« zu sprechen (Mills et al. 1987). Bei den kleinen Handmuskeln erreichen die Potenzialamplituden unter willkürlicher Vorinnervation bei ansteigender Reizung eine Sättigung, wenn die Reizstärke mindestens das Anderthalbfache der Schwelle (bezogen auf den entspannten Zustand) beträgt (Hess et al. 1987a; Kloten et al. 1992; Garassus et al. 1993). Da aber bei einer Reizstärke von mehr als dem 1,4fachen der Reizschwelle (bezogen auf den entspannten Zustand) bei gewissen Individuen eine unsystematische, sprunghafte
Latenzverkürzung auftritt ( s. u.), ist eine höhere Reizstärke für die Ermittlung der Latenz primär nicht anzustreben (Hess et al. 1987a). Bei Ableitung vom entspannten Zielmuskel wird im Bereich der normalerweise verfügbaren Reizstärken kaum eine Sättigung der Amplituden erreicht; deshalb fällt es schwer, für die MEP-Amplituden vom entspannten Zielmuskel Normwerte zu formulieren. Wegen der großen interindividuellen Unterschiede hinsichtlich der benötigten Reizstärke für einen vergleichbaren Reizerfolg ist die Angabe einer relativen Reizstärke bezogen auf das untersuchte Individuum aussagekräftiger. Da einerseits durch willkürliche Vorinnervation die Reizschwelle gesenkt und andererseits eine minimale Schwellenantwort in der tonischen Aktivität nicht erkannt wird, muss eine relative Reizstärke für den jeweiligen Zielmuskel, vorzugsweise in vollständig entspanntem Zustand, definiert werden, auch wenn die eigentliche Untersuchung dann während willkürlicher Vorinnervation durchgeführt wird. Die Anfangslatenz des Summenpotenzials zeigt über einen weiten Bereich der Reizstärke keine signifikante Änderung. Mit einer Reizstärke zwischen leicht bis ca. 40% überschwellig (bezogen auf den entspannten Muskel) ist kein wesentlicher Einfluss auf die Latenz zu befürchten. Bei sehr schwachen Reizen, für den entspannten Zielmuskel unterschwellig, verlängert sich hingegen im leicht vorinnervierten Muskel die Latenz um ca. 1 ms. Umgekehrt wird mit hohen Reizstärken bei gewissen Individuen eine markante Latenzverkürzung beobachtet. Dabei werden manchmal ebenso kurze Latenzen erreicht wie mit der elektrischen Kortexstimulation (Thompson et al. 1991), was auf eine Tiefenwirkung des Magnetreizes zurückgeführt werden muss, wobei dann die Pyramidenzellen z.T. wie mit dem Elektroreiz direkt unter dem Zellkörper erregt werden ( s. 8.3.2). Aus diesem Grunde soll man die Reizstärke auf den individuellen Reizbedarf des Patienten abstimmen ( s. u.). Claus et al. (1990a) haben verschiedene Gerätetypen für eine Magnetstimulation an Normkollektiven verglichen. Die dabei ermittelten zentralen motorischen Leitungszeiten (ZML) unterschieden sich trotz stark unterschiedlicher Reizcharakteristik wenig und die maximale Differenz betrug bei Verwendung identischer Wurzelstimulationstech-
557 8.4 · Eigenschaften der motorisch evozierten Potenziale
nik maximal 0,2 ms (Claus et al. 1990a; Claus 1990). Bei der Kortexreizung muss die recht unterschiedliche Reizeffizienz beachtet werden, indem die mittlere kortikale Reizschwelle bei leicht vorinnerviertem Zielmuskel zwischen 41 und 63% schwankt.
8.4.4
Medikamentöse Einflüsse auf die MEP
Im Gegensatz zu den SEP haben die MEP den wesentlichen Nachteil, auf ZNS-dämpfende Pharmaka (v. a. Sedativa, Narkosemittel) ausgesprochen empfindlich zu reagieren. Es kommt zu einer unterschiedlich ausgeprägten starken Amplitudenabnahme bis hin zum völligen Verschwinden der Reizantworten; manchmal erfolgt auch eine leichte Latenzzunahme (Lachgas). Antikonvulsive Medikation hat ebenfalls eine dämpfende Wirkung auf die MEP, indem sie die Reizschwelle messbar anhebt (Hufnagel et al. 1990; Reutens et al. 1993). Bei intraoperativen Ableitungen kommt hinzu, dass die für die Registrierung der SEP so willkommene Muskelrelaxation die Muskelableitung der MEP direkt hemmt. Auch bei partieller Muskelrelaxation bleibt die Amplitude der Reizantwort während des Monitorings ein unsicherer Parameter. Da die dämpfende Wirkung der Anästhetika im Wesentlichen bereits schon auf kortikaler Ebene eintritt (Hicks et al. 1992), ist von einer direkten Registrierung der reizinduzierten neuronalen Aktivität z. B. durch epidurale Ableitung kein großer Vorteil zu erhoffen. Diese Faktoren limitieren erheblich von vornherein die Anwendung der MEP für das Monitoring im Operationssaal und auf der Intensivstation; dennoch wurden die MEP bei spinalen Operationen von einigen Autoren mit gewissem Erfolg eingesetzt (Yang et al. 1994; Jellinek et al. 1991; Calancie et al. 1991). Barbiturate (Thiopental), Benzodiazepam (Midazolam), Halothan, Enfluran und Isofluran haben einen besonders stark abschwächenden Effekt auf die MEP im Sinne einer Amplitudenreduktion und eignen sich deshalb unter diesen Umständen kaum als Narkosemittel (Schönle et al. 1989; Firsching et al. 1991; Calancie et al. 1991; Ghaly et al. 1991; Zentner et al. 1992; Schmid et al. 1992; Kawaguchi et al. 1993; Taniguchi et al. 1993).
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Ketamin, Etomidate und Fentanyl (zur Neuroleptanalgesie) eignen sich deutlich besser (Schmid et al. 1992; Kothbauer et al. 1993; Taniguchi et al. 1993; Yang et al. 1994). Das Opiat Fentanyl beeinflusst die MEP am wenigsten. Lachgas (N2O), Propofol und Methohexital nehmen eine Zwischenstellung ein und wurden z.T. kontrovers beurteilt, was auch mit der unterschiedlichen Reizart zusammenhängen könnte (Jellinek et al. 1991b; Schmid et al. 1992; Taniguchi et al. 1993). Sihle-Wissel et al. (2000) fanden aufgrund systematischer Vergleiche bei 33 Patienten unter Anästhesie den geringsten Effekt auf die MEP, wenn eine Kombination entweder von Midozolam mit Ketamin oder von Alfentanil mit Etomidat gebraucht wurden, während sie bei Propofol in Kombination mit Alfentanil oder Ketamin ein starke Minderung der MEP beobachteten. Die durch elektrische Kortexreizung ausgelösten MEP sind wahrscheinlich gegenüber Anästhetika resistenter als magnetisch ausgelöste (Hicks et al. 1992), da letztere mehr auf einen noch funktionstüchtigen Kortex angewiesen sind. Das muss man auch bedenken, werden auf der Intensivstation traumatisch, toxisch-metabolisch oder hypoxisch geschädigte Patienten untersucht, deren Kortex stark lädiert ist. Über die elektrische Kortexstimulation umgeht man gewissermaßen den Kortex und reizt direkt die deszendierenden Axone der Pyramidenzellen ( s. 8.2). Mit sehr starken Magnetreizen kann es teilweise auch zu diesem Phänomen kommen, weshalb die Reizstärke und Reizapparatur das Ergebnis stark beeinflussen. Das dürfte mit eine Ursache für den eher limitierten prognostischen Wert der MEP bei Komatösen sein (Zentner et al. 1992; Ying et al. 1992; Zentner et al. 1994). Praktisch wichtig ist die Beobachtung, dass trizyklische Antidepressiva keinen deprimierenden Effekt auf die MEP, F-Welle oder M-Antwort zu haben scheinen, wohl aber die kortikomotorische Reizschwelle erhöhen (Manganotti et al. 2001).
8.4.5
Bestimmung der kortikomotorischen Reizschwelle
Manchmal ist es notwendig, die »kortikale Reizschwelle« zu bestimmen. Da der Reizstärkenbedarf interindividuell stark variiert, ist es z. B. sinnvoll,
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8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
eine Reizstärke, bezogen auf die individuelle Reizschwelle, anzugeben. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer 1,2fachen Reizstärke, was dasselbe bedeutet wie eine zu 20% überschwellige Reizstärke. Dabei muss man sich aber vergegenwärtigen, dass mit der Ableitung von einem bestimmten Muskel als Erfolgsorgan die Reizschwelle eines komplexen Systems ermittelt wird und mit verschiedenen Einflüssen zu rechnen ist. Die Reizschwelle ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wobei die Wahl des Zielmuskels sicher der wichtigste ist. Für proximale Muskeln liegt die Reizschwelle deutlich höher als für distale. Eine kortikomotorische Reizschwelle kann deshalb nur für einen bestimmten Zielmuskel definiert werden. Bei der Bestimmung einer Reizschwelle muss man auch berücksichtigen, dass die Magnetstimulatoren auf jede Änderung der Reizstärke mit einer gewissen Trägheit reagieren (Reutens et al. 1993). Prinzipiell gibt es 2 Möglichkeiten, eine kortikomotorische Reizschwelle zu definieren: 1. Bei vollständig entspanntem Zielmuskel wird durch sukzessive Reizsteigerung und wiederholter Reizung jene Intensität ermittelt, bei der etwa die Hälfte der applizierten Reize über hohe Verstärkung (oder mit Nadelableitung) eine gerade erkennbare Reizantwort induzieren. Dabei muss man sich bei hoher Verstärkung ständig akustisch und optisch vergewissern, dass der Proband oder Patient auch wirklich vollkommen entspannt ist. Dieses Verfahren gilt als exakt und eindeutig, aber eher aufwendig und ist an Patienten nicht immer durchzuführen. Bedenkt man, dass an den Handmuskeln schon eine Kontraktion von 2% der maximalen Kraft eine beträchtliche Fazilitierung bewirkt, wird klar, weshalb die vollständige Entspannung des Zielmuskels so wichtig ist. Dies erklärt auch, warum vergleichende Reizschwellenbestimmungen bei Gesunden und Patienten methodisch problematisch sind. 2. Die Reizschwelle kann auch unter leichter Vorinnervation bestimmt werden. Dabei müsste man, streng genommen, jedesmal das Ausmaß der Vorinnervation messen und standardisieren, wodurch das Prozedere wieder aufwendig würde. Für gewisse Anwendungen reicht es aber aus, eine diskrete tonische Kontraktion
des Zielmuskels ohne Messung nach physischen Gesichtspunkten zu standardisieren, z.B. durch Kontraktion gegen die Schwerkraft. Die willkürliche Vorinnervation verursacht Grundlinienschwankungen, welche ein zuverlässiges Erkennen kleiner Reizantworten nicht mehr erlaubt. Deshalb sollte man mit diesem Verfahren eine minimal geforderte Amplitude festlegen. Nach diesem Verfahren ermittelte Reizschwellen bedürfen folglich einer näheren Präzisierung. Die Methode entspricht aber mehr dem Alltagsverfahren in der Routinediagnostik. Es empfiehlt sich nämlich grundsätzlich, unter leicht vorinnerviertem Zielmuskel, von niedrigen Reizstärken ausgehend, diese in 5%Schritten sukzessive anzuheben ( s. 8.5.1). Wegen der fazilitierenden Wirkung der Vorinnervation unterscheiden sich die beiden Formen von Reizschwellen wesentlich, die letztere liegt tiefer. Bei Angaben in der Literatur muss man sich deshalb immer vergewissern, nach welchem Verfahren die Reizschwelle bestimmt wurde. Die Bezeichnungen 1. Ruheschwelle (engl. »resting threshold«) und 2. aktive Schwelle (engl »active threshold«) haben sich dafür durchgesetzt. Zu Berücksichtigen ist, dass die kortikomotorische Reizschwelle mit zunehmendem Alter ansteigt (Rossini et al. 1992) und ferner durch Natriumkanal- bzw. Kalziumkanal-blockierende Antikonvulsiva markant angehoben wird (Ziemann et al. 1996). Unter pathologischen Bedingungen kann die kortikomotorische Reizschwelle ebenfalls deutlich verändert sein: Sie ist im fortgeschrittenen Stadium der amyotrophen Lateralsklerose (Eisen et al. 1990) und bei der multiplen Sklerose (Ravnborg 1991) erhöht, bei gewissen Epilepsien erniedrigt.
Die durch Magnetsimulation ausgelösten MEP unterscheiden sich grundsätzlich von den evozierten Potenzialen afferenter Modalitäten, indem jeder einzelne Kortexreiz gut messbare Muskelzuckungen bewirkt und somit eine elektronische Mittelwertbildung (»averaging«) über-
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559 8.5 · Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
flüssig macht. Die MEP gehorchen auch anderen Gesetzmäßigkeiten als die periphere motorische Neurographie. Die Reizantworten zeigen auch bei absolut konstanten Reizbedingungen eine inhärente Variabilität, weshalb man für eine Messung mehrere Potenziale gewinnen muss. Die Reizantworten werden zudem durch Willküraktivität deutlich beeinflusst, indem die Amplitude stark vergrößert und die Latenz verkürzt wird, wenn der Zielmuskel vom entspannten zum angespannten Zustand wechselt. Das Ausmaß dieser Vorinnervation hat kaum Einfluss auf die MEP-Latenz, die über einen relativ weiten Bereich konstant bleibt. Dies macht eine Messung der willkürlichen Vorinnervation für die Ermittlung der zentral-motorischen Leitungszeit überflüssig. Die Amplituden dagegen sind vom Ausmaß der willkürlichen Vorinnervation abhängig, vor allem wenn man von proximalen Muskeln (M. biceps brachii, deltoideus) ableitet.
8.5
Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
8.5.1
Technik der Kortexreizung und Wahl der geeigneten Muskeln
Für die Ableitung sind jene Muskeln geeignet, welche auch vom Ungeübten möglichst fein dosiert aktiviert werden können, um eine leichte stete Vorinnervation mit nur minimalen Grundlinienschwankungen zu erzielen. Ferner sind anatomisch eher isolierte Muskeln mit definierter Endplattenregion zu bevorzugen, damit bei Oberflächenableitung sowohl bei distaler Nerven- als auch bei Wurzel- und Kortexreizung ein von benachbarten Muskeln möglichst unbeeinflusstes Summenpotenzial mit negativem Potenzialabgang erhalten wird. Bei der zervikalen motorischen Wurzelreizung und bei der Kortexreizung mit entspanntem Zielmuskel (wie z. B. bei Plegie des Zielmuskels oder bei bewusstseinsgestörten Patienten notwendig) ist nämlich die Gefahr einer »Potenzialkontamination« durch volumengeleiteten »Cross-talk«
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von umgebenden Muskeln groß, da unweigerlich mehrere Muskeln erregt werden und der fokussierende Effekt der Vorinnervation fehlt. Dadurch kann der für die Latenzmessung wichtige Potenzialabgang verfälscht werden. Ein sich zwischen distaler Nerven-, Wurzel- und Kortexreizung in der Konfiguration jeweils stark änderndes Potenzial führt zu ungenauen Latenzmessungen. Die genaue Position der differenten Elektrode über der Endplattenregion des Muskels verrät sich durch einen direkten negativen Potenzialabgang von der Grundlinie und ist bei den MEP besonders wichtig. Falls schon bei peripherer Nervenreizung der Potenzialabgang durch eine positive Vorschwankung gestört wird, muss die Elektrodenlage unbedingt korrigiert werden, weil andernfalls große Ungenauigkeiten resultieren. Aus den erwähnten Gründen haben sich an den oberen Extremitäten v.a. der M. abductor digiti minimi oder der M. interosseus dorsalis I und der M. biceps brachii gut bewährt. Die 3 Muskeln haben zudem noch den Vorteil, dass sie auch von Patienten spielend gleichzeitig leicht vorinnerviert und mit der gleichen Spulenlage auf dem Kopf erregt werden können. Dabei wird der Patient aufgefordert, die Finger leicht abzuspreizen, zugleich – in sitzender Position – den Vorderarm abzuheben und etwa in einem rechten Winkel zum Oberarm in der Luft zu halten (⊡ Abb. 8.11). Der häufig für Ableitungen gebrauchte Thenar hat den Nachteil, dass
⊡ Abb. 8.11. Reiz- und Ableitanordnung für die magnetische Kortexreizung und elektrische zervikale Wurzelreizung bei Ableitung vom M. biceps brachii und M. abductor digiti minimi (schematisch)
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 8.12. Reiz- und Ableitanordnung für die magnetische Kortexreizung und elektrische lumbale Wurzelreizung bei Ableitung vom M. tibialis anterior (schematisch). Für die Wurzelreizung ist ein Abstand zwischen Kathode (–) und Anode (+) von ca. 9 cm vorteilhaft. Pfeil über Kopfspule zeigt Richtung des negativen Elektronenflusses in der Spule für Erregung der linken Hemisphäre bzw. der rechten Extremitäten
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bei der motorischen Wurzelreizung ein Muskelsummenpotenzial evoziert wird, welches nicht nur vom M. abductor pollicis brevis herrührt, sondern auch einen interindividuell verschiedenen Beitrag von ulnaris-innervierten Muskeln enthält und somit nicht dem Summenpotenzial entspricht, welches man von der Medianusreizung gewinnt. An den unteren Extremitäten haben sich aus analogen Gründen der M. tibialis anterior und der M. abductor hallucis am besten bewährt (⊡ Abb. 8.12). Der M. extensor digitorum brevis ist weniger geeignet, weil das darüber abgeleitete Muskelsummenpotenzial bei Wurzelreizung auch Aktivität aus den tibialis-innervierten Fußmuskeln abgreift, deren Anteil häufig nicht unerheblich ist. Bei älteren Menschen ist dieser Muskel außerdem manchmal atroph, und die entsprechenden Reizantworten sind auch beim Gesunden oft sehr klein (Kloten et al. 1992). Da durch gleichzeitige Ableitung von mehreren Zielmuskeln die Sensitivität erhöht werden kann, empfiehlt sich die Ableitung mindestens eines Hand- und eines Beinmuskels, z.B. des M. abductor digiti minimi oder M. interosseus dorsalis I und des M. tibialis anterior beider Seiten. Mit dieser Kom-
bination konnte man in einem unselektierten Patientengut von Verdachtsfällen, möglichen und wahrscheinlichen MS-Fällen die Sensitivität von 50 auf >70% erhöhen (Hess u. Mathis 1993). Die zusätzliche Ableitung des M. biceps brachii erbrachte in dieser Situation nur noch einen geringen Zuwachs an Sensitivität, allerdings eine etwas höhere Spezifität, wenn es um die Abgrenzung gegenüber einer fraglichen spondylotischen Myelopathie auf unterem Zervikalniveau ging. Aus den obenerwähnten Gründen soll man die MEP, wenn immer möglich, unter leichter willkürlicher Vorinnervation des Zielmuskels ableiten. Durch leichtes Abspreizen der Finger (M. abductor digiti minimi, M. interosseus dorsalis I), Anwinkeln des Vorderarmes (M. biceps brachii) oder Dorsalextension der Füße (M. tibialis anterior) wird eine hinreichende Vorinnervation, welche ungefähr 15 bzw. 20% der maximalen Kraft der Muskeln entspricht und dadurch auch eine Bewertung der Amplitude erlaubt. Bei der motorischen Kortexreizung empfiehlt es sich, aufgrund der interindividuell stark variierenden Reizschwelle, mit einer niedrigen Reizstärke von ca. 40–50% des Apparatemaximums zu be-
561 8.5 · Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
ginnen, damit der Patient nicht wegen der möglichen starken Muskelzuckungen erschrickt. Die Spule ist, unter Berücksichtigung des oben Gesagten ( s. Abb. 8.6 und Abschn. 8.3.3) mit korrekter Flussrichtung des Reizstromes tangential in der Nähe des Vertex auf den Kopf zu halten, wobei ein leichter Druck auf den Schädel ausgeübt werden soll. Die Reizstärke wird dann stufenweise in etwa 5%-Schritten erhöht, bis ein gut erkennbares Summenpotenzial evoziert wird. Für die meisten Zielmuskeln muss eine Amplitude erreicht werden, die mindestens 15–20% der distal durch Nervenreizung evozierten Amplitude beträgt ( s. 8.7.2). Sind Latenz und Amplitude zweifelsfrei im Normbereich, soll man zu Dokumentationszwecken die Reizantwort mindestens einmal reproduzieren. Gewinnt man kein normal groß erscheinendes Potenzial, sollen durch nochmalige Erhöhung der Reizstärke und Variation der Spulenposition um mehrere Zentimeter in anterior-posteriorer Richtung weitere Versuche unternommen werden, bevor man sich mit dem Befund eines abnorm kleinen oder gar fehlenden MEP begnügt. Auch bei einer möglichen Verzögerung sollte die Reizstärke nochmals erhöht werden. Dies ist wegen der interindividuell variierenden Topographie (Meyer et al. 1991b) und dem stark unterschiedlichen Reizbedarf, v.a. bei Ableitungen der unteren Extremitäten, sehr wichtig. Im Falle eines verzögerten Potenzials oder eines mit kleiner Amplitude sollen mit gleichbleibendem Reiz nochmals 3–4 weitere Reizantworten gesammelt werden. Die Latenz des frühesten und die Amplitude des größten Summenpotenzials sind für die Messung maßgebend. Wird auch mit maximaler Reizstärke nur ein Potenzial mit kleiner Amplitude erreicht, müssen zur Sicherstellung der Reproduzierbarkeit manchmal noch mehr Reizantworten gesammelt werden, weil bei erhöhter Ableitungsverstärkung das Potenzial von unregelmäßigen Grundlinienschwankungen manchmal nicht sicher abzugrenzen ist. Bei Ableitung von einem Handmuskel kann man dabei die kontralaterale Fazilitierung zu Hilfe nehmen ( s. 8.4.2): Der Zielmuskel selbst wird entspannt gehalten, während der kontralaterale homologe stark angespannt wird. Damit gelingt es gelegentlich, auch extrem kleine (und meist verspätete) reproduzierbare Reizantworten nachzuweisen (Hess et al. 1987b).
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Bei nur fraglich evozierbaren Reizantworten, welche in den Grundlinienschwankungen der willkürlichen Vorinnervation nicht sicher zu erkennen sind, wird man ausnahmsweise mehrere Reizdurchgänge übereinander superponieren oder eine elektronische Mittelwertbildung (mittels averager) vornehmen müssen. Geachtet werden sollte auch auf die Variabilität der Latenzen, welche normalerweise schon zu beobachten ist ( s. 8.4.1), aber unter pathologischen Bedingungen erheblich größer sein kann (Britton et al. 1991). Auch die Dauer des Summenpotenzials vom negativen Abgang bis zum definitiven Wiedererreichen der Grundlinie kann als zusätzlicher Parameter herangezogen werden (Kloten et al. 1992; Kukowski 1993), vorausgesetzt, es wird genügend stark gereizt. Die Ermittlung der Anzahl der Grundliniendurchgänge (Potenzialphasen) und die zusätzliche Messung der kortiko-muskulären Latenz vom entspannten Muskel haben sich in der Routinediagnostik hingegen weniger bewährt (Kukowski 1993).
8.5.2
Messung der peripheren Leitungszeit
Um ein Maß für die zentrale motorische Leitungszeit (ZML) zu bekommen, muss man die Variabilität der peripheren Leitungszeit, welche einen Großteil der Gesamtlatenz ausmacht, möglichst ausschalten. Mittels der Verwendung von arm- bzw. beinlängenkorrigierten Werten kann man dem teilweise Rechnung tragen. Das bedingt allerdings eine Messung der entsprechenden peripheren motorischen Nervenleitgeschwindigkeit und ist nur statthaft, wenn diese normal ist. Selbst dann bleibt eine gewisse Unsicherheit bezüglich des dabei nicht erfassten proximalen Plexussegments. Diese Methode setzt ferner auch entsprechende Normwerte voraus. Will man hingegen die periphere Leitungszeit in Abzug bringen, so kann man 2 Methoden anwenden: Entweder misst man die F-WellenLatenz zum entsprechenden Zielmuskel oder man verwendet die motorische Wurzelreizung. Es versteht sich von selbst, dass die unterschiedlich errechneten ZML nicht direkt miteinander verglichen werden können.
562
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Ermittlung der peripheren Leitungszeit mittels F-Wellen-Latenz
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Die F-Wellen-Latenz lässt sich am zuverlässigsten an den Handmuskeln messen. Das F-Wellen-Potenzial beruht auf einer »Rückfeuerung« vereinzelter α-Motoneurone als Antwort auf antidrom aktivierte motorische Axone, die durch supramaximale Reizung des N. medianus oder N. ulnaris am Handgelenk ausgelöst werden. Da die F-Welle im Vergleich zum direkt evozierten Muskelsummenpotenzial, der sog. »M-Antwort«, relativ klein ist, verwendet man in 1. Linie eine hohe Verstärkung (200–500 µV/E), allenfalls eine etwas erhöhte untere Filterbegrenzung (z.B. 100 Hz), um die Grundlinie horizontal zu halten und natürlich eine adäquate Zeitablenkung (50 ms/Bildschirmbreite). Da die F-Wellen immer ein wenig variieren, soll man die Messung mehrmals wiederholen. Man nimmt in der Regel die kürzeste Anfangslatenz von 10 aufeinanderfolgenden F-Wellen (Fisher 1982; Panayiotopoulos 1979). Die periphere Leitungszeit (PLZ) zum Muskel kann aus der F-Latenz wie folgt berechnet werden: PLZ = [F-Latenz + M-Latenz]/2. Gewisse Autoren tragen einer geschätzten zentralen Verzögerung von 1 ms Rechnung, indem sie diesen Betrag im Zähler subtrahieren (PLZ = [F-Latenz + M-Latenz-1]/2) (Ludin 1988). Die zentrale motorische Leitungszeit (ZML) erhält man, indem man von der kortiko-muskulären Gesamtlatenz die periphere Leitungszeit PLZ subtrahiert. Es ist wichtig, dass die Ableitung der F-Wellen bei der Erhebung sowohl der Normal- als auch der Patientenwerte mit standardisierten Untersuchungsverfahren bei gleichbleibenden Ableitungsparametern erfolgt. Ein Problem besteht darin, dass die F-Wellen, besonders unter pathologischen Bedingungen, nicht immer auslösbar sind. Auf der anderen Seite haben die F-Wellen gegenüber der Wurzelreizung ( s. u.) den Vorteil, dass sie die Leitungszeit unter Einschluss des proximalsten Wurzelsegmentes vom α-Motoneuron an abgreifen. Die Ableitung der F-Wellen zu mehr proximalen Muskeln gestaltet sich etwas schwieriger,
weil die F-Welle näher zur M-Antwort rückt und im aufsteigenden Schenkel der positiven Komponente des Summenpotenzials gemessen werden muss.
Ermittlung der peripheren Leitungszeit mittels Reizung der motorischen Wurzeln Diese Methode kam für die Ermittlung der PLZ zu den Muskeln der oberen Extremitäten bis jetzt am meisten zur Anwendung. Sie hat gegenüber den FWellen den Vorteil (bei seltenen Kontraindikationen), zuverlässig ein Resultat zu liefern und den Nachteil, eine relativ unangenehme subjektive Empfindung auszulösen. Diese kommt v. a. durch die heftige Begleitzuckung der paraspinalen Muskulatur zustande, welche das Gefühl eines dumpfen Schlages vermittelt; außerdem bietet die Methode eine erhebliche Variabilität, welche nur durch sorgfältige und exakte Handhabung der Technik in Grenzen gehalten werden kann (Schmid et al. 1991). Die Technik der Wurzelreizung unterscheidet sich nämlich in einigen Punkten wesentlich von der konventionellen peripheren Nervenreizung, und beim Umgang mit dem Hochspannungsreizgerät müssen gewisse Vorsichtsmaßregeln berücksichtigt werden. Die Technik soll deshalb im folgenden kurz beschrieben werden. Die motorischen Wurzeln können entweder mit einem elektrischen Hochspannungsreizgerät oder mit einem geeigneten Magnetstimulator gereizt werden. In beiden Fällen handelt es sich um eine Fernreizung, bei welcher der effektive Reizort nicht direkt unter der Reizelektrode bzw. Reizspule liegt, sondern durch die topographischen Gegebenheiten, die durch lokale Impedanzverhältnisse den Reizstrom gewissermaßen »kanalisieren«, wesentlich mitbestimmt wird (Epstein et al. 1991). Bei einer solchen Reiztechnik spielt auch die unterschiedliche Erregbarkeit der verschiedenen Nervenfasern eine noch größere Rolle als bei der distalen Neurographie, indem die dicker bemarkten, schneller leitenden Fasern deutlich weiter entfernt von der Reizelektrode erregt werden als die etwas dünner bemarkten. Dies ist von Bedeutung, da für die Latenzmessung einerseits der am distalsten gelegene effektive Reizort und andererseits die am schnellsten leitenden Nervenfasern maßgeblich
563 8.5 · Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
sind, wenn man beim Muskelsummenpotenzial den negativen Abgang von der Grundlinie ausmisst. Im Bestreben, die im Rückenmark absteigenden Bahnen oder die α-Motoneurone direkt auf zervikalem Niveau zu reizen, wurde das ursprünglich für die transkranielle Kortexreizung entwickelte Hochspannungsreizgerät (Merton u. Morton 1980) über dem Nacken appliziert. Es zeigte sich dann aber, dass man mit dieser Reizapplikation effektiv die zervikalen motorischen Nervenwurzeln etwa im Bereich der Foramina intervertebralia bzw. etwas außerhalb davon reizt (Mills u. Murray 1986; Epstein et al. 1991; Schmid et al. 1991). Das heißt, ein kleines ca. 3–4 cm langes Stück am proximalsten Ende des Axons wird bei der so gemessenen PLZ nicht erfasst und deshalb bei der errechneten ZML miteingeschlossen. Diesem Umstand muss bei Polyneuropathien mit starker Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit Rechnung getragen werden. Für die elektrische zervikale Wurzelreizung ist die richtige Anwendung der Reizelektroden wichtig. Diese sollten aus einem mit konzentrierter Kochsalzlösung gut getränkten Textil- oder Filzstempel von ca. 1 cm2 Fläche bestehen und müssen kräftig auf der Haut angedrückt werden. Dabei sollten »Wasserbrücken« zwischen den Elektroden durch ausgepresste Elektrodenlösung vermieden werden. Aus Sicherheitsgründen darf es auf gar keinen Fall zu einer solchen feuchten Verbindung zwischen einer Reiz- und der Erdelektrode kommen. Letztere soll sich unmittelbar proximal der Ableitelektrode und damit möglichst weit entfernt von den Reizelektroden befinden. Ein optimaler Reizelektrodenabstand beträgt 6 cm (Schmid et al. 1991). Für die Erregung der Handmuskeln haben sich die folgenden Reizelektrodenlagen bewährt: Die Kathode wird zwischen den Dornfortsätzen C 7 und T 1 und die Anode longitudinal nach kranial versetzt (⊡ Abb. 8.13). Mit dieser symmetrischen Elektrodenposition werden die Wurzeln beider Seiten gleichzeitig gereizt. Gegenüber der magnetischen Reizung ( s. u.) hat man somit den Vorteil, bei simultaner Ableitung mit weniger Reizen auszukommen. Mit der Elektrodenlage kann auch der M. biceps brachii errregt werden, womit man bei simultaner Ableitung auch in dieser Hinsicht Reize
8
⊡ Abb. 8.13. Reizelektrodenplatzierung bei elektrischer zervikaler Wurzelreizung für die Erregung der Handmuskeln beider Seiten (schematisch). Die Kathode muss unterhalb der Vertebra prominens (C 7) angepresst werden. Der Abstand zwischen Kathode (–) und Anode (+) soll ca. 6 cm betragen
einsparen kann. Die umgekehrte Elektrodenanordnung, Kathode kranial zur Anode, erzielt allerdings im M. biceps brachii noch etwas größere Amplituden bei diskret längeren Latenzen. Die Reizstärke muss stufenweise erhöht werden, bis die Amplitude des Summenpotenzials nicht mehr deutlich zunimmt; diese letzte Reizantwort ist für die Messung maßgebend. Im Unterschied zur konventionellen Neurographie soll man bei der Hochvoltstimulation für die Latenzmessung nicht supramaximale Reizstärken einsetzen, weil sonst die Gefahr besteht, dass der Reiz weit nach distal spring (Plassman u. Gandevia 1989; Schmid et al. 1991). Weiteres Steigern bis zur supramaximalen Reizstärke ist nur dann notwendig, will man die Potenzialamplitude auch noch bewerten, z. B. bei der Frage nach Leitungsblock im Plexus oder falls die Amplitude als Referenzwert der kortikalen Reizantwort gebraucht wird ( s. 8.7.2). Tatsächlich kann dadurch in den meisten Fällen eine supramaximale Reizung erreicht werden (Claus 1991). Das »Nach-distal-Springen« des Reizes ist die größte Ungenauigkeitsquelle dieser Technik. Sie erkennt man daran, dass bei Erhöhung der Reiz-
564
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
stärke dem steilen negativen Potenzialabgang eine zunehmend längere flache »Schulter« (deltaförmiger Potenzialabgang) vorgelagert wird, welche für die Latenzmessung nicht gebraucht werden soll. Wird eine stark supramaximale Reizstärke gewählt, kann sich die Anfangslatenz drastisch verkürzen und die Amplitude erfährt dann hin und wieder eine leichte Abnahme, was offensichtlich mit der längeren Dauer des Summenpotenzials zusammenhängt. Die Potenzialamplitude ist bei der Wurzelreizung ohnehin einer weit größeren interindividuellen Variabilität unterworfen als bei der konventionellen Neurographie und hat deshalb als Messparameter eine vergleichsweise geringere Wertigkeit (Ludolph et al. 1988; Schmid et al. 1991). Die zervikalen motorischen Wurzeln können auch mit dem Magnetstimulator gereizt werden. Auch hier sind relativ große Reizspulen vorzuziehen. Eine supramaximale Reizung ist allerdings auch in dem Fall nur selten möglich. Die Amplituden der damit maximal erzielten Reizantworten sind in den Handmuskeln kleiner als die mit dem elektrischen Hochspannungsreizgerät erzielten. Damit verlieren die Amplituden bei der magnetischen Wurzelreizung gänzlich ihre diagnostische Aussagekraft (Schmid et al. 1991; Claus 1990; Chokroverty et al. 1991). Für die Latenzen ist aber eine supramaximale Reizung auch hier nicht notwendig. Diese sind den elektrisch evozierten sehr ähnlich, fast identisch (Schmid et al. 1991; Ugawa et al. 1989), was beweist, dass die dickbemarkten motorischen Fasern an denselben anatomisch vorgegebenen Stellen im Bereich der knöchernen Foramina gereizt werden (Epstein et al. 1991). Aus diesem Grunde ist auch die genaue Positionierung der Spule im Hinblick auf die Latenzen nicht sehr kritisch (Schmid et al. 1991; Cros et al. 1990; Chokroverty et al. 1991), was natürlich der Routineanwendung sehr entgegenkommt. Bei der Spulenplatzierung über dem Nacken wird die optimale Reizwirkung erreicht, wenn ein horizontal verlaufendes Spulensegment auf der entsprechenden Höhe, also etwa parallel über den anvisierten Wurzeln gelegt wird (Epstein et al. 1991; Mills et al. 1993). Die zervikalen Wurzeln verlaufen beim Austritt aus dem Wirbelkanal ungefähr horizontal, sogar leicht »rückwärts« nach kranial, bevor sie nach kaudal abbiegen (Mills et al. 1993). Bei Ver-
wendung großer Spulen, im Durchmesser ca. 8–9 cm messend, bringt man diese am besten median über die Halswirbelsäule. Wird die Spule etwa über die Vertebra prominens (C 7) oder leicht kranial davon zentriert, so reizt man mit dem unteren Segment die Wurzeln C 8 z. B. für den M. abductor digiti minimi optimal, wobei, je nach Spulengröße, mit dem oberen Segment gleichzeitig die Wurzeln C 5/C 6 zum M. biceps brachii gereizt werden (⊡ Abb. 8.14). Die Reizwirkung ist (für monopolare Reizgeneratoren) auch hier richtungsspezifisch, allerdings weniger ausgeprägt als am Kortex. Optimal ist die Reizwirkung, wenn der Strom (konventionell definiert) im entsprechenden Spulensegment von der zu erregenden Seite her gegen die Mitte fließt (⊡ Abb. 8.14). Bei kleinen Reizspulen ist es manchmal notwendig, diese etwas seitlich auf der zu reizenden Seite anzubringen, um eine befriedigende Reizwirkung zu erhalten. Große Doppelspulen (Zwillingsspulen) eignen sich ebenfalls gut und sind mit dem mittleren Kontaktsegment (Taille) horizontal auf entsprechende Höhe zu plat-
⊡ Abb. 8.14. Reizelektrodenplatzierung und Stromrichtung in der Spule (monopolarer Reiz) bei magnetischer zervikaler Wurzelreizung für die Erregung der Handmuskeln der rechten Seite (schematisch). Die zirkuläre Reizspule muss die Vertebra prominens (C 7) umschließen; das untere, für die Reizung relevantere Segment, soll kräftig angedrückt werden, damit die dort den Spinalkanal verlassenden, quer verlaufenden Wurzeln C 8 gereizt werden
565 8.5 · Messung der zentralen motorischen Erregungsleitung
⊡ Abb. 8.15. Reizelektrodenplatzierung und Stromrichtung in der Spule (monopolarer Reiz) bei magnetischer zervikaler Wurzelreizung für die Erregung der Handmuskeln der rechten Seite bei Verwendung einer Doppelspule (Zwillingsspule). Das Kontaktsegment muss unterhalb der Vertebra prominens (C 7) kräftig angedrückt werden
zieren, so dass die beiden Kreissegmente kranial und kaudal etwa in die Mittellinie zu liegen kommen (⊡ Abb. 8.15). Die subjektive Empfindung des Magnetreizes am Nacken wird von den meisten Probanden als etwas weniger unangenehm im Vergleich zur elektrischen Reizung angegeben. Für die lumbosakrale motorische Wurzelreizung ist bei Verwendung des elektrischen Hochvoltreizgerätes die Position der Reizelektroden wichtig. Mit der Kathode am thorakolumbalen Übergang (T 11/T 12 bzw. L 1) und der Anode kranial ode seitlich daneben können die motorischen Wurzeln beim Abgang vom Conus medullaris gereizt werden; mit der Kathode auf Höhe der Dornfortsätze L 4/L 5 oder L 5/S 1 erfolgt die Reizung im distalen Abschnitt der Cauda equina (Maertens de Noordhout et al. 1988). Der Latenzunterschied zwischen den beiden Stimulationsorten als Ausdruck einer »Kauda-Laufzeit« variiert je nach Zielmuskel zwischen 1,5–4,5 ms (Maertens de Noordhout et al. 1988). Der höher liegende Reizort hat den theoretischen Vorteil, die periphere Leitungszeit unter Einbezug des Kauda-Abschnitts vollständiger zu er-
8
fassen. Die Amplituden sind allerdings bei diesem Reizort bedeutend kleiner und bei Individuen mit kräftigem Knochenbau ist dadurch ein Potenzial nicht immer zuverlässig zu gewinnen, wohl aber auf Höhe von L 5 oder S 1. Für die Routineanwendung wird deshalb von den meisten Autoren die Kathode auf Höhe L 5/S 1 gehalten (⊡ Abb. 8.12). Wie bei der zervikalen Wurzelreizung ist auch für die lumbosakrale Reizung eine longitudinale Elektrodenanordnung mit kranialer Anode zu bevorzugen. Dabei erleichtert, nach eigenen Erfahrungen, ein auf 9 cm erweiterter Abstand zwischen den Reizelektroden die Reizung. Mit einem leistungsfähigen Magnetstimulator gelingt es auf lumbosakralem Niveau, ebenfalls Reizantworten zu evozieren, deren Amplituden kleiner sind als die mit dem elektrischen Hochvoltreizgerät in den entsprechenden Muskeln evozierten. Am besten wird eine relativ große zirkuläre Reizspule lumbosakral über der Mittellinie platziert und die optimale Position durch Verschiebung in kranio-kaudaler Richtung gesucht, während man mit maximaler Reizstärke stimuliert. Analog der zervikalen Reizung überstreicht bei optimaler Spulenposition ein horizontales – und zwar meist das kraniale – Spulensegment ungefähr die Wurzelaustritte zum entsprechenden Zielmuskel. Für den M. tibialis anterior und M. extensor digitorum brevis liegt das Spulenzentrum einer ca. 8–9 cm Durchmesser großen Spule dann auf Höhe S 2 (⊡ Abb. 8.16) über dem Sakrum (Ugawa et al. 1989). Die damit gewonnenen Reizantworten haben dieselben Latenzen wie jene der elektrischen lumbosakralen Stimulation.
Praktisches Vorgehen bei der Ermittlung der zentralen motorischen Leitung Für die Ableitung der MEP wählt man eine Verstärkung und Filtereinstellung wie bei der motorischen Neurographie. Die Verstärkung sollte der Potenzialgröße angepasst werden. Man beginnt etwa mit 2–5 mV/Einheit. Die Messung der Latenz wird im allgemeinen mit einer Verstärkung durchgeführt, welche die Gesamtheit des Potenzials auf dem Bildschirm abbilden lässt. Mit einer hohen Verstärkung (< 500 µV/Einheit) verkürzt man die Latenz, weshalb die publizierten Normwerte nicht mehr ohne weiteres verwendet werden können. Die untere
566
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
8 ⊡ Abb. 8.16. Reizelektrodenplatzierung und Stromrichtung in der Spule (monopolarer Reiz) bei magnetischer lumbaler Wurzelreizung für die Erregung des M. tibialis anterior der rechten Seite bei Verwendung einer Kreisspule (nach Ugawa et al. 1989)
Grenzfrequenz soll bei 2–20 Hz, die obere bei 2–10 kHz liegen. Eine stärkere Einengung des Frequenzbereichs (> 20 Hz/< 2 kHz) kann ebenfalls die Latenzmessung beeinflussen und sollte vermieden werden. Die Untersuchung wird am besten in bequem sitzender Stellung bzw. in halbliegender Rückenlage durchgeführt. Das Ableitprozedere kann beschleunigt werden, indem man von Anfang an möglichst alle Muskelelektroden montiert. Bei der Ableitung von mehreren Zielmuskeln an einer Extremität (z.B. M. biceps brachii und M. abductor digiti minimi) kann man mit der großen Kreisspule in der Regel beide Muskeln einer Seite simultan zur Erregung bringen und damit Kortexreize sparen. Bevor man die Kortexreize appliziert, soll man die entsprechenden Nerven an klassischer distaler Stelle supramaximal reizen: N. brachioradialis in der Axilla (M. biceps brachii), N. ulnaris am Handgelenk (M. abductor digiti minimi oder M. interosseus dorsalis I), N. peronaeus (M. tibialis anterior), N. tibialis am Fußgelenk (M. abductor hallucis). Dadurch werden einerseits die Elektrodenplatzie-
rung, Funktionstüchtigkeit der Ableitung und die Eignung des Zielmuskels (Atrophie!) überprüft und andererseits die Größenordnung der Potenzialamplitude grob erfasst. Dabei soll besonders auf die Potenzialkonfiguration geachtet werden, da ein direkt negativer Potenzialabgang von der Grundlinie angestrebt werden muss. Durch sorgfältige Korrektur der Elektrodenplatzierung (differente Elektrode über die Endplattenzone) müssen etwaige kleine positive Vorschwankungen, wenn immer möglich, zum Verschwinden gebracht werden. Letztere sind nämlich bei der Kortexreizung meist nicht mehr sichtbar, wodurch Ungenauigkeiten in der Ermittlung der ZML entstehen können. Als nächstes folgt entweder die Wurzelreizung oder die F-Wellenbestimmung. Sie erlaubt sogleich eine grobe Beurteilung der peripheren Nervenleitung. Für die Wurzelreizung soll der Patient ganz aufsitzen und den Oberkörper nach vorn neigen. Dadurch kann die Reizelektrode über dem Nacken und in der Kreuzgegend platziert werden. Natürlich muss der Patient im voraus auf den ziemlich starken Reiz vorbereitet werden. Falls man auf eine Bestimmung der peripheren Leitungszeit verzichten muss, sollte dennoch die Nervenleitgeschwindigkeit des entsprechenden Nervs durch eine zweite proximalere Reizung ermittelt werden. Denn nur eine einigermaßen normale Nervenleitgeschwindigkeit erlaubt es, auf die Normwerte der totalen kortiko-muskulären Latenz zurückzugreifen. Erst jetzt schreitet man zur Kortexreizung, welche mit eher schwachen Reizstärken beginnen soll, wie unter 8.5.1 beschrieben. Die Technik der willkürlichen Vorinnervation muss dem Patienten genau erläutert werden. Um die ZML zu ermitteln, muss von der gesamten kortikomuskulären Leitungszeit die periphere Leitungszeit von der Wirbelsäule bis zum entsprechenden Zielmuskel subtrahiert werden. Benützt man für die Messung der peripheren Leitungszeit die motorische Wurzelreizung, so ermittelt man damit strenggenommen die kortikoforaminale Leitungszeit. Durch Reizung an der Wirbelsäule werden die motorischen Wurzeln nämlich in den knöchernen Foramina intervertebralia gereizt und somit ist das proximalste intraspinale Segment der Wurzel in der berechneten ZML mitenthalten. Dieser Nachteil entfällt bei der F-Wellen-Methode, bei
567 8.6 · Elektrodiagnostik der kortikomuskulären Bahnen zur zephalen Muskulatur
8
der der gesamte periphere Abschnitt erfasst wird. Damit entspricht die ermittelte ZML genauer der kortikospinalen Überleitung und ist deshalb auch etwas kürzer. Die F-Wellen lassen sich allerdings nicht immer zuverlässig auslösen.
Um die zentral-motorische Leitungszeit zu ermitteln, muss der periphere Anteil der kortikomuskulären Latenz möglichst weitgehend in Abzug gebracht werden. Dafür stehen verschiedene Methoden zur Verfügung: Die motorische Wurzelreizung mit der Magnetspule oder dem elektrischen Hochvoltreizgerät an der Wirbelsäule, oder die F-Wellen-Technik. Jede der drei Methoden hat ihre Vor- und Nachteile, weshalb sich die Wahl der Methode nach der jeweiligen Situation richtet. Falls eine distale Leitungszeit nicht ermittelt werden kann, müssen Armlängen- bzw. Körpergröße-korrelierte Normwerte gebraucht werden. Zudem muss dann als potenziell verfälschender Faktor eine periphere Neuropathie im entsprechenden Nerven ausgeschlossen werden.
8.6
Elektrodiagnostik der kortikomuskulären Bahnen zur zephalen Muskulatur (Hirnnerven)
8.6.1
Gesichtsmuskulatur (N. facialis)
Die Besonderheit der Gesichtsmuskel-MEP besteht darin, dass sich der N. facialis mit dem Magnetreiz sehr leicht und stabil intrakraniell erregen lässt, womit sich die Fazialisneurographie nach proximal in das Schädelinnere erweitern lässt (Murray et al. 1987; Schriefer et al. 1988), was sich als eine klinisch sehr wertvolle Ergänzung erwies. Für die Ableitung haben sich der M. nasalis mit der indifferenten Elektrode über der Glabella oder Nasenspitze (Rösler et al. 1989) und der M. mentalis am besten bewährt (Jaspert et al. 1992) (⊡ Abb. 8.17). Andere Autoren bevorzugen den M. buccinator, was aller-
⊡ Abb. 8.17. Reiz- und Ableitanordnung für die nach proximal verlängerten Fazialisneurographie mit Fazialis-MEP: Konventionell elektrische Reizung am Foramen styslomastoideum (1. F. stylomast.), magnetisch transkranielle Reizung des N. facialis im Schädelinnern (2.) und magnetisch transkranielle Reizung des kortikalen Gesichtsareales (3. kontralaterale TMS)
dings spezieller Ableitelektroden bedarf (Urban et al. 1998). Für die transkranielle periphere Fazialisreizung wird die Magnetspule ipsilateral parietook-
zipital über den Skalp gehalten – mit dem induzierenden Strom für die rechte Gesichtshälfte im Uhrzeigersinn und für die linke Gesichtshälfte im Gegenuhrzeigersinn (Reizort Nr. 2 in ⊡ Abb: 8.17 und Abb. 8.18). Beim Gebrauch einer Doppelspule (Zwillingsspule) muss die Orientierung des relevanten Spulensegmentes (Berührungsstrecke der beiden Spulen) wie bei den Handmuskeln in posterolateraler Richtung zeigen (Dubach et al. 2004). Wegen der Nähe zum Ohr des Patienten empfiehlt man den Gebrauch eines Gehörschutzes ( s. Abschn. 8.9). Das dadurch erzielte mit Oberflächenelektroden abgeleitete Muskelsummenpotenzial hat alle Charakteristika einer peripheren Reizantwort: stabile und gleiche Form wie bei distaler N.-facialis-Reizung und fehlende Fazilitierung durch Vorinnervation. Der effektive Reizort befindet sich konstant im initialen proximalen Segment des knöchernen Canalis facialis Faloppii, dort wo der Nerv noch von Liquor umgeben ist (Rösler et al. 1989; Schmid et al. 1994a), weshalb man auch von kanalikuärer Stimulation spricht (⊡ Abb. 8.18). Ausgehend von der elektrischen extrakraniellen
568
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 8.18. Schematische Darstellung der effektiven Reizorte 1.–3. bei der nach proximal verlängerten«Fazialisneurographie mit Fazialis-MEP und entsprechende Reizantworten von einem normalen Probanden. Beachte die identische kon-
figurierten Summenpotenziale der beiden peripheren Nervenreizungen 1 und 2, und die variablen Summenpotenziale der Kortexreizung, wie sie während willkürlicher Vorinnervation gewonnen wurden (3, zwei Reizantworten superponiert)
Reiz am Foramen stylomatoideum (Reizort Nr. 1 in ⊡ Abbildung 8.17 und Abb. 8.18) lässt sich dadurch eine transossäre Leitungszeit für den N. facialis berechnen, welche für den M. Orbicularis oculi 1,3± 0,15 ms und für den M. nasalis 1,2±0.18 ms beträgt. Wegen der vergleichsweise niedrigen Schwelle der magnetischen intrakraniellen (kanalikulären) Fazialisreizung, muss man mit niedriger Reizstärke beginnen und diese vorsichtig erhöhen. Eine zu hohe Reizstärke lässt den Reiz nach extrakraniell springen, was an der identischen Latenz mit dem elektrisch am Stylomastoid-evozierten Potenzial ersichtlich ist. Daran muss man v. a. bei pathologischer Untererregbarkeit des intrakraniellen Nerves denken, wie sie typischerweise schon früh und anhaltend bei der kryptogenen Bell-Fazialsparese beobachtet wird, weil hier der entzündliche Prozess genau im proximalen Fazialiskanal lokalisiert ist. Damit lässt sich die Bell-Fazialisparese im Frühstadium von weiter proximal lokalisierten peripheren (in der zerebellopontinen Zysterne) und von zentralen faszikulär, nukleär oder supranukleär lokalisierten Läsion abgrenzen (Benecke et al. 1991; Glocker et al. 1994; Rösler et al. 1989; Schriefer et al. 1988). Interessanterweise persistiert bei der BellFazialisparese die Untererregbarkeit des Nerves oft über lange Zeit, so dass mit der Magnetspule noch keine intrakranielle Reizantwort erhältlich ist, wenn klinisch bereits eine weitgehende Remission vorliegt und sogar wieder kortikale MEP evoziert werden können.
Die hohe Sensitivität der transkraniellen Fazialsreizung ermöglicht bei Borreliose, HIV-Infektion oder Menigeosis neoplastica manchmal den Nachweis einer subklinischen Läsion, z. B. kontralateral zur klinisch manifesten Gesichtslähmung auf der scheinbar gesunden Seite, womit eine banale Bellsche Parese ausscheidet und eine Lumbalpunktion zwingend folgen muss (Rösler 1995). Die Methode vermag auch zuverlässig zwischen peripherer und zentraler Gesichtslähmung zu unterscheiden. Die Magnetreizung des kortikalen Gesichtsareals ist etwas schwieriger, da die Reizschwelle deutlich höher liegt als bei der transkraniellen Nervenreizung. Letztere gilt es zu vermeiden, zumindest kontralateral auf der Seite, auf der man die zentralen MEP ungestört ableiten will. Die Reizspule muss parasagittal mit dem Zentrum etwa 2–4 cm lateral des Vertex über die zu reizende Hemisphäre platziert werden mit der für die Kortexreizung adäquaten Stromrichtung (Reiz Nr. 3 in der ⊡ Abb. 8.17). Dabei muss die Reizstärke derart gewählt werden, dass sie gerade nicht genügt, um auf der anvisierten Seite eine periphere Reizantwort auszulösen. Der Gebrauch einer etwas fokaleren Spule (kleine kreisförmige oder mittelgroße Doppelspule) ist hier vorteilhafter. Zur effizienten Fazilitierung muss der Zielmuskel ziemlich stark tonisch vorinnerviert werden (z. B. Nase rümpfen). Falls starke Grundlinienschwankungen unvermeidlich sind, empfiehlt es sich 4–8 Reizantworten mit dem
569 8.6 · Elektrodiagnostik der kortikomuskulären Bahnen zur zephalen Muskulatur
»Averager« zu mitteln. Die Differenz zur transkraniell peripheren Reizantwort ergibt die ZMLZ (⊡ Tabelle 8.1), wobei – ähnlich wie bei den Extremitäten-MEP – ein signifikantes intrazysternales Segment des periphere Nerves mit eingeschlossen ist, was bei der Beurteilung pathologischer Resultate unbedingt berücksichtigt werden muss. Ein verzögertes oder fehlendes Fazialis-MEP wurde z. B. bei Dysarthrie infolge zerebrovaskulären Insultens (Urban et al. 1997) und auch bei ALS (Urban et al. 1998) gefunden, in letzterem Fall häufig als Ausdruck einer subklinischen kortikobulbären Läsion ohne entspechende Symptome, was gerade dort die Methode sehr wertvoll macht.
8.6.2
Kau- und Zungenmuskulatur (N. trigeminus, N. hypoglossus)
Im Unterschied zu den Gesichtsmuskeln sind bei der Kau- und Zungenmuskulatur die kortikalen MEP leichter zu evozieren und die kortikomuskulären Überleitungszeiten generell kürzer. Dafür ist eine stabile, puncto Latenz konstante intrakranielle periphere Nervenreizung bei diesen beiden Hirnnerven nicht zuverlässig möglich. Beim Versuch den N. trigeminus in seinem intrakraniellen Verlauf zu reizen, erhält man unterschiedliche und stark Reizstärken-abhängige Latenzen, die auf einen recht variablen Reizort hinweisen (Schmid et al. 1994b). Beim N. hypoglossus ist eine intrakranielle periphere Reizung oft überhaupt nicht möglich (Muellbacher et al. 1994). Bei der Ableitung Trigeminus-innervierter Muskeln besteht zudem die Gefahr einer Potenzialeinstreuung von den Fazialis-innervierten M. zygomaticus und Platysma. Eine »Kontamination« des Masseter-Potenzials durch das teilweise darüber liegende Fazialis-innervierte Platysma ist selbst bei Verwendung einer konzentrischen Nadelelektrode möglich, weil der als indifferente Elektrode fungierende Schaft fremde Muskelaktivität abgreift (Türk et al. 1994). Das Problem wird allerdings dadurch wesentlich entschärft, dass die Reizanordnung für das kortikale Areal des Trigeminus und des Fazialis eine unterschiedliche ist. Während man für das Gesichts- und Zungenareal eine ähnliche Reizspulenposition benützt wie bei
8
⊡ Abb. 8.19. Optimale Spulenposition bzw. Hauptrichtung der induzierenden Stromes für die Magnetstimulation des kortikalen Kaumuskelareales (z. B. M. masseter) am Beispiel der Doppelspule (links). Rechts zum Vergleich die Spulenposition für die Handmuskeln dargestellt
den oberen Extremitäten mit einer posterolateralen Hauptstromrichtung des induzierenden Stromes (⊡ Abb. 8.6, 8.19) aber etwas lateraler auf dem Kopf platziert, zeigt die Hauptstromrichtung für die Reizung des Kaumuskelareales in anterolateraler, also ca. 90° noch vorn rotierter Richtung (Guggisberg et al. 2001). Mit der korrekten Spulenposition (⊡ Abb. 8.19) und entspannter Gesichtsmuskulatur bei gleichzeitig vorgespanntem Masseter (auf die Zähne beißen), besteht keine Gefahr der »Fazialiskontamination«, selbst wenn man Oberflächenelektroden auf den M. masseter klebt. Mit dieser Methode beträgt die mittlere kortikomuskuläre Latenz von 10 Probanden vom rechten M. masseter 5.1±0.56 ms und vom linken M. masseter 5.4± 0.53 ms (Guggisberg et al. 2001) und ist damit vergleichbar mit den 5.5 ms±0.71 m von Türk et al. (1994) aber etwas kürzer als die 6.9±0.71 ms von Pavesi et al. (1991), die noch nicht auf die Besonderheit der Reizmethodik geachtet hatten. Die distal motorische Latenzzeit nach Reizung des Trigeminus am Arcus zygomaticus beträgt 1.5±0.23 ms (Guggisberg et al. 2001) bzw. 1.2±0.17 ms (Türk et al. 1994). Letzere Autoren benützten eine enorale Ableitung seitlich zwischen den Zahnreihen und der inneren Wangenwand mit Oberflächenelektroden (Türk et al. 1994).
8 570
⊡ Tabelle 8.1. Zentral motorische Leitungszeit ZMLZ (ms) für einige häufig gebrauchte Zielmuskeln
Alter
Kortiko-muskuläre L.
ZMLZ F-Wellea
MW ±SD
MW ±SD
ZMLZ proximale Stimulation
Referenz
Reizmethode
MW ±SD
Elektrisch am Nacken b
6,2 ± 0,9
–
6,3 ± 0,8
Magnetisch am Nacken
7,0 ± 1,0
Magnetisch am Nacken
6,7 ± 1,2
21,4 ± 1,5
Magnetisch am Nacken
6,6 ± 1,4
Ludolph et al. 1989
20,6 ± 1,8
Magnetisch am Nacken
5,8 ± 1,0
Kloten et al. 1992
Spannweite
Spannweite
Spannweite
Obere Extremitäten: ADM
19,7 ± 1.3 5,8 ± 0,8
ADM
19–59
ADM
17–35
19,3 ± 1,2
APB
20–83
20,4 ± 1,5
APB Inteross dors I
19–29
Inteross dors I
17–74
Bicpes brachii
30–59
10 ,8 ± 1,0
Bicpes brachii
20–83
11,8 ± 1,2
4,2–7,4
16,8–23,8
6,5 ± 0,9
9,1–14,7
4,3–7,6
Hess et al. 1987 4,6–8,0
Claus et al. 1990 Chu et al. 1989
4,9–8,8
Eisen et al. 1990
Kukowski et al. 1993
– Magnetisch am Nacken
4,5 ± 1,0
Magnetisch am Nacken
6,1 ± 1,3
Magnetisch kanalikulär
5,1 ± 0,6 d
Kloten et al. 1992 4,3–8,4
Eisen et al. 1990
Hirnnerven / Gesichts- und Kopfmuskeln: Nasalis (Facial.)
Rösler et al. 1989
Zunge rechts
20–53
8,8 ± 0,9
7,4–10,8
Elektrisch submandibulär
6,2 ± 0,9
4,7–7,9
Muellbacher et al. 1994
Zunge links
20–53
8,6 ± 0,9
7,3–10,2
Elektrisch submandibulär
6,4 ± 1,0
4,4–8,6
Muellbacher et al. 1994
Zunge rechts
8,9 ± 0,9
7,6–11,2
Elektrisch submandibulär
Urban et al. 1994
Zunge links
9,1 ± 1,1
7,5–11,6
Elektrisch submandibulär
Urban et al. 1994
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Zielmuskel
Zielmuskel
Alter
Kortiko-muskuläre L.
ZMLZ F-Wellea
MW ±SD
Spannweite
MW ±SD
–
ZMLZ proximale Stimulation Spannweite
Reizmethode
–
Elektrisch arcus zygomaticus
Referenz
MW ±SD
Spannweite
Hirnnerven / Gesichts- und Kopfmuskeln: Masseter
18–45
5,3 ± 0,55
–
Masseter
19–25
6,9 ± 0,71
6,2–7,3
Kaumuskelnc
23–50
5,5 ± 0,7
Trapezius
23–72
9,6
7,4–12,0
Guggisberg et al. 2001
3,3 ± 0,5
–
Pavesi et al. 1991
Elektrisch arcus zygomaticus
Türk et al. 1994
Elektrisch am Hals
7,5 ± 1,1
Elektrisch lumbal L5 b
15,7 ± 1,36
Elektrisch lumbal L1 b
12,5 ± 1,7
Magnetisch lumbosakral
14,3 ± 1,7
5,3–9,9
Truffert et al. 2000
Untere Extremitäten: TA
30,5 ± 2,5
TA
19–59
TA
30–59
29,6 ± 3,0
TA
20–76
27,7 ± 2,4
Abd hallucis
19–74
39,3 ± 2,4
20,2–32,5
13,1 ± 3,8
10,1–16,3
– Magnetisch lumbosakral
Hess et al. unpubl. 9,0–16,7
Claus et al. 1990 Kloten et al. 1992 Eisen et al. 1990
17,3 ± 1,8 b
8.6 · Elektrodiagnostik der kortikomuskulären Bahnen zur zephalen Muskulatur
⊡ Tabelle 8.1 (Fortsetzung)
Tobimatsu et al. 1998
a
Periphere Leitungszeit (PLZ) mit der F-Wellen-Methode gemessen mit: PLZ = (F+M-1)/2 . Motorischer Wurzelreizung mittels elektrischer Hochvoltreizung. c M. pterygoideus (enoral). d Transkranielle»kanalikuläre« Stimulation des N. facialis mit der Magnetspule. ADM = Abductor digiti minimi, APB = Abductor pollicis brevis, TA = Tibialis anterior. b
571
8
8 572
⊡ Tabelle 8.2. Synopsis der wichtigsten MEP-Befunde bei verschiedenen neurologischen Krankheiten
% pathologische ZMLa
Spondylotische zervikale Myelopathie
80–100%
+++
++
+
Multiple Sklerose (MS)
80–90%
+++
++
+
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
50–85% b
++
+++
++
Friedreich-Ataxie
~90%
++
+++
–
Früh manifestierende Heredoataxie mit erhaltenen Reflexen
60–70%
++
+
–
Spät manifestierende Heredoataxie (z.B. dOPCA)
20–80% b
+
(+)
–
Familiäre spastische Spinalparalyse
80–100% c
(+)
+++ e
(+)
Spinale Muskelatrophie (SMA)
ZML normal
–
–
Morbus Parkinson
ZML normal
–
–
–
Multisystem-Atrophie
10–45% c
+
+
–
Progressive supranukleäre Paralyse
40% (el Stim)
Morbus Wilson
30–65%
+
++ e
–
Chorea Huntington
0–10%
(+)
–
–
Dystonie
ZML normal
–
–
–
Zerebrovaskulärer Insult
70%
+
++ e
–
Mitochondriale Myopathie (Zytopathie)
~25%
++
?
++
Psychogene Parese
ZML normal d
–
–
–
a
Verlängerte Latenzzeit
Verminderte Amplitude
Subklinisch abnorme Befunde
Nur pathologische Überleitungszeiten/Amplituden berücksichtigt. b Pathologische Befunde häufiger und ausgeprägter an den unteren Extremitäten. c ZML zu den oberen Extremitäten i. Allg. normal. d Darf nur bei weitgehend plegischer Extremität als Hinweis auf eine psychogene Ursache verwertet werden. e Häufig fehlende Reizantworten.
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Krankheit
573 8.7 · Normalbefunde der MEP von den Extremitätenmuskeln
Bei den MEP der zephalen Muskulatur (Hirnnerven) müssen die methodischen Unterschiede und Besonderheiten beachtet werden. Die MEP der Facialis-innervierten Gesichtsmuskulatur nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als ihre Reizantworten eine relativ lange kortikomuskuläre Latenz und kleine Amplitude aufweisen. Zudem lässt sich der N. facialis als einziger Hirnnerv zuverlässig mit dem Magnetreiz im Schädelinnern mit konstanter Latenz und niedriger Reizstärke stimulieren, womit eine periphere Reizantwort vom proximalen Nervenabschnitt gewonnen werden kann. Die MEP der Kaumuskulatur (z. B. M. masseter) verlangen für die Kortexreizung eine atypische um 90° verdrehte Richtung des induzierenden Stroms in der Spule. Für die Ableitung der MEP der Zungenmuskulatur sind spezielle Elektroden notwendig.
8.7
Normalbefunde der MEP von den Extremitätenmuskeln
8.7.1
Kortikomuskuläre Latenz und zentrale motorische Leitungszeit
8
zeit (ZML) zu einigen Muskeln und Beispiele normaler Reizantworten (⊡ Abb. 8.23 und 8.24) aufgeführt. Die Normwerte sind natürlich ausschließlich für die angegebene Technik gültig. Dabei spielt weniger der verwendete Typ des Magnetstimulators eine Rolle, als die Art der Messung der MEP und die eingesetzte Technik zur Ermittlung der peripheren Leitungszeit. Selbst wenn man die angegebene Untersuchungstechnik genau befolgt, empfiehlt es sich, die zum Gebrauch übernommenen Normwerte an einem kleinen Normkollektiv Gesunder im eigenen Labor zu überprüfen. Bewertet man die gesamte kortiko-muskuläre Latenz, so müssen unbedingt Armlängen-korrigierte Normwerte für die oberen und Körpergrößen-korrigierte für die unteren Extremitäten herangezogen werden. Die Ermittlung einer spinalen motorischen Leitungszeit mittels direkter spinaler Hochvoltstimulation ist eher unangenehm und wurde nur vereinzelt bei Patienten angewandt (Ingram u. Swash 1987). Bei 21 gesunden Menschen wurde zwischen dem spinalen Reizpunkt C 6 und dem Reizpunkt über dem Konus auf Höhe L 1 eine mittlere spinale motorische Leitgeschwindigkeit von 67,4±9,1 m/s gefunden.
8.7.2
Amplituden
In ⊡ Tabelle 8.1 und in den ⊡ Abb. 8.20–8.22 sind die Normwerte der zentralen motorischen Leitungs-
Bei Messung am entspannten Muskel sind die Amplituden relativ klein und zugleich sehr variabel. Will man die Amplituden zur Beurteilung heran-
⊡ Abb. 8.20a, b. Normbereich für die kortiko-muskuläre Latenz (L) in Abhängigkeit der Armlänge (AL), Grenzen der 2,5fachen Standarabweichung (SD) dargestellt. a Ableitung
vom M. abductor digiti minimi: L = AL × 0,339–4,67 ms; SD = 1,19 ms; b Ableitung vom M. biceps brachii: L = AL × 0,116– 3,13 ms; SD = 0,85 ms
574
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
⊡ Abb. 8.21a, b. Normbereich für die kortiko-muskuläre Latenz (L) in Abhängigkeit der Körpergröße (KG), Grenzen der 2,5fachen Standardabweichung (SD) dargestellt. a Ableitung
vom M. tibialis anterior: L = KG × 00,308–23,587 ms; SD = 1,60 ms; b Ableitung vom M. abductor hallucis: L = KG × 0,339–19,234 ms; SD = 1,88 ms
8
⊡ Abb. 8.22. Normbereich für die zentrale motorische Leitungszeit (ZML) in Abhängigkeit der Körpergröße (KG). Oberflächenableitung vom M. tibialis anterior. Die subtrahierte periphere Leitungszeit wurde durch elektrische lumbosakrale Reizung mit der Kathode auf Höhe L 4/L 5 ermittelt. ZML = KG × 0,19–17,783 ms; SD = 1,17 ms
ziehen, empfiehlt es sich deshalb, dieses unter leichter Vorinnervation zu tun. Dabei sind aus den erwähnten Gründen ( s. 8.4.2) nur Ableitungen von den Handmuskeln und vom M. tibialis wirklich geeignet. Es lässt sich aber kein normalverteilter Bereich für die Kontrollpopulation angeben. Einerseits kann theoretisch eine maximale Amplitude der zentral-motorisch evozierten Muskelantworten schwerlich definiert werden ( s. 8.4.3), andererseits wird bei der Untersuchung die kortikale Reizstärke so lange erhöht, bis eine zufriedenstellende Amplitude erzielt wird, so dass diese Größe nicht nur von den Eigenschaften des untersuchten Individuums abhängt, sondern auch stark vom Un-
⊡ Abb. 8.23. Normale Reizantworten, wie sie vom M. abductor digiti minimi (obere zwei) und M. biceps brachii nach magnetischer Reizung des motorischen Kortex (Cx) und elektrischer Reizung der zervikalen Wurzeln (C 7) abgeleitet werden. Es sind jeweils 2 MEP superponiert. Die ZMLZ zum M. abductor digiti minimi beträgt 7,8 ms, jene zum M. biceps brachii 7,0 ms
tersuchenden beeinflusst wird. Als pathologisch kann deshalb nur gelten, wenn eine minimale Amplitude auch bei mehrmals erhöhter Reizstärke nicht erreicht wird. Die MEP-Amplituden müssen immer in Relation zu einer peripher ausgelösten Reizantwort
575 8.7 · Normalbefunde der MEP von den Extremitätenmuskeln
a
b ⊡ Abb. 8.24. Normale Reizantworten vom M. tibialis anterior a rechts, b links nach magnetischer Kortexreizung (Cx), magnetischer (LS mag) bzw. elektrischer lumbaler Wurzelreizung (LS el) und elektrischer Reizung des N. peronaeus am Capitulum fibulae (Cap fib). Bei der Kortexreizung sind jeweils 4 MEP superponiert, um die normale Variabilität zu veranschaulichen. Man beachte die größere Potenzialamplitude nach elektrischer als nach magnetischer Wurzelreizung
8
vom entsprechenden Zielmuskel angegeben und beurteilt werden. Dadurch wird ein Teil interindividueller und von der Ableitung beeinflusster Variabilität ausgeschaltet. Es hat sich bewährt, die kortikal induzierten Amplituden in Prozenten der ganz distal durch Nervenreizung ausgelösten anzugeben. Es spielt dann auch keine große Rolle, ob die Amplitude des negativen Anteils oder »peak-topeak« bis zum positiven Maximum gemessen wird, vorausgesetzt, man misst immer konsequent gleich. Da bei der Kortex- und Wurzelreizung die Gefahr volumengeleiteter Potenzialkontamination benachbarter Muskeln über die indifferente Elektrode besonders groß ist, beschränkt man sich besser auf den negativen Potenzialanteil. Bei Ableitung vom M. abductor digiti minimi und vom M. interosseus dorsalis I wird beim Gesunden eine MEP-Amplitude von ≥17% der am Handgelenk durch N. ulnaris-Reizung ausgelösten Reizantwort immer erreicht (Hess et al. 1987b; Kloten et al. 1992). Dasselbe gilt auch für den M. extensor carpi radialis bezogen auf das Summenpotenzial nach N. radialis-Reizung am Oberarm (mit den obenerwähnten Vorbehalten bezüglich dieses Zielmuskels). Deshalb darf in diesen Fällen die minimal erreichbare Amplitude auf 15% des durch supramaximal am Handgelenk erhaltenen Summenpotenzials angesetzt werden. Für den M. tibialis anterior wurde beim Gesunden eine relative Amplitude von ≥13% (Kloten et al. 1992) bzw. ≥15% (Claus 1990) immer erreicht, bezogen auf das Summenpotenzial nach Reizung des N. peronaeus am Capitulum fibulae. Vom M. tibialis anterior muss deshalb eine Amplitude von <10% als sicher pathologisch gelten. Dabei muss durch sichtbare Dorsalextension der Füße auf eine ausreichende Reizstärke und Vorinnervation geachtet werden. Bei Ableitungen von proximalen Arm- und Beinmuskeln sowie von Fußmuskeln kann nur das völlige Fehlen einer Reizantwort als sicher pathologisch gelten. Die MEP-Amplituden können auch in Relation zur Reizantwort nach elektrischer Wurzelstimulation angegeben werden (Claus 1990). Da in diesem Fall eine supramaximale Reizantwort von der Wurzelstimulation notwendig ist, muss man bei gewissen Patienten die Reizstärke des Hochvoltgeräts sehr hoch steigern. Die Latenz sollte dann aller-
576
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
dings nicht von dieser supramaximalen Reizantwort abgelesen werden, wird bei der sukzessiven Reizsteigerung ein plötzliches deltaförmiges Nachvornspringen des Potenzialanfangs sichtbar. Als unterster Normwert für den M. abductor digiti minimi gilt dann 18% und für den M. tibialis anterior 29% des peripheren Potenzials (Claus 1990). Diese Methode hat den theoretischen Vorteil, den seltenen Fall eines pathologischen Amplitudenverlusts infolge Leitungsblock im peripheren Nerven automatisch zu berücksichtigen. Nachteilig ist jedoch, dass man auf die zervikale oder lumbosakrale elektrische Hochvoltstimulation angewiesen ist und somit nicht auf die Magnetreizung oder F-Wellenmethode für die Ermittlung der PLZ ausweichen kann. Zudem ist es bei sehr kräftig gebauten Menschen gelegentlich nicht möglich, durch Wurzelstimulation eine supramaximale Reizantwort zu erhalten. Als Faustregel kann somit gelten, dass von einem distalen Muskel oder vom Tibialis anterior abgeleitet eine relative Amplitude von <15% pathologisch, alles was über 20% liegt, noch normal ist. Von proximalen Muskeln (z. B. Biceps brachii, Deltoideus) darf nur ein fehlendes Potenzial hinsichtlich der Amplitude als sicher abnorm wertet werden. Diese relative geringe Empfindlichkeit des Amplitudenkriteriums liegt in der großen Streubreite der MEP-Amplituden schon beim Normalen begründet und ist eine Hauptschwäche der MEP. Sie hängt mit der großen Dispersion der über eine lange kortikomuskuläre Strecke deszendierenden Impulse mit dazwischen geschalteten Synapsen zusammen. Wegen den dabei entstehenden Phasenauslöschphänomenen zwischen negativen und positiven Potenzialanteilen, kann das Problem auch durch Messung der Fläche unter der Kurve nicht gelöst werden. Mittels genau quantifizierter Vorinnervation des Zielmuskels konnte nur eine leichte Optimierung erreicht werden (Ravnborg et al. 1991). Das Problem kann aber mit der sog. Trippel-Stimulationstechnik überwunden werden. Dabei wird durch eine doppelte, sequenziell gegenläufige Kollision der Impulse im entsprechenden peripheren Nerven eine Resynchronisierung der Impulse erreicht, wodurch die MEP-Amplitude ziemlich getreulich die Anzahl des im Rückenmark
der entsprechenden kortikospinalen pyramidalen Faserkollektivs abgibt (Bühler et al. 2001; Magistris et al. 1999). Für den M. abductor digiti minimi z. B. werden die drei Reize in kurzer Folge über dem Skalp, über dem N. ulnaris am Handgelenk und über Plexus am Erb-Punkt dergestalt appliziert, dass die antidromen Impulse vom Ulnarisreiz mit den deszendierenden Kortexreiz-induzierten Impulsen kollidieren. Falls nicht alle motorischen Axone im N. ulnaris einen deszendierenden Impuls leiten, wandert der antidrome Impuls ungehindert nach proximal, um von den orthodromen Impulsen der (dritten) Erb-Reizung kollidiert zu werden. Dadurch wird das MEP vom Erb-Punkt aus resynchronisiert, womit die MEP-Amplitude viel weniger zeitliche Dispersion erfährt. Die Methode ist natürlich mit einem größeren Aufwand verbunden.
8.7.3
Weitere Ableitparameter
Die Variabilität der MEP-Latenz kann für den vorinnervierten Handmuskel herangezogen werden, wenn man genügend stark reizt ( s. auch 8.4.1). Bei überschwelligen Kortexreizen und leichter Vorinnervation kann die Variabilität beim Gesunden in den Handmuskeln bis zu 3 ms betragen (Hess, unpublizierte Daten; Britton et al. 1991). Schaut man auf die Latenzänderung zwischen 2 aufeinanderfolgenden Kortexreizen, muss ein Latenzsprung von >1,8 ms bei leicht überschwelligen (1,2fache Reizschwelle bezogen auf inaktiven Zielmuskel) bzw. von >1,1 ms für stark überschwellige Reize (1,5fache Reizschwelle bezogen auf inaktiven Zielmuskel) im leicht vorinnervierten Handmuskel als abnorm bewertet werden (Hess, unpublizierte Daten; Britton et al. 1991). Die MEP-Potenzialdauer zwischen negativem Abgang und definitiver Rückkehr zur Grundlinie muss ebenfalls auf die Potenzialdauer des entsprechenden peripher evozierten Muskelsummenpotenzials bezogen und als relativer Wert bewertet werden. Für den M. interosseus dorsalis I darf die Dauer 250% und für den M. tibialis anterior 180% des distal evozierten Muskelsummenpotenzials (100%) nicht überschreiten (Kloten et al. 1992). Die Ermittlung der Potenzialkonfiguration bzw. der
577 8.8 · Befunde bei Patienten
Grundliniendurchgänge hat sich weniger bewährt (Kukowski et al. 1993). Primär aus wissenschaftlichem Interesse wurden verschiedene Varianten der MEP und die Ermittlung zusätzlicher Parameter nach Kortexreizung bei Gesunden und Patienten mit ZNSErkrankungen untersucht. Dabei wurden erwartungsgemäß unter pathologischen Bedingungen Veränderungen beobachtet, welche sich z. T. sogar als recht sensitiv erwiesen. So wurden z.B. pathologische Befunde bei der Untersuchung der kortikalen Reizschwelle, der postexzitatorischen Innervationslücke (kortikale »silent period«) und bei der nadelmyographischen Ableitung einzelner motorischer Einheiten nach Kortexstimulation (mittels Post-Stimulus-Histogrammen) gefunden. Diese Untersuchungen, welche natürlich einen nicht zu unterschätzenden zusätzlichen Aufwand bedeuten, sind unseres Erachtens noch nicht genügend ausgereift, als dass sie für die Routinediagnostik empfohlen werden können. Sie werden deshalb nicht näher behandelt. Auch auf die Ableitung besonderer Muskeln wie Zwerchfell, Schlundmuskeln, Sphinktermuskeln u.a.m. soll im Folgenden nicht eingegangen werden.
Die zentral-motorische Leitungszeit ist (im Gegensatz zur gesamten kortikomuskulären Latenz) nur wenig von der Körpergröße und vom Geschlecht abhängig, weshalb man diese Parameter unberücksichtigt lassen darf. Da es verschiedene Verfahren der MEP-Messung gibt, muss man streng darauf achten, die richtigen mit gleicher Methode erhobenen Normwerte zu nehmen wie die eigene Messung am Patienten. Wichtig ist, ob eine Messung bei gänzlich entspanntem oder leicht vorinnerviertem Zielmuskel vorgenommen wurde. Auch die Art der Messung der peripheren Leitungszeit ist wesentlich (F-Wellen oder Wurzelreizung). Schließlich muss berücksichtigt werden, auf welche Weise der MEP-Variablität Rechnung getragen wurde: ob z. B. die kürzeste und größte Reizantwort von mehreren Messungen genommen oder eine Mittelwert errechnet wurde.
8
8.8
Befunde bei Patienten
8.8.1
Grundsätzliches zur Interpretation pathologischer MEP
Soweit man aufgrund der inzwischen gesammelten Erfahrungen weiß, sind grobe Veränderungen der MEP nur bei neurologischen Affektionen zu erwarten, welche das pyramidale motorische System betreffen, vorausgesetzt man hat mögliche Einflüsse peripherer Nervenläsionen ausgeschlossen. Für die Differenzierung von Affektionen der pyramidalen Motorik eignet sich die Methode allerdings weniger. Die Vorstellung, dass Erkrankungen mit zentraler Demyelinisierung zu einer Verlängerung der zentralen motorischen Leitungszeit (ZML) und solche mit axonaler Läsion zu einer Amplitudenminderung der MEP führen würden, hat sich als zu einfach erwiesen. Beim Vergleich ganzer Patientenkollektive besteht insofern ein Unterschied, als dass starke Verzögerungen häufiger bei der MS und das völlige Fehlen einer Reizantwort öfter bei der myatrophischen Lateralsklerose (ALS) angetroffen werden. Im Einzelfall hilft dies aber meist nicht weiter, da Verlängerungen der ZML bis zum 3fachen der Norm und Amplitudenminderungen bei beiden Krankheiten häufig sind (Hess et al. 1987b; Mills et al. 1987). Zudem sind auch bei der spondylotisch bedingten zervikalen Myelopathie Verzögerungen gleichen Ausmaßes möglich. Verlängerungen der ZML um das 4- bis 6fache der Norm kommen zwar wahrscheinlich nur bei der MS vor, aber auch eher selten. Eine Verzögerung der Reizantworten kommt somit nicht nur durch eine Verlangsamung der Leitgeschwindigkeit in den kortikospinalen Neuriten zustande. Wie im Abschn. 8.3.3 ausgeführt, kann auch ein verzögertes Ansprechen der spinalen Motoneurone auf die einwirkenden kortikospinalen Impulse eine Verlängerung der Überleitungszeit von mehreren Millisekunden verursachen, weil z.B. die Anzahl der durch den Kortexreiz aktivierten Pyramidenzellen vermindert ist, und daher am Motoneuron eine größere zeitliche Summation notwendig ist, um die Entladungsschwelle zu erreichen (Hess u. Ludin 1988 c). Es ist ferner möglich, dass in dieser
578
8
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Situation nur noch die niederschwelligen kleinen α-Motoneurone zur Entladung gebracht werden können, während die synaptische Erregung für die großen α-Motoneurone mit ihrer höheren Entladungsschwelle nicht mehr ausreicht. Auch das würde zu einer verzögerten Muskelantwort und damit scheinbaren Verlängerung der errechneten ZML führen, da die kleineren α-Motoneurone mit ihren dünneren Neuriten eine langsamere periphere Leitgeschwindigkeit aufweisen, bei der Messung der in Abzug gebrachten peripheren Leitungszeit aber die dickbemarkten Neuriten ausschlaggebend sind. Solche Mechanismen dürften sogar bei der MS für die Verzögerungen mitverantwortlich sein, da partiell demyelinisierte kortikospinale Nervenfasern ihre Fähigkeit, hochfrequente Salven zu übermitteln, wahrscheinlich früh verlieren. Dadurch muss am α-Motoneuron ein quantitatives Defizit an einlaufenden erregenden Impulsen erwartet werden. Schließlich ist auch denkbar, dass langsame und indirekte kortikospinale Verbindungen für kleine, deutlich verspätete Reizantworten verantwortlich sind, wenn das rasche pyramidale System weitgehend ausgefallen ist (Hess et al. 1987b; Hess u. Ludin 1988 c). Aufgrund der bisherigen Erfahrungen stellen die MEP eine recht sensitive Methode dar, um bei Patienten mit MS deutliche Verzögerungen der ZML, auch an Extremitäten ohne Paresen, Spastik oder Reflexsteigerung und selbst bei Patienten mit normaler Magnetresonanztomographie des Gehirns und Zervikalmarks zu finden (Hess et al. 1987b). In vielen Fällen war eine Reflexsteigerung der einzige pathologische klinische Befund. Somit könnten sich die MEP zur Aufdeckung subklinischer Läsionen bzw. zur Bestätigung fraglicher Pyramidenbahnzeichen eignen. Gerade die Wertigkeit einer Reflexsteigerung ist bekanntlich, so lange keine eigentliche Spastizität vorliegt, schwer einzuschätzen und ein einfacher, rasch durchzuführender Test wäre hier von Nutzen. Dieser ist, allerdings nur im Falle eines pathologischen Resultats hilfreich, weil man mit einem normalen Resultat eine subklinische Schädigung nicht ausschließen kann.
8.8.2
Multiple Sklerose
Der typische Befund bei der MS ist der einer leicht bis mäßig verlängerten ZML (Hess et al. 1986a). In etwa der Hälfte der Fälle (⊡ Abb. 8.25) kommt eine zusätzlich verminderte Amplitude hinzu, wobei das Summenpotenzial häufig auch verbreitert und dessen Variabilität vergrößert ist (Kukowski 1993). Eine Amplitudenminderung ohne Verzögerung ist dagegen selten; ein fehlendes Potenzial ist bei den Handmuskeln die große Ausnahme und fand sich in der Serie von Hess et al. (1987b) nur auf einer (0,6%) von 161 untersuchten Seiten. Vereinzelt wurden extreme Verzögerungen mit einer ZML zum M. abductor digiti minimi von 25–40 ms gefunden, was dem 5- bis 6fachen der Norm entspricht und bis jetzt bei keiner anderen neurologischen Krankheit beobachtet wurde. Die Sensitivität der MEP bei MS ist, besonders bei Ableitung von mehreren Zielmuskeln, den affe-
⊡ Abb. 8.25. Reizantworten einer Patientin mit MS. Gleiche Darstellung wie in ⊡ Abb. 8.20 aber je 3 MEP superponiert. Die ZML zum M. abductor digiti minimi ist mit 12,4 ms deutlich, jene zum M. biceps brachii mit 9,8 ms leicht pathologisch verlängert. Man beachte auch die im Vergleich zum Gesunden größere Variabilität der zentral evozierten Reizantworten
579 8.8 · Befunde bei Patienten
rent evozierten Hirnpotenzialen (SEP, AEHP) überlegen (Hess et al. 1987b; Mayr et al. 1991; Ravnborg et al. 1992). Bei einer Untersuchung von 100 unselektionierten MS-Fällen aller diagnostischen Gewissheitsstufen (Verdacht, möglich, wahrscheinlich, sicher) hat sich insbesondere die Ableitung vom M. tibialis anterior als sensitiv erwiesen (⊡ Abb. 8.26), was sich durch Kombination mit der Ableitung vom M. abductor digiti minimi noch verbessert (Hess u. Mathis 1993). Beim Vergleich mit den SEP ergaben bei der MS die Medianus-SEP und gleichzeitig zu den am M. abductor digiti minimi abgeleiteten MEP nur bei einem einzigen von 61 Patienten abnorme SEP bei normalen MEP, umgekehrt aber bei 8 Patienten abnorme MEP mit normalen SEP. Auffallend war die hohe Konkordanz pathologischer Befunde beider Untersuchungen (Hess et al. 1987b). Dies wurde auf die nahe topographische Beziehung zwischen Pyramidenbahn und Lemniscus medialis in der Medulla oblongata, wo beide kreuzen, zurückgeführt, da sich bei der MS eine bevorzugte Lokalisation der Plaques im Hirnstamm findet. Im Vergleich der klinischen Befunde zu den Resultaten der MEP ergab sich eine deutliche positive Korrelation zwischen Pyramidenzeichen bzw. Hyperreflexie und motorischer Behinderung einerseits und pathologischen MEP-Befunden andererseits (Hess et al. 1987b; Ingram et al. 1988; Jones et al. 1991; Kandler et al. 1991). Eine besonders gute Korrelation mit den MEP an den Händen zeigte der gesteigerte Fingerbeuger-Reflex (Trömner) und an den Beinen der Babinski-Reflex. In beiden Fällen handelt es sich um sehr feine klinische Tests, die derart empfindlich sind, dass sie gelegentlich auch beim Gesunden zu falsch-positiven Beurteilungen führen. Gerade in diesen Fällen ist die Untersuchung der MEP hilfreich, weil sie ein eindeutiges Resultat liefert. Andererseits beschränkt sich bei klinisch eindeutiger Spastizität der Nutzen der Untersuchung der MEP auf die Objektivierung und Dokumentation des neurologischen Defizits. Auch zwischen MEP- und MRI-Befunden konnte eine enge Korrelation gefunden werden (Ravnborg et al. 1992). Die MEP eignen sich somit auch für das Monitoring im Längsverlauf z. B. zur Dokumentation von Therapieeffekten (Kandler et al. 1991).
8
⊡ Abb. 8.26. Diagnostische Sensitivität verschiedener Zielmuskeln im Vergleich, am Beispiel der MS und der kompressiven Myelopathie im Zervikalbereich. Die Häufigkeit pathologischer Befunde (Latenz, Amplitude oder beides) bei 100 unselektionierten MS-Patienten verschiedener diagnostischer Gewissheitsstufen und bei 81 bildgebend nachgewiesenen (MRI, Myelogramm) spondylotischer Myelopathien ist für den M. tibialis anterior (TA), M. abductor digiti minimi (ADM) und den M. biceps brachii (BB) dargestellt. Die Ableitung vom M. tibialis anterior liefert die höchste Ausbeute pathologischer Befunde. (Nach Hess u. Mathis 1993)
Die relativ hohe Sensitivität der MEP macht diese zu einem geeigneten Instrument für longitudinale Verlaufsbeobachtungen bei MS. So konnte bei einer Verlaufsstudie an 30 MS-Patienten über 2 Jahre eine enge Korrelation zwischen pathologischen MEP und VEP einerseits und dem mittels »Expanded Disability Status Scale« (EDSS) gemessenen klinischen Zustand andererseits gefunden werden (Fuhr et al. 2001). Mittels Trippel-Stimulationstechnik konnte gezeigt werden, dass bei der schubartigen MS die Leitungsblöcke mit Amplitudenreduktion der MEP im Vordergrund stehen, während bei der chronisch-progressiven MS die Leitungsverzögerungen dominieren (Humm et al. 2003). Die Tatsache, dass die MEP relativ häufig klinische Befunde und positive MRI-Befunde bestätigen, schränkt ihren Wert bei der Diagnostik in der MS wieder etwas ein. Bei eindeutigen zentralen motorischen Behinderungen und Spastizität können die MEP meist keinen wesentlichen diagnosti-
580
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
schen Beitrag mehr leisten. Diesbezüglich besteht eine Analogie zu den SEP und den häufigen sensiblen Störungen bei der MS. Um eine höhere diagnostische Sicherheit bei Verdacht auf MS zu erreichen, erhält man deshalb im Vergleich zu den MEP nicht nur vom MRI und von der Liquoruntersuchung, sondern auch von den VEP häufiger zusätzliche relevante diagnostische Information in Form des Nachweises einer klinisch stummen Läsion (Beer et al. 1995; Kandler et al. 1991b).
8.8.3
8
Myatrophische Lateralsklerose und primäre Lateralsklerose
In zahlreichen Studien wurden bei der myatrophischen Lateralsklerose (ALS) pathologische MEP abgeleitet, wobei neben amplitudengeminderten bzw. fehlenden auch eindeutig verzögerte Reizantworten bei ca. der Hälfte der Patienten gefunden wurden (Berardelli et al. 1991; Di Lazzaro et al. 1999; Eisen et al. 1990; Pohl et al. 2001; Schriefer et al. 1989; Uozumi et al. 1991). Eine besonders stark verlängerte ZML wurde bei der langsam progredienten familiären ALS mit autosomal-rezessiv vererbter D90A-CuZn-Superoxid-Dismutase-Mutation gefunden (Weber et al. 2001). Häufiger als bei der MS fanden sich nebst leicht bis mäßig verlängerter Latenzen pathologisch verkleinerte Amplituden, und oft konnte gar kein Potenzial gewonnen werden, was bei der MS eine Seltenheit darstellt. Je nach Stadium der Krankheit und Anzahl der in die Messung einbezogenen Zielmuskeln reicht die Ausbeute pathologischer MEP-Befunde von 25% bis beinahe 100%. Dabei werden in ca. einem Viertel der Patienten subklinisch abnorme MEP abgeleitet (Di Lazzaro et al. 1999). In Fällen, bei denen am Anfang lediglich die Symptome des untergegangenen zweiten (spinalen oder bulbären) Motoneurons manifest sind und noch keine Spastik oder Pyramidenbahnzeichen nachweisbar sind, liefert die Methode deshalb häufig einen diagnostisch wertvollen Beitrag, indem sie das subklinische Befallen-Sein der pyramidalen Neurone beweist. Pathologische MEP erlauben dann die ALS von jenen neurologischen Affektionen abzugrenzen, die im Frühstadium differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden müssen:
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
multifokale motorische Neuropathie, monomelische Amyotrophie, Postpolio-Syndrom, Einschlusskörperchenmyositis und bulbospinale Muskalatrophie (Kennedy-Syndrom).
Allerdings sind die MEP gerade in den frühen Stadien der Krankheit häufig auch normal, und prognostische Aussagen lassen sich aus den MEP-Befunden nicht ableiten (Claus et al. 1995). Miscio et al. (1999) leiteten vom ADM und M. flexor hallucis ab und fanden pathologische MEP in 95% der definitiven ALS-Fälle, in 72% der Fälle vermuteter ALSPatienten mit nur wahrscheinlicher pyramidalen Beteiligung (wovon die meisten später eine ALS entwickelten) und in 50% der Fälle reiner spinaler Motoneuron-Syndome. Im Frühstadium der Gruppe der möglichen und vermuteten ALS-Patienten gemäß der 1994-El-Escorial-Kriterien fanden Pohl et al. pathologische ZML in je 25% der Ableitungen zum ADM und TA einer Seite (Pohl et al. 2001). Verschiedene Autoren fanden die MEP zu kranialen Muskeln besonders hilfreich. Trompetto et al. fanden verzögerte oder fehlende MEP zum Masseter in 63% der ALS-Patienten, selbst bei solchen ohne bulbäre Symptome (Trompetto et al. 1998). Urban et al. leiteten neben ADM und TA auch MEP zur Zunge und zu den orofazialen Muskeln ab und fanden dadurch bei 82% ihrer ALS-Patienten einen pathologischen MEP-Befund (Urban et al. 2001). Truffert et al. fanden eine hohe Ausbeute abnormer MEP-Befunde bei Ableitung vom M. trapezius (Truffert et al. 2000). Bei der primären Lateralsklerose (ohne Untergang der bulbären oder spinalen Motoneurone) fanden sich auch pathologische MEP-Befunde in Form von z. T. beträchtlichen Latenzverlängerungen oder fehlenden Reizantworten (Brown et al. 1992; Kuipers-Upmeijer et al. 2001; Pringle et al. 1992).
8.8.4
Spastische Spinalparalysen und spinale Muskelatrophie
Bei der familiären spastischen Spinalparalyse ließen sich typischerweise pathologische MEP-Befunde in Form von verkleinerten, fehlenden oder
581 8.8 · Befunde bei Patienten
8
verzögerten Reizantworten von den spastischen Beinen ableiten, während an den oberen Extremitäten viel häufiger normale oder nur diskret abnorme Befunde registriert wurden (Claus et al. 1988a; Claus et al. 1990b; Schnider et al. 1991; Schady et al. 1991; Pelosi et al. 1991). Da sich die pathologischen Befunde auf spastische Extremitäten oder solche mit Hyperreflexie beschränkten, erweist sich die Methode zur Frühdiagnose dieser Krankheit als nicht hilfreich. Auch die Untersuchung von gesunden aber potentiell befallenen jungen Mitgliedern einer betroffenen Familie lieferte fast ausschließlich normale MEP-Befunde (Schnider et al. 1991). Bei den reinen hereditären spinalen Muskelatrophien (ohne Hinweise auf pyramidale Beteiligung) wurden im allgemeinen normale MEP-Befunde festgestellt (Claus et al. 1990b; Ugawa et al. 1988). Bei der sporadischen proximalen spinalen Muskelatrophie mit möglichem Übergang in die myatrophische Lateralsklerose (ALS) fanden Claus und Mitarbeiter (Claus u. Flügel 1990) dagegen häufig pathologische ZML.
8.8.5
Myelopathien
In der Diagnostik der Myelopathien haben sich die MEP generell als sensitiv aber relativ unspezifisch erwiesen (Meyer u. Zentner 1992b). Kompressive Rückenmarkläsionen führen tendentiell (und im Gruppenvergleich signifikant) eher zu einer Amplitudenreduktion, entzündliche Läsionen dagegen eher zu einer Latenzzunahme, ohne sich jedoch im Einzelfall darauf verlassen zu können (Linden u. Berlit 1994). Bei der kompressiven zervikalen Myelopathie infolge Spondylose oder Diskushernie (⊡ Abb. 8.27) fand sich eine ausgesprochen hohe Quote pathologischer MEP-Befunde in Form von Amplitudenminderungen und z. T. auch beträchtliche Verzögerungen der Reizantworten (Brunhölzl u. Claus 1994; De Mattei et al. 1993; Dvorak et al. 1990; Maertens de Noordhout et al. 1991; Masur et al. 1989; Mills et al. 1987; Tavy et al. 1994; Travlos et al. 1992). Pathologische Befunde korrelierten sowohl mit klinischer Symptomatik der pyramidalen Störung, dem Ausmaß der Kompression bzw. der maximalen knöchernen Enge des Spinalkanals, als auch mit dem Vorhandensein myelopathischer
⊡ Abb. 8.27. Reizantworten einer Patientin mit hochzervikaler kompressiver Myelopathie bei primär chronischer Polyarthritis mit atlanto-axialer Subluxation und entzündlicher Pannusbildung. Ableitung vom M. abductor digiti minimi (ADM) und M. biceps brachii (BB) nach magnetischer Reizung des motorischen Kortex (Cx) und elektrischer Reizung der zervikalen Wurzeln (C 7). Es sind jeweils 2 MEP superponiert. Die MEP zeigen durchweg verkleinerte Amplituden und deutlich pathologisch verlängerte Latenzen bzw. ZMLZ. Man beachte auch die große Variabilität der zentral evozierten Reizantworten
Veränderungen im MRI (Brunhölzl u. Claus 1994; De Mattei et al. 1993; Maertens de Noordhout et al. 1991). Es wurden ebenso pathologische MEP-Befunde bei fehlenden klinischen Zeichen als Hinweis auf eine subklinische Läsion, und auch solche ohne sichere bildgebende Hinweise einer Myelopathie gefunden. Die Ableitungen von den Beinmuskeln (v.a. M. tibialis anterior) ergaben die Mehrzahl pathologischer Befunde mit einer Sensitivität, welche z.T. über 90% lag und damit diejenige der MS deutlich übertraf (Hess u. Mathis 1993; De Mattei et al. 1993). Ableitungen der oberen Extremitäten erwei-
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
sen sich erwartungsgemäß mit zunehmend höherer segmentaler Innervation als weniger sensitiv, ist die verursachende Rückenmarkschädigung im unteren Zervikalmark lokalisiert. So waren Reizantworten vom M. biceps brachii seltener pathologisch als diejenigen von einem Handmuskel; außerdem fand sich eine Korrelation mit dem Kompressionsniveau (Brunhölzl u. Claus 1994; Hess u. Mathis 1993; Tavy et al. 1994). Allerdings muss der lokalisierende Wert der Untersuchung bei Ableitung von mehreren Zielmuskeln im Sinne einer sog. »Etagendiagnostik« insofern relativiert werden, als dass man sich im Einzelfall nicht darauf verlassen kann. Bei einer Untersuchung von 81 Patienten mit kompressiver Myelopathie stimmte in bis zu 25% der Fälle das »MEP-Ausfallmuster« nicht mit der bildgebend bestimmten Kompressionshöhe überein (⊡ Abb. 8.28) (Hess et al. 1993). Bei intramedullären Läsionen wie z. B. der Syringomyelie ließen sich ebenfalls pathologische ZML nachweisen, z. T. auch ohne entsprechende klinische Korrelation (Masur et al. 1992; Nogues et al. 1992). Die Sensitivität der MEP scheint jedoch bei intramedullären Raumforderungen geringer zu sein als bei extramedullärer Kompression (Brunhölzl u. Claus 1994). Auch bei der posttraumatischen Synringomyelie bzw. Hydromyelie erwiesen sich die MEP als diagnostisch wertvoll (Little et al. 1992; Robinson u. Little 1990).
Bei ischämischen Myelopathien (Berlit et al. 1992) sind ebenfalls pathologische MEP häufig. Bei der postaktinischen Myelopathie wurden mit der elektrischen Kortexstimulation pathologische Befunde erhoben. Bei der HTLV-1-assoziierten Myelopathie (HAM), der sog. tropischen spastischen Spinalparalyse, wurden verschiedentlich verlängerte ZML zu den unteren Extremitäten gefunden (Ugawa et al. 1988a; Hugon et al. 1989; Tomita et al. 1989). Interessanterweise konnten mittels MEP bei etwa 30% der Patienten mit langjährigem Diabetes mellitus im Sinne der immer wieder postulierten diabetischen Myelopathie Hinweise auf eine subklinische zentrale Beteiligung gefunden werden (Abbruzzese et al. 1993). Im akuten Stadium traumatischer Rückenmarkverletzungen spiegeln die MEP im wesentlichen die klinischen Befunde wider. So fehlten die Reizantworten in plegischen Extremitäten, auch wenn sich später eine Erholung einstellte. Eine prognostische Aussage scheint nicht möglich (Macdonell u. Donnan 1995). In einigen Fällen war es unter Einsatz reflektorischer Fazilitierung (z. B. plantare Reizung für Ableitung vom M. tibialis anterior) durchführbar, auch von vollständig plegischen Muskeln kleine Reizantworten abzuleiten (Hayes et al. 1991).
⊡ Abb. 8.28. Die begrenzte lokalisatorische Spezifität der MEP veranschaulicht anhand der MEP-Ausfallsmuster zum M. abductor digiti minimi (ADM) und M. biceps brachii (BB) bei der unteren (C 5–C 8) und oberen (>C 5) kompressiven zervikalen Myelopathie. Die Häufigkeit pathologischer Befunde (Latenz, Amplitude oder beides) bei 81 Patienten mit bildgebend (MRI, Myelogramm) nachgewiesener spondylotischer
Myelopathie dargestellt. Bei der unteren Myelopathie ist zwar das typische Muster mit pathologischen MEP zum ADM und normalen MEP zum BB am häufigsten. Man findet dieses Muster aber auch bei der hohen Myelopathie. Umgekehrt sind die MEP zum BB auch bei der unteren Myelopathie relativ häufig pathologisch (oberste Balken). (Nach Hess u. Mathis 1993)
583 8.8 · Befunde bei Patienten
8.8.6
Heredoataxien, hereditäre Neuropathien und verwandte degenerative Krankheiten
Zwei größere Studien haben die zentrale motorische Erregungsübermittlung bei den spinozerebellären Degenerationen bzw. Heredoataxien
zum Thema (Claus et al. 1988a; Cruz Martinez u. Anciones 1992). Bei magnetischer Kortexstimulation und Ableitung vom M. abductor digiti minimi bzw. vom Thenar und M. soleus beidseitig zeigte sich, dass bei der Friedreich-Ataxie die MEP in der Regel pathologisch sind, während dies bei den anderen Formen nur hin und wieder der Fall ist. Dabei fanden sich leichte bis mäßige Verzögerungen (ZML bis 20 ms) und häufig auch abnorm kleine Amplituden. Eine Messung bei der Friedreich-Ataxie ergab eine stark ausgeprägte Verzögerung zum Handmuskel (ZML um 27 ms). Im fortgeschrittenen Stadium sind oft keine Reizantworten mehr auslösbar (Peretti et al. 1990). Die sich früh manifestierenden Heredoataxien mit erhaltenen Reflexen (early onset cerebellar ataxie, EOCA) zeigten in
etwa 70% der Fälle pathologische MEP. Die geringste Anzahl pathologischer Resultate fand sich in ca. 40% der Fälle bei der heterogenen Gruppe mit der sich spät manifestierenden hereditären (late onset cerebellar ataxia) oder sporadischen zerebellären Ataxien. Darunter sind die autosomal-dominanten zerebellären Ataxien (ADCA Typ 1 und 2), die hereditären und die sporadischen olivo-ponto-zerebellären Atrophien (OPCA) vertreten (Claus et al. 1988a; Cruz Martinez u. Anciones 1992; Santoro et al. 1992; Tabaraud et al. 1989). Die pathologischen Resultate waren hier weder mit dem Schweregrad der Behinderung noch mit anderen erkennbaren klinischen Merkmalen in Verbindung zu bringen. Untersuchungen bei hereditären Neuropathien zeigten mit Ableitung von den Handmuskeln und magnetischer Kortexstimulation für die Charcot-Marie-Tooth-Fälle mit und ohne Verlangsamung der peripheren Nervenleitung (hereditäre motorische und sensible Neuropathie Typ I und Typ II nach Dyck) eine normale ZML, berücksichtigt man beim Typ I die deutlich verlangsamte periphere Nervenleitung im miterfassten intraspinalen Wurzelsegment ( s. 8.6.2.2) (Claus et al. 1990b;
8
Hess et al. 1987 c). In atypischen Fällen mit Pyramidenzeichen und erhaltenen Reflexen an den Beinen konnte allerdings eine diskrete Verzögerung nachgewiesen werden. Auch bei der peronealen spinalen Muskelatrophie (distale Form der hereditären motorischen Neuropathie) mit Pyramidenzeichen waren die MEP z. T. pathologisch (Claus et al. 1990b).
8.8.7
Extrapyramidale Erkrankungen
Untersuchungen mittels elektrischer Kortexstimulation hatten beim Morbus Parkinson normale ZML ergeben (Caramia et al. 1988; Dick et al. 1984), was die magnetische Kortexstimulation bestätigte (Kandler et al. 1990; Eisen et al. 1990; Cantello et al. 1991; Ikoma et al. 1994). Die dabei beobachteten Abnormitäten können als Ausdruck des Rigors bzw. einer erhöhten Erregbarkeit im motorischen System mit mangelnder Fähigkeit zur Muskelentspannung erklärt werden. So wurde eine Tendenz zu überhöhter MEP-Amplitude (Kandler et al. 1990; Eisen et al. 1990; Maertens de Noordhout et al. 1992) und verkürzter postexzitatorischer Innervationslücke (silent period) festgestellt (Cantello et al. 1991; Priori et al. 1994). Auch die zum Teil leicht verkürzte ZML (Kandler et al. 1990; Ikoma et al. 1994) muss in diesem Rahmen erklärt werden. Die leicht abnormen Befunde ließen sich durch L-Dopa-Medikation wieder normalisieren (Priori et al. 1994). Im Gegensatz zum idiopathischen M. Parkinson wurden bei der Multi-System-Atrophie bzw. bei der sporadischen Olivopontozerebellären Atrophie zum TA meist pathologische MEP-Befunde erhoben, während diese zu den oberen Extremitäten normal waren (Abbruzzese et al. 1997). Bei der progressiven supranukleären Paralyse (Steele-Richardson-Olzewski) konnten Abbruzzese et al. (1991b) mit der elektrischen Kortexstimulation und Ableitung von 3 Zielmuskeln der oberen und unteren Extremität bei 5 von 12 Patienten pathologische MEP-Befunde erheben. Dies korreliert mit der klinischen Erfahrung von gelegentlichen Pyramidenbahnzeichen bei dieser Krankheit. Für andere degenerative »extrapyramidale« bzw. akinetisch-rigide oder bradykinetische Syndrome fehlen systematische Untersuchungen.
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Bei der Huntington-Chorea wurden mittels elektrischer (Caramia et al. 1988) und magnetischer Kortexstimulation im Wesentlichen normale MEPBefunde, insbesondere eine normale ZML erhoben (Eisen et al. 1989; Hömberg u. Lange 1990). Meyer et al. (1992a) fanden allerdings bei einer subtilen Analyse von 34 manifest Erkrankten diskrete Abnormitäten der MEP, wobei v.a. die Variabilität der MEP und z. T. die kortikale Reizschwelle erhöht war. Bei 13 Patienten waren MEP-Amplituden reduziert, bei zweien konnten vom M. tibialis anterior keine Potenziale abgeleitet werden. Die meisten dieser Patienten standen unter ZNS-beeinflussenden Medikamenten. Bei 2 Patienten fand sich eine diskret verlängerte ZML, welche von den Autoren in Zusammenhang mit der erhöhten Variabilität gebracht wurde. Auch bei einigen gesunden Verwandten wurden diskrete Abnormitäten gefunden. Mehrere MEP-Untersuchungen beim Morbus Wilson (hepatolentikuläre Degeneration) ergaben eindeutig pathologische Befunde in etwa der Hälfte der Fälle (Chu 1990; Berardelli et al. 1990; Meyer et al. 1991a; Hefter et al. 1994). Verlängerte ZML, reduzierte Amplituden und vereinzelt fehlende Reizantworten wurden beobachtet. Hefter et al. (1994) fanden in ihrer relativ großen Serie von 45 Patienten häufiger pathologisch verlängerte ZML zum Handmuskel (45%) als zum M. tibialis anterior (12%). Es ergab sich keine sichere Korrelation zwischen MEP-Befunden und Kupfermetabolismus, obwohl in Einzelfällen eine Normalisierung der MEP nach erfolgreicher Penicillaminbehandlung berichtet wurde (Meyer et al. 1991a).
8.8.8
Enzephalomyelopathien und chronische Enzephalitiden
Vereinzelt wurden pathologische MEP bei mitochondrialen Zytopathien berichtet: Bei der chronischen progressiven externen Ophthalmoplegie (CPEO) sind entsprechend der Klinik pathologische MEP-Befunde mit 14% eher die Ausnahme, wobei vereinzelt (in 2 von 28 Fällen) auch subklinische abnorme MEP-Befunde erhoben werden konnten (Schubert et al. 1994). Bei 4 Patienten mit Kearns-
Sayre-Syndrom ohne klinische Hinweise auf eine
Mitbeteiligung des kortikalen Motoneurons wurden pathologische MEP gefunden (Di Lazarro et al. 1990). Pathologische Befunde wurden bei Patienten und obligaten Konduktorinnen mit Adrenoleukodystrophie bzw. Adrenomyeloleukodystrophie (Masur et al. 1990; Kukowski 1991) und bei der zerebrotendinösen Xanthomatose berichtet (Ugawa et al. 1988a; Mondelli et al. 1992). Ein Patient mit metachromatischer Leukodystrophie zeigte pathologische MEP (Fressinaud et al. 1992). Ein Zwillingspaar mit Cocayne-Syndrom (autosomal-rezessiv, Entwicklungsrückstand, Taubheit, Retinopathia pigmentosa) hatten pathologische MEP (Cruz Martinez u. Anciones 1991). Pathologische MEP wurden auch bei HIV-infizierten Patienten in verschiedenen Stadien der AIDS-Krankheit und auch bei einem hohen Anteil (bis zu 50%) von asymptomatischen Virusträgern (Somma-Mauvais u. Farnarier 1992) gefunden, wobei in letzteren Fällen der pathologische MEPBefund möglicherweise eine ungünstige Prognose ankündigt (Moglia et al. 1991; Zandrini et al. 1990).
8.8.9
Zerebrovaskuläre und residuelle Hirnschäden
Beim akuten zerebrovaskulären Insult werden häufig pathologische MEP-Befunde erhoben, falls die Motorik betroffen ist (Segura et al. 1990). Allerdings ist die Sensitivität der MEP beim Hirnschlag nicht sehr hoch: So wurden bei einem Drittel der A.-cerebri-media-Infarkte normale Befunde erhoben (Di Lazzaro et al. 1999) und subklinische MEP-Abnormitäten werden nicht beobachtet. Die meisten Autoren fanden bei frischen zerebrovaskulären Insulten die früh erhobenen MEPBefunde von prognostischem Wert, indem sich durch fehlende Reizantworten zuverlässiger ein persistierendes residuelles motorisches Defizit voraussagen ließ als durch die klinische Untersuchung allein (Catano et al. 1995; Cruz Martinez et al. 1999; Heald et al. 1993; Rapisarda et al. 1996; Schwarz et al. 2000; Turton et al. 1996). Pathophysiologisch
585 8.8 · Befunde bei Patienten
interessant ist die Beobachtung, dass manchmal mit Leichtigkeit ipsilaterale MEP von der nicht betroffenen Hemisphäre aus evoziert werden können, und dass dieses Phänomen bei Hirnschlägen eher als ungünstiges prognostisches Zeichen zu werten ist (Turton et al. 1996). Bei ischämisch bzw. hypoxisch bedingtem Locked-in-Syndrom infolge ausgedehnter pontiner Hirnstammläsion sind die MEP erwartungsgemäß pathologisch oder fehlen. Interessanterweise konnten Bassetti et al. (1994) bei 2 von 6 Patienten, mit Locked-in-Syndrom, welche sich aber anschließend motorisch erholten, Reizantworten von beinahe plegischen Extremitäten ableiten, so dass hier den MEP möglicherweise eine prognostische Bedeutung zukommt. Bei Patienten mit Zerebralparalyse, Hemisphärektomie in der Jugend und solchen mit angeborenen Spiegelbewegungen (mirror movements) konnten durch Kortexstimulation auf der betroffenen Seite häufig ipsilaterale Reizantworten kurzer Latenz evoziert werden (Benecke et al. 1991; Britton et al. 1991a; Capaday et al. 1991; Carr et al. 1993; Cohen et al. 1991). Patienten mit Zerebralparalyse zeigten bei relativ guter Handfunktion der betroffenen Seite entweder kontralaterale oder – bei Vorhandensein von Spiegelbewegungen – ipsilaterale Reizantworten in den Handmuskeln. Bei schlechter Handfunktion hingegen waren durch Kortexreizung von keiner Hemisphäre aus Reizantworten evozierbar (Carr et al. 1993).
8.8.10
MEP bei psychogener Lähmung
Der diagnostische Beitrag der MEP beim Vorliegen vermuteter psychogener motorischer Paresen erweist sich in mehrfacher Hinsicht als wertvoll. Ist eine leichte organisch bedingte motorische Störung wegen ausgeprägter, eindeutig psychogener Überlagerung nicht offensichtlich, können die MEP den unerwarteten organischen Kern demaskieren, was natürlich für die weitere Abklärung und Betreuung wichtig ist. Diese Situation wird nicht nur bei Patienten mit problemhaftem psychosozialem Beziehungsumfeld beobachtet, sondern ist auch bei ethnisch bzw. kulturell bedingten Kommunikati-
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onsproblemen nicht selten. Solche Patienten haben z. B. Mühe, die veränderte Befindlichkeit einer leichten Spastik zu verbalisieren oder befürchten, ihre Beschwerden ohne Übertreibung nicht glaubhaft machen zu können. Natürlich schließen umgekehrt normale MEP eine organische Störung niemals aus. So kann trotz normalen MEP eine mäßige oder sogar relativ schwere motorische Parese durchaus organisch bedingt sein (Netz u. Hömberg 1992). Man muss immer bedenken, dass mit den MEP lediglich die gekreuzten, rasch leitenden kortikospinalen Bahnen erfasst und eine Läsion, welche auf das quantitativ bedeutendere, langsam leitende System begrenzt ist, nicht entdeckt wird. Hingegen kann die Ableitung normaler MEP bei vollständiger Plegie der entsprechenden Extremität den Nachweis der psychogenen Natur, zumindest als gewichtige Teilursache der Lähmung, erbringen (Meyer et al. 1992 c; Müllges et al. 1991), denn in jeder Hinsicht normale MEP sind nach heutiger Kenntnis mit einer länger dauernden organischen Plegie kaum zu vereinbaren. Aber auch hier sollte folglich die Möglichkeit einer organischen Mitbeteiligung theoretisch immer offenbleiben. Die Beurteilung der Amplituden wird in einer solchen Situation manchmal dadurch erschwert, dass der Patient den Zielmuskel überhaupt nicht innerviert. Zuverlässige Amplitudennormwerte für die Ableitung in entspanntem Zustand der Zielmuskeln bestehen nicht, folglich muss man eine sehr kleine Amplitude tolerieren. Erfahrungsgemäß gelingt es aber fast immer, eine unwillkürliche Kontraktion des Muskels zu erreichen, indem man die Extremität manipuliert bzw. Fluchtreflexe (Babinski-Reflex) auslöst. Die Kortexstimulation ist bei psychogenen Lähmungen oftmals auch noch in anderer Hinsicht nützlich. Sie kann mit psychologischem Geschick gelegentlich erfolgreich in die Therapie eingebaut werden. Dabei sollte man jeden Anschein des »triumphierenden Überlistens« vermeiden; vielmehr soll der Patient die Erleichterung über das offensichtlich gute Funktionieren der Motorik spüren und als Bestandteil der suggestiven Zuversicht und Glauben an die baldige Besserung nutzen.
586
Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Für diagnostische Zwecke soll man die MEP beiderseitig mindestens zu einem Zielmuskel der oberen wie auch der unteren Extremität ableiten. Bei der Interpretation der MEP-Befunde neurologischer Patienten muss bedacht werden, dass die Methode auf dem relativ kleinen Kollektiv der rasch leitenden kortikospinalen (-bulbären) Fasern basiert. Ferner muss man berücksichtigen, dass die MEP keine für eine Krankheit spezifische Befunde liefern. Aus methodischen Gründen können auch axonale Läsionen im pyramidal-motorischen System nebst Amplitudenreduktion zu Latenzverlängerungen führen, während umgekehrt demyelinisierende Läsionen, wahrscheinlich vorwiegend auf dem Wege der Leitungsblöcke nebst Verzögerungen auch zur Amplitudenminderungen führen. Immerhin ist das gänzliche Fehlen einer Reizantwort von einem distalen Zielmuskel (Handmuskeln, Tibialis anterior) bei demyelinisierenden Krankheiten (MS) sehr selten, dafür typisch für axonal-degenerative Krankheit wie die ALS (allerdings auch hier lange nicht immer anzutreffen!). Die MEP haben sich als besonders sensitive Methode bei der kompressiven Myelopathie, der MS, der Friedreich-Ataxie und der familiären spastischen Spinalparalyse erwiesen. Bei extrapyramidal-motorischen Krankheiten ohne pyramidale Beteiligung sind Amplitude und Latenz der MEP erwartungsgemäß normal.
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8.9
Sicherheitsfragen und Kontraindikationen
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und aus theoretischen Überlegungen (Agnew u. McCreery 1987; Barker et al. 1987; Cadwell 1990; Barker 1991; Chokroverty et al. 1995) sind von magnetischen Einzelreizen am Gehirn mit den heute gebräuchlichen Reizgeräten, bei maßvoller Anwendung und Einhaltung notwendiger Vorsichtsmaßnahmen keine ernsthaften unerwünschten Nebenwirkungen zu erwarten. Die maximale induzierte Stromdichte im Gehirn wurde auf <5 mA/cm2 (Barker et al. 1987), die
wirksame Energie auf etwa 160 µJ geschätzt (Barker 1991). Die errechnete maximale Ladungsdichte im Gehirn/Einzelreiz ist mit 0,5 µC/cm2 60mal niedriger als der bei Tierversuchen festgestellte kritische Wert für Gewebeschäden; die totale, pro Einzelreiz in den Kopf gebrachte, elektrische Ladung ist mit 11 µC 10-mal kleiner als bei der elektrischen Kortexreizung nach Merton u. Morton (1980) und gar 105–106-mal kleiner als bei einer einzelnen Elektroschockbehandlung (Barker et al. 1987). Wenn man alle 3 Sekunden kontinuierlich starke Einzelreize am Scalp appliziert, wird eine errechnete, auf das Hirngewebe übertragene Leistung von 53 µJ/s erreicht, welche immer noch 10–5 -mal kleiner ist als die des basalen Hirnmetabolismus (Cadwell 1990). Die maximal erreichbare Gewebeerwärmung wurde auf 2×10–6 °C veranschlagt (Barker 1991). Diese theoretischen Überlegungen gelten allerdings weder für die Salvenreizung noch für exzessiv hohe Reizstärken, wie sie bei nicht kommerziellen Prototypen von Magnetstimulatoren möglich sind. Zahlreiche Studien untersuchten bei Menschen unterschiedliche physiologische und neuropsychologische Parameter während und nach der Stimulation. Erwartungsgemäß konnte eine kurze vorübergehende Beeinträchtigung gewisser neuropsychologischer Leistungsmerkmale während oder unmittelbar nach der Reizung festgestellt werden (Chokroverty et al. 1995), welche aber wahrscheinlich einem unspezifischen Effekt entsprechen (Ferbert et al. 1991). Längerdauernde oder gar bleibende neuropsychologische Veränderungen konnten nicht festgestellt werden (Bridgers 1991; Ferbert et al. 1991; Chokroverty et al. 1995). Das Elektroenzephalogramm, die Hormonausschüttung und die regionale Hirndurchblutung [mittels Single photon emission computed tomography (SPECT) oder Positronenemissions-Tomographie (PET) gemessen] blieben ebenfalls unverändert (Chokroverty et al. 1995; Dressler et al. 1990; Hamano et al. 1993; Masur et al. 1991). In umfangreichen tierexperimentellen Untersuchungen konnten mittels Magnetstimulation bei Katzen keine Änderung physiologischer Parameter (Eyre et al. 1990) und bei Ratten oder Kaninchen keine strukturellen Hirnläsionen erzeugt werden (Counter 1993a; Ravnborg 1990; Sgro et al. 1991).
587 8.9 · Sicherheitsfragen und Kontraindikationen
Sgro hatte den Ratten mindestens 10 000 Reize (8Hz-Salven) und Counter den Kaninchen über eine Zeitdauer von 12 Monaten 1000 magnetische Einzelreize maximaler Stärke mit einem kommerziellen Apparat appliziert (Counter 1993a). Einzig Matsumiya et al. (1992) stellten nach über 100 starken Magnetreizen bei der Hälfte der Ratten im Kortex mikrovakuoläre Veränderungen fest, was weder bei schwächeren Reizen noch bei geringerer Reizzahl gefunden wurde. Die hohe Reizstärke von 2,8 Tesla entsprach der 3,4fachen Reizschwelle für motorische Summenaktionspotenziale und lag 0,9 Tesla über der Reizstärke für »maximale« Reizantworten der Versuchstiere. Diese Erkenntnisse sind ernst zu nehmen, weil das in Analogie im menschlichen Hirngewebe geschätzte elektrische Feld möglicherweise unterbewertet wird (Weissman et al. 1992). Im resezierten menschlichen Temporallappen bei vorrangig ausgiebig transkraniell mit Magnetstimulator gereizten therapierefraktären Epileptikern konten Gates et al. (1990) allerdings keine strukturellen Veränderungen finden. Aus den obengenannten Gründen scheint es aber ratsam, generell gewisse Grenzen einzuhalten. Bei der Untersuchung von Patienten ist auch zu bedenken, dass ein krankheitsgeschädigtes Gehirn einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor darstellt; hier wurde eine maximale Reizrate von 1 Hz und eine Höchstzahl von 50 applizierten Reizen/Untersuchung vorgeschlagen (Hess u. Ludin 1988 c). Andere Zentren haben sich eine obere Grenze von 100 Reizen/Untersuchung gesetzt. Maximale Reizstärken sind aber manchmal, je nach Apparatur, unverzichtbar. Bei der hier nicht näher diskutierten Salvenreizung sind ernsthaftere Nebenwirkungen beschrieben, weshalb eine besonders vorsichtige Vorgehensweise angebracht ist (Pascual-Leone et al. 1993; Michelucci et al. 1994). Das durch die Spule induzierte Schalltrauma verursachte bei nicht anästhesierten Kaninchen neurophysiologisch und morphologisch nachweisbare bleibende Hörschäden, wurden die Tiere mit 50 Einzelreizen eines kommerziellen Magnetstimulators (Cadwell MES 10) und einer käuflichen Reizspule (5 cm Durchmesser) über dem ungeschützten Ohr in einem 5-cm-Abstand vom äußeren Gehörgang und einer Reizstärke von 50–100% behandelt. (Counter et al. 1991). Die Schäden konn-
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ten auch bei exzessiver Reizzahl durch Gehörschutz verhindert werden (Counter 1994). Beim Menschen konnten Pascual-Leone et al. (1992) weder kurzfristige noch längerfristig messbare Auswirkungen auf das Gehör finden. Sie untersuchten u. a. auch 10 Probanden, welche über 6 Jahre mehrere Reizserien und dadurch insgesamt zwischen 800 und >60 000 Einzelreize am Scalp erhielten und bereits einen Gehörtest gemacht hatten. Bei diesen Versuchspersonen konnte keine Änderung im Audiogramm festgestellt werden. Fünf davon hatten nebst einer Reintonaudiometrie vor- und nachher auch frühe akustisch evozierte Potenziale, eine Tympanometrie, der Stapediusreflex und die Spracherkennungsschwelle wurden untersucht. Auch Meyer (1992) fand nach Tausenden von Reizen keine Änderung in der Tonschwellenaudiometrie; dennoch empfiehlt es sich, v. a. bei magnetischer Fazialisreizung und bei Kindern, während der Stimulation einen Gehörschutz zu tragen. Eine leichte anfallsfördernde Wirkung der Magnetstimulation wurde immer schon vermutet und inzwischen bei Epileptikern nachgewiesen (Hufnagel u. Elger 1991). Vereinzelte, sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle wurden tatsächlich mit Magneteinzelreizen bei Epileptikern (eigene Beobachtung) und bei Patienten mit Hirninfarkten (Hömberg u. Netz 1989; Meyer 1992) ausgelöst. Obwohl die Gefahr einer Anfallsauslösung mit Einzelreizen bei antikonvulsiv behandelten Epileptikern offensichtlich sehr gering ist (Tassinari et al. 1990), bleibt es ratsam, Epileptiker nur bei dringender Indikation und unter besonderen Vorkehrungen zu untersuchen. Eine elektroenzephalographische Kontrolluntersuchung vor und nach der Untersuchung, Intervalle von mindestens 25 s zwischen den Reizen und ein zur intravenösen Injektion vorbereitetes Antikonvulsivum scheinen im Falle einer bekannten oder vermuteten Epilepsie angebracht. Es ist auch zu bedenken, dass ein Epileptiker zufällig beim Reizen einen Anfall haben könnte, was wegen des natürlichen Kausalitätsbedürfnisses, den Untersucher evtl. in Verlegenheit bringt. Patienten mit Herzschrittmachern sollten ebenfalls ausgeschlossen werden bzw. nur unter entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen untersucht werden.
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Kapitel 8 · Motorisch evozierte Potenziale
Nicht zu unterschätzen sind die mechanischen Auswirkungen des Magnetfeldpulses, die sichtbar
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werden, wenn man die Spule über einer Aluminiumplatte entlädt. Da der Magnetfeldpuls auf Metallteile eine starke Kraft ausübt, soll man Patienten mit Metallpartikeln im Schädel oder in den Augen von der Untersuchung ausschließen. Auch wenn die mechanischen Effekte, welche Auswirkungen auf einen Aneurysma-Clip haben, gering sind (Cadwell 1990), sollte man Patienten mit Metal– Clips im Schädelinnern nach neurochirurgischen Eingriffen von der Stimulation ausschließen. Fest im Knochen verankerte Metalle wie Zahnplomben sind gefahrlos. Patienten mit schwerer zervikaler Destruktion und Instabilität der Wirbelsäule müssen von der zervikalen Wurzelreizung ausgeschlossen werden, da die kräftige Kontraktion der HalsSchulter-Muskeln eine Dislokation zur Folge haben könnte. Da sich die konzentrischen Drahtschleifen in der Spule während des Reizes gegenseitig abstoßen, besteht ein gewisses Risiko des gewaltsamen Spulenberstens. Tatsächlich kam es mit älteren Spulenmodellen ganz vereinzelt zu gefährlichen Zwischenfällen, weil die Spulenummantelung barst. Aus diesem Grunde soll man die Spulen regelmäßig auf Risse in der Ummantelung prüfen.
Trotz jahrelangem weltweitem Gebrauch der Magnetstimulation sind bis heute nur sehr wenige Komplikationen bekannt geworden, so lange nur Einzelreize appliziert wurden, wie sie für die MEP erforderlich sind. Man kann deshalb heute die Methode unter Berücksichtigung gewisser Vorsichtsmaßnahmen als sicher einstufen. Größte Vorsicht ist bei Metallpartikeln im Gehirn geboten: Solche Patienten müssen von der Magnetstimulation ausgeschlossen werden. Auch Patienten mit Herzschrittmachern soll man nicht mit Magnetreizen stimulieren.
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8
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9 Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen R.-D. Treede
9.1
Einleitung
9.2
Konventionelle SEP-Befunde bei veränderter Schmerzwahrnehmung
9.3
– 600
– 601
Methodik der Laser-evozierten Potentiale
– 601
9.3.1 Späte LEP-Komponenten – 602 9.3.2 Frühe LEP-Komponenten – 606 9.3.3 Ultraspäte LEP-Komponenten – 607
9.4
LEP bei Läsionen peripherer Nerven
– 607
9.5
LEP bei spinalen Läsionen
9.6
LEP bei Läsionen im Bereich des Hirnstamms
9.7
LEP bei Läsionen im Thalamus und somatosensorischen Kortex
– 610 – 612
– 614
9.8
Erkrankungen mit vergrößerten LEP-Amplituden
9.9
LEP bei psychiatrischen Erkrankungen Literatur
– 618
– 617
– 616
600
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
9.1
Einleitung
Evozierte Potenziale nach schmerzhaften Reizen können als eine Sonderform somatosensorisch evozierter Potenziale (SEP) angesehen werden. Gegenüber den Standard-SEP, die das taktile System erfassen, aktivieren schmerzhafte Reize das nozizeptive System, das sich durch andere periphere und zentrale Leitungsbahnen auszeichnet. Daher liefern durch schmerzhafte Reize evozierte Potenziale in der neurologischen Topodiagnostik eine wichtige Ergänzung zu den Standard-SEP.
9
Das somatosensorische System enthält zwei Bahnensysteme: ein System für den Tastsinn und die Propriozeption, und ein zweites für den Temperatursinn und den Schmerzsinn. Da die StandardSEP nach elektrischer Nervenreizung nur das erstgenannte Bahnensystem erfassen, können durch schmerzhafte Reize evozierte Potenziale in der neurologischen Topodiagnostik wichtige Zusatzinformationen liefern. Gegenüber den Standard-SEP zeichnen sie sich durch andere periphere und zentrale Leitungsbahnen aus: Aδ- und C-Fasern im peripheren Nerven, Umschaltung bereits im Hinterhorn des Rückenmarks, dort auch Kreuzung auf die Gegenseite, Projektion im Tractus spinothalamicus, der bis in den unteren Hirnstamm hinein weit lateral verläuft (zur Übersicht s. Treede 2001). Die peripheren Endigungen der dünnen Aδund C-Fasern reagieren auf starke Hitzereize, starke mechanische Reize und bestimmte chemische Reize (z. B. niedrigen pH-Wert, Bradykinin, Capsaicin). Funktionell signalisieren diese Reize eine drohende Gewebeschädigung; man spricht daher auch von nozizeptiven Afferenzen. Der Zusammenhang zwischen Nozizeption und Schmerz ist komplex, da der nozizeptive Input im Zentralnervensystem vielfältigen Modulationen unterliegt (Treede 2001). Selbst stark überschwellige Nozizeptorerregung kann schmerzlos bleiben, wenn die Leitungsbahnen unterbrochen sind oder wenn gleichzeitig Hemmmechanismen aktiviert werden. Umgekehrt kann Spontanaktivität im nozizeptiven
System zu Schmerzen führen, ohne dass ein adäquater peripherer Reiz vorliegt. Um durch Ableitung evozierter Potenziale eine Aussage über die Intaktheit der nozizeptiven Bahnen machen zu können, müssen die nozizeptiven Afferenzen für die reizsynchrone Mittelung zu einem präzisen Zeitpunkt spezifisch aktiviert werden. Die meisten hierfür entwickelten experimentellen Schmerzmodelle sind auf jeweils ein Körperareal beschränkt: ▬ elektrische Pulpareizung auf die Zähne (Spreng u. Ichioka 1964), ▬ intrakutane elektrische Reizung auf die dicke unbehaarte Haut von Finger- und Zehenspitzen (Bromm u. Meier 1984), ▬ durch CO2-Begasung erzielte Gewebeazidose auf die Nasenschleimhaut (Kobal u. Hummel 1988). Diese Modelle werden überwiegend in der Analgetikaprüfung eingesetzt oder in der Anästhesiologie, wo es z. B. unter Allgemeinnarkose um die vergleichende Beurteilung von Analgesie und Sedierung geht (Scharein u. Bromm 1998). Für die neurologische Topodiagnostik hat sich bisher nur die Hitzereizung der Haut als geeignet erwiesen, da nur diese in hinreichend vielen Dermatomen einsetzbar ist; hierin übertrifft sie sogar die elektrische Nervenreizung. Nach anfänglichen Versuchen mit Thermoden (z. B. Duclaux et al. 1974), brachte die Einführung des CO2-Lasers (Bromm et al. 1983; Mor u. Carmon 1975) den entscheidenden Durchbruch, da hiermit Reizdauern im Millisekundenbereich möglich wurden. Diese Methode wurde inzwischen auch zur klinischen Einsatzreife gebracht (zur Übersicht s. Bromm u. Lorenz 1998; Bromm u. Treede 1991).
601 9.3 · Methodik der Laser-evozierten Potenziale
Konventionelle SEP-Befunde bei veränderter Schmerzwahrnehmung
9.2
Elektrische Reize können prinzipiell alle Nervenfasern aktivieren, wobei die dünnen nozizeptiven Afferenzen eine niedrigere Leitungsgeschwindigkeit aufweisen als die taktilen Afferenzen. Die Erwartung, dass späte SEP-Komponenten nach elektrischer Nervenreizung die Funktion des nozizeptiven Systems abbilden, hat sich jedoch nicht erfüllt.
Die nozizeptiven Afferenzen weisen eine niedrigere Leitungsgeschwindigkeit auf als die taktilen Afferenzen. Daher wurde ursprünglich erwartet, dass Störungen des Schmerzsinns mit Veränderungen der späten SEP-Komponenten korrelieren. In großen Fallsammlungen stellte sich aber schon in den 60er-Jahren heraus, dass sowohl frühe als auch späte SEP-Komponenten nur mit dem Vibrationssinn und dem Gelenkstellungssinn korrelieren, nicht aber mit dem Schmerz- und Temperatursinn (Giblin 1964; Halliday u. Wakefield 1963). Entsprechend den Rückenmarksbahnen, über die diese Sinnesmodalitäten geleitet werden, gelten SEP heute daher als spezifischer Test für die Intaktheit der Hinterstränge. Wegen ihrer besseren Reproduzierbarkeit werden in der klinischen Praxis nur noch die frühen kortikalen und subkortikalen SEP-Komponenten untersucht. Bei selektiver Schädigung der Vorderseitenstränge und bei dissoziierten Sensibilitätsstörungen, die nur Schmerz- und Temperatursinn betreffen, sind diese konventionellen SEP unverändert (Namerow 1969; Noël u. Desmedt 1975; Yu u. Jones 1985). Entsprechend der Gate-Control-Theorie (Melzack u. Wall 1965) könnten chronische Schmerzen dadurch entstehen, dass eine tonische Hemmung der nozizeptiven Bahnen durch taktile Afferenzen ausfällt. Auf dieser Basis wurden bei zentralen Schmerzsyndromen SEP-Ausfälle erwartet, als Korrelat der entfallenen Hemmung (Schott et al. 1986). Auffällige SEP-Befunde fanden sich jedoch nur bei solchen Patienten, die Veränderungen von Berührungs- und Vibrationssinn aufwiesen, während das Auftreten chronischer Schmerzen bei Lä-
9
sionen im Zentralnervensystem mit Beeinträchtigungen des spinothalamischen Systems korreliert ist (Boivie et al. 1989; Holmgren et al. 1990; Mauguière u. Desmedt 1988). Insgesamt treten Veränderungen der konventionellen SEP, also sowohl bei Beeinträchtigungen der Schmerzempfindung als auch bei chronischen Schmerzen, nur dann als Epiphänomene auf, wenn gleichzeitig auch die lemniskalen Bahnen betroffen sind.
Methodik der Laser-evozierten Potenziale
9.3
Hitzereize aktivieren mit hoher Spezifität die dünnen Aδ- und C-Fasern und eignen sich daher besonders gut für die Prüfung des nozizeptiven Systems. Infrarotlaser können die Hauttemperatur innerhalb von Sekundenbruchteilen erhöhen und ermöglichen somit die reizbezogene Mittelung von evozierten Potenzialen.
Die dünnen Aδ- und C-Fasern sind gegenüber elektrischen Reizen um einen Faktor 10–100 weniger empfindlich als die dicken Aβ-Fasern. Elektrische Reize sind daher zur Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen weniger geeignet als Hitzereize, für die die Empfindlichkeitsverteilung genau umgekehrt ist: C-Nozizeptoren haben die niedrigsten Schwellen, die der Aδ-Nozizeptoren sind etwas höher, und Aβ-Faserendigungen reagieren normalerweise überhaupt nicht auf Hitzereize. ⊡ Abbildung 9.1 illustriert den Unterschied zwischen einem konventionellen Hitzereiz und einem Laser-Hitzereiz. Mit einer Heizlampe oder Thermode, bei denen die Geschwindigkeit der Temperaturänderung typischerweise 1°C/s beträgt, dauert es mehrere Sekunden, bis die Schwelle der Nozizeptorerregung erreicht ist. Die Entladungsraten von C-Fasernozizeptoren während solcher Reize liegen nur wenig oberhalb von 1 Hz (Hees u. Gybels 1981). Im Gegensatz hierzu werden mit einem Infrarotlaser Geschwindigkeiten von 300°C/s und mehr erreicht. Ein solcher Reiz löst innerhalb weniger Millisekunden eine kurzdauernde aber hochfrequente Entladung sowohl von Aδ- als auch
602
9
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
⊡ Abb. 9.1. Nozizeptoraktivierung durch einen konventionellen Hitzereiz und durch einen Laser-Hitzereiz. Oben: Bei langsamer Erhöhung der Hauttemperatur von 30°C auf 45°C mit ca. 1°C/s wird die Schmerzschwelle erst nach vielen Sekunden erreicht; die Entladungsrate der Nozizeptoren liegt wie hier selten über 1.5 Hz. Unten: Schnelle Erhöhung der Hauttemperatur in den schmerzhaften Bereich mit ca. 300°C/s durch einen Laserpuls von 50 ms Dauer führt zu einer Nozizeptorentladung von 20 Hz, die für weniger als 200 ms anhält (Bromm et al. 1984). Mikroneurographische Ableitung aus dem N. radialis einer wachen Versuchsperson und berechnete Temperaturverläufe in 100 µm Tiefe
von C-Nozizeptoren aus (Bromm et al. 1984). Aufgrund der unterschiedlichen Erregungsleitungsgeschwindigkeit in Aδ- und C-Fasern führt ein einzelner Laserreiz zu einer doppelten Schmerzempfindung. Die gebräuchlichsten Reizlaser sind der CO2Laser (10.6 µm Wellenlänge) und der Thuliumlaser (2.03 µm Wellenlänge) Ähnlich wie bei einer Heizlampe wird bei einem Laserreiz eine voreingestellte Leistung (in W) für eine bestimmte Zeit (in ms) abgegeben. Daher wird die maximale Hauttemperatur am Ende des Laserpulses erreicht, und die Latenzen der Laser-evozierten Potenziale (LEP)sind abhängig von der Dauer des Laserpulses (Treede et al. 1994). Neben der Pulsenergie (W · ms = mJ) spielt auch die Größe der bestrahlten Hautfläche (in mm2) eine Rolle. Im Bereich von 7–50 ms Reiz-
dauer und 3–9 mm Strahldurchmesser ist die Energiedichte (in mJ/mm2) weitgehend unabhängig von den Reizparametern (Biehl et al. 1984). Bei größeren Flächen sinkt der Energiebedarf, bei längeren Reizdauern steigt er an. Die Mindestreizstärke zur Auslösung einer leichten Schmerzempfindung (vergleichbar einem leichten Nadelstich oder dem Ziehen an einem einzelnen Haar) liegt im Mittel bei 10–18 mJ/mm2 (⊡ Tabelle 9.1). An der unteren Extremität sind die Schwellen höher als an der oberen Extremität, und beim Thuliumlaser höher als beim CO2-Laser. Zum Auslösen von LEP kann man mit festen Reizstärken arbeiten (im Gegensatz zur elektrischen Nervenreizung, wo die Reizstärke aufgrund der unterschiedlichen Abstände der Reizelektrode vom Nerven individuell angepasst wird). Üblicherweise wird das 1,5- bis 2fache der mittleren Schmerzschwelle verwendet, um sicher überschwellig zu sein (⊡ Tabelle 9.2). Diese Reize werden von den Patienten aber als weniger unangenehm empfunden als die üblichen elektrischen Reize für die Standard-SEP. Als Nebenwirkung kann eine vorübergehende Rötung der Haut auftreten. Diese Nebenwirkung ist beim Thuliumlaser seltener als beim CO2Laser (Devos et al. 2000; Spiegel et al. 2000). Bei gesunder Haut bildet sich diese als leichte Verbrennung ersten Grades zu wertende Veränderung innerhalb weniger Tage vollständig zurück. Bei Patienten, die zu Hautulzerationen neigen, z. B. bei diabetischer Polyneuropathie oder bei M. Behçet, ist jedoch Vorsicht geboten.
9.3.1 Späte LEP-Komponenten Unter standardisierten Versuchsbedingungen lösen schmerzhafte Laserreize bei wachen Probanden zuverlässig ein Vertexpotenzial aus (N2–P2), das von der nachfolgenden endogenen Komponente P3 abgrenzbar ist. Latenzen und Amplituden der N2–P2 werden klinisch vor allem im Seitenvergleich bewertet.
Ein Beispiel eines evozierten Potenzials nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen ist in ⊡ Abb. 9.2a
603 9.3 · Methodik der Laser-evozierten Potenziale
9
⊡ Tabelle 9.1. Schmerzschwellen für Infrarot-Laserreize (Mittelwerte und Standardabweichungen)
Reizort
Laser
Dauer (ms)
Durchmesser (mm)
Schwelle (mJ/mm2)
Quelle
Hand
CO2
33–66
5
12,1 ± 6,5
(Gibson et al. 1991)
Hand
CO2
20
5
10,1 ± 3,8
(Bromm u. Treede 1991)
Hand
CO2
10
2
13,5 ± 1,5
(Kakigi et al. 1990)
Hand
CO2
10
2
12,9 ± 0,4
(Kakigi u. Shibasaki 1991)
Hand
Thulium
3
5
15,8 ± 3,8
(Spiegel et al. 2000)
Hand
Thulium
1
5
16,2 ± 3,3
(Devos et al. 2000)
Fuß
CO2
20
5
10,8 ± 4,2
(Bromm u. Treede 1991)
Fuß
CO2
10
2
13,5 ± 0,4
(Kakigi u. Shibasaki 1991)
Fuß
Thulium
3
5
18,8 ± 4,2
(Spiegel et al. 2000)
Fuß
Thulium
1
5
18,3 ± 4,8
(Devos et al. 2000)
gezeigt. Das LEP wurde über 40 Reize gemittelt, die mit randomisierten Abständen von 20–40 s im Innervationsgebiet des linken N. radialis appliziert wurden. Dabei wurde von einem Reiz zum nächsten der Reizort leicht verschoben, um die Ermüdung der Nozizeptoren zu vermeiden. Die Ableitung erfolgte gegen die verbundenen Ohrläppchen mit einer Filtereinstellung ähnlich der für Routine-EEG-Ableitungen (z. B. 0,1–70 Hz). Artefakte durch Lidschlag oder Augenbewegungen wurden anhand des mitregistrierten Elektrookulogramm (EOG) vor der Mittelung eliminiert. Die Vertexableitung zeigt als erste Komponente eine Negativität mit einer Gipfelzeit von etwa 240 ms (N2), gefolgt von einer Positivität bei etwa 380 ms (P2). Mittelwerte und Standardabweichungen über 59 Probanden waren 236+28 ms für die N2 und 383+39 ms für die P2 (Treede 1988). Diese LEPKomponenten sind Korrelate der Aδ-Faseraktivierung, wie durch Latenzvergleiche bei Reizung proximaler und distaler Hautareale nachgewiesen wurde (Beydoun et al. 1993; Bromm et al. 1983; Kakigi et al. 1991a; Kenton et al. 1980). Die geschätzten Werte von 9–15 m/s stimmen mit direkt gemes-
senen Leitungsgeschwindigkeiten der Typ II-AδNozizeptoren überein, die für den schnellen ersten Hitzeschmerz verantwortlich sind (Treede et al. 1995b). Sowohl die N2 als auch die P2 sind maximal in der Nähe des Vertex (⊡ Abb. 9.2c, d). Diese Topographie ist unabhängig vom Reizort und nicht wesentlich verschieden von der später Vertexpotenziale nach elektrischer Nervenreizung oder akustischer Reizung (Treede et al. 1988a). N2 und P2 werden daher als späte LEP-Komponenten bezeichnet, obwohl sie häufig die frühesten ableitbaren Reizantworten sind (vgl. Abschn. 9.3.2). Die Spezifität der Untersuchung nozizeptiver Bahnen mittels LEP hängt davon ab, dass durch die Laserreize selektiv nur nozizeptive Afferenzen erregt werden. Obwohl die mit dem Laser erzeugten Temperaturänderungen extrem schnell sind, ist dies in der behaarten Haut der Fall (Bromm et al. 1984; Devor et al. 1982). Lediglich im Bereich der unbehaarten Haut der Fingerspitzen können mit Laserreizen auch empfindliche Mechanorezeptoren erregt werden (Jahnke, Treede und Bromm, unveröffentlichte Beobachtungen).
9 604
⊡ Tabelle 9.2. Reizparameter und Normwerte für Laser-evozierte Potenziale (Mittelwerte und Standardabweichungen)
Laser
Dauer (ms)
Durchmesser (mm)
Reizstärke (mJ/mm2)
Abstand (s)
Filter (Hz)
Latenzen (ms)
Amplituden (µV)
N2
P2
N2
P2
Quelle
Hand
CO2
33–66
5
ca. 24
20–40
0,5–70
277 ± 45
400 ± 45
12,1 ± 9,0
25,0 ± 7,0
(Gibson et al. 1991)
Hand
CO2
20
5
ca. 15
10–30
0,1–70
249 ± 19
391 ± 28
5,5 ± 5,2
17,4 ± 7,3
(Bromm u. Treede 1991))
Hand
CO2
60
6
8,4–12,6
5–30
0,4–40
233 ± 21
369 ± 27
15,8 ± 8,1
25,8 ± 14,0
(Beydoun et al. 1993)
Hand
CO2
10
2
17–20
3
0,5–100
201 ± 34
319 ± 15
1,0 ± 0,5
5,1 ± 2,5
(Kakigi et al. 1989)
Hand
CO2
10
2
18–20
3
0,5–30
240 ± 27
335 ± 21
2,1 ± 1,2
6,7 ± 3,1
(Kakigi et al. 1991c)
Hand
Thulium
3
5
27,5
8–12
0,2–70
208 ± 18
329 ± 34
30,3 ± 10,9a
(Spiegel et al. 2000)
Hand
Thulium
1
5
ca. 32
8–15
0,2–70
199 ± 18
325 ± 37
21,7 ± 7,9a
(Devos et al. 2000)
Fuß
CO2
20
5
ca. 15
10–30
0,1–70
273 ± 24
427 ± 36
5,8 ± 5,1
14,5 ± 6,6
(Bromm u. Treede 1991)
Fuß
CO2
10
2
18–20
3
0,5–30
296 ± 28
407 ± 22
1,5 ± 0,8
4,4 ± 2,8
(Kakigi et al. 1991c)
Fuß
Thulium
3
5
27,5
8–12
0,2–70
248 ± 27
381 ± 41
22,5 ± 6,7a
(Spiegel et al. 2000)
Fuß
Thulium
1
5
ca. 27
8–15
0,2–70
239 ± 36
378 ± 38
16,0 ± 6,8a
(Devos et al. 2000)
a
Nur N2–P2 Amplitudendifferenz berichtet.
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
Reizort
605 9.3 · Methodik der Laser-evozierten Potenziale
9
b
a
c
d
⊡ Abb. 9.2a–d. Komponentenstruktur der späten Laser-evozierten Potenziale (LEP). a Kurvenbeispiel von einer Versuchsperson in den Ableitungen C4, Cz und C3 gegen Ohrreferenz. Mittelung über 40 Reize im Innervationsgebiet des linken N. radialis. In der Vertexableitung zeigte sich als erstes eine Negativität mit einer Gipfelzeit von etwa 240 ms (N2), gefolgt von einer Positivität bei etwa 380 ms (P2). Über dem somatosensorischen Projektionsareal (C4) erschien zusätzlich eine
Negativität bei etwa 170 ms (N1). b–d Die Potenzialverteilungen dieser drei LEP-Komponenten auf der Kopfhaut wurden aus 14-Kanalableitungen von 14 Versuchspersonen interpoliert. Blick von oben auf den Kopf, frontale Areale links. Bei N1 und N2 entspricht zunehmende Schwärzung zunehmender Negativität, bei P2 zunehmender Positivität. (Aus Treede 1988, S. 37 )
Die Gipfelzeit der P2 des LEP ähnelt der bekannten endogenen Komponente P3. Die P3 tritt in einem Reizdiskriminationsparadigma (engl. »oddball-paradigma«) nach seltenen aufgabenrelevanten Reizen auf, und hat nach akustischen Reizen eine Gipfelzeit von etwa 300 ms. Beim Komponentenvergleich zwischen späten akustisch evozierten Potenzialen (AEP) und LEP ist jedoch zu berücksichtigen, dass für das AEP die periphere Leitungsbahn erheblich kürzer und die afferente Leitungsgeschwindigkeit wesentlich höher ist. Ein Vergleich mit den Reaktionszeiten zeigte die Äquivalenz der
N2 des LEP mit der N100 des AEP (Tarkka et al. 1992). Die P2 des LEP entspricht daher der P2 des AEP (bei ca. 200 ms) und nicht der P3. Die Gipfelzeit der P3 nach Laserreizen beträgt etwa 600 ms (Kanda et al. 1996a; Siedenberg u. Treede 1996; Towell u. Boyd 1993). Trotzdem enthalten die späten LEP-Komponenten sowohl exogene (reizabhängige) als auch endogene (kontextabhängie) Anteile. So kann die LEP-Amplitude bei konstanter Reizstärke durch starke Ablenkung oder durch Vigilanzminderung um über 50% reduziert werden (Beydoun et al.
606
9
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
1993; Siedenberg u. Treede 1996). Unter konstanten Versuchsbedingungen korrelieren die LEP-Amplituden jedoch besser mit der subjektiven Schmerzhaftigkeit als mit der physikalischen Reizstärke (Carmon et al. 1980). Nur bei kurzen Reizabständen (z. B. 1 s) werden die Amplituden der LEP vermindert, ohne dass die durch dieselben Laserreize ausgelöste Schmerzempfindung reduziert wäre (Bromm u. Treede 1987). In diesen Eigenschaften unterscheiden sich die LEP nicht von späten evozierten Potenzialen nach anderen schmerzhaften Reizen (Chapman et al. 1981). Da die Ausprägung der späten LEP-Komponenten von situativen Variablen abhängt, ist eine strenge Standardisierung des Untersuchungsschemas für die klinische Anwendung der LEP essenziell (Treede et al. 1998). Hierzu gehören eine balancierte Reihenfolge bei der Untersuchung mehrerer Hautareale, lange (ca. 5–20 s) und randomisierte Reizabstände sowie eine standardisierte Aufgabenstellung für den Probanden (z. B. qualitative Einschätzung nach jedem Reiz). Unter diesen Randbedingungen sind die späten LEP-Komponenten sowohl innerhalb einer Sitzung als auch bei Nachuntersuchungen nach mehreren Monaten intraindividuell gut reproduzierbar (Bromm et al. 1991; Hansen et al. 1996; Spiegel et al. 2000). ⊡ Tabelle 9.2 zeigt Normwerte für Amplituden und Latenzen der späten LEP-Komponenten. Aufgrund der Streuung aller Parameter ist ein Seitenvergleich innerhalb eines Patienten sensitiver als der Vergleich mit absoluten Normwerten (Beydoun et al. 1993; Bromm et al. 1991; Devos et al. 2000; Spiegel et al. 2000). Eine Amplitudenabnahme um mehr als 50% im Seitenvergleich kann in erster Näherung als pathologisch bewertet werden. Die Amplituden des LEP sind aber auch von der Art der Reizdarbietung abhängig (Aufgabenrelevanz, Reizabstand). Mehr noch als für andere klinisch neurophysiologische Untersuchungen gilt daher für die LEP, dass in jedem Labor eigene Normwerte erhoben werden müssen. Die Altersabhängigkeit von Latenzen und Amplituden der LEP ist geringer als die Unterschiede zwischen den Normwerten verschiedener Arbeitsgruppen. Bei gesunden Versuchspersonen zwischen 22 und 70 Jahren fand eine Studie keine signifikanten Latenzunterschiede (Kakigi u. Shibasaki 1991). Eine andere Studie be-
richtete über eine Latenzzunahme von ca. 50 ms für 80- bis 100-Jährige gegenüber den 20- bis 40-Jährigen (Gibson et al. 1991). Dieselbe Arbeitsgruppe fand auch eine altersabhängige Abnahme der LEPAmplituden und Zunahme der Schmerzschwellen. Der Unterschied betrug jeweils etwa einen Faktor von zwei, wobei der Hauptunterschied zwischen den über oder unter 60-Jährigen lag.
9.3.2 Frühe LEP-Komponenten Dipolquellenanalysen der LEP zeigten, dass schmerzhafte Hitzereize als erstes den operkuloinsulären Kortex in der Nähe vom sekundären somatosensorischen Kortex aktivieren. Die entsprechenden frühen LEP-Komponenten konnten bisher aber aufgrund ihrer geringen Amplitude noch nicht klinisch genutzt werden.
Im Gegensatz zu den SEP nach elektrischer Nervenreizung sind nach Laserreizen frühe subkortikale Komponenten bisher nicht gefunden worden. Die Ursache hierfür liegt darin, dass der Reizzeitpunkt bei Hitzereizen, auch wenn sie mit einem Laser erzeugt werden, weniger präzise ist als bei einem elektrischen Nervenreiz, der innerhalb von 0,2 ms ein Aktionspotenzial auslöst (vgl. ⊡ Abb. 9.1). Außerdem aktiviert ein Laserreiz von 5 mm Durchmesser weniger Afferenzen als die elektrische Reizung eines ganzen Nerven. Die früheste LEP-Komponente ist eine Negativität mit einer Gipfelzeit von 170 ms (N1), der bei räumlich gerichteter Aufmerksamkeit eine kleine Positivität bei 83 ms vorangehen kann (Valeriani et al. 2000). Die N1 ist in ⊡ Abb. 9.2a in der kontralateral zum Reiz gelegenen Ableitung C4 zu erkennen. Das Amplitudenmaximum der N1 projiziert sich aber so weit lateral an der Kopfhaut (⊡ Abb. 9.2b), dass es nicht über dem primären sondern dem sekundären somatosensorischen Kortex liegt (Kunde u. Treede 1993; Miyazaki et al. 1994; Treede et al. 1988a). Dipolquellenanalysen der LEP und intrakranielle Ableitungen im Rahmen der Epilepsiechirurgie zeigten, dass schmerzhafte Hitzereize als erstes den operkuloinsulären Kortex in der Nähe
607 9.4 · LEP bei Läsionen peripherer Nerven
des sekundären somatosensorischen Areals aktivieren (Bromm u. Chen 1995; Frot u. Mauguière 2003; Ploner et al. 1999; Tarkka u. Treede 1993; Valeriani et al. 1996; Vogel et al. 2003). Im Gegensatz zum taktilen System wird dieses Areal im nozizeptiven System ohne den Umweg über den primären somatosensorischen Kortex durch thalamokortikale Afferenzen direkt aktiviert (zur Übersicht s.Treede et al. 2000). An der Kopfhaut ist die N1 am besten von temporalen Elektroden (z. B. T3 oder T4) gegen eine frontale Referenz ableitbar. Aufgrund ihrer geringen Amplitude ist die N1 mit der bisherigen Methodik weniger für den klinischen Einsatz geeignet als das Vertexpotenzial N2–P2.
9.3.3 Ultraspäte LEP-Komponenten Die Aktivierung von C-Nozizeptoren durch Laserreize löst ultraspäte LEP-Komponenten aus, die bei gesunden Probanden meist nur unter selektiver AFaserblockade oder mit speziellen Reizverfahren nachweisbar sind.
Entsprechend den Leitungsgeschwindigkeiten der Aδ- und C-Nozizeptoren löst ein einzelner Laserreiz an der Hand eine doppelte Schmerzempfindung aus mit Reaktionszeiten von 480 bzw. 1.350 ms (Bromm u. Treede 1987). Frühe und späte LEPKomponenten mit Latenzen von weniger als 500 ms sind ein Korrelat des ersten Schmerzes aufgrund der Aktivierung nozizeptiver Aδ-Fasern. Obwohl Laserreize nachweislich C-Nozizeptoren erregen (⊡ Abb. 9.1), waren LEP-Komponenten mit entsprechender Latenz schwer nachzuweisen. ⊡ Abbildung 9.3 zeigt ein Beispiel von einer gesunden Versuchsperson, bei der das späte Vertexpotenzial von einer weiteren Positivität mit einer Gipfelzeit von ca. 1.100 ms gefolgt wurde, während sie sich auf den zweiten Schmerz konzentrierte. Dieses »ultraspäte Potenzial« wurde, im Gegensatz zum späten LEP, durch einen selektiven A-Faserblock mittels Druck auf den das gereizte Hautareal innervierenden N. radialis nicht unterdrückt. Unter einem solchen A-Faserblock war auch bei denjenigen Probanden ein ultraspätes Potenzial ableitbar, die ohne Block
9
⊡ Abb. 9.3. Späte und ultraspäte Laser-evozierte Potenziale (LEP). Bei dieser Versuchsperson folgt auf die N2 und P2 eine weitere Vertexpositivität mit einer Gipfelzeit von etwa 1.100 ms. Diese wird als ultraspätes Potenzial bezeichnet (Bromm et al. 1983). Während die späten LEP-Komponenten durch Aδ-Faseraktivierung zustande kommen, ist das ultraspäte LEP ein Ausdruck der C-Faseraktivierung. Dies wurde durch einen selektiven A-Faserblock gezeigt (durch Druck auf den N. radialis am Handgelenk). Bei den meisten Probanden ist das ultraspäte LEP nur unter A-Faserblock nachweisbar, was auf eine tonische Hemmung des C-Faserinputs hinweist. Dafür spricht auch die Amplitudenzunahme des ultraspäten LEP unter A-Faserblock bei diesem Probanden. Vertexableitung gegen Ohrreferenz, je 40 Reize von 5 und 10 mJ/mm2 in randomisierter Folge
nur ein spätes LEP zeigten (Bromm et al. 1983; Bromm u. Treede 1987). Anscheinend wird die CFaserantwort meist durch die früher eintreffende A-Fasererregung unterdrückt. Ohne Nervenblock lassen sich ultraspäte LEP-Komponenten entweder mit großflächigen Reizen auslösen, deren Reizstärke unterhalb der Schwelle der Aδ-Nozizeptoren bleibt (Iannetti et al. 2003; Magerl et al. 1999), oder mit extrem kleinflächigen Reizen (Bragard et al. 1996; Opsommer et al. 1999).
LEP bei Läsionen peripherer Nerven
9.4
Bei Polyneuropathien erfassen die LEP die Funktion der dünnen sensiblen Nervenfasern (als selektiven Ausfall oder als Restfunktion). Mit verschiedenen Reizprotokollen können Aδ-Fasern und C-Fasern differenziell geprüft werden.
9 608 Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
⊡ Abb. 9.4. Laser-evozierte Potenziale (LEP) und Standard-SEP bei Polyneuropathie (PNP). Patient 1: 39-jähriger Patient mit Ausfall der dicken myelinisierten Afferenzen durch PNP nach infektiöser Mononukleose. Tastsinn und Lagesinn waren ausgefallen, ebenso die frühen und die späten SEP-Komponenten. Schmerzsensibilität und späte LEP-Komponenten nach Reizen von 15 und 20 W waren unauffällig. Patient 2: 53-jähriger Patient mit diabetischer PNP, die vorwiegend die dünnen Afferenzen betraf. Ein LEP war nicht ableitbar, bei deutlich eingeschränkter Schmerzsensibilität. Das Tibialis-SEP war unauffällig trotz ebenfalls beeinträchtigtem Tast- und Lagesinn
609 9.4 · LEP bei Läsionen peripherer Nerven
9
Polyneuropathien können sensible, motorische und autonome Nervenfasern in jeweils unterschiedlichem Ausmaß betreffen (Santiago et al. 2000). Die späten LEP-Komponenten können hierbei der Beurteilung des Funktionszustandes der dünnen myelinisierten Aδ-Fasern dienen. Durch Vergleich mit den konventionellen SEP kann der relative Befall von dicken und dünnen myelinisierten Afferenzen beurteilt werden. ⊡ Abbildung 9.4 zeigt zwei Patienten mit jeweils entgegengesetztem Ausfallsmuster. Bei Patient 1 mit einer Polyneuropathie nach infektiöser Mononukleose waren die Tibialis-SEP ausgefallen, aber die LEP nach Reizung des Fußrückens waren normal. Die Sensibilitätsprüfung ergab einen Ausfall des Berührungssinns bei erhaltenem Schmerz- und Temperatursinn (Treede u. Cole 1993). Patient 2 mit einer diabetischen Polyneuropathie zeigte das umgekehrte Muster: einen völligen Ausfall der LEP bei erhaltenen SEP. Diese Konstellation zeigt einen überwiegenden Befall der dünnen Afferenzen, obwohl die Sensibilitätsprüfung Ausfälle in allen Modalitäten ergab. Wenn LEP bei Polyneuropathien nicht vollständig ausgefallen sind, kann die Latenz der Positivität
verlängert (Agostino et al. 2000a; Kakigi et al. 1992c) oder die Amplitude vermindert sein (Agostino et al. 2000b). Die LEP-Veränderungen korrelieren signifikant mit der Schwere der Hypalgesie sowie mit der Abnahme der dünnen myelinisierten Nervenfasern in der Nervenbiopsie (Kakigi et al. 1991c), nicht aber mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung des Vibrationssinns. LEP-Auffälligkeiten bei Polyneuropathien sind an den unteren Extremitäten besonders häufig, finden sich aber auch bei Reizung im Gesicht (Agostino et al. 2000a, b). Subklinische Läsionen der dünnen Afferenzen können mit LEP ebenfalls nachgewiesen werden (Agostino et al. 2000b). Durch Kombination der LEP-Untersuchung mit konventionellen SEP ist also eine gute Voraussage des Faserdurchmesser-Histogramms möglich, ohne dass eine Nervenbiopsie erforderlich wäre. Die funktionellen Tests erlauben jedoch keine Aussage über die Ätiologie der Polyneuropathie, was die Biopsie in vielen Fällen vermag. Über den Zustand der unmyelinisierten Fasern sagt die Nervenbiopsie meist nichts aus. Das LEP erlaubt hier zumindest indirekte Schlüsse. ⊡ Abbildung 9.5 zeigt ein Beispiel eines Patienten mit einer Polyneuropathie unklarer Ätiologie (Treede et al.
⊡ Abb. 9.5. Späte und ultraspäte Laser-evozierte Potenziale (LEP) bei Polyneuropathie (PNP). 67-jähriger Patient mit PNP unklarer Ätiologie, die beinbetont vorwiegend die dicken Afferenzen betraf. Oben: Normales spätes LEP nach Reizung der rechten Hand. Unten: Nach Reizung des linken Fußes waren
die späten LEP-Komponenten von geringerer Amplitude als ein ultraspätes LEP. Die Hitzeschmerzschwelle in beiden Arealen war unauffällig, aber bei Fußreizung fand sich eine ausgeprägte Summation (»wind-up«). (Mod. nach Treede et al. 1995a)
610
9
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
1995a). Dieser Patient hatte einen ausgeprägten Verlust dicker myelinisierter Fasern mit fehlendem sensiblen Nervenaktionspotenzial und fehlenden Tibialis-SEP. Auch die Aδ-Faserfunktion war beeinträchtigt, wie die geringe Amplitude der späten LEP sowie die verminderte Kältesensibilität zeigten. Bei diesem Patienten war die C-Faserfunktion offenbar erhalten, wie die ausgeprägten ultraspäten LEP zeigten. Dafür spricht auch die massive Summation der Schmerzempfindung nach repetitiver Reizung, da repetitiver C-Faserinput an Rückenmarksneuronen zu zunehmend stärkerer Aktivierung führt (»wind-up«, Price et al. 1977). Ähnliche Befunde fanden sich auch bei einem Patienten mit HMSN I (hereditäre motorisch-sensible Neuropathie I; Lankers et al. 1991), bei einem Patienten mit diabetischer Polyneuropathie (Purves et al. 1991) und bei einem Patienten mit verzögerter Schmerzwahrnehmung bei einer Neurosyphilis (Treede et al. 1988b). In letzterem Fall liegt der Schädigungsort vermutlich in der Hinterwurzeleintrittszone und nicht im peripheren Nerven. Da ein selektiver Ausfall der Aδ-Fasern bei erhaltenen C-Fasern sowohl bei o.g. Patienten als auch in Nervenblockversuchen am Gesunden (Bromm u. Treede 1987) zum Auftreten ultraspäter Potenziale bei verminderten späten LEP führt, spricht ein vollständiger LEP-Ausfall wie in ⊡ Abb. 9.4, bei Patient 2, indirekt dafür, dass neben den dünnen myelinisierten Fasern auch die unmyelinisierten Fasern betroffen sind. Eine kombinierte Schädigung von Aδ- und C-Fasern ist auf diese Weise von einer selektiven Schädigung der AδFasern unterscheidbar. Für die Diagnose einer selektiven Schädigung der unmyelinisierten C-Fasern wären jedoch andere Verfahren erforderlich wie z. B. punktförmige Hautreizung (Bragard et al. 1996), die aber noch nicht klinisch eingesetzt wurde. Ein Fallbericht zeigte, dass eine Wurzelläsion bei C7/C8 zu einem lokal umschriebenen Ausfall der LEP führte bei normalen Medianus- und Ulnaris-SEP (Lorenz et al. 1998). Aufgrund der im Vergleich zum Tastsinn geringeren Überlappung der Dermatome für den Schmerzsinn können LEP daher auch bei Wurzelläsionen indiziert sein. Für die Lokalisation der Höhe der Läsion bietet sich die dorsale dermatomale Laserreizung über den Dorn-
fortsätzen an (Cruccu et al. 2000). Dermatomale Reizung ist auch im Gesicht mit dem Laser leicht möglich (Cruccu et al. 1999; Kazarians et al. 1995). In solchen Fällen kann die LEP-Untersuchung auch bei Läsionen indiziert sein, die alle peripheren Nervenfasertypen gleichermaßen betreffen, da die Prüfung einzelner Dermatome und Trigeminusäste mit elektrischen Reizen oft schwierig ist.
LEP bei spinalen Läsionen
9.5
Aufgrund der Aufteilung der somatosensorischen Bahnen im Rückenmark in das Hinterstrangsystem und das Vorderseitenstrangsystem sind spinale Läsionen eines der Hauptindikationsgebiete für LEPUntersuchungen als Ergänzung zum SEP.
Syringomyelie ist die am besten mit LEP untersuchte spinale Läsion. ⊡ Abbildung 9.6 zeigt ein Beispiel einer Patientin mit einer von C3 bis Th5 reichenden Syrinx. Die Sensibilitätsprüfung ergab eine schwere Hypalgesie und Thermanästhesie im Bereich des linken Armes bei erhaltener Mechanosensibilität. Nach Reizung der linken Hand konnte kein LEP abgeleitet werden, während die SEP normal waren. Nach Reizung der rechten Hand fand sich ein normales LEP; dort war auch die Sensibilität unbeeinträchtigt. Eine solche Lateralisierung deutet auf eine asymmetrische Hohlraumbildung hin, die im CT- oder MR-Bild meist nicht eindeutig einer Seite zuzuordnen ist. In einer Studie an 10 Patienten mit Syringomyelie fand sich in 8 Fällen bei Reizung eines Hautareals mit dissoziierter Sensibilitätsstörung ein kompletter Ausfall des LEP, und bei einem Patienten war das LEP verzögert und amplitudengemindert (Treede et al. 1991). Ähnliche Ergebnisse wurden von (Kakigi et al. 1991b) berichtet: das LEP war bei 7 von 8 Patienten ausgefallen; eine Patientin mit einer relativ kleinen Syrinx (C5–C6) hatte eine Amplitudenreduktion um 40%. Bei zwei dieser Patienten wurde ein Shunt zwischen Syrinx und Subarachnoidalraum angelegt; bei beiden Patienten war danach das LEP wieder ableitbar. Unauffällige LEP bei Syringomyelie wurden nur in 2 Fällen ge-
9.5 · LEP bei spinalen Läsionen 611
⊡ Abb. 9.6. Laser-evozierte Potenziale (LEP) und Standard-SEP bei Syringomyelie. 52-jährige Patientin mit einer von C3–Th5 reichenden Syrinx, die zu einer auf den linken Arm (betroffene Seite) beschränkten Verminderung der Schmerzempfindlichkeit führte bei erhaltener Mechanosensibilität. Unauffälliges LEP und SEP nach Reizung der nichtbetroffenen rechten Hand (Kontrollseite). Ausfall des LEP nach Reizung der linken Hand mit 15 und 20 W. Das SEP nach Medianusreizung war auch hier unauffällig. (Mod. nach Treede et al. 1995a)
9
612
9
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
funden. Der eine Patient hatte trotz einer ausgedehnten Syrinx von C2 bis S3 keinerlei Sensibilitätsausfälle (Ragazzoni et al. 1993). Der andere Patient hatte eine reine Thermhypästhesie bei erhaltener Schmerzsensibilität (Treede et al. 1991). Die gute räumliche Übereinstimmung zwischen klinischer Sensibilitätsprüfung (dissoziierte Sensibilitätsstörung) und LEP-Befund gilt also vor allem für die Schmerzsensibilität, die möglicherweise in etwas anderen Teilen des Tractus spinothalamicus geleitet wird als die Thermosensibilität ( s. auch Friehs et al. 1995). Bei strukturellen spinalen Läsionen erlauben die LEP auch die Dokumentation des segmentalen Niveaus (Hansen u. Treede 1995; Iannetti et al. 2001). Im Gegensatz hierzu waren die LEP-Befunde bei entzündlichen Läsionen variabler und korrelierten nur mäßig mit dem Sensibilitätsausfall (Bromm et al. 1991). In einer Studie an 12 Patienten mit klinisch sicherer multipler Sklerose aber ohne Nachweis einer spinalen Läsion im MR-Bild war in 3 Fällen nach Reizung an der Hand und in 6 Fällen nach Reizung am Fuß kein LEP auslösbar; bei einem Patienten kam es zu einer Latenzverzögerung des LEP nach Fußreizung (Kakigi et al. 1992a). Diese Befunde wiesen eine gewisse Parallelität zur Schmerzsensibilität auf, aber die Sensibilitätsstörungen waren überwiegend nicht dissoziiert. In einer anderen Studie an 20 Patienten mit klinisch sicherer multipler Sklerose (Spiegel et al. 2003) hatten die LEP eine höhere Sensitivität als die SEP, sowohl bzgl. der Dokumentation klinisch manifester Läsionen der somatosensorischen Bahnen (86% vs. 50%) als auch bzgl. der Aufdeckung subklinischer Läsionen (7 vs. 5 Fälle). Subklinische Läsionen der nozizeptiven Bahnen fanden sich auch bei 8 von 19 Patienten mit HTLV-I assoziierter Myelopathie (tropische spastische Paraparese), die trotz normalem Sensibilitätsbefund eine gegenüber der oberen Extremität verzögerte Latenz der LEP nach Fußreizung aufwiesen (Kakigi et al. 1992b). Diese Befundkonstellation kann für eine verzögerte Leitung im spinothalamischen Trakt sprechen ( s. auch Cruccu et al. 2000).
LEP bei Läsionen im Bereich des Hirnstamms
9.6
Im unteren Hirnstamm verlaufen nozizeptive (Tractus spinothalamicus) und taktile Bahnen (Lemniscus medialis) separat. Daher können auch Läsionen des Hirnstamms zu dissoziierten Sensibilitätsstörungen führen, die mit einem selektiven Ausfall der LEP verbunden sind.
Die typische Befundkonstellation beim dorsolateralen Medulla-oblongata-Syndrom (WallenbergSyndrom) beinhaltet eine Horner-Trias, Kleinhirnzeichen und Trigeminuszeichen auf der Seite der Läsion, sowie eine dissoziierte Sensibilitätsstörung des übrigen Körpers auf der Gegenseite. Als Korrelat der dissoziierten Sensibilitätsstörung kommt es typischerweise zum Ausfall der LEP bei erhaltenen SEP (⊡ Abb. 9.7), seltener auch zu einer signifikanten Amplitudenreduktion der LEP im Vergleich zur nichtbetroffenen Gegenseite (Hansen et al. 1996; Kanda et al. 1996b; Rousseaux et al. 1999). Eine signifikante Amplitudenminderung der LEP fand sich auch bei einem Patienten mit Hirnstammenzephalitis im Rahmen einer Herpessimplex-Virusinfektion (Hansen et al. 1996). Der Hirnnervenbefund deutete auf eine multitope Läsion hin, die u. a. zu einer rechtsseitigen Hemihypalgesie führte. Die LEP-Amplitude bei rechtsseitiger Reizung betrug nur 7 µV gegenüber 23 µV bei Reizung der gesunden Gegenseite. Nach Behandlung mit Aciclovir bildete sich die klinische Symptomatik vollständig zurück und das LEP war bei einer Nachuntersuchung drei Jahre später wieder normal. Auch bei anderen Patienten ging die Besserung des Sensibilitätsbefundes mit einer signifikanten Zunahme der LEP-Amplituden vom ehemals betroffenen Areal einher. Residualsymptome bestanden aus Latenzverlängerungen in zwei Fällen und einer um 58% gegenüber der gesunden Seite verminderten LEPAmplitude in einem Fall. Dieser Patient zeigte auch klinisch die geringste Erholung (u. a. persistierende Gangataxie). Ähnlich wie bei Syringomyelie korrelierte auch bei Hirnstammläsionen der LEP-Befund besser mit der Schmerzsensibili-
9.6 · LEP bei Läsionen im Bereich des Hirnstamms 613
9
⊡ Abb. 9.7. Laser-evozierte Potenziale (LEP) und Standard-SEP bei Wallenberg-Syndrom. 41-jähriger Patient mit Infarkt im Bereich der rechten A. cerebelli inferior posterior infolge Verschluss der rechten A. vertebralis. Drei Wochen nach plötzlichem Auftreten einer Hemiataxie rechts und einer dissoziierten Sensibilitätsstörung, die Extremitäten links und das Gesicht rechts betreffend, waren die LEP bei linksseitiger Reizung erloschen (linke Hand), rechts reproduzierbar und unauffällig. Sowohl frühe als auch späte SEP-Komponenten nach elektrischer Reizung des N. medianus waren beidseits unauffällig. (Mod. nach Hansen et al. 1996)
614
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
tät (r=0.79, p<0.01) als mit der Thermosensibilität (r=0.39, n.s.). Die topodiagnostische Spezifität der LEP im Bereich des Hirnstamms ist sehr hoch. So war das LEP normal bei einem Patienten mit einer pontinen Ischämie, die zu Kleinhirnzeichen und einer Horner-Trias führte, nicht aber zu einem somatosensorischen Defizit (Hansen et al. 1996). Umgekehrt waren bei kleinen Infarkten im Tractus spinothalamicus die LEP selektiv ausgefallen (Urban et al. 1999). Somit liefern LEP zu einer multimodalen neurophysiologischen Diagnostik bei Hirnstammläsionen und zu deren Verlaufskontrolle einen wichtigen Beitrag. Aufgrund der engen räumlichen Verhältnisse sind gerade in diesem Teil des Nervensystems die bildgebenden Verfahren den funktionellen Tests oft unterlegen.
9
LEP bei Läsionen im Thalamus und im somatosensorischen Kortex
9.7
Obwohl nozizeptive und taktile Kerngebiete im Thalamus nur teilweise identisch sind, ist die über die SEP hinausgehende Aussagekraft der LEP bisher noch nicht eindeutig belegt. Ähnliches gilt auch für die Großhirnrinde. Bei Patienten mit zentralem Schmerzsyndrom können LEP-Ausfälle jedoch die neuropathische Genese durch den Nachweis des nozizeptiven sensiblen Defizits wahrscheinlich machen.
Im ventrobasalen Kerngebiet des Thalamus werden sowohl die Bahnen des Tastsinns als auch die des Schmerz- und Temperatursinns umgeschaltet. Obwohl sie in einem einheitlichen makroskopischen Kerngebiet liegen, lassen sich funktionell nozizeptive Neurone von nichtnozizeptiven Neuronen unterscheiden. Bei der Ratte und beim Affen sind diese innerhalb der ventrobasalen Kerne gleichmäßig verteilt, während die nozizeptiven Neurone bei der Katze in der Randzone angesammelt sind. Die Modalitätsverteilung innerhalb des menschlichen Thalamus ist noch wenig untersucht (Lenz et al. 1993).
Läsionen im Thalamus betreffen häufig sowohl den Tastsinn als auch den Schmerzsinn. Manchmal kann aber auch eine Thalamusläsion zu einer dissoziierten Störung des Schmerzsinns führen. In solchen Fällen sind die konventionellen SEP normal (Mauguière et al. 1987). Ob LEP in dieser Situation ähnlich spezifische Befunde erbringen wie z. B. bei spinalen Läsionen, ist bisher nur wenig untersucht. Casey et al. (1989) berichteten über amplitudengeminderte LEP bei 2 Patienten mit fokaler posterolateraler Thalamusläsion. Yamamoto et al. (1995) fanden pathologische LEP bei 2 Patienten mit posterioren Thalamusinfarkten und Störung der Schmerzsensibilität, während das LEP bei einem Patienten mit anteriorem Thalamusinfarkt ohne Sensibilitätsstörung normal war. Läsionen der Großhirnrinde führen oft nicht zu einer Störung des Schmerzsinns. In einer Studie an 4 Patienten mit Hirninfarkten ohne Sensibilitätsstörung waren dementsprechend die LEP normal (Yamamoto et al. 1995), während bei einem Patienten mit Sensibilitätsstörungen nach Infarkt sowohl das SEP als auch das LEP pathologisch waren (Wu et al. 1999). ⊡ Abbildung 9.8 zeigt ein Beispiel eines Patienten mit einem ausgedehnten kortikalen Infarkt unter Aussparung des Thalamus (Beydoun et al. 1994). Die Sensibilitätsprüfung ergab eine schwere Hypalgesie der rechten Körperseite, die auch den Tiefenschmerz betraf. Das LEP zeigte eine deutliche Seitendifferenz. Dissoziierte Störungen der Schmerzsensibilität wurden nach isolierter Schädigung im Bereich des frontalen Operkulums (nahe dem sekundären somatosensorischen Kortex) und der dorsalen Inselrinde beschrieben (Greenspan et al. 1999). Der operkuloinsuläre Kortex zeigte in der PositronenEmissions-Tomographie eine spezifische Aktivierung nach schmerzhafter Reizung (zur Übersicht s. Peyron et al. 2000) und in Tierexperimenten wurden in diesem Areal auch nozizeptive Neurone beschrieben (zur Übersicht s. Treede et al. 1999). Mehrere Dipolquellenanalysen zeigten, dass die N1 des LEP hauptsächlich in diesem Areal generiert wird (Bromm u. Chen 1995; Tarkka u. Treede 1993; Valeriani et al. 1996). Prinzipiell lässt sich daraus zwar eine Indikation für LEP bei Läsionen der Großhirnrinde herleiten, aber bisher liegen noch keine Befunde zu eventuellen Verände-
615 9.7 · LEP bei Läsionen im Thalamus und im somatosensorischen Kortex
9
⊡ Abb. 9.8. Laser-evozierte Potenziale (LEP) bei zerebralem Infarkt. 29-jähriger Patient mit einem Infarkt im Bereich der linken Parietotemporalregion. Die Läsion betraf den Gyrus postcentralis, G. supramarginalis, G. angularis, den oberen Parietallappen, die hintere Inselrinde sowie Teile des Temporallappens. Normales LEP bei linksseitiger Reizung (15,5 µV). Keine sicher identifizierbare Reizantwort nach Laserreiz an der rechten Hand. Dort waren Oberflächenschmerz, Tiefenschmerz und Vibrationssensibilität stark vermindert. (Mod. nach Beydoun et al. 1994)
rungen der N1 des LEP bei operkuloinsulären Infarkten vor. Zentrale Schmerzsyndrome gehen oft mit einer Hyperalgesie einher, d. h. mit einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit. Trotzdem fand sich in einer Untersuchung an 11 Patienten mit einseitigem zentralem Schmerzsyndrom nach zerebralem Infarkt in keinem Fall ein gegenüber der gesunden Seite vergrößertes LEP (Casey et al. 1990). Bei drei dieser Patienten war im Gegenteil das LEP auf der betroffenen Seite amplitudengemindert oder verzögert und bei sechs weiteren Patienten sogar völ-
lig ausgefallen. Diese Patienten wiesen auch Defizite in der Wärmesensibilität und im Hitzeschmerz auf, mit denen die LEP-Befunde wie auch bei anderen Krankheiten korrelierten. Auch andere Autoren fanden nur reduzierte oder verzögerte LEP bei Patienten mit Hyperalgesie nach Hirninfarkten (Wu et al. 1999; Yamamoto et al. 1995). Bei Patienten mit zentralem Schmerz dokumentieren die LEP daher das Ausmaß der nozizeptiven Deafferenzierung und nicht das der Hyperalgesie (GarciaLarrea et al. 2002). Deafferenzierung zentraler Anteile des nozizeptiven Systems ist aber einer der
616
Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
Mechanismen, die zu chronischem neuropathischen Schmerz führen können (Baumgärtner et al. 2002; Boivie et al. 1989). Insofern können LEP die neuropathische Genese eines chronischen Schmerzes durch Nachweis des nozizeptiven sensiblen Defizits wahrscheinlich machen.
Erkrankungen mit vergrößerten LEP-Amplituden
9.8
Bei Fibromyalgie und bei Migräne wurden im Gruppenvergleich erhöhte LEP-Amplituden gefunden. Im Gegensatz zur hohen Sensitivität der LEP für nozizeptive sensible Defizite fehlt jedoch bisher der Nachweis gesteigerter LEP bei lokalisierter Hyperalgesie.
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Hyperalgesie kann verschiedene Reizmodalitäten in unterschiedlichem Ausmaß betreffen. Bei Entzündungen ist die Hitzeschmerzschwelle erheblich erniedrigt, während nach Läsionen peripherer Nerven meist nur eine Hyperalgesie gegen mechanische Reize auftritt (zur Übersicht s. Treede et al. 1992). Da sich auch die Mechanismen der Hyperalgesie gegenüber Hitzereizen bzw. mechanischen Reizen unterscheiden, wäre eine Zunahme der LEP-Amplituden nur in solchen Fällen zu erwarten, wo eine Hyperalgesie gegen Hitzereize vorliegt. Wenn bei Patienten mit neuropathischem Schmerz die Laserreize verstärkt wahrgenommen wurden, fand sich dennoch keine Erhöhung sondern eine Verminderung der LEP-Amplitude (Garcia-Larrea et al. 2002; Yamamoto et al. 1995). Signifikant erhöhte LEP-Amplituden (⊡ Abb. 9.9) und eine signifikant erniedrigte Hitzeschmerzschwelle wurde bei Patienten mit Fibromyalgie gefunden (Gibson et al. 1994; Lorenz et al. 1996). Dieses chronische Schmerzsyndrom ist durch eine erhöhte Druckschmerzempfindlichkeit an bestimmten »tender points« gekennzeichnet (Wolfe et al. 1990), die Patienten weisen aber auch außerhalb dieser Punkte eine Hyperalgesie auf. Wegen der generalisierten Hyperalgesie gegen Hitzereize wird bei Fibromyalgie sowohl eine periphere als auch eine zentrale Sensibilisierung des nozizepti-
⊡ Abb. 9.9. Laser-evozierte Potenziale (LEP) bei Fibromyalgie. Die Amplitudendifferenz der späten LEP-Komponenten wurde bei Patienten mit Fibromyalgie und bei gesunden Versuchspersonen (Kontrollpersonen) gleichen Alters (26,6 + 2,1 Jahre) mit jeweils zwei verschiedenen Reizstärken bestimmt (Mittelwerte und Standardfehler des Mittelwertes). Die schwächere Reizstärke entsprach der individuellen Schmerzschwelle, die stärkere dem 1,5-fachen der Schmerzschwelle. Bei beiden Reizstärken zeigten die Patienten signifikant erhöhte LEP. Auch die Hitzeschmerzschwelle war signifikant herabgesetzt. (Daten aus Gibson et al. 1994)
ven Systems diskutiert (Granot et al. 2001). Alternativ ist auch an eine verminderte deszendierende Schmerzhemmung oder eine veränderte Aufmerksamkeitskontrolle zu denken (Garcia-Larrea et al. 2002). Veränderte Aufmerksamkeitskontrolle erklärt möglicherweise die Befunde bei Patienten mit Migräne, die während einer Attacke höhere LEPAmplituden zeigen als im anfallsfreien Intervall (Tommaso et al. 2002), im Intervall aber durch Ablenkung im Gegensatz zu gesunden Probanden nahezu keine Reduktion der LEP-Amplitude aufweisen (Tommaso et al. 2003). Im Allgemeinen ist bei chronischem Schmerz aber nicht mit LEP-Veränderungen zu rechnen, da es sich bei den LEP um evozierte Potenziale nach definierten Schmerzreizen handelt und nicht um ein Korrelat des Spontanschmerzes. Trotz des großen Bedarfes nach einer Objektivierung des chronischen Schmerzes z. B. im Rahmen von Therapieverläufen gibt es hierfür immer noch
617 9.9 · LEP bei psychiatrischen Erkrankungen
kein etabliertes klinisch-neurophysiologisches Verfahren. Bei der familiären progressiven Myoklonusepilepsie sind die Amplituden der frühen SEP-Komponenten auf ein Vielfaches gesteigert (Shibasaki et al. 1985). Bei vier Patienten mit diesem Krankheitsbild waren die LEP jedoch unverändert (Kakigi et al. 1990). Der negative Befund für die LEP deutet darauf hin, dass die gesteigerte Erregbarkeit des somatosensorischen Systems bei dieser Krankheit nicht die nozizeptiven Bahnen betrifft.
LEP bei psychiatrischen Erkrankungen
9.9
Die späten LEP-Komponenten sind bei Demenz deutlich weniger verändert als die P3 des AEP. Bei Analgesie durch Konversionsneurose oder Borderline-Persönlichkeitsstörung kommt es nicht zu LEPAusfällen.
Die Amplitude später Potenziale kann bei Demenz reduziert sein und die Latenz verlängert. Dies gilt insbesondere für die endogene Komponente P3. In einer Studie an 25 Patienten mit unterschiedlich starker kognitiver Beeinträchtigung in der »Mini Mental State Examination« (MMSE) korrelierte die Latenz des LEP schwächer mit dem MMSE-Wert als
Mit der bisherigen Technik können nur späte LEPKomponenten so zuverlässig abgeleitet werden, dass sie sich für einen Routineeinsatz in der Klinik eignen. Beim Vergleich der Normwerte zwischen verschiedenen Labors können kleinere Unterschiede im Untersuchungsparadigma zu merklichen Differenzen führen, da die späten Komponenten in Latenz und Amplitude sensitiv sind für den Reizabstand (randomisiert oder konstant), die Reizdauer, die Filterparameter und insbesondere auch die Aufgabenstellung an den Probanden. Daher gilt für LEP noch mehr als für andere evozierte Potenziale, dass jedes Labor seine eigenen Normwer-
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die Latenz der P3 des AEP (Yamamoto et al. 1996). Auch die LEP-Amplitude war relativ resistent gegenüber kognitiven Defiziten: während die AEP P3 bei keinem der 12 Patienten mit MMSE <15 auslösbar war, hatten selbst 3 von 7 Patienten mit MMSE <10 noch ein LEP. Lorenz et al. (1998) berichteten über einen Patienten mit komplettem Sensibilitätsverlust im rechten Arm distal des Ellenbogens nach Verkehrsunfall mit Schleudertrauma (klinische Diagnose: Konversionsneurose). Dieser Patient hatte normale LEP und normale Medianus-SEP (d. h. keine Seitendifferenz zwischen anästhetischer und gesunder Hand), aber keine P3 wenn in einem Oddball-Paradigma die seltenen Reize auf der anästhetischen Seite appliziert wurden. Diese Befundkonstellation wurde als kognitives Defizit bei intakten nozizeptiven Bahnen interpretiert. In einer Studie an 10 Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung fanden sich trotz stark reduzierter Schmerzempfindung auf Laserreize (um 67% gegenüber gesunden Probandinnen) normale späte LEP (Schmahl et al. 2004). Da auch die räumliche Diskriminationsfähigkeit für Schmerzreize und die Modulation der Laser-P3 durch Ablenkung normal waren, wurde diese Befundkonstellation als Störung der affektiven Schmerzkomponente bei normaler sensorischer Schmerzkomponente und normaler Aufmerksamkeitssteuerung interpretiert.
te aufstellen muss. Die Frage nach einer generalisierten Hypo- oder Hyperalgesie wird im Einzelfall mit LEP oft schwer zu beantworten sein; Gruppenunterschiede lassen sich jedoch für wissenschaftliche Fragestellungen herausarbeiten. Die sichersten Befunde ergeben sich aus dem intraindividuellen Vergleich mit einem gesunden Kontrollareal beim selben Patienten. Mit modernen Lasern von noch kürzerer Reizdauer könnten die frühen LEP-Komponenten, die bisher nur experimentell untersucht wurden, auch Einzug in die klinische Praxis halten. Dies wird die Sensitivität der LEP-Messung möglicherweise noch
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Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
erhöhen, wenn sich diese Komponenten als weniger variabel herausstellen. Während die späten LEP-Komponenten die Funktion der Aδ-Fasern wiedergeben, lösen C-Fasern ultraspäte LEP-Komponenten aus. In den vergangenen acht Jahren wurden mehrere Techniken der selektiven C-Faserreizung mit dem Laser entwickelt. Ob damit auch für klinische Fragestellungen eine selektive Prüfung der C-Faserfunktionen möglich ist, wurde noch nicht ausreichend untersucht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mittels LEP die klinisch-neurophysiologische Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen des somatosensorischen Systems möglich geworden ist. LEP sind vor allem dann indiziert, wenn die entsprechende Sensibilitätsstörung dissoziiert ist und nur
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Schmerz- und Temperatursinn betrifft. Dies ist aufgrund der neuroanatomischen Verhältnisse überwiegend bei Läsionen des peripheren Nervensystems, des Rückenmarkes und des Hirnstamms der Fall. Unabhängig vom Ort der Schädigung bestehen die LEP-Veränderungen aus völligem Ausfall, Amplitudenminderung oder Latenzverlängerung. Bei lokalisierter dissoziierter Sensibilitätsstörung ist die Korrelation der LEP-Befunde mit der Schmerzsensibilität außerordentlich gut. LEP eignen sich auch zur Verlaufskontrolle des Funktionszustandes der nozizeptiven Bahnen vor und nach operativen Eingriffen, unter medikamentöser Therapie und bei Spontanremissionen sowie zur Dokumentation subklinischer Läsionen der nozizeptiven Bahnen.
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Kapitel 9 · Funktionsprüfung der nozizeptiven Bahnen durch SEP nach schmerzhaften Laser-Hitzereizen
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Sachverzeichnis
624
Sachverzeichnis
A Ableitung – enorale 569 – epidurale 87 – subarachnoidale 87 ADCA (autosomal-dominante zerebelläre Ataxie) 583 Adrenoleukodystrophie 225, 414, 584 Adrenomyeloleukodystrophie 584 AEHP (akustisch evozierte Hirnstammpotenziale, s. auch FAEP) 370 – Beurteilungskriterien 394 – Dipolquellen 396 – Methodik 375 – – spezielle 384 AEP mittlerer Latenz s. MAEP Afferenz 555 Ag/AgCl-Elektroden 506 AIDS 505 Aktionspotenzial 2, 3, 265 Akustikusneurinom 400 akustisch evozierte Hirnstammpotenziale s. AEHP akustisch evozierte Potenziale 380 Albinismus 319, 339 Alfentanil 557 Alkoholentzug 460 Alkoholintoxikation 320 Alkoholismus, chronischer 320 Alkoholvergiftung 459 Alpharhythmus, Änderungen 256 ALS (amyotrophe Lateralsklerose, s. auch Lateralsklerose) 311, 572, 577, 580 Altersabhängigkeit 103 Alzheimer 507, 509, 513, 517 Alzheimer-Demenz 309 Amblyopie 349, 350 Aminoglykosidantibiotika 458 Amitriptylin-Intoxikation 222 Amplitude 554–557, 561, 573, 575
– relative 576 Amplitudenmessung 553 – base-to-peak 55 – peak-to-peak 55 Amplitudenverminderung 287, 306 Amyotrophe Lateralsklerose s. ALS Amyotrophie, monomelische 580 Analgesie 600 Anästhesie, hysterische 115 Anästhetika 557 Aneurysma-Clip 588 Anfangslatenz 552, 556 anodisch-elektrische Kortexstimulation 549 Anosognosie 214 Anoxie 472 40-Hz-Antwort 421 R-Antwort (N18) 88, 90 S-Antwort (N22) 90 Antibiotika, ototoxische 483 Anticholinergika 519 Antidepressiva 460, 557 – trizyklische 519 Antiepileptika 322, 458, 557, 558 Aphasie 509, 513, 514, 523 Arachnitis spinalis 172, 174 Arcus zygomaticus 569 Area 4 542 Areae 29 arithmetische Aufgaben 529 Arm-Hand-Areal 550 Armlänge 114 Armplexus – Kompressionssyndrome 120 – Primärstränge 128 – Sekundärfaszikel 128 Armplexuslähmung 125, 130 – postoperative 129 – traumatische 126 Armplexusläsion 123, 124 Artefaktogramm 114 Asphyxie, perinatale 225 Astrozytom 215, 216, 218 Ataxie – autosomal dominante 310
– hereditäre 175 – zerebelläre 414 Atrophia gyrata 337 Audiometrie, objektive 370 Aufmerksamkeit 34, 112, 275 Aufwachtest 164 autosomal-dominante zerebelläre Ataxie s. ADCA Averager 53, 561 Averaging 45 Axondegeneration 14, 115 Axone – demyelinisierte 4, 9, 11 – markhaltige 3 – marklose 3 Axonmembran 2 Axonotmesis 5
B back-averaging 524 BAEP (brainstem auditory evoked potentials) 370, 379, 384 Bandscheibenprolaps 145 Barbiturate 456, 459, 557 Barbituratintoxikation 459 Bardet-Biedl-Syndrom 337 Basilaristhrombose 412, 479 Bassen-Kornzweig-Syndrom 337 Begutachtung 115 Beinareal 547 Bein-Fuß-Areal 550 Beinmuskeln 551 Beinnervenstimulation 40, 96 – kortikale Reizantworten 102 Beinplexusparese 130 Bell-Fazialsparese 568 Benzodiazepam 557 Benzodiazepine 458, 460 BERA (brainstem evoked response audiometry) 379 Bereitschaftspotenzial s. BP Betz-Riesenpyramidenzellen 542, 547 Bewegungssehen 529
625 Sachverzeichnis
Bewegungsstörung – psychogene 529 – unwillkürliche 529 Bewegungsvorbereitung 521 Bewusstseinslage 112 Binokularreizung 287 Blickfixation 279 Blindheit – kortikale 316, 317 – psychogene 319 Blitzbrille 257, 259 Blitzlichtstimulation 453 Blitzreiz 259, 260, 265, 278, 348 Blutung 413 Bonferroni-Korrektur 311 Borderline-Persönlichkeitsstörung 617 Borreliose 172, 568 BP (Bereitschaftspotenzial) 522, 524 – Artefakt-Detektion 528 – bimanuelle Rhythmen 526 – Dipolanalysen 525 – Komplexität 526 – Kraftanstrengung 526 – lateralisiertes 529 – Motorkortex 527 – Neuroimaging 526 – striatonigrales prämotorisches System 527 – zerebellothalamokortikaler Schaltkreis 527 Brain mapping 49, 261 Brainstem auditory evoked potentials s. BAEP Brainstem evoked response audiometry s. BERA Broca-Aphasie 513 Brücke – Karzinommetastase 204 Brückenhaube 198 Brustmarktumor 154
C Canalis facialis falopii 567 Carbamazepin 519 – Vergiftung 461 Cauda equina 86, 565 – Läsionen 144 Ceroid-Lipofuscinose 223, 225 Charcot-Marie-Tooth 583 Chloroquinretinopathie 340 Cholinesteraseinhibitor 519 Chordotomie 28 Chorea Huntington 226, 227, 311, 572 Chorioideremie 337 Choroidaldystrophie 337 chronische progressive externe Ophthalmoplegie s. CPEO CIP (Critical Illness-Polyneuropathie) 137 Cisplatin-Neuropathie 137, 138 click 376 CNV – Basalganglienfunktion 523 – early 521 – GO-Variante 523 – late 521 – Muskelkraft 522 – NO-GO-Variante 523 – S1-S2-Paradigma 523 – Vorinformation 522 – Zeitdruck 522 Cocayne-Syndrom 584 Cochlea-Implantation 508 Coma hepaticum 228 condensation ( s. auch Druckimpuls) 377, 389 Context-update-Modell 514 Conus medullaris 565 Conus-Cauda-Läsion 146 Corpus geniculatum laterale 266 CPEO (chronische progressive externe Ophthalmoplegie) 584 Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung 314
A–D
Critical Illness-Polyneuropathie (CIP) 137 crossed acoustic response 421
D dB phon 373 DC-Potenziale 529 DC-Verstärker 503 Deafferenzierung 615 Degeneration – axonale 288 – hepatolentikuläre 584 – neuronale 14 – tapetoretinale 335, 338 Demenz 197, 226, 505, 512, 517, 617 – Alzheimer-Typ 309 – Formen 521 Demyelinisation 4, 5, 7, 10 Demyelinisierung ( s. auch Demyelinisation) 134, 182, 287 – fokale 283 – segmentale 115 – Ursache 288 Depression 518, 521, 527 Dermatom 40 – Stimulation 141 Diabetes mellitus 136, 320 diabetische Polyneuropathie s. Polyneuropathie Dialyse 136 Dipol 15, 16, 382 Dipolgenerator 382 Dipolquellenanalyse 606 Diskriminationsprozess – aktiver 506 – passiver 506 Diskushernie 581 Dispersion 11 – temporale 117 Donepezil 519 Doppelspule 545, 551, 564, 565, 567 Down-Syndrom 225, 519
626
Sachverzeichnis
Druckimpuls ( s. auch condensation) 377, 389 Dyslexie 510 Dysplasie, zervikookzipitale 160 Dyssynergia cerebellaris myoclonica 222 Dystonie 523, 527, 572 Dystrophia myotonica 140 Dystrophie – myotone 312 – vitreoretinale 338
E Eingangsimpedanz 263 Einklemmung 451 Einschlusskörperchenmyositis 580 EKP (Ereignis-korrelierte Potenziale) – averaging 501 – Baseline 503 – exzitatorische postsynaptische Potenziale 501 – Mittelung 501 – Neuroimaging 501 – Nomenklatur 504 – physikalische Reizparameter 502 – räumliche Auflösung 501 – Zeitauflösung 501 elektrisches Feld 15 Elektrode 46 – Elektroretinogramm 329 – Material 262 – Platzierung 262 Elektrodenposition 506, 563 Elektrokochleographie 383 Elektroretinogramm 311, 323–348 – Ableittechnik 326, 327 – Aussagekraft 341 – Elektrode 329 – Generator 326 – multifokales 341–344 Elektrostimulation 547
Encephalomyelitis disseminata 395, 505 endogene Komponenten P300 605 Enfluran 557 Entmarkungsherd 13 – retrochiasmatischer 296 Entspannung 33 Enzephalomyelitiden 182 Enzephalomyelopathie 584 Enzephalopathie – hepatische 462 – hepatogene 321 – metabolische 228, 462, 519 – septische 462 Ependymom 156 Epilepsia partialis continua 223 Epilepsie 220, 316, 505, 558, 587 – fokale 322 epilepsiechirurgische Operation 513 Epileptiker 587 EP-Potenzial 59 EPSP (erregende postsynaptische Potenziale) 543, 547 Ereignis-korrelierte Potenziale s. EKP ERG s. Elektroretinogramm erregende postsynaptische Potenziale s. EPSP Etagendiagnostik 582 Etomidat 457, 557 extrapyramidale Erkrankung 583 exzitatorische postsynaptische Potenziale 501
F FAEP (frühe akustisch evozierte Potenziale) 370, 379, 384 familiäre spastische Spinalparalyse 572 Farbreizung 287 Farbsehen, gestörtes 289 Farbumkehr-VEP 274 Far-field-Potenzial 49, 57, 379
Aδ-Fasern 601, 618 C-Fasern 601, 618 Fazialisneurographie 567 fazilitierende Maßnahme 548 Fazilitierung 548, 568 – der Reizantworten 552, 553, 555, 556 – – kontralaterale 561 Felsenbeinfraktur 484 Fentanyl 458, 557 Fernfeldaktivität 14 Fernfeld-Potenzial 50 Fibromyalgie 616 Filtereinstellung 53, 54 Fingerbeuge-Reflex 579 Fingerstimulation 36 Flussrichtung des Stroms 549 Foramen stylomastoideum 568 fpMP 524 Friedreich-Ataxie 174, 572, 583 Friedreich-Erkrankung 137, 175, 176 frühe akustisch evozierte Potenziale s. FAEP Furosemid 458 Fußmuskeln 554 Fz-Referenz 60
G Ganglienzellatrophie 344 Ganglion Gasseri 110 Ganzfeldreizung 258, 279, 288, 304 Gefäßmalformation 403 Gehörgangsableitung 450 Gehörschutz 567, 587 Generatorstruktur 265 Geschlechtsabhängigkeit 103 Gesichtsfeld – Abbildung auf dem Kortex 269 – Ausfall 289 – Defekt 284, 303, 304 – Einengung, periphere 335 – Einschränkung 320 Gesichtslähmung 568
627 Sachverzeichnis
Gesichtsmuskulatur 567 Gewebeerwärmung 586 Giant axonal neuropathy 140 Giant-SEP s. Riesen-SEP Glasgow-Komaskala 465, 468 Glasgow-Outcomeskala 466, 469 Glaskörpertrübung 348 Glaukom 288, 350 Glioblastoma multiforme 213, 214, 216, 217 Gliom 219 GM3-Gangliosidose 225 Goldmann-Favre-Erkrankung 338 Goldmann-Perimetrie 304 granulomatöse Myelitis s. Myelitis Grundlinienschwankung 555 Guillain-Barré-Syndrom 135 Gyrus postcentralis 28, 76, 82, 208, 209, 212
H Habituation 115 Halbfeldreizung 258, 269, 271, 303, 304 Halothan 557 Halsmarkläsion, vaskuläre 168 Halsmarkprozess 151 Halsmarktumor 151–154 HAM s. Myelopathie Hämatotympanon 483 Hämodialyse 228 Handmuskeln 551, 553–555 Hauttemperatur 33, 113 hearing level 373 Helligkeits-ERG 330, 331, 335, 344 Hemisphärektomie 209 hereditäre Ataxie s. Ataxie hereditäre sensible Neuropathie (HSN) s. Neuropathie Heredoataxie 572, 583 Herniation – infratentorielle 315 – transtentorielle 450, 478, 482 Herpes-simplex-Enzephalitis 480
Herzschrittmacher 587 Hinterhorn 26, 151, 152 – Läsion 169 Hinterstrang 26–28, 96, 601 Hinterwurzeleintrittszone 151 Hirninfarkt 210, 211, 216, 614, 615 – Capsula interna 216 – Gyrus postcentralis 209 Hirnläsionen siehe lokale Hirnläsionen Hirnödem 469 Hirnpotenziale, langsame 529 Hirnrindenfeld 208 Hirnschädigung – hypoxische 472, 473, 475, 476 – infratentorielle 450 – supratentorielle 450 Hirnstamm 413, 546 Hirnstammenzephalitis 612 Hirnstammerkrankung 198 Hirnstamminsult 478 Hirnstammischämie 408 Hirnstammpotenzial 265 Hirnstammtumor 397, 401 Hirntod 65, 468, 474, 475, 480–482 – evozierte Potenziale 488 – FAEP 482, 483 – SEP 485–487 – VEP 487 Hirntrauma 219 Hirntumor 219 Hitzereiz 601 HIV-Infektion 314, 568 HIV-Myelopathie 172 HMSN 137, 138 HMSN I 610 Hochspannungsreiz 546 – anodisch-elektrischer 541, 547 Hochspannungsreizgerät 562, 563, 564 Hochvoltgerät 541 Hochvoltstimulation 548, 563, 576 Hörbahn 371, 373, 374, 381 Hörschäden 587 Hörschwelle 451 – Kurve 375
D–I
HSN (hereditäre sensible Neuropathie) 139 HTLV-I assoziierte Myelopathie ( s. auch Myelopathie) 612 Huntington-Chorea 311, 507, 519, 527, 584 Hydroxychloroquinretinopathie 340 Hydrozephalus 315 Hyperalgesie 609, 612, 615 Hyperkapnie 455 Hyperreflexie 579 hypertensive Blutung 477 Hyperthermie 455 Hyperventilation 299, 323 Hypophysentumor 303, 307 Hypothermie 323, 454, 455, 459, 460 Hypothyreose 321 Hypotonie – arterielle 455 Hypoxie 455, 473 hypoxische Hirnschädigung s. Hirnschädigung hysterische Anästhesie s. Anästhesie
I Immunneuropathie 135 Impedanz 46 imperativer Stimulus 521, S2 521 Impulsblockierung 4, 8, 9 Impulsleitung 2, 6, 7 – Axondegeneration 12 – kontinuierliche 7, 8 – metabolische Faktoren 9 – saltatorische 6 – Temperaturabhängigkeit 8 Impulsserie (»train«) 4, 8 Induktion, elektromagnetische 544 infraganglionäre Schädigung 125 Inionantwort 419 Innenohrstörung 395
628
Sachverzeichnis
Innervation, tonische 548, 555 Innervationsdichte 29 Innervationslücke 543 – postexzitatorische 577 Insensitivität für Schmerz, kongenitale 139 Intensivmedizin – EKP 454 – FAEP 450 – MEP 453 – SEP 451 – VEP 452 Intensivstation 557 Interneuron 543 Internodien 10, 11 Intoxikation 459, 462 intrazerebrale Blutung 476 – infratentorielle 476, 478 – supratentorielle 479, 478 Ionenmilieu 6 Ischämie, pontine 614 Ischiadikusläsion 131 Isofluran 557
J Jackson-Anfälle 222 Jakob-Creutzfeldt-Erkrankung 222 japanische Enzephalitis 480 Jugulum 49 – Referenz 60
K K+-Kanal 11 Karpaltunnelsyndrom 117, 118 Kaudasyndrom 145 Kaumuskeln 547, 549, 569 Kearns-Sayre-Syndrom 337 Kennedy-Syndrom 580 Ketamin 557 Ketoazidose, diabetische 462 Kinästhesie 197
Kleinhirnbrückenwinkeltumor 397, 400 Kleinhirninfarkt 478, 479 Kognitionsforschung 531 Kohlenmonoxidvergiftung 462 Koma 318, 449, 452, 454, 473, 510 – posttraumatisches 464, 465, 471, 472 – Prognose 465–467, 471, 477, 478 komatöser Patient 556, 557 Kondensatorentladung 545 Kontraindikationen 586 Kontrast 267, 279 Konversionsneurose 617 Kornealreflex 105 Körpergröße 114 Körperkerntemperatur 113 Körpertemperatur 449, 455 – VEP 290 Kortex 546 – operkuloinsulärer 606, 614 – Reizung 541, 543 – somatosensibler 31 Kortexstimulation – anodisch-elektrische 549 – elektrische 541, 557 kortikaler Primärkomplex 73 kortikospinale Bahn 546 Kubitaltunnelsyndrom 120
L Labyrinthausfall 418 Lachgas 557 Lähmung, psychogene 585 Laser 601 – CO2-Laser 600, 602 – Thuliumlaser 602 Laser-evozierte Potenziale (LEP) 602 Laserreizung, dermatomale 610 Läsion – postchiasmale 261 – topische Zuordnung 287 – zerebelläre 523, 527
late positive complex s. LPC Latenz 554, 555, 556 – kortiko-muskuläre 553, 573, 574 – Variabilität 561 Latenzmessung 559, 562, 563 Latenzverzögerung 287, 288, 303, 304, 310 Latenzwert, körperlängenkorrigierter 189 Lateralsklerose, amyotrophe (ALS) 140, 178, 311, 507, 558 Lateralsklerose, primäre 580 Lautstärkepegel 373 Leber-Optikusatrophie 312, 352 LED-Brille 453 Leitungsblock 5, 7, 11–13 Leitungsgeschwindigkeit 3, 38 Leitungsverzögerung, dissoziierte 287 Leitungszeit – internodale 4 – periphere s. PLZ – zentrale 547 – zentrale motorische s. ZML Lemniscus medialis 198 LEP-Komponenten 603, 606 Leuchtdichte 266, 279, 298 Leukodystrophie, metachromatische 139, 225, 414, 584 Levodopa 527 Lhermitte-Zeichen 11 Lidocain 456, 458 Lippenstimulation 108 Liquor 549, 567 Lithium-Intoxikation 222 Locked-in-Syndrom 200, 479, 585 lokale (Hirn-)Läsionen 513, 514 – frontale 513, 519 – parietale 513, 519 LPC (late positive complex) 514 LRP 529 Lues 288, 314 Lues spinalis 169 lumbale Raumforderung s. Raumforderung Lumbosakralmark 85, 86
629 Sachverzeichnis
Lumbosakralwurzel 143 Lupus erythematodes 182 Lymphom 156
M M. abductor digiti minimi 553, 554, 559, 560, 573, 575, 576, 579, 582 M. abductor hallucis 560, 574 M. abductor pollicis 560 M. biceps brachii 554, 559, 573, 582 M. extensor 554 M. extensor carpi radialis 575 M. extensor digitorum brevis 560 M. flexor carpi radialis 554 M. interosseus dorsalis I 553, 554, 559, 560, 575, 576 M. masseter 569 M. mentalis 567 M. nasalis 567, 568 M. orbicularis oculi 105, 568 M. soleus 553 M. tibialis anterior 553, 554, 560, 574–576, 579 M. trapezius 580 M. vastus medialis 554 MAEP (AEP mittlerer Latenz) 418, 422 Magnetenzephalographie s. MEG Magnetfeld 544, 545, 546 Magnetfeldpuls 544, 545 Magnetreiz 546, 549, 553 – bipolarer 545 – fokussierter 551 – monopolarer 544 Magnetstimulation 541, 544, 545, 547, 564 – transkortikale 554 Makuladystrophie – juvenile 337 – vitelliforme 337 Malaria, zerebrale 480 Malformation, arteriovenöse 304 Markscheidenschädigung 289
Mastoidableitung 450 Match-to-sample-Paradigma 522 Mediainfarkt 478 Medianus-SEP 35, 58 – Ableiteschema 49, 52 – Generatoren 58 – Normgrenzwerte 70 – Skalpverteilung 77 – spinale Reizantwort 56, 61 – subkortikale Reizantwort 56, 61 Media-Teilinfarkt 212 medikamentöse Einflüsse 557 Medulla oblongata 200, 201, 203 – Ependymom 201 – Melanommetastasen 203 MEG (Magnetenzephalographie) 511 Membranstrom 3 Meningeosis neoplastica 568 Meningitis – eitrige 480 – tuberkulöse 480 MEP (motorisch evozierte Potenziale) s. auch Magnetstimulation MEP-Amplitude 552, 554, 556, 576 MEP-Latenz, Variabilität 576 MEP-Potenzialdauer 576 Meralgia paraesthetica 122 metabolische Myelopathie s. Myelopathie metachromatische Leukodystrophie s. Leukodystrophie metal-clip 588 Metallpartikel 588 Methanol 460 Methohexital 557 Midazolam 557 Migräne 313, 616 Mikrophonpotenzial 370, 383 mirror movements s. Spiegelbewegungen mismatch negativity s. MMN mitochondriale Myopathie 572 Mittelwertbildung, elektronische 561 MMN (mismatch negativity) 506
I–M
– deviante auditorische Stimuli 508 – Gedächtnisspur 508 – Sprachentwicklung 509 Monitoring 557, 579 Morbus Bechterew 145, 146 Morbus Behçet 178, 182, 315, 602 Morbus Boeck 169, 172, 173, 182 Morbus Parkinson ( s. auch Parkinson-Syndrom) 572, 583 Morbus Refsum 139 Morbus Wilson 225, 312, 572, 584 Morton-Metatarsalgie 123 α-Motoneuron 543, 547, 548, 578 Motoneuron 543, 548 motorische Schwelle s. Schwelle Motorkortex 523 Motorpotenzial (MP) 524 – fpMP 524 – ppMP 524 MRI-Volumetrie 519 MS (Multiple Sklerose) 178–181, 183–187, 190, 191, 197, 288, 293–303, 347, 390, 434, 507, 558, 572, 578, 612 – Armnervenstimulation 183 – Beinnervenstimulation 188, 192 – diagnostische Kriterien 438 – Kernspintomographie 436 – kortikale Reizantworten 183, 188 – Liquordiagnostik 436, 440 – McDonald-Kriterien 434, 438, 442 – Poser-Kriterien 434, 435 – Prädiktion 441 – prädiktiver Wert 437 – primär chronisch-progredienter Verlauf 434, 439 – räumliche Dissemination 435, 440 – Retrobulbärneuritis 439 – schubförmig remittierende Verlaufsform 434 – Sensitivität 437 – Spezifität 437
630
Sachverzeichnis
MS (Multiple Sklerose) – spinale 193, 194 – T1-Läsionslast 441 – T2-Läsionslast 441 – Trigeminus-SEP 196 – Trigeminusstimulation 195, 197 – Verlaufsparameter 441 – zeitliche Dissemination 435, 440 – zervikale Reizantworten 184 Multiple Sklerose s. MS Multisystematrophie 310, 572, 583 Multisystemerkrankung 414 Musikverarbeitung 529 Muskelatrophie – bulbospinale 580 – hereditäre spinale 581 – neurale 137 – progressive spinale 140 – spinale 580 Muskelrelaxanzien 458 Muskelrelaxation 557 Muskelsummenpotenzial 552, 563 Muster-ERG s. Pattern-ERG Musterreiz 257, 259, 260 Musterumkehrreiz 260, 261, 266 Musterwechselfrequenz 279 Myelinolyse – pontine 202 – zentrale pontine 414 Myelitis, granulomatöse 169 Myelitis transversa 167 Myelomeningozele 178 Myelopathie 151, 581 – diabetische 582 – HTLV-1-assoziierte (HAM) 582, 612 – ischämische 582 – metabolische 177 – postaktinische 582 – spondylotische 582 – vaskuläre 167 – zervikale 158, 159, 161, 577 Myelose, funikuläre 288 myogene Reflexantwort 110
myogenes Potenzial 112 Myoklonie 220 – essenzielle 222, 223 myoklonische Störung 527 Myoklonusepilepsie 220, 222, 617
N N. facialis 549, 567 N. femoralis 130 N. hypoglossus 569 Nn. iliohypogastricus 117 Nn. ilio-inguinalis 117 N. infraorbitalis 108, 110, 132 N. ischiadicus 128 N. medianus 123, 127 N. mentalis 108 N. opticus 453 N. plantaris medialis 123 N. pudendus 110 N. trigeminus 569 N1 504 N2a 506 N2b 506 N2c 506 – disparate Stimuli 507 – classification N2 506 N9 58 N11 61 N13 62 N14 66 N18 75, 90 N20 73, 81 N22 90, 93 N30 79, 95, 97 N100 (N1) 283, 504 – Aufmerksamkeit 505 – Habituation 505 N200 (N2) 506 – Aufmerksamkeit 507 – disparate Stimuli 507 – N2a 506 – N2b 506 – N2c 506 N400 510 – Erwartung 512
– Inkongruenz 513 – repetition priming 513 – Worthäufigkeit 512 – Wortposition 512 – Wortwiederholung 512 N400m 511 Na+-Einwärtsstrom 2, 3 Na+-Kanal 3, 7 Nachtblindheit 320, 352 Nacken-SEP 56 Nahfeldaktivität 14 Narkosemittel 557 Narkotika 322, 323 Nasopharyngealelektrode 486 Near-field-Potenzial 380 Nebenwirkungen 587 Neglect 509, 519 Nervenaktionspotenzial 383 Nervenbiopsie 609 Nervenleitung, kortiko-spinale 542 Nervenwurzelläsion 140 Netzhautdystrophie 337, 338 Netzhautintoxikation 340 Neugeborene, VEP 274 neurale Muskelatrophie s. Muskelatrophie Neuroborreliose 146–148, 150, 172, 182, 315 Neurobrucellose 480 Neurodegeneration 288 Neurofibromatosis Recklinghausen 313 Neuroleptika 460 Neurolues 182 Neuromonitoring 167 Neuron, kortikobulbäres 547 Neuronitis vestibularis 418 Neuropathie 115, 116 – hereditäre 140, 583 – hereditäre motorische und sensible (HMSN) 583 – hereditäre sensible (HSN) 139 – hereditärer motorischer und sensibler Typ I 311 – ischämische 124 neuropathischer Schmerz s. Schmerz
631 Sachverzeichnis
Neurosyphilis 314, 610 nichtpathologische Variabilität 387 – Ableitort 388 – Alter 387 – Filter 391 – Geschlecht 387 – Medikamente 391 – monaurale, binaurale und kontralaterale Reizung 388 – Polarität des Reizes 389 – Reizfrequenz 390 – Reizstärke 390 – Stoffwechselstörungen 391 – Temperatur 388 – Wachheitsgrad 391 Niereninsuffizienz 321 Nn. Intercostobrachiales 127 Nomenklatur 55 Normalbefunde 573 normalized hearing level 374 Novel-P3 519 Nozizeption 600 NS’ (terminal negative slope) 524 Nucleus cuneatus 27 Nucleus gracilis 27 Nystagmus 260 – kongenitaler 338
O Oblongata-Syndrom 198 Oddball-Paradigma 505, 514 Oddballs 514 Ödem, perifokales 287 olivo-ponto-zerebelläre Atrophie s. OPCA OPCA (olivo-ponto-zerebelläre Atrophie) 583 operkuloinsulärer Kortex s. Kortex Ophthalmoplegie, chronischprogressive 312 Optikusatrophie 347, 352, 354 Optikusneuritis, ischämische 352
Orientierungsprozess 521 Orientierungsreaktion 504, 514
P P0 277 P1 277 P2 277 P3 277 P9 58 P11 61 P13 62 P14 66 P15 67, 68 P16 71 P18 71 P19 105 P30 97 P40 97, 98, 104 – Korrelation mit der Körpergröße 104 P60 99 P100 278, 279, 303 P300 (P3) 514 – ADAS-cog-Score 519 – Alter 517 – Aufmerksamkeitszuwendung 514 – Auftretenswahrscheinlichkeit 516 – Deaktivierung 514 – Hintergrundstimuli 516 – Hirnleistungsschwäche 518 – Inhibition 514, – Interstimulusintervall (ISI) 516 – intrakranielle Elektroden 515 – P3a 514 – P3b 514 – Pseudorandomisierung 516 – Synonyme 517 – Tierversuch 515 – Zielstimuli 516 P-300-Komplex 112 P600 510 Pallästhesie 197 Papillitis 352
M–P
Paralyse, progressive supranukleäre 583 Paraparese 157 – spastische 178 Paraplegie, familiäre spastische 178 Paraspastik 182 Parkinson-Syndrom 309, 507, 509, 513, 518, 523, 527 Pattern-ERG 287, 344–347 peak equivalent 374 Pelizaeus-MerzbacherKrankheit 414 Phenobarbital 519 Phenothiazin 519 Phenytoin 519 – Intoxikation 461 photic driving 256 Physostigmin 519 Pigmentepitheldystrophie 337 Plegie 555 PLZ (periphere Leitungszeit) 561, 562 Polyneuritis 134 Polyneuritis cranialis 135 Polyneuritis Guillain-Barré 116 Polyneuropathie 413, 609 – alkoholische 137 – diabetische 116, 136, 602, 609 – metabolische 136 – myxödematöse 137 Polyneuroradikulitis 135 Ponsinfarkt 200, 479 Pons-Syndrom 198 Postaurikularisreflex 419 Posteriorinsult 304 Postpolio-Syndrom 580 Postzentralregion 208 Potentiallatenz 263 Potenzial – auffallendes 280 – blitzevoziertes 257, 265, 266, 274, 290 – foveales 288 – musterevoziertes 266, 269, 293 – oszillatorisches 332 – postsynaptisches 265
632
Sachverzeichnis
Potenzial – somatosensorisch evoziertes 316 – spitzes 287 – stumpfes 287 – visuell evoziertes s. VEP Potenzialabgang 559 Potenzialamplitude 263, 553, 554, 556 ppMP 524 progressive supranukleäre Paralyse 572 Projektion, ipsilaterale kortikospinale 544 Propofol 457, 557 Propriozeption 600 Pseudodemenz 518, 521 Pseudolatenzverzögerung 287 Pseudotumor cerebri 315 psychischer Einfluss 547 psychogene Parese 572 Pudendus-SEP 41, 111 Pulfrich-Phänomen 300 Pupillenweite 275 Pyramidenbahn 542 Pyramidenzellen 30, 543, 544, 547
Q Quadrantenstimulation 266 Querschittsmyelitis 171 Querschnittssyndrom, traumatisches 163
R Radikulopathie 140, 141 Ranvier-Knoten s. Ranvierscher Knoten Ranvierscher Knoten 4, 6 rarefaction ( s. auch Sogimpuls) 377, 389
Raumforderung – infratentorielle 202 – lumbale 157 – spinale 157, 158 – thorakale 156 Reaktionszeiten 522 Reanimation 472 Referenz 46–48, 96 – extrakephale 49, 50 – frontomediane 52 – kephale 50 Reflexantwort, myogene s. myogene Reflexantwort Refraktärität 8 Refraktärperiode 4 Refraktärzeit, verlängerte 287 Refraktionsstörungen 275 Refsum-Syndrom 337 Reinnervation 133, 134 Reiz, skotopischer 287 Reizantwort – Fazilitierung 552, 553 – kortikale 40 – Variabilität 552 Reizbewertung 507 Reizfarbe 324 Reizfeld 269 Reizfrequenz 42, 44 Reizmustergröße 299 Reizmusterkontrast 267 Reizschwelle 117, 548, 550, 556–558 Reizspezifität 286 Reizspule 545, 549 – Position 549, 550, 569 Reizstärke 42, 43, 548, 554, 556, 558, 561 Reizung – foveale 258, 280 – supramaximale 564 – transiente 280 Remyelinisation 10, 12, 13 Remyelinisierung s. Remyelinisation Retinadegeneration, pigmentäre 311 Retinitis pigmentosa 335–337, 340, 350
Retinopathie, diabetische 339 Retinoschisis, juvenile 338 Retrobulbärneuritis 288–290 Reye-Syndrom 225 Riesen-SEP (»giant-SEP«) 219, 222, 223 Rinde, sensible 25, 30 Rindenfelder, sensible (Areae) 29 Rivastagmin 519 Rückenmark 546 Rückenmarksläsion 163 – traumatische 162, 164, 582 Rückenmarksmonitoring 167 Rückenmarkstumor 157
S S1 521 S2 521 Salve, hochfrequente 543, 547 Sarkoidose 288 Schachbrettmuster 271–273, 279, 290 – Umkehrreiz 264, 265 Schädeldicke 546 Schädelhirntrauma ( s. SHT) 316, 452 Schall 372 Schalldruck 372, 373 Schalldruckpegel 373 Schallleitung 372 – Störung 390, 395 Schallmessung 372 Schalltrauma 587 Schizophrenie 518, 523, 527 Schmerz, neuropathischer 616 Schmerzempfindung, doppelte 602, 607 Schmerzsinn 600 Schmerzsyndrom, zentrales 601, 615 Schmetterlingsspule 545 Schock, spinaler 164 Schulteramyotrophie, neuralgische 135
633 Sachverzeichnis
Schwannom 154 Schwelle – motorische 43 – sensible 37, 43 Schwellenreiz 554 Schwellenstromstärke 42 Sedativa 557 Sedierung 449 Sehminderung, kongenitale 338 Sehnerv, Kompression 304 Sehschärfe 272, 273 Sehstörung, funktionelle 319 Seitenvergleich 114 Sekundärstromkreis 544 Sensibilitätsstörung, dissoziierte 601, 610, 612, 614 sensible Rinde s. Rinde sensible Schwelle s. Schwelle sensibles Assoziationsfeld 211 SEP (somatosensorisch evozierte Potenziale, s. auch Potenzial, somatosensorisch evoziertes) 23, 600 – Alter 70 – Auswertung 113 – Einfluss des Schlafs 112 – epidurale Ableitung 51 – Geschlecht 70 – intrathekale Ableitung 51 – bei Kleinkindern 83 – Korrelation mit Körperlänge 113 – kortikale Reizantwort 32 – Lokalisationsdiagnostik 23 – Magnetstimulation 44 – medikamentöse Einflüsse 112 – Prognose 470 – quantitative Funktionsprüfung 23 – Reizstärke 37 – Schmerzafferenzen 45 – Stimulationsort 24 – Temperaturabhängigkeit 34 – Verlaufsuntersuchungen 470 – zentrale Überleitungszeit 467 SEP-Komponenten – frontale 78 – kortikale 80
– späte 79 – Ursprung 80 SEP-Monitoring 166 Sepsis 463 Sepsis-Enzephalopathie 137, 223 SHT (Schädelhirntrauma) 463, 464, 466–471 – Prognose 471 Sicherheitsfragen 586 Siderosis retinae 340 Signal-Rausch-Verhältnis 45, 379 silent period 577 Sjögren-Syndrom 288 Skalptopographie 47 Skoliose-Operation 166 slow potential 529 SMA (spinale Muskelatrophie) 572 SMON (subakute Myelo-OpticoNeuropathie) 177 Sogimpuls ( s. auch rarefaction) 377, 389 somatosensible Leitungsbahn 83 – Ausreifung 83 somatosensibles System 25 – deszendierende Hemmung 32 Somatosensorik – lemniskales System 25 somatotopische Gliederung 29, 31 sound pressure level s. SPL Spasmus hemifacialis 110 Spiegelbewegungen (mirror movements) 585 Spike 528 Spina bifida 178 spinale MS s. Multiple Sklerose spinale Muskelatrophie s. SMA spinale Raumforderung s. Raumforderung spinaler Schock s. Schock Spinalerkrankung, funikuläre 176 Spinalganglion 26 Spinalparalyse, spastische 580 SPL (sound pressure level, s. auch Schalldruckpegel) 373
P–S
Spondylose 581 spondylotische zervikale Myelopathie 572 Sprachaufgaben 530 Sprachentwicklung 509 Sprachleistungen 510 Sprachverarbeitung 529 SPS (syntactic positive shift) 510 Spule – 8-förmige 545 – Konfiguration 551 – Polarität 550 – Position 547, 569 Stäbchenantwort 331 Stäbchenerkrankung, stationäre 338 Stäbchen-Zapfen-Dystrophie 335 Status asthmaticus 474, 476 Stauungspapille 352 steady-state Movement-Related Cortical Potentials (ssMRCP) 525 – Dipolanalysen 525 Steady-state-Reizung 258, 259, 274, 278, 280, 290 Steele-Richardson-OlzewskiSyndrom 583 Steroästhesie 197 Stimulation – transiente 258, 259 – Zeitfrequenz 273 Streifenmuster 272, 300 Stromdichte 586 Stromrichtung 550 subakute Myelo-Optico-Neuropathie (SMON) 177 Subarachnoidalblutung 214, 476–478 subdurale Ableitungen 522 Summation – Bedarf 547 – Potenzial 370, 383 – räumliche 548 – zeitliche 548 Summenpotenzial 559, 563 – Dauer 556, 561 supraganglionäre Schädigung 125
634
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Sweep-VEP 272 synaptische Verzögerung 12, 38, 71 Syndrom des engen Spinalkanals 146 syntactic positive shift s. SPS Syringobulbie 202 Syringomyelie 160, 161, 582, 610 10-20-System 46, 47
T Tabes dorsalis 146, 169 Tacrin 519 Tarsaltunnelsyndrom 123 Tastsinn 600 Tay-Sachs-Erkrankung 225 Temperatursinn 600 Temporalisreflex 420 terminal negative slope (NS’) 524 Tethered-cord-Syndrom 178 thalamo-frontale Aktivierung 208 Thalamus 28, 68 – Infarkt 205, 206, 614 – Läsion 203, 204, 206 Thiopental 456, 557 Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) 120, 121 thorakale Raumforderung s. Raumforderung Tibialis-SEP 39 – Ableiteprogramm 51 – Ableiteschema 53 – kortikale Reizantwort 97 – kortikaler Primärkomplex 98 – lumbosakrale Reizantworten 86, 90 – Normgrenzwerte 104 – Normwerte 89 – Skalpverteilung 99, 100, 101 – Ursprungsorte 105 – Vorteile 85 – Vorwellen 98 – zervikale Reizantworten 95
Tiefenhirnstimulation 529 tonisch-klonischer Anfall 587 Tortikollis 523 TOS (Thoracic-outlet-Syndrom) 120, 121 Tractus cuneatus 152, 153 Tractus spinothalamicus 198, 203 Tractus thalamocorticalis 209 transsynaptische Aktivierung 547 Tremor 555 Trigeminusläsion 130, 132 Trigeminusneuralgie 122, 130 Trigeminus-SEP 40, 105, 107, 109, 110 – Korrelation mit Lebensalter 109 – Skalpverteilung 107 Trippel-Stimulationstechnik 579 Trömner-Reflex 579
U Überleitungszeit, zentrale 70 Ulnaris-Kompressions-Syndrom 120 Ulnarisneuropathie am Ellenbogen (UNE) 118 Urämie 136, 462 Usher-Syndrom 337 Uthoffsches Phänomen 9
V Variabilität – inhärente 552 – der Reizantworten 552 vaskuläre Halsmarkläsion s. Halsmarkläsion vaskuläre Myelopathie s. Myelopathie vegetativer Zustand 452 vegetatives Stadium 468, 469, 475
VEP – Ableitung 260, 261, 264 – Amplitude 268, 272, 278, 287 – Auswertung 276, 277 – Durchführung 290 – Erwachsenenalter 274 – Geschlechtsabhängigkeit 275 – intraoperatives Monitoring 322 – Kindesalter 274 – Latenz 272 – motion-onset 300 – multifokales 285, 286 – normales 264 – Pathophysiologie 286 – Reproduzierbarkeit 284 – Säuglinge 274 – Stimulation 256, 257 – transientes 258, 277 Verschluss-Hydrozephalus 218 Verstärker 53, 262, 263 Verstärkungseffekt 116 – synaptischer 116, 117 Vertexpotenzial 79. 80, 112 Verzögerung, synaptische s. synaptische Verzögerung Visus 275 – Objektivierung 284 Visusverfall – einseitiger 289 – hochgradige 283 Vitamin-B12-Mangel 320 Vitamin-E-Mangel 176 Volumleitung 14, 15 Vorbereitungsprozess 521 Vorderarmmuskel 554 Vorderseitenstrang 26, 28, 601 Vorinnervation 554–556, 558 – willkürliche 553
W Wachheitsgrad 33 Wagner-Stickler-Degeneration 338
635 Sachverzeichnis
Wallenberg-Syndrom 198, 199, 612 – Trigeminus-SEP 199 Waller-Degeneration 10, 12 Warnsignal 521 – S1 521 Weber-Syndrom 198 A-Welle 88 D-Welle 543 F-Wellen-Latenz 561, 562 F-Wellen-Methode 566 I-Welle 543 Wernicke-Aphasie 513 West-Syndrom 322 Willkürbewegung 521, 524 Willkürinnervation 548, 554 Willkürmotorik 543 Wirbelsäule – Extension 165 – Instabilität 588 – Operation 164, 166 Wismut-Intoxikation 223 Würfelrotation 529
Wurzelausriss 124 Wurzelläsion 610 Wurzelreizung 562–565 – motorische 561, 566
X Xanthomatose, rebrotendinöse 584
Z Zahnpulpastimulation 105 Zapfeneinzelblitzantwort 333 Zeitfrequenz 273 Zeitschätzen 522 zentral motorische Leitunsgzeit s. ZMLZ Zentralarterienverschluss 339
S–Z
Zentralvenenverschluss 339 zerebelläre Ataxie s. Ataxie Zerebellum, vaskuläre Läsionen 527 zerebrale Ischämie, globale 212 Zerebralparalyse 585 zerebrovaskulärer Insult 572, 584 zervikale Myelopathie s. Myelopathie Zervikalmark 582 Zervikalwurzel 128, 142 zervikookzipitale Dysplasie s. Dysplasie ZML (zentrale motorische Leitungszeit) 561, 562, 570, 573 Zoster 142, 143 Zuckungskraft 556 Zungenmuskulatur 569 Zungenstimulation 108 Zwillingsspule 545, 551, 564, 565, 567 Zytoarchitektonik 29 Zytopathie, mitochondriale 584