H. Schneider (Hrsg.) P. Husslein (Hrsg.) K. T. M. Schneider (Hrsg.) Die Geburtshilfe 4. Auflage
H. Schneider (Hrsg.) P. Husslein (Hrsg.) K. T. M. Schneider (Hrsg.)
Die Geburtshilfe 4. Auflage Mit 456 Abbildungen und 193 Tabellen
123
Prof. Dr. med. Henning Schneider
Univ.-Prof. Dr. med. Karl-Theo M. Schneider
Ehem. Direktor und Chefarzt der Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Ahornweg 4 3122 Kehrsatz Schweiz
Poliklinik der TU München Klinikum rechts der Isar Frauenklinik Leiter der Abt. für Perinatalmedizin Ismaninger Straße 22 81675 München
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Husslein Vorstand der Universitätsfrauenklinik Wien Leiter der Abt. für Geburtshilfe, Gynäkologie und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18-22 1090 Wien Österreich
Ihre Meinung interessiert uns: www.springer.com/978-3-642-12973-5
ISBN-13 978-3-642-12973-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. sc. hum. Sabine Höschele, Heidelberg Projektmanagement: Dipl.-Biol. Ute Meyer-Krauß, Heidelberg Lektorat: Michaela Mallwitz Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Titelbild: Hannes Eichinger/fotolia.com Satz und digitale Bearbeitung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN: 12533879 Gedruckt auf säurefreiem Papier
2111 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 4. Auflage Die seit längerem zu beobachtende Erhöhung des Alters der Schwangeren sowie die Zunahme der Adipositas sind hervorstechende Veränderungen in unserer Gesellschaft, die wesentlich für den Anstieg von Risikofällen verantwortlich sind. Dabei handelt es sich aufseiten der Mutter vor allem um Schwangerschaftskomplikationen wie hypertensive Erkrankungen und Diabetes mellitus Typ II. Aufseiten des Fetus sind dies intrauterine Wachstumsstörungen und Frühgeburtlichkeit. Die erhöhte Inzidenz von Morbidität bei Mutter und Kind beschränkt sich nicht nur auf die Schwangerschaft selbst und deren Ausgang, sondern sie wirkt sich auch im Verlauf des weiteren Lebens negativ auf die Gesundheit von Mutter und Kind aus. Der besonderen Bedeutung des intrauterinen Milieus für die Programmierung des Fetus und die damit verbundene Anfälligkeit für Erkrankungen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, des intermediären Stoffwechsels sowie verschiedener Organsysteme im postnatalen Leben wurde in der Neuauflage erstmals mit einem eigenen Kapitel Rechnung getragen. Durch das Konzept der »Fetalen Programmierung« erfährt die auf dem Gedanken der Prävention gründende Schwangerschaftsvorsorge eine bedeutende Ausweitung im Sinn der Primärprävention gegenüber Erkrankungen im späteren Leben des Neugeborenen. Eine Reihe weiterer Kapitel wurde unter Beteiligung neuer Autoren grundlegend überarbeitet. Andere Kapitel wurden dem neuesten Wissensstand angepasst mit dem Ziel, sämtliche Inhalte für die Weiterbildung zum Facharzt sowie auch für die fakultative Weiterbildung »Spezielle Geburtshilfe und Perinatologie« abzudecken. Für die Zukunft der Geburtshilfe zeichnet sich konkret folgendes zentrale Thema ab: Neue biochemische Parameter sowie Rechenalgorithmen, die verschiedene diagnostische Kenngrößen betrachten, erlauben bereits im ersten Trimenon Hinweise auf die erst später eintretenden Risiken einer intrauterinen Wachstumsrestriktion (IUWR), Frühgeburtlichkeit oder Präeklampasie. Auf der Basis dieser Vorhersage kann ein differenziertes Programm für die Schwangerschaftsvorsorge individuell festgelegt werden: Normale Schwangerschaft – Eine intensive Beratung durch geschultes Personal wird von einem Minimum an interventioneller Diagnostik und Überwachung begleitet. Schwangerschaft mit erhöhtem Risiko – Durch gezielte Diagnostik, Prophylaxe sowie Früherkennung von Krankheitssymptomen wird eine Optimierung des »Outcome« für die betreffende Pathologie angestrebt. Auch bei der Geburt kann klarer unterschieden werden zwischen: Normale Geburt – Beobachtende und unterstützende Begleitung mit Überwachung des Fetus durch möglichst nichtinvasive, gleichzeitig aber sensitive und vor allem auch spezifische Methoden zur Früherkennung einer Hypoxie. Potenziell pathologische Verläufe – Durch die Kombination von anamnestischen sowie klinischen Daten mit Ultraschall-/Doppleruntersuchungen nach den Mutterschaftsrichtlinien erfolgt eine prospektive Abschätzung des Geburtsverlaufs bereits vor Geburtsbeginn. Während der Geburt sollen protrahierte Verläufe frühzeitig erkannt, schwierige vaginaloperative Entbindungen, späte sekundäre Sectiones sowie vor allem auch notfallmäßige Interventiones soweit wie möglich vermieden werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Geburtsmediziners mit anderen Berufsgruppen, wie Hebammen, Anästhesisten, Neonatologen, Genetikern, Physiotherapeuten, Ernährungsberatern, Sozialarbeitern und Psychologen für die Sicherheit und das Wohlergehen von Mutter und Kind kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Als Herausgeber bedanken wir uns bei den Autoren für deren großen Einsatz bei der Erstellung der Beiträge. Auch den Mitarbeitern des Verlags, einschließlich Lektorat und Drucklegung, gilt für die professionelle Bearbeitung und die stets sehr angenehme Zusammenarbeit unser besonderer Dank. Im Oktober 2010 Prof. Dr. med. Henning Schneider Prof. Dr. med. Peter Husslein Prof. Dr. med. Karl Theo M. Schneider
VII
Vorwort zur 3. Auflage Liebe Leserinnen und Leser, obwohl seit dem Erscheinen der 2. Auflage der »Geburtshilfe« erst 4 Jahre vergangen sind, nötigte die rasche Entwicklung des Faches zu einer grundlegenden Überarbeitung. Einige Themen wurden neu aufgenommen; sie sind am Schluss dieses Vorwortes aufgelistet. Die zunehmende Überalterung der Bevölkerung ist nicht nur für Versicherungsexperten und Politiker besorgniserregend, sondern es ergeben sich daraus ebenso weitreichende Konsequenzen für das Fachgebiet der Geburtshilfe. Nicht umsonst war dies das Leitthema des 22. Deutschen Kongresses für Perinatale Medizin vom 1.–3. Dezember 2005 in Berlin. Jede fünfte werdende Mutter ist bei der Geburt ihres Kindes 35 Jahre oder sogar älter. Für Erstgebärende lag das Durchschnittsalter 2003 bei 29 Jahren. Der Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Alter und ungünstigen Schwangerschaftsverläufen betrifft nicht nur die Inzidenz von Chromosomenanomalien wie insbesondere Trisomie 21, sondern auch Komplikationen wie Fehl- und Frühgeburten, hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Gestationsdiabetes, spontane Mehrlinge u. a. nehmen mit steigendem Alter der Mutter zu. Gleichzeitig nimmt die Fertilität ab, sodass die assistierte Reproduktionsmedizin vermehrt zum Einsatz kommt, was eine weitere Zunahme von Mehrlingsschwangerschaften mit all ihren Komplikationen zur Folge hat. Auch die scheinbar unaufhaltsam steigende Häufigkeit von Kaiserschnittentbindungen ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Darüber hinaus haben tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft zu einem bedrohlichen Rückgang der Geburtenzahl geführt. Gemäß einer neueren Erhebung des Bundesamtes für Statistik beträgt der Anteil der kinderlosen Frauen bei den zwischen 1960 und 1964 Geborenen mit mittlerem Bildungsniveau in der Schweiz 24% im Vergleich zu 17% bei den Jahrgängen 1935–1939. Bemerkenswert ist, dass von dem Rückgang der letzten Jahre speziell die traditionell kinderreichen ländlichen Bevölkerungsgruppen und Frauen mit geringerem Bildungsniveau wie auch bestimmte Gruppen von Migrantinnen betroffen sind. Neben den Anstrengungen der Politik, die Bedingungen für kinderreiche Familien zu verbessern, ist in besonderem Maße die weitere Optimierung der medizinischen und psychosozialen Betreuung von Schwangeren gefordert, um ungünstige Schwangerschaftsausgänge so weit wie möglich zu vermeiden. Dem Risikomanagement wurde in dieser Auflage ein besonderes Kapitel gewidmet. Es gilt als erwiesen, dass für seltene Komplikationen nur durch eine konsequente Aufarbeitung von Problemsituationen und der damit verbundenen Bewusstseinsbildung bei den Betreuenden eine wirksame Prophylaxe geschaffen werden kann. Diese Komplikationen sind wegen ihrer Seltenheit in unseren Breitengraden zwar epidemiologisch gesehen wenig relevant, aber für die betroffenen Frauen und die zugehörigen Familien sind die Auswirkungen i. d. R. katastrophal. Folgenden Themen wurde in dieser Auflage erstmals ein separates Kapitel gewidmet: 4 Medikamentöse und chirurgische Therapie des Fetus 4 Stammzellen aus Nabelschnurblut 4 Zusammenstellung der wichtigsten Leitlinien Darüber hinaus sei auf die Themen, die in einer vollständigen Neubearbeitung durch neue Autoren vorliegen, speziell hingewiesen: Schwangerschaftsvorsorge, thromboembolische Erkrankungen, Infektionen, Diabetes mellitus, Poleinstellungsanomalien, Risikomanagement und perinatale Mortalität. Zum Schluss sprechen die Herausgeber allen Kapitelautoren für ihren großen Einsatz bei der Bearbeitung der Beiträge ihren Dank aus. Auch den Mitarbeitern des Verlages einschließlich Lektorat und Drucklegung danken wir für die professionelle Erfüllung ihrer Aufgaben und die stets sehr angenehme Zusammenarbeit. Im September 2006
Prof. Dr. med. Henning Schneider, Prof. Dr. med. Peter Husslein, Prof. Dr. med. Karl Theo M. Schneider
Sektionsverzeichnis I
Frühschwangerschaft
II
Abklärung und Beratung während der Schwangerschaft
–1
– 109
III
Erkrankungen in der Schwangerschaft
IV
Pathologie der Schwangerschaft
V
Geburt
VI
Postpartum/Wochenbett/Stillzeit
VII
Qualitätsmanagement/Ethik/ Psychosomatik – 1137
– 469
– 681
Stichwortverzeichnis
– 1255
– 1059
– 273
XI
Inhaltsverzeichnis 13
I Frühschwangerschaft 1
Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf. . . . .
E. Krampl-Bettelheim
14
Frühschwangerschaft: klinische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . .
15
Extrauteringravidität. . . . . . . . . . . . .
19
Trophoblasterkrankungen . . . . . . . . .
III Erkrankungen in der Schwangerschaft
33
E. Kucera-Sliutz, S. Helmy, R. Lehner, P. Husslein
4
Ultraschall im 3. Trimenon . . . . . . . . . 245 E. Ostermayer, M. Schelling, K. Chalubinski
S. Pildner von Steinburg, K. Marzusch
3
Schwangerschaft und Ernährung . . . . . 223 C. Tempfer, P. Bung
3
H. Schneider, L. Raio, M. Knöfler
2
Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . . . 211
16 45
Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . 275 F. Kainer, P. Husslein
P. Speiser, H. Strohmer, E. Krampl-Bettelheim
5
Ungewollte Schwangerschaft . . . . . . .
59
17
C. Fiala, W. Eppel, H. Schneider
6
Embryologie und Teratologie . . . . . . .
L. Raio, M. Baumann, H. Schneider
81
W.E. Paulus
19
Anämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett . . 361 T. Fischer
Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren . . . . . . . . . . 111 R. Kürzl
8
18
C. Breymann
II Abklärung und Beratung während der Schwangerschaft 7
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
20
I. Mylonas, K. Friese
21
Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen . . . . . . . . . 125
Diabetes mellitus und Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 U.M. Schaefer-Graf, A. Kautzky-Willer
22
R. Zimmermann
Infektionen in der Geburtshilfe . . . . . . 379
Alloimmunerkrankungen . . . . . . . . . . 457 R. Zimmermann
9
Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
143
K. D. Kalache, A. M. Dückelmann, W. Blaicher, D. Prayer
10
Pränatale Diagnostik: molekularbiologische Methoden . . . . . 165 O. Lapaire, S. Hahn
11
23
Schwangerenvorsorge. . . . . . . . . . . . 193 K. Vetter, M. Goeckenjan
Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns . . . . . . . . . . . . . 471 H. Schneider, H. Helmer, P. Husslein, C. Egarter, S. Pildner von Steinburg, E. Lengyel
Physiologie des mütterlichen Organismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 U. Lang, P. Husslein, R. Ahner, D. Bikas
12
IV Pathologie in der Schwangerschaft
24
Frühgeburt: Pränatale und intrapartale Aspekte . . . . . . . . . . 511 H. Schneider, H. Helmer
XII Inhaltsverzeichnis
25
Früher vorzeitiger Blasensprung . . . . . 557
41
C. Egarter, K. Reisenberger
26
Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie. . . . . . . 569
Sectio caesarea . . . . . . . . . . . . . . . . 909 H. Schneider, P. Husslein
42
Mehrlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923 E. Krampl-Bettelheim
T. Kohl, U. Gembruch
43 27
Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien . . . . 941 A. Feige, M. Krause
H. Schneider, K.T.M. Schneider
44 28
Schulterdystokie . . . . . . . . . . . . . . . 965 J. Gnirs, K.T.M. Schneider
Fetale Programmierung . . . . . . . . . . . 617 E. Schleußner
45 29
Pathologie der Plazentarperiode . . . . . 987 C. Brezinka, W. Henrich
Blutungen im 3. Trimenon . . . . . . . . . 633 F. Kainer
46 30
Antepartale Überwachung . . . . . . . . . 647
Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe . . . . . . . . . . . . . . 1003
K.T.M. Schneider, J. Gnirs
W. Rath, F. Bergmann
47
V Geburt
Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025 B. von Hundelshausen, M.G. Mörtl
31
Normale Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . 683 K.M. Chalubinski, P. Husslein, R. Ahner, L. Kuntner, B. Bodner-Adler
32
VI Postpartum/Wochenbett/ Stillzeit
Wassergeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 G. Eldering, V. Geissbühler
48
Versorgung des Neugeborenen . . . . . . 1061 A. Zimmermann
33
Geburtsüberwachung . . . . . . . . . . . . 723 J. Gnirs, K.T.M. Schneider
34
49
Intrapartale Asphyxie . . . . . . . . . . . . 771 H. Schneider, J. Gnirs
35
Geburtseinleitung . . . . . . . . . . . . . . 783 D. Surbek, P. Husslein, C. Egarter
36
Vorzeitiger Blasensprung am Termin . . 795 K. Reisenberger, P. Husslein
37
Terminüberschreitung . . . . . . . . . . . 803 H. Schneider, E. Weiss
38
Pathologische Geburt . . . . . . . . . . . . 819 G. Drack, H. Schneider
39
Vaginaloperative Entbindung . . . . . . . 867 H. Hopp, K. Kalache
40
Geburt und Beckenboden . . . . . . . . . 887 A. Kuhn, C. Anthuber, J. Wisser, C. Frank
Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe . . . . . . 1089 D. Surbek, A. Wagner
50
Wochenbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097 N. Ochsenbein-Kölble
51
Stillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105 M. Abou-Dakn
52
Nachuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . 1125 M. Franz, F. Kainer
XIII Inhaltsverzeichnis
VII Qualitätsmanagement/ Ethik/Psychosomatik 53
Psychosomatik in der Geburtshilfe . . . . 1139 Martin Langer
54
Komplementäre Medizin . . . . . . . . . . 1155 K. Stähler van Amerongen, Matthias Langer, O. Bonifer, O. Lindemann
55
Ethische Probleme in der Geburtshilfe
1167
Martin Langer
56
Klinisches Risiko- und Fehlermanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1183 N. Pateisky
57
Perinatale Mortalität . . . . . . . . . . . . . 1195 N. Lack
58
Müttersterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . 1207 H. Welsch, A. Wischnik, R. Lehner
59
Forensik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1225 K. Ulsenheimer, C. Brezinka
60
Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1247 K.T.M. Schneider
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . 1255
XV
Autorenverzeichnis Abou-Dakn, Michael, Dr. med.
Bonifer, Oliver, Dr. med.
Egarter, Christian, Prof. Dr. med.
St.-Joseph-Krankenhaus Abt. für Gynäkologie und Geburtshilfe Bäumerplan 24 12101 Berlin
Naistentautien Klinikka Savonlinnan Keskussairaala Keskussairaalantie 6 57120 Savonlinna Finnland
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Ahner, Regine, Univ.-Prof. Dr. med. Koenigsklostergasse 10/48-49 1060 Wien Österreich
Anthuber, Christoph, Prof. Dr. med. Klinikum Starnberg Oßwaldstraße 1 82319 Starnberg
Breymann, Christian, Prof. Dr. med. Universitätsspital Zürich Forschungsgruppe Feto-Maternale Hämatologie Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich Schweiz
Brezinka, Christoph, Univ.-Prof. Dr. med. Baumann, Marc, Dr. med. Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern Schweiz
Medizinische Universität Innsbruck Klinik für Frauenheilkunde Anichstraße 35 6020 Innsbruck Österreich
MVZ Wagnerstibbe Georgstraße 50 30159 Hannover
Bikas, Diana, Dr. med. Kurt-Tichy-Gasse 7/1 1100 Wien Österreich
Blaicher, Wibke, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Bodner-Adler, Barbara, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Zytologisches Institut Bensberg Vinzenz-Pallotti-Straße 20–24 51429 Bensberg
Eppel, Wolfgang, Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Feige, Axel, Prof. Dr. med. Bung, Peter, Prof. Dr. med.
Bergmann, Frauke, Dr. med.
Eldering, Gerd, Dr. med.
Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe Friedensplatz 9 53111 Bonn
Universitätsklinik Nürnberg Abt. für Spezielle Geburtshilfe und Perinatale Medizin Bucherstraße 78 90408 Nürnberg
Chalubinski, Kinga Maria, Prof. Dr. med.
Fiala, Christian, Dr. med.
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Gynmed. Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung Mariahilfer Gürtel 37 1150 Wien Österreich
Drack, Gero, Dr. med.
Fischer, Thorsten, Prof. Dr. med.
Kantonsspital St. Gallen Frauenklinik Rorschacher Strasse 95 9007 St. Gallen Schweiz
Klinikum Landshut-Achdorf Frauenklinik Achdorfer Weg 3 4036 Landshut
Frank, Carola, Dr. med. Dückelmann, Anna Maria, Dr. med. Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum Klinik für Geburtsmedizin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Echinger Straße 13 85375 Neufahrn/Bayern
Franz, Maximilian, Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
XVI
Autorenverzeichnis
Friese, Klaus, Prof. Dr. med.
Henrich, Wolfgang, Prof. Dr. med.
Ludwig-Maximilians-Universität München Klinikum Innenstadt I Frauenklinik Maistraße 11 80337 München
Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum Klinik für Geburtsmedizin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Geissbühler, Verena, Priv.-Doz. Dr. med.
Hopp, Hartmut, Prof. Dr. med.
Bethesda-Spital Gellertstrasse 144 4020 Basel Schweiz
Gembruch, Ulrich, Prof. Dr. med. Universitätsfrauenklinik Bonn Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde Perinatalzentrum Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin Klinik für Geburtsmedizin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
Hundelshausen von, Burkhard, Prof. Dr. med. Poliklinik der TU München Klinikum rechts der Isar Klinik für Anästhesiologie Ismaninger Straße 22 81675 München
Gnirs, Joachim L., Prof. Dr. med.
Husslein, Peter, Univ.-Prof. Dr. med.
Policlinica Miramar Camino da la Vileta, 30 07011 Palma de Mallorca/Balearen Spanien
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Goeckenjan, Maren, Dr. med. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Universitätsfrauenklinik Voßstraße 9 69115 Heidelberg
Hahn, Sinuhe, Priv.-Doz. Dr. med. Universitätsfrauenklinik Kantonspital Basel Labor Schanzenstrasse 46 4031 Basel Schweiz
Helmer, Hanns, Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Helmy, Samir, Dr. med. univ. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Knöfler, Martin, Univ.-Prof. Mag. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Kohl, Thomas, Prof. Dr. med Universitätsklinikum Bonn Deutsches Zentrum für Fetalchirurgie und minimalinvasive Therapie (DZFT) Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Krampl-Bettelheim, Elisabeth, Univ.-Doz. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Krause, Michael, Dr. med. Klinikum Nürnberg Süd Frauenklinik Breslauer Straße 201 90471 Nürnberg
Kainer, Franz, Prof. Dr. med. Ludwig-Maximilians-Universität München Campus Innenstadt Perinatalzentrum der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Maistraße 11 80337 München
Kalache, Karim D., Prof. Dr. med. Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Benjamin Franklin Klinik für Geburts- und Pränatalmedizin Charitéplatz 1 10117 Berlin
Kautzky-Willer, Alexandra, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Innere Medizin III Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Kucera-Sliutz, Elisabeth, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Kuhn, Annette, Priv.-Doz. Dr. med. Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern Schweiz
Kuntner, Liselotte Kornweg 6 5024 Küttigen Schweiz
Kürzl, Rainer, Prof. Dr. med. Ludwig-Maximilians-Universität München Klinikum Innenstadt I Frauenklinik Maistraße 11 80337 München
XVII Autorenverzeichnis
Lack, Nicholas, Dr. med.
Lindemann, Ortrud
Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung BAQ-Geschäftsstelle Westenrieder Straße 19 80331 München
Marenostrum C/Fontanella 16, Pral. 08010 Barcelona Spanien
Marzusch, Klaus, Prof. Dr. med. Lang, Uwe, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Landeskrankenhaus Graz Auenbruggerplatz 14 8036 Graz Österreich
Langer Martin, Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Praxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Uhlandstraße 14 72072 Tübingen
Mörtl, Manfred G., Dr. med. Kliniken Klagenfurt am Wörthersee Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Gesundheitszentrum für Kinder, Jugendliche und Frauen Perinatalzentrum St. Veiterstraße 47 9020 Klagenfurt Österreich
Pildner von Steinburg, Stephanie, Dr. med. Poliklinik der TU München Klinikum rechts der Isar Frauenklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Prayer, Daniela, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Radiodiagnostik Abt. für Neuroradiologie und Muskuloskeletale Radiologie Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Raio, Luigi, Priv.-Doz. Dr. med. Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern Schweiz
Mylonas, Ioannis, Priv.-Doz. Dr. med. Langer, Matthias, Dr. med.
Ludwig-Maximilians-Universität München Klinikum Innenstadt I Frauenklinik Maistraße 11 80337 München
Rath, Werner, Univ.-Prof. Dr. med.
Kreiskrankenhaus Köthen Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin Friederikenstraße 30 06366 Köthen
Lapaire, Olav, Priv.-Doz. Dr. med.
Ochsenbein-Kölble, Nicole, Dr. med.
Universitätsspital Basel Frauenklinik Abt. für Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin Spitalstrasse 21 4031 Basel Schweiz
Universitätsspital Zürich Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe Departement Frauenheilkunde Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich Schweiz
Reisenberger, Klaus, Univ.-Doz. Dr. med.
Ostermayer, Eva, Dr. med. Lehner, Rainer, Univ.-Prof. Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Lengyel, Ernst, Prof. Dr. med. The University of Chicago Dept. of Obstetrics and Gynecology 5841 South Maryland Avenue MC 2050 Chicago IL 60637 USA
Poliklinik der TU München Klinikum rechts der Isar Frauenklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Medizinische Fakultät der RWTH Aachen MTI II Wendlingweg 2 52074 Aachen
Klinikum Wels GmbH Abt. für Gynäkologie und Geburtshilfe Grieskirchner Straße 42 4600 Wels Österreich
Schäfer-Graf, Ute M., Priv.-Doz. Dr. med. St.-Joseph-Krankenhaus Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Berliner Diabeteszentrum für Schwangere Bäumerplan 24 12101 Berlin
Pateisky, Norbert, Prof. Dr. med Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Paulus, Wolfgang E., Dr. med. Krankenhaus St. Elisabeth Inst. für Reproduktionstoxikologie Elisabethenstraße 17 88212 Ravensburg
Schelling, Marcus, Prof. Dr. med. Praxis für Pränatale Diagnostik - München Tegernseer Platz 5 81541 München
Schleußner, Ekkehard, Prof. Dr. med. Friedrich-Schiller-Universität Jena Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Bachstraße 18 07743 Jena
XVIII
Autorenverzeichnis
Schneider, Henning, Prof. Dr. med.
Surbek, Daniel, Prof. Dr. med.
Welsch, Hermann, Prof. Dr. med.
Ehem. Direktor und Chefarzt der Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Ahornweg 4 3122 Kehrsatz Schweiz
Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern Schweiz
Candidstraße 20 81543 München
Tempfer, Clemens, Univ.-Prof. Dr. med. Schneider, Karl-Theo M., Univ.-Prof. Dr. med. Poliklinik der TU München Klinikum rechts der Isar Frauenklinik Abt. für Perinatalmedizin Ismaninger Straße 22 81675 München
Speiser, Paul, Dr. med. Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Stähler van Amerongen, Kirsten, Dr. med. Spitalzentrum Biel-Bienne Frauenklinik FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Vogelsang 84 2501 Biel Schweiz
Strohmer, Heinz, Dr. med. Privatklinik Goldenes Kreuz Kinderwunschzentrum, Lazarettgasse 16-18 1090 Wien Österreich
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abt. für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, AKH Währinger Gürtel 18–20 1090 Wien Österreich
Ulsenheimer, Klaus, Prof. Dr. jur. Dr. rer. pol. Sozietät Ulsenheimer & Friedrich Rechtsanwälte Maximiliansplatz 12 80333 München
Vetter, Klaus, Prof. Dr. med. Vivantes Klinikum Klinik für Geburtsmedizin Perinatalzentrum Neukölln Rudower Straße 48 12051 Berlin
Wagner, Anna M., Dr. med. Universitätsfrauenklinik am Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern Schweiz
Weiss, Erich, Priv.-Doz. Dr. med. Kliniken Böblingen Frauenklinik Bunsenstraße 120 71032 Böblingen
Wischnick, Arthur, Prof. Dr. med. Zentralklinikum Augsburg Frauenklinik Stenglinstraße 2 86156 Augsburg
Wisser, Joseph, Prof. Dr. med. Universitätsspital Zürich Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe Department Frauenheilkunde Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich Schweiz
Zimmermann, Andrea, Dr. med. Klinikum rechts der Isar der TU München Kinder- und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Zimmermann, Roland, Prof. Dr. med. Universitätsspital Zürich Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe Department Frauenheilkunde Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich Schweiz
XIX
Abkürzungsverzeichnis (95%-)CI 11β-HSD-2 AA AABR AAP AC ACCP ACOG ACTH AE aEEG AFI AFP AGA AGS Aids AIS AITP ALA ALARAPrinzip ALAT AML AMP ANW AOD APA
APC APD APS aPTT ARDS ARMS ART ASAT ASB ASS ATD ATP AU AVSD AWMF AZT β-HCG BCG
(95%-)Konfidenzintervall 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 Arachidonsäure Hirnstammaudiometrie American Academy of Pediatrics Amniozentese American College of Chest Physicians American College of Obstetricians and Gynecologists adrenokortikotropes Hormon Alkoholembryopathie amplitudenintegriertes Elektroenzephalogramm »amniotic fluid index« α-Fetoprotein »appropriate for gestational age« androgrenitales Syndrom »acquired immunodeficiency syndrome« Amnioninfektionssyndrom Alloimmunthrombopenie Alphalinolensäure »as low as reasonably achievable«
BE
Alanin/(Glutamat)-Aminostransferase (früher: GPT) »active management of labor« Adenosinmonophosphat allgemeine Nebenwirkungsrate äußerer Orbitaabstand American Psychological Association bzw. Antiphospholipidantikörper (je nach Zusammenhang) aktiviertes Protein C anterior-posteriorer Durchmesser des Abdomens Antiphospholipidantikörpersyndrom »activated partial thromboplastin time« (aktivierte Prothrombinzeit) »acute respiratory distress syndrome« »amplification refractory amplification system« antiretrovirale Therapie Aspartat/(Glutamat)-Aminotransferase (früher: GOT) asymptomatische Bakteriurie Azetylsalizylsäure Abdomentransversaldurchmesser Adenosintriphosphat Abdomenumfang atrioventrikulärer Septumdefekt Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. Azidothymidin β-HCG (humanes Choriongonadotropin) Bacillus Calmette Guérin
CGMS CHAOS CIRS CMV COX CP CPAP CRF CRH CRM CRP CRS CSF CST CVS
BEU BGA BKCaKanal BMI BMU BPD BPP BQS BSG BTK BV BZ cAMP CCAM CDC CGH cGMP
cw D&E DGE DGGG DHA DHEA DIC DIMDI DIP DR DRG DSM IV
Broteinheit (Kohlenhydrateinheit) bzw. »base excess« (je nach Zusammenhang) Umfang Beckeneingang Blutgasanalyse »large conductance calcium and voltage sensitive K+ channel« Body-Mass-Index Umfang Beckenmitte bronchopulmonale Dysplasie bzw. biparietaler Durchmesser (je nach Zusammenhang) biophysikalisches Profil Bundesstelle für Qualitätssicherung Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit Basaltemperaturkurve bakterielle Vaginose Blutzucker zyklisches Adenosinmonophosphat (»cyclic adenosine monophosphate«) zystisch adenomatoide Lungenmalformation Centers for Disease Control and Prevention komparitive genomische Hybridisierung »cyclic guanosine monophosphate« (zyklisches Guanosinmonophosphat) kontinuierliche Blutzuckermessung »congenital high-airway obstruction syndrome« Critical Incident Reporting System Zytomegalievirus Zyklooxygenase Zerebralparese »continuous positive airway pressure« »corticotropin-releasing factor« »corticotropin relaeasing hormone« Crew-Ressource-Managment C-reaktives Protein kongenitales Rubellasyndrom »colony stimulating factor« Contraction-stress-Test Chorionzottenbiopsie bzw. kongenitales Varizellensyndrom (je nach Zusammenhang) »continuous wave« Dilatation und Evakuation Deutsche Gesellschaft für Ernährung Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Decosahexaensäure Dehydroepiandrosteron disseminierte intravasale Gerinnung Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information Dezeleration intra partu Dammriss diagnosis related groups Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Version 4
XX Abkürzungsverzeichnis
EBM
»evidence-based medicine« (evidenzbasierte Medizin) EBV Epstein-Barr-Virus ECMO »extracorporale membrane oxygenation« (extrakorporale Membranoxygenierung) EE Ethinylestradiol E-E-Zeit Zeit zwischen der fachärztlichen Entscheidung zur Sectio und der Entwicklung des Kindes EGF epidermaler Wachstumsfaktor EIA Enzymimmunoassay ELISA »enzyme-linked-immuno-sorbent-assay« EMG Elektromyographie EMO »esterase metabolized opioid« eNOS endotheliale NO-Synthase ENTIS European Network of Teratology Information Services EPA Eikosapentaensäure EPDS Edinburgh Postnatal Depression Scale EPF Early Pregnancy Factor EPPROM »extremely premature preterm rupture of membranes« ER Östrogenrezeptor ET Entbindungstermin EUG Extrauteringravidität EUROCAT European Registry of Congenital Anomalies and Twins EXITEx-Utero-Intrapartum-Prozedur Prozedur FAS »fetal alcohol syndrome« fβ-HCG freies β-HCG (humanes Choriongonadotropin) FETO »fetal endoskopic tracheal occlusion« FFP »fresh frozen plasma« (gefrorenes Frischplasma) FGM »female genital mutilation« (Genitalverstümmelung) FHF fetale Herzfrequenz FIGO International Federation of Gynecology and Obstetrics (früher Fédération Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique; Internationale Vereinigung für Gynäkologie und Geburtshilfe) FISH Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung FOD frontookzipitaler Durchmesser FSBA fetale Skalpblutanalyse FSH follikelstimulierendes Hormon FSME Frühsommermeningoenzephalitis FTA-ABS- Fluoreszenz-Treponemen-AntikörperTest absorptionstest FVL Faktor-V-Leiden-Mutation FW Fruchtwasser FWE Fruchtwasserembolie FWI Fruchtwasserindex γ-GT γ-Glutamyl-Transferase GBS Streptokokken der Gruppe B GDM gestationsbedingter Diabetes mellitus GFR glomeruläre Filtrationsrate GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (frühere Bezeichnung für ASAT) GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase (frühere Bezeichnung für ALAT)
GTT HAART HAH HAV Hb Hb-F HBV HCG HCV HDV HELLPSyndrom HES HHE HHH HHNAchse HH-NNRAchse hi HHE HIE HiG hiHHH HIT HIV Hkt HL HLA HLHS HPA HPL HR HRV HSV HUAM HUS HWI HZV ICBDMS ICD ICH ICSI ICT IFT IGeL IGF IGT IL iLR iNO INR IOD IQWIG
Glukosetoleranztest »highly active antiretroviral therapy« Hämagglutinationshemmtest Hepatitis-A-Virus Hämoglobin fetaler Typ des Hämoglobins Hepatitis-B-Virus humanes Choriongonadotropin Hepatitis-C-Virus Hepatitis-D-Virus »haemolysis, elevated liver enzymes, low platelets« Hydroxyethylstärke Hinterhauptseinstellung Hinterhauptshaltung Hypophysen-Hypothalamus-NebennierenAchse Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse hintere Hinterhauptseinstellung hypoxisch-ischämische Enzephalopathie Hämolysis-in-Gel-Test hintere Hinterhauptshaltung heparininduzierte Thrombopenie »human immunodeficiency virus« Hämatokrit Humeruslänge »human leucocyte antigen« hypoplastisches Linksherzsyndrom »human platelet antigen« »human placenta lactogen« (humanes Plazenta-Laktogen-Hormon) »hazard ratio« Herzfrequenzvariabilität Herpes-simplex-Virus »home uterine activity monitoring« hämolytisch-urämisches Syndrom Harnwegsinfektion Herzzeitvolumen International Clearinghouse for Birth Defects Monitoring Systems International Classification of Diseases »intracranial hemorrhage« intrazytoplasmatische Spermieninjektion indirekter Coombs-Test (Rhesusprophlyaxe) Immunfluoreszenztest individuelle Gesundheitsleistung »insulinelike growth factor« (insulinähnlicher Wachstumsfaktor) »impaired glucose tolerance« Interleukin Intervall-Likelihood-ratio inhalative Stickoxidgabe »international normalized ratio« innerer Orbitaabstand Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
XXI Abkürzungsverzeichnis
ISUOG
International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology ITP idiopathische thrombozytopenische Purpura bzw. Immunthrombopenie (je nach Zusammenhang) IUD »intrauterine device« (Intrauterinpessar) IUFT intrauteriner Fruchttod IUGR »intrauterine growth restriction« (engl. Bezeichnung für IUWR) IUS »intrauterin system« mit gestagenhaltigem Hormondepot IUWR intrauterine Wachstumsrestriktion IVF In-vitro-Fertilisation IVH »intraventricular haemorrhage« (intraventrikuläre Blutung) KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung K-CTG Kinetokardiotokographie KSE Kopfschwartenelektrode KU Kopfumfang LA Lokalanästhesie bzw. linker Vorhof (je nach Zusammenhang) LAC Lupusantikoagulans LAM »lactational amenorrhoea method« LBW (I) »low birth weight (infant)«; Geburtsgewicht <2.500 g Lc Leukozyten LDH Laktatdehydrogenase LDL »low density lipoprotein« LE Lungenembolie LED Lupus erythematodes disseminatus LGA »large for gestational age« Lgb Lebendgeborenes LH luteinisierendes Hormon LIF »leukaemia inhibitory factor« LKG Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte LMWH Low-molecular-weight-Heparin LR »likelihood ratio« LV linker Ventrikel LVEP linksventrikulärer enddiastolischer Druck M&M-Kon- Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz ferenzen MAD mittlerer arterieller Blutdruck MAP mittlerer arterieller Druck MCH mittleres korpuskuläres Hämoglobin MCV mittleres korpuskuläres Volumen ME Montevideo-Einheit MLCK »myosin light-chain kinase« MMIHMegazystis, Mikrokolon, intestinale Syndrom Hypoperistaltik MMP Matrixmetalloproteinase MMR Masern-Mumps-Röteln-Impfung bzw. »maternal mortality rate« (je nach Zusammenhang) MOM »multiple of the median« (Vielfaches des Medianwertes) MOMP »major outer membrane proteine« MOV Multiorganversagen MPV mittleres Thrombozytenvolumen
MR MRI/MRT MSTF MTHFR MTX MW NEC NGSTF
mentale Retardierung Magnetresonanztomographie Müttersterbefall Methyltetrahydrofolsäurereduktase Methotrexat Mittelwert nekrotisierende Enterokolitis nicht gestationsbedingter (mütterlicher) Sterbefall NICE National Institute for Health and Clinical Excellence (UK) NICHD National Institute of Child Health and Human Development (USA) NICU Neugeborenenintensivstation NIH National Institute of Health (USA) NIHF nichtimmunologischer Hydrops fetalis NIRS Nahinfrarotspektroskopie NK-Zellen Natural-Killer-Zellen NNR Nebennierenrinde NO Stickstoffmonoxid (Stickoxid) NOS Stickstoffmonoxidsynthase NRD Neuralrohrdefekt NSK Nationale Stillkommission NST Non-stress-Test NT Nackentransparenzmessung NYHA New York Heart Association o.a. okzipitoanterior o.p. okzipitoposterior OAE otoakustische Emissionen OBT (OCT) Oxytozinbelastungstest (Oxytozin-challenge-Test) oGTT oraler Glukosetoleranztest OR Odds-Ratio OSCAR»one-stop clinic for early assessment of fetal System risk« OT Oxytozin p.i. post infectionem p.m. post menstruationem p.p. post partum PAF »platelet activating factor« PAI-1 Plasminogen-Aktivator-Inhibitor 1 PAPP-A schwangerschaftsassoziiertes Plasmaprotein A PCOS polyzystisches Ovarialsyndrom PCR »polymerase chain reaction« (Polymerasekettenreaktion) PDA Periduralanästhesie bzw. persistierender Ductus arteriosus (je nach Zusammenhang) PEEP »positive endexpiratory pressure« (positiv endexspiratorischer Druck) PG Prostaglandin PGDH Prostaglandin-Dehydrogenase PGHS Prostaglandin-H-Synthase PGR Progesteronrezeptor PID »pelvic inflammatory disease« bzw. Präimplantationsdiagnostik (je nach Zusammenhang) PLGF »placental growth factor« (Plazentawachstumsfaktor)
XXII
Abkürzungsverzeichnis
PKC PLGF PLGH PND PNM PPD PPH
PPHN PPROM PPSB
PPT PR PROM PSTT PTT PUFA PUL PVL PWDoppler qPCR RA RCOG RDS REM rhEPO RI RIA RKI RNOTT ROC RR RV SCCM SD SEM SGA SGGG SIDS SIH SIRS SKY SLE SMI
Proteinkinase C Plazentawachstumsfaktor »placental growth hormone« Pränataldiagnostik perinatale Mortalität Post-partum-Depression persistierender pulmonaler Hypertonus bzw. »postpartum haemorrhage« (postpartale Blutung) (je nach Zusammenhang) persistierender pulmonaler Hypertonus des Neugeborenen »preterm premature rupture of the membranes« (früher vorzeitiger Blasensprung) Prothrombin (=Gerinnungsfaktor II), Proconvertin (=Gerinnungsfaktor VII), Stuart-Prower-Faktor (=Gerinnungsfaktor X), Antihämophiler Faktor B (=Gerinnungsfaktor IX) postpartale Thyreoiditis Progesteronrezeptor »premature rupture of the membranes« (vorzeitiger Blasensprung) placental site trophoblastic tumor« partielle Thromboplastinzeit mehrfach ungesättigte Fettsäuren »pregnancy of unknown location« periventrikuläre Leukomalazie Pulsed-wave-Doppler quantitative fluoreszierende Polymerasekettenreaktion rechter Vorhof Royal College of Obstetricians and Gynecologists »respiratory distress syndrome« (Atemnotsyndrom des Neugeborenen) »rapid eye movement« humanes rekombinantes Erythropoietin Resistenzindex Radioimmunoassay Robert-Koch-Institut NO Tokolyse Trial receiver operating characteristic relatives Risiko rechter Ventrikel Society of Critical Care Medicine Standardabweichung »skin, eye, mouth« (Herpesklassifikation) »small for gestational age« (Geburtsgewicht <10. Perzentile) Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe »sudden infant death syndrome« (plötzlicher Säuglingstod) schwangerschaftassoziierter Hypertonus »systemic inflammatory response syndrome« spektrale Karyotypisierung systemischer Lupues erythematodes »silent myocardial ischaemia«
SNRI
Serotonin-Noradrenalin-WiederaufnahmeHemmer SOGC Society of Obstreticians and Gynaecologists of Canada SOP »standard operating procedure« SP-A Surfactantprotein A SpM Schläge pro Minute SPOVT septische puerperale Ovarialvenenthrombose SPSU Swiss Paediatric Surveillance Unit SSL Steiß-Scheitel-Länge SSRI Serotonin-Reuptake-Hemmer SST Stehstress-Test SSW Schwangerschaftswoche STAN »ST-wave analysis«(ST-Streckenanalyse) STD »sexually transmitted disease« (sexuell übertragbare Krankheit) STH hypophysäres Wachstumshormon STR »short tandem repeats« STV »short term variation« (Mikrofluktuation im CTG) SVT supraventrikuläre Tachykardie TAFI Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyseinhibitor TAR »thrombocytopenia-absent radius syndrome« (Thrombozytopenie-fehlender-RadiusSydnrom) TBG thyroxinbindendes Globulin Tc Thrombozyten TCD transzerebellärer Durchmesser TEOAE transitorisch evozierte otoakustische Emissionen TG Thyreoglobulin TGA Transposition der großen Arterien TGB thyroxinbindendes Globulin THQ Thoraxquerdurchmesser TIMP »tissue inhibitors«von Metalloproteinasen TNF Tumornekrosefaktor TORCH- T – Toxoplasmose Komplex O – »others« (Virushepatitis, Varizellen, Masern, Mumps, Ringelröteln, infektiöse Mononukleose, Parvovirus, Papillomaviren, Coxsackie-, Ebstein-Barr-Virus, Chlamydia trachomatis, Gonokokken, Borellien, β-hämolysierende Streptokokken) R – Rubella-/Rubivirus (Röteln) C – Cytomegalie (Zytomegalievirus) H – Herpesviren Tp Treponema pallidum t-PA Tissue- (Gewebe-) Plasminogen-AktivatorKonzentrationen TPHA-Test Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest TPO Thyreoperoxidase TPPA-Test Treponema-pallidum-Partikelagglutinationstest TPR »total peripheral resistance« (totaler peripherer Widerstand) TPZ Thromboplastinzeit TRAP »twin reversed arterial perfusion« TRH »thyreotropin releasing hormone«
XXIII Abkürzungsverzeichnis
TSH
»thyreoidea stimulating hormone« (thyreoideastimulierendes Hormon) TSS »toxic shock syndrome« TSST-1 Toxic-shock-syndrome-Toxin 1 TTP thrombotisch-thrombozytopenische Purpura TU Thoraxumfang TZ Thrombinzeit UH unfraktioniertes Heparin VACTERL- »vertebral, anorectal, cardiac, tracheoAssoziation esophageal fistula, esophageal atresia, renal and limb anomalies« VAS vibroakustische Stimulation VE Vakuumextraktion VGNS vaginale Geburt nach Sectio VIP vasoaktives intestinales Polypeptid VKDB »vitamin K deficiency bleeding« (Vitamin-K-Mangelblutung) VSD Ventrikelseptumdefekt VTE venöse Thromboembolie vWF von-Willebrand-Faktor vWS von-Willebrand-Syndrom VZIG Varizella-zoster-Immunglobulin VZV Varizella-zoster-Virus WCP Whole-Chromosomen-Painting WHO World Health Organization WPW Wolf-Parkinson-White-Syndrom ZVD zentraler Venendruck
I
I Frühschwangerschaft 1
Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf – 3 H. Schneider, L. Raio, M. Knöfler
2
Frühschwangerschaft: klinische Aspekte – 19 S. Pildner von Steinburg, K. Marzusch
3
Extrauteringravidität – 33 E. Kucera-Sliutz, S. Helmy, R. Lehner, P. Husslein
4
Trophoblasterkrankungen – 45 P. Speiser, H. Strohmer, E. Krampl-Bettelheim
5
Ungewollte Schwangerschaft – 59 C. Fiala, W. Eppel, H. Schneider
6
Embryologie und Teratologie – 81 W. E. Paulus
1 1 Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf H. Schneider, L. Raio, M. Knöfler 1.1
Physiologie der Frühschwangerschaft – 4
1.1.1 Oogenese, Ovulation und Fertilisation – 4 1.1.2 Präimplantation – Implantation – 5
1.2
Frühe Entwicklung der Plazenta – 7
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6
Physiologie der Differenzierung des Trophoblasten – 9 Pathologie der Trophoblasteninvasion – 10 Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufs – 11 Entwicklung des umbilikoplazentaren Kreislaufs – 12 Regulation des Zottenwachstums der Plazenta – 14 Anpassung des Zottenwachstums an pathologische Veränderungen der Versorgung – 15
Literatur – 15
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
4
1
Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
Die Oogenese läuft bis zur Prophase der ersten meiotischen Zellteilung mit Bildung von Primordialfollikeln bereits während der intrauterinen Lebensphase ab. Die weitere Reifung der Eizelle setzt mit Beginn der Geschlechtsreife ein und erreicht mit der ersten und zweiten Reifeteilung ihren Abschluss erst unmittelbar vor dem Eisprung. Dabei durchläuft i. d. R. ein Primordialfollikel pro Zyklus die Weiterentwicklung zu einem Sekundär- sowie Tertiärfollikel. Nach der Ovulation wird die Oozyte von dem Fimbrientrichter aufgenommen, und die Befruchtung findet in der Ampulle der Tube statt. Die Zygote, die mit der Zellteilung bereits während der Passage durch die Tube beginnt, gelangt 4–5 Tage nach der Ovulation in den Uterus. Bis zum 8-Zell-Stadium sind die Blastomeren totipotent und können sich in embryonales sowie extraembryonales Gewebe differenzieren. Der deziduale Umbau der epithelialen und stromalen Zellen des Endometriums findet während des Implantationsfensters zwischen dem 20. und 24. Tag des Menstruationszyklus statt und ist Grundlage für die Adhäsion und Implantation der Blastozyste. Am Anfang der Plazentation steht die Verschmelzung des Trophoblastepithels zu einem Synzytium. Bei Kontaktaufnahme mit der Dezidua beginnt eine starke Proliferation des Zytotrophoblasten mit Bildung von Primärzotten, die sich über Sekundär- in stroma- und gefäßhaltige Tertiärzotten entwickeln. Die frühe Phase der Plazentaentwicklung mit Vordringen des extravillösen Trophoblasten, zunächst in Form von Zellsäulen und dann als einzeln migrierende Zellen in die Dezidua, ist für die Verankerung der Plazenta sowie die Umwandlung der Endarterien des uterinen Kreislaufs, der Spiralarterien, in weite Gefäßschläuche von entscheidender Bedeutung. Mit der Weitstellung der Gefäße nimmt der Strömungswiderstand ab, und es resultiert eine starke Zunahme des uteroplazentaren Blutstroms. Die Regulation des Vordringens des Trophoblasten hängt wesentlich von der lokalen Sauerstoffkonzentration im mütterlichen Gewebe ab. In den ersten Wochen findet die Entwicklung der Plazenta und des Embryos in einer hypoxischen Umgebung statt. Mit 10 Wochen steigt die Sauerstoffkonzentration zeitgleich mit dem dopplersonographisch nachweisbaren Beginn der Zirkulation von mütterlichem Blut im intervillösen Raum deutlich an. Störungen der Trophoblasteninvasion und der Umwandlung der Spiralarterien können zu einer Reihe von Schwangerschaftskomplikationen wie Fehlgeburt, Präeklampsie, vorzeitiger Plazentalösung oder Placenta accreta führen. Die Entwicklung der Zirkulation von fetalem Blut im Zottenkreislauf der Plazenta lässt sich mithilfe der Dopplersonographie in der Nabelschnurarterie verfolgen. Als Ausdruck der starken Verzweigung des Zottensystems und der darin verlaufenden Gefäße nimmt der Strömungswiderstand mit zunehmender Schwangerschaftsdauer deutlich ab. In der ersten Schwangerschaftshälfte stehen das Verzweigungswachstum der Plazentazotten und die Angiogenese durch Verzweigung der Gefäße im Vordergrund, während die Entwicklung der Plazenta in der zweiten Schwangerschaftshälfte durch Längenwachstum von Zotten und Gefäßen charakterisiert ist. Auch das Wachstum der Zotten und Gefäße wird wesentlich von der umgebenden Sauerstoffkonzentration gesteuert. Eine Abnahme der Sauerstoffkonzentration innerhalb der Plazenta führt zu einer kompensatorischen Hypervaskularisierung des Zottensystems. Im Gegensatz dazu kann eine zu hohe Sauerstoffkonzentration innerhalb der Plazenta
hemmend auf die Verzweigung der Zotten und die Entwicklung des Gefäßsystems wirken. Als Folge einer frühzeitigen Störung der Zottenentwicklung kommt es zur Ausbildung einer schweren Wachstumsbeeinträchtigung des Fetus mit einem stark erhöhten Widerstand der Blutströmung in der Nabelschnurarterie. Die Regulation der Sauerstoffkonzentration innerhalb der Plazenta hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Zustrom von Sauerstoff über den mütterlichen Kreislauf, dem Verbrauch von Sauerstoff durch das Plazentagewebe sowie dem Abtransport von Sauerstoff zum Fetus. Verschiedene Störungen im mütterlichen Organismus, d. h. präplazentar, in der Plazenta selbst (intraplazentar) sowie auf der fetalen Seite (postplazentar) können zu Veränderungen der Sauerstoffkonzentration innerhalb der Plazenta und damit zu Störungen der Entwicklung des Zottengefäßsystems führen. Die gestörte Transportfunktion in der Plazenta schlägt sich in einer Beeinträchtigung des Wachstums des Fetus nieder.
1.1
Physiologie der Frühschwangerschaft
1.1.1
Oogenese, Ovulation und Fertilisation
Teile der Eibildung, der Oogenese, finden bereits im fetalen Ovar etwa ab dem 3. Monat der Schwangerschaft statt. Nach mitotischer Zellteilung der Oogonien wird die Prophase der ersten meiotischen Zellteilung und damit die Bildung der primären Oozyte vollzogen. Durch Einschluss der Oozyten in Follikelzellen entstehen die Primordialfollikel, die ab dem 5. Monat prominent auftreten. Während die Zahl der Eizellen unter dem Einfluss plazentarer Hormone im 6. Monat ihren Höhepunkt erreicht (6–7 Mio.), geht die Zahl der Primordialfollikel bis zur Geburt des weiblichen Kindes auf 1–2 Mio. zurück (Baker 1963). Bei Beginn der Pubertät existieren nur noch 200.000 Oozyten pro Ovar. Die weitere Reifung der Oozyten erfolgt erst mit Eintreten der Geschlechtsreife. Einzelne Eizellen vollenden hierbei nacheinander über Jahrzehnte verteilt die Oogenese. Dabei tritt der Primordialfollikel in eine Wachstumsphase ein mit der Ausbildung von Primär-, Sekundär- und Tertiärfollikeln. Der Prozess der Eibildung wird mit der ersten und zweiten meiotischen Reifeteilung abgeschlossen, die unmittelbar vor bzw. während der Ovulation einsetzen: 4 Während der ersten meiotischen Teilung bilden sich die sekundären Follikel aus, die von der Zona pellucida, einem Follikelepithel und der Theca interna, umgeben sind. Während das Chromatin dabei gleichmäßig auf beide Tochterzellen verteilt wird, kommt es zu einer ungleichen Verteilung des Zytoplasmas: Neben der Bildung der sekundären Oozyten entwickelt sich das erste Polkörperchen, das jedoch rasch zugrunde geht. 4 Während der Ovulation beginnt der Zellkern der sekundären Oozyte mit der zweiten Reifeteilung, die allerdings in der Metaphase stecken bleibt. Im neu gebildeten tertiären (Antrum folliculi) und schließlich im reifen Follikel wird die Eizelle von der Zona, der Follikelflüssigkeit, den Granulosazellen und der Theka umgeben. Erst mit der
5 1.1 · Physiologie der Frühschwangerschaft
Befruchtung wird die zweite Reifeteilung beendet, wobei sich das zweite Polkörperchen abspaltet. Die Bildung des Follikels beim Ungeborenen ist unabhängig von hormonellen Einflüssen, dagegen werden das Wachstum und die Reifung bei der erwachsenen Frau durch die Gonadotropine FSH und LH des Hypophysenvorderlappens gesteuert. Während FSH die Follikelbildung initiiert, wird die spätere Ausreifung durch LH vollzogen. Die Produktion von Östrogen, das zur Entwicklung und Funktion der Geschlechtsorgane benötigt wird, wird in erster Linie von den Granulosazellen übernommen, während die Theca interna Androgene synthetisiert: 4 Unter dem Einfluss von FSH und Östrogen kommt es zu Beginn des Zyklus (5.–7. Tag) zur Zunahme der Follikelflüssigkeit und zur Transformation des sekundären Follikels in das Antrum folliculi (Edwards 1980). Derjenige Follikel, der den höchsten Quotienten aus Östrogen und Androgenkonzentration sowie die meisten FSH-Rezeptoren auf den Granulosazellen besitzt, entwickelt sich zum dominanten Follikel. In der Folge supprimieren die steigenden Östrogenspiegel die FSH-Ausschüttung der Hypophyse, und die LH-Sekretion wird verstärkt. Der dominante Follikel ist in der Lage, die sinkenden FSH-Spiegel über eine entsprechend große Zahl an FSH-Rezeptoren an den Granulosazellen auszugleichen, während die weniger entwickelten Follikel durch follikuläre Androgene im Wachstum gebremst werden. 4 Etwa am 14. Tag des Zyklus setzt die Ovulation ein, die durch einen östrogeninitiierten Puls an LH ausgelöst wird. An der Ruptur des Follikels und Lösung des Cumulus oophorus, der die Oozyte beinhaltet, sind Prostaglandine und Progesteron, das über LH-Stimulation von Granulosazellen ausgeschüttet wird, beteiligt. Der LH-Anstieg bewirkt auch, dass die erste meiotische Reifeteilung beendet und die zweite meiotische Teilung bis zur Metaphase II vollzogen wird. 4 Nach der Ovulation wird der Follikel unter dem Einfluss von LH in das Progesteron-sezernierende Corpus luteum transformiert. Das Hormon bewirkt den Übergang der Uterusschleimhaut in die sekretorische Phase, die das Endometrium auf die Implantation vorbereitet. Im Fall der Befruchtung wird der Gelbkörper in das Corpus luteum gravidatis umgewandelt, das die Progesteronproduktion solange fortführt, bis die Plazenta diese Funktion übernimmt. > Das Corpus luteum ist bis zur 20. SSW funktionsfähig und wird durch das vom Trophoblasten sezernierte humane Choriongonadotropin (HCG) aufrechterhalten. Ohne Befruchtung degeneriert das Corpus luteum 10–12 Tage nach der Ovulation und wandelt sich in das Corpus albicans um.
Nach der Ovulation wird die Oozyte von den Fimbrien der Tube in das Infundibulum transportiert und gelangt durch weitere Flimmerbewegungen der Zilien des Tubenepithels sowie durch Kontraktion der Tubenmuskulatur in die Ampulla tubae, wo die Befruchtung stattfindet. Die Fertilisation, die
ungefähr 24 h dauert, wird in mehreren Teilschritten vollzogen: 4 Nach der Ablösung restlicher Follikelzellen durchdringt das erfolgreiche Spermium mithilfe von Enzymen des Akrosoms die Zona pellucida und macht anschließend mittels Zonareaktion die Schicht für weitere Spermien impermeabel. 4 Durch Anlagerung des Spermakopfs und Verschmelzung wird die zweite Reifeteilung der Oozyte beendet. 4 Nach Degeneration des Spermienschwanzes erfolgt das Zusammentreffen der beiden haploiden Zellkerne, und in der neu gebildeten Zygote durchmischen sich während der Metaphase der ersten Zellteilung die Chromosomen.
1.1.2
Präimplantation – Implantation
Bereits während der Wanderung durch die Tube beginnt die Zygote mit Zellteilungen, die zu Beginn ausschließlich von mütterlichen mRNA-Molekülen, die in der befruchteten Eizelle gespeichert sind, gesteuert werden (. Tab. 1.1). Zwischen dem LH-Peak als Auslöser der Ovulation und der Ankunft des befruchteten Eis im Uterus vergehen 4–5 Tage. Etwa ab dem 4- bis 8-Zell-Stadium setzt die Bildung embryonaler Produkte ein, die innerhalb von 3 Tagen die Entstehung der Morula (ungerichtete Anhäufung von 8–16 Zellen, die von der Zona pellucida umschlossen sind) sowie nach 4–5 Tagen die Entstehung der Blastozyste (Separierung in Embryoblast und umgebende Trophoblastschicht mit Zona pellucida) vorantreiben. Bis zum 8-Zell-Stadium sind die einzelnen Zellen der Zygote, die Blastomeren, totipotent, d. h. dass sie sowohl zu Vorläuferzellen des sich entwickelnden Embryos als auch der extraembryonalen Gewebe differenzieren können. Vorausetzung für eine erfolgreiche Implantation ist die Ausbildung eines Trophoblastepithels, das die Adhäsion und Einnistung des Embryos in das rezeptive Endometrium am Tag 6–7 nach der Befruchtung gewährleistet. Dieses Epithel, das sog. extraembryonale Trophektoderm, bildet sich bereits am 4. Tag nach Konzeption und umschließt die innere Zellmasse des sich entwickelnden Embyros, der sich zu diesem Zeitpunkt im 32- bis 56-Zell-Stadium befindet. > Das Auftreten der Trophoblastschicht sowie einer ausgedehnten Blastozystenhöhle sind Kennzeichen des späten Blastozystenstadiums.
Die im Trophektoderm befindlichen Stammzellen sind Vorläufer der differenzierten Trophoblastzelltypen des Chorions und der Plazenta, und es wird vermutet, dass Fehler in der Bildung und frühen Funktion des Epithels mit einer beträchtlichen Zahl von Spontanaborten assoziiert sind. > Es wird geschätzt, dass etwa 50% aller Spontanborte auf chromosomale Alterationen des Fetus zurückzuführen sind, während die anderen 50% auf Defekten der Implantation und frühen Plazentation basieren (Carr u. Gedeon 1977).
Die Mechanismen der Trophektodermbildung beim Menschen sind jedoch ungeklärt, und es können daher nur Ana-
1
6
1
Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
. Tab. 1.1. Präimplantationsstadien/Implantation
Stadium
Tage (post conceptionem)
Entwicklungsvorgänge
Ort
Ovulation
0
Follikelruptur
Ovar
Zygote
0–1
Befruchtung und erste Furchungsteilung
Ampulle und Labyrinth
1,5–2,5
Totipotenz bis zum 8-Zell-Stadium
Morula (8–16 Zellen)
2–3,5
Fortschreitende Zellteilungen, Kompaktierung, Differenzierung in innere und äußere Zellen
Tube
Freie Blastozyste (32–64 Zellen)
4–4,5
Differenzierung zum Embryoblast (innere Zellmasse) und umgebendem Trophektoderm, Auflösung der Zona pellucida (»hatching»)
Uterushöhle
Angeheftete Blastozyste
5,5–6
Adhäsion am Endometrium, Implantationsbeginn
Uterusepithel
7–8
Entstehung der Amnionhöhle, Invasion des trophoblastären Synzytiums, Bildung des primären Dottersacks, Proliferation des extraembryonalen Entoderms, Entwicklung des embryonalen Entoderms
Uterus
logien zur Entwicklung der Maus erstellt werden, bei der die molekularen Vorgänge der Prä-/Implantation mittels experimenteller Genetik studiert werden können. Eine Inaktivierung der regulatorischen Gene Eomes oder Cdx-2 bei Mäusen führt zu einem Defekt der frühen Trophoblastenentwicklung und damit zu einer fehlgeleiteten Implantation und Plazentation (Russ et al. 2000; Chawengsaksophak et al. 1997). Die Bildung des frühen Embryoblasten wird hingegen durch Oct-4 induziert: Ein Fehlen des Faktors bewirkt bei Mäusen die vollständige Umwandlung von totipotenten Blastomeren in trophektodermale Zellen (Nichols et al. 1998). Die Faktoren Cdx-2 und Oct-4 beeinflussen gegenseitig Expression und Aktivität des jeweils anderen Faktors. Die Entwicklung des Trophoblasten und in der Folge der Plazenta basiert im Wesentlichen auf der Repression von Oct-4 durch Cdx-2 im Trophektoderm (Yamanaka et al. 2006). Während der rezeptiven Phase im Uterus (»Implantationsfenster« vom 20.–24. Tag des Menstruationszyklus) kommt es zum strukturellen und funktionellen Umbau der epithelialen und stromalen Zellen des Endometriums, der essenziell für das Anheften und Einnisten der Blastozyste ist. Der Prozess der Dezidualisierung, der während der Präimplantationsperiode abläuft und durch Wachstum und Matrixproduktion stromaler Zellen gekennzeichnet ist, wird im Wesentlichen durch die Steriodhormone Östrogen, Progesteron sowie durch die von den Drüsen des Endometriums sezernierten Wachstumsfaktoren und Zytokine bewerkstelligt: 4 Epidermaler Wachstumsfaktor (EGF), transformierende (TGF-α und -β) und insulinähnliche Wachstumsfaktoren (IGF) stimulieren beispielsweise das Wachstum der uterinen stromalen Zellen. 4 Das Trophoblastepithel der Blastozyste produziert vor der Implantation Faktoren wie humanes Choriongonadotropin (HCG) oder Early Pregnancy Factor (EPF), die die Steroidsynthese des Ovars erhöhen.
4 Die Verdickung der Uteruswand sowie die Anreicherung NK-zellähnlicher Immunzellen sind ein Zeichen der Dezidualisierung. Die Adhäsion/Implantation der Blastozyste an der Uteruswand, die auf den Prozess des »hatching« (Schlüpfen des Embryos aus der umgebenden Zona pellucida) folgt, wird durch komplexe Wechselwirkungen zwischen Trophoblastepithel und Dezidua bewerkstelligt (Kaufmann u. Kingdom 1999; . Abb. 1.1). Hierbei spielen Interaktionen zwischen Matrixproteinen und deren Rezeptoren (Integrine) sowie Änderungen der Zelladhäsivität, die durch die Abnahme bestimmter Glykoproteine hervorgerufen wird, eine Rolle. Der eigentliche physische Prozess der Implantation besteht aus der Invasion des Trophoblasten sowie dem Einnisten und Verschließen der Blastozyste im rezeptiven Endometrium. Die Implantation wird durch eine Reihe von löslichen Proteinen gesteuert, die vom Trophoblastepithel und den dezidualen Stroma- und Immunzellen produziert werden. Insbesondere wurde in Tierexperimenten festgestellt, dass die Produktion von Interleukin-11 (IL-11) und mütterlichem Leukaemia Inhibitory Factor (LIF) für die Implantation essenziell ist (Robb et al. 1998; Stewart et al. 1992). Die durch den engen Kontakt von genotypisch unterschiedlichen Zellen, dem embryonalen Trophoblasten einerseits und der maternalen Dezidua andererseits ausgelöste Interaktion stellt biologisch ein einzigartiges Phänomen dar: Neben Faktoren, die das Trophoblastwachstum und die Adhäsion erhöhen, finden sich an der Implantationsstelle diverse von »T-helper cell 2« (Th2) produzierte immunsuppressorische Moleküle, die die immunologische Antwort der Mutter auf den genetisch fremden Embryo unterdrücken. Außerdem produziert der adhäsive/invadierende Trophoblast das ungewöhnliche Oberflächenmolekül HLA-G, das schützend vor einer Lyse durch deziduale NK-Zellen wirkt (McIntire u. Hunt 2005).
7 1.2 · Frühe Entwicklung der Plazenta
. Abb. 1.1. Implantation und frühe Entwicklung der Plazenta. Details 7 Text. (Nach Kaufmann u. Kingdom 1999)
Die Interaktion mit Bindung des HLA-G-Moleküls an spezifische Rezeptoren der Natural-killer- (NK-) Zellen in der Dezidua führt zu einer gegenseitigen funktionellen Beeinflussung dieser beiden semiallogenetischen Zellen. Die Trophoblastzellen unterdrücken die zytotoxische Wirkung der NKZellen, und diese normalerweise gegenüber Fremdproteinen lytisch wirkenden Zellen gehen mit den extravillösen Trophoblasten eine symbiotische Beziehung ein (Moffet-King 2002). Neben der Kontrolle der Trophoblasteninvasion spielen sie auch bei der uterinen Angiogenese bzw. der schwangerschaftsspezifischen Adaptierung der Spiralarteriolen eine Rolle (Hanna et al. 2006). Bei der Reprogrammierung der NK-Zellen kommt neben den Trophoblasten auch den dentritischen Zellen und den regulatorischen T-Zellen in der Dezidua eine besondere Bedeutung zu (Karimi et al. 2008). Das glykanbindende Protein Galektin-1, das in beträchtlichen Mengen von uterinen NK-Zellen produziert wird, ist für die Rekrutierung von dentritischen Zellen in der Dezidua von zentraler Bedeutung (Blois et al. 2007).
Entoderm. Etwa ab Tag 8–9 der Schwangerschaft werden die Amnionhöhle, der primitive Dottersack sowie das zwischen der embryonalen Keimscheibe und dem Trophoblastepithel liegende extraembryonale Mesoderm gebildet. Zusammenfassend kann die Implantation als Invasion der mütterlichen Dezidua durch semiallogenetische Zellen, in erster Linie in Form von extravillösen Trophoblasten, bezeichnet werden. Diverse von mütterlichen Zellen in der Dezidua ausgehende Regulationsmechanismen steuern das Proliferations- bzw. Migrationspotenzial des Trophoblasten, sodass die Invasion des mütterlichen Gewebes zu einem kontrollierten Vorgang wird. Die funktionelle Bedeutung der Implantation zeigt folgende Übersicht.
Physiologische Bedeutung der Implantation 4 Verankerung des Schwangerschaftsprodukts im mütterlichen Organismus 4 Induktion der mütterlichen Immuntoleranz 4 Ruhigstellung des Myometriums (»mechanische Toleranz«) 4 Umbau der uterinen Gefäße als Basis für den uteroplazentaren Kreislauf 4 Endokrine Adaptation des mütterlichen Organismus
Studienbox Beim habituellen Abort konnte im Gegensatz zur normalen Schwangerschaft die Umstellung der zellulär vermittelten (Th1) auf eine humorale (Th2) Immunantwort nicht festgestellt werden (Raghupathy 2001).
1.2 Die Bildung eines mehrkernigen Synzytiums an der Anheftungsstelle, das durch Zellfusion einkerniger Zellen des Trophoblastepithels entsteht, kann als initialer Prozess für die Plazentaentwicklung angesehen werden (. Abb. 1.1). Gleichzeitig mit der Bildung des primitiven Synzytiums erfolgt bereits die Entwicklung des Embryoblasten in das primitive
Frühe Entwicklung der Plazenta
Die Plazenta erfüllt eine Vielzahl von Funktionen, die in Abhängigkeit vom Gestationsalter variieren: 4 In der Frühschwangerschaft stellt der Trophoblast eine schützende Barriere gegen den Kontakt des Embryos mit Sauerstoff im arteriellen mütterlichen Blut dar. Erst mit
1
8
1
Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
10–12 Schwangerschaftswochen kommt es zur Öffnung dieser Schranke, und mütterliches Blut dringt aus den Spiralarterien in den intervillösen Raum vor. 4 Der Trophoblast produziert eine Vielzahl von Proteinen, die an den mütterlichen Kreislauf abgegeben werden und als endokrine Signale tiefgreifende Veränderungen und Anpassungen in den verschiedenen Organsystemen der Mutter bewirken. 4 In der zweiten Schwangerschaftshälfte rückt dann zunehmend die Versorgungsfunktion in den Vordergrund, und aus der schützenden Barriere entwickelt sich das hochgradig effiziente Transport- und Versorgungsorgan für den Fetus. Entsprechend dieser unterschiedlichen Aufgaben verändert sich die Morphologie der Plazenta im Verlauf der Schwangerschaft. Die Grundlagen für das Wachstum und die Differenzierung der Plazenta werden in der Frühschwangerschaft gelegt. Durch die Verknüpfung von morphologisch-anatomischen sowie molekularbiologischen In-vitro-Untersuchungen mit der In-vivo-Beurteilung der Entwicklung der Blutzirkulation in der Plazenta mithilfe moderner Dopplersonographie ergibt sich ein zunehmend vollständiges Bild der Physiologie und auch der Pathologie der frühen Plazentaentwicklung. Die Chronologie der morphologisch-anatomischen Entwicklung der Implantation und Plazentation ist in . Abb. 1.1 schematisch dargestellt: 4 Die Kontaktzone der Plazenta mit der Dezidua wird von einer kontinuierlichen Schicht von Trophoblasten, dem primitiven Synzytium, gebildet, das aufgrund seiner invasiven Eigenschaften für die Implantation der Blastozyste in die Dezidua sorgt (. Abb. 1.1 b). 4 In der Folge kommt es zu einer massiven Proliferation der Zytotrophoblasten und durch Zellfusion zu einer weiteren Ausdehnung des Synzytiums, in dem Hohlräume, sog. Lakunen, entstehen (. Abb. 1.1 c). 4 Zwischen den Lakunen bilden sich durch vermehrtes Wachstum und der Migration von Zytotrophoblasten in das Synzytium die Primärzotten, die ausschließlich aus Trophoblastenzellen bestehen (. Abb. 1.1 d). 4 Einzelne der Plazentazotten haften im Bereich der Kontaktzone und stellen die Verankerung in der Uteruswand sicher (. Abb. 1.1 d–f). 4 Die Primärzotten wandeln sich im Verlauf der Schwangerschaft (4.–5. SSW) durch Einwanderung von mesenchymalen Zellen des extraembryonalen Mesoderms in Sekundärzotten mit bindegewebigem Stroma um (. Abb. 1.1 e). 4 Die Vaskulogenese mit der Neubildung von Blutgefäßen ab der 5.–6. SSW ist das wesentliche Merkmal der Weiterentwicklung von Sekundär- in Tertiärzotten (. Abb. 1.1 f). 4 Die Lakunen verschmelzen zum intervillösen Raum, der allerdings erst ab der 10.–11. SSW aus den zuführenden uterinen Spiralarterien mit mütterlichem Blut, das die frei schwimmenden Zotten umspült, gefüllt wird. Die Versorgung des Trophoblasten und des Embryos mit Nahrungsstoffen erfolgt in der frühen Phase, also vor der Etablie-
. Tab. 1.2. Schwangerschaftspathologien als Folge einer gestörten Proliferation und Invasion des extravillösen Trophoblasten
Ursache
Folge
Unzureichende Trophoblasteninvasion und vorzeitige Durchblutung des plazentären intravillösen Raumes
Vorzeitige Plazentalösung (Abruptio), Spontanabort
Gestörter Umbau der Spiralarterien
Präeklampsie, intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Störung der dezidualen Regulation der Invasion
Störung der Plazentalösung postpartal (Placenta accreta)
Tumoröse Entartung der Proliferation und Invasion des Trophoblasten
Blasenmole, Chorionkarzinom
rung des mütterlichen Blutstroms, im intervillösen Raum nach dem histiotrophen Prinzip, d. h. nahrungsstoffreiches Sekret von Drüsen der Dezidua diffundiert durch das Gewebe in den intervillösen Raum und wird durch aktive Mechanismen, wie Phagozytose, vom villösen Trophoblasten aufgenommen. > Der Embryo und der Trophoblast entwickeln sich in der Frühschwangerschaft in einem sauerstoffarmen Milieu und bleiben dadurch vom toxischen Einfluss der Sauerstoffradikale verschont.
Erst mit Abschluss der Organogenese und mit der Ausreifung von Enzymen, die einen raschen Abbau von schädigenden Sauerstoffradikalen ermöglichen, erfolgt der Übergang von der histiotrophen zu einer hämatotrophen Ernährung mit Eröffnung der Spiralarterien und Beginn der Zirkulation von mütterlichem Blut im intervillösen Raum (Jauniaux et al. 2003c). > Das Verständnis dieser Zusammenhänge ist von erheblicher klinischer Bedeutung, da in der Frühschwangerschaft die Weichen für den normalen Schwangerschaftsverlauf gestellt werden. Fehlentwicklungen in dieser Phase bilden die Grundlage für verschiedene Schwangerschaftspathologien (. Tab. 1.2).
Studienbox Screening-Untersuchungen im 1. Trimenon werden sich in Zukunft nicht allein auf die Morphologie des Embryos zur Entdeckung von Fehlbildungen oder Chromosomenanomalien beschränken. Mithilfe von biochemischen Tests in Verbindung mit Doppleruntersuchungen wird es möglich sein, die Merkmale einer normalen oder aber gestörten Plazentation frühzeitig zu erfassen und daraus Prognosen für den weiteren Schwangerschaftsverlauf sowie dessen Ausgang abzuleiten (Martin et al. 2001; Schluchter et al. 2001).
9 1.2 · Frühe Entwicklung der Plazenta
1.2.1
Physiologie der Differenzierung des Trophoblasten
In den Zotten der sich entwickelnden Plazenta befinden sich unreife, zytotrophoblastäre Stammzellen, die für die Ausbildung der beiden wichtigsten funktionellen Bestandteile der Plazenta verantwortlich sind, der villöse und der extravillöse Trophoblast (. Abb. 1.2 a). Der villöse Trophoblast bildet den zweischichtigen Zottenüberzug, bestehend aus Zytotrophoblastzellen und dem äußeren Synzytiotrophoblasten, der durch Verschmelzung
der darunterliegenden einkernigen Zellen mit dem Synzytium gebildet und ständig erneuert wird (Morrish et al. 1998; Pötgens et al. 2005). Das villöse Synzytium ist speziell für die Synthese von Hormonen, beispielsweise HCG (humanes Choriongonadotropin) oder HPL (humanes Plazentalaktogen), sowie auch für Transportvorgänge von Gasen und Nährstoffen aus dem mütterlichen Blut in die Kapillaren der Zotte mit Weitertransport über die Nabelschnur zum Kind ausgestattet. Während in den ersten Monaten der Schwangerschaft der Zottenüberzug kontinuierlich aus zweireihigem Trophoblastepithel besteht, wird die Außenschicht der reifen Endzotten
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b
. Abb. 1.2a,b. Differenzierungswege des plazentaren Trophoblasten. a Differenzierung der Trophoblaststammzellen in verankerten Zotten. Zytotrophoblastäre Stammzellen (ZT) generieren in frei schwimmenden Villi (FV) durch Zellfusion das Synzytium (S), das Hormone in den intervillösen Raum (IR) sezerniert und Nährstoffe in die Kapillaren der Zotte transportiert. Durch den Kontakt des verankerten Villus (VV) mit der Dezidua wird eine massive Proliferation der Zytotrophoblasten und damit die Bildung einer Zellsäule (ZS) induziert. Am distalen Ende der Zellsäule lösen sich extravillöse Trophoblasten (EVT), die die Zellteilung beendigt haben, voneinander und invadieren das mütterliche Gewebe. Innerhalb der Invasionszone (IZ) finden sich endovaskuläre Trophoblasten in den Spiralarterien (SA), die bestehende Endothelzellen (EZ) verdrängen, interstitielle Trophoblas-
ten in der Matrix der Dezidua (D) sowie mehrkernige Gigantenzellen (GZ), die als Endstadium der invasiven Differenzierung angesehen werden. b Invasion des extravillösen Trophoblasten in uterine Gefäße. Die Modifikation der uterinen Spiralarterien (im Querschnitt dargestellt) erfolgt in progressiver Weise in der 10.–18. SSW. In der Dezidua sind die Spiralarterien zunächst partiell (pm) und später komplett modifiziert (km), und die umgebende Muskelwand (Tunica media, TM) ist vollständig aufgelöst. Mitte der Schwangerschaft kommt es auch im Bereich des deziduanahen Myometriums zu einem partiellen Umbau der myometrialen Segmente der Spiralarterien, während tieferliegende Gefäßabschnitte nicht modifiziert (nm) werden. (In Anlehnung an Damsky u. Fischer 2001)
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10 Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
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v. a. vom Synzytium mit nur noch vereinzelt nachweisbaren Zytotrophoblastzellen gebildet. Durch die hohe Verzweigung der Endzotten wird dem gesteigerten Nährstoffbedarf des Fetus Rechnung getragen. An der Haftstelle der Zotten, der uterinen Basalmembran, erfahren die Stammzellen des Trophoblasten einen starken proliferativen Reiz. Die sich rasch vermehrenden extravillösen Trophoblastzellen bilden Trophoblastzellsäulen, die tief in die Dezidua vordringen (. Abb. 1.2 a). Gleichzeitig wandern villöse Trophoblastzellen preferenziell in Arterien, aber auch Venen der Dezidua ein und breiten sich durch Verdrängung des Endothels intravasal entlang der Innenwand der Gefäße aus (. Abb. 1.2 b). Die Gefäße der Endstrecke der A. uterina erfahren dabei einen vollständigen Umbau ihrer Wandstruktur, bei dem die Endothelzellen durch Trophoblastzellen ersetzt und die muskulären Elemente sowie auch die Elastica interna aufgelöst werden (Pijnenborg et al. 1980, 1981, 1983; Brosens et al. 1967). Durch den Verlust dieser für die Vasoregulation entscheidenden Strukturelemente entwickeln sich aus den englumigen Spiralarterien des nichtschwangeren Uterus weite Schläuche, die sowohl die dezidualen als auch die deziduanahen myometrialen Gefäßabschnitte umfassen. > Der Abfall des Gefäßwiderstands in der Peripherie des uterinen Kreislaufs ist Voraussetzung für die dramatische Steigerung des Zustroms mütterlichen Blutes in die Plazenta, und der mütterliche Blutdruck wird zur regulierenden Größe für den Blutstrom im uteroplazentaren Kreislauf.
Bei der Invasion von Trophoblastzellen in die Gefäße sowie in die extrazelluläre Matrix der Dezidua spielt die Expression von Adhäsionsmolekülen (verschiedene Integrine) eine wichtige Rolle. Integrine sind heterodimere Glykoproteine, die mit Proteinen der extrazellulären Matrix spezifische Bindungen eingehen (Damsky et al. 1994). Auch die Aktivierung von Proteasen der Familie der Matrixmetalloproteinasen (MMP) oder Urokinasetyp-Plasminogenaktivatoren sind für den Vorgang der Migration von großer Bedeutung (Lala u. Chakroborty 2003). Die mit der intravaskulären Invasion verbundenen Veränderungen der Genexpression der ursprünglich epithelialen Zellen führen zur Entwicklung von Merkmalen, die eher für Zellen endothelialen Ursprungs typisch sind (Damsky u. Fisher 2001). Die komplexen Vorgänge der Trophoblastverankerung und Invasion werden durch verschiedene autokrine und parakrine Regulationsmechanismen gesteuert (Bischof et al. 2000), wenn auch die dafür verantwortlichen molekularen Mechanismen bislang noch nicht vollständig geklärt sind. Ferner wird postuliert, dass die Sauerstoffkonzentration im Plazentabett das Verhältnis von Wachstum und Invasion der extravillösen Trophoblastzellen reguliert. Niedrige Konzentrationen (3% O2) inhibieren die Invasion der Zellen und fördern die Proliferation, während sich die Situation bei 20% O2 umkehrt präsentiert (Genbacev et al. 1997; Cannagia et al. 2000). Wesentlich ist, dass die Trophoblasteninvasion zeitlich und räumlich exakt kontrolliert abläuft. Eine zu tiefe Invasion in das mütterliche Gewebe dürfte durch Produktion von Gewe-
beinhibitoren der Metalloproteinasen (TIMPs) in der Dezidua verhindert werden (Lala u. Graham 1990).
1.2.2
Pathologie der Trophoblasteninvasion
Auf die Bedeutung immunologischer Faktoren wurde bereits hingewiesen (7 Kap. 1.1.2). > Störungen der Trophoblasteninvasion der dezidualen Gefäße mit ungenügendem Umbau und mangelnder Dilatation der Gefäßwände in der Frühphase der Plazentation können schwerwiegende Folgen für den weiteren Schwangerschaftsverlauf haben (Jaffe u. Woods 1993; . Tab. 1.2).
Pathologisch-anatomische Untersuchungen von Plazentagewebe von Schwangerschaften mit intrauteriner Wachstumsrestriktion mit oder ohne Zeichen der Präeklampsie sowie von frühen Spontanaborten haben eine unzureichende Trophoblasteninvasion mit ungenügendem Umbau der Spiralarterien als wesentliches morphologisch-anatomisches Merkmal ergeben (. Tab. 1.2; Pijnenborg 1990; Hustin et al. 1988; Hamilton u. Boyd 1960).
Studienbox In einer prospektiven Studie wurde gezeigt, dass ein erhöhter Widerstand in den Spiralarterien in der Frühschwangerschaft mit einem frühzeitigen Beginn der Blutzirkulation im intervillösen Raum einhergeht. In diesen Fällen kam es gehäuft zu Spontanaborten oder zu einer späteren Restriktion des fetalen Wachstums (Jaffe u. Woods 1993). Die Bedeutung des Ultraschalls für die Diagnose von Störungen in der Frühschwangerschaft wurde kürzlich dargestellt (Jauniaux et al. 2003a, b, 2005).
Die Präeklampsie und bestimmte schwere Formen der intrauterinen Wachstumsrestriktion, die sich früh in der Schwangerschaft manifestieren, werden aber auch mit einer Minderperfusion und dem daraus resultierenden hypoxischen Plazentabett in Zusammenhang gebracht. Eine hypoxische Umgebung könnte eine erhöhte Konzentration an TGFβ3 im Plazentabett mit einer ungenügenden Ausbreitung des extravillösen Trophoblasten in der Dezidua bewirken. Die Erklärung der ungenügenden Invasion der Dezidua durch einen fehlenden Sauerstoffanstieg bleibt allerdings unbefriedigend, da der Umbau mit Dilatation der Spiralarterienwände einerseits die Voraussetzung für die Steigerung des Blutflusses und damit für den Anstieg der Sauerstoffkonzentration im Gewebe ist, gleichzeitig aber auch Folge der lokalen Einwirkung des extravillösen Trophoblasten sein soll. Jüngste Daten weisen außerdem darauf hin, dass im Plazentabett präeklamptischer Patientinnen um die 33. SSW keinerlei Unterschiede in der lokalen Konzentration an TGF-Proteinen festzustellen sind (Lyall et al. 2001).
11 1.2 · Frühe Entwicklung der Plazenta
> Es ist jedoch generell akzeptiert, dass bei Präeklampsie die Expression des Integrin α1β1 am endovaskulären Trophoblasten fehlt und die Invasion in die Dezidua nur oberflächlich stattfindet (Zhou et al. 1993).
Bestimmte Mutationen der MHC-Klasse-1-Oberflächenproteine des extravillösen Trophoblasten sowie auch der spezifischen Rezeptoren der dezidualen NK-Zellen können die symbiotische Toleranz der beiden Zellpopulationen stören. Die Beeinträchtigung des Umbaus der Deziduagefäße, die bei der Präeklampsie beobachtet wird, kann somit zumindest teilweise durch immunologische Störungen auf genetischer Basis erklärt werden (Moffet-King 2002). Als weitere Ursache für eine unzureichende Umwandlung der Spiralarterien seien vorbestehende Gefäßveränderungen im uterinen Kreislauf im Zusammenhang mit Diabetes mellitus, Hypertonie oder anderen chronischen Erkrankungen mit Vaskulopathie genannt.
1.2.3
Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufs
So wie die Einzelheiten der zellulären Mechanismen bei der Interaktion zwischen extravillösem Trophoblasten und Dezidua und deren Störung noch ungeklärt sind, waren auch die funktionellen Auswirkungen dieser Veränderungen, insbesondere die Entwicklung der Hämodynamik des uteroplazentaren Blutflusses in den ersten Schwangerschaftswochen, lange Gegenstand einer erheblichen Kontroverse. Lange galt es als unbestritten, dass es mit der Implantation frühzeitig zur lokalen Erosion von Gefäßwänden in der Dezidua kommt und das mütterliche Blut in dem durch das Zusammenfließen der Trophoblastlakunen entstehenden intervillösen Raum frühzeitig zu zirkulieren beginnt (Ramsey et al. 1963; Martin et al. 1966). Ende der 1980er Jahre wurden neue pathologisch-anatomische Befunde an Hysterektomiepräparaten aus dem 1. Schwangerschaftstrimenon zusammen mit Untersuchungen von Chorionzottenbiopsiematerial vorgelegt, die Zweifel an dem frühen Beginn eines mütterlichen Blutstroms im intervillösen Raum aufkommen ließen:
4 Durch hysteroskopische Untersuchungen wurde gezeigt, dass der Raum zwischen den Plazentazotten über mehrere Wochen lediglich von klarer Flüssigkeit ausgefüllt und die Zirkulation von mütterlichem Blut erst mit 11–12 Wochen voll etabliert ist (Hustin et al. 1988; Hustin u. Schaaps 1987). 4 Morphologische Befunde zeigen, dass der frühe intravasale Trophoblast primär durch Proliferation zu einem Verschluss der Gefäßöffnungen und damit zu einer Verhinderung des Austritts von mütterlichem Blut führt (Hamilton u. Boyd 1960; Ramsey u. Donner 1980). 4 Durch die rasante Entwicklung der Ultraschalltechnologie und speziell der transvaginalen Dopplersonographie wurde die uteroplazentare und fetoplazentare Zirkulation und im Speziellen der intervillöse Raum für nichtinvasive In-vivo-Untersuchungen zugänglich. Diese neuen Technologien haben es ermöglicht, den morphologisch-anatomischen Befunden ein funktionelles Korrelat gegenüberzustellen. So konnten Jauniaux et al. (2003c) nur in 9 von 25 Fällen vor der 9. Woche eine intervillöse Durchblutung nachweisen, während dies ab der 13. Woche bereits in 18 von 20 Fällen der Fall war. Anderen Gruppen gelang es hingegen mittels 3-D-Power-Dopplerangiographie, bereits ab der 6.–7. Woche Flussbewegungen im intervillösen Raum darzustellen. Dieser Fluss nimmt kontinuierlich zu, um ab 10–12 Wochen ein Plateau zu erreichen (Mercé et al. 2009; . Abb. 1.3). Diese kontinuierliche Flutung des intervillösen Raumes mit mütterlichem Blut bedarf einer Ordnung in Raum und Zeit. Eine zu frühe oder zentrale Eröffnung der Spiralarterien ist mit einer gestörten Frühschwangerschaft, intrauteriner Wachstumsrestriktion oder Präeklampsie assoziiert worden (Jaffe u. Woods 1993; Jauniaux et al. 2003a, b, 2005; Mercé et al. 2009; Burton et al. 2009). In longitudinalen Dopplerultraschallstudien in der Frühschwangerschaft wurde an ausgesuchten Schwangerenkollektiven die physiologische Entwicklung der Blutströmung in den uteroplazentaren sowie den fetoplazentaren Gefäßen zwischen 8 und 14 Wochen systematisch beschrieben (Coppens et al. 1996). Die erhebliche Lumenerweiterung des plazen-
. Abb. 1.3a, b. Intervillöser Blutfluss. a Transvaginalsonographie. Power-Doppler 7. Woche. Es lässt sich eine perichoriale (mütterliche) Vaskularisation darstellen (1). Im Chorion ist kaum Blutfluss nachweisbar (2). Auf der embryonalen (3) Seite frühe Durchblutung sichtbar. b Power-Dopplersonographie 13. Woche. Der intravillöse Raum (IVR) lässt sich nun deutlich darstellen (F fetale Seite; M maternale Seite)
a
b
1
12 Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
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. Abb. 1.4a, b. Dopplerflussbild der a A. uterina in der Frühschwangerschaft (a, hier 10. Woche) und im 3. Trimenon (b, hier 24. Woche). Die spätsystolische Inzisur (Pfeil) lässt sich nicht mehr nachweisen
b
taren Gefäßbetts ist eine notwendige anatomische Adaptation an einen vermehrten Durchblutungsbedarf in der Schwangerschaft und führt zu einer kontinuierlichen Zunahme der diastolischen Strömungsgeschwindigkeiten in den uteroplazentaren Arterien mit einem progressiven Wegfall der spätsystolischen Inzisur (»Notch») mit konsekutivem Abfall des Strömungswiderstands. Dabei verläuft dieser Prozess gestaffelt: 4 Er beginnt mit ca. 10 Wochen in den Spiralarterien, was zeitlich mit dem Abschluss der ersten Welle der Trophoblasteninvasion zusammenfällt (Pijnenborg 1990; Coppens et al. 1996). 4 Ein bis zwei Wochen später verschwindet in der Regel auch in den Arteriae arcuatae dieser Notch als Folge der zweiten Welle der Trophoblasteninvasion, die über die Grenze zwischen Dezidua und Myometrium hinaus reicht (Pijnenborg 1990; Coppens et al. 1996; Loquet et al. 1988). 4 Nach der 24. SSW kann auch in den Arteriae uterinae nur noch in 9% der Fälle ein Notch nachgewiesen werden (Bower et al. 1992; . Abb. 1.4). Der Nachweis einer deutlichen Abnahme des Strömungswiderstands in den Spiralarterien bereits vor dem Beginn von Blutströmung im intervillösen Raum kann durch eine Dilatation der dezidualen Gefäße sowie durch die Neubildung bzw. Eröffnung von Shunts in dem dezidualen Gefäßnetz erklärt werden (Hamilton u. Boyd 1960; Hustin u. Schaaps 1987; Jauniaux et al. 1991a, b, 1992a; Kurjak et al. 1993). Bei der Beschreibung der schwangerschaftsbedingten Veränderungen im Widerstandsmuster der Uterusarterien der beiden Seiten war kein eindeutiger Bezug zur Lokalisation der Plazenta feststellbar (Den Ouden et al. 1990). Ferner ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass nicht nur der direkte Einfluss von Trophoblastzellen und die dadurch verursachte Strukturveränderung der Gefäßwände für die Widerstandsabnahme des Blutflusses in den Spiralarterien verantwortlich gemacht werden kann, sondern dass zusätzlich auch hormonelle Einflüsse eine wichtige Rolle spielen (Jauniaux et al. 1992b).
In Anbetracht der hohen Wachstumsrate des frühen Embryos muss die Frage nach der physiologischen Bedeutung der relativ späten Eröffnung des intervillösen Raumes für den mütterlichen Blutfluss gestellt werden. Direkte Messungen durch Einführung von Nadelelektroden unter Ultraschallsicht im Gebiet der Implantation haben vor der 10. SSW einen Sauerstoffgehalt von ca. 3% mit einem deutlichen Anstieg nach diesem Zeitpunkt ergeben (Rodesch et al. 1992). Die relativ hypoxische Umgebung des frühen Embryos und Trophoblasten bietet Schutz gegenüber dem toxischen Einfluss von den bei oxidativen Reaktionen freiwerdenden Sauerstoffradikalen (Jauniaux et al. 2003a, b). Diese Hypothese wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Aktivität des antioxidativen Enzyms Superoxiddismutase im Plazentagewebe zwischen der 8. und 12. Woche steil ansteigt (Watson et al. 1997).
1.2.4
Entwicklung des umbilikoplazentaren Kreislaufs
Die Entwicklung des umbilikoplazentaren Gefäßsystems ist eng mit der Entwicklung der Zottenstruktur der Plazenta verknüpft. Bereits 6 Wochen nach der letzten Periode besteht eine Verbindung zwischen dem embryonalen Herzen und dem Zottengefäßnetz (Boyd u. Hamilton 1970). Durch systematische histologische Untersuchungen unter Anwendung von Licht-, Transmissions- und Rasterelektronenmikroskopie an Plazentagewebeproben verschiedenen Alters wurde das Prinzip der Zottenentwicklung und des Wachstums der Plazenta erarbeitet (Castellucci et al. 1990; Kaufmann u. Castellucci 1997): 4 In der Frühschwangerschaft herrscht der unreife intermediäre Zottentyp vor (. Abb. 1.5). Das Stroma dieser vergleichsweise dicken Zotten enthält v. a. Arteriolen und kleine Venen, in deren Wandstruktur keine Media nachweisbar ist sowie zahlreiche Makrophagen, sog. HofbauerZellen. 4 An der Oberfläche dieses Zottentyps bilden sich durch Proliferation Zytotrophoblastknospen, aus denen neue unreife Intermediärzotten entstehen. Die Verzweigung der unreifen Intermediärzotten ist die Basis für das
13 1.2 · Frühe Entwicklung der Plazenta
. Abb. 1.5. Peripherer Abschnitt des Zottenbaums einer reifen Plazenta mit Querschnitten der verschiedenen Zottentypen. (Nach Kaufmann u. Kingdom 1999)
Wachstum der Plazenta in der ersten Schwangerschaftshälfte. 4 In den Abschnitten, die der Chorionplatte am nächsten sind, verlangsamt sich das Wachstum, und aus den intermediären Zotten werden Stammzotten mit Arterien und Venen, die einen regulären muskulären Wandaufbau einschließlich Media aufweisen. 4 Parallel zu der Neubildung von Zotten erfolgt die Vaskularisierung durch Verzweigung vorhandener Gefäße im Sinne der Angiogenese. Mithilfe der Dopplersonographie, die sich für die systematische Untersuchung der Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufs als außerordentlich hilfreich erwiesen hat, gelang es auch, entsprechende Veränderungen in der Hämodynamik im fetoplazentaren Kreislauf bereits während der ersten Wochen der Schwangerschaft zu dokumentieren (Coppens et al. 1996): 4 In der Nabelschnurarterie ließ sich ein kontinuierlicher Abfall des Widerstands in den ersten Wochen nachweisen. Vor der 12. SSW ist der umbilikale Blutfluss durch ein Fehlen enddiastolischer Flussgeschwindigkeiten in den Nabelschnurarterien und durch ein pulsatiles Flussmuster in der Nabelschnurvene charakterisiert (. Abb. 1.6 a). 4 Zwischen der 12. und 14. Woche kann und ab der 14. Woche sollte in den Nabelschnurarterien ein pandiastolisches Flussmuster nachweisbar sein (. Abb. 1.6 b,c). 4 Während die frühe Widerstandsabnahme in den Spiralarterien Ausdruck der tiefgreifenden Veränderung der Gefäßwandstruktur ist, liegt den Veränderungen im fetoplazentaren Kreislauf, v. a. die durch Angiogenese bedingte
Ausweitung des Gefäßnetzes in den Zotten zugrunde (Jauniaux et al. 1991a, b). Diese, sich auf wenige Wochen (12.–14.Woche) konzentrierte Veränderung der fetoplazentaren Flussmuster (. Abb. 1.6 a, b, c) bzw. Hämodynamik unterscheidet sich von der im Vergleich eher langsamen Entwicklung des intervillösen Systems grundlegend. Der plötzliche Shift von einem Hochwiderstandsflussmuster der Nabelschnurgefäße zu einem Niederwiderstandsdopplerprofil markiert wohl besser das Ende der ersten Phase der Trophoblastinvasion mit Entwicklung des intervillösen Raumes, als dies mittels komplizierter Durchblutungsmessungen in der frühen Plazenta nachvollziehbar ist. > Bemerkenswert ist die Tatsache, dass diese Impedanzabnahme, die zwischen der 12. und 13. Woche besonders deutlich ist, zeitlich mit dem Beginn der intervillösen Durchblutung zusammenfällt.
Die veränderten Druckverhältnisse durch Erweiterung des intervillösen Raumes sowie auch die Veränderung der lokalen Sauerstoff- und CO2-Konzentration mit Freisetzung von Vasodilatatoren im intervillösen Raum haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Regulation des Strömungswiderstands im fetoplazentaren Kreislauf (Jauniaux et al. 1995). Im Gestationsalter von 24–26 Wochen erfährt die Zottenentwicklung und damit das Wachstum der Plazenta eine bemerkenswerte Veränderung. An die Stelle des Teilungswachstums und der damit verbundenen Angiogenese tritt ein verstärktes Längenwachstum mit Differenzierung der unreifen Intermediärzotten in schlanke reife Intermediärzotten (. Abb. 1.5). Das Stroma der dünnen reifen Intermediärzotten
1
14 Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
1
a
b
c . Abb. 1.6a–c. Dopplersonographie der Nabelschnurarterie. a Fehlende diastolische Flusskomponente in der 7. SSW mit pulsatilem Flussmuster in der Nabelschnurvene. b 10. Woche, weiterhin fehlen-
de Diastole in der Arterie; Pulsationen in der Nabelschnurvene wenigerausgeprägt. c Vorhandene diastolische Flusskomponente in der 13. SSW und kontinuierliches Flussmuster in der Nabelschnurvene
ist arm an Bindegewebe und zeigt nur vereinzelt HofbauerZellen. Das treibende Element ist ein aktives Längenwachstum der Gefäße, das schneller als das Wachstum der Zotten ist. Diese Diskrepanz im Längenwachstum zwischen Zotten und Gefäßen ist die Grundlage für die Entwicklung von zahlreichen Terminal- oder Endzotten mit Vorwölbung von Kapillarschlaufen an der Oberfläche der reifen Intermediärzotten. An den Spitzen der Endzotten kommt es zu einer sinusoidalen Ausweitung der Kapillaren. Das deckende Bindegewebe und die darüber liegende Schicht des Synzytiotrophoblasten sind dünn ausgezogen mit Ausbildung von vaskulosynzytialen Membranen, die, bedingt durch eine minimale Diffusionsstrecke von 1–2μm zwischen mütterlichem und fetalem Blut, den bevorzugten Ort des Gasaustauschs bilden. In der Rasterelektronenmikroskopie sind die sinusoidal erweiterten Kapillarschlaufen als knospenartige Gebilde an den Zottenspitzen erkennbar. Die Entwicklung der Endzotten basiert somit auf Angiogenese im Sinn eines Längenwachstums der Gefäße. Hinzu kommt bei den Terminalzotten eine zusätzliche Neubildung von Kapillaren durch Teilung, die besonders an den Zottenspitzen stattfindet.
1.2.5
> Am Ende der Schwangerschaft fassen die Kapillaren der Endzotten ein Gesamtvolumen von 80 ml oder ca. 25% des fetoplazentaren Blutvolumens. Die Gesamtoberfläche der in den Endzotten für den Gasaustausch zur Verfügung stehenden Trophoblastmembran beträgt 13 m2 (Luckardt et al. 1996).
Regulation des Zottenwachstums der Plazenta
Das Zottenwachstum sowie die Entwicklung der darin verlaufenden Gefäße unterliegt der Regulation durch eine Reihe von angiogenetisch wirksamen Faktoren wie die vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren (VEGF), der Plazentawachstumsfaktor (PLGF), Angiopoietin und die zugehörigen Rezeptoren. VEGF wird sowohl in den Endothelien, im villösen Trophoblasten, den Hofbauer-Zellen im Stroma der Zotten als auch in den mütterlichen Makrophagen der Dezidua, v. a. im 1. Trimenon exprimiert. Im mütterlichen Plasma ist bereits mit 6 Wochen eine Zunahme der Plasmakonzentration nachweisbar (Clark et al. 1998; Evans et al. 1998; Jackson et al. 1994). Es wird vermutet, dass v. a. VEGF für das extensive Verzweigungswachstum der unreifen intermediären Zotten und der damit verbundenen Angiogenese während des 1. und 2. Trimenons verantwortlich ist. Die mit zunehmender Schwangerschaftsdauer steigende Sauerstoffkonzentration bewirkt eine Suppression von VEGF. Im Gegensatz zu VEGF wird die Expression des plazentaren Wachstumsfaktors durch Sauerstoff stimuliert (PLGF; Khaliq et al. 1999). PLGF fördert v. a. das Längenwachstum der Gefäße. Ein Wechsel im Gleichgewicht zwischen VEGF und PLGF scheint für die zunehmende Verlagerung im Verlauf der Schwangerschaft von einer auf Verzweigung basierenden zu einer durch Längenwachstum bedingten Angiogenese und der damit verbundenen Bildung von Endzotten verantwortlich zu sein. Nach
15 Literatur
neueren Erkenntnissen kommt auch dem angiogenesehemmenden Einfluss des löslichen Rezeptors sFLT-1, der sowohl VEGF als auch PLGF bindet, bei der Regulation der Vaskularisierung des Zottenapparats eine besondere Bedeutung zu (7 unten). Physikalische Faktoren wie der durch die Blutströmung bedingte »shear stress» und der transmurale Druckgradient zwischen dem intravaskulären Zottengefäßlumen und dem intervillösen Raum wirken zusätzlich stimulierend auf die Angiogenese. > Durch die mit dem Wachstum des Fetus gegebene Zunahme des Herzminutenvolumens und dem damit verbundenen Anstieg der umbilikoplazentaren Blutströmung besteht eine direkte Rückkoppelung zwischen dem fetalen Wachstum und der Entwicklung der Transport- und Versorgungskapazität der Plazenta (Clark et al. 1998).
1.2.6
Anpassung des Zottenwachstums an pathologische Veränderungen der Versorgung
Durch das Wachstum des Fetus kommt es gegen Ende des 2. und während des 3. Schwangerschaftstrimenons zu einem exponentialen Anstieg des Bedarfs an Sauerstoff und Nahrungsbestandteilen, der durch eine Anpassung des Zottenwachstums und der Vaskularisierung im Sinn eines Umbaus bzw. einer Reifung der Plazenta gedeckt wird. Bei den auf einer chronischen Störung der Sauerstoffzufuhr basierenden Formen von intrauteriner Wachstumsrestriktion ist die Adaptation pathologisch und als funktionelle Kompensation einer ungenügenden Versorgung zu verstehen. Eine chronisch erniedrigte Sauerstoffzufuhr zu der uteroplazentaren Einheit kann Folge des Lebens der Schwangeren in großer Höhe, einer chronischen mütterlichen Anämie oder eines gestörten Umbaus der dezidualen Gefaße mit unzureichender Perfusion des intervillösen Raums sein. Die durch Einschränkung der Zufuhr erniedrigte lokale Sauerstoffkonzentration bewirkt eine anhaltende Stimulation der auf Verzweigung basierenden Angiogenese. > Im dopplersonographischen Flussmuster der Nabelschnurarterie wird die Hyperkapillarisierung der Endzotten an einem erniedrigten Strömungswiderstand erkennbar (Hitschold 1998).
Davon abzugrenzen sind Fälle mit einer frühzeitig in der Schwangerschaft einsetzenden Restriktion des fetalen Wachstums, assoziiert mit einer schweren Form von Plazentainsuffizienz mit einer hohen Rate perinataler Todesfälle bzw. frühzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen aus fetaler Indikation. > Die Dopplermuster der Nabelschnurarterie weisen bei diesen Fällen als Zeichen einer starken Widerstandserhöhung einen verminderten oder fehlenden diastolischen Fluss, im Extremfall sogar eine Umkehr der Flussrichtung auf (Karsdorp et al. 1994).
Stereologische Untersuchungen der Plazenta zeigen eine deutliche Verminderung der Anzahl von Endzotten in den peripheren Kapillarabschnitten (Karsdorp et al. 1994; Jackson et al. 1995). Möglicherweise handelt es sich bei diesen Fällen um eine frühzeitige Störung der Zottenentwicklung und der Angiogenese, wobei die eigentliche Ursache bislang ungeklärt bleibt. Gemäß einer Hypothese ist wegen der frühen Störung des Blutflusses in den Plazentazotten der Abtransport von Sauerstoff zum Fetus beeinträchtigt, sodass es zu einer Erhöhung der Sauerstoffkonzentration innerhalb der Plazenta kommt. Die plazentare Hyperoxie wirkt sich zusätzlich hemmend auf die durch Verzweigung bedingte Angiogenese aus (Macara et al. 1996; Kingdom u. Kaufmann 1997). Auch das molekulargenetische Expressionsmuster von angiogenetischen Wachstumsfaktoren spricht für eine lokale Hyperoxie in diesen Fällen (Khaliq et al. 1999). Es ist weitgehend gesichert, dass die lokale Sauerstoffkonzentration im Plazentagewebe direkten Einfluss auf das Gleichgewicht der für die Vaskulo- und Angiogenese des Zottenapparats entscheidenden Wachstumsfaktoren VEGF und PLGF hat. Auch die Konzentration des löslichen Rezeptors sFLT-1 im mütterlichen Blut, der sowohl VEGF als auch PLGF bindet, ist an der Regulation dieses Gleichgewichts beteiligt. Eine Zunahme von sFLT-1 im mütterlichen Plasma konnte bei Schwangeren, die eine Präeklampsie entwickelten, bereits 5 Wochen vor dem Auftreten von klinischen Hinweisen festgestellt werden (Levine et al. 2004). In-vitro-Untersuchungen an Kulturen von Plazentazottenexplants von Präeklampsiefällen ergaben eine vermehrte Freisetzung von sFLT-1 in das Medium. Der durch die Verschiebung des Gleichgewichts zwischen angiogenetischen Faktoren und dem löslichen Rezeptor bedingte hemmende Einfluss auf die Angiogenese konnte für das Medium mithilfe eines Angiogenesetests gezeigt werden (Ahmad u. Ahmed 2004). Die vermehrte Freisetzung von sFLT-1 konnte durch Hypoxie an Zottenexplants von Plazenten normaler Schwangerschaften provoziert werden. Die mit Hypervaskularisierung oder primär gestörter Gefäßentwicklung in den Zotten einhergehenden Formen von IUWR sind offensichtlich unterschiedliche Entitäten, sowohl was das klinische Bild als auch die Genese anbetrifft.
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16 Kapitel 1 · Präimplantation, Implantation und Plazentation: Bedeutung für den Schwangerschaftsverlauf
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1
2 2 Frühschwangerschaft: klinische Aspekte S. Pildner von Steinburg, K. Marzusch 2.1
Diagnose der Frühschwangerschaft – 20
2.1.1 Allgemeine Bemerkungen – 20 2.1.2 Laborchemische Diagnostik in der Frühschwangerschaft – 20 2.1.3 Nachweis der Frühschwangerschaft mittels Sonographie – 21
2.2
Abort – 22
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Definition und Epidemiologie – 22 Klinische Stadien des Abortgeschehens – 22 Abortursachen – 24 Spezielle diagnostische und therapeutische Aspekte bei habituellen Aborten – 29
Literatur – 30
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
20 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
2
Entsprechende laborchemische und sonographische Methoden erlauben die frühe und zuverlässige Diagnose und Beurteilung einer Frühschwangerschaft. Laborchemisch eignet sich in erster Linie der Nachweis des humanen Choriongonadotropins (HCG). Die serielle Bestimmung des HCG – unter Berücksichtigung von entsprechenden Verdopplungszeiten – gestattet eine Unterscheidung zwischen intakter und gestörter Schwangerschaft. In der Frühschwangerschaft können mit der transvaginalen Sonographie in Verbindung mit einer systematischen Befunderhebung wertvolle Informationen über den Implantationsort, das Vorliegen einer Mehrlingsschwangerschaft und die Vitalität des Embryos gewonnen werden. Schließlich ermöglicht die sonographische Erhebung biometrischer Daten sowie die Beurteilung der embryonalen Morphologie eine weitgehend zuverlässige Bestätigung bzw. Korrektur des errechneten Geburtstermins. Neuerdings erlaubt die sonographische Messung der embryonalen Nackentransparenz unter Hinzuziehung bestimmter biochemischer Marker bereits im 1. Schwangerschaftstrimenon eine Risikopräzisierung für bestimmte Chromosomenstörungen. Unter dem Begriff »Abort« wird im deutschsprachigen Raum ein nichtartifizieller Verlust der Schwangerschaft vor Eintritt der Lebensfähigkeit des Kindes verstanden. Von Bedeutung ist hierbei die Unterscheidung zwischen sporadischen und habituellen Aborten, wobei ein habituelles Abortgeschehen bei 3 oder mehr aufeinanderfolgenden Fehlgeburten vorliegt. Auch auf die klinischen Stadien und die vielfältigen Ursachen von sporadischen und habituellen Aborten wird im Folgenden eingegangen und eine kritische Bestandsaufnahme von speziellen diagnostischen und therapeutischen Interventionen bei Paaren mit habituellem Abortgeschehen gegeben.
2.1
Diagnose der Frühschwangerschaft
2.1.1
Allgemeine Bemerkungen
Sowohl Testsysteme zum qualitativen und quantitativen Nachweis des humanen Choriongonadotropin (HCG) als auch die Sonographie erlauben heutzutage die frühe und zuverlässige Diagnose einer Schwangerschaft. Allerdings sollten diese Möglichkeiten nicht dazu verleiten, auf die Anamnese – insbesondere hinsichtlich des Zyklus – und den klinischen Befund bei der Erstvorstellung zu verzichten, da entsprechende Kenntnisse über die Ausgangssituation von erheblicher Relevanz für die Beurteilung des weiteren Schwangerschaftsverlaufs sein können. Zu den subjektiven Beschwerden in der Frühschwangerschaft gehören Erscheinungen wie die ungewohnte Ablehnung gewisser Genussmittel und Speisen, morgendliche Übelkeit mit Erbrechen, Brustspannen und seelische Unausgeglichenheit. Ebenfalls sehr früh zu Beginn der Schwangerschaft können Symptome wie verstärkter Fluor genitalis sowie Neigung zur Obstipation und Pollakisurie als Hinweise einer veränderten Darm- und Blasenfunktion auftreten. Diese unsicheren Schwangerschaftszeichen können in unterschiedlicher Ausprägung in Erscheinung treten und werden allgemein auf die schwangerschaftsbedingte Umstellung des maternalen Organismus zurückgeführt.
Bei der gynäkologischen Untersuchung finden sich als weitere unsichere Hinweise auf eine Schwangerschaft eine gewisse Auflockerung und livide Verfärbung von Vulva, Introitus, Vagina und Zervix. Die Auflockerung des Uterus und insbesondere des unteren Uterinsegments, wodurch sich bei der Palpation die Finger der inneren und äußeren Hand nahezu berühren können (Hegar-Schwangerschaftszeichen), wurde in der Vergangenheit als wertvoller Hinweis auf eine möglicherweise bestehende Frühgravidität gewertet. Häufig lässt sich bereits im Frühstadium der Schwangerschaft das vergrößerte Ovar mit dem Corpus luteum graviditatis tasten. Eine palpatorisch nachweisbare Vergrößerung des Uterus findet sich hingegen frühestens ab der 7.–8. SSW, wobei hier die interindividuelle Variabilität bekanntermaßen groß ist. Zusammenfassend ergeben sich aus der klinischen Befunderhebung nur eingeschränkt Informationen über die Präsenz, Intaktheit und das regelrechte Wachstum einer intrauterinen Frühschwangerschaft, weshalb zur Beantwortung dieser Fragestellungen die Hinzuziehung von laborchemischen und sonographischen Methoden sinnvoll erscheint.
2.1.2
Laborchemische Diagnostik in der Frühschwangerschaft
Humanes Choriongonadotropin (HCG) Das Glykoprotein humanes Choriongonadotropin (HCG) besteht aus zwei Untereinheiten, die als α- und β-Kette bezeichnet werden. α-HCG wird in erster Linie von Zytotrophoblastzellen, β-HCG wird hingegen vorwiegend im Synzytiotrophoblasten gebildet. HCG findet sich frühestens 8 Tage nach der Ovulation im maternalen Serum und weist hinsichtlich der Molekülstruktur und des luteotropen Effekts Ähnlichkeiten mit dem LH auf. Der unterschiedliche Aufbau der β-Ketten erlaubt – unter Zuhilfenahme spezifischer Antikörper – die Differenzierung zwischen (β-) HCG und LH in den gebräuchlichen Testsystemen. Bei eingetretener Schwangerschaft ersetzt HCG zunehmend das LH, wobei die Aufrechterhaltung der Steroidsynthese im Corpus luteum im Vordergrund steht. Hierbei ist ein ausreichend hoher Progesteronspiegel im Serum für den Erhalt der Frühschwangerschaft von Bedeutung. Der Nachweis von HCGRezeptoren auf Stromazellen im Endometrium und auf Trophoblastzellen lässt vermuten, dass HCG weitere schwangerschaftsrelevante para- und autokrine Effekte ausübt. In den ersten 10–12 Tagen einer intakten intrauterinen Einlingsgravidität beträgt die Verdopplungszeit des HCG im Serum etwa 1,3 Tage (Lenton 1990). Mit zunehmendem Gestationsalter und/oder bei höheren HCG-Werten verlängert sich die Verdopplungszeit – beispielweise wird sie bei Werten zwischen 1200 und 6000 mIE/ml mit 3 Tagen angegeben (Pittaway u. Wentz 1985). An dieser Stelle sei allerdings betont, dass niedrigere Ausgangswerte und/oder eine verlängerte Verdopplungszeit des HCG nicht als alleiniger Hinweis für eine Extrauteringravidität oder für eine gestörte intrauterine Frühgravidität gewertet werden dürfen. Umgekehrt müssen kurze Verdopplungszeiten und/oder hohe Werte des HCG nicht unbedingt für das Vorliegen einer Trophoblasterkrankung sprechen.
21 2.1 · Diagnose der Frühschwangerschaft
> Die höchsten HCG-Spiegel mit 50.000–100.000 mIE/ ml finden sich in der 10. SSW, danach kommt es bis zur 20. SSW zu einem kontinuierlichen Abfall auf Werte um 10.000–20.000 mIE/ml, die bis zur Geburt des Kindes in etwa konstant bleiben (Speroff et al. 1994).
Weitere Faktoren, Hormone und Screeningtests Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF) konnte gezeigt werden, dass Embryonen binnen 48 h nach Fertilisation in äußerst variablen Konzentrationen einen »embryo-derived platelet activating factor« (EDPAF) sezernieren können. EDPAF soll autokrin/parakrin die Aktivität von Leukotrienen und Prostaglandinen beeinflussen und so einen vasodilatatorischen Effekt aufweisen, wodurch möglicherweise die Implantation erleichtert wird (O’Neill 2005). Allerdings wird die Bedeutung der EDPAF-Sekretion für die Beurteilung der Lebensfähigkeit des Embryos in Zweifel gezogen (Amiel et al. 1989). Die in der Frühschwangerschaft initial nachweisbare Erhöhung der Steroidhormone im mütterlichen Serum ist auf den Einfluss des trophoblastären HCG auf das Corpus luteum im Ovar zurückzuführen. Zu diesem Zeitpunkt erlaubt daher die Bestimmung der Steroidhormone – wenn überhaupt – nur indirekte Rückschlüsse auf eine sich regelrecht entwickelnde Frühschwangerschaft. Im 3. Schwangerschaftstrimenon wird die Bestimmung des in der Plazenta gebildeten unkonjugierten Estriols u. U. noch zur ergänzenden Überwachung des Fetus eingesetzt. Allerdings ist diese laborchemische Überwachungsmöglichkeit in den letzten Jahren aufgrund der Entwicklungen im Bereich der Dopplersonographie in den Hintergrund gedrängt worden. Das vom Synzytiotrophoblasten sezernierte Proteohormon humanes plazentares Laktogen (HPL) steigt im maternalen Serum erst ab der 5. SSW an. Unbestätigt blieben frühere differenzialdiagnostische Befunde, nach denen die Kombination eines hohen HCG-Spiegels mit einem niedrigen HPLWert auf eine Trophoblasterkrankung hinweist (Speroff et al. 1994). Die HPL-Bestimmung im Serum wird allenfalls noch als Hilfsmittel bei der Beurteilung der Plazentainsuffizienz gewertet, wobei der Aussagewert dieser diagnostischen Maßnahme umstritten ist. Neuere Arbeiten haben zeigen können, dass der mütterliche Serumspiegel des schwangerschaftsassoziierten Plasmaproteins A (engl.: »pregnancy-associated plasma proteinA«, PAPP-A) in Kombination mit der Bestimmung des freien β-HCG eine Risikopräzisierung für die Trisomie 21 und Trisomie 18 im 1. Schwangerschaftstrimenon erlaubt (Wald et al. 1996; Zimmermann et al. 1996; Tul et al. 1999). Zusammen mit der sonographischen Messung der Nackentransparenz (NT) kann die Treffsicherheit der Berechnung eines individualisierten Risikos für eine Trisomie 21 auf etwa 90% erhöht werden (Spencer et al. 1999; Avgidou et al. 2005, Wapner et al. 2003; Nähreres 7 Kap. 8 »Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen«). Zur Ergänzung des Screenings im 1. Trimenon werden derzeit weitere sonographische Marker wie die Darstellung des Nasenbeins, eine Trikuspidalklappenregurgitation oder
die Dopplerflussmessung im Ductus venosus herangezogen (zusammengefasst in Nicolaides 2005). Allerdings konnte in neueren Studien auch gezeigt werden, dass bei karyotypisch unauffälligen Schwangerschaften mit reduzierten PAPP-ASpiegeln ein erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Schwangerschaftsausgang durch Wachstumrestriktionen, Präeklampsie und intrauterine Fruchttode besteht (Spencer et al. 2005).
2.1.3
Nachweis der Frühschwangerschaft mittels Sonographie
Insbesondere bei der Frühschwangerschaft bietet die transvaginale Sonographie aus technischer Sicht entscheidende Vorteile im Vergleich zu der transabdominellen Technik: Durch die Nähe des Schallkopfes zu den zu untersuchenden intrauterinen Strukturen und der damit verbundenen geringeren Eindringtiefe der Schallwellen sind höhere Frequenzen mit besserer Bildauflösung möglich. Zudem können zuverlässige Befunde bei Schwangeren mit Adipositas, extrem retroflektiertem Uterus und intraabdominellen Verwachsungen erbracht werden. Zur Erhebung morphometrischer Befunde während der Embryonalperiode wird die transvaginale Sonographie im Real-time-B-Modus mittels mechanischer Sektorsonden oder elektronischer Sektorscanner durchgeführt. Die verwendeten Sonden sollten in der Frequenz von 5 auf 7,5 MHz umschaltbar sein und über einen Sektor von mindestens 120° verfügen. Die vaginalsonographische Beurteilung des inneren Genitales erfolgt hierbei zwecks besserer Orientierung zunächst im medianen Sagittalschnitt (Uterus im Längsschnitt mit ventral liegender Blase) sowie im Frontalschnitt (Uterus im Querschnitt, linke Adnexe rechts und rechte Adnexe links im Bild). Eine systematische Vorgehensweise bei der vaginalsonographischen Untersuchung vermeidet Versäumnisse bei der Erfassung von Befunden, die für den weiteren Schwangerschaftsverlauf von erheblicher Relevanz sein können. Beispielsweise ist im 1. Schwangerschaftstrimenon die sonographische Unterscheidung zwischen monochorialen Gemini – die zu einem späteren Zeitpunkt ein erhöhtes Risiko für fetofetale Transfusionen aufweisen – und dichorialen Zwillingen wesentlich einfacher als in der Spätschwangerschaft. Dies gilt ebenfalls für die antenatale Abgrenzung von monound diamniotischen Mehrlingen. Nach orientierender Darstellung des inneren Genitales im medianen Sagittalschnitt und im Frontalschnitt erfolgt zunächst die Festlegung des Implantationsortes. Hierbei ist die Chorionhöhle innerhalb des dezidualisierten Endometriums ab einem Durchmesser von etwa 2 mm mit entsprechender Gerätetechnik zuverlässig darstellbar. Bei diesem Größendurchmesser müssen jedoch zunächst differenzialdiagnostisch Vakuolen in der Dezidua sowie eine Pseudoeiblase in Erwägung gezogen werden. Der weitere systematische Untersuchungsablauf beinhaltet den Ausschluss bzw. Nachweis einer Mehrlingsschwangerschaft und – falls bereits möglich – der Beurteilung der embryonalen Morphologie mit anschließender Biometrie und der Erfassung von Vitalitätszeichen (Wisser 1995). Die
2
22 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
2
erhobenen Befunde ermöglichen eine weitgehend exakte Festlegung des Gestationsalters unter Hinzuziehung der Stadien der Embryonalentwicklung aus der Carnegie-Sammlung und der biometrischen Daten von Eiblase und Embryo (Übersicht in Wisser 1995). Diese Daten erlauben demnach in der Frühschwangerschaft eine zuverlässige Bestätigung bzw. Korrektur des errechneten Geburtstermins. Der sichere embryonale Vitalitätsnachweis ist sonographisch ab der 7. SSW mit der Beobachtung bzw. Messung von Herzaktionen im Real-time-B-Modus bzw. Time-motion-Modus möglich. Schließlich sollte bereits im 1. Schwangerschaftstrimenon auf Hinweiszeichen für das Vorliegen embryonaler Erkrankungen geachtet werden (auffällige Körperkontur in Bezug auf Nacken und Bauchwand, abnorme Herzfrequenz, abnorme Organstrukturen, Auffälligkeiten der Nabelschnur und/oder Plazenta, auffällige Wachstumskurve u.a.). Insbesondere in diesem Zusammenhang wird auf 7 Kap. 15 »Ultraschall im III. Trimenon« verwiesen.
2.2
Abort
2.2.1
Definition und Epidemiologie
Von Bedeutung für die Klinik ist die Unterscheidung zwischen sporadischen Aborten und dem Vorliegen eines habituellen Abortgeschehens, das bei 3 oder mehr aufeinanderfolgenden Fehlgeburten vorliegt. Aus klinischer Sicht ist eine Einteilung in Frühaborte bis zur 12.–14. SSW und in Spätaborte ab der 14. SSW sinnvoll. Hinsichtlich der Ätiologie von Aborten scheinen jedoch, bis auf die endokrinen Abortursachen und die Zervixinsuffizienz, die Übergänge zwischen Früh- und Spätfehlgeburten fließend zu sein. Aus diesem Grund werden die ätiologischen Faktoren, die zu Aborten im 1. und 2. Schwangerschaftstrimenon führen können, in den entsprechenden Kapiteln gemeinsam abgehandelt. Bisher wenig beachtet ist die klinische Bedeutung, die die Anamnese von Aborten für den Ausgang einer bestehenden Schwangerschaft hat: Zusätzlich zur zunehmenden Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Abort steigt das Risiko für eine (sehr frühe) Frühgeburt, verursacht durch vorzeitigen Blasensprung oder vorzeitige Wehen, bereits nach dem ersten Abort erheblich an (OR 1,5–4,0; Buchmayer et al. 2004).
2.2.2
Abort Im deutschsprachigen Raum wird unter dem Begriff »Abort« ein nichtartifizieller Verlust der Schwangerschaft vor Eintritt der Lebensfähigkeit des Kindes verstanden. Aufgrund der Fortschritte in der neonatologischen Intensivmedizin sind hierbei Feten ab einem Geburtsgewicht von ≥500 g als lebensfähig anzusehen.
Die Rate an klinischen Aborten nach Ausbleiben der Regelblutung, bezogen auf die Gesamtzahl aller festgestellten Schwangerschaften, liegt im Mittel zwischen 11 und 15% (Edmonds et al. 1982; Hertz-Picciotto u. Samuels 1988; Miller et al. 1980). Bis zu 4-mal mehr Embryonen dürften in der kurzen Zeitspanne zwischen Implantation und Periodenblutung unbemerkt abgehen (Edmonds et al. 1982) und weitere rund 15% noch vor der Implantation (Little 1988), wodurch die Rate an präklinischen (vor dem Ausbleiben der Regelblutung) und klinischen Aborten zusammen deutlich über 50% betragen dürfte (Edmonds et al. 1982).
Studienbox In einer neueren und umfangreichen Studie konnte gezeigt werden, dass offenbar ein Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Implantation und der Inzidenz von Frühaborten besteht: Die niedrigste Abortrate von 13% fand sich bei einer Implantation bis zum Tag 9 post ovulationem (p. o.), bei einer Implantation am Tag 10 p. o. und 11 p. o. kam es bereits zu einem signifikanten Anstieg der Frühabortrate auf 26 bzw. 52%. Die nach dem Tag 11 p. o. erfolgten Implantationen endeten schließlich zu 82% in einer Frühfehlgeburt (Wilcox et al. 1999).
Klinische Stadien des Abortgeschehens
Klinisch findet sich beim drohenden Abort (Abortus imminens) eine vaginale Blutung mit oder ohne uterine Kontraktionen, wobei sich palpatorisch in der Regel keine Eröffnung des äußeren Muttermundes feststellen lässt. Von wesentlicher Bedeutung für die Diagnose sind die sonographischen Befunde eines vitalen Embryos/Fetus, einer erhaltenen Cervix uteri und eines geschlossenen inneren Muttermundes. Die Sonographie erlaubt zudem den Nachweis eines möglicherweise vorliegenden perichorialen Hämatoms, wodurch die differenzialdiagnostische Abgrenzung von einer Portioektopie oder einer intrazervikalen Neoplasie erleichtert wird. Laborchemisch finden sich bis zur 10. SSW regelrechte Verdopplungszeiten des HCG. > Obwohl allgemein empfohlen, konnte der eindeutige Nutzen einer körperlichen Schonung bzw. Bettruhe im Hinblick auf den Schwangerschaftsausgang beim drohenden Abort im 1. Trimenon bislang nicht bewiesen werden. Auch zur medikamentösen Behandlung mit Gestagenen und/oder HCG liegen keine zufriedenstellenden kontrollierten Studien vor.
Lassen sich beim drohenden Abort im 1. Schwangerschaftstrimenon mittels Sonographie embryonale Vitalitätszeichen (Herzaktionen) nachweisen, ist in weit über 90% der Fälle mit einem günstigen Schwangerschaftsverlauf zu rechnen (Everett u. Preece 1996). Dieser Umstand ist im Rahmen der Beratung der betroffenen Patientin im Sinn einer Beruhigung von hoher praktischer Bedeutung. Beim beginnenden Abort (Abortus incipiens) kommt es unter wehenartigen uterinen Kontraktionen zu einer Erweichung und Verkürzung der Cervix uteri mit Dilatation des Zervikalkanals. In dieser Situation ermöglicht die Sonographie eine Bestätigung der klinischen Befunde an der Zervix – darüber hinaus werden des Öfteren eine deformierte Cho-
23 2.2 · Abort
rionhöhle mit einem nichtvitalen Embryo/Fetus sowie ein ausgeprägtes perichoriales Hämatom vorgefunden. Insbesondere ist beim Vorliegen einer dauerhaft überregelstarken vaginalen Blutung ein konservatives Vorgehen nicht mehr gerechtfertigt. Tipp Empfehlung Therapeutisch sollte bis zu einer Uterusgröße entsprechend der 14. SSW eine Vakuumkürettage unter gleichzeitiger Gabe von Uterotonika (Methylergometrin, Oxytozin) durchgeführt werden. Ab einer Uterusgröße von >14. SSW ist zunächst eine medikamentös unterstützte (Sulproston, Gemeprost, Oxytozin) Spontanausstoßung anzustreben, wobei eine anschließende Kürettage zwecks Entfernung von noch verbliebenen Plazentaresten möglicherweise notwendig ist.
Ist es bereits zu einer teilweisen bzw. vollständigen Spontanausstoßung des Embryos/Fetus und der Plazenta gekommen, liegt ein inkompletter bzw. kompletter Abort (Abortus incompletus bzw. completus) vor. Im Rahmen der klinischen Untersuchung tastet sich der Uterus häufig kleiner als dem Gestationsalter entsprechend, und es findet sich ein klaffender Zervikalkanal, wobei sich dieser bei einem kompletten Abort allerdings auch wieder formiert haben kann. Mit der Sonographie kann in der Regel eine intrauterine Chorionhöhle mit einem vitalen Embryo nicht mehr nachgewiesen werden. Schwierigkeiten bereitet häufig die sonographische Differenzierung zwischen in utero verbliebenen Plazentaresten und Blutkoageln, die jeweils als unregelmäßige echodichte Strukturen imponieren können. Tipp Da sowohl klinisch als auch sonographisch eine Unterscheidung zwischen einem kompletten und inkompletten Abort nicht sicher möglich ist, kann – insbesondere bei persistierenden Blutungen – eine Vakuumkürettage vorgenommen werden. Neuere Daten haben zeigen können, dass in Fällen von kompletten und inkompletten Aborten bis einschließlich der 12. SSW ein expektatives (nichtoperatives) Vorgehen ebenfalls in Erwägung gezogen werden kann (Nielsen u. Hahlin1995; Nielsen et al. 1996; Grant 1996).
Bei einem verhaltenen Abort (»missed abortion«) kommt es, trotz abgestorbener oder sich nicht mehr entwickelnder Schwangerschaft, zu keinen spontanen Abortbestrebungen. Klinisch ist der Uterus kleiner als der Zeitspanne der Amenorrhö entsprechend, die Zervix erscheint derb, und der Zervikalkanal ist geschlossen. Im Rahmen der HCG-Bestimmungen ist nicht ein möglicherweise erniedrigter Ausgangswert von Bedeutung, sondern die ausbleibende bzw. verzögerte Verdopplung der Werte innerhalb eines Zeitraums. Im Ultraschall findet sich ein nichtvitaler Embryo/Fetus, der im Rahmen einer Stoßpalpation des Uterus den Bewegungen des
Fruchtwassers passiv nachfolgt. Die Biometrie ergibt häufig einen zu kleinen Embryo im Bezug auf den Chorionhöhlendurchmesser und auf das rechnerische Gestationsalter. > Mit der Fortentwicklung der hochauflösenden transvaginalen Sonographie werden auch bei der sog. Abortivfrucht (»Windei«) – die definitionsgemäß keine embryonalen Strukturen enthalten sollte – zunehmend kleinere Anteile des Embryoblasten darstellbar, weshalb hier in vielen Fällen eine frühe Form des verhaltenen Frühaborts vorliegen dürfte (Wisser 1995).
Therapeutisch wird beim verhaltenen Abort wie beim Abortus incipiens/incompletus vorgegangen, wobei – insbesondere bei Frauen ohne Geburten und/oder einem habituellen Abortgeschehen in der Anamnese – aufgrund der unreifen Zervix eine lokale Vorbehandlung mit Prostaglandinen (z. B. Gemeprost) erfolgen sollte. Beim länger bestehenden verhaltenen Abort ist in Einzelfällen über schwere Gerinnungsstörungen mit der Ausbildung einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) berichtet worden. Es handelt sich aber hierbei um eine sehr seltene Komplikation, die im klinischen Alltag kaum je Probleme bereitet.
Studienbox Bisher galt die Regel, dass eine Kürettage bei retiniertem Schwangerschaftsmaterial nach Abort notwendig ist, um Infektionen zu vermeiden. Doch in einer neueren dreiarmigen Studie, die expektatives mit medikamentösem (vaginales Misoprostol) und chirurgischem Vorgehen bei 1200 Frauen mit »missed abortion« oder Abortus incompletus vor 13 kompletten SSW verglich (Trinder et al. 2006), zeigten sich keine Unterschiede in den erfreulich niedrigen Infektionsraten ohne prophylaktische Antibiotikagabe oder Screeningtests. Die Raten an Nachkürettagen (indiziert wegen starker Blutungen oder sonographischen Verdachts auf Retention nach 14 Tagen) waren 44 vs. 13 vs. 5%. Für einen Abortus incompletus zeigte das expektative Management eine Erfolgsrate von 75%, allerdings bei einer Rate ungeplanter stationärer Aufnahmen von 29%. Bei vorliegender »missed abortion« war der Anteil der Frauen, die einen operativen Eingriff benötigten, im Arm der medikamentösen Behandlung am niedrigsten mit 38%, jedoch bei längeren Krankenhausaufenthalten. Die verursachten Kosten waren in der Gruppe des expektativen Vorgehens am niedrigsten, wie eine Nachfolgestudie belegte (Petrou et al. 2006). Die Autoren schließen, dass therapeutische Alternativen mit den Frauen diskutiert werden müssen, aber die Kürettage wegen der höchsten Erfolgsraten und kürzesten Blutungsdauer auf jeden Fall angeboten werden sollte.
Für das Vorliegen eines infizierten Aborts spricht eine Temperaturerhöhung >38°C, eine Leukozytose von ≥12.000 sowie eine signifikante Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und des C-reaktiven Proteins (CRP). Meist liegt das klinische
2
24 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
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Stadium eines Abortus incipiens oder incompletus vor, wobei in dieser Situation auch immer an einen vorausgegangenen versuchten Schwangerschaftsabbruch gedacht werden muss. Im Initialstadium betrifft die Infektion das Cavum uteri, diese kann sich jedoch im weiteren Verlauf auf die Parametrien mit Adnexen, auf das Peritoneum und hämatogen (septischer Abort) ausbreiten. Ein häufig unterbewertetes Frühsymptom eines beginnenden septischen Geschehens ist die persistierende Hypotension mit Tachykardie, die des Öfteren zunächst als vegetative Dystonie oder als Folge eines Volumenmangels fehlgedeutet wird. Im weiteren Verlauf kann sich ein septischer Schock mit den Kardinalsymptomen Kreislauf- und Nierenversagen sowie manifester DIC entwickeln. Hierbei findet sich bei einer Sepsis ohne Schocksymptomatik bereits eine Mortalität von 13%, die sich unter Hinzuentwicklung eines Schockgeschehens auf 28% erhöhen kann (Bone 1991). Tipp Die spezifische Therapie eines infizierten bzw. septischen Aborts sollte daher möglichst früh begonnen werden und besteht zunächst in einer hochdosierten intravenösen Antibiotikagabe (z. B. Amoxicillin + Clavulansäure; Cefotaxim in Kombination mit Metronidazol), einer adäquaten Volumensubstitution sowie in der Kontrolle der Gerinnungsparameter, um eine sich anbahnende DIC möglichst frühzeitig erkennen zu können. Bei einer Uterusgröße >14 SSW kann gleichzeitig eine medikamentös unterstützte Spontanausstoßung angestrebt werden. Vor der 14. SSW kann 4–6 h nach Beginn einer adäquaten intravenösen Antibiotikagabe die operative Entleerung bzw. Nachtastung des Uterus geplant werden. Nach diesem Intervall ist mit entsprechenden Antibiotikaspiegeln im Bereich des Infektionsgeschehens zu rechnen, wodurch die Gefahr einer weiteren Ausbreitung der Septikämie im Zusammenhang mit der operativen Intervention gering ist.
Aufgrund der heutzutage verfügbaren Antibiotika hat sich dieses Vorgehen gegenüber dem zu langen Zuwarten und der Gefahr der Entwicklung eines Endotoxinschocks deutlich bewährt.
2.2.3
Abortursachen
Chromosomale Anomalien im Abortgewebe Numerische Chromosomenanomalien werden in 50–70% aller sporadischen Aborte während des 1. und in rund 20% während des 2. Trimenons im Abortgewebe nachgewiesen (Boué et al. 1975; Johnson et al. 1990; Ohno et al. 1991; Poland et al. 1981). Die häufigsten dieser Aneuploidien sind autosomale Trisomien (am häufigsten Trisomie 16) sowie die Monosomie X (Kajii u. Ferrier 1978; Lauritsen 1976), gefolgt von Polyploidien und strukturellen Anomalien. Auch auf das Chorion bzw. die Plazenta begrenzte Mosaike finden sich vermehrt bei sporadischen Aborten (Kalousek et al. 1992). Dagegen zählen Anomalien im embryonalen/fetalen Karyotyp nicht zu den gän-
gigen Ursachen von habituellen Aborten. Im Gegenteil: Im Abortgewebe von Paaren mit habituellem Abortgeschehen findet sich häufig ein unauffälliger Chromosomensatz (Boué et al. 1975; Strobino et al. 1976; Sullivan et al. 2004).
Genetische Ursachen bei den Eltern Zu den genetischen Ursachen für habituelle Aborte zählen chromosomale Anomalien eines Elternteils, molekulare Defekte und multifaktorielle Syndrome. Durch Karyotypisierung beider Elternteile lässt sich bei 3–8% der Paare mit habituellem Abortgeschehen eine Chromosomenanomalie eines Partners nachweisen, was der 6- bis 9fachen Rate der Normalbevölkerung entspricht (de Braekeler u. Dao 1990; Brumstedt 1991; Smith u. Gaha 1990). Meist handelt es sich hierbei um Robertson- oder reziproke Translokationen, die zusammen 73% ausmachen (Cammarata et al. 1989), oder Inversionen, selten auch um Mosaike einer Trisomie X oder Monosomie des X-Chromosoms. Ist beispielsweise ein Partner Träger einer balancierten Robertson-Translokation 14/21, so sind folgende chromosomale Varianten der Zygoten denkbar: Trisomie 14, Monosomie 14, Trisomie 21, Monosomie 21, balancierte Translokation 14/21 und ein normaler Chromosomensatz. Die Hälfte der möglichen Zygoten (Trisomie 14, Monosomie 14, Monosomie 21) ist nicht mit einem lebensfähigen Kind vereinbar und wird abortiert. Das Abortrisiko in der Praxis wird aber weiter erhöht durch die Selektion gegen Feten mit einer Trisomie 13, 18 und 21, d. h., auch bei einem großen Teil dieser Schwangerschaften kommt es zu Früh- und Spätaborten. Mutationen und Gendefekte könnten für einen beträchtlichen Teil der euploiden Aborte verantwortlich sein. Die myotone Dystrophie ist ein Beispiel für eine Erkrankung eines einzelnen Gens, die mit einem erhöhten Risiko für Aborte und intrauterinen Fruchttod verknüpft ist (Broekhuizen et al. 1983). Jedoch sind die molekulargenetischen Untersuchungstechniken zur Aufdeckung weiterer solcher Assoziationen erst seit kurzem verfügbar, sodass gesicherte Erkenntnisse über die Rolle von Mutationen bei der Verursachung von habituellen Aborten noch fehlen.
Uterine Anomalien Zu den angeborenen oder erworbenen Anomalien des Uterus, die für Früh- und Spätaborte sowie auch für ein habituelles Abortgeschehen verantwortlich sein können, zählen die Hemmungsmissbildungen der Müller-Gänge, Myome, intrauterine Synechien sowie die Zervixinsuffizienz (7 Übersicht). Angeborene und erworbene uterine Anomalien mit erhöhtem Abortrisiko 4 4 4 4 4 4 4
Uterus subseptus und septus Uterus unicornis mit oder ohne rudimentäres Horn Uterus bicornis unicollis oder bicollis Uterus didelphys Intrauterine Synechien Myome Zervixinsuffizienz
25 2.2 · Abort
Angeborene uterine Anomalien. Über die allgemeine Inzi-
denz von angeborenen Uterusanomalien gibt es keine verlässlichen Angaben. Bei Frauen mit habituellen Aborten werden uterine Fehlbildungen mit 10–30% angegeben, wobei das Abortrisiko in erster Linie vom Typ der vorliegenden Anomalie abhängen dürfte. In der Literatur finden sich teilweise sehr unterschiedliche Angaben hinsichtlich der Rate an Fehlgeburten bei den diversen uterinen Fehlbildungen (Übersicht in Steck et al. 1997a). Die höchste Abortrate ohne chirurgische Therapie wird beim Uterus subseptus und septus durchschnittlich mit 67% beobachtet, wobei wiederum das Abortrisiko von der Ausprägung des Septums abhängt. Beim Vorliegen eines Uterus unicornis beträgt das Risiko einer Fehlgeburt im Mittel 48%. Bei dieser Fehlbildung besteht zudem die Möglichkeit einer Gravidität in einem evtl. vorhandenen rudimentären zweiten Horn, wobei hier das hohe Risiko einer Ruptur im Verlauf der Schwangerschaft berücksichtigt werden muss. Beim ungleich häufiger vorkommenden Uterus bicornis besteht ohne Therapie im Durchschnitt ein Abortrisiko von 35%, wobei die Rate an Aborten vom Ausmaß der Trennung beider Hörner (partieller Uterus bicornis unicollis oder kompletter Uterus bicornis bicollis) abhängen dürfte. Das Abortrisiko bei einem Uterus didelphys wird mit 13–42% sehr unterschiedlich angegeben. Diese relativ seltene Anomalie – bei der zwei durch Endometrium ausgekleidete Hörner jeweils mit einer Zervix im Bereich des unteren Uterinsegments miteinander verbunden und die beiden Portiones meist durch ein longitudinales Vaginalseptum getrennt sind – besitzt wahrscheinlich die beste Prognose bezüglich des Austragens einer Schwangerschaft. Allgemein sei auf das erhöhte Risiko des Auftretens geburtshilflicher Komplikationen bei allen Hemmungsmissbildungen der Müller-Gänge hingewiesen (7 Übersicht). Geburtshilfliche Komplikationen bei angeborenen uterinen Anomalien 4 4 4 4
Frühgeburtlichkeit Fetale Wachstumsrestriktion Anomalien der Lage und Poleinstellungen Uterusruptur nach operativer Korrektur
Erworbene uterine Anomalien. Intrauterine Synechien nach
Endometritis und intrauterinen Eingriffen kommen ebenfalls als Risikofaktor für Früh- und Spätaborte in Betracht. Die Häufigkeit intrauteriner Synechien und deren Ausmaß steigt offensichtlich mit der Zahl der vorangegangenen Aborte und intrauterinen Eingriffe: So beträgt die Inzidenz solcher Adhäsionen 14–16% nach zwei, aber 32% nach drei oder mehr Frühaborten (Friedler et al. 1993; Golan et al. 1992). Auch große Myome bleiben während der Schwangerschaft häufig asymptomatisch. Jedoch wird das Vorhandensein von Myomen mit einem erhöhten Risiko für Früh- und Spätaborte und andere Schwangerschaftskomplikationen (Frühgeburten, Lageanomalien, vorzeitige Plazentalösung) in
Verbindung gebracht (Buttram u. Reiter 1981; Exacoustos u. Rosati 1993). Degenerative Veränderungen eines Myoms in der Schwangerschaft können ebenfalls einen Abort auslösen (Buttram u. Reiter 1981; Katz et al. 1989). Insbesondere können multiple Myome gelegentlich als Ursache für habituelle Aborte in Betracht kommen, und in einigen kleinen retrospektiven Studien wurde ein positiver Effekt einer Myomektomie auf die nachfolgende Fertilität festgestellt. Jedoch wurde die tatsächliche Rolle von Myomen in der Genese von habituellen Aborten bislang noch nicht in größeren Studien ausgewertet. Die Bedeutung der Zervixinsuffizienz bei der Auslösung von Aborten – zumeist im 2. Schwangerschaftstrimenon – wurde in der Vergangenheit wohl überschätzt (Rai et al. 1996). Das klinische Bild der Zervixinsuffizienz kann in einer schleichenden, schmerzlosen Dilatation der Zervix, in einer prallen Vorwölbung des Amnions oder in einem weit vorzeitigen Blasensprung am wehenlosen Uterus bestehen. Allerdings kann jedes dieser Symptome auch im Verlauf eines Abortgeschehens anderer Ursache auftreten und beweist daher noch nicht die Kausalität der zervikalen Insuffizienz für den Verlust der Schwangerschaft.
Studienbox Die tatsächliche Inzidenz der Zervixinsuffizienz dürfte etwa 1% bei unselektionierten Schwangeren (Lidegaard 1994), aber rund 13% bei Schwangeren mit habituellen Aborten in der Vorgeschichte (Stray-Pedersen u. Stray-Pedersen 1984) betragen. Die Häufigkeit der Zervixinsuffizienz ist offenbar in der Altersgruppe >35 Jahre um ein Mehrfaches höher als bei Schwangeren <20 Jahren (Lidegaard 1994).
Infektionen Eine Reihe viraler, bakterieller und parasitärer Infektionen wird mit sporadischen Aborten kausal in Zusammenhang gebracht. Allerdings sind die meisten dieser Infektionen entweder von kurzer Dauer, hinterlassen eine lebenslange Immunität oder ziehen üblicherweise eine antibiotische Behandlung nach sich, die den Erreger eliminiert, sodass sie zwar als Ursache eines einzelnen Abortgeschehens, jedoch nur in seltenen Fällen von habituellen Aborten infrage kommen. Eine intrauterine Infektion durch embryo- bzw. fetotoxische Viren (Herpes simplex, Zytomegalie, Varicella zoster, Masern, Röteln und Parvovirus B19) können zu Fehlgeburten führen, jedoch scheiden diese Erreger – aufgrund der Immunität nach Erstinfektion – als Ursache für ein habituelles Abortgeschehen aus. Die bakterielle Vaginose (BV) ist ein anerkannter Risikofaktor für Spätaborte, Frühgeburten und vorzeitigen Blasensprung (Hay et al. 1994; Kurki et al. 1992). Eine Assoziation mit Aborten während des 1. Trimenons wurde bislang nicht berichtet. Allerdings ist bei der Beurteilung der Kausalität der BV für das Abortgeschehen auch die Koinzidenz mit weiteren – potenziell Aborte verursachenden – genitalen Infektionen (Chlamydien, Mykoplasmen) zu berücksichtigen.
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26 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
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Persistierende, oligosymptomatische genitale Besiedlungen durch Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum und Mycoplasma hominis sind zumindest in einigen Studien gehäuft bei Frauen mit habituellen Aborten nachgewiesen worden. Allerdings haben andere Untersucher die Assoziation zwischen positiver Chlamydienserologie und sporadischen (Osser u. Persson 1996) oder habituellen Aborten (Rae et al. 1994) nicht bestätigen können. Insbesondere ist bislang nicht bewiesen, ob beim Nachweis dieser Erreger eine antibiotische Behandlung auch tatsächlich den Ausgang weiterer Schwangerschaften verbessert. Aufgrund der besonderen Situation bei habituellen Aborten und angesichts der leichten Therapierbarkeit mit Tetrazyklinen oder Erythromycin kann jedoch ein entsprechendes Screening im Intervall vor einer geplanten Schwangerschaft in Erwägung gezogen werden. Eine nicht ausreichend behandelte Syphilis kann sporadische Spätaborte oder Totgeburten auslösen, jedoch sollte diese Infektion heutzutage aufgrund des generellen Screenings in der Schwangerschaft und der leichten Therapierbarkeit als Ursache von wiederholten Fehlgeburten ausscheiden. Borrelien werden zwar als Ursache für Totgeburten und Malformationen diskutiert, und angesichts der Transmission auf den Fetus ist auch die Auslösung einer Fehlgeburt denkbar, jedoch fehlen zu dieser Annahme bislang gesicherte Daten. Die Assoziation von Listeria monocytogenes mit febrilen Spätaborten, Frühgeburten und neonataler Infektion ist seit längerem bekannt. Aufgrund der Reaktivierungsmöglichkeit einer latenten Listeriose während der Schwangerschaft können im Fall reduzierter mütterlicher Immunität in Einzelfällen auch wiederholte Aborte auftreten (Dick et al. 1988). Allerdings ist die Rate an symptomatischer Listeriose oder asymptomatischer genitaler Besiedlung während der Schwangerschaft niedrig (Lamont u. Postlewait 1986). Die Möglichkeit der Auslösung eines Aborts oder einer Totgeburt durch eine Erstinfektion mit Toxoplasma gondii während der Schwangerschaft ist ebenfalls seit langem bekannt. Dieses Risiko ist bei einer Erstinfektion vor der 20. SSW wesentlich größer als bei einer Infektion während der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Da eine Parasitämie eine absolute Voraussetzung für die Transmission auf den Fetus darstellt und diese nur bei einer Erstinfektion vorkommt, ist eine wiederholte Infektion des Fetus – außer im Fall einer maternalen Immunsuppression – in aufeinanderfolgenden Schwangerschaften extrem unwahrscheinlich.
Genussgifte und Schadstoffe Nikotin und/oder Koffein scheinen mit einem erhöhten Ab-
ortrisiko verknüpft zu sein – allerdings haben sich diese Assoziationen nicht in allen Studien belegen lassen. Signifikant vermehrt Fehlgeburten finden sich hingegen bei Frauen mit chronischem Alkohol-, Opiat- und Kokainabusus während der Schwangerschaft. Bei medizinischem Personal unter beruflicher Exposition gegenüber Zytostatika und Narkosegasen ist eine erhöhte Rate an Aborten registriert worden. Arbeiterinnen in bestimmten Bereichen der Metallindustrie, in chemischen
oder pharmazeutischen Betrieben, in der chemischen Kleiderreinigung und Frauen, die Umgang mit organischen Lösungsmitteln oder Farben haben, unterliegen offenbar ebenfalls einem erhöhten Abortrisiko, wobei die Unterschiede zu den Abortraten von nichtexponierten Frauen nur für bestimmte Stoffe oder Kombinationen signifikant zu sein scheinen. Angesichts der Vielzahl der infrage kommenden Substanzen und der variablen Dauer und Intensität der Exposition können die teils widersprüchlichen Befunde über die Rolle von Schadstoffen am Arbeitsplatz und in der häuslichen Umgebung bei der Auslösung von Aborten nicht überraschen, zumal die Erkenntnisse über das fertilitätshemmende Potenzial einzelner Stoffe und deren additive Effekte bislang noch bruchstückhaft sind. In diesem Zusammenhang wird auch auf 7 Kap. 6 »Embryologie und Teratologie« und 7 Kap. 13 »Lebensführung in der Schwangerschaft« verwiesen.
Endokrine Ursachen Eine erhebliche Adipositas hat sich als ein Risikofaktor für Aborte bei Frauen erwiesen, die sich wegen einer anovulatorischen Oligomenorrhö und polyzystischen Ovarien einer medikamentösen Ovulationsauslösung unterzogen hatten (Hamilton-Fairly et al. 1992). Es ist daher anzunehmen, dass sich durch eine Normalisierung des Körpergewichts – neben der Regulisierung des Zyklus – auch das Abortrisiko senken lässt. Diabetische Schwangere, deren Glukosespiegel gut eingestellt sind, unterliegen keinem höheren Abortrisiko als Schwangere ohne Diabetes mellitus (Mills et al. 1988). Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit eines Aborts bei schwangeren Diabetikerinnen mit schlechter Stoffwechselkontrolle, d. h. hohen Spiegeln an Glukose und glykosyliertem Hämoglobin, während des 1. Trimenons eindeutig erhöht (Mills et al. 1988). Eine Hypo- oder Hyperthyreose werden vielfach als mögliche Ursachen für sporadische oder habituelle Aborte genannt, jedoch finden sich in der Literatur auch gegenteilige Berichte. Wenn auch bei lediglich bis zu 2% der Frauen mit habituellen Aborten eine Störung der Schilddrüsenfunktion zu erwarten ist, so erscheint doch im Hinblick auf die leichte Korrigierbarkeit dieser Störungen und auch wegen einer möglichen Verschlechterung in der Schwangerschaft eine Abklärung der Schilddrüsenfunktion bei diesen Patientinnen gerechtfertigt. Eine Assoziation von Aborten mit dem Vorliegen von TPO-Antikörpern konnte gezeigt werden, allerdings ist unklar, ob außer der Korrektur der Schilddrüsenfunktion weitere therapeutische Maßnahmen erforderlich sind (Prummel et al. 2004). Eine häufig angegebene, jedoch äußerst kontrovers diskutierte Ursache von sporadischen und insbesondere von habituellen Frühaborten ist der sog. Lutealdefekt (Lutealinsuffizienz). Dabei handelt es sich um eine inadäquate sekretorische Umwandlung des Endometriums aufgrund einer qualitativ oder quantitativ gestörten Funktion des Corpus luteum.
27 2.2 · Abort
Studienbox Die Diagnose stützt sich entweder auf eine Verkürzung (<10 Tage) der hyperthermen Phase in der Basaltemperaturkurve (BTK) oder eine histologisch zu diagnostizierende (Endometriumsbiopsie) Verzögerung (>2 Tage) der Sekretionsphase des Endometriums oder auf erniedrigte Serumkonzentrationen von Progesteron in der mittleren Lutealphase (Ginsburg 1992). Da die Dauer des mittzyklischen Anstiegs der Körpertemperatur zwischen 1 und 4 Tagen schwanken kann, ist die Interpretation der BTK subjektiv und daher zur sicheren Feststellung eines Lutealdefekts wenig geeignet. Auch die histologische Diagnose eines Lutealdefekts einer um über 2 Tage verspäteten sekretorischen Umwandlung des Endometriums, gemessen an der chronologischen Zyklusphase, besitzt eine diagnostische Genauigkeit von höchstens 35% (McNeely u. Soules 1989). Da zudem der prognostische Wert einer Endometriumbiopsie auf den Ausgang der nachfolgenden Schwangerschaften bislang nicht bewiesen wurde, kann die routinemäßige Anwendung dieses invasiven Verfahrens – insbesondere bei Patientinnen mit habituellen Frühaborten – nicht empfohlen werden (Peters et al. 1992). Gegen die Verlässlichkeit einer einmaligen Messung von Progesteron spricht die Pulsatilität seiner Sekretion mit mehr als 10fachen Variationen, sodass konsequenterweise die Durchführung mehrmaliger Bestimmungen während der mittleren Lutealphase empfohlen wird. Auch die enorme Variabilität der endokrinen Profile von Zyklus zu Zyklus erschwert die Diagnose eines Lutealdefekts. Hinzu kommt, dass Zeichen einer Lutealinsuffizienz häufig bei fertilen Frauen ohne Aborte gefunden werden
Immunologie Das Rätsel des Überlebens des fetalen Allotransplantats oder – anders ausgedrückt – die Frage nach der fehlenden Abstoßung der fetoplazentaren Einheit durch das mütterliche Immunsystem wurde bereits vor Jahren formuliert, aber eine schlüssige Antwort konnte darauf bis heute nicht gegeben werden. Einer der Schutzmechanismen besteht sicherlich darin, dass anstelle der wichtigsten Transplantationsantigene auf den Zytotrophoblastzellen das weitgehend monomorphe Human Leucocyte Antigen-G (HLA-G) exprimiert wird, wodurch Abstoßungsreaktionen verhindert werden, wie man sie bei transplantierten Organen beobachten kann. Mehrere Untersucher werten eine gewisse maternopaternale Heterogenität hinsichtlich der HLA-Merkmale mit der konsekutiven Bildung sog. »blockierender Antikörper« als eine immunologische Voraussetzung für den erfolgreichen Verlauf einer Schwangerschaft. Aufgrund einer erhöhten Anzahl gemeinsamer HLA-Merkmale bei Paaren mit habituellen Aborten soll es – wegen des Fehlens »blockierender Antikörper« – bei den betroffenen Patientinnen zu einem habituellen Abortgeschehen kommen. Es besteht allerdings Unklarkeit darüber, ab welcher Anzahl gemeinsamer Merkmale eine »erhöhte Gemeinsamkeit« vorliegen soll. Zudem gibt es zwischenzeitlich mehrere Unter-
(Davis et al. 1989). In einer umfangreichen Studie konnte zudem gezeigt werden, dass der Serumprogesteronspiegel bei Frauen mit wiederholten Frühaborten keinen prädiktiven Aussagewert für den Verlauf einer erneuten Schwangerschaft aufweist (Ogasawara et al. 1997). Im Rahmen der Behandlung eines Lutealdefekts mit Gestagenen scheint lediglich die Applikation von Progesteron als Vaginalsuppositorium einen therapeutischen Nutzen zu besitzen, da offenbar bei dieser Form der Verabreichung das Hormon in einem geringeren Maß durch die Leber metabolisiert und so auch inaktiviert wird (Pouly et al. 1996). Diese Anwendung verglichen mit einem Plazebo zeigte in einer Metaanalyse bei Frauen mit habituellen Aborten die Wahrscheinlichkeit der Reduktion für einen Abort etwa auf die Hälfte; zur Vermeidung sporadischer Aborte scheint sie nicht geeignet (Oates-Whitehead et al. 2003). Eine basale Hypersekretion von LH in der Follikelphase, ohne oder in Kombination mit dem Vorliegen polyzystischer Ovarien (PCOS), wurde als ein möglicher Risikofaktor für Aborte beschrieben (Balen et al. 1993; Clifford et al. 1994). Eine Assoziation mit wiederholten Aborten scheint ebenfalls bei Frauen mit PCOs und einer Hyperandrogenämie zu bestehen (Tulppala et al. 1993). Es muss jedoch an dieser Stelle betont werden, dass der alleinige sonographische Nachweis eines PCOS ohne weitere endokrinologische Auffälligkeiten kein erhöhtes Risiko für habituelle Aborte bedeutet (Liddell et al. 1997; Tuppala et al. 1993). Durch Regulierung des Körpergewichts, »ovarian drilling« bzw. die Einnahme von Metformin konnten verbesserte Schwangerschaftsraten erreicht werden (Cocksedge et al. 2008).
suchungen, die eine erhöhte Anzahl gemeinsamer HLAMerkmale bei Paaren mit habituellen Aborten nicht nachweisen konnten. Auch die Rolle der »blockierenden Antikörper« wird zunehmend kontrovers diskutiert: Sie sind zum einen bei den wenigsten normal verlaufenden Schwangerschaften zu finden, weshalb ihre unabdingbare Präsenz fraglich erscheint. Zum anderen fehlen bislang experimentelle Daten, die den protektiven Mechanismus dieser Antikörper auch tatsächlich nachweisen. Aus diesen Gründen wurde das Konzept der aktiven Immuntherapie mit Lymphozyten – um eine Bildung »blockierender Antikörper« bei Patientinnen mit habituellen Aborten zu bewirken – zwischenzeitlich weitgehend verlassen. Ebenso scheint der potenzielle Effekt von polyvalenten Immunglobulinen (passive Immuntherapie) auf das habituelle Abortgeschehen nicht in der Zuführung von »blockierenden Antikörpern« zu liegen. Schließlich werden die bisherigen Ergebnisse dieser beiden Behandlungsformen äußerst kontrovers beurteilt (Übersicht in Steck et al. 1997 b), weshalb sie zur Therapie eines habituellen Abortgeschehens nicht mehr empfohlen werden können. Es ist seit langem bekannt, dass bei Schwangerschaften von Frauen mit systemischem Lupus erythematodes (SLE) und erhöhten Serumspiegeln von Antikörpern gegen Phos-
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28 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
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pholipide (APA) signifikant häufiger Komplikationen wie Aborte, intrauterine Fruchttode und fetale Asphyxien auftreten. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass sich auch bei Frauen ohne SLE, jedoch mit wiederholten Aborten, signifikant häufiger APA finden als bei Frauen ohne Aborte (Lockwood u. Rand 1994). > Bei den APA handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Antikörpern, die sich gegen die Epitope Cardiolipin, Phosphoserin, Phosphoglycerol, Phosphoethanolamin, Phosphoinositol oder Phosphatidsäure richten und den Hauptklassen IgG, IgM und IgA angehören können. Auch das Lupusantikoagulans (LAC) gehört in diese Gruppe, und die Gerinnungszeiten in den phospholipidabhängigen Tests – z. B. aPTT – sind oft verlängert. In mehr als der Hälfte der Fälle reagieren die APA nicht mit Cardiolipin, sondern mit einem der übrigen Phospholipide, am häufigsten mit Phosphoserin (Gilman-Sachs et al. 1991).
APA scheinen einen Einfluss auf die Blutgerinnung zu haben und eine Hyperkoagulabilität zu bewirken, wobei der exakte Pathomechanismus, der der vermehrten Neigung zu Thrombosen und Embolien zugrunde liegt, noch unklar ist. Es ist daher denkbar, dass die potenziell nachteilige Wirkung dieser Antikörper auf die Schwangerschaft sich im Bereich der mütterlichen, die Plazenta versorgenden Gefäße entfaltet und sich hier als Thrombosen im Plazentabett manifestiert. Für den Perinatologen von Relevanz ist die Assoziation des sog. Antiphospholipidsyndroms (APS). Sie ist definiert als der Nachweis von APA zusammen mit relevanten klinischen Ereignissen (thromboembolische Ereignisse, autoimmune Thrombozytopenie und -hämolytische Anämie, wiederholte Aborte und Fruchttode). Ein erhöhtes Risiko für fetale Wachstumsrestriktion, früh einsetzende Präeklampsie mit HELLP-Syndrom und erneut auftretende Aborte liegt vor. (Lockwood u. Rand 1994; 7 Übersicht). Geburtshilfliche Komplikationen beim Antiphospholipidsyndrom (APS) 4 Fetale Wachstumsrestriktion (IUWR) 4 Intrauteriner Fruchttod (IUFT) 4 (Früh einsetzende) Präeklampsie mit HELLP-Syndrom
Studienbox Umfangreichere Studien haben allerdings zeigen können, dass diese therapeutische Option zum einen mit einer hohen maternofetalen Morbidität (Präeklampsie, vorzeitiger Blasensprung, fetale Restriktion) in Verbindung zu stehen scheint, zum anderen der therapeutische Effekt mit Heparin vergleichbar ist (Lockshin et al. 1989; Cowchock et al. 1992). Der Einsatz von intravenös verabreichten Immunglobulinen erbrachte bislang ebenfalls vielversprechende Ergebnisse bei Frauen mit APA und habituellen Aborten, jedoch stehen hier umfangreichere plazebokontrollierte Studien weiterhin noch aus, um die Wirksamkeit dieser Behandlungsform zu beweisen (Marzusch et al. 1996).
Thrombophile Prädisposition In den letzten Jahren ist mit wachsenden Erkenntnissen auf dem Gebiet der genetischen Veränderungen, die einer »Thrombophilie« zugrunde liegen können, ein möglicher Zusammenhang von habituellen Aborten mit dem Vorliegen entsprechender Mutationen vermutet worden. Metaanalysen konnten allerdings bislang nur für die Faktor-V-Leiden-Mutation, die Resistenz gegen aktiviertes Protein C und die G20210A-Prothrombinmutation eine Verdoppelung des Risikos für wiederholte Frühaborte aufzeigen. Des Weiteren scheint ein erhöhtes Risiko für wiederholte Aborte im 1. und 2. Trimenon für Frauen mit Protein-S-Mangel zu bestehen. Ein Zusammenhang zum Antithrombin-III-Mangel, ProteinC-Mangel oder der C677T-MTHFR-Mutation konnte im Rahmen der beiden genannten Metaanalysen nicht nachgewiesen werden (Rey et al. 2003; Kovalevsky et al. 2003; Middeldorp et al. 2007; Sotiriadis et al. 2007).
Studienbox Bislang konnte in einer kleineren Studie an Patientinnen mit hereditären Thrombophilien und habituellen Aborten ein günstiger Schwangerschaftsverlauf unter niedermolekularen Heparinen beobachtet werden (Carp et al. 2003). Hingegen scheint eine Therapie mit Azetylsalizylsäure (ASS) keinen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf von Patientinnen mit hereditären Thrombophilien zu haben (Gris et al. 2004).
Tipp Die therapeutischen Strategien bei APA-assoziierten habituellen Früh- und Spätaborten sowie intrauteriner Wachstumsrestriktion sind empirischer Natur, da bislang keine prospektiven randomisierten Vergleichsstudien mit genügend großer statistischer Aussagekraft vorliegen. Die am meisten verbreitete Abortprophylaxe beim Vorliegen von APA dürfte in einer Gabe von Azetylsalizylsäure (ASS) (80–100 mg täglich) kombiniert mit Heparin (20.000–30.000 IE täglich) bestehen. Zeitweise wurden Kortikosteroide (Prednison u. a.) empfohlen.
Psychosoziale Faktoren Das psychologische Trauma als Folge eines oder gar mehrerer Aborte wird weithin unterschätzt (Neugebauer et al. 1992). Das Bewusstsein, eine Schwangerschaft verloren zu haben, wird hierbei durch die Möglichkeiten der frühen sonographischen Diagnostik noch verstärkt. Nach dem Erlebnis mehrerer Verluste von Schwangerschaften ist die Befürchtung, dass weiterhin Aborte auftreten, nur allzu verständlich, weshalb sich bei Paaren mit habituellen Aborten eine hohe Inzidenz von reaktiven Depressionen und Angst findet (Friedman u. Gath 1989). Auch wenn psychologische Faktoren nicht die
29 2.2 · Abort
Ursache wiederholter Aborte darstellen dürften, so ist die Vernachlässigung dieser Aspekte potenziell von Nachteil. Mehrere Studien haben bei Patientinnen mit habituellen Aborten eine hohe Rate (75%) an ausgetragenen Schwangerschaften ausschließlich durch »tender loving care« im Zusammenhang mit kurzfristigen klinischen und sonographischen Kontrollen belegen können (Rai et al. 1996; Stray-Pedersen u. Stray-Pedersen 1984), wobei im Rahmen der Bewertung dieser Maßnahmen die hohe Spontanerfolgsrate (7 Kap. 2.2.4) berücksichtigt werden muss.
2.2.4
Spezielle diagnostische und therapeutische Aspekte bei habituellen Aborten
terer Fehlgeburten durch das sporadische Abortrisiko von 11–15% limitiert, dem jede Schwangerschaft unterliegt. ! Jede prophylaktische Maßnahme kann das Risiko eines erneuten Aborts um höchstens 20–25% effektiv senken.
Spezielle Anamnese und Diagnostik Die spezielle Abklärung von Abortursachen ist generell erst beim Vorliegen von drei oder mehr aufeinanderfolgenden Fehlgeburten zu empfehlen. Bei Frauen >35 Jahren oder bei psychisch belasteten Paaren können entsprechende Untersuchungen bereits nach 2 Aborten sinnvoll sein.
Anamnese und Diagnostik bei habituellem Abortgeschehen
Vorbemerkungen Ein habituelles Abortgeschehen, d. h. mindestens 3 aufeinanderfolgende Fehlgeburten, findet sich bei 0,8–1% aller Frauen im reproduktiven Alter (Stirrat 1990). Die hierfür kausal verantwortlichen Faktoren können grob in 3 Kategorien eingeteilt werden (. Tab. 2.1), wobei sich in den vorliegenden Studien eine sehr unterschiedliche Verteilung der Häufigkeiten findet. Nach heutigem Kenntnisstand lässt sich bei etwa der Hälfte der Fälle keine Ursache für die habituellen Aborte finden. Inwiefern hier immunologische Faktoren als eindeutige Auslöser eines wiederholten Abortgeschehens infrage kommen, kann derzeit noch nicht beantwortet werden. > Für Frauen mit einer Fehlgeburt wird das Wiederholungsrisiko zwischen 12 und 24% angegeben, nach 2 aufeinanderfolgenden Aborten liegt das erneute Risiko bei 19–35% (. Tab. 2.2). Nach 3 Aborten beträgt das Wiederholungsrisiko zwischen 25 und 46% – im Durchschnitt der vorliegenden Studien 35% (Katz u. Kuller 1994). Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass selbst nach 3 aufeinanderfolgenden Fehlgeburten, die 4. Schwangerschaft in rund 65% der Fälle auch ohne spezifische Therapie ausgetragen werden kann.
An dieser Tatsache müssen sich alle diagnostischen und therapeutischen Interventionen, die bei Paaren mit einem habituellen Abortgeschehen vorgenommen werden, messen lassen. Zudem ist jede therapeutische Intervention zur Vermeidung wei-
4 Anamnese – Schwangerschaftsalter vorausgegangener Aborte? – Geburten, geburtshilfliche Komplikationen? – Bekannte Uterusanomalien? – Genetische Auffälligkeiten in den Familien? – Präkonzeptionelles Intervall, Androgenisierung? – Mütterliche Erkrankungen: Schilddrüse, Diabetes, Autoimmunphänomene, Gerinnungsstörungen? – Exposition gegenüber Genussmitteln, Schadstoffen? 4 Diagnostik – Karyotypisierung der Partner, ggf. von Abortmaterial – Vaginalsonographie, ggf. Hysteroskopie – Screening auf atypische zervikale Infektionen: Chlamydien, Mykoplasmen – Endokrinologische Analysen: FSH zu Zyklusbeginn, LH, Progesteron in der Lutealphase; TSH, TPO-Antikörper; oraler Glukosetoleranztest – Antikörper gegen Phospholipide (Anti-Cardiolipin, Anti-Phosphoserin), Lupus anticoagulans, aPTT – Thrombophiliediagnostik: Resistenz gegen aktiviertes Protein C, Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-G20210A-Mutation, Protein-S-Mangel – Optional: Faktor VIII, Faktor XII, Polymorphismen von MTHFR-C677T, PAI-1, ACE
Ursache
Häufigkeit [%]
. Tab. 2.2. Risiko einer klinischen Fehlgeburt in Abhängigkeit der Anzahl vorangegangener Aborte (Zusammenfassung aller verfügbaren Studien)
Angeborene oder erworbene Uterusanomalien
15–30
Fehlgeburtsrisiko
Häufigkeit [%]
Weitere maternale Faktoren (z. B. Diabetes u. a.)
25
Bei jeder Schwangerschaft
11–15
Nach 1 Abort
12–24
Genetische Anomalien eines Partners
3–8
Nach 2 aufeinanderfolgenden Aborten
19–35
Ohne fassbares Korrelat
40–60
Nach 3 aufeinanderfolgenden Aborten
25–46
. Tab. 2.1. Hauptursachen für habituelle Aborte
2
30 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
2
Spezielle Therapie
Literatur
Therapeutisch können folgende spezielle Maßnahmen zur Behandlung habitueller Aborte in Erwägung gezogen werden: 4 Gametenspende bei balancierter Translokation eines Partners – hierbei müssen die gesetzlichen Bestimmungen im jeweiligen Land beachtet werden. 4 Operative Korrektur von angeborenen uterinen Anomlien. Eine Indikation hierzu besteht in erster Linie beim Uterus septus und subseptus. 4 Adhäsiolyse intrauteriner Synechien mit Einlage eines IUD über 6 Wochen zwecks Rezidivprophylaxe. Die operative Enukleation von Myomen wird als therapeutische Maßnahme äußerst kontrovers diskutiert. 4 Bei nachgewiesener zervikaler Infektion durch Chlamydien oder Mykoplasmen kann antibiotisch behandelt werden. Diese Therapie hat jedoch nur empirischen Charakter – kontrollierte Studien fehlen hierzu bislang. Bei fehlender Rötelnimmunität ist eine entsprechende Immunisierung obligat. 4 Beim Lutealdefekt wird eine Substitution mit Progesteron vorgeschlagen. Diese Maßnahme wird kontrovers beurteilt, und umfangreiche kontrollierte Studien mit entsprechendem Follow-up fehlen bislang. Dieser Umstand gilt auch für die endokrinologische Behandlung von Frauen mit habituellen Aborten und basaler LH-Hypersekretion. 4 Bei nachgewiesener Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz oder im häuslichen Bereich sollte eine Reduktion hinsichtlich der Exposition versucht werden. 4 Optimale Einstellung eines bestehenden Diabetes mellitus oder einer Schilddrüsendysfunktion. 4 Beim Vorliegen von Antikörpern gegen Phospholipide (APA) wird die Therapie mit Azetylsalizylsäure (ASS) kombiniert mit Heparin empfohlen (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Gebursthilfe 2008). 4 Beim Vorliegen einer Resistenz gegen aktiviertes Protein C, einer Faktor-V-Leiden-Mutation, einer Prothrombinmutation oder eines Protein-S-Mangels bzw. einer kombinierten thrombophilen Disposition kann eine Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen versucht werden. Ergebnisse aus kleineren Studien unterstützen dieses Konzept (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 2008). 4 Supportive Therapie mit kurzfristigen klinischen und sonographischen Kontrollen (»tender loving care«). 4 Es gibt Hinweise, dass auch beim fehlenden Nachweis einer Thrombophilie mit niedermolekularen Heparinen höhere Lebendgeburtenraten zu erreichen sind (Tzafettas et al. 2005; Bauersachs et al. 2007; Badawy et al. 2005; Fawzy et al. 2005). Allerdings werden keine besseren Schwangerschaftsraten erreicht als mit dem oben beschriebenen Konzept der »tender loving care«.
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2
32 Kapitel 2 · Frühschwangerschaft: klinische Aspekte
2
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3 3 Extrauteringravidität E. Kucera-Sliutz, S. Helmy, R. Lehner, P. Husslein 3.1
Allgemeine Grundlagen – 34
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4
Definition, Terminologie und anatomische Lokalisation – 34 Inzidenz und Epidemiologie – 34 Ätiologie, Pathophysiologie und Pathogenese – 35 Mortalität – 35
3.2
Diagnostik – 36
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Anamnese – 36 Klinische Untersuchung – 36 Spezielle Diagnostik – 36 Differenzialdiagnose – 38
3.3
Klinisches Management – 39
3.3.1 Therapeutische Maßnahmen – 39
3.4
Kosten-Nutzen-Überlegungen – 42 Literatur – 43
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
34 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
3
Unter Extrauteringravidität versteht man jede außerhalb des Cavum uteri lokalisierte Schwangerschaft. In 90% der Fälle findet die Implantation im Bereich der Tube statt (Tubargravidität, Tubaria), nichttubare Extrauteringraviditäten wie z. B. die Zervikal-, Ovarial- oder Abdominalgravidität sind seltener. Die Inzidenz der Extrauteringravidität wird mit etwa 1–2% angegeben. Als häufigste Ursachen gelten vorangegangene Operationen an den Adnexen, rezidivierende Salpingitiden, Intrauterinpessare und die Methoden der assistierten Reproduktion. Das klinische Bild erstreckt sich von der völlig asymptomatischen Patientin über die Patientin mit akutem Abdomen bis hin zum hämorrhagischen Schock nach Tubarruptur. Der Unterbauchschmerz und die vaginale Schmierblutung nach einer Amenorrhödauer von etwa 5–6 Wochen stellen das häufigste klinische Symptom dar. Die Vaginosonographie bildet die Grundlage der Diagnostik mit einer Sensitivität >90% und einer Spezifität >99%. Zusätzlich sollte bei nicht gesichertem oder unklarem Befund ein quantitativer β-HCG-Verlauf im Serum zur Verifizierung hinzugezogen werden (Condous et al. 2005). Die Therapiestrategien sind abhängig von der hämodynamischen Situation der Patientin und der klinischen Symptomatik. Die laparoskopische Salpingotomie und Salpingektomie haben die Laparotomie fast vollständig abgelöst; diese sollte nur mehr in Ausnahmefällen – wenn z. B. der laparoskopische Zugang nicht möglich ist – durchgeführt werden. Bei Patientinnen mit Kinderwunsch ist die lineare Salpingotomie nach Möglichkeit die Methode der Wahl, obwohl das Wiederholungsrisiko für eine ektope Schwangerschaft etwas erhöht ist. Bei Patientinnen, die keinen Kinderwunsch mehr haben, ist die laparoskopische Salpingektomie die Methode der Wahl. Neben der operativen Therapie haben sich in den letzten 10 Jahren konservative Therapiealternativen, wie die systemische Gabe von Methotrexat, etabliert und bewährt. Alle anderen Therapiealternativen wie z. B. die laparoskopische Instillation von Prostaglandinen oder hyperosmolarer Glukose werden heute in vielen Zentren routinemäßig nicht mehr durchgeführt. Das rein abwartende Verhalten, bei dem auf eine eventuelle Spontanresorption gewartet wird, gewinnt durch immer besser werdende Ultraschallgeräte zunehmend an Bedeutung. Bisher publizierte Studien zeigen, dass 30% aller Tubargraviditäten abwartend konservativ behandelt werden können. Als Grenzwert gilt jedoch ein Serum β-HCG Wert von 1500 mIU/ml (Helmy et al. 2007).
3.1
Allgemeine Grundlagen
3.1.1
Definition, Terminologie und anatomische Lokalisation
Extrauteringravidität Eine extrauterine Gravidität liegt vor, wenn nach der Befruchtung die Nidation nicht im Cavum uteri erfolgt.
In >90% der Extrauteringraviditäten liegt eine Tubargravidität vor. Meist kommt es zur Implantation des Trophoblasten im Pars ampullaris (75%), seltener im Pars isthmica (20%) oder im Pars interstitialis (3–5%) der Tuba uterina (Senter-
man et al. 1988). Bei ampullären Tubargraviditäten kommt es nicht selten zu einem Tubarabort, wobei Trophoblastgewebe ins Abdomen gelangt und dort meist zu einer peritonealen Reizung führt. Von der Stelle des Aborts erfolgt eine Einblutung in die Tube; in der Folge kann ein Hämatom entstehen, wodurch die Blutung sekundär gestoppt werden kann. Gelegentlich verursacht der peritoneale Reiz auch Fieber. Kommt es zur Implantation im Pars interstitialis der Tuba uterina, so spricht man von interstitieller Gravidität, die eine Sonderform der Tubargravidität darstellt: Der Konzeptus ist dabei allseits von Myometrium umgeben und hat keine Verbindung zum Cavum uteri. Bleibt die interstitielle Gravidität unerkannt, so kommt es jenseits der 12. SSW in 20% der Fälle zur Tubarruptur (Lau u. Tulandi 1999). Zur Extrauteringravidität zählen ebenso: 4 Intramurale Gravidität: Kommt sehr selten vor und wird wahrscheinlich iatrogen durch myometrane Verletzungen, wie sie z. B. bei einer Kürettage entstehen, verursacht (Jurkovic u. Mavrelos 2007). 4 Zervikalgravidität: Der Konzeptus ist im Bereich der Cervix uteri lokalisiert. 4 »Caesarean scar pregnancy«: Spielt heute eine besondere Rolle. Die Gravidität ist in der Sectionarbe implantiert. Diese Form der atypisch lokalisierten intrauterinen Gravidität stellt aufgrund der weltweit zunehmenden Sectiorate ein immer größeres Problem dar. 4 Ovarialgravidität: In wenigen Fällen Entwicklung einer Extrauteringravidität. Abdominalgravidität: Implantation und Entwicklung einer Gravidität auf dem Peritoneum des Douglas-Raums. Eine Abdominalgravidität kann prinzipiell auch durch sekundäre Implantation nach dem Abtropfen von Trophoblastgewebe aus der Tuba uterina entstehen. Heterotope Graviditäten, d. h. gleichzeitig vorliegende Extra(meist Tubargravidität) und Intrauteringravidität, kommen in etwa 1:30.000 Fällen vor, können aber im Rahmen der Methoden der assistierten Reproduktion häufiger auftreten (30:2500; Marcus et al. 1995).
3.1.2
Inzidenz und Epidemiologie
Die Häufigkeit der Extrauteringravidität ist in den letzten 30 Jahren gestiegen: Wurden vor 30 Jahren nur etwa 0,5% beobachtet, so liegt die Inzidenz heute bei etwa 1–2% (Van den Eeden et al. 2005). Hierfür werden das vermehrte Auftreten von Salpingitiden und die gehäufte Anwendung der assistierten Reproduktion bei Frauen über 30 Jahren als wichtigste Faktoren verantwortlich gemacht: Bis zu einem Alter von 20 Jahren beträgt die Rate der Extrauteringraviditäten etwa 0,4%, von 20–30 Jahren etwa 0,7% und von 30–40 Jahren ungefähr 1,3–2%.
35 3.1 · Allgemeine Grundlagen
3.1.3
Ätiologie, Pathophysiologie und Pathogenese
Als stärkste Risikofaktoren für das Entstehen einer Tubargravidität zählen einerseits vorangegangene Operationen an den Tuben (Saktosalpinx, Sterilisation, bereits stattgehabte Tubargravidität), die Verwendung von Intrauterinpessaren sowie die bereits bei einer Voroperation dokumentierte Tubenpathologie (Pisarska et al. 1998; Butts et al. 2003). Als mittlere Risikofaktoren zählen Infertilität, Infektionen mit Chlamydien, Gonokokken und seltener Tuberkulose sowie der häufige Partnerwechsel. Als geringere Risikofaktoren zählen Zigarettenrauchen und jugendliches Alter beim ersten Geschlechtsverkehr (<18 Jahre). Aszendierende Infektionen mit Chlamydien, Staphylokokken und Gonokokken (seltener Tuberkulose) können subklinische Infektionen auslösen, die u. U. zur Schädigung der Tubenschleimhaut führen. Es wird nicht nur die Oberfläche der Tubenmukosa zerstört, sondern durch narbige Abheilung kann sekundär auch die Motilität der Tube und damit der Eitransport beeinträchtigt werden. Die Motilität der Tube kann aber auch durch angeborene Anomalien des proximalen Tubenabschnitts, wie z. B. rudimentäre oder extrem verlängerte Tuben, gestört sein. Intraluminale Polypen könnten ebenfalls, zumindest theoretisch, die Motilität beeinflussen und damit das Risiko einer Tubargravidität erhöhen. Endometrioseherde können einerseits das Tubenepithel zerstören, andererseits aber auch die Motilität der Tube negativ beeinflussen und somit die Ursache einer Tubargravidität sein. Der Zilienbesatz, die Schlagrate der Zilien, die muskuläre Motilität der Tube und die komplex verlaufenden Tubenkontraktionen ändern sich im Lauf des Menstruationszyklus. Während Östrogene die Motilität fördern, vermindert sich die Motilität in der Lutealphase. Dabei sind die exakten Vorgänge in Bezug auf die Motilität bei der Ovulation noch kaum geklärt. Einigermaßen gesichert ist, dass die Peristaltik des Isthmus für den Transport der Eizelle bedeutsam ist. Der Isthmus ist darüber hinaus fähig, die Spermien vor der Befruchtung in Richtung Ampulle, die befruchtete Eizelle aber in Richtung Uterus zu transportieren. Da die Kontraktionen der Tube durch verschiedene Substanzen, u.a. durch die Prostaglandine E2 und F2α beeinflusst werden können, lässt sich die Muskelaktivität auch pharmakologisch manipulieren. Zusätzlich kann auch die Mikrovaskularisation, die ebenfalls verschiedenen Einflüssen unterliegt, den Eitransport beeinflussen. Die Gestagenminipille dürfte ein weiterer Risikofaktor für die Entstehung einer Tubargravidität sein. Hier dürfte ebenso eine hormonelle Beeinflussung der Tubenmotilität eine Rolle spielen. ! Das Risiko einer Extrauteringravidität ist nach Stimulationsbehandlung zur Follikelreifung mit HMG und Clomiphen – wie auch nach Ovulationsinduktion mit β-HCG – erhöht!
Infolge von Salpingitiden können die zilientragenden Zellen der Schleimhautfalten in Mitleidenschaft gezogen werden,
und damit kann auch die Anzahl der Zilien, die für den Transport der Eizelle und später des Präembryos offensichtlich wichtig ist, wesentlich abnehmen. In weiterer Folge können sich an der Tubenwand durch Fibrosebildung Synechien bilden, wodurch sich das Lumen verengt und schließlich intraluminale Adhäsionen entstehen. Das alles führt zu einer Funktionsstörung des Eitransports; das Ei gelangt nicht mehr von der Ampulle in den Uterus, sondern kann sich an der Stelle des größten Zilienverlusts implantieren. Da die Ampulle der aktivere und initiale Abschnitt der Tube ist, entstehen dort häufiger regelwidrige Implantationen, was den hohen Anteil von ampullären Graviditäten erklären könnte. Falls die Eizelle beispielsweise durch makroskopische Adhäsionen gar nicht in die Ampulle gelangt, kann es zu einer Fertilisation außerhalb der Tube kommen und somit eine primäre Abdominal- oder Ovarialgravidität entstehen. Die Salpingitis isthmica nodosa, die durch Verdickung des proximalen Tubenabschnitts ein Hindernis im Verlauf der Tube darstellt, kann die Ursache einer proximalen bzw. isthmischen Tubargravidität sein. > Morphologische Anlagestörungen sind bei Extrauteringraviditäten nicht selten, chromosomale Störungen wie haploider, triploider oder multiploider Chromosomensatz wurden aber nur in einigen Publikationen dokumentiert. Generell wurden Missbildungen im weiteren Sinn bei extrauterinen Graviditäten nicht häufiger als bei intrauterinen Graviditäten nachgewiesen.
Der Trophoblast ist in besonders hohem Maß fähig, invasiv in mütterliches Gewebe vorzudringen. Da bei In-vitro-Fertilisation das Eintreten einer Schwangerschaft mit der morphologischen Qualität des Präembryos korreliert, liegt auch hier die Vermutung nahe, dass die enzymatische Aktivität der Blastozyste an einer gelungenen Implantation wesentlich stärker beteiligt ist als die Aktivität der Endometriumoberfläche. Intrauterinpessare können einerseits die Tubenmotilität mechanisch stören, bzw. sind auch subklinische Infektionen infolge des Einsetzens der Intrauterinpessare als Ursache für Extrauteringraviditäten denkbar. Selten wurden auch Tubargraviditäten nach Sterilisationen beschrieben. Vorstellbar ist hier die Bildung einer Fistel im proximalen Tubenabschnitt, wodurch Spermien in den distalen Tubenabschnitt übertreten können und das befruchtete Ovum durch Wanderung über den Douglas-Raum in die kontralaterale Tube oder zurück durch die Fistel in den proximalen Tubenabschnitt gelangen.
3.1.4
Mortalität
Die Mortalität ist im Gegensatz zur Inzidenz der Tubargravidität mehr als deutlich zurückgegangen (Anderson et al. 2004). Lag sie zu Beginn der 1970er-Jahre bei etwa 1,7%, so fiel sie Mitte der 1980er-Jahre auf 0,3%. Trotzdem bleibt die Extrauteringravidität mit 0,004‰ (bezogen auf alle Schwangerschaften) die häufigste Ursache der mütterlichen Mortalität im 1. Trimenon.
3
36 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
3
3.2
Diagnostik
3.2.3
3.2.1
Anamnese
Vaginosonographie
Das Erheben einer allgemeinen gynäkologischen Anamnese, die frühere gynäkologische Erkrankungen, Operationen, Schwangerschaften und Geburten beinhaltet, ist obligat. Durchgemachte Adnexitiden und frühere Tubargraviditäten geben einen ersten Hinweis auf eine mögliche Tubenläsion. Bei der Anamnese jeder Schwangerschaft ist die sekundäre Amenorrhö wichtig, wobei das Datieren der exakten Amenorrhödauer mit dem 1. Tag der letzten Regelblutung beginnt. Zwischenzeitlich auftretende leichte Metrorrhagien, die gelegentlich mit der nächsten zu erwartenden Menstruationsblutung zusammenfallen, können die exakte Bestimmung der Amenorrhödauer manchmal verfälschen. Patientinnen mit Tubargravidität können ein klinisches Bild von völliger Unauffälligkeit bis hin zum massiven hämorrhagischen Schock nach einer Tubarruptur bieten. Diesbezüglich wichtig sind die Abklärung und Beobachtung von Schmerzen im Unterbauch: Diffuse Unterbauchschmerzen werden häufig auf die Seite der Tubargravidität lokalisiert. Es können aber auch wehenartige Schmerzen auftreten, die sich den tubaren Kontraktionen zuordnen lassen. Bereits bei der nichtrupturierten Tubargravidität können peritoneale Schmerzen auftreten, die durch die Auftreibung und Dehnung der Tubenwand entstehen. Wenn es zu einer Blutung in die freie Bauchhöhle gekommen ist, kann eine Peritonitis, v. a. aber auch die Symptomatik eines akuten Abdomens, entstehen.
3.2.2
Klinische Untersuchung
Zunächst wird die Schwangerschaft verifiziert, wobei die schnellste und einfachste Methode der Nachweis von β-HCG im Urin ist. Die derzeitig im Handel erhältlichen Schnelltests haben eine Nachweisgrenze von etwa 20–25 mIU/ml β-HCG und sind damit meist als verlässlich einzustufen. Für das weitere Vorgehen ist vielfach die Schmerzsymptomatik der Patientin entscheidend. Eine genaue Anamnese, die gynäkologische Routineuntersuchung sowie eine Vaginosonographie sind obligat. Evaluiert werden sollten Hinweise auf Blutungen aus dem Zervikalkanal, Veränderungen des Muttermunds in Bezug auf mögliche stattgehabte Aborte sowie Druckschmerzhaftigkeit im Adnexbereich. Eine Tubargravidität kann je nach Schwangerschaftsdauer als bis zu 7 cm große, meist derbe Resistenz imponieren, die sich, falls nicht bereits spontane Schmerzen bestehen, bei der Tastuntersuchung bzw. Vaginosonographie als schmerzhaft erweist. Der schmerzhafte Tastbefund kann allerdings auch auf der kontralateralen Seite der Tubargravidität liegen. > Als typisch für die Extrauteringravidität gilt auch der sog. Portioschiebeschmerz. Er wird durch das Anheben und Schieben der Portio hervorgerufen. Darüber hinaus ist er aber auch bei entzündlichen Erkrankungen mit beginnender Peritonitis zu diagnostizieren.
Spezielle Diagnostik
Bei Serum-β-HCG-Werten um 1500 mIU/ml sollte bei einer intakten intrauterinen Schwangerschaft zumindest ein u. U. noch wenige Millimeter im Durchmesser haltender Gestationssack darstellbar sein (The Practice Committee of the American Society for Reproductive Medicine 2004). Dieser ist durch eine Echoasymmetrie mit einseitiger Verstärkung gekennzeichnet, da Chorion und Chorion mit Dezidua eine unterschiedliche Dichte besitzen. Bereits für den Serum-β-HCGcut-off-Level von 1000–1500 mIU/ml wird für die Vaginosonographie eine Sensitivität von >90% und eine Spezifität von bis zu 99,9% angegeben (Condous et al. 2005). ! Sollte bei Serum-β-HCG-Werten ≥1000 mIU/ml vaginosonographisch der Sitz der Schwangerschaft nicht bestimmbar sein, fällt diese unter den Sammelbegriff PUL (»pregnancy of unknown location«). In diesem Fall müssen je nach klinischem Zustand der Patientin u. U. serielle Serum-β-HCG-Bestimmungen, eine Kürettage oder auch eine Laparoskopie in Betracht gezogen werden. Je nach Expertise von Untersucher und Qualität des Ultraschallgeräts variieren die Prozentsätze der PUL unter den Krankenhäusern weltweit.
Das Fehlen eines intrauterinen Gestationssacks bei Serum-βHCG-Werten ≥1000 mIU/ml kann also bereits einen ersten Hinweis auf das Vorliegen einer Extrauteringravidität geben. Bei völlig asymptomatischen Patientinnen und nicht eindeutigem vaginosonographischem Befund sollte aber aus Sicherheitsgründen eine Serum-β-HCG-Kontrolle nach etwa 48 h durchgeführt und dann die Vaginosonographie wiederholt werden (The Practice Commitee of the American Society for Reproductive Medicine 2004). Bei Mehrlingsschwangerschaften ist die Wahrscheinlichkeit, einen Gestationssack intrauterin zu entdecken, mit deutlich höheren Serum-β-HCG-Werten assoziiert als bei Einlingsschwangerschaften im selben Gestationsalter. Insofern muss v. a. bei Patientinnen, die sich einer assistierten Reproduktion unterzogen haben, primär eine genaue Anamnese bezüglich des Gestationsalters gemacht werden. Es muss daran gedacht werden, dass der Gestationssack u. U. erst später bei höheren Werten zu sehen ist. Streng zu unterscheiden vom Gestationssack bei intrauterinen Schwangerschaften ist der in etwa 8–20% vorliegende Pseudogestationssack bei Extrauteringraviditäten (. Tab. 3.1; . Abb. 3.1). Das typische Merkmal des echten Gestationssacks ist eine i. d. R. nicht zentral gelegenes Ringecho mit einem Durchmesser von etwa 4–5 mm im Fundus bzw. Kornualbereich. Die Echoasymmetrie mit einseitiger Verstärkung wird als das »double-sac sign« bezeichnet: Die Decidua capsularis bildet den inneren echoreichen Ring, die Decidua parietalis den äußeren echoreichen Ring. Der echte Gestationssack ist ab SSW 4+3 bis 5+0 mit einer Größe von 2–5 mm sichtbar. Ab SSW 5+1 bis 5+5 wird der Dottersack sichtbar. Dieser sollte auf jeden Fall bei einem durchschnittlichen Durchmesser des Gestationssacks von >12 mm gese-
37 3.2 · Diagnostik
. Tab. 3.1. Unterscheidung von Gestationssack bei intrauterinen Schwangerschaften und Pseudogestationssack bei Extrauteringraviditäten. (Nach Jurkovic et al. 1995)
Pseudogestationssack Gestationssack Lokalisation
Entlang der Mittellinie des Kavums, zwischen den beiden Endometriumschichten
Außerhalb der Mittellinie, eingenistet im Endometrium
Aussehen
Konstant, normalerKann sich während der Ultraschalluntersuchung weise rund verändern; meist ovoid
Begrenzung
Einschichtig
Zweischichtig (»double-sac sign«)
Farbdopplermuster
Keine Vaskularität
Hoher peripherer Flow
hen werden, da es sich sonst um ein »blighted ovum« handeln könnte. Ab SSW 5+6 bis 6+0 wird der embryonale Pol sichtbar mit einer Größe von 2–4 mm. Eine positive Herzaktion ist ebenso zu erkennen. Der Gestationssack hat zu diesem Zeitpunkt üblicherweise einen Durchmesser von >18 mm.
Beim Pseudogestationssack fehlt das »double-sac sign«, wobei das Endometrium selbst von schmal bis hoch aufgebaut imponieren kann. Der Pseudogestationssack kommt durch eine intrauterine Flüssigkeitsretention zustande und ist daher zentral im Cavum uteri gelegen; er kann mit oder ohne echoreichen Randsaum bestehen und entsteht offenbar durch den stimulierenden Einfluss von Progesteron auf das Endometrium. Die Diagnose der »Caesarean scar pregnancy« kann sich auch als sehr schwierig gestalten, da nicht selten Verwechslungen mit gestörten bzw. intrauterinen Graviditäten auftreten. Da es aufgrund der noch niedrigen Fallzahlpublikationen keine strikten Richtlinien für die Diagnose der »Cesarean scar pregnancy« gibt, werden meist die Diagnosekriterien von erfahrenen Schwerpunktzentren herangezogen. Das Kings College Hospital in London mit der höchsten Prävalenz an Extrauteringraviditäten in Großbritannien verwendet folgende Kriterien: 1. Vorhandensein eines Gestationssacks innerhalb eines sichtbaren myometranen Defekts an der Stelle der vorher vorhandenen Uterotomienarbe 2. Nachweis von Throphoblasten- bzw. Plazentaperfusion in der Farbdoppleruntersuchung 3. Negatives »sliding organs sign«; d. h., es ist nicht möglich, den Gestationssack durch sanften Druck auf die Transvaginalsonde zu mobilisieren
a
b
c
d
. Abb. 3.1a–d. Vaginalsonographisch diagnostizierte Formen der Extrauteringravidität. a »Caesarean scar pregnancy«, b Tubaria mit
Embryonalanlage, c Tubaria als solides inhomogenes Konglomerat, d Tubenisthmusschwangerschaft links
3
38 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
3
Im Adnexbereich ist eines der pathognomonischen Zeichen für eine Extrauteringravidität der Embryo mit positiver Herzaktion (laut Literatur kommt dies allerdings nur in etwa 8– 26% der Fälle vor). Häufiger, d. h. in etwa 40–60% der Fälle, ist ein Ringecho i. d. R. mit echoreichem Randsaum im Bereich der Tube mit oder ohne Dottersack/Embryonalanlage darstellbar. Am häufigsten stellt sich jedoch eine unspezifische Raumforderung im Bereich der Tube/Adnexe in Form eines inhomogenen Konglomerats dar. Wichtig ist es, zu verifizieren, ob dieses Konglomerat bzw. Ringecho sich vom Ovar separieren lässt, um so eine Zyste (wie z. B. eine hämorrhagische Corpus-luteum-Zyste) auszuschließen. Dazu wird das »sliding organs sign« benutzt. Dabei wird durch leichten Druck auf die Vaginalsonde bei gleichzeitigem Palpieren des Abdomens eine freie Bewegung zwischen Ovar und dem Konglomerat dargestellt (Brown et al. 1994; Sickler et al. 1998). Dieser Test hat eine hohe Sensitivität (84,4%) und Spezifität (98,9%) für die Diagnose einer Tubargravidität, auch wenn kein Embryo vorhanden ist. Eine Corpus-luteum-Zyste findet sich in knapp 80% der Fälle ipsilateral und sollte immer bei der Diagnose einer Tubargravidität verifiziert werden (Jurkovic et al. 1992). Als Differenzialdiagnose für Raumforderungen in der Adnexe muss an Adhäsionen, gestielte subseröse Myome, Endometriosezysten, Hydrosalpinx oder auch an eine statische Darmschlinge gedacht werden. > Bei adäquatem Training und State-of-the-art-Ultraschallequipment kann eine die schlüssige Diagnose einer Tubargravidität mittels Vaginosonographie erfolgen (Jurkovic u. Mavrelos 2007). Tipp Mittels Vaginosonographie darstellbare freie Flüssigkeit im Cavum Douglasi ist ein unspezifisches Zeichen. Bei Extrauteringraviditäten ist freie echoreiche Flüssigkeit in etwa 70% nachweisbar, bei intrauterinen Graviditäten ist hingegen in etwa 30% der Fälle echoarme Flüssigkeit nachweisbar. Differenzialdiagnostisch muss auch daran gedacht werden, dass eine rupturierte oder stielgedrehte Zyste, eine Entzündung im Unterbauch, eine retrograde Blutung oder aber auch die stattgehabte Ovulation vorliegen können (Condous et al. 2005).
Das Serumprogesteron spiegelt die Produktion des Progesterons durch das Corpus luteum graviditatis wieder. In den ersten 8–10 Wochen der Gravidität verändern sich die Serumprogesteronkonzentrationen nur geringfügig. Bei der gestörten Gravidität sinkt der Progesteronlevel meistens. > Mit einer Sensitivität von 97,5% kann ein Progesteronwert von ≥ 25 ng/ml eine Extrauteringravidität ausschließen. Bei Progesteronwerten von <5 ng/ml liegt in 85% der Fälle ein Abortus vor, in 10–15% der Fälle eine Extrauteringravidität. Bei Progesteronwerten von 5–25 ng/ml allerdings kann nur durch die Kombination der β-HCG-Verlaufskontrollen mit der Vaginosonographie eine Diagnose gestellt werden (The Practice Commitee of the American Society for Reproductive Medicine 2004). > Risikofaktoren, wie z. B. bereits stattgehabte Tubaria oder vorangegangene Chirurgie im Bereich der Tuben etc. sollten bei der initialen Anamnese unbedingt erhoben werden.
Sonstige diagnostische Parameter Die Punktion des Douglas-Raums zur Diagnose der Tubargravidität ist heutzutage weitgehend verlassen worden. In einigen wenigen Fällen kann eine Kürettage notwendig werden, um eine gestörte intrauterine Schwangerschaft auszuschließen (The Practice Commitee of the American Society for Reproductive Medicine 2004). Finden sich im histologischen Präparat keine Chorionzotten, so hat entweder bereits ein Abortus completus stattgefunden, und das β-HCG fällt drastisch ab (mindestens 15% in 12–24 h) bzw. es kann auch der Verdacht einer Extrauteringravidität geäußert werden, der sich dann in einem nach der Kürettage stattfindenden β-HCG-Anstieg oder β-HCG-Plateau bestätigt. Von rein wissenschaftlichem Interesse sind Serummarker wie CA 125, CA 19-9, Kreatininkinase und VEGF: Sie alle wurden auf ihrer diagnostische Potenz in Bezug auf die Extrauteringravidität im Rahmen von Studien getestet. Bis jetzt hat sich jedoch gezeigt, dass diese Marker in der klinischen Routine noch keine Entscheidungshilfe darstellen.
3.2.4
Verlaufsbeobachtung von HCG 4 Der Nachweis von β-HCG im mütterlichen Serum ist bereits etwa 10–14 Tage nach der Konzeption nachweisbar. 4 Bei intakten intrauterinen Graviditäten verdoppelt sich die Konzentration des β-HCG etwa alle 48 h. 4 Bei HCG-Werten, die weniger als 50% binnen 48 h ansteigen, sind gesunde intrauterine Schwangerschaften unwahrscheinlich, v. a. wenn das Gestationsalter weniger als 41 Tage beträgt (Mol et al. 1999). 4 Mit einem Gestationsalter von 41–56 Tagen wird allerdings nur mehr ein 48-h-β-HCG-Anstieg von 33% erwartet, der dann mit 57–65 Tagen Gestationsalter lediglich 5% beträgt.
Differenzialdiagnose
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die frühe intrauterine Gravidität, bei der u. U. noch kein intrauteriner Gestationssack bei eventuellem Vorhandensein einer zystischen Raumforderung im Adnexbereich, z. B. einem Corpus luteum graviditatis, nachgewiesen werden kann. Selten kann sogar ein Corpus rubrum das Bild eines akuten Abdomens bis hin zum Schockzustand hervorrufen. Abgegangene Aborte oder gestörte intrauterine Schwangerschaften weisen manchmal ebenfalls eine ähnliche Symptomatik wie eine Tubargravidität auf. Freie Flüssigkeit im Douglas-Raum tritt gelegentlich sowohl bei einem Abort als auch bei der Tubargravidität auf. Die Serum-β-HCG-Werte können bei einer gestörten Schwangerschaft ähnlich wie bei
39 3.3 · Klinisches Management
inaktiven oder sich resorbierenden Tubargraviditäten rückläufig sein. Das Auftreten einer akuten Appendizitis im Verlauf einer Frühschwangerschaft ist insgesamt selten. Die klinische Symptomatik beeindruckt meist durch die typischen Druckpunkte (McBurney) und normale β-HCG- und/oder Progesteronwerte, Leukozytose und Fieber. Freie Flüssigkeit im Abdomen kann aber auch hier durch eine verstärkte peritoneale Reizung entstehen.
Wichtigste Differenzialdiagnosen 4 Frühe intrauterine Gravidität (Corpus luteum, rubrum) 4 Abgelaufener intrauteriner Abort, gestörte intrauterine Gravidität 4 Appendizitis in der Frühschwangerschaft 4 Heterotope Gravidität
mentöse Therapieform ist die intramuskuläre systemische Verabreichung des Chemotherapeutikums Methotrexat (Lipscomb et al. 2005). Die Wirksamkeit der systemischen Methotrexattherapie wurde auch anhand einer prospektiv randomisierten Studie belegt, wobei im Vergleich zur laparoskopischen Salpingotomie ein gleichwertiger Behandlungserfolg für Methotrexat erreicht wurde (Hajenius et al. 1997). Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird Methotrexat nun häufiger verwendet: An der Universitäts-Frauenklinik Wien z. B. werden seit fast 10 Jahren rund 1/3 aller Patientinnen mit der Diagnose Extrauteringravidität mittels Methotrexat therapiert (Kucera et al. 2000 b).
3.3.1
Therapeutische Maßnahmen
Chirurgisches Vorgehen
Klinisches Management
3.3
Das Management der Extrauteringravidität richtet sich grundsätzlich nach 4 Parametern: 4 hämodynamische Situation, 4 klinisches Bild, 4 β-HCG-Wert, 4 Wunsch der Patientin nach weiteren Schwangerschaften. In den letzten Jahren haben die laparoskopische Salpingotomie und Salpingektomie die Laparotomie fast vollständig abgelöst. Heute wird eine Laparotomie nur mehr in Ausnahmefällen durchgeführt: bei Schockgefahr und hämodynamischer Instabilität oder wenn der laparoskopische Zugangsweg nicht möglich ist. Bei Patientinnen mit Kinderwunsch ist die lineare antimesenteriale Salpingotomie mittels Elektrokoagulationsschere mittlerweile die Methode der Wahl. Für Patientinnen, die keinen Kinderwunsch mehr haben, wird die laparoskopische Salpingektomie bevorzugt, ebenso bei Patientinnen mit Tubarruptur. Die Trendwende in der Behandlung der Extrauteringravidität wurde mit den laparoskopischen Instillationsmethoden eingeleitet: Es wurden Prostaglandine (Egarter u. Husslein 1988; Kiss et al. 1992), 33%ige Glukose (Lang et al. 1989) und auch Methotrexat (Feichtinger u. Kemeter 1987) auf laparoskopischem Weg in die Extrauteringravidität eingebracht. Die Resorption der Tubargravidität wird vom Organismus selbst übernommen mit nachfolgender Restitutio ad integrum.
Studienbox Der neueste Stand der Wissenschaft besagt, dass die Extrauteringravidität immer mehr zu einer konservativ medikamentös zu therapierenden Erkrankung wird, womit sich die Morbidität stark reduzieren lässt. Die v. a. im angloamerikanischen Sprachraum gebräuchlichste medika-
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Inwieweit die Operationsmethode einen Einfluss auf die nachfolgende Fertilität hat, wird unterschiedlich diskutiert: In der derzeit verfügbaren Literatur berichtet die größte retrospektive Studie (Yao u. Tulandi 1997) über idente nachfolgende intrauterine Schwangerschaftsraten von 60%, unabhängig davon, ob eine Salpingotomie (Tubotomie) per laparoscopiam oder per laparotomiam durchgeführt wird. Auch die Rate des neuerlichen Wiederauftretens einer Tubargravidität liegt bei beiden operativen Zugängen nach Salpingotomie bei etwa 15%. Im Vergleich dazu beträgt die nach Salpingektomie beobachtete intrauterine Schwangerschaftsrate 40–64%, eine neuerliche Tubargravidität wurde in 10–15% der Fälle beschrieben. Anhand einer multivariaten Analyse berichtet eine andere Arbeitsgruppe darüber, dass Patientinnen, die jünger als 30 Jahre sind, keine Infertilitätsanamnese und eine makroskopisch unauffällige kontralaterale Tube haben, nach laparoskopischer Sanierung der Tubargravidität mittels Salpingotomie sogar 80% nachfolgende intrauterine Schwangerschaftsraten zeigen (Fernandez et al. 1998). Prinzipiell sollte die Entscheidung, ob salpingotomiert oder salpingektomiert wird, individuell mit jeder Patientin getroffen werden (. Abb. 3.2). Bei der linearen Salpingotomie wird entweder mit einer Mikroschere oder auch mit einem Laser auf der antimesenterialen Oberfläche über dem Schwangerschaftsprodukt in Längsrichtung eine Inzision von etwa 1–2 cm angebracht und danach, ähnlich wie bei einer Zystenausschälung, das trophoblastische Material entfernt. Vor der Inzision kann eine gefäßadstringierende Substanz (z. B. Por8) verdünnt in die Tubargravidität injiziert werden, wobei aufgrund des Nachlassens der Wirkung etwa 2–4 h postoperativ scheinbar gut gestillte Operationsflächen erneut zu bluten beginnen können. Wenn eine exakte Blutstillung erzielt ist, kann die Wunde je nach Größe der Inzision und des Situs offengelassen oder durch Nähte verschlossen werden. Die Heilung erfolgt i. d. R. binnen weniger Wochen und meist ohne Komplikationen wie Fisteln oder Adhäsionen.
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40 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
3
. Abb. 3.2. Laparoskopisches Bild einer Tubargravidität. Rechts aufgetriebene und deutlich hämatombedingte livide Färbung am isthmischen Tubenabschnitt
> In >90% der Fälle ist keine weitere Behandlung erforderlich, und die spätere Tubendurchgängigkeit ist – wie Hysterosalpingographieuntersuchungen zeigen – bei etwa 75% der Patientinnen gegeben.
Bei neuerlichem Auftreten einer Tubargravidität im selben Eileiter (15%!) kann dieser Eingriff theoretisch wiederholt werden, obwohl in diesem Fall die Salpingektomie als sinnvoller erachtet wird. Bei Tubargraviditäten, die am Infundibulum lokalisiert sind, kann eine Inzision, in diesem Fall durch die Fimbrien sowie das Infundibulum, durchgeführt und das Schwangerschaftsprodukt entfernt werden. Die Inzision kann nun wiederum der sekundären Heilung überlassen oder verschlossen werden. Bei ampullärer Gravidität besteht die Möglichkeit, quer keilförmig zu inzidieren, wodurch der betroffene Tubenabschnitt ein- oder zweischichtig anastomosiert werden kann und somit eine spätere Passage der Eizelle ermöglicht wird. Sitzt die ektope Gravidität im proximalen Isthmus (. Abb. 3.1d), wie das bei etwa 15% der Tubargraviditäten der Fall ist, so ist eine Salpingotomie nur erschwert möglich und auch wenig sinnvoll, da Blutungen meist schwerer kontrollierbar sind. Die Enge des Tubenlumens begünstigt bei späterer Narbenbildung und Verziehung auch Tubenverschlüsse. In diesem Sinn ist sehr oft die partielle Salpingektomie mit nachfolgender einschichtiger End-zu-End-Anastomose oder die totale Salpingektomie die Methode der Wahl. Tipp Lassen die Größe und Lage der Tubargravidität keine vollständige Sanierung unter Organerhalt zu, so ist eine Salpingektomie (Tubektomie) vorzunehmen. Bei der Salpingektomie wird die Tube zusammen mit der Tubargravidität von ihrem Abgang am Uterus und von der Mesosalpinx, z. B. über eine Schlinge oder mit der bipolaren Schere abgesetzt, anschließend werden die Stümpfe mit Sicherheitsligaturen oder Koagulation versorgt. Die Bergung des Operationspräparats erfolgt üblicherweise über den 10-mm-Trokar.
Falls die Patientin keinen weiteren Kinderwunsch hat, kann im Anschluss an die Salpingektomie die kontralaterale Tube sterilisiert werden. Das postoperative Management stützt sich im Wesentlichen auf allgemeine Maßnahmen wie Blutbild- und β-HCGWertkontrollen bis zum Absinken unter die Nachweisgrenze, da trotz makroskopisch vollständiger Entfernung sich selten noch trophoblastisches Gewebe in der Tube befinden kann. Im Fall des Auftretens einer Trophoblastpersistenz (laut Literatur 3–20% nach Salpingotomie) wird international meist intramuskuläres Methotrexat in einer Dosierung von 50 mg/ m2 Körperoberfläche als Einmalgabe verwendet. Die Nachsorge erfolgt entsprechend dem Schema der primären Behandlung der Tubargravidität mit Methotrexat (Hajenus et al. 1997).
Systemische Methotrexattherapie Methotrexat ist ein Folsäureantagonist, der die Zellproliferation über die Purin- und Pyrimidinsynthese und konsekutiv die DNA-Synthese hemmt. Aktives Trophoblastgewebe reagiert, wie primär in der Therapie der Chorionkarzinome bewiesen, sehr empfindlich auf Methotrexat. Hämodynamisch stabile Patientinnen mit asymptomatischer Tubargravidität können prinzipiell bei Werten bis etwa 10.000 mIU/ml β-HCG mittels systemischem Methotrexat behandelt werden (Hajenius et al. 1997; Lipscomb et al. 2005). Auch die positive Herzaktion eines extrauterin gelegenen Fetus stellt keine echte Kontraindikation für die medikamentöse Therapie dar, obwohl die Fehlerrate höher ist als bei negativer Herzaktion.
Studienbox Aufgrund der vorhandenen Datenlage werden international maximale Serum-β-HCG-Werte von 5000 mIU/ml für die systemische Methotrexatbehandlung empfohlen. Dem unterliegt ein exzellenter Behandlungserfolg von 92%. Bei Serum-β-HCG-Werten >12.000 mIU/ml liegt die dokumentierte Erfolgsrate für Methotrexat nur noch bei 68%.
Es liegt sicherlich im Ermessen, angepasst an die individuelle Situation jeder Patientin und an die Erfahrung im Umgang mit der Methotrexattherapie, auch bei höheren β-HCGWerten Methotrexat als Alternative zur Operation anzubieten und zu verwenden. Letztendlich ist die Aufklärung der Patientin, v. a. über Erfolgsraten, hierbei der zentrale Punkt. Außer in Akutsituationen bleibt meist genügend Zeit, um mit der Patientin gemeinsam zu entscheiden, ob eine operative Therapie oder die systemische Methotrexatgabe durchgeführt wird. Die Patientin muss über den Verlauf der Behandlung, mögliche Komplikationen und Nebenwirkungen Bescheid wissen, bevor sie sich für ein Therapieverfahren entscheidet.
41 3.3 · Klinisches Management
Studienbox Bereits 1982 publizierten Tanaka et al. die erste erfolgreich mittels Methotrexat behandelte Extrauteringravidität. Es handelte sich um eine interstitielle Gravidität, die mit einem Multiple-dose-Schema, d. h. mehreren Einzeldosen von systemischem Methotrexat, behandelt wurde. Gerade in der Therapie dieser seltenen Form der Extrauteringravidität wird heute in vielen Zentren Methotrexat der Vorzug gegeben, da die operative Sanierung nicht selten zur Teilresektion des betroffenen Uterussegmentes, u. U. auch zur Hysterektomie führen kann (Tulandi u. Al-Jaroudi 2004). Ob der systemischen oder lokalen Methotrexatapplikation der Vorzug gegeben wird, hängt vom Befinden und den Umständen der Patientin sowie der Erfahrung des behandelnden Arztes ab.
Tipp Für die interstitielle Gravidität besteht die systemische intramuskuläre Methotrexattherapie zumindest aus einem Zyklus einer 4-maligen Applikation (Tage 1, 3, 5, 7) von jeweils 50 mg/m2 Körperoberfläche Methotrexat, abwechselnd mit jeweils 6 mg Folsäure (Tage 2, 4, 6, 8). Im Abschluss an die Methotrexatapplikation werden die β-HCG-Spiegel engmaschig kontrolliert, um ein eventuelles Versagen der Therapie zu diagnostizieren. Bei der lokalen Instillation wird mit einer Fixdosis von 25 mg transvaginal unter Ultraschallsicht direkt in den Trophoblasten injiziert. Da auch bei der Zervikalgravidität und »Cesarean scar pregnancy« ein erhöhtes Risiko operativer Blutungskomplikationen besteht, ist auch hier die primäre lokale Methotrexatinstillation (25 mg) zu erwägen. Durch die lokale Applikation gelangt das Chemotherapeutikum direkt in den Trophoblasten, wodurch eine niedrigere Dosis verwendet und somit das Risiko für Nebenwirkungen gesenkt werden kann.
Therapieverlauf unter Methotrexattherapie. Die systemischen Nebenwirkungen von Methotrexat in hohen Dosierungen (Haarausfall, Lichtempfindlichkeit, Knochenmarkdepression, Stomatitis, pulmonale Fibrose, akute Hepatotoxizität) treten in dieser niedrigen Dosierung nur sehr selten auf. Da die Toxizität bei der Single-dose-Methotrexattherapie als äußerst gering zu erachten ist, wird heute auf die Leukovoringabe verzichtet. Bei 20% der Patientinnen tritt unter der Single-dose-Methotrexattherapie während der ersten 3–7 Tage ein rezidivierender Unterbauchschmerz auf, der jedoch in den meisten Fällen mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (z. B. 800 mg Ibuprofen oral, 2-mal binnen 6 h) gut in den Griff zu bekommen ist (Lipscomb et al. 1999). Der Schmerz nach der Methotrexattherapie wird als Resultat eines stattgehabten Tubarabortes bzw. als Distension der Tube durch ein Hämatom gedeutet. Die einzige Indikation zur sekundären operativen Intervention ist im Prinzip das Vorhandensein von reichlich freier Flüs-
sigkeit außerhalb des kleinen Beckens sowie ein Hämatokritabfall. Geringe Mengen freier Flüssigkeit im Bereich des kleinen Beckens stellen keine Indikation zur sekundären operativen Intervention dar. Es ist aber durchaus möglich, dass aufgrund von nichtsistierenden bzw. immer wiederkehrenden Schmerzen die Patientin selbst den Wunsch äußert, sekundär operiert zu werden. Etwa 5% aller Patientinnen werden nach Methotrexattherapie sekundär operiert, obwohl nur in 3% der Fälle bei β-HCG-Werten von <10.000 mIU/ml intraoperativ eine Tubarruptur nachweisbar war. Bei β-HCG-Werten über 10.000 mIU/ml jedoch lag in 30% der Fälle eine Tubarruptur vor (Kooi et al. 1992).
Therapieregime der Tubargravidität mit Methotrexat 4 Methotrexat wird einmalig in einer Dosierung von 50 mg/m2 KOF oder 1 mg/kg KG i.m. (meist intraglutäal) appliziert (Lipscomb et al. 1999, 2005). 4 Der Tag der Applikation gilt als Tag des Therapiebeginns und wird daher Tag 1 genannt. Am Tag des Therapiebeginns müssen β-HCG-Wert, Blutbild sowie unauffällige Leberfunktions- und Nierenparameter vorliegen. Prinzipiell kann die intramuskuläre Applikation von Methotrexat auch ambulant erfolgen, viele Patientinnen bevorzugen jedoch eine stationäre Aufnahme über Nacht. 4 Die nächste Kontrolle ist am Tag 4 durchzuführen. Bei asymptomatischen Patientinnen muss lediglich der β-HCG-Wert kontrolliert werden, bei symptomatischen Patientinnen empfiehlt sich die Kontrolle des Blutbildes. Bei fast 90% der Patientinnen kommt es zum Anstieg des β-HCG-Wertes zwischen Tag 1 und 4. 4 Trotzdem ist die nächste HCG-Kontrolle bei asymptomatischen Patientinnen am Tag 7 vorgesehen. Der β-HCG-Abfall zwischen Tag 4 und 7 muss mindestens 15% betragen, ansonsten hat eine 2. Applikation von Methotrexat in derselben Dosierung am Tag 7 zu erfolgen, der wiederum als Tag 1 des neuerlichen Methotrexattherapiezyklus gilt. 4 Nach Tag 7 werden so lange wöchentliche β-HCG-Kontrollen durchgeführt, bis kein β-HCG mehr nachweisbar ist.
Ungefähr 20% der Patientinnen benötigen mehr als eine Dosis Methotrexat, sollte nach der 2. Therapiewoche (d. h. wieder zwischen Tag 4 und 7) der Serum-β-HCG-Wert nicht entsprechend (15%) gesunken sein. Die Serum-β-HCG-Wertkontrollen werden in fast allen Abteilungen ambulant durchgeführt, aus Sicherheitsgründen kann jedoch eine stationäre Aufnahme notwendig werden, wenn die Patientin z. B. therapieresistente anhaltende Unterbauchschmerz berichtet. ! Generell ist eine Tubarruptur auch bei fallenden und bei bereits negativen Serum-β-HCG-Werten möglich!
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42 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
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Experimentelle Marker wie z. B. die immunhistochemische Expression von Matrixmetalloproteinasen oder bcl-2 (Kucera et al. 2000c, 2001) wurden in preliminären Studien bezüglich ihrer Beteiligung am Zustandekommen der Tubarruptur untersucht, fanden aber noch keinerlei Eingang in die klinische Routine. Als wesentlicher Vorteil der Methotrexattherapie ist unumstritten einerseits die Minimalinvasivität zu betrachten, die nach Therapieabschluss eine hohe Rate an Tubendurchgängigkeit von 80% (die mittels Hysterosalpingographie dokumentiert werden kann) und somit die Erhaltung der Fertilität gewährleistet. Etwa 60% der Patientinnen, die weitere Schwangerschaften wünschen, werden nach Methotrexattherapie intrauterin schwanger. Bei nur etwa 7% aller Patientinnen, die mit Methotrexat behandelt wurden, kommt es zum neuerlichen Auftreten einer ektopen Gravidität (Pisarska et al. 1998).
Exspektatives Vorgehen Bei klinisch unauffälligen Patientinnen kann exspektativ vorgegangen werden, wenn die Serum-β-HCG-Werte <1500 mIU/ ml liegen und eine fallende Tendenz zeigen. In der Literatur werden spontane Resolutionsraten von 98% bei Serum-βHCG-Werten <200 mIU/ml angegeben, bei Werten von <500 mIU/ml jedoch beträgt die spontane Resolutionsrate nur noch 73% (Korhonen et al. 1994). Voraussetzung für abwartendes Management ist die gesicherte Ultraschalldiagnose einer Tubargravidität ohne Hinweis auf eine Ruptur. Danach erfolgt eine Verlaufskontrolle der Serum-β-HCG-Werte über 48 h, die eine fallende Tendenz zeigen sollte. Das Serum-β-HCG soll wöchentlich kontrolliert werden bis zu einem Wert von <2 mIU/ml. Die durchschnittliche Serum-β-HCG-Clearence beträgt ca. 21 Tage. Zeigt die 48-h-Verlaufskontrolle der Serum-β-HCG-Werte eine steigende Tendenz, sollte man ein medikamentöses bzw. operatives Management erwägen. Der Literatur nach können mit abwartendem Management bis zu 31% aller Tubargraviditäten erfolgreich therapiert werden (Elson et al. 2004; Helmy et al. 2007). Die Patientin sollte wie bei der Methotrexattherapie auch über die Möglichkeit einer Ruptur aufgeklärt und compliant sein. Die Vorteile von exspektativem Management ist, dass die Patientinnen keine Therapie mit einem Chemotherapeutikum benötigen, ambulant behandelt werden können und keine sozioökonomische Isolation aus dem privaten Umfeld erfolgt. Die Rate für nachfolgende intrauterine Schwangerschaften wird in der Literatur mit einer Spanne von 65–89% angegeben. Die Rezidivrate für eine Tubargravidität nach exspektativem Vorgehen liegt zwischen 4 und 13% (Helmy et al. 2007; Strobelt et al. 2000; Shalev et al. 1995; Zohav et al. 1996). Abwartendes Management ist jedoch noch nicht sehr verbreitet. Ein wesentlicher Grund dafür scheint zu sein, dass die eindeutige Diagnose einer Tubargravidität im Ultraschall nach wie vor eine Herausforderung darstellt und das Risiko bei einer Therapie mit Methotrexat für viele Kliniker als geringerer eingestuft wird. Es müssen sicher auch noch mehr
klinische Studien durchgeführt werden, um die Machbarkeit des exspektativen Managements zu evaluieren und den therapeutischen Stellenwert zu heben. Ausgehend davon, dass eine Ursache der Tubargravidität die rezidivierende Adnexitis ist, besteht die wirksamste Prävention in der Verhinderung von Entzündungen oder bei bereits bestehenden Entzündungen in einer effektiven Therapie. Zur Therapie der Wahl zählen in diesen Fällen üblicherweise Antibiotika. Für die antibiotische Therapie bei akuter Adnexitis eignen sich im ambulanten Bereich die Kombinationen aus Gyrasehemmern plus Clindamycin p.o., Gyrasehemmern plus Metronidazol p.o. oder aber Cephalosporinen 3. Generation plus Doxycyclin p.o. Die Therapie sollte über 14 Tage erfolgen. Zusätzlich wird immer eine antiphlogistische Therapie und Magenschutz über 3–5 Tage verschrieben. Falls es innerhalb von 72 h zu keiner Besserung der Symptomatik kommt, so wird auch die Hospitalisierung empfohlen. Für die stationäre Therapie eignen sich die Kombinationen aus Cephalosporinen der 2. Generation plus Doxycyclin i.v. oder aber Clindamycin plus Doxycyclin i.v. Die Therapiedauer im stationären Bereich beträgt 5–7 Tage, Doxycyclin muss allerdings 14 Tage lang gegeben werden. Nach einer Besserung der Symptomatik unter intravenöser Therapie kann auf eine orale Therapie umgestellt werden. Auch bei der stationären Therapie wird immer eine antiphlogistische Therapie und Magenschutz für 3–5 Tage gegeben. > Eine Partnerbehandlung bei Vorliegen einer Adnexitis ist wegen der Gefahr einer Reinfektion zu empfehlen, obwohl beim männlichen Sexualpartner oft keine Symptome vorliegen. Für den Partner wird die Gabe von Doxycyclin p.o. für 14 Tage empfohlen.
Der Nutzen von systemischen Entzündungshemmern für die Restitutio ad integrum wird zwar teilweise noch diskutiert, zur Schmerzlinderung sind sie aber in jedem Fall gerechtfertigt. Als sekundäre Prävention bei stark vorgeschädigten Tuben, wie z. B. Hydrosalpinx oder Hämatosalpinx, ist manchmal auch die Salpingektomie bzw. Tubektomie die sicherste Methode, eine Tubargravidität bei bestehendem Kinderwunsch zu verhindern.
3.4
Kosten-Nutzen-Überlegungen
Wahrscheinlich ist das exspektative Verhalten die günstigste Methode, da lediglich Kontrollen von β-HCG, evtl. Progesteron und Blutbild erforderlich sind. Die systemische Methotrexattherapie ist aufgrund der geringen Substanzkosten ebenfalls als sehr günstig anzusehen. Auch bei dieser Therapiestrategie müssen die β-HCG-Werte bis unter die Nachweisgrenze kontrolliert werden. Die Sekundärkosten bei einem evtl. notwendigen Zweiteingriff wie Laparoskopie, d. h. also chirurgischer Sanierung, führen jedoch möglicherweise zu einem raschen Anstieg der Ausgaben. Deutlich höhere Aufwendungen entstehen bei der laparoskopischen Instillation von Substanzen oder bei der pri-
43 Literatur
mär operativ-laparoskopischen Sanierung. Die spezifische Laparoskopieausrüstung, v. a. bei Verwendung von Einmalinstrumenten, ist meist der größte Kostenverursacher. Hinzu kommen die Aufwendungen der postoperativen Überwachung sowie eventuelle Sekundärkosten, die bei auftretenden Komplikationen entstehen können. Die Gesamtkosten einer laparoskopischen Vorgehensweise werden im Vergleich zur primären Laparotomie, v. a. durch die Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer, i. Allg. als günstiger angesehen. Generell sollten bei Kosten-Nutzen-Überlegungen die Spätkosten bedacht werden, die beispielsweise bei nachfolgender In-vitro-Fertilisation entstehen.
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3
44 Kapitel 3 · Extrauteringravidität
3
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4 4 Trophoblasterkrankungen P. Speiser, H. Strohmer, E. Krampl-Bettelheim 4.1
Allgemeine Grundlagen – 46
4.1.1 Terminologie – 46 4.1.2 Inzidenz und Epidemiologie – 46
4.2
Hydatiforme Mole – 46
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Diagnose – 47 Therapie und klinischer Verlauf – 50 Nachkontrolle – 51 Prophylaktische Chemotherapie – 51
4.3
Persistierende maligne Trophoblasterkrankungen – 52
4.3.1 Staging und prognostische Faktoren – 52 4.3.2 Therapeutisches Vorgehen – 54 4.3.3 Therapie von Hochrisikofällen – 55
Literatur – 57
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
46 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4
Trophoblasterkrankungen umfassen die benigne komplette und partielle hydatiforme Mole. Aus dieser kann eine maligne Trophoblasterkrankung in Form der destruierenden invasiven Mole oder des Chorionkarzinoms entstehen. Das Chorionkarzinom kann auch ohne vorherige Mole primär entstehen. Der meist benigne, aber auch potenziell maligne Plazentabetttumor kann primär entstehen. Die hydatiforme Mole findet sich in 1 von 1000, das Chorionkarzinom in 2,46 von 100.000 Schwangerschaften. Die Unterscheidung in komplette und partielle Mole wird anhand morphologischer und histopathologischer Kriterien sowie aufgrund des Karyotyps getroffen. Die Therapie erfolgt mittels Kürettage oder Hysterektomie. Wesentliches Element der Nachkontrolle sind engmaschige Bestimmungen des humanen Choriongonadotropins (HCG), das als klassischer Tumormarker dieser Erkrankungsgruppe gilt. Bei Persistenz bzw. bei Vorliegen einer primär malignen Trophoblasterkrankung erfolgt die Therapie in Abhängigkeit vom Staging und von klinischen Prognosefaktoren, wobei für die Einteilung der Patientinnen in Risikogruppen mehrere Klassifikationssysteme zu Verfügung stehen. Bei Patientinnen mit nicht metastasierter Erkrankung oder metastasierter Erkrankung mit geringem prognostischem Risiko erfolgt die Monotherapie mit Methotrexat oder Dactinomycin. Bei Therapieversagen oder metastasierten Fällen mit hohem Risiko kann die Polychemotherapie in der Mehrheit der Fälle eine komplette Remission bewirken. Die Behandlung sollte entsprechend den Prognosefaktoren individuell angepasst werden, mit dem Ziel, die Erkrankung zu eliminieren und langfristige Behandlungskomplikationen zu reduzieren. Die geringe Inzidenz und die günstige Prognose bei optimaler Behandlung sprechen stark für eine Zentralisierung des Managements von Trophoblasterkrankungen.
4.1
Allgemeine Grundlagen
4.1.1
Terminologie
Trophoblasterkrankungen bilden eine Gruppe schwangerschaftsassoziierter Neoplasien, die sich v. a. in ihrer Tendenz zur lokalen Invasion und Metastasierung unterscheiden. Zu den Trophoblasterkrankungen zählen die komplette und partielle Blasenmole (Mola hydatidosa), die destruierende invasive Mole, der Plazentabetttumor und das Chorionkarzinom (malignes Chorionepitheliom).
4.1.2
Inzidenz und Epidemiologie
Die Inzidenz von Trophoblasterkrankungen zeigt weltweit ein sehr unterschiedliches Bild (Altieri et al. 2003). So beträgt die Häufigkeit auf 100.000 Schwangerschaften in Europa und Nordamerika bis zu ca. 130 (Dänemark), in Asien bis 1300 (Indonesien), in Lateinamerika bis zu 465 (Brasilien), im mittleren Osten bis zu 580 (Türkei). Ein Teil dieser regionalen Unterschiede begründet sich durch Schwierigkeiten in der Erfassung und Diagnostik dieser Erkrankung (Palmer 1994).
Als anerkannter Risikofaktor gilt fortgeschrittenes Lebensalter der Mutter mit 5-fach höherem Risiko bei Frauen über 35 Jahren. Aber auch für junge Frauen (<20. Jahre) wurde ein erhöhtes Risiko berichtet (Altman et al. 2008). Eine bereits anamnestische Molenschwangerschaft erhöht das Risiko um das 10-Fache, bei 2 vorangegangenen Molenschwangerschaften findet sich die Erkrankung neuerlich bei 1 von 3–6 Schwangerschaften (Berkowitz et al. 2000). Die Faktoren väterliches Alter, AB0-Blutgruppe, Parität, spontaner Abort in der Vorgeschichte, Menarchenalter, Zyklusunregelmäßigkeit und Fertilitätsprobleme, Verhütung mittels IUP oder oralen Kontrazeptiva, Vitamin-A-Mangel, Nikotinkonsum werden als ätiologische Faktoren kontrovers beurteilt. Die Angaben zur Inzidenz des Chorionkarzinoms reichen von 0,05–0,23:1000 Lebendgeburten. Die Angaben, die die zeitliche Entwicklung betreffen, sind bisher widersprüchlich: In Japan war ein Rückgang der Erkrankung um 50%, in den Vereinigten Staaten hingegen keine Änderung festzustellen. Als gesicherte Risikofaktoren gelten eine vorangegangene Molenschwangerschaft und das mütterliche Lebensalter (Steigrad 2003).
4.2
Hydatiforme Mole
Die Unterscheidung zwischen einer kompletten und einer partiellen Mole erfolgt mittels Morphologie, Histopathologie (Redline u. Abdul-Karim 1995) und Karyotyp (Wolf u. Lage 1995). Komplette hydatiforme Mole. Embryonales Gewebe, Dottersack, Amnion oder fetale Gefäße fehlen. Es besteht eine generalisierte, traubenartige zystische (i. e. hydatiforme) Degeneration des Stromas der Chorionzotten sowie eine diffuse Hyperplasie des Trophoblasten, die weit in den intervillösen Raum reicht. Diese Hyperplasie ist definitionsgemäß nur dann gegeben, wenn die Trophoblastproliferation des Synzytiotrophoblasten allein bzw. häufiger zusammen mit dem Zytotrophoblasten die gesamte Zirkumferenz der Zotte umfasst. Differenzialdiagnostisch ist davon die ausgeprägte polarisierte Trophoblastproliferation bei ungestörten frühen Schwangerschaften abzugrenzen, die sich in der Nähe der Basalplatte findet und höchstens 3 Seiten der Chorionzotten einnimmt. > Zytogenetische Untersuchungen haben gezeigt, dass 75–85% der Fälle einer kompletten Mole einen diploiden Chromosomensatz vom 46,XX-Karyotyp aufweisen. Die verbleibenden Fälle zeigen einen 46,XY-Karyotyp. Dabei ist bemerkenswert, dass das gesamte genetische Material des Zellkerns väterlichen Ursprungs ist, die DNA der Mitochondrien jedoch mütterlicher Genese (Jacobs et al. 1980).
Die meisten kompletten 46,XX-Molen sind homozygot und entstehen wahrscheinlich durch die Befruchtung einer Eizelle mit fehlendem oder inaktivem Zellkern durch eine haploide Samenzelle und nachfolgender Endoreplikation des Chromosomensatzes. Für die Entstehung von heterozygoten 46,XYund 46,XX-Molen gilt die Befruchtung durch 2 haploide Sa-
47 4.2 · Hydatiforme Mole
menzellen als wahrscheinlichste Ursache. In seltenen Fällen fanden sich komplette Molen mit einem tetraploiden, triploiden, haploiden oder aneuploiden Chromosomensatz. Partielle hydatiforme Mole. Embryonales oder fetales Gewebe ist nachweisbar, wobei mitunter nur fetale Gefäße oder Amnion vorhanden sind. Neben den typischen großen zystischen Villi finden sich kleine fibrotische Villi. Die fokale Trophoblastproliferation besteht hauptsächlich aus Synzytiotrophoblast und zeigt oftmals eine pittoreske ausgefranste Kontur. Darüber hinaus finden sich »drüsenförmige« Trophoblasteinschlüsse im Zottenstroma. Partielle Molen sind üblicherweise (>90%) triploid und weisen dabei einen 69,XXX-, 69,XXY- oder 69,XYY-Karyotyp auf. Stammt der doppelte Chromosomensatz vom Vater, sind die Feten normal groß und haben eine molare Plazenta (Spencer et al. 2000). Die fetale Nackentransparenz ist bereits im 1. Trimenon erhöht, ebenso das totale HCG und das freie β-HCG. Im Gegensatz dazu führt ein doppelter mütterlicher Chromosomensatz zu einer massiven frühen Wachstumseinschränkung sowie zu niedrigen HCG-Werten, und die Plazenta erscheint im Ultraschall normal. Die Scheitel-Steiß-Länge ist in 2/3 aller Triploidien bereits vor der 15. Schwangerschaftswoche unter der 5. Perzentile (Jauniaux et al. 1997).
Theoretisch mögliche ursächliche Mechanismen von Triploidien 4 Befruchtung einer haploiden Eizelle durch – haploide Samenzelle (und nachfolgende Replikation des paternalen Chromosomensatzes) – diploide Samenzelle, die durch eine Meiosestörung entstanden ist – 2 haploide Samenzellen 4 Befruchtung einer diploiden Eizelle durch eine haploide Samenzelle.
Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass dem Entstehen einer partiellen Mole in den meisten Fällen das gleichzeitige Eindringen von 2 haploiden Samenzellen in die Eizelle zugrunde liegt. Für den Fall, dass bei einer derartigen Schwangerschaft ein Fetus angelegt ist, bedingt die Triploidie multiple Malformationen.
Molares Erscheinungsbild der Plazenta mit gleichzeitiger Fetalanlage 4 Zwillingsschwangerschaft mit einer kompletten hydatiformen Mole (. Abb. 4.1). Diese seltene Kombination ist vom Erscheinungsbild im Ultraschall im 1. Trimenon der partiellen hydatiformen Mole sehr ähnlich. Es ist assoziiert mit schwerer Präeklampsie und einem erhöhten Risiko für eine persistierende Trophoblasterkrankung (Vaisbuch et al. 2005). 4 Partielle hydatiforme Mole (Triploidie 7 oben) 4 Mesenchymale Dysplasie der Plazenta (Sebire et al. 2001)
. Abb. 4.1. Sonographische Abbildung einer kompletten Molenschwangerschaft der 9. Woche. Der Fetus fehlt, und die fokal zystischen Bereiche in der Plazenta sind durch die zystische Degeneration des Stromas der Chorionzotten verursacht und erzeugen das typische traubenartige Ultraschallbild. (Abbildung von Dr. Samir Helmy, MUW, Wien, mit frdl. Genehmigung)
4.2.1
Diagnose
Klinische Symptome Komplette und partielle hydatiforme Molen entstehen durch aberrante Fertilisierung mit nachfolgender pathologischer Trophoblastproliferation. Dies schließt das Auftreten von Molenschwangerschaften nach Spotanabort, Schwangerschaftsabbruch, ektopen Schwangerschaften oder Früh- und Spontangeburten nicht aus. Typischerweise präsentieren sich Patientinnen mit den Zeichen einer Frühschwangerschaft (Amenorrhö, positives Harn-HCG). Führendes Symptom ist die vaginale Blutung. Diese entsteht durch die Lösung des Trophoblasttumors von der Dezidua. Bei den Angaben in der Literatur über die Häufigkeit und Bedeutung der Symptome ist zu berücksichtigen, dass vor noch 2 Jahrzehnten die Diagnosestellung der kompletten Mole im Durchschnitt in der 16–17. SSW erfolgte. Mittlerweile wird die Diagnose durch die Verfügbarkeit des transvaginalen und transabdominalen Ultraschalls und die Möglichkeit, das HCG exakt zu bestimmen, bereits in der 12. SSW gestellt. Damit verändert sich aber auch das Erscheinungsbild der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose, und es werden Patientinnen mit Molenschwangerschaft, vergrößertem Uterus, vaginalen Blutungen und Unterbauchbeschwerden oft als »missed abortion« oder ektope Schwangerschaft fehldiagnostiziert (7 Übersicht). Klinische Symptome einer kompletten Mole 4 4 4 4 4 4
6
Vaginale Blutung Exzessive Vergrößerung des Uterus Ungewöhnlich große Gelbkörperzysten am Ovar Hyperemesis gravidarum Präeklampsie (vor der 20. SSW) Anämie
4
48 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4 Beckenschmerzen 4 Hyperthyreose 4 Vaginalabgang von Molenmaterial
Studienbox
4
In einer Studie an Patientinnen mit kompletter hydatiformer Mole wurde die Häufigkeit der klinischen Symptome zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in den Jahren 1988– 1993 mit einer historischen Kontrollgruppe der Jahre 1965–1975 verglichen. Es zeigte sich, dass die vaginale Blutung unverändert das Leitsymptom ist, das bei 84% vs. 97% zu beobachten war. Es wurde jedoch eine Abnahme der Anämiefrequenz von 54% auf 5% festgestellt; darüber hinaus war die vergrößerte Gebärmutter nur noch in 28% (vs. 51%), die Präeklampsie in 1,3% (vs. 27%) und die Hyperemesis in 8% (vs. 26%) der aktuelleren Fälle diagnostizierbar. Die frühere Diagnose der Trophoblasterkrankung (SSW 8 vs. 17) hat jedoch zu keinem Rückgang bei der Entstehung von malignen persistierenden Trophoblasterkrankungen geführt (Soto-Wright et al. 1995).
Differenzialdiagnostisch ist bei einer vaginalen Blutung an eine ektope Gravidität, an eine Frühschwangerschaft mit drohendem Abort bzw. an eine gestörte Schwangerschaft im Sinne eines Abortus incompletus oder incipiens zu denken. Bei der in Bezug auf das Gestationsalter enormen Vergrößerung des Uterus sind differenzialdiagnostisch die falsche Berechnung des Gestationsalters, die Mehrlingsgravidität, der Uterus myomatosus, das Polyhydramnion sowie die entzündliche oder maligne Raumforderung des Ovars auszuschließen. Der unphysiologische Größenzuwachs der Gebärmutter ist neben der Ansammlung von Blutkoagula v. a. durch das Trophoblastwachstum im Cavum uteri bedingt, sodass diese Fälle mit stark erhöhten Serum-HCG-Werten einhergehen. Als Folge dieser hohen HCG-Werte finden sich bei 20–46% der Patientinnen funktionelle Gelbkörperzysten (>6 cm Durchmesser). Die schwankenden Angaben bezüglich der Häufigkeit der Luteinzysten sind darauf zurückzuführen, dass die Diagnose teils mittels Ultraschall, teils durch Palpation gestellt wurde. Die Palpation ist einerseits durch die Uterusvergrößerung erschwert; andererseits kann sie akute Schmerzen im Unterbauch hervorrufen. In diesem Fall ist an eine transabdominale oder transvaginale Entlastungspunktion bzw. sogar laparoskopische Exploration zu denken. Nach der Behandlung der Mole ist mit einer Rückbildung innerhalb von 2–4 Monaten zu rechnen. > Bei einer regelrecht verlaufenden Schwangerschaft ist vor der 24. SSW die Präeklampsie äußerst selten. Wird sie im 1. oder 2. Trimenon diagnostiziert, so muss stets an das Vorliegen einer Molenschwangerschaft gedacht werden.
Die Homologie zwischen TSH und der β-Untereinheit des HCG-Moleküls führt zu einer schwachen Stimulation der
Schilddrüse durch HCG. Dies führt zu weiteren ernstzunehmenden, wenn auch selteneren Begleitsymptomen wie Tachykardie, warme Haut und Tremor, die durch Hyperthyreose (7%) bedingt sein können. Darüber hinaus können Thoraxschmerzen, Dys- und Tachypnoe im Rahmen eines »Atemnotsyndroms« (2%), das einerseits durch Trophoblastembolie, aber auch durch eine molenassoziierte thyreotoxische Krise oder Präeklampsie hervorgerufen werden kann, auftreten (Berkowitz u. Goldstein 1996). Diesen Symptomen ist v. a. bei der Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie für die Kürettage Beachtung zu schenken. Im Gegensatz zur kompletten Mole findet sich bei der partiellen Mole häufig eine Fetalanlage, Amnionflüssigkeit und eine positive Herzaktion. Da die HCG-Werte üblicherweise niedriger sind, sind Symptome einer Hyperthyreose seltener. Auch bei Vorliegen einer partiellen Mole imponiert mit 73% die vaginale Blutung als häufigstes Symptom. Im Übrigen ähnelt das klinische Bild dem der gestörten Frühschwangerschaft, sodass meistens nach der ursprünglichen klinischen Diagnose »Abort« die endgültige Diagnose erst durch die histologische Untersuchung gestellt wird. Im Fall von Zwillingsschwangerschaft kann neben einer Mole ein lebensfähiger Fetus gefunden werden (. Abb. 4.2). Die Verdachtsdiagnose wird mittels Ultraschall gestellt. Für den Fall, dass die Patientin sich entschließt, die Schwangerschaft zu erhalten und ein konservatives Vorgehen zu wählen, muss mit vaginalen Blutungen (76%) gerechnet werden, die einen sekundären Schwangerschaftsabbruch oder eine Frühgeburt verursachen können. Des Weiteren wird gehäuft Prä-
. Abb. 4.2. 1,5-Tesla-MR-Bild eines Fetus in der 27. Schwangerschaftswoche. Das T2-gewichtete Bild zeigt eine große, inhomogene, hyperintense Raumforderung, die von den umgebenden Plazentaanteilen scharf abgegrenzt ist. Das MR-Erscheinungsbild ist charakteristisch für das Vorliegen einer Blasenmole, die postnatal histologisch bestätigt wurde. (Abbildung von Univ.-Prof. Dr. Daniela Prayer, MUW, Wien, mit frdl. Genehmigung)
49 4.2 · Hydatiforme Mole
. Abb. 4.3. Immunhistochemische Färbung einer partiellen Blasenmole. Links oben p57kip2-positives maternales Gewebe (Dezidua) neben p57kip2-negativer Trophoblastproliferation im Bereich einer blasig degenerierten Zotte. (Abbildung von Dr. Sabine Dekan, MUW, Wien, mit frdl. Genehmigung)
. Abb. 4.4. Komplette Blasenmole SSW 13. HE-Färbung. Blasig degenerierte Zotten mit zerrissenem und an den Rand gedrängtem Zottenstroma mit zirkulärer und extravillöser Trophoblastproliferation Vergrößerung ×20). (Abbildung von Dr. Sabine Dekan, MUW, Wien, mit frdl. Genehmigung)
eklampsie (ca. 25%), Hyperthyreoidismus (ca. 5%) und Trophoblastpersistenz (ca. 50%) beobachtet. In etwa 50–60% kann mit einer Lebendgeburt gerechnet werden (Wee et al. et al. 2005). In den letzten Jahren hat sich die Immunhistochemie in der differenzialdiagnostischen Abklärung von Molenschwangerschaften etabliert. Dabei wird der Umstand ausgenützt, dass das p57kip2-Protein nur vom maternalen und nicht vom paternalen Genom exprimiert wird. Entsprechend färbt sich Gewebe von Molenschwangerschaften, das ja nur paternales Genom enthält, nicht an (Merchant 2005). Das ist insbesondere bei der frühen Blasenmole von Bedeutung, da zu diesem Zeitpunkt die diagnostische Blasenbildung noch nicht so deutlich ist. Auch bei der partiellen Blasenmole können Zottenblasen unterschieden werden, die von der Mole oder einer normalen Schwangerschaft stammen (. Abb. 4.3).
und dem thyreoideastimulierenden Hormon (TSH). Die βUntereinheit ist ausschließlich für HCG typisch und wird daher in den meisten Testverfahren verwendet. Des Weiteren gibt es eine ganze Reihe von HCG-Varianten, wobei die normal glykosilierte und die hyperglykosilierte Form von Bedeutung sind. Das hyperglykosilierte HCG vom Trophoblasten des 1. Trimenons fördert direkt die Trophoblastinvasion zum Zeitpunkt der Implantation und ist bei allen invasiven Trophoblasterkrankungen erhöht. Das normal glykosilierte HCG wird vom Synzytiotrophoblasten gebildet und ist in normalen Schwangerschaften, bei »placental site trophoblastic tumor« (PSTT) und hydatiformen Molen erhöht, nicht jedoch bei malignen Veränderungen (Cole 2007).
Ultraschall und HCG Das klassische Erscheinungsbild einer kompletten hydatiformen Mole im Ultraschall im 2. Trimenon ist die typische bläschenförmige, auch als »Schneegestöber« bezeichnete Textur (. Abb. 4.1). Als Ultraschallkriterien für die partielle Mole gelten fokale zystische Bereiche in der Plazenta. Im 1. Trimenon ist die Diagnose allerdings nicht so eindeutig (. Abb. 4.4 und 4.5): Abhängig von der Erfahrung des Untersuchers liegt die Detektionsrate bei 60–80%. Die restlichen Fälle werden als anembryonische Schwangerschaft oder »missed abortion« beschrieben und nur durch histologische Untersuchung diagnostiziert (Sebire et al. 2001). Die HCG-Serumkonzentration ist bei kompletten, aber nicht bei partiellen hydatiformen Molen oft viel höher, als es dem Gestationsalter entsprechen würde. HCG zählt zur Gruppe der dimeren Glykoproteinhormone und besteht aus einer α- und einer β-Untereinheit. Die α-Untereinheit besitzt Ähnlichkeit mit dem FSH, dem luteinisierenden Hormon (LH)
. Abb. 4.5. Partielle Mole, SSW 12. HE-Färbung (Vergrößerung ×40): 2 Zottenpopulationen, plumpe, teils blasig degenerierte Zotten neben kleinen fibrosierten Zotten mit Trophoblastproliferation. (Abbildung von Dr. Sabine Dekan, MUW, Wien, mit frdl. Genehmigung)
4
50 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
> HCG gilt als klassischer »Tumormarker« der Trophoblasterkrankungen. Der Radioimmunoassay (RIA) gilt als Standardbestimmungsverfahren.
4
Bei der Auswahl des RIA-Testkits ist zu gewährleisten, dass es zu keinen nennenswerten Kreuzreaktionen mit dem chemisch verwandten LH kommt und dass der Test den Nachweis noch von geringen Konzentrationen (5 mIE/ml) ermöglicht. Für die Therapiekontrolle ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass ein β-HCG-RIA sowohl das dimere Molekül als auch die freie β-Untereinheit samt seiner Varianten erfasst, die bei Trophoblasttumoren in höheren Konzentrationen gefunden werden und das Testergebnis daher entsprechend beeinflusst. Zu berücksichtigen ist, dass bei Anforderung einer Serum-HCGBestimmung dem Labor die Diagnose Trophoblasterkrankung mitgeteilt wird, um das entsprechende Testkit zu verwenden. Schließlich werden sowohl falsch positive als auch falsch negative Ergebnisse beobachtet, wobei falsch negative Ergebnisse z. B. durch extrem hohe HCG-Werte (>1 Mio. mIE/ml) zustande kommen können. Falsch positive Testergebnisse (in Bezug auf Trophoblasterkrankungen) können durch HCG verursacht werden, das in der Hypophyse (1,2–19 mIE/ml) produziert wird, mit dem Alter ansteigt und v. a. bei peri- und postmenopausalen Frauen Probleme bereiten kann. Aber auch bei jüngeren Frauen, die zur Behandlung von malignen Trophoblasterkrankungen eine Polychemotherapie erhalten und mit einem Gonadotropin-releasing-Hormon zum Schutz der Ovarialfunktion behandelt werden, können physiologisch erhöhte Werte beobachtet werden (Cole et al. 2008).
4.2.2
Therapie und klinischer Verlauf
Vor Durchführung der operativen Therapie erfolgt die klinische Untersuchung auf metastatische Absiedlungen, Anämie, Präeklampsie, Hyperthyreose und Elektrolytstörungen durch Hyperemesis. Für die operative Therapie der Mole stehen die Kürettage mit oder ohne vorangegangene Prostaglandineinleitung oder die Hysterektomie zur Auswahl. Die Saugkürettage sollte von einem erfahrenen Operateur durchgeführt werden. Dabei empfiehlt sich folgendes Vorgehen: 4 Die Möglichkeit einer Notfalllaparotomie sollte gegeben sein. 4 Entscheidung über Procedere in Abhängigkeit vom allgemeinklinischen Zustandsbild: sicherer großlumiger peripherer oder zentralvenöser Zugang, Bereitstellung von Blutkonserven, Blutgasanalytik. 4 Oxytozininfusion bereits unmittelbar vor Beginn der Anästhesie. 4 Vorsichtige Dilatation des Zervikalkanals, wobei sich reichlich Koagula und frisches Blut aus dem Kavum entleeren können. 4 Saugkürettage ohne vorangehende Sondierung des Kavums, wobei besonders auf die Gefahr der Uterusperforation zu achten ist.
4 Penible Nachkürettage mit einer entsprechend großen stumpfen Kürette. 4 Rhesusprophylaxe bei Rh-negativen Patientinnen.
Studienbox In einer Untersuchung an 74 Patientinnen mit Persistenz der Mole nach erfolgter Kürettage und Notwendigkeit einer Chemotherapie war bei 61,7% eine Prostaglandineinleitung vorangegangen, aber nur bei 35,2% von 219 Patientinnen, die keiner weiteren Therapie bedurften. Die Prostaglandineinleitung wurde jedoch häufiger bei einer Uterusgröße ≥15. SSW angewandt, sodass sich nach Berücksichtigung dieses Umstands kein erhöhtes Risiko der Trophoblastpersistenz nach Prostaglandineinleitung feststellen ließ (Flam et al. 1991).
Nach Initialbehandlung mit Hysterektomie war nur bei 3,5% der Patientinnen die Persistenz der Erkrankung zu verzeichnen; letztlich spielt jedoch für die Entscheidung der Wunsch der Patientin nach Erhaltung der Fertilität eine maßgebliche Rolle. Die Entfernung des Uterus bietet sich v. a. als Therapie bei Frauen über dem 40. bzw. 50. Lebensjahr an, da ein gesteigertes Risiko von 37% bzw. 56% einer persistierenden Trophoblasterkrankung in diesen Altersgruppen besteht. Die Ovarien können dabei auch bei Bestehen von Luteinzysten, die bei Bedarf aspiriert werden, erhalten bleiben. Die Hysterotomie kann als therapeutisches Vorgehen nicht mehr empfohlen werden. Neben dem fortgeschrittenen Lebensalter gibt es noch weitere Faktoren, die darüber hinaus ein erhöhtes Risiko für die Persistenz der kompletten hydatiformen Mole bedeuten (7 Übersicht). Zu einer Persistenz kommt es in 18–29% der Fälle.
Faktoren für ein erhöhtes Risiko der Persistenz einer kompletten hydatiformen Mole 4 Serumkonzentration des HCG >100.000 mIE/ml (»high risk«) 4 Uterus weitaus größer als dem aktuellen Gestationsalter bzw. größer als der 16. SSW entsprechend (»high risk«) 4 Luteinzysten >6 cm im Durchmesser (»high risk«) 4 Höheres Lebensalter der werdenden Mutter 4 Vorangegangene Molenschwangerschaften 4 Auftreten einer neuerlichen vaginalen Blutung oder eines Atemnotsyndroms nach bereits erfolgter Kürettage 4 Serum-HCG >20.000 mIE/ml >4 Wochen nach erfolgter Kürettage
51 4.2 · Hydatiforme Mole
Studienbox Bei Vorhandensein eines der in der Übersicht erstgenannten 3 High-risk-Faktoren fand sich bei 31% von 352 Patientinnen eine lokale Invasion des Uterus, bei Fehlen (»low risk«) waren es 3,4% von 506 Patientinnen. Bei 8,8% der High-risk-Patientinnen kam es zur Metastasierung vs. 0,6% in der Low-risk-Gruppe (Goldstein et al. 1981).
Die Angaben bezüglich Persistenz der partiellen Mole streuen in der Literatur von 0–11%. Für die Persistenz der partiellen Mole sind keine Risikofaktoren bekannt.
4.2.3
Nachkontrolle
Eine Schwangerschaft ist während des ersten Jahres nach erfolgter Primärbehandlung unbedingt zu vermeiden. Dabei wurde der mögliche Einfluss der oralen Kontrazeption hinsichtlich des gesteigerten Risikos einer Persistenz der Trophoblasterkrankung einerseits und eines verschleppten HCG-Abfalls andererseits lange Zeit kontrovers beurteilt. Bei einem prospektiv randomisierten Vergleich zwischen oralen Kontrazeptiva und Barrieremethoden konnten jedoch diese negativen Auswirkungen nicht bestätigt werden, sodass die Pille als Verhütungsmittel in der Nachsorge das Mittel der Wahl darstellt. Wesentliches Element der Nachsorge ist die wöchentliche HCG-Kontrolle, die fortgeführt wird, bis der Serumwert während 3 Wochen unter der Nachweisgrenze (<5 mIE/ml) bleibt. Danach wird die Kontrolle einmal pro Monat fortgeführt. Hier reichen die Empfehlungen von 6–12 Monaten, wobei eine länger währende Nachkontrolle v. a. bei kompletten Molen angezeigt ist. Für eine Persistenz und damit die Notwendigkeit der Behandlung spricht in jedem Fall ein Ansteigen der HCG-Werte, darüber hinaus wird ein mindestens 3 Wochen anhaltendes Plateau als beweisend angesehen.
Studienbox Die mittlere Dauer bis zum Eintreten von Normalwerten nach Kürettage betrug 74 Tage (komplette Mole 99, partielle Mole 59), die Streuung dabei 28–430 Tage (Yedema et al. 1993). Alle bisher erschienen Publikationen bezüglich der Notwendigkeit der Nachsorge von Patientinnen mit kompletten und partiellen hydatiformen Molen, die in der Nachbeobachtung spontan unter die Nachweisgrenze von 5 mIE/ml HCG abgefallen sind, kamen zum gleichen Ergebnis. Für Patientinnen mit partiellen Molen konnte in keinem Fall eine persistierende Trophoblasterkrankung im Nachbeobachtungszeitraum gezeigt werden (Lavie et al. 2005). Für Patientinnen mit kompletten Molen konnte in nur einem Fall in der gesamten Weltliteratur nach Normalisierung der HCG-Werte eine persistierende Trophoblasterkrankung nach 8 Wochen nachgewiesen werden (Kerkmeijer et al. 2007).
Zurzeit gibt es keine geeigneten histologischen Kriterien, die auf ein erhöhtes Persistenzrisiko schließen lassen. Die Verwendung von CA 125 als prognostischer Marker wurde in einer Studie postuliert, bedarf jedoch erst der Bestätigung durch weitere Untersuchungen; Ähnliches gilt für die Parameter DNA-Gehalt und erhöhtes Verhältnis der freien β-HCGUntereinheit zum Gesamtmolekül. > Obwohl die Behandlung durch Hysterektomie die Gefahr der lokalen Invasion beseitigt, besteht dennoch die Möglichkeit der Metastasierung, sodass auch diese Patientinnen der Routinenachsorge unterzogen werden müssen.
Eine regelmäßige gynäkologische Untersuchung sollte im Abstand von 2 Wochen bis zur Normalisierung der HCG-Werte erfolgen. Im Anschluss werden in 3-monatlichen Abständen über ein Jahr lang gynäkologische Kontrolluntersuchungen unter Beachtung der im Folgenden aufgelisteten klinischen Besonderheiten durchgeführt: 4 verzögerte Uterusrückbildung, 4 Luteinzysten, 4 neu aufgetretene starke oder unregelmäßige vaginale Blutungen, 4 Suche nach Metastasen im unteren Genitaltrakt. ! Bei verschleppter Diagnose kann es zur intraperitonealen Blutung nach Durchwanderung des Myometriums sowie zum Zustandsbild des »septischen Uterus« aufgrund von superinfizierten lokalen Gewebsnekrosen kommen.
4.2.4
Prophylaktische Chemotherapie
Die systemische Chemotherapie kommt bei der persistierenden bzw. invasiven Mole, beim Chorionkarzinom und bei Hochrisikofällen der kompletten Mole zur Anwendung. Bei der kompletten hydatiformen Mole wird jedoch der Wert der prophylaktischen Chemotherapie zum Zeitpunkt der Erstoperation kontrovers beurteilt. Ein präventiver Einsatz der Chemotherapie basiert auf folgenden Überlegungen: 4 Trophoblastzellen zeigen eine hohe Sensitivität auf bestimmte Chemotherapeutika. 4 Die nachfolgende Persistenz der Trophoblasterkrankung dürfte biologisch vorbestimmt sein. 4 Die Metastasierung erfolgt hämatogen. 4 Durch einen hohen Wirkstoffspiegel des Chemotherapeutikums zum Zeitpunkt des operativen Eingriffs könnte das Auftreten der lokalen Invasion und/oder der Metastasen verhindert werden. Dem steht gegenüber, dass die Mehrzahl der Patientinnen unnötigerweise potenten Chemotherapeutika ausgesetzt wird, dass auch durch die Chemotherapieprophylaxe kein sicherer Schutz gegen die Persistenz der Trophoblasterkrankung gegeben ist, dass das Gefühl der unbegründeten Sicherheit zu einer insuffizienten Nachkontrolle verleiten könnte und dass vereinzelt Todesfälle nach der Therapie beschrieben wurden.
4
52 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4
Als Therapeutika kamen diesbezüglich Methotrexat (MTX + Leucovorin-Rescue) und Dactinomycin zur Anwendung. Eine allgemeingültige Empfehlung bezüglich Dosierung und Schema besteht jedoch nicht. Kürzlich wurde als mögliche intravenöse Dosierung 50 mg/m2 Körperoberfläche (KOF) MTX oder 1,25 mg/m2 KOF Dactinomycin vorgeschlagen. Diese Empfehlung basiert jedoch nicht auf Ergebnissen von kontrollierten Studien, sondern fußt auf der Tatsache, dass sich diese Dosierungen bei wöchentlicher Applikation in Fällen von Trophoblastpersistenz ohne Metastasierung als effektiv und nebenwirkungsarm erwiesen haben.
Studienbox In der einzigen Studie, die hinsichtlich Chemotherapieprophylaxe prospektiv randomisiert durchgeführt wurde (Kim et al. 1986), zeigte sich nach einmaliger MTX-Gabe eine Persistenz bei 4/39 (10,3%) vs. 10/32 (31,3%) in der unbehandelten Kontrollgruppe. Ein derartiger Vorteil durch die Behandlung war jedoch nur bei High-risk-Fällen feststellbar, bei denen einer der oben angeführten Risikofaktoren bestand.
Eine endgültige Empfehlung ist in Anbetracht des Mangels an randomisierten Studien nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Daten sollte daher eine derartige Chemotherapieprophylaxe nur bei Hochrisikopatientinnen und kompletter hydatiformer Mole erwogen werden oder wenn eine entsprechende Nachkontrolle nicht gewährleistet ist. Bedenken hinsichtlich negativer Auswirkungen auf die spätere Fertilität oder erhöhter Inzidenz von anderen Malignomen nach einer derartigen Prophylaxe sind, soweit heute beurteilbar, unbegründet. Persistiert die Trophoblasterkrankung trotz Chemotherapieprophylaxe, so wird für die Folgetherapie ein Wechsel des Chemotherapeutikums empfohlen.
4.3
Persistierende maligne Trophoblasterkrankungen Persistierende Trophoblasterkrankung Man spricht von einer persistierenden Trophoblasterkrankung, 4 wenn das Serum-HCG nach ursprünglichem Abfall ein Plateau bildet (Abfall <10% in 3 Wochen), 4 wenn das Serum-HCG in 2 Wochen um >10% ansteigt, 4 wenn das Serum-HCG 6 Monate nach einer Kürettage persistiert.
Nach einer Molenschwangerschaft zeigt sich bei Persistenz in 70–90% der Fälle das histologische Bild der kompletten hydatiformen Mole bzw. der invasiven destruierenden hydatiformen Mole, die histologisch der kompletten Mole entspricht, bei der aber zusätzlich eine Invasion des Myometriums und in manchen Fällen bereits eine Metastasierung besteht. In den übrigen 10–30% der Fälle findet sich ein Chorionkarzinom.
Die klassischen Risikofaktoren für die Entwicklung einer Persistenz und damit einer malignen Trophoblasterkrankung sind Serum-HCG-Werte >100.000 mIE/ml, Gelbkörperzysten >6 cm Durchmesser und ein stark vergrößerter Uterus. Weitere Risikofaktoren sind ein Alter >35 Jahre, eine Molenschwangerschaft in der Anamnese und Hyperplasie oder Atypie in der Histologie der Kürettage. > Geht der malignen Trophoblasterkrankung keine Molenschwangerschaft, sondern eine Termingeburt, eine Eileiterschwangerschaft oder ein Spontanabort voraus, so handelt es sich immer um ein Chorionkarzinom.
Histologisch finden sich beim Chorionkarzinom anaplastischer Synzytiotrophoblast und Zytotrophoblast ohne regelrechte Zottenstruktur, und es bestehen Zeichen von myometrialer Invasion. Die Hälfte aller Chorionkarzinome entstehen aus kompletten Molen (1:40), 25% nach Spontanaborten oder ektopen Schwangerschaften (1:15.000) und weitere 25% nach einer normalen Schwangerschaft (1:16.000). Das führende Symptom der Persistenz sind irreguläre und abnorme vaginale Blutungen post partum, die auch noch bis zu >1 Jahr nach der Geburt auftreten und sehr stark sein können (Nugent et al. 2006). Die Metastasierung, die in 4% der persistierenden Fälle nach operativer Erstbehandlung der Mole auftritt, erfolgt zu 80% in die Lunge. Dabei imponieren Thoraxschmerzen, Husten und Atemnot als klinische Symptome, die entweder akut einsetzen oder über längere Zeit bereits bestehen. Radiologisch finden sich in der Thoraxaufnahme mitunter asymptomatische Läsionen, ein »schneegestöberähnliches« Muster, Pleuraergüsse oder Zeichen der Lungenembolie bzw. pulmonalen Hypertension. Mitunter stehen die pulmonalen Symptome derartig im Vordergrund, dass an eine gynäkologische Grunderkrankung nicht gedacht wird. In 30% der metastasierten Fälle finden sich Absiedelungen in der Vagina im Bereich der Fornices oder suburethral, wobei auf die außerordentlich starke Gefäßversorgung hinzuweisen ist, die zu einer starken Blutung nach Biopsieentnahme führen kann. Vaginale Blutungen und purulenter Fluor stehen als Symptome im Vordergrund. Die Leber und das Zerebrum sind in 10% der Fälle Sitz von Metastasen, die v. a. bei verspäteter Diagnose festgestellt werden. Die Lebermetastasen sind mitunter Ursache von intraperitonealen Blutungen; die Hirnmetastasen können in Abhängigkeit von der Lokalisation neurologische Symptome hervorrufen. Eine Sonderform der Trophoblasterkrankung ist der sehr seltene Plazentabetttumor (»placental site trophoblastic tumor«; PSTT), der vom intermediären Trophoblasten ausgeht (7 unten).
4.3.1
Staging und prognostische Faktoren
Durch die Féderation Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique (FIGO) wurde ein Stagingsystem erarbeitet, das sich an die Einteilung der anderen gynäkologischen Maligno-
53 4.3 · Persistierende maligne Trophoblasterkrankungen
Aussage über die Prognose gemacht werden kann, sich die ausschließliche Verwendung dieses Systems aber nicht als Entscheidungshilfe für das therapeutische Management eignet. Das heute relevante Scoringsystem entwickelte sich aus einem System, das auf klinischen Faktoren basierend die 3 Kategorien nicht metastasierte Fälle, metastasierte Fälle mit geringem Risiko sowie metastasierte Hochrisikofälle unterschied (Soper et al. 1994). Der Gruppe mit hohem Risiko und damit schlechter Prognose wurden Patientinnen zugeordnet, bei denen mindestens einer der in der 7 Übersicht »Hochrisikopatientinnen« aufgelisteten Faktoren vorlag.
. Tab. 4.1. FIGO-Stagingsystem für persistierende maligne Trophoblasterkrankungen
Staging nach FIGO
Befundsituation
I
Erkrankung bleibt ausschließlich auf den Uterus beschränkt
II
Ausbreitung auf andere genitale Strukturen (Vagina, kleines Becken)
III
Pulmonale Absiedelungen mit oder ohne Beteiligung von Uterus, Vagina oder kleinem Becken
IV
Hochrisikopatientinnen mit schlechter Prognose 4 Seit der letzten Schwangerschaft sind mehr als 4 Monate vergangen. 4 Aktueller Serum-HCG-Wert übersteigt 40 000 mIE/ml. 4 Hirn- oder Lebermetastasen. 4 Die unmittelbar vorangegangene Schwangerschaft endete in einer Termingeburt. 4 Eine vorangegangene Chemotherapie hat bereits therapeutisch versagt.
Fortgeschrittene Metastasierung in Hirn, Leber, Niere oder Gastrointestinaltrakt
me anlehnt, wobei als Grundlage die anatomische Ausdehnung der Erkrankung herangezogen wird, und das noch immer seine Gültigkeit besitzt (. Tab. 4.1). Heute nicht mehr gebräuchlich ist die weitere Unterteilung des jeweiligen Stadiums in A, B, C in Abhängigkeit folgender Risikofaktoren: 4 HCG >100.000 mIE/ml, 4 Diagnose der Erkrankung >6 Monate nach Beendigung der Schwangerschaft.
Die Weltgesundheitsorganisation hat in Anlehnung an die Erfahrungen der Arbeitsgruppe des Charing Cross Hospital in London eine Klassifikation erstellt, in die weitere prognostische Faktoren eingebracht wurden (WHO Scientific Group 1983). Sie basiert auf dem Prinzip, dass einzelne voneinander unabhängige Faktoren entsprechend ihrer prognostischen Bedeutung zu einem Gesamtscore unterschiedlich beitragen (. Tab. 4.2). Entsprechend dem Gesamtscore
Begründet wird dies mit dem Bestreben, ein für den klinischen Gebrauch relevanteres Staging zu ermöglichen. Dazu ist zu sagen, dass mit Hilfe dieses Stagingsystems zwar eine tendenzielle
. Tab. 4.2. Prognoseindex der FIGO (vorgeschlagen im Jahr 2000)
Prognosefaktor
Score 0
1
2
4
Lebensalter [Jahre]
≤39
>39
–
–
Vorangegangene Schwangerschaft
Hydatiforme Mole
Abort
Termingeburt
–
Monate zwischen Schwangerschaft und Therapiebeginn
<4
4–6
7–12
>12
Serum-HCG [mIE/ml]
<1000
<10.000
<100.000
>100.000
Größter Tumordurchmesser
–
3–5
>5
Lokalisation der Metastasen
Lunge
Milz, Niere
Gastrointestinaltrakt
Leber, Gehirn
Anzahl der Metastasen
–
1–4
5–8
>8
Vorangegangene Chemotherapie
–
Monotherapie
Polychemotherapie
Auswertung
0–4 Punkte
Niedriges Risiko
5–7 Punkte
Mittleres Risiko
≥8 Punkte
Hohes Risiko
4
54 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4
(GS), der sich aus der Addition der Einzelscores ergibt, erfolgte die Zuordnung der jeweiligen Patientin zu den 3 Kategorien niedriges (GS 0–4), mittleres (5–7) und hohes Risiko (GS ≥8). Die Zuordnung in eine der in . Tab. 4.2 genannten Risikogruppen und damit die Anwendung der verschiedenen Klassifikationen setzt eine entsprechende diagnostische Abklärung voraus. Üblicherweise werden folgende Untersuchungen durchgeführt: 4 Anamnese und allgemeinklinische Untersuchung 4 Bestimmung des aktuellen Serum-HCG-Werts, 4 Erfassung von Schilddrüsen-, Leber- und Nierenparametern, Blutbild, 4 Thoraxröntgenaufnahme, 4 Ultraschall und/oder Computertomographie des Oberund Unterbauchs, 4 Computertomographie des Schädels. Bei Chorionkarzinom bzw. metastasierten Fällen wird bei unauffälligem Schädel-CT darüber hinaus eine Liquorpunktion empfohlen, da ein Liquor-Serum-Verhältnis des HCG <60 Hinweis auf das Vorliegen von okkulten Gehirnmetastasen sein kann.
Wertigkeit der Stagingsysteme und Prognosefaktoren In einer Reihe von retrospektiven Studien wurde versucht, die bestehenden Scoring- und Stagingsysteme einerseits zu verifizieren und zu vergleichen und andererseits neue zu etablieren, um so eine möglichst gute Aussage über das Ansprechen der einzelnen Patientin auf die Chemotherapie und damit die Chance auf Heilung zu ermöglichen. Bei multivariaten Analysen im Rahmen von retrospektiven Untersuchungen an 162 (Studie I), 138 (Studie II) bzw. 391 (Studie III) Patientinnen wurden in Abhängigkeit von der jeweiligen Studie folgende signifikante Risikofaktoren hinsichtlich der Mortalität von Hochrisikopatientinnen festgestellt (Azab et al. 1988; Soper et al. 1988; Lurain et al. 1991): 4 Art der vorangegangenen Schwangerschaft (I, II), 4 Anzahl der Metastasen (III), 4 Metastasierung in mehr als ein Organ (I), 4 Metastasierung in andere Organe als Lunge oder Vagina (III), 4 Resistenz auf die primäre Chemotherapie (I, III), 4 Vorliegen eines Chorionkarzinoms (I, II, III) (ein Faktor, der in den gängigen Klassifikationen unberücksichtigt ist), 4 Erkrankungsdauer >4 Monate (II). Heute gilt es als Standard, dass Patientinnen mit persistierenden Trophoblasterkrankungen am besten entsprechend einem Risikoscoringsystems behandelt werden (Kendall et al. 2002). Die FIGO hat verschiedene Staging- und Scoringsysteme vereinheitlicht und den heute als Goldstandard zu bezeichnenden Index etabliert, der in . Tab. 4.2 beschrieben ist. Dieser erlaubt eine Zuordnung von Patientinnen in 2 Gruppen: »low risk« mit einem Score von ≤6, »high risk« mit einem Score >6 (Kohorn et al. 2000).
Studienbox Eine retrospektive Studie hat die Ergebnisse von 201 Patientinnen untersucht, die nach dem Charing-Cross-Scoringsystem klassifiziert und entsprechend behandelt worden sind. Retrospektiv wurden alle Patientinnen nach dem FIGO- und dem WHO-Prognoseindex sowie nach dem neu vorgeschlagenen kombinierten FIGO-Prognoseindex klassifiziert. Bezüglich Chemotherapieresistenz und Outcome waren die Ergebnisse in den verschiedenen Gruppen sehr ähnlich. Die wesentliche Aussage dieser Arbeit ist, dass eine Einteilung in nur 2 Gruppen die Zahl der Patientinnen mit niedrigem Risiko und damit weniger aggressiver Behandlung erhöht, damit das Risiko für ein iatrogenes Zweitmalignom (myeloische Leukämie, Kolonkarzinom) gesenkt wird, ohne das Outcome zu verschlechtern. Es wird immer einen Graubereich zwischen der Lowrisk- und der High-risk-Gruppe geben, aber selbst bei Versagen der Monotherapie können diese Patientinnen mit einer späteren Polychemotherapie geheilt werden. Die Mortalität beschränkt sich auf die Hochrisikogruppe (Hancock et al. 2000).
> Es ist wichtig, Patientinnen nicht unnötig aggressiver Chemotherapie und damit dem Risiko späterer Komplikationen auszusetzen.
Um die Befundung von malignen Trophoblasterkrankungen zu vereinheitlichen, sollte eine Verbindung der Klassifikationen vorgenommen werden und dem Tumorstadium der Gesamtscore beigefügt werden (z. B. »II: 4«). Dies ist besonders für Stadium II und III sinnvoll. Patientinnen im Stadium I sind üblicherweise »low-risk« und mit einer Monotherapie in >90% ausreichend behandelt. Im Gegensatz dazu weisen Patientinnen des Stadiums IV oft ein Chorionkarzinom auf. Dieses wird üblicherweise nach einem langen Intervall zwischen der vorbestehenden Schwangerschaft, die oft keine Molenschwangerschaft ist, diagnostiziert. Diese Patientinnen sind überwiegend »high-risk« und benötigen eine Polychemotherapie.
4.3.2
Therapeutisches Vorgehen
Bei der malignen persistierenden Trophoblasterkrankung ohne Metastasierung ist eine Anwendung der genannten Risikofaktoren nicht notwendig, um das weitere therapeutische Vorgehen festzulegen, da durch eine Monotherapie mit Metothrexat (MTX) oder Dactinomycin in nahezu 100% der Fälle eine Remission erzielt werden kann. Darüber hinaus kommen diese Schemata mit >80%iger Remissionsrate auch bei Patientinnen mit bereits metastasierter Erkrankung zur Anwendung, bei denen keine weiteren klinischen Risikofaktoren vorliegen bzw. deren WHO-Gesamtscore ≤7 beträgt (Lowrisk-Stadium II und III). Bezüglich Dosierung und Schema bestehen zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen z. T. große Unterschiede, sodass ein direkter Vergleich der einzelnen Schemata hinsichtlich Ansprechrate, Toxizität und Kosten nicht möglich ist. Darüber
55 4.3 · Persistierende maligne Trophoblasterkrankungen
hinaus stehen derzeit keine Ergebnisse aus prospektiv randomisierten Vergleichsstudien zu dieser Fragestellung zu Verfügung. Dennoch gelten die folgenden Schemata als Standard in der MTX-Monotherapie: 4 1 mg/kg Körpergewicht (KG) (oder 50 mg MTX Gesamtdosis) i. m., Tag 1, 3, 5, 7 + Folsäure 7,5–15 mg p.o., Tag 2, 4, 6, 8.
Studienbox In einer Studie des Charing Cross Hospital wurden 485 Patientinnen mit »low-risk« persistierender Trophoblasterkrankung nach einem vereinfachten Schema behandelt. Sie erhielten eine MTX-Monotherapie, und im Fall von MTX-Resistenz oder -Toxizität wurden sie entweder auf Dactinomycin (HCG <100 mIE/ml) oder EMA-CO-Polychemotherapie (HCG >100 mIE/ml) umgestellt. Nach abgeschlossener Primärtherapie erlitten 16 Patientinnen (3.3%) ein Rezidiv, konnten aber durch weitere Therapie erfolgreich behandelt werden, und das Gesamtüberleben betrug schließlich 100%. In 66,8% konnte mit MTX allein eine Komplettremission erzielt werden. Eine Umstellung der Therapie erfolgte bei 150 Patientinnen (30,9%) wegen MTX-Resistenz und bei 11 Patientinnen (2,2%) wegen MTX-Toxizität (Mukositis). Patientinnen, die auf Dactinomycin umgestellt wurden, hatten zu diesem Zeitpunkt ein mittleres HCG von 40 mIE/ml. 11 (3,4%) der Patientinnen mit Komplettremission nach MTX-Therapie entwickelten im Schnitt nach 6,3 Monaten ein Rezidiv. 4 (6,0%) der Patientinnen mit Komplettremission nach MTX- und Dactinomycintherapie entwickelten im Schnitt nach 11,2 Monaten ein Rezidiv (McNeish et al. 2002).
4 0,4 mg/kg KG MTX i.m., Tag 1–5; Wiederholung alle 12–14 Tage.
Studienbox In einer Studie an 52 Patientinnen mit metastasierter Erkrankung und WHO-Score ≤6 konnte bei 31 (60%) eine primäre Remission erzielt werden. In 10 Fällen wurde die Therapie wegen Resistenz, in 11 (21%) aufgrund von toxischen Nebenwirkungen (Neutropenie, Mukositis) umgestellt. Die Therapiezyklen werden regelmäßig bis zum Fallen der HCG-Werte unter die Nachweisgrenze fortgesetzt. Danach erfolgen 1–3 Sicherheitszyklen (Soper et al. 1994).
werden. Bei 13 kam es zu Leukopenie, bei 3 zu Thrombozytopenie (Homesley et al. 1988). Der Vergleich der Studienergebnisse wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass in unterschiedlichem Ausmaß nicht metastasierte und metastasierte Patientinnen im Studienkollektiv vertreten waren.
4 Die MTX-Chemotherapie in den üblichen Dosierungen weist ein günstiges Morbiditätsprofil auf. An 250 Patientinnen mit MXT-Therapie (50 mg MTX i.m., Tag 1, 3, 5, 7, + Folsäure 7,5–15 mg p.o., Tag 2, 4, 6, 8) konnte gezeigt werden, dass mit Grad-III/IV-Toxizitäten im Rahmen des 1. Therapiezyklusses nur in 4% und in den folgenden Therapiezyklen in 5,2% zu rechnen ist. Grad-III/IV-Toxizitäten waren mit folgender Häufigkeit zu beobachten: Vaginale Blutung (6 Patientinnen), Myelosuppression (5 Patientinnen), Abdominalschmerzen (3 Patientinnen), Mukositis/Stomatitis (3 Patientinnen), pleuritischer Thoraxschmerz (3 Patientinnen), Hautausschläge (2 Patientinnen), Pleuraerguss (1 Patientin). 11 Patientinnen (4%) wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Therapie schließlich doch hysterektomiert (Khan et al. 2003). Folgende Schemata mit Dactinomycin gelten als Standard für die initiale Therapie bzw. sind bei MTX-Versagen angezeigt (Homesley 1994): 4 12 μg/kg KG (oder 0,5 mg Gesamtdosis) Dactinomycin i. v., Tag 1–5; Wiederholung alle 12 Tage. 4 1,25 mg/m2 KOF Dactinomycin i. v., Tag 1; Wiederholung 2-wöchentlich. Retrospektive Untersuchungen konnten bezüglich der Effektivität die Gleichwertigkeit von MTX und Dactinomycin zeigen. Dactinomycin ist jedoch wesentlich emetogener, und es muss daher eine entsprechende Prophylaxe bei jeder Dactinomycingabe durchgeführt werden. Wenn Dactinomycin zur Behandlung von MTX-Resistenz eingesetzt wird, ist der 5tägigen Therapie der Vorzug zu geben, da die 2-wöchentliche Gabe in diesem Setting deutlich weniger effektiv ist (Chen et al. 2004). Außer bei akut therapiebedürftiger vaginaler Blutung wird eine neuerliche Kürettage nicht empfohlen, da sich keine nennenswerte Verbesserung des Behandlungsverlaufs gezeigt hat. Bei abgeschlossener Familienplanung kann jedoch die Hysterektomie bei Beginn der Initialtherapie sowie später im Rahmen der Second-line-Therapie erwogen werden, da sich als Folge eine geringere Dosis und Verkürzung der Chemotherapie und somit der Hospitalisierungsdauer gezeigt hat.
4 50 mg/m2 MTX i.m., Tag 1; Wiederholung wöchentlich. 4.3.3
Therapie von Hochrisikofällen
Studienbox Eine komplette Remission konnte bei 51 von 63 (81%) Patientinnen mit nicht metastasierter Erkrankung erzielt
6
Ein Versagen der MTX-Monotherapie und der nachfolgenden bzw. initialen Dactinomycinbehandlung liegt vor, 4 wenn Metastasen auftreten bzw. wenn bei bereits metastasierten Fällen neue hinzukommen;
4
56 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4 wenn sich ein HCG-Plateau (±10%) einstellt, das länger als 3 Wochen anhält; 4 wenn die HCG-Werte erneut steigen; 4 wenn ein ungenügender Abfall des HCG-Werts festgestellt wird, d. h. definitionsgemäß um eine Zehnerpotenz, wobei die Angaben in Abhängigkeit vom verwendeten Schema von 18 Tagen bis zu 6 Wochen reichen.
4
In diesem Fall und bei Patientinnen, die bereits ursprünglich als Hochrisikofälle eingestuft wurden, kommen Polychemotherapieschemata zur Anwendung. Als Standard gilt mittlerweile das EMA-CO-Schema: 4 Tag 1 5 100 mg/m2 KOF Etoposid i. v., in 200 ml NaCl-Lösung über 30 min. 5 100 mg/m2 KOF MTX i. v., Bolus, nachfolgend 200 mg/ m2 KOF MTX i. v., Infusion über 12 h. 5 350 μg/m2 KOF oder 500 μg Dactinomycin i. v., Bolus. 4 Tag 2 5 100 mg/m2 KOF Etoposid i. v., in 200 ml NaCl-Lösung über 30 min. 5 350 μg/m2 KOF oder 500 μg Dactinomycin i. v., Bolus. 5 15 mg Leucovorin i.m. oder p.o., beginnend 24 h nach dem MTX-Bolus, 4-malig im Abstand von 12 h. 4 Tag 8 5 600 mg/m2 KOF Cyclophosphamid i.v., Infusion. 5 1 mg/m2 KOF Vincristin i.v., Bolus. 4 Tag 15 5 Beginn des nächsten Zyklus mit Tag 1. Die Behandlung wird fortgesetzt, bis 3 aufeinander folgende HCG-Werte in wöchentlichem Abstand unter der Nachweisgrenze liegen. Danach sollten noch mindestens 2 Sicherheitszyklen verabfolgt werden.
Studienbox Das doch sehr therapieintensive und effektive EMA-COSchema hat bei den im Schnitt sehr jungen Frauen ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil. In einer Studie an 272 Patientinnen mit high-risk-maligner Trophoblasterkrankung konnte eine Komplettremission in 78% erzielt werden. Zusätzliche nachfolgende cisplatinhaltige Chemotherapie konnte schließlich eine 5-Jahres-Überlebensrate von 86% erzielen. Folgende Morbiditäten sind zu erwarten: universelle Alopezie, hämatologische Toxizität Grad III/IV (in <2% der Fälle), milde gastrointestinale Symptome, Erhalt der Fertilität >50%. Bezüglich der Langzeitmorbidität wurde eine geringfügige Erhöhung des Risikos für Zweitmalignome berichtet, v. a. akute myeloische Leukämie (Brower et al. 1997). Eine weitere Studie, die eine Zusammenfassung der Ergebnisse von 4 Studien darstellte, ergab, dass bei 76 von 104 Patientinnen (73%) eine komplette Remission zu erzielen war (Berkowitz u. Goldstein 1995).
Bei Resistenz wird am häufigsten eine Variation des AMACO-Schemas angewendet, bei dem Cisplatin hinzugefügt wird und Etoposid und Dactinomycin nur an einem Tag verabreicht werden (EMA-EP-Schema). Als mögliche weitere Regimes bei EMA-CO-Resistenz können folgende Kombinationen erwogen werden: 4 Cisplatin, Vinblastin, Bleomycin (PVB- oder PEB-Schema), 4 Dactinomycin, Cisplatin, Etoposid, 4 Etoposid, Ifosfamid, MESNA, Cisplatin. Diese Schemata wurden jedoch bisher erst an einer kleinen Fallzahl angewandt. Vor allem bei vorbehandelten Patientinnen ist mit hoher Toxizität zu rechnen. Generell sollte der Einsatz von rekombinanten hämatopoietischen Wachstumsfaktoren wie z. B. G-CSF schon frühzeitig ins Auge gefasst werden, um die Dosisintensität einhalten zu können, die für Erreichen einer kompletten Remission wichtig sein dürfte. Sowohl Dosisreduktionen als auch Verschiebungen der Therapie sollten unbedingt vermieden werden. Bei Vorliegen von Gehirnmetastasen bestehen 2 therapeutische Ansätze, für die noch keine Daten aus einem prospektiv randomisierten Vergleich vorliegen: 4 Bestrahlung, 4 Erhöhung der intravenösen MTX-Dosis und zusätzliche intrathekale MTX-Applikation im Rahmen des EMA-COSchemas sowie Resektion, soweit operativ zugänglich. Weitere therapeutische Begleitmaßnahmen umfassen: 4 die Bestrahlung von Lebermetastasen (was in der Literatur jedoch kontrovers diskutiert wird); 4 die sekundäre Hysterektomie, die zu einer Reduktion der Tumormasse beitragen kann (ihr Wert wird bei disseminierten Erkrankungen jedoch bezweifelt); 4 die Thorakotomie und Resektion von Lungenmetastasen; 4 Maßnahmen bei lokalen Blutungen (z. B. Exzision von Metastasen der Vagina oder des Gastrointestinaltrakts, selektive Arterienembolisationen). Nach Beendigung der Chemotherapie werden die bis zu diesem Zeitpunkt wöchentlichen HCG-Kontrollen konsequent monatlich über 2 Jahre fortgesetzt, um ein Rezidiv frühzeitig zu erkennen. > Die Patientinnen können sowohl nach einer kompletten Mole als auch nach einer Chemotherapie wegen persistierender maligner Erkrankung mit einem unauffälligen Schwangerschaftsverlauf bei folgenden Schwangerschaften rechnen.
Um dem erhöhten Risiko einer neuerlichen Molenschwangerschaft gerecht zu werden, sollten bei eingetretener Schwangerschaft folgende Untersuchungen durchgeführt werden: 4 Ultraschalluntersuchung im 1. Trimenon, 4 postpartale histologische Untersuchung der Plazenta, 4 HCG-Kontrolle etwa 6 Wochen post partum, um den regelrechten Abfall zu verifizieren (Loret de Mola u. Goldfarb 1995).
57 Literatur
Plazentabetttumor Plazentabetttumor Dabei handelt es sich um einen lokal invasiven Tumor, der ins Myometrium infiltriert und seinen Ursprung im Intermediärtrophoblasten hat, dessen Aufgabe die Verankerung der Plazenta im mütterlichen Gewebe ist.
Der PSTT tritt üblicherweise mit deutlicher Verzögerung (bis zu viele Jahre) nach einer normalen Geburt auf und geht charakteristischerweise mit einem stark vergrößerten Uterus, irregulären Blutungen, selten jedoch auch mit Amenorrhö einher. Der Großteil der PSTT verhält sich eher benigne, und nur ca. 10–15% sind als maligne einzustufen. Im Gegensatz zum Chorionkarzinom geht dem PSTT nur in ca. 10% eine Blasenmole voraus, es findet sich zum Zeitpunkt der Diagnose bei 10% der Patientinnen eine metastasierte Erkrankung, und weitere 10% der PSTT metastasieren im weiteren Lauf der Erkrankung. Bevorzugt metastasiert der PSTT in die Lunge und Vagina. In ca. 10% findet sich ein reversibles nephrotisches Syndrom, und auch Virilisierungen können beobachtet werden. Die HCG-Serumspiegel sind weit niedriger (80% <1.000 mIE/ml) als bei den anderen malignen Trophoblasterkrankungen. Da eine hohe Chemotherapieresistenz besteht, ist hier eine operative Sanierung die Therapie der Wahl (Behtash u. Zarchi 2008).
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4
58 Kapitel 4 · Trophoblasterkrankungen
4
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5 5 Ungewollte Schwangerschaft C. Fiala, W. Eppel, H. Schneider 5.1
Schwangerschaftsabbruch – 61
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Historischer Abriss – 61 Gesetzliche Regelungen (Deutschland, Österreich, Schweiz) – 62 Häufigkeit von Abbrüchen – 63 Psychische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs – 63 Therapeutische Aspekte – 64
5.2
Methoden des Abbruchs – 66
5.2.1 Chirurgischer Abbruch – 67 5.2.2 Medikamentöser Abbruch – 69
5.3
Spätabbruch im 2. und 3. Trimenon
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8 5.3.9 5.3.10
Gesetzliche Grundlage – 71 Wer entscheidet? – 72 Psychische Aspekte – 73 Häufigkeit – 73 Fetozid – 74 Medikamentöser Abbruch – 74 Chirurgischer Abbruch (D & E) – 74 Sectio – 75 Nach einem Spätabbruch – 75 Besondere Situationen – 75
5.4
Anonyme Geburt – 75 Literatur – 77
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 71
60 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5
In der klinischen Praxis sind wir nicht nur mit gewollt schwangeren Frauen konfrontiert, die ihre Schwangerschaft in freudiger Erwartung austragen. Sehr häufig werden Frauen ungewollt schwanger oder möchten eine primär gewollte Schwangerschaft beenden. Diese Situationen sind derart häufig, dass ein chirurgischer Schwangerschaftsabbruch den häufigsten chirurgischen Eingriff in der Gynäkologie/Geburtshilfe darstellt. Die WHO fasst die Situation folgendermaßen zusammen: »Von den weltweit 208 Millionen Schwangerschaften, die jedes Jahr entstehen, werden etwa 42 Millionen durch einen Abbruch beendet (20%). Somit hat die überwiegende Mehrheit der Frauen auf der Welt mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens einen Abbruch in ihrem Leben. Schätzungsweise 20 Mio. oder fast die Hälfte aller Abbrüche werden auf eine unsichere Art durchgeführt, was zu einer hohen Anzahl an schweren Komplikationen, etwa 5 Mio. stationären Behandlungen und etwa 70.000 Todesfällen weltweit führt. Die Zahl an Abbrüchen geht überall dort stark zurück, wo wirksame Verhütungsmethoden verfügbar sind und auch häufig angewendet werden« (WHO 2003; Guttmacher 2009). Die Gründe für eine ungewollte Schwangerschaft sind so verschieden wie die Lebenssituationen: 4 Die Familienplanung ist bereits abgeschlossen. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als über die Hälfte der Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, bereits ein oder mehrere Kinder haben. 4 Es bestehen derzeit keine auf ein (weiteres) Kind bezogenen Zukunftsvorstellungen. 4 Es besteht keine feste Partnerschaft, oder die Beziehung ist erst von kurzer Dauer, oder die Beziehung wurde gerade beendet. 4 Der Partner nimmt seine Verantwortung nicht wahr, und die Frau sieht sich nicht in der Lage, ein (weiteres) Kind allein aufzuziehen. 4 Die finanzielle und/oder die Wohnsituation ermöglichen kein (weiteres) Kind. Davon besonders betroffen sind Frauen mit Zuwanderungshintergrund bzw. Asylbewerberinnen. 4 Die Schwangerschaft war ursprünglich geplant, unvorhergesehene Ereignisse haben die Lebenssituation jedoch grundlegend verändert. 4 Die Schwangerschaft ist das Resultat einer Gewaltsituation. 4 Schwere gesundheitliche Probleme der Frau führen zu Konflikten bzgl. des Austragens der Schwangerschaft. 4 Schwere Fehlbildungen des Fetusses wurden diagnostiziert, die entweder mit dessen Überleben nicht vereinbar sind, oder die Aussicht auf ein schwerbehindertes Kind überfordert die Frau/das Paar. Für viele der betroffenen Frauen/Paare stellt die Beendigung der ungewollten Schwangerschaft eine Lösung einer akut schwierigen Lebenssituation dar. Für einige wenige Frauen ist die Freigabe zur Adoption des Kindes nach der Geburt die einzige Lösung, z. B. im Rahmen einer anonymen Geburt. Die gute Betreuung dieser Patientinnen stellt häufig besondere emotionale Herausforderungen an das Fachpersonal dar und findet in einem angespannten Klima öffentlicher Wahrnehmung statt. . Abb. 5.1. Zeitliche Entwicklung der Legalisierung des Abbruchs in Europa
7
61 5.1 · Schwangerschaftsabbruch
5.1
Schwangerschaftsabbruch
5.1.1
Historischer Abriss
Ungewollte Schwangerschaften gab es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften – früher eher noch häufiger als heute aufgrund des Fehlens wirksamer Verhütungsmethoden. Bis etwa 1900 wurden ungewollte Kinder nach der Geburt häufig in »Pflege« gegeben. Die damit verbundene hohe Sterblichkeit der Kinder war bekannt und teilweise gesellschaftlich geduldet. Dabei handelte es sich häufig um Infantizid. So gab der Volksmund den Pflegefrauen die bis heute bekannte Bezeichnung »Engelmacherin«. Die Tatsache, dass sich dieser Begriff in sehr vielen Sprachen etabliert hat, zeigt die weite Verbreitung dieses Phänomens (siehe den Film »Geschichten aus dem Wienerwald«). Etwa ab 1900 wurde es aufgrund des besseren anatomischen Wissens und besserer technischer Fertigkeiten zunehmend sicherer, einen Schwangerschaftsabbruch statt einem Infantizid vorzunehmen, womit der Begriff der »Engelmacherin« auf Personen überging, die Abbrüche durchführten. Wegen des allgemeinen Verbots wurde der Abbruch jedoch meist spät (im 4.–5. Monat) von nicht qualifizierten Personen mit unsachgemäßen Instrumenten und unter unhygienischen sowie ungeeigneten Bedingungen durchgeführt. Der Abbruch blieb somit gefährlich für die Gesundheit und das Überleben der betroffenen Frauen (Lewin 1925; Liepmann 1927). Auch die Entwicklung wirksamer Verhütungsmethoden (hormonelle Kontrazeptiva, IUD) führte erst langsam zu einer Besserung der Situation, weil die neuen Methoden anfänglich sehr restriktiv abgegeben wurden. So wurde z. B. die »Pille«
Anfang der 1960-er Jahre lediglich an verheiratete Frauen verschrieben. Erst in den 1970-er Jahren des letzten Jahrhunderts führte eine zunehmende Organisierung von Frauen (Frauenbewegung) sowie eine zunehmende öffentliche Wahrnehmung der katastrophalen Auswirkungen der in der Illegalität durchgeführten Abbrüche zu einer Legalisierung des Abbruchs in fast allen Industrialisierten Ländern (Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch; . Abb. 5.1). Die Legalisierung ermöglichte es, Abbrüche medizinisch korrekt und damit sicher durchzuführen. Ferner konnten sich schwangere Frauen nun bereits in einer früheren Gestationswoche an einen Arzt wenden. Mit der Legalisierung verschwanden innerhalb kürzester Zeit die bis dato üblichen dramatischen Komplikationen illegaler und damit unsicherer Abbrüche. Septische Fälle und Perforationen aller nur denkbaren Arten hatten bis zu einem Drittel aller Betten auf den gynäkologisch/geburtshilflichen Abteilungen belegt. Als Folge der Legalisierung ging auch die Müttersterblichkeit erfreulicherweise zurück (Department of Health of the UK 1998; . Abb. 5.2). > Heute ist deutlich und allgemein anerkannt, dass die Häufigkeit von Abbrüchen im Wesentlichen mit der Prävention ungewollter Schwangerschaften korreliert. Länder mit einer häufigen Anwendung wirksamer Verhütungsmittel haben weniger Abbrüche und umgekehrt.
Ausschlaggebend für gute Prävention sind u. a. 4 gute Sexualerziehung, 4 Verhütungsmittel auf Krankenschein, zumindest für Jugendliche und sozial Schwache,
. Abb. 5.2. Legalisierung des Abbruchs und Müttersterblichkeit in England und Wales
5
62 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
4 leichter Zugang zu Verhütungsmitteln, 4 öffentliche Kampagnen, um das Bewusstsein für den Schutz in der Sexualität zu fördern.
5
Nach einem Jahrhundert emotionaler gesellschaftlicher Diskussion steht außer Frage, dass alles getan werden muss, um ungewollten Schwangerschaften vorzubeugen. Gleichzeitig ist anzuerkennen, dass es schwierige Situationen gibt, in denen ein Abbruch einer Schwangerschaft notwendig und die einzige Lösung ist. Die historische Erfahrung hat eindrücklich gezeigt, dass es keine vernünftige Alternative zu einem legalen und sicheren Abbruch gibt.
5.1.2
Gesetzliche Regelungen (Deutschland, Österreich, Schweiz)
Das Verbot von Verhütung und Abbruch basierte historisch hauptsächlich auf dem Wunsch imperialer oder kriegsführender Staaten auf Nachwuchs, entweder für ein erträumtes Großreich oder für Soldaten, um Kriege zu führen (. Abb. 5.3). Die restriktive Regelung von Verhütung und Abbruch erfüllte die Intentionen nach mehr Geburten jedoch wenig bis gar nicht, weil Frauen trotz des Verbots meist Wege und Mittel fanden, um eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Allerdings hatten die illegalen Bedingungen dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit und das Überleben der Frauen. Diese negativen Auswirkungen waren die Frauen und die Gesellschaften immer weniger bereit zu tragen, was im Lauf der Zeit zu einer Legalisierung führte. Im Rahmen der Legalisierung wurde jedoch nicht das Konzept der Strafbarkeit grundsätzlich geändert, sondern es wurden vielmehr die Ausnahmeregelungen für eine Straflosigkeit erweitert, sofern der Abbruch ausdrücklich von der Frau gewünscht wird und gewisse Bedingungen erfüllt sind. Somit ist der Abbruch in fast allen Ländern nach wie vor grundsätzlich strafbar, jedoch in gewissen Situationen (Indikationenlösung) oder innerhalb einer bestimmten Frist (Fristenlösung, z. B. Deutschland, Österreich, Schweiz) straffrei. Lediglich in Kanada wurde das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch 1988 vom Obersten Gerichtshof ersatzlos gestrichen, da es im Widerspruch zur Verfassung stand. Nach wie vor gibt es keinen Hinweis darauf, dass ein Verbot des Abbruchs zu einer geringeren Häufigkeit führt oder einen anderen Vorteil für die betroffene Frau oder die Gesellschaft hätte. . Abb. 5.3. Brief des österreichischen kaiserlich-königlichen Kriegsministeriums an das Innenministerium von 1916 (Österreichisches Staatsarchiv)
Das Gesetz in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterscheidet sich geringfügig. Grundsätzlich gilt eine Fristenlösung, d. h. ein Abbruch ist innerhalb einer gewissen Frist legal, auch ohne eine Indikation: 4 Deutschland 14 Wochen Amenorrhö, 4 Österreich 16 Wochen, 4 Schweiz: 12 Wochen. Allerdings gelten unterschiedliche Bedingungen im Zugang zu einem Abbruch: 4 Deutschland: Pflichtberatung in einer anerkannten Beratungsstelle mit Bescheinigung und 3–tägige Wartezeit. Die Beratung darf nicht von dem behandelnden Arzt und auch nicht in der gleichen Institution durchgeführt werden. Das Ziel der Pflichtberatung ist vorgegeben [Gesetze im Detail: www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/ gleichstellung,did=98262.html]. 4 Österreich: Beratung durch einen Arzt [Gesetze im Detail: www.gynmed.at/index.php/deutsch/gesetz]. 4 Schweiz: Die Frau muss ihre Notlage schriftlich bescheinigen [Gesetze im Detail: www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/ a119.html]. Abbrüche nach dem 1. Trimenon sind nur mit einer der folgenden Indikationen legal: 4 Medizinische Indikation: Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Frau 4 Embryopathische Indikation: Schwerwiegende Fehlbildungen des Fetus In Österreich ist ein Spätabbruch auch ohne Indikation legal, wenn die junge Frau zum Zeitpunkt der Befruchtung jünger als 14 Jahre war. In Deutschland wurde die embryopathische Indikation im Jahr 1995 gestrichen. Seither werden Abbrüche, denen eine schwere Fehlbildung zugrunde liegt, offiziell aufgrund einer drohenden Gefahr für die psychische Gesundheit der Frau durchgeführt. Bei einem Abbruch im 1. Trimenon ohne Indikation werden in der Schweiz die Kosten von den Krankenkassen übernommen. In Deutschland erstatten die Sozialämter die Kosten, sofern das eigene Nettogehalt der Frau etwa unter 1.000 Euro pro Monat liegt. Österreich ist das einzige Land in Westeuropa, in dem der Abbruch zwar legal ist, jedoch die Frauen die Kosten selbst übernehmen müssen (Ausnahme sind einige wenige Städte, die die Kosten tragen).
63 5.1 · Schwangerschaftsabbruch
Die Kosten eines Abbruchs bei medizinischer Indikation werden in allen 3 Ländern von den Krankenkassen übernommen.
5.1.3
Häufigkeit von Abbrüchen
Es sind meist ungewollte Schwangerschaften, die zu einem Abbruch führen. Diese entstehen aufgrund einer ungenügenden Verhütung oder eines Versagens der angewendeten Methode. Deshalb beeinflusst die Anwendung wirksamer Verhütungsmethoden die Häufigkeit von Abbrüchen. So haben die Schweiz und Holland im internationalen Vergleich die niedrigste Rate an Abbrüchen (bezogen auf 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter). Allerdings gibt es auch in diesen Ländern ein großes Gefälle zwischen den im Land geborenen Frauen mit einer häufigen Anwendung einer sicheren Verhütung und deshalb einer geringen Rate an Abbrüchen und Migrantinnen, die häufig noch der unsicheren Anwendung von Verhütung ihres Ursprungslandes verhaftet sind und deshalb eine deutlich höhere Rate an Abbrüchen aufweisen (Sedgh 2007; . Abb. 5.4). Ferner führen auch medizinische Indikationen (schwere gesundheitliche Problem der Frau, schwere Fehlbildungen des Fetus) zu einer geringen Zahl an Spätabbrüchen.
5.1.4
Psychische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs
Die meisten Frauen treffen rasch nach dem Feststellen einer ungewollten Schwangerschaft eine Entscheidung und benötigen daher umfassende Informationen. Diese Suche nach Informationen wird durch einige Besonderheiten deutlich er-
. Abb. 5.4. Abbrüche pro 1.000 Frauen im Alter von 15–45 Jahren
schwert: Gefragt ist innerhalb sehr kurzer Zeit sowohl Grundsätzliches über den Schwangerschaftsabbruch als auch Konkretes, wie Methoden des Schwangerschaftsabbruchs und Adressen. Die anstehende Entscheidung hat große Auswirkungen auf das eigene soziale Umfeld und zentrale zukünftige Lebensbereiche und ist nicht rückgängig zu machen. Mit dem Partner ist eine zweite Person unmittelbar und direkt betroffen und in die Entscheidung mehr oder weniger mit einbezogen. Wenn eine ungewollte Schwangerschaft eingetreten ist, werden Frauen oft mit widersprüchlichen Gefühlen konfrontiert. Ein Abbruch kann möglicherweise zu Gefühlen von Bereuen, Schuld oder Verlust führen. Aber auch die Alternativen, wie erzwungene Heirat, Adoptionsfreigabe des Kindes oder die zusätzliche Belastung eines ungewollten Kindes in einer bereits angespannten Beziehung können zu psychischen Problemen für die Frau, das Kind und die Gesellschaft führen. Andererseits kann ein Abbruch auch als große Erleichterung erlebt werden. > Trotz der oftmals schwierigen Situation ist es essenziell, dass die betroffene Frau die Entscheidung selbst trifft.
In manchen Situationen wissen Frauen recht schnell, wie sie sich entscheiden. Manchmal ist die Entscheidung alles andere als leicht und benötigt Zeit sowie Gespräche mit vertrauten Menschen. Auch ein Gespräch in einer professionellen Beratungsstelle kann hilfreich sein und aufzeigen, was eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung bedeutet. Schwere psychische Reaktionen auf einen Abbruch sind selten. Diesbezüglich wurden Einzelfallberichte und anekdotische Erzählungen publiziert. Ihnen gemeinsam ist jedoch, dass es dabei keinen klaren Hinweis auf eine ursächliche Ver-
5
64 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
bindung zu dem Abbruch gibt. Obwohl einzelne Frauen und ihre Familie durchaus mit einer überwältigenden emotionalen Antwort auf dieses Ereignis reagieren, kommt dies sehr selten vor.
Frauen sollten dann eine besondere Betreuung erhalten, wenn ein oder mehrere der folgenden Faktoren gegeben sind, welche die psychische Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs erschweren können
5
4 Psychische und psychiatrische Vorerkrankungen 4 Abbruch einer gewollten Schwangerschaft (z. B. aus medizinischen Gründen) 4 Starke Ambivalenzen in der Entscheidungsfindung 4 Druck von außen bei der Entscheidungsfindung 4 Fehlende Unterstützung vom Partner/sozialen Umfeld 4 Starke religiöse Bedenken gegenüber einem Abbruch 4 Soziale Isolation
Die große Mehrheit der Frauen wird sowohl kurz nach einem Abbruch als auch für einige Zeit danach eine Mischung verschiedenster Gefühle haben, wobei jedoch eine positive Grundtendenz, im Sinn einer Erleichterung, vorherrscht. Die Zeit der größten Belastung ist meist die Zeit, bevor die Entscheidung getroffen wurde. Zusammengenommen ergibt sich aus der Literatur, dass ein legaler Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft im 1. Trimenon für die meisten Frauen nicht zu einer psychischen Notsituation führt. Sie scheinen dieses Ereignis vielmehr gut zu bewältigen und ihr Leben normal weiterzuführen. Es gibt derzeit keine glaubwürdigen Hinweise auf die Existenz eines sog. »post abortion syndrome« (APA 2008; Charles et al. 2008; Knopf et al. 1995).
5.1.5
Rhesusfaktor Bei rhesusnegativen Frauen ist eine Sensibilisierung durch fetale Blutzellen möglich, falls der Fetus rhesuspositiv ist. Die Rhesusprophylaxe wird mit Anti-D-Immunglobulin, z. B. Rhophylac, bei jeder Blutung während sowie am Ende der Schwangerschaft verabreicht. Das gilt auch bei jedem Schwangerschaftsabbruch, egal ob medikamentös oder chirurgisch vorgenommen. Es fehlen jedoch evidenzbasierte Daten über die Notwendigkeit dieses Vorgehens beim spontanen Abortus sowie beim induzierten Abbruch in der Frühschwangerschaft (Fiala et al. 2003). Die Gabe von Anti-D-Immunglobulin muss innerhalb von 72 h erfolgen, bei Versäumnis soll nachgeimpft werden. Ausnahmen sind nur rhesusnegative Frauen, bei denen Rhesusantikörper vorhanden sind. Bei fetalem negativem Rhesusfaktor, der auch aus dem maternalen Plasma bestimmt werden kann, muss keine Prophylaxe durchgeführt werden (Müller et al. 2008). Tipp Die Verabreichung von 300 μg=1500 IE reicht aus, um etwa 30 ml fetomaternale Transfusion abzufangen. Das ist in den meisten Fällen mehr als das gesamte fetale Blutvolumen (8. Woche = 0,3 ml, 12. Woche = 4,2 ml).
Die Patientin ist mündlich und schriftlich über die Rhesusprophlaxe zu informieren. Seit Abbrüche sehr früh und teilweise sogar zu einem Zeitpunkt durchgeführt werden, an dem noch keine fetale Herzaktivität nachweisbar ist, stellt sich die Frage, ob die Gabe von Rh-Immunglobulinen bei rhesusnegativen Frauen notwendig ist, zumal es sich um Proteine humanen Ursprungs handelt und
Therapeutische Aspekte
HCG-Verlauf Der Normalwert des Serumspiegels von β-HCG ist sehr großen Schwankungen unterworfen: von 0 bei der nicht schwangeren Frau bis zu 200.000 mIU/ml im 1. Trimenon. Sehr ausgeprägt sind auch die individuellen Schwankungen, was eine Bestimmung des Gestationsalters sehr ungenau macht. Am Beginn einer normalen Schwangerschaft verdoppelt sich der Serumspiegel etwa alle 2 Tage und fällt nach Beendigung einer Schwangerschaft beinahe ebenso rasch wieder ab (Steier et al. 1984; . Abb. 5.5). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die vollständige Ausscheidung des β-HCG von einem sehr hohen Wert bis zu einem Monat dauern kann, d. h. die handelsüblichen Harntests geben vor dieser Zeit oft noch ein positives Ergebnis (Fiala 2003). Die Unterscheidung, ob es sich dabei um ein Rest β-HCG handelt oder um eine neuerliche Schwangerschaft, ist nur durch eine Verlaufskontrolle zu klären.
. Abb. 5.5. Verlauf des β-HCG nach einem Abbruch: Abbruch mittels Vakuumaspiration (durchgezogen), Vakuumaspiration nach Spontanabort (gestrichelt), chirurgische Entfernung einer Extrauteringravidität (gepunktet)
65 5.1 · Schwangerschaftsabbruch
mit der Gewinnung erhebliche Kosten verbunden sind. Zu dieser Frage gibt es nur wenige Untersuchungen, und es existiert keine sichere Erkenntnis über die Notwendigkeit der Gabe von Rh-Immunglobulinen in der Frühschwangerschaft. In jedem Fall ist die häufig applizierte Dosis von 250–300 μg bis zur 9. Woche p.m. mindestens um den Faktor 30 zu hoch, und dies sogar dann, wenn die ganze Menge an fetalen Erythrozyten in den maternellen Kreislauf übergetreten wäre und neutralisiert werden müsste.
Einige Daten 4 Die Blutgruppe rhesusnegativ ist ein kaukasisches Merkmal. Die Häufigkeit liegt in Europa bei etwa 15%, in Afrika und Asien praktisch bei 0. 4 Die Gesamtmenge an fetalem Blut in der 12. Woche p.m. wurde in einer Studie mit 4,2 ml angegeben. Aufgrund dieser Studie wird die Menge in der 8. Woche auf 0,3 ml geschätzt. 4 Etwa 70% aller rhesusnegativen Frauen entwickeln Antikörper gegen Rhesus nach einer einmaligen Exposition von etwa 0,5 ml. Die übrigen Frauen sind durch eine AB0-Diskordanz geschützt bzw. sind sog. »Nonresponder«. 4 Die fetalen Erythrozyten waren in der einzigen diesbezüglichen Studie bereits am 52. Tag p.m. antigen wirksam (Bergström et al. 1967). 4 Zuverlässige Untersuchungen darüber, wie oft und wie viel fetales Blut nach einem medikamentösen Abbruch in den mütterlichen Blutkreislauf übertritt, gibt es nicht. Auch gibt es keine Studien, welche das Risiko einer Rhesussensibilisierung generell nach einem Abbruch in der Frühschwangerschaft oder nach einem medikamentösen Abbruch untersucht hätten. 4 Fast alle Gesundheitsbehörden und -organisationen empfehlen undifferenziert und ohne unteres Gestationslimit die Gabe von Rh-Immunglobulinen. 4 Es werden meist 250–300 μg injiziert; damit können 30 ml fetales Blut im Kreislauf der Frau neutralisiert werden.
gender Grund, mit dem Beginn der Behandlung zu warten. Der große Vorteil des medikamentösen Abbruchs liegt ja gerade in der Möglichkeit einer sehr frühen Behandlung mit geringen Nebenwirkungen. Anstatt die Patientin nach einer Woche wieder einzubestellen und in der Zwischenzeit nichts zu tun, kann Mifegyne verabreicht werden, wenn vorher ein vaginaler Ultraschall und eine Blutabnahme zur Bestimmung von βHCG erfolgte. Nach einer Woche kommt die Patientin zur Kontrolle des β-HCG-Wertes. Wenn dieser deutlich abgefallen ist (auf <20% des Ausgangswertes), ist die Schwangerschaft beendet und eine persistierende extrauterine Schwangerschaft ausgeschlossen. In jedem anderen Fall richten sich die medizinischen Maßnahmen nach dem klinischen Befund. Das gleiche Vorgehen kann auch beim chirurgischen Abbruch gewählt werden. Auch hier ist der sehr frühe Abbruch von Vorteil und ein Zuwarten ohne Benefit. Die EUG ist ein seltenes Ereignis, das unentdeckt sehr lebensbedrohliche Folgen haben kann. Die genannte Vorgehensweise ist ein geeignetes Verfahren, um eine EUG auszuschließen bzw. eine frühzeitige Diagnose sicherzustellen (Schaff et al. 2001; Fiala et al. 2003).
Kontrazeption nach einem Abbruch
Weitere Informationen finden sich in 7 Kap. 22.
Etwa 2 Tage nach dem Abbruch sollte die Patientin nichts vaginal einführen bzw. nicht schwimmen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass nach dieser Zeit ein erhöhtes Risiko für Infektionen besteht (Hänel 2002). Weiterhin ist unbedingt die Notwendigkeit einer sofortigen Kontrazeption zu besprechen und nach Möglichkeit unmittelbar nach dem Abbruch zu beginnen, insbesondere weil die vorliegende Schwangerschaft die Fruchtbarkeit bei der Patientin bestätigt, Ein komplikationsloser Abbruch hat keine negativen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit. Bereits 10–14 Tage nach dem Abbruch kann es zu der nächsten Ovulation und damit zu einer neuerlichen Schwangerschaft kommen. Hormonelle Kontrazeptiva sollten bereits am Tag nach dem Abbruch begonnen werden bzw. beim medikamentösen Abbruch am Tag nach der Einnahme des Prostaglandins. IUD bzw. IUS (»intrauterine system« mit einem gestagenhaltigen Hormondepot) können im 1. Trimenon im Rahmen des chirurgischen Abbruchs gelegt werden. Bei einem medikamentösen Abbruch bzw. im 2. Trimenon sollte das Legen eines IUD erst bei der folgenden Menstruation erfolgen.
Sehr frühe Schwangerschaften (<6. Woche)
Antibiotika
Der große Vorteil des medikamentösen Abbruchs liegt in der Möglichkeit einer sehr frühen Behandlung. Die Nebenwirkungen, wie Schmerzen und Blutung, sowie die psychische Belastung sind tendenziell umso geringer, je früher der Abbruch durchgeführt wird. Die Lokalisation einer Schwangerschaft ist vor dem Auftreten eines Dottersacks (etwa ab 5½ Wochen Amenorrhö) bzw. dem Nachweis einer Herzaktivität nicht sicher zu diagnostizieren. Da Mifegyne bei einer extrauterinen Schwangerschaft (EUG) wirkungslos bleibt, ist diese wichtige Differenzialdiagnose bei Vorliegen einer sehr frühen Schwangerschaft zu berücksichtigen und die Patientin diesbezüglich aufzuklären. Allerdings ist eine sehr frühe Schwangerschaft kein zwin-
Sowohl beim korrekt durchgeführten chirurgischen Abbruch als auch beim medikamentösen Abbruch ist das Infektionsrisiko sehr gering. Es ist allerdings wichtig, vorbestehende genitale Infektionen zu erkennen und zu behandeln. Beim medikamentösen Abbruch ist das Risiko vergleichbar mit einem Spontanabgang einer Schwangerschaft. Bezüglich einer Antibiotikagabe ist zu unterscheiden, ob diese routinemäßig für alle Patientinnen verschrieben wird oder nur, wenn die vorhergehende Untersuchung einen Verdacht oder die Diagnose einer Infektion ergeben hat. Die Entscheidung ist abhängig von kulturellen Faktoren, wirtschaftlichen Überlegungen und der Prävalenz von Infektionen in einer gegebenen Population.
5
66 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
Eine routinemäßige Antibiotikagabe ist finanziell günstiger, wird aber nicht überall akzeptiert. Demgegenüber respektiert eine Behandlung nur bei Vorliegen einer konkreten Diagnose die einzelne Patientin und erhöht die Compliance, ist aber wegen der notwendigen Untersuchungen teurer und nicht überall finanziell machbar (RCOG 2004).
5.2
5
Methoden des Abbruchs
Seit der Legalisierung des Abbruchs wurde der Abbruch immer früher durchgeführt, und die Methoden wurden deutlich verbessert. Die heute angewendeten Methoden sind sehr sicher, wirksam und arm an Nebenwirkungen. Früher häufig angewendet wurden (Riddle 1998; Stubblefield et al. 2004): 4 Instillation hypertoner Salzlauge in das Fruchtwasser, 4 Instillation von Ethacryidine lactate (Rivanol) ins Fruchtwasser oder extraamniotisch, 4 Prostaglandin F2α und E2: parenteral, in das Fruchtwasser oder extraamniotisch, 4 Oxytozin i.v. oder i.m., 4 Kürettage mittels Metallkürette. Die Nachteile dieser Methoden waren Notwendigkeit der Punktion der Fruchtblase, langes Intervall zwischen Induktion und Ausstoßung, Nachkürettage bei den medikamentöse Methoden sowie Notwendigkeit einer Hospitalisation. Ferner kam es häufig zu teilweise schweren Nebenwirkungen (Bygdeman 1983, 2008; Cates et al. 1978). Heute kommen im Wesentlichen der chirurgische und der medikamentöse Abbruch zum Einsatz (. Abb. 5.6; nach
. Abb. 5.6. Methoden des Schwangerschaftsabbruchs
WHO). Bei der Auswahl der besten Methode sind u. a. folgende Faktoren ausschlaggebend: 4 Anamnese und Präferenzen der Patientin, 4 Gestationsalter, 4 Erfahrung und klinische Beurteilung des behandelnden Arztes, 4 Verfügbarkeit von Ressourcen und Infrastruktur. Ob der Abbruch chirurgisch oder medikamentös durchgeführt wird, ist regional unterschiedlich, hängt auch stark ab von Traditionen, ärztlicher Erfahrung und Zugangsmöglichkeiten zu neuen Medikamenten und oft weniger von evidenzbasierten Erfahrungen. Keine Methoden des Abbruchs sind: 4 »Pille danach«/Notfallkontrazeption (Levonorgestrel oder Mifepriston): Diese führt, rechtzeitig eingenommen, zu einer Unterdrückung oder Verschiebung des LH-Peaks und somit der Ovulation. Wird das Präparat erst nach dem Eisprung eingenommen, hat es keine nachweisbare Wirkung mehr. Insbesondere konnte kein Einfluss auf die Nidation beobachtet werden (Gemzell et al. 2004). 4 IUD (Intrauterinpessar, engl. »intrauterine device«, umgangssprachlich auch Spirale): Früher bestanden IUD nur aus einem feinen Plastikgestell, z. B. Lippes Loop, Dana. Dieses verhinderte lediglich die Einnistung einer befruchteten Eizelle. Im Jahr 1969 entdeckte der Chilene Zipper, dass bereits geringste Mengen Kupfer die Spermien befruchtungsunfähig machen und somit die Wirksamkeit von Spiralen erhöhen. Aufgrund dieser Wirkungsweise werden mit den intrauterinen »Kupferspiralen« auch extrauterine Schwangerschaften verhindert. Seitdem enthalten alle IUD eine geringe Menge Kupfer (Zipper et al. 1969).
67 5.2 · Methoden des Abbruchs
5.2.1
Chirurgischer Abbruch
Folgende Vorteile ergeben sich: 4 Bereits leicht geöffnete Zervix, nur geringe weitere Dila-
Beim chirurgischen Abbruch bis zur 14. Gestationswoche wird die Schwangerschaft unter Lokalanästhesie oder einer kurzen Vollnarkose mit einem dünnen Plastikröhrchen abgesaugt.
Lokalanästhesie (LA) oder Vollnarkose (VN) Im Verlauf des Eingriffs sind folgende Handlungen mit Schmerzen verbunden: 4 Anhaken der Zervix mit der Kugelzange, 4 Dilatation der Zervix, 4 Kürettage (sofern diese durchgeführt wird), 4 Uteruskontraktionen während und nach dem Absaugen. Eine LA hat die geringste Rate an Komplikationen und ist sehr gut durchführbar, sofern die Patientin dies wünscht, kooperativ ist und der durchführende Arzt darin Erfahrung hat. Auch die Zufriedenheit der Patientinnen ist damit sehr hoch. Vor der Applikation sind selbstverständlich eventuelle allergische Reaktionen auf Lokalanästhetika in der Anamnese (z. B. beim Zahnarzt) auszuschließen. Zur Durchführung wird eine geringe Menge eines Lokalanästhetikums (ca. 5 ml Scandicain oder Xylocain 1%) in den Bereich des inneren und äußeren Muttermunds bei 3, 6, 9 und 12 Uhr gespritzt (intrazervikale Methode). Häufig wird auch ein Depot (bis zu jeweils 10 ml) parazervikal bei 3 und 9 Uhr injiziert. Bei der parazervikalen Methode ist zu berücksichtigen, dass es häufig zu einer intravasalen Applikation kommt. Vorsichtsmaßnahmen für eventuelle akute Reaktionen (kardial, zerebral) sind zu treffen (Cesbron et al. 1999; Paul et al. 2009). Bei der Vollnarkose ist zu berücksichtigen, dass der Eingriff nur kurz (ca. 3–5 min) dauert. Somit können sehr kurz wirksame Präparate zur Anwendung kommen. Für die Anästhesie hat sich Propofol i.v. als Standard etabliert. Es ist nicht nur sehr gut verträglich, sondern die Narkose lässt sich damit sehr gut steuern und bei Bedarf problemlos verlängern. Für die Analgesie ist Alfentanil (Rapifen) ideal. Häufig wird auch das etwas länger wirksame Fentanyl verwendet. In jedem Fall kann die Vollnarkose sehr oberflächlich bleiben, und häufig ist keine Beatmung notwendig. Nach der Narkose wachen die Patientinnen meist rasch auf und können etwa nach 1 h beschwerdefrei entlassen werden.
Priming und Dilatation der Zervix Der risikoreichste und mitunter auch schwierigste Teil des Eingriffs ist die Dilatation der Zervix. Insbesondere bei folgenden Situationen hat sich die medikamentöse Vorbereitung, das Zervixpriming, als sehr hilfreich erwiesen und ist inzwischen auch als Standard etabliert: 4 Nullipara, 4 Zustand nach Konisation, 4 starke Ante- oder Retroflexion, 4 bei schwieriger Dilatation in der Anamnese, 4 im späten 1. Trimenon oder 4 bei Durchführung in Lokalanästhesie (RCOG 2004; Fiala et al. 2007).
tation notwendig, diese ist sicherer (reduziertes Risiko der Perforation), schmerzärmer (Narkose kann oberflächlicher gesteuert werden) und rascher. 4 Besseres Fundusgefühl mit der Saugkanüle aufgrund des leicht kontrahierten Myometriums, dadurch reduziertes Perforationsrisiko in diesem Bereich. 4 Reduzierung des Blutverlusts aufgrund des kontrahierten Myometriums. 4 Geringere Dosierung uterotoner Medikamente intraoperativ und dadurch weniger Schmerzen in der postoperativen Phase. Infrage kommen 2 Präparate: das Prostaglandin Misoprostol (Cytotec/Cyprostol) oder der Progesteronantagonist Mifepriston (Mifegyne). Im englischen Sprachraum sind auch osmotische Dilatatoren (Laminaria/Lamicel) weit verbreitet. Diese haben jedoch einige Nachteile im Vergleich zu dem medikamentösen Priming und sind deshalb in Europa kaum in Gebrauch. Je nach Situation und notwendiger Dilatation ist entweder Misoprostol ausreichend (2 Tbl. vaginal mind. 3 h vor dem Eingriff appliziert oder sublingual 1 h vorher; jeweils kombiniert mit einem nichtsteroidalen Antiphlogistikum zur Prophylaxe schmerzhafter Uteruskontraktionen). Ein Priming mit Mifegyne empfiehlt sich, wenn eine weitere Dilatation notwendig ist sowie bei Zustand nach Konisation, Fehlbildungen, schwieriger Kürettage in der Vergangenheit etc. Hierbei wird Mifegyne am Vortag oral eingenommen. Dies ist vollkommen schmerzfrei. Allerdings sollte unmittelbar vor dem Eingriff (etwa 30 min) noch eine geringe Dosis Misoprostol gegeben werden, um eine Kontraktion des Myometriums während des Eingriffs zu gewährleisten. Tipp Die Dilatation der Zervix sollte mit konischen Dilatatoren durchgeführt werden, z. B. Denniston, Pratt, HawkinAmbler. Diese haben deutliche Vorteile gegenüber den parallel geformten Hegar-Dilatatoren (Hulka et al. 1974; . Abb. 5.7, 5.8).
Obwohl diese Evidenz seit langem bekannt ist, sind Hegar-Dilatatoren nach wie vor weit verbreitet. Die Dilatation mit konisch geformten Dilatatoren ist mit weniger Kraftaufwand möglich und wesentlich besser dosierbar, womit weniger Schmerzen induziert werden. Auch ist das Aufdehnen mit einer geringeren Anzahl an Dilatatoren möglich, wodurch das Infektionsrisiko reduziert wird. Gelegentlich stößt man bei der Dilatation auf einen Widerstand, der initial oft nicht erklärbar ist. Hier hat es sich bewährt, die Dilatation bis zum Widerstand auf etwa 9–12 mm weiterzuführen und danach mit einem kleineren Dilatator nochmals vorsichtig den Widerstand zu überwinden. Idealerweise sollte eine schwierige Dilatation immer unter Kontrolle mittels abdominalem Ultraschall erfolgen.
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68 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
. Abb. 5.9. Form der Saugkanüle. (Mit frdl. Genehmigung von Gynmed Ambulatorium, Wien)
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. Abb. 5.7. Konischer Dilatator im Vergleich zu Hegar. (Mit frdl. Genehmigung von Gynmed Ambulatorium, Wien)
schaftswochen. Die Zervix sollte bis auf diesen Durchmesser aufgedehnt werden. Nach Einführen der Kanüle werden 10–20 rotierende Bewegungen durchgeführt, bis das Kavum weitgehend leer ist (. Abb. 5.10). Ein Vorschieben und Zurückziehen sollte auf das Ende des Eingriffs sowie auf ein Minimum beschränkt werden und keinesfalls rasch erfolgen, um das Perforationsrisiko zu minimieren. Die Gabe von Uterotonika kann der individuellen Notwendigkeit nach erfolgen. Sie ist häufig nicht notwendig, sofern die Patientin ein Zervixpriming hatte oder der Eingriff in LA durchgeführt wurde. Eine routinemäßige Nachküretage mit einer Metallkürette ist nicht indiziert (RCOG 2004).
Dilatation und Evakuation (D & E) Bei medizinisch indizierten Abbrüchen nach der 14. SSW ist eine Absaugung aufgrund der Größe des Fetus nicht mehr möglich. Bei der D & E genannten Methode wird der Fetus mittels einer Fasszange in Teilen entfernt, gefolgt von einer Nachkürettage. Weiteres in 7 Kap. 5.3 (»Spätabbruch im 2. und 3. Trimenon«).
Kontrolluntersuchung . Abb. 5.8. Dilatation der Zervix mit einem Pratt- bzw. DennistonDilatator. Der Operatur hält den Dilatator in der Mitte und vermeidet eine Berührung an den Enden, die in das Kavum eingeführt werden (»No-touch-Technik«). Der Ringfinger und der kleine Finger sind am Becken abgestützt, um ein schnelles und unkontrolliertes Einführen des Dilatators zu vermeiden, sobald sich der innere Muttermund öffnet. (Aus: Paul et al. 2009; mit frdl. Genehmigung von Wiley-Blackwell)
Aspiration Die Absaugung ist bereits sehr früh möglich (sobald ein positiver HCG-Test vorliegt) und kann bis etwa zur 14. SSW sicher durchgeführt werden. Sie erfolgt standardmäßig mit sterilen Einmalsaugern aus transparentem Plastik (. Abb. 5.9). Diese sollten so geformt sein, dass an der Spitze eine möglichst große Öffnung besteht. Die Öffnung sollte am Ende eine Kante aufweisen, mit der das Gewebe vom Myometrium abgeschabt werden kann. Im 1. Trimenon entspricht der Außendurchmesser der Saugkanüle in etwa der Anzahl an Schwanger-
Gegen Ende des Absaugvorgangs sollte routinemäßig eine abdominale Ultraschallkontrolle durchgeführt werden. Dabei hält die Assistenz den Schallkopf auf den Unterbauch, während der Operateur noch operationsbereit ist. Es wird das gesamte Kavum in 2 Ebenen (vertikal und horizontal) dargestellt, um das Verbleiben von Endometriumresten oder gar der Schwangerschaft auszuschließen. Dabei ist insbesondere zu achten auf die Tubenwinkel sowie das Kavum bei Vorliegen von intrakavitären Myomen, Uterusseptus oder Uterus bicornis. > Aus forensischen Gründen empfiehlt es sich, ein Photo des strichförmigen Kavums in der Krankengeschichte aufzubewahren (. Abb. 5.11).
Die sichere Beurteilung eines leeren Kavums mittels Ultraschall ist lediglich unmittelbar nach der Absaugung möglich. Im Anschluss an eine Kürettage kommt es häufig zu (normalen) intrakavitären Blutungen, die bereits kurze Zeit nach dem Abbruch mittels Ultraschall nicht sicher von Residuen zu unterscheiden sind.
69 5.2 · Methoden des Abbruchs
. Abb. 5.10. Die Absaugung erfolgt mit rotierender Bewegung. (Aus Paul et al. 2009; mit frdl. Genehmigung von Wiley-Blackwell)
Für eine routinemäßige ärztliche Kontrolle einige Tage oder Wochen nach einem Abbruch gibt es keine Notwendigkeit. Zum einen sind Komplikationen äußerst selten. Zum anderen haben Komplikationen einen typischen Zeitverlauf, der nicht identisch ist mit dem Zeitintervall einer Routinekontrolle. Für die Zeit nach dem Abbruch ist die (weitere) kontinuierliche Anwendung einer sicheren Kontrazeption sicherzustellen.
5.2.2
Medikamentöser Abbruch
Hierzu wird der Progesteronantagonist Mifepriston (Mifegyne) – meist kombiniert mit einem Prostaglandin, meist Misoprostol (Cytotec/Cyprostol) – eingesetzt (Fiala et al. 2006). Wenn kein Mifepriston verfügbar ist, kann ein Abbruch auch lediglich mit einer wiederholten Gabe von Prostaglandinen durchgeführt werden. Dieser dauert jedoch länger und ist mit signifikant mehr Schmerzen verbunden als die Kombinationstherapie. In manchen Ländern, in denen Mifegyne nicht verfügbar ist, wird gelegentlich auch das Chemotherapeutikum Methotrexat eingesetzt. Es beendet in einer geringen Dosierung die Schwangerschaft ohne signifikante Nebenwirkungen. Danach wird ein Prostglandin gegeben, um Uteruskontraktionen und damit die Ausstoßung zu induzieren.
Historischer Abriss
a
b . Abb. 5.11a, b. Strichförmiges Kavum unmittelbar nach der Absaugung (a). Kavum bei der gleichen Patientin nach 10 Tagen mit 17-mm-Kavum (b). (Mit frdl. Genehmigung von Gynmed Ambulatorium, Wien)
Die Kombination von Mifepriston (Handelsname Mifegyne, früher auch als RU 486 bezeichnet) mit einem Prostaglandin wurde bereits 1988 in Frankreich zugelassen. Kurz darauf erfolgte die Einführung in Großbritannien (1991) sowie in Schweden und China (1992). Seit Januar 1999 wird Mifegyne mit einer Einfuhrgenehmigung in Österreich angewendet. Ende 1999 erfolgte die Zulassung in den meisten anderen westeuropäischen Ländern, u. a. in Deutschland, sowie den USA. In Portugal wurde Mifegyne einige Monate nach der Legalisierung des Abbruchs im Sommer 2007 zugelassen. Die Zulassung in Italien wurde 2009 realisiert. Für Irland wurde sie nicht beantragt, da der Abbruch dort verboten ist (Fiala u. Gemzell-Danielsson 2006; . Abb. 5.11). Weltweit ist der Wirkstoff Mifepriston inzwischen in mehr als 31 Ländern für 3 Indikationen zugelassen: 4 medikamentöser Abbruch bis zum 63. Tag Amenorrhö, 4 Spätabbruch aufgrund einer medizinischen Indikation, 4 Zervixpriming vor einem transzervikalen Eingriff. > Im Jahr 2005 wurde die Kombinationstherapie Mifepriston und Misoprostol von der WHO in die List of Essential Drugs aufgenommen.
5
70 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5
. Abb. 5.12. Historischer Abriss Mifepriston (RU 486)
Wirkungsweise Mifepriston ist ein Norethisteronderivat und blockiert kompetitiv reversibel die Progesteronrezeptoren (. Abb. 5.12). Es besitzt dabei eine 5- bis 8fach höhere Affinität als Progesteron. Durch die Blockade der Progesteronwirkung wird ein Abbruch ausgelöst. Klinisch ähnelt der medikamentöse Abbruch mit Mifegyne einem Spontanabort aufgrund einer Corpusluteum-Insuffizienz und ist von diesem nicht zu unterscheiden. Von der Wirkungsweise und der klinischen Symptomatik handelt es sich um einen Antiglukokortikoideffekt (3fach höhere Affinität zum Glukokortikoidrezeptor als Dexametason). Dieser ist jedoch im Normalfall ohne klinische Bedeutung. Mifepriston führt ferner zu einer Sensibilisierung des Myometriums für Prostaglandine. Dieser Effekt ist nach 36–48 h maximal ausgeprägt. Dadurch können Prostaglandine wesentlich niedriger dosiert und die Rate an Nebenwirkungen deutlich gesenkt werden.
Das früher gelegentlich angewendete Gemeprost (Cergem) weist deutlich mehr Nebenwirkungen auf und ist wesentlich teurer als Misoprostol. Deshalb wird es heute kaum noch bei dieser Indikation eingesetzt und findet sich nicht mehr in evidenzbasierten Leitlinien.
Ablauf der Behandlung Mifepriston öffnet sehr wirksam den Muttermund, führt aber selbst zu keinen wirksamen Kontraktionen. Es wird deshalb für den medikamentösen Abbruch immer mit einem Prostaglandin kombiniert. Hier hat sich Misoprostol (Cytotec/ Cyprostol), ein sehr gut verträgliches E1-Prostaglandin, als das Präparat der Wahl etabliert. In der Frühschwangerschaft genügt meist eine einzige Applikation von Misoprostol. Beim Spätabbruch wird dieses wiederholt gegeben bis zur Ausstoßung. In . Tab. 5.1 ist die Pharmakokinetik von Mifepriston und Misoprostol dargestellt, . Abb. 5.14 und 5.15 zeigen den Ablauf des medikamentösen Abbruchs. Es besteht eine gewisse zeitliche Variabilität bei der Ausstoßung des Fruchtsacks (. Abb. 5.16; Originaldaten in New Engl J Med 1998: 338, 18: 1241).
. Abb. 5.13. Wirkungsweise von Mifegyne
71 5.3 · Spätabbruch im 2. und 3. Trimenon
. Tab. 5.1. Evidenzbasierte Therapieempfehlungen für den medikamentösen Abbruch im 1. Trimenon
Gest. Limit
MifegyneDosis [mg]
Prostaglandin
Dosis/ Applikation
Bis 49 Tage
600
Misoprostol
400μg/ 2 Tabl. oralª
Bis 63 Tage
600 oder 200
Misoprostol
800μg/ 2 Tabl. vaginalª
ª Falls es 3 h nach der Gabe des Prostaglandins nicht zu einer Blutung, vergleichbar mit dem ersten Tag der Menstruation gekommen ist, sollte eine zweite Dosis von 400μg/2 Tabl. Misoprostol oral genommen werden.
5.3
Spätabbruch im 2. und 3. Trimenon
5.3.1
Gesetzliche Grundlage
In fast allen Ländern gilt eine Indikationslösung für Spätabbrüche. Wenn die Gesundheit der Frau oder ihr Leben gefährdet sind oder eine schwere Fehlbildung des Fetus vorliegt, ist ein Abbruch auch im späteren Verlauf der Schwangerschaft legal. (Lediglich in Deutschland wurde die fetale Indikation 1995 abgeschafft. Seither werden alle Spätabbrüche, bei denen eine schwere Fehlbildung oder fetale Pathologie vorliegt, offiziell aufgrund einer unzumutbaren psychischen Belastung der Frau durchgeführt.) Bei der medizinischen Indikation gibt es kein oberes Gestationslimit. Wenn das Leben der schwangeren Frau gefährdet ist, verbietet sich jede Diskussion über eine Frist zum Abbruch. Aber auch bei schwersten Fehlbildungen eines Fetus, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, ist eine gesetzlich definierte Frist nicht denkbar, da man eine Frau nicht zwingen kann, eine Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen, wenn das Kind auf jeden Fall nach der Geburt stirbt.
a
b
. Abb. 5.15a–c. Ultraschall im Verlauf des medikamentösen Abbruchs in der 6. SSW. a Tag 1: β-HCG 32.000, Fruchtsack 21 mm, Dottersack darstellbar. b Tag 3: Fruchtsack ausgestoßen. c Tag 8: Endo-
. Abb. 5.14. Ablauf des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs
Ferner ist in Österreich ein Spätabbruch auch legal, wenn die schwangere Frau zum Zeitpunkt der Befruchtung jünger als 14 Jahre alt war. In der Praxis stellt die mögliche Lebensfähigkeit des Fetus, derzeit etwa um die 23./25. SSW, jedoch einen signifikanten Einschnitt dar (Tews u. Tews 2000). Neben der extrauterinen Lebensfähigkeit des Fetus muss aber auch das Risiko für schwere bleibende Behinderungen berücksichtigt werden. Deshalb variiert diese wichtige zeitliche Grenze in verschiedenen Ländern, nicht zuletzt wegen religiöser oder kultureller Unterschiede (Cuttini et al. 2000). Nach dem Zeitpunkt der Lebensfähigkeit besteht die Möglichkeit einer Entbindung eines lebensfähigen Kindes durch Weheneinleitung oder Sectio, falls eine rasche Beendigung der Schwangerschaft notwendig ist. Ein Abbruch nach diesem Zeitpunkt wird nur noch in speziellen Situationen vorgenommen, wie etwa bei Vorliegen einer schweren Entwicklungsstörung, die mit einem Überleben nach der Geburt nicht vereinbar ist.
c metrium 12 mm, β-HCG 837. (Mit frdl. Genehmigung von Gynmed Ambulatorium, Wien)
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72 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5
. Abb. 5.16. Zeitliche Variabilität der Ausstoßung des Fruchtsacks beim medikamentösen Abbruch. Dargestellt ist die Zeit bis zur Ausstoßung des Fruchtsacks bei 1720 Frauen mit vollständigem Schwangerschaftsabbruch. Die Frauen erhielten bei ihrem 1. Besuch Mifepriston und 2 Tage später Misopristol (unsicher = Ausstoßung innerhalb der ersten 24 h nach Gabe von Misoprostol, genauer Zeitpunkt nicht bekannt; unbekannt = Ausstoßung nach >24 h nach Gabe von Misoprostol, genauer Zeitpunkt nicht bekannt). (Nach Spitz et al. 1998)
> Ab dem Zeitpunkt der potenziellen extrauterinen Lebensfähigkeit wird dem Fetus der moralische Status eines Patienten (McCullogh u. Chervenak 1994) zugebilligt, und er hat den gleichen Schutzanspruch mit den entsprechenden Rechten wie das Geborene.
Die Güterabwägung zwischen Frau und Fetus verschiebt sich im Vergleich zur Frühschwangerschaft deutlich zugunsten des Fetus [Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2002 (BGHZ 151/133)].
5.3.2
Wer entscheidet?
Die Einschätzung der gesundheitlichen Gefährdung der Frau bzw. einer schweren Fehlbildung des Fetus wird primär von den behandelnden Ärzten vorgenommen. Um die ärztliche Entscheidung nicht allein treffen zu müssen, wurden in dafür zuständigen Institutionen gelegentlich spezielle Gremien geschaffen, die fallbezogen nach Anhörung aller Beteiligten eine Vorgehensweise festlegen.
Kommt die betroffene Frau (bzw. das Paar) aufgrund der Informationen zu der Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen, so bleibt sie doch in vollem Ausmaß auf die Kooperation der behandelnden Ärzte angewiesen. Immer wieder kommt es in diesen Situationen dazu, dass die Frau (bzw. das Paar) sich zwar für einen Abbruch entscheidet, dies aber von den Ärzten im konkreten Fall abgelehnt wird, z. B. weil die Fehlbildung nach Ansicht der Ärzte nicht als »ausreichend« schwer angesehen wird. Besonders ausgeprägt ist dieser Konflikt, sobald das Überleben des Fetus möglich ist. Hier ist die Abwägung einer Geburtseinleitung oder eines Spätabbruchs oft schwer lösbar und stellt für alle Beteiligten eine starke Belastung dar (Beller 1996). In diesen Fällen fahren Frauen häufig in ein anderes Land, z. B. nach Holland, wobei etwa jede 5. Frau aus Deutschland einen Spätabbruch durchführen lässt (ca. 600 Frauen pro Jahr). Aus Österreich nehmen jedes Jahr etwa 100–200 Frauen aus unterschiedlichen Gründen die lange Reise nach Holland auf sich, weil sie in ihrem eigenen Land keine Möglichkeit für einen Abbruch gefunden haben.
5
73 5.3 · Spätabbruch im 2. und 3. Trimenon
5.3.3
Psychische Aspekte
Für die betroffene Frau bzw. das Paar ist die Diagnose einer schweren gesundheitlichen Gefährdung der Frau oder einer schweren Fehlbildung des Fetus eine außerordentliche Krisensituation. Ein psychischer Schockzustand ist besonders gekennzeichnet durch psychische Einengung und verminderte Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Deswegen sollte unmittelbar nach der Befundmitteilung eine professionelle Krisenintervention durch Psychologen erfolgen und eine psychologische Betreuung angeboten werden. Da es sich um eine gewollte Schwangerschaft handelt, ist die Situation nicht vergleichbar mit dem Abbruch einer ungewollten frühen Schwangerschaft. Der Frau bzw. dem Paar sollte nach der Diagnosemitteilung einige Tage Zeit gegeben werden, bevor über einen fälligen Spätabbruch entschieden wird. Insbesondere, wenn ein sehr später Abbruch, u. U. mit einem vorhergehenden Fetozid, durchgeführt wird, ist auf eine ausreichende Beratung und auf jeden Fall psychologische Betreuung zu achten. Auch die Möglichkeit des Austragens der Schwangerschaft sollte mit der Frau besprochen werden. Rückmeldungen von Frauen zeigen deutlich, dass die psychische Verarbeitung eines Abbruchs durch ein Abschiednehmen vom Kind (sehen, Kontakt haben, Segnung etc.) erleichtert wird. Selbstverständlich ist dies immer in Absprache mit der Frau zu entscheiden. Für Nichtbetroffene vielleicht schwer zu verstehen, erleben Frauen/Paare die Zeit, die sie mit ihrem Kind verbringen können, als sehr wertvoll. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass alle Frauen sowie ihre Partner Phantasien über eine mögliche Fehlbildung ihres Kindes oder die Auswirkungen dieser Fehlbildungen haben. Erfahrungsgemäß sind die Phantasien und Befürchtungen weit schlimmer als die Realität. Das Sehen bzw. In-den-Arm-Nehmen führt deshalb oft zu einer gewissen Erleichterung, weil damit Phantasien korrigiert werden und auch gesunde, »normale« Anteile des Kindes wahrgenommen werden können. (Sloan et al. 2008; Lothrop 2008). Deshalb sollte dies immer in einem respektvollen Rahmen angeboten werden, ggf. mit psychologischer Betreuung. Einige Wochen nach der Entlassung sollte der Patientin die Möglichkeit einer Nachbesprechung mit dem behandelnden Fachpersonal (Psychologe, Arzt, Hebamme, Krankenschwester) angeboten werden (Österreichische Gesellschaft für Prä-und Perinatalmedizin 2002; Rohde u. Woppen 2007).
5.3.4
Häufigkeit
Die Häufigkeit von Abbrüchen nach der 12. SSW ist in den meisten Ländern relativ gering und liegt bei 3–4% (. Tab. 5.2). Aus Deutschland ist der »Abtreibungstourismus« nach Holland relativ gut dokumentiert. Die offizielle Statistik für Holland für das Jahr 2004 gibt an, dass 1.156 Frauen aus Deutschland einen Abbruch in Holland durchführen ließen. Dabei waren mehr als die Hälfte >14. Woche. In der deutschen Statistik gab es für das gleiche Jahr 2.205 Abbrüche nach der
. Tab. 5.2. Anteil der Spätabbrüche an der Gesamtzahl an Abbrüchen in europäischen Ländern
Land
Anteil [%]
Bemerkungen
Dänemark
4
>12. Woche
Deutschland
2,5
>13. Woche (inkl. etwa 0,6% in Holland durchgeführt)
Finnland
6,1
>12. Woche
Holland
3,9
>13. Woche (nur in Holland wohnende Frauen)
Italien
2,3
>12. Woche
Norwegen
4,5
>12. Woche
Schweden
5,2
>12. Woche
Schweiz
4,1
>12. Woche
Die Originaldaten entstammen den nationalen Statistiken [Finland: National Research and Development Centre for Welfare and Health (STAKES) 2005, Deutschland: Bundesamt für Statistik (2007), Niederlande: Rutgers Nisso Groep (2004), Italien: Istituto Nazionale di Statistica (2003)].
13. Woche, welche alle aufgrund einer medizinischen Indikation durchgeführt wurden. Somit hatten im Jahr 2004 etwa 2.800 Frauen aus Deutschland einen Spätabbruch, wobei jedoch jede 5. Frau dafür nach Holland reisen musste (. Tab. 5.3). Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass die medizinische Versorgung von Frauen mit einem Spätabbruch in Deutschland mangelhaft ist.
. Tab. 5.3. Spätabbrüche Frauen aus Deutschland, durchgeführt in Holland und Deutschland
2004
2007
Abbrüche >13. Woche in Deutschland
2.205
2.302
Abbrüche bei Frauen aus Deutschland >13. Woche in Holland
ca. 600
ca. 600
Gesamt Anzahl Spätabbrüche
2.800
2.900
Die Originaldaten entstammen den nationalen Statistiken [Deutschland:Statistisches Bundesamt (2004) bzw. (2007), Niederlande: Rutgers Nisso Groep (2004), Inspectie voor de Gezondheidszorg (2007)].
74 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5.3.5
Fetozid
Aufgrund der verbesserten Diagnosemöglichkeiten und des frühen Schwangerenscreenings werden fetale Fehlbildungen heutzutage meistens sehr früh in der Schwangerschaft diagnostiziert, meist zwischen der 12. und 20. SSW. Gelegentlich wird jedoch eine schwere Fehlbildung oder fetale Pathologie erst im späten 2. Trimenon oder noch später festgestellt. Entscheidet sich die Frau in dieser Situation für einen Abbruch, so ist zu berücksichtigen, dass für den Fetus eine zumindest kurze Überlebensfähigkeit gegeben ist.
5
Tipp Ab der Geburt besteht jedoch eine Verpflichtung zur Reanimation bis hin zur intensivmedizinischen Intervention. Um eine solche Situation zu vermeiden, wird etwa ab der 21. SSW empfohlen, vor einem Abbruch einen Fetozid durchzuführen (RCOG 2004; Österreichische Gesellschaft für Prä- und Perinatalmedizin 2002).
mehr so fest an der Uteruswand. Dann werden Uteruskontraktionen mittels Prostaglandin ausgelöst. Idealerweise wird dafür Misoprostol (Cytotec/Cyprostol) angewendet (Gemzell Danielsson et al. 2008). In Ländern, in denen Mifegyne nicht auf dem Markt ist, wird der Spätabbruch nur mit Misoprostol durchgeführt. Dies ist jedoch mit deutlich mehr Nebenwirkungen und einer geringeren Wirksamkeit verbunden. Tipp Zu beachten ist beim Spätabbruch: 4 Bei Muttermundsbefund (Zervix offen für 2–3 Finger) ist die Gabe von Mifegyne nicht notwendig. Es kann gleich Misoprostol gegeben werden. 4 Bei Uterusnarbe sowie mit zunehmender Graviditätsdauer im späten 2. bzw. im 3. Trimenon muss das Prostaglandin bei den ersten Gaben wegen des Rupturrisikos reduziert werden.
Therapieschema Durchführung Der Fetozid und der anschließende Schwan-
gerschaftsabbruch werden stationär durchgeführt. Dabei wird unter transabdominaler Ultraschallsicht Kaliumchlorid entweder durch Punktion in das fetale Herz oder in die Nabelschnurvene in den fetalen Kreislauf eingebracht, was Erfahrung in ultraschallgeführter Punktion erfordert. Dies führt nach wenigen Augenblicken zum Sistieren der fetalen Herztätigkeit. Anschließend wird der Abbruch durchgeführt bzw. die Geburt eingeleitet. Der Fetozid als Eingriff ist für die Patientin mit wenig körperlichen Schmerzen oder Nebenwirkungen verbunden. > Allerdings stellt der Fetozid ein extrem belastendes und angstbesetztes Ereignis dar. Eine entsprechende psychologische Betreuung ist deshalb unverzichtbar.
5.3.6
Medikamentöser Abbruch
Früher wurde der medikamentöse Abbruch lediglich mit Prostaglandin oder Oxytozin durchgeführt. Dabei wurden Kontraktionen bei geschlossener Zervix induziert. Deshalb war dieses Vorgehen für die betroffenen Frauen häufig sehr schmerzhaft und langwierig. Die initiale Gabe von Mifegyne hat die Behandlung maßgeblich verbessert, weil Uterus und Zervix vorbereitet werden, bevor es zu Kontraktionen kommt. Durchführung Das therapeutische Prinzip des heute übli-
chen medikamentösen Abbruchs ist über den gesamten Verlauf der Schwangerschaft identisch: Mittels Mifegyne werden die Progesteronrezeptoren blockiert. Nach 1–2 Tagen ist die klinische Wirkung ausgeprägt: Der Muttermund ist weich und durch Kontraktionen leicht zu öffnen, das Myometrium ist für Prostaglandin sensibilisiert, und die Plazenta haftet nicht
4 Mifegyne: 600 mg als Einmaldosis p.o. (=3 Tbl.). Nach 24 h Beginn mit Cytotec/Cyprostol:
5 2. Trimenon (SSW 14–24): Cytotec/Cyprostol 400 μg p.o. (=2 Tbl.) alle 3–4 h bis zur Ausstoßung, nach der 3. Dosis eine Nacht Pause. 5 3. Trimenon (ab SSW 24): Cyprostol p.o., Beginn mit 50 μg (=1/4 Tbl.), alle 3–4 h Verdopplung der Dosis (maximale Dosis 400 μg), nach der 3. Dosis eine Nacht Pause. Bei fehlender Ausstoßung am nächsten Morgen Fortsetzung mit 400 μg und alle 3–4 h wiederholen.
Die meisten Frauen (etwa 60%) entbinden innerhalb eines Tages. Schmerzen sind in den meisten Fällen mit nichtsteroidalen Antiphlogistika oder Opioiden (Codein, Nalbuphin/Nubain) gut beherrschbar. Eine Epiduralanästhesie ist oft eine sinnvolle Ergänzung, gelegentlich wird auch ein Parazervikalblock angewandt (Fiala et al. 2005). Eine Nachkürettage ist selten und nur bei konkretem Verdacht auf Plazentareste notwendig (Überprüfung der Plazenta, Ultraschall). Eine routinemäßige Kürettage ist nicht indiziert (Bartley u. Baird 2002; Hamoda et al. 2005; Green et al. 2007)
5.3.7
Chirurgischer Abbruch (D & E)
Die Häufigkeit des chirurgischen Spätabbruchs ist in Europa seit der Einführung von Mifegyne stark zurückgegangen (Bygdeman u. Gemzell-Danielsson 2008). Eine Dilatation der Zervix mit nachfolgender instrumenteller Evakuation (D & E) wird in Europa dann durchgeführt, wenn eine Frau im Rahmen des »Abtreibungstourismus« weit gereist ist und unter Zeitdruck steht. Ferner ist die D & E in den USA weiterhin die Standardmethode.
75 5.4 · Anonyme Geburt
Dabei wird die Zervix medikamentös mittels Mifegyne oder einem Prostaglandin zunächst erweicht, sodass sie ohne große Mühe auf etwa 14–20 mm aufgedehnt werden kann. Alternativ dazu oder in Kombination werden in den USA auch osmotische Dilatatoren (Laminaria bzw. Dilapan) in die Zervix eingesetzt. Diese dehnen sich langsam innerhalb von einem Tag durch Ansaugen von Flüssigkeit auf. Danach wird der Fetus mittels einer langen Zange in Teilen aus der Gebärmutter entfernt. Die sichere Durchführung des chirurgischen Spätabbruchs setzt einen erfahrenen Operateur voraus. Durch die intraoperative Überwachung mit Ultraschall, die sich insbesondere für Ausbildungszwecke bewährt hat, konnte das Perforationsrisiko deutlich gesenkt werden (Darney u. Sweet 1989; Hammond u. Chasen 2009). Zu bedenken ist, dass die Frau sich bei dieser Methode nicht von ihrem Kind verabschieden kann, was die Verarbeitung möglicherweise schwerer macht.
5.3.8
Sectio
Bei fortgeschrittener Schwangerschaft äußern Patientinnen in seltenen Fällen den Wunsch nach einer Geburt durch Sectio. Dabei sollte zunächst abgeklärt werden, welche Überlegungen oder Ängste diesem Wunsch zugrunde liegen. Wenn die Patientin darauf besteht und für sich gute Gründe hat, sollte dem nach ausführlicher medizinischer und psychologischer Beratung entsprochen werden. Aus psychologischer Sicht kann die Operationsnarbe des Kaiserschnitts etwas Verbindendes sein, wenn die Frau bei der Geburt und beim Abschied sowie danach gut begleitet wurde. Andererseits kann die Narbe aber auch eine ständige Erinnerung an ein Trauma bedeuten.
5.3.10
Besondere Situationen
Voroperierter Uterus Eine zunehmende Rate an Sectioentbindungen und anderen Operationen am Uterus machen Abbrüche bei Frauen mit Voroperationen häufiger. In der Literatur gibt es widersprüchliche Angaben bezüglich des Risikos einer Uterusruptur bei Frauen mit vorherigen Operationen. Generell ist jedoch die Gabe von Mifegyne gerade bei diesen Frauen indiziert, um der Ausstoßung möglichst wenig Widerstand durch die Zervix entgegenzusetzen. Parallel dazu sollte die Gabe von Prostaglandin mit einer reduzierten Initialdosis erfolgen (RCOG 2004). Auch nach chirurgischen Eingriffen an der Portio wie Konisationen ist ein Spätabbruch sicher durchführbar (Borgatta et al. 2009).
Placenta praevia Mehrere Studien bestätigen, dass sowohl ein medikamentöser als auch ein chirurgischer Abbruch bei Placenta praevia sicher durchgeführt werden kann. Eine Studie zeigte einen etwas erhöhten intraoperativen Blutverlust (Thomas et al. 1994; Nakayama et al.2007).
Intrauteriner Fruchttod Wird die Diagnose eines intrauterinen Fruchttodes (IUFT) gestellt, stellt dies für die Patientin eine außerordentliche Krisensituation dar. Deshalb ist eine gewisse Zeit für die Verarbeitung der Situation unbedingt notwendig. Eine professionelle psychologische Betreuung sollte angeboten werden. Erst dann sollte über das weitere Vorgehen entschieden werden. Dabei ist ein geringes, mit der Zeit zunehmendes Risiko von Gerinnungskomplikationen zu berücksichtigen (Tempfer et al. 2009).
Hysterotomie und Hysterektomie 5.3.9
Nach einem Spätabbruch
Abstillen. Bei Schwangerschaften nach der 13. SSW sollte die Patientin mit Cabergoline (Dostinex; 2×1/2 Tbl. für 2 Tage) abgestillt werden. Zusätzlich wird die Einschränkung der aufgenommenen Flüssigkeitsmenge zur Reduktion der Milchproduktion empfohlen. Blutungen. Bei stärkeren Blutungen werden Uterotonika wie
Oxytozinkurzinfusionen oder Methylergometrinhydrogenmaleat (Methergin) zur besseren Uterusinvolution für die nächsten Tage verordnet.
Nach der Liberalisierung des Abbruchs wurde wegen mangelnder Erfahrung zunächst relativ häufig eine Hysterotomie, auch als Sectio parva bezeichnet, durchgeführt. Für die Hysterotomie als primäre Abbruchmethode gibt es heute keine Indikation. Eine Hysterektomie wird nur bei sehr seltenen und speziellen Uteruspathologien wie großen Myomen oder bei Zervixkarzinom durchgeführt. Für diese Eingriffe ist die Morbidität und Mortalität verglichen mit anderen Methoden deutlich erhöht (Stubblefield et al. 2004).
5.4
Anonyme Geburt
Antibiotikaprophylaxe. Antibiotika sollten beim chirur-
gischen Abbruch routinemäßig gegeben werden, beim medikamentösen Abbruch nur bei Diagnose oder Verdacht auf vorbestehende Infektionen.
Die anonyme Geburt wurde in Österreich 2001, nach sorgfältiger Analyse der bestehenden Regelungen und Realität in anderen Ländern, eingeführt (Erlass vom 27. Juli 2001 über Babynest und anonyme Geburt; www.justiz.gv.at/aktuelles/ download/erlass_babynest.pdf). Dabei wurde davon ausgegangen, dass das Verlangen einer Schwangeren nach einer anonymen Geburt als Notfall zu werten sei. Deshalb sollte diese generell angeboten werden, um Schlimmeres zu vermeiden, wie Suizid, Weglegung des Kindes, Infantizid etc.
5
76 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5
Auf gesetzgeberischer Seite wurde zunächst die Strafbarkeit der Kindesaussetzung geändert. Diese ist nur noch dann strafbar, wenn damit eine Gefährdung des Kindes verbunden ist. Eine Aussetzung beispielsweise in einem Krankenhaus, u. a. im Rahmen einer anonymen Geburt, hat für die Mutter keinerlei strafrechtliche Konsequenzen mehr. Juristisch wird das Kind in diesem Fall wie ein Findelkind behandelt. In der Folge wurden auch das Krankenanstalten- sowie das Hebammengesetz dahingehend geändert, dass bei einer Geburt keine Meldepflicht der Identität der Mutter mehr besteht. Bei der Einführung waren die Erfahrungen in Frankreich hilfreich. Dort ist die anonyme Geburt unter verschiedenen Gesetzgebungen und mit Unterbrechungen seit etwa 200 Jahren möglich bzw. es haben Frauen sogar einen Anspruch darauf (Bonnet 1992, 1996, 1999). Das Ergebnis ist insofern positiv, als Bestimmungen, die sich in anderen Ländern bewährt haben, übernommen wurden und Fehlentwicklungen vermieden werden konnten. Das Ergebnis stellt einen bestmöglichen Interessensausgleich zwischen den Bedürfnissen der Frau in einer Krisensituation und dem Kind dar. Besonders wichtig ist die sofortige Übernahme der Vormundschaft des Kindes durch das Jugendamt und die rasche Unterbringung bei Pflegeeltern, die auch die Adoptionseltern sein werden, sofern es dazu kommt und keine unvorhergesehene Entwicklung eintritt. Als wichtigste positive Auswirkung ging die Häufigkeit von Infantiziden seit der Einführung der anonymen Geburt um die Hälfte zurück (Klier et al. 2009). Mit der gegenwärtigen Regelung konnten Missstände vermieden werden, wie die häufige Unterbringung des Kindes in einem Heim in Frankreich. Demgegenüber ist die Situation in Deutschland und der Schweiz immer noch unklar. Einerseits ist die anonyme Geburt nicht erlaubt, andererseits gibt es einige Initiativen, die diese anbieten oder zumindest eine Babyklappe bereitgestellt haben. In Deutschland wurde im Koalitionsvertrag von 2005 eine Regelung in Aussicht gestellt: »Die Erfahrungen mit der Anonymen Geburt sollen ausgewertet und – soweit notwendig – gesetzliche Regelungen geschaffen werden« (Koalitionsvertrag vom 11.11.2005). Zu einer gesetzlichen Regelungen war es jedoch bis zur Neuwahl 2009 nicht gekommen. Demgegenüber hat der Nationalrat für die Schweiz im Mai 2009 eine gesetzliche Regelung explizit abgelehnt (Nationalratskommission 2009).
Parallelen zur Babyklappe In Österreich wurde die erste Babyklappe im Herbst 2000 in Wien eröffnet. Auf den ersten Blick haben beide Initiativen die gleiche Zielgruppe. Der bedeutende Unterschied liegt jedoch darin, dass Frauen ihr Kind erst dann in eine Babyklappe legen können, wenn sie die Schwangerschaft isoliert und unbetreut ausgetragen und die Geburt allein und ohne medizinische Überwachung überstanden haben. (Es ist unnötig zu sagen, dass eine Schwangerschaft und Geburt auch mit ernsthaften
Gefahren für Frau und Kind verbunden sein können.) Erst dann haben sie die Möglichkeit, das bisher nicht registrierte Kind in eine Babyklappe zu legen. Angesichts dieser Hürden ist nachvollziehbar, dass bisher nur sehr wenige Kinder in Babyklappen abgegeben wurden. Demgegenüber ist die anonyme Geburt, nach Möglichkeit in allen Krankenhäusern, ein Angebot, welches Frauen in dieser verzweifelten Situation respektiert, ihnen frühzeitig hilft und die Geburt in einem sicheren Rahmen ermöglicht. Auch für das Kind hat die anonyme Geburt wichtige Vorteile gegenüber einer Babyklappe, da es bereits vor und während der Geburt medizinisch betreut wird und nicht erst, wenn es diese überlebt hat. Warum entbinden Frauen anonym?
Studienbox Ergebnisse einer Studie von Dr. Catherine Bonnet, Frankreich: Ihre ersten Untersuchungen von 1986–1989 (Bonnet 1990) zeigten, dass die Gründe, die zum Verlassen des Kindes führen, im Wesentlichen psychologischer Natur sind. Die Frauen stellen ihre Schwangerschaft meist sehr spät fest – im 5. oder 6. Monat –, weil sie die Schwangerschaft an sich verdrängen, manchmal sogar bis zur Geburt. Diesem Verdrängen der Schwangerschaft liegt häufig eine erst kurz zurückliegende Gewalterfahrung zugrunde (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Inzest) oder eine Misshandlung in der Kindheit (körperlich, sexuell oder psychisch). Wenn die Frauen keine psychologische Betreuung erhalten, kann das Wahrnehmen der Schwangerschaft diese traumatischen Erfahrungen erneut in Erinnerung rufen. Die Folgen einer nicht verarbeiteten sexuellen Gewalterfahrung werden mit dem vermischt, was das ungeborene Kind darstellt, was das Entstehen einer Mutterbeziehung unmöglich macht. Einige dieser Frauen sind sich der Unmöglichkeit, das Kind zu lieben, bewusst. Sie können dem Kind lediglich das Leben geben und es Adoptiveltern anvertrauen, in der Hoffnung, es werde dort glücklich sein.
Gefahr einer tragischen Geburt Für den Fall, dass diese Frauen in der Schwangerschaft nicht betreut werden, ist die Gefahr einer tragischen Geburt groß. Meist sind sie während der Geburt allein außerhalb eines Krankenhauses, weil sie die Schwangerschaft verdrängt und in der Folge versteckt haben. Von Panik erfasst, lassen einige Frauen ihr Kind einfach an einem öffentlich zugänglichen Platz liegen. Andere werfen es in eine Mülltonne oder töten es gar. Diesen verzweifelten Frauen kann man am besten mit einer Betreuung während der Schwangerschaft helfen und somit auch die beste Lösung für das Kind suchen. Eine Lösung kann bedeuten, dass die Frau das Kind annimmt oder aber sie gibt es zur Adoption frei. Einige Frauen möchten es unter ihrem Namen anerkennen, andere möchten lieber anonym bleiben.
77 Literatur
Die Rechtslage in Frankreich Frankreich hat weltweit eines
Evidence based guidelines
der besten Modelle der Schwangerschaftsbetreuung. Darin ist die anonyme Geburt als eine Maßnahme zum Schutz der Kinder enthalten. Frankreich und Luxemburg sind derzeit die einzigen Länder, in welchen Frauen einen gesetzlichen Anspruch haben, zwischen der anonymen Geburt und der Anerkennung des Kindes frei zu wählen (das Recht auf eine anonyme Geburt wurde 1993 in das Zivilrecht aufgenommen). In anderen Ländern gibt es zumindest die Möglichkeit der anonymen Geburt, beispielsweise in Spanien, Italien und Kolumbien. Am 13. Februar 2003 hat auch der Europäische Gerichtshof die Notwendigkeit der anonymen Geburt vollinhaltlich bestätigt und in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention befunden (Grand Chamber Judgment in the Case of Odièvre v. France):
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The European Court of Human Rights has delivered at a public hearing today a judgment [fn] in the case of Odièvre v. France (application no. 42326/98). The European Court of Human Rights held: www.echr.coe.int/Eng/Press/2003/feb/ OdiËvreGCjudment13022003eng.htm.
Die bisher einzigen Studien über Anonyme Geburt stammen von Dr. Catherine Bonnet, einer Kinderpsychiaterin aus Frankreich. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sind in zwei Büchern zusammengefasst. Diese sind bisher leider nur auf Französisch erhältlich.
Literatur Ultraschall beim Schwangerschaftsabbruch Eine Trainings-CD zu Ultraschall beim Schwangerschaftsabbruch (. Abb. 5.17) ist zu bestellen bei: [
[email protected]]
Leitlinie zum Spätabbruch des AKH Wien www.abtreibung.at/fur-fachkrafte/guidelines/akh-wien-zum-spatabbruch
Weiterführende Literatur zur anonymen Geburt
Bonnet C (1990) Geste d’amour, l’accouchement sous X. Odile Jacob, Paris, Février 1990. Die Unmöglichkeit der Mutterrolle und die anonyme Geburt, La lettre du Gynécologue no 238: 11–13 [Übersetzung auf Deutsch online unter: www.anonyme-geburt. at/Bonnet2.html] Bonnet C (1992) Les enfants du secret. Odile Jacob, Paris
Eine Zusammenfassung wurde auf Englisch veröffentlicht: Bonnet C (1993) Adoption at birth: prevention against abandonment or neonaticide. Child Abuse and Neglect Int J 17, 4: 501–513
Siehe auch: [www.anonyme-geburt.at]
Sonstige Literatur
. Abb. 5.17. Trainings-CD zu Ultraschall beim Schwangerschaftsabbruch
American Psychological Association (APA) (2008) Report of the Task Force on Mental Health and Abortion, The Lancet 372: 602 [www. apa.org/releases/abortion-report.pdf ] Bartley J, Baird DT. (2002) A randomized study of misoprostol and gemeprost in combination with mifepristone for induction of abortion in the second trimester of pregnancy. BJOG 109: 1290–4 Bergström H, Nilsson LA, Nilsson L, Ryttinger L. Demonstration of Rh antigens in a 38-day-old fetus. Am J Obstet Gynecol 1967; 99: 130–3 Bonnet C (1992) Les enfants du secret (Kinder mit einem Geheimnis), edition Odile Jacob ISBN: 2738101712 Bonnet C (1996) Geste d’amour (Geste der Liebe), edition Odile Jacob, Paris, ISBN: 2738103804 Bonnet C (1999) Maternités imopssibles et accouchement sous X (Die Unmöglichkeit der Mutterrolle und die anonyme Geburt, La lettre du Gynécologue no 238: 11–13 [Übersetzung auf Deutsch online unter: www.anonyme-geburt.at/Bonnet2.html] Borgatta L, Sayegh R, Betstadt SJ, Stubblefield PG (2009) Cervical obstruction complicating second-trimester abortion: treatment with misoprostol.Obstet Gynecol 113 (2Pt 2): 548–50 Bundesamt für Statistik Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz 2007, Statistik Schweiz [www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/ themen/14/02/03/key/03.html] Beller FK (1996) Wie klein ist zu klein, wie groß ist zu groß? Frauenarzt 37: 929–933
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78 Kapitel 5 · Ungewollte Schwangerschaft
5
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5
6 6
Embryologie und Teratologie W.E. Paulus
6.1
Stadien der pränatalen Entwicklung – 82
6.1.1 6.1.2 6.1.3
Blastogenese – 82 Embryogenese – 82 Fetalperiode – 84
6.2
Teratogenität – 84
6.3
Grundregeln der Pränataltoxikologie – 84
6.4
Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen des Menschen – 85
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6
Genetische Faktoren – 86 Hyperthermie – 87 Drogen – 87 Strahlung – 88 Umweltschadstoffe – 88 Mütterliche Erkrankungen – 89
6.5
Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft – 89
6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 6.5.7 6.5.8 6.5.9 6.5.10 6.5.11 6.5.12 6.5.13 6.5.14 6.5.15 6.5.16 6.5.17 6.5.18 6.5.19 6.5.20 6.5.21
Arzneimittelstoffwechsel in der Schwangerschaft – 89 Beurteilung des teratogenen Risikos – 90 Grundlagen der Arzneimittelberatung in der Schwangerschaft – 90 Schädigung durch Arzneimittelanwendung – 92 Antibiotika – 92 Virustatika – 94 Anthelminthika – 95 Antimykotika – 95 Antihypertensiva – 95 Antikonvulsiva – 96 Psychopharmaka – 98 Schilddrüsenpräparate – 100 Antikoagulanzien – 101 Magen-Darm-Therapeutika – 101 Antiemetika – 102 Analgetika und Antiphlogistika – 102 Antiallergika – 103 Atemwegstherapeutika und Antiasthmatika – 104 Vitaminpräparate – 104 Impfungen – 105 Malariaprophylaxe und -therapie – 106
6.6
Fehlbildungsregister/Beratungsstellen – 107 Literatur – 107
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
82 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
6
Inwieweit sich aus einer Zygote ein unauffälliges Neugeborenes entwickelt, hängt von vielen endogenen und exogenen Faktoren ab: Zu den endogenen Faktoren zählen insbesondere die genetische Ausstattung und der mütterliche Gesundheitszustand, zu den exogenen Faktoren Infektionen, Strahlung, Umweltschadstoffe, Medikamente und Drogen. Im Verlauf der intrauterinen Entwicklung durchläuft die Frucht Stadien unterschiedlicher Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen. Während sich die Reaktion auf schädigende Agenzien in den ersten beiden Wochen nach Konzeption weitgehend auf die Alternativen vollständige Heilung des Defekts oder Absterben beschränkt, können Einflüsse von Woche 3–8 nach Konzeption zu Störungen der Organdifferenzierung und damit zu Fehlbildungen führen. In der Fetalperiode stehen Wachstums- und Funktionsstörungen durch exogene Noxen im Vordergrund. Nach statistischen Erhebungen nehmen 15–50% aller Schwangeren Medikamente im 1. Schwangerschaftsdrittel ein, oft noch in Unkenntnis der Schwangerschaft, was angesichts der sensiblen Phase der Organogenese in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten besonders fatale Auswirkungen haben kann. Zwischen 1958 und 1961 wurden rund 10.000 Kinder mit schweren Gliedmaßendefekten geboren, deren Mütter das Schlafmittel Thalidomid eingenommen hatten. Seit dieser Katastrophe herrscht bei pharmazeutischer Industrie, Ärzten und Patientinnen berechtigte Vorsicht – häufig jedoch auch irrationale Sorge – im Hinblick auf den Einsatz von Arzneimitteln in der Schwangerschaft. Seit der Contergan-Affäre ist das Bewusstsein der Öffentlichkeit für derartige Komplikationen besonders geschärft. Nach Thalidomid wurden weitere teratogene Arzneimittel wie Kumarinderivate (z. B. Warfarin), Vitamin A und seine Derivate, Folsäureantagonisten oder Antikonvulsiva wie Valproinsäure entdeckt. Eine Vielzahl anderer Wirkstoffe gilt als potenziell embryo-/fetotoxisch, wobei der Effekt dieser Pharmaka v. a. von Dosis und Expositionszeit abhängt. Bei zahlreichen Präparaten liegen Kasuistiken über Fehlbildungen vor, jedoch fehlen Studien mit statistischer Aussagekraft. Zur Ermittlung des Risikos sind insbesondere zuverlässige Angaben über die Expositionszeit erforderlich. Die pharmazeutische Industrie zieht sich auf eine juristisch sichere Position zurück, indem sie bei den meisten Präparaten in der Fachinformation unter der Rubrik Schwangerschaft »kontraindiziert« oder zumindest »strenge Indikationsstellung« vermerkt. Ein therapeutischer Nihilismus bei chronisch kranken Schwangeren kann jedoch z. B. im Fall von Epilepsie, Hypertonie oder Asthma bronchiale zu einer dramatischen Verschlechterung der Grunderkrankung und damit zu einer erheblichen Gefährdung der fetalen Entwicklung führen. Andererseits werden durch unzureichende Aufklärung von Patientinnen und medizinischem Fachpersonal über die realen Risiken einer bereits erfolgten medikamentösen Therapie in der Frühgravidität zahlreiche unnötige Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Grundsätzlich sollten altbewährte Präparate neuen Wirkstoffen vorgezogen werden.
6.1
Stadien der pränatalen Entwicklung
6.1.1
Blastogenese
4 Zeitraum: Tag 1–14 p. c. 4 Schädigungen: Blastopathien In der Periode der Blastogenese besitzt das embryonale Gewebe eine ausgeprägte Fähigkeit zur Reparatur von Defekten. Bei Einwirkung exogener Noxen (Umweltchemikalien, ionisierende Strahlung, Medikamente, Drogen, Infektionen) kommt es in diesen ersten beiden Wochen post conceptionem mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder zur kompletten Heilung oder zum Absterben der Fruchtanlage. Embryonalwoche 1. Etwa 30 h nach der Befruchtung findet die erste Zellteilung statt. Am 3. Tag p. c. tritt die Morula, ein
solider Zellhaufen von 16 Zellen, aus dem Eileiter in den Uterus über. Durch Eindringen von Flüssigkeit in die Morula am 4. Tag entsteht die Blastozyste. Während sich die äußere, einschichtige Wand zum Trophoblasten entwickelt, befinden sich an einer Stelle im Inneren angelagert die wenigen Zellen des Embryoblasten. Am 6. Tag p. c. nistet sich der Keim in das Endometrium ein. Embryonalwoche 2. Der Trophoblast dringt unter Bildung von Zotten schnell in das Endometrium ein, sodass die Implantation am Ende der 2. Woche p. c. abgeschlossen ist. Gleichzeitig beginnt die Bildung von Amnion und Dottersack. Der Embryoblast besteht aus 2 Schichten, die Anlage der Neuralplatte ist erkennbar.
6.1.2
Embryogenese
4 Zeitraum: Tag 15–56 p. c. 4 Schädigungen: Embryopathien In diesem Stadium läuft die Differenzierung der Organsysteme ab. Daher stellt es den kritischen Zeitraum für die Entstehung von Fehlbildungen bei der Einwirkung exogener Noxen dar. Die Phase höchster Empfindlichkeit variiert zwischen den verschiedenen Organsystemen (. Abb. 6.1; Knörr et al. 1989). Eine Exposition mit folgenden Substanzen bzw. Infekten kann in diesem Gestationsalter zu den bekannten Embryopathien führen: 4 Alkohol, 4 Antikonvulsiva (z. B. Valproat), 4 Kumarinderivate (z. B. Warfarin), 4 Vitamin-A-Säure-Derivate (z. B. Isotretinoin), 4 Folsäureantagonisten (z. B. Methotrexat), 4 virale Infektionen (z. B. Röteln). In . Tab. 6.1 sind die für die jeweiligen Organsysteme kritischsten Phasen der Schädigung durch exogene Noxen im Überblick zusammengestellt.
83 6.1 · Stadien der pränatalen Entwicklung
. Abb. 6.1. Zeitplan der Organogenese
. Tab. 6.1. Kritische Phase für spezifische Organfehlbildungen. (Nach Degenhardt 1971)
Organsystem
Schwangerschaftswoche p. c.
Neuralrohr
4
Extremitäten
4–6
Gaumen/Gesicht
9–12
Herz
3–6
Gefäß
3–8
Geschlechtsorgane
6–12
Augen/Ohren
3–7 (Funktionsstörungen auch später)
Schilddrüse
ab 10
Embryonalwoche 3. Die aus dem Trophoblasten entstandenen Zotten vermehren und verzweigen sich, sodass sich eine große Kontaktoberfläche zum mütterlichen Organismus entwickelt (Plazenta). In den Zotten bilden sich Blutgefäße, der Stoffaustausch zwischen Mutter und Embryo kann nun über die Plazenta ablaufen. Vom Dottersack wachsen Blutgefäße zum Embryo, erste kernhaltige Erythrozyten stammen aus dem Dottersack. Die Neuralplatte beginnt sich zum Neuralrohr zu formen, an dessen Vorderende bläschenartige Erweiterungen eine erste Grobeinteilung des Gehirns erkennen lassen. Als Vorläufer der Wirbelsäule bilden sich die ersten Somiten. Das primitive Herz imponiert als Schlauch. Die Organanlagen von Lunge, Darm, Leber, Ohr, Auge, Nieren, Schilddrüse und Muskulatur werden erkennbar. Embryonalwoche 4. In der 4. Embryonalwoche schließt sich das Neuralrohr. Es entsteht ein einfacher Blutkreislauf, der Herzschlauch unterteilt sich und kontrahiert sich rhythmisch. Die Extremitätenanlagen zeigen sich als Knospen; Kieferwülste, Augen- und Ohrgruben bilden sich aus. Die Nierenanlage differenziert sich.
6
84 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Embryonalwoche 5. Während sich der kaudale Anteil des
6.2
Neuralrohrs zum Rückenmark differenziert, entstehen im kranialen Bereich Gehirn und Auge. In den paddelförmigen Gliedmaßen bilden sich Gewebeverdichtungen als Vorläufer der Knochen, in der vorderen Wirbelsäule beginnt die Knorpelbildung. Blutgefäße wandern aus dem Rumpf in Kopf und Gliedmaßen ein, in denen sich Muskeln entwickeln. Der Darm weist bereits mehrere Abschnitte auf, die Lunge verzweigt sich.
6
Teratogenität Nach WHO umfasst der Begriff alle exogenen Einflüsse auf die intrauterine Entwicklung, die zu morphologischen oder biochemischen Anomalien sowie zu Verhaltensstörungen führen, die unmittelbar nach der Geburt oder später diagnostiziert werden.
Embryonalwoche 6. Während der in dieser Phase dominierenden Kopfentwicklung wächst v. a. das Vorderhirn. Das Herz weist nun 4 Kammern auf. Die Blutbildung hat sich in die Leber verlagert. Knorpel tritt jetzt auch in den Gliedmaßen auf, Finger und Zehen werden erkennbar. Urkeimzellen wandern vom Dottersack in die Genitalleisten ein, ableitende Genitalgänge erscheinen.
Formen einer pränatal induzierten Schädigung 4 Im 1. Trimenon – Abort – Fehlbildung
4 Im 2. und 3. Trimenon – – – – – –
Embryonalwoche 7. In der 7. Embryonalwoche beginnt die Verknöcherung in den Gliedmaßen, das Schädelskelett entwickelt sich. Das Darmlumen füllt sich vorübergehend mit Epithelzellen. Embryonalwoche 8. Die großen Blutgefäße befinden sich in ihrer endgültigen Position. Muskeln sind ausgebildet und innerviert. Man kann Hoden und Eierstöcke unterscheiden. Die Schilddrüse beginnt mit der Bildung von Follikeln. Es findet sich ein physiologischer Nabelbruch.
6.1.3
Teratogenität
Intrauteriner Fruchttod Wachstumsrestriktion Postnatale Funktionsstörung Frühgeburt Perinatale Letalität Transplazentare Karzinogenese
Einflussmechanismen auf die embryonale und fetale Entwicklung 4 Direkte Mechanismen der Schädigung – Chemische Noxen oder Infektionserreger können die Frucht über die Plazenta erreichen, sofern es die Partikelgröße zulässt (transplazentarer Transport) – Ionisierende Strahlen können unmittelbar ihre Wirkung an den embryonalen/fetalen Zellen entfalten 4 Indirekte Mechanismen – Beeinflussung des mütterlichen Stoffwechsels, z. B. durch Medikamente wie Sympathomimetika – Veränderungen des mütterlichen Gerinnungssystems (z. B. Heparin) – Verminderung der uteroplazentaren Perfusion (z. B. durch Sympathomimetika, Kokain) – Tonisierung der Uterusmuskulatur (z. B. durch Mutterkornalkaloide)
Fetalperiode
4 Zeitraum: Tag 57–266 p. c. 4 Schädigungen: Fetopathien Mit Ausnahme von Nervensystem, Genitalien und Zähnen sind die Organsysteme nach dem 1. Trimenon weitgehend ausdifferenziert. Allerdings können in der Fetalperiode auch schwerwiegende funktionelle Störungen und Entwicklungsrestriktionen induziert werden. Embryonalwoche 9. Das Rückenmark ist so weit ausgereift, dass erste Reflexe ausgelöst werden können. Anlagen von Nägeln, Haaren, Zähnen und Vagina treten auf. Die Niere nimmt ihre Funktion auf.
6.3
Grundregeln der Pränataltoxikologie
Embryonalwoche 10. Am äußeren Genitale lassen sich Ge-
schlechtsunterschiede erkennen. Die Wirbelsäule ist verknöchert. Durch die Entwicklung von glatter Muskulatur ist auch der Darm funktionstüchtig; der physiologische Nabelbruch bildet sich zurück. Embryonalwoche 12. Im Knochenmark beginnt die Blutbil-
dung. Der Nasenrücken zeichnet sich ab.
Auf der Grundlage tierexperimenteller Untersuchungen stellte Wilson (1977) 6 Grundregeln der Pränataltoxikologie auf: Regel 1. Die Empfindlichkeit der Frucht gegenüber toxischen Einflüssen hängt von ihrem Genotyp ab. Die unterschiedliche genetische Ausstattung verschiedener Spezies erklärt Abweichungen bei der Reaktion auf toxische Einflüsse zwischen Mensch und Tier. Aber auch menschliche Individuen weisen aufgrund ihrer genetisch determinierten Enzymausstattung Variationen bei der Metabolisierung exogener Noxen auf: Der genetisch bedingte Mangel
85 6.4 · Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen des Menschen
. Abb. 6.2. Empfindlichkeit von Embryo/Fetus gegenüber exogenen Noxen
. Abb. 6.3. Dosis-Wirkung-Beziehung in der Pränataltoxikologie
des Enzyms Epoxidhydrolase spielt z. B. eine wichtige Rolle bei den durch Phenytoin ausgelösten Fehlbildungen.
Als bekanntes Beispiel für eine Tumorentwicklung nach intrauteriner Exposition lässt sich das synthetische Sexualsteroid Diethylstilbestrol anführen, das bei den Töchtern behandelter Schwangerer Vaginaltumoren verursachte.
Regel 2. Die Empfindlichkeit des Embryos gegenüber toxischen Einflüssen hängt von seinem Entwicklungsstadium ab (. Abb. 6.2). In den ersten beiden Wochen p. c. werden eventuelle Schäden aufgrund der Pluripotenz der Zellen repariert, oder die Frucht stirbt bei einer ausgeprägten Noxe völlig ab. Das Fehlbildungsrisiko wird in dieser Phase für gering gehalten (»Alles-oder-nichts-Gesetz«). > Während der Organogenese (Tag 15–56 p. c.) besteht die größte Sensibilität gegenüber exogenen Noxen. In dieser Phase werden die meisten Fehlbildungen ausgelöst.
In der Fetalperiode nimmt die Empfindlichkeit der Frucht gegenüber exogenen Noxen zwar ab, doch können auch in dieser Zeit schwerwiegende Funktionsstörungen der kindlichen Organe entstehen. Als Beispiele sind Intelligenzdefekte unter Alkohol, Blei und Methylquecksilber, Niereninsuffizienzen nach ACE-Hemmer-Einnahme oder Zahnverfärbungen unter Tetrazyklinen zu erwähnen. Regel 3. Unterschiedliche embryotoxische Einflüsse wirken über relativ wenige spezifische Mechanismen auf die morphologische Entwicklung des Embryos ein. Zum Beispiel werden Neuralrohrdefekte durch unterschiedliche Substanzen wie Valproinsäure, Carbamazepin oder Methotrexat über die Einwirkung auf den Folsäurehaushalt verursacht. Regel 4. Nach einer Schädigung der Frucht sind folgende Verlaufsformen möglich: 4 normale Entwicklung nach kompletter Heilung des Defekts, 4 Absterben, 4 Fehlbildung, 4 Wachstumsrestriktion, 4 Störung der Organfunktion, 4 transplazentare Karzinogenese.
Regel 5. Inwieweit exogene Noxen den Embryo erreichen, hängt von ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften ab. In Abhängigkeit von der Molekülgröße passiert z. B. unter den Antikoagulanzien Phenprocoumon sehr gut die Plazentaschranke, während Heparin (auch in der niedermolekularen Variante) nicht diaplazentar übergeht. > Je lipophiler eine Substanz ist, umso eher geht sie vom mütterlichen in das kindliche Kompartiment über (z. B. gute Plazentagängigkeit von organischen Quecksilberverbindungen im Gegensatz zu anorganischem Quecksilber). Regel 6. Die Störung der embryonalen Differenzierung nimmt proportional zur Dosis des embryotoxischen Faktors zu. Nach einer Dosis-Wirkung-Abhängigkeit wird bei Überschreiten einer Schwellendosis zunächst der teratogene Bereich erreicht, danach folgt der embryoletale bzw. maternal toxische Bereich (. Abb. 6.3).
6.4
Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen des Menschen
Bei etwa 3% der Neugeborenen sind Fehlbildungen bei Geburt erkennbar, im Alter von 5 Jahren zeigen sich bei etwa 4,5% der Kinder Anomalien. Eine Ursache für den jeweiligen Defekt lässt sich bei weniger als 50% ermitteln (ACOG 1997). Die angeborenen Entwicklungsstörungen lassen sich auf die in . Tab. 6.2 dargestellten Ursachen zurückführen (nach Kalter u. Warkany 1983; Rösch u. Steinbicker 2003).
6
86 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Geschlechtsgebundene rezessive Erbleiden . Tab. 6.2. Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen
6
Entwicklungsstörungen
Häufigkeit [%]
Monogenetische Erbkrankheiten
8–9
Chromosomale Störungen
6–8
Teratogene Umweltfaktoren
2–5
Infektionen (Rubella, Varizellen, Zytomegalie, Toxoplasmose)
1–2
Mütterliche Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Epilepsie, Phenylketonurie)
0,7–1,7
Arzneimittel
0,2–1,3
Polygenetische bzw. multifaktorielle Störungen
20–49
Unbekannte Ursachen
34–62
Die geschlechtsgebundenen rezessiven Erbleiden sind an ein X-Chromosom gekoppelt. Da es bei männlichen Individuen hemizygot vorkommt, genügt ein abnormes Gen auf dem einzelnen X-Chromosom zur Manifestation der Erkrankung. Zu diesen Erbleiden zählen die Hämophilie A und B, die progressive Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, Ichthyosis, testikuläre Feminisierung oder die Agammaglobulinämie. Frauen mit einem betroffenen X-Chromosom fungieren als Konduktorinnen und geben die Erkrankung an 50% ihrer Söhne weiter.
Polygen bedingte Erbleiden Die größte Gruppe der angeborenen Erbleiden manifestiert sich beim Zusammenwirken mehrerer Gene und zusätzlicher Umgebungsfaktoren. Das Wiederholungsrisiko bewegt sich meist zwischen 2 und 5%. Zu diesen Fehlbildungen bzw. Störungen zählen orale Spaltbildungen, Spina bifida, Anenzephalie, kongenitale Herzvitien, Pylorusstenose, angeborene Hüftluxation, Klumpfuß, Hypospadie, Epilepsie, Schizophrenie und Diabetes mellitus.
Numerische Chromosomenanomalien 6.4.1
Genetische Faktoren
Autosomal dominante Erbleiden Da morphologische oder biochemische Fehlbildungen die Reproduktionschancen des betroffenen Individuums einschränken, treten dominant vererbte Fehlbildungen meist mit der Häufigkeit der Spontanmutationsrate auf oder besitzen eine relativ geringe Penetranz. Eine Ausnahme stellen dominante Erbleiden mit einer Expression nach Abschluss der Reproduktionsperiode dar (z. B. Chorea Huntington). > Autosomal dominante Erbgänge liegen z. B. für Osteogenesis imperfecta (Typ Lobstein), Achondroplasie, Marfan-Syndrom, Myotonia congenita, Neurofibromatose und Sphärozytose vor.
Autosomal rezessive Erbleiden Bei rezessiven Erbgängen ist die Inzidenz in geschlossenen kleinen Populationen stark erhöht, während sie sich in genetisch stark durchmischten Populationen der Spontanmutationsrate nähert. Als Beispiele für solche Erkrankungen kann man die zystische Fibrose, die Phenylketonurie oder das adrenogenitale Syndrom anführen. Die meisten konnatalen Stoffwechselerkrankungen gehorchen einem autosomal rezessiven Erbgang. Störungen des Lipidstoffwechsels, des Kohlenhydratstoffwechsels, des Aminosäurestoffwechsels, Mukopolysaccharidosen und weitere metabolische Erkrankungen machen etwa 0,2% der angeborenen Defekte aus. Sie gehen meist mit geistiger und körperlicher Retardierung in unterschiedlicher Ausprägung einher und manifestieren sich im Säuglingsalter und in der frühen Kindheit.
Durch »Non-disjunction« in der Meiose der Keimzellen können numerische Aberrationen im Chromosomensatz der Nachkommen auftreten. Monosomien und Trisomien entstehen auf diese Weise bei allen Chromosomen etwa gleich häufig, doch sind nur wenige mit dem Leben vereinbar. Die meisten Fälle enden als Frühaborte.
Autosomale Aberrationen Die Trisomie 21 (Down-Syndrom) findet sich bei etwa 1 von 600 Neugeborenen als häufigste autosomale Aberration. Sie ist durch schräge Lidspalten, flachen Nasenrücken, Makroglossie, Herzfehler (etwa 30%), Vierfingerfurche, Abspreizung der Großzehe, psychomotorische Retardierung, mangelnde Infektabwehr und erhöhtes Leukämierisiko gekennzeichnet. Die Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) ist assoziiert mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Fehlbildungen von Groß- und Kleinhirn, Herz- und Nierenanomalien, Hexadaktylie, Muskelhypotonie und psychomotorischer Retardierung. Bei Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) finden sich das typische Vogelgesicht mit Mikrognathie, langem schmalem Schädel und ausladendem Hinterhaupt, außerdem schwere mentale Retardierung und Wachstumsrückstand.
Gonosomale Aberrationen Bei den gonosomalen Aberrationen steht die auffällige Geschlechtsentwicklung im Vordergrund. Die übrigen Organsysteme sind weitaus weniger schwerwiegend betroffen als bei den autosomalen Chromosomopathien. Turner-Syndrom (X0). Bei etwa 1 von 5.000 weiblichen Neugeborenen tritt eine gonosomale Monosomie auf. Bei Geburt fallen meist ein Pterygium colli sowie Hand- und Fußrückenödeme auf. Später zeigen sich Minderwuchs und Fehlen der sekundären Geschlechtsmerkmale. Aufgrund einer Gonaden-
87 6.4 · Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen des Menschen
dysgenesie findet sich eine primäre Amenorrhö. Die Intelligenz kann sich ganz normal entwickeln. Klinefelter-Syndrom. Das Klinefelter-Syndrom betrifft 2 von 1.000 Neugeborenen und stellt die häufigste Chromosomenaberration bei Geburt dar. Während die Neugeborenen kaum Anomalien ausweisen, fallen die betroffenen Jungen später durch starkes Längenwachstum, testikuläre Dysgenesie mit Azoospermie und Zeugungsunfähigkeit auf. Bei etwa 25% der Klinefelter-Patienten ist die Intelligenz in unterschiedlichem Ausmaß herabgesetzt. Triplo-X-Syndrom. Bei 1 von 1.000 weiblichen Neugebore-
nen tritt eine Triplo-X-Konstellation auf. Sie fallen in der Pubertät durch ovarielle Dysgenesie, hypoplastisches Genitale und primäre Oligo- bzw. Amenorrhö auf. Etwa ein Drittel der betroffenen Frauen weist eine mentale Retardierung bzw. Verhaltensstörungen auf, die bei höhergradiger Polysomie X noch ausgeprägter sind.
Strukturelle Autosomenaberrationen Es gibt zahlreiche Fehlbildungssyndrome mit autosomalen Strukturanomalien, die jedoch relativ selten vorkommen. Bekannt ist v. a. das Cri-du-chat-Syndrom mit einer Deletion des kurzen Arms von Chromosom 5. Die Neugeborenen fallen durch kraniofaziale Dysmorphien und katzenschreiartige Laute (Laryngomalazie) auf. Es liegt eine schwere psychomotorische Retardierung vor.
Fragiles-X-Syndrom Das Fragile-X-Syndrom ist die häufigste Ursache für eine genetisch bedingte geistige Behinderung. Auf dem langen Arm des X-Chromosoms befindet sich eine instabile Stelle, an der die betroffenen Chromosomen leicht zerbrechen. Die Häufigkeit für hemizygote Männer wird auf etwa 1:1.000–1500 Neugeborene, für heterozygote Frauen auf das Doppelte geschätzt. > Fragile-X-positive Männer machen etwa 3–5% der geistig schwer behinderten Jugendlichen und Erwachsenen aus (Adler et al. 1996).
6.4.2
Hyperthermie
Ein erhöhtes Risiko für Aborte und Fehlbildungen (z. B. Neuralrohrdefekte, Herz- und Bauchwandanomalien) bei Anstieg der Körpertemperatur über 38,5°C in den ersten 6 SSW wurde immer wieder diskutiert. Ein Zusammenhang mit Neuralrohrdefekten konnte inzwischen nachgewiesen werden (Moretti et al. 2005).
6.4.3
Drogen
Alkohol Ethanol ist als weit verbreitetes Teratogen häufig für Fehlbildungen verantwortlich.
Die Einschätzung des Risikos unter Alkoholexposition wird erschwert durch unzuverlässige Angaben der Betroffenen, aber auch durch häufige Kombination mit Rauchen, einseitiger Ernährung und Medikamentenabusus. Nach chronischem Alkoholkonsum wurden folgende Auffälligkeiten zum fetalen Alkoholsyndrom zusammengefasst (Clarren 1981): 4 pränatale und postnatale Wachstumsrestriktion, 4 Defekte des ZNS mit Intelligenzminderung und Verhaltensstörungen, 4 kraniofaziale Dysmorphien (Mikrozephalie, schmale Lidspalten, kurzer und breiter Nasenrücken, flaches Mittelgesicht mit Maxillahypoplasie), 4 Extremitätenanomalien (Kamptodaktylie, Klinodaktylie, Endphalangenhypoplasie). 4 Eine Häufung von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltbildung wurde bei chronischem Alkoholabusus ebenfalls beobachtet. Das fetale Alkoholsyndrom tritt bei 30–45% der Schwangeren auf, die täglich mindestens 140 g reines Ethanol trinken, was etwa 1,5 l Wein entspricht (Jones 1974). Langzeituntersuchungen über mehr als 10 Jahre ergaben zwar eine Abschwächung der meisten morphologischen Stigmata, jedoch eine Persistenz von Mikrozephalie und intellektueller bzw. psychosozialer Retardierung (Steinhausen et al. 1995). Bei 2 Drinks pro Tag wurde bereits eine Abnahme des IQ um 7 Punkte festgestellt (Streissguth et al. 1991). Bei kurzfristigen Alkoholexzessen (mindestens 5 Drinks) zeigte sich ein Rückstand von 1–3 Monaten beim Lesen und Rechnen nach dem 1. Schuljahr (Streissguth et al. 1990). > Bereits nach regelmäßigem Konsum von täglich etwa 15 g Ethanol zeigen sich die ersten statistisch fassbaren Entwicklungsstörungen (diskrete Beeinträchtigung von intrauterinem Wachstum und mentaler Entwicklung).
Tabakrauch Der Tabakrauch enthält neben Nikotin auch Kohlenmonoxid, Teer und Schwermetalle. Rauchen gilt als embryo- und fetotoxisch. Eine schwache Assoziation mit Gesichtsspalten und Klumpfüßen bei den Nachkommen konnte nachgewiesen werden (Shepard et al. 2002). Bei Raucherinnen fielen eine Reduktion des Geburtsgewichts, eine Steigerung der perinatalen Mortalität sowie eine Häufung von Fehl- und Frühgeburten auf (Werler 1997). > Der Verzicht auf das Rauchen ist daher für alle Phasen der Schwangerschaft dringend anzuraten.
Opiate Bei Heroinabhängigen treten gehäuft intrauterine Wachstumsrestriktion, vorzeitiger Blasensprung und Frühgeburten auf. Eine Substitution mit Methadon oder Buprenorphin erscheint sinnvoll, wobei unter engmaschiger Kontrolle eine kontinuierliche Dosisreduktion angestrebt werden sollte.
6
88 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
! Ein akuter Opiatentzug ist in der Schwangerschaft auf alle Fälle zu vermeiden, weil damit geburtshilfliche Komplikationen (IUFT, vorzeitige Wehen) verbunden sind.
Nach einer anfänglichen Atemdepression des Neugeborenen muss man meist 24–72 h post partum mit Entzugssymptomen rechnen (Atemnotsyndrom, Hyperirritabilität, Tremor, Diarrhö, Erbrechen, zerebrale Krampfanfälle). Diese Symptome können auch erst 10–36 Tage post partum auftreten. Wenn keine medikamentöse Therapie (Phenobarbital) unter klinischer Überwachung erfolgt, sind lebensbedrohliche Komplikationen zu befürchten.
6
setzten Anwendung in der Schwangerschaft dringend abzuraten.
Lösungsmittel Organische Lösungsmittel wie Toluol, Benzin und halogenierte Kohlenwasserstoffe werden als Schnüffelstoffe missbraucht. Zu einem derartigen Abusus existieren Berichte über kindliche Schäden, die dem fetalen Alkoholsyndrom ähneln. Dies wurde jedoch nicht nach beruflicher Exposition beobachtet. Dennoch sollte auch der berufliche Kontakt mit solchen Lösungsmitteln durch entsprechende Belüftung oder Wechsel des Arbeitsplatzes möglichst reduziert werden.
Kokain Bei sporadischem Gebrauch von Kokain in der Frühgravidität konnte keine erhöhte Fehlbildungsrate nachgewiesen werden. Bei fortgesetztem Abusus treten jedoch aufgrund der Vasokonstriktion mit konsekutiver Minderdurchblutung gehäuft Komplikationen auf: Aborte, Totgeburten, Frühgeburten, vorzeitige Plazentalösung, Wachstumsrestriktionen, Mikrozephalie, nekrotisierende Enterokolitis. Außerdem wurde über diverse Fehlbildungen berichtet: zerebrale Infarkte, Fehlbildungen von Urogenital- und Skelettsystem, intestinale Atresien. Wird bei einer Patientin mit Kokainabusus eine Schwangerschaft diagnostiziert, dann sollte sie den Drogenkonsum umgehend einstellen. Eine sporadische Exposition in Unkenntnis der Gravidität sollte zu einer intensiven sonographischen Untersuchung, nicht jedoch zum Schwangerschaftsabbruch veranlassen (Koren 1994).
Marihuana Die Missbildungsrate ist nach Genuss von Marihuana in der Schwangerschaft nicht erhöht, jedoch ist bei fortgesetztem Abusus mit einem Anstieg der perinatalen Mortalität zu rechnen. Eine Langzeitstudie nach regelmäßiger intrauteriner Exposition ergab eine signifikant beeinträchtigte Sprach- und Gedächtnisleistung im Alter von 4 Jahren (Fried u. Watkinson 1990).
LSD Zwar wurde über Fehlbildungen an Skelett und ZNS nach LSD-Abusus berichtet, jedoch ließ sich ein Zusammenhang epidemiologisch nicht eindeutig herstellen. Nach Feststellung einer Schwangerschaft unter LSD-Abusus sollte ein sonographischer Fehlbildungsausschluss erfolgen; vor einer Fortsetzung des Drogenkonsums ist ausdrücklich zu warnen.
Amphetamine Amphetamine erfreuen sich unter Jugendlichen derzeit als Ecstasy oder Speed großer Beliebtheit. Im Tierversuch wurden bei diversen Amphetaminen Fehlbildungen an ZNS und Lippen-Kiefer-Gaumen-Region beobachtet. Beim Menschen zeichnet sich eine Häufung von Herzfehlern und Klumpfüßen unter Amphetaminabusus ab (McElhatton et al. 1999). Da Amphetamine ähnlich wie Kokain zu einer Vasokonstriktion mit Minderperfusion führen, ist jedoch von einer fortge-
6.4.4
Strahlung
Elektromagnetische Felder Elektromagnetische Felder im Niederfrequenzbereich stellen nach dem bisherigen Kenntnisstand kein erhöhtes Risiko für die pränatale Entwicklung dar. Bildschirmarbeitsplätze oder MRT sind demnach auch in der Schwangerschaft zulässig.
Ionisierende Strahlung Nach den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki wiesen 25% der intrauterin exponierten Kinder Fehlbildungen des ZNS auf. Die natürliche Strahlenexposition in Mitteleuropa beträgt ca. 2 mGy. Bei der konventionellen Röntgendiagnostik fallen intrauterine Strahlendosen bis zu 10 mGy an (z. B. Abdomenübersicht: 1–5 mGy). Bei Computertomographien können in Abhängigkeit von der Schichtdicke höhere Strahlendosen auftreten, die aber immer noch deutlich unter 50 mGy liegen. Eine Strahlenexposition <50 mGy stellt ein sehr geringes Risiko für den Embryo dar. Die kritische Phase für Strahlenschäden ist im Zeitraum zwischen 8. und 15. SSW anzunehmen. Der diagnostische Einsatz von Röntgenstrahlen stellt jedoch keinesfalls eine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar (ACOG 2004).
Radionuklide Im Rahmen der Diagnostik ist das Radioisotop Technetium99m mit einer kurzen Halbwertszeit von 6 h am weitesten verbreitet. Bei der Szintigraphie von Lunge, Gehirn, Knochen, Nieren, Herz und Schilddrüse mit diesem Isotop treten Strahlendosen <5 mGy auf, die nicht als bedenklich gelten. > Radioaktives Iod-131 darf insbesondere nach der 10. SSW wegen Gefährdung der fetalen Schilddrüse nicht mehr zur Behandlung einer mütterlichen Hyperthyreose verwendet werden (ACOG 2004).
6.4.5
Umweltschadstoffe
Blei wird für eine erhöhte Abortrate verantwortlich gemacht. Außerdem kann die Entwicklung des ZNS beim Fetus beeinträchtigt werden.
89 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
Organisches Quecksilber (Methylquecksilber) wurde als teratogene Substanz durch einen Unglücksfall in Japan bekannt (Minimata-Krankheit). Bei den intrauterin exponierten Kindern traten Gehirnatrophie, Mikrozephalie, geistige Retardierung, Krampfanfälle, Spastik und Blindheit auf. Diese Effekte werden dem anorganischen Quecksilber, wie es in Zahnfüllungen aus Amalgam enthalten ist, nicht zugeschrieben. Bei den meisten Industrie- und Umweltchemikalien liegen keine ausreichenden Daten zur Einschätzung ihres teratogenen Potenzials vor. Nach dem aktuellen Informationsstand muss ein Risiko der Fruchtschädigung bei folgenden Arbeitsstoffen unterstellt werden: Blei, chlorierte Biphenyle, Chlormethan, Diethylenglykoldimethylether, Dimethylformamid, 2-Ethoxyethanol, 2-Ethoxyethylacetat, Kohlendisulfid, Kohlenmonoxid, 2-Methoxyethanol, 2-Methoxyethylacetat, 2-Methoxypropanol, Methoxypropylacetat, Schwefelkohlenstoff (DFG 2006). > Solange eindeutige Informationen fehlen, sollte eine Schwangere eine Exposition mit suspekten Substanzen am Arbeitsplatz oder in der Umwelt meiden.
6.4.6
Mütterliche Erkrankungen
Epilepsie Die Fehlbildungsrate bei Kindern von epileptischen Müttern ist gegenüber der Allgemeinbevölkerung auf das 2- bis 3Fache erhöht (Fried et al. 2004). Aber auch bei epileptischen Vätern besteht ein leicht erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Die unter dem Antiepileptikasyndrom zusammengefassten Anomalien (wie orafaziale Spaltbildungen, Gesichtsdysmorphien, Extremitätendefekte) lassen sich nicht ausschließlich auf die jeweilige Medikation zurückführen.
Diabetes mellitus Die perinatale Mortalität ist bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus der Mutter in den letzten Jahrzehnten zwar deutlich zurückgegangen, doch ist die Inzidenz von Fehlbildungen mit 6–12% deutlich erhöht. Das Risiko für Fehlbildungen oder Spontanaborte korreliert mit den Episoden mütterlicher Hyperglykämie zwischen SSW 5 und 8 (ACOG 2005). Als charakteristische Anomalie ist das kaudale Regressionssyndrom beschrieben (200- bis 400faches Risiko). Fehlbildungen des Zentralnervensystems einschließlich Neuralrohrdefekten und Holoprosenzephalie sind 10-mal häufiger. Auch Herzvitien wie Ventrikelseptumdefekt oder Transposition der großen Gefäße treten 5-mal häufiger auf.
Schilddrüsenerkrankungen Bei mütterlicher Hypothyreose beobachtet man eine erhöhte Rate von Spontanaborten, Frühgeburten und fetalen Anomalien. Unter Iodmangel besteht das Risiko einer Neugeborenenstruma bzw. eines Kretinismus. Bei unbehandelter Hyperthyreose ist ebenfalls mit einer erhöhten Abortrate zu rechnen.
6.5
Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
6.5.1
Arzneimittelstoffwechsel in der Schwangerschaft
Mütterlicher Metabolismus Folgende Veränderungen des Arzneimittelstoffwechsels sind in der Schwangerschaft zu beachten: 4 Durch Zunahme des interstitiellen Flüssigkeitsvolumens (v. a. bei Präeklampsie) muss man von einem deutlich vergrößerten Verteilungsraum für exogen zugeführte Substanzen ausgehen. Bei einer erforderlichen Dauertherapie sollte der Plasmaspiegel des Wirkstoffs während der Schwangerschaft wiederholt kontrolliert werden. 4 Durch Veränderung des Serumeiweißmusters kann bei Substanzen mit Proteinbindung der frei verfügbare wirksame Anteil variieren. Durch einen Anstieg des Gehalts an thyroxinbindendem Globulin (TBG) reduziert sich z. B. der Anteil des freien Schilddrüsenhormons. 4 Die Aktivierung mütterlicher Leberenzyme durch die ansteigenden Sexualsteroide kann zu einer beschleunigten Inaktivierung von Arzneimitteln führen. 4 Besondere Vorsicht ist bei Schwangeren mit Grunderkrankungen (z. B. Niereninsuffizienz) angebracht, die den Abbau und die Ausscheidung von Arzneimitteln beeinträchtigen (Keller et al. 2001).
Diaplazentarer Transfer Die meisten Arzneimittel erreichen den Fetus über die Plazenta, wobei meist eine Konzentrationsabnahme von Mutter zu Kind festzustellen ist. Der diaplazentare Transfer hängt im Wesentlichen von folgenden Faktoren ab: 4 Lipophile Substanzen, die bei oraler Gabe gut über den mütterlichen Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, passieren im Gegensatz zu hydrophilen Substanzen auch relativ leicht die Plazenta. 4 Bei einer Molekularmasse >800 ist mit einer relativ geringen Plazentagängigkeit zu rechnen. Substanzen wie Insulin und Heparin sind daher praktisch nicht plazentagängig. 4 Sind Wirkstoffe stark an mütterliches Plasmaeiweiß gebunden, so ist ebenfalls nur mit einem geringen diaplazentaren Transfer zu rechnen.
Embryonaler und fetaler Metabolismus Bereits im 3. Schwangerschaftsmonat beginnt die kindliche Leber, Fremdstoffe zu metabolisieren, was ebenfalls zu einer Konzentrationsabnahme eines Arzneimittels im fetalen Organismus beitragen kann. Andererseits sind manche Enzymsysteme, v. a. bei Frühgeborenen, noch so wenig ausgereift, dass sich gewisse peripartal verabreichte Medikamente anreichern können. Die geringe Glukuronidierungsleistung der kindlichen Leber kann z. B. bei Chloramphenicol zu dem bekannten Grey-Syndrom führen.
6
90 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
6.5.2
Beurteilung des teratogenen Risikos
Tierversuche
6
Vor der Zulassung eines Präparats werden von der pharmazeutischen Industrie reproduktionstoxikologische Untersuchungen an Tieren durchgeführt. Leider sind deren Ergebnisse nur bedingt auf den Menschen übertragbar. Aufgrund einer unterschiedlichen genetischen Ausstattung führen exogene Noxen nicht zwangsläufig zu gleichen Resultaten beim Menschen. Dies kann in doppelter Hinsicht Probleme implizieren: 4 Im Tierversuch (meist mit Ratten, Mäusen und Kaninchen) treten unter Medikamentenexposition in der Gravidität Fehlbildungen auf, die sich beim Menschen nicht nachvollziehen lassen, z. B. Gaumenspaltbildungen bei Mäusen unter Diazepam. 4 Andererseits können sich Substanzen im Tierversuch unproblematisch verhalten, die beim Menschen schwere Fehlbildungen auslösen, z. B. Phokomelie unter Thalidomid. Darüber hinaus werden in den Tierversuchen meist extrem hohe Dosierungen verabreicht, welche die humantherapeutischen Größenordnungen um Potenzen übersteigen. Dadurch werden Darmflora und Stoffwechselprozesse bei den Muttertieren so massiv beeinträchtigt, dass sie bereits toxische Effekte aufweisen.
Kontrollierte Studien am Menschen Kontrollierte Studien an schwangeren Patientinnen verbieten sich meist aus ethischen Gründen, sodass – im Gegensatz zu den sonst überwiegend gut dokumentierten Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln – relativ wenig fundiertes Datenmaterial aus Fallkontrollstudien in der Schwangerschaft vorliegt.
Epidemiologische Erhebungen Erkenntnisse über die Teratogenität von Arzneimitteln beim Menschen lassen sich am ehesten durch Sammlung von Fällen nach Exposition in Unkenntnis der Gravidität gewinnen. Einen idealen Zugang zu diesem Kollektiv besitzen teratologische Beratungsstellen, die auch eine Kontrollgruppe aus der gleichen Grundgesamtheit generieren können. Ein wesentlicher Nachteil dieses Vorgehens besteht jedoch in dem meist sehr langwierigen Prozess der Datengewinnung über viele Jahre.
Risikoklassifizierung von Arzneimitteln Verschiedene Institutionen haben versucht, die pränatale Toxizität von Arzneimitteln in Risikogruppen einzustufen. Da es sich insbesondere in Anbetracht des häufig begrenzten Kenntnisstandes nur um eine grobe Kategorisierung handelt, sind diese Schemata für die individuelle Risikobeurteilung oft nur von begrenztem Nutzen. Am bekanntesten ist die Einteilung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA): Kategorie A. Kontrollierte Studien an schwangeren Frauen haben kein erhöhtes Risiko für den Fetus während des 1. Trimenons ergeben. Hinweise auf ein Risiko zu einem späteren
Zeitpunkt liegen ebenfalls nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung ist sehr gering (Beispiel: Folsäure). Kategorie B. Zwar existieren keine kontrollierten Studien an
schwangeren Frauen, doch ergaben Tierversuche keinen Anhalt für Teratogenität, oder im Tierversuch beobachtete Schäden konnten in kontrollierten Studien am Menschen nicht reproduziert werden (Beispiel: Penicillin). Kategorie C. Tierversuche haben Hinweise auf fetale Schä-
den ergeben, wobei kontrollierte Studien beim Menschen fehlen, oder Untersuchungen an schwangeren Frauen und Tierversuche liegen nicht vor (Beispiel: Chloroquin). Kategorie D. Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für den
menschlichen Fetus. Der Nutzen des Medikaments kann jedoch bei zwingender Indikation eine Anwendung auch in der Schwangerschaft rechtfertigen (Beispiel: Chinin). Kategorie X. Untersuchungen bei Tieren und Menschen haben eindeutig einen Zusammenhang mit fetalen Fehlbildungen gezeigt. Das Risiko einer fetalen Schädigung überwiegt jeden möglichen Nutzen, sodass das Medikament bei Kinderwunsch oder in der Schwangerschaft absolut kontraindiziert ist (Beispiel: Isotretinoin) > Die in Deutschland gebräuchliche Klassifizierung in 11 Kategorien (Rote Liste) lässt ebenfalls keine klare Unterscheidung zwischen Therapieempfehlung einerseits und zurückliegender Exposition andererseits zu.
6.5.3
Grundlagen der Arzneimittelberatung in der Schwangerschaft
Empfehlungen bei Kinderwunsch bzw. bei eingetretener Gravidität Bei chronisch kranken Patientinnen sollte bei Kinderwunsch eine frühzeitige Einstellung auf eine in der Schwangerschaft erprobte Medikation erfolgen. Für die meisten Erkrankungen existieren Therapieregimes, die kein teratogenes Risiko mit sich bringen. ! Auf keinen Fall sollte bei Patientinnen mit chronischen Erkrankungen wie Asthma bronchiale, Epilepsie oder arterieller Hypertonie aus Angst vor Fehlbildungen auf jegliche Medikation verzichtet werden. Ein abruptes Absetzen kann zu einer Exazerbation der Grunderkrankung mit schweren Folgen für Mutter und Kind führen.
Risikoeinschätzung nach Exposition Oft werden von Patientinnen in Unkenntnis der Gravidität Medikamente eingenommen. Die aus juristischen Gründen sehr vorsichtig formulierten Angaben der Beipackzettel verursachen bei Schwangeren und betreuenden Ärzten häufig große Besorgnis. Der Vermerk in der Produktinformation über eine Kontraindikation bei Gravidität beruht meist auf
91 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
mangelnden Daten beim Menschen, auch wenn die Tierversuche keinen Anhalt für Teratogenität im humantherapeutischen Dosisbereich ergaben.
und Jejunalatresie berichtet. Im fortgeschrittenen Gestationsalter beobachtet man auch Perfusionsstörungen mit intrauterinem Fruchttod.
> Eine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch lässt sich nur bei wenigen Präparaten ableiten:
Glukokortikoide. Bei hoch dosierter systemischer Gabe von
4 Vitamin-A-Säure-Derivate (Retinoide), 4 Thalidomid, 4 Zytostatika.
Abklärung durch Pränataldiagnostik Sonographischer Ausschluss von Fehlbildungen Mit den Möglichkeiten der modernen Pränataldiagnostik lässt sich bei vielen Medikamentenexpositionen mit einem teratogenen Risiko ein zuverlässiger Fehlbildungsausschluss durchführen. Klärt man eine Patientin über eine potenzielle Fehlbildungsgefahr nach einer bereits erfolgten Arzneimittelanwendung in der Frühgravidität auf, so sollte man ihr ein gezieltes Screening in einem entsprechenden Zentrum anbieten. Neuralrohrdefekte, Herzfehler oder Extremitätendefekte sind typische Beispiele für Anomalien, die einer Diagnostik mit hochauflösenden Ultraschallgeräten gut zugänglich sind. Informiert man z. B. eine Patientin über das Risiko einer Spina bifida von 1–2% unter Carbamazepin, dann muss man ihr gleichzeitig erläutern, dass sich dieses Risiko durch eine sonographische Untersuchung im konkreten Fall abklären lässt. Eine solche Medikation kann also per se keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch darstellen. Folgende Arzneimittelanwendungen stellen eine zwingende Indikation zur sonographischen Fehlbildungsdiagnostik dar: ACE-Hemmer/AT-II-Rezeptor-Antagonisten. Bei fortgesetz-
ter Einnahme im 2./3. Trimenon können infolge tubulärer Dysgenesie Oligohydramnion, Gelenkkontrakturen, Lungenhypoplasie und Verknöcherungsstörungen der Schädelkalotte auftreten. Androgene. Aufgrund einer möglichen Maskulinisierung
weiblicher Feten sollte das äußere Genitale beurteilt werden. Antikonvulsiva. Bei Epileptikerinnen sind unter verschiedensten Medikationen kraniofaziale Dysmorphien, Extremitätenveränderungen und Retardierungen beschrieben.
Glukokortikoiden ist eine sonographische Kontrolle auf faziale Spaltbildungen angezeigt. Kumarinderivate (Phenprocoumon, Warfarin, Acenocoumarol). Ein Teil der beim Warfarinsyndrom beschriebenen Fehl-
bildungen lässt sich sonographisch erkennen, sodass sich das unter Warfarin beschriebene Fehlbildungsrisiko von etwa 14% weiter einschränken lässt: Bei etwa 50% der geschädigten Kinder treten Extremitätenhypoplasien unterschiedlicher Schweregrade auf, ein weiteres Kriterium ergibt sich aus der häufigen Hypoplasie der Nase. Leflunomid. Angesichts der Häufung von Extremitätendefekten und Hydrozephalus im Tierversuch sollte bei mangelnden Erfahrungen in der menschlichen Schwangerschaft eine sonographische Kontrolle der genannten Strukturen erfolgen. Lithium. Aufgrund älterer Publikationen wurde dem Lithium eine erhöhte Rate an Herzfehlern angelastet, was anhand neuerer, prospektiv erhobener Daten angezweifelt wird. Zumindest sollte jedoch einer exponierten Patientin ein fetales Echokardiogramm angeboten werden, da insbesondere etliche Fälle der sonst seltenen Ebstein-Anomalie beschrieben sind. Misoprostol. Das Prostaglandinderivat Misoprostol soll die Auslösung von Gastritiden durch Antiphlogistika verhindern, wird jedoch auch in höherer Dosis missbräuchlich zur Abortinduktion eingesetzt. Nach Tagesdosen von 400–16.000 μg (mittlerer Wert: 800 μg) im 1. Schwangerschaftsdrittel wurden gehäuft diverse Anomalien, v. a. Extremitätendefekte und Hirnnervenausfälle, registriert (Gonzalez et al. 1998). Mycophenolatmofetil. Auf der Grundlage von bislang 12 publizierten Fehlbildungsfällen wird neuerdings eine für das Immunsuppressivum Mycophenolatmofetil typische Embryopathie mit orofazialer Spaltbildung, Mikrotie, Atresie des äußeren Gehörgangs, Mikrognathie und Hypertelorismus postuliert (Merlob et al 2009).
Carbamazepin. Über die zuvor bei den Antikonvulsiva genannten Anomalien hinaus ist hier speziell auf das erhöhte Risiko von Neuralrohrdefekten (1–2%) zu achten.
Retinoide. Die überwiegend zur Aknetherapie eingesetzten Vitamin-A-Säure-Derivate stellen nach Thalidomid das gravierendste Teratogen unter den Medikamenten dar. Die schwerwiegendsten Defekte entstehen im Bereich des Zentralnervensystems, was sich sonographisch nicht ausreichend erfassen lässt. Störungen von Gesichts- und Gaumenbildung sowie kardiovaskuläre Defekte, die der sonographischen Diagnostik besser zugänglich sind, spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle.
Ergotamin. Die gefäßverengende, uteruskontrahierende Wirkung von Ergotamin kann zu fetaler Hypoxie führen. Nach Exposition im 1. und 2. Trimenon wird von Paraplegie, Gelenkversteifung, Gehirnatrophie, Arthrogryposis multiplex
Valproinsäure. Ähnlich wie bei Carbamazepin ist hier zusätzlich zu den bei den Antikonvulsiva beschriebenen Defekten mit einer erhöhten Rate an Neuralrohrdefekten (2%) zu rechnen.
Antiphlogistika. Lässt sich eine hoch dosierte Dauertherapie
mit nichtsteroidalen Antiphlogistika im letzten Trimenon nicht vermeiden, so sollte eine sonographische Kontrolle auf vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli erfolgen.
6
92 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Bei vielen neueren Präparaten, zu denen lediglich Daten aus Tierversuchen vorliegen, sollte der Patientin aus psychischer Indikation eine eingehende sonographische Diagnostik angeboten werden, um die Ängste zu reduzieren, die häufig aufgrund der Angaben auf den Beipackzetteln entstehen.
6
. Tab. 6.3. Schäden durch Arzneimittelanwendung in der Embryonalperiode
Medikament
Schädigung
Aminoglykoside
Oto-/Nephrotoxizität
Serummarker
Androgene
Maskulinisierung (ab etwa 8. SSW)
Bei Medikation mit Substanzen, die für ein erhöhtes Neuralrohrdefektrisiko verantwortlich gemacht werden (z. B. Valproinsäure, Carbamazepin), sollte um die 16. SSW das α-Fetoprotein aus dem mütterlichen Serum bestimmt werden.
Antikonvulsiva Carbamazepin Valproinsäure
Multiple Fehlbildungen v. a. Neuralrohrdefekte v. a. Neuralrohrdefekte
Ergotamin
Disruptionsanomalien
Kumarinderivate (Acenocoumarol, Phenprocoumon, Warfarin)
Multiple Fehlbildungen (bei Exposition über 8. SSW)
Leflunomid
Anophthalmie/Mikrophthalmie, Hydrozephalus, Skelettanomalien im Tierversuch bei moderaten Dosen (beim Menschen bislang keine Beurteilung möglich)
Lithium
Herz-/Gefäßfehlbildungen (nach neuen Publikationen nur gering erhöhtes Risiko!)
Mycophenolatmofetil
orofaziale Spaltbildung, Mikrotie, Atresie des äußeren Gehörgangs, Mikrognathie, Hypertelorismus
Misoprostol
Möbius-Sequenz, Extremitätendefekte
Penicillamin
Cutis laxa
Radiopharmaka
Multiple Defekte
Retinoide/ Vitamin A (> 25.000 IE/Tag)
Multiple Fehlbildungen
Thalidomid
Extremitätenfehlbildungen
Zytostatika
Multiple Fehlbildungen
Amniozentese Häufig werden Patientinnen nach Medikamentenexposition zur Zeit der Konzeption bzw. im Embryonalstadium Fruchtwasserpunktionen zur Abklärung einer eventuellen Schädigung angeboten. Da jedoch nur in wenigen Fällen mit einem Einfluss eines Medikaments auf den Karyotyp zu rechnen ist, kann man eine invasive Diagnostik aus diesem Grund nicht rechtfertigen. Eine Karyotypisierung sollte lediglich bei Anwendung von Zytostatika oder Radionukliden innerhalb von 6 Monaten vor Konzeption bei einem der Partner erwogen werden. Da der Chromosomensatz bei der Konzeption feststeht, sind Veränderungen nach Medikamentenanwendung in der Frühgravidität ohnehin nicht zu erwarten. Marker für Neuralrohrdefekte aus dem Fruchtwasser (α-Fetoprotein, Azetylcholinesterase) lassen sich durch sonographische Spezialdiagnostik in Kombination mit mütterlichem Serum-α-Fetoprotein ersetzen.
6.5.4
Schädigung durch Arzneimittelanwendung
Sofern bei der Besprechung der einzelnen Substanzen keine detaillierten Literaturangaben vermerkt sind, stützen sich die Aussagen auf die Übersichten bei Briggs et al. (2008) sowie Paulus u. Lauritzen (2009).
Embryonalperiode Bei wenigen Medikamenten ist eine fruchtschädigende Wirkung in der menschlichen Schwangerschaft nachgewiesen. Bei vielen Präparaten liegen beunruhigende Daten aus extrem hoch dosierten Tierversuchen vor; im humantherapeutischen Bereich reichen die bisherigen Erfahrungen oft nicht für eine klare Risikoabschätzung aus. Die in . Tab. 6.3 genannten Arzneimittel müssen als embryotoxisch eingestuft werden. Unter diesen Substanzen ist jedoch in Abhängigkeit von Dosis und Expositionszeit nur bei Radiopharmaka, Thalidomid, Retinoiden und Zytostatika ein Abbruch der Schwangerschaft ernsthaft zu erwägen. Bei den anderen Präparaten sollte lediglich die Pränataldiagnostik intensiviert werden.
der Fetalperiode zu rechnen ist. In . Tab. 6.5 wird auf Schäden hingewiesen, die bei einer Arzneimittelanwendung bis unmittelbar zur Geburt beim Neugeborenen auftreten können.
6.5.5
Antibiotika
β-Laktamantibiotika Penizilline und Cephalosporine sind als Antibiotika der 1. Wahl in der Schwangerschaft zu betrachten. Hierbei sollten die älteren Wirkstoffe bevorzugt werden, auch wenn die Präparate der neueren Generation sich im Tierversuch ähnlich unauffällig verhalten wie die erprobten Substanzen.
Fetal- und Peripartalperiode
Makrolidantibiotika
In . Tab. 6.4 werden schwerwiegende Komplikationen aufgeführt, mit denen bei Anwendung bestimmter Substanzen in
Neben Penicillinen und Cephalosporinen zählt Erythromycin – jenseits des 1. Trimenons – zu den Antibiotika der 1. Wahl.
93 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
. Tab. 6.4. Schäden durch Arzneimittelanwendung in der Fetalperiode
Medikament
Schädigung
ACE-Hemmer/ AT-II-RezeptorAntagonisten
Nierenschäden
Aminoglykoside
Oto-/Nephrotoxizität
Antiphlogistika (nichtsteroidal)
Verschluss des Ductus arteriosus
Androgene
Maskulinisierung
Ergotamin
Perfusionsstörung, IUFT
Glukokortikoide
Wachstumsrestriktion
Iodüberdosierung
Hypothyreose
Kumarinderivate
Intrazerebrale Blutungen
Radiopharmaka
Multiple Defekte
Tetrazykline
Gelbfärbung der Zähne
Zytostatika
Immunsuppression, Wachstumsrestriktion
Clindamycin kann zwar bei mehrwöchiger Behandlung eine pseudomembranöse Kolitis bei der Mutter auslösen, umfangreiche Erfahrungen in der menschlichen Schwangerschaft ergaben jedoch keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Spiramycin wird zur Behandlung der Toxoplasmose vor der 16. SSW empfohlen (3 g/Tag über 4 Wochen). Die neueren Makrolidantibiotika Roxithromycin, Clarithromycin und Azithromycin bereiteten bisher keine Probleme und können zumindest nach dem 1. Trimenon durchaus eingesetzt werden.
Tetrazykline Chlortetracyclin, Doxycyclin, Minocyclin, Oxytetracyclin und Tetracyclin gelten erst als problematisch, wenn die Mine-
ralisierung von Knochen und Zähnen beginnt. Ab der 16. SSW lagern sie sich an Kalziumionen von Zahnanlagen und Knochen an, was zu einer Gelbfärbung führen kann. Eine Wachstumshemmung der langen Röhrenknochen wurde nur bei Langzeitbehandlung Frühgeborener beobachtet. > Ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach Applikation im 1. Trimenon kann man nach jahrzehntelanger Erfahrung ausschließen.
Aminoglykoside
. Tab. 6.5. Schäden durch Arzneimittelanwendung in der Peripartalperiode
Medikament
Schädigung
ACE-Hemmer/ AT-II-RezeptorAntagonisten
Nierenschäden
Aminoglykoside
Oto-/Nephrotoxizität
Antidepressiva (tri-/tetrazyklisch)
Anpassungsstörungen
Barbiturate
Atemdepression, Entzugssymptome
Benzodiazepine
Anpassungsstörungen, Entzugssymptome
Ergotamin
Perfusionsstörung, Fruchttod
Neuroleptika
Extrapyramidalmotorische Störung
Kumarinderivate
Blutungsrisiko
Chloramphenicol
Grey-Syndrom
Lithium
Zyanose, Hypotonie, Hypothermie, Lethargie
Nitrofurantoin
Hämolytische Anämie, Ikterus
Opiate
Entzugssymptome
Sulfonamide
Hyperbilirubinämie
Tetrazykline
Gelbfärbung der Zähne
Aminoglykoside entfalten eine relevante systemische Wirkung nur nach parenteraler Applikation. Nach Streptomycinund Kanamycininjektionen wurden Gehörschäden bei den exponierten Kindern beobachtet. Bei Amikacin, Gentamicin, Netilmicin, Spectinomycin und Tobramycin sind derartige Fälle bisher nicht beschrieben. Sie sollten jedoch nur bei vital bedrohlichen Infektionen mit gramnegativen Problemkeimen unter strenger Kontrolle der Plasmaspiegel eingesetzt werden. Eine lokale Applikation (z. B. Augentropfen) ist angesichts der geringen Resorption zulässig.
Chloramphenicol Chloramphenicol verursacht keine Fehlbildungen. Es kann jedoch bei peripartaler Applikation zu einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Neugeborenen mit Nahrungsverweigerung, Erbrechen, aschgrauer Hautfarbe, Atemstörung und Kreislaufversagen führen (Grey-Syndrom).
Sulfonamide und Trimethoprim Aufgrund des Folsäureantagonismus bestanden Bedenken gegen den Einsatz von Sulfonamiden und Trimethoprim in der Schwangerschaft. In hohen Dosen ließen sich im Tierversuch zwar Defekte auslösen, doch waren entsprechende Anomalien im humantherapeutischen Einsatz über viele Jahrzehnte nicht zu beobachten. > Sulfonamide und Trimethoprim sollten daher im 1. Trimenon nicht gezielt verwendet werden; eine bereits erfolgte Anwendung bringt jedoch kein relevantes Fehlbildungsrisiko mit sich.
6
94 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Im 2. Trimenon sind Sulfonamide als Antibiotika der 2. Wahl akzeptabel. Wegen der Verdrängung von Bilirubin aus der Plasmaeiweißbindung sollten sie aber in den letzten Tagen vor der Geburt nicht eingesetzt werden, um einen verstärkten Neugeborenenikterus zu vermeiden. > Zur Behandlung der Toxoplasmose ab der 16. SSW gilt Sulfadiazin (2 g/Tag) in Kombination mit Pyrimethamin (25 mg/Tag) als Mittel der Wahl (Enders 1991).
Gyrasehemmer
6
Wegen Knorpelschäden bei Hunden in der Wachstumsphase wurden Chinolone als potenzielle Teratogene betrachtet. Entsprechende Veränderungen ließen sich jedoch bisher weder bei Tieren noch beim Menschen in der Schwangerschaft nachvollziehen. Auswertungen von über 1.000 exponierten Schwangeren ergaben kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. > Zwar gelten die Gyrasehemmer (Cinoxacin, Ciprofloxacin, Enoxacin, Fleroxacin, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Rosoxacin) nach wie vor als kontraindiziert in der Schwangerschaft, doch stellt ihre versehentliche Anwendung im 1. Trimenon keinen Grund zum Schwangerschaftsabbruch dar.
Nitrofurantoin Nitrofurantoin erreicht nur in den ableitenden Harnwegen therapeutisch wirksame Konzentrationen, weshalb es sich als Harnwegsantiseptikum bewährt hat. Im Fall eines angeborenen Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels kann nach präpartaler Exposition eine hämolytische Anämie mit verstärktem Neugeborenenikterus auftreten. Deshalb ist Nitrofurantoin im letzten Trimenon mit Vorsicht einzusetzen.
Nitroimidazole Zwar wurde bei hoch dosierten Tierversuchen mit Metronidazol ein mutagenes und kanzerogenes Potenzial festgestellt, doch konnte man beim Menschen nach langjähriger Erfahrung kein teratogenes Potenzial erkennen (Burtin et al. 1995). Eine orale oder vaginale Applikation von Metronidazol in der Schwangerschaft erscheint daher bei Infektion mit Anaerobiern oder Trichomonaden zulässig. Bei vitaler Indikation ist auch eine parenterale Behandlung von Anaerobierinfektionen vertretbar.
Antituberkulotika Da eine aktive Tuberkulose auch in der Schwangerschaft behandelt werden sollte, ist der Einsatz von Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol sowie Pyrazinamid als Reservemittel durchaus zulässig (Ad Hoc Committee 1995). Da Isoniazid (empfohlene Dosis: 5–8 mg/kg KG/Tag) den Pyridoxinstoffwechsel in Säugetierzellen beeinflusst, sollte es immer mit Pyridoxin (50 mg/Tag) kombiniert werden, um einem neurologischen Defekt vorzubeugen. Ethambutol ist als Bestandteil einer Kombinationstherapie in einer Dosis von 15–25 mg/kg KG/Tag akzeptabel.
Während Rifampicin in 5- bis 10facher humantherapeutischer Dosierung im Tierversuch teratogene Effekte zeigte, wurde beim Menschen unter 8–12 mg/kg KG/Tag kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko registriert. Da bei einer Langzeittherapie die Vitamin-K-Synthese der Mutter gehemmt wird, sollten Neugeborene zur Verhütung hämorrhagischer Komplikationen 2- bis 3-mal pro Woche 1 mg Vitamin K oral erhalten. Unter Pyrazinamid hat sich bisher weder im Tierversuch noch beim Menschen ein Anhalt für ein teratogenes Risiko ergeben, sodass es als Reservemittel gegen Tuberkulose verabreicht werden darf (empfohlene Dosis: 30 mg/kg KG/Tag). ! Auf Streptomycin sollte wegen des ototoxischen Risikos auf jeden Fall verzichtet werden.
6.5.6
Virustatika
Antiherpesmittel Aciclovir hemmt zwar die DNA-Synthese bei Varicella-zosterViren bzw. Herpesviren, doch ergaben sich bei über 650 Expositionen im 1. Trimenon keine Hinweise auf ein teratogenes Potenzial beim Menschen. Nach dermaler Applikation werden nur geringe Substanzmengen resorbiert, sodass keine Einwände gegen eine Anwendung in der Schwangerschaft bestehen. Die systemische Therapie sollte nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen. Bei einer floriden Infektion mit Herpes genitalis sollte präpartal unbedingt eine Sanierung mit Aciclovir erfolgen, um eine generalisierte Herpesinfektion des Neugeborenen zu vermeiden. Die neuen Derivate Famciclovir, Ganciclovir und Valaciclovir verhalten sich nach der vorläufigen Datenlage ähnlich wie Aciclovir, jedoch sollten sie wegen der begrenzten Erfahrungen in der menschlichen Gravidität derzeit noch zurückhaltend eingesetzt werden.
Amantadin Das gegen Influenza A wirksame Virustatikum Amantadin verhielt sich lediglich im Tierversuch in hohen Dosen teratogen, nach dem bisherigen Erkenntnisstand aber nicht im humantherapeutischen Einsatz. Von einer geplanten Anwendung in der Schwangerschaft sollte jedoch abgesehen werden.
Antiretrovirale Substanzen Der Wirkstoff Zidovudin, auch als Azidothymidin (AZT) bekannt, hemmt die Vermehrung von HIV. Das Medikament wird auch erfolgreich zur Vermeidung einer präpartalen HIVTransmission von der Mutter auf das Kind eingesetzt. In einer Multizenterstudie konnte nachgewiesen werden, dass der Einsatz von Zidovudin (500 mg/Tag) während der Schwangerschaft sowie die Fortführung der Behandlung beim Neugeborenen über 6 Wochen post partum die vertikale Transmission um annähernd zwei Drittel senkt (Conner et al. 1994). Bei über 2.000 dokumentieren Lebendgeburten nach Exposition mit Lamivudin im 1. Trimenon ergab sich bisher ebenfalls kein Anhalt für ein teratogenes Risiko (Antiretrovir Pregnancy Registry 2007).
95 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
6.5.7
Anthelminthika
nachgewiesen werden. Von einer geplanten systemischen Therapie im 1. Trimenon ist jedoch abzuraten.
Die meisten Anthelminthika werden in nur geringem Umfang aus dem Intestinaltrakt resorbiert, sodass nur eine niedrige Belastung von Embryo bzw. Fetus mit diesen Substanzen zu erwarten ist. Bei folgenden Wirkstoffen liegen Erfahrungen in der Schwangerschaft vor, ohne dass sich bisher ein Zusammenhang mit einer Fruchtschädigung ergeben hätte: 4 Mebendazol: bei Befall mit Oxyuren und Askariden, 4 Pyrviniumembonat: bei Befall mit Oxyuren, 4 Niclosamid: bei Bandwurmbefall.
> Eine Anwendung von Itraconazol, Fluconazol oder Ketoconazol in Unkenntnis der Gravidität stellt keinesfalls eine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar. Vielmehr sollte zur Beruhigung der Patientin eine ausführliche sonographische Diagnostik unter besonderer Berücksichtigung von Schädel, Skelett und Herz angeboten werden.
Pyrantel und Praziquantel sind in der Schwangerschaft weni-
Während die lokale Therapie als unbedenklich gilt, sollte ein systemischer Einsatz von Amphotericin B in der Schwangerschaft nur unter strengster Indikationsstellung erfolgen. Kasuistiken über Aborte und Wachstumsrestriktionen unter Infusionstherapie stehen Berichte über unauffällige Schwangerschaftsverläufe gegenüber. In Anbetracht der erheblichen Nebenwirkungen (Nierenschäden, Fieber) und der geringen Erfahrungen in der Gravidität sollte von einer Anwendung in der Schwangerschaft abgesehen werden.
ger erprobt, stehen aber bisher nicht im Verdacht, Fehlbildungen zu verursachen. Albendazol löste im Tierversuch Schäden am neuroektodermalen Gewebe aus, sodass bei geringen Erfahrungen von einem Einsatz in der menschlichen Gravidität abgeraten werden muss. > Da es sich bei einem Wurmbefall meist nicht um eine akute Behandlungsindikation handelt, kann ein Abwarten bis zum 2. Trimenon erwogen werden.
Amphotericin B
Griseofulvin 6.5.8
Antimykotika
Nystatin Da Nystatin praktisch nicht resorbiert wird, bestehen keinerlei Bedenken gegen einen Einsatz in allen Phasen der Schwangerschaft. Es gilt als Mittel der Wahl bei Candidainfektionen von Haut und Schleimhaut.
Imidazole Die Imidazolderivate hemmen die Ergosterolbiosynthese und zerstören auf diesem Weg die Integrität der Zellwand von Pilzen. Einige Vertreter dieser Substanzklasse werden kaum resorbiert, sodass sie nur lokal angewendet werden. Der erprobteste Wirkstoff aus dieser Gruppe ist Clotrimazol, das häufig zur Behandlung vaginaler Mykosen eingesetzt wird. Ein Beweis für eine durch Clotrimazol induzierte Zunahme der Spontanaborte liegt nicht vor. Neuere Imidazolderivate, die zur lokalen antimykotischen Therapie angeboten werden, haben zwar bisher kein embryotoxisches Potenzial gezeigt, sind jedoch beim Menschen wesentlich weniger erprobt. Bifonazol, Croconazol, Econazol, Fenticonazol, Isoconazol, Miconazol, Omoconazol, Oxiconazol, Sertaconazol und Tioconazol kommen daher zur loka-
len Behandlung in der Schwangerschaft nur infrage, wenn Nystatin und Clotrimazol keinen Erfolg bringen. Die Imidazolderivate Itraconaozol, Fluconazol und Ketoconazol werden systemisch angewandt. Tierversuche mit sehr hohen Dosen zeigten Schäden, v. a. am Skelettsystem. Nach Langzeittherapie mit Fluconazol (400–800 mg/Tag) liegen 3 Berichte über Fehlbildungen an Schädel, Skelett und Herz vor (Pursley et al. 1996). Bei kurzfristigem systemischem Einsatz der Imidazolderivate in mehreren hundert Schwangerschaften konnte bisher kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko
Griseofulvin wird zur oralen Langzeittherapie von Nagelmykosen benutzt. Im Tierversuch zeigte es mutagene und kanzerogene Effekte. Beim Menschen wird zwar eine Häufung von siamesischen Zwillingen diskutiert, weitere Fruchtschäden konnten dem Griseofulvin jedoch bisher nicht angelastet werden. > Der Eintritt einer Schwangerschaft unter Griseofulvin sollte lediglich zu einer ausführlichen sonographischen Diagnostik veranlassen; ein Schwangerschaftsabbruch ist aus diesem Grund nicht gerechtfertigt.
Neuere Lokalantimykotika Die neueren lokal wirksamen Antimykotika wie Amorolfin, Ciclopiroxolamin, Naftifin, Terbinafin und Tolnaftat werden nach topischer Anwendung kaum systemisch aufgenommen. Es liegen bislang keine Hinweise auf eine Embryotoxizität vor.
6.5.9
Antihypertensiva
> Bei Planung einer Schwangerschaft sollte eine arterielle Hypertonie bevorzugt mit älteren β-Blockern, Methyldopa oder Dihydralazin eingestellt werden. Methyldopa und Dihydralazin sind wegen ihres Nebenwirkungsspektrums (z. B. Lupus-erythematodes-ähnliches Syndrom) außerhalb der Schwangerschaft weniger gebräuchlich. Nach dem 1. Trimenon kommen als Mittel der 2. Wahl Nifedipin, Clonidin, Prazosin oder Urapidil infrage. Bei einer ausgeprägten schwangerschaftsinduzierten Hypertonie steht das antikonvulsiv wirksame Magnesium zur Verfügung.
6
96 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Die nicht für eine Dauertherapie in der Schwangerschaft geeigneten Antihypertensiva rechtfertigen jedoch keinen Schwangerschaftsabbruch, wenn die Medikation nach Feststellung der Schwangerschaft im 1. Trimenon auf die bewährten Präparate umgestellt wird.
wäre eine Störung durch Kalziumantagonisten denkbar. Die neueren Präparate Amlodipin, Diltiazem, Felodipin, Gallopamil, Isradipin, Nilvadipin, Nimodipin, Nisoldipin und Nitrendipin sollten im 1. Trimenon möglichst zurückhaltend eingesetzt werden.
Methyldopa
Magnesiumsulfat (MgSO4)
Methyldopa kann in einer Dosierung bis 2.000 mg/Tag (verteilt auf 3–4 Einzeldosen) in allen Phasen der Schwangerschaft verabreicht werden.
In der Spätschwangerschaft hat sich der Einsatz von Magnesium unter verschiedenen Indikationen bewährt. Neben der Wehenhemmung dient es als Infusionslösung auch zur Behandlung der Präeklampsie bzw. Eklampsie. Es senkt nicht nur den Blutdruck, sondern auch die Krampfneigung der Mutter.
β-Blocker
6
Unter den β-Blockern sollten vorrangig die älteren β1-spezifischen Präparate wie Metoprolol (Tagesdosis: bis 200 mg), verordnet werden. Berichte über intrauterine Wachstumsrestriktion unter Therapie mit β-Blockern sind kritisch zu betrachten, da dies auch durch die Grunderkrankung bedingt sein kann. Da β-Blocker plazentagängig sind, können sie beim Neugeborenen Bradykardie, Hypotonie und Hypoglykämie auslösen. Die meist nur milden Symptome, die innerhalb der ersten 48 h post partum verschwinden, erfordern lediglich eine aufmerksame Überwachung des Neugeborenen. Ein Absetzen der Medikation 24–48 h vor Entbindung ist nicht erforderlich. Ist eine Schwangerschaft unter einem weniger erprobten β-Blocker eingetreten, so ist nicht mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko zu rechnen; jedoch sollte eine Umstellung auf ein älteres Präparat erwogen werden. Zur Lokalbehandlung bei Glaukom hat sich der β-Blocker Timolol auch in der Schwangerschaft bewährt.
Dihydralazin Dihydralazin gehört zu den bei Schwangerschaftshypertonie am längsten benutzten Medikamenten (orale Tagesdosis: bis 100 mg), ohne dass sich bisher ein Anhalt für Teratogenität ergeben hätte. Bei Hochdruckkrisen im Rahmen einer Präeklampsie kann es auch intravenös verabreicht werden.
Clonidin Das überwiegend zentral wirksame Antihypertensivum Clonidin zeigte keine Häufung morphologischer Anomalien bei Neugeborenen behandelter Mütter. In einem kleineren Kollektiv fielen bei einer Nachuntersuchung der Kinder im Alter von 6 Jahren hyperaktives Verhalten und Schlafstörungen auf, was sich mit ähnlichen Beobachtungen in Tierversuchen deckt. Clonidin sollte daher als Antihypertensivum der 2. Wahl in der Schwangerschaft betrachtet werden.
ACE-Hemmer/AT-II-Rezeptor-Antagonisten Unter den Antihypertensiva, die das angiotensinkonvertierende Enzymsystem hemmen, sind Captopril und Enalapril am besten untersucht. Probleme traten bei Fortsetzung der Medikation im 2. und 3. Trimenon auf. Dabei wurden Fälle von Oligohydramnion, Hypoplasie der Schädelknochen, Niereninsuffizienz bis hin zur dialysepflichtigen Anurie sowie intrauterine Fruchttode beobachtet. Ähnliche Auffälligkeiten lassen sich auch im Tierversuch erkennen. Bei den neueren ACE-Hemmern Benazepril, Cilazapril, Fosinopril, Lisinopril, Perindopril, Quinapril, Ramipril und Trandolapril fehlen ausreichende Daten. Entsprechendes gilt für die neuere Substanzklasse der Angiotension-II-Rezeptor-Antagonisten (Candesartan, Losartan, Irbesartan, Valsartan, Telmisartan, Eprosartan). Nach Behandlung der Mutter mit den Wirkstoffen Candesartan, Losartan oder Valsartan in der Spätschwangerschaft wurden Oligohydramnion, Anhydramnion, dialysepflichtige Anurie des Neugeborenen, Verknöcherungsstörungen der Schädelkalotte, Lungenhypoplasie und Extremitätenkontrakturen beobachtet. > Tritt eine Schwangerschaft unter Dauermedikation mit ACE-Hemmern oder Angiotension-II-RezeptorAntagonisten ein, sollte umgehend auf eines der bewährten Antihypertensiva umgestellt werden. Eine ausführliche sonographische Diagnostik ist anzuraten.
6.5.10
Antikonvulsiva
Kalziumantagonisten
> Kinder epileptischer Mütter weisen insbesondere unter Medikation mit Valproat und Polytherapie häufiger kongenitale Anomalien, Wachstumsrestriktionen und kognitive Entwicklungsstörungen auf (Harden et al. 2009a).
Unter den Kalziumantagonisten sind Nifedipin und Verapamil beim Menschen in der Schwangerschaft noch am besten untersucht. Allerdings konzentrieren sich die Erfahrungen auf die Anwendung im 2. und 3. Trimenon. Da sich bei Tierversuchen teilweise Extremitätendefekte ergaben, ist man mit einem Einsatz in der Frühgravidität vorsichtig. Weil viele embryonale Differenzierungsprozesse kalziumabhängig sind,
Dennoch muss eine Epileptikerin mit Kinderwunsch ermutigt werden, da sie unter einer geeigneten Monotherapie eine Chance von über 90% besitzt, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Es ist nicht geklärt, in welchem Ausmaß Fehlbildungen auf die Grunderkrankung bzw. auf die Therapie zurückzuführen sind.
97 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
Richtlinien für eine antikonvulsive Therapie 4 Eine antikonvulsive Therapie mit Valproat sollte in der Schwangerschaft möglichst vermieden werden (erhöhtes Risiko für Fehlbildungen und kognitive Defizite!). Erprobte Antikonvulsiva wie Carbamazepin oder Lamotrigin sind vorzuziehen. 4 Bei Kinderwunsch sollte ein möglicher Auslassversuch bzw. eine Umstellung auf eine risikoärmere Medikation bereits vor Konzeption, nicht erst in der Frühgravidität erwogen werden. 4 In erster Linie sollte die Anfallsfreiheit der Patientin gewährleistet sein. Anfälle in der Schwangerschaft stellen eine Gefährdung von Mutter und Kind dar. 4 Aufgrund pharmakokinetischer Veränderungen fallen die Serumspiegel der meisten Antikonvulsiva in der Schwangerschaft ab. Ohne Dosisanpassung kann dies zu einer Steigerung der Anfallsfrequenz führen. Dies ist v. a. unter Medikation mit Lamotrigin zu beachten. 4 Die antikonvulsive Therapie muss sich nach dem Anfallstyp richten. Antikonvulsiva sind nicht beliebig gegeneinander austauschbar. Die Medikation muss in enger Absprache mit dem betreuenden Neurologen ausgewählt werden. 4 Eine Monotherapie ist hinsichtlich des Fehlbildungsrisikos eindeutig einer Kombinationstherapie vorzuziehen. 4 Insbesondere während der Organogenese sollte die niedrigste effektive Dosis unter Serumspiegelkontrolle einge-
Barbiturate Unter den Barbituraten werden zur antikonvulsiven Behandlung v. a. Phenobarbital und Primidon benutzt. Verschiedene Statistiken beziffern die Rate organischer Auffälligkeiten nach intrauteriner Exposition auf das 2- bis 3Fache der Basisinzidenz. Auch mentale Entwicklungsverzögerungen werden gehäuft beschrieben. Da Barbiturate in den Vitamin-K-Metabolismus eingreifen, wird zur Vermeidung von Gerinnungsstörungen die orale Gabe von Vitamin K1 (1 mg alle 2 Tage) in den ersten Wochen empfohlen.
Benzodiazepine Als Antikonvulsiva finden v. a. Diazepam und Clonazepam Verwendung. Über die allgemeinen Ausführungen zu den Antikonvulsiva hinaus ist auf postpartale Komplikationen nach Dauertherapie mit Benzodiazepinen hinzuweisen: zunächst Atemdepression, dann Entzugssymptome (Unruhe, Tremor, Muskelhypertonus, Erbrechen, Durchfall, Krampfanfälle) bzw. »Floppy-infant-Syndrom« (Lethargie, Muskelhypotonie, Trinkschwäche, Hypothermie).
Phenytoin Die ursprünglich unter Phenytoin beschriebenen Anomalien wurden mit dem Begriff »fetales Hydantoinsyndrom« zusammengefasst: kraniofaziale Dysmorphien (breiter Nasenrücken, niedriger Haaransatz, Hypertelorismus, tiefsitzende Ohren, Epikanthus, Ptosis, Lippen- und Gaumenspalten,
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nommen werden. Eine dosisabhängige Häufung von Neuralrohrdefekten ist v. a. für Valproinsäure anzunehmen. Um hohe Spitzen im Serumspiegel zu vermeiden, sollte die Tagesdosis auf mehrere Einzelgaben verteilt werden. Jeder Epileptikerin muss eine sorgfältige Pränataldiagnostik angeboten werden. Insbesondere unter Valproinsäure sollten AFP-Bestimmungen (16. SSW) aus dem mütterlichen Serum sowie eine intensive Ultraschalldiagnostik zum Ausschluss von Neuralrohrdefekten durchgeführt werden. Eine tägliche Folsäuregabe (5 mg/Tag) bereits vor Konzeption und während des 1. Trimenons kann das Risiko von Neuralrohrdefekten senken. Die antikonvulsive Therapie muss auch unter Wehen im Kreißsaal beibehalten werden, da gerade bei Schlafentzug das Risiko von Krampfanfällen steigt. Treten dennoch während der Entbindung Krampfanfälle auf, dann sollten intravenös Benzodiazepine verabreicht werden. Es gibt keine ausreichende Evidenz für ein erhöhtes mütterliches oder kindliches Blutungsrisiko unter mütterlicher Anwendung von Antikonvulsiva. Die mitunter empfohlene präpartale Gabe von Vitamin K an die Mutter lässt sich nicht mit wissenschaftlichem Datenmaterial untermauern. Prinzipiell wäre die orale Vitamin-K-Prophylaxe für Neugeborene ausreichend (Harden et al. 2009b).
Mikrozephalie, kurzer Hals), Nagelhypoplasie, Verkürzungen der Endglieder von Fingern und Zehen, prä- und postnatale Wachstumsrestriktion, Herzfehler, Einschränkungen der kognitiven Entwicklung. Meist zeigte sich nur ein Teil dieser Stigmata. Die genetisch determinierte Aktivität der Epoxidhydrolase wird für die Konzentration teratogen wirksamer Epoxide im embryonalen Organismus verantwortlich gemacht. Damit ließe sich auch erklären, warum sich Fehlbildungen unter antikonvulsiver Therapie in manchen Familien häufen, während andere Epileptikerinnen mehrere Schwangerschaften unter hoch dosierter antikonvulsiver Therapie problemlos austragen. Ähnlich wie die Barbiturate greift Phenytoin in den Vitamin-K-Metabolismus ein, sodass postpartal eine orale Substitution beim Neugeborenen anzuraten ist.
Carbamazepin Carbamazepin wird nicht nur zur antikonvulsiven Therapie, sondern auch bei Trigeminusneuralgie und zur Prophylaxe manisch-depressiver Episoden eingesetzt. Verschiedene Publikationen beschreiben ähnliche Fehlbildungen, wie sie unter Phenytoin beobachtet wurden: kraniofaziale Dysmorphien, Mikrozephalie, Wachstumsrestriktion, Nagelhypoplasie. Das Risiko einer Spina bifida wird auf das etwa 10Fache (1%) des Basisrisikos beziffert. Auch hier wird ein Zusammenhang der Fruchtschäden mit der Aktivität der fetalen Epoxidhydrolase diskutiert.
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98 Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
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Ist eine Epilepsie unter einer Monotherapie mit Carbamazepin stabil (600–1200 mg/Tag in 3–4 Einzeldosen), so kann diese Medikation unter Nutzung der entsprechenden Möglichkeiten der Pränataldiagnostik (AFP, Sonographie) fortgesetzt werden.
Da Lamotrigin die Dihydrofolatreduktase hemmt, sollte auf einen korrekten Verschluss des Neuralrohrs geachtet werden. Eine ausführliche Fehlbildungsdiagnostik ist anzuraten.
Valproinsäure
Für die neueren Antikonvulsiva wie Felbamat, Gabapentin, Levetiracetam, Pregabalin, Sultiam, Tiagabin, Topiramat, Vigabatrin und Zonisamid reichen die bisher dokumentierten
Aufgrund seiner Lipophilie ist Valproinsäure gut plazentagängig. Auch unter dieser Medikation sind Gesichtsdysmorphien (kleine Nase, tiefsitzende Ohren, kleiner Mund, vorspringende Stirn), somatische und psychomotorische Retardierungen, Extremitäten- und Herzanomalien gehäuft beobachtet worden. Darüber hinaus besteht unter Valproinsäure ein etwa 20faches Risiko für Neuralrohrdefekte (etwa 2%). Aber auch eine Zunahme neurologischer Entwicklungsstörungen registrierte man insbesondere bei Tagesdosen ab 1.000 mg. > Neuere Untersuchungen deuten auf ein signifikant höheres Fehlbildungsrisiko (ca. 15%) unter Valproinsäure gegenüber anderen Antikonvulsiva hin, v. a. unter Kombinationstherapien (Ornoy 2009). Tritt eine Schwangerschaft unter Valproinsäure ein, so sollte umgehend Folsäure verordnet und eine adäquate Pränataldiagnostik (AFP, Sonographie) angeboten werden. Vorteilhaft ist die Aufteilung einer möglichst moderaten Tagesdosis in mehrere Einzeldosen, wenn eine Umstellung auf ein anderes Antikonvulsivum nicht bereits vor Eintritt der Schwangerschaft gelang.
Bei Kinderwunsch sollte interdisziplinär mit dem betreuenden Neurologen die Möglichkeit einer Umstellung auf andere Antikonvulsiva (z. B. Lamotrigin) diskutiert werden.
Succinimide Ethosuximid wirkt nur bei Petit-mal-Anfällen. Im Tierver-
such zeigten sich teratogene Effekte (Anomalien von Skelett, ZNS, Augen, Extremitäten). Da beim Menschen relativ wenig Erfahrungen vorliegen, ist auch hier entsprechende Vorsicht wie bei den anderen Antikonvulsiva geboten. Zur Blutungsprophylaxe sollte dem Neugeborenen auch nach intrauteriner Ethosuximidexposition Vitamin K oral verabreicht werden.
Lamotrigin Bei Lamotrigin liegen außer unauffälligen Daten aus Tierversuchen auch größere Erfahrungen über Anwendungen im 1. Trimenon beim Menschen vor (Lamotrigine Pregnancy Registry 2008): Nach Monotherapie mit Lamotrigin traten 31 Anomalien unter 1.155 Geburten auf (2,7%; 95%-Konfidenzintervall: 1,9–3,8%). Ein spezifisches Fehlbildungsmuster ließ sich in diesem Herstellerregister nicht erkennen. Das UK Epilepsy and Pregnancy Register erfasste 647 Schwangerschaften unter Monotherapie mit Lamotrigin: Darunter befanden sich 21 Kinder mit größeren Anomalien (3,2%). Die Fehlbildungsrate unterschied sich nicht signifikant von der Kontrollgruppe mit Carbamazepin. Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Dosis im 1. Trimenon und der Fehlbildungsrate (Morrow et al. 2006).
Zusatzantiepileptika
Expositionen in der menschlichen Schwangerschaft noch nicht für eine klare Risikobewertung aus. Eine außergewöhnliche Steigerung des Fehlbildungsrisikos gegenüber anderen Antikonvulsiva lässt sich bisher nicht erkennen. Eine Anwendung in Unkenntnis der Gravidität stellt daher keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar.
6.5.11
Psychopharmaka
Psychopharmaka sind meist gut plazentagängig und greifen auch in den Neurotransmitterhaushalt des Ungeborenen ein. Inwieweit daraus Verhaltensänderungen beim Kind resultieren können, ist nicht eindeutig geklärt. Tierversuche ergaben jedenfalls z. T. Verhaltensstörungen bei den Nachkommen. Daher sollten Psychopharmaka nur unter strenger Indikationsstellung in der Schwangerschaft verabreicht werden.
Neuroleptika Neuroleptika sind Substanzen, die eine antipsychotische Wirkung besitzen, ohne das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten wesentlich zu beeinflussen. Treten bei Schwangeren psychomotorische Erregungszustände, Angst und Trugwahrnehmungen auf, dann lässt es sich oft nicht vermeiden, die Medikation mit Neuroleptika auch in der Gravidität fortzusetzen. Eine niedrigdosierte Monotherapie sollte bevorzugt werden. > Je potenter ein Neuroleptikum ist, desto ausgeprägter zeigen sich aufgrund der Beeinflussung des Dopaminstoffwechsels extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen. Diese können nicht nur die Mutter, sondern auch das Neugeborene beeinträchtigen, sodass beim Kind post partum auf derartige Veränderungen geachtet werden muss. Phenothiazine/Thioxanthene. Als Prototyp der Phenothia-
zine gilt Chlorpromazin, von dem inzwischen zahlreiche neuere Wirkstoffe abgeleitet wurden. Zwar existieren Berichte über Mikrozephalie, Syndaktylie und Herzfehler unter Phenothiazinmedikation, ein kausaler Zusammenhang ließ sich jedoch bei größeren Untersuchungen bisher nicht nachweisen. In erster Linie sollten jedoch die älteren Präparate aus dieser Substanzklasse verordnet werden, zu denen Erfahrungen in der menschlichen Schwangerschaft vorliegen, z. B. Chlorpromazin, Promazin, Triflupromazin, Thioridazin, Levomepromazin, Fluphenazin, Perphenazin, Trifluperazin. Postpartal können nach intrauteriner Langzeitexposition beim Neugeborenen z. T. über Wochen anhaltende extrapyra-
99 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
midale Symptome auftreten. Außerdem wird über Anpassungsstörungen mit geringer Sedierung oder motorischer Unruhe berichtet. Butyrophenone. Als klassischer Vertreter der Butyropheno-
ne gilt Haloperidol. Zwar wurde in der Literatur gelegentlich über Fehlbildungen berichtet (Herz, Extremitäten), doch konnte kein statistischer Nachweis für eine Häufung solcher Defekte erbracht werden. Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft liegen auch für Fluspirilen vor. Erfahrungen mit neueren Vertretern dieser Klasse (Benperidol, Bromperidol, Droperidol, Melperon, Pipamperon, Trifluperidol, Pimozid) sind eher gering, sodass bei Therapieplanung auf die erprobteren Substanzen zurückgegriffen werden sollte. Nach Langzeittherapie mit höheren Dosen ist beim Neugeborenen mit extrapyramidalen Symptomen sowie Anpassungsstörungen (Unruhe, Sedierung, Trinkschwäche) zu rechnen. Atypische Neuroleptika. Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin, Risperidon, Sulpirid, Quetiapin und Ziprasidon zeichnen sich durch eine starke antipsychotische Wirkung bei geringen extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen aus. Weder die Tierversuche noch die bisher begrenzten Erfahrungen beim Menschen ergaben bislang Hinweise auf ein teratogenes Potenzial. Die meisten Daten liegen für Clozapin, Olanzapin und Risperidon vor, die unter strenger Indikationsstellung bei Versagen therapeutischer Alternativen angewendet werden können. Da Olanzapin Glukosetoleranzstörungen auslösen kann, ist besonders in der 2. Schwangerschaftshälfte auf die Entwicklung eines Gestationsdiabetes zu achten. > Ein Schwangerschaftsabbruch bei Konzeption unter atypischen Neuroleptika lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht rechtfertigen. Bei schweren Psychosen muss die Medikation mit diesen Substanzen u. U. beibehalten werden, um eine in der Schwangerschaft unerwünschte Exazerbation der Grunderkrankung zu vermeiden.
Antidepressiva Tri-/tetrazyklische Antidepressiva. Trizyklische Antidepressiva gelten als geeignet zur Behandlung von Depressionen in der Schwangerschaft. Sie blockieren die Wiederaufnahme von Transmittern wie Noradrenalin und Serotonin in adrenerge Nervenendigungen. Aufgrund ihrer hohen Lipidlöslichkeit treten sie rasch diaplazentar über. Zwar liegen Berichte über Extremitätenfehlbildungen, Herzfehler, Polydaktylie und Hypospadie vor, doch ließ sich der Verdacht auf teratogene Effekte auch bei den länger gebräuchlichen Präparaten bisher nicht bestätigen (McElhatton et al. 1996). Nachuntersuchungen im Vorschulalter nach pränataler Exposition mit trizyklischen Antidepressiva zeigten gegenüber einer Kontrollgruppe keine Abweichungen hinsichtlich Intelligenzentwicklung, Verhalten und Sprachvermögen (Nulman et al. 1997).
Eine Monotherapie mit lange eingeführten Präparaten wie Amitriptylin, Desipramin, Imipramin oder Nortriptylin ist
bei entsprechender Indikation anzustreben. > Bei hoch dosierter Therapie ante partum können beim Neugeborenen folgende Symptome auftreten: Tachyarrhythmie, Tachypnoe, Zyanose, Tremor, Trinkschwäche, Konvulsionen, Harnverhalt.
Das Swedish Medical Birth Registry dokumentierte 6.555 Kinder nach intrauteriner Exposition mit Serotonin-ReuptakeHemmern (SSRI) in der Frühschwangerschaft. Die kumulierte Fehlbildungsrate lag bei 4,1%, was dem erwarteten Hintergrundrisiko entspricht. Dabei wurde kein typisches Fehlbildungsmuster beobachtet (Kallen u. Otterblad Olausson 2007). Nach mütterlicher Behandlung mit dem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) Venlafaxin in der sensiblen Phase der Organdifferenzierung (1. Trimenon) fand sich im schwedischen Schwangerschaftsregister unter 505 Neugeborenen ebenfalls keine Zunahme angeborener Anomalien (Lennestål u. Källén 2007). Unter Berücksichtigung aktueller Metaanalysen lässt sich unter Medikation mit Paroxetin im 1. Trimenon allenfalls ein Anstieg des Risikos für kongenitale Herzvitien von 0,7% in der Allgemeinbevölkerung auf 1% erkennen (Alwan u. Friedman 2009). Auf der Grundlage von Fallkontrollstudien wird außerdem ein Zusammenhang zwischen der Anwendung von SSRI in der 2. Schwangerschaftshälfte und der Entwicklung einer neonatalen pulmonalen Hypertonie diskutiert. Kohortenstudien konnten diesen Verdacht bislang nicht erhärten (Andrade et al. 2009). Nach präpartaler SSRI-Medikation wurden vorübergehende Anpassungsstörungen wie Zittrigkeit, Übererregbarkeit, erhöhter Muskeltonus, Atem- und Ernährungsstörungen, Krampfanfälle, Unruhe und anhaltendes Schreien festgestellt. Daher sollte in den ersten Lebenstagen auf entsprechende Symptome geachtet werden. > Die bisherigen Erfahrungen mit den Serotonin-Reuptake-Hemmern Citalopram und Sertralin lassen einen Einsatz in der Schwangerschaft unter strenger Indikationsstellung zulässig erscheinen. Fluoxetin und Paroxetin sind eher zurückhaltend zu verwenden. Postpartale Adaptationsprobleme müssen bei der geburtshilflichen Planung berücksichtigt werden. Monoaminooxidasehemmer. Durch Hemmung der Monoaminooxidase nehmen die Konzentrationen der Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin in den Synapsen zu. Für die antriebssteigernden Wirkstoffe Tranylcypromin und Moclobemid liegen jedoch beim Menschen zu wenig Erfahrungen vor, um ihre Anwendung ohne Bedenken empfehlen zu können. Ein unbeabsichtigter Einsatz in der Frühgravidität sollte jedoch lediglich zu einer sorgfältigen Ultraschalldiagnostik veranlassen. Lithium. Bei manisch-depressiven Psychosen dienen Lithiumsalze der Prophylaxe manischer Episoden. Lithium ist gut
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100
Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
plazentagängig, sodass sich die Konzentrationen in mütterlichem Serum und Nabelschnurblut ähneln.
Studienbox
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Studien an Säugetieren ergaben sehr unterschiedliche Resultate hinsichtlich der Auslösung von Fehlbildungen. Bei einigen Versuchsreihen mit Mäusen zeigte sich in Konzentrationen, die dem humantherapeutischen Bereich entsprechen, eine Häufung von Gaumenspaltbildungen, Skelettdefekten und Neuralrohrdefekten. Ein 1968 von Dänemark ausgehendes Lithium-Babyregister legte einen Zusammenhang mit kongenitalen Herzfehlern nahe. 18 von 225 exponierten Kindern wiesen einen Herzfehler auf (8%), wovon 6 Kinder unter einer EbsteinAnomalie litten, einem rechtsventrikulären Vitium, das sonst nur mit einer Inzidenz von 1:20.000 auftritt. Eine prospektive kanadische Studie zeigte unter 138 exponierten Schwangeren im 1. Trimenon einen Fall von Ebstein-Anomalie bei einer insgesamt nicht erhöhten Fehlbildungsrate (Jacobson et al. 1992).
Da bei einem Register retrospektiv vermehrt Auffälligkeiten gemeldet werden, während die gesunden Kinder nach Exposition unterrepräsentiert sind, muss man das reale Risiko eines Herzfehlers unter Lithiumexposition im 1. Trimenon sicher niedriger als 8% (Hintergrundinzidenz von Herzvitien: etwa 0,9%) einstufen (Yacobi u. Ornoy 2008). > Nach einer Lithiummedikation im 1. Trimenon sollte man eine ausführliche fetale Echokardiographie veranlassen. Grundsätzlich stellt eine Lithiumexposition keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar.
Bei Kinderwunsch sollte zumindest auf eine möglichst niedrige Dosis (Einzeldosis max. 300 mg) eingestellt werden. Bei präpartaler Anwendung wurden als Anzeichen von Lithiumintoxikation beim Neugeborenen beschrieben: Zyanose, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, Diabetes insipidus, Krampfanfälle und Hypothyreose. Carbamazepin. Als Alternative zu Lithium wird Carbamaze-
pin zur Prophylaxe manisch-depressiver Schübe eingesetzt. Da es allerdings das Risiko für Neuralrohrdefekte auf 1–2% erhöht, ist eine entsprechende sonographische Feindiagnostik zu empfehlen. Lamotrigin. Das Antikonvulsivum Lamotrigin hat sich eben-
falls zur Prophylaxe bipolarer Störungen bewährt. Angesichts der bisherigen Erfahrungen in der menschlichen Schwangerschaft würde sich Lamotrigin als Alternative zu Lithium anbieten.
Anxiolytika Benzodiazepine werden als Tranquilizer, Schlafmittel und Antikonvulsiva eingesetzt. Im Lauf der letzten 20 Jahre wurden von der Muttersubstanz Diazepam zahlreiche Derivate ent-
wickelt, die sich in ihren pharmakokinetischen Eigenschaften unterscheiden. Als kurz wirksame Präparate sind Brotizolam, Flurazepam, Midazolam und Triazolam überwiegend zur Narkoseeinleitung und als Schlafmittel in Gebrauch. Mittellang wirksame Präparate wie Alprazolam, Bromazepam, Flunitrazepam, Lorazepam, Loprazolam, Lormetazepam, Nitrazepam, Oxazepam und Temazepam werden als
Sedativa und Hypnotika verwendet. Als Anxiolytika benutzt man überwiegend die lang wirksamen Benzodiazepine Chlordiazepoxid, Clobazam, Diazepam, Dikaliumclorazepat, Medazepam, Nordazepam und Prazepam. Anfängliche Berichte über eine Häufung von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten unter Diazepam ließen sich bei therapeutischer Dosierung nicht bestätigen. In neuerer Zeit wurden jedoch Gesichtsdysmorphien, mentale Retardierung und Hyperkinesien bei Kindern beobachtet, deren Mütter während der gesamten Schwangerschaft einen Abusus mit Benzodiazepinen betrieben hatten. Liegt ein Benzodiazepinabusus vor, so ist eine ausführliche sonographische Diagnostik anzuraten. ! Der Einsatz der Benzodiazepine in der Schwangerschaft sollte mit Zurückhaltung erfolgen, zumal auch langfristige Auswirkungen auf die Verhaltensentwicklung nicht eindeutig geklärt sind.
Bei präpartaler Einnahme in höheren Dosen über längere Zeiträume (z. B. Diazepam 15–20 mg/Tag) muss man beim Neugeborenen mit einer Atemdepression rechnen. Im Rahmen einer Entzugssymptomatik werden Unruhe, Tremor, Muskelhypertonie, Erbrechen, Diarrhö und zerebrale Krampfanfälle beim Neugeborenen beschrieben. Ein weiteres Problem stellt die als »Floppy-infant-Syndrom« bekannte Symptomatik dar, die mit Muskelhypotonie, Lethargie, Temperaturregulationsstörungen und Trinkschwäche über Wochen bis Monate anhalten kann.
6.5.12
Schilddrüsenpräparate
Iodid Der Iodidbedarf steigt in der Schwangerschaft auf etwa 260 μg/ Tag an. Da dieser Bedarf in den Iodmangelgebieten Deutschland, Österreich und Schweiz meistens nicht über die Nahrung gedeckt werden kann, ist die zusätzliche Einnahme von Iodid (150 μg/Tag) in der Schwangerschaft zu empfehlen. Die embryonale Schilddrüse nimmt ihre Aktivität zwischen der 10. und 12. SSW auf. Da Schilddrüsenhormone für die Reifung des Zentralnervensystems dringend erforderlich sind, sollte eine ausreichende Iodidzufuhr für die Produktion der fetalen Schilddrüsenhormone gewährleistet sein.
Thyreostatika Im Gegensatz zu den Schilddrüsenhormonen sind die Thyreostatika Propylthiouracil, Carbimazol und Thiamazol gut plazentagängig. Andererseits kann auch eine unbehandelte Hyperthyreose der Mutter zu Komplikationen in der Schwangerschaft führen (vorzeitige Wehen, Frühgeburten).
101 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
Angesichts widersprüchlicher Angaben zu einem leicht erhöhten Fehlbildungsrisiko unter thyreostatischer Therapie mit Carbimazol und Thiamazol (Aplasia cutis) wäre der Einsatz von Propylthiouracil vorzuziehen (Diav-Citrin 2002). Bei einer moderaten Dosierung ist auch eine fetale Hypothyreose mit intellektueller Entwicklungsstörung nicht zu befürchten. Als Begleitmedikation sind β-Blocker wie Metoprolol oder Propranolol zulässig. Thyroxin ist hingegen überflüssig, da es kaum die Plazenta passiert, aber den Bedarf an Thyreostatika erhöht. > Das freie Schilddrüsenhormon der Mutter sollte unter thyreostatischer Therapie im obersten Normbereich liegen. Postpartal muss der kindliche Schilddrüsenstatus kontrolliert werden.
Eine operative Sanierung sollte auch in der Schwangerschaft erwogen werden, wenn eine tolerable Einstellung nicht mit Propylthiouracil in der Dosierung initial 3-mal 50 mg, Erhaltungsdosis max. 100 mg/Tag gelingt.
Thyroxin Die Schilddrüsenhormone Triiodthyronin und Thyroxin passieren die Plazenta nur in geringem Umfang. Eine Dauermedikation mit Thyroxin bei Struma bzw. Hypothyreose sollte in der Schwangerschaft unbedingt fortgeführt werden. Da das thyroxinbindende Globulin in der Schwangerschaft ansteigt, muss die Dosis oft ab dem 2. Trimenon um etwa 25% erhöht werden.
6.5.13
Antikoagulanzien
Da die Konzentration der meisten Gerinnungsfaktoren in der Schwangerschaft ansteigt, während die Aktivität der Gerinnungsinhibitoren abnimmt, muss in der Schwangerschaft vermehrt mit thrombembolischen Komplikationen gerechnet werden.
Heparin Das Mukopolysaccharid Heparin ist bei einer Molekularmasse von etwa 15.000 nicht plazentagängig, sodass eine unmittelbare Beeinträchtigung der embryonalen bzw. fetalen Entwicklung nicht denkbar ist. Bei hoher Dosis sind Blutungskomplikationen im mütterlichen Kompartiment möglich, die z. B. mit einem retroplazentaren Hämatom oder einer vorzeitigen Plazentalösung einhergehen können. Nur auf diesem indirekten Wege können Aborte oder ein intrauteriner Fruchttod unter Heparintherapie ausgelöst werden. Bei einer Molekularmasse von etwa 5.000 passieren auch die niedermolekularen Heparine nicht die Plazenta. Da diese neueren Präparate eine längere Halbwertszeit aufweisen, genügt eine Injektion einmal täglich. Eine Langzeittherapie mit Heparinen kann durch eine Aktivierung der Osteoklasten zu Osteoporose führen. Bei einer entsprechenden Risikoanamnese ist jedoch die Heparintherapie u. U. ab dem 1. Trimenon indiziert bei: 4 thrombembolischen Vorerkrankungen, 4 trombophiler Diathese (z. B. AT-III-Mangel, Protein C-/S-Mangel),
4 Begleiterkrankungen oder Operationen mit hohem Thromboserisiko (z. B. Herzklappenersatz, Antiphospholipidsyndrom bei Lupus erythematodes), 4 längerer Immobilisation (z. B. Bettruhe bei vorzeitigen Wehen).
Kumarinderivate Die Kumarinderivate Phenprocoumon, Acenocoumarol und Warfarin hemmen als Vitamin-K-Antagonisten die Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Da sie gut plazentagängig sind, erreichen sie im Gegensatz zu Heparin den Fetus. Unter Warfarintherapie wurde ein Fehlbildungssyndrom beschrieben, das durch folgende Stigmata gekennzeichnet ist: 4 Hypoplasie der Nase, 4 Extremitätenhypoplasie bei vorzeitiger Kalzifizierung in den Epiphysen der langen Röhrenknochen, 4 Störungen der Augenentwicklung bis zur Blindheit, 4 intrauterine Restriktion, 4 intellektuelle Entwicklungsverzögerung, 4 Hörstörungen bis zur Taubheit, 4 kongenitale Herzfehler. Die kritische Phase für eine Warfarinembryopathie wird in der 6.–12. Woche nach Konzeption angenommen. Da über die Hälfte der in den ersten Wochen exponierten Schwangerschaften mit einem Spontanabort enden, beträgt die Fehlbildungsrate der Lebendgeborenen nach älteren Studien ca. 14%. Nach einer neueren Metaanalyse ist bei Exposition mit Kumarinen in der kritischen Phase nur von einer Embryopathierate von 6% auszugehen (van Driel et al. 2002). Der größte Anteil der Daten zu Kumarinderivaten bezieht sich auf das in den USA gebräuchliche Warfarin. Die in Europa verbreiteten Derivate Phenprocoumon und Acenocoumarol sind in der Schwangerschaft weitaus weniger untersucht. Über typische Schäden nach Anwendung bis zur 6. Woche p. c. wurde bisher nicht berichtet: 4 Tritt eine Schwangerschaft unter Kumarinderivaten ein, dann sollte unbedingt innerhalb der ersten 6 Wochen p. c. umgehend auf Heparin umgestellt werden. Wenn dies frühzeitig gelingt, kann eine Schwangerschaft nach intensiver sonographischer Kontrolle durchaus ausgetragen werden. 4 Auch nach dem 1. Trimenon ist von einem Einsatz der Kumarinderivate abzuraten, da sie in höherem Gestationsalter z. B. intrazerebrale Blutungen mit Hydrozephalus und intellektuellen Entwicklungsstörungen auslösen können. Heparin ist daher auch im 2. und 3. Trimenon zur Antikoagulation vorzuziehen.
6.5.14
Magen-Darm-Therapeutika
Ulkustherapeutika Schwangere klagen mitunter über ausgeprägtes Sodbrennen bei Refluxösophagitis oder gastritische Beschwerden. Wenn die Probleme nicht durch Änderung des Lebensstils behoben werden können (z. B. viele kleine Mahlzeiten, Hochlagerung
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Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
des Oberkörpers beim Liegen), werden oft Antazida wie Magaldrat oder Hydrotalcit und Sucralfat benutzt. Bei langfristiger Anwendung in der Schwangerschaft würde sich z. B. Kaliumhydrogencarbonat anbieten, um eine Aluminiumbelastung zu vermeiden. Reichen diese Präparate nicht aus, so kann man auf H2Rezeptor-Antagonisten zurückgreifen. Dabei sollte Ranitidin gegenüber Cimetidin bevorzugt werden, weil Letzteres antiandrogene Nebenwirkungen besitzt. Bei Refluxösophagitis kann Omeprazol nach Versagen der Antazida benutzt werden. Zu den neueren Vertretern der Protonenpumpenhemmer (Pantoprazol, Lansoprazol) existieren nur begrenzte Erfahrungen in der menschlichen Schwangerschaft, die jedoch bisher keinen Anhalt für ein teratogenes Potenzial ergaben. Das Prostaglandinderivat Misoprostol kann bei hoher Dosis Uteruskontraktionen auslösen. Außerdem wurde bei missbräuchlicher Anwendung von Misoprostol zur Abortinduktion über mehrere Fälle von Moebius-Sequenz (Aplasie verschiedener Hirnnervenkerne) berichtet.
Antidiarrhoika Bei akuter Diarrhö darf außer medizinischer Kohle auch Loperamid in der Schwangerschaft eingenommen werden.
Laxanzien Schwangere klagen oft über Obstipation. Ehe man Laxanzien einsetzt, sollte man die Patientin über ballaststoffreiche Kost, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und körperliche Bewegung aufklären. Genügen diese Maßnahmen nicht, gelten Füll- und Quellstoffe (z. B. Leinsamen, Kleie, Agar-Agar, Methylcellulose) als Mittel der 1. Wahl. Osmotische Abführmittel wie Lactulose, Mannit oder Sorbit dürfen ebenso wie das salinische Abführmittel Magnesiumsulfat eingesetzt werden. Bisacodyl kann gelegentlich benutzt werden. ! Von Anthrachinonderivaten (in vielen pflanzlichen Abführmitteln) sowie Rizinusöl ist wegen Stimulation der Uterusmuskulatur abzuraten.
Als Zusatzmedikation bei einem Erkrankungsschub stehen bewährte Glukokortikoide wie Prednisolon oder Budesonid zur Verfügung.
6.5.15
Antiemetika
Morgendliche Übelkeit und Erbrechen treten häufig als Schwangerschaftskomplikation auf. Die älteren Antiemetika Meclozin, Dimenhydrinat, Metoclopramid und Diphenhydramin ergaben keine Hinweise auf Teratogenität, weshalb ihr Einsatz in der Frühgravidität akzeptabel erscheint. Bei schweren Formen von Hyperemesis dürfen auch Phenothiazine wie Chlorpromazin, Promethazin oder Triflupromazin verabreicht werden. Bei Serotoninantagonisten wie Ondansetron liegen für die menschliche Schwangerschaft ermutigende Daten in allerdings noch begrenztem Umfang vor.
6.5.16
Analgetika und Antiphlogistika
Nichtopioidanalgetika > Paracetamol gilt als Analgetikum und Antipyretikum der 1. Wahl in allen Phasen der Schwangerschaft (3- bis 4-mal 500 mg/Tag). Azetylsalizylsäure wird in niedriger Dosierung (50–150 mg/ Tag) als Dauermedikation zur Thromboseprophylaxe und Prävention der Präeklampsie verwendet. Da eine erhöhte Blutungsneigung besteht, sollte es präpartal abgesetzt werden. In höherer Dosis (500 mg) ist Azetylsalizylsäure als Analgetikum und Antipyretikum der 2. Wahl zu betrachten. Bei Dauertherapie mit höheren Dosen von Prostaglandinsynthesehemmern muss im letzten Trimenon auf einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus geachtet werden. Pyrazolonverbindungen wie Metamizol und Propyphenazon wirken zwar nicht embryotoxisch, werden aber wegen unerwünschter Effekte auf die Hämatopoese nur als Mittel der 2. Wahl benutzt.
Salizylate
Opoide
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) erfordern oft auch in der Schwangerschaft eine Fortsetzung der Medikation. Das ursprünglich gebräuchliche Salazosulfapyridin stellt ein Kombinationsmolekül aus einem Sulfonamidanteil und 5-Amino-Salizylsäure dar. Da Sulfonamide aus verschiedenen Gründen in der Schwangerschaft weniger erwünscht sind, konzentriert sich die Therapie inzwischen auf die Substanz Mesalazin, die nur den antiphlogistisch wirksamen Salizylatanteil enthält. Als Doppelmolekül aus 2 Mesalazinanteilen wird Olsalazin angeboten. Wegen der Prostaglandinsynthesehemmnung durch Salicylate sollten diese Präparate im letzten Trimenon nur in moderater Dosis verwendet werden. Eine Dosierung bis 2 g Mesalazin erscheint jedoch vertretbar.
In der Geburtshilfe hat sich unter den Opioiden v. a. das Spasmoanalgetikum Pethidin bewährt, das jedoch meist präpartal benutzt wird. Bei Applikation innerhalb von 5 h vor Geburt wurden bei den Neugeborenen häufiger Anpassungsstörungen beobachtet. Anfängliche Berichte über eine Häufung von Fehlbildungen der Atemwege, des Herzens und der Lippen-KieferGaumen-Region unter dem antitussiven Opioid Codein ließen sich nach neueren Untersuchungen nicht bestätigen. Bei Dauertherapie sind Atemdepression und Entzugssymptome beim Neugeborenen zu befürchten. Fentanyl und Alfentanyl dürfen in allen Phasen der Schwangerschaft intravenös und peridural zur Analgesie eingesetzt werden. Auch hier ist eine eventuelle Atemdepression beim Neugeborenen zu beachten.
103 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
Reichen Paracetamol oder nichtsteroidale Antiphlogistika nicht zur Schmerztherapie aus, dann dürfen ältere orale Opiode wie Tramadol oder Tilidin verordnet werden.
Nichtsteroidale Antiphlogistika Die Substanzklasse der nichtsteroidalen Antiphlogistika enthält zahlreiche Vertreter, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden sollen. Die älteren Substanzen Ibuprofen, Diclofenac und Indometacin dürfen in den ersten 2 Schwangerschaftsdritteln eingesetzt werden. Die neueren Wirkstoffe aus dieser Substanzklasse ergaben bisher ebenfalls keine Hinweise auf teratogene Effekte, sodass bei versehentlicher Anwendung nicht mit Fehlbildungen zu rechnen ist. Im letzten Trimenon ist jedoch wegen eines möglichen vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus bei Dauertherapie mit all diesen Prostaglandinsynthesehemmern Vorsicht geboten.
Antirheumatika Chloroquin wurde in Dosierungen, wie sie zur Behandlung chronisch entzündlicher Erkrankungen nötig sind, für Schäden an Innenohr und Retina verantwortlich gemacht. Bei moderater Dosierung konnte bislang ein signifikanter Anstieg der Fehlbildungsrate in der menschlichen Schwangerschaft nicht nachgewiesen werden (Costedoat-Chalumeau et al. 2003). Goldverbindungen werden zur Langzeittherapie chronischer Entzündungsprozesse (rheumatoide Arthritis) verwendet. Bei hohen Dosen zeigten sich im Tierversuch verschiedene Anomalien (Hydronephrose, Hydrozephalus, Fehlbildungen an Augen, Herz, Bauchwand und Gaumen). Beim Menschen ergab sich bei begrenzter Erfahrung bisher kein Anhalt für eine Häufung von Fehlbildungen; ein geplanter Einsatz sollte jedoch in der Schwangerschaft unterbleiben.
Glukokortikoide Werden Glukokortikoide zur Substitution einer eingeschränkten Produktion der mütterlichen Nebennierenrinde in der Schwangerschaft eingesetzt, so bestehen keine Risiken für Mutter und Kind. Zur antiallergischen bzw. antiphlogistischen Therapie werden deutlich höhere Dosen benötigt. Da Glukokortikoide überwiegend gut plazentagängig sind, kann durch Suppression eine kindliche NNR-Insuffizienz post partum auftreten. Entsprechende Kontrollen des Elektrolythaushalts beim Neugeborenen sollten durchgeführt werden. Dexamethason und Betamethason (8–12 mg 2-mal innerhalb von 24 h) haben sich bei drohender Frühgeburt zur Förderung der Lungenreifung und Vermeidung eines Respiratory-distress-Syndroms bewährt. Untersuchungen an Nagetieren zeigten unter Behandlung mit Glukokortikoiden eine Häufung von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltbildungen. Die Angaben zu Auswirkungen in der menschlichen Schwangerschaft sind widersprüchlich. Da orale Spaltbildungen im unbelasteten Kollektiv nur bei 1 von 1.000 Neugeborenen auftreten, schlägt sich ein nach neueren Metaanalysen postulierter 3facher Anstieg unter systemischer Glukokortikoidtherapie nur sehr moderat auf die gesamte
Fehlbildungsrate von 3–5% nieder. Bei längerfristiger systemischer Glukokortikoidmedikation der Mutter im 1. Trimenon wäre eine sonographische Feindiagnostik um die 20. SSW zum Ausschluss einer oralen Spaltbildung anzuraten (Oren et al. 2004). Eine Tendenz zu leichten Wachstumsrestriktionen unter systemischer Dauertherapie mit Glukokortikoiden scheint sich zu bestätigen. > Bei zahlreichen Erkrankungen wie Kollagenosen, chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten, Asthma bronchiale, Autoimmunprozessen ist eine Fortsetzung der Therapie mit Glukokortikoiden auch in der Schwangerschaft erforderlich. Wegen eines geringeren diaplazentaren Transfers sind dabei Prednisolon und Prednison den halogenierten Glukokortikoiden vorzuziehen (Anfangsdosis: 0,5–2 mg/kg KG; Erhaltungsdosis: 0,3–0,5 mg/kg KG).
Bei einer kürzeren Behandlung über mehrere Tage dürfen auch höhere Dosen verwendet werden, z. B. beim Schub einer Encephalitis disseminata (500–1.000 mg Prednisolon pro Tag über 5 Tage).
6.5.17
Antiallergika
Antihistaminika Unter den Antihistaminika finden sich keine nachweislich teratogenen Substanzen. Allerdings liegen bei vielen neueren Präparaten lediglich größere Erfahrungen aus Tierversuchen vor. Nach langjähriger Anwendung ergaben sich keine Anhaltspunkte für Teratogenität bei Chlorphenamin, Chlorphenoxamin, Clemastin, Dexchlorpheniramin, Dimetinden, Diphenhydramin und Hydroxyzin. Da die älteren Wirkstoffe
häufig sedierende Effekte besitzen, ist bei Langzeitbehandlung bis zur Geburt auf Schlaffheit und Entzugssymptome (Diarrhö, Zittrigkeit) zu achten. Für das neuere Antihistaminikum Terfenadin, das kaum sedierende Eigenschaften besitzt, liegen inzwischen über 1.000 dokumentierte Expositionen in der Frühgravidität ohne auffällige Häufung von Anomalien vor. Da es sich bei Fexofenadin um den aktiven Metaboliten von Terfenadin handelt, muss man hier ähnliche Effekte wie bei Terfenadin annehmen. Nach den aktuellen Daten scheint auch der Einsatz von Cetirizin bzw. Levocetirizin sowie Loratadin bzw. Desloratadin unter strenger Indikationsstellung vertretbar. Präparate wie Azelastin, Bamipin, Carbinoxamin, Cyproheptadin, Mequitazin und Triprolidin sollten wegen geringerer Erfahrungen im 1. Trimenon möglichst vermieden werden. Ein akzidenteller Einsatz gibt jedoch keinesfalls zu großer Besorgnis Anlass. Auch das lokal wirksame Antihistaminikum Levocabastin ist in der Schwangerschaft bislang nicht in größerem Maßstab untersucht.
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104
Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Mastzellinhibitoren
Glukokortikoide
Cromoglicinsäure vermindert die Freisetzung von Histamin
Zur Behandlung des Asthma bronchiale sollten bevorzugt inhalative Glukokortikoide benutzt werden. Erfahrungen in der Schwangerschaft liegen dabei insbesondere für Budesonid, Beclometason, Fluticason und Mometason vor, die als Dosieraerosole in allen Phasen der Schwangerschaft zulässig sind. Bei schweren Asthmaanfällen kann eine systemische Therapie erforderlich werden, wobei Prednisolon (bis 1.000 mg i.v.) den Fetus am wenigsten belastet (im Fetalblut etwa 10% der mütterlichen Konzentration).
aus den Mastzellen, sodass es sich nicht nur zur Prävention allergischer Beschwerden der Bronchien, sondern auch der Nase, der Augen und des Darms eignet. Nach langjähriger Erfahrung wurden keine embryotoxischen Effekte beobachtet. Zur systemischen antiallergischen Behandlung wird der Mastzellinhibitor Ketotifen verwendet, für den jedoch in der Schwangerschaft nicht genügend Erfahrungen vorliegen.
Glukokortikoide
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Reichen die erprobten Antihistaminika nicht für eine erträgliche Reduktion der Allergiesymptomatik aus, so kann die lokale, inhalative, orale oder auch intravenöse Therapie mit bewährten Glukokortikoiden (z. B. Prednisolon) erwogen werden.
6.5.18
Atemwegstherapeutika und Antiasthmatika
Theophyllin Das Methylxanthin Theophyllin wirkt bronchodilatatorisch. Als Nebeneffekt stimuliert es auch Herz und Zentralnervensystem. Dies kann sich nach hoch dosierter peripartaler Gabe als Übererregbarkeit des Neugeborenen äußern. Beim Menschen verhielt sich Theophyllin im Gegensatz zu hoch dosierten Tierversuchen nicht teratogen. Bei Asthma bronchiale kann Theophyllin als Mittel der 2. Wahl in der Schwangerschaft eingesetzt werden.
β-Sympathomimetika
Expektoranzien
Wirkstoffe, die speziell die β2-Rezeptoren stimulieren, führen zu einer Bronchodilatation, aber auch zu einer Erschlaffung der Uterusmuskulatur (Tokolyse). Am besten verträglich sind Substanzen mit einer nur geringen Restwirkung auf die β1Rezeptoren, die sich in einer Steigerung der Herzaktivität manifestiert. Zur Asthmatherapie empfiehlt sich v. a. die inhalative Applikation, da sich auf diesem Weg die systemische Belastung deutlich reduzieren lässt. Aus der Klasse der β-Sympathomimetika haben sich in der Schwangerschaft die Substanzen Fenoterol, Salbutamol, Reproterol und Terbutalin bewährt. Während ihre Wirkung auf 4–6 h begrenzt ist, zeichnen sich die neueren Vertreter Formoterol und Salmeterol durch eine deutlich längere Wirkdauer (>12 h) aus.
Genügen Inhalationsbehandlung und reichliche Flüssigkeitsaufnahme bei Bronchitis nicht zur Schleimlösung, dürfen auch in der Schwangerschaft die Mukolytika Azetylzystein, Bromhexin und Ambroxol verabreicht werden.
> Die erprobten β-Sympathomimetika Fenoterol, Salbutamol, Reproterol und Terbutalin gelten als Asthmatherapeutika der 1. Wahl in der Schwangerschaft.
Anticholinergika Eine Bronchodilatation lässt sich auch über anticholinerge Substanzen wie Ipratropiumbromid erreichen. Hinweise auf eine teratogene Potenz ergaben sich bisher nicht. Ein Einsatz zur inhalativen Asthmatherapie als Monopräparat oder in Kombination mit β-Sympathomimetika ist daher in der Schwangerschaft zulässig.
Mastzellinhibitoren Bei einer allergischen Komponente des Asthma bronchiale zählt Cromoglicinsäure neben den β-Symphatomimetika zu den Mitteln der 1. Wahl in der Schwangerschaft. Beim Menschen nicht ausreichend erprobt ist hingegen der neuere Wirkstoff Nedocromil.
> Iodsalze in hoher Dosierung zur Sekretolyse sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, da sie die fetale Schilddrüse beeinträchtigen können.
Antitussiva Das Morphinderivat Codein hemmt das Hustenzentrum am stärksten. Bei hoch dosierter längerer Gabe vor der Geburt kann es zu Atemdepression und Entzugssymptomen kommen. Das Derivat Dextromethorphan besitzt bei geringem Suchtpotenzial eine ähnlich antitussive Wirkung. Beide Substanzen dürfen bei Husten in allen Phasen der Schwangerschaft eingesetzt werden. Weniger erprobte Medikamente wie Benproperin, Clobutinol, Dropropizin, Noscapin oder Pentoxyverin sind zwar bisher nicht für Fehlbildungen verantwortlich gemacht worden, aber beim Menschen embryonaltoxikologisch nicht ausreichend abgeklärt.
6.5.19
Vitaminpräparate
Vitaminpräparate werden mitunter von Patientinnen in unkontrollierten Mengen eingenommen, da sie von Laien oft unkritisch als ausschließlich gesundheitsfördernd betrachtet werden. ! Ein Risiko für die Schwangerschaft stellt insbesondere Vitamin A dar, das häufig auch in Multivitaminpräparaten enthalten ist. Als noch wesentlich gefährlicher einzuschätzen sind die Derivate der Vitamin-A-Säure, die als orale Medikation in der Aknebehandlung Anwendung finden.
105 6.5 · Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft
Neben Vitamin A und seinen Derivaten können für die Schwangerschaft auch extrem hohe Dosen von Vitamin D Komplikationen bereiten. Die übrigen Vitamine müssen bei ausgewogener Ernährung in der Schwangerschaft nicht zusätzlich zugeführt werden; allerdings sind bei übermäßiger Zufuhr auch keine kindlichen Schäden beschrieben.
Vitamin A/Retinoide Nach Einnahme von über 25.000 IE Vitamin A wurden Anomalien beobachtet, die dem Retinoidsyndrom ähneln. Vor einer bedenkenlosen Einnahme solcher Vitaminpräparate ist dringend zu warnen. Mehr als 6.000 IE Vitamin A pro Tag sollten in der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Das Provitamin β-Carotin wird nur in physiologischen Mengen zu Vitamin A umgebaut, sodass man keine teratogenen Effekte befürchten muss. Tretinoin und Isotretinoin werden als synthetische Derivate des Vitamin A seit über 10 Jahren erfolgreich zur lokalen und systemischen Therapie der Akne eingesetzt. Acitretin und sein Metabolit Etretinat führen aufgrund ihrer langen Halbwertszeiten (Etretinat: 80–100 Tage) zu anhaltend hohen Retinoidkonzentrationen bei der Psoriasistherapie. Unter dieser Therapie muss für eine sichere Kontrazeption gesorgt werden, da die Retinoide nach Thalidomid die am stärksten teratogenen Wirkstoffe darstellen. Bereits im Tierversuch zeichnete sich der embryotoxische Effekt ab.
Stigmata des Retinoidsyndroms 4 4 4 4
Störungen der Gesichts- und Gaumenbildung Fehlanlage der Ohren Kardiovaskuläre Defekte ZNS-Defekte mit neurologischen Ausfällen, Hydrozephalus 4 Schäden an Augen und Ohren
Da nach topischer Applikation von Retinoiden Fehlbildungen nicht sicher auszuschließen sind, wird auch von einer dermalen Applikation von Tretinoin und Isotretinoin in der Schwangerschaft abgeraten. > Nach Absetzen von Acitretin und Etretinat sollte über 2 Jahre eine Konzeption vermieden werden, nach oraler Therapie mit Isotretinoin ist ein Monat Karenz ausreichend. Tritt eine Schwangerschaft unter systemischer Therapie mit Retinoiden oder kurz danach ein, so ist ein Schwangerschaftsabbruch zu erwägen.
Vitamin D Der Vitamin-D-Bedarf ist mit 500 IE pro Tag in der Schwangerschaft nicht erhöht. Überschreitet man diese Mengen deutlich, dann können bei Mutter und Fetus Hyperkalzämie und in der Folge Hyperkalzifikationen auftreten.
6.5.20
Impfungen
Für keinen Impfstoff sind embryotoxische Effekte nachgewiesen. Bedenken gegen den Einsatz von Lebendimpfstoffen beruhen lediglich auf theoretischen Erwägungen. Dennoch sollten Schutz- und Auffrischimpfungen möglichst vor der Schwangerschaft durchgeführt werden, da eventuelle Impfreaktionen wie Fieber oder Anaphylaxie in der Schwangerschaft auch eine Belastung für das Ungeborene darstellen.
Poliomyelitisimpfung In Deutschland, Österreich und der Schweiz befindet sich zwischenzeitlich nur noch parenteral zu verabreichender Impfstoff im Handel. Bei der intramuskulären Polioimpfung handelt es sich um eine Exposition mit inaktivierten Impfviren, mit einer erhöhten Fehlbildungsrate ist nicht zu rechnen.
Rötelnimpfung Die Rötelnimpfung wird zwar mit abgeschwächten Lebenderregern durchgeführt, doch konnte bisher unter mehreren tausend dokumentierten Fällen einer Rötelnimpfung in der Schwangerschaft kein Fall einer Embryopathie registriert werden. Da die Impfviren plazentagängig sind, wird jedoch aufgrund theoretischer Bedenken vor einer Rötelnimpfung kurz vor oder während der Schwangerschaft gewarnt. > Kommt es jedoch in den ersten 3 Monaten nach Rötelnimpfung zur Konzeption oder wird die Impfung in Unkenntnis der Schwangerschaft in der Frühgravidität verabreicht, besteht kein Anlass zum Schwangerschaftsabbruch.
Gelbfieberimpfung Da der Gelbfieberimpfstoff abgeschwächte Lebenderreger enthält, sollte er in der Schwangerschaft nicht appliziert werden. Bei Reisen in Endemiegebiete sollte jedoch nach Risikoabwägung auch im 1. Trimenon geimpft werden (ACOG 2003). Die bisher dokumentierten Schwangerschaftsverläufe nach Gelbfieberimpfung ergaben keinen Anhalt für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko.
Hepatitisimpfung Der Hepatitis-A-Impfstoff enthält inaktivierte Hepatitis-AViren, der biotechnologisch hergestellte Hepatitis-B-Impfstoff lediglich ein Oberflächenantigen zur Immunisierung. Nach Verabreichung dieser Totimpfstoffe in der Schwangerschaft wurden bisher keine negativen Auswirkungen beobachtet. Auf alle Fälle wäre eine Impfung bei gefährdeten Personen einer akuten Hepatitisinfektion in der Schwangerschaft vorzuziehen (ACOG 2003).
Tetanus- und Diphtherieimpfung Bei beiden Impfstoffen handelt es sich um Toxoide. Die seit vielen Jahren angewandten Totimpfstoffe ergaben keine Hinweise auf embryotoxische Effekte. Bei einer dringenden Indikation darf auch im 1. Trimenon geimpft werden.
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Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
Typhusimpfung Auf dem Markt befinden sich ein oraler Lebendimpfstoff mit Salmonella typhi (Stamm 21a) sowie ein auch gegen Paratyphus wirksamer, parenteral zu applizierender Totimpfstoff. Letzterer enthält ein Kapselpolysaccharid, weist jedoch eine höhere Nebenwirkungsrate auf. Da eine typhöse Septikämie das Abortrisiko erhöht, darf eine Typhusimpfung in der Schwangerschaft durchgeführt werden.
Choleraimpfung
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Der Choleraimpfstoff enthält inaktivierte Vibrionen. Da bei einer Erkrankung das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes erhöht ist, sollte bei Reisen in Endemiegebiete eine Impfung erwogen werden. Hinweise auf teratogene Effekte des Impfstoffs liegen nicht vor.
Masern- und Mumpsimpfung Bei Masern- und Mumpsimpfstoff handelt es sich um attenuierte Lebendviren. Wegen theoretischer Bedenken sollte – ähnlich wie beim Rötelnimpfstoff – eine Applikation in der Schwangerschaft vermieden werden. Da sowohl eine Masern- als auch eine Mumpsinfektion in der Frühgravidität mit einer erhöhten Abortrate in Zusammenhang gebracht werden, sollte eine Immunität bereits vor Konzeption angestrebt werden.
Tollwutimpfung Aufgrund der vitalen Bedrohung durch den Biss eines tollwütigen Tieres ist auch in der Schwangerschaft eine umgehende Simultanimpfung erforderlich. Zur aktiven Immunisierung steht ein attenuierter Lebendimpfstoff zur Verfügung, der bisher keinen Anhalt für ein teratogenes Potenzial ergab.
Influenzaimpfung Da es sich um einen inaktivierten Impfstoff handelt und keine Hinweise auf ein embryotoxisches Risiko vorliegen, darf eine Grippeschutzimpfung auch in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Da bei Schwangeren eine noch höhere Morbidität und Mortalität durch Infektionen mit der neuen H1N1Influenza angenommen werden, sollte eine gezielte Impfung von Schwangeren ernsthaft erwogen werden (Jamieson 2009). Dabei sollten Impfstoffe bevorzugt werden, die auf der bei saisonaler Influenza bewährten Variante ohne Adjuvanzien basieren.
Passivimpfung Gegen eine Applikation von Immunglobulinen in der Schwangerschaft bestehen keine Einwände. Bei Infektion mit Hepatitis-B-, Tollwut- und Tetanuserregern sollte das Hyperimmunglobulin gleichzeitig mit dem jeweiligen Aktivimpfstoff verabreicht werden. Nach Rötelnkontakt sollten seronegative Schwangere bis zur 18. SSW umgehend Rötelnhyperimmunglobulin erhalten. Die Gabe ist bis zum 8. Tag nach Kontaktbeginn sinnvoll. Bei Varizellenkontakt kann der Ausbruch der Infektion durch Gabe von Hyperimmunglobulin innerhalb von 96 h
unterbunden werden. Der Einsatz zur Vermeidung des sehr seltenen kongenitalen Varizellensyndroms ist umstritten, zumal dieses praktisch nur vor der 22. SSW beobachtet wurde. Hingegen sollte das Zosterhyperimmunglobulin unbedingt Neugeborenen verabreicht werden, deren Mütter innerhalb von 4 Tagen vor Geburt bis zu 2 Tagen nach Geburt eine Windpockeninfektion entwickeln. Nach Hepatitis-A-Exposition sollte Standardimmunglobulin gegeben werden.
6.5.21
Malariaprophylaxe und -therapie
Bei Reisen in Malariaendemiegebiete ist auch für Schwangere eine Prophylaxe zu empfehlen. Eine Malariaerkrankung gefährdet nicht nur die Mutter, sondern auch den Fetus. Als Mittel der Wahl zur Malariaprophylaxe gilt Chloroquin, bei Resistenz der Erreger in Kombination mit Proguanil.
Chloroquin Die für die Malariaprophylaxe übliche Dosierung von 500 mg Chloroquinphosphat/Woche über einen Zeitraum von 1 Woche vor Beginn der Einreise bis 4 Wochen nach Verlassen des Endemiegebiets zeigte nach langjährigen Erfahrungen keine embryotoxischen Effekte. Auch die zur Behandlung des akuten Malariaanfalls erforderliche höher dosierte Dreitagestherapie scheint keine ungünstigen Einflüsse auf den Schwangerschaftsausgang zu haben. Die Warnhinweise bei Chloroquin beziehen sich auf die Dauertherapie chronisch-entzündlicher Erkrankungen, bei der 250–500 mg Chloroquinphosphat täglich eingenommen werden. Unter dieser Medikation sind beim Menschen vereinzelt Aborte sowie Schäden an Innenohr und Retina beobachtet worden.
Proguanil Der Folsäureantagonist Proguanil gilt in Regionen mit Chloroquinresistenz in Kombination mit Chloroquin als Mittel der Wahl zur Malariaprophylaxe (oral 100 mg/Tag von 1 Woche vor Einreise bis 4 Wochen nach Verlassen des Endemiegebiets). Der relativ alte Wirkstoff ergab keine Hinweise auf Embryotoxizität. Angesichts seines Wirkungsmechanismus kann man eine additive Gabe von Folsäure erwägen.
Pyrimethamin Pyrimethamin hemmt die Folsäuresynthese und wird daher im 1. Trimenon allenfalls in Kombination mit Folsäure zur Malariaprophylaxe bzw. -therapie verordnet. Ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko konnte beim Menschen nicht festgestellt werden. In Kombination mit Sulfadiazin wird Pyrimethamin erfolgreich zur Behandlung der Toxoplasmose im 2. und 3. Trimenon eingesetzt.
Chinin Chinin ist zwar das älteste Malariamittel, wird jedoch heute aufgrund zunehmender Chloroquinresistenz der Erreger wie-
107 Literatur
der vermehrt verordnet. Da nach Behandlung mit hohen Dosen Defekte an Augen und Innenohr bei Tier und Mensch dokumentiert sind, sollte Chinin nur zur Therapie der chloroquinresistenten Malaria tropica eingesetzt werden: Hier wird das Risiko für den Fetus durch die Behandlung weitaus geringer eingeschätzt als das Risiko durch die schwere mütterliche Erkrankung.
Mefloquin Der Wirkstoff Mefloquin ergab nach über 1.800 dokumentierten Expositionen in der Frügravidität keinerlei Anhaltspunkte für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Nachdem jedoch erprobtere Alternativen vorliegen, sollte Mefloquin in der Schwangerschaft nicht gezielt eingesetzt werden. Da die Substanz eine lange Halbwertszeit von 3 Wochen besitzt, empfiehlt der Hersteller eine Kontrazeption über 3 Monate nach der letzten Einnahme. > Eine Mefloquinanwendung in Unkenntnis der Gravidität sollte keinesfalls zu einem Schwangerschaftsabbruch veranlassen.
Neben der Malariaprophylaxe mit 250 mg Mefloquin/Woche ist auch eine Therapie des akuten Anfalls (zunächst 750 mg, nach 6–8 h weitere 500 mg) verbreitet.
6.6
Fehlbildungsregister/Beratungsstellen
In den regionalen und nationalen Fehlbildungsregistern wird der Status Neugeborener, die eine spezielle Fehlbildung aufweisen, mit der retrospektiv erhobenen Anamnese dokumentiert. Bei freiwilligen Spontanmeldungen ist eine Vollständigkeit der Erfassung nicht gewährleistet. Eine internationale Beurteilung dieser retrospektiven Datenerfassung wird unter dem Dach der European Registry of Congenital Anomalies and Twins (EUROCAT) bzw. des International Clearinghouse for Birth Defects Monitoring Systems (ICBDMS) angestrebt. Zur Abschätzung reproduktionstoxikologischer Risiken wurden in vielen Ländern teratologische Informationszentren gegründet. Um Daten über embryonaltoxikologische Substanzen zu sammeln, auszuwerten und für die Prävention kindlicher Schädigungen einzusetzen, schlossen sich diese Institutionen zur Organisation European Network of Teratology Information Services (ENTIS) zusammen. Durch prospektive Studien werden der Verlauf der Schwangerschaft und das Befinden des Neugeborenen nach Exposition mit einem potenziellen Teratogen verfolgt. Die in der 7 Übersicht genannten Beratungsstellen geben Auskunft über das teratogene Potenzial von Medikamenten, Strahlenexpositionen, Infektionserkrankungen, Umwelt- und Industriechemikalien.
Beratungsstellen bezüglich teratogenes Potenzial von Medikamenten, Strahlenexpositionen, Infektionserkrankungen, Umwelt- und Industriechemikalien 4 Institut für Reproduktionstoxikologie Krankenhaus St. Elisabeth (Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm) Elisabethenstraße 17 D-88212 Ravensburg Tel.: +49/751/87 27-99 Fax: +49/751/87 27-98 e-Mail:
[email protected] www.reprotox.de 4 Beratungsstelle für Embryonaltoxikologie Spandauer Damm 130 D-14050 Berlin Tel.: +49/30/303 08-111 Fax: +49/30/303 08-122
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Kapitel 6 · Embryologie und Teratologie
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II
II Abklärung und Beratung während der Schwangerschaft 7
Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren R. Kürzl
8
Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen – 125 R. Zimmermann
9
Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon K. D. Kalache, A. M. Dückelmann
– 143
10
Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden O. Lapaire, S. Hahn
11
Physiologie des mütterlichen Organismus U. Lang, P. Husslein, R. Ahner, D. Bikas
12
Schwangerenvorsorge K. Vetter, M. Goeckenjan
13
Lebensführung – 211 E. Krampl-Bettelheim
14
Schwangerschaft und Ernährung C. Tempfer, P. Bung
15
Ultraschall im 3. Trimenon – 245 E. Ostermayer, M. Schelling, K. Chalubinski
– 193
– 223
– 111
– 175
– 165
7 7 Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren R. Kürzl 7.1
Warum werden Tests in der Schwangerschaft und unter der Geburt angewendet? – 112
7.2
Was sind Testqualitäten? Definitionen und Zusammenhänge zur Interpretation von Tests – 112
7.3
Was bedeuten diese Definitionen und Zusammenhänge für den diagnostizierenden Kliniker? – 114
7.4
Wie lässt sich die Prävalenz abschätzen? – 117
7.5
Was versteht man unter Likelihood-Ratio? – 117
7.6
Wie können Testkombinationen weiterhelfen? – 119
7.7
Wie ist über die Indikation eines Tests zu entscheiden? – 120
7.8
Was heißt Screening? – 122 Literatur – 123
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
112
7
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
Um diagnostische Verfahren sinnvoll einsetzen zu können, müssen zunächst die Testqualitäten Sensitivität und Spezifität bekannt sein. Bei der Interpretation von Testergebnissen sollte die Prätestwahrscheinlichkeit oder Prävalenz der vermuteten Erkrankung berücksichtigt werden, um den prädiktiven Wert möglichst realistisch abschätzen zu können. Die Schätzung der Prätestwahrscheinlichkeit kann auf persönlichen klinischen Erfahrungen oder auf publizierten Daten beruhen. Hierbei sind aber typische Schätzfehler zu berücksichtigen. Die Anwendung von Likelihood-Ratios und von Nomogrammen kann die formale Interpretation von Testergebnissen nach dem Bayes-Theorem wesentlich erleichtern. Die Interpretation der Ergebnisse von Testkombinationen unterliegt auch diesen formalen Zusammenhängen, wobei die Definition des Positivkriteriums (verbindend oder trennend) von wesentlicher Bedeutung ist. Die Indikationsbreite eines Testverfahrens kann mit entscheidungsanalytischen Methoden bestimmt werden. Voraussetzung ist dabei die explizite Rechenschaft über eine sog. Behandlungsschwelle. Für Screeningtestverfahren gelten die gleichen Regeln wie für sonstige diagnostische Testverfahren. Die Screeningsituation bedeutet immer geringe Prätestwahrscheinlichkeit und damit resultieren immer auch geringe positive prädiktive Werte. Die Beurteilung der Sinnhaftigkeit von Screeninguntersuchungen erschöpft sich aber nicht in diesem unvermeidlichen Zusammenhang, sondern muss unter diesem Gesichtspunkt Vorteile, Nachteile und Kosten einbeziehen. Die geburtshilfliche Schwangerenbetreuung stellt ein gewaltiges Screeningunternehmen dar. Der Geburtshelfer schuldet somit die Rechtfertigung für all die Tests, denen Mutter und Kind während Schwangerschaft und Geburt unterzogen werden. Die grundsätzlich geltenden Definitionen und Zusammenhänge, die bei der Anwendung und Beurteilung von Tests zu berücksichtigen sind, sollen helfen, im Sinn einer »evidence-based medicine« Einsatz oder Verzicht auf Tests zu begründen und Testergebnisse rational nachvollziehbar zu interpretieren.
7.1
Warum werden Tests in der Schwangerschaft und unter der Geburt angewendet?
Eine Vielzahl von Fragen soll während der Schwangerschaft und unter der Geburt durch die Anwendung von Tests beantwortet werden, z. B.: 4 Ist die Schwangerschaft intakt (Hormonbestimmungen, Ultraschall)? 4 Hat das Kind Fehlbildungen (Hormonbestimmungen, Ultraschall)? 4 Hat oder entwickelt die Schwangere eine Gestose (Blutdruckmessung, Urinuntersuchung)? 4 Geht es dem Kind unter der Geburt gut (Kardiotokographie, Mikroblutuntersuchung, Pulsoxymetrie)? All diesen Fragen ist eines gemeinsam: Es besteht Unsicherheit, ob eine mögliche Störung vorliegt oder nicht, und es wird eine Klärung dieser Unsicherheit durch das Testergebnis erwartet.
Woher nehmen wir das Vertrauen in die Testergebnisse? Wir vertrauen auf die Apparate und das Untersuchungspersonal im klinisch-chemischen Labor, in der Ultraschallabteilung oder im Kreißsaal. Falsch positive oder falsch negative Ergebnisse sind, so eine weit verbreitete Ansicht unter Ärzten, mit modernsten Geräten und erfahrenen Untersuchern nur selten zu erwarten und beeinträchtigen nicht allzusehr die diagnostische Zuverlässigkeit. Die Unsicherheit, die mit jedem Test notwendigerweise verbunden ist, wird zumeist ignoriert; und deshalb finden die Maßzahlen dieser Unsicherheit, die Testqualitäten nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen sollten (Sadler 1997). Unterschwellig besteht immer noch die Hoffnung, dieser Unsicherheit mit künftigen Testverfahren zu entkommen. Die im Folgenden dargestellten Zusammenhänge werden aber auch für neue, hoch komplexe Verfahren gelten, die derzeit entwickelt und erforscht werden, um über genetische Unterschiede hinaus (Genomics) auch solche im Muster von Proteinen und Metaboliten (Proteomics, Metabolomics) herauszufinden, mit denen zwischen krank und nicht krank unterschieden werden kann oder mit denen Krankheitsentwicklungen (z. B. Frühgeburt, vorzeitiger Blasensprung oder Gestose) zuverlässig vorausgesagt werden können (Choolani et al. 2009).
7.2
Was sind Testqualitäten? Definitionen und Zusammenhänge zur Interpretation von Tests
Sensitivität und Spezifität Testqualitäten werden mit 2 definierten Begriffen beschrieben: mit Sensitivität und Spezifität (Galen u. Gambino 1979). Dabei handelt es sich um sog. bedingte Wahrscheinlichkeiten (Weinstein u. Fineberg 1980). Definition Die Sensitivität beschreibt die Wahrscheinlichkeit p für ein positives Testergebnis (T+) unter der Bedingung, tatsächlich erkrankt (K+) zu sein: p [T+|K+] = Sensitivität Die Spezifität beschreibt die Wahrscheinlichkeit p für ein negatives Testergebnis (T–) unter der Bedingung, tatsächlich nicht erkrankt (K–) zu sein. p [T–|K–] = Spezifität
Diese Größen sind aus der Vierfeldertafel abzuleiten (. Tab. 7.1). Die Sensitivität errechnet sich danach aus a/(a+b), d. h. die Anzahl der positiven Testergebnisse (a) unter den tatsächlich Erkrankten geteilt durch die Gesamtzahl der Erkrankten (a+b). Die Spezifität errechnet sich aus d/(c+d), d. h. die Anzahl der negativen Testergebnisse (d) unter den tatsächlich nicht Erkrankten geteilt durch die Gesamtzahl der Nichterkrankten (c+d). Diese Testqualitäten müssen in entsprechenden Studien ermittelt werden. Die Anforderungen an aussagefähige diag-
113 7.2 · Was sind Testqualitäten? – Definitionen und Zusammenhänge zur Interpretation von Tests
. Tab. 7.1. Allgemeines Schema einer Vierfeldertafel zur Evaluierung eines Tests (T+ Test positiv, T– Test negativ, K+ erkrankt, K– nicht erkrankt)
Goldstandard
T+
T–
∑
K+
a
b
a+b
K–
c
d
c+d
∑
a+c
b+d
a+b+c+d
nostische Studien sind hoch (Sackett et al. 1991). Insbesondere muss darauf geachtet werden, ob in der Studie die Testergebnisse mit der unabhängigen Goldstandarddiagnose blind verglichen wurden. An den Probanden mit der Zielkrankheit, bestimmt anhand des Goldstandards (Biopsie, Langzeitverlauf, Obduktion oder geburtshilfliche Beispiele wie Karyogramm, Plazentahistologie oder kindliche Entwicklung post partum) und an den Probanden ohne die Zielkrankheit, bestimmt anhand des jeweils selben Goldstandards, soll der neue Test von Untersuchern angewendet werden, die nicht wissen, ob der Proband die Zielkrankheit hat oder nicht, d. h. die Untersucher müssen in dieser Hinsicht »blind« sein. An dieser Forderung gehen sehr viele diagnostische Studien vorbei, und damit sind deren Ergebnisse hinsichtlich der Testqualitäten Sensitivität und Spezifität nur mit großer Vorsicht zu genießen. Darüber hinaus werden aber die Testqualitäten immer leiden, wenn ein Test, der unter korrekten Studienbedingungen evaluiert wurde, allgemein eingesetzt wird. Insbesondere bei Testverfahren, deren Mess- oder Beurteilungskriterien stark vom Können und Einsatz der Untersucher abhängen (z. B. Ultraschall, CTG, Anamneseerhebung), kann dieser Qualitätsverlust nicht vermieden werden. Für diese unterschiedliche Effektivität gibt es im Englischen 2 Begriffe: 4 Efficacy beschreibt die Wirksamkeit, die unter idealen Bedingungen zu erreichen ist, evaluiert z. B. in einer randomisiert gesteuerten Studie. 4 Effectiveness dagegen beschreibt die Wirksamkeit, wie sie im realen medizinischen Alltag zu erreichen ist (Last 1988). > Damit dieser unvermeidbare Unterschied nicht zu groß wird, ist eine möglichst kontinuierliche Qualitätskontrolle erforderlich, denn nur durch Fortbildung und Engagement kann dieser Unterschied klein gehalten werden.
Cut-off Inwieweit sind diese Größen vom Cut-off abhängig? Cut-off-Wert Unter Cut-off oder Schwellenwert versteht man die Definition des Positivkriteriums.
. Abb. 7.1. Hypothetische Verteilung von Nichterkrankten (K–) und Erkrankten (K+) mit negativen (T–) und positiven Testergebnissen (T+) und deren Überlappung. Die Senkrechte in v markiert den Cut-off, der in Richtung u oder w verschoben werden kann
Die Darstellung von Testergebnissen in einer Vierfeldertafel bedeutet eine Dichotomisierung in positive und negative Resultate, und damit sind die Zahlen in den 4 Feldern wesentlich abhängig von der Definition des Positivkriteriums. Ein idealer Test hätte nur einen Cut-off, denn die Ergebnisse für Erkrankte und Nichterkrankte wiesen 2 getrennte, d. h. nicht überlappende Verteilungskurven auf. Der Cut-off zur Unterscheidung zwischen krank und nicht krank läge zwischen den beiden Verteilungskurven; und dieser ideale Test hätte eine Sensitivität und Spezifität von je 100%: Alle Erkrankten zeigen positive, alle Nichterkrankten negative Testergebnisse. Die Widrigkeiten und Schwierigkeiten, die sich bei jedem Test ergeben, haben ihren Grund in der mehr oder minder großen Überlappung der beiden Verteilungskurven der Nichterkrankten und der Erkrankten (. Abb. 7.1). Die Überlappung bringt das Problem, an welcher Stelle nun der Cut-off zu setzen sei. Die senkrechte Linie in Punkt v des Überlappungsbereichs teilt jede Kurve in 2 Abschnitte. Die resultierenden 4 Bereiche entsprechen den 4 Feldern in . Tab. 7.1. Das Ändern des Cut-offs durch Verschieben im Bereich der Überlappung verändert unmittelbar und gleichzeitig alle Größen a, b, c und d, d. h. es ändern sich Sensitivität und Spezifität. Verschiebt man den Cut-off von v nach u, so nimmt der Bereich b auf den Wert Null ab zugunsten einer vollständigen Erfassung der Erkrankten (K+) durch positive Testergebnisse, d. h. die Sensitivität beträgt bei diesem Cut-off 100%. Gleichzeitig vergrößert sich aber der Bereich c auf Kosten von d, d. h. weniger Nichterkrankte haben bei diesem Cut-off negative Testergebnisse, die Spezifität nimmt ab. Verschiebt man den Cut-off von v nach w, so nimmt der Bereich c auf den Wert Null ab zugunsten einer vollständigen Erfassung der Nichterkrankten (K–) durch negative Testergebnisse, d. h., die Spezifität beträgt bei diesem Cut-off 100%. Gleichzeitig vergrößert sich aber der Bereich b auf Kosten von a, d. h. weniger Erkrankte haben bei diesem Cut-off positive Testergebnisse, die Sensitivität nimmt ab. Dieser Zusammenhang hat zentrale Bedeutung, denn es gilt:
7
114
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
> Eine globale Verbesserung eines Testverfahrens durch Änderung des Cut-offs ist grundsätzlich nicht möglich. Eine Änderung des Cut-offs kann immer nur zur Erhöhung von Sensitivität oder Spezifität führen: Steigt die Sensitivität, so sinkt die Spezifität. Steigt die Spezifität, so sinkt die Sensitivität. Eine gleichzeitige Erhöhung oder Erniedrigung von Sensitivität und Spezifität durch Spielen am Cut-off ist nicht möglich.
Receiver-operating-characteristic-(ROC-) Analyse
7
Dieser Zusammenhang wird zunehmend häufiger in Form sog. Receiver-operating-characteristic-(ROC-) Kurven dargestellt (. Abb. 7.2). Dabei werden in ein Koordinatensystem die für jeden Cut-off errechneten Wertepaare von Sensitivität und 1-Spezifität eingetragen (Sox et al. 1988; Sackett et al. 1991). Neben der optischen Darstellung der vom Cut-off abhängigen Verhältnisse zwischen Sensitivität und Spezifität lässt sich aus ROC-Kurven auch etwas über die Güte eines Tests ablesen, und sie erlauben einen Vergleich unterschiedlicher Tests. > Ein Test ist umso besser, d. h. er kann umso besser zwischen krank und nicht krank unterscheiden, je weiter die zugehörige ROC-Kurve von der Winkelhalbierenden entfernt zur oberen linken Ecke hin liegt.
In . Abb. 7.2 sind 2 ROC-Kurven eingezeichnet: eine für die Leukozytenbestimmung und eine für die Bestimmung des Creaktiven Proteins (CRP) zur Diagnostik einer Chorioamnionitis. Die Kurvenverläufe lassen damit die Interpretation zu: Die CRP-Bestimmung ist der Leukozytenzählung überlegen,
wenngleich auch die CRP-Bestimmung hinsichtlich ihrer diagostischen Kenngrößen Sensitivität und Spezifität noch zu wünschen übriglässt.
7.3
Was bedeuten diese Definitionen und Zusammenhänge für den diagnostizierenden Kliniker?
Die bisherigen Ausführungen setzen voraus, dass der tatsächliche Status krank oder nicht krank anhand eines Goldstandards bereits bekannt ist, um daran messen zu können, wie zuverlässig der Test diesen Status erfassen kann. Dem Kliniker stellt sich aber ein ganz anderes Problem: Er will den unbekannten Status krank oder nicht krank diagnostizieren, ordiniert deshalb zu dieser Unterscheidung einen Test und erhält ein positives Ergebnis. Ist der Patient nun krank oder nicht krank? Diese Frage wird vielfach als spitzfindige und damit irrelevante Zumutung empfunden. Und doch ergibt sie sich zwanglos aus der Vierfeldertafel (. Tab. 7.1). Die Zahl der positiven Testergebnisse setzt sich zusammen aus denen, die bei Erkrankten (a), und denen, die bei Nichterkrankten (c) erhoben wurden. Der Kliniker muss somit entscheiden, ob das jetzt einzeln für eine bestimmte Patientin vorliegende positive Testergebnis zur Menge a oder zur Menge c gehört. Der Kliniker muss also nach dem prädiktiven Wert eines positiven Testergebnisses fragen (Galen u. Gambino 1979). Nur die wenigsten Kliniker sind sich dessen bewusst. Das Verständnis für diese Zusammenhänge sollte jedoch manche scheinbar unerkärliche »Diagnostikversager« transparent machen und tatsächlich vorkommende diagnostische Fehler vermeiden helfen.
Prädiktiver Wert Die prädiktiven Werte positiver oder negativer Testergebnisse sind bedingte Wahrscheinlichkeiten (Weinstein u. Fineberg 1980). Prädiktiver Wert Der positive prädiktive Wert beschreibt die Wahrscheinlichkeit p, tatsächlich erkrankt (K+) zu sein, unter der Bedingung, dass ein positives Testergebnis (T+) vorliegt. p [K+|T+] = positiver prädiktiver Wert Der negative prädiktive Wert beschreibt die Wahrscheinlichkeit p, tatsächlich nicht erkrankt (K–) zu sein, unter der Bedingung, dass ein negatives Testergebnis (T–) vorliegt. p [K–|T–] = negativer prädiktiver Wert
. Abb. 7.2. Receiver-operating-characteristic-(ROC-)Kurven für C-reaktives Protein (CRP) und Leukozytenbestimmung (Leu)
Diese Größen sind wiederum aus der Vierfeldertafel abzuleiten (. Tab. 7.1). Der positive prädiktive Wert errechnet sich aus a/(a+c), d. h. die Anzahl der positiven Testergebnisse unter den tatsächlich Erkrankten (a) geteilt durch die Gesamtzahl der positiven Testergebnisse (a+c). Der negative prädik-
115 7.3 · Was bedeuten diese Definitionen und Zusammenhänge für den diagnostizierenden Kliniker?
. Tab. 7.2. Vierfeldertafeln mit unterschiedlicher Prävalenz A und B (T+ Test positiv, T– Test negativ, ChA+ Chorioamnionitis, ChA– keine Chorioamnionitis)
A Goldstandard Plazentahistologie
T+ RP ≥ 20 mg/l
ChA+
63
37
100
ChA–
20
80
100
∑
83
117
200
Sensitivität
63% (63/100)
Spezifität
80% (80/100)
Prävalenz
50% (100/200)
T– CRP <20 mg/l
Positiver prädiktiver Wert Negativer prädiktiver Wert
∑
76% (63/83) 68% (80/117)
B Goldstandard Plazentahistologie
T+ CRP ≥ 20 mg/l
T– CRP <20 mg/l
∑
ChA+
6
4
10
ChA–
38
152
190
∑
44
156
200
Sensitivität
63% (6/10)
Spezifität
80% (152/190)
Prävalenz
5% (10/200)
Positiver prädiktiver Wert Negativer prädiktiver Wert
tive Wert errechnet sich aus d/(b+d), d. h. die Anzahl der negativen Testergebnisse unter den tatsächlich Nichterkrankten (d) geteilt durch die Gesamtzahl der negativen Testergebnisse (b+d). . Tab. 7.2 zeigt diesen Zusammenhang mit konkreten Zahlen. Betrachten wir zunächst die Vierfeldertafel A. Die Sensitivität errechnet sich zu 63% und die Spezifität zu 80%. Der prädiktive Wert eines positiven Ergebnisses beträgt dagegen 76% und der eines negativen Ergebnisses 68%. Die Prozentzahlen der prädiktiven Werte haben also zunächst nichts mit den Prozentzahlen der Sensitivität oder Spezifität zu tun. Einer der häufigsten Fehler in der Diagnostik besteht in der Gleichsetzung von Sensitivität und positivem prädiktivem Wert, soweit dieser Zusammenhang überhaupt thematisiert wird. (Die »detection rate« als anderer synonymer, überflüssiger und verwirrender Begriff der Sensitivität darf ebenfalls nicht mit dem positiven prädiktiven Wert gleichgesetzt werden.) Allerdings hilft das Einprägen prädiktiver Werte, auf die es in der diagnostischen Situation ankommt, nicht viel weiter. Betrachten wir die Vierfeldertafel B (. Tabelle 8.2). Sensitivität und Spezifität sind gleich geblieben, der positive prädiktive Wert beträgt jetzt aber nur noch 14%, während der negative prädiktive Wert auf 98% gestiegen ist. Woher dieser gravierende Unterschied? Der Unterschied liegt in der Prävalenz.
76% (63/83) 68% (80/117)
Prävalenz Der zentrale Punkt für die Interpretation von Testergebnissen, dessen Verständnis von entscheidender Bedeutung ist, um allgemein und für die einzelne Patientin die Sinnhaftigkeit von Testverfahren antizipierend beurteilen zu können, ist die Prävalenz. Prävalenz Prävalenz beschreibt die Wahrscheinlichkeit p für das Vorliegen einer Erkrankung (K+) vor jedem Testen. p [K+] = Prävalenz
Anstelle von Prävalenz werden auch die Begriffe Prätest- oder A-priori-Wahrscheinlichkeit verwendet.
Prävalenz ist ein Begriff aus der Epidemiologie und beschreibt die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Merkmals in einer Population zu einem bestimmten Zeitpunkt. Werden in Prävalenzstudien diese Häufigkeiten für ganz begrenzte Populationen, z. B. für alle Schwangeren, für Schwangere bestimmter Altersklassen, für Schwangere in einer bestimmten geographischen Region oder für Schwangere einer bestimmten Klinik, ausgezählt, so können diese Häufigkeiten oder Prävalenzen als Schätzgrößen der Prätestwahrscheinlichkeit benutzt werden, die umso zutreffender sind, je mehr die Pa-
7
116
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
7 . Abb. 7.3. Kurvendiagramm zur Abhängigkeit des positiven prädiktiven Werts von der Prävalenz. Interpretation 7 Text
tientin der Population entspricht, in der die Prävalenz ermittelt wurde. In diesem Sinn rechtfertigt sich der weitgehend synonyme Gebrauch der Begriffe Prävalenz und Prätestwahrscheinlichkeit. > Allgemein gilt für die Diagnostik folgender grundsätzlicher Zusammenhang: Die prädiktiven Werte sind nicht nur von Sensitivität und Spezifität abhängig, sondern sehr wesentlich von der Prävalenz.
Die Prävalenzabhängigkeit wird durch das Bayes-Theorem beschrieben (Bayes 1763) und lässt sich graphisch darstellen (. Abb. 7.3). Die beiden Kurven geben die prädiktiven Werte von positiven und negativen Testergebnissen für alle Prävalenzen zwischen 0 und 1 (Wahrscheinlichkeitszahlen) oder 0 und 100% an. Diese Kurven sind errechnet für den CRP-Test aus . Tab. 7.2 mit einer Sensitivität von 63% und einer Spezifität von 80%. Wie sind diese Kurven zu lesen? Angenommen, die Prävalenz beträgt 50% wie in der Vierfeldertafel A (. Tab. 7.2), und es ergibt sich ein positives Testergebnis: Die Senkrechte im Punkt 50% auf der x-Achse der Prävalenz schneidet in h die Winkelhalbierende des Koordinatensystems und in i die Kurve der positiven Testergebnisse. Der zugehörige positive prädiktive Wert kann an der y-Achse mit 76% abgelesen werden, d. h. die Wahrscheinlichkeit für den Status krank hat sich von 50% vor dem Test auf 76% nach dem positiven Test erhöht: Der Informationszugewinn durch das positive Testergebnis beträgt 26%. Ergibt sich bei gleicher Prävalenz ein negatives Testergebnis, zeigt der Schnittpunkt k mit der Kurve der negativen Testergebnisse den zugehörigen positiven prädiktiven Wert von 32% an, d. h. die Wahrscheinlichkeit für den Status krank hat sich von 50% vor dem Test auf 32% nach dem negativen Test erniedrigt: Der negative Test hat das Erkranktsein um 18%
unwahrscheinlicher gemacht. Die Kurve der negativen Ergebnisse zeigt die verbleibende Wahrscheinlichkeit für den Status krank nach einem negativen Test, und diese Wahrscheinlichkeit ist die Differenz aus 100 minus negativer prädiktiver Wert, in unserem Beispiel 32%=100%–68%. Dieser Wert von 68% findet sich unter der Vierfeldertafel A (. Tab. 7.2). Fünfzig Prozent Prävalenz für den Status krank bedeuten auch 50% Prävalenz für den Status nicht krank. Und so kann man den eben geschilderten Zusammenhang auch aus dieser Sicht der Änderung der Wahrscheinlichkeit für Nichterkranktsein betrachten: Ein negativer Test erhöht die Wahrscheinlichkeit für Nichterkranktsein von 50% vor dem Test auf 68% nach einem negativen Test, d. h. ein negativer Test macht das Nichterkranktsein um 18% wahrscheinlicher; dagegen wird die Wahrscheinlichkeit für den Status nicht krank von 50% vor dem Test auf 24% nach einem positiven Test erniedrigt und damit die Wahrscheinlichkeit für den Status krank von 50% auf 76% erhöht: 100%–24%=76%; und das ist der positive prädiktive Wert, der sich auch unter der Vierfeldertafel A (. Tab. 7.2) findet. Aus diesem Kurvendiagramm des Bayes-Theorems zur Abhängigkeit von Prävalenz und positivem prädiktivem Wert ergibt sich eine Reihe von Folgerungen für den diagnostischen Prozess, die immer wieder abzuleiten sind, wenn man sich dieses Kurvendiagramm ein für allemal eingeprägt hat. Der klinische Prozess der Diagnostik ist wie die gesamte klinische Medizin wesentlich von Unsicherheit (»uncertainty«) bestimmt. Da es an dieser Tatsache nichts zu rütteln gibt (Eddy 1988; Katz 1988), bedeutet die formale Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Prävalenz und prädiktivem Wert eine wesentliche Hilfe, diese Tatsache in der Diagnostik zu begreifen und gleichzeitig das Ausmaß der Unsicherheit abzuschätzen und zu quantifizieren: Auch nach dem Testen bleibt eine mehr oder minder große Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Status einer Patientin. Jedes Testergebnis kann hinsichtlich seines prädiktiven Wertes nur in Kenntnis oder Einschätzung der Prävalenz, d. h. im Wissen um die Klinik, interpretiert werden. Ein isoliertes positives oder negatives Testergebnis kann und darf nie über Kranksein oder Nichtkranksein entscheiden. Selbst Goldstandardmethoden sind nur scheinbar Ausnahmen, so z. B. die Histologie, denn grundsätzlich sind auch hier Fehler oder Fehlinterpretationen möglich. > Das Ausmaß an Informationszugewinn ist prävalenzabhängig: Bei sehr niedrigen und sehr hohen Prävalenzwerten kann der Informationsgewinn nur gering sein. Er ist am höchsten bei mittleren Werten, nämlich dort, wo sich die Kurven am weitesten von der Winkelhalbierenden entfernen. Je weiter die Kurven von der Winkelhalbierenden zur linken oberen oder zur rechten unteren Ecke hin liegen, desto besser, d. h. desto höher die prädiktiven Werte.
Die Steilheit und damit die Lage der Kurven ist abhängig von den Testqualitäten Sensitivität und Spezifität. Die Kurven kommen zwischen 2 Extremen zu liegen. Angenommen, ein Test ergäbe als Kurve den Verlauf der Winkelhalbierenden, so handelte es sich um einen »Non-sense-Test«: die Wahrschein-
117 7.5 · Was versteht man unter Likelihood-Ratio?
lichkeit für den Status krank wäre nach einem Test unverändert zur Einschätzung vor dem Test, der Informationsgewinn wäre gleich Null. Das andere Extrem wäre der ideale Test, der prävalenzunabhängig über den Status krank oder nicht krank entscheiden lassen könnte: Ein positives Ergebnis bedeutete einen prädiktiven Wert von 100% für krank und ein negatives Ergebnis einen prädiktiven Wert von 0% für krank. Ganz explizit wird die prävalenzabhängige Interpretation von Testergebnissen in der genetischen Beratung und Pränatadiagnostik angewendet, wenn es um Riskoberechnungen geht. Hier wird immer von einem altersspezifischen oder anamnestischen genetischen Basisrisko ausgegangen, das je nach Testergebnis entweder verminderte oder erhöhte Risiko errechnet (Ogino u. Wilson 2004). Dieses gegenüber dem Basisrisiko revidierte Risiko kann dann Ausgangspunkt für die Entscheidung sein, weitere, u. U. invasive Untersuchungen vorzunehmen oder darauf zu verzichten.
7.4
Wie lässt sich die Prävalenz abschätzen?
Mit der Einsicht in diese Zusammenhänge ergibt sich wie von selbst die Frage nach der Abschätzung der Prävalenz. Woher soll man diese Wahrscheinlichkeiten nehmen? Gibt man sich Rechenschaft, wie man die Erkrankungswahrscheinlichkeit eines Patienten einschätzt, so wird man zugeben müssen, dass dies i.Allg. mehr oder minder intuitiv geschieht. Beeinflusst wird dieser Prozess durch eigene klinische Erfahrung und durch publizierte Daten (Sox 1986, 1987).
Eigene Erfahrung des Klinikers Klinische Erfahrung Eigene klinische Erfahrung bedeutet, dass ein neuer Patient mit seiner Anamnese und seinen Krankheitszeichen verglichen wird mit ähnlichen oder gleichen Patienten, die man schon diagnostiziert oder therapiert hat und deren Krankheitsverlauf hinsichtlich Erfolg oder auch Misserfolg noch erinnerlich ist.
Dabei bedient sich der Kliniker sog. heuristischer Methoden (Tversky u. Kahnemann 1974), deren Anwendung jedoch nicht unbedingt zu einer zuverlässigen Prävalenzeinschätzung führen muss: 4 Mit der Repräsentativitätsregel (»representativeness heuristic«) schätzt der Kliniker die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in Abhängigkeit vom Ausmaß der Übereinstimmung der erhobenen klinischen Zeichen mit den wesentlichen Kennzeichen der vermuteten Krankheit. Diese Regel kann versagen, wenn die Krankheit selten ist, wenn die klinischen Zeichen unzuverlässig oder redundant sind oder wenn die Vorstellung des Arztes von der Krankheit auf einer beschränkten und atypischen Erfahrung gründet. 4 Mit der Verfügbarkeitsregel (»availability heuristic«) schätzt der Kliniker die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in Abhängigkeit von der Leichtigkeit, mit der er ähnliche Ereignisse erinnert. Diese Regel versagt oft. Ein
Geburtshelfer, der z. B. eine Appendicitis in graviditate bei einer Schwangeren mit Bauchschmerzen zutreffend diagnostiziert, mag die Wahrscheinlichkeit einer Appendicitis in graviditate bei der nächsten Schwangeren, die sich mit Bauchschmerzen vorstellt, überschätzen. 4 Mit der Anker-und-Angleichungsregel (»anchoring and adjustment heuristic«) versucht der Kliniker, seine erste Wahrscheinlichkeitsschätzung (den »Anker«) ungewöhnlichen Symptomen oder Befunden anzugleichen. Diese Regel ist zwar wichtig, wird aber zumeist nicht richtig angewendet. In experimentellen Studien zeigte sich, dass die Angleichung einer ersten Wahrscheinlichkeitsschätzung im Licht neuer zusätzlicher Informationen ungenügend erfolgt: Es wird zu früh oder zu fest »vor Anker gegangen« (Tversky u. Kahnemann 1974). Insgesamt neigen auch Kliniker dazu, zu viel Vertrauen in ihr klinisches Urteil zu setzen oder eine Erkrankungswahrscheinlichkeit zu überschätzen (Piattelli-Palmarini 1994).
Publizierte Daten Es wäre wünschenswert, bei der Einschätzung der Erkrankungswahrscheinlichkeit von publizierten Prävalenzen auszugehen. Die Übertragung derartiger Daten in die diagnostische Abklärung einer individuellen Patientin kann aber leicht zu einer falschen Einschätzung führen. Die publizierten Angaben stützen sich meist auf Studien, die in Zentren stattfinden, wohin Patientinnen speziell überwiesen wurden. Diese Selektion (»selection bias«) führt zu publizierten Prävalenzen, die höher sein dürften als bei Patientinnen, die ihren Frauenarzt in der Praxis aufsuchen (Fletcher et al. 1988; Sox et al. 1988; Chalmers 1989; Sackett et al. 1991). Manche Studien geben die Häufigkeit eines klinischen Befunds nur für die Erkrankten an. Mit solchen Zahlen (einer bedingten Wahrscheinlichkeit) ist aber die Prävalenz (die einfache Wahrscheinlichkeit für Erkranktsein) nicht einzuschätzen. Zudem besteht ein Unterschied zwischen der Häufigkeit eines klinischen Befunds bei Erkranktsein und der Häufigkeit von Erkranktsein bei Personen mit einem bestimmten klinischen Befund. > Gute Studien sollten neben der Häufigkeit eines klinischen Befunds bei Erkranktsein auch die Häufigkeit bei Nichterkranktsein angeben. Aus diesen Sensitivitäts- und Spezifitätsangaben kann der Kliniker dann die Likelihood-Ratio errechnen.
7.5
Was versteht man unter LikelihoodRatio?
Sind die Zusammenhänge durchschaut, die Testqualitäten bekannt und die Schwierigkeiten und Fehlermöglichkeiten der Prävalenzeinschätzung bekannt und berücksichtigt, so bleibt nur die Abschätzung der Posttestwahrscheinlichkeit nach dem Bayes-Theorem als zutreffende Interpretation des Testergebnisses. Ist dies im klinischen Alltag möglich? Die Antwort lautet ja, denn es gibt dafür Hilfsmittel wie das in . Abb. 7.4 dargestellte Nomogramm nach Fagan (1975).
7
118
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
Die Likelihood-Ratio eines negativen Testergebnisses (LR–) beschreibt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass der Test bei Erkrankten negativ ist (1-Sensitivität), zu der Wahrscheinlichkeit, dass der Test bei Nichterkrankten negativ ist (Spezifität). 4 LR– = (1-Sensitivität)/Spezifität
7
. Abb. 7.4. Nomogramm nach Fagan (1975) zur Interpretation von Testergebnissen. (Interaktives Formular unter www.cebm.net/index. aspx?o=1161)
Das Nomogramm erlaubt, mit einem Lineal für jede Prävalenz die zugehörige Posttestwahrscheinlichkeit ohne Rechnen abzulesen. (Unter der Webadresse www.cebm.net/index. aspx?o=1161 wird dieses Nomogramm in interaktiver Form angeboten.) Es muss allerdings die Likelihood-Ratio (RH) eines positiven oder negativen Ergebnisses bekannt sein. Die Likelihood-Ratios fassen in einer einzigen Zahl die unterschiedliche Beziehung von Sensitivität und Spezifität für positive oder negative Ergebnisse zusammen.
Diese Werte müssen entweder aus den Angaben in der Literatur oder aus Ergebnissen eigener Untersuchungen errechnet werden. Es finden sich aber zunehmend auch Übersichten derartiger Werte in der Literatur, z. B. für Tests der Inneren Medizin (Sox et al. 1988; Sackett et al. 1991), der bildgebenden Verfahren (Kuhns et al. 1989) und der Geburtshilfe und Gynäkologie (Wildschut et al. 1996). Die LR für einen positiven CRP-Test errechnet sich mit 3,14, für einen negativen CRP-Test mit 0,47. Geht man z. B. wie in . Abb. 7.3 von einer Prävalenz von 50% aus und verbindet die entsprechenden Werte 50% Prätestwahrscheinlichkeit und LR-Wert 3 mit dem Lineal, so kann man im Schnittpunkt dieser Geraden mit der Skala der Posttestwahrscheinlichkeit einen Wert von ungefähr 75% ablesen. Verbunden mit dem Wert 0,5 lässt sich ein Wert von über 30% als Posttestwahrscheinlichkeit ablesen. Die Genauigkeit, die mit diesem Nomogramm (. Abb. 7.4) zu erzielen ist, wäre im klinischen Alltag sicher völlig ausreichend, denn es geht um die Größenordnung und nicht um eine oder gar zwei Stellen hinter dem Komma. Dieses Nomogramm basiert auf einem an sich einfachen mathematischen Zusammenhang zwischen Prätest- und Posttestwahrscheinlichkeit, wobei allerdings die Wahrscheinlichkeit in dieser Formel als Verhältniszahl (odds) eingehen muss. 4 Prätestverhältniszahl × Likelihood-Ratio = Posttestverhältniszahl Um mit dieser Formel, der Odds-Ratio-Form des Bayes-Theorems (Sox et al. 1988), arbeiten zu können, muss noch die Umwandlung von Wahrscheinlichkeitszahlen p in Verhältniszahlen o und von Verhältniszahlen o in Wahrscheinlichkeitszahlen p bekannt sein. 4 o = p/(1–p) Für die Prätestwahrscheinlichkeit 50% lautet die Wahrscheinlichkeitszahl 0,5. So errechnet sich die Verhältniszahl aus 0,5/1–0,5=0,5/0,5 = 1:1=1. Für 20% oder 0,2 ergibt sich: 0,2/1–0,2=0,2/0,8=1:4=0,25. 4 p = o/(o+1)
Likelihood-Ratio Die Likelihood-Ratio eines positiven Testergebnisses (LR+) beschreibt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass der Test bei Erkrankten positiv ist (Sensitivität), zu der Wahrscheinlichkeit, dass der Test bei Nichterkrankten positiv ist (1-Spezifität). 4 LR+ = Sensitivität/(1-Spezifität)
6
Lautet wie in unserem Beispiel die Prätestverhältniszahl 1 und wird mit der LR von 3,12 multipliziert, so muss die Posttestverhältniszahl 3 in eine Wahrscheinlichkeit umgerechnet werden. Entsprechend der Formel ergibt sich 3/3+1=3/4=0,75 oder 75%. Unter der Webadresse www.cebm.net/index.aspx?o=1160 wird eine interaktive Vierfeldertafel angeboten, die, entsprechend ausgefüllt, sofort die bisher besprochenen Größen wie
119 7.6 · Wie können Testkombinationen weiterhelfen?
Prävalenz, Sensitivität, Spezifität, prädiktive Werte und Likelihood-Ratios errechnet und anzeigt. Die Anwendung von Likelihood-Ratios hat große Vorteile und ist nur scheinbar kompliziert, denn mit der dichotomen Aufteilung von kontinuierlichen Testergebnissen in positiv und negativ bei einem bestimmten Cut-off geht Information verloren, die mit der sog. Intervall-Likelihood-Ratio (iLR) wiedergewonnen werden kann, vorausgesetzt, dass entsprechende Daten publiziert oder erarbeitet werden (Sackett et al. 1991). Derartige Intervall-Likelihood-Ratios können auch für kategoriale Testergebnisse, z. B. der bildgebenden Verfahren oder der CTG-Interpretation bestimmt werden. Ist nämlich die Wahrscheinlichkeit p eines bestimmten Testergebnisses x unter Erkrankten und Nichterkrankten bekannt, so kann die iLR nach folgender Formel bestimmt werden: 4 iLR = p (Ergebnis x)|krank/p (Ergebnis x)|nicht krank Damit ist es möglich, die Posttestverhältniszahl und die daraus abgeleitete Posttestwahrscheinlichkeit noch genauer und zutreffender abzuschätzen. Liegt z. B. die Prätestwahrscheinlichkeit für Amnioninfekt bei einer Schwangeren in der 30. Woche bei 50%, und die CRP-Bestimmung ergibt ein Ergebnis von 25 mg/l, so lässt sich, wie oben beschrieben, bei einer LR+ von 3,14 eine Posttestwahrscheinlichkeit von ungefähr 75% aus dem Nomogramm ablesen. Ist aber die iLR für den Bereich 21–30 mg/l mit 1,97 bekannt, lässt sich die Posttestwahrscheinlichkeit nur noch mit ungefähr 67% ablesen. (Nehmen Sie Papier und Bleistift und errechnen Sie übungshalber mit den oben angegeben Formeln den genauen Wert.) Fiele für die gleiche Schwangere die CRP-Bestimmung mit einem Ergebnis von 48 mg/l höher aus, so ließe sich mit einer iLR von 4,86 im Bereich 41–50 mg/ l auch eine höhere Posttestwahrscheinlichkeit von ungefähr 83% ablesen. Ist es in der diagnostischen Situation sinnvoll, genau und noch genauer zu wissen, ob die Posttestwahrscheinlichkeit nun 67, 75 oder 83% beträgt? Ist es nicht einfacher und klüger, noch andere Tests einzusetzen, um so mit ausreichender Sicherheit zu einer Diagnose zu kommen?
Wie können Testkombinationen weiterhelfen?
7.6
Üblicherweise fühlt sich der Kliniker sicherer, wenn er mehrere Tests einsetzen kann. Weisen alle Ergebnisse in die gleiche
Richtung der diagnostischen Hypothese, so ist die Diagnose gestellt. Etwas schwierig und unübersichtlich wird die Situation, wenn die Ergebnisse widersprüchlich ausfallen, d. h. teils positiv, teils negativ. Mit Einführung der CRP-Bestimmung in die Entzündungsdiagnostik wurde nicht etwa die Leukozytenzählung abgeschafft, nein, beide Untersuchungen werden jetzt ordiniert. Wenn nun bei klinischem Verdacht auf Amnioninfekt widersprüchliche Ergebnisse auftreten, was bleibt dann zu tun? Der Kliniker denkt, den Amnioninfekt zu übersehen ist gefährlich; so mag der positive Ausfall auch nur eines Tests der eingesetzten Testkombination für die Diagnose ausreichen. Wenn es darauf ankommen soll, eine Erkrankung möglichst nicht zu übersehen, ist diese Taktik, ein positives Ergebnis innerhalb einer Testkombination als positives Gesamtergebnis der Kombination zu interpretieren, durchaus richtig. Mit einem derartigen trennenden Positivkriterium steigt nämlich die Sensitivität der Testkombination immer über den höchsten Sensitivitätswert der Einzeltests. Die CRP-Bestimmung hat eine Sensitivität von 63%, die Leukozytenzählung eine von 31%. Die trennende Kombination beider Tests (CL, einer oder beide positiv) erhöht die Sensitivität auf 67% und liegt so um 4 Prozentpunkte über der höchsten Sensitivität von CRP als Einzeltest (. Tab. 7.3). > Diese häufige Art der Interpretation von Testkombinationen hat allerdings einen wesentlichen Haken: Mit der Steigerung der Sensitivität ist immer und unausweichlich ein Abfall der Spezifität verbunden. Der resultierende Wert liegt immer niedriger als der niedrigste Spezifitätswert der Einzeltests beim gewählten Cut-off. . Tab. 7.3 zeigt die entsprechenden Zahlen: Die CRP-Bestimmung hat mit 80% um 4 Prozentpunkte weniger Spezifität als die Leukozytenzählung, aber in der trennenden Kombination sinkt die Spezifität auf 69% ab. Dieser Abfall in der Spezifität hat Folgen für den positiven prädiktiven Wert der Testkombination, der ebenfalls sinkt (. Abb. 7.5).
> Für den klinischen Alltag bedeutet somit eine derartige Interpretation von Ergebnissen aus Testkombinationen zwar immer ein Erkennen von mehr Erkrankten, aber auf Kosten eines u. U. gewaltigen Anstiegs von Personen, die falsch positiv als erkrankt bezeichnet und dann auch behandelt werden.
. Tab. 7.3. Sensitivität, Spezifität und Likelihood-Ratio eines positiven (LR+) oder negativen Ergebnisses (LR–) für C-reaktives Protein (CRP), Leukozytenzählung und für die Kombination dieser Tests (CRP-Cut-off ≥20 mg/l; Leukozyten-Cut-off ≥16 x 103/mm3)
Test
Sensitivität [%]
Spezifität [%]
LR+
LR–
CRP
63
80
3,14
0,47
Leukozyten
31
84
1,97
0,82
CL (einer oder beide positiv)
67
69
2,19
0,48
CL (beide positiv)
26
97
8,95
0,76
7
120
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
Diese Annahme muss aber bei Weitem nicht immer zutreffen, und nur selten wird dieser Zusammenhang überhaupt geprüft. Sind die Testergebnisse aber tatsächlich doch voneinander abhängig, so wird bei Festhalten an der Annahme der Unabhängigkeit die Aussagekraft der Testkombination systematisch überschätzt. Diese Gefahr steigt mit der Zahl der eingesetzten Testverfahren. Von entscheidender Wichtigkeit in entsprechenden Studien wäre dazu auch die Unabhängigkeit der Untersucher, d. h., die Untersucher in den einzelnen Testverfahren dürfen unter keinen Umständen das Ergebnis der anderen Tests wissen: Sie müssen »blind« sein, eine Voraussetzung, gegen die nur zu gern verstoßen wird. > Ungeachtet dieser Einschränkung bleibt festzuhalten: Mit einer Kombinationsdiagnostik ist eine gleichzeitige Steigerung der Sensitivität und Spezifität nicht zu erreichen. Man muss entscheiden, ob in der gegebenen Situation mehr Sensitivität oder mehr Spezifität erforderlich ist.
7 . Abb. 7.5. Kurvendiagramm zur Abhängigkeit des positiven prädiktiven Wertes von der Prävalenz. Dargestellt sind die Kurven von Einzeltests (CRP C-reaktives Protein, Leu Leukozyten) und von Testkombinationen (CL CRP und Leu) mit unterschiedlichem Positivkriterium: +– trennend und ++ verbindend
Die CRP-Bestimmung als Einzeltest ist der trennenden Interpretation von CRP und Leukozyten in Kombination überlegen. Die Kurve der positiven prädiktiven Werte von CRP und Leukozyten in Kombination zeigt nur dann einen besseren Verlauf als die der Einzeltests, wenn positive Ergebnisse in allen Tests gefordert werden (. Abb. 7.5). Für dieses verbindende Positivkriterium gilt folgende Regel: Die Sensitivität sinkt unter den niedrigsten Wert der Einzeltests, dafür steigt aber die Spezifität der Kombination über den höchsten Wert der Einzeltests: 26% Sensitivität und 97% Spezifität bei verbindendem Positivkriterium der Kombination von CRP- und Leukozytenbestimmung. Der damit verbundene Anstieg im positiven prädiktiven Wert muss aber mit dem Nachteil erkauft werden, viele Erkrankte zu übersehen (geringe Sensitivität). Die aufgezeigten Zusammenhänge der Kombinationsdiagnostik gelten nicht nur für ein mehr oder minder gleichzeitiges paralleles Testen: Die Ergebnisse können, wie gezeigt, trennend oder verbindend interpretiert werden. Die Zusammenhänge gelten auch für zeitlich gestaffelte serielle Testkombinationen. Da beim seriellen Testen nur Testpositive weiteruntersucht werden und nur die schließlich als erkrankt gelten, die im nächsten Test erneut ein positives Ergebnis aufweisen, wird hier mit einem verbindenden Positivkriterium gearbeitet, d. h. Steigerung der Spezifität auf Kosten eines Verlusts an Sensitivität. In der Kombinationsdiagnostik wird sowohl im klinischen Alltag als auch in diesen formalen Betrachtungen angenommen, dass die Testverfahren voneinander unabhängig sind (Weinstein u. Fineberg 1980; Sox et al. 1988; Sackett et al. 1991).
7.7
Wie ist über die Indikation eines Tests zu entscheiden?
Jeder Kliniker wird zugeben, dass er fast täglich über Behandlung oder Nichtbehandlung von Patientinnen entscheidet. Wie macht er das? Er benützt offensichtlich eine Behandlungsschwelle, unterhalb derer er nicht und oberhalb derer er behandelt. Allerdings gibt sich der Kliniker über diese Behandlungsschwelle in der Regel keine explizite Rechenschaft. Diese Rechenschaft erfordert etwas aufwändigere Verfahren der medizinischen Entscheidungsfindung und Entscheidungsanalyse (Weinstein u. Fineberg 1980; Sox et al. 1988) und soll hier nur soweit erörtert werden, als es das Verständnis für die Indikation von diagnostischen Tests erfordert.
Behandlungsschwelle Behandlungsschwelle Für die formale Bestimmung einer Behandlungsschwelle gilt folgender Zusammenhang (Pauker u. Kassirer 1975; Sox et al. 1988): 4 p*=C/C+B Die Behandlungsschwelle p* bezeichnet den Wahrscheinlichkeitswert, bei dem der Kliniker hinsichtlich Behandlung oder Nichtbehandlung unentschieden bleiben kann, da sich Vor- und Nachteile der beiden Optionen die Waage halten. C bezeichnet die Nettokosten der Behandlung von Nichterkrankten, B den Nettobenefit der Behandlung von Erkrankten. Oberhalb der Behandlungsschwelle überwiegt der Nutzen (B) einer Behandlung von Erkrankten die Nachteile (C) der unvermeidbaren Mitbehandlung von Nichterkrankten. Unterhalb der Behandlungsschwelle überwiegen die Nachteile der Behandlung von Nichterkrankten den Nutzen einer Behandlung von Erkrankten.
121 7.7 · Wie ist über die Indikation eines Tests zu entscheiden?
. Abb. 7.6a, b. Kurvendiagramme zur Abhängigkeit des positiven prädiktiven Wertes von der Prävalenz mit Darstellung der Indikations-bereiche. A: kein Testen und keine Behandlung, B: Testen und C:
Behandeln ohne Testen für 2 verschiedene Behandlungsschwellen a und b
Für eine hocheffektive und nebenwirkungsarme Behandlung wird sich daher eine niedrige Schwelle ergeben, d. h., es kann die an sich unnötige, aber unvermeidbare Mitbehandlung von vielen Nichterkrankten hingenommen werden. Die Schwelle wird höher liegen für eine effektive, aber nebenwirkungsreiche Behandlung. Eine wenig effektive, aber sehr beeinträchtigende Behandlung wird eine hohe Schwelle aufweisen. Damit werden zum einen nicht alle Erkrankten behandelt, zum anderen wird die unnötige Mitbehandlung von Nichterkrankten möglichst gering gehalten. Ist die Behandlungsschwelle bekannt, dann lässt sich auch der Indikationsbereich für ein Testverfahren oder für Testkombinationen bestimmen (Pauker u. Kassirer 1980; Sox et al. 1988). Dazu gibt es ein graphisches Verfahren, die Testindikationskurven (. Abb. 7.6; Bernstein 1997). In das schon bekannte Diagramm der Abhängigkeit von Prävalenz und positivem prädiktivem Wert wird zunächst die Gerade 1 mit dem Wahrscheinlichkeitswert der Behandlungsschwelle eingezeichnet. Diese Gerade 1 schneidet die Kurven der prädiktiven Werte der positiven und negativen Ergebnisse. Durch diese Schnittpunkte können die beiden weiteren Geraden 2 und 3 senkrecht zur Koordinate mit den Prävalenzen eingezeichnet werden, und es resultieren 3 Bereiche: 4 A bezeichnet den Bereich der Prävalenz, in dem kein Test und keine Behandlung angezeigt sind, denn selbst ein positives Ergebnis würde mit seinem prädiktiven Wert unterhalb der Behandlungsschwelle liegen. 4 B bezeichnet den Bereich der Prävalenz, in dem ein Test angezeigt ist, denn vom positiven oder negativen Ergebnis wird es abhängen, ob der positive oder negative prädiktive Wert die Behandlungsschwelle über- oder unterschreitet; d. h., nur in diesem Bereich hat ein Testergebnis
Einfluss auf die Entscheidung über Behandeln oder Nichtbehandeln. 4 C bezeichnet den Bereich der Prävalenz, in dem ohne Testen sofort die Behandlung angezeigt ist, denn selbst nach einem negativen Testergebnis bleibt die Erkrankungswahrscheinlichkeit oberhalb der Behandlungsschwelle und kann somit die Entscheidung für Behandeln nicht beeinflussen. Die Breite des Indikationsbereichs für Tests ist zum einen abhängig von der Behandlungsschwelle (. Abb. 7.6), zum anderen von den Kurven des prädiktiven Wertes, deren Verläufe wiederum von Sensitivität und Spezifität der Tests abhängen. Schließlich kann auch das testimmanente Risiko die Indikationsbreite beeinflussen: Je risikoreicher und unangenehmer der Test, desto schmaler wird der Indikationsbereich für den Test ausfallen (Pauker u. Kassirer 1980; Sox et al. 1988).
Aktionsschwelle Das Konzept der Behandlungsschwelle kann erweitert werden, indem der Begriff Behandlungsschwelle durch den allgemeineren Begriff Aktionsschwelle ersetzt wird. Behandlung ist somit nur eine besondere Art von Aktion, denn die therapeutische Behandlung stellt ja bei Weitem nicht die einzige mögliche Art einer Aktion im medizinischen Bereich dar. Tatsächlich arbeiten und argumentieren wir ständig mit solchen impliziten Aktionsschwellen, wenn es z. B. darum geht, bestimmte Untersuchungsverfahren bei allen Schwangeren oder nur bei Risikoschwangeren anzuwenden: Soll weiter nur das Alter der Schwangeren die Indikation zur Amniozentese bestimmen, oder soll unabhängig vom Alter allen Schwangeren der Triple-Test angeboten werden? Oder ist mit Einführung
7
122
Kapitel 7 · Grundlagen diagnostischer Tests und Screeningverfahren
der sonographischen Messung der Nackentransparenz der alles entscheidende Risikomarker bereits gefunden? Implizit sind in diesen Fragen und Entscheidungen unterschiedliche Prävalenzen als Aktionschwellen enthalten, die aber nicht immer explizit in eine entsprechende Analyse eingebracht werden.
7.8
Was heißt Screening? Screening Screening heißt Sieben: Erkrankte oder Personen mit Risikofaktoren sollen aus der Menge der Gesunden herausgesiebt werden. Das dazu nötige Sieb ist das Testverfahren, der Screeningtest.
7
Die Screeningtests sind, wie sonst in der Diagnostik, klinische oder laborchemische Untersuchungen, invasive oder bildgebende Verfahren. Das Besondere eines Screeningtests liegt also nicht im Verfahren, sondern in der Situation, in der er angewendet wird: Es werden Personen untersucht, die keine Beschwerden oder Zeichen einer Erkrankung aufweisen. Diese Besonderheit hat erhebliche Auswirkung auf die Interpretation der Ergebnisse eines Screeningtests. Asymptomatische Schwangere können für sich und für ihre Feten nur sehr niedrige Erkrankungswahrscheinlichkeiten oder Prävalenzen aufweisen. Damit gilt, was oben über den Zusammenhang von Testqualitäten und prädiktivem Wert ausgeführt ist: Sehr niedrige Prävalenzen ergeben auch bei sehr guten Screeningtestqualitäten nur geringe positive prädiktive Werte. Es müssen in der Screeningsituation viele falsch positive Ergebnisse hingenommen (z. B. HIV-Screening; Meyer u. Pauker 1987) oder durch weitere diagnostische Verfahren – meistens aufwändigere, u. U. invasive und damit risikoreichere Verfahren – in ihrer Zahl vermindert werden. Damit erhebt sich aber die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, und es sollte klar sein, dass die Empfehlung zu einer Screeninguntersuchung wohl überlegt werden muss. Viel zu kurz greifen die oft gehörten Begründungen: »Der Test kann die Erkrankung aufdecken, also sollte ein Screening empfohlen werden.« Oder: »Dies ist eine gefährliche Krankheit; wir haben sonst kaum etwas zu bieten, also sollte ein Screening empfohlen werden.« Eddy (1991) warnt vor Screeningempfehlungen, die auf derartigen subjektiven, simplifizierenden Modellvorstellungen beruhen, auch wenn sie von klinischen Experten formuliert werden. Ein Screeningtest bewirkt nicht unmittelbar, wie zunächst oft unterstellt, erwünschte »Outcomes«, sondern sein Effekt läuft über mehrere Stationen: 4 Anwendung des Screeningtests 4 Eine Erkrankung wird wahrscheinlicher gemacht 4 Die Erkrankung wird bestätigt 4 Der zeitliche Ablauf und die Art der Behandlung ändern sich 4 Die Gesundheitszustände (»health outcomes«) werden dadurch verändert
Den direkten Nachweis einer Effektivität kann eine randomisiert gesteuerte Studie erbringen. Meist muss aber mangels derartiger Studien mühsam der indirekte Nachweis erbracht werden. Es wird auf Daten und Schätzungen zu den verschiedenen Stationen eines Screeningprogramms zurückgegriffen, und dabei reicht es nicht aus, nur mit Testqualitäten oder Prävalenzen zu argumentieren (Mohide u. Grant 1989). Diese Nachweise der Effektivität wurden schon und werden noch für prä- und intrapartale Screeninguntersuchungen gesammelt und zusammengestellt. Größte Verdienste hat sich hier die Gruppe um Ian Chalmers in Oxford mit der Herausgabe des zweibändigen Werkes Effective Care in Pregnancy and Childbirth erworben (Chalmers et al. 1989). Diese Sammlung von systematischen Übersichten ist jetzt aktualisiert fortgeschrieben und ständig erweitert in der Cochrane Library einzusehen und abrufbar (www. thecochranelibrary.com/view/0/index.html). Ein wesentlicher Aspekt dieser Analysen ist eine Feststellung, die sehr nachdenklich stimmen sollte: Screeningtests werden auch ohne Nachweis der Effektivität eingeführt oder weitergeführt, so z. B. ein Teil der klinischen Untersuchungen im Rahmen der Schwangerenvorsorge (Kürzl 1996) oder das intrapartale CTG (Schneider 1996; Thacker 1997). Die Diskussion von Ergebnissen fundierter wissenschaftlicher Untersuchungen, die eingeführte Methoden in Frage stellen, ist zwar notwendig, zugleich oft aber unerquicklich. Zu dieser Erfahrung hat Chalmers (1993) einen höchst lesenswerten Artikel über das Verhältnis von wissenschaftlicher Untersuchung und autoritärem Gehabe in der Perinatalmedizin geschrieben. > Eine nachvollziehbar begründete Screeningempfehlung zu formulieren ist eine höchst komplexe Aufgabe. Es ist zu fordern, dass diejenigen, die den Screeningtest propagieren, durchschaubar Vorteile, Nachteile (»benefits, harms«) und Kosten eines Screeningprogramms und deren Verhältnis darlegen; eine Aufgabe, die weit über die notwendige, aber nicht allein ausreichende Angabe von Testqualitäten hinausgeht (Stewart-Brown u. Farmer 1997).
Nachdrücklich sei nochmals auf die Realität unerwünschter Nebeneffekte von Screeningverfahren hingewiesen: 4 Routinemäßige intrapartale CTG-Überwachung führt zu einer Erhöhung der Sectiorate (Grant 1989). 4 Bei ca. 680.000 Schwangerschaften im Jahr (Minimalschätzung nach der Geburtenzahl in Deutschland für 2008) müssten bei durchgehender Anwendung des Tripletests mit einer Spezifität von 95%, d. h. einer Falsch-positivRate von 5%, rund 34.000 Schwangere pro Jahr ein falsch positives Ergebnis verarbeiten (Marteau et al. 1992). In einer formalen Entscheidungsanalyse müssen derartige unerwünschte, aber unvermeidbare Effekte ebenso explizit bewertet werden wie die erwünschten, um insgesamt über die Sinnhaftigkeit eines Screeningverfahrens entscheiden zu können. In einem Artikel über die Notwendigkeit von »evidencebased medicine« in der Schwangerenvorsorge und Geburts-
123 Literatur
hilfe wird auf die immense Verantwortung der Frauenärzte hingewiesen, weil diese bei den schwangeren Frauen die Erwartung geweckt haben, dass die geburtshilfliche Betreuung vor und unter der Geburt den (ohnehin sehr häufig guten) Ausgang noch verbessern könne (Enkin 1996). Die geburtshilfliche Schwangerenbetreuung vor und unter der Geburt stellt ein gewaltiges Screeningunternehmen dar, in dem unter ungeheurer Anstrengung mögliche krankhafte Veränderungen bei anscheinend gesunden Frauen und Kindern mit verschiedenen Maßnahmen ausfindig gemacht werden sollen. Der Geburtshelfer schuldet aber somit insbesondere die Rechtfertigung für all die Tests, mit denen Mutter und Kind während Schwangerschaft und Geburt überzogen werden. Die dargestellten, grundsätzlich geltenden Definitionen und Zusammenhänge, die bei der Anwendung von Tests (nicht nur in der Geburtshilfe) zu berücksichtigen sind, sollen helfen, Einsatz oder Verzicht auf Tests zu begründen und Testergebnisse rational nachvollziehbar zu interpretieren. Damit wäre zumindest einer der vielen notwendigen Schritte in Richtung »evidence-based diagnosis« getan (Richardson 1997; Sackett et al. 2000).
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7
8 8 Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen R. Zimmermann 8.1
Allgemeine Grundlagen – 126
8.1.1 Terminologie/Definition – 126 8.1.2 Voraussetzungen für ein Screening – 126 8.1.3 Bedeutung für die betroffenen Eltern und Kinder – 126
8.2
Klinisch erprobte Screeningprogramme – 127
8.2.1 Genetische Erkrankungen – 127 8.2.2 Screening auf Aneuploidien – 128 8.2.3 Screening auf schwerwiegende Fehlbildungen – 136
Literatur – 140
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
126
8
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
Unter pränatalem Screening werden Untersuchungen während der Schwangerschaft verstanden, mittels derer Hinweise auf das Vorliegen einer bestimmten schweren Krankheit oder Behinderung des Kindes gegeben werden können. In den vergangenen 20 Jahren haben sich in den meisten industrialisierten Ländern Screeningprogramme für verschiedene Anomalien etabliert. Das Screening auf genetische Erkrankungen beschränkt sich zurzeit vorwiegend auf anamnestische Daten von betroffenen Familienangehörigen. Jüdische Gemeinden testen seit längerer Zeit ihre Angehörigen auf autosomal-rezessive Erkrankungen. Die Verfügbarkeit von Gen-Chips, die in einem Durchgang eine Vielzahl von genetischen Störungen gleichzeitig erkennen, dürfte in Zukunft solche Probleme bereits erfassen, bevor ein erstes betroffenes Kind geboren ist. Beim Screening auf Trisomie 21 und andere numerische Chromosomenstörungen wurde die Altersmethode in den meisten Ländern durch ein kombiniertes sonographisch-biochemisches Screening im 1. Trimenon abgelöst. Die Entdeckungsrate liegt damit nahe bei 90% bei einer Rate an invasiven Abklärungen von rund 5%. Das Alter der Mutter sollte heutzutage nicht mehr als Hauptindikation für invasive Abklärungen verwendet werden. Die meisten westlichen Länder kennen auch ein Ultraschallscreening auf schwerwiegende fetale Fehlbildungen. Damit wird ein Großteil der letalen und sehr schweren Anomalien im Bereich des Hirns, der Bauchwand und der Bauchorgane am Ende der 1. Schwangerschaftshälfte erkannt. Häufig übersehen werden Störungen im Bereich des Gesichts, des Herzens und der peripheren Extremitäten. Der Trend verlagert die Diagnostik zunehmend ans Ende des 1. Trimenons, die Erkennungsraten sind aber noch deutlich geringer. Die meisten Screeningprogramme werden von den nationalen Fachorganisationen empfohlen unter der Voraussetzung einer adäquaten vorgängigen Beratung und einer epidemiologischen Überwachung. Vorbehalte existieren gegenüber dem Ultraschallscreening auf Fehlbildungen seitens der nordamerikanischen Organisationen. Diese sind jedoch eher gesundheitssystembedingt als grundsätzlicher Natur.
8.1
Allgemeine Grundlagen
8.1.1
Terminologie/Definition
Unter Screening versteht man das Testen auf Erkrankungen oder ihre Prädisposition in einer definierten Population zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Individuum klinisch noch gesund fühlt, mit dem Zweck, Morbidität und Mortalität durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln zu verringern. Unter pränatalem Screening werden Untersuchungen während der Schwangerschaft verstanden, mittels derer Hinweise auf das Vorliegen einer bestimmten schweren Krankheit oder Behinderung des Kindes gewonnen werden können. Im Gegensatz zur pränatalen Diagnostik liefert das Resultat meist keinen Nachweis bzw. Ausschluss einer Erkrankung, sondern lediglich ein individuelles Risiko für das Vorliegen einer solchen.
8.1.2
Voraussetzungen für ein Screening
Damit ein Screening sinnvoll ist, sollten einige Voraussetzungen erfüllt sein: Die unbehandelte Erkrankung sollte mit hoher Morbidität oder Mortalität verbunden sein, und die Früherkennung sollte erhebliche Vorteile bringen, d. h. die Morbidität bzw. Mortalität sollte durch wirksame Therapien vermindert bzw. verhindert werden können. Sodann wird ein Test benötigt, der möglichst alle betroffenen Individuen erkennt, ohne gleichzeitig viele Gesunde durch ein falsch-positives Resultat zu verunsichern (7 Kap. 8.2.3). Mehr und mehr wird für ein Screening auch Kosteneffektivität gefordert. Dies hat zwar sekundären Charakter und kann im Einzelfall – speziell, wenn es um verhindertes Behindertenleben geht – nur schwierig abgeschätzt werden. Durch die Verknappung von Ressourcen in der Medizin in den letzten Jahren sind solche Fragen jedoch zunehmend ins Zentrum gerückt. Eine weitere Forderung betrifft die Prävalenz einer Erkrankung. Diese sollte idealerweise hoch sein, damit sich ein Screening lohnt. Andererseits hängt der Entschluss zu einem Screening auch von den Ressourcen und insbesondere vom Vorliegen einer geeigneten Erfassungsmethode ab. Das Werkzeug eines Screenings ist ein Test, der die Form einer Befragung, einer klinischen Untersuchung, eines bildgebenden Verfahrens oder einer Laborbestimmung haben kann. Besonders der Screeningtest in Form einer Befragung wird häufig nicht als solcher erkannt, auch wenn er alle wichtigen Kriterien eines Tests erfüllt. Ein Screeningtest muss nicht zwingend einen diagnostischen Stellenwert haben. Vielmehr dient er dazu, unter allen Individuen der Screeningpopulation diejenigen zu erfassen, die ein besonders großes Risiko für die Erkrankung haben. Diagnostische Untersuchungen, die oftmals invasiv, d. h. mit Risiken behaftet und teuer sind, können dann auf dieses Risikokollektiv beschränkt werden. Eine Transparenzverminderung im Schirmbild z. B. heißt noch lange nicht, dass tatsächlich eine Lungentuberkulose vorliegt. Das Risiko ist jedoch bedeutend erhöht. Der Grund, weshalb in den letzten Jahrzehnten für verschiedene fetale Erkrankungen Screeningtests mit Risikoevaluationscharakter eingeführt wurden, liegt in der Tatsache, dass diagnostische Verfahren häufig mit invasiven Techniken verbunden sind, somit ein erhöhtes Abortrisiko beinhalten und auch höhere Kosten verursachen. > Das Hauptziel einer screeningmäßig durchgeführten Risikoevaluation ist es, Schwangere mit einem »erhöhten« Risiko zu identifizieren, um ihnen nach eingehender Information ein diagnostisches (und damit meist invasives) Verfahren anbieten zu können.
8.1.3
Bedeutung für die betroffenen Eltern und Kinder
Eine beträchtliche Zahl der kongenitalen Anomalien ist mit dem Leben nicht vereinbar, und es kommt schon während der Schwangerschaft, sub partu oder kurze Zeit nach der Geburt
127 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
zum Absterben des Kindes. Dies gilt insbesondere für Krankheitsbilder wie Anenzephalie, Nierenagenesie, Trisomie 13, Trisomie 18 und Triploidie. Diese Gruppe mit Letalfaktoren bildet mit 19% eine der wichtigsten Ursachengruppen bei der perinatalen Mortalität (Wigglesworth 1991). Werden solche Schwangerschaften vorzeitig abgebrochen, »verbessert« sich augenscheinlich die perinatale Mortalität. Dies ist allerdings nur eine Scheinverbesserung. Einige der Kinder mit kongenitalen Anomalien überleben jedoch und können, je nach Familiensituation und Art der Störung, eine schwere Belastung für die Eltern darstellen. Typische Beispiele sind Kinder mit Trisomie 21, Spina bifida, Hydrozephalus oder zystischer Fibrose. Betroffene Eltern wünschen in der Mehrzahl einen Schwangerschaftsabbruch, wenn die Diagnose einer schweren Fehlbildung oder Chromosomenstörung frühzeitig gestellt wird. Der rechtzeitigen Erfassung (vor 24 SSW) von Anomalien kommt damit für sie eine große und zunehmende Bedeutung zu.
Schwangere haben dabei verschiedene Optionen, die in einem Entscheidungsbaum mit folgenden 3 Möglichkeiten dargestellt werden können: 4 weder pränatales Screening noch Diagnostik, 4 pränatale Risikoevaluation mittels Screeningtests vor der Entscheidung für eine Diagnostik, 4 direkte pränatale Diagnostik ohne vorangehende Risikoabwägung. Die Entscheidung, welche der 3 Möglichkeiten gewählt wird, hängt ausschließlich von der Schwangeren ab, wird in der Praxis jedoch häufig beeinflusst durch das lokale Gesundheitssystem, die Haltung des Arztes und insbesondere die Frage nach der Kostenübernahme der pränatalen Diagnostik. Ziel der Schwangerenberatung muss es sein, eine individuelle Entscheidung möglichst unbeeinflusst durch äußere Faktoren zu ermöglichen. Man ist sich aber einig, dass jede Schwangere über die Möglichkeit, durch geeignete Tests das Risiko für das Vorliegen einer schwerwiegenden fetalen Störung näher eingrenzen zu können, aufgeklärt werden sollte (Chervenak 2005).
Vorteile des pränatalen Nachweises einer fetalen Fehlbildung oder Chromosomenstörung 4 Rechtzeitige Vorbereitung der Eltern auf die Geburt eines behinderten Kindes 4 Planung der Geburt an einem Zentrum mit besseren Betreuungsmöglichkeiten 4 Bei Diagnosestellung vor 24 SSW Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs 4 Verkürzung des Intervalls bis zu einer nächsten erfolgreichen Schwangerschaft 4 In ausgewählten Fällen eine wirksame pränatale Therapie 4 Bei letalen Störungen Vermeiden eines Kaiserschnitts aus fetaler Indikation
Klinisch erprobte Screeningprogramme
8.2
Folgende Screeningprogramme haben in den letzten 25 Jahren eine große Bedeutung in den industrialisierten Ländern gewonnen für: 4 genetische Erkrankungen, 4 Aneuploidien, 4 schwere Fehlbildung (engl. »major anomalies«).
8.2.1
Genetische Erkrankungen
Genetische Erkrankungen
Kritiker eines Screenings bemängeln, dass nur begrenzt Studien vorliegen, die diesen Nutzen quantifizieren. Auch fehlen Daten über gesellschaftliche Auswirkungen von solchen Screeningprogrammen. Es ist denkbar, dass die Diskriminierung von Familien mit behinderten Kindern zunimmt, z. B. beim Abschluss einer Krankenversicherung. > Die Möglichkeit, Risiken auf das Vorliegen schwerer fetaler Krankheiten bereits während der ersten Schwangerschaftshälfte zu berechnen, stellt heutzutage Schwangere vor die Aufgabe, sich für oder gegen eine Risikoevaluation zu entscheiden. Dies kann in Einzelfällen zu schwerwiegenden Entscheidungsnotständen führen. Eine adäquate Beratung und Hilfeleistung ist deshalb unabdingbar. In der Schweiz ist eine Beratung bereits vor Durchführung eines Screeningtests auf Aneuploidien gesetzlich zwingend (Gesetz über genetische Untersuchungen am Menschen 2007). In Deutschland wurde Mitte Mai 2009 ein sehr ähnliches Gesetz im Parlament verabschiedet (Gendiagnostikgesetz).
Bei den genetischen Erkrankungen handelt es sich um Mutationen im Erbgut, die nicht im Lichtmikroskop anhand von Bänderungsmustern der Chromosomen, sondern durch moderne molekulargenetische Untersuchungsmethoden erkannt werden.
Typische Störungen umfassen 4 autosomal-dominante Erkrankungen (z. B. Achondroplasie), 4 autosomal-rezessive Erkrankungen (z. B. Tay-Sachs) und 4 X-chromosomal vererbte Störungen (z. B. Hämophilie A). In den meisten Fällen beruht das Screening auf genetische Erkrankungen im Erheben der Anamnese und Fahnden nach betroffenen Familienangehörigen über mehrere Generationen hinweg. Bei Thalassämien kommen auch einfache Hämatogramme bei den Eltern infrage. In Populationen mit hoher Prävalenz von autosomal-rezessiven Störungen (z. B. Mittelmeerländer mit Thalassämien oder Ashkenazi-Juden mit TaySachs) werden schon längere Zeit Screeningprogramme ange-
8
128
8
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
boten. In den jüdischen Gemeinden werden diese genetischen Risikofaktoren herangezogen für die Frage, ob eine Eheschließung überhaupt infrage kommt. Damit konnte z. B. die Zahl an Tay-Sachs erkrankter Kinder um den Faktor 10 verringert werden, ohne dass ein ethisch heikler Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden musste. Das Vorliegen einer genetischen Prädisposition bei den Eltern als Ausschlussfaktor für eine Ehe wird aber nur in wenigen Bevölkerungsgruppen akzeptiert. Viel häufiger wird die Tatsache, dass beide Eltern gesunde Träger einer genetischen Krankheit sind sowieso erst festgestellt, wenn ein erstes Kind in einer Familie betroffen ist. Die genaue genetische Abklärung dieses Indexfalls sowie der Eltern kann dann aber in einer weiteren Schwangerschaft dazu verwendet werden, mit DNA-Diagnostik homozygot betroffene Feten noch rechtzeitig zu erkennen. Das fortschreitende Wissen im Zusammenhang mit dem Human Genome Project, aber auch die Verfügbarkeit von Gen-Chips, die in naher Zukunft eine große Anzahl gut definierter rezessiver Erkrankungen zu einem vertretbaren Preis in einem einzigen Verfahren nachweisen bzw. ausschließen, werden es erlauben, genetische Störungen bereits zu erkennen, bevor ein erstes betroffenes Kind geboren ist. Solche Möglichkeiten werden den genetischen Beratungsaufwand nochmals ansteigen lassen. Es wäre deshalb sinnvoll, möglichst früh mit Studien zu dieser Thematik zu beginnen.
8.2.2
Screening auf Aneuploidien
Aneuploidie Eine Aneuploidie ist definiert durch das zusätzliche Vorhandensein oder Fehlen von Chromosomen im Vergleich zum normalen Chromosomensatz. Die bekannteste und häufigste Aneuploidie ist die Trisomie 21 oder Down-Syndrom. Andere, deutlich seltenere Aneuploidien sind das Turner-Syndrom (45,X), die Trisomie 13, die Trisomie 18 und die Triploidie. In den meisten Fällen von Aneuploidien ist das zusätzliche Chromosom mütterlichen, seltener auch väterlichen Ursprungs. Während Trisomien mit dem mütterlichen Alter zunehmen, sind die anderen Chromosomenaberrationen nicht altersabhängig.
80% der Trisomie-18- und -13-Feten natürlicherweise intrauterin absterben (Snijders et al. 1995). > Mit einer invasiven Diagnostik am Ende des 1. Trimenons wird man deshalb eine große Zahl von Chromosomenanomalien entdecken, die natürlicherweise nicht in einer Lebendgeburt enden würden. Eine hohe Entdeckungsrate von Aneuploidien durch Screeningtests im 1. Trimenon ist deshalb nicht gleichbedeutend mit einer geringen Zahl an Lebendgeburten.
In den 1970er Jahren, als nur ca. 5% der Gebärenden ≥35 Jahre alt waren, betrug die Geburtsinzidenz von Trisomie 21 etwa 1 Fall auf 800. In den letzten 30 Jahren hat als Folge des höheren Gebäralters in den westlichen Ländern die Häufigkeit von Trisomien deutlich zugenommen. So betrug der Anteil von Schwangeren >35 Jahren in der Schweiz 2004 rund 25%. Die erwartete Häufigkeit von Trisomie 21 dürfte damit auf etwa 1/500 gestiegen sein. Die Geburtsinzidenz von Kindern mit Trisomie 21 war in den gleichen 3 Jahrzehnten insgesamt geringgradig rückläufig, dies als Folge eines breit angelegten Screenings mit angeschlossenem Schwangerschaftsabbruch (Stat Santé 2007). Die Zahlen für Deutschland und Österreich dürften wahrscheinlich ähnlich ausfallen.
Bedeutung der Aneuploidien für betroffene Familien Die Trisomie 21 ist deshalb von Wichtigkeit, weil sie rund 50% aller Aneuploidien ausmacht. Die Hauptbedeutung der Trisomie 21 liegt in der geistigen Behinderung betroffener Individuen. Zwischen 8 und 33% aller Fälle mit schwerer mentaler Retardierung (IQ <50) sind auf diese Chromosomenstörung zurückzuführen. Neben geistiger Behinderung weisen zahlreiche Menschen mit Down-Syndrom assoziierte Fehlbildungen auf, insbesondere des Herzens und des Magen-DarmTrakts. Trotz guter medizinischer Betreuung ist die Lebenserwartung immer noch deutlich eingeschränkt, speziell wegen gehäuften Auftretens von Leukämien und früher AlzheimerErkrankung. Kinder mit Trisomie 13 und 18 hingegen sterben meist bereits in den ersten Lebensstunden. Nur selten werden Kinder mit Trisomie 18 über ein Jahr alt.
Ätiologie Epidemiologie Der wichtigste Faktor für die Geburtsinzidenz von Kindern mit Down-Syndrom ist das mütterliche Alter. Während im Alter von 15 Jahren lediglich 1 von rund 1500 Frauen mit einem Trisomie-21-Kind rechnen muss, steigt das Risiko bei 25-Jährigen auf 1/1250, bei 30-Jährigen auf 1/800, bei 35-Jährigen auf 1/340, bei 40-Jährigen auf 1/100 und bei 45-Jährigen auf 1/25 an (Bray et al. 1998). Geburtsprävalenzen von Trisomie 18 und 13 sind rund 12-mal bzw. 100-mal niedriger. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass mit 12 Schwangerschaftswochen die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21 rund 30% höher, diejenige für eine Trisomie 18 oder 13 sogar 5-fach höher ist als am Termin. Dies liegt daran, dass zwischen 12 und 40 Wochen rund 30% der Trisomie-21-Feten und rund
In der Mehrzahl der Fälle ist das überzählige Chromosom mütterlichen Ursprungs (7 oben). Es handelt sich dabei um einen Verteilungsfehler während der Meiose. Ist das Chromosom väterlichen Ursprungs, so handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um Translokationstrisomien oder um ein überzähliges Ringchromosom. Selten treten auch postzygotische Verteilungsstörungen auf.
Screeningwerkzeuge Zwar ist es möglich, mittels Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie direkt fetale Zellen zu gewinnen, um den Karyotyp zu bestimmen. Diese Untersuchung beinhaltet jedoch ein punktionsbedingtes zusätzliches Abortrisiko von max. 1%. Zudem ist eine Karyotypisierung mit erheblichen Kosten ver-
129 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
bunden. Aus diesen Gründen sind in den vergangenen 40 Jahren verschiedene Verfahren beschrieben und angewendet worden, um zunächst vor der eigentlichen fetalen Chromosomenanalyse individuell das tatsächliche Risiko für ein Kind mit einer Aneuploidie näher einzugrenzen, um dann dort eine Chromosomenanalyse durchzuführen, wo das Risiko eines betroffenen Kindes über dem Risiko einer Komplikation im Rahmen der Diagnostik liegt.
Mütterliches Alter Der Alterstest war historisch das erste Ausleseverfahren. Da das Risiko für ein Kind mit einer Aneuploidie wie unter »Epidemiologie« (7 oben) erwähnt mit zunehmendem Alter exponentiell ansteigt, wurde in den 1970er Jahren willkürlich eine Altersgrenze festgelegt, unterhalb welcher das Risiko als zu gering eingestuft wurde, um eine Karyotypisierung zur rechtfertigen. War eine Frau älter als dieser Grenzwert, wurde das Risiko als erhöht eingestuft und eine Abklärung empfohlen. Eine typische Altersgrenze in deutschsprachigen Ländern lag bei 35 Jahren. Mit diesem Vorgehen wurden allerdings nur ca. 30% aller Lebendgeburten mit Trisomie 21 richtig er-
kannt. Dies lag schlicht daran, dass es viel mehr jüngere als ältere Schwangere gab, rechnerisch eine große Zahl von jungen Schwangeren mit einem kleineren Risiko auf eine Trisomie 21 aber trotzdem eine stattliche Anzahl betroffener Kinder ergibt. Aktuell würde man mit dem Altersscreening wohl gut 50% aller Kinder mit Down-Syndrom erfassen, müsste aber ein Viertel aller Schwangeren invasiv abklären, da mittlerweile jede 4. Schwangere zum Zeitpunkt der Geburt das 35. Lebensjahr überschritten hat (7 oben). Dieses Ausleseverfahren war deshalb solange beliebt, weil es einfach für Laien zu verstehen, überall verfügbar und insbesondere billig ist. Nachteil ist, dass viele Frauen mit einem »erhöhten Risiko« abgestempelt werden, obwohl absolut gesehen 1 betroffenes Kind auf 340 Schwangerschaften bei 35-jährigen Frauen immer noch eine relativ kleine Zahl ist. In der Tat gebären die meisten »älteren« Frauen, die eine Karyotypisierung durchführen, ein gesundes Kind, haben also ihr Kind unnötigerweise einem Abklärungsrisiko ausgesetzt. In den letzten 25 Jahren wurden dann sukzessive biochemische und sonographische Verfahren entwickelt, die
. Tab. 8.1. Die häufigsten Aneuploidien und ihre sonographischen Auffälligkeiten
Sonographischer Befund
Trisomie 21
Trisomie 18
Kopfform
Brachyzephalie
Erdbeerform
Hirnbefunde
Trisomie 13
Triploidie maternal
Plexuszysten, Agenesie corpus callosum, weite Cisterna magna
Holoprosenzephalie, Mikrozephalie
Hydrozephalus
Mikrognathie
Gesichtsbefunde
Fehlendes Nasenbein
Gesichtsspalten; Mikrognathie
Gesichtsspalten, Zyklopie
Nackentransparenz (Ø [mm])
>3
>4
>5
Herz
AV-Kanal, echogener Fokus
Diverse Herzfehler
Diverse Herzfehler
Thorax, Zwerchfell
Leichte Hydronephrose
Darm
Duodenalatresie
Rücken
Wachstum
Diverse Herzfehler Pleuraerguss
Omphalozele
Nieren
Extremitäten
>7, großes Hygrom
Zwerchfellhernie
Bauchwand
45,X
Polyzystische Nieren Ösophagusatresie; echogener Darm
Aszites
Meningomyelozele Leicht kürzerer Femur, Sandalenlücke, Klinodaktylie, Hypoplasie Digitus 5
Hufeisenniere
Meningomyelozele
Verkürzte Röhrenknochen, Radiusaplasie, überkreuzte Finger, Klumpfüße, Wiegenkufenfüße
Postaxiale Polydaktylie
Syndaktylie
Frühe Restriktion
Frühe schwere Restriktion
Frühe schwere Restriktion
8
130
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
ebenfalls Hinweise auf das Vorliegen einer Aneuploidie ergeben. Die eingeschränkte Sensitivität des Alterstests und die zumindest versicherungsrechtlich starre Handhabung der Altersgrenze haben dazu beigetragen, nach Alternativen zu suchen.
Ultraschall
8
Morphologische Veränderungen. Feten mit einer Chromosomenanomalie zeigen häufig morphologische Veränderungen, die mit Ultraschall entdeckt werden können (Nicolaides et al. 1992). Eine Übersicht über die häufigsten Aneuploidien und ihre sonographischen Auffälligkeiten sind in . Tab. 8.1 zusammengefasst. Der sonographische Nachweis einer fetalen Fehlbildung ist somit fast immer eine Indikation für eine Karyotypisierung. Umgekehrt schließt das Fehlen von morphologischen Auffälligkeiten eine Chromosomenanomalie nicht aus. Nur eine Minderzahl der Feten mit Trisomie 21 weist echte Fehlbildungen wie z. B. einen AV-Kanal oder eine Duodenalatresie auf. Ein Screeningprogramm, das nur auf solche Fehlbildungen abstützt, dürfte daher eine relativ geringe Entdeckungsrate haben. Zudem werden in der Sonographie erfahrene Untersucher mit guten Geräten benötigt. Andere sonographische Marker. Neben den echten Fehl-
bildungen weisen Feten mit Chromosomenstörungen eine Vielzahl von »Softmarkern« auf, sonographische Veränderungen, die für sich genommen keinen Krankheitswert haben. Marker im 1. Trimenon umfassen eine verbreiterte Nackentransparenz, ein fehlendes Nasenbein, eine erhöhte Herzfrequenz, eine Trikuspidalinsuffizienz, einen Rückfluss im Ductus venosus während der Vorhofkontraktion (A-Welle) sowie einen verbreiterten Stirn-Gaumen-Winkel. Im 2. Trimenon haben ein verkürzter Femur, eine veränderte Femur-Fuß-Ratio, ein verkürzter 5. Finger, eine verkürzte Mittelphalanx des 5. Fingers, ein verkürzter Humerus, hyperechogene Darmschlingen, Plexus-chorioideus-Zysten oder geringgradig erweiterte Nierenbecken (>4 mm im a.-p. Durchmesser bei 20 Wochen) ebenfalls bescheidene diskriminierende Eigenschaften.
Nackentransparenzmessung Mit Abstand am besten dokumentiert ist bei den Softmarkern der Nutzen der Messung der Nackentransparenz (NT; . Abb. 8.1). Gemessen wird die breiteste Stelle des echofreien Raumes zwischen der Nacken-/Rückenhaut des Embryos und den Rückenweichteilen. Die Scheitel-Steiß-Länge sollte minimal 45 mm und maximal 84 mm betragen. Eine verbreiterte NT ist nicht nur limitiert auf Feten mit Trisomie 21, sondern tritt auch bei Trisomie 18, 13, TurnerSyndrom, 47,XXY und anderen Geschlechtschromosomenanomalien auf. Zudem weist eine verbreiterte NT auf eine Reihe anderer Fehlbildungen hin, allen voran Herzfehler, Skelettdysplasien sowie eine große Zahl von Syndromen.
. Abb. 8.1. Korrekte Nackentransparenzmessung
Studienbox Die gepoolten Daten aus zahlreichen prospektiven Studien mit mehr als 200.000 prospektiv untersuchten Schwangeren mit über 800 Down-Syndrom-Schwangerschaften zeigten eine Entdeckungsrate von 76,8% für Trisomie 21 bei einer Falsch-positiv-Rate von 4,2% (Nicolaides 2004). Eine prospektiv randomisierte Studie aus Schweden (Saltvedt et al. 2005), die je 20,000 Schwangerschaften mit NTMessung mit einem Screening verglichen, das vorwiegend auf dem mütterlichen Alter beruhte, relativierte allerdings diese Ergebnisse beträchlich. Die Studie zeigte, dass die Zahl von Lebendgeburten mit Trisomie 21 in beiden Gruppen gar nicht so stark differierte: In der NT-Gruppe wurden schließlich 10 Kinder lebend geboren, in der Kontrollgruppe 16 (nicht signifikant). In der Kontrollgruppe wurden zwar etwas mehr Trisomie-21-Feten entdeckt als primär erwartet, weil ein kleiner Teil der Schwangeren, obwohl nicht vorgesehen, einen biochemischen Tripletest durchführen ließ. Ein weiterer Teil wurde aufgrund von sonographisch entdeckten Fehlbildungen identifiziert. Diese Ergebnisse legen aber trotzdem nahe, dass mit der NT-Messung stark selektiv solche Feten erfasst werden, die ein höheres Risiko haben, im Lauf der Schwangerschaft noch abzusterben, was logischerweise die Gesamtperformance des NT-Screenings schmälert. Trotz diesem Ergebniss gibt es aber keine Zweifel, dass die Messung der NT der alleinigen Verwendung des mütterlichen Alters klar überlegen ist. In der NT-Gruppe wurden nämlich lediglich 1593 Karyotypisierungen vorgenommen, in der Kontrollgruppe mussten hingegen 2118 invasive Eingriffe durchgeführt werden. Das bedeutet zusammengefasst: Mit einem Screening, das die NT und das mütterliche Alter umfasst, werden im Vergleich mit einem Altersscreening zwar nur geringgradig weniger Kinder mit Trisomie 21 geboren, die Diagnose kann jedoch wesentlich früher gestellt werden, und es sind dazu rund 25% weniger invasive Eingriffe notwendig.
131 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
> Insgesamt scheint die Messung der NT der alleinigen Verwendung des mütterlichen Alters deutlich überlegen zu sein. Wichtig für eine gute Qualität der Messung liegt aber in der individuellen Ausbildung und der fortlaufenden Qualitätsüberprüfung der sonographierenden Ärzte.
Weitere sonographische Marker im 1. Trimenon Neben der NT hat der Nachweis eines fehlenden Nasenbeins Hoffnung geweckt, bei unverändert hoher Entdeckungsrate von Feten mit Trisomie 21 die Zahl falsch-positiver Fälle weiter zu reduzieren (Cicero et al. 2001). Andere Arbeiten berichten über kontroverse Ergebnisse (Malone et al. 2004). Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in der eingeschränkten Reproduzierbarkeit der Nasenbeindarstellung (Senat et al. 2003). Ein Review von Sonek et al. (2006) beschreibt in 17,000 normalen und 400 Trisomie-21-Schwangerschaften nach eingehendem Training der sonographierenden Ärzte eine Prävalenz eines fehlenden Nasenbeins von 1,2 bzw. 68,5%. In 1,5% aller Schwangerschaften konnte das Nasenbein nicht zuverlässig als vorhanden oder fehlend angegeben werden. Für ein breit angelegtes Populationsscreening durch viele wenig geübte Ärzte ist dieser Marker definitiv ungeeignet, da er auch dann ein erhöhtes Risiko anzeigt, wenn aus technischen Gründen der Schaller das Nasenbein nicht darstellen kann. Ein denkbar einfacher Marker hingegen ist die Messung der Herzfrequenz. Eine Erhöhung im 1. Trimenon über der 99. Perzentile ist ein Hinweis auf das Vorliegen einer Trisomie 13 (Kagan et al. 2009). Feten mit Trisomie 21 und 18 weisen zwar auch leichte Abweichungen von der Norm auf, die Überschneidung mit der Normalpopulation ist jedoch beträchtlich. Eine rückwärts gerichtete A-Welle im Ductus venosus wurde im 1. Trimenon nur bei 3,2% aller gesunden Kinder beobachtet, wohingegen bei Trisomie 21, 18, 13 und TurnerSyndrom die Frequenzen bei 66,4, 58,3, 55,0 bzw. 75% lagen (Maiz 2009). Auch dieser Marker erfordert eine gute Ausbildung sowie ein hochwertiges Gerät mit Farbdoppler und gepulstem Doppler. Die gleiche Aussage trifft für den Nachweis einer Trikuspidalinsuffizienz zu. Diese kann bei 0,9% gesunder Kinder gefunden werden, bei Trisomie 21 liegt die Rate bei 56%, bei Trisomie 18 und Trisomie 13 bei jeweils rund 30% (Kagan 2009). Ein weiterer Marker ist die Messung des Gesichtswinkel (Stirn-Gaumen-Winkel; Borenstein et al. 2008). Hier fehlen aber noch Daten an größeren Kollektiven.
Biochemische Parameter 1984 wurde im Zusammenhang mit dem NRD-Screening erstmals beschrieben, dass sich Schwangerschaften mit Trisomie 21 im 2. Trimenon durch erniedrigte AFP-Werte im mütterlichen Serum auszeichnen. Im selben Jahr wurden HCG und ein Jahr später unkonjugiertes Östriol als zusätzliche Marker für Trisomie 21 entdeckt, was direkt zur Entwicklung des Tripletests geführt hat, der alle 3 biochemischen Parameter in einem Risikomodell einsetzt (Wald et al. 1988). Mit diesem Verfahren wurden seit 1988 in mindestens 15 prospekti-
ven Studien mit Fallzahlen >5.000 über 190.000 Schwangere abgeklärt. Insgesamt waren 6% screenpositiv; die Entdeckungsrate betrug 69%, die Falsch-positiv-Rate 5,9%. Neben den Feten mit Trisomie 21 wurden zusätzlich halb so viele andere Chromosomenanomalien miterfasst. Damit entdeckt der Tripletest bei einer konstanten Amniozenteserate rund doppelt so viele Schwangerschaften mit Trisomie 21 wie der Alterstest allein. Später wurde dann auch noch Inhibin-A als Zweittrimesterserummarker in die klinische Praxis aufgenommen, was unter dem Begriff Quadruplescreening Eingang in die Literatur gefunden hat. In den 1990er Jahren wurden weitere Parameter beschrieben, die bereits im 1. Trimenon eingesetzt werden können und auch Hinweise auf das Vorliegen anderer Aneuploidien geben, so das freie β-HCG (fbHCG) sowie das schwangerschaftsassoziierte Plasmaprotein A (PAPP-A). Freies β-HCG entsteht durch Zerfall von intaktem HCG. Deshalb steigt bei Raumtemperatur nach 24 h das fbHCG an, was beim Postversand von Seren zu berücksichtigen ist. Die Bestimmung von fbHCG erfolgt über den Nachweis eines Epitops, das beim intakten HCG durch die α-Kette verdeckt ist. Die Überlappung zwischen Feten mit normalem Karyogramm und Trisomie 21 ist bei 10 Wochen am größten und nimmt dann bis ins 2. Trimenon laufend etwas ab. Das PAPP-A ist ein zu 20% verzuckertes α2-Metalloglykoprotein von 720 kD mit einer tetrameren Struktur. Pro Molekül enthält PAPP-A 4 Zinkatome. PAPP-A bildet mit der Proform des Major-basic-Proteins über Disulfidbrücken einen Komplex. Die Überlappung zwischen Feten mit normalem Karyogramm und Trisomie 21 ist (im Gegensatz zum HCG) bei 10 Wochen am geringsten und nimmt dann bis ins 2. Trimenon stark zu, sodass nach 14 Wochen PAPP-A nicht mehr als Marker verwendet werden sollte. Da alle biochemischen Marker eine Abhängigkeit vom Gestationsalter zeigen, hat es sich eingebürgert, konkrete Messwerte als gestationsaltersabhängige Vielfache des Medianwertes auszudrücken (»multiples of the median«; MOM). Dadurch entsteht eine »Währung«, die nicht mehr vom Schwangerschaftsalter abhängig ist. . Tab. 8.2 zeigt den durchschnittlichen MOM-Wert für die gebräuchlichsten Serummarker und die häufigsten Aneuploidien. Eine ganze Reihe von anderen Faktoren außer dem Gestationsalter beeinflusst die Serumkonzentrationen der verschiedenen Parameter ebenfalls, so das mütterliche Gewicht, ein ausgeprägter Nikotinabusus, die ethnische Herkunft, die Parität, eine In-vitro-Fertilisation, ein Diabetes mellitus Typ 1 sowie die Anzahl der Feten. In der Praxis werden meist Korrekturfaktoren verwendet für das Gewicht, die ethnische Herkunft bzw. das Vorliegen eines Diabetes. Bei Mehrlingen sind praktisch alle Serumkonzentrationen rund doppelt so hoch. Die Risikoberechnung bei Mehrlingen ist jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch: Einerseits gibt es kaum zuverlässige Daten über die Häufigkeit von Lebendgeburten mit Trisomie 21 in Abhängigkeit des mütterlichen Alters, sodass eine zuverlässige Vortestwahrscheinlichkeit gar nicht angegeben werden kann. Die wenigen vorliegenden Daten lassen vermuten, dass Trisomie 21 bei Zwillingen nicht, wie zu erwarten wäre, annähernd doppelt so
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132
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
. Tab. 8.2. MOM-Wert für die gebräuchlichsten Serummarker und die häufigsten Aneuploidien
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Aneuploidie
Freies β-HCG (MOM 1. Trimenon)
PAPP-A (MOM 1. Trimenon)
AFP MOM (2. Trimenon)
uE3 MOM
Inhibin A
Trisomie 21
2,0
0,5
0,74
0,75
1,79
Trisomie 18
0,2
0,2
0,64
0,43
↑
Trisomie 13
0,3
0,4
↓
?
↑
Triploide maternal
0,2
0,1
↑
↓
↓
Triploidie paternal
9,0
0,7
↑
↓
↓
45,X
1,2
0,5
↓
↓
=
häufig vorkommt, da es sich um 2 Kinder handelt. Auswertungen von Registern, die noch nicht durch Trisomie-21Screening und Schwangerschaftsabbruch beeinflusst sind, zeigen im Gegenteil, dass die Häufigkeit von Lebendgeburten sogar niedriger ist als bei Einlingen (Doyle 1991). Doyle spekuliert, dass Trisomie-21-Zwillinge häufiger in einer Fehlgeburt enden, wenn noch ein zweites gesundes Kind sozusagen Konkurrenz macht. Zum anderen können bei Mehrlingen konkordant alle oder diskordant nur einzelne betroffen sein. Die Angabe eines individualisierten Risikos ist somit bei Mehrlingen nur auf die Messung der NT limitiert. Trotzdem bieten viele Risikoberechnungsprogramme auch Algorithmen für Zwillinge.
und damit eine altersabhängige Trisomie-21-Wahrscheinlichkeit p1 berechnet: 4 P1=p (Population)×LR (Alter)
Grundlagen kombinierter Risikoevaluationsverfahren
Mit dieser Methode lassen sich somit beliebig viele Marker miteinander kombinieren. Problematisch bei dieser seriellen Risikoevaluation ist, dass gegenseitige Abhängigkeiten der Risikomodifikatoren nicht berücksichtigt werden. Entsprechend muss mit zunehmender Zahl von Parametern die Schätzgenauigkeit abnehmen. Trotz diesem Nachteil hat das Bayes-Theorem gerade bei der Berechnung von Trisomie-21-Risiken große Bedeutung erlangt.
Die Tatsache, dass eine ganze Reihe von sonographischen und biochemischen Markern diskriminatorische Eigenschaften in Bezug auf Trisomie 21 und andere Chromosomenanomalien haben, hat zur Entwicklung von kombinierten Risikoevaluationsverfahren geführt mit der Absicht, durch geschickte Anwendung der einzelnen Faktoren eine bessere Aussage zu erhalten, ohne gleichzeitig zu viele falsch-positive Fälle zu haben. Die heute gebräuchlichen Verfahren zur Risikoberechnung basieren im Wesentlichen auf dem Bayes-Theorem. Dieses beruht auf der Tatsache, dass sich eine Nachtestwahrscheinlichkeit p (Nach) abschätzen lässt, wenn die Vortestwahrscheinlichkeit p (Vor) und mindestens ein Risikomodifikator (RM) bekannt ist. Die allgemeine Formel lautet: 4 p (Trisomie 21 Nach)=RM×p (Trisomie 21 Vor) Die Größe eines Risikomodifikators RM kann bei normal verteilten Parametern aus dem Verhältnis der Gauss-Höhen (=»likelihood ratio«, kurz LR) direkt berechnet werden. Zur Berechnung dieser LR sind große Zahlen von MOM-Werten von normalen und Trisomie-21-Schwangerschaften notwendig. Die LR sind heute nicht nur für biochemische Parameter, sondern auch für eine Reihe von sonographischen Markern wie die NT bekannt. Als erste Vortestwahrscheinlichkeit wird in der Praxis die Häufigkeit von Trisomie 21 in einer Population verwendet
Aus dieser Formel wird klar, dass die Betrachtung des Alters ebenfalls ein Risikoevaluationsverfahren darstellt. Beim Einsatz von mehreren Parametern wird aus der Nachtestwahrscheinlichkeit p (Nach1) nach Einsatz des ersten Risikomodifikators die Vortestwahrscheinlichkeit p (Vor2), und das Verfahren beginnt von Neuem: 4 P2=p (Pop&Alter)×LR (NT) 4 P3=p (Pop&Alter&NT)×LR (PAPP-A) 4 P4=p (Pop&Alter&nt&PAPP-A)×LR (fβ-HCG) usw.
Screeningstrategien Aus der Perspektive der Gesundheitspolitik Bei dieser Perspektive geht es darum, das effizienteste Screeningprogramm zu definieren, welches das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis hat, um festzulegen, welches Screeningprogramm einer Schwangeren angeboten wird und bei welchem Risiko die Kosten für eine weiterführende Abklärung von der Krankenkasse übernommen werden. Es gibt auch Rahmenbedingungen vor für die Qualitätssicherung. Da fast alle biochemischen und sonographischen Marker zusammen mit dem mütterlichen Alter in irgendeiner Kombination verwendet werden können, ist es nicht einfach, noch die Übersicht über die verschiedenen Hauptverfahren zu behalten. Eine Zusammenstellung der heute gängigen Verfahren ist in . Tab. 8.3 zusammengefasst. Eine Reihe von Ärzten (und v. a. Schwangere) reduzieren das Screening immer noch allein auf das Alter. Dies muss angesichts der geringen Entdeckungsrate als obsolet betrachtet werden.
133 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
. Tab. 8.3. Gängige Screeningverfahren
Zeitpunkt
Screeningverfahren
Unabhängig
4 Mütterliches Alter
2. Trimenon
4 Tripletest (Alter, AFP, HCG, uE3) 4 Quadrupletest (Alter, AFP, HCG, uE3, Inhibin)
1. Trimenon
4 Alter und NT 4 Ersttrimestertest (Alter, NT, PAPP-A, fbHCG)
1. und 2. Trimenon
4 Integriert (Alter, NT, PAPP-A/HCG, uE3, Inhibin) 4 Sequenziell (Ersttrimestertest; Zweittrimestertest bei den testnegativen Schwangeren) 4 Contingent sequentiell (Ersttrimestertest; Zweittrimestertest bei intermediärem Risiko) 4 Contingent sonongraphisch (Ersttrimestertest; sonographisch Zusatzmarker bei intermediärem Risiko)
Auch eine alleinige Kombination des mütterlichen Alters mit Messung der NT wird nicht mehr empfohlen, da die Entdeckungsrate gegenüber anderen Verfahren schlechter ist. Das seit mehreren Jahren in Europa etablierte kombinierte Ersttrimesterscreening, welches das Alter, die NT und die beiden biochemischen Marker PAPP-A und fbHCG umfasst, erreicht unter Auswertung von gepoolten Daten aus zahlreichen prospektiven Studien mit >200.000 untersuchten Schwangeren und >800 Down-Syndrom-Schwangerschaften eine Entdeckungsrate von 88% für Trisomie 21 bei einer Falsch-positiv-Rate von 5% (Spencer 2007). Vom OSCAR-System (»one-stop clinic for early assessment of fetal risk«; Avgidou et al. 2005), bei dem innerhalb eines halben Tages alle oben erwähnten Parameter getestet, anschließend die Schwangere bzw. das Paar genetisch beraten und bei erhöhtem Risiko eine Chorionzottenbiopsie (CVS) durchgeführt wird, scheint man eher wieder abzukommen, weil die Aussagekraft der biochemischen Marker mit 10 Wochen besser, die Sonographie aus verschiedenen anderen Überlegungen aber mit 12 Wochen überlegen ist, was nicht an einem einzigen Tag zu vereinen ist. Das »integrierte Screening« (Wald et al. 2005), bei welchem zunächst über viele Wochen im 1. und 2. Trimester Parameter bestimmt werden, die dann in einer einzigen Risikoevaluation zusammengefasst werden, wird v. a. von Exponenten des biochemischen Screenings als bestes Verfahren mit der höchsten Entdeckungsrate angepriesen (Entdeckungsrate 94% bei einer Falsch-positiv-Rate von 5%). Vorteilhaft ist, dass eine Reihe von Schwangerschaften mit Aneuploidien nicht abgeklärt werden müssen, weil sie bis zum Zeitpunkt des Gesamtergebnisses spontan in einer Fehlgeburt geendet haben. Nachteilig ist, dass Frauen mit offensichtlich sehr hohem
Risiko (z. B. NT>4 mm) einen zusätzlichen Monat warten müssen, bis eine Karyotypisierung erfolgt. Das sequenzielle Screening, bei dem alle Schwangeren mit einem geringen Risiko im Ersttrimestertest mit einem Zweittrimestertest nochmals evaluiert werden, hat den Nachteil, dass Fälle mit »erhöhtem Risiko« im 1. Trimenon bereits einer Chorionzottenbiopsie zugeführt wurden, obwohl möglicherweise das Risiko durch günstige Serumwerte im 2. Trimenon tiefer als angenommen ausgefallen wäre (Platt et al. 2004). Beim »kontingenten Screening« wird ein kombiniertes Ersttrimesterscreening durchgeführt mit Einbezug des Alters, der NT sowie der biochemischen Marker PAPP-A und fbHCG und die Risiken in eine sehr hohe, eine intermediäre und in eine sehr tiefe Risikozone eingeteilt. Bei sehr hohem Risiko wird direkt eine Karyotypisierung angeboten, bei sehr niedrigem Risiko nichts weiter unternommen. Bei intermediärem Risiko wird dann weiter getestet, klassischerweise mit einem biochemischen Test im 2. Trimenon unter Berücksichtigung der Resultate aus dem 1. Trimenon. Die Fetal Medicine Foundation um Nicolaides propagieren alternativ eine Abklärung der intermediären Gruppe mit zusätzlichen sonographischen Markern wie dem Nasenbein, dem Gesichtswinkel, der fetalen Herzfrequenz oder dem Nachweis einer Trikuspidalinsuffizienz bzw. einem Rückwärtsfluss im Ductus venosus. Ist das Risiko unter Berücksichtigung aller Marker erhöht, wird ebenfalls eine Karyotypisierung angeboten. Bei allen anderen Fällen wird der Chromosomensatz nur dann bestimmt, wenn im 20- bis 23-Wochen-Ultraschall eine relevante Fehlbildung entdeckt wird. Im Gegensatz zum integrierten Screening können Frauen mit sehr hohem Risiko sofort abgeklärt werden. Die Hauptfrage bei dieser Screeningstrategie ist, wo die Cut-off-Werte festgelegt werden, um die 3 Risikokategorien einzuteilen. Bezüglich Effizienz muss dieses Verfahren geringfügig schlechter sein als das integrierte Screening. Bei der Frage nach dem Screeningprogramm mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis kommen Wald et al. (2006) und Gekas et al. (2009), basierend auf Zahlen der Suruss Studie (Wald et al. 1999, 2005), zu dem Schluss, dass das kontingente Screening (mit biochemischen Tests in der Intermediärgruppe) das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis (. Abb. 8.2), das integrierte Screening aber eine bessere Screeningperformance (Anzahl entdeckter Fälle, Anzahl notwendiger invasiver Abklärungen, Anzahl unerwünschter Fehlgeburten) aufweist. Während Wald et al. darauf hinweisen, dass ein kontingentes Screening einer Schwangeren schwieriger zu vermitteln ist als ein integriertes Screening, streichen Gekas et al. (2009) hervor, dass mit dem kontingenten Screening selbst bei einem Ersttrimester-Cut-off von 1:6 zwischen der Gruppe mit hohem und intermediärem Risiko fast 50% der betroffenen Feten bereits im 1. Trimenon erkannt werden. Ähnliche Modellrechnungen zum kontingenten Screening mittels sonographischer Zusatzuntersuchungen (Trikuspidalinsuffizienz, Herzfrequenz, fehlendes Nasenbein etc.) existieren derzeit noch nicht. Die meisten Experten sind sich immerhin einig, dass andere sonographische Softmarker wie ein echogener Fokus im
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Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
. Abb. 8.2. Kosten-Nutzen-Effizienz von Trisomie-21-Screeningprogrammen: sequenzielles Screening (gestrichelte Linie), integriertes Screening (durchgezogene Linie), kontingentes Screening (gepunktete Linie). Dargestellt sind die Kosten in Britischen Pfund pro entdeckter Trisomie-21Schwangerschaft. (Nach Wald et al. 2006)
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Herzen, Plexus-chorioideus-Zysten, ein echodichter Darm oder eine geringgradige Hydronephrose nach erfolgter Erstoder Zweittrimesterrisikoberechnung mit niedrigem Risiko zu wenig zusätzliche Aussagekraft haben, um einen invasiven Eingriff zu einem späteren Zeitpunkt zu rechtfertigen.
Aus der Perspektive der Schwangeren Hier geht es darum, das für eine einzelne Schwangere individuell beste Risikoevaluationsverfahren auszuwählen. Streng genommen sind Ausdrücke wie »screeningpositiv«, »screeningnegativ«, »erhöhtes« Risiko, »nicht erhöhtes Risiko« nicht mit einer nichtdirektiven Beratung vereinbar. Aus diesem Grund können gesundheitspolitisch festgelegte Cut-off-Werte (bei welchen die Krankkasse die Kosten für eine Chromosomenanalyse übernehmen müssen) nicht einfach einer einzelnen Schwangeren übergestülpt werden. Ohne Zweifel spielen die Kosten bei der Entscheidung zu einer invasiven Abklärung auch eine Rolle. Die Angst, ein behindertes Kind zu bekommen einerseits, andererseits die gleichzeitig vorhandene Angst, ein wahrscheinlich gesundes Kind durch die Punktion zu verlieren, ist aber sehr häufig von einer viel größeren Bedeutung. Sehr großes Gewicht bei einem Aneuploidiescreening ist deshalb auf die individuelle Beratung zu legen. Wichtig bei dieser Beratung ist zunächst einmal, dass man als Risikowert konsequent das Risiko für eine Lebendgeburt mit dieser Aneuploidie angibt, weil dies ja letztendlich den am meisten gefürchteten Endpunkt darstellt. Sodann ist die Risikowahrnehmung von verschiedenen Frauen unterschiedlich. Eine 42-jährige Primipara z. B., mit einem Altersrisiko von 1:65, kann durch ein Screeningresultat von 1:250 stark beruhigt werden und sich entscheiden, bei diesem in ihren Augen »niedrigen« Risiko die Schwangerschaft nicht durch eine Amniozentese zu gefährden, obwohl ihr individuelles Risiko immer noch aus einer gesundheitspolitischen Optik »erhöht« sein mag, d. h. über dem Grenzwert von z. B. 1:340 liegt. Umgekehrt kann eine 22-Jährige mit instabiler Partnerschaft trotz niedrigem Altersrisiko direkt eine Karyotypisierung wollen, da ein behindertes Kind in dieser Lebenssituation eine Katastrophe sein könnte.
Gerade bei Frauen am Ende ihrer Reproduktionsfähigkeit, die neben der Angst, ein behindertes Kind zu bekommen auch fürchten, nie mehr schwanger zu werden, ist ein integriertes Screening oder ein kontingentes Screening keine schlechte Wahl, da mit einer Vielzahl von Markern das Risiko besser eingegrenzt werden kann. Gleichzeitig ist durch das Abwarten gewährleistet, dass die Natur eine Schwangerschaft mit einer Aneuploidie von selbst in einer Fehlgeburt enden lässt, ohne dass durch eine sehr früh erfolgende Punktion gleichzeitig auch gesunde Kinder mitgefährdet werden.
Empfehlungen für ein Screeningprogramm in einer Population Eine Reihe von Fachgesellschaften hat nationale Empfehlungen für die korrekte Durchführung eines Trisomie-21Screeningprogramms ausgearbeitet (FMF Deutschland 2003, SGUMGG 2005, ACOG 2007). Ihnen gemeinsam sind folgende Aussagen: 4 Alle Schwangeren sollten über die Möglichkeit, mit geeigneten Tests mehr über das individuelle Risiko für das Vorliegen einer Trisomie 21 zu erfahren, informiert werden. 4 Ein kombiniertes Screening im 1. Trimenon unter Einschluss des Alters, der NT und der biochemischen Marker PAPP-A und fbHCG ist sowohl dem reinen Altersscreening, der alleinigen NT-Messung als auch dem Triplescreening im 2. Trimenon überlegen. 4 Das Screeningprogramm hat nur dann eine gute Performance, wenn sowohl die Laborqualität als auch insbesondere die Ausbildung der sonographierenden Ärzte strukturiert und kontinuierlich überwacht wird. Es sollten Risikoprogramme verwendet werden, die auf einer möglichst großen Zahl prospektiv untersuchter Schwangerschaften beruhen und die diversen bekannten Korrekturfaktoren berücksichtigen. 4 Sowohl Labor wie auch Sonographie benötigen eine Qualitätskontrolle. In Europa haben sich die meisten Labors den Ringversuchen der UK-NEQAS angeschlossen. Die FMF Deutschland hat sich betreffend der Ausbildung der sonographierenden Ärzte dem Vorbild der britischen FMF angeschlossen. In der Schweiz tun sich viele Ärzte
135 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
aktuell noch schwer, sich nach einer guten Grundausbildung und einer kontinuierlichen statistischen Performanceüberprüfung auch jährlich einer Rezertifizierung mit Einschicken von Ultraschallbildern unterziehen zu müssen. Sie weisen darauf hin, dass weder im eigenen Fach noch in anderen Fachdisziplinen in sehr kurzen Abständen die erworbenen Fertigkeiten wieder überprüft werden. Ein Bauchchirurg muss auch nicht jährlich beweisen, dass er noch immer in der Lage ist, eine Appendektomie lege artis durchzuführen. 4 Nur das schweizerische Programm weist auch auf die (in der Schweiz gesetzlich vorgeschriebene) Informationspflicht vor Durchführung einer Risikoberechnung hin. Dazu hat eine Arbeitsgruppe einen Leitfaden entwickelt und wissenschaftlich evaluiert (Hürlimann u. BaumannHölzle 2004). Einer adäquaten Beratung kommt große Bedeutung zu (Khoshnood 2006).
Akzeptanz in der Bevölkerung Die Akzeptanz des Trisomie-21-Screenings ist in der Bevölkerung generell hoch, variiert jedoch von Land zu Land und insbesondere je nach Screeningstrategie. Das mittlerweile in vielen Ländern eingeführte Ersttrimesterscreening hat das frühere Altersscreening zu einem beträchtlichen Teil abgelöst, auch wenn viele Frauen >35 Jahre nach wie vor ohne vorangehende zusätzliche Risikoabklärung direkt eine Karyotypisierung verlangen. In den deutschsprachigen Ländern sind neuere Screeningstrategien wie das integrierte Screening oder das kontingente Screening noch kaum verbreitet.
Screeningerfolg Wie bereits weiter oben erwähnt, ist in vielen Ländern trotz breit angelegtem Screening die Anzahl an Lebendgeburten mit Trisomie 21 kaum oder nur zaghaft zurückgegangen. In Großbritannien z. B. war ein leichter Rückgang bis ca. 1994 zu verzeichnen, seither bleibt die Rate nahezu konstant (. Abb. 8.3; Crane u. Morris 2006). Ähnliche Resultate werden . Abb. 8.3. Lebendgeburten mit Down-Syndrom in England und Wales 1989–2003
in den USA und in der Schweiz beobachtet. Die Gründe für diese unerwartete Tatsache sind mehrschichtig. Sicher entstehen durch höheres mütterliches Alter mehr Schwangerschaften mit Aneuploidien. Weiterhin wünschen nicht alle Schwangeren eine pränatale Diagnostik. Schließlich dürfte aber auch eine Rolle spielen, dass mit den beschriebenen Screeningverfahren selektiver solche Schwangerschaften identifiziert werden, die nicht in einer Lebendgeburt enden würden.
Zukunftsperspektiven Die seit bald 4 Jahrzehnten praktizierte Vorselektion von Schwangeren mit einem erhöhten Risiko für eine Aneuploidie leidet trotz Verbesserung der Verfahren mit höheren Entdeckungsraten an einer immer noch zu hohen Falsch-positivRate. Auch mit den besten Testkombinationen haben >90% der Frauen mit einem erhöhten Risiko ein chromosomal gesundes Kind, setzen also ihr Kind unnötigerweise einem Punktionsrisiko aus. Es ist deshalb verständlich, dass parallel zur Entwicklung von besseren Screeningmethoden nach Verfahren gesucht wurde, die nichtinvasiv direkt eine Diagnose liefern. Lo (2009) fasst in einem Review die Erfolge zusammen. 1997 konnte erstmals nachgewiesen werden, dass 3–6% der DNA im mütterlichen Plasma fetalen Ursprungs sind. In wenigen Jahren gelang es, zuverlässig Genfragmente nachzuweisen, die sicher fetalen Ursprungs sein müssen, wie etwa Gene auf dem Y-Chromosom bei männlichen Feten oder das Rhesus-D-Gen bei Rh-D-negativen Müttern. Die Methoden wurden nach und nach ergänzt durch Techniken für den Nachweis von überzähligen Chromosomen. Lo (2009) schätzt, dass die plazentare RNA-Single-Nukleotid-Polymorphismus-Allel-Ratio-Methode die vielversprechendste Art sei. Über einen Chromsomom-21-spezifischen Einzelnukleotidpolymorphismus gelingt es, tatsächlich Feten mit Trisomie 21 direkt aus dem mütterlichen Plasma nachzuweisen. Dies glückt allerdings nur bei Feten, die heterogen für diesen Polymorphismus sind. Eine andere Methode haben Fan et al. (2008) beschrieben. Sie weisen relativ zuverlässig eine fetale Trisomie 21 im müt-
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Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
terlichen Plasma nach mit einer Shotgun-Sequenzierung der fetalen DNA. Die Assay-Kosten werden von den Autoren mit rund 700 US-$ veranschlagt, was aktuell weit über den Kosten der bisherigen Screeningverfahren liegt. Andererseits wären, falls die Methode sich als wirklich zuverlässig herausstellte, keine Karyotypisierungen mehr notwendig, zumindest nicht mehr bei den Schwangeren mit normalem Resultat. Die Autoren schätzen, dass durch Automatisierung der Methodik mit einer deutlichen Kostenreduktion zu rechnen ist. Diese Entwicklungen lassen vermuten, dass in naher Zukunft die Diskussion um das beste Trisomie-21-Screeningverfahren Geschichte geworden ist.
8.2.3
Screening auf schwerwiegende Fehlbildungen
Schwerwiegende Fehlbildungen
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Schwerwiegende angeborene Fehlbildungen (englisch: »major anomalies«) sind solche, die nach der Geburt ohne Behandlung eine ausgeprägte Behinderung nach sich ziehen oder mit dem Leben nicht vereinbar sind. Beispiele dafür sind komplexe Herzfehler, Hirnfehlbildungen, Neuralrohrdefekte oder etwa Bauchwanddefekte. Davon abgegrenzt werden geringfügige Fehlbildung (»minor anomalies«) wie etwa Synechien, Ohranhängsel oder Hypospadien.
Serum liegen die AFP-Spiegel um einen Faktor 1000 tiefer als im fetalen Serum und Fruchtwasser und steigen bis nach der 32. SSW an. Da unterschiedliche ethnische Gruppen verschiedene Durchschnittswerte aufweisen und in der Diagnostik verschiedene Bestimmungskits in Gebrauch sind, sollte jedes Labor an der zu untersuchenden Population eigene gestationsaltersabhängige Normwerte erarbeiten. Die Werte werden dabei in MOM ausgedrückt, damit Werte unabhängig vom Gestationsalter verglichen werden können. Das AFP im mütterlichen Serum wird im Zeitfenster zwischen 15 und 18 (20) SSW bestimmt. Vorher und nachher ist die Aussagekraft deutlich geringer. Erhöhte Werte. Zahlenmäßig bilden Neuralrohrdefekte (NRD) die größte Gruppe der Ursachen erhöhter mütterlicher Serum-AFP-Werte. Doch auch bei anderen Körperoberflächendefekten (Gastroschisis, Omphalozele etc.) kommt es zu einem vermehrten Übertritt von AFP ins mütterliche Serum. Ebenfalls im Zusammenhang mit Aborten gelangt aus nekrotischem Material relativ viel AFP in den mütterlichen Kreislauf und kann dort nachgewiesen werden. Daneben gibt es unzählige andere Ursachen für erhöhte AFP-Werte. Die häufigsten Ursachen eines erhöhten AFP sind in der 7 Übersicht zusammengestellt.
Ursachen von erhöhtem mütterlichem Serum-AFP Fetales Kompartiment
7 Kap. 9 gibt einen guten Überblick über die Epidemiologie
von Fehlbildungen, die Terminologie, die Ursachen und die Behandelbarkeit.
Screeningwerkzeug Wie bei den Chromosomenstörungen wurden zur Entdeckung von Fehlbildungen sowohl biochemische wie auch v. a. bildgebende Verfahren beschrieben.
α-Fetoprotein (AFP) AFP war noch vor der breiten Einführung und Anwendung von Ultraschall der erste Marker für Fehlbildungen. AFP ist ein einkettiges Molekül, bestehend aus 590 Aminosäuren mit einer fast 40%igen Sequenzanalogie zu Albumin. Die Gene für AFP und Albumin liegen beide auf dem langen Arm des Chromosoms 4. Im Gegensatz zu Albumin ist AFP zu 4% verzuckert. AFP kann im Serum von Nichtschwangeren normalerweise höchstens in Spuren nachgewiesen werden, ist aber beim hepatozellulären Karzinom in der Regel deutlich erhöht. In der Schwangerschaft wird AFP vom Dottersack, der fetalen Leber und dem Gastrointestinaltrakt synthetisiert. Im fetalen Serum sowie im Fruchtwasser steigt die Konzentration bis zur 12./14. SSW stark an und fällt anschließend ähnlich stark wieder ab (Brock 1992). Die Herkunft von AFP im Fruchtwasser ist komplex. Wegen der engen Korrelation zwischen Serum- und Fruchtwasserkonzentration ist eine relativ rasche Konzentrationsangleichung u. a. durch direkte Ausscheidung ins Fruchtwasser wahrscheinlich. Im mütterlichen
4 Erhöhte AFP-Produktion – Zwillingsschwangerschaft – Fetaler Tumor (Teratom) – Zystisch adenomatoide Malformation der Lunge 4 Verminderte Ausscheidung – Nierenagenesie – Harnwegsobstruktion – Oligohydramnion 4 Bevorstehender oder eingetretener Fruchttod 4 Erhöhte Ausscheidung ins Fruchtwasser – Offener Neuralrohrdefekt – Gastroschisis – Omphalozele – Kongenitaler Hautdefekt – Zystisches Hygrom – Amnion-Strang-Syndrom – Teratom – Verminderte intestinale Rückresorption – Duodenalatresie – Ösophagusatresie – Zwerchfellhernie – Zystisch adenomatoide Malformation der Lunge 4 Vermehrte renale Ausscheidung – Kongenitale Nephrose 4 Plazentalokalisation – Abdominalschwangerschaft
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137 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
Ultraschall 4 Gestörte Plazentation – Fetomaternale Hämorrhagie – Präeklampsie – Hämangiom – Andere – Rhesusimmunisierung – Unterschätzung des Gestationsalters – Iatrogen – Chorionbiopsie – Amniozentese – Chordozentese
Maternales Kompartiment 4 Endogen/biologisch – Niedriges Gewicht – Rasse (schwarzafrikanisch) 4 Mütterliche Erkrankung (ohne Tumoren) – Hepatitis – Ataxia teleangiectatica – Hereditäre Tyrosinämie – Hereditäre Persistenz von AFP – Zystische Fibrose 4 Tumoren – Leberkarzinom – Keimzelltumor – Primäres gastrointestinales Karzinom
> Ein erhöhter AFP-Wert ist immer eine Indikation für eine detaillierte Sonographie durch einen Ultraschallspezialisten.
Mit Bezug auf Neuralrohrdefekte konnte in Großbritannien die Inzidenz von Lebendgeburten mit kongenitalen Neuralrohrdefekten durch konsequentes Durchführen des AFPScreenings und anschließenden Schwangerschaftsabbruch seit 1975 um >90% gesenkt werden. Im Zusammenhang mit der breiten Verfügbarkeit von Ultraschall heutzutage stellt sich die Frage, ob damit nicht auf eine AFP-Bestimmung verzichtet werden kann. Eine populationsbasierte Studie aus England und Wales, bei der bei allen geborenen Kindern mit Neuralrohrdefekt die Ursache für das fehlende rechtzeitige Entdecken untersucht wurde, zeigte, dass in der Praxis ein AFP-basiertes Screening eine höhere Entdeckungsrate aufweist als ein ultraschallbasiertes Screening (Williamson et al. 1997). Eine retrospektive Studie aus Kalifornien andererseits konnte für Ultraschall eine höhere Sensitivität in der Erfassung von Neuralrohrdefekten im Vergleich zum alleineigen AFP-Screening zeigen (Norem et al. 2005). Allerdings wurde diese Studie vorwiegend an Ultraschallzentren durchgeführt Da die Kosten für eine AFP-Bestimmung gering sind und dieser Marker komplett unabhängig ist von der Expertise des sonographierenden Arztes, scheint es ratsam, das AFP-Screening zwischen 15 und 18 SSW weiterhin anzubieten und Schwangere bei erhöhtem AFP-Wert einem Ultraschallexperten zuzuweisen (im Dreistufensystem zu Stufe 2 oder 3).
Da es sich bei kongenitalen Fehlbildungen um morphologische Veränderungen handelt, eignet sich für ein Screening besonders der Ultraschall. Das Problem des Ultraschalls liegt darin, dass eine Vielzahl verschiedener Faktoren die Qualität des Ergebnisses beeinflusst. Diese Faktoren können folgendermaßen gegliedert werden: 4 Erfahrung und Aufmerksamkeitsgrad des Untersuchers, 4 Lage und Aktivitätszustand des Fetus, 4 Fruchtwassermenge, insbesondere ein ausgeprägtes Oligohydramnion, 4 Bauchdeckenbeschaffenheit der Schwangeren (Adipositas, Zustand nach Laparotomie), 4 Ultraschallgerät. Im Gegensatz zu anderen bildgebenden Verfahren beginnt beim Ultraschall die Erfahrung nicht erst bei der Bildbeurteilung, sondern bereits bei der Bildgenerierung. Zudem handelt es sich um eine dynamische Untersuchung an einem bewegten Objekt. Dies schränkt die Reproduzierbarkeit der Untersuchung zusätzlich ein. Schließlich handelt es sich bei Fehlbildungen um eine dynamische Entwicklung, d. h. morphologische Veränderungen müssen sich erst entwickeln, damit sie darstellbar werden.
Direkte Visualisierung des Defekts Bei entsprechender Erfahrung und optimalen Bedingungen können die meisten morphologischen Abweichungen direkt visualisiert werden. In der Praxis ist die Situation aber häufig abweichend von diesem Idealfall. Selbst bei optimalen Bedingungen werden immer wieder Anomalien übersehen, die einem anderen Untersucher direkt ins Auge springen. Dies liegt daran, dass Ultraschallbilder vergleichbar sind mit Vexierbildern. Wenn man weiß, was man sucht, ist es wesentlich einfacher, das Betreffende auch zu finden. Diese Situation lässt sich durch gezieltes Vorgehen verbessern: 4 konsequentes »Abarbeiten« einer morphologischen Checkliste, 4 Untersuchung von Kopf, Rumpf und Extremitäten in standardisierten Schnittebenen, 4 Studium von Abbildungen typischer Fehlbildungen. Für den niedergelassenen Arzt genügt vorerst einmal die Klassifizierung »unauffälliger Befund« und »auffälliger Befund im Bereich einer bestimmten Struktur«. Eine detaillierte Diagnostik mit Differenzialdiagnose bzw. definitiver Diagnosestellung kann dann dem Experten überlassen werden.
Indirekte Hinweise auf fetale Störungen Neben der direkten Visualisierung von Fehlbildungen gibt es eine Reihe von Befunden, die konstanter, reproduzierbarer und damit einfacher dargestellt werden können und die auf eine mögliche Fehlbildung hinweisen. Geachtet werden soll insbesondere auf 4 die Fruchtwassermenge (Oligo-, Polyhydramnion), 4 die fetale Herzfrequenz,
8
138
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
4 ein auffälliges Bewegungsmuster (z. B. fehlende Bewegung über längere Zeit), 4 ungewöhnliche Lage (z. B. intrauterine Zwangshaltung), 4 fetale Größe (Abweichen von einzelnen Körpermaßen aus dem Normbereich), 4 Auffälligkeiten der äußeren Form (z. B. Zitronenform des Schädels), 4 ungewöhnliche echogene oder echoarme Zonen im Bereich von Kopf und Rumpf, 4 Tumoren, 4 abnorme Lagen von inneren Organen (Herz, Magen), Situs-inversus-Lage, 4 Auffälligkeiten der Plazenta.
8
Mit einer solchen Checkliste lässt sich zwar keine exakte Diagnose einer Störung stellen, ein beträchtlicher Teil von Anomalien kann jedoch auf diese Weise entdeckt werden. Bei ungewöhnlichen Körperproportionen kann die differenzialdiagnostischen Überlegungen vereinfachen (. Tab. 8.4). ! Alle fetalen Fehlbildungen zeigen eine dynamische Entwicklung. Bei einigen Fällen ist mit einer Manifestation erst nach 24 Wochen zu rechnen. Diese entgehen so der morphologischen Untersuchung mit 20–22 Wochen (z. B. Darmatresien, Hydrozephalus, Zwerchfellhernien etc.).
Organisation, Screeningstrategien Selbstverständlich sind verschiedene Fehlbildungen bereits am Ende des 1. Trimenons, d. h. nach Abschluss der Organogenese feststellbar. Gewisse Störungen können jedoch erst im Lauf des 2. Trimenons sicher von einem Normalbefund abgegrenzt werden. Tipp Wenn versucht wird, das Kind sowohl am Ende des 1. Trimenons als auch zwischen 20 und 23 SSW detailliert zu untersuchen, resultiert ein doppelter Gewinn. Zum einen profitieren Schwangere von einer frühen Diagnose. Zum anderen kann die Erfassungsrate gesteigert werden, wenn die morphologischen Strukturen zweimal bewusst dargestellt werden.
Wird eine nicht letale Fehlbildung erst nach 24 Wochen entdeckt, so ist die Option eines Schwangerschaftsabbruchs auch in Ländern, die keine fixe Grenze für einen Abbruch kennen, häufig wegen der sehr großen ethischen Fragen nicht mehr gegeben. Im Prinzip sind 2 praktizierte Organisationsstrukturen in verschiedenen Ländern anzutreffen: 4 Das Screening erfolgt praktisch ausschließlich durch Zentren, und die Erfahrung ist auf einen kleinen Personenkreis beschränkt (z. B. Großbritannien). Der Vorteil dieses Systems besteht in der sehr großen Erfahrung des einzelnen sonographierenden Arztes. Von Nachteil sind die z. T. langen Transportwege und Übermittlungsfehler bei der Fragestellung bzw. Befundung. In dringenden Fällen kommt es zu einer unnötigen zeitlichen Verzögerung und wahrscheinlich insgesamt zu höheren volkswirtschaftlichen Kosten. 4 Das Screening erfolgt durch basisgeschulte Ärzte mit Überweisung an Zentren, falls auffällige oder unklare Befunde vorhanden sind (z. B. 3-Stufen-Konzept in Deutschland). In der Schweiz hat die Ultraschallgesellschaft detaillierte Empfehlungen ausgearbeitet, die der Gesetzgeber für die Kostenübernahme durch die Kassen als zwingend voraussetzt (SGUMGG 2002). Der Vorteil dieses Systems besteht darin, dass die Schwangerschaftsbetreuung in einer Hand bleibt, was Übermittlungsfehler verhindert und die Transportwege auf ein Minimum reduziert. Die Kosten pro Untersuchung sind geringer, und die Sonographie kann jederzeit durchgeführt werden. Der Nachteil besteht v. a. in der geringeren Erfahrung der einzelnen Ärzte sowie in der schlechteren apparativen Ausrüstung. Der Aufwand zur (permanenten) Schulung ist dementsprechend größer. Studien, die sowohl die Screeningeffizienz als auch die volkswirtschaftlichen Kosten zwischen diesen beiden Systemen vergleichen, existieren nicht. Immerhin bestehen Hinweise, dass die Entdeckungsrate von Fehlbildungen an den Zentren größer ist als in der Peripherie.
Screeningeffizienz, Kosten-Nutzen-Analyse In mehreren randomisierten Studien konnte klar gezeigt werden, dass mit einem Routineultraschall im 2. Trimenon signi-
. Tab. 8.4. Ungewöhnliche fetale Körperproportionen als indirekte differenzialdiagnostische Hinweise auf fetale Störungen
Kopfumfang
Bauchumfang
Femur
Gehäuft bei
Zu groß
Normal
Normal
Hydrozephalus
Zu klein
Normal
Normal
Zytomegalie, Toxoplasmose, Chromosomenanomalie, Spina bifida mit Arnold-Chiari-Syndrom, Mikrozephalie
Normal
Zu groß
Normal
Makrosomie, Diabetes mellitus, Infekt (Hepatosplenomegalie)
Normal bis klein
Zu klein
Normal bis klein
Wachstumsrestriktion, Plazentainsuffizienz, Chromosomenanomalie
Normal
Normal
Massiv zu klein
Skelettdysplasie, Aneuploidie
139 8.2 · Klinisch erprobte Screeningprogramme
fikant mehr Fehlbildungen entdeckt werden können, als wenn Ultraschalluntersuchungen nur auf Indikation erfolgen (Neilson 1998).
Faktorenabhängige Entdeckungsrate 4 Untersucher Erfahrene Sonographen an großen Zentren entdecken wesentlich mehr Fehlbildungen als Kollegen in der Peripherie oder in der Niederlassung. Dies war besonders ausgeprägt in der RADIUS-Studie (Ewigman et al. 1993). Die Situation in den USA ist dabei speziell, da sehr viele Radiologen und Röntgentechniker neben internistischen und chirurgischen Patienten auch noch Schwangere untersuchen, was sich wahrscheinlich auf die Erfahrung bezüglich Fehlbildungen auswirkt. Andererseits fehlen systematische Daten aus Ländern wie Deutschland oder der Schweiz, deren Screening durch eine Vielzahl niedergelassener Frauenärzte durchgeführt wird, die belegen, dass ein Stufensystem durch Fachärzte tatsächlich bessere Resultate liefert. 4 Zeitpunkt Eine Zusammenstellung von knapp 500 Fehlbildungen, die an den 10 größten Kliniken der Schweiz im Jahr 1995 erfasst wurden, hat gezeigt, dass fast 50% aller Fehlbildungen erst nach 24 SSW entdeckt wurden. Dies hängt nicht nur von der mangelnden Erfahrung des Untersuchers oder der ungenügenden apparativen Ausstattung ab, sondern viel häufiger von der Dynamik der sich entwickelnden Fehlbildung. Typische spät entdeckte Befunde sind Erweiterungen der Hirnseitenventrikel, Darmstenosen und Erweiterungen des Nierenbecken-Kelch-Systems. 4 Art der Fehlbildung Die Entdeckungsraten für die verschiedenen Fehlbildungen haben sich seit der Studie von Chitty (1995) z. T. deutlich verbessert, weisen aber in Abhängigkeit von der Schwere der Fehlbildung eine hohe Streuung auf (. Tab. 8.5; Grandjean et al. 1999; Richmond u. Atkins 2005; Wayne et al. 2002).
> Somit werden die häufigsten Fehlbildungen wie Extremitätendefekte, Herzfehler und Skelettanomalien signifikant seltener entdeckt als die weniger häufigen Anomalien. Die sonographische Fortbildung muss entsprechend diesen Bereichen vermehrte Aufmerksamkeit schenken.
Der Hauptnutzen einer Früherfassung von fetalen Fehlbildungen ist abhängig von der Art der Anomalie. Bei therapierbaren Fehlbildungen (z. B. Gastroschisis) kann sich ein Paar auf die Geburt eines behinderten Kindes vorbereiten und Angehörige rechtzeitig informieren. Ein evtl. Trennung unmittelbar nach der Geburt fällt dann wesentlich weniger schwer. In Einzelfällen hat der Nachweis einer Fehlbildung auch direkten Einfluss auf das geburtshilfliche Management. So kann z. B. der neurologische Langzeitschaden bei einer Spina
. Tab. 8.5. Sonographische Entdeckungsraten verschiedener Fehlbildungen
Art der Fehlbildung
Entdeckungsrate [%]
Extermitätendefekte
25–75
Herzfehler
38–88
ZNS-Fehlbildungen
50–96
Chromosomenanomalien
45–83
Urogenitale Fehlbildungen
69–93
Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten (Wayne et al. 2002)
75
Darmtraktanomalien/intrathorakale Defekte
63
bifida durch einen primären Kaiserschnitt signifikant vermindert werden. In ausgewählten Fällen ist eine lebensrettende oder zumindest funktionserhaltende intrauterine Therapie möglich. Bei letalen Fehlbildungen kann ein Teil der Trauerarbeit vorgezogen werden. Bei nicht therapierbaren, vor Erreichen der Lebensfähigkeit erfassten Fehlbildungen besteht auch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Wird durch einen solchen eine schwere Langzeitbehinderung verhindert, können volkswirtschaftlich Einsparungen erfolgen, die weit über den Kosten eines Screenings liegen. Eine solche Argumentation ist jedoch ethisch sehr fragwürdig. Auf keinen Fall darf aus einem solchen Faktum ein Zwang zu pränataler Diagnostik und Schwangerschaftsabbruch abgeleitet werden, wie dies etwa in China der Fall ist. Andererseits kann diese Tatsache als Argument dienen, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren, falls eine Schwangere im Einzelfall dies nach ausführlicher Beratung wünscht, da der Staat dadurch nicht zu Schaden kommt. Der Hauptschaden eines fetalen Fehlbildungsscreenings besteht in der Induktion von Angst durch Befunde, die sich im Nachhinein als falsch erweisen. Im schlimmsten Fall kommt es zum Schwangerschaftsabbruch eines gesunden Kindes. Diese Gefahr einer Fehldiagnose wird jedoch gemeinhin überschätzt. In der oben genannten Zusammenstellung von Fehlbildungen aus der Schweiz haben wir an rund 150 Fehlbildungsfällen mit Schwangerschaftsabbruch keine einzige Fehldiagnose registriert. Trotzdem können Einzelfälle auftreten, wo dies zutrifft. In einer britischen Studie war unter rund 300 Aborten wegen Fehlbildungen in 2 Fällen der Befund deutlich weniger schlimm als angenommen (Brand et al. 1994). Die Gefahr einer Fehldiagnose kann minimiert werden, wenn z. B. mit einem Stufenkonzept vor schwerwiegenden Entscheidungen sehr erfahrene Ärzte den Sonographiebefund bestätigen. Schwierig werden Entscheidungen immer dann, wenn keine exakte Diagnose gestellt werden kann, etwa bei unklaren Hirnbefunden. In solchen Situationen muss auf
8
140
Kapitel 8 · Ersttrimesterscreening auf Fehlbildungen und Chromosomenstörungen
Wahrscheinlichkeiten abgestützt werden, ähnlich etwa wie beim Nachweis einer strukturellen Chromosomenanomalie, deren Auswirkung auch häufig nicht sicher eingeschätzt werden kann. Verständlich verärgert und enttäuscht sind Schwangere, wenn eine Fehlbildung trotz Ultraschall nicht oder nicht rechtzeitig erkannt wurde. Als besonders schwerwiegend werden von Eltern Fehlbildungen des Hirns und Fehlen von Teilen der Extremitäten angesehen. Vorwürfe wegen übersehenen Malformationen kann man verhindern, indem man rechtzeitig über die Limits des Ultraschalls informiert. So kann übertriebenen Erwartungen vorgebeugt werden.
Akzeptanz in der Bevölkerung
8
Die Akzeptanz von Ultraschall ist generell bei fast allen Frauen sehr hoch (Götzmann et al. 2002). Dies liegt möglicherweise daran, dass man das eigene Kind sehen kann, und zwar noch lange, bevor man es spürt. Die Praxis zeigt, dass selbst Frauen, die gegenüber der pränatalen Diagnostik sehr kritisch eingestellt sind und nie eine Amniozentese durchführen lassen würden, geschweige einen Schwangerschaftsabbruch, auf Ultraschall kaum verzichten möchten. Kritiker des Ultraschalls deuten dies als Technikgläubigkeit. Psychologische Abläufe wie das Glücksgefühl beim Betrachten des eigenen Kindes oder die Erleichterung, wenn der Ultraschall bestätigt, dass alles in Ordnung ist, dürften der Wahrheit jedoch näher kommen. Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, dass für Frauen fast 50% des Nutzens eines Schwangerschaftsultraschalls außerhalb eines medizinischen Entscheidungsnutzens liegen.
Empfehlungen verschiedener Organisationen Verschiedene Organisationen auf dem nordamerikanischen Kontinent wie das ACOG, NIH oder die Canadian Task Force sind merkwürdigerweise gegenüber einem Fehlbildungsscreening mit Ultraschall sehr kritisch eingestellt (DiGuiseppi 1996). Durch eine unterschiedliche ethische Grundeinstellung kann diese Haltung kaum erklärt werden, befürworten diese Gremien doch das ethisch eher heiklere Screening auf Trisomie 21. Im Unterschied zu Letzterem wird beim sonographischen Fehlbildungsscreening in rund 60% der Fälle mit Nachweis einer Anomalie kein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. Ein Teil dieser Kinder mit Malformationen kann durch die frühzeitige Entdeckung zudem zweifelsfrei profitieren, was man beim Down-Syndrom nicht behaupten kann. Ein Grund für diese kritische Haltung mag sein, dass im Vergleich zum Tripletest die Screeningeffizienz deutlich schlechter ausfällt. Dies muss aber vor dem Hintergrund des amerikanischen Gesundheitssystems gesehen werden: Das Screening ist nicht zentralisiert, sondern auf eine Vielzahl von niedergelassenen Ärzten verteilt. Diese sind zudem in den meisten Fällen nicht die behandelnden Frauenärzte, sondern Radiologen und Röntgentechniker. Dies vermindert nicht nur die Screeningeffizienz, sondern erhöht auch massiv die Kosten. 1993 rechneten Ewigman et al. mit 200 US-$ pro Ultraschall. Die Kosten für eine mindestens gleichwertige Untersuchung in der Schweiz betragen selbst 2009 nur etwa ein Drittel
dieses Preises. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine ablehnende Haltung der nordamerikanischen Staaten nachvollziehbar. Unter anderen gesundheitspolitischen Voraussetzungen befürworten jedoch europäische Fachgesellschaften ein Ultraschallscreening mit großer Mehrheit.
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8
9 9
Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
9.1
Ultraschall im 2. Trimenon – 144 K. D. Kalache, A. M. Dückelmann
9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6 9.1.7 9.1.8 9.1.9 9.1.10
Diagnostischer Wert des Ultraschallscreenings – 144 Fetale Biometrie – 144 Zentrales Nervensystem – 145 Gesicht – 147 Herz – 149 Wirbelsäule – 150 Thorax und Lungen – 151 Abdomen – 152 Extremitäten – 154 Fruchtwasser, Nabelschnur und Plazenta – 157
9.2
Fetale Magnetresonanztomographie (MRT) – 159 W. Blaicher, D. Prayer
9.2.1 9.2.2 9.2.3
Methode – 159 Einsatzgebiete – 159 Typische Indikationen – 160
Literatur – 162
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
144
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
9.1
Ultraschall im 2. Trimenon K. D. Kalache, A. M. Dückelmann
9
Mit der Ultraschalltechnik kann heute die Mehrzahl der schweren kongenitalen Fehlbildungen pränatal diagnostiziert werden. Eine wachsende Anzahl von Fehlbildungen kann bereits in der 10.–14. SSW erkannt werden, z. B. die Exenzephalie, die Omphalozele, die Megazystis, ein Akranius/Akardius und siamesische Zwillinge. Die meisten Fehlbildungen werden jedoch im 2. Trimenon diagnostiziert. Andererseits gibt es Fehlbildungen, die sich erst im späten 2. oder im 3. Trimenon manifestieren, z. B. gewisse Formen des Hydrozephalus, die Mikrozephalie, Darmatresien und Dilatationen der Harnwege. Der Einsatz der Ultraschalldiagnostik in der Schwangerschaft erfolgt in Deutschland und Österreich, teilweise auch in der Schweiz, nach einem Mehrstufenkonzept. Auf der Stufe I wird ein Ultraschallscreening durchgeführt, das die Erkennung der wichtigsten Fehlbildungen oder zumindest der Hinweiszeichen darauf zum Ziel hat. Die Stufe II befasst sich mit der Evaluation von pathologischen Befunden der Stufe I und mit dem Ausschluss oder der Diagnose von Fehlbildungen bei Schwangeren, die aufgrund des sonographischen oder biochemischen Screenings oder einer belasteten Anamnese ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko aufweisen. Die Stufe III führt eine differenzierte morphologische, funktionelle und ätiologische Diagnostik sowie eine eventuelle intrauterine Therapie durch. Auf dieser Stufe sollte die Unterstützung durch Genetiker, Neonatologen, Kinderchirurgen und Fetalpathologen jederzeit gewährleistet sein. Die Definition von diagnostischen Standards, die Aus- und Weiterbildung der Untersucher sowie eine angemessene Qualitätskontrolle sind deshalb wichtige Voraussetzungen für das Erreichen einer hohen diagnostischen Validität der pränatalen Ultraschalldiagnostik.
9.1.1
Diagnostischer Wert des Ultraschallscreenings
Der diagnostische Wert des Ultraschallscreenings hängt hauptsächlich von der Erfahrung der Untersucher, vom Zeitpunkt der Untersuchung und von der Art der Fehlbildung ab (Tegnander u. Eik-Nes 2006). Im Rahmen von Screeninguntersuchungen entdeckten niedergelassene Ärzte (Stufe I) 22%, Krankenhausärzte (Stufe I–II) 40% und Ärzte im Perinatalzentrum (Stufe III) 90% der Fehlbildungen (Bernaschek et al. 1996). Auf Stufe I wurden 24%, auf Stufe II 34% und auf Stufe III 58% der Fehlbildungen vor der 24. SSW erkannt. Die Eurofetus-Studie, bei der die antenatale Entdeckungsrate von Fehlbildungen durch ein Ultraschallscreening in unselektionierten Populationen untersucht wurde, zeigt, dass Anomalien des Zentralnervensystems die höchste Entdeckungsrate (88,3%) aufwiesen, gefolgt von Anomalien des Urogenitalsystems (84,4%) (Grandjean et al. 1999). Anomalien des Herzens und der großen Gefäße wurden dagegen nur in 38,8% der Fälle entdeckt. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Entdeckungsrate für die meisten Fehlbildungen im Verlauf der letzten 10–15 Jahre zugenommen hat. Dies wird
zum größten Teil auf die verbesserte Ausbildung und auf die zunehmende Erfahrung der Untersucher zurückgeführt (Levi et al. 1995; Stoll et al. 1995).
9.1.2
Fetale Biometrie
Gewöhnlich wird eine geburtshilfliche Ultraschalluntersuchung in 3 Ebenen entsprechend der Axialebene, der Sagittalebene und der Koronarebene durchgeführt. Die Messung des biparietalen Durchmessers (BPD) erfolgt axial auf Höhe der Thalami, ausgehend vom äußeren Rand (proximal) und inneren Rand der Schädelkalotte. Tipp Der BPD ist der beste Indikator zur sonographischen Berechnung des Gestationsalters (Chervenak et al. 1998).
Der Kopfumfang (KU) beschreibt den Durchmesser von der einen zur anderen Seite des Schädels. Gewöhnlich werden der KU und der BPD zur Einschätzung der Kopfgröße herangezogen (. Abb. 9.1). Tipp Der Abdomenumfang (AU) eignet sich am besten, um das fetale Schätzgewicht zu ermitteln.
Der axiale Schnitt für den AU erfolgt auf Höhe des Übergangs der Umbilikalvene in die linken Portalvenen, d. h. auf Ebene der Leber (. Abb. 9.2). Der AU geht in die Berechnung des Schätzgewichtes mit ein, da die Leber bei Makrosomie groß und bei einem SGA-Feten (»small for gestational age«) klein ist. Die Femurlänge ist stark von der familiären Konstitution abhängig (. Abb. 9.3).
. Abb. 9.1. Biparietaler Durchmesser und Kopfumfang in der Axialebene
145 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
. Abb. 9.2. Abdomenumfang mit Darstellung der Umbilikalvene (Pfeil) . Abb. 9.4. Transzerebellärer Durchmesser
ler Weise für Feten ≥4000 g. Neben dem rechnerischen Gestationsalter (GA) kann anhand der biometrischen Daten ein sonographisches GA berechnet werden. Differiert das sonographische GA durch den TCD oder den BPD um die 20. SSW vom rechnerischen Gestationsalter um mehr als 10 Tage, so ist das sonographische GA als relevantes zu führen.
9.1.3
Zentrales Nervensystem
Normale Sonoanatomie
. Abb. 9.3. Femurlänge
Tipp Der transzerebelläre Durchmesser (TCD) sagt das Schwangerschaftsalter am besten voraus (. Abb. 9.4). Die Faustregel: »TCD in mm entspricht der Schwangerschaftswoche (SSW)« lässt sich bis zur 22. SSW anwenden, danach sind Normogramme notwendig. Mittels TCD lässt sich ein SGA-Fetus eindeutig von einem Feten in einer falsch errechneten SSW unterscheiden.
Es gibt mehr als 40 Formeln zur Berechnung des fetalen Schätzgewichts. Die Berechnung nach Hadlock berücksichtigt z. B. BPD, KU, AU und die Femurlänge. Während das Schätzgewicht bei kleinen Feten zumeist im akzeptalen Schätzrahmen zutreffend ist, eignet sich keine Formel in idea-
Bei der sonographischen Untersuchung des Fetus im 2. Trimenon gilt es, 3 Areale des fetalen Gehirns zu untersuchen. Die erste Einstellung ist Teil der Standardbiometrie: ein Schnitt durch die Thalami, wobei gleichzeitig der einem Schlitz gleichende 3. Ventrikel und das Cavum septum pellucidi untersucht werden können (. Abb. 9.5). Der 2. Schritt ist die Darstellung der Seitenventrikel. Dies gelingt am besten im axialen Querschnitt durch das fetale Kranium knapp oberhalb der Ebene, die für den biparietalen Durchmesser eingestellt wird. Hier wird der Plexus choroideus begutachtet, insbesondere hinsichtlich des »dangling sign«. Erscheint der Ventrikel vergrößert, wird die Entfernung zwischen der inneren und der außen liegenden inneren Wand des Lateralventrikels auf Höhe des Atriums gemessen. Die obere Grenze liegt bei 10 mm. Die 3. Einstellung gewinnt man durch eine geringe Rotation des Ultraschallkopfs nach okzipital. Dabei lässt sich sowohl die Cisterna magna als auch der komplette Vermis darstellen. Allein diese 3 Einstellungen gewährleisten ein Erkennen von 90% der intrakraniellen Fehlbildungen (Filly u. Crane 2002). Bei einem auffälligen Befund müssen dann noch andere Einstellungen in der Sagittal- und Koronarebene zur Vervollständigung der Befunderhebung hinzugezogen werden.
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146
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
. Abb. 9.5. Midsagittale Einstellung: unauffällige Neuroanatomie im 2. Trimenon mit Darstellung des Corpus callosum (Pfeil)
. Abb. 9.7. Ventrikulomegalie (Pfeil: 3. Ventrikel)
9
. Abb. 9.6. Messung des Lateralventrikels
Ventrikulomegalie Als Hydrozephalus wird eine abnorme Zunahme der zerebrospinalen Flüssigkeit bezeichnet, die zu einer Dilatation des Lateralventrikels von >15 mm führt (. Abb. 9.6). Man unterscheidet zwischen obstruktiven und nichtobstruktiven Formen. Pränatal liegen meist obstruktive Formen vor, die durch eine gestörte Zirkulation des Liquors verursacht werden. Die Dilatation der Lateralventrikel und des 3. Ventrikels in Kombination mit einer normalen Fossa posterior deutet auf eine Aquäduktstenose hin. Oft sind die Seitenventrikel deutlich erweitert, was zu einer signifikanten Kompression des Kortex führt. Eine seltene Variante dieses Krankheitsbildes tritt in Familien als X-chromosomale Störung auf.
Eine weitere häufige Ursache für einen obstruktiven Hydrozephalus ist eine Veränderung der hinteren Schädelgrube, zu der es bei Feten mit Spina bifida oder einer Dandy-WalkerMalformation kommt (. Abb. 9.7). Die Erweiterung der Seitenventrikel, des 3. und 4. Ventrikels sowie des Subarachnoidalraums ist pathognomonisch für einen kommunizierenden Hydrozephalus. Dieser tritt z. B. bei Plexus-chorioideus-Papillomen auf, die mit einer Hyperproduktion der zerebrospinalen Flüssigkeit einhergehen. Grenzwertige Erweiterungen von 10–15 mm werden dagegen als Ventrikulomegalie bezeichnet. Ein wichtiges Hinweiszeichen auf eine Ventrikulomegalie ist die Abdrängung des Plexus chorioideus von der medialen Wand des Seitenventrikels (sog. »dangling«). Liegt eine Ventrikulomegalie vor, sollte eine genaue Suche nach intra- und extrakraniellen Anomalien erfolgen, da eine isolierte Ventrikulomegalie eine deutlich bessere Prognose hat als in Kombination mit anderen Fehlbildungen. Die Diagnostik sollte auch eine detaillierte neurosonographische Untersuchung beinhalten. Die häufigste assoziierte intrakranielle Anomalie ist die Agenesie des Corpus callosum. Eine invasive Diagnostik (Amniozentese) ist empfehlenswert, da in 6% der Fälle Chromosomenaberrationen vorkommen (Gaglioti et al. 2005; Goldstein et al. 2005; Breeze et al. 2007). Zur Abklärung einer isolierten Ventrikulomegalie gehört der Ausschluss von kongenitalen Infektionen (TORCH-Serologie), insbesondere wenn zusätzlich periventrikuläre Kalzifikationen darstellbar sind.
Dandy-Walker-Komplex Als Dandy-Walker-Komplex wird eine Gruppe von Fehlbildungen der hinteren Schädelgruppe bezeichnet. Die komplette Vermisagenesie ist immer mit einer großen Cisterna magna und einer deutlichen Verbindung mit dem 4. Ventrikel assoziiert (. Abb. 9.8). Kommen extrazerebrale Fehlbildungen wie polyzystische Nieren, kardiovaskuläre Defekte und Ge-
147 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
Corpus-callosum-Agenesie Lässt sich das Cavum septi pellucidi nicht darstellen, erscheint der 3. Ventrikel dilatiert und/oder handelt es sich um eine Ventrikulomegalie, ist generell die Verdachtsdiagnose einer Corpus-callosum-Agenesie zu stellen. Die Diagnose wird dann durch ein nicht vorhandenes Cavum septi pellucidi und ein fehlendes Corpus callosum in der Midsagittalebene bestätigt (. Abb. 9.9). Der Vorteil der midsagittalen Aufnahme ist die mögliche Differenzierung zwischen einer kompletten und einer partiellen Agenesie des Corpus callosum. Die Corpuscallosum-Agenesie hat, kommt sie isoliert vor, eine gute Prognose, so wie dies auch bei anderen kranialen Fehlbildungen der Fall ist (Pilu u. Hobbins 2002). Da das Corpus callosum erst ab der 18. SSW fertig ausgebildet ist, sollte die Diagnose Corpus-callosum-Agenesie nicht vor diesem Gestationsalter gestellt werden.
Plexus-chorioideus-Zysten . Abb. 9.8. Dandy-Walker-Komplex. Verbindung zwischen Cisterna magna und 4. Ventrikel (Pfeil)
Plexus-chorioideus-Zysten werden in der 16.–24. SSW bei etwa 1% der Feten beobachtet. In >90% der Fälle verschwinden sie im Verlauf des 2. Trimenons und haben keinen Krankheitswert. Plexus-chorioideus-Zysten sind, falls sie zusammen mit anderen Anomalien auftreten, gehäuft mit chromosomalen Aberrationen, insbesondere mit der Trisomie 18, assoziiert. Isolierte Zysten erhöhen das Risiko für eine Trisomie 18 dagegen nur marginal und stellen keine Indikation für eine Karyotypisierung dar (Gross et al. 1995; Filly 2004).
Mikrozephalie Ein Kopfumfang unterhalb der 3. Perzentile (Mikrozephalie), ein relativ vergrößerter Subarachnoidalraum und eine schlecht abgrenzbare Insula sind typische Zeichen für eine kortikale Dysplasie (Martin 1970). Feten mit Mikrozephalie haben oft eine fliehende Stirn. Die zerebralen Hemisphären sind generell stärker betroffen als das Mittelhirn und die hintere Schädelgrube. In etwa 50% der Fälle kommt es zur ausgeprägten mentalen Retardierung.
. Abb. 9.9. Nicht vorhandenes Cavum septi pellucidi bei Corpuscallosum-Agenesie
sichtsspalten dazu, liegt meistens eine chromosomale Aberration vor, und die Prognose ist schlecht. Bei der isolierten Dandy-Walker-Fehlbildung wird in 40–70% der Fälle eine verminderte Intelligenz beobachtet. Bei der partialen Vermisagenesie, die oft Dandy-Walker-Variante genannt wird, kann in der axialen Aufnahme eine Verbindung zwischen 4. Ventrikel und Cisterna magna bestehen, die Größe der Cisterna magna ist allerdings normal. Erscheint der Vermis auffällig, sollte in midsagittaler Ebene sowohl die untere als auch die obere Vermis untersucht werden. Eine MRT-Untersuchung kann zur Bestätigung der Diagnose herangezogen werden. Die klinische Bedeutung der Dandy-Walker-Variante und der Mega-Cisterna magna (Weite der Cisterna magna >10 mm) sind weniger klar. Ist eine chromosomale Aberration ausgeschlossen, scheint die Prognose günstig zu sein.
9.1.4
Gesicht
Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (LKG) kommen relativ häufig vor. In 50% der Fälle ist lediglich die Lippe betroffen. In 25% der Fälle sind sowohl die Lippe als auch der Kiefer und der Gaumen betroffen. Eine isolierte Gaumenspalte kommt in 25% der Fälle vor. Die einfachste Methode, die gesamte Lippe darzustellen, ist deren Einstellung in der Koronarebene, auf der die Nase, die Nasenlöcher, das Philtrum und der Mund jeweils einzeln betrachtet werden können (. Abb. 9.10). Besteht der Verdacht einer Lippenspalte aufgrund einer offenen Verbindung zwischen Nasenlöchern und Mund, so sollte eine genauere Untersuchung des Oberkiefers und des Gaumens erfolgen. Die Untersuchung des Oberkiefers wird in der Koronarebene mittels 2-D-Ultraschall durchgeführt. Der harte und weiche Gaumen kann im 3-D-Modus eingestellt werden. Eine 3-D-Darstellung im Oberflächenmodus des De-
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148
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
. Abb. 9.10. Unilaterale Lippenspalte (Pfeil)
. Abb. 9.12. 3-D-Rekonstruktion des weichen und harten Gaumens (Pfeil)
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. Abb. 9.13. Unauffälliges Profil in midsagittaler Ebene im 2. Trimenon
. Abb. 9.11. Lippenspalte in 3 D
Prognose eines isolierten unilateralen Defekts ist exzellent. Bei belasteter Anamnese sollte wegen des hohen Wiederholungsrisikos eine gezielte Diagnostik erfolgen. Das Wiederholungsrisiko kann durch die tägliche Einnahme von 4 mg Folsäure 1 Monat vor und 2 Monate nach der Konzeption vermindert werden (Shaw et al. 1995).
Mikrognathie fekts erscheint sehr hilfreich und sinnvoll in der Beratung und Vorbereitung der Eltern (. Abb. 9.11, 9.12). Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten kommen zu 3% im Rahmen eines Syndroms vor. Handelt es sich um einen Mittelliniendefekt, so sind gewöhnlich andere Anomalien und ein abnormer Karyotyp (Trisomie 13 und 18) assoziiert. Die
Die Mikrognathie ist eine Komponente verschiedener Syndrome, u. a. des Apert-Syndroms, der Pierre-Robin-Sequenz, und darüber hinaus ein Merkmal der Trisomie 18. Das Kinn wird in der midsagittalen Ebene eingestellt, auf der sich der Nasenrücken, der Kieferkamm und die Mandibularspitze in einer Linie darstellen (. Abb. 9.13, 9.14).
149 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
. Abb. 9.14. Mikrognathie
9.1.5
Herz
Herzfehler kommen isoliert oder in Kombination mit anderen Fehlbildungen, im Rahmen von Syndromen, sporadisch oder familiär vor. Das Wiederholungsrisiko beträgt ca. 4%, falls ein Geschwister einen Herzfehler hat, und bis zu 14%, falls die Mutter selbst erkrankt ist. Pränatal werden im Rahmen des Ultraschallscreenings (Population mit normalem Risiko) 25–50% der schweren Herzfehler entdeckt, wenn der 4-Kammer-Blick allein beurteilt wird (Tegnander et al. 1995, 2006). Die Sensitivität erhöht sich auf 70–80%, falls zusätzlich zum 4-Kammer-Blick der normalerweise gekreuzte Abgang der Aorta und des Truncus pulmonalis beurteilt wird (Achiron et al. 1992; Kirk et al. 1994).
. Abb. 9.15. 4-Kammer-Blick: linker Ventrikel (LV), rechter Ventrikel (RV), linker Vorhof (LA), rechter Vorhof (RA)
Normale Sonoanatomie Für die Untersuchung des Herzens wird am besten der 4-Kammer-Blick als Querschnitt des Thorax oberhalb des Zwerchfells gewählt (. Abb. 9.15, 9.16). Anhand dieser Einstellung kann die Anatomie des Herzens Schritt für Schritt untersucht werden. Dabei wird u. a. die Ausrichtung des Herzens beurteilt. Das Herz sollte zum größeren Teil auf der linken Seite des Brustkorbs liegen, und der Apex sollte in Richtung des darunter liegenden Magens weisen. Ein kompletter Situs inversus kann mit schweren Herzfehlbildungen assoziiert sein. Eine auffällige Herzneigung zur linken Seite (Levokardie) kann auf eine Transposition der großen Gefäße oder eine Fallot-Tetralogie hinweisen. Eine unterschiedliche Ventrikelgröße kann ein Hinweis auf eine Obstruktion im Bereich des Ausflusstraktes (z. B. hypoplastischer rechter Ventrikel bei Pulmonalstenose) sein. Das interventrikuläre Septum sollte in seiner gesamten Länge vollständig dargestellt werden. Kleinere Septumdefekte lassen sich allerdings nur mittels Farbdopplersonographie darstellen.
Hypoplastisches Linksherzsyndrom (HLHS) Das HLHS ist charakterisiert durch einen sehr kleinen linken Ventrikel in Kombination mit einer Atresie oder Hypoplasie der Mitralklappe und der Aorta ascendens. Die Durchblutung
. Abb. 9.16. Darstellung der Herzdurchblutung mittels Dopplersonographie im 4-Kammer-Blick
des Kopfes erfolgt retrograd über den Ducutus arteriosus. Intrauterin stellt das HLHS durch den offenen Ductus arteriosus kein Problem dar. Die Letalität beträgt allerdings postnatal ohne Therapie 100%. Als operative Therapie kommen entweder die Herztransplantation oder die in 3 Schritten erfolgende Norwood-Technik infrage.
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150
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
Atrioventrikulärer Septumdefekt (AVSD) Diese Malformation stellt ca. 7% aller Herzfehler dar und ist, zumindest in der kompletten Form, leicht zu diagnostizieren. Dem Untersucher fällt auf, dass sich die Mitral- und die Trikuspidalklappe auf derselben Höhe des Septums einstellen lassen. Die Diagnose kann mittels Farbdoppler bestätigt werden, indem die atrioventrikuläre Regurgitation zur Darstellung kommt. Ein assoziierter AV-Block geht häufig mit Chromosomenaberrationen (Trisomie 18, 21) oder einer Drehungsanomalie (Linksisomerie) einher. Liegt eine Insuffizienz der atrioventrikulären Klappe vor, kann es zum intrauterinen Herzversagen kommen. Postnatal sterben 50% der unbehandelten Kinder im 1. Lebensjahr an Herzversagen, an Arrhytmien und pulmonarer Hypertension aufgrund des Eisenmenger-Syndroms (Rechts-links-Shunt). Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Operation (im 6. Lebensmonat) beträgt >90%, wobei 10% der Patienten eine weitere Operation zur Sanierung der atrioventrikulären Klappe benötigen.
Transposition der großen Gefäße (TGA)
9
Die Aorta tritt vollständig oder zum überwiegenden Teil aus dem rechten Ventrikel aus, während die Pulmonalarterie aus dem linken Ventrikel austritt. Weitere Herzfehler (Ventrikelseptumdefekt, Pulmonalstenose und Anomalien der Mitralklappe) liegen in 50% der Fälle vor. Man unterscheidet zwischen einer 4 TGA mit intaktem Ventrikelseptum mit oder ohne Pulmonalstenose, 4 TGA mit Ventrikelseptumdefekt und 4 TGA mit Ventrikelseptumdefekt mit Pulmonalstenose. Bewiesen ist eine TGA, wenn beide großen Gefäße parallel (anstatt gekreuzt) verlaufen (. Abb. 9.17). Die Prognose hängt vom Typ der TGA ab. Patienten mit TGA ohne VSD werden frühzeitig nach der Geburt zyanotisch und verschlechtern sich rasch. Patientin mit VSD sind nur leicht zyanotisch und entwickeln erst 2–4 Wochen postnatal eine Herzinsuffizienz. Die operative Therapie, bei der ein »switch« der Gefäße durchgeführt wird, erfolgt gewöhnlich in der 2. Lebenswoche. Die operative Mortalität beträgt 10%.
Supraventrikuläre Tachykardie (SVT) Der Vorhof sowie der Ventrikel schlagen synchron mit einer Frequenz von ca. 240 SpM. Bei dieser Frequenz kommt es im Verlauf zu einem Herzversagen und damit einhergehendem Hydrops, was letztlich, wenn untherapiert, zum intrauterinen Fruchttod führt. Die Therapie der Wahl ist die maternale Verabreichung von Digoxin. Als Alternative kommen Flecainide infrage.
Atrioventrikulärer Block (AV-Block) Beim AV-Block überträgt sich die Frequenz des Vorhofs nicht auf den Ventrikel, der mit einer Frequenz von 40–70 SpM schlägt. In 50% der Fälle sind andere gravierende Fehlbildungen (korrigierte Transposition der großen Gefäße oder eine Linksisomerie) vorhanden. In den Fällen ohne zusätzliche Fehlbildungen lassen sich oft maternale Autoantikörper
. Abb. 9.17. Transposition der großen Gefäße: Paralleleinstellung der Aorta und A. pulmonalis
(anti-Ro oder anti-La) als Ursache des AV-Blocks nachweisen. Die meisten Patientinnen sind asymptomatisch, wobei manchmal eine Autoimmunerkrankung assoziiert sein kann (Lupus erythematodes, Sklerodermie, rheumatoide Arthritis, SjögrenSyndrom).
9.1.6
Wirbelsäule
Die Prävalenz der offenen Spina bifida ist in den letzten 10 Jahren in den Ländern mit einem etablierten pränatalen Screening und einer liberalen Rezeptierung von Folsäure stark rückläufig. Das Wiederholungsrisiko nach der Geburt eines Kindes mit einem Neuralrohrdefekt (NRD) wird auf 4% geschätzt. In diesen Fällen kann das Risiko durch die Einnahme von 4 mg Folsäure/Tag während einem Monat vor und 2 Monate nach der Konzeption auf ca. 1% gesenkt werden. Es gibt 3 Ossifikationsherde in der fetalen Wirbelsäule: die Wirbelkörper, die Laminae und die Pedikel. Bei der Spina bifida fehlt der noch nicht verknöcherte Anteil der Wirbelsäule sowie die darüber liegende Haut (. Abb. 9.18). Ebenso divergieren die beiden Bogenplatten (Laminae; . Abb. 9.19). Die Diagnose wird pränatal zu einem hohen Prozentsatz gestellt, da praktisch jeder betroffene Fetus charakteristische Veränderungen der Kopfform (»lemon sign«) und Anomalien des Kleinhirns (»banana sign« bzw. »Fehlen des Kleinhirns«; . Abb. 9.20) aufweist als Ausdruck einer Herniation des Vermis cerebelli in den Spinalkanal (Arnold-ChiariTyp-II-Malformation). Nach Van den Hof et al. (1990) ist bei offener Spina bifida das »lemon sign« vor der 24. SSW in 98% der Fälle nachweisbar. Anomalien des Zerebellums liegen in 95% der Fälle vor. Das »banana sign« dominiert vor der 24. SSW. In bis zu 80% der Fälle entwickelt sich eine Ventrikulomegalie. Auf Sagittalschnitten der Wirbelsäule kann man bei offener Spina bifida die Vorwölbung der Hautbedeckung sowie der Myelomenin-
151 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
. Abb. 9.18. Spina bifida aperta auf Höhe des Sakrums
. Abb. 9.21. 3-D-Darstellung des Defekts bei Spina bifida
. Abb. 9.19. Spina bifida aperta
gozele erkennen (. Abb. 9.21). Auf Querschnitten imponiert die V- oder U-förmige Deformierung der Wirbelbögen. Auf Frontalschnitten kommt das Abweichen der Wirbelbögen nach lateral besonders gut zur Darstellung. Die pränatale Beurteilung der Prognose einer Spina bifida ist schwierig. Die Ausdehnung des Defekts korreliert schlecht mit dem Outcome. Je tiefer der Defekt liegt, desto besser sind die Chancen für eine intakte Motorik der unteren Extremitäten. Als ungünstig gelten eine ausgeprägte und früh auftretende Ventrikulomegalie. Der Wert der pränatalen Chirurgie, die derzeit nur an wenigen Zentren unter kontrollierten Bedingungen praktiziert wird, ist noch nicht endgültig zu beurteilen.
9.1.7
Thorax und Lungen
Hydrothorax
. Abb. 9.20. Arnold-Chiari-Malformation (schmaler Pfeil: »lemonsign«, breiter Pfeil: »banana-sign«)
Unter einem Hydrothorax versteht man eine abnorme Flüssigkeitsansammlung im Pleuraraum, die entweder isoliert oder im Rahmen eines Hydrops fetalis auftritt. Zur Abklärung gehört der Ausschluss von Infektionen, Anämie und einer Aneuploidie. Spontane Rückbildungen kommen in 5–10% der Fälle vor. Ein progredienter Hydrothorax soll bei unreifen Fe-
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152
9
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
. Abb. 9.22. Zystische adenomatoide Malformation (CCAM) mit Verdrängung des Herzens nach links
. Abb. 9.23. Linksseitige Zwerchfellhernie mit Darstellung der Magenblase (Pfeil)
ten aus diagnostischen und therapeutischen Gründen punktiert werden. Die häufigste Form des isolierten Hydrothorax, der Chylothorax, der durch eine Anomalie des Ductus thoracicus bedingt ist, kann pränatal anhand der erhöhten Lymphozytenzahl im Pleurapunktat diagnostiziert werden. Füllt sich der Hydrothorax nach Punktion wieder auf, so ist die Anlage eines pleuroamnialen Shunts zu diskutieren. Durch die permanente Ableitung kann die drohende Entwicklung einer Herzinsuffizienz und einer Lungenhypoplasie verhindert werden (Morin et al. 1994).
Zwerchfellhernie
Zystische adenomatoide Malformation (CCAM) Die CCAM ist ein Hamartom, das durch ein überschießendes Wachstum der terminalen Bronchioli auf Kosten der Sacculi entsteht. Die tumorartige multizystische Fehlbildung hat eine Verbindung zum Bronchialsystem und wird durch den pulmonalen Kreislauf versorgt. In 80–95% der Fälle ist die Anomalie unilobär (. Abb. 9.22). Makrozystische Formen imponieren pränatal durch echoarme zystische Areale und haben eine gute Prognose, wenn keine zusätzlichen Anomalien vorliegen. Mikrozystische Formen manifestieren sich sonographisch durch eine große echodichte Masse, welche das Herz und gesundes Lungengewebe komprimieren kann. Infolgedessen kommt es häufig zu einer Herzinsuffizienz mit Hydrops fetalis und zu einer Hypoplasie des übrigen Lungengewebes. Danach sind die kindlichen Überlebenschancen jedoch minimal. Differenzialdiagnostisch kommt eine bronchopulmonale Sequestration infrage, die sich sonographisch ebenfalls als echodichte Masse manifestiert. Die Diagnose kann durch den Nachweis der Blutversorgung aus dem großen Kreislauf mit Hilfe der Farbdopplersonographie gestellt werden.
Die Mehrzahl der Defekte liegt posterolateral auf der linken Seite. Durch den Defekt können sich Milz, Magen und Darmschlingen, seltener Teile der Leber, in den Thoraxraum verschieben. Sonographische Leitsymptome sind die Verdrängung des Herzens (meist auf die rechte Seite) und zystische Raumforderungen im Thorax (. Abb. 9.23). Schwierig zu diagnostizieren ist die Verlagerung der Leber in den Thoraxraum. Hilfreich kann in diesen Fällen die Darstellung der Gallenblase oder der intrahepatischen Gefäße (Farbdoppler) oder auch die Darstellung der Leber mittels MRT sein. Assoziierte Fehlbildungen werden in 50–75% der Fälle gefunden, in erster Linie Herzfehler und chromosomale Aberrationen. Die Prognose hängt neben dem Vorliegen von assoziierten Fehlbildungen und chromosomalen Aberrationen v. a. vom Ausmaß der Lungenhypoplasie ab. Diese ist am ausgeprägtesten, wenn ein Teil der Leber im Thoraxraum liegt. In diesen Fällen wird an einigen Zentren der intrauterine Verschluss der Trachea durch einen Ballon angewandt. Die Entbindung sollte in jedem Fall an einem perinatalen Zentrum stattfinden, wo eine enge Zusammenarbeit mit den Neonatologen und Kinderchirurgen besteht. Das Kind muss unmittelbar nach der Geburt intubiert werden. Die operative Korrektur erfolgt in der Regel, sobald sich das Kind kardiorespiratorisch stabilisiert hat.
9.1.8
Abdomen
Ösophagusatresie Die häufigste Form der Ösophagusatresie ist der blind endende Ösophagus mit einer distalen Fistel zwischen Ösophagus und Trachea. Die Verdachtsdiagnose wird gestellt, wenn der Magen wiederholt nicht darstellbar ist. Die einzige andere
153 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
des Darms beschreibt. Ein Polyhydramnion ist bei Dünndarmatresien nur selten zu beobachten. Sonographisch fällt in seltenen Fällen eine Hyperechogenität des Darms auf, definiert durch eine mindestens gleich hohe Echogenität wie die Beckenknochen. Ursachen können verschlucktes Blut nach einer intraamnialen Blutung, eine fetale Infektion (Toxoplasmose, Zytomegalie), ein Vorzeichen einer fetalen Wachstumsrestriktion oder die Mukoviszidose sein. Chromosomale Aberrationen sollten ausgeschlossen werden, auch bei isolierten Befunden (Trisomie 21 in bis zu 42% bei assoziierten Anomalien, aber auch in 7% der Fälle bei isolierten Befunden).
Bauchwanddefekte . Abb. 9.24. Duodenalatresie mit »Double-bubble-Zeichen« und Polyhydramnion (Dürig u. Riao 2006)
Erklärung für die nicht gefüllte Magenblase ist eine neuromuskuläre Störung, die mit dem Schluckvorgang interferiert, was sehr selten auftritt. Häufig ist die Diagnose der Ösophagusatresie eine Ausschlussdiagnose, wobei es grundsätzlich möglich ist, den dilatierten, blind endenden Ösophagussack während des Schluckvorgangs darzustellen. Es muss daran gedacht werden, dass Begleitfehlbildungen in ca. 50% der Fälle vorliegen, wobei Herzfehler mit 25% am häufigsten sind (Robertson et al. 1994). Die Anomalien sind gehäuft in einer Form kombiniert, die als VACTERL-Assoziation (»vertebral, anorectal, cardiac, tracheo-esophageal fistula, esophageal atresia, renal and limb anomalies«) bekannt ist. Chromosomale Aberrationen liegen in 2–4% der Fälle vor. Eine invasive Diagnostik sollte daher bei Verdacht auf eine Ösophagusatresie angeboten werden.
Gastrointestinale Atresien Auf eine Duodenalatresie weist das »Double-bubble-Zeichen« hin, das durch den dilatierten Magen und das dilatierte proximale Duodenum verursacht wird (. Abb. 24). Vor der 20. SSW liegt häufig nur ein dilatierter Magen vor. Die Duodenalatresie wird im Verlauf durch ein Polyhydramnion kompliziert. Mehr als 50% der Feten mit Duodenalatresien haben Begleitfehlbildungen, darunter Herzfehler in 17–33%. Chromosomale Aberrationen sind häufig, wobei die Trisomie 21 mit 27–34% dominiert (Robertson et al. 1994). Atresien und Stenosen des Dünndarms sind am häufigsten im distalen Ileum und im proximalen Jejunum lokalisiert. Eine häufige Ursache ist die Mekoniumperitonitis, die als Folge einer Darmperforation vorkommt. Sonographische Zeichen der Mekoniumperitonitis sind intraabdominale Verkalkungen mit oder ohne Aszites. Eine weitere Ursache ist die Mukoviszidose. Zum Ausschluss dieser Diagnose empfiehlt sich eine Untersuchung beider Eltern. Eine unauffällige Gallenblase macht die Wahrscheinlichkeit einer Mukoviszidose, die eine Füllung der Gallenblase in ca. 75% der Fälle verhindert, unwahrscheinlich. Weitere Ursachen für eine Dünndarmobstruktion sind der Volvulus oder eine Invagination. Typisch für den Volvulus ist das sog. Whirlpool-Zeichen, das die spiralförmige Drehung
Bei der Omphalozele imponiert in der Mitte des Abdomens ein Bruchsack, der Magen, Darmschlingen oder Leber enthält. Die Nabelschnur mündet auf der Omphalozele (. Abb. 9.25). Assoziierte Fehlbildungen werden in 50–70% der Fälle gefunden. Als Cantrell-Pentalogie wird die Vorverlagerung von abdominalen und thorakalen Organen zusammen mit einem Zwerchfelldefekt und Herzfehlern bezeichnet. Das BeckwithWiedemann-Syndrom umfasst neben der Omphalozele eine Makroglossie und eine Viszeromegalie von Leber und Nieren. Es besteht eine Beziehung zwischen dem Omphalozeleninhalt und dem Karyotyp. Falls der Bruchsack klein ist und nur Darm enthält, liegen 4-mal häufiger chromosomale Aberrationen vor als in den Fällen, bei denen die Leber ebenfalls extrakorporal liegt (67 vs. 16%). Die Prognose wird im Wesentlichen durch Begleitfehlbildungen und chromosomale Aberrationen bestimmt. Zudem spielt die Größe der Omphalozele eine Rolle. Die postnatale chirurgische Versorgung, die manchmal in mehreren Schritten und unter Zuhilfenahme eines Silasticsacks durchgeführt werden muss, ergibt in der Regel zufriedenstellende Resultate. Eine Gastroschisis liegt in den meisten Fällen rechts vom Nabelansatz. Sonographisch stellen sich Darmschlingen dar, die außerhalb des Abdomens liegen und nicht von einer Membran bedeckt sind. Die Prognose der Gastroschisis wird allgemein als günstig eingeschätzt. Begleitfehlbildungen und Chromosomenanomalien sind im Gegensatz zur Omphalozele selten. In einigen Fällen kann es zum unerklärten intrauterinen Fruchttod kommen. Es wird deshalb eine engmaschige Ultraschallüberwachung ab der 32. SSW empfohlen. Verschiedene Autoren haben intrauterine Veränderungen der sonographischen Morphologie des Darms verfolgt. Bisher konnte jedoch keine eindeutige Korrelation zwischen dem Ausmaß der Dilatation bzw. der Wanddicke der extraabdominalen Darmschlingen und dem Outcome der Kinder gefunden werden. Die Entbindung sollte in einem perinatalen Zentrum stattfinden, um eine optimale Versorgung des Kindes sicherzustellen. Die Body-Stalk-Anomalie ist eine letale Anomalie, die mit einem großen Bauchwanddefekt, Extremitätenfehlbildungen, einer extrem kurzen Nabelschnur und einer extremen Verbiegung der Wirbelsäule einhergeht. Gelegentlich wird sie mit dem Amnionbandsyndrom verwechselt, das mit Amputationen, Enzephalozelen und ebenfalls einem großen Bauchwanddefekt assoziiert ist.
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154
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
a . Abb. 9.26. Unauffälliger Fuß im 2. Trimenon
9
. Abb. 9.27. Unauffällige Hand im 2. Trimenon b . Abb. 9.25a, b. Omphalozele (b 3-D-Darstellung)
9.1.9
Extremitäten
Obwohl die Femur- und die Humeruslänge wichtige Parameter für die Berechnung des Gestationsalters sind (. Abb. 9.26), wird den Extremitäten generell wenig Aufmerksamkeit zuteil (Dugoff et al. 2000). Die Hände sollten z. B. eingehend dargestellt werden (. Abb. 9.27, 9.28), falls eine fetale Fehlbildung vermutet wird, da sie bei vielen Syndromen und Aneuploidien mitbetroffen sein können (. Abb. 9.33). Beispielsweise sind die Flexion und Überkreu-
zung des 2. und 3. Fingers mit der Trisomie 18 assoziiert. Bei der Trisomie 21 ist das Mittelglied des kleinen Fingers häufig hypoplastisch.
Klumpfüße Diese Anomalie gehört zu den häufigsten kongenitalen Fehlstellungen (. Abb. 9.29). In 50% der Fälle sind beide Seiten betroffen, und es liegen weitere Fehlbildungen vor. Klumpfüße treten familiär, im Rahmen von chromosomalen Aberrationen (am häufigsten Trisomie 18) und genetischen Syndromen vor. Ein Klumpfuß kann auch als Folge eines Bewegungsmangels (Neuralrohrdefekt, fetale neuromuskuläre Störungen) entstehen. Nicht zuletzt kann eine Störung des Bindegewebes (Arthrogryposis) ursächlich sein.
155 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
a
. Abb. 9.28. Gesicht und Hand im 2. Trimenon im 3-D-Oberflächenmodus
Die pränatale Diagnose wird gestellt, wenn auf einem Frontalschnitt durch den Unterschenkel der Fuß in einem Längsschnitt zur Darstellung kommt. Die Mehrheit der betroffenen Kinder kann konservativ behandelt werden. Ein chirurgisches Vorgehen ist meistens nur bei sehr ausgeprägter Supination und Adduktion notwendig, was pränatal sonographisch gut diagnostizierbar ist.
Verkürzte Extremitäten Verkürzte Extremitäten können bezüglich der Ursache eine Herausforderung darstellen. Mehr als 100 äußerst seltene Fehlbildungskomplexe können infrage kommen, und eine definitive Klassifizierung der Skelettdysplasien aufgrund der pränatalen sonographischen Befunde ist nicht immer möglich. Tipp Wird der Femur bei der Routineuntersuchung zu kurz gemessen (<10. Perzentile), sollten alle anderen Extremitäten ebenfalls gemessen werden.
Sind nur die proximalen Röhrenknochen (Femur oder Humerus) zu kurz, so spricht man von einer Rhizomelie. Sind hauptsächlich die distalen Gliedmaßen betroffen (Tibia, Fibula, Radius, Ulna), entspricht dies einer Mesomelie. Bei der Mikromelie sind sowohl die distalen als auch die proximalen Röhrenknochen zu kurz. Neben der Längenmessung sollte auch eine Untersuchung auf eventuelle Brüche oder Verbiegungen (. Abb. 9.30) erfolgen. Ebenso kann der Mineralisierungsgrad sonographisch beurteilt werden. Zusätzlich sollten
b . Abb. 9.29. Klumpfuß (b 3-D-Darstellung)
beide Hände und Füße auf eventuelle Abweichungen der Zahl der Finger und Zehen hin untersucht werden. Tipp Nach der genauen Untersuchung der Gliedmaßen sollte die Beurteilung des Thorax erfolgen, da viele letale Skelettfehlbildungen mit einer Thoraxhypoplasie einhergehen. Die Berechnung der Ratio Abdomenumfang/Thoraxumfang ist hierfür sinnvoll, ebenso wie eine Sagittaleinstellung, um einen glockenförmigen Thorax ausschließen zu können (. Abb. 9.31).
9
156
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
Hauptmerkmale sind kurze gebogene Femora, ein großer Kopf und eine vorgewölbte Stirn. Die Intelligenz bei betroffenen Kindern ist normal.
Thanatophore Dysplasie Die thanatophore Dysplasie tritt meist sporadisch auf. Sie ist die häufigste letale Skelettanomalie. Typische sonographische Zeichen sind: Makrozephalie, enger Thorax mit kurzen Rippen, stark verkürzte und verbogene Diaphysen des Femurs und des Humerus. Man unterscheidet zwischen 2 Formen: 4 Typ 1 hat eine normale Kopfform, platte Wirbelkörper, und die Form des Femurs entspricht dem typischen Bild eines Telefonhörers (. Abb. 9.30). 4 Typ 2 ist charakterisiert durch einen »Kleeblattschädel« und geraden Femora. Die Prognose ist bei beiden Formen infaust.
Ossifikationsrückstand
9
. Abb. 9.30. Verbogener Femur im klassischen Bild eines Telefonhörers als Zeichen einer thanatophoren Dysplasie
. Abb. 9.31. Glockenförmiger Thorax in midsagittaler Ebene: Thoraxhypoplasie
Außerdem umschließen die Rippen etwa 66% des Thoraxumfangs. Extrem kurze Rippen, die auf der 4-Kammer-BlickEbene nur 40% des Thoraxumfangs umfassen, sprechen für eine Skelettanomalie.
Achondroplasie Dieses Krankheitsbild tritt in 1 : 15.000 Schwangerschaften auf. Meistens handelt es sich um eine Spontanmutation bei sonst gesunden Eltern und unauffälliger Familienanamnese und ist die häufigste nicht letale Skelettfehlbildung. Hier sind nur die proximalen Gliedmaßen betroffen. Die Krankheit wird oft erst im 2. Trimenon diagnostiziert, da bis zu diesem Zeitpunkt das sonographische Bild nicht eindeutig ist. Die
Ein Ossifikationsrückstand kommt bei der Achondrogenesis, der Osteogenesis imperfecta Typ II und der Hypophosphatasie vor. Charakteristisch für die Achondrogenesis sind eine dünne, verformbare Schädelkalotte und die ungewöhnlich gute Darstellung der Hirnstrukturen sowie eine mehr oder weniger ausgeprägte Verkürzung der Diaphysen. Bei der Hypophosphatasie ist im Gegensatz zur Achondrogenesis die Wirbelsäule nicht so stark betroffen. Die seltene Achondrogenesis kommt in 2 Formen vor, die beide letal sind. 4 Typ IA: autosomal-rezessive Vererbung; verminderte Ossifikation der Schädelkalotte und der Wirbelsäule, extreme Mikromelie und multiple Rippenfrakturen 4 Typ IB: normale Ossifizierung der Rippen- und der Schädelknochen, verminderte Ossifizierung der Wirbelsäule und der langen Gliedmaßen 4 Typ II: Symptome sind weniger ausgeprägt Die Prognose ist jedoch in allen Formen infaust. Es gibt 4 Formen der Osteogenesis imperfecta. Jede hat ihre eigenen spezifischen Merkmale und andere Auswirkungen auf den Feten. Typ 2 ist letal und kommt am häufigsten vor. Typ 1 ist die schwächste Variante. Im Ultraschallbild wirft der fetale Schädel keinen oder kaum akustischen Schatten, und die Hirnstrukturen lassen sich dementsprechend ungewöhnlich klar darstellen. Der Schädel lässt sich allein durch das Gewicht des Ultraschallkopfs eindrücken. Multiple Frakturen der langen Röhrenknochen sind darstellbar, und die Rippen erscheinen perlschnurartig.
Kombination von kurzen Rippen und Polydaktylie Eine Gruppe von Skelettdysplasien ist durch die Kombination von kurzen Rippen mit einer Polydaktylie gekennzeichnet. Zu diesen Syndromen, die alle autosomal-rezessiv vererbt werden, gehören die: 4 asphyxierende Thoraxdysplasie (Jeune), 4 chondroektodermale Dysplasie (Ellis van Creveld)
157 9.1 · Ultraschall im 2. Trimenon
4 Short-rib-Polydaktyliesyndrome 5 Typ I (Saldino-Noonan), 5 Typ II (Majewski), 5 Typ III (Naumoff), 5 Typ IV (Beemer-Lanser). Die Prognose ist in den meisten Fällen, v. a. wegen der begleitenden Lungenhypoplasie, infaust. Bei belasteter Anamnese ist pränatal eine gezielte Diagnostik möglich.
Andere Anomalien der Extremitäten Fehlbildungen der langen Extremitäten beschränken sich nicht allein auf deren pathologische Länge. Es kann aufgrund eines amniotischen Bandes zu Amputationen (. Abb. 9.32) oder isolierten transversalen Störungen (6 : 10.000 Geburten) kommen. Verschiedene Knochen können fehlen, wie z. B. bei der Femur-, Tibia- oder Radiusaplasie. Letztere ist gelegentlich mit dem Thrombozytopenie-fehlender-Radius-Syndrom (TAR) assoziiert. Zu der Vielzahl von arthrogrypotischen Syndromen zählen die Arthrogryposis multiplex congenita (. Abb. 9.33) und das Pterygium-Syndrom. Eine Radiusaplasie ist mit vielen Begleitanomalien verbunden, z. B. mit Herzfehlern (Holt-Oram-Syndrom) und mit einer kongenitalen Thrombozytopenie (TAR).
9.1.10
. Abb. 9.32. Amputation des linken Armes aufgrund eines amniotischen Bandes
Fruchtwasser, Nabelschnur und Plazenta
Die Fruchtwassermenge kann entweder durch die Bestimmung des größten vertikalen Fruchtwassersees, die Berechnung des Fruchtwasserindex (FWI), durch die 4-QuadrantenTechnik und/oder die subjektive Abschätzung beurteilt werden. Der meist angewandte Cut-off-Wert für den kleinsten vertikalen Pool liegt bei 2 cm. Von einem Polyhdramnion spricht man hingegen, wenn ein Pool von >8 cm vorhanden ist. Beim FWI wird der Uterus in 4 Quadranten eingeteilt und der jeweils größte Pool in die Berechnung miteinbezogen. Ein FWI von >20 cm bedeutet ein Polyhydramnion. Die heute empfohlene Methode ist die Bestimmung des größten vertikalen Fruchtwassersees, da die 4-Quadranten-Methode zur Überdiagnose eines Oligohydramnions und zu häufigeren Geburtseinleitungen führt ohne Verbesserung des kindlichen Outcomes (Magann et al. 2001, 2007; Nabhan u. Abdelmoula 2009).
Oligohydramnion Die häufigsten Ursachen für ein Oligohydramnion sind fetale Nierenfehlbildung, eine Wachstumsrestriktion (IUWR), der Blasensprung (. Abb. 9.34) oder eine Normvariante. Die häufigste mit einem Oligohydramnion assoziierte Nierendysplasie ist die infantile polyzystische Nierendegeneration. Diese Erkrankung manifestiert sich am Ende des 2. Trimenons mit bilateral vergrößerten, einheitlich hyperechogenen Nieren. Sie betrifft immer beide Nieren. Begleitfehlbildungen oder chromosomale Aberration sind nicht gehäuft. Die Kinder sterben kurz nach der Geburt an einer Lungenhypoplasie oder einem
. Abb. 9.33. Arthrogryposis multiplex congenita in 3 D
9
158
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
. Abb. 9.34. Oligohydramnion bei vorzeitigem Blasensprung
. Abb. 9.36. Polyhydramnion bei Gestationsdiabetes
Die Obstruktion des unteren Harntrakts durch Urethralklappen ist eine ungewöhnliche, jedoch problematische Ursa-
9
che für ein Oligohydramnion. Dabei ist der gesamte Trakt oberhalb der Urethra dilatiert (. Abb. 9.35). Handelt es sich um eine Teilobstruktion, ist die Prognose gut, insbesondere wenn die Nieren keine Zeichen einer dysplastischen Veränderung zeigen (hyperechogenes Nierenparenchym mit kleinen subkortikalen Zysten). Bei einer entstehenden IUWR kann es aufgrund einer plazentaren Minderdurchblutung auch zu einem Oligyhydramnion kommen. Dabei findet eine Zentralisation des Kreislaufs auf Kosten der peripheren Organperfusion, insbesondere der Nieren, statt. Eine Verringerung des renalen Plasmaflusses führt zu einer geringeren Urinproduktion und somit zu einem Oligohydramnion. Eine weitere häufige Ursache für eine verminderte Fruchtwassermenge – nach Ausschluss einer Fetopathie – ist der vorzeitige Blasensprung.
. Abb. 9.35. Obstruktion des unteren Harntrakts durch Urethralklappe
Nierenversagen. Gelegentlich werden hyperechogene, große Nieren bei normalem oder sogar vermehrtem Fruchtwasser gefunden. Eine andere Ursache für das stark ausgeprägte Oligohydramnion ist die Nierenagenesie. Diese ist oftmals schwer zu diagnostizieren. Sonographische Leitsymptome sind das Anhydramnion und die nicht darstellbare fetale Harnblase. ! Die Nebennieren, die bei Agenesie der Nieren vergrößert sind und eine ovale Form annehmen, dürfen nicht mit den Nieren verwechselt werden. Die Unterscheidung gelingt anhand der fehlenden Kapsel und Nierenbecken.
Mithilfe der Farbdopplersonographie kann zudem das Fehlen der Nierenarterien nachgewiesen werden.
> Nicht das Oligohydramnion selbst, sondern vielmehr dessen Ursachen stellen somit eine Gefahr für den Feten dar. Am schlimmsten wirkt sich ein ausgeprägtes Oligohydramnion im 2. Trimenon aus, wenn die Entwicklung der Lungen erfolgt. Ohne Fruchtwasser in den fetalen Atemwegen kommt es zur pulmonaren Hypoplasie.
Polyhydramnion Die Kombination von Polyhydramnion und makrosomem Fetus (AU/KU >1) machen einen Gestationsdiabetes wahrscheinlich (. Abb. 9.36). Weitere Ursachen für ein Polyhydramnion sind eine gastrointestinale Obstruktion oberhalb des Ileums, eine Fehlbildung des ZNS oder eine Aneuploidie.
Nabelschnur Die Trisomie 13 und 18 sind die einzigen Chromosomenanomalien, die bei einer singulären Nabelschnurarterie zu erwarten sind (Persutte u. Hobbins 1995). Das Risiko einer Trisomie
159 9.2 · Fetale Magnetresonanztomographie (MRT)
ist allerdings bei sonographisch unauffälliger Sonoanatomie nicht signifikant erhöht und kein Grund für eine Amniozentese. Eine Nabelschnurumschlingung impliziert keinerlei nachgewiesene negative Auswirkung auf das fetale Outcome (Gonzalez-Quintero et al. 2004). Somit sollte der Befund keine therapeutische Konsequenz nach sich ziehen.
Plazenta Eine Placenta accreta kommt in 10% der Fälle von Placenta praevia vor, verglichen mit einer Wahrscheinlichkeit von 4 : 10.000 bei normal sitzender Plazenta (Clark et al. 1985; Benirschke u. Baergen 2006). Bei Zustand nach Sectio steigt die Wahrscheinlichkeit auf 40%. Plazentare Lakunen in Nähe einer Sectionarbe geben oft den besten Hinweis auf eine Placenta accreta (Comstock 2005), die ansonsten aufgrund der oftmals schlechten Abgrenzbarkeit des Myometriums, im Gegensatz zu einer Placenta increta und percreta, nur schwer zu diagnostizieren ist (Becker et al. 2001; Taipale et al. 2004).
9.2
Fetale Magnetresonanztomographie (MRT) W. Blaicher, D. Prayer
Die MRT hat eine höhere Weichteildifferenzierung als der Ultraschall. Die typischen Ursachen eingeschränkter sonographischer Bedingungen wie mütterliche Adipositas, Oligohydramnion oder ungünstige fetale Lage spielen eine untergeordnete Rolle. Die Entwicklung sog. ultraschneller MRT-Sequenzen ermöglichte die deutliche Verkürzung der Akquisition einer Bildserie auf ca. 30 s, sodass die Bildqualität durch fetale Bewegungen nur selten beeinträchtigt wird (Levine et al. 1996). Die Hauptindikationen für die fetale MRT sind Fehlbildungen. Weitere Indikationen sind vorzeitiger Blasensprung, Wachstumsrestriktion, Mehrlingsschwangerschaften, bekannte genetische Defekte und gelegentlich maternale Erkrankungen, die einen Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft nehmen können. Die postnatale Therapieplanung kann durch die Zusatzuntersuchung mittels fetaler MRT zeitgerecht optimiert werden.
9.2.1
Methode
Untersuchungsgang Je nach Gestationsalter erfolgt die Lagerung der Schwangeren in Rücken- oder Seitenlage. Um die Position des Fetus zu bestimmen, erfolgt zunächst eine Suchersequenz. Im Anschluss daran erfolgt ein Referenz-Scan, um im weiteren Verlauf der Untersuchung parallele Bildgebung zu ermöglichen. Weitere Sequenzen werden unter der Annahme geplant, dass sich der Fetus noch dort befindet, wo er unmittelbar vorher war. Ein Standardprotokoll umfasst T2-gewichtete Sequenzen in 3 orthogonalen Ebenen des fetalen Kopfes, sagittale und frontale T2-gewichtete Schichten durch den fetalen Körper sowie frontale T1- und Steady-state-free-precession-Sequenzen durch den fetalen Rumpf. In vielen Fällen müssen jedoch noch zusätzliche Ebenen und Sequenzen akquiriert werden (Brugger et al. 2006). Derzeit wird mit ungefähr 15 unterschiedlichen Sequenzen gearbeitet. Die Abbildung einer Schicht dauert ca. 1 s, die Schichtdicke beträgt je nach Gestationsalter und untersuchter Region 0,3–5 mm. Eine Sequenz dauert ca. 20–30 s. Die Gesamtuntersuchungsdauer beträgt ca. 30 min. Diese Zeit ergibt sich durch die korrekte Einstellung aller gewünschten Ebenen und Sequenzen sowie der Wiederholung mancher Sequenzen wegen eingeschränkter Bildqualität, die z. B. durch fetale Bewegungen zustande kommen kann. Die Untersuchung mittels fetaler MRT ist ca. ab SSW 18 sinnvoll.
Neue Methoden Inzwischen sind dynamische Sequenzen mit 7 und mehr Bildern pro Sekunde möglich, bei denen fetale Bewegungen aufgezeichnet werden können (z. B. Schluckakt, Zwerchfellexkursionen, Darmperistaltik oder komplexe motorische Bewegungsmuster). T2-gewichtete Sequenzen mit 10– 50 mm Schichtdicke vermitteln einen dreidimensionalen Eindruck. Vielversprechend ist die Diffusions-Tensor-Bildgebung, bei der durch die Darstellung einzelner Faserzüge die Entwicklung von Hirnbahnen nachvollzogen werden kann (»fiber tracking«; . Abb. 9.37). Mekonium zeigt auf T1-gewichteten Sequenzen ein typischerweise hyperintenses Signal und gilt somit als natürliches Kontrastmittel, welches eine nichtinvasive Kolonographie ermöglicht. Durch Nachbearbeitung der Bilder entsteht ein dreidimensionaler Eindruck; Darmfehlbildungen können so besser nachvollzogen werden (Brugger et al. 2006).
Sicherheit und Risiken Der fetalen MRT liegt der Aufbau eines Magnetfeldes zugrunde. Im Gegensatz zu Röntgenuntersuchungen oder Computertomographie kommen keine ionisierenden Strahlen zum Einsatz. Bisher wurden keine schädigenden Einflüsse auf den Fetus nachgewiesen (De Wilde et al. 2005; Kok et al. 2004).
Kontraindikationen Die Kontraindikationen sind wie bei jeder anderen MRT-Untersuchung Klaustrophobie, metallische Implantate und ein Gewicht >130 kg (Goh et al. 1999).
9.2.2
Einsatzgebiete
Eingeschränkte sonographische Untersuchungsbedingungen Bei Verdacht auf Fehlbildung ist die Zusatzuntersuchung mittels fetaler MRT bei eingeschränkten sonographischen Untersuchungsbedingungen sinnvoll. Insbesondere bei Oligohydramnion wird die MR-Beurteilbarkeit nicht beeinträchtigt. Zudem ist hier eine Untersuchung der Lungenreife (Volumetrie und Signalmessung) angezeigt (Levine et al. 1999).
9
160
9
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
. Abb. 9.37. Fetus mit Wachstumsrestriktion bei Plazentainsuffizienz in SSW 22. Mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung kann durch die Darstellung einzelner Faserverbindungen die Entwicklung von
Hirnbahnen nachvollzogen werden (»fiber tracking«). Die kortikospinalen und thalamokortikalen Verbindungen sind regulär ausgebildet
Feten mit Fehlbildungen und geplanter postnataler Intervention
Entzündungen oder Traumata) des fetalen ZNS zusammen. Stoffwechselerkrankungen sind am ehesten dann erfassbar, wenn sie auch zu morphologischen Veränderungen führen, wie z. B. Pyruvatdehydrogenasemangel oder Zellweger-Syndrom. Die unterschiedlichen Ursachen sowie das Vorliegen oder der Ausschluss assoziierter Fehlbildungen geben Hinweise auf die Prognose und das Wiederholungsrisiko. Die gleichzeitige Beurteilung von morphologischen Veränderungen in der konventionellen fetalen MRT, Bewegungsmustern in der dynamischen MRT sowie die Darstellung einzelner Faserzüge in der Diffusions-Tensor-Bildgebung ermöglichen Rückschlüsse auf die neurologische Entwicklung des Fetus.
> Der Untersuchungsgang mittels postnataler statt fetaler MRT ist deutlich aufwendiger. Das oftmals hämodynamisch instabile Neugeborene muss für die postnatale MRT sediert und transportiert werden.
Im Rahmen der postnatalen MRT werden zudem häufig nur einzelne Organsysteme abgebildet – durch die Darstellung des ganzen Fetus im Rahmen der fetalen MRT können assoziierte Fehlbildungen beurteilt oder ausgeschlossen werden, eine Syndromzuordnung ist somit besser möglich. Bei Vorliegen einer fetalen MRT kann die interdisziplinäre Planung des Prozederes zeitgerecht und in Ruhe erfolgen. Zudem wird postnataler Zeitverlust durch weiterführende MR-Diagnostik vermieden (Blaicher et al. 2004).
Schwerwiegende fetale Fehlbildungen mit geplanter vorzeitiger Schwangerschaftsbeendigung Bei fetalen Fehlbildungen, bei denen aufgrund des Schweregrades der Ausprägung eine vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung geplant ist, fungiert die fetale MRT als unabhängige »zweite Meinung«. Sowohl für den Pränataldiagnostiker als auch für die werdenden Eltern ist dieser psychologische Aspekt nicht außer Acht zu lassen. Zudem kann die fetale MRT anstatt oder als Ergänzung zur Autopsie durchgeführt werden. Im Rahmen der Autopsie kann insbesondere die Beurteilung des fetalen Gehirns durch fortgeschrittene Autolyse erschwert oder sogar unmöglich sein.
9.2.3
Typische Indikationen
Auffälligkeiten im Bereich des ZNS Neurologische Indikationen (. Abb. 9.37–9.38) setzen sich aus vermuteten anlagebedingten Fehlbildungen und erworbenen Störungen (hypoxisch-ischämische Ereignisse, Blutungen,
Thorakoabdominelle Fehlbildungen Meist liegen thorakoabdominelle Fehlbildungen isoliert vor (. Abb. 9.40), jedoch können sie auch mit ZNS-Fehlbildungen im Sinn eines Syndroms vergesellschaftet sein. Sonographische Auffälligkeiten lassen in manchen Fällen keine Organzuordnung zu. Die bessere Weichteilauflösung der MRT kann somit bei der Diagnose behilflich sein. > Die erste Wahl zur Beurteilung von Herzfehlern ist die Sonographie im Sinn einer dynamischen Untersuchungsmethode. Da jedoch gehäuft mit wahrscheinlich hämodynamisch bedingten sekundären ZNS-Veränderungen wie periventrikulärer Leukomalazie zu rechnen ist, stellen fetale Herzfehler ebenfalls eine Indikation zur MRT dar.
Vorzeitiger Blasensprung Die verminderte Fruchtwassermenge nach vorzeitigem Blasensprung stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die Lungenentwicklung dar. Bei Schwangerschaften mit vorzeitigem Blasensprung werden daher das fetale Lungenwachstum mittels Volumetrie und die Lungenreife durch Analyse des Signalverhaltens des Lungenparenchyms erfasst (Brewerton et al. 2005; Keller et al. 2004). Zudem werden die fetale
161 9.2 · Fetale Magnetresonanztomographie (MRT)
. Abb. 9.38. Fetus mit Ventrikulomegalie aufgrund einer Aquäduktstenose in SSW 23. Die zugrunde liegende Ursache einer Ventrikulomegalie, wie z. B. Blutung oder Aquäduktstenose, kann häufig mittels fetaler MRT diagnostiziert werden. Zudem ist die Beurteilung assoziierter Fehlbildungen, wie z. B. Balkenmangel, und die Beurteilung der Hirnreife durch Darstellung der kortikalen Faltung sowie
der Entwicklung des Hirnparenchyms zur Einschätzung der Prognose von Bedeutung. Die Pfeilspitze auf der sagittalen T2-gewichteten Sequenz markiert den im distalen Bereich nicht mehr durchgängigen Aquädukt. Die koronale Schicht zeigt den Hydrozephalus internus, die axialen Schichten den Hydrozephalus mit verschlossenem Aquädukt
. Abb. 9.39. Fetus mit Lissenzephalie in SSW 27. Die sonographische Diagnose Lissenzephalie ist schwierig; die Feten fallen häufig lediglich durch Mikrozephalie auf. Da die Lissenzephalie sporadisch auftreten kann, aber auch verschiedenste Erbgänge möglich sind, wird bei belasteter Anamnese eine fetale MRT empfohlen. Auf den
T2-gewichteten Sequenzen sind wesentliche Gyri und Sulci (Gyrus temporalis superior, Zentralregion, Gyrus cinguli) nicht ausgebildet. Das Corpus callosum wirkt hypoplastisch. Die axiale diffusionsgewichtete Sequenz zeigt nur teilweise eine erhaltene Laminierung des fetalen Gehirns
Gehirnentwicklung und der Reifezustand der grauen und weißen Substanz beurteilt. Kleinere Blutungsareale, Infarkte oder Leukomalazie, die bei extremer Frühgeburtlichkeit gehäuft auftreten, können dargestellt werden. Die Entscheidung, im Fall einer Geburt »alles für das Kind zu tun« oder dem Kind evtl. »comfort care« zukommen zu lassen, wird erleichtert.
Mehrlingsschwangerschaften
Fetale Wachstumsrestriktion Die morphologische Beurteilung der Plazentastruktur im Sinn von Infarzierungen oder Einblutungen ist bei fetaler Wachstumsrestriktion von Bedeutung (Gowland 2005; . Abb. 9.37). Zudem erfolgt die Beurteilung des fetalen Gehirns im Hinblick auf Hirnreife, Blutungsareale, Infarkte, Leukomalazie sowie die Lungenentwicklung. Dennoch stehen bei der Beurteilung der fetalen Wachstumsrestriktion die sonographischen Dopplerströmungsmessungen und Wachstumskontrollen im Vordergrund.
Bei Mehrlingsschwangerschaften werden v. a. die Plazentastruktur und -verteilung beurteilt (Huisman et al. 2005). Insbesondere bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften, die das Risiko des fetofetalen Transfusionssyndroms in sich bergen, ist diese Untersuchung sinnvoll. Feten, die sich eine Plazenta teilen, sind auch in späteren Schwangerschaftsstadien gefährdet, Schäden zu erleiden, die die zerebrale Entwicklung mitbetreffen können (Lopriore et al. 2003). Zusätzlich werden die Gehirnstruktur und die Lungenentwicklung beurteilt. Weiterhin kann die Auswirkung auf die Feten nach Laserkoagulation der Shuntgefäße dargestellt werden.
Bekannte genetische Defekte, bei denen Auffälligkeiten in der MRT zu erwarten sind Idealerweise liegen bei bekannten genetischen Defekten (. Abb. 9.39) molekulargenetische Befunde des Indexpatienten vor, die eine invasive pränatale Diagnostik mittels Cho-
9
162
Kapitel 9 · Fehlbildungsdiagnostik im 2. Trimenon
a
9
b
. Abb. 9.40. Fetus mit linksseitiger Zwerchfellhernie in SSW 25. Für die Art des therapeutischen Vorgehens und die Prognose der fetalen Zwerchfellhernie ist v. a. die Volumetrie des funktionellen Lungengewebes von Bedeutung. Die Entscheidung über Austragen oder Abbruch der Schwangerschaft sowie evtl. intrauterine Therapie mittels Ballonkatheter oder die Planung der postnatalen Therapie mit even-
tueller Notwendigkeit einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) werden von der MR-Diagnose beeinflusst. Die sagittale T2-gewichtete Schicht ermöglicht die detaillierte Beschreibung der Bruchsackanatomie. Die axiale T2-gewichtete Schicht ermöglicht die Identifizierung der hypoplastisch komprimierten Lunge (Pfeilspitzen), das Herz ist an die Thoraxwand gedrängt
rionzottenbiopsie oder Amniozentese ermöglichen. In vielen Fällen ist dies jedoch nicht der Fall, entweder weil die der Krankheit zugrunde liegende Mutation nicht bekannt ist oder weil eine solche Untersuchung nicht veranlasst wurde, z. B. weil der Indexpatient gestorben ist oder weil am ehesten von einem sporadischen Fall auszugehen ist. In diesen Fällen steht im Rahmen einer neuerlichen Schwangerschaft letztendlich nur die bildgebende Diagnostik zur Verfügung (Jeng et al. 2001).
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9
10 10 Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden O. Lapaire, S. Hahn 10.1
Einleitung – 166
10.2
Methoden zur Chromosomenzahlbestimmung – 166
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
Traditionelle Zytogenetik – 166 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) – 167 Quantitative fluoreszierende PCR (qPCR) – 168 Real-time-PCR (Echtzeit-PCR) – 169
10.3
Pränatale Diagnostik mittels PCR – 170
10.4
Präimplantationsdiagnostik und Polkörperchendiagnostik – 170
10.5
Nichtinvasive Methoden – 171
10.5.1 10.5.2
Fetale Zellen im mütterlichen Blut – 171 Zirkulierende fetale DNA – 172
10.6
Ausblick – 172 Literatur – 173
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
166
Kapitel 10 · Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden
In den letzten Jahren hat sich durch den gezielten Einsatz von innovativen molekularbiologischen Methoden wie der Polymerasekettenreaktion (PCR) und der Fluoresenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) die Pränataldiagnostik methodisch erweitert. Der Goldstandard der Pränataldiagnostik bleibt allerdings heute noch die klassische Chromosomenuntersuchung. Die sich entwickelnden Methoden erlauben die Analyse von Chromosomenstörungen und monogenen Erkrankungen auch in einzelnen Zellen und stellen die Grundlage für eine Präimplantationsund Polkörperchendiagnostik dar. Auch sind große Fortschritte in der nichtinvasiven und somit risikofreien Diagnostik von fetalen genetischen Veränderungen erzielt worden, v. a. durch die PCR-Untersuchung von zellfreier fetaler DNA im mütterlichen Plasma, womit jetzt die ersten kommerziellen klinischen Tests für das Erfassen des fetalen Rhesusstatus in Schwangerschaften mit einer Rhesuskonstellation angeboten werden. Die Fortschritte stimmen optimistisch, dass viele Methoden, die aktuell in der Forschung geprüft und weiterentwickelt werden, einmal in der Zukunft im klinischen Alltag eingesetzt werden können.
10.1
10
Einleitung
Die heute routinemäßig angebotene pränatale Diagnostik zwecks Ausschluss von fetalen Aneuploidien und Malformationen ist seit den 1970er Jahren in der Klinik etabliert. Bei der invasiven Diagnostik muss jedoch das Abortrisiko von heute 0,5–1% mitberücksichtigt werden. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb Forschungsgruppen weltweit nach neuen, effektiven, risikofreien und verlässlichen Methoden sowie zusätzlichen Markern für ein pränatales Screening und für die pränatale Diagnostik suchen (Holzgreve 1997). Diese umfassen einerseits die Anreicherung und Analyse fetaler Zellen aus mütterlichem Blut, andererseits die PCR-Analyse von im mütterlichen Kreislauf zirkulierender zellfreier fetaler DNA (Holzgreve u. Hahn 2001). Weiterhin ermöglichen die dabei entwickelten Methoden auch eine genetische Analyse von Blastomerzellen in der Präimplantationsdiagnostik sowie die indirekte genetische Analyse von Oozyten bei IVF mittels Polkörperchendiagnostik. Eine Verknüpfung der Disziplinen der pränatalen Medizin, insbesondere der Ultraschalldiagnostik, der medizinischen Genetik, Biochemie und Geburtshilfe führen zu einem raschen Austausch vieler neuer Errungenschaften zwischen Labor und Klinik.
10.2
10.2.1
Methoden zur Chromosomenzahlbestimmung Traditionelle Zytogenetik
Chromosom Ein menschlicher Chromosomensatz besteht aus 23 Chromosomenpaaren: 22 Autosomenpaare und einem Gonosomenpaar, das geschlechtsbestimmend ist. Das männ-
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liche Geschlecht wird durch das Vorliegen eines Y-Chromosoms bestimmt – in der Karyotypformel dargestellt als 46,XY –, während das weibliche Geschlecht 2 X-Chromosomen hat und als 46,XX bezeichnet wird.
Abweichungen von der normalen Chromosomenzahl, sog. Aneuploidien, sind die häufigsten Chromosomenanomalien. Dabei wird das Vorliegen von 3 Kopien eines Chromosoms als Trisomie, das Fehlen eines Chromosoms, also das Vorliegen nur einer Kopie, als Monosomie bezeichnet. Aneuploidien sind die häufigste Ursache für einen intrauterinen Fruchttod. Die Karyotypformel für Aneuploidien beschreibt neben der Chromosomenanzahl und dem Geschlecht spezifisch die vorliegende Aberration, z. B. ein zusätzliches oder fehlendes Chromosom (z. B. 47,XX,+21 oder 45,XX,–18). Aneuploidien sind bis auf wenige Ausnahmen nicht mit dem Leben vereinbar, dazu gehören das Down-Syndrom (Trisomie 21), das Pätau-Syndrom (Trisomie 13) und das Edwards-Syndrom (Trisomie 18) als autosomale Trisomien und alle gonosomalen Trisomien (47,XXY(Klinefelter-Syndrom), 47,XXX oder 47,XYY). Aufgrund der schwerwiegenden Fehlbildungen haben Patienten mit Trisomie 13 oder 18 nur eine geringe Überlebenschance, gonosomale Trisomien zeigen keine körperlichen Fehlbildungen und werden oft nur im Lebensverlauf diagnostiziert oder als Nebenbefund in der pränatalen Chromosomenuntersuchung festgestellt. Trisomien der Chromosomen 7 und 16 sind mit einem Spontanabort assoziiert. Die einzige mögliche lebensfähige Monosomie ist das Turner-Syndrom (45,X). Die Ursache für die steigende Inzidenz kindlicher Aneuploidien ist das höhere mütterliche Alter, das zu einer Zunahme der Fehlverteilung der Chromosomen in der mütterlichen Meiose führen kann. Bei einem mütterlichen Alter von 35 Jahren ergibt sich ein Risiko für eine Trisomie 21 von 1:249 zum Zeitpunkt des Ersttrimesterscreenings. Es steigt im Alter von 42 Jahren auf 1:38 an. Seit Ende der 1990er Jahre ist das frühe Screening mit 11–14 Schwangerschaftswochen (SSW) verfügbar, das unter Zugrundelegung des mütterlichen Alters, der sog. Nackentransparenz (NT) und von biochemischen Markern die Entdeckungsrate für Chromsomenanomalien deutlich verbessert. > Das Ersttrimesterscreening ist gegenwärtig der wichtigste Screeningparameter zur individuellen Risikoabschätzung für Chromosomenstörungen.
Neben der standardisierten Untersuchungstechnik sollte größter Wert auf die ausführliche Information und Beratung der Schwangeren sowie auf die Qualitätssicherung gelegt werden. Durch die Verbesserung der individuellen Risikospezifizierung mittels Sonographie, biochemischen Markern und dem mütterlichen Alter können unnötige invasive Untersuchungen vermieden und ihre Zahl insgesamt deutlich reduziert werden (Ekelund et al. 2008). Um den Chromosomensatz mittels konventioneller Zytogenetik zu bestimmen, wird während des Zellzyklus das Sta-
167 10.2 · Methoden zur Chromosomenzahlbestimmung
. Abb. 10.1. Karyogramm eines Fetus mit Trisomie 21. Dieses Karyogramm entstand nach einer Amniozytenkultur. Die Chromsomenbanden wurden mit Giemsa-Färbung sichtbar gemacht
dium maximaler Chromosomenkondensation, die sog. Metaphase, künstlich arretiert. An diesen Chromosomen kann mittels verschiedener Farbstoffe (z. B. Quinacrin für Q-Banden, Giemsa für G-Banden) ein charakteristisches Bandmuster erzeugt werden, das es erlaubt, die 23 Chromosomenpaare im Lichtmikroskop voneinander zu unterscheiden. Neben den genannten numerischen Aberrationen können auch strukturelle Aberrationen im Rahmen der Bänderungs- und lichtmikroskopischen Auflösung, z. B. Translokationen oder Deletionen und Duplikationen mittels dieser Färbungen erkannt werden (. Abb. 10.1). > Karyotypisiert werden kann aus allen Geweben, die aktiv sich teilende Zellen enthalten oder deren Zellen sich zur Teilung anregen lassen (z. B. Lymphozyten aus Blut, Hautfibroblasten).
In der Pränataldiagnostik besteht die Schwierigkeit, eine Gewinnung und Kultivierung fetaler Zellen ohne Schädigung des Fetus zu erreichen. Dies wurde ermöglicht durch die Etablierung der Amniozentese, bei der etwas Fruchtwasser durch eine unter Ultraschallkontrolle durchgeführte Punktion ab der 15+0. SSW gewonnen werden kann. Durch diese Methode konnte 1968 erstmals die Diagnose eines Down-Syndroms gestellt werden (Valenti et al. 1968). Seither hat sich die invasive Diagnostik zum Goldstandard entwickelt, an der andere Methoden der Pränataldiagnostik gemessen werden. Ein ge-
wisser Nachteil dieser Methode ist, dass das Kultivieren der Amniozyten sehr langwierig ist, wodurch die Karyotypisierung erst mehrere Tage nach dem Eingriff durchgeführt werden kann. Eine Alternative zur Amniozentese ist die Chorionzottenbiopsie, bei der ab der 11+0. SSW eine Probe des Zottengewebes der sich entwickelnden Plazenta entnommen wird. Weiterhin zu beachten ist das mögliche Vorliegen eines auf die Plazenta beschränkten Chromosomenmosaiks. Sowohl der Eingriff als auch die Chromosomenpräparation und Auswertung erfordern ein Team von Spezialisten. Darum wird diese Untersuchung nicht in allen Zentren angeboten. Bei bestimmten Indikationen (z. B. therapeutische Chordozentese bei fetaler Alloimmunthrombozytopenie) kann auch eine Chordozentese zur Gewinnung einer fetalen Blutprobe durchgeführt werden, bei der im späten 2. Trimenon etwas Blut aus der Nabelschnur entnommen wird.
10.2.2
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)
Die oben diskutierten konventionellen zytogenetischen Verfahren sind im klinischen Alltag als Goldstandard fest etabliert. Sie sind jedoch zeitaufwendig und erfordern einen hohen personellen Einsatz spezialisierten Personals.
10
168
Kapitel 10 · Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden
genomweite Analyse darstellen. Strukturelle Aberrationen können nicht dargestellt werden. Aufgrund der Gefahr eines falsch negativen Resultats im FISHSchnelltest wird die Forderung unterstrichen, dass ein FISH-Schnelltest obligat an eine konventionelle Chromosomenanalyse zu koppeln ist.
Zudem muss eine Verfälschung des Resultats durch eine maternale Kontamination ausgeschlossen werden. Eine Weiterentwicklung der FISH-Technologie ist das sog. Whole-Chromosomen-Painting (WCP) oder M-FISH (Multicolor-FISH) (Ried et al. 1998). Bei diesem Verfahren können
10
. Abb. 10.2. FISH-Analyse an einer fetalen Zelle, die aus dem mütterlichen Blut angereichert wurde. Im Gegensatz zu den mitisolierten mütterlichen Zellen mit 2 grün gefärbten X-Chromosomen zeigt die fetale männliche Zelle neben einem X-Chromosom ein rot gefärbtes Y-Chromosom
Die Möglichkeit, rekombinant hergestellte Chromosomenfragmente mit Fluoreszenzfarbstoffen (z. B. FITC, Rhodamine) zu konjugieren, erlaubt unter beschränkten Fragestellungen auch die Chromosomenanalyse ruhender Interphasezellen (. Abb. 10.2). Die sog. FISH-Sonden werden in situ direkt auf die Zellkernchromosomen hybridisiert, wobei sich je nach Sondencharakter verschiedene Bereiche der Chromosomen für unterschiedliche Fragestellungen analysieren lassen: Man unterscheidet Zentromersonden zur Detektion von Aneuploidien der Chromosomen 13,18, 21, X und Y sowie lokusspezifische sondenspezifische Chromosomenabschnitte [Mikrodeletionen, z. B. DiGeorge-Syndrom (22q11)]. Unterdessen werden auch FISH-Schnelltests für die Analyse von unkultivierten Amniozyten kommerziell angeboten (Eiben et al. 1998), mit denen die 5 häufigsten numerischen Chromosomenaberrationen, betreffend die Chromosomen 13, 18, 21, X und Y, diagnostiziert werden können. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass ein Ergebnis innerhalb von 24 h nach der Amniozentese geliefert werden kann. Somit kann in gewissen Fällen bei Paaren, die ein erhöhtes Risiko für eine fetale Chromosomenstörung haben, ein schnelles, jedoch vorläufiges Ergebnis erzielt und so die mit Ängsten besetzte Zeit bis zum Ergebnis der Karyotypisierung reduziert werden. ! Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese FISH-Sonden nur spezifische Chromosomenloci markieren können und nicht wie der Karyotyp eine
6
gleichzeitig alle 24 Chromosomen (1–22, X, Y) in unterschiedlichen Farben dargestellt werden. Dies geschieht mit Hilfe von FISH-Sonden, die über die gesamte Länge des Metaphasechromosoms binden und es dadurch einheitlich färben. Eine ähnliche Technologie ist die spektrale Karyotypisierung (SKY) (Schröck et al. 1996). Statt 5 Aufnahmen mit verschiedenen Farbfiltern und deren Überlagerung wie bei MFISH wird bei SKY nur ein Digitalbild des M-FISH-Präparats mittels Spektralphotometrie aufgenommen und anschließend mittels Fourier-Transformation analysiert. Dabei wird das fluorimetrische Spektrum jedes einzelnen Bildpixels mit Hilfe eines Interpherometers vermessen. Die Daten werden zur Erstellung eines pseudofarbigen Bildes, auf dem alle Chromosomen zu erkennen sind, ausgewertet. Anwendung finden beide Techniken v. a in der Tumorzytogenetik, nicht jedoch in der Pränataldiagnostik. Als weitere Methode haben array-basierte Verfahren wie die komparative genomische Hybridisierung (CGH) (Lapaire et al. 2007), eine hochauflösende fluoreszenzbasierte Methode, bei der Dosisabweichungen (Deletionen und Duplikationen) des zu untersuchenden Genoms vs. ein Referenzgenom detektiert werden, bei bestimmten Fragestellungen Einzug gehalten.
10.2.3
Quantitative fluoreszierende PCR (qPCR)
Polymerasekettenreaktion (PCR) Die Entwicklung der Polymerasekettenreaktion (PCR) ist eine der bedeutendsten Innovationen der modernen Molekularbiologie (Mullis et al. 1986). Bei diesem Verfahren wird eine bestimmte Gensequenz durch wiederholte Reaktion mit einer DNA-Polymerase tausendfach amplifiziert. Dies ermöglicht die Untersuchung von DNA-Sequenzen aus nur wenigen oder sogar aus nur einer einzelnen Zelle.
Zur numerischen Chromosomenanalyse können Mikrosatelliten benutzt werden, auch STR (»short tandem repeats«) genannt, die über das gesamte Genom verteilt auftreten (Verma et al. 1998). Einzelne Mikrosatelliten sind durch ihre spezi-
169 10.2 · Methoden zur Chromosomenzahlbestimmung
. Abb. 10.3. Quantitative fluoreszente PCR-Analyse für fetale Aneuploidien. In dieser Untersuchung wurde ein Mikrosatellitenlokus auf Chromosom 3 analysiert, das auf eine Trisomie 3 hindeutet, in dem 3 individuelle Loci amplifiziert wurden
fische Position auf den Chromosomen definiert und bestehen aus sich wiederholenden kurzen Nukleotidsequenzeinheiten, deren Wiederholungsanzahl sich interindividuell unterscheiden kann. Bei polymorphen Mikrosatelliten mit vielen unterschiedlichen Längenallelen ist es sehr wahrscheinlich, dass verschiedene Individuen und auch beide Kopien desselben Chromosoms eines Individuums unterschiedliche Wiederholungsanzahlen zeigen und sich daher geringfügig in der Größe unterscheiden. Da die DNA-Sequenzen, die einen bestimmten Mikrosatelliten flankieren, sehr spezifisch für den gegebenen Marker sind, können diese STR-Allele leicht PCR-amplifiziert und analysiert werden. Zur fetalen Chromosomenanalyse werden zuvor vom fraglichen Chromosom die elterlichen STR-Allele aus dem Blut typisiert, um ihre Anwesenheit anschließend im fetalen Gewebe zu analysieren. Die Länge der amplifizierten Allele wird mit einem automatischen Sequenzierer bestimmt, der es ermöglicht, PCR-Produkte zu differenzieren, die sich nur in einem Nukleotid unterscheiden. Durch diese Analyse ist es möglich, das Chromosomenkomplement zu bestimmen. So unterscheidet sich die Analyse eines aneuploiden Chromosomensatzes von einem normalen Chromosomensatz insofern, dass 3 anstelle von 2 STR-Markern vorhanden sind. Dies wird entweder sichtbar durch 3 verschiedene STR-Allele (. Abb. 10.3) oder durch die doppelte Menge eines der STR-Allele.
. Abb. 10.4. Quantitative Echtzeit-PCR-Analyse für RhD-Homooder -Heterozygotie. Diese Echtzeit-PCR für den RhD-Genlocus erlaubt die Diskriminierung zwischen 1 und 2 Kopien des RhD-Gens
. Abb. 10.5. Quantitative Echtzeit-PCR-Analyse für Trisomie 21. Diese Echtzeit-PCR für einen Genlocus in der Down-Region auf Chromosom 21 erlaubt die Diskriminierung zwischen einen normalen Karyotyp und dem Vorhandensein eines zusätzlichen Chromosoms 21
Studienbox Da diese Methode ebenfalls sehr schnell in einem automatischen Verfahren erfolgt, hat sie sich als Konkurrenz zum FISH-Schnelltest etabliert und auch in diversen großen Studien ihre Verlässlichkeit erwiesen (Mann et al. 2001; Verma et al. 1998). Sie hat aber auch deutlich die Limitierungen gezeigt (Evans MI et al. 1999).
10.2.4
Real-time-PCR (Echtzeit-PCR)
Eine neue Methode zur Bestimmung fetaler Aneuploidien beruht auf der sog. Echtzeit-PCR (»real time PCR«; Heid et al. 1996). Bei dieser PCR-Methode wird die Menge der amplifizierten Sequenz nach jedem Zyklus der PCR-Reaktion einzeln über Fluoreszenzmessung analysiert, was eine präzise Rück-
quantifizierung der Menge an Ausgangsprodukt im Bereich der exponentiellen PCR-Phase ermöglicht. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Methode zwischen einer oder zwei Kopien eines bestimmten Gens oder Genprodukts unterscheiden kann. So kann im Fall einer Rhesus-D-Homozygotie des Vaters im Vergleich zu einer Heterozygotie die doppelte Menge an Rhesus-D-Erbgut nachgewiesen und so die Gefahr einer Rhesus-D-Inkompatibilität frühzeitig erfasst werden (. Abb. 10.4; Chiu et al. 2001; Li et al. 2005). Ebenso kann z. B. der 50%ige Anstieg an Erbgut bei einer Trisomie gezeigt werden (Zimmermann et al. 2002). Derzeit beschränkt sich der Einsatz dieses Tests noch auf Chromosom 21, zukünftig soll er aber auch auf die anderen wichtigen Chromosomenstörungen erweitert werden (. Abb. 10.5). Aufgrund fehlender Studien steht eine Anwendung dieser Tests in der Klinik noch aus.
10
170
Kapitel 10 · Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden
. Abb. 10.6. Einzelzellen-PCR-Untersuchung für das fetale RhesusD-Gen und das Y-Chromosom in fetalen Zellen, die aus dem mütterlichen Blut isoliert wurden. In dieser Untersuchung wurden 3 unterschiedliche Zellen analysiert. Die G-Bahnen zeigen ein β-GlobinGenfragment, das mit der PCR amplifiziert wurde. Da dieses Gen in allen Zellen vorhanden ist, dient es als Kontrolle für die PCR-Reaktion und um sicherzustellen, dass tatsächlich eine Zelle im PCR-Reagenz-
10.3
10
Pränatale Diagnostik mittels PCR
Die konventionelle Zytogenetik mit einer Auflösung von 5– 10 Mio. Basenpaaren eignet sich nicht für die Untersuchung von monogenen Erkrankungen, die auf Veränderungen (Mutationen) in einzelnen Erbanlagen (Genen) beruhen. Die Entwicklung der PCR hat die molekulargenetische Diagnostik revolutioniert, indem sie ermöglichte, anhand sehr kleiner Mengen von Gewebe, sogar an einzelnen Zellen, in kurzer Zeit DNA-Sequenzen bis auf die Genauigkeit eines Basenpaars zu untersuchen. Bei der Diagnostik des fetalen Rhesus-D-Status sollte bei einem Rhesus-negativen Kind und einer Rhesus-negativen Mutter kein PCR-Produkt amplifiziert werden, da diesen Individuen das Rhesus-D-Gen generell fehlt (. Abb. 10.6). Davon abzugrenzen ist die Anwesenheit des sehr homologen Rhesus-CE-Gens, wobei auch zusätzlich Sequenzunterschiede zwischen diesen beiden Genen zur Diskriminierung herangezogen werden können.
gefäß vorhanden war. Die R- und Y- Bande deuten auf die PCR-Amplifikation des Rhesus-D-Gens und des Y-Chromosoms hin. Die ersten 3 Bahnen (1G, 1Y, 1R) zeigen, dass eine mütterliche Zelle untersucht worden war, da nur das Kontrollgen (β-Globin) amplifiziert wurde. Bahnen 2G-2R zeigen die Analyse einer männlichen Rhesusd-Zelle, während die Bahnen 3G-3R auf einen männlichen Rhesus-DFetus hindeuten
Zur Analyse von Genmutationen kann entweder die automatische PCR-Sequenzanalyse, die die veränderten Nukleotidsequenzen erfasst (. Abb. 10.7), oder – falls die Mutation sehr häufig ist – eine allelspezifische PCR durchgeführt werden (Newton et al. 1989). Letztere Methode – auch ARMS(»amplification refractory amplification system«-)PCR genannt – erlaubt die Diskriminierung zwischen gesunden und mutierten Allelen. Mutationsanalysen für bekannte Gene wie z. B. bei Mukoviszidose und β-Thalassämie sind auf diese Weise möglich. Die ARMS-PCR findet in der Geburtshilfe Anwendung, um zwischen den zwei sehr ähnlichen Kell-K- und kell-k-Allelen zu diskriminieren, da diese zwei Allele sich nur in einem Nukleotid unterscheiden. Sind nur flankierende Sequenzen von krankheitsrelevanten Genen bekannt, dann kann eine Mutationsanalyse evtl. indirekt über eine familiäre Haplotypenanalyse durchgeführt werden (. Abb. 10.6 und 10.7). Voraussetzung für diese Untersuchungen ist das Vorhandensein von reinem fetalem Gewebe ohne Verunreinigung durch mütterliches Material, das u. U. eine Fehldiagnose zur Folge hätte. Durch die sehr hohe Empfindlichkeit der PCR können schon kleinste Verunreinigungen das Resultat beeinträchtigen.
10.4
. Abb. 10.7. Automatische PCR-DNA-Sequenzierung für eine Mutation im β-Globin-Gen. Die Sequenzanalyse zeigt das Vorhandensein eines Polymorphismus der Nukleotidbase 193, wo sowohl ein C als auch ein T (=N) vorhanden sind. Das TAG (Basen 193–195) führt zu einem frühzeitigen Stoppkodon. Da nur ein mutiertes Allel vorhanden ist, ist die untersuchte Person heterozygoter Träger für eine β-Thalassämie
Präimplantationsdiagnostik und Polkörperchendiagnostik
Frühere Experimente in Tiermodellen haben gezeigt, dass die Entnahme von 1–2 Einzelzellen aus einem Präimplantationsembryo im 6- bis 10-Zell-Stadium sich nicht nachteilig auf die spätere Entwicklung des Fetus auswirkt (Hardy et al 1990). Da sowohl die FISH- als auch die PCR-Methode die Untersuchung einzelner Zellen erlaubt (Hahn et al. 2000), ist die Präimplantationdiagnostik (PID) – abhängig von der Gesetzgebung – zur Realität geworden. Sie ist in der Klinik eine mögliche Option bei Paaren, die Träger schwerer Erbkrankheiten sind.
171 10.5 · Nichtinvasive Methoden
Studienbox Die erste Studie bezüglich der klinischen Machbarkeit einer PID wurde von Handyside et al. (1989) in London durchgeführt. Sie bestimmten bei Paaren mit einem erhöhten Risiko für X-chromosomale genetische Störungen, wie z. B. die Duchenne-Muskeldystrophie, das fragile X-Syndrom oder die Hämophilie A das Geschlecht des Fetus vor der Implantation.
Inzwischen ist es möglich, monogene Erkrankungen durch PCR-Analyse vor der Implantation festzustellen, z. B. autosomal dominante Störungen wie Chorea Huntington, aber auch rezessive Erkrankungen wie Mukoviszidose, Hämoglobinopathien und die Tay-Sachs-Erkrankung (Wells u. Delhanty 2001). Als weitere Möglichkeit bietet sich bei der IVF, die z. B. bei einem erhöhten mütterlichen Alter, einer Fertilitätsstörung oder bei bekanntem Risiko für eine Erbkrankheit durchgeführt wird, die sequenzielle Untersuchung einzelner Zellen durch FISH mit anschließender genspezifischer PCR an, um die Implantation eines aneuploiden Fetus zu verhindern (Hahn et al. 2000). Obwohl weltweit schon mehrere hundert dieser Untersuchungen durchgeführt worden sind (Verlinsky et al. 2004), bleibt diese Methode den Hochrisikofällen vorbehalten, da es sich um technisch sehr anspruchsvolle und nur in wenigen Laboratorien durchführbare Untersuchungen handelt. Folglich erweisen sich die Ängste, diese Technik könne zu einer »Flut an Designer-Babys« führen, als unbegründet. Die Gesetzgebung in Deutschland verbietet die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik. Eine eingeschränkte Alternative bietet die sog. Polkörperchendiagnostik, welche die während der Oozytenteilung entstehenden Polkörperchen zur genetischen Analyse heranzieht. Dieses indirekte Verfahren untersucht nur das genetische Komplement der Eizelle, sodass Aberrationen in der Eizelle selbst nicht zu 100% ausgeschlossen werden können. Weiterhin wird nur der mütterliche Beitrag zur Zygote untersucht, und der enge Zeitplan einer IVF/ICSI lässt nur wenig Zeit für die technisch anspruchsvolle Untersuchung.
10.5
Nichtinvasive Methoden
10.5.1
Fetale Zellen im mütterlichen Blut
Derzeit stehen nur invasive Verfahren wie die oben beschriebene Amniozentese oder die Chorionzottenbiopsie als klinisch etablierte Methoden für die Gewinnung von fetalem Gewebe zur Pränataldiagnostik zur Verfügung. Beide bergen jedoch Risiken für Mutter und Kind, weshalb aktiv nach sicheren nichtinvasiven Alternativen geforscht wird (Holzgreve 1997). Eine Möglichkeit ist die selektive Anreicherung intakter fetaler Zellen aus mütterlichem Blut (Holzgreve u. Hahn 2001), deren Vorhandensein schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist (Lapaire et al. 2007). Das seltene Vorkommen (1 in 106–107
mütterlichen Zellen mit Zellkern) erschwert jedoch ihre gezielte Isolation und Analyse (Holzgreve u. Hahn 2001). Die magnetaktivierte Zellsortierung (MACS; Radbruch et al. 1994) unter Verwendung von Antikörpern gegen die spezifischen Oberflächenproteine CD71 und Glycophorin A zeigte in einer Multizenterstudie eine effizientere Anreicherung fetaler Erythroblasten als die fluoreszenzaktivierte Zellsortierung (FACS; Hulett et al. 1969; Bianchi et al. 2002). Neueste Anreicherungstechniken wie mittels Soybean-agglutinin-galactose-spezifischem Lectin, beschrieben von Kitagawa et al. (2002), resultieren im Vergleich zu MACS in 8fach höheren Erythroblastenzahlen (Babochkina et al. 2005a). Die fetalen Erythroblasten – Erythrozyten mit Zellkern – erscheinen als ideale Zielzellen, da sie früh in der Entwicklung im fetalen Blut vorkommen und recht spezifische Antigene exprimieren, die ihre Erkennung und Anreicherung vereinfachen. Gegenüber fetalen Lymphozyten haben sie eine kurze Lebensdauer, was verhindert, dass fetale Zellen aus vorherigen Schwangerschaften in die Untersuchung miteinbezogen werden (Hahn et al. 1998). Mittels FISH und PCR können einzelne Zellen erfasst und rasch fetale Aneuploidien und monogene Erkrankungen diagnostiziert werden (Hahn et al. 1999; Troeger et al. 1999).
Studienbox Die vielversprechenden Ergebnisse haben die amerikanische Gesundheitsbehörde (National Institutes of Health; NIH) veranlasst, eine groß angelegte Multizenterstudie zu fördern, die zum Ziel hat, die Wirksamkeit dieser Technologien im Vergleich zu den herkömmlichen invasiven Methoden zu belegen (Bianchi et al. 2002). Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass das fetale Geschlecht und eine fetale Aneuploidie mit einer Spezifität entdeckt werden kann, die einem einzelnen Serummarker gleichkommt. Technische Fortschritte sind notwendig – so die Autoren – dass diese Technik sich im klinischen Alltag etablieren kann (Bianchi et al. 2002). Ähnliche Ergebnisse wurden bei der Erfassung von fetalen Genen während der Schwangerschaft, wie dem fetalen Rhesus-D-Gen, dem SRY-Lokus auf dem Y-Chromosom oder dem β-Globin-Locus bei der Thalassämie erzielt (Troeger et al. 1999; Di Naro et al. 2000).
Im adulten Organismus sind Erythroblasten auf das Knochenmark beschränkt, jedoch wandern sie in der Schwangerschaft auch in den Blutkreislauf ein, sodass die aus dem maternalen Blut isolierten Erythroblasten eine Mischpopulation fetaler und mütterlicher Herkunft darstellen. Fetale Erythroblasten exprimieren intrazelluläre Proteine wie das fetale Hämoglobin, oder Oberflächenantigene (z. B. Transferrinrezeptor, Blutgruppenantigene), die zur Detektion und Anreicherung genutzt werden können. Vor der genetischen Analyse muss also eine Abklärung zum Ursprung der vorliegenden Erythroblasten stehen, wobei ca. 50% maternaler Herkunft sind (Troeger et al. 1999). Noch sind keine Erythroblastenantigene mit rein fetaler Spezifität bekannt, die
10
172
Kapitel 10 · Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden
eine Unterscheidung direkt während der Anreicherung ermöglichen würden. Weiterhin haben neuere Studien gezeigt, dass fetale Erythroblasten gegenüber maternalen Erythroblasten mittels FISH nur bedingt analysierbar sind (Mergenthaler et al. 2005). Dies wird u. a. auf die fetale Erythroblastenmorphologie, induziert durch unterschiedliche O2-Konzentrationen in fetalem und mütterlichem Blutkreislauf, zurückgeführt. (Babochkina et al. 2005b). Diese Methoden zur fetalen Zellanalyse sind derzeit noch zu arbeitsintensiv und langwierig, um sie in der Routinediagnostik einsetzen zu können. Die Ausarbeitung effizienter und automatischer Anreicherungsmethoden sowie spezielle softwaregesteuerte Mikroskope zur schnelleren und automatischen Auffindung und Relokalisation der Erythroblasten sind notwendig (Oosterwijk et al. 1998).
10.5.2
10
Zirkulierende fetale DNA
Seit Jahrzehnten ist das Vorhandensein zellfreier zirkulierender Desoxyribonukleinsäure (DNA) bekannt (Anker u. Stroun 2000), was stark an Bedeutung gewonnen hat durch die Entdeckung zellfreier Tumor-DNA im Plasma von Krebspatienten (Chen et al. 1996). Diese DNA scheint ein Abbauprodukt des apoptotischen Zelltodes zu sein. Angeregt durch die Ähnlichkeiten der Plazenta mit Tumoren konnten Lo et al. (1997) zeigen, dass zellfreie fetale DNA im Kreislauf von Schwangeren vorhanden ist. Die Arbeitsgruppe konnte mit der Bestimmung des Y-Chromosoms männlicher Feten demonstrieren, dass fetale DNA im mütterlichen Blut in einer viel höheren Konzentration vorhanden ist als fetale Zellen. Mittels quantitativer PCR konnten hohe mittlere Konzentrationen an fetaler DNA (bis zu 6,2% der totalen DNA) in der frühen und späten Schwangerschaft nachgewiesen werden. Wie auch bei den Erythroblasten in maternalem Blut ist es bei der zellfreien DNA ein Gemisch aus fetaler und maternaler DNA. Daher ist die Analyse von fetalen Genloci, die im maternalen Genom nicht vorhanden sind (Y-Chromosom und Rhesus-D-Gen bei Rhesus-D-negativen Schwangeren; Lo et al. 1999; Zhong et al. 2001a, b), einfacher als z. B. die Analyse von Punktmutationen in Genen, die auch in der mütterlichen DNA vorliegen. Der Test zur Rhesusabklärung wird aufgrund seiner hohen Genauigkeit bereits in mehreren Zentren kommerziell angeboten. Aufgrund von unterschiedlichen Varianten des RHD-DGens ist eine sog. »Multiplex-PCR« notwendig, in der verschiedene Regionen des Rhesus-D-Gens amplifiziert werden. Eine Deletion des Rhesus-D-Gens ist die häufigste Form bei Rhesus-D-negativen Kaukasierinnen. Im Gegensatz dazu trägt z. B. die Mehrheit der Rhesus-D-negativen afrikanischen Patientinnen ein Pseudogen (RHDψ) oder ein (C)cdes-Allel. In beiden Allelen sind Rhesus-D-spezifische Sequenzen vorhanden. Aufgrund der Anwesenheit eines Stoppkodons RHDψ) oder des Ersatzes der Rhesus-D-spezifischen Sequenzen bei Rhesus-CE-spezifischen Sequenzen ([C]cdes) sind keine feststellbaren D-Epitope auf den Erythrozyten vorhanden. Diese Sonderformen müssen bei der Muliplex-PCR mit-
berücksichtigt werden, um eine Sensitivität von >99% zu erreichen (Lapaire et al. 2008). Um die fetale DNA auch für in der Mutter ähnlich vorliegende Gensequenzen spezifisch untersuchen zu können, werden aktuell die Möglichkeiten zur Unterscheidung beider zellfreier DNA untersucht, um Parameter zu identifizieren, die die selektive Anreicherung der fetalen DNA erleichtern. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass >90% der fetalen zellfreien DNA in Fragmenten <0,3 kb vorliegen, wohingegen die mütterlichen Fragmente im Durchschnitt wesentlich >1 kb sind (Li et al. 2004). Nach Größenabtrennung der fetalen DNA aus dem DNA-Gesamtgemisch konnten mütterliche bzw. väterliche ererbte STR leicht detektiert werden (Li et al 2004). Weiterhin konnten, basierend auf dieser fetalen DNA-Anreicherung, mittels allelspezifischer PCR mit 93,8% Spezifität und 100% Sensitivität fetale β-Thalassämiemutationen (Li et al. 2005a) ebenso wie ein Fall mit einer fetalen Achondroplasiemutation nachgewiesen werden (Li et al. 2005b).
Studienbox Die fetale DNA lässt sich mittels der oben erwähnten Echtzeit-PCR sehr genau quantifizieren (Lo et al. 1998). Studien unseres Labors und anderer Forschungsgruppen haben gezeigt, dass die Menge an zellfreier fetaler DNA erhöht ist bei Schwangerschaften mit gewissen Aneuploidien, wie bei der Trisomie 21, nicht aber bei der Trisomie 18 (Lo et al. 1999; Zhong et al. 2000). Weiterhin zeigt sich eine Erhöhung der zellfreien DNA bereits im 2. Trimenon bei Schwangerschaften, in denen sich später eine Präeklampsie entwickelt (Leung et al. 2001; Zhong et al. 2001b). Dies deutet darauf hin, dass die Quantifizierung der zellfreien fetalen DNA im mütterlichen Blut als zusätzlicher Marker in der Schwangerschaft dienen könnte (Holzgreve u. Hahn 1999).
10.6
Ausblick
Mit Sicherheit werden Neuentdeckungen in der Molekularbiologie weiterhin Einzug in die Pränatalmedizin halten. So wurde z. B. die potenzielle Anwendbarkeit der Chip-Technologie, die eine parallele Untersuchung mehrerer tausend Gene auf Dosisabweichungen oder analog vieler Proben erlaubt, für die nichtinvasive Pränataldiagnostik bereits gezeigt (Cremonesi et al. 2004, Lapaire et al. 2007b). Ebenso konnte erst kürzlich die erfolgreiche Anwendung der Massenspektometrie zur nichtinvasiven Analyse fetaler Punktmutationen nachgewiesen werden (Ding et al. 2004). Gegenüber den Schwierigkeiten in der Analyse fetaler Zellen aus maternalem Blut zeigen diese Studien an fetaler zirkulierender DNA große technische Fortschritte, die ihren zukünftigen Einsatz in der nichtinvasiven Pränataldiagnostik ermöglichen sollten, allerdings sind auch hier noch weitere Optimierungen und Standardisierungen notwendig. Die Grundlagenforschung aller dieser Studien hat auch zu neuen Kenntnissen geführt, z. B. der erhöhte Übertritt von
173 Literatur
fetalen Zellen in den maternalen Kreislauf bei Präeklampsie (Holzgreve et al. 1998, 2001) sowie die unterschiedliche Erythroblastenmorphologie in beiden Blutkreisläufen (Babochkina et al. 2005b). Somit werden durch diese neuen Technologien nicht nur das Erfassen genetischer Merkmale für die Diagnostik, sondern auch andere Bereiche der Pränatalmedizin wesentlich beeinflusst. Die Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet stimmen optimistisch, dass der gezielte Einsatz von geschlechtsunabhängigen Markern zur Identifikation von zellfreier fetaler DNA (z. B. spezifische DNA-Methylierungsmuster; Chan et al. 2006), oder die weitere Verfeinerung der PCR-Technik (Sikora et al. 2009) letztlich zu einem klinischen Einsatz führen werden.
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10
174
10
Kapitel 10 · Pränatale Diagnostik: Molekularbiologische Methoden
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11 11 Physiologie des mütterlichen Organismus U. Lang, P. Husslein, R. Ahner, D. Bikas 11.1
Veränderungen des äußeren und inneren Genitales – 176
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4
Vulva, Vagina, Perineum – 176 Uterus – 176 Tuben – 179 Ovarien – 179
11.2
Mammae – 179
11.3
Kardiovaskuläre Veränderungen – 179
11.4
Hämatologische Veränderungen – 182
11.5
Niere, Harntrakt, Wasserhaushalt – 183
11.6
Respirationstrakt – 184
11.7
Intermediärer Stoffwechsel – 184
11.8
Adipositas – 185
11.9
Gastrointestinalsystem und Leber – 186
11.10
Endokrines System – 187
11.11
Psychische Veränderungen – 188 Literatur – 190
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
176
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
Die Schwangerschaft ist ein passagerer, normaler, aber veränderter physiologischer Zustand des weiblichen Organismus. Eine Schwangerschaft erfordert eine Reihe von physiologischen, anatomischen, psychischen und sozialen Adaptationsvorgängen, um dem Fetus optimale Voraussetzungen für sein Heranwachsen zu schaffen. Solche Adaptationsvorgänge können die maternale Reaktion auf Erkrankungen verändern oder die Grundlage schwangerschaftsspezifischer Erkrankungsrisiken darstellen. Die Anpassung erfolgt, um den Anforderungen der kindlichen Entwicklung und Ernährung gerecht zu werden und um im Rahmen der Geburt an den Geburtsvorgang adaptieren zu können. Der mütterliche Organismus verändert sich daher nicht nur im Bereich der Genitalorgane, sondern auch in sämtlichen anderen Organsystemen. Kreislauf, Nieren- und Lungenfunktion, Stoffwechsel und endokrine Regulation sind hierbei hervorzuheben. Von der normalen, physiologischen Adaptation muss die unphysiologische, pathologische Adaptation unterschieden werden. Nur bei Kenntnis der physiologischen Veränderungen kann diese sicher erkannt und dem Ungeborenen und seiner Mutter eine adäquate Betreuung gegeben werden. Normale schwangerschaftsbedingte Vorgänge im gesunden mütterlichen Organismus sollen nicht als krankhaft fehlinterpretiert, Gefahrenmomente frühzeitig erkannt und ein Teil der schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen als Entgleisung verstanden werden.
11 11.1
Veränderungen des äußeren und inneren Genitales
11.1.1
Vulva, Vagina, Perineum
Während der Schwangerschaft nehmen die Gefäßversorgung sowie die Durchblutung von Haut und Muskulatur des Perineums und der Vulva zu. Die Vaskularisierung betrifft in einem sehr hohen Ausmaß die Vagina und führt zu ihrer charakteristischen Violettverfärbung (Chadwick-Zeichen). Die Mukosa der Vagina nimmt an Dicke zu, die Grundsubstanz lockert sich auf, und die glatte Muskulatur hypertrophiert nahezu in derselben Intensität wie im Bereich des Uterus. Durch die Zunahme des venösen Drucks kann es bei Prädisposition zur Ausbildung sehr großer schmerzhafter Varizen kommen. Die Scheidensekretion nimmt im Rahmen der Gravidität zu; dies resultiert aus einer vermehrten Umwandlung von Glykogen in Milchsäure durch das Bakterium Lactobacillus acidophilus. Das Sekret setzt sich aus Transsudat und abgeschilferten Epithelzellen zusammen. Bis zu 70% der Vaginalzytologien weisen ein Zellbild vom Navikulartyp auf, d. h., es finden sich Intermediärzellen mit bläschenförmigen Kernen und aufgefalteten Rändern. Seltener findet sich der sog. Östrogentyp mit Superfizialzellen. Sind große Mengen an Döderlein-Stäbchen vorhanden, so kann es zur Zytolyse kommen.
11.1.2
Uterus
Der Uterus erfährt im Lauf der Schwangerschaft eine morphologische Veränderung sowie einen tiefgreifenden Funktionswandel. Der nicht gravide Uterus wiegt etwa 70 g. In der Gravidität verwandelt er sich in ein dünnwandiges Organ, das dem Fetus, der Plazenta und dem Fruchtwasser Platz bieten muss, d. h., Adaptationsvorgänge ermöglichen es der Gebärmutter, das etwa 100Fache an Volumen aufzunehmen. In der Schwangerschaft verlängern sich die Muskelzellen und hypertrophieren; die Anzahl neu gebildeter Zellen ist jedoch begrenzt. Die Muskulatur der Gebärmutter ist in einem dreidimensionalen Scherengitter angelegt. Die einzelnen Schichten werden bezeichnet als 4 Stratum vasculare, 4 Stratum subvasculare und 4 Stratum supravasculare. Durch die Dehnung dieses Netzes kommt es zu einem enormen Flächengewinn mit gleichzeitiger Reduktion der Wanddicke. Mit Zunahme der Gebärmuttergröße erfolgt eine Vermehrung des Bindegewebes und dabei v. a. des elastischen Gewebes in der äußersten Muskelschicht. Auf diese Art und Weise wird ein Netz gebildet, das die Konsistenz des Fruchthalters erhöht. Parallel zur muskulären Zellhypertrophie kommt es auch zu einer massiven Vermehrung der Blut- und Lymphgefäße. Während der ersten Monate der Schwangerschaft ist die Muskelhypertrophie am ehesten durch hormonelle Stimuli, v. a. Östrogen und wahrscheinlich auch Progesteron, zu erklären. Die frühe Hypertrophie kann nicht allein durch eine mechanische Dehnung der Gebärmutter bedingt sein, denn gleiche Veränderungen finden sich auch bei ektopisch implantierten Schwangerschaften. Nach der 12. Woche ist die Vergrößerung des Uterus zu einem großen Teil durch das Wachstum des Gebärmutterinhalts mitbedingt. In den ersten Schwangerschaftsmonaten kommt es zuerst zu einer Dickenzunahme der Uteruswand, in der fortgeschrittenen Schwangerschaft dann zu ihrer schrittweisen Verdünnung. Am Termin ist die Muskulatur des Corpus uteri etwa 1,5 cm dick (oder sogar dünner). Die Zunahme der Gebärmuttergröße findet hauptsächlich im Bereich des Fundus uteri statt. In den ersten Schwangerschaftsmonaten finden sich die Tuben, Ovarien und die Ligg. rotunda knapp unterhalb des Fundusoberrandes, in den letzten Monaten nur noch etwas oberhalb der Uterusmitte. Auch die Lokalisation der Plazenta beeinflusst das Gebärmutterwachstum, denn derjenige Teil des Uterus, der die Plazenta umgibt, vergrößert sich schneller als das distale Myometrium. Uteruswachstum ist wie fetales und plazentares Wachstum perfusionsabhängig. > Die Gebärmutter durchläuft in der Schwangerschaft quantitatives und qualitatives Wachstum. Am Ende der 16. SSW beginnt der Fundus uteri bereits aus dem kleinen Becken über die Symphyse hinauszu-
6
177 11.1 · Veränderungen des äußeren und inneren Genitale
wachsen und ist somit etwa 1–2 Querfinger oberhalb der Schambeinfuge zu tasten. Ab diesem Zeitpunkt kann das Wachstum des Fetus neben Ultraschallmessung auch mittels Fundusstand beobachtet werden. Am Ende der 24. SSW erreicht der Fundus die Höhe des Nabels und findet sich in der 36. SSW hart am Rippenbogen, um sich dann in der 40. SSW wieder 1–2 Querfinger unterhalb des Rippenbogens zu senken.
Das in der Phase der Menstruation sehr aktive Myometrium ist in der Zeit der Schwangerschaft hauptsächlich hormonell ruhiggestellt (Csapo et al. 1963). Im Gegensatz zum Corpus uteri laufen die entscheidenden Veränderungen in der Cervix uteri, v. a. im Bindegewebe ab. Es kommt zur Erweichung und zu einer lividen Färbung der Zervix. Die Gründe für diese Umwandlungen sind die verstärkte Vaskularisation und die Ödembildung an der gesamten Cervix uteri sowie die Hypertrophie und Hyperplasie der zervikalen Drüsen. Der größte strukturelle Anteil setzt sich v. a. aus der Grundsubstanz und nicht aus Bindegewebefasern und glatten Muskelzellen zusammen, um eine bessere Auflockerung des Gewebes zu erreichen. Bis zum Geburtstermin verringert sich die Elastizität der kollagenen Fasern um das 12Fache der vorher bestehenden Festigkeit (Rechberger et al. 1988). Durch diese strukturellen Veränderungen ist die Muttermunderöffnung in einer relativ kurzen Zeit von einigen wenigen Stunden bis Tagen möglich. Bei der Zervixreifung scheint die Dehnung selbst mehr eine Folge einer veränderten Bindegewebequalität zu sein. Dies bedeutet, dass es durch den Abbau der Kollagenmoleküle und der Desintegration der Kollagenbündel mittels proteolytischer Enzyme (Uldbjerg et al. 1983) zur Eröffnung des Muttermunds kommen soll. Des Weiteren sind an der Zervixreifung Prostaglandine unmittelbar beteiligt (Rath et al. 1984). Die Schleimhaut der Cervix uteri hypertrophiert ebenfalls und ist oft als Schwangerschaftsektropium sichtbar. Dieses ektroponierte Gewebe ist verletzlich und kann bereits auf geringen Kontakt, wie z. B. bei Pap-Abnahme oder Geschlechtsverkehr, bluten. > Kurz nach der Konzeption wird die Cervix uteri durch einen Pfropfen verschlossen, der aus dickem Schleim besteht. Zu Beginn der Wehentätigkeit, wenn nicht sogar schon einige Zeit davor, erfolgt der Abgang dieses Schleimpfropfens. Da dem Schleimabgang häufig Blut beigemengt ist, suchen viele Frauen ärztliche Hilfe auf. Von gynäkologischer Seite wird der Prozess des Schleimabgangs als »Zeichnen« beschrieben.
Die Aufgabe des unteren Uterinsegments und der Zervix ist der schützende Verschluss des Cavum uteri. Während der Geburt wird der bis dahin passive Uterus zum aktiven Organ und dient der Austreibung. Die Cervix uteri wird weich und dehnbar und gehört während der Geburt gemeinsam mit dem unteren Uterinsegment, der Vagina und dem Beckenboden zum passiven Durchtrittskanal.
Die Wehen und damit die Erregungsbildung selbst entstehen multifokal im Myometrium und gehen von beliebigen Regionen aus. Der Nachweis eines Schrittmacherzentrums ist unsicher; man nimmt jedoch an, dass die Erregungen am Geburtsbeginn von den Tubenwinkeln herrühren. Um die entstandene Erregung weiterleiten zu können, gewinnt der Zuwachs an interzellulären Verbindungen, den »gap junctions«, maßgeblich an Bedeutung (Garfield et al. 1980). Durch eine Permeabilitätserhöhung für Natriumionen und die Permeabilitätsverminderung für Kaliumionen kommt es an den Schrittmacherzellen zu einer spontanen Depolarisation. Der nun folgende Kalziumeinstrom löst das Aktionspotenzial in den Zellen aus. Die Anzahl der Proteine Aktin und Myosin in den Muskelfibrillen nimmt im Lauf der Schwangerschaft zu (Hasselbach 1965). Durch Interaktion zwischen Kalziumionen und den genannten Proteinen erfolgt dann eine Muskelkontraktion. Unterschiedlichste Stoffe wie Progesteron, Östrogen, Prostaglandine und Oxytozin sind für die Kontraktion der Uterusmuskulatur ebenso wie für die Erregungsbildung von maßgeblicher Bedeutung. Bis kurz vor dem Geburtstermin wird dem Progesteron eine hemmende Wirkung auf die Gebärmuttermuskulatur zugeschrieben. Progesteron hyperpolarisiert die Zellmembran und drückt das Ruhepotenzial unter die normale Aktivierungsschwelle, ein Effekt, der nicht nur am Uterus, sondern an allen glatten Muskelzellen nachweisbar ist. Später kommt es durch die Erhöhung des Östrogenspiegels zu einer Zunahme der Oxytozinrezeptoren und damit zu einer erhöhten Oxytozinsensibilität. Die Wehentätigkeit selbst setzt erst durch das Zusammenspiel von Prostaglandinen mit Oxytozin ein (Husslein 1984).
Regulation der uterinen Durchblutung Eine adäquate uteroplazentare Perfusion während der gesamten Gestationsperiode ist eine Voraussetzung plazentaren und fetalen Wachstums. Grundlage der adäquaten uteroplazentaren Perfusion ist ein stetiger physiologischer Anstieg der uterinen Durchblutung mit zunehmendem Gestationsalter. Das kardiovaskuläre System der Mutter durchläuft während der Schwangerschaft grundlegende Veränderungen (7 Kap. 11.3). Der Anteil der Uterusdurchblutung am Herzminutenvolumen variiert von Spezies zu Spezies. Er beträgt beim Menschen bis zu 10%. Die arterielle Versorgung des Uterus wird über die beiden Aa. uterinae und die beiden Aa. ovaricae sichergestellt. Während der Schwangerschaft erfolgt eine beträchtliche Zunahme des Durchmessers der Aa. uterinae und der Spiralarterien. Die Uterusarterien und die Aa. ovaricae sind mit autonomen Nervenfasern reich versorgt. Insbesondere die adrenergen Fasern sind sowohl auf die großen Gefäße als auch auf die Abzweigungen verteilt. Dies bedeutet, dass der Uterus im Schock von der allgemeinen Zentralisation des Kreislaufs nicht ausgeschlossen wird, sondern das gesamte uterine Gefäßsystem an der Regulation des peripheren Widerstands im maternalen Organismus teilnimmt. Der venöse Abfluss des Uterus besteht aus einem kommunizierenden Plexus großer und kleiner Venen, die sich im Bereich der Plica lata sammeln und über den Plexus pampiniformis abfließen.
11
178
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
Die uterine Durchblutung ist dem Perufsionsdruck am Uterus direkt und dem uterinen Gefäßwiderstand indirekt proportional. Es gibt keinen experimentellen Hinweis auf eine Autoregulation des Uterus. Dies bedeutet, dass der Uterus selbst seinen Gefäßwiderstand nicht ändern kann, wenn die Durchblutung des Uterus abfällt. Allerdings nimmt der Uterus an der vaskulären Regulation des Gesamtorganismus teil. Beim hämorrhagischen Schock etwa wird eine Vasokonstriktion im uterinen Gefäßgebiet mit erhöhtem Gefäßwiderstand eintreten. Der venöse Rückstrom zum Herzen sinkt (hämorrhagischer Schock, V.-cava-Syndrom), sodass Herzminutenvolumen und Blutdruck absinken. Die Gegenregulation im Kreislauf führt zu einer Erhöhung des peripheren Widerstands, wodurch diese Blutdrucksenkung teilweise oder ganz kompensiert wird. Dies führt jedoch auch zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der uterinen Durchblutung durch Vasokonstriktion im Sinn der Wiederherstellung des Gesamtwiderstands. Die Durchblutung des Uterus wird dabei prozentual stärker vermindert als der Perfusionsdruck (Lang u. Künzel 2000).
11
> Minimale Blutdruckänderungen sind somit mit vergleichsweise großen Änderungen der uterinen Durchblutung verbunden, sodass der uterine Gefäßwiderstand mit fallendem Blutdruck zunimmt. Zur Regulation des zentralen arteriellen Mitteldrucks ist die uterine Durchblutung also für Vasokonstriktion in Zusammenhang mit dem Auftreten von Schockzuständen anfällig. Der Uterus hat demnach keine bevorzugte Perfusion wie etwa Hirn und Herz.
Die uterine Durchblutung wird auch durch den Tonus der Uteruswand bestimmt. Bei Kontraktion findet eine Verminderung der Blutdruckdifferenz zwischen der A. uterina und dem intervillösen Raum statt, ebenso kommt es zu einem Anstieg des uterinen Gefäßwiderstands durch Erhöhung des extramuralen Drucks auf die Aa. arcuatae und die Spiralarterien. Bei einer Kontraktion fällt die Uterusdurchblutung infolge der Erhöhung der Gefäßwiderstände ab. Jede Kontraktion ist unweigerlich mit einer Reduktion der uteroplazentaren Perfusion verknüpft. Neben der vaskulären Regulation ist die uterine Perfusion auch einer Beeinflussung durch die veränderte hormonelle Situation in der Schwangerschaft ausgesetzt. Über die adrenergen Rezeptoren und die entsprechende Katecholaminwirkung wurde bereits berichtet. Einer der wesentlichen Mechanismen der Vasodilatation sind östrogeninduzierte Veränderungen. Hier sind eine nongenomische, rasch einsetzende und abklingende Wirkung des Östrogens durch Veränderung der Zellmembran mit kalziumkanalblockierenden Effekten von einer später einsetzenden und wahrscheinlich NO-vermittelten Vasodilatation zu unterscheiden. Eine Kombination aus erhöhter NO-Konzentration und Anstieg der cGMP-abhängigen Proteinkinase führt zu verstärkter Aktivität kalziumaktivierter Kaliumkanäle und induziert die Gefäßrelaxation. Die Möglichkeit der östrogenabhängigen Vasorelaxation durch NO-Freisetzung nach Gabe agonistischer Substanzen wird diskutiert. Das Renin-Angiotensin-System mit Erhöhung der Reninaktivität im Plasma und dem Anstieg von Reninsubstrat sowie
Angiotensin II hat ebenfalls Einfluss auf die uterine Perfusion. Es gibt Hinweise darauf, dass der Uterus in der Lage ist, Renin zu produzieren. Angiotensin II wird im Zusammenhang mit der Entwicklung und Diagnostik der Präeklampsie diskutiert. Prostaglandine können die uterine Perfusion in mehrerer Hinsicht beeinflussen. Zum einen existiert ein direkter Effekt auf die glatte Gefäßmuskulatur, der über Prostaglandinrezeptoren zu Vasokonstriktion oder Dilatation führt. Weiterhin haben Prostaglandine eine Erhöhung des uterinen Tonus und der Kontraktilität zur Folge, die eine Reduktion der uterinen Durchblutung auf diesem Weg bewirken, und schließlich ist eine Verstärkung oder Abschwächung der adrenergen Neurotransmission möglich. Serotonin kann ebenfalls durch verschiedene Rezeptortypen regulierend in den Perfusionsvorgang eingreifen. Serotonin wird in Thrombozyten gespeichert und bei Thrombozytenaggregation und im Verbrauch freigesetzt. Bei lokaler Gabe wirkt das Senotonin über HT-2-Rezeptoren als Vasokonstriktor des uterinen Gefäßsystems. Systemisch appliziert ist die dosisabhängige Wirkung von Serotonin in verschiedenen Gefäßgebieten ausgesprochen variabel. Dosierungen, die Blutdruckanstiege auslösen, führen gleichzeitig zu Perfusionsrückgängen am Uterus. Vor diesem Hintergrund wird eine Rolle des Serotonins im Rahmen der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie und des HELLP-Syndroms diskutiert. Schließlich sind Endotheline und Stickoxid an der Modulation der uterinen Durchblutung beteiligt. Endotheline sind vasoaktive Peptide, die ein breites Wirkungsspektrum aufweisen. So gelten sie als Wachstumsfaktoren und könnten auch in den Geburtsvorgang involviert sein. Sie wirken kontraktionsauslösend am Myometrium und auch an der glatten Gefäßmuskulatur. Vor allem Endothelin-1 ist als starker Vasokonstriktor bekannt, die Funktionen der anderen Endotheline (ET-2, ET-3 sowie BIG-ET-1 etc.) lassen folgern, dass die Endotheline eine wichtige Rolle in der Erhaltung des uterinen Gefäßtonus und der Entstehung pathologischer Situationen, etwa der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie, einnehmen. Wie alle anderen Gefäßprovinzen sind die uterinen Gefäße mit Endothelzellen ausgekleidet, die neben anderen vasoaktiven Substanzen auch Stickoxid (NO) produzieren. NO entsteht durch Konversion von L-Arginin zu L-Citrullin, katalysiert durch die NO-Synthetase. Wie oben bereits für Östrogene erläutert, binden viele vasoaktive Substanzen an spezifische Rezeptoren und wirken direkt auf die Gefäße ein, können jedoch auch über die Synthese oder Freisetzung von NO wirksam werden. Acetycholin, Adenosin, Bradykinin, Histamin und Serotonin wirken zumindest partiell auf diese Art. Neben induzierter Freisetzung ist auch der basale Gefäßtonus am Uterus von der Verfügbarkeit von NO abhängig. Dies lässt sich durch Blockade der NO-Synthetase nachweisen. Während der Schwangerschaft ist die NO-Konzentration in Plasma und Harn erhöht, ebenso im Myometrium des schwangeren Uterus. NO senkt die Kontraktionsbereitschaft des Uterus und trägt dadurch zur Vermeidung kontraktionsbedingter Perfusionseinschränkungen bei. Auch in der umbilikalen und fetalen Zirkulation ist NO an der Erhaltung eines niedrigen Ge-
179 11.3 · Kardiovaskuläre Veränderungen
fäßwiderstands beteiligt. In Schwangerschaften, die durch schwangerschaftsinduzierte Hypertonie oder intrauterine Wachstumsrestriktion gekennzeichnet sind, findet sich eine Up-Regulation der endothelialen NO-Synthetase im villösen Gefäßsystem der Plazenta, begleitet von erhöhten Nitratkonzentrationen, dem Abbauprodukt des NO im Nabelschnurblut der betroffenen Feten. Dies lässt auf eine kompensatorisch erhöhte umbilikale NO-Produktion schließen, die durch Scherkraft über Endothelzellen infolge erhöhten Gefäßwiderstands stimuliert wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass NO eine wichtige Rolle in der Regulation des basalen Gefäßtonus, des basalen muskulären Uterustonus und als induzierbares Vasodilatans eine entscheidende Rolle in der Regulation der Uterusperfusion spielt (Lang et al. 2003).
11.1.3
Tuben
Die Muskulatur der Eileiter erfährt während der Schwangerschaft nur eine sehr geringe Hypertrophie. Das Tubenepithel erscheint abgeflacht, der Flimmerbesatz sogar vielfach verloren gegangen. Ab dem 4. Monat beginnen die Tuben wegen des Gebärmutterwachstums, das kleine Becken zu verlassen, und erfahren so eine »Streckung«. Auch an den Eileitern verstärkt sich die Durchblutung, und es bilden sich breitlumige Venen.
11.1.4
Brustdrüse werden knapp unter der Hautoberfläche zarte Venen sichtbar. Bereits durch zartes Massieren der Mammillae kann es zum Austritt einer dicken, gelblichen Flüssigkeit, dem Kolostrum (Vormilch), kommen, denn die alveolären Zellen entwickeln sich zu präsekretorischen kubischen Epithelien. Zu Beginn des 3. Trimenons haben die Drüsenschläuche und Endkammern weitgehend ihre endgültige Größe erreicht. Damit ist die Laktogenese abgeschlossen; die Voraussetzungen für die Milchsekretion sind gegeben. Die Alveolen sind von einer myoepithelialen Zellschicht umgeben, und Oxytozin, das nach der Geburt pulsatil aus der Neurohypophyse abgegeben wird, stimuliert diese Zellen zur Kontraktion. So kann die Entleerung der Milch in das duktale System erfolgen. Die morphologischen Veränderungen der Brustdrüse sind durch die Produktion von Östrogen und Progesteron, Prolaktin sowie durch die Stimulation der plazentaren Sexualsteroide bedingt. Supportiv wirken auch Insulin, Kortisol, Thyreoidhormon, Parathormon und Wachstumshormone an der Größenzunahme der Brustdrüse mit. Während der gesamten Schwangerschaft wird die sekretorische Wirkung des Prolaktins durch Plazentasteroide direkt unterdrückt. Unmittelbar postpartal, wenn die plazentare Hemmung des Prolaktins wegfällt, setzt die Milchproduktion ein. Steigende Konzentrationen von Kortisol können, wie an der Bauchhaut, zur Bildung von Striae distensae führen. Die Streifen zeigen sich anfänglich rot und hellen einige Zeit nach der Geburt weißlich auf.
Ovarien 11.3
Die Eierstöcke und damit auch das umliegende Bindegewebe werden wie viele andere Gewebe im Rahmen der Schwangerschaft stärker durchblutet. Die im Stroma enthaltenen Keimzellen können hypertrophieren und eine deziduale Umwandlung aufweisen. Das Corpus luteum nimmt an Größe zu. Bis zur 6.–7. SSW produziert das Corpus luteum das schwangerschaftserhaltende Progesteron; dann beginnt es zu degenerieren und sich bindegewebig zu organisieren. Der Trophoblast übernimmt nun die Gelbkörperproduktion.
11.2
Mammae
In den ersten Wochen der Schwangerschaft fällt die Brust der werdenden Mutter sehr häufig durch besondere Empfindlichkeit auf. Die Areolae mammae sind wie alle anderen pigmentreichen Körperregionen in der Schwangerschaft hyperpigmentiert. Nach dem 2. Monat nimmt die Brust an Größe zu, und es lassen sich bereits Knötchen, die auf ein Aussprossen der Alveoli mammae (Drüsenfelder) zurückzuführen sind, tasten. Dabei erfolgt eine Zurückdrängung des Fett- und Bindegewebes. Diese Hypertrophie der Alveoli mammae zählt zu einem der wahrscheinlichen Schwangerschaftszeichen. Ab dem 2. Trimenon kommt es verstärkt zur Zellhypertrophie. Es bilden sich stark vergrößerte und hyperämisierte Drüsenlappen aus. Im Rahmen der Größenzunahme der
Kardiovaskuläre Veränderungen
Die Schwangerschaft ist charakterisiert durch erhebliche, reversible Veränderungen des kardiovaskulären Systems. Das gesunde Herz kann diese Adaptation leisten, ein vorerkranktes Herz kann unter dieser Adaptation dekompensieren. Das Spektrum kardialer Erkrankungen bei Schwangeren ändert sich. Frauen mit kongenitaler Herzerkrankung, die aufgrund operativer Eingriffe im Kindesalter überleben, kommen vermehrt ins reproduktive Alter. Rheumatische Herzerkrankungen werden seltener, während degenerative und hypertensive kardiovaskuläre Erkrankungen aufgrund des erhöhten Alters der Schwangeren und Gebärenden deutlich zunehmen. Der Einfluss der physiologischen Veränderungen auf Schwangere mit kardiovaskulären Vorerkrankungen variiert je nach Art und Schwere der Erkrankung. Kann das Herzminutenvolumen nicht gesteigert werden, ist mit früher Dekompensation zu rechnen. Kann die Schwangerschaft kardial bewältigt werden, so können Geburt und unmittelbare Postpartalperiode die Belastungsgrenzen überschreiten – ein Lungenödem in dieser Phase ist gefürchtet (Burt u. Durbridge 2009). Die kardialen Veränderungen zeigt im Überblick . Tab. 11.1. Bereits in der frühen Embryonalphase verändert sich die Kreislaufdynamik der schwangeren Frau. Die Mediatoren für diese Umstellung dürften mit der Steroidgenese in der fetoplazentaren Einheit in enger Verbindung stehen (Longo 1983).
11
180
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
. Tab. 11.1. Kardiovaskuläre Veränderungen in der Schwangerschaft
11
Parameter
Veränderung
Normalbereich (Veränderung)
Plasmavolumen
↑
≈5–6 l (+30% bis +50%)
Blutdruck
↓
≈120/80 mm Hg
HZV
↑
≈5–7 l/min (+35% bis +45%)
Herzfrequenz
↑
≈70–105 SpM (+10 SpM bis +20 SpM)
Schlagvolumen
↑
≈70–100 ml (+10% bis +20%)
Totaler peripherer Widerstand (TPR)
↓
≈600–900 dyne/s/cm² (–25% bis –30%)
Onkotischer Druck
↓
≈15 mm Hg (–10% bis –15%)
Das Herzzeitvolumen (HZV), ein Produkt aus Herzfrequenz (die ab der 6. SSW zunimmt) und Schlagvolumen (Vergrößerung ab der 8. SSW), steigt um etwa 40% (Duvetkot et al. 1993). Dieser Anstieg des HZV bis zur Geburt ist ein physiologisch sinnvolles Geschehen (Mabie et al. 1994). In der Schwangerschaft kommt es zu einer Gesamterhöhung des Nährstoff- bzw. Sauerstoffbedarfs des Fetus, aber auch der verschiedenen mütterlichen Organe.
Zeitliche Sequenz der Veränderungen im mütterlichen Herz-Kreislauf-System 4 Abnahme des peripheren Gefäßwiderstands 4 Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens 4 Zunahme des Herzminutenvolumens
Am Anfang der Frühschwangerschaft scheint eine Dilatation der Gefäße im Bereich der Arteriolen sowie auch der venösen Gefäße durch eine Tonusabnahme der glatten Muskulatur zu stehen. Dadurch kommt es zu einer relativen Verminderung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens, das Renin-Angiotensin-Aldosteron System wird aktiviert. Dies hat zur Folge, dass eine gesteigerte renale Rückresorption von Natrium und Flüssigkeit stattfindet. Die Volumenzunahme führt daraufhin zu einem Anstieg des Herzschlagvolumens und der Herzfrequenz (. Abb. 11.1); zudem kommt es durch die überproportionale Volumenexpansion zu einer in der Frühschwangerschaft im Vordergrund stehenden »Blutverdünnung«. Ein relativer Hämatokrit- und Hämoglobinabfall sind die Folge. Die Zunahme der Erythropoese setzt erst sekundär ein. Die beschriebenen Anpassungsmechanismen im HerzKreislauf-System sowie auch im Stoffwechsel und im endokrinen Bereich sind bereits in der Frühschwangerschaft vorhan-
. Abb. 11.1. Lokale und systemische Anpassungsvorgänge im mütterlichen Kreislauf als Folge der Interaktion zwischen mütterlichen und embryonalen Geweben im Rahmen der Implantation. (Nach Schneider 1996)
den und damit nicht als Reaktion auf den steigenden Bedarf des wachsenden Fetus anzusehen (Clapp et al. 1988). Neben der Zunahme des Schlagvolumens kommt es bei der werdenden Mutter zu einer Senkung des Gefäßwiderstands (totaler peripherer Widerstand; TPR) sowie zu einer Dilatation des linken Ventrikels. Die Herzfrequenz erhöht sich um zusätzliche 10–15 Schläge pro Minute. Die Steigerung des zirkulierenden Blutvolumens um bis zu 40% (1,5–2 l) beginnt mit der 12. SSW, erreicht ihr Maximum in der 32.–36. SSW und setzt die oben genannten adaptierenden Vorgänge in der mütterlichen Hämodynamik voraus. Der vermehrte Sauerstoffbedarf beider Organismen erfordert eine Zunahme des Gesamtvolumens roter Blutzellen. Die Zunahme der intravasalen Flüssigkeit schützt die Frau bis zu einem gewissen Grad vor den Folgen einer Blutung unter der Geburt. Kommt es nicht zu einem erhöhten Blutverlust sub partu, normalisiert sich das zirkulierende Gesamtvolumen innerhalb der ersten 2 Wochen nach der Geburt. Der systolische Blutdruck verändert sich im Rahmen einer physiologischen Schwangerschaft kaum, wohingegen der diastolische Wert um bis zu 15 mm Hg abnimmt. Dies erklärt sich u. a. auch durch eine Abnahme des gesamten peripheren Gefäßwiderstands. Der Blutdruck, ein im Rahmen der Präeklampsie besonders wichtiger Parameter, ist in seiner Höhe allerdings von verschiedenen Größen wie der zirkulierenden Blutmenge, dem Herzzeitvolumen, dem peripheren Widerstand, der Blutviskosität und der Elastizität der großen Gefäße abhängig. Morphologisch kommt es neben der Dickenzunahme des interventrikulären Septums auch zu einer Zunahme der Wand der linken Herzkammer. Die intraabdominelle Organverschiebung führt zu einem Zwerchfellhochstand. Das Herz wird aus seiner normalen Lage verdrängt und die elektrische Herzachse gegen den Uhrzeigersinn abgedreht: Alterationen
181 11.3 · Kardiovaskuläre Veränderungen
im Elektrokardiogramm sind die Folge und werden gelegentlich fälschlich als Rechtsherzbelastung bzw. als Koronarinsuffizienz bezeichnet. Neben dieser anatomisch-physiologisch erklärbaren Umstellung sieht man in der Schwangerschaft auch noch andere, völlig normale Veränderungen mit Ursprung am Herzen, wie monofokale ventrikuläre Extrasystolen oder gelegentliches, sehr unangenehm empfundenes Herzrasen. > Bei 10–20% der schwangeren Frauen entstehen Turbulenzen im Auswurftrakt beider Herzkammern, die als Systolikum zu hören, aber nicht als pathologisch zu werten sind (Goeschen 1984). Bei vorbestehender Herzerkrankung ist davon auszugehen, dass während der Gravidität ein Insuffizienzgeräusch leiser, ein Stenosegeräusch jedoch lauter wird.
Während der Schwangerschaft ist der Venendruck immer an der oberen Grenze der Norm (4–8 cmH2O), in der unteren Körperhälfte steigt er im letzten Trimenon jedoch bis auf 10–25 cm H2O an. Diese Steigerung des Venendrucks, der verminderte onkotische Druck im Plasma sowie die durch den venösen Druck bedingte lymphatische Obstruktion können zu einer Schwellung der Knöchel führen. Bei entsprechender Disposition kann sich eine verschiedengradige Varikosis der unteren Körperhälfte einstellen, die v. a. die Venen der Beine, aber auch der Vulva, der Vagina und des rektalen Venenplexus betrifft. Im Rahmen der Schwangerschaft kommt es zu einer erhöhten Koagulabilität des Plasmas und damit zu einer Thrombophlebitis- bzw. Thromboseneigung. Um solchen Komplikationen sinnvoll vorzubeugen, sind körperliche Bewegung sowie das Tragen von Kompressionsstrümpfen von besonderer Bedeutung. Andererseits ist es aber auch wichtig, zu lange Kompressionen, z. B. während einer Autofahrt oder einer Flugreise, zu vermeiden. Eine andere, in der Schwangerschaft mögliche, aber leicht zu behebende Komplikation ist das V.-cava-Kompressionssyndrom, bei dem der schwangere Uterus in Rückenlage die mütterliche V. cava inferior komprimiert. Dies behindert den Abfluss im Bereich der uteroplazentaren Einheit, vermindert den venösen Rückfluss zum Herzen und führt damit zu einer »artifiziellen« arteriellen Hypotonie. Die subjektiven Beschwerden der Mutter werden mit Schwindel, Übelkeit und Dyspnoe angegeben, die Minderperfusion der fetoplazentaren Einheit führt zur Sauerstoffminderversorgung des Fetus, die im Kardiotokogramm zeitweilig darstellbar ist. Die Durchblutung und damit die Beschwerden werden durch Seitenlagerung der Schwangeren gebessert. Auch während des ruhigen Stehens kann es zu einer Kompression der großen Hohlvene kommen, wobei als Leitsymptom eine passagere mütterliche Tachykardie im Vordergrund steht. Reaktiv kommt es zur Kontraktion, der Uterus richtet sich auf; das große Gefäß wird entlastet. Die extreme Herzbelastung unter der Geburt ist durch eine Erhöhung des Herzminutenvolumens zwischen den Wehen sowie durch eine Erhöhung des zirkulierenden Blutvolumens unter Wehentätigkeit bedingt, wobei bis zu 500 ml Blut aus dem Uterus in die Zirkulation transportiert werden. An-
dererseits werden während der Geburt Stresshormone, v. a. Noradrenalin, freigesetzt und so der Gefäßtonus erhöht. Mit dem Fortschreiten der Zervixdilatation und der Wehentätigkeit erfolgt eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens um bis zu 35%. > Während der Presswehen kommt es zu einer Erhöhung des systolischen Blutdrucks auf bis zu 190 mm Hg. Auf diese massive Blutdruckerhöhung und Herzbelastung unter der Geburt ist v. a. bei Frauen zu achten, die durch eine belastende Anamnese oder Prädisposition gefährdet sind. In diesen Fällen ist es ratsam, schon im Rahmen der Schwangerenbetreuung und ggf. interdisziplinär die Geburt zu besprechen (Spontanpartus, Abkürzung der Pressphase mittels Vakuumextraktion, primäre Sectio caesarea), um eine massive Belastung des kardiovaskulären Systems zu vermeiden.
Im Gefolge von Fortschritten in Diagnose und Therapie kongenitaler Herzerkrankungen erleben Betroffene heute ihre reproduktive Phase und werden auch schwanger. Die Betreuung Schwangerer mit kongenitalen und später erworbenen Herzerkrankungen inkl. Zustand nach Transplantation setzt die Kenntnis der hämodynamischen Reaktion des jeweiligen individuellen Herz-Kreislauf-Systems auf die kardiovaskulären Belastungen von Schwangerschaft und Geburt voraus. Eine Grobeinteilung der kongenitalen Herzerkrankungen in 3 Läsionsgruppen 4 mit Volumenüberlastung, 4 mit Blutdruckanstieg oder 4 mit Zyanose erlaubt erste Hinweise auf Prognose, Behandlung und Entbindungsoption. Siu et al. (2001, 2002) entwickelten einen diesbezüglichen prognostischen Index. Optimal sind interdisziplinäre geburtshilfliche, kardiologische und anästhesiologische Betreuung und präkonzeptionelle Beratung (ACC/AHA Guidelines 2006). Schwangere Frauen mit kardialer Vorbelastung sind möglicherweise in der unmittelbaren Postpartalperiode dem höchsten Risiko eines Lungenödems ausgesetzt. Im Verlauf von 10–15 min nach der Geburt steigt das Herzminutenvolumen um etwa 60–80% an. Dieser sofortige Anstieg erklärt sich durch 4 die Aufhebung der venokavalen Obstruktion durch den schwangeren Uterus, 4 eine Autotransfusion uteroplazentaren Blutes und 4 eine extrem rasche Mobilisation von extravaskulärer Flüssigkeit, die sich in erhöhtem venösem Rückfluss zum Herzen und vergrößertem Schlagvolumen ausdrücken. Nach etwa 1 h geht das Herzvolumen auf Werte wie vor Beginn der Wehentätigkeit zurück. Im Wochenbett kommt es zu einer weiteren Mobilisierung der Extrazellulärflüssigkeit, die sich im Rahmen der Schwangerschaft angesammelt hat. Nach etwa 2 Wochen sinken diese Werte wieder auf die ursprünglichen Werte wie vor der Schwangerschaft ab (Monga 2004).
11
182
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
11.4
Hämatologische Veränderungen
Im Rahmen der physiologischen Schwangerschaft erhöht sich das mütterliche Gesamtgewicht kontinuierlich um etwa 10– 12 kg. Fünfzig Prozent sind der Zunahme von interstitieller Flüssigkeit, Plasmavolumen und Intrazellulärflüssigkeit zuzuschreiben, die restlichen 5–6 kg entfallen auf Kind, Plazenta, Fruchtwassermenge, Fettgewebe sowie Größenwachstum von Mammae und Uterus. Durch die physiologisch gesteigerte Erythropoese kommt es zu einer relativen Polyglobulie, die aber durch einen durchschnittlich 20- bis 30%igen Anstieg des Plasmavolumens als physiologische Anämie im Blutbild zu erkennen ist. Die Zunahme des Plasmavolumens ist also größer als die Erhöhung der Erythrozytenmasse, es stellt sich eine physiologische Blutverdünnung ein, die als Schwangerschaftshydrämie bezeichnet wird. > Der Grenzwert für die physiologische Hydrämie in der Schwangerschaft ist mit einem Hämoglobinwert von 11 g/dl angesetzt. Hämoglobinwerte <11 g/dl sind als behandlungsbedürftige Anämie zu werten und mit Eisen zu substituieren (. Tab. 11.2).
11
Obwohl sich in der Schwangerschaft die Eisenresorption um das 3Fache erhöht, lässt sich auch bei normaler Ernährung, v. a. im letzten Trimenon nach der Entleerung, der Eisenspeicher ein Eisenmangel mit Symptomen nicht vermeiden, da der Eisengrundbedarf um etwa 800–1200 μg ansteigt. Verschiedene Autoren sehen hierin ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten und ein zu niedriges Geburtsgewicht. Neben dem Eisenmangel ist eine Folsäuredefizienz von Bedeutung: Niedrige Folsäurespiegel wurden von Daly et al. (1995) mit Neuralrohrdefekten assoziiert.
. Tab. 11.2. Physiologische Veränderungen der Laborwerte in der Schwangerschaft. (Mod. nach Husslein u. Ahner 1998) Hämoglobin
Normwert
12–17 g/dl
Anämie
<11 g/dl
12. SSW
42–177 μg/dl
Am Termin
25–137 μg/dl
12. SSW
18–50%
Am Termin
2–30%
Normwert
5–25 IE/l
Schwangerschaft
2- bis 3-fach erhöht
Leukozyten
–
10.000–15.000/mm3 (erhöht)
Fibrinogen
–
400–600 mg% (erhöht)
Triglyzeride
–
Um etwa 50% erhöht
Cholesterin
–
Um etwa 50% erhöht
Cholesterinesterase
–
2,4–6,0 kIE/l
Alkalische Phosphatase
Ab 2. Trimenon
Bis zu 400 IE/l
Gesamteiweiß
Ab 2. Trimenon
Grenzwertig bis leicht erniedrigt
Albumine
–
Etwa 10% erniedrigt
Globuline
–
Etwa 12% erhöht
Blutsenkungsgeschwindigkeit
–
Bis zu 45 mm/h
Eisen
Transferrinsättigung Erythropoietin
Studienbox Neben der Substitution von Eisen in der Schwangerschaft wird auch immer wieder auf einen erhöhten Folsäurebedarf mit zusätzlich bis zu 1000 μg pro Tag hingewiesen (Matkies et al. 1977).
> Im Rahmen der unkomplizierten Schwangerschaft sind Leukozytenwerte zwischen 10.000 und 15.000/ mm3 durchaus als Normalbefunde zu werten. Bei der Diagnose bzw. Abklärung einer mütterlichen Infektion sollte zusätzlich das C-reaktive Protein berücksichtigt werden, um eine etwaige Abweichung von der Norm frühzeitig zu erkennen.
Unter und nach der Geburt sowie durch Kortisolapplikation (Lungenreifeinduktion) kann die Zahl der weißen Blutzellen noch weiter steigen. Postpartal, insbesondere nach operativer Entbindung ablaufende entzündliche Veränderungen mit lokaler Gewebereaktion induzieren diese Reaktion. Dies erschwert es im Wochenbett, allein durch laborchemische Parameter eine Endometritis bzw. andere Infektionen zu diagnos-
tizieren. Eine Woche nach der Geburt sollten die Normalwerte wieder erreicht sein. Die Anzahl der Thrombozyten ist im Rahmen der Schwangerschaft gleichbleibend. Ausnahmen in diesem Zusammenhang sind das HELLP-Syndrom und ein unmittelbar nach der Geburt erhöhter Wert, der aber innerhalb weniger Tage wieder auf seinen ursprünglichen Wert absinkt. Andere Eigenschaften der Blutplättchen wie Retraktions- oder Adhäsionsfähigkeit erfahren während der unauffälligen Schwangerschaft keine Abweichung von der Norm. An die Blutgerinnung, die in ihren physiologischen Abläufen als eine komplexe Verzahnung von gerinnungshemmenden und -fördenden Faktoren zu verstehen ist, werden im Rahmen der Schwangerschaft und Geburt hohe Anforderungen gestellt. So findet man beispielsweise einen Anstieg des Fibrinogenspiegels auf Werte bis zu 600 mg% oder eine Erhöhung der Konzentration der Faktoren VII, VIII und X, und andererseits kommt es zu einer geringgradigen Hemmung des fibrinolytischen Systems (. Tab. 11.2).
183 11.5 · Niere, Harntrakt, Wasserhaushalt
Allein diese Veränderungen weisen auf eine Hyperkoagulabilität des Gerinnungssystems hin, die aber im Normalfall nicht mit einer erhöhten Thrombosegefahr einhergehen. Kommt es allerdings gleichzeitig zu einer rheologischen Gleichgewichtsstörung, dann können thromboembolische Störungen die Folge sein. Auf diese Komplikationen ist v. a. im Wochenbett zu achten, und es ist eine frühzeitige Mobilisation durchzuführen. > Im Rahmen eines operativen Geburtsmodus (Sectio caesarea) oder bei anderen Gründen einer Immobilisierung ist auf eine ausreichende Thromboseprophylaxe zu achten.
trierte Glukosemenge bei unveränderter Glukosereabsorption. Die Glukosurie ist in den meisten Fällen als physiologisch zu werten, kann aber auch der erste Hinweis auf eine Störung im Kohlenhydratstoffwechsel sein. Aus diesem Grund ist bei wiederholtem Harnzucker in der Schwangerschaft ein latenter Diabetes mellitus mit einem Glukosetoleranztest, der ohnehin in der 24.–28. SSW erfolgen sollte, auszuschließen.
Ursächlich sind u. a. der Einfluss des Progesterons auf die glatte Muskulatur und die Verdrängung durch den graviden Uterus. Die Erweiterung der harnableitenden Organe ist klinisch wegen der Begünstigung einer Keimansammlung im Sinn einer asymptomatischen Bakteriurie bedeutungsvoll, die bei akuter Harnblasenentzündung via Keimaszension ein erhöhtes Risiko für eine Pyelitis gravidarum mit sich bringt. Diese anatomischen Veränderungen erklären, warum die Interpretation einer renalen Sonographie in der Schwangerschaft erschwert ist.
Bei einem Viertel aller schwangeren Frauen lässt sich eine Glukosurie mit durchschnittlich 350 mg Glukose im 24-h-Urin nachweisen. Eine erhöhte Glukosemenge im Harn kann die Ausbildung von Infektionen im Harntrakt begünstigen. Durch die verminderte Rückresorptionsfähigkeit der Tubuli kommt es in der Schwangerschaft zu einem – wenn auch selektiven – Verlust an Aminosäuren, der v. a. für Frauen mit extrem einseitiger Ernährung bedeutsam werden kann. Geringe Mengen von niedermolekularen Albuminen passieren bei allen Menschen das Glomerulumfilter und werden bei der Tubuluspassage wieder weitgehend rückresorbiert. Bei 20% aller Schwangeren wird jedoch die kritische Menge überschritten, sodass die Rückresorption bei der Tubuluspassage unvollständig sein kann (physiologische Schwangerschaftsproteinurie). Ziemlich willkürlich wurden 300 mg im 24-h-Urin als oberste Grenze festgelegt; Werte darüber gelten als pathologisch. Durch die Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate kommt es zu einer vermehrten Tendenz, Natrium auszuscheiden. Als Gegenregulator fungiert Aldosteron, dessen Plasmaspiegel um das bis zu 5-Fache ansteigt und das eine vermehrte tubuläre Natriumrückresorption bewirkt. Durch die massiv gesteigerte Rückresorption von Natrium wird der natriuretische Effekt von Progesteron ausgeglichen. Im Rahmen einer Präeklampsie vermindert sich nun allerdings die Filtrationsrate im Glomerulum, und die konstant erhöhte tubuläre Rückresorption von Natrium und Wasser führt zum Auftreten von Ödemen.
> Vor allem im 2. und 3. Trimenon kommt es durchden vergrößerten Uterus zu einer gehäuften Kompression der Blase und damit zu dem bei schwangeren Frauen typischen gehäuften Harndrang (Pollakisurie).
> Harnsäure und Kreatinin im Serum sinken in den ersten beiden Trimena, um dann am Ende des letzten Trimenons wieder anzusteigen. Für die Präeklampsie ist die Harnsäure als Marker von Bedeutung.
Die Zunahme des intravasalen Volumens und das erhöhte Herzminutenvolumen während der Schwangerschaft führen zu einer vermehrten Nierendurchblutung (50–80%), zu einer um ca. 50% gesteigerten glomärulären Filtrationsrate (GFR) sowie zu einer Änderung der Tubulusfunktion. Die deutlich erhöhte GFR führt zu niedrigeren Kreatinin-, Harnstoff- und Harnsäurespiegeln in der physiologischen Schwangerschaft ebenso wie zu einer Halbwertszeitverringerung renal eliminierter Medikamente.
Bereits in den ersten Schwangerschaftswochen sinkt der Kalziumspiegel im mütterlichen Blut, was durch eine erhöhte renale Ausscheidung bedingt ist. Um ein normales Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, werden 1,5–2 g Kalzium pro Tag benötigt. Durch einen erhöhten 1,25-Dihydroxy-D3-Spiegel ist eine vermehrte intestinale Resorption möglich. Zusätzlich kommt es zu einem Verlust an Vitamin B12 und Folsäure, die durch die vermehrte Aufnahme von Milch- und Käseprodukten zum großen Teil ersetzt werden können. Postpartal zeigt sich eine erhöhte renale Exkretion von Natrium und Wasser. Der erhöhte renale Blutfluss und die
Im Rahmen von Schwangerschaftskomplikationen kann es zu massiven Störungen der Blutgerinnung kommen (z. B. vorzeitige Plazentalösung, Fruchtwasserembolie, intrauteriner Fruchttod, Präeklampsie).
11.5
Niere, Harntrakt, Wasserhaushalt
> In den harnableitenden Organen kommt es im Rahmen der Schwangerschaft zu typischen Veränderungen, die sich durch eine Zunahme des Nierenvolumens, Dilatation von Nierenbecken, Nierenkelch und Harnleiter manifestieren. Diese Erweiterungen, rechts mehr als links, werden etwa ab der 10. SSW deutlich.
> Die renale Glukosurie erklärt sich durch das vermehrte Glomerulumfiltrat und die damit erhöhte fil-
6
11
184
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
erhöhte GFR kehren innerhalb weniger Wochen zum nichtschwangeren Niveau zurück (Hladunewich et al. 2004).
11.6
11
Respirationstrakt
Die Schleimhäute des oberen Respirationstrakts stehen, wie auch andere Organe, in der Schwangerschaft unter dem Einfluss von Östrogenen. Dadurch erklären sich die veränderten Kreislaufbedingungen, wie eine verstärkte Durchblutung, die venöse Stauung und die Wasserretention. Die Schwangerschaftsrhinitis bedarf trotz ihrer Lästigkeit keiner speziellen Therapie und verschwindet nach der Geburt vollständig. Der Sauerstoffbedarf der Schwangeren steigt bereits in der 8. SSW und wird durch eine 70%ige Zunahme der alveolären Ventilation kompensiert. Diese Zunahme wird wahrscheinlich durch eine direkte Einwirkung des Progesterons auf das Atemzentrum bewirkt, wobei es zu einer erhöhten CO2-Sensibilität kommen soll. Das subjektiv am häufigsten beobachtete Symptom der veränderten Lungenfunktion ist bei 50% aller Schwangeren die Dyspnoe bei körperlicher Belastung, die bei 20% auch ohne Anstrengung auftritt. Durch das Wachstum der Gebärmutter kommt es zu einer Anhebung des Diaphragmas an seiner Spitze um bis zu 4 cm und damit zu einer verminderten funktionellen Residualkapazität. Die Vitalkapazität sowie die inspiratorische Kapazität bleiben durch kompensatorische Erweiterung der Zwischenrippenabstände und einen größeren a.-p.-Thoraxdurchmesser unverändert. Die Abnahme des Muskeltonus wird durch hormonelle Veränderungen bedingt. Da im Verlauf der Schwangerschaft der O2-Bedarf um etwa 25%, das Atemminutenvolumen aber um mehr als 40% steigt, kommt es zur häufig beobachteten physiologischen Hyperventilation, die zu einer Steigerung der alveolären und arteriellen pO2-Spannung und einer Abnahme des CO2-Partialdrucks führt. Der »normale« paO2 in der Schwangerschaft liegt bei 100 mm Hg, der paCO2 bei 28–32 mm Hg – wichtig für die klinische Interpretation. Durch eine Steigerung der renalen Bikarbonatausscheidung bleibt der mütterliche pHWert konstant.
11.7
Intermediärer Stoffwechsel
In der Schwangerschaft gibt es eine Reihe von Adaptierungsvorgängen im mütterlichen Organismus, die den Stoffwechsel von Mutter und Kind begünstigen und den zusätzlichen Energiebedarf decken. Nach allgemeiner Empfehlung sollten pro Tag zusätzliche 300 kcal ausreichend sein. Für die regelrechte fetale Entwicklung und auch für das mütterliche Wohl ist der geregelte Kohlenhydratstoffwechsel von zentraler Bedeutung.
Die 2 Phasen des Glukosestoffwechsels 4 Frühschwangerschaft mit erhöhter Insulinempfindlichkeit 4 Spätschwangerschaft mit zunehmender Resistenz gegenüber Insulin
Durch die gesteigerte Insulinempfindlichkeit kommt es in der Frühschwangerschaft zu einem physiologisch erniedrigten Nüchternblutzucker im Vergleich zu nichtschwangeren Frauen. Dies ist nicht eine Folge einer verminderten Glukoneogenese, sondern resultiert wohl aus der erhöhten Glukoseclearance durch die Plazenta. In der 2. Schwangerschaftshälfte steht der zunehmende Glukosebedarf des Fetus sowie der Plazenta im Vordergrund. Der fetale Blutzuckerspiegel variiert in unmittelbarer Abhängigkeit vom mütterlichen Glukosespiegel. Durch vermehrt zur Wirkung kommende Insulinantagonisten wird der mütterliche Organismus gegenüber Insulin zunehmend resistent. Der Insulinbedarf in der Spätschwangerschaft steigt um bis zu 80%; dadurch kann eine latente diabetische Stoffwechsellage evident werden. Ein Gestationsdiabetes birgt aber auch die erhöhte Gefahr, im späteren Leben an einem manifesten Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. > Bei schwangeren insulinpflichtigen Diabetikerinnen nimmt der Insulinbedarf weiter zu, was eine Therapieumstellung bzw. Dosissteigerung erforderlich macht.
Postpartal verschwinden die Symptome eines Gestationsdiabetes zumeist. In der Schwangerschaft ist v. a. auf einen ausgeglichenen Glukoseblutspiegel zu achten, denn zu geringe Mengen gefährden die Ernährung des Kindes, zu hohe können in der Frühschwangerschaft zu Fehlbildungen führen. Eine Stimulation mit Glukose führt zu einem erhöhten Plasmainsulinspiegel, wahrscheinlich als Folge der Progesteronwirkung. > Bei gesunden Schwangeren wird die hormonell bedingte erhöhte periphere Insulinresistenz durch vermehrte Insulinproduktion kompensiert. Da aber im Rahmen der Schwangerschaft sämtliche peripheren Gewebe eine verminderte Empfindlichkeit auf Insulin zeigen, ist die Schwangerschaft im Gesamten als diabetogen zu bezeichnen – ein »Belastungstest« für das maternale Pankreas.
Die Hormone der Plazenta (HPL, Östrogen und Kortisol) sind auch für die Erhöhung des Blutlipidspiegels mit einem Anstieg der freien Fettsäuren verantwortlich, die wiederum von essenzieller Bedeutung für die Freistellung von Energiereserven sind. Diese Veränderung zu kennen ist wichtig, um etwaige Fehlinterpretationen zu vermeiden. Triglyzeride und Cholesterin erhöhen sich gegenüber dem Normalwert um 50%. Der Fettstoffwechsel ist in der ersten Schwangerschaftshälfte zunächst durch die Neubildung von 2–3 kg Fettgewebe charakterisiert. Dabei steht die Lipogenese im Vordergrund; gegen Ende der Schwangerschaft kommt es jedoch zu einer
185 11.8 · Adipositas
vermehrten Lipolyse, was an der Zunahme der hormonabhängigen Lipase erkennbar wird. Dies führt zu einer vermehrten Freisetzung lipolytischer Substanzen, insbesondere freier Fettsäuren und Glycerol, in den mütterlichen Kreislauf. Glycerol wird v. a. in der Leber für die Glukoneogenese verwendet, während die freien Fettsäuren für die Ketogenese verwendet werden. Die Ketonkörper ihrerseits können die Plazenta passieren und als Substrat für den Energiestoffwechsel sowie für die Lipogenese in den fetalen Geweben verwendet werden. Die erhöht zirkulierenden Spiegel von Glycerol und freien Fettsäuren infolge der Lipolyse werden z. T. in der Leber reesterifiziert und anschließend in Form von VLDL-Triglyzeriden in den mütterlichen Kreislauf abgegeben. Die Produktion von VLDL in der Leber ist in der Spätschwangerschaft gesteigert und führt zu einem Anstieg der Plasmakonzentration im mütterlichen Organismus. > Die erhöhte Lipidkonzentration sowohl der Fettsäuren als auch der Ketonkörper dient anstelle von Glukose als Substrat für den mütterlichen Energiestoffwechsel. Dadurch kann der Glukoseverbrauch in den mütterlichen Geweben eingeschränkt werden.
Der Eiweißstoffwechsel ist für das Wachstum des Fetus von größter Bedeutung. Die Auswirkungen einer unzureichenden Versorgung des Fetus auf dem Boden mütterlicher Mangelernährung werden in zunehmendem Maß im Rahmen der kindlichen Langzeitentwicklung und der Gesundheit im Erwachsenenleben deutlich. Epidemiologische Untersuchungen zeigen eine Häufung von sog. degenerativen Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie und Herzerkrankungen in schlecht versorgten Bevölkerungsgruppen. Als möglicher gemeinsamer Nenner gelten die mütterliche Unterernährung und damit die chronische Mangelversorgung, insbesondere der Proteinmangel während der intrauterinen Lebensphase (Dahri et al. 1995). Bereits im Kindesalter konnten erhöhte Cholesterinspiegel sowie eine gestörte Glukosetoleranz aufgezeigt werden. Während der Schwangerschaft besteht eine positive Stickstoffbilanz von etwa 1 g pro Tag. Obwohl es während der Schwangerschaft zu einem Anstieg der Serumproteine kommt, führt die erhöhte Menge an zirkulierendem Blutvolumen zu einer relativen Verminderung der Konzentration des Gesamteiweißes. > Eine Veränderung im Sinn einer Verschiebung im Albumin-Globulin-Quotienten erhöht die Blutsenkungsgeschwindigkeit, sodass dieser Parameter für die Diagnose von Entzündungen in der Schwangerschaft nicht zu verwerten ist.
Der Elektrolytstoffwechsel ist im Rahmen einer ausgeglichenen Ernährung meist ausreichend abgedeckt. Lediglich Eisen sollte bei der risikolosen Schwangerschaft substituiert werden (7 Kap. 11.4). Die Vermeidung von Früh- und Mangelgeburten durch Magnesiumsubstitution wird weiterhin kontrovers diskutiert.
Studienbox Eine prospektiv randomisierte Studie von Spätling u. Spätling (1988) vergleicht Magnesiumsubstitution in der Schwangerschaft vs. Plazebo. Die Ergebnisse zeigen, dass die Substitution von Magnesium während der Schwangerschaft einen signifikanten Einfluss auf die fetale und maternale Morbidität vor und auch nach der Geburt hat.
11.8
Adipositas
Mütterliche Adipositas ist ein Risikofaktor für Schwangerschaften. Adipositas wird assoziiert mit Zunahme von kongenitalen Fehlbildungen (besonders Neuralrohr, Herz), niedrigen Apgar-Scores, Gestationsdiabetes, hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, fetaler Makrosomie, operativen Entbindungen sowie anästhesiologischen und chirurgischen Komplikationen. Üblicherweise wird der Body-MassIndex (BMI) als Definitionsmaß angesehen. Die Adipositasprävalenz scheint massiv zuzunehmen, nach US-amerikanischen Daten sind mehr als 50% der Frauen zwischen 20 und 39 Jahren übergewichtig (BMI >25), ca. 30% sind adipös (BMI >30), und ca. 5% extrem adipös (BMI >40). Eine deutsche Untersuchung, die allerdings die Verwendung des BMI eher kritisch sah und die Verwendung maternaler Höhen- und Gewichtsmaße in separater Form andenkt, fand in einer Korhortenstudie mit nahezu 500.000 Schwangeren 10,3% mit einem BMI ≥30 und 0,8% ≥40 (Voigt et al. 2008). Maternale Adipositas ist verknüpft mit einer Steigerung der normalen Veränderungen während der Schwangerschaft einschließlich zunehmender Insulinresistenz, zunehmenden Sauerstoffbedarfs und zunehmender kardialer Belastung. Nach Ramsay et al. (2002) zeigen adipöse Frauen eine deutliche Zunahme der Seruminsulinspiegel, der Dyslipidämie (niedrige HDL-Lipoproteine, hohe Triglyzeride) und der Entzündungsmarker (CRP, IL-6). Diese Veränderungen scheinen den Grundstein für das erhöhte Risiko von Gestationsdiabetes und Präeklampsie zu legen. Die optimale Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ist ein kontrovers diskutiertes Thema, je nachdem, ob der Body-Mass-Index oder individuellere Längen- und Gewichtskurven als Grundlage genommen werden. Die Mittelwerte von Gewichtszunahmen von relativ großen schlanken Schwangeren unterscheiden sich von der kleiner schwerer Schwangerer deutlich (Voigt et al. 2007). Die Auswirkung unzureichender Gewichtszunahme auf das Auftreten von fetalen Wachstumsrestriktionen wird kontrovers diskutiert, je nachdem, ob die Ausgangsgruppe untergewichtig, normalgewichtig oder adipös war. In der US-amerikanischen Literatur wird bei niedrigerem Body-Mass-Index eine Gewichtszunahme bis zu 18 kg, bei Adipositas eine Gewichtszunahme von 6–7 kg als sinnvoll angesehen (Bianco et al. 1998). Von der Konzeption bis zur Geburt und Postpartalperiode haben adipöse und massiv adipöse Schwangere erhöhte Risiken (. Tab. 11.3). Eine zusätzliche Substitution mit Folsäure
11
186
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
. Tab. 11.3. Erhöhte geburtshilfliche Risiken bei Adipositas
Zeitpunkt
Geburtshilfliches Risiko
1. Trimenon
Abort Neuralrohrdefekt Gestationsdiabetes
2. Trimenon
Gestationsdiabetes Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
3. Trimenon
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen Erschwertes fetales Monitoring Intrauteriner Fruchttod Anästhesiekomplikationen
Folsäure, Eisen und Kalzium sowie Vitamin K und D notwendig machen können. Nach bariatrischen Eingriffen wird vermehrt per Kaiserschnitt entbunden. Seltene, sehr gefährliche Komplikationen in Schwangerschaft und Geburt sind Magenerosion oder Magenvolvolus sowie interne Herniation von Darmschlingen. Wünschenswert wäre eine langfristige Nachbetreuung adipöser Mütter und ihrer Kinder im Hinblick auf Langzeitkomplikationen (Arendas et al. 2008).
11.9
Gastrointestinalsystem und Leber
Durch die vermehrte Östrogeneinwirkung und die verstärkte Proliferation von Blutgefäßen kommt es zu einer gesteigerten Durchblutung im Bereich des Paradontiums, woraus eine vermehrte Blutungsneigung resultiert. Die Gingivitis hypertrophicans ist als lokaler Reizzustand zu verstehen, der durch infizierte Gewebetaschen zu einer massiven Hypertrophie der Schleimhäute führen kann.
Fetale Makrosomie Kaiserschnittrate Postpartal
Postpartale Hämorrhagie Infektionen
11
Schwangerschaftsepulis Als Schwangerschaftsepulis wird die Neubildung eines Angiogranuloms in Form einer tumorartigen Gewebehypertrophie mit Blutungen und Schmerzhaftigkeit zwischen den Zähnen bezeichnet.
Wunddehiszenz Thromboembolische Ereignisse
wird diskutiert (Mojtabai 2004). Die Kaiserschnittrate bei adipösen Schwangeren ist erhöht, diese Frauen haben ein höheres Risiko für postoperative Komplikationen wie Blutverlust, Hypoxämie, Atelektasen, venöse Thromboembolien und Wundinfektionen. Die Überwachung der Schwangerschaft mit Ultraschall und CTG kann erheblich beeinträchtigt sein. Neben erhöhten LGA- bzw. Makrosomieraten scheint für die Kinder, wie auch beim Gestationsdiabetes, ein Langzeitrisiko im Sinn »intrauteriner Programmierung« zu bestehen. Optimal wäre eine präkonzeptionelle Beratung und Gewichtsreduktion vor einer Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft sollte Ernährungsberatung für übergewichtige und adipöse Schwangere zur Verfügung stehen, exzessive Gewichtszunahme sollte vermieden werden. Adipöse Schwangere sollten bereits im 1. Trimenon ein Gestationsdiabetesscreening erfahren. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Gruppe adipöser oder ehemals adipöser Patientinnen, die sich einem bariatrischen Eingriff unterzogen haben. Diese haben bei erfolgreicher Gewichtsreduktion die positiven Effekte in Form von verminderter Insulinresistenz, geringerer Diabetesrate, niedriger Makrosomie- und Hypertensionsrate zu verzeichnen (ACOG 2005; Buchwald et al. 2004; Sheiner et al. 2004). Nach bariatrischen Eingriffen können, je nach Eingriffsart, erhebliche Malabsorbationssituationen eintreten, die eine besondere Überwachung und Supplementation etwa mit Vitamin B12,
> Die verminderte Spontansekretion der Glandulae submandibulares und die damit verbundene Senkung des pH-Werts führt zu einem deutlich verminderten Schutz des Zahnschmelzes.
Durch die Gestagene wird die Kontraktilität der glatten Muskulatur gehemmt und so das Volumen der Gallenblase erhöht, der Tonus des unteren Ösophagussphinkters erniedrigt und die Dünndarmpassage verlängert. Die Steigerung des intraabdominellen Drucks durch das zunehmende Uterusvolumen führt häufig zu saurer Regurgitation. Um eine Entzündung im unteren Bereich des Ösophagus zu vermeiden, die durch den unzureichenden Sphinkterverschluss gefördert wird, sollte auf große Mahlzeiten verzichtet werden. Ebenso sollte vor dem Zubettgehen keine Mahlzeit mehr eingenommen werden; im Bett selbst ist der Oberkörper möglichst in einer leicht aufrechten Position zu lagern. Sollte bei der Geburt eine Narkose notwendig werden, so ist die Gefahr einer Aspiration erhöht; wenn möglich sollte von einer Vollnarkose abgesehen werden. > Ein häufiges Zeichen einer Frühschwangerschaft ist die morgendliche Übelkeit, die bei etwa 50% aller Schwangeren auftritt und oft von Erbrechen begleitet wird (Emesis gravidarum). Ursächlich werden die durch die Trophoblastaktivität bedingte hormonelle Umstellung und psychosomatische Gründe (Stauber 1986) genannt. Erst wenn es zu rezidivierendem Erbrechen mit Störung des Elektrolythaushaltes (Hyperemesis gravidarum) kommt, ist eine stationäre Aufnahme anzuraten.
187 11.10 · Endokrines System
Als Folge einer verminderten Peristaltik v. a. des Kolons und der tonussenkenden Wirkung des Gelbkörperhormons sowie der aldosteronbedingten erhöhten Wasserrückresorption findet sich bei vielen Schwangeren eine Obstipation. Zu empfehlen ist eine schlackenreiche Kost. In diesem Zusammenhang treten häufig erstmals Hämorrhoiden auf, deren Entstehung durch den erhöhten intraabdominellen Druck begünstigt wird.
11.10
Endokrines System
Durch die gesteigerte Sekretion von trophischen Hormonen in der Hypophyse sind in der Schwangerschaft alle endokrinen Drüsen der Mutter in ihrer Funktion verändert. Die Größe der mütterlichen Hypophyse verdoppelt sich im Verlauf der Schwangerschaft. Innerhalb der ersten Tage post conceptionem steigt die Produktion von Prolaktin deutlich an. Später wird die Sekretion von Prolaktin durch die Aktivität des HPL unterdrückt. Prolaktin ist durch die stimulierende Wirkung auf das Drüsenparenchym der Mammae an der Lakto- und Galaktopoese beteiligt. Die Freisetzung der Gonadotropine FSH und LH ist wegen der negativen Rückkopplung verschiedener Plazentahormone an die hypothalamisch-hypophysäre Achse gehemmt. Die Sekretion des hypophysären Wachstumshormons (STH) ist durch das HPL sowie einer Variante des Wachstumshormons plazentaren Ursprungs in seiner Freisetzung unterdrückt, die Produktion setzt im Rahmen des Wochenbetts wieder ein. Die Menge an adrenokortikotropem Hormon (ACTH), Kortisol und Corticotropin-relaeasing-Hormon (CRH) nimmt im Verlauf der Schwangerschaft weiter zu. Ein Teil dieser Hormone, wie insbesondere CRH, wird in erheblichen Mengen von der Plazenta gebildet und an den mütterlichen Blutkreislauf abgegeben. Die Sekretion des Thyreotropins (TSH) ist im 1. Trimenon HCG-bedingt leicht vermindert, in der restlichen Schwangerschaft aber gegenüber dem nichtschwangeren Zustand unverändert.
Studienbox Der Hypophysenhinterlappen ist während der Gravidität nicht an einer gesteigerten Hormonsekretion beteiligt; so konnte kein Anstieg des für die Wehentätigkeit wichtigen Oxytozins nachgewiesen werden (Fuchs et al. 1984).
Die Vasopressinfreisetzung sowie der osmotische Schwellenwert für Durst sinken während der Schwangerschaft. Das melanotrope Hormon (MSH) steigt erst im letzten Trimenon und kann derzeit nicht als Erklärung für die im 1. Trimenon beginnende Hyperpigmentierung der Haut herangezogen werden.
In der normal verlaufenden Schwangerschaft wird der Grundumsatz der Schilddrüse zwar um 20% gesteigert, die Euthyreose bleibt jedoch bestehen. Es kommt lediglich zu einer geringen Vergrößerung der Schilddrüse, die einerseits durch die Hyperplasie des Drüsengewebes, andererseits durch eine vermehrte Vaskularisierung bedingt ist (Glinoer et al. 1990). Die Schilddrüsenhormonproduktion der Mutter steigt an (Soldin et al. 2004). Die 3 wichtigsten Veränderungen der Schilddrüsenfunktion sind: 4 Erhöhung des zirkulierenden thyroxinbindenden Globulins (TBG), 4 schilddrüsenstimulierende Faktoren, v. a. plazentaren Ursprungs sowie β-HCG, 4 verringerte Mengen an Iodid für die mütterliche Schilddrüse. Die durch Östrogene induzierte Konzentrationserhöhung des TBG führt zu einem Anstieg der absoluten T3- und T4-Werte, ohne dass das freie T3 und T4 ansteigt. Das in der Frühschwangerschaft erhöhte, thyreotropinähnlich wirkende HCG bewirkt eine Stimulierung der mütterlichen Schilddrüse. Die Produktion von TSH ist aufgrund des negativen Feedbacks vermindert. In der Spätschwangerschaft kommt es dann zu einem relativen Absinken der Menge an freiem Schilddrüsenhormon, zu einem Sinken des HCG-Spiegels und somit zu einem TSH-Anstieg. > Die Vermehrung des Flüssigkeitsvolumens, die gesteigerte glomäruläre Filtration sowie der fetale Bedarf führen zu einem relativen Iodmangel, der wiederum eine Vergrößerung der Schilddrüse um bis zu 20% bedingt (Glinoer 1993). Im 1. Jahr nach der Geburt dürfte es bei bis zu 10% der Mütter zu einer Dysfunktion der Schilddrüse kommen, die mit Depression und Energielosigkeit einhergeht (Learoyd et al. 1992).
T3 und T4 spielen eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des fetalen Nervensystems. Fetales Schilddrüsengewebe zeigt Funktion ab der 12. SSW und ist in der 18.–20. SSW voll funktionsfähig. Bis dahin ist der Fetus auf maternalen Hormontransfer angewiesen, ebenso wie der Fetus durch die gesamte Schwangerschaft Iodzufuhr benötigt. Ab ca. der 16.–18. SSW ist die fetale Schilddrüse empfindlich für transferierte maternale Antikörper oder Medikamente (Glinoer 2001). Das in der Nebenschilddrüse produzierte Parathormon führt infolge des erhöhten Bedarfs im letzten Trimenon (erhöhter Kalziumbedarf der Mutter, Laktation, Fetus) zu einer funktionellen Hypertrophie dieser Drüsen. Das freie Kalzium bleibt im Serum unverändert, das gebundene sinkt jedoch leicht ab. > Für den Knochenstoffwechsel spielen v. a. 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3, Parathormon sowie Östrogen eine große Rolle.
Die mütterliche Nebennierenrinde, und zwar besonders die Zona fasciculata, dürfte in die Adaptationsvorgänge der Gravidität besonders eingebunden sein. Eine Vorstufe der Mineralokortikoide, das Plasma-11-Desoxykortikosteron, steigt in der Schwangerschaft kontinuierlich an; die Ursache könnte in
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188
11
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
einer Stimulierung über die fetoplazentare Einheit zu finden sein. Aldosteron nimmt in seiner Plasmakonzentration in der 21.–24. SSW und der 28.–32. SSW ab und sinkt damit parallel zum Progesteron. Man nimmt an, dass Progesteron direkt die Aldosteronfreisetzung beeinflusst. Bei den Glukokortikoiden erhöht sich das Plasmakortisol bis zum Ende der Schwangerschaft um das Doppelte und steigt während der Geburt sogar um das 2,5Fache an. Einerseits steigt das östrogeninduzierte Transportglobulin, andererseits könnte eine Ursache in der Erhöhung der mütterlichen ACTH-Sekretion zu finden sein. Der gesteigerte Anteil an freiem Kortisol könnte auch die Ursache der Striae distensae sein. Der Hauptanteil des in der Schwangerschaft benötigten Progesterons wird nicht in der mütterlichen Nebennierenrinde, sondern in der Plazenta selbst produziert und an den mütterlichen und fetalen Kreislauf abgegeben. Dieses Hormon ist an zahlreichen adaptierenden Vorgängen beteiligt, so z. B. an der Ruhigstellung der glatten Muskulatur am Uterus und im Gastrointestinaltrakt. Ein ganz besonders aktives endokrines Organ ist die Plazenta. Sie spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Adaptation sowie Regulation von Stoffwechselvorgängen im mütterlichen Organismus und ist für die adäquate Versorgung des Fetus verantwortlich. Die Plazenta produziert eine Vielzahl von Steroidhormonen und Polypeptid- bzw. Proteinhormonen. Die Peptid- und Proteinhormone der menschlichen Plazenta weisen durch strukturelle sowie auch funktionelle Merkmale große Ähnlichkeit mit Substanzen des Hypothalamus, wie den Releasingfaktoren, sowie auch mit Hormonen des Hypophysenvorderlappens auf. Eine plazentare Variante des Wachstumshormons (Patel et al. 1995) führt im letzten Trimenon zu einer fast vollständigen Supression der Sekretion des hypophysären Wachstumshormons; das im mütterlichen Blut zirkulierende Wachstumshormon ist fast ausschließlich plazentaren Ursprungs. In Bezug auf die Rezeptorbindung und biologischen Eigenschaften besteht große Ähnlichkeit zwischen dem hypophysären und dem plazentaren Wachstumshormon. Das plazentare Wachstumshormon ist zusammen mit dem HPL für schwangerschaftsspezifische Umstellungen im intermediären Stoffwechsel der mütterlichen Gewebe wie einer gesteigerten Insulinresistenz und einer vermehrten Lipolyse in der Spätschwangerschaft verantwortlich. Einen Überblick über physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft gibt . Tab. 11.4.
11.11
Psychische Veränderungen
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett führen im Leben einer Frau zu einer Vielzahl von tiefgreifenden Veränderungen biologischer, psychischer und sozialer Natur, die in einem relativ kurzen Zeitraum zu bewältigen sind. Dies kann gelegentlich zu einer ausgeprägten Reifungs- und Entwicklungskrise führen.
Im Rahmen der Frühschwangerschaft kommt es zu teilweise auch hormonell bedingten Veränderungen des vegetativen Nervensystems mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad. Die Symptome können vielfältig sein; häufig werden Schlafstörungen, Antriebsminderung und Veränderungen der Stimmungslage im Sinn einer Depression beschrieben, oft einhergehend mit schlechtem Allgemeinbefinden. Es gibt Hypothesen zum Einfluss physischen und psychischen Stresses der Mutter auf Frühgeburtlichkeit, Geburtsgewicht und frühkindliche Entwicklung, vermittelt über plazentares und maternales CRH, erhöhte Katecholamine und uterine Perfusionsveränderungen (Halbreich 2005). Das 1. und 2. Trimenon sind fast immer von intensiven Emotionen und widersprüchlichen Gefühlen begleitet, die eine adäquate Antwort auf die unterschiedlichen Belastungen sind. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, die Frau und ihren Partner auf den normalen Charakter dieser Ambivalenz hinzuweisen, um etwaigen Konflikten im Vorhinein entgegenzuwirken. In psychischen Ausnahmesituationen, wie Verlust des Partners, ungewollte Schwangerschaft, sehr junge Schwangere, jahrelanger Kinderwunsch u. a., kann es sogar zum Wunsch der Beendigung der Schwangerschaft kommen. Dies lässt sich durch die Sorge und Angst vor der zukünftigen ungewissen Entwicklung sowie durch eine unbewusste Ablehnung der Schwangerschaft erklären. Man nimmt an, dass v. a. auch die Vorstellung von Schwierigkeiten bei der bevorstehenden Geburt zu den Reaktionen Anlass gibt. > Im 2. Trimenon der Schwangerschaft ist das Wohlbefinden der schwangeren Frau besonders ausgeprägt, und in diesem Zeitabschnitt besteht auch ein hohes Maß an körperlicher Leistungsfähigkeit.
In der Spätschwangerschaft kommt es durch das Spüren der kindlichen Bewegungen, aber auch durch die Visualisierung des Kindes im Ultraschall (Langer et al. 1988) zu einer Stabilisierung der seelischen Befindlichkeit der werdenden Mutter (Stauber 1986). In dieser Phase ist dann auch eine verstärkte seelische Bindung an das Baby zu beobachten, die bis zu einem gewissen Grad mit einer Introversion verbunden ist. Ängste vor der nahenden Geburt modifizieren sich auch in Abhängigkeit von vorausgegangenen positiven oder negativen Geburtserlebnissen. > Die enge Verbindung mit dem noch Ungeborenen ist für die Partnerbeziehung eine oft sehr schwierige Phase, da sie eine Umorientierung und Neuordnung der Familie bedingt. Die Frau erwartet in dieser Situation eine besonders starke emotionelle Unterstützung durch ihren Partner.
Während der Entbindung ist die Frau der größten psychischen Belastung ausgesetzt, da sie mit massiven Ängsten den kommenden Ereignissen, v. a. der einsetzenden Wehentätigkeit, entgegensieht. Aus dieser Furcht ergibt sich das von Grantly beschriebene Syndrom aus Angst, Spannung und Schmerz, das auf den Verlauf der Geburt einen ungünstigen Einfluss nehmen kann. Hier ist es von besonderer Wichtigkeit, der Schwangeren schon im letzten Trimenon eine gute Geburtsvorbereitung anzuraten.
189 11.11 · Psychische Veränderungen
. Tab. 11.4. Physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft
. Tab. 11.4 (Fortsetzung)
Parameter
Parameter
Veränderung
Blut
Veränderung
Laborwerte
Hämoglobin
Fällt
Albumin
Fällt
Hämatokrit
Fällt
Bikarbonat
Fällt
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG)
Steigt
Cholesterol
Steigt
Glukose
Variabel
Folsäure
Fällt Harnstoff
Fällt
Eisen
Fällt Harnsäure
Fällt
Transferrin
Steigt Ionisiertes Kalzium
Unverändert
Blutvolumen
Steigt Totales Kalzium
Fällt
Plasmavolumen
Steigt Kreatinin
Fällt
Viskosität
Fällt Leberenzyme
Unverändert
Triglyzeride
Steigen
Herz, Kreislauf Blutdruck
Fällt und kehrt zum Ausgangswert zurück
Hormone
Herzminutenvolumen
Steigt
ACTH
Steigt
Herzfrequenz
Steigt
Aldosteron
Steigt
Hirndurchblutung
Unverändert
Calcitonin
Unverändert
Brustdurchblutung
Steigt
Kortisol
Steigt
Verdauungstrakt
Steigt gering
FSH
Fällt
Nierendurchblutung
Steigt
HCG
Steigt
Gebärmutterdurchblutung
Steigt
HGH
Fällt
Totaler peripherer Gefäßwiderstand
Sinkt
HPL
Steigt
Katecholamine
Unverändert, geringes Ansteigen
Prolaktin
Steigt
Relaxin
Steigt
TBG
Steigt
Gesamt-T4
Steigt
Freies T4
Unverändert
TSH
Früher Abfall, dann Wiederanstieg
Niere Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
Steigt
Kreatininclearance
Steigt
Renin und Angiotensin
Steigen
Ureterperistaltik
Fällt
Lunge Atemzugvolumen
Steigt
Atemfrequenz
Unverändert
Funktionelles Residualvolumen
Fällt
Arterieller pCO2
Fällt
Arterieller pO2
Steigt
11
190
Kapitel 11 · Physiologie des mütterlichen Organismus
Kommt es jedoch trotzdem zu dem beschriebenen Circulus vitiosus, so kann man z. B. durch eine Periduralanästhesie den gewünschten Erfolg hinsichtlich der Entspannung erreichen. > Als Regression der Gebärenden wird jene Verhaltensweise aus der Kindheit bezeichnet, durch welche die Frau Geborgenheit und Schutz beim betreuenden Personal sucht und sich durch »Klammern« an in der Nähe befindliche Personen Halt verschafft. So lässt sich auch die gut beeinflussbare Beziehung zwischen Gebärender sowie Hebamme und Arzt erklären, die mithilft, die Geburt positiv zu beeinflussen.
Retrospektiv betrachtet ist das größte Glückserlebnis für die Mutter die Geburt ihres Kindes, die damit vollbrachte Leistung sowie die erste Kontaktaufnahme mit dem Neugeborenen. Die Schmerzerlebnisse unter der Geburt sind vergessen und werden durch ein möglichst ungestörtes Kennenlernen (»bonding«) ersetzt. Vor allem für Eltern mit ambivalenten Gefühlen kann dieser Zeitraum bedeutsam sein. > Zur Förderung der Mutter-Kind-Beziehung ist das frühe Anlegen an die Mutterbrust besonders wichtig.
11
Während des Wochenbetts kommen zu den Gefühlen der Freude und des Stolzes wiederum Ängste im Sinn der Ambivalenz (Insuffizienzgefühle, Enttäuschungen etc.) hinzu. »Heultage« im Sinn der Entlastung nach der Geburt sind nicht selten und werden von den Müttern als besonders unangenehm bzw. lächerlich empfunden. Auch hier ist es wichtig, der Frau die Bestätigung zu geben, dass diese Gefühle normal sind und ohne Scham erlebt werden sollen. > Insgesamt beeinflussen Faktoren wie Alter, Parität, sozioökonomischer Status, Berufstätigkeit, Beziehungsstatus, Schwangerschaftsplanung und vorherige Geburtserfahrungen das psychische und emotionale Erleben und Verarbeiten einer Gravidität.
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11
12 12 Schwangerenvorsorge K. Vetter, M. Goeckenjan 12.1
Grundlagen der Schwangerenvorsorge – 194
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
Bedeutung des Vorsorgekonzepts im Rahmen der Präventivmedizin – 194 Gesetzliche Regelungen – 194 Geschichte der Schwangerenvorsorge – 195 Internationaler Vergleich – 196
12.2
Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft – 196
12.2.1 12.2.2 12.2.3
12.2.8
Erwartungen der Schwangeren an die Schwangerenvorsorge – 196 Präkonzeptionelle Beratung – 197 Diagnose der Schwangerschaft und Festlegung des errechneten Entbindungstermins – 198 Anamnese – 199 Untersuchungsmethoden – 199 Empfohlenes Vorgehen in der Schwangerschaft – 203 Beratung zu gesundheitlich relevanten Themen in der Schwangerschaft – 203 Risikoadaptiertes Vorgehen in der Schwangerschaft – 205
12.3
Daten aus Deutschland – 208
12.3.1 12.3.2
Akzeptanz der Schwangerenvorsorge – 208 Wandel der Mutterschafts-Richtlinien – 209
12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7
Literatur – 209
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
194
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
Schwangerenvorsorge umfasst neben einer Begleitung und Gesundheitsberatung sowohl die Prävention als auch das rechtzeitige Erkennen von Erkrankungen, die Risiken für Mutter und Kind bergen. Ziel der gesetzlichen, durch die MutterschaftsRichtlinien in Deutschland geregelten Strukturierung der Schwangerenvorsorge ist die flächendeckende standardisierte und optimierte Betreuung von Schwangeren. Die Betreuung soll kontinuierlich und durch eine oder wenige Bezugspersonen erfolgen, um eine tragende Beziehung zwischen der Schwangeren und der Vorsorgeeinrichtung zu ermöglichen. In Deutschland ist die Verzahnung von verschiedenen Versorgungsinstanzen wie niedergelassenen Ärzten, Hebammen und Geburtskliniken sowie der außerklinischen Geburtshilfe ein Kennzeichen der geburtshilflichen Versorgungsstruktur. Zumeist erfolgt die Schwangerenberatung durch niedergelassene Frauenärzte. Möglich ist die Schwangerenvorsorge aber auch durch Hebammen, die Untersuchungen im Umfang ihrer beruflichen Befugnisse bei Schwangeren ohne bekanntes Risiko durchführen können. Die Instrumente der Schwangerenvorsorge sind vielfältig und reichen von Anamnese und Beratung über klinische Untersuchung, Labordiagnostik, sonographische Diagnostik, spezielle Diagnostik in der Schwangerschaft bis hin zu invasiven diagnostischen Techniken wie z. B. einer Amniozentese. Die vorgeschriebenen Untersuchungen werden von den gesetzlichen Krankenund Ersatzkassen, aber auch von Krankenversicherungen getragen. Notiert werden die Befunde im standardisierten Mutterpass der KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung).
12
12.1
Grundlagen der Schwangerenvorsorge
12.1.1
Bedeutung des Vorsorgekonzepts im Rahmen der Präventivmedizin
Das medizinische Vorsorgekonzept in der Schwangerschaft besteht aus Information und individueller Beratung sowie Screening, Diagnostik und Therapie. Bei der Gesundheitsvorsorge – wie der Schwangerenbetreuung – stehen Information und Beratung zunächst im Vordergrund der Konsultation. Je nach Bedarf sind zusätzlich ergänzende Beratungsinstanzen, z. B. Sozialdienst, Psychologen, psychosoziale Beratungsstellen oder Drogenberatungsstellen, in die Versorgung zu integrieren.
Screening > Die Reihenuntersuchung von Schwangeren zur Erhebung des Gesundheitszustandes zielt auf das Erkennen oder den Ausschluss behandlungsrelevanter Risiken. Das Vorsorgekonzept umfasst zeitlich abgestuft diagnostische Leistungen, um mögliche Risiken zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Schwangerschaft erkennen zu können.
Voraussetzungen für einen Screeningtest 4 Frühe Erfassung des Problems 4 Hohe Erkennungsrate – hohe Sensitivität: RP/(RP+FN) 4 Niedrige Rate falsch positiver Resultate – hohe Spezifität: RN/(RN+FP) 4 Sicherheit 4 Kosten – Effizienz (RP richtig positiv, FP falsch positiv, RN richtig negativ, FN falsch negativ)
Screeningmethoden gelten dann als effektiv, wenn durch ihren Einsatz eine Unterscheidung zwischen normalen und pathologischen Befunden möglich ist und zudem das Erkennen des erhöhten Risikos mit einer angepassten Betreuung beantwortet werden kann. Einfache und schnell durchzuführende Untersuchungen, die ein Risiko erkennen lassen, sind neben Urinanalyse und Blutdruckmessung weitere effektive Screeningmethoden im Rahmen der Schwangerenbetreuung, wie die Antikörperbestimmungen bei Rhesuskonstellation, das Screening für behandelbare Infektionserkrankungen oder der sonographische Fehlbildungsausschluss.
Diagnose und Therapie Nach der Feststellung von Risiken schließen sich gezielte Diagnostik und Therapie an. Als Beispiele dafür zählen: 4 Antibiotikatherapie nach positivem Infektionsscreening auf pathogene Keime im Urogenitaltrakt, 4 Überwachung und ggf. Entbindung bei hypertensiver Schwangerschaftserkrankung, 4 intrauterine Bluttransfusion bei fetaler Anämie, 4 individuelle Geburtsplanung bei behandelbaren oder kritischen fetalen Fehlbildungen an einer dafür qualifizierten Klinik wie einem Perinatalzentrum.
12.1.2
Gesetzliche Regelungen
Für Deutschland existieren Mutterschafts-Richtlinien, in denen Art und Ausmaß der Versorgung in der Schwangerschaft und nach der Entbindung geregelt werden, diese sind rechtlich bindend. Damit stehen sie rechtlich auf einer anderen Stufe als die in den letzten Jahren zunehmend in Konsensusverfahren von Klinikern, Methodikern, Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und Repräsentanten der ärztlichen Selbstverwaltung entstandenen Empfehlungen und Leitlinien, die einen Handlungskorridor beschreiben, von dem im individuellen Fall begründet abgewichen werden kann (www.dggg.de; www.awmf-online.de). Die Mutterschafts-Richtlinien werden derzeit vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Krankenkassen verantwortet. Sie sind unter dem Titel »Richtlinien über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (Mutterschafts-Richtlinien)« veröffentlicht (www.g-ba.de/ informationen/richtlinien/19/).
195 12.1 · Grundlagen der Schwangerenvorsorge
Es ist das Ziel, Risikoschwangerschaften und Risikogeburten frühzeitig zu erkennen und die weitere ärztliche Betreuung risikoadaptiert durchzuführen: »Es sollen nur Maßnahmen angewendet werden, deren diagnostischer und vorbeugender Wert ausreichend gesichert ist (…).« (ebd.) Bereits in der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 wurden Vorschriften über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen bei Schwangerschaft und Mutterschaft geregelt (§§ 195–200b RVO). Durch diese Vorschriften wird bis heute die Leistungspflicht der Krankenkassen in der Schwangerschaft und der Mutterschaft im Gegensatz zu anderen Leistungspflichten, die Krankheitszustände betreffen, besonders hervorgehoben. Die versicherte Schwangere hat einen Anspruch auf ärztliche Betreuung, Hebammenhilfe und Krankenhausbehandlung. Im § 200 RVO werden die gesetzlichen Schutzfristen geregelt sowie die Höhe und der Pflichtzuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld. Mit Hilfe der ärztlich initiierten Qualitätssicherung wurde zunächst auf Kammerebene und seit 1986 deutschlandweit der Versuch gestartet, die perinatalmedizinische Versorgung methodisch zu evaluieren und zu verbessern. Dieses Instrument ermöglichte es erstmals, die Qualität und den Versorgungsstandard bezüglich Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft und während der Geburt flächendeckend und transparent zu vergleichen. Gemeinsame jährliche Konferenzen in München ermöglichten einen Qualitätsabgleich auf nationaler Ebene. Den Bögen der Perinatalerhebung ist z. B. zu entnehmen, wie viele Frauen die Schwangerenvorsorge in Anspruch nehmen. Kritisch zu erwähnen ist die lange Latenz, mit der neue Erkenntnisse in den Mutterschafts-Richtlinien umgesetzt werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss, im Internet unter www.g-ba.de/ präsent, führt regelmäßig Sitzungen durch. Aktuelle Themen der letzten Sitzungen und Beschlüsse waren: Diskussion der Einführung eines Gestationsdiabetesscreenings, Empfehlung der HIV-Testung in der Schwangerschaft sowie die Aufnahme der Beurteilung der Chorionizität bei Mehrlingsschwangerschaften mittels Sonographie in die Mutterschafts-Richtlinien im März 2008. Regelmäßig werden diese Aktualisierungen veröffentlicht und durch ärztliche Publikationsorgane wie das Deutsche Ärzteblatt und Fachzeitschriften publik gemacht.
12.1.3
Geschichte der Schwangerenvorsorge
Eine systematische Schwangerenberatung wurde schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Deutschland eingeführt. Besonders Döderlein hat sich um den Aufbau einer Schwangerenvorsorge verdient gemacht. In Deutschland empfahl er als »Vorschläge für eine gesetzliche Regelung der ärztlichen Überwachung der Schwangeren« schon 1941 standardisierte Beratung und Untersuchungen sowie die Anlage einer Karteikarte. Seit 1966 ist die Schwangerenvorsorge Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, 1968 wurde in Westdeutschland der Mutterpass (. Abb. 12.1) und in der DDR der Schwanger-
. Abb. 12.1. Ein deutscher Mutterpass
schaftsausweis eingeführt. Der Mutterpass dient der standardisierten und transportablen Dokumentation der Vorsorgeuntersuchungen. Er gibt Auskunft über die Ergebnisse durchgeführter Untersuchungen im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge, wie Blutgruppe, Rhesusfaktor, Rötelntiter sowie über weiterführende Diagnostik wie z. B. Ultraschall und CTG. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt eine Erweiterung der Ziele der Schwangerschaftsvorsorge ausgehend von einer Verminderung der mütterlichen und kindlichen Mortalität zur Verringerung der mütterlichen Morbidität und der ungestörten Entwicklu ngsfähigkeit des Kindes bis hin zur verbesserten individuellen Beratung und Betreuung der schwangeren Frau im Hinblick auf die familiäre Zufriedenheit (. Abb. 12.2). Nicht nur die technischen Entwicklungen und veränderten Überwachungsmöglichkeiten während der Geburt haben mütterliche und kindliche Morbidität und Mortalität im letzten Jahrhundert entscheidend positiv beeinflusst, sondern auch und gerade die verbesserte pränatale Überwachung der Schwangeren, die Abschätzung von Risikofaktoren für Schwangerschaft und Geburt und die Behandlung z. B. von Infektionskrankheiten sowie Präventionsmaßnahmen wie Impfungen, Anti-D-Prophylaxe etc.
12
196
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
. Abb. 12.2. Entwicklung der Ziele von Schwangerschaftsvorsorge seit 1900
12.1.4
12
Internationaler Vergleich
Internationales Prinzip der effektiven Schwangerenvorsorge ist eine barrierefreie, überall gut verfügbare und kostenlose Versorgung wie in vielen europäischen Ländern (neben Deutschland z. B. Dänemark, Frankreich, Irland, Großbritannien) oder ohne Selbstbeteiligung (Norwegen). Die Anzahl der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen variiert in den einzelnen Ländern. So umfasst die Routineschwangerenvorsorge in Großbritannien 7–9 Termine, während vom ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists) 12 Termine vorgeschlagen werden. Für Europa wird ein gemeinsamer Minimalkonsens gefordert, bislang variieren die nationalen Vorgaben für die Schwangerenvorsorgekonzepte stark (Bernloehr et al. 2005).
Studienbox Die Beurteilung der Evidenz verschiedener Aspekte der Schwangerenvorsorge ist schwierig. Dass sie mit einer Senkung der perinatalen Mortalität und Morbidität für Mutter und Kind einhergeht, ist eine theoretische Annahme. Zeitgleich mit der Einführung z. B. in Deutschland, Großbritannien und USA ist es zu einer Reduktion der mütterlichen und fetalen Mortalität gekommen. Die Form der Schwangerenvorsorge und die Anzahl der Untersuchungen sind jedoch in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Die Cochrane-Übersicht von Villar et al. (2004) über die Schwangerenvorsorge bei Schwangeren mit niedrigem Risiko beschäftigt sich mit den möglichen Auswirkungen einer Reduktion der Anzahl der Vorsorgetermine. Die Übersicht über 10 kontrolliert randomisierte Studien in verschiedenen Ländern zeigt, dass eine Reduktion von Vorsorgeterminen nicht mit einem nachweisbar schlechteren mütterlichen oder perinatalen Ergebnis verbunden ist, dass jedoch bei vielen Frauen die Zufriedenheit mit der Betreuung abnimmt. Die Effizienz der Vorsorge scheint weniger von der Frequenz der Untersuchungen als vielmehr vom Einsatz geeigneter Maßnahmen zu Prophylaxe und Erkennung einer Risikoschwangerschaft ab-
6
zuhängen. Versuche, flexible Vorgaben für die Vorsorge in einer risikoarmen Schwangerschaft zu entwerfen, führten zwar zu möglichen Einsparung von Terminen und somit Kosten, aber auch häufiger zu Unsicherheiten bei der Schwangeren (Jewell et al. 2000).
Ein Vergleich der deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich und Schweiz zeigt, dass die Schwangerenvorsorge nicht generell so klar gesetzlich geregelt ist wie in Deutschland. In Österreich gibt der kombinierte Mutter-Kind-Pass die Vorsorgeuntersuchungen in Schwangerschaft und Kindheit vor. Das Kinderbetreuungsgeld (entsprechend dem deutschen Erziehungsgeld) ist an eine Mindestanzahl von Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere und Kind gekoppelt. In der Schweiz existiert kein einheitlicher Mutterpass, 7 geplante Konsultationen sind in der Schwangerschaft vorgesehen sowie ein postpartaler Kontrolltermin. Die Kantone regeln die Schwangerenvorsorge jedoch regional. An der Universitätsfrauenklinik Zürich wurde der Versuch gestartet, die Daten der Schwangerenvorsorgeuntersuchungen inklusive Ultraschalldokumentation, Geburt und Wochenbett sowie Informationen für die Schwangere im pdf-Format auf einer USB-Speicherkarte zu sammeln und somit sowohl für die betreuenden Institutionen als auch für die Schwangere leicht verfügbar und aktualisierbar zu machen (Zimmermann 2005).
12.2
Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
12.2.1
Erwartungen der Schwangeren an die Schwangerenvorsorge
Die Rolle der Frau wandelt sich in der Schwangerschaft, besonders bei der ersten Geburt, von der häufig berufstätigen unabhängigen und selbstbestimmten Frau zur Mutter. Aber auch bei Mehrgebärenden ändern sich Lebenssituation und Anforderungen deutlich. Aus diesem Rollenwechsel ergeben sich viele Fragen, die in einem angemessenen persönlichen Kontakt mit dem Frauenarzt zur Sprache kommen können.
197 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
Die Vermittlung von Wissen über Schwangerschaft und Geburt ist genauso wichtig wie die Betonung eines Gesundheitsbewusstseins für Mutter und Kind bzw. die Familie.
Studienbox Die Erwartungen, die Frauen an die Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett stellen, sind – angelehnt an die österreichische Studie von Wimmer-Puchinger (1994) – elementar und beinhalten: 4 gründliche und verständliche Informationsvermittlung, 4 Verständnis und Akzeptanz der jeweiligen Lebenssituation der Frau, 4 freundliche und verständliche Betreuung, 4 möglichst kontinuierliche Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, 4 effiziente Ablauforganisation und kurze Ambulanzwartezeiten bei Untersuchungen, 4 Respekt vor der Intimität der Frau, 4 längere Gesprächszeiten, 4 kompetente Unterstützung bei Problemen, 4 Beratung und Unterstützung zum allgemeinen Gesundheitsverhalten, 4 Vermittlung und Beratung bezüglich des Geburtsorts.
Einige ergänzende, jedoch nicht wissenschaftlich validierte Programme zur Vorsorge sind in den letzten Jahren in Deutschland entstanden. So bietet beispielsweise das vom Berufsverband der Frauenärzte in Deutschland und von der AOK empfohlene »BabyCare« ein umfassendes Vorsorgeprogramm für Schwangere in Ergänzung zur üblichen Schwangerenvorsorge an: von der besonderen Ernährungsberatung bis hin zur Entspannungsmusik. Auch das Internet bietet Schwangeren diverse Möglichkeiten, sich zu informieren und in Foren auszutauschen (exemplarisch als ärztlich supervidierte Informationsseite: www.swissmom.ch/).
12.2.2
Präkonzeptionelle Beratung
Ziel der präkonzeptionellen Beratung ist die Reduktion der mütterlichen und kindlichen Morbidität und Mortalität, genau so wie die Vermeidung medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche. Schwerpunkte präkonzeptioneller Gesundheitsfürsorge (in Anlehnung an Jack u. Culpepper 1990) 4 Systematische Diagnostik präkonzeptioneller Risiken bei allen fertilen Frauen (Familien- und Eigenanamnese, gynäkologische und soziale Anamnese, Allgemeinzustand, Sucht- und Arzneimitteleinnahme) 4 Risikoorientierte Aufklärung und Beratung
6
4 Einschätzung des potenziellen Risikos einer Schwangerschaft für Mutter und Kind bei vorbestehenden Erkrankungen 4 Genetische Beratung und Diagnostik 4 Immunstatus und Impfschutz (Röteln, Hepatitis) 4 Ernährung und gesunde Lebensweise 4 Soziale, finanzielle und psychologische Aspekte 4 Wahl des Schwangerschaftszeitpunktes und der Kontrazeption 4 Frühzeitige und kontinuierliche Schwangerenvorsorge und gezielte risikoorientierte Betreuung
Die Phase vor dem gewollten Eintreten der Schwangerschaft ist eine sensible Phase für die Gesundheitserziehung. Viele Paare, die ihren Kinderwunsch bewusst realisieren wollen, sind bereit, sich gesundheitlich und sozial ganz auf die neuen Lebensumstände einzulassen. So lässt sich mit dem Einstellen von gesundheitsschädigenden Angewohnheiten wie dem Rauchen, dem Alkoholkonsum oder der unnötigen Einnahme von Medikamenten die Rate an Fehlbildungen und intrauterinen Wachstumsrestriktionen vermindern. Ein gut durchdachtes Konzept ist die Initiative »Rauchfrei in der Schwangerschaft«, z. B. als Broschüre angeboten von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (http://www.rauchfrei-info.de/). Auch die bewusste, konstruktive Aufklärung über Risiken der Adipositas im Rahmen der Schwangerschaft für Mutter und Kind kann die Frau motivieren, präkonzeptionell Gewicht zu verlieren. Dabei ist es wichtig, individuelle Befürchtungen und Ängste der Frau zu berücksichtigen.
Studienbox Ein Beispiel für die effektive Prävention von fetalen Fehlbildungen durch Ernährungsberatung ist die perikonzeptionelle Folsäuresubstitution mit 0,4 mg/Tag mit einer konsekutiven Reduktion von Neuralrohrdefekten um 70– 100% (Wild et al. 1997). Trotz der Aufklärung über diese effektive Maßnahme konnte die Inzidenz von Neuralrohrdefekten in Europa noch nicht eindeutig gesenkt werden. Wahrscheinlich lässt sich dies erst durch eine flächendeckende Folsäureergänzung zu Grundnahrungsmitteln erzielen (Busby et al. 2005).
Die Schwangerschaft bedeutet eine erhöhte hämodynamische Belastung und Stoffwechselanforderung für den Organismus der Mutter. Bei vorbestehenden Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Asthma bronchiale und Herzerkrankungen sollte eine Schwangerschaft geplant und unter möglichst optimaler medikamentöser Therapie eintreten. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung auch von Frauen mit systemischen Erkrankungen, die früher selten das fertile Lebensalter erreicht haben, können heute auch Frauen mit Erkrankungen wie einer Mukoviszidose oder schweren angeborenen Herzfehlern bzw. nach einer Transplantation geplant schwanger werden. Dabei gilt es, die besonderen Charakteristika dieser Erkrankungen
12
198
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
zu kennen und bei Bedarf gezielt therapeutisch zu intervenieren. Dies kann nur in besonderen Risikosprechstunden oder Zentren mit Erfahrung und interdisziplinärer Zusammenarbeit garantiert werden. Ein wichtiger Bestandteil der präkonzeptionellen Beratung ist die genetische Beratung und Diagnostik. In einer Sprechstunde der Humangenetik erfolgt eine individuelle Beratung zu verschiedenen konkreten Fragestellungen. Gründe für die Beratung könnten sein: 4 Trisomie 18 beim ersten Kind, 4 komplexes Fehlbildungssyndrom bei der Schwester der Mutter. Auch die Beratung bei habitueller Abortneigung gehört zur präkonzeptionellen Beratung. Bei Antiphospholipidantikörpersyndrom, Autoimmunerkrankungen und thrombophilen Risiken in Form von Gerinnungsstörungen wie Faktor-V-Leiden-Mutation oder Protein-S-Mangel soll während der Schwangerschaft eine gezielte Therapie erfolgen.
12.2.3
12
Diagnose der Schwangerschaft und Festlegung des errechneten Entbindungstermins
Schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft bemerken viele Schwangere die physiologische Anpassung des Körpers. Häufig sind eine Zunahme des Brustumfangs, Übelkeit und Müdigkeit erste subjektive Schwangerschaftszeichen. Die hormonelle Umstellung mit Überwiegen der endogenen Gestagene in der Frühschwangerschaft kann schon früh zu vermehrtem Harndrang, Verstopfung und vermehrter Ödembildung führen. Das Ausbleiben der Menstruationsblutung führt heute üblicherweise zur Bestätigung der Schwangerschaft mittels Urin-HCG-Test. Die leichte Verfügbarkeit und verlässliche Qualität der Tests hat zu einer deutlich früheren Schwangerschaftsfeststellung in den letzten Jahrzehnten geführt. Nur bei nicht kohärenten Befunden wie persistierender Blutung oder unklarem sonographischem Befund wird eine HCG-Bestimmung im Serum durchgeführt. Diese ist quantitativ und sensitiver als die Bestimmung im Urin und wird schon 8– 10 Tage nach Konzeption positiv. Die vaginale Ultraschalluntersuchung gehört heute zur Routine bei der Feststellung der Schwangerschaft, wobei besonders die Lokalisation der Schwangerschaft, die Vitalität des Embryos sowie die Größe von Fruchthöhle und Embryo von Bedeutung sind. Klassische Schwangerschaftszeichen wie Lividität der Portio und des Introitus oder die tastbare Auflockerung und Vergrößerung des Uterus sind durch Ultraschalluntersuchungen in den Hintergrund getreten. Die Berechnung des Schwangerschaftsalters und somit des »errechneten Termins« für die Entbindung (ET) erfolgt nach dem 1. Tag der letzten Regelblutung. Bei unregelmäßiger Blutung werden die fehlenden oder zusätzlichen Tage mitberücksichtig. Mit Hilfe der Naegele-Regel lässt sich der errechnete Termin bestimmen (. Abb. 12.3). Andere Möglichkeiten zur ET-Bestimmung sind die Berechnung nach dem Konzeptionszeitpunkt, dem Zeitpunkt der Insemi-
. Abb. 12.3. Naegele-Regel zur Errechnung des erwarteten Entbindungstermins
nation oder des Embryonentransfers bei assistierter Reproduktion. Computerberechnungen nach der sonographischen Biometrie oder das Ablesen von Gravidarien bzw. Schwangerschaftsscheiben vereinfachen die Bestimmung des ET (. Abb. 12.4). Der ET ist eine berechnete Größe der mittleren Tendenz einer schiefen Verteilung (Median- bzw. Modalwert). Der Terminzeitraum ist definiert als die Zeit zwischen 37 und 42 vollendeten Wochen post menstruationem (p. m.). Zur genauen Schwangerschaftsaltersbestimmung eignet sich die sonographische Messung der Scheitel-SteißLänge (SSL) des Fetus vor 12 SSW. Danach werden Berechnungen auf der Basis der sonographischen Biometrie des Fetus zunehmend unsicherer. In späteren Schwangerschaftswochen besteht eine enge Korrelation lediglich zwischen dem transzerebellaren Durchmesser und dem Gestationsalter (. Abb. 12.5). Das Gestationsalter ist wichtig, um sonographisch das fetale Wachstum zu beurteilen und eine fetale Makrosomie bzw. intrauterine Wachstumsrestriktion zu erkennen. Bei vorzeitiger Wehentätigkeit und vorzeitigem Blasensprung bestimmt das Schwangerschaftsalter besonders in Grenzsituationen wie bei 24 SSW das perinatale Vorgehen. Auch bezüglich der Terminüberschreitung ist die Kenntnis des errechneten Termins für das Procedere ausschlaggebend.
. Abb. 12.4. Schwangerschaftsscheibe (Gravidarium), z. B. nach Dudenhausen u. Pluta
199 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
. Abb. 12.5. Scheitel-Steiß-Länge (SSL), transzerebellarer Durchmesser
Tipp Ergeben sich Differenzen zwischen errechnetem Termin nach der letzten Periode und dem sonographischen Schwangerschaftsalter, so sollte eine Korrektur entsprechend dem errechneten Termin nach Ultraschallbiometrie möglichst bis 12 SSW vorgenommen werden.
12.2.4
Anamnese
Anhand des Risikokatalogs im Mutterpass können anamnestische Risiken der Frau abgefragt werden. Diese werden gut sichtbar notiert und bei Bedarf bei den folgenden Untersuchungen ergänzt. Neben medizinischen Faktoren mit Einfluss auf die Schwangerschaft sollten auch soziale und psychische Bedingungen angesprochen werden. Diese lassen sich sinnvoll im direkten Gespräch während des Erstkontaktes im Rahmen der Schwangerenvorsorge thematisieren. Soziale Belastungen sind mit erhöhten medizinischen Risken in der Schwangerschaft – wie intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR), Frühund Fehlgeburten – verbunden. Die Identifizierung gefährdeter Frauen kann gelingen durch offene Fragen zu verschiedenen Aspekten der sozialen Integration: zur Qualität der Paarbeziehung, zur Familiensituation und wirtschaftlichen Absicherung sowie zu Gewalterfahrungen und Abusus. Folgende Fragen können das Gespräch im Rahmen der Schwangerenvorsorge und Geburt zur Beurteilung der psychosozialen Situation erleichtern (Goeckenjan et al. 2008): 4 War die Schwangerschaft geplant? 4 Wie ist die Beziehung zum Vater des Kindes? 4 Haben Sie in der letzten Zeit körperliche Gewalt erfahren? 4 Wie schätzen Sie Ihre wirtschaftliche Situation ein? 4 Haben Sie finanzielle Sorgen?
12.2.5
Untersuchungsmethoden
Jegliche diagnostische Maßnahme – sei es Screening oder Ultraschalluntersuchung – setzt die Zustimmung der Schwangeren voraus; der erwünschte »informed consent« basiert auf adäquater Information. Um den medizinischen und wissenschaftlichen Standard der Betreuung zu sichern, sollen (im Rahmen der Schwangerenvorsorge) »nur Maßnahmen angewendet werden, deren diagnostischer und vorbeugender Wert ausreichend gesichert ist« (Mutterschafts-Richtlinien). Dazu gehört im Einzelnen: 4 Untersuchung und Beratung i. d. R. im Abstand von 4 Wochen, in den letzten 2 Schwangerschaftsmonaten je 2 Termine, 4 Beratung in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt, Beratung bei schwangerschaftsbedingten Beschwerden und persönlichen oder sozialen Problemen, 4 Untersuchung zum Zweck der Feststellung der Schwangerschaft, genaue Bestimmung des Gestationsalters, 4 Erhebung der Anamnese (Familien-, Eigen-, Schwangerschafts-, Sozialanamnese), 4 Maßnahmen der Gesundheitsförderung, Beratung bezüglich der Lebensführung (Ernährungsberatung, Sozialberatung, Beratung über allgemeine Hygiene, Mundhygiene und bei Bedarf über sexuelle Fragen), 4 Untersuchungen:
5 gynäkologische Untersuchung, einschließlich Zervixabstrich, Untersuchung auf Chlamydia trachomatis, ggf. Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie, 5 Messung von Blutdruck, Körpergewicht, Untersuchung des Mittelstrahlurins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, Bestimmung der Hämoglobinkonzentration, 5 Kontrolle des Standes der Gebärmutter, SymphysenFundus-Abstand, Kontrolle der kindlichen Herzaktionen, Feststellung der Lage des Kindes,
12
200
4
4
12 4 4 4 4 4
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
5 kardiotokographische oder ggf. amnioskopische Untersuchungen; die Kardiotokographie ist laut Mutterschafts-Richtlinien indiziert ab 26/27 SSW bei drohender Frühgeburt, ab 28 SSW bei auskultatorischen Herzfrequenzveränderungen oder bei vorzeitiger Wehentätigkeit, 5 serologische Untersuchungen auf Infektionen, z. B. Lues, Röteln, Hepatitis B, bei begründetem Verdacht auf Toxoplasmose und andere Infektionen, zum Ausschluss einer HIV-Infektion auf freiwilliger Basis nach vorheriger obligater Beratung, blutgruppenserologische Untersuchungen während der Schwangerschaft und nach der Geburt oder Fehlgeburt und Anti-D-Immunglobulinprophylaxe, Ultraschalluntersuchungen jeweils bei 5 8+0 – 11+6 SSW, 5 18+0 – 21+6 SSW, 5 28+0 – 31+6 SSW mit dem Ziel der genauen Bestimmung des Gestationsalters, der Kontrolle der somatischen Entwicklung des Fetus, der Suche nach auffälligen fetalen Merkmalen und Beurteilung des fetalen Wachstums und der Plazenta, dem frühzeitigen Erkennen von Mehrlingsschwangerschaften. Dopplersonographische Untersuchung sind in der 2. Schwangerschaftshälfte indiziert bei: 5 Verdacht auf intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR), Präeklampsie, 5 anamnestischen Risiken, 5 auffälligem CTG, Mehrlingsschwangerschaften mit diskordantem Wachstum, 5 Verdacht auf Herzfehlbildungen. Untersuchung und Beratung der Frau während der Zeit des Wochenbetts. Medikamentöse Maßnahmen und Verordnungen von Verband- und Heilmitteln. Ausstellung und Führung eines Mutterpasses und Bescheinigungen. Überweisung der Schwangeren bei Risikokonstellationen. Beratung zur Wahl der Entbindungsklinik.
. Tab. 12.1. Zervixscore nach Bishop (1964; modifiziert) zur Beurteilung der Zervixreife
Punkte
0
1
2
3
Zervixlänge [cm]
2
1
0,5
0
Konsistenz
Derb
Mittel
Weich
Weich
Position
Sakral
Mediosakral
Zentriert
Zentriert
Muttermundsweite [cm]
Geschlossen
1
2
3
Höhenstand der Leitstelle
–3
–2
–1
+1–2
Interpretation: Bishop-Score <5 unreif, >5 und <8 mittel, >8 reif.
Mit der flächendeckenden Einführung der vaginalen Sonographie sind die Uteruszeichen in der Frühschwangerschaft in ihrer Bedeutung zurückgetreten. Die Vergrößerung des Uterus ist üblicherweise erst ab 6 SSW palpabel. Mittels standardisiertem Zervixscore, z. B. nach Bishop (. Tab. 12.1), kann die Zervix beurteilt werden, Länge, Position, Konsistenz der Portio sowie Öffnung der Zervix gehen in die Bewertung mit ein. Ein Bishop-Score von bis zu 5 Punkten beschreibt eine unreife Portio. Auch auf den die Zervix verschließenden Schleim kann geachtet werden. In höheren Schwangerschaftswochen wird der Bezug zum Becken, der Höhenstand in Relation zum Beckeneingang und die Beweglichkeit des vorangehenden kindlichen Teils beurteilt. Zur Objektivierung und Verlaufskontrolle bei vermuteter Zervixverkürzung eignet sich die Beurteilung der Zervixlänge mittels vaginaler oder abdominaler Ultraschalluntersuchung oder ggf. durch Introitussonographie.
Studienbox
Lediglich bei der Erstvorstellung ist eine gynäkologische Untersuchung gefordert. Diese besteht aus der Inspektion von Vulva, Scheide und Portio. Die typische schwangerschaftsbedingte livide Verfärbung der Scheide und der Portio kann dabei auffallen. Die Portio sollte beurteilt werden in Hinblick auf Verletzungen nach vaginaler Geburt oder Verkürzung, z. B. nach Konisation. Besonderes Augenmerk sollte auf die Beschaffenheit der Portio gerichtet werden. Eine zytologische Untersuchung im Rahmen der Krebsvorsorge wird empfohlen. Nativabstrich und pH-Wert der Scheide sollten beurteilt werden. Bei der Untersuchung ist es sinnvoll, typische Veränderungen der Scheide (Weite, Dehnbarkeit, Senkung) zu beurteilen. Die in den Richtlinien empfohlene Abklärung auf Chlamydia trachomatis erfolgt auf verschiedene Weise, z. B. sehr erfolgreich mittels Urin-PCR. Bei der bimanuellen Palpation können Vergrößerung, Auflockerung und Konsistenz des Uterus beurteilt werden.
Um die Zuverlässigkeit der Aussage und Reproduzierbarkeit der Untersuchungen der Zervixlänge zu erhöhen, wird seit einiger Zeit die sonographische Zervixbeurteilung eingesetzt. Es zeigt sich jedoch, dass die Aussagekraft der Zervixlängenmessung nicht zuverlässig eine Risikoerhöhung für eine Frühgeburt repräsentiert. Eine Studie zur Vorhersage einer Frühgeburt durch vaginalen Ultraschall in einem Risikokollektiv konnte für eine funktionelle Zervixlänge von <25 mm bei 24/25 SSW eine recht gute Vorhersage für einen frühen vorzeitigen Blasensprung sowie für die vorzeitige Entbindung vor 32 SSW zeigen (Odibo et al. 2002). Aktuell kristallisieren sich eher 15 mm als Grenzwert heraus. Zusätzliche Kriterien wie die Öffnung des inneren Muttermundes (Trichterbildung) werden bezüglich ihrer prognostischen Aussage kontrovers diskutiert.
12
201 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
Die Bestimmung der tastbaren und der sonographischen Zervixlänge wird besonders bei vorzeitiger Wehentätigkeit zur Abschätzung des aktuellen Risikos einer Frühgeburt und somit zur therapierelevanten Entscheidungsfindung eingesetzt. In höheren Schwangerschaftswochen dienen die LeopoldHandgriffe (. Abb. 12.6) zur orientierenden Untersuchung der Schwangeren. Dabei können Fundusstand, Lage des Kindes, Stellung des kindlichen Rückens und Poleinstellung sowie die Beziehung des vorangehenden Teils zum Becken ertastet werden. Eine sonographische Kontrolle der fetalen Lage sollte
insbesondere bei vermuteter Lage- oder Poleinstellungsanomalie (Beckenendlage, Quer- bzw. Schräglage) in Terminnähe erfolgen. Die quantitative Messung des Symphysen-Fundus-Abstandes gehört mit zu den orientierenden Untersuchungen und sollte bei jeder Untersuchung erfolgen. Auch wenn es einer Übersicht des Cochrane Database von Neilson (2000) zufolge keine eindeutigen Daten zur Bedeutung dieser Messung während der Schwangerenvorsorge gibt, so lässt diese einfache Messung Rückschlüsse auf das Wachstum des Uterus und somit eine Verbindung zum Wachstum des Fetus zu. Bei
. Abb. 12.6. Leopold-Handgriffe. a Leopold-Handgriff 1: Ermittlung des Fundusstandes. b LeopoldHandgriff 2: Ermittlung der Stellung des kindlichen Rückens bzw. der kleinen Teile. c Leopold-Handgriff 3: Ermittlung des vorangehenden Teils. d Leopold-Handgriff 4: Ermittlung der Beziehung des vorangehenden Teils zum Beckeneingang (Diedrich 2000)
a
b
c
d
202
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
. Abb. 12.7. Unauffälliges CTG
12
auffällig verstärktem oder vermindertem Wachstum erfolgt eine sonographische Untersuchung zur fetalen Biometrie. Der Einsatz der Kardiotokographie ist laut MutterschaftsRichtlinien bei vorzeitiger Wehentätigkeit ab 26 SSW indiziert. Ab 28 SSW soll bei den Vorsorgeuntersuchungen ein Nachweis der Herzaktionen erfolgen (Auskultation, Dopplersonographie). Diese Richtlinien sind auch aufgrund des deutlich in frühere Gestationswochen (z. B. 24 SSW) gerückten maximalen Einsatzes für den Fetus bei deutlich gestiegenen Überlebensraten veraltet. Die neuen Leitlinien der DGGG »Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt« weisen einen deutlich erweiterten Indikationskatalog auf. Bei Risikoschwangerschaften wird eine Ergänzung der CTG-Untersuchung durch andere Überwachungsmethoden des Fetus mit einer längerfristigen Vorwarnzeit empfohlen, dazu zählen Kineto-CTG, Fruchtwassermengenbestimmung und Dopplersonographie. Für die Routineüberwachung mittels CTG bei Nichtrisikoschwangeren vor dem errechneten Termin gibt es keine Indikation. Für die standardisierte Beurteilung des antenatalen CTG ist in Deutschland der allerdings nicht validierte Score nach Fischer weit verbreitet (. Abb. 12.7). Durch die FIGO (International Federation of Gynecology and Obstetrics) wird ein vereinfachtes Beurteilungsschema vorgeschlagen, das als einziger Score bezüglich seiner prognostischen Wertigkeit analysiert wurde. Spezielle CTG-Geräte ermöglichen eine computergestützte Auswertung z. B. nach den Dawes-RedmanKriterien, die besonders die Herzfrequenzoszillationen, die sog. Kurzzeitvariationen (»short term oder beat-to-beat variability«), erfassen (z. B. Oxford-CTG) und durch Standardisierung eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglichen.
Studienbox Die Kardiotokographie wird zur antenatalen Beurteilung des fetalen Zustands heute als Screeningmethode zunehmend bei nahezu jeder Frau im Rahmen der Schwangerenvorsorge eingesetzt. Empfohlen wird die CTG-Unter-
6
suchung vor der Geburt jedoch nur bei Vorliegen einer Risikoschwangerschaft. Große Studien zur Überwachung mit CTG konnten bisher selbst in Hochrisikoschwangerschaften keinen Gewinn bezüglich der perinatalen Mortalität zeigen, wenn die Entscheidungen allein aus dem CTG ohne flankierende Diagnostik abgeleitet wurden. Kardiotokogramme können abhängig von der Erfahrung des Untersuchers z. T. schwer interpretierbar sein. So ergeben sich u. U. falsch positive Befunde, die zu vorzeitigem Handeln führen können. Eine CTG-Untersuchung entspricht einer Momentaufnahme des fetalen Zustandes im Sinne eines Akutmarkers. Im Gegensatz dazu repräsentieren andere Untersuchungen wie die Dopplersonographie längerfristige Perspektiven der Versorgung des Fetus und seiner Anpassung (Neilson 1996).
Aktuell werden als Zeitpunkte für die in Deutschland empfohlenen und finanzierten 3 sonographischen Untersuchungen in der Schwangerschaft die Zeiträume 8–12, 18–22 sowie 28–32 SSW angegeben. Die routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen dienen der Überwachung einer normal verlaufenden Schwangerschaft mit den Zielen: 4 Sicherung des intrauterinen Sitzes der Schwangerschaft, 4 Sicherung der intakten Schwangerschaft (positive Herzaktionen), 4 genaue Bestimmung des Schwangerschaftsalters, 4 frühes Erkennen von Mehrlingen, Beurteilung der Chorionizität, 4 Kontrolle der somatischen Entwicklung des Fetus (Biometrie), 4 Suche nach auffälligen fetalen Merkmalen (Körperumriss, Struktur, Proportion, Bewegungsverhalten), 4 Kontrolle des Plazentasitzes, 4 Lagekontrolle des Fetus. Für die Schweiz und Österreich gibt es Tendenzen, die erweiterte Ersttrimesterdiagnostik als Kombination aus sonographischer Nackentransparenzmessung und laborchemischen
203 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
Markern wie PAPP-A und β-HCG im Serum der Schwangeren nach Aufklärung über eine individuelle Risikobewertung als Regelleistung verfügbar zu machen. Bislang werden diese Untersuchungen wie in Deutschland als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) auf Wunsch der Schwangeren durchgeführt.
Lage bezüglich der Schwangerschaftsvorsorge individuell auf die Frau eingehen zu können, kann die »Routinevorsorge« nach entsprechender Beratung um einige Maßnahmen ergänzt werden. Derartige Untersuchungen können als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) abgerechnet werden.
Ergänzende ärztliche Betreuungsmöglichkeiten
12.2.6
Empfohlenes Vorgehen in der Schwangerschaft
Die Standardsituation der Vorstellung einer Schwangeren in der Frauenarztpraxis beinhaltet zunächst die orientierenden Untersuchungen, die meist schon vor dem Kontakt der Schwangeren mit dem Frauenarzt selbst erfolgen. Dazu gehören bei jeder Vorstellung: Urinuntersuchung, Messung des Körpergewichts und des Blutdrucks, Blutentnahmen und Kontrolle der kindlichen Herzaktionen sowie Lagekontrolle des Fetus in höheren Schwangerschaftswochen. Diese Untersuchungsergebnisse werden in den Mutterpass in die dafür vorgesehene Tabelle eingetragen. Im Rahmen des ärztlichen Kontakts mit der Schwangeren soll ein Verständnis für die durchgeführten Untersuchungen erzielt werden. Die Beratung umfasst Erläuterungen zu gesundheitsbewusstem Verhalten, besonders zu Ernährung, Bewegung, Freizeit und Sexualität sowie zum Umgang mit Suchtstoffen, v. a. Nikotin und Alkohol. Auch auf präventives Verhalten bei der Mundhygiene sollte hingewiesen werden. Ein besonderes Beispiel für die präventive Gesundheitsberatung ist die gezielte Prophylaxe durch Gabe von Lebensmittelzusätzen wie Folsäure, Iodid und Magnesium, eine Veränderung der Lebensführung, eine sinnvolle Zusammensetzung der Nahrungsmittel unter Berücksichtigung von Kohlenhydraten und Vitaminen oder der Verzicht auf Suchtmittel wie Nikotin und Drogen im engeren Sinne wie Heroin oder Kokain. Körperliche Bewegung bzw. Sport wirken gesundheitsfördernd. Gesundheitliche Probleme durch Adipositas, aber auch Untergewicht, sollten sensibel angesprochen werden, Hilfsangebote können auch spätere Lebensphasen prägen. Ziel der Beratung sollte ein bedarfsorientiertes ergebnisoffenes Gespräch zur Klärung von individuellen Fragen und Problemen sein. Dabei ist es wichtig, Beratungsschwerpunkte zu setzen, die sich am Schwangerschaftsalter orientieren. Dazu gehört z. B. das Ansprechen der Problematik der pränatalen Diagnostik in der Frühschwangerschaft genauso wie die Geburtsplanung im 3. Trimenon. Die Schwangere ist ebenso über relevante – außerhalb der Mutterschafts-Richtlinien mögliche – weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten aufzuklären wie darüber, dass sie auf Untersuchungen innerhalb des Angebots der MutterschaftsRichtlinien bewusst verzichten kann. In der Regel sind die Vorsorgeuntersuchungen laut Mutterschafts-Richtlinien bis 32 SSW im Abstand von 4 Wochen und danach im Abstand von 2 Wochen vorgesehen. . Tab. 12.2 zeigt diese Routineuntersuchungen. Bei Risikokonstellationen werden weiterführende Untersuchungen durchgeführt (in der Tabelle eingeklammert dargestellt). Um in der veränderten
4 4 4 4 4 4 4 4
Beratung bezüglich Lebensführung Erweiterte Substitutionstherapie Selbstkontrolle des Vaginalmilieus Messung der funktionellen Zervixlänge Individuelle Risikoevaluation Dopplersonographie Echokardiographie Nackentransparenzbestimmung zur individuellen Risikobestimmung 4 Erweiterte individuelle Diagnostik 4 Weiterführender Ausschluss von Fehlbildungen ohne Hinweiszeichen 4 Abklärung genetischer Besonderheiten des Fetus
12.2.7
Beratung zu gesundheitlich relevanten Themen in der Schwangerschaft
Das Verständnis für bestimmte Schwangerschaftsbeschwerden, die physiologisch im Rahmen der Anpassung auftreten, kann den subjektiven Leidensdruck der Schwangeren mindern. Dabei ist es sinnvoll, Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, vermehrten vaginalen Ausfluss, Kindsbewegungen, erschwerte Nasenatmung, Ödemneigung, Rückenschmerzen etc. anzusprechen und individuelle Lösungen zu finden. Mehr als 50% aller Schwangeren leiden an Übelkeit, Erbrechen oder übermäßigem Speichelfluss. Diese Symptome verschwinden normalerweise bis etwa 16 SSW. Das verstärkte Auftreten der physiologischen Beschwerden (Hyperemesis gravidarum) mit starker Beeinträchtigung des Alltags stellt einen behandlungsbedürftigen Zustand dar. Gewichtsverlust und Ketonurie sind deutliche Marker für die Notwendigkeit einer intensivierten Therapie, u. U. mit stationärer Behandlung. Besonders in der Spätschwangerschaft leiden viele Schwangere an einer gastroösophagealen Refluxsymptomatik mit saurem Aufstoßen und Sodbrennen. Karenz reizender Substanzen wie Kaffee oder Alkohol, Oberkörperhochlagerung, Einnehmen kleiner Mahlzeiten oder ggf. die Einnahme eines Magenschutzpräparates mit Schaumbildner können entlasten. In Einzelfällen ist es angebracht, darüber hinaus H2Ionenblocker einzusetzen. Neben der tonussenkenden Wirkung der Gestagene auf die Darmwand führt häufig auch eine direkte mechanische Behinderung in den späteren Schwangerschaftswochen zu einer Obstipation. Durch die orale Gabe von Magnesium lässt sich häufig eine suffiziente Stuhlpassage erreichen. Der individuelle Bedarf an Magnesium bemisst sich an der Stuhlkonsistenz.
12
204
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
. Tab. 12.2. Gemäß den Mutterschafts-Richtlinien empfohlene Untersuchungen in der Schwangerschaft: Routineuntersuchungen (zusätzliche Untersuchungen bei Risikoschwangerschaften in Klammern)
Untersuchungen
Feststellung der Schwangerschaft
12 SSW
16 SSW
20 SSW
24 SSW
28 SSW
32 SSW
34 SSW
36 SSW
38 SSW
40 SSW
Allgemeine Beratung
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
Ausführliche Anamnese
×
Vaginale Untersuchung
×
Messung von Körpergewicht und Blutdruck
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
Klinische Beurteilung von Ödemen, Varikosis
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
(×)
(×)
(×)
(×)
(×)
(×)
(×)
×
×
×
×
×
×
Messung Fundusstand Herzaktionen
×
×
CTG Kindslage
12
×
Blutgruppe
×
Antikörpersuchtest Anti-D-Prophylaxe
×
×
×
Hb-Bestimmung
×
×
×
×
×
×
×
×
Mittelstrahlurin, ggf. Kultur
×
×
×
×
×
×
×
×
Chlamydien, Lues, HIV
×
Röteln
×
(Toxoplasmose)
×
×
×
(×) (×)
(×)
(×)
Hepatitis B
×
Streptokokken B
(×)
Diabetesscreening
(×)
Ultraschallscreening
×
Dopplersonographie Humangenetische Beratung Pränatale Diagnostik
×
×
(×) (×)
(×)
(CVS) (NT)
(AC)
Ernährungsberatung und Motivation zur regelmäßigen Bewegung können einer überdurchschnittlichen Gewichtszunahme entgegenwirken. Neben einer individuellen Disposition führt die starke Gewichtszunahme zum Reißen der Unterhaut, den Striae distensae. Besonders im Bereich des Gesichtes und des Bauches kann es zum Auftreten lokaler Hyperpigmentierung, dem Chloasma gravidarum, kommen. Diese Veränderungen verschwinden meist im Wochenbett, können jedoch z. B. auch
(KC)
unter hormoneller Antikonzeption oder starker Sonneneinstrahlung erhalten bleiben. Vermehrter Haarwuchs und erhöhte Haardichte in der Schwangerschaft bildet sich normalerweise im Wochenbett zurück. Es kommt nicht selten zum postpartalen Effluvium, das sich gewöhnlich – spätestens nach dem Abstillen – wieder legt. Weitere häufige Beschwerden sind Wadenkrämpfe und verstärkte Bildung von Varizen im Bereich der unteren Extre-
205 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
mität. Kompressionsstrümpfe zur Verbesserung des venösen Rückflusses, aber auch zur Stabilisierung der gesamten hämodynamischen Situation mit Vermeidung einer Blutdruckdysregulation sollten während der Schwangerschaft und im Wochenbett empfohlen werden. Ein Hämorrhoidalleiden kann neu in der Schwangerschaft auftreten oder sich verstärken. Hierbei sind Stuhlregulation und lokale, möglichst medikamentenfreie Therapie mittels Stuhlgangregulation und Glycerinzäpfchen sinnvoll. Bei vaginaler Entbindung kommt es häufig zu einer weiteren Verschlechterung. Während des Wochenbetts bilden sich Hämorrhoiden gewöhnlich zurück, auf jeden Fall bessern sich die Beschwerden. Eine adstringierende Therapie – z. B. durch Sitzbäder mit tanninhaltigen Lösungen – unterstützt den Besserungsvorgang erheblich. ! Insgesamt besteht ein mehr als 6-fach erhöhtes Thromboserisiko während der Schwangerschaft und des Wochenbetts.
Die physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft betreffen das Gerinnungssystem: Die dynamische Balance zwischen Koagulation und Fibrinolyse ist in Richtung auf eine Hyperkoagulabilität mit erhöhtem Thromboserisiko verändert, wahrscheinlich als evolutionsbedingte Adaptation an die bevorstehende Geburt. Besonders bei präexistenten Gerinnungsstörungen wie APC-Resistenz, Faktor-V-Leiden-Mutation, Protein-S- oder -C-Mangel, beim Antiphospholipidsyndrom sowie der Hyperhomozysteinämie kommt es zu einer erhöhten Thromboseneigung. Das höchste Risiko für eine Thrombose bei bekannter Thrombophilie besteht beim Antithrombin-III-Mangel. Zumeist werden diese Gerinnungsstörungen erstmalig im Rahmen einer Abklärung bei habitueller Abortneigung, intrauterinem Fruchttod, Präeklampsie oder vorzeitiger Plazentalösung erkannt. Eine präventive Behandlung steht mit der Antikoagulation mittels niedermolekularen Heparinen, ggf. in Kombination mit Azetylsalizylsäure, z. B. beim Antiphospholipidsyndrom zur Verfügung. Auch Rückenschmerzen treten in der Schwangerschaft gehäuft auf. Zusätzlich kommt es durch Gewebsauflockerung in Sehnen, Bändern und Gelenken in der Schwangerschaft zu einer veränderten Statik und Stabilität, die durch Muskelkraft ausgeglichen wird. Die Folgen können eine schnellere Ermüdbarkeit und lokale schmerzhafte Verspannungen, wie Muskelhartspann oder Myogelosen, sein. Um die Last des Bauches auszugleichen, nehmen viele Schwangere mit einer Hyperlordose eine typische Körperhaltung ein. Gezielte physiotherapeutische Übungen, optimal mit Anleitung, können die Beschwerden lindern. Besonders sensibel sollten auch erstmals während und nach der Schwangerschaft auftretende Inkontinenzbeschwerden (Harn- und Stuhlinkontinenz) angesprochen werden. Nicht nur Mehrgebärende, sondern auch Erstgebärende können eine Inkontinenz entwickeln, die häufig aus Schamgefühl nicht thematisiert wird. Unterstützendes Verständnis und Vermittlung von Verhaltensregeln, gezielte Untersuchungen und ggf. weitere therapeutische Maßnahmen wie Beckenbodentraining oder Biofedback können die Symptomatik deutlich verbessern.
12.2.8
Risikoadaptiertes Vorgehen in der Schwangerschaft
Werden bei den jeweiligen Untersuchungen kontrollbedürftige Befunde erhoben, so erfolgt die weitere Betreuung der Schwangeren risikoadaptiert. Als Risikoschwangerschaften gelten zusätzlich Schwangerschaften mit auffälliger Anamnese. Der Katalog der Mutterschafts-Richtlinien für die Risikoanamnese umfasst internistische Vorerkrankungen, belastete Familienanamnese, Allergien, geburtshilfliche Komplikationen bei vorangegangenen Schwangerschaften, das Alter der Schwangeren <18 oder >35 Jahre. Befundrisiken sind z. B. Anämie unter 10 g/dl, Proteinurie, Hypertonie, Bakteriurie, vaginale Blutungen, Makrosomie, Terminunklarheit. Einige Risiken in der Schwangerschaft haben sich in den letzten Jahren als besonders bedeutungsvoll herausgestellt: Gestationsdiabetes, fetale Wachstumsrestriktion, Rhesusinkompatibilität, Risiken, die zu einer Frühgeburt führen, und systemische Infektionen.
Gestationsdiabetes Bereits im 1. Trimenon soll nach den Mutterschafts-Richtlinien ein diagnostischer oraler Glukosetoleranztest (oGTT) vorgenommen werden, wenn entsprechende Risikofaktoren vorliegen, wie Übergewicht oder anamnestisch Diabetes in der Familie sowie in einer vorangegangenen Schwangerschaft Gestationsdiabetes, makrosomes Kind, Totgeburt, schwere kongenitale Fehlbildungen oder habituelle Abortneigung. Der Routineeinsatz eines oGTT auf Grundlage evidenzbasierter Daten wird aktuell noch diskutiert, trotz verstärkter Bestrebungen der Arbeitsgemeinschaft »Schwangerschaft und Diabetes« der Deutschen Diabetes Gesellschaft und neuer Daten (HAPO-Studie 2008) ist er bislang noch nicht in die deutschen Mutterschafts-Richtinien aufgenommen worden. Nach dem bisherigen Vorgehen mit Glukosetestung im Urin werden nur etwa 10% der Schwangeren mit Gestationsdiabetes erfasst. Es ist das Ziel der Vorsorge, diese für Mutter und Kind bedeutsame Erkrankung zu entdecken. Der nicht Mutterschafts-Richtlinien-konformen Leitlinie der DGGG »Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie des Gestationsdiabetes« folgend ist ein Belastungstest mit 75 g Zucker für alle Schwangeren zwischen 24 und 28 SSW sinnvoll, bei dem zunächst der Nüchternwert und nach Einnahme der Testlösung die Blutzuckerwerte nach 1 und 2 h bei der Schwangeren gemessen werden. Es ist zu erwarten, dass mit diesem Vorgehen weitaus mehr Schwangere mit Gestationsdiabetes erkannt und adäquat behandelt werden können als bisher. Allerdings hat sich ebenfalls gezeigt, dass Überernährung der Mutter einen größeren Einfluss auf einen veränderten Stoffwechsel des Kindes mit konsekutiver Makrosomie hat als ein Diabetes mellitus der Mutter, was bedeutet, dass eine normale bzw. vernünftige Ernährung – unabhängig von einem oGTT – die Basis für einen normalen Schwangerschaftsausgang darstellt. Bei einem Gestationsdiabetes sind regelmäßige Blutzuckermessungen sowie eine gezielte Ernährungsberatung, die Anleitung zu Bewegung oder Sport und ggf. die Einstellung mit Insulin indiziert. Gerade hier ist eine gute und tragfähige
12
206
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
Beziehung zum Frauenarzt wichtig, um den Lebensstil zu analysieren und evtl. nachhaltig zu ändern. Eine mögliche Weiterleitung an einen Schwerpunkt für Diabetes in der Schwangerschaft und eine gezielte Schwangerschafts- und Geburtsplanung sollen angeboten werden.
Rhesusinkompatibilität Das serologische Blutgruppenscreening auf Antikörper in der Schwangerschaft umfasst Rhesusantikörper und weitere seltenere Antikörper. Das standardisierte Vorgehen mit wiederholten Antikörpersuchtests und besonders die Gabe von AntiD-Immunglobulin haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Minimierung von Unverträglichkeitsreaktionen geführt. Die Prävention betrifft jedoch bis heute nur die Sensibilisierung einer Rhesus-negativen Frau durch ein Rhesus-positives Kind. Noch vor 30 Jahren waren die Immunisierungsfolgen für die Folgeschwangerschaften von fetaler Anämie bis hin zum Hydrops fetalis nicht selten. Zur Abklärung der Risikosituation gehört u. a. die Zygositätsbestimmung beim Kindsvater. Ebenfalls möglich ist eine nichtinvasive Blutgruppenbestimmung vom Kind aus dem Blut der Mutter. Weitere Maßnahmen sind Spezialisten vorbehalten, wie bildgebende und funktionelle Diagnostik beim Kind im Hinblick auf eine Anämie bis hin zu invasiver Diagnostik und Therapie via Nabelschnurpunktion.
Studienbox
12
Durch die effektive Gabe von Immunglobulin zur Prävention einer Sensibilisierung gegen Anti-D ist der M. haemolyticus neonatorum selten geworden. Eine aktuelle Studie über die Kosten-Nutzen-Rechnung der Immunglobulingabe bei Rhesus-negativen Frauen in Großbritannien kommt zu dem Ergebnis, dies sei eine effiziente sekundäre Präventivmaßnahme (Chilcott et al. 2004). Dennoch bleibt der M. haemolyticus neonatorum ein Risiko; in Deutschland sind Immunisierungen durch Bluttransfusionen und Blutprodukte relativ stärker in den Vordergrund getreten. Zu den häufigeren gehören: Anti-Kell, Anti-c, Anti-E, Anti-Fya.
Fetale Wachstumsrestriktion Fällt bei der Biometrie ein zu kleines Kind im Vergleich zu den dem Schwangerschaftsalter entsprechenden Perzentilenkurven auf, so sollte unter der Verdachtsdiagnose intrauterine Wachstumsrestriktion neben nochmaligem Ausschluss anatomischer Besonderheiten bzw. von Stoffwechselstörungen – wie einer Phenylketonurie oder einem Alkoholsyndrom – eine Dopplersonographie durchgeführt werden. Der Einsatz der dopplersonographischen Untersuchung von Aa. uterinae, Aa. umbilicales und anderen Gefäßen, wie der A. cerebri media bei Risikoschwangerschaften senkt signifikant die kindliche Mortalität und Morbidität (Neilson u. Alfirevic 1996) und ist in den Mutterschafts-Richtlinien vorgesehen (. Abb. 12.8).
. Abb. 12.8. Dopplerkurve der A. uterina (»Notch«)
Studienbox Die uteroplazentare Blutströmung wird in der Dopplersonographie der Aa. uterinae repräsentiert. Veränderungen erfassen ein erhöhtes Risiko v. a. für Wachstumsrestriktion und schwere Präeklampsie (Becker et al. 2003). Mit dem Nachweis beidseitiger Notches in der Hüllkurve des Dopplersonogramms gehen erhöhte Risiken für Frühgeburt, intrauterinen Fruchttod oder vorzeitige Plazentalösung einher. Ein Ausschluss persistierender Notches bis ca. 22 SSW kann als Basis einer prospektiv risikoarmen Schwangerschaft gewertet werden. Diese Empfehlung entspricht jedoch nicht den Mutterschafts-Richtlinien.
Verhinderung von Frühgeburten Zu den beeinflussbaren Ursachen von Frühgeburten gehören: 4 Infektionen (lokale oder aufsteigende Infektionen, verändertes Vaginalmilieu, liegendes intrauterines Pessar, Harnwegsinfektionen, systemische Infektionen, wie z. B. Malaria), 4 Soziale Faktoren, 4 Drogenkonsum, 4 Polyhydramnion, 4 Anämie. Aus dieser Aufzählung werden effektive Ansatzpunkte zur Vermeidung einer Frühgeburt im Rahmen der Schwangerenbetreuung deutlich: besonders die Früherfassung lokaler und aufsteigender Infektionen durch pH-Messung des Scheidensekretes und Bakteriologie von Urin, Vaginal- und Zervixabstrich. Im Anschluss an die Diagnose einer Infektion steht die gezielte Therapie mit Antibiotika, ggf. nach Anlegen eines Antibiogramms. In Sonderfällen kann ein operativer Zervixverschluss im Sinne einer Infektbarriere im Zervikalkanal angebracht sein.
207 12.2 · Ärztliche Beratung und Betreuung in der Schwangerschaft
Studienbox
Studienbox
Eine der häufigsten und vermeidbaren Ursachen von Frühgeburten ist die oft über lange Zeit unbemerkte Zunahme von infektionsauslösenden Erregern im bakteriellen Milieu der Scheide. Das ergänzende Selbstvorsorgeprogramm nach Saling (1993) wird in einigen Gebieten Deutschlands evaluiert und beinhaltet die regelmäßige pH-Selbstmessung durch die Schwangere und eine bedarfsorientierte antiinfektiöse Therapie (Hoyme u. Möller 2001). In einer prospektiv durchgeführten Studie in einem Risikokollektiv konnte die Rate an sehr kleinen Neugeborenen unter 1000 g von 3,3% auf 0,3% im Rahmen des Selbstvorsorgeprogramms gesenkt werden. Diese signifikante Reduktion wurde auch in einer prospektiven Studie im Bundesland Thüringen gefunden. Hier zeigte sich in der Perinatalerhebung bereits nach kurzer Zeit eine Senkung der Geburtsraten vor 32 SSW von 1,6% auf 1,0%.
Die groß angelegte präventive Studie von Schrag et al. (2002) konnte zeigen, dass mit Hilfe des B-Streptokokkenscreenings mit einem kombinierten Abstrich aus Vagina und Rektum und der antibiotischen Therapie die Rate der Neugeborenensepsis durch GBS um 65% vermindert wird. Nach Ansicht der amerikanischen Autoren besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten-Nutzen-Analyse kein Zweifel an der Effektivität eines generellen Screenings und der peripartalen Antibiotikagabe.
Vaginale und systemische Infektionen Zu dem in den Mutterschafts-Richtlinien vorgesehenen Infektionsscreening gehören lokale Infektionen mit Chlamydien sowie systemische Infektionen mit Hepatitis B und HIV, nicht diejenige mit Streptokokken B. Die vaginale Infektion mit Chlamydia trachomatis ist weltweit zur häufigsten sexuell übertragenen Erkrankung geworden. In Deutschland wird mit einer Prävalenz von etwa 5% gerechnet. Das Screening auf Chlamydien ist in den Mutterschafts-Richtlinien fixiert und sollte bei etwa 12 SSW erfolgen. Empfohlen wird der Chlamydienabstrich, sensibler ist jedoch der DNA-Nachweis im Urin mittels PCR. Diskutiert wird ein Zusammenhang zwischen Chlamydieninfektion und Fehl- sowie Frühgeburten, sodass eine effektive Eradikation mit Makroliden oder Amoxicillin einer sekundären Prävention gleichkommt. Der Partner sollte mitbehandelt werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Chlamydienreinfektion zu minimieren. Die Fortführung der Routinetestung auf Syphilis, obwohl relativ kostengünstig und trotz möglicher effektiver Therapie, wird derzeit diskutiert. In den letzten Jahrzehnten hatte die Prävalenz der Lues/Syphilis deutlich abgenommen, ist jedoch im Zuge der Migration besonders aus osteuropäischen Ländern wieder deutlich gestiegen. Das Screening sieht eine serologische Suchreaktion mittels TPHA (Treponema-pallidumHämagglutinations-Hemmtest) vor, bei dem erregerspezifische IgG- und IgM-Antikörper nachgewiesen werden. Der TPHA gilt als Ausschlusstest, ist jedoch sehr unspezifisch. Mit der Penicillingabe im Depot steht eine effektive und einfache Therapie zur Verfügung. Das Screening auf eine vaginale oder rektale Besiedlung mit B-Streptokokken nach 32 SSW zur Vermeidung einer Neugeborenensepsis mittels Antibiotikagabe während der Geburt ist in einigen Ländern Standard. In Deutschland wird dieses Vorgehen von den Fachgesellschaften empfohlen, in den Mutterschafts-Richtlinien ist es nicht vorgesehen.
Ein generelles serologisches Screening auf Rötelnantikörper ist in den Mutterschafts-Richtlinien vorgesehen. Ein geringer Anteil von geimpften Frauen bleibt negativ und muss besonders überwacht werden. Bei Befunden, die nicht auf eine Immunität schließen lassen, sollte eine erneute Antikörperuntersuchung bei 16 SSW erfolgen. Nach Kontakt einer seronegativen Frau mit einer an Röteln erkrankten Person im 1. und 2. Trimenon solle eine passive Rötelnimmunisierung erfolgen. Serologische und sonographische Kontrollen sollen durchgeführt werden. Bei serologisch nachgewiesener Erstinfektion in der Schwangerschaft kann eine gezielte pränatale Diagnostik durchgeführt werden. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge wird der betreuende Arzt gelegentlich auch mit Infektionen durch Varizellen, Zytomegalievirus oder Parvovirus B19 konfrontiert. Hierbei ist es wichtig, den serologischen Status zu erheben. Das individuelle Risiko muss mit der Frau besprochen werden, und ggf. eine weiterführende Diagnostik erfolgen, z. B. in Form sonographischer Verlaufskontrollen bei vermuteter intrauteriner Infektion oder durch pränatale invasive Diagnostik, wie mit gezieltem Erregernachweis aus dem Fruchtwasser. 1994 wurde in die Mutterschafts-Richtlinien das Screening der Schwangeren auf eine Infektion mit Hepatitis B aufgenommen. Bei 32 SSW soll das Blut auf Hepatitis-B-surface-Antigen getestet werden (HBsAg). In Deutschland werden etwa 0,5–1% aller Schwangeren HBsAg-positiv getestet. Besondere Risikogruppen bilden z. B. Frauen mit medizinischen Berufen, mit intravenösem Drogenabusus oder asiatischer Herkunft. Bei positivem Nachweis von HBsAg ist ein differenzierender Hepatitisserologiestatus zu erheben. Das Risiko einer perinatalen Infektion des Kindes ist bei aktiver/ persistierender Hepatitis am höchsten, so bei gleichzeitigem Nachweis von HBeAg. Unmittelbar nach der Entbindung solle eine simultane Impfung mit aktivem und passivem Impfstoff erfolgen. Da HIV nicht auf Risikogruppen beschränkt ist, wird eine allgemeine Testung – im Einzelfall auch anonym – bei jeder Schwangeren obligat empfohlen. Seit 1987 ist die Testung lediglich fakultativer Bestandteil der Mutterschafts-Richtlinien und erfolgt freiwillig nach Aufklärung der Schwangeren. Auf die große Bedeutung der Empfehlung des HIV-Screenings weist die letzte Änderung der Mutterschafts-Richtlinien im September 2007 hin. Zur Unterstützung der Aufklärung wurde ein Merkblatt für Schwangere den Mutterschafts-Richtlinien angehängt.
12
208
Kapitel 12 · Schwangerenvorsorge
Das Übertragungsrisiko auf das Kind kann durch geeignete Maßnahmen, wie peripartale antivirale Therapie und primäre Sectio vor Wehentätigkeit und Blasensprung erheblich reduziert werden. Bei positivem Testausfall soll entsprechend den aktuellen Therapierichtlinien vorgegangen werden, Referenzzentren sind geeignet, die Therapie zu übernehmen oder flankierend zu beraten. Lokale Infektionen wie beispielsweise Chlamydieninfektion, Trichomoniasis und bakterielle Vaginose kommen bei HIV vermehrt vor, können zu vorzeitiger Wehentätigkeit führen und bergen somit ein erhöhtes Risiko für eine fetomaternale HIV-Transmission. Bis zu 1/3 der HIV-infizierten Frauen weisen vulväre, vaginale oder zervikale Dysplasien auf, die durch die HIV-induzierte Immunsuppression schneller als sonst zu einem Karzinom progredieren können. Daher sollten ggf. eine Wiederholung des zytologischen Abstrichs der Zervix und eine Kolposkopie erfolgen.
Studienbox
12
Connor et al. (1994) konnten zeigen, dass bei Frauen mit HIV-Erkrankung ohne bisherige antiretrovirale Medikation die Gabe von Zidovudin während der Geburt und antenatal eine deutliche Reduktion der Mutter-Kind-Transmission bewirkte (etwa 60%). In der Folge konnte die weitere Reduktion der HIV-Transmission auf unter 1% erreicht werden. Das Regime umfasst derzeit 4 Bestandteile: 4 intravenöse antiretrovirale Dreifachkombination in der Schwangerschaft und unter der Geburt, alternativ 4 Nevirapin in Kurzinfusion, 4 elektive Sectio vor Wehenbeginn und 4 orale Zidovudin-Gabe postnatal (Leitlinie der DGGG: Empfehlungen zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen). Fakultativ wird in industrialisierten Ländern Stillverzicht empfohlen. Aktuell wird der bislang obligate Kaiserschnitt infrage gestellt.
Mögliche Folgen einer Toxoplasmose, die durch eine Antibiotikatherapie vermindert werden können, sind v. a. Totgeburten (ca. 10% der Fälle), Hydrozephalus, intrazerebrale Verkalkungen und Chorioretinitis, die klassische Trias der pränatalen Toxoplamose. Bei etwa 60% der intrauterinen Infektionen verläuft die Erkrankung subklinisch, doch können später im Säuglings- oder Kleinkindalter Hirn- und Augenschäden auftreten. Die Unterscheidung zwischen abgelaufener und relevanter Infektion mit Toxoplasmose ist nicht immer einfach. Spezifische Referenzlaboratorien vermitteln den aktuellen Stand der Abklärungsdiagnostik. Im positiven Fall kann es – je nach Situation – angebracht sein, eine invasive Diagnostik, z. B. eine Amniozentese zur Fruchtwassergewinnung für eine Toxoplasmose-PCR, durchzuführen. Bezüglich einer medikamentösen Therapie ist auf aktuelle Leitlinien hinzuweisen; ebenso darauf, dass es eine Therapie, die den Fetus mit hoher Sicherheit vor möglichen Krankheitsfolgen schützt, nicht gibt. Umstritten sind sowohl die Medikamente (Spiramycin einerseits sowie Pyrimethamin und Sulfadiazin) als auch die notwendige Therapiedauer prä- und postpartal.
12.3
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2008 675.187 lebendgeborene Kinder registriert, im Vergleich zum Jahr 2005 fast 10.000 weniger. Obwohl die Gesamtzahl der betreuten Schwangeren abnimmt, steigt die Zahl der Risikoschwangeren kontinuierlich. Gemäß den Daten der Bundesstelle für Qualitätssicherung (BQS) wird etwa nur 1/3 der Schwangerschaften als Schwangerschaft ohne dokumentiertes Risiko eingestuft. Ein Großteil der Risiken beruht auf gesellschaftlichen Veränderungen, v. a. der Zunahme des Alters der Mütter, auf Sterilitätstherapien oder internistischen Erkrankungen.
12.3.1 Ein generelles Screening auf Toxoplasmose wird in Deutschland nicht empfohlen, während es in Österreich zu den vorgesehenen Untersuchungen zählt; in der Schweiz ist es gerade wieder gestrichen worden. Ein Screening vor oder in der Schwangerschaft kann die gefährdeten seronegativen Frauen herausfiltern, um eine gezielte Expositionsprophylaxe betreiben zu können. Immerhin wird die Häufigkeit der pränatalen Toxoplasmose in Mitteleuropa auf 10–30 Fälle pro 10.000 Lebendgeburten geschätzt. Da die Erstinfektion im Großteil der Fälle klinisch okkult verläuft, ist ein serologisches Screening mit der Bestimmung spezifischer IgG-Antikörper gegen Toxoplasma gondii erforderlich. Eine pränatale Infektion des Fetus mit Toxoplasmose kann erfolgen, wenn sich eine nicht immune Frau während der Schwangerschaft mit Toxoplasmen infiziert. Um eine mögliche Serokonversion bei diesen nicht immunen, also IgG-negativen Frauen zu detektieren, werden nachfolgende Untersuchungen etwa alle 8–12 Wochen empfohlen.
Daten aus Deutschland
Akzeptanz der Schwangerenvorsorge
Bislang wird davon ausgegangen, dass die Vorsorgeuntersuchungen effektiv sind. Erst bei einer hohen Akzeptanz werden Präventivmaßnahmen wie die Schwangerenvorsorge zur effizienten gesundheitspolitischen Maßnahme. Rund 75% der schwangeren Frauen nehmen die durch die MutterschaftsRichtlinien vorgegebene Anzahl von 10 Vorsorgeuntersuchungen wahr. Die aktuellen Daten zur Akzeptanz der Schwangerenvorsorge sind jeweils der Perinatalerhebung (BQS) zu entnehmen. Noch vor einigen Jahren stellten sich Schwangere durchschnittlich erst zwischen 15 und 24 SSW in der gynäkologischen Praxis vor. Heute erfolgen die ersten Vorsorgeuntersuchungen zu 80% im 1. Trimenon. Diese Entwicklung lässt eine zunehmende Verantwortung der werdenden Mutter gegenüber ihrem Kind und sich selbst erkennen, wobei diese Tendenz hauptsächlich bei höherem Bildungsniveau der Schwangeren deutlich wird.
209 Literatur
Besonders problematisch ist die mangelnde Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen durch Risikogruppen: Schwangere mit sozialer Belastung nehmen Vorsorgeuntersuchungen in geringerem Ausmaß wahr. Weitere Risikofaktoren sind Alter unter 20 Jahren, geringes Ausbildungsniveau (Pflichtschule ohne Abschluss), große Familien mit drei oder mehr Kindern, ungeplante Schwangerschaft und Abwesenheit des Kindvaters. Ähnliche Risikofaktorkonstellationen bestehen bei Frühgeburt und erhöhter perinataler Sterblichkeit. > Ein wichtiges Ziel ist es, gerade diese Risikogruppen stärker in die Vorsorge einzubinden.
12.3.2
Wandel der Mutterschafts-Richtlinien
Die Mutterschafts-Richtlinien werden möglichst zeitnah auf wissenschaftlicher Evidenz basierend an die Bedingungen in Deutschland angepasst. Die Leistungsstandards selbst unterliegen einem kontinuierlichen Wandel, wie aktuell am Beispiel des Gestationsdiabetes-Screenings zu sehen ist. Auch epidemiologische Faktoren – wie das zunehmende Alter der Erstgebärenden und damit der erhöhte Anteil von älteren Schwangeren, sowie Migration – führen zu einer kontinuierlichen Veränderung des Risikoprofils der »durchschnittlichen« Schwangeren. Zusätzlich hat auch die Entwicklung der Technik, beispielsweise der hochauflösende Ultraschall und die Dopplersonographie, die Standards der medizinischen Betreuung in der Schwangerschaft grundlegend verändert.
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12
13 13 Lebensführung E. Krampl-Bettelheim 13.1
Allgemeine Veränderungen in der Schwangerschaft – 212
13.2
Bewegung während der Schwangerschaft – 212
13.2.1 13.2.2 13.2.3
Mögliche Vorteile von Training während der Schwangerschaft – 212 Risiken von Sport in der Schwangerschaft – 213 Beratung – 214
13.3
Berufstätigkeit während der Schwangerschaft – 214
13.3.1 13.3.2 13.3.3
Allgemeines – 214 Berufsspezifische Risiken – 215 Ärztliche Aufgaben – 216
13.4
Ernährung in der Schwangerschaft – 216
13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4
Allgemeine Empfehlungen – 216 Infektionen durch Nahrungsmittel – 216 Koffein – 217 Alkohol – 217
13.5
Rauchen in der Schwangerschaft – 218
13.5.1 13.5.2
Häufigkeit und klinische Beobachtungen – 218 Beratung – 219
13.6
Drogen in der Schwangerschaft – 219
13.7
Sexualität in der Schwangerschaft – 219
13.7.1 13.7.2
Tradition und Gewohnheiten – 219 Beratung – 219
13.8
Reisen in der Schwangerschaft – 219
13.8.1 13.8.2
Risiken – 219 Beratung – 220
13.9
Höhenexposition in der Schwangerschaft
13.9.1 13.9.2 13.9.3
Leben auf großer Meereshöhe – 220 Akute und kurzfristige Exposition – 220 Beratung – 220
Literatur – 221
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 220
212
Kapitel 13 · Lebensführung
Die Schwangerschaft bringt beträchtliche körperliche Veränderungen mit sich und ist eine Zeit der Umstellung auf eine vollkommen neue psychosoziale Situation. Mortalität und Morbidität von Mutter und Kind sind auf einem historischen Tiefpunkt, daher richtet sich das Augenmerk zunehmend auf die Optimierung der »Brutzeit«. Eine evidenzbasierte Beratung über den Lebensstil in der Schwangerschaft ist nur teilweise möglich. Von erwiesenem Vorteil sind eine kontinuierliche medizinische Basisbetreuung, regelmäßige körperliche Aktivität, Nikotinabstinenz und eine gesunde Ernährung. Über Vitaminersatz, Medikamente und Komplementärmedizin sind keine Studien verfügbar, und auch mögliche Effekte von Flugreisen oder langen Auto- oder Zugfahrten sind nicht systematisch untersucht (AAP/ACOG 2007; NICE 2008).
13.1
13
Allgemeine Veränderungen in der Schwangerschaft
Es treten bereits in der Frühschwangerschaft deutliche körperliche Veränderungen auf (Clapp et al. 1988). Das Herzminutenvolumen steigt ab den ersten Wochen der Schwangerschaft an, der mittlere Blutdruck sinkt in der ersten Hälfte der Schwangerschaft ab, um danach wieder anzusteigen, und der systemische Gefäßwiderstand sinkt in der ersten Schwangerschaftshälfte stark ab, um danach wieder leicht anzusteigen (Kametas et al. 2003). Der Brustkorb hebt sich, dadurch wird die gesamte Lungenkapazität geringer, was sich sowohl auf ein geringeres Residualvolumen als auch auf eine geringere Vitalkapazität auswirkt (McAuliffe et al. 2002). Die Symptome der vermehrten Kapillarisierung und des niedrigeren Gefäßtonus sind häufig Sodbrennen, Müdigkeit, Varizen, Hämorrhoiden und Ödeme. Weiterhin gehören Obstipation, Rücken- und Symphysenschmerz sowie vermehrter vaginaler Ausfluss zu den normalen Veränderungen in der Schwangerschaft. Eine Schwangere sollte über diese Dinge schriftlich und mündlich informiert werden und auch durch Kurse Informationen über Screening, Betreuungsangebote und Lebensstil in der Schwangerschaft erhalten. Die Mutter ist die erste Umwelt für das sich entwickelnde und wachsende Kind. Durch ihr Verhalten in der Schwangerschaft oder den Konsum von Nahrungs- und Genussmitteln kann die Mutter den Schwangerschaftsverlauf und die Kindesentwicklung positiv oder negativ beeinflussen. Eine besondere Aufgabe haben die Ärzte, wenn das schädliche Verhalten aufgrund psychischer und somatischer Abhängigkeit gar nicht freiwillig aufgegeben werden kann. Dies gilt für die starke Raucherin, die abhängige Alkoholikerin und die Drogensüchtige. Wie später noch geschildert wird, ist es verständlich und durch wissenschaftliche Untersuchungen auch erwiesen, dass versucht wird, den Konsum gegenüber der Umgebung zu kaschieren. Das wird allerdings umso weniger geschehen, je besser das Patientin-Arzt-Vertrauensverhältnis ist. Um dieses müssen sich Beratende sehr bemühen.
> Schwangere Frauen mit einer Suchtproblematik sind Risikopatientinnen, die der intensiven Betreuung, Hilfe und Zuwendung bedürfen. Das oft ohnehin vorhandene Schuldgefühl gegenüber dem Ungeborenen darf nicht durch Belehrungen seitens des ärztlichen Personals, das keine Erfahrungen mit den Problemen einer Sucht hat, verstärkt werden.
Die betreuenden Ärzte müssen Kenntnisse über die vorhandenen Sozialdienste, Ernährungsund Drogenberatungsstellen haben und die Kontakte organisieren.
13.2
Bewegung während der Schwangerschaft
Sport ist ein integraler Teil der Lebensgestaltung geworden. Viele Frauen möchten ungern ihre diesbezüglichen Gewohnheiten wegen einer Schwangerschaft aufgeben, noch sind alle Hochleistungssportlerinnen bereit, ihre sportliche Karriere für eine Schwangerschaft zu unterbrechen oder zu beenden.
13.2.1
Mögliche Vorteile von Training während der Schwangerschaft
Regelmäßiges aerobes Training während der Schwangerschaft ist nicht mit einem schlechteren neurologischen Entwicklungsstand des Kindes im Alter von einem Jahr assoziiert (Clapp et al. 1998). Bei Kindern von regelmäßig trainierenden Müttern war das Verhaltensprofil nach dem Brazelton-Verhaltenstest 5 Tage nach der Geburt besser als das der Kinder von Müttern ohne Training (Clapp et al. 1999). Bewegung während der Schwangerschaft ist außerdem förderlich für eine Beibehaltung von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der Schwangeren, und es ist mit einem niedrigeren kardiovaskulären Risiko in der Perimenopause assoziiert (Clapp 2008). Das Risiko für Präeklampsie scheint durch regelmäßige Bewegung vermindert zu werden (Weissgerber et al. 2004), und übermäßige Gewichtszunahme kann verhindert werden (Asbee et al. 2009). Wiewohl die subjektive Auswirkung von körperlicher Aktivität schwer zu messen ist, zeichnen sich weitere wahrscheinliche Vorteile ab, wenn eine Frau in der Schwangerschaft sportlich aktiv ist (7 Übersicht). Vorteile (erwiesen oder sehr wahrscheinlich) von Sport in der Schwangerschaft (nach Huch 2001) 4 Prophylaxe von Thrombosen, Hypertension/Präeklampsie und Gestationsdiabetes 4 Vermeidung exzessiver Gewichtszunahme (Asbee et al. 2009) 4 Therapeutisch: Senkung des Insulinbedarfs beim Gestationsdiabetes 4 Verbessertes subjektives Wohlbefinden (besserer Schlaf, größeres Selbstwertgefühl)
6
213 13.2 · Bewegung während der Schwangerschaft
4 Förderung guter Haltung, Vermeidung von Rückenschmerzen 4 Größere Toleranz gegenüber Schwangerschaftsbeschwerden 4 Verbesserter Muskeltonus 4 Steigerung der Leistungsfähigkeit 4 Erhöhte kardiopulmonale Reserven 4 Kürzere Geburtsdauer 4 Weniger operative Entbindungen 4 Schnellere Rekonvaleszenz
13.2.2
Risiken von Sport in der Schwangerschaft
Auf der Basis theoretischer sportphysiologischer Überlegungen, tierexperimenteller Studien, anekdotischer Beobachtungen und (weniger) prospektiver Untersuchungen in der menschlichen Schwangerschaft werden im Wesentlichen 4 Risikokomplexe gefürchtet (7 Übersicht). Risiken von Sport in der Schwangerschaft 4 Erhöhte Gefahr einer Traumatisierung mit ihren direkten und indirekten Auswirkungen 4 Bei Extrembelastungen: Ansteigen der Körperkerntemperatur bei Mutter und Fetus 4 Auftreten von vorzeitigen Kontraktionen 4 Kurzfristige oder chronische Minderversorgung der uteroplazentaren Einheit
Die anatomischen Veränderungen in der Frühschwangerschaft – z. B. Veränderungen der Bindegewebe, Lockerung der Gelenkbänder – und die Gewichtszunahme und die Veränderungen der Körperproportionen in der Spätschwangerschaft lassen das Risiko einer traumatischen Gefährdung sicher begründet größer werden. Die meisten Sportarten können weiter betrieben werden. Wichtige Ausnahmen sind Tauchen und Extremsportarten mit Verletzungsgefahr für die Mutter. Zu denken ist auch an die indirekten Folgen von mütterlichen Stürzen und Verletzungen, z. B. notwendig werdende Röntgenaufnahmen oder medikamentöse Therapien. Eine Hyperthermie, d. h. Anstieg der Körperkerntemperatur, ist eine zwangsläufige Folge bei manchen Sportarten. Während Belastung werden nur 20–25% der zusätzlichen Energieaufwendung für die Muskelarbeit genutzt, die übrigen 75–80% werden in Wärme überführt. Die Totalwärmeproduktion kann auf das 20-Fache ansteigen. Die Folge sind zirkulatorische Anpassungen mit Anstieg des Blutflusses in die Haut zum Wärmeabtransport. Sind die Grenzen erreicht, so steigt die Körperkerntemperatur in Abhängigkeit von Intensität und Dauer der Aktivität an. Rein praktisch kommt ein Temperaturanstieg in hohe Bereiche vor, z. B. bei Langstreckenläufen
und beim intensiven Rudern. Temperaturen um 41°C werden erreicht. Folgende nachteilige Auswirkungen hoher mütterlicher und fetaler Temperaturen werden gefürchtet: 4 tierexperimentell gesicherte teratogene Effekte von Temperaturen über 39°C, 4 Effekte auf die Sauerstoffbindungskurve in Form einer Rechtsverschiebung mit Abnahme der Sauerstoffaffinität, 4 Steigerung des Sauerstoffbedarfs, 4 Blutumverteilung zur Haut auf Kosten der Uterusdurchblutung. Es wurde bereits vor geraumer Zeit untersucht, wie sich Training in der Frühschwangerschaft auswirkt. Bei körperlich gesunden Frauen, die aerobes Training mit 50–85% der Maximalbelastung weiter betreiben, wird die Komplikationsrate nicht messbar beeinflusst (Clapp 1989). Theoretisch besteht auch das Risiko vorzeitiger Kontraktionen. Von den bei körperlicher Aktivität stark ansteigenden Katecholaminen wirkt das Noradrenalin wehenfördernd. Über α-adrenerge Rezeptoren wird die glatte Muskulatur in Gefäßwänden und Uterusmuskulatur stimuliert. Die Beobachtungen der Schwangerschaftsverläufe sehr aktiver Athletinnen und Daten einer prospektiven Studie aus den USA (Clapp 1990) und Spanien (Barakat et al. 2008) sprechen allerdings diesem Mechanismus keine sehr große Bedeutung zu. Die Sorge vor einer uteroplazentaren Minderdurchblutung mit einer folgenden Wachstumsrestriktion des Fetusses durch mütterlichen Sport in der Schwangerschaft basiert auf den gleichen Pathomechanismen, die als Folge körperlicher Aktivität durch tierexperimentelle Studien sowie durch epidemiologische Beobachtungen beim Menschen deutlich gemacht werden. Bei Sport und körperlicher Arbeit kommt es neben der Steigerung des Herzauswurfs zu einer aktivitätsabhängigen Zunahme der Haut- und Muskeldurchblutung. Das Blut hierfür wird in erster Linie im Eingeweidebereich mobilisiert. Nur im Tierexperiment mögliche systematische Studien haben gezeigt, dass das uteroplazentare Gefäßbett sehr wahrscheinlich in die Blutumverteilung mit einbezogen wird. Das bedeutet, dass hier eine Drosselung zugunsten der Muskeldurchblutung stattfindet. Beim Menschen sind die Befunde indirekter Natur: In Abhängigkeit von der Intensität eines während der Schwangerschaft betriebenen Ausdauertrainings nehmen die Geburtsgewichte ab. Leichtes Training hingegen hat keinen Einfluss auf das Geburtsgewicht (Barakat et al. 2009), das Gestationsalter bei der Geburt und den Geburtsmodus (Baraka et al. 2009a–c). Es ist also eine Anpassung des Trainingsprogramms und der Bewegungsgewohnheit an die veränderte Physiologie in der Schwangerschaft empfehlenswert. So ist sowohl der Ruhepuls als auch das Atemminutenvolumen bereits ab der Frühschwangerschaft höher als vor der Schwangerschaft. Ein Cochrane-Review mit der letzten Aktualisierung 2008 fasst 11 Studien zusammen, die den Effekt von vorgeschriebenen Trainingsprogrammen auf gesunde Schwangere untersuchen (Kramer u. McDonald 2009). 5 davon zeigen eine Ver-
13
214
Kapitel 13 · Lebensführung
besserung der körperlichen Fitness in der Trainingsgruppe. Die Ergebnisse bezüglich Gestationsalter bei der Geburt und Geburtsgewicht waren nicht konsistent. Eine kleine Studie berichtet, dass vermehrtes Training in der Frühschwangerschaft mit der Geburt von größeren Kindern und größeren Plazenten assoziiert war. Insgesamt reichen die verfügbaren Daten nicht aus, um wirkliche Empfehlungen abgeben zu können.
13.2.3
Beratung
Es ist eine Anpassung des Trainingsprogramms und der Bewegungsgewohnheit an die veränderte Physiologie in der Schwangerschaft notwendig. So ist sowohl der Ruhepuls als auch das Atemminutenvolumen bereits ab der Frühschwangerschaft höher als vor der Schwangerschaft. Beim Training sollte laut American College of Obstetricians and Gynecologists eine Herzfrequenz von 140 SpM nicht überschritten werden (AAP/ACOG 2007). Auf der Basis der oben genannten Überlegungen bezüglich der Vorteile und Risiken sind Sportarten, die rhythmischer Natur sind und große Muskelgruppen bewegen, empfehlenswert (7 Übersicht). Empfohlene Sportarten/Aktivitäten in der Schwangerschaft
13
4 4 4 4 4 4 4 4
Wandern Nordic Walking Radfahren Laufen, Joggen, gemäßigter Ausdauerlauf Skilanglauf Bergtouren (<2500 m) Schwimmen Aqua-Jogging
Beim Radfahren führt die sportarttypische Betätigung der Muskelpumpe zur Beinvenenentleerung und ist sicher eine Prophylaxe für die Entstehung von Krampfadern und thromboembolischen Erkrankungen. In der Spätschwangerschaft, wenn Balanceprobleme auftreten, mag es ratsam sein, ein stationäres Fahrrad (Heimtrainer) vorzuziehen. Beim Radeln im Freien sollte starker Verkehr wegen der Abgase vermieden werden. In gleicher Weise wirken die regelmäßigen Beinbewegungen beim Schwimmen. Hinzu kommen die Vorteile der Immersion, die besonders ausgeprägt beim senkrechten Eintauchen sind. Aqua-Jogging ist daher in der Schwangerschaft sehr zu empfehlen. Der ansteigende hydrostatische Druck beim Eintauchen ins Wasser mobilisiert Gewebswasser und steigert das zirkulierende Blutvolumen (Hartmann u. Huch 2005). Diese positiven Effekte sind bei thermoneutraler Wassertemperatur am ausgeprägtesten.
Ungeeignete Sportarten/Aktivitäten in der Schwangerschaft 4 Wahrscheinliche Nachteile – Tauchen – Reiten – Heiße Bäder – Wasserski, Surfen – Gewichtheben 4 Erwiesene Nachteile – Marathonlauf – Sport unter Wettkampfbedingungen – Mannschafts- und Kontaktsportarten – Ski alpin, Langlauf in Höhen >2500 m
Vom Tauchen wird allgemein abgeraten. Bei nicht korrekter Dekompression könnten Gasblasen durch das offene Foramen ovale des Fetusses in den großen Kreislauf gelangen. Beim Reiten sind die Ansichten kontrovers. Gewichtheben, heute häufig von Frauen in Fitnesszentren an Maschinen praktiziert, kann theoretisch durch Valsalva-Manöver, Auswirkungen auf Gelenk- und Wirbelsäulenverbindungen sowie Druckerhöhungen im Abdomen nachteilig sein. ! Unter den absoluten Indikationen laut ACOG, mit dem Sport sofort zu sistieren, finden sich Schmerzen, Blutungen, Schwindel und Ohnmachtsepisoden, Atemnot, Abnahme der Kindsbewegungen und Blasensprung.
13.3
Berufstätigkeit während der Schwangerschaft
13.3.1
Allgemeines
Die Berufstätigkeit in der Schwangerschaft ist in Österreich, Deutschland und in der Schweiz gesetzlich geregelt. Ab Bekanntgabe der Schwangerschaft steht die werdende Mutter unter Entlassungs- und Kündigungsschutz. Die Schutzfrist bedeutet, dass eine werdende Mutter 6 (Deutschland) oder 8 Wochen (Österreich) vor dem errechneten Geburtstermin und bis 8 Wochen nach der Geburt (Österreich, Schweiz, Deutschland) nicht im Angestelltenverhältnis arbeiten darf. Weiters besteht ein Kündigungsschutz während des Mutterschutzes. Wenn während der Schwangerschaft der Arbeitsplatz nicht für eine Schwangere geeignet ist, ist ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder eine Freistellung empfohlen. Beispiele dafür sind Erschütterungen, schweres Heben, Lärm, ionisierende Strahlung, extreme Hitze oder Kälte, körperlich sehr anstrengende Arbeit oder gesundheitsschädigende Arbeitsstoffe. Die meisten Schwangeren sind durch ihre Arbeit nicht gefährdet. Es gibt keinen eindeutig beobachteten Zusammenhang zwischen Arbeit und Schwangerschaftskomplikationen. Es sind schwangere Soldatinnen untersucht worden, und es gab weder vermehrte mütterliche noch fetale oder kindliche Komplikationen bei dieser Berufsgruppe (NICE 2008).
215 13.3 · Berufstätigkeit während der Schwangerschaft
13.3.2
Berufsspezifische Risiken
Schwere körperliche Arbeit, Arbeit im Stehen, Stress Körperlichen Anstrengungen kann die Schwangere in vielen Berufszweigen ausgesetzt sein. Körperliche Arbeit, besonders in großer Hitze und im Stehen, wirkt sich negativ auf das Geburtsgewicht und die perinatale Mortalität aus. Bereits in älteren Untersuchungen ist eindrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese negativen Effekte nicht nur Folge schlechter sozioökonomischer Bedingungen sind, sondern dass sich schwere mütterliche Muskelarbeit allein genommen nachteilig auf den Schwangerschaftsverlauf und das fetale Wachstum auswirkt. Die Mutterschutzvorschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersagen in der Schwangerschaft schwere körperliche Anstrengungen und in Deutschland und Österreich ausdrücklich auch längeres Stehen: Deutschland: »Werdende Mütter dürfen nicht mit schweren körperlichen Arbeiten … beschäftigt werden, … nach Ablauf des 5. Monats der Schwangerschaft [nicht] mit Arbeiten, bei denen sie ständig stehen müssen, soweit diese Beschäftigung täglich 4 Stunden überschreitet …« Schweiz: »Werdende Mütter dürfen nicht zu Arbeiten herangezogen werden, die sich erfahrungsgemäß auf die Gesundheit und die Schwangerschaft … nachteilig auswirken.« Österreich: »Werdende Mütter dürfen nicht mit schweren körperlichen Arbeiten … beschäftigt werden, … [untersagt sind] Arbeiten, die von werdenden Müttern überwiegend im Stehen verrichtet werden müssen …, nach Ablauf der 20. Schwangerschaftswoche alle derartigen Arbeiten, soferne (sic!) sie länger als 4 Stunden verrichtet werden …«
Diskutierte Gründe für die fetale Mangelentwicklung basieren auf den mit Muskelarbeit verbundenen Veränderungen. Neben der Steigerung des Herzminutenvolumens kommt es bei schwerer Arbeit zur intensiven Blutumverteilung zugunsten der arbeitenden Muskulatur und zu Lasten anderer Gefäßgebiete, insbesondere der Durchblutung der Eingeweide, wovon auch die uteroplazentare Durchblutung betroffen ist. Bei ungünstigen thermischen Bedingungen muss zusätzlich Blut zur Thermoregulation in der Haut mobilisiert werden. Untersuchungen von Schneider et al. (1993) haben einen weiteren möglichen Mechanismus für die kindliche Mangelentwicklung und die Entstehung von Kontraktionen im Stehen erkennen lassen. Im 3. Trimenon tritt bei rund 2/3 aller gesunden Schwangeren im ruhigen Stehen eine Analogie zum V.-cava-Kompressionssyndrom in Rückenlage auf. Der gravide Uterus komprimiert die Beckengefäße, was zu einer Rückflussbehinderung aus den Beinen führt. Die verminderte Herzvorfüllung und die Abnahme des Schlagvolumens beantwortet der schwangere Organismus mit einer Herzfrequenzsteigerung bis in den tachykarden Bereich. Diese tachykarden Phasen treten in Abständen von 1–2 min auf, weil uterine Kontraktionen phasenhaft, offenbar durch Form- und Lage-
veränderungen des Uterus, die Rückflussbehinderung beseitigen.
Arbeit im Medizinbetrieb (Anästhetika, Strahlenbelastung, infektiöses Material, Chemotherapeutika) Bei der Arbeit im Krankenhaus, in medizinischen Laboratorien u. Ä. – Arbeitsbereiche mit einem hohen Frauenanteil – wird eine Frau in der Schwangerschaft einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt. Für Anästhetika sowie Äthylenoxid, zur Sterilisation verwendet, wurden mutagene und teratogene Eigenschaften nachgewiesen. Ungünstige Effekte auf den Schwangerschaftsverlauf wurden beobachtet. Eine Metaanalyse der Studien aus den Jahren, bevor Gasabsaugvorrichtungen in allen Operationssälen installiert waren, zeigt dies deutlich (Boivin 1997). Seit Durchführung der meisten dieser Studien wurde durch konsequente Arbeitsschutzmaßnahmen das Expositionsrisiko drastisch verringert. Unumstritten ist die mutagene, teratogene und kanzerogene Potenz von Strahlen beim therapeutischen und diagnostischen Röntgeneinsatz und bei der Arbeit mit Isotopen. Durch die generellen Strahlenschutzvorschriften und die Überwachung mit Dosimetern ist die berufliche Exposition gering geworden. > Mit Kenntnis der Schwangerschaft werden die ohnehin niedrigen Dosislimits für Frauen im gebärfähigen Alter entsprechend den Verordnungen reduziert, oder es wird gar keine Exposition zugelassen (Deutschland: 0 mSv, Schweiz: 2 mSv/9 Monate, Österreich: 0 mSv).
Im Hinblick auf das Infektionsrisiko ist der Kontakt und die Gefährdung durch Krankheitserreger zu verhindern oder zu vermindern, von denen bekannt ist, dass sie eine intrauterine Fruchtschädigung, Aborte oder Frühgeburten verursachen können. Infektions- und Säuglingsabteilungen (CMV) erfordern besondere Vorsicht. Beim Umgang mit Zytostatika können Schwestern und Ärztinnen bei der Zubereitung oder bei der Injektion der Zytostatika über die Haut oder auch durch Einatmung von Aerosolen signifikante Mengen aufnehmen. Zusammenhänge zwischen Exposition und vermehrten Aborten wurden beschrieben.
Tätigkeit am Bildschirm Es gab Berichte über auffällige Häufungen von Fehlbildungen und Schwangerschaftskomplikationen bei Arbeit am Bildschirm. »Screen of fear« war die Schlagzeile eines Artikels in der Londoner Times im Jahr 1984. Neben den wohl kaum relevanten Auswirkungen der durch den Computer entstehenden Wärme und seiner Geräusche ist ein Effekt der Magnetfelder, der Strahlung und der elektrostatischen Felder theoretisch möglich. Die elektromagnetische Strahlung wurde in den letzten Jahren stark vermindert, da Flachbildschirme die Kathodenstrahlröhrenbildschirme weitgehend ersetzt haben. Insgesamt konnte nie eine erhöhte Fehlbildungsrate nachgewiesen werden.
13
216
Kapitel 13 · Lebensführung
Tätigkeiten mit Chemikalien Die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft für gefährliche Arbeitsstoffe gibt jährlich eine Liste von ca. 500 Stoffen mit deren Grenzwerten in der Raumluft am Arbeitsplatz heraus, die MAK-Liste. MAK-Werte MAK-Werte sind die am Arbeitsplatz höchstzulässigen Konzentrationen eines Arbeitsstoffes als Gas, Dampf oder Schwebestoff in der Luft, die bei 8-stündiger Exposition am Arbeitsplatz und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 h i. Allg. die Gesundheit der Beschäftigten nicht beeinträchtigen.
Die Risikobewertung von Umweltchemikalien in der Schwangerschaft entspricht der Bewertung von Industriechemikalien. Eine strenge Unterscheidung von Industrie- und Umweltchemikalien ist nicht möglich.
13.3.3
13
Ärztliche Aufgaben
Wie dargelegt, gibt es in den heutigen Frauenberufen einige Tätigkeitsbereiche, für die ein negativer Einfluss auf Reproduktion, Schwangerschaftsverlauf und Entwicklung des Kindes gesichert ist oder befürchtet werden muss. Idealerweise sollte dies bereits bei Kinderwunsch, vor Eintritt der Schwangerschaft, evaluiert werden. Die Regel wird sein, dass Frauen nach der Konzeption Rat suchen bzw. auf Risiken bei entsprechender Anamnese aufmerksam gemacht werden müssen. Die gesetzlichen Mutterschutzvorschriften und -verordnungen sind umfassend (7 Kap. 12). Ärztliche Aufgabe ist es, auf ihre korrekte Anwendung zu achten. Die Arbeitsplatzgestaltung obliegt i. d. R. dem Arbeitgeber. Bei Zweifeln an der Risikolosigkeit eines Arbeitsplatzes können Gesundheitsämter oder Gewerbeaufsichtsbehörden um Mithilfe gebeten werden. Die Schwangere ist auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, dass bei belasteten Arbeitsplätzen der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft haben muss. Ergeben sich bei der Schwangerenbetreuung neue Erkenntnisse zu beruflichen Schädigungsmöglichkeiten, die in den Schutzvorschriften keine Berücksichtigung gefunden haben, so muss die Absicht des Mutterschutzgesetzes – Mutter und Fetus vor schädlichen Stoffen und Überlastung zu schützen – individuell durch Freistellung vom Arbeitsprozess verwirklicht werden, bis sich die neuen Erkenntnisse in einer gesetzlichen Maßnahme auswirken.
13.4
Ernährung in der Schwangerschaft
13.4.1
Allgemeine Empfehlungen
Frauen im reproduktionsfähigen Alter werden heutzutage mit Informationen über Diäten und Idealgewicht bombardiert. Fettleibigkeit mit all ihren gesundheitlichen Folgeschäden wird als die Epidemie des 21. Jahrhunderts bezeichnet, in den
USA sind bereits rund 30% aller Frauen zwischen 20 und 39 krankhaft fettleibig, was durch einen Body-Mass-Index >30 definiert ist. Umgekehrt ist das Schönheitsideal »kein Gramm Fett« ebenfalls bedenklich. Gezielte Ernährungsberatung während der Schwangerschaft ist durchaus zu empfehlen, da die Schwangerschaft auch als Anlass zu einer Veränderung des Lebensstils genommen werden kann. Es gibt außerdem zunehmende Evidenz, dass Frauen, die vor, während und nach der Schwangerschaft ein gesundes Normalgewicht beibehalten, ein besseres Outcome haben. Frauen, die während der Schwangerschaft oder zwischen zwei Schwangerschaften stark zunehmen, haben häufiger schwangerschaftsinduzierten Diabetes mellitus, Präeklampsie und davon unabhängige intrauterine Fruchttode. Weiters haben mehrere Tierversuche gezeigt, dass die metabolische Umgebung des Fetusses ein wesentlicher Faktor für die spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes mellitus ist. Auch Mangelernährung ist ein Problem: Frauen die untergewichtig sind, sind nicht nur subfertil, sondern haben eine höhere Frühgeburtenrate. Seit der Publikation von Barker (1990) ist »fetal programming« ein Begriff (7 Kap. 28). Es bedeutet, dass die fetale Umgebung den Körper »programmiert«. Es ist vielfach erwiesen, dass niedriges Geburtsgewicht im Zusammenhang mit Fehl- oder Mangelernährung der Mutter mit koronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck und Diabetes mellitus im Erwachsenenalter assoziiert ist (Barker 1990; Barker et al. 2002). Während der Schwangerschaft steigt der Energie- und Nährstoffbedarf. Im 1. Trimenon steigt der Energiebedarf um 300 kcal pro Tag, der Bedarf steigt mit körperlicher Belastung und Schwangerschaftsdauer weiter an. Grundsätzlich wird während der Schwangerschaft empfohlen, reichlich Obst und Gemüse sowie größere Mengen von komplexen Kohlehydraten (Nudeln, Reis, Kartoffeln) zu essen. Die Proteinzufuhr ist ebenso wichtig, dabei empfiehlt es sich, mageres Fleisch und Fisch zu verzehren. Auch roher Fisch kann gegessen werden. Für den Darm ist es – wie auch außerhalb der Schwangerschaft – gut, wenn reichlich Ballaststoffe (Vollkorn) konsumiert werden. Produkte aus pasteurisierter Milch finden sind ebenfalls in der Liste der empfohlenen Nahrungsmittel. Genauere Informationen, insbesondere zur Vitaminsubstitution, sind in 7 Kap. 14 zu finden.
13.4.2
Infektionen durch Nahrungsmittel
Eine potenzielle Gefahr der Nahrungsaufnahme sind Infektionen. Listeriose kann zu Fehlgeburten, Totgeburt oder schweren Erkrankungen des Neugeborenen führen. Schwangere sollten daher angehalten werden, 4 nur pasteurisierte Milch zu trinken 4 keinen Käse aus unpasteurisierter Milch zu essen und keine Weichkäsesorten, 4 keine Pasteten (auch keine Gemüsepasteten) zu essen, 4 keine ungekochten oder zu wenig gekochten Fertiggerichte zu essen.
217 13.4 · Ernährung in der Schwangerschaft
Salmonelleninfektionen, die sog. »Nahrungsmittelvergiftungen«, führen zwar zu schwerem Durchfall und Erbrechen, aber zu keiner direkten Schädigung des Fetusses. Schwangere sollten informiert werden, dass das Infektionsrisiko mit Salmonellen vermindert werden kann durch Vermeidung von 4 rohen oder nur teilweise gekochten Eiern und Speisen, die solche enthalten (Mayonnaise), 4 rohem oder unvollständig gegartem Fleisch, besonders Geflügel. (Evidenzgrad 4) (NICE 2008). Toxoplasmose ist die Ursache einer der häufigsten konnatalen Infektionen, die zu Hirnschäden und Blindheit führen kann. Toxoplasmen sind im rohen Fleisch, in der Erde (Cave: Gartenarbeit!) und auch – bis zu einem gewissen Grad – im Katzenkot enthalten. Bei fehlender Immunität empfiehlt sich eine Expositionsprophylaxe während der Schwangerschaft. In Österreich ist Toxoplasmose ein Teil des pränatalen Screening-Programms, und bei Neuinfektionen wird eine Therapie durchgeführt.
13.4.3
Koffein
In tierexperimentellen Studien hat sich Koffein – z. T. allerdings in unphysiologisch hohen Dosen – als mutagen und teratogen erwiesen. Kleinwuchs als Folge der maternalen Koffeinexposition wurde bei Feten verschiedener Spezies gesehen. Epidemiologische Studien mit unterschiedlich großem Koffeinkonsum in der Schwangerschaft sind in ihren Aussagen widersprüchlich. Einerseits wurde über vermehrte Aborte, Tot- und Frühgeburten berichtet, wenn der Konsum hoch oder exzessiv war (Wisborg et al. 2003). Das Risiko für frühe Spontanaborte steigt (Cnattingius et al. 2000). Eine rezente, prospektive Studie hat gezeigt, dass Kaffeegenuss unter Berücksichtigung von Rauchen und Alkohol dosisabhängig zu Wachstumsrestriktion führt (CARE 2008). > Die Food Standards Agency (UK) empfiehlt neuerdings eine Beschränkung des Koffeinkonsums auf 100 mg/Tag. Das entspricht maximal 2 Tassen Kaffee oder 4 Tassen Tee.
13.4.4
Alkohol
Mütterliche Alkoholabhängigkeit und exzessiver Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft können zu schweren physischen und psychischen Schäden beim Kind führen. > Die Kombination von kindlicher Mangelentwicklung, Dysmorphien bzw. Fehlbildungen und mentalem Entwicklungsrückstand wird im deutschen Sprachgebrauch als Alkoholembryopathie (AE), im angloamerikanischen als »fetal alcohol syndrome« (FAS) bezeichnet (Charakteristika 7 Übersicht).
Charakteristika der ausgeprägten Alkoholembryopathie 4 4 4 4
Ausgeprägte pränatale Wachstumsrestriktion Postnatale Wachstumsrestriktion und Untergewicht Mikrozephalie Statomotorische und mentale Retardierung, Hyperaktivität, muskuläre Hypotonie 4 Typisches Gesicht mit abgeflachter Stirn, Stupsnase, Epikanthus, ausgeprägten Nasolabialfalten, flachem Philtrum, schmalem Lippenrot, Retrognathie 4 Fehlbildungen (besonders Herz, Urogenitalsystem)
Es besteht Einigkeit darüber, dass ausgeprägte Fälle von Alkoholembryopathie nur gesehen werden, wenn die Mutter alkoholabhängig ist oder exzessiv in der Schwangerschaft getrunken wird. Aber im Gegensatz zu den klaren Beziehungen beim Rauchen, bei dem die Zahl der täglichen Zigaretten das Ausmaß des Schadens bestimmt, gibt es nur angedeutete Zusammenhänge zwischen den täglichen Trinkmengen und den Schweregraden der Alkoholembryopathie. Die Inzidenz der Alkoholembryopathie bei alkoholkranken Frauen wird auf 43 pro 1000 Lebendgeburten geschätzt (Spohr u. Steinhausen 1996), was deutlich macht, dass zusätzliche Faktoren die Vulnerabilität von Embryo und Fetus bestimmen müssen. Als solche wurden diskutiert: 4 die Art des Trinkens, die u. U. zu Spitzenblutalkoholkonzentrationen führt, 4 körperliche Probleme als Folge der Alkoholsucht, 4 rassische (genetische?) Einflüsse, 4 Armut mit Unterernährung und Gesundheitsproblemen, 4 Stress mit Ausschüttung von Katecholaminen, 4 Mitkonsum von anderen Drogen oder von Nikotin. Weil letztendlich alle embryonalen und fetalen Schäden auf Zellniveau entstehen, wird bei Fehlen einer spezifischen pathognomonischen Veränderung und bei der Vielzahl der Anomalien ein mehr genereller Schädigungsmechanismus für den mütterlichen Alkoholkonsum angenommen. In erster Linie werden Sauerstoffmangel und die Entstehung von freien Sauerstoffradikalen angeschuldigt (Spohr u. Steinhausen 1996). Sauerstoffmangel könnte alkoholspezifisch durch hohen Sauerstoffverbrauch in der Leber bei der Alkoholmetabolisierung entstehen, in der Plazenta z. B. den energieabhängigen Substrattransport zum Fetus beeinflussen, im Hirn z. B. die zahlreichen neurotoxischen Effekte des mütterlichen Alkohols erklären. Hohe Blutalkoholkonzentrationen führen zum Kollaps der Umbilikalarterien und relativ niedrige zum Spasmus uteriner Gefäße. Beides führt über abnehmende Durchblutung zum Sauerstoffmangel. Zellschädigung kann auch über die alkoholspezifische Formation von freien Sauerstoffradikalen entstehen, indem die normalerweise vorhandenen Schutzmechanismen der Zelle (Antioxidanzien, Enzyme) durch Alkohol oder Substratmangel vermindert werden. Alarmierend sind neue Befunde, in welchem Ausmaß eine intrauterine Alkoholexposition den lebenslangen Tonus der
13
218
Kapitel 13 · Lebensführung
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse erhöht. Dies könnte Immun- und kognitiven Defiziten und Verhaltensauffälligkeiten zugrunde liegen (Zhang et al. 2005). Auch Reproduktion und Schwangerschaftsverlauf werden durch den mütterlichen Alkoholkonsum negativ beeinflusst. Während der Einfluss auf Fertilität und Fekundität zumindest bei moderatem Konsum sehr widersprüchlich beurteilt wird, ist die höhere Rate spontaner Aborte bereits bei relativ niedrigem Konsum (etwa 4 Drinks pro Woche) evident. Alkoholkonsum ist auch mit intrauterinem Fruchttod und plötzlichem Säuglingststod assoziiert (Kinney 2009). Die Meinungen zur »Schwelle«, also zum höchstmöglichen »sicheren« Alkoholkonsum in der Schwangerschaft, gehen auseinander.
Studienbox
13
Mehrere Untersuchungen zur neurobiologischen Entwicklung und zum Verhalten von Kleinkindern in Abhängigkeit von der mütterlichen Alkoholmenge ergaben keinen risikofreien Grenzwert für die pränatale Alkoholexposition (Olson et al. 1997; Kartin et al. 2002). Dies wurde in umfassenden Untersuchungen bei 6- bis 7-Jährigen bestätigt (Sood et al. 2001). Ein systematisches Review aus dem Jahr 2007 hat die Effekte von geringfügiger Alkoholexposition und Betrunkenheit auf den Fetus evaluiert (Henderson et al. 2007a, b). Geringfügige Alkoholexposition war definiert als weniger als 1 Drink pro Tag (weniger als 12 g Alkohol pro Tag). Das wurde verglichen mit keinem Alkoholkonsum. Betrunkenheit (»binge drinking«) war definiert als 5 Drinks oder mehr bei einer Gelegenheit. Ergebnisse: Bei bis zu 6 Drinks war das relative Risiko für Fehlgeburten auf das 4-Fache erhöht. Bei einem ähnlich hohen Alkoholkonsum scheint auch das Risiko für einen intrauterinen Fruchttod erhöht zu sein. Alkoholkonsum scheint keinen Einfluss auf Blutungen in der Schwangerschaft zu haben. Zur intrauterinen Wachstumsrestriktion gibt es widersprüchliche Ergebnisse. Das gleiche gilt für das Geburtsgewicht. Kleine Mengen von Alkohol scheinen eher vor geringem Geburtsgewicht zu schützen. Nur eine von 16 Studien, die Frühgeburt untersucht haben, fand ein erhöhtes Risiko. In diese Studie war allerdings nicht kontrolliert für den sozioökonomischen Status. Keine der 6 Studien, die Fehlbildungen untersucht haben, konnten eine Assoziation mit Alkoholkonsum entdecken. 7 Studien haben die neuromotorische Entwicklung untersucht. Dabei konnte kein Zusammenhang mit geringfügigem Alkoholkonsum gefunden werden. Betrunkenheit allerdings scheint zu einem enthemmten Verhalten, einem niedrigeren verbalen IQ und einer Neigung zu delinquentem Verhalten sowie zu Lernproblemen zu führen.
Alkoholkonsum ist auch in der Schwangerschaft in Europa weit verbreitet. In den frühen 1990-er Jahren gaben in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Portu-
gal, Schottland und Spanien weniger als 10% der Frauen in der Schwangerschaft gar keinen Alkoholkonsum und in den meisten Ländern weniger als 5% keinen Konsum in der Frühschwangerschaft an (1992). In den letzten Jahren ist das offenbar zurückgegangen, 25–50% der Europäerinnen trinken während der Schwangerschaft weiterhin Alkohol (ec.europa. eu/health-eu/news_alcoholineurope_en.htm). Hingegen war zwischen 1991 und 2005 der höchste Prozentsatz an Alkoholkonsum in den USA, nämlich 17%, bei den 35–44-jährigen Schwangeren zu erheben (CDC 2009). Unklar ist bei allen Studien, ob die Angaben über die Menge des Alkoholkonsums korrekt sind oder ob sie doch oft unter dem tatsächlichen Konsum liegen.
Beratung und Therapie Alkohol ist ein eindeutiges Teratogen in (wahrscheinlich) krankheits- und dosisabhängiger Weise. Schwere Alkoholikerinnen sollten bezüglich einer sicheren Antikonzeption intensiv beraten werden. Für die Betreuung in der Schwangerschaft ist es von großer Bedeutung, die Trinkgewohnheiten zu kennen. Es bestehen große Tendenzen und Fähigkeiten seitens der abhängigen Schwangeren, ihren Konsum zu verheimlichen oder zu bagatellisieren. Es ist auch ärztliche Aufgabe, nach Erkennen des Alkoholproblems neben engmaschiger Betreuung und Beratung in der Schwangerschaft die alkoholkranke Frau Gruppen oder Institutionen zuzuführen, die psychische und soziale Hilfen vermitteln können, letztere auch nach der Geburt für das Kind. Eine wirksame medikamentöse Behandlung ist nicht bekannt, es gibt zu diesem Thema keine relevanten prospektiven Studien (Smith et al. 2009). Psychologische Interventionen und Erziehungsprogramme sind erfolgreich in der Verminderung des Alkoholkonsums. Sie sind aufgrund ihrer Komplexität nicht ausreichend untersucht, um eine Methode besonders empfehlen zu können (Stade et al. 2009). Die Empfehlungen für nicht alhoholabhängige Frauen sind unterschiedlich: In den USA wird zu völliger Abstinenz geraten, in Europa ist man der Auffassung, dass Alkoholgenuss in der Schwangerschaft in kleinen Dosen wahrscheinlich ungefährlich ist. Es wird aber geraten, nicht mehr als 1- bis 2-mal pro Woche maximal 1 Einheit (= 1 Glas Wein) zu konsumieren und Betrunkenheit auf jeden Fall zu vermeiden (NICE 2008).
13.5
Rauchen in der Schwangerschaft
13.5.1
Häufigkeit und klinische Beobachtungen
Rauchen während der Schwangerschaft ist ein beträchtlicher und veränderbarer Risikofaktor für die fetale Entwicklung (Lumley et al. 2004; WHO 2009). Schädliche Wirkungen können durch frühes Aufhören vermieden werden. Vor vielen Jahren schon wurde zum ersten Mal durch eine Studie gezeigt, dass das Aufhören während der Schwangerschaft einen positiven Effekt auf das Geburtsgewicht hat (Sexton u. Hebel
219 13.8 · Reisen in der Schwangerschaft
1984). Eine rezente Kohortenstudie bringt neuerlich Evidenz, dass Rauchverzicht vor der 15. Schwangerschaftswoche die Rate an Frühgeburten, an Kindern unter der 10. Perzentile und an Schwangerschaftskomplikationen signifikant verringert. In den Vereinigten Staaten hören bis zu 40% der Schwangeren vor dem 1. Termin beim Gynäkologen von selbst mit dem Rauchen auf (Woodby et al. 1999; Quinn 2000).
13.5.2
Beratung
Raucherinnen sollten daher möglichst früh in der Schwangerschaft erstmals beraten werden, aber durchaus in jedem Stadium der Schwangerschaft zum Aufhören ermutigt werden (NICE 2008). Als wirksame Intervention haben sich Gruppensitzungen, Verhaltenstherapie und ärztliche Beratungen erwiesen. Wenn ein Aufhören nicht möglich ist, sollte zumindest die Reduktion der Zigarettenzahl angestrebt werden.
Die Hypothese, dass der Geschlechtsverkehr Fehl- oder Frühgeburten auslösen könnte, basiert auf verschiedenen pathophysiologischen Überlegungen: auf dem Fergusen-Reflex, der ausgelöst wird, wenn der Penis die Zervix berührt, der Oxytozinausschüttung während des Orgasmus und der Weheninduktion durch Prostaglandine im Sperma und genitale Infektionen (Andersen u. Fuchs 1993). Allerdings haben mehrere Studien eine Assoziation zwischen sexuellen Verhalten und der Schwangerschaftsdauer/Schwangerschaftskomplikationen oder dem Zustand des Neugeborenen nicht bestätigen können (Perkins 1979; Zlatnik u. Burmeister 1982; Neilson u. Mutambira 1989). Zwei amerikanische Kohortenstudien mit über 52.000 Schwangeren ergaben, dass die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr umgekehrt proportional zur Frühgeburtenrate ist (Read u. Klebanoff 1993; Berghella et al. 2002). Es konnte auch keine Assoziation zwischen Häufigkeit von Geschlechtsverkehr und perinataler Mortalität gezeigt werden.
13.7.2 13.6
Beratung
Drogen in der Schwangerschaft
Schwangere sollten bei ihrem ersten Arztbesuch nicht nur über Alkohol und Nikotin, sondern auch über Drogenkonsum befragt werden. Dabei könnte ein Fragebogen hilfreich sein. Geschätzte 1–40% aller Schwangeren haben Kontakt zu Drogen (z. B. Morphium, Heroin, Kokain, Marihuana, Diazepam). Rund eines von 10 Neugeborenen war während der Schwangerschaft stimmungsverändernden Drogen ausgesetzt (AAP/ACOG 2007). Der Effekt von Cannabis auf die Schwangerschaft ist nicht genau erforscht, es ist jedoch der Genuss von Cannabis mit Rauchen assoziiert, daher sollte Schwangeren unbedingt von Cannabis abgeraten werden (NICE 2008). Schwangere, die härtere Drogen konsumieren, stellen eine Hochrisikogruppe dar, die einer spezialisierten, multidisziplinären Betreuung bedarf.
13.7
Sexualität in der Schwangerschaft
13.7.1
Tradition und Gewohnheiten
Sexualität in der Schwangerschaft ist ein Tabuthema. Schon in alten Zeiten wurde sexuelle Aktivität in der Schwangerschaft als ein potenzielles Risiko für den Fetus erachtet. Verschiedene Religionen sind gegen Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft, Hinweise finden sich im Koran, im Talmud und in Hinduskripten (Limner 1969; Andersen u. Fuchs 1993). Auch heutzutage fürchten sich viele werdende Eltern, durch Geschlechtsverkehr in der Schwangerschaft »Schaden« anzurichten. Es ist bekannt, dass sexuelle Aktivität während des 1. Trimenons abnimmt und im weiteren Verlauf der Schwangerschaft weniger wird. Einerseits fürchten die werdenden Eltern, eine Fehl- oder Frühgeburt auszulösen, andererseits ist die Schwangerschaft selbst mit einem Verlust des sexuellen Interesses assoziiert (Solberg et al. 1973).
Schwangere sollten informiert werden, dass Sexualität in der Schwangerschaft nicht mit Komplikationen assoziiert ist (NICE 2008).
13.8
Reisen in der Schwangerschaft
13.8.1
Risiken
Bei Flugreisen gibt es zwei potenzielle Risken: die Thrombosegefahr und die Strahlenbelastung. Die niedrigere Sauerstoffspannung durch den Kabinendruck, der auf einem Äquivalent einer Seehöhe von 5000–8000 Fuß (1524–2438 m über dem Meer) gehalten wird, beeinträchtigt die fetale Sauerstoffversorgung nicht. Die allgemeine Inzidenz symptomatischer Thrombosen nach Langstreckenflügen wird mit 1:500 bis 1:10.000 angegeben. Die Inzidenz der venösen Thromboembolien in der Schwangerschaft beträgt rund 0,1%. Es wird eine erhöhte Thrombosegefahr bei Flugreisen während der Schwangerschaft vermutet, obwohl es dazu keine Dokumentation gibt. Das zweite Problem bei Flugreisen ist die Strahlenbelastung. Je größer die Flughöhe, desto höher die kosmische Strahlung. Diese besteht zu 90% aus Protonenstrahlung. Die Jahresdosis, die bei einem Leben in großen Höhenlagen zustande kommt, ist allerdings auch nicht unbeträchtlich (Jahresdosis in der Schweiz ca. 500 mrem). Die Jahresdosis einer Flugzeugcrew beträgt pro Jahr 20–900 mrem (0,2–0,9 mSv). Das Dosisäquivalent durch berufliche Exposition sollte für das Ungeborene nicht mehr als 50 mrem (0,5 mSv) pro Monat betragen. Autoreisen stellen keine bekannte Gefährdung für die Schwangerschaft dar. Das Tragen eines Sicherheitsgurtes vermindert auch bei Schwangeren die Mortalität bei Unfällen. Vor Reisen können Impfungen notwendig werden. Prinzipiell können inaktivierte oder Totimpfstoffe, Toxoide und
13
220
Kapitel 13 · Lebensführung
Polysaccharide in der Schwangerschaft geimpft werden. Darunter fällt auch die Grippeimpfung, die sogar empfehlenswert ist. Lebendimpfstoffe sollen während der Schwangerschaft vermieden werden, obwohl das Risiko für Feten eher theoretisch ist. Beispiele für Lebendimpfstoffe sind Masern, Mumps, Röteln, Bacillus Calmette Guérin (BCG) und Gelbfieber. Malaria ist durchaus eine bedrohliche Situation in der Schwangerschaft. In 60% der Fälle kommt es zu einer Fehlgeburt, und die Müttersterblichkeit beträgt 10%. Weiters kann eine Infektion mit Hepatitis-E-Viren in der Schwangerschaft gefährlich werden. Hier beträgt die Mortalität 17–33%.
13.8.2
13
Beratung
Schwangere sollen angewiesen werden, nicht allein zu reisen. Das Wohlbefinden kann beträchtlich beeinflusst werden, und die typischen Beschwerden während einer Schwangerschaft wie Übelkeit, Müdigkeit und Beinkrämpfe können sich verschlechtern. Schwere Anämie (aufgrund der niedrigeren Sauerstoffspannung) gilt als relative Kontraindikation für eine Flugreise während der Schwangerschaft. Bei gesunden Schwangeren kann eine Risikominimierung für Thrombose durch reichliches Trinken und die Vermeidung von Alkohol und Kaffee erfolgen. Im Allgemeinen wird empfohlen, gut angepasste Stützstrümpfe zu tragen. Aufgrund der Strahlenbelastung wird in der Schwangerschaft eine Vermeidung von häufigen Langstreckenflügen empfohlen. Hierzu gibt es allerdings keine epidemiologischen Studien. Bei Autoreisen ist das richtige Tragen des Gurtes wichtig: Beim Dreipunktgurt sollte der Gurt oberhalb und unterhalb des Bauches verlaufen und keinesfalls quer über den schwangeren Bauch angelegt und getragen werden (7 Kap. 16.6). Zum Schutz vor Malaria gilt es, eine strenge Expositionsprophylaxe einzuhalten. Als prophylaktische Medikation kann Chloroquin und Proguanil verwendet werden und wenn nötig auch Mefloquin. Aufgrund der Gefahr von Hepatitis E ist es besonders wichtig, potenziell kontaminiertes Wasser und/oder kontaminierte Nahrung zu meiden (NICE 2008).
13.9
Höhenexposition in der Schwangerschaft
13.9.1
Leben auf großer Meereshöhe
Geschätzte 140 Mio. Menschen weltweit leben permanent auf über 2.500 m Meereshöhe. Das Leben in großer Höhe ist nach oben durch die zunehmende Hypoxämie begrenzt. Höchste menschliche Siedlungen finden sich in Chile bei 5.180 m, was naturgemäß eine Reproduktion in dieser Höhe erfordert. Hypobare Hypoxie die häufigste Ursache für fetomaternale Hypoxie (Moore et al. 1998). Babys, die in großer Höhe geboren werden, sind klein, und ihre Größe ist umgekehrt proportional zur Anzahl der Generationen von Vorfahren, die in großer Seehöhe gelebt haben (Zamudio et al. 1993). So gebären Aymaras und Quechuas in Südamerika und Tibetane-
rinnen größere Kinder als Frauen europäischer Abstammung in südamerikanischen Hochgebirgsregionen (Zamudio et al. 1993). Der Unterschied im Geburtsgewicht beträgt etwa 100 g pro 1000 m Höhenzunahme. Zur Adaptation an die große Höhe gehören u. a. Veränderungen im Thorax zur Verbesserung der Atemfunktion, in der Kapillardichte im Gewebe und in der Atemregulation. Es ist gezeigt worden, dass das Geburtsgewicht in dem Maße zunimmt, in dem die Schwangere in der Lage ist, ihr Atemminutenvolumen zu steigern (Huch 1996), und je größer das Lungenvolumen ist (McAuliffe et al. 2004). Es konnte gezeigt werden, dass das fetale Wachstum bei über mehrere Generationen adaptierten Schwangeren auf großer Meereshöhe ab der Mitte der Schwangerschaft signifikant geringer ist als bei einer ethnisch vergleichbaren Gruppe, die auf Meereshöhe lebt (Krampl et al. 2000). Diese Wachstumsrestriktion ist offenbar nicht auf verminderte Verfügbarkeit von Sauerstoff zurückzuführen (Zamudio et al. 2007). Die Sauerstoffspannung ist zwar im mütterlichen Blut deutlich niedriger (McAuliffe et al. 2001), der Hämatokrit ist jedoch höher (Kametas et al. 2004). Plazentastruktur und Durchblutung sind auf verbesserten Sauerstofftransport ausgerichtet (Espinoza et al. 2001; Krampl et al. 2001). Das niedrige Geburtsgewicht auf großer Meereshöhe ist möglicherweise auf den höheren Energieumsatz und auf die niedrige Insulinresistenz der Schwangeren (Krampl et al. 2001) zurückzuführen.
13.9.2
Akute und kurzfristige Exposition
Höhenexposition in der Schwangerschaft kann auch kurzfristig vorkommen, z. B. als akute Exposition beim Fliegen (entsprechend Höhen bis 2500 m; 7 Kap. 13.8) und bei Ski-, Wander- und Trekkingaktivitäten (Höhen zwischen 2.000 und 3.000 m). Es gibt für die menschliche Schwangerschaft nur wenige Untersuchungen, die Auswirkungen der akuten Höhenexposition in Verbindung mit körperlichen Aktivitäten auf den Fetus untersucht haben (Huch 1996). Da es bei Freizeitaktivitäten in der Höhe zu einer Kombination der Risiken aus Sport und Höhe kommt, wurde in den wenigen Studien aus Gründen der Vorsicht nur der Einfluss mäßiger Höhe mit moderater körperlicher Belastung untersucht. Aber bereits hier konnten in Einzelfällen fetale Bradykardien beobachtet werden.
13.9.3
Beratung
Die Empfehlungen bei geplanter Höhenexposition in der Schwangerschaft (meist kombiniert mit Sport) basieren nicht auf experimentellen Untersuchungen von Schwangeren, sondern auf einer Mischung aus höhenphysiologischen Kenntnissen, Befunden aus tierexperimentellen Untersuchungen, Erfahrungen aus dem Leben in großer Höhe und auf den Resultaten der wenigen systematischen Untersuchungen in der menschlichen Schwangerschaft (Jean et al. 2005). Demnach ist besondere Vorsicht geboten
221 Literatur
4 bei akuter Exposition in >3.000 m Höhe, 4 bei Sport in Höhen >2.500 m, 4 bei intensivem Sport in Höhen >2.000 m (v. a. in den ersten 3–4 Tagen des Aufenthalts), 4 bei Symptomen der Höhenkrankheit (beginnend 12 h nach Exposition), 4 bei Zusatzrisiken (Anämie, Rauchen, fetale Wachstumsrestriktion).
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13
222
13
Kapitel 13 · Lebensführung
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14 14 Schwangerschaft und Ernährung C. Tempfer, P. Bung 14.1
Allgemeine Empfehlungen – 224
14.1.1 14.1.2
Kindliche und mütterliche Morbidität – 224 Fleisch und Fisch – 224
14.2
Unterernährung/Überernährung, Makronährstoffe/Mikronährstoffe – 224
14.3
Energiebedarf, Gewichtszunahme, Ernährungsberatung – 225
14.4
Mikronährstoffe – 227
14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4
Vitamine – 228 Mineralien und Spurenelemente – 235 Omega-3-Fettsäuren und Fisch – 239 Probiotika – 240
14.5
Schlussbetrachtung – 240
14.5.1
Ernährungsberatung – 240
Literatur – 241
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
224
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
Eine ausgewogene und in manchen Bereichen gezielte Ernährung kann sowohl zum Wohlbefinden der werdenden Mutter als auch zur Gesundheit des Kindes beitragen. Eine fundierte Information der Schwangeren gehört daher zu den wichtigsten Aufklärungsinhalten der Schwangerenbetreuung durch den Frauenarzt. In der Folge sollen einschlägige Informationen aufgelistet werden, um eine gezielte Beratung zu erleichtern.
14.1
Allgemeine Empfehlungen
14.1.1
Kindliche und mütterliche Morbidität
Body-Mass-Index (BMI) 4 BMI = Körpergewicht [kg]/Körpergröße [m²]
14
Ein präkonzeptioneller maternaler BMI <19,8, eine unzureichende Gewichtszunahme in der Schwangerschaft sowie ein niedriges mütterliches Gewicht zum Zeitpunkt der Geburt (BMI <19,8) sind mit einem erhöhten Risiko für intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) und niedriges kindliches Geburtsgewicht (<2.500 g) sowie mit einer verkürzten Schwangerschaftsdauer assoziiert. Das Risiko für einen Kaiserschnitt ist jedoch vermindert. Ein präkonzeptioneller BMI >40 ist mit einem Anstieg der mütterlichen und fetalen Morbidität assoziiert. Bei Patientinnen mit BMI >40 kommt es im Vergleich zu Schwangeren mit einem normalen präkonzeptionellen BMI, d. h. 19,8–26, signifikant häufiger zu Präeklampsie, vaginaloperativer Geburtsbeendigung, Schnittentbindung, Schulterdystokie, Mekoniumaspiration, intrauterinem Fruchttod und erhöhtem Geburtsgewicht. Diese Assoziationen sind in geringerer Ausprägung auch bei Frauen mit einem BMI von 35,1–40 zu beobachten. Insgesamt haben Frauen mit einem erhöhten präkonzeptionellen BMI – also BMI >35 – unabhängig von der schwangerschaftsbedingten Gewichtsveränderung mehr Schwangerschaftkomplikationen als normalgewichtige Patientinnen. Verlieren diese übergewichtigen Frauen in der Schwangerschaft Gewicht oder halten ihr Gewicht, so ist dies ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für ein niedriges fetales Geburtsgewicht (<3000 g) assoziiert. Bei einer Gewichtszunahme von >16 kg steigt wiederum das Risiko für ein fetales Geburtsgewicht >4.000 g stark an. Insgesamt ist daher aus diesen Gründen auch bei Frauen mit einem erhöhten präkonzeptionellen BMI eine moderate Gewichtszunahme in der Schwangerschaft von 6–11 kg empfehlenswert (Jensen et al. 2005).
14.1.2
Fleisch und Fisch
Rohes oder halbgares Fleisch (Steak, Hackfleisch, Tartar, Salami, Geflügel, Sushi u. v. a.) sollte wegen der Gefahr einer Infektion mit Parasiten oder Bakterien wie Toxoplasmen, Listerien oder Salmonellen in der Schwangerschaft nach Möglichkeit überhaupt nicht konsumiert werden. Auch auf den Verzehr von Leber sollte aufgrund des hohen Vitamin-A-Ge-
halts (embryotoxisch) in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten gänzlich verzichtet und später in der Schwangerschaft auf eine Mahlzeit pro Woche beschränkt werden. Aufgrund der Gefahr von Schadstoffrückständen ist der Verzehr von Innereien in der Schwangerschaft ebenfalls nicht empfehlenswert. Fischmahlzeiten sollten aufgrund des möglichen Gehalts an Quecksilber und Dioxinrückständen auf eine Mahlzeit pro Woche beschränkt werden. Fleisch (Rind, Lamm, Schwein) sollte zur Ernährung einer Schwangeren gehören, da rotes Fleisch einen hohen Gehalt an dem für die Schwangerschaft wichtigen Eisen aufweist.
Zu vermeidende Lebensmittel in der Schwangerschaft 4 Nicht pasteurisierte Milch oder Rohmilchkäse → Gefahr der Infektion mit Listerien 4 Weichgekochte oder nicht durchgebratene Eier → Gefahr der Infektion mit Salmonellen 4 Speisen, die aus rohen Eiern zubereitet wurden, z. B. Tiramisu 4 Rohes oder halbgares Fleisch und Fisch, z. B. Steak, Hackfleisch, Tartar, Salami, Geflügel, Sushi → Gefahr der Infektion mit Toxoplasmen, Listerien, Salmonellen 4 Mehr als eine Fischmahlzeit pro Woche folgender Sorten: Aal, Hai, Thunfisch, Heilbutt, Rotbarsch, Seeteufel, Steinbeißer, Hecht → Gefahr durch Quecksilber- und Dioxinrückstände 4 Keine Lebermahlzeit in den ersten 3 Monaten und nicht mehr als eine Lebermahlzeit pro Woche danach → Gefahr der Vitamin-A-Überdosis mit möglicher Embryotoxizität 4 Innereien → Gefahr durch Schadstoffrückstände 4 Ungewaschene Salate, Früchte und Gemüse → Gefahr der Infektion durch Toxoplasmen und Fuchsbandwurm 4 Speiseeis aus Straßenverkauf → Gefahr der Infektion mit Salmonellen 4 Keine Eiswürfel aus unsicheren hygienischen Verhältnissen 4 Alkoholische Getränke
14.2
Unterernährung/Überernährung, Makronährstoffe/Mikronährstoffe
Grundsätzlich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Nährstoffzufuhr und dem Wachstum der Plazenta und des Fetus. Im Tiermodell zeigt sich, dass eine Verminderung der Nährstoffzufuhr während der Gesamtdauer der Schwangerschaft oder während der 2. Schwangerschaftshälfte zu einem signifikant geringeren Geburtsgewicht von Plazenta und Fetus führt und auch mit einer Reduktion der Zahl an Nachkommen assoziiert ist (Griggio et al. 1997). Ähnliches gilt auch für den Menschen. In der bekannten Dutch Famine Study wurden Frauen nachuntersucht, die während der Hungersnot im Amsterdam des Jahres 1945 eine
225 14.3 · Energiebedarf, Gewichtszunahme, Ernährungsberatung
Schwangerschaft ausgetragen hatten (Lumey 1998). Analog zu den experimentellen Daten im Tiermodell war eine verminderte Nährstoffzufuhr während der Gesamtdauer der Schwangerschaft mit einem im Mittel um 300 g verminderten Geburtsgewicht assoziiert. Bemerkenswert ist jedoch, dass sowohl im Tiermodell als auch in der Dutch Famine Study eine Situation der Unterernährung ausschließlich während des 1. Trimesters der Schwangerschaft einen gegenteiligen Effekt zeigte. Neugeborene von Frauen mit Verminderung der Nährstoffzufuhr am Beginn der Schwangerschaft hatten nicht nur ein normales Geburtsgewicht, sondern auch ein deutlich höheres Plazentagewicht. Diese Beobachtung wurde auch in einer Vielzahl von Tierexperimenten bestätigt (Heasman et al. 1998). Vermindert man beispielsweise die Nährstoffzufuhr des trächtigen Schafes in der 1. Schwangerschaftshälfte um 50%, so führt dies zu einer signifikanten Steigerung des Plazentagewichts bei Termingeburt. Umgekehrt bewirkt eine Steigerung der Nährstoffzufuhr in der 1. Schwangerschaftshälfte im Schafmodell eine Verminderung des Geburtsgewichts der Lämmer um durchschnittlich 28% sowie eine Verminderung des Plazentagewichts um durchschnittlich 33% (Wallace et al. 1997). Untersuchungen am Princess Anne Maternity Hospital haben gezeigt, dass auch beim Menschen eine vermehrte Zufuhr von Nährstoffen in der Frühschwangerschaft, etwa durch eine besonders kohlenhydratreiche Diät, das Plazentawachstum unterdrückt und eine Verminderung des Geburtsgewichts von Fetus und Plazenta zur Folge hat (Godfrey et al. 1996). > Insgesamt zeigen diese Daten einen direkten positiven Einfluss einer verminderten Zufuhr von Nährstoffen in der Frühschwangerschaft auf das Wachstum der fetoplazentaren Einheit.
Als Erklärung dieses Phänomens wird eine günstigere Nährstoffaufteilung zwischen Mutter und Fetus (»nutrient partitioning«) in einer Mangelsituation angenommen. Konkret wird im Gegensatz zum plazentaren Wachstum das fetale Wachstum in der Frühgravidität v. a. durch IGF-2 gesteuert. Mütterliches Fasten führt zu einer Reduktion mütterlicher IGF-1-Serumspiegel, die fetalen IGF-2-Serumspiegel werden aber dadurch nicht beeinflusst. Bei Bestehen einer Hyperemesis gravidarum erlaubt dieser Umstand dem Fetus, trotz insgesamt verminderter Nährstoffzufuhr, überproportional von den vorhandenen Nährstoffen zu profitieren. Im 2. Trimenon der Schwangerschaft tritt der Beschwerdekomplex von Übelkeit und Erbrechen in den Hintergrund, gleichzeitig erfolgt eine Umstellung der fetalen Wachstumssteuerung von IGF-2 auf IGF-1 (Robinson et al. 1995; Gluckman u. Harding 1997). Die in der Frühschwangerschaft durch Übelkeit und Erbrechen hergestellte Mangelsituation führt demnach zu einem relativen Vorteil für die Versorgung des Fetus und der Plazenta mit Nährstoffen. Damit in Übereinstimmung stehen auch die Ergebnisse einer Reihe von Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Übelkeit (bzw. Übelkeit und Erbrechen) in der Schwangerschaft und einem günstigen Schwangerschaftsverlauf dokumentieren. In einer Studie an >400 Frauen zeigten Tierson et al. (1986), dass betroffene
Frauen seltener einen Spontanabort hatten und einen geringeren Anteil an fetalen Wachstumsrestriktionen aufwiesen als Frauen ohne Übelkeit und Erbrechen. Ein geringeres Risiko für Spontanabort, Frühgeburtlichkeit und Wachstumsrestriktion sowie eine geringere perinatale Mortalität sind in der Literatur für Frauen mit Hyperemesis gravidarum beschrieben (Jarnfelt et al. 1983; Weigel u. Weigel 1988). In einer Metaanalyse von 11 diesbezüglichen Studien wurde eine signifikante Assoziation zwischen Übelkeit und Erbrechen in der Frühschwangerschaft und einem verminderten Risiko für Frühund Spätabort nachgewiesen (Weigel u. Weigel 1989). Tipp Eine übermäßige Nahrungszufuhr in der Frühschwangerschaft scheint daher nicht empfehlenswert zu sein.
Im Mitteleuropa der heutigen Zeit stellt nicht die Unterernährung, sondern die kalorische Übersättigung das vorherrschende Ernährungsproblem dar. Die Folgen einer übermäßigen Gewichtszunahme sind für die Schwangere und ihr Kind schwerwiegend. Sie reichen von der Ausbildung von Stoffwechselstörungen (z. B. erhöhte Inzidenz an Gestationsdiabetes) über ein gehäuftes Auftreten von Präeklampsien und Frühgeburten bis hin zu zahlreichen mechanischen Problemen unter der Geburt (Weichteil- und/oder Schulterdystokie). Die Überschreitung des durch die Schwangerschaft erhöhten Energiebedarfs um im Mittel lediglich etwa 13% (7 unten) wird häufig durch »leere Kalorien« bewirkt; dies führt letztlich dazu, dass im Alltag trotz der energetischen Überversorgung mit Makronährstoffen (Proteine, Kohlenhydrate und Fette) Defizite in der Bedarfsdeckung von Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) auftreten. Dabei kristallisiert sich ganz allgemein in den westlichen Industriestaaten die ausreichende Zufuhr dieser Stoffe als ein wachsendes Problem heraus – Folge veränderter Verzehrgewohnheiten und Lebensmittelzubereitungen. Und wenn es schon dem Normalverbraucher nicht immer gelingt, eine optimale Versorgung sicherzustellen, so ist unter dem physiologischen Sonderumstand »Schwangerschaft und Laktation« eine ausreichende Zufuhr von Mikronährstoffen häufig nicht mehr gewährleistet.
14.3
Energiebedarf, Gewichtszunahme, Ernährungsberatung
Die vorliegenden Daten zur Frage des Energiebedarfs in der Schwangerschaft lassen die Annahme zu, dass für die adäquate kalorische Versorgung des Fetus ein unterer Schwellenwert für die tägliche Gesamtkalorienaufnahme in Höhe von 1.500–1.800 kcal definiert werden kann (Lechtig u. Klein 1981; Schneider 1985). Erst bei einer kontinuierlichen Unterschreitung dieses Angebots kommt es zu einer signifikanten Erniedrigung des Geburtsgewichts. Andererseits kann aus dem Umstand, dass die genannte kritische Kalorienmenge normalerweise unter der täglichen Kalorienaufnahme erwachsener Frauen in Deutschland liegt,
14
226
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
und unter Zugrundelegung eines mütterlichen Gewichtsanstiegs in der Schwangerschaft um 12–13 kg, der sich aus etwa 4 kg Fett, 1,6 kg Proteinen und 6,9 l Wasser rekrutiert, geschlossen werden, dass die kalorische Versorgung in der Schwangerschaft hierzulande kein Problem sein dürfte, auch wenn sich im Gestationsverlauf ein mittlerer täglicher Energiemehrbedarf von 300 kcal (ca. 13%) aufpfropft. Dies entspricht einem kumulativen Mehrbedarf an Energie von etwa 85.000 kcal, der sich auf die verschiedenen Phasen der Schwangerschaft unterschiedlich verteilt (Thomson u. Hytten 1980; Hytten 1991). Der Mehrbedarf an Nährstoffen und Energie in der Schwangerschaft wird z. T. durch eine gesteigerte Nahrungsaufnahme abgedeckt. Zusätzlich wird er durch Veränderungen der Nahrungsverwertung gewährleistet, wobei besonders die Resorption und die Bioverfügbarkeit für einzelne Stoffe, z. B. Mikronährstoffe, zunehmen. Laut Literaturangaben ist jedoch speziell der Energiehaushalt mit den Komponenten »gewebegebundene Energie«, »Energieumsatz« und »Energiezufuhr« sehr variabel. Tipp Die durchschnittliche tägliche Kalorienaufnahme der Schwangeren sollte ca. 2.500-2.700 kcal betragen.
14
Abhängig vom Body-Mass-Index vor einer Schwangerschaft sind laut Empfehlungen des Institute of Medicine der USamerikanischen National Academy of Sciences (Siega-Riz et al. 1994) die in . Tab. 14.1 genannten Gewichtszunahmen während der Schwangerschaft optimal. Durchschnittlich nehmen jedoch nur ca. 30% der schwangeren Frauen an Gewicht im empfohlenen Bereich zu. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Gewichtszunahme durch unterschiedliche maternale Faktoren (BMI präkonzeptionell, Größe, Parität, Bildungsgrad, Nikotinabusus, Hypertonie, Ethnie und kindliches Geschlecht) beeinflusst wird. Das Ausmaß der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft hat einen Einfluss auf Schwangerschaftsdauer und Schwangerschaftskomplikationen. In einer kanadischen populationsbasierten Kohortenstudie wurden bei Frauen mit normalem BMI vor der Schwangerschaft und einer überdurchschnittlichen Gewichtszunahme erhöhte Raten von Hypertonie und Makrosomie sowie häufigere Geburtseinleitun-
. Tab. 14.1. Optimale Gewichtszunahmen während der Schwangerschaft in Abhängigkeit vom prägraviden BMI nach National Academy of Sciences (USA)
BMI [kg/m2]
Gewichtszunahme [kg]
<19,8
12,7–18,2
19,8–26 >26,1
11,4–15,9 6,8–11,4
gen registriert. Bei übergewichtigen Frauen war eine überdurchschnittliche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft mit erhöhten Raten von Hypertonie, Makrosomie und neonatalen metabolischen Auffälligkeiten assoziiert. In allen Gruppen von Frauen war eine überdurchschnittliche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Schwangerschaftskomplikationen assoziiert (Crane et al. 2009).
Studienbox Eine Longitudinalstudie von Goldberg et al. (1993) zeigte bei Probandinnen erhebliche Unterschiede der mittleren Gewichtszunahme, wobei diese Variabilität in erster Linie durch die Zunahme des Fettgewebes bedingt war; die mittlere Zunahme an Fettgewebe betrug 2,8 kg und schwankte zwischen –2,54 und +6,39 kg. Eine ähnliche Variabilität fand sich bei der Entwicklung des Grundumsatzes in der ersten Schwangerschaftshälfte, die bei einzelnen Frauen abnahm und bei anderen zunahm; im untersuchten Gesamtkollektiv war erst in der 36. SSW eine Erhöhung des mittleren Wertes gegenüber den Nichtschwangeren erreicht. Insbesondere schlanke Frauen zeigten eine initiale Abnahme, was einer »Sparschaltung« des Energiehaushalts entsprechen könnte. Ebensolche individuellen Unterschiede wies der Gesamtenergieumsatz auf. Die Differenz zwischen Gesamtenergieumsatz und Grundumsatz ist ein Indikator für die körperliche Aktivität, die im 1. und 2. Trimenon erhöht ist. Erst bei den Messungen zwischen der 30. und 36. SSW war in der Mehrzahl der Fälle eine Abnahme des Energieumsatzes für körperliche Aktivität zu verzeichnen. Die Kalorienaufnahme war bereits in der Frühschwangerschaft erhöht und blieb dann bis zur 36. SSW mehr oder minder konstant; hierbei resultierte eine bis heute ungeklärte Diskrepanz zwischen dem gemessenen Mehrbedarf an Energie und der auf den Angaben der Schwangeren basierenden Steigerung der Energiemehraufnahme.
Auch aufgrund dieser Überlegungen sollte bei der Ernährungsberatung auf folgende wichtige Faktoren geachtet werden: 4 Die Beurteilung der Gewichtszunahme darf keinen starren Regeln folgen. Insbesondere sollte zu Beginn der Schwangerschaft ein Über- oder Untergewicht der Graviden berücksichtigt werden. Dabei gilt als Richtwert der prägravide Body-Mass-Index (BMI; kg/m2) mit den in . Tab. 14.2 genannten Empfehlungen. 4 In der Spätschwangerschaft können pathologische Verschiebungen des Wasserhaushalts zu Fehlbeurteilungen führen. 4 Die genannten Werte sind Mittelwerte für die Energiezufuhr. Starke körperliche Aktivitäten durch Beruf oder Sport müssen ihren Niederschlag in einer individuell angepassten Ernährung finden. Während bei der Mehrzahl der Schwangeren in unserer Gesellschaft eine Steigerung der Gesamtkalorienaufnahme nicht angezeigt ist, bedarf die Aufteilung einer Korrektur: So werden zu viele Kalo-
227 14.4 · Mikronährstoffe
. Tab. 14.2. Beurteilung der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft in Abhängigkeit vom prägraviden BMI
Prägravider BMI [kg/m2]
Klassifikation
Physiologische oder wünschenswerte Gewichtszunahme [kg]
<19,8
Untergewicht
12,5–18
19,8–26
Normalgewicht
11,5–16
26–29,0
Übergewicht
7–11,5
>29
Starkes Übergewicht
<7
rien in Form von Fetten und zu wenige als Eiweiß und Kohlenhydrate aufgenommen. Tipp Nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird folgende Verteilung der Nahrungsenergieträger empfohlen: 4 55–60% Kohlenhydrate (380–420 g entsprechend 1.540–1.680 kcal), 4 30% Fett (105 g entsprechend 840 kcal), 4 10–15% Proteine (70–105 g entsprechend 280–420 kcal). Hierbei wird mit fortschreitender Schwangerschaft wegen des zunehmenden plazentaren Transfers von Aminosäuren eine Anhebung des Eiweißanteils empfohlen; wegen der besseren Nutzbarkeit für die Abdeckung des Bedarfs an essenziellen Aminosäuren sollen 50–70% der Proteinzufuhr tierischen Ursprungs sein (Möhr 1979).
Die Verteilung der Energiesubstrate zeigt in der Durchschnittsernährung eine deutliche Abweichung von den Empfehlungen für die Schwangerschaft: Danach werden die empfohlenen Richtlinien bei der Proteinaufnahme um etwa 12%, bei der Kohlenhydrataufnahme um etwa 18% unterschritten – zugunsten eines um ca. 70% zu großen Fettanteils, was einem Überschreiten der Energieaufnahme von 10–20% entspricht. Der Anteil, der durch die Aufnahme von Fett abgedeckt wird, ist also deutlich zu hoch, während ein zu geringer Anteil durch Kohlenhydrate und Proteine abgedeckt wird. Eine entsprechende Korrektur und Umverteilung ist durch gezielte Ernährungsberatung anzustreben (DGE 1989; . Abb. 14.1). Bei der Fettzufuhr ist auf eine ausreichende Zufuhr mehrfach ungesättigter Fettsäuren Wert zu legen [z. B. Linolsäure, α-Linolinsäure, Docosahexaensäure (DHA)], da diese für die Synthese von Zellmembranen bzw. zur Bildung der körpereigenen Eikosanoide, die wiederum einen entscheidenden Einfluss auf entzündliche Reaktionen, das Immunsystem und das Gerinnungssystem ausüben, von Bedeutung sind. DHA spielt eine besondere Rolle als Strukturfett für Gehirn, Nerven und Retina, sodass es durch ungenügende Zufuhr in diesen Bereichen zu irreversiblen Funktionsstörungen
. Abb. 14.1. Abweichung des durchschnittlichen Energieträgerkonsums von den Empfehlungen der DGE (2008) für die Schwangerschaft
kommen kann. Da insbesondere Fische einen hohen Gehalt aufweisen, ist der zusätzliche Bedarf am besten durch einen vermehrten Verzehr von (fetten) Seefischen, alternativ die Einnahme von Fischölkapseln, zu empfehlen (7 Kap. 14.4.3).
14.4
Mikronährstoffe
»Die physiologische Abhängigkeit des fetalen Wachstums vom Nährstoffangebot [gemeint sind die Makronährstoffe Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate] tritt in einer Wohlstandsgesellschaft mit Nahrungsüberschuss praktisch nicht mehr in Erscheinung« (Kübler 1987). Dagegen übersteigt der Bedarf an Mikronährsstoffen, also an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen, essenziellen Stoffen, die im Organismus nur in geringem Maße vorrätig sind, den zusätzlichen Energiebedarf in der Schwangerschaft z. T. erheblich. . Tab. 14.3 beschreibt die im Normalfall im Körper befindlichen Reserven an Vitaminen sowie Eisen und Kalzium hinsichtlich des damit versorgten Zeitraums. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere für die wasserlöslichen Vitamine die körpereigenen Depots begrenzt sind und somit bei diesen Substanzen die Gefahr einer Mangelsituation besteht. Gerade für diese Substanzen verfügt die Plazenta über aktive Transportmechanismen, was als Schutz für den Fetus gegenüber mütterlichen Mangelzuständen interpretiert werden kann. > Wenn der Erhöhung des Bedarfs an Mikronährstoffen nicht Rechnung getragen wird, kann es in allen Phasen der Schwangerschaft zu klinisch fassbaren Störungen kommen. Diese bestehen im Tierversuch in Wachstumsrestriktion oder kongenitalen Anomalien und können sich im Vorfeld häufig durch biochemische und morphologische Parameter manifestieren.
14
228
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
. Tab. 14.3. Reservekapazität für ausgewählte Nährstoffe. (Nach Kübler 1987)
. Tab. 14.4. Empfehlungen zur Mehrzufuhr von Mikronährstoffen in der Schwangerschaft
Nährstoff
Zeitraum
Nährstoff
Mehrbedarf
Natürliche Quellen
Vitamin A
1–2 Jahre
Empfohlene Gesamtzufuhr
Vitamin D
2–4 Monate
Vitamin A
0,3 mg (38%)
1,1 mg
Pflanzen, Leber, Lebertran
Vitamin B1
4–10 Tage Vitamin D
0
5 mg
Vitamin B2
2–6 Wochen
Vitamin B6
2–6 Wochen
Margarine, Kalbfleisch, Seefisch, Milch
Vitamin B12
2–5 Jahre
Vitamin B1
0,2 mg (20%)
1,2 mg
Weizenkeime, Nüsse
Folsäure
2–4 Monate Vitamin B2 2–6 Wochen
0,2 mg (20%)
1,2 mg
Vitamin C
Milch, Eier, Nüsse, Fisch
Vitamin K
2–6 Wochen
Vitamin B6
0,7 mg (63%)
1,9 mg
Bohnen, Nüsse, Bananen
Eisen
1–1,5 Jahre 10–20 Jahre
Vitamin B12
0,5 mg (17%)
3,5 mg
Kalzium
Leber, Eier, Nieren, Käse
Folsäure
0,4 mg (100%)
0,8 mg
Leber, Hefe, Spinat, Korn
Vitamin C
10 mg (10%)
110 mg
Zitrusfrüchte, Gemüse, Obst
Vitamin K
0
60 mg
Pflanzen, Früchte, Leber
Eisen
15 mg (100%)
30 mg
Fleisch, Gemüse
Iod
30 μg (15%)
230 μg
Seefisch, Muscheln, Milch, Eier
Kalzium
0–200 mg (20%)
1000– 1200 mg, je nach Alter
Milch, Korn, Milchprodukte, Gemüse
Magnesium
0
300–310 mg, je nach Alter
Gemüse, Bananen, Milch
Fluorid
0
1 mg
Wasser, Saft, Milch
Zink
3 mg (40%)
10 mg
14.4.1
14
Vitamine
Vitamine können vom menschlichen Körper nicht synthetisiert werden, der damit auf die exogene Zufuhr angewiesen ist. Grundsätzlich werden die in fett- oder wasserlösliche Vitamine unterschiedenen Wirkstoffe für zahlreiche Stoffwechselvorgänge benötigt; der Mensch nimmt sie aus tierischen und pflanzlichen Quellen auf. Eine unzureichende Zufuhr kann zu manifesten Erkrankungen führen, wie sie landläufig für Vitamin C in Form des Skorbuts bekannt ist. Für den Zeitraum der Schwangerschaft wird eine Abschätzung oder gar eine Festsetzung des Vitaminstatus (und auch des Mineralstatus) insbesondere für das einzelne Individuum durch das Fehlen schwangerschaftsspezifischer Messwerte erschwert. Deren Erarbeitung und dynamische Entwicklung im Rahmen der Schwangerschaft sowie die Beschreibung möglicher Mangelerscheinungen würde kontrollierte Longitudinalstudien – auch mit systematischer Vorenthaltung der Wirkstoffe – erfordern; diese verbieten sich aus ethischen Gründen. Insofern ist ein großer Teil unseres Wissens und damit auch der Empfehlungen rudimentär und beruht auf Erfahrungen im Tierversuch, aus Einzelbeobachtungen oder aus Schätzungen über einen Mehrbedarf, die wiederum auf folgenden Grundüberlegungen (mod. nach Kübler 1988) basieren: 4 Auswirkung der hormonellen Veränderungen im Organismus der Schwangeren auf den Nahrungs- und Nährstoffumsatz; 4 Nährstofftransfer von der Mutter auf den Embryo/Fetus; 4 Nährstoffverluste durch erhöhte Exkretion (z. B. via Niere), durch erhöhte Syntheseleistung (z. B. Vergrößerung der Mammae und des Plazentagewebes), durch Abgabe ins Fruchtwasser oder Verluste unter der Entbindung.
Fleisch, Getreide, Milch
Empfohlene Energiezufuhr in der Schwangerschaft: 2.500 kcal (Mehrbedarf 300 kcal = 13,5%).
In . Tab. 14.4 sind Empfehlungen zur Mehrzufuhr der einzelnen Vitamine und Mineralstoffe in der Schwangerschaft sowie deren natürliche Herkunft bzw. Quellen aufgeführt.
Vitamin A Die klinische Wirkung von Vitamin A bei der Behandlung der Nachtblindheit ist in der Medizingeschichte seit langem bekannt, jedoch wurde dieses fettlösliche Vitamin erst 1913 in
229 14.4 · Mikronährstoffe
seiner Funktion als Antiexophthalmikum von McCollum und Davis beschrieben (Bässler et al. 1992). Vitamin A ist ein Oberbegriff für natürliche und synthetische Verbindungen mit ähnlicher chemischer Struktur, jedoch unterschiedlicher Wirkungsweise. Unter biologisch-medizinischen und auch toxikologischen Aspekten werden unter Vitamin A jedoch nur das Retinol und seine Ester verstanden, wogegen Retinoide Verbindungen mit Vitamin-A-Aktivität, jedoch ohne das komplette Wirkspektrum – z. B. Einfluss auf Spermatogenese oder Sehzyklus –sind. Wichtige Schwerpunkte der zahlreichen Wirkmechanismen sind: 4 Wachstum, Entwicklung und Differenzierung von Epithelgewebe, 4 Reproduktion (Spermatogenese, Embryogenese, Fetalentwicklung, Entwicklung der Plazenta), 4 Testosteronproduktion, 4 Sehvorgang. Die Aufnahme des Vitamins in den tierischen und menschlichen Organismus erfolgt mit der Nahrung in Form der in der Pflanzenwelt vorkommenden und als Provitamin A bezeichneten Carotinoide (α,- β- und γ-Carotin); diese finden sich in Möhren, dunkelgrünem Blattgemüse, Tomaten, Mais und Orangen. Hauptsächlich in den Zellen der Darmmukosa erfolgt dann die enzymatische Überführung in Vitamin A. Die bedeutendste natürliche Quelle an bereits vorgebildetem Vitamin A liegt in tierischen Produkten; dabei weisen Leber, Butter und Eiweiß, aber auch Fischprodukte wie Haifisch und Heilbutt einen besonders hohen Gehalt auf. Auch Meeressäuger (z. B. Polarbär) sind äußerst reich an Vitamin A, sodass bei einseitiger Ernährung oder vornehmlicher Zufuhr von Leberprodukten dieser Tiere, wie sie von Eskimos bekannt ist, Intoxikationen beschrieben sind. In verschiedenen Ländern der Dritten Welt stellt der Vitamin-A-Mangel heute noch ein vorrangiges Problem dar. Dagegen ist in Mitteleuropa bei gemischter Kost die Versorgung mit Vitamin A kein prominentes Problem. Der tägliche Bedarf gilt mit der Aufnahme von 1 mg Vitamin A pro Tag als gedeckt; lediglich bei einseitig pflanzlicher Kost kann dieser Bedarf evtl. unterschritten werden.
Studienbox Eine systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration über 5 Studien zur Vitamin-A-Substitution an 23.426 Schwangeren ergab in der Gruppe der substitutierten Frauen eine signifikante Reduktion der maternalen Mortalität sowie der Rate an Anämien (Van et al. 2002). Allerdings wurden diese Studien in Ländern wie Nepal und Indonesien durchgeführt, sodass sich eine seriöse Empfehlung für Frauen in Mitteleuropa aus diesen Daten nicht ableiten lässt.
Eine Vitamin-A-Unterversorgung, definiert als Plasmawert <10–20 μg/dl, manifestiert sich, wie aus Ländern der Dritten Welt bekannt, hauptsächlich in Veränderungen der Sehfunk-
tionen (Dunkeladaptationsstörung bis hin zur Blindheit), Hörstörungen, herabgesetzter Geruchsempfindlichkeit, Hautsymptomen (Eintrocknen und/oder Verhornung der Schleimhäute), hypochromen Anämien, Wachstums- und Dentinationsstörungen, Störungen bei der Fortpflanzung im Sinn einer eingeschränkten Spermatogenese und gehäuften Missbildungen im Bereich der Hörorgane, des Gastrointestinalund des Urogenitaltrakts. Bei einer ausgewogenen Mischkost ist in Mitteleuropa eine überhöhte Zufuhr eher unwahrscheinlich. Über eine exzessive Zufuhr, zumeist verursacht durch ungesteuerte Supplementierung, können jedoch chronische Vitamin-AHypervitaminosen erzeugt werden; diese bewirken, nochmals vornehmlich bei Kindern, unspezifische Symptome (Appetitverlust, trockene Haut, Haarausfall) und sind bei Erwachsenen zumeist nicht so ausgeprägt. Auch akute Überdosierungen können hauptsächlich durch extreme Aufnahme von Fisch- oder Seehundleber oder aber iatrogen (z. B. Psoriasisbehandlung) verursacht werden. Überhöhte Dosen von Vitamin A scheinen hingegen embryotoxisch und teratogen zu wirken. Die empfohlene maximale tägliche Vitamin-A-Zufuhr in der Schwangerschaft beträgt daher 5.000 IE. Auf Leber und Leberwurst sollte aufgrund ihres hohen Vitamin-A-Gehalts in der Schwangerschaft am besten ganz verzichtet werden. In diesem Sinn gibt es aus Tierversuchen und Beobachtungen am Menschen Erkenntnisse über die teratogenen Wirkungen als Folge einer überhöhten Vitamin-A-Zufuhr: Sie bestehen in Missbildungen wie Mikrotie, Mikrognathie sowie Herz-, Gefäß- und ZNS-Anomalien. Über die Kausalität, insbesondere als Folge von natürlichen Vitamin-A-Derivaten gegenüber synthetischen Retinoiden, besteht keine einhellige Meinung. Insbesondere wird angeführt, dass eine übermäßige Zufuhr zu empfindlichen Zellen und Geweben durch eine unter physiologischen Bedingungen streng kontrollierte Verteilung auf mütterlicher und fetaler Seite ausgeschlossen scheint. Dennoch hat das einstige Bundesgesundheitsamt (BGA) 1992 Frauen im konzeptionsfähigen Alter vor dem Verzehr tierischer Leber gewarnt, da in verschiedenen Proben als potenziell teratogen betrachtete Vitamin-A-Konzentrationen festgestellt wurden; die Leberproben enthielten zwischen 3.600 und 250.000 IE Vitamin A pro 100 g (entspricht einer Verzehrportion) und lagen damit teilweise über der als kritisch betrachteten Grenze von 10.000 IE. Insgesamt besteht für den Zeitraum der Schwangerschaft und der Laktation ein Mehrbedarf an Vitamin A; dieser ist in Europa i. d. R. durch die tägliche Nahrung gedeckt. Die Aufnahme von carotinoidreichen Nahrungsmitteln stellt eine natürliche Quelle dar, wogegen eine ungezielte Supplementierung oder der exzessive Genuss von tierischen (Leber-)produkten möglicherweise teratogene Wirkungen haben kann. Fälschlicherweise werden Schwangere vor dem Genuss von im Handel frei erhältlichen (Vitamin A, C und E enthaltenden) sog. ACE-Erfrischungsgetränken gewarnt. Grund für diese Warnung ist die Sorge vor einer übermäßigen VitaminA-Einnahme. Tatsächlich jedoch enthalten diese ACE-Getränke kein Vitamin A, sondern dessen Provitamin BetaCarotin, das im menschlichen Organismus bedarfsgerecht zu
14
230
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
Vitamin A metabolisiert wird. Eine Überdosierung ist somit nicht möglich. > Während das teratogene Potenzial von natürlichem Vitamin A noch nicht eindeutig geklärt ist, sind die synthetischen Retinoide in hohem Maße teratogen. Da diese Stoffe therapeutisch genutzt werden, ist im gebärfähigen Alter besondere Vorsicht indiziert. Tipp Eine generelle Vitamin-A-Substitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert.
Vitamin D
14
Vitamin D ist ein Oberbegriff für eine Anzahl von Verbindungen, deren wichtigste Vitamin D2 (Ergocalciferol) und Vitamin D3 (Cholecalciferol) sind. Diese spielen mit ihren aktiven Metaboliten eine entscheidende Rolle im Kalzium- und im Phophorstoffwechsel. Allgemein bekannt ist die antirachitische Wirkung, die 1922 von McCollum über den Nachweis erbracht wurde, dass Fischlebertran einen Wirkstoff enthält, der für den Knochenstoffwechsel essenziell ist (Bässler et al. 1992). Neben der zentralen Position im Gleichgewicht des Knochenmetabolismus übt dieses gleichzeitig als Vorstufe für hormonartige Wirkstoffe geltende Vitamin seine biochemische Funktion hauptsächlich an den Zielorganen Darm, Niere und Nebenschilddrüse aus. Dabei wird in der Darmschleimhaut die Kalzium- und Phosphatresorption gefördert, in den Knochen die Mobilisation dieser Stoffe und die Mineralisation, und in der Niere deren Rückresorption. Über die Nebenschilddrüse besteht eine wechselseitige Beziehung zum Parathormon. Als Vitamin-D-Quellen gelten für Cholecalciferol z. B. Seefisch sowie insbesondere Fischöle und für Ergocalciferol z. B. Milch und Milchprodukte. Das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin wird nach passiver Diffusion im Dünndarm unter der Einwirkung von Gallensalzen resorbiert. Daneben wird Vitamin D allerdings in größerem Umfang in der Haut aus 7-Dehydrocholesterin unter der Einwirkung von UV-B-Strahlung synthetisiert; insofern können Jahreszeit und Sonnenstand, aber auch Luftverschmutzung und Art und Dauer einer Sonnenexposition die Gesamtmenge des Vitamins erheblich beeinflussen. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Risiko einer Unterversorgung (Menschen mit stärker pigmentierter Haut; industrielle Ballungsgebiete; Regionen mit geringer Sonnendauer) ergibt sich daher die Empfehlung zur bewussteren Zufuhr über die Nahrung, der teilweise, wie z. B. in Milchprodukten oder Obstsäften, Vitamin D zugesetzt ist, oder ggf. auch zu einer regelmäßigen medikamentösen Supplementierung. Eine systematische Literaturanalyse der Cochrane Collaboration fand lediglich 2 kontrollierte Interventionsstudien mit Vitamin D an insgesamt 232 Schwangeren (Mahomed et al. 2000). Diese Studien zeigten kontroverse Resultate,
sodass eine eindeutige Aussage über den Effekt einer Vitamin-D-Substitution in der Schwangerschaft nicht möglich ist. Das klassische Bild des Vitamin-D-Mangels – die Rachitis beim Kind und die Osteomalazie beim Erwachsenen – dürfte in Mitteleuropa auch für den Zeitraum der Schwangerschaft eher selten sein. Dagegen kann eine Indikation zur aktiven Supplementierung vor, während und nach dieser Phase beim Menschen entstehen, wenn eine durch einseitige Ernährung zu geringe alimentäre Vitamin-D-Zufuhr oder – z. B. auch durch strenge Kleidervorschriften (Gesicht- und Armschleier) – eine ungenügende UV-Exposition besteht; daneben können intestinale (Malabsorption), hepatische und renale Defekte Anlass zu prophylaktischer und/oder therapeutischer Gabe sein.
Studienbox Untersuchungen an relativ stark vom Vitamin-D-Mangel betroffenen asiatischen Frauen zeigten positive Effekte einer zusätzlichen Gabe dieses plazentagängigen Vitamins auf das neonatale Geburtsgewicht und auf die hypokalzämischen Risiken der Neugeborenen. Während der Laktation führte im Tierversuch ein ernährungsbedingter Mangel dieses Vitamins zu fetalen und maternalen Hypokalzämien bis hin zur Tetanie. Ob außerdem Frühgeburtlichkeit ein Grund für ein kindliches Vitamindefizit darstellt, ist umstritten (Mimouni u. Tsang 1995).
Eine Überdosierung dieses fettlöslichen Vitamins ist durch die oben beschriebenen natürlichen Aufnahmemechanismen ausgeschlossen. Umgekehrt kann eine über die empfohlene Aufnahme hinaus durchgeführte exzessive und unkontrollierte Eigensupplementierung klinisch zu Intoxikationserscheinungen führen (Erbrechen, Schwindel, Muskelschwäche). Tipp Eine generelle Vitamin-D-Substitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert.
Vitamine der B-Gruppe Vitamin B1 (Thiamin). Vitamin B1 fungiert als Koenzym im Intermediärstoffwechsel fast aller Körperzellen. Es kommt in Fleischwaren, Mehl und Getreideprodukten vor. Wenngleich in der Normalbevölkerung aufgrund der derzeit herrschenden Ernährungsgewohnheiten eher von einer defizitären, zumindest aber marginalen Versorgung ausgegangen werden muss, finden sich die klinischen Symptome eines Mangels in Form von kardiovaskulären und neurologischen Störungen bis hin zur klassischen Beriberi selten. Die infantile Form dieser Avitaminose beim gestillten Neugeborenen ist Folge einer unzureichenden Versorgung bzw. eines schweren Thiaminmangels der Mutter. Als Haupt-
231 14.4 · Mikronährstoffe
ursache für einen Mangel gelten in den entwickelten Industrieländern eine unausgewogene Ernährung und der Alkoholkonsum. Vitamin B2 (Riboflavin). Vitamin B2 dient als Koenzym bei
verschiedenen Oxidations- und Reduktionsreaktionen. Es findet sich weit verbreitet in tierischen und pflanzlichen Produkten, insbesondere in Milch und Milchprodukten sowie in Fleisch und Fisch. Die von der DGE empfohlene Aufnahme von 1,2 mg für Frauen und die Zulage von 0,3 mg für Schwangere bzw. 0,4 mg in der Stillzeit dürfte über die tägliche Nahrungsaufnahme abgedeckt sein. Entsprechend selten finden sich Mangelsymptome wie entzündliche Veränderungen der Schleimhäute oder Störungen der intestinalen Eisenresorption mit den Folgen einer Anämie. Vitamin B6 . Vitamin B6 ist ein Sammelbegriff für viele vitaminwirksame 3-Hydroxy-2-Methylpyridin-Derivate mit der biologischen Aktivität des Pyridoxins. Es ist an zahlreichen enzymatischen Reaktionen in den verschiedensten Bereichen des Stoffwechsels beteiligt (z. B. Aminosäuresynthesestimulierung der humoralen und zellulären Immunabwehr). > Obwohl Vitamin B6 nahezu ubiquitär verbreitet ist (Fleisch, Frischgemüse, Brot, Getreideprodukte), sind die Ergebnisse von Untersuchungen über die Bedarfsdeckung von 1,6 mg/Tag für Frauen und einer Zulage von 1 mg für Schwangere bzw. 0,6 mg für Stillende teils kontrovers. So weisen 10–13% der Frauen im gebärfähigen Alter eine unzureichende Versorgung auf. Dabei findet sich ein klinisch fassbarer Mangel häufig in Verbindung mit einer Unterversorgung mit anderen B-Vitaminen.
Bei 15–20% der Frauen mit längerer Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva wurde ein Pyridoxinmangel festgestellt. Hieraus oder aus einer inadäquaten Aufnahme des Vitamins können sich in einer folgenden Schwangerschaft bzw. insbesondere durch längeres Stillen Konsequenzen ergeben, die für die Mutter klinisch minder gravierend sind; die daraus erwachsende marginale Versorgung in der Schwangerschaft kann aber insbesondere dann eine kritische Steigerung für die Mutter gegenüber dem 3. Trimenon erfahren, wenn die Mutter über längere Zeit stillt. Schwerwiegender sind allerdings die (durch Zufuhr schnell reversiblen) Konsequenzen beim brustgefütterten Kind wie Ataxie, Tremor und Krämpfe. Vitamin B12 (Cobalamin). Vitamin B12 kann nur durch bestimmte Mikroorganismen synthetisiert werden; daher ist der Mensch auf die Zufuhr dieses Vitamins mit der Nahrung (tierische Produkte) angewiesen; rein vegetarische Kost ist frei von Vitamin B12. Es übt seine Funktion hauptsächlich bei der Neubildung schnell proliferierender Körperzellen aus, z. B. im zentralen Nervensystem und bei der Blutneubildung.
Studienbox Eine systematische Literaturanalyse der Cochrane Collaboration identifizierte 5 kontrollierte Interventionsstudien an 1.646 Schwangeren. Eine Vitamin-B-Substitution führte mit Ausnahme einer fraglichen Reduktion von maternalen Zahnproblemen (relatives Risiko 0,84; 95%-CI 0,71–0,98) zu keiner klinisch relevanten Verbesserung der untersuchten Schwangerschaftsparameter (Thaver et al. 2006).
Tipp Eine generelle Vitamin-B-Substitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert.
Folsäure Folsäure Unter der Bezeichnung Folsäure werden alle Verbindungen zusammengefasst, die als chemische Bestandteile einen Pteridinring, eine Para-Aminobenzoesäure und einen oder mehrere Glutaminsäurereste enthalten. Diese Verbindungen können durch höhere Pflanzen und die meisten Mikroorganismen synthetisiert werden und finden sich weit verbreitet in Nahrungsmitteln, besonders reichlich in grünem Blattgemüse, in Leber, Hefe und Vollkornprodukten.
Die Ergebnisse der Nationalen Verzehrstudie von 1991 zeigen, dass die Folataufnahme in nahezu allen Bevölkerungsgruppen unter den Empfehlungen der DGE liegt (DGE 1991). Vergleicht man diese Empfehlungen für Schwangere mit denen für menstruierende Frauen im gebärfähigen Alter, so steht dem im 2. und 3. Schwangerschaftsdrittel erhöhten Energiebedarf (13%) bereits früh in der Schwangerschaft eine Bedarfserhöhung an Folsäure um 100% gegenüber. Folat wird nach der Aufnahme über einzelne biochemische Schritte für die Aufnahme im Darm umstrukturiert und dort, auf Zellebene, zu der biologisch wirksamen Form reduziert, die als 5,6,7,8-Tetrahydrofolat (THF) im Stoffwechsel eine zentrale Stellung einnimmt. Bereits aus den hier dargestellten Zusammenhängen des Folatmetabolismus wird ersichtlich, dass dieses Vitamin für den normalen Organismus unerlässlich ist. Folate sind für die normale Zellteilung, also z. B. Erythropoese und Epithelwachstum im erwachsenen Organismus, aber auch für die Differenzierungs- und Wachstumsprozesse bei Embryo und Fetus von essenzieller Bedeutung. Effekte der Folsäureprophylaxe. Der Einsatz von Folsäure in der Schwangerschaft ist eine etablierte Methode zur Primärprävention von Neuralrohrverschlussstörungen. Die perikonzeptionelle Verabreichung von 0,4 mg Folsäure bis inkl. der 12. SSW führt zu einer signifikanten Reduktion von Neural-
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232
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
rohrverschlussstörungen wie z. B. Spina bifida und wird derzeit jeder Frau im reproduktionsfähigen Alter mit Kinderwunsch empfohlen.
Studienbox In einer groß angelegten chinesischen Studie, die in den Jahren 1993–1995 durchgeführt wurde, wurden 250.000 Frauen untersucht (Berry et al. 1999). Davon nahmen 130.142 vor der Schwangerschaft und während des 1. Trimenons der Schwangerschaft täglich 0,4 mg Folsäure ein, 117.689 Frauen erhielten keine Folsäureprophylaxe. Insgesamt fanden sich in den beiden Gruppen 102 und 173 Fälle von Neuralrohrverschlussstörungen. Dies bedeutet, dass man 1807 Frauen mit Folsäure versorgen muss, um einen Fall einer Neuralrohrverschlussstörung zu verhindern. Eine Kostenkalkulation erbringt folgendes Ergebnis: Wenn für die Folsäureprophylaxe 25 Euro pro Person berechnet werden, liegen die Kosten für eine verhinderte Neuralrohrverschlussstörung bei 45.175 Euro.
14
Aus Gründen der Compliance und aus Kostengründen wurde in einigen Ländern versucht, eine flächendeckende und kostenschonende Methode zum Einsatz der Folsäure zu etablieren. In der kanadischen Provinz Ontario beispielsweise wird seit 1998 Weizenmehl mit Folsäure angereichert. Bei einem durchschnittlichen Konsum von Weizenprodukten kann dadurch von einer täglichen Einnahme von 0,1–0,2 mg Folsäure ausgegangen werden. In einer Untersuchung an 336.963 Frauen konnte gezeigt werden, dass die Häufigkeit von Neuralrohrverschlussstörungen von 1,13/1000 Geburten vor der Einführung dieser Maßnahme auf 0,58/1000 Geburten gesenkt werden konnte (Risikoreduktion 48%). Diese Erfahrungen aus Kanada sprechen für die allgemeine und gezielte Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Folsäure als kostengünstige und flächendeckende Form der Prophylaxe von Neuralrohrverschlussstörungen (Ray et al. 2002).
Studienbox Die Ergebnisse einer groß angelegten, prospektiv randomisierten, plazebokontrollierten Studie zur hoch dosierten Vitamin- und Folsäureprophylaxe legen nahe, dass die Erhöhung der üblichen Folsäuredosis auf 0,8 mg in Kombination mit 12 Vitaminen, 4 Mineralien und 3 Spurenelementen neben einer Prophylaxe von Neuralrohrverschlussstörungen auch zu einer statistisch signifikanten Reduktion von angeborenen Herzfehlern und Fehlbildungen der Niere und der harnableitenden Wege führt (Czeizel u. Dudas 1992; Czeizel 1996). Diese Studie ist darüber hinaus die einzige randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie zur Primärprävention von angeborenen Fehlbildungen. Die Supplementierung erfolgte zumindest 1 Monat präkonzeptionell bis zur 12. SSW. Aufgrund des niedrigeren Folsäurespiegels wurde bei Pillen-
6
anwenderinnen eine 3-monatige präkonzeptionelle Einnahmephase eingehalten. Neben einer Reduktion der Rate an Neuralrohrverschlussstörungen zeigte diese Studie auch eine erhöhte Fekundität, eine Reduktion von Übelkeit und Erbrechen im 1. Trimenon und eine erhöhte Rate an Zwillingsschwangerschaften in der Interventionsgruppe. In dieser Studie wurde das Präparat Elevit Pronatal (n=2391) gegen ein Spurenelemente enthaltendes Plazebopräparat (n=2471) getestet. Konkret fanden sich in der Interventionsgruppe 51 und in der Plazebogruppe 97 kongenitale Anomalien (Odds-Ratio 0,53; 95%-CI 0,35–0,70). Neben Neuralrohrverschlussstörungen (6 Fälle vs. 0 Fälle), konnten Fehlbildungen der Niere und der harnableitenden Wege (9 Fälle vs. 2 Fälle) sowie Herzfehlbildungen (20 Fälle vs. 10 Fälle) in einem signifikanten Ausmaß reduziert werden. Extremitätenfehlbildungen, angeborene Pylorusstenosen und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten fanden sich ebenfalls in der Interventionsgruppe seltener, dieser Unterschied war allerdings nicht statistisch signifikant. Insgesamt wurde die Rate an angeborenen Fehlbildungen exklusive der Neuralrohrverschlussstörungen von 38,1/10.000 auf 20,7/10.000 gesenkt. Dies bedeutet, dass im Vergleich zur Reduktion der Rate an Neuralrohrverschlussstörungen (Reduktion von 2,8/10.000 auf 0/10.000) die Reduktion anderer angeborener Fehlbildungen zahlenmäßig sogar bedeutsamer war. In 2 nicht kontrollierten Studien wurde eine reduzierte Rate an Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten bei Neugeborenen jener Frauen gefunden, die eine perikonzeptionelle Multivitaminsubstitution mit Folsäure eingenommen hatten. Shaw et al. (1995) dokumentierten eine 50%ige Reduktion an orofazialen Missbildungen, Tolarova et al. (1995) fanden eine 65%-ige Reduktion an wiederholten Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten bei Frauen mit belasteter Anamnese nach Einnahme von 10 mg Folsäure und einer Multivitaminkombination. In der prospektiv randomisierten Studie von Czeizel (Czeizel u. Dudas 1992; Czeizel 1996) konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden. Die Rate an Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten in dieser Niedrigrisikopopulation betrug 5/2.391 in der Kontrollgruppe und 4/2.471 in der Interventionsgruppe.
Fekundität, Abortraten. Eine 0,8-mg-Folsäure- und Multivitaminsubstitution scheint komplexe Effekte auf die Frühschwangerschaft zu haben, die über die Prophylaxe von Missbildungen hinausgehen. In der Studie der Arbeitsgruppe von Czeizel (Czeizel u. Dudas 1992; Czeizel 1996) fand sich in der Interventionsgruppe eine um 7% höhere Konzeptionsrate, aber auch eine höhere Rate an fetalen Todesfällen (Summe aus chemischen Schwangerschaften, klinischen Aborten, intrauterinen Fruchttoden und ektopen Schwangerschaften – 13,4% vs. 11,4%; p=0,03). Unter den 11 intrauterinen Fruchttoden in der Interventionsgruppe waren 3 Zwillingsschwangerschaften, während dies in 0/9 Fällen in der Kontrollgruppe der Fall war.
233 14.4 · Mikronährstoffe
Dies spricht dafür, dass es in der Interventionsgruppe zu einer erhöhten Fekundität, einer erhöhten Rate an Zwillingen und einer konsekutiv erhöhten Rate an Aborten und fetalen Todesfällen kommt. Perniziöse Anämie. Ein potenzielles Problem im Rahmen einer Folsäuresubstitution besteht in der Maskierung der Symptomatik sowie einer Verzögerung der Diagnose einer perniziösen Anämie. Diese Erkrankung kommt mit einer Prävalenz von 1/1000 Personen vor, wobei die Häufigkeit mit dem Alter deutlich zunimmt. Es wird geschätzt, dass bis zu 1% aller Personen >65 Jahren davon betroffen sind. Umgekehrt ist die perniziöse Anämie bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter eine Rarität. In der Studie der Arbeitsgruppe von Czeizel (Czeizel u. Dudas 1992; Czeizel 1996) fand sich kein einziger Fall bei >8000 im Rahmen dieser Studie untersuchten Frauen. Dennoch ist aus forensischen Gründen eine diesbezügliche Aufklärung oder eine Blutbildkontrolle vor Therapiebeginn empfehlenswert. Zwillingsschwangerschaft. Parazzini et al. (2001) untersuchten die Ernährungsgewohnheiten von 185 Frauen mit Gemini und 498 Frauen, die Einlinge ausgetragen hatten. Von den 35 untersuchten Nahrungskomponenten unterschieden sich die beiden Gruppen lediglich darin, dass die Geminimütter signifikant mehr Folsäure zu sich nahmen als die Mütter von Einlingen. In der Studie der Arbeitsgruppe von Czeizel (Czeizel u. Dudas 1992; Czeizel 1996) fand sich ein 40%-iger Anstieg an Geminigeburten. Die Rate an Geminigeburten betrug 64/2.369 (2,7%) in der Kontrollgruppe und 90/2.457 (3,6%; inkl. 3 Drillingsgeburten und 3 Einlingsgeburten nach Geminischwangerschaft) in der supplementierten Gruppe. In einer schwedischen Untersuchung von 2.569 Frauen konnte gezeigt werden, dass der geministeigernde Effekt der Folsäuresubstitution auf dichoriote Gemini beschränkt ist (Ericson et al. 2001). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Einnahme von Folsäure zu einer signifikanten Steigerung der Rate an Mehrlingsschwangerschaften führt. > In Deutschland werden derzeit pro Jahr mehr als 300 Kinder mit Neuralrohrdefekten geboren; etwa 500 Interruptiones werden nach einer entsprechenden Diagnosestellung durchgeführt. Neben dem nicht fassbaren Leid für die Betroffenen dürften hinter diesen Zahlen Kosten von mehr als 250 Mio. Euro stehen. Tipp Wegen der zentralen Bedeutung der Folsäure bei der Vermeidung von Komplikationen in der Schwangerschaft, allen voran der Prävention kindlicher Neuralrohrdefekte, gibt es in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich Empfehlungen zur perikonzeptionellen Folsäuresupplementierung nicht nur bei bekannt erhöhtem Risiko für diesen Defekt, sondern auch für normale Schwangerschaften (Koletzko et al. 1995; Tönz et al.
6
1996). Die Dosierung der empfohlenen Folsäureprophylaxe für alle Frauen mit Kinderwunsch bzw. im gebärfähigen Alter beträgt zumindest 0,4 mg/Tag, nach vorausgegangener Schwangerschaft mit Neuralrohrfehlbildung zumindest 4 mg/Tag. Die Einnahme sollte präkonzeptionell begonnen und bis inkl. der 12. SSW fortgesetzt werden.
Studienbox Derzeit werden die Empfehlungen zur Folsäureprophylaxe in Europa und in Deutschland nur unzureichend umgesetzt. In einer einschlägigen Untersuchung waren bei geplanten Schwangerschaften nur 8,6%, bei ungeplanten Schwangerschaften lediglich 3,3% der Frauen ausreichend mit Folsäure versorgt (Genzel-Boroviczeny et al. 1997).
[6S]-5-Methyltetrahydrofolat (Metafolin) ist ein biologisch aktives Derivat der Folsäure, welches zur Folsäuresubstitution in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden kann. In einer prospektiv randomisierten Studie an 144 gesunden Frauen konnten Lamers et al. (2006) nachweisen, dass eine Substitution mit 416 μg Metafolin gegenüber der äquimolaren Dosis von 400 μg Folsäure zu einer signifikant erhöhten Folsäurekonzentration in Erythrozyten führt. Metafolin ist daher bezüglich der Verbesserung des Folsäurestatus effektiver als Folsäure. Auch während der Stillzeit ist Metafolin der reinen Folsäure als Supplement überlegen. In einer prospektiv randomisierten Studie an 72 stillenden Müttern konnten Houghton et al. (2006) zeigen, dass Metafolin in der Stillperiode gegenüber Folsäure ebenfalls einen signifikant höheren Erythrozytenfolatspiegel erreicht. Ein potenzielles Problem im Rahmen einer Folsäuresubstitution besteht in der Maskierung der Symptomatik sowie einer Verzögerung der Diagnose einer perniziösen Anämie. Ein diesbezüglicher Vorteil von Metafolin liegt in der Tatsache, dass Folsäure, nicht jedoch Metafolin, eine perniziöse Anämie maskieren kann, da Metafolin in Abwesenheit von Vitamin B12 nicht in Folsäurederivate metabolisiert werden kann. MTHFR-Polymorphismen. Das Enzym Methyltetrahydrofolsäurereduktase (MTHFR) reguliert die Folsäure- und Ho-
mozysteinspiegel in Blut und Gewebe. Personen, die Träger des häufigsten Polymorphismus des MTHFR-Gens (MTHFR C677T) sind, weisen eine erhöhte Thermolabilität und in der Folge eine reduzierte katalytische Aktivität des MTHFR-Enzyms auf. Vor allem bei homozygoten Trägern (MTHFR C677T T/T) ist eine Folsäuresupplementierung zur Reduktion der erhöhten Plasmahomozysteinkonzentrationen sinnvoll. Sowohl die Trägerschaft der homozygoten (T/T) als auch der heterozygoten Variante (C/T) ist mit einer geringgradig erhöhten Häufigkeit von Neuralrohrdefekten (NTD) assoziiert. In einer irischen Studie z. B. betrug die Erhöhung des
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234
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
relativen Risikos zwischen 52% (C/T) und 156% (T/T). In dieser Studie waren ein Viertel aller Fälle von Neuralrohrdefekten mit MTHFR-Varianten assoziiert. Der Zusammenhang zwischen MTHFR-Varianten und NTD wird auch dadurch nahegelegt, dass Verwandte von Betroffenen eine höhere MTHFR C677T T/T-Frequenz aufweisen als die Gesamtpopulation. Für Frauen, die Trägerinnen von MTHFR-Genvarianten sind, ist daher eine Folsäuresubstitution von besonderer Bedeutung, da sie grundsätzlich einen höheren Folsäurebedarf aufweisen und die Effizienz einer Folsäuresubstitution vom MTHFR-Genotyp beeinflusst wird (Fohr et al. 2002). Frauen mit dem MTHFR C677T T/T-Genotyp haben gegenüber den anderen Genotypen (C/T und C/C) den höchsten Substitutionsbedarf und profitieren am meisten von einer Folsäuresubstitution. In diesem Kollektiv von Frauen weist Metafolin einen spezifischen Vorteil auf, da [6S]-5-MTHF im Vergleich zu einer reinen Folsäuresubstitution signifikant höhere Erythrozytenfolatkonzentrationen erreicht und signifikant effektiver als Folsäure den Plasmahomozysteinspiegel senkt (Venn et al. 2003).
Vitamin C
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Vitamin C ist am Kollagenaufbau beteiligt und daher u. a. wichtig für Aufbau und Konsistenz der Eihäute. Die unzureichende Versorgung mit Vitamin C scheint ein Risikofaktor für einen vorzeitigen Blasensprung zu sein. In einer rezenten prospektiv randomisierten Studie an 126 Frauen konnte die Inzidenz eines vorzeitigen Blasensprungs durch die tägliche Substitution von 100 mg Vitamin C ab der 20. SSW gegenüber Plazebo von 25 auf 8% reduziert werden (Casanueva et al. 2005). Ein vorzeitiger Blasensprung wurde in dieser Studie gemäß der Definition des American College of Obstetricans and Gynecologists als Verlust von Fruchtwasser durch rupturierte Eihäute ≥2 h vor dem Einsetzen von regelmäßigen Wehen nach der 20. SSW definiert. Ascorbinsäure ist das am längsten bekannte und historisch interessanteste Vitamin. Dennoch erfolgte erst im 20. Jahrhundert der Nachweis des kausalen Zusammenhangs zwischen einer unzureichenden Aufnahme der Vitamin C enthaltenden Zitrusfrüchte und Frischgemüse, dem daraus resultierenden Mangel und dem klinischen Bild des Skorbuts. Ein großer Teil des Bedarfs an diesem sehr sauerstoff- und lichtempfindlichen Vitamin wird in Mitteleuropa durch den Verzehr von Obst, grünen Gemüsesorten und Kartoffeln gedeckt. Vitamin C hat im Körper zahlreiche Effekte, wovon der wichtigste die Beteiligung am Elektronentransfer von Hydroxilierungsreaktionen ist; diese finden bei der Kollagensynthese, bei der Bildung von Neurotransmittern und bei der Entgiftung von toxischen Metaboliten und Medikamenten statt. Weiterhin spielt Ascorbinsäure eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der enteralen Eisenresorption (7 unten). Über die Höhe des Bedarfs gibt es – auch im Hinblick auf die präventive Rolle der Ascorbinsäure bei Infektionskrankheiten, der Stimulierung des Immunsystems u. a. m. – unterschiedliche Angaben. Gerade im Hinblick auf die Förderung der Ausnutzung von Eisen, dessen Versorgung bei menstruierenden Frauen
nicht selten grenzwertig ist, und die Nontoxizität von Vitamin C dürfte jedoch eine höhere Zufuhr empfehlenswert sein. Hinzu kommt, dass (nicht nur schwangere) Raucherinnen erst dann vergleichbare Spiegel erreichen, wenn sie das Doppelte an Vitamin C mit der Nahrung aufnehmen. In diesem Zusammenhang scheint es erwähnenswert, dass – neben den allseits bekannten und wichtigeren Auswirkungen auf die mütterliche und kindliche Gesundheit – bereits moderates Zigarettenrauchen (ab 5 Zigaretten/Tag) zu einer deutlich reduzierten Verfügbarkeit dieses Vitamins in den mütterlichen und fetalen Kompartimenten (mütterliches Plasma, Nabelschnurblut, Plazenta) führt (Norkus et al. 1991). Schließlich verschlechtern orale Kontrazeptiva den Vitamin-C-Status. Wenngleich die klassischen Avitaminosen heute in den westlichen Industrieländern kaum mehr vorkommen (Skorbut bzw. Möller-Barlow-Krankeit bei Säuglingen), finden sich nicht selten subklinische Mangelsymptome wie Leistungsschwäche, Abgeschlagenheit oder eine eingeschränkte Funktion des Immunsystems. Insofern ist insbesondere für die Zeit der Schwangerschaft auch der ausreichenden Aufnahme von Vitamin C Beachtung zu schenken.
Studienbox Eine Metaanalyse von 5 kontrollierten Interventionsstudien an 766 Schwangeren konnte gegenüber Plazebo für eine Vitamin-C-Substitution keine Reduktion der Häufigkeit von intrauterinem Fruchttod, geringem Geburtsgewicht, intrauteriner Wachstumsrestriktion oder eine Erniedrigung der perinatalen Mortalität feststellen. Ganz im Gegenteil wurde sogar in der Interventionsgruppe eine signifikant erhöhte Rate an Frühgeburten beobachtet (relatives Risiko 1,38, 95%-CI 1,04–1,82; 3 Studien, 583 Schwangere). Die Ergebnisse bzgl. Präeklampsieprävention waren nicht eindeutig (Rumbold et al. 2005).
Tipp Eine generelle Vitamin-C-Substitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert. Eine Vitamin-C-Substitution bei Schwangeren mit einem erhöhten Präeklampsierisiko wird ebenfalls nicht empfohlen.
Vitamin K Die antihämorrhagische Wirkung von Vitamin K wurde Ende der 1920er Jahre entdeckt. Aufgrund der weiten Verbreitung in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln und des recht niedrigen Bedarfs von 60 μg/Tag auch für schwangere und stillende Frauen wird die Versorgung als ausreichend angesehen.
235 14.4 · Mikronährstoffe
Studienbox Da früher Unsicherheiten hinsichtlich des Vitamin-K-Gehalts in Lebensmitteln bestanden und es keine aussagekräftigen experimentellen Untersuchungen zum VitaminK-Bedarf gab, konnten über einen langen Zeitraum von den nationalen Ernährungsorganisationen hierzu keine detaillierten Angaben gemacht werden (Bässler et al. 1992). Entsprechend amerikanischen Vorstellungen wird seit 1991 ein Vitamin-K-Bedarf von 1 μg/kg KG angenommen; verglichen mit den Angaben in älteren Standardlehrbüchern ist dies ein geringer Wert.
Bei Säuglingen und Neugeborenen ist der Bedarf jedoch häufig nicht gedeckt, da die intrauterinen Konzentrationen wesentlich niedriger als im mütterlichen Plasma sind. Wegen dieser Plazentaschranke reichen in der Regel die in der fetalen Leber gespeicherten Reserven bis zur Geburt, sind dann jedoch schnell verbraucht, wenn innerhalb der ersten Lebenstage keine zusätzliche Zufuhr erfolgt. Hierbei bleibt die Situation ausschließlich gestillter Kinder auch weiter kritisch, da reife Muttermilch einen nur minimalen Gehalt an Vitamin K (1–2 μg/l) enthält. Umgekehrt treten die frühen Vitamin-K-Mangel-Blutungen in den ersten 24 h nach der Geburt fast ausschließlich bei Kindern auf, deren Mütter in der Schwangerschaft interferierende Medikamente (z. B. Antikonvulsiva) eingenommen haben. Dem können zusätzliche Vitamin-K-Gaben an die Mutter während der letzten Schwangerschaftswochen ebenso wie die postpartale kindliche Substitution entgegenwirken.
Studienbox Eine Metaanalyse der Cochrane Collaboration von 2 randomisierten Interventionsstudien weist den Wert einer postpartalen intramuskulären bzw. oralen Vitamin-K-Applikation von 1 mg zur Prophylaxe einer innerhalb der ersten 7 Lebenstage auftretenden neonatalen Hämorrhagie nach (Puckett et al. 2000). Eine präpartale Vitamin-KApplikation bei drohender Frühgeburt führt zu keiner Reduktion neonataler Hämorrhagieepisoden, wie eine Metaanalyse von 5 kontrollierten Interventionsstudien an 420 Schwangeren zeigen konnte (Crowther et al. 2001).
Tipp Eine generelle Vitamin-K-Substitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert.
14.4.2
Mineralien und Spurenelemente
Eisen Die Zunahme des mütterlichen Blutvolumens und die damit verbundene Blutbildung fordern solche Mengen an Eisen ein,
dass dies durch die Nahrung nicht ausreichend aufgenommen werden kann. Gespeichertes Eisen wird daher aus dem Hämoglobin der Mutter mobilisiert. Manche Substanzen beeinflussen die Eisenaufnahme im Darm negativ und andere positiv (7 Übersicht). Einflussfaktoren auf die Eisenaufnahme 4 Gesteigerte Eisenaufnahme durch: – Salat, Früchte, Vitamin C (z. B. in Säften) 4 Verminderte Eisenaufnahme durch: – Tee, Kaffee, Rotwein, Fette, Sojaprodukte, Kalzium
In der Diskussion um Supplemente in der Schwangerschaft wird die Notwendigkeit einer Eisensubstitution immer wieder kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite wird angeführt, dass auch Kinder von eisendefizienten Müttern keine Anämie, sondern normale Eisenspeicher aufweisen (Picciano 1996) oder dass ein moderater Abfall der mütterlichen Hämoglobinkonzentration durch das Sistieren der Menstruation kompensiert würde (Hytten 1991). Demgegenüber steht der Hinweis auf den kumulativen Mehrbedarf von 800–1200 mg. Dieser setzt sich zusammen aus einem akuten Verlust unter der Geburt (etwa 250 mg) und dem Mehrbedarf verschiedener Gewebe. Neben dem Mehrverbrauch durch das mütterliche Gewebewachstum und einem Mehrverbrauch an Sauerstoff und Sauerstoffträgern (etwa 450 mg) werden für die Bildung der Plazenta (etwa 75 mg) und natürlich für den Fetus mit seinem eigenen Wachstum entsprechende Mengen benötigt (etwa 300 mg). Zudem besitzt fast die Hälfte aller Frauen zu Beginn der Gravidität keine oder nur geringe Eisenreserven bzw. weisen entsprechend ihrem Ernährungs- und Kontrazeptionsverhalten (erhöhte Menstruationsverluste unter IUP) bereits einen latenten Mangel auf. Auch wenn die Effizienz der intestinalen Eisenresorption während der Schwangerschaft deutlich verbessert ist, muss in Mitteleuropa von einer häufig unzureichenden Eisenversorgung in der Schwangerschaft ausgegangen werden, wenn nicht auf entsprechende Supplemente zurückgegriffen wird. . Tab. 14.4 weist aus, dass sich für Schwangere auch ein Mehrbedarf von 100% ergibt, der sich nur in den seltensten Fällen – u. a. auch mangels der erforderlichen Kenntnisse einer gezielten Kostzusammenstellung – über die Nahrung decken lässt. ! Die Folgen einer Anämie für die Schwangerschaft sind erheblich und erhöhen die mütterliche und die fetale Morbidität und Mortalität, insbesondere dann, wenn die Schwangerschaft bereits mit erniedrigten Eisenspeichern begonnen wird (7 Kap. 18; Picciano 1996). Es besteht eine Korrelation zu kardiovaskulärem Stress mit Assoziationen zu vermehrten Komplikationen vor und unter der Geburt (Banks u. Beutler 1988) und zu einem erhöhten Risiko für Frühgeburtlichkeit und reduziertem Geburtsgewicht.
Die kritische Situation ist bekannt und lässt sich laborchemisch neben der Hämoglobin-Hämatokrit-Bestimmung, die
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Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
nur die periphere Situation wiedergibt, durch den Nachweis der Eisenreserven mit Bestimmung des Serumferritins erfassen. Es scheint, dass das Nahrungseisenangebot, das bei einer durchschnittlichen Mischkost um 15 mg/Tag liegt, in der Schwangerschaft nicht ausreicht. Was kann hinsichtlich der Nahrungszusammensetzung für das Eisen außerdem empfohlen werden? Einerseits ist im Fleisch gebundenes Eisen prinzipiell für die Resorption besser verfügbar, wobei der Wirkungsmechanismus dieses »meat-factor« nicht bekannt ist. Andererseits sind auch inhibitorische Faktoren zu bedenken, wie sie infolge vermehrter Aufnahme von Ballaststoffen (z. B. Kleiemüsli) wirksam werden können. Eine ähnlich hemmende Wirkung der Eisenausnutzung hat schwarzer Tee, dessen Inhaltsstoffe, hauptsächlich Gerbstoffe, als Komplexbildner für das häufigere Auftreten von Eisenmangelzuständen verantwortlich gemacht werden. Auf der anderen Seite können Promotoren, allen voran Ascorbinsäure, also Vitamin C (7 oben), die Eisenausnutzung fördern, weshalb man den praktischen Ratschlag geben kann, täglich ein Glas Orangensaft zu trinken. Hierbei wird das Eisen durch die reduzierende Wirkung des Vitamin C in zweiwertigem Zustand gehalten bzw. in diesen überführt.
Studienbox Eine Analyse von 20 kontrollierten Studien zum Thema der Eisensubstitution in der Schwangerschaft, die von der Cochrane Collaboration durchgeführt wurde, ergab in der Interventionsgruppe eine Verbesserung von Serumferritin- und Hämoglobinwerten, jedoch keine Verbesserung aller untersuchten klinisch relevanten Parameter (Mahomed et al. 2000).
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Tipp Eine generelle Eisensubstitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert. In Ländern mit einer hohen Prävalenz an Eisenmangelanämie sowie in Risikokollektiven ist eine Eisensubstitution empfehlenswert.
Iod Nach Definition der WHO ist Deutschland als mittelschweres Iodmangelgebiet anzusehen. Weltweit wird die Zahl von geistig behinderten Menschen als wahrscheinliche Folge eines Ioddefizits mit 20 Mio. beziffert. In Deutschland beträgt die Häufigkeit vergrößerter Schilddrüsen oder Strumen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zwischen 12 und 50%. Beachtenswert ist dabei der mit 50% hohe Anteil junger Mädchen und Frauen, die in einer solchen Ausgangssituation eine Schwangerschaft beginnen. Auf die wünschenswerte Höhe der täglichen Iodzufuhr pfropft sich ein Mehrbedarf der Schwangeren von insgesamt 30 μg auf (. Tab. 14.4), eine Steigerung, die primär gering erscheint. Die Gefahren und Folgen einer Mangelsituation für eine Schwangerschaft liegen bei der werdenden Mutter häufig in
einer Aggravierung einer vorbestehenden Struma, in einer Nichterfüllung ihres Kinderwunsches (herabgesetzte Fertilität) oder in Störungen der Frühschwangerschaft (erhöhtes Abortrisiko, erhöhte Gefahr der Früh- und Totgeburt; Rabe 1990). Beim Kind besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Struma im Säuglingsalter (Struma congenita) und in der späteren Kindheit; diese ist größtenteils kompensatorisch, also euthyreot, kann jedoch in einem gewissen Prozentsatz auch in eine hypothyreote Stoffwechsellage übergehen. So findet sich in Deutschland bei bis zu 6% der Neugeborenen bei der Geburt eine Struma, deren Ursache in den meisten Fällen in einem Iodmangel der Mutter vor und während der Schwangerschaft liegt. Iodprophylaxe. Der Zusammenhang zwischen Iodmangel und Kretinismus ist seit über 100 Jahren bekannt. Haddow et al. (1999) beschrieben ein Kollektiv von 62 Frauen mit TSHWerten von durchschnittlich 13 mU/l, also über der 96. Perzentile eines Kollektivs von 25.000 Schwangeren. Die 7–9 Jahre alten Kinder dieser Frauen mit subklinischem Hypothyreoidismus wiesen signifikant geringere IQ-Werte als ein Vergleichskollektiv auf (–7 Punkte auf der Wechsler Intelligence Scale for Children). Elf Jahre nach der Schwangerschaft hatten 64% der unbehandelten Frauen und 4% der Kontrollpersonen einen klinisch relevanten Hypothyreoidismus. Die klinischen Effekte einer Iodprophylaxe während der Schwangerschaft sowie der Postpartumperiode sind in einer Vielzahl von Studien untersucht worden. In einer randomisierten Studie an 180 primär euthyreoten Frauen mit erhöhtem Thyreoglobulin und vermindertem T4 am Ende des 1. Trimeonons beispielsweise konnten Glinoer et al. (1995) nachweisen, dass sowohl eine Iodgabe als auch eine kombinierte Iodund L-Thyroxin-Gabe mit jeweils 100 μg/Tag zu einer signifikanten Verbesserung von laborchemischen Parametern [Thyreotropin (TSH), Thyreoglobulin (TG), freies Thyroxin, T3/T4-Ratio) und klinischen Parametern (Schilddrüsenvolumen bei Müttern und Neugeborenen, Struma der Mütter) führt. Diese Ergebnisse wurden auch an anderen Populationen aus Gegenden mit mildem und mittelgradigem Iodmangel (Italien, Deutschland, Belgien) bestätigt (Romano et al. 1991; Glinoer et al. 1995; Klett et al. 1999). In einem retrospektiven Vergleich von 38 Mutter-KindPaaren mit Iodprophylaxe während der Schwangerschaft (300 μg/Tag) und 70 Mutter-Kind-Paaren ohne Iodprophylaxe wurde von einer pädiatrischen Arbeitsgruppe eine signifikante Verminderung des Schilddrüsenvolumens der Neugeborenen nach Iodprophylaxe beobachtet. Ein vermehrtes Auftreten von Autoantikörpern wurde nicht beobachtet (Liesenkotter et al. 1996). Auch in Gegenden mit minimalem Iodmangel (urinäre Iodausscheidung <80 μg/g Kreatinin) erscheint eine Iodprophylaxe während der Schwangerschaft sowie 6 Monate post partum effektiv. In einer prospektiv randomisierten Studie an 86 Frauen konnte durch eine Iodgabe von 200 μg/Tag eine signifikante Reduktion des mütterlichen Schilddrüsenvolumens ohne Steigerung der Rate an postpartaler Thyreoiditis erreicht werden. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass eine Verminderung der Rate an klinischen Strumen nicht
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beobachtet wurde (Antonangeli et al. 2002). Auch in einer niederländischen Studie konnte gezeigt werden, dass jede zweite Frau mit einem freien T4-Wert unter der 10. Perzentile während des 1. Trimenons ein Kind mit einer messbaren Entwicklungsverzögerung hatte (Pop et al. 1999). Insgesamt dokumentieren die vorhandenen experimentellen, klinischen und epidemiologischen Daten einen kausalen Zusammenhang zwischen klinischem und subklinischem Iodmangel und einer beeinträchtigten neurologischen Entwicklung der betroffenen Kinder sowie einer vermehrten kurz- und mittelfristigen Prävalenz an mütterlichen Pathologien wie Hypothyreoidismus und Struma. Die vorhandenen Daten zur Iodprophylaxe in der Schwangerschaft mit 100–200 μg/Tag dokumentieren eine Verbesserung pathologischer Schilddrüsenparameter, eine Verminderung mütterlicher und fetaler Schilddrüsenvolumina und eine Verminderung der mütterlichen Strumaraten. Ob eine Iodprophylaxe auch einen relevanten positiven Einfluss auf die neurologische Entwicklung der Kinder hat, ist anzunehmen, jedoch nicht bewiesen und wird angesichts ethischer Bedenken wahrscheinlich auch nie in Form von kontrollierten Studien nachweisbar sein. In diesem Sinn ist auf der Basis der heute zugänglichen Daten eine generelle Iodprophylaxe während der Schwangerschaft und wahrscheinlich bis zu 6 Monate post partum empfehlenswert (7 Kap. 16.2). Tipp Schwangere sollten täglich Iod in Tablettenform in einer Dosierung von 100–150 μg einnehmen.
Kalzium Während der Schwangerschaft werden insgesamt 40 g Kalzium für die kindliche Entwicklung benötigt. Die täglich aufgenommene Kalziummenge sollte auf 1000–1200 mg gesteigert werden. Dies entspricht etwa 150 ml Milch, einer Scheibe Käse und anderthalb Bechern Joghurt. Statt aus Milchprodukten kann der erforderliche Bedarf jedoch auch durch spezielle Gemüsesorten wie Brokkoli, Fenchel und Lauch, durch kalziumreiche Mineralwässer oder Nahrungsergänzungsmittel gedeckt werden. In einer Fallkontrollstudie an 511 Schwangeren wurde eine negative Korrelation zwischen der Einnahme von Ballaststoffen und Kalzium und dem Auftreten einer Schwangerschaftshypertonie sowie einer Präeklampsie gefunden (Frederick et al. 2005). Eine weitere Fallkontrollstudie an 958 Erstgebärenden fand ebenfalls ein reduziertes Risiko für Schwangerschaftshypertonie, wenn die Frauen in den ersten 20 SSW eine kalziumreiche Diät eingenommen hatten (Marcoux et al. 1991). Diese Studienergebnisse weisen also darauf hin, dass eine hohe Aufnahme von Kalzium, Kalium und ballaststoffreichen Nahrungsmitteln wie Früchten, Gemüse, dunklem Vollkornbrot, Zerealien und fettarmen Milchprodukten eventuell das Risiko für eine Präeklampsie bzw. Schwangerschaftshypertonie senkt.
Studienbox Eine Metaanalyse von 12 kontrollierten Interventionsstudien an über 15.000 Schwangeren ergab für eine Kalziumsubstitution eine signifikante Reduktion der Rate an Präeklampsien (12 Studien, 15.206 Schwangere; relatives Risiko 0,48, 95%-CI 0,33–0,69; Hofmeyr et al. 2006). Dieser Effekt war v. a. bei Schwangeren mit einem erhöhten Präeklampsierisiko zu beobachten (5 Studien, 587 Schwangere; relatives Risiko 0,22, 95%-CI 0,12–0,42).
Tipp Für Schwangere mit einem erhöhten Präeklampsierisiko ist eine Kalziumsubstitution von 1000 mg/Tag möglich, insbesondere bei einem niedrigen Kalziumspiegel als Ausgangswert.
Magnesium Magnesium ist als Mineralstoff sowohl für Menschen als auch für Tiere essenziell. Pflanzen verwelken bei Magnesiummangel, bei Menschen löst Magnesiummangel Muskelkrämpfe aus, die bis zu einem Herzinfarkt führen können. Magnesium zur Behandlung von Wadenkrämpfen. Gesunde Schwangere weisen im Vergleich zu Kontrollpersonen niedrigere Serummagnesiumspiegel auf. Schwangere mit Wadenkrämpfen haben niedrigere Serummagnesiumspiegel als beschwerdefreie Schwangere. Orales Magnesium wird daher traditionell zur Therapie von Wadenkrämpfen in der Schwangerschaft eingesetzt. Eine hoch dosierte orale Magnesiumtherapie mit 2-mal 1,8 g Monomagnesiumaspartat (ca. 260 mg Magnesium) führt bei erniedrigten Magnesiumspiegeln zu einem signifikanten Anstieg innerhalb von 2 Wochen (Bartl u. Riss 1982). Überschüssiges Magnesium wird direkt über die Niere ausgeschieden. Die Effektivität von Magnesium in unterschiedlichen Dosierungen zur Therapie von Wadenkrämpfen wurde in einer Vielzahl von Studien untersucht. Sowohl hoch als auch niedrig dosierte Gaben von Magnesium erwiesen sich als effektiv, etwa eine Substitution von 300 mg Magnesiumzitrat (ca. 60 mg Magnesium) täglich (Roffe et al. 2002). In einer Metaanalyse von 5 Studien an über 350 Schwangeren erwies sich Magnesium in Form von Magnesiumzitrat oder Magnesiumlaktat in einer Dosierung von mindestens 15 mmol täglich als wirksames Therapeutikum, während Kalzium, Multivitaminpräparate und Natriumchlorid keine Wirksamkeit zeigten (Young u. Jewell 2002). Als häufigste Nebenwirkung einer oralen Magnesiumtherapie trat in dosisabhängiger Form Diarrhö auf. Generelle Magnesiumsubstitution in der Schwangerschaft.
Viele Frauen weisen in der Schwangerschaft reduzierte Magnesiumserumspiegel auf, wobei ein benachteiligter sozialer Hintergrund als stärkster Risikofaktor gilt. Daher wurde in einer Reihe von Studien untersucht, ob eine Magnesiumsubstitution sich als effektive Maßnahme zur Prävention von Frühgeburtlichkeit und intrauteriner Wachstumsrestriktion eignet. Insge-
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Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
samt liegen zu dieser Fragestellung 7 kontrollierte Studien vor, in denen >2.500 Frauen untersucht wurden. Eine Metaanalyse aller Studien zeigt, dass im Vergleich zu Plazebo/keiner Intervention eine Magnesiumsubstitution spätestens ab der 25. SSW zu einer signifikant reduzierten Rate an Frühgeburten sowie Kindern mit intrauteriner Wachstumsrestriktion und geringem Geburtsgewicht führt. In Absolutzahlen kann eine Reduktion in der Größenordnung von 1–3% erwartet werden, wobei Frauen mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten von der Magnesiumsubstitution stärker profitieren (Makrides u. Crowther 2001). Des Weiteren fällt in den einschlägigen Studien auf, dass Frauen unter Magnesium seltener hospitalisiert wurden und es mit einer durchschnittlichen Risikoreduktion von 62% weniger häufig zu Blutungen in der Schwangerschaft kam. In einer systematischen Übersicht über 7 randomisierte Studien zur Magnesiumsubstitution konnte ebenfalls eine signifikante Reduktion von Feten mit Wachstumsrestriktion nachgewiesen werden (Merialdi et al. 2003).
1998). Wegen der Vielzahl der Aufnahmemöglichkeiten gibt es keine genauen Angaben über die tatsächliche tägliche Fluoraufnahme; sie liegt zwischen 1 und 3 mg pro Tag.
Magnesium in der Behandlung der Präeklampsie. Frauen
Zink
mit schwerer Präeklampsie profitieren von einer Magnesiumprophylaxe. In 4 randomisierten Studien an insgesamt über 12.600 Frauen konnte gezeigt werden, dass die Eklampsierate von 2% unter Plazebo bzw. keiner Therapie auf 0,6% gesenkt werden kann (Sibai 2004). Als häufigste Nebenwirkung sind respiratorische Probleme der Mutter zu nennen. In der bisher größten Untersuchung zur Eklampsieprävention bei Frauen mit leichter Präeklampsie mittels Magnesiumsulfat wurden 10.141 Frauen untersucht, wobei 5.071 mit Magnesiumsulfat (4 g MgSO4 über 10–15 min, gefolgt von 1 g/h über 24 h) und 5.070 mit Plazebo behandelt wurden (Altman et al. 2002). Durch die Magnesiumprophylaxe konnte das Risiko einer Eklampsie um 58% reduziert werden (11 Fälle weniger pro 1.000 behandelten Frauen). Magnesium zur Behandlung vorzeitiger Wehentätigkeit ist als obsolet anzusehen.
Zink ist ein essenzielles Element, das nach seiner Aufnahme über die intestinale Mukosa seine Funktion in zahlreichen Enzymen ausübt. Reich an Zink sind Fleisch und Innereien, Getreidekeime und Meeresfrüchte. Dennoch ist Zink ein Spurenelement, das häufig nicht in ausreichender Menge aufgenommen wird; Gründe liegen oft in einseitiger Kost, z. B. Heim- oder Krankenhauskost, in Nikotin- oder Drogenabusus oder – für die Geburtshilfe – in Mehrlingsgraviditäten. Bei der Bestimmung des Zinkbedarfs wird von einer durchschnittlichen Absorptionsrate von etwa 30% ausgegangen, die als Ersatz für die täglichen Verluste über Exkrete und die Haut gelten. Mit dem entsprechenden Zuschlag ergibt sich eine Empfehlung von 7 mg für die Frau, die in der Schwangerschaft ab dem 4. Monat um 3 mg pro Tag und in der Stillzeit um 4 mg pro Tag zu steigern ist. Die Schwangerschaft führt zu einem 3–5 mg, die Stillzeit zu einem bis zu 4 mg erhöhten Bedarf. In dieser Zeit sinken die Zinkspiegel im mütterlichen Plasma um ein Drittel im Vergleich zu Nichtschwangeren. Dies ist mitbedingt durch einen aktiven Transport durch die Plazenta zum Fetus.
Tipp Schwangere sollten Magnesium in Form von Magnesiumzitrat oder Magnesiumlaktat in einer Dosierung von mindestens 15 mmol täglich einnehmen.
Fluorid Fluor ist ein ubiquitär vorkommender Nahrungsbestandteil. In den USA und einigen europäischen Ländern erfolgt ein großer Anteil der Fluoraufnahme über fluoriertes Trinkwasser. Zu den natürlichen Quellen zählen Milch, Säfte und Tee, aber auch Hühnerfleisch und Meeresprodukte. Zudem erfolgt eine weitere Aufnahme über Zahnpasten und – hauptsächlich bei Kindern – über Fluorsupplemente. Nachdem derartige postnatale Fluoridgaben deutliche und gut dokumentierte Erfolge bei der Prävention der Zahnkaries aufgewiesen hatten, war diskutiert worden, ob eine Fluorsubstitution in der Schwangerschaft einen schützenden Effekt auf das Gebiss des Ungeborenen haben könnte. Diese Frage konnte bisher nicht abschließend beantwortet werden (Aggett et al.
Studienbox In einer prospektiv randomisierten Studie an 1.400 Schwangeren wurde eine 6-monatige Fluoridsubstitution mit 1 mg/Tag gegen Plazebo untersucht (Leverett et al. 1997). Nach 3 Jahren zeigte sich kein Unterschied in der Karieshäufigkeit der Kinder in der Interventionsgruppe (8%) und der Kontrollgruppe (9%).
Tipp Eine generelle Fluoridsubstitution in der Schwangerschaft ist aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nicht empfehlenswert.
Studienbox Eine Metaanalyse von 13 randomisierten kontrollierten Interventionsstudien an über 6.800 Schwangeren konnte für eine Zinksupplementierung eine geringgradige, aber statistisch signifikante Reduktion an Frühgeburten nachweisen (relatives Risiko 0,86, 95%-CI 0,76–0,98; Mahomed et al. 2000).
Tipp Eine Zinksupplementierung kann Schwangeren mit belasteter Anamnese hinsichtlich Frühgeburt empfohlen werden.
239 14.4 · Mikronährstoffe
Weitere Spurenelemente Zu den weiteren, häufig diskutierten Spurenelementen mit einem Mehrbedarf in der Schwangerschaft zählen Kupfer und Selen. Bei diesen Stoffen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Gravidität nicht zu einer Verarmung der Körperreserven führt und entsprechend auch keine spezifischen und klinischen Symptome für diesen Lebensabschnitt beschrieben sind. Die Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr von Selen verändern sich weder durch Schwangerschaft noch Stillzeit und liegen zwischen 30 und 70 μg pro Tag. Allerdings wird eine Supplementierung von Selen in Form von Selenhefe als wünschenswert betrachtet, da nach mehreren Wochen des Stillens keine ausreichenden Selenreserven mehr vorliegen (Dietl u. Pudell 2000). Allerdings ist – ebenso wie beim Kupfer – die Leber des Säuglings bereits vor der Geburt in der Lage, diese Stoffe zu speichern, sodass auch in der Laktationsphase eine ausreichende Versorgung gewährleistet ist.
14.4.3
Omega-3-Fettsäuren und Fisch
Für die Schwangerschaft, die Stillzeit und die fetale Entwicklung ist die richtige Auswahl an Fetten bedeutsam. Dabei spielt die Versorgung mit essenziellen Fettsäuren und hier vornehmlich die hinreichende Zufuhr mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) eine wesentliche Rolle. Diese sind wichtige Komponenten von Phospholipiden in Membranstrukturen und üben damit einen wesentlichen Einfluss auf vielerlei Reaktionen im Körper aus. Eine entscheidende Rolle spielen die aus der Alphalinolensäure (ALA) synthetisierbaren Ω3-Fettsäuren Eikosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) für bedeutende Entwicklungsschritte des Fetus. Dieser ist auf die plazentare Versorgung und damit auf die Ernährung der Mutter angewiesen.
Docosahexaensäure DHA und kindliche Intelligenz Mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie Arachidonsäure (AA; 20:4 n-6) und DHA (22:6 n-3) sind für die Entwicklung des zentralen Nervensystems von Bedeutung. Das menschliche Gehirn zeigt im letzten Schwangerschaftstrimenon und in den ersten Lebensmonaten einen Wachstumsschub, der u. a. durch eine starke Zunahme der zerebralen Konzentration von AA und DHA gekennzeichnet ist. Eine Substitution mit DHA während Schwangerschaft und Stillzeit hat komplexe Effekte auf die fetale und frühkindliche neurophysiologische Entwicklung.
Studienbox In einer prospektiv randomiserten Studie an 341 Schwangeren wurde der Effekt von DHA-enthaltendem Kabeljauöl gegenüber Maisöl untersucht (Helland et al. 2003). Die Schwangeren erhielten die Präparate von der 18. SSW bis 3 Monate post partum. Im Alter von 6 Monaten, 9 Monaten sowie 4 Jahren wurden die Kinder nachuntersucht
6
und einem Intelligenztest (Kaufman Assessment Battery for Children) unterzogen. Jene Kinder, deren Mütter das DHA-enthaltende Kabeljauöl eingenommen hatten, wiesen signifikant höhere Werte auf der Mental-processingcomposite-Skala auf. In einem multiplen Regressionsmodell erwies sich die DHA-Einnahme als einziger unabhängiger Prädiktor der erreichten Werte für »mental processing« im Alter von 4 Jahren.
Daraus lässt sich schließen, dass die pränatale Einnahme von mehrfach ungesättigten Fettsäuren wie DHA einen positiven Einfluss auf die frühkindliche Intelligenzentwicklung hat. Auch die Einnahme von DHA während der Stillzeit scheint sich positiv auf die neurophysiologische Entwicklung auszuwirken. In 2 weiteren prospektiv randomisierten Studien an 56 und 103 Neugeborenen wurde der Einfluss von DHA auf kognitive Fähigkeiten und visuelle Funktion untersucht (Birch et al. 2000, 2005). In beiden Studien wurde bei den Säuglingen eine DHA- und AA-enthaltende Milchnahrung über die Dauer von 4 Monaten mit einer Kontrollmilchnahrung ohne mehrfach ungesättigte Fettsäuren verglichen. Nach 18 Monaten wiesen die Kinder der Gruppe mit DHAund AA-verstärkter Milchnahrung signifikant höhere Werte auf dem Mental-Development-Index auf. Dieser Effekt bezog sich sowohl auf die kognitiven als auch auf die motorischen Indizes. In der zweiten Studie erwies sich in der Gruppe der Kinder mit DHA-fortifizierter Milch nach 52 Wochen die Sehschärfe in Form von visuell evozierten Potenzialen als signifikant besser. Tipp Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie DHA und AA während Schwangerschaft und Stillzeit einen positiven Einfluss auf verschiedene Parameter der frühkindlichen neurophysiologischen Entwicklung ausüben.
Fisch Fischkonsum in der Schwangerschaft ist grundsätzlich empfehlenswert, da Fisch einen hohen Anteil an essenziellen Fettsäuren aufweist, die für die fetale Gehirnentwicklung von Bedeutung sind. Eine Kohortenstudie an 12.000 Schwangeren konnte eine Korrelation zwischen dem Verzehr von >340 g Fisch pro Woche und günstigen neurobiologischen Entwicklungsparametern nachweisen (Hibbeln et al. 2007). Diese Korrelation wurde allerdings in anderen Studien nicht beobachtet (Oken et al. 2008). Generell ist Schwangeren zu empfehlen, Fisch in gekochter Form zu sich zu nehmen (7 Kap. 14.1.2). Der Konsum von kontaminiertem Fisch kann zu Quecksilberexposition der Schwangeren führen, die mit zentralnervösen Schädigungen des Fetus einhergehen und zu motorischen, intellektuellen und psychomotorischen Langzeitschäden führen kann. Daher sollten Schwangere Fischsorten
14
240
Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
mit einem potenziell erhöhten Quecksilbergehalt wie Hai, Schwertfisch und Makrele meiden. Auch Thunfischsteaks sollten nicht häufiger als einmal pro Woche verzehrt werden. Als Meerestiersorten mit einem geringen Quecksilbergehalt gelten Schrimps, Lachs oder Wels. Tipp Für Schwangere und Stillende ist eine Substitution mit DHA empfehlenswert. Eine optimale Dosis kann aufgrund der vorliegenden Daten nicht empfohlen werden.
14.4.4
Probiotika
Pro-, Prä- und Synbiotika beeinflussen die natürliche Darmflora durch Bakterien, durch Bakteriennährstoffe oder die Kombination der beiden Stoffe. Gerade für Erstere konnte in einer plazebokontrollierten Untersuchung festgestellt werden, dass in einer familiär belasteten Konstellation durch die regelmäßige Zufuhr von Lactobacillus rhamnosus in den letzten Wochen der Schwangerschaft und während des Stillens sowie eine 6-monatige Substitution beim Kind das Risiko und die Häufigkeit von atopischen Hautveränderungen bei den Kindern während der beiden ersten Lebensjahre signifikant reduziert werden konnten (Kalliomäki et al. 2001, 2003). Allerdings konnte dieser Effekt in einer anderen Interventionsstudie an Schwangeren mit atoper Dermatitis nicht gezeigt werden. In dieser Studie wurde Lactobacillus acidophilus verwendet (Betsi et al. 2008). Tipp
14
Für Schwangere mit belasteter Anamnese hinsichtlich atoper Dermatitis ist eine perinatale Substitution mit einem Lactobacillus-rhamnosus-Präparat empfehlenswert.
14.5
So sollten neben den obigen praktischen Ratschlägen zur Ernährung und Substitution Lebensmittel mit einer hohen »Nährstoffdichte«, also einem möglichst hohen Gehalt an bestimmten Stoffen bezogen auf den Kaloriengehalt, ausgewählt werden, um auch die fetale Versorgung zu unterstützen und sicherzustellen. Hierbei zeichnen sich z. B. Milch (für den Mehrbedarf an Kalzium) und Obst, Salate und Gemüse (für verschiedene Mineralien und Vitamine) durch ein günstiges Verhältnis zwischen Brennwert und Nährstoffgehalt aus. Auch hier ist die biologische Verfügbarkeit der Stoffe, die durch verschiedene Zubereitungsarten, durch Lagerung oder durch die Kombination mit anderen Nahrungsmitteln eingeschränkt sein kann, zu berücksichtigen.
Schlussbetrachtung
Bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Notwendigkeit von Supplementen wird immer wieder diskutiert, ob und warum heutzutage eine Substitution mit Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen sowohl für die allgemeine Population als auch im Speziellen für den Zeitraum der Schwangerschaft und Laktation notwendig erscheint. Grundsätzlich und natürlicherweise sollten Möglichkeiten einer ausreichenden Versorgung mit diesen Stoffen durch die tägliche Nahrungsaufnahme bestehen. Eine generelle Verordnung von Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen mag nicht als notwendig erscheinen, sofern das Wissen um Nahrung und Ernährung vorhanden ist und umgesetzt wird. Dies erfordert heutzutage eine ausführliche und professionelle Ernährungsaufklärung und – vor allen Dingen – die Akzeptanz des Verbrauchers, die Ratschläge praktisch umzusetzen. Anderenfalls erscheinen Substitute indiziert.
14.5.1
Ernährungsberatung
Der betreuende Arzt sollte im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge allgemeine Ratschläge bezüglich der Ernährung und ggf. Supplementierung erteilen. Dabei sind bereits durch eine gezielte Anamneseerhebung Risikokollektive auszumachen, wie sie vom American College of Obstetrics and Gynecology beschrieben wurden (Task Force on Nutrition 1978; Goldberg et al. 1993; Kuhne et al. 1991): 4 sehr junge Schwangere oder Frauen mit rascher Schwangerschaftsfolge, bei denen das eigene Wachstum noch vermehrt Nährstoffe benötigt bzw. deren Reservoire – evtl. auch bedingt durch den Mehrbedarf des Stillens – noch nicht wieder aufgefüllt sind 4 ungünstiges sozioökonomisches Milieu der Schwangeren, zu dem erschwerend der Konsum von Alkohol, Nikotin und Drogen kommen kann 4 chronische Erkrankungen und damit verbunden eine reduzierte Aufnahme von Mikronährstoffen durch interferierende Medikamenteneinnahme 4 stark erniedrigtes Körpergewicht, da die reduzierte Ernährungslage oft mit einem Zuwenig an Mikronährstoffen korreliert Der Geburtshelfer ohne spezielle Kenntnisse ist in der Ernährungsberatung bei diesen Risikoschwangeren zumeist überfordert. Denn hier ist eine Umsetzung grundsätzlicher Empfehlungen in einen »Küchenplan« und damit in die praktische Anwendung von großer Wichtigkeit; hier ist die Mehrzahl der Ärzte am Ende ihres Wissens, und geschulte Ernährungsberaterinnen sind gefordert. Eine besondere Herausforderung stellt der Umgang mit den mehr oder minder ausgeprägten Extremformen einseitiger oder ausschließlicher Ernährung sowie den gelegentlich weltanschaulich oder religiös begründeten und in höchstem Grade eingeschränkten Nahrungsaufnahmen dar. Dazu zählt in moderater Form der Vegetarismus mit seinen Varianten des Ovolakto- bzw. Laktovegetariers (Milch und Milchprodukte zusätzlich zur Pflanzenkost) und – deutlich ausgeprägter – der Veganismus; die Veganer lehnen jeglichen Verzehr von Lebensmitteln tierischen Ursprungs ab und ernähren sich ausschließlich von Pflanzenkost. Vegetarier sind relativ häufig anzutreffen und müssen nicht unbedingt mit Problemen be-
241 Literatur
haftet sein, sofern die Essenspläne umsichtig erstellt werden, sodass für die Aufnahme von Energie, Proteinen, Kalzium, Eisen und anderen Nährstoffen (die in pflanzlicher Kost nicht oder unzureichend enthalten sind) ein entsprechender Ausgleich geschaffen wird. ! Ernährt sich eine Schwangere vegetarisch, verzichtet also auf Fleisch bei ansonsten jedoch ausgewogener Mischkost mit Milch, Milchprodukten, Eiern und Fisch, ist keine Unterversorgung des Neugeborenen zu befürchten. Schwieriger wird es jedoch, je einseitiger die Ernährung der Schwangeren ist. Bei streng veganer Ernährung beispielsweise, d. h. wenn eine Schwangere keine Nahrungsmittel isst, die vom Tier stammen (also Fleisch, Fisch, Eier- und Milchprodukte sowie Honig u. Ä.), kann es evtl. zu einem Eisen-, Kalzium-, Vitamin-B12-, Vitamin-D- und Eiweißmangel des Fetus kommen.
Da beispielsweise Vitamin B12 nur in tierischen Lebensmitteln enthalten ist, kann eine rein veganische Ernährung zu Vitamin-D-Mangelerscheinungen und einem Mangel an Eisen, Kalzium und Proteinen führen. Theoretisch kann zwar den einschlägigen Ernährungsempfehlungen Rechnung getragen werden, wenn sich die Kost nicht nur aus einigen wenigen pflanzlichen Lebensmitten zusammensetzt; zu Mangelsymptomen kommt es v. a. in Lebensphasen mit hohem Bedarf an essenziellen Nährstoffen (Schwangerschaft, Wachstum). In der allgemeinen und speziellen Beratung ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass einige Mikronährstoffe präventiv im Sinn einer Vermeidung von Schwangerschaftskomplikationen wirken, die neben einer Ersparnis von individuellem Leid durchaus gesundheitspolitisch und finanziell von Bedeutung sein können. Es wird daher auch in Zukunft – und vielleicht gerade in Zeiten wirtschaftlicher Engpässe – eine wichtige Aufgabe für alle im Umgang mit Schwangeren Beschäftigten sein, den in der Schwangerschaft gesteigerten Bedarf an Energie und Mikronährstoffen qualitativ und quantitativ richtig einzuschätzen und so eine kompetente Beratung durchzuführen. Dazu ist das Wissen um den physiologischen Hintergrund genauso wichtig wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung.
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Kapitel 14 · Schwangerschaft und Ernährung
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14
15 15 Ultraschall im 3. Trimenon E. Ostermayer, M. Schelling, K. Chalubinski 15.1
Anforderungen und Indikationen
15.2
Fetales Wachstum – sonographische Diagnostik – 247
15.2.1 15.2.2
Biometrie – 247 Fetale Gewichtsschätzung – 249
15.3
Screening auf Entwicklungsstörungen – 249
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6 15.3.7
Schädel und Hirn – 249 Hals und Thorax – 251 Herz – 253 Gastrointestinaltrakt – 254 Urogenitaltrakt – 256 Zystische abdominelle Raumforderungen – 258 Nichtimmunologischer Hydrops fetalis (NIHF) – 258
15.4
Fruchtwasser – 260
15.5
Plazenta – 261
15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4 15.5.5
Struktur – 261 Lokalisation – 261 Größe und Dicke – 261 Plazentaabnormitäten – 262 Sonographische Diagnostik der plazentaren Invasivität – 262
15.6
Zervixdiagnostik im 2. und 3. Trimenon – 266
15.6.1 15.6.2
Technik – 266 Zervixinsuffizienz – 267
Literatur – 269
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 246
246
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
Um die Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft zu standardisieren, wurden Richtlinien über den Zeitpunkt und den Inhalt der Untersuchungen erarbeitet. Durch die Mutterschaftsrichtlinien (2009) wird ein 3-stufiges Screening festgelegt mit dem Ziel, somatisch relevante Wachstumsstörungen und auffällige fetale Merkmale zu erkennen.
15.1
Anforderungen und Indikationen
Die Basisuntersuchungen können dabei von einem geübten Facharzt i. d. R. mit ausreichender Zuverlässigkeit ausgeführt werden. Die jeweiligen Indikationen für eine weiterführende Untersuchung zur Abklärung und Überwachung pathologischer Befunde sowie für dopplersonographische Untersuchungen werden präzise beschrieben (7 Kap. 12). Durch die International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology (ISUOG) wurden für die Untersuchung des fetalen zentralen Nervensystems und des fetalen Herzens Leitlinien festgelegt, in denen die Basisuntersuchungen sowie Indikation und Inhalt der weiterführenden Untersuchung jeweils detailliert beschrieben werden (Guidelines ZNS 2007; ISUOG Guidelines 2006; Lee et al. 2008). > Ziele eines konsequenten Ultraschallscreenings in der Schwangerschaft sind u. a. 4 Kontrolle der somatischen Entwicklung und 4 Erkennung von Entwicklungsstörungen (Wachstumsverhalten, Erkrankungszustände mit und ohne Fehlbildungen). Im 3. Trimenon treten hierbei dynamische Elemente (Vitalität, Biometrie, Kindslage, Plazenta, Fruchtwasser) bzw. gezielte Fragestellungen in den Vordergrund.
15
. Tab. 15.1. Ultraschallscreening Mutterschaftsrichtlinien (7 Kap. 12); hier: 3. Screening 30. SSW (Beginn 29. bis Ende 32. SSW)
Parameter
Untersuchung
Einling
Ja/Nein
Lebenszeichen
Ja/Nein
Biometrie: 4 Maße
5 BPD 5 FOD oder KU 5 ATD oder APD oder AU 5 FL oder HL
Zeitgerechte Entwicklung
Ja/Nein/Kontrolle
Kindslage Auffälligkeiten hinsichtlich 5 Fruchtwassermenge
Ja/Nein/Kontrolle
5 körperlicher Entwicklung
Ja/Nein/Kontrolle
5 Körperumriss
Ja/Nein/Kontrolle
5 fetaler Strukturen
Ja/Nein/Kontrolle
5 Herzaktionen
Ja/Nein/Kontrolle
5 Bewegungen
Ja/Nein/Kontrolle
Plazentalokalisation und -struktur
Normal/Kontrolle
Weitere Untersuchung veranlasst
Ja/Nein
APD anteriorposteriorer Durchmesser des Abdomens; ATD Abdomentransversaldurchmesser; AU Abdomenumfang; BPD biparietaler Durchmesser; FL Femurlänge; FOD frontookzipitaler Durchmesser; HL Humeruslänge; KU Kopfumfang.
Die Hauptaufgabe des 3. Screenings (Beginn 29. bis Ende 32. SSW) liegt neben der biometrischen Kontrolle der zeitgerechten Entwicklung in der Beurteilung der Fruchtwassermenge, der Plazentalokalisation und -struktur sowie der der fetalen Lage. Gemäß dem 2. Screening müssen erneut Hinweiszeichen für Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen überprüft werden, da pathologische Befunde möglicherweise erst nach der 22. SSW (2. Screening) erkennbar werden (z. B. Hydrozephalus, Mikrozephalus, Herzklappenstenosen, Darmatresien, obstruktive Uropathie, Hydrops, kardiale Dekompensation). Ergeben sich hierbei kontrollbedürftige Befunde, so sind diese auch außerhalb der vorgesehenen Zeiträume Bestandteil des Screenings (. Tab. 15.1). Bei Patientinnen, die aufgrund ihrer Anamnese, der klinischen oder ultrasonographischen Untersuchung Auffälligkeiten bieten, ergibt sich ggf. die Indikation zu einer weiterführenden speziellen Ultraschalluntersuchung (7 Übersicht). Hierbei werden vom Untersucher über das übliche Maß hinausgehende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der pränatalen Sonographie und eine entsprechende apparative Ausstattung erwartet (AWMF 2008). In dieser Situation muss der Erstuntersucher entscheiden, ob er selbst nach Kenntnisstand und auch apparativer Ausrüstung in der Lage ist, die not-
wendigen Untersuchungen durchzuführen. Ist dies nicht der Fall, kann im Schadensfall eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens in Betracht kommen (Ratzel 1996). Im Zweifel sollte daher eine gezielte sonographische Untersuchung durch einen ausgewiesenen Experten (DEGUM Stufe II oder III) bzw. in einem Perinatalzentrum erfolgen.
Indikationen für die weiterführende Ultraschalldiagnostik nach den AWMF-Leitlinien (DGGG 2008) 4 Hinweiszeichen für Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen bei Untersuchungen im Rahmen des Screenings 4 Genetisch bedingtes Wiederholungsrisiko für bestimmte Fehlbildungen 4 Einmaliges Auftreten von Fehlbildungen in einer Familie 4 Erhöhte α-Fetoprotein- (AFP-) Konzentration im mütterlichen Serum und/oder Fruchtwasser
6
247 15.2 · Fetales Wachstum – sonographische Diagnostik
4 Einnahme von teratogen wirkenden Medikamenten 4 Mütterliche Infektionen (Toxoplasmose, Ringelröteln und andere Virusinfektionen) 4 Mütterliche Erkrankungen mit erhöhtem Risiko für Fehlbildungen (Diabetes mellitus) 4 Bei Mehrlingen 4 Ausschluss von Chromosomenanomalien als Alternative bei nicht erwünschter invasiver Diagnostik (Alter der Schwangeren, auffälliger Triple-Test).
Die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchung müssen in Wort und Bild dokumentiert werden, wobei die Bilddokumentation je eines Kopf-, Rumpf- und Extremitätenmaßes sowie der auffälligen Befunde gefordert wird. Ebenso sollten der Inhalt des Aufklärungsgesprächs sowie mögliche Einschränkungen der Untersuchungsqualität (z. B. Adipositas, fetale Lage, Oligohydramnion etc.) schriftlich festgehalten werden. Verzichtet eine Schwangere auf eine empfohlene Ultraschalluntersuchung, sollte dies ebenfalls dokumentiert werden.
15.2
Fetales Wachstum – sonographische Diagnostik
15.2.1
Biometrie
Die Uniformität des fetalen Wachstums in der Frühschwangerschaft geht mit zunehmender Schwangerschaftsdauer verloren. Aufgrund dieser zunehmenden individuellen Streubreite ist die Biometrie im 2. und v. a. 3. Trimenon nicht mehr zur Bestimmung des Gestationsalters geeignet. Allerdings erlaubt die Biometrie in diesem Zeitraum Aussagen über das anzunehmende fetale Gewicht sowie den Wachstumsverlauf. In jedem Fall sollten mehrere Maße zur Bestimmung des fetalen Wachstums oder zur Bestätigung des Gestationsalters verwendet werden, wobei der biparietale Durchmesser zusammen mit dem Kopf- und Abdomenumfang und der Femurlänge die besten Ergebnisse bei der Bestätigung des Gestationsalters bzw. der Berechnung des Schätzgewichtes liefern. Teilweise stehen auch spezielle Normkurven, die das fetale Geschlecht oder die ethnische Zugehörigkeit berücksichtigen, zur Verfügung. > Insbesondere im 3. Trimenon kann es durch besondere Umstände zu einer Verfälschung einzelner Messparameter kommen, z. B. durch eine Kompression des fetalen Thorax bei Oligohydramnion oder durch eine dolichozephale Kopfform bei einer Beckenendlage. Solche Messparameter sollten folglich nicht in die Berechnungen des Schätzgewichts eingehen.
Bei der Beurteilung des fetalen Wachstums sollte außerdem bedacht werden, dass die Abstände von Messung zu Messung mindestens 10–14 Tage betragen sollen, um die technische Messungenauigkeit und die physiologische Abflachung der
a
b
c . Abb. 15.1a–c. Messebenen. a Ebene für die Messung des biparietalen Durchmessers (ca. 30. SSW). Der Kopfanschnitt sollte möglichst symmetrisch und möglichst rund gewählt werden, die Falx cerebri teilt als Mittelecho die beiden Hemisphären, der Thalamus als leicht hypodense Struktur ist symmetrisch zu erkennen. b Ebene für die Messung des Abdomenquerdurchmessers und Abdomenumfangs (ca. 30. SSW). Die Nabelvene sollte in ihrem intraabdominellen Verlauf im vorderen bis mittleren Drittel des Abdomens rund oder leicht queroval angeschnitten sein, die Rippen sollten beidseits von der Wirbelsäule aus zu verfolgen sein, und der gesamte Anschnitt sollte möglichst rund und gleichförmig sein. c Ebene für die Messung der Femurlänge (ca. 30. SSW). Der schallkopfnahe Femur wird in seiner längsten Ausdehnung ohne die distalen Epiphysenkerne vermessen
15
248
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.2. Normkurven für den fetalen Wachstumsverlauf zwischen 12. und 42. SSW
15
Wachstumskurven auszugleichen. Weiterhin ist neben einer korrekten Einstellung der Messebene die Messmethodik (Messstreckenabgriff) von Bedeutung.
Biparietaler Durchmesser, frontookzipitaler Durchmesser und Kopfumfang Für die exakte Messung des biparietalen Durchmessers (BPD) und des frontookzipitalen Durchmessers (FOD) wird der fetale Kopf im Horizontalschnitt möglichst oval, symmetrisch und mit durchgehenden Konturen dargestellt (. Abb. 15.1a, Normkurven in . Abb. 15.2). Bei fortgeschrittenem Gestationsalter mit tief im Becken liegendem Kopf kann dies erschwert sein. Die Messebene wird so gewählt, dass das Mittelecho ventral durch das Cavum septi pellucidi unterbrochen wird. Beide Thalamuskerne stellen sich symmetrisch beidseits der Falx cerebri als echoarme Struktur dar. Kleinhirn oder Orbitae dürfen bei einer korrekten Einstellung nicht zu sehen sein. Aufgrund des hohen Ossifikationsgrades bei hohem Gestationsalter gelingt die Darstellung der intrazerebralen Strukturen allerdings nicht immer zuverlässig. Die Messstrecke für den BPD und FOD wird als Außenaußen-Messung am knöchernen Schädel abgegriffen; bei dolichozephaler Kopfform (stark längsovale Schädelkontur v. a.
bei Beckenendlage) ist der Kopfumfang (KU) ein verlässlicherer Parameter als der BPD.
Abdomenquerdurchmesser, Abdomenumfang > Als Referenzebene für die Messung von Abdomenquerdurchmesser [entspricht dem Abdomentransversaldurchmesser (ATD), früher Thoraxquerdurchmesser (THQ)] oder Abdomenumfang [(AU), früher Thoraxumfang] gilt die Einmündungsstelle der V. umbilicalis in den Sinus venae portae im Horizontalschnitt.
Der Schallkopf ist hierfür in Höhe der unteren Thoraxapertur distal von Herz- und Magenebene zu platzieren. Die V. umbilicalis sollte dabei am Übergang von vorderem zu mittlerem Abdomendrittel rund bis leicht queroval angeschnitten sein. Die Abdomenkontur sollte möglichst rund zur Darstellung kommen, was oft bereits durch Wegnahme von Druck auf den Schallkopf erreicht werden kann. Die Rippen sollten symmetrisch angeschnitten sein. Die Messung erfolgt von außen nach
249 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
außen der knöchernen Rippenkontur (. Abb. 15.1b, Normkurven in . Abb. 15.2). Insgesamt ist die Messung des Abdomens im 3. Trimenon aufgrund der biologischen Variabilität (fetale Lage, Bewegungen, relative Abnahme der Fruchtwassermenge) deutlich erschwert. Gleichzeitig geht dieses Maß jedoch i. d. R. mit der größten Relevanz in die Berechnungen des fetalen Gewichtes mit ein.
Die besten Ergebnisse für die sonographische Ermittlung des Schätzgewichts liefern bei 4 leichtgewichtigen Kindern die Berechnung nach Hadlock, 4 normalgewichtigen Kindern die Berechnung nach Schild und 4 schwergewichtigen Kindern die Berechnung nach Merz.
Femurlänge
Zunehmend werden Parameter der dreidimensionalen Sonographie in die Berechnung des fetalen Schätzgewichts mitein-
Der Oberschenkelknochen als größter Röhrenknochen ist i. d. R. ab der 12. SSW leicht zu vermessen (FL=Femurlänge). Bei der Darstellung des schallkopfnahen Oberschenkels im Querschnitt wird der Schallkopf um 90° gedreht, um den Knochen in seiner längsten Ausdehnung möglichst quer zur Schallrichtung zu erfassen. Schrägschnitte und Darstellungen in Schallrichtung können zu fälschlicherweise zu kurzen Maßen führen. Gemessen wird der ossifizierte Röhrenknochen ohne Berücksichtigung des distalen Femurkerns (. Abb. 15.1c).
Weitere Biometriemaße Die Messung der Humeruslänge (HL) erfolgt analog der Femurlänge, die Messung von weiteren Röhrenknochen der Extremitäten wie Radius und Ulna sind zur Differenzierung von Fehlbildungen oder Skelettdysplasien notwendig. Ebenso ist die Organbiometrie bei gezielten Fragestellungen analog dem 2. Trimenon durchzuführen (7 Kap. 9).
15.2.2
bezogen. Diese Parameter bieten durch die Verwendung von Volumina eine exaktere Korrelation zum fetalen Gewicht. Ein Vergleich von 2-D- und 3-D-Parametern zeigt, dass die höchste Korrelation zwischen Schätzgewicht und tatsächlichem Gewicht mit der volumetrischen Formel nach Schild erreicht werden kann (Fehlerrate 5,6%). Insgesamt 80% der ermittelten Schätzgewichte weisen hierbei eine Fehlerquote von <10% auf. Die 2-D-Kalkulationen nach Hansmann (Fehlerrate 7,5%) und Merz (Fehlerrate 7,9%) zeigten eine vergleichsweise schwächere Korrelation. Allerdings ist die beobachtete Verbesserung der Genauigkeit der Gewichtsschätzung durch die 3-D-Methodik mit einem deutlich erhöhten Aufwand verbunden (Hasenöhrl et al. 2009). Eine Mittelung mehrerer Messwerte, möglichst hohe Auflösung und einheitlich definierte Biometrieebenen sowie die Erkenntnis, dass die Exaktheit der biometrischen Gewichtbestimmung eine ausgeprägte Abhängigkeit von der Erfahrung des Untersuchers aufweist, sollten zur Optimierung der Untersuchungsresultate beitragen (Dudley 2004).
Fetale Gewichtsschätzung
Für die sonographische Gewichtsschätzung existiert eine Reihe von Berechnungsformeln, die unterschiedliche Genauigkeiten bei der Vorhersage des fetalen Gewichts aufweisen. Die Gewichtsschätzungen beziehen dabei 2 oder mehr biometrische Parameter in die Berechnung ein. Die gebräuchlichsten biometrischen Maße sind Durchmesser und Umfang von Kopf und Abdomen sowie die Femurlänge. Als zuverlässigste biometrische Parameter für die fetale Gewichtsschätzung werden die Kombinationen von biparietalem Durchmesser, Abdomenumfang und Femurlänge angesehen. > Durchschnittlich befinden sich etwa 75% der Geburtsgewichte in einem Bereich von ±10% des sonographisch geschätzten Gewichts, nur etwa 45% liegen in einem Bereich von ±5%.
Die sonographische Gewichtsschätzung ist insbesondere bei einer Makrosomie oder Wachstumsrestriktion in ihrer Genauigkeit limitiert. Im 3. Trimenon kann nur etwa die Hälfte der untergewichtigen Kinder bei einer Falsch-positiv-Rate von etwa 10% erfasst werden. ! Je schwerer der Fetus ist, desto eher wird sein Gewicht sonographisch unterschätzt. IUWR-Kinder werden also oft zu schwer, makrosome Kinder oft zu leicht geschätzt. Dieses Problem besteht in ähnlicher Form bei allen Methoden der Gewichtsberechnung.
15.3
Screening auf Entwicklungsstörungen
15.3.1
Schädel und Hirn
Da die Hirnentwicklung zum Zeitpunkt des Zweittrimesterscreenings noch nicht abgeschlossen ist (neuronale Migration, Proliferation, Organisation, Gyrierung; Mac Gahan et al. 2003; Toi et al. 2004) und andererseits viele Hirnentwicklungsstörungen nicht auf eine fehlerhafte Embryogenese, sondern auf einen destruktiven Prozess im Schwangerschaftsverlauf (Infektionen, Blutungen, ungeklärte Pathogenese) zurückzuführen sind, ist eine aufmerksame Kontrolle der zerebralen Entwicklung im 3. Trimenon notwendig. In einem Referenzzentrum wurden 30% der zerebralen Entwicklungsstörungen, nach ursprünglich unauffälligem Zweittrimesterscreening, erst später in der Schwangerschaft diagnostiziert (Malinger et al. 2002).
Basisdiagnostik Die Basisdiagnostik (Guidelines ZNS 2007) erfolgt durch Untersuchung der beiden axialen Ebenen (transventrikulär und transzerebral) mit Darstellung der Mittellinie, des Cavum septi pellucidi, der Thalami, der Seitenventrikel (Norm <10,0 mm), des Kleinhirns und der Cisterna magna (Norm <10,0 mm): Die Schädelform und Biometrie (BPD und KU bzw. FOD ) müssen überprüft werden. Bei Auffälligkeiten ist
15
250
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
die Indikation zur spezialisierten Feindiagnostik der zerebralen Strukturen gegeben. Durch hochauflösende Ultraschallgeräte und ggf. transvaginalen Zugang sowie Analyse weiterer Schnittebenen (Sagittal- und Koronarschnitte), u. U. auch multiplanarer Analyse eines 3-D-Volumens, erfolgt die weitere Abklärung (Neurosonogramm). Hierbei kann eine Kernspintomographie im Einzelfall indiziert sein (insbesondere bei Migrationsstörungen, intrakraniellen Blutungen, komplexen zerebralen Fehlbildungen). Die Aussagekraft hängt bei beiden Untersuchungen von der Erfahrung des Untersuchers ab und ist in Expertenhand gleichwertig (Pilu et al. 2006; Levine et al. 2003; 7 Kap. 9).
Ventrikulomegalie Die Weite der lateralen Hirnventrikel zeigt keine Veränderung im Schwangerschaftsverlauf. Auch im 3. Trimenon soll die Ventrikelweite des Hinterhorns 9,9 mm nicht überschreiten. Eine Ventrikulomegalie (Hinterhorn des Seitenventrikels ≥10,0 mm) kann hinweisend sein auf zerebrale und extrazerebrale Fehlbildungen, chromosomale Störungen und Infektionen. Eine schwere Ventrikulomegalie (>15 mm) ist fast immer mit zerebralen Malformationen bei Geburt vergesellschaftet und geht einher mit erhöhtem Risiko für perinatale Mortalität und einem 50%-igen Risiko für neurologische Schäden bei den Überlebenden (Melchiorre et al. 2009; Pilu et al. 1999, Gaglioti et al. 2005; 7 Kap. 9). Ventrikulomegalie
15
4 Milde/mäßige Ventrikulomegalie: – Hinterhorn des Seitenventrikels 10–15 mm – Niedriges Risiko, wenn isoliert und nicht progredient 4 Schwere Ventrikulomegalie: – >15 mm – Hohes Risiko 4 In jedem Fall Verlaufskontrolle und weitere Abklärung von: – Neuralrohrdefekten – Zerebralen Anomalien (z. B. Corpus-callosumAgenesie) – Extrazerebralen, inkl. kardialen Fehlbildungen – Zytomegalie, Toxoplasmose – Karyogramm anbieten – ggf. MRT
steht zusätzlich eine Ventrikulomegalie. Eine ausgeprägte Wachstumsrestriktion muss ausgeschlossen sein. Das pathologische Schädelwachstum ist meist Folge eines beeinträchtigten zerebralen Wachstums, bedingt z. B. durch strukturelle Hirnfehlbildungen (z. B. Holoprosenzephalie, Gyrierungsstörungen), fetale Infektionen (v. a. Zytomegalieinfektion), Teratogene, Syndrome und chromosomale Aberrationen (Benacerraf 2008; Bromley u. Bencereff 1995; Pilu et al. 1998; Malinger u. Pilu 2009). Die Diagnose wird meist erst im 3. Trimenon gestellt und erfordert weitere differenzialdiagnostische Abklärung (7 Übersicht). Gyrierungsstörung. Die Gyri und Sulci des Hirnmantels bilden sich erst im Verlauf des späten 2. Trimenon vollständig aus. Spätestens mit 27,9 SSW können alle Sulci, insbesondere die der Hirnkonvexität, sonographisch nachgewiesen werden. Anfangs stellt sich ein weißer Punkt dar, der in der Folge in eine V-förmige Einkerbung und schließlich Y-artige in die Hirnsubstanz reichende echogene Linie übergeht (Toi et al. 2004). Erste Hinweise auf eine Lissenzephalie (Gyrierungsstörung) kann die mangelhafte Ausbildung der prominenten Insula jedoch schon im mittleren 2. Trimenon geben (Fong et al. 2004). Intrakranielle Blutungen. Ein intrakranielles Blutungsgeschehen (bei Koagulopathie, Anämie, Thrombozytopenie, Trauma) ereignet sich meist im Bereich der Seitenventrikel und tritt durch primär helle, echogene intraventrikuläre Formationen in Erscheinung, die im Verlauf inhomogen mit zentralem, echoarmem Bezirk zur Darstellung kommen. Häufig entwickelt sich eine Ventrikulomegalie. Eine diffuse Verdichtung im Bereich der Hirnsubstanz, v. a. im Bereich der Fossa posterior, kann auch Hinweis auf ein Blutungsgeschehen sein (Ghi et al. 2003). Periventrikuläre Leukomalazie. Eine periventrikuläre Leukomalazie kann sich durch periventrikuläre echogene Bezirke manifestieren. Nach einigen (>2 Wochen) kann es zur Ausbildung multipler kleiner Zysten nahe der Hinterhörner der Seitenventrikel kommen, die sich sonographisch als kleinere echoarme/-leere Areale darstellen. Eine Persistenz der Befunde und eine zystische Degeneration sind mit einer schlechten neurologischen Prognose verbunden (Ghi et al. 2004; Van Gelder-Hasker et al. 2003). Porenzephalie. Hier liegen große zystische Bezirke im Be-
> Eine isolierte Ventrikulomegalie (30% der Fälle) ist eine Ausschlussdiagnose!!
Mikrozephalus Ein Mikrozephalus liegt vor, wenn der Kopfumfang 2 bzw. 3 Standardabweichungen unter der Norm liegt. Typisch sind eine fliehende Stirn sowie eine eindeutige Dysproportion zwischen Hirnschädel und Gesichtsschädel. Dies kann durch den Vergleich der Schädelmaße (BPD; KU, bzw. FOD) mit den Maßen des Gesichtsschädels (AOD: äußerer Orbitaabstand, IOD: innerer Orbitaabstand) objektiviert werden. Häufig be-
reich der Hirnrinde vor, die meist in Verbindung mit den Seitenventrikeln bzw. dem subarachnoidalen Raum stehen. Zytomegalievirusinfektion. Zerebrale Läsionen nach einer CMV-Infektion sind typischerweise periventrikuläre und intraparenchymale echogene Bezirke, Ventrikulomegalie und Mikrozephalus; daneben werden zerebelläre Hypoplasie, kortikale Abnormitäten und gelegentlich Einblutungen beobachtet (Malinger et al. 2003). Arachnoidalzyste. Hier liegt eine Ansammlung von liquorähnlicher Flüssigkeit zwischen Dura und Hirnsubstanz vor.
251 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
Die Bezeichnung wird häufig für jede intrakranielle Zyste im Subarachnoidalraum benutzt. Sonographisch fällt sie durch eine gut abgegrenzte, echoleere, asymmetrische Raumforderung, die das umgebende Gewebe verdrängt, auf. Sie wird meist erst im 3. Trimenon diagnostiziert. Differenzialdiagnostisch müssen Zysten des Plexus choroideus, eine Porenzephalie, Schizenzephalie, zystisches Neoplasma und intrakranielle Blutungen davon unterschieden werden. Intrazerebrale Tumoren. Diese sonographisch als inhomogene Raumforderung imponierenden Tumoren sind selten. In ca. 60% handelt es sich um Teratome, des Weiteren können neuroepitheliale Tumoren, Lipome und Kraniopharyngeome vorliegen. Häufig kommt es zur Entwicklung einer Makrozephalie, Ventrikelerweiterung, intrakraniellen Kalzifikationen und Einblutungen (Hämorrhagie) sowie gelegentlich Entwicklung eines Hydrops bedingt durch ein AV-Shunting (7 unten). Durch zentrale Schluckstörung oder Einengung des Pharynx kann es zur Ausbildung eines Polyhydramnions kommen. Vaskuläre Abnormitäten. Unter einem Aneurysma der V. Galeni wird ein Spektrum von arteriovenösen Malformationen (von einer einfachen breiten aneurysmatischen Dilatation der V. Galeni bis zu multiplen Verbindungen zwischen der V. Galeni und dem System der A. carotis und dem vertebrobasilären System) zusammengefasst. Sonographisch findet sich hierbei eine längliche, echoleere Struktur dorsal und kaudal der Thalami. Im Farb- und Power-Doppler zeigt sich ein turbulenter venöser und/oder arterieller Blutfluss. Es kann sich hierbei um AV-Fisteln, AV-Malformation mit Ektasie der V. Galeni und Varizen der V. Galeni handeln. AV-Fisteln manifestieren sich häufig intrauterin oder neonatal durch Highoutput-Herzversagen aufgrund einer kardialen Volumenüberlastung. Ektasie und Varizen fallen meist erst später im Leben durch Blutungsepisoden auf. Differenzialdiagnostisch kann durch Anwendung des Farbdopplers eine Arachnoidalzyste ausgeschlossen werden.
Differenzialdiagnose intrazerebraler zystischer und echogener Raumforderungen 4 Zystisch – Ventrikulomegalie – Plexuszyste (selten 3. Trimenon) – Arachnoidalzyste – Aneurysma der V. Galeni – Tumor – Porenzephalie – Schizenzephalie – Einblutung 4 Echogene Bezirke – Einblutung – CMV-Infektion – Periventrikuläre Leukomalazie – Tumor
15.3.2
Hals und Thorax
Hals Im Halsbereich muss auf zystisch-solide Raumforderungen geachtet werden. Diese werden häufig erst bei der 3. Screeninguntersuchung entdeckt. Differenzialdiagnostisch kommen Lymphangiome (überwiegend zystisch), Hämangiome, Teratome (überwiegend solide, Kalkeinlagerung) bzw. eine Struma (solide, gut abgegrenzt) in Betracht (Yoshida et al. 2006; Paladini et al. 2005; Viora et al. 2000). Zervikale Neuralrohrdefekte, bzw. Enzephalozelen, sowie zystische Hygrome werden i. d. R. beim Zweit- bzw. Ersttrimesterscreening entdeckt. Da insbesondere Lymphangiome/Hämangiome und Teratome sehr groß werden können, kommt es häufig zu relativer Fehlhaltung und Bewegungseinschränkung des fetalen Köpfchens bzw. Abspreizung eines Ärmchens, wodurch die Entwicklung des Köpfchens bzw. der oberen Extremität bei Geburt behindert werden kann. Infiltratives Wachstum kann zu Trachealkompression führen. In diesen Fällen muss per sectionem entbunden werden und nach Entwicklung des Köpfchens, noch vor dem Abklemmen der Nabelschnur, unter Aufrechterhaltung der uteroplazentaren Zirkulation, intubiert werden (EXIT-Procedure; Hirose et al. 2004; 7 Kap. 26.1.8). Durch die mechanisch bedingte Schluckstörung kann sich ein Polyhydramnion entwickeln.
Zwerchfell Das Zwerchfell stellt sich im Längsschnitt als zarte, kontinuierliche Linie dar. Die Herzspitze und Lungenbasis sind kranial, die Magenblase und Leber kaudal davon zu erkennen. Zwerchfelldefekte kommen v. a. linksseitig (75–90%) vor und fallen dann durch die Verlagerung abdominaler Organe in den Thoraxbereich auf, ggf. kann Darmperistaltik nachgewiesen werden. Die sonographische Identifikation einer durchgängigen Zwerchfellstruktur schließt jedoch die Zwerchfellhernie nicht mit letzter Sicherheit aus, v. a. wenn solide oder zystische Raumforderungen im fetalen Thorax beobachtet werden (Benacerraf u. Adzick 1987). Ebenso besteht hoher Verdacht auf das Vorliegen einer Zwerchfellhernie, wenn die Lage des Herzens von der normalen Position abweicht. Normalerweise zeigt die Herzspitze nach links, die Herzachse steht in einem Winkel von 45° zur Sagittalachse, zwei Drittel des Herzens sind in der linken Thoraxhälfte, ein Drittel in der rechten lokalisiert. In diesem Fall müssen sorgfältig intrathorakale Raumforderungen, die in der Echogenität vom Lungengewebe abweichen, ausgeschlossen werden. Die Prognose hängt vom funktionellen Lungenvolumen ab und ist günstiger, wenn der Defekt erst im 3. Trimenon zur Darstellung kommt. Prognosefaktoren für schlechtes Outcome sind: intrathorakal prolabierte Leber, abnorme »lung/ head ratio« (Jani et al. 2007; Doné et al. 2008), kleine Lungen (MRT), frühe Diagnosestellung (7 Kap. 9). Bei ausgeprägten Befunden mit schlechter Prognose kann, um die Lungenhypoplasie zu vermeiden, eine intrauterine, endoskopische fetale Therapie in Erwägung gezogen werden. Hierbei wird die
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252
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.3. Zystisch adenomatoide Lungenmalformation (CCAM) mit Hydrops fetalis. Sagittalschnitt von Thorax und Abdomen. Durch die große thorakale Raumforderung, entsprechend einer CCAM (Pfeil), kommt es zur Mediastinalverschiebung und Komprimierung des Herzens mit konsekutivem Hydrops (Aszites, Hautödem)
. Abb. 15.4. Zystisch adenomatoide Lungenmalformation (CCAM) mit Hydrops fetalis. Thorakaler Querschnitt: Durch die große thorakale Raumforderung (einfacher Pfeil) wird das Herz (Doppelpfeil) an die linke Thoraxwand gedrängt und komprimiert
Trachea mittels eines fetoskopisch eingeführten Ballonkatheters vorübergehend verschlossen (»fetal endoskopic tracheal occlusion«; FETO) (7 Kap. 26; Deprest et al. 2009).
gen. Eine Thoraxhypoplasie muss Anlass zum Ausschluss von Skelettdysplasien geben. Ein Pleuraerguss kann Symptom eines generalisierten Hydrops sein oder isoliert auftreten. Organische und chromosomale Anomalien müssen ausgeschlossen werden. Handelt es sich um einen isolierten Pleuraerguss, so ist in einem hohen Prozentsatz eine Malformation (Atresie oder Fistel) des Ductus thoracicus, die zur Ausbildung eines Chylothorax führt, die Ursache. Kompression der Lunge sowie Verdrängung des Mediastinums und des Herzens auf die kontralaterale Seite können eine Entlastungspunktion bzw. Einlage eines Shunts erforderlich machen (Yamamoto et al. 2007; . Abb. 15.5).
Lunge und Thorax
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Die fetale Lunge füllt neben dem Herzen den restlichen Thorax aus. Die sehr seltenen pathologischen Veränderungen (z. B. Lungenzysten, zystisch-adenomatoide Malformationen der Lunge, Lungensequester; 7 Kap. 9) müssen von Abdominalorganen, die durch einen Zwerchfelldefekt im Thorax zu liegen kommen, unterschieden werden. Häufig bilden sich die Befunde bei der zystisch-adenomatoiden Lungenmalformation im 3. Trimenon zurück. Eine operative Intervention ist jedoch fast immer nötig, wobei die Prognose meist sehr gut ist. Ausgedehnte Befunde können zur Kompression der Restlunge und langfristig zur Lungenhypoplasie führen. Aufgrund dessen kann es notwendig werden, makrozystische Befunde durch serielle Punktionen oder Shunt-Einlage zu verkleinern. Gegebenenfalls wird direkt antepartal eine Entlastungspunktion vorgenommen, um nach Geburt eine ausreichende Oxygenierung zu ermöglichen (Knox et al. 2006). Abhängig von der Größe der Veränderung kann es zu Mediastinalverdrängung mit Verlagerung des Herzens und hieraus resultierendem Hydrops kommen (. Abb.15.3, 15.4). Die Prognose ist in diesen Fällen (abhängig vom Schwangerschaftsalter) schlecht. Bei der Zwerchfellbeurteilung im Längsschnitt (7 oben) kann auch die Thoraxgröße einfach abgeschätzt werden (Cave: Sektkorkenphänomen als Hinweis für hypoplastischen Thorax), wobei eine ungünstige fetale Lage gelegentlich einen kleineren knöchernen Thorax vortäuschen kann. Durch die Messung des Thoraxumfangs auf Herzhöhe (TU) im Querschnitt kann dies objektiviert werden. Der Thoraxumfang sollte mindestens 80% des Bauchumfangs (AU; 7 oben) betra-
. Abb. 15.5. Chylothorax. Thorakaler Querschnitt: Durch den Pleuraerguss (Chylothorax) werden Lungen und Herz (Doppelpfeil) komprimiert. Kranial betontes Hautödem
253 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
15.3.3
Herz
Herzfehler mit später Manifestation Es ist bekannt, dass sich einige anatomische Anomalien des Herzens und der Gefäße erst im Lauf der Schwangerschaft entwickeln, somit dem Zweittrimesterscreening entgehen und erst später sonographisch darstellbar sind (Yagel et al. 1997). Besonders trifft dies für Obstruktionen des ventrikulären Ausflusstrakts bzw. Stenosen der großen Gefäße, Herzmuskelveränderungen sowie kardiale Tumoren zu. So führt z. B. eine zunehmende Störung des Wachstums der Aorten- bzw. Pulmonalklappe zur Einengung des Ausflusstrakts und damit zu veränderten Druckgradienten. Hierdurch entsteht vorerst eine Asymmetrie und Erweiterung des zugehörigen vorgeschalteten Ventrikels, was in der Folge zur Endokardfibroelastose und Kammerhypoplasie führen kann. Da das beeinträchtigte Klappenwachstum häufig erst im Verlauf an funktioneller Bedeutung gewinnt, werden diese Veränderungen erst in der 2. Hälfte der Schwangerschaft auffällig (Yagel et al. 2009). Die Beurteilung des Myokards ermöglicht die Diagnose einer sich entwickelnden Kardiomyopathie (verdicktes Ventrikelseptum und Ventrikelwand), die sich auch bei primären Formen (z. B. Speichererkrankungen, Noonan-Syndrom) typischerweise erst spät manifestiert (. Abb.15.6). Sekundär entstandene Myokardhypertrophien können sich z. B. bei fetofetalem Transfusionssyndrom, renalen Anomalien und bei mütterlichem Diabetes mellitus entwickeln. Liegt in der Familie eine Kardiomyopathie vor, so ist eine sonographische Diagnostik des fetalen Herzens im 3. Trimenon indiziert. Rhabdomyome, die häufigsten der pränatal diagnostizierten kardialen Tumoren, stellen sich als homogene, glatte, ins Lumen vorspringende Raumforderungen, die etwas echogener als das Myokard sind, dar. Sie gehen meist vom interventrikulären Septum oder der freien Wand des rechten oder linken Ventrikels aus. Je nach Lokalisation kann es zum Verlegen der Einfluss- oder Ausflusstrakte und zu Rhythmusstörungen kommen. Meist weisen sie Wachstumsprogredienz bis zur 32.–34. SSW auf. Postnatal ist eine zumindest teilweise Rückbildung typisch (. Abb. 15.7). In 50–80% liegt eine tuberöse Sklerose zugrunde, besonders häufig (bis zu 95%) bei multiplen Rhabdomyomen. Eine sorgfältige sonographische Suche nach weiteren, z. T. kleinen Tumoren v. a. zerebral und viszeral muss deshalb erfolgen. Eine MRT-Untersuchung des fetalen Hirns kann ggf. sinnvoll sein. Die Prognose hängt von möglichen Ausflusstraktobstruktionen bzw. dem Vorliegen einer tuberösen Sklerose ab. Es handelt sich hierbei um einen autosomal dominanten Erbgang. Bei nachgewiesener Mutation bei einem Familienmitglied kann eine pränatale Diagnostik im 1. Trimenon angeboten werden (Fesslova et al. 2004; Isaacs 2004; Geipel et al. 2001; Mühler et al. 2007; Tworetzky 2003).
Richtlinien für die sonographische Untersuchung des fetalen Herzens Im Rahmen des Dritttrimesterscreenings wird eine erneute Überprüfung der Hinweiszeichen für Entwicklungsstörungen gefordert (7 oben; Mutterschaftsrichtlinien 2009, AWMF 2008). Von der internationalen Gesellschaft für Ultraschall in
. Abb. 15.6. Hypertrophe Kardiomyopathie bei Noonan-Syndrom. Ventrikelseptum und Septum verdickt; Pleuraerguss
. Abb. 15.7. Multiple Rhabdomyome
der Medizin (ISUOG) wurden Richtlinien über eine Basisbzw. eine erweiterte Basisuntersuchung des fetalen Herzens erarbeitet (ISUOG Guidelines 2006). Für die Basisuntersuchung soll das fetale Herz exakt im 4-Kammer-Blick eingestellt und nach den geforderten Kriterien detailliert beurteilt werden. Besonderes Augenmerk muss auf die Symmetrie der Ventrikel und Vorhöfe gerichtet werden. Eine Ventrikeldiskordanz, hinweisend auf Ausflusstraktobstruktionen, einen hypoplastischen Ventrikel (prostaglandinabhängige Vitien!), Endokardfibroelastose, sollten ausgeschlossen werden. Die regelrechte Öffnung der AV-Klappen muss überprüft werden. Eine Kardiomegalie liegt vor, wenn das Herz mehr als ein Drittel der Thoraxfläche einnimmt, z. B. bedingt durch eine AV-Klappeninsuffizienz. Davon zu unterscheiden ist ein normalgroßes Herz bei zu kleinem Thorax als Folge einer ausgeprägten Wachstumsretardierung bzw. Thoraxhypoplasie aufgrund einer Skelettdysplasie. Eine Verdickung des Myokards spricht für eine hypertrophe Kardio-
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254
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.8. Pathologischer 3-GefäßeBlick. Retrograder Fluss im Aortenbogen bei kritischer Aortenstenose. Im 3-GefäßeBlick kommt der Ductus arteriosus und der Aortenbogen in einer V-förmigen Konfiguration zur Darstellung. Normalerweise werden beide Gefäße in die gleiche Richtung perfundiert, mit entsprechender farbdopplersonographischer Darstellung. Bei einer Verengung im Bereich des Ausflusstraktes kann es zu retrogradem Fluss distal der Engstelle kommen. In dieser Abbildung füllt sich die schmale Aorta über den Ductus arteriosus retrograd (rotes Signal)
15
myopathie. Bei einer Veränderung der Herzachse (45°±20°Winkel zur Sagittalachse) bzw. der Position des Herzens im Thorax (zwei Drittel befinden sich in der linken Thoraxhälfte) besteht nach Ausschluss einer Zwerchfellhernie bzw. Lungenmalformation ein hochgradiger Verdacht auf Vorliegen eines Herzfehlers. Kontraktilität, Herzfrequenz und Rhythmus sollen überprüft werden. Es ist wünschenswert, zusätzlich den Abgang der großen Gefäße und deren Überkreuzung sowie den 3-Gefäße-Blick, der den Aortenbogen und den Ductus arteriosus tangential darstellt, zu überprüfen. Erst hierdurch werden z. B. Feten mit einer Transposition der großen Gefäße (7 Kap. 9.1.5) identifiziert, die aufgrund des ductusabhängigen Vitiums direkt postnatal Prostaglandine zur Verhinderung des physiologischen Ductusverschlusses benötigen. Es wird diskutiert, die Darstellung der Gefäße in die Anforderungen an das Basisscreening zu implementieren (Allan et al. 2001; Chaoui 2003; Yoo et al. 1997; DeVore 1992; Vinals et al. 2003; Yagel et al. 2002; Carvalho et al. 2002).
Mit dem Farbdoppler kann die Kammerfüllung, der Fluss über den Klappen sowie die Flussrichtung in den großen Gefäßen einfach dargestellt werden (. Abb. 15.8, . Tab. 15.2). Eine weiterführende differenzierte fetale Echokardiographie muss bei sonographischen Auffälligkeiten, bei verdickter NT >3,5 mm und bei positiver Eigen- und Familienanamnese (z. B. Kardiomyopathie, Aortenisthmusstenose, angeborene Herzfehler) erfolgen (Lee et al. 2008). > Ziel muss sein, Feten mit ductusabhängigen Vitien (. Tab. 15.2) sowie mit Herzfehlern, die sofortiger neonatologischer Therapie/Überwachung bedürfen, zu identifizieren, um eine optimale postpartale Versorgung in qualifizierten Abteilungen gewährleisten zu können.
15.3.4
Gastrointestinaltrakt
Entwicklungsstörungen im Gastrointestinaltrakt werden häufig erst im 3. Trimenon durch ein zunehmendes, oft massives
. Tab. 15.2. Ductusabhängige Herzfehler. Zur Aufrechterhaltung der kindlichen pulmonalen bzw. systemischen Zirkulation postpartal muss der Ductus arteriosus durch Prostaglandingabe offen gehalten werden
Pulmonale Zirkulation beeinträchtigt
Systemische Zirkulation beeinträchtigt
Blutfluss der unteren Körperhälfte beeinträchtigt
5 Pulmonalatresie 5 Kritische Pulmonalstenose 5 Schwere Fallot-Tetralogie
5 Hyoplastisches Linksherz 5 Kritische Aortenstenose 5 Unterbrochener Aortenbogen
5 Kritische Aortenisthmusstenose
Komplette TGA
Komplette TGA
TGA Transposition der großen Arterien.
255 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
Polyhydramnion diagnostiziert. Obstruktionen im oberen/ mittleren Gastrointestinaltrakt sind hierfür verantwortlich.
Ösophagus, Magen Bei der Beurteilung des oberen Gastrointestinaltrakts wird die Lage und Füllung des Magens überprüft. Lässt sich der Magen in seriellen Untersuchungen nicht oder nur sehr klein nachweisen, so besteht der Verdacht auf Ösophagusatresie. In 85–90% der Fälle kommt jedoch durch Fistelbildung zwischen Ösophagus und Trachea oder durch Sekretproduktion der Magenschleimhaut eine gefüllte Magenblase zur Darstellung. Gelegentlich kann dorsal des Herzens im oberen Mediastinum das mit Fruchtwasser gefüllte proximale Ösophagusende als echoleerer, länglicher Sack (»pouch«) visualisiert werden und damit die Verdachtsdiagnose bestätigen (Kalache et al. 2000). Durch die »Schluckstörung« kommt es v. a. im 3. Trimenon (ab der 25. SSW) zur Ausbildung eines Polyhydramnions. In ca. 40% der Fälle wird eine zunehmende Wachstumsrestriktion (SGA) beobachtet. Differenzialdiagnostisch müssen bei nicht darstellbarem Magen und Polyhydramnion Prozesse, die zur Kompression des Ösophagus führen (intrathorakale Raumforderungen, Thoraxhypoplasie bei Skelettdysplasie) sowie neurogene Schluckstörungen (zerebrale Fehlanlagen, Aneuploidien) ausgeschlossen werden (Shulman et al. 2002; Yagel et al. 2005).
a
Ösophagusatresie, -stenose 4 Eine gefüllte Magenblase schließt eine Ösophagusatresie nicht aus 4 Häufig Polyhydramnion, SGA 4 Begleitfehlbildungen/assoziierte Anomalien in 50–70% der Fälle 4 Chromosomale Aberrationen in 10–20% der Fälle
Duodenum Bei der Duodenalstenose/-atresie liegt neben dem gut gefüllten Magen eine nach rechts reichende, echoleere zystische Raumforderung, die dem prästenotischen proximalen, mit Fruchtwasser gefüllten Duodenalanteil entspricht. Die Verbindung des Magens mit dem dilatierten Duodenum sollte dargestellt werden, um differenzialdiagnostisch andere zystische Veränderungen (Choledochuszyste, Leberzysten, Duplikaturen) auszuschließen. Da erst nach der 20. SSW bedeutende Mengen Fruchtwasser vom Feten geschluckt werden, ist das »Double-bubble-Phänomen« meist erst nach der 20. SSW nachweisbar (. Abb. 15.9). Ebenso erklärt sich die im Verlauf zunehmende Fruchtwassermenge mit Ausbildung eines Polyhydramnions im 3. Trimenon.
Dünndarm, Kolon Dünndarm und Dickdarm sind normalerweise bis zum 3. Trimenon sonographisch einheitlich echogen. Danach kommt das Kolon zunehmend echoärmer neben dem zentral gelegenen, echogenen Dünndarm zur Darstellung. Eine Dilatation darf nicht vorliegen. Der Durchmesser des Dünndarms
b . Abb. 15.9a, b. Duodenalstenose. Der Magen und das proximale Duodenum stellen sich dar als 2 nebeneinander liegende Zysten (»double bubble« b), die durch den Pylorus in Verbindung stehen (a)
beträgt in der 30. SSW <8 mm, des Dickdarms ≤18 mm (Nyberg et al. 1987). Dünndarmstenosen sind i. d. R. erst nach der 24. SSW zu visualisieren. Sie fallen durch relativ große, dicht nebeneinanderliegende echoleere Zysten entsprechend den quer dargestellten, mit Fruchtwasser gefüllten Darmschlingen auf. Gelegentlich besteht ausgeprägte Peristaltik (. Abb. 15.10). Bei proximal gelegener Stenose entwickelt sich häufig im 3. Trimenon ein Polyhydramnion. Ursächlich können neben Atresien von Jejunum oder Ileum ein Volvulus und eine funktionelle Stenose, verursacht durch Mekoniumileus, zugrunde liegen. Dieser stellt sich typischerweise durch einen hyperechogenen Darm, hervorgerufen durch eingedicktes Mekonium im distalen Ileum, dar (. Abb. 15.11; 7 Übersicht). Differenzialdiagnostisch muss hierbei in erster Linie an das Vorliegen einer zystischen Fibrose gedacht werden. Ein hyperechogenes, prominentes, mekoniumgefülltes Kolon im 3. Trimenon kann normal sein. Ein hyperechogener Dünndarm ist jedoch ungewöhnlich und bedarf weiterer differenzialdiagnostischer Abklärung (Darmanomalien, Virusinfektionen – v. a. CMV –, IUWR, Trisomie 21, Zustand nach Blutung) (Sepulveda u. Sebire 2000).
15
256
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.10. Dilatierte Dünndarmschlingen bei Mekoniumileus
. Abb. 15.12. Leberkalzifikationen (intrahepatische Kalzifikation)
schlingen, Aszitesbildung und mekoniumhaltige Pseudozysten sein. Im weiteren Verlauf können punktierte, lineare Kalzifikationen im fetalen Abdomen, auf der Leberoberfläche oder um die Pseudozysten auftreten (Eckoldt et al. 2003). Davon zu unterscheiden sind Kalzifikationen im Leberparenchym (. Abb. 15.12). Sie werden im Zusammenhang mit weiteren strukturellen Anomalien, chromosomalen Aberrationen und Infektionen (insbesondere CMV, Toxoplasmose, Varizellen) beobachtet. Eine differenzierte Ultraschalldiagnostik mit Überprüfung der Marker für chromosomale Aberrationen sowie Überprüfung der Infektionsserologie sollte veranlasst werden. Liegen sie isoliert vor, ist die Prognose gut (Simchen et al. 2002; Ji et al. 2004; Benacerraf 2008b).
15.3.5
15
. Abb. 15.11. Hyperechogener Darm bei Mekoniumileus
Hyperechogener Darm 4 Die Diagnose eines echodichten Darmes darf nur gestellt werden, wenn die Echogenität in etwa der Echodensität knöcherner Strukturen entspricht (z. B. Os ileum/Femur). 4 Weitere sorgfältige sonographische Abklärung (Anomalien, Softmarker), ggf. Karyotypisierung. 4 Zustand nach intraamnialer Blutung? 4 Risikofaktor für zystische Fibrose, fetale Infektion (CMV), intrauterine Wachstumsrestriktion, chromosomale Aberration und schlechtes Outcome. 4 Engmaschige fetale Überwachung ist nötig.
Abdomen Peritoneale Verkalkungen sind hinweisend auf eine abgelaufene Mekoniumperitonitis meist auf dem Boden einer Darm-
perforation. Erste Zeichen hierfür können dilatierte Darm-
Urogenitaltrakt
Niere Bei der Darstellung der fetalen Nieren müssen Größe, Echogenität und Struktur des Parenchyms sowie Nierenbecken einschließlich Ureter beurteilt werden. Bilateral vergrößerte, echogene Nieren weisen auf eine polyzystische Nierendysplasie hin, die sich in einem Drittel der Fälle erst in der 2. Schwangerschaftshälfte manifestiert. Übermäßiges Größenwachstum, bestätigt durch wiederholte Messung der Nierenlänge, mangelhafte Füllung der fetalen Blase und teilweise Oligohydramnion erhärten die Verdachtsdiagnose. In 70% kann die endgültige Diagnose jedoch erst postnatal gestellt werden. Unterschieden werden muss die autosomal rezessive polyzystische Nierendysplasie mit sehr schlechter Prognose von der autosomal dominanten Form mit günstigerer Prognose, die sich seltener intrauterin manifestiert, wobei aber begleitende hepatische (Leberzysten) und kardiovaskuläre Auffälligkeiten häufig sind. Eine gründliche Familienanamnese sowie eine genetische Beratung und ggf. molekulargenetische Untersuchungen können zur Diagnosestellung beitragen (Roume u. Ville 2004). Davon zu unterscheiden sind die multizystischen Nierenerkrankungen, die durch unterschiedlich große, nicht
257 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
. Tab. 15.3. Schweregrad der Pyelektasie/Hydronephrose (Messung: Pyelon a.-p.)
Milde Pyelektasie
. Abb. 15.13. Unilaterale multizystische Nierendysplasie, die zuführende A. renalis ist rot dargestellt
konfluierende Zysten mit wenig echogenem, funktionsunfähigem Stroma imponieren (. Abb. 15.13). Bei bilateraler multizystischer Niere (bis zu 25% der Fälle) ist die Prognose sehr schlecht. Bei unilateraler multizystischer Veränderung müssen Anomalien der kontralateralen Niere (bis zu 40% der Fälle), in erster Linie Ureterabgangsstenose mit konsekutiver Hydronephrose, ausgeschlossen werden. Zeigen sich bei wiederholten Kontrollen im 3. Trimenon keine weiteren Auffälligkeiten, so kann von einer normalen Prognose ausgegangen werden, wobei kleinere urogenitale Anomalien beschrieben werden (Damen-Elias et al. 2005). Obwohl die multizystische Niere häufig große Teile des Abdomens ausfüllt, kommt es i. d. R. zu keiner Beeinträchtigung der Entwicklung der übrigen Abdominalorgane oder zu postpartalen Problemen. Postnatal wird meist ein abwartendes Vorgehen bevorzugt, da es üblicherweise zu zunehmender Verkleinerung der erkrankten Niere kommt. Differenzialdiagnostisch sind hiervon zystische Erweiterungen des Nierenbeckenkelchsystems und Hydroureter, entstanden auf dem Boden einer obstruktiven Uropathie, abzugrenzen. Subpelvine Stenosen führen zu Dilatation von Nierenbecken und Kelchen mit Verplumpung der Kelche in der Folge. Liegt die Stenose tiefer, kommt der geschlängelte dilatierte Ureter zur Darstellung, der sich sonographisch als eine Ansammlung von in Verbindung stehenden Zysten zwischen Niere und Blase manifestiert. Auf eine Urethralstenose weist eine vergrößerte Blase mit unterschiedlich ausgeprägter Hydronephrose/Hydroureter hin. Serielle Verlaufsbeobachtungen in 3- bis 4-wöchentlichen Abständen sollten in jedem Fall erfolgen. Liegt die Nierenbeckenweite >10 mm (mäßige/schwere Hydronephrose), so ist der Befund häufig progredient. Postnatal muss in jedem Fall eine urologische Abklärung erfolgen, eine primäre antibiotische Therapie (bis ein Reflux ausgeschlossen ist) kann erwogen werden. In ca. 30% der Fälle muss eine operative Intervention erfolgen. Eine milde Hydronephrose bildet sich häufig intrauterin spontan zurück. Bei Persistenz wird eine Kontrolle in der frühen Neugeborenenperiode
15–19 SSW
20–29 SSW
30–40 SSW
>4 mm
>5 mm
>7 mm
Mäßige Hydronephrose
>10 mm
Schwere Hydronephrose
>15 mm
sowie 3–6 Monate später empfohlen, eine operative Therapie ist extrem selten nötig (Sairam et al. 2001; Wollenberg et al. 2005). > Da Nierenerkrankungen im Säuglingsalter meist klinisch inapparent sind, muss besonderer Wert auf die pränatale Diagnostik und das postnatale Follow-up gelegt werden. Selten ist eine intrauterine Therapie (Shunteinlage oder serielle Punktionen) bei ausgeprägter Megazystis oder Hydronephrose beidseits erforderlich.
Das Ausmaß der Pyelektasie/Hydronephrose wird mittels des a.-p.-Durchmessers des Nierenbeckens bestimmt. Hierfür gelten die in . Tab. 15.3 genannten Richtwerte (ISUOG 2009).
Blase Die fetale Harnblase wird von den beiden intraabdominellen Abschnitten der Aa. umbilicales umschlossen. So kann sie durch farbdopplersonographische Darstellung der Aa. umbilicales eindeutig von zystischen Prozessen im Unterbauch (z. B. Ovarialzyste) abgegrenzt werden. Zur Beurteilung des Füllungszustands muss entsprechend der fetalen Miktionsfrequenz im Verlauf der Ultraschalluntersuchung in Abständen von 30–45 min kontrolliert werden (Wladimirow u. Campbell 1974).
Ovar Im 3. Trimenon werden häufig bei weiblichen Feten Ovarialzysten beobachtet. Durch hormonelle Stimulation (mütterliche Östrogene, plazentares HCG; fetale Gonadotropine) kommt es zur Entwicklung dieser i. d. R. funktionellen, benignen Zysten. Sie sind meist einseitig, glatt begrenzt, echoleer und unilokulär zu visualisieren. Torsion und Einblutung können zu Veränderung der Binnenstruktur führen; gelegentlich wird eine Ruptur beobachtet. Die Größe ist variabel, und häufig kommt es schon intrauterin zu einer spontanen Rückbildung. Bei großen Zysten kann einerseits bei Verdrängungserscheinungen eine intrauterine Entlastungspunktion notwendig werden. Inwieweit andererseits eine intrauterine Punktion eine Schädigung des Ovarialgewebes verhindern kann, wird kontrovers diskutiert (. Abb. 15.14; Foley et al. 2005; Perrotin et al. 2000).
15
258
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.14. Ovarialzyste (4,1 cm groß, Zustand nach Einblutung)
15.3.6
15
Zystische abdominelle Raumforderungen
Bei unklaren zystischen Veränderungen müssen differenzialdiagnostisch zunächst Harnblase, Magen, Gallenblase und Darm abgegrenzt werden. Mit der Darstellung beider Nieren sind Nierenzysten, multizystische Nierendysplasien bzw. Hydronephrose auszuschließen. Die Diagnose wird dann durch die Beurteilung der exakten Lage im Abdomen, der Beziehung zu den Nachbarorganen, der Ausdehnung (Quer- und Sagittalschnitt), der Binnenstruktur und Farbdopplersonographie gestellt; ggf. sind sequenzielle Untersuchungen nötig. Am häufigsten liegen zystische Veränderungen bzw. Dilatation der Nieren, des Ureters sowie des Darmes vor. Im Unterbauch müssen Ovarialzysten von einer dilatierten Blase oder einem Hydroureter unterschieden werden. Selten können Leberzysten, Choledochuszysten, Milzzysten, Mesenterialzysten, Darmduplikaturen (dicke muskuläre Wand, Peristaltik) sowie Hydrometrokolpos oder eine Kloakenbildung beobachtet werden.
15.3.7
Nichtimmunologischer Hydrops fetalis (NIHF)
Die Diagnose eines Hydrops fetalis wird gestellt, wenn mindestens 2 abnorme Flüssigkeitsansammlungen in Haut (Hautödem) und/oder Körperhöhlen (Perikarderguss, Pleuraerguss, Aszites) vorliegen (. Abb. 15.15). Der immunologische Hydrops, verursacht durch eine Blutgruppeninkompatibilität (v. a. Rhesusimkompatibilität), ist aufgrund der Rhesusprophylaxe in den Hintergrund getreten (7 Kap. 12.2.8). Er muss vom nichtimmunologischen Hydrops (NIHF), der 90% der Fälle ausmacht, unterschieden werden. Als Hauptursache für die Ausbildung eines NIHF werden eine Beeinträchtigung der Herzfunktion, strukturelle lymphatische Obstruktionen und Hypoproteinämie angesehen
. Abb. 15.15. Ausgeprägtes kraniales Hautödem bei nichtimmunologischem Hydrops fetalis (NIHF) aufgrund eines therapiebedürftigen Chylothorax
(Hyett 2009). In ca. einem Viertel der Fälle liegen kardiovaskuläre Störungen zugrunde: Einerseits führt eine verminderte kardiale Auswurfleistung zur Hydropsentwicklung. Dies ist der Fall bei Tachy- bzw. Bradyarrhythmien, strukturellen Herzfehlern (v. a. schwere Klappeninsuffizienzen), die zu erhöhtem rechtsatrialem und damit venösem Druck führen, sowie bei beeinträchtigter Myokardfunktion (Kardiomyopathie, infektiös bedingte Myokarditis; . Abb. 15.6). Andererseits kann eine vermehrte Volumenbelastung zu einem Highoutput-Herzversagen führen, da das unreife fetale Herz die hyperdyname Zirkulation nicht aufrechterhalten kann. Verantwortlich hierfür sind in erster Linie fetale und plazentare AV-Shunts. Diese sind typisch bei fetalen Tumoren (z. B. Steißbeinteratom), Aneurysma der V. Galeni und Chorangiom der Plazenta. Beim fetofetalen Transfusionssyndrom besteht beim Rezipient ebenfalls eine Volumenüberlastung. Seltener kann eine venöse Kompression durch thorakale Raumforderungen oder kardiale Tumoren zu vermindertem venösem Rückstrom und damit Herzversagen führen (. Abb. 15.3, 15.4, 15.6). In 12% der Fälle liegen chromosomale Aberrationen vor. In erster Linie handelt es sich um Monosomie X, gefolgt von Trisomie 21, 18, 13. Als Ursache der Hydropsentwicklung wird eine lokale lymphatische Obstruktion bzw. eine Anlagestörung des lymphatischen Systems diskutiert. Nicht immunologisch bedingte Anämien (10%) können durch Verlust von Erythrozyten (Hämolyse oder Blutung) oder durch mangelhafte Erythrozytensynthese entstehen. Durch die Anämie kommt es zur Hypoxie der Kapillaren und des Gewebes mit Extravasaten von Protein oder durch Kompensationsmechanismen zum High-output-Herzversagen mit in der Folge Hydropsentwicklung (. Tab. 15.4). Fetale Infektionen (7 Kap. 20) führen über verschiedene Wege zur Ausbildung eines NIHF. Eine hämolytische Anämie (z. B. bei CMV-Infektion), Myokarditis mit in der Folge verminderter Pumpleistung sowie Hepatitis mit evtl. hierdurch induzierter Hypoproteinämie werden dafür ver-
259 15.3 · Screening auf Entwicklungsstörungen
. Tab. 15.4. Differenzialdiagnostische Abklärung des NIHF: sonographische Hinweise und weiteres Vorgehen
Zugrunde liegende Ursache
Sonographie
Zerebral
Aneurysma der V. Galeni
5 Echoleere Raumforderung mit Strömungsnachweis im Farbdoppler
Infektionen
5 5 5 5
Rhythmusstörungen
5 Tachyarrhythmie
5 Intrauterine Therapie
5 Bradyarrhythmie/AV-Block
5 SSA-/SSB-AK?
Kardial
Thorakal
Ventrikulomegalie Parenchymveränderung Einblutung Mikrozephalus
Weitere Abklärung/Therapie
5 TORCH (CMV, Toxoplasmose)
Angeborene Herzfehler
5 z. B. Klappeninsuffizienz
Kardiale Tumoren
5 Rhabdomyome
Myokardveränderungen
5 Verminderte Kontraktilität
5 Kardiomyopathie
5 Verdicktes Septum und Myokard
5 Stoffwechselerkrankung? 5 Noonan-Syndrom?
5 Myokarditis
5 Echogenes Myometrium
5 Infektion (TORCH)?
Lungentumoren/Zysten
5 Intrathorakale Raumforderung 5 Mediastinalverschiebung
5 Shunt bei großen Zysten
5 Zerebrale Veränderungen?
Zwerchfellhernie Abdomen
Mekoniumperitonitis
5 Dilatierter Darm, Verkalkung, Aszites
Hepatitis/Leberfibrose Skelett
Skelettdysplasien
Syndrome
Multiple Fehlbildungen/ Softmarker
Plazenta
Chorangiom (hydropische Plazenta)
5 Genetische Beratung, ggf. molekulargenetische Abklärung
5 AV-Fisteln im Farbdoppler 5 Polyhydramnion?
Fruchtwasser Tumoren
Steißbeinteratom
Infektion
Parvovirus, CMV, Toxoplasmose, Syphilis, Röteln, Coxsackie, HSV, Adenovirus
Chromosomale Aberration
Familienanamnese
5 Femurlänge? 5 Hypoplastischer Thorax
Stoffwechsel-/Speichererkrankungen, genetische Syndrome, Konsanguinität
5 5 5 5 5
Zerebrale Veränderungen (s. o.) Anämie (Vmax) IUWR Leberpathologie Polyhydramnion
5 TORCH 5 ggf. Virusnachweis aus Fruchtwasser 5 ggf. bei Anämie durch Parvovirusinfektion: intrauterine Transfusion
5 5 5 5
IUWR Polyhydramnion Sonographische Marker Strukturelle Anomalien
5 Karyogramm (FISH und Langzeitkultur) 5 Genetische Abklärung 5 Genetische Abklärung
15
260
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
antwortlich gemacht. Bei der Parvovirusinfektion kann sich eine ausgeprägte aplastische Anämie entwickeln. Wird diese kurzfristige aplastische Krise durch intrauterine Transfusion therapiert, bildet sich i. d. R. der Hydrops vollständig zurück. Mit zunehmendem Gestationsalter nimmt die Wahrscheinlichkeit einer therapiebedürftigen fetalen Erkrankung ab. Skelettdysplasien (insbesondere mit Thoraxhypoplasie), genetische Syndrome, neuromuskuläre Erkrankungen sowie Stoffwechselerkrankungen (z. B. Speichererkrankungen) können ebenfalls dem NIHF zugrunde liegen. Das diagnostische Vorgehen zeigt die 7 Übersicht. Vorgehen zur Abklärung eines Hydrops fetalis Differenzierte Sonographie einschl. Echokardiographie und Dopplersonographie: 4 Biometrie 4 Ausschuss struktureller Anomalien, Marker für chromosomale Aberrationen 4 Dopplersonographie der A. cerebri media (Vmax) Mütterliche Blutanalyse: 4 Blutgruppenantikörper 4 Differenzialblutbild 4 Hb-F-Bestimmung 4 Virusserologie (TORCH): – Parvovirus B19, CMV, Toxoplasmose, Syphilis, Röteln, Coxsackie, HSV, Adenovirus Ausführliche Familienanamnese: 4 ggf. zusätzlich genetische Abklärung
15
Invasive Diagnostik: 4 Amniozentese – Karyotypisierung (FISH, Langzeitkultur) – ggf. Molekulargenetik – ggf. Virusnachweis (PCR) – ggf. Stoffwechseldiagnostik 4 ggf. Fetalblutentnahme in Transfusionsbereitschaft 4 Material asservieren für weitere Abklärung!
15.4
Fruchtwasser
Im 1. Trimenon entsteht Fruchtwasser in erster Linie aus einer Serumfraktion, die in die Amnionhöhle abfiltriert wird. Zwischen der Produktion und der Resorption von Fruchtwasser (Amnionepithel, Nabelschnur, Plazenta, fetale Haut bis zur Keratinisierung in der etwa 15. SSW) besteht ein ständiges Gleichgewicht. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf werden dann v. a. die fetalen Nieren für die Fruchtwasserproduktion und der fetale Gastrointestinaltrakt für die Resorption verantwortlich gemacht. In der Frühschwangerschaft steigt die Fruchtwassermenge kontinuierlich an und beträgt in der 12. SSW etwa 60 ml. Verminderte Fruchtwassermengen führen durch einen reduzierten Turgor zu einer sonographisch
sichtbaren Entrundung der Fruchtblase und sind damit oft ein Hinweis auf eine gestörte Frühgravidität. Bis zur etwa 34. SSW ist ein beständiger Anstieg der Fruchtwassermenge zu beobachten (bis etwa 1000 ml), danach wieder ein leichter Rückgang bis zum Termin (etwa 800 ml). In der 42. SSW beträgt die Fruchtwassermenge im Mittel nur noch etwa 500 ml. > Eine pathologisch vermehrte oder verminderte Fruchtwassermenge geht häufig auch mit maternalen und fetalen Erkrankungen oder Anomalien einher, sodass die Fruchtwassermenge diesbezüglich als wichtiges Hinweiszeichen gewertet werden muss.
Bei der subjektiven Einschätzung der Fruchtwassermenge wird das Oligohydramnion bei einer Fruchtwasserverminderung mit einer eingeschränkten fetalen Bewegungsfähigkeit und das Anhydramnion bei fehlenden Fruchtwasserdepots zwischen Fetus und Uterus beschrieben. Dagegen ist ein Polyhydramnion anzunehmen, wenn subjektiv in einer Fruchthöhle noch ein zweiter Fetus Platz fände. Die zunehmende Häufigkeit von Fehlbildungen, Wachstumsrestriktion und IUFT bei Poly- und Oligohydramnion macht allerdings eine möglichst objektivierbare und reproduzierbare Abschätzung der Fruchtwassermenge notwendig. Die Messung des »amniotic fluid index« (AFI) oder des tiefsten Fruchtwasserdepots (Single-pocket-Methode) stellt dabei im Vergleich zur groben visuellen Abschätzung der Fruchtwassermenge ein besser reproduzierbares Maß dar (Magann et al. 1999). Für die Bestimmung des AFI wird die Tiefe der Fruchtwasserdepots in allen 4 Quadranten des Uterus vermessen und summiert; eine Interponierung von Nabelschnur oder kleineren Extremitätenanteilen wird dabei ignoriert. Für die Single-pocket-Methode wird der vertikale Durchmesser der größten Fruchtwassernische verwendet. Sowohl bei der AFI-Bestimmung als auch bei der Single-pocketMethode können ausreichende Genauigkeiten und damit entsprechend niedrige Intra- und Inter-observer-Variabilitäten erzielt werden (Magann et al. 1999; Nabhan u. Abdelmoula 2009). Als Normwerte für den AFI gelten die in . Tab. 15.5 aufgeführten Bereiche.
. Tab. 15.5. Normwerte des »amniotic fluid index« (AFI). Bestimmung durch Vermessung der Fruchtwasserdepots in allen 4 Quadranten von anterior nach posterior; Summenbildung
Fruchtwasser
Vermessung der Fruchtwasserdepots
Anhydramnion
<5 cm
Olygohydramnion
5–8 cm
Normale Fruchtwassermenge
8–18 cm
Polyhydramnion
>18 cm
261 15.5 · Plazenta
15.5
Plazenta
15.5.1
Struktur
Bereits am Übergang vom 1. zum 2. Trimenon lassen sich die Hauptstrukturen der Plazenta sonographisch visualisieren: 4 auf der fetalen Seite die von der Amnionmembran bedeckte Chorionplatte, 4 das aus bis zu etwa 40 Untereinheiten (Kotyledonen) bestehende Zottengewebe (Parenchym), 4 die Basalplatte, die das Parenchym vom retroplazentaren Gefäßbett und Myometrium trennt. Im weiteren Verlauf werden nach Grannum et al. (1979) charakteristische morphologische Veränderungen beschrieben (. Tab. 15.6), die mit steigendem Schwangerschaftsalter zunehmen. Da die Variabilität bei diesen Veränderungen sehr groß ist, sollte die Einstufung nach der Lokalisation mit der ausgeprägtesten Veränderung erfolgen. Ansätze, diese morphologischen Zeichen der Plazentareifung mit der Plazentafunktion bzw. einer Plazentainsuffizienz oder dem fetalen Reifungsgrad (z. B. Lungenreife) zu korrelieren, haben zu keinen einheitlichen Ergebnissen geführt. Dagegen ist der Grad der Plazentareifung mit bestimmten maternalen Erkrankungen assoziiert. Bei einer arteriellen Hypertonie, einer Präeklampsie oder einem Nikotinabusus ist oft ein früheres Auftreten der Veränderungen Grad III zu beobachten. Daher entsprechen Auffälligkeiten der sonographischen Klassifikation per se zwar noch nicht einem pathologischen Befund, sollten aber zu einer erhöhten Aufmerksamkeit bezüglich weiterer Hinweise auf eine maternale oder fetale Störung führen.
15.5.2
Lokalisation
Der Plazentasitz ist sonographisch der Hinterwand, der Vorderwand, der rechten oder linken Seitenwand oder dem Fundus zuzuordnen, wobei häufig Zwischenformen bestehen. Unter geburtshilflichen Aspekten sind v. a. die Vorderwandplazenta mit einer Lokalisation im Schnittbereich der Uterotomie bei einer notwendigen Kaiserschnittentbindung und die tiefsitzende Plazenta mit einer Beziehung zum Muttermund von Interesse.
Zur korrekten transabdominalen sonographischen Beurteilung der tief sitzenden Plazenta ist die mittel gefüllte Harnblase der Patientin Voraussetzung. Hierdurch lässt sich der Bezug von Plazenta zur Zervix und zum inneren Muttermund am besten feststellen. Bei der Placenta praevia ist eine Unterscheidung von Placenta praevia marginalis und partialis sonographisch meist nicht möglich, dagegen ist die Placenta praevia totalis meist gut zu erkennen. Tipp Die definitive Angabe einer Placenta praevia und damit möglicherweise die Festlegung des Geburtsmodus sollte im 2. Trimenon mit äußerster Zurückhaltung getroffen werden, da sich diese Situation bei der Ausziehung des unteren Uterinsegments und der Verlagerung der Plazenta in höhere Uterusbereiche im Verlauf der Schwangerschaft noch ändern kann (»plazentare Migration«). Die Diagnosestellung in einem frühen Gestationsalter ist lediglich für die Veranlassung einer Kontrolluntersuchung im weiteren Schwangerschaftsverlauf sinnvoll. Bei der Durchführung eines abdominalen Ultraschalls kann auch eine maximal gefüllte Harnblase der Mutter eine Placenta praevia vortäuschen. Insgesamt lässt sich eine im 2. Trimenon diagnostizierte Placenta praevia (bis zu 6%) im 3. Trimenon nur noch in den seltensten Fällen nachvollziehen (bis zu 0,6%; American College of Obstetricians and Gynecologists 1993). Nach der 32. SSW allerdings verlagert sich eine Placenta praevia totalis nur noch selten.
15.5.3
Größe und Dicke
Die sonographische Bestimmung der Plazentadicke sollte im Bereich der Nabelschnurinsertion erfolgen. Der maximale Durchmesser wird in der 36. SSW erreicht (36±5 mm) und nimmt danach wieder geringfügig ab. Aufwendiger zu ermitteln sind das Plazentavolumen (3-D-Sonographie), die Haftfläche und die Oberfläche. Alle Maße sind bei Abweichungen von der Norm nicht als strenge Kriterien für eine fetale oder maternale Erkrankung zu sehen, sondern können lediglich zusammen mit anderen Veränderungen auf bestimmte Risikokonstellationen hinweisen. So ist beispielsweise die intrauterine Wachstumsrestriktion mit einer Plazentainsuffizienz
. Tab. 15.6. Morphologische Veränderungen der Plazenta. (Nach Grannum et al. 1979)
Grad
Chorionplatte
Parenchym
Basalplatte
0
Glatt begrenzte Linie
Homogen
Homogen glatt, echoarm
I
Gewellte oder gezackte Begrenzung
Einzelne ungeordnete Echoverdichtungen
Homogen glatt, echoarm zum Fruchtwasser
II
Wie Grad I oder mit Einkerbungen
Strichförmige Echoverdichtungen
Abgrenzung zum Parenchym durch kleine Echoverdichtungen
III
Wie Grad I oder mit Einkerbungen, z. T. bis zur Basalplatte reichend
Durchgehende girlandenartige Echoverdichtungen, die das gesamte Parenchym durchziehen
Größere Echoverdichtungen oder durchgehend echodicht
15
262
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
i. d. R. mit einem verringerten Volumenzuwachs der Plazenta vergesellschaftet. > Die auffallend dicke Plazenta (>40 mm) kann auf einen Diabetes mellitus mütterlicherseits, einen fetalen Hydrops oder kongenitale Anomalien/Infektionen hinweisen und sollte daher Anlass zu weiterführenden Untersuchungen sein.
15.5.4
15
Plazentaabnormitäten
Grundsätzlich sollte bei der sonographischen Diagnostik im 2. und 3. Trimenon (2. und 3. Screening) die plazentare Insertionsstelle der Nabelschnur dargestellt werden. Eine randständige Insertion oder die Insertio velamentosa können auf ein erhöhtes perinatales Risiko hinweisen, dem oftmals durch geeignete Verhaltensempfehlungen begegnet werden kann (. Abb. 15.16). In etwa 3% aller Schwangerschaften kann eine Placenta bipartita oder eine Nebenplazenta als wichtiger Hinweis auf mögliche Komplikationen in der postpartalen Periode beobachtet und sonographisch diagnostiziert werden. Insbesondere mit der farbkodierten Dopplersonographie sind dabei die Gefäßverbindungen gut darstellbar. Plazentazysten sind häufig (etwa 20%) darzustellen, jedoch funktionell ohne pathologische Bedeutung. Sie imponieren als echoleere Areale, in denen dopplersonographisch kein Fluss nachzuweisen ist. Dagegen weisen plazentare Kavernen eine Blutströmung auf, die oftmals bereits im B-Bild als turbulente Strömung zu erkennen ist. Bei Größen- und Formkonstanz sind auch diese Veränderungen ohne Bedeutung; kurzfristige Veränderungen in Form und Größe können dagegen auf plazentare Thrombosen hinweisen. Plazentainfarkte lassen sich nur im Frühstadium sonographisch diagnostizieren (hypodense Areale meist nahe der Basalplatte), später unterscheiden sie sich kaum vom normalen Parenchymmuster. Hämatome sind im frischen Stadium als hypodense Areale zu erkennen und treten meist als retroplazentare Hämatome in Erscheinung. Nach dem Gerinnungsvorgang und mit fortschreitender Organisation nimmt die Echogenität zu, sodass die Abgrenzung zum normalen Plazentagewebe schwierig wird. Retroplazentare Hämatome stellen i. d. R. auch die Vorstufe bei einer vorzeitigen Plazentalösung dar. ! Sonographisch sind retroplazentare Hämatome oder die vorzeitige Plazentalösung, v. a. bei einer geringen Ausprägung oder einer Hinterwandplazenta, oft schwer zu erkennen. Der sonographische Ausschluss einer Plazentalösung ist daher nicht möglich.
Bei einer hochgradigen Lösung steht i. d. R. ohnehin die klinische Symptomatik im Vordergrund, sodass die Sonographie nur additiv zur Diagnosestellung beiträgt.
15.5.5
Sonographische Diagnostik der plazentaren Invasivität
Bei einer invasiven Plazentation, die durch ein gestörtes Gleichgewicht zwischen der Aktivität der Trophoblasten und
a
b
c . Abb. 15.16a–c. Pathologische Nabelschnurinsertion. a Insertio velamentosa mit freiem Gefäßverlauf im Fundusbereich. b Insertio velamentosa mit freiem Gefäßverlauf im unteren Uterinsegment (in vorliegendem Fall wurde die Patientin im 3. Trimenon stationär überwacht und musste nach vorzeitigem Blasensprung mit blutigem Fruchtwasserabgang per Notsectio entbunden werden). c Dreidimensionale Darstellung einer randständigen Nabelschnurinsertion
dem antitryptischen Deziduaschutz bedingt ist, dringen die plazentaren Zotten durch die Dezidua basalis (Placenta accreta), invadieren das Myometrium (Placenta increta) oder erreichen die Uterusserosaschicht bzw. brechen durch diese durch (Placenta percreta).
263 15.5 · Plazenta
> Eine operativ vorgeschädigte Uteruswand ist ein prädisponierender Faktor. Bei Lokalisation der Plazenta im unteren Uterusdrittel nimmt aufgrund des unterschiedlichen Gewebeaufbaus die Invasionstendenz deutlich zu (Daltveit et al. 2008; Wu et al. 2005).
Andere seltenere Risikofaktoren sind: hohes maternales Alter, Multiparität, submuköse Myome, rezidivierende Endometritis und der zu tief implantierte Embryo bei artefizieller Befruchtung (Ginsburg et al. 1994; Wu et al. 2005). Die risikoabhängige Inzidenz zeigt . Tab. 15.7. Die erst sub partu erkannte Invasion führt die Statistik der mütterlichen Mortalität an (Clark et al. 2008; DGGG 2008; 7 Kap. 58).
der Folge mit lebensbedrohlicher Blutung, hämorrhagischem Schock, disseminierter intravasaler Koagulopathie (DIC) zu rechnen (Clark et al. 2008). Somit ist eine rechtzeitige, pränatale Abklärung des Risikokollektivs sehr bedeutend und sollte alle Patientinnen mit Voroperationen am Uterus und Lokalisation der Plazenta im Narbenbereich und/oder im isthmischen bzw. zervikalen Uterinsegment erfassen. Dagegen relativiert eine Plazentation im Fundus oder an der Hinterwand des Uterus das Risiko bei Patientinnen mit Zustand nach einem Kaiserschnitt.
Studienbox Die Aussage des Ultraschalls ist mit einer Sensitivität von 82,4–100% und Spezifität von 79,1–96,8% zuverlässig (Chou et al. 2000; Comstock 2005).
Maternale Mortalität 4 Placenta praevia accreta, increta, percreta 0,01–2% 4 Placenta cervicalis percreta 6–50%
Da es bei diesen Patientinnen nach der Kindesentwicklung zu keiner oder nur partiellen Lösung der Plazenta kommt, ist in
. Tab. 15.7. Inzidenz der Trophoblastinvasion
a
Risiko
Inzidenz
Ohne Risikoanamnese
1 : 2.500
Placenta praevia, keine Voroperation am Uterus
1 : 10
Placenta praevia bei Zustand nach Sectio
1:4
Placenta praevia nach 2 Schnittentbindungen
1 : 2,5
In-vitro-Fertilisierung (IVF)
1 : 1.000
Sonomorphologische Zeichen einer Plazentainvasivität Die Untersuchung beginnt mit Abgrenzung der plazentaren Haftfläche zur myometranen Schicht im B-Bild. > Bei der Grenzziehung ist nicht primär die hypodense subplazentare Zone bedeutend, sondern die eindeutige sonomorphologische Schichttrennung.
Die in der Literatur zitierte echoarme Dezidua (»echolucend zone«) – als Beweis der guten Abgrenzung – ist im Bereich der Vorderwand oft auch bei regelrechter Plazentation nicht darstellbar, dagegen kann bei einer ausgeprägten Trophoblastpenetranz die echoarme subplazentare Zone einer pathologischen Hypervaskularisation entsprechen (Comstock 2005). > Typische Invasivitätszeichen sind unregelmäßig begrenzte, intraplazentare Aussparungen, die als »Mottenfraßlöcher« bezeichnet werden und großen Gefäßlakunen entsprechen (. Abb. 15.17).
b
. Abb. 15.17a, b. Intraplazentare Gefäßlakunen (Pfeil) (a Power-Doppler, b makroskopisches Bild)
15
264
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
a
. Abb. 15.18. Plazenta (P) accreta ragt in die deziduale Zone hinein, ohne die myometrane Schicht (M) zu erreichen (Pfeil)
15
Um alle hypodensen Areale differenzieren zu können, muss jede Untersuchung im B-Bild durch eine farbdopplersonographische Darstellung ergänzt werden. Mit dieser Methode ist es möglich, die lakunäre Gefäßerweiterung von anderen strömungsfreien vakuoligen Strukturen (Infarktareale, Einblutungen) zu unterscheiden und ebenso, um eine massive Hypervaskularisation von der dezidualen Auflockerung mit regelrechter Gefäßzeichnung differenzieren zu können. Mittels Pulsed-wave-Doppler (PW-Doppler) lässt sich die Flussart differenzieren: Die Gefäßlakunen weisen eine venös-pulsatile Strömung und die Arterien im hypervaskulären Bereich eine sehr hohe Diastole auf. Letzteres ist aus der onkologischen Diagnostik bekannt (Comstock 2005; Chou et al. 2000).
b . Abb. 15.19a, b. Placenta (P) praevia increta mit verstärkter intraplazentarer Vaskularisation und z. T. mangelhafter Abgrenzung zum Myometrium (M)
Differenzierung der Invasionstiefe Die sonographischen Auffälligkeiten sind abhängig vom Grad der Invasion. Bei dem oberflächigen dezidualen Durchbruch (Placenta accreta) sind meist nicht die gesamte Haftfläche, sondern nur kleinere Areale von der Invasivität betroffen. Zapfenförmige Unregelmäßigkeiten ragen in die deziduale Schicht hinein, und die Vaskularisation ist nur in diesem Bereich etwas verstärkt (. Abb. 15.18). Bei einer Placenta increta im untersten Uterinsegment ragt das Plazentagewebe tief in das Myometrium hinein, und die beiden Schichten imponieren verwischt. Die Gefäßlakunen sind vereinzelt bis mäßig zahlreich nachweisbar – je nach Ausprägung der Trophoblastpenetration (. Abb. 15.19). Dagegen weist eine in der oberen Uterushälfte lokalisierte, kleinflächig-inkrete Plazenta diese Veränderungen deutlich spärlicher auf und wird deshalb oft erst postpartal entdeckt, wenn während einer manuellen Lösung ein Plazentaanteil adhärent verbleibt.
. Abb. 15.20. Plazentarest (P) im Fundusbereich penetriert das Myometrium (M). Ultraschall post partum
Bevor jedoch eine Uterusausschabung durchgeführt wird, sollte eine Ultraschalluntersuchung stattfinden, da die Kürettage zu einer kaum stillbaren Blutung führen könnte, falls die Vaskularisation im Invasionsbereich stark ausgeprägt ist (. Abb. 15.20). Hier ist es oft sinnvoller, zuzuwarten und erst nach einer konservativen Therapie mit Methotrexat und so-
265 15.5 · Plazenta
a
b
. Abb. 15.21a, b. Placenta (P) percreta mit Serosadurchbruch (Pfeil) im B-Bild und makroskopisch
nographisch nachweisbarer Reduktion der Gefäßzeichnung den Eingriff durchzuführen, wenn es nicht zu einem spontanen Gewebeabgang kommt. Bei perkretem Wachstum ist die myometrane Zone nicht mehr abgrenzbar, und auch die echoreiche Serosa könnte partiell eine Unterbrechung aufweisen, v. a. bei einer Narbeninvasion, die dann mit einer vesikalen Ingression verbunden ist (. Abb. 15.21). Die intraplazentaren Lakunen sind bei Placenta percreta zahlreich, und die im Ultraschall subplazentar darstellbare wabenförmig hypodense Zone entspricht nicht der Dezidua, sondern einer massiven Hypervaskularisation, welche vorwiegend prä- und intrazervikal ausgeprägt ist (. Abb. 15.22).
a
Studienbox Twickler et al. (2000) konnten zeigen, dass der positive Vorhersagewert 100% beträgt, wenn die myometrane Schicht <1 mm beträgt und Gefäßlakunen nachweisbar sind.
> Die gefährlichste Form der Implantation ist die Placenta praevia cervicalis, da das muskelfaserarme, gefäßreiche Gewebe schnell von Trophoblasten penetriert wird, die Gefäßerweiterung massiv ist und die intraoperative Blutstillung in diesem Gebiet sich oft als besonders schwierig erweist (. Abb. 15.23).
b
. Abb. 15.22a, b. Placenta (P) percreta retrovesikal (a B-Bild, b Farbdarstellung der Hypervaskularisation)
15
266
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
a
b
. Abb. 15.23a, b. Placenta (P) percreta cervicalis, der Vaginalsonde nahezu anliegend, lakunendurchsetzt, keine Abgrenzung zum Zer-
Im Gegensatz zu der im Zervixkanal lokalisierten Plazenta ist die komplette intrazervikale Schwangerschaftsanlage weniger gefährlich, da diese schon im 1. Trimenon diagnostizierbar und die trophoblastbedingte Gefäßerweiterung zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeprägt ist (Ginsburg et al. 1994).
Untersuchungszeitpunkt
15
Es ist nicht möglich, einen optimalen Zeitpunkt für die Abklärung der pathologischen Plazentation anzugeben, da die sonographischen Veränderungen von der Ausprägung und der Lokalisation der Invasivität abhängen. Eventuelle Auffälligkeiten sollten bei jeder Ultraschallkontrolle wahrgenommen und bei Verdacht die Patientin an ein Zentrum mit adäquater Kompetenz überwiesen werden. Erfahrungsgemäß ist spätestens nach der 30. SSW eine zuverlässige Aussage möglich.
Aufklärung der Patientin Im Aufklärungsgespräch müssen das erhöhte Blutungsrisiko, die absolute Sectioindikation sowie die unmittelbaren präund intraoperativen Behandlungsmaßnahmen (7 Kap. 29 »Blutungen in 3. Trimenon«) genannt werden (ACOG 2002).
Studienbox In einer 2008 verfassten Leitlinie zu »Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio« stellt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ein Risk-Management vor, welches Empfehlungen zur Abklärung, Schwangerschaftsbetreung, Entbindungszeitpunkt sowie zu den therapeutischen Optionen beinhaltet (AWMF-Leitlinie 015/046 der DGGG 2008).
> Eine gezielte pränatale Abklärung der Risikopatientinnen ist im Management der Plazentationsstörun-
6
vixgewebe möglich (a B-Bild, b Farbdarstellung der Hypervaskularisation)
gen führend. Falls sonographisch Auffälligkeiten darstellbar sind, sollte die Invasionsausprägung eingestuft werden. Dieses Wissen ermöglicht eine sorgfältige Aufklärung der Patientin, die optimale interdisziplinäre präoperative Vorbereitung, und somit ist ein Verblutungsnotfall meist vermeidbar.
15.6
Zervixdiagnostik im 2. und 3. Trimenon
Die Transvaginalsonographie ist die beste Methode, die Länge der Zervix zu bestimmen. Sie ermöglicht eine objektivierbare und reproduzierbare Messung der Zervixlänge sowie eine Beurteilung des inneren Muttermunds, der bei der vaginalen Untersuchung bei geschlossenem äußerem Muttermund nicht zugänglich ist. Die Inter- und Intra-observer-Variabilität ist geringer als bei der digitalen Untersuchung (Heath et al. 1998). Die gemessenen Werte der Zervixlänge liegen höher als die bei der klinischen Untersuchung ermittelten Schätzwerte. In der Vorhersage der Frühgeburt (<35 SSW) ist die Zervixsonographie der Palpation überlegen (Berghella et al. 1997). Je kürzer die sonographische Zervixlänge, desto höher ist das Risiko von vorzeitigen Wehen oder Frühgeburt (Romero 2007).
15.6.1
Technik
Bei der sonographischen Untersuchung ist auf eine sagittale Darstellung der gesamten Zervix mit Darstellung des äußeren und inneren Muttermunds sowie des mit echogenem Mukus gefüllten Zervikalkanals (»3-schichtig«) zu achten. Die Zervix soll hierbei 75% des gesamten Ultraschallfensters ausfüllen. Dies gelingt i. d. R. mit Platzierung der Vaginalsonde im vorderen Scheidengewölbe. Es ist darauf zu achten, dass die Zervix durch zu starke Kompression durch den Schallkopf nicht
267 15.6 · Zervixdiagnostik im 2. und 3. Trimenon
. Abb. 15.25. Vaginalsonographische Messung der Zervixlänge – Technik: Die Messpunkte müssen sorgfältig an das distale und proximale Ende des geschlossenen Zervikalkanals (echogene Linie) gesetzt werden. Eine Kompression durch den Schallkopf muss vermieden werden. Zervixlänge 24,5 mm . Abb. 15.24. Sonographische Messung der Zervix – Messparameter. (Nach Berghella et al. 1997)
fälschlicherweise zu lang gemessen wird. Um dies zu überprüfen, wird empfohlen nach initialer optimaler Darstellung der Zervix den Schallkopf wieder etwas zurückzuziehen. Die Gesamtlänge der Zervix, die funktionelle Zervixlänge und bei entsprechenden Befunden die Öffnung oder Trichterbildung des inneren und ggf. auch äußeren Muttermundes können so exakt vermessen und dokumentiert werden (. Abb. 15.24, 15.25). Hierbei sollte die kürzeste von 3 Messungen gewertet werden (To et al. 2001). Tipp Die funktionelle Zervixlänge ist der aussagekräftigste Parameter für die Risikoabschätzung der Frühgeburtlichkeit und sollte somit als Standardmaß angewandt werden.
Eine funktionelle Untersuchung (Provokationstest) durch Pressversuch/Fundusdruck/Messung im Stehen mit Beurteilung der Muttermundstabilität kann eine drohende Inkompetenz der Zervix (latente Reifung der Zervix) frühzeitig erkennen lassen (Hösli et al. 2003).
15.6.2
Zervixinsuffizienz
Die Zervixinsuffizienz wird als unbemerkte, schmerzlose, vorzeitige Verkürzung der Zervix ohne Kontraktionen definiert. Die mit Stromaveränderungen einhergehende Zervixverkürzung ist ein kontinuierlicher Prozess: Hierbei kommt es über eine Erweiterung des inneren Muttermunds zu zunehmender Trichterbildung mit daraus resultierender progressiver Verkür-
zung der Zervix. Die funktionelle Zervixlänge (. Abb.15.24) – in der Vorhersage der Frühgeburtlichkeit der aussagekräftigste Parameter (Rozenberg et al. 2002; To et al. 2006, Hassan et al. 2000) – ist den anamnestischen Risikofaktoren (vorangegangene Frühgeburt, BMI, mütterliches Alter, Ethnizität, Rauchen, vorangegangene Zervixoperation) weit überlegen. Die Zervixlänge nimmt im Schwangerschaftsverlauf physiologischerweise ab. In der 24. SSW liegt der Median der Zervixlänge bei 35 mm (Heath et al. 1998). Es besteht kein Konsens darüber, ab welcher Länge von einer »kurzen Zervix« gesprochen werden soll bzw. ab wann interveniert werden muss (Romero 2007). Hösli et al. (2003) beschreiben bei einer Länge von ≤25 mm in der 28–30. SSW ein signifikant erhöhtes Risiko für Frühgeburtlichkeit. Iams et al. (1996) fanden bei 4,3% der untersuchten Frauen eine kritische Zervixlänge von ≤25 mm in der 24. SSW mit einem positiven prädiktiven Wert von 17,8% für Frühgeburtlichkeit <35 Wochen. Ab ≤15 mm Zervixlänge in ca. der 23. SSW liegt das Risiko für Frühgeburtlichkeit (Entbindung ≤32. SSW) bei fast 50% (Heath et al. 1998; Hassan et al. 2000). Tipp Als sonographische Frühwarnzeichen für eine Zervixinsuffizienz werden neben einer zunehmenden Verkürzung der funktionellen Zervixlänge ein positiver Provokationstest, eine Erweiterung des inneren Muttermunds >5 mm bzw. Trichterbildung gewertet (. Abb. 15.26, 15.27; Rozenberg et al. 2002).
Eine Cochrane-Analyse von Studien mit asymptomatischen und symptomatischen Patientinnen konnte keine ausreichende Evidenz für ein Routinescreening zur Prädiktion von Frühgeburtlichkeit durch Zervixlängenmessung nachweisen (Berghella et al. 2009).
15
268
Kapitel 15 · Ultraschall im 3. Trimenon
. Abb. 15.26. Zervixinsuffizienz mit Trichterbildung bei Provokationstest. Die funktionelle Zervixlänge verkürzt sich von 19 auf 9 mm beim Pressversuch
. Abb. 15.27. Ausgeprägte Zervixinsuffizienz: Die funktionelle Zervixlänge beträgt nur noch 2,6 mm. Es liegt eine ausgeprägte Trichterbildung vor. Der äußere Muttermund erscheint insuffizient
Liegt die Zervixlänge im Normbereich, so besteht im Niedrig- und Hochrisikokollektiv ein hoher negativer Vorhersagewert für Frühgeburt; dies hilft, Interventionen (Tokolyse, Lungenreife etc.) zu vermeiden. Im Hochrisikokollektiv (Zustand nach Frühgeburt/Spätabort, Konisation, Mehrlinge, Diethylstilbestrol, Uterusfehlbildung) besteht eine hohe Sensitivität und ein hoher positiver prädiktiver Wert für Frühgeburtlichkeit <32. SSW, sodass hier eine regelmäßige vaginalsonographische Kontrolle der Zervixlänge empfohlen wird (Hösli et al. 2003).
Berghella et al. (2007) haben bei 750 Schwangeren aus dem Risikokollektiv serielle Messungen durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass das Risiko für Frühgeburtlichkeit vor der 35. SSW um 6% mit jedem zusätzlichen Millimeter Zervixlänge sank und um 5% mit jeder zusätzlichen Schwangerschaftswoche. Ähnliche Resultate ergaben sich für Frühgeburtlichkeit vor 32. und 28. SSW. Anhand dieser Daten kann in Abhängigkeit von Zervixlänge und Gestationsalter das individuelle Risiko zum Zeitpunkt der Untersuchung bestimmt werden (. Tab. 15.8). Für Mehrlinge wurde von Skentou et al.
. Tab. 15.8. Wahrscheinlichkeit für eine Entbindung vor der 32. SSW in Abhängigkeit von Zervixlänge [mm] und Gestationsalter [SSW] zum Zeitpunkt der Messung im Risikokollektiv (Originaldaten in Berghella et al. 2007)
15
Zervixlänge [mm]
Schwangerschaftswoche 15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
0
76,3
73,7
70,9
67,9
64,7
61,4
58,0
54,5
51,0
47,5
44,0
40,5
37,2
33,9
5
67,9
64,8
61,5
58,1
54,6
51,1
47,6
44,0
40,6
37,2
34,0
30,9
28,0
25,2
10
58,1
54,7
51,2
47,6
44,1
40,7
37,3
34,1
31,0
28,0
25,3
22,7
20,3
18,1
15
47,7
44,2
40,7
37,4
34,1
31,0
28,1
25,3
22,7
20,4
18,2
16,2
14,3
12,7
20
37,4
34,2
31,1
28,1
25,4
22,8
20,4
18,2
16,2
14,4
12,7
11,2
9,9
8,7
25
28,2
25,4
22,8
20,4
18,2
16,2
14,4
12,7
11,3
9,9
8,7
7,7
6,7
5,9
30
20,5
18,3
16,3
14,4
12,8
11,3
9,9
8,7
7,7
6,7
5,9
5,2
4,5
3,9
35
14,5
12,8
11,3
10,0
8,8
7,7
6,8
5,9
5,2
4,5
4,0
3,5
3,0
2,6
40
10,0
8,8
7,7
6,8
5,9
5,2
4,5
4,0
3,5
3,0
2,6
2,3
2,0
1,7
45
6,8
5,9
4,2
4,5
3,9
3,4
3,0
2,6
2,3
2,0
1,7
1,5
1,3
1,1
50
4,6
4,0
3,5
3,0
2,6
2,3
2,0
1,7
1,5
1,3
1,2
1,0
0,9
0,8
55
3,0
2,7
2,3
2,0
1,8
1,5
1,3
1,2
1,0
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
60
2,0
1,8
1,5
1,3
1,2
1,0
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,4
0,3
269 Literatur
(2001) das Frühgeburtsrisiko in Abhängigkeit von der Zervixlänge in der 23. SSW bestimmt.
Sonographische Messung der Zervixlänge 4 Gut standardisierte, akzeptierte, reproduzierbare Methode 4 Hilfreich bei Risikoabschätzung für spontane Frühgeburt, jedoch kein Screeningtest 4 Hoher negativer prädiktiver Wert (Tokolyse, RDS-Prophylaxe kann vermieden werden) 4 Kurze Zervix bedeutet nicht Zervixinsuffizienz 4 Stabilität/Kompetenz der Zervix hängt von weiteren Faktoren ab 4 Hochrisikokollektiv: regelmäßige Messung der Zervixlänge sinnvoll 4 Zervixlänge ≤25 mm: engmaschige Verlaufskontrolle empfohlen 4 Zervixlänge ≤15 mm: hohes Risiko für Frühgeburt ≤32. SSW
Literatur Literatur zu Kap. 15.1, 15.3, 15.6 Allan L, Benacerraf B, Copel JA, Carvalho JS, Chaoui R, Eik-Nes SH, Tegnander E, Gembruch U, Huhta JC, Pilu G, Wladimiroff J, Yagel S (2001) Isolated major congenital heart disease.Ultrasound Obstet Gynecol 17: 370–379 AWMF, AgG Medizinrecht in der DGGG (2008) Ultraschalldiagnostik im Rahmen der Schwangerenvorsorge: AWMF-Leitlinienregister 015/044 Benacerraf B (2008) Microcephaly. In Benacerraf B (Hrsg) Ultrasound of fetal syndromes. Churchill Livingstone, Philadelphia, pp 205– 208 Benacerraf B (2008) Fetal liver calcification. In Benacerraf B (Hrsg) Ultrasound of fetal syndromes. Churchill Livingstone, Philadelphia, pp 205–208 Benacerraf BR, Adzick NS (1987) Fetal diaphragmatic hernia: ultrasound diagnosis and clinical outcome in 19 cases. Obstet Gynecol 156: 673–576 Berghella V, Tolosa JE, Kuhlman K, Weiner S, Bolognese RJ, Wapner RJ (1997) Cervical ultrasonography compared with manual examinationas a predictor of preterm delivery. Am J Obstet Gynecol 177: 723–30 Berghella V, Roman A, Daskalakis C, Ness A, Baxter J (2007) Gestational age at cervical length mesurement and incidence of preterm birth. Obstet Gynecol 110: 311–317 Berghella V, Baxter JK, Hendrix NW (2009) Cervical assessment by ultrasound for preventing preterm delivery.Cochrane Database Syst Rev Jul 8 (3): CD007235. Review Bromley B, Benacerraf BR (1995) Difficulties in the prenatal diagnosis of microcephaly. J Ultrasound Med 14 (4): 303–6 Carvalho JS, Mavrides E, Shinebourne EA, Campbell S, Thilaganathan B (2002) Improving the effectiveness of routine prenatalscreening for major congenital heart defects. Heart 88: 387–391 Chaoui R (2003) The four-chamber view: four reasons why it seems to fail in screening for cardiac abnormalities and suggestions to improve detection rate. Ultrasound Obstet Gynecol 22: 3–10 Damen-Elias HA, Stoutenbeek PH, Visser GH, Nikkels PG, de Jong TP (2005) Concomitant anomalies in 100 children with unilateral multicystic kidney. Ultrasound Obstet Gynecol. 25: 384–8
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15
III
III Erkrankungen in der Schwangerschaft 16
Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft F. Kainer, P. Husslein
17
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen L. Raio, M. Baumann, H. Schneider
18
Anämie – 343 C. Breymann
19
Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett – 361 T. Fischer
20
Infektionen in der Geburtshilfe I. Mylonas, K. Friese
21
Diabetes mellitus und Schwangerschaft U.M. Schäfer-Graf, A. Kautzky-Willer
22
Alloimmunerkrankungen R. Zimmermann
– 457
– 379
– 435
– 305
– 275
16 16 Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft F. Kainer, P. Husslein 16.1
Hyperemesis gravidarum – 277
16.2
Schilddrüsenerkrankungen – 278
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6 16.2.7 16.2.8
Physiologische Änderungen der maternalen Schilddrüsenfunktion – 279 Physiologische Änderungen der fetalen Schilddrüsenfunktion – 279 Euthyreote Struma (Iodmangelstruma) – 279 Hyperthyreose – 279 HCG-vermittelte Hyperthyreose – 280 Hypothyreose – 281 Schilddrüsenknoten – 281 Postpartale Thyreoiditis (PPT) – 281
16.3
Herz- und Kreislauferkrankungen – 282
16.3.1 16.3.2 16.3.3
Herzerkrankungen – 282 Arterielle Hypotonie – 284 Vena-cava-Kompressionssyndrom – 285
16.4
Asthma bronchiale – 285
16.5
Epilepsie – 287
16.6
Traumata – 289
16.7
Appendizitis – 292
16.8
Nieren- und Harnwegerkrankungen – 293
16.8.1 16.8.2 16.8.3
Asymptomatische Bakteriurie, Zystitis, Pyelonephritis – 293 Urolithiasis – 294 Andere Nierenerkrankungen – 294
16.9
Erkrankungen der Gallenwege – 295
16.9.1 16.9.2
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase – 295 Cholelithiasis – 296
16.10
Maligne Erkrankungen – 297
16.10.1 16.10.2 16.10.3 16.10.4 16.10.5
Invasives Zervixkarzinom – 297 Mammakarzinom – 298 Ovarialkarzinom – 298 Phäochromozytom – 298 Leukämien – 298
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
16.11
Erhöhtes mütterliches Lebensalter und Schwangerschaft – 299
16.12
Adipositas und Schwangerschaft
16.12.1 16.12.2 16.12.3 16.12.4
Fertilität und Adipositas – 300 Risiken während der Schwangerschaft Risiken intrapartal – 301 Postpartale Komplikationen – 302
Literatur – 302
– 300 – 300
277 16.1 · Hyperemesis gravidarum
16.1
Hyperemesis gravidarum
Die Hyperemesis gravidarum ist eine ätiologisch ungeklärte Erkrankung, die durch übermäßige Übelkeit und Erbrechen zur Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Schwangeren führt. Die Symptome treten ab der 5.–6. SSW auf, haben das Häufigkeitsmaximum mit 9 SSW und bilden sich ab der 16.–20. SSW wieder zurück. In seltenen Fällen bleiben die Beschwerden bis ins 3. Trimenon bestehen. Die Therapie zielt durch Nahrungskarenz und parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution auf eine rasche Normalisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts ab. Im Rahmen der Infusionstherapie sollten infolge der Mangelernährung entstandene Hypovitaminosen ausgeglichen werden. In leichteren Fällen von Übelkeit und Erbrechen kann auch durch diätetische Maßnahmen und die orale Gabe von Antiemetika eine Besserung der Beschwerden erreicht werden. Bei anamnestischen Hinweisen auf eine psychosoziale Genese der Erkrankung ist eine begleitende psychotherapeutische, in Einzelfällen auch psychiatrische Betreuung bzw. eine Betreuung durch Sozialarbeiter wichtig.
Emesis gravidarum Schwangerschaftsbedingte Übelkeit und Erbrechen ohne Krankheitsgefühl und Beeinträchtigung des Wohlbefindens.
Hyperemesis gravidarum Übermäßiges schwangerschaftsbedingtes Erbrechen (>5-mal pro Tag) mit Gewichtsabnahme (>5%) aufgrund erschwerter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und Störungen im Flüssigkeits- und Elekrolythaushalt.
Epidemiologie Übelkeit und Erbrechen treten in 50–90% aller Schwangerschaften auf, während die klinisch bedeutsame Hyperemesis eine Inzidenz von 0,3–2% hat, wobei große soziale und regionale Unterschiede bestehen. Epidemiologische Studien haben ein gehäuftes Auftreten bei Nulliparae, Adipositas, Mehrlingsschwangerschaften, Trophoblasterkrankungen, bei Ernährungsstörungen (Bulimie), bei Vorhandensein von fetalen Fehlbildungen sowie bei einem Auftreten einer Hyperemesis bei einer vorangegangenen Schwangerschaft festgestellt. Ein vermindertes Auftreten hingegen wurde bei Müttern über 35 Jahren und Zigarettenraucherinnen beobachtet. Nach Abell u. Riely (1992) stellt die Hyperemesis einen protektiven Faktor gegen Aborte in der 1. Schwangerschaftshälfte sowie gegen die postpartale Depression dar.
gerschaft, die sich als ambivalente oder ablehnende Haltung gegenüber der Schwangerschaft manifestiert, sowie soziale Probleme, die ein für die Schwangerschaft ungünstiges Umfeld schaffen, genannt. Die Koinzidenz des Anstiegs von β-HCG, Östrogenen und Gestagenen in der Frühschwangerschaft führte zur Theorie der hormonellen Genese der Hyperemesis. Diese Theorie wird von der Beobachtung gestützt, dass bei Trophoblasterkrankungen vermehrt, bei Abortivschwangerschaften vermindert Symptome beobachtet werden. Die Assoziation der Hyperemesis gravidarum mit einem weiblichen Fetus könnte ein Hinweis für einen erhöhten Östrogenspiegel in utero darstellen (Schiff et al. 2004). Passagere Hyperthyreosen, Hyperparathyreosen und Leberfunktionsstörungen treten gehäuft bei Hyperemesis auf. Möglicherweise sind sie als Begleiterkrankungen der Hyperemesis zu verstehen, die mit dieser eine gemeinsame Ursache haben. Andere Theorien, die vorgebracht wurden, sind Störungen der Magenperistaltik, Fettstoffwechselstörungen, Störungen des vegetativen Nervensystems, eine Infektion mit Helicobacter pylori sowie ein Mangel an Vitamin B6 oder Spurenelementen.
Bedeutung für Mutter und Fetus Frauen mit einer Emesis gravidarum haben eine geringere Abortneigung, weniger intrauterine Wachstumsrestriktionen sowie seltener Frühgeburten im Vergleich zu Schwangeren ohne Emesis (Brandes 1967). Bei einer Hyperemesis gravidarum kann es durch das gehäufte Erbrechen zu Ösphagusverletzungen oder zu einem Pneumothorax kommen. Ein Vitamin-B1-Mangel kann die Ursache für das Auftreten einer Wernike-Enzephalopathie oder einer pontinen zentralen Myelinolyse sein. Periphere Neuropathien werden durch Vitamin-B6- bzw Vitamin-B12Mangel verursacht. Ein Vitamin-K-Mangel kann die Ursache für Gerinnungsstörungen sein. Durch die meist frühzeitige Therapie treten maternale Komplikationen nur noch extrem selten auf. Bei ausgeprägter Hyperemesis besteht ein signifikanter Zusammenhang zur fetalen Wachstumsrestriktion. Ebenso wurde ein vermehrtes Auftreten von Fehlbildungen beobachtet.
Evaluation Das klinische Bild der Hyperemesis wird durch den Wasserund Elektrolytverlust geprägt, der einerseits durch das häufige Erbrechen, andererseits durch die Unfähigkeit, ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen, bedingt ist. In schweren Fällen kommt es zusätzlich zur Dehydratation auch zu einem Mangel an lebenswichtigen Nahrungsbestandteilen, Vitaminen und Spurenelementen.
Ätiologie
Anamnese
Die Ätiologie der Hyperemesis ist größtenteils noch ungeklärt, wobei neben somatischen auch psychische Faktoren von Bedeutung sind. Als psychosoziale Faktoren der Hyperemesis wurden eine gestörte psychische Auseinandersetzung mit der Schwan-
Typischerweise beginnen die Beschwerden zwischen der 5. und 6. SSW, wobei mit 9–10 SSW die Beschwerden am ausgeprägtesten und bis 20 SSW meist sistieren. Bei längerdauernder Hyperemesis kommt es durch die Unfähigkeit, ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, auch zu einem Ge-
16
278
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
wichtsverlust sowie im Verlauf zu Temperaturanstieg und Benommenheit bis hin zum Delirium.
Befunde Klinisch stehen primär die Zeichen einer Exsikkose (Mundtrockenheit, faltige Haut, gerötete Schleimhaut, Ptyalismus) im Vordergrund. Durch die zunehmende metabolische Ketoazidose besteht ein obstartiger Mundgeruch. Als Harnbefunde zeigen sich Nachweis von Ketonkörpern, erhöhtes spezifisches Gewicht, Azidurie. An Blutbefunden liegen erhöhter Hämatokrit, Elektrolytstörungen (Na-, K-, Cl-Ionenerniedrigung) vor sowie metabolische Alkalose, erhöhte Serumamylasen, erhöhte Aminotransferasen, Erhöhung des Gesamtbilirubins, passagere Hyperthyreose.
Differenzialdiagnose Zur Diagnose einer Hyperemesis gravidarum sind alle Erkrankungen auszuschließen, in deren Folge es ebenfalls zu Übelkeit und Erbrechen kommen kann (7 Übersicht). Auf charakteristische Symptome dieser Erkrankungen muss daher bei der Differenzialdiagnose der Hyperemesis geachtet werden.
Differenzialdiagnose der Hyperemesis Gastrointestinale und hepatobiläre Ursachen 4 Refluxösophagitis 4 Hiatushernie 4 Peptisches Ulkus 4 Pankreatitis 4 Gallenwegerkrankungen 4 Appendizitis 4 Hepatitis 4 Schwangerschaftsfettleber 4 Entzündliche oder obstruktive Darmerkrankungen
16
Urogenitale Ursachen 4 Pyelonephritis 4 Nephrolithiasis 4 Urämie 4 Stielgedrehte Ovarialzyste 4 Degenerative Prozesse in Myomen Verschiedene 4 Medikamentöse/toxische Ursachen 4 Metabolische Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) 4 Hyperthyreose 4 Hyperkalzämie, Hyperparathyreoidismus 4 Migräne 4 ZNS-Erkrankungen 4 Vestibuläre Erkrankungen Hyperemesis als Folge von anderen Schwangerschaftserkrankungen 4 Trophoblasterkrankungen 4 Polyhydramnion (bei fetalem Hydrops) 4 Schwangerschaftshypertonie, Präeklampsie 4 Vorzeitige Plazentalösung
Management In leichten Fällen von Übelkeit und Erbrechen genügen diätetische Maßnahmen. Empfohlen werden häufigere, kleinere Mahlzeiten, eine eiweiß- und fettarme Kost auf Kohlenhydratbasis sowie eine Pausierung der Einnahme oraler Eisenpräparate. Bei ausgeprägter Hyperemesis zielt die Therapie durch parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution auf eine rasche Normalisierung des Wasser- und Elektrolythaushalts ab. Im Allgemeinen werden die Beschwerden durch diese Therapie rasch gebessert. Auf eine orale Zufuhr von Nahrung sollte zunächst gänzlich verzichtet und damit erst nach Besserung der Beschwerden wieder vorsichtig begonnen werden. Durch die parenterale Zufuhr von Vitaminen können Hypovitaminosen, die als Folge der Mangelernährung entstanden sind, ausgeglichen werden. Besonderes Augenmerk sollte auf die Substitution der Vitamine B1 bzw. B6 gerichtet werden. In schweren Fällen und bei länger andauernder Hyperemesis kann auch eine vollständige parenterale Ernährung notwendig werden. Die medikamentöse Therapie der Hyperemesis kann die Infusionstherapie nicht ersetzen und sollte nur unterstützend bzw. in leichteren Fällen angewandt werden. In der Behandlung der Hyperemesis haben sich v. a. H1Antihistaminika (Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Doxylamin, Meclozin), Dopaminantagonisten (Metoclopramid), Phenothiazine (Chlorpromazin, Triflupromazin, Promethazin), aber auch Vitamine (Vitamin B6) bewährt. Die Akupunktur bzw. Akupressur des Punktes P6 am Unterarm zeigte ebenfalls einen günstigen Einfluss auf Übelkeit und Erbrechen. Die psychosomatische Exploration und Behandlung ist ein zentraler Faktor der Betreuung. Zusätzlich ist die Durchleuchtung des sozialen Umfeldes (Mobbing am Arbeitsplatz, Partnerprobleme, Schwangerschaftskonflikte) ein wichtiger Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Therapie.
16.2
Schilddrüsenerkrankungen
Die Diagnose und Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft unterscheidet sich kaum vom Vorgehen außerhalb der Schwangerschaft, es sind jedoch einige schwangerschaftsspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Beurteilung von Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft setzt die Kenntnis der physiologischen Änderungen der Schilddrüsenfunktion voraus. Der erhöhte Iodbedarf in der Schwangerschaft führt insbesondere in Iodmangelgebieten zu einem vermehrten Auftreten von euthyreoten Strumae. Daher ist auf eine ausreichende Iodzufuhr zu achten, wobei diese aber wegen der Gefahr einer induzierten fetalen Hypothyreose die in der Schwangerschaft notwendige Menge nicht übersteigen soll. Hyperthyreosen treten meist als Folge eines M. Basedow auf und haben, sofern sie erfolgreich medikamentös eingestellt sind, eine günstige mütterliche und kindliche Prognose. Zur Therapie stehen Thioharnstoffpräparate zur Verfügung, deren Dosierung so bemessen sein soll, dass der Grenzbereich zwischen Euthyreose und Hyperthyreose erreicht wird, da eine zu hohe Dosierung die Gefahr einer induzierten fetalen Hypo-
279 16.2 · Schilddrüsenerkrankungen
thyreose mit sich bringt. Zur symptomatischen Therapie stehen darüber hinaus β-Blocker zur Verfügung. Hypothyreosen sind in der Schwangerschaft wegen der oft begleitenden Infertilität selten, müssen aber wegen der Gefahr eines vermehrten Auftretens von Totgeburten und Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht mit Schilddrüsenhormonen substituiert werden. Eine mütterliche Hypothyreose führt nach dem 1. Trimenon meist zu keiner kindlichen Hypothyreose. Tritt diese trotzdem auf, so ist eine rasche Therapie notwendig, um die Folgen einer kongenitalen Hypothyreose zu vermeiden. Aus diesem Grund ist auch das Screening aller Neugeborenen auf eine hypothyreote Stoffwechsellage angezeigt.
16.2.1
mütterlichem T4 ist in dieser Phase für die Entwicklung des Kindes sehr wichtig. Ab Beginn des 2. Trimenons wird die Plazentadurchlässigkeit deutlich geringer, und die fetale Schilddrüse nimmt ihre Funktion als eigenes Organ mit einer eigenen fetalen Rückkopplungsschleife auf. Allerdings kann es durch den Übertritt von anderen plazentagängigen Substanzen zu einer Beeinflussung der fetalen Schilddrüsenfunktion kommen, die entweder kompensiert werden kann oder zu einer fetalen Hyper- bzw. Hypothyreose führt. So können z. B. schilddrüsenstimulierende Antikörper bei M. Basedow zu einer fetalen Hyperthyreose führen, während ein erhöhter mütterlicher Iodspiegel, radioaktive Iodisotope, Thyreostatika und antithyreoidale Antikörper (wie bei Hashimoto-Thyreoiditis) eine fetale Hypothyreose bewirken können.
Physiologische Änderungen der maternalen Schilddrüsenfunktion 16.2.3
Ursachen der veränderten Schilddrüsenfunktion sind ein vergrößerter Iodverteilungsraum durch die physiologische Hämodilution und den Verteilungsraum der fetoplazentaren Einheit. Zusätzlich entstehen erhöhte renale Iodverluste, die durch eine gesteigerte glomeruläre Filtration verursacht werden. Hauptverantwortlich für die schwangerschaftsspezifischen Veränderungen sind der Anstieg des thyroxinbindenden Globulins (TBG) und die Stimulation des TSH-Rezeptors durch das Choriongonadotropin (HCG). Die Plazentaaktivität bedingt einen erhöhten Umsatz von T3 und T4. Labordiagnostisch drücken sich diese Änderungen als Zunahme des Gesamt-T3 bzw. -T4 und als Zunahme des TBG aus, während die Werte des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) und des freien T3 bzw. T4 unverändert bleiben und somit eine euthyreote Stoffwechsellage anzeigen.
16.2.2
Physiologische Änderungen der fetalen Schilddrüsenfunktion
Die fetale TSH-Bildung und die Bildung von Schilddrüsenhormonen beginnen zwischen 10 und 12 Schwangerschaftswochen. Bis zur 20. SSW ist jedoch nur eine sehr geringe fetale Hormonproduktion vorhanden, die in der zweiten Schwangerschaftshälfte kontinuierlich zunimmt. Am Entbindungstermin sind die Serum-TSH-Spiegel höher als bei der Mutter. Unmittelbar nach der Geburt steigen die TSH-Spiegel auf 50–80 mU/l an, um in den ersten 48 h dann wieder auf Werte von 10– 15 mU/l abzufallen. Das fetale freie T3 und T4 ist niedriger als bei der Mutter, steigt jedoch nach der Geburt rasch an und erreicht Spiegel, die etwas höher sind als beim Erwachsenen. Tipp Durch den gesteigerten Umsatz von T3 und T4 steigt auch der Iodbedarf in der Schwangerschaft an. Zur Prophylaxe einer Iodmangelstruma wird daher von der WHO eine Zufuhr von 150–300 μg Iod pro Tag empfohlen.
Bis zum Ende des 1. Trimenons ist die Plazenta für T4 gut durchgängig. Eine ausreichende Versorgung des Fetus mit
Euthyreote Struma (Iodmangelstruma)
Bei unzureichender Zufuhr von Iod in der Nahrung reagiert die Schilddrüse zur Aufrechterhaltung einer euthyreoten Stoffwechsellage mit einer kompensatorischen Hypertrophie und Hyperplasie, die sich klinisch als Struma bemerkbar macht. Bei länger dauerndem Iodmangel kann es zu morphologischen und funktionellen Veränderungen der Struma kommen, die dann als nodulär-hyperplastische Struma oder als adenomatöser Knotenkropf erscheint. Funktionell drückt sich diese Umwandlung in der Entstehung autonomer, von regulierenden Einflüssen unabhängiger Schilddrüsenzellverbände aus. Besonders in endemischen Iodmangelgebieten wie Deutschland tritt die euthyreote Struma auch in der Durchschnittsbevölkerung mit einer Inzidenz von 10–15% auf. Der in der Schwangerschaft erhöhte Iodbedarf führt unter diesen Umständen zu einer noch größeren Inzidenz. Vielfach werden dabei bereits vor der Schwangerschaft bestehende subklinische Strumae erstmals in der Schwangerschaft auffällig. Auch im Regulationssystem der fetalen Schilddrüse macht sich ein Iodmangel als euthyreote Struma bemerkbar. Kann der Iodmangel nicht kompensiert werden, kommt es zu den in 7 Kap. 16.2.6 beschriebenen kindlichen Folgeerscheinungen. Als therapeutische Möglichkeiten stehen die Gabe von Iod oder Schilddrüsenhormonen oder eine Kombination von beiden zur Verfügung, wobei die Zufuhr von Iod wegen der Gefahr einer induzierten fetalen Hypothyreose nicht die in der Schwangerschaft notwendige Menge übersteigen soll. Prophylaktisch ist besonders in Iodmangelgebieten auf eine ausreichende Iodzufuhr zu achten, da in diesen Gebieten trotz der Verwendung von iodiertem Speisesalz der Iodbedarf aus dem Trinkwasser und der Nahrung nur etwa zur Hälfte gedeckt werden kann.
16.2.4
Hyperthyreose
Eine Hyperthyreose in der Schwangerschaft tritt mit einer Inzidenz von bis zu 1/500 auf. In 85–90% der Fälle ist sie ein Symptom des M. Basedow, einer Autoimmunerkrankung, die
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280
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
durch eine Bildung von thyreoidstimulierenden Antikörpern charakterisiert ist, sowie Folge von autonomen Schilddrüsenknoten bzw. einer disseminierten Autonomie. Der Krankheitsverlauf bessert sich meist in der Spätschwangerschaft, da die TSH-Rezeptor-Antiköper nach primär stimulierender Aktivität eine zunehmend blockierende Funktion ausüben. Darüber hinaus sind passagere Hyperthyreosen in der Schwangerschaft nicht selten und treten gehäuft auf bei Hyperemesis gravidarum und Trophoblasterkrankungen (bedingt durch die TSH-Produktion des Trophoblasten).
Klinik und Labor Die klinischen Zeichen der Hyperthyreose sind ein Ruhepuls >100 SpM, Vergrößerung der Schilddrüse, Exophthalmos, Onycholyse und fehlende Gewichtszunahme trotz normaler Ernährung. Eine milde Hyperthyreose, die sich nur in einer milden Tachykardie bzw. Herzklopfen und einer leichten Hitzeintoleranz bemerkbar macht, ist wegen der geringen Spezifität dieser Symptome in der Schwangerschaft schwer zu diagnostizieren. Laborchemisch ist die Diagnose in der Schwangerschaft erschwert, da auch pathologisch erhöhte HCG-Werte in der Frühschwangerschaft eine Hyperthyreose verursachen können. Eine exzessive Erhöhung der Thyreoglobulinwerte führt zu einer Erhöhung der Gesamt-T4-Werte bei jedoch normalen freien T4-Werten. Die Diagnose sollte daher primär anhand der erniedrigten TSH-Werte (<0,01 μU/l) und der erhöhten freien T4-Werte gestellt werden. Die Bestimmung der freien T3-Werte ist sinnvoll bei stark erniedrigten TSH-Werten und nur gering erhöhten T4-Werten. Bei M. Basedow sind in etwa 70% der Fälle thyreoideastimulierende und antimikrosomale Antikörper nachweisbar. ! Szintigraphische Untersuchungen zur weiteren Abklärung von Schilddrüsenknoten sind in der Schwangerschaft kontraindiziert.
Management
16
Therapeutisch bietet sich die Möglichkeit einer direkten Beeinflussung der Schilddrüsenhormonproduktion mit Thioharnstoffverbindungen oder eine Beeinflussung der peripheren Wirkung der Schilddrüsenhormone durch β-Blocker an. Ziel der Behandlung ist eine Einstellung der T4-Werte im oberen Normbereich mit der niedrigst möglichen Dosierung der Schilddrüsenblocker. Die Therapie mit Thioharnstoffen wird daher in einer niedrigen Dosierung begonnen, und die Dosierung wird so lange gesteigert, bis der obere Grenzwert des Normalbereichs von T4 erreicht wird. Die Hormonspiegel werden alle 4 Wochen über den gesamten Verlauf der Schwangerschaft kontrolliert. Die Dosierung während der Schwangerschaft verläuft individuell sehr unterschiedlich. So kann bei etwa 1/3 der Patientinnen die Substanz in der 2. Schwangerschaftshälfte wieder abgesetzt werden, in den anderen Fällen muss die Dosierung aber gleich belassen oder sogar gesteigert werden. Zur schnelleren symptomatischen Therapie der Hyperthyreose werden β-Blocker ebenfalls nach Wirkung titriert, wobei ein Ruhepuls von <100 SpM erreicht werden soll.
Neben der medikamentösen Therapie stellt – nach erfolgter medikamentöser Stabilisierung – die subtotale Thyreoidektomie eine weitere Therapiemöglichkeit dar. ! Kontraindiziert ist die Verwendung von Radioiodisotopen wegen der Gefahr einer Strahlenschädigung der fetalen Schilddrüse.
Aufgrund der potenziellen Nebenwirkung der Thioharnstoffpräparate auf die fetale Schilddrüse (Induktion einer fetalen Hypothyreose) ist eine möglichst niedrige Dosierung zu verabreichen. Bislang existiert kein eindeutiger Hinweis auf einen teratogenen Effekt der Thioharnstoffpräparate, auch die weitere Verwendung in der Stillperiode gilt als unbedenklich. Nebenwirkungen der β-Blocker sind eine Verminderung der Herzleistung bis zur Entstehung einer Lungenstauung bzw. eines Lungenödems. Besonders bei bereits bestehender eingeschränkter Herzleistung ist die Gabe von β-Blockern daher sorgfältig abzuwägen.
Bedeutung für Mutter und Fetus Die Auswirkungen der Hyperthyreose auf die mütterliche und kindliche Morbidität hängen v. a. davon ab, ob eine wirksame Therapie eingeleitet wurde. Bei der unbehandelten oder insuffizient behandelten Hyperthyreose ist bei der Schwangeren mit einem vermehrten Auftreten von Kardiomyopathien mit Herzinsuffizienz, Präeklampsie, thyreotoxischen Krisen, vorzeitiger Wehentätigkeit, Frühgeburtlichkeit und intrauteriner Wachstumsrestriktion zu rechnen. Ebenso treten gehäuft Aborte und Totgeburten auf. Bei Verdacht auf eine fetale Hyperthyreose sind die fetale Herzfrequenz (fetale Tachykardie), das fetale Wachstum (Wachstumsrestriktion), die fetale Schilddrüse (Struma) und die fetale Herzfunktion (Kardiomypoathie mit Hydrops) zu überwachen. Bei optimaler Therapie der Hyperthyreose sind die perinatalen Ergebnisse mit der Normalpopulation vergleichbar. Kinder von Müttern mit behandeltem M. Basedow können in bis zu 5% der Fälle durch den Übertritt von mütterlichen TSH-Antikörpern einige Tage nach der Geburt hyperthyreot werden, weil zu diesem Zeitpunkt die Wirkstoffspiegel der Thioharnstoffpräparate abgefallen sind. Sie benötigen daher solange eine thyreostatische Therapie, bis die zirkulierenden mütterlichen Antikörper abgebaut sind.
16.2.5
HCG-vermittelte Hyperthyreose
HCG ist ein schwacher Stimulator der Schilddrüsenfunktion. Es kommt daher bei bis zu 20% aller Schwangeren zum Zeitpunkt der höchsten HCG-Konzentration zu einer leichten vorübergehenden subklinischen Hyperthyreose. Diese Schwangeren bedürfen keiner Therapie. Schwangere mit einer Hyperemesis gravidarum haben meist auch eine subklinische oder milde klinische Hyperthyreose. Auch in diesen Fällen ist nur sehr selten eine thyreostatische Therapie erforderlich. Eine durch HCG-Produktion ausgelöste Hyperthyreose tritt in 60% der Fälle bei Trophoblasterkrankungen (Molenschwangerschaft, Chorionkarzinom) auf. Die Hyperthyreose
281 16.2 · Schilddrüsenerkrankungen
kann hier schwere klinische Verläufe zeigen. Die Behandlung besteht jedoch in erster Linie in der Therapie der Grunderkrankung. In Fällen mit einer erhöhten Sensibilität des TSHRezeptors auch auf normale HCG-Konzentrationen (familiäre Gestationshyperthyreose) ist eine thyreostatische Therapie während der Schwangerschaft erforderlich.
16.2.6
Hypothyreose
Hypothyreosen im Verlauf der Schwangerschaft sind selten, da sie meist mit einer begleitenden Infertilität oder einer hohen Rate von Spontanaborten (»missed abortion«) einhergehen. Leichtere Formen ohne eindeutige klinische Symptomatik sind häufiger. Die Hypothyreose tritt v. a. als Folge von Autoimmunerkrankungen wie der Hashimoto-Thyreoiditis sowie als Zustand nach Strumaoperationen und Radioiodbehandlungen auf.
Klinik und Labor Klinisch imponieren neben der Struma Müdigkeit, Bradykardie, mangelnde Gewichtszunahme, Kälteintoleranz, Verstopfung sowie eine Zunahme von Depressionen, vermindertes Konzentrationsvermögen und eine herabgesetzte Gedächtnisleistung. Laborchemisch finden sich erniedrigte Werte von freiem T4, ein erhöhtes TSH mit einer erhöhten Antwort von TSH auf TRH-Gabe. Bei subklinischen Formen kann eine Erhöhung des TSH auch isoliert – mit einem normalen Spiegel von T4 – auftreten.
Da das Kind im 1. Trimenon für eine normale Entwicklung auf die Zufuhr mütterlichen Schilddrüsenhormons angewiesen ist, sollte bei Schwangeren mit vorangegangenen Schilddrüsenerkrankungen und bei Iodmangelstruma bereits vor Eintritt der Schwangerschaft eine Hypothyreose erkannt und behandelt werden. Ab dem 2. Trimenon ist die fetale Stoffwechsellage durch ihren Autoregulationsmechanismus nur gering beeinträchtigt. Ausnahmen finden sich allerdings bei Radioiodbehandlungen, stark verminderter oder übermäßiger Zufuhr von Iod, Thyreostatikatherapie oder beim Übertritt von antithyreoidalen Antikörpern. Insgesamt beträgt die Inzidenz an kongenitalen Hypothyreosen 1/4000 bis 1/7000 Neugeborene. Tipp Ein Screening auf eine maternale Schildrüsenunterfunktion wird von den meisten internationalen Gesellschaften nicht befürwortet, sondern nur eine Untersuchung bei symptomatischen Patientinnen oder bei einer familiären Anamnese für Schilddrüsenerkrankungen. Bei diesem Vorgehen ist jedoch davon auszugehen, dass bis zu 1/3 der Schwangeren mit Schilddrüsenunterfunktion nicht erkannt werden. Wegen der beträchtlichen Auswirkungen einer kongenitalen Hypothyreose auf die kindliche Entwicklung, die sich als generalisierte Reifungs- und Entwicklungsstörung mit einer möglichen bleibenden intellektuellen Beeinträchtigung manifestiert, ist das Screening aller Neugeborenen angezeigt.
Management Ziel der Behandlung ist eine Normalisierung der maternalen TSH-Werte. Therapeutisch erfolgt eine Substitutionsbehandlung mit L-Thyroxin-Monopräparaten. Eine Erhöhung der Dosierung bei vorbestehender Hypothyreose ist in bis zu 80% erforderlich. Die Therapiekontrolle erfolgt anhand von 4- bis 6-wöchentlichen Kontrollen des TSH-Spiegels.
Auswirkungen auf Mutter und Fetus Die Prognose für die Schwangerschaft ist (wie bei der Hyperthyreose) vom Erfolg der medikamentösen Einstellung abhängig. Die unbehandelte Hypothyreose führt zu einer Vielzahl von Komplikationen (LaFranchi 2005; Pop 1999; 7 Übersicht).
16.2.7
Schilddrüsenknoten
Bei Frauen mit benignen Knoten erfolgt die Abklärung (histologische Absicherung) entsprechend dem Vorgehen außerhalb der Schwangerschaft, jedoch ohne szintigraphische Untersuchung. Die Therapie erfolgt jedoch in erster Linie außerhalb der Schwangerschaft. Bei gut differenzierten Schilddrüsenkarzinomen hat die operative Therapie im 2. Trimenon die niedrigste Komplikationsrate. Eine Behandlung ist jedoch auch nach der Schwangerschaft möglich, ohne dass es dadurch zu einer Verschlechterung der Prognose kommt.
16.2.8
Postpartale Thyreoiditis (PPT)
Risiken bei klinischer Hypothyreose 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Erhöhte Abortrate Präeklampsie Vorzeitige Plazentalösung Frühgeburtlichkeit Gestationsdiabetes Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) Intrauteriner Fruchttod (IUFT) Erhöhte perinatale Morbidität und Mortalität Neuropsychologische und kognitive Beeinträchtigung
Diese Erkrankung ist sehr häufig und betrifft etwa 10–15% aller Wöchnerinnen. Sie ist durch eine lymphozytäre Infiltration der Schilddrüse, oft auch durch zirkulierenden Schilddrüsenantikörper, gekennzeichnet. In ihrer klassischen Form lässt sich eine hyperthyreote Phase von 6 Wochen bis 6 Monate post partum unterscheiden von einer daran anschließenden hypothyreoten Phase, die bis 1 Jahr nach der Geburt anhält. Dieser klassische Verlauf tritt allerdings nur in etwa 1/3 der Fälle auf, 1/3 der Patientinnen erlebt nur eine hyperthyreote, 1/3 nur eine hypothyreote Phase.
16
282
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
Die hyperthyreote Phase verläuft meist mild und immer selbstlimitierend. Die Hauptsymptome der hypothyreoten Phase, wie Müdigkeit, Erschöpfung und Depressionen, werden meist der neuen Lebenssituation zugeschrieben. Diese Phase bleibt daher oft undiagnostiziert. Aufgrund der stärkeren Symptomatik bedarf diese Phase häufig einer Substitutionsbehandlung mit L-Thyroxin bis zur Wiederkehr einer euthyreoten Schilddrüsenfunktion.
16.3
16
Herz- und Kreislauferkrankungen
Während der Schwangerschaft und Geburt kommt es durch die physiologischen Veränderungen im Herz-Kreislauf-System zu einer kardialen Mehrbelastung, die bei bestehenden Herzerkrankungen zu einer kardialen Dekompensation führen kann. Die Prognose und das Management sind vom Schweregrad der Erkrankung abhängig, wobei sich zur Beurteilung des Schweregrades die Klassifizierung der New York Heart Association bewährt hat. Die engmaschige Betreuung in der Schwangerschaft beinhaltet neben der kardiologischen Überwachung eine regelmäßige fetale Evaluation, um – besonders bei zyanotischen Herzvitien – die Zeichen einer fetalen Hypoxie rasch erkennen zu können. Die mütterliche und fetale Prognose bei Herzerkrankungen der Schweregrade 1 und 2 ist als günstig einzustufen. Es sollte prinzipiell eine vaginale Geburt angestrebt werden, wobei geburtserleichternde Maßnahmen großzügig zu indizieren sind. Müttern mit Herzerkrankungen der Schweregrade 3 und 4 ist wegen der schlechten mütterlichen und kindlichen Prognose eine Schwangerschaft nicht anzuraten. In jedem Fall ist bei dieser Patientinnengruppe eine besonders intensive interdisziplinäre Betreuung notwendig und eine Schnittentbindung anzustreben. Die im Rahmen der Schwangerschaft häufig auftretende arterielleHypotonie kann durch eine plazentare Minderperfusion zu einem vermehrten Auftreten von wachstumsrestringierten Kindern und Frühgeburten führen. Die häufigste Ursache einer arteriellen Hypotonie ist die orthostatische Dysregulation, die in verschiedene Reaktionstypen eingeteilt werden kann. Zur Behandlung der orthostatischen Dysregulation stehen je nach Reaktionstyp physikalische oder medikamentöse Maßnahmen im Vordergrund. Eine Sonderform der arteriellen Hypotonie ist das Venacava-Kompressionssyndrom, bei dem es durch den Druck der Gebärmutter auf die untere Hohlvene in Rückenlage, aber auch bei längerem Stehen, zu einem verminderten venösen Rückstrom zum Herzen kommt. Folge des Vena-cava-Kompressionssyndroms ist – neben der Möglichkeit eines Kreislaufschocks – eine plazentare Minderperfusion mit der Gefahr einer fetalen Hypoxie. Prophylaktisch ist daher die Rückenlage bzw. längeres Stehen zu vermeiden. (Die Problemkreise »hypertensive Schwangerschaftserkrankungen«, »Anämie« und »thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett« werden in 7 Kap. 17–19 besprochen).
16.3.1
Herzerkrankungen
Die schwangerschaftsbedingten physiologischen Veränderungen im Herz-Kreislauf-System führen zu einer Zunahme der Herzleistung in der Schwangerschaft. Kann diese Mehrleistung vom gesunden Organismus problemlos erbracht werden, so können jedoch bereits bestehende Herzerkrankungen mit gerade noch kompensierten hämodynamischen Verhältnissen zu einer Dekompensation führen. Es kommt bereits ab der 4. SSW zu einer Zunahme des Plasmavolumens, wobei die Zunahme des Blutvolumens im 1. Trimenon durch eine Natrium- und Wasserretention erfolgt. Die Blutvolumenzunahme erreicht mit 32 SSW das Maximum (+50%). Der Anstieg des Herzzeitvolumens erfolgt in der ersten Schwangerschaftshälfte v. a. durch Erhöhung des Schlagvolumens, in der zweiten Schwangerschaftshälfte zusätzlich durch eine Erhöhung der Herzfrequenz (um 10– 30 SpM). Weitere kritische Phasen stellen die Geburt (erhöhte Volumenbelastung durch Expression von Blut aus dem uterinen Gefäßgebiet, Stresssituation durch Wehenschmerzen) und die unmittelbar postpartale Phase dar.
Epidemiologie Bei etwa 1% aller Schwangerschaften muss mit begleitenden Herzerkrankungen gerechnet werden. Der Anteil der erworbenen Herzerkrankungen (z. B. rheumatische Mitralstenose) ist rückläufig. Hingegen nehmen angeborene Herzfehlbildungen bei Schwangeren zu, da durch die Verbesserung der Therapie angeborener Herzfehlbildungen zunehmend mehr Frauen ein gebärfähiges Alter mit entsprechendem Kinderwunsch erreichen. Durch die Alterszunahme der Schwangeren ist auch mit einer erhöhten Prävalenz von ischämischen Erkrankungen, bedingt durch Diabetes mellitus, Nikotin, atherogene Risikofaktoren (orale Antikonzeption, Hypercholesterinämie) zu rechnen.
Einteilung Neben der Kenntnis der einzelnen Erkrankung ist in erster Linie ihr Schweregrad zur Prognosestellung und zur Entscheidung über das weitere geburtshilfliche Management interessant. Für die Beurteilung des Schweregrades hat sich die Klassifizierung der New York Heart Association (NYHA) bewährt (. Tab. 16.1).
Bedeutung für Mutter und Fetus Der Ausgang von Schwangerschaften mit leichten Herzerkrankungen ist heute als günstig einzustufen, allerdings unter der Voraussetzung, dass eine engmaschige und intensive Betreuung durch Internisten und Geburtshelfer erfolgt. Unter diesen Bedingungen beträgt die mütterliche Mortalität unter 0,5% und die perinatale Mortalität unter 2%. Bei Herzerkrankungen der Schweregrade 3 und 4 ist mit einer mütterlichen Mortalität bis 7% und einer kindlichen Mortalität bis 30% zu rechnen. Eine deutliche schlechtere Prognose mit einer mütterlichen Mortalität bis zu 50% ist bei einer primär pulmonalen Hypertonie oder bei Vorliegen eines Eisenmenger-Komplexes zu erwarten. Zyanotische Herzvitien
283 16.3 · Herz- und Kreislauferkrankungen
. Tab. 16.1. NYHA-Klassifikation der Schweregrade von Herzerkrankungen
Grad
Klassifikation
1
Patientinnen mit organischer Herzerkrankung, jedoch ohne Symptome und ohne Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
2
Patientinnen mit Symptomen bei gesteigerter Belastung
3
Patientinnen mit Symptomen bei leichter Belastung
4
Patientinnen mit Symptomen bereits ohne Belastung
mit chronischer Hypoxie führen nicht nur zu einer erhöhten Mortalität, sondern auch zu einem erhöhten Prozentsatz von wachstumsrestringierten Kindern und Frühgeburten. > Das fetale Risiko für eine Herzfehlbildung (Aortenpulmonalstenose) ist bei maternaler Herzfehlbildung um 6% erhöht (Murphy u. Pyeritz 1991).
Management Der überwiegende Anteil von Herzerkrankungen bei Schwangeren hat bei entsprechender Betreuung während der Schwangerschaft und Geburt eine sehr gute Prognose. Eine präkonzeptionelle Beratung ist in jedem Fall anzustreben, um das individuelle Risiko einzuschätzen und die erforderlichen Therapiemaßnahmen (medikamentöse Einstellung, evtl. erforderliche Operationen) bereits vor der Schwangerschaft durchzuführen. Der Großteil der Patientinnen kommt jedoch meist erst nach eingetretener Schwangerschaft zur Risikoeinschätzung. In der Einschätzung der Prognose ist zu beachten, dass es während der Schwangerschaft zu einer Verschlechterung des Schweregrades kommen kann. > Frauen mit einer Herzerkrankung der Schweregrade 3 und 4, die nicht medikamentös behandelt oder operativ korrigiert werden können, ist grundsätzlich von einer Schwangerschaft abzuraten. In diesen Fällen und bei einzelnen Herzerkrankungen mit besonders ungünstiger Prognose, wie der pulmonalen Hypertonie, einer dilatativen Kardiomyopathie, einem Marfan-Syndrom mit kardiovaskulärer Beteiligung oder bei Vorliegen pulmonaler A-V-Fisteln, ist ein Schwangerschaftsabbruch in der Regel indiziert.
Allerdings ist diese Entscheidung selbstverständlich im Einzelfall mit einer genauen Besprechung der individuellen Prognose und der therapeutischen Möglichkeiten zu treffen. In jedem Fall erfordern solche Schwangerschaften eine besonders intensive Schwangerschaftsbetreuung. Ziel der ärztlichen Überwachung ist die möglichst frühzeitige interdiziplinäre Beurteilung der kardialen Situation mit rechtzeitiger Intervention bei drohender kardialer Dekompensation. Die Betreuung erfolgt ausschließlich in Zentren mit entsprechender kardiologischer und perinatolo-
gischer Kompetenz. Die Indikation zur stationären Betreuung sollte auch bei leichteren Zusatzerkrankungen (Harnwegs-, Atemwegsinfektionen, Hyperemesis gravidarum) großzügig gestellt werden. Schwangerschaftsbedingte Begleiterkrankungen (Anämie, Präeklampsie, Gestationsdiabetes, Schilddrüsenerkrankungen) sollen durch Screeninguntersuchungen frühzeitig erfasst werden. Die kardiologische Therapie richtet sich nach den spezifischen Erfordernissen der Erkrankung und ist prinzipiell keinen Einschränkungen unterworfen, wenngleich Präparaten der Vorzug gegeben werden sollte, für die bereits langjährige Erfahrungen in der Behandlung Schwangerer vorliegen: 4 Patientinnen mit Herzvitien oder künstlichen Herzklappen sollten bei allen chirurgischen Eingriffen sowie intrapartal antibiotisch abgeschirmt werden. 4 Eine Antikoagulationstherapie mit Kumarinderivaten muss wegen der möglichen Teratogenität prinzipiell auf Heparinpräparate umgestellt werden. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass in manchen Fällen, etwa bei mechanischem Klappenersatz, die Heparinisierung allein nicht ausreicht und trotz des erhöhten teratogenen Risikos auf Kumarinderivate nicht verzichtet werden kann. Das teratogene Risiko ist dosisabhängig, sodass bei Bedarf eine niedrig dosierte Therapie mit Kumarinderivaten vertretbar erscheint. In solchen Fällen wird ab etwa der 36. SSW bis zum Geburtstermin eine Umstellung auf Heparine durchgeführt. Zweck der fetalen Überwachung ist das frühzeitige Erkennen von fetalen Risikofaktoren (Frühgeburtlichkeit, Wachstumsrestriktion, Fehlbildungen). Im Rahmen der pränatalen Fehlbildungsdiagnostik ist die Beurteilung der Nackentransparenz zwischen der 11. und 14. SSW zu empfehlen. Zusätzlich sollte eine ausführliche fetale sonographische Organdiagnostik zwischen der 20. und 22. SSW erfolgen. Eine Dopplersonographie der Aa. uterinae am Beginn des 3. Trimenons ermöglicht die frühzeitige Erfassung einer Präeklampsie. Neben der Kontrolle des fetalen Wachstums erfolgen gegen Ende der Schwangerschaft, bei drohender fetaler Hypoxie entsprechend früher, regelmäßige CTG-Kontrollen. Tipp Allgemeine Empfehlungen für herzkranke Schwangere betreffen die Vermeidung von zusätzlichen kardialen Belastungen wie vermehrte physische Aktivität oder übermäßige Gewichtszunahme sowie die Motivation zur kontinuierlichen Betreuung. Eine Grippeimpfung ist prinzipiell bei allen Herzkranken zu empfehlen.
Spezielle Aspekte bei der Geburt Unter der Geburt, besonders während der Austreibungsperiode, kommt es zu extremen Druck- und Volumenschwankungen. Sie stellt daher eine hämodynamische Extremsituation dar. Die Gefahr einer hämodynamischen Dekompensation von Herzkranken ist besonders groß.
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Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
> Als allgemeine Faustregel gilt, dass bei Herzkranken der Gruppen 1 und 2 eine vaginale Geburt angestrebt werden sollte.
Neben einer kontinuierlichen Überwachung der hämodynamischen Parameter haben sich Maßnahmen zur Verminderung der Geburtsbelastung wie Epiduralanästhesie und die vaginaloperative Geburtsbeendigung bewährt. Wehenfördernde Mittel sollten wegen der hämodynamischen Mehrbelastung zurückhaltend angewandt werden. > Bei Herzkranken der Gruppen 3 und 4 ist trotz des hohen Narkose- und intraoperativen Risikos die Indikation zur Schnittentbindung großzügig zu stellen.
Das Wochenbett, in dem es erneut zu einer beträchtlichen hämodynamischen Umstellung kommt, stellt eine weitere kritische Phase dar. Es sollte besonders auf Zeichen einer kardialen Dekompensation geachtet und für eine ausreichende Thromboseprophylaxe gesorgt werden. Eine spezielle kardiologische Erkrankung stellt wegen ihrer klinischen Relevanz die peripartale Kardiomyopathie dar. Aufgrund meist unklarer Genese (Virusinfekt, hormonelle Umstellung) versagt im 3. Trimenon oder bis zu 5 Monate nach der Geburt bei vorher gesunden Frauen die Pumpleistung des linken Ventrikels, wobei es innerhalb von wenigen Tagen zur Dekompensation der Kreislauffunktion mit raschem Tod kommen kann. Die klinische Symptome (Dyspnoe, Tachykardie, präkardiale Beschwerden, Ödeme, Husten) werden meist als typische Schwangerschafts- oder Wochenbettbeschwerden fehlgedeutet. Es muss frühzeitig ein EKG und eine Sonographie des Herzens erfolgen, um rechtzeitig mit einer kompetenten Therapie beginnen zu können. Neben der klassische Therapie der Herzinsuffizienz (Vermeidung der Hyperhydratation, β-Blocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer, Nitrate) erfolgt eine Antikoagulation. Bei rascher Verschlechterung ist die Herztransplantation die einzige Therapieoption. 16.3.2
16
Bedeutung für Mutter und Fetus Eine Hypotonie ohne Symptome besitzt keinen Krankheitswert, dies ist erst bei einer Minderperfusion von uterinen Gefäßen sowie einer maternalen zerebralen Minderperfusion der Fall. Nur bei uteriner Minderperfusion kommt es zu einer erhöhten Rate von Frühgeburten und Wachstumsrestriktionen.
Diagnostik Zur Differenzierung der orthostatischen Regulationsstörungen werden der Blutdruck und die Herzfrequenz im Liegen bzw. 1, 3 und evtl. 7 min nach dem Aufstehen bestimmt und anhand der erhaltenen Messwerte nach Reaktionstypen klassifiziert (. Tab. 16.2).
Differenzialdiagnose Bei Auftreten von Hypotonie ist die Abgrenzung zur sekundären Hypotonie wichtig. Differenzialdiagnostisch sind daher eine hypovolämische oder therapeutisch bedingte Hypotonie sowie der seltene M. Addison abzugrenzen.
Management Bei den sympathikotonen bzw. asympathikotonen Reaktionsformen sind zur Verbesserung des venösen Rückstroms physikalische Maßnahmen (Wechselduschen, körperliche Bewegung, Bürstenmassagen, Kneipp-Anwendungen), vermehrte Flüssigkeitszufuhr, salzreiche Ernährung sowie Stützstrumpfhosen zu empfehlen. Eine medikamentöse Therapie ist bei der symptomfreien Schwangeren nicht indiziert und sollte nur bei ausgeprägten klinischen Symptomen erfolgen, da die vasoaktiven Substanzen (Dihydroergotamin) durch eine Kontraktion der uterinen Gefäße die plazentare Perfusion negativ beeinflussen können. Bei der hypertonen Reaktionsform sind primär β-Blocker indiziert. Bei der vasovagalen Form ist in erster Linie eine Aufklärung der Schwangeren über physikalische Maßnahmen und die Harmlosigkeit des Befundes wichtig.
Arterielle Hypotonie
Das vergrößerte Plasmavolumen bei Schwangeren entspricht zum größten Teil einer Vergrößerung des Volumens im Niederdrucksystem, das durch hormonelle Einflüsse dehnbarer wird und damit größere Volumina aufnehmen kann. Dementsprechend sind die Volumenverschiebungen bei orthostatischer Belastung in der Schwangerschaft wesentlich größer als bei Nichtschwangeren. Durch diese Volumenverschiebungen und den in der Schwangerschaft v. a. im 2. Trimenon physiologisch erniedrigten Blutdruck neigen Schwangere in verstärktem Maße zur orthostatischen Dysregulation. Die arterielle Hypotonie führt zu einer Minderperfusion der Plazenta, da diese ein funktionell peripheres Organ ohne Fähigkeit zur Autoregulation der Blutversorgung ist. Arterielle Hypotonie Nach den WHO-Richtlinien liegt eine arterielle Hypotonie bei Blutdruckwerten von 100/60 mm Hg oder darunter vor.
. Tab. 16.2. Reaktionstypen der arteriellen Hypotonie
Reaktionsform
Kennzeichen
Hypertone Reaktionsform
Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz
Sympathikotone Reaktionsform
Extremer Herzfrequenzanstieg bei gleichzeitigem Blutdruckabfall
Asympathikotone Reaktionsform
Absinken des Blutdrucks ohne Herzfrequenzänderung
Vasovagale Reaktionsform
Im Stehen kommt es zu einem plötzlichen Absinken des Blutdrucks und der Herzfrequenz, was durch ein Absinken des peripheren Gefäßwiderstands und eine Erhöhung der Skelettmuskeldurchblutung bedingt ist
285 16.4 · Asthma bronchiale
16.3.3
Vena-cava-Kompressionssyndrom
V.-cava-Kompressionssyndrom Eine Sonderform der Hypotonie ist das V.-cava-Kompressionssyndrom, bei dem es in Rückenlage durch den Druck des schwangeren Uterus auf die untere Hohlvene zu einer Verminderung des venösen Rückstroms zum Herzen und damit zu einer Verminderung des Herzzeitvolumens und der peripheren Durchblutung kommt. Diese Verminderung des venösen Rückstroms kann aber auch im Stehen auftreten, besonders beim Stehen ohne Bewegung (Schneider 1984).
der Einhaltung dieser Therapiepläne und der regelmäßigen Messung des Atemwiderstands mit Peak-flow-Messgeräten zur Beurteilung der aktuellen Situation hingewiesen werden. Zusätzlich sollten Ratschläge zur Vermeidung von exogenen Noxen und zur Einhaltung eines engmaschigen mütterlichen und fetalen Monitorings gegeben werden. Unter der Geburt muss auf eine Fortsetzung der Asthmatherapie bzw. auf die Bereitstellung einer Notfallmedikation geachtet werden. Die Möglichkeit einer evtl. notwendigen intensivmedizinischen Betreuung sollte bestehen.
Inzidenz Symptomatisch macht sich das V.-cava-Kompressionssyndrom durch Schwindel, Atemnot und ein Erstickungsgefühl bemerkbar. Im Extremfall kann es aber auch zu einem Kreislaufschock kommen. Die Folgen des V.-cava-Kompressionssyndroms sind eine mütterliche und plazentare Minderperfusion, die als hypoxische, bradykarde Reaktionen beim Fetus in Erscheinung treten. Im Extremfall kann es auch zu einer für den Fetus lebensbedrohlichen massiven intrauterinen Asphyxie kommen. Wenig beachtet werden asymptomatische Formen des V.-cava-Kompressionssyndroms, bei denen ohne erkennbare Beeinträchtigung des mütterlichen Befindens eine Verminderung der Plazentaperfusion den längerfristigen Folgen einer fetalen Minderperfusion wie einer erhöhten Rate von Früh- und Mangelgeburten besteht. Tipp Rückenlage und langes Stehen, besonders ohne Bewegung, sind zu vermeiden, auch dann, wenn dies für die Mutter asymptomatisch bleibt. Bei der Betreuung von Schwangeren ist darauf zu achten, dass bei allen Untersuchungen und Eingriffen, die eine längere Immobilisierung erfordern, eine zumindest leichte Linksseitenlage eingehalten wird.
16.4
Asthma bronchiale
Asthma bronchiale wird heute als chronischentzündliche obstruktive Lungenerkrankung angesehen, die durch eine erhöhte Empfindlichkeit der Atemwege gegenüber exogenen Reizen charakterisiert ist. Durch die Obstruktion der Atemwege kommt es zu einer Hypoxämie, die in schweren Fällen und bei insuffizienter Behandlung lebensbedrohlich sein kann. Zur Einteilung des chronischen Asthma bronchiale in verschiedene Schweregrade hat sich das vom National Institute of Health herausgegebene Klassifikationsschema bewährt. Die mütterliche und kindliche Prognose ist vom Schweregrad und vom Erfolg der medikamentösen Einstellung abhängig. Zur korrekten medikamentösen Einstellung stehen – dem Schweregrad der Erkrankung angepasste – Therapiepläne zur Verfügung. Die Patientinnen sollten auf die Wichtigkeit
Asthma bronchiale ist eine häufige Begleiterkrankung der Schwangerschaft und tritt bei etwa 4% aller Schwangerschaften auf.
Pathophysiologie Asthma bronchiale Darunter wird eine heterogene Gruppe von Lungenerkrankungen verstanden, die durch eine teilweise oder komplett reversible Obstruktion der Atemwege und eine erhöhte Empfindlichkeit der Atemwege gegenüber exogenen Reizen charakterisiert ist. Es wird seit einigen Jahren v. a. als eine chronisch-entzündliche Lungenerkrankung angesehen.
Infolge einer im Asthmaanfall auftretenden Ventilationsstörung kommt es durch die Durchblutung von minderbelüfteten Lungenabschnitten zu einer Hypoxämie und Hyperkapnie, die erst durch eine Verbesserung der Ventilation reversibel ist. Sie kann bei insuffizienter Behandlung lebensbedrohend sein.
Einteilung Asthma bronchiale wurde ursprünglich in eine extrinsische oder intrinsische Form unterteilt. Extrinsisches Asthma, das v. a. bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt, wurde als allergische Reaktion gegen verschiedene Antigene wie Bäume- und Gräserpollen oder tierische Eiweiße verstanden und tritt oft gemeinsam mit anderen allergischen Reaktionen, wie dem atopen Ekzem, Rhinitis oder Urtikaria auf. Intrinsisches Asthma, das v. a. bei Erwachsenen in Erscheinung tritt, wird nicht durch Allergene, sondern durch nichtallergische Reize wie Infektionen, Stress, kalte Umgebungsluft oder Aerosole ausgelöst. In der Realität lassen sich diese beiden Formen allerdings nicht klar trennen, und beide Aspekte treten gemeinsam in Erscheinung. Zur Einteilung des chronischen Asthma bronchiale in verschiedene Schweregrade hat sich das vom National Institute of Health (NIH) herausgegebene Klassifikationsschema bewährt (7 Übersicht).
16
286
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
NIH-Klassifikation des Asthma bronchiale Chronisches mildes Asthma bronchiale 4 Intermittierende, kurze (<1 h) Anfälle von Atemnot bis zu 2-mal pro Woche 4 Zwischen den Exazerbationen asymptomatisch 4 Kurze (<30 min) Anfälle von Atemnot bei körperlicher Belastung 4 Seltene (<2-mal pro Monat) nächtliche Anfälle Chronisches mittelschweres Asthma bronchiale 4 Symptome >1- bis 2-mal pro Woche 4 Exazerbationen stören Schlaf und körperliche Aktivität 4 Exazerbationen können mehrere Tage anhalten 4 Seltene schwere Anfälle Chronisches schweres Asthma bronchiale 4 Kontinuierliche Symptomatik 4 Herabgesetzte körperliche Aktivität 4 Häufige Exazerbationen 4 Häufig nächtliche Symptome 4 Gelegentliche schwere Anfälle, die eine Notfallbehandlung notwendig machen
Bedeutung für Mutter und Fetus
16
In etwa ein Drittel der Fälle führt die Schwangerschaft zu einer Verschlechterung des Schweregrades der Asthmaerkrankung. Die mütterliche Prognose ist gut, wenngleich es immer wieder zu mütterlichen Todesfällen im Status asthmaticus ohne suffiziente Therapie kommt. Die Auswirkungen des Asthma bronchiale auf den Ausgang der Schwangerschaft werden in der Literatur unterschiedlich beschrieben. Zusammengefasst dürfte Asthma mit einem vermehrten Auftreten von vorzeitigen Wehen, niedrigem Geburtsgewicht, Hyperemesis gravidarum, chronischer Hypertonie, Präeklampsie und einer erhöhten perinatalen Mortalität einhergehen. Diese Komplikationen treten aber nur als Folge der chronischen bzw. intermittierenden Hypoxämie bei Patientinnen mit insuffizient behandeltem schwerem Asthma auf.
Management Das Management von Asthma in der Schwangerschaft lässt sich in 4 Tätigkeitsbereiche unterteilen: 4 mütterliches und fetales Monitoring, 4 Kontrolle von exogenen Noxen, 4 medikamentöse Therapie, 4 gezielte Patienteninformation. Neben der Kontrolle von subjektiven Beschwerden wie Häufigkeit, Zeitpunkt und Dauer der Exazerbationen ist eine kontinuierliche, mindestens 2-mal tägliche Messung des Atemwegwiderstands mit tragbaren, leicht zu bedienenden Peak-flowMessgeräten wichtig. Die Patientinnen werden darüber aufgeklärt, bei geringgradig eingeschränktem Flow (80–100%, grüne Zone) ihre Therapie wie vereinbart fortzusetzen, bei
stärker eingeschränktem Flow (50–80%, gelbe Zone) eine vereinbarte zusätzliche Medikation einzunehmen und bei fehlendem Erfolg den behandelnden Arzt zu kontaktieren. Bei stark eingeschränktem Flow (unter 50%, rote Zone) sollen sich die Patientinnen nach Einnahme einer Notfallmedikation und nicht sofortiger Besserung des Messwertes an einen Notdienst wenden. Das fetale Monitoring besteht aus einer engmaschigen Kontrolle des fetalen Wachstums und des biophysikalischen Profils bzw. ab etwa der 32. SSW aus regelmäßigen CTG-Kontrollen. Sofern dies möglich ist, sollten exogene Allergene zumindest für den Zeitraum der Schwangerschaft aus der unmittelbaren Umgebung der Schwangeren entfernt werden. Eine Hyposensibilisierung kann, falls bereits damit begonnen wurde, in der Schwangerschaft fortgesetzt werden. Allerdings sollte wegen der Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion keine neue Therapie begonnen werden. Ein wesentliches Ziel der Asthmatherapie in der Schwangerschaft ist eine bedarfsadaptierte, sorgfältig kontrollierte Einstellung der Medikation mit dem Ziel einer Reduktion der Häufigkeit und Dauer der Asthmaanfälle. Im Rahmen der NIH-Richtlinien wurde ein stufenweiser Therapieplan für die unterschiedlichen Schweregrade von Asthma vorgeschlagen: 4 leichte Form: inhalierte β2-Sympathomimetika und Cromoglycinsäure, 4 mittelschwere Form: zusätzlich inhalierte Kortikosteroide und orales Theophyllin, 4 schwere Form: zusätzlich orale Kortikosteroide. Die genaue bedarfsorientierte Anpassung der Therapie hat zum Ziel, eine periphere Sauerstoffsättigung von über 95% aufrechtzuerhalten, da der Fetus auf eine Hypoxämie empfindlich reagiert. Im akuten Asthmaanfall werden nach Ruhigstellung der Patientin sowie Sauerstoff- und Flüssigkeitszufuhr innerhalb der ersten 60–90 min bis 3 Dosen eines inhalierten β2-Sympathomimetikums verabreicht. Falls innerhalb dieser Zeit keine ausreichende Wirkung erzielt werden kann, müssen i.v.-Kortikosteroide zusätzlich eingesetzt werden. Falls keine inhalierten β2-Sympathomimetika akut zur Verfügung stehen, kann auch Terbutalin s.c. gegeben werden. Zur Überwachung des Fetus ist eine CTG-Dauerüberwachung durchzuführen. Tipp Alle in der Asthmatherapie verwendeten Medikamente gelten als nicht teratogen, wenngleich – so wie bei allen Medikationen in der Schwangerschaft – innerhalb einer Wirkstoffgruppe älteren Präparaten, für die bereits langjährige Erfahrungen vorliegen, gegenüber erst kurz erhältlichen neuen Präparaten der Vorzug gegeben werden sollte.
Bei oraler Kortikosteroidtherapie sollte auf das Auftreten eines Gestationsdiabetes bzw. einer Präeklampsie geachtet werden.
287 16.5 · Epilepsie
Die Patientenaufklärung zielt in erster Linie darauf ab, den besprochenen bedarfsorientierten Therapieplan einzuhalten, weil erfahrungsgemäß die Compliance in der Schwangerschaft aus unberechtigten Sorgen um eine potenzielle Schädigung des Fetus gering ist. Zusätzlich sollten Ratschläge zur Vermeidung von exogenen Noxen gegeben werden, und man sollte die Patientinnen zur Einhaltung eines engmaschigen mütterlichen und fetalen Monitorings motivieren.
Spezielle Aspekte bei der Geburt Akute Exazerbationen der Asthmaerkrankung während des Geburtsvorgangs sind selten. Als vorbeugende Maßnahmen dienen eine Fortsetzung der Asthmatherapie und eine parenterale Zufuhr von Kortikosteroiden bei Patientinnen mit vorhergehender oraler Kortikosteroidtherapie, eine vorsorgliche Bereitstellung einer Notfallmedikation und die Möglichkeit einer intensivmedizinischen Betreuung. ! Prostaglandin E2 in vaginaler Verabreichungsform gilt auch bei Asthmatikerinnen als sichere Methode zur Weheninduktion, wenngleich grundsätzlich Oxytozin bevorzugt verwendet werden sollte. Prostaglandin F2α zur Uterustonisierung ist wegen der hohen Gefahr der Induktion eines Bronchospasmus kontraindiziert. Nichtsteroidale Antiphlogistika sind wegen der Gefahr einer Exazerbation ebenfalls kontraindiziert. Bei Verwendung von Opioiden sollten Präparate mit nur gering histaminliberierender Wirkung bevorzugt werden. Prinzipiell ist aber eine Epiduralanästhesie als schmerzstillende Maßnahme günstiger.
16.5
Epilepsie
Schwangere mit idiopathischer Epilepsie haben unter der Voraussetzung, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Patientinnen, Geburtshelfern, Neurologen und Pädiatern erreicht werden kann, eine gute mütterliche und kindliche Prognose. Die medikamentöse Therapie sollte als Monotherapie in möglichst niedriger, aber zur Erhaltung der Anfallsfreiheit ausreichender Dosierung durchgeführt werden. Weitere Maßnahmen wie eine Substitution mit Folsäure und den Vitaminen D und K sowie die Vermeidung von Schlafentzug sind dem günstigen Ausgang der Schwangerschaft zusätzlich förderlich. Im Rahmen der Patientenaufklärung ist auf eine erhöhte, aber insgesamt trotzdem niedrige Rate von Fehlbildungen und auf die Möglichkeit eines Fehlbildungsscreenings mit α-Fetoprotein-Bestimmung, Ultraschall und ggf. Amniozentese hinzuweisen. Die Geburt verläuft in den meisten Fällen komplikationslos, wenngleich im Notfall eine rasche intensivmedizinische Betreuung zur Verfügung stehen muss. Das Stillen ist prinzipiell möglich.
Epilepsie Epilepsien sind heterogene Erkrankungen des Gehirns, die durch plötzlich auftretende Verhaltens- und/oder Befindensstörungen gekennzeichnet sind. Die Epilepsie ist die häufigste schwere neurologische Erkrankung in der Schwangerschaft, betroffen sind 0,5–1% aller Schwangerschaften. Nur bei etwa 15% der Krampfanfälle sind Symptome einer bekannten neurologischen Grunderkrankung wie Traumata, Infektionen, raumfordernde Prozesse, metabolische Erkrankungen, Intoxikationen oder Folge einer perinatalen Hirnschädigung bekannt.
Bedeutung für Mutter und Fetus Geburtshilfliche Komplikationen sind bei Schwangeren mit Epilepsie häufiger. Neben einer erhöhten Abortrate sind eine Zunahme der Frühgeburtlichkeit, eine erhöhte Rate von Präeklampsien sowie eine erhöhte perinatale Mortalität beschrieben. Ein wesentlicher Risikofaktor sind epileptische Anfälle während der Schwangerschaft, die zu einer fetalen Hypoxie führen können. > Der Zusammenhang zwischen Epilepsie und einem erhöhten Auftreten von kongenitalen Fehlbildungen ist in der Literatur ausführlich dokumentiert. Insgesamt scheint das Risiko mit 6–8% gegenüber der Normalbevölkerung etwa 2- bis 3-fach erhöht. Das Risiko einer Fehlbildung ist bei der Verwendung von Valproinsäure am höchsten, sodass diese Substanz möglichst vermieden werden soll.
Insgesamt scheint heute auch klar, dass die Epilepsie per se zu keiner erhöhten Rate von Fehlbildungen führt, sondern diese Folge der antikonvulsiven Therapie sind. Besonders hoch ist die Fehlbildungsrate bei Kombinationstherapie mit mehreren Medikamenten. Das sog. fetale Hydantoinsyndrom tritt auf bei etwa 11% aller Feten von Müttern, die mit Antikonvulsiva behandelt werden, wobei es aber keinem bestimmten Antikonvulsivum zuzuordnen ist. Es ist charakterisiert durch vermindertes Körperwachstum, eine mentale Retardierung sowie eine Mikrozephalie mit Gesichtsdysmorphiezeichen. Untersuchungen zur Langzeitprognose ergaben ein geringes, aber nicht genauer schätzbares Risiko eines Wachstums- und Entwicklungsrückstandes sowie eines verminderten Intelligenzquotienten bei Kindern von Müttern mit Epilepsie, wobei unklar ist, ob das Risiko der Epilepsie oder der Therapie zuzuordnen ist.
16
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Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
Management Medikamentöse Therapie Klassische Medikamente 4 Carbamazepin (Tegretal, Timonil): Verschiedene Publikationen beschreiben ähnliche Fehlbildungen, wie sie unter Phenytoin beobachtet wurden: kraniofaziale Dysmorphien, Mikrozephalie, Wachstumsrestriktion, Nagelhypoplasie. Das Risiko einer Spina bifida wird auf das ca. 10-Fache (1%) des Basisrisikos beziffert. Um Gerinnungsstörungen beim Neugeborenen zu vermeiden, ist auf die Verabreichung von Vitamin K1 an das Neugeborene zu achten. Patientinnen mit Kinderwunsch unter Carbamazepin-Therapie sollten bereits präkonzeptionell Folsäure (4–5 mg/Tag) einnehmen, um das Risiko für Neuralrohrdefekte zu senken. 4 Barbiturate: Phenobarbital (Lepinal, Luminal) und Primidon (Liskantin, Mylepsinum, Resimatil): Als Nebenwirkung kann es zu einem Auftreten einer postnatalen Entzugssymptomatik bei Neugeborenen kommen. 4 Benzodiazepine: Diazepam (Valium) und Clonazepam (Rivotril): Werden nur noch selten eingesetzt. Nach Dauertherapie mit Benzodiazepinen kann es postnatal zum Auftreten von Atemdepression, Entzugssymptomen (Unruhe, Tremor, Muskelhypertonus, Erbrechen, Durchfall, Krampfanfälle) bzw. einem »floppy-infantsyndrome« (Lethargie, Muskelhypotonie, Trinkschwäche, Hypothermie) kommen. 4 Valproinsäure (Ergenyl, Orfiril) ist gut plazentagängig, und es sind unter dieser Medikation zahlreiche Fehlbildungen beschrieben (Gesichtsdysmorphien, Mikrozephalie, Mikrognathie, somatische und psychomotorische Retardierungen, Extremitäten- und Herzanomalien). Das Risiko für Neuralrohrdefekte ist 20-fach erhöhte, wobei eine Dosisabhängigkeit besteht. Bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft sollte interdisziplinär mit dem betreuenden Neurologen die Umstellung auf ein erprobtes Alternativmedikament erfolgen.
16
Das Fehlbildungsrisiko von neueren Medikamenten ist noch nicht abschätzbar. Im Tierversuch sind Fehlbildungen mit den neueren Medikamenten seltener beobachtet worden. 4 Lamotrigin (Lamictal): (2,5–5 mg/Tag). Bislang gibt es keine eindeutigen Hinweise für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Eine Umstellung der Medikation ist daher nicht erforderlich. 4 Ethosuximid (Anomali Petnidan, Suxilep, Suxinutin) wirkt nur bei Petit-mal-Anfällen, es gibt bisher relativ wenige Erfahrungen über den Einsatz während der Schwangerschaft. 4 Auch für Gabapentin, Topiramat, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Tiagabin und Topiramat reichen die vorliegenden Daten für eine fundierte Bewertung zu den Risiken in der menschlichen Schwangerschaft noch nicht aus.
Ein Auslassversuch präkonzeptionell ist gerechtfertigt, wenn >2 Jahre eine Anfallsfreiheit besteht. Eine Schwangerschaft sollte erst nach mindestens 1/2 Jahr Anfallsfreiheit ohne Therapie eintreten, ansonsten ist die medikamentöse Therapie auch während der Schwangerschaft fortzuführen. Eine Umstellung auf eine Monotherapie sollte präkonzeptionell erfolgen. Die Einstellung soll mit der niedrigst möglichen Dosierung erfolgen, wobei durch mehrmalige über den Tag verteilte Gaben hohe Serumspiegel vermieden werden können. Eine antiepileptische Dauertherapie muss während der Schwangerschaft unverändert fortgesetzt werden. Anfallshäufungen während der Schwangerschaft sind hauptsächlich auf eine fehlerhafte Compliance (eigenständige Reduzierung der Dosis aus Sorge vor Fehlbildungen) zurückzuführen. Bei fehlender Compliance müssen die Serumspiegel der Schwangeren (freie Serumspiegel der Medikamente) in m onatlichen Abständen kontrolliert werden, wobei die schwangerschaftsbedingten Veränderungen der Pharmakokinetik (Reduzierung des freien Medikamentenspiegels durch hormonelle Induktion von Leberenzymen, erhöhte Proteinbindung) zu berücksichtigen sind. Tipp Wegen des bekannten Einflusses von Antiepileptika auf den Folsäurestoffwechsel (Carbamazepin, Valproinsäure) sollte bereits präkonzeptionell eine Folsäuregabe in hoher Dosis (4 mg/Tag) erfolgen, um das Risiko für Neuralrohrdefekte zu reduzieren. Zusätzlich sind Nebenwirkungen von Antikonvulsiva auf das Neugeborene (Entzugssymptome) zu beachten. Wegen des erhöhten Auftretens von Fehlbildungen in der Schwangerschaft sollte die Möglichkeit eines Fehlbildungsscreenings mit α-Fetoprotein-Bestimmung, Ultraschall und ggf. Amniozentese in Anspruch genommen werden.
Der in mehreren Arbeiten beschriebene Effekt der Antiepiletika auf den Vitamin-K-Metabolismus des Neugeborenen konnte in einer prospektiven Studie nicht nachgewiesen werden (Kaaja et al. 2002).
Spezielle Aspekte bei der Geburt Im Allgemeinen kann unter der Voraussetzung, dass die Möglichkeit der Schnittentbindung sowie der maternalen und neonatalen Intensivbetreuung besteht, eine vaginale Geburt angestrebt werden. Tipp Wegen der verminderten Resorption oraler Antikonvulsiva während der Geburt sollte besonders bei einem protrahierten Geburtsverlauf der Wirkstoffspiegel durch parenterale Gaben des jeweiligen Medikaments aufrechterhalten werden. (Wenn die gewohnte Medikation mit Präparaten erfolgt, die nur in oraler Verabreichungsform zur Verfügung stehen, kann durch parenterale Gaben von Phenytoin oder Benzodiazepinen ein Anfall verhindert werden).
289 16.6 · Traumata
Beim ersten Auftreten eines Krampfanfalls in der Schwangerschaft ist die Unterscheidung zwischen Epilepsie und Eklampsie nicht immer möglich. Im Zweifelsfall sollte ein eklamptischer Anfall angenommen und das geburtshilfliche Management danach ausgerichtet werden. Ein Status epilepticus während der Geburt stellt wegen der begleitenden mütterlichen und fetalen Hypoxie einen Notfall dar, der eine maternale und neonatale intensivmedizinische Betreuung notwendig macht. Die Patientin sollte zur Vermeidung eines V.-cava-Kompressionssyndroms seitlich gelagert werden und zur Unterdrückung des Anfalls eine rasche intravenöse Gabe Phenytoin, alternativ Benzodiazepine oder Phenobarbital erhalten. Sobald wie möglich sollte ein sorgfältiges Monitoring von Mutter und Kind mit Pulsoxymeter und kontinuierlicher CTG-Überwachung erfolgen, um eine maternale oder fetale Hypoxie oder eine Plazentalösung rasch erkennen und entsprechend reagieren zu können.
Antiepileptika und Stillen Obwohl alle gebräuchlichen Antiepileptika in die Muttermilch übertreten, ist Stillen prinzipiell nicht kontraindiziert. Bei Verwendung von Medikamenten mit sedierender Wirkung wie Primidon, Phenobarbital oder Benzodiazepinen ist auf eine Sedierung sowie bei Absetzen der Medikation auf eine evtl. auftretende Entzugssymptomatik des Neugeborenen zu achten.
Prävention Eine Beratung von Epilepsiepatientinnen vor der Schwangerschaft ist empfehlenswert, um eine optimale Kontrolle der Anfallshäufigkeit bei möglichst geringen Nebenwirkungen erreichen zu können. Im Rahmen des Beratungsgespräches sollte erwähnt werden, dass Schwangerschaften bei Epilepsie i. Allg. komplikationslos verlaufen. Allerdings muss auf ein geringgradig erhöhtes Risiko von kongenitalen Fehlbildungen hingewiesen werden. Darüber hinaus besteht aus bisher nicht geklärter Ursache ein etwa 4-fach erhöhtes Risiko von Krampfanfällen bei Kindern von Müttern mit Epilepsie. Vor der Schwangerschaft sollte durch sorgfältige Einstellung der Antikonvulsivadosis und eine Umstellung auf Monotherapie Anfallsfreiheit – im Idealfall eine anfallsfreie Periode von mehreren Monaten – erreicht werden. Bei einer bereits bestehenden Anfallsfreiheit von mehreren Jahren lässt sich auch ein schrittweises Absetzen der Antikonvulsiva vor der Schwangerschaft erwägen; allerdings kommt es im Verlauf der Schwangerschaft bei bis zu 50% dieser Patientinnen zu einem Rückfall. Schließlich sollte empfohlen werden, in der Schwangerschaft ausreichend zu ruhen und zu schlafen, um eine Steigerung der Anfallshäufigkeit durch Schlafmangel zu vermeiden.
16.6
Traumata
Traumata zählen zu den wichtigsten nicht geburtshilflich bedingten Todesursachen von Schwangeren. Unter diesen sind stumpfe Bauchtraumata, meist Folge von Verkehrsunfällen, besonders hervorzuheben. Obwohl direkte Verletzungen von Gebärmutter und Fetus die Ausnahme sind, ist die kindliche Mortalität durch die infolge eines Traumas häufige vorzeitige Plazentalösung hoch. Für das erfolgreiche Management ist die enge Kooperation zwischen Traumatologen und Geburtshelfern wichtig, um nach der Durchführung der lebensnotwendigen Sofortmaßnahmen und der maternalen Evaluation auch eine frühzeitige fetale Evaluation vornehmen zu können. Primär erfolgt eine ausführliche sonographische Diagnostik, um eine vorzeitige Plazentalösung, Hämatome und freie intraabdominelle Flüssigkeit zu erfassen. Zusätzlich erfolgt eine CTG-Dauerüberwachung über 4–6 h. Die wichtigste präventive Maßnahme gegen Bauchtraumata in der Schwangerschaft ist das korrekte Anlegen von Sicherheitsgurten im Auto. Bei mütterlichem Herz-Kreislauf-Stillstand muss bei Nachweis der Vitalität und Lebensfähigkeit des Fetus auch die Möglichkeit einer Peri-mortem-Sectio in Betracht gezogen werden. Schwere Verbrennungen sind seltene, wegen des begleitenden massiven Flüssigkeits- und Elektrolytverlusts und des hohen Infektionsrisikos aber ernste Ereignisse mit schlechter kindlicher Prognose.
Inzidenz Schwere traumatische Ereignisse stellen die häufigste Todesursache bei Frauen im reproduktiven Alter dar und sind in der Schwangerschaft für 20% der nicht geburtshilflich bedingten mütterlichen Todesfälle verantwortlich.
Anatomische und physiologische Besonderheiten Die anatomischen Veränderungen in der Schwangerschaft führen zu einer Veränderung der Prädilektionsstellen von Bauchtraumata. Durch die Vergrößerung der Gebärmutter und die kraniale Verlagerung der Harnblase kommt es zu einer häufigeren Verletzung dieser Organe. Umgekehrt sind Darmverletzungen durch die Verdrängung des Darms in den Oberbauch seltener, wenngleich bei einer Verletzung des Oberbauchs meist mehrere Darmschlingen betroffen sind. Unter den Bauchtraumata sind stumpfe Bauchtraumata weit häufiger als spitze. Die häufigsten Ursachen sind: 4 Verkehrsunfälle (50–60%), 4 Stürze (20%), 4 tätliche Angriffe (20%). Infolge stumpfer Bauchtraumata kommt es nur selten zu direkten Verletzungen des Fetus, da dieser durch Gebärmutter und Fruchtwasser gut geschützt ist. Die fetale Mortalität bei stumpfen Bauchtraumata ist v. a. durch eine vorzeitige Plazentalösung bedingt. Neben der direkten fetalen Verletzung ist auch eine Gebärmutterruptur durch den muskulären Aufbau der Gebärmutter selten. Eine Ausnahme stellen hierbei Beckenfrakturen dar, in deren Folge es zu direkten Verletzungen von Gebär-
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Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
mutter und Fetus, zu einer vorzeitigen Plazentalösung sowie zu Verletzungen der Harnwege kommen kann. Im Falle einer Gebärmutterruptur kann es, bedingt durch die vermehrte Durchblutung des schwangeren Uterus, zu starken abdominellen (und meist geringeren vaginalen) Blutungen kommen. Die Rate an vorzeitigen Plazentalösungen liegt bei leichten bzw. schweren Traumata bei 1–5% bzw. bei 40–50%. Dazu korrespondierend wurde eine kindliche Mortalität von 1–5% bzw. 40– 50% beobachtet. Nachdem leichte Traumata weitaus häufiger als schwere Traumata sind, sind die meisten kindlichen Todesfälle Folgen leichter Traumata! Ausgedehnte Verbrennungen in der Schwangerschaft sind seltene Ereignisse. Die mütterliche und fetale Prognose ist vom Ausmaß der von der Verbrennung betroffenen Körperoberfläche abhängig. So ist ab einem Anteil der verbrannten Körperoberfläche von über 30% mit einer fetalen Mortalität von über 50% zu rechnen. Für diese schlechte fetale Prognose dürfte in erster Linie der im Rahmen von schweren Verbrennungen auftretende massive Flüssigkeits- und Elektrolytverlust sowie infektiöse Komplikationen verantwortlich sein.
Management Bei der Behandlung von Traumata in der Schwangerschaft steht die rasche maternale Evaluation und hämodynamische Stabilisierung im Vordergrund. An sie schließt die fetale Evaluation an, um eine schnelle Entscheidung über das weitere geburtshilfliche Vorgehen treffen zu können. Die weitere Therapie richtet sich nach Art und Ausmaß der einzelnen Verletzungen.
Lebensnotwendige Erstmaßnahmen Die primäre kardiopulmonale Reanimation wird in gleicher Weise wie bei Nichtschwangeren durchgeführt, wenngleich auch eine frühzeitige fetale Evaluation zur Entscheidung über die Durchführung einer Peri-mortem-Sectio (7 unten) vorgenommen werden sollte.
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> Zur Einschätzung der hämodynamischen Situation ist zu beachten, dass es in der Schwangerschaft zu einer 18- bis 30%igen Zunahme des Erythrozytengesamtvolumens kommt und das rote Blutbild sich durch eine gleichzeitige 50%ige Zunahme des Plasmavolumens, aber niedrigere Normalwerte (Hkt 32– 34%, Hb 10,5–11 g/dl) auszeichnet. Dieser hypervolämische Zustand führt zu einer erhöhten Toleranz gegenüber Blutverlusten. So sind hämodynamische Reaktionen wie Tachykardie und Hypotonie erst bei Blutverlusten von 1500–2000 ml zu erwarten, während sie bei Nichtschwangeren bereits bei Blutverlusten von 500–1000 ml auftreten. Umgekehrt ergibt sich daraus ein erhöhter Volumenbedarf von 3 ml Ringer-Lösung pro ml geschätzten Blutverlust zur Wiederherstellung der physiologischen Ausgangssituation.
Eine rasche Volumensubstitution ist wichtig, um eine Zentralisierung des Kreislaufs, die zwar die Versorgung der lebensnotwendigen mütterlichen Organe sichert, aber zu einer Reduktion der Plazentaperfusion führt, zu verhindern. Zur Vermeidung eines V.-cava-Syndroms mit einer Reduktion des
zentralen Rückstroms von Blut ist streng auf eine Linksseitenlagerung zu achten. Im Rahmen der lebensnotwendigen Erstmaßnahmen sollte des Weiteren zur Verhinderung einer Aspiration eine Magensonde gelegt werden, da wegen der in der Schwangerschaft verringerten Magenmotilität und verzögerten Magenentleerung Nüchternheit nicht voraussetzbar ist. Aus dem gleichen Grund ist die präoperative Gabe von Antazida empfehlenswert. Die Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution steht auch im Fall von ausgedehnten Verbrennungen im Vordergrund. Zusätzlich sollte wegen des hohen Infektionsrisikos unverzüglich mit einer breiten antibiotischen Abschirmung begonnen werden.
Maternale Evaluation Im Rahmen der maternalen Evaluation sollte ein rascher orientierender physikalischer Status vorgenommen werden, wobei das Hauptaugenmerk auf Zeichen einer Verletzung innerer Organe oder Knochenverletzungen zu richten ist. Daneben ist auch auf äußere Zeichen einer vorzeitigen Plazentalösung (Tonisierung der Gebärmutter, Wehentätigkeit, vaginale Blutung) zu achten.
Fetale Evaluation Die fetale Evaluation sollte mit einer Ultraschalluntersuchung (idealerweise mit einem Dopplerultraschallgerät) auf positive fetale Lebenszeichen begonnen werden. Darüber hinaus sollten eine Messung der fetalen Herzfrequenz, die Überprüfung der Integrität von Plazenta und Fruchtblase und eine Überprüfung der fetalen Lebensfähigkeit durch eine orientierende Biometrie erfolgen. Nach Durchführung der lebensnotwendigen Sofortmaßnahmen sollte eine kontinuierliche CTG-Überwachung zur Evaluation der uteroplazentaren Perfusion durchgeführt werden, da selbst bei hämodynamischer Stabilisierung des mütterlichen Kreislaufs eine uteroplazentare Minderperfusion möglich ist. Als Zeichen einer fetalen Minderperfusion sind eine fetale Tachykardie, Bradykardie, späte Dezelerationen sowie eine verminderte Herzfrequenzvariabilität zu werten. Darüber hinaus kann das CTG auch zur Beurteilung des mütterlichen Zustands verwendet werden, weil es ein sensibler Marker der mütterlichen Hämodynamik ist. Das CTG ist, was die kindliche Prognose betrifft, ein sensiblerer Verlaufsparameter als die klinischen Symptome, die wiederum einen guten negativen Vorhersagewert haben. Tipp Zum Ausschluss einer Plazentalösung, die in den meisten Fällen unmittelbar nach dem Trauma, aber auch bis 48 h nach dem Trauma auftreten kann, sollte zunächst eine kontinuierliche CTG-Überwachung über 4–6 h erfolgen. Bei schweren mütterlichen Traumata oder bei Auffälligkeiten wie Wehentätigkeit, vaginaler Blutung oder Blasensprung sollte die kontinuierliche CTG-Überwachung fortgesetzt werden.
291 16.6 · Traumata
Weiterführende Diagnostik und Therapie Röntgenaufnahmen sind bei Bedarf zur Abklärung mütterlicher Verletzungen indiziert, wenngleich sie möglichst unter Abschirmung des Fetus durchgeführt werden sollten. Das Risiko potenzieller Strahlenschäden des Fetus, wie Fehlbildungen, Wachstumsrestriktion und neonatale Malignome, ist v. a. in der Zeit der Organogenese, also etwa 2–7 Wochen nach der Konzeption, am größten. Insgesamt besteht aber bei Einzelröntgenaufnahmen nur ein geringes und erst bei aufwendigeren Untersuchungen wie etwa einer Computertomographie ein zunehmendes Risiko für fetale Schäden. Der Ausschluss einer intraabdominellen Blutung erfolgt mit der Sonographie, da Schwangere gegenüber Nichtschwangeren eine nur gering ausgeprägte peritoneale Symptomatik zeigen. Die weiteren therapeutischen Maßnahmen sind von den einzelnen Verletzungen abhängig und werden in gleicher Weise wie bei Nichtschwangeren durchgeführt. Zur Verhinderung einer vorzeitigen Wehentätigkeit ist eine Tokolyse indiziert. Sie sollte allerdings erst nach Stabilisierung des mütterlichen Kreislaufs begonnen werden. Besonderes Augenmerk sollte man auch auf die Überwachung der mütterlichen Blutgerinnung richten, da in der Schwangerschaft ein erhöhtes Thromboserisiko besteht. Darüber hinaus ist die Gefahr einer disseminierten intravasalen Gerinnung durch Freisetzung von thromboplastischen Substanzen (z. B. bei vorzeitiger Plazentalösung) erhöht.
Idealerweise sollte die Sectio innerhalb von 4 min nach dem mütterlichen Kreislaufstillstand erfolgen, weil trotz einer intrauterinen Asphyxie über diesen Zeitraum ein gesundes Kind geboren werden kann. Nachdem aber über das Überleben von Kindern auch nach einer Zeitspanne von 15–20 min hinaus berichtet worden ist, sollte bei positiven fetalen Lebenszeichen auch zu jedem späteren Zeitpunkt der Versuch gemacht werden, das Kind lebend zu entwickeln. Die mütterlichen Wiederbelebungsmaßnahmen müssen während der Schnittentbindung fortgesetzt werden. Kontraindikationen für eine Peri-mortem-Sectio sind: 4 hämodynamisch instabiler Zustand der Mutter ohne Herz-Kreislauf-Stillstand (durch den Eingriff würde die mütterliche Prognose verschlechtert), 4 Zustand nach erfolgreicher Reanimation – auch mit Zeichen einer verminderten Plazentadurchblutung–, da die Wahrscheinlichkeit einer spontanen intrauterinen Reanimation des Fetus groß ist.
Beratung von Gewaltopfern Obwohl Traumata als Folge direkter menschlicher Gewalteinwirkung in der Häufigkeit nicht an erster Stelle liegen, wird an dieser Stelle auf dieses zunehmend wichtiger werdende Problem hingewiesen, da dem Frauenarzt als primärem Ansprechpartner von Schwangeren eine besondere Rolle bei der Erkennung und Beratung von Gewaltopfern zukommt.
Fetomaternale Hämorrhagie
Prävention
Bei Bauchtraumata kommt es in etwa 25% der Fälle zum Übertritt von kindlichen Erythrozyten in das mütterliche Blut (im Durchschnitt etwa 15 ml, in 90% der Fälle <30 ml) und damit bei rhesusnegativen Müttern zur Gefahr der Sensibilisierung.
> Die wichtigste präventive Maßnahme gegen stumpfe Bauchtraumata in der Schwangerschaft ist das Tragen von Sicherheitsgurten im Auto.
Tipp Zur Abklärung des Ausmaßes der fetomaternalen Hämorrhagie kann das transfundierte Volumen durch Zählen von kernhaltigen fetalen Erythrozyten im mütterlichen Blut mit folgender Formel geschätzt werden: 4 Transfundiertes Volumen = kernhaltige/kernlose Erythrozyten × mütterliches Gesamterythrozytenvolumen Als Sensibilisierungsprophylaxe werden 300 μg Anti-DImmunglobulin pro 30 ml transfundiertes Volumen verabreicht.
Obwohl bei einem Verkehrsunfall der Schutzeffekt durch das Tragen von Gurten das Risiko möglicher Verletzungen durch den Gurt bei weitem überwiegt, werden Gurte trotzdem oft aus Angst vor einer möglichen Verletzung des Fetus nicht angelegt. Die wenigen Fallbeschreibungen von schweren fetalen Verletzungen durch Sicherheitsgurte betreffen allerdings nur die heute nicht mehr verwendeten horizontal über den Bauch führenden Zweipunktgurte und nicht die heute üblichen Dreipunktgurte. Richtig angelegt verläuft der Gurt oberhalb und unterhalb des Bauches und nicht quer über den schwangeren Bauch (7 Kap. 13.8). Tipp
Peri-mortem-Sectio Bei mütterlichem Herz-Kreislauf-Stillstand muss nach Beginn der kardiopulmonalen Reanimation die Entscheidung über eine Peri-mortem-Sectio als Notmaßnahme zur Rettung des Fetus getroffen werden. Voraussetzungen für eine Perimortem-Sectio sind: 4 Nachweis von positiven fetalen Lebenszeichen (positive Herzaktion, Bewegung), 4 Nachweis der Lebensfähigkeit des Fetus durch eine biometrische Schätzung des Gestationsalters.
Um das Risiko einer potenziellen Verletzung zu vermindern, wird empfohlen, den Gurt so anzulegen, dass der untere, horizontale Gurt in Leistenhöhe und der obere, schräge Gurt über dem Fundus uteri zu liegen kommt.
16
292
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
16.7
Appendizitis
Die Appendizitis ist die häufigste nicht geburtshilfliche Indikation für einen chirurgischen Eingriff in der Schwangerschaft. Wegen der in der Schwangerschaft erschwerten Diagnose und der abwartenden Haltung gegenüber chirurgischen Eingriffen wird häufiger eine perforierte Appendizitis diagnostiziert als bei Nichtschwangeren. Da diese mit einer erhöhten fetalen Mortalität einhergeht, ist die genaue diagnostische Abklärung und eine ohne Zeitverzögerung durchgeführte Appendektomie wichtig. Bei der Diagnosestellung ist die veränderte Lage der Appendix, die meist schwach ausgebildete peritoneale Reaktion und die physiologische Leukozytose zu beachten. Prinzipiell kann auch nach erfolgter Appendektomie eine vaginale Geburt angestrebt werden. Allerdings ist bei perforierter Appendizitis und fortgeschrittener Schwangerschaft die Kaiserschnittentbindung anzuraten.
Epidemiologie Mit einem Auftreten von etwa 1/1500 Schwangerschaften stellt die Appendizitis die häufigste nicht geburtshilfliche Indikation für einen bauchchirurgischen Eingriff während der Schwangerschaft dar. Sie tritt am häufigsten im 2. Trimenon (etwa 50% der Fälle) auf. Der Anteil an perforierten Appendizitiden ist, bedingt durch die erschwerte Diagnose und die in der Schwangerschaft abwartendere Haltung gegenüber chirurgischen Eingriffen, mit etwa 25% aller Fälle wesentlich größer als bei Nichtschwangeren. Perforierte Appendizitiden treten gehäuft im 3. Trimenon (etwa 70% der Fälle) auf.
Bedeutung für Mutter und Fetus
16
Die mütterliche Mortalität bei einer Appendizitis in der Schwangerschaft ist heutzutage durch eine rasche chirurgische Intervention und eine begleitende Antibiotikatherapie auf unter 1% zurückgegangen. Im Vergleich dazu wurde die fetale Mortalität weiterhin als hoch beschrieben und lag bei Appendizitiden insgesamt bei etwa 9% (ohne Perforation 5%, mit Perforation 19%). In neuren Fallreihen liegen diese Werte deutlich niedriger und sind v. a. Appendizitiden im 1. Trimenon zuzuschreiben. Vorzeitige, durch Appendizitis bedingte Wehen werden in etwa 6% aller Fälle gesehen (ohne Perforation 1%, mit Perforation 22%).
Befunde Obwohl die Appendix im Laufe der Schwangerschaft nach kranial verlagert wird und in der 20. SSW im rechten Mittelbauch, ungefähr in Nabelhöhe, zu liegen kommt, ist der Schmerz im rechten Unterbauch das verlässlichste diagnostische Zeichen der Appendizitis in der Schwangerschaft. Die für die Appendizitis typische umschriebene peritoneale Symptomatik wird in der Schwangerschaft seltener als bei Nichtschwangeren beobachtet. Wegen der verstärkten Lymphdrainage in den in der Schwangerschaft besser durchbluteten Beckeneingeweiden, Braxton-Hicks-Kontraktionen und der fehlenden Bedeckung der Appendix durch das große Netz oder die Bauchdecke kommt es seltener zu einer Abkapselung des entzündlichen Prozesses, sondern eher zu einer diffusen Peritonitis. Die bei einer Peritonitis auftretende Abwehrspannung der Bauchmuskulatur ist dabei durch den schlafferen Zustand der Bauchmuskulatur in der Schwangerschaft vermindert. > Eine begleitende Leukozytose ist durch die in der Schwangerschaft erhöhten Normalwerte von Leukozyten (6000–16.000/mm3; bis zu 30.000/mm3 bei Wehentätigkeit) wenig spezifisch. Umgekehrt ist allerdings bei Werten unter 10.000 Leukozyten/mm3 eine Appendizitis unwahrscheinlich.
Da die Körpertemperatur bei nichtperforierter Appendizitis meist unter 38°C liegt, kann Fieber als Symptom einer perforierten Appendizitis angesehen werden.
Spezielle Diagnostik Zur weiterführenden Diagnostik kann eine Ultraschalluntersuchung hilfreich sein. Sie ermöglicht die Darstellung weiterer Appendizitiszeichen (die allerdings nicht immer darzustellen sind) sowie den Ausschluss tuboovarieller und uteriner Prozesse.
Differenzialdiagnose Die in der Schwangerschaft wesentlich unspezifischere Symptomatik der Appendizitis erfordert eine genaue Differenzialdiagnose zum Ausschluss von anderen geburtshilflich und nicht geburtshilflich bedingten Ursachen der Beschwerden (7 Übersicht).
Evaluation Die Diagnose der Appendizitis wird in der Schwangerschaft in gleicher Weise wie bei Nichtschwangeren gestellt. Allerdings sind die für die Appendizitis typischen Symptome durch die physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft verschleiert.
Anamnese Die im Initialstadium der Appendizitis wichtigen Symptome der Appetitlosigkeit und der Übelkeit bzw. des Erbrechens sind in der Schwangerschaft, besonders im 1. Trimenon, häufig und daher wenig spezifisch.
Differenzialdiagnose der Appendizitis Geburtshilfliche Differenzialdiagnosen 4 Vorzeitige Wehentätigkeit 4 Vorzeitige Plazentalösung 4 Chorioamnionitis 4 Degenerative Prozesse in Myomen 4 Stielgedrehte Adnexe 4 Extrauteringravidität 4 »Pelvic inflammatory disease« 4 Dehnungsschmerz des Lig. rotundum
6
293 16.8 · Nieren- und Harnwegerkrankungen
Nicht geburtshilfliche Differenzialdiagnosen 4 Pyelonephritis 4 Nierenkolik 4 Cholezystitis 4 Obstruktive Darmerkrankungen 4 Pankreatitis 4 Gastroenteritis 4 Hernien
Harnkonkremente treten in der Schwangerschaft nicht häufiger als bei Nichtschwangeren auf. Aufgrund der physiologischen Dilatation der Ureteren gehen sie meist spontan ab, sodass nur selten eine operative Entfernung notwendig ist. Akute Glomerulonephritiden sind sehr selten und prognostisch günstig. Die Prognose von chronischen Glomerulonephritiden ist vom Ausmaß der Proteinurie, Hypertonie und Azotämie abhängig. Fälle mit begleitender Hypertonie, besonders aber mit pathologischer Stickstoffretention, sind prognostisch ungünstig. Bei allen Verlaufsformen sollte auf das Auftreten einer Pfropfpräeklampsie geachtet werden.
Management Aufgrund der deutlich schlechteren fetalen Prognose bei Perforation der Appendix ist nach dem Grundsatz von Babler (1908): »The mortality of appendicitis complicating pregnancy is the mortality of delay« eine zeitgerechte Appendektomie wesentlich. Die Indikation zur Appendektomie muss wegen der unklareren Symptomatik in der Schwangerschaft großzügigerer als bei Nichtschwangeren gestellt werden. Die Appendektomie sollte – nach Ausschluss aller Differenzialdiagnosen – ohne Zeitverzögerung durchgeführt werden.
Allgemeine therapeutische Maßnahmen Die Appendektomie wird in der Schwangerschaft in gleicher Weise – allerdings in Linksseitenlage und unter Beachtung der geänderten anatomischen Verhältnisse – wie bei Nichtschwangeren durchgeführt. Zur Vermeidung von vorzeitigen Wehen sollten Manipulationen an der Gebärmutter auf das notwendige Minimum beschränkt werden. Perioperative Tokolyse und antibiotische Abschirmung sind anzuraten. Ein intraoperatives fetales Monitoring ist empfehlenswert und sollte auch nach dem Eingriff fortgesetzt werden. Tipp Bei perforierter Appendizitis und fortgeschrittener Schwangerschaft ist wegen der Gefahr eines intrauterinen Fruchttodes durch die im Rahmen des toxischen Geschehens zirkulierenden Endotoxine eine gleichzeitige Kaiserschnittentbindung empfehlenswert. Diese sollte vor der Versorgung der Appendix durchgeführt werden. In Fällen von nicht perforierter Appendizitis ist nach erfolgter Appendektomie prinzipiell eine vaginale Geburt anzustreben.
16.8
Nieren- und Harnwegerkrankungen
Die physiologische Dilatation des Nierenhohlraumsystems und der Ureteren und die verminderte Kontraktilität der Ureteren in der Schwangerschaft werden als prädisponierende Faktoren zur Entstehung von aufsteigenden Infektionen angesehen. Diese können in der Form einer asymptomatischen Bakteriurie unbemerkt über längere Zeit bestehen, um dann häufig in eine symptomatische Infektion überzugehen. Wegen der erhöhten kindlichen Morbidität und Mortalität sind alle – auch die asymptomatischen – Infektionen antibiotisch zu behandeln und in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren.
Im Folgenden werden die Infektionen der Harnwege, die unter den Nieren- und Harnwegerkrankungen von größter praktischer Bedeutung sind, ausführlicher behandelt. Die Beteiligung der Nieren im Rahmen der Präeklampsie wird in 7 Kap. 17 besprochen. Zur Beurteilung der Nieren- und Harnwegerkrankungen in der Schwangerschaft ist die Kenntnis der physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft wichtig. Morphologische Veränderungen betreffen in erster Linie die auf hormonelle Einflüsse zurückgeführte Dilatation des Nierenhohlraumsystems und der Ureteren. Gemeinsam mit der verminderten Kontraktilität der Ureteren werden diese Veränderungen als prädisponierende Faktoren zur Entstehung von aszendierenden Infektionen angesehen. Funktionelle Änderungen der Nierenfunktion, die durch eine erhöhte Nierendurchblutung und glomeruläre Filtration sowie durch eine Änderung der tubulären Funktion gekennzeichnet sind, führen zu einer veränderten Zusammensetzung des Primärharns. Im Urin Schwangerer besteht eine relative Glukosurie und Proteinurie, und es sind vermehrt Leukozyten und Erythrozyten zu finden.
16.8.1
Asymptomatische Bakteriurie, Zystitis, Pyelonephritis
Asymptomatische Bakteriurie (ASB) Eine asymptomatischen Bakteriurie besteht bei einer Keimzahl von >100.000 Keimen/ml Mittelstrahl- oder Katheterharn. Klinische Symptome, Entzündungszeichen sowie anamnestische Hinweise auf eine Entzündung der Harnwege fehlen.
Die Häufigkeit der ASB beträgt etwa 2% bei jungen Erstgebärenden und steigt bei älteren Mehrgebärenden auf bis zu 10% an. Im Gegensatz zur ASB außerhalb der Schwangerschaft ist die Behandlung in der Gravidität außerordentlich wichtig. Die ASB geht bei Nichtbehandlung zu 30–50% in eine symptomatische Harnweginfektion, in etwa 25% in eine akute Pyelonephritis über, wobei diese fast ausschließlich im 2. und 3. Trimenon sowie postpartal auftritt. Darüber hinaus werden die Schwangerschaftsverläufe bei bakteriurischen Frauen häufig kompliziert durch: 4 Frühgeburten, 4 mütterliche und kindliche Infektionen,
16
294
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
4 Präeklampsien, 4 erhöhte perinatale Mortalität. Im Laufe der Gravidität erkranken etwa 1% aller Schwangeren an einer manifesten Zystitis und etwa 1–2% an einer akuten, meist einseitigen, häufiger rechts auftretenden Pyelonephritis. Die Diagnose ist aus dem Urinbefund, der charakteristischen klinischen Symptomatik wie Dys- und Pollakisurie sowie bei Pyelonephritiden zusätzlich Flankenschmerz und intermittierende Fieberschübe zu stellen. Allerdings verlaufen 2/3 aller Pyelonephritiden symptomarm und afebril und machen sich nur durch ein allgemeines Krankheitsgefühl, Übelkeit, Erbrechen und leichte Flankenschmerzen, die bei Bettruhe und Lagerung auf die andere Seite wieder abklingen, bemerkbar. Wegen ihrer Symptomarmut bleiben diese Verlaufsformen oft unbeachtet und sind daher in besonderem Maße mit den oben beschriebenen mütterlichen und kindlichen Komplikationen verbunden. Nach der diagnostischen Sicherung eines Harnweginfekts mittels Teststreifen und Harnsediment sollte man unverzüglich mit einer antibiotischen Therapie beginnen. Vor Therapiebeginn sollte in jedem Fall eine Urinkultur eingesandt werden, um die Wirksamkeit der eingeleiteten Therapie zu überprüfen und ggf. das Antibiotikum umzustellen. Tipp
16
Die Antibiotika der Wahl sind Penicillinderivate und (bei Penicillinallergie) Cephalosporine. Die Dauer der Behandlung einer ASB bzw. Zystitis wird in der Literatur sehr unterschiedlich empfohlen und reicht von 3–10 Tagen. Bei Pyelonephritis sollte eine hoch dosierte intravenöse Therapie über 7–14 Tage begonnen werden. Nach Absetzen der Antibiotika werden bakteriologische Kontrollen im Abstand von etwa 2 Wochen empfohlen, um das Wiederauftreten einer Bakteriurie sofort zu erfassen und zu behandeln. Bei häufigen Rezidiven wird eine Langzeittherapie mit niedrig dosierten Nitrofurantoinpräparaten bis zum Ende der Schwangerschaft empfohlen. In Ausnahmefällen kann bei therapieresistenter Pyelonephritis auch eine perkutane Nephrostomie, die bis zur Geburt bestehen bleibt, durchgeführt werden.
16.8.2
Urolithiasis
Die Häufigkeit von Harnkonkrementen ist in der Schwangerschaft gegenüber dem nichtgraviden Zustand nicht erhöht. Das Vorliegen von Harnkonkrementen wird bei Auftreten von kolikartigen Schmerzen im Flankenbereich, die nach unten ziehen, vermutet und kann durch Nachweis von Erythrozyten im Harn und eine Ultraschalluntersuchung der Nieren und ableitenden Harnwege erhärtet werden. Dabei ist zu beachten, dass die Ureteren in der Schwangerschaft physiologisch erweitert sind und der Nachweis von Konkrementen im Ultraschall unzuverlässig ist. Mitunter findet sich eine gleichzeitige Infektion der Harnwege; die Abgrenzung zur Pyelonephritis kann dadurch er-
schwert sein. Weiterführende diagnostische Maßnahmen wie röntgenologische Untersuchungen sind in der Schwangerschaft i. Allg. kontraindiziert. Durch die physiologische Dilatation der Harnwege kommt es oft zu einem Spontanabgang der Konkremente, sodass eine operative Entfernung mittels Schlinge nur in seltenen Fällen notwendig ist. Tipp Als therapeutische Maßnahme werden ausreichend Flüssigkeitszufuhr und eine symptomatische Therapie mit Spasmolytika empfohlen.
16.8.3
Andere Nierenerkrankungen
Akute Glomerulonephritis. Eine akute Glomerulonephritis während der Schwangerschaft ist sehr selten und sowohl aus mütterlicher als auch aus kindlicher Sicht prognostisch günstig. Die Therapie unterscheidet sich nicht von der Nichtschwangerer. Chronische Glomerulonephritis. Die Diagnose einer chronischen Glomerulonephritis in der Schwangerschaft ist aufgrund der fehlenden morphologischen Kriterien schwer zu stellen. Prognostisch ist die Einteilung in 3 Schweregrade, abhängig vom Ausmaß der Proteinurie, Hypertonie und Azotämie hilfreich: 4 Patientinnen mit manifester Proteinurie ohne Hypertonie und ohne Azotämie haben ein geringes Risiko einer Verschlechterung des Grundleidens. Auf das Auftreten einer Pfropfpräeklampsie muss geachtet werden. 4 Fälle mit manifester Proteinurie und Hypertonie sind in hohem Maße für eine Präeklampsie prädisponiert. Tritt die Komplikation relativ früh auf, so ist die perinatale Mortalität hoch. Eine Verschlechterung der Nierenfunktion hingegen ist während der Schwangerschaft nicht nachweisbar. 4 Kommt zur Proteinurie und Hypertonie noch eine pathologische Stickstoffretention als Zeichen einer erheblichen renalen Insuffizienz hinzu, dann ist die Prognose für Mutter und Kind derart schlecht, dass ein Schwangerschaftsabbruch angezeigt ist. Chronische Niereninsuffizienz mit Hämodialysebedarf.
Über erfolgreich verlaufene Schwangerschaften bei chronischer Niereninsuffizienz mit Hämodialysebedarf ist berichtet worden. Allerdings ist wegen der in der Regel stark eingeschränkten Plazentafunktion die Rate von fetalen Komplikationen sehr hoch. Bei der Betreuung von dialysepflichtigen Schwangeren ist besonders auf eine engmaschige Kontrolle des Blutdrucks, der Elektrolyte, der Blutgase, eine ausreichende Nierenperfusion und auf die rechtzeitige Erkennung einer Anämie zu achten. Nierentransplantierte Schwangere. Patientinnen nach Nierentransplantationen sollten 2 Jahre nach der Operation mit einer Schwangerschaft warten, da zu diesem Zeitpunkt ein
295 16.9 · Erkrankungen der Gallenwege
Ausgleich der Nierenfunktion angenommen und die Dosis an Immunsuppressiva reduziert werden kann. Die Behandlung mit Immunsuppressiva muss allerdings auch in der Schwangerschaft fortgesetzt und wegen des erhöhten Risikos der Transplantatabstoßung in der Schwangerschaft meist sogar mit erhöhter Dosierung durchgeführt werden. Von Kortikosteroiden abgesehen, ist die Therapie mit Immunsuppressiva mit einer erhöhten Fehlbildungsrate, mit einer erhöhten Rate von Frühgeburten und IUWR sowie mit einem erhöhten Prozentsatz von körperlich und mental restringierten Kindern verbunden, worauf bei der Beratung der Patientin hingewiesen werden muss.
16.9
Erkrankungen der Gallenwege
Die intrahepatische Schwangerschaftscholestase ist die häufigste Erkrankung der Leber in der Schwangerschaft, ätiologisch jedoch weitgehend ungeklärt. Sie ist durch ausgeprägten Juckreiz, in etwa 10% der Fälle durch einen leichten Ikterus und gastrointestinale Beschwerden charakterisiert. Aus unbekannten Gründen hat die Erkrankung eine ungünstige kindliche Prognose, sodass eine Kontaktaufnahme mit einem Perinatalzentrum mit der Möglichkeit einer regelmäßigen fetalen Evaluation empfohlen wird. Therapeutisch stehen Ursodeoxycholsäure (eine natürlich vorkommende Gallensäure), Colestyraminpräparate und Antihistaminika zur Verfügung. Obwohl der Zusammenhang zwischen Schwangerschaft und einem vermehrten Auftreten von Gallensteinen nicht klar belegt ist, wurde eine Reihe von Faktoren beschrieben, die die Ausbildung von Gallensteinen fördern. Symptomatische Gallensteine, die wegen der Heftigkeit ihrer Beschwerden einen operativen Eingriff erfordern, sind allerdings selten, sodass in den meisten Fällen eine medikamentöse Therapie ausreichend ist. Operative Maßnahmen werden nur bei unter konservativen Maßnahmen unverändert stark symptomatischen Erkrankungen, v. a. bei Fällen mit Choledocholithiasis und chologener Pankreatitis, in Erwägung gezogen. In diesen Fällen bieten die laparaskopische Cholezystektomie und endoskopische Papillotomie mit Steinentfernung prognostische Vorteile gegenüber der offenen Cholezystektomie mit Gallengangsexploration.
Unter den Erkrankungen der Gallenwege in der Schwangerschaft sind die intrahepatische Cholestase, auch rezidivierender idiopathischer Schwangerschaftsikterus genannt, und die Cholelithiasis, einschließlich ihrer Komplikationen wie Choledocholithiasis, Verschlussikterus und chologene Pankreatitis, von größter praktischer Bedeutung.
16.9.1
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
Epidemiologie Die intrahepatische Schwangerschaftscholestase ist die häufigste Erkrankung der Leber in der Schwangerschaft und nach
der viralen Hepatitis die zweithäufigste Ursache eines Ikterus in der Schwangerschaft. Die Häufigkeit der Erkrankung zeigt erhebliche geographische Unterschiede, mit einem gehäuften Vorkommen in den skandinavischen Ländern, Chile und Bolivien. In anderen Ländern ist sie mit einem Auftreten von <0,2% selten.
Ätiologie Ätiologie und Pathogenese der Erkrankung sind weitgehend ungeklärt. Möglicherweise spielen hormonelle Einflüsse eine Rolle, da bei Patientinnen, die an einer Schwangerschaftscholestase erkrankt waren, ähnliche Symptome bei Einnahme von Ovulationshemmern auftreten können.
Evaluation Leitsymptom ist ein ausgeprägter Juckreiz, der üblicherweise erst im 3. Trimenon, mitunter auch früher in der Schwangerschaft und gehäuft bei Zwillingsschwangerschaften auftritt und bis zur Geburt stärker wird, um einige Tage nach der Geburt wieder spontan zu verschwinden. Es kommen in etwa 10% der Fälle ein milder Ikterus sowie gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen hinzu. Laborchemische Korrelate sind: 4 erhöhter Cholsäure- und Chenodeoxycholsäurespiegel mit einer Cholsäure/Chenodeoxycholsäure-Ratio >1,5, 4 erhöhtes (vorwiegend direktes, konjugiertes) Bilirubin, 4 unveränderte Aktivitäten von γ-GT, LDH und GLDH.
Differenzialdiagnose Differenzialdiagnostisch sind andere Lebererkrankungen, v. a. die viralen Hepatitiden, eine toxische Leberschädigung oder ein Verschlussikterus abzugrenzen.
Prognose Die mütterliche Prognose der Erkrankung ist gut. Bleibende Leberschädigungen sind nicht zu erwarten. Wichtig ist die Kontrolle der Gerinnungsfaktoren, insbesondere des QuickWerts, da die Vitamin-K-abhängigen Faktoren abfallen können und ggf. eine entsprechende Vitamin-K-Substitution notwendig machen. Eine Substitution der fettlöslichen Vitamine ist in jedem Fall empfehlenswert. Demgegenüber ist – aus unbekannten Gründen – die kindliche Prognose ungünstig. Die Frühgeburtlichkeit wurde mit einer mittleren Rate von 20% (7–60%) und die Rate intrauteriner Fruchttode mit 1–2% angegeben, wobei zu beachten ist, dass die kindlichen Todesfälle fast ausschließlich im letzten Monat der Schwangerschaft auftreten.
Medikamentöse Therapie Obwohl noch beschränkte Erfahrungen vorliegen, was die Sicherheit der Anwendung in der Schwangerschaft betrifft, gilt die Therapie mit Ursodeoxycholsäure, einer natürlich vorkommenden Gallensäure, als 1. Wahl. Sie verbessert sowohl die Symptomatik als auch die veränderten Laborwerte und führt zu einer besseren kindlichen Prognose. Daneben stehen Colestyraminpräparate, die eine enterale Resorption der Gallensäuren verhindern, sowie Antihistaminika zur Behandlung des Juckreizes zur Verfügung.
16
296
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
Geburtshilfliches Management Als präventive Maßnahme ist bei Diagnose der Erkrankung die Kontaktaufnahme mit einem perinatologischen Zentrum empfehlenswert, um eine regelmäßige fetale Evaluation vorzunehmen. Es werden wöchentliche CTG-Kontrollen ab der 34. SSW empfohlen. Eine primäre Sectio caesarea wird von manchen Autoren in der 38. SSW, bei ikterischen Verläufen bzw. bei bereits vorangegangener intrahepatischer Cholestase in der letzten Schwangerschaft, in der 36. SSW, vorgeschlagen.
16.9.2
Cholelithiasis
Ätiologie Obwohl der Zusammenhang zwischen Schwangerschaft und einem vermehrten Auftreten von Gallensteinen nicht klar belegt ist, wurde eine Reihe von Faktoren beschrieben, die die Ausbildung von Gallensteinen fördern. Darunter fallen ein erhöhter Gallensäurepool, ein verringerter enterohepatischer Kreislauf, eine Erhöhung des Cholsäure- bei gleichzeitiger Verminderung des Chenodeoxycholsäurespiegels, eine vermehrte Cholesterinausschüttung sowie eine verminderte Motilität der Gallenblase mit konsekutiver Gallenstase.
Inzidenz Der Vergleich der Häufigkeit von Gallensteinen in der Schwangerschaft verglichen mit Nichtschwangeren ist allerdings wegen der großen Zahl von asymptomatischen, »stillen« Steinen erschwert. Die Häufigkeit von akuten Gallenbeschwerden wie Gallenkoliken oder Cholezystitiden scheint in der Schwangerschaft nicht erhöht zu sein, allerdings ist eine gewisse Häufung in der postpartalen Zeit zu beobachten. Symptomatische Gallensteine, die wegen der Heftigkeit ihrer Beschwerden einen operativen Eingriff erfordern, kommen in weniger als 0,1% aller Schwangerschaften vor.
Evaluation
16
Die klinischen Bilder der Gallenkolik ohne oder mit begleitender Cholezystitis sind oft nur schwer voneinander zu trennen. Schmerzen im Epigastrium oder im rechten Oberbauch, die in den Rücken bzw. in die Schulter ausstrahlen, sind ein relativ spezifisches Symptom für eine »blande« Gallenkolik. Eine eher uncharakteristische Schmerzsymptomatik, Übelkeit, Erbrechen, Fieber und laborchemische Entzündungszeichen deuten auf eine Cholezystitis hin.
Differenzialdiagnose Wichtig ist die Abklärung von anderen Ursachen, die eine ähnliche Symptomatik hervorrufen können (7 Übersicht). Differenzialdiagnose der Gallenkolik/Cholezystitis 4 4 4 4 6
Akute virale Hepatitis Akute alkoholische Hepatitis Duodenalulkus Akute Pankreatitis
4 4 4 4 4 4 4
Pulmonalembolie Basale Pneumonie Akuter Myokardinfarkt Akute Appendizitis Akute Schwangerschaftsfettleber Präeklampsie HELLP-Syndrom
Beim Auftreten eines Ikterus mit oder ohne Begleitsymptome einer akuten Gallenerkrankung muss an die Möglichkeit einer Choledocholithiasis gedacht werden. Insgesamt sind etwa 7% aller Fälle von Ikterus in der Schwangerschaft durch Gallensteine bedingt. Darüber hinaus sind Gallensteine die häufigste Ursache einer Pankreatitis in der Schwangerschaft, weil andere häufige Ursachen, v. a. Alkoholkonsum, selten sind. Die Schwangerschaft an sich stellt keinen prädisponierenden Faktor für eine Pankreatitis dar, wenngleich auch eine bereits bestehende Hyperlipidämie in der Schwangerschaft verstärkt werden und auf diese Weise zu einer Pankreatitis führen kann. Die Symptome der akuten Pankreatitis in der Schwangerschaft unterscheiden sich nicht von denen Nichtschwangerer. Schmerzen im Epigastrium oder linken Oberbauch, die in den Rücken ausstrahlen, Übelkeit, Erbrechen, mäßiges Fieber und Ileus lassen an die Diagnose einer Pankreatitis denken, die durch erhöhte Lipase- und Amylasewerte im Serum erhärtet wird. Differenzialdiagnostisch ist in der Schwangerschaft an die in der 7 Übersicht aufgelisteten Krankheitsbilder zu denken. Differenzialdiagnose der Pankreatitis in der Schwangerschaft 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Akute Cholezystitis Perforiertes Doudenalulkus Milzruptur Perinephritischer Abszess Akute kardiopulmonale Erkrankungen Akute Appendizitis Rupturierte Extrauteringravidität Hyperemesis gravidarum Präeklampsie
Weiterführende Diagnostik Die weiterführende Diagnostik von Gallenerkrankungen in der Schwangerschaft beschränkt sich in erster Linie auf Laborund Ultraschalluntersuchungen. Radiologische Untersuchungen wie Abdomenübersichtsaufnahmen, Cholezystogramme und endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikographien sind i. Allg. kontraindiziert.
Management Allgemein wird empfohlen, Gallenblasenerkrankungen in der Schwangerschaft konservativ zu behandeln. Die Therapie von Gallenkoliken beinhaltet analgetische und spasmolytische Maßnahmen, eine fettarme Diät und eine intravenöse anti-
297 16.10 · Maligne Erkrankungen
biotische Therapie bei Cholezystitis. Bei Patientinnen mit Pankreatitis wird eine stationäre Aufnahme mit Nahrungskarenz, Infusionstherapie und analgetischer Medikation bzw. in Fällen, die durch eine Hypertriglyzeridämie hervorgerufen wurden, eine spezifische enterale oder parenterale Ernährung empfohlen. Operative Maßnahmen werden nur bei unter konservativen Maßnahmen unverändert stark symptomatischen Erkrankungen, v. a. bei Fällen mit Choledocholithiasis und chologener Pankreatitis, in Erwägung gezogen. Der günstigste Zeitpunkt eines operativen Eingriffes ist das 2. Trimenon, da im 1. Trimenon die kindliche Mortalität bei chirurgischen Eingriffen mit etwa 5% angegeben wird. 4 Die laparoskopische Cholezystektomie hat sich bei unkomplizierteren Fällen bewährt, wenngleich bisher nur beschränkte Erfahrungswerte vorliegen. 4 Bei Choledocholithiasis hat die endoskopische Papillotomie mit Steinentfernung prognostische Vorteile gegenüber der offenen Cholezystektomie mit Gallengangsexploration gezeigt, da für diese klassische Methode, besonders bei Patientinnen mit Pankreatitis, eine hohe mütterliche und kindliche Mortalität von 15 bzw. 60% angegeben wurde.
16.10
Maligne Erkrankungen
Krebserkrankungen in der Schwangerschaft sind nicht selten. Sie zählen zu den häufigsten Todesursachen unter der Bevölkerungsgruppe von Frauen zwischen 15 und 34 Jahren. Insgesamt ist etwa eine von 1000 Schwangerschaften von einer malignen Erkrankung betroffen, wobei Zervix- und Mammakarzinome am häufigsten sind. Invasive Zervixkarzinome werden in der Schwangerschaft häufiger in früheren Stadien entdeckt. Bis zur Mitte des 2. Trimenons und bei höheren Stadien wird die Therapie in gleicher Weise wie bei Nichtschwangeren durchgeführt, wobei eine Konisation immer mit einer Cerclage erfolgen sollte. Ab der Mitte des 2. Trimenons wird im Stadium I unter genauer Abwägung der Risiken für die Mutter und der kindlichen Prognose ein abwartendes Management bis zum Erreichen der kindlichen Lebensfähigkeit empfohlen. Im Unterschied zum Zervixkarzinom wird das Mammakarzinom häufiger in einem fortgeschritteneren Stadium diagnostiziert. Bezogen auf das Tumorstadium ist die mütterliche Prognose durch die Schwangerschaft allerdings nicht verschlechtert. Verglichen mit der Normalbevölkerung sind Ovarialtumoren in der Schwangerschaft zu einem geringeren Anteil maligne; häufiger als in der Normalbevölkerung finden sich Keimzelltumoren, die oft in einem früheren Stadium entdeckt werden und dann prognostisch günstiger sind. Eine operative Sanierung wird für alle Ovarialtumoren mit einer Größe >6 cm, einem signifikanten soliden Anteil, bilateralem Auftreten oder einer Persistenz über die 14. SSW hinaus empfohlen. Phäochromozytome in der Schwangerschaft sind selten, haben aber wegen der Gefahr einer durch bereits geringe mechanische Belastungen entstehenden hypertensiven Krise eine ungünstige mütterliche und kindliche Prognose.
Bei Diagnose einer akuten Leukämie in der Schwangerschaft ist wegen der raschen Progredienz eine unverzügliche Therapie notwendig.
16.10.1
Invasives Zervixkarzinom
Das invasive Zervixkarzinom stellt mit einer Häufigkeit von etwa 1:1000 die häufigste Krebserkrankung in der Schwangerschaft dar. Im Vergleich zu Nichtschwangeren finden sich häufiger Karzinome in früheren Stadien (was auf das zuverlässigere Screening in der Schwangerschaft zurückzuführen ist). Die therapeutischen Überlegungen gehen davon aus, auf operative Eingriffe möglichst zu verzichten. Tipp Bei pathologischen zytologischen Befunden wird zunächst eine Kolposkopie und, falls nicht sowohl der zytologische als auch der kolposkopische Befund eine nur leichte Dysplasie anzeigen, eine Biopsie empfohlen, um das Ausmaß einer evtl. vorhandenen Invasion festzustellen. Bei fehlender Invasion sind engmaschige zytologische und kolposkopische Kontrollen für die restliche Schwangerschaft vorgesehen. Liegt ein mikroinvasives Karzinom vor, so sollte eine Konisation mit einer Cerclage durchgeführt werden, um auf diese Weise die Gefahr einer stärkeren Nachblutung bzw. einer postoperativen Chorioamnionitis zu vermindern.
Das invasive Zervixkarzinom wird bis zur Mitte des 2. Trimenons genauso wie bei Nichtschwangeren behandelt. Ab der Mitte des 2. Trimenons wird bei Vorliegen eines Stadiums IA (evtl. auch IB) ein abwartendes Management bis zum Erreichen der kindlichen Lebensfähigkeit empfohlen. Ab dem Stadium II kann bei der Behandlung keine Rücksicht auf die Schwangerschaft genommen werden. Diese Entscheidung kann natürlich nur im Einzelfall und unter genauer Abwägung der mütterlichen Risiken und der kindlichen Prognose getroffen werden. Für die mütterliche Prognose dürften, sowohl hinsichtlich des Einflusses der Schwangerschaft auf das Tumorwachstum als auch hinsichtlich des abwartenden Managements im 3. Trimenon, keine Unterschiede zu Nichtschwangeren bestehen. Auch die kindliche Prognose erscheint, abgesehen von Fällen, in denen eine Radikaloperation durchgeführt werden muss, durch die Erkrankung nicht verschlechtert. Eine vaginale Geburt ist bei allen nicht bzw. mikroinvasiven Karzinomen (nach Konisation im Gesunden) anzustreben. In allen anderen Fällen erscheint wegen Fallberichten über das Auftreten von Tumorzellimplantationen in Episiotomiewunden nach einer vaginalen Entbindung eine primäre Sectio sinnvoll.
16
298
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
16.10.2
Mammakarzinom
Mit einer Häufigkeit von 1:3000–1:10.000 ist das Mammakarzinom die zweithäufigste maligne Erkrankung in der Schwangerschaft. Im Unterschied zum Zervixkarzinom wird das Mammakarzinom in der Schwangerschaft häufiger in einem fortgeschritteneren Stadium entdeckt. Dies dürfte auf die schlechtere palpatorische Abgrenzbarkeit von Tumorknoten und die geringere Sensitivität der Mammographie durch die in der Schwangerschaft verstärkte Ödembildung und Hyperämie des Brustgewebes zurückzuführen sein. Aus dieser Tatsache ist aber auch die Konsequenz zu ziehen, dass bei suspekten Befunden auch in der Schwangerschaft die Diagnosesicherung, v. a. mit ultraschallgesteuerten Feinnadelbiopsien, nicht verzögert werden soll. > Bezogen auf das Tumorstadium ist die mütterliche Prognose durch die Schwangerschaft nicht verschlechtert, und es wurde auch keine Progression der Erkrankung durch die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft nachgewiesen (Antonelli et al. 1996). Eine Erklärung dafür ist, dass die meisten Mammakarzinome in der Schwangerschaft hormonrezeptornegativ sind.
16
Eine chirurgische Sanierung ist die Therapie der 1. Wahl. Eine Bestrahlungstherapie in der Schwangerschaft wird wegen der hohen fetalen Strahlenbelastung nicht empfohlen und kann ohne Verschlechterung der mütterlichen Prognose meistens bis nach Ende der Schwangerschaft verschoben werden. Das gleiche Prinzip gilt auch für eine adjuvante antihormonelle Therapie. Die Auswirkungen einer Chemotherapie auf den Fetus werden bei den Leukämien besprochen (7 Kap. 16.10.5). Abgesehen von den Auswirkungen der Therapie kommt es zu einem vermehrten Auftreten von Frühgeburten und Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht. Einer Schwangerschaft nach vorangegangenem Mammakarzinom ist grundsätzlich nichts entgegenzustellen. Idealerweise sollte ein Zeitraum von mindestens 2 Jahren nach der Diagnose bis zum Eintritt der Schwangerschaft eingehalten werden, da die meisten Rezidive innerhalb dieses Zeitraums auftreten.
der Abklärung eines akuten Abdomens entdeckt, weitere 15% als Zufallsbefund bei einer Schnittentbindung. Tipp Eine operative Sanierung wird nach allgemeinen Empfehlungen für alle Ovarialtumoren mit einer Größe >6 cm, einem signifikanten soliden Anteil, bilateralem Auftreten oder einer Persistenz über die 14. SSW hinaus empfohlen.
Wegen der erhöhten Gefahr eines akuten Eingriffs durch Torsion von Ovarialtumoren und einer damit verbundenen erhöhten fetalen Mortalität wird in den oben beschriebenen Fällen kein abwartendes Management empfohlen.
16.10.4
Obwohl bisher nur 200 Fälle von Phäochromozytomen in der Schwangerschaft in der Literatur beschrieben worden sind, sind sie wegen der Ähnlichkeit des klinischen Bildes mit hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen wichtig. Schon durch geringe mechanische Belastungen wie abrupte Bewegungen oder Wehentätigkeit kann es zu einer plötzlichen Ausschüttung von Katecholaminen kommen. Obwohl die mütterliche Mortalität der hypertensiven Krisen von 50% auf 17% gesenkt werden konnte, bleibt die kindliche Prognose wegen der gleichzeitigen Minderperfusion der Plazenta mit einer Mortalität von 26% und einem vermehrten Auftreten von Wachstumsrestriktionen weiterhin ungünstig. Tipp Die optimale Therapie von Phäochromozytomen ist umstritten. Von den meisten Autoren wird bis zum 2. Trimenon eine operative Sanierung und im 3. Trimenon eine medikamentöse Therapie mit α-und β-Blockern empfohlen. Präventiv ist bei Verdacht des Vorliegens eines Phäochromozytoms die Indikation zu einer diagnostischen Abklärung mittels MRT großzügig zu stellen.
16.10.5 16.10.3
Ovarialkarzinom
Ovarialkarzinome treten mit einer Häufigkeit von etwa 1:10.000 in Schwangerschaften auf. Nur 2–5% aller in der Schwangerschaft entdeckten Ovarialtumoren sind Malignome, verglichen mit einem Anteil von 15–20% in der Normalbevölkerung. Aufgrund der Altersstruktur ist mit einem häufigeren Auftreten von Keimzelltumoren zu rechnen. Diese werden öfter in einem früheren Stadium entdeckt und sind daher prognostisch günstiger. Wegen der anatomischen Veränderungen, die mit einer erhöhten Mobilität des Ovars in der Schwangerschaft einhergehen, werden etwa 25% der Ovarialkarzinome im Rahmen
Phäochromozytom
Leukämien
Leukämien treten in etwa einer von 75.000 Schwangerschaften auf (ungefähr 60% akute myeloische, 30% akute lymphatische und 10% chronisch-myeloische Leukämien). Die Diagnose einer akuten Leukämie ist wegen der Notwendigkeit einer unverzüglichen Therapie wichtig, da die mittlere Überlebensrate ohne Behandlung in der Normalbevölkerung mit 2 Monaten angegeben wird. Daher kann bei akuten Leukämien nur in Ausnahmefällen mit der Behandlung bis nach der Geburt gewartet werden. Demgegenüber zeichnen sich chronisch-myeloische Leukämien durch eine geringere Progredienz aus. Ein abwartendes Management bis zum Erreichen der Lebensfähigkeit des Fetus scheint gerechtfertigt.
299 16.11 · Erhöhtes mütterliches Lebensalter und Schwangerschaft
Insgesamt dürfte die Prognose der Mutter mit jener von Nichtschwangeren bei durchgeführter intensiver Chemotherapie vergleichbar sein. Die Prognose des Kindes ist mit einer Mortalität von etwa 10% und einer Frühgeburtsrate von etwa 30–40% ungünstig. Daneben kommt es zu einem gehäuften Auftreten von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht, Panzytopenien oder Neoplasien. Das Risiko von fetalen Fehlbildungen wird im 1. Trimenon mit 25% bei kombinierten und mit 17% bei einfachen Chemotherapien angegeben, wobei dieser Prozentsatz sich nach Ausschluss von Patientinnen mit Bestrahlungs- oder Chemotherapie mit Folsäureantagonisten auf 6% verringert. Im 1. Trimenon ist daher auch immer an einen Schwangerschaftsabbruch zu denken. Im 2. und 3. Trimenon ist mit keiner erhöhten Fehlbildungsrate mehr zu rechnen. > Das Langzeitergebnis von überlebenden Kindern dürfte in erster Linie durch Spätfolgen der Frühgeburtlichkeit, aber nicht durch die Therapiefolgen bestimmt sein. Unter Chemotherapie ist ein Abstillen grundsätzlich erforderlich.
16.11
Erhöhtes mütterliches Lebensalter und Schwangerschaft
Der Anteil von Schwangeren mit einem Alter von >35 Jahren hat stark zugenommen. Als Ursachen sind sozioökonomische Faktoren, die Berufsplanung sowie die Reproduktionsmedizin anzuführen. Der höhere Anteil von Chromosomenanomalien ist seit langen bekannt. Über den Anteil von weiteren Risikofaktoren (perinatale Mortalität, Präeklampsie, Fruchttod, Gestationsdiabetes, operative Entbindungsrisiken) gibt es in der Literatur unterschiedliche Angaben. In der Beratung der Schwangeren ist hervorzuheben, dass ein erhöhtes Risiko von Fehlgeburten und Chromosomenanomalien besteht. Bei primär gesunden Schwangeren ist jedoch bei entsprechender Schwangerenbetreuung mit einem guten Ausgang der Schwangerschaft zu rechnen.
Erhöhtes mütterliches Alter Ein erhöhtes Risiko wird ab einem Alter der Schwangeren von >35 Jahren angenommen (Cleary-Goldman et al. 2005). Der Grenzwert von 35 Jahren gilt daher als Grenze für eine differenzierte genetische Beratung. Für eine individuelle Beratung ist eine Einteilung in 4 Altersgruppen sinnvoll: 4 Altersgruppe ≥35 Jahre, 4 Altersgruppe ≥40 Jahre, 4 Altersgruppe ≥45 Jahre, 4 Altersgruppe Menopause (ausschließlich durch Reproduktionsmedizin).
Epidemiologie In den letzten 30 Jahren hat der Anteil von Schwangeren >35 Jahren in den westlichen Industrienationen von ca. 5% auf bis zu 20% zugenommen (Martin et al. 2002). Das durch-
schnittliche Alter der Schwangeren in Deutschland liegt derzeit bei 30 Jahren mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 1,3. Derzeit nimmt bei sinkenden Geburtenzahlen der Anteil der schwangeren Frauen mit einem Alter >35 Jahren weiterhin zu. Ursachen für das zunehmende Alter bei der ersten Schwangerschaft sind die Planbarkeit der Schwangerschaft aufgrund einer zuverlässigen Schwangerschaftsverhütung sowie die meist lange Ausbildungszeit bis zur Berufsfähigkeit. Die besseren beruflichen Karrierechancen und finanzielle Vorteile bei Kinderlosigkeit führen dazu, dass sich Frauen zunehmend erst im höheren Lebensalter für eine Schwangerschaft entscheiden. Ein weiterer Faktor ergibt sich aufgrund von reproduktionstechnischen Maßnahmen, die auch bei höherem Lebensalter zu einer Zunahme von Schwangerschaften führen.
Bedeutung für Mutter und Fetus Fetale Risikofaktoren ergeben sich aus der Zunahme von Chromosomenanomalien mit steigendem Alter. Eine Zunahme von Frühgeburten, Wachstumsrestriktionen oder makrosomen Feten ist v. a. bei Schwangeren mit einem Lebensalter >40 Jahre zu verzeichnen. Maternale Risikofaktoren sind ein vermehrtes Auftreten von Fehlgeburten, eine Zunahme des Gestationsdiabetes, eine erhöhte Rate von Fällen mit Placenta praevia sowie ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Plazentalösung. Es ist kein bestimmtes Alterslimit als Grenze anzusehen, sondern es handelt sich um eine kontinuierliche Zunahme der Komplikationen mit steigendem Lebensalter.
Management Für die klinische Betreuung ist eine Einteilung in verschiedene Altersgruppen sinnvoll:
Gruppe 1: Alter ≥35 Jahre In der Altersgruppe zwischen 35 und 40 Jahren ist eine differenzierte Beratung und Abklärung von Chromosomenanomalien (auch aus forensischen Gründen) durchzuführen. In dieser Gruppe ist mit einer geringen Zunahme von Fehlgeburten zu rechnen. Bei gesunden Schwangeren sind jedoch keine zusätzlichen Untersuchungen außerhalb der Mutterschafts-Richtlinien erforderlich. Ein oraler Glukosetoleranztest sollte auf jeden Fall durchgeführt werden. Spezielle Aspekte bei der Geburt. Das Vorgehen unterschei-
det sich nicht von Schwangeren aus der Altersgruppe unter 35 Jahren. Die in der Literatur wiederholt festgestellte Zunahme der operativen Entbindungsrate wird wesentlich von einem starken Sicherheitsbedürfnis von Schwangeren und dem betreuenden Personal (Arzt und Hebamme) mitbeeinflusst.
Gruppe 2: Alter ≥40 Jahre Die Durchführung der pränatalen Diagnostik erfolgt individuell. Da das Risiko von Chromosomenanomalien deutlich erhöht ist, erfolgt die Abklärung meist durch einen invasiven Eingriff. Durch die Möglichkeit der Nackentransparenzmessung und einer differenzierten Ultraschalluntersuchung ist eine Alternative zur risikoreichen invasiven Diagnostik,
16
300
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
wenngleich mit geringerer diagnostischer Zuverlässigkeit, gegeben. Wesentliche Risikofaktoren sind bereits vorhandene Grunderkrankungen (Hypertonie, Nierenerkrankungen, Zustand nach Nierentransplantation, Diabetes mellitus, Uterus myomatosus). Bei primär gesunden Schwangeren ist mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und Gestationsdiabetes zu rechnen. Die Daten in der Literatur sind dazu jedoch widersprüchlich. Die Betreuung während der Schwangerschaft sollte intensiviert werden. Durch die frühzeitige Erfassung von Feten mit Wachstumsrestriktion (fetomaternale Dopplersonographie) kann die Rate von intrauterinen Fruchttoden vermindert werden. Ab 38 SSW sollte eine wöchentliche Kontrolle erfolgen, da unvorhersehbare intrauterine Fruchttode in dieser Gruppe gehäuft beobachtet werden. Eine Geburtsterminüberschreitung von >1 Woche sollte vermieden werden.
schaft einen positiven Einfluss auf den folgenden Schwangerschaftsverlauf. Während der Schwangerschaft soll zwar keine Gewichtsreduktion angestrebt werden, eine übermäßige Gewichtszunahme soll jedoch vermieden werden. Adipositas Für die Klassifizierung des Körpergewichtes wird anhand des Body-Mass-Index (BMI) durchgeführt. Die Berechnung erfolgt durch Division des Körpergewichtes in kg durch die Körpergröße in cm zum Quadrat: 4 BMI = Körpergewicht [kg]/Körpergröße [cm2] Der Wert ist etwas ungenau, da er die individuelle Zusammensetzung des Körpergewichtes (Fett-/Muskelgewebe) nicht berücksichtigt. Adipositas ist definiert als ein BMI-Wert ≥30 kg/m2.
Spezielle Aspekte bei der Geburt. Die Sectiofrequenz liegt
bei etwa 50%, da neben medizinischen Indikationen auch der meist langgehegte Kinderwunsch, vielfach nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen, Anlass für eine Sectio darstellt (Scholz et al. 1999; Berkowitz et al. 1990). Bei komplikationslosen Schwangerschaftsverläufen kann mit Einverständnis der Schwangeren jedoch eine vaginale Entbindung angestrebt werden (Callaway et al. 2005).
Die Prävalenz der Adipositas während der Schwangerschaft beträgt in Abhängigkeit von der untersuchten Population zwischen 6 und 28%. Die Zunahme der Adipositas in der Gesamtpopulation hat verständlicherweise auch zu einer Zunahme der Prävalenz während der Schwangerschaft geführt.
16.12.1
Gruppe 3: Alter ≥45 Jahre Der Anteil von Schwangerschaften, die >20 SSW bestehen, ist aufgrund der hohen Fehlgeburtsrate sehr gering. Die Risikofaktoren in der Spätschwangerschaft bestehen in erster Linie in der Entwicklung einer Präeklampsie mit fetaler Wachstumsrestriktion. Zusätzliche Probleme entstehen v. a. durch den höheren Anteil von bereits vorbestehenden Erkrankungen. Sind Chromsomenstörungen ausgeschlossen und handelt es sich um gesunde Frauen, so ist jedoch auch in dieser Altersgruppe von einem zufriedenstellenden Schwangerschaftsausgang, bei jedoch hoher operativer Entbindungsrate, auszugehen.
16
Gruppe 4: Schwangerschaft bei Frauen in der Menopause Aufgrund der geringen Fallzahlen ist eine zuverlässige Aussage über die Risiken noch kaum möglich, und die Schwangerschaften sind als medizinisches Experiment mit unsicherem Ausgang für Mutter und Kind zu betrachten.
16.12
Adipositas und Schwangerschaft
Adipositas während der Schwangerschaft ist mit einer Vielzahl von perinatalen Komplikationen assoziiert. In vielen Fällen ist es jedoch schwierig zu unterscheiden, inwieweit die Adipositas direkt für die Krankheitsfolgen verantwortlich ist, oder ob Begleiterkrankungen (Diabetes mellitus, Hypertonie) für die Schwangerschaftskomplikationen verantwortlich sind. Auf jeden Fall hat aber eine Gewichtsreduktion (Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie) vor der Schwanger-
Fertilität und Adipositas
In den meisten Studien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Subfertilität und Adipositas. Die Ursache ist meist Folge einer ovariellen Dysfunktion, in vielen Fällen im Zusammenhang mit einem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS). Außerdem besteht eine erniedrigte Schwangerschaftsrate nach IVF bei Adipositas. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass neben ovariellen Problemen zusätzlich Implantationsstörungen gehäuft auftreten. Eine Gewichtsreduktion allein führt daher bereits zu einer Erhöhung der Fertilitätsraten. Der Einfluss von Stoffwechselparametern auf die Fertilität wird auch durch die Behandlung bei Adipositas und PCOS mit Metformin belegt, da durch die alleinige Stoffwechseloptimierung Ovulationen ausgelöst werden können.
16.12.2
Risiken während der Schwangerschaft
Gestationsdiabetes und Adipositas Das Risiko eines Gestationsdiabetes ist bei Adipositas signifikant erhöht (6–12% vs. 2–4% im Normkollektiv); es ist zusätzlich von der Schwere der Adipositas abhängig (Ehrenberg et al. 2002). Die Durchführung eines oralen Glukosebelastungstests ist daher bereits im 1. Trimenon zu empfehlen. Das erhöhte Risiko wird durch eine erhöhte Insulinresistenz verursacht. Auch wenn sich die Blutzuckerwerte nach der Geburt meist wieder normalisieren, so besteht für diese Frauen ein mehrfach erhöhtes Risiko. später einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln.
301 16.12 · Adipositas und Schwangerschaft
Frühgeburtlichkeit
Makrosomie
Die erhöhte Frühgeburtenrate wird anhand von verschiedenen Studien hauptsächlich durch adipositasassoziierte Faktoren verursacht (Sebire et al. 2001). Eine Prävention der Frühgeburtlichkeit wird daher in erster Linie durch adäquate Behandlung der Begleiterkrankungen (Präeklampsie, Diabetes mellitus) ermöglicht. In einer Studie von Baeten et al. (2001) wird jedoch auch nach Ausschluss von Fällen mit Hypertonie und Diabetes mellitus bei einem BMI ≥30 weiterhin eine erhöhte Rate von Frühgeburten <32 SSW gefunden (OR 1,5; 95% CI 1,1–2,1).
Adipositas bereits vor der Schwangerschaft korreliert mit einem erhöhten fetalen Gewicht. Die fetale Makrosomie führt zu den daraus folgenden Komplikationen wie protrahiertem Geburtsverlauf, erhöhter operativer Entbindungsrate und Schulterdystokie (Abrams u. Laros 1986; Ehrenberg et al. 2002; Jensen et al. 2003). Zusätzlich besteht eine Prädisposition für die Entwicklung einer Adipositas beim Kind im späteren Leben (Rogers 2003).
Terminüberschreitung Es besteht eine signifikant erhöhte Rate von Terminüberschreitungen (OR 1,4–1,7) bei Adipositas, deren Ursachen noch weitgehend unklar sind (Usha Kiran et al. 2005).
Mehrlingsschwangerschaft Es besteht eine erhöhte Inzidenz von dizygoten, jedoch nicht von monozygoten Zwillingsschwangerschaften bei Adipositas (Reddy et al. 2005). Ursächlich könnten erhöhte FSH-Spiegel dafür verantwortlich sein.
Harnwegsinfekte Bei Adipositas ist mit einer deutlichen Zunahme von Harnwegsinfekten zu rechnen. Die Häufigkeit variiert zwischen den verschiedenen Studien, beträgt aber bis 40% (Abrams u. Laros 1986).
Fetale Fehlbildungen Bei Adipositas ist mit einer erhöhten Fehlbildungsrate zu rechnen, auch wenn die Ursache derzeit noch unklar ist. Neben der Adipositas haben sicher Begleiterkrankungen (Diabetes mellitus, Medikamenteneinnahme) und auch die erschwerte sonographische Diagnostizierbarkeit einen Einfluss auf die Fehlbildungsrate bei geborenen Kindern. In einer Übersichtsarbeit fanden sich erhöhte Fehlbildungsraten für Neuralrohrdefekte (OR 1,87, 95%-CI 1,62– 2,15), Herzfehlbildungen (OR 1,30, 95%-CI 1,12–1,51), Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (OR 1,20, 95%-CI 1,03–1,40), Analatresien (OR 1,48, 95%-CI 1,12–1,97), Ventrikelerweiterungen des ZNS (OR 1,68, 95%-CI 1,19–2,36) und für Extremitätenfehlbildungen (OR 1,34; 95%-CI 1,03–1,73). Für die Gastroschisis war das Risiko bei Adipositas signifikant verringert (OR 0,17; 95%-CI 0,10–0,30) (Stothard et al. 2009).
Intrauteriner Fruchttod (IUFT) Die erhöhte IUFT-Rate ist in verschiedenen Studien (Chu et al. 2007) gezeigt worden (OR 1,47, 95%-CI 1,08–1.94). Assoziierte Erkrankungen (Diabetes mellitus, Hypertonie) spielen hier zweifelsohne eine wichtige Rolle. Aber auch nach Berücksichtigung dieser Parameter bleibt ein erhöhtes Risiko bestehen. Es sind daher weitere Risikofaktoren (Hyperlipidämie, Rauchen, erniedrigte maternale Sauerstoffsättigung) zu berücksichtigen. Es scheint sinnvoll, in diesem Kollektiv eine engmaschigere fetale Überwachung durchzuführen, auch wenn dazu keine validierten Daten zur Verfügung stehen.
16.12.3
Risiken intrapartal
Protrahierter Geburtsverlauf Bei Adipositas ist mit einer verlängerten Geburtsdauer (bis zu 2 h) zu rechnen. Es ist v. a. die Aktivphase der Geburt (Eröffnung der Zervix von 5 auf 10 cm) verlängert (LaCoursiere et al. 2005; Nuthalpathy et al. 2004). Pathophysiologisch scheint eine verminderte Kontraktilität für die Wehenschwäche verantwortlich zu sein (Zhang et al. 2007).
Sectiorate Sowohl eine Adipositas vor der Schwangerschaft als auch eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft führen zu einer erhöhten Sectiorate (Getahun et al. 2007; LaCoursiere et al. 2005). Hauptindikation für die Sectio sind ein protrahierter Geburtsverlauf mit Wehenschwäche und Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis. Die Sectio ist bei Adipositas mit einer Vielzahl von perioperativen Risiken assoziiert. Neben einer verlängerten Zeit zwischen Inzision und Entwicklung des Kindes, häufigeren Blutverlusten >1000 ml, einer erhöhten Rate von Notfallsectiones besteht zusätzlich zu einer verlängerten Operationsdauer eine erhöhte Wundinfektion (inkl. Endometritis) bei erhöhtem Thromboserisiko (Perlow u. Morgan 1994, Sebire et al. 2001). Bei Zustand nach Sectio ist die Wahrscheinlichkeit einer vaginalen Geburt bei Adipositas deutlich vermindert. In einer Studie von Hibbard (et al. 2006) betrug die sekundäre Sectiorate bei Normalgewichtigen 15%, bei mäßigem Übergewicht 30% und bei massiver Adipositas 39%. Auch die Rate von Narbendehiszenzen oder Uterusrupturen war bei Adipositas signifikant erhöht (0,9 vs. 2,1%).
Anästhesiologische Risiken Im Vergleich zu normalgewichtigen Schwangeren besteht eine höhere Versagensrate beim Legen einer Periduralanästhesie (6% vs. 42%). Auch das Risiko einer erschwerten Intubation ist erhöht (Soens et al. 2008).
Geburtstrauma Die Häufigkeit von Geburtsverletzungen, postpartalen Blutungen und höhergradigen Dammrissen ist bei der ersten Geburt erhöht. Bei einer weiteren Geburt besteht für diese Risiken trotz Adipositas kein erhöhtes Risiko (Sebire et al. 2001). Das Risiko für eine Schultderdystokie ist sowohl durch die meist vorhandene fetale Makrosomie als auch unabhängig davon durch die Adipositas signifikant erhöht (Jensen et al. 2003).
16
302
Kapitel 16 · Erkrankungen und Risikofaktoren in der Schwangerschaft
16.12.4
Postpartale Komplikationen
Der stationäre Aufenthalt nach der Geburt ist bei Adipositas deutlich verlängert. Ein stationärer Aufenthalt von mehr als 5 Tagen nach Spontangeburt beträgt in einer Studie von Perlow u. Morgan (1994) bei einem maternalen Normalgewicht 2% im Vergleich zu 35% bei Adipositas. Auch nach einer Sectio ist der stationäre Aufenthalt im Vergleich zu einem Normalkollektiv verlängert (7,3±5,0 vs. 5,4±3,1 Tage; Hood u. Dewan 1993).
Infektion im Wochenbett Unabhängig vom Entbindungsmodus besteht ein höheres Risiko für Wundinfektionen (Dammverletzungen, Episiotomie, Sectionarbe) und eine Endomyometritis. Das Infektionsrisiko bleibt auch nach Antibiotikaprophylaxe bestehen (Myles et al. 2002; Robinson et al. 2005).
Postpartale Blutung Der Zusammenhang zwischen Adipositas und verstärkter postpartaler Blutung wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Große Kohortenstudien (Sebire et al. 2001) finden jedoch eine signifikant höhere Blutungsrate bei einem BMI >30 kg/m2 (OR 1,44, 95% CI 130–1,60). Tipp Eine Gewichtsreduktion bereits vor dem Eintritt der Schwangerschaft ist aus zahlreichen medizinischen Gründen anzustreben. Gelingt dies nicht, dann ist durch eine risikoadaptierte Betreuung während der Schwangerschaft und intrapartal eine Reduzierung der aufgeführten Risiken anzustreben.
Literatur
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16
17 17 Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen L. Raio, M. Baumann, H. Schneider 17.1
Allgemeine Grundlagen – 307
17.1.1 17.1.2
Normales Blutdruckverhalten in der Schwangerschaft – 307 Messung des Blutdrucks in der Schwangerschaft – 307
17.2
Inzidenz, Klassifizierung und Bedeutung der Hypertonie in der Schwangerschaft – 308
17.2.1 17.2.2 17.2.3
Chronische Hypertonie – 308 Gestationshypertonie – 309 Management – 309
17.3
Präeklampsie – 313
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.3.5 17.3.6 17.3.7 17.3.8
Ätiologie und Pathogenese – 313 Auswirkungen – 315 Diagnose – 317 Schweregrad und Verlauf – 318 Management – 318 Wiederholungsrisiko und Langzeitprognose – 323 Psychosoziale Folgen – 324 Screening und Prävention – 324
17.4
Eklampsie – 327
17.4.1 17.4.2 17.4.3 17.4.4 17.4.5
Pathogenese – 327 Inzidenz und Risikofaktoren – 327 Auftreten und Prodromalsymptome – 328 Bedeutung für Mutter und Kind – 328 Management – 328
17.5
HELLP-Syndrom – 329
17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.5.4 17.5.5
Pathophysiologie – 329 Bedeutung für Mutter und Kind – 329 Klinische Symptome und Diagnose – 330 Management – 331 Wiederholungsrisiko – 332
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
17.6
Akute Schwangerschaftsfettleber – 332
17.6.1 17.6.2 17.6.3 17.6.4 17.6.5 17.6.6
Epidemiologie und Pathogenese – 332 Klinische Symptome und Verlauf – 332 Laborbefunde – 333 Diagnose – 333 Management – 334 Wiederholungsrisiko – 334
17.7
Antiphospholipidsyndrom – 334
17.7.1
Therapie – 335
17.8
Folgeuntersuchungen – 336 Literatur – 337
307 17.1 · Allgemeine Grundlagen
Der arterielle Blutdruck zeigt bei schwangeren Frauen eine ähnlich kontinuierliche Verteilung der Werte wie in der nichtschwangeren Population. Der Grenzwert zwischen normo- und hypertonem Blutdruck in der Schwangerschaft wurde arbiträr festgelegt und unterteilt eine Population quantitativ, aber nicht qualitativ. Für den klinischen Gebrauch hat sich eine Klassifizierung der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen bewährt, die zwischen chronischer und schwangerschaftsinduzierter Hypertonie oder Gestationshypertonie, Präeklampsie und Pfropfpräeklampsie unterscheidet. Eine vorbestehende, chronische Hypertonie wird definiert als ein systolischer Blutdruck ≥140 mm Hg und/oder diastolischer Blutdruck ≥90 mm Hg vor der 20. SSW oder erhöhte Blutdruckwerte, die länger als 3 Monate postpartal persistieren. Die Blutdruckgrenzwerte, die eine schwangerschaftsinduzierte Hypertonie klassifizieren, sind identisch mit denen bei der chronischen Hypertonie. Bei der Gestationshypertonie wird im Gegensatz zur chronischen Hypertonie eine Blutdruckerhöhung erst nach der 20. SSW manifest. Von einer schweren Hypertonie wird gesprochen, wenn die Blutdruckwerte systolisch auf ≥160 mm Hg und/oder diastolisch auf ≥110 mm Hg ansteigen. Tritt nach der 20. SSW neben einer chronischen Hypertonie oder Gestationshypertonie zusätzlich eine signifikante Proteinurie auf, spricht man von einer Pfropfpräeklampsie bzw. von einer Präeklampsie. Die Höhe des Blutdrucks, der Schweregrad der Proteinurie, das HELLP-Syndrom als charakteristische Laborauffälligkeit oder generalisierte tonisch-klonische Krämpfe im Rahmen einer Eklampsie können zu einer deutlichen Verschlechterung des mütterlichen und kindlichen Outcomes führen und definieren die schwere Variante einer Präeklampsie. Je früher eine Präeklampsie auftritt, desto schwerer ist in der Regel ihr Verlauf. Eine kausale Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen und im Speziellen einer Präeklampsie exsistieren bislang nicht. Mittels einer medikamentösen antihypertensiven Behandlung der Hypertonie kann das Risiko der Entwicklung einer schweren Hypertonie mit potenziell schweren mütterlichen Folgekomplikationen wie zerebrovasuklärer Insult, Herz- und Nierenversagen reduziert werden; die Prävalenz einer Präeklampsie wird dadurch jedoch nicht gesenkt. Ein besonderes klinisches Dilemma stellt die Behandlung der frühen, schweren Präeklampsie dar: Es gilt, zwischen dem Wohl der Mutter und jenem des Kindes abzuwägen und das Management anzupassen. Zurzeit ist die Beendigung der Schwangerschaft innerhalb von 24–48 h nach erfolgter Stabilisierung der Mutter, Eklampsieprophylaxe mittels intravenöser Magnesiumsulfatbehandlung und einer fetalen Lungenreifeinduktion mit Glukokortikoiden nach wie vor das Standardverfahren, insbesondere jenseits der 32. SSW. Zwischen der 24. und 32. SSW kann ein länger dauerndes konservatives Management unter intensiver Überwachung von Mutter und Kind zwecks Reduktion fetaler Mortalität und Morbidität erwogen werden. Störungen der Gerinnung und der hepatischen Funktion, wie dies beim HELLP-Syndrom der Fall ist, können die Situation zusätzlich komplizieren und zu einem rascheren Eingreifen zwingen. Modulierend auf das Management wirkt sich auch der fetale Zustand aus, da insbesondere eine schwere, frühe Präeklampsie oft mit einer Plazentainsuffizenz mit konsekutiver fetaler Wachstumsrestriktion vergesellschaftet ist.
Untersuchungen konnten zeigen, dass sowohl Frauen mit Zustand nach Präeklampsie ein höheres Risiko bezüglich späterer kardiovasuklärer Krankheiten aufweisen als auch untergewichtige Kinder negativ durch die Geschehnisse in utero beeinflusst werden. Die betroffenen Frauen (und Kinder) sollten langfristig in regelmäßigen Abständen geziehlt auf Herz-KreislaufErkrankungen untersucht werden und gegebenenfalls im Hinblick auf eine nächste Schwangerschaft beraten werden. Die Ansätze zur Früherkennung durch neue, auf einem verbesserten Verständnis der Pathogenese der Präeklampsie basierende Screeninguntersuchungen sind vielversprechend. Allerdings konnte bislang für keines der verschiedenen Programme für eine sekundäre Prophylaxe der Präeklampsie ein klarer Nutzen gezeigt werden. Die Behandlung mit Low-dose-Aspirin und Kalzium ab der Frühschwangerschaft scheint in speziellen Patientinnenkollektiven das Präeklampsierisiko zu reduzieren und sollte bei Zustand nach schwerer Präeklampsie empfohlen werden. Des Weiteren sollten Frauen mit Risikofaktoren wie z. B. Hypertonie, Adipositas, Diabetes mellitus und Krankheiten aus dem rheumatologischen Formenkreis einer kompetenten präkonzeptionellen Beratung zugewiesen werden.
17.1
Allgemeine Grundlagen
Hypertonie in der Schwangerschaft Die Hypertonie in der Schwangerschaft ist definiert durch Blutdruckwerte von systolisch ≥140 mm Hg und diastolisch ≥90 mm Hg. Bei Blutdruckwerten von systolisch ≥160 mm Hg und diastolisch ≥110 mm Hg spricht man von einer schweren Hypertonie.
17.1.1
Normales Blutdruckverhalten in der Schwangerschaft
Der Blutdruck ist direkt proportional zum systemischen Gefäßwiderstand und der Herzleistung. Die periphere Vasodilatation stellt die primäre schwangerschaftspezifische Kreislaufveränderung dar. Der kontinuierliche Abfall des Afterloads und des Preloads bewirkt eine kompensatorische Zunahme der Herzleistung um 40–50% und eine komplexe Aktivierung volumenregulierender Mechanismen (Renin-AngiotensinAldosteron-System). Die Trägheit des Systems führt aber initial dazu, dass der Blutdruck in der ersten Hälfte der Schwangerschaft kontinuierlich abfällt. Ab dem 3. Trimenon steigt er wieder an und erreicht gegen den Termin hin Ausgangswerte. Nach der Geburt fällt der Blutdruck in der Regel ab, kann aber auch langsam wieder ansteigen (Duvekot 1993).
17.1.2
Messung des Blutdrucks in der Schwangerschaft
Vor über 100 Jahren haben Briggs und Cook erstmals die Sphyngomanometrie nach Riva-Rocci zur Blutdruckmessung in der Schwangerschaft eingesetzt (Cook 1903). Seither ist dieses Verfahren der am häufigsten verwendete Screeningtest
17
308
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
in der Schwangerschaft. Falsch hohe Blutdruckwerte sind bedingt durch Messfehler oder inadäquate Blutdruckmessgeräte, andererseits aber auch durch persistierend erhöhte Blutdruckwerte ausschließlich in der Arztpraxis oder im Krankenhaus. Von einer sog. »Weißkittelhypertonie« sind bis 30% der jungen Frauen betroffen, und sie stellt eine wichtige Differenzialdiagnose dar, da sie in der Regel mit einem günstigeren Outcome assoziiert zu sein scheint (Bellomo et al. 1999). Neben der selbstständigen Blutdruckmessung zu Hause mit für die Schwangerschaft zugelassenen Blutdruckmessgeräten kann auch mit einer 24-h-Blutdruckmessung eine solche Weißkittelhypertonie identifiziert werden (Higgins u. de Swiet 2001). Viele Fachgesellschaften haben Richtlinien erstellt, um Fehler bei der konventionellen Blutdruckmessung zu minimieren (7 Übersicht). Standardisierte Blutdruckmessung in der Schwangerschaft. (Nach O’Brian et al. 2005) 4 Sitzende Position, Lagerung des Armes auf Niveau des Herzens 4 Ruhephase von mindestens 5 min vor der Messung 4 Korrekte Breite und Länge der Blutdruckmanschette (16×36 cm bei einem Armumfang > 34 cm) 4 Erfassung des systolischen Blutdruckwertes bei Korotkoff-Phase I (Auftreten des Strömungsgeräuschs) 4 Erfassung des diastolischen Blutdruckwerts beim Verschwinden des Strömungsgeräusches (KorotkoffPhase V) 4 Bestätigung erhöhter Werte durch eine 2. Messung im Abstand von mind. 4 h 4 Messung des Blutdrucks jeweils am gleichen Arm, vorzugsweise rechts (falls die Seitendifferenz nicht zu stark variert)
17.2
17
Inzidenz, Klassifizierung und Bedeutung der Hypertonie in der Schwangerschaft
Hypertone Blutdruckwerte finden sich gemäß den Angaben der ACOG (2002) bei 12–22% aller Schwangerschaften. Weltweit beträgt die Häufigkeit der Präeklampsie 3–14%, in den USA 5–8%. In 75% der Fälle wird die Präeklampsie als leicht und in 25% als schwer eingestuft. In 10% der Fälle tritt sie vor der 34. SSW auf. Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen stehen in vielen Ländern an führender Stelle der mütterlichen Todesursachen und sind für 20–25% der perinatalen Morbidität und Mortalität verantwortlich (Ounsted el al. 1988; Moddley 2008; Steiner et al. 1989; Khan et al. 2006). Für den klinischen Gebrauch hat sich die in . Tab. 17.1 dargestellte Klassifizierung der Hypertonie in der Schwangerschaft bewährt, die auf einer Empfehlung des National Institutes of Health (2000) basiert (modifiziert nach Leitlinien der DGGG 2008; AWMF 2008).
. Tab. 17.1. Einteilung der hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft
Hypertensive Erkrankung
Klassifizierung
Chronische Hypertonie 4 primäre 4 sekundäre
Erhöhte Blutdruckwerte vor der 20. SSW, vorbestehend oder post partum >12 Wochen persistierend.
Gestationshypertonie
Erhöhte Blutdruckwerte nach der 20. SSW ohne Proteinurie. Bei Normalisierung der Werte bis 12 Wochen post partum spricht man von transienter Hypertonie, bei Persistieren >12 Wochen von chronischer Hypertonie.
Nichtproteinurische Präeklampsie
Hypertonie nach der 20. SSW ohne Proteinurie, aber mit fetaler Wachstumsrestriktion, HELLP-Syndrom oder Niereninsuffizienz.
Präeklampsie
Neuauftreten von erhöhten Blutdruckwerten und Proteinurie nach der 20. SSW (leichte und schwere Form).
Pfropfpräeklampsie
Chronische Hypertonie mit Neuauftreten einer Proteinurie nach der 20. SSW. Exazerbation der Hypertonie oder Proteinurie in der 2. Schwangerschaftshälfte bei chronischer Hypertonie und vorbestehender Proteinurie.
17.2.1
Chronische Hypertonie
Eine chronische Hypertonie wird in 1–5% der Schwangerschaften angetroffen. Die Rate ist höher bei älteren und bei übergewichtigen Schwangeren. Häufig besteht eine familiäre Disposition. Wie im nichtschwangeren Kollektiv wird die chronische Hypetonie eingeteilt in eine primäre oder essenzielle Form (90–95%) und in sekundäre Formen (5–10%; 7 Übersicht). Wichtig für die Diagnosestellung einer chronischen Hypertonie ist die Kenntinis des präkonzeptionellen Ausgangswerts. Der schwangerschaftsbedingte Blutdruckabfall in der ersten Hälfte der Schwangerschaft kann dazu führen, dass eine Frau mit vorbestehender Hypertonie »normotone« Blutdruckwerte aufweist. Folglich kann fälschlicherweise eine Gestationshypertonie und nicht korrekt eine chronische Hypertonie diagnostiziert werden.
Sekundäre Formen der chronischen Hypertonie 4 Nierenkrankheiten: vesikoureteraler Reflux, Glomerulonephropathien, adulte polyzystische Nieren 4 Systemkrankheiten mit Nierenbeteiligung: Diabetes mellitus und Lupus erythematodes disseminatus (LED) 4 Endokrine Krankheiten: Phäochromozytom, Cushingund Conn-Syndrom 4 Gefäßkrankheiten: Nierenarterienstenose, Koarktation der Aorta
309 17.2 · Inzidenz, Klassifizierung und Bedeutung der Hypertonie in der Schwangerschaft
Eine Metaanalyse von Studien über das Risiko bei Schwangeren mit leichten Formen von chronischer Hypertonie ergab einen Anstieg der perinatalen Mortalität um den Faktor 3, einer Abruptio placentae um den Faktor 2 sowie eine signifikante Zunahme von intrauteriner Wachstumsrestriktion (Rey et al. 1994) und der Rate vorzeitig indizierter Schwangerschaftsbeendigungen. Dabei waren Pfropfeklampsien ausgeschlossen (Ferrer et al. 2000). Das Risiko für Mutter und Fetus ist jedoch bei einer lange bestehenden, schweren Hypertonie mit Gefäßveränderungen und bei den sekundären Formen noch deutlich höher. Dabei sind folgende Komplikationen von Bedeutung: 4 Exazerbation der Hypertonie 4 Entwicklung einer Pfropfpräeklampsie 4 Entwicklung einer uteroplazentaren Insuffizienz 4 vorzeitige Plazentalösung Das Ausmaß einer Gefäß- bzw. Organschädigung muss in solchen Situationen vorher abgeschätzt werden (7 Übersicht). Abklärungen von Frauen mit schwerer chronischer Hypertonie Generell werden folgende Laboruntersuchungen speziell empfohlen (ACOG 2001; Sibai 2002): 4 Augenhintergrunduntersuchung, EKG, Echokardiographie, Sonographie inkl. Duplexsonographie der Nieren 4 Urinstatus und -kultur 4 Serumkreatinin, Harnstoff, Elektrolyte, Glukose, TSH 4 24-h-Urin für Kreatininclearance und Gesamteiweißausscheidung
Während der Schwangerschaft sollten diese Untersuchungen je nach zugrundeliegender Ursache der chronischen Hypertonie periodisch wiederholt werden. Solange der Teststreifen auf Eiweiß im Urin negativ ist, kann auf die quantitative Erfassung der Tagesgesamteiweißausscheidung verzichtet werden.
17.2.2
Gestationshypertonie
Eine Gestationshypertonie wird in 6% aller Schwangerschaften beobachtet (Sibai 2002; Lain u. Roberts 2002). Die Häufigkeit liegt in den westeuropäischen Ländern etwas niedriger. > Meistens normalisiert sich der Blutdruck 6 Wochen postpartal, kann aber in seltenen Fällen bis 3 Monate erhöht bleiben. Entsprechend ist es wichtig, Frauen mit erhöhten Blutdruckwerten während der Schwangerschaft postpartal solange zu überwachen, bis sich der Blutdruck normalisiert hat. Falls dies nicht eintreten sollte, dann muss die initiale Diagnose einer Gestationshypertonie revidiert werden.
Obschon die Gestationshypertonie in der Regel einen gutartigen Verlauf nimmt, ist die Inzidenz einer Präeklampsie bei früher Manifestation erhöht. Eine Progression zu einer Präeklampsie wird mit etwa 25–50% beziffert. Bei Anstieg des Blutdrucks vor der 32. SSW besteht ein etwa 50%-iges Risiko, ab 38 Wochen lediglich ein 7%-iges Risiko für eine Präeeklampsie (Barton 2001; Saudan 1998; Magee 2003). Nicht nur das Risiko einer Präeklampsie ist erhöht, sondern auch ohne Proteinurie kann eine schwere Hypertonie eine mütterliche und perinatale Morbidität aufweisen, welche vergleichbar ist zu derjenigen von Frauen mit schwerer Präeklampsie (Hauth et al. 2000; Magee et al. 2003). Entsprechend sollten Frauen mit schwerer Hypertonie, speziell solche mit möglicher Endorganschädigung, ähnlich behandelt werden, als ob sie eine schwere Präeklampsie hätten. > Das Wiederholungsrisiko in einer folgenden Schwangerschaft ist erhöht sowie auch das Risiko, später an einer manifesten Hypertonie zu erkranken.
17.2.3
Management
Das Management hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen richtet sich ganz nach der Diagnose, da davon abhängen kann, ob eine Schwangerschaft vorzeitig beendet werden muss. Eine ausführliche Anamnese, die Klinik, entsprechende Laboruntersuchungen und eine sorgfältige Evaluation der fetoplazentaren Einheit helfen, die korrekte Diagnose zu stellen, anhand derer die Behandlungsstrategie festgelegt wird. In diesem Abschnitt werden allgemeine therapeutische Konzepte diskutiert, insbesondere bei Frauen mit chronischer Hypertonie, die im Gegensatz zu jenen mit einer Gestationshypertonie ein höheres Risiko für einen ungünstigen Schwangerschaftverlauf aufweisen. Generell gibt es keine Unterschiede bei der Behandlung einer chronischen oder schwangerschaftsinduzierten Hypertonie oder einer Hypertonie im Rahmen einer Präeklampsie. Im Vergleich zur chronischen Hypertonie toleriert man bei einer Gestationshypertonie höhere Blutdruckwerte, da in einem geringeren Prozentsatz mit einer vorbestehenden Endorganschädigung zu rechnen ist. Während bei der chronischen oder schwangerschaftsinduzierten Hypertonie eine ambulante Betreuung die Regel ist, erfodert die Betreuung von Frauen mit einer Präeklampsie (7 Kap. 17.3) eine stationäre Überwachung. Beim Management der chronischen Hypertonie in der Schwangerschaft stehen neben verschiedenen allgemeinen Maßnahmen die engmaschige Überwachung der Mutter und des Fetus zur frühzeitigen Diagnose einer Pfropfpräeklampsie sowie einer Plazentainsuffizienz mit intrauteriner Wachstumsrestriktion (IUWR), die Planung der Entbindung und die Frage der antihypertensiven Therapie im Vordergrund (7 Übersicht).
17
310
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Chronische Hypertonie 4 Engmaschige, klinische Kontrollen mit Blutdruckmessung und Urinuntersuchungen 4 Auf jeden Fall 24-h-Blutdruckprofil 4 Instruktion zur Blutdruckselbstmessung 4 Instruktion bezüglich Selbstbeobachtung von beginnenden Präeklampsiesymptomen 4 Auf jeden Fall vorbestehende antihypertensive Medikation sistieren oder reduzieren, insbesondere ACEHemmer und Angiotensin–II-Rezeptorblocker präkonzeptionell umstellen 4 Labetolol, Methyldopa oder Nifedipin sind die Antihypertensiva der 1. Wahl 4 Fetale Wachstumskontrolle monatlich ab 24 Wochen, alle 2–3 Wochen ab 32 Wochen 4 Einleitung diskutieren ab 38–39 Wochen
Allgemeine Maßnahmen Beratung. Frauen mit einer chronischen Hypertonie sollten ihre Kinder wenn möglich in jungem Alter haben, d. h. bevor hypertensive Gefäßveränderungen auftreten. Vor einer geplanten Schwangerschaft können Antihypertensiva versuchsweise abgesetzt werden. Schwangere mit einer chronischen Hypertonie sollen übermäßigen Stress vermeiden und häufige Ruhepausen während des Tages einplanen. Hospitalisation, Bettruhe. Es ist nicht erwiesen, dass Hospitalisation und Bettruhe die Prognose für Mutter und Kind verbessern. Bei einem Vergleich einer engmaschigen ambulanten Betreuung mit der stationären Behandlung und Bettruhe bei Schwangeren mit einer chronischen Hypertonie hatte die Behandlung unter Krankenhausbedingungen keinen Einfluss auf den Schwangerschaftsausgang, verursachte aber wesentlich höhere Kosten als die ambulante Betreuung (Tuffnell et al. 1992). Bei Patientinnen mit einer schweren Hypertonie kann eine vorübergehende Hospitalisation zur Überwachung und Therapieeinstellung angebracht sein. Diät. Eine Reduktionsdiät bei Adipositas ist während der
17
Schwangerschaft nicht zu empfehlen. Jedoch sollte einer übermäßigen Gewichtszunahme während der Schwangerschaft entgegengewirkt werden. Ebenso wird von einer kochsalzarmen Diät abgeraten, außer es liegt eine kochsalzempfindliche Hypertonie oder eine eingeschränkte mütterliche Nierenfunktion vor.
Überwachung der Mutter Schwangere mit einer chronischen Hypertonie müssen engmaschig überwacht werden. Eine regelmäßige Selbstmessung des Blutdrucks zu Hause ist zu empfehlen. Zu achten ist insbesondere auf das Neuauftreten einer Proteinurie oder anderer Zeichen einer Pfropfpräeklampsie. Die Frauen sollten regelmäßig instruiert werden, auf neu aufgetretene Präeklampsiesymptome zu achten. Des Weiteren hat es sich bewährt, die Patientin zur Selbstmessung einer Proteinurie mittels Streifentest – falls der Blutdruck zu Hause die Grenzwerte über-
steigt – zu instruieren. Falls nicht bereits durchgeführt, muss eine sorgfältige Hypertonieabklärung durchgeführt werden (. Tab. 17.1).
Überwachung des Fetus Die antepartale Überwachung des Fetus hat v. a. die Erkennung einer Plazentainsuffizienz zum Ziel. Dazu werden klinisch serielle Messungen des Symphysen-Fundus-Standes empfohlen. Sonographisch sollte ab 24 SSW alle 4 Wochen das fetale Wachstum durch Erfassung der Biometrie überwacht werden; ab 32 SSW werden die Intervalle auf alle 2–3 Wochen verkürzt. Bei normalem Wachstum wird eine zusätzliche Überwachung des Fetus allerdings kontrovers diskutiert, ein klarer Nutzen konnte bislang nicht gezeigt werden. Zeigt der Fetus jedoch eine Reduktion der Wachstumsgeschwindigkeit (Perzentilensprung bzw. »late flattening«) oder die Mutter klinische Zeichen einer Pfropfpräeklampsie, soll der Zustand des Fetus zusätzlich mittels CTG (Non-StressTest), Ultraschall (Fruchtwassermenge, biophysikalisches Profil) und Doppleruntersuchungen (fetale und umbilikale Gefäße) überwacht werden. Das Intervall zwischen den Untersuchungen wird durch das Ausmaß der Plazentainsuffizienz und der fetalen Anpassung bestimmt (7 Kap. 17.3.5; National Institutes of Health 2000; ACOG 2001; Sibai 2002).
Entbindung Bei einer unkomplizierten chronischen Hypertonie und einem normal entwickelten Fetus soll eine vaginale Entbindung am Termin angestrebt werden. Es wird empfohlen, bei Terminüberschreitung die Geburt einzuleiten (ACOG 2001). Auch bei Schwangeren mit schwerer Hypertonie, Pfropfpräeklampsie, IUWR oder belasteter Anamnese soll die Geburt eingeleitet werden, sobald die Lungenreife des Fetus erreicht ist. Die perinatale fetale Mortalität in einem Niederrisikokollektiv nimmt kontinuierlich ab, um mit etwa 41 Wochen den Nadir zu erreichen (Smith 2001). Hingegen steigt das kumulative Risiko eines intrauterinen Fruchtodes ab 38 SSW beinahe exponentiell an (Simulian et al. 2002; Künzel u. Misselwitz 2003). Bei Fällen mit Plazentainsuffizienz, aber auch bei jenen mit Hypertonie oder Diabetes mellitus ist dieser Zusammenhang noch verstärkt, weshalb eine Terminüberschreitung in diesen Hochrisikokollektiven vermieden werden sollte.
Antihypertensive Therapie Bei einer chronischen Hypertonie mit hohem Risiko (. Tab. 17.2) ist eine antihypertensive Therapie angezeigt, um einerseits mütterliche Komplikationen, insbesondere intrazerebrale Blutungen, zu vermeiden und anderseits dem Fortschreiten des Grundleidens, insbesondere von Nierenkrankheiten, vorzubeugen. Die anzustrebenden Zielblutdruckwerte werden in verschiedenen Fachgesellschaften kontrovers diskutiert. Während bei der chronischen Hypertonie die Therapieindikation strenger gestellt wird, akzeptiert man bei der Gestationshypertonie tendenziell höhere Blutdruckwerte. Jedenfalls sollten Blutdruckwerte von ≥170/110 mm Hg dringend zum Wohl der Mutter abgeklärt und behandelt werden. Im letzten CEMACH-Report wird empfohlen, dass alle schwangeren
311 17.2 · Inzidenz, Klassifizierung und Bedeutung der Hypertonie in der Schwangerschaft
. Tab. 17.2. Chronische Hypertonie mit hohem Risiko
Hypertonie
Kennzeichen
Schwere Hypertonie
Blutdruck 4 systolisch >170 mm Hg 4 diastolisch >110 mm Hg
Leichte Hypertonie
Blutdruck 4 systolisch >140 mm Hg 4 diastolisch >90 mm Hg mit Nierenpathologie Kardiomyopathie Koarktation der Aorta Retinopathie Diabetes mellitus Konnektivitiden Antiphospolipidsyndrom Früherer Präeklampsie Mütterliches Alter >40 Jahre Dauer der Hypertonie >4 Jahre
Frauen mit Blutdruckwerten von systolisch ≥160 mm Hg oder diastolisch ≥100 mm Hg antihypertensiv behandelt werden sollten (Lewis 2007; Lowe et al. 2009). Bei einer leichten chronischen Hypertonie (Blutdruck <160/100 mm Hg) ist dagegen der Nutzen einer antihypertensiven Therapie nicht erwiesen. So konnte in kontrollierten Studien weder eine Verminderung der Häufigkeit von Pfropfpräeklampsien oder vorzeitiger Plazentalösung noch eine Verbessung des fetalen Outcome bei Frauen unter antihypertensiver Therapie im Vergleich zu Frauen ohne Therapie gefunden werden (Sibai 1996; Magee et al. 1999; Abalos et al. 2007; Redman 1991). Allerdings hat es den Anschein, dass unter blutdrucksenkender Therapie die Häufigkeit schwerer Hypertonien geringer ist. Tipp Da die Blutdrucksenkung negative Auswirkungen auf die fetoplazentare Einheit haben kann und durch die periphere Vasodilatation in der ersten Schwangerschaftshälfte in der Regel mit einem Blutdruckabfall gerechnet werden kann (7 Kap. 17.1.1), empfiehlt es sich, eine vorbestehende antihypertensive Therapie wenn möglich bei der ersten Konsultation oder bereits präkonzeptionell unter regelmäßigen Blutdruckkontrollen abzusetzen und diese erst wieder aufzunehmen, wenn die Blutdruckwerte erneut ansteigen sollten. Die Behandlung der chronischen Hypertonie wird empfohlen, wenn die Werte persistierend diastolisch >100 mm Hg und systolisch ≥160 mm Hg liegen oder wenn bereits hypertoniebedingte Endorganschäden bestehen oder angenommen werden müssen (National Institutes of Health 2000; Abalos et al. 2007; Rey et al. 1997; Lowe 2009). Eine medikamentöse Behandlung einer leichten chronischen Hypertonie sollte auch bei besonderen Risikofaktoren in Betracht gezogen werden (Sibai 2002).
. Tab. 17.3. Antihypertensiva bei chronischer Hypertonie in der Schwangerschaft
Substanzen
Dosierung
Nebenwirkungen/ Interaktionen
α-Methyldopa
250 mg–3 g/Tag
Hämolytische Anämie, Hepatopathie, Sedation, Oedeme, orthostatische Dysregulation, Kopfschmerzen, trockener Mund, Bradykardien, depressive Verstimmungen
Labetalol
200–1600 mg/Tag
Hepatopathie, Müdigkeit und Schwäche, Bradykardie
Nifedipin
30–90 mg/Tag (Retardform), maximale Dosis 120 mg/Tag
Kopfschmerzen
Antihypertensiva, über deren Langzeitanwendung in der Schwangerschaft genügend Erfahrungen vorliegen, sind in . Tab. 17.3 aufgeführt. α2-Rezeptorenblocker. Methyldopa reduziert als sog. falscher Transmitter die Bildung und Freisetzung des physiologischen, sympathischen Neurotransmitters Noradrenalin durch Bindung an prä- und postsynaptische α2-Rezeptoren. Noradrenalin erhöht den Blutdruck via Vasokonstriktion. > Methyldopa ist das Mittel der Wahl für die Therapie der chronischen Hypertonie in der Schwangerschaft, weil es die einzige Substanz ist, deren Auswirkung auf das Kind in Langzeitstudien untersucht worden ist.
Nach oraler Verabreichung kann ein Abfall des Blutdrucks nach 6–12 h erwartet werden bei einer Initialdosis von 500– 750 mg und einer anschließenden Erhaltungsdosis von 1–3 g täglich. Die Nebenwirkungen sind selten, können aber klinsich und labormäßige Veränderungen hervorrufen, die den Symptomen einer schweren Präeklampsie oder eines HELLPSyndroms nicht unähnlich sind. Ein abruptes Absetzen des Medikaments sollte vermieden werden, da es zu einem sprunghaften Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz kommen kann (»Rebound-Effekt«). Außer einem verminderten Kopfumfang bei Kindern, die zwischen der 16. und 20. SSW exponiert wurden, sind keine negativen Effekte bekannt. Der verminderte Kopfumfang scheint ohne Bedeutung zu sein, da die Kinder in Langzeituntersuchungen einen normalen IQ und eine normale psychomotorische Entwicklung zeigten (Redman u. Ounsted 1982). Der uteroplazentare und der fetale Kreislauf werden durch Methyldopa nicht beeinflusst, obschon das Medikament die Plazenta passiert und in relativ hoher Dosierung im Fruchtwasser nachgewiesen werden konnte (Jones u. Cummings 1978).
17
312
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
α-β-Blocker. Labetalol bewirkt infolge der kombinierten α-β-Blockade eine periphere Vasodilatation ohne wesentliche Veränderung der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens. Verglichen mit Methyldopa weist Labetalol weniger maternale Nebenwirkungen auf. Wie bei den meisten β-Blockern wurde auch Labetalol mit neonataler Hypoglykämie, Hypotonie und Bradykardie assoziiert. Das Outcome der Kinder ist aber in allen Studien gut (Mabie et al. 1987; Belfort et al. 2006). Negative Auswirkungen auf den uteroplazentaren und auf den fetalen Kreislauf sind nicht bekannt. Sowohl die kanadische (SOGC 2008) wie auch die amerikanische (ACOG 2002) Gesellschaft empfehlen Labetalol, und auch die australische Gesellschaft (Brown et al. 2000; Lowe et al. 2009) hat Labetalol als eines der Medikamente der ersten Wahl bei Hypertonie und/oder Präeklampsie in den entsprechenden Leitlinien. Labetalol zeigt zusätzlich einige nichtantihypertensive Wirkungen, die diese Substanz, v. a. bei der Blutdrucksenkung bei schwerer Hypertonie und Präeklampsie, interessant machen: Es hemmt die Plättchenaggregation (Greer et al. 1985a), reduziert Thromboxane (Greer et al. 1985b) und scheint einen positiven Effekt auf die fetale Lungenreife zu haben (Michael et al. 1980). Die zerebrale Hämodynamik ist dadurch gekennzeichnet, dass der Blutfluss über weite Blutdruckbereiche konstant bleibt. Diese Autoregulation schützt das Gehirn vor Überoder Unterperfusion. Eine Art protektive Vasokonstriktion der proximalen Hirngefäße bei Präeklampsie scheint die distalen, dünnwandigen Hirngefäße zu schützen und einen normalen Blutfluss zu garantieren. Eine gestörte Autoregulation, wie sie vereinzelt bei präeklamptischen Frauen gesehen wird, kann zu einer zerebralen Hyperperfusion mit hypertensiver Enzephalopathie führen. Labetalol senkt den peripheren Widerstand und somit den zerebralen Perfusionsdruck, ohne die Hirnperfusion zu beeinflussen, was wiederum zu einer Senkung der Eklampsierate führen kann (Belfort et al. 2006).
17
Kalziumantagonisten. Die Erfahrung mit der Langzeittherapie von Nifedipin in der Schwangerschaft ist im Gegensatz zum kurzzeitigen Einsatz bei der Präeklampsie begrenzt (Sibai et al. 1992; Fenakel et al. 1991; Smith et al. 2000). Kalziumantagonisten sind aber für diese Indikation nicht zugelassen, bzw. es handelt sich um einen sog. »off-label use« dieser Medikamente. Die sublinguale Verabreichung von Nifedipin kann einen gefährlichen Blutdruckabfall innerhalb von 10–15 min verursachen und sollte nicht mehr in dieser Art verabreicht werden (Impey 1993). Die theoretische Gefahr der Kombination von Magnesiumsulfat und Nifedipin ist anekdotisch und basiert auf wenigen Fallvorstellungen (Waisman et al. 1988; Snyder et al. 1989). Die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sieht gemäß ihren Leitlinien in Nifedipin als Medikament der 1. Wahl in der hypertensiven Akuttherapie (AWMF 2008; . Tab. 17.4). Dabei wird empfohlen, mit 5 mg oral zu beginnen. Diese Dosierung ist z. B. in der Schweiz nicht erhältlich. Die Literatur bezüglich intravenöser Nifedipingabe ist spärlich. Die uteroplazentare Hämodynamik wird durch Nifedipin angeblich kaum beeinflusst.
. Tab. 17.4. Antihypertensiva bei schwerer Hypertonie
Substanzen
Dosierung
Labetalol
4 50 mg (in 0,9% NaCl) als Bolus langsam i.v., gefolgt von kontinuierlicher Infusion von 20 mg/h bis maximal 160 mg/h 4 20 mg i.v., verdoppelt jede Stunde bis Blutdruckkontrolle 4 20 mg i.v., dann alle 10 min erneut Bolus von 20–80 mg bis die Maximaldosis von 300 mg erreicht ist (z. B. 20–40–80–80– 80 mg) 4 Konstante Infusion von 1–2 mg/min, dann Erhaltungsdosis 0,5 mg/min
Nifedipin
4 30 mg p.o. Retard-Tbl., bis 120 mg/Tag oder 5 mg i.v. in 4–8 h
Dihydralazin
4 5 mg langsam i.v. oder i.m. 4 Nach 20 min erneut 5–10 mg, falls Blutdruckziel nicht erreicht ist 4 Maximale Dosis 20 mg 4 Falls nach 30 mg keine Besserung: Medikament wechseln 4 5 mg langsam i.v., gefolgt von kontinuierlicher Infusion von 5 mg/h
β-Blocker. Unter der Langzeittherapie mit Atenolol wurde in mehreren Studien ein deutlich vermindertes fetales Wachstum gefunden (Montan et al. 1992; Butters et al. 1990; Lydakis et al. 1999). Nach antepartaler Gabe von β-Blockern wurden zudem bei Neugeborenen respiratorische Depression und Hypoglykämie beschrieben. Die Daten über die Wirkung von verschiedenen β-Blockern auf die uteroplazentare und umbilikale Hämodynamik sind kontrovers (Sibai 1996). β-Blocker sollten deshalb für die Langzeittherapie in der Schwangerschaft nur bei zwingender Indikation eingesetzt werden. Andere Sympathikolytika. Das zentrale Sympatikolytikum Clonidin und der α1-Blocker Prazosin wurden in der Schwan-
gerschaft in einzelnen Fällen ohne negative Auswirkungen auf den Fetus und das Neugeborene eingesetzt. Beide Substanzen sollen in der Schwangerschaft nur in Ausnahmefällen angewandt werden, da kontrollierte Studien fehlen. ACE-Hemmer. Der Einsatz von Angiotensin-converting-enzyme-Hemmern wie Captopril oder Enalapril ist während der
Schwangerschaft und der Stillzeit kontraindiziert, da diese Substanzen mit intrauteriner Wachstumsrestriktion, fetalem Nierenversagen und neonatalen Todesfällen assoziiert sind (Cooper et al. 2006). Ebenso sind Angiotensin-II-RezeptorTyp-B-Blocker kontraindiziert. Medikamente aus beiden Stoffgruppen sollten bereits präkonzeptionell ersetzt werden. Diuretika. Die Behandlung von Ödemen durch Diuretika ist
während der Schwangerschaft grundsätzlich kontraindiziert. In Ausnahmefällen kann Furosemid bei Schwangeren mit ei-
313 17.3 · Präeklampsie
ner kochsalzempfindlichen chronischen Hypertonie von Nutzen sein, sollte jedoch beim Auftreten einer Pfropfpräeklampsie abgesetzt werden. Thiazide und Azetazolamid sind während der Schwangerschaft wegen des teratogenen Risikos und der Gefahr der fetalen Hypoglyämie kontraindiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Methyldopa oder Labetalol die antihypertensiven Medikamente der Wahl für die Langzeitbehandlung der chronischen Hypertonie in der Schwangerschaft sind. Als Zweitmedikament empfiehlt sich ein Kalziumantagonist wie die Retardform von Nifedipin. Dihydralazin. Diese Substanz war Mittel der Wahl bei schwe-
ren, akuten Hypertonien. Es wird in der Regel intravenös bolusweise oder als kontinuierliche Infusion verabreicht, und seine Wirkung tritt innerhalb von 20–30 min ein. Dihydralazin blockiert die kontraktilen Eigenschaften der glatten Muskulatur. Der Hirndruck und der zerebrale Blutfluss werden aufgrund der Vasodilatation der Hirngefäße erhöht, was die häufig beklagten schweren Kopfschmerzen erklärt. Zusätzlich führt es zu einer markanten Tachykardie, Unruhe, Angst und Hyperreflexie. Diese Nebenwirkungen zusammen mit den Kopfschmerzen werden in beinahe 50% der Fälle beobachtet und simulieren Symptome einer drohenden Eklampsie (Assali et al. 1953). Daneben stimuliert Dihydralazin die Freisetzung von Noradrenalin, einem potenten Vasokontriktor für die uteroplazentare Zirkulation. Zeichen eines »fetal distress« sind nach Blutdrucksenkung mit diesem Medikament beschrieben worden (Vink et al. 1982). In einer kürzlich erschienenen Metaanalyse wurde zur Behandlung von sehr hohen Blutdruckwerten bei schwerer Präeklampsie oder bei einer hypertensiven Krise Labetalol und Nifedipin gegenüber Dihydralazin (Dosierung . Tab. 17.4) der Vorzug gegeben (Magee et al. 1999, 2003; Duley et al. 2006). Labetalol ist auch bei dieser Indikation gut untersucht und zeigt einen raschen Blutdruckabfall ohne die typische dihydralazinbedingte Tachykardie oder die durch Kalziumantagonisten verursachten Kopfschmerzen. Die intravenöse Antihypertensiva sollten verabreicht werden, wenn die orale Applikationsform nicht zum Ziel geführt hat.
17.3
Präeklampsie
Präeklampsie Die Präeklampsie ist definiert durch das Auftreten einer Hypertonie und einer Proteinurie ab der 20. SSW. Eine signifikante Proteinurie liegt bei einem Eiweißverlust von >300 mg/24 h, entsprechend einer Anzeige von 1–2 Kreuz positiv in einem Streifentest, vor. Definition der Hypertonie 7 Kap. 17.1.
Die Inzidenz der Präeklampsie beträgt 3–5% bei Nulliparae und 0,5% bei Multiparae (Redman 1995). Es sind verschiedene, gut definierte Risikofaktoren für die Entwicklung einer Präeklampie beschrieben worden (Sibai et al. 1991;
. Tab. 17.5. Relatives Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie
Bedingung
Relatives Risiko
Diabetes mellitus
2,0
Primigravidität
3,0
Alter >40 Jahre
3,0
Mütterliche Frühgeburtlichkeit
3,6
Zwillingsschwangerschaft, insbesondere monochoriale
4,0
Präeklampsie in der Familie
5,0
Mütterliches Untergewicht bei Geburt
5,2
Chronische Hypertonie
10,0
Antiphospholipidsyndrom
10,0
Chronische Nierenkrankheit
20,0
Angiotensinogen-Genmutation 4 heterozygot 4 homozygot
4,0 20,0
Status nach schwerer Präeklampsie vor der 28. SSW
120,0
ACOG 2002; Duckitt u. Harrington 2005; Innes et al. 1999; . Tab. 17.5). Das erhöhte Risiko von adoleszenten Primigravidae konnte in einer neuen Studie nicht bestätigt werden und bleibt somit kontrovers (Duckitt u. Harrington 2005). Rauchen in der Schwangerschaft hat offensichtlich einen protektiven Effekt gegenüber Präeklampsie (Xuong et al. 2000).
17.3.1
Ätiologie und Pathogenese
Die eigentliche Ätiologie der Präeklampsie ist nach wie vor unbekannt. Im Zentrum der Pathogeneseforschung der Präeklampsie stehen Anpassungsstörungen an die Schwangerschaft. Nach dem allgemein akzeptierten Modell läuft das Krankheitsgeschehen in 2 Phasen ab (Roberts u. Hubel 1999): 4 Störung der Implantation und Plazentation in der Frühschwangerschaft mit Hypoxie des Trophoblasten infolge von Perfusionsstörung 4 endotheliale Dysfunktion im peripheren mütterlichen Kreislauf Nach herkömmlicher Auffassung ist die ungenügende Invasion der Dezidua durch den extravillösen Trophoblasten mit mangelhaftem Umbau der Spiralarterien die Basis für die gestörte Implantation und Plazentation (Goldmann-Wohl u. Yagel 2002; McMaster et al. 2004). Huppertz hat kürzlich dar-
17
314
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
auf hingewiesen, dass die Differenzierungsstörung des Trophoblasten als Ursprung der Präeklampsie bereits im Blastozystenstadium erfolgt (Huppertz 2008). Die weiteren Schritte in der Pathogenese wie die Störung der Interaktion des extravillösen Trophoblasten mit dem mütterlichen Immunsystem und die ungenügende Remodellierung der uteroplazentaren Gefäße sind Folgen dieser frühen Störung der Differenzierung des Trophoblasten. Die in der normalen Schwangerschaft erfolgende Interaktion des mütterlichen Immunsystems mit dem semiallogenetischen Gewebe embryonalen Ursprungs ist Auslöser einer inflammatorischen Reaktion sowohl lokal im fetomaternalen Grenzbereich wie auch systemisch im mütterlichen Organismus. Diese inflammatorische Antwort auf das Vordringen des Trophoblasten in die Dezidua erfährt bei der Präeklampsie eine deutliche Verstärkung und ist auch qualitativ verändert (Redman u. Sargent 2003; Redman et al. 1999; . Abb. 17.1). Auf die Bedeutung der Interaktion des Trophoblasten mit den mütterlichen Immunzellen mit Aktivierung der Naturalkiller-Zellen (NK-Zellen) mit Freigabe verschiedener angio-
. Abb. 17.1. Pathogenese der Präeklampsie
17
genetisch wirkender Moleküle, die regulierend auf den Umbau der Spiralarterien und die Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufes wirken, wurde bereits in 7 Kap. 1 eingegangen. Für die Regulation der Invasivität des fetalen extravillösen Trophoblasten scheint die Interaktion verschiedener Haplotypen des KIR-Rezeptors der NK-Zellen und des HLA-C des Trophoblasten von zentraler Bedeutung zu sein. Die Konstellation von KIR-Rezeptoren des Haplotypen der Gruppe A mit dem HLA-C2-Haplotyp führt zu einer Deaktivierung der NKZellen mit einer Suppression der Zytokinproduktion und einer Hemmung des Vordringens des extravillösen Trophoblasten in der Dezidua sowie im Lumen der Spiralartien. Das Präeklampsierisiko ist am höchsten bei Schwangeren, die homozygot für den KIR A Haplotyp (AA) sind, insbesondere, wenn der Fetus homozygot für den HLA-C2-Haplotyp ist (Hiby et al. 2004; Moffett u. Hiby 2007). Das bereits erwähnte, ursprünglich von Roberts u. Hubel beschriebene 2-Phasen-Konzept der Pathophysiologie der Präeklampsie wurde von den gleichen Autoren kürzlich in mehreren Punkten modifiziert (Roberts u. Hubel 2009):
315 17.3 · Präeklampsie
4 Die von dem Trophoblasten ausgehende Störung wird bereits im frühen 1. Trimenon wirksam, d. h. deutlich vor der Remodellierung der uteroplazentaren Gefäße durch den extravillösen Trophoblasten. 4 Mehrere Links verknüpfen die beiden Phasen, und je nach Link werden verschiedene Subtypen des Syndroms unterschieden. 4 Bei der Manifestation der für eine Präeklampsie typischen Symptome kommt mütterlichen konstitutionellen Faktoren eine spezielle Bedeutung zu. Bemerkenswert ist dabei die Parallelität zu den Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Der bei der gestörten Plazentation als Folge der mangelhaften Perfusion des intervillösen Raumes entstehende oxidative Stress und die dadurch induzierten inflammatorischen Vorgänge sind für die Entwicklung des Krankheitsbildes von besonderer Bedeutung (Redman u. Sargent 2009). Das Ungleichgewicht zwischen der Freisetzung von Sauerstoffradikalen und den antioxidativen Schutzmechanismen des mütterlichen Organismus führt zu oxidativem Stress mit inflammatorischen Reaktionen in der fetomaternalen Grenzzone. Die dabei entstehenden Substanzen wie Zytokine, Lipidperoxide, diverse Proteine und Peptide sowie aktivierte Leukozyten und Monozyten gelangen in den mütterlichen Kreislauf und sind Auslöser einer mehr oder weniger generalisierten Dysfunktion des Endothels in zahlreichen Organen des mütterlichen Organismus. Vesikuläre Plasmamembranfragmente, die bei Präeklampsie vermehrt von der Trophoblastoberfläche der Plazentazotten an den mütterlichen Kreislauf abgegeben werden, sind ebenfalls bei der Verursachung der Dysfunktion des Endothels beteiligt (Knight et al. 1998; Van Wijk et al. 2002; Redman u. Sargent 2003; Gupta et al. 2005). Die Dysfunktion des Endothels begünstigt die Aktivierung von Leukozyten sowie Thrombozyten mit einer prokoagulatorischen Stimulation des Gerinnungssystems (. Abb. 17.1). Die als Folge der gestörten Funktion des Trophoblasten entstehende Dysbalance in der Sezernierung von angiogenen und antiangiogenen Faktoren mit Beeinträchtigung der Entwicklung des Zottenkreislaufs der Plazenta (Ahmad u. Ahmed 2004) ist ein zentrales Element der Pathogenese der Präeklampsie (Tjoa et al. 2007). Die im peripheren mütterlichen Blut in erhöhter Konzentration zirkulierenden antiangiogenetischen Faktoren sind ebenfalls an der Entstehung der endothelialen Dysfunktion beteiligt. Sie sind als diagnostische Marker für die Früherkennung der Präeklampsie auch klinisch von erheblichem Interesse (Levine et al. 2004, 2006). In 7 Kap. 17.3.8 (»Screening und Prävention«) wird näher darauf eingegangen. Nach neueren Erkenntnissen kann auch eine Störung der Volumenexpansion in der Frühschwangerschaft Ursache für die Perfusionsstörung und die damit verbundene Beeinträchtigung der Plazentaentwicklung sein (Shojaati et al. 2004). Neben den genuinen Anpassungsstörungen in der Frühschwangerschaft sind andere Faktoren wie die »große« Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften, Triploidie oder Blasenmole mit einem erhöhten Risiko einer Präeklampsie assoziiert. Als Ausdruck der Zunahme der Plazentamasse kommt
es auch in der normalen Spätschwangerschaft andeutungsweise zu Veränderungen, wie sie verstärkt bei einer Präeklampsie auftreten können (Redman 1999; 7 Übersicht). Gemeinsame Veränderungen in der physiologischen späten Schwangerschaft und Präeklampsie. (Nach Redman 1999) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Steigender diastolischer Blutdruck Steigende Harnsäurespiegel im mütterlichen Plasma Steigende Albuminausscheidung im mütterlichen Urin Zunehmende Ödeme Fallende Thrombozytenzahlen im mütterlichen Blut Erhöhte Spiegel von Markern der Thrombozytenaktivierung Steigende Corticotropin-releasing-Faktor-Spiegel im mütterlichen Plasma Erhöhte Fibronektinspiegel im mütterlichen Plasma Erhöhte von-Willebrandt-Faktor-Spiegel im mütterlichen Plasma Erhöhte Plasminogen-Aktivator-Inhibitor- und GewebePlasminogen-Aktivator-Konzentrationen
Neben den bereits oben als Risikofaktoren aufgeführten vorbestehenden Krankheiten vermindern Störungen wie chronische Infekte, Hyperhomozysteinämie und angeborene Thrombophilien (APC-Resistenz, Protein-C- und -S-Mangel) die mütterliche Resistenz und begünstigen die Entstehung einer Präeklampsie. Die geschilderte komplexe Pathogenese der Präeklampsie macht deutlich, dass es keine klar definierte Ursache für das äußerst vielschichtige Krankheitsbild gibt. An der Entstehung des Syndroms sind verschiedene Faktoren beteiligt wie die Plazenta mit Störung der Plazentation in der Frühschwangerschaft, eine relativ zu große Plazentamasse, eine primär, d. h. kostitutionell oder sekundär durch Umweltfaktoren oder bestimmte Vorerkrankungen erhöhte Vulnerabilität des mütterlichen Endothels u. a. (Ness u. Roberts 1996). > Der gemeinsame Nenner ist die Entstehung einer endothelialen Dysfunktion als zentrale Pathologie, auf die sich die Mehrzahl der klinischen Symptome zurückführen lässt.
Auch die Tatsache, dass bis heute kein Screeeningtest gefunden wurde, der die Entstehung einer Präeklampsie zuverlässig voraussagt, und dass keine einzelne prophylaktische oder therapeutische Maßnahme – mit Ausnahme der Beendigung der Schwangerschaft – sich allein als wirksam erwiesen hat, unterstreicht das Konzept einer multifaktoriellen Genese.
17.3.2
Auswirkungen
In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten klinischen Symtome der Präeklampsie besprochen. Das breite Spektrum spiegelt die Natur der Präeklampsie als Multiorganerkrankung wider.
17
316
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Die klinischen Symptome entwickeln sich typischerweise Wochen bis Monate nach den pathogenetischen Störungen der Plazentation im 1. und frühen 2. Trimenon. Frühe klinische Zeichen, d. h. vor der 20. SSW, werden bei Schwangerschaften mit Blasenmole, chromosomalen Aneuploidien (Broekenhuizen et al. 1983) sowie Kokainabhängigkeit der Mutter beobachtet (Towers et al. 1993). Die Vielfalt der Symptomatik lässt sich auf eine generaliserte Vasokonstriktion, Aktivierung der Gerinnung sowie Mikroangiopathien in verschiedenen Organsystemen zurückführen (National Institutes of Health 2000). Für die Ausprägung der Pathologie in verschiedenen Organen und den unterschiedlichen Phänotyp des Krankheitsbildes im Einzelfall gibt es bislang keine schlüssige Erklärung.
Zentralnervensystem Im Gehirn kann es infolge der gestörten Autoregulation zu lokalisierten Durchblutungsstörungen kommen mit Sehstörungen (Augenflimmern, Photophobie, Diplopie, Skotome, Amaurose) und Kopfschmerzen. Eine Hyperreflexie und ein Klonus sind Ausdruck der gesteigerten zerebralen Erregbarkeit und weisen auf die drohende Gefahr eines eklamptischen Anfalls hin. Die Eklampsie ist eine seltene, schwere Komplikation der Präeklampsie, die sich in generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen äußert (7 Kap. 17.4). Bei einem raschen Blutdruckanstieg können die zerebralen Arteriolen geschädigt werden und ihre Autoregulation verlieren. Eine Folge davon sind intrakranielle Blutungen, die die häufigste vaskuläre Komplikation der Präeklampsie darstellen.
Kardiovaskuläres System
17
Die Hypertonie ist ein frühes klinisches Zeichen der Präeklampsie. Der Blutdruck ist zumindest zu Beginn der Erkrankung instabil. Der zirkadiane Rhythmus ist typischerweise verändert. Initial kommt es zu einem Verlust des normalen Blutdruckabfalls in der Nacht, und in fortgeschrittenen Stadien findet man eine Umkehr des Rhythmus mit einer Erhöhung des Blutdrucks während des Schlafes. Untersuchungen zum hämodynamischen Zustand bei Patientinnen mit Präeklampsie zeigten je nach Stadium und Schweregrad der Erkrankung unterschiedliche Resultate. In der Latenzphase ist das Herzminutenvolumen erhöht bei normalem peripherem Widerstand. Mit dem Auftreten von Symptomen nimmt das Herzminutenvolumen ab, und der Gefäßwiderstand steigt (Bosio et al. 1999). Bei unbehandelten Patientinnen mit schwerer Präeklampsie wurde unter invasivem Monitoring ein normaler bis verminderter kardialer Index, ein mäßig bis stark erhöhter systemischer Gefäßwiderstand und ein normaler bis tiefer pulmonaler kapillarer Wedge-Druck gefunden (Mushambi et al. 1996). Die Präeklampsie führt in seltenen Fällen zu einer Linksherzinsuffizienz und einem Lungenödem. Daneben können auch andere Mechanismen wie verminderter onkotischer Druck im Plasma, erhöhter kapillärer »leak« oder iatrogen Volumenüberlastung beteiligt sein. Die Präeklampsie geht i. d. R. mit einer Verminderung des Plasmavolumens und einer Hämokonzentration einher. In
85% der Fälle kommt es zur Ausbildung von Ödemen sowie Aszites, Pleura- und Perikardergüssen. Ursächlich von Bedeutung sind die erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände, der infolge des Eiweißverlustes verminderte kolloidosmotische Druck und die verminderte Aktivität des Renin-AldosteronSystems.
Nieren und Flüssigkeitshaushalt Die glomeruläre Filtrationsrate ist gegenüber der normalen Schwangerschaft um 30–40% reduziert. Die Schädigung der Endothelien der Glomeruli geht mit einer nicht selektiven Proteinurie einher (Moran et al. 2004). Infolge einer Störung der tubulären Funktion, die der glomerulären Schädigung i. d. R. vorausgeht, ist die Ausscheidung von Harnsäure, Kalzium und Kallikrein im Urin vermindert. Speziell die Harnsäure ist aber ein schlechter Marker zur Vorhersage für mütterliche oder fetale Komplikationen (Thangaratinam S et al. 2006). Ein Anstieg von Kreatinin und Harnstoff im Plasma deutet zusammen mit einer Oligo- bis Anurie auf eine schwere Nierenfunktionsstörung hin. Die Oligurie ist häufig durch eine Hypovolämie, d. h. prärenal bedingt. In seltenen Fällen, z. B. im Rahmen einer vorzeitigen Plazentalösung, kommt es infolge des Volumenmangels, des verminderten Herzzeitvolumens und der renalen Vasokonstriktion zu einem akuten Nierenversagen mit tubulären und kortikalen Nekrosen, sodass eine Dialysebehandlung erforderlich werden kann.
Leber Eine Leberschwellung äußert sich in epigastrischen Schmerzen, Nausea und Erbrechen. Bei einer Dysfunktion der Leberzellen kommt es zu einem Anstieg der Aminotransferasen im Serum. In Verbindung mit einer Hämolyse und einer Thrombozytopenie spricht man von einem HELLP-Syndrom (7 Kap. 17.5). Oft sind die eigentlichen Kriterien eines HELLPSyndromes nicht erfüllt, und man findet lediglich als Zeichen einer Begleithepathopathie leicht erhöhte Transaminasen oder seltener auch ein erhöhtes γ-GT mit oder ohne Hämolysezeichen bei stabilen Thrombozyten. Histologisch findet man in schweren Fällen periportale Blutungen, ischämische Infarkte und eine mikrovesikuläre Verfettung der Parenchymzellen. Selten kommt es zu ausgedehnten Blutungen mit Ausbildung von subkapsulären Leberhämatomen. Die Kombination von Nausea oder Erbrechen mit einer abnormen Leberzellfunktion und einer Hypoglykämie lässt an eine akute Schwangerschaftsfettleber denken, die häufig mit einer Präeklampsie assoziiert sein kann (7 Kap. 17.6).
Thrombozyten und Blutgerinnung Die Thrombozytenzahl ist in 20% der Fälle leicht vermindert (100000–150000/μl). Die Thrombozyten sind meist vergrößert (d. h. jünger). Dies deutet zusammen mit erhöhten Spiegeln von plättchenspezifischen Markern (β-Thromboglobulin, Plättchenfaktor 4) auf eine gesteigerte Aktivierung und einen erhöhten Turnover der Thrombozyten hin (Redman 1995).
317 17.3 · Präeklampsie
Die plasmatische Gerinnung ist ebenfalls gesteigert. Während die globalen Gerinnungstests meist noch normal sind, können erhöhte Plasmaspiegel von D-Dimeren, Fibrinopeptid A und Thrombin-Antithrombin-III-Komplexen nachgewiesen werden. Die Plasmaspiegel von Inhibitoren der Gerinnung, z. B. Antithrombin III und Protein C, sind dagegen reduziert. In der Mehrzahl der Fälle liegt ein chronischer, kompensierter Zustand der aktivierten Gerinnung vor. Außer bei einer vorzeitigen Lösung der Plazenta kommt es selten zu einer akuten disseminierten intravasalen Gerinnung mit einer Verbrauchskoagulopathie. Sinkende Spiegel von Fibrinogen, Faktor VII und VIII sowie der Anstieg von Fibrin-FibrinogenSpaltprodukten im Plasma können eine erhöhte Blutungsneigung zur Folge haben.
Plazenta und Fetus Die gestörte Adaptation des uteroplazentaren Kreislaufs führt auf dem Boden eines unzureichenden Plazentawachstums zusammen mit ischämiebedingtem Gewebeuntergang zu einer chronischen Plazentainsuffizienz. Diese tritt insbesondere bei vorbestehenden Gefäßschäden frühzeitig in der Schwangerschaft auf und führt zu einer ausgeprägten Wachstumsrestriktion, im Extremfall zu intrauteriner Asphyxie und Tod des Fetus. Je nach fetaler Anpassung an die Plazentainsuffizienz kann sich auch ein Oligohydramnion ausbilden (Odegard et al. 2000). Bei später einsetzender Präeklampsie werden eher erhöhte mittlere Geburtsgewichte, wahrscheinlich als Folge der großen Plazenta, beobachtet (Rasmussen u. Irgens 2003). Im Zusammenhang mit der gestörten vaskulären Adaptation im Bereich des Plazentabetts kommt es gehäuft zu einer vorzeitigen Plazentalösung oder zu sonomorphologischen Auffälligkeiten der Plazenta (Raio et al. 2004). Neben dem Untergewicht der Plazenta ist histologisch die sog. diskordante Zottenreifung mit frühzeitiger Ausreifung und kompensatorischer Hypervaskularisierung der Endzotten typisch. Nach einer Präeklampsie treten vermehrt neonatale Komplikationen auf. Hämatologische Störungen, z. B. eine Neutropenie, eine Thrombozytopenie und eine Anämie, werden häufig beobachtet. > Generell treten die durch Frühgeburtlichkeit bedingten Störungen wie Atemnotsyndrom, Hirnblutung oder nekrotisierende Enterokolitis gegenüber gleichaltrigen Neugeborenen von Schwangeren mit normalem Blutdruck gehäuft auf (Friedman et al. 1995).
17.3.3
Diagnose
Die Präeklampsie ist ein Syndrom, das durch die Verbindung von Hypertonie und Proteinurie definiert ist. Funktionsstörungen verschiedener Organe (Kopfschmerzen, Sehstörungen, epigastrische Schmerzen) und generalisierte Ödeme bzw. eine Gewichtszunahme von >1 kg/Woche können auf eine Präeklampsie hinweisen. Allerdings ist zu beach-
ten, dass Ödeme bei 80% der normotonen Schwangeren auftreten und dass Präeklampsieformen ohne nennenswerte Ödeme oft besonders schwer verlaufen (trockene Präeklampsie). Regelmäßige Kontrollen des Blutdrucks und der Proteinurie im Rahmen der Schwangerenvorsorge stellen die Meilensteine für die Erkennung einer Präeklampsie dar. Bei Schwangeren mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie (vorausgegangene schwere Präeklampsie, vorbestehende Nierenkrankheiten, Antiphospholipidsyndrom, chronische Hypertonie) sollte die Anzahl der Vorsorgeuntersuchungen erhöht und eine medikamentöse Prophylaxe der Präeklampsie in Betracht gezogen werden (7 Kap. 17.3.8). Auf die Besonderheiten bei der Blutdruckmessung wurde bereits hingewiesen. Die semiquantitative Erfassung der Proteinurie mithilfe des Streifentests hat sich als Screeningtest ebenfalls etabliert, korreliert jedoch bei leichter Proteinurie (1+ positiv) schlecht mit einer 24-h-Urinsammlung (Waugh et al. 2004). Im Gegensatz zum Streifentest weist die Bestimmung der Protein-Kreatinin-Ratio in einer Urinprobe eine höhere Sensitivität und Spezifität in der Vorhersage einer signifikanten Proteinurie (≥300 mg/24 h) auf (Malin et al. 2007). Bei persistierender Proteinurie im Teststreifen sind ein Urinstatus und eine 24-h-Urinsammlung vorzunehmen. Von Interesse ist die kürzlich publizierte systematische Übersicht über die Bedeutung der Proteinurie im Hinblick auf die Inzidenz mütterlicher oder fetaler Komplikationen bei Präeklampsie. Dabei konnte klar gezeigt werden, dass der Schweregrad der Proteinurie nicht mit den Komplikationen assoziiert ist (Thangaratinam et al. 2009). Die Diagnose einer Pfropfpräeklampsie wird gestellt, wenn zu einer chronischen bzw. vorbestehenden Hypertonie eine Proteinurie hinzutritt. Die Abgrenzung der Pfropfpräeklampsie von einer Nierenkrankheit, die mit einer Hypertonie und einer Proteinurie einhergeht, ist schwierig. Der Anstieg des Harnsäurespiegels im Serum, eine Thrombozytopenie, eine Dysfunktion der Leber, des Zentralnervensystems oder anderer Organe deuten auf eine Pfropfpräeklampsie hin. In Zweifelsfällen sollte die Patientin so behandelt werden, als ob eine Pfropfpräeklampsie vorliegen würde. Zusammen mit der Untersuchung umbilikaler und fetaler Gefäße im Rahmen einer fetalen Wachstumsrestriktion ist die Dopplersonographie der uterinen Arterien für die Diagnose einer zugrundeliegenden Plazentainsuffizienz als Ursache der IUWR hilfreich, hat jedoch keinen Einfluss auf das Management. Die Inzidenz von Pathologien im uterinen Strömungsgebiet ist sowohl vom Schweregrad der Präeklampsie als auch vom Gestationsalter bei Diagnosestellung der Präeklampsie abhängig. So werden eine erhöhte Pulsatilität in den Aa. uterinae oder eine persistierende postsystolische Inzisur (»Notch«), bei schweren und frühen Formen der Präeklampsie signifikant häufiger vorgefunden als bei den späten Formen. Nach der 37. SSW werden nur in knapp 29% Auffälligkeiten im Strömungsmuster der A. uterina gefunden, während dies bei Präeklampsiefällen vor der 34. SSW in 87% der Fall ist (Vetter u. Kilavuz 1999; Li et al. 2005).
17
318
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
17.3.4
Schweregrad und Verlauf
Die Beurteilung des Schweregrads der Präeklampsie wird durch das breite Spektrum der klinischen Symptome, das Ausdruck der unterschiedlichen Organbeteiligung ist, erschwert. Das Ausmaß der Hypertonie ist nicht unbedingt maßgebend für den Schweregrad der Erkrankung. Leichte Formen der Hypertonie können mit einer schweren Beeinträchtigung der Leber- und Nierenfunktion verbunden sein. > Das Gestationsalter bei der Erstmanifestation spielt eine wichtige Rolle bezüglich der Einteilung der Präeklampsie und der Prognose des Schwangerschaftsverlaufs (7 Kap. 17.3.3).
Generell zeigt eine sog. Early-onset-Präeklampsie, d. h. vor der 34. SSW und im Speziellen vor der 28. SSW, einen schwereren Verlauf als eine Präeklampsie, die erst in der Spätschwangerschaft als sog. Late-onset-Präeklampsie manifest wird. Die Early-onset-Präeklampsie ist meistens mit einer Plazentainsuffizienz vergesellschaftet. Die Lateonset-Präeklampsie ist selten mit einer intrauterinen Wachstumsrestriktion assoziiert. Entsprechend finden sich zwischen diesen beiden Gruppen auch deutlich unterschiedliche Resultate der Doppleruntersuchung der A. uterina (Li et al. 2005). Die Vielfältigkeit der klinischen und labormäßigen Präsentation dieses Krankheitsbildes hat zur Einführung der Bezeichnung »atypische Präeklampsie« geführt (. Tab. 17.1).
tigen Konzept nicht als eine klar definierte Krankheit begriffen, sondern als Ausdruck verschiedener Krankheitsbilder, die pathogenetisch in einer gestörten Plazentation mit nachfolgend mütterlicher inflammatorischer Reaktion ihren Ursprung haben. Als besondere Formen werden die Manifestationen einer schweren Präklampsie (oder sogar Eklampsie) vor der 20. SSW (z. B. bei Blasenmole, Triploidie) oder >48 h nach der Geburt betrachtet (Sibai 2009). Atypische Präeklampsien Die nichtproteinurische Präeklampsie ist definiert als Gestationshypertonie ohne Proteinurie, aber mit mindestens einem der folgenden Befunde: 4 Klinische Symptome einer Präeklampsie (. Tab. 17.3) 4 Hämolyse oder Thrombozytopenie (<100.000/μl) oder erhöhte Leberenzyme (Doppeltes der Norm) Von nichthypertensiver Präeklampsie wird gesprochen bei signifikanter Proteinurie ohne Hypertonie, aber mit mindestens einem der folgenden Befunde: 4 Klinische Symptome einer Präeklampsie (. Tab. 17.2) 4 Hämolyse oder Thrombozytopenie oder erhöhte Leberenzyme Als Sonderformen werden definiert: das Auftreten einer Präeklampsie oder Eklampsie vor der 20. SSW oder >48 h nach der Geburt.
Atypische Präeklampsien
17
Diese verschiedenen Präeklampsievarianten sind Gegenstand intensiver Diskussion in verschiedenen nationalen und internationalen Fachgesellschaften und auch in die neuen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe als eigene Entitäten aufgenommen worden. Es handelt sich um »Abortivformen« der klassischen, schweren Präeklampsie mit ihren typischen Charakteristika, aber z. B. ohne Proteinurie (nichtproteinurische Präeklampsie) oder ohne Hypertonie (nichthypertensive Präeklampsie; Sibai et al. 2009). Die Präeklampsie ist ein Syndrom, das in der Frühschwangerschaft durch eine inadäquate Trophoblastentwicklung initiiert wird und sich klinisch durch pathologische mütterliche und/oder fetale Reaktionen äußert. So betrachtet entwickelt sich die Hypertonie über Wochen und Monate bis hin zum klassischen Bild der Präeklampsie. Die Überlegung, auch die atypische Präeklampsie vermehrt zu berücksichtigen, trägt diesem Prozess Rechnung und durchbricht das eher dichotome Denken der letzten Jahre. Dies entspricht auch der Einteilung von Redman, der anhand des Schweregrades und des Gestationsalters ätiologisch die Präeklamspie in eine maternale und eine plazentare Variante einteilt, wobei die maternale Präeklampsie die späte Form mit praktisch nur mütterlichen Symptomen darstellt, während andererseits die plazentare Variante den frühen, schweren Verlauf – charakterisiert durch eine Plazentainsuffizienz und eine konsekutive mütterliche systemische Reaktion – beschreibt (Redman et al. 1999). Gemäß diesen Überlegungen wird die Präeklampsie im heu-
> Die Einführung der atypischen Präeklampsie in der Klassifizierung von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen trägt der Tatsache Rechnung, dass der Faktor Zeit wichtig ist. Sie bricht mit der dichotomen Betrachtungsweise bzw. Definition der Präeklampsie als »Hypertonie und Proteinurie nach der 20. SSW« und unterstreicht den syndromalen, evolutiven Charakter dieser Erkrankung.
17.3.5
Management
Für das Management der Präeklampsie hat sich die Unterscheidung zwischen einer leichten und einer schweren Form der Erkrankung bewährt (. Tab. 17.6). Dabei ist zu beachten, dass sich eine schwere Präeklampsie langsam über Tage aus einer leichten Präeklampsie entwickeln oder auch ohne prodromale Symptome binnen Stunden auftreten kann. Zur Vermeidung lebensbedrohlicher Komplikationen bei der Mutter muss die frühzeitige Beendigung der Schwangerschaft als einzige kausale Therapie der Präeklampsie grundsätzlich in Betracht gezogen werden. Zusammen mit der Sicherung des mütterlichen Wohlergehens wird idealerweise ein intaktes Überleben des Fetus angestrebt. Die Entscheidung zwischen einem konservativem, die Schwangerschaft verlängernden Management und der raschen Entbindung orientiert sich an den Parametern
319 17.3 · Präeklampsie
4 4 4 4
Zustand der Mutter bzw. Schwere der Erkrankung Zustand des Kindes bzw. Schwere der Plazentainsuffizienz Schwangerschaftsalter Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus Typ 1)
. Tab. 17.6. Einteilung der Präeklampsie. (Nach ACOG 2002)
Präeklampsie
Kennzeichen
Leichte Präeklampsie
Blutdruck 4 systolisch ≥140 mm Hg 4 diastolisch ≥90 mm Hg Proteinurie ≥0,3 g/24 h
Schwere Präeklampsie
Blutdruck 4 systolisch ≥160 mm Hg 4 diastolisch ≥110 mm Hg Labor 4 Proteinurie ≥5 g/24 h 4 Thrombozytopenie 4 Erhöhte Aminotransferasen 4 Erhöhtes Serumkreatinin 4 Erhöhte Laktatdehydrogenase Klinik 4 Hyperreflexie, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Wesensveränderungen 4 Rechtseitige Oberbauchschmerzen, epigastrische Schmerzen, Nausea und Erbrechen 4 Retrosternale Schmerzen, Kurzatmigkeit 4 Oligurie 400 ml/24 h Plazenta 4 Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUR) 4 Vorzeitige Plazentalösung
Bei einer leichten Präeklampsie bietet sich ein konservatives Management an. Die erforderliche engmaschige Überwachung der Mutter und des Fetus muss in der Mehrzahl der Fälle unter Klinikbedingungen erfolgen. Während die Lungenreifebehandlung mit Glukokortikoiden vor der 34. SSW unbestritten ist, wird der Nutzen einer antihypertensiven Therapie kontrovers beurteilt (7 unten). Bei nachgewiesener Reife des Fetus oder fortgeschrittenem Gestationsalter sollte wegen der Gefahr des Übergangs in eine schwere Präeklampsie die Indikation zur Entbindung großzügig gestellt werden. Bei einer schweren Präeklampsie muss die Patientin unverzüglich hospitalisiert und die Beendigung der Schwangerschaft geplant werden. Vor der Entbindung muss eine stabilisierende Behandlung der Mutter durchgeführt werden, da sonst schwere Komplikationen wie ein eklamptischer Anfall oder eine Hirnblutung auftreten können. Zur Stabilisierung gehören neben der Reizabschirmung gegenüber Lärm, grellem Licht und Schmerz in erster Linie die antikonvulsive Prophylaxe mit Magnesium, die Sen-
kung des Blutdrucks und strikte Kontrolle der Ausscheidung. Bei Vorliegen einer Gerinnungstörung und bei einer Thrombozytenzahl <50.000/μl sollten unmittelbar vor der Entbindung Gerinnungsfaktoren (FFP, Fibrinogen) bzw. Thrombozytenkonzentrate gegeben werden. Eine rasche Entbindung ist bei den in der Übersicht genannten Komplikationen angezeigt. Ein klinisches Dilemma stellt die Behandlung der frühen schweren Präeklampsie dar. Verschiedene Autoren (Odendaal et al. 1990; Sibai et al. 1994; Visser u. Wallenburg 1995; Hall et al. 2000) konnten in randomisierten kontrollierten Studien zeigen, dass ein konservatives Management in der 25.– 32. SSW die kindlichen Überlebenschancen verbessert, ohne dass dadurch die Morbidität und die Mortalität der Mutter erhöht wird. Tipp Grundsätzlich soll ein konservatives Management nur an perinatalmedizischen Zentren mit der Möglichkeit einer intensivmedizinischen Überwachung und Therapie durchgeführt werden. 4 Bei einem Schwangerschaftsalter >25 SSW sind die Überlebenschancen des Kindes auch bei konservativem Management sehr gering, und die Beendigung der Schwangerschaft sollte den Eltern wegen des hohen Risikos für Gesundheit und Leben der Mutter nahegelegt werden (Jenkins et al. 2002; Bombrys et al. 2008). 4 Zwischen der 25. und 32. SSW kann unter konservativem Management die Schwangerschaft um durchschnittlich 10 Tage verlängert und dadurch die Überlebenschancen des Kindes erheblich verbessert werden. 4 Nach der 32. SSW ist der Gewinn für das Kind vernachlässigbar, und die Schwangerschaft sollte nach Stabilisierung der Mutter und nach Gabe von Glukokortikoiden innerhalb von 48 h beendet werden. 4 Das obere Zeitlimit von 32 SSW kann in Abhängigkeit von der neonatalmedizinischen Erfahrung und den Resultaten nach unten bis in die 30. SSW, evtl. in die 28. SSW verschoben werden.
Indikationen für den Abbruch des konservativen Managements 4 Unkontrollierbare Hypertonie 4 Therapierefraktäre Kopfschmerzen, Sehstörungen, Oberbauchschmerzen 4 Persistierende Oligurie bis Anurie 4 Gerinnungsstörung, fallende Thrombozytenzahl, Eklampsie 4 Abruptio placentae 4 Lungenödem 4 Fetaler Distress
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Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Allgemeine Maßnahmen Interdisziplinäre Betreuung Eine interdisziplinäre Betreuung der Schwangeren und ihres Partners durch Hebammen, Geburtshelfer, Neonatologen und Anästhesisten ist aus medizinischen und psychologischen Gründen anzustreben. Die Eltern müssen darauf vorbereitet werden, dass eine rasche Beendigung der Schwangerschaft jederzeit notwendig werden kann. Bereits vor der Geburt sollen die Eltern die Intensivstation für Neugeborene kennenlernen und durch die Neonatologen über die kindlichen Risiken und die möglichen therapeutischen Maßnahmen informiert werden. Die Anästhesisten sollten die Patientin frühzeitig sehen, damit jederzeit eine Sectio durchgeführt werden kann.
Bettruhe Bettruhe führt zu einer Verminderung des Sympathikotonus und zu einer Verbesserung der renalen und uteroplazentaren Durchblutung. Sinkende Blutdruckwerte und eine Gewichtsabnahme infolge der Ausschwemmung von Ödemen stellen eine positive Reaktion auf die Bettruhe dar. Einige Stunden zusätzlicher Bettruhe, bei der die Schwangere sich vorwiegend auf die Seite legen soll, sind ausreichend. Der Nachweis des Nutzens von strikter Bettruhe konnte nicht erbracht werden (Goldenberg et al.1994).
Diät Eine kochsalzarme Diät, die früher zur Therapie von Ödemen bei der Präeklampsie häufig eingesetzt wurde, ist heute obsolet, da sie die Tendenz zur Hypovolämie verstärkt. Die einzige prospektive Studie zur Kochsalzrestriktion in der Schwangerschaft zeigte, dass die perinatale Mortalität in der Gruppe mit kochsalzarmer Diät doppelt so hoch war wie in der Kontrollgruppe mit normaler Diät. Unter Kochsalzrestriktion trat zudem häufiger eine »Toxämie« auf (Robinson 1958).
Medikamentöse Therapie Glukokortikoide
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Die antepartale Therapie mit Glukokortikoiden war bei der Präeklampsie nach der initialen Publikation von Liggins u. Howie (1972), die eine erhöhte Inzidenz von intrauterinen Todesfällen in der Gruppe mit Glukokortikoidtherapie beschrieben, lange Zeit verpönt. Diese unerwünschte Wirkung konnte nie bestätigt werden. Die Hypothese, dass die Präeklampsie eine Beschleunigung der Lungenreifung bewirkt, konnte widerlegt werden (Chang et al. 2004), sodass der Benefit einer Behandlung mit Glukokortikoiden vor der 34. SSW heute unbestritten ist. Es wird zudem postuliert, dass die Glukokortikoidtherapie, unabhängig von ihrer Wirkung auf die Lungenreife, die Inzidenz von intrazerebralen Blutungen bei sehr kleinen Frühgeborenen vermindert (Leviton et al. 1993).
Tipp Die Glukokortikoide werden intramuskulär nach folgendem Schema gegeben: 4 Betamethason 2-mal 12 mg, i.m. im Abstand von 24 h 4 Dexamethason 4-mal 6 mg, i.m. im Abstand von 12 h 4 Von einer Wiederholung der Steroidgabe nach 7–10 Tagen wird heute abgeraten
Für die Überwachung des Fetus ist zu beachten, dass Glukokortikoide eine vorübergehende, aber signifikante Reduktion der fetalen Bewegungen und der Variabilität der fetalen Herzfrequenz bewirken (Derks et al. 1985).
Magnesiumsulfat Die Wirksamkeit und Überlegenheit von Magnesiumsulfat (MgSO4) für die Prävention von eklamptischen Anfällen konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden. (Lucas et al. 1995; The Magpie Trial 2002; Sibai 2004b). Der protektive Effekt wird durch eine selektive Vasodilatation der zerebralen Gefäße erklärt (Belfort u. Moise 1992). Es hat ferner den Anschein, dass die antepartale Therapie mit Magnesium die Inzidenz von zerebralen Komplikationen bei unreifen Kindern vermindert (Nelson u. Grether 1995). Die Inzidenz von intraventrikulären Blutungen ist bei Neugeborenen von Schwangerschaften mit Präeklampsie generell niedriger, wobei unklar ist, wie weit dies dem Einfluss von Magnesiumsulfat und/oder Glukokortikoiden zuzuschreiben ist (Perlman et al. 1997). In anderen einschlägigen Untersuchungen zur Eklampsieprävention konnte nachgewiesen werden, dass Magnesium anderen zerebral wirksamen Antikonvulsiva wie Diazepam, Phenytoin und Nimodipin überlegen ist (Duley et al. 2003). Ob eine generelle Magnesiumsubstitution auch für Frauen mit leichter Präeklampsie empfehlenswert ist, war lange umstritten (Livingstone et al. 2003). In einer umfangreichen Untersuchung zur Eklampsieprävention bei Frauen mit leichter Präeklampsie mittels Magnesiumsulfat wurden 10.141 Frauen untersucht, wobei 5071 mit Magnesiumsulfat (4 g MgSO4 über 10–15 min, gefolgt von 1 g/h über 24 h) und 5070 Frauen mit Plazebo behandelt wurden. Durch die Magnesiumprophylaxe konnte das Risiko einer Eklampsie um 58% reduziert werden (11 Fälle weniger pro 1000 behandelte Frauen). Etwa jede hundertste Frau mit leichter Präeklampsie profitiert daher von einer Magnesiumtherapie. Zusätzlich konnte die Rate an vorzeitigen Plazentalösungen und die mütterliche Mortalität in geringem, aber signifikantem Ausmaß gesenkt werden (Altman et al. 2002). Magnesiumsulfat wird v. a. intrapartal, vor Geburtseinleitung oder Sectio oder auch während der konservativen Behandlung von früher schwerer Präeklampsie eingesetzt (Sibai 2004b).
321 17.3 · Präeklampsie
Tipp Dosierung Magnesiumsulfat (MgSO4): 4 Bolus 4 g MgSO4 über 5–10 min als Kurzinfusion 4 Erhaltungsdosis: 1–2 g MgSO4/h i.v. mittels Perfusor 4 Bei einem eklamptischen Anfall erneut Bolus von 2 g über 10 min und/oder Erhaltungsdosis auf 1,5–2 g/h steigern 4 Infusion für 24–48 h nach der Geburt oder 24 h nach dem letzten eklamptischen Anfall
Im therapeutischen Bereich ist Magnesiumsulfat für die Mutter und den Fetus gut verträglich. Selten können Kopfschmerzen, Übelkeit und neuroophthalmologische Nebenwirkungen (Diplopie, Ptose, verlangsamte Pupillenreflexe) auftreten. Zu beachten ist die toxische Wirkung des Magnesiums, die bei einer Überdosierung auftreten kann. ! Die therapeutischen Plasmaspiegel des Magnesiums liegen im Bereich von 2–3 mmol/l. Bei Werten >5 mmol/l kommt es zu einem Verlust der Sehnenreflexe und zu einer Atemdepression. Bei Werten >7 mmol/l ist mit Herzrhythmusstörungen, Atemlähmung und Herzstillstand zu rechnen.
Die Gefahr einer Überdosierung ist v. a. bei eingeschränkter Nierenfunktion gegeben, da Magnesium fast ausschließlich über die Nieren eliminiert wird. Die Bestimmung des Magnesiumspiegels im Plasma ist zeitaufwändig und an vielen Orten nicht durchführbar. Für die Routine genügt es, die Urinausscheidung, die Sehnenreflexe und die Atemfrequenz engmaschig zu kontrollieren. ! Die Magnesiumzufuhr muss vermindert oder gestoppt werden, wenn 4 die 4-stündliche Urinausscheidung unter 100 ml fällt, 4 die Sehnenreflexe nicht auslösbar sind, 4 die Atemfrequenz unter 12/min liegt. Bei einer Magnesiumintoxikation soll als Antidot 1 g Kalziumglukonat (Ampulle à 10 ml Kalziumglukonat 10%) langsam intravenös gegeben werden.
tensive Therape 6 h vor dem Ereignis, und nur 43% standen unter einer Magnesiumtherapie. Sechsundneunzig Prozent der Frauen mit Hirnblutungen hatten einen Blutdruck systolisch >160 mm Hg; einen diastolischen Blutdruck >100 mm Hg hatten 21% der Frauen. Eine kindliche Indikation zur antihypertensiven Therapie besteht nicht. Wegen der Gefahr von »fetal distress«, die v. a. bei einer vorbestehenden Plazentainsuffizienz gegeben ist, soll ein überschießender Blutdruckabfall vermieden werden. Für die Blutdrucksenkung werden heute bevorzugt Labetalol und Nifedipin eingesetzt (. Tab. 17.3 und 17.4). Langfristige antihypertensive Therapie. Für eine langfristige antihypertensive Therapie im Rahmen des konservativen Managements der leichten Präeklampsie kommen die gleichen Medikamente wie bei der isolierten Hypertonie (. Tab. 17.3) infrage. Der Wert einer antihypertensiven Medikation bei leichter Präeklampsie ist allerdings umstritten. Befürworter argumentieren, dass der Blutdruck bei der Präeklampsie extrem labil sei und dass durch die antihypertensive Therapie ein akuter Blutdruckanstieg verhütet werden könne. Gegner führen ins Feld, dass eine kurzdauernde Erhöhung des Blutdrucks für die Mutter nicht schädlich sei und dass die uteroplazentare und die fetale Perfusion von einem adäquaten Blutdruck abhänge. Diese Theorie der sog. Bedarfshypertonie steht jedoch im Widerspruch mit der Tatsache, dass die Hypertonie im Rahmen der Präeklampsie im Grunde eine pathologische Reaktion des mütterlichen Organismus auf die Schwangerschaft darstellt. Somit ist der Anstieg des Blutdrucks nicht als ein adaptiver Prozess mit dem Ziel, die intervillöse Minderperfusion zu verbessern, zu verstehen. Diese Überlegungen stehen in einem gewissen Widerspruch mit einer Metaanalyse (von Dadelszen et al. 2000). Es konnte gezeigt werden, dass das fetale Wachstum abhängig vom mittleren arteriellen Blutdruck (MAD) ist. Eine Abnahme des MAD von 10 mm Hg bei Frauen mit moderater Hypertonie im 3. Trimenon war mit einer kindlichen Geburtsgewichtsreduktion von 145 g assoziiert; und dies unabhängig von der Dauer der antihypertensiven Medikation, dem verwendeten Medikament oder der Art der Hypertonie. Auch in einem Teil der Fälle mit leichter Präeklampsie kann der Blutdruckanstieg als eine Adaptation angesehen werden, während es sich bei anderen Fällen um eine pathologische Reaktion des mütterlichen Organismus handelt.
Studienbox
Diuretika
Magnesiumsulfat führt zu einer Verminderung der Variabilität der fetalen Herzfrequenz, jedoch nicht zu einer Verminderung der Anzahl der Akzelerationen (Atkinson et al. 1994). Das biophysikalische Profil des Fetus wird durch Magnesiumsulfat nicht verändert (Gray et al. 1994).
Diuretika (Furosemid) werden nur bei Zeichen einer Herzinsuffizienz oder eines Lungenödems gegeben. Eine Oligurie (<20 ml/h) kann in den meisten Fällen durch einen ausreichenden Volumenersatz und durch die Kurzinfusion von 20 g Mannitol behoben werden. Eine persistierende Oligurie macht eine rasche Beendigung der Schwangerschaft notwendig.
Antihypertensiva
Heparin
Der Blutdruck muss bei der schweren Präeklampsie zur Verhütung von mütterlichen Hirnblutungen rasch gesenkt werden. Im letzten CEMACH-Report (Lewis 2007) hatten lediglich 11% der Frauen mit Hirnschlag eine adäquate antihyper-
Durch die therapeutische Anwendung von Heparin konnte der Verlauf der Präeklampsie nicht beeinflusst werden (Howie et al. 1975). Das Risiko einer Heparintherapie ist zudem wegen der Blutungsgefahr bei der Präeklampsie als zu hoch ein-
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Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
zustufen. Von Interesse ist dagegen die prophylaktische Anwendung von niedermolekularem Heparin bei Patientinnen, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie aufweisen (7 Kap. 17.3.8).
Tokolyse Eine Tokolyse mit β-Mimetika ist bei der Präeklampsie kontraindiziert. β-Mimetika, insbesondere wenn sie zusammen mit Glukokortikoiden verabreicht werden, können bei Präeklampsie eine Herzinsuffizienz und ein Lungenödem verursachen.
Überwachung der Mutter
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Bei einer leichten Präeklampsie wird der Blutdruck 2- bis 3mal pro Tag und das Gewicht einmal pro Tag gemessen. Bei einer schweren Präeklampsie muss der Blutdruck in der Initialphase alle 15 min gemessen werden, dann alle 30 min und bei weiterer Stabilisierung alle 4 h. Der Blutdruck kann auch mithilfe eines automatischen Messgeräts kontrolliert werden. Diese Geräte können jedoch erhöhte systolische Blutdruckwerte unterschätzen und müssen regelmäßig überprüft werden. Jedenfalls sollten speziell für die Schwangerschaft geprüfte, automatische Blutdruckmessgeräte verwendet werden (Wilton et al. 2007). Es empfiehlt sich bei der schweren Präeklampsie, einen Harnblasenkatheter zu legen zur genauen Erfassung der stündlichen Urinausscheidung. Durch eine strikte Flüssigkeitsbilanzierung mit Begrenzung auf eine Einfuhr von 2 l pro Tag bzw. 83 ml/h (oder 1 ml/kg KG/h) wird das Risiko eines Lungenödems erheblich reduziert (Jankowicz et al. 2004; Tuffnell et al. 2005). Die arterielle Sauerstoffsättigung kann mittels eines Pulsoxymeters überwacht werden. Ein zentraler Venenkatheter für die Messung des Zentralvenendrucks ist selten nötig, kann aber bei unklarem Flüssigkeitsstatus nützliche Informationen liefern. Ebenso ist ein pulmonaler Einschwemmkatheter zur Messung des pulmonalen kapillaren Wedge-Drucks nur in seltenen Fällen notwendig, z. B. bei Patientinnen, die wegen eines therapierefraktären Lungenödems oder eines Nierenversagens auf einer Intensivpflegestation behandelt werden müssen (ACOG 2002). Im Rahmen der initialen Abklärung und für die Verlaufsbeobachtung sollen folgende Laboruntersuchungen durchgeführt werden: 4 Blut: Hämoglobin, Hämatokrit, Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten, Quick, Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnsäure, ASAT, ALAT, LDH, Bilirubin, Gesamteiweiß, Albumin, 4 24-h-Urin: Eiweiß und Kreatinin (Kreatininclearance). Bei einer leichten Präeklampsie werden die Laboruntersuchungen 2-mal pro Woche wiederholt, bei schwerer Präeklampsie 1- bis 2-mal pro Tag. Nach Vorlage eines 24-h-Urinbefunds kann mittels täglichen Spoturinkontrollen die Proteinurie abgeschätzt werden. Bei Verdacht auf eine Gerinnungsstörung sollten die Thrombinzeit, die PTT, das Fibrinogen und die Fibrin-Fibrinogen-Spaltprodukte bestimmt werden. Solange aber die Thrombozyten im Normbereich
sind, kann auf den kompletten Gerinnungsstatus verzichtet werden (Barron et al. 1999).
Überwachung des Fetus Bei einer leichten Präeklampsie wird das fetale Wachstum in Abständen von 10–14 Tagen durch Ultraschalluntersuchungen beurteilt. Bei einem konservativen Management, insbesondere bei intrauteriner Wachstumsrestriktion, sind longitudinale Untersuchungen mittels CTG, Dopplersonographie und biophysikalischem Profil für die Beurteilung des fetalen Zustands und das optimale Timing der Entbindung angezeigt (Hecher et al. 2001; Baschat et al. 2001). Die Veränderung der verschiedenen Parameter folgt einem charakteristischen zeitlichen Ablauf (7 Kap. 27: »Intrauterine Wachstumsrstriktion«).
Entbindung Alle Schwangeren mit Zeichen einer schweren Präeklampsie sollten spätestens bei 32–34 SSW entbunden werden. Bei einem Gestationsalter von <32 SSW ist auch bei einer schweren Präeklampsie ein expektatives Vorgehen in einem Perinatalzentrum und unter strenger Beachtung der genannten Vorbehalte von Seiten des mütterlichen bzw. fetalen Zustands vertretbar. Bei einer leichten Präeklampsie sollte eine vaginale Geburt angestrebt werden. Da gerade bei einer schweren Präeklampsie das Operationsrisiko für die Mutter nicht zu vernachlässigen ist, sollte bei einem günstigen Zervixscore auch hier die Möglichkeit der Geburtseinleitung unter intensiver Überwachung von Mutter und Fetus wahrgenommen werden (Coppage u. Polzin 2002). Kontinuierliche Überwachung von Mutter und Fetus, insbesondere bei Plazentainsuffizienz, sind obligatorisch. Bei geringen Aussichten auf eine vaginale Geburtsbeendigung nach Einleitung vor der 34. SSW bei unreifer Zervix wird häufig der primären Sectio der Vorzug gegeben (Sibai 2003).
Anästhesie Bei der Präeklampsie bestehen Vorbehalte gegen eine Allgemeinnarkose wegen der Gefahr von Hirnblutungen, Herzrhythmusstörungen und einer akuten Herzinsuffizienz infolge eines markanten Blutdruckanstiegs während der Laryngoskopie, der Intubation und der Extubation. Außerdem kann die Intubation infolge eines Larynxödems erschwert sein. Viele Anästhesisten bevorzugen deshalb eine epidurale oder spinale Anästhesie (National Institutes of Health 2000). Bei einer ausgeprägten Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen ist die epidurale bzw. spinale Anästhesie wegen der Blutungsgefahr zu riskant. Die Grenze wird unterschiedlich zwischen 70.000 und 100.000/μl angesetzt. Die prophylaktische Therapie mit Low-dose-Aspirin stellt dagegen keine Kontraindikation für eine epidurale Anästhesie dar.
Postpartales Management Kürettage Drei Studien mit kleinen Fallzahlen konnten zeigen, dass die unmittelbar postpartal durchgeführte Kürettage des
323 17.3 · Präeklampsie
Plazentabetts bei Frauen mit schwerer Präeklampsie oder Eklampsie zu einer beschleunigten Normalisierung des Blutdrucks, der Urinausscheidung und der Thrombozytenzahl führt (Magann et al. 1993, 1994, Alkan et al. 2006). Andere hingegen konnten keinen Zusammenhang finden zwischen Kürettage bei HELLP-Syndrom und rascherer labormäßiger Erholung (Schlenzing et al. 2000). Aus der vorliegenden Literatur ist nicht klar, ob sich nach Kürettage auch die mütterliche Morbidität verbessert oder ob der Effekt nur eine »Laborkosmetik« darstellt. Es wurden jedenfalls keine Unterschiede zwischen Frauen mit schwerer Präeklampsie, behandelt entweder mit postpartaler Kürettage oder nur mit Nifedipin, gefunden (Magann et al. 1994). Einzig die Thrombozytenzahl zeigte einen rascheren Anstieg in der Gruppe mit postpartaler Kürettage. Bei therapierefraktärer Hypertonie oder refraktären eklamptischen Anfällen sollte man eine Kürettage jedenfalls erwägen (Matsou et al 2007).
Thromboseprophylaxe Nach einer Sectio muss eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden: Tipp Thromboseprophylaxe nach Sectio: 4 Normaler Gerinnungsstatus und systolischer Blutdruck <180 mm Hg: niedermolekulares Heparin s. c. und Kompressionsstützstrümpfe 4 Blutdruck >180 mm Hg: lediglich Physiotherapie und Kompressionstützstrümpfe 4 Gerinnungsstörung: kein Heparin, bis Thrombozyten >100.000/μl und Quick-Wert >60% 4 Status nach Massentransfusion: sobald Thrombozyten >100.000/μl und Quick-Wert >60%: 10.000 IE Heparin/24 h i.v. (Perfusor). Dosisanpassung, bis die Thrombinzeit I ungerinnbar ist und die Thrombinzeit II etwa 10 s beträgt 4 Niedermolekulares Heparin bei nephrotischem Syndrom mit einem Serumalbumin <20 g/l
Diuretika, Magnesium, Antihypertensiva Postpartal kann die Diurese bei einer Oligurie (<20 ml/h) durch wiederholte intravenöse Gabe von 10–20 mg Furosemid gesteigert werden. 20 mg Furosemid, 1-mal tgl. über 5 Tage nach Einsetzen der Diurese, scheint bei Frauen mit schwerer Hypertonie die Normaliserung des Blutdrucks zu beschleunigen (Ascarelli et al. 2005). Die Magnesiumtherapie soll je nach Zustand der Patientin nach 24–48 h gestoppt werden. Die Antihypertensiva können i. d. R. 4–5 Tage nach der Geburt abgesetzt werden. Die meisten Patientinnen bleiben danach normoton. Kommt es zu einem Wiederanstieg des Blutdrucks, so sollte die antihypertensive Therapie unter ambulanter Kontrolle weitergeführt werden. Bevorzugt werden Labetalol, Metoprolol oder Inderal sowie Kalziumantagonisten (Nifedipin) angewendet. Eine gute Alternative im Wochenbett stellen auch ACE-Hemmer dar, z. B. Enalapril. Eine Verabreichung dieses Medikaments hat sich bewährt, falls das Gesta-
tionsalter bei der Geburt >37 Wochen lag und andere Medikamente nicht die erwünschte Wirkung gezeigt haben. > Um die kindliche Exposition zu minimieren, ist es empfehlenswert, Medikamente generell nach der Laktation einzunehmen oder nach erfolgter Einnahme eine Stillkarenz von wenigstens 4 h einzuhalten. Es sollte versucht werden, mit der tiefstmöglichen Dosis auszukommen.
17.3.6
Wiederholungsrisiko und Langzeitprognose
Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie, Hypertonie, Plazentainsuffizienz, aber auch Gestationsdiabetes und Frühgeburtlichkeit scheinen darauf hinzuweisen, dass der mütterliche Organismus auf die »Belastung Schwangerschaft« pathologisch reagiert. Es mehren sich die Hinweise, dass Frauen mit Zustand nach plazentaassoziierten Komplikationen im weitesten Sinn ein höheres Risiko aufweisen, später eine Hypertonie zu entwickeln (Wikstrom et al. 2005), an einer koronaren Herzkrankheit, an einem Diabetes mellitus oder gar an einer terminalen Niereninsuffizienz zu erkranken (Vikse et al. 2008; Sattar et al. 2002; Ray et al. 2005). Der Ausgang einer Schwangerschaft liefert wichtige Informationen, die für eine adäquate Beratung und entsprechende Anpassungen des Liefestiles verwendet werden können. Die enge Einbindung des Hausarztes in das Betreuungskonzept von Frauen mit komplizierten Schwangerschaften könnte helfen, die beschriebenen Langzeitrisiken zu reduzieren. Bei Erstgebärenden mit einer »klassischen« Präeklampsie in der Spätschwangerschaft ohne Vorerkrankungen besteht kein erhöhtes Risiko für eine Wiederholung oder die Entwicklung einer Hypertonie im späteren Leben. Das Wiederholungsrisiko und die Langzeitprognose werden hauptsächlich durch mütterliche Vorerkrankungen und bestehende Risikofaktoren bestimmt. Als Risikofaktoren gelten z. B. Adipositas, vorbestehende Hypertonie und frühes Gestationsalter bei Krankheitsmanifestation im Rahmen der letzten Problemschwangerschaft. Da insbesondere Nephropathien häufig stumm verlaufen, muss im Rahmen der Nachuntersuchung eine gezielte Abklärung erfolgen (7 Kap. 17.8). Das Wiederholungsrisiko nach vorausgegangener Schwangerschaft mit schwerer Präeklampsie schwankt in der Literatur zwischen 11,5 und 27% (Spinnato et al. 2007; Villar et al. 2007). Bei früher Präeklampsie >34 Wochen wird ein Wiederholungsrisiko von 25% angegeben (van Rijn et al. 2006). Dieses Risiko kann bei Zustand nach schwerer Präeklampsie im 2. Trimenon, z. B. nach Blasenmole oder Triploidie, bis auf 65% ansteigen (Sibai et al. 1991). Oft nehmen diese »Rezidivpräeklampsien« einen schwereren Verlauf und manifestieren sich früher als bei nulliparen Frauen, die zum ersten Mal eine Präeklamspie entwickeln (Hnat et al. 2002).
17
324
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
17.3.7
Psychosoziale Folgen
Bei einer Präeklampsie wird eine hochspezialisierte medizinische Diagnostik und Therapie bei Mutter und Kind durchgeführt. Im psychosozialen Bereich besteht dagegen häufig ein Betreuungsdefizit. Die Präeklampsie trifft die Mehrzahl der Eltern völlig unerwartet. Der abrupte Rollenwechsel aus dem »Zustand der guten Hoffnung« in den Zustand der Hochrisikoschwangerschaft stellt ein Trauma dar, das ohne Hilfe häufig schlecht verarbeitet wird. Eine Nachbetreuung der Eltern in einer Gesprächsgruppe unter der Leitung von Hebammen und Ärzten sollte fester Bestandteil des Betreuungsangebots sein. Die Auswertung der Gespräche zeigte folgende Verarbeitungsprobleme: 4 Ausgeliefertsein, Machtlosigkeit, 4 Angst um die Mutter und um das Kind, 4 Schuld- und Versagensgefühle der Mutter, 4 erschwerte Eltern-Kind-Beziehung bei einer Frühgeburt, 4 Hoffnungslosigkeit beim Verlust oder bei einer Behinderung des Kindes, 4 Verunsicherung und Ungewissheit in Bezug auf eine weitere Schwangerschaft. Durch intensive Information und Zuwendung von Seiten der Betreuenden vor, während und nach der Geburt kann die Belastung der Eltern vermindert und die emotionale Bewältigung der Präeklampsie erleichtert werden.
17.3.8
17
Screening und Prävention
Die mit einer Präeklampsie assoziierte hohe Rate an mütterlichen und fetalen Komplikationen und die insbesondere in der Dritten Welt hohe Mortalität unterstreichen die Relevanz von effektiven Screeninguntersuchungen, die es erlauben, Hochrisikopopulationen zu selektionieren, bei denen durch intensivierte antenatale Überwachung und Maßnahmen im Sinn einer sekundären Prophylaxe versucht werden könnte, einerseits die Prävalenz der Erkrankung zu senken und andererseits durch frühe Erfassung die damit vergesellschafteten maternofetalen Komplikationen zu reduzieren. Eine primäre Prophylaxe muss wegen der komplexen und multifaktoriellen Genese des Krankheitsbildes unrealistisch erscheinen. Anamnestische Angaben zusammen mit der Beurteilung des Blutdrucks, der Proteinurie und von Ödemen werden seit über 50 Jahren zur Risikoabschätzung der Entwicklung einer Präeklampsie genutzt (Barton et al. 2008). Ein Screening, basierend lediglich auf anamnestischen Angaben, würde lediglich etwa 30% der schweren und 20% der leichten Formen einer Präeklampsie erfassen (Poon et al. 2009). Ebenfalls ist die Messung des Blutdrucks wenig effektiv, um zwischen den Kollektiven zu differenzieren. Immerhin konnte gezeigt werden, dass der mittlere arterielle Blutdruck (MAD) (diastolischer Blutdruck+1/3×[systolischer–distolischer Blutdruck]) für die Vorhersage einer Präeklampsie deutlich besser geeignet ist. Ein MAD von ≥90 mm Hg ist mit einem 3,5fach
(95%-CI 2,0–5,0) höheren Vorhersagewert assoziiert und weist eine bessere Diskriminierungsfähigkeit auf als der systolische oder diastilische Blurdruck im 1. oder 2. Trimenon (Cnossen et al. 2009). Chien et al. (2000) konnten zeigen, dass pathologische Dopplerbefunde in den Aa. uterinae (erhöhte Pulsatilität und/oder Notch) mit einem 6fach höheren Präeklampsierisiko assoziiert sind. Jedoch liegen die positiven Vorhersagewerte einer pathologischen A. uterina in einer Population mit erhöhtem Präeklampsierisiko zwischen 20 und 60% und in einer Population mit niedrigem Risiko lediglich zwischen 6 und 40%. Dabei scheint eine erhöhte Pulsatilität mit Notch der A. uterina einen höheren prädiktiven Wert für Präeklampsie als für Wachstumsrestriktion zu haben (Cnossen et al. 2008). Wegen der insgesamt limitierten diagnostischen Effizienz ist ein ausschließlich dopplersonographisches Screening in einer Populationen mit geringem Risiko sicherlich nicht gerechtfertigt und in jenen mit erhöhtem Risiko zumindest fragwürdig (Chien et al. 2000; Papagorghiou et al. 2001; Conde-Agudelo et al. 2004; Cnossen et al. 2008; Meads et al. 2008). In den 1960er Jahren konzentrierte sich die Forschung auf nichtbiochemische Marker, wie z. B. die erhöhte AngiotensinII-Sensitivität mit dem Ziel, eine gesteigerte Reaktion auf vasoaktive Substanzen, eine für Präeklampsie typische Eigenschaft, in präeklamptischen Patientinnen nachzuweisen (Talledo 1966). Im Verlauf fokussierte sich die Wissenschaft auf die Identifikation von biochemischen Substanzen, die zur Risikoevaluation einer späteren Präeklampsie genutzt werden konnten. Diverse potenzielle Serummarker wurden bereits untersucht, und die Liste wird ständig länger (Baumann 2007): Inhibin A, Activin A, »placental growth factor« (PlGF), »vascular endothelial growth factor« (VEGF), »soluble vascular endothelial growth factor receptor-1« (sVEGFR-1) oder »soluble fms-like tyrosine kinase-1« (sFlt-1), »placental protein 13« (PP-13), pregnancy-associated plasma protein A« (PAPPA) , humanes Choriongonadotropin (HCG) , »soluble endoglin« (sEng), α-Fetoprotein (AFP), »corticotropin-releasing factor« (CRF), »CRF-binding protein« (CRF-BP), »insulinlike growth factor-1« (IGF-1), »IGF-binding protein-1« (IGFBP-1), Homozystein, »asymmetric dimethylarginine« (ADMA), fetale Erythroblasten und fetale DNA im mütterlichen Serum. Viele dieser Marker wurden während des 2. Trimenons untersucht und eignen sich nicht nur wegen des relativ späten Zeitpunkts einer Risikoevaluation, sondern auch wegen niedriger prädikiver Werte leider nicht für ein Screening (Levine et al. 2005). Wie bereits in 7 Kap. 17.3.1 »Ätiologie und Pathogenese« beschrieben, entwickelt sich die Präeklampsie aufgrund einer gestörten Trophoblastdifferenzierung, die im Blastozystenstadium 6 Tage post conceptionem erfolgt (Huppertz 2008). Die daraus resultierende beeinträchtigte Trophoblastfunktion führt zu einem Ungleichgewicht in der Sezernierung von angiogenen und antiangiogenen Faktoren (Stepan u. Jank 2009), die auf fetoplazentarer Seite eine pathologische Plazentation bewirken (Ahmad u. Ahmed 2004) und auf
325 17.3 · Präeklampsie
mütterlicher Seite eine Endothelstörung sowie eine systemische inflammatorische Reaktion auslösen können (Venkatesha et al. 2006). Diese angiogenen Faktoren wie »placental growth factor« (PLGF) und antiangiogene Faktoren wie sEng und sFlt-1 rückten auf der Suche nach Präeklampsiemarkern und einer prophylaktischen oder therapeutischen Interventionsmöglichkeit ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses. In einer kürzlich erschienenen Studie wurden in der 12.–14. SSW im Vergleich mit Kontrollen erhöhte sFLT-1- und sEngSerumkonzentrationen bei Schwangeren, die später eine Präeklampsie entwickelten, beschrieben (Baumann 2008). Zwischen der Serumuntersuchung und der Manifestation der Präeklampsiessymptome lagen mehr als 21 Wochen. Diese vielversprechenden Screeningmarker müssen jedoch noch in prospektiven Longitudinalstudien geprüft werden, bevor sie für den klinischen Alltag genutzt werden können. Bedingt durch die Komplexität der pathophysiologischen Kaskade, die zur Präeklampsie führt, und wegen der reduzierten Effizienz von Einzelparametern, durch die sich die Kollektive genügend sauber trennen ließen, soll die Detektionsrate durch die Kombination von einzelnen, voneinander unabhängigen Parametern (biochemische und nichtbiochemische Marker) und durch Prädiktionsalgorythmen verbessert werden. Stepan et al. (2008) konnten zeigen, dass während des 2. Trimenons eine kombinierte Messung von uteriner Dopplersonographie, sEng und sFlt-1 bezüglich des Präeklampsierisikos eine Sensitivität von 80%, eine Spezifität von 89% und eine positive Vorhersage von 50% erreicht werden kann. Hinsichtlich der Prädiktion einer Early-onset-Präeklampsie erhöhen sich die Werte substanziell auf eine Sensitivität von 99%, eine Spezifität von 93% und eine positive Vorhersage von 71%. Der Grund der besseren Vorhersage der Early-onset-Präeklampsie liegt wohl darin, dass die als Marker verwendeten antiangiogenen Faktoren sEng und sFlt-1 vorwiegend plazentarer Provenienz sind und die Plazentastörung, v. a. bei den frühen Präeklampsieformen, im Vordergrund steht. Bei den späten Formen sind wohl eher konstitutionelle Momente der Mutter mit Dysfunktion der mütterlichen Endothelien von Bedeutung. Poon et al. (2009b) untersuchten 7797 Schwangerschaften während des 1. Trimenons. Mittels logistischer Regressionsanalysen entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der uterine Dopplerwerte, MAD (mittlerer arterieller Blutdruck), PAPP-A- und PlGF-Serumkonzentrationen, BodyMass-Index (BMI), Parität sowie Zustand nach Präeklampsie kombiniert: Mit diesem Prädiktionsmodell betrugen für eine Early-onset-Präeklampsie Sensitivität und Spezifität jeweils beachtliche 94% bei einer falsch positiven Rate von 5%. In Zahlen ausgedrückt sind von 7797 Frauen 476 screeningpositiv gewesen. Davon waren 375 falsch positiv (=5% des Gesamtkollektivs). In der Gruppe der screeningpositiven Frauen wurden 101 Fälle mit hypertensiven Erkrankungen gefunden. Entsprechend betrug der Vorhersagewert eines positiven Screeningresultats für hypertensive Störungen lediglich 21,2%. Auch wenn dieser Wert etwas nüchtern
erscheint, waren in diesem Kollektiv immerhin 93,1% der Frauen mit Early-onset-Präeklampsie, 35,7% der Frauen mit später Präeklampsie und 18,3% der Frauen mit schwangerschaftsinduzierter Hypertonie vertreten. Der negative Vorhersagewert dieser Arbeit lag bei stattlichen 97,4%. Einschränkend muss erwähnt werden, dass zusätzlich PIGF nur in einem kleinen Kollektiv von Frauen (627 von 7.797 Fällen) bestimmt worden ist. Diese, von verschiedenen Gruppen beschriebenen Resultate sind vielversprechend, müssen jedoch vorerst noch in prospektiven Studien mit unterschiedlichen Populationen validiert werden, bevor ein solcher Algorithmus Eingang in den klinischen Alltag findet. Ein Screening ist nur dann sinnvoll, wenn bei positivem Resultat mittels einer geeigneten Intervention die Prävalenz der Erkrankung und/oder die damit assoziierte Morbidität gesenkt werden können. Bei Präeklampsie wurde eine ganze Reihe von Interventionen untersucht, die größtenteils als ineffizient oder sogar als gefährlich eingestuft werden mussten (Meads et al. 2008). So wurde z. B. in älteren Arbeiten eine kochsalzarme Diät zur Ödemtherapie im Rahmen einer Präeklampsie propagiert. Diese Haltung ist aufgrund klinischer Studienresultate (Robinson 1958) obsolet. Eine kochsalzrestriktive Ernährung wird nur empfohlen, wenn entweder eine kochsalzempfindliche Hypertonie oder eine eingeschränkte mütterliche Nierenfunktion den Schwangerschaftsverlauf beeinträchtigen. Als Prophylaxe, die die Entwicklung einer Präeklampsie verhindern oder in ihrer Ausprägung günstig beeinflussen kann, werden die folgenden Interventionen diskutiert: 4 Low-dose-Aspirin (60–100 mg/Tag), 4 Low-dose-Heparin (5.000–10 000 IE niedermolekulares Heparin/Tag), 4 Supplementation von Kalzium, ω-3-Fettsäuren und Antioxidanzien.
Azetylsalizylsäure Azetylsalizylsäure hemmt in einer täglichen Dosis von 60– 100 mg selektiv die Thromboxansynthese. Die Ursache der Präeklampsie ist weitgehend unklar. Jedenfalls weiß man, dass eine fehlerhafte Trophoblastinvasion der Spiralaterien in der Frühschwangerschaft zu einer Hypoperfusion der Plazenta mit Ischiämie und Infarktbildungen führt. Der dadurch entstandene Schaden bedingt eine Aktivierung der Thrombozyten, mit gesteigerter Aggregationsneigung, und des Gerinnungssystems. Es kommt zu einem Ungleichgewicht zwischen Prostazyklin, einem potenten Vasodilatator, und Thromboxan, einem Vasokontriktor. Die Prostazyklinsynthese wird in dieser Dosierung nicht wesentlich beeinträchtigt. Daraus resultiert eine Korrektur des Thromboxan-Prostazyklin-Ungleichgewichts zugunsten des Prostazyklins. Der initiale Optimismus wurde durch nachfolgende größere Studien abgeschwächt (CLASP 1994). In einer kürzlich erschienen Metaanalyse konnte jedoch gezeigt werden, dass Aspirin das Risiko für Präeklampsie signifikant senkt. Negative Effekte auf den Fetus und ein erhöhtes Blutungsrisiko unter der Geburt wurden bei der verwendeten Dosierung nicht gefunden.
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326
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Studienbox Die prophylaktische Gabe von Azetylsalizylsäure senkt das Riskio einer Präeklampsie um 10% (RR 0,90, 95%-CI 0,84–0,97). Diese Abnahme ist unabhängig vom Risikostatus, scheint aber größer zu sein bei höheren Azetylsalizylsäuredosen (100 mg anstatt 50–60 mg) und bei Beginn der Prophylaxe in einem früheren Gestationsalter, d. h. vor der 20. SSW. Zudem wird über eine Abnahme des Risikos einer Geburt vor der 34. SSW um 10% (RR 0,90, 95%CI 0,83–0,98) berichtet. Die Analyse zeigt auch, dass das Risiko für untergewichtige Kinder um 10% und dasjenige für intrauterinen Fruchttod oder neonatalen Tod um 9% gesenkt wird. Auch wenn die letzteren Zahlen nur knapp nichtsignifikant waren, wird das Gesamtrisiko für einen ungünstigen Ausgang der Schwangerschaft durch die Aspiringabe um 10% gesenkt (RR 0,90, 95%-CI 0,85–0,96; Askie et al. 2007).
Die zahlreichen Studien lassen keine verbindlichen Rückschlüsse darüber zu, welche Untergruppen von Schwangeren von einer niedrig dosierten Aspirinprophylaxe tatsächlich profitieren. Auch über den Zeitpunkt des Beginns und die optimale Dosierung besteht keine Einigkeit (Dekker u. Sibai 2001).
Studienbox Bei einem Niedrigriskokollektiv konnte kein eindeutiger Effekt von Aspirin auf die Inzidenz von Präeklampsie festgetellt werden, sodass eine generelle prophylaktische Gabe in dieser Gruppe nicht angezeigt ist (Subtil et al. 2003a). Die Resultate einer weiteren Multicenterstudie der gleichen Gruppe aus Frankreich ergaben ferner, dass ein Screening mittels uteriner Dopplersonographie in der 20.–24. SSW in einer Population mit geringem Risiko in Verbindung mit der Gabe von 100 mg Acetylsalicylsäure bei pathologischen Werten nicht sinnvoll ist (Subtil et al. 2003b).
17
Bei den folgenden Indikationen wird eine prophylaktische Gabe von 100 mg Azetylsalizylsäure, beginnend im 1. Trimenon ab der 8.–10. SSW, empfohlen (Uzan et al. 1991): 4 vorrausgegangene schwere Präeklampsie, 4 vorausgegangene schwere intrauterine Wachstumsrestriktion, 4 Antiphospholipidantikörpersyndrom (7 Kap. 17.7).
Heparin Der Einsatz von unfraktioniertem (UH) oder Low-molecularweight-Heparin (LMWH) zur Senkung des Thromboserisikos bei Frauen mit Thrombophilie oder Zustand nach thromboembolischen Komplikationen ist gut untersucht und wurde in den kürzlich erschienenen Guidelines von Bates et al. (2008) zusammengefasst. Auf die daraus resultierenden Empfehlungen wird in 7 Kap. 19 näher eingegangen.
Obschon thrombotische Ereignisse im uteroplazentaren Kreislauf häufig mit Komplikationen wie einer schweren Präeklampsie, Small-for-gestational-age-Kindern und vorzeitiger Plazentalösung assoziiert sind, ist die Datenlage bezüglich des Zusammenhangs zwischen Thrombophilie und Präeklampsie widersprüchlich (Kupferminc et al. 1999; Facchinetti et al 2009; Kahn et al. 2009). Bislang gibt es keine zuverlässigen Studien, die zeigen konnten, dass die Gabe von unfraktioniertem Heparin oder LMWH das Präeklamspsierisiko bei Frauen mit kongenitaler oder erworbener Thrombophilie reduziert (Rodger et al. 2008, Middeldorp et al. 2007). Bei Frauen mit Thrombophilie und Zustand nach plazentagebundener Komplikation beschränkt sich deshalb die Indikation zur präventiven Verabreichung von unfraktioniertem Heparin oder LMWH auf die Thromboembolieprophylaxe. Präeliminäre Daten zeigen aber, dass in einem selektionierten Hochrisikokollektiv ohne kongenitale Thrombophilie die Rate an plazentagebundenen Komplikationen signifikant gesenkt werden konnte (Rey et al. 2009): Dalteparin wurde gewichtsadaptiert vor der 16. SSW bis maximal zur 36. SSW verabreicht. Das Risiko für Schwangerschaftskomplikation generell wurde im Kollektiv mit LMWH von 23,6 auf 5,5% (OR 0,15, 95%-CI 0,03–0,70) signifikant gesenkt. Ein besseres Schwangerschaftsoutcome wurde auch von Sergio et al. (2006) beschrieben bei Frauen mit Zustand nach schwerer Präeklampsie, die in der Folgeschwangerschaft mit LMWH allein oder zusätzlich mit niedrig dosiertem Aspirin behandelt worden sind (Mello et al. 2005). Aspirin und LMWH zeigten ebenfalls bessere Resultate bei Frauen mit renalen Störungen (North et al. 1994). > In Anbetracht der kleinen Fallzahlen und der größtenteils nicht randomisierten Studien sollte Heparin allein oder in Kombination mit Aspirin im Sinn einer Präeklampsieprävention allenfalls für ein Hochrisikokollektiv diskutiert werden (Dao et al. 2009).
Kalzium Eine inverse Relation zwischen Kalziumzufuhr und der Inzidenz von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen wurde von Belizan et al. (1991) beschrieben. Eine niedrige Kalziumzufuhr führt zu einer Erhöhung des Parathormonspiegels im Plasma oder zu einer vermehrten Reninausschüttung. Daraus resultieren erhöhte Kalziumspiegel in den glatten Muskelzellen, die via Vasokonstriktion die Entstehung einer Hypertonie begünstigen (Bucher et al. 1996). In einer systematischen Übersichtsarbeit (Hofmeyr et al. 2007) konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Hypertonie in der Gruppe mit Kalzium gesenkt wird (RR 0.70; 95%CI 0,57–0,86) sondern auch die Präeklampsie (RR 0,48; 95%-CI 0,33–0,69). Dabei war der Effekt der Prophylaxe am größten bei Frauen mit hohem Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen (RR 0,22; 95%-CI 0,12–0,42) oder kalziumarmer Ernährung (RR 0,36; 95%-CI 0,18–0,70). Entsprechend konnten auch die mütterliche Morbidität und Mortalität signifikant gesenkt werden (RR 0,80; 95%CI 0,65–0,97).
327 17.4 · Eklampsie
> Eine Kalziumsubstitution von mindestens 1–2 g täglich halbiert das Risiko für Präeklampsie, wobei der Effekt ausgeprägter ist bei Frauen mit hohem Risiko für hypertensive Erkrankungen oder niedriger Kalziumzufuhr. Für dieses spezielle Kollektiv wird Kalzium als präventive Maßnahme empfohlen.
Omega-3-Fettsäuren ω-3-Fettsäuren kommen in der Nahrung als Linolensäure, Eikosapentaensäure (EPA) und Decosahexaensäure (DHA) vor. Linolensäure ist in pflanzlichen Ölen enthalten, EPA und DHA finden sich ausschließlich in Fischölen. Die essenziellen ω-3-Fettsäuren sind Vorläufer des Prostazyklins und hemmen kompetitiv die Arachidonsäure, den Vorläufer des Thromboxans A2. Die Downregulation der Prostaglandinsynthese kann auch zu einer Senkung der Frühgeburtlichkeit führen. Frauen der Inuit, die sich fischölreich ernähren, weisen ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie und einer IUWR als Europäerinnen auf (Olson et al. 2000; Williams et al. 1995). Eine adäquate Anreicherung der Ernährung mit diesen Fettsäuren (mind. 340 g Meeresfrüchte/Woche) führt auch zu einer besseren kindlichen neurologischen Entwicklung (McGregor et al. 2001; Hibbeln et al. 2007; Genius et al. 2008). Die Überprüfung anderer Modifikationen der Diät während der Schwangerschaft wurde in kleineren randomisierten Untersuchungen vorgenommen. Dabei konnten keine positiven Einflüsse auf den Schwangerschaftsverlauf gezeigt werden (Villar et al. 2004).
Antioxidanzien Es wird vermutet, dass oxidativer Stress mit Schädigung der Zellmembranen von Endothelien, Leukozyten und Thrombozyten durch überschießende Lipidperoxidation eine Rolle in der Pathogenese der Präeklampsie spielt (Roberts u. Hubel 1999). Die Lipidperoxidation wird durch freie Radikale initiiert. Antioxidanzien schützen die Zellmembranen, indem sie die Energie, die durch freie Radikale generiert wird, absorbieren. In kleineren Studien wurde eine verminderte Prävalenz von Präeklampsien in der Gruppe mit Vitamin C und E als antioxidativ wirkende Substanzen gefunden (Mikhail et al. 1994), in anderen wiederum nicht (Beazley et al. 2005). Die CochraneAnalyse vom 2008 über den Einsatz von Antioxidanzien in der Schwangerschaft konnte ebenfalls keinen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen Vitamin C und E und positivem Ausgang der Schwangerschaft zeigen. Beunruhigend ist die Tatsache, dass im Vergleich mit Kontrollen mehr Frauen, die Vitamin C und E erhalten hatten, einer hypertensiven Behandlung bedurften und deswegen hospitalisiert wurden (Rumbold et al. 2008) und das Risiko für untergewichtige Kinder sogar höher war als in der Plazebogruppe (Poston et al. 2006).
17.4
Eklampsie
Eklampsie Unter einer Eklampsie versteht man generalisierte tonischklonische Krämpfe, die antepartal, intrapartal oder innerhalb von 7 Tagen postpartal auftreten. Ein zerebrales Anfallsleiden oder andere Zustände, die zu zerebralen Anfällen prädisponieren, müssen ausgeschlossen sein.
Die Anfälle beginnen mit einer tonischen Phase, die etwa 15 s dauert. Darauf folgt eine klonische Phase von etwa 60 s Dauer, die meist von einer Apnoe begleitet wird. Die postiktale Bewusstseintrübung kann einige Minuten bis mehrere Stunden dauern. Die Anfälle können sich wiederholen und gehen selten in einen konvulsiven Status über. Die Eklampsie wird allgemein als Endpunkt der Präeklampsie angesehen. Allerdings sind in bis zu 40% der Fälle einer Eklampsie weder eine Hypertonie noch eine Proteinurie bekannt, und prodromale Symptome können fehlen. Das griechische Wort εκλαμπσια (»die plötzlich Hervorschießende«) ist somit eine treffende Bezeichnung.
17.4.1
Pathogenese
Als auslösende Faktoren der Eklampsie werden eine zerebrale Ischämie infolge von Spasmen und Mikrothromben der kleinen intrakraniellen Gefäße, endotheliale Schädigung sowie eine hypertensive Enzephalopathie mit Hyperperfusion und Blutung diskutiert (Morris et al. 1997). Auf Computer- und Magnetresonanztomogrammen können Veränderungen festgestellt werden, die charakteristisch für eine zerebrale Ischämie, Infarkt und Blutung sind (Zeeman et al. 2004). Die histopathologischen Befunde sind denjenigen bei anderen hypertensiven Enzephalopathien ähnlich und umfassen Thrombosen und fibrinoide Nekrosen der Arteriolen, Mikroinfarkte und fokale Blutungen (Redman 1995).
17.4.2
Inzidenz und Risikofaktoren
Die Inzidenz der Eklampsie beträgt in Westeuropa 1:2000 bis 1:3500 Geburten. Die Inzidenz ist im Lauf der letzten 50 Jahre drastisch gesunken, z. B. in Großbritannien von 8:1000 auf 0,5:1000 Geburten (Douglas u. Redman 1994). Die Abnahme wird hauptsächlich auf die verbesserte Diagnostik und das aggressive Management der Präeklampsie zurückgeführt. In Ländern der Dritten Welt variiert die Inzidenz erheblich und liegt bei 6–100 auf 10.000 Lebendgeburten (WHO 1988). Am höchsten ist sie bei jungen farbigen Erstgebärenden mit niedrigem Sozialstatus. Ein erhöhtes Risiko besteht: 4 bei Schwangeren unter 19 Jahren (3,0), 4 bei Mehrlingsschwangerschaften (6,0), 4 nach vorausgegangener Präeklampsie oder Eklampsie (1,5) (Douglas u. Redman 1994).
17
328
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
17.4.3
Auftreten und Prodromalsymptome
Nach Douglas u. Redman (1994), die 383 Fälle mit Eklampsie retrospektiv untersuchten, ereigneten sich 38% der eklamptischen Anfälle vor der Geburt, 18% während der Geburt und 44% nach der Geburt. Zwölf Prozent der postpartalen Anfälle traten mehr als 48 h, 2% mehr als 6 Tage nach der Geburt auf. Die Eklampsie manifestierte sich in 77% der Fälle während der Hospitalisation. Nur bei 62% dieser Patientinnen waren vor dem Anfall eine Hypertonie und eine Proteinurie bekannt. Prodromale Symptome hatten 59% der Patientinnen, am häufigsten Kopfschmerzen (50%), gefolgt von Sehstörungen (19%) und epigastrischen Schmerzen (19%).
17.4.4
Management
Therapie des eklamptischen Anfalls Das Management des eklamptischen Anfalls beruht auf 3 Prinzipien (. Tab. 17.7): 4 antikonvulsive Therapie und Stabilisierung, 4 Blutdrucksenkung, 4 rasche Entbindung. > Ein eklamptischer Anfall muss möglichst rasch unterbrochen werden. Falls die erwähnten Maßnahmen den eklamptischen Zustand nicht beheben, müssen mittels Intubation die Luftwege offen gehalten werden, um eine adäquate Oxygenierung sicherzustellen.
Bedeutung für Mutter und Kind
Die mütterliche Mortalität beträgt 1,5–2%. In Westeuropa ist die Eklamspie für etwa 10% aller mütterlichen Todesfälle verantwortlich (Steiner 1989; Douglas u. Redman 1994; Welsch u. Krone 1994). Die mütterliche Morbidität ist hoch (7 Übersicht).
Mütterliche Komplikationen in Zusammenhang mit einem eklamptischen Anfall (nach Douglas u. Redman 1994) 4 4 4 4 4 4 4 4
17.4.5
Künstliche Beatmung: 23% Disseminierte intravasale Gerinnung: 9% HELLP-Syndrom: 7% Nierenversagen: 6% Lungenödem: 5% Adult-respiratory-distress-Syndrom: 2% Intrazerebrale Blutung: 1,8% Herzstillstand: 1,6%
Die kindliche Mortalität beträgt 7–12%. Die Mehrzahl der kindlichen Todesfälle ist mit extremer Frühgeburtlichkeit oder mit einer vorzeitigen Plazentalösung assoziiert (Ounsted 1988).
Weitere unterstützende Maßnahmen bei einem eklamptischen Anfall (nach Sibai 2005) 4 Einlage eines Gummikeils zwischen die Zähne zur Verhütung eines Zungenbisses (Cave: Verschlucken des Gummikeils) 4 Seitenlagerung zur Aspirationsprophylaxe 4 Intensivüberwachung (Blutdruck, Puls, Oxymetrie, CTG) 4 Sauerstoffgabe (8–10 l/min) über Maske
In prospektiven kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass Magnesiumsulfat dem Phenytoin und dem Diazepam für die Prophylaxe von weiteren eklamptischen Anfällen überlegen ist (Eclampsia Trial Collaborative Group 1995; Lucas et al. 1995). Es wird angenommen, dass die krampfhemmende Wirkung des Magnesiums hauptsächlich auf der Dilatation von intrakraniellen Gefäßen beruht sowie der Hemmung des Einstroms von Kalziumionen in ischämische Nervenzellen, der Aggregation von Thrombozyten, dem Schutz der Endothelzellen vor freien Radikalen und der kompetitiven Hemmung von Glutamat-Asparat-Rezeptoren (Roberts 1995). Auf die toxische Wirkung des Magnesiumsulfats wurde bereits eingegangen (7 Kap. 17.3.5). Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass die Urinausscheidung
17 . Tab. 17.7. Medikamentöse Therapie bei eklamptischen Anfällen
Substanzen
Dosierung
Antikonvulsive Therapie
MgSO4
4 g über 5–10 min über Perfusor, gefolgt durch Erhaltungsdosis von 1 g/h für 24 h (nach dem letzten Anfall)
Erneuter Anfall unter MgSO4
MgSO4
Weiterer Bolus von 2 g i.v. über 5 min oder eine Steigerung der Infusionsrate auf 1,5–2 g i.v./h (Perfusor)
2. Wahl
Diazepam
10–20-mg langsam i.v.
Pentothal
75–125-mg langsam i.v.
Labetalol
Bolus: 20 mg i.v. (40 mg, 80 mg nach jeweils 10 min, maximal 300 mg) oder Infusion: 20–160 mg/h (Perfusor)
Blutdrucksenkung (. Tab. 17.3)
329 17.5 · HELLP-Syndrom
(≥20ml/h), die Sehnenreflexe und die Atemfrequenz (≥12/ min) regelmäßig kontrolliert werden müssen. Als Antidot für eine Magnesiumintoxikation wird Kalziumglukonat 1 g (10 ml) über 10 min i.v. verabreicht.
Studienbox Trotz Magnesiumtherapie können nicht alle eklamptischen Anfälle vermieden werden. Sibai et al. (1986) fanden unter 200 Eklampsien 70 Fälle (35%), die sie als nicht verhinderbar einstuften. Dabei lagen folgende Umstände vor: 4 Anfälle ohne bekannte Präeklampsie (31 Fälle), 4 spät auftretende postpartale Anfälle (22 Fälle), 4 Anfälle unter Magnesiumtherapie (7 Fälle), 4 Anfälle bei leichter Präeklampsie (7 Fälle), 4 Anfälle vor der 20. SSW (3 Fälle).
Der eklamptische Anfall geht oft mit einer exzessiven Blutdruckerhöhung einher. Intrazerebrale Blutungen stehen in direktem Zusammenhang mit dem Ausmaß der Hypertonie und sind für 15–20% der tödlichen Verläufe verantwortlich (Lewington et al. 2002). Generell wird eine aggressive antihypertensive Therapie bei persisitierenden Blutdruckwerten von diastolisch >105–110 mm Hg und systolisch von ≥160 mm Hg empfohlen (National Institutes of Health 2000; . Tab. 17.3). > Sobald der Zustand der Patientin stabil ist, muss die Entbindung erfolgen. Falls der vaginale Befund eine rasche Geburt erwarten lässt, kann eine Geburtseinleitung versucht werden. Bei unreifem vaginalem Befund ist eine primäre Sectio angezeigt. Das postpartale Management wird gehandhabt wie bei der Präeklampsie.
Neurologische Abklärung Bei Anfällen, die ohne Zeichen einer Präeklampsie oder später als 48 h nach der Geburt auftreten, sowie bei persistierenden neurologischen Symptomen müssen ein EEG und ein CT oder MRT des Schädels veranlasst werden.
Studienbox Lubarsky et al. (1994) fanden bei 8 von 62 Patientinnen mit späten postpartalen Anfällen andere Krankheiten, darunter in 5 Fällen eine zerebrale venöse Thrombose und in je einem Fall ein Sturge-Weber-Syndrom, eine neu aufgetretene Epilepsie und eine hepatische Enzephalopathie.
17.5
HELLP-Syndrom
HELLP-Syndrom Die Assoziation einer Hämolyse und einer Thrombozytopenie mit einer schweren Präeklampsie oder einer Eklampsie ist in der Geburtshilfe seit langem bekannt. Weinstein prägte 1982 den Begriff des HELLP-Syndroms (»haemolyis, elevated liver enzymes, low platelets«) und stufte das Syndrom als schwere Verlaufsform der Präeklampsie ein.
Die Inzidenz des HELLP-Syndroms beträgt bei Patientinnen mit einer Präeklampsie 10–14%, bei Patientinnen mit einer Eklampsie bis zu 30%. In den letzten Jahren wird das HELLPSyndrom zunehmend häufiger und früher diagnostiziert. Dies ist weniger auf einen Wandel des Erscheinungsbildes der Präeklampsie als vielmehr auf einen Bewusstwerdungsprozess der Ärzteschaft zurückzuführen (Rath et al. 1992).
17.5.1
Pathophysiologie
Die Symptomentrias des HELLP-Syndroms lässt sich durch die Mikrozirkulationsstörung im Rahmen der Präeklampsie erklären. Infolge der Endothelzellschädigung kommt es zu einer Vasokonstriktion, zu einer gesteigerten Aggregation der Thombozyten und zu einer Aktivierung der intravasalen Gerinnung mit Bildung von Mikrothromben. Daraus resultieren eine Thrombozytopenie und eine mehr oder weniger ausgeprägte Hämolyse, die durch eine mechanisch-hypoxische Schädigung der Erythrozyten bei der Passage durch die verengten Blutgefäße verursacht wird. Die erhöhten Leberenzyme sind Ausdruck einer hypoxischen Leberzellschädigung, die sich histologisch in periportalen Leberzellnekrosen äußert.
17.5.2
Bedeutung für Mutter und Kind
Das HELLP-Syndrom ist gemäß der älteren Literatur mit einer mütterlichen Mortalität von 3–5% und einer perinatalen Mortalität von 22–24% belastet. In neueren Studien liegen die mütterliche Mortalität bei 0–1% und die prinatale Mortalität unter 15% (Rath et al. 1994; Visser u. Wallenburg 1995). Neben der Manifestation einer disseminierten intravasalen Gerinnung muss in bis zu 20% der Fälle mit einer vorzeitigen Plazentalösung, bei 8% mit einer Niereninsuffizienz, bei 5% mit intrakranialen Blutungen und bei 4,5% mit einem Lungenödem gerechnet werden (Sibai et al. 1993). Eine lebensbedrohliche Komplikation stellt die Ruptur eines subkapsulären Leberhämatoms dar, die bei 1,5–1,8% der Patientinnen mit HELLP-Syndrom auftritt und mit einer mütterlichen Mortalität von 56–61% und einer fetalen Mortalität von 62–77% belastet ist (Hüskes et al. 1991). Bei klinischem Verdacht auf ein subkapsuläres Hämatom kann besonders vor der Ruptur eine MRT- oder Ultraschalluntersuchung hilfreich sein (Barton u. Sibai 1996). Die Leberruptur kann sich sowohl
17
330
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
antepartal als auch postpartal ereignen und manifestiert sich durch Schockzeichen sowie Schulter- und Flankenschmerzen. Bei schwerer Symtomatik muss neben Schockbekämpfung mit Substitution von Volumen, FFP, Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten unverzüglich laparotomiert werden. Die Blutstillung kann durch gezielte Gefäßumstechungen, Fibrinkleber, eine Netzplombe oder Einpacken der Leber in ein hämostatisches Vicrylnetz erfolgen. Auch der erfolgreiche Einsatz von rekombinantem Faktor VIIa (Merchant et al. 2004) sowie Lebertransplantation wurde beschrieben (Hunter et al. 1995).
17.5.3
Klinische Symptome und Diagnose
Sibai et al. (1993) haben bei 442 Schwangerschaften mit HELLP-Syndrom folgende Charakteristika gefunden: Auftreten in 69% der Fälle antepartal (3% im 2. Trimenon) und in 30% der Fälle postpartal (meist innerhalb von 48 h). Bei 79% der Patientinnen lagen Zeichen einer Präeklampsie vor. Die Symptome des HELLP-Syndroms sind unspezifisch. Die Patientinnen klagen über allgemeines Unwohlsein (90%)‚ epigastrische Schmerzen (90%), Nausea oder Erbrechen (50%). Die klinische Untersuchung zeigt eine Druckdolenz im rechten Oberbauch (80%)‚ eine rasche Gewichtszunahme oder generalisierte Ödeme (60%). Die Hypertonie ist schwer (50%), leicht (30%) oder kann fehlen (20%). Eine Proteinurie liegt in 85–95% aller Fälle vor. Gelegentlich präsentiert sich das Syndrom als Krampfanfall, gastrointestinale Blutung, Hämaturie, Flanken- oder Schulterschmerz. Häufige Fehldiagnosen sind Gastroenteritis, Pyelonephritis, Appendizitis, Glomerulonephritis, Cholezystitis, Magenulkus oder akute Schwangerschaftsfettleber.
17
! Zur Vermeidung dieser Fehldiagnosen sollte deshalb bei allen Schwangeren, die eines oder mehrere der oben erwähnten Symptome aufweisen, unabhängig von der Höhe des Blutdrucks ein Laborscreening mit Blutbild, Thrombozyten und Leberenzymen veranlasst werden. Es muss jedoch betont werden, dass v. a. die Oberbauchschmerzen inklusive die epigastrischen Beschwerden noch vor den typischen Laborveränderungen auftreten können (Martin et al. 2006).
4 Leberfunktionsstörung, charakterisiert durch erhöhte Serumspiegel der Aspartataminotransferase (ASAT) und der Alaninaminotransferase (ALAT). Die ASAT steigt in der Regel höher an als die ALAT. 4 Thrombozytenabfall auf <100.000/μl (Tennessee-Klassifizierung) oder auf <150.000/μl (Mississippi-Einteilung; . Tab. 17.8).
Die zwei meistverwendeten Definitionen für die Diagnose und Klassifizierung des HELLP-Syndroms wurden in den 1980-er Jahren an den Universitäten von Tennessee und Mississippi erarbeitet (. Tab. 17.8). Die Tennessee-Klassifizierung unterscheidet das komplette vom partiellen HELLP-Syndrom, während die Mississippi-Einteilung das HELLP-Syndrom auf der Basis der Thrombozytenzahl in 3 Gruppen einteilt. Beide Klassifikationen haben ihre Vor- und Nachteile. Klinisch wurden Leberrupturen auch bei Klasse-3-HELLP-Syndrom beschrieben, ebenso wie eine höhere Rate an Eklampsien und eine höhere perinatale Morbidität/Mortalität bei Fällen mit partiellem HELLP-Syndrom. Die Mississippi-Einteilung erlaubt eine feinere Differenzierung der Kollektive, die u. a. von einer hochdosierten Steroidtherapie profitieren könnten (7 unten). Differenzialdiagnostisch ist an 3 verwandte schwere Krankheitsbilder zu denken (Sibai et al. 2007): 4 thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), 4 hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), 4 akute Schwangerschaftsfettleber.
. Tab. 17.8. Klassifizierung des HELLP-Syndroms
HELLPKlassen
MississippiEinteilung
Tennessee-Einteilung
1
4 Tc ≤50.000/μl 4 ASAT oder ALAT ≥70 IU/l 4 LDH ≥600 IU/l
4 TC ≤100.000/μl 4 ASAT ≥70 IU/l 4 LDH ≥600 IU/l
2
4 Tc ≥50.000 und ≤100.000/μl 4 ASAT oder ALAT ≥70 IU/l 4 LDH ≥600 IU/l
3
4 Tc ≥10.0000 und ≤150.000/μl 4 ASAT oder ALAT ≥40 IU/l 4 LDH ≥600 IU/l
4 Nicht klassifiziert
Partielles HELLPSyndrom
4 Nicht klassifiziert
4 Schwere Präeklampsie und mindestens einer der Faktoren (ELLP, EL, LP)
Typische laborchemische Veränderungen beim HELLP-Syndrom (nach Sibai 2004a; Martin et al. 2006) 4 Hämolyse, definiert durch einen verminderten Haptoglobinspiegel im Serum. Fragmentozyten und erhöhte Spiegel des indirekten Bilirubins werden erst bei einer massiven Hämolyse beobachtet. Erhöhte Spiegel der Laktatdehydrogenase (LDH) sind nicht spezifisch für eine Hämolyse, da es sich dabei hauptsächlich um hepatische Isoenzyme handelt (Rath et al.1992).
6
Tc=Thrombozyten; ASAT und ALAT=Aminotransferasen; ELLP=»elvated liver enzymes, low platelets«; EL=»elevated liver enzymes«; LP=»low platelets«.
331 17.5 · HELLP-Syndrom
Charakteristisch für die TTP sind Fieber und neurologische Symtome, eine ausgeprägte Hämolyse und Thrombozytopenie bei normalem Antithrombin III. Der Blutdruck ist initial häufig normal und die Leberenzyme nur geringgradig erhöht. Das HUS tritt i. d. R. erst nach der Geburt auf und wird dominiert durch eine schwere Niereninsuffizienz, eine ausgeprägte Hämolyse und Thrombozytopenie bei initial normalen Blutdruckwerten und normalen bis wenig erhöhten Leberenzymen (Dashe et al. 1998). Auf die akute Schwangerschaftsfettleber wird in 7 Kap. 17.6 ausführlich eingegangen.
17.5.4
Management
Überwachung Schwangere mit einem HELLP-Syndrom bedürfen einer intensiven Überwachung, am besten in einem perinatalen Zentrum. Da der Verlauf des HELLP-Syndroms mit dem Auftreten von schweren Komplikationen nicht vorhersehbar ist, müssen der Blutdruck, die Urinausscheidung und die Laborparameter bei der Mutter engmaschig kontrolliert und der fetale Zustand mittels CTG mehrmals täglich beurteilt werden entsprechend den Richtlinien für eine schwere Präekamspie. Für das geburtshilfliche Management kommt der Entwicklung einer Gerinnungsstörung eine besondere Bedeutung zu. Die globalen Gerinnungstests (Quick, PTT, Thrombinzeit) und das Fibrinogen sind im Zustand der kompensierten intravasalen Gerinnungsaktivierung meist noch normal. Die serielle Bestimmung von sensitiven Gerinnungsparametern (TAT-III-Komplex, Fibrinopeptid A, lösliches Fibrin, D-Dimere, Antithrombin III, Protein C), die den Übergang in eine dekompensierte intravasale Gerinnung anzeigen könnten, ist aufwändig und bezüglich ihres Vorhersagewerts zu wenig untersucht. Die laborchemischen Untersuchungen sollten initial in 6- bis 8-stündlichen Intervallen wiederholt werden, insbesondere wenn initial die Kriterien nur marginal oder inkomplett erfüllt sind. > Der Abfall der Thrombozytenwerte spiegelt am ehesten das Ausmaß der Verbrauchskoagulopathie wider und sollte deshalb neben der Beurteilung des Blutdrucks, der Nierenfunktion und des fetalen Zustands wegweisend für das geburtshilfliche Management sein.
Medikamentöse Therapie Erste Priorität hat die Stabilsierung der Mutter. Bei allen Patientinnen wird analog zur schweren Präeklampsie prophylaktisch Magnesiumsulfat intravenös gegeben. Blutdruckwerte >160/110 mm Hg müssen wegen der Gefahr einer mütterlichen Hirnblutung durch Antihypertensiva (Labetalol i.v.) rasch gesenkt werden. Unbestritten ist die Lungenreifeinduktion mit Glukokortikoiden vor der 34. SSW. In einer randomisierten Studie wurde nach antepartaler Gabe von Glukokortikoiden (10 mg Dexamethason 12-stündlich i.v.) ein Anstieg der Thrombozy-
tenzahl und der Urinausscheidung sowie ein Abfall der Leberenzyme gefunden (Magann et al. 1994a). Eine Metaanalyse von 5 randomisierten Studien konnte jedoch keine signifikante Verbesserung der mütterlichen Morbidität und auch Mortalität nach hochdosierter Steroidapplikation zeigen (Matchaba u. Moodley 2004). Ähnliche Resultate fanden Fonseca et al. (2005). Dexamethason wirkte sich jedoch günstig auf die Urinproduktion, den mittleren arteriellen Druck, den Anstieg der Thrombozyten und den Abfall der Leberenzyme aus. Hoch dosiertes Dexamethason (10 mg i.v. alle 12 h bis zu einer deutlichen Zustandsverbesserung) ist in seiner Auswirkung auf die genannten mütterlichen Parameter effektiver als eine niedrige Dosierung (5 mg) oder als Betamethason i.m. Nach Martin et al. (2006) profitieren v. a. Patientinnen mit HELLP-Syndrom der Mississippi-Klassen 1 und 2 von dieser Behandlung. Die DGGG empfiehlt nun ebenfalls die Gabe von Steroiden zur Prolongation der Schwangerschaft. Dabei wird Methylprednisolon in einer Dosierung von 32 mg/Tag i.v. oder Dexamethason 10 mg 8- bis 12-stündlich i.v. verabreicht. Aus der vorliegenden Literatur ist insgesamt unklar, inwieweit die hoch dosierte Steroidtherapie sich günstig (oder ungünstig) auf die kindliche und mütterliche Situation auswirkt. In randomisierten Studien und Metaanalysen ist ein deutlicher Effekt jedenfalls nicht ersichtlich, auch wenn die pathophysiologischen Überlegungen korrekt zu sein scheinen (Matchaba u. Moodley 2004; Fonseca et al. 2005; Martin et al. 2006). Sowohl die Indikation zur hochdosierten Steroidmedikation, das zu verwendende Steroid, dessen Dosierung und Dosierungsintervall als auch die Dauer der Behandlung sind Gegenstand intensiver Diskussionen und werden sehr unterschiedlich beurteilt. Wir verwenden, z. B. bei schwerem HELLP-Syndrom mit rasch fallenden Thrombozytenwerten, Betamethason in einer Dosierung von 16 mg/16 mg/8 mg/8 mg i.m. in 12stündlichen Intervallen. Somit ist gleichzeitig die Lungenreifungsinduktion gesichert, was beim Einsatz von Prednison nicht der Fall wäre.
Entbindung Nach Stabilisierung des mütterlichen Zustands sollte, unabhängig vom Gestationsalter, die Entbindung vorgenommen werden. In der Mehrzahl der Fälle wird man sich angesichts des unvorhersehbaren Verlaufs des HELLP-Syndroms für eine primäre Sectio entscheiden. Allerdings sind die Risiken bei einer Sectio für die Mutter erheblich, sodass bei spontaner Wehentätigkeit und progressiver Muttermundseröffnung die Möglichkeit einer vaginalen Geburt wahrgenommen werden sollte. Bei einer Gerinnungsstörung mit einer Thrombozytenzahl <50.000/μl werden unmittelbar vor und während der Entbindung FFP bzw. Thrombozytenkonzentrate gegeben. Nach der Entbindung muss die Patientin mindestens 48–72 h intensiv überwacht werden. Die Therapie mit Magnesiumsulfat und Glukokortikoiden (z. B. Dexamethason 10 mg/10 mg/5 mg/5 mg, 12-stündlich i. v. oder Betamethason; Magann et al. 1994b) wird weitergeführt. Die Thrombozytenzahl und die Serumspiegel der Leberenzyme erreichen ihre tiefsten bzw. höchsten Werte im Mittel 24 h nach der Geburt und normalisieren sich innerhalb von 4–7 Tagen.
17
332
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
In Einzelfällen mit einer fehlenden Remission und einer lebensbedrohlichen diffusen Mikrothrombangiopathie führte eine Plasmapherese mit FFP zu einem Stillstand der Krankheit und zur Erholung der Patientin (Martin et al. 1990).
Konservatives Management Bei einem Gestationsalter > 32 (–34) SSW stellt sich analog zur schweren Präeklampsie die Frage, ob mit einem abwartenden Verhalten die perinatale Morbidität und Mortalität gesenkt werden kann, ohne dass dadurch die Mutter gefährdet wird.
Studienbox
17
Visser u. Wallenburg (1995) untersuchten in der bisher größten kontrollierten Fallstudie bei einem Gestationsalter >34 SSW ein expektatives Management bei je 128 Patientinnen mit schwerer Präeklampsie mit und ohne HELLP-Syndrom. Zur Überwachung des mütterlichen Kreislaufs wurden während 1–3 Tagen ein pulmonaler Einschwemmkatheter und ein peripherer arterieller Katheter gelegt. Bei Bedarf wurden Plasmaexpander (PPL), Vasodilatatoren (Dihydralazin) und Antihypertensiva (Methyldopa) eingesetzt. Glukokortikoide wurden nicht gegeben. Die mediane Verlängerung der Schwangerschaft betrug mit HELLP-Syndrom 13 Tage, ohne HELLP-Syndrom 17 Tage (Differenz statistisch nicht signifikant). Eine komplette Remission des HELLP-Syndroms wurde bei 43% der Patientinnen erreicht. In 74% der Fälle stieg die Thrombozytenzahl vor der Geburt auf über 100 000/μl an. Die perinatale Mortalität betrug ohne HELLP-Syndrom 14,1%, mit HELLP-Syndrom 14,8%. Schwere mütterliche Komplikationen (Abruptio placentae, Eklampsie, Blutungen) traten in 14,1% der Fälle auf. Die mütterliche Mortalität war Null. Die Sectiorate betrug 79,7%. Rath et al. (1994) erreichten dagegen als Befürworter des aktiven Vorgehens bei 129 Patientinnen mit HELLPSyndrom zwischen der 26. und 41. SSW (Median 35 SSW) bei einem medianen Intervall von 3 h zwischen der Diagnosestellung und der Entbindung und einer Sectiorate von 98% eine mütterliche Komplikationsrate von 11,6% und eine perinatale Mortalität von 5%. Es kam zu keinem mütterlichen Todesfall.
17.6
Akute Schwangerschaftsfettleber
17.6.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die akute Schwangerschaftsfettleber ist eine seltene Krankheit. Sheehan beschrieb 1940 eine Serie von 6 Patientinnen, die an einer akuten Schwangerschaftsfettleber starben. Die Inzidenz wird heute auf etwa 1:10000 Schwangerschaften geschätzt (Castro et al. 1999). Diese Zahl ist wahrscheinlich zu niedrig, da viele Fälle nicht diagnostiziert oder nicht mitgeteilt werden. Die akute Schwangerschaftsfettleber tritt i. d. R. im 3. Trimenon auf und ist etwas häufiger bei Mehrlingsschwangerschaften. Häufig liegt eine Mikroangiopathie, ausgehend von einer Endothelzellschädigung, mit Thrombozytopenie, aktivierter Gerinnung und Hämolyse vor, die an eine Verwandtschaft mit der Präeklampsie denken lässt. Als prädisponierender Faktor wird ein genetischer Defekt der LCHAD oder anderer Enzyme, die an der mitochondrialen β-Oxidation von Fettsäuren beteiligt sind (Treem et al. 1996; Yang et al. 2002), vermutet. Die autosomal rezessiv vererbten Genmutationen können durch die Störung der β-Oxidation von Fettsäuren in den Geweben des Fetus sowie der Plazenta zu einer Anhäufung toxischer Metabolite in der mütterlichen Leber führen. Die mütterliche und die fetale Mortalität lagen bis vor 25 Jahren bei 50–70%. Seither ist die mütterliche Mortalität gegen Null und die fetale Mortalität auf 20–30% gesunken, v. a. dank früherer Diagnosestellung, verbesserter intensivmedizinischer Therapie und rascherer Schwangerschaftsbeendigung.
17.6.2
Klinische Symptome und Verlauf
Die initialen klinischen Symtome sind uncharakteristisch und umfassen Unwohlsein, Nausea oder Erbrechen und Schmerzen im rechten Oberbauch. Oft dominieren die Symtome von Begleitkrankheiten. Am häufigsten handelt es sich dabei um eine Präeklampsie, die in bis zu 46% der Fälle gefunden wird (Riely 1987), seltener um eine intrahepatische Cholestase oder um einen Diabetes insipidus.
Studienbox
17.5.5
Wiederholungsrisiko
Frauen mit Zustand nach HELLP-Syndrom weisen ein erhöhtes Risiko auf, in einer nächsten Schwangerschaft eine hypertensive Erkrankung zu entwickeln. Dieses Risiko wird mit mindestens 20% beziffert (range 16–52%). Das Risiko für die Wiederholung eines HELLP-Syndroms bewegt sich zwischen 2 und 19% und ist abhängig u. a. vom Gestationsalter bei Diagnose bei der vorhergehenden Problemschwangerschaft sowie von vorbestehenden, chronischen Erkrankungen (Chames et al. 2003; Martin et al. 2006).
Reyes et al. (1994) beschrieben 12 Fälle mit einer akuten Schwangerschaftsfettleber. Bei 7 Patientinnen lag eine intrahepatische Cholestase mit Juckreiz vor, der in 2 Fällen mehrere Wochen vor der Manifestation der Schwangerschaftsfettleber auftrat. Ein transienter Diabetes insipidus wurde von Kennedy et al. (1994) bei 6 Patientinnen mit einer akuten Schwangerschaftsfettleber beschrieben. Alle 6 Frauen entwickelten früh im Verlauf der Krankheit eine Polyurie. Der Diabetes insipidus wird auf einen verlangsamten Abbau der Oxytozinase durch die geschädigte Leber zurückgeführt.
333 17.6 · Akute Schwangerschaftsfettleber
Spät auftretende Symptome sind Ikterus, Fieber und Bewusstseinstrübung oder Koma als Ausdruck der Hypopglykämie oder des Leberversagens. In fortgeschrittenen Stadien kommt es häufig zu gastrointestinalen Blutungen und einem Nierenversagen. Geburtshilfliche Komplikationen umfassen vorzeitige Wehen und einen fetalen Distress infolge der uteroplazentaren Minderdurchblutung und der metabolischen Azidose der Mutter.
17.6.3
Laborbefunde
> Eine ausgeprägte und lang dauernde Hypoglykämie ist ein typisches Zeichen der akuten Schwangerschaftsfettleber.
In vielen Fällen werden Zeichen einer Hämolyse und einer aktivierten intravasalen Gerinnung gefunden. Eine disseminierte intravasale Gerinnung und erhöhte Ammoniakwerte im Serum liegen in Spätstadien der Krankheit vor. ASAT- und ALAT-Werte erreichen eine mäßige Erhöhung von 1000 IE/l. Es findet sich i. d. R. eine deutliche Leukozytose mit Linksverschiebung.
17.6.4
der periportalen Region spricht für eine akute Schwangerschaftsfettleber, periportale Leberzellnekrosen für eine Präeklampsie oder ein HELLP-Syndrom, diffuse Leberzellnekrosen mit Entzündungszeichen für eine akute (virale) Hepatitis (Rolfes u. Ishak 1985). Die Leberbiopsie ist bei einer gestörten Blutgerinnung riskant. Ultraschall und Computertomographie sind in frühen Stadien der akuten Schwangerschaftsfettleber wenig aussagekräftig, können aber zum Ausschluss von Krankheiten der Gallenblase und des Pankreas eingesetzt werden. Differenzialdiagnose. Die Abgrenzung der akuten Schwangerschaftsfettleber von einer Präeklampsie und einem HELLP-Syndrom ist schwierig. 10 von 14 Patientinnen mit akuter Schwangerschaftsfettleber wurden mit der Diagnose Präeklampsie oder HELLP-Syndrom eingewiesen (Usta et al. 1994; Sibai 2007). > Bei der Präeklampsie steht die Hypertonie und die Proteinurie, beim HELLP-Syndrom die typische Laborkonstellation im Vordergrund, während bei der akuten Schwangerschaftsfettleber das Leberzellversagen mit Hypoglykämie und Enzephalopathie dominiert. Tipp Unabhängig von diagnostischen Problemen sollte jede Patientin mit Zeichen einer akuten Schwangerschaftsfettleber stabilisiert und rasch entbunden werden. Die Differenzialdiagnose kann oft erst retrospektiv gestellt werden.
Diagnose
An eine akute Schwangerschaftsfettleber muss bei allen Schwangeren mit Zeichen einer Präeklampsie, einer Hypoglykämie, einer Hypofibrinogenämie oder einer disseminierten intravasalen Gerinnung in Abwesenheit einer vorzeitigen Plazentalösung gedacht werden. Die Diagnose kann durch eine Leberbiopsie erhärtet werden. Eine panlobuläre feintropfige Steatose unter Aussparung
Wichtig ist die Abgrenzung der akuten Schwangerschaftsfettleber von einer akuten viralen Hepatitis, bei der eine rasche Entbindung nicht angezeigt ist. Im Gegensatz zu der akuten
. Tab. 17.9. Differenzialdiagnose: HELLP-Syndrom, akute Schwangerschaftsfettleber, akute virale Hepatitis
Klinik
HELLP
Akute Fettleber
Akute Hepatitis
Beginn (Trimenon)
2–3
3
1–3
Klinische Zeichen
Hypertonie
Gastrointestinale Blutung, Koma, kleine Leber, Nierenversagen
Große Leber
Hämolyse
++
+/–
–
Proteinurie
++
+/–
–
Aminotransferasen
5fach erhöht
10fach erhöht
100fach erhöht
Bilirubin
Mehr oder weniger erhöht
5- bis 10fach erhöht
10- bis 15fach erhöht
Blutzucker
Normal
Tief
Normal
Leukozyten
Normal
Erhöht
Normal
Thrombozyten
Vermindert
Normal oder vermindert
Normal
Prothrombinzeit
Normal
Verlängert
Normal
17
334
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Schwangerschaftsfettleber ist bei der akuten viralen Hepatitis die Leber vergrößert und druckdolent, und die Leberenzyme sind meist deutlich erhöht (1 000–4 000 IE/l). Die Diagnose wird durch eine positive Serologie gestellt. In . Tab. 17.9 sind die Charakteristika des HELLP-Syndroms, der akuten Schwangerschaftsfettleber und der akuten Virushepatitis zusammengefasst. Andere Krankheiten, die differenzialdiagnostisch in Betracht kommen, umfassen eine durch Medikamente (Halothan, Phenytoin, Valproat, INH, Methyldopa, Labetalol) induzierte Hepatopathie, den Lupus erythematodes disseminatus, das Budd-Chiari-Syndrom, die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura und das hämolytisch-urämische Syndrom.
17.6.5
Management
Patientinnen mit einer akuten Schwangerschaftsfettleber müssen in einem perinatalen Zentrum behandelt werden. Ein kontinuierliches Monitoring der kardiorespiratorischen Funktionen ist angezeigt. Serielle Kontrollen der Leber- und Nierenfunktion, der Blutgerinnung und des Säure-BasenHaushalts sind wichtig. Die Glukosespiegel im Serum müssen stündlich gemessen werden. Die Hypoglykämie kann schwer sein und mehrere Tage über die Geburt hinaus andauern. Ein zentraler Venenkatheter ist für die Infusion von hochprozentiger Glukoselösung notwendig. Gerinnungsstörungen sollen mit FFP, Gerinnungsfaktorkonzentraten und Vitamin K behandelt werden. Ein Plättchenersatz ist bei Werten <20000/μl angezeigt, präoperativ bereits bei Werten <50000/μl. Ein Plasmaaustausch oder eine Therapie mit antithrombotischen Substanzen (Prostazyklin, Dazoxiben) hat sich in einzelnen schweren Fällen als nützlich erwiesen. Die fehlende spontane Regression der Leberfunktion vor der Geburt und die Besserung nach der Geburt rechtfertigen eine rasche Beendigung der Schwangerschaft, i. d. R. durch Sectio.
17
! Das Risiko einer Leberruptur, einer Pankreatitis und neurologischer Komplikationen dauert über die Geburt hinaus an und erfordert eine fortgesetzte intensive Überwachung der Mutter. Lebertransplantationen wurden bei ausgedehnten Nekrosen der Leber erfolgreich durchgeführt.
17.6.6
Wiederholungsrisiko
Mit der zunehmenden Überlebenschance der Mütter stellt sich die Frage nach dem Wiederholungsrisiko einer akuten Fettleber bei einer zukünftigen Schwangerschaft.
Studienbox Barton et al. (1990) beschrieben den ersten Fall einer Wiederholung bei einer Patientin in der 2. und 3. Schwangerschaft. Schoeman u. Batey (1991) berichteten über eine Patientin, die eine akute Schwangerschaftsfettleber in der 1. und 2. Schwangerschaft durchgemacht hatte. Beide Kinder starben im 1. Lebensjahr an den Folgen eines Defekts der Oxydation von langkettigen Fettsäuren. MacLean et al. (1994) beschrieben einen weiteren Fall mit Wiederholung einer akuten Schwangerschaftsfettleber in der 2. Schwangerschaft. Beide Male traten die Symptome (Nausea, Erbrechen, Anorexie, Durst, Ikterus und epigastrische Schmerzen) in der 34. SSW auf.
Es wird deshalb empfohlen, Schwangere, die eine akute Schwangerschaftsfettleber durchgemacht haben, auf die Zeichen der Krankheit hinzuweisen und bei nachfolgenden Schwangerschaften im 3. Trimenon engmaschig zu kontrollieren.
17.7
Antiphospholipidsyndrom
Diagnose und Bedeutung Das Antiphospholipidantikörpersyndrom (APS) ist als Assoziation von klinischen Störungen, wie arterielle oder venöse Thrombosen, oder Schwangerschaftskomplikationen mit erhöhten Antiphospholipidantikörpern (APA) wie Lupus antikoagulans, Antikardiolipin oder Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörpern definiert (Wilson et al. 1999; Miyakis et al. 2006). Die Klassifizierung des APS wurde im 2006 revidiert und in . Tab. 17.10 zusammengefasst: Da sich primäre und sekundäre Formen eines Antiphospholipidsyndroms klinisch nicht unterscheiden, wurde in einem Konsensusmeeting davon abgeraten, diese Differnenzierung vorzunehmen (Miyakis 2006). Viele Patientinnen mit einem »sekundären« APS haben einen systemischen Lupus erytematodes (SLE). Es ist nicht klar, ob das APS und ein SLE 2 Ausprägungen derselben Erkrankung sind, oder ob die eine Störung die andere begünstigt. Viele Patientinnen mit dem Antiphospholipidsyndrom weisen zudem eine Thrombozytopenie, eine falsch-positive Luesserologie (VDRL), eine Livedo reticularis und neurologische Symptome (Migräne, Sehstörungen) auf. 4 Antiphospholipidantikörper können auch durch eine Vielzahl von Infektionen (HIV, Lues, »Lyme disease«, Masern, Mumps, Varizellen, Parvovius, Adenovirus, Pneumokokken, Mykoplasmen, Rickettsien) und Medikamenten (Chlorpromazin, Dihydralazin, Propranolol, Valproat, Amoxicillin, Streptomycin) hervorgerufen werden. Für die Diagnose eines APS müssen diese Ursachen einer Erhöhung der APA ausgeschlossen werden. 4 Antikardiolipinantikörper und Lupus antikoagulans werden durch die Beeinflussung der phospholipidabhängigen Gerinnungstests erfasst. Als Screeningtest wird die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) verwendet.
335 17.7 · Antiphospholipidsyndrom
. Tab. 17.10. Revidierte Klassifizierung des Antiphospholipidsyndroms. (Nach Miyakis et al. 2006)
Kriterien Klinische Kriterien
Laborkriterien
Bemerkungen Gefäßthrombosen
4 1 oder mehrere Episoden von arteriellen oder venösen Thrombosen in irgendeinem Organ, wobei die Thrombose durch validierte Verfahren oder histologisch bestätigt werden muss
Schwangerschaftskomplikationen
4 1 oder mehrere Aborte nach der 10. Woche eines sonographisch oder makroskopisch nachgewiesenen unauffälligen Feten 4 1 oder mehr Frühgeburten <34 Wochen eines normalen Kindes bedingt durch Eklampsie oder schwere Präeklampsie oder verursacht iatrogen wegen intrauteriner Wachstumsrestriktion (IUWR) 4 3 oder mehr Aborte <10 Wochen, nicht bedingt durch anatomische oder hormonelle Probleme der Frau oder genetische Störungen des Paares
Lupus anticoagulans im Plasma nachweisbar mindestens 2-mal im Abstand von 3 Monaten Antikardiolipin-Antikörper-IgG und/oder -IgM im Serum oder Plasma in mittleren und hohen Titern (IgG/IgM >40) mindestens 2-mal im Abstand von 3 Monaten nachweisbar Anti-β2-Glykoprotein-I-IgG und/oder -IgM im Serum oder Plasma) mindestens 2-mal im Abstand von 3 Monaten nachweisbar
Ein Antiphospholipidsyndrom liegt vor, falls mindestens ein klinisches Kriterium und ein Laborkriterium erfüllt sind.
Eine im Screening verlängerte aPTT lässt auf eine antikoagulatorische Störung der Gerinnung schließen. Für die beim APS bestehende scheinbar paradoxe Thrombophilie mit allgemein erhöhtem Thromboserisiko fehlt bislang eine schlüssige Erklärung. Für die Geburtshilfe ist das Antiphospholipidsyndrom wegen des erhöhten Risikos von Thrombosen während der Schwangerschaft und wegen der erhöhten Rate von Aborten, Frühgeburt, IUWR, IUFT, HELLP-Syndrome und Präeklampsie von Bedeutung (Empson et al. 2002; Brauch u. Kamashta 2003; Thoung et al. 2005). Die normale Implantation der Blastozyste, die auf der Invasion der Dezidua und der Spiralarterien durch den extravillösen Trophoblasten basiert, kann durch APA in verschiedener Weise gestört werden. Allerdings ergab eine retrospektive Studie, dass sich der thrombophile Effekt der erhöhten APA-Titer protektiv gegenüber Schwangerschaftsverlusten vor der 10. SSW auswirkt, während das Risiko für spätere Verluste erhöht war (Rogue et al. 2004). Kutteh (1997) fasste die Ergebnisse von mehreren Studien zusammen, die das Vorkommen von Antiphospholipidantikörpern in verschiedenen Gruppen von jeweils >1.500 Frauen untersuchten: 4 Gesunde Schwangere: 5,3%, 4 Frauen mit habituellen Aborten: 20%,
4 Frauen mit SLE: 37%, 4 Frauen mit In-vitro-Fertilisation: 24%. > Während niedrige Spiegel von Anitkardiolipinantikörpern nicht mit einer erhöhten Rate von Schwangerschaftskomplikationen einhergehen, sind hohe Titer von Antikardiolipinantikörpern der IgG-Klasse (> 40 GPL-Einheiten) und der Nachweis des Lupus anticoagulans mit einer signifikant höheren Rate von fetalen Verlusten und Präeklampsie assoziiert (Lockwood u. Rand 1994). Der prädiktive Wert eines hohen Titers von Antikardiolipinantikörpern für einen IUFT beträgt 33% (Pattison et al. 1993).
In Tierversuchen wurde eine direkte toxische Wirkung der Antiphospholipidantikörper auf den Fetus nachgewiesen (Inbar et al. 1993). In den Plazenten von Patientinnen mit Antiphospholipidsyndrom wurden vermehrt Thrombosen und Fibrinablagerungen (sog. Gitterinfarkte) gefunden.
17.7.1
Therapie
Für die Formulierung verbindlicher Therapieempfehlungen in den verschiedenen Untergruppen dieses komplexen Krankheitsbildes fehlt es an großen Studien mit dem Einsatz verschiedener Behandlungsprotokolle in vergleichbaren Gruppen.
17
336
17
Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Die Wirksamkeit von Heparin (5.000 IE/Tag s.c.) oder niedermolekularem Heparin (z. B. Deltaparin, 5.000 IU/Tag s.c.) in Kombination mit 100 mg Azetylsalizylsäure täglich ist bei Vorliegen eines Antiphospholipidsyndroms erwiesen. Sowohl Kutteh (1997) als auch Rai et al. (1997) haben in randomisierten Studien eine signifikante Reduktion des Präeklampsierisikos und eine Verbesserung des fetalen Outcomes zeigen können. Mit der Behandlung sollte bereits präkonzeptionell begonnen werden. In neuerer Zeit wurden verschiedene Therapiestudien publiziert, die eine Differenzierung je nach Vorgeschichte nahelegen (Brauch u. Khamashta 2003; Tincani et al. 2003). Bei einem APS mit vorausgegangener Thrombose besteht wegen der hohen Rezidivgefahr i. d. R. eine orale Dauerantikoagulation. Bei geplanter Schwangerschaft wird eine Umstellung auf niedermolekulares Heparin entweder vor der Konzeption oder möglichst früh, d. h. vor der 6. SSW, empfohlen. Niedermolekulares Heparin muss nur einmal täglich appliziert werden und hat ein deutlich geringeres Risiko für Blutungen, Thrombopenie oder Osteoporose. Wegen der Gefahr eines Hämatoms bei der Periduralanästhesie muss in Nähe des Geburtstermins auf unfraktionierte Heparininfusion umgestellt werden. Bei APS mit einem oder mehreren Schwangerschaftsverlusten nach der 10. SSW wird ebenfalls niedermolekulares Heparin in Kombination mit 100 mg Acetylsalicylsäure tgl. eingesetzt. Postpartal wird niedermolekulares Heparin bis 6 Wochen weitergegeben oder durch orale Antikoagulation ersetzt, die bei einer Thrombose in der Anamnese als Dauertherapie weitergeführt wird. Glukokortikoide sollen nur angewandt werden, wenn die Aktivität einer Grundkrankheit (z. B. SLE) dies erfordert. Andere immunsuppressive Therapien, z. B. Azathioprin, Plasmapherese oder hochdosierte Immunglobuline sind für die Routine nicht zu empfehlen und kommen nur bei Versagen der oben genannten Therapiekonzepte in Einzelfällen infrage. Die Überwachung dieser Risikoschwangerschaften erfordert eine Reihe von Zusatzmaßnahmen (ACOG Committee Opinion 1998). Zu Beginn der Schwangerschaft wird eine 24h-Urinsammlung für eine Kreatininclearance und die Bestimmung der Eiweißausscheidung sowie eine Kontrolle von ASAT und ALAT zum Ausschluss von vorbestehender Leber- oder Nierenpathologie vorgenommen. Unter Heparin ist eine Kontrolle der Thrombozyten 3 Tage nach Therapiebeginn und einmal wöchentlich während 3 Wochen erforderlich. Ein Frühultraschall zur Festlegung des Gestationsalters sowie Wiederholung alle 3–4 Wochen ab dem 2. Trimenon werden zur Kontrolle des fetalen Wachstums sowie der Fruchtwassermenge empfohlen. Für die Überwachung des Fetus werden Dopplerultraschall, biophysikalisches Profil und CTG angeregt. Der Beginn der Überwachung und die Wiederholungsfrequenz müssen individuell festgelegt werden. Die Schwangere muss über Frühsymptome einer Präeklampsie sowie eines thromboembolischen Ereignisses aufgeklärt werden. In Abhängigkeit vom Zustand der Mutter bzw. des Fetus muss die rechtzeitige Entbindung erfolgen. Die Prognose für den Schwangerschaftsausgang hängt von der anamnestischen Vorbelastung ab. Auch bei ≥2 Schwan-
gerschaftsverlusten kann in 70–80% mit einer Lebendgeburt gerechnet werden. wenn die genannten Therapiemodalitäten in Kombination mit einer engmaschigen und konsequenten Überwachung der Schwangerschaft eingesetzt werden (Kutteh 1997). Trotz der Gefahr einer frühen Frühgeburt konnte bei 55 Kindern von Müttern mit APS im Alter von 5 Jahren keine erhöhte Rate von Fehlbildungen, Thrombosen oder Verzögerung der neurologischen Entwicklung festgestellt werden (Ruffati et al. 1998).
17.8
Folgeuntersuchungen
Alle Frauen, die eine schwere Präeklampsie durchgemacht haben, sollen wegen der hohen Prävalenz von Vorerkrankungen bzw. zum Ausschluss von anderen kardiovaskulären Risikofaktoren 3–6 Monate postpartal nachkontrolliert werden. Dabei werden folgende Untersuchungen durchgeführt: 4 Blutdruck, 24-h-Proteinurie und Albuminurie, Kreatininclearance, 4 Natrium, Kalium, Kreatinin, TSH, HbA1c, antinukleäre und Antikardiolipinantikörper, 4 Sonographie der Nieren, Dopplersonographie der Nierenarterien. 4 In ausgewählten klinischen Situation (z. B. frühe und schwere Präeklampsie, familliäre Belastung, Rezidivpräeklampsie) kann auch das Suchen nach einer Thrombophilie oder ein Lipidprofil hilfreich sein.
Studienbox Wir haben 47 Patientinnen (60% Erstgebärende, 40% Mehrgebärende) mit schwerer Präeklampsie oder HELLP-Syndrom 3–6 Monate postpartal untersucht. Bei 32 der 47 Frauen(68%) wurde eine vorbestehende Pathologie gefunden, darunter in 18 Fällen eine essenzielle Hypertonie, in 4 Fällen eine Nephropathie (Glomerulonephritis, Refluxnephropathie), in je 3 Fällen ein Lupus erythematodes disseminatus und ein Antiphospholipidsyndrom, in 2 Fällen eine Schilddrüsenstörung und je einmal eine Sarkoidose und eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC-Resistenz). Eine ähnlich hohe Prävalenz von Pathologien wurde von Dekker et al. (1995) beschrieben. Sie fanden bei 101 Patientinnen mit schwerer, früh aufgetretener Präeklampsie (mittleres Schwangerschaftsalter bei der Geburt 28,8 ± 2,6 Wochen) in <50% der Fälle Vorerkrankungen, darunter in 38,6% eine chronische Hypertonie, in 29,4% Antiphospholipidantikörper, in 24,7% einen Protein-S-Mangel, in 16% eine APC-Resistenz und in 17,7% eine Hyperhomozysteinämie.
Ein Mangel an Protein S und die hereditäre APC-Resistenz gehen mit einer Thrombophilie einher. Die Assoziation mit der Präeklampsie ist nicht geklärt. Erhöhte Blutspiegel von Homozystein, die Folge von oxidativem Stress, genetischer Prädisposition oder Mangel an Vitamin B6 und Folsäure sind, schädigen die Endothelzellen und aktivieren den Gerinnungsfaktor V und die Oxidation
337 Literatur
von Low-density-Lipoproteinen. Die naheliegende Vermutung, dass der Hyperhomozysteinämie eine Bedeutung in der Pathogenese der Präeklampsie zukomme, ist nicht belegt. Die Hyperhomozysteinämie kann durch die Gabe von Vitamin B6 und Folsäure teilweise korrigiert werden.
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Kapitel 17 · Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
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18 18 Anämie C. Breymann 18.1
Allgemeine Grundlagen – 344
18.1.1 18.1.2 18.1.3
Erythropoese in der Schwangerschaft – 344 Eisenstoffwechsel in der Schwangerschaft – 345 Folsäure und Cobalamin in der Schwangerschaft – 345
18.2
Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft – 346
18.2.1 18.2.2 18.2.3 18.2.4 18.2.5
Eisenmangelanämie – 347 Hämoglobinopathien – 354 Infektanämie – 355 Renale Anämie – 355 Postpartale Anämie – 356
18.3
Maternale und fetale Morbidität und Mortalität der Anämie in der Schwangerschaft – 358 Literatur – 358
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
344
18
Kapitel 18 · Anämie
Anämien in der Schwangerschaft und im Wochenbett sind in Abhängigkeit der Schwere und der möglichen zusätzlichen Komplikationen mit einer erhöhten maternalen und fetalen Morbidität und Mortalität verbunden. Sie gehören zu den häufigsten Risikofaktoren im Bereich der Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Gemäß WHO-Daten liegt die weltweit geschätzte Prävalenz der Anämie in der Schwangerschaft je nach geographischer Lage bei 30–50%. Die postpartale Anämie gehört insbesondere in den Entwicklungsländern nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen bei Wöchnerinnen; in unseren Breitengraden weisen etwa 10% der Wöchnerinnen mittelschwere bis schwere Anämien auf, deren adäquate Therapie unter Vermeidung von Fremdblut ein aktuelles Problem ist. Grundlage für die Diagnostik und das daraus folgende Management der Anämie in der Schwangerschaft ist die korrekte Abgrenzung der relativen bzw. physiologischen Anämie in der Schwangerschaft aufgrund der Plasmavolumenzunahme gegenüber der »echten Anämie« mit ihren verschiedenen pathophysiologischen Ursachen. Bei der Definition des Cut-off-Werts einer Anämie in der Schwangerschaft muss das Ausmaß der Plasmavolumenverschiebungen in Abhängigkeit des Gestationsalters berücksichtigt werden. Demnach weisen Hämoglobinwerte <11,0 g/dl im 1. und 3. Trimenon und Hämoglobinwerte <10,5 g/dl im 2. Trimenon auf eine mögliche Anämie hin, die weiter abgeklärt werden sollte. Die Pathogenese der Anämie in der Schwangerschaft kann multifaktoriell sein. Daher genügt es nicht, eine Anämie lediglich anhand des Hämoglobinwerts zu diagnostizieren, sondern es sollten auch immer die Ursachen abgeklärt werden. Differenzialdiagnostisch kommen verschiedene ätiologische Faktoren in Betracht, die einerseits mit einer verringerten Hämoglobinsynthese oder mit einem verstärkten Hämoglobinabbau oder -verlust einhergehen. Daneben kommen Kombinationen von verminderter Hämoglobinsynthese und verstärktem Zelluntergang vor, wie z. B. bei Thalassämiesyndromen, wodurch Diagnose und Therapie zusätzlich erschwert sein können. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen zählen die Eisenmangelanämie und deren Vorstufen (oft zu wenig beachtet), Hämoglobinopathien (Thalassämien, Sichelzellenanämie), Infektanämien und renale Anämien, z. B. bei nierentransplantierten oder -insuffizienten Schwangeren. Die ersten wichtigen Schritte zur Abklärung einer Anämie sind eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung der Schwangeren. Oft kann dabei schon die Grundlage für eine korrekte Diagnose gelegt werden. Zu den nächsten Abklärungen gehört ein kompletter hämatologischer Status sowie die Erfassung spezifischer laborchemischer Parameter, wobei hier insbesondere die Diagnostik des Eisenmangels durch die Erfassung einer Palette zusätzlicher vielversprechender Parameter erweitert wurde. Derzeitiger Goldstandard zur Erfassung des Eisenmangels bleibt der Serumferritinwert. Daneben sollte immer ein möglicher Infekt (chronisch oder akut) als Ursache ausgeschlossen werden. Die Therapie der Anämie richtet sich nach deren Ursache und Schwere. Zu berücksichtigen sind außerdem maternale und
fetale Risikozustände, die durch eine Anämie kompliziert werden können. Eine wichtige Rolle spielt ebenfalls die Zeitspanne, die zur Behandlung der Anämie zur Verfügung steht, z. B. vor einer Geburt. Dabei können durch »prospektives und präventives« Denken frühzeitig spätere Komplikationen verhindert werden; d. h. auch leichtere Anämieformen müssen konsequent behandelt werden, um einer Aggravation vorzubeugen und peripartale Komplikationen bei hohen Blutverlusten zu verringern. Unter allen Umständen sollte die Gabe von Fremdblut als Ultima ratio bei Schwangeren und Wöchnerinnen vermieden werden; alternativ können z. B. bei schweren Eisenmangelanämien neue Therapiestrategien berücksichtigt werden, wie die Anwendung gut verträglicher parenteraler Eisensaccharatpräparate oder rekombinanten Erythropoietins.
18.1
Allgemeine Grundlagen
Grundlage für die korrekte Diagnostik und das daraus folgende Management der Anämie in der Schwangerschaft ist die korrekte Differenzierung zwischen der Schwangerschaftshydrämie (früher »physiologische Anämie«), die durch eine Zunahme des Plasmavolumens entsteht, und der tatsächlichen Anämie als Folge einer absolut verminderten Erythrozytenmasse. > Die Plasmavolumenzunahme beginnt bereits im 1. Trimenon und erreicht ihr Maximum etwa zwischen der 20. und 24. SSW. Die Volumenzunahme kann unterschiedlich groß sein und ist sowohl von der Größe als auch der Anzahl der Feten abhängig. Nach der 34. SSW nimmt das Plasmavolumen i. Allg. nicht mehr zu.
Die starke Plasmavolumenzunahme hat einen relativen Abfall der Hämoglobinkonzentration zur Folge. Dabei ist zu beachten, dass die 5. Perzentile der Normalverteilung der Hämoglobinwerte bei 10,5 g/dl liegt. Nach der 24. SSW ist die Plasmavolumenzunahme im Verhältnis zur Erythrozytenmasse geringer, sodass die Konzentrationen des Hämoglobins und des Hämatokrits gegen Ende der Schwangerschaft wieder ansteigen. Nun liegt der Mittelwert für die Hämoglobinkonzentration bei 12,9 g/dl mit der 5. Perzentile bei 11,9 g/dl (CDC 1989). > Absolut nimmt in der Schwangerschaft das Gesamtblutvolumen um etwa 1250 ml zu, d. h. um fast 50%.
18.1.1
Erythropoese in der Schwangerschaft
Neben dem Plasmavolumen nehmen während der Schwangerschaft auch die Erythropoese und damit einhergehend die Erythrozytenmasse zu, wobei unklar ist, zu welchem Zeitpunkt die gesteigerte Erythropoese einsetzt, und vor allem, was der Auslöser hierfür ist. So ist es unwahrscheinlich, dass während der Schwangerschaft die Erythropoese aufgrund einer Hypoxämie und damit einhergehenden erhöhten Erythropoietinspiegeln stimuliert wird, da die kardiovaskulären
345 18.1 · Allgemeine Grundlagen
und respiratorischen Anpassungsmechanismen während der Schwangerschaft ein Abfallen der Sauerstoffsättigung des Blutes unter normalen Umständen zu jeder Zeit verhindern.
Studienbox Andererseits ist bekannt, dass die Erythropoietinspiegel während der Schwangerschaft ansteigen, diese aber insbesondere in der Frühschwangerschaft nicht mit der Hämoglobinkonzentration korrelieren. Möglicherweise ist der Anstieg eher durch die Plasmavolumenverschiebungen oder fetoplazentare Einflussfaktoren bedingt (Huch u. Huch 1994).
Die geschätzte Zunahme des Erythrozytenvolumens beträgt bis zum Ende der Schwangerschaft etwa 250 ml, was einem Anstieg um 18% entspricht. Auch die Zunahme der Erythrozytenmasse ist individuell unterschiedlich und soll auch mit dem Wachstum des Fetus oder der Feten in Relation stehen. Die erythrozytäre Hämoglobinkonzentration (MCH), das Erythrozytenvolumen (MCV) wie auch die Erythrozytenüberlebenszeit weisen unter normalen Bedingungen während der Schwangerschaft keine signifikanten Schwankungen auf. > Es ist darauf hinzuweisen, dass sowohl Plasmaverschiebungen als auch Veränderungen der Erythrozytenmasse während der Schwangerschaft einer Vielzahl endogener (Hormone, Fetus, Nierenfunktion, Eisenstatus) als auch exogener Einflussfaktoren unterliegen; dadurch sind genaue Aussagen und Studien über die Erythropoese in der Schwangerschaft nach wie vor limitiert.
18.1.2
Eisenstoffwechsel in der Schwangerschaft
Die Zunahme der Erythrozytenmasse und damit der Hämoglobinsynthese sowie das Wachstum des Fetus und der Plazenta sind die Hauptfaktoren für einen gesteigerten Eisenbedarf in der Schwangerschaft.
So beträgt der Eisenbedarf für die Zunahme der Hämoglobinsynthese insgesamt 400–500 mg; Uterus, Plazenta und Fetus benötigen weitere 200–300 mg; dazu kommt ein maternaler Eisenverlust von etwa 330 mg. > Der tägliche Eisenbedarf liegt somit bei 4–5 mg/Tag, in der Spätschwangerschaft bei 6–7 mg/Tag. Demgegenüber stehen 1 mg bis maximal 3 mg Eisen/Tag, die über den Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, wobei prinzipiell nur maximal 10–15% des in der Nahrung enthaltenen Eisens resorbiert werden können. Somit entsteht also ein Defizit von etwa 3 mg Eisen pro Tag.
Dieses Defizit wird ausgeglichen durch: 4 gesteigerte intestinale Resorption, 4 gesteigerte Bindung von Eisen an Transferrin,
4 Freisetzung von Eisen aus den Eisenspeichern, sofern genügend Eisen an das Speicherprotein Ferritin gebunden ist. Ist die Eisenresorption ungenügend, z. B. durch eisenarme Ernährung oder geringe Resorption, oder sind die Eisenspeicher zu Beginn der Schwangerschaft entleert, kommt es zu einem zunächst latenten und später manifesten Eisendefizit, was primär zu einem funktionellen Eisenmangel mit ineffektiver Erythropoese und schließlich zur manifesten Eisenmangelanämie führen kann (Bridges 1990). Es ist davon auszugehen, dass das neu entdeckte Eisenregulationsprotein Hepcidin auch in der Schwangerschaft eine wichtige Rolle im Bezug auf die Eisenresorption spielt. Erste Untersuchungen in der Schwangerschaft zu dessen Funktion wurden begonnen. > Nur ausreichende Eisenspeicher in Verbindung mit ausreichender Zufuhr durch die Nahrung können i. Allg. ein dauerhaftes Eisendefizit in der Schwangerschaft verhindern.
Der Fetus verfügt auch bei extremen Eisenmangelerkrankungen der Mutter nach der Geburt meist über ausreichende Eisenreserven, da der Mutter über die plazentare Hochregulation von Transferrinrezeptoren das benötigte Eisen entzogen wurde (Bridges 1990; Harris 1992; Krawinkel et al. 1990). Es ist darauf hinzuweisen, dass sich Eisenmangel nicht nur hinsichtlich der Erythropoese bemerkbar macht, sondern dass Eisen auch ein wichtiges Element zur Synthese von Myoglobin und Enzymen der Atmungskette ist und an vielfältigen Stoffwechselreaktionen beteiligt ist. Daneben spielt Eisen eine wichtige Rolle bei der zellulären Infektabwehr von Mikroorganismen (Hollan u. Johansen 1993). Auswirkungen eines Eisenmangels während der Schwangerschaft auf diese Funktionen sowie auf die Thermoregulation, kognitive Leistungen und allgemeine Leistungsfähigkeit der Schwangeren sind derzeit kaum untersucht. Der hohe Eisenbedarf während der Schwangerschaft wird durch die u. U. hohen Blutverluste, die bei Atonien oder Blutungsstörungen bis zu über 2000 ml betragen können, im Wochenbett verstärkt. Daneben verliert die Mutter Eisen über die Muttermilch, sodass prinzipiell auch die Wochenbettphase hinsichtlich des Eisenbedarfs als kritisch zu betrachten ist und die endogenen Eisenreserven oft nicht ausreichen. Wir konnten zeigen, dass Frauen mit isoliertem peripartalem Eisenmangel (ohne Anämie) ihre Eisenspeicher mit Nahrungseisen allein nicht wieder aufzufüllen in der Lage sind (Krafft et al. 2004).
18.1.3
Folsäure und Cobalamin in der Schwangerschaft
Zwei weitere Substanzen, die für die gesteigerte Erythropoese in der Schwangerschaft benötigt werden, sind Folsäure und Cobalamin.
18
346
Kapitel 18 · Anämie
Der Folsäurebedarf während der Schwangerschaft wird auf etwa 100–300 μg/Tag geschätzt. Er wird hauptsächlich über die Nahrung (Niere, Leber, Spinat) gedeckt. Untersuchungen zum Folsäuremetabolismus in der Schwangerschaft sind beschränkt, zumal die individuellen und tageszeitlichen Schwankungen groß sind. In der Schwangerschaft nimmt der Serumfolsäurespiegel meist leicht ab, wobei der erythrozytäre Folsäuregehalt aufgrund geringerer Schwankungen genauere Aussagen über den Folsäurestatus zulässt. > Trotz des erhöhten Bedarfs ist ein pathologischer Folsäuremangel mit Anämie in der Schwangerschaft bei normaler Ernährung sehr selten; bei unterernährten Patientinnen kann der Erythrozytenfolsäurespiegel von 320 ng/ml auf 250 ng/ml absinken (Harris 1992).
Auch über die Absorption und den Stoffwechsel von Cobalamin in der Schwangerschaft liegen keine genauen Daten vor, die Absorption von Cobalamin und die Bindung an Transcobalamin im Blut scheinen aber in der Schwangerschaft gesteigert zu sein. Der tägliche Bedarf an Cobalamin wird auf etwa 30μg/Tag geschätzt, die Körperreserven liegen bei etwa 3000 μg und der durchschnittliche Nahrungsgehalt bei 5 μg, sodass ein Mangel an Cobalamin in der Schwangerschaft eine Rarität ist. Gegen Ende der Schwangerschaft können die Cobalaminspiegel bis auf 20 μg/l fallen gegenüber einem Wert von 205– 1025μg/l bei Nichtschwangeren (Gibson 1990b).
18.2
Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
Unter Umständen berichten die Patientinnen bei genauer Befragung zur Vorgeschichte schon von vorbestehenden Anämien, z. B. durch Eisenmangel oder gastrointestinale Blutungen, oder sie sind Träger einer bereits abgeklärten Hämoglobinopathie wie der Thalassämie, insbesondere, wenn sie aus dem Mittelmeerraum stammen. Falls dies bereits bekannt ist, kann man schon viel an weiteren diagnostischen Abklärungen und damit Kosten und Zeit sparen. Ist die bisherige Anamnese jedoch bland, sollten weitere Abklärungen zur genauen Abgrenzung erfolgen. Die erste Untersuchung, die i. Allg. bei der Abklärung einer Anämie durchgeführt wird, ist das kleine Blutbild, das normalerweise folgende Faktoren beinhaltet: 4 Hämoglobinkonzentration, 4 Hämatokritwert, 4 MCV, 4 MCH, 4 Erythrozytenzahl, 4 ggf. Retikulozytenzahl. Voraussetzung für die korrekte Diagnose einer Anämie anhand der Hämoglobinkonzentration in der Schwangerschaft ist aber die Kenntnis der unteren Normwerte eines Normalkollektivs im Verlauf der Schwangerschaft. So liegt die untere Grenze (5. Perzentile) für das Normalkollektiv in der 24. SSW bei 10,5 g/dl, was zu diesem Zeitpunkt als normal bzw. durch Volumenverschiebungen bedingt angesehen werden sollte und daher nicht therapiebedürftig ist. Dagegen liegt die 5. Perzentile im 1. Trimenon bei 11,0 g/dl und im letzten Trimenon bei 11,9 g/dl, sodass zu diesem Zeitpunkt ein Wert von 10,5 g/dl als außerhalb der Norm angesehen werden muss. Definition
18
Die Pathogenese der Anämie in der Schwangerschaft kann vielfältig und multifaktoriell sein. Daher reicht es nicht, eine Anämie lediglich anhand des Hämoglobinwerts zu diagnostizieren, sondern es sollten immer auch die Ursachen für die verminderte Hämoglobinkonzentration differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Erste Hinweise für die Diagnose einer Anämie in der Schwangerschaft geben Anamnese und die klinische Vorsorgeuntersuchung, an die spezifische Laboruntersuchungen angeschlossen werden sollten. Je nach der Schwere der Anämie und der Zeit der Entstehung klagen die Patientinnen über Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwäche, verminderte Belastbarkeit bei der Arbeit, u. U. auch Herzjagen. Bei der Untersuchung fällt eine ausgeprägte Blässe mit blutarmen Schleimhäuten im Mund und an den Konjunktiven auf, daneben bei schwereren Anämien eine Tachykardie, in seltenen Fällen gar eine Vergrößerung des Herzens. Es ist allerdings bekannt, dass gerade junge Patientinnen mit chronischen Anämien, z. B. im Rahmen einer Thalassämie, auch ausgeprägte Anämien in der Schwangerschaft erstaunlich gut kompensieren und meist erst bei Auftreten von Zusatzbelastungen (Infekte, Herzbelastung, Eisenmangel) Dekompensationszeichen zeigen.
Die Daten für die Normalverteilung der Hämoglobinkonzentration und der Hämatokritwerte im Verlauf der Schwangerschaft wurden zuletzt durch die Centers of Disease Control festgelegt (Bridges 1990). Demnach ist nicht jeder Hämoglobinwert <11,0 g/dl als Indikator für eine Anämie anzusehen, jedoch sind Werte, die deutlich <10,5 g/dl liegen, zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft hinweisend auf eine Anämie, deren Ursache weiter abgeklärt werden sollte.
Differenzialdiagnostisch kommen für die verringerte Hämoglobinkonzentration verschiedene ätiologische Faktoren in Betracht, die entweder mit einer verringerten Hämoglobinsynthese oder mit einem verstärkten Hämoglobinabbau oder -verlust einhergehen (7 Übersicht zur Hämoglobinsynthese). Einige der in dieser Übersicht derjenigen zum Erythrozytenabbau genannten Anämien zeigen eine Kombination von verminderter Hämoglobinsynthese und verstärktem Zelluntergang, wie die Thalassämiesyndrome, wodurch deren Diagnose und Therapie zusätzlich erschwert werden kann.
347 18.2 · Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
Die wichtigsten Ursachen einer verminderten Hämoglobinsynthese 4 Aplastische Anämien 4 Chronische Niereninsuffizienz (Erythropoietinmangel) 4 Cobalamin- und Folsäuremangel (Störung der DNASynthese) 4 Eisenmangel und Thalassämiesyndrome (Störung der Globinsynthese) 4 Chronische und akute Entzündungen 4 Mangelernährung 4 Sideroblastische Anämien (unbekannte oder multiple Mechanismen)
18.2.1
Eisenmangelanämie
Die häufigste Ursache für eine Anämie in der Schwangerschaft ist ein vorbestehender oder in der Schwangerschaft entstehender Eisenmangel bei reduzierten Eisenspeichern. Nur wenige Angaben liegen über die Inzidenz der Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft vor; sie ist im 1. Trimenon gering und nimmt im Verlauf des 2. Trimenons zu. Rund 50% der Eisenmangelanämien treten nach der 25. SSW auf. Die Prävalenz variiert in verschiedenen Ländern, und gemäß der vorliegenden Literatur liegt sie weltweit bei 25–50%, in Abhängigkeit von der Rasse, sozioökonomischen Faktoren, Ernährungsgewohnheiten, der medizinischen Versorgung, der Häufigkeit parasitärer Erkrankungen etc. (Guidozzi et al. 1995; Hallberg 1994). Hauptursachen eines verstärkten Erythrozytenabbaus oder -verlustes 4 Hereditäre Sphärozytosen (Membrandefekte) 4 G-6-PD-Mangel (»Favismus«, bedingt durch Enzymmangel) 4 Sichelzellenanämie (Hämoglobinopathie) 4 Hämolytische Anämien im Rahmen von Mikroangiopathien 4 Chemische Agenzien 4 Infektionen 4 Antikörperbedingte Anämien 4 Chronischer und akuter Blutverlust
Studienbox Genaue Daten über die Prävalenz der Eisenmangelanämien in Deutschland und der Schweiz liegen nicht vor. Gemäß einer Dissertationsarbeit am Universitätsspital Zürich (Seefried 1995) lag hier die Prävalenz von Eisenmangelzuständen bei etwa 35%, die Prävalenz der manifesten Eisenmangelanämie bei 10%. In einer kürzlich durchgeführten Studie an 470 Einlingsschwangerschaften (16–20. SSW) fanden wir an unserer Klinik eine Prävalenz von 32% der Patientinnen mit Eisenmangel (Ferritin <15μg/l) und 17% mit Eisenmangelanämie (Ferritin <15 μg/l, Hb <11,0 g/dl).
> Es ist darauf hinzuweisen, dass die manifeste Eisenmangelanämie der Endzustand des Eisenmangels in der Schwangerschaft ist. Die Vorstufen, d. h. prälatente und latente Eisenmangelzustände, die bereits mit einer ineffektiven Erythropoese einhergehen, werden meist nicht erfasst.
Obwohl die Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft ein bekanntes Problem in der Geburtshilfe ist, sind nach wie vor eine Reihe von Fragen offen hinsichtlich einer korrekten Diagnose, Prävention und Therapie.
Risiken Maternale und fetale Risiken im Rahmen einer Eisenmangelanämie sollten nicht nur in Relation zum Grad der Anämie, sondern auch zum Grad der Entleerung der Eisenspeicher gesetzt werden. So ist bekannt, dass Eisenmangel per se zu einer verminderten Belastungstoleranz führt; in Kombination mit einer Anämie variieren die Symptome zwischen Müdigkeit, Schwäche, Kopfschmerzen, Kreislaufsymptomen und Dyspnoe. Bei extremen Eisenmangelzuständen kommen Veränderungen der Schleimhäute und Koilonychie hinzu. Praktisch nie sieht man in unseren Breiten den Pikazismus, bei dem die Patientin aufgrund von Eisenmangel Sand oder Lehm isst.
Studienbox Die nachteiligen Folgen des Eisenmangels in der Schwangerschaft bezüglich der geistigen Leistung, der Funktion von Enzymen insbesondere der Atmungskette, der Thermoregulation und Muskelaktivität, sind derzeit praktisch nicht untersucht. Außerhalb der Schwangerschaft liegen aber verschiedene Untersuchungen vor zu den Folgen von Eisenmangelzuständen unabhängig von der Hämoglobinsynthese. Dabei wurde festgestellt, dass sich Eisenmangel z. B. auf die geistige Leistungsfähigkeit oder auch auf das Gefäßsystem (Mikrozirkulation, Myokardfunktion) negativ auswirkt (CDC 1989; Guidozzi et al. 1995). In einer Studie an indischen Patientinnen wurde gezeigt, dass eine Eisenmangelanämie zu einer verminderten Stimulierbarkeit des Immunsystems führen kann (Rosenlöf et al. 1995). Die fetale Morbidität und Mortalität stehen gemäß vorliegender Literatur in einem engen Zusammenhang mit der Schwere der Anämie. So wurde insbesondere für Hämoglobinwerte <9,0 g/dl ein häufigeres Vorkommen von Frühgeburten, intrauteriner Wachstumsrestriktion und »small for gestational age babies« (SGAKinder), intrauterinen Fruchttoden und Aborten gefunden (Goepel et al. 1988; McCalla 1994; Milman et al. 1994). Des Weiteren wurde ein Zusammenhang zwischen den präkonzeptionellen Hämoglobinwerten und der Rate der wachstumsrestringierten und untergewichtigen Kinder gefunden (Ronnenberg et al. 2004). So war das Risiko für beide Probleme bei Hb-Werten <10 g/dl signifikant erhöht [OR 6,5 bei »low birth weight« (LBW) und OR 4,6 bei IUWR].
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Kapitel 18 · Anämie
Problematisch ist dabei, dass zumeist lediglich die Hämoglobinwerte mit dem Outcome der Kinder korreliert wurden, nicht aber die Schwere des Eisenmangels. Somit bleibt die Frage offen, ob die beschriebene erhöhte fetale Morbidität und Mortalität letztlich durch die verminderte Sauerstoffkapazität oder aber den schweren Eisenmangel oder sonstige Ursachen von Anämien, wie z. B. Infekte, bedingt sind. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Hinweise, dass ein isolierter Eisenmangel ohne Anämie zu plazentaren Veränderungen im Sinne einer kompensatorisch veränderten plazentaren Angiogenese führt. Diese Veränderungen sind Grundlage eines sog. fetoplazentaren Missverhältnisses, was wiederum eine wichtige Rolle für die fetale Programmierung (»fetal programming«) späterer Erkrankungen spielt (Mayhew et al. 2004). In einer kürzlich erschienenen Fallkontrollstudie konnte gezeigt werden, dass selbst bei einer ausgeglichenen Diät die Eiseneinnahme, insbesondere im letzten Trimenon, das Risiko für ein untergewichtiges (SGA) Neugeborenes senkt (Michell et al. 2008). > Es ist bisher unklar, ob die alleinige Anämie ohne pathologische Zusatzfaktoren zu einer erhöhten Morbidität des Fetus führt. Gerade bei chronischen Anämien mit guter Adaption der Mutter ist die fetale Entwicklung a priori oft völlig unbeeinflusst, trotz Hämoglobinwerten, die weit <10,0 g/dl liegen.
Der fetale Eisenhaushalt hängt komplett von der Verfügbarkeit des Eisens im Blut der Mutter ab, wobei der Transport über die Plazenta mittels Transferrinrezeptoren äußerst effektiv ist, d. h. nur bei extremen maternalen Eisenmangelzuständen kommt es auch zu einem Eisenmangel des Fetus, wobei die Untersuchungen hierzu nicht schlüssig sind. Zwar konnte in mehreren Untersuchungen gezeigt werden, dass die Eisenspeicher von Neugeborenen anämischer Mütter niedriger sind als die von Kindern nichtanämischer Mütter. Die Korrelation mit den maternalen Eisenspeichern ist allerdings schlecht, und im Gegensatz zu Frühgeborenen sind termingeborenene Neugeborene praktisch nie anämisch, erhalten also fast immer genug Eisen für die Erythropoese. Unabhängig davon empfiehlt die American Academy of Pediatrics eine generelle Eisensubstitution bei Neugeborenen, spätestens ab dem 6. Lebensmonat (Dee et al. 2008).
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Studienbox Die Folgen niedriger Eisenspeicher bei Neugeborenen anämischer Mütter sind bisher nicht exakt untersucht. Diskutiert werden eine erhöhte Inzidenz an Frühgeborenenanämie im Falle einer Frühgeburt, Wachstumsverzögerungen und eine verzögerte neurologische und geistige Entwicklung bei Kindern mit Eisenmangel (Bridges 1990; Hallberg 1994; USPSTF 1993). Interessanterweise konnte, neben dem bekannten Folsäureeffekt, ein Einfluss der Eiseneinnahme auf die Entwicklung von fetalen Spaltbildungen im Gesicht gezeigt werden (Krapels et al. 2004).
Diagnose Hämoglobin und Erythrozytenindices Obwohl im klinischen Alltag die Hämoglobinkonzentration meist den ersten Hinweis auf einen Eisenmangel gibt, ist zu beachten, dass sowohl der Hämoglobinwert als auch Erythrozytenindices wie MCV und MCH eine sehr geringe Sensitivität und Spezifität zur Detektion von Eisenmangelzuständen aufweisen und zumeist nur in der Endphase des Eisenmangels signifikante Veränderungen zeigen. Tipp Insbesondere zur Früherfassung von Eisenmangelzuständen und damit zur Prävention der Eisenmangelanämie sollten bei Verdacht spezifischere und sensitivere Tests angewendet werden (Cook et al. 1976; Gibson 1990a).
Ferritin Tipp Aktueller Goldstandard zur Erfassung von Eisenmangelzuständen ist die Bestimmung der Ferritinspiegel im Plasma, die gut mit den Eisenspeichern korrelieren. Ferritinwerte <15 μg/l sind beweisend für einen Eisenmangel, unabhängig vom Hämoglobinwert.
Sind die Ferritinwerte im Normbereich, kann eine Eisenmangelanämie praktisch ausgeschlossen werden, außer es liegt gleichzeitig der Verdacht einer Infektion vor. In diesem Fall können die Ferritinspiegel falsch-normal sein, da Apoferritin ähnlich wie das C-reaktive Protein ein Akutphasenprotein ist und bei Infektionen, wie auch Entzündungsreaktionen (z. B. postoperativ), ansteigt (Gibson 1990a). Tipp Bei Verdacht auf das gleichzeitige Bestehen eines Eisenmangels und einer Anämie sollte stets das Vorliegen einer Infektion oder Entzündung ausgeschlossen werden, um eine klare Aussage über den Eisenstatus treffen zu können.
Serumeisen, Transferrin, Transferrinsättigung Im Allgemeinen bringt die Bestimmung von Serumeisenspiegeln und Transferrinspiegeln keinen zusätzlichen Nutzen bei der Bestimmung des Eisenmangels, da insbesondere die Serumeisenspiegel zahlreichen Einflussfaktoren unterliegen, wie z. B. tageszeitlichen intraindividuellen und interindividuellen Schwankungen. Lediglich in Verbindung mit den Transferrinwerten sind Aussagen über prälatente Eisenmangelzustände möglich, indem die Transferrinsättigung berechnet wird. > Sind die Ferritinwerte im Normbereich, die Transferrinsättigung aber <15%, so ist dies ein Hinweis auf einen latenten Eisenmangel, da nunmehr vermehrt Eisen aus zirkulierendem Transferrin zur Aufrechterhaltung der Erythropoese freigesetzt wird.
349 18.2 · Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
Es ist aber darauf zu achten, dass die Schwankungen der Serumeisenspiegel auch die Berechnung der Transferrinsättigung beeinflussen und somit zu einer falschen Interpretation führen können (Gibson 1990 a).
Hypochrome Erythrozyten Durch neue Hämatologieanalysesysteme ist es möglich, mittels Durchflusszytometrie Erythrozyten anhand ihrer Größe und ihres Hämoglobingehalts auszuzählen und deren prozentualen Anteil an der Gesamtpopulation zu erfassen. Normalerweise liegt der Anteil an hypochromen Erythrozyten <5%, kann aber bei manifesten Eisenmangelanämien oder bei der Entstehung des funktionellen Eisenmangels, bei dem pro Erythrozyt zu wenig Eisen zur Verfügung steht, auf einen Anteil von bis zu 50% ansteigen. Tipp Die Bestimmung ist äußerst präzise und gut reproduzierbar und eignet sich sowohl zur Detektion von Eisenmangelzuständen als auch zur Überwachung einer Therapie, da der Anteil der hypochromen Erythrozyten bei adäquater Therapie rasch abnimmt (Schaefer u. Schaefer 1995).
Transferrinrezeptoren und Ferritinindex (sTFR-Index) Alle Zellen, die Eisen inkorporieren, tragen Transferrinrezeptoren an ihrer Oberfläche, mit denen zirkulierendes Transferrin gebunden wird. Im Serum zirkulieren lösliche Transferrinrezeptoren, die mit den gebundenen Rezeptoren in einem dynamischen Gleichgewicht stehen und sich mittels RIA (Radioimmunoassay) bestimmen lassen. In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass die Transferrinrezeptoren im Serum bei . Abb. 18.1. Entscheidungsbaum zur Abklärung einer Anämie in der Schwangerschaft, primär anhand der Hämoglobinkonzentration und des Serumferritins. [Mod. nach Daten der Centers of Disease Control (1989)]
Eisenmangelzuständen oder bei einem erhöhten zellulären Eisenbedarf ansteigen sowie sensitiv und spezifisch Veränderungen der Eisenkinetik anzeigen. Wahrscheinlich unterliegen Transferrinrezeptoren auch keinen Veränderungen bei Infektionen, sodass sie eine gute Ergänzung zur Ferritinbestimmung darstellen. Erste Untersuchungen in der Schwangerschaft wurden bereits durchgeführt (Beguin et al. 1991; Punnonen et al. 1997). Anhand des neueren sTFR-Index (sTFR/log Ferritin) kann eine verbesserte Differenzierung zwischen reiner Eisenmangelanämie und Anämien in Verbindung mit Entzündungsreaktionen erreicht werden. So ist der sTFR-Index beispielsweise bei einer Entzünungsanämie normal, bei einer Entzündung in Kombination mit Eisenmangel jedoch erhöht (Krafft et al. 2009). Tipp Voraussetzung für die Abklärung einer Schwangerschaftsanämie ist die Festlegung des richtigen Cut-offWerts für einen zu niedrigen Hämoglobinwert in Abhängigkeit des Gestationsalters. Daher sollte das rigide Schema »Hb-Wert in der Schwangerschaft <11,0 g/dl = Anämie« verlassen werden. Ein Hämoglobinwert <10,5 g/dl kann zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft als diagnostischer Hinweis für eine Anämie angesehen werden und sollte abgeklärt werden. Derzeitiger Goldstandard für die weitere Diagnostik bleibt als nächstes die Bestimmung des Ferritinwerts, der die Eisenspeicher am besten widerspiegelt; es sei denn, eine Entzündung oder Infektion beeinflussen die Ferritinbildung (. Abb. 18.1). Dies muss vorher, z. B. durch Bestimmung des CRP-Werts oder des sTFR-Index ausgeschlossen werden.
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Kapitel 18 · Anämie
. Abb. 18.2. Differenzialdiagnose der wichtigsten Anämien in der Schwangerschaft anhand der Erythrozytenindices, Hämoglobinkonzentration, des Serumferritins, der Transferrinsättigung, des
C-reaktiven Proteins und der hypochromen Erythrozyten. (Nach Breymann u. Huch 2008)
Bei reduzierten Ferritinwerten ist die Diagnose in den meisten Fällen bereits gestellt, bei normalen Ferritinwerten soll die erweiterte Differenzialdiagnostik durchgeführt werden (. Abb. 18.2). Basierend auf der korrekten Differenzialdiagnose kann dann die Therapie eingeleitet werden.
Eisen sollte etwa 1–2 h vor den Mahlzeiten eingenommen werden, da die Resorption bei einer Einnahme zu den Mahlzeiten deutlich eingeschränkt wird. Bis zu 25% der Patientinnen können unter Nebenwirkungen leiden. In diesem Fall sollte zunächst die Dosis reduziert werden, sofern die Anämie nicht zu stark ist. Auch ein Wechsel des Präparats kann versucht werden, wobei es derzeit keinen Anhalt dafür gibt, dass sich die verschiedenen oralen Eisenpräparate in der Inzidenz unerwünschter Nebenwirkungen bei vergleichbaren Dosierungen unterscheiden. Wurde eine Therapie mit oralem Eisen begonnen, sollte der Effekt in regelmäßigen Abständen anhand des Retikulozytenanstiegs, der Hämoglobinkonzentration (falls bereits reduziert), aber v. a. anhand der Ferritinwerte kontrolliert werden. Falls die Anämie bereits manifestiert ist, sollte die Konzentration der Retikulozyten ab dem 4. Therapietag ansteigen; die Hämoglobinkonzentration sollte sich innerhalb von 10– 14 Tagen auf Werte um 11,0 g/dl normalisiert haben. Die Ferritinwerte sollten auf Werte von 50–80 μg/l zunehmen, um eine erneute Entleerung der Speicher zu verhindern (Kaufer u. Casanueva 1990). Verschiedene Gründe können für ein Nichtansprechen oder verzögertes Ansprechen auf die orale Eisentherapie verantwortlich sein (7 Übersicht).
Therapie
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Wurde die Diagnose eines Eisenmangels oder einer manifesten Eisenmangelanämie gestellt, sollte eine Therapie mit einem oralen Eisenpräparat, z. B. Eisen-II-sulfat, begonnen werden. Die empfohlene Tagesmenge sollte auf mehrere Portionen verteilt werden und 150–160 mg nicht überschreiten (Hallberg 1994; Milman et al. 1994; USPSTF 1993). Höhere Dosierungen führen lediglich zu einem häufigeren Vorkommen unerwünschter Nebenwirkungen: 4 gastrointestinale Beschwerden, 4 Übelkeit, 4 Magenbrennen, 4 unspezifische Unverträglichkeitsreaktionen, die zu einer schlechten Compliance führen. > Da der prozentuale Anteil des resorbierten Eisens umgekehrt proportional zur verabreichten Gesamtmenge ist, führt eine hohe Dosierung nicht zu einer höheren Resorption, sodass mit niedrigeren Dosierungen von 80–150 mg/Tag der gleiche Effekt erreicht wird wie mit einer hohen Dosierung.
351 18.2 · Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
! Die Fremdblutgabe sollte nur nach sehr strenger Indikationsstellung und bei absoluter Notwendigkeit eingesetzt werden. Selbstverständlich muss die Patientin über Risiken und Notwendigkeit aufgeklärt werden.
Gründe für ein Nichtansprechen oder verzögertes Ansprechen auf die orale Eisentherapie 4 Eisenmangel ist so schwer, dass orale Eisenzufuhr nicht ausreicht, um genügend Eisen für die Erythropoese zur Verfügung zu stellen 4 Infektion (Erythropoese ist supprimiert) 4 Malabsorption 4 Schlechte Compliance 4 Falsche Diagnose (es liegen andere Gründe für eine Anämie vor)
Eine Großzahl von Patientinnen, wie die Zeuginnen Jehovas, lehnt bereits primär die Fremdblutgabe ab, sodass der Arzt zu der Wahl von Alternativen gezwungen ist.
Parenterales Eisen
Ist der Eisenmangel so schwer, dass die orale Eisenzufuhr nicht ausreicht, um genügend Eisen für die Erythropoese zur Verfügung zu stellen, hängt das weitere Vorgehen von der Schwere der Anämie und von der verfügbaren Zeit zur Behandlung ab. So ist bei einer Patientin mit einem Hb-Wert von z. B. 8,5 g/dl 14 Tage vor dem zu erwartenden Geburtstermin eine rasche und effektive Therapie sicher als dringlich anzusehen, da nicht abzuschätzen ist, wie groß der peripartale Blutverlust sein wird. Derzeitige mögliche Alternativen zu einer raschen Normalisierung der Hämoglobinkonzentration sind: 4 Bluttransfusionen mit Fremdblut, 4 parenterales Eisen, 4 rekombinantes Erythropoietin in Kombination mit parenteralem Eisen.
Bluttransfusionen Die Gabe von Fremdblut ist die sicherste Methode, um die Hämoglobinkonzentration rasch zu normalisieren. Dagegen stehen die Risiken, die mit der Fremdblutgabe einhergehen. Neben den bekannten Möglichkeiten der Übertragung von viralen, bakteriellen und parasitären Erkrankungen lässt sich auch eine Großzahl allergischer und immunologischer Reaktionen aufzählen; deren Inzidenz ist zwar dank moderner Aufarbeitungsmethoden relativ klein, dennoch werden immer wieder Transfusionszwischenfälle und Infektionen beobachtet, v. a. eine Zytomegalie- und Hepatitis-C-Übertragung (Ekeroma et al. 1997). Kürzlich wurde auch die Übertragungsmöglichkeit von Prionen (Erreger der Creutzfeld-Jakob-Variante-Erkrankung) durch Fremdblutgabe gezeigt.
An der Klinik für Geburtshilfe des Universitätsspitals Zürich wurde seit Anfang der 1990-er Jahre in der Schwangerschaft und im Wochenbett ausschließlich Eisensaccharatkomplex als parenterales Eisen verwendet. 1998 wurden erstmals im Rahmen einer Multizentererfassung Daten zur Sicherheit von Eisensaccharatkomplex erhoben. Dabei zeigte sich eine allgemeine Nebenwirkungsrate (ANW) von <0,5% bei 2000 Ampullen und einer maximalen Gabe von 200 mg i.v. als Einzeldosis. Alle in den letzten Jahren durchgeführten Studien in der Schwangerschaft zeigten eine hohe Sicherheit von Eisensaccharatkomplex, d. h. eine extrem niedrige Rate an schweren unerwünschten Wirkungen. Aufgrund der Daten zur Sicherheit und Effektivität von Eisensaccharat in der Schwangerschaft hat eine Expertengruppe einen Brief zur Anwendung in der Schwangerschaft verfasst (Breymann et al. 2007). Gemäß dem Expertenbrief wird bei der Anämietherapie nach einem Stufenschema (. Tab. 18.1) vorgegangen. Voraussetzungen für den Einsatz von parenteralem Eisen sind die eingehende Diagnostik und die Erfüllung von Einschlusskriterien.
Voraussetzungen für den Einsatz von Eisensaccharat (Venofer) in der Schwangerschaft gemäß den Richtlinien der Geburtshilfe Zürich 4 4 4 4 4 4 4 4
Anämie, Hb <10,0 g/dl Eisenmangel nachgewiesen (Ferritin <15 μg/l) Abgeschlossenes 1. Trimenon Versagen oraler Eisentherapie über 14 Tage Keine Hämoglobinopathie Keine Lebererkrankung Kein akuter oder chronischer bakterieller Infekt Keine bekannte Eisenüberladung (z. B. Hämochromatose)
. Tab. 18.1. Stufenschema der Anämietherapie in der Schwangerschaft nach dem Expertenbrief der SGGG
Hb
Gruppe A: Hb 9,1–10,5 g/dl
Gruppe B: Hb ≤9,0 g/dl
Gruppe C (<9,0 g/dl)
Management (Ziel Hb >10,5 g/dl)
Fe-II-Salz oder Fe-III-Komplex, 160–200 mg/Tag, nüchtern, fraktioniert
Fe-Saccharat (Venofer) 200 mg i.v. 2-mal/Woche
rhEPO (Eprex) 300 IU/kg KG i.v. 2-mal/Woche + Fe-Saccharat (Venofer) 200 mg i.v. 2-mal/Woche
Kein Ansprechen, Hb Anstieg <1 g/dl nach 14 Tagen
Eisensaccharat (Venofer), 200 mg i.v., 1- bis 2-mal/Woche
Wechsel auf Gruppe C
Fremdblutgabe erwägen
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Kapitel 18 · Anämie
Normalerweise wir der erste Hämoglobintest im 1. Trimenon durchgeführt, orales Eisen wird primär nur bei Werten über 10,0 g/dl verordnet. Fällt der Hämoglobinwert unter oralem Eisen innerhalb 2–4 Wochen unter 10,0 g/dl oder liegt der Hb-Wert beim ersten Test bereits unter 10,0 g/dl, bevorzugen wir primär den Einsatz von Eisensaccharatkomplex.
Praktische Anwendung von Eisensaccharatkomplex in Zürich Die Gabe erfolgt über eine Venenverweilkanüle (»Butterfly«), nach Prüfung der korrekten venösen Lage mit NaCl. Eisensaccharat kann unverdünnt als Bolus oder verdünnt (z. B. ad 100–200 ml NaCl) als Kurzinfusion gegeben werden. In verschiedenen Ländern ist die Gabe einer Testdosis (1 ml) vorgeschrieben. Die anschließende Bolusgabe erfolgt über 5– 10 min, die Kurzinfusion über ca. 20 min. Die maximale Dosis einer Einmalgabe beträgt 200 mg. Wir applizieren i. Allg. 2-mal pro Woche bis zu einem Ziel-Hb-Wert von 11,0 g/dl. In schweren Fällen können die Intervalle auf alle 2 Tage verkürzt werden. Die Therapie kann problemlos ambulant durchgeführt werden, eine längere Überwachung nach der Applikation ist nach unserer Erfahrung i. Allg. nicht nötig.
Effektivität von Eisensaccharatkomplex in der Schwangerschaft Es liegen mittlerweile mehrere Studien und Erfahrungen zum Einsatz von Eisensaccharat in der Schwangerschaft und post partum vor. Generell lässt sich sagen, dass in allen Studien eine hohe Wirksamkeit bei hoher Sicherheit gezeigt werden konnte. In allen Studien war die parenterale Eisentherapie mit Eisensaccharatkomplex der oralen Eisengabe überlegen. Das Nebenwirkungsprofil der oralen Eisengabe war sogar ungünstiger. In den derzeit vorliegenden 6 Studien werden innerhalb von 28 Tagen Hb-Anstiege nach Eisensaccharatgabe zwischen 1,3 und 2,5 g/dl erreicht gegenüber 0,6–1,3 g/dl unter oraler Eisentherapie (Al et al. 2005; al-Momen et al. 1996; Bayoumeu et al. 2002; Breymann et al. 2001; Krafft et al. 2009; Wali et al.2002).
Eisencarboxymaltose (ferinject)
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Eisencarboxymaltose ist ein neuer, nicht dextranhaltiger Eisenkomplex, der in hohen Dosierungen (bis 1000 mg/Gabe) über einen kurzen Zeitraum (ca. 15 min pro Infusion) gegeben werden kann. Dadurch können wiederholte Infusionen kleinerer i.v. Eisenmengen vermieden werden. Bisher liegen keine kontrollierten Daten zur Effektivität und Sicherheit bei Anwendung in der Schwangerschaft vor, eine europäische, randomisierte Multizenterstudie ist aber geplant. Es konnte kürzlich gezeigt werden, dass Eisencarboxymaltose im Plazentaperfusionsmodell nicht die Plazentaschranke auf die fetale Seite passiert (Malek 2010).
Stimulierung der Erythropoese mit rekombinantem Erythropoietin (rhEPO) Der Wachstumsfaktor humanes rekombinantes Erythropoietin (rhEPO), ein Glykoprotein (MG 30.400), ist mit endogenem Erythropoietin identisch und dient als selektiver Wachstums- und Überlebensfaktor für erythroide Zellen. Es
wird seit 1986 klinisch eingesetzt, primär bei Patienten mit renaler Anämie, die einen Mangel an endogenem Erythropoietin aufweisen. In den letzten Jahren kamen weitere Indikationen hinzu, so auch bei der Frühgeborenenanämie, im Rahmen der autologen Blutspende, bei onkologischen Patienten, HIV-Patienten und zur perioperativen Anämietherapie, z. B. bei den Zeugen Jehovahs. Mittlerweile liegen auch zunehmend Erfahrungen im Bereich der Geburtshilfe vor, als randomisierte Studien bei der Behandlung der postpartalen Anämie, bei Patientinnen mit renaler Insuffizienz und Zeuginnen Jehovahs, vorwiegend als Fallbeschreibungen, und bei der Behandlung schwerer Eisenmangelanämien in der Schwangerschaft. Die Ergebnisse der Studien und Beobachtungen sind vielversprechend. Durch Gabe von rekombinantem Erythropoietin kann das Intervall bis zur Normalisierung der Hämoglobinkonzentration verkürzt werden, vorausgesetzt, es wird genügend Eisen appliziert. Dies geschieht am effektivsten in Form von parenteralem Eisen. Ist die gleichzeitige Eisenverfügbarkeit nicht ausreichend, kommt es zum sog. funktionellen Eisenmangel, der eine ausreichende Hämoglobinsynthese verhindert. Nach vorliegenden Resultaten ist die Kombination von rhEPO und parenteralem Eisen der alleinigen Eisentherapie bezüglich der Anhebung der Hämoglobinkonzentration überlegen und kann bei schweren Anämien oder Ablehnung von Fremdblut als Alternative in Erwägung gezogen werden. Der Effekt von rhEPO ist dosisabhängig, gemäß eigenen Erfahrungen reichen Einzeldosierungen von 150–300 IU/kg KG i.v. aus, wobei die Applikation u. U. wiederholt werden muss. Um ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis zu gewährleisten, sind wir an unserer Klinik bestrebt, Anämien in der Schwangerschaft und im Wochenbett nach einem Stufenschema zu behandeln, indem wir je nach Schwere der Anämie entweder Eisen allein oder in Kombination mit rhEPO verabreichen. Dieses Schema kann individuell an die Zusatzrisiken der jeweiligen Patientin angepasst werden. So würden wir z. B. bei einer Patientin mit Placenta praevia, die als Zeugin Jehovahs Fremdblut ablehnt, rekombinantes Erythropoietin auch bei bereits mittelschweren Anämien einsetzen. > Nach vorliegenden Resultaten ist die Kombination von rhEPO und parenteralem Eisen der alleinigen Eisentherapie bezüglich der Anhebung der Hämoglobinkonzentration überlegen und kann bei schweren Anämien oder der Ablehnung von Fremdblut als Alternative zur Bluttransfusion in Erwägung gezogen werden. Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass rhEPO bisher nur im Rahmen von Studienprotokollen bzw. »off label« in der Schwangerschaft eingesetzt wird
Der Effekt von rhEPO ist dosisabhängig. Einzeldosierungen von 150–300 IE/kg KG sind ausreichend, wobei die Applikation u. U. wiederholt werden muss. Bisher wurde rhEPO im Bereich der Geburtshilfe nur im Rahmen von Studien eingesetzt (Braga et al. 1996; Breymann et al. 1996, 2001; Huch u. Huch 1994; Krafft et al. 2009). Eine wichtige Rolle spielt derzeit auch der Kostenfaktor, da es sich um ein teures Präparat handelt; jedoch kann durch
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ausreichende Eisengabe die Dosierung von rhEPO reduziert und ein besserer Kosten-Nutzen-Effekt erreicht werden.
Studienbox Gemäß dem letzten Update der Cochrane Database (Reveiz et al. 2007) gibt es keine klare Empfehlung zur Wahl der Therapie der Eisenmangelanmämie in der Schwangerschaft. Die Gabe von parenteralem Eisen führt zu einem rascheren Hämoglobinanstieg als orales Eisen, dem steht ein Mangel an Daten zur Sicherheit von parenteralem Eisen in Bezug auf Thrombosen und schwere allergische Reaktionen gegenüber. Daneben ist die Datenlage der 17 Studien nicht ausreichend, um den Nutzen bezüglich maternalem und fetalem Outcome der Behandlung zu beurteilen. Neuere Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Eisensaccharat in der Schwangerschaft sind allerdings in diesem Update noch nicht erfasst.
Prophylaxe Ein seit Jahren diskutiertes Thema in der Geburtshilfe ist die Frage der Prävention von Eisenmangel in der Schwangerschaft durch die prophylaktische Gabe von Eisenpräparaten.
Studienbox Gemäß Daten der Cochrane Pregnancy and Childbirth Database von 2006 (Pena-Rosas u. Viteri 2006) und weiterer Literatur gibt es nach Auswertung der Metaanalyse keine wissenschaftliche Begründung für eine Routineverabreichung von Eisenpräparaten in der Schwangerschaft (Hemminki u. Meriläinen 1995; Hollan u. Johansen 1993; USPSTF 1993).
In einem Kollektiv von 1000 Frauen würde ein Ferritinscreening zu Beginn der Schwangerschaft etwa 25.000 sFR (25 sFr/Test) kosten. Bei einer Prävalenz von 30% Eisenmangel (ohne Anämie) würden 300 Frauen in der Schwangerschaft mit z. B. einmal täglich 80 mg Eisensulfat substitutiert werden. Bei einer mittleren Therapiedauer von 260 Tagen (2. und 3. Trimenon) würden die Gesamtkosten hierfür etwa 20.000 sFr betragen, also insgesamt 45.000 sFr. Demgegenüber stehen bei einer generellen Prophylaxe über die gesamte Schwangerschaft bei 1000 Frauen die etwa 2,5-fachen Kosten von etwa 105.000 sFr. Bei einer relativ niedrigen Prävalenz von Eisenmangel sind die Kosten dementsprechend niedriger, bei einer sehr hohen Prävalenz von Eisenmangel zu Beginn der Schwangerschaft lohnt sich ein Ferritinscreening aus wirtschaftlicher Sicht eher nicht. Daher sollten genaue Zahlen über die jeweilige Prävalenz des Eisenmangels – wohlgemerkt nicht Anämie – im eigenen Kollektiv vorliegen. Während in unseren Breiten viele Patientinnen aufgrund der ausgewogenen Ernährung mit normalen Eisenspeichern in die Schwangerschaft gehen, ist die Prävalenz an Eisenmangelzuständen bei Frauen in Ländern mit Unterernährung ungleich höher, sodass hier u. U. eine Routineverabreichung von Eisenpräparaten gerechtfertigt wäre (Kaufer u. Casanueva 1990). Für Länder wie Deutschland, die Schweiz und Österreich sollte das Ziel sein, primär den Eisenstatus zu erfassen und dann über eine Verabreichung von Eisen zu entscheiden. > In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass verschiedene Autoren vor einer unselektiven Eisenverabreichung warnen, da eine Eisenüberladung mit Risiken behaftet sein kann. Untersuchungen etwaiger unerwünschter Wirkungen der Routineverabreichung von Eisen bei Frauen mit normalen Eisenspeichern liegen nicht vor (Hollan u. Johansen 1993).
Risikofaktoren Demgegenüber steht die Verabreichung von Eisenpräparaten bei festgestelltem Eisenmangel zur Prävention der Eisenmangelanämie. Das Ziel wäre also eine »selektive« Eisengabe in einem Risikokollektiv, d. h. bei Patientinnen, die zu Beginn der Schwangerschaft grenzwertnahe oder entleerte Eisenspeicher aufweisen. Da diese Patientinnen meist normale Hämoglobinwerte zu Anfang der Schwangerschaft aufweisen und die Hämoglobinkonzentration in der Schwangerschaft schlecht mit den Eisenspeichern korreliert, wäre eine solche »selektive« Prophylaxe nur über die Erfassung der Eisenspeicher, d. h. durch Bestimmung der Ferritinwerte, zu erreichen. Gemäß vorliegender Daten scheinen zu Beginn der Schwangerschaft Ferritinwerte von 50–80 μg/l ausreichend zu sein, d. h. dass in diesem Stadium kein zusätzliches Eisen benötigt wird. In Bezug auf eine »sinnvolle« prophylaktische Verabreichung von Eisenpräparaten liegt derzeit zumindest im deutschsprachigen Raum keine Konsensentscheidung vor. Insbesondere auch aus Gründen der Kostenersparnis wäre eine Eisensubstitution basierend auf den präpartalen- oder Frühschwangerschaftsferritinwerten zu prüfen.
Zu den Hauptgründen für das Auftreten einer Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft gehört ein vorbestehender Eisenmangel zu Beginn der Schwangerschaft, der wiederum auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden kann (7 Übersicht). Wichtige Hinweise auf eine mögliche bereits vorliegende Anämie oder einen vorbestehenden Eisenmangel geben eine gründliche Anamnese und die klinische Untersuchung.
Hauptgründe für das Auftreten einer Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft 4 Vorbestehender Eisenmangel zu Beginn der Schwangerschaft 4 Sozioökonomische Faktoren (Alter, Herkunft, Ernährungsgewohnheiten, Rassenzugehörigkeit) 4 Chronische Blutverluste (gastrointestinal, Hypermenorrhö, Menorrhagien, arzneimittelinduziert, Blutspender) 4 Rasche Schwangerschaftsfolge (innerhalb 1–2 Jahren) 4 Zustand nach Mehrlingsschwangerschaft 4 Malabsorptionssyndrom 4 Eisenmangel in vorhergehenden Schwangerschaften
18
354
Kapitel 18 · Anämie
18.2.2
Hämoglobinopathien
Thalassämie Die Thalassämie gehört zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der mikrozytären hypochromen Anämie in der Schwangerschaft. Ursache der Thalassämie ist eine genetisch bedingte autosomal rezessive Fehlproduktion von Hämoglobinketten; dabei wird die Form der Thalassämie nach der vermindert synthetisierten oder nicht vorhandenen Globinkette benannt. Die häufigsten klinisch relevanten Formen in der Schwangerschaft sind die β- und α-Thalassämien.
Diagnose Patientinnen, die heterozygote Trägerinnen für eine Thalassämie sind, zeigen zu Beginn der Schwangerschaft zumeist eine milde Anämie mit deutlich reduziertem MCV (<70 fl) und MCH (<30 pg), was ein erster Hinweis auf eine Thalassämie ist. Das periphere Blutbild zeigt neben der Mikrozytose die sog. Target-Zellen; die Absolutzahl der hypochromen Erythrozyten ist meist stark erhöht. Die Diagnose der β-Thalassämie wird mittels Hb-Elektrophorese oder Hb-Chromatographie durch die Bestimmung des HbA2 gestellt, dessen prozentualer Anteil kompensatorisch für fehlende β-Ketten erhöht ist (>3,5%). Ebenso kann die HbF-Fraktion erhöht sein (nicht obligatorisch). Bei gleichzeitigem Eisenmangel kann der HbA2-Anteil allerdings geringer sein. Da Thalassämien in der Schwangerschaft häufig mit einem Eisenmangel kombiniert sind, sollten insbesondere in der Schwangerschaft die Eisenspeicher ebenfalls kontrolliert werden. Tipp Patientinnen mit β-Thalassämie kommen meist aus den Mittelmeerländern, Indien, Pakistan und Südostasien. Die Genfrequenz liegt in Abhängigkeit des Landes bei 5– 20%. Sollte eine β-Thalassämie bekannt sein, so muss der Partner hinsichtlich einer Thalassämie ebenfalls genetisch abgeklärt werden, um ein fetales Risiko für eine homozygote Thalassämie auszuschließen. Sind beide Partner heterozygote Träger für Thalassämie, ist die pränatale Diagnostik im Sinne einer Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie indiziert.
18
Patientinnen mit α-Thalassämie haben eine normale HbElektrophorese; die Verdachtsdiagnose wird daher durch Ausschluss anderer Ursachen für eine mikrozytäre Anämie und eine positive Familien- und persönliche Anamnese gestellt. Die exakte Diagnose ist nur durch DNA-Analyse möglich. > Die regionale Verteilung der α-Thalassämie ist ähnlich wie die der β-Thalassämie, mit dem Unterschied einer hohen Frequenz in Afrika (bis 40%).
Neben diesen beiden Thalassämieformen gibt es noch eine Reihe weiterer Varianten und genetischer Untergruppen dieser Hämoglobinopathie, wobei für weitere Informationen auf hämatologische Fachliteratur verwiesen wird.
Morbidität Während Schwangerschaften bei homozygoten Trägerinnen für Thalassämie eine Ausnahme darstellen, da diese oft nicht das geschlechtsreife Alter erreichen oder aber unfruchtbar sind, weisen heterozygote Trägerinnen keine verminderte Fertilität auf und zeigen häufig einen komplikationslosen Schwangerschaftsverlauf mit allenfalls leichten Anämien mit Hämoglobinwerten >9,5 g/dl und einer perinatalen Morbidität und Mortalität, die mit dem »Normalkollektiv« vergleichbar sind. In Abhängigkeit von der Schwere des Defekts der Globinsynthese kann es aber insbesondere in der 2. Schwangerschaftshälfte bei einigen Patientinnen zum Auftreten von mittelschweren bis schweren Anämien (Hb-Wert<8,5 g/dl) kommen, die die Schwangerschaft komplizieren. Gründe hierfür sind zum einen eine verminderte Überlebenszeit der Erythrozyten, also eine verstärkte Hämolyse aufgrund eines Ungleichgewichts in der Verteilung der Globinketten, und eine gleichzeitig verminderte Hämoglobinsynthese, die durch einen Eisenmangel verstärkt wird. Insbesondere Patientinnen mit Thalassaemia »intermedia«, bei denen praktisch keine β-Globinketten mehr synthetisiert werden, zeigen häufig eine schwere Hämolyse mit starken Hämoglobinabfällen, die in vielen Fällen transfusionsbedürftig werden; dabei werden bis zu 3000 ml Fremdblut verabreicht.
Therapie Die Wahl der Therapie einer durch Thalassämie bedingten Anämie richtet sich zumeist nach der Schwere der Anämie und dem Vorhandensein eines gleichzeitigen Eisenmangels, der anhand der Ferritinwerte festgestellt werden kann. Sind die Ferritinwerte unterhalb des Normbereichs, ist eine orale Eisengabe zur Aufrechterhaltung der Hämoglobinsynthese sinnvoll, sofern die Hämoglobinkonzentration >10,0 g/dl beträgt. Sollten die Hämoglobinwerte deutlich <10,0 g/dl absinken, so ist die Therapie von der Schwere der Anämie und eventuellen maternalen und fetalen Risiken abhängig. Therapie der Wahl ist derzeit die Fremdblutgabe, wobei Nutzen und Risiko sorgfältig abgewägt werden müssen (ACOG 1996; Charache 1990). Alternativ zur Fremdblutgabe besteht ein interessanter Therapieansatz in der Gabe von rekombinantem Erythropoietin und Eisen zur Stimulierung der HbF-Synthese. Dadurch kommt es zu einer Stabilisierung der Erythrozytenmembran und einer verminderten Hämolyse, was wiederum eine Stabilisierung des Hämoglobinspiegels in der Schwangerschaft bewirkt (Krafft 2005).
Sichelzellenanämie Sichelzellenanämien sind strukturelle Hämoglobinvarianten (HbS) der β-Globinketten, bei denen bei der Aminosäuresequenz an Position 6 Glutamin anstatt Valin vorkommt. HbS präzipitiert im deoxygenierten Zustand, wodurch die charakteristische Sichelzellform der Erythrozyten entsteht; die Sichelzellen verstopfen kleinste Blutgefäße und Kapillaren, insbesondere bei verminderter Sauerstoffsättigung des Blutes, aber auch im Rahmen einer Dehydratation und bei Azidosen.
355 18.2 · Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
Verschiedene Formen der Sichelzellenanämie sind durch den Heterozygotenstatus (HbAS), die homozygote Form (HbSS) und gemischte Formen in Kombination mit Globinsynthesestörungen (z. B. Sichelzellenthalassämie) gegeben. Bei Frauen mit der homozygoten Form der Sichelzellenanämie stellen Schwangerschaften große Ausnahmen dar. > Am häufigsten betroffen sind Frauen aus Schwarzafrika, aber auch aus Saudi-Arabien, Indien und den Mittelmeerländern. Ist bei einer Patientin eine Form von Sichelzellenanämie bekannt, sollte – wie bei den Thalassämien – ebenfalls der Partner untersucht und u. U. eine pränatale Abklärung durchgeführt werden, ob der Fetus möglicherweise betroffen ist.
im Rahmen von zellulären immunologischen Reaktionen verwendet wird und so der Hämoglobinsynthese nicht zur Verfügung steht. Ähnlich wie beim Eisenmangel kann so eine hypochrome mikrozytäre Anämie entstehen. Weiterhin wurde in vitro nachgewiesen, dass die Erythropoese durch die Ausschüttung von Zytokinen gehemmt und die Synthese von endogenem Erythropoietin reduziert ist. Tipp Die Diagnose wird durch den klinischen Nachweis eines Infekts gestellt; die Ferritinwerte sind meist erhöht oder im Normbereich, daneben sollten das C-reaktive Protein als Infektparameter und das Differenzialblutbild bestimmt werden.
Diagnose Die Sichelzellenanämie ist eine hypochrome mikrozytäre Anämie, die letztlich durch den Nachweis von HbS mittels Elektrophorese oder Chromatographie diagnostiziert wird.
Morbidität Patientinnen mit Sichelzellenanämie zeigen in Abhängigkeit der genetischen Variante u. U. eine hohe Komplikationsrate. Die Überlebenszeit der Erythrozyten ist vermindert und die Hämolyserate erhöht, was zu schweren Anämien führen kann. Daneben kann es im Rahmen von Sichelzellkrisen zur Embolisierung von Kapillaren in verschiedenen Organen, wie den maternalen Nieren und Lungen, kommen. Intrauterine Fruchttode sind insbesondere bei homozygoten Trägerinnen aufgrund von möglichen Plazentarinfarkten gehäuft, ebenso die Rate an Aborten und Frühgeburten.
Therapie Wie bei den Thalassämien richtet sich die Therapie nach der Schwere der Anämie und den maternalen und fetalen Zusatzrisiken. Die einzige derzeitige Therapie ist die Gabe von Fremdblut, wodurch es zu einer Normalisierung der Anämie und Verdünnung von Sichelzellen kommt. Daneben können präventive Maßnahmen, wie die Vermeidung perioperativer oder peripartaler Hypoxie, Azidosen und Dehydratation, nützlich sein. Trägerinnnen einer heterozygoten Sichelzellenanämie zeigen meist nur milde Anämien ohne zusätzliche maternale oder fetale Risiken, die Transfusionen selten notwendig machen (McCalla 1994; Warth 1990).
18.2.3
Wie schon vorher erwähnt, können die Ferritinwerte zur Beurteilung der Eisenspeicher erst nach Therapie eines Infekts herangezogen werden. > Bei HIV-positiven Patientinnen, die unter chronischen Infekten leiden, sollte daneben an eine mögliche Verstärkung einer Anämie durch Medikamente wie Retrovir (Azidothymidin; AZT) gedacht werden, die die Therapie einer Anämie erschweren können (Beguin et al. 1991; Fuchs et al. 1993; Spivak 1995).
18.2.4
Renale Anämie
Renale Anämien in der Schwangerschaft können bei chronisch niereninsuffizienten Patientinnen, aber v. a. bei nierentransplantierten Patientinnen auftreten. Diese Patientinnen leiden fast immer unter einem endogenen Erythropoietinmangel, der zu einer normochromen normozytären hypoproliferativen Anämie führt. Der Nachweis erfolgt zumeist über die Anamnese, da diese Patientinnen im Rahmen der Risikosprechstunde betreut werden. Tipp Therapie der Wahl während wie auch außerhalb der Schwangerschaft ist die Substitution mit rekombinantem Erythropoietin, das endogen fehlendes Erythropoietin ersetzt. Wichtig für die erfolgreiche Anwendung ist die ausreichende Verfügbarkeit von Eisen, das als parenterales Eisensaccharat gegeben werden sollte.
Infektanämie
Die Differenzialdiagnose Infektanämie beeinhaltet auch Anämien durch parasitäre Erkrankungen und im Rahmen von HIV-Erkrankungen, wie sie zunehmend v. a. an geburtshilflichen Zentren gesehen werden. Anämien im Rahmen von Infekten oder Entzündungsreaktionen sind eine Mischform aus verminderter Eisenverfügbarkeit und gehemmter Erythropoese. Die verminderte Eisenverfügbarkeit ist die Folge einer Blockierung von Eisen im retikuloendothelialen System, das
Das Monitoring der Eisenverfügbarkeit geschieht am besten über die Bestimmung der hypochromen Erythrozyten oder mittels der Ferritinspiegel (Braga et al. 1996; Breymann et al. 1995; Schaefer u. Schaefer 1995).
18
356
Kapitel 18 · Anämie
18.2.5
Postpartale Anämie
Diagnose Eine postpartale Anämie liegt vor bei einem postpartalen Hämoglobinwert <10,0 g/dl. Sie ist eine akute Blutungsanämie, die bei geschätzten Blutverlusten >500 ml auftritt, vorausgesetzt, die Hämoglobinkonzentration war vor der Geburt normal.
Morbidität Während Blutverluste <30% des Gesamtblutvolumens (etwa 15 ml/kg KG) bei der Geburt meist problemlos kompensiert werden, können Blutverluste von >1000 ml zu einer erhöhten maternalen Morbidität und massive Blutverluste auch zu Mortalität führen. Insbesondere in den Entwicklungsländern tragen unkontrollierbare peri- oder postpartale Blutungen nach wie vor erheblich zu einer hohen maternalen Mortalität bei, während maternale Todesfälle aufgrund von Blutungskomplikationen in unseren Breiten dank Uterotonika, moderner operativer Techniken und ausreichender Transfusionsmöglichkeiten eher eine Rarität darstellen. Dennoch lassen sich auch bei uns trotz moderner geburtshilflicher Methoden bei einer Anzahl von Patientinnen hohe Blutverluste nicht verhindern. In Abhängigkeit von der Schwere der postpartalen Anämie kommt es zu einer erhöhten kardiovaskulären Belastung der Wöchnerin, einer reduzierten Leistungsfähigkeit, Allgemeinsymptomen wie Schwindel, Müdigkeit und Kopfweh. Das relative Risiko für Fieber im Wochenbett und Endometritis ist erhöht. > Bezüglich der kardiovaskulären Belastung ist zu beachten, dass bei einer Hämoglobinkonzentration <8,5 g/dl eine SMI (»silent myocardial ischaemia«) entstehen kann; bei Werten <8,0 g/dl ist die Mortalität operativer Patientinnen erhöht (Ekeroma et al. 1997).
Therapie
18
Die Therapie der postpartalen Anämie richtet sich nach dem Schweregrad der Anämie und/oder zusätzlichen mütterlichen Risikofaktoren bzw. Komorbidität. Eine junge, gesunde Frau kann hohe Blutverluste deutlich besser kompensieren als eine Wöchnerin mit Herzfehler, die schon bei geringeren Verlusten dekompensieren kann. Daneben müssen Blutverluste in Relation zur Körpermasse und dem geschätzten Gesamtblutvolumen gesetzt werden. Es ist zu bedenken, dass insbesondere bei der Abschätzung von Blutverlusten große Fehler auftreten können, da der Blutverlust oft unterschätzt wird, was durch
den Vergleich des präpartalen und postpartalen Hämoglobinwertes leicht geprüft werden kann. Die Therapieoptionen sind neben der Volumensubstitution die Gabe von oralem Eisen, parenteralem Eisen und heterologem Blut (Fremdblut). Daneben kann wie bereits erwähnt die Gabe von rekombinantem Erythropoietin in Erwägung gezogen werden.
Orales Eisen Orales Eisen sollte bei Hämoglobinwerten über 9,5 g/dl verordnet werden, dabei sind 80–100 mg/Tag ausreichend. Die Eisengabe sollte über einen Zeitraum von mehreren Monaten fortgesetzt werden, um Eisen nicht nur zur Normalisierung des Hämoglobinwerts, sondern auch zur Normalisierung der Eisenspeicher bereitzustellen. Wir konnten in einer Studie zeigen, dass selbst Wöchnerinnen mit alleinigem Eisenmangel, ohne Anämie, nur mit einer Eisensubstitution ihre Eisenspeicher auffüllen. Bei Wöchnerinnen mit Eisenmangel und Anämie ist somit besonders von einem erhöhten Eisenbedarf auszugehen. Wir führen daher die Eisengabe über mindestens 6 Monate durch. Die Gabe von oralem Eisen zur Therapie schwerer Anämien ist meist nicht ausreichend, da die endogenen Eisenreserven meist erschöpft sind und das benötigte Eisen für eine ausreichende Erythropoese nicht zur Verfügung gestellt wird. Gründe hierfür sind, wie schon erwähnt, die limitierte Resorption, mangelnde Compliance bei hohen Dosierungen aufgrund von Nebenwirkungen und niedrige Plasmaspiegel, die zu einem funktionellen Eisenmangel führen. Daneben kommt es insbesondere nach operativen Geburten und Kaiserschnitt zu einer Entzündungsreaktion, die zu einer Eisensequestrierung führt, sodass verabreichtes Eisen nicht zur Blutbildung zur Verfügung steht.
Parenterales Eisen, Eisensaccharatkomplex (Venofer) Eine Alternative stellt die parenterale Gabe von Eisensaccharat (Venofer) dar (Applikation 7 oben). Durch hohe Plasmaeisenkonzentrationen kurz nach der i.v.-Gabe werden die limitierte Eisenabgabe aus dem RES und die inhibierte Resorption durch die Darmmukosa umgangen und ausreichende Eisenmengen für die Erythropoese geliefert. Aufgrund der Daten zur Sicherheit und Effektivität von Eisensaccharat postpartal hat eine Expertengruppe einen Brief zur Anwendung von Eisensaccharat im Wochenbett verfasst (Breymann et al. 2007). Gemäß dem Expertenbrief wird bei der Anämietherapie nach einem Stufenschema (. Tab. 18.2) vorgegangen. Voraussetzungen für den Einsatz von parenteralem Eisen sind die ein-
. Tab. 18.2. Stufenschema der Anämietherapie im Wochenbett nach dem Expertenbrief der SGGG
Hb p.p. [g/dl]
>9,5
8,6–9,5
6,0–8,5
<6,0
Therapie
Fe oral 80–200 mg/Tag (Fe-II-Salz oder Fe-IIIKomplex)
Eisensaccharat i.v. (Venofer) 200 mg i.v./Tag; an 2 Tagen
Eisensaccharat i.v. (Venofer) 200 mg i.v./Tag; an 4 Tagen
»Kritischer Hb-Wert«, evtl. Erythrozytenkonserven; dann rhEPO (150 IU/kg KG i.v.) + Venofer 200 mg i.v. an 4 Tagen
357 18.2 · Diagnose und Differenzialdiagnose der Anämie in der Schwangerschaft
gehende Diagnostik und die Erfüllung von Einschlusskriterien. Wie in der Schwangerschaft setzen wir gemäß einem Stufenschema parenterales Eisensaccharat bei Hämoglobinwerten unter 9,5 g/dl ein (. Tab. 18.2).
Eisencarboxymaltose (ferinject) Bisher wurden 3 randomisierte Multizenterstudien zum Gebrauch von Eisencarboxymaltose bei postpartaler Anämie publiziert (Breymann et al. 2008; Seid et al. 2008; Van Wyck et al. 2007). In 2 von 3 Studien war die einmalige Gabe von i.v. EIsencarboxymaltose der oralen Eisentherapie bei der Anämietherapie im Wochenbett überlegen (Seid et al. 2008; Van Wyck et al. 2007), in der Studie von Breymann et al. (2008) war Eisencarboxymaltose i.v. gleichwertig wie die orale Eisentherapie über 12 Wochen. Alle Studien zeigten deutlich höhere Eisenspeicher im Wochenbett nach Eisencarboxymaltose. Das Sicherheitsprofil ist dabei als sehr hoch anzusehen und mit dem von Eisensaccharat vergleichbar. Der Autor geht davon aus, dass aufgrund der Datenlage die einmalige Gabe von Eisencarboxymaltose der mehrmaligen Gabe von Eisensaccharat gleichzusetzen ist. Weitere Details zu dieser Substanz 7 Kap. 18.2.1.
Bluttransfusion Fremdblut. Schwere Anämien in der Schwangerschaft und post partum können die Gabe von Bluttransfusionen, Plasmaprodukten und Volumenersatzflüssikeiten (Volumenexpandern) nötig machen. Es ist wichtig, strikte Entscheidungskriterien für oder gegen die Gabe von Blutersatzstoffen zu haben und die Möglichkeiten, aber auch Risiken der Produkte zu kennen. Die Gabe von Fremdblut und oder Plasmaprodukten ist dann angezeigt, wenn es sich sicher um einwandfrei hergestellte und getestete Produkte handelt und eine lebensgefährliche Situation von einer Patientin abgewendet werden kann. Des Weiteren muss es wahrscheinlich sein, dass Morbidität und Mortalität der Mutter nicht durch gleichwertige Alternativen abgewendet werden können (z. B. lediglich durch Volumensubstitution). Die unselektive und unkritische Gabe von Blutprodukten ist in jedem Fall abzulehnen. Gemäß Literaturangaben liegt der prozentuale Anteil an Fremdblutgaben in Zentren bei 1– 2% (Geburten). Im Universitätsspital Zürich, Klinik für Geburtshilfe, liegt sie derzeit zwischen 0,5 und 1%.
Situationen, die zu einer Fremdblutgabe führen können 4 Postpartale Anämie mit Schockzeichen 4 Akuter hoher Blutverlust nach der Spontangeburt oder bei Kaiserschnitt 4 Schwere Anämie während der Schwangerschaft mit mütterlicher Dekompensation
Geburtshilflich tätige Kliniken und Ärzte sollten auf plötzlich notwendige Gaben von Bluttransfusionen vorbereitet sein. Es ist Voraussetzung, kühl gelagertes Blut (speziell BG 0 Rh-neg.)
und Plasmaprodukte (z. B. »fresh frozen plasma«) verfügbar zu haben. Risiken der Fremdblutgabe. Bluttransfusionen können einerseits lebensrettend sein, bergen aber andererseits eine Reihe von Risiken und Komplikationen in sich. Bluttransfusionen sind oft nicht notwendig, da geburtshilflichen Situationen, die Transfusionen nötig machen, oft vorgebeugt werden kann (»präventives und prospektives Denken und Handeln«!). Bluttransfusionen werden u.a. unmittelbar präoperativ zum Anheben des Hämoglobinwertes oder post partum zur schnelleren Genesung gegeben. Alternative Methoden wie z. B. Volumenexpander, rechtzeitige Anämietherapie und -prävention sind sicherer, billiger und meist gleich gut wirksam. > Gerade während der Schwangerschaft ist es generell besser, die Ursache einer Anämie zu behandeln, als Fremdblut zu geben. Unnötige Transfusionen gefährden die Mutter und können in vielen Ländern die Reserven für wirklich lebensbedrohliche Fälle vermindern. Das Sammeln und Lagern von Eigenblut (autologe Blutspende) ist in der Schwangerschaft kontraindiziert und nicht praktikabel, da insbesondere Zeitpunkt und Menge einer möglichen notwendigen Bluttransfusion unklar sind. Plasmaprodukte. Plasmagaben (z. B. FFP = »fresh frozen plasma«) können ebenfalls die meisten durch Vollblut übertragbaren Infektionen verursachen. Daneben können Plasmaprodukte auch zu immunologischen Transfusionsreaktionen führen. Abgesehen von der Gabe bei bestehenden Gerinnungsstörungen gibt es keine nachgewiesenen Vorteile von Plasmaprodukten, insbesondere keinen Anhalt für den Nutzen einer prophylaktischen Gabe. Tipp Unter Berücksichtigung der Risiken der Fremdblutgabe sollte jeder Fall einer oder mehrerer Bluttransfusionen während der Schwangerschaft oder im Wochenbett dokumentiert werden (Indikation, Art des Produktes, Zahl etc.). Darüber hinaus muss die Patientin über die Gabe von Fremdblut informiert werden. Es kommt leider vor, dass Frauen mit einer viralen Infektion (z. B. Hepatitis B, C) nichts von einer vorangegangenen Bluttransfusion wissen. Die Aufklärung und das Patienteneinverständnis vor der Fremdblutgabe sind in den meisten Ländern juristisch vorgeschrieben. Schließlich sollte die Patientin über mögliche Alternativen informiert sein (parenterales Eisen, rekombinantes Erythropoietin, Plasmaexpander etc.), sofern das klinisch möglich ist.
Sicherheit von Blutprodukten. Abgesehen von einer äußerst strengen Indikationsstellung kann die Sicherheit von Blutprodukten durch folgende Maßnahmen erhöht werden: 4 strenge Blutspenderselektion, 4 Screening auf virale und bakterielle Kontamination in der Spenderpopulation (offen: Prionentestung?),
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358
Kapitel 18 · Anämie
4 sensitive Testmethoden (z. B. virale PCR) mit Qualitätssicherung, 4 hohe Qualität bei Blutgruppentestung, Kompatibilitätstestung, Trennung der Bestandteile, Lagerung und Transport, 4 interne Richtlinien und fachbezogene Leitlinien zur Anwendung von Blutprodukten (z. B. kritischer Hämatokrit, klinische Entscheidungsträger, Rückmeldung bei Komplikationen u.a.). Verordnung von Fremdblut. Die Verordnung von Fremdblut sollte gemäß nationalen bzw. darauf basierenden klinikinternen Kriterien geschehen. Daneben müssen Wünsche der Patientin und natürlich deren individuelle Situation berücksichtigt werden. Folgende Punkte sollten bedacht werden: 4 Erwarteter Nutzen/ Risiko für die Situation der Patientin, 4 Einsatz von Alternativen, 4 Vorgehen zur Minimierung eines weiteren Blutverlustes, 4 spezifische klinische und/oder laborbedingte Indikationen, 4 Risiko einer möglichen Infektion (unterschiedlich nach Ländern), 4 Möglichkeit der Überwachung und Intervention bei Transfusionskomplikationen.
Studienbox Gemäß dem letzten Update der Cochrane Database (Dodd et al. 2004) gibt es keine klare Empfehlung zur Art der Therapie der Anämie im Wochenbett. Aus den 6 ausgewählten randomisierten Studien geht hervor, dass insbesondere die Gabe von rhEPO im Hinblick auf den Hämoglobinanstieg vorteilhaft ist. Die Studien der letzten Jahre, also nach 2004, zeigen zudem, dass die parenterale Eisengabe der oralen Eisengabe überlegen ist und bei einem zukünftigen Update berücksichtigt werden sollte (der Autor).
18.3
18
Maternale und fetale Morbidität und Mortalität der Anämie in der Schwangerschaft
Maternale und fetale Morbidität und Mortalität in Verbindung mit einer Anämie in der Schwangerschaft hängen zum einen von der Genese der Anämie ab, zum anderen von der Schwere und Dauer der Anämie. Ein Problem bei der Erfassung von Daten bezüglich maternaler und fetaler Morbidität und Mortalität ist der Bezug praktisch aller Angaben auf die häufigste Anämieform, nämlich die Eisenmangelanämie. Daten über Morbidität und Mortalität im Rahmen anderer Anämieformen, wie z. B. Infektanämien oder Hämoglobinopathien, liegen nur sehr begrenzt vor. Die Frage stellt sich, inwiefern die maternale und fetale Morbidität Folgen der eigentlichen Anämieursache, wie z. B. einem schweren Eisenmangel, oder aber Folgen der niedrigen
Hämoglobinkonzentration sind. So wird z. B. die Frühgeburtlichkeit als Folge einer Anämie meist in Relation zum Hämoglobinwert, aber selten in Relation zu den Eisenspeichern gestellt, wie z. B. in einer Studie von Goepel et al. (1988). Auch ist die Frage unbeantwortet, ob die Morbidität durch mehrere Faktoren beeinflusst wird, z. B. das gleichzeitige Vorliegen eines Eisenmangels und eines Infekts. In künftigen Studien über Risiken der Anämie in der Schwangerschaft ist es sicher nötig, die Art der Anämie genau zu differenzieren, mögliche zusätzliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen und sich von der isolierten Betrachtung des Hämoglobinwerts zu trennen, da dieser oft schlecht mit dem ätiologischen Faktor der Anämie korreliert.
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18
19 19 Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett T. Fischer 19.1
Allgemeine Grundlagen – 362
19.1.1 19.1.2
Terminologie und Ätiologie – 362 Häufigkeit – 363
19.2
Diagnose – 364
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5
Anamnese – 364 Ultraschall – 365 Röntgendiagnostik – 365 Fibrinspaltprodukte – 365 Lungenarterienembolie – 365
19.3
Therapie der manifesten Thrombose – 366
19.3.1 19.3.2 19.3.3
Thrombolyse – 366 Thrombektomie – 366 Heparintherapie – 367
19.4
Prävention – 368
19.4.1 19.4.2 19.4.3
Risikoklassifikation und Indikation zur Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft – 368 Gezielte Suche nach angeborenen Gerinnungsdefekten – 368 Therapeutische Optionen – 370
19.5
Schlussfolgerungen – 372 Literatur – 374
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
362
19
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
Thromboembolische Erkrankungen sind in den Industrieländern die häufigste Ursache mütterlicher Mortalität (Collins et al. 1990) Tiefe Venenthrombosen (VTE=venöse Thromboembolie) oder die Lungenembolie (LE) treten in der Schwangerschaft etwa 4- bis 6-mal, im Wochenbett 20- bis 30-mal häufiger auf als bei nichtschwangeren Frauen (Heit 2005; Romero 2005; Royal College of Obstetricians and Gynaecologists 2004). Immobilisation, Trauma, insbesondere operative Traumata, Dehydratation und Infektionen stellen auslösende Risikokonstellationen dar. Das Risiko steigt bereits im 1. Trimenon (James 2005) und bleibt danach im weiteren Schwangerschaftsverlauf unverändert (Royal College of Obstetricians and Gynaecologists 2004). Trotzdem ist bei einer gesunden Schwangeren ohne zusätzliche Risikofaktoren – mit Ausnahme der Schwangerschaft – das Risiko einer VTE mit 0,2% gering (Andersen 1998; Heit 2005) und das Risiko einer tödlichen LE besonders gering (Risiko: 0,002%; Berg 1996; Franks 1990). Umso wichtiger ist es, die angeborenen und erworbenen Risikofaktoren bei Schwangeren und Wöchnerinnen richtig zu erkennen (. Tab. 19.2). Aufgrund der meist unspezifischen Symptomatik wird die Diagnose häufig spät gestellt, wodurch alle therapeutischen Optionen mit der Hypothek einer irreversiblen Venenklappenschädigung und einer hohen Wahrscheinlichkeit (>50%) eines postthrombotischen Syndroms belastet sind. Die Etablierung der im Oberschenkelbereich sehr verlässlichen Ultraschalluntersuchung (Real time und Farbdoppler) muss zukünftig zu einer weiteren Verkürzung der diagnostischen Latenz führen. Weitere Fortschritte sind von einer besseren Aufklärung der Schwangeren über die Bedeutung auch wenig spezifischer Symptome und die Möglichkeiten einer nichtinvasiven Diagnostik zu erwarten. Die Therapie der manifesten Thrombose in der Schwangerschaft entspricht im Wesentlichen den Richtlinien, die auch außerhalb der Schwangerschaft gelten: Unfraktionierte Heparine sind bei der therapeutischen Behandlung von tiefen Beinvenenthrombosen indiziert. Niedermolekulare Heparine haben sich dagegen bei der präventiven Antikoagulation in der Schwangerschaft und im Wochenbett durchgesetzt. Die Sekundärprävention, mit der etwa eine Woche nach Beginn der Hochdosis-Heparintherapie begonnen werden kann, wird wenigstens bis zur 6. Woche post partum fortgeführt und zwar bis zur 1. Woche post partum vorzugsweise mit niedermolekularem Heparin (Dosis, die perioperativ für Hochrisikofälle empfohlen wird) oder alternativ mit unfraktioniertem Heparin (3- bis 4-mal 5000 IE s.c./24 h). Ab der 2. postpartalen Woche kommt auch eine orale Antikoagulation infrage. Schwerwiegendste Komplikation der akuten Behandlungsphase ist das Auftreten einer Lungenembolie, wobei neben dramatischen Verläufen auch subakute, schubweise verlaufende Formen mit eher diskreter Symptomatik beobachtet werden. Diagnose und Therapie der Lungenembolie orientieren sich an den Erfordernissen, die durch die lebensbedrohliche Erkrankung der Mutter bestimmt werden, und umfassen auch Embolektomie und thrombolytische Therapie. Zu den Risiken der Thrombosephrophylaxe mit Low-doseHeparin zählen neben meist klinisch inapparenten osteoporotischen Einflüssen in wenigen Fällen auch symptomatische Frakturen (Schätzungen bis zu 2%). In der 2007 veröffentlichten
EthIG-Studie (Bauersachs et al. 2007) konnte diese hohe Rate an Frakturen bei 810 mit Dalteparin behandelten Frauen nicht nachgewiesen werden (1 Fall einer klinisch relevanten Osteoporose bei 810 behandelten Schwangeren). Auch heparinassoziierte Thrombozytopenien Typ II mit ausgeprägter Gerinnungsaktivierung sind mögliche, allerdings sehr seltene Ereignisse und bei Schwangeren gegenüber nicht schwangeren Frauen nicht erhöht (Bauersachs et al. 2007; Bardett et al. 2001). Als Risikofaktoren gelten Dauer und Intensität der Heparinprophylaxe, sodass eine sorgfältige Indikationsstellung zu fordern ist, um mit der kürzest möglichen Behandlungszeit auszukommen. Bei der Verwendung von niedermolekularen Heparinen ist mit einem geringeren Komplikationsrisiko zu rechnen.
19.1
Allgemeine Grundlagen
19.1.1
Terminologie und Ätiologie
Tiefe Venenthrombose Von der oberflächlichen Thrombophlebitis ohne jedes Embolierisiko sind die tiefen Venenthrombosen (VTE=venöse Thromboembolie) abzugrenzen. Die proximale (oberhalb des Kniegelenks) Form der tiefen Venethrombose ist mit einem hohen, die distale Form (Unterschenkelthrombose) mit einem geringen Embolierisiko assoziiert.
Studienbox In der Schwangerschaft werden bis zu 6-mal häufiger thromboembolische Erkrankungen beobachtet als in Vergleichskollektiven nicht schwangerer Frauen (Department of Health 1989; von Hugoet al. 1984; Toglia u. Weg 1996, Heit et al. 2005; Romereo et al. 2005). Inwieweit hier die physiologische Anpassung an die erhebliche Zunahme der Durchstromvolumina in den Iliaca-interna-Gefäßen mit konsekutiver Flussverlangsamung in den Iliaca-externa- und Femoralvenen (Beller u. Winkler 1990), die plazentaren Regulationsmechanismen (lokale Bereitstellung schwangerschaftspezifischer Fibrinolyseinhibitoren, Adhäsionsmoleküle und vasoaktiver Substanzen; Hellgren u. Blomback 1981) oder die Konzentrationszunahme verschiedener Gerinnungsfaktoren (Fibrinogen, Faktor VII, VIII und X), v. a. aber ihr gesteigerter Umsatz erkennbar an der Zunahme zirkulierender Reaktionsprodukte plasmatischer Gerinnungsereignisse eine Rolle spielen (Siegert et al. 1992; van Wersch u. Ubachs 1991), ist letztlich ungeklärt. Sicher ist aber, dass die Schwangerschaft per se mit einer Aktivierung des Hämostasesystems verbunden ist. Ab dem 2. Trimenon ist eine Hyperkoagulabilität zu beobachten, die bis zur Geburt kontinuierlich zunimmt und 4–6 Wochen postpartal persistiert.
363 19.1 · Allgemeine Grundlagen
. Tab. 19.1. Gesicherte Risikofaktoren venöser thromboembolischer Erkrankungen
Erworbene Risiken
Auslösende Risikokonstellationen
Angeborene Risiken
5 5 5 5 5 5 5 5 5
5 5 5 5
5 5 5 5 5 5
Schwangerschaft Alter Adipositas Herzklappen Varikosis Thrombophlebitis Zustand nach Thrombose Dehydratation Lupus anticoagulans
Operationen Infektionen Immobilisation Hoch dosierte Östrogentherapie
Antithrombin-III-Mangel Protein-C-Mangel Protein-S-Mangel Faktor-V-Leiden-Mutation Prothrombinmutation Hyperhomozysteinämie
. Tab. 19.2. Beispielhafte Risikogruppen in der Schwangerschaft. (Nach AWMF-Leitlinie 2009)
VTE-Risikogruppe
Risikokonstellation in der Schwangerschaft
Niedriges VTE-Risiko
5 Schwangere mit familiärer Thromboseanamnese 5 Schwangere mit thrombophilen Faktoren ohne eigene oder familiäre Thromboseanamnese
Mittleres VTE-Risiko
5 Schwangere mit Thrombose in der Eigenanamnese ohne hereditäres thrombophiles Risiko 5 Schwangere mit wiederholten Spontanaborten oder schwerer Präeklampsie/HELLP-Syndrom und Thrombophilie (angeboren, erworben) ohne Thrombose in der Eigenanamnese 5 Schwangere mit niedrigem Risiko und zusätzlichen Risikofaktoren (Adipositas, Präeklampsie, Infektion, Bettlägerigkeit)
Hohes VTE-Risiko
5 Schwangere mit wiederholter Thrombose in der Eigenanamnese 5 Schwangere mit homozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation oder kombinierten thrombophilen Faktoren und einer Thrombose in der Eigenanamnese
Die Schwangerschaft ist eng mit Konstellationen assoziiert, die auch außerhalb der Schwangerschaft zur Auslösung thromboembolischer Ereignisse führen (. Tab. 19.1, 19.2). So ist die Viskositätszunahme des Blutes infolge einer Dehydratation auch außerhalb der Schwangerschaft ein typischer Triggermechanismus und dürfte insofern ein erhebliches Risiko, beispielsweise im Verlauf eines Überstimulationssyndroms oder einer Hyperemesis gravidarum in der Frühschwangerschaft, begründen. Ebenso stellen infektiöse Reize und Gewebetraumatisierungen eine wesentliche Ursache von Gerinnungsaktivierungen dar, die wiederum ein erhöhtes Thromboserisiko beim Amnioninfektionssyndrom oder bei operativen Entbindungen erklären. Ein besonders hohes Risiko ist die Immobilisation, die nicht selten Folge einer ärztlich empfohlenen – aber nicht immer indizierten – Bettruhe ist.
se Überlegungen haben unmittelbare klinische Konsequenzen. So sollte die Thromboseprophylaxe bei gering erhöhtem Risiko nur während Schwangerschaftskomplikationen, die ein erhöhtes Risiko begründen (Bettlägerigkeit, entzündliche oder hypertone Komplikationen, Operationen), sowie ggf. im Wochenbett eingesetzt werden (Greer 2001; Heilmann et al. 2002; Winkler u. Schindler 1996). Die Indikationsstellung zur prophylaktischen Bettruhe, deren Nutzen im Gegensatz zum diesbezüglich festverwurzelten Vorurteil nicht erwiesen ist, sollte sehr restriktiv erfolgen.
19.1.2
Häufigkeit
Studienbox Studienbox
Es ist insofern naheliegend, weniger in der Schwangerschaft als vielmehr in den Schwangerschaftskomplikationen den eigentlichen thrombogenen Stimulus zu vermuten (Winkler u. Schindler 1996). Solche unspezifischen Stimuli, die auch außerhalb der Schwangerschaft bei prädisponierten Patientinnen eine Thrombose auslösen könnten, treten in der Schwangerschaft gehäuft auf. Die-
Die Angaben zur Häufigkeit tiefer, symptomatischer Beinvenenthrombosen in der prä- und postpartalen Phase schwanken zwischen 5 und 30 pro 10000 Schwangerschaften (Greer 1989; Sipes u. Weiner 1990; Heit et al. 2005; Romero et al. 2005), wobei aufgrund von perioperativen Untersuchungen nicht schwangerer Frauen mit Iod
6
6
19
364
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
125-markiertem Fibrinogen anzunehmen ist, dass die Häufigkeit asymptomatischer Thrombosen etwa um das 10Fache höher ist (Partsch u. Blättler 1996). Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass bei unterlassener oder inadäquater Therapie der tiefen Beinvenenthrombose in etwa einem Drittel der Fälle eine Lungenembolie auftritt. Auch heute wird die Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose nicht selten erst gestellt, nachdem bereits eine Embolie aufgetreten ist, sodass eine Schätzung der Relation symptomatischer Thrombosen zu symptomatischen Embolien von etwa 10:1 durchaus auch in der Schwangerschaft realistisch zu sein scheint (Partsch u. Blättler 1996). Die Inzidenz tödlicher Embolien wird auf 1:100.000 geschätzt (Department of Health 1989). In Industrieändern sind Thromboembolien die häufigste Ursache maternaler Mortalität, gefolgt von präeklampsieassoziierten und schweren Blutungskomplikationen (Collins et al. 1990).
Die große Variation der Angaben zur Häufigkeit thromboembolischer Komplikationen in der Schwangerschaft ist für die beträchtlichen Unterschiede hinsichtlich der Prävalenz von Risikofaktoren und der Inzidenz von Komplikationen in den untersuchten Kollektiven bezeichnend. Die derzeit im Zugriffsbereich der deutschen Perinatalstudien zu beobachtende Zunahme von Schwangerschaften zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr sowie die Zunahme von Schwangerschaften mit thromboembolisch assoziierten Risikofaktoren (u. a. vaskuläre Erkrankungen, z. B. systemischer Lupus erythematodes, arterielle Hypertonie, Thrombophilie, Zustand nach Organtransplantation, Hertzklappenersatz, angeborene maternale Herzfehler) tragen zu einer Zunahme thromboembolischer Komplikationen bei. Eine Sectio caesarea erhöht das Risiko gegenüber einer thromboembolischen Komplikation einer vaginalen Entbindung um den Faktor 5 (Lindqvist P et al. 1990, Simpson et al. 2001).
19.2
Diagnose
19.2.1
Anamnese
Die klinische Diagnose der tiefen Beinvenenthrombose stützt sich zunächst auf die Anamnese, in der auslösende Faktoren wie Verletzungen, Infektionen, Immobilisationen und ähnliche erworbene Risiken sowie die angeborenen Risikofaktoren, sofern sie bekannt oder aufgrund der Familienanamnese zu vermuten sind (angeborene thrombophile Diathesen), erfasst werden sollten (. Tab. 19.1). Eine in der Frühschwangerschaft durchgeführte Untersuchung möglicher thrombophiler Gerinnungsanomalien kann die Beurteilung einer positiven Familienanamnese und damit die Einschätzung des individuellen Thromboserisikos vereinfachen (Winkler u. Schindler 1996). > In der Schwangerschaft ist der neu aufgetretene, belastungsverstärkte Schmerz in der Wade oder im Oberschenkel wegweisend. Das linke Bein ist häufiger betroffen als das rechte Bein. Hier ist besonders die Zunahme des Wadenschmerzes bei Streckung des Unterschenkels (Homans-Zeichen) typisch (Beller u. Winkler 1990). Insbesondere die Schwellung und Verfärbung der Haut sind als äußerst unzuverlässiges Zeichen zu werten (. Tab. 19.3).
Studienbox Insgesamt ergab in einer prospektiven Studie die klinische Untersuchung in etwa 30% der Fälle eine falschpositive Diagnose (Sandler et al. 1984), andere Untersucher gehen von weniger als 50% richtigen klinischen Diagnosen aus (Hull et al. 1990).
Eine weitere Absicherung der Diagnose ist daher unbedingt anzustreben.
. Tab. 19.3. Diagnose der tiefen Beinvenenthrombose in der Schwangerschaft
Methode
Kriterien
Kommentar
Klinik
Schmerz, Umfangszunahme, livide Verfärbung, Dorsalflexion des Fußes schmerzhaft (Homans-Zeichen)
Unzuverlässig
Ultraschall
Darstellung des Thrombus, fehlender oder eingeschränkter Blutfluss im Farbdoppler
Becken- und Unterschenkelthrombose gelegentlich schlecht darstellbar
Phlebographie
Thrombus- und Wanddarstellung mittels Kontrastmittel
Nur noch ausnahmsweise, Strahlenbelastung ohne Beckenabschirmung >3 mSv
D-Dimer
Ausschluss einer klinisch relevanten Thrombose bei Normwerten der D-dimeren Fibrinspaltprodukte im Plasma
Geringe Spezifität, hohe Sensitivität
MRT
Kontrastmittelverstärkte MR-Phlebographie
Nicht immer zu jeder Zeit verfügbar (in diesen Fällen Spiral-CT)
Spiral-CT
Mit Kontrastmittel
In der Anwendung häufiger als MRT, da meist zu jeder Zeit verfügbar
19
365 19.2 · Diagnose
19.2.2
Ultraschall
19.2.4
Mit der Real-time-Sonographie und der Farbdoppleruntersuchung (Schindler et al. 1990) bestehen exzellente Möglichkeiten, die Oberschenkelthrombose zweifelsfrei nachzuweisen (. Tab. 19.3). Es wird in diesem Gefäßabschnitt eine diagnostische Treffsicherheit erreicht, die auch durch die Phlebographie nicht zu übertreffen ist. Aufgrund der inzwischen guten Qualität der Duplexsonograhie bestehen nur noch selten Schwierigkeiten beim Nachweis von hohen Beckenvenenthrombosen, die durch die Überlagerung der Beckengefäße schlecht einsehbar sein können. Auch Unterschenkelthrombosen werden inzwischen gut erkannt, wobei aber eine Emboliegefahr erst zu befürchten ist, wenn der Thrombus über die Knieebene hinausreicht. > Bei negativem Ulltraschallbefund und fortbestehendem Verdacht auf eine Beckenvenenthrombose bietet sich mit der kontrastmittelverstärkten Magnetresonanzphlebographie ein neues Verfahren zur Darstellung des Thrombus (Ruehm et al. 2001) an. Allerdings steht diese Methode in vielen Kliniken nicht zu jeder Zeit zur Verfügung, sodass alternativ auch ein kontrastmittelunterstütztes Spiral-CT durchgeführt werden kann.
19.2.3
Röntgendiagnostik
Die Phlebographie ist in der Schwangerschaft bei einer Strahlenbelastung von ca. 0,5 mSv (mit Beckenabschirmung) und >3 mSv ohne Beckenabschirmung nur ausnahmsweise zu rechtfertigen, zumal sie aufgrund der oben beschriebenen Methoden meist auch nicht mehr notwendig ist (Ginsberg 1989a; . Tab. 19.3). !
Im 1. Trimenon (18.–55. Tag post conceptionem) besteht wegen der Gefahr teratogener Effekte eine relative Kontraindikation zur Röntgenuntersuchung. Im späteren Schwangerschaftsverlauf hat eine Diagnosestellung je nach Dringlichkeit Vorrang, sodass bei strenger Indikationsstellung auch radiologische Untersuchungen mit Strahlenbelastung erfolgen können.
Fibrinspaltprodukte
In Zweifelsfällen steht mit der Bestimmung von Fibrinstaltprodukten im Blutplasma eine Methode zum Nachweis einer pathologisch erhöhten Fibrinbildungs- und -spaltungsrate zur Verfügung (Boneu et al. 1991). Normwerte der D-dimeren Fibrinspaltprodukte im Plasma schließen mit hoher Sensitivität eine intravasale Fibrinablagerung und damit eine Thrombose aus (Lichey et al. 1991).
19.2.5
Lungenarterienembolie
Die Diagnose einer Lungenembolie erweist sich in der Schwangerschaft oft als äußerst schwierig (. Tab. 19.4). Die klassische Symptomatik mit Hustenreiz, Dyspnoe und Kurzatmigkeit ist in der Schwangerschaft wenig spezifisch.
Studienbox Eine zum Zeitpunkt des Embolieverdachts nachweisbare Thrombosesymptomatik ist nur in 15% der Fälle zu erwarten (Stein et al. 1991). Röntgenuntersuchung des Thorax, Blutgasanalyse und EKG ergeben meist nur dann diagnostisch wegweisende Befunde, wenn bereits das klinische Bild wenig Zweifel an der Diagnose aufkommen lässt (Hull et al. 1990). Die Mehrzahl der Autoren empfiehlt in Zweifelsfällen eine Ventilations-Perfusions-Szintigraphie (Stein et al. 1991; THRIFT 1992; Toglia u. Weg 1996), obwohl auch diese Methode mit einer hohen Fehlerquote behaftet ist (Stein et al. 1991). Der Wert der VentilationsPerfusions-Szintigraphie beruht auf ihrer Sensitivität, sodass bei negativem Befund eine Lungenarterienembolie mit hoher Sicherheit auszuschließen ist (Toglia u. Weg 1990). Die Strahlenbelastung wird auf <0,2 mSv geschätzt (Ginsberg 1989a). Alternativ oder in Zweifelsfällen steht die Pulmonalisangiographie zur Verfügung, wobei für die gesamte diagnostische Sequenz eine angesichts der potenziellen mütterlichen Gefährdung absolut vertretbare fetale Strahlenbelastung von ca. 2,2 mSv via V. femoralis und <0,5 mSv via V. brachialis auftritt (Ginsberg 1989a).
. Tab. 19.4. Diagnose der Lungenembolie in der Schwangerschaft
Methode
Kriterien
Kommentar
Klinik
Vollbild (inkl. typischer Zeichen in EKG, Thoraxröntgenaufnahme und Blutgasanalyse) selten; oft nur Hustenreiz, Fieber, pleuritischer Thoraxschmerz
Objektivierung nahezu immer anzuraten
Ventilations-PerfusionsSzintigraphie
Minderperfusion und -belüfung betroffener Lungenfelder
Strahlendosis gering (0,05 rem)
Angiographie
Darstellung des Gefäßverschlusses vor Embolektomie oder Lyse
Strahlenbelastung von der Technik abhängig (~ 0,5 rad)
19
366
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
Insgesamt ist damit die rechtzeitige Diagnose der tiefen Beinvenenthrombose in der Schwangerschaft vom frühzeitigen Verdacht und der unverzüglichen Bestätigung abhängig. Die Möglichkeit, mit dem nicht invasiven und schmerzfreien Ultraschallverfahren eine sehr zuverlässige Diagnostik zu betreiben, wird sicher zu einer größeren Bereitschaft beitragen, auch bei nur vagem Verdacht eine entsprechende Abklärung zu veranlassen. Ziel ist es, die Latenzzeit vom ersten Symptom bis zur Einleitung der Therapie nach Diagnosesicherung weiter zu verkürzen.
19.3
Therapie der manifesten Thrombose
Erstes Ziel der Therapie, nachdem die Diagnose einer tiefen Venenthrombose in der Schwangerschaft gestellt wurde, ist die sofortige Verhinderung einer weiteren Ausdehnung des Thrombus bzw. einer Embolisation.
systemischer Applikation von Fibrinolytika generell mit einem erhöhten Blutungsrisiko zu rechnen (Francis u. Marder 1991).
Studienbox Vergleichsstudien außerhalb der Schwangerschaft lassen erkennen, dass die verschiedenen fibrinolytischen Therapieoptionen mit Urokinase, Streptokinase und t-PA eine vergleichbare Effektivität, aber auch eine vergleichbare Blutungsproblematik aufweisen (Francis u. Marder 1991). Danach ist die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Auflösung des Thrombus bei fibrinolytischer Therapie etwa 3-mal größer als bei alleiniger Heparintherapie, das Risiko von Blutungen aber ebenfalls um das 3Fache erhöht, sodass in etwa einem Viertel der Fälle klinisch relevante Blutungen beobachtet werden (Francis u. Marder 1991; Goldhaber et al. 1984).
Tipp Unabhängig von Überlegungen, welche therapeutische Option endgültig genutzt wird, sollte unmittelbar nach Diagnosesicherung eine Therapie mit niedermolekularen Heparinen eingeleitet werden.
Auch in den seltenen Fällen, in denen eine operative Therapie oder eine Thrombolyse zur Anwendung kommt, stellt eine adäquate Antikoagulation das Rückgrat der Therapie dar. Darüber hinaus erfordern diese Therapieoptionen einen oft erheblichen logistischen Vorlauf, während dessen eine Stabilisierung des Thrombus unerlässlich ist. Prinzip der Heparintherapie ist die Verstärkung der Aktivität des zirkulierenden Gerinnungsinhibitors Antithrombin III, der neben Thrombin noch weitere Gerinnungsfaktoren irreversibel inaktiviert. Insofern verhindert die Heparintherapie die Apposition weiteren Fibrins und schafft damit die Voraussetzung für eine von der endogenen Fibrinolyse zu bewirkende Rekanalisation.
19
> Es liegt auf der Hand, dass die Thrombolyse unter Nutzung von Urokinase, Streptokinase oder rekombinantem Tissue-Plasminogenaktivator (t-PA) und auch die Embolektomie eine raschere Beseitigung des Thrombus ermöglichen (Francis u. Marder 1991; Goldhaber et al. 1984). Dieser schnellere Erfolg ist aber nur unter Inkaufnahme von zusätzlichen Risiken möglich.
19.3.1
Thrombolyse
Sowohl die Fibrinolyse als auch die Embolektomie bedienen sich der Heparintherapie, um vor und während sowie nach der Therapie ein erneutes Thrombuswachstum zu verhindern. Sämtliche mit der Heparintherapie vergesellschafteten Nebenwirkungen sind insofern auch für die radikaleren therapeutischen Optionen unvermeidlich. Darüber hinaus ist bei
Außerhalb der Schwangerschaft wird die fibrinolytische Therapie daher diskutiert, wenn bei sehr kurzer diagnostischer Latenz eine vollständige Thrombolyse erreichbar erscheint und zugunsten einer möglichen Verhinderung eines postthrombotischen Syndroms ein erhöhtes Blutungsrisiko toleriert werden kann.
Studienbox Wegen des erhöhten Blutungsrisikos wird von der Mehrzahl der Autoren die Anwendung der verschiedenen fibrinolytischen Verfahren zur Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose in der Schwangerschaft grundsätzlich abgelehnt und auch bei der Behandlung der Embolie allein den vitalen Indikationen vorbehalten (Letzky u. Swiet 1994; THRIFT 1992; Toglia u. Weg 1996).
19.3.2
Thrombektomie
Eine analoge Situation besteht auch für die operativen Verfahren der Thromb- und Embolektomie. Voraussetzung für den Einsatz dieser Verfahren ist eine optimale röntgenologische Darstellung, wobei aber die unstrittigen Kontraindikationen für eine Phlebographie zur Darstellung der ileofemoralen Venen in der Frühschwangerschaft zu berücksichtigen sind. Auch im weiteren Verlauf der Schwangerschaft sind nur wenige Frauen bereit, die Risiken einer Operation in Kauf zu nehmen, zumal die Ergebnisse im Hinblick auf die kurzfristige Morbidität und Mortalität der tiefen Venenthrombose in der Schwangerschaft nicht besser als bei konservativem Vorgehen zu sein scheinen. Auch die erhoffte wesentliche Besserung der Situation mit Blick auf postthrombotische Syndrome konnte bislang noch nicht überzeugend belegt werden (Mogensen et al. 1989). Da aufgrund des i. d. R. temporär erforderlichen arteriovenösen Shunts zur Verhinderung einer Reokklusion zumeist
367 19.3 · Therapie der manifesten Thrombose
2 operative Eingriffe erforderlich sind und darüber hinaus diagnostizierte Thromben nur sehr früh aussichtsreich angegangen werden können, sollte die Thrombektomie zur Behandlung ileofemoraler Thrombosen in der Schwangerschaft nur in Ausnahmefällen angewandt werden. Hierzu sind besonders diejenigen Fälle zu rechnen, in denen ohnehin ein operativer Eingriff (z. B. eine Schnittentbindung) ansteht. Darüber hinaus bestehen nach wie vor vitale Indikationen, in denen die Embolektomie zur Behandlung isolierter Pulmonalvenenverlegungen eingesetzt wird.
19.3.3
. Tab. 19.5. Management thromboembolischer Erkrankungen (inkl. Sekundärprophylaxe)
Stadium
Therapie
Akutbehandlungsphase
5 Stationär 5 5000 IE Heparin i.v. als Bolus, danach initial 400 IE/kg KG/24 h 5 Anpassung der Dosis mit dem Ziel: 5 → aPTT auf das 1,5- bis 2Fache verlängert oder 5 → Anti-Xa-Konzentration von 0,5–1,0 E/ml
Sekundärprophylaxe
5 Mobilisation, auch ambulante Therapie möglich 5 3- bis 4-mal 5000 IE Heparin s.c. oder 5 1-mal niedermolekulares Heparin in Hochrisikodosis 5 Kontrolle: Thrombinzeit normal, Anti-Xa < 0,2 E/ml
Wehenbeginn
5 Heparin s.c. beenden, ggf. auf Heparin i.v. umsetzen (z. B. 150–250 IE/kg KG/24 h)
Post partum (6 Wochen)
5 Heparin (3-mal 5000 IE s.c.) oder niedermolekulares Heparin (1-mal Standarddosis s.c.)
Nach ca. 1 Woche
5 Auf Wunsch: Umstellung auf orale Antikoagulanzien 5 (Beratung stillender Patientinnen erforderlich)
Heparintherapie
Von Ausnahmen abgesehen, wird die thromboembolische Erkrankung in der Schwangerschaft mittels einer hoch dosierten Heparintherapie behandelt. Heparin passiert die Plazenta nicht, eine Blutungsneigung des Fetus ist nicht zu befürchten. Die Grundprinzipien der Heparintherapie entsprechen den Behandlungsvorschriften außerhalb der Schwangerschaft (. Tab. 19.5). Es kommt entweder die Therapie mit unfraktionierten Heparinen infrage, bei der als Zielkriterium eine Verlängerung der aPTT auf das 1,5- bis 2Fache angestrebt wird. Inzwischen wird in der Schwangerschaft die Therapie mit niedermolekularen Heparinen empfohlen, wobei eine Anti-XaAktivität von 0,4–0,8 IE/ml etwa 3 h nach Injektion bei auf 2 Gaben verteilter Tagesdosis und 0,6–1,3 IE/ml ca. 3 h nach Injektion bei einmaliger Gabe der Tagesdosis erreicht werden sollte (Bauersachs et al. 1999). Entscheidet man sich für die Therapie mit niedermolekularen Heparinen, ist aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Präparate ein niedermolekulares Heparin auszuwählen, das zur Therapie der manifesten Thrombose zugelassen ist. Im Handel befinden sich Präparate, für die eine 1-mal tägliche Applikation, sowie andere, bei denen eine 2-mal tägliche Applikation empfohlen wird. Ferner sind die Angaben zur Dosierung gemäß Körpergewicht zu befolgen (die ebenfalls von Präparat zu Präparat variieren), wobei das Gewicht der Schwangeren im 1. Trimenon zugrunde gelegt werden sollte (Fetus und Fruchtwasser gehören nicht zum Verteilungsraum der Heparine). Amerikanische Empfehlungen (Toglia u. Weg 1996), England (Letzky u. Swiet 1994) sowie einer europäischen Konsensusgruppe (THRIFT 1992; Partsch u. Blättler 1996; Winkler u. Schindler 1996) stimmen darin überein, dass der therapeutische Bereich der wirksamen Antikoagulation relativ eng begrenzt ist: 4 Verlängerung der aktivierten Prothrombinzeit auf das 1,5bis 2Fache, 4 Anti-Xa-Spiegel von 0,4–0,7. Eine stärkere Antikoagulation ist mit dem Risiko von Blutungen assoziiert, wie vorwiegend aus Studien in Kollektiven nicht schwangerer Frauen bekannt wurde (THRIFT 1992). Interessanterweise finden sich kaum Hinweise, dass die hoch dosierte Heparintherapie in der Schwangerschaft zu einer mütterlichen Blutungsproblematik oder einem retroplazentaren Hämatom geführt hätte.
Im klinischen Alltag ist aufgrund der Furcht vor Blutungskomplikationen häufig eine Unterdosierung der Heparintherapie zu beobachten. Davor ist zu warnen, da dadurch Denovo-Thromboembolien und bestehende Thromboembolien negativ beeinflusst werden, aber das Risiko von Heparinnebenwirkungen nicht gleichzeitig reduziert werden kann. > In der Literatur wird nachhaltig darauf hingewiesen, dass das Risiko von Rethrombosen bei einem Unterschreiten eines Anti-Xa-Spiegels von 0,4 E/ml sprunghaft ansteigt.
Insofern erklären sich die verschiedenen Algorithmen zur hoch dosierten intravenösen Heparintherapie durch unterschiedliche Auffassungen, wie möglichst schnell und ohne die Gefahr einer Überdosierung eine adäquate Heparinwirkung erreicht werden kann. Tipp Für die Behandlung mit unfraktioniertem Heparin ist eine initiale Bolusgabe von mindestens 5000 IE Heparin i.v. mit einer anschließenden Dauerinfusion zu kombinieren, deren Dosis anhand der aPTT anzupassen ist. Für die Behandlung mit niedermolekularen Heparinen müssen die Herstellerangaben zur Verwendung des gewählten Präparats streng berücksichtigt werden.
6
19
368
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
Eine Immobilisation einschließlich Hochlagerung der betroffenen Extremität kann zur Schmerzlinderung und zum Abschwellen des Beines hilfreich sein, verringert jedoch weder das Risiko einer Embolie noch die Häufigkeit des postthrombotischen Syndroms (Aschwanden et al. 2001). Als schmerzlindernde und abschwellende Maßnahme empfiehlt sich ferner die Kompressionsbehandlung initial mit Kurzzugbinden und nach Abschwellen mit Kompressionsstrümpfen.
Drei Stunden nach Therapiebeginn sollte anhand einer vom anderen Arm gewonnenen Plasmaprobe (nicht aus dem liegenden Zugang entnehmen!) die Effizienz der Antikoagulation an der Verlängerung der aktivierten Prothrombinzeit (aPTT) oder dem Erreichen eines Anti-Xa-Spiegel im therapeutischen Bereich (Letzky u. Swiet 1994; THRIFT 1992) überprüft und eine Dosisanpassung vorgenommen werden. Dabei scheint die Bestimmung von Anti-Xa-Einheiten insofern von Vorteil zu sein, als die Prothrombinzeit aufgrund der Veränderung der extrinsischen Gerinnungsfaktoren einer erheblichen Variation in der Schwangerschaft unterliegt und insofern auch die Relation der aPTT vor und nach Beginn der Therapie nur mit nicht ganz befriedigender Präzision bestimmt werden kann. Die Ergebnisse im Hinblick auf die Reduktion von klinisch relevanten Lungenembolien und besonders die Rückführung der Mortalität sind wie beschrieben exzellent. Allerdings besteht nach Abschluss der Akutbehandlung eine ausgeprägte erworbene Thromboseneigung, die eine intensive Sekundärprävention bis über das Wochenbett hinaus erforderlich macht.
19.4
Prävention
Im Anschluss an die initiale hoch dosierte Heparintherapie besteht ein hohes Rezidivrisiko, das eine Thromboseprophylaxe mit niedrig dosiertem Heparin erforderlich macht (Sekundärprophylaxe). Darüber hinaus wird zunehmend eine primäre Thromboseprophylaxe gefordert, wenn ein deutlich erhöhtes Risiko vor oder am Beginn einer Schwangerschaft bekannt ist.
19.4.1
19
Risikoklassifikation und Indikation zur Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft
Die Einschätzung des individuellen Thromboserisikos und die hieraus resultierende Indikationsstellung zur primären Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft werden durch einen Mangel an prospektiven Studien erschwert. Die im internationalen Schrifttum geringfügig divergierenden Algorithmen basieren auf der Würdigung überwiegend retrospektiver und Kohortenstudien. In . Tab. 19.6 wird das Management nach Greer (2003) vorgestellt.
Unterschiede der Empfehlungen aus dem deutschen und englischen Sprachraum (Heilmann 2002; Greer u. Thompson 2001; Ginsberg et al. 2001) ergeben sich aus der Beurteilung des Rezidivrisikos nach einer nicht durch den Nachweis zusätzlicher Risikofaktoren (Thrombophilie, Familienanamnese, erworbene Risiken) komplizierten und austherapierten Thrombose in der Eigenanamnese. Während die Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseologie in diesen Fällen die primäre Thromboseprophylaxe favorisiert, wird international ein restriktiverer Umgang mit der primären Heparinprophylaxe empfohlen (BrillEdwards et al. 2000). Nach Greer (2003) ist bei Schwangeren, die eine positive Thromboseanamnese, aber keine zusätzlichen thrombogenen Risikofaktoren und thrombogene Gerinnungsdefekte haben, eine Heparinprophylaxe nur im Wochenbett indiziert. Allerdings benötigen Schwangere mit positiver Thromboseanamnese und thrombophilen Gerinnungsdefekten und/oder weiteren Risikofaktoren eine Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen während der Schwangerschaft und im Wochenbett. Schwangere mit mehrfachen Thrombosen in der Anamnese sollten in jedem Fall während der Schwangerschaft antikoaguliert werden. Eine Übersicht verschiedener Risikokonstellationen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Heparintherapie zeigt . Tab. 19.6.
19.4.2
Gezielte Suche nach angeborenen Gerinnungsdefekten
Wie der Risikoklassifikation in . Tab. 19.7 zu entnehmen ist, kommt dem alleinigen Nachweis einer angeborenen thrombophilen Diathese eine geringe prädiktive Wertigkeit zu, sofern anamnestisch keine klinische Manifestation nachzuweisen ist. Als Ausnahme von dieser Regel gelten der AT-III-Mangel, homozygote Faktor-V-Leiden- und Prothrombinmutationen sowie die kombinierte heterozygote Faktor-V-Leiden- und Prothrombinmutation, deren geringe Risiken eine Prophylaxe auch dann rechtfertigen, wenn noch keine Thrombose stattgefunden hat.
Studienbox Andererseits muss die Palette der Erkrankungen, die den Verdacht auf eine Thromboseneigung begründen, erweitert werden. Mehrere Untersuchungen aus jüngster Zeit haben gezeigt, dass bei Patientinnen mit habituellen oder Spätaborten in einem hohen Prozentsatz eine thrombophile Diathese nachgewiesen werden kann (Kupfermine et al. 1999; Martinelli et al. 2000). Als durch interventionelle Studien gesichert gilt die kausale Rolle des Antiphospholipidsyndroms bei bestimmten Fällen von habituellen Aborten, bei denen durch eine immunsuppressive, thrombozytenblockierende und antikoagulatorische Therapie ein ungestörter Schwangerschaftsverlauf erreicht werden konnte (Ginsberg u. Hirsh 1989).
369 19.4 · Prävention
. Tab. 19.6. Management der tiefen Beinvenenthrombose (LMWH »low molecular weight heparin«, VTE venöse Thromboembolie, INR International Normalized Ratio). (Nach Greer 2003)
Klinische Situation
Vorgeschlagenes Management
Vorausgegangene einfache VTE (nicht schwangerschafts- oder medikamenteninduziert), assoziiert mit einem transienten Risikofaktor; ohne zusätzliche aktuelle Risikofaktoren wie z. B. Adipositas
Antenatal: Überwachung oder prophylaktische Gabe von LMWH (z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl.) ± Kompressionsstrümpfe. Antenatale Gabe von LMWH ist mit der Schwangeren zu besprechen
Vorausgegangene einfache idiopathische VTE oder vorausgegangene einfache VTE mit assoziierter Thrombophilie ohne Langzeitantikoagulation oder vorausgegangene einfache VTE mit zusätzlichen Risikofaktoren (v. a. krankhafte Adipositas, nephrotisches Syndrom)
>1 vorausgegangene VTE-Episode, ohne Thrombophilie und ohne Langzeitantikoagulation
Post partum: Antikoagulanzientherapie für mind. 6 Wochen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INR-Wert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe Antenatal: prophylaktische Gabe von LMWH (z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl.) ± Kompressionsstrümpfe. Anmerkung: Es besteht eine Indikation für eine intensivere LMWH-Therapie bei Antithrombinmangel (z. B. Enoxaparin 0,5–1 mg/ kg KG 12-stündlich, oder 50–100 IE/kg KG 12-stündlich) Post partum: Antikoagulanzientherapie für mind. 6 Wochen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INR-Wert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe Antenatal: prophylaktische Gabe von LMWH (z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl.) ± Kompressionsstrümpfe Post partum: Antikoagulanzientherapie für mind. 6 Wochen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INR-Wert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe
Vorangegangene VTE-Episode(n) bei Frauen, die eine Langzeitantikoagulation erhalten (z. B. bei assoziierter Thrombophilie)
Antenatal: Wechsel von oraler Antikoagulations- zur LMWH-Therapie (z. B. Enoxaparin 0,5–1 mg/kg KG 12-stündlich, oder 50–100 IE/kg KG 12-stündlich) bis spätestens in der 6. SSW ± Kompressionsstrümpfe Post partum: Wiederaufnahme der Langzeitantikoagulation mit LMWH-Überlagerung, bis der präkonzeptionelle Wert wieder erreicht ist, ± Kompressionsstrümpfe
Thrombophilie (abnorme Werte im Labor bestätigt) ohne vorangegangene VTEEpisode
Antenatal: Überwachung, evtl. Kompressionsstrümpfe. Die Indikation zur medikamentösen Prophylaxe ist strenger zu stellen bei AT-Mangel als bei anderen Thrombophilien, auch bei symptomatischen Patientinnen ist Prophylaxe stärker indiziert als bei asymptomatischen, erst recht, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen Post partum: Antikoagulanzientherapie für mind. 6 Wochen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INR-Wert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe
Antenatal vorliegende Risikofaktoren für VTE, jedoch keine präkonzeptionelle VTE oder Thrombophilie
Risikoabschätzung für VTE vornehmen. Liegen multiple Risikofaktoren vor (z. B. hoher BMI, Immobilisierung und Präeklampsie) oder ein Hauptrisikofaktor (z. B. krankhafte Adipositas), Thrombophilieprophylaxe mit LMWH erwägen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INR-Wert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe
Im Anschluss an Sectio oder vaginale Entbindung
Risikoabschätzung für VTE vornehmen. Bei Vorliegen von zusätzlichen Risikofaktoren (z. B. Notsectio, Alter >35 Jahre, hoher BMI) Thrombophilieprophylaxe mit LMWH erwägen, z. B. 40 mg Enoxaparin oder 5.000 IE Dalteparin tgl. oder Warfarin (Ziel-INRWert 2–3) mit LMWH-Überlagerung, bis der INR-Wert bei ≥2 liegt, ± Kompressionsstrümpfe. Notwendigkeit von intensiverer Thrombophilieprophylaxe prüfen bei weiterhin vorliegenden Risikofaktoren
19
370
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
. Tab. 19.7. Angeborene Risikofaktoren der Thrombose. (Nach American College of Obstetricians and Gynecologists 2000; Greer 1999)
Risikofaktor
Inzidenz [%]
Risiko in der Schwangerschaft [%]
Bemerkung
Antithrombin-III-Mangel
0,02–0,2
Bis zu 40
Nur bei AT-III-Mangel Typ 1
Protein-C-Mangel
0,2–0,5
Bis zu 10
Nur bei positiver Eigen- oder Familienanamnese
Protein-S-Mangel
0,08
0–6
Nur bei positiver Eigen- oder Familienanamnese
Faktor-V-Leiden-Mutation
5–11
10–14
Erhöhtes Risiko wenn zusätzlich Prothrombinmutation vorliegt
Prothrombinmutation
2–4
?
Erhöht das Faktor-V-Leiden-Mutationsrisiko
Hyperhomozysteinämie
1–11
?
Folsäuresubstitution reduziert Homozysteinspiegel
Insofern erscheint bei anamnestischen Hinweisen auf diese Schwangerschaftskomplikationen und bei Status nach durchgemachter Thrombose oder Embolie eine gezielte Suche nach angeborenen thrombogenen Gerinnungsstörungen angezeigt. Bei Vorliegen einer Thrombophilie und im Zustand nach einer tiefen Beinvenenthrombose sollte mit niedermolekularen Heparinen behandelt werden. . Tab. 19.8 zeigt die relative Risikoerhöhung einer erneuten VTE in der Schwangerschaft und die Dosierungsintensität einer präventiven Heparintherapie.
. Tab. 19.8. Relative Risikoerhöhung (RR ↑) einer erneuten VTE (Zustand nach VTE) während der Schwangerschaft und die Dosierungsintensität einer präventiven Heparintherapie. (Nach et al. Stein 2008; Duhl et al. 2007)
19
Thrombophilie
RR ↑
Dosierungsintensität
Faktor-V-Leiden-Mutation (FVL) homozygot
49–80
Therapeutisch
Faktor-V-Leiden-Mutation heterozygot
3–9
Niedrig
Prothrombin-G20210AMutation homozygot
16
Therapeutisch
Prothrombin-G20210AMutation heterozygot
2–9
Niedrig
Kombinierte heterozygote FVL- und Prothrombinmutation
150
Therapeutisch
Antithrombinmangel
25–50
Therapeutisch
Protein-C-Mangel
3–15
Niedrig
Protein-S-Mangel
2
Niedrig
Antiphospholipidantikörper
5,3
Therapeutisch
Hyperhomozysteinämie
2,5–4
Niedrig
19.4.3
Therapeutische Optionen
Kumarine Außerhalb der Schwangerschaft wird zur Sekundärprävention fast ausnahmslos die orale Antikoagulation eingesetzt. Die orale Antikoagulation muss in der Schwangerschaft streng indiziert werden. Insbesondere bei Patientinnen mit künstlichen Herzklappen kann eine Kumarintherapie nach interdisziplinärer Güterabwägung angezeigt sein. Bei einer »unbeabsichtigt« durchgeführten Kumarintherapie im 1. Trimenon ist inzwischen ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr obligat. Allerdings kann ein embryotoxisches Restrisiko in 5% der Fälle bei einer Exposition zwischen der 6. und 9. SSW unter einer – wahrscheinlich dosisabhängigen – oralen Antikoagulation nicht vollständig ausgeschlossen werden (Bates u. Ginsberg 1997). Frauen mit einer oralen Antikoagulation sollten in jedem Fall eine sonographische Fehlbildungsdiagnostik in spezialisierten Zentren erhalten. Orale Antikoagulanzien wie Acenocoumarol oder Phenprocoumon passieren die Plazentaschranke (Horstkotte et al. 2003), und insofern sind neben teratogenen Effekten fetale Mikroblutungen sowie die mütterliche und fetale Blutungsneigung zu berücksichtigen (Ginsberg et al. 2001). ! Aufgrund der Gefahr teratogener Defekte besteht für das 1. Trimenon, besonders in der Phase zwischen dem 18. und 55. Tag post conceptionem, eine strenge Indikationsstellung gegen die Verwendung von Kumarinen (Stevenson et al. 1989). Studienbox Die Bedeutung möglicher Fetopathien, insbesondere zerebraler Einblutungen, sowie das Risiko zerebraler und retroplazentarer Blutungen unter der Geburt werden allerdings von kardiologischer Seite kontrovers beurteilt. Während aus geburtshilflicher Sicht diese Risiken eine relative Kontraindikation von Kumarinen während der Schwangerschaft begründen (Evans et al. 1997), wird von kardiologischer Seite für die Hochrisikogruppe der
6
371 19.4 · Prävention
Niedermolekulare Heparine Herzklappenpatientinnen eine abweichende Position vertreten. Insbesondere bei Trägerinnen mechanischer Herzklappen wird das Risiko einer Klappenthrombose so hoch eingestuft, dass zumindest im 2. und 3. Trimenon eine Empfehlung zugunsten der oralen Antikoagulation ausgesprochen wurde (Oakley 1995). Dieser Empfehlung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Sekundärprävention mit Heparinen eine geringere Wirksamkeit im Hinblick auf die Verhinderung von Klappenthrombosen und Embolien aufweist. Zum anderen zeigen retrospektive Studien und Befragungen von Herzchirurgen zu dieser Problematik, dass eine große Zahl der so behandelten Schwangerschaften von Herzklappenpatientinnen unkompliziert verlaufen kann (Iturbe-Alessio et al. 1986; Sbarouni u. Oakley 1994; Chan 2000). LeCuru et al. (1996) berichteten über 54 Schwangerschaften von Herzklappenträgerinnen, von denen die eine Hälfte während der gesamten Schwangerschaft, die andere Hälfte ab dem 2. Trimenon eine orale Antikoagulation erhielten. In der letzteren Gruppe wurde eine Lowdose-Heparinprophylaxe im 1. Trimenon durchgeführt. Alle Patientinnen wurden spätestens ab der 36. SSW stationär aufgenommen, auf Heparin umgestellt und einer Geburtseinleitung unterzogen. In einem Fall aus der 2. Gruppe kam es zu einer Klappenthrombose wenige Wochen nach Umsetzen auf Heparin. Es wurde von einer Kumarinembryopathie, einem intrauterinen Fruchttod infolge eines retroplazentaren Hämatoms im 2. Trimenon und von Blutungsproblemen unter der Geburt (16%) berichtet. Fetale Blutungen wurden nicht beobachtet.
> Angesichts des Dilemmas, zwischen unterschiedlichen aber gleichermaßen schwerwiegenden Risiken wählen zu müssen, eignet sich dieses Thema nicht für eine grundsätzliche Empfehlung. Vielmehr muss in jedem Einzelfall unter Würdigung der individuellen Risikokonstellation und in Absprache zwischen Geburtshelfer und Kardiologen entschieden werden.
Heparinprophylaxe Zahlreiche Studien, umfangreiche klinische Erfahrungen und erste Zulassungen zur Behandlung während der Schwangerschaft mit niedermolekularen Heparinen machen mittlerweile Warnhinweise auf unzureichende Erfahrung in der Schwangerschaft entbehrlich.
Unfraktionierte Heparine Der Einsatz unfraktionierter Heparine zur Thromboseprophylaxe erfolgt in Deutschland überwiegend in Analogie zur postoperativen Thromboseprophylaxe (3-mal 5000 IE Heparin s.c./Tag). Englische Autoren empfehlen jedoch höhere Dosen (2-mal 10.000 IE Heparin s.c./Tag).
Studienbox Niedermolekulare Heparine überschreiten die Plazentaschranke nicht (Harenberg et al. 1987) und sind hinsichtlich der Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft gegenüber dem unfraktionierten Heparin mindestens gleichwertig wirksam (Hirsh u. Fuster 1994; Ginsberg et al. 2001). In der klinischen Anwendung und dem Nebenwirkungsprofil sind sie dem unfraktionierten Heparin überlegen (Hering u. Horstkotte 2003; Steinhard et al. 2002).
Die antikoagulatorische Wirkung niedermolekularer Heparine ist aufgrund unterschiedlicher Herstellungsverfahren von Präparat zu Präparat sehr unterschiedlich. Dosierungsempfehlungen wurden empirisch gewonnen, wobei für Enoxaparin, Dalteparin und Nadroparin die größten Erfahrungen beim Einsatz in der Schwangerschaft vorliegen. Derzeit wird im mittleren Risikobereich eine Dosierung wie bei der postoperativen Thromboseprophylaxe und im hohen Risikobereich eine therapeutische Dosierung empfohlen: > Wesentliche Vorteile der niedermolekularen Heparine sind die längere Halbwertszeit, die i. d. R. nur eine, maximal 2 Injektionen am Tag erforderlich macht, sowie die offenbar niedrigere Rate an Komplikationen.
Risiken der Heparinprophylaxe in der Schwangerschaft Zu den möglichen Risiken einer Heparinprophylaxe zählen die Blutung, die Osteoporose und die heparininduzierte Thrombopenie (HIT; Ginsberg et al. 2001; Heilmann 2002). Bei richtigen Indikationsstellung scheinen jedoch die Vorteile einer Heparinprophylaxe bei insgesamt geringer Risikosituation zu überwiegen (Bauersachs et al. 2007). In der bisher größten klinschen Studie zur Anwendung von Dalteparin (Fragmin, EthIG-Studie) konnte ein erhöhtes Risiko für eine heparininduzierte Thrombzytopenie und eine heparininduzierte Osteoporose (1 Fall bei 810 behandelten Schwangeren) nicht nachgewiesen werden (Bauersachs et al. 2007). Blutungen. Das Blutungsrisiko hängt zum einen von der Dosis der Heparinprophylaxe und zum anderen vom Intervall zwischen der letzten Gabe und Traumata wie Operation oder Geburt ab. Vaginale Blutungen wurden bei 1–5% der publizierten Fälle, die mit niedermolekularen Heparinen in der Schwangerschaft behandelt wurden, berichtet (Heilmann 2002). In der EthIG-Studie wurden bei 810 mit Dalteparin behandelten Schwangeren in 2,7% klinisch relevante Blutungen beobachtet (in 7 Fällen präpartal, in 17 Fällen perioder postpartal). In 9 Fällen (1,1%) wurde ein Zusammenhang mit der Heparintherapie vermutet (Bauersachs et al. 2007). Für unfraktionierte Heparine werden vergleichbare Blutungsraten angegeben (Ginsberg et al. 2001). Um verstärkte peripartale Blutungen zu vermeiden, wird ein Absetzen der Heparinprophylaxe vor der Geburtseinlei-
19
372
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
tung oder bei Wehenbeginn gefordert. Die Empfehlungen hinsichtlich des erforderlichen Intervalls sind uneinheitlich und reichen von 24 h (Ginsberg et al. 2001) bis 12 h (Heilmann 2002) bei mittlerem Thromboserisiko. Bei Patientinnen mit einer Low-dose-Thromboembolieprophylaxe sollte ein Mindestabstand von 4 h zwischen der letzten Heparingabe zur epiduralen Punktion bzw. zur Katheterentfernung eingehalten werden. Die Anlage einer Peridural- bzw. Spinalanästhesie unter einer intravenösen Heparinisierung in therapeutischen Dosen ist kontraindiziert. Nach Absetzen der intravenösen Therapie muss in diesen Fällen ein Mindestabstand zur epiduralen Punktion von 4 h eingehalten werden. Nach einer rückenmarknahen Anästhesie oder der Katheterentfernung kann nach frühestens 1 h unfraktioniertes Heparin erneut appliziert werden. Bei Schwangeren, die mit niedermolekularen Heparinen behandelt werden, muss ein Mindestabstand zur rückenmarknahen Analgesie bzw. zur Katheterentfernung von 24 h eingehalten werden. Besondere Aufmerksamkeit ist bei Frauen mit Nierenfunktionsstörungen (Cave: Präeklampsie/HELLP-Syndrom) geboten, da es in diesen Fällen zu einer verzögerten renalen Elimination des Heparins kommen kann (Übersicht bei Hering Ret al. 2005). Besondere Vorsicht ist bei Frauen mit HELLP-Syndrom angeraten. Eine Heparinprophylaxe bzw. -therapie ist bei einer Thrombozytopenie von <100.000/l kontraindiziert. Darüber hinaus ist vor einer Heparintherapie bei dem seltenen simultanen Auftreten einer disseminierten intravasalen Gerinnung und einem HELLP-Syndrom aufgrund der hohen Blutungsgefahr unbedingt abzuraten (Heilmann et al. 1998; Rath 1999; Schwerk et al. 1996). Vier Stunden nach der Entbindung sollte, sofern keine persistierende Blutung besteht, die Heparinprophylaxe in der präpartalen Dosierung fortgesetzt werden. Osteoporose. Bei mehrwöchiger Heparintherapie mit unfraktioniertem Heparin ist mit einem signifikanten Verlust der Knochendichte in bis zu 30% (Barbour et al. 1994) und Frakturen der Wirbelkörper in bis zu 3% der Fälle zu rechnen (THRIFT 1992; Dahlman TC (1993). Das Risiko niedermolekularer Heparine wird als wesentlich niedriger eingestuft (Ginsberg et al. 2001; Bauersachs et al. 2007). Als Konsequenz dieser Erkenntnisse kann insbesondere bei Patientinnen mit familienanamnestischer Belastung oder klinischer Prädisposition eine postpartale Osteoporosediagnostik indiziert sein. Bekanntlich erhöht der Kalziumverbrauch in der Stillzeit das Risiko weiter, sodass eine entsprechende Kalziumsubstitution ratsam ist.
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Heparininduzierte Thrombopenie (HIT). Bei der HIT han-
delt es sich um einen IgG-mediierten immunologischen Thrombozytenverbrauch, der auf einer Gerinnungsaktivierung beruht und mit einem hohen Thromboserisiko einhergeht (Greinacher et al. 1993). Unterschieden wird ein prognostisch günstiger Typ I der HIT, der bereits in den ersten Tagen einer Heparintherapie zu einer geringfügigen Senkung der Thrombozytenzahlen führt. Typ I der HIT bedarf nur der engmaschigen Kontrolle, die Thrombozytenzahlen normalisieren sich trotz weiterlaufender Therapie innerhalb weniger Tage.
Die Typ-II-HIT geht mit einer Senkung der Thrombozytenzahlen um mehr als die Hälfte oder auf weniger als 100000/ml einher. Sie tritt in den ersten 3 Wochen einer Heparintherapie auf, sodass in dieser Phase der Therapie regelmäßige Thrombozytenkontrollen erforderlich sind (2-mal pro Woche). Die Schwangerschaft per se erhöht nicht das Risiko einer HIT. Somit haben mit niedermolekularem Heparin behandelte Schwangere und nicht schwangere Frauen ein gleich großes – sehr geringes – Risiko für eine HIT. Die umfangreichsten Erfahrungen in der Schwangerschaft liegen für Dalteparin vor. Die Behandlung mit Dalteparin führt in der Schwangerschaft nicht zu einer Erhöhung des HIT-Risikos (keine HIT bei 810 schwangeren Studienpatientinnen; Bauersachs et al. 2007).
Studienbox Erfahrungen in der postoperativen Heparinprophylaxe nach Hüftgelenkoperationen lassen vermuten, dass das Risiko einer HIT Typ II durch die Verwendung von niedermolekularen Heparinen deutlich gesenkt werden kann (Warkentin et al. 1995).
19.5
Schlussfolgerungen
Der hohe Anteil, den thromboembolische Komplikationen an der Mortalität in Schwangerschaft und Wochenbett haben, sowie die unverändert bei mehr als 50% liegende Quote von Spätschäden im Sinn des postthrombotischen Syndroms rechtfertigen die intensiven Bemühungen, von einer Thrombose bedrohte Schwangere rechtzeitig zu erkennen und prophylaktisch zu behandeln. Mit den niedermolekularen Heparinen hat sich für diese Indikation eine Therapieoption durchgesetzt, die bei hoher Effektivität ein gegenüber dem unfraktionierten Heparin günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweist. Damit haben sich für viele betroffene Frauen erstmals Möglichkeiten eröffnet, trotz erheblicher thromboembolischer Risiken eine Schwangerschaft auszutragen. Diese Option verpflichtet jedoch die behandelnden Kollegen, das betroffene Elternpaar umfassend über die Grenzen und Risiken der antikoagulatorischen Behandlung aufzuklären. In den letzten Jahren ist es gelungen, die Aufmerksamkeit sowohl für die thrombophile Gefährdung einer Schwangeren als auch für die Diagnose einer Thrombose in der Schwangerschaft zu verbessern. Für letzteres Problem stehen mit der Ultraschalldiagnostik und dem MRT nichtinvasive Methoden zu Verfügung, die die »Schwelle« zur diagnostischen Klärung von Verdachtsfällen deutlich gesenkt haben. Hinsichtlich der Erkennung einer thrombophilen Diathese ist das Spektrum anamnestischer Angaben, die eine Abklärung rechtfertigen, um die habituellen Aborte, die Spätaborte und die hypertensiven Schwangerschaftskomplikationen erweitert worden. Thrombophilie und assoziierte Schwangerschaftskomplika tionen. Seit einigen Jahren konzentriert sich das wissen-
schaftliche und klinische Interesse auf die Frage, ob die ange-
373 19.5 · Schlussfolgerungen
. Abb. 19.1. Relatives Risiko für Aborte im 1. und 2. Trimenon bei assoziierten Thrombophilien. A=MTHFR T/T-Genotyp, B=Faktor-VLeiden-Mutation (heterozygot), C=Prothrombin, D=Faktor-V-LeidenMutation (homozygot), E= Antikardiolipinantikörper, F= Lupusantikoagulans; G=APC-Resistenz, H=Hyperhomozysteinämie (Protein-S-, Protein-C- und Antithrombinmangel aufgrund der kleinen Fallzahl in der Literatur nicht dargestellt. (Nach Schleussner 2006; Robertson et al. 2006)
borene oder erworbene Thrombophilie mit einer erhöhten Rate von Schwangerschaftskomplikationen einhergeht. Hierfür wurden v. a. Schwangere mit Plazentainsuffizienzen, fetalen Wachstumsrestriktionen, intrauterinem Fruchttod, Präeklampsien mit und ohne HELLP-Syndrom und Frauen mit einer habituellen Abortneigung untersucht. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen thrombophiler Disposition und einer Schwangerschaftskomplikation konnte für die Abortneigung klar nachgewiesen werden (. Abb. 19.1). Die Erkenntnisse bei den anderen Schwangerschaftskomplikationen sind teilweise noch heterogen. Für die vorzeitige Plazentalösung lässt sich ein Zusammenhang für Frauen mit einer herterozygoten Prothrombinmutation und einer heterozygoten Faktor-V-Leiden-Mutation nachweisen (Alfirevic et al. 2002; Robertson et al. 2006). Diese beiden hereditären Thrombophilien gehen auch mit einer (nicht signifikanten) Erhöhung der intrauterinen Wachstumsrestriktion um den Faktor 2–3 einher (Schleussner 2006). Thrombophilie und habituelle Abortneigung. Aktuell konnte der Zusammenhang zwischen einer erworbenen und angeborenen thrombophilen Disposition und einer Abortneigung gut gezeigt werden (Carp et al. 2003; Gris et al. 2004). Thrombophile Veränderungen lassen sich bei über 50% der Frauen mit rezidivierenden Aborten, aber nur in etwa 20% bei Frauen mit unauffälligen Schwangerschaften nachweisen (Kujovich 2004). Der pathophysiologische Hintergrund hierfür ist aber noch nicht geklärt. Möglicherweise führt der prokoagulatorische Einfluss der Thrombophilie zu einer uteroplazentaren Zirkulationsstörung und entweder gleichzeitig oder sekundär zu einer gestörten Plazentation und damit zu einer direkten Erhöhung des Abortrisikos. In einer unfangreichen Metaanalyse konnte für die Faktor-V-Leiden-Mutation (FVL), die Prothrombinmutation (G20210A) und den Protein-S-Mangel ein erhöhtes Abortrisiko nachgewiesen werden. Für den Protein-C- und
Antithrombinmangel sowie die MTHFR-Mutation konnte dieser Zusammenhang dagegen nicht gezeigt werden (Rey et al. 2003; Pauer et al. 2003). Die Prävalenz der Faktor-VLeiden-Mutation korreliert mit dem Gestationsalter der Aborte. Je später ein Abort auftrat, desto höher ist das Risiko einer hereditären FVL-Mutation. Darüber hinaus können auch immunologische Ursachen das Abortrisiko beeinflussen. Beim Nachweis von Antiphospholipidantikörpern (v. a. Antikardiolipinantikörper) muss mit einer gesteigerten Abortfrequenz gerechnet werden (Galli u. Barbui 2003). Bei Frauen mit habitueller Abortneigung sollte daher – neben den üblichen Diagnosemethoden – ein Screening für erworbene oder angeborene Thrombophilierisikofaktoren und ein Antiphopholipidantikörpersyndrom durchgeführt werden. Dadurch kann einerseits das individuelle Thrombophilie-/Embolierisiko der Patientin abgeschätzt werden. Beim Nachweis einer thrombophilen Prädisposition können dadurch bei additiven Risikokonstellationen (z. B. Immobilisation) eher präventive Therapiestrategien (Mobilisierung, Heparinisierung) durchgeführt werden. Andererseits ermöglicht der Nachweis einer hereditären Thrombophiliekonstellation die präventive Behandlung mit niedermolekularen Heparinen, deren Wirksamkeit bei der Verhütung habitueller Aborte seit kurzem belegt ist. Unter einer Heparintherapie mittels Enoxaparin konnten Carp et al. (2003) eine deutliche Reduktion von Aborten bei Frauen mit Abortneigung und assoziierter FVL-Mutation und Protein-S-Mangel, aber überraschenderweise auch bei MTHFRMutation, Protein-C- und Antithrombinmangel nachweisen. Der präventive Effekt gegenüber einer nicht behandelten Kontrollgruppe fiel besonders deutlich bei Frauen mit FVLund MTHFR-Mutation auf. Dieser präventive Effekt des niedermolekularen Heparins zeigte sich bei Frauen mit 5–11 vorausgegangenen Aborten mit einem Abfall der Abortfrequenz von 61,6 auf 18,2% gegenüber einem Abfall von 75,0 auf 51,4% bei Frauen mit 3–4 Aborten in der Anamnese besonders deutlich (Carp et al. 2003). Eine Erhöhung der Rate erfolgreich ausgetragener Schwangerschaften nach einer Therapie mit niedermolekularem Heparin bei Frauen mit einem konstitutionellen Thrombophilierisiko konnte auch von Gris et al. (2004) gezeigt werden. Unter einer Enoxaparin-Therapie erhöhte sich bei diesen Frauen die Rate der erfolgreichen Schwangerschaften von 29 auf 69%. Bei nachgewiesenen Antiphospholipidantikörpern und einer habituellen Abortneigung oder einer Präeklampsie in der Anamnese wird in einem amerikanischen Report eine prophylaktische kombinierte Aspirin-Heparin-Therapie empfohlen (Bates et al. 2004). Somit scheinen niedermolekulare Heparine eine wirksame Therapiestrategie zur Reduktion habitueller Aborte bei Schwangeren mit thrombophiler Risikokonstellation zu sein. Inzwischen sind einige gynäkologische Abteilungen dazu übergangen, Frauen mit habitueller Abortneigung auch ohne thrombophile Gerinnungsdefekte präventiv mit Heparin zu behandeln. Auch dieses Vorgehen erscheint nach ersten Berichten vielversprechend, ist aber aufgrund fehlender Studienergebnisse noch als experimentell bzw. als sog. »Heilver-
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374
Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
such« zu werten. Aus diesem Grund läuft in Deutschland bis 2010/11 eine prospektive randomisierte kontrollierte Multicenterstudie (EthIG-II-Studie), in der die Wirksamkeit von Dalteparin (5000 IE) bei der Behandlung von Schwangeren mit wiederholten Fehlgeburten (≥2 Aborte) unabhängig vom Thrombophiliestatus untersucht wird (Schleussner 2006). Präeklampsie/HELLP-Syndrom. Seit einigen Jahren wird dis-
19
kutiert, ob es einen Zusammenhang zwischen einer hereditären, thrombophilen Konstitution und der Präeklampsieinzidenz gibt. Für die Forschung waren dabei die Faktor-VLeiden-Mutation und der Prothrombinmangel von besonderem Interesse. Verschiedene Metaanalysen und Einzelstudien zeigen bislang aber sehr heterogene Ergebnisse (Alfirevic et al. 2002; Morrison et al. 2002; Schlembach et al. 2003). Für die milde und mäßig ausgeprägte Präeklampsie ist kein Zusammenhang nachgewiesen. Schwere Präeklampsien könnten allerdings mit einem erhöhten thrombophilen Risikoprofil einhergehen. Auch in der aktuellen deutschen Leitlinie zur Behandlung hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen wird die Thrombophilie als Risikofaktor für eine Präeklampsie aufgeführt (AWMF-Leitlinien-Register, Nr. 015/0128; Fischer et al. 2008). Das relative Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie aufgrund einer thrombophilen Konstellation kann aber bei der unklaren Datenlage nicht abschließend angegeben werden. Darüber hinaus ist unklar, welche präventiven Therapien zur Senkung einer »möglichen« erhöhten Präeklampsieinzidenz bei hereditärer Thrombophilie wirken könnten. Denkbar ist dies für niedermolekulare Heparine. Bislang war der präventive Einsatz von niedermolekularen Heparinen für die Präeklampsieprävention ungenügend untersucht (Kupfermine et al. 2001). Die britische Arbeitsgruppe von Alfirevic et al. (2002) vermutet, dass Frauen mit pathologischem Schwangerschaftsverlauf (Präeklampsie, intrauterine Wachstumsrestriktion, intrauteriner Fruchttod, vorzeitige Plazentalösung) wahrscheinlich häufiger an Thrombophilien leiden. Alfirevic et al. (2002) empfehlen solange kein Thrombophiliescreening als Routineverfahren, bis nachgewiesen ist, dass die medikamentöse Thrombophilieprophylaxe während einer Schwangerschaft das perinatale Outcome verbessert. Eine amerikanische Arbeitsgruppe geht in ihrer Empfehlung weiter (National High Blood Pressure Education Program Working Group on High Blood Pressure in Pregnancy 2000). Danach wird ein Thrombophiliescreening bei Patientinnen nach schweren Präeklampsien angeraten, nicht um weitere Schwangerschaften präventiv schützen zu können, sondern um das individuelle Thromboserisiko im Allgemeinen abschätzen zu können. Aktuell zeigt eine randomisierte kontrollierte Pilotstudie (Rey et al. 2009) erstmals, dass niedermolekulare Heparine die Inzidenz einer Präeklampsie im Risikokollektiv signifikant auch dann reduzieren können, wenn nicht simultan eine Thrombophilie vorliegt. In dieser kanadischen Studie wurden 114 Risikoschwangere randomisiert und schließlich 57 Frauen gewichtsadaptiert mit Dalteparin (Fragmin) bis zur 36. SSW behandelt. In der unbehandelten Gruppe traten in
8 Fällen (14,5%) erneut Präeklampsien auf, bei den mit Dalteparin behandelten Schwangeren dagegen nur in 1 Fall (1,8%). Diese ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Allerdings müssen für eine mögliche Therapieempfehlung weitere und umfangreichere Untersuchungen vorliegen, die die Ergebnisse der kanadischen Pilotstudie bestätigen. > Es ist festzuhalten, dass es solange keine wirksame kausale Prävention der Präeklampsie geben wird, solange die pathophysiologischen Mechanismen dieser bedeutsamen Krankheit nicht geklärt sind. Bislang liegen nur gesicherte Ergebnisse für die präventive Wirkung von Azetylsalizylsäure (ASS) in Risikokollektiven vor.
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Kapitel 19 · Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und Wochenbett
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19
20 20 Infektionen in der Geburtshilfe I. Mylonas, K. Friese 20.1
Grundlagen – 380
20.1.1 20.1.2
Einleitung – 380 Transmissionsformen – 380
20.2
Virale Infektionen – 382
20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.2.5
Herpes, Zytomegalie und Varizellen – 382 Röteln – 392 Parvovirus B19 – 397 Hepatitisinfektion – 400 HIV-Infektion und »Acquired Immune Deficiency Syndrome« (Aids) – 404
20.3
Bakterielle Infektionen und Protozoen – 412
20.3.1 20.3.2 20.3.3 20.3.4 20.3.5
Syphilis – 412 Lyme-Borreliose – 417 Chlamydia trachomatis – 419 Streptokokkeninfektionen der Gruppen A und B – 421 Toxoplasmose – 425
Literatur – 430
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
380
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
20.1
Grundlagen
20.1.1
Einleitung
Infektionen während der Schwangerschaft sind besonders gefürchtet, da nicht nur die Mutter, sondern auch das Kind gefährdet ist. Infektionsbedingte Komplikationen für das Kind beinhalten u. a. 4 eine direkte fetale Schädigung (Embryopathie, Fetopathie), 4 eine indirekte fetale Schädigung (Frühgeburt, Spontanabort) sowie 4 eine intrapartale Infektion des Kindes mit späteren gesundheitlichen Folgen (Petersen 1997; Friese et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a). Eine Infektion der Mutter birgt ebenfalls Risiken wie u. a. eine Exazerbation der Infektion, eine Reaktivierung latenter mütterlicher Infektion sowie aszendierende Infektionen (Petersen 1997; Friese et al. 2002). Eine frühe Erkennung einer Infektion in der Schwangerschaft ist unabdingbar, um mögliche Schäden für die Mutter und das Kind frühzeitig zu behandeln. Dementsprechend stellt die maternale und präpartale Diagnose den wichtigsten Schritt einer weiterführenden Therapie dar. Die Schwangerenvorsorge hat einen hohen Stellenwert in der Prävention und Früherkennung unterschiedlicher Erkrankungen. Während der Schwangerschaft sind 5 infektiologische Untersuchungen gesetzlich festgelgt: Röteln, Lues, Chlamydia trachomatis, HIV und Hepatits B (. Abb. 20.1). Alle weiteren infektiologischen Untersuchung (z. B. Toxoplasmose, CMV, β-Streptokokken) werden nicht routinemäßig in den Schwangerschaftsvorsorge gesetzlich festgelegt, sind aber
eine sehr sinnvolle Diagnostik, die in den Leitlinien weltweit Berücksichtigung finden. Bei klinischem bzw. sonographischem Verdacht auf eine Infektion während der Schwangerschaft oder einer fetalen Schädigung ist die sog. »TORCH-Serologie« obligater Bestandteil der Diagnostik (Friese et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a).
TORCH-Serologie 4 T = Toxoplasmose 4 O = Others (Hepatitis, HIV, Lues, Parvovirus, Borreliose, Listeriose etc.) 4 R = Röteln 4 C = Zytomegalie 4 H = Herpes simplex
20.1.2
Transmissionsformen
Mikroorganismen können über eine Reihe von unterschiedlichen Übertragungswegen (. Abb. 20.2) Zugang zum Amnion und dem Fetus erlangen (Goncalves et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a): 4 Aszension von der Scheide und dem Gebärmutterhals, 4 hämatogene Dissemination durch die Plazenta (transplazentare Infektion), 4 retrograde Ausbreitung über den abdominellen Raum durch die Salpingen, 4 unbeabsichtigte Keimeinführung während pränataler invasiver Maßnahmen (z. B. Amniozentese).
20
. Abb. 20.1. Vorschlag zum zeitlichen Ablauf der infektiologischen Diagnostik nach den Mutterschaftsrichtlinien
381 20.1 · Grundlagen
Übertragung von Infektionen durch kontaminierte Blutprodukte ist in den Industrienationen mittlerweile selten geworden.
Vertikale Transmission
. Abb. 20.2. Unterschiedliche Übertragungswege
Horizontale Transmission Generell steigt das Risiko für genital übertragbare Infektionen (»sexual transmitted diseases«; STD) mit der Anzahl der Sexualpartner pro Zeitraum, jungem Alter bei Kohabitation, Bisexualität, Drogenabusus, risikoreichen Sexualpraktiken, Kontakt zu Risikogruppen, schlechten sozialen Verhältnissen, fehlender ärztlicher Betreuung und einer eventuellen Immunschwäche (Friese et al. 2002; Goncalves et al. 2002). Eine weitere Form der Ausbreitung ist die sog. Nischenkolonisation, die neben der dermalen, oralen und gastrointestinalen Kolonisation auch die vaginale Erregerausbreitung betrifft. Die
Insgesamt 1–1,5% der Neugeborenen könnten von einer vertikal erworbenen Infektion betroffen sein (Friese et al. 2002). Die vertikale Transmission kann in präpartale, peripartale und postpartale Transmission unterteilt werden. Die meisten Infektionen sind primär durch Übertragung bakterieller Erreger unter der Geburt möglich. Einige Erreger besitzen die Fähigkeit, über die Plazentaschranke oder die fetalen Membranen Zugang zum Fetus zu bekommen, und können so bei einer fetalen Infektion Früh- und Spätaborte oder Frühgeburten verursachen (. Tab. 20.1). Postpartale Infektionen durch Stillen können als besondere Form der horizontalen Übertragung angesehen werden. Grundsätzlich ist das Neugeborene durch mütterliche IgGLeihtiter für 12–15 Monate postpartal gegen Neuinfektionen vom akuten Typ geschützt, sofern die Mutter in der Schwangerschaft durch eine frühere Infektion oder Impfung einen ausreichenden Schutz besitzt. Dieser »Nestschutz« wird ebenfalls durch das Stillen erhalten. Die mütterliche Leihimmunität mildert nur die Symptomatik, ohne die Infektion zu verhindern. Bei vielen latenten und v. a. persistierenden Infektionen, die das mütterliche Immunsystem unterlaufen haben, besteht dieser Schutz nicht mehr (Friese et al. 2002).
. Tab. 20.1. Zusammenhang zwischen Erregern und Infektionen der Plazenta, Aborten, Frühgeburten und fetalen Infektionen in der Schwangerschaft. (Nach Friese et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a)
Erreger mit kongenitaler Infektion
Plazentare Infektion
Aborte oder Frühgeburt
Präpartale Infektion des Fetus
Präpartale Infektion mit fetalen Symptomen
CMV
+++
+++
+++
+++
HBV
–
+
+
–
HCV
–
–
+
–
HIV
?
+
+++
–
HSV
?
+
+
?
Listeriose
+++
+++
+++
+++
Lues
+++
+++
+++
+++
Masern
?
+
+
?
Mumps
?
–
+
–
Parvovirus B19
+++
++
+++
+++
Röteln
+++
–
+++
+++
Toxoplasmose
+++
+++
+++
+++
VZV
?
++
+++
+++
(? = fraglich, – = kein Zusammenhang, + bis +++ = schwacher bis sehr starker Zusammenhang.)
20
382
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
20.2
Virale Infektionen
20.2.1
Herpes, Zytomegalie und Varizellen
Die Herpesviren werden aufgrund ihres Zelltropismus und ihrer Vermehrungseigenschaften in 3 unterschiedliche Herpes-Unterfamilien unterteilt, den α-, β- und γ-Herpesviriniae. Die Herpesviren gleichen sich in der Morphologie, der Genomstruktur und deren Replikationszyklus (Mylonas u. Friese 2004a). Ein charakteristisches Merkmal dieser Viren ist außerdem deren lebenslange Persistenz im Organismus nach abgelaufener Erstinfektion. Durch meist unbekannte Einflüsse kann eine Reaktivierung des Virus mit oder ohne Krankheitssymptomatik erfolgen. Von besonderer Bedeutung für die Schwangerschaft und dem Fetus sind die HSV-1, HSV-2, CMV und VZV.
Herpes genitalis
20
Weltweit haben in den letzten Jahren Infektionen mit Herpes genitalis zugenommen, die überwiegend durch das Herpesvirus Typ 2 (HSV-2), vermehrt auch durch Typ 1 (HSV-1) hervorgerufen werden. Die Viren sind sexuell übertragbar. Bei 75% der Patientinnen verläuft die Infektion untypisch, sodass keine exakte Diagnose gestellt werden kann. Fast 90% der Mütter von Kindern mit neonatalem Herpes sind zum Geburtszeitpunkt symptomlos. Die Herpesviren rufen zunächst erythematöse Papeln, im weiteren Verlauf feuchte und schmerzhafte Ulzerationen hervor. Bakterielle Superinfektionen sind selten möglich. Die primäre HSV-2-Infektion kann zu Aborten und Frühgeburten führen. Eine frühere HSV-1-Infektion hat einen gewissen protektiven Effekt. Die intrauterine Infektion durch transplazentare Transmission ist ein seltenes Ereignis. Hauptweg der neonatalen Infektion ist der direkte peripartale Kontakt mit infiziertem maternalem Genitalsekret. Bei einer neonatalen Infektionsrate von 40–50% beträgt die Mortalität 40 und die Morbidität 20%. Im Gegensatz dazu führt die rekurrierende Infektion nur in etwa 1–5% der Fälle zu einer neonatalen Infektion, bedingt durch maternale IgGAntikörper und geringe Virusmengen. Eintrittspforten für die Infektion des Kindes sind Augen und Nasen-Rachen-Raum. Der neonatale Herpes manifestiert sich in unterschiedlicher Ausprägung entweder lokal oder mit Beteiligung des Zentralnervensystems. Bei disseminierter Erkrankung mit multiplem Organbefall steigt die Mortalität auf 90%. Die Diagnosestellung erfolgt entweder über die klinische Symptomatik oder über den Nachweis von Virusantigen aus der Vesikelflüssigkeit durch Virusanzucht oder PCR. Die Bestimmung von Antikörpern ist ebenfalls möglich, aber bei rekurrierender Infektion wenig aussagefähig. Das therapeutische Konzept beinhaltet zunächst die ausführliche Aufklärung der werdenden Mutter und des Partners. Bei Patientinnen mit symptomatischer Herpes-genitalis-Infektion sollte spätestens 4–6 h nach dem Blasensprung die abdominale Schnittentbindung erfolgen, weil sonst kein Vorteil für das Kind zu erwarten ist. Die anamnestisch rekurrierende Infektion stellt keine prophylaktische Kaiserschnittindikation dar. Die suppressive Aciclovir-Therapie ab der 36. SSW reduziert die
Symptomatik und die Häufigkeit rezidivierender Herpes-genitalis-Fälle bei Schwangeren und führt zu einem Rückgang der Kaiserschnittentbindungen. Weder die primäre Schnittentbindung noch die Aciclovir-Therapie schließen eine maternofetale Transmission absolut aus.
Einleitung Infektionen mit Herpes genitalis (HSV-2) haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen, wobei auch genitale Infektionen mit HSV-1 vermehrt nachzuweisen sind. Damit sind beide Herpestypen neben Chlamydia trachomatis eine der häufigsten Ursachen für sexuell übertragbare Krankheiten. Bei 75% aller Patientinnen mit genitalem Herpes – unabhängig davon, ob Erstinfektion oder rekurrierende Erkrankung – kann die Infektion asymptomatisch oder untypisch verlaufen, sodass eine richtige Diagnose nicht gestellt wird. > Da fast 90% der Mütter von Kindern mit neonatalem Herpes zum Geburtszeitpunkt symptomlos sind, werden die Infektionen nicht entdeckt.
Erreger Das HSV gehört zu den Herpesviren, wobei HSV-2 primär den Herpes genitalis verursacht. Für die rekurrierende Infektion werden ein neuraler Reiz oder ein »Trigger« vermutet, der durch physikalische, neuroendokrinologische, hormonelle oder immunologische Faktoren (z. B. Sonne, Stress, HIV-Infektion) ausgelöst werden kann. Die so verstärkt gebildeten Viren werden durch die Ganglienzellen zur epidermalen Körperoberfläche transportiert und infizieren die mukosalen und epidermalen Zielzellen erneut unter dem Bild einer produktiven Infektion.
Klinische Symptome Nach sexueller Transmission von HSV-2 treten nach 4–5 Tagen Inkubationszeit erythematöse Papeln auf, die sich zu Vesikeln und Pusteln mit serösem Inhalt entwickeln. Mit Viruspartikeln angefüllte Bläschen sind besonders infektiös (Friese et al. 2002; Sauerbrei u. Wutzler 2007a, b). Nach etwa dem gleichen Zeitraum entleeren sich diese Läsionen und bilden feuchte, schmerzhafte Ulzerationen, die nach weiteren 6 Tagen eintrocknen und im Verlauf einer Woche abheilen. Neben den z. T. unerträglichen Schmerzen sind Jucken, vaginaler oder urethraler Ausfluss und Dysurie nicht selten vorhanden. Nach unspezifischen Prodromi (u. a. Fieber, Kopfschmerz, Schwellung der inguinalen Lymphknoten) sind weitere klinische Manifestationen, wie z. B. Ösophagitis, Hepatitis, Myelitis, Eczema herpeticatum und Enzephalitis beobachtet werden (Sauerbrei u. Wutzler 2007a, b). Da etwa die Hälfte der Frauen mit primärem genitalem Herpes schon eine zeitlich früher auftretende HSV-1-Infektion durchgemacht hat, ist der klinische Verlauf der primären genitalen Herpeserkrankung in diesen Fällen leichter und milder (Kulhanjian et al. 1992). Schwerer verlaufende HSVInfektionen mit Beteiligung von ZNS, Leber und Lunge wurden bei Schwangeren selten beobachtet. Die rezidivierende genitale Herpesinfektion weist auch in der Schwangerschaft eine geringer ausgeprägte und kürzer anhaltende klinische
383 20.2 · Virale Infektionen
Symptomatik als eine Primärinfektion auf (Brown et al. 1997). Die Infektion kann insbesondere bei maternaler primärer genitaler HSV-2-Infektion, ohne Gegenwart von HSV-1-Antikörpern, zu einer erhöhten Abort- und Frühgeburtenrate führen. Demnach haben auch früher erworbene HSV-1-Antikörper bei nachfolgender HSV-1-Infektion (»non-primary first episode«) einen gewissen protektiven Effekt für den Fetus (Friese 1998). > Ein rekurrierender genitaler Herpes zum Zeitpunkt der Geburt, der bei 75% der Gebärenden asymptomatisch verläuft, führt nur in 1–5% der Fälle zu einer neonatalen Infektion. Gründe hierfür sind zum einen der Schutz durch maternale IgG-Antikörper sowie die geringe Virusmenge und verkürzte Virusausscheidung im Verhältnis zur Primärinfektion. Neonataler Herpes. Eine intrauterine Infektion durch trans-
plazentare Transmission stellt ein relativ seltenes Ereignis dar (Friese et al. 2002). Nur in etwa 5% der Fälle mit neonatalem Herpes ist die Infektion entweder durch aszendierende Infektion oder transplazentar erfolgt (Prober et al. 1992; Friese 1998). Ein hohes vertikales Transmissionsrisiko haben Mütter mit einer primären genitalen HSV-Infektion und fehlenden HSV-Antikörpern. Die Infektionsgefahr ist während der ersten 20. SSW am höchsten und kann mit erhöhter Frequenz von Spontanaborten (25%), Totgeburten und unterschiedlichen Fehlbildungen (z. B. Mikrozephalie, Krampfanfälle, Koma, Mikroopthalmie, Dysplasie der Retina, Chorioretinitis, Meningitis, Enzephalitis, geistige Retardierung) einhergehen (Stagno u. Whitley 1985; Young et al. 1996; Gilstrap u. Faro 1997; Mylonas u. Friese 2004a). Demgegenüber scheint eine diaplazentare Infektion nach der 20. SSW. kein erhöhtes Risiko für den Fetus darzustellen. > Bei bis zu 90% der Fälle basiert das Risiko eines neonatalen Herpes auf einer peripartalen Infektion, und zwar durch direkten Kontakt mit infiziertem maternalem Genitalsekret (Prober et al. 1992; Sauerbrei u. Wutzler 2007a, b). Dieser Weg der Transmission ist mit einer neonatalen Infektionsrate von 40–50%, einer Mortalität von 40 und einer Morbidität von 20% behaftet.
In weiteren 5% der Fälle handelt es sich um eine postpartale Infektion durch soziale Kontakte, wie z. B. Küssen des Kindes. Ein rekurrierender genitaler Herpes zum Zeitpunkt der Geburt verläuft bei ca. 75% der Gebärenden asymptomatisch und führt nur in 1–5% zu einer neonatalen Herpesinfektion (Friese 1998). Gründe hierfür sind: 4 Schutz durch plazentagängige mütterliche IgG-Antikörper, 4 geringe Virusmenge im Verhältnis zur Primarinfektion, 4 verkürzte Virusausscheidung (Friese 1998). Eintrittspforten für kindliche Infektionen sind die Augen und der Nasen-Rachen-Raum. Die initialen Symptome eines neo-
natalen Herpes sind gewöhnlich unspezifisch, und es dauert einige Tage bis zur Sicherung der Diagnose. Postpartale Infektionen sind seltener als intrapartale Infektionen. Der neonatale Herpes manifestiert sich in unterschiedlich starken Ausprägungen. Meist tritt er als generalisierte Infektion auf, wobei die häufigste Infektionsquelle der Geburtskanal ist, wenn die Mutter zum Geburtszeitpunkt eine primäre oder rekurrierende HSV-Infektion hat.
Klassifikation einer neonatalen Herpeserkrankung (Whitley 1996; Friese 1998) 4 Am geringgradigsten klassifiziert man eine lokale Erkrankung von Haut, Auge und Mund (SEM – »skin, eye, mouth«). 4 Gravierender ist ein Befall des zentralen Nervensystems (mit einer Enzephalitis oder Meningitis), wobei die Neugeborenenletalität drastisch zunimmt (50–80%). 4 Die schwerwiegendste Form ist die disseminierte Erkrankung mit Einbeziehung multipler Organe wie Leber, Lunge, Drüsen oder Gehirn. Bei diesem Grad der Erkrankung steigt auch die Mortalitätsrate bis auf 90% an.
Diagnostik Allgemein wird die Diagnose klinisch anhand der prodromalen Schmerzsymptomatik und der typischen kleinen vesikulären Effloreszenzen bei der Schwangeren gestellt. Aus diesen Vesikeln lässt sich bei diagnostischer Unsicherheit leicht Herpesantigen durch effloreszierende Antikörper nachweisen und eine Virusanzucht bzw. PCR-Diagnostik durchführen. In vielen Fällen, v. a. bei Schwangerschaften mit einer Herpes-genitalis-Anamnese bei der Mutter oder ihrem Partner, kann eine virulente Infektion häufig ohne Symptome verlaufen. Ähnliches gilt für den neonatalen Herpes, der differenzialdiagnostisch von einer bakteriellen Sepsis durch das Fehlen von Bläschen abgegrenzt werden kann. Innerhalb von 1–2 Wochen erfolgt ein relativ langsamer Titeranstieg für IgG-, aber nicht immer für IgM- und IgA-Antikörper. Bei rekurrierendem Herpes ohne oder mit klinischen Manifestationen sind die Antikörper meist unauffällig, sodass sie diagnostisch wenig hilfreich sind. > Der zytologische Nachweis einer Herpes-genitalisInfektion in der Schwangerschaft ist obsolet und sollte vorrangig – trotz höherer Kosten – durch Viruskultur und PCR-Diagnostik abgelöst werden.
Therapie Vor jeder Form der Behandlung müssen die werdende Mutter und ihr Partner ausführlich aufgeklärt werden. Insbesondere sollten Patientinnen mit einem rezidivierenden Herpes genitalis über das relativ geringe Transmissionsrisiko, die Möglichkeit einer prophylaktischen Aciclovir-Gabe und der Kaiserschnittentbindung hingewiesen werden.
20
384
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Studienbox Eine prospektive Studie über 18 Jahre mit über 40.000 Schwangeren zeigte einerseits, dass die Rate einer neonatalen Herpesinfektion durch eine Prävention einer maternalen HSV-1- und HSV-2-Infektion gesenkt werden kann, und andererseits einen protektiven Effekt einer Kaiserschnittentbindung bei Frauen mit einer HSV-Ausscheidung (Brown et al. 2003).
Unabhängig von einer medikamentösen Therapie sollte eine Kaiserschnittentbindung bei Patientinnen mit klinischer Symptomatik und symptomatischer Herpes-genitalis-Infektion vor oder spätestens innerhalb eines Zeitraumes von 4–6 h nach Blasensprung erfolgen, da ansonsten Nachteile für das Kind zu erwarten sind (Randolph et al. 1993). > Ein prophylaktischer Kaiserschnitt bei Frauen mit anamnestisch rezidivierendem Herpes genitalis zur Verhinderung einer maternofetalen Transmission ist nicht indiziert. Es müssten ca. 1580 Kaiserschnitte vorgenommen werden, um einen Fall von neonatalem Herpes zu verhindern (Randolph et al. 1993).
Der Einsatz einer antiviralen Therapie in der Schwangerschaft ist für die Routineanwendung allerdings noch nicht etabliert. Auch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta, USA, empfehlen den Einsatz von Aciclovir bei rezidivierendem Herpes genitalis in der Schwangerschaft nicht. Allerdings kann eine suppressive Therapie mit Aciclovir in der Schwangerschaft empfohlen werden, da keine erhöhte Fehlbildungsraten und negativen Effekte für den Fetus beobachtet wurden (Stray-Pedersen 1990, 1993; Andrews et al. 1992). Die Gabe von Valaciclovir wäre ebenfalls möglich. Die suppressive Aciclovir-Therapie ab der 36. SSW reduzierte die Symptomatik und die Häufigkeit rezidivierender Herpes-genitalis-Fälle bei Schwangeren und führte zu einem Rückgang der Kaiserschnittentbindungen. Tipp
20
Die Behandlung der Schwangeren im 3. Trimenon mit einer Aciclovir-Dosis von 4-mal 200 mg/Tag über einen Zeitraum von 2–3 Wochen vor Entbindung vermindert die Zahl der Sectioentbindungen dramatisch und erwies sich als vorteilhaft für primäre wie für rezidivierende Infektionen mit genitalem Herpes (Brocklehurst u. French 1998; Braig et al. 2001; Scott et al. 2001, 2002). Allerdings könnte diese Behandlung in bestimmten Situationen, wie z. B. bei Oligohydramnion oder fetaler Niereninsuffizienz, eine Gefahr für das Kind darstellen (Schleiss 2003). Die Therapie des neonatalen Herpes erfolgt ebenfalls mit Aciclovir mit 10 mg/kg KG, alle 8 h für 10 Tage, dabei muss das Kind in jedem Fall während der Behandlung in der Klinik stationär aufgenommen werden.
Eine orale oder topische Therapie des neonatalen Herpes ist obsolet. Trotz einer antiviralen Medikation sind Morbidität
und Mortalität bei einem disseminierten neonatalen Herpes sehr hoch.
Prophylaxe In Abhängigkeit von der Symptomatik bietet die primäre Sectio und der Versuch einer prophylaktischen Behandlung mit Aciclovir 3–4 Wochen vor Entbindungstermin Möglichkeiten zur Verhinderung der maternofetalen Transmission (. Abb. 20.3). Prophylaktische Maßnahmen 4 Sectio cesarea bei Schwangeren mit Läsionen im Geburtskanal 4 Gabe von Aciclovir (Cave: keine Zulassung in der Schwangerschaft) 4 Hyperimmunglobulingabe bei Immunsupprimierten oder bei Neugeborenen, die mit einer primären Herpesinfektion (oral/genital) in Kontakt kamen 4 In der Schwangerschaft Gebrauch von Kondomen sowie Vermeidung orogenitaler Kontakte bei seronegativen Frauen 4 Langzeitgabe von Aciclovir über 1 Jahr von 2-mal 400 mg/Tag senkt signifikant die Rekurrenz der okulären Manifestation im Vergleich zur Placebogruppe, Gleiches gilt für andere Manifestationen
Trotz dieser Maßnahmen muss festgestellt werden, dass in keinem Fall eine absolute Sicherheit für den Fetus gegeben ist. Ein Impfstoff zur aktiven Prophylaxe existiert derzeit nicht. Bezüglich HSV-Impfstoffen besteht eine wichtige Frage mit öffentlicher Relevanz darin, ob diese die symptomatische Krankheit, aber nicht eine asymptomatische Infektion verhindern können. Im Fall von genitalem Herpes könnten asymptomatische Infektionen eine Latenz und eine Reaktivierung hervorrufen. Gegenwärtig werden einige Impfstoffe klinisch getestet (Krause u. Straus 1999; Stanberry et al. 2000; Haddow u. Mindel 2006).
Zytomegalie (CMV) Das humane Zytomegalievirus (CMV) ist die häufigste Ursache kongenitaler Infektionen bei kindlichen Erkrankungen. Weltweit sind 0,2–2,3% aller Neugeborenen mit dem CMV infiziert. Das CMV, mit einem aus doppelsträngiger DNA bestehenden Genom, gehört zur Gruppe der Herpesviren. Die genaue Pathogenese einer CMV-Infektion ist noch weitgehend unklar, wobei chromosomale Schädigung, Beeinflussung der Immunantwort und Modulation der Apoptose eine wichtige Rolle spielen. Die postnatale Übertragung erfolgt durch Schmier- und Tröpfcheninfektion, Urin, Speichel, Genitalsekrete, Blut, Blutprodukte sowie Muttermilch. Die perinatale Infektion wird durch infizierte Sekrete bei der Passage durch den Geburtskanal erworben. Pränatal infizierte Neugeborene sind bei Geburt ca. zu 10% symptomatisch und weisen in etwa 5% die klassischen Stigmata der kongenitalen CMV-Erkrankung bzw. eines oder mehrere dieser Symptome auf (neurologische Auffälligkeiten, Frühgeburt, Hepatosplenomegalie, Pneumonie, Petechien, Hörverlust,
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. Abb. 20.3. Algorithmus bei vermuteter HSV-Infektion in der Schwangerschaft. (Nach Mylonas und Friese 2009)
Chorioretinitis); an deren Folge sterben 2–30%. Mehr als 90% der Überlebenden weisen Spätfolgen auf. Von den asymptomatischen Neugeborenen zeigen 8–15% Spätmanifestationen. Das Hauptrisiko von Kindsschäden besteht bei Erstinfektion der Mutter im 1. bis zum Beginn des 3. Trimenons. Die CMV-Erstinfektion wird wegen der uncharakteristischen Symptome selten klinisch diagnostiziert. Bei Kombination abnormer sonographischer Befunde mit positivem Virusnachweis ist der Schwangerschaftsabbruch zu diskutieren. Für die Therapie steht heute v. a. Ganciclovir bzw. Foscarnet oder Aciclovir zur Verfügung. Impfstoffe sind z. Zt. in klinischer Erprobung.
Einleitung Weltweit sind ca. 0,2–2,3% aller Neugeborenen mit dem Zytomegalievirus (CMV) infiziert (Friese et al. 2002). Das Hauptrisiko für eine kindliche Erkrankung bei Geburt mit eventuellen Spätfolgen ist eng mit einer mütterlichen Primärinfektion verbunden, wobei diese durch den Nachweis einer IgG-Serokonversion und erhöhten IgM-Antikörpertiter definiert ist. Rekurrierende Infektionen werden anhand von IgGAntikörpern vor Konzeption und dem Nachweis einer kongenitalen Infektion beim Neugeborenen erfasst (Friese et al. 2002). Interessanterweise kann es, im Gegensatz zu anderen Erregern wie Rötelnvirus oder Toxoplasma gondii, nicht nur bei mütterlicher Primärinfektion, sondern auch bei einer rekurrierenden Infektion zur fetalen Infektion kommen (Henrich et al. 2002). Allerdings stellen kindliche Schäden bei einer rekurrierenden mütterlichen Infektion Ausnahmen dar. Ne-
ben der Schwangerschaft spielt die CMV-Infektion eine große Rolle für immunsupprimierte Patienten, z. B. nach Transplantationen, bei Tumoren oder HIV-Infektion (Enders 1998b). > Das Zytomegalievirus (CMV) ist der häufigste Verursacher kongenitaler Infektionen mit Erkrankung des Kindes bei Geburt sowie kindlicher Spätschäden.
Erreger Das CMV hat eine doppelsträngige (ds) DNA und gehört zur Gruppe der Herpesviren. Die genaue Pathogenese einer CMVInfektion ist noch weitgehend unklar. CMV zeigt eine chromosomale Schädigung, welche einige fetale Erkrankungen erklären könnte (Mylonas u. Friese 2005).
Klinische Symptome Das Risiko der Geburt von kongenital infizierten Kindern ist bei Müttern aus niedrigeren sozialen Schichten am höchsten. Junge Erwachsene (14–20 Jahre) erwerben die primäre Infektion meist durch Sexualverkehr (Friese et al. 1991a), während sich schwangere Frauen aus mittleren und höheren Schichten erstmals im Alter zwischen 20–30 Jahren hauptsächlich durch Kontakt mit virusausscheidenden Säuglingen und Kleinkindern infizieren (Adler 1992). CMV-IgG-Antikörper konnten in ca. 46% von 512 schwangeren Frauen nachgewiesen werden, wobei nur 1,3% IgM-positiv waren (Friese et al. 1991a). Bei der mütterlichen Erstinfektion beträgt die intrauterine Infektionsrate ca. 40%, für die rekurrierende Infektion ca. 1%.
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Rekurrierende Infektionen sind bei seropositiven Frauen in 10–20%, besonders im 2. und 3. Trimenon, zu erwarten, wobei kindliche Schädigungen bei Geburt selten sind. Eine Primärinfektion stellt dagegen ein erhöhtes Risiko für eine fetale Schädigung dar. Die jährliche Rate für Primärinfektionen liegt bei ca. 1–4%, wobei eine fetale Erkrankung bei klinisch auffälligen Neugeboren in ca. 90 und bei asymptomatischen Kindern in 15% vorliegt (Stagno 1990). Bei einer vor der Schwangerschaft akquirierten CMV-Infektion bei immunkompetenten Frauen ist die Geburt von Kindern mit kongenitaler Erkrankung selten, wohingegen bei immunsupprimierten Frauen mit rekurrierender CMV-Infektion in der Schwangerschaft konnatale Malformationen auftraten (Schwebke et al. 1995; Nigro et al. 1999). Bei Frauen, die vor der SchwangerschaftCMV-seropositiv und immunkompetent waren, ist die Geburt von Kindern mit kongenitaler Erkrankung äußerst selten. Pränatale (kongenitale) Infektion und Symptomatik. Bei
der maternalen Erstinfektion geht die intrauterine Infektion wahrscheinlich von der mütterlichen Virämie mit Beteiligung von Endothelzellen der Plazentagefäße und/oder den Fibroblasten des Chorions aus. Bei Infektion des Chorions ist die Ausbreitung des Virus zum Fetus über die Amnionflüssigkeit möglich. Allerdings können noch weitere Transmissionswege vorhanden sein (z. B. direkte Infektion reaktivierender Infektionsherde von Endometrium, Tube bzw. Spermien oder aszendierende Infektion aus der Vagina vor und insbesondere nach dem Blasensprung), da die fetale Infektion trotz geringer Virämie und maternaler IgG-Antikörper auch bei mütterlicher rekurrierender Infektion stattfinden kann (Enders 1998b). Die pränatal mit CMV infizierten Neugeborenen scheiden bei Geburt CMV im Urin und Rachen aus, wobei die Virusausscheidung im Urin mehrere Jahre andauern kann. > Das Hauptrisiko von Kindsschäden bei Geburt sowie von Spätfolgen ist die Primärinfektion der Mutter im 1. bis zum Beginn des 3. Trimenons. Bei rekurrierenden Infektionen sind zwar fetale Infektionen, aber keine Schädigungen bei der Geburt zu erwarten. In etwa 5–8% der Fälle ist jedoch mit Spätschäden, besonders in Form von Hörstörungen, zu rechnen.
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Pränatal infizierte Neugeborene sind bei Geburt zu ca. 10% symptomatisch, davon etwa 5% mit klassischen Stigmata der kongenitalen CMV-Erkrankung bzw. tragen eines oder mehrere dieser Symptome: 4 Hörverlust, 4 Sprachstörung, 4 Chorioretinitis, 4 Mikrozephalie, Krampfanfälle, Paresen. Von diesen Kindern sterben ca. 12–30%. Die Überlebenden leiden zu ca. 90% unter Spätfolgen. Bei den ca. 90% asymptomatischen Neugeborenen ist zu 8–15% mit Spätmanifestationen zu rechnen. Perinatale und frühpostnatale Infektion und deren Symptomatik. Die perinatale Infektion wird durch infizierte Se-
krete bei der Passage durch den Geburtskanal erworben. Die frühpostnatale Infektion erfolgt v. a. über die Muttermilch. Die Inkubationszeit bei peri- und frühpostnatalen Infektionen beträgt bis zur Ausscheidung des Virus im Rachen und Urin des Neugeborenen ca. 4–12 Wochen. Bei reifen Neugeborenen sind kurz- oder längerfristige Symptome nicht zu erwarten. Selten kommt es zu Pneumonien im frühen Säuglingsalter. Frühpostnatale Erkrankungen (sepsisartige Verläufe mit Thrombozytopenie, Hepatosplenomegalie und respiratorische Insuffizienz) bei Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht kommen heute im Wesentlichen durch die Übertragung der Infektion von CMV-seropositiven Müttern durch das Stillen zustande. Postnatale Infektion und Symptomatik. Bei der postnatalen
Infektion erfolgt nach Eintritt des CMV über die Schleimhäute des Respirations- bzw. Genitaltrakts und der lokalen Vermehrung die virämische Phase. Die Inkubationszeit des CMV ist nicht genau bekannt. Die Erstinfektion verläuft im Kindesalter meist unbemerkt. Im jugendlichen Alter ist die Mehrzahl der Infektionen ebenfalls asymptomatisch, oder es treten uncharakteristische Symptome wie Unwohlsein, Müdigkeit, Fieber und Lymphadenopathie auf. Gelegentlich kommt es zu mononukleoseähnlichen Krankheitsbildern, Pneumonie, Hepatitis, Meningoenzephalitis, hämolytischer Anämien, Kolitis, Ösopharyngitis, Retinitis, Myokarditis bis zum Guillain-Barré-Syndrom. Die reaktivierte Infektion ist bei immunkompetenten Personen beinahe immer asymptomatisch. Bei immunsupprimierten Personen kann sowohl die Primär- als auch die rekurrierende Infektion zum schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Verlauf führen (Friese et al. 2002).
Diagnostik Die CMV-Erstinfektion wird wegen der meist uncharakteristischen Symptomatik oder dem subklinischen Verlauf nur selten diagnostiziert. In der Schwangerschaft wird aber bei der diesbezüglichen Symptomatik in zunehmendem Maße eine Laboruntersuchung für CMV als Ausschlussdiagnostik veranlasst. > Die pränatale Diagnostik wird in zunehmendem Maß bei asymptomatischen und symptomatischen schwangeren Frauen mit auffälligen serologischen Befunden (insbesondere wegen grenzwertiger bis positiver IgM-Befunde) oder aufgrund abnormaler Befunde im Ultraschall bei unbekannter oder unauffälliger CMV-Serologie durchgeführt.
Die serologische Differenzierung der primären von einer rekurrierenden Infektion in der Schwangerschaft ist in Anbetracht des erhöhten Risikos von Schäden des Kindes bei der primären im Vergleich zur rekurrierenden Infektion von praktischer Relevanz. Labordiagnostik. Zur Feststellung des Immunstatus bzw. einer akuten oder rekurrierenden Infektion werden u. a. Antikörperbestimmungen durchgeführt. Bei der pränatalen Diagnostik und der pädiatrischen Diagnostik werden der Virusund der Antikörpernachweis eingesetzt. Die Viren können im
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. Abb. 20.4. Vorschlag für das Management von schwangeren Frauen mit primärer CMV-Infektion (NVW negativer prädikativer Wert; PPW positiver prädikativer Wert). (Mod. nach Gilstrap u. Faro 1997; Revello u. Gerna 2004; Mylonas u. Friese 2005)
Urin, Speichel, Rachensekret, Zervixsekret, Fruchtwasser, fetalen Blut, Aszites, Chorionzotten, Gewebebiopsien und in der Muttermilch nachgewiesen werden. Als Methoden kommen die Isolierung in der Zellkultur, der Early-Antigennachweis nach Schnellanzucht (mit monoklonalen Antikörpern), der pp65-Antigendirektnachweis im Blut und der Nukleinsäurenachweis mit der PCR in Betracht (Mylonas u. Friese 2005). Diagnose in der Schwangerschaft. Die CMV-Erstinfektion
wird wegen der meist uncharakteristischen Symptomatik oder dem subklinischen Verlauf nur selten diagnostiziert. In der Schwangerschaft werden aber bei einer entsprechenden Symptomatik in zunehmenden Maß Laboruntersuchungen veranlasst (. Abb. 20.4).
Folgende Aspekte sollten berücksichtigt werden (Enders 1998b): 4 Bei negativem IgG-Befund kann die Schwangere im Hinblick auf eine Reduzierung des Infektionsrisikos beraten werden. 4 Bei positivem IgG- und negativem IgM-Befund kann der schwangeren Frau mitgeteilt werden, dass kein kongenital geschädigtes Kind zu erwarten ist. 4 Bei positivem IgG- und IgM-Befund können weitere Zusatztests zur Differenzierung von primärer oder reaktivierter Infektion eingesetzt und bei auffälligen Befunden die pränatale Diagnostik zur Abklärung einer fetalen Infektion veranlasst werden.
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
> Der positive Virusnachweis aus dem Urin oder Zervixabstrich ist als Diagnosehilfe zur Unterscheidung von maternalen primären oder rekurrierenden Infektionen begrenzt. Pränatale Diagnostik. In der Frühschwangerschaft (11.– 19. SSW) kommen als fetale Untersuchungsproben Chorionzotten und Fruchtwasser, in der späteren Schwangerschaft (≥22. SSW) v. a. fetales EDTA-Blut und Amnionflüssigkeit in Betracht. Die globale Sensitivität der pränatalen Diagnose beträgt 80%; 100% Spezifität nach Amniozentese bei >21 SSW und einem 7-wöchigen Intervall zwischen der Diagnose einer maternalen Infektion und antenataler Diagnostik. Entscheidend für die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft ist jedoch der auffällige Befund im Ultraschall kombiniert mit positivem CMV-IgM-Antikörperbefund (Enders et al. 2001). Pädiatrische Diagnostik. Bei Neugeborenen von Müttern
mit Verdacht auf CMV-Infektion in der Schwangerschaft und auch bei klinisch auffälligen Neugeborenen ohne bekannte mütterliche CMV-Infektion sollte der Virusnachweis im Urin, Speichel und/oder im Rachensekret sowie die Antikörperbestimmung veranlasst werden. Positive Virusbefunde in der 1–2. Woche nach Geburt zeigen treffsicherer als die Antikörperbestimmung an, ob eine kongenitale Infektion vorliegt. Beim intrauterin infizierten symptomatischen Neugeborenen können IgM-Antikörper bei ca. 35%, v. a. bei spät in der Schwangerschaft erfolgter maternaler Infektion, fehlen. Die KBR und IgG-Antikörpertiter bei Geburt entsprechen meist in etwa denen der Mutter. Bei Durchführung virologischer Untersuchungen erst ca. 3–4 Wochen nach Geburt lässt sich bei asymptomatischen Säuglingen mit positivem Virusbefund nicht mehr unterscheiden, ob die Infektion prä-, peri- oder postnatal erworben wurde. Rein serologisch kann eine asymptomatische prä-, peri- bzw. postnatal erfolgte Infektion nur durch den Nachweis persistierender IgG-Antikörper im 8.–10. Lebensmonat festgestellt werden. Kinder mit einer diagnostizierten CMVInfektion sollten engmaschig überwacht werden, um eventuelle Spätfolgen zu erkennen. Bei kongenital infizierten Kindern wird eine früh einsetzende Kontrolle des Gehörs empfohlen. Quantitative PCR-Analysen in peripheren Serumleukozyten von CMV-infizierten Neugeborenen können zur Überwachung der Viruslast, v. a. während einer GanciclovirTherapie, genutzt werden (Maine et al. 2001).
Therapie
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Für die Therapie steht heute v. a. Ganciclovir (azyklisches Nukleosid-DHPG, Cymeven) bzw. bei Resistenzentwicklung Foscarnet zur Verfügung. Ganciclovir, das liquorgängig ist, wird seit einigen Jahren z. T. gleichzeitig mit der Gabe von CMV-Hyperimmunglobulin (IVIG) bei immunsupprimierten Patienten mit unterschiedlicher CMV-Symptomatik angewandt. Erst kürzlich konnte demonstriert werden, dass eine Behandlung von Schwangeren mit einem spezifischen hCMVHyperimmunoglobulin mit einem signifikant geringeren Ri-
siko einer kongenitalen Infektion des Neugeborenen einherging (Nigro et al. 2005). Somit könnte diese Behandlung in der Prävention und Therapie einer kongenitalen hCMVInfektion von Vorteil sein. Allerdings ist der Wert dieser Maßnahme zur Verhinderung einer hCMV-Infektion bisher nicht abschließend zu beurteilen, da entsprechende randomisierte Studien mit größeren Fallzahlen z. Zt. noch durchgeführt werden und die Behandlung als sehr kostspielig einzustufen ist. > Für schwangere Frauen mit Verdacht auf akute primäre CMV-Infektion wird die Ganciclovir-Therapie z. Zt. noch nicht empfohlen. Ebenso ist die intrauterine Therapie mit Ganciclovir bei Feten mit CMV-Infektion problematisch.
Prophylaxe Die Expositionsprophylaxe ist aufgrund der verschiedenen Transmissionswege und der mangelnden Symptomatik kaum erfolgreich. Eine Empfehlung für ein CMV-Screening in der Schwangerschaft wurde kürzlich vorgeschalgen (. Abb. 20.5). Seronegative Frauen sollten über die Hauptinfektionsquellen (Sexualverkehr, Schmierkontakt durch Kinder in Tagesheimbetreuung bzw. Berufskontakt mit virusausscheidenden Kindern) über das Ansteckungsrisiko und mögliche Verhaltensweisen informiert werden:
Mögliche Verhaltensweisen zur Expositionsprophylaxe von CMV 4 Feststellung des CMV-Immunstatus des Sexualpartners 4 Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen nach Windelwechsel oder nach Umgang mit bespeichelten Spielsachen 4 Vermeidung intensiver Mundküsse mit möglicherweise virusausscheidenden Säuglingen
Zur passiven Immunisierung stehen verschiedene Hyperimmunglobulinpräparate (IVIG) zur Verfügung. Sie werden vorwiegend prophylaktisch für CMV-seronegative Empfänger vor Transfusionen und Transplantationen bzw. therapeutisch in Kombination mit Ganciclovir bei immunsupprimierten Patienten eingesetzt sowie besonders bei Frühgeborenen mit CMV-Symptomatik. > Für seronegative Schwangere, insbesondere nach beruflichem CMV-Kontakt, wird ebenfalls die Gabe von IVIG in Betracht gezogen. Der Wert dieser Maßnahme zur Verhinderung einer CMV-Infektion ist bisher nicht abschließend beurteilbar, da diese Maßnahme z. Zt. in einer europaweiten Studie evaluiert wird.
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. Abb. 20.5. Vorschlag eines CMV-Screenings in der Schwangerschaft (OAE otoakustische Emissionen). (Nach Enders et al. 2006)
Varizellen und Zoster (VZV) Studienbox Seit einigen Jahren wird die Entwicklung einer aktiven Impfung der Mutter zur Prophylaxe der kongenitalen CMV-Infektion als oberste Priorität angesehen. Zwei entwickelte Impfstoffe, die attenuierte CMV-Lebendvakzine Towne 125 und die Subunit-Glycoprotein-B-Vaccine sind z. Zt. in klinischer Erprobung. Kürzlich wurden die Ergebnisse einer Phase-II-Untersuchung eines rekombinanten Impfstoffs (Glucoprotein B und MF 59) für die Prävention der konnatalen CMV-Infektion bekanntgegeben (Pass et al. 2009). Dabei zeigte sich eine Wirksamkeit dieses Impfstoffes bei 50% der untersuchten Frauen. Obwohl keine statistischen Unterschiede bei der Analyse einer kongenitalen CMV-Infektion in der geimpften (1 Fall einer kongenitalen CMV-Infektion von 81 Schwangeren) und nicht geimpften Population (3 Fälle einer kongenitalen CMV-Infektion von 97 Schwangeren) beobachtet werden konnten, stellt diese Untersuchung eine sehr vielversprechende Entwicklung auf der langen Suche nach einem wirkungsvollen Impfstoff zur Prävention einer kongenitale CMV-Infektion dar.
Varizellen- und Zosterinfektionen sind verschiedene Manifestationen des gleichen Virus: des Varicella-zoster-Virus (VZV). Eine VZV-Infektion in der Gravidität ist jedoch ein relativ seltenes Ereignis. In Deutschland sind bei ca. 5–7% der 16– bis 40-jährigen Frauen keine VZV-Antikörper zu finden. Bei mütterlicher Varizelleninfekion bis zur 20. SSW konnten bei 2–3% der Feten Schäden im Sinn eines kongenitalen Varizellensyndroms (CVS) festgestellt werden. Bei den meisten betroffenen Feten finden sich Extremitätenhypoplasien, die der Pränataldiagnostik zugänglich sind. Weiterhin zeigen sich Hautvernarbungen, Wachstumsredardierungen, Augendefekte, Paralysen mit Muskelatrophie, zerebrale Krämpfe oder psychomotorische Retardierung. Der Manifestationszeitpunkt der neonatalen Varizellen und die unterschiedlichen Krankheitsverläufe hängen im Wesentlichen von dem Vorhandensein mütterlicher IgG-Antikörper ab. So konnte gezeigt werden, dass bei mütterlichen Varizellen ±4 Tage vor Entbindung meist noch keine IgG-Antikörper nachweisbar sind, während dies bei mütterlichen Varizellen mehr als 5 Tage vor Entbindung der Fall ist. Trotz der klinisch sicheren Diagnose anhand des typischen Krankheitsbildes bei Varizellen
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und Zoster muss insbesondere in der Schwangerschaft und beim Neugeborenen eine serologische Untersuchung und ggf. auch eine molekularbiologische Diagnostik mittels PCR-Analyse erfolgen. Eine aktive Prophylaxe kann mit Lebendimpfstoff vorgenommen werden, wobei Schwangere jedoch nicht geimpft werden sollten. Bei seronegativen Frauen gegen Varicella-zosterVirus wird ebenfalls eine Impfung mindestens 3 Monate vor Konzeption empfohlen.
Einleitung Varizellen- und Zosterinfektionen sind verschiedene Manifestationen des gleichen Virus: des Varicella-zoster-Virus (VZV). Die primäre Infektion mit VZV verursacht das Krankheitsbild der Windpocken, eine weit verbreitete, bei Kindern überwiegend komplikationslos verlaufende Erkrankung. Nach Reaktivierung derselben Infektion entsteht der Zoster (Gürtelrose).
Eine Varizelleninfektion in der Schwangerschaft ist aus mehreren Gründen gefürchtet: 4 Das Virus kann bei der Mutter einen akuten Krankheitsverlauf mit einer hohen Morbidität und Mortalität verursachen. 4 Bei Varizelleninfektion in der 1. Hälfte der Schwangerschaft besteht das Risiko für eine kongenitale Embryopathie (kongenitales Varizellensyndrom; CVS). 4 Eine Varizelleninfektion um den Geburtstermin erhöht das Risiko einer schwer verlaufenden neonatalen Varizelleninfektion. Eine VZV-Infektion in der Gravidität ist jedoch ein relativ seltenes Ereignis. In Deutschland sind nur bei ca. 5–7% der Frauen im gebärfähigen Alter (16–40 Jahre) keine VZV-Antikörper zu finden (Enders 1984; Sauerbrei et al. 1990; Sauerbrei u. Wutzler 2007a, b). Bei Varizellen in der 1. Hälfte der Schwangerschaft besteht das Risiko für das CVS, wobei der Herpes zoster in der Schwangerschaft weder kindliche Schädigungen noch perinatale Infektionen erwarten lässt (Friese u. Enders 1998).
Erreger und Pathogenese VZV-Infektionen sind eine der weitest verbreiteten menschlichen Infektionen, wobei der VZV nur beim Menschen pathogen ist. Die Übertragung des hochkontagiösen Virus erfolgt vermutlich über Tröpfcheninfektion. In der Pubertät beträgt der Durchseuchungsgrad 90% und im hohen Alter nahezu 100%. Varizellen treten in einer Frequenz von 1–5/10.000 Schwangerschaften auf (Stagno u. Whitley 1985).
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> Bei mütterlichen Varizellen können als Komplikation in ca. 10–20% schwer verlaufende Pneumonien auftreten (Chapman 1998).
Die Risiken für den Fetus bzw. das Neugeborene sind bei mütterlichen Varizellen in der Frühschwangerschaft das CVS und bei mütterlichen Varizellen um den Entbindungstermin schwer verlaufende neonatale Varizellen mit tödlichem Ausgang in ca. 8% der Fälle (Miller et al. 1989). Die Inzidenz von
Zoster in der Schwangerschaft ist noch nicht ausreichend bekannt, wird aber auf 0,5/10.000 Schwangerschaften geschätzt (Gilstrap u. Faro 1997). Da die Mutter noch IgG-Antikörper besitzt und ein Herpeszoster mit einer geringen Virämie einhergeht, ist das Risiko für den Fetus gering.
Klinische Symptome Die Infektiosität beginnt ca. 1–2 Tage vor Auftreten des Hautausschlags und dauert rund 1 Woche. Generell geht die Infektion mit charakteristischen Symptomen wie Übelkeit, Fieber und dem für das Krankheitsbild typischen papulovesikulären Exanthem einher. Die Infektiosität besteht bis zum Eintrocknen der zuletzt aufgetretenen Effloreszenzen. Beim Erwachsenen, also auch bei Schwangeren, kann eine VZV-Infektion im Hinblick auf pneumologische Komplikationen schwerer verlaufen. Vor allem HIV-infizierte Frauen sind besonders durch eine VZV-Infektion gefährdet. Die neonatalen Varizellen des Neugeborenen sind Folge einer transplazentar übertragenen Infektion zum Zeitpunkt der mütterlichen Virämie. Eine transplazentare VZV-Infektion über den Blutweg gilt als wahrscheinlich, obwohl aufgrund der segmentalen Verteilung der Symptomatik eine aszendierende Infektion aus dem Epithel der Zervix möglich wäre (Higa et al. 1987). Beim Neugeborenen ist die Abwehrkraft gegen eine VZVInfektion aufgrund einer noch nicht voll ausgereiften eigenen zytotoxischen T-Zellfunktion zum Geburtstermin noch nicht entwickelt (Arvin u. Koropchak 1980). Der Manifestationszeitpunkt der neonatalen Varizellen und die unterschiedlichen Krankheitsverläufe hängen im Wesentlichen vom Vorhandensein mütterlicher IgG-Antikörper ab. So konnte gezeigt werden, dass bei mütterlichen Varizellen ±4 Tage vor Entbindung meist noch keine IgG-Antikörper nachweisbar sind, während dies bei mütterlichen Varizellen mehr als 5 Tage vor Entbindung der Fall ist (Friese u. Enders 1998).
Kongenitales Varizellensyndrom (CVS) Das CVS ist zwar selten, aber die Schädigungen sind schwerwiegend. Die Inzidenz wird mit 1% zwischen der 1. und 20. SSW und mit 2% zwischen der 13. und 20. SSW angegeben. Somit ist das Risiko einer Embryo- bzw. Fetopathie nach maternalen Windpocken mit ca. 2,2% relativ niedrig (Enders et al. 1994; Pastuszak et al. 1994). Bei mütterlicher Varizelleninfekion bis zur 20. SSW konnten bei 2–3% der Feten Schäden im Sinn eines CVS festgestellt werden. Bei den meisten betroffenen Feten finden sich Extremitätenhypoplasien (86%), die der Pränataldiagnostik zugänglich sind. Weiterhin zeigen sich Hautvernarbungen (100%), Wachstumsredardierungen (82%), Augendefekte (64%), Paralysen mit Muskelatrophie (70%), zerebrale Krämpfe oder psychomotische Retardierung (50%). Die Letalität bei Ausprägung des Vollbildes ist trotz Behandlung weiterhin mit ca. 25–50% in den ersten Lebenswochen hoch.
Neonatale Varizellen Definitionsgemäß handelt es sich um Windpocken nach intrauteriner Virusübertragung zwischen dem Zeitpunkt der Geburt und dem 12. Lebenstag des Neugeborenen. Aus frü-
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heren Studien ist bekannt, dass Varizellen in den letzten 4 Wochen vor der Geburt in 50% zur Infektion der Feten führen, wobei ein Drittel der Neugeborenen eine manifeste Erkrankung entwickeln kann. Die größte Gefahr besteht, wenn die mütterliche Varizellenvirämie 1–2 Tage vor der Geburt auftritt; zu diesem frühen Zeitpunkt der Infektion, etwa 24–48 h vor dem Auftreten des Exanthems, sind noch keine signifikanten Antikörperspiegel ausgebildet, die auch das Kind schützen könnten; die spezifischen Antikörper steigen mit der Entwicklung des Exanthems an und erreichen etwa am Tag 5 ihren Höhepunkt (Prober et al. 1992; Connan et al. 1996). Neuere prospektive Studien weisen nur noch auf 8% schwere neonatale Infektionen hin, und diese treten hauptsächlich bei Neugeborenen von Müttern mit akuten Varizellen 5 Tage vor bis 3 Tage nach dem Geburtstermin auf. Im Rahmen der Virämie werden etwa 24% aller Kinder infiziert. Der Schweregrad der Erkrankung korreliert daher meist streng mit dem Zeitpunkt der mütterlichen Infektion: Jene Kinder sind am höchsten gefährdet, die 2 Tage vor bis 5 Tage nach dem Auftreten des mütterlichen Varizellenexanthems zur Welt kommen. Die Mortalitätsrate beträgt ohne Behandlung bis zu 30% (Paryani u. Arvin 1986). Tritt das Exanthem in den ersten 5 Lebenstagen auf, beträgt die Letalität 0%, wohingegen die Letalität bei einer Exanthemmanifestation zwischen dem 5. und 10. Lebenstag bei ca. 21% liegt (Keutel 1968). Schwer verlaufende neonatale Varizellen kommen nicht nur bei der transplazentar übertragenen Infektion vor, sondern können gelegentlich auch durch eine frühpostnatal erworbene Infektion auftreten.
Diagnose Trotz der klinisch sicheren Diagnose anhand des typischen Krankheitsbildes bei Varizellen und Zoster muss insbesondere in der Schwangerschaft und beim Neugeborenen eine serologische Untersuchung und ggf. auch eine molekularbiologische Diagnostik mittels PCR-Analyse erfolgen (. Abb. 20.6). Die serologische Diagnostik von Varizellen wird durch den Nachweis von spezifischen IgG- und IgM-Antikörpern in den ersten 4–5 Tagen nach Exanthembeginn erbracht. ! Nicht selten werden bei primärer Varizelleninfektion bei Erwachsenen zuerst die IgG-Titer und danach die IgM-Antikörper nachweisbar (Enders 1985; Zieger et al. 1994).
Bei Zostererkrankungen steigen v. a. die Spiegel für IgG- und IgA-, seltener für IgM-Antikörper an. Ein Zoster in der Schwangerschaft sollte in jedem Fall eine HIV-Diagnostik veranlassen (Friese u. Enders 1998). Bei Kindern mit CVS ist die serologische Diagnostik weniger aussagekräftig, sodass hier der Varizellen-DNA-Nachweis mit der PCR im EDTA-Blut bzw. in Abstrich- oder Gewebsproben durchgeführt werden sollte. Bei Auftreten einer Varizelleninfektion am Geburtstermin sollte bei der Graviden und beim Neugeborenen sofort die VZV-IgG- und IgM-Titerbestimmung vorgenommen werden.
> Bei akuten Varizellen in der Frühschwangerschaft wird heute in jedem Fall eine Ultraschallkontrolle der Stufe II–III in der 22./23. SSW empfohlen. Bei Auffälligkeiten sollte der DNA-Nachweis mit der PCR im Fetalblut und Fruchtwasser durchgeführt werden (Hartung et al. 1999; Johnson et al. 2000).
Therapie Bei VZV-Exposition seronegativer Schwangerer bietet sich eine Postexpositionsprophylaxe mit VZV-Immunglobulin (VZIG) an. Diese kann zwar den Ausbruch der Varizellen nicht immer verhindern, vermindert aber den Schweregrad der Erkrankung. Außerdem scheint die prophylaktische Gabe von VZIG die Infektionsrate der Feten zu reduzieren (Prober et al. 1990, 1992). Die Gabe von VZIG sollte innerhalb von 72–96 h post infectionem bis zur 24. SSW verabreicht werden. Auch die prophylaktische Gabe von Aciclovir wird derzeit diskutiert, wobei dafür noch keine kontrollierten Studien vorliegen. Eine Behandlung richtet sich zunächst nach dem Schweregrad der Erkrankung der Mutter. Bei extensivem Hautbefall, hohem Fieber und Varizellenpneumonie ist die intravenöse Gabe von Aciclovir über einen Zeitraum von 7 Tagen indiziert. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung kann die Dosierung erhöht bzw. die Therapiedauer verlängert werden (Prober et al. 1990; Connan et al. 1996).
Zu beachtende Punkte einer VZV-Infektion 4 Die Virämie ist beim Einsetzen des mütterlichen Exanthems längst erfolgt und daher auch die diaplazentare Transmission. 4 Der Fetus könnte in diesem Zeitraum durch die Bildung mütterlicher spezifischer Antikörper geschützt sein (Prober et al. 1990; Prober et al. 1992). 4 Welche antivirale Wirkung Aciclovir in der Inkubationsphase des Fetus hat, ist noch unklar.
Neugeborene mit Varizellen sollten streng isoliert und erst bei Verkrusten der Läsionen entlassen werden. Bei Ausbruch der Varizellen zwischen dem 5. und 10. Lebenstag ist in jedem Fall eine Aciclovir-Therapie (30 mg/kg KG/Tag) indiziert (Sauerbrei u. Wutzler 2001, 2007a, b; Wutzler et al. 2001). Erfolgt die Infektion des Fetus in der Peripartalperiode, ist zunächst eine prophylaktische Gabe von Varicella-zoster-Immunglobulin (VZIG) bei der Geburt und Aciclovir i.v. bei Ausbruch der Erkrankung angezeigt. Bei Verdacht auf eine VZV-Infektion am Entbindungstermin sollte versucht werden, die Entbindung um 3–4 Tage zu verzögern, damit die mütterlichen IgG-Antikörper (die erst ca. 5–6 Tage nach akuten Varizellen ansteigen) auf den Fetus bzw. das Neugeborene übertragen werden können (Zieger et al. 1994; Friese u. Enders 1998). Gelingt eine Tokolyse nicht, erhält das Neugeborene sofort post partum VZIG. Die Aciclovir-Therapie wird prophylaktisch empfohlen, meist jedoch bei Anzeichen einer verdächtigen Symptomatik.
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392
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Abb. 20.6. Vorgehen bei Verdacht auf VZV-Infektion (Mod. nach Mylonas u. Friese 2009)
Prophylaxe Eine aktive Prophylaxe kann mit Lebendimpfstoff vorgenommen werden, wobei Schwangere jedoch nicht geimpft werden sollten. Tipp
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Bei seronegativen Frauen gegen Varicella-zoster-Virus wird ebenfalls eine Impfung mind. 3 Monate vor Konzeption empfohlen. Eine passive Prophylaxe kann mit VZVImmunglobulin (VZIG) durch i.m.- oder i.v.-Applikation vorgenommen werden. Seronegative Frauen mit Varizellenkontakt während der Gravidität und zum Entbindungszeitpunkt sowie Neugeborene von Müttern mit Varizellen um den Entbindungstermin werden so behandelt.
Da ca. 95% der Schwangeren immun sind, betrifft die passive Immunisierung nur eine kleine Restpopulation. Entschließt man sich ohne vorherige Bestimmung des Immunstatus bzw. bei negativem IgG-Befund zu einer Immunprophylaxe, sollte diese innerhalb von 72–96 h nach Infektion erfolgen. Durch Gabe von VZIG kann nur in ca. 48% die Varizelleninfektion verhindert werden. In weiteren 6% findet eine asymptomatische Infektion statt, und in den restlichen Fällen verlaufen die Varizellen milde (Zieger et al. 1994; Friese u. Enders 1998).
20.2.2
Röteln
Die durch das Rötelnvirus hervorgerufenen Röteln zählen wegen ihrer hohen Fehlbildungsrate zu den am meisten gefürchteten Infektionen in der Schwangerschaft. Die Übertragung des
393 20.2 · Virale Infektionen
Erregers erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Das Rötelnvirus befällt überwiegend die lymphadenoiden Organe, die Haut, Schleimhäute und Synovialgewebe, gelegentlich das perivaskuläre Gewebe und in der Schwangerschaft die Plazenta. Die Infektion ist mit einem Exanthem vergesellschaftet. Bei Kindern verläuft die Infektion in 50% der Fälle subklinisch. Zum Infektionsnachweis und zur Beurteilung der Immunitätslage werden IgM-, IgA- und IgG-Antikörper bestimmt. Standardtest ist der Hämagglutinationshemmtest (HAH). Die IgMTiter können, insbesondere auch nach Impfung, lange persistieren und ein diagnostisches Problem darstellen. Eine gezielte pränatale Diagnostik ist mittels PCR (Polymerasekettenreaktion) aus Chorionzotten, Fruchtwasser und Fetalblut sowie durch Virusnachweis möglich. Die versehentliche Impfung seronegativer Frauen perikonzeptionell oder in der Frühschwangerschaft kann in etwa 2% der Fälle zur fetalen Infektion führen, allerdings wurden bisher keine Schädigungen des Kindes nachgewiesen. Reinfektionen sind bekannt (v. a. nach Impfung) führen aber nur in seltenen Fällen zur Rötelnembryopathie. Der Fetus kann diaplazentar infiziert werden. Insbesondere die Infektion in den ersten 12 SSW, also während der Embryogenese, führt zum sog. Rubellasyndrom. Dies umfasst Herz-, Augen- und Ohrfehlbildungen. Mit zunehmendem Gestationsalter nimmt der Schädigungsgrad des Fetus ab. Bei akuter Rötelninfektion in den ersten 12 SSW sollte wegen des hohen Embryopathierisikos eine Beendigung der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden, wenn die pränatale Diagnostik, z. B. durch PCR, einen positiven Befund ergibt. Die Rötelnprophylaxe erfolgt durch aktive bzw. passive Impfung.
Einleitung Obwohl Röteln als eine überwiegend harmlose Kinderkrankheit angesehen wurden, sind Infektionen in der Schwangerschaft wegen ihrer Teratogenität und hohen Missbildungsrate noch immer am meisten gefürchtet. Trotz vieler Maßnahmen (aktive Impfung, Schwangerenvorsorge, verbesserte Labordiagnostik) gibt es bei uns noch zu viele Rötelnembryopathien (»congenital rubella syndrome«; CRS), ausnahmsweise auch bei Kindern von früher geimpften Müttern.
Erreger und Pathogenese Das Rubella-(Röteln- bzw. Rubi-)virus ist das einzige Mitglied des Genus Rubivirus in der Familie der Togaviren. Die Übertragung des Rötelnvirus auf den Fetus erfolgt transplazentar im Verlauf der mütterlichen Virämie. Womöglich durch eine Schädigung der Plazenta gelangt das Virus in regelmäßigen Abständen in den Fetus. Das Virus durchdringt das Chorionepithel und das Kapillarendothel der plazentaren Blutgefäße und gelangt über den fetalen Blutkreislauf zu etlichen Organen. > Die Hauptzielorgane sind die lymphadenoiden Organe, die Haut, die Mukosa des Respirations- und des Urogenitaltrakts, das Synovialgewebe der Gelenke, gelegentlich das perivaskuläre Gewebe im Gehirn und bei Schwangerschaft auch die Plazenta.
Klinische Symptome Die Ansteckung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Symptome beträgt meist 15–17 Tage (14–21 Tage). Etwa 7–9 Tage nach Ansteckung setzen die Virämie und die Ausbreitung des zellfreien und mit Lympho-zyten assoziierten Virus in viele Organen ein. Immunabwehrreaktionen werden durch das Auftreten der humoralen Antikörper im Serum und im Nasopharynx beendet. Die Patienten sind somit etwa 7 Tage nach Exanthembeginn kontagiös.
Bei Kindern verläuft die Rötelninfektion in ca. 50% subklinisch oder inapparent ab, wohingegen bei Jugendlichen und Erwachsenen oft ausgeprägte Symptome auftreten. Das Hauptmerkmal von Röteln ist ein makulopapulöses, rosafarbenes Exanthem sowie eine postaurikuläre, subokzipitale und zervikale Lymphknotenschwellung. Die Erkrankung ist meist harmlos. > Die Hauptkomplikationen sind die thrombozytopenische Purpura bei Kindern (1/3000), Meningoenzephalitiden bei jungen Erwachsenen (1/10.000), Arthralgien und rheumatische Beschwerden bei jungen Frauen (etwa 35%).
Obwohl Röteln meist harmlos verlaufen, ist bei Schwangeren wegen der CRS extreme Vorsicht geboten. Es treten primär Lymphknotenschwellungen im Halsbereich sowie ein mittelfleckiges, nicht konfluierendes Exanthem (auch mit Juckreiz einhergehend) auf, das sich über Gesicht, Rücken und die Streckseiten der Extremitäten ausbreitet und ca. 2–3 Tage persistiert. Im Blutbild besteht eine Leukopenie mit mäßiger Linksverschiebung, relativer Lymphozytose und atypischen Lymphozyten. Weitere Symptome sind arthralgische Beschwerden v. a. der kleinen Fuß- und Handgelenke. > Eine Diagnose von früheren oder kürzlich durchgemachten Röteln kann also nur im Labor mittels Antikörpernachweis erfolgen.
Röteln und Embryopathie Die Übertragung des Rötelnvirus auf den Fetus erfolgt transplazentar im Verlauf der mütterlichen Virämie. So lassen sich mit den empfindlicheren Röteln-IgM-Tests in der 22./23. SSW, meist aber noch nicht in der 18.–21. SSW, IgM-Antikörper in etwa 94% der Fälle im Serum rötelninfizierter Feten nachweisen (Daffos et al. 1984; Enders u. Jonatha 1987). Bei der Geburt sind in 98% aller Fälle mit CRS selbstgebildete IgMAntikörper und überwiegend von der Mutter stammende IgG-Antikörper vorhanden. Die IgG-Antikörper persistieren in abfallenden Titern langfristig bis lebenslang. In etwa 5–10% der Fälle können IgG-Antikörper jedoch nach dem 4.–5. Lebensjahr nicht mehr nachgewiesen werden. Bei der mütterlichen Erstinfektion liegen die fetalen Infektionsraten wesentlich höher als die Raten für Embryopathien. Die Häufigkeit der CRS liegt bei ca. 1:6000–120.000 Lebendgeborenen. Die Raten für CRS, die von einzelnen Autoren z. T. in unterschiedlicher Häufigkeit angegeben werden, orientieren sich an amerikanischen Langzeitstudien (Cooper et al. 1965), prospektiven englischen Studien (Miller et al. 1982),
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394
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.2. Symptome und Häufigkeiten der Rötelnembryopathie. (Mod. nach Enders 1998a; Friese et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a; Mylonas et al. 2006a)
Symptome der Rötelnembryopathie Die klassischen Gregg-Trias
Häufigkeit [%] 1. Herzfehlbildungen: Pulmonalstenose, Ductus arteriosus apertus, Herzscheidewanddefekte
52–80
2. Augenanomalien: Cataracta congenita, Retinopathie, Glaukom
50–55
3. Innenohrschwerhörigkeit
Ca. 60
Manifestationen fetaler Entwicklungsstörungen
Dystrophie, Mikrozephalie, statomotorische und geistige Retardierung
40–50
Erweitertes Rubellasyndrom mit viszeralen Symptomen
Thrombozytopenische Purpura
45
Knochenveränderungen
30
Osteopathie
60
Entwicklungs-/Wachstumsstörungen
60
Pneumonien
Letalität ≤70
Viszerale Schäden Hepatosplenomegalie und Ikterus Geringes Geburtsgewicht Exanthem Thrombozytopenie Anämie von hämolytischem Charakter Myokarditis Enzephalitis
20
Diabetes mellitus
Erhöhtes Risiko 50
Gesamtletalität
13–20
Late-onset-Rubellasyndrom; Beginn zwischen dem 4. und 6. Lebensmonat
Wachstumsstillstand, chronisches Exanthem, Pneumonie, IgG-, IgA-Hypogammaglobulinämie, Vaskulitis
Spätmanifestationen im jugendlichen Alter
Irreversible Hörschäden, Diabetes mellitus, andere endokrine Störungen, Krampfleiden, progressive Panenzephalitis (PRP)
skandinavischen Studien (Grillner et al. 1983) und an deutschen prospektiven und retrospektiven Studien von 1969– 1997, die zahlenmäßig in großem Umfang durchgeführt wurden (Enders et al. 1988; Enders u. Nickerl 1988; Enders 1998a, 1991). Folgende Häufigkeiten von Rötelnembryopathien sind in Abhänigkeit vom Gestationsalter bei mütterlicher Infektion zu erwarten: 4 2.–6. SSW: 56% 4 7.–9. SSW: 25% 4 10–12. SSW: 20% 4 13.–17. SSW: 10% 4 >18. SSW: <3,5%
> Bei Röteln vor Konzeption bis 10 Tage nach der letzten Menstruation wurden keine Infektionen und Schädigungen des Kindes festgestellt (Enders et al. 1988).
Die klassischen Organmissbildungen treten primär bei Infektionen während der 1.–11. SSW auf. Bei Infektionen zwischen der 12. und 17. SSW sind in abnehmendem Maß v. a. ZNS-Schäden und Hörschäden zu erwarten (. Tab. 20.2). Bei mütterlichen Röteln nach der 18. SSW wurden in Studien keine signifikanten Auffälligkeiten beim Neugeborenen oder Säugling beobachtet.
395 20.2 · Virale Infektionen
Folgen von Rötelninfektionen in der Schwangerschaft 4 Die Röteln der Mutter in der 1. bis Ende der 11. SSW verursachen Organfehlbildungen und Symptome des erweiterten Rubellasyndroms. 4 Bei Röteln in den ersten 8. SSW wird die Abortrate mit 20% angegeben (Enders 1998a). 4 Bei einer Infektion ab der 12.–17. SSW ist in abnehmendem Maße v. a. Innenohrschwerhörigkeit – schwer- bis geringgradig, uni- und bilateral – zu erwarten. Bei Röteln der Mutter nach der 18. SSW wurden in Studien neueren Datums keine signifikanten Auffälligkeiten beim Neugeborenen oder Säugling (bis auf 3 Fälle mit Hördefekten bei Röteln der Mutter bis zur 20. SSW) beobachtet. 4 Röteln der Mutter kurz vor der Entbindung können zu neonatalen und frühpostnatalen Rötelnerkrankungen führen.
Das Risiko für fetale Infektionen bei früher geimpften Frauen mit Reinfektion in den ersten 18 SSW wurde mit ca. 8% kalkuliert, wobei das Risiko für CRS nicht zu ermitteln ist, da es sich um Einzelfälle handelt (Best et al. 1989; Morgan-Capner et al. 1991). Obwohl für das Rubellasyndrom eine Meldepflicht besteht, werden nicht alle Fälle erfasst, besonders die Spätfolgen, wie z. B. Hörschäden, die erst im frühen Kindesalter auffallen.
Diagnostik Verdächtig sind Lymphknotenschwellungen, insbesondere im Nackenbereich, sowie ein kurz danach hinter den Ohren beginnendes mittelfleckiges, nicht konfluierendes Exanthem, das sich schnell über das Gesicht, dann im Bereich des Rückens und den Streckseiten der Extremitäten ausbreitet und etwa 2–3 Tage persistiert. Gelegentlich geht es mit Juckreiz einher. ! Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten die durch das Parvovirus B19 und durch Entero-, Epstein-Barr- und Adenoviren bedingten Exantheme sowie Arzneimittelallergien und auch die bei einer Parvovirus-B19-Infektion auftretenden Gelenkaffektionen.
Röteln können auch im Erwachsenenalter in 20% der Fälle uncharakteristisch bzw. ohne Exanthem verlaufen und in etwa 30% der Fälle mit anderen exanthematischen Krankheiten verwechselt werden. Eine Diagnose von früheren oder kürzlich durchgemachten Röteln kann also nur im Labor mittels Antikörpernachweis erfolgen (. Abb. 20.7). Bei Rötelnkontakt oder serologischem Verdacht auf Röteln in der Schwangerschaft ist es erforderlich, gründlich nach den oben angeführten Symptomen sowie serologischen Befunden und Impfungen vor dieser Schwangerschaft zu fragen.
Labordiagnostik Die postnatalen Röteln werden mittels Antikörpernachweis diagnostiziert. In der pränatalen Diagnostik und der Diagno-
se von CRS wird zusätzlich der Virusnachweis mithilfe von molekularen Techniken (PCR) eingesetzt. Der Standardtest des Rötelnscreenings ist immer noch der Hämagglutinationshemmtest (HAH; Friese 2002; Friese et al. 2002). Eine sichere Immunität kann erst ab einem Titer von 1:32 angenommen werden. Titerergebnisse von 1:8 und 1:16 sind zu hinterfragen. Zur Bestätigung niedriger HAH-Titer werden IgG-Tests, wie der HiG-Test (Hämolysis-in-Gel-Test) und eine Vielzahl von EIA-Tests eingesetzt. Die in den EIA gemessenen IgG-Antikörper werden anhand eines WHOStandards, z. B. in International Units, bewertet. Zum Nachweis einer akuten Infektion werden die IgMAntikörper in indirekten EIA, μ-Capture-EIA und EIA mit rekombinantem Antigen bestimmt. Als Ergänzung zur Differenzierung des Infektionszeitpunkts werden der IgA-Antikörpernachweis sowie EIA zur Bestimmung der Avidität von IgG-Antikörpern angewendet. Da die verschiedenen EIATestkits unterschiedliche Spezifität und Sensitivität besitzen, sollten bei positivem IgM-Antikörperbefund weitere Kontrollen erfolgen. Vermehrt wird heute der nicht reduzierende Immunoblottest benutzt, um die zeitliche Abfolge der Bildung von rötelnspezifischen IgG-Antikörpern zu ermitteln. Häufige Probleme sind positive IgM-Antikörperbefunde von Schwangeren ohne/mit erhöhten HAH- und IgG-Titerwerten. Als Ursache für positive IgM-Antikörper bei klinisch unauffälligen Frauen kommen verschiedene Faktoren in Betracht (Enders 1998a): 4 akute kürzliche bzw. länger zurückliegende Rötelninfektion, 4 kürzlich durchgeführte Impfungen (MMR-Impfung), 4 Reinfektionen nach früherer Impfung, 4 langpersistierendes IgM nach früherer Infektion oder Impfung, 4 gelegentlich kreuzreagierende IgM-Antikörper bei anderen akuten/chronischen asymptomatischen Infektionen, z. B. CMV, Epstein-Barr-Virus (EBV). In der Mehrzahl der Fälle lässt sich mit den heute verfügbaren Testmethoden im Speziallabor die Ursache der IgM-Antikörper aufklären. Dadurch kann die Indikation zur pränatalen Diagnostik eingeschränkt werden (Enders 1998a).
Pränatale (kongenitale) Diagnostik Nach Diagnose einer maternalen Primärinfektion muss der Status des Fetus durch Ultraschalldiagnostik und invasive Pränataldiagnostik erhoben werden. Im Allgemeinen gilt, dass positive IgM-Antikörperbefunde im fetalen Blut bzw. positive PCR-Ergebnisse in Chorionzotten, Amnionflüssigkeit oder Fetalblut das Vorliegen einer fetalen Infektion anzeigen, jedoch negative Befunde dies nicht absolut ausschließen können. In der pränatalen Diagnostik wird eine IgM-Antikörperbestimmung im fetalen Blut mit 3 verschiedenen IgM-Tests empfohlen (Enders 1998a). Bei Infektionsverdacht wird sich in jedem Fall ein Virusnachweis anschließen, der sich entweder aus dem Chorionzottenmaterial, dem Fruchtwasser oder dem Nabelschnurblut ergibt. Hierfür wird, außer durch die Anzucht des Virus in bestimmten Zellkulturarten, heute vor-
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Abb. 20.7. Vorschlag für das Management von schwangeren Frauen mit primärer Rötelninfektion. (Mod. nach Mylonas et al. 2006a)
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nehmlich der Nachweis von Rötelnvirus-RNA mit der PCRDiagnostik verwandt (Cradock-Watson et al. 1989). Im Fall einer fetalen Infektion kann eine Interruptio in Erwägung gezogen werden. Die PCR ist die weitaus sensitivere und schnellere Methode, jedoch sind falsch positive PCR-Ergebnisse nicht auszuschließen (Enders 1998a), und somit sollten diese bei starkem Kinderwunsch noch durch eine Fetalblutentnahme nach der 22. SSW abgesichert werden. Bei negativem Virusnachweis kann in der Regel die Schwangerschaft fortgesetzt werden. Eine Chordozentese ist aber trotzdem in der 22.–23. SSW angeraten, um fetales Blut auf spezifische IgM-Antikörper und Virus-RNA untersuchen zu können.
> Da die IgM-Antikörperproduktion vor der 21. SSW zu gering für einen Nachweis sein kann, sollte zur Vermeidung falsch negativer Befunde die Chordozentese keinesfalls vor der 22. Woche erfolgen. Bei akuten Röteln in den ersten 10 SSW sollte wegen des hohen Embryopathierisikos eher ein Schwangerschaftsabbruch in Betracht gezogen werden.
Postnatale Diagnostik Zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer CRS bzw. einer pränatalen Infektion ohne Symptome bei Geburt wird die IgM- und IgG- bzw. die HAH-Antikörperbestimmung durchgeführt. Die IgM-Antikörper sind bei Kindern mit CRS i. d. R. zu 98% bei Geburt und zu 50–70% bis zum 6–8. Lebensmonat
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nachweisbar (Enders 1998a). Bei asymptomatischen Kindern mit pränataler Infektion ist die Nachweisdauer für IgM-Antikörper kürzer. Die HAH- und IgG-Antikörper sind mehrere Jahre bis lebenslang meist nur in niedrigen Titern vorhanden. Der Virusnachweis ergänzt die Serodiagnostik. Untersuchungsproben im 4.–7. Lebensmonat sind Rachensekret, Urin, Blut und Liquor. Später können weitere Untersuchungen im Kammerwasser, Augen- und Linsengewebe durchgeführt werden. Die Rate positiver Befunde in der Gewebekultur und in der PCR in Rachensekret und Urin sinkt vom 1.–6. Lebensmonat von 85 auf 20% ab (Enders 1998a).
Therapie Eine Behandlung ist bei unkomplizierten Röteln nicht erforderlich. Die Behandlung von arthralgischen Beschwerden ist symptomatisch. Bei Kindern mit CRS sind eine frühzeitige Erkennung der Hördefekte und unterstützende Maßnahmen wichtig.
20.2.3
Parvovirus B19
Das Parvovirus B19 weist einen ausgeprägten Tropismus für die erythropoiden Vorläuferzellen auf. Bei Kindern verursacht das Virus die Ringelröteln (Erythema infectiosum). Mittlerweile wird eine Infektion mit einem weiten Spektrum von hämatologischen und nicht hämatologischen Erkrankungen und Komplikationen in Verbindung gebracht. Parvovirus B19 konnte mit einem Hydrops fetalis und intrauterinen Fruchttod bei Infektionen in der Schwangerschaft assoziiert werden. Ein sicherer Zusammenhang zwischen Missbildung und Parvovirus-B19-Infektion ist noch nicht gewährleistet. Obwohl kongenitale Malformationen nach Parvovirusinfektion berichtet worden sind, scheint dies allerdings ein seltenes Phänomen zu sein. Eine intrauterine Therapie mit Erythrozytenkonzentrat könnte bei Hydrops fetalis und erniedrigten Hämoglobinwerten durchgeführt werden. Untersuchungen zur Entwicklung und klinischen Testung eines effizienten Impfstoffs gegen Parvovirus B19 sind zzt. in Vorbereitung.
Prophylaxe Eine Expositionsprophylaxe ist wegen der Virusausscheidung aus dem Rachen etwa 7 Tage vor Auftreten der Symptome (falls diese auftreten) wenig erfolgversprechend. Als passive Prophylaxe stehen Rötelnimmunglobuline mit definiertem Antikörpertitergehalt derzeit nicht mehr zu Verfügung. Als aktive Prophylaxe wird das attenuierte Rötelnimpfvirus (RA-27/3) als Komponente im Masern-MumpsRöteln- (MMR-)Impfstoff bzw. Einzelimpfstoff genutzt, wobei diese Impfstoffe in der Schwangerschaft kontraindiziert sind (Mylonas et al. 2005a). Nach Impfung kommt es zu einer abgeschwächten Infektion mit stark reduzierter Virusvermehrung, gelegentlicher Lymphknotenschwellung und Exanthem. Ähnlich wie bei natürlichen Röteln werden bei jugendlichen Frauen vorübergehende Arthralgien in bis zu 40%, arthritisähnliche Symptome in ca. 20% und chronische rekurrierende Beschwerden in 2–5% beschrieben (Enders 1998a). > Reinfektionen nach einer Impfung sind bei Kontakt mit dem Wildvirus wegen fehlender lokaler Immunität im Nasopharynx v. a. bei niedrigen HAH- und IgG-Titern relativ häufig. Reinfektionen sind i. d. R. asymptomatisch. Dabei kommt es zu einem hohen Anstieg der IgG-Antikörper mit mehr oder weniger ausgeprägter IgM-, aber meist signifikanter IgA-Antikörperbildung. Reinfektionen können trotz präexistierender HAH- und IgG-Antikörper zu fetalen Infektionen führen, jedoch nur in Ausnahmefällen zu CRS (Enders 1991; Aboudy et al. 1997)
Bei Rhesus-negativen Frauen mit Anti-D-Prophylaxe nach Entbindung sollte im Fall der Seronegativität für Röteln die aktive Impfung erst 2–3 Monate später erfolgen. Die versehentliche Impfung seronegativer Frauen kurz vor oder in der Frühschwangerschaft kann in etwa 2% der Fälle zwar zur fetalen Infektion führen, jedoch sind Schädigungen des Kindes bisher nicht beobachtet worden (Enders 1998a; Mylonas et al. 2005a).
Einleitung Das Parvovirus B19 wurde 1975 im Serum von gesunden Blutspendern nach einem Screening für das Hepatitis-B-Antigen entdeckt (Brown et al. 1984). Anfänglich wurde das Parvovirus B19 nicht mit einer speziellen Krankheit in Verbindung gebracht. Mittlerweile gilt er als die Ursache der Ringelröteln (Erythema infectiosum, M. Quintus, »fifth disease«) und wird in Zusammenhang gebracht mit einem weiten Spektrum von hämatologischen und nicht hämatologischen Erkrankungen (Mylonas et al. 2006b).
Erreger Das humanpathogene Parvovirus B19 (Erythrovirus B19) gehört zur Familie der Parvoviridae (Genus: Erythrovirus). Das Parvovirus-B19-Virus ist aufgrund seiner fehlenden Hülle sehr resistent gegenüber inaktivierenden Umwelteinflüssen. Das Virus weist einen ausgeprägten Tropismus für die erythropoiden Vorläuferzellen auf, in denen es sich lytisch vermehrt.
Klinische Symptome Bei der Infektion mit dem Parvovirus B19 beträgt die Inkubationszeit nach Eindringen des Virus über den Rachenraum bis zum Auftreten von Symptomen zwischen 13 und 18 Tagen. Die virämische Phase beginnt zwischen dem 5. und 6. Tag nach Ansteckung und erreicht ihren Höhepunkt ca. 3–4 Tage vor Beginn des Exanthems bzw. bei asymptomatischen Personen vor Auftreten der IgM-Antikörper. Dem relativ einfachen molekularen Aufbau von Parvovirus B19 steht eine große Bandbreite unterschiedlicher Erkrankungen und Symptome gegenüber (Mylonas et al. 2006b).
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Symptome bei Parvovirus-B19-Infektion 4 4 4 4 4 4
4 4 4 4 4
Ringelröteln (Erythema infectiosum) Leberversagen Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfälle Hepatitis Aplastische Krisen, v. a. bei chronischen hämolytischen Anämien Autoimmunanämie oder mit Enzymanomalien der Erythrozyten (Sichelzellanämie, Sphärozytose, Thalassämien, Pyruvatkinasedefizienz) Arthralgien/Arthritis und chronische Arthritis Transiente/persistierende Anämien Granulozytopenie sowie Thrombozytopenie Vaskulitis Glomerulonephritiden
Der Verlauf der Infektion und die Schwere der dabei auftretenden Symptome sind hauptsächlich vom hämatologischen und immunologischen Status der Patienten abhängig. Knapp ein Drittel der Parvovirus-B19-Infektionen verlaufen beim Erwachsenen symptomlos. Vor allem bei Kindern verursacht das Virus das Erythema infectiosum (Ringelröteln), welches durch ein unspezifisches Prodromalstadium mit erkältungsähnlichen Symptomen gekennzeichnet. Nach etwa 2–5 Tagen erscheint der charakteristische Ausschlag, zuerst als Erythem auf den Wangen (»slapped cheeks«). Nach weiteren 1–4 Tagen folgt das 2. Stadium. Dies ist mit einem erythematösen makulopapulösen Exanthem (häufig mit typischer Girlanden- oder Ringelform) an Körper und Gliedmaßen charakterisiert, das häufig mit starkem Juckreiz einhergeht. Bei Kindern verlaufen die Parvovirus-B19-Infektionen i. Allg. problemlos und mild. Bei Erwachsenen sieht das Exanthem oft untypisch aus oder kann auch fehlen (Mylonas et al. 2006b). > Insbesondere bei Frauen manifestiert sich eine akute Parvovirus-B19-Infektion durch plötzlich auftretende symmetrische, polyarthritische Symptome oder Polyarthralgien, besonders der kleinen Gelenke.
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Wenn Parvovirus B19 schwangere Frauen infiziert, kann dies mit schweren Folgen für den Fetus verbunden sein. Infektionen in der Frühschwangerschaft können u. a. zum Hydrops fetalis, Spontanabort und intrauterinen Fruchttod führen (Brown et al. 1984; Enders 1998a). Die Transmissionsrate wird mit ca. 33% angegeben (Enders 1998a). Die meisten schwangeren Frauen sind asymptomatisch, wobei einige Patientinnen ein charakteristisches Exanthem zeigen bzw. unspezifische Symptome wie Arthralgien auftreten können. Hydrops fetalis. Mittlerweile wird angenommen, dass eine
Parvovirus-B19-Infektion in ca. 15–20% der beobachteten Hydrops-fetalis-Fälle eine wichtige Rolle spielt (Jordan 1996), wobei das Intervall zwischen dem Beginn einer mütterlichen Infektion bis zur fetalen Symptomatik ca. 4–6 Wochen beträgt (Komischke et al. 1997). Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt nach Infektion scheint zwischen der 11. und 23. SSW am
höchsten zu sein. Das Risiko der Entwicklung eines Hydrops fetalis nach einer Parvovirus-B19-Infektion wird zwischen 0 und 24% angenommen, wobei dieses Risiko nach neueren Studien geringer zu sein scheint (1–1,6%; Miller et al. 1998). Abort, Fehlgeburt und intrauteriner Fruchttod. Obwohl eine Transmission in jedem Trimenon auftreten kann, scheint eine Infektion innerhalb des 2. Trimenons das höchste Risiko eines negativen Ausgangs der Schwangerschaft zu besitzen. Obwohl ein kausaler Zusammenhang nicht nachgewiesen werden konnte, wird angenommen, dass ca. 2–3% der Fälle eines spontanen Aborts mit einer Parvovirusinfektion einhergehen. Die meisten Fälle einer Fehlgeburt nach einer nachgewiesen Parvovirusinfektion sind allerdings im 2. Trimenon beobachtet worden (Wattre et al. 1998). Die Raten für den intrauterinen Fruchttod liegen bei verschieden Studien mit kleinen Fallzahlen zwischen 1,6 und 38% (Enders 1998a; Wattre et al. 1998), wobei eine geschätzte fetale Verlustrate in prospektiven Studien von 11,8 und 12,5% im 2. Trimenon angenommen wird (Enders 1998a; Yaegashi et al. 1998). Ein intrauteriner Fruchttod (IUFT) tritt meistens 4–6 Wochen nach Infektion auf (Hedrick 1996). In den letzten Jahren wird ein durch Parvovirus B19 verursachter IUFT in der Spätschwangerschaft zzt. kontrovers diskutiert, wobei allerdings die notwendigen prospektiven Studien noch ausstehen, die einen solchen Zusammenhang klären könnten. Fetale Schädigung. Die Mehrzahl von suspekten Fällen einer infektionsbedingten fetalen Schädigung wurde an abortierten Feten beschrieben: Herzanomalien, Augenerkrankungen, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte und Mikrognathie. Allerdings sind solche Berichte eher vereinzelte Fallberichte. Dabei ist ein sicherer Zusammenhang zwischen Missbildung und Parvovirus-B19-Infektion noch nicht gewährleistet. Eine retrospektive Analyse von 300 Neugeborenen mit kongenitalen Anomalien zeigte keine erhöhte Inzidenz einer Parvovirus-B19-Infektion im Vergleich zu gesunden Kindern (Van Elsacker-Niele et al. 1989). Dementsprechend könnte Parvovirus B19 eher embryotoxisch als teratogen wirken. Obwohl kongenitale Malformationen nach Parvovirusinfektion wahrscheinlich möglich sind, scheint dies allerdings ein seltenes Phänomen zu sein.
Diagnostik Eine akute Parvovirus-B19-Infektion sollte bei schwangeren Frauen mit entsprechender Kontaktanamnese und besonders bei der entsprechenden Symptomatik als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Für die hämatologischen Befunde sind ein kurzfristiges Absinken der Hämoglobinkonzentration sowie eine passagere Retikulozyto- und Thrombozytopenie typisch (Mylonas et al. 2006b). Bei Schwangerschaften mit Hydrops fetalis sollte eine Parvovirus-B19-Ursache ausgeschlossen werden. Indikationen für die pränatale Diagnostik sind ein auffälliger Ultraschallbefund bei klinisch und/oder serologisch bewiesener akuter Infektion sowie ein auffälliger Ultraschallbefund bei routinemäßigem Ultraschallscreening (. Abb. 20.8).
399 20.2 · Virale Infektionen
. Abb. 20.8. Vorgehen bei Parvovirus-B19-Exposition oder verdächtiger Symptomatik in der Schwangerschaft. (Mod. nach Mylonas et al. 2006a, b)
Ein Nachweis einer Parvovirus-B19-Infektion erfolgt primär durch die Antikörperbestimmung (EIA und Immunfluoreszenztest mit rekombinanten Antigenen), wobei der Parvovirus-B19-DNA-Nachweis zusätzlich bei problematischen serologischen Befunden und in der pränatalen Diagnostik durchgeführt wird. Da in ca. 15–18% der Fälle eines nicht immunen Hydrops fetalis Parvovirus-B19-DNA nachgewiesen werden, sollte die konvetionelle Diagnostik durch die Parvovirus-B19-PCR Bestimmung ergänzt werden. > Eine Parvovirus-B19-PCR-Untersuchung scheint der sensitivste Nachweis einer intrauterinen Infektion zu sein, da bis zu 50% der infizierten Feten IgM-negativ gegen Parvovirus B19 sind (Dieck et al. 1999).
Therapie Eine Therapie mit Erythrozytenkonzentraten ist nur gelegentlich bei immunkompetenten Kindern und Erwachsenen mit parvovirusbedingten aplastischen Krisen, jedoch häufig bei Personen mit chronischen hämolytischen Anämien erforderlich. Intravenöse Immunglobulingabe (IVIG) kann eine geringgradige Virämie unterdrücken sowie die Erythropoese und die IgG-Antikörperbildung stimulieren. Bei chronischerParvovirus-B19-Infektion ohne Anämie ist der Wert der IVIG-Therapie bisher nicht genau bekannt. > In Fällen einer fetalen Infektion könnten intrauterine Bluttransfusionen, v. a. bei Hydrops fetalis, ebenfalls von Vorteil sein, wobei eine solche Be-
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20
400
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
handlung ebenfalls Risiken beinhaltet (Schwarz et al. 1988; Hansmann et al. 1989). Die intrauterine Gabe von IVIG zeigte ebenfalls in einigen Fällen einen Erfolg in der Behandlung eines Hydrops fetalis (Selbing et al. 1995; Alger 1997).
Prophylaxe Eine Expostitionsprophylaxe ist selten erfolgreich, da die Infektiosität vor Auftreten der Symptomatik besteht und die akute Infektion im Erwachsenenalter sehr oft asymptomatisch verläuft. Bei seronegativen schwangeren Frauen in Risikoberufen sollte bei Auftreten von Ringelröteln eine engmaschige Beobachtung sowie die IgM- und IgG-Antikörperbestimmung erfolgen. Eine passive Prophylaxe mit entsprechenden Immunglobulinen ist prinzipiell möglich, wird aber derzeit nicht empfohlen. Derzeit existiert auch keine Möglichkeit der aktiven Prophylaxe, da noch kein effektiver Impfstoff zur Verfügung steht (Mylonas et al. 2006b).
20.2.4
20
Hepatitisinfektion
Die Hepatitis A wird durch das Hepatitis-A-Virus (HAV) hervorgerufen. Das Virus wird fäkal-oral übertragen. Die Infektion verläuft akut und heilt bei Immunität aus, wobei eine Chronizität und Entwicklung einer Leberzirrhose nicht bekannt sind. Bei Infektion in der Schwangerschaft besteht nur selten ein erhöhtes Risiko für den Fetus. Eine spezielle Therapie existiert nicht. Die passive, besser noch die aktive Impfung der Mutter ist möglich. Bei akuter Hepatitis A am Geburtstermin ist primär eine passive Immunprophylaxe des Neugeborenen anzustreben. Die Hepatitis B wird durch das Hepatitis-B-Virus (HBV) verursacht und ist weltweit mit 200–300 Mio. infizierten Menschen die häufigste Hepatitisform. Die akute Infektion geht in 5–10% der Fälle in eine chronische Verlaufsform über und ist mit einem hohen Risiko des Auftretens von Leberzirrhose und Leberzellkarzinom vergesellschaftet. Der Verlauf einer akuten Hepatitis B wird durch eine Gravidität nicht beeinflusst. In der Schwangerschaft kann eine vertikale Transmission auf den Fetus erfolgen, wobei das Risiko im 3. Trimenon stark ansteigt. Bei Nachweis von maternalem HBeAg beträgt das Transmissionsrisiko für den Fetus 90%, die Frühgeburtenzahl steigt um das 3Fache. Die infizierten Kinder zeigen meist milde Verlaufsformen der Hepatitis B, allerdings sind chronische Verläufe mit den oben genannten Risiken in bis zu 90% der Fälle beschrieben. Die Diagnostik erfolgt serologisch bzw. molekularbiologisch. Entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien sollte ein HBsAg-Screening im 3. Trimenon bei allen Schwangeren erfolgen. Bei Nachweis von HBsAg ist die Überprüfung des Anti-HDV-Antikörpers zur Diagnose einer akuten Hepatitis D notwendig. In der Schwangerschaft kann eine HBV-Impfung risikolos erfolgen. Alle Neugeborenen von HBsAg-positiven Müttern sollten bis max. 12 h postpartal einer Simultanimpfung unterzogen werden. Das Hepatitis-C-Virus (HCV) ist für etwa 90% der posttransfusionell akquirierten Hepatitiden verantwortlich. Etwa 80% der Infektionen sind klinisch inapparent, 60–85% gehen in eine chronische Verlaufsform mit erhöhtem Risiko einer Leberzirrho-
se und eines hepatozellulären Karzinoms über. Der Infektionsnachweis gelingt nur serologisch bzw. molekularbiologisch mit hochsensitiven Testsystemen. Anti-HCV-IgM-Antikörper können nicht nachgewiesen werden. Das diagnostische Fenster post infectionem und bei fehlender Immunantwort ist zu beachten. Die Möglichkeit einer vertikalen Transmission wird kontrovers beurteilt. Das potenzielle perinatale Infektionsrisiko für das Neugeborene scheint gering zu sein, steigt aber mit hoher maternaler Virusreplikation. Wenn HCV-RNA in der Muttermilch nachgewiesen wird, sollte ein Abstillen empfohlen werden.
Einleitung Hepatitisviren sind eine heterogene Gruppe von Viren, deren hauptsächliche klinische Manifestation eine Hepatitis ist. Hepatitisviren wirken aber auch auf andere Organsysteme und beeinflussen die Embryo- und Fetogenese. Hepatitisviren können durch mehrere Möglichkeiten übertragen werden. Die Letalität schwankt in Abhängigkeit vom Virus und der regionalen Verteilung zwischen 1% in den westlichen Ländern und 25% in Ländern der Dritten Welt. Nur die durch das Hepatitis-E-Virus bedingte akute Hepatitis ist bei Schwangeren mit einer im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich schlechteren Prognose verbunden (ca. 25% Letalität). Inzidenz, klinische Symptome und Komplikationen der durch die Hepatitisviren der Typen A–D verursachten akuten Hepatitiden weisen bei Schwangeren einen identischen Verlauf zu nicht schwangeren Frauen auf, Missbildungen werden nicht vermehrt beobachtet (Sherlock 1996). Hepatitis A und E treten als akute, selbst limitiert verlaufende Hepatitiden in Erscheinung. Hepatitis B, C und D weisen neben der akuten Erkrankung einen chronisch-persistierenden Verlauf mit Spätkomplikationen auf. Von Bedeutung sind dabei Transmissionsmodus und -risiko, Chronizität und Progredienz der Hepatitis sowie onkogenes Potenzial. Auch eine fetomaternale Übertragung kann erfolgen (. Tab. 20.3). Die zur Verfügung stehenden serologischen und molekularbiologischen Tests ermöglichen eine zuverlässige Identifizierung und Charakterisierung der akuten und chronischen Verlaufsform der unterschiedlichen viral bedingten Hepatitiden (. Tab. 20.4).
Hepatitis-A-Virus (HAV) Erreger Das Hepatitis-A-Virus gehört zur Familie der Picornaviren. Die Übertragung erfolgt primär fäkal-oral über Nahrungsmittel und Wasser, obwohl eine Übertragung durch Kontakt von Person zu Person ebenso möglich ist. Eine Infektion mit dem HAV ist relativ häufig, wobei die Erkrankung eine gutartige, selbstlimitierende Hepatitis darstellt, welche nach einer kurzen virämischen Phase ausheilt (Siegl 2004). In der Schwangerschaft ist die Hepatitis-A-Infektion in Schwere und Häufigkeit mit der Erkrankung bei Nichtschwangeren vergleichbar (Schneider u. Wirth 1998). Eine vertikale (Watson et al. 1993) und intrauterine Transmission (Leikin et al. 1996) wurde in Einzelfällen beobachtet. Die pränatale Infektion kann mit Hydrops fetalis und dem Bild einer Sepsis verlaufen (Leikin et al. 1996). Die postnatale
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. Tab. 20.3. Verlauf, fetomaternale Übertragung und Prophylaxe der Hepatitisinfektion. Nach (Rossol 1998)
Hepatitis
Inkubation (Wochen)
Verlauf
Fetomaternale Übertragung
Screening
Prophylaxe
A
2–6
Mild
Nein
Nein
Aktiv + passiv (HAV-Vakzine)
B
4–25
Häufig schwer
Ja
Ja (3. Trimenon)
Aktiv + passiv (HBV-Vakzine)
C
2–20
Häufig mild
Ja
Nein
Nicht vorhanden
D
13–25
Häufig schwer
Ja
Nein
Aktiv + passiv (HBV-Vakzine)
E
2–9
Fulminant möglich
Nein
Nein
Nicht vorhanden
G
?
Mild
Ja
Nein
Nicht vorhanden
. Tab. 20.4. Diagnostische Maßnahmen und Antigen-/Antikörperbestimmungen von Hepatitisinfektionen. (Mod. nach Mylonas u. Friese 2004a; Mylonas et al. 2006a)
Hepatitis
A (Picorna)
B (Hepadna)
C (Flavi)
Akut
Anti-HAV IgM+ Stuhl PCR+
HBsAg + HBeAG + Anti-HBc + Anti-HBc-IgM +
Antikörper ± PCR +
Kontrollen
Nach 6 Monaten
Nach 8–12 Wochen
Nach 3–4 Monaten
Abgelaufene limitierte Infektion
Anti-HAV gesamt + Anti-HAV IgM ±
Anti-HBs ± Anti-HBc + Anti-HBe ± HBsAG – HBeAG –
Antikörper ± PCR –
Kontrollen
Keine
Keine
Bei bestehender Symptomatik in 1–3 Monaten
Chronisch
Nicht bekannt (lang persistierende Fälle bekannt)
HBsAG + HBeAG ± Anti-HBc + Anti-HBc IgM ± Anti-HBe ± PCR +
Antikörper + PCR +
Kontrollen
Nach 1 Jahr
Nach 4–6 Monaten
Nach 4–6 Monaten
Erkrankung ist gutartig. Selten wurde ein fulminanter Verlauf der akuten Hepatitis A mit letalem Ausgang für die Mutter (bis zu 0,14%) beobachtet. Ein Risiko für den Fetus besteht nur in Einzelfällen (Sherlock 1996).
Klinische Symptome Infektionen bei Jugendlichen und Erwachsenen verlaufen im Gegensatz zu Erkrankungen in der Kindheit symptomatisch ab. Erste klinische Symptome sind Fieber, Müdigkeit, Gliederund Kopfschmerzen sowie Übelkeit, Durchfall und Erbrechen. In wenigen Tagen kann sich das Vollbild einer ikterischen Hepatitis entwickeln (Dauer wenige Tage bis Wochen). Der Stuhl erscheint hell, der Urin durch das Bilirubin dagegen dunkel. Eine Hepatomegalie, Splenomegalie, Pankreatitis,
Zeichen einer Cholestase und Hautjucken können beobachtet werden (Siegl 2004).
Diagnose Die Diagnostik einer akuten HAV-Infektion erfolgt durch die serologische Bestimmung von IgM-Antikörpern (die schon 14 Tage post infectionem für max. 2–12 Monate nachweisbar sind) bzw. PCR-Nachweis des Erregers im Stuhl. Die serologische Sequenz des HAV und der korrespondierenden Antikörper zeigt erstmals positive Serumantikörper (anti-HAV), wenn die Viruskonzentration im Stuhl schon deutlich reduziert bzw. nicht mehr nachweisbar ist. Antikörper der Klasse IgG sind mit einer sicher protektiven Immunität gegen eine erneute HAV-Infektion verbunden.
20
402
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Therapie Die Therapie der akuten Hepatitis-A-Infektion, die mit der Akquirierung im Erwachsenenalter in >70% der Fälle klinisch apparent verläuft, folgt den allgemeinen symptomatischen Therapierichtlinien. Eine spezifische Therapie existiert nicht (Siegl 2004).
Prophylaxe Wahrscheinlich kann man bei der Anwendung des Totimpfstoffes auf die Erfahrungswerte mit dem Impfstoff gegen Hepatitis B zurückgreifen. Bei Gefährdung sollte eine aktive und passive Immunisierung erfolgen. Bei einer akuten Hepatitis A der Mutter zum Geburtstermin ist jedoch eine passive Immunprophylaxe des Kindes anzustreben. Eine Immunisierung des Kindes bei Erkrankung der Mutter ante partum ist sinnvoll, da die diaplazentar übertragenen maternalen Antikörper das Neugeborene nicht absolut schützten.
Hepatitis-B-Virus (HBV) Erreger Die Hepatitis B ist durch ihre weltweite Verbreitung mit 200– 300 Mio. chronisch infizierten Menschen die zahlenmäßig häufigste Hepatitisform (Ranger-Rogez u. Denis 2004). Sie ist von enormer Bedeutung durch die in Abhängigkeit von der Virusreplikation erhöhte Gefahr der vertikalen Transmission, kann aber in den westlichen Ländern durch verfügbare Vakzine beherrscht werden. Die HBV-Trägerrate in Deutschland beträgt ca. 0,8%, wobei ca. 0,9–1,4% der Schwangeren HBsAg-Träger sind (Schneider u. Wirth 1998). Es ist mit ca. 7000–7500 Neugeborenen bei HBsAg-positiven Müttern pro Jahr zu rechnen. Die vertikale Transmissionsrate hängt primär von der Virämie der Mutter ab. Eine intrauterine pränatale diaplazentare Transmission stellt eine Ausnahme dar, ist aber v. a. im 3. Trimenon möglich und hat keinen negativen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf. Eine perinatale und frühpostnatale Infektion ist möglich, da das Virus bei infizierten Müttern praktisch immer im Vaginalsekret zu finden ist, bei ca. 35% in der Amnionflüssigkeit, bei ca. 50% im Nabelschnurblut und bei >70% in der Muttermilch.
Klinische Symptome
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Nach einer Inkubationszeit von 6–25 Wochen beginnt die Prodromalphase mit Unwohlsein, Übelkeit und Erbrechen sowie Gelenkbeschwerden. Eine fulminante Hepatitis mit hoher Morbidität und Letalität kann ebenfalls in der Schwangerschaft beobachtet werden. Bei durchschnittlich 5–10% (Kleinkinder 30%, Neugeborene 90%) entwickelt sich eine chronische Erkrankung mit chronisch persistierender bzw. chronisch aggressiver Hepatitis mit Entwicklung einer Zirrhose bzw. nachfolgend eines Leberzellkarzinoms (chronische Entzündung, Regeneration der Leberzellen) nach 25–30 Jahren (Ranger-Rogez u. Denis 2004). Eine Störung der Hämatopoese kann auftreten. Hepatitis B ist häufig bei Patienten mit Polyarteritis nodosa oder bei membranoproliferativer Glomerulonephritis (Immunkomplexerkrankungen) nachzuweisen. Bei akutem Verlauf tritt gelegentlich eine Pankreatitis auf. Eine Ansteckungsfähigkeit besteht, solange serologisch HB-
sAg, HBeAg oder HBV-DNA nachgewiesen werden kann. Eine Koinfektion mit HDV ist ebenso möglich. Im Erwachsenenalter erworben, geht die HBV-Infektion in 5–10% der Fälle in eine chronische Verlaufsform über und ist in einem hohen Maß mit der Entwicklung einer Leberzirrhose und eines primären Leberzellkarzinoms vergesellschaftet. Der klinische Verlauf bei Kindern ist überwiegend asymptomatisch. Die Wahrscheinlichkeit eines chronischen Verlaufs steigt, je jünger das Kind bei Infektion war. Sicher pränatal infizierte Kinder weisen in >90% einen chronischen Verlauf auf (Shapiro 1994). Die Infektiosität ist wegen extrem hoher zirkulierender Virusmengen erheblich. Obwohl die Parenchymentzündung wenig ausgeprägt ist, kann der Verlauf Aktivitätsschübe und eine stetige Progredienz zur Zirrhose aufweisen. Leberzellen werden während der Infektion nicht durch die Viren (fehlender zytopathischer Effekt), sondern durch das Immunsystem des Organismus abgetötet. Je effektiver die Viruselimination, desto stärker ist die Zellzerstörung. Ungefähr ein Drittel aller an Hepatitis B Erkrankten haben sich im Kindesalter infiziert (Shapiro 1994). Selten kommt es bei vertikaler Transmission zu einer fulminanten neonatalen Hepatitis (Schneider u. Wirth 1998). > Bei einem HBsAg-Trägerstatus der Mutter besteht ein Risiko für den Fetus von 40%, bei gleichzeitiger HBeAg-Positivität erhöht sich das Risiko auf 90%. Unabhängig hiervon ist ein messbarer HBV-DNASpiegel im Serum der Mutter mit einer erhöhten Infektionsrate der Kinder assoziiert.
Diagnose Die zur Verfügung stehenden serologischen und molekularbiologischen Tests ermöglichen eine zuverlässige Identifizierung und Charakterisierung der akuten und chronischen Verlaufsform der Hepatitis B (. Tab. 20.4; . Abb. 20.9). Insbesondere in der Differenzialdiagnose eines Ikterus während der Schwangerschaft sollte nach einer HBV-Infektion gesucht werden. Post infectionem wird nach 2–8 Wochen der Nachweis des Oberflächenantigens (HBsAg) positiv. Bei den chronischen Verlaufsformen zeigt eine Persistenz nach ca. 4–6 Monaten eine permanente Virusreplikation an (Sherlock 1996). Typische serologische Antigen-Antikörper-Muster lassen bei der Hepatitis-B-Infektion klare Aussagen über Verlauf, Infektiösität und Virusreplikation zu. Bei Nachweis von HBsAg ist die Überprüfung des Anti-HDV-Antikörpers zur Diagnose einer akuten Hepatitis D notwendig.
Therapie Die mögliche Therapie einer chronisch aktiven Hepatitis B mit Interferon-α ist aufgrund der noch unbekannten Auswirkungen dieses Immunmodulators auf den Fetus nicht indiziert (Sherlock 1996; Schneider u. Wirth 1998). Da eine Progression der Erkrankung während der Schwangerschaft nur in seltenen Fällen beobachtet wird, kann mit der antiviralen Therapie bis nach der Entbindung gewartet werden. Bei Kindern von Müttern mit positivem HBs- und/oder HBeAgNachweis ist eine Simultanimpfung sowie Absaugung des
403 20.2 · Virale Infektionen
Ein effektiver Schutz kann mit diesem Schema in bis zu 95% der Fälle erreicht werden, ohne dass eine Interferenz mit anderen Vakzinen befürchtet werden muss (Sherlock 1996; Schneider u. Wirth 1998). > Da nach neueren Studien eine Übertragung des Hepatitis-B-Virus von Müttern mit HBeAg- und HBVDNA-Positivität auf das Neugeborene in fast allen Fällen angenommen werden muss, wird eine Kaiserschnittentbindung in Kombination mit einer simultanen passiven/aktiven Immunprophylaxe als verbesserte Präventivmaßnahme, zumindest bei sehr hoher Viruslast, diskutiert (Lee et al. 1988).
Hepatitis-C-Virus (HCV) Erreger
. Abb. 20.9. Vorgehen bei Verdacht auf HBV-Infektion. (Mod. nach Mylonas u. Friese 2009)
Magensekrets (>95% HBV) zu empfehlen. Durch dieses Vorgehen lassen sich ca. 90% der Infektionen bei Neugeborenen verhindern.
Prophylaxe Ein HBsAg-Screening der Mutter bei Risikogruppenzugehörigkeit und im 3. Trimenon soll bei allen Schwangeren durchgeführt werden (Friese 2002). Eine Hepatitis-B-Impfung in der Schwangerschaft kann mit rekombinanten Impfstoffen ohne Risiko für Kind oder Mutter durchgeführt werden (Friese 2000; Mylonas et al. 2005a). Alle Neugeborenen von HBsAg-positiven Müttern sollten unmittelbar post partum, auf jeden Fall aber innerhalb von 12 h, eine simultane Immunprophylaxe mit Hepatitis-B-Immunglobulin (0,5 ml i.m.) und einer Hepatitis-B-Vakzine (10 μl<12 h, 1 Monat, 6 Monate post partum) erhalten. Einen Monat nach der 3. Impfung ist eine Analyse AntiHBs-Bestimmung sinnvoll, da nur Antikörperspiegel >10 IE/ ml eine protektive Wirkung besitzen. Nachimpfungen (Booster) sind je nach Ergebnis der Grundimmunisierung, in jedem Fall aber bei einem Anti-HBs-Titer <10 IE/ml durchzuführen.
Die HCV-Infektion rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Durch die hohe Chronifizierungstendenz, die nur geringe klinische Apparenz der Erkrankung und das schlechte Ansprechen auf eine antivirale Therapie ist eine rechtzeitige Diagnose und Überwachung wichtig (Giles et al. 2003). Die C-Hepatitis ist die häufigste, durch Blut oder Blutprodukte parenteral übertragene Krankheit (Giles et al. 2003). In Deutschland liegt die Hepatitis-C-Durchseuchungsrate unter 0,5%. Ein wesentlicher Risikofaktor scheint der Drogenkonsum zu sein (Resti et al. 2002). Im Rahmen einer Langzeituntersuchung wurden nach einer mittleren Beobachtungszeit von 6,5 Jahren bei 30,3% der Patienten Antikörper gegen HCV nachgewiesen. Möglich ist auch eine sexuelle Übertragung; es besteht ein statistischer Zusammenhang mit einer positiven Lues- bzw. HIV-Serologie (Resti et al. 2002). Risikofaktoren einer Infektion sind illegaler Drogengebrauch und gefährliches Sexualverhalten. Okkulte HBV-Infektionen sind bei ca. einem Drittel der Patienten mit chronischer HCV-Infektion nachzuweisen (Cacciola et al. 1999). Während die perinatale HBV-Transmission relativ sicher ein Risiko darstellt, sind die Zahlen für die vertikale HCVTransmission bisher sehr unterschiedlich (Schneider u. Wirth 1998; Giles et al. 2003). Untersuchungen über die vertikale und horizontale Übertragung des HCV konnten zeigen, dass sowohl eine intrafamiliäre horizontale bzw. sexuelle Übertragung des HCV als auch die vertikale und perinatale Übertragung des HCV selten sind (Reinus et al. 1992; Nakashima et al. 1995). Das Risiko einer intrauterinen Übertragung des HCV liegt bei ca. 5% (Nachweis des viralen Genoms), bei gleichzeitiger HIV-Infektion allerdings bei bis zu 50%. Ein negativer Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf ist nicht bekannt. Voraussetzung für eine HCV-Transmission ist die Virämie der Mutter. Die Transmissionsrate liegt bei HIV-negativen Müttern bei 0–42% (Schneider u. Wirth 1998; Giles et al. 2003). Anti-HCV-positive, HCV-RNA-negative Mütter sind nicht virämisch, und es ist keine vertikale Transmission zu beobachten (Reinus et al. 1992).
Klinische Symptome Eine Infektion mit HCV führt nach einer Inkubationszeit in wenigen Fällen zu einer klinisch apparenten Hepatitis mit Ikterus. In >80% der Fälle wird ein chronischer Verlauf
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
beobachtet, häufig mit Leberzirrhose bzw. der Gefahr der nachfolgenden Entstehung eines Leberzellkarzinoms. Bei aktivem Verlauf können eine Pankreatitis und eine Störung der Hämatopoese auftreten. Bei einer gleichzeitig bestehenden und häufig okkulten HBV-Infektion (bei ca. einem Drittel der Patienten mit HCV) existiert ein signifikant erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Leberzirrhose und eines Leberzellkarzinoms. Bei bestehender Zirrhose reduziert eine Therapie mit Interferon die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Leberzellkarzinoms (um den Faktor6) nur bei Patienten ohne HBV-Infektion (Cacciola et al. 1999). Weiterhin können bei chronischer Hepatitis C eine Kryoglobulinämie, membranoproliferative Glomerulonephritis, Sjögren-Syndrom und selten eine Thyreoiditis Hashimoto beobachtet werden. Bei perinataler Infektion besteht eine diagnostisch unklare Phase nach der Geburt mit HCV-RNA-Negativität für wenige Tage. Spätestens ab der 2. Lebenswoche ist das Virusgenom im Serum nachweisbar. Drei klinische Verläufe können beobachtet werden (Schneider u. Wirth 1998): 4 transitorische Virämie (selten): vorübergehender Nachweis von HCV-RNA ohne Erkrankung, 4 akute, symptomatische Hepatitis bis zum fulminanten Verlauf (selten), 4 protrahierte, subklinische Hepatitis mit variabler Klinik, phasenweisem Transaminasenanstieg und histologisch nur gering aktiver Hepatitis. Der weitere Verlauf ist chronisch schubweise. Kinder mit positivem Genomnachweis müssen langfristig überwacht werden. Die Häufigkeit von Zirrhose oder Karzinom nach perinataler Infektion ist unbekannt, obwohl diese primär im Erwachsenenalter auftreten.
Studienbox Derzeit wird die Möglichkeit der vertikalen Transmission des Hepatitis-C-Virus sehr kontrovers beurteilt. Insgesamt scheint das Risiko für das Neugeborene, sich perinatal bei der mit Hepatitis C infizierten Mutter anstecken zu können, gering zu sein (<5%). Entscheidend ist aber, dass die vertikale Transmission bei bis zu 33% der Neugeborenen bei einer hohen Virusreplikation (106 Virionen/ml) der Mutter beobachtet wird (Ohto et al. 1994).
Diagnostik
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Durch die geringe Anzahl der Viren im Serum ist der direkte Antigennachweis selbst nicht möglich. Enzymimmunologisch können mit Testsystemen der 2. Generation die verschiedenen rekombinanten Proteine des Hepatitis-C-Virus verwendet und mit hoher Sensitivität und Spezifität HCV-Antikörper nachgewiesen werden. Kreuzreaktionen bei Seren mit Hypergammaglobulinämie, Paraproteinämie oder Autoimmunhepatitiden, die v. a. bei den Testsystemen der 1. Generation auftraten, werden nur noch mit geringer Frequenz beobachtet. Dadurch konnte neben der verbesserten Testspezifität auch eine deutlich frühere Diagnose der akuten Hepatitis-C-Virusinfektion erreicht werden.
Der selektive Nachweis von Anti-HCV-IgM-Antikörpern ist jedoch noch nicht möglich. Einschränkend müssen zudem das verbleibende diagnostische Fenster direkt post infectionem (in Ausnahmefällen bis zu mehreren Monaten) und die Patienten, die primär keine Antikörperantwort zeigen, erwähnt werden. Eine Übersicht über die diagnostischen Methoden gibt . Tab. 20.5.
Therapie Die einzige etablierte antivirale Therapiestrategie bei der chronischen HCV-Infektion ist das Interferon-α, das bisher wie auch bei den anderen chronischen Virushepatitiden (HBV und HDV) nicht bei Schwangeren gegeben werden sollte. Die Therapie der akuten HCV-Infektion ist nicht gesichert und sollte deshalb in der Schwangerschaft nicht angewendet werden.
Prophylaxe Trotz intensiver Bemühungen sind bisher keine erfolgreichen Vakzine gegen eine HCV-Infektion etabliert worden. Ein generelles Screening gilt derzeit als nicht kosteneffektiv und wird nicht empfohlen (Giles et al. 2003; Plunkett u. Grobman 2005). Dies liegt, wie bei den meisten der RNA-Viren, an deren überaus hoher Mutationsrate, die sich auch beim HCV in mehreren Genotypen, Subtypen und Quasispezies niederschlägt. Spezifische Immunglobuline stehen nicht zur Verfügung. Tipp Insbesondere sollte bei der HCV-Infektion das Risiko einer Virusübertragung durch die Muttermilch bedacht werden, da in Abhängigkeit von der quantifizierten Virämie der Mutter in bis zu 31% der Fälle HCV-RNA als direkter Virusnachweis in der Muttermilch nachgewiesen werden konnte. Vor dem Stillen des Neugeborenen sollte bei Anti-HCV-positiven Müttern deshalb der HCV-RNANachweis durchgeführt und bei einem positiven Testergebnis das Abstillen zumindest diskutiert werden. Das Stillen sollte nur für Mütter ohne HCV-RNA-Nachweis uneingeschränkt empfohlen werden.
Obwohl theoretisch eine Übertragung von HCV über die Muttermilch möglich wäre, sehen viele Organisationen weltweit eine HCV-Infektion nicht als Kontraindikation zum Stillen an (Giles et al. 2003).
20.2.5
HIV-Infektion und »Acquired Immune Deficiency Syndrome« (Aids)
Weltweit ist eine Zunahme der Infektionen mit dem HI-Virus zu verzeichnen. In Deutschland wird die Zahl der HIV-Infizierten auf ca. 44.000 Menschen geschätzt, ein Viertel davon Frauen, 80% von ihnen sind im gebärfähigen Alter. Zunehmend werden Frauen HIV-positiv diagnostiziert, die keiner Risikogruppe zuzuordnen sind.
405 20.2 · Virale Infektionen
. Tab. 20.5. Bewertung der diagnostischen Methoden bei einer HCV Infektion
Test
Material
Bewertung
HCV-ELISA
Serum
5 Sensibler Suchtest 5 Antikörperbildung setzt frühestens nach 4–6 Wochen (meist 2–6 Monaten!) ein 5 Aufgrund möglicher falsch positiver Befunde sollte ein positives Ergebnis mit einer spezifischen Methode (z. B. Immunoblot; 7 unten) kontrolliert werden! 5 Ursachen für falsch positive Befunde: – Paraproteinämie – Autoantikörper – EBV-Infektionen 5 Der Test kann nicht zwischen einer akuten, chronischen (infektiösen) oder ausgeheilten (nicht mehr infektiösen) Erkrankung unterscheiden!
HCV-Immunoblot
Serum
5 Bestätigungstest 5 Durch die Interpretation des Bandenmusters ist eine Differenzialdiagnose zwischen Erkrankung und unspezifischer Reaktion möglich: – Bei Nachweis einer spezifischen Bande ist das Ergebnis fraglich (Kontrolle empfohlen) – Bei Nachweis von >1 spezifischen Bande ist das Ergebnis positiv! 5 Der Test kann nicht zwischen einer akuten, chronischen (infektiösen) oder ausgeheilten (nicht mehr infektiösen) Erkrankung unterscheiden!
HCV-PCR
EDTA-Blut
5 Indikationen: – Antikörperpositive Patienten (ELISA und/oder Blot) – Differenzialdiagnose: akute oder ausgeheilte Hepatitis – Frische Infektion vor dem Auftreten von Antikörpern – Diagnose/Verlauf einer chronischen Infektion mit fehlendem Antikörpernachweis (ELISA und/oder Blot) – Unklarer serologischer Befund bei ELISA und/oder Blots 5 Derzeit die einzige verfügbare Methode, um eine Aktivität und Infektiosität einer Hepatitis-CErkrankung nachzuweisen
In Deutschland werden jährlich 200–250 Kinder HIV-positiver Schwangerer entbunden. Heute beträgt in der BRD die Rate der vertikalen HIV-l-Infektion nur noch 1–2%. Diese niedrige Transmissionsrate wurde durch Kombination des Protokolls ACTG076 mit einer primären Sectio am wehenlosen Uterus erreicht. ACTG076 beinhaltet die Therapie der HIV-positiven Schwangeren in der Schwangerschaft mit Zidovudin oral, während der Geburt i.v. und die Behandlung der Neugeborenen 6 Wochen mit Zidovudin oral. Die Kinder dürfen nicht gestillt werden. Dieses Vorgehen wird im Rahmen einer regelmäßig stattfindeten, interdisziplinären Konsensuskonferenz weiter modifiziert und an neueste Erkenntnisse angepasst (zuletzt 2005). Grundvoraussetzung jeglicher Prävention der HIV-MutterKind-Übertragung ist jedoch das konsequente Angebot einer HIV-Testung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge entsprechend den gültigen Mutterschaftsrichtlinien an jede Schwangere. Ziel geburtsmedizinisch-pädiatrischer interdisziplinärer Arbeit war in den vergangenen Jahren primär die Verhinderung der maternofetalen HIV-Transmission. Durch die therapeutischen Fortschritte in der antiretroviralen Therapie (ART) bei Erwachsenen (hochaktive antiretrovirale Therapie) können jedoch die gesundheitlichen Interessen der Mutter und die des Kindes divergieren, da die unerwünschten Langzeitwirkungen dieser Medikamente auf das Kind weitgehend unbekannt sind.
Einleitung Epidemiologische und klinische Untersuchungen durch die Centers for Disease Control (CDC) führten 1981 zur Definition des Acquired Immune Deficiency Syndroms (Aids). In den Studien wurde deutlich, dass homosexuelle Männer, intravenöse Drogenkonsumenten und Empfänger von Bluttransfusionen oder Blutprodukten ein hohes Risiko für diese Erkrankung haben. Das 1983 von Montagnier (Pasteur-Institut, Paris) erstmals isolierte, zuvor unbekannte humane Virus ist die Ursache von Aids. Nach eindeutiger Identifikation als RNA-Retrovirus trägt das Virus heute die Bezeichnung humanes Immundefizienzvirus (HIV). Das HIV2 verdankt seine späte Entdeckung dem Umstand, dass es im Vergleich zu HIV1 einen leichteren und längeren Verlauf nimmt und schwerer auf sexuellem oder perinatalem Weg übertragbar ist. Bis Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre wurde HIV-positiven Schwangeren meist zu einem Schwangerschaftsabbruch geraten, häufig verbunden mit einer Sterilisation. Durch verbesserte therapeutische Möglichkeiten ist die Reduktion der fetomaternalen Transmissionsrate des HI-Virus von ca. 15–20% ohne Therapie auf <2% (European Group 1991; Kind et al. 1998) in der westlichen Welt gelungen. > Die HIV-Infektion bedeutet heute keine Kontraindikation für die Austragung einer Schwangerschaft.
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Erreger Das humane Immundefizienzvirus (HIV) ist ein Retrovirus aus der Familie der Lentiviren. Man unterscheidet 2 Virustypen (HIV-1 und HIV-2). Diese Subtypen zeichnen sich durch entsprechende Unterschiede des Virusgenoms und der geographischen Verteilung aus. HIV-1 Subtyp B ist vorherrschend in Westeuropa und Nordamerika, während in Afrika alle wesentlichen HIV-1-Subtypen und HIV-2 (SubtypA–E) gefunden werden. HIV-2-Infektionen in Westeuropa sind selten. Zielzellen für HIV sind alle Körperzellen des Menschen, die den CD4-Rezeptor auf ihrer Oberfläche tragen (Feinberg 1996; Pillay u. Phillips 2005). HIV kann sowohl in zellgebundener Form als auch als zellfreies Virus übertragen werden. Es handelt sich dabei v. a. um Zellen des Immunsystems wie CD4-positive T-Lymphozyten (T-Helferzellen) und Zellen des Monozyten-Makrophagen-Systems (z. B. dendritische Zellen, dermale Langerhans-Zellen, Mikroglia des Gehirns, antigenpräsentierende Zellen des Darmes).
primären Symptome zusammen; je schwerer, desto früher und schneller tritt eine Progression ein. Bei Personen mit möglicher Exposition sind folgende Symptome wichtig: morbilliformes Exanthem (auch als makulopapulös beschrieben) besonders am Körperstamm (in 40–80%); in einigen Fällen aseptische Meningitis; mukokutane Ulzerationen der bukkalen Mukosa, Gingiva, Gaumen, Ösophagus, Anus (. Tab. 20.6).
Studienbox Studienergebnisse aus Grundlagen- und klinischer Forschung haben ergeben, dass die HIV-Transmission eine multifaktorielle Genese hat (European 1996; Burns et al. 1997; Mayaud 1997; Mandelbrot 1998; Rokos et al. 1998; Burns u. Mofenson 1999, 2001) und dass dementsprechend durch kombinierte Intervention das HIV-Transmissionsrisiko auf <2% reduzierbar ist (Kind et al. 1998; Mandelbrot 1998).
Klinische Symptome
20
Das HIV verursacht das erworbene Immundefzienzsyndrom (Aids; . Tab. 20.6). Die Integration proviraler HIV-DNA in das Genom der Wirtszelle führt zu einer latenten Infektion. Die Aktivierung der Gentranskription führt durch Synthese der HIV-spezifischen Regulatorgene zur produktiven Infektion. Eine Persistenz von HIV im lymphatischen Gewebe führt zu einem langsamen, aber stetig zunehmenden Funktionsverlust immunkompetenter Zellen. Im weiteren Verlauf kommt es durch eine pathologische Steigerung der aktivierungsinduzierten Lymphozytenapoptose zu einer globalen Funktionsstörung der Effektorzellen, die schließlich das Vollbild von Aids zeigt. Das Endstadium der Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine völlige Zerstörung der Struktur lymphatischer Organe mit einem Mangel an kompetenten immunregulatorischen Effektorzellen, der den Organismus für Infektionen mit opportunistischen Erregern, Autoimmunerkrankungen und Tumoren prädisponiert. Die vertikale Übertragung von HIV kann prä-, peri- und postnatal erfolgen. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass mindestens die Hälfte aller vertikalen Transmissionen auf den Fetus unmittelbar perinatal stattfinden. Die intrauterine Transmission findet wahrscheinlich vermehrt im 3. Trimenon statt. Eine Übertragung des Virus durch Stillen ist möglich, aber selten (im 5.–12. Lebensmonat). Wichtig ist es, das Stillen vor dem 5. Lebensmonat zu beenden (Leroy et al. 1998). Die mütterlichen Risikofaktoren, die mit einer erhöhten vertikalen Übertragungsrate (prä-, peri- und postnatal) einhergehen, sind Folgen einer fortgeschrittenen oder rasch fortschreitenden Erkrankung: hohe Virusbeladung des Organismus mit hoher Plasmaviruslast, Nachweis virulenter HIV-Isolate (SI-Varianten, »rapid/high« Replikationsmuster, T-Tropismus), niedrige T-Helferzellzahl und fehlende TH1-Stimulation (Clerici et al. 2000). Nach einer Inkubationszeit von 16–25 Tage (Tage bis Wochen) kann ein mononukleoseähnliches Krankheitsbild auftreten. Die Dauer der Erkrankung beträgt Tage bis Wochen, meist jedoch weniger als 14 Tage. Möglicherweise hängt die Prognose der Erkrankung mit der Schwere und Dauer der
Bei etwa 20–30% der vertikal infizierten Feten kann eine früh einsetzende schwere Verlaufsform mit einer hohen Viruslast bei Geburt, einem schnellen T-Helferzellen-Verlust, opportunistischen Infektionen und/oder einer schweren Enzephalopathie in den ersten 18 Lebensmonaten beobachtet werden (Shearer et al. 1997). Unbehandelt liegt die Lebenserwartung <5 Jahren. Bei 70–75% findet sich eine langsam progrediente Verlaufsform. Ein kleiner Teil dieser Patienten (etwa 5%) zeigt auch nach 8–12 Jahren noch keinerlei klinische oder fortschreitende immunologische Symptomatik (»long term non progressors«). Die durchschnittliche HIV-Prävalenz bei Schwangeren beträgt in Deutschland nur etwa 0,5–0,6/1000 in Großstädten und 0,1–0,2/1000 in den übrigen Regionen (Marcus 1999). Auch bei einer hohen Spezifität der beiden in Deutschland zugelassenen Schnelltests von 99,7% (3 falsch positive Ergebnisse auf 1000 Untersuchungen) ist daher, falls keine weiteren eindeutigen anamnestischen Risikofaktoren vorliegen, der Vorhersagewert eines positiven Schnelltestbefunds gering (in einem unselektierten Klientel wäre zu erwarten, dass nur etwa 3–20% der positiven Schnelltestbefunde richtig positiv sind!). Dies wäre bei der Aufklärung der Schwangeren und der (vorläufigen) Befundmitteilung unbedingt zu berücksichtigen.
Diagnose Rund 34% der Schwangeren erfuhren die Diagnose ihrer HIVInfektion im Rahmen der Mutterschaftsvorsorgeuntersuchung in der Frühschwangerschaft (Hollwitz et al. 2004). Dabei handelte es sich durchaus nicht nur um Frauen, die einem Risikokollektiv zugeordnet werden konnten, sondern ein zunehmender Anteil der Patientinnen (28%) hatte sich heterosexuell infiziert, ohne aus einem Hochprävalenzland zu stammen. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass ein flächendeckendes HIV-Screening bei Schwangeren auch in Ländern mit einer niedrigen Prävalenz als kosteneffektiv zu bewerten ist, da jedes infizierte Neugeborene extreme Kosten für das Gesundheitssystem verursacht (Graves et al. 2004; Anderson et al. 2005).
407 20.2 · Virale Infektionen
. Tab. 20.6. Charakteristika des erworbenen Immundefizienzsyndroms (Aids). (Aus Mylonas u. Friese 2004a)
Parameter
Kennzeichen
Wirtsspezifität des Erregers
5 Humanspezifisch
Infektionsquelle
5 Mensch
Epidemiologie
5 Weltweite Verbreitung
Übertragung
5 Parenterale und sexuelle Transmission; prä-, peri- und postnatal 5 Vertikale Transmission 5 Weltweit und ohne medizinische Maßnahmen zwischen 8 und 45% (pränatal: 1–15%)
Pathogenese
5 Infektion CD4-tragender Zellen (Makrophagen und CD4-Lymphozyten) 5 Progressive Zerstörung
Inkubationszeit
5 Jahre
Manifestationswahrscheinlichkeit
5 Hoch, ca. 90%
Krankheitsverlauf
5 1. Katarrhalische Beschwerden 5 2. Nach Jahren Lymphadenopathiesyndrom 5 3. Stadium der Immundefizienz (opportunistische Infektionen)
Symptome
5 5 5 5 5 5 5 5
Diagnose
5 Serologie (Routine-EIA und Western-Blot) 5 PCR, RT-PCR
Infektionsverdacht nach Kontakt (akute HIV-Infektion)
5 Frühnachweise: – HIV-PCR (3–5 Tage früher als p24-Antigen) – EIA positiv 22–27 Tage nach Exposition – Simultaner Nachweis von HIV-Antigen (z. B. p24) und HIV-Antikörpern – p24- und/oder -ositiv und EIA negativ – Hinweis auf akute HIV-Infektion 5 Bei Verdacht in 2–4 Wochen wiederhohlen
Verlaufskontrolle
5 CD4-Absolutzellzahl, CD4-Prozentzahl, CD4/CD8-Ratio (zellulärer Immunstatus) 5 Bestimmung der Viruslast: – In der virämischen Phase 103–108 HIV-Kopien/ml – Bei Anstieg der Antikörper gleichzeitig Rückgang der Viruslast; bei asymptomatischen HIV-Infektionen daher häufig niedrige Viruslast! – Langzeitprognose ist von der Viruslast in der frühen asymptomatischen Infektion abhängig (nach Abklingen der initialen Virämie, sog. »setpoint«): Bei hoher Viruslast (>35.000/ml) signifikant kürzere Überlebenszeit sowie kürzere symptomfreie Zeit (Risikoabschätzung)
Neugeborenes einer HIV-positiven Mutter
5 PCR unmittelbar nach Geburt, bei negativem Ausfall erneut nach 4–8 und nach 12–16 Wochen 5 Antikörpernachweis beim Neugeborenen nicht sinnvoll 5 EIA und Immunoblot zur Absicherung des Immunstatus der Mutter
Therapie
5 Basenanaloge 5 Proteasinhibitoren 5 Fusionsinhibitoren
Meldepflicht
5 Anonym
Fieber und Müdigkeit (>70–90%) Exanthem (>40–80%) Kopfschmerzen (32–70%), Lymphadenopathie (40–70%) Pharyngitis (50–70%), Myalgie, Arthralgie (50–70%) Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö (30–60%) Aseptische Meningitis (24%) Orale und genitale Ulzerationen (5–20%) Thrombozyto- und Leukopenie (40–45%)
20
408
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Als diagnostische Methoden bei einer HIV-Infektion stehen Antikörper- und Antigennachweis sowie RT-PCR zu Verfügung. Als sog. Surrogatmarker spiegelt die Absolutzahl von T-Helferzellen im peripheren Venenblut die progrediente Schädigung des Immunsystems wieder und wird zur klinischen Stadieneinteilung herangezogen. Die virologische und immunologische Diagnostik der HIV-exponierten Neugeborenen und Säuglinge verfolgt wesentliche Zielsetzungen: 4 Früherkennung HIV-infizierter Neugeborener und Säuglinge, die den Einsatz entsprechender Prophylaxemaßnahmen erlaubt (Prophylaxe der Pneumocystis carinii – Pneumonie, Immunglobulinsubstitution, Optimierung der Ernährung). 4 Identifikation von HIV-infizierten Patienten mit hohem Risiko für einen rasch progredienten Krankheitsverlauf (Kandidaten für eine antiretrovirale Frühtherapie). 4 Identifikation von Nebenwirkungen der prä- und postpartalen Prophylaxe mit antiretroviralen Chemotherapeutika (z. B. Zidovudin) auch bei nicht HIV-infizierten Kindern. Da zukünftig vermehrt Infektionen mit Zidovudin-resistenten HIV-Stämmen auftreten können (Duwe et al. 2001), sollte vor einer Zidovudin-Gabe der genotypische Nachweis eines HIV-Wildtypus erbracht werden (Ausschluss einer genotypischen Resistenz).
Indikation für eine Resistenztestung
20
4 Um eine mögliche Beeinträchtigung der Wirksamkeit der antiretroviralen Prophylaxe/Therapie in der Schwangerschaft aufgrund vorliegender Resistenzen zu vermeiden, ist generell bei jeder bis dahin unbehandelten Schwangeren vor Therapie-/Prophylaxebeginn eine Resistenztestung indiziert (Welles et al. 2000). 4 Bei Frauen, die unter antiretroviraler Behandlung schwanger werden, ist entsprechend den DeutschÖsterreichischen Empfehlungen zur HIV-Therapie bei Erwachsenen bei einem virologischen Therapieversagen eine Resistenztestung indiziert. 4 Ist zum Ende einer antiretroviralen HIV-Transmissionsprophylaxe (Bestimmung ca. 1 Woche vor Sectio- bzw. Entbindungstermin oder am Entbindungstermin) bei der Schwangeren die Viruslast im nachweisbaren Bereich, sollte ebenfalls eine Resistenzbestimmung veranlasst werden, um eine eventuelle Resistenzentwicklung unter Prophylaxe zu dokumentieren, die ggf. bei späterer Behandlungsbedürftigkeit der Frau zu berücksichtigen wäre (Eastman et al. 1998). 4 Falls eine Nevirapin-Ultrakurzprophylaxe (einmalige Dosis kurz vor der Geburt für die Mutter) verabreicht wurde, sollte eine Resistenztestung 4–6 Wochen nach Ende der Einnahme antiretroviraler Medikamente durchgeführt werden.
Therapie Ziel eines optimalen initialen Therapieregimes in der Schwangerschaft ist neben der Hemmung der Virusreplikation bei der Mutter eine wirksame Prophylaxe der HIV-Transmission. Auch in der Schwangerschaft gelten die für erwachsene HIVPatienten formulierten Behandlungsindikationen mit einigen Modifikationen. Die Therapie der HIV-Infektion erfolgt zumeist in Kombination mit Präparaten aus 3 Substanzklassen, welche die Funktion HIV-spezifischer Enzyme an 2 Stellen inhibieren (Friese et al. 2002). 4 Inhibition der HIV-spezifischen reversen Transkriptase, die durch nukleosidale Inhibitoren der RT (NRTI) und durch nicht nukleosidale reverse Transkriptaseinhibitoren (NNRTI) erfolgt. 4 Inhibition einer HIV-Protease, die erst spät im Replikationszyklus das HIV-gag-pol-Protein in einzelne Proteine zerschneidet. > Bei der Diagnosestellung sollte umgehend der Kontakt zu einem interdisziplinären Zentrum mit HIV-Schwerpunkt hergestellt und von nun an die Schwangere in einer engen Kooperation mit dem niedergelassenen Frauenarzt betreut werden. Eine geschickte Terminplanung gewährleistet dabei engmaschige Kontrollen.
Spätestens in den Zentren sollte jeder HIV-positiven Schwangeren eine psychosoziale Betreuung und die Kontaktaufnahme zu Frauengruppen der Aids-Hilfegruppen angeboten werden. In den Zentren erfolgt die ausführliche Aufklärung der Patientin über das bestehende maternofetale Transmissionsrisiko und die die aktuellen Möglichkeiten zu dessen Reduktion, die bestehenden Restrisiken, die möglichen Kurz- bzw. Langzeitwirkungen einer antiretroviralen Therapie auf das Kind in utero. Gemeinsam mit der Patientin sollte eine risikoadaptierte antiretrovirale Therapie entsprechend den aktuellen Deutsch-Österreichischen Richtlinien zur Therapie in der Schwangerschaft in Kooperation mit dem betreuenden Haus- und/oder Frauenarzt erarbeitet werden (. Tab. 20.7). Therapieänderungen im Rahmen einer Schwangerschaft oder ein Therapiebeginn sollten nur nach Absprache mit einem mit der antiretroviralen Therapie vertrauten Arzt/Zentrum erfolgen. Therapiebegleitend erfolgt ein monatliches Monitoring der klinisch-chemischen, immunologischen und virologischen Parameter (Lymphozytensubpopulationen, HIV-Viruslast) durch ein erfahrenes Labor (. Tab. 20.8). Die Behandlung der Mutter erfolgt nicht nur aus rein mütterlicher Indikation. Mütter mit hoher Viruslast und/oder niedrigen T-Helferzellen übertragen häufiger HIV auf ihre Kinder, sodass die erfolgreiche Therapie der Mutter auch für das Kind von Nutzen ist, aber zugleich ein Risiko darstellt. Die Risiken, die sich für das Kind aus einer lang dauernden intrauterinen Exposition gegenüber antiretroviralen Kombinationstherapien ergeben könnten, sind derzeit nicht abschließend kalkulierbar.
409 20.2 · Virale Infektionen
. Tab. 20.7. Antiretrovirale Medikamente und Einsatzmöglichkeiten in der Schwangerschaft: nukleosidale Reverse-TranskriptaseHemmer (NRTI), nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI), Proteinasehemmer (PI), Fusionsinhibitoren, Nebenwirkungen (NW). (Mod. nach Buchholz et al. 2004; Public Health Service Task Force 2004; Gingelmaier u. Friese 2005)
Substanz
Empfohlene Medikamente (meiste Erfahrungen damit)
Alternative Medikamente
Medikamente (wenige Erfahrungen damit)
Nicht zu empfehlende Medikamente, Kombinationen
NRTI
5 Zidovudin (ZDV) (NW: Anämie, Leukopenie, Übelkeit) 5 Lamivudin (3TC) (NW: Anämie, Leukopenie, Übelkeit)
5 Stavudin (d4T) (NW: Polyneuropathie; Lipiddystrophie) 5 Didanosin (DDI) (NW: Polyneuropathie und Pankreatitis) 5 Abacavir (NW: Hypersensitivität)
5 Tenofovir (TNF) (Cave: Kreatininkontrolle) 5 Emtrcitabin (FTC)
5 Zalcitabine (DDC) (Teratogenität) 5 Kombination aus d4T und DDI wegen hoher mitochondrialer Toxizität mit Risiko der Laktatazidose
NNRTI
5 Nevirapin (NVP) (NW: erhöhtes Risiko der Lebertoxizität bei CD4>250 c/μl; gehäuft Arzneiexantheme; Hypersensitivität)
PI
5 Nelfinavir (NFV) (als ungeboostereter PI nicht mehr so empfehlenswert) 5 Saquinavir (SQV) + Ritonavir (RTV) 5 Lopinavir/Ritonavir (LPV/r)
5 Efavirenz (EFV) (NW Teratogenität) 5 Delaviridin (DLV) (NW teratogenes, karzinogenes Risiko) 5 Indinavir (IDV) + RTV (NW: Nierensteine, ggf. Kernikterus bei Neugeborenem) 5 Anprenavir + RTV
Fusionsinhibitor
Prophylaxeschema (keine mütterliche Behandlungsindikation) 4 Viruslast bei der Schwangeren <10.000 Genomkopien/ml: Zidovudin-Gabe ab abgeschlossener 32. SSW (32+0) in einer Dosierung von 5-mal 100 mg/Tag oder 2-mal 250 mg oral. 4 Viruslast bei der Schwangeren >10.000 Genomkopien/ml: Das Risiko der vertikalen Transmission ist direkt proportional zur Viruslast der Schwangeren. Besteht noch keine eigene mütterliche Behandlungsindikation (CD4-Zellzahl >250/ml, Viruslast <30.000/50.000), die Viruslast liegt jedoch höher als 10.000 Viruskopien/ml, so wird eine vorübergehende antiretrovirale Standardkombinationstherapie (ohne Efavirenz!) abSSW 32+0 bis kurz nach der Entbindung empfohlen, da mit einer Zidovudin-Monoprophylaxe die Viruslast nicht mit ausreichender Sicherheit reduziert werden kann (erhöhtes Übertragungsrisiko bei Viruslast >10.000 (Shaffer 2001; Buchholz et al. 2004).
6
5 Atazanavir (ATV) + RTV (NW:ggf. Kernikterus bei Neugeborenem) 5 Fosamprenavir (FPV) + RTV
5 Ritonavir (RTV) wird nur als Booster in Kombination mit anderen PI gegeben
5 Enfuvirtid (T20) (erste Berichte zeigen gute Verträglichkeit, nicht plazentagängig) 5 Salvage-Therapie
4 Primäre Kaiserschnittentbindung, zügig und unter Verwendung einer möglichst blutarmen Operationstechnik, durchgeführt von einem erfahrenen Geburtshelfer zwischen SSW 36+0 bis 37+6. 4 Prä- und intraoperative intravenöse Zidovudingabe mit Beginn 3 h vor der Sectio (2 mg/kg KG als »lading dose« für 1 h, danach 1 mg/kg KG bis zur Entwicklung des Kindes lt. Originalprotokoll ACTG 076). 4 Postnatale Zidovudin-Gabe für das Kind 10 Tage i.v. (1,5 mg/kg KG alle 6 h) oder 2–4 Wochen oral (2 mg/ kg KG alle 6 h; Buchholz et al. 2004).
Zusätzliche Schwangerschaftsrisiken erfordern eine intensivierte Prophylaxe. Bei geburtsmedizinischen HIV-Transmissionsrisiken ist die HIV-Transmissionsprophylaxe risikoadaptiert zu steigern. Mehrlingsschwangerschaft, vorzeitige Wehen und Frühgeburt. Wegen des erhöhten Risikos der Frühgeburt sollte
bei Mehrlingsschwangerschaften mit der prophylaktischen Gabe von Zidovudin bereits ab SSW 29+0 begonnen werden. Falls vorzeitige Wehen einsetzen, die Schwangere nicht aus
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410
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.8. Diagnostik im Verlauf der Schwangerschaft bei HIV-Infektion. (Mod. nach Buchholz et al. 2004; Public Health Service Task Force 2004; Gingelmaier u. Friese 2005)
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Diagnostik
Zeitpunkt
Begründung
HIV-Antikörper- und ggf. HIV-Bestätigungstest
5 Routinemäßig im 1. Trimenon
5 Reduktion der vertikalen HIV-Transmission möglich
CD4-Zellzahl und Viruslast
5 Mind. alle 2 Monate
5 Verlaufskontrolle der HIV-Infektion 5 Kontrolle der Wirksamkeit einer antiretroviralen Therapie (ART)
Genotypischer Resistenztest
5 1. Vor Therapiebeginn 5 2. Bei virologischem Therapieversagen einer ART 5 3. Bei nachweisbarer Viruslast gegen Ende bzw. 5 4–6 Wochen nach Absetzen einer HIVProphylaxe
5 1. Ausschluss einer primären Resistenz 5 2. Optimierung eines Therapiewechsels 5 3. Dokumentation einer eventuellen Resistenzinduktion
Hämoglobinwert
5 Monatlich
5 Anämien, Thrombopenien
Laktatspiegel, Leberwerte, Nierenwerte
5 5 5 5
5 Erkennung einer Laktatazidose (gehäuftes Auftreten im 3. Trimenon), Leber-, Nierentoxizität
Oraler Glukosetoleranztest
5 Zwischen SSW 23+0 und 27+6
5 Erkennung eines Gestationsdiabetes (v. a. bei Proteaseinhibitoren)
pH-Wertbestimmung im Vaginalsekret, Nativpräparat
5 Bei jeder Vorsorgeuntersuchung
5 Erkennung und rechtzeitige Behandlung lokaler Koinfektionen, die das HIV-Transmissionsrisiko und das Frühgeburtsrisiko erhöhen können
Mikrobiologische Kultur
5 Zu Beginn der Schwangerschaft und bei entsprechender Klinik
STD-Diagnostik: Chlamydien, Gonorrhö, Trichomonaden, Syphilis, Hepatitisserologie
5 Beginn der Schwangerschaft und bei entsprechender Klinik
Toxoplasmosescreening
5 Zu Beginn der Schwangerschaft sowie im 2. und 3. Trimenon
5 Zur Diagnose einer Neuinfektion oder Toxoplasmosereaktivierung
Kolposkopie, zytologische Untersuchung auf vulväre, vaginale und zervikale Dysplasien
5 Zu Beginn der Schwangerschaft; bei Auffälligkeiten kolposkopische Kontrollen und ggf. Biopsie
5 Erhöhtes Dysplasierisiko bei HIVInfektion
Sonographie mindestens DEGUMStufe 2
5 SSW 19+6 bis SSW 22+6; Frühschwangerschaft
5 Fehlbildungsausschluss Nackentransparenzmessung
1. Zu Beginn der Schwangerschaft 2. Nach Beginn Therapie/Prophylaxe 3. Bei Klinik 4. Monatlich im 3. Trimenon
eigener Indikation mit einer Kombinationstherapie behandelt wird, eine Kaiserschnittentbindung wegen Unreife des Kindes noch nicht infrage kommt und die Wehen noch gestoppt werden können, sollte sofort mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie begonnen werden, z. B. mit Zidovudin + Lamivudin + Nevirapin oder einem geboosterten Proteaseinhibitor. Als problematisch erweist sich hier die extreme Frühgeburtlichkeit (24.–28. SSW), bei der eine Prolongierung der Schwangerschaft wenigstens zur Lungenreifebehandlung prognostisch für die weitere kindliche Entwicklung eine entscheidende Bedeutung hat. Eine individuelle Abwägung zwischen
dem erhöhten HIV-Übertragungsrisiko und der gesamten Prognose des Frühgeborenen muss hier erfolgen. Vorzeitiger Blasensprung, Amnioninfektionssyndrom. Bei
diesen geburtsmedizinischen Ausnahmesituationen ist das Transmissionsrisiko stark erhöht (Mandelbrot 1998). In einer großen Metaanalyse von 15 prospektiven Kohortenstudien (International Perinatal HIV Group 2001) zeigte sich an 4.721 Mutter-Kind-Paaren mit HIV-Exposition und vorzeitigem Blasensprung ein Anstieg der vertikalen Transmissionsrate um 2%/h. Der präpartale Teil der Prophylaxe sollte beit AZT-Monotherapie durch eine (zusätzliche) Gabe von Nevi-
411 20.2 · Virale Infektionen
rapin 1-mal 200 mg, soweit zeitlich noch möglich, gesteigert werden. Postnatal kann die Transmissionsprophylaxe beim Neugeborenen ebenfalls durch Gabe von Nevirapin 2 mg/kg KG (1 Dosis, falls die Mutter präpartal 1 Dosis erhalten hat, 2 Dosen innerhalb von 72 h, falls die Mutter kein Nevirapin präpartal erhalten hat), zusätzlich zu einer Kombinationsprophylaxe mit Zidovudin + Lamivudin eskaliert werden (Moodley et al. 1998; Buchholz et al. 2004). Der zu bevorzugende Entbindungsmodus ist die Sectio, die möglichst schnell nach dem Blasensprung erfolgen sollte. Bei Zeiträumen >4 h nach dem Blasensprung ist kein Vorteil der Kaiserschnittentbindung bezüglich der Transmissionswahrscheinlichkeit mehr zu erwarten (Read 2000). Die Entscheidung muss jedoch an geburtsmedizinischen Aspekten orientiert werden. Schnittverletzung des Kindes/Absaugen von blutigem Fruchtwasser aus dem Magen. Bei einer Schnittverletzung
des Kindes oder wenn blutiges Fruchtwasser aus dem Magen abgesaugt werden kann, muss von einer perkutanen Inokulation bzw. einer Schleimhautexposition gegenüber virushaltigen Körperflüssigkeiten ausgegangen werden. Dies rechtfertigt eine Erweiterung der üblichen Standardprophylaxe beim Kind hin zu einer Kombinationsprophylaxe bestehend aus 2 NRTI in Anlehnung an Postexpositionsprophylaxeempfehlungen für Erwachsene (1999). > Eine über die Ultrakurzprophylaxe hinausgehende verlängerte Gabe von Nevirapin zur Postexpositionsprophylaxe kann angesichts fehlender Daten zur Pharmakokinetik und zur Sicherheit derzeit nicht empfohlen werden.
Reduktion der maternofetalen Transmission Bekannte Risikofaktoren der perinatalen HIVTransmission 4 4 4 4 4 4 4
Hohe mütterliche Viruslast Niedrige CD4-Zellzahl Aids-Erkrankung der Mutter Vaginale Entbindung Vorzeitiger Blasensprung >4 h zurückliegend Frühgeburt (<37 SSW) Stillen
Dies berechtigt – trotz eines verbleibenden Restrisikos einer intrauterinen Infektion in einer früheren Schwangerschaftswoche – die medizinischen Maßnahmen zur Transmissionsprophylaxe bei einer selbst nicht behandlungsbedürftigen Frau auf das letzte Trimenon zu konzentrieren. Zur Verringerung des Übertragungsrisikos ist es wesentlich, den HIV-1RNA-Spiegel auf <500–1000 Kopien/mm3 zu senken (Garcia et al. 1999; Mofenson et al. 1999a, b).
. Tab. 20.9. Medikamentöse Transmissionsprophylaxe bei fehlender mütterlicher Behandlungsindikation und Viruslast <10.000/ml. (Nach Sperling et al. 1998; Buchholz et al. 2004; Gingelmaier u. Friese 2005; von Krosigk u. Jäger 2005)
Zeitpunkt
Zidovudin-Gabe
Antepartal
Orale Gabe von ZDV 500 mg täglich ab 32. SSW bis zum Ende der Schwangerschaft
Intrapartal
i.v.-Gabe von ZDV ab 3 h vor Sectio: in der 1. h 2 mg/kg KG, dann 1 mg/kg KG
Postpartal
Orale Gabe von ZDV für 2–4 Wochen an das Neugeborene
Prophylaktische Maßnahmen zur Reduktion der maternofetalen Transmission 4 4 4 4
Antiretrovirale Therapie (ART) der Mutter Primäre Sectio cesarea Stillverzicht Medikamentöse Prophylaxe des Neugeborenen
Medikamentöse Therapie der Mutter. Diese Reduktion des Transmissionsrisikos ist bei einer nicht antiretroviral behandlungsbedürftigen schwangeren Frau ohne geburtsmedizinisches Risiko erreichbar durch eine Zidovudin-Gabe (. Tab. 20.9) ab abgeschlossener SSW 32+0, verbunden mit einer primären Sectio zwischen abgeschlossener SSW 36+0 und 37+6, die grundsätzlich durchgeführt werden sollte, wenn keine Kontraindikationen bestehen. Des Weiteren erfolgt eine i.v. Zidovudin-Gabe vor und während der Entbindung und eine postnatale Zidovudin-Gabe an das Kind zwischen 10 Tagen und 4 Wochen (Group 1999; Grosch-Worner et al. 2000; Buchholz et al. 2004). ! Wenn eine antiretrovirale Kombinationstherapie während der gesamten Schwangerschaft oder bereits seit dem 1. Trimenon durchgeführt wird, also in erster Linie bei bestehender mütterlicher Behandlungsindikation, herrscht ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt. Daher sollte die Schwangerschaft v. a. bei diesen Frauen in der letzten Phase möglichst engmaschig überwacht werden. Entbindungsmodus. Eine deutliche Reduktion der vertikalen Transmissionsrate durch eine primäre Sectio ist bekannt (Buchholz et al. 2004). Es kann von einer Reduktion der vertikalen Transmissionsrate allein dadurch auf 8,4% gegenüber einem Transmissionsrisiko bei der vaginalen Entbindung von 16,8% ausgegangen werden (Group 1999). Die präoperative/ intraoperative i.v.-Zidovudin-Therapie der Mutter in einer Dosierung von 1 mg/kg KG nach einer »lading dose« von 2 mg/kg KG >1 h bis zur Kindsentwicklung ist Bestandteil der Prophylaxemaßnahmen. Die Sectio wird auch bei antiretroviraler Kombinationsbehandlung in der Schwangerschaft für
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412
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
notwendig erachtet (Ioannidis et al. 2001; 2005). Die primäre zügige und möglichst blutarme Sectio am wehenlosen Uterus bei SSW36+0 bis 37+6 mittels stumpfer Uterotomie unter einer i.v.-Gabe von Zidovudin ist durch ein erfahrenes Team durchzuführen. Der protektive Effekt der primären Kaiserschnittentbindung bei Frauen, die in der Schwangerschaft eine HAART (»highly active antiretroviral therapy«) erhalten haben und deren Viruslast gegen Ende der Schwangerschaft unter der Nachweisgrenze liegt, wird als minimal beurteilt (Mofenson 2005; Warszawski et al. 2008). Demzufolge ist eine vaginale Entbindung unter diesen optimalen Bedingungen (HAART, Viruslast in der gesamten Schwangerschaft, insbesondere zeitnah zur Geburt, unter der Nachweisgrenze) vertretbar, wenn die Frau dies wünscht, eine ausführliche Beratung der Schwangeren erfolgte und keine geburtshilflichen Risiken dagegen sprechen. Stillverzicht. Etwa 30–50% aller weltweit mit HIV-infizierten
Kinder werden durch das Stillen angesteckt (Dabis et al. 2000). Nach WHO-Empfehlungen sollen HIV-infizierte Mütter in Ländern, in denen ausreichend hygienisch einwandfreie Säuglingsnahrung zur Verfügung steht, nicht stillen, um eine HIVÜbertragung von der Mutter auf ihr Kind zu vermeiden (European GroupC 2001). Allerdings ist dies sehr oft für afrikanische Länder nicht ausreichend gewährleistet, sodass ein exklusives Stillen für 6 Monate angeraten wird, um eine nicht HIV-bedingte Mortalität (z. B. durch schwere Diarrhöen) zu minimieren. Medikamentöse Therapie des Neugeborenen. Die postnatale Transmissionsprophylaxe beginnt möglichst innerhalb der ersten 6 h nach der Geburt. Die Empfehlung einer oralen Zidovudin-Gabe über 6 Wochen beim Kind in der Dosierung von 2 mg/kg KG alle 6 h resultiert aus den Ergebnissen der ACTG076-Studie (Frenkel et al. 1997). Die Dauer der oralen Standardprophylaxe wurde auf 2(–4) Wochen verkürzt (Vocks-Hauck 2001; Buchholz et al. 2004). Eine innerhalb 48 h nach Geburt begonnene Therapie mit Zidovudin nach dem Schema von ACTG 076 (Gabe über 6 Wochen) kann noch die HIV-Transmissionsrate senken. Bei Start der Zidovudin-Therapie in den ersten 48 h nach vaginaler Geburt wurde in den USA retrospektiv eine Transmissionsrate von 9,3%, bei späterem Beginn (>48 h) von 18,4% ermittelt. Ohne jegliche Therapie waren 26,6% der Kinder infiziert (Minkoff 1998).
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> Die akute Toxizität von Zidovudin während der Schwangerschaft und beim Neugeborenen ist nach der vorliegenden Datenlage tolerabel (Sperling et al. 1998; Shapiro et al. 1999). Allerdings lassen sich evtl. zu befürchtende Langzeitfolgen (Kanzerogenese) beim Kind durch die pränatale ZidovudinExposition aufgrund der bislang begrenzten Beobachtungszeiten noch nicht mit Sicherheit ausschließen (Antiretroviral Pregnancy Registry 1997; Sperling et al. 1998; Poulton et al. 1999).
Prophylaxe Da trotz intensiver Bemühungen noch kein Impfstoff zu Verfügung steht, ist die Expositionsprophylaxe von entscheidender Bedeutung. > Der durchgeführte HIV-Antikörpertest in der Frühschwangerschaft stellt die Voraussetzung aller effektiven Präventionsmaßnahmen dar, um die HIVÜbertragung von der Mutter auf das Kind zu verhindern. Mittlerweile ist in den Mutterschaftsrichtlinien eine Beratung jeder Schwangeren bezüglich eines HIV-Tests vorgesehen. Diese Beratung soll auch im Mutterpass dokumentiert werden. Tipp Die Bevorratung eines HIV-PostexpositionsprophylaxeNotfallsets und das Wissen um die Indikation für und das Vorgehen bei einer HIV-Postexpositionsprophylaxe nach beruflicher HIV-Exposition (z. B. Nadelstichverletzung des Operateurs) ist dringend zu empfehlen.
20.3
Bakterielle Infektionen und Protozoen
20.3.1
Syphilis
Die Syphilis wird durch Treponema pallidum ssp. pallidum (Familie der Spirochaetae) hervorgerufen. T. pallidum ist extrem empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen und kann fast nur sexuell übertragen werden. Die erworbene (S. aquisita), eine zyklisch verlaufende Infektionskrankheit, wird von der angeborenen (S. connata) Syphilis unterschieden. Die Primärsyphilis ist durch den primären Schanker im Genitalbereich charakterisiert. Ohne Antibiotikatherapie erfolgt der Übergang zur sekundären Syphilis mit generalisierten Symptomen. Es erfolgt der Übergang in eine klinisch symptomfreie latente Syphilis. In dieser Phase können Schwangere ihre ungeborenen Kinder infizieren. Der Übergang zur tertiären (späten) bzw. Neurosyphilis ist heute selten zu beobachten. Reinfektionen sind trotz spezifischer Antikörper möglich. Die angeborene Syphilis tritt nur bei zu spät erkannter und nicht behandelter Infektion der Schwangeren auf. Die Infektion führt in einem hohen Prozentsatz zu Aborten, Tot- und Frühgeburten. Als Erstmanifestation gilt eine blutig-schleimige Rhinitis (Koryza), wobei prinzipiell alle Organe mitbeteiligt sind (Hepatosplenomegalie, interstitielle Pneumonie, Osteochondritis und Periostitis). Eine basale Meningitis kann später zu einem Hydrozephalus führen. Der direkte Erregernachweis kann im Dunkelfeld erfolgen. Es stehen etliche serologische Such- und Bestätigungstests zur Verfügung. Nach Infektion bleibt der Test lebenslang positiv. In der Schwangerschaft sollte in jedem Fall im 1. Trimenon und kurz vor der Geburt serologisch auf Syphilisantikörper untersucht werden. Gleiches gilt bei unklaren Veränderungen im Genitalbereich, inguinalen Lymphknotenschwellungen und allgemeinen, anders nicht erklärbaren Krankheitssymptomen, Eine
413 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
Testung wird auch nach Aborten und Tot- bzw. Frühgeburten empfohlen. Zu beachten ist, dass die Syphilis beinahe jedes Krankheitsbild vortäuschen kann. Die Therapie erfolgt durch hochdosierte parenterale Penicillin-G-Gaben. Bei Penicillinallergie kommen Cephalosporine oder Erythromycin zur Anwendung.
Einleitung Die Häufigkeit der Lues connata ist in den westlichen Ländern extrem zurückgegangen. Allerdings stellt eine kongenital erworbene Syphilis immer noch eine große Herausforderung in Ländern der Dritten Welt dar. So wird angenommen, dass jedes Jahr ca. 1 Mio. Schwangerschaften durch eine maternale Syphilisinfektion negativ beinflusst werden: ca. 270.000 Kinder werden mit einer kongenitalen Syphilis geboren, 460.000 Schwangerschaften enden mit einem Abort oder perinatalen Fruchttod, und ca. 270.000 Kinder werden vorzeitig geboren oder haben ein erniedrigtes Geburtsgewicht. Diese Zahlen und Annahmen sind um ein Vielfaches höher als für andere neonatale Infektionen einschließlich HIV und Tetanus (540.000 bzw. 300.000 Fälle/Jahr; Walker u. Walker 2002).
Erreger Treponema pallidum ist ein Mitglied der Familie Spirochaetaceae, Gattung Treponema, der 4 menschliche pathogene und mindestens 6 nicht pathogene Organismen enthält. T. pallidum ssp. pallidum besitzt einen ausgeprägten Tropismus für die Endothelzellen der kleinen Blutgefäße. Nach Infektion mit Treponemen entstehen eine Endarteritis obliterans und eine Periarteritis mit einer konsekutiven Verengung des Gefäßlumens, die zu einer Minderperfusion des befallenen Gewebes führt, sodass eine progressive, ischämische Zellzerstörung stattfindet (Singh u. Romanowski 1999). Die Folgen sind je nach Organ sehr spezifisch (u. a. Aortitis, uteroplazentare Apoplexie, Demenz, Tabes dorsalis).
Klinische Symptome Der Übertragungsweg von Mensch zu Mensch ist hauptsächlich der Geschlechtsverkehr (Pieringer-Müller u. Hof 1998). Die Inkubationszeit ist abhängig von der Inokulummenge und beträgt durchschnittlich 3 Wochen (2–10 Wochen). Nach Infektion kommt es zunächst an der Eintrittspforte zu einer Vermehrung der Keime. Jedoch hat der Erreger die Tendenz, schon bald im gesamten Körper zu disseminieren. Man unterscheidet klinisch zwischen der erworbenen (Syphilis aquisita) und der angeborenen Syphilis (Syphilis connata). Die erworbene Syphilis ist eine zyklische Infektionskrankheit, die in Stadien abläuft, wobei sich klinisch auffällige mit klinisch unauffälligen Stadien abwechseln (. Tab. 20.10). Frühsyphilis bzw. primäre Syphilis (Lues I). Der typische
primäre Schanker beginnt als einzelne, schmerzlose Papel mit Übergang in ein induriertes schmerzloses Ulkus an der Eintrittspforte, wobei sich in 30% der Fälle noch weitere Läsionen bilden können. Entzündungen bei Abwesenheit eines Exsudats sowie Schmerzlosigkeit sind verdächtig. Prädilektionsorte bei der Frau sind die Labien und die Vulva. Die regionären Lymphknoten können beidseitig anschwellen, sie sind dabei
schmerzlos, derb, beweglich und abgrenzbar. Der Schanker heilt innerhalb von 3–6 Wochen spontan ab. > Die Primärsyphilis kann mit Antibiotika gut geheilt werden. Sekundäre Syphilis (Lues II). Ungefähr 9 (–24) Wochen p.i. können Allgemeinsymptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Krankheitsgefühl, Anorexie, Kopfschmerzen, Arthralgien u. Ä. den Verdacht auf eine sekundäre Syphilis lenken. In diesem Stadium sind zu 90% die Haut und die Schleimhäute betroffen. Typische schubweise auftretende Exantheme entstehen, zunächst makulöse (Roseola), später makulopapulöse Exantheme. Das Zentralnervensystem ist ungefähr bei 40% der Erkrankungen bereits befallen (Kopfschmerzen). Die Hautund Schleimhautreaktionen sind vom Antigenload und von der Stärke der immunologischen Reaktion des Infizierten abhängig. Im Lauf der Zeit klingen diese Exantheme ab. Nebenbei kommt es zu einer generalisierten harten Lymphknotenschwellung (Polyskleradenitis). Latente Syphilis (Lues latens seropositiva). Nach Abklingen
der Symptome geht die Syphilis in ein klinisch symptomfreies Stadium über. Die Erreger erscheinen intermittierend im Blut, und der Antigenload mit T. pallidum ssp. pallidum geht langsam zurück. Bei bis zu 90% der unbehandelten Patienten entwickeln sich generalisierte oder mukokutane Rückfälle innerhalb des ersten Jahres. ! Schwangere infizieren auch in dieser Phase ihre noch ungeborenen Kinder. Auch Blutkonserven von Infizierten sind infektiös. Tertiäre oder späte Syphilis (Lues III), Neurosyphilis (Lues IV). Die tertiäre Syphilis findet sich heute nur noch selten.
Schon früh beginnt in der latenten Syphilis die langsam fortschreitende Erkrankung der Aorta oder des Zentralnervensystems (. Tab. 20.10). Kongenitale Syphilis (Lues connata). Die kongenitale Syphilis tritt nur noch auf, wenn die Syphilis der Schwangeren nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt worden ist. Die Infektion führt zu Abort, Totgeburt oder Frühgeburt bzw. zu fetalen Deformitäten (. Tab. 20.10). Im Vergleich gibt es mehr Totgeburten bei Schwangeren mit einer primären Syphilis (Rawstron et al. 1997). > Zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft, bevorzugt aber ab der 18. SSW, kann T. pallidum ssp. pallidum durch eine syphilitische Mutter transplazentar übertragen werden.
Die Erkrankung des Kindes verläuft besonders bei hoher Keimbeladung (v. a. im II. Stadium) schwer (Friese et al. 2002). Die Kinder werden in der Mehrzahl der Fälle termingerecht geboren, scheinen gesund, jedoch treten zwischen der 2. und 12. Lebenswoche die Erstmanifestationen einer angeborenen Syphilis auf. Meist 2–12 Wochen nach Geburt bilden sich makulopapulöse Exantheme (Syphilide) an Handtellern
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414
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.10. Verlauf der Syphilis in unterschiedlichen Stadien. (Nach Pieringer-Müller u. Hof 1998; Friese et al. 2002; Mylonas u. Friese 2004a)
Stadium
Klinische Manifestationen
Inkubation
Primäre Syphilis (Lues I)
Schanker (»chancre«): regionäre Lymphknotenschwellung
3 Wochen (3–90 Tage)
Sekundäre Syphilis (Lues II)
Fieber, Übelkeit, Kopfschmerzen, Lymphadenopathie, Meningitis, makulöse Exantheme, Palmoplantarsyphilis, Condylomata lata, »plaques muqueuses«, Angina syphilitica, Alopecia specifica, syphilitisches Leukoderm
2–12 Wochen (2 Wochen bis 6 Monate)
Latente Syphilis
Asymptomatisch
Frühe <1 Jahr Späte >1 Jahr
Aortenaneurysma, Koronarstenose
10–30 Jahre
Tertiäre/späte Syphilis (Lues III)
Kardiovaskuläre Syphilis
Neurosyphilis
Kongenitale Syphilis
20
5 Asymptomatisch
Keine
5 Akute syphilitische Meningitis
Kopfschmerzen, meningeale Reizung, Wahrnehmungsstörungen
5 Meningovaskuläre Syphilis
Kraniale Nervenparalyse
5 Generelle Parese
Kopfschmerzen, Vertigo, Persönlichkeitsveränderungen, vaskuläre Schädigung
5–7 Jahre
5 Tabes dorsalis
Demenz mit Intensionstremor, Schmerzen, Fatique, Muskelschwäche und Muskeltonusverlust, Dysurie, Ataxie und Areflexie, Argyll-Robertson-Pupillen
15–20 Jahre
5 Gummata
Monozytische Infiltrate mit Gewebedestruktion
1–46 Jahre
5 Frühe Manifestation
Fulminante disseminierte Infektion, mukokutane Läsionen, Pemphigus syphiliticus, Parrot-Furchen, Coryza syphilitica, Hepatosplenomegalie, Anämie, Osteochondritis syphilitica, Pneumonia alba, Neurosyphilis
Beginn <2 Jahre nach Geburt
5 Späte Manifestation (Syphilis connata tarda)
Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Condylomata, Anämie, rekurrierende Arthropathien, Hutchinson-Trias (Innerohrschwerhörigkeit, Keratitis parenchymatosa, Huntchinson-Zähnen), Knochenerkrankungen und -deformitäten, Säbelscheidentibia, Sattelnase, selten Mesaortitis luica, Neurosyphilis
Beginn >2 Jahre nach Geburt
und Fußsohlen, an Mund, Nase und Anus; Rhagaden führen zur Bildung von radiären Narben. Als Erstmanifestation der frühen kongenitalen Syphilis bis hin zu einem Alter von 2 Jahren gilt eine blutig-schleimige Rhinitis (Koryza), die beim Übergreifen auf das Nasenskelett zu nachfolgenden Deformierungen führt, was dann später als Sattelnase imponiert. Darüber hinaus sind jedoch im Prinzip alle Organe mitbeteiligt, denn man findet eine Hepatosplenomegalie, eine interstitielle Pneumonie, Osteochondritis und Periostitis. Eine basale Meningitis kann später zu einem Hydrozephalus führen. Ursache für den Tod der Kleinkinder sind Lungenblutungen, schwere Hepatitis oder Superinfektionen (Friese et al. 2002).
<2 Jahre
> Um die gravierenden Folgen einer konnatalen Syphilis zu verhindern, ist es unbedingt notwendig, bei Hochrisikoschwangeren im 3. Trimenon und zum Zeitpunkt der Entbindung eine Luesserologie durchzuführen.
Die Spätmanifestationen der späten kongenitalen Syphilis (Syphilis connata tarda nach dem 2. Lebensjahr) treten erst lange nach der Geburt auf. Sie zeigen sich typischerweise in der Hutchinson-Trias (Keratitis parenchymatosa, Innenohrschwerhörigkeit, Zahnveränderungen). Zusätzlich treten entzündliche Periostverdickungen an den Tibien auf (»Türkensäbelbeine«).
415 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
Diagnose Der Verdacht auf eine Syphilisinfektion kann durch die klinische Symptomatik geäußert werden. > Bei der frühen latenten und der späten latenten Syphilis sind die Patienten bis auf wenige Ausnahmen symptomfrei. Schwangere sollten in jedem Fall im 1. Trimenon und kurz vor der Geburt serologisch auf Syphilisantikörper untersucht werden. Es empfiehlt sich auch, bei Frauen nach einem Abort, einer Totgeburt und nach Frühgeburten eine Syphilisserologie durchführen zu lassen.
Der direkte Erregernachweis des Bakteriums aus Haut- oder Schleimhautläsionen ist beweisend für eine Infektion und kann im Dunkelfeld geführt werden. Ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion jedoch nicht aus. Mit Immunfluoreszenzmethoden gelingt der Erregernachweis im Gewebe. In der Praxis haben diese Methoden jedoch z. Zt. einen niedrigen Stellenwert. Die PCR zum Nachweis von T.-pallidum-ssp.pallidum-spezifischer Nukleinsäure wird nur bei besonderen Fragestellungen angewendet (Amnionflüssigkeit, Liquor bei Verdacht auf Neurosyphilis). Als serologischer Luessuchtest zum Nachweis spezifischer Antikörper gegen T. pallidum ssp. pallidum wird der TPHATest, der TPPA-(Treponema-pallidum-Partikelagglutinations-)Test oder der Tp-ELISA eingesetzt. Ist dieser Test negativ, kann auf weitere Untersuchungen verzichtet werden, wenn klinisch kein begründeter Verdacht auf eine Frühinfektion vorliegt. Ist ein solcher Verdacht gegeben, erfolgt eine wöchentliche Kontrolle, bis eine Syphilisinfektion sicher ausgeschlossen werden kann. Je nach Infektionsdosis kann man schon 2 Wochen p.i. in einem treponemenspezifischen Test (TPHA oder FTA-ABS) IgM-Antikörper nachweisen. Frühestens 4 Wochen p.i. lassen sich treponemenspezifische IgG-Antikörper mit hohen Titern erfassen, die danach nur ganz langsam abfallen. Lebenslang wird diese »serologische Narbe« bleiben. Frühestens 5–6 Wochen p.i. sind im VDRL-Test antilipoidale, nicht treponemenspezifische Antikörper nachweisbar (Müller 1996). > Der FTA-ABS-Test gilt als Bestätigungstest für ein zweifelhaftes (schwach reaktives) oder ein positives (reaktives) Ergebnis im TPHA-Test. Die Sensivität des FTA-ABS-Tests liegt für die frühe Primärsyphilis bei>99%, für die späteren Infektionsstadien bei 97%. Der Tp-IgG-ELISA kann als Bestätigungstest für den TPHA verwendet werden. Bei Diagnose in der Schwangerschaft zu beachten 4 Nicht immer entwickelt sich nach der Infektion mit T. pallidum ssp. pallidum ein typischer primärer Schanker (Primäraffekt) an den Labien und/oder an der Vulva, der Primäraffekt kann auch an der Zervix entstehen! 4 Einzelne Papeln, ein induriertes, schmerzloses Ulkus sind schon verdächtig für eine primäre Syphilis, eben-
6
so eine beidseitige Schwellung der regionären Lymphknoten. Die Papeln können von den Patienten übersehen werden, zumal sie auch von selbst abheilen. 4 Allgemeine Krankheitssymptome wie Krankheitsgefühl, Anorexie, Kopfschmerzen, makulöse bis makulopapulöse Exantheme auf der Haut weisen auf eine sekundäre Syphilis hin. 4 Bei Vorliegen einer Osteomyelitis oder einer neurologischen Symptomatik entsteht der Verdacht einer Syphilisinfektion.
Das serologische Vorgehen bei Neugeborenen von unbehandelten Müttern, bei denen vor oder während der Schwangerschaft eine durchgemachte Infektion mit T. pallidum diagnostieziert wurde, unterscheidet sich nicht von der serologischen Diagnostik bei Infektionen in der Schwangerschaft (Müller 1996). Grundsätzlich wird bei Verdacht einer Syphilis connata das Kind bis zu einem Alter von 6 Monaten im Abstand von 2–3 Monaten getestet. Die Menge der gebildeten treponemenspezifischen IgM ist vom intrauterinen Infektionszeitpunkt abhängig.
Therapie Das Mittel der Wahl zur Therapie der Syphilis ist bis heute das Penicillin G (. Tab. 20.11; Pieringer-Müller u. Hof 1998). Wird in der Anamnese eine mütterliche Syphilisinfektion – ganz gleich, zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft die Infektion stattgefunden hat – vermutet, ergibt sich aus der Antikörperkonstellation die Notwendigkeit einer Antibiotikabehandlung des Kindes und der Mutter. Über die Höhe der Penicillin-Dosierung und die Behandlungsdauer gibt es verschiedene Auffassungen. Eindeutig ist, dass bei angeborener Syphilis, Lues III und bei der Neurosyphilis eine höhere Penicillin-G-Dosierung erforderlich ist und dass eine bestimmte Mindestdauer der Behandlung nicht unterschritten werden darf. > 5 Sofortiger Therapiebeginn in der Schwangerschaft ist wesentlich! 5 Sicherheitshalber kann die Behandlung 1–2 Monate vor dem Geburtstermin in gleicher Dosierung und Dauer wiederholt werden. 5 Penicillin ist immer noch die Standardtherapie. 5 Bei Penicillin-Allergie empfiehlt sich eine Penicillin-Desinsibilisierung.
Eine Syphilistherapie erfolgt nur ausnahmsweise oral. Um die Symptome einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion zu vermindern, die bei einer Behandlung durch den Zerfall der Treponemen ausgelöst werden kann, gibt man vorher oder gleichzeitig ein wasserlösliches Glukokortikoid, z. B. Prednisolon.
Prophylaxe Im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge werden serologische Untersuchungen zur Erkennung einer Syphilisinfektion der Schwangeren durchgeführt. Das gibt die Möglichkeit, das Fortschreiten einer Infektion in der Schwangerschaft rechtzei-
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.11. Therapie der Syphilis. (Nach AWMF 2008; AWMF-Leitlinie Nr. 059/002), (Cave: Doxycyclin und Tetracyclin sind in der Schwangerschaft kontraindiziert)
Lues I und Il (Frühsyphilis)
Indikation
Substanz (Beispielpräparat) und Dosierung
Anmerkungen
Empfehlung
Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE i.m.
Gluteal li/re je 1,2 Mio. IE
Procain-Benzylpenicillin 1-mal 1,2 Mio. IE/Tag i.m. über 14 Tage
Procain-Benzylpenicillin 0,9 Mio. IE + Benzylpenicillin-Natrium 0,3 Mio. IE
Alternativen
Ceftriaxon 1 g/Tag i.v. über 10 Tage
Lues latens
Tetrazyklin 4-mal 500 mg/Tag p.o. über 14 Tage Clemizolpenicillin G 1 Mio. IE/Tag i.m. über 14 Tage
Keine Therapieunterbrechung
Non-Compliance
Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE i.m./Woche
Tag 1, 8 und 15 (insgesamt 7,2 Mio. IE)
Penicillinallergie
Doxycyclin 2-mal 100 mg/Tag p.o. für 14–21 Tage
Cephalosporinallergie
Erythromycin 4-mal 500 mg/Tag p.o. für 14– 21 Tage
Serologische Kontrollen
1. Wahl
Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE/Woche i.m.
Tag 1, 8 und 15 (glutäal links/rechts je 1,2 Mio. IE; insgesamt 7,2 Mio. IE)
2. Wahl
Procain-Benzylpenicillin 1-mal 1,2 Mio. IE/Tag i.m. über 21 Tage
Procain-Benzylpenicillin 0,9 Mio. IE + Benzylpenicillin-Natrium 0,3 Mio. IE
Alternativen
Ceftriaxon 1-mal 1 g/Tag i.v. Kurzinfusion über 14 Tage
Bei Penicillinallergie
Doxycyclin 2-mal 100 mg/Tag p.o. für 28 Tage
Lues III (Spätsyphilis, auch Neurosyphilis)
Erythromycin 4-mal 500 mg/Tag i.v. über 21 Tage 1. Wahl
Penicillin G 6-mal 4 Mio. IE/Tag oder 3-mal 10 oder 5-mal 5 Mio. IE/Tag i.v. mindestens 14 Tage (10– 14–21)
2. Wahl
Ceftriaxon1-mal 2 g/Tag i.v. über 10–14 Tage
Initial 2-mal 2 g
Alternativen
Clemizolpenicillin G 1 Mio. IE i.m. für 21 Tage
Keine Therapieunterbrechung
Penicillinallergie (3. Wahl)
Doxycyclin 4-mal 200 mg/Tag über 28 Tage
Erythromycin 4-mal 500 mg p.o oder i.v. für 14 Tage Erythromycinlactobionat 4-mal 500 mg i.v. für 14 Tage
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Lues connata
Säuglinge und Kleinkinder
Stationäre Bedingungen
Penicillin G 100.000–150.000 IE/kg KG/Tag i.v., aufgeteilt in 3 Dosen für 14 Tage Ceftriaxon 75 mg/kg KG/Tag für 14 Tage
Schulkinder
Penicillin G 200.000–300.000 IE/kg KG/Tag, aufgeteilt in 3 Dosen für 14 Tage Ceftriaxon 0,25–0,5 g/Tag i.m. oder i.v. für 14 Tage
Herxheimer-Reaktion
Eine Prophylaxe erfolgt mit einer einmaligen Gabe von 1 mg/Prednisolonäquivalent/kg KG p.o. vor Beginn der Therapie
417 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
tig zu erkennen, therapieren und kongenitale Erkrankungen durch eine präventive Behandlung zu verhindern. Eine anonyme Meldung eines sicher Syphiliskranken und einer Syphilis connata ist verpflichtend. Die sicherste Methode, eine Syphilisinfektion zu verhüten, ist das Kondom. Findet der Kontakt mit syphilitischen Hautoder Schleimhautveränderungen, über Bluttransfusionen oder über Nadelstichverletzungen statt, besteht in seltenen Fällen die Gefahr einer Übertragung des Syphiliserregers. Mütter, bei denen der Verdacht auf eine frische Syphilisinfektion besteht und die noch nicht ausreichend therapiert werden, sollten ihr Kind nicht stillen. ! Da die Syphilis praktisch jedes Krankheitsbild vortäuschen kann, muss man erst die Syphilisserologie durchführen, um eine Infektion auszuschließen, besonders wenn es sich um Risikopatienten handelt.
20.3.2
Lyme-Borreliose
Die Lyme-Borreliose ist eine komplexe Multiorganerkrankung nach vorangegangenem Zeckenbiss. Sie beginnt mit Erythema chronicum migrans und assoziierten Symptomen (Stadium I). Wochen bis Monate später entwickeln einige der Patienten neurologische oder kardiologische Symptome (Stadium II). Nach weiteren Wochen oder Monaten kann es zu intermittierenden Anfällen arthritischer Beschwerden (Stadium III) und zur möglichen Chronifizierung kommen. Die Diagnose ist klinisch gut, serologisch aber nur schlecht möglich. Bereits vorhandene IgG-Antikörper scheinen nicht vor Neuinfektionen zu schützen. Immunfluoreszenz oder Enzymimmunoassay zeigen geringere Sensitivitäten und Spezifitäten als PCR und Serologie. Eine frühe, hoch dosierte und lang andauernde Antibiose ermöglicht die komplette Ausheilung, während v. a. im Stadium III Therapieversager auftreten. Bei Auftreten von Symptomen ist eine antibiotische Therapie zu beginnen. Infektionen in der Schwangerschaft wurden in einigen Fällen mit intrauterinem Fruchttod, Mangelentwicklung, Frühgeburt, fetalen Herzfehlern, Hydrozephalus, Spaltbildungen und urogenitalen Fehlbildungen assoziiert. Obwohl diese anfänglichen Fallberichte alarmierend waren, führten neuere prospektive Untersuchungen zu einer gewissen Beruhigung, da offensichtlich die mütterliche Infektion für den Fetus eher selten ernsthafte Konsequenzen hat. Eine Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung besteht nicht. Ein effektiver Impfstoff steht bisher nicht zur Verfügung.
Einleitung Im Jahr 1975 wurde in Lyme im US-Bundesstaat Connecticut eine vermehrte Inzidenz von Arthritisfällen primär bei Kindern beobachtet, der anamnestisch in Verbindung mit Zeckenbissen gebracht wurde. Steere et al. (1986) fassten das Erythema chronicum migrans, die Meningopolyneuritis, die Lymphadenosis cutis benigna, die Acrodermatitis chronica atrophicans sowie viele andere Symptome unter dem Namen Lyme-Disease (Lyme-Krankheit) zusammen. Erst 1981 gelang
es W. Burgdorfer, den ursächlichen bakteriellen Erreger der Lyme-Krankheit nachzuweisen. > Das Risiko, nach einem Zeckenbiss an einer FSME zu erkranken, wird mit ca. 1:10.000 und für eine LymeBorreliose mit 1:100 angegeben, vorausgesetzt, die Zecke bleibt 2–3 Tage am Körper angeheftet.
Erreger Borrelien gehören zusammen mit den Treponemen zur Gattung der Spirochäten. In der Borreliengruppe gibt es mehrere Arten, die unterschiedliche Krankheiten verursachen können. Borrelia recurrentis erzeugt das Rückfallfieber, das früher in Zeiten von Kriegen schwerste Epidemien hervorgerufen hat. Heute ist die Lyme-Krankheit mit Abstand die wichtigste Borrelieninfektion des Menschen. Während in Amerika ausschließlich Borrelia burgdorferi vorkommt, ist bei uns daneben mit B. afzelii und B. garinii zu rechnen (Friese 2002; Singh u. Girschick 2004).
Klinische Symptome Nach der Übertragung auf den Menschen durch Vektoren (Zecken) vermehren sich die Borrelien in der Haut, wobei es in <50% der Fälle lokal zu einer Entzündung kommt. In diesem Stadium können wahrscheinlich die Bakterien durch unspezifische Abwehrmechanismen abgefangen und eliminiert werden, obwohl sie meistens durch die Zirkulation in andere Organsysteme gelangen. Eine flammende Rötung mit progressivem Rand, die sich flächenhaft ausbreitet, deutet auf eine Borrelieninfektion hin. Ein derartiges Erythema migrans entwickelt sich innerhalb weniger Tage nach dem Zeckenbiss bei etwa 60% der Borrelieninfektionen. Bis zu 10% der Erwachsenen haben erhöhte Antikörpertiter als Zeichen einer durchgemachten Borrelieninfektion. Die Folgen einer Infektion sind sehr vielfältig, und einige kutane (Alopezie) und okuläre Erkrankungen (Photophobie und retinale Vaskulitis) sind neuerdings in das weite Spektrum der durch Borrelien verursachten Erkrankungen aufgenommen worden (Hercogova u. Brzonova 2001). Charakteristische klinische Hinweise gibt es jedoch nicht, sodass Labortests angesetzt werden müssen, die jedoch nicht zwingend beweisend sind. Man kann den Verlauf einer Lyme-Borreliose klinisch in 3 Stadien einteilen (. Tab. 20.12), wobei der Übergang von einem Stadium in das nächste als fließend zu betrachten ist (Wilske et al. 2000). Die Borreliose beginnt mit dem typischen Erythema chronicum migrans und assoziierten Symptomen (Stadium I). Wochen bis Monate später entwickeln einige der Patienten neurologische oder kardiologische Symptome (Stadium II). Nach weiteren Wochen oder Monaten kann es zu intermittierenden Anfällen, arthritischen Beschwerden (Stadium III) und zur möglichen Chronifizierung kommen. Obwohl die Borreliose bei Kindern und Erwachsenen theoretisch ähnlich verlaufen kann, zeigen Kinder eine frühere Manifestation der neurologischen Symptomatik. Zur möglichen Gefährdung der Schwangerschaft durch eine Borrelieninfektion liegen bisher nur geringe Daten vor, sodass eine Risikoeinschätzung schwer abzuleiten ist. Aller-
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418
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.12. Klinische Stadien der Lyme-Borreliose. (Mod. nach Friese 2002; Mylonas u. Friese 2004a; Mylonas et al. 2005b)
Stadium
Organmanifestation
Symptomatik/Erkrankung
Stadium I: frühe lokalisierte Infektion
Haut
5 Erythema migrans
Allgemein
5 Allgemeine Symptomatik (»Grippe«) u. a. mit Kopfschmerzen, Fieber etc.
Haut
5 Sekundäre Erythema-migrans-Läsionen 5 Lymphadenosis cutis benigna
ZNS
5 5 5 5 5
Kardiovaskulär
5 Myo-, Peri- und Pankarditis mit AV-Block 5 Vorhofflimmern 5 Ventrikuläre Extrasystolen
Knochen und Muskeln
5 Arthralgien und Myalgien 5 Arthritis
ZNS
5 5 5 5
Haut
5 Acrodermatitis chronica atrophicans
Knochen und Muskel
5 Arthritis 5 Myositis
Stadium II: frühe disseminierte Infektion
Stadium III: persistierende Infektion
dings ist eine diaplazentare Übertragung von Borrelien im Tierversuch mittlerweile als gesichert anzusehen (Mylonas u. Friese 2004a, b; Mylonas et al. 2005b). > In der Vergangenheit bestand deshalb große Sorge in Hinsicht auf häufige fetale Infektionen und eine mögliche Teratogenität von B. burgdorferi, v. a. durch die Ähnlichkeiten von Borrelien und Treponemen und der Krankheitsbilder der Lyme-Borreliose mit der Syphilis. Obwohl die anfänglichen Fallberichte in dieser Hinsicht alarmierend waren, führten neuere prospektive Untersuchungen zu einer gewissen Beruhigung, da offensichtlich die mütterliche Infektion für den Fetus eher selten ernsthafte Konsequenzen hat (Strobino et al. 1993).
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Allerdings konnten derartige Schäden mitunter nicht eindeutig einer fetalen Infektion zugeordnet werden, und auch bei den fetalen Todesfällen wurde oft keine fetale Infektion, sondern eine Begleiterscheinung der mütterlichen Reaktion auf die Infektion verantwortlich gemacht. Hinzu kommt, dass natürlich sofort eine Therapie eingeleitet wird, wenn eine LymeBorreliose in der Schwangerschaft nachgewiesen wird, was nach den meisten Studien die Frequenz einer möglicherweise fetalen Symptomatik um ca. zwei Drittel senkt. Somit ist ein teratogener Effekt nicht auszuschließen; ein genauer Beweis steht allerdings noch aus.
Meningitis Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom Enzephalitis Hirnnervenlähmung Radikuloneuropathie
Periphere Neuropathie Subakute Enzephalopathie Progressive Enzephalomyelitis Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom
Insgesamt wird das Risiko einer intrauterinen Übertragung von der Mutter auf den Fetus als unwahrscheinlich eingeschätzt, v. a. dann, wenn eine frühe und hoch dosierte Antibiotikatherapie erfolgt. Allerdings wurde auch von einer konnatalen Infektion trotz oraler Antibiotikabehandlung der Mutter berichtet (Weber et al. 1988). Mehrere Studien haben den Zusammenhang zwischen Seropositivität in der Schwangerschaft und fetalem Ausgang untersucht, wobei kein erhöhtes Risiko von angeborenen Missbildungen, niedrigem Geburtsgewicht oder fetalem Tod unter den Kindern der seropositiven Mütter berichtet wurde (Strobino et al. 1993, 1999). > Zu Beginn der Schwangerschaft ist die Wahrscheinlichkeit einer transplazentaren Infektion vermutlich höher als im weiteren Verlauf der Gravidität. Eine Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung besteht derzeit nicht.
Diagnostik Eine Borrelieninfektion sollte serologisch abgeklärt werden. Die Diagnostik bei Infektionen kann allerdings schwierig sein, da die Antikörperbildung verzögert ist (2–3 Wochen nach Infektion) und ein negativer Antikörpernachweis eine akute Borreliose nicht ausschließt. Der direkte Nachweis der Bakterien durch Mikroskopie bzw. Kultur ist nur in wenigen Labors
419 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
möglich und für den Einzelfall ungeeignet. Der Nachweis von bakterieller DNA mittels der PCR ist möglich, bringt aber praktisch keine Sicherheit. IgM-Antikörper, die zunächst gebildet werden, können dann aber über Monate hinweg persistieren, sodass ihre Präsenz nicht mit Sicherheit auf eine ganz frische Infektion schließen lässt. Die Ergebnisse des ELISAScreenings müssen durch den Immunoblot/Western Blot bestätigt werden (Mylonas u. Friese 2004a; Mylonas et al. 2005b). Serologische Kontrollen sollten nach 3 Wochen (nach Beginn der Erkrankung) bis 6 Wochen (nach Zeckenbiss) durchgeführt werden. In Einzelfällen kann die Bewertung eines Laborbefunds äußerst schwierig sein, und oft beruht die Diagnose nur auf einer Verknüpfung von Labordaten mit klinischen Befunden. Bei einer weitgehend gesicherten Borrelieninfektion in der Frühgravidität kann bei fetalen Auffälligkeiten eine Fruchtwasseruntersuchung veranlasst werden. Eine Untersuchung des mütterlichen Blutes sowie des Nabelschnurblutes kann ebenfalls durchgeführt werden. Das Neugeborene sollte bis zum 6. Lebensmonat auf auffällige Symptome untersucht und beobachtet werden.
Therapie Infektionen sollten grundsätzlich und in ausreichender Dosierung antibiotisch therapiert werden. Auch das selbstlimitierende Erythema migrans stellt eine Behandlungsindikation dar. Hautmanifestationen sowie Arthritiden sprechen in der Regel ganz gut auf Tetracycline (Doxycyclin) an. Allerdings ist eine Doxycyclin-Therapie in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. Während der Schwangerschaft können Penicillin G (20 Mio. IE/Tag) oder Amoxicillin (3-mal 0,75–1,0 g) für 3 Wochen ebenfalls gegeben werden. Auch Cephalosporine, z. B. Cefotaxim (Claforan, 2-mal 3 g/Tag) sind geeignet (Mylonas et al. 2005b). Die Rolle der Makrolide ist noch nicht klar definiert, wobei eine Behandlung in der Schwangerschaft nicht kontraindiziert ist. Bei der Neuroborreliose hat Ceftriaxon wegen seiner pharmakologischen Eigenschaften einen Vorteil. Wenn innerhalb von 3 Monaten kein Therapieerfolg zu beobachten ist, muss an dem Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem positiven serologischen Befund gezweifelt werden.
Prophylaxe Im Jahr 1998 wurde in den USA. der erste Impfstoff gegen eine Borrelieninfektion eingeführt. Mittlerweile wurde dieser Impfstoff, wahrscheinlich aufgrund der Nebenwirkungen (z. B. Arthritiden) und dem mangelnden Interesse der Bevölkerung, vom Markt genommen. > Da bisher Fälle einer Übertragung der Borrelien über die Muttermilch nicht bekannt sind, ist das entsprechende Risiko noch nicht einzuschätzen. Die Patientin sollte diesbezüglich ausführlich aufgeklärt werden und ein eventuelles Übertragungsrisiko im Hinblick auf die bekannten Ergebnisse besprochen werden.
20.3.3
Chlamydia trachomatis
Weltweit zählt die urogenitale Chlamydia-trachomatis-Infektion zu den häufigsten bakteriell bedingten, sexuell übertragbaren Erkrankungen. Die aktuelle Prävalenz in Deutschland ist weitgehend unbekannt, sie dürfte bei unselektierten Schwangeren 1–5% betragen. Eine Infektion während der Schwangerschaft kann mit folgender Problematik einhergehen: Fehlgeburten und Spontanaborte, Chorioamnionitis, vorzeitigem Blasensprung, Frühgeburten, geringes Geburtsgewicht, höhere Prävalenz einer weiteren Infektion (z. B. der bakteriellen Vaginose). Unter der Geburt kommt es bei Befall der Cervix uteri bei zwei Dritteln der exponierten Neugeborenen zur Infektion mit Einschlusskörperchenkonjunktivitis, atypischer Pneumonie; Otitis media oder Entzündungen des Nasopharynx. Das routinemäßige Screening auf Chlamydia trachomatis ist in den Mutterschaftsrichtlinien verankert. Es soll bei der ersten Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung vorgenommen werden. Mittlerweile ist die einzige zugelassene Nachweismethode die Polymerasekettenreaktion (PCR) Chlamydia trachomatis ist der wichtigste Erreger einer Konjunktivitis in der Neonatalperiode und für ein Drittel aller pulmonalen Infektionen des Neugeborenen verantwortlich. Die Therapie erfolgt mit Erythromycin, Erythromycinethylsuccinat, Azithromycin und Amoxicillin.
Einleitung Weltweit zählt die urogenitale Chlamydia-trachomatis-Infektion zu den häufigsten bakteriell bedingten sexuell übertragbaren Erkrankungen. Die Inzidenz und Prävalenz einer genitalen Chlamydia-trachomatis-Infektion variieren zwischen 1 und 40%, abhängig von der jeweiligen getesteten Bevölkerung (Mylonas et al. 2007). Chlamydieninfektion werden für 25–50% der 2,5 Mio. Fälle von »pelvic inflammatory disease« (PID) in den USA verantwortlich gemacht. Unbehandelte zervikale Chlamydieninfektionen führen in bis zu 40% zur Adnexitis bzw. PID. Frauen mit einer anamnestischen Adnexitis/PID haben evtl. schwerwiegende gesundheitliche und reproduktionsmedizinische Probleme einschließlich 4 Infertilität (ca. 20%), 4 chronische pelvine Schmerzen (ca. 18%), 4 Extrauteringravidität (ca. 6%) (Mylonas et al. 2007; Hoyme 2007; Hitti u. Watts 2008).
Erreger Chlamydien sind obligat intrazelluläre Bakterien, die als infektiöse Elementarkörperchen extrazellulär und als nichtinfektiöse, jedoch als meist metabolisch aktive Retikularkörperchen in Endosomen der Wirtszelle auftreten. Es werden 18 verschiedene Serotypen von Chlamydia trachomatis je nach Ausprägung des »major outer membrane proteine« (MOMP) unterschieden, von denen die Serotypen 4 A–C das Trachom, 4 D–K Urogenitalinfektionen und 4 L1–L3 das Lymphogranuloma venereum verursachen (Mylonas et al. 2007; Hoyme 2007; Hitti u. Watts 2008).
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420
Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Chlamydia trachomatis ist der am häufigsten vorkommende sexuell übertragbare Erreger in der Bundesrepublik Deutschland. Als genitale Chlamydieninfektion wird unabhängig vom klinischen Erscheinungsbild der Befall der Cervix uteri und/ oder der Urethra mit Chlamydia trachomatis vom Serotyp D–K bezeichnet. Der Befall erhöht das peripartuale Erkrankungsrisiko für Mutter und Kind und muss deshalb in jedem Fall behandelt werden. Eine gesetzliche Meldepflicht besteht nicht, wird aber diskutiert. Die aktuelle Prävalenz ist weitgehend unbekannt, dürfte aber bei unselektierten Schwangeren 1–5 % betragen (Mylonas et al. 2007; Hoyme 2007; Hitti u. Watts 2008). Generell gilt, wie für jede STD-Prävalenz, dass diese bei Frauen <25 Jahren besonders hoch ist. Dies bedeutet zugleich eine hohe Wahrscheinlichkeit des Primärbefalls und damit großer Morbidität.
Klinische Symptome Das Erscheinungsbild reicht vom typischen mukopurulenten Ausfluss aus der Cervix uteri bis zur unspezifisch wirkenden Zervizitis (. Abb. 20.2) und völlig asymptomatischen Verlaufsformen. Mögliche weitere Formen einer Chlamydieninfektion sind Urethritis, Arthritis, Proktitis oder Proktokolitis sowie Perihepatitis (Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom). Trotz weiterhin widersprüchlicher Untersuchungsergebnisse gelten gehäuftes Auftreten von vorzeitigem Blasensprung, Chorioamnionitis, Frühgeburt, niedrigem Geburtsgewicht und eine damit erhöhte perinatale Morbidität und Mortalität nach einer Chlamydia-trachomatis-Infektion während der Schwangerschaft als gesichert. Eine Infektion während der Schwangerschaft kann mit folgender Problematik einhergehen (Mylonas et al. 2007; Hoyme 2007; Hitti u. Watts 2008): 4 Fehlgeburt und Spontanabort. Spontanaborte könnten durch eine bereits bei der Konzeption vorliegende Endometritis begünstigt werden 4 Chorioamnionitis 4 Vorzeitiger Blasensprung 4 Frühgeburt 4 Geringes Geburtsgewicht 4 Schwangere mit einer Chlamydieninfektion haben z. B. gleichzeitig eine fast doppelt so hohe Prävalenz einer bakteriellen Vaginose, die ebenfalls mit einer Frühgeburtlichkeit assoziiert ist 4 Späte postpartale Endometritis Unter der Entbindung kommt es bei Befall der Cervix uteri bei zwei Dritteln der exponierten Neugeborenen zur Infektion mit Einschlusskörperchenkonjunktivitis, atypischer Pneumonie, Otitis media oder Entzündungen des Nasopharynx.
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> Chlamydia trachomatis ist der wichtigste Erreger einer Konjunktivitis in der Neonatalperiode und für ein Drittel aller pulmonalen Infektionen des Neugeborenen verantwortlich.
Diagnostik > Das routinemäßige Screening auf Chlamydia trachomatis in der Schwangerschaft ist in Deutschland »standard of care«. Es soll bei der 1. Schwangerenvorsorgeuntersuchung und bei sich zusätzlich stellender Indikation zwischen der 30. und 34. SSW nach Information und Einverständnis der Mutter vorgenommen werden. Historische Standardmethode ist die Gewebekultur mit einer Sensitivität von 40–85% und einer Spezifität von theoretisch 100%. Der Enzymimmunoassay (EIA; Sensitivität 40–100% und Spezifität >99%) sowie mit Einschränkungen der Immunfluoreszenztest (IFT; Sensitivität 50–90% und >95%) und die DNA-Hybridisierung (Senitivität 60–93? bzw. Spezifität 83– 99%), stellen mögliche Nachweismethoden dar. Als wesentlich treffsichereres, aber erheblich kostenaufwendigeres Verfahren kommt heute die Polymerasekettenreaktion zur Anwendung (Mylonas et al. 2007; Hoyme 2007; Hitti u. Watts 2008). Gemäß dem Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses vom 13. September 2007 über eine Änderung der Richtlinien zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch sowie der Mutterschaftsrichtlinien liegt die Präferenz beim Screening auf genitale Chlamydia-trachomatis-Infektionen bei Frauen heute bei Urin als Untersuchungsprobe und bei der Polymerasekettenreaktion als Nachweisverfahren. Wichtig ist es, den morgendlichen Ersturin (»first void«) dafür zu nutzen.
Therapie Infektionen sollten grundsätzlich und in ausreichender Dosierung antibiotisch therapiert werden. Aufgrund wissenschaftlich einwandfrei dokumentierter guter Wirksamkeit und Verträglichkeit wurde in Deutschland primär die Therapie mit Erythromycinäthylsukzinat oral 4-mal 800 mg für mind. 7 Tage empfohlen. Bei Unverträglichkeit kann die Dosis halbiert und die Einnahmezeit entsprechend verlängert werden. Erythromycinestolat ist im Übrigen wegen seiner Hepatotoxizität in der Schwangerschaft kontraindiziert (Centers for Disease Control and Prevention 2006). Die Behandlung erfolgt alternativ gemäß den CDC-Guidelines (Centers for Disease Control and Prevention 2006) mit Azithromycin 1 g als Einmaldosis, wobei in der deutschen Zulassung eine ausgesprochen strenge Indikationsstellung für dieses Pharmakon hervorgehoben wird. Auch Amoxicillin 3mal 500 mg p.o. für 7 Tage ist vergleichbar aktiv. Die bei der Chlamydieninfektion außerhalb der Schwangerschaft empfohlenen Pharmaka Doxycyclin, Ofloxacin und Levofloxacin sind in der Gravidität kontraindiziert. > Die Behandlung sollte möglichst unmittelbar nach der Diagnosestellung, aus Sicherheitsgründen aber nicht vor Abschluss der 14. SSW begonnen werden. Es wird empfohlen, den Therapieerfolg durch eine Kontrolle 3–4 Wochen nach Behandlungsende sicherzustellen. Die Partnertherapie ist in jedem Fall obligat.
421 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
Prophylaxe Aufgrund der bekannten Komplikationen wurde im Jahr 2007 eine Screeninguntersuchung einmal jährlich bei allen sexuell aktiven Frauen bis zum abgeschlossenen 25. Lebensjahr beschlossen. Ebenfalls ist ein routinemäßiges Screening in der Schwangerschaft national und international empfohlen und mit Wirkung vom 01.05.1995 in den Mutterschaftsrichtlinien verankert. Es soll bei der 1. Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung vorgenommen werden. Die in den USA noch durchgeführte Augenprophylaxe mit lokalem Silbernitrat, Tetracyclin oder Erythromycin gegen Gonoblenorrhö ist nicht ausreichend wirksam gegen Chlamydia trachomatis. Demzufolge wird eine neonalate Augenprophylaxe in Deutschland derzeit nicht generell empfohlen. Zur Prävention einer Chlamydia-trachomatis-Infektion ist ebenfalls eine entsprechende Aufklärung von Kindern und Jugendlichen über Geschlechtserkrankungen sowie Sexualhygiene wünschenswert. Einen gewissen Schutz vor Ansteckung bieten Kondome.
20.3.4
Streptokokkeninfektionen der Gruppen A und B
Streptococcus pyogenes ist für die meisten der Streptokokkeninfektionen des Menschen verantwortlich. In der Vergangenheit hat er als Erreger des Kindbettfiebers eine bedeutende Rolle gespielt. Die β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A rufen eine Vielzahl von akuten eitrigen Krankheitsbildern hervor, die auch gefürchtete, nicht eitrige Folgeerscheinungen nach sich ziehen können. Während einige Erkrankungen wie akute eitrige Pharyngitis (Tonsillitis), Scharlach und Erysipel als typische A-Streptokokkenerkrankungen angesehen werden können, ist bei anderen nicht immer eine Streptokokkenätiologie zu erschließen. Mögliche Ursachen einer neonatalen A-Streptokokkeninfektion wie auch des Puerperalfiebers können sowohl in einer vertikalen, sub partu ablaufenden Transmission bei möglicher Kolonisation von A-Streptokokken im Anus, in der Vagina oder Zervix als auch in einer sub- oder postpartalen Übertragung durch Kontakt mit infizierten wie auch asymptomatischen Keimträgern (Mutter, Krankenhauspersonal, Begleitpersonen) liegen. Werden Streptokokken der Gruppe A erstmals nachgewiesen, so ist eine Penicillin-Therapie über mindestens 10 Tage empfohlen, auch ohne jegliche klinische Symptomatik. Während die B-Streptokokken früher als harmlose Saprophyten angesehen wurden, haben sie sich zum häufigsten Erreger von Neugeboreneninfektionen entwickelt. Das klinische Spektrum der perinatalen B-Streptokokkeninfektionen ist sehr variabel. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Gestationsalter, weil insbesondere bei unreifen Frühgeborenen häufiger eine Sepsis auftritt. Bei reiferen Neugeborenen tritt häufiger eine Pneumonie auf. Die Frühform der Erkrankung beginnt sofort nach der Geburt und führt zu respiratorischer Insuffizienz und septischem Schock, häufig in Verbindung mit einer Verbrauchskoagulopathie. Diese Verläufe sind durch eine hohe Letalität gekennzeichnet. Die späte Form der
B-Streptokokkeninfektion beginnt 1–6 Wochen post partum und verläuft häufig als Meningitis mit einer Letalität von 25%. Beweisend für eine B-Streptokokkeninfektion ist der Erregernachweis im Blut, Liquor bzw. im punktierten Blasenurin des Neugeborenen. Der Nachweis von B-Streptokokken in anderen Abstrichen bzw. Sekreten stellt nur bei gleichzeitig vorhandenen klinischen Infektionszeichen eine Therapieindikation für das Neugeborene dar. In der Schwangerschaft ist ein Screening auf B-Streptokokken im 3. Trimenon wegen der Möglichkeit einer Prophylaxe sinnvoll. Therapie der Wahl bei einer B-Streptokokkeninfektion sind Penicillin oder Ampicillin. Wegen der klinischen Folgen für das Neugeborene, besonders im Zusammenhang mit Frühgeburten, wird angestrebt, die neonatale B-Streptokokkeninfektion durch prophylaktische Behandlung der Schwangeren zu vermeiden.
Einleitung Die Familie der Streptococcaceae umfasst die Genera grampositiver Kokken. Streptokokken können aufgrund ihrer typischen Morphologie und ihres Hämolyseverhaltens auf der Blutagarplatte in hämolysierende, vergrünende und nicht hämolysierende Arten eingeteilt werden. Aufgrund der in der Zellwand lokalisierten, gruppenspezifischen Kohlenhydratantigene (C-Substanz) konnten Lancefield u. Hare (1935) durch entsprechende Antiseren die Streptokokken in die serologischen Gruppen A, B, C, D, E, F, G und H einteilen.
Streptokokken der Gruppe A Einleitung Streptococcus pyogenes ist für die meisten der Streptokokkeninfektionen des Menschen verantwortlich. In der Vergangenheit hat er als Erreger des Kindbettfiebers eine bedeutende Rolle gespielt (Hollm-Delgado et al. 2005). Die β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A rufen eine Vielzahl von akuten eitrigen Krankheitsbildern hervor, die gefürchtete nicht eitrige Folgeerscheinungen nach sich ziehen können.
Erreger Serologisch ist die Spezies Streptococcus pyogenes durch das gruppenspezifische, in der Zellwand gelegene Antigen A gekennzeichnet. Streptococcus-pyogenes-Infektionen des Respirationstrakts gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten, v. a. bei Kindern. Die klinische Apparenz einer Infektion, meist eine Angina, macht sicher nur einen Teil der Infektionen aus. Da auch völlig gesunde Keimträger vorkommen, ist das Reservoir für die meist durch Tröpfcheninfektion übertragenen Erreger groß. Personen mit Racheninfektionen stellen die wichtigste Infektionsquelle dar. Eine peripartale Übertragung von Streptokokken vom Personal auf die Entbindende wäre möglich. > Eine subpartale, vertikale Transmission von der Mutter auf das Neugeborene muss in Erwägung gezogen werden, wobei neben dem eigentlichen Reservoir, AStreptokokken auf der Haut, im Mund und im oberen Respirationstrakt, auch der Anus und die Scheide als Ausgangsort möglich sind (Crum et al. 2002).
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Klinische Symptome Streptokokkeninfektionen weisen ein breites Spektrum an Symptomen und Krankheitsbildern auf. Während einige Erkrankungen wie akute eitrige Pharyngitis (Tonsillitis), Scharlach und Erysipel als typische A-Streptokokkenerkrankungen angesehen werden können, ist bei anderen nicht immer eine Streptokokkenätiologie zu erschließen.
Einteilung der S.-pyogenes-Infektionen nach Lokalisation und Invasivität (Hollm-Delgado et al. 2005) 4 Nichtinvasive Infektionen der Schleimhaut (z. B. Tonsillitis, Pharyngitis, Scharlach) 4 Nichtinvasive Infektionen der Haut (z. B. Pyodermien, Erysipel) 4 Invasive Infektionen (z. B. Neugeboreneninfektion, Puerperalfieber)
Mögliche Ursachen einer neonatalen A-Streptokokkeninfektion wie auch des Puerperalfiebers können sowohl in einer vertikalen, sub partu ablaufenden Transmission bei möglicher Kolonisation von A-Streptokokken im Anus, in der Vagina oder Zervix als auch in einer sub- oder postpartalen Übertragung durch Kontakt mit infizierten wie auch asymptomatischen Keimträgern (Mutter, Krankenhauspersonal, Begleitpersonen) liegen. Bei epidemischem Auftreten sollten Hygienemängel ausgeschlossen werden. Verzögertes Auftreten oder Fehlen der klassischen Symptome, wie sehr hohe Temperaturen gleich zu Beginn des Wochenbetts und fehlende Zeichen einer Endomyometritis, können beim Puerperalfieber (7 Kap. 50) zur Fehleinschätzung des Krankheitsbildes und zum verspäteten Therapiebeginn führen. Eine der wichtigsten Spätfolgen der A-Streptokokkeninfektion ist das akute rheumatische Fieber mit einer schmerzhaften Arthritis, einer (Pan-)karditis, seltener sind Schädigungen im ZNS (z. B. Chorea minor). Eine weitere typische, nicht eitrige Folgeerkrankung einer S.-pyogenes-Infektion stellt die akute Glomerulonephritis dar mit Hypertonie, Hämaturie, Proteinurie und nephrotischem Syndrom.
Diagnose
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Untersuchungsmaterial sollte durch Abstrich mittels Tupfer gewonnen werden. Die Kultivierung auf Blutagarplatten sollte aerob und anaerob erfolgen. Über die alleinige Diagnose hämolysierender Streptokokken hinaus sollte die serologische Differenzierung angezüchteter Streptokokken durchgeführt werden, sodass richtige Schlussfolgerungen für die Therapie gezogen werden können. Serologische Untersuchungen bei Streptokokkenerkrankungen betreffen fast ausschließlich den Nachweis von Antikörpern gegen S. pyogenes. Sie sind bei Verdacht auf akutes rheumatisches Fieber, Chorea minor und akute Glomerulonephritis geboten, da bei diesen Erkrankungen beim Auftreten der klinischen Erscheinungen die Streptokokken selbst nicht mehr nachweisbar sind, die Antikörpertiter jedoch auf die Streptokokkenätiologie schließen lassen. Insbesondere
Hautinfektionen und hieraus resultierende Komplikationen bewirken nicht immer eine signifikante Erhöhung des Antistreptolysin-O-Titers, da das Antigen (Streptolysin O) im Fettgewebe neutralisiert werden kann. Bewährt hat sich die kombinierte Bestimmung verschiedener Antikörper gegen verschiedene Exoenzyme der Streptokokken, insbesondere des ASL- und DNaseB-Titers. Ein normaler ASL-Titer schließt eine Streptokokkeninfektion nicht aus. Die quantitativen Nachweise von Anti-Streptolysin O und Anti-Desoxyribonuklease B gelten als günstige Kombination (Nachweisrate steigtdurch die Kombination von 80 auf 95%; Friese et al. 2002).
Therapie Werden Streptokokken der Gruppe A erstmals nachgewiesen, so ist eine Penicillin-Therapie über mind. 10 Tage empfohlen, auch ohne jegliche klinische Symptomatik. Bei fehlendem Ansprechen sollte eine weitere Behandlung mit Cephalosporinen oder einem Makrolid erfolgen.
Streptokokken der Gruppe B (GBS) Erreger Serologisch werden verschiedene Typen der Streptokokken der Gruppe B unterschieden. Ihnen gemeinsam ist das hitzeund säurestabile, gruppenspezifische Antigen B mit dem wichtigsten Vertreter Streptococcus agalactiae.
Klinische Symptome Ernste Infektionen durch S. agalactiae sind besonders bei schwangeren Frauen zu erwarten: 4 akute Chorioamnionitis, 4 vorzeitiger Blasensprung, 4 Frühgeburt, 4 Wundinfektionen (Sectio cesarea), 4 postpartale Endometritis, 4 Bakterämie mit Sepsis, 4 Harntraktinfektionen. Wichtigstes Krankheitsbild ist die Infektion bei Neugeborenen (Sepsis, Meningitis, Pneumonie). Infektionsquellen sind dann z. B. die Hände der Mutter, Muttermilch oder auch das Krankenhauspersonal (Friese et al. 2002). Eine neonatale Streptokokkeninfektion lässt sich in 2 Formen unterteilen 4 die Frühform (»early onset«) und 4 die Späterkrankung (»late onset«), die ca. 1–6 Wochen nach der Geburt einsetzt. Als geburtshilfliche Risikofaktoren für die Entstehung einer Early-onset-Sepsis beim Neugeborenen gelten: 4 Nachweis von GBS im Anogenitalbereich der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt, 4 hohe Keimdichte von GBS im Anogenitalbereich der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt, 4 Dauer zwischen Blasensprung und Geburt von ≥18 h, 4 Fieber ≥38,0°C unter der Geburt, 4 Frühgeburt vor vollendeten 37 Wochen, 4 Zustand nach Geburt eines Kindes mit Neugeborenensepsis durch GBS.
423 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
Das klinische Spektrum der B-Streptokokkeninfektionen in der Perinatalzeit ist außerordentlich variabel. In schweren Fällen beginnt die Erkrankung sofort nach der Geburt und schreitet rasch fort. Betroffen sind häufig Frühgeborene, wahrscheinlich weil ein durch B-Streptokokken kompliziertes Amnioninfektionssyndrom zur vorzeitigen Entbindung führt. Je unreifer das Neugeborene ist, umso eher verläuft die B-Streptokokkeninfektion als Sepsis. Bei reifen Neugeborenen handelt es sich dagegen eher um eine Pneumonie, die oft nicht von einem Atemnotsyndrom zu unterscheiden ist. Es gibt kein spezifisches Symptom für eine B-Streptokokkeninfektion. Nur bei reifen Neugeborenen kommt es initial zu Fieber. Frühzeichen sind Atemstörungen (Apnoen, Stöhnen, Tachy- und Dyspnoe), eine gestörte Perfusion der Haut (Blässe, marmorierte Haut, Hypotonie) und Tachykardie. Die respiratorische Insuffizienz und der septische Schock zwingen i. d. R. zur Intubation und Beatmung. Eine Verbrauchskoagulopathie mit Petechien und Hautblutungen ist ein Spätsymptom. Ungeklärt ist die Pathogenese einer anscheinend übernormal häufigen Assoziation einer B-Streptokokkensepsis mit einer vorwiegend rechtsseitigen Zwerchfellhernie. Die Letalität dieser Verläufe ist hoch (Roos u. Proquitte 1998). Die Spätform der B-Streptokokkeninfektionen (»late onset«) im Alter von 1–6 Wochen verläuft vorwiegend als Meningitis. Häufig tritt eine kurze Periode von Fieber, Trinkunlust, Unruhe und Berührungsempfindlichkeit ein. Das Vollbild besteht aus einer Meningitis mit Lethargie bis zum Koma und tonisch-klonischen Krampfanfällen. Der Verlauf ist oft nicht so foudroyant wie bei der Frühsepsis. Die Letalität ist aufgrund des entzündlichen Hirnödems hoch und liegt bei mindestens 25% (Roos u. Proquitte 1998).
Therapie B-Streptokokken sind empfindlich gegen alle β-Laktamantibiotika, aber resistent gegen Aminoglykoside, wobei die Kombination mit Ampicillin/Amoxicillin mit Gentamycin sowohl in vitro als auch im Tierversuch synergistisch wirksam ist. Deshalb sollten B-Streptokokkeninfektionen mit einem Penicillinderivat und einem Aminoglykosid für mind. 5 Tage behandelt werden. Alternativ kann auch ein Cefalosporin gegeben werden. Die Gesamtdauer der antibiotischen Therapie einer gesicherten Sepsis beträgt traditionell 10 Tage. Eine Meningitis sollte mind. 14 Tage über den Zeitpunkt des Nachweises der Sterilisierung des Liquors behandelt werden. Neben einer antibiotischen Therapie sind intensivmedizinische Maßnahmen bei jeder Neugeborenensepsis durchzuführen. Bei einer Therapie einer Early-onset-B-Streptokokkeninfektion wurde eine Letalität von 10–20% beobachtet, wobei die Prognose einer Late-onset-Infektion ungleich schlechter ist. Diese Kinder haben z. T. neurologische Spätschäden (z. B. zerebrale Bewegungsstörungen, Hydrozephalus, mentale Retardierung) oder sterben an Hirnödemen (Benitz et al. 1999a, b; Embleton 2001). Zur intrapartalen Prophylaxe ist Penicillin G (zu Beginn 5 Mio. IE i.v., anschließend 2,5 Mio. IE alle 4 h bis zur Geburt) Mittel der Wahl. Alternativ kommen Ampicillin (zu Beginn 2 g i.v., anschließend 1 g alle 4 h bis zur Geburt) oder Cefazolin (zu Beginn 2 g i.v., anschließend 1 g alle 8 h) infrage. Bei bekannter Allergie kann ebenfalls Clindamycin (900 mg i.v. alle 8 h) genutzt werden. > Für den klinischen Bedarf sind bei ausreichender Dosierung die meisten β-Laktamantibiotika gegen B-Streptokokken ebenso wirksam wie Erythromycin oder Vancomycin.
Diagnostik Beweisend für eine B-Streptokokkeninfektion ist die Kultivierung, hauptsächlich in speziellen Kulturmedien. Ein Nachweis von B-Streptokokken in Haut- und Schleimhautabstrichen, Ohrabstrichen, Magensekret, Nabelabstrich oder Mekonium beweist primär allerdings nur eine Besiedelung. Eine Behandlung für das Neugeborene sollte bei gleichzeitiger klinischer Symptomatik durchgeführt werden (Roos u. Proquitte 1998). Tipp Ein Screening aller Schwangeren im letzten Trimenon auf B-Streptokokken wäre zu empfehlen, da dies die Möglichkeit einer Prophylaxe eröffnet.
Dazu geeignet sind Schnellkulturmedien, die durch einen Farbumschlag innerhalb von längstens 24 h das Wachstum von B-Streptokokken nachweisen. Die Sensitivität dieser Kulturmedien liegt bei 95%, die Spezifität bei fast 100%. Mittlerweile ist es möglich, durch eine Modifikation an der PCRTechnik einen Nachweis in ca. 45 min zu erlangen, sodass eine intrapartale (mit oder ohne Blasensprung) Diagnostik auf BStreptokokken stattfinden kann (Bergeron et al. 2000).
Prophylaxe In einzelnen Studien war eine dichte Besiedlung der Vagina Ursache eines vorzeitigen Blasensprungs bzw. einer Frühgeburt (Apgar et al. 2005). Es ist naheliegend, die neonatalen B-Streptokokkeninfektionen durch eine prophylaktische Behandlung der besiedelten Schwangeren zu verhindern. Zur Abschätzung der Gefährdung von Mutter und Kind ist eine gezielte Untersuchung in den letzten 4 Wochen der Schwangerschaft empfehlenswert. Es wurden 3 therapeutische Strategien zur Prävention einer neonatalen Sepsis durch B-Streptokokken vorgeschlagen (Rouse et al. 1994): 4 allgemeine Behandlung (z. B. intrapartale Penicillingabe), 4 Behandlung basierend auf maternalen Risikofaktoren, 4 Behandlung basierend auf Frühgeburtlichkeit und Kulturstatus ab 36. SSW. Die Behandlung einer mit B-Streptokokken besiedelten Schwangeren vor einer normalen Geburt ohne zusätzliche Risikofaktoren ist unnötig. Das Infektionsrisiko für das Neugeborene liegt unter diesen Bedingungen zwischen 0,5 und 1%. Bei der Annahme einer 100%igen Sicherheit müss-
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Abb. 20.10. Risikofaktoren einer B-Streptokokkeninfektion des Neugeborenen. Algorithmus bei Verdacht auf GBS-Infektion in der Schwangerschaft (Mod. nach Mylonas u. Friese 2009; AWMF 2008, AWMF-Leitlinie 024/020)
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ten zwischen 98 und 200 Gebärende behandelt werden, um eine B-Streptokokkeninfektion des Neugeborenen zu verhindern. Bislang war in den meisten Kliniken Standard, dass Frühgeborene nach Geburt trotz Prophylaxe der Mutter solange einer antibiotischen Therapie zugeführt werden, bis eine Infektion durch normale Entzündungsparameter, negative Kulturen oder fehlende klinische Symptome ausgeschlossen werden konnte. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass auf diese präsumptive Therapie bei Frühgeborenen nach der 30. SSW verzichtet werden kann, wenn die Mutter mindestens 2 Dosen eines Antibiotikums (Ampicillin oder Cefotaxim) vor der Geburt erhalten hat.
Tipp Die selektive intrapartale Behandlung einer mit B-Streptokokken besiedelten Schwangeren mit Geburtsrisiken wird dringend empfohlen. Die Rate der Infektionen des Kindes kann signifikant gesenkt werden, wenn mind. 2 Dosen eines Antibiotikums an die Schwangere verabreicht wurden.
Einige Fachgesellschaften haben die Risikofaktoren sowie Empfehlungen zur Prophylaxe einer neonatalen Sepsis veröffentlicht. Die CDC gaben 1996 Richtlinien heraus, die entweder eine Therapiestrategie basierend auf einem Kulturnachweis in der 35.–37. SSW. oder eine Therapie gestützt nur auf Risikofaktoren empfahl. Des Weiteren wurde die Verwendung von Penicillin als eine Alternative zu Ampicillin empfohlen (Centers for Disease Control and Prevention 1996).
425 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
Diese Therapiestrategie hat sich als effektiv erwiesen (Apgar et al. 2005). Natürlich führen diese Strategien zu einer völlig unterschiedlichen Häufigkeit der Notwendigkeit einer intrapartalen antibiotischen Prophylaxe (. Abb. 20.10). Auch liegen keine ausreichenden vergleichenden Untersuchungen zur Effizienz und zu den Kosten dieser Strategien vor, wobei eine kürzlich bekannte Untersuchung eine gute Kosten-EffizienzRelation für ein Screening/risikoadaptiertes Vorgehen demonstrierten (Akker-van Marle et al. 2005). Diese verschiedenen Empfehlungen unterstreichen aber, dass das Problem der Prävention der neonatalen B-Streptokokkeninfektionen noch keineswegs ausdiskutiert ist.
20.3.5
Toxoplasmose
Die Toxoplasmose wird durch Toxoplasma gondii hervorgerufen. Dabei ist der Mensch nur der Zwischenwirt, Hauptwirt sind Katzen und katzenartige Raubtiere. Die Oozysten werden aus dem Darm der Katzen ausgeschieden und gelangen mit ungenügend erhitztem (rohem) Fleisch bzw. mit durch Katzenkot verunreinigte Lebensmittel zum Menschen. Die postnatale und die pränatale Infektion werden unterschieden. Normalerweise verläuft die Toxoplasmoseinfektion klinisch symptomlos. Ausnahmen kommen bei immunsupprimierten Menschen vor. Klinisch können grippeähnliche Beschwerden und Lymphknotenschwellungen auftreten. Bei maternaler Erstinfektion in der Schwangerschaft sind der Infektionszeitpunkt, die Infektionsdosis sowie die immunologische Kompetenz für die Auswirkungen auf den Fetus entscheidend. Während mit zunehmendem Gestationsalter die Wahrscheinlichkeit einer pränatalen Infektion zunimmt, sinkt die Schwere der Erkrankung. Die klassische Trias: Retinochorioiditis, Hydrozephalus, intrazerebrale Verkalkung mit postenzephalitischem Schaden tritt nur etwa in 1% der Fälle auf. Nach überwiegend symptomlosem oder mit unspezifischen Krankheitsbildern einhergehendem Verlauf entwickelt sich in der Folgezeit bei 65–95% der Fälle eine typische Retinochorioiditis. Bei begründetem Verdacht auf eine akute Infektion sollte unverzüglich eine Behandlung eingeleitet werden. Bei speziellen Fragen bzw. unklaren Fällen können Referenzlabors konsultiert werden. Im Rahmen der Pränataldiagnostik ist die Frage nach einer möglichen fetalen Infektion zu beantworten, wenn auffällige sonographische Befunde vorliegen oder eine wahrscheinliche bzw. gesicherte akute Toxoplasmainfektion der Mutter. Dabei ist zu beachten, dass der Nachweis einer fetalen Infektion nicht mit fetaler Schädigung gleichzusetzen ist. Die invasive Diagnostik kann relativ risikolos über eine Amniozentese mit PCR erfolgen. Bei Chordozentese sind höhere Abortraten bekannt. Bei nachgewiesener fetaler Infektion und sonographischen Auffälligkeiten muss mit den Eltern ein Schwangerschaftsabbruch diskutiert werden. Anderenfalls erfolgt eine medikamentöse Therapie über die Geburt hinaus bis zum 12. Lebensmonat. Die Schwangere wird bei akuter Infektion bis zur 15. SSW mit Spiramycin, danach über 4 Wochen mit Pyrimethamin und Sulfadiazin behandelt. Teratogene Effekte sind nicht bekannt. Durch eine zusätzliche Gabe von Folinsäure wird eine Thrombo-
penie vermieden. Bei nachgewiesener fetaler Infektion wird die oben genannte Therapie im 4-wöchigen Wechsel mit Rovamycin bis zur Geburt fortgeführt. Der präventiven Beratung der Schwangeren ist große Bedeutung beizumessen.
Einleitung Wenn eine schwangere Frau erstmals während der Gravidität Kontakt mit Toxoplasma gondii hat, kann der Parasit während der akuten Infektionsphase auf den Fetus übergehen. Obwohl Toxoplasmainfektionen bei schwangeren Frauen häufig sind, wird dieses Schwangerschaftsrisiko weiterhin zu wenig beachtet. Im Vordergrund steht neben der Problematik der seltenen schweren Erkrankungsfälle v. a. die Langzeitprognose der häufigen subklinischen pränatalen Toxoplasmainfektionen. Pränatal infizierte Kinder zeigen oft erst nach vielen Jahren eine klinische Schädigung. Da auch in der Schwangerschaft die meisten Infektionen asymptomatisch verlaufen, sind Laboruntersuchungen für das Erkennen der akuten Infektion und den frühzeitigen Beginn der erforderlichen Antibiotikatherapie wichtig.
Erreger Die Toxoplasmose ist eine durch das Protozoon Toxoplasma gondii, einen intrazellulären Erreger, hervorgerufene Zoonose. Hauptwirt des Erregers ist die Katze, wobei die Ausscheidung von Oozysten mit dem Kot passiert. Die Sporogonie (Reduktionsteilung) erfolgt im Freien. Eine azyklische Entwicklung mit proliferativer Phase (Tachyzoiten: Pseudozysten) und Zystenphase (Bradyzoiten) findet im Zwischenwirt (Mensch, Hund, omni- und herbivore Säuger und Vögel) statt (Friese et al. 2002). Toxoplasmainfektionen können bei vielen verschiedenen Säugetieren und Vögeln beobachtet werden. > Kontaminierter Katzenkot ist erst nach einer extrakorporalen Reifezeit ab dem 3. Tag infektiös.
T. gondii erzeugt umschriebene herdförmige Entzündungen und Nekrosen. Es besteht eine Affinität zum ZNS (zerebrale Form). 3 Infektionsmöglichkeiten kommen beim Menschen in Betracht: 4 orale Aufnahme von Zysten in nicht ausreichend erhitzten Fleisch- und Wurstwaren, 4 orale Aufnahme von Oozysten über Lebensmittel (z. B. Salate), Wasser, Gegenstände und Erdboden, welche durch Katzenkot kontaminiert sind (z. B. während der Gartenarbeit), 4 diaplazentarer Übertritt auf den Fetus während einer akuten Toxoplasmainfektion der werdenden Mutter.
Klinische Symptome In der Regel verläuft die Toxoplasmainfektion symptomlos ab (Ausnahme: immunsupprimierte Patienten), wobei sich oft eine Toxoplasmose nur serologisch nachweisen lässt. > Eine serologische Kontrolle auf Toxoplasmaantikörper muss bei jeder Schwangeren in jedem Fall vorgenommen werden, falls eine Lymphknotenschwellung bzw. eine grippale Symptomatik auftritt.
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Der Erregerübertritt, der in ca. 50% der Primärinfektionen und vorwiegend im 2. und 3. Trimenon erfolgt, kann zur Fetopathia toxoplasmotica führen. Da die Passage im 1. Trimenon der Schwangerschaft längere Zeit als gegen ihr Ende beansprucht, gelingt der inzwischen entwickelten mütterlichen Abwehr meist die Herdsanierung noch vor einer Generalisierung im Fetus. So wurde errechnet, dass bei unbehandelten Müttern die Infektion im 1. Trimenon in ca. 13% die Frucht beeinflusst, im 2. Trimenon jedoch schon zu ca. 24% und im 3. in 62% (Ahlfors et al. 1986). Wird die Infektion erst in der letzten Schwangerschaftswoche erworben, steigt die Übertragungsrate auf ca. 90%. Die Gefahr für eine schwere Erkrankung des Fetus sinkt dagegen mit dem Gestationsalter. Vor der 16. SSW schädigen Toxoplasmaherde den Trophoblasten offenbar so schwer, dass Spontanaborte Folge der Infektion sind. Eine kausale Beziehung konnte zwischen einer akuten Infektion während der Schwangerschaft und Frühgeburt, Totgeburt und Geburt von Säuglingen mit anormalem Schädelvolumen festgestellt werden (Djurkovic-Djakovic 1995). Durch Toxoplasmose verursachte Embryopathien sind deshalb nicht zu erwarten. > Infiziert sich eine Frau in der Schwangerschaft erstmalig mit Toxoplasma gondii, so ist der Zeitpunkt der Infektion, die Infektionsdosis sowie die immunologische Kompetenz, einschließlich der maternalen diaplazentaren Antikörperübertragung, von Bedeutung. Mit fortschreitender Schwangerschaft steigt die Wahrscheinlichkeit der pränatalen Infektion des Fetus, andererseits nimmt die Schwere des Krankheitsbildes beim Kind ab.
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In höchstens 10% der Fälle treten nach einer Inkubationszeit von 1–2 Wochen Krankheitssymptome auf (Friese et al. 1991b). Nur sehr selten sieht man die typischen klinischen Zeichen mit Lymphadenitis, Fieber und Kopfschmerzen, meistens sind nur uncharakteristische grippale Symptome zu beobachten. Das klinische Bild der konnatalen Infektion des Fetus mit Toxoplasmen kann unterschiedlich ausgeprägt sein. Fließend gehen die Stadien einer durch T. gondii hervorgerufenen Fetopathie ineinander über: von Zeichen der generalisierten Erkrankung, der floriden Meningoenzephalitis bis hin zum postenzephalitischen Schaden. Die genannten klinischen Bilder kommen zum Zeitpunkt der Geburt etwa im Verhältnis 1:10.100 vor. Kardiopulmonale und hepatische Symptome stehen im Vordergrund einer fetalen Infektion (. Tab. 20.13). Die meisten Kinder zeigen kurz nach der Geburt das klinische Bild einer Dyspnoe, Tachypnoe und Zyanose, ein großes Abdomen mit Hepatosplenomegalie und zunehmendem Ikterus sowie purpuraähnliche Hautblutungen. Augenveränderungen finden sich als uncharakteristische Zeichen der akuten Entzündung mit Ödemen und Blutungen in Retina und Papille. Zeichen einer Enzephalitis fehlen oft in diesem frühen Stadium. Die seltene Generalisation der Infektionserkrankung ist durch nekrotisierende Entzündungsherde in den Organen gekennzeichnet. Das Stadium der floriden Meningoenzephalitis ist bei Kindern gekennzeichnet durch eine ZNS-Symptomatik. Die Entzündungsherde sind in anderen Organen bereits oft abgeheilt. Infolge entzündlicher Veränderungen im Gehirn und
auch des beginnenden Hydrozephalus sind die Kinder schläfrig, wimmern und bereiten anhaltende Fütterungsschwierigkeiten. Der Schädel zeigt progredientes Wachstum, und die abgelaufene Hirnerkrankung wird nach Wochen mit intrazerebralen Verkalkungen, Retardierung, Krämpfen, Chorioretinitis oder Hydrozephalus deutlich. Es resultiert meist ein schwerer Hirnschaden.
Die klassische Trias mit Hydrozephalus, Chorioretinitis und intrazerebralen Verkalkungen tritt nach der Geburt umso eher klinisch in Erscheinung, je massiver der postenzephalitische Schaden ist. Auch oligosymptomatische Verlaufsformen werden oft beobachtet. Bis zu 85% der infizierten Neugeborenen können im Verlauf von Jahren eine oder mehrere Episoden von Chorioretinitis durchmachen (Stray-Pedersen u. Jenum 1992). Auch Intelligenzdefekte, Verhaltensstörungen, Lähmungen oder Krampfanfälle können einer durchgemachten konnatalen Toxoplasmose zugeordnet werden (. Tab. 20.13).
Diagnostik Das Vorliegen der klassischen Trias (CT, MRT, Augenhintergrunduntersuchung, Liquorbefund) macht die Diagnose wahrscheinlich. Den Beweis einer Toxoplasmainfektion würde der direkte Erregernachweis aus Liquor oder Gewebe oder die Anzüchtung mittels Tierversuch erbringen, wobei diese Methoden aufwendig und noch nicht für die Routine geeignet sind (Friese et al. 1991b). Eine Antikörperbestimmung im Serum kann ebenfalls durchgeführt werden. Die Tatsache, dass der Nachweis der fetalen Infektion nicht zwangsläufig eine Schädigung des Kindes bedeutet, erschwert die Indikationsstellung für eine invasive Diagnostik. Alle Kinder von Müttern mit gesicherter oder wahrscheinlicher akuter Toxoplasmainfektion in der Schwangerschaft sollten längerfristig, mindestens im 1. Lebensjahr, klinisch und labordiagnostisch überwacht werden. > Wurde eine fetale Toxoplasmainfektion nachgewiesen und bestehen gleichzeitig sonographische Anzeichen für eine Schädigung des Kindes, muss die Möglichkeit einer Abruptio mit den Eltern besprochen werden.
Die PCR und verbesserte Routinetests ermöglichen heute sowohl bei Screeninguntersuchungen als auch im schwierigen Einzelfall eine sichere Diagnostik (. Tab. 20.14). Da besonders bei Neugeborenen von therapierten Müttern spezifische IgMund IgA-Antikörper als Hinweise für die konnatale Infektion fehlen können, ist eine Kombination folgender Methoden sinnvoll: 4 Direkter Erregernachweis aus Plazentagewebe, Nabelschnur und Nabelschnurblut mithilfe der PCR und Versuch, positive PCR-Befunde durch Tierversuch bzw. Zellkultur zu bestätigen. 4 Nachweis spezifischer IgA und IgM unter Berücksichtigung der Möglichkeit falsch positiver Befunde durch ein »placenta leak«. Wie bei der pränatalen muss auch bei der postpartalen Diagnostik aus Nabelschnurblutproben die Möglichkeit der Kon-
427 20.3 · Bakterielle Infektionen und Protozoen
. Tab. 20.13. Symptome einer Toxoplasmoseerkrankung bei Mutter, Fetus, Neugeborenem und Säugling. (Aus Mylonas u. Friese 2004a)
Symptome einer Toxoplasmose Mutter
Subakuter und akuter Verlauf 5 Grippe-/mononukleoseähnliche Symptomatik 5 Lymphknotenschwellung/Lymphadenitis 5 Kopfschmerzen und Müdigkeit 5 Uncharakteristisches Fieber bzw. Angina 5 Abdominale Beschwerden 5 Exanthem (bei Jugendlichen) 5 Reaktive Arthritis 5 Meningismus 5 Meningoenzephalitis 5 Hepatitis (selten) 5 Myokarditis (selten) 5 Pneumonien (selten) 5 Primäre Chorioretinitis (selten)
Chronischer Verlauf 5 Schubweises Fieber 5 Kopfschmerzen 5 Gelenkbeschwerden 5 Psychische Alterationen 5 Chorioretinitis 5 Iridozyklitis 5 Organmanifestation in – Lymphknoten – Leber – Milz – ZNS
Fetus
Verlauf 5 Fetopathia toxoplasmotica 5 Abort 5 Totgeburt 5 Frühgeburt
Sonographie 5 Hydrozephalus 5 Mikrozephalus 5 Zerebrale Kalzifikationsherde 5 Oligohydramnion 5 Hepatosplenomegalie
Kind
Neugeborenes 5 Häufig subklinisch erkrankte Kinder 5 Dyspnoe, Tachypnoe und Zyanose 5 Klassische Trias mit Hydrozephalus, Chorioretinitis und intrazerebralen Verkalkungen 5 Hepatosplenomegalie und Ikterus 5 Thrombozytopenie 5 Floride Meningoenzephalitis 5 Purpura 5 Lungenbeteiligung 5 Intelligenzminderung 5 Hydrozephalus 5 Chorioretinitis 5 Epileptische Anfälle 5 Hepatosplenomegalie und Ikterus
Toxoplasmose im 1. Lebensjahr 5 Liquorveränderungen (34,8%) 5 Chorioretinitis (21,8%) 5 Intrakranielle Verkalkungen (11,4%) 5 Hydrozephalus oder Mikrozephalie (9,0%) 5 Psychomotorische Retardierung (5,2%) 5 Hepatosplenomegalie (4,2%) 5 Krämpfe (3,8%)
tamination mit mütterlichem Blut stets bedacht und ggf. ausgeschlossen werden. Diagnostik bei der schwangeren Frau. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge kommen ausschließlich serologische Methoden zur Anwendung; der direkte Erregernachweis mithilfe der PCR aus peripherem Blut ist im Normalfall nicht indiziert, weil ein negativer PCR-Befund eine akute oder kürzliche Infektion grundsätzlich nicht ausschließen kann. Wenn spezifische IgG-Antikörper nachweisbar sind und spezifische IgM-Antikörper fehlen, kann in der Regel von einer latenten Toxoplasmainfektion der Schwangeren mit Immunschutz für das ungeborene Kind ausgegangen werden. Wenn im Blut der werdenden Mutter auch IgM-Antikörper zu finden sind und keine Vorbefunde zur Verfügung stehen, muss man folgende Möglichkeiten unterscheiden: 4 akute oder kürzliche Infektion mit Relevanz für die Schwangerschaft,
4 abklingende (subakute) Infektion ohne aktuelle Bedeutung, da die Infektion vor Eintritt der jetzigen Schwangerschaft abgelaufen ist, 4 Antikörperboosterung mit Auftreten von spezifischen IgA-Antikörpern aufgrund eines erneuten intestinalen Antigenkontakts oder einer klinisch irrelevanten Reaktivierung (in der Praxis kann man eine Antikörperboosterung oft nicht eindeutig von einer abklingenden Infektion unterscheiden), 4 unspezifische IgM-Reaktion (sog. natürliche IgM-Antikörper gegen Toxoplasmaantigene, die gelegentlich auch bei Menschen ohne vorherigen Kontakt mit Toxoplasma gondii zu finden sind). ! Ein positiver IgM-Test darf nicht bei der ersten Untersuchung der Schwangeren ohne weitere kritische Abklärung als Zeichen für eine akute schwangerschaftsrelevante Infektion gewertet werden.
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
. Tab. 20.14. Die serologischen Stadien der Toxoplasmainfektion p.i. (post infectionem). (Aus Mylonas u. Friese 2004a; Mylonas et al. 2006a)
Infektionsphase
Zeitraum (Monate p.i.)
Typischer Ablauf der Immunantwort
0–3
5 Nach 10–14 Tagen Auftreten von IgM, IgG und IgA 5 Zuerst beginnende Immunantwort im SFT zu erkennen (wird nur noch in wenigen Laboratorien durchgeführt)
3–6
5 Maximale Antikörperproduktion 5 Mittelhohe bis hohe Konzentrationen der IgM-, IgG- und IgA 5 IgM in allen Testmethoden gut nachweisbar 5 IgA nachweisbar 5 IFT von negativ auf positiv (sicherer Nachweis)
Serologische Untersuchungen und Titer
Verlaufskontrollen
Phase I Serokonversion oder signifikanter Titeranstieg
Im Abstand von 2–3 Wochen zwingend
Phase II Aktive Infektion; Phase I+II= akute Infektion
KBR
1>40
IFT
1>512
IgM-FT
1>40
IgM-ISAGA
1>10.000
IHA
1<32
KBR
1: 20 1:1024 1: 20 1: 2000 1>1000
IFT
1:1024
IgM-FT
1: 20
IgM-ISAGA
1: 2000
IHA
1>1000
KBR
1: 10
IFT
1: 256
IgM-FT
Negativ
IgM-ISAGA
Negativ
IHA
1>1000
5 Im Abstand von 2–3 Wochen, um Identität der Proben und Reproduzierbarkeit der Befunde zu dokumentieren 5 Titeranstieg bei Kontrolle nicht mehr nachweisbar
Phase III Abklingende (subakute) Infektion
6–12 (–36)
5 Langsam abfallende IgM-, IgA-, IgG Titer 5 Persistenz von IgA länger als IgM (1/3 der Infektionen) 5 IgM-Persistenz zwischen 1 und 3 Jahren 5 Manchmal können stark erhöhte IgG-Titer (SFT oder IgG-IFT ≥1:1024) über mehr als ein Jahr beobachtet werden
Im Abstand von 2–3 Wochen empfehlenswert, um ausbleibenden Titeranstieg zu dokumentieren4>
Phase IV Latente Infektion
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>12
5 IgM und IgA nicht mehr nachweisbar 5 Meist niedrige bis mittelhohe IgG-Konzentration (IgG-IFT und SFT <1: 256 IgG-EIA <100 IE/ml) 5 Immunschutz vorhanden 5 Kein Risiko für eine kongenitale Toxoplasma-Infektion
Pränatale Diagnostik. Der sonographische Verdacht auf eine Schädigung des Kindes bei einer akuten Toxoplasmainfektion der Schwangeren stellt eine anerkannte Indikation zur Pränataldiagnostik dar. In der Praxis liegt in den meisten Fällen aber eine relative Indikation vor. Bei wahrscheinlicher oder gesicherter akuter Toxoplasmainfektion der Mutter soll geklärt werden, ob die Infektion auf das sonographisch unauffällige Kind übergegangen ist. Die Tatsache, dass der Nachweis der fetalen Infektion nicht zwangsläufig eine Schädigung des
Nicht notwendig
Kindes bedeutet, erschwert die Indikationsstellung für diese invasive Diagnostik. Eine PCR-Diagnostik aus dem Fruchtwasser kann zu besseren Ergebnissen bei niedrigeren Komplikationsraten führen (Hohlfeld et al. 1994), vorausgesetzt, ein hoher Qualitätsstandard ist sichergestellt. Die Indikation zur Pränataldiagnostik kann heute daher großzügiger als früher gestellt werden. Ein negativer PCR-Befund kann allerdings nicht grundsätzlich ausschließen, dass nicht nach der Punktion (oder vielleicht
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gerade durch den Eingriff bedingt) die Infektion doch noch auf das Kind übergeht, sodass bislang auch bei negativem Ergebnis eine Antibiotikatherapie (in Frankreich mit Rovamycin) angeschlossen wird. Bei einer Nabelschnurpunktion werden zusätzlich hochempfindliche IgM-Tests (IgM-ISAGA und IgM-CaptureEIA), in zweiter Linie auch IgA- und IgG-Tests sowie klinischchemische Untersuchungen (γ -GT, Blutbild) eingesetzt. ! Bislang kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Kombinationstherapie mit Pyrimethamin und Sulfadiazin zu falsch negativen PCR-Befunden führen könnte. Deshalb sollte eine PCR aus dem Fruchtwasser erst nach einer 1-wöchigen Therapiepause durchgeführt werden. Diese Gefahr scheint nach den vorliegenden Studien nach einer vorausgegangenen Rovamycin-Behandlung nicht zu bestehen.
Therapie Bei hochgradigem Verdacht oder sicherem Hinweis auf eine pränatale Toxoplasmose sollte frühzeitig mit der Behandlung der Schwangeren und damit des Fetus begonnen werden.
tion hatten, ein toxoplasmainfiziertes und geschädigtes Kind geboren haben. Tipp Bei unauffälligem Schwangerschaftsverlauf sollten sicher infizierte Kinder über eine Therapie der Mutter intrauterin bis zur Geburt und darüber hinaus postpartal mindestens bis zum 12. Lebensmonat antibiotisch behandelt werden (4-wöchige Kombinationstherapie mit Pyrimethamin/Sulfadiazin/Folinsäure im Wechsel mit einer 4-wöchigen Rovamycin-Therapie).
Studienbox Es gibt einige ältere Untersuchungen, die eine signifikante Reduktion der vertikalen Transmissionsrate als Folge einer Therapie der Mütter mit akuter Toxoplasmose zeigten, wobei wiederum andere Studien einen solchen Effekt nicht beweisen konnten. Auch einige durchgeführte Metaanalysen konnten diesbezüglich keine Klarheit schaffen (Peyron et al. 2000; Thiébaut et al. 2007).
Tipp Bis zum Ende der 15. SSW empfiehlt sich die Gabe von Spiramycin [3,0 g (=9 Mio. IE)/Tag in 3 Teildosen]. Ab der 16. SSW wird – unabhängig von der zuvor durchgeführten Spiramycin-Therapie – Sulfadiazin (50 mg-4,0 g/ kg KG/Tag oral in 4 Teildosen) appliziert. Zusätzlich erhält die Patientin 50 mg Pyrimethamin am 1. Tag und 25 mg an den Folgetagen (oral als Einmaldosis). Diese Behandlung sollte über 4 Wochen durchgeführt werden. Um eine Hemmung der Hämatopoese und besonders eine Thrombopenie zu verhindern, empfiehlt sich zusätzlich die Gabe von Folinsäure (10–15 mg/Tag).
Bei bekannter Sulfonamidallergie oder bei allergischen Reaktionen muss statt Sulfadiazin mit Spiramycin therapiert werden. Da Letzteres kaum plazentagängig ist, dient es mehr zur Supprimierung der maternalen Parasitämie und Verhinderung des Transports der Toxoplasmen via Plazenta zum Fetus. Weder für dieses Makrolid noch für die Kombinationstherapie von Sulfonamid mit Pyrimethamin besteht ein gesichertes teratogenes Medikamentenrisiko. Zur Risikoabschätzung wird ggf. zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach Beendigung der Therapie mit Spiramycin eine Fruchtwasser-PCR auf Toxoplasma durchgeführt, um eine Risikobeurteilung erheben zu können (Friese u. Hlobil 1997). Die Infektion der Mutter muss jedoch mindestens 4 Wochen alt sein, da erst nach dieser Zeit die akute Phase mit Parasitämie und Erregerausbreitung im Gewebe abgeschlossen sein dürfte. Später scheint eine nachträgliche Infektion der Plazenta und des Fetus sehr unwahrscheinlich. Bei bestehender Immunität ist für eine weitere Schwangerschaft nicht mit einer Infektionsgefahr für den Fetus zu rechnen. Nur wenige Fälle sind beschrieben worden, bei denen nicht behandelte Frauen, die 2–3 Monate vor Konzeption eine akute Toxoplasmainfek-
Prophylaxe Von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass die Schwangere mit fehlender Toxoplasmaimmunität eindringlich auf Präventionsmaßnahmen hingewiesen wird. Diese primäre Prophylaxe hat möglicherweise tatsächlich einen Effekt für die Vermeidung konnataler Infektionen, wobei allerdings weitere und besser geplante Studien und Verbesserungen bezüglich der Empfehlungen notwendig sind.
Präventionsmaßnahmen für toxoplasmaantikörpernegative Schwangere 4 Nur gut gekochte und gut durchgebratene Fleischund Wurstwaren essen (besondere Vorsicht bei Schweine-, Lamm- und Ziegenfleisch bzw. -produkten). 4 Gemüse, Salat und Früchte vor dem Essen gut waschen. 4 Hände mit Seife waschen, besonders wichtig nach Gartenarbeit, nach der Küchenarbeit, insbesondere nach der Zubereitung von Fleisch, und vor jedem Essen. 4 Wird eine Katze gehalten, so braucht sie nicht aus der Umgebung der Schwangeren entfernt zu werden. Das Tier ist jedoch nur mit Dosen- und/oder Trockenfutter zu ernähren. Dies ist aber nicht immer möglich. In solchen Fällen sollte die Schwangere sich von der Katze fernhalten. Kotkästen sind täglich von anderen Personen mit heißem Wasser (>70°C) zu reinigen.
In den letzten Jahren wird in Europa über den Nutzen einer sekundären Prävention (d. h. Screening) während der Schwangerschaft ausgiebig diskutiert. Derzeit wird in 5 europäischen
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Kapitel 20 · Infektionen in der Geburtshilfe
Ländern ein pränatales Screening vorgeschlagen (Frankreich, Italien, Österreich, Litauen, Slowenien). Großbritannien und Schweden empfehlen keine Screeninguntersuchung während der Schwangerschaft. Mittlerweile findet auch in der Schweiz ein Paradigmenwechsel statt, sodass ebenfalls kein Screening in der Schwangerschaft mehr empfohlen wird (Rudin et al. 2008). Tipp Empfehlung Deutschland 4 Die Kommission »Toxoplasmose und Schwangerschaft« am Robert-Koch-Institut (RKI) hat sich für eine serologische Untersuchung aller Frauen mit Kinderwunsch möglichst schon vor einer geplanten Schwangerschaft, zumindest aber so bald wie möglich in der Frühschwangerschaft, ausgesprochen. 4 Schwangere ohne Immunschutz sollten über die Möglichkeit der Infektionsverhütung aufgeklärt und alle 8–12 Wochen bis zum Schwangerschaftsende kontrolliert werden. Empfehlung Österreich 4 Wenn eine Frau vor der Schwangerschaft seropositiv war, muss sie weder in der aktuellen noch in folgenden Schwangerschaften getestet werden. 4 Serologische Testung der Schwangeren bis zur 16. SSW. 4 Bei Seronegativität am Beginn der Schwangerschaft ist ein Folgetest im 2. und 3. Trimenon vorgesehen. 4 Der letzte Test auf Toxoplasmose ist laut MutterKind-Pass in der 30.–34. SSW vorgesehen. Empfehlung Schweiz 4 Verzicht auf ein Toxoplasmascreening vor und während der Schwangerschaft. 4 Weiterführen der in den Regionen Basel und Lausanne vorhandenen spezifischen Surveillance-Systeme. 4 Reaktivierung der SPSU Surveillance für die konnatale Toxoplasmose. 4 Behandlung symptomatischer Kinder mit konnataler Toxoplasmose – wenn möglich: Einschluss solcher Kinder in entstehende internationale Behandlungsstudien.
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Wichtige Internetadressen: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) [www.dggg.de] Arbeitsgemeischaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) [www.awmf-online.de] Robert Koch-Institut [www.rki.de] Deutsches Grünes Kreuz für Gesundheit e. V. [www.dgk.de]
21 21 Diabetes mellitus und Schwangerschaft U.M. Schaefer-Graf, A. Kautzky-Willer 21.1
Allgemeine Grundlagen – 436
21.1.1 21.1.2 21.1.3
Terminologie – 436 Epidemiologie – 437 Einfluss der Schwangerschaft auf den Glukosestoffwechsel – 437
21.2
Schwangerschaft bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes – 437
21.2.1 21.2.2 21.2.3
Präkonzeptionelle Betreuung – 437 Betreuung während der Schwangerschaft – 439 Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft – 442
21.3
Gestationsdiabetes (GDM) – 443
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
Pathophysiologie – 443 Screening und Diagnostik – 443 Kindliche und mütterliche Komplikationen – 445 Diabetologische Therapie des Gestationsdiabetes – 446
21.4
Fetale Überwachung – 447
21.4.1 21.4.2 21.4.3
Sonographie – 447 Dopplersonographie – 448 Kardiotokographie – 448
21.5
Entbindung und Wochenbett – 448
21.5.1 21.5.2 21.5.3 21.5.4
Geburtsplanung und -modus – 448 Stoffwechseleinstellung unter der Geburt – 449 Postpartale Versorgung des Neugeborenen – 449 Blutzuckerkontrollen und -einstellung im Wochenbett und Stillen – 450
21.6
Langzeitfolgen – 451
21.6.1 21.6.2 21.6.3
Langzeitfolgen für Kinder diabetischer Schwangerschaften – 451 Langzeitfolgen für Mütter nach Gestationsdiabetes – 452 Kontrazeption bei Diabetikerinnen und nach Gestationsdiabetes – 453
Literatur – 453
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
436
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
Bei der Beschreibung der geburtshilflichen und diabetologischen Aspekte bei der Betreuung von Schwangeren mit Diabetes in der Schwangerschaft sollen neben »State-of-the-artWissen« auch strittige Fragen anhand aktueller Ergebnisse diskutiert werden. Die Betreuung einer Schwangeren mit Typ-1oder Typ-2-Diabetes stellt eine große Herausforderung dar. Durch eine präkonzeptionelle Optimierung der Blutzuckereinstellung und Behandlung von Spätkomplikationen wie diabetische Retinopathie, Nephropathie und Hypertonus können schwere mütterliche wie kindliche Komplikationen verringert werden (präkonzeptionelle Betreuung). Die mütterliche Hyperglykämie bei Konzeption ist mit einer hohen Rate an kongenitalen Fehlbildungen assoziiert. Zu den mütterlichen Risiken in der Schwangerschaft zählen eine eventuelle Progression von Retino- und Nephropathie, Stoffwechselentgleisung in Richtung hyper- oder hypoglykämisches Koma und eine erhöhte Inzidenz von Präeklampsie, Infektionen und Frühgeburtlichkeit. Die kindlichen Probleme sind Folge der Reaktion des Fetus auf ein erhöhtes Substratangebot, in Form von Hyperinsulinismus, der mit Makrosomie, Organomegalie, intrauterinerer Asphyxie bis zum intrauterinen Fruchttod einhergehen kann. Postpartal sind die Neugeborenen durch Hypoglykämie, Atemnotsyndrom und Hyperbilirubinämie gefährdet. Außerdem kann es bei einem manifesten Diabetes auch zur Wachstumsrestriktion durch Mangelversorgung, insbesonders bei Vorliegen von vaskulären Problemen oder einer Nephropathie kommen. Die mütterlichen und kindlichen Probleme beim Gestationsdiabetes (GDM) entsprechen denen von Schwangerschaften mit vorbestehendem Diabetes mellitus. Sie sind allerdings wegen fehlender diabetischer Spätkomplikationen und geringerer Hyperglykämie weniger ausgeprägt. Des Weiteren tritt beim GDM üblicherweise keine diabetische Embryopathie ein, da beim GDM im eigentlichen Sinn die Stoffwechselstörung erst in der 2. Schwangerschaftshälfte manifest wird. Bei unbehandeltem GDM kann es jedoch auch zum intrauterinen Fruchttod kommen, bis zu 20% aller Todesfälle werden mit GDM in Verbindung gebracht. GDM ist mit einer Prävalenz von ca. 7% (American Diabetes Association 2009) eine der häufigsten Schwangerschaftserkrankungen, wobei die Diagnose oftmals wegen fehlender Diagnostik nicht gestellt wird.
21.1
Allgemeine Grundlagen
21.1.1
Terminologie
Die Klassifikation der American Diabetes Association von 1997, die von der Deutschen Diabetesgesellschaft übernommen wurde (Kerner et al. 2001), berücksichtigt Ätiologie und Pathologie der einzelnen Formen des Diabetes mellitus (7 Übersicht).
21
Formen des Diabetes mellitus 4 Typ-1-Diabetes: β-Zelldestruktion, die üblicherweise zum absoluten Insulinmangel führt: – immunologisch vermittelt – idiopathisch 4 Typ-2-Diabetes: Spannbreite von vorwiegend Insulinresistenz mit relativem Insulinmangel bis zu einem vorwiegend sekretorischen Defekt 4 Andere spezifische Diabetestypen 4 Gestationsdiabetes
Gestationsdiabetes (GDM) Gestationsdiabetes (ICD-10: O24.4) ist definiert als eine erstmals in der Schwangerschaft aufgetretene oder diagnostizierte Glukosetoleranzstörung. Die Definition Gestationsdiabetes ist unabhängig davon, ob Insulin benötigt wird oder die Glukosestoffwechselstörung nach der Schwangerschaft fortbesteht (AWMF-Leitlinien-Register 2001). Die derzeitige Definition umfasst sowohl Frauen, die einen bereits vor der Schwangerschaft bestehenden Diabetes hatten, der aber unentdeckt war, als auch jene, die typischerweise die Stoffwechselstörung erst ab 20 SSW entwickeln. Da die Überwachung und Therapie sowohl in der Gravidität als auch post partum bei beiden Gruppen unterschiedlich ist, wurde von einem internationalen Konsensus-Gremium eine Neudefinition entwickelt, nach der Nüchternblutzuckerwerte ≥125 mg/dl und Spontanmessungen >200 mg/dl bzw. ein HbA1c >6,5% in der Frühschwangerschaft als Diabetes, der erstmals in der Gravidität diagnostiziert wurde, klassifiziert werden sollten (Internationales Consensus Panel zur Diagnostik des GDM 2010).
Die Definition des Gestationsdiabetes schließt auch die Möglichkeit der Erstmanifestation eines Typ-1- oder Typ-2Diabetes mellitus oder anderer spezifischer Formen während der Schwangerschaft ein. Der Verdacht auf Typ-1-Diabetes kann durch Bestimmung von β-Zell-Antikörpern bestätigt werden. Ebenso können bereits präkonzeptionell manifeste, aber bisher nicht diagnostizierte Fälle von Typ-2-Diabetes mellitus vorkommen. Besonders bei Schwangeren mit einer Glukosetoleranzstörung im 1. Trimenon ist ein präkonzeptionell unerkannter Diabetes mellitus anzunehmen (7 oben). Bei Frauen mit hohem Risiko für Typ-2-Diabetes, insbesonders bei adipösen Frauen und Kinderwunsch, ist es deshalb sinnvoll, vor Eintritt der Schwangerschaft eine Diabetesdiagnostik durchzuführen, um dann bereits vor der Schwangerschaft eine Stoffwechseleinstellung beginnen zu können (7 Kap. 21.2.1). Priscilla White entwickelte 1965 eine Klassifikation diabetischer Schwangerer basierend auf dem Alter der Schwangeren bei Erstmanifestation (White 1978), der Dauer der Er-
437 21.2 · Schwangerschaft bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes
krankung und dem Vorhandensein von Spätkomplikationen. Gestationsdiabetes fällt je nach Insulinpflicht entweder unter White A oder B. In der Praxis spielt diese Einteilung bei Diabetes jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Beim GDM ist die Unterteilung GDM/Diät oder GDM/Insulin üblich.
21.1.2
Epidemiologie
Laut Perinatalerhebung 2008 beträgt der Anteil Schwangerer mit präexistentem Diabetes 0,9%. Die Perinatalerhebung differenziert nicht zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Da jedoch bis vor wenigen Jahren die Prävalenz von Schwangeren mit präexistentem Diabetes in den Perinatalerhebungen konstant mit ca. 0,4% angegeben wurde, ist davon auszugehen, dass sich hinter den aktuellen Angaben von 0,8 bis zu 50% Schwangere mit Typ-2-Diabetes verbergen. Typ-2-Diabetes war bis vor wenigen Jahren bei Frauen im Fertilitätsalter eine Rarität. Inzwischen werden wir durch die epidemieartige Zunahme von Adipositas bei jungen Menschen und das steigende Gebäralter in zunehmendem Maße mit schwangeren Typ2-Diabetikerinnen konfrontiert. Dies zeigte sich auch in aktuellen Erhebungen aus England und Irland (CEMACH report: www.cemach.org.uk). In dieser wie in anderen nationalen Untersuchungen (Frankreich, Dänemark) waren die Komplikationsraten, insbesonders die Rate an kongenitalen Anomalien und die perinatale Mortalität bei Typ-2-Diabetikerinnen ähnlich schlecht wie bei Typ-1-Diabetikerinnen (2- bis 5fach über der Referenzpopulation), die präkonzeptionelle Schulung (nur ungefähr ein Viertel der Typ-2-Diabetikerinnen) und Schwangerschaftsvorsorge oft sogar deutlich schlechter. In aktuellen Erhebungen aus den USA wird in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg sowohl bei GDM (Getahun AJOG 2008) als auch bei manifestem Diabetes in der Gravidität (Lawrence, Diabetes Care 2008) beschrieben und bereits von 1.3% aller Schwangeren mit präexistenten Diabetes in der Gravidität ausgegangen. Die Prävalenz von GDM betrug 2008 lt. Perinatalerhebung in Deutschland 3,4% mit steigender Tendenz, 2001 wurden nur 1,4% angegeben. In der Literatur findet man eine Prävalenz von 3–10% für Westeuropa mit einer Schwankungsbreite international zwischen 1 und 14% in Abhängigkeit von der untersuchten Population und dem diagnostischen Vorgehen (American Diabetes Association 2003). Die Zunahme der dokumentierten Fälle von GDM in der deutschen Perinatalerhebung ist sicherlich durch die Zunahme des Risikofaktors Adipositas, hauptsächlich jedoch durch konsequentere Diagnostik bedingt (7 Kap. 21.3.2).
21.1.3
Einfluss der Schwangerschaft auf den Glukosestoffwechsel
Die physiologischen Veränderungen des Glukosestoffwechsels in der Schwangerschaft verlaufen in 2 Phasen. Im 1. Trimenon überwiegt die insulinanaloge Wirkung des β-HCG, die mit einer Verbesserung der Insulinsensitivität einhergeht. Ab
Mitte des 2. Trimenons kommt es durch den antiinsulinären Effekt plazentarer Schwangerschaftshormone (Progesteron, humanes plazentares Laktogen, Prolaktin, plazentares Wachstumshormon und Cortison) zu einer zunehmenden Insulinresistenz mit erhöhtem Insulinbedarf (Ryan 2003; KautzkyWiller 1997). Die Insulinresistenz macht sich im 3. Trimenon am deutlichsten bemerkbar und verbessert sich schlagartig nach der Entbindung. Die Veränderungen im mütterlichen Stoffwechsel sollen eine ausreichende Versorgung des Fetus mit Nährstoffen gewährleisten, da Insulinresistenz zu erhöhten Spiegeln von Glukose und Lipiden im mütterlichen Blut führt. Neuere Daten weisen zudem auf einen starken Einfluss von verschiedenen Adipozytokinen, insbesonders von Tumornekrosefaktor α, Leptin und Adiponektin bei der Entstehung der verminderten Insulinsensitivität in der Schwangerschaft hin (Kirwan 2002;Kautzky-Willer 2001).
21.2
Schwangerschaft bei Typ-1und Typ-2-Diabetes
21.2.1
Präkonzeptionelle Betreuung
Diabetikerinnen im Reproduktionsalter sollten auf die Vorteile der präkonzeptionellen Behandlung von bereits vorhandenen Spätkomplikationen und Stoffwechseloptimierung hingewiesen werden, um Komplikationen bei der Mutter und dem Kind zu reduzieren. Das gilt insbesondere für Frauen mit Typ-2-Diabetes, da z. Zt. bei diesen Frauen das Outcome, bedingt durch eine sehr hohe Rate an Fehlbildungen und Aborte, schlechter ist als bei Frauen mit Typ-1-Diabetes (Cundy et al. 2000; Clausen et al. 2005; Macintosh et al. 2006) Der Stoffwechseleinstellung von Typ-2-Diabetikerinnen wird oft weniger Bedeutung zugemessen. Die Therapie beschränkt sich in den meisten Fällen auf diätetische Hinweise oder eine orale antidiabetische medikamentöse Therapie, eine Blutzuckerselbstkontrolle erfolgt oft nur bei Insulintherapie.
Evaluation diabetischer Spätkomplikationen Retinopathie In der Schwangerschaft kann es zur Entstehung bzw. zu z. T. irreversibler Progredienz einer Retinopathie kommen. Bei nicht proliferativer Retinopathie muss von einem 10%igen Progressionsrisiko ausgegangen werden, bei proliferativer Retinopathie steigt die Progressionsrate auf 50% (Chew et al. 1995). Das Risiko korreliert mit dem Ausgangsbefund bei Konzeption, der Schnelligkeit der Blutzuckernormalisierung, der Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft und der Entstehung einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie. Eine schnelle Reduzierung der Blutzuckerwerte kann zu einer akuten Progression der Retinopathie führen, insbesondere bei Frauen mit Hypertonus. Eine präkonzeptionelle Funduskopie bietet den Vorteil einer panretinalen Laserkoagulation vor der Schwangerschaft und damit einer deutlichen Verminderung des Progressionsrisikos im Vergleich zur Behandlung während der Schwangerschaft. Bei proliferativer Retinopathie verringert sich das Progressionsrisiko von 50–60% ohne präkonzeptionelle Therapie
21
438
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
auf 25%. Um sicherzugehen, dass der Befund konstant ist, sollten nach Lasertherapie einige Monate bis zum Eintritt der Schwangerschaft vergehen. Eine Befundkontrolle sollte mit 20 und 36 SSW sowie postpartal erfolgen (AWMF Register 057/023). Tipp Bei proliferativer Retinopathie ist die Sectio oder die vaginaloperative Entbindung, um retinale Einblutungen durch die Drucksteigerung beim Pressen zu vermeiden, nicht mehr obligat (Reece et al. 1996). Eine Ausnahme bilden Fälle von ausgeprägter Progression, da auch bei Lasertherapie 50% der Neovaskularisationen unbehandelt bleiben und damit wegen der Brüchigkeit der Gefäße ein erhöhtes Risiko von Einblutungen besteht.
(RR 2,71 für schwere Fehlbildungen bei Exposition von ACE-Hemmern im 1. Trimester verglichen mit Kindern ohne Exposition gegenüber antihypertensiver Therapie; Cooper et al. 2006). Bei ACE-Hemmern sind Fälle von Nierenversagen beim Neugeborenen beschrieben worden. Diuretika führen über Herabsetzung des intravasalen Blutvolumens zur Verminderung der Uterusdurchblutung. βBlocker können zu fetaler Wachstumsrestriktion führen. Zudem ist die Hypoglykämiewahrnehmung der Mutter beeinträchtigt, da die Steigerung der Herzfrequenz moduliert wird. Es sollte bereits präkonzeptionell auf α-Methyldopa oder Nifedipin umgestellt werden. Tipp Zum Verzicht auf eine Schwangerschaft sollte geraten werden bei: 4 fortgeschrittener Nephropathie ab Kreatinwert >2,0 mg/dl, 4 symptomatischer koronarer Herzerkrankung, Zustand nach Myokardinfakt mit Linksherzinsuffizienz (Letalität der Mutter bei Myokardinfakt bis zu 50%), 4 fortgeschrittener peripherer AVK, insbesondere der Beckenarterien, 4 ungenügend behandelter proliferativer Retinopathie (Behandlung vor der Schwangerschaft), 4 schwerer autonomer diabetischer Neuropathie mit Hypoglykämiewahrnehmungsstörung.
Neuropathie Schwangere mit diabetischer Neuropathie sind wegen der durch die fehlende Adrenalinausschüttung verminderten Wahrnehmung von Hypoglykämien stark gefährdet. Bedingt durch die erforderliche strenge Einstellung während der Schwangerschaft und die schwankenden Werte kann es besonders in der Frühschwangerschaft gehäuft zum Auftreten von schweren Hypoglykämien kommen. Vor Konzeption sollte deshalb ein Hypoglykämiewahrnehmungstraining erfolgen. Das Hypoglykämierisiko erhöht sich zudem durch die verlangsamte Magenentleerung (Gastroparese) bei autonomer Neuropathie. Metoclopramid kann zur Beschleunigung der Magenentleerung eingesetzt werden.
Nephropathie Eine diabetische Nephropathie besteht bei schätzungsweise 5–10% der diabetischen Schwangeren (ACOG 2005). Bei milder bis moderater Nephropathie konnte keine schwangerschaftsassoziierte Progredienz nachgewiesen werden, bei Serumkreatinin >1,5 mg/dl oder Proteinurie >3 g/Tag wurde jedoch Progression bis zur Dialysepflicht beobachtet (Purdy et al. 1996). Da bei Kreatinin >2,0 mg/dl oder Kreatininclearance <50 mg/dl mit einem 50%igen Dialyserisiko zu rechnen ist, sollte von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion besteht ein erhöhtes Risiko für fetale Wachstumsrestriktion, Plazentainsuffizienz, Frühgeburt und Präeklampsie/Eklampsie. Bei guter präkonzeptioneller Blutdruckeinstellung ist die diabetische Nephropathie in der Schwangerschaft nur gering progredient. Generell wird bei fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz bei Kinderwunsch empfohlen, eine Nierentransplantation abzuwarten. Die Gravidität kann dann bei stabiler Nierenfunktion trotz Immunsupressiva unter strenger Überwachung geplant werden.
21
Stoffwechseloptimierung Die Rate an schweren kongenitalen Fehlbildungen und Aborten korreliert mit dem Grad der maternalen Hyperglykämie im 1. Trimenon (. Abb. 21.1). Bei Nüchternblutzuckerwerten
a
Hypertonie Die gebräuchlichsten Medikamente zur Behandlung der Hypertonie außerhalb der Schwangerschaft sind Diuretika und ACE-Hemmer bzw. AT-I-Blocker. Diese sollten in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden (AWMF 015/018). ACE-Hemmer und AT-I-Blocker können teratogen wirken
b . Abb. 21.1a, b. Risiko für Aborte und kongenitale Fehlbildungen in Abhängigkeit vom Nüchternblutzucker im 1. Trimenon bei Schwangeren mit Typ-1-Diabetes (a) (Rosenn et al. 1995) bzw. bei Diagnose bei Gestationsdiabetikerinnen (b) (Schaefer et al. 1997)
439 21.2 · Schwangerschaft bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes
. Tab. 21.1. Risiko für schwere kongenitale Fehlbildungen bei Typ-1-Diabetikerinnen in Abhängigkeit vom HbA1c-Wert im 1. Trimenon. (Nach Ryan 2001)
zuckerwerte bis in die Morgenstunden) eine Pumpe erwogen, sollte die Umstellung mindestens 3 Monate vor Eintritt der Schwangerschaft erfolgen, damit die Frauen genügend Erfahrung im Umgang mit der Pumpe besitzen, um eigenständig auf die schwankenden Blutzuckerwerte in der Schwangerschaft reagieren zu können.
HbA1c (HPLC) SD über Mittelwert des Referenzbereichs
[%]
Risiko [%]
<2 SD
4,5–6
<2
<3,5 SD
<6,5
<2
Wichtige Schritte der präkonzeptionellen Vorbereitung
<6 SD
<7,5
>2
10 SD
8,5
4
15 SD
10,5
6
4 Funduskopie, evtl. Lasertherapie 4 Blutdruckeinstellung mit Umstellung auf α-Methyldopa oder Nifedipin 4 Serumkreatinin/quantitative Proteinbestimmung im Urin (Albumin-/Kreatin-Ratio) 4 Stoffwechseloptimierung mit normnahem HbA1c Typ-2-Diabetes: Umstellung auf Insulintherapie 4 Evtl. Hypoglykämiewahrnehmungstraining 4 Einnahme von Folsäure 0,4 mg/Tag, bei erhöhtem Risiko für Neuralrohrdefekte 4 mg/Tag
von 120 mg/dl ist mit einem signifikanten Anstieg der Abortund Fehlbildungsrate zu rechnen (Rosenn et al. 1995). Der gleiche Grenzwert wurde für ein erhöhtes Risiko für Fehlbildung bei GDM gefunden (Schaefer-Graf et al. 1997). Werden HbA1c-Werte zugrunde gelegt, so sieht man ab einem HbA1c >3,5 SD (6,5%) eine kontinuierliche Zunahme der Fehlbildungsrate. Bei einem Wert >15 SD (10,5%) beträgt das Risiko 8% (. Tab. 21.1). Manche Autoren sprechen von einer Fehlbildungsrate bis zu 25%. Durch eine normnahe präkonzeptionelle Blutzuckereinstellung mit HbA1c <6,5% bei Konzeption lässt sich die Rate an kongenitalen Fehlbildungen und Aborten fast normalisieren (Fuhrmann et al. 1983; Kitzmiller et al. 1991). Eine Metaanalyse aller Studien ergab bei insgesamt 3.300 Frauen eine Rate an schweren Fehlbildungen von 9,0% ohne und 2,1% mit präkonzeptioneller Stoffwechseloptimierung (Eriksson et al. 2003). Umso erschreckender erscheinen neue Erhebungen, die weiterhin ein deutlich erhöhtes perinatales Mortalitätsrisiko bei Diabetikerinnen zeigen, weil eine präkonzeptionelle Stoffwechseloptimierung immer noch ungenügend erfolgt (Macintosh et al. 2006; Boulot 2003; Clausen et al. 2006). Bei optimaler Einstellung durch intensivierte Insulintherapie (Einzelinjektionen von kurz- und langwirksamem Insulin) ist die Umstellung auf eine Insulinpumpe nicht nötig. Wird z. B. wegen stark schwankender Blutzuckerwerte oder ausgeprägten Dawn-Syndroms (nächtlicher Anstieg der Blut-
Abklärung der Schilddrüsenfunktion (bei 40% der Diabetikerinnen Störung der Schilddrüsenfunktion; Ziel-TSH <2,5 in der Frühschwangerschaft; Adlersberg u. Burrow 2005)
21.2.2
Betreuung während der Schwangerschaft
Kindliche Komplikationen bei vorbestehendem Diabetes Norbert Freinkel prägte den Begriff »fuel-mediated teratogenesis«, der den Einfluss der gestörten Zusammensetzung der Nährstoffe im mütterlichen Blut bei Diabetikerinnen auf die Entwicklung des Kindes beschreibt. Das bezieht sich nicht nur auf die Hyperglykämie, sondern auch auf die erhöhte Konzentration von Aminosäuren, Cholesterin, Triglyzeriden und Ketonkörpern, die über unterschiedliche Transportmechanismen durch die Plazenta zum Kind gelangen (. Abb. 21.2).
. Abb. 21.2. Auswirkungen von mütterlicher Hyperglykämie auf den Fetus (Pedersen-Hypothese)
21
440
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
Die Auswirkungen eines gestörten metabolischen intrauterinen Milieus sind vom Schwangerschaftsalter abhängig.
Erstes Trimenon Die Prävalenz von kongenitalen Fehlbildungen ist bei Diabetikerinnen 3- bis 5fach erhöht. Schwere Fehlbildungen sind die Hauptursache für die perinatale Mortalität bei Schwangeren mit präexistentem Diabetes. Der exakte Pathomechanismus, der für die diabetische Embryopathie verantwortlich ist, ist noch nicht eindeutig geklärt. Tierexperimentelle Studien lassen vermuten, dass die Hyperglykämie das ausschlaggebende (»major«) Teratogen ist. Verschiedene Mechanismen für die teratogene Wirkung von Hyperglykämie werden diskutiert, wie erhöhte Sorbitolspiegel in Verbindung mit erniedrigter Myoinositolkonzentration, veränderter Metabolismus von Arachidonsäure und Prostaglandinen und erhöhte Konzentration von Sauerstoffradikalen. In-vitro-Experimente zeigten eine dosisabhängige Reduktion der Fehlbildungsrate durch Zugabe von antioxidativ wirksamen Substanzen wie Vitamin E und C (Cederberg et al. 2001). Es gibt keine spezifische diabetische Embryopathie. Das kaudale Regressionssyndrom wird mit mütterlichem Diabetes assoziiert, da es bei Diabetikerinnen 200- bis 400-mal häufiger vorkommt. Mit einer Prävalenz von 1,3/1000 tritt es aber auch bei Diabetikerinnen sehr selten auf. Das kaudale Regressionssyndrom ist gekennzeichnet durch Anomalien der unteren Extremitäten (Verkürzung und Froschstellung der Beine), Fehlen der Lendenwirbelsäule und des Os sacrum, häufig assoziiert mit Nierenagenesie, Meningomyelozele und Fehlen des Anus. Fehlbildungen des Herzens werden mit einer Prävalenz von 2,3–3,4% 4-mal häufiger diagnostiziert als bei Nichtdiabetikerinnen (Martinez-Frias 1994). Besonders häufig sieht man Ventrikelseptumdefekte und Anomalien der großen Gefäße. An 2. Stelle stehen Neuralrohrdefekte (1,2–2,5%, 2- bis 3fach erhöht), die Inzidenz von Anenzephalus wird mit 0,57% angegeben (Hod et al. 2003). Bei der Bewertung der Konzentration von mütterlichem α-Fetoprotein im 2. Trimenon muss bei Diabetikerinnen eine Erniedrigung um 20% berücksichtigt werden (Hod et al. 2003). An 3. Stelle stehen Nierenanomalien, insbesondere der Ureter duplex. Es liegen häufig multiple Fehlbildungen vor, und die Anzahl der betroffenen Organsysteme hängt vom Grad der mütterlichen Hyperglykämie bei Konzeption ab (Schaefer-Graf et al. 2000). Eine schlechte Stoffwechseleinstellung im 1. Trimenon ist nicht nur mit Fehlbildungen, sondern auch mit einer erhöhten Prävalenz von Aborten (u. a. ausgelöst durch deletäre Fehlbildungen) und früher symmetrischer Wachstumsrestriktion assoziiert (. Abb. 21.1).
Anstieg der Insulin-Glukose-Ratio als Ausdruck der zunehmenden Reife der fetalen β-Zellen (Weiss 2002; Reiher et al. 1983). Die Insulinproduktion wird eher durch eine intermittierende als eine kontinuierliche Stimulation angeregt. Das führt dazu, dass sich insbesondere die postprandialen Blutzuckerspitzen auf die fetale Insulinsekretion auswirken. Die Korrelation zwischen den mütterlichen Blutzuckerwerten und der zu erwartenden neonatalen Morbitität verläuft nicht streng linear. Wir müssen davon ausgehen, dass die Bedingungen des Glukosetransfers von der Mutter zum Kind individuellen Schwankungen unterliegen, dass die Plazenta mit ihrem eigenen Bedarf an Energieträgern als Konsument zwischen Mutter und Kind liegt und dass nicht zuletzt die Feten unterschiedlich auf das erhöhte Glukoseangebot reagieren, wie Studien an Gemini zeigten. Die klinischen Symptome des fetalen Hyperinsulinismus, die unten ausgeführt werden, fasst man unter dem Begriff diabetische Fetopathie zusammen.
Fetales Wachstum Insulin ist ein starkes Wachstumshormon, sodass der fetale Hyperinsulinismus ein übermäßiges Wachstum insbesondere des Fettgewebes und der inneren Organe bewirkt (. Abb. 21.2). Als antenatale Zeichen eines ausgeprägten Hyperinsulinismus sieht man bei der Ultraschalluntersuchung 4 eine kardiale Hypertrophie mit Verdickung des Interventrikularseptums, 4 einen fetalen Abdominalumfang über der 90. Perzentile bei altersgerechten Maßen der knöchernen Strukturen wie Kopf und Femur (7 Kap. 21.4.1), 4 vermehrtes subkutanes Fettgewebe (7 Kap. 21.4.1). Die hypertrophe Kardiomyopathie bildet sich i. Allg. nach der Geburt spontan zurück. Die Neugeborenen mit durch Diabetes bedingter Makrosomie fallen durch einen cushinoiden Habitus mit stammbetonter Adipositas auf (. Abb. 21.3). Bei Schwangeren mit vaskulären diabetischen Spätkomplikationen kann es wegen der plazentaren Minderdurchblutung trotz Hyperinsulinismus zu normalem oder sogar vermindertem fetalem Wachstum kommen.
Zweites und drittes Trimenon
21
Die Auswirkungen des Diabetes im 2. und 3. Trimenon werden bestimmt durch das Ausmaß des fetalen Hyperinsulinismus, der physiologischen Reaktion des fetalen Pankreas auf eine erhöhte Zufuhr von Nährstoffen, insbesondere von Glukose. Bereits mit 11 SSW lässt sich eine fetale Insulinproduktion nachweisen, ab 17 SSW kommt es exponentiell zum
. Abb. 21.3. Neugeborenes mit diabetesbedingter Makrosomie
441 21.2 · Schwangerschaft bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes
Metabolische Auswirkungen Die metabolischen Auswirkungen zeigt im Überblick . Abb. 21.2. 4 Bei Hyperinsulinismus besteht ein gesteigerter Sauerstoffbedarf (Verstoffwechslung von Glukose, Mehrbedarf wegen Makrosomie), der sich in einer gesteigerten Erythropoese und Polyzythämie mit hohem neonatalem Hämotokrit äußert. Bei Feten von Diabetikerinnen wurden im Plasma erhöhte Erythropoetinspiegel und eine erhöhte Erythrozytenzahl nachgewiesen, die mit der Glukose- und Insulinkonzentration im Fruchtwasser und im fetalen Blut korrelieren. Je nach Quelle wird von 20– 30% Neugeborenen mit einen Hämatokrit >65% berichtet. 4 Die Polyzythämie in Kombination mit einer Unreife der Leber (Glucuronyltransferasemangel) führt zu einer erhöhten Prävalenz von Hyperbilirubinämie beim Neugeborenen. 4 Die Prävalenz des Atemnotsyndroms, die bei Neugeborenen aus diabetischen Schwangerschaften 5fach erhöht ist, konnte durch Einführung einer strikten Stoffwechseleinstellung deutlich gesenkt werden. Hyperinsulinismus beeinträchtigt über einen Eingriff in die enzymatischen Vorgänge die Bildung von Surfactant in den fetalen Pneumozyten. Selbst in Schwangerschaften mit Gestationsdiabetes wurde Phosphatidylglycerol im Fruchtwasser später als in normalen Schwangerschaften nachgewiesen. Es sollte deshalb eine Entbindung möglichst nahe dem Geburtstermin angestrebt werden. 4 Wegen gesteigerter Sekretion von Insulin nach chronischer Stimulation des fetalen Pankreas und entsprechender β-Zellhypertrophie kann es postpartal bei ausbleibender Zufuhr von Substrat zu neonataler Hypoglykämie kommen. Die Prävalenz von Hypoglykämie schwankt je nach Definition des Grenzwertes und untersuchter Population zwischen 20 und 50%. Bei einem Grenzwert von 35 mg/dl, entsprechend den gültigen AWMF-Leitlinien (024/006), trat bei bis zu 47% der Neugeborenen eine neonatale Hypoglykämie auf. Selbst bei einem Kollektiv von sehr gut eingestellten Müttern wurde von 26% Hypoglykämien berichtet (Hod et al. 2003). 4 Neonatale Hypokalzämie (25-Hydoxylase-D3-Mangel in der Leber) und Hypomagnesiämie treten ebenfalls häufiger auf.
Intrauteriner Fruchttod Der intrauterine Fruchttod (IUFT) kann als die gravierendste Komplikation bei vorbestehendem Diabetes auch bei normalen geburtshilflichen Befunden und ohne Vorboten akut eintreten. Die aktuellen Angaben über die Häufigkeit des IUFT liegen bei 1,9% (Wood et al. 2003) im Vergleich zu 0,4% bei nichtdiabetischen Schwangeren und für perinatale Mortalität bei 2,8% (Evers et al. 2004). Eine retrospektive Studie, die Daten der 1990er Jahre analysiert hat, gibt eine Odds-Ratio von 4,7, also ein 4fach erhöhtes Risiko an (Wood et al. 2003). Es handelt sich um ein multifaktorielles Geschehen, das im Endeffekt über eine akute Hypoxie zum Tod führt. Das Risiko für
die perinatale Mortalität steigt mit schlechter Blutzuckereinstellung, kongenitalen Fehlbildungen und diabetischen Späterkrankungen der Mutter.
Veränderungen an der Plazenta Die Plazenten sind bei diabetischen Schwangeren meist schwerer und größer als bei stoffwechselgesunden Frauen. Histomorphometrische Untersuchungen zeigten eine Gesamtzunahme der plazentaren Austauschmembran mit Zunahme sowohl der Zottenoberfläche als auch der vaskulären Oberfläche im Inneren der Zotten (Mayhew et al. 1994). Als pathologische Befunde finden sich typischerweise Zottenreifungsstörungen mit geringerer Verzweigung der Zotten, einem geringeren Vaskularisationsgrad und verminderter Entwicklung von synzytiokapillären Membranen (Vogel 1967). Diese morphologische Störung führt zu einer reduzierten Diffusionskapazität der Plazenta, was in Kombination mit dem erhöhten Sauerstoffbedarf bei diabetischer Fetopathie das Risiko für intrauterine Asphyxie und IUFT erhöht. Bei guter mütterlicher Stoffwechseleinstellung sind die Reifungsstörungen weniger ausgeprägt oder können gänzlich fehlen (Stoz et al. 1988).
Mütterliche Komplikationen Bei 5–10% der diabetischen Schwangeren liegt eine Hypertonie vor (ACOG 2005). Das Risiko für Hypertonus/Präeklampsie/HELLP-Syndrom ist auch bei Frauen ohne präexistenten Hypertonus deutlich erhöht. Hypertonie und Präeklampsie erhöhen das Risiko für IUGR, Plazentainsuffizienz und Totgeburt. Ohne vorbestehende Nephropathie muss bei 15–20% der Frauen mit der Entstehung einer Präeklampsie gerechnet werden, und bei Nephropathie erhöht sich die Rate auf 50%. Im 3. Trimenon benötigen 97% der Frauen mit Nephropathie eine antihypertensive Therapie (Kimmerle et al. 1995). Tipp Während das Blutdrucktherapieziel präkonzeptionell und bis 20 SSW mit <140/90 mm Hg verfolgt wird, liegt die Schwelle zur Blutdruckerstintervention in der Schwangerschaft nach 20 SSW höher. Bei Diabetikerinnen sollte eine antihypertensive Therapie bei systolischen Blutdruckwerten von >160 mm Hg und diastolischen Blutdruckwerten von >100 mm Hg begonnen werden (AWMF 015/018). Bei Nephropathie ist eine strengere Blutdruckeinstellung mit Zielwerten <135/85 mm Hg anzustreben, um das Risiko einer Pfropfpräeklampsie und die damit oft verbundene iatrogene Frühgeburt zu reduzieren (Nielsen et al. 2009).
Das individuelle Risiko für Präeklampsie kann durch Dopplersonographie der maternalen Aa. uterinae bestimmt werden. Bei einem »Notch« (postsystolische Inzisur) muss von einem erhöhten Risiko für Präeklampsie ausgegangen werden. Laut einer Metanalyse aus dem Jahr 2001 lässt sich durch Einnahme von 100 mg ASS/Tag bei Risikoschwangeren die Inzidenz von Präeklampsie verringern (Coomarasamy et al. 2001).
21
442
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
Es besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen, sowohl vaginal als auch Harnwegsinfektionen, die zu vorzeitiger Wehentätigkeit und Frühgeburt führen können. Dreiundzwanzig Prozent der Diabetikerinnen entwickeln einen Harnwegsinfekt während der Schwangerschaft (Reiher u. Somville 1998). Vorzeitige Wehentätigkeit wird bei bis zu 31% der Schwangeren angegeben, mit spontaner Frühgeburt bei 16,1% (Cousins 1995). Die Gesamtfrühgeburtsrate schwankt zwischen 16,1 und 30,0% und steigt mit zunehmender White-Klassifikation, bedingt durch die hohe Anzahl iatrogener Frühgeburten (Weiss 2002). Eine engmaschige Infektionskontrolle (Zervixabstrich, Urinkultur) ermöglicht eine frühzeitige Erfassung und eine konsequente Therapie. > Während der gesamten Schwangerschaft sollte die Schwangerenvorsorge alle 2 Wochen und ab der 36. SSW wöchentlich erfolgen, um Probleme frühzeitig zu erkennen.
21.2.3
Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft
Zielwerte und Insulinbedarf In der Schwangerschaft werden Blutzuckerwerte präprandial 95 mg/dl, 1 h postprandial <140 mg/dl und nach 2 h <120 mg/dl bzw. ein HbA1c-Wert von 5,4–6,5% (oberer Referenzbereich) in der 1. Schwangerschaftshälfte und <5,3% (unterer Referenzbereich) in der 2. Schwangerschaftshälft angestrebt. Allerdings sollen die Blutzuckerzielwerte individuell mit der Patientin festgelegt werden, da schwere Hypoglykämien, eine fehlende Hypoglykämiewahrnehmund oder auch bestimmte Lebensumstände Abweichungen sinnvoll machen können. In der Gravidität kann bei vorbestehendem Diabetes und schwieriger Stoffwechseleinstellung der Einsatz einer kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGMS) zu einer besseren mütterlichen Metabolik, v. a. im 3. Trimenon, und zu einer niedrigeren Makrosomierate beitragen (Murphy et al. 2008). Im 1. Trimenon schwanken die Blutzuckerwerte sehr, und der Insulinbedarf sinkt z. T. unter den vor der Schwangerschaft (Hypoglykämiegefahr!). Durch die zunehmende Produktion von antiinsulinär wirksamen Schwangerschaftshormonen steigt der Insulinbedarf etwa ab 20 SSW kontinuierlich an. Die Insulindosierung liegt im 3. Trimenon 50–100% höher . Abb. 21.4. Ergebnisse der HAPO-Studie: Blutzuckerwerte und Hyperinsulinismus (durchgezogene Linie nüchtern; gestrichelte Linie Wert nach 1 h; gepunktete Linie Wert nach 2 h)
21
als vor der Schwangerschaft (. Abb. 21.4). Direkt nach Geburt der Plazenta kommt es zum abrupten Abfall des Insulinsbedarf, sodass ein hohes Hypoglykämierisiko besteht, wenn die Insulingabe nicht sofort angepasst wird.
Insulinanaloga und orale Antidiabetika Insulinanaloga haben durch Veränderungen der Aminosäurensequenz ein modifiziertes Wirkprofil im Vergleich zu konventionellen Insulinen: Kurzwirksame Analoga haben einen schnelleren Wirkungseintritt, d. h. ein Spritz-Ess-Abstand ist nicht nötig; langwirksame Analoga zeigen eine verlängerte Wirkung bis zu 24 h. Die kurzwirksamen Insulinanaloga Aspart (NovoRapid) und Lispro (Humalog) können in der Schwangerschaft eingesetzt werden, für Apidra liegen derzeit keine Daten über die Anwendung in der Schwangerschaft vor. Die Ergebnisse einer multinationalen Studie, in der erstmals randomisiert prospektiv Nebenwirkungen und Outcome eines kurzwirksamen Analogons vs. konventionelles kurzwirksames Humaninsulin (NovoRapid vs. Actrapid) untersucht wurde, ergaben, dass unter NovoRapid etwas seltener Hypoglykämien und teilweise bessere postprandiale Blutzuckerwerte auftraten, jedoch fanden sich keine Unterschiede im HbA1c, der Progredienz von Spätkomplikationen oder den kindlichen Parametern (Hod et al. 2008; Mathiesen et al. 2007). Lediglich Frühgeburten traten unter NovoRapid seltener auf. Die langwirksamen Analoga Detemir und Glargin werden derzeit aufgrund ihrer möglichen mitogenen Potenz (Cave: Retinopathie) nicht empfohlen und sollen bei Kinderwunsch abgesetzt werden. Für Detemir gilt es, die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Typ-1-Diabetes abzuwarten (Levemir vs. Insulatard als Basalinsulin bei intensivierter Insulintherapie), für Lantus gibt es bisher nur retrospektive Daten bzw. kleinere Observationsstudien. Insgesamt liegen bisher keine Hinweise auf negative Auswirkungen auf das Kind oder die Mutter vor. Orale Antidiabetika. Orale Antidiabetika (Sulfonamide, Biguanid, Glitazone) sind in der Schwangerschaft kontraindiziert (7 Kap. 21.3.4). Derzeit liegen noch keine ausreichenden Daten vor zu den Fragen nach 4 Teratogenität, 4 dem Risiko eines fetalen Hyperinsulinismus mit der Gefahr einer iatrogenen Fetopathia diabetica und Hypoglyk-
443 21.3 · Gestationsdiabetes (GDM)
ämien beim Neugeborenen (in vitro nachgewiesener plazentarer Transfer; Sivan et al. 1995), 4 Langzeitdaten zur kindlichen Entwicklung. Zudem gelingt die erforderliche strenge Stoffwechseleinstellung nur ungenügend, und dementsprechend schlechter ist das neonatale Outcome. Bei Kinderwunsch sollten Typ2-Diabetikerinnen bereits vor der Konzeption auf eine Insulintherapie umgestellt werden. Kongenitale Fehlbildungen sind auch bei Typ-2-Diabetikerinnen eng assoziiert mit der Höhe des HbA1c, durch die Einnahme von oralen Antidiabetika bei Konzeption wird das Fehlbildungsrisiko im Vergleich zu Insulintherapie nicht erhöht (Towner et al. 1995).
Ketoazidotisches und hypoglykämisches Koma Das ketoazidotische Koma stellt eine lebensgefährliche Komplikation dar, die laut Literatur bei 5–10% aller Schwangerschaften von Typ-1-Diabetikerinnen beobachtet wird. Aus eigener Erfahrung erscheint diese Angabe jedoch zu hoch zu sein. Allgemein besteht in der Schwangerschaft durch die zunehmende Insulinresistenz verbunden mit der Neigung, bereits bei geringgradiger Hyperglykämie sehr schnell eine Ketoazidose zu entwickeln, eine erhöhte Inzidenz von ketoazidotischem Koma.
Risikofaktoren für ein ketoazidotisches Koma 4 Infektionen (Harnwegsinfektionen, Grippe) 4 Pumpenversagen (Verstopfen oder Dislokation der Nadel) 4 Behandlung mit β-Mimetika bei vorzeitiger Wehentätigkeit 4 Gabe von Glukokortikoiden zur Lungenreifeinduktion 4 Schlechte Patientinnencompliance 4 Erstmals in der Schwangerschaft diagnostizierter Typ1-Diabetes
Fehlgedeutete Symptome können zur primären Vorstellung in der Geburtsklinik führen. Typischerweise kommt es zu 4 Oberbauchschmerzen (Differenzialdiagnose: HELLPSyndrom, Wehentätigkeit), 4 Übelkeit, evtl. mit Erbrechen und bretthartem Bauch, 4 tiefer, schneller Atmung (Azetongeruch), 4 evtl. Bewusstseinstrübung, 4 Exsikkose. Im CTG sieht man häufig Dezelerationen, die nach Verbesserung des mütterlichen Zustands verschwinden. Die Sectioindikation sollte sehr streng gestellt werden. Eine Ketoazidose stellt eine absolute Kontraindikation für eine sofortige Operation dar, daher sollte eine Sectio vermieden werden oder erst nach ausreichender Behandlung erfolgen. Mütterliche Todesfälle sind selten, jedoch wird die fetale Mortalität mit 35%, in aktuelleren Publikationen mit 10% angegeben (Chauhan et al. 1996).
Das hypoglykämische Koma stellt die häufigere Komplikation dar. Die Prämisse der strengen Stoffwechseleinstellung vor und in der Schwangerschaft ist mit einem erhöhten Risiko für Hypoglykämie verbunden, insbesondere in der Frühschwangerschaft und während der Nachtstunden. Soweit die Datenlage eine Aussage zulässt, hat eine Hypoglykämie vermutlich keine negativen Auswirkungen für das Kind (Rosenn et al. 1995), ist bei den Müttern jedoch die Haupttodesursache in der Schwangerschaft.
21.3
Gestationsdiabetes (GDM)
21.3.1
Pathophysiologie
GDM entspricht pathophysiologisch einem Typ-2-Diabetes. Bleibt die Steigerung der Insulinproduktion zur Kompensation der in der Schwangerschaft physiologischerweise zunehmenden Insulinresistenz aus, kommt es zu mütterlicher Hyperglykämie nach Glukosebelastung. Es besteht also ähnlich wie bei Typ-2-Diabetes ein relativer Insulinmangel, im Gegensatz zum absoluten Insulinmangel durch Destruktion von β-Zellen bei Typ-1-Diabetes.
21.3.2
Screening und Diagnostik
Diskussion: Screening oder selektive Diagnostik Man unterscheidet zwischen einer selektiven Diagnostik, die sich auf Schwangere mit Risikofaktoren beschränkt, und einem Screening auf GDM, bei dem alle Schwangeren auf ihr individuelles Risiko untersucht werden (Methoden 7 unten). Risikofaktoren für Gestationsdiabetes (nach AWMF-Register 057/008) 4 Übergewicht (Body-Mass-Index vor der Schwangerschaft ≥27,0 kg/m2) 4 Diabetes bei Eltern/Geschwistern 4 Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe mit hohem Diabetesrisiko (insbesondere Asiatinnen) 4 Gestationsdiabetes in einer vorangegangenen Schwangerschaft 4 Zustand nach Geburt eines Kindes ≥4500 g 4 Zustand nach Totgeburt 4 Schwere kongenitale Fehlbildungen in einer vorangegangenen Schwangerschaft 4 Habituelle Abortneigung (≥3 Fehlgeburten hintereinander)
Bei der selektiven Diagnostik auf der Basis von Risikofaktoren bleiben 40–50% aller Fälle von GDM unerkannt (Coustan et al. 1989). Die aktuellen Mutterschaftsrichtlinien in Deutschland sehen ein Urinzuckerscreening kombiniert mit einem oGTT bei Vorliegen von Risikofaktoren vor. Die Risikofaktoren und das diagnostische Vorgehen bei erhöhtem Risiko sind dar-
21
444
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
. Tab. 21.2. Sensitivität und Spezifität verschiedener Screeningmethoden für Gestationsdiabetes. (Nach Ryan 2001)
Spezifität [%]
Sensitivität [%]
87 78
79 98
Glukosebestimmung zu einem beliebigen Zeitpunkt >115 mg/dl (Random)
96
16
Uringlukose
98
7
Nüchternglukosewert <88 mg/dl
40
80
HbA1c >2 SD
86
27
50 g Suchtest
>140 mg/dl >130 mg/dl
in jedoch nicht definiert. Die Bestimmung der Uringlukose hat eine Sensitivität von <10% (Ryan 2001; . Tab. 21.2). In Österreich ergab eine multizentrische Studie in Schwerpunktkrankenhäusern eine hohe Rate an Frauen mit GDM (21%), wobei v. a. Übergewicht, ein früherer GDM, eine Glukosurie und der Verdacht auf Makrosomie im Ultraschall die wichtigsten unabhängigen Risikofaktoren waren (KautzkyWiller et al. 2008). Aber auch Frauen ohne Risikofaktoren hatten in dieser Untersuchung eine hohe Rate an GDM, was für ein generelles Screening spricht (Rate: 10%). Ab 2010 wurde der oGTT in der 24.-28. Schwangerschaftswoche in den Mutter-Kind-Pass in Österreich aufgenommen, womit ein generelles Screening auf GDM implementiert werden soll. In Deutschland steht die Entscheidung des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aus, eine vom G-BA in Auftrag gegebene Nutzenbewertung des GDM-Screenings durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) kam zu einem positiven Ergebnis.
IQWIG-Nutzenbewertung Studienbox
21
Bisher publizierte Daten zu den Komplikationen von unbehandeltem GDM beschränkten sich auf retrospektive Beobachtungsstudien oder Kollektive mit eingeschränkter Glukosetoleranz unterhalb der Definition für GDM. Aus ethischen Gründen sind Studien, die eine etablierte Therapie vorenthalten, insbesondere in der Geburtsmedizin, sehr problematisch. Seit 2005 verfügen wir jedoch über Studien mit großen Untersuchungskollektiven, die zeigen, dass ein unbehandelter GDM mit einer signifikant höheren Rate an schwerwiegenden Schwangerschaftskomplikationen, einschließlich intrauterinen Todesfällen, einhergeht als ein adäquat behandelter GDM (Crowther et al. 2005; Landon 2009). In der randomisierten multizentrischen Studie von Crowther et al. (Synonym ACHOIS) wurden 1.000 Schwangere zwischen 24 und 34 SSW mit Gestationsdiabetes entweder einer Interventionsgruppe (n=490) oder einer Routinegruppe (n=510) zugeordnet. Berücksichtigt wurden Frauen mit einem im venösen Plasma bestimmten
6
Nüchternblutzucker <140 mg/dl und einem 2-h-Wert nach Belastung mit 75 g Glukose von 140–199 mg/dl. Diese Kriterien basierten auf der zu Studienbeginn gültigen WHO-Klassifikation für Diabetes und Glukosetoleranzstörung von 1985. In der Interventionsgruppe gab es signifikant weniger schwere perinatale Komplikationen im Vergleich zur Routinegruppe (4% vs. 1%, OR 0,33, 95%-CI 0,14–0,75) bei gleicher Sectiorate. In der Routinegruppe traten 5 kindliche Todesfälle auf, während in der Interventionsgruppe kein Kind starb, zudem wurden 3 vs. 0 Fälle von Plexusparese beschrieben. Eine Befragung der Mütter 6 Wochen nach Studienaufnahme und 12 Wochen postpartal zeigte in der Interventionsgruppe in fast allen Bereichen einen besseren physischen, seelischen und sozialen Gesundheitszustand. In der Fallkontrollstudie von Langer et al. (1991) wurden 555 unbehandelte Schwangere mit Gestationsdiabetes mit gematchten 1.100 behandelten Gestationsdiabetikerinnen und 1.100 Schwangeren mit normaler Glukosetoleranz verglichen. Ein ungünstiges Schwangerschaftsergebnis, definiert als Totgeburt, Makrosomie, neonatale Hypoglykämie, Polyzythämie oder Hyperbilirubinämie, wurde bei 59% der unbehandelten Gruppe beschrieben, jedoch nur bei 18% der behandelten Gestationsdiabetikerinnen und bei 11% des stoffwechselgesunden Kontrollkollektivs (OR 11,2, 95%-CI 8,7–14,4, unbehandelt vs. stoffwechselgesund). Eine weitere, aktuelle randomisierte kontrollierte Studie zeigte, dass auch die Behandlung eines milden GDM (<95/≥180/≥155 mg/dl mit Nüchtern-BZ <95) zu einer Reduktion der Rate an Makrosomie, Sectiones und Schulterdystokie führte (Landon et al. 2009).
Tipp Die Fachgesellschaften empfehlen, bei jeder Schwangeren eine einzeitige Untersuchung mit einem diagnostischen 2-stündigen 75-g-oGTT zwischen 24 und 28 SSW mit Bestimmung des Blutzuckers im venösen Plasma durchzuführen.
445 21.3 · Gestationsdiabetes (GDM)
Indikation für Wiederholung des oGTT, wenn der letzte Test mehr als 4 Wochen zurückliegt
. Tab. 21.3. Grenzwerte gemäß HAPO-Studie
4 Glukosurie in der Frühschwangerschaft oder Neuauftreten von Glukosurie zu einem späteren Zeitpunkt 4 Erstmalig festgestellte Makrosomie des Fetus 4 Jeder außerhalb der Bedingungen eines formalen oGTT bestimmte Blutglukosewert ≥200 mg/dl legt den Verdacht auf einen manifesten Diabetes mellitus nahe und muss durch eine zweite Blutglukosebestimmung, nüchtern oder postprandial, so schnell wie möglich bestätigt oder ausgeschlossen werden.
Zeitpunkt
Grenzwert
Nüchtern
<92 mg/dl
5,1 mmol/l
1-h-Wert
<180 mg/dl
10,0 mmol/l
2-h-Wert
<153 mg/dl
8,5 mmol/l
Diagnostischer 75-g-oraler-GlukosetoleranzTest (oGTT) Methodik und Bewertung Die Diagnosestellung erfolgt durch einen oGTT mit einer Glukosebelastung von 75 g. Der Test soll morgens nach einer mindestens 8-stündigen Nahrungskarenz durchgeführt werden, ohne Einschränkung der Kohlenhydrataufnahme 3 Tage vor dem Test. Ein oGTT sollte nicht durchgeführt werden bei einem Blutglukosewert nüchtern von ≥110 mg/dl (≥6,0 mmol/l) im kapillären Vollblut oder ≥126 mg/dl (≥7,0 mmol/l) im venösen Plasma. Es empfiehlt sich daher, parallel zur Bestimmung im Labor den Nüchternblutzucker mit einem Handmessgerät zu bestimmen, um zu entscheiden, ob der Test durchgeführt werden kann. Zur Etablierung international einheitlicher Diagnosekriterien für Gestationsdiabetes wurden im Rahmen einer prospektiven internationalen Multicenter-Studie, der »Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome« (HAPO)-Studie, an 23.325 Frauen zwischen der 24. und 32. Schwangerschaftswoche 2h-75g-oGTTs doppelblind durchgeführt, um die mütterlichen Blutzuckerwerte im oGTT in Bezug auf ihre Vorhersagekraft für das Auftreten kindlicher Komplikationen neu zu evaluieren (Metzger 2008). Die Blutzuckerwerte hatten – unabhängig von anderen Einflussgrößen wie Gewicht, Alter oder ethnischem Hintergrund der Mutter – einen maßgeblichen Effekt auf alle erhobenen Schwangerschaftsergebnisse. Die Beziehung zwischen den mütterlichen Blutglukosewerten im oGTT und den Schwangerschaftsergebnissen verlief über den gesamten Bluzuckermessbereich kontinuierlich (. Abb. 21.4). Die Studie bestätigt zudem den Zusammenhang zwischen der Höhe der kindlichen Insulinwerte und dem Geburtsgewicht, dem Auftreten neonataler Hypoglykämien sowie einer neonatalen Adipositas – charakterisiert durch eine vermehrte Fettanlagerung anhand von Hautfaltendickemessungen und der Körperfettmasse (jeweils >90. Perzentile) (Metzger 2008). Somit belegt die HAPO-Studie die bereits 1952 postulierte Hypothese von Pedersen. Die Blutglukose wird vor dem Test (nüchtern) sowie 1 und 2 h nach Ende des Trinkens der Testlösung bestimmt. Basierend auf dem internationalen Konsens, der aus den Ergebnissen der HAPO-Studie hervorgegangen ist, sollte die Bestimmung entsprechend dem Vorgehen bei der Studie im venösen Plasma erfolgen. In Deutschland und Österreich stellt dies
Die Diagnose Gestationsdiabetes erfolgt bei Überschreiten bereits eines der Grenzwerte, bisher wurden 2 erhöhte Blutzuckerwerte gefordert.
eine maßgebliche Änderung zur herkömmlichen Praxis der Bestimmung in kapillärem Vollblut dar. Die aus den HAPODaten hervorgehenden neuen Grenzwerte sind in . Tab. 21.3 dargestellt; die Diagnose Gestationsdiabetes erfolgt bei Überschreiten bereits eines der Grenzwerte (bisher wurden 2 erhöhte Blutzuckerwerte gefordert). > Die Blutglukosemessungen beim diagnostischen oGTT müssen mit einer qualitätsgesicherten Methode durchgeführt werden. Handmessgeräte sind wegen zu großer Ungenauigkeit bei zugelassener Abweichung von ±10% ungeeignet.
21.3.3
Kindliche und mütterliche Komplikationen
Die kindlichen und mütterlichen Folgen des GDM entsprechen denen einer Schwangerschaft bei präexistentem Diabetes, sind jedoch häufiger weniger ausgeprägt wegen des geringeren Grades an maternaler Hyperglykämie. Dabei besteht i.d.R. kein erhöhtes Risiko für kongenitale Fehlbildungen, da die Glukosetoleranzstörung gewöhnlich erst lange nach der Organogenese entsteht. Bei Nüchternwerten bei Diagnose von >120 mg/dl besteht der Verdacht auf einen nicht diagnostizierten vorbestehenden Typ-2-Diabetes, und es muss mit einer Fehlbildungsrate von 5% gerechnet werden (. Abb. 21.1; Schaefer et al. 1997). Das Verteilungsmuster der einzelnen Fehlbildungen entspricht demjenigen bei Typ-1- und -2-Diabetes (Schaefer-Graf et al. 2000). Das Risiko für einen durch Diabetes bedingten intrauterinen Fruchttod ist bei adäquater Behandlung nicht erhöht, bei fehlender Diagnose bzw. Nichtbehandlung kann es jedoch zum intrauterinen Fruchttod kommen.
Studienbox In einer Metaanalyse von 6 Studien mit insgesamt 2.168 Fällen von intrauterinem Fruchttod wurde in 21,4% ein GDM als die wahrscheinlichste Ursache angegeben, da ein positiver oGTT im Wochenbett, histologische Veränderungen in der Plazenta oder Obduktionsbefunde vor-
6
21
446
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
Körperliche Aktivität lagen, die auf einen Diabetes hinwiesen. Die Angaben schwanken zwischen 11,8 und 28,0% (Weiss 2002). Nach einer Untersuchung von Frett et al. (zit. in Weiss 2002) hat GDM die Präeklampsie als häufigste fetale Todesursache abgelöst.
21.3.4
Körperliches Training (Ausdauersportarten wie Schwimmen, Walking, Fahrradfahren etc.) führt über Energieverbrauch und Verbesserung der Insulinsensitivität zur Reduzierung der postprandialen Blutzuckerwerte. Geburtshilfliche Kontraindikationen sind zu beachten, ein speziell für Schwangere entwickeltes Armsportprogramm reduziert das Risiko aktivitätsbedingter vorzeitiger Wehentätigkeit (www.schwangerschaftsdiabetes.de).
Diabetologische Therapie des Gestationsdiabetes Studienbox
Nach Diagnosestellung sollte eine sofortige Überweisung an eine ambulante Diabetesschwerpunkteinrichtung mit ausreichender Erfahrung in der Betreuung insulinbehandelter Schwangerer erfolgen. Der alleinige Hinweis auf eine zuckerfreie Ernährung ist nicht ausreichend. > Die Therapie des Gestationsdiabetes beruht, wie außerhalb der Schwangerschaft, auf den 4 Säulen 5 Ernährungsumstellung, 5 körperliche Aktivität, 5 Blutzuckerkontrolle vor und nach den Mahlzeiten und 5 bei Bedarf Insulintherapie.
Durch Training auf einem Fahrradergometer 45 min 3-mal/Woche konnte im Rahmen einer randomisierten, klinischen Studie mit insulinpflichtigen Gestationsdiabetikerinnen in der Sportgruppe trotz Verzicht auf Insulintherapie ein der mit Insulin behandelten Standardgruppe vergleichbares neonatales Outcome erreicht werden (Bung et al. 1991).
Insulintherapie Kann das Einstellungsziel durch obige Maßnahmen nicht erreicht werden, ist eine Insulintherapie indiziert. Rund 20–30% der Gestationsdiabetikerinnen benötigen Insulin.
Ernährungsumstellung Im Vordergrund steht eine Ernährungsberatung, die einer gesunden Ernährungsweise von gesunden Erwachsenen entspricht unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schwangerschaft und den individuellen Lebensumständen der Frau. Der Kalorienbedarf für eine Schwangere im 2. und 3. Trimenon beträgt ca. 30 kcal/kg KG, das berücksichtigt den erhöhten Kalorienbedarf von 300 kcal/Tag ab dem 2. Trimenon. Es wird empfohlen, die Nahrungsaufnahme auf 3 Haupt- und 3 Zwischenmahlzeiten zu verteilen. Der Kohlenhydratanteil sollte 40–50% betragen, daraus werden die individuell zugelassenen Kohlenhydrateinheiten (BE) quantifiziert. Bei Frauen mit einem Body-Mass-Index >27 kg/m2 am Beginn der Schwangerschaft sollte die Kalorienmenge auf 25 kcal/ kg KG reduziert werden. Süßstoff (Saccharin etc.) ist bei mäßigem Gebrauch in der Schwangerschaft unbedenklich. Eine gezielte Gewichtsabnahme ist zu vermeiden. Hingegen wird eine Gewichtsstagnation bzw. leichte Gewichtsreduktion von 1–2 kg zu Beginn der Ernährungsumstellung häufig beobachtet, dies ist als unbedenklich einzustufen.
Blutzuckerselbstkontrolle
21
Die Schwangeren werden in die Blutglukoseselbstkontrolle (Handmessgerät) mit Blutglukosemessungen vor den 3 Hauptmahlzeiten und 1 h nach Beginn der Mahlzeiten eingewiesen. Die Kosten für die Teststreifen werden in der Schwangerschaft von den Krankenkassen übernommen. Im Allgemeinen werden bei stabilen Werten 2 Tagesprofile mit 1 Nüchtern- und 3 postprandialen Blutzuckermessungen pro Woche empfohlen, die Häufigkeit der Selbstkontrollen wird dem Verlauf kontinuierlich angepasst. Die Einstellungsziele sind in . Tab. 21.4 dargestellt.
Indikation zur Insulintherapie 4 Mütterliche Indikation: – Mehrfache Überschreitungen der Zielwerte: mindestens 2 präprandial und/oder postprandial erhöhte Werte pro Tagesprofil an mindestens 2 Tagen innerhalb von einer Woche – Bei normalem oder sogar reduziertem fetalem Wachstum kann eine moderate Hyperglykämie toleriert werden, und Insulintherapie sollte zurückhaltend begonnen werden 4 Fetale Indikation: – Verdacht auf fetale Makrosomie (Abdominalumfang >75. Perzentile) – Fetaler Hyperinsulinismus bei Fruchtwasserinsulinbestimmung (Methode wegen Invasivität wenig verbreitet)
Die Insulineinstellung sollte einem in der Betreuung von Schwangeren erfahrenen Diabetologen oder der Spezial-
. Tab. 21.4. Einstellungsziele in der Schwangerschaft
Zeitpunkt
Einstellungsziel
Nüchtern/präprandial
60–95 mg/dl
1 h postprandial
<130–140 mg/dl
2 h postprandial
<120 mg/dl
447 21.3 · Gestationsdiabetes (GDM)
sprechstunde einer Geburtsklinik vorbehalten sein. Der Insulinbedarf ist aufgrund der peripheren Insulinresistenz in der Schwangerschaft meist deutlich höher als bei Typ-1-Diabetikerinnen. Häufig werden 1 IE/kg KG benötigt. Es wird eine konventionell-intensivierte Insulintherapie durchgeführt mit getrennter Gabe von Kurzzeitinsulin zu den Hauptmahlzeiten und zusätzlicher Gabe eines Verzögerungsinsulins zur Nacht bei erhöhten Nüchternglukosewerten und ggf. morgens zur Aufrechterhaltung normaler Blutzuckerwerte während des Tages – unabhängig von den Mahlzeiten. Eine zügige Einstellung wird angestrebt. Eine Startdosis soll individuell anhand der Blutzuckertagesprofile erfolgen. Die Gabe 1/3 der dem Körpergewicht entsprechenden Insulineinheiten wird erfahrungsgemäß ohne Hypoglykämie toleriert. Die Schemata zur Insulineinstellung varieren, die folgenden Angaben sind als Beispiel gedacht, das sich in der Praxis bewährt hat: 4 Schwangere mit 32 SSW, aktuelles Gewicht 90 kg; 4 Blutzuckerwerte in Tagesprofilen: 5 nüchtern 99–105 mg/dl, 5 postprandial 1 h nach dem Frühstück: 165–185 mg/dl, 5 postprandial mittags: 150–160 mg/dl, 5 postprandial abends: 155–170 mg/dl, 4 Start: Zieldosis 90 IE: 3=ca. 30 IE; verteilt auf 10/6/6 IE eines kurzwirksamen Insulins zu den Mahlzeiten und 8 IE eines Verzögerungsinsulins zur Nacht. 4 Zügige Steigerung alle 3 Tage mindestens in Schritten von 4 IE bis zum Erreichen der Zielwerte. Bei Insulintherapie aus fetaler Indikation wird eine Einstellung nüchtern 10 mg/dl und postprandial 20 mg/dl unterhalb der Blutzuckerzielwerte angestrebt, um durch maximal tolerable Reduzierung der maternalen Blutzuckerwerte das Substratangebot für den Transfer von Glukose zum Fetus zu verringern. Es wird vermutet, dass bei fetalem Hyperinsulinismus der Transport von Glukose zum Fetus gesteigert ist (Glukose-steal-Phänomen; Weiss et al. 2001).
Studienbox Die Indikation zur Insulintherapie sollte unter Berücksichtigung des fetalen Wachstums erfolgen. Messungen des fetalen Abdominalumfangs bei Amniozentese zur Bestimmung des Insulins im Fruchtwasser zeigten eine signifikante Korrelation der Perzentile des fetalen Abdominalumfangs mit der Höhe des Fruchtwasserinsulins (Schaefer-Graf et al. 2003). Ein fetaler Abdominalumfang <75. Perzentile schließt mit hoher Sicherheit einen schwerwiegenden fetalen Hyperinsulinismus aus, geringgradig erhöhte Insulinwerte können auch mit normalem Wachstum des Abdomens einhergehen (SchaeferGraf et al. 2003; Kainer et al. 1997). Eine Metaanalyse der Studien, die das Management von GDM basierend auf dem fetalen Wachstum untersuchten, zeigt, dass bei normalem Wachstum mit einem Abdominalumfang (AU) <75. Perzentile eine moderate
6
maternale Hyperglykämie toleriert werden kann ohne Erhöhung der neonatalen Morbidität. Im Gegenteil, die Rate an wachstumsrestringierten Neugeborenen war deutlich geringer als in der Studiengruppe mit strenger Stoffwechseleinstellung. Bei makrosomem Wachstum mit AU >75. Perzentile verringert eine Insulintherapie aus fetaler Indikation trotz normalen maternalen Blutzuckerwerten die Rate an neonataler Makrosomie und den assoziierten Problemen wie Hypoglykämie und Sectioentbindung (Schaefer-Graf et al. 2004; Kjos et al. 2001, 2008).
In den letzten Jahren wird zunehmend diskutiert, ob bei GDM orale Antidiabetika statt Insulintherapie eingesetzt werden können. Sie gelten als kontraindiziert in der Schwangerschaft und Stillzeit. Die Ergebnisse der Studien sind uneinheitlich. Das Sulfonylharnstoffpräparat Glibenclamid (z.B. Euglucon N) wurde in einer randomisierten Studie bei 404 selektionierten Schwangeren (Alter: 18–44 Jahre) mit Dosierungen bis 20 mg/Tag im Vergleich zu einer zu Insulintherapie geprüft (Langer et al. 2000). Da keine signifikanten Unterschiede beim »fetal outcome« zu verzeichnen waren, folgerten die Autoren dieser Studie, dass Glibenclamid eine wirksame und sichere Alternative zur Insulintherapie darstellt. In einer anderen Studie mit einem kleineren Kollektiv ergab sich ein schlechteres Outcome (Kremer u. Duff 2004). Metformin war in einer randomisierten Studie ebenso einer Insulintherapie gleichwertig (Rowan et al. 2008). Die Frauen wiesen eine geringere Gewichtszunahme und sogar bessere postprandiale Blutzuckerwerte auf. Bei der abschließenden Befragung zur Therapiezufriedenheit bevorzugten die Frauen die Therapie mit Tabletten. Die Rate an Frühgeburten war allerdings unter Metformintherapie höher. Es fehlen jedoch Langzeitdaten der Kinder. Eine Therapie mit oralen Antidiabetika wird bei GDM derzeit von den Fachgesellschaften nicht empfohlen (7 oben).
21.4
Fetale Überwachung
21.4.1
Sonographie
Erstes Trimenon Eine exakte Festlegung des Gestationsalters mit eventueller Korrektur des nach letzter Regel festgelegten Entbindungstermins ist für die spätere Beurteilung Makrosomie oder Wachstumsverminderung vs. Terminverschiebung wegen des häufig unregelmäßigen Menstruationszyklus und der vermehrt auftretenden Wachstumspathologie bei Diabetikerinnen von besonderer Bedeutung. Wegen des erhöhten Abortrisikos sollte bei Frauen mit vorbestehendem Diabetes die Vitalität durch einen 2. Ultraschall kontrolliert werden.
Zweites Trimenon Die Nackentransparenz (NT) ist bei Feten mit Chromosomenanomalinen sowie Herzfehlbildungen erhöht, deshalb ist insbesondere bei Frauen mit perikonzeptionell hohem HbA1c-
21
448
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
Wert Ultraschall zwischen 11 und 14 SSW zur Bestimmung der NT in Kombination mit der Abklärung grob morphologischer Auffälligkeiten sinnvoll. Es besteht keine besondere Indikation zur invasiven pränatalen Diagnostik, da bei Diabetes keine erhöhte Inzidenz von chromosomalen Veränderungen besteht. Bei der Organdiagnostik mit 19–22 SSW ist insbesondere auf Herzfehlbildungen (Echokardiographie) zu achten; die Untersuchung sollte wegen des hohen Risikos für Fehlbildungen einem Untersucher mit DEGUM II-Qualifikation vorbehalten bleiben.
Drittes Trimenon Eine fetale Biometrie zur Abklärung des Wachstumsverhaltens sollte mindestens in 3wöchigen Abständen durchgeführt werden, da die Stoffwechseleinstellung je nach Befund modifiziert werden sollte, d.h., bei fetalem Abdominalumfang >75. Perzentile sind niedrige Blutzuckerwerte anzustreben, während bei AU <75. Perzentile evtl. Blutzuckerwerte über den Zielwerten toleriert werden können. Eine diabetesbedingte Makrosomie zeichnet sich durch ein übermäßiges Wachstum insbesondere im Bereich des Abdomens aus, während die knöchernen Strukturen dem Gestationsalter gemäß wachsen (asymmetrische Makrosomie). Eine symmetrische Makrosomie weist eher auf eine konstitutionelle, genetisch bedingte Makrosomie hin. Eine Beurteilung des subkutanenen Fettgewebes in Bereich des Abdomens (gemessen im 90°-Winkel ventral in der Medioklavikularlinie) oder des Femurs (Sagitalschnitt im mittleren Abschnitt) kann zur weiteren Differenzierung hilfreich sein. Normwerte für Messungen des subkutanen Fettgewebes an verschiedenen Körperstellen sind veröffentlicht worden (Larciprete et al. 2003). Eine exakte Messung erscheint wegen der eingeschränkten Reproduzierbarkeit jedoch nur unbedingt sinnvoll, mit etwas Übung lässt sich aber vermehrtes Fettgewebe prima vistam erkennen. Vor der Entbindung sollte ein Schätzgewicht erhoben werden mit Beurteilung des Verhältnisses von Kopf- und Abdominalumfang. Bei klinischen Konsequenzen muss berücksichtigt werden, dass bei Kindern von Diabetikern das erhöhte Fettgewebe eher zu einer Gewichtsüberschätzung führt (Bernstein u. Catalano 1992; 7 Kap. 21.5.1).
21.4.2
21
Dopplersonographie
Die Indikation für dopplersonographische Untersuchungen entspricht den allgemeinen Kriterien zur Dopplersonographie in der Schwangerschaft (AWMF 015/018). Eine routinemäßige Blutflussmessung der A. umbilicalis und der fetalen Gefäße ist nicht indiziert. In der Literatur finden sich uneinheitliche Aussagen bezüglich einer Widerstandserhöhung in fetoplazentaren und fetalen Blutgefäßen bei Diabetikerinnen. Da aber in allen Studien auch bei normalen Dopplerbefunden intrauterine Todesfälle beschrieben wurden, muss davon ausgegangen werden, dass bei sonst unauffälligen geburtshilflichen Befunden die Dopplersonographie nicht hilfreich ist, um das Risiko für den diabetesbedingten IUFT einzuschätzen. Bei Schwangeren mit Gefäßkomplikationen und/oder fetaler
Wachstumsrestriktion kann die Dopplersonographie sinnvoll sein, um eine Gefährdung des Kindes frühzeitig zu erfassen. Eine routinemäßige Blutflussmessung der Aa. uterinae zur Abschätzung des Präeklampsierisikos wird wegen des erhöhten Risikos bei Diabetikerinnen ausdrücklich empfohlen (7 Kap. 21.2.2).
21.4.3
Kardiotokographie
Bei insulinpflichtigen Diabetikerinnen wird ein antenatales fetales Monitoring durch Kardiotokographie ab 32 SSW wird als sinnvoll angesehen (ACOG 2005). Die Frequenz sollte individuell festgelegt werden. In einer prospektiven Observationsstudie mit 2.000 Diabetikerinnen trat kein IUFT innerhalb von 4 Tagen nach CTG auf (Kjos et al. 1995). Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch bei ausgeprägter diabetischer Fetopathie das CTG unauffällig sein kann und nach klinischer Erfahrung ein normales CTG nicht ausschließt, dass es innerhalb von 4 Tagen zu einem IUFT kommen kann.
21.5
Entbindung und Wochenbett
21.5.1
Geburtsplanung und -modus
Wahl der Geburtsklinik Schwangere mit Diabetes sollten frühzeitig in der Entbindungsklinik vorgestellt werden. Für Frauen mit präexistentem Diabetes und insulinpflichtigem Gestationsdiabetes ist eine Geburtsklinik mit Neonatologie obligat, bei diätetisch eingestellten Frauen wünschenswert. Die gültige AWMF-Leitlinie zur Betreuung Neugeborener diabetischer Mütter empfiehlt die Entbindung aller Diabetikerinnen in Kliniken mit Neonatologie (AWMF 024/006).
Geburtseinleitung Eine stationäre engmaschige Überwachung 2 Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin, wie sie früher aus Angst vor intrauterinem Fruchttod gefordert wurde, ist bei unauffälligen geburtshilflichen Befunden, guter Stoffwechseleinstellung und Gewährleistung von ambulanten CTGKontrollen nicht nötig. Bei Hinweis auf eine Gefährdung des Kindes wird heute eher eine frühzeitige Entbindung angestrebt. Um das Risiko des IUFT zu verringern, wurde früher bei Typ-1-Diabetes die Schwangerschaft nach Erreichen der Lungenreife frühzeitig beendet. Verbesserte Möglichkeiten der geburtshilflichen Überwachung und der Stoffwechseleinstellung erlauben heute bei Fehlen zusätzlicher Risikofaktoren eine Entbindung zum Entbindungstermin. Ist eine vorzeitige Entbindung nötig, braucht ab 37 SSW keine Amniozentese zur Lungereifebestimmung durchgeführt zu werden (Kjos et al. 2002). Bei Schwangeren mit insulinpflichtigem GDM ist eine Entbindung am ET anzustreben, während für diätetische eingestellte Gestationsdiabetikerinnen das übliche Management bei Terminüberschreitung gilt.
449 21.5 · Entbindung und Wochenbett
21.5.2 Mögliche Indikationen für Geburtseinleitung vor ET 4 Schlechte oder schwierige Stoffwechseleinstellung der Mutter 4 Makrosomie, insbesondere bei Abdomenumfang (AU) > Kopfumfang (KU) bzw. Wachstumsrestriktion 4 Präeklampsie 4 Auffällige CTG- oder Dopplersonographiebefunde 4 Belastete geburtshilfliche Anamnese
Geburtsmodus – Indikation zur primären Sectio Präexistenter Diabetes ist ohne zusätzliche Risikofaktoren keine Indikation zur primären Sectio. Die Indikationsstellung aufgrund pränataler ultrasonographischer Gewichtsschätzung sollte zurückhaltend erfolgen, da bei Diabetes wegen der geringeren Dichte des Fettgewebes das Gewicht tendenziell eher überschätzt wird (Bernstein u. Catalano 1992). Wegen des hohen Risikos für eine Schulterdystokie ist eine primäre Sectio ab einem Schätzgewicht >4500 g bzw. >4200 g bei besonders kleinen Frauen jedoch angeraten (ACOG 2005; . Tab. 21.5). Die Indikation zur sekundären Sectio bei fehlendem Geburtsfortschritt oder suspektem CTG wird großzügig gestellt, da es bei Feten mit diabetischer Fetopathie oder fetalem Hyperinsulinismus wegen des per se erhöhten Sauerstoffbedarfs leichter zu einer subpartalen Asphyxie kommen kann.
Diskussion: Sectio vs. Einleitung vs. abwartendes Verhalten bei fetaler Makrosomie Der Nutzen einer Einleitung vor dem Termin bei ultrasonographisch erhobenem Verdacht auf Makrosomie bzw. einer elektiven primären Sectio zur Reduktion des Risikos für Schulterdystokie und Plexusparese wird kontrovers diskutiert. Die Stärke der sonographischen Gewichtsschätzung bei Schwangerschaften mit Diabetes liegt in der Ausschlussdiagnose eines Geburtsgewichts >4000 g, der positive prädiktive Wert ist jedoch eher gering. Ein Review der vorhandenen Literatur ergab einen positiv prädiktiven Wert im Median von 67% und eine Sensitivität von 62% (Sacks u. Chen 2000). Eine Metaanalyse von Studien, die das neonatale Outcome und die Sectiorate bei Abwarten von spontaner Wehentätigkeit vs. Einleitung untersuchte, kommt zu dem Ergebnis, dass letzteres zu einer höheren Sectiorate führt ohne signifikante Verringerung von vaginaloperativen Entbindungen, Schulterdystokien oder 5-minApgar-Wert <7 (Sanchez-Ramos et al. 2002).
. Tab. 21.5. Risiko für Schulterdystokie in Abhängigkeit vom Geburtsgewicht. (Nach Langer 1991)
Geburtsgewicht [g]
Kein Diabetes [%] (n = 75.000)
Diabetes [%] (n = 1.500)
4.250–4.499
5,2
7,4
4.500–4.749
8,9
27,9
4.750–4.999
14.8
55,6
Stoffwechseleinstellung unter der Geburt
Die Stoffwechseleinstellung während Einleitung und Entbindung hat entscheidenden Einfluss auf das Risiko für eine neonatale Hypoglykämie. Eine maternale Hyperglykämie unter der Geburt führt zur Stimulation der fetalen Insulinproduktion und erhöht damit das Risiko für eine subpartale Azidose und eine neonatale Hypoglykämie. Bei mütterlicher Hyperglykämie unter der Geburt wurde eine eingeschränkte Oszillation und eine reduzierte Akzelerationen beobachtet. Eine Hypoglykämie der Mutter kann zum Nachlassen der Wehentätigkeit führen. Tipp Während Einleitung und Geburt sollten die Blutzuckerwerte zwischen 70 und 120 mg/dl liegen. Während der Einleitung sollte bei vorbestehendem Diabetes 2/3–1/2 des Basalinsulins und bei GDM kein langwirksames Insulin gespritzt werden. Bei Pumpenträgerinnen empfiehlt es sich, die Basalrate auf 2/3 reduziert werden. Die Kontrollen erfolgen prä- und 1–2 h postprandial.
Unter der Geburt sollte bei Frauen mit Typ-1- oder -2-Diabetes oder insulinpflichtigem Gestationsdiabetes der Blutzucker 2-stündlich kontrolliert werden. Gestationsdiabetikerinnen benötigen sub partu selten Insulin. Frauen mit vorbestehendem Diabetes erhalten eine Infusion mit 125 ml/h Glukose 5%, alternativ orale Kohlenhydratzufuhr (Säfte). Bei Pumpenträgerinnen wird die Insulinbasalrate auf 50% reduziert. Die Pumpe kann gut befestigt seitlich am Bauch belassen werden, bei Sectio wird sie am Oberarm angebracht. Nach der Entbindung erfolgt eine weitere Reduktion auf 30%. Die Blutzuckerkorrektur kann durch Gabe von kurz wirksamem Insulin subkutan, über einen Insulinperfusor oder bei Frauen mit Pumpe durch Bolusgaben erfolgen. Es gibt unterschiedliche Schemata zur Blutzuckerkorrektur sub partu. . Tab. 21.6 gibt ein Beispiel, das sich in der Klinik bewährt hat [nach Kainer (München) und Sorger (Bonn)].
21.5.3
Postpartale Versorgung des Neugeborenen
Der Neonatologe sollte bei Aufnahme in den Kreißsaal über den Schwangerschaftsverlauf und evtl. zu erwartende Komplikationen informiert werden. Die Vorstellung des Kindes muss in jedem Fall innerhalb von 24 h erfolgen. Die Fachgesellschaften der Perinatalmedizin, Diabetologie und Neonatologie haben sich darauf verständigt, dass für alle Kinder von Müttern mit Diabetes unabhängig vom Diabetestyp und der Stoffwechseleinstellung in der Schwangerschaft ein einheitliches Betreuungsschema gelten soll (AWMFLeitlinien-Register 2003). Diese Empfehlung basiert auf der Erfahrung und entsprechenden Daten, dass
21
450
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
. Tab. 21.6. Blutzuckerkorrektur sub partu. [Nach Kainer (München) und Sorger (Bonn)]
Blutzuckerwert
Glukoseinfusion
Subkutanes kurzwirksames Insulin
[mg/dl]
5%
<70
200 ml/h
70–110
125 ml/h
Insulinpumpe
48,7 ml Glukose 5%+1,3 ml NovoRapid (52 IE): 1 ml/ h=1 IE Insulin
Basalrate =50% der vorherigen Basalrate
>110–140
125 ml/h
3 IE
2 ml/h
+1 IE
>140–160
125 ml/h
4 IE
3 ml/h
+2 IE
>160–180
125 ml/h
5 IE
4 ml/h
+3 IE
>180–2!00
125 ml/h
6 IE
5 ml/h
+4 IE
>200
125 ml/h
6 IE+ IE pro 30 mg/dl Blutzucker
5,5 ml/h
4 IE+ IE pro 30 mg/dl Blutzucker
1 ml/h
4 auch Kinder von Frauen mit guter Stoffwechseleinstellung Symptome einer diabetischen Fetopathie, insbesondere Hypoglykämie, haben können, 4 bei ungenügend oder zu spät behandeltem Gestationsdiabetes mit einer ähnlichen Morbidität wie bei schlecht eingestelltem präexistentem Diabetes zu rechnen ist. Exakte Informationen über die Stoffwechseleinstellung liegen bei Entbindung nicht immer vor. Bei normalen Blutzuckerwerten des Kindes bei den ersten Kontrollen kann bei Müttern mit Gestationsdiabetes und bei Beobachtung des Kindes durch in der Betreuung von Neugeborenen erfahrenes Personal eine Modifikation des Schemas erwogen werden. Zur Vermeidung von neonatalen Hypoglykämien sollte innerhalb der ersten 30 min nach Geburt das erste Anlegen bzw. eine Frühestfütterung mit Maltodextrin 15% (3 ml/ kg KG) durchgeführt werden (AWMF 024/006). Es wird empfohlen, die Fütterung bei makrosomen Kindern oder instabilen Blutzuckerwerten während des 1. Lebenstages alle 3 h jeweils nach dem Anlegen zu wiederholen. Je nach Milchmenge kann dann die Maltodextringabe reduziert werden. Blutzuckerkontrollen sind vorgesehen nach 2, 6 und 12 h. Bewertung und klinische Konsequenzen beschreibt . Abb. 21.5. Weitere Untersuchungen wie Hämatokrit, Serumkalzium, Serumbilirubin und Sonographie (Herz, Schädel, Nieren) erfolgen in Abhängigkeit vom klinischen Bild. Eine Trennung von Mutter und Kind sollte möglichst vermieden werden, eine Routineverlegung ist obsolet.
21
Insulinperfusor (bei schwieriger Einstellung)
21.5.4
Blutzuckerkontrollen und -einstellung im Wochenbett und Stillen
Typ-1-Diabetikerinnen Es ist möglich, dass bis zu 24 h nach der Entbindung der Insulinbedarf sehr niedrig ist. Der Blutzucker sollte jedoch alle 3 h kontrolliert werden, auch in der Nacht, da es in seltenen Fällen zum schnellen Anstieg des Insulinbedarfs kommen kann. Die Insulindosis orientiert sich am Insulinbedarf vor der Schwangerschaft, der meist nach 2–3 Tagen erreicht wird. Nach der Entbindung sollte ein Diabetologe/Internist konsiliarisch zur Beratung zur Verfügung stehen bzw. das Prozedere bereits vor der Geburt interdisziplinär sowie mit der Patientin abgesprochen sein. Bei stillenden Frauen muss damit gerechnet werden, dass der Insulinbedarf ca. 25% unter demjenigen vor der Schwangerschaft liegt. Stillen wird bei Diabetikerinnen ausdrücklich empfohlen.
Längeres Stillen senkt das kindliche Risiko für einen Typ1-Diabetes (Sadauskaitë-Kuehne 2004), während frühes Zufüttern von glutenhaltiger Zusatznahrung vor dem abgeschlossenen 6. Lebensmonat bei Kindern von Müttern mit Typ-1-Diabetes mit einer höheren Prävalenz von Insulinantikörpern verbunden ist (Ziegler et al. 2003). Auf eine optimale Blutzuckerkontrolle, basierend auf den Zielwerten außerhalb der Schwangerschaft, sollte auch während der Stillzeit geachtet werden (7 Kap. 21.6.1), da mütterliche Hyperglykämie zu einem erhöhten Glukosegehalt der Muttermilch und damit zu einer gesteigerten Pankreasaktivität führen kann (7 oben; »accelarator hypothesis«).
Typ-2-Diabetikerinnen Frauen mit Typ-2-Diabetes wurden vor der Schwangerschaft selten mit Insulin, in den meisten Fällen durch orale Antidiabetika behandelt. Wegen der sehr limitierten Datenlage zum
451 21.5 · Entbindung und Wochenbett
. Abb. 21.5. Postpartale Blutzuckerkontrollen AWMF-Leitlinie (2010)
Transfer von oralen Antidiabetika in die Muttermilch ist bei Frauen mit Typ-2-Diabetes die Fortsetzung der Insulintherapie während der gesamten Stillzeit ratsam, sofern eine pharmakologische Therapie des Diabetes erforderlich ist. Da häufig präkonzeptionell keine Umstellung auf Insulin erfolgt ist und damit keine Informationen über eine Dosierung vor der Schwangerschaft vorhanden sind, kann hier als Richtwert ein Drittel der zuletzt gespritzten Dosis als Start verwendet und durch Blutzuckertagesprofile der Insulinbedarf angepasst werden.
Tipp Allen Frauen mit GDM und postpartal normalen Blutzuckerwerten im Tagesprofil wird dringend angeraten, 6–12 Wochen post partum einen oGTT durchführen zu lassen zum Ausschluss einer persistierenden, behandlungsbedürftigen Glukosestoffwechselstörung (gestörte Nüchternglukose: >100–126 mg/dl; manifester Diabetes: ≥126 mg/dl; gestörte Glukosetoleranz: 2-h-Blutzucker >140–200 mg/dl; manifester Diabetes: 2-h-Blutzucker >200 mg/dl) durchführen zu lassen (7 Kap. 21.6.2).
Gestationsdiabetikerinnen Bei diätetisch eingestelltem GDM sind keine Blutzuckerkontrollen im Wochenbett nötig, bei insulinpflichtigem GDM werden post partum unter Normalkost Tagesprofile erstellt. Eine Überweisung an einen Diabetologen sollte bei Nüchternblutzuckerwerten ≥110 mg/dl im Kapillarblut und/oder bei einem 2-h-postprandialen Blutzuckerwert ≥200 mg/dl erfolgen, da v.a. weiterhin behandlungsbedürftigen Diabetes besteht. Nach 6–12 Wochen sollte ein oGTT erfolgen. Bei Nüchternwerten >100 mg/dl besteht das Stadium der erhöhten Nüchternglukose, bei 2-h-Blutzuckerwerten zwischen 140 und 199 mg/dl das Stadium der gestörten Glukosetoleranz. Beide Prädiabetesformen sollen ebenfalls weiter überwacht werden und ein Präventionsprogramm mit Lifestyle-Änderung (Ernährungsumstellung bzw. Beibehalten einer Diät, regelmäßige körperliche Aktivität und ggf. eine Gewichtsreduktion von zunächst 5% des Körperegewichts) versucht werden. Auch Gestationsdiabetikerinnen sollen intensiv motiviert werden zu stillen, da das Risiko für spätere kindliches Adipositas reduziert wird, insbesondere bei adipösen Müttern (Schaefer-Graf et al. 2007).
21.6
Langzeitfolgen
21.6.1
Langzeitfolgen für Kinder diabetischer Schwangerschaften
Adipositas und Diabetesrisiko durch intrauterine Prägung Im Sinn einer epigenetischen intrauterinen Prägung zeigt sich bei den Kindern aus unzureichend behandelten diabetischen Schwangerschaften sowohl bei Typ 1 und Typ 2 als auch bei GDM bereits im Schulalter eine Tendenz zu Adipositas und Glukoseintoleranz; die Mädchen haben später häufiger einen Schwangerschaftsdiabetes. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem fetalen Insulinspiegel während der Schwangerschaft (Silverman et al. 1998), dem intrauterinen Wachstum der Kinder (Schaefer-Graf et al. 2005) und dem späteren Adipositasrisiko. Der Einfluss des intrauterinen metabolischen Milieus auf die spätere Entwicklung der Kinder wird als »fetal programming« bezeichnet. Tierexperimente zeigten pathophysiologisch sowohl histologische Veränderungen im Sinne von Apoptose von β-Zellen des Pankreas durch die frühzeitige Insulinhypersekretion
21
452
Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
(Aerts et al. 1990) als auch durch Hyperinsulinismus ausgelöste neurophysiologische Veränderungen im Sinn einer Fehlprogrammierung von hypothalamischen Regelkreisen, die Sättigung und Hungergefühl bestimmen (Plagemann et al. 1999). Neuere Daten lassen vermuten, dass intrauterine und frühpostnatale Überernährung, resultierend in neonataler Makrosomie und starker Gewichtszunahme im frühen Kindesalter, durch die gesteigerte Pankreasaktivität auch zu einer verstärkten Expression von Insulinantigen und damit zur Entstehung von autoimmunologisch bedingtem Typ-1-Diabetes führen können (»accelarator hypothesis«; Stene et al. 2001).
Studienbox Die Kinder von Müttern mit GDM einer Berliner Population hatten sowohl bei Geburt als auch im frühen Kindesalter (2–8 Jahre) einen deutlich höheren Body-Mass-Index als die altersentsprechende deutsche Referenzpopulation. Achtundzwanzig Prozent der Kinder waren mit 6–8 Jahren übergewichtig. Neonataler BMI >90. Perzentile bzw. fetaler Abdominalumfang >90. Perzentile im 3. Trimenon waren neben Adipositas der Eltern die stärksten Prädiktoren für kindliche Adipositas (. Abb. 21.6; Schaefer-Graf et al. 2005). Die Studie unterstreicht, wie wichtig es ist, die Entstehung von fetaler Makrosomie bei diabetischen Schwangerschaften zu vermeiden. Erschreckend war jedoch auch die hohe Rate an Übergewicht auch bei normosom geborenen Kindern bei Adipositas der Eltern (66,7% bei BMI >30 kg/m2 bei beiden Eltern vs. 18,5% bei normalgewichtigen Eltern). Dies ist sicherlich bedingt zum Teil durch eine genetische Disposition, größtenteils jedoch durch den gemeinsamen Lebensstil in der Familie.
Risiko für Typ-1-Diabetes durch genetische Prägung, Umwelteinflüsse und Ernährung Nach heutigem Wissen wird die Entstehung von Typ-1-Diabetes vornehmlich durch 3 Faktoren bedingt: die genetische Prägung, Umwelteinflüsse/Infektionen und Ernährung. Das individuelle genetische Risiko für Typ-1-Diabetes hängt davon ab, welches Familienmitglied erkrankt ist
. Abb. 21.6. Perzentilen des neonatalen Body-Mass-Index und kindliches Übergewicht im frühen Kindesalter (Schaefer-Graf 2005)
(. Tab. 21.7). Ein erhöhtes genetisches Risiko lässt sich zudem durch die Bestimmung der HLA-Gene erfassen. Der Autoimmunprozess, der zur Destruktion von Pankreasgewebe führt, beginnt schon in den ersten Lebensjahren. Virale Erkrankungen insbesondere des Darms, Impfungen und die Zusammensetzung der frühkindlichen Ernährung werden als Risikofaktoren diskutiert. Da jedoch in der deutschen BABYDIAB-Studie mit 2.500 Neugeborenen kein negativer Einfluss von Impfungen nachgewiesen werden konnte, sollten auch die Kinder von Diabetikerinnen entsprechend den geltenden Richtlinien geimpft werden.
Strategien zur Reduzierung des Diabetesrisikos bei Kindern aus diabetischen Schwangerschaften 4 Vermeidung von neonataler Makrosomie 4 Über die Schwangerschaft hinausgehende engmaschige Kontrolle der anthropometrischen Entwicklung des Kindes, um eine Tendenz zu Adipositas frühzeitig zu erfassen 4 Kontinuierliche Beratung der Eltern über gesunde Ernährung und aktiven Lebenstil 4 Keine Zufütterung von Getreide vor Ablauf des 6. Lebensmonats
. Tab. 21.7. Familiäres Diabetesrisiko. (Nach Hummel 2004)
21
Verwandtschaftsgrad
Risiko [%]
Personen ohne familiäre Typ-1-DiabetesBelastung
0,3
Personen mit familiärer Typ-1-Diabetes-Belastung
5 Mutter
3–5
5 Vater
5–7
5 Beide Eltern
20
5 Geschwisterkind
5
5 Eineiiger Zwilling
30–60
21.6.2
Langzeitfolgen für Mütter nach Gestationsdiabetes
Frauen, die in der Schwangerschaft einen GDM hatten, erkranken deutlich früher und häufiger als Kontrollkollektive an Typ-2-Diabetes. Je nach untersuchter Population bleibt bei 7–29% (Kitzmiller et al. 2007) die Glukoseintoleranz nach der Schwangerschaft bestehen. Nachuntersuchungen an deutschen (Schaefer-Graf et al. 2009) und österreichischen Kollektiven (Kautzky-Willer et al. 2008) ergaben bis zu 26% pathologische oGTTs innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt.
453 Literatur
Risikofaktoren für postpartalen Diabetes oder eingeschränkte Glukosetoleranz (IGT); (nach Schaefer-Graf et al. 2009; Kautzky-Willer et al. 2008) 4 4 4 4 4
Insulintherapie in der Schwangerschaft 1-h-Wert im antenatalen oGTT >200 mg/dl GDM in vorhergehender Schwangerschaft Diagnose GDM vor der 24. SSW BMI >30 kg/m2
Bei ≥2 der obigen Risikofaktoren muss bei 36% der Frauen mit bestehender Glukosestoffwechselstörung gerechnet werden, diese Frauen sollten unbedingt einen postpartalen oGTT durchführen lassen (OR bei 2 Risikofaktoren 4,0 = mittleres Risko; OR bei >2 Risikofaktoren 10,2 = hohes Risiko; Schaefer-Graf et al. 2009).
Nach 10–15 Jahren wird bei durchschnittlich 50% der Frauen ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert (Ryan 2001). Die Angaben schwanken je nach untersuchter Population. Aus diesem Grunde wird ein oGTT 6–12 Wochen nach der Entbindung empfohlen, gefolgt von Kontrollen in 2-jährlichen Abständen. Allein durch Gewichtskontrolle und aktiven Lebensstil lässt sich im Sinn einer Prävention die Insulinsensitivität verbessern und das mütterliche Diabetesrisiko vermindern (Knowler et al. 2002). Ein konsequentes Blutzuckerscreening auf GDM verringert demnach nicht nur die akuten geburtshilflichen Probleme in der Schwangerschaft, sondern dient auch der Primärprävention von Diabetes bei den Kindern und der Sekundärprävention bei den Müttern durch Identifizierung eines Risikokollektivs, bei dem durch gezielte Intervention eine Erkrankung verhindert werden kann. Beide Faktoren sind angesichts der epidemieartigen Zunahme von Diabetes von hoher gesundheitspolitischer Bedeutung.
21.6.3
Kontrazeption bei Diabetikerinnen und nach Gestationsdiabetes
Unter der Prämisse einer geplanten Schwangerschaft mit präkonzeptioneller Stoffwechseloptimierung und Sanierung von Spätschäden ist eine sichere Kontrazeption bei Diabetikerinnen von großer Bedeutung. Es müssen jedoch bei der Wahl der Kontrazeptionsmethode die Auswirkungen auf den Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel und Kontraindikationen aufgrund von diabetischen Spätkomplikationen ( 7 Kap. 21.2.1) berücksichtigt werden. Für Frauen nach GDM ist entscheidend, ob durch die Exposition mit Östrogenen und Gestagenen das Langzeitrisiko für Typ-2-Diabetes steigt. Orale Low-dose-Kombinationspräparate oder reine Gestagenpräparate erwiesen sich für Frauen mit Typ-1-Diabetes ohne schwerwiegende Begleiterkrankungen als unbedenklich (AWMF-Leitlinie 015/037). Da es für Typ-2-Diabetes keine eigenen Untersuchungen gibt, kann nur aufgrund der Daten von Typ-1-Diabetikerinnen auf die Unbedenklichkeit auch bei Typ-2-Diabetes geschlossen werden.
Die Einnahme von Low-dose-Kombinationspräparaten führt bei Frauen nach einer Schwangerschaft mit GDM nicht zu einem erhöhten Diabetesrisiko (Kjos et al. 1998). Bei stillenden Frauen nach GDM sollten langfristig keine reinen Gestagenpräparate gegeben werden, da sich nach einer Einnahme >4 Monate das Diabetesrisiko deutlich erhöht (Odds-Ratio 2,6, bei >8 Monate OR 4,23). Die hormonale Langzeitkontrazeption mit Gestagenen kann weder für Typ-1-Diabetikerinnen noch nach GDM empfohlen werden. Die Diabetesrate nach GDM ist deutlich erhöht bei Anwendung von Medroxyprogesteron (Xiang et al. 2006). Intrauterinpessare wurden wegen des Infektionsrisikos bei Diabetikerinnen lange Zeit zurückhaltend eingesetzt. Zahlreiche prospektive Studien zeigten jedoch bei Frauen mit Typ-1- und -2-Diabetes mellitus keine erhöhte Rate an Infektionen, Ausstoßung oder Versagen im Vergleich zu stoffwechselgesunden Frauen. Zyklusmethoden sind wegen häufiger Zyklusunregelmäßigkeiten bei Diabetikerinnen nicht zu empfehlen. Die Sterilisation der Frau oder des Partners ist die Methode der Wahl bei abgeschlossener Familienplanung oder ausgeprägten diabetischen Spätkomplikationen. Bei der Beratung muss die Relativierung von Kontraindikationen für eine Schwangerschaft durch den aktuellen medizinischen Fortschritt bedacht werden.
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Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
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Kapitel 21 · Diabetes mellitus und Schwangerschaft
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22 22 Alloimmunerkrankungen R. Zimmermann 22.1
Allgemeine Grundlagen – 458
22.2
Erythrozytäre Inkompatibilitäten – 458
22.2.1 22.2.2 22.2.3 22.2.4 22.2.5 22.2.6 22.2.7
Terminologie – 458 Inzidenz und Epidemiologie – 458 Ätiologie – 459 Bedeutung für die perinatale Mortalität und Morbidität – 460 Klinische Beurteilung – 460 Management bei fetaler Anämie – 462 Prävention – 462
22.3
Thrombozytäre Inkompatibilitäten – 464
22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4 22.3.5
Inzidenz und Epidemiologie – 465 Ätiologie – 465 Bedeutung für das Kind – 465 Management – 465 Prävention – 467
Literatur – 468
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458
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
Bei den Alloimmunerkrankungen erfolgt durch transplazentaren Übertritt von mütterlichen Antikörpern eine Schädigung fetaler Zellen. Bei den erythrozytären Alloimmunproblemen kann es bereits intrauterin zu Anämie, Hydrops und Fruchttod kommen. Häufiger finden sich ein neonataler Ikterus sowie eine Anämie. Durch die Ende der 1960er Jahre eingeführte Rhesusprophylaxe ist die Inzidenz drastisch gesunken. Zahlenmäßig weit im Vordergrund stehen jedoch nach wie vor Rhesus-D-Inkompatibilitäten. Mit einem weiteren Rückgang ist zu rechnen, wenn eine erweiterte Rhesusprophylaxe am Ende des 2. Trimenons konsequent durchgeführt wird. Mittels Titerkontrollen, Abschätzen des fetalen Anämiegrades mit Dopplersonographie und/oder biologischen Assays sowie der Möglichkeit der direkten Transfusion in die Nabelschnurvene können letale Verläufe heutzutage in den meisten Fällen vermieden werden. Das Management sollte jedoch einem Zentrum übertragen werden, das große Erfahrungen auf dem Gebiet der Nabelschnurpunktionen hat. Bei den selteneren Alloimmunthrombopenien sind insbesondere pränatale und peripartale Hirnblutungen gefürchtet. Im Gegensatz zu den erythrozytären Alloimmunerkrankungen treten die thrombozytären Probleme häufig bereits in der ersten Schwangerschaft auf. Dadurch wird die Möglichkeit einer Prophylaxe, analog zur Gabe von Anti-D, deutlich eingeschränkt. Die Therapie, die darauf abzuzielen hat, katastrophale Blutungen, speziell im Gehirn, zu verhindern, ist noch nicht optimal. Das Management besteht in wöchtentlichen Immunglobulininfusionen an die Mutter. Damit kommt es zwar nicht zu einer Normalisierung der Plättchen, offenbar reicht der Anstieg jedoch, um in der Mehrzahl der Fälle das Ziel zu erreichen. Um juristischen Folgen vorzubeugen, ist eine ausführliche Information des betroffenen Paares mit weitreichendem Einbezug in die medizinischen Entscheidungen unabdingbar.
die väterliche Blutgruppe geerbt, die Schwangere hat jedoch noch keine Antikörper gebildet. 4 Inkompatibilität: Die Eltern unterscheiden sich bezüglich einer relevanten Blutgruppe; das Kind hat die väterliche Blutgruppe geerbt, und die Schwangere hat bereits Antikörper gebildet (z. B. nach Fehltransfusionen oder nach Schwangerschaften ohne effiziente Prophylaxe).
22.2.2
Inzidenz und Epidemiologie
Von den 29 verschiedenen Blutgruppensystemen ist nur eine kleine Auswahl während der Schwangerschaft von Relevanz. Zahlenmäßig kommt auch heute noch den Rhesus-D-Inkompatibilitäten die größte Bedeutung zu; viel seltener sind Inkompatibilitäten bei anderen Rhesusblutgruppen (c, E etc.). In einer 10-Jahres-Periode von 1987–1996 betrafen 82% aller Fälle Rhesus-D- und weitere 12% andere Rhesusantikörper. Daneben können auch Kell- und Duffy-Blutgruppen während der Schwangerschaft zu Problemen führen.
Blutgruppenkonstellationen In der kaukasischen Bevölkerung (= Europäer) sind 15% RhD-negativ, von den verbleibenden 85% sind 60% heterozygot und 40% homozygot Rh-D-positiv (Mollison et al. 1993). Entsprechend besteht bei rund 12,5% aller europäischen Paare eine Rhesuskonstellation während der Schwangerschaft. Da ein Teil der heterozygoten Väter das Rhesus-D-Gen nicht weitervererbt, reduziert sich dieser Anteil nach der Geburt auf rund 8,2%. Einen Überblick über die Häufigkeit von verschiedenen geburtshilflich relevanten Blutgruppen in anderen Ethnien gibt . Tab. 22.1.
Inkompatibilitäten 22.1
Allgemeine Grundlagen
Alloimmunerkrankungen Unter diesem Begriff werden Erkrankungen zusammengefasst, bei denen es durch transplazentaren Übertritt von Immunglobulinen der Klasse IgG zu einer Schädigung bzw. Zerstörung fetaler Zellen kommt. Die Alloimmunerkrankungen können eingeteilt werden in antierythrozytäre und antithrombozytäre Störungen.
22
22.2
Erythrozytäre Inkompatibilitäten
22.2.1
Terminologie
Es existieren mehrere Begriffe, die synonym erythrozytäre Inkompatibilitäten beschreiben: fetale oder neonatale Erythroblastose, immunologischer Hydrops, Rhesuserkrankung, M. haemolyticus neonatorum u. a. Wichtig ist die Differenzierung in: 4 Konstellation: Die Eltern unterscheiden sich bezüglich einer relevanten Blutgruppe; das Kind hat möglicherweise
> AB0-Inkompatibilitäten sind zwar am häufigsten, aber nur neonatal von Belang.
Von Bedeutung während der Schwangerschaft sind insbesondere bereits bestehende oder neu aufgetretene Rhesus-D- und andere Rhesusinkompatibilitäten. Kell- und Duffy-Inkompatibilitäten bleiben eine Seltenheit. Ohne Anti-D-Prophylaxe bilden rund 7–9% aller rhesusnegativen Mütter mit positivem Kind Rhesusantikörper. Eine ähnlich große Zahl entwickelt Antikörper, die unter der klinischen Nachweisbarkeitsgrenze liegen. Die Prävalenz von klinisch fassbaren Rhesusantikörpern betrug unter der weiblichen Bevölkerung vor der Einführung von Anti-D ca. 0,5–1%. Seit der Einführung des Anti-D Ende der 1960er Jahre sind Erythroblastosen wesentlich seltener geworden. In den USA und in Kanada registrierte man eine Senkung der Inzidenz von 0,9–1% (vor Verfügbarkeit von Anti-D) auf etwa 0,13%. Eine weitere Senkung konnte durch die Einführung einer erweiterten Rhesusprophylaxe bei 28 SSW erzielt werden (Koelewijn et al. 2008; 7 Kap. 22.2.7). Die verbleibenden Schwangerschaften mit Rhesusinkompatiblität können heutzutage relativ gut therapiert werden, der Aufwand ist allerdings erheblich (Hughes et al. 1994).
459 22.2 · Erythrozytäre Inkompatibilitäten
. Tab. 22.1. Häufigkeit geburtshilflich relevanter Blutgruppen bezogen auf verschiedene Ethnien
Blutgruppenmerkmal
Häufigkeit Mitteleuropa [%]
Häufigkeit Schwarzafrika [%]
Häufigkeit Asien [%]
A
47
27
28
0
41
49
43
B
11
20
27
AB
5
4
5
Rh-D-positiv
85
95–97
99
Rh-D-negativ
15
3–5
1
Kell-negativ
91
98
99,5
Kell-positiv
9
2
0,5
> Eine AB0-Inkompatibilität zwischen Mann und Frau bietet einen gewissen Schutz vor einer Sensibilisierung, da durch reguläre Antikörper (IgM) fetale Erythrozyten abgebaut werden, bevor es zu einer Antikörperbildung gegen Rhesusantigene kommt.
22.2.3
Ätiologie
Durch fetomaternale Bluttransfusionen kommt es zur Immunisierung der Mutter gegen fetale Blutkomponenten. Dabei werden Immunglobuline der Klasse IgG gebildet, die aktiv transplazentar transportiert werden und zur Schädigung an den fetalen roten Blutkörperchen führen können. Eine Immunisierung im 1. Trimenon wurde spontan nicht nachgewiesen, da die Blutmengen wahrscheinlich noch zu gering sind. Hingegen kann sie mit einer Häufigkeit von etwa 4% bei vaginalen Blutungen oder Abortkürettagen auftreten. Im 2. und 3. Trimenon kommt es spontan bei etwa 1% zu einer Sensibilisierung. Einen Einfluss haben auch invasive pränataldiagnostische Eingriffe wie die Chorionbiopsie oder Amniozentese (Risiko 2–5%). Am häufigsten findet eine Sensibilisierung jedoch bei Geburt statt, durch eine verstärkte Einschwemmung von fetalen Erythrozyten in den mütterlichen Kreislauf. Man rechnet mit einer Sensibilisierungshäufigkeit von 4–9%. Untersuchungen in den 1960er Jahren konnten zeigen, dass die Gefahr proportional zur eingeschwemmten Blutmenge ist. Bei Mengen <0,1 ml sind lediglich 3% der Mütter binnen 6 Monaten nach Geburt sensibilisiert, bei Blutmengen ≥0,1 ml sind dies 22%. > Bei der Rhesus-D-Immunisierung sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen (1,5:1).
Von allen geburtshilflich bedeutungsvollen Blutgruppenantigenen sind heutzutage die Proteinstruktur, das entsprechende Gen und der zugrunde liegende Polymorphismus auf Proteinund DNA-Ebene bekannt (. Tab. 22.2). Alle anderen Blutgruppenantigene spielen für einen M. haemolyticus neonatorum keine Rolle.
Neuere Erkenntnisse aus der Molekularbiologie haben gezeigt, dass die Rhesusproteine in 2 Hauptproteine eingeteilt werden können: ein Rh-D-Protein und ein Rh-CE-Protein. Die Antigenmerkmale C und E sind dabei Epitope ein und desselben Proteins (Avent 2000). Die beiden Rhesusgene liegen unmittelbar benachbart auf dem kurzen Arm des Chromosoms 1, werden also immer zusammen weitervererbt. Aufgrund dieser Tatsache lassen sich Allelfrequenzen für sog. Haplotypen bestimmen. Nach Wiener impliziert R dabei Rhesus-D-positiv, r Rhesus-D-negativ. Durch Kombinationen dieser Haplotypen bzw. der Allelbestimmung des C- und E-Proteins lässt sich umgekehrt auch abschätzen, ob ein Individuum eher homozygot oder heterozygot für Rhesus D ist. So sind Rh-D-positive Männer mit einer Blutgruppe CCDee, cCDEE, cCDeE und ccDEE sehr wahrscheinlich D-homozygot, umgekehrt solche mit cCDee, ccDeE und ccDee sehr wahrscheinlich D-heterozygot. Bei den Letztgenannten lohnt sich demzufolge eine Bestimmung der fetalen Blutgruppe aus dem Fruchtwasser. Die Rhesusproteine sind schlangenförmig in die Membran eingelassen und spielen u.a. für die Stabilität der Erythrozytenmembran eine wichtige Rolle (. Abb. 22.1). Beim seltenen Fehlen von Rhesusproteinen kommt es zur Stomatos-
. Tab. 22.2. Geburtshilflich wichtige Antikörper mit entsprechendem Genlocus und Veränderungen auf DNA-Ebene. (Nach Cartron 1994)
Antikörper
Genlocus
Polymorphismus
Anti-D
1p34–36
Bei D-negativen Individuen Gen fehlend
Anti-c/C
1p34–36
Nukleotidtausch Exon 1 und 2
Anti-e/E
1p34–36
Nukleotidtausch Exon 5
Anti-Kell (Kell 1/2)
7q33
C-zu-T-Tausch Exon 6
Anti-Duffy
1q22–23
G-zu-A-Tausch Nukleotid 306
22
460
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
. Abb. 22.1. Schematische Darstellung des Rhesusproteins. Sowohl das N- wie das C-Terminal liegen intrazellulär. Aus der Zelle heraus ragen 5 Schlingen, die für die Antigenwirkung verantwortlich sind: Die mit schwarzen Punkten markierten Stellen zeigen die unterschiedlichen Aminosäuren zwischen dem Rhesus-D- und dem cC/eE-Protein. (Nach Cartron 1994)
phärozytose mit hämolytischer Anämie. Daneben bilden Rh-Proteine zusammen mit dem Duffy-Protein und rhesusassoziierten Proteinen (CD47, LW/ICAM-4, Rh50, GPB) einen Membrankomplex, der beim Glykoprotein- und Ionentransport eine Rolle spielt (Cartron 1994).
22.2.4
Bedeutung für die perinatale Mortalität und Morbidität
In 25–35% der Fälle mit fetomaternaler Rhesus-D-Inkompatibilität verläuft die Schwangerschaft ohne Probleme. Neonatal kommt es jedoch zu einer Anämie, vergesellschaftet mit einer Hyperbilirubinämie, die ohne Therapie zum Kernikterus und damit zur kindlichen Hirnschädigung führen kann. Dieses Problem lässt sich dank der Phototherapie und der Möglichkeit eines Blutaustauschs gut beherrschen. In weiteren, rund 20–25% der Fälle kommt es bereits während der Schwangerschaft zur fetalen hämolytischen Anämie. Dies führt zu einer gesteigerten Erythropoese mit ausgeprägter extramedullärer Blutbildung in Leber und Milz. Durch den verstärkten Zellabbau ist das indirekte Bilirubin erhöht, was zu einer Gelbverfärbung des Fruchtwassers führt. Bei einer ausgeprägten fetalen Anämie kann es zum Hydrops fetalis mit Herzinsuffizienz und konsekutiv zum intrauterinen Fruchttod kommen. Der genaue pathogenetische Mechanismus der Hydropsentstehtung ist dabei noch ungeklärt. > Eine Sonderstellung nimmt die Kell-Inkompatibilität ein. Weil das Kell-Antigen bereits auf den sehr frühen erythrozytären Vorstufen exprimiert wird, kommt es zu einer Hemmung der »colony forming units« und der »burst forming units« auf Knochenmarkebene. Es resultiert damit keine hämolytische, sondern eine hypoproduktive Anämie. Dementsprechend ist das Bilirubin im Fruchtwasser nicht erhöht, was diagnostisch von großer Bedeutung ist.
22
22.2.5
Klinische Beurteilung
Werden bei einer Schwangeren irreguläre Blutgruppenantikörper nachgewiesen, so stellen sich folgende Fragen:
4 Hat das Kind die betreffende Blutgruppe geerbt? 4 Falls ja, ist das Kind anämisch, d. h.: Benötigt es intrauterine Transfusionen? Bei der Frage nach der fetalen Blutgruppe wird zunächst die Blutgruppe des Partners bestimmt. Bei Rhesus c/C, e/E, Kell und Duffy kann der Genotyp serologisch einfach bestimmt werden. Beim Rhesus-D-Merkmal ist dies serologisch nicht möglich, gelingt aber seit einigen Jahren über eine DNA-Analyse (van der Schoot 2008). > Wenn der Vater heterozygot ist für die relevante Blutgruppe, kann seit kurzem die fetale Blutgruppe nicht-fetal-invasiv aus dem mütterlichen Plasma bestimmt werden (van der Schoot 2009). Während das Rhesus D in zahlreichen Labors bestimmt werden kann, sind andere Blutgruppenbestimmungen nur in wenigen ausgewählten Zentren möglich. Kell scheint dabei noch eine diagnostische Hürde zu sein.
Liefert die fetale Blutgruppenbestimmung aus dem mütterlichen Plasma kein schlüssiges Ergebnis, kann alternativ die Blutgruppe zuverlässig mittels Amniozentese ermittelt werden. Hat das Kind tatsächlich die betreffende Blutgruppe geerbt, so gilt es, möglichst nicht invasiv abzuschätzen, ob eine transfusionspflichtige Anämie vorliegt. Dazu sind verschiedene Verfahren beschrieben worden.
Serologische Methoden Die älteste Methode ist die Bestimmung des Antikörpertiters mittels des indirekten Coombs-Tests (ICT; engl.: »indirect antiglobulin test«, IAT). Bei einem Rhesus-D-Titer von <1:16 ist eine transfusionspflichtige Anämie sehr selten, sodass sich i. d. R. außer Titerkontrollen keine weiteren Maßnahmen aufdrängen. Bei einem Titer ≥1:16 ist eine Anämie möglich, die Korrelation zwischen Titerhöhe und Anämiegrad ist aber relativ schlecht. Das Gleiche gilt, wenn statt Titer semiquantitativ die Rhesusantikörpermenge in IE/ml gemessen wird, wie aus . Abb. 22.2 ersichtlich ist. Ein weiteres Problem wurde durch den Wechsel der Bestimmungsmethode vom Coombs-Röhrchentest auf das System »ID« der Firma Diamed geschaffen. Durch die wesentlich sensitivere Bestimmungsmethode werden bereits Spuren von
461 22.2 · Erythrozytäre Inkompatibilitäten
. Abb. 22.3. Photometrische Bestimmung des Bilirubins im Fruchtwasser bei einer Wellenlänge von 450 nm. Zone I: geringe Anämiegefahr, Zone II: Anämie möglich/wahrscheinlich, Zone III: Anämie sehr wahrscheinlich. (Nach Liley 1961)
. Abb. 22.2. Hämoglobindefizit (Y-Achse) in Abhängigkeit von der Anti-D-Konzentration ( : Rh-affizierte Schwangerschaft, +: Hydrops). Unter einer Grenzkonzentration von 10 IE/ml ist kaum mit einer Anämie zu rechnen. Mit zunehmender Anti-D-Konzentration wird eine Anämie zwar wahrscheinlich, trotzdem weisen auch bei sehr hohen Werten einzelne Feten noch einen normalen Hb-Wert auf. (Nach Nicolaides u. Rodeck 1992)
Anti-D nachgewiesen, sodass der Grenzwert von 1:16 mit diesem neuen System keine Gültigkeit mehr hat. Vergleichende Untersuchungen haben gezeigt, dass das ID-System rund 3 Titerstufen höhere Ergebnisse liefert als das alte System (Katzorke 1995). In Einzelfällen wurden jedoch Differenzen bis 8 Stufen nachgewiesen. ! Bis größere Erfahrungen mit dem ID-System vorliegen, sollten sich klinische Entscheidungen ausschließlich auf die Ergebnisse mit dem alten System stützen.
Seit einigen Jahren sind auch biologische, meist auf Monozyten basierende Testsysteme beschrieben worden, die eine Aussage über die Aggressivität von Antikörpern machen können und so evtl. eine zuverlässigere Einschätzung des fetalen Hämatokrits ermöglichen (Nance et al. 1989). Die meisten Tests sind jedoch noch im Versuchsstadium und nicht überall verfügbar.
ΔOD 450 Im Jahr 1961 hat Liley eine weitere Möglichkeit zur Abschätzung des Anämiegrades beschrieben, nämlich die photometrische Bestimmung des Bilirubins im Fruchtwasser bei einer Wellenlänge von 450 nm (optische Dichte bei 450 nm; . Abb. 22.3). Der Nutzen dieser Bilirubinbestimmung wird aber durch mehrere Faktoren eingeschränkt. Zum einen ist die Kurve erst
ab 27 SSW geeicht. Zum anderen liefert das Verfahren lediglich eine Momentaufnahme. Damit ist es nur bedingt geeignet für ein longitudinales Monitoring. Zudem ist die Methode invasiv. Schließlich zeigen Daten aus den 1990er Jahren, dass ähnlich wie bei der Titerbestimmung bei höheren Bilirubinkonzentrationen die Korrelation zum Hämoglobindefizit deutlich abnimmt (Nicolaides 1993). Die Aussagekraft bezüglich einer fetalen Anämie ist deshalb insgesamt limitiert (. Abb. 22.4).
Ultraschall Morphologische Befunde im Ultraschall wie Hydrops fetalis, vergrößertes Herz, dicke Plazenta, Polyhydramnion, große Leber und Milz deuten ebenfalls auf eine fetale Anämie hin, sind aber fast alles Spätzeichen (Oepkes 1993) und eignen sich für eine Früherfassung einer fetalen Anämie nur bedingt. Wird eine Therapie erst bei Vorhandensein eines Hydrops begonnen, dann ist der Therapieerfolg deutlich geringer.
Chordozentese Goldstandard ist selbstverständlich die direkte Hämoglobinkonzentrationsbestimmung in der Nabelschnur via Chordozentese (Daffos et al. 1983). Nachteilig an dieser Methode sind die eingeschränkte Verfügbarkeit, eine Komplikationsrate von rund 2–3%, die Gefahr einer Boosterung sowie wiederum die Tatsache, dass lediglich eine Momentaufnahme vorliegt.
Dopplersonographie Pulsationen in der Nabelvene und quantitative Geschwindigkeitsmessungen in der Aorta oder der A. cerebri media deuten ebenfalls auf eine Anämie hin (Oepkes 1993). Nach eigener Erfahrung eignet sich für ein nicht invasives Monitoring am besten die von Mari et al. (1995) beschriebene Messung der systolischen Maximalgeschwindigkeit in der A. cerebri media. Die Ergebnisse wurden in der Zwischenzeit retrospektiv und prospektiv bestätigt (Mari et al. 2000; Zimmermann et al. 2002). Oepkes et al. (2006) schließlich haben in einer prospektiven Studie einen direkten Vergleich der Aussagekraft der
22
462
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
. Abb. 22.4. Hämoglobindefizit (diesmal auf der X-Achse) in Abhängigkeit von der Bilirubinkonzentration, ausgedrückt in Vielfachen der Standardabweichung des DE450. Bei nicht hydropischen Feten ( ■ ) nimmt die Anämiewahrscheinlichkeit mit zunehmendem DE zu, zeigt allerdings analog zu den Anti-D-Konzentrationen eine große Streubreite. Interessanterweise kommt es bei den hydropischen Feten ( ) zu einer Umkehr dieser Korrelation. (Nach Nicolaides u. Rodeck 1992)
Dopplermessung in der A. cerebri media und der Fruchtwasserbilirubinbestimmung vorgenommen und zeigen können, dass die nichtinvasive Dopplersonographie der invasiven Amniozentese deutlich überlegen ist. Die serielle Dopplermessung zur Anämiediagnostik und Überwachung von Feten im Rahmen von Nabelschnurtransfusionsprotokollen ist somit zum klinischen Standard geworden. In der Praxis wird man bei erhöhten Titern auf die Dopplersonographie wechseln und je nach Resultat die Indikation zur Chordozentese in Transfusionsbereitschaft stellen. In . Abb. 22.5 wird das derzeit aktuelle Vorgehen an der Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital Zürich dargestellt.
fusion in die Nabelschnurvene abgelöst worden. Je nach Gestationsalter beim erstmaligen Auftreten einer transfusionspflichtigen Anämie sind eine oder mehrere serielle Bluttransfusionen nötig (Vetter u. Favre 1990). Verwendet wird 0-negatives, filtriertes, bestrahltes, gewaschenes und infektiologisch getestetes Blut. Der Hämatokrit soll möglichst ≥80% liegen. Eine Bestrahlung ist sinnvoll, weil damit einer Graft-vs.-host-Reaktion vorgebeugt werden kann. Der Waschprozess eliminiert Spenderserum, was sich günstig auf die Viskosität der Blutkonserve auswirkt. Die Transfusionsmenge hängt ab vom fetalen Gewicht und vom Ausgangshämatokrit. Um die Zahl der Chordozentesen niedrig zu halten, wird in Transfusionsbereitschaft der fetale Hämatokrit bestimmt. Gleichzeitig wird das mittlere korpuskuläre Volumen (MCV) bestimmt, das bei Werten von deutlich >100 zuverlässig darüber Auskunft gibt, ob es sich tatsächlich um Fetalblut handelt. Während die Hk-Bestimmung läuft, wird mit der Transfusion begonnen. Falls der bestimmte Hk >50 liegen sollte, wird die Transfusion abgebrochen. Das zu transfundierende Volumen V berechnet sich aus dem fetoplazentaren Sollvolumen Vt, das 100 ml pro kg geschätzten Körpergewichts beträgt, aus der Hämatokritdifferenz (Ziel/Start) und dem Hämatokrit der Konserve nach folgender Formel: HkZiel – HkStart V = Vt × 086 HkTransfundat Der angestrebte HkZiel liegt in der Größenordung von 50–60%, der HkTransfundat sollte in der Größenordnung von 90% sein. Die Transfusionsgeschwindigkeit soll langsam sein, da sonst die Gefahr besteht, dass durch den Blutstrahl die Nabelschnur aus der Nadel gleitet. > Bei hydropischen Feten muss bei der ersten Transfusion das Volumen kleiner gewählt werden, um einer Herzüberlastung vorzubeugen. Wenige Tage nach der ersten Transfusion erfolgt die zweite, sodass der Anteil an Erwachsenenblut bereits >80% liegt. Danach kann das Intervall auf 2–3 Wochen ausgedehnt werden.
22.2.7 22.2.6
Leberenzyminduktion Untersuchungen Ende der 1960er Jahre haben gezeigt, dass mit einer Therapie mit Phenobarbital an die Mutter erfolgreich eine Leberenzyminduktion erreicht werden kann, sodass neonatal der zu erwartende Ikterus deutlich milder verläuft (Walker 1970). Es wird dazu eine tägliche abendliche Dosis von 100 mg verabreicht.
22
Prävention
Management bei fetaler Anämie
Blutersatztherapie Die vor 1985 praktizierte intraabdominale Bluttransfusion ist in den letzten Jahren fast vollständig durch die direkte Trans-
Mitte der 1960er Jahre konnte gezeigt werden, dass eine Sensibilisierung auf Rhesus-D-positives Blut durch die Verabreichung einer genügend großen Menge Anti-D in fast allen Fällen verhindert werden kann. Die Wirksamkeit dieser Methode wurde in der Folge durch randomisierte Studien gesichert (Combined Study 1966). Ende der 1960er Jahre war in den meisten industrialisierten Ländern konzentriertes Anti-D für eine postpartale Prophylaxe verfügbar, was zu einer drastischen Reduktion der Rhesusfälle geführt hat. Heute gehören die Rhesusblutgruppenbestimmung und die Suche nach irregulären Blutgruppenantikörpern zu den nachweislich nützlichen Maßnahmen während der Schwan-
463 22.2 · Erythrozytäre Inkompatibilitäten
. Abb. 22.5. Vorgehen der Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital Zürich bei Blutgruppeninkompatibilität in der Schwangerschaft
gerschaft, die bei jeder Schwangeren anlässlich der ersten Kontrolle durchgeführt werden sollten. Dabei wird neben den oben erwähnten, für den Fetus wichtigen Antikörpern auch nach einer ganzen Reihe anderer Blutgruppenantikörper gesucht. Dies hat auch für die Schwangere eine Bedeutung, da eine Geburt ein erhöhtes Risiko für eine Bluttransfusion darstellt. Wenn ein möglicherweise vorhandener Antikörper bereits in seiner Spezifität abgeklärt ist, kann im Notfall schneller kompatibles Blut bereitgestellt werden. Ein zusätzlicher Antikörpersuchtest bei 24–28 SSW sollte bei allen rhesusnegativen Schwangeren durchgeführt werden. Liegen zu diesem Zeitpunkt keine Antikörper vor, dann soll eine blinde (in Unkenntnis der fetalen Blutgruppe) antenatale Rhesusprophylaxe mit 300 μg Anti-D durchgeführt werden. Diese Dosis genügt, um mindestens 24 ml fetales Blut zu neutralisieren. Die antenatale Prophylaxe ist in der Lage, die Immunisierungsrate nochmals zu halbieren (Koelewijn et al. 2008). Neuere Tendenzen gehen dahin, bei allen Rhesus-Dnegativen Schwangeren zunächst die fetale Blutgruppe aus dem mütterlichen Plasma zu bestimmen und dann die Rhesus-D-Prophylaxe gezielt nur den Schwangeren zu verabrei-
chen, die ein Rhesus-D-positives Kind tragen (van der Schoot et al. 2008). Dabei wird eine Zuverlässigkeit von >99% erreicht. Allerdings hat bis jetzt kein Land diese Methode als Routine eingeführt. Nach der Geburt soll diese Prophylaxe mit 300 μg Anti-D wiederholt werden, sofern das Kind rhesuspositiv ist. Im Anschluss daran soll dokumentiert werden, dass diese Dosis ausreichte. Hierzu wird ein indirekter Coombs-Test durchgeführt, der dann positiv ausfallen muss. > Einzelne Zentren verwenden auch den KleihauerBetke-Test, der auf »fetale« Erythrozyten negativ sein muss. Dieser Test ist im Gegensatz zur landläufigen Meinung unspezifisch und in der Praxis weniger zuverlässig.
In den deutschen Mutterschaftsrichtlinien vom 29. 09. 1992 wurden sowohl indirekter Coombs- sowie Kleihauer-Test wegen Unzuverlässigkeit gestrichen. Als einzige zuverlässige Methode kommt die Flowzytometrie infrage, die im Fall von verbleibenden fetalen Erythrozyten eine zusätzliche Subpopulation von sehr großen roten Zellen zeigt. Mit einem kommer-
22
464
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
. Abb. 22.6. Rhesusprophylaxe in der Schwangerschaft
22
ziellen Kit ist der direkte Nachweis und die Quantifizierung von fetalen Erythrozyten in der mütterlichen Zirkulation mittels Flowzytometrie sehr zuverlässig, auch bei Menschen mit einer Hämoglobinopathie (Porra et al. 2007). Leider verfügen die wenigsten Geburtskliniken über diese apparative Ausrüstung. Mit einer postpartalen und einer indizierten antenatalen Rhesusprophylaxe (bei Abort, Amniozentese etc.) lässt sich eine Sensibilisierung in ca. 90% der Fälle verhindern. Das Versagen dieser Maßnahme in den restlichen 10% der Fälle ist am häufigsten auf eine präpartale spontane Immunisierung zurückzuführen. Dies hat zur Forderung nach der oben erwähnten erweiterten Rhesusprophylaxe bei 28 SSW bei allen Rh-negativen Frauen mit Rh-positivem Partner geführt.
4 Abortus imminens, Abortus incipiens, Abortus incompletus, Abortus completus, »missed abortion«, 4 Extrauterinschwangerschaft, 4 invasive pränatale Diagnostik (Chorionbiopsie, Amniozentese, Chordozentese etc.), 4 invasive pränatale Therapie (Shunteinlagen, Blasenpunktionen, Fetozid etc.), 4 Blutung im 2. oder 3. Trimenon, 4 stumpfes Bauchtrauma, 4 äußere Wendung, 4 intrauteriner Fruchttod, Totgeburt, 4 Thrombozytentransfusion.
> Durch Verabreichung von Anti-D bei 28 SSW kann der direkte Coombs-Test beim Neugeborenen schwach positiv ausfallen, was nicht mit einer Rhesusinkompatibilität verwechselt werden darf.
22.3
Diese kombinierte postpartale und erweiterte antenatale Rhesusprophylaxe ist in etwa 96% der Fälle erfolgreich. Mehrere Fachgruppen haben Empfehlungen zur Durchführung der Rhesusprophylaxe ausgearbeitet, die in ihren wesentlichen Punkten übereinstimmen (ACOG 1990; DiGuiseppi 1996; . Abb. 22.6). Auch die Kosteneffizienz wurde in einer großen Arbeit bestätigt (Chilcott et al. 2003). Eine zusätzliche antenatale Rhesusprophylaxe soll in folgenden Situationen erfolgen:
Thrombozytäre Inkompatibilitäten
Alloimmunthrombopenie (AITP) Die Alloimmunthrombopenie (AITP) bei Fetus und Neugeborenem wird hervorgerufen durch einen transplazentaren Übertritt eines mütterlichen Antikörpers der IgGKlasse, der gegen fetale Thrombozyten gerichtet ist.
Das Krankheitsbild wurde in den 1950er Jahren erstmals beschrieben, doch erst 1964 konnte der Beweis einer echten Inkompatibilität von mütterlichem Serum und kindlichen Thrombozyten geliefert werden.
465 22.3 · Thrombozytäre Inkompatibilitäten
22.3.1
Inzidenz und Epidemiologie
Nach Kaplan beträgt die Inzidenz der AITP ca. 1:2.000 bis 1:5.000. Die klinisch erfassten Fälle sind jedoch meist seltener. Wahrscheinlich gibt es eine große Dunkelziffer von Fällen mit AITP, da klinische Symptome von Neugeborenen (Petechien) verwechselt werden mit einem Neugeborenenexanthem. Zudem ist die Thrombozytenbestimmung keine klinische Routine, sodass wahrscheinlich viele asymptomatische Fälle übersehen werden.
22.3.2
Ätiologie
Neuere Labormethoden (Thrombozytenimmunfluoreszenz, ELISA, RIA) haben es erlaubt, die verantwortlichen mütterlichen Antikörper gegen väterliche bzw. fetale thrombozytenspezifische Antigene in den allermeisten Fällen nachzuweisen. Sie haben auch zur Aufdeckung neuer thrombozytenspezifischer Antigene beigetragen. Bekannt sind bisher 16 verschiedene Antigensysteme. Die in Europa wichtigsten Systeme, ihre phänotypische und genotypische Häufigkeit, der Genpolymorphismus sowie ihr entsprechendes antigentragendes Glykoprotein sind aus . Tab. 22.3 ersichtlich (van den Acker u. Oepkes 2008). Das PlA1-Antigen ist in Mitteleuropa mit 50–75% der Fälle weitaus am häufigsten bei der Entstehung der AITP beteiligt. Seit 2006 wurden auch die Genloci für die 5 Plättchenantigene bekannt, und die verschiedenen Allele wurden auf DNA-Ebene geklärt. Dies macht eine pränatale Bestimmung der Plättchenblutgruppe aus dem Fruchtwasser analog zu den erythrozytären Blutgruppen bei heterozygoten Vätern möglich.
22.3.3
Bedeutung für das Kind
> Durch den Übertritt von antithrombozytären Antikörpern kommt es bereits während der Schwangerschaft zu einer fetalen Thrombopenie (Zimmermann et al. 1993). Eine solche ist bereits ab der 20. SSW möglich.
Entsprechend dem Anstieg des IgG-Gehalts im Fetalblut im Verlauf der Schwangerschaft ist mit zunehmendem Gestationsalter mit einer stärkeren Schädigung der fetalen Thrombozyten zu rechnen. Anders als bei der Immunthrombopenie (ITP), bei der präpartale Hirnblutungen eine ausgesprochene Rarität darstellen, scheint bei einer AITP das Risko einer präpartalen Hirnblutung ca. 10% zu betragen. Trotz der Möglichkeit einer vorgeburtlichen Schädigung ist die Gefahr einer peripartalen oder neonatalen Hirnblutung weitaus größer (bis zu 20%). > Bei Thrombozyten zwischen 50×109/l und 100×109/l sind Hirnblutungen eine Rarität, unter 50×109/l nimmt die Blutungsneigung zu, und unter 30×109/l scheint das Risiko erheblich.
Bei einer Risikokonstellation (z. B. Mutter PlA1-negativ, Kind PlA1-positiv; 7 unten) tritt in >50% der Fälle eine AITP bereits in der ersten Schwangerschaft auf. Auch für andere Antigene ist beschrieben, dass Immunisierungen bereits in der ersten Schwangerschaft vorkommen, allerdings liegen für diese noch keine Inzidenzstudien vor. Die Häufigkeit der Immunisierung liegt damit weit über den Beobachtungen beim M. hämolyticus neonatorum. Offenbar gelangen fetale Thrombozyten leichter und früher in den mütterlichen Kreislauf, als dies für Erythrozyten der Fall ist. Das Wiederholungsrisiko bei homozygoten Vätern beträgt nahezu 100%, wobei die fetale Thrombopenie in den weiteren Schwangerschaften i. d. R. ausgeprägter ist.
22.3.4
Management
Planung der Schwangerschaft Betroffene Eltern sollten vor einer nächsten Schwangerschaft genau über die Krankheit und die Risiken aufgeklärt werden. Sie sollten wissen, dass eine optimale Betreuung der Schwangerschaft nur in einem geburtshilflichen Zentrum (mit Erfahrung in Chordozentese) in enger Zusammenarbeit mit einer Neonatologieabteilung und einem spezialisierten hämatologischen Labor (Thrombozytenbereitstellung) möglich ist. In diesem Zusammenhang sollte auch eine detaillierte Familienanamnese erhoben werden. Insbesondere ist es von Wichtigkeit, dass Schwestern der betroffenen Frau ebenfalls mittels Blutplättchenanalyse abgeklärt werden.
Betreuung während der Schwangerschaft Diagnostik und Antikörpertiter Da eine Thrombopenie häufig schon beim ersten Kind auftritt, sollte dem Verdacht einer Alloimmunthrombopenie sofort nachgegangen werden. Dazu gehören die Bestimmung der Plättchenblutgruppen bei beiden Eltern sowie der Nachweis von antithrombozytären Antikörpern. Das Ausmaß einer fetalen Thrombopenie korreliert mit der Konzentration von antithrombozytären Antikörpern (Kjaer Killie et al. 2008). Eine Antikörperkonzentration >3,0 IU/ml bei 22 und/oder 34 SSW hatte eine Sensitivität von 93% bezüglich der Vorhersage einer schwerwiegenden neonatalen Thrombopenie. Differenzialdiagnostisch muss von der Alloimmunthrombopenie die Autoimmunthrombopenie abgegrenzt werden. Bei Letzterer handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung der Mutter mit gegen Plättchen gerichteten Antikörpern. Dementsprechend weist die Schwangere selbst immer erniedrigte Plättchenzahlen auf. Obwohl solche Antikörper ebenfalls transplazentar zum Fetus gelangen können, ist eine fetale Gefährdung im Gegensatz zur Alloimmunthrombopenie beinahe inexistent.
Sonographische Kontrollen Durch eine genaue Untersuchung des fetalen Schädels kann eine Hirnblutung oder ein Hydrozephalus als Folge einer Blutung frühzeitig entdeckt werden, sodass u. U. ein Schwangerschaftsabbruch noch vor Erreichen der Lebensfähigkeit disku-
22
466
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
. Tab. 22.3. Thrombozytenantigensysteme, Häufigkeit und Lokalisation (HPA »human platelet antigen«)
22
Thrombozytenantigen
Nukleotidtausch Aminosäurentausch
Nomenklatur 1992
Häufigkeit [%] (gerundet, weiße Bevölkerung)
Antigentragendes Glykoprotein
PlA1 (Zwa)
T 176 Leu 33
HPA-1a
69 28
GP IIIa
Pl A2 (Zwb)
C176 Pro33
HPA-1b
3
GP IIIa
Koa
T482 Met I45
HPA-2a
0,5 13,5
GP Ib
Kob
C482 Thr I45
HPA-2b
86
GP Ib
Baka (Leka)
T2621 Ile843
HPA-3a
88
GP IIb
Bakb
G2621 Ser843
HPA-3b
64
GP IIb
Pena (Yuka)
G506 Arg143
HPA-4a
99,9
GP IIIa
Penb (Yuk b)
A506 Gln I43
HPA-4b
0,2
GP IIIa
Bra
A1600 Lys505
HPA-5a
99,2
GP Ia
Brb
G1600 Glu505
HPA-5b
99,2
GP Ia
Caa, Tua
1544 G>A Gln489Arg
HPA-6bw
?
GP IIIa
Moa
1297C>G Ala407Pro
HPA-7bw
?
GP IIIa
Sra
1984 C>T Cys636Arg
HPA-8bw
?
GP IIIa
Maxa
2602 G>A Met837Val
HPA-9bw
?
GP IIb
Laa
263 G>A Gln62Arg
HPA-10bw
?
GP IIIa
Groa
1976 G>A His633Arg
HPA-11bw
?
GP IIIa
Iya
119 G>A Glu I5Gly
HPA-12bw
?
GP Ibβ
Sita
2483 C>T Met799Thr
HPA-13bw
?
GP Ia
Oea
1909_1911 Del AAG Del Lys611
HPA-14bw
?
GP IIIa
Govb
C2108 Ser703
HPA-15a
?
CD 109
Gova
A2108 Tyr 703
HPA-15b
?
CD 109
Duva
497 C>T Thr I 40Ile
HPA-16bw
?
GP IIIa
467 22.3 · Thrombozytäre Inkompatibilitäten
tiert werden kann. Umgekehrt soll bei einem unklaren Hydrozephalus an die Möglichkeit einer AITP gedacht werden.
Fetale Blutplättchengruppe Bei heterozygoten Vätern lohnt sich eine fetale Blutplättchengruppenbestimmung. Standard dabei ist derzeit noch eine Amniozentese mit PCR aus fetalen Zellen. In naher Zukunft ist jedoch wie bei den Erythrozyteninkompatibilitäten eine DNA-Diagnostik aus dem maternalen Plasma zu erwarten.
Intrauterine Therapie Bis jetzt wird die optimale Therapie bei nachgewiesener Alloimmunthrombopenie noch kontrovers diskutiert (Kanhai et al. 2007). Thrombozytentransfusionen. Von den früher empfohlenen
wöchentlichen Thrombozytentransfusionen sind die meisten Zentren aufgrund des hohen Aufwands und der bei seriellen Transfusionen gehäuften Komplikationen wieder abgekommen. Hoch dosierte IgG-Therapie über die Mutter. Die Versuche,
durch Verabreichung von IgG an die Mutter das Kind zu behandeln, werden kontrovers interpretiert.
Studienbox Bussel et al. (1997) verabreichten der Mutter 1 g IgG pro kg KG/Woche ab Feststellung der Thrombopenie bis zur Geburt. Trotz dieser Maßnahme lagen die Plättchenwerte bei Geburt lediglich bei 25×109/l (und damit auch durchweg niedriger als bei den vorausgegangenen Geschwistern). Immerhin konnte die Wahrscheinlichkeit einer Hirnblutung von 20% bei unbehandelten vorausgegangenen Geschwistern auf 1% gesenkt werden. Da es sich nicht um eine randomisierte Studie handelt, steht der Beweis, dass diese Reduktion tatsächlich auf die Immunglobuline zurückzuführen ist, jedoch aus. Denkbar ist ein solcher Erfolg auch durch eine intensivere Schwangerschaftsbetreuung bzw. die prophylaktische Sectio.
Europäische Autoren haben das fehlende Ansteigen der Plättchenzahl unter Immunglobulinen als Misserfolg eingestuft. Zum heutigen Zeitpunkt kann eine IgG-Behandlung via Mutter somit noch nicht als Therapie der Wahl bezeichnet werden, auch wenn sie sich im amerikanischen Raum etabliert hat. Der Haupthinderungsgrund angesichts der nicht sicher belegten Wirksamkeit liegt insbesondere bei den Kosten dieser Therapie: Bei einem Preis von z. B. rund 35 Euro bzw. 50 SFr pro g IgG muss mit Gesamtkosten von bis zu 40.000 Euro bzw. 60.000 SFr gerechnet werden. IgG-Therapie des Fetus. Neonatal kann eine AITP erfolgreich mit Immunglobulinen behandelt werden. In Analogie wurde deshalb die Infusion von IgG-Präparaten durch eine Chordozentese durchgeführt (Zimmermann u. Huch 1992).
In einem ersten Fallbericht stiegen die Thrombozyten unter IgG von 50×109/l auf annähernd 200×109/l an. Dieser Therapieerfolg konnte jedoch nicht reproduziert werden. Zudem beinhaltet die IgG-Transfusion wiederum das bereits genannte Chordozenteserisiko. Konservatives Vorgehen. Bei Fehlen einer erwiesenermaßen wirksamen und gleichzeitig risikoarmen Therapie kann fatalistisch auch auf eine Therapie während der Schwangerschaft verzichtet werden. Dieses Vorgehen ist zumindest mit dem ärztlichen Leitsatz »Primum nihil nocere« gut kompatibel, auch wenn es nicht dem aktiven Naturell vieler Ärzte entspricht. Tipp Bei Fehlen von klaren therapeutischen Empfehlungen scheint es am sinnvollsten, Nutzen und Risiken der verschiedenen Vorgehensweisen zusammen mit dem betroffenen Elternpaar zu besprechen und gemeinsam eine individuelle Vorgehensweise festzulegen.
Betreuung während der Geburt Da das Risiko einer thrombopeniebedingten präpartalen Hirnblutung rund 10% beträgt und mit der Dauer der Schwangerschaft ansteigt, sollte so früh wie möglich entbunden werden. Dieses Risiko muss jedoch gegen das Hirnblutungsrisiko von Frühgeburten abgewogen werden. Tipp Je nach Thrombozytenzahl und Ansprechen auf eine Therapie wird ein Entbindungszeitpunkt zwischen 34 und 37 SSW gewählt. Analog zum Management bei mütterlicher ITP wird empfohlen, bei Vorliegen einer fetalen Thrombopenie unter 100×109/l mittels Sectio zu entbinden, da man annimmt, dass dies das schonendere Verfahren ist. Größere Fallstudien zum Beweis dieser Hyothese liegen jedoch nicht vor (und sind wahrscheinlich aus ethischen Gründen kaum durchzuführen).
Da das Risiko einer Hirnblutung bei AITP peripartal am größten ist, sollten vor der Entbindung kompatible Thrombozyten bereitgestellt werden. Von einigen Autoren wird auch empfohlen, unmittelbar vor Geburt das Ausmaß der fetalen Thrombopenie in Thrombozytentransfusionsbereitschaft mittels Chordozentese abzuklären und ggf. Thrombozyten gleichzeitig zu transfundieren. Ob nach erfolgreicher Korrektur der Thrombopenie ohne Risiko vaginal entbunden werden darf, ist bislang unklar.
22.3.5
Prävention
Derzeit ist keine wirksame Prävention bekannt. Das Problem ist auch zu selten, als dass in der nächsten Zukunft eine Prävention analog zur Rhesusprophylaxe zu erwarten wäre. Immerhin haben norwegische Kollegen gezeigt, dass ein Screening
22
468
Kapitel 22 · Alloimmunerkrankungen
in einer großen Schwangerenpopulation möglich (KjeldsenKragh 2007) und auch nach ihren Berechnungen kosteneffizient ist (Kjaer Killie 2007). Bislang hat aber noch kein Land ein solches Screeningprogramm umgesetzt.
Literatur
22
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IV
IV Pathologie in der Schwangerschaft 23
Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns H. Schneider
– 471
24
Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte H. Schneider, H. Helmer
– 511
25
Früher vorzeitiger Blasensprung C. Egarter, K. Reisenberger
26
Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie – 569 T. Kohl, U. Gembruch
27
Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) H. Schneider, K.T.M. Schneider
28
Fetale Programmierung E. Schleußner
29
Blutungen im 3. Trimenon F. Kainer
– 633
30
Antepartale Überwachung K.T.M. Schneider, J. Gnirs
– 647
– 617
– 557
– 587
23 23 Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns 23.1
Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs für die Geburtsauslösung – 472 H. Schneider
23.1.1 23.1.2 23.1.3
Auto- und parakrine Vorgänge in dem fetomaternalen Grenzbereich – 472 Physiologie der Geburtsauslösung – 473 Pathogenese der vorzeitigen Wehentätigkeit und der spontanen Frühgeburt – 475 Fruchtwasser als zusätzlicher Weg für die Kommunikation zwischen dem Fetus und dem fetomaternalen Grenzbereich – 477
23.1.4
23.2
Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn – 477 H. Helmer, P. Husslein
23.2.1 23.2.2 23.2.3 23.2.4 23.2.5 23.2.6
Aktivitätsphasen des Myometriums während der Schwangerschaft – 478 Struktur und Funktion des Myometriums – 478 Koordination der Kontraktilität des Myometriums – 479 Endokrine Regulierung des Myometriums – 482 Funktionsänderungen bei Wehenbeginn – 486 Rolle mechanischer Signale bei der Wehenentstehung – kontraktionsassoziierte Proteine – 489 Zytokine – 490 Stickstoffmonoxid (NO) – 491
23.2.7 23.2.8
23.3
Rolle der Eihäute für den physiologischen und pathologischen Geburtsbeginn – 492 C. Egarter
23.3.1 23.3.2 23.3.3 23.3.4
Struktur der Eihäute – 492 Lokale biochemische Veränderungen der Eihäute bei Blasensprung – 492 Rolle der Infektionen bezüglich Blasensprung und Wehentätigkeit – 493 Andere Beeinflussungsmöglichkeiten der Eihäute – 494
23.4
Physiologie und Pathologie der Zervixreifung – 495 S. Pildner von Steinburg, E. Lengyel
23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4 23.4.5
Einleitung – 495 Zervixerweichung – 496 Bindegewebeveränderungen der Zervixreifung – 496 Zelluläre Komponenten der Zervix – 498 Humorale Mediatoren der Zervixreifung: Hormone, Stickoxid und Prostaglandine – 499 Zervixreifung als physiologische Entzündungsreaktion – 500 Ausblick – 502
23.4.6 23.4.7
Literatur – 502 H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
23
472
Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
23.1
Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs für die Geburtsauslösung H. Schneider
Das kontraktionsfreie Myometrium bietet zusammen mit den Eihäuten und der geschlossenen Zervix dem Fetus eine geschützte Umgebung für eine ungestörte Entwicklung. In dem Grenzbereich bestehend aus Dezidua und Zervix einerseits und der Plazenta mit den Eihäuten andererseits kommt es zu einem direkten Kontakt zwischen mütterlichen und fetalen Geweben. Der Schutz des hemiallogenetischen Embryos vor Abstoßungsreaktionen des mütterlichen Immunsystems sowie die Versorgung des Fetus, die durch die speziellen Gewebsstrukturen, die sich in dieser Kontaktzone in der Frühschwangerschaft entwickeln, gewährleistet wird, sind für die erfogreiche Schwangerschaft von zentraler Bedeutung. Dieser Bereich entwickelt ferner endokrine Funktionen, durch die die Anpassung des mütterlichen Organismus an die besonderen Bedürfnisse einer Schwangerschaft erst möglich wird. Über para- und autokrine Steuerungsmechanismen mit der Synthese von Peptiden und Zytokinen und die endokrine Verbindung mit der mütterlichen und der fetalen HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HH-NNR) wird während der Schwangerschaft die Ruhigstellung des Myometriums und die strukturelle Integrität der Zervix und der Eihäute sichergestellt. Dabei spielt Progesteron als Steroidhormon, dessen Produktion am Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels vom Corpus luteum auf die Plazenta übergeht, eine wichtige Rolle. Als Vorbereitung auf die Geburt kommt es durch eine Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen den die Schwangerschaft erhaltenden Einflüssen und solchen, die den Beginn des Geburtsgeschehens begünstigen zu einer Auflockerung des Zervixgewebes sowie einer Abnahme der Reißfestigkeit der Eihäute. Aus einer erhöhten Kontraktilität des Myometriums entwickelt sich mit dem Beginn der Geburt eine regelmäßige Wehentätgkeit. Für diese Veränderungen spielen das Neuropeptid CRH, Prostaglandine und Proteasen, die in den Geweben des fetomaternalen Grenzbereichs gebildet werden, zusammen mit den Streoidhormonen Östrogen und Kortisol eine zentrale Rolle. Das Geburtsgeschehen kann durch eine vorzeitige Aktivierung der fetalen HH-NNR-Achse durch hypoxisch-ischämische Läsionen im Plazentagewebe oder auch durch chronischen mütterlichen Stress frühzeitig in Gang gesetzt werden. Aszendierende oder systemische Infektionen, retroplazentare Blutungen in die Dezidua sowie eine pathologische Überdehnung des Myometriums und der Eihäute sind andere pathogenetische Mechanismen, die über eine Störung der auto-/parakrinen Homöostase in der fetomaternalen Region zu einer Frühgeburt führen können. Dabei bestehen in Abhängigkeit von der jeweiligen Ätiologie durchaus Unterschiede in der kaskadenförmig ablaufenden Reaktionsfolge, wobei die Endpunkte in Form von Wehen, Zervixreifung und Blasensprung gesetzt sind. Es können sich allerdings durch deren zeitliche Reihenfolge unterschiedliche Geburtsabläufe ergeben. Das Verständnis der molekularbiologischen Grundlagen zusammen mit den zellulären Abläufen sowie deren Unterschiede je
nach Ätiologie der drohenden Frühgeburt sind Basis für den gezielten Einsatz der verschiedenen therapeutischen Maßnahmen wie Antibiotika, Tokolyse und eine Beschleunigung der Lungenreifung des Fetusses. Die Wahl des Zeitpunktes sowie die Art der vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft durch Einleitung der Geburt, Wehenstimulation oder durch eine Sectio muss den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls angepasst werden. Im Folgenden wird v. a. auf die Vorgänge im fetomaternalen Grenzbereich und deren endokriner Interaktion mit der fetalen und der mütterlichen HH-NNR eingegangen. Einzelheiten der molekular- und zellbiologischen Auswirkungen auf das Myometrium, die Zervix und die Eihäute werden in 7 Kap. 23.2–23.4 näher beschrieben.
23.1.1
Auto- und parakrine Vorgänge in dem fetomaternalen Grenzbereich
Der fetomaternale Grenzbereich, bestehend aus der Dezidua, der Plazenta und dem Chorioamnion, wird in der Schwangerschaft zur zentralen Schaltstelle verschiedener Vorgänge und übernimmt Teilfunktionen des mütterlichen HypothalamusHypophysen-Bereichs. Bereits in der Frühschwangerschaft gehen durch die Abgabe einer Vielzahl von Peptiden und Proteinen in den mütterlichen Blutkreislauf wichtige Impulse für die Adaptation des Organismus an die besonderen Bedürfnisse einer Schwangerschaft von dieser Region aus. Die Erhaltung der Schwangerschaft einerseits und die Auslösung der Geburt andererseits sind vom Gleichgewichtszustand verschiedener auto- und parakriner Reaktionen und der Interaktion mit dem mütterlichen und fetalen endokrinen System abhängig.
Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs als zentrale Schaltstelle in der Schwangerschaft 4 Implantation und Plazentation mit Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufes sorgen für immunologischen Schutz sowie die Versorgung des Fetus 4 Para-/autokrine Reaktionen sowie die endokrine Interaktion mit dem fetalen und maternalen Organismus regulieren das »»steady state«» der Schwangerschaft und die Geburtsauslösung
Der Trophoblast und die mütterliche Dezidua sind wichtige Bestandteile des fetomaternalen Grenzbereichs. Neben dem extravillösen Trophoblasten (7 Kap. 1) und den Choriontrophoblastzellen ist auch der villöse Trophoblast, der ab der 10. SSW in direktem Kontakt mit dem mütterlichen Blut steht, Teil dieses Grenzbereichs. In der Dezidua kommt es zu einer Anreicherung von mütterlichen Immunzellen wie polymorphkernigen Granulozyten, Lymphozyten und gewebsständigen Makrophagen, deren Aktivierungszustand für die auto- und parakrinen Regulationsvorgänge von zentraler Bedeutung ist. Während der Schwangerschaft sorgt ein konstitutives »steady state« komplexer auto- und parakriner Reaktionen für die Aufrechterhaltung des Ruhezustands des Myometriums, der Reißfestigkeit der Eihäute und der festen Konsistenz der Zervix.
473 23.1 · Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs für die Geburtsauslösung
. Tab. 23.1. Geburtsassoziierte Hormone und Mediatoren der fetomaternalen Grenzzone
Aktivierung/ Stimulation +
Ruhigstellung/ Hemmung –
Kontraktilität des Myometriums
. Abb. 23.1. Zentrale Bedeutung der fetomaternalen Grenzzone für die Entstehung der zu frühen und der termingerechten Geburt (HH-NNR Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse)
Auch endokrine Interaktionen mit dem mütterlichen und dem fetalen Hormonhaushalt leisten für die Erhaltung der geschützten Umgebung des Fetus einen wichtigen Beitrag. Für das Geburtsgeschehen ist die Kommunikation des fetomaternalen Grenzbereichs mit der Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse (HH-NR) des Fetus von besonderer Bedeutung (. Abb. 23.1). Veränderungen im Aktivitätszustand dieser Region können durch Stimulation oder Suppression der Synthese von verschiedenen Peptiden, Eikosanoiden, Proteasen und Steroidhormonen bewirkt werden. Auch die Aktivierung oder Hemmung der enzymatischen Metabolisierung sowie die Expression von Rezeptoren sind Ansatzpunkte für die Regulation. Die wichtigsten Mediatoren und ihre Bedeutung für die Steuerung der Kontraktilität des Myometriums und der Reifung der Zervix sind in . Tab. 23.1 zusammengestellt.
23.1.2
Physiologie der Geburtsauslösung
Die Geburt ist ein komplexes Geschehen, für dessen Auslösung und Verlauf die Koordination funktioneller Abläufe in verschiedenen Organen der Schwangeren und des Fetus von zentraler Bedeutung ist. Dem Beginn einer regelmäßigen Wehentätigkeit gehen in den letzen Wochen der Schwangerschaft eine Reihe von Veränderungen in der Dezidua, dem Myometrium und der Zervix des Uterus voraus. Die Veränderungen in den Geweben der genannten Strukturen weisen typische Merkmale einer Inflammation mit Anreicherung von Leukozyten und einer vermehrten Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-1β, Il-6 und IL-8 auf (Norman et al. 2006). Für die Auslösung des eigentlichen Geburtsgeschehens, das neben regelmäßigen Wehen durch eine forschreitende Eröffnung der Zervix sowie die spontane oder induzierte Öffnung der Fruchtblase charakterisiert ist, spielt die Kommunikation zwischen der fetomaternalen Kontaktzone und der
Progesteron
–
Stickstoffmonoxid – NO
–
Prostazyklin – PGI2
–
Relaxin
–
Östrogene – Östradiol
+
CRH
+
Zytokine
+
Prostaglandin – PGE2
+
Prostaglandin – PGF2α
+
Oxytozin
+
Reifung der Zervix Progesteron
–
Stickstoffmonoxid – NO
+
Östrogen
+
Prostaglandin – PGE2
+
Relaxin
+
HH-NNR-Achse des Fetus eine zentrale Rolle. Über den Umbilikalkreislauf gelangen die im Bereich der Dezidua und der Plazenta produzierten Mediatoren wie insbesondere CRH zum Fetus. Infolge der Aktivierung der HH-NNR-Achse werden in der fetalen NNR vermehrt Hormone wie Kortisol und Dehydroepiandrosteron (DHEA) ausgeschüttet, die nach dem Transport über den Umbilikalkreislauf ihre Wirkung in der Plazenta/Dezidua entfalten. Auch wenn bei verschiedenen Spezies die Abläufe im Zusammenhang mit der Interaktion zwischen der Plazenta und der fetalen HH-NNR-Achse unterschiedlich sind, gilt die dominante Rolle des Fetus bei der zentralen Regulation des Geschehens als speziesübergreifendes Phänomen als gesichert (Norwitz et al. 1999). Während die bei verschiedenen Tierarten v. a. endokrinologisch gesteuerten Vorgänge in ihren Einzelheiten gut untersucht sind, ist das Verständnis des vorwiegend parakrinen/autokrinen Regulationsmechanismus beim Menschen noch unvollständig. > Besonders das Neuropeptid CRH (»corticotropin-releasing hormone«) spielt bei der Geburtsauslösung am Termin sowie auch bei der Initiation der zu einer Frühgeburt führenden Wehentätigkeit eine zentrale Rolle (Challis et al. 1995).
23
474
23
Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
In der 2. Schwangerschaftshälfte kommt dem Kortisolanstieg mit seiner stimulierenden Wirkung auf die Synthese von CRH in Plazenta, Eihäuten und Dezidua für die Vorbereitung wie auch die Auslösung des Geburtsgeschehens eine wichtige Funktion zu (Lockwood et al. 1996). Die Gewebe des fetomaternalen Grenzbereichs werden zu einer wichtigen Produktionsstätte für CRH (Petraglia et al. 1996; Riley et al. 1991). Im Gegensatz zu der CRH-Synthese im Hypothalamus, die einer negativen Feedback-Regulation durch das im Blut zirkulierende Kortisol unterliegt, besteht im fetomaternalen Grenzbereich eine positive Rückkoppelung, d. h. zirkulierendes Kortisol stimuliert die CRH-Synthese in diesen Geweben (Jones et al. 1989; Robinson et al. 1988). Parallel zur vermehrten Expression von mRNA im Plazentagewebe steigt das im mütterlichen Blut wie auch im fetalen Blut zirkulierende CRH mit zunehmender Schwangerschaftsdauer exponentiell an (Goldn et al. 1988; Emanuel et al. 1994; Petraglia et al. 1996). Auf die Bedeutung der Aktivierung der HH-NNR-Achse v. a. beim Fetus für die Auslösung der Geburt wurde bereits hingewiesen. CRH reguliert die Synthese von Prostaglandinen in den Eihäuten und der Dezidua, wobei ebenfalls eine positive Rückkoppelung mit der Produktion von CRH in diesen Geweben besteht (Jones et al. 1990; Petraglia et al. 1991). Darüber hinaus wirkt CRH stimulierend auf die NO-Synthese in der Zervix und im Myometrium. Gemeinsam mit der Reifung der Zervix kommt es zu einer Sensibilisierung des Myometriums gegenüber Oxytozin (Aggelidou et al. 2002; Wadhwa et al. 2004). Im fetoplazentaren Gefäßgebiet bewirkt CRH lokal eine Vasodilatation (Clifton et al. 1995). Die biologische Wirkung von CRH wird durch die Abnahme des spezifischen Bindungsproteins gegen Ende der Schwangerschaft noch zusätzlich verstärkt (Perkins et al. 1993; Petraglia et al. 1993). Ein früher Anstieg von CRH im mütterlichen Plasma ist ein Hinweis auf eine früh einsetzende Geburt, während bei einem langsamen Anstieg der Geburtsbeginn verspätet ist. Wegen der offensichtlichen Rolle des CRH für das »Timing« der Geburt wurde der Begriff einer »placental clock« geschaffen (McLean et al. 1995). Progesteron ist für die Erhaltung der Schwangerschaft v. a. im 1. Trimenon unerlässlich, und durch die Entfernung des Corpus luteum vor Ende des 2. Schwangerschaftsmonats kommt es zu einer Fehlgeburt (Csapo et al. 1973). Progesteronrezeptorantagonisten wie Mifepriston werden zunehmend für den Schwangerschaftsabbruch eingesetzt (Peyron et al. 1993; Spitz u. Bardin 1993). Die funktionelle Bedeutung von Progesteron in der Spätschwangerschaft ist weniger eindeutig. Der Entzug von Progesteron ist beim Menschen im Gegensatz zu verschiedenen Säugetieren offenbar keine entscheidende Voraussetzung für den Geburtsbeginn (Zakar u. Hertelendy 2007). Progesteron und Kortisol greifen am gleichen Rezeptor des Trophoblasten an, wirken auf die Synthese von CRH jedoch antagonistisch (Karalis et al. 1996). Die Balance zwischen Hemmung und Stimulation der Synthese von CRH zeigt gegen Ende der Schwangerschaft durch den Anstieg der Kortisolkonzentration im mütterlichen Blut eine Verschiebung in Richtung Synthese (Majzoub u. Ka-
ralis 1999; Korebrits et al. 1998). Als weiterer Mechanismus für einen funktionellen Progesteronentzug als wichtige Voraussetzung für den Beginn der Geburtswehen wird bei Primaten eine Veränderung im Verhältnis verschiedener Isoformen des Progesteronrezeptors (PGR) diskutiert. Während die Progesteronbindung an die intakte B-Isoform, die während der Schwangerschaft dominiert, in Myometriumzellen die physiologische Reaktion im Sinne einer Relaxation hervorruft, kommt es gegen Ende der Schwangerschaft zu einer vermehrten Expression der verkürzten A-Isoform, die antagonistisch zum PGR-B wirkt, sodass die Transkription und damit der relaxierende Effekt supprimiert wird (Lopez Bernal 2007; 7 Kap. 23.2). Der Einsatz von Progesteron als Prophylaxe gegenüber Frühgeburtlichkeit hat seit einigen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erfahren (Keirse 1990). Neuere Studien bestätigten die signifikante Senkung der Anzahl von Frühgeburten bei wöchentlichen Injektionen von 17α-HydroxyprogesteronCaproat sowie auch bei täglicher Applikation von 100 mg Progesteron als Vaginalzäpfchen (Society for Maternal-Fetal Medicine 2002; Da Fonseca et al 2003). Allerdings konnte in keiner dieser Studien eine signifikante Reduktion von perinataler Mortalität oder Morbidität gezeigt werden. Das als Folge der Stimulation der fetalen HH-NNR-Achse vermehrt von der Nebennierenrinde freigesetzte Dehydroepiandrosteron (DHEA) wird nach Hydroxylierung der Position 16 und Sulfatierung in der fetalen Leber als 16-Hydroxy-DHEA-S die wichtigste Vorstufe für die Produktion von Östrogenen in der Plazenta (Smith et al. 1998). Östrogene stimulieren die Synthese von Kontraktionsproteinen im Myometrium, wie Gap Junctions, Oxytozin- und Prostaglandinrezeptoren sowie Enzyme wie die »myosin light-chain kinase« (MLCK) und Calmodulin. Auch Prostaglandine können unter dem Einfluss von Östrogenen direkt im Myometrium gebildet werden (Lye et al. 1993; Bale et al. 1997; Windmoller et al. 1983; Matsui et al. 1983; nähere Angaben in 7 Kap. 23.2). CRH nimmt durch Bindung an einen spezifischen Rezeptor in der fetalen NNR auch direkt Einfluss auf die Produktion von Östrogenvorstufen sowie von Kortisol (Smith et al. 1998; Chakravorty et al 1999).
Studienbox Die Messung des Anstiegs von CRH im Plasma wie auch von Östriol im Speichel der Schwangeren im Verlauf der Schwangerschaft hat sich als Screening Test zur Vorhersage von Frühgeburtlichkeit nicht bewährt (McLean et al. 1995; Korebrits et al. 1998; McLean et al. 1999; McGregor et al. 1995).
Oxytozin, ein Peptidhormon des Hypophysenhinterlappens,
findet als Medikament breite klinische Anwendung für die Geburtseinleitung wie auch zur Stimulation der Wehentätigkeit während der Geburt. Die Konzentration von Oxytocinrezeptoren im Myometrium nimmt im Laufe der Schwangerschaft um den Faktor 100–200 zu und erreicht ein Maximum in der frühen Eröffnungsphase der Geburt, was die Basis für
475 23.1 · Bedeutung des fetomaternalen Grenzbereichs für die Geburtsauslösung
die exponentielle Zunahme der Oxytozinempfindlichkeit ist (Zeeman et al. 1997; Fuchs et al. 1984). Oxytozinrezeptoren konnten auch im Amnion sowie der Dezidua parietalis gezeigt werden (Fuchs 1986; Zeeman et al. 1997), und es wird eine Doppelfunktion von Oxytozin bei der Geburt diskutiert: 4 ein direkter kontraktionsfördernder Einfluss erfolgt durch Wirkung auf Oxytozinrezeptoren im Myometrium, und 4 indirekt kann die Synthese von Prostaglandinen im Amnion und der Dezidua stimuliert werden (Zeeman et al. 1997; Fuchs et al. 1982). Auch die Abgabe von Oxytozin durch die Hypophyse des Fetusses ist gut belegt (Zeeman et al. 1997; Dawood et al. 1978). Nach heutigem Verständnis kommt Oxytozin keine wichtige Rolle bei der Auslösung des Geburtsgeschehens zu, sondern durch die erhöhte Sensibilität des Myometriums wird die Hauptaufgabe in der Stimulation und Aufrechterhaltung einer effektiven Wehentätigkeit gesehen.
23.1.3
Pathogenese der vorzeitigen Wehentätigkeit und der spontanen Frühgeburt
Eine Reihe von pathogenetischen Vorgängen kann Einfluss auf die fetomaternale Grenzzone nehmen und durch die Störung des Gleichgewichtes zwischen schwangerschaftserhaltenden Faktoren und solchen, die die Auslösung des Geburtsgeschehens begünstigen zu vorzeitigen Wehen führen: 4 vorzeitige Aktivierung der Achse aus Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde (HH-NNR), 4 Infektionen (systemisch sowie aszendierend), 4 retroplazentare Blutung in die Dezidua, 4 pathologische Dehnung des Uterus. Stressinduzierte endokrine Veränderungen, Infektionen oder lokale Entzündungsreaktionen, uteroplazentare Blutung oder Ischämie und auch mechanische Einflüsse wie eine Überdehnung des Myometriums und der Eihäute können eine Kette von Reaktionen auslösen, an deren Ende die Reifung der Zervix, ein Blasensprung und schließlich Wehen, die früher oder später zu einer Frühgeburt führen können, stehen (Goldenberg et al. 2008). Eine Literaturrecherche von genomischen sowie proteomischen Studien zeigte bei Frühgeburtlichkeit eine vermehrte Aktivierung der von freiem Häm und Eisen induzierten Signalkaskaden und der Expression der dadurch regulierten Gene (Sakata et al. 2008). Die histologisch in Plazenten bei Frühgeburtlichkeit vermehrt nachgewiesenen Deziduablutungen sind die Quelle für Häm und freies Eisen (Salafia et al. 1995). Deziduablutungen sowie inflammatorische Reaktionen scheinen als Endstrecke in der Pathogenese der Frühgeburtlichkeit verschiedener Ätiologie von zentraler Bedeutung zu sein.
Vorzeitige Aktivierung der fetalen und maternalen Hypothalamus-HypophyseNebennierenrinden-Achse (HH-NNR) Durchblutungsstörungen der Plazenta auf dem Boden von uteroplazentaren Vaskulopathien können vorzeitige Wehen verursachen (Arias et al. 1993). Bei schweren Präeklampsien besteht ein 3-fach erhöhtes Risiko für eine spontane Frühgeburt (Kramer et al. 1992). Auch bei plazentar bedingter Wachtumsrestriktion des Fetus werden nicht selten vorzeitige Wehen festgestellt (Ott 1993). Ein stimulierender Effekt von Hypoxie auf die Produktion von CRH durch Trophoblastzellen konnte in der Kultur nachgewiesen werden. Bei der morphologischen Untersuchung von Plazenten nach Frühgeburt fand sich eine 7-fach erhöhte Inzidenz von ischämischen Gewebsabschnitten verglichen mit Plazenten von Termingeburten (Germain et al 1999). Wieweit auch vermehrte physische und v. a. psychische Stressbelastungen während der Schwangerschaft über eine Aktivierung der mütterlichen HH-NNR Auslöser für eine Frühgeburt sein können, ist nach wie vor kontrovers (Ruiz et al. 2003). Allerdings ist es angesichts der Bedeutung des Zusammenspiels von nervös regulatorischen, endokrinen sowie immunologischen Mechanism für die Erhaltung einer Schwangerschaft naheliegend, dass durch Stress ausgelöste Störungen dieses Zusammenspiels bei der Pathogenese des spontanen Abortgeschehens wie auch der Frühgeburt einen wichtigen ätiologischen Faktor darstellen (Arck et al. 2006). Für die Interaktion von CRH und Zytokinen bestehen offensichtlich Parallelen zwischen Hypothalamus und dem fetomaternalen Grenzbereich (Hobel et al. 1999). Chronischer Stress kann über vermehrte Kortisolausschüttung eine erhöhte Produktion von CRH im fetomaternalen Grenzbereich verursachen. CRH bewirkt eine Aktivierung von Entzündungszellen, und über proinflammatorische Zytokine und Prostaglandine werden vorzeitige Wehen ausgelöst. Die von verschiedenen Autoren beschriebene Assoziation von chronischem und akutem Stress und Frühgeburt zeigt in den meisten Studien auch bei erheblichem Stress jedoch nur eine knapp signifikante Korrelation (Copper et al. 1996; Hoffmann u. Hatch 1996; Berkowitz u. Kasl 1983; Lobel et al 1992; Wadwa et al. 1993; Dole et al. 2003). Bei einer mit 18–20 SSW durchgeführten prospektiven Erfassung der psychosozialen Stressbelastung fand sich ein Zusammenhang mit erhöhten CRH-Spiegeln im peripheren Blut der Schwangeren und einer später auftretenden Frühgeburt (Hobel et al. 1999). Wieweit gezielte Interventionen zum Abbau von chronischem Stress als Prävention gegenüber Frühgeburtlichkeit effektiv sind, konnte bislang allerdings noch nicht gezeigt werden (Ruiz et al. 2003). In einer weiteren Untersuchung konnte am Ende des mittleren Schwangerschaftsdrittels keine Korrelation zwischen chronischem psychosozialem Stress und der Konzentration von Kortisol und CRH im Blut gezeigt werden (Petraglia 2001). Vor dem Hintergrund der mit zunehmender Schwangerschaftsdauer ansteigenden CRH-Spiegel besteht möglicherweise eine Resistenz gegenüber einer stressbedingten zusätzlichen Stimulation der mütterlichen HH-NNR-Achse. Dafür würde auch die Beobachtung sprechen, dass bei akuten Stress-
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
situationen der Zeitpunkt der Einwirkung von Bedeutung zu sein scheint. Während der Schwangerschaft kommt es offenbar zu einer »Desensibilisierung« der Schwangeren, die gegenüber einem Stresstrauma zunehmend resistent wird (Glynn et al. 2001). Die Überprüfung der im Tierexperiment detailliert beschriebenen Abläufe in klinischen Studien ist problematisch, nicht zuletzt wegen der methodologischen Schwierigkeiten wie retrospektive Erhebung der Daten, heterogene Patientenpopulationen sowie unzureichende Instrumente zur Quantifizierung der Stressbelastung. Biopsien von Plazentagewebe sind erst nach der Geburt verfügbar, sodass die Unterscheidung von Ursache und Wirkung erschwert ist.
Infektionen Aszendierende und systemische Infektionen sind häufige Ursachen von Frühgeburtlichkeit mit oder ohne vorzeitigen Blasensprung (Goldenberg et al. 2000). Neben Infektionen des Urogenitaltraktes haben in letzter Zeit auch orale Infektionen wie Peridontitis zunehmend Beachtung gefunden (Scannapieco et al. 2003; Offenbacher et al. 2006). Die Anreicherung von Erregern wie Staphylokokken, Bakteroides, Enterobakter und Streptokokken im Bereich des inneren Muttermundes mit der Produktion und Freisetzung von Proteasen, Kollagenasen und Elastasen führt zu einer Zersetzung des Bindegewebes der Zervix und im Chorioamnion. Die Folge können eine Auflockerung der Zervix sowie ein früher vorzeitiger Blasensprung sein (Sbarra et al. 1985; McGregor et al. 1986). Bakterien synthetisieren darüber hinaus auch Phospholipase A2, ein Enzym, das Arachidonsäure als Vorstufe von Prostaglandinen aus den Lipiden der Zellmembran herauslöst. Endotoxin, ein weiteres Produkt bestimmter Bakterienstämme, hat eine stark kontraktionsfördernde Wirkung auf das Myometrium. > Über die Freigabe der beiden Substanzen Phospholipase A2 und Endotoxin können Bakterien direkt vorzeitige Wehen verursachen (Gibbs et al. 1992).
Neben dieser direkten Wirkung von Bakterien auf die Konsistenz der Zervix, die Reißfestigkeit der Eihäute und die Entstehung von Kontraktionen kommt dem inflammatorischen Geschehen als Antwort des angeborenen (»innate«) mütterlichen Immunsystems auf die Invasion von Bakterien eine besondere Bedeutung für die Verursachung von Frühgeburten zu (Goldenberg et al. 2000; Romero et al. 2006). Die für die Chorioamnionitis typische Infiltartion der Eihäute mit Makrophagen und polymorphkernigen Leukozyten ist Ausdruck einer derartigen inflammatorischen Reaktion des mütterlichen Gewebes. Die Aktivierung der Immunzellen führt zu einer Freisetzung von diversen proinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-1, -6, -8, Tumornekrosefaktor und granulozytenkolonienstimulierende Faktoren. Diese proinflammatorischen Marker konnten in erhöhter Konzentration im Fruchtwasser bei Frauen mit vorzeitigen Wehen auch bei intakter Fruchtblase nachgewiesen werden. Dabei zeigte sich eine gute Korrelation mit positiven bakteriellen Kulturen in Proben vom Fruchtwasser und den Eihäuten (Andrews et al. 1995).
Darüber hinaus können aktivierte Granulozyten über die Freisetzung von Matrixmetalloproteasen wie Kollagenasen, Elastase, Gelatinase, Stromelysine u. a. eine Auflockerung der Eihäute sowie des Kollagenanteils der Zervix bewirken (Rice 2001; So et al. 1992; Kanayama u. Terao 1991; Osmers et al. 1995; Romero et al. 1998; Maymon et al. 2000). Ein Anstieg der Biosynthese von Prostaglandinen in den Geweben des Uterus ist ein hervorstechendes Merkmal, das dem Beginn der Wehentätigkeit sowohl beim zeitgerechten wie auch beim vorzeitigen Geburtsbeginn vorausgeht (Keirse 1979; Romero et al. 1996). Die Interaktion von proinflammatorischen Mediatoren und der Produktion von Prostaglandinen im Chorioamnion, der Plazenta, der Dezidua und im Myometrium wurde wiederholt beschrieben (Romero et al. 1989; Keelan et al. 2003). Bei der Auslösung von Wehen infolge einer aszendierenden Infektion kommt der Synthese der verschiedenen Prostaglandine der E- und F-Kategorie v. a. im Chorioamnion eine besondere Bedeutung zu. Die Schlüsselenzyme für die Synthese wie die konstitutive Prostaglandinsynthase (PGHS-1) und die induzierbare Isoform (PGHS-2) sind im Chorioamnion exprimiert (Challis et al. 2000). Das Gleichgewicht der Aktivität der synthetisierenden Enzyme PGHS-1 und -2 sowie der die Metabolisierung stimulierenden Prostaglandindehydrogenase (PGDH) wirkt regulierend auf den Prostaglandinspiegel in den Geweben. PGDH ist v. a. im Chorion exprimiert (Sangha et al. 1994). Die allgemein stabilisierende Wirkung von Progesteron auf die Schwangerschaft ist auch Folge einer Neutralisierung von Prostaglandinen. Durch die kompetitive Verdrängung von Progesteron durch das mit zunehmender Schwangerschaftsdauer ansteigende Kortisol aus der Bindung an den gemeinsamen Rezeptor gelangt vermehrt unverstoffwechseltes Prostaglandin vom Entstehungsort im Amnion in die Dezidua und damit in das Myometrium. Kortisol könnte auch über eine Down-Regulation von PGDH direkt die Neutralisierung des Enzyms und damit den Abbau von Prostaglandinen aufheben. Immunhistochemisch konnte eine verminderte PGDH-Aktivität in Eihäuten von Frühgeburten bei Infektionen gezeigt werden (VanMeir et al. 1996). Das Chorion wird damit zu einer Barriere für Prostaglandine zwischen dem Amnion und der Dezidua. Prostaglandin E spielt zusammen mit IL-8 auch bei der Reifung der Zervix eine zentrale Rolle (Keirse 1979).
Retroplazentare Blutung in die Dezidua > Die vaginale Blutung ist, besonders wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten in der Schwangerschaft wiederholt auftritt, mit einem deutlich erhöhten Risiko für einen frühen vorzeitigen Blasensprung und Frühgeburtlichkeit assoziiert (Harger et al. 1990; Williams et al. 1991; Krupa et al. 2006).
Für das pathogenetische Verständnis der Assoziation zwischen vaginaler Blutung, vorzeitigem Blasensprung und Frühgeburt konnten wichtige neue Erkenntnisse geliefert werden. Bei Blutungen in die Dezidua wie etwa bei einer partiellen Plazentalösung kommt es über die Aktivierung der Gerinnungskaskade mit der Bildung von Thrombin zu einer ver-
477 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
mehrten Expression von Matrixmetalloproteinasen sowie von anderen Proteasen wie Plasminogenaktivatoren vom Urokinasetyp und vom Gewebetyp in den Stromazellen der Dezidua. Die enzymatische Zersetzung der extrazellulären Matrix der Eihäute führt in vielen Fällen zu einem vorzeitigen Blasensprung (Mackenzie et al. 2004). Auf die Überlappung zwischen den durch Häm und freies Eisen aktivierten Genen und den bei Frühgeburtlichkeit beobachteten Veränderungen des Genprofils wurde bereits hingewiesen (Sakata et al. 2008). In-vitro-Studien haben ferner eine starke kontraktilitätsfördernde Wirkung von Thrombin auf Myometriumzellen gezeigt (Elovitz et al. 2000; O’Sullivan et al. 2004). Die klinische Relevanz dieser Befunde wurde bei Frauen mit vorzeitigen Wehen im Zeitraum von 24+0 bis 32+6 SSW, bei denen bei der Aufnahme eine Bestimmung des TAT (Thrombin-Antithrombin-Komplex) zur Erfassung des aktivierten Thrombins vorgenommen wurde, gezeigt. Ein Wert von 8,0 ng/ml zeigte bei einem Vergleich mit wehenfreien Kontrollen und gleichem Schwangerschaftsalter einen positiven Vorhersagewert für eine Entbindung innerhalb von 3 Wochen nach Hospitalisierung von 91% bei einer negativen Vorhersage von 71% (Elovitz et al. 2001). Auf die bereits erwähnte Literaturrecherche von genomischen sowie proteomischen Studien, die eine deutliche Assoziation zwischen Frühgeburtlichkeit und einer vermehrten Aktivierung der von freiem Häm und Eisen induzierten Signalkaskaden gezeigt hatte, sei nochmals verwiesen (Sakata et al. 2008).
Patholgische Dehnung des Myometriums und der Eihäute Mehrlingsschwangerschaften und Polyhydramnion sind bekannte Risiken für vorzeitge Wehen oder Blasensprung. Dabei spielt die Überdehnung des Myometriums und der Eihäute eine besondere Rolle. Im Myometrium wird die Bildung von Gap Junctions, die Expression von Oxytozin- und Prostaglandinrezeptoren, die Synthese von PGE2 und PGF2 sowie die Induktion der »myosin light-chain kinase« (MLCK) durch einen Dehnungsreiz initiiert (Ou et al. 1997; Word et al. 1993). In den Eihäuten bewirkt die Dehnung die Produktion von Zytokinen, Kollagenase und Prostaglandinen (Maradny et al. 1996; Kanayama u. Fukamizu 1989; Nemeth et al. 2000).
activating factor» (PAF), der eine stimulierende Wirkung auf die Synthese von Prostaglandin E2 in den Epithelzellen des Amnions hat, nachgewiesen. PAF wird v. a. in der fetalen Lunge gebildet. Während der Schwangerschaft wird die Aktivität von PAF durch eine spezifische Acetylhydrolase, die von Makrophagen in der Dezidua gebildet wird, neutralisiert. Endotoxine und proinflammatorische Zytokine wirken hemmend auf die Produktion der PAF-Acetylhydrolase, sodass auch über diesen Mechanismus eine gesteigerte Prostaglandinsynthese durch eine lokale Infektion im fetomaternalen Grenzbereich induziert werden kann (Narahara 1996; Narahara et al. 1998; Kavano et al. 1999). Neben »platelate activating factor« (PAF) wirkt auch Endothelin stark kontraktionsfördernd auf das Myometrium (Narahara 1996). Möglicherweise kommt auch dem von der reifen Lunge des Fetus sezernierten Surfactantprotein SP-A als wehenauslösendes Signal zusätzliche Bedeutung zu (Condon et al. 2004). Es ist denkbar, dass verschiedene Proteasehemmer, insbesondere der Trypsininhibitor, eine wichtige Rolle bei der Schwangerschaftserhaltung einnimmt. Die Proteasehemmer werden über die Nieren des Fetus ins Fruchtwasser ausgeschieden und auch von Amnionepithelien produziert (Terao u. Kanayama 1998). Neben der Hemmung von Proteasen wie Trypsin, der neutrophilen Elastase, Plasmin, Cathepsin G und Hyaluronidasen haben diese Substanzen auch eine hemmende Wirkung auf die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-1 und IL-8. > Die Aktivität der Proteasehemmer stellt einen wichtigen Schutzmechanismus gegenüber der zersetzenden Wirkung von Proteasen auf die extrazelluläre Matrix in den Eihäuten und der Zervix dar. Menschliches Fruchtwasser hat ferner eine hemmende Wirkung auf Phospholipase A2, ein wichtiges Enzym für die Synthese von Prostglandinen (Bennett et al. 1999).
Die Bedeutung der Kommunikation zwischen dem Fetus und dem fetomaternalen Gerenzbereich über das Fruchtwasser – sowohl für die Erhaltung der Schwangerschaft als auch für die Auslösung von Mechanismen im Zusammenhang mit dem Geburtsbeginn – ist derzeit nur schwer abzuschätzen.
23.2 23.1.4
Fruchtwasser als zusätzlicher Weg für die Kommunikation zwischen dem Fetus und dem fetomaternalen Grenzbereich
Neben der Kommunikation über den Nabelschnurkreislauf können Mediatoren vom Fetus auch über das Fruchtwasser in den fetomaternalen Grenzbereich gelangen. In der 2. Schwangerschaftshälfte gibt der Fetus über die Lunge und die Niere diverse Stoffe an das Fruchtwasser ab. In Fruchtwasserproben von Frauen mit Geburtswehen oder aber mit vorzeitiger Wehentätigkeit wurde eine erhöhte Konzentration von »platelet
Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn H. Helmer, P. Husslein
In diesem Kapitel werden die grundlegenden, strukturellen Bestandteile und Funktionsmechanismen des Myometriums sowie deren pathologische Vorgänge, die der vorzeitigen Wehentätigkeit zugrunde liegen, aufgezeigt. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der Veränderungen, die sich im Laufe der Schwangerschaft ergeben und die zu einer Zunahme der Kontraktilität bis hin zum Wehenbeginn führen.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Im Laufe der Schwangerschaft wächst der Uterus kontinuierlich und passt sich den steigenden Volumina des Fetusses, der Plazenta und des Fruchtwassers an. Mit zunehmendem Gestationsalter, v. a. in der Zeit nahe zum Termin, bereitet sich das Myometrium auf die Wehentätigkeit und die Geburt vor, indem es sein Vermögen, sich zu kontrahieren, also die Kontraktilität, deutlich steigert. Man kann die vorbereitenden uterinen Veränderungen auch als »uterotrophes« Geschehen bezeichnen und kontraktionsauslösende Mechanismen als »uterotone« Vorgänge definieren. Beide Veränderungen sind für die Genese physiologischer Wehen und einer unkomplizierten Geburt notwendig. Nach dem heutigen Stand des Wissens gibt es während der Schwangerschaft eine Vielzahl von strukturellen, humoralen und zellulären Veränderungen, die letztendlich zur Auslösung regelmäßiger Wehen dienen. Wichtig ist es, zu verstehen, dass es hier zu einem Zusammenspiel von schwangerschaftserhaltenden, das Myometrium relaxierenden, sowie kontraktionsfördernden, letztlich zur Geburt führenden Faktoren kommt. Der überwiegende Anteil unseres Wissens der Geburtsphysiologie stammt aus Tierversuchen. Hervorzuheben sind Versuche an Schafen, Schweinen, Hasen, und Primaten, wobei jedoch nur 4 von 28 Gruppierungen der Säugetiere näher untersucht wurden. Unter diesen gab es bereits beträchtliche Unterschiede in Vorbereitung und Auslösung der Wehentätigkeit. Bezüglich der Funktion des Myometriums wurden jedoch gemeinsame Faktoren gefunden, und es ist anzunehmen, dass diesen auch beim Menschen große Bedeutung zukommt. Hervorzuheben sind Wirkungen von Prostaglandin E 2 und F2°C, die Gap-Junction-Formation und das Oxytozinsystem. Diese scheinen für uterotrophe und uterotone Vorgänge bei Säugetieren und beim Menschen von übergeordneter Bedeutung zu sein.
23.2.1
Aktivitätsphasen des Myometriums während der Schwangerschaft
In Hinblick auf die Aktivität des Uterus während der Schwangerschaft kann man eine Unterteilung in 3 Phasen vornehmen (. Abb. 23.2; Casey 1997).
. Abb. 23.2. Aktivitätsphasen des Myometriums
Aktivitätsphasen des Myometriums 4 Während des überwiegenden Teils bis zum Zeit raum der 36.–38. SSW verweilt das Myometrium in einem Zustand relativer Ruhe (Ruhephase). Trotz steigender Kontraktionsfähigkeit verbleibt die glatte Muskulatur in einem erstaunlich ruhigen Zustand. Die Zunahme von Inhibitoren der Kontraktibilität ist dafür verantwortlich. 4 In weiterer Folge erfährt das Myometrium einen Übertritt aus diesem Ruhezustand in einen Zustand zunehmender Kontraktionsbereitschaft mit erhöhter Sensibilität gegenüber kontraktilen Reizen (Vorbereitungsphase). Diese Zunahme der Kontraktilität ist durch ansteigende Konzentrationen von kontraktionsassoziierten Membranproteinen wie Oxytozin-, Vasopressin 1a- und Prostaglandinrezeptoren, dem Corticotropin-releasing-Hormon sowie Gap Junctions, Ionenkanälen und anderen Faktoren bedingt, die im Einzelnen noch besprochen werden. Gleichzeitig setzt auch die Reifung der Zervix ein. Mit dem Auftreten regelmäßiger Wehen beginnt schließlich die Kontraktionsphase und somit die Geburt (Stimulationsphase).
23.2.2
Struktur und Funktion des Myometriums
Der Uterus entwickelt sich aus embryologischer Sicht durch die Verschmelzung der Müller-Gänge. Er besteht im Wesentlichen aus Serosa, Muskel- und Bindegewebe sowie Endometrium bzw. Dezidua. Die Ligg. cardinalia und rotunda fixieren den Uterus im mütterlichen Becken, verhindern eine unerwünschte Rotation und dienen zur Kraftübertragung während der Wehe. Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es zu einer gewaltigen Vergrößerung der Gebärmutter. Das Gewicht nimmt um das 15-Fache seines Ausgangswertes zu, und das intrauterine Volumen vergrößert sich um das 500- bis 1000Fache. Das Myometrium besteht aus glatter Muskulatur, Fibroblasten, Nervengewebe und Blutgefäßen. Diese Strukturen sind in einer extrazellulären Matrix eingebettet, die überwiegend aus Kollagenfasern und zum geringeren Teil aus elastischen Fasern besteht (Huszar u. Walsh 1989). Die glatte Muskulatur besteht aus zwei Schichten, jeweils in zirkulärer und longitudinaler Ausrichtung. Diese Schichten sind bei Tieren, deren Uterus eine Bikornisform hat, gut trennbar; beim Menschen jedoch ist die Unterscheidung nicht so eindeutig. Die Muskelfasern verlaufen in einer Spiralanordnung und verzweigen sich anschließend. Im Bereich des Corpus uteri lässt sich eine, jedoch voneinander unscharf abgegrenzte, dreifache Schichtung erkennen (Wetzstein u. Renn 1970; . Abb. 23.3): 4 Stratum supravasculare mit teils longitudinal, teils zirkulär verlaufenden Faserzügen;
479 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
a
b . Abb. 23.4a,b. Elektronenmikroskopische Aufnahme der quergestreiften Muskulatur. a, b Schematische Darstellung mit überlappenden Bereichen der aktin- und myosinenthaltenden Filamente
. Abb. 23.3. Schichten des Myometriums
4 Stratum vasculare, bestehend aus einer ausgeprägten
Muskelschicht mit in alle Richtungen verlaufenden Muskelbündeln; 4 Stratum subvasculare mit hauptsächlich zirkulären und teilweise zu den Tubenecken konvergierenden Muskelbündeln. a
Die glatte Muskulatur unterscheidet sich von der quergestreiften Skelettmuskulatur aufgrund der zellulären Anordnung der kontraktilen Elemente in 2 Punkten grundlegend: 4 Die Verkürzung ist wesentlich ausgeprägter als bei quergestreifter Muskulatur. 4 Die Zugrichtung ist nicht wie bei der quergestreiften Muskulatur durch die Achse der Muskelfasern festgelegt. Die glatte Muskulatur ist im Gegensatz zur quergestreiften Muskulatur nicht in Fasern, Fibrillen und Sarkomere unterteilt. Stattdessen kommen die dünnen, aus Aktin polymerisierten, und die dicken, aus Myosin aufgebauten Filamente in zufällig angeordneten Bündeln vor (. Abb. 23.4a, b, . Abb. 23.5a). Zusätzlich fehlt die für die quergestreifte Muskulatur typische Unterbrechung der Myosinfilamentet durch Z-Linien. Weitere typische Merkmale der glatten Muskulatur sind ein dritter, vorwiegend aus Desmin und Vimentin bestehender Filamenttyp, das Intermediärfilament, sowie die »dense bodies«, die zufällig angeordnet im Zytoplasma sowie an der Innenseite der Zellmembran vorkommen (Huszar u. Walsh 1989). Intermediärfilamente und »dense bodies« sind nicht an der aktiven Kontraktion beteiligt, sondern bilden ein flexibles, strukturelles Netzwerk, das die Aktin- und Myosinfilamente zu einer aktiven Einheit verbindet (. Abb. 23.5b). Die somit
b . Abb. 23.5a,b. Elektronenmikroskopische Aufnahme der quergestreiften Muskulatur. a, b Schnitt durch eine glatte Muskelzelle mit dicken Filamenten (große Pfeile), dünnen Filamenten (kleine Pfeile) und Intermediärfilamenten (Pfeilspitze)
hoch flexibel organisierte Anordnung ermöglicht der Gebärmutter einerseits, sich jeder Größen- und Lageveränderung des Fetusses/der Feten anzupassen, und andererseits, die notwendigen Kräfte für die Wehentätigkeit zu erzeugen.
23.2.3
Koordination der Kontraktilität des Myometriums
Im Vergleich zu anderen Organen (Niere – Nephron, Lunge – Alveole etc.) besitzt der Uterus mit Wehentätigkeit keine
23
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
klare Funktionseinheit. Im Allgemeinen nimmt man an, dass der Myozyt diese Funktionseinheit darstellt. Mit der Vorstellung der nebeneinander agierenden, einzelnen Myozyten ist es jedoch schwer, die Physiologie des wehenden Uterus zu verstehen. Während der physiologischen Wehentätigkeit liegt die generierte Kraft immer unterhalb des möglichen Maximalwerts, was zu dem Schluss führt, dass sich nicht alle Myozyten gleichzeitig, wie etwa bei einer gefährlichen, tetanischen Kontraktion bei Oxytozinüberstimulation, kontrahieren. Die Vorstellung des sich regelmäßig kontrahierenden Muskels hat in der Vergangenheit oft zu einem Vergleich mit der Herztätigkeit geführt. Ein gravierender Unterschied besteht jedoch darin, dass es im Herzmuskel durch die Tätigkeit des Sinusknotens und des AV-Knotens zur Generierung eigenständiger Aktionspotenziale und deren Weiterleitung über entsprechende, nicht an der Kontraktion beteiligte Strukturen kommt, während dieses Reizleitungssystem im Uterus komplett fehlt. Man nimmt jedoch an, dass es auch beim Uterus zur Reizweiterleitung von Aktionspotenzialen v. a. über Gap Junctions kommt (Garfield u. Hayashi 1981), was durch den Nachweis der elektrischen Aktivität sowohl im Myometriumgewebe als auch in isolierten Myozyten gezeigt werden konnte. Die Annahme, dass die Weiterleitung von Aktionspotenzialen die einzige interzelluläre Kommunikation darstellt, führte zur Propagierung der »Single-unit-Hypothese«. Diese Hypothese kann jedoch eine Reihe von beobachteten Phänomenen der Uteruskontraktilität nicht erklären. So wurde im Gewebe der glatten Muskulatur des Uterus und anderer Gewebe das Phänomen der Kalziumwellen entdeckt (Young u. Hession 1997). Dabei handelt es sich um Konzentrationszunahmen von intrazellulärem Kalzium, die räumlich und zeitlich koordiniert auftreten. Wenn diese intrazellulären Kalziumwellen die Zellwand überbrücken, kommt es zur Entwicklung von interzellulären Kalziumwellen, die sich mit langsamer Geschwindigkeit (10 μm/s) ausbreiten. Man nimmt nun an, dass es durch die Wirkung der sich schnell ausbreitenden Aktionspotenziale (>40 mm/s) zur Auslösung von Kalziumwellen im gesamten Bereich des Myometriums kommt. Die entstandenen interzellulären Kalziumwellen breiten sich dann über die jeweiligen Muskelbündel aus, wobei die Grenzen der Bündel nicht überschritten werden. Diese Muskelbündel setzen sich aus Faszikeln zusammen, die wiederum aus Bündeln individueller Myozyten bestehen (Young 2001). Mit dieser »Aktionspotenzial-KalziumwellenHypothese« lassen sich verschiedene Beobachtungen der Wehentätigkeit wie die Länge der Wehe, intramyometrale Druckmessungen (Caldeyro-Barcia und Poseiro) und Messungen an Muskelstreifen in isotoner Kochsalzlösung gut erklären.
Gap Junctions Die kontraktile Aktivität der Muskelzellen des Uterus resultiert aus der Frequenz und Dauer der Aktionspotenziale innerhalb der einzelnen Zelle, aber auch aus der Gesamtzahl der simultan aktivierten Zellen. Daher ist die Propagation der Potenziale von entscheidender Bedeutung. Dazu ist eine interzelluläre Verbindung, wie sie zwischen verschiedenen Zellen nahezu aller Gewebe beschrieben wurden, essenziell. Einzelne Zellen des Myometriums sind durch Gap Junctions miteinan-
a
b . Abb. 23.6. Gap Junction. a Schematische Darstellung des Bereichs einer Gap Junction. PM1 und PM2 stellen die Zellmembranen der beiden Myometriumzellen dar, O bezeichnet einen offenen, C einen geschlossenen Kanal. b Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Gap Junction im graviden Myometrium eines Hasen
der verbunden. Diese stellen eine spezielle Struktur der Plasmamembran dar und haben die Funktion des Austausches elektrischer und metabolischer Signale (. Abb. 23.6). Gap Junctions bestehen aus Proteinen, den Connexinen, die sich zwischen den Zellen zu kleinen Kanälen aufbauen, um den Austausch von Ionen und Molekülen des »Second-messenger-Systems« zu ermöglichen (Cole u. Garfield 1986). Dies erlaubt eine schnelle Ausbreitung von Aktionspotenzialen zwischen benachbarten Zellen und fördert einen synchronen
481 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
Ablauf der Wehen. Im Tiermodell der Ratte konnte eine kurzzeitige, signifikante Zunahme der Dichte an Gap Junctions kurz vor Wehenbeginn gezeigt werden (Saito et al. 1985). Über die Zunahme der Gap-Junction-Dichte beim Menschen als einen ursächlichen Faktor der spontanen Wehentätigkeit gibt es widersprüchliche Berichte (Garfield u. Hayashi 1981; Helmer et al. 2002). Gap Junctions scheinen jedoch durch ihre Vermehrung gegen Ende der Schwangerschaft einen zentralen Mechanismus für den Wechsel der Aktivitätsstadien des Myometriums darzustellen. Synthese und Abbau von Gap Junctions stellen einen relativ langsamen Prozess dar, dem ein wesentlich schnelleres System, das die Permeabilität von bestehenden Gap Junctions reguliert, gegenübersteht. Diese Permeabilität wird durch Hormone und Neurotransmitter, v. a. aber durch intrazelluläres Kalzium, pH und cAMP reguliert.
Regulation der Kontraktilität Betrachtet man die biochemischen Vorgänge, so besteht in Ergänzung zu in 7 Kap. 23.2.2 Gesagten die zugrunde liegende Funktionseinheit des Myometriums in für die glatte Muskulatur typischer Weise aus Aktin- und Myosinfilamenten. Myosin ist ein strukturiertes Protein, das in Form dicker Myofilamente eine Brückenbildung mit Aktin ermöglicht. ATPase bewirkt durch Hydrolyse die Umwandlung von chemischer Energie in Kraft bzw. Bewegung. Das Myosinmolekül setzt sich aus zwei schweren Ketten mit einem Molekulargewicht von jeweils 200 kD und zwei leichten Ketten mit einem MW von 20 kD und 15 kD zusammen. Im Bereich der globulären Kopfseite des Myosins liegen drei funktionell wichtige Bereiche: 4 ein mit Aktin in Verbindung stehender Bereich, der für die Interaktion der beiden Moleküle verantwortlich ist, 4 ein Bereich für die Hydrolyse der ATPase, 4 die leichten Ketten mit 20 kD, die eine Schlüsselfunktion in der Regulierung der Kontraktion einnehmen. Die Verbindung von Aktin und Myosin wird durch die Konzentration der Ca2+-Ionen im umgebenden Zytoplasma reguliert. Ca2+ aktiviert die »myosin light-chain kinase« (MLCK), die eine Phosphorylisierung der leichten Myosinketten bewirkt (Adelstein u. Conti 1975). Dadurch kommt es über die Aktin-Myosin-Interaktion zur Kontraktion. Eine Aktivierung der Myosin-light-chain-Phosphatase bewirkt die Abspaltung der Phophatgruppe vom Myosinmolekül, und es erfolgt die Relaxierung aufgrund einer Blockierung der Aktin-MyosinInteraktion. Ein weiterer, für die Kontraktion essenzieller Faktor ist das Calmodulin, ein Regulatorprotein, das aus dem Myometrium isoliert und sequenziert wurde und sich zur Aktivierung der »myosin light-chain kinase« mit Kalzium zu einem Komplex verbindet (Adelstein u. Conti 1975).
Mechanismus des Kalziumeinstroms Die intrazellulären Kalzium- und cAMP-Konzentrationen stellen die wichtigsten regulierenden Faktoren der »myosin light-chain kinase« (MLCK) dar. Sie werden vorwiegend hormonell gesteuert. Kalziumkonzentrationen von 10–6 bis
10–7 M werden zur Aktivierung der MLCK benötigt. Kalziumquellen sind sowohl intrazelluläre Vesikel als auch der Extrazellulärraum. Intrazelluläres Kalzium wird im sarkoplasmatischen oder endoplasmatischen Retikulum und in Mitochondrien gespeichert (Grover et al. 1982). In der glatten Muskulatur scheint jedoch das extrazelluläre Kalzium von größerer Wichtigkeit zu sein, wie Studien an Muskelpräparaten gezeigt haben (van Breemen et al. 1982). Der Transport erfolgt durch Kalziumkanäle, die entweder durch Spannungsveränderung oder durch Rezeptoren aktiviert werden (Hurwitz et al. 1980). Sie bestehen aus membrangebundenen Glykoproteinen in einer zylindrischen Konfiguration. Man kann 3 Gruppen von Proteinen im Myometrium unterscheiden, die den Eintritt und den Austritt von Kalzium durch die Zellmembran ermöglichen: 4 Nifedipin-empfindliche, spannungsabhängige Kanäle
mit dem wichtigsten Vertreter, dem L-Typ (L für »longlasting«), der sehr wichtig für die Erhaltung der Kontraktion ist, 4 T-Typ-Kanäle (T für transient) mit einer zugeschriebenen Schrittmacherfunktion sowie 4 signalregulierte Kanäle (Sanborn 2007).
Studienbox Wichtig für den Kalziumeinstrom bei der glatten Muskulatur sind der lange Typ, der den Angriffspunkt der Kalziumkanalblocker darstellt, sowie der transiente Typ. Bei den rezeptorgesteuerten Kalziumkanälen kommt es nach Aktivierung des heptahelikalen Rezeptors durch den entsprechenden Liganden über Vermittlung verbindender, guaninnucleotidbindender Proteine (G-Proteine, 7 unten) zur Öffnung (Kleuss et al. 1991).
Kaliumkanäle Kaliumkanäle sind Transportproteine, die sich durch eine besondere Architektur auszeichnen und mit hoher Geschwindigkeit Kalium über eine Membran transportieren. Der Ausstrom von Kalium in den Myozyten bewirkt die Repolarisation der Zellmembran und ist somit für das ruhende Membranpotenzial verantwortlich. Kaliumkanäle stellen daher eine wichtige Proteingruppe zur Erhaltung des myometranen Ruhezustands während der Schwangerschaft dar (Brainard 2007). Bisher wurden mehrere Typen von Kaliumkanälen im Myometrium gefunden, wobei der am meisten verbreitete und am besten untersuchte der kalzium- und spannungsabhängige Kaliumkanal mit großer Leitfähigkeit (»large conductance calcium and voltage sensitive K+ channel«; »BKCa channel«) ist. Zahlreiche Hormone (wie Steroidhormone) sowie Hormone der Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenrindenAchse regulieren BKCa-Kanäle.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Studienbox Unterfunktion oder verminderte Expression von K+-Kanälen können zu vorzeitigen Wehen führen, während eine Überfunktion in der späten Schwangerschaft die Ausbildung einer koordinierten Wehentätigkeit behindert.
Weitere ionentransportierende Kanäle, die im Myometrium gefunden wurden, sind Chlorid(Cl–)-kanäle und Natrium(Na+)-Kanäle. Auch Na+-Kanäle nehmen im Laufe der Schwangerschaft an Dichte zu. Na+-Kanäle generieren einen in die Zelle gerichteten, schnellen Stromfluss, der zur Depolarisierung der Zellmembran führt. Man vermutet, dass es auch durch ein reversibles Natrium-Kalium-Austauschsystem zu einer Erhöhung des intrazellulären Kalziums kommt (Sperelakis et al. 1992). Dies würde zu einer Potenzierung der Kontraktion beitragen. Durch Inaktivierung des Kalziumeinstroms und durch Kaliumausstrom mittels zwei oder drei verschiedener Typen von Kaliumkanälen kommt es zur Repolarisation. Die uterinen K+-Kanäle dürften sich jedoch von denen anderer glatter Muskelzellen unterscheiden. Sie tragen über einen von cGMP unabhängigen Mechanismus zur Relaxierung des Myometriums bei und werden wahrscheinlich direkt von Stickstoffmonoxid (NO) stimuliert (Baxton 2004; 7 Kap. 23.2.7).
Schrittmacherzellen Das Myometrium zählt zur Klasse der phasischen glatten Muskulatur. Sie ist im Gegensatz zur tonischen glatten Muskulatur dadurch charakterisiert, dass es während einer Depolarisation zur Relaxierung kommt. Weiterhin benötigt die tonische glatte Muskulatur eine externe Aktivierung durch Innervation bzw. hormonelle Stimulation. Spontane Depolarisationen von Muskelzellgruppen übernehmen im Myometrium die Funktion von Schrittmacherzellen, die jedoch im Gegensatz zum Herzmuskel anatomisch nicht lokalisierbar sind. In humanen Myometriumzellen wurden Ca2+-abhängige – Cl -Kanäle nachgewiesen. Diese erzeugen einen aus der Zelle gerichteten Stromfluss als Antwort auf eine intrazelluläre Erhöhung von Ca2+, wodurch es zur Depolarisierung der Zellmembran und zu einer erhöhten Erregbarkeit des Myometriums kommt (Brainard 2007). Daher wird den Cl-–-Kanälen eine Schrittmacherfunktion zugesprochen, die durch Frequenz- und Amplitudenzunahme spontane, uterine Kontraktionen bewirken.
23.2.4
Zusammenspiel zwischen den membranständigen Hormonrezeptoren und den durch G-Protein vermittelten Einflüssen auf Second-Messenger-Systeme.
Heptahelikale, G-Protein-aktivierende Rezeptoren des Myometriums Die heptahelikalen Rezeptoren sind eine Familie von Proteinen, die die Zellmembran in einer transmembranären Konfiguration in Form einer 7-fachen Helix überspannen. Sie stehen mit dem heterotrimeren, aus einer α-, β- und γ-Kette bestehenden G-Protein (guaninbindendendes Protein) in Verbindung. Die α-Untereinheit bindet GDP oder GTP mit hoher Affinität. Eine Aktivierung des heptahelikalen Rezeptors durch den entsprechenden Liganden bewirkt durch Bindung von GTP an die Gα-Untereinheit eine Abspaltung des GαGTP (. Abb. 23.7) Komplexes von der βγ-Einheit. Dieser stellt den aktiven Faktor dar, der die Effektorproteine (zellmembrangebundene Enzyme, Adenylatzyklase, Phospholipase C, Ionenkanäle) reguliert. Die Hydrolyse von aktivem GTP zu inaktivem GDP bewirkt wiederum eine rasche Bindung der α-Untereinheit an den βγ-Komplex. Anders ausgedrückt, das G-Protein ist eine Proteinase. Somit hat dieses Regulatorprotein einen eingebauten Deaktivierungsmechanismus. In Abhängigkeit von der Aminosäuresequenz und Wirkung kann man vier Untergruppen des Gα-Proteins unterscheiden: 4 Die GαS-Untereinheit hat einen relaxierenden Effekt über eine Aktivierung der Adenylatzyklase, die die Konzentration von cAMP erhöht, das die glatte Muskulatur relaxiert. Weiterhin ist sie an der Regulation der Ionenkanäle beteiligt. 4 Die Gαi-Untereinheit wirkt größtenteils kontraktionsfördernd auf das Myometrium durch Inhibition der Adenylatzyklase. Die aktivierte Gαi-Untereinheit vermag aber auch durch eine eigenständige Wirkung des abgespaltenen βγ-Komplexes eine Erhöhung des freigesetzten Kalziums durch Aktivierung von Phospholipase C hervorzurufen und damit kontraktionsfördernd zu wirken. 4 Die Gαq-Untereinheit bewirkt durch Aktivierung von Phospholipase C einen stimulierenden Effekt auf das My-
Endokrine Regulierung des Myometriums
In den meisten Bereichen sind sich die Muskulatur des Myometriums und der Gefäße ähnlich. Darauf muss beim Einsatz von Pharmaka Rücksicht genommen werden. Einen wichtigen Unterschied gibt es bezüglich der Innervation: Im Gegensatz zur Gefäßmuskulatur ist das Myometrium kaum innerviert, und es kommt während der Schwangerschaft noch zu einer weiteren Verminderung. Ein durch jüngere Forschungsergebnisse immer bedeutsamer werdender Mechanismus ist das
. Abb. 23.7. Abspaltung der aktivierten α-Untereinheit des G-Proteins durch hormonelle Aktivierung des Rezeptors
483 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
ometrium. Durch eine Aktivierung von »second messenger« steigt die intrazelluläre Kalziumkonzentration. 4 Die Gα12-Untereinheit ist vorwiegend in den Na+-K+-Ionenaustausch involviert. Als Liganden der für die Funktion des Myometriums bedeutsamen heptahelikalen Rezeptoren fungieren Hormone (βadrenerge Katecholamine, Azetylcholin, Oxytozin, Vasopressin, Prostaglandine, LH/HCG, Relaxin, »parathyroid hormone-related peptide« etc.) sowie Neuropeptide (»corticotropin releasing hormone«, »calcitonin gene related protein«, Adrenomedullin, vasoaktives intestinales Polypeptid etc.). Diese können auch in autokriner bzw. parakriner Funktion ihre spezifischen Rezeptoren aktivieren. Ebenso vermag ein und derselbe heptahelikale Rezeptor auch verschiedene Subtypen der Gα-Untereinheit zu aktivieren.
Studienbox Es gibt nun Hinweise, dass gegen Ende der Schwangerschaft ein Wechsel von einem Status der Dominanz des Rezeptor-Gαs-verbundenen Systems zu einem Rezeptor-Gαi/ q/11-verbundenen System stattfindet (Europe Finner et al. 1996; Lajat et al. 1996). Auch ein Einfluss von Progesteron und Östradiol auf die Expression des G-Proteins wurde nachgewiesen (Cohen Tannoudji et al. 1995). Dies würde eine gute Erklärung für einen Wechsel von der Ruhephase des Myometriums zur Vorbereitungsphase darstellen (Lopez Bernal et al. 1995). Es konnte in neueren Studien auch ein Einfluss von Proteinen, die das Signal der G-Proteine regulieren (»regulators of G protein signaling« oder RGS-Proteine), auf die Kontraktilität des Myometriums gezeigt werden (Park et al. 2001). Unter dem Einfluss von Oxytozin kam es in der Myozytenzellkultur zu einer Zunahme der mRNA für RGS-2 und somit zu einer oxytozingesteuerten Involvierung von RGS2 in der Beeinflussung der myometranen Kontraktilität.
Insbesondere die Tatsache, dass eine Vielzahl von Membranrezeptoren, die in diesem Kapitel besprochen werden, ihre Aktivierung über ein und dasselbe Protein weiterleiten, lässt einen Schluss auf die besondere Wichtigkeit dieses beschriebenen Mechanismus im Sinne einer Kontraktilitätszunahme zu. Weitere Ergebnisse, die Klarheit auf diesem komplexen Gebiet bringen, sind jedoch noch abzuwarten.
Steroidhormone Dominierend ist der Einfluss der Steroidhormone auf die glatte Muskulatur des Myometriums mit der Steuerung kontraktionsfördernder Proteine sowie anderer Faktoren, die der Erregungsausbreitung innerhalb des Myometriums dienlich sind. Zur Erweiterung des Wissens auf diesem Gebiet dienten v. a. Studien am Tiermodell. Hier kommt das Vorhandensein von Steroidhormonrezeptoren in den Reproduktionsorganen aller Säugetiere zugute. Die ausgeprägte Homologie der Sequenzen der Rezeptorproteine sowie deren mRNA lässt den Schluss zu, dass die grundlegenden Mechanismen der Steroidhormonwirkung
bei allen Säugern sehr ähnlich sind. Im Gegensatz zum Tierexperiment kommt es beim Menschen jedoch während der Schwangerschaft zu einer konstanten Zunahme sowohl des Estradiol- als auch des Progesteronspiegels bis zur Geburt. Bei den meisten Tieren ist der Estradiolspiegel während des überwiegenden Anteils der Gravidität niedrig und steigt am Termin an. Östrogeneinfluss. Die Zunahme des Östrogenspiegels während der Schwangerschaft hat die in der 7 Übersicht genannten, grundlegende Veränderungen im Myometrium zur Folge. Veränderungen im Myometrium durch Zunahme des Östrogenspiegels 4 Verstärkung der Kontraktilität 4 Zunahme der Erregbarkeit durch extrinsische (humorale, neuronale) Mediatoren, aber auch Abnahme der Erregbarkeit durch intrinsische, intrazelluläre Faktoren 4 Zunahme der Synthese von Connexin (die dadurch bedingte Vermehrung der Gap Junctions führt zur Erleichterung der Ausbreitung von Aktionspotenzialen) 4 Indirekte Einflüsse auf das Myometrium durch: – Erhöhung der uterinen Perfusion – Zunahme der sympathischen und der vasoaktiven intestinalen Polypeptid(VIP)-Innervation
Progesteroneinfluss. Im Gegensatz zum Östrogen zeigt das Progesteron größere speziesabhängige Variationen (7 Übersicht). Veränderungen im Myometrium durch Progesteron 4 Down-Regulation des eigenen Rezeptors 4 Verzögerung der Östrogenrezeptorsynthese sowie Beeinträchtigung der oben beschriebenen östrogenrezeptorvermittelten Wirkungen 4 Hemmung der Corticotropin-releasing-hormoneSynthese 4 Synthese von Proteinen, die die Produktion von Phospholipase A2 und C inhibieren; dies hat mehrere Änderungen der Eigenschaften des Myometriums zur Folge: – Destabilisierung des Membranpotenzials – Unterdrückung von Ausbildung und Funktion der Gap Junctions, – Hemmung der Synthese zellmembranständiger, kontraktionsfördernder Rezeptoren mit Ausnahme der Cholinrezeptoren vom Muskarintyp und einiger Prostaglandinrezeptoren – Zunahme der Synthese der β-Mimetika-aktivierten Rezeptoren – Beeinflussung der Komponenten des Second-messenger-Systems durch Zunahme der β-Rezeptorengesteuerten Adenylatzyklaseaktivität sowie Hemmung der β2-agonistisch vermittelten Suppression der Adenylatzyklase. Damit kommt es zu einem Überwiegen der β-Rezeptoren-vermittelten Wirkung im graviden Uterus.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Progesteron beeinflusst die Kontraktilität des Myometriums sowohl durch genomische als auch nichtgenomische Wirkung. Die genomische Wirkung erreicht die Veränderung der Expression spezifischer, kontraktionsassoziierter Gene und beeinflusst so langzeitig das Myometrium, während die nichtgenomische Wirkung des Progesterons schneller ist und in die intrazelluläre Signaltransduktion eingreift (Mesiano u. Welsh 2007).
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Steroidhormonrezeptoren Der humane Progesteronrezeptor (PR) kommt im Myometrium in 2 Untertypen vor: PR-A und PR-B. PR-A unterdrückt die über PR-B induzierten Progesteronwirkungen. Es wurde beobachtet, dass es bei Wehenbeginn am Termin zu einem signifikanten Anstieg der myometranen Expression der PRA/PR-B-Ratio kommt (Mesiano 2004). Im direkten Vergleich von Myometriumgeweben in unterschiedlichen Gestationsaltern lag die PR-A/PR-B-Ratio bei Frühgeburten ohne Wehen (SSW 24–33) bei 0,5, nahm bei Termingeburten ohne Wehen auf 1 zu und stieg bei Wehentätigkeit am Termin weiter auf 2,7 (Merlino et al. 2007) Während des größten Teils der Schwangerschaft verhält sich das Myometrium relativ unempfindlich gegenüber Östrogenen bezüglich der genetischen Expression der kontraktionsassoziierten Proteine (7 unten). Dies ist eine Folge der sehr niedrigen Konzentrationen von Östrogenrezeptor α (ERα) und Östrogenrezeptor β (ERβ). Die ERα-Expression steigt mit Wehenbeginn deutlich an, was die Annahme mit sich bringt, dass die funktionelle Östrogenaktivierung über eine erhöhte ERα-Expression ausgelöst wird (Mesiano u. Welsh 2007). Die gleichzeitige Beobachtung, dass die mRNA-Spiegel von ERα mit denen der PR-A/PR-B-Ratio korrelieren, legt die Vermutung eines funktionellen Zusammenhangs zwischen nukleären PR und ERα-Systemen nahe. Rezeptoren mit Wirkung auf den Zellkern wie der PR werden durch zahlreiche Koregulatoren, Koaktivatoren und Korepressoren in ihrer transkriptionellen Aktivität beeinflusst. In humanen Gewebeproben des Myometriums unter Wehentätigkeit wurde nun eine deutliche Expressionsverminderung des Koaktivators cAMP-response-element-Bindungsprotein als auch von Vertretern der Steroidrezeptorkoaktivatorfamilie gefunden (Mendelson u. Condon 2005). Die nun daraus resultierende verminderte Expression der durch den PR induzierten Gene führt zu einer zunehmenden Kontraktionsbereitschaft des Myometriums und stellt ein weiteres Beispiel für die Steuerung der Steroidhormonwirkungen auf Rezeptorebene dar.
4 4
Bänderstrukturen des Beckens scheint Relaxin v. a. eine wichtige Aufgabe bei der Zervixreifung zu haben (Downing u. Sherwood 1986). Auch Plazenta und Dezidua sind Orte der Synthese von Relaxin. Dem dort gebildeten Relaxin werden auto-/parakrine Wirkungen zugeschrieben. Spezifische Rezeptoren für Relaxin wurden in humanem Gewebe nicht beschrieben, es scheint jedoch einen verantwortlichen Rezeptor der G-Protein-gebundenen, 7-fachen Helixstruktur zu geben, da Relaxin die Adenylatzyklase aktiviert. Im Tierversuch wurde bei Nagern eine uterusrelaxierende Wirkung durch Relaxin gefunden, die beim Menschen jedoch nicht eindeutig nachweisbar war. Relaxin scheint auch das Bindungsverhalten des Oxytozinrezeptors zu beeinflussen. Es konnte unter Anwendung von Verdrängungsexperimenten in primären Myometriumzellkulturen, die mit Relaxin inkubiert wurden, gezeigt werden, dass die Oxytozinbindungsfähigkeit an seinen Rezeptor um bis zu 28% sank (Friebe-Hoffmann et al. 2001). Hohe Konzentrationen von Relaxin könnten daher unter Beeinflussung der Oxytozinbindung an seinen Rezeptor zur Ruhigstellung des Myometriums führen.
Hormone der Nebenniere Kortisol und Dehydroepiandrosteron (DHEA). Glukokorti-
Relaxin
koide scheinen selbst keine Kontraktionsauslösung am Myometrium zu bewirken, sind jedoch wichtig für den Metabolismus der Zellen des Myometriums. 4 Durch länger andauernde Behandlung mit Dexamethason wurde weder der Beginn, noch die Dauer der Wehentätigkeit beeinflusst (Gennser et al. 1977). Im Tiermodell hingegen – besonders gut untersucht wurde hier das Schaf – ist das Kortisol, insbesondere das fetal gebildete Kortisol, von besonderer Wichtigkeit für die Geburtsauslösung (Liggins et al. 1977). Hier kommt es zu einem durch Kortisol bedingten Wechsel der Steroidgenese in der Plazenta bzw. im Corpus luteum von Progesteron zu Östrogen. Dies bewirkt v. a. eine Stimulation der PGF2α-Produktion in uterinen Geweben mit Auslösung von Kontraktionen. 4 Beim Menschen sind DHEA und sein Sulfat DHEAS (Parker et al. 1982) aufgrund der niedrigen Aktivität von 3βHydroxysteroid-Dehydrogenase die wichtigsten Produkte der fetalen Nebenniere. Beide dienen als Vorstufe der im Laufe der Schwangerschaft zunehmenden plazentaren Östrogensynthese, wobei Estriol vorwiegend aus fetalen Vorstufen gebildet wird, während sich Estradiol und Estron aus maternalen und fetalen Vorstufen entwickeln (Murphy 1981).
Die Synthese dieses Polypeptidhormons erfolgt im Corpus luteum während der Schwangerschaft. Es ist Bestandteil der Insulin-like-growth-factor-Familie. Für den Menschen ist die Wirkung des Relaxins, das seine Plasmaspitzenwerte zwischen der 8. und 12. SSW (ca. 1 ng/ml) aufweist und dann relativ niedrige Werte bis zur Geburt zeigt, nicht restlos geklärt. 4 Im Gegensatz zu vielen Säugetieren kommt es beim Menschen zu keinem plötzlichen Anstieg von Relaxin vor Wehenbeginn. Neben der bekannten Wirkung auf die
Gegen Ende der Schwangerschaft erhöht sich auch die Kortisolproduktion des Fetusses, jedoch ist der Übertritt von mütterlichem Kortisol und Kortison in den fetalen Kreislauf für den Großteil des fetalen Spiegels verantwortlich. Zu Beginn der 2. Schwangerschaftshälfte kommt es durch die Zunahme von 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase in der Plazenta zu einer vermehrten Umwandlung des mütterlichen Kortisols in das inaktive Kortison, bevor es in den fetalen Kreislauf ge-
485 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
langen kann. Die daraus resultierende Verminderung der Suppression der fetalen Hypophyse durch mütterliches Kortisol führt zur Bildung von adrenokortikotrophem Hormon (ACTH), das seinerseits die fetale Kortisol- und DHEA-Synthese anregt. Aus diesen fetal gebildeten Vorstufen kann nun in der Plazenta Östradiol gebildet werden, das die Bildung von Low-density-Lipoprotein (LDL) sowie Cholesterin in der fetalen Leber induziert. Diese dienen dann als Vorstufen der Kortisolbildung in der fetalen Nebenniere. Kontraktilität des Myometriums in Abhängigkeit von der Tageszeit. Sowohl im Myometrium schwangerer Frauen als
auch bei Rhesusaffen zeigt sich eine Aktivitätszunahme mit Spitzen in der 2. Nachthälfte und am frühen Morgen (Taylor et al. 1983; Zahn 1984). Die Ursachen dieser tageszeitabhängigen Schwankungen sind nicht geklärt. Bei Primaten kommt es parallel mit der Aktivitätszunahme zum Anstieg des fetalen Progesteron- und DHEAS-Spiegels. Mütterliche Estradiolund Progesteronspiegel zeigen ebenso tageszeitabhängige Schwankungen, jedoch mit einer Phasenverschiebung in Relation zu den fetalen Schwankungen. Katecholamine und uterine Innervation. Der Uterus ist vorwiegend sympathisch innerviert. Die Nervenfasern enthalten zum überwiegenden Teil Norepinephrin, es kommen aber auch dopaminerge, serotoninerge und VIP-haltige Nerven im Uterus, der Zervix und der Vagina vor (Sjöberg et al. 1984). Die vier Rezeptortypen der adrenergen Innervation, α1, α2, β1 und β2 werden im Bereich des Uterus gefunden. Vereinfacht kann man sagen, dass die Aktivierung des α-Rezeptors eine Kontraktion und die des β-Rezeptors eine Relaxierung bewirkt; jedoch scheint der α2-Rezeptor keine kontraktile Funktion auszuüben. Die größte Dichte an Nerven findet sich im Bereich des Tubenwinkels und der Zervix, während Corpus uteri und Fundus uteri geringer innerviert sind. Die Neurotransmitterkonzentration wird durch Östrogene verstärkt und durch Progesteron erniedrigt. Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es nach einer anfänglichen Zunahme zu einem fast kompletten Verschwinden von nachweisbaren Katecholaminen im Korpus- und Fundusbereich. Im Gegensatz dazu bleibt der Gehalt an Neurotransmittern im Zervixbereich, im Bereich der Vagina und im Eileiter gleich. Daher nimmt man an, dass die adrenerge Innervation nur eine geringe Bedeutung während der Geburt besitzt, wie auch der relativ geringe Effekt von βBlockern auf die spontane Wehentätigkeit zeigt. Cholinerge Innervation. An der cholinergen Innervation des Uterus sind v. a. Neuronen der parazervikalen Ganglien beteiligt. Studien am Rattenmodell haben gezeigt, dass es durch Stimulation cholinerger Nerven zu spannungs- und frequenzabhängigen zervikalen und uterinen Kontraktionen kommt. Vor allem die Zervix ist durch cholinerge, muskarinartige Rezeptoren innerviert. Zusammenfassend scheint das autonome Nervensystem bei der Entstehung von Kontraktionen nur von untergeordneter Bedeutung zu sein (Morizaki et al. 1989). Dies wird durch die Beobachtung bestätigt, dass die Austreibung des
Fetusses auch ohne nervale Aktivität funktioniert. Die Bedeutung der adrenergen und cholinergen Innervation liegt möglicherweise in der Koordination der Kontraktionen.
Neuropeptide Neuropeptide werden definiert als Peptide, die zur interzellulären Signalübertragung von Nervenzellen freigesetzt werden. Zahlreiche Neuropeptide werden auch von anderen Zellen im Sinne einer Hormonwirkung eingesetzt und haben wichtige Funktionen bei der Steuerung der myometranen Erregbarkeit. Corticotropin Releasing Hormone (CRH). Während der Gravidität kann man einen eindrucksvollen Anstieg der zirkulierenden CRH-Plasmaspiegel beobachten. Insbesondere in der 2. Schwangerschaftshälfte kommt es zu einem exponenziellen CRH-Anstieg, der im Vergleich zu nicht graviden Frauen um den Faktor 103 höher liegt (Campbell et al. 1987). In diesem Kapitel werden v. a. die Angriffspunkte dieses Hormons, nämlich der CRH-Rezeptor und seine Eigenschaften für die myometrane Kontraktilität, besprochen. Die Signaltransduktion über den CRH-Rezeptor (CRHR) ist von mehreren Faktoren abhängig: Zum einen bestehen mehrere Rezeptoruntertypen mit unterschiedlichen Wirkungen (Grammatopoulos et al. 1995), zum anderen kommt es während der Schwangerschaft zu einer Zunahme der Bindungsaffinität zwischen CRH und seinem Rezeptor (Mirabile et al. 2000). Der CRH-R wird von 2 verschiedenen Genen exprimiert (CRH-R1 und CRH-R2): 4 CRH-R1 besitzt aufgrund unterschiedlicher Proteinsequenzen 4 verschiedene Untertypen: CRH-R1α, CRHR1β, CRH-R1c und CRH-R1d. Durch die Unterschiede der Sequenzen kommt es zu verschiedenen Bindungsaffinitäten sowohl mit CRH als auch mit dem G-Protein und der Adenylatzyklase. 4 CRH-R2 wird ebenfalls aufgrund seiner unterschiedlichen Amimosäurensequenzen am N-terminalen Ende in 3 Untergruppen, CRH-R2α, CRH-R2β und CRH-R2γ⋅ unterteilt und besitzt eine höhere Bindungsaffinität zu Urocortin, einem Peptid der CRF-Familie. Dieses wird lokal im Myometrium synthetisiert und scheint die Kontraktilität über den CRH-R2 zu beeinflussen.
Die relative Expression dieser CRH-R-Untertypen wechselt mit fortschreitendem Gestationsalter, ihre individuellen Aufgaben sind im Einzelnen jedoch noch nicht geklärt. Im nicht graviden Myometrium werden nur der CRH-R1α, R1β und R2β exprimiert, während im terminnahen Myometrium alle Untertypen zu finden sind (Grammatopoulos et al. 1998). Dies lässt darauf schließen, dass CRH aufgrund der unterschiedlichen Rezeptorexpression seiner Subtypen zwischen nicht schwangeren und graviden Myometrien auch unterschiedliche Wirkungen induziert. CRH-Rezeptoren sind vorwiegend mit dem Secondmessenger-System der Adenylatzyklase verbunden. Dadurch kommt es zu einer vermehrten, intrazellulären cAMP-Produktion, wodurch das Myometrium relaxiert wird. Bemerkenswert ist, dass diese CRH-R-Verbindung mit der Adenyl-
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
atzyklase im nicht graviden Myometrium nicht besteht. Der CRH-R aktiviert verschiedene Klassen an G-Proteinen. Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es zu einem bemerkenswerten Wechsel dieser G-Protein-vermittelten Wirkung: 4 Vor der 35. SSW dominiert die CRH-vermittelte Aktivierung der GαS-Untereinheit mit einem relaxierenden Effekt, während kein Effekt auf eine Gαq-Aktivierung nachzuweisen ist. 4 Im terminnahen Myometrium kommt es jedoch vorwiegend zu einer Aktivierung der Gαq-Einheit, wodurch in der Folge über eine Stimulation der Phospholipase C/IP3 die Kontraktion des Myometriums gefördert wird.
Studienbox Jüngste Untersuchungen der intrazellulären Signale in Myozyten wiesen nach, dass CRH auch die Synthese von Prostaglandinen im Myometrium beeinflussen kann (Hillhouse u. Grammatopoulos 2001). So konnte gezeigt werden, dass CRH die PGE2-Produktion inhibiert und somit kontraktionshemmend wirkt. Weiterhin wurde eine stimulierende Wirkung von CRH auf die Synthese der löslichen und membrangebundenen Guanylzyklase gefunden, die in weiterer Folge die Hinaufregulierung der cNOS bewirkt. Diese beiden Wirkkreise, nämlich Inhibition von PGE2 und Produktion von Stickstoffmonoxid, unterstreichen wieder die vorwiegend myometriumrelaxierenden Eigenschaften von CRH.
Erwähnenswert ist der Einfluss von Oxytozin auf den CRH-R in Terminnähe. Die Wirkung von Oxytozin erfolgt v. a. über die OT-Rezeptor-vermittelte Aktivierung der Second-messenger-IP3/Proteinkinase C (PKC) (7 unten »Oxytozin und Vasopressin«). Aktivierte PKC führt in weiterer Folge zu einer Phosphorylierung des CRH-R, was eine Desensitivisierung und Abnahme der CRH-R-Bindungsaffinität zu CRH zur Folge hat (Grammatopoulos u. Hillhouse 1999). Somit inhibiert Oxytozin die relaxierende Eigenschaft von CRH und führt über diesen Weg zu einer Steigerung der Kontraktilität. > Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der CRH-R scheinbar abhängig vom Gestationsalter eine 2-fache Funktion ausübt: einerseits eine myometriumrelaxierende, »protektive« Wirkung während der Schwangerschaft und eine kontraktionsfördernde Wirkung am Termin bzw. aus pathologischer Sicht bei vorzeitigen Wehen.
Neuromedin U. Neuromedine wurden ursprünglich aus dem Zentralnervengewebe isoliert, wodurch sie ihren Namen erhielten. Neuromedin U bekam sein Suffix aufgrund der Fähigkeit, uterines Myometrium zu kontrahieren. Es wurden auch 2 Neuromedinrezeptortypen (NmU-R1 und NmU-R2) entdeckt (Brighton et al. 2004). Vor allem im Tierexperiment konnte eine hohe Expression an NmU-R2 im Myometrium gemessen werden. Bemerkenswert ist das Vorkommen des NmU-R2 im Hypothalamus, wo er eine Freisetzung von CRH und Vasopressin bewirkt.
Tachykinine. Tachykinine stellen eine Familie biologisch aktiver Peptide dar, die eine gleichartige Aminosäuresequenz an ihrem C-terminalen Ende zeigen. Ihr breites Wirkspektrum sowohl auf die glatte Muskulatur als auch auf das Zentralnervessystem, auf urogenitale Gewebe, Lunge und Gastrointestinaltrakt beruht auf der Existenz von drei oder mehr Untertypen an Tachykininrezeptoren (Pennefather et al. 2004). Tachykinine besitzen eine starke uterotone Fähigkeit. Die Steuerung der Expression von Tachykininen sowie ihrer Rezeptoren erfolgt durch Steroidhormone.
23.2.5
Funktionsänderungen bei Wehenbeginn
Einfluss von Steroidhormonen Mütterliche Steroide. Steroidhormonspiegel zeigen bei Wehenbeginn beim Menschen im Gegensatz zu den meisten Tierarten keine Veränderungen, die aufgrund der oben genannten Einflüsse die Wehentätigkeit auslösen könnten (Anderson et al. 1985; Dorr et al. 1989; Hartikainen et al. 1981; Hercz et al. 1989). Weder konjugierte und unkonjugierte Steroide noch freie und proteingebundene Formen ändern beim Einsetzen der Wehentätigkeit ihre Konzentration. Ebenso bleiben die in den Uterinagefäßen gemessenen Steroidspiegel gleich. Durch die Entwicklung des Progesteronrezeptorblockers Mifepriston (RU486) kann die physiologische Wirkung des Progesterons genauer definiert werden. Bei Ratten konnte durch Mifepriston nahe am Termin die Geburt eingeleitet werden, die jedoch deutlich verlängert war. Bei Frauen in der Frühschwangerschaft muss zur Durchführung eines induzierten Aborts mit Mifepriston zusätzlich Prostaglandin administriert werden, während bei intrauterinem Fruchttod die Geburt mit Mifepriston alleine ausgelöst werden kann.
Urokortin. Urokortine sind Neuropeptide, die zur Cortico-
Studienbox
tropin-releasing-factor-Familie (CRF) zählen. Das humane Myometrium exprimiert Urokortin 1 und Urokortin 2, die vorwiegend über den CRF-Rezeptor wirken (Florio et al. 2004). Insbesondere Urokortin 2 aktiviert den CRF-2-Rezeptoruntertyp, der in der Schwangerschaft zunehmend mit dem Gestationsalter exprimiert wird. Ebenso wurde eine erhöhte fetale Urokortinproduktion in der Nabelschnur sowohl am Termin als auch bei Frühgeburten festgestellt (Florio et al. 2005).
Die Bedeutung abnorm hoher bzw. niedriger Östrogenspiegel zu Geburtsbeginn konnte nicht geklärt werden. Mütter mit Sulfatasemangel, durch den fetales DHEAS nicht in Östrogene umgewandelt werden kann, zeigten ein erhöhtes Vorkommen an Übertragungen (Lykkesfeldt et al. 1984). Andererseits ist die Übertragung generell nicht mit erniedrigten Östrogenspiegeln vergesellschaftet (Reynolds et al. 1986).
487 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
Fetale Steroide. Über die Bedeutung der fetal gebildeten Ste-
roide zur Geburtsauslösung gibt es unterschiedliche Angaben. Einerseits konnte gezeigt werden, dass es vor dem Wehenbeginn zu einem Anstieg des fetalen Kortisolspiegels kam (Murphy 1974). In einer anderen Studie, die sowohl die Kortisol- und DHEA-Spiegel als auch Östrogene und Progesteron bei Mutter und Kind im Rahmen von Sectiones evaluierte, konnte kein Unterschied vor und nach Wehenbeginn gefunden werden (Laatikainen et al. 1980). In diese Richtung weisen auch Schwangerschaften von anenzephalen Feten, deren Nebennieren hypotroph waren (Honnebier u. Swaab 1973). Die Ausschüttung von Androgenen und Kortikoiden war niedrig, während das aus der Plazenta stammende Progesteron unbeeinflusst war. Hier zeigte sich, dass die Inzidenz der spontanen Wehentätigkeit keinen Unterschied zu normal entwickelten Feten aufwies.
Oxytozin und Vasopressin Das aus 9 Aminosäuren bestehende Peptid Oxytozin stellt das am stärksten uterotonisch wirksame Hormon dar und wird aufgrund dessen routinemäßig in der Geburtshilfe zur Unterstützung der Wehentätigkeit, bei postpartaler Blutung und zur Uterusinvolution eingesetzt.
Studienbox In letzter Zeit gab es Kontroversen über die physiologische Bedeutung von Oxytozin (OT). Einerseits konnte der nachgewiesene, tokolytische Effekt des Oxytozinrezeptoragonisten Atosiban sowohl am Termin als auch bei vorzeitigen Wehen die Wichtigkeit von OT für die Kontraktilitätssteigerung des Myometriums und die Wehenauslösung unterstreichen (Worldwide Atosiban versus Beta-agonists Study Group 2001; Helmer et al. 2001). Andererseits jedoch wurde bei Mäusen, in denen das Gen für OT inaktiviert wurde (OT-/-Mäuse), ein ungestörter Geburtsvorgang beobachtet, die Laktation bei diesen Mäusen war jedoch nicht möglich (Nishimori et al. 1996).
Somit kann geschlossen werden, dass – zumindest im Mausmodell – OT zwar essenziell für die Laktation, nicht jedoch für die normale Geburt ist. Wenn man aber die Fülle an Funktionsabläufen bedenkt, die an der Kontraktionsauslösung beteiligt sind, erscheint es nicht verwunderlich, dass bei Ausschaltung eines Faktors der gesamte Prozess der Wehenauslösung weiterhin funktioniert. Vasopressin, ebenfalls ein aus 9 Aminosäuren bestehendes »Nonapeptid«, wird wie OT in den neurosekretorischen Zellen der Nuclei supraopticus und paraventricularis synthetisiert und in der Neurohypophyse gespeichert. Vasopressin besitzt eine uteruskontrahierende Wirkung, die über spezifische Rezeptoren der Myozyten, den Vasopressin-1a-Rezeptoren, vermittelt wird Mütterliche Plasmaspiegel. Das aus 9 Aminosäuren zusammengesetzte Oxytozin besitzt die Fähigkeit, am Ende der Schwangerschaft in geringsten Mengen (1–10 μU/ml) Wehen
auszulösen (Fuchs et al. 1991). Aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit (4–7 min) ist eine genaue Messung des Plasmaspiegels nur schwer möglich. Unter Verwendung eines neuen spezifischen Antikörpers mit erhöhter Sensitivität zeigte sich, dass Oxytozin pulsatil sezerniert wird. Messungen des Plasmaspiegels ergaben, dass vor dem Wehenbeginn 1–2 Konzentrationsanstiege/30 min bestanden, die sich mit Fortsetzung der Wehentätigkeit auf 4–7 Impulse erhöhten, während die Amplitude der Impulse fast gleich blieb. Seit langer Zeit sind der Hypothalamus und die Neurohypophyse als Orte der Synthese und Speicherung von Oxytozin bekannt. Nun wurde auch die Synthese von Oxytozin in Amnion, Chorion und Dezidua nachgewiesen (Chibbar et al. 1993). Dies spricht auch für die Möglichkeit eines autokrinen/ parakrinen Mechanismus der Rezeptorenstimulation, die evtl. durch den Einfluss von Steroidhormonen gesteuert wird (Mitchell u. Chibbar 1995). Oxytozin- und Vasopressinrezeptoren des Uterus. Im Gegensatz zu anderen Rezeptoren der Gruppe kontraktionsassoziierter Proteine scheint die Wirkung von OT nur über einen Rezeptortyp übermittelt zu werden, jedenfalls konnte bisher nur ein Rezeptortyp strukturell identifiziert werden. Die Konzentration der Oxytozinrezeptoren (OTR) im menschlichen Myometrium nimmt im Laufe der Schwangerschaft um den 100-fachen Wert zu (Fuchs et al. 1982, 1984). Durch diese Sensibilisierung gegenüber dem Liganden v. a. gegen Ende der Schwangerschaft genügen auch geringe Mengen (Impulse) an sezerniertem Oxytozin, um Kontraktionen auszulösen (Funktionskreislauf in . Abb. 23.8). Diese Kontraktionen können durch Alkoholinfusion (Fuchs et al. 1971) sowie durch Anwendung spezifischer OTR-Blocker (Atosiban; Goodwin et al. 1994) unterdrückt werden. Unmittelbar vor Wehenbeginn steigt die Oxytozinrezeptorkonzentration nochmals um das 2- bis 3-Fache an, womit eine weitere Sensibilisierung des Myometriums einhergeht, wie in einer Studie durch fortlaufende
. Abb. 23.8. Die Besetzung des Oxytozinrezeptors bewirkt eine GProtein-vermittelte Aktivierung des Second-messenger-Systems, die Kalzium aus intrazellulären Speichern (ER endoplasmatisches Retikulum) durch Aktivierung eines spezifischen Rezeptors freisetzt sowie einen Kalziumeinstrom aus dem Extrazellulärraum vermittelt
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Gabe von exogenem OT in gleichen Dosen über mehrere Tage nachgewiesen werden konnte (Fuchs u. Fuchs 1984). Auch die OTR-Konzentration in der Dezidua steigt während der Schwangerschaft um den 100-fachen Wert an. Das Verteilungsmuster der OTR innerhalb des Uterus zeigt entsprechend den physiologischen Anforderungen hohe Konzentrationen im aktiven Fundus- und Korpusbereich und niedrige Konzentrationen im passiven unteren Uterinsegment und in der Zervix. > Der nicht schwangere Uterus lässt sich durch Vasopressin besser kontrahieren als durch Oxytozin (Embrey u. Moir 1967).
Das ist eine Folge der hohen Konzentration an Vasopressin1a-Rezeptoren im zyklischen Myometrium, der man eine physiologische Rolle bei der Uterusmobilität zuschreibt. Während der Schwangerschaft kommt es auch zu einer Zunahme der Vasopressin-1a-Rezeptorenkonzentration, die jedoch wesentlich geringer ist als der Konzentrationsanstieg der OTR (Ivanisevic et al. 1989). Der Anstieg der Vasopressin-1a-Rezeptorenkonzentration während der Schwangerschaft scheint im Gegensatz zur Oxytozinrezeptorkonzentration, die aufgrund der deutlich steigenden mRNA transkriptionell gesteuert ist, durch posttranskriptionelle bzw. proteinstabilisierende Mechanismen gesteuert zu sein (Helmer et al. 1998). Letztlich ist der genaue Steuerungsmechanismus der OTR ungeklärt. Erwähnenswert ist das Vorhandensein von AkutePhase-Response-Elementen (APRE) sowie anderer zytokinabhängiger Bindungsstellen in der Promoterregion des OTR, die eine Beeinflussung der OTR-Transkription durch entzündungsassoziierte Interleukine ermöglicht. Dies lässt erwarten, dass es im Rahmen der physiologischen Freisetzung von Interleukinen bei der Geburt oder auch durch aszendierende Infektionen zu einer Zunahme der OTR-Konzentration kommt. Allerdings wurde festgestellt, dass IL-1 β die OTRmRNA senkt, während TNF-α und LPS die OTR-Expression nicht beeinflusste (Helmer et al. 2002). Es besteht eine wichtige Interaktion zwischen Oxytozin und Prostaglandinen. Nachweislich kommt es bei der Geburtseinleitung durch Oxytozin nur dann zur notwendigen Dilatation des Muttermundes, wenn sich gleichzeitig die mütterliche Prostaglandin-F-Synthese erhöht (Husslein et al. 1981). Der Ort der PG-Synthese scheint die Dezidua zu sein, in der es während der Schwangerschaft ebenso zu einem deutlichen Anstieg der Oxytozinrezeptoren kommt, denen eine wichtige Rolle bei der Regulation der PG-Synthese zugeschrieben wird (Fuchs et al. 1982). Fetale Oxytozin- und Vasopressinproduktion. Während der Wehentätigkeit kommt es zu einem deutlichen Anstieg der fetalen Oxytozin- und Vasopressinproduktion, der durch signifikante arteriovenöse Differenzen des Nabelschnurblutes nachgewiesen werden konnte (Johannesen et al. 1985). Die Unterschiede der Plamaspiegel sind bei Proben, die bei Kaiserschnitten nach dem Wehenbeginn gewonnen wurden, deutlich größer als bei Proben von elektiven Kaiserschnitten vor Wehenbeginn (Fuchs u. Fuchs 1984). Dies lässt den Rück-
schluss zu, dass die Hormone der fetalen Neurohypophyse nicht nur als Folge von »fetal distress« ausgeschüttet werden, sondern auch am physiologischen Ablauf der Initiierung der Wehentätigkeit beteiligt sind.
Prostaglandine Synthese und enzymatischer Abbau von Prostaglandinen erfolgt im engen Zusammenspiel zwischen Eihäuten, Dezidua und dem Myometrium (7 Kap. 23.1). In diesem Kapitel sollen v. a. Veränderungen innerhalb des Myometriums beschrieben werden. Prostaglandin-H-Synthase (PGHS). In Untersuchungen an Ratten wurde gezeigt, dass es am Wehenbeginn zu einer Zunahme von beiden Unterformen, PGHS-1 und PGHS-2, kommt. Im Unterschied dazu konnte diese Synthesesteigerung im humanen Myometrium nicht beobachtet werden. Hier fand sich eine gleich bleibende oder sogar verminderte mRNA-/Proteinexpression (Sparey et al. 1999). Prostaglandin E2 (PGE2) und Prostaglandin F2α (PGF2α).
4 Eine kontrahierende Wirkung durch Prostaglandin F2α konnte bei In-vitro-Experimenten im Fundus nur während der Wehentätigkeit gezeigt werden, jedoch nicht vorher. Im unteren Uterinsegment zeigte die Verwendung von PGF2α ein umgekehrtes Verhalten: Stimulation nur vor, aber nicht während der Wehentätigkeit. 4 Prostaglandin E2 hingegen stimulierte die uterine Aktivität sowohl vor als auch während der Wehentätigkeit. PGE2 zeigte im unteren Uterinsegment eine biphasische, konzentrationsabhängige Wirkung (Stimulation gefolgt von Inhibition) vor der Wehentätigkeit und eine kontraktionsinhibierende Wirkung bei Vorhandensein von Wehen. In Übereinstimmung dazu fand sich eine erhöhte PGE2-Expression im Myometrium von Frühgeburten im Vergleich zu Termingeburten. Diese unterschiedlichen Syntheseleistungen in verschiedenen, anatomischen Bereichen des Myometriums, die auch für PGSH-1 und PGSH-2 nachgewiesen wurden, zeigen die Möglichkeit auf, dass der autokrinen Regulation von Prostaglandinen im Myometrium zusätzlich zur parakrinen Regulierung durch Amnion und Dezidua bei der Beeinflussung der Kontraktilität des Myometriums eine wichtige Rolle zukommt. Prostaglandinrezeptoren. Kontraktionsassoziierte Proteine
wie Oxytozin- und CRH-Rezeptoren sowie ein Teil der Prostaglandinrezeptoren zeigen im Fundus uteri eine höhere Expression als im unteren Uterinsegment, wo v. a. Proteine, die für die Dilatation verantwortlich sind, exprimiert werden. Es können 4 Untergruppen des PGE2-Rezeptors dargestellt werden: EP1, EP2, EP3 und EP4 sowie ein Rezeptor für PGF2α, der FP-Rezeptor (Breyer et al. 2001). Prostazyklin (PGI2) agiert über den IP-Rezeptor und relaxiert das Myometrium durch steigende, intrazelluläre cAMP-Spiegel. Die Expression dieser Untertypen konnte im humanen Myometrium gegen Ende der Schwangerschaft nachgewiesen werden: 4 EP1- und EP3-Rezeptoren entwickeln Kontraktionen der glatten Muskulatur durch Erhöhung des intrazellulären,
489 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
freien Kalziums und Verminderung des zyklischen AMP (cAMP). 4 EP2- und EP4-Rezeptoren wirken über die Adenylatzyklase und besitzen durch Erhöhung des intrazellulären cAMP eine relaxierende Wirkung. So ist es verständlich, dass PGE2 eine über EP1- und EP3-Rezeptoren vermittelte, kontrahierende Wirkung ausüben kann, aber auch über EP2- und EP4-Rezeptoren dilatierend auf die glatte Muskulatur wirkt (Lopez Bernal et al. 1993). PGF2α stimuliert über den FP-Rezeptor den intrazellulären Kalziumspiegel und übermittelt somit eine kontraktile Wirkung. Es finden sich auch Unterschiede in der Verteilung der verschiedenen Rezeptoruntertypen. Die kontraktionsvermittelnden Rezeptoren EP1 und EP3 kommen in höheren Konzentrationen im Fundus uteri vor, während die relaxierenden Rezeptoren EP2 und EP4 eher im unteren Uterinsegment zu finden sind (Olson et al. 2003). Dieses Verteilungsmuster macht auch Sinn im Hinblick auf die Geburtsphysiologie des tiefertretenden Kopfes und der Schultern.
Studienbox Die Bedeutung des FP-Rezeptors zur Geburtsauslösung wurde auch durch Versuche an Knock-out-Mäusen mit Nullmutation für den FP-Rezeptor nachgewiesen. Bei diesen Mäusen kam es zu einem verzögerten Wehenbeginn (Sugimoto et al. 1997).
23.2.6
Rolle mechanischer Signale bei der Wehenentstehung – kontraktionsassoziierte Proteine
Die digitale Untersuchung der Zervix bzw. des Muttermundes und der Eihäute sowie spontaner Blasensprung und Amniotomie verursachen einen raschen Anstieg der Prostaglandine im Fruchtwasser sowie von PGF-Metaboliten im Plasma (Husslein et al. 1983; Mitchell et al. 1977). Man nimmt an, dass die mechanische Beanspruchung der uterinen Gewebe bei der Wehentätigkeit einen wichtigen Faktor darstellt. Bestärkt wird die Vermutung durch die allgemeine klinische Erfahrung, dass es bei Mehrlingsschwangerschaft sowie bestehendem Polyhydramnion häufiger zur Frühgeburt kommt als bei Einlingen oder normaler Fruchtwassermenge. Es konnte auch gezeigt werden, dass das Einbringen und Auffüllen von Ballonkathetern im graviden Uterus von Patientinnen mit intrauterinem Fruchttod zum Anstieg des Prostaglandinspiegels im Fruchtwasser und Serum führte. Es wird nach neueren Erkenntnissen angenommen, dass neben der endokrin bedingten Zunahme der Kontraktilität auch eine unmittelbar durch die Dehnung des Uterus bedingte Steigerung der Expression von Proteinen besteht. Diese Proteine wurden von S. Lye als Gruppe der »kontraktionsassoziierten Proteine« (»contraction-associated proteins«) zusammengefasst (Lye et al. 2001). Dazu zählen das Gap-JunctionProtein Connexin 43, der Oxytozinrezeptor und Prostaglan-
din-F-Rezeptor, der Kalzium- und Natriumkanal, Enzyme zur Regulierung der Uterotonine (Oxytozin, Prostaglandine) wie Oxytozinendopeptidase und Zyklooxygenase, Proteine zur Interaktion mit Aktin und Myosin wie die »myosin light-chain kinase« (MLCK) und Kalmodulin sowie eine Reihe weiterer Proteine, die derzeit wissenschaftlich untersucht werden. Der genaue Mechanismus, durch den es unter Dehnung zum Expressionsanstieg kontraktionsassoziierter Proteine kommt, ist nicht geklärt. Es konnte jedoch beim Anstieg von Connexin 43 (Gap Junctions) ein Zusammenhang mit zellulären DNA-Bindungsproteinen (c-fos/c-jun) gezeigt werden. Der intrauterine Dehnungsreiz scheint auch mitverantwortlich für die ausgeprägte Zellhyperplasie des Myometriums während der Schwangerschaft zu sein. Insbesondere die Aktivierung von Wachstumsfaktoren wie IGF-1, TGFβ und EGF spielen hier eine Rolle. So konnte gezeigt werden, dass IGF-1-nullmutante Mäuse nur sehr kleine Uteri besitzen und unfruchtbar sind (Baker et al. 1996). Die Zellen dieser v. a. im 1. Trimenon gefundenen Hyperplasie dienen dann als Pool für die im 2. und 3. Trimenon auftretende Zellhypertrophie, wodurch sich der Uterus an das schnelle Wachstum des Fetusses angleichen kann.
Bioengineering In den letzten Jahren hat die Wissenschaft des Bioengineering auch in der Reproduktionsmedizin Anwendung gefunden. Unter Bioengineering versteht man die Anwendung von Prinzipien der Ingenieur- und Naturwissenschaften auf Gewebe, Zellen und Moleküle. Die damit eng verwandte Biotechnologie beschäftigt sich hingegen mit der Umsetzung biologischer Kenntnisse für industrielle Verfahren. Zahlreiche Methoden des Bioengineerings fanden bereits Anwendung in medizinischen Fächern wie Orthopädie, Kardiologie, Pulmologie und Neurologie. Unter dem Begriff des Reproduktions-Bioengineerings wurden nun alle physikalischen Komponenten zusammengefasst, die entweder in struktureller oder funktioneller Weise an Reproduktionsprozessen beteiligt sind sowohl auf molekularer Ebene als auch im Gewebe bis hin zum gesamten Organ. Aus dieser Sicht kann auch das in diesem Kapitel beschriebene Zusammenwirken endokriner Signale und der mechanischen Stimulation auf die Myozyten des Uterus besser verstanden werden. Unter diesen Gesichtspunkten kann man Myozyten in 4 unterschiedliche Differenzierungsformen einteilen: Initial eine Phase der myozytären Proliferation, weiters eine synthetische Phase im Zusammenspiel mit der Synthese der extrazellulären Matrix und myozytärer Hypertrophie, eine kontraktile Phase mit vermehrter Synthese kontraktionsassoziierter Proteine (7 oben) und schließlich eine Phase erhöhter Expression myometraner, Wehen auslösender Gene mit Synthese uterotoner Agonisten (Shynlova et al. 2009). Ein weiteres Beispiel für das Gebiet des Bioengineerings ist die Anwendung des nichtinvasiven, transabdominalen Elektromyographen (EMG) zur Ableitung der Wehentätigkeit. So konnte gezeigt werden, dass das EMG den intrauterinen Druck während einer Wehe besser aufzeichnet als das übliche Tokogramm (Garfield et al. 2009)
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
23.2.7
Zytokine
Die Infektionsantwort auf verschiedene Reize stellt einen wichtigen Regelkreis dar, der eng in Zusammenhang mit der Weheninitiierung und dem Umbau der extrazellulären Matrix der Zervix steht. Bei akuten und chronischen Infektionen kommt es zur Bildung von pro- und antiinflammatorischen Faktoren. Diese regulieren die Aktivierung von residenten Zellen wie Fibroblasten, Endothelzellen, Gewebsmakrophagen und Mastzellen. Zusätzlich zu einer lokalen Antwort können spezifische Inflammationsmediatoren systemische Reaktionen wie die Synthese von Akute-Phase-Proteinen, Fieber und Hypotension induzieren. > Es gibt mehrere Gruppen von Infektionsmediatoren: Derivate der Arachidonsäure wie Prostaglandine, Leukotriene und Lipoxine, Metaboliten der Phospholipide wie der »platelet activating factor« (PAF), Proteasen, Stickstoffmonoxid (NO) und Zytokine, die eine wichtige Steuerfunktion im Zusammenspiel dieser Gruppen besitzen.
Zytokine bestehen aus Polypeptiden mit niedrigem Molekulargewicht und regulieren Funktionen des Zellwachstums und der Zellreparatur (»cell repair«), der Immunantwort, der Entzündung sowie der Hämatopoese und der Fibrose. Zur Gruppe der Zytokine zählen die Interleukine (IL), Tumornekrosefaktoren (TNF), »colony stimulating factors« (CSF), Interferone, Erythropoietin und verschiedene andere Wachstumsfaktoren. Zwei Gruppen von Zytokinen stehen während der Schwangerschaft in Balance: 4 die Gruppe mit wehenstimulierender, den Umbau der zellulären Matrix fördender Zytokine und 4 die Gruppe mit supprimierenden Eigenschaften bezüglich der Wehentätigkeit, der Inflammation und des Zellumbaus (. Abb. 23.9). . Abb. 23.9. Wehenfördernde (grauer Bereich) und supprimierende (blauer Bereich) Zytokine konkurrieren um den Einfluss auf die Kontraktilität des Uterus und die Zervixreifung (PLA2 Phospholipase A2). (Aus: Rice 2001, mit frdl. Genehmigung von S. Karger AG, Basel)
Diese Balance wird durch akute Einflüsse wie eine aszendierende, bakterielle Infektion, Störung des Immunsystems, Dehnungsreiz, intrauterine Hypoxie oder durch Signale mit fetalem Ursprung aus dem Gleichgewicht gebracht, was zur Weheninduktion und Zervixreifung führen kann. In jüngster Zeit wurde ein naheliegender Zusammenhang zwischen einem solchen fetalelen Signal und einer über Zytokine gesteuerten Kontraktionsauslösung nachgewiesen. Seit Längerem kennt man erhöhte Interleukinspiegel im Fruchtwasser sowie die Infiltration des Myometriums durch neutrophile Granulozyten und Makrophagen im Rahmen der Wehentätigkeit. Deren Quelle und Stimulation waren jedoch nicht bekannt. Allgemein werden die Vorgänge rund um die Wehentätigkeit am Termin im physiologischen Sinn als Entzündungsreaktion beschrieben. Im Myometrium konnte bei Wehenbeginn eine deutliche Zunahme der Expression von IL-1b, IL-6 und IL-8 gefunden werden (Osman et al. 2003) Insbesondere IL-1b kann Kontraktionen des Myometriums sowohl direkt als auch über eine Zunahme der Prostaglandinsynthese auslösen. In diesem Zusammenhang wird die zentrale Bedeutung des nukleären Faktors κB (NF-κB) beschrieben. NF-κB ist ein im gesamten Körper vorkommender, induzierbarer Transkriptionsfaktor, der die Signaltransduktion zahlreicher Gene, die in Immun- und Inflammationsantwort, Zellwachstum und Apoptose involviert sind, steuert. NF-κB fungiert als Heterodimer der DNA-Bindungsuntereinheiten NF-κB1 und der Rel-Familie, die die Proteine p50, p65 (RelA), c-Rel, p52 und RelB inkludieren (Baldwin 1996). NF-κB kommt in inaktiver Form im Zytoplasma vor, wo es mit dem inhibitorischen Molekül IκB verbunden ist. Die Aktivierung erfolgt v. a. durch proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-1, IL-2 sowie bakterielle und virale Proteine. Bei Aktivierung löst sich NF-κB von IκB und bewirkt im Zell-
491 23.2 · Physiologie und Pathologie der Myometriumkontraktilität und Wehenbeginn
. Abb. 23.10. Stimulierung der Wehentätigkeit des reifen Fetusses durch sein Surfactantprotein A (SP-A)
kern die Transkription einer Vielzahl von Genen mit immunologischen und inflammatorischen Aufgaben. Dazu zählen wiederum Zytokine (positives Feedback), Zytokinrezeptoren und Zelladhäsionsmoleküle (van der Burg u. van der Saag 1996). Progesteron besitzt die Fähigkeit, die Aktivität von NF-κB zu unterdrücken, wodurch seine antiinflammatorische und immunsuppresive Wirkung erklärt wird. Bei Wehentätigkeit kommt es v. a. im Amnion zu einer Aktivierung von NF-κB, wodurch die Expression von COX-2 und in weiterer Folge von Prostaglandinen erhöht wird. Gleichzeitig wird die Progesteronaktivität unterdrückt (Allport et al. 2001). Das zum Sauerstoffaustausch benötigte, von den Alveolarzellen produzierte Surfactant enthält mehrere assoziierte Proteine, Surfactantprotein A (SP-A), SP-B, SP-C and SP-D. Nun wurde nachgewiesen, dass insbesondere SP-A die Fähigkeit besitzt, alveoläre Makrophagen zu aktivieren sowie die Produktion von Zytokinen und des nukleären Faktors κB (NFκB) anzuregen (Condon et al. 2004). Dies lässt den Schluss zu, dass es durch eine verstärkte Produktion von SP-A durch die reifende fetale Lunge zur Aktivierung und Migration von Makrophagen des Fruchtwassers ins Myometrium kommt, wo dann über Aktivierung von NFκB Kontraktionen ausgelöst werden (. Abb. 23.10). Somit stimuliert der reife Fetus durch sein Surfactant mittels SP-A als hormonales Signal an das Myometrium die Wehentätigkeit.
23.2.8
Stickstoffmonoxid (NO)
Definition Stickstoffmonoxid (NO) ist ein freies Radikal, das schnell zu Nitriten und Nitraten metabolisiert wird. Seine dilatierende Wirkung auf die glatte Muskulatur wird über das Second-messenger-System des zyklischen Guanosinmonophosphats (cGMP) vermittelt. Das Enzym für die NO-Synthese, die NO-Synthase, kommt in 3 Formen vor: 2 grundlegende Formen, eNOS und nNOS, sowie eine induzierbare Form, iNOS. Alle 3 Formen wurden in uterinen Geweben nachgewiesen.
Anderen Publikationen zufolge konnte jedoch keine direkte NO-Produktion im Myometrium gezeigt werden. Allerdings könnte NO des Endothels oder anderer, außerhalb des Myometriums gelegener Zellkompartimente in parakriner Weise zur Ruhigstellung des Myometriums dienen (Buxton 2004). Jedenfalls unterscheidet sich die NO-induzierte Wirkung auf das Myometrium grundsätzlich von NO-Wirkungen auf andere glatte Muskelzellen, die eine durch NO ausgelöste Erhöhung des zyklischen Guanosinmonophosphats (cGMP) aufweisen. Die relaxierende Wirkung auf das Myometrium des Menschen und der Primaten scheint über einen cGMPunabhängigen Mechanismus zu laufen. Man nimmt an, dass NO eine Zunahme an Kalziumkanälen oder eine direkte Aktivierung von Kaliumkanälen auslöst (7 Kap. 23.2.1).
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Während der Schwangerschaft kommt es zu einer NOSExpressionszunahme, die östrogenabhängig ist (Jones u. Poston 1997; Sladek et al. 1997). Die physiologische Rolle von NO wurde noch nicht gänzlich geklärt, scheint aber nicht in der Erhaltung des uterinen Ruhezustandes zu liegen, da die experimentelle Inhibition von NOS im Schafmodell keinen Wechsel der Kontraktilität zur Folge hatte (Mirabile et al. 2000). Seine Funktion als Mediator der Entzündungsreaktion macht die Zusammenhänge noch komplexer. Eine wichtige Funktion besteht in diesem Zusammenhang in der Förderung der Expression des Zyklooxygenase-2-(COX-2-)Gens und der daraus resultierenden Prostaglandinsynthese. Metaboliten des NO wurden in höheren Konzentrationen im Harn von Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit gefunden, die bei Wehentätigkeit am Termin nicht vorhanden waren (Jaekle et al. 1994). Dies lässt auf entzündliche Vorgänge bei diesen Frühgeburten schließen.
23.3
Rolle der Eihäute für den physiologischen und pathologischen Geburtsbeginn C. Egarter
23.3.1
Struktur der Eihäute
Die Eihäute sind ein durchaus komplexes Gebilde und bestehen aus dem Amnion und dem Chorion. Das Amnion, das keine Blutgefäße oder Nerven enthält und von der Amnionflüssigkeit versorgt wird, ist aus 5 verschiedenen Schichten aufgebaut (Parry et al. 1998). Die innerste Schicht ist das Amnionepithel, das Kollagen Typ III und IV sowie die Glykoproteine Laminin und Fibronektin sezerniert. Auch die Basalmembran, die nächste Schicht des Amnions, beinhaltet Kollagen und Glykoproteine. Im Anschluss an die Basalmembran findet sich eine kompakte Schicht von Bindegewebe, die fibröse Hauptschicht des Amnions. Das Kollagen dieser Schicht wird von mesenchymalen Zellen der nächsten Schicht, der so genannten Fibroblastenschicht, gebildet. Es dominiert hier interstitielles Kollagen Typ I und III und formt parallele Bündel, die die mechanische Integrität des Amnions erhalten. Kollagen Typ V und VI hingegen verbinden das interstitielle Kollagen und die epitheliale Basalmembran. Die Fibroblastenschicht ist die dickste Schicht des Amnions und besteht aus mesenchymalen Zellen und Makrophagen innerhalb der extrazellulären Matrix. Das Kollagen dieser Schicht stellt eher ein loses Netzwerk mit Einlagerungen von Glykoproteinen dar. Die intermediäre Schicht oder Zona spongiosa liegt zwischen dem Amnion und dem Chorion, wobei hier hauptsächlich hydrierte Proteoglykane und Glykoproteine vorherrschen sowie hauptsächlich Typ-III-Kollagen. Diese intermediäre Schicht absorbiert insofern physikalische Stressbelastungen, als sie dem Amnion eine gewisse Bewegungsfreiheit vom darunter liegenden Chorion, das fest mit der Dezidua verbunden ist, erlaubt. Obwohl das Chorion dicker ist als das Amnion, weist es weniger physikalische Belastbarkeit auf. Das Bindegewebe des
Chorions ist ebenfalls reich an verschiedensten Kollagenfibrillen und wird durch eine Basalmembran gegenüber den Zytotrophoblasten abgegrenzt.
23.3.2
Lokale biochemische Veränderungen der Eihäute bei Blasensprung
Früher haben Geburtshelfer einen vorzeitigen Blasensprung eher auf einen physikalischen Stress, und zwar v. a. auf die vorzeitige Wehentätigkeit zurückgeführt. Neuere Daten weisen allerdings darauf hin, dass ein vorzeitiger Blasensprung v. a. durch lokale biochemische Prozesse begünstigt wird, die zu einer Auflösung – insbesondere von Kollagen – innerhalb der extrazellulären Matrix sowie zur Apoptose von Zellen der Eihäute führen. Das Kollagen ist überwiegend für die Festigkeit und die Belastbarkeit der fetalen Membranen verantwortlich, und durch seine Degradierung kann einem Blasensprung Vorschub geleistet werden. Im 3. Trimenon nimmt die Synthese des Kollagens in den fetalen Membranen zunehmend ab (Casey et al. 1996), und Enzyme, die für die Verbindung des Kollagens notwendig sind, weisen nach der 20. SSW einen raschen Abfall auf (Casey et al. 1997). Andererseits wird der Kollagenabbau durch eine verstärkte sequenzielle Aktivität von sog. Matrixmetalloproteinase (MMP) gesteigert, sodass diese Veränderungen wahrscheinlich für die ab etwa diesem Zeitpunkt abnehmende Belastbarkeit der fetalen Membranen verantwortlich sind. Verschiedene Substanzen können zudem die für die Intaktheit der Eihäute wichtige Balance von MMP und den spezifischen Gewebshemmfaktoren der Metalloproteinasen (»tissue inhibitors«, TIMP) beeinflussen und damit zu einer erhöhten kollagenolytischen Aktivität beitragen. Dazu zählen beispielsweise Relaxin, v. a. aber Zytokine, Prostaglandine und reaktive Sauerstoffradikale (ROS). Besonders bei aszendierenden Infektionen, aber auch z. B. beim Rauchen oder bei vaginalen Blutungen kann es hier zu einer massiven Aktivierung von MMP im Deziduabereich kommen. Darüber hinaus ist es auch möglich, dass plazentare thrombotische Veränderungen, die man in bis zu 40 % der Patientinnen bei vorzeitigem Blasensprung findet (Arias et al. 1997), zur weiteren Stimulation der verschiedenen Enzyme führen, die dann letztlich den Blasensprung bewirken. Das Verhältnis zwischen MMP und TIMP bezüglich spezifischer Kollagentypen bestimmt letztlich, ob Kollagen degradiert wird. Die Degradierung, zusammen mit der Ablagerungsrate an neuem, von den Fibroblasten produziertem Kollagen, bestimmt die Belastbarkeit des Gewebes. Umfangreiche rezente Studien an fetalen Membranen haben aufgezeigt, dass zumindest MMP-9 und TIMP-1, das die Aktivität von MMP-9 kontrolliert, beim vorzeitigen Blasensprung abnehmen (El Khwad et al. 2005) und dass die MMP-9-Proteinspiegel einen Marker für die Festigkeit fetaler Membranen darstellen (Kumar et al. 2006). Es gibt mittlerweile ausreichend Hinweise, dass morphologische und biochemische Veränderungen der Elemente, die für die Belastbarkeit der fetalen Membranen notwendig sind, eine wichtige Voraussetzung für die Ruptur darstellen. Es
493 23.3 · Rolle der Eihäute für den physiologischen und pathologischen Geburtsbeginn
konnte bei einem Vergleich des Gehaltes an verschiedenen Kollagentypen nach einem vorzeitigen Blasensprung im Vergleich zur Geburt am Termin gezeigt werden, dass diese Veränderungen tatsächlich im Bereich der Ruptur auftreten (Moore et al. 2006).
23.3.3
Rolle der Infektionen bezüglich Blasensprung und Wehentätigkeit
Die Bildung der Arachidonsäure (. Abb. 23.11) und damit letztlich von Prostaglandinen (v. a. PGE2 und PGF2α) und verschiedenen Leukotrienen (z. B. C4) in den Amnionzellen, im Chorion und in der Dezidua ist bezüglich der Pathogenese der Wehen und des Blasensprungs eingehend untersucht worden. Arachidonsäure wird durch verschiedene Faktoren, und zwar durch Bakterienbestandteile wie Phospholipasen oder Lipopolysacharide und durch Endotoxine, die nach Auflösung gramnegativer Bakterien entstehen, verstärkt aktiviert.
Studienbox In vielen Studien (Zusammenfassung bei Egarter 2001) konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass eine Infektion im Rahmen der mütterlichen Immunabwehr hauptsächlich Makrophagen stimuliert, die im Bereich der Membranen und der Dezidua vorkommen. Diese Makrophagen, und z. T. auch Fibroblasten und Endothelzellen, produzieren nach bakterieller Aktivierung verschiedene
6 . Abb. 23.11. Verschiedene Ursachen führen zu einer Erhöhung von reaktiven Sauerstoffradikalen (ROS). Diese verändern die Zellbiologie und degradieren das Kollagen des Amnions, was zum Blasensprung führt [MMP Matrixmetalloproteinasen, TIMP Gewebshemmfaktoren der Metalloproteinasen (»tissue inhibitors«)]
Zytokine, die einerseits in die Arachidonsäurekaskade eingreifen können und zur Prostaglandinsynthese führen. Andererseits ist die chemotaktische Aktivität mancher Interleukine – wie beispielsweise von IL-8 oder MIP-1α– für den Blasensprung ein zentraler Mechanismus. Es kommt zum Einwandern speziell von polymorphkernigen Neutrophilen, die ihrerseits massiv MMP freisetzen, die zum Abbau der Strukturen führen und damit die Belastbarkeit der Membranen vermindern. Auch die bei einer Infektion vermehrt freigesetzten ROS können die Kaskade der pathologischen Vorgänge in Gang setzen; beispielsweise kann, wie in vitro gezeigt wurde, Superoxid (O2–) das Kollagen spalten bzw. Prokollagen zu kleinen Einheiten degradieren (Woods 2001). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass das intrazelluläre Ca2+ durch ROS ansteigt, gleichzeitig Mg2+ abnimmt und damit die Bildung der Arachidonsäure ebenfalls gesteigert werden kann (. Abb. 23.11). In weiteren Untersuchungen konnte die vermehrte Expression von Genen, die eine Rolle bei der infektiösen Chemotaxis, Leukozyteninfiltration, Immunzellaktivierung und Erhaltung der Gewebsintegrität spielen, mit radioaktiv markierten cDNA-Sonden besonders in Amnion-, aber auch in Chorion- und in Deziduagewebe elegant aufgezeigt werden (Keelan et al. 2000). Aber auch Studien von Polymorphismen proinflammatorischer Zytokine und bezüglich der MMP (Ferrand et al. 2002) zeigten genetische Variationen auf, die möglicherweise in Zukunft zur Risikoabschätzung Verwendung finden könnten.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
> Zusammenfassend sind demnach aszendierende Infektionen aus dem Scheidenbereich zweifellos eine wichtige Ursache für einen vorzeitigen Blasensprung und für die vorzeitige Wehentätigkeit, und zwar offenbar um so häufiger, je früher das Ereignis in der Schwangerschaft auftritt.
23.3.4
Andere Beeinflussungsmöglichkeiten der Eihäute
Es gibt einige Hinweise, dass Relaxin die extrazelluläre Matrix der fetalen Membranen durch eine Induktion der Kollagenasenaktivität beeinflusst, und zwar durchaus unabhängig von infektiösen Prozessen (Millar et al. 1998). Eine gesteigerte Synthese von Relaxin durch Synzytiotrophoblast und Dezidua kann Auslöser eines vorzeitigen Blasensprungs sein. Eine Überexpression des Relaxingens lässt sich beim frühen vorzeitigen Blasensprung im Gegensatz zum Blasensprung am Termin demonstrieren, was möglicherweise auf einen unterschiedlichen Mechanismus hindeutet und für die Zukunft von klinischer Relevanz sein könnte. Strukturelle Veränderungen insbesondere der Amnionschichten werden offenbar bereits vor Einsetzen einer Wehentätigkeit auch durch die Auslösung apoptotischer Vorgänge bei Geburtsbeginn am Termin, aber auch bei Frühgeburten beobachtet (Moore et al. 2006)). Durch eine Degradierung der 28Sribosomalen RNA-Einheit und eine Fragmentierung von nukleärer DNA kommt es zur Apoptose der Amnionzellen und parallel dazu zu einer Zerkleinerung von Typ-I-Kollagen in der extrazellulären Matrix. Die Faktoren, die für die Zunahme der Apoptose und die Aktivierung bestimmter MMP verantwortlich sind, sind noch nicht exakt evaluiert; verschiedene Zytokine dürften eine Rolle spielen, und die Zusammenhänge werden derzeit in Knock-out-Tiermodellen untersucht. Die meisten der apoptotischen Stimuli führen auch zu einer verstärkten Transkription der MMP, und diese synergistischen Effekte sind dann letztlich Auslöser des Blasensprungs. Unlängst wurden Promoter-Polymoprhismen von manchen Zytokinen (TNF-α und IL-1β) sowie von MMP-1/8/9 identifiziert und mit einem vorzeitigen Blasensprung assoziiert (Kumar et al. 2006). Die Bedeutung der endokrinen Veränderungen und ihr Beitrag zum Geburtsbeginn wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben. Der Fetus kann darüber hinaus auch über das Fruchtwasser und konsekutiv über das Amnion Signale für eine Geburtsauslösung bzw. hemmende Einflüsse auf einen Blasensprung weitergeben. Die Ausscheidung größerer Mengen von Proteaseninhibitoren über die harnableitenden Wege in das Fruchtwasser führt zu einer starken hemmenden Wirkung auf inflammatorische Proteasen wie Trypsin, Elastase, Plasmin oder Cathepsin G sowie Hyaluronidasen. Verschiedene Zytokine wie IL-1 oder IL-8 können ebenfalls unterdrückt werden (Park et al. 2005). Dies könnte einen Schutzmechanismus bezüglich eines durch Bakterienaszension ausgelösten vorzeitigen Blasensprungs bzw. einer vorzeitigen Wehentätigkeit darstellen. Als weiteres potenzielles System, das über das Fruchtwasser einen regulierenden Einfluss auf die biologischen Vorgänge
in den Eihäuten aufweist, werden der »platelet-activating factor« (PAF) und die Azetylhydrolase (PAF-AH), ein Enzym, das für die Inaktivierung von PAF verantwortlich ist, genannt. Sowohl bei vorzeitigen als auch termingerechten Wehen findet sich eine erhöhte Konzentration dieser Substanzen im Fruchtwasser. Bei Überwiegen von PAF kommt es zu einer Stimulation der Synthese von Prostaglandinen in der Arachidonsäurekaskade. Das hemmende Enzym PAF-AH wird von dezidualen Makrophagen sezerniert. Bakterielle Endotoxine, aber auch Zytokine wie IL-1 und TNF-α können die PAF-AH-Sekretion verhindern. Andererseits ist bekannt, dass dieser Effekt von Endotoxinen zumindest teilweise durch den natürlich vorkommenden IL-1-Rezeptorantagonisten geblockt werden kann und damit letztlich PAF wiederum inaktiviert wird. > Durch eine vermehrte Neutralisierung von PAF-AH durch eine gesteigerte Zytokinproduktion bei Infektionen sowie eine parallel dazu erfolgende, erhöhte Ausscheidung des Fetusses an PAF wäre eine Potenzierung der Prostaglandinsynthese denkbar (Kavano et al. 1997).
Die Eihäute sind aber auch über die unterschiedliche Expression von prostaglandinsynthetisierenden und -abbauenden Enzymen in die komplexen Vorgänge des Geburtsbeginns eingeschaltet.
Studienbox Es konnte gezeigt werden, dass metabolisierende Enzyme der Prostaglandine in die Steuerung der Prostaglandinkonzentrationen eingreifen. Speziell wurde die 15-Hydroxy-Prostaglandin-Dehydrogenase (PGDH) in immunzytochemischen Experimenten untersucht. Im Bereich des Amnions konnte dabei nur eine sehr geringe PGDHFärbung gezeigt werden, während es im Chorion zu einer massiven PGDH-Anreicherung kommt, die dann zu einer ausgeprägten Metabolisierung der gebildeten Prostaglandine zu PGF- und PGE-Metaboliten führt (Cheung et al. 1990) und sie damit inaktiviert. Die Dezidua zeigt wiederum eine eingeschränkte PGDH-Aktivität. Progesteron dürfte ebenfalls in den Eihäuten PGDH stimulieren (Kelly et al. 1994). Ein lokaler Progesteronentzug, beispielsweise nach Verabreichung des Progesteronantagonisten RU 486, resultiert in einer Verminderung der PGDH-Aktivität (Cheung et al.1990).
Somit könnte der physiologische Progesteronentzug nicht nur zu einer Erhöhung des CRH (7 Kap. 23.1) und damit der Prostaglandinproduktion führen, sondern auch zu einer verminderten Aktivität des prostaglandinmetabolisierenden Enzyms PGDH. Die erzeugten Prostaglandine können dann weniger gut abgebaut werden und damit die myometrane Kontraktilität, möglicherweise gemeinsam mit der stimulierenden Wirkung von Glukokortikoiden auf die plazentare CRH-Produktion, weiter steigern. Bei einer massiven Infektion kommt es aber auch zu einer Störung der Integrität der trophoblastischen Zellen im Bereich
495 23.4 · Physiologie und Pathologie der Zervixreifung
des Chorions, und es konnte gezeigt werden, dass die im Bereich der fetalen Membranen stattfindende lymphozytäre Infiltration die trophoblastischen Zellen zerstören kann. Da diese Zellen der Hauptproduktionsort der CRH-mRNA sind, ist die verminderte Konzentration an CRH bei Infektionen erklärlich. Unter diesen Umständen trägt das CRH wahrscheinlich keinen zusätzlichen Stimulus für die vorzeitige Wehentätigkeit bei. Da aber üblicherweise PGDH ebenfalls durch diese trophoblastischen Zellen exprimiert wird, kommt es durch deren Zerstörung auch zu einer Verminderung dieses Enzyms. Dies führt wahrscheinlich zueinerverstärkten Prostaglandinwirkung, da Prostaglandine unmetabolisiert zu Dezidua und Myometrium gelangen können (Challis et al.1995). Im komplexen Ablauf der Prostaglandinsynthese und -metabolisierung muss noch die Aktivität und Lokalisation von anderen Enzymen im Bereich der Eihäute wie der Prostaglandin-H-Synthasen (PGHS), die letztlich zu einer verstärkten Synthese der kontraktionsfördernden Prostaglandine führen, bedacht werden. Es gibt zumindest zwei Formen der PGHS, die auch als Zyklooxygenase (COX) bezeichnet wird, und zwar eine konstitutive Form (COX-1) und eine induzierbare Form (COX-2). Für beide Formen wurde die mRNA in großem Ausmaß im Bereich des Amnions und des Chorions nachgewiesen (Teixeira et al. 1994). > Bei Wehenbeginn kommt es zu keiner Änderung der Expression von COX-1. COX-2 ist überwiegend für die Zunahme der Prostaglandinsynthese verantwortlich.
Somit stellen sich die Eihäute nicht nur als simpler Schutz für den Fetus dar, sondern als ein hochaktives Gewebe, das zum komplexen Ablauf der Regulation des Geburtsbeginns und zu pathologischen Vorgängen beiträgt.
23.4
Physiologie und Pathologie der Zervixreifung S. Pildner von Steinburg, E. Lengyel
Die Zervix besteht hauptsächlich aus Bindegewebe, d. h. Kollagen, Elastin und Proteoglykanen, und ist in der Schwangerschaft kontinuierlichen Umbauvorgängen unterworfen. Dieser Prozess lässt sich in 4 Phasen unterteilen: Erweichung, Reifung, Dilatation und Rückbildung. Im Rahmen der physiologischen Zervixreifung kommt es durch humorale Mediatoren (Prostaglandine, Östrogen, NO) zur Aktivierung von Proteasen, die die zervikale Kollagenmatrix spalten, und zu einer vermehrten Wassereinlagerung in die Zervix, die zu einer Reorganisation der Kollagenfibrillen führt. Eine abakterielle (oder bei vorliegender Infektion auch eine bakterielle) Entzündungsreaktion unterhält diesen Prozess: Einwandernde Entzündungszellen setzen Zytokine, NO und Proteasen (insbesondere Matrixmetalloproteasen) frei, die an der Auflockerung der Kollagenstruktur beteiligt sind. Anschließend kommt es durch die mechanische Kraft der Wehen zur Dilatation der Zervix. Bei der vorzeitigen Zervixreifung wird diese Kaskade verfrüht und irreversibel in Gang gesetzt, sodass die Zervix ihre Haltefunktion nicht mehr ausüben kann.
23.4.1
Einleitung
Die Zervix ist ein komplexes Organ, das intensiven Umbauvorgängen während Schwangerschaft, Geburt und Nachgeburtsperiode unterliegt. Während der Schwangerschaft ist die Zervix etwa 4 cm lang und dient einerseits als Barriere gegen aufsteigende Mikroorganismen, andererseits als struktureller Schutz gegen eine zu frühe Geburt des Fetusses. Während der Geburt weitet sich dieser bis dahin unnachgiebige Teil der Gebärmutter schnell bis zu einem Durchmesser von 10 cm auf, wird papierdünn und weich und verwandelt sich postpartal wieder in eine feste Zervix zurück. Diese unglaublichen Veränderungen sind nicht einfach die Folge eines passiven Nachgebens gegenüber der Wehentätigkeit, sondern einer aktiven Umwandlung des Bindegewebes während der Schwangerschaft. Dieser Prozess lässt sich in 4 Phasen unterteilen: 4 die Erweichung, ein langsam fortschreitender Porzess, der v. a. in der Reorganisation der Kollagenfasern besteht, 4 die Reifung, die schon einige Wochen vor dem Beginn myometraner Kontraktionen mit einer vermehrten Synthese von Proteoglykanen, Glykosaminoglykanen und Kollagen einhergeht, 4 die Dilatation, bei der unter Wehentätigkeit Leukozyten freigesetzt werden und Proteasen und Kollagenasen in die extrazelluläre Matrix sezerniert werden, und 4 die Rückbildung nach der Geburt mit rascher Wiederherstellung der Struktur der Zervix, durch Abklingen der Inflammation, Rückgang der Wassereinlagerung und erneute Bildung von dichtem Bindegewebe. Die einzelnen Phasen lassen sich zeitlich Abgrenzung nicht immer genau abgrenzen, vielmehr bilden sie ein Kontinuum einer strukturellen Anpassung der Zervix an die Bedürfnisse der Schwangerschaft. Frühgeburtlichkeit stellt in den industrialisierten Ländern immer noch eine Hauptursache der perinatalen Morbidität und Mortalität dar. Daher ist unsere kontinuierliche Anstrengung, die biologischen Grundlagen der normalen Geburt und der Frühgeburt zu verstehen, wahrscheinlich der einzige Weg, signifikant die Frühgeburtsraten zu beeinflussen. Limitiert sind diese Anstrengungen allerdings durch Schwierigkeiten, Gewebe für die molekularbiologischen Untersuchungen zu gewinnen: Zervixbiopsien können nicht zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft entnommen werden, auch die gesamte Zervix kann nur sehr selten (z. B. nach Sectiohysterektomie) untersucht werden. Zudem wurden die den bisherigen Erkenntnissen zugrunde liegenden Arbeiten nur zum Teil an Zervixbiopsien durchgeführt, sondern vielfach stellvertretend an Biopsien des unteren Uterinsegments. In . Abb. 23.12 sind schematisch (einige) der beteiligten Prozesse dieses fein regulierten Reifungsvorgangs der Zervix während der Schwangerschaft zusammengefasst, die nun im Folgenden besprochen werden.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
. Abb. 23.12. Komponenten der Zervixreifung
23.4.2
Zervixerweichung
Die Zervix verändert ihre Struktur gleich zu Beginn der Schwangerschaft, etwa einen Monat nach der Konzeption. Dies resultiert v. a. aus vermehrter Vaskularisierung und Wassereinlagerung der gesamten Zervix, mit Hypertrophie des zervikalen Stromas und Hyperplasie der zerivkalen Drüsen. Endozervikale Epithelzellen sind in der nichtschwangeren Zervix relativ rar, bis zum Ende der Schwangerschaft führt ihre Proliferation zu einer Zunahme des Anteils der Drüsen auf nahezu 50% des Volumens der Zervix. Intraluminale Endothelzellen kleiden den Zervikalkanal aus und stülpen sich als sich verzweigende Drüsen tief ins zervikale Gewebe ein: hier werden Defensine und dickflüssiger Mukus zur Abwehr aufsteigender Mikroorganismen in großen Mengen produziert. Außerdem übermitteln die Zellen inflammatorische Signale und adaptive Vorgänge des Immunsystems, um bakterielle Infektionen abzuwehren. Die Zellen enthalten viele Enzyme der Prostaglandinbiosynthese, Zytokine wie Interleukin 8 und Proteaseninhibitoren sowie Enzyme des Steroidmetabolismus. Endozervikale Epithelzellen produzieren hohe Gewebekonzentrationen von Progesteron und nehmen damit eine sehr wichtige Funktion in der Erhaltung der Zervixstabilität während der Schwangerschaft wahr (Word et al. 2007).
Regulation und Mechanismen der Zervixerweichung Normalerweise ist die Zervix mit 20–28 SSW etwa 35 mm lang und verkürzt sich bis zum Ende der Schwangerschaft auf 30 mm. Diese moderaten Veränderungen sind begleitet von einer Erweichung und einer Volumenzunahme der Zervix, keiner erheblichen Verkürzung. Die molekularen und biologischen Prozesse, die der Zervixerweichung zugrunde liegen, sind noch nicht gut untersucht. Jedoch scheint Thrombospondin eine entscheidende Rolle zu spielen, da bei TSP-2-Knockout-Mäusen eine frühzeitige Zervixerweichung zu beobachten ist (Kokenyesi et al.
2004). Relaxin, ein zweikettiges Peptidhormon, spielt eine wichtige Rolle beim normalen Wachstum und der Brustdrüse ndifferenzierung,der Relaxation der Gefäße und den adaptiven Vorgängen am inneren Genitale während der Schwangerschaft: das Nachgeben der Symphyse, Relaxation der Vagina, Zervixerweichung und Hemmung myometraner Kontraktionen gehören zu seinen Effekten. Übermäßige Konzentrationen von Relaxin im Blut sind ein unabhängiger Riskofaktor für Frühgeburtlichkeit (Weiss u. Goldsmith 2005). Progesteron kann an der Zervix ohne Relaxin, aber auch ohne Östrogen seine Wirkungen nicht entfalten (Leppi 1964). Relaxin scheint für maximales Zervixwachstum und Zervixerweichung während der Schwangerschaft entscheidend zu sein (Burger u. Sherwood 1998).
23.4.3
Bindegewebeveränderungen der Zervixreifung
Die Zervixreifung verläuft in den letzten Wochen der Schwangerschaft und akzeleriert in den 1–3 h vor Geburtsbeginn. Im Gegensatz zu der weichen Zervix, die seit der Frühschwangerschaft besteht, ist die reife Zervix dünn und weich und leicht dehnbar während der vaginalen Untersuchung. Diese Konsistenzänderung geht mit erheblichen Veränderungen der extrazellulären Matrix und der zellulären Komponenten des Gewebes einher.
Dissoziation der Kollagenstruktur Die menschliche Zervix besteht hauptsächlich aus Bindegewebe (etwa 90 %) und nur zu einem geringen Teil aus Muskulatur (8–10 %), ganz im Gegensatz zum Corpus uteri, in dem die glatten Muskelzellen den Hauptbestandteil darstellen. Das Bindegewebe der Zervix bildet ein sehr komplexes Netzwerk aus: 4 Kollagen Typ I und III, Fibronektin (einem Adhäsionsprotein).
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4 Elastin (einem funktionellen Bestandteil von elastischen Fasern). 4 Fibroblasten (Bindegewebezellen). 4 Proteoglykanen aus einem langen Strang Hyaluronsäure (ein Glykosaminoglykan, das aus Polymeren von Disacchariden besteht), an dem kurze Glykosaminoglykane wie Keratansulfat oder Dermatansulfat hängen. Eine Haupteigenschaft dieser stark negativ geladenen Glykosaminoglykane ist ihre hohe Wasserbindungskapazität. 4 Einem Wasseranteil von bis zu 80%. Die Zusammensetzung des zervikalen Bindegewebes ändert sich im Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und Involution (Uldbjerg et al. 1983). Im nicht schwangeren Zustand ist das Protein Kollagen mit etwa 80% der Hauptbestandteil des Bindegewebes, wobei Typ-I-Kollagen 70% und Typ-III-Kollagen 30% des Gesamtkollagengehaltes ausmachen. Kollagen wird nach der Assoziation zu einer Tripelhelix durch das Enzym Peptidyllysinoxidase zu etwa 20 μm dicken Kollagenfibern quervernetzt, die eine hohe Reißfestigkeit haben. In ihrem nativen helikalen Zustand sind diese Proteine starr und unnachgiebig (Uldbjerg u. Forman 1999). Da Rauchen die Aktivität der Peptidyllysinoxidase hemmt, erklärt sich, warum unter Raucherinnen eine Zervixinsuffizienz viel häufiger auftritt. Vitamin C ist ein weiterer Kofaktor der Kollagensynthese (es verbindet Hydroxyprolin in Kollagen Typ I), und obwohl entsprechende Untersuchungen fehlen, ist es denkbar, dass extremer Vitamin-C-Mangel auch zu einer erhöhten Frühgeburtlichkeitsrate führt. Die Kollagenbündel der Zervix sind im nicht schwangeren Zustand dicht aneinandergereiht. Bereits im 1. Trimenon der Schwangerschaft beginnt eine kontinuierliche Reorganisation von Kollagenfibrillen und des Bindegewebes durch Proteasen und eine Zunahme des Wassergehalts der Zervix. Die Kollagenbündel sind nicht mehr so dicht gepackt, aber ebenso wie die glatten Muskelzellen und das Elastin parallel angeordnet, um dem zunehmenden intrauterinen Druck den nötigen Widerstand entgegenzusetzen (. Abb. 23.13a). Durch diese Veränderungen, insbesondere durch die Zunahme des Wassergehaltes, fühlt sich die Zervix bereits im 1. Trimenon weicher an als im nicht schwangeren Zustand, was schon früh als »Hegar-Zeichen« beschrieben wurde. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft nimmt zwar der absolute Kollagengehalt zu, aber es kommt trotzdem insgesamt zu einer Verminderung der zervikalen Kollagenkonzentration. Das wird durch einen Verdünnungseffekt verursacht, d. h. durch zunehmende Wassereinlagerung in die Zervix (. Abb. 23.13b), die durch das Glykosaminoglykan Hyaluronsäure und seine hohe Affinität zu Wasser vermittelt wird (von Maillot et al. 1979). Hyaluronsäure wird von Fibroblasten sezerniert, aber es ist unklar, welche Signale die Fibroblasten zur Sekretion stimulieren. Die Abnahme der Kollagenkonzentration in der Zervix äußert sich gegen Ende der Schwangerschaft klinisch als Konsistenzverminderung der Zervix. Histologisch sieht man Kollagenbündel, die nicht mehr parallel angeordnet und durch Wassereinlagerung aufgelockert sind (. Abb. 23.13). Bei der Zervixinsuffizienz kommt es verfrüht zu einer Dissoziation der Kollagenstruktur, d. h. die Zervix ist dem er-
a
b . Abb. 23.13. a Rattenzervix in der Frühschwangerschaft. Die Kollagenfibrillen sind parallel angeordnet. b Rattenzervix am Ende der Gestationszeit. Das Kollagen ist aufgelockert und frag mentiert. Kurz vor der Geburt ist der Wassergehalt erhöht und es kommt zu einer Verände-rung der Glykosaminoglykane. Beide histologischen Schnitte sind nach van Gieson gefärbt – Kollagen erscheint dunkelrot und andere Gewebebestandteile gelb/braun. Vergrößerung ¥250 (Yu, Shiu Yeh und Leppert, Phyllis C. unveröffentlichte Ergebnisse. Freund licherweise zur Verfügung gestellt von Phyllis C. Leppert, M.D. Ph. D. Reproductive Sciences Branch, NICHD, Rockville, MP, USA)
höhten intrauterinen Druck nicht mehr gewachsen. Anders ausgedrückt ist die Zervixinsuffizienz zunächst eine Erkrankung der Extrazellulärmatrix. Aus pathophysiologischer Sicht wird daher verständlich, warum die derzeit gebräuchlichen Tokolytika die Gestationszeit nur unwesentlich verlängern können. Sie reduzieren den intrauterinen Druck auf die Zervix, können aber nicht die vorzeitig erfolgte Dissoziation der zervikalen Kollagenstruktur aufhalten oder gar rückgängig machen, die für die mechanische Festigkeit der Zervix verantwortlich ist (. Abb. 23.12).
Veränderungen der elastischen Komponenten der Zervix Elastin ist ein weiterer Bestandteil der extrazellulären Matrix der Zervix. Die elastischen Fasern sind parallel zu den Kollagenfibern in 20–30 μm dicken Fibrillen angeordnet und können bei mechanischer Belastung auf die doppelte Länge gedehnt werden. Im ungedehnten Zustand ist Elastin während der Schwangerschaft Teil des Verschlussmechanismus der Zervix. Elastin erreicht aber nur in einer stark wasserhaltigen
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Umgebung seine maximale Dehnungskompetenz, sodass die Zunahme des Wassergehalts der Zervix gegen Ende der Schwangerschaft eine Voraussetzung für die optimale Dilatation der Zervix wird.
Studienbox In Biopsien von Patientinnen mit Zervixinsuffizienz zeigten sich histologisch eine Architekturveränderung und eine Konzentrationsverminderung von Elastin. Die Elastinfibrillen waren dissoziiert und fragmentiert, verglichen mit Biopsien von Frauen mit einer unkomplizierten Schwangerschaft (Leppert et al. 1987).
Bedeutung von Proteasen bei der Zervixreifung und Dilatation Eine wesentliche Rolle bei dem Prozess der Zervixreifung und Dilatation scheinen Proteasen zu spielen, d. h. Enzyme, die in der Lage sind, Proteine der extrazellulären Matrix zu degradieren. Sie werden nach ihrem Aufbau und ihrer Substratspezifität in verschiedene Klassen eingeteilt: Serinproteasen, Zysteinproteasen und Matrixmetalloprotasen (MMP). Letztere spielen eine wichtige Rolle bei der Anpassung der Zervix. Die Familie der MMP besteht aus 26 verschiedenen Mitgliedern unterschiedlicher Homologiegrade und unterschiedlicher Substratspezifitäten, von denen einige auf die in der Zervix vorliegenden Kollagene spezialisiert sind: z. B. MMP-1 degradiert v. a. Kollagen Typ I und III, MMP-8 v. a. Kollagen Typ I, MMP-9 v. a. Typ IV oder Typ V (Nelson et al. 2000). Ihre natürlichen Gegenspieler sind die »tissue inhibitors of metalloproteinases« (TIMP), von denen vier verschiedene bekannt sind, ebenso mit unterschiedlicher Spezifität und Expressionsmuster (Henriet et al. 1999). TIMP sind in der Lage, die Aktivität von MMP durch Komplexbildung zu inhibieren (. Abb. 23.12). Nach Einsetzen der Wehentätigkeit muss es, um Mutter und Kind nicht unnötig zu belasten, rasch zur vollständigen Dilatation der Zervix kommen.
Studienbox Erste Hinweise darauf, dass bei diesem Vorgang kollagenolytische Enzyme eine Rolle spielen, ergaben Untersuchungen von Junqueira et al. (1980), die einen kollagenfaserfreien Hof rund um neutrophile Granulozyten zeigen konnten, die während der Zervixdilatation in das Stroma einwandern. Später wurde der Anstieg verschiedener MMP (MMP-1, MMP-8, MMP-9) im zervikalen Gewebe und im unteren Uterinsegment unter Wehentätigkeit nachgewiesen (Rajabi et al. 1988). In einer Studie zeigten Winkler et al. (1999a), dass es während der Zervixdilatation zu einem graduellen Anstieg von MMP-8, MMP-9 und der Anzahl neutrophiler Granulozyten im unteren Uterinsegment kommt. Da Entzündungszellen Proteasen freisetzen und gleichzeitig
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über Zytokine die Proteasenproduktion bei anderen zervikalen Zellen (Myoepithelzellen, Fibroblasten) induzieren können (Watari et al., 1999), ist es vorstellbar, dass eine bakterielle oder auch abakterielle Entzündung die Proteasenproduktion in Gang setzt und es im Rahmen einer lokalen Infektion zu einer überschießenden, außer Kontrolle geratenen Produktion von Proteasen und damit zur vorzeitigen Zervixreifung kommt. Dieser Prozess ist jedoch limitiert: Nur bis zu einer Dilatation der Zervix bis zu 6–8 cm kommt es zu einem Anstieg der MMP. Zusammen mit der ebenfalls beobachteten vermehrten Expression des inhibitorischen Faktors TIMP-1 könnte dies ein strikter regulatorischer Mechanismus sein, der das Auftreten von tiefergehenden strukturellen Schäden an der Zervix verhindern soll (Winkler et al. 1999a). Mittlerweile ist wieder umstritten, ob MMP bereits in die physiologische Zervixreifung oder erst in die Dilatation eingreifen (Buhimschi et al. 2004). Allerdings konnte ihre Bedeutung während einer Anti-Progesteron- oder Prostaglandin-induzierten Zervixreifung wiederholt gezeigt werden (Imada et al. 2002; Lyons et al. 2002).
23.4.4
Zelluläre Komponenten der Zervix
Rolle ortsständiger zervikaler Zellen: Fibroblasten und Muskelzellen Die ortsständigen zellulären Komponenten der humanen Zervix sind glatte Muskelzellen und Fibroblasten (. Abb. 23.12). Im Rahmen der physiologischen und pathologischen Zervixdilatation kommt es zusätzlich zur Kolonisation der Zervix mit Entzündungszellen wie granulozytären Leukozyten, Mastzellen und T-Lymphozyten, die an der Dilatation der Zervix durch Freisetzung von Zytokinen, Proteasen und proapoptotischen Signalen beteiligt sind (Thomson et al. 1999). 4 Im 1. Trimenon proliferieren Fibroblasten und glatte Muskelzellen in der Zervix und organisieren den Umbau der extrazellulären Matrix unter Erhaltung der Festigkeit der Zervix. 4 Im 2. und 3. Trimenon nimmt die Proliferation der ortsständigen Zellen ab, und ruhende Fibroblasten sezernieren ein dermatansulfathaltiges Gykosaminoglykan, genannt Decorin. 4 Am Termin kommt es zu einer starken Zunahme der Decorinkonzentration in der Zervix und damit zu einer raschen Desorganisation der Kollagenfibrillen durch kompetitierende Decorinmoleküle. Dieser Vorgang ist wahrscheinlich additiv zu der Zunahme von Matrixmetalloproteinasen am Termin (s. oben) und unterstützt die Desorganisation des Kollagens in der sich eröffnenden Zervix.
499 23.4 · Physiologie und Pathologie der Zervixreifung
Studienbox Verschiedene Arbeitsgruppen haben vorgeschlagen, dass Decorin an der Orientierung und Festigkeit von Kollagen beteiligt ist, da Decorinmoleküre benachbarte Kollagenfibrillen verbinden und zu einer parallelen Kollagenausrichtung beitragen (Leppert et al. 2000, zusammengefasst in Ludmir u. Sehdev 2000).
Die Regulation der Decorinkonzentration stellt damit jenseits proteolytischer Faktoren einen schnellen Mechanismus dar, die Kollagenarchitektur zu beeinflussen. Diese Theorie wird auch durch die Beobachtung unterstützt, dass die Decorinkonzentration postpartal schnell abfällt und damit die Involution, d. h. physiologisch die Reorganisation der Kollagenfibrillen gefördert wird (Leppert et al., 2000). Die postpartale Reformation der Zervix ist ein schneller Vorgang, der sich nicht allein durch eine Neusynthese von Kollagen erklären lässt. > Zusammengefasst kann man mindestens zwei unterschiedliche Mechanismen beschreiben, wie bei der Zervixreifung am Termin die Kollagenarchitektur beeinflusst wird: die proteolytische Degradation von Kollagen durch enzymatischen Verdau und die kompetitive Hemmung von Kollagenbrückenmolekülen.
Apoptotische Vorgänge während der Zervixreifung Ein weiterer Aspekt der Zervixreifung am Termin ist die Rolle von apoptotischen Vorgängen. Apoptose ist eine morphologische Beschreibung, während der Ausdruck programmierter Zelltod den biochemischen Prozess der Zelldegradation beschreibt, der mit den apoptotischen/morphologischen Veränderungen einhergeht.
Studienbox Es konnte sowohl beim Menschen als auch an Ratten gezeigt werden, dass zervikale Stromazellen (Fibroblasten, Muskelzellen) am Termin eine hohe Apoptoserate haben, die zum Grad der Zervixdilatation proportional ist (Allaire et al. 2001; Leppert 1998). Leppert zeigte an der Rattenzervix überzeugend, dass im 1. Trimenon 42% der Zervixfibroblasten und 33% der glatten Muskelzellen proliferieren. Vor dem Termin proliferieren nur noch weniger als 5% dieser beiden Zelltypen, und gleichzeitig sind etwa 50% aller zervikalen Zellen apoptotisch (Leppert 1998).
Eine Hypothese ist, dass die Apoptose ortsständiger zervikaler Zellen in der Zervix vor dem Termin eine Kaskade biochemischer Vorgänge zur Folge hat, die u. a. zu einer Veränderung von Kollagenstruktur und Proteoglykanzusammensetzung führt (Ludmir u. Sehdev 2000). Man kann nur spekulieren, welche Vorgänge in der Zervix durch die erhöhte Apoptose-
rate in Gang gesetzt werden. Denkbar ist, dass die apoptotischen Zellen vermehrt Wachstumsfaktoren und Zytokine freisetzen, die wiederum Fibroblasten anregen, Proteasen zu produzieren. Daneben werden wahrscheinlich durch die untergehenden Zellen vermehrt Granulozyten angezogen, die ebenfalls Proteasen freisetzen und im Sinne einer abakteriellen Entzündungsreaktion eine schnelle Dilatation der Zervix durch ihre Zytokinproduktion triggern (7 unten).
23.4.5
Humorale Mediatoren der Zervixreifung: Hormone, Stickoxid und Prostaglandine
Die Zervixreifung wird auch durch verschiedene hormonale und humorale Faktoren gesteuert (. Abb. 23.12). Östrogenund Progesteronrezeptoren werden sowohl von Zellen in der Zervix als auch von einwandernden neutrophilen Granulzoyten exprimiert: 4 Progesteron hemmt den zervikalen Reifungsprozess auf verschiedenen Stufen, z. B. durch Inhibition der Zytokinfreisetzung und durch Hemmung von Proteasen auf Transkriptionsebene (Benbow u. Brinckerhoff 1998). 4 Durch Blockade des Progesteronrezeptors mittels Antiprogestinen lässt sich eine effektive Zervixreifung, aber ohne Wehentätigkeit, induzieren (Elliot et al. 1998), die auch unabhängig von Prostaglandinen stattfindet (Chwalisz et al. 1991) 4 Östrogen scheint einen zervixreifenden Effekt zu haben. Am Termin kommt es zu einem Anstieg des Östrogenrezeptors (β-Form) in der Zervix und zu einem Anstieg der Estradiolkonzentration (Wang et al. 2001). > Durch i. v.-Gabe von 17β-Estradiol kann eine gewisse Reifung der Zervix induziert werden. Darüber hinaus hat die intrazervikale Applikation von 17βEstradiol, kombiniert mit Prostaglandinen, eine höhere Erfolgsrate bei Einleitungen im 2. Trimenon als Prostaglandine allein. Vereinfacht fördert Östrogen die Zervixreifung, während Progesteron sie hemmt.
Bei den meisten Spezies wird der Übergang von uteriner Ruhe und kompetenter Zervix zu uterinen Kontraktionen und Zervixreifung von einem massiven Abfall des zirkulierenden Progesterons ausgelöst. Das spielt beim Menschen keine Rolle, vielmehr scheint es sich um eine Veränderung im Progesteronmetabolismus mit veränderter Expression von Progesteronrezeptor-Isoformen zu handeln. Ob diese Veränderungen jedoch ausreichen, um einen lokalen »Progesteronentzug« zu induzieren, der eine Zervixreifung ähnlich wie bei anderen Spezies hervorruft, ist noch nicht bekannt (zusammengefasst in Word et al. 2007). Stickoxydul (NO, Lachgas) ist ein kleines, hochreaktives, freies Gasmolekül mit einer Halbwertszeit von 4 s. NO wird aus der Aminosäure Arginin durch das Enzym Stickoxydulsynthase (NOS) abgespalten, dessen zytokininduzierbare Isoform (iNOS) in hoher Konzentration in der Zervix nachgewiesen werden kann.
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4 NO stimuliert sehr effektiv das Enzym Guanylatzyklase, das an der Regulation der intrazellulären Kalziumkonzentration beteiligt ist und damit Signaltransduktionswege aktiviert. 4 NO bewirkt eine Relaxation von glatten Muskelzellen in Blutgefäßen, Magen und Myometrium. 4 An der Gebärmutter bewirkt NO am Korpus eine Hemmung der Wehentätigkeit, an der Zervix führt es zur Reifung. 4 Glyceroltrinitrat, NO-Donor, wurde mittels transdermaler oder intravenöser Applikation in Studien zur Wehenhemmung bei vorzeitigen Wehen schon wirksam eingesetzt. Allerdings führt die lokale Applikation des NO-Donors Sodiumnitroprussid beim Schwein zur Zervixreifung.
Studienbox Chwalisz und Kollegen demonstrierten überzeugend (zusammengefasst in Chwalisz u. Garfield 1998), dass nach NO-Aktivierung Entzündungszellen in die Zervix einwandern, ein Umbau der Extrazellulärmatrix stattfindet und das zervikale Gewebe dehnbarer wird. Es ist denkbar, dass die abakterielle Entzündungsreaktion, wie bereits beschrieben, zu einer Freisetzung von Zytokinen und Proteasen führt und damit die Zervixreifung in Gang gesetzt wird. Erste klinische Studien mit lokaler Applikation von Nitraten (Glyceroltrinitrat, Isorbidmononitrat) zeigen, dass sie ein wirksames Mittel sind, die Zervixreifung sowohl im 1. als auch im 3. Trimenon zu induzieren (Chanrachakul et al. 2000; Ledingham et al. 2001 a). Klinisch haben sie gegenüber Prostaglandinen den Vorteil, dass sie keine uterine Überstimulation bewirken (im Gegenteil) und die lokale Applikation nur einen geringen hämodynamischen Effekt auf Mutter und Fetus hat. Allerdings ist mit Nitraten die Dauer von der Einleitung bis zur Entbindung länger als mit Prostaglandinen (Chanrachakul et al. 2000), da Nitrate nur die Zervixreifung induzieren – ein Vorgang, der (fast) wehenunabhängig ist –, aber nicht die Dilatation der Zervix, die ja von der uterinen Wehentätigkeit abhängt.
Prostaglandine, Derivate der Arachidonsäure, beeinflussen
sowohl die Uteruskontraktilität als auch die Zervixreifung, sodass sie in der Klinik häufig zur Geburtseinleitung eingesetzt werden. Prostaglandine werden in Chorion, Dezidua und Myometrium gebildet; die Konzentration von Prostaglandinen in der Vorblase ist ungleich höher als im restlichen Fruchtwasser. Die durch Prostaglandine hervorgerufene Zervixreifung ähnelt der physiologischen. Trotzdem ist ihre Rolle in der Zervixreifung noch relativ unklar; es ist wahrscheinlich, dass Entzündungszellen ihre Produktion induzieren. Prostaglandine haben, lokal appliziert, ganz unterschiedliche Wirkungen: 4 sie induzieren Zytokine und Proteasen, 4 sie verändern die Proteoglykanzusammensetzung in der Zervix (weniger bekannt),
4 sie wirken chemotaktisch für Entzündungszellen und initiieren oder unterhalten so die lokale Entzündungsreaktion, die Bestandteil der Zervixreifung ist.
23.4.6
Zervixreifung als physiologische Entzündungsreaktion
Einwandern von Entzündungszellen Die Theorie einer Beteiligung von Entzündungszellen an der Zervixreifung ist schon Anfang der 1980-er Jahre entstanden, als der kollagenfaserfreie Hof rund um neutrophile Granulozyten beobachtet wurde (Junqueira et al. 1980). Seither sind viele Untersuchungen hierzu durchgeführt worden, die zu dem Ergebnis kamen, dass die Vorgänge in der Zervix während der Gravidität einer bakteriellen oder abakteriellen inflammatorischen Reaktion vergleichbar sind.
Studienbox Am auffälligsten ist, dass die Zahl der in der Zervix nachweisbaren neutrophilen Granulozyten ansteigt. In der reifen Zervix können sie bereits an den Gefäßwänden der Kapillaren nachgewiesen werden, nach Beginn der Wehentätigkeit sind sie – in Korrelation zu Zervixdilatation und Wehendauer – im zervikalen Stroma zu finden (Winkler et al. 1999 a; Osmers et al. 1992 und zusammengefasst in Winkler u. Rath 2001; Lengyel u. Pildner von Steinburg 2001). Entzündungszellen, hauptsächlich neutrophile Granulzoyten und Makrophagen, finden sich zwar auch im Myometrium des Corpus uteri, aber dominieren nach Einsetzen der Wehentätigkeit im unteren Uterinsegment (Thomson et al. 1999). Die Degranulierung dieser Zellen führt in der Folge zur Freisetzung von Zytokinen und Proteasen und damit zum Umbau der zervikalen Extrazellulärmatrix.
> Wichtig ist noch anzumerken, dass die inflammatorische Reaktion im Rahmen der Zervixreifung bakteriell oder abakteriell induziert werden kann. Prostaglandine, NO und 17β-Estradiol wirken chemotaktisch auf Entzündungszellen und können damit Auslöser der Zervixreifung sein. Letztlich kommt es aber bei eröffnetem Muttermund unweigerlich zu einer bakteriellen Aszension aus der Vagina, die den Entzündungsprozess unterhält.
Regulierung durch Zytokine und Signaltransduktionswege Reguliert wird die Aktivität von Entzündungszellen über humorale Mediatoren, wobei es sich um verschiedene Zytokine handelt. Interleukin-8 (IL-8), das chemotaktisch wirkt und neutrophile Granulzoyten aktivieren kann, wird von aktivierten Makrophagen und Fibroblasten freigesetzt. Es wird in der Zervix produziert und kann in Tierversuchen bei lokaler Applikation eine Zervixreifung und -dilatation induzieren (El Maradny et al. 1996). Es finden sich unterschiedliche Kon-
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zentrationen von IL-8 in der unreifen, der reifen (etwas höher) und der dilatierten Zervix (massiv erhöht; Sakamoto et al. 2004). Während der Zervixdilatation steigen auch die Konzentrationen der Zytokine IL-1β, IL-6 und Tumornekrosefaktor α (TNF-α) im zervikalen Stroma v. a. zu Beginn der Eröffnungsphase an. Das proinflammatorische Zytokin IL-1 β führt zur Freisetzung von IL-8 und stimuliert die Expression der oben erwähnten Metalloproteasen.
mung dieses Proteins mit einem spezifischen Inhibitor hemmt die Kontraktilität uteriner und zervikaler Muskelzellen (Moran et al. 2002). Ein weiterer, neuer chemotaktischer Faktor namens S100A, der Monozyten- und Neutrophilenmigration hervorrufen kann, konnte in erhöhten Konzentrationen in Fruchtwasser und Blut bei Amnioninfektionssyndromen nachgewiesen werden (Gravett et al. 2004; Buhimschi et al. 2005; Rüetschi et al. 2005).
Studienbox
Adhäsionsmoleküle
Nun konnte auch zwischen dem Anstieg von IL-8 und MMP-8 und -9 sowie der Zahl der invadierten Neutrophilen eine direkte Korrelation hergestellt werden (Winkler et al. 1999a, b). Man kann davon ausgehen, dass der Anstieg von IL-1β die Produktion von IL-8 durch Zervixfibroblasten und damit konsekutiv die Chemotaxis von neutrophilen Granulozyten sowie den Anstieg der Kollagenasenkonzentration in der Zervix bewirkt. Interessant ist außerdem, dass IL-1β die Freisetzung von Arachidonsäure aus humanem Myometrium und die Syntheserate von Prostaglandin E2 durch verschiedene Zelltypen fördert, was erneut Einfluss auf Uteruskontraktilität und Zervixreifung nimmt (Winkler u. Rath 2001). Auch glatte Muskelzellen reagieren mit einer gesteigerten Produktion der Metalloproteasen MMP-1, -3 und -9 nach Stimulation mit IL-1β oder TNF-α (Watari et al. 1999).
Adhäsionsmoleküle auf der Zelloberfläche dienen Zell-ZellInteraktionen und der Übertragung von Signalen zwischen den Zellen. Daneben verändern Adhäsionsmoleküle die Zelldifferenzierung, die Transkription, induzieren Angiogenese und spielen eine Rolle bei der Apoptose. Während der Extravasation von Leukozyten ändert sich die Adhäsivität der Kapillarwände durch Expression von Adhäsionsmolekülen auf den Endothelzellen. Ein besonders sorgfältig untersuchtes Adhäsionsmolekül ist E-Selektin, das die Bindung von neutrophilen Granulozyten, Monozyten und T-Zellen an aktiviertes Endothel während einer akuten Entzündungsreaktion vermittelt, aber in der normalen Endothelzelle nicht zu finden ist. Immunhistochemische Untersuchungen zeigten, dass die Oberflächenexpression von E-Selektin während der Zervixreifung und -dilatation in den Gefäßendothelien des unteren Uterinsegments stark ansteigt (Thomson et al. 1999). Induziert wird seine Expression über bakterielle Lipopolysaccharide, IL-1 und TNF-α. Diese TNF-α -abhängige Expression kann in vitro durch 17α-Estradiol und Prostaglandin E2 verstärkt werden (Winkler et al. 1997), also durch Substanzen, die an der Zervixreifung und der Weheninduktion beteiligt sind. Ein weiteres Adhäsionsmolekül, das in der dilatierten Zervix überexprimiert wird, ist das »intercellular adhesion molecule 1« (ICAM-1). Es vermittelt die Bindung von neutrophilen Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten und wird in vitro über dieselben Mediatoren wie E-Selektin induziert (Winkler et al. 1997). Neuere immunhistochemische Untersuchungen zeigen, dass ICAM-1 auch auf einwandernden Leukozyten zu finden ist, die Expression in der dilatierten Zervix also wohl eine Folge der Neutrophileninvasion darstellt (Ledingham et al. 2001b).
Die an diesem Prozess beteiligten Zytokine sind z. T. aus Untersuchungen am Amnioninfektionssyndrom oder anderen infektionsbedingten inflammatorischen Reaktionen bekannt.
Studienbox Hier lässt sich wohl auch der Zusammenhang zwischen lokaler (vaginaler oder zervikaler) Infektion und Frühgeburtlichkeit herstellen. Bakterielle Metaboliten sind eine mögliche exogene Quelle für IL-1 und damit einer Stimulation der Zervix (Ito et al. 1988).
IL-1β induziert in uterinen Muskelzellen und in Deziduazellen den mitogenaktivierten Proteinkinase-(MAPK-)Signaltransduktionsweg. Dieser leitet nach Aktivierung von membranständigen Rezeptortyrosinkinasen Stresssignale in das Zellinnere weiter. Die charakteristische Endstrecke dieses Signaltransduktionswegs ist eine dreistufige Kaskade aus verschiedenen Proteinkinasen, deren letzte in den Nukleus transloziert und Transkriptionsfaktoren sowie deren Zielgene aktiviert (Hannke-Lohmann et al. 2000). Der MAPK-Weg besteht aus mindestens 5 verschiedenen Armen, einer davon ist der c-Jun-N-terminal-protein-kinase-(JNK-)Signalweg, der über das Protein RhoA reguliert. RhoA ist in der Schwangerschaft im Myometrium hochreguliert. Es beeinflusst das Ansprechen von uterinen Muskelzellen auf Kalzium und ist maßgeblich an der Regulation der Kontraktilität der leichten Myosinketten beteiligt. Eine Hem-
Studienbox Eine Untersuchung von Adhäsionsmolekülen im unteren Uterinsegment bei Patientinnen mit nicht mehr aufzuhaltender Frühgeburt (zwischen 24 und 36 SSW zeigte eine erhöhte Konzentration der Adhäsionsmoleküle ICAM-1 und ELAM-1 in Abhängigkeit von Muttermundseröffnung und Wehendauer (Winkler et al. 2000). Da es sich hierbei um die gleichen Adhäsionsmoleküle handelt, die auch bei der Zervixreifung am Termin eine Rolle spielen, legt dies nahe, dass der Mechanismus der pathologischen Zervixreifung dem der physiologischen ähnlich ist.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
Die Expression eines weiteren Adhäsionsmoleküls, des »vascular cell adhesion molecule 1« (VCAM-1), steigt wie die von E-Selektin in Abhängigkeit von der Zervixdilatation an, jedoch moderater (Winkler et al. 1998; Ledingham et al. 2001 b). Es bindet an Integrin α4β1, einen Adhäsionsrezeptor, der membranständig von Monozyten, Lymphozyten, Basophilen und Eosinophilen, aber nicht von neutrophilen Granulozyten exprimiert wird. VCAM-1 wird ebenfalls durch Zytokine (IL-1, TNF-α) und bakterielle Lipopolysaccharide induziert wie auch durch ein Enzym aus der Prostaglandinsynthese (Phospholipase A2). Das zeigt wiederum, dass auch die Expression von Adhäsionsmolekülen im Rahmen der Zervixreifung kein isolierter Vorgang ist, sondern durch die anderen Faktoren wie z. B. Prostaglandine und Entzündungszellen beeinflusst wird. > Die Zervixreifung ist ein multifaktorielles Geschehen: ortsständige Bindegewebszellen und durch Veränderung der Endotheladhäsivität angezogene Entzündungszellen bewirken durch Freisetzung von humoralen Mediatoren und Proteasen einen Umbau der Extrazellulärmatrix der Zervix, der unter Wehentätigkeit eine schnelle und reversible Dilatation der Zervix bis auf einen Durchmesser von 10 cm erlaubt (. Abb. 23.12).
23.4.7
Ausblick
Die Physiologie und Pathophysiologie der Zervixreifung ist nur zum Teil aufgeklärt, inflammatorische Vorgänge spielen dabei aber eine große Rolle. Ausgelöst durch eine Infektion können sie über eine prämature Zervixreifung und die Auslösung vorzeitiger Wehen allerdings auch zur Frühgeburtlichkeit führen. Die Entzündungsreaktion ist nur ein möglicher Weg, die Umbauvorgänge in der extrazellulären Matrix zu beschleunigen. Insbesondere humorale Mediatoren, wie Hormone und Stickoxydul, führen zu einer Veränderung in der Kollagenarchitektur und tragen zur Erweichung der Zervix bei. Ein besseres Verständnis der physiologischen Vorgänge bei der Zervixreifung wird hoffentlich in Zukunft die Möglichkeit bieten, gezieltere Ansätze zur Vermeidung der Frühgeburtlichkeit durch Zervixinsuffizienz zu erarbeiten: Im Gegensatz zu den bisher verwendeten Tokolytika muss das Eingreifen in die Umbauvorgänge der Kollagenstruktur oder in die inflammatorische Kaskade erwogen werden. So kann im Tierversuch TGF-β eine IL-1- bzw. TNF-α-induzierte Frühgeburt verhindern (Bry u. Hallman 1993). In den letzten Jahren kam es zu einer Renaissance des Einsatzes von Progesteron zur Verhinderung von Frühgeburten. Lokal verabreichtes Progesteron konnte in Risikokollektiven die Rate von Frühgeburten vermindern (zusammengefasst bei Romero 2007). Jedoch konnten wegen widersprüchlicher Studienergebnisse keine definierten Indikationen formuliert werden, auch wenn das American College of Obstetricians and Gynecologists die Anwendung empfiehlt (The American College of Obstetricians and Gynecologists 2003).
> Trotz all dieser Bemühungen spielt jedoch weiterhin die Therapie und Prophylaxe lokaler Infektionen eine entscheidende Rolle in der Prävention der Frühgeburtlichkeit.
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
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Kapitel 23 · Physiologie und Pathologie des Geburtsbeginns
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23
24 24 Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte H. Schneider, H. Helmer 24.1
Allgemeine Grundlagen – 513
24.1.1 24.1.2
Terminologie – 514 Ätiologie der Frühgeburt – 515
24.2
Vorzeitige Wehen – 516
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5
Pathophysiologie – 516 Diagnostik – 517 Abklärungen zur Ätiologie – 518 Therapie – 519 Prävention – 528
24.3
Zervixinsuffizienz – 533
24.3.1 24.3.2 24.3.3
Ätiologie – 533 Diagnostik – 534 Therapie – 534
24.4
Uterusanomalien – 538
24.4.1 24.4.2
Fehlbildungen – 538 Uterus myomatosus – 538
24.5
Entbindung des kleinen Frühgeborenen – 539
24.5.1 24.5.2
Induktion der Lungenreife mit Glukokortikoiden – 539 Bedeutung des Entbindungsmodus für die Entstehung von Hirnschäden – 543 Praktische Empfehlungen – 545 Besonderheiten der Schnittentbindung kleiner Frühgeborener – 545 Beratung der Eltern – 546
24.5.3 24.5.4 24.5.5
Literatur – 547
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
512
24
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Die Inzidenz der Frühgeburtlichkeit ist in den meisten Ländern konstant geblieben oder zeigt steigende Tendenz. Dennoch ist für die Perinatalsterblichkeit ein eindrücklicher Rückgang zu verzeichnen als Folge der verbesserten Überlebenschancen von Frühgeborenen, insbesondere der kleinen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von <1.500 g. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen 4 Frühgeburten als Folge von vorzeitigen Wehen oder einem frühen vorzeitigen Blasensprung und 4 Frühgeburten nach einer indizierten Schwangerschaftsbeendigung wegen mütterlicher oder fetaler Pathologie. In dem Frühgeburtenkollektiv vor 32 SSW beträgt der Anteil der indizierten vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen mehr als 50%. Aszendierende und systemische Infektionen sowie verschiedene Formen der Plazentapathologie sind die Hauptursachen von Frühgeburtlichkeit und können Auslöser für vorzeitige Wehen oder einen frühen vorzeitigen Blasensprung sein. Bei den indizierten Schwangerschaftsbeendigungen spielen die verschiedenen Formen der Plazentapathologie eine vorrangige Rolle. Bei der Diagnose der vorzeitigen Wehentätigkeit ist die Abgrenzung gegenüber einer vermehrten Kontraktilität zu beachten, die insbesondere durch den Nachweis von Auswirkungen auf die Zervix erfolgt. Für die Beurteilung einer Zervixverkürzung und von Veränderungen am inneren Muttermund ist die Vaginalsonographie der Palpation überlegen. Durch die Kombination der sonographisch erfassten Zervixveränderungen mit der Bestimmung des fetalen Fibronektins im Zervixsekret kann die diagnostische Abgrenzung von Wehen gegenüber Kontraktionen deutlich verbessert werden. Die Therapie der vorzeitigen Wehentätigkeit mithilfe der Tokolyse stellt lediglich eine Symptombehandlung dar und vermag die Ursachen nicht zu beheben. Der Hauptnutzen der Tokolyse besteht in einer kurzfristigen Schwangerschaftsverlängerung, die die Induktion der Lungenreifung durch Verabreichung von Glukokortikoiden sowie auch die Verlegung in ein Perinatalzentrum ermöglicht. Diese Maßnahmen sind insbesondere bei den sehr kleinen Frühgeborenen für das Überleben und für die Vermeidung von Langzeitmorbidität von zentraler Bedeutung. Aus der breiten Palette unterschiedlicher pharmakologischer Substanzen mit tokolytischer Wirkung werden β-Mimetika wegen ihrer Nebenwirkungen für die Schwangere zunehmend seltener verwendet. Durch die Verabreichung nach dem Bolusprinzip kann die Verträglichkeit allerdings deutlich verbessert werden. Für Oxytozinantagonisten konnte im Vergleich zu β-Mimetika eine deutlich bessere mütterliche Verträglichkeit bei gleichwertiger wehenhemmender Wirksamkeit gezeigt werden. Kalziumantagonisten und Prostaglandinsynthesehemmer werden immer häufiger eingesetzt. Screeninguntersuchungen sind Teil der sekundären Prävention und dienen der Früherkennung einer drohenden Frühgeburt. Gegenüber dem immer noch verbreiteten Einsatz von Screeninguntersuchungen im Rahmen der Vorsorge wie die regelmäßige vaginale Beurteilung der Zervix, sei es digital oder sonographisch, bakterielle Abstriche zur Beurteilung der Vaginalflora, CTG v. a. im 3. Trimenon etc. ist bei risikoarmen Schwan-
geren Zurückhaltung angezeigt. Diese diagnostischen Tests haben in einem risikoarmen Kollektiv eine schlechte Spezifität, und durch die falsch negativen Resultate zahlreiche unnötige therapeutische Interventionen wie Bettruhe, Hospitalisierung, Tokolyse, Antibiotika oder eine Cerclage zur Folge. Die auf anamnestischen Angaben sowie zahlreichen biochemischen Tests basierenden Risiko-Scores haben sich für die Vorhersage einer Frühgeburt nicht bewährt. Lediglich der anamnestische Hinweis von einer oder mehreren Frühgeburten vor 32 SSW ist aussagekräftig und berechtigt auch zu invasiven diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen im Sinn einer Prophylaxe. Als Teil der Vorsorge ist der Nutzen im Sinn einer primären Prävention gegenüber Frühgeburten für die folgenden Maßnahmen auch bei Schwangeren ohne besonderes Risiko gut belegt, oder diese erscheinen sinnvoll, sodass sie fester Bestandteil jedes Schwangerschaftsvorsorgeprogramms sein sollten: 4 ausführliche Aufklärung und Beratung über eine gesunde Lebensführung, 4 Verhaltenskorrekturen schädlicher Gewohnheiten wie Vermeidung von Rauchen, Alkohol und Drogen, 4 zusätzliche Beratung und gezielte Unterstützung für sozial benachteiligte Frauen mit ungünstigen Lebensbedingungen. Bei den diagnostischen Tests ist der Wert eines Screenings auf asymptomatische Bakteriurie und deren antibiotische Behandlung als Prophylaxe von Frühgeburten gut belegt. Dagegen konnte die Effektivität einer generellen antibiotischen Behandlung bei asymptomatischer Besiedelung der Scheide mit pathologischen Erregern, wie insbesondere von Gardnerellen, als Frühgeburtsprophylaxe in den meisten Studien nicht gezeigt werden. Die Behandlung eines asymptomatischen Trichomonadenbefalls der Vagina hat sich im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv sogar als ungünstig für den Schwangerschaftsausgang erwiesen. Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass Frauen eines bestimmten Genotyps, die auf lokale Infekte mit einer pathologischen inflammatorischen Antwort reagieren und deshalb für Frühgeburten speziell gefährdet sind, von der Einführung einer genetischen Diagnostik profitieren könnten. In durch verbesserte diagnostische Maßnahmen schärfer abgegrenzten Risikogruppen könnte sich neben der Antibiotikagabe auch die Verabreichung von Progesteron ab dem 2. Trimenon und andere Maßnahmen, wie die Supplementierung von Magnesium, als wirkungsvolle Prophylaxe gegenüber Frühgeburten erweisen. Die Zervixinsuffizienz sowie Uterusanomalien und Myome des Uterus sind nur für einen kleinen Prozentsatz von Frühgeburten ursächlich verantwortlich. Insbesondere wird die Diagnostik und damit verbunden die Behandlung der Zervixinsuffizienz kontrovers diskutiert. Die Studien zum selektiven Einsatz der operativen Cerclage liefern widersprüchliche Resultate. Die rein prophylaktische Wiederholung einer Cerclage in Folgeschwangerschaften ohne klare Hinweise auf eine erneute Zervixinsuffizienz hat sich nicht bewährt. Die lokale Bestimmung von proinflammatorischen Zytokinen im Zervixsekret ist möglicherweise eine wertvolle Ergänzung für die Indikationsstellung einer Cerclage.
513 24.1 · Allgemeine Grundlagen
Bei der Frage nach dem optimalen Entbindungsmodus von kleinen Frühgeborenen steht die Alternative zwischen der primären Sectio und der schonenden vaginalen Geburt im Zentrum der Diskussion. Vor allem wurden Hirnblutungen mit dem Entbindungsmodus in Zusammenhang gebracht. Es zeichnet sich ab, dass nicht so sehr der eigentliche Entbindungsmodus von Bedeutung ist, sondern vielmehr die Frage, wieweit die vorausgegangene Wehentätigkeit von Zeichen einer intrauterinen Hypoxie begleitet wurde. Die nach wie vor widersprüchlichen Resultate zu der optimalen Entbindung des kleinen Frühgeborenen basieren vorwiegend auf retrospektiven Studien. Übereinstimmend kommen die zahlreichen Analysen aber zu dem Schluss, dass sich die vorgeburtliche Verabreichung von Glukokortikoiden an die Schwangere günstig auf den Zustand des Neugeborenen, insbesondere bei Frühgeburten vor 34 SSW, auswirkt. Neben der Vermeidung von schweren Formen des Atemnotsyndroms werden auch andere Komplikationen, wie insbesondere Hirnblutungen, abgemildert. Die Daten zum Effekt einer wiederholten Gabe von Steroiden zur Beschleunigung der Organreifung des Fetus sind immer noch nicht eindeutig. Dieses Vorgehen wird daher nur im Rahmen von Studien empfohlen. Bei Beckenendlage sowie auch bei einer Zwillingsschwangerschaft scheint die primäre Sectio vorteilhaft zu sein. Bei Kopflage und Muttermunderöffnung wegen Tokolyseversagen ist dagegen die schonende vaginale Geburt die Methode der Wahl. An der Grenze der Lebensfähigkeit, d. h. zwischen 23 und 25 SSW, ist im Zweifel im Interesse des Fetus zu entscheiden, und sowohl geburtshilflich als auch bei der primären Reanimation sollten alle Maßnahmen zugunsten des Kindes ergriffen werden. Dabei muss in schwierigen Grenzsituationen auch die Einstellung der Eltern in die Entscheidungssuche einfließen.
24.1
Allgemeine Grundlagen
Der eindrucksvolle Rückgang der perinatalen Gesamtmortalität beruht in erster Linie auf einer Abnahme der Neonatalsterblichkeit. Davon entfallen etwa 75% auf Frühgeburten, die inzwischen in Deutschland 9% aller Lebendgeburten ausmachen (BQS 2008). Die Perinatalsterblichkeit fällt mit zunehmendem Gestationsalter steil ab. In Deutschland beträgt sie bei Geburten vor 28+0 pro 1.000 Lebendgeburten 316, zwischen 28+0 und 31+6 76, zwischen 32+0 und 36+6 12,5 und zwischen 37+0 und 41+6 1,23 (BQS 2008). Überlebende Frühgeburten sind für >50% der Langzeitmorbidität verantwortlich (Goldenberg et al. 2002). > Die Abnahme der Neonatalsterblichkeit ist v. a. Folge von verbesserten Überlebenschancen bei den sehr kleinen Frühgeborenen, was wiederum der Zentralisierung von Hochrisikogeburten, einer verbesserten interdisziplinären Zusammenarbeit und der Entwicklung der neonatalen Intensivmedizin zu verdanken ist (Obladen 2007). Durch den deutlichen Rückgang der Neonatalsterblichkeit bei Frühgeburten haben Fehlbildun-
6
gen als Ursache der Perinatalsterblichkeit an Bedeutung gewonnen und stehen in vielen Ländern in der Häufigkeitsskala der perinatalen Todesursachen an erster Stelle oder haben mit Frühgeburten gleichgezogen.
Trotz umfangreicher Anstrengungen in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Therapie ist in den meisten Staaten für die Rate der Frühgeburten eine steigende Tendenz zu beobachten. Im Bundesland Hessen erhöhte sich die Anzahl der Geburten mit <36+5 SSW von 6,72% aller Geburten im Jahr 1990 auf 7,72% im Jahr 2000 und beträgt im Jahr 2008 7,86% (HEPE 2000–2008). Für die gesamte BRD liegt, wie bereits gesagt, die Zahl für 2008 bei 9,0%. In den USA beträgt die Häufigkeit der Frühgeburt für das Jahr 2006 12,8% (CDC 2007). Dies entspricht einem Anstieg von 38% in den letzten 25 Jahren, und die Rate liegt deutlich über dem für europäische Länder berichteten Anteil von 5–9% (Goldenberg et al. 2008). Gleichzeitig ist jedoch ein eindrücklicher Rückgang der neonatalen Mortalität besonders bei Frühgeburten zu verzeichnen.
Studienbox Besonders beunruhigend ist der in verschiedenen Ländern festgestellte Anstieg der Inzidenz von Frühgeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (VLBW). Nach den Angaben der Schweizer Neonatologiegruppe betrug die Anzahl der Geburten in der Gewichtsklasse 500–999 g in den Jahren 1979–1981 1,3 Fälle pro 1.000 Lebendgeborene mit Anstieg auf 2,2 Fälle pro 1.000 für den Zeitabschnitt von 1989–1991. Gleichzeitig nahm die Überlebensrate von 23 auf 53% zu (Strebel u. Bucher 1994). Für den Zeitraum von 2005–2007 ist die Zahl der Geburten in dieser Gewichtsklasse auf 3,3 pro 1.000 Lebendgeborene weiter gestiegen (Schweizerisches Bundesamt für Statistik 2008). Dabei ist auch eine weitere deutliche Zunahme der Überlebensrate auf 76% zu verzeichnen (Fauchère 2009, Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie). Gemäß der Perinatalerhebung des Bundeslandes Hessen stieg die Anzahl der Geburten mit einem Gewicht von <1.000 g von 2,6/1.000 Lebendgeborenen im Jahr 1990 auf 4,6 im Jahr 2000 an. Mit 4,5 im Jahr 2008 ist die Anzahl in dieser Gewichtsklasse konstant geblieben. In den übrigen Gewichtsklassen wie 1.000–1.499 g und 1.500–1.999 g ist die Anzahl der Lebendgeburten bereits seit 1990 weitgehend konstant (HEPE 2000–2008). Für das Bundesgebiet liegt die Zahl der Lebendgeburten mit einem Gewicht von <1000 g für das Jahr 2008 gemäß Angaben der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung mit 6,1 deutlich höher (BQS 2008). Die Überlebensrate beträgt 77 pro 1.000 Lebendgeburten.
Obwohl die Gruppe der Kinder mit einem Geburtsgewicht von <1.500 g mit 1,4% am Gesamtkollektiv der Neugeborenen im Jahr 2008 in der BRD nur einen geringen Anteil
24
514
24
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
hat, kommt ihr wegen des überproportionalen Anteils an der perinatalen Mortalität und Morbidität sowie dem hohen mit der Betreuung verbundenen Aufwand eine besondere Bedeutung zu. An der Zunahme der Frühgeburten haben die im Zusammenhang mit der assistierten Reproduktionsmedizin vermehrt auftretenden Mehrlingsschwangerschaften sowie die wegen medizinischer Indikation vorzeitig beendeten Schwangerschaften einen beträchtlichen Anteil (Ananth et al. 2006).
Epilepsie und kognitiven Beeinträchtigungen verbunden ist. In der Gruppe der kleinsten Frühgeborenen mit einem Gestationsalter <24+0. SSW haben 40% der Überlebenden mäßige bis schwere Behinderungen, sodass gleichzeitig mit einem Anstieg der Überlebenschancen auch die absolute Zahl der Kinder mit Zerebralparesen oder anderen Behinderungen zugenommen hat (Hack u. Fanaroff 1999; Hentschel et al. 2001; Saigal u. Doyle 2008).
24.1.1 Studienbox Während die Frühgeburtenrate in Frankreich durch eine intensivere Schwangerschaftsvorsorge Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zunächst gesenkt werden konnte (Papiernik 1993), stieg diese zwischen 1995 und 1998 von 5,4 auf 6,2% erneut an. Dieser Anstieg erklärt sich vorwiegend durch eine Zunahme der Mehrlingsschwangerschaften (Badeyan et al. 2000). Auch in Hessen hat die Anzahl der Mehrlingsgeburten zwischen 1990 und 2000 um insgesamt 24,4% und zwischen 2000 und 2008 um weitere 17% zugenommen, sodass auch hier die Reproduktionsmedizin zu einem erheblichen Anteil für die Gesamtentwicklung verantwortlich ist (HEPE 2000– 2008).
Besonders folgenschwer ist die Langzeitmorbidität der Überlebenden in Form von psychomotorischen Störungen im Sinn der Zerebralparese, die nicht selten mit geistiger Behinderung,
Terminologie
Die Perinatalsterblichkeit stellt zusammen mit der Säuglingssterblichkeit einen wichtigen Indikator für die Qualität der Gesundheitsfürsorge sowie den Gesundheitsstandard einer Bevölkerung dar. Die entsprechenden Statistiken haben somit eine erhebliche politische Bedeutung, da aufgrund dieser Erhebungen finanzielle Mittel bereitgestellt und internationale Vergleiche angestellt werden. Ein Vergleich zwischen Ländern, Regionen und Institutionen ist jedoch nur sinnvoll, wenn den Statistiken übereinstimmende Definitionen zugrunde liegen. Für den internationalen Vergleich sollten die von der WHO festgelegten Definitionen zur Anwendung kommen. Dabei ergeben sich jedoch teilweise Konflikte mit den nationalen gesetzlichen Vorschriften für die Meldepflicht, die auf Definitionen basieren, die z. T. nicht mit den WHO-Definitionen übereinstimmen. Für die Betrachtung des Problems der Frühgeburtlichkeit gelten die in . Tab. 24.1 genannten Definitionen und Abgrenzungen.
. Tab. 24.1. Definition der Frühgeburt
Bezeichnung
Definition
Geburt (WHO)
Komplette Ausstoßung oder Extraktion von Feten mit ≥500 g oder ≥25 cm. Wenn weder Gewicht noch Länge vorliegen, gilt ein Gestationsalter von 22 SSW als gleichwertig mit 500 g
Lebendgeburt (»life birth«)
Lebenszeichen unter und nach der Geburt: Atembewegungen, Pulsation der Nabelschnur, Bewegung der willkürlichen Muskulatur
Totgeburt (»still birth«)
Keine Lebenszeichen während und nach der Geburt
Abort (keine übereinstimmende Definition)
Komplette Ausstoßung oder Extraktion eines <500 g wiegenden Fetus (<30 cm) ohne Lebenszeichen oder eines Embryos, ohne Berücksichtigung des Gestationsalters
Frühgeborenes Kind (»preterm«)
≤259 Tage (vor 37+0 SSW) nach dem 1. Tag der letzten Menstruation
Partus praematurus
Geburt zwischen 28+0 bis 36+6 SSW
Partus immaturus (»very low birth weight«, sehr kleine Frühgeburt)
Geburt zwischen 22+0 bis 27+6 SSW, Gewicht ≤1.000 g
Meldepflicht
Deutschland und Österreich
Alle Lebendgeborenen/alle Totgeborenen >500 g
Schweiz
Alle Lebend- sowie Totgeborenen >30 cm Längea
a
Ein Problem besteht bei Neugeborenen mit Lebenszeichen bei einer Länge <30 cm. Uneinigkeit besteht international bei der Zuordnung von Neugeborenen vor 22+0 SSW, die Lebenszeichen aufweisen.
515 24.1 · Allgemeine Grundlagen
> Da v. a. am Übergang vom 2. zum 3. Trimenon jeder Tag einer Schwangerschaftsverlängerung eine Verbesserung der Überlebenschancen des Frühgeborenen bedeutet, ist eine präzise Bezeichnung des aktuellen Gestationsalters unbedingt notwendig. Auf die Verwendung einer auch international übereinstimmenden Zeitangabe für die Schwangerschaftsdauer in abgeschlossenen Wochen und Tagen ist besonders zu achten. Der 2. Tag der 28. SSW entspricht also 27 SSW+1 Tag (27+1) (Spätling 2008).
24.1.2
. Tab. 24.2. Klinische Begleitumstände einer Frühgeburt [%]
Häufigkeit [%]
Ätiologie der Frühgeburt
Die klinischen Begleitumstände einer Frühgeburt werden in 3 Kategorien unterteilt (. Tab. 24.2). Der Anteil der verschiedenen Gruppen variiert je nach Population, und auch für die Ätiologie besteht keine feste Zuordnung zu den nach der Klinik definierten Kategorien (. Abb. 24.1). Vorzeitige Wehen sind als klinisches Symptom von zentraler Bedeutung, aber nur etwa ein Drittel aller Frühgeburten ist Folge von vorzeitigen Wehen ohne fetale oder mütterliche Begleitpathologie (Keirse u. Kanhai 1981; Schneider et al. 1994). Bei je einem Drittel geht ein früher vorzeitiger Blasensprung voraus, oder die Schwangerschaft wird wegen mütterlicher oder fetaler Pathologie beendet. Auch die Klassifizierung von Frühgeburten nach dem Gestationsalter ist von klinischer Relevanz (. Tab. 24.3). Mortalität und Morbidität sind auch für die terminnahen Frühgeburten im Vergleich zu Geburten am Termin noch deutlich erhöht. Die Frühgeburt ist der gemeinsame Endpunkt sehr verschiedener Pathologien. 4 Häufigste Ursachen sind Infektionen, Störungen der Plazentation, primäre Pathologie des Fetus sowie eine Patho-
Vorzeitige Wehen
35,5
Früher vorzeitiger Blasensprung
10,8
Frühe Schwangerschaftsbeendigung wegen medizinischer Indikation bei Komplikationen, die eine Gefährdung für die Schwangere oder den Fetus bedeuten
53
. Tab. 24.3. Klassifizierung von Frühgeburten nach dem Gestationsalter
Frühgeburt
Gestationsalter
Extrem frühe Frühgeburten
<24+0 SSW
Sehr frühe Frühgeburten
24+0 bis 27+6 SSW
Frühe Frühgeburten
28+0 bis 33+6 SSW
Späte oder »terminnahe« Frühgeburten
34+0 bis 36+6 SSW
logie des Uterus (. Abb. 24.1). Dabei kommt den Infektionen sowie der Pathologie der Plazentation die größte Bedeutung als Entstehungsursachen für eine Frühgeburt zu. Jede der genannten Ursachen kann zu vorzeitigen Wehen oder zu einem frühen vorzeitigen Blasensprung führen oder Grund für eine indizierte vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung sein. 4 Ein zunehmender Anteil der sehr kleinen Frühgeborenen resultiert aus Mehrlingsschwangerschaften, die häufig Folge der assistierten Reproduktionsmedizin sind (Schneider 2003).
. Abb. 24.1. Pathogenese der Frühgeburt. (Nach Schneider et al. 1994)
24
516
24
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Da die hier untersuchte Patientenpopulation aus einem Tertiärzentrum stammt, ist der relative Anteil der indizierten vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen im Vergleich zu Studien, die auf der Gesamtbevölkerung basieren, deutlich erhöht (. Tab. 24.2). Die Differenzierung in unterschiedliche ätiologische Kategorien ist nicht nur für das klinische Management in der Akutsituation von Bedeutung, sondern kann auch Hinweise für die spätere Prognose bieten. Neben dem Gestationsalter sowie dem Geburtsgewicht ist die vorbestehende Schwangerschaftspathologie für das weitere Schicksal des Kindes von Bedeutung.
Studienbox Fallkontrollstudien von überlebenden Frühgeburten mit Zerebralparese (CP) zeigen eine gehäufte Assoziation mit Fehlbildungen sowie intrauteriner Wachstumsrestriktion und anderen nicht CP-bedingten neurologischen Symptomen wie Epilepsie oder kognitiven Störungen. Präeklampsie sowie Blutungen im 3. Trimenon sind dagegen nicht mit einem zusätzlichen Risiko für psychomotorische Langzeitmorbidität belastet (Palmer et al. 1995). Auch eine Chorioamnionitis stellt gegenüber der reinen Frühgeburtlichkeit ein deutliches Zusatzrisiko für die Entwicklung einer CP dar.
Für einige dieser Ätiologien besteht ein deutlicher Zusammenhang mit soziodemographischen Faktoren (Schneider 2003). Diese Risikomerkmale sind für frühe Frühgeburten, die häufig Folge einer medizinischen Indikation zur vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung sind, in gleichem Maß bedeutungsvoll wie für die später durch spontane Wehentätigkeit verursachten Frühgeburten (Ancel 2000). In einer umfangreichen prospektiven Kohortenstudie waren soziodemographische Faktoren allein für 13% des Frühgeburtenrisikos verantwortlich (Haas et al. 2005). Auf diesen epidemiologisch gut belegten Zusammenhängen basiert die zentrale Bedeutung von gesundheits- sowie sozialpolitischen und medizinischen Maßnahmen für die Prävention.
Studienbox Eine auf den Daten der Perinatalerhebungen in den verschiedenen deutschen Bundesländern für Geburten der Jahre 1995–2000 basierende Analyse zeigte einen erheblichen Einfluss des sozioökonomischen Status der Mutter auf die Frühgeborenenrate. Während die Rate in der Gesamtpopulation 7% betrug, lag diese bei un-/angelernten Arbeiterinnen bei 7,8% und bei höheren/leitenden Beamtinnen bei 6,3%. Unter Berücksichtigung von Alter und Anzahl der Lebendgeburten stieg der Unterschied zwischen beiden Kollektiven von 1,5% auf 2,3% an. Bei Frauen von ≥40 Jahren und mit ≥4 Lebendgeburten war die Frühgeborenenrate bei un-/angelernten Arbeiterinnen sogar 8,3% höher als bei höheren/leitenden Beamtinnen (13,8 vs. 5,6%; Straube et al. 2009).
Wegen Einzelheiten zur Pathogenese von vorzeitigen Wehen wird auf 7 Kap. 23.1–23.4 verwiesen, und die Besonderheiten des frühen vorzeitigen Blasensprungs werden in 7 Kap. 25 besprochen. Das vorliegende Kapitel konzentriert sich v. a. auf die Problematik der vorzeitigen Wehentätigkeit.
24.2
Vorzeitige Wehen
24.2.1
Pathophysiologie
Einzelheiten der Reaktionskaskade, die einerseits vorzeitig zu einer Frühgeburt oder andererseits rechtzeitig zu einer Geburt am Termin führen kann, werden in 7 Kap. 23.1–23.4 ausführlich besprochen. Entscheidend für die Auslösung der Geburt sind Veränderungen im maternofetalen Grenzbereich, der auf der mütterlichen Seite von der Dezidua und der Zervix sowie auf der fetalen Seite von der Plazenta und dem Chorionamnion gebildet wird. Klinisch besonders wichtige pathogenetische Abläufe, die zu vorzeitigen Wehen, Zervixreifung und einem vorzeitigen Blasensprung führen können, sind: 4 Vorzeitige Aktivierung der fetalen und maternalen Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse(HHNR). Hier sind v. a. uteroplazentare Ischämien und maternale chronische Stresssituationen zu nennen 4 Infektionen, systemisch sowie aszendierend 4 Retroplazentare Blutungen in die Dezidua wie bei partieller vorzeitiger Lösung der Plazenta 4 Pathologische Dehnung des Myometriums und der Eihäute wie bei Mehrlingsschwangerschaften oder Polyhydramnion Während der Schwangerschaft sichert der fetomaternale Grenzbereich über para- und autokrine Steuerungsmechanismen mit der Synthese von Zytokinen und Peptiden die Stabilisierung und Ruhigstellung der den Embryo bzw. Fetus schützenden Hüllen bestehend aus Myometrium und Eihäuten. Dabei kommt dem nach dem 1. Trimenon in der Plazenta gebildeten Progesteron eine besondere Bedeutung zu. Als Vorbereitung auf die Geburt verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen den die Schwangerschaft erhaltenden und den die Geburt auslösenden Faktoren mit einer Auflockerung des Zervixgewebes und einem Verlust an Reißfestigkeit der Eihäute. Aus einer erhöhten Kontraktilität des Myometriums entwickeln sich bei Beginn der Geburt regelmäßige Wehen. Bei diesen Veränderungen spielen das Neuropeptid CRH, diverse Proteasen, Prostaglandine sowie Oxytozin und die Steroidhormone Östrogen und Kortisol eine wichtige Rolle. Die gut dokumentierte familiäre Häufung von Frühgeburten sowie die Rezidivneigung boten frühe Hinweise auf eine genetische Komponente (Esplin 2006). Dabei können Merkmale des mütterlichen und fetalen Genotyps für die Entstehung von Frühgeburten von Bedeutung sein (Crider et al. 2005). Genetische Studien zeigten eine Assoziation von Polymorphismen einzelner Nukleotide verschiedener Gene mit Frühgeburtlichkeit infolge von vorzeitigen Wehen oder auch
517 24.2 · Vorzeitige Wehen
einem vorzeitigen Blasensprung (Annels et al. 2004; Engel et al. 2005). Die Bedeutung des Genotyps wurde bislang v. a. im Zusammenhang mit der inflammatorischen Reaktion bei Infektionen untersucht. Für die bakterielle Vaginose wurde gezeigt, dass die Kombination der Infektion und dem mütterlichen Trägerstatus für ein Allel des TNF-α-Gens ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt mit sich bringt (Macones et al. 2004). Aus der Beobachtung einer Häufung von spontanen Frühgeburten bei männlichen Feten muss auf die besondere Bedeutung des Geschlechts geschlossen werden (Zeitlin et al. 2004; Ingemarsson 2003).
24.2.2
Diagnostik
Erfassung der Wehentätigkeit Regelmäßigkeit und Schmerzhaftigkeit sind typische Merkmale von vorzeitigen Wehen. Allerdings variiert die individuelle Wahrnehmung von Schmerz erheblich. Entscheidend für die Abgrenzung von vorzeitigen Wehen von physiologischen Kontraktionen sind die Veränderungen an der Zervix in Form von Verkürzung, einer Auflockerung der Gewebekonsistenz und schließlich die fortschreitende Eröffnung des Muttermunds. Voraussetzung für die Einleitung von therapeutischen Maßnahmen ist neben der Verifizierung der Wehentätigkeit die Abklärung der Ursachen. Die kontroverse Diskussion um den Nutzen der Tokolyse ist nicht zuletzt ein Problem der Definition und der Abgrenzung der vorzeitigen Wehen von physiologischen Kontraktionen des Myometriums. Vorzeitige Wehen sind der häufigste Anlass für die stationäre Aufnahme von schwangeren Frauen, davon entbinden bis zu 50% am Termin (McPheeters et al. 2005). Definition
Physiologische Kontraktionen Die Anzahl der physiologischen Kontraktionen nimmt mit zunehmender Schwangerschaftsdauer zu, und als obere Grenzwerte wurden bei 25 SSW 2 und bei 37 SSW 5 Kontraktionen pro Stunde beschrieben (Zahn 1978).
Vorzeitige Wehen Die Diagnose »vorzeitige Wehen« oder »Frühgeburtsbestrebungen« basiert auf anhaltenden Kontraktionen – mindestens 4 in 20 min oder 8 während 60 min– mit einer Eröffnung der Zervix von 1–3 cm bei einer Verkürzung um 50%.
Risikopatientinnen sollen frühzeitig auf typische Begleiterscheinungen einer vermehrten Kontraktilität des Myometriums aufmerksam gemacht werden (Roberts et al. 1995).
Frühsymptome vorzeitiger Wehen (Roberts et al. 1995) 4 Uterine Kontraktionen (besonders beim Gehen und Treppensteigen) 4 Menstruationsähnliche Beschwerden 4 Tiefe Rückenschmerzen 4 Unspezifische Schmerzen im Unterleib 4 Wässriges oder blutiges Vaginalsekret 4 Änderung in der Zusammensetzung des Vaginalsekrets 4 Druckgefühl im Bereich der Symphyse 4 Druckgefühl im kleinen Becken
Die uterine Aktivität wird üblicherweise indirekt über dem Bauch der Schwangeren gemessen. Durch Kompression eines Dehnungsmessstreifens, der an einer Registriervorrichtung befestigt ist, werden bei der herkömmlichen Tokographie Dauer und Häufigkeit der Kontraktionen aufgezeichnet. Dabei ist die Amplitude wenig aussagekräftig. Mit der Vierkanaltokographie werden über den verschiedenen Quadranten der Uterusvorderwand gleichzeitig Signale abgeleitet, um den Ort der Entstehung einer Wehe und deren Ausbreitung zu erfassen. Kontraktionen, die im rechten oberen Quadranten beginnen, scheinen für das Geburtsgeschehen am effizientesten zu sein (Spätling et al. 1997).
Auswirkung auf die Zervix Unter der Geburt nimmt der Gesamtkollagengehalt der Zervix ab. Die proteolytische Zerstörung der extrazellulären Matrix wird durch lokale Entzündung und Ausschüttung des Granulozytenaktivators Interleukin-8 getriggert. Die in Amnion, Chorion und Dezidua gebildeten kontraktionsfördernden Substanzen, wie Prostanoide, Endothelin und Leukotriene, unterstützen die mechanische Zerstörung. Diese Zusammenhänge werden in 7 Kap. 24.4 ausführlich dargestellt. Die vaginalsonographische Beurteilung der Zervixlänge ist der palpatorischen Untersuchung überlegen (Gomez et al. 1994). Eine Verkürzung der Zervix ist mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziiert, und das relative Risiko nimmt mit abnehmender Zervixlänge zu (Tongsong et al. 1995; Iams et al. 1996). Auch bei asymptomatischen Schwangeren mit erhöhtem Risiko ist die Zervixlänge ein wichtiger Indikator für eine erneute Frühgeburt (Grimes-Dennis u. Berghella 2007). Für eine reproduzierbare vaginalsonographische Beurteilung der Zervix sind folgende Empfehlungen zu beachten: 4 Die Zervix muss sich für die Messung symmetrisch darstellen und darf nicht komprimiert erscheinen (Burger et al. 1997). 4 Vordere und hintere Muttermundlippe sollten gleich dick sein (Arabin et al. 2001). Bei der Messung im Stehen (die Schwangere stellt ein Bein auf einem Schemel ab und führt die Vaginalsonde selbst ein) zeigt sich bei drohender Frühgeburt eine Verstärkung einer Trichterbildung im Bereich des inneren Muttermunds (»funneling«) bis hin zum Prolaps der Fruchtblase. Das Ausmaß des Trichters korreliert mit dem Frühgeburtsrisiko (Arabin 2001).
24
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24
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Bei einer Zervixlänge von >30 mm ist die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt innerhalb einer Woche gering (Tsoi et al. 2005). Eine stationäre Beobachtung ist in der Regel nicht indiziert. Für die Diagnose einer Verkürzung der Zervix werden unterschiedliche Grenzwerte von <30, 25 oder 20 mm genannt. Bei mäßiger Verkürzung (20–30 mm) wird eine engmaschige ambulante oder stationäre Betreuung empfohlen. In dieser Gruppe kann eine weitere Abschätzung des Risikos durch die Bestimmung des fetalen Fibronektins im Zervixsekret hilfreich sein. Bei einer stark verkürzten Zervix (<20 mm) ist das Risiko für eine Frühgeburt deutlich erhöht, und bei einem Gestationsalter von <34 SSW sind entsprechende medizinische Maßnahmen wie die stationäre Aufnahme, Tokolyse und die Verabreichung von Glukokortikoiden angezeigt (Tsoi et al. 2005). Fibronektin. Das fetale Fibronektin ist ein Protein der extra-
zellulären Matrix der choriodezidualen Grenzzone. Veränderungen, die in der Nähe des inneren Muttermunds in Zusammenhang mit aszendierenden Infektionen und Kontraktionen auftreten, führen zur Freisetzung von fetalem Fibronektin, das im Zervix- bzw. Vaginalsekret bestimmt werden kann.
Studienbox Bei Patientinnen mit vorzeitigen Wehen wurde für den Nachweis von fetalem Fibronektin im Vaginalsekret ein erhöhter Vorhersagewert für eine Frühgeburt oder einen vorzeitigen Blasensprung erstmals von Lockwood et al. (1991) beschrieben. Allerdings ist der positive Vorhersagewert eher gering (Iams et al. 2001; Leitich et al. 1999). Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen über einen zusätzlichen Nutzen eines erhöhten Fibronektinwerts im Vaginalsekret (>50 ng/ml) sind widersprüchlich. Während Gomez et al. (2005) über eine verbesserte diagnostische Vorhersage einer Frühgeburt bei Schwangeren mit vorzeitigen Wehen bei intakter Fruchtblase und verkürzter Zervix berichten, konnte dies von Tsoi et al. (2006) nicht bestätigt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei vorzeitigen Wehen mit einer sonographisch dargestellten Verkürzung der Zervix auf <25 mm das Frühgeburtsrisiko deutlich erhöht ist, und insbesondere bei einem Gestationsalter von ≤32 SSW therapeutische Maßnahmen wie Hospitalisation mit Induktion der Lungenreifung unter Tokolyse und ggf. Antibiotika angezeigt sind. Wieweit die zusätzliche Bestimmung des fetalen Fibronektins im Vaginalsekret für die Unterscheidung zwischen vermehrten Kontraktionen und echten vorzeitigen Wehen von zusätzlichem Nutzen ist, konnte bislang unter klinischen Routinebedingungen nicht eindeutig gezeigt werden. Auf die Bedeutung der sonographischen Beurteilung der Zervix bei Schwangeren ohne klinischen Verdacht auf vorzeitige Wehen wird im Folgenden noch näher eingegangen.
24.2.3
Abklärungen zur Ätiologie
Auf die Patholphysiologie der Entstehung vorzeitiger Wehen und die wichtigsten ätiologischen Faktoren wurde bereits in 7 Kap. 23 und 7 Kap. 24.2.1 eingegangen. Eine vorrangige Rolle spielen verschiedene Infektionen.
Infektionen des Genitaltrakts Aszendierende Infektionen des Genitaltrakts können vorzeitige Wehen mit oder ohne vorzeitigen Blasensprung verursachen. Zu den Erregern der Vaginalflora, die häufig mit einer Frühgeburt assoziiert sind, zählen Gardnerellen als Verursacher der bakteriellen Vaginose (Hillier et al. 1995), Gonokokken (Edwars et al. 1978), Gruppe-B-Streptokokken (Regan et al. 1981), Chlamydia trachomatis (Martin et al. 1982; Andrews et al. 2000), Ureaplasma urealyticum und Trichomonas vaginalis (Cotch et al. 1997). Der Nachweis dieser Erreger im Vaginalsekret kann als Marker einer Infektion der oberen Genitalwege gewertet werden. Die Aszension dieser Keime in die Dezidua, Eihäute oder das Fruchtwasser kann vorzeitige Wehen mit oder ohne Blasensprung verursachen. Eine Untersuchung des Vaginalsekrets im Nativpräparat, ggf. mit Gram-Färbung, gehört zur Ursachenabklärung von vorzeitigen Wehen. Beim Nachweis einer pathologischen Flora mit Überwiegen eines dieser Keime ist eine antibiotische Behandlung angezeigt. Der singuläre Nachweis von Ureaplasma urealyticum soll jedoch nicht mittels Antibiotikatherapie behandelt werden. Ebenso soll der kulturelle Nachweis von Gruppe-B-Streptokokken ohne pathologische Flora zu einer antibiotischen Therapie erst während der Geburt führen. Durch einen generellen Einsatz von Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum bei vorzeitigen Wehen konnte keine signifikante Verlängerung der Schwangerschaftsdauer oder eine Verbesserung des Zustands des Neugeborenen erzielt werden (Kenyon et al. 2001). Wieweit bei asymptomatischen Fällen durch ein generelles Screening mit prophylaktischer Behandlung Frühgeburten oder andere ungünstige Verläufe mit mütterlicher oder kindlicher Morbidität verhütet werden können, wird in der Literatur nach wie vor kontrovers diskutiert. Auf die sekundäre Prävention wird in 7 Kap. 25.2.5 näher eingegangen.
Systemische Infektionen Systemische Infektionen, ausgehend von einer Appendizitis (Tracey u. Fletcher 2000), einer Cholezystitis, einer Pneumonie oder einer Pyelonephritis (Millar et al. 2003), können ebenfalls Ursache für vorzeitige Wehen mit Frühgeburt sein. Auch die Hinweise auf eine Assoziation von peridentalen Erkrankungen mit Frühgeburtlichkeit häufen sich zusehends (Offenbacher et al. 1996; Paquette 2002; Xiong et al.) Dabei wirken passagere Bakteriämien als Auslöser einer inflammatorischen Reaktion, durch die die zu Geburtswehen führende Kaskade vorzeitig in Gang gesetzt werden kann (Norwitz et al. 1999). Allerdings konnte in einer prospektiven randomisierten Studie mit 813 Patientinnen, in deren Rahmen die Interventionsgruppe eine effektive zahnärztliche Therapie erhielt, die Rate an Frühgeborenen nicht signifikant gesenkt werden
519 24.2 · Vorzeitige Wehen
(Michalowicz et al. 2006). Es wird spekuliert, dass die vorzeitigen Wehen nicht direkte Folge einer Bakteriämie sind, sondern dass die peridentale Infektion Hinweis auf eine individuell erhöhte inflammatorische Reaktion ist (Kornman u. di Giovine 1998). Asymptomatische Bakteriurie und Harnwegsinfekte werden unter sekundärer Prävention (7 Kap. 24.2.5) ausführlicher besprochen.
Fehlbildungen des Fetus Kongenitale Anomalien des Fetus sind mit Frühgeburtlichkeit verbunden (Dolan et al. 2007; Purisch et al. 2008). Als fetale Ursache von vorzeitigen Wehen spielen v. a. Fehlbildungen, die mit einer Überdehnung des Uterus infolge von Polyhydramnion verbunden sind, eine Rolle. Auch Fehlbildungen im Bereich der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse können die Wehenentstehung beeinflussen, sowohl im Sinn einer Stimulation wie auch einer Hemmung. Für die Erfassung von Fehlbildungen des Fetus ist eine differenzierte Ultraschalldiagnostik unabdingbarer Bestandteil der Abklärung vorzeitiger Wehen.
Uteroplazentare Pathologie > Neben der aszendierenden Infektion ist die uteroplazentare Pathologie mit eingeschränkter Versorgung des Fetus die zweithäufigste Ursache für die Entstehung von Frühgeburten (Schneider et al. 1994; 7 Kap. 1 und 7 Kap. 24.1).
In einem Teil der Fälle führt die hypoxisch-ischämische Beeinträchtigung des Trophoblasten zur Freisetzung von CRH sowie zur Bildung von Sauerstoffradikalen im Rahmen der Reperfusion des intervillösen Raumes. Dies kann die Grundlage für die Entstehung vorzeitiger Wehen sein. Bei der Ursachenabklärung vorzeitiger Wehen müssen die Biometrie des Fetus und das Dopplerflussmuster der Umbilikalarterie und der fetalen Gefäße, insbesondere der A. cerebri media, sorgfältig überprüft werden.
Chronischer Stress Wie oben beschrieben, kann chronischer Stress über eine erhöhte CRH-Ausschüttung vorzeitige Wehen auslösen, sodass auch eine sorgfältige psychosoziale Abklärung Teil der Ursachensuche bei vorzeitigen Wehen ist. Auch das Alter, der Bildungsstand (Forde 1993) und die psychosoziale Gesamtsituation (Lou et al. 1992) spielen im Zusammenhang mit der Frühgeburtlichkeit eine Rolle.
24.2.4
Therapie
Tokolyse Der Entstehung von vorzeitigen und termingerechten Wehen geht eine Veränderung des Aktivitätszustands des Myometriums voraus. Der während der Schwangerschaft vorherrschende Ruhezustand wird durch eine Phase der Aktivierung abgelöst, die Folge eines lokalen Anstiegs der Östrogenkonzentration mit Synthese von Kontraktionsproteinen wie diversen Rezeptoren, Ionenkanälen und Gap Junctions ist. Nach erfolgter Aktivierung können durch kleine Dosen von kontraktionsauslösenden Substanzen wie Oxytozin oder Prostaglandinen Wehen ausgelöst werden, d. h. die Aktivierung ist gleichbedeutend mit einer deutlichen Senkung der Erregungsschwelle für Kontraktionen. Einzelheiten der Veränderungen im Myometrium und der vorgeschalteten endokrinen sowie para- bzw. autokrinen Reaktionen werden in 7 Kap. 23.1–23.4 ausführlich dargestellt. Die verschiedenen Tokolytika entfalten ihre Wirkung ebenso wie die wehenstimulierenden Substanzen durch eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen der intrazellulären Konzentration von zyklischem AMP und von ionisiertem Kalzium in entgegengesetzter Richtung, sodass eine Ruhigstellung auf die Muskelzelle bewirkt wird: 4 β-Mimetika erhöhen die intrazelluläre Konzentration von cAMP über eine Stimulation des Enzyms Adenylzyklase. 4 Kalziumantagonisten wirken tokolytisch durch die Senkung des intrazellulären Kalziumspiegels. 4 Auch die Hemmung der Prostaglandinsynthese senkt den intrazellulären Kalziumspiegel. 4 Die Blockierung von Oxytozinrezeptoren senkt ebenfalls den intrazellulären Kalziumspiegel. Die Beurteilung der Effektivität der verschiedenen Tokolytika wird dadurch erschwert, dass nur wenige der Studien Plazebokontrolliert sind. Bei den Studien mit Vergleich von 2 verschiedenen tokolytisch wirkenden Medikamenten finden sich häufig Schwachpunkte im Design. Neben einer begrenzten Fallzahl wirken sich verschiedene Bias bei der Selektion, der Ergebniszuteilung u. a. limitierend auf die Aussagekraft aus. Auch sind teilweise die Endpunkte nicht klar prospektiv definiert, und die statistische Auswertung ist ungenügend (Thornton 2006). Zahlreiche prospektive randomisierte Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass die mittlere Schwangerschaftsverlängerung auf wenige Tage begrenzt ist (Bukowski et al. 2001; Gyetvai et al. 1999). Tipp
Studienbox Neuere Untersuchungen zeigen bei Frauen mit vorzeitigen Wehen einen höheren Tension-anxiety-Score und Depression-dejection-Score sowie eine kürzere Schwangerschaftsdauer und ein geringeres Geburtsgewicht (MacKeyet al. 2000).
Das Ziel einer Tokolyse ist es, durch die vorübergehende Wehenhemmung eine Schwangerschaftsverlängerung von einigen Tagen zu bewirken. Dies ist insbesondere bei sehr kleinen Frühgeborenen von erheblichem Nutzen. Durch die Verlegung in ein perinatologisches Zentrum kann neben einem zeitgemäßen prä- und intrapartalen Management auch eine optimale Versorgung des Neugeborenen sichergestellt werden.
6
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Durch die antepartale Gabe von Glukokortikoiden lassen sich Anzahl und Schweregrad verschiedener Neugeborenenkomplikationen wie Atemnotsyndrom, intraventrikuläre Hirnblutung, nekrotisierende Enterokolitis günstig beeinflussen, wodurch die neonatale Mortalität gesenkt wird (7 Kap. 24.5.1).
! Die Wehenhemmung bleibt lediglich eine Symptombekämpfung und hat in der Mehrzahl der Fälle keinen Einfluss auf die eigentliche Ursache. Kontraindikationen einer Tokolyse (nach ACOG 2003) Generelle Kontraindikationen 4 Akute kindliche Notsituation (außer intrauterine Reanimation) 4 Chorioamnionitis 4 Eklampsie oder schwere Präeklampsie 4 Intrauteriner Fruchttod (Einling) 4 Kindliche Reife 4 Mütterliche hämodynamische Instabilität Kontraindikationen für spezifische Tokolytika (Simhan u. Caritis 2007) 4 β-Mimetika – Mütterliche Herzrhythmusstörungen oder andere Herzerkrankungen – Schlecht eingestellter Diabetes, Thyreotoxikose oder Bluthochdruck 4 Magnesiumsulfat – Hypokalzämie – Myasthenia gravis – Nierenversagen 4 Indometacin – Asthma – Koronararterienerkrankung – Gastrointestinale Blutung (aktuell oder anamnestisch) – Leber- und Nierenfunktionsstörungen – Thrombozytenfunktionsstörung – Oligohydramnion – Verdacht auf fetale Herz- oder Nierenanomalien 4 Nifedipin – Mütterliche Lebererkrankung – Hypotonie – Herzerkrankung wie insbesondere Aorteninsuffizienz 4 Atosiban – Überempfindlichkeit gegen Wirkstoff oder Hilfsstoffe 4 Nitroglyzeride – Schock, schwere Hypotonie – Herzerkrankung wie insbesondere Aorteninsuffizienz
β-Mimetika Über eine Stimulation der β2-Rezeptoren werden das Myometrium und die gesamte übrige glatte Muskulatur, einschließlich der Gefäß- und Bronchialmuskulatur, relaxiert. Die rezeptorvermittelte Aktivitätssteigerung der Adenylzyklase führt zu einer intrazellulären Erhöhung des zyklischen AMP, das die Phosphorylierung von Myosin durch eine Hemmung des Enzyms Myosin-light-chain-Kinase verhindert. Das in Deutschland mit Abstand am häufigsten angewandte β-Mimetikum ist Fenoterol (Partusisten). Durch seine kurze Halbwertszeit von 22 min hat es bei der i.v.-Tokolyse eine besonders gute Steuerbarkeit. Die Dosierungen können . Tab. 24.4 entnommen werden. Wegen der Gefahr einer Flüssigkeitsüberladung ist eine Spritzenpumpe zu verwenden. ! Eine völlige Kontraktionsfreiheit des Uterus ist unphysiologisch und damit therapeutisch auch nicht anzustreben.
Ausgehend von der Vorstellung, dass die pulsatile Applikation eines β-Mimetikums mit kurzer Halbwertszeit der physiologischen Ausschüttung von Adrenalin entspricht, wurde die Bolustokolyse mit einer speziellen Spritzenpumpe entwickelt. In einer randomisierten Studie konnte gezeigt werden, dass bei erheblicher Dosisreduktion die gleichen therapeutischen Resultate erzielt werden wie bei einer kontinuierlichen Tokolyse (Spätling et al. 1989). > Die bei der kontinuierlichen Applikation von β-Mimetika eintretende Tachyphylaxie (Caritis et al. 1997) infolge einer Desensibilisierung der Adenylzyklase und einer Verringerung der β-Rezeptorzahl kann durch die Bolusapplikation zumindest teilweise vermieden werden. Wegen geringerer mütterlicher und kindlicher Nebenwirkungen ist der pulsatilen Bolusapplikation der Vorzug zu geben.
Im internationalen Schrifttum liegen die meisten Publikationen über Ritodrin als Tokolytikum vor, da über lange Zeit nur diese Substanz in den USA zur Tokolyse zugelassen war. Ritodrin hat eine wesentlich längere Halbwertszeit von 156 min und ist damit schlechter steuerbar als Fenoterol. In Deutschland spielt Ritodrin (ebenso wie Hexoprenalin und Terbutalin) kaum eine Rolle. In der Schweiz und Österreich wurde in den letzten Jahren vermehrt Hexoprenalin eingesetzt, da es eine höhere Spezifität für β 2-Rezeptoren hat. Die mütterliche Verträglichkeit, insbesondere vonseiten des Herzens, scheint deutlich besser zu sein. Tokolytische Wirksamkeit. Eine ältere Metaanalyse zeigte, dass durch die Behandlung mit β-Mimetika eine Verlängerung der Schwangerschaftsdauer erzielt werden kann, ohne dass ein Einfluss auf die perinatale Morbidität oder Mortalität erkennbar war (King et al. 1988). In einer neueren Metaanalyse (Anotayanonth et al. 2004) von 11 Plazebo-kontrollierten Studien fand sich eine deutliche Reduktion der Anzahl Frauen, die innerhalb von 48 h nach Beginn der tokolytischen Behandlung geboren haben (RR 0,63, 95%-CI 0,53–0,75). Die Zahl der Geburten innerhalb einer Woche lag gerade an der Grenze der Signifikanz (RR
521 24.2 · Vorzeitige Wehen
. Tab. 24.4. Dosierung der tokolytisch wirksamen Medikamente
Substanz
Kontinuierliche i.v.-Applikation
Orale Applikation
Andere
Fenoterol
Beginn: 2 μg/min Steigerung um 0,8 μg alle 20 min (4 μg/min maximal)
–
Bolustokolyse Beginn: 3–5 μg alle 3 min Bei nachlassenden Wehen: 5 alle 6 min 5 nach 24 h: alle 12 min 5 nach 48 h: alle 24 min Bei nicht nachlassenden Wehen: 5 zunächst Bolus erhöhen 5 danach Intervall verkürzen
Ritodrin
Beginn: 50 μg/min Steigerung um 50 μg alle 20 min (350 μg/min maximal)
–
Intramuskulär 5–10 mg alle 2–4 h
Hexoprenalin
Beginn: 0,1 μg/min Steigerung um 0,1 μg alle 10–20 min (0,5 μg/min maximal)
–
–
Magnesium
Beginn: 16–24 mmol in 20–30 min (4–6 g MgSO4) Erhaltung: 8–16 mmol/h (2–4 g MgS04)
–
Intramuskulär 4–8 mmol alle 4 h (1–2 g MgSO4)
Indometacin
–
Beginn: 50 mg Fortsetzung: 25 mg alle 4–6 h
Rektal 100 mg
Nifedipin
–
Beginn: 10 mg, bis zu 4-mal alle 20 min Fortsetzung: 20 mg alle 4–6 h
Sublingual (Cave: hypotensiver Effekt!)
Nitroglyzerin, Atosiban
60–180 μg i.v. zur Akuttokolyse Beginn 6,75 mg in 1. min 18 mg/h >3 h 6 mg/h >45 h
0,67, 95%-CI 0,48–1,01). Auch die Reduktion der Anzahl Neugeborener mit einem Atemnotsyndrom war nur tendenziell erkennbar (RR 0,87, 95%-CI 0,71–1,08) und für die Neugeborenenmortalität fand sich kein Unterschied (RR 1.00, 95% CI 0,48–2,09). In einzelnen dieser Studien wurden Glukokortikoide nicht generell verabreicht. Es ist wahrscheinlich, dass bei einer größeren Anzahl von Probanden und einer besseren Diagnostik der Frühgeburtsbestrebungen mit Beschränkung der Auswertung auf Geburten vor 34 SSW der Nutzen der Verlängerung der Schwangerschaft für die Neugeborenen deutlicher zutage käme. Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Die mütterlichen Nebenwirkungen sind v. a. durch eine Kreuzreaktion mit β -1-adrenergen Rezeptoren, die eine Stimulation der Herzfrequenz und des Schlagvolumens zur Folge haben, bedingt. Zusammen mit dem vasodilatatorischen Effekt der β -2-Rezeptoren resultieren Tachykardie, Herzklopfen sowie ein Anstieg des systolischen und ein Abfall des diastolischen Blutdrucks (Gyetvai et al. 1999).
Beginn: 10 mg Fortsetzung: 10 mg alle 20 min (40 mg/h maximal) 1–2 Pflaster mit je 10 mg für 24 h
Die in 0,3% der Patientinnen beschriebene Komplikation eines Lungenödems ist Folge einer Kombination verschiedener Komponenten wie Flüssigkeitsretention als Nebenwirkung der β-Mimetika, einer Zunahme des Plasmavolumens, die durch externe Flüssigkeitszufuhr noch verstärkt werden kann, und einer verkürzten diastolischen Füllungszeit bei Tachykardie. Eine erhöhte kapillare Permeabilität infolge von Infektion sowie Inflammation wie auch bei Präeklampsie stellen weitere begünstigende Faktoren für die Ausbildung eines Lungenödems dar (Lamont 2000; Takeuchi et al. 1998). Mehrlingsschwangerschaften führen zu einer vermehrten Flüssigkeitsretention im maternalen Kreislauf und stellen somit eine erhöhte Gefahr zur Ausbildung eines Lungenödems dar (Clesham 1994). Wahrscheinlich kommt auch den Unterschieden in den pharmakokinetischen Eigenschaften verschiedener Präparate eine besondere Bedeutung zu. So hat die gegenüber Fenoterol deutlich verlängerte Halbwertszeit von Ritodrin eine schlechtere Steuerbarkeit zur Folge, was ein erhöhtes Risiko bei Verwendung dieses Präparats mit sich bringt.
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Kontrolle von Flüssigkeitsein- und -ausfuhr sowie Überwachung mütterlicher Symptome wie Kurzatmigkeit, Tachykardie und Thoraxschmerzen sind zur Früherfassung eines beginnenden Lungenödems erforderlich. Tipp 4 Um kardiale Nebenwirkungen zu verringern, wird bei jeder Therapie mit β-Mimetika eine hoch dosierte orale Magnesiumsubstitution von 20 mmol pro Tag empfohlen. 4 Als mütterliche Kontraindikationen gelten Herzrhythmusstörungen, vorausgegangene Herzchirurgie, Hyperthyreoidismus und schlecht kontrollierter Diabetes mellitus.
Die übrigen Kontraindikationen, die sich aus dem Effekt der β-adrenergen Agonisten auf den Stoffwechsel mit Entwicklung einer Hyperglykämie, Hypokaliämie und Lipolyse ergeben, wurden bereits in der Übersicht (7 oben) genannt. Ein gut eingestellter Diabetes mellitus stellt bei sorgfältiger Kontrolle der Kalium- und Blutzuckerwerte mit Anpassung der Insulindosierung keine Kontraindikation dar. Nebenwirkungen beim Fetus. Da β-Mimetika die Plazenta ungehindert passieren, ist auch mit fetalen Nebenwirkungen zu rechnen: 4 Fetale Tachykardie 4 Nach hoch dosierter Langzeittherapie wurden elektrokardiographische Zeichen einer myokardialen Ischämie beobachtet. 4 Neonatale Hypoglykämie als Folge der Stimulation der Insulinproduktion bei anhaltender mütterlicher Hyperglykämie.
Studienbox Die Angaben über einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von β-Mimetika für eine Tokolyse und intraventrikulärer Hirnblutung beim Neugeborenen sind kontrovers. Berichten mit fehlendem Zusammenhang oder einer Risikoverminderung (Ozcan et al. 1995; Hadders-Algra et al. 1986; Weintraub et al. 2001; Palta et al. 1998) stehen solche mit einer Risikozunahme gegenüber (Groome et al. 1992; Papatsonis et al. 2000).
Tipp Der Einsatz von β-Mimetika sowie anderer Toklytika sollte zeitlich so kurz und so niedrig dosiert wie möglich erfolgen. Da ein klarer Nutzen für eine Langzeittokolyse nicht gezeigt werden konnte, gleichzeitig jedoch erhebliche Nebenwirkungen zu verzeichnen sind, sollte diese nicht durchgeführt werden (Royal College of Obstetricians and Gynecologists 2002). Eine Stabilisierung des Umfeldes, Induktion der Lungenreife und ggf. Verlegung
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der Schwangeren in ein Zentrum sind erklärte Ziele der kurzfristigen Tokolyse. Die Bolustokolyse als ein den physiologischen Steuerungsprinzipien nachempfundenes Behandlungsverfahren hat sich als schonendes Tokolyseprinzip bewährt. Auch für eine orale Gabe von β-Mimetika im Anschluss an eine intravenöse Tokolyse gibt es keine Indikation (Dodd et al. 2006).
Magnesium Magnesium verdrängt Kalzium an den spannungsabhängigen Kalziumkanälen im Bereich der Zellmembran mit Hyperpolarisation der Plasmamembran und Hemmung der Myosinlight-chain-Kinase, was eine Reduktion der Kontraktilität des Myometriums zur Folge hat (Cunze et al. 1995; Lemancewicz et al. 2000; Mizuki et al. 19933). Eine Cochrane-Analyse von 3 Studien ergab für Magnesiumsulfat gegenüber Plazebo oder keiner Behandlung keine Evidenz für eine klinisch relevante tokolytische Wirkung. In Vergleichen mit β-Mimetika, Kalziumantagonisten oder Prostaglandinsynthesehemmern war die tokolytische Wirkung von Magnesiumsulfat weder besser noch schlechter als das Vergleichspräparat (Crowther et al. 2002). Der direkte Vergleich mit Nifedipin ergab auch keinen Unterschied in der Zahl der Geburten innerhalb von 48 h oder für die Morbidität des Neugeborenen (Lyell et al. 2007). Allerdings ist Vorsicht bei den Vergleichsstudien geboten, da die Fallzahlen z. T. klein sind und somit keine statistisch relevante Aussage gemacht werden kann. Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Durch die Wirkung auf die glatte Muskulatur verursacht Magnesium eine allgemeine Vasodilatation, die zu Blutdruckabfall, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Hitzewallungen führen kann (Bourgeois et al. 1986; Yeast et al. 1993; Lipsitz 1971). Ernste Nebenwirkungen treten nur bei Überdosierungen auf, z. B. bei eingeschränkter Nierenfunktion. Myasthenia gravis sowie vorbestehende Myokardschädigung gelten als Kontraindikationen. ! 5 Bei einem Magnesiumserumspiegel von 2–4 mmol/l kommt es zu einer deutlichen Abschwächung der tiefen Sehnenreflexe. 5 Bei Magnesiumwerten >6 mmol/l werden Atemdepression, Blutdruckabfall und EKG-Veränderungen beobachtet. 5 Bei noch höheren Konzentrationen kann es zum Herzstillstand kommen. 5 Bei intravenöser Magnesiumtherapie muss eine gute Überwachung mit Dokumentation der Flüssigkeitsbilanz gewährleistet sein. 5 In Kombination mit Herzglykosiden darf Magnesium nur bei Tachykardien intravenös verabreicht werden. 5 Bei Niereninsuffizienz ist eine entsprechende Dosisreduktion vorzunehmen, oder es muss auf Magnesium als Tokolytikum verzichtet werden.
523 24.2 · Vorzeitige Wehen
Nebenwirkungen beim Fetus. Mit deutlicher Verzögerung
kommt es auch beim Fetus zu einer Hypermagnesiämie mit Beeinflussung der Atembewegung und der Herzfrequenzvariabilität, die eine Überwachung erschweren kann (Atkinson et al. 1994; Hallak et al. 1999). Das biophysikalische Profil zeigte keine Veränderung bei drohenden Frühgeburten nach Tokolyse mit Magnesium und entsprechend erhöhten Plasmaspiegeln bei der Mutter (Gray et al. 1994). Neuroprotektive Wirkung von Magnesium.
Studienbox Die widersprüchlichen Resultate zwischen dem MagNetTrial (Mittendorf et al. 1998), der wegen einer erhöhten Gesamtperinatalsterblichkeit vorzeitig abgebrochen werden musste, und dem ACTOMgSO-Trial (Crowther et al. 2003) sind möglicherweise durch Unterschiede bei der Dosierung zu erklären. Bei gleicher Startdosis von 4 g MgSO4, verabreicht als intravenöser Bolus, lag die Erhaltungsdosis beim MagNet-Trial zwischen 0 und 3 g/h, und das Risiko ungünstiger Nebeneffekte beim Neugeborenen war dosisabhängig. Bei dem ACTOMgSO-Trial betrug die Erhaltungsdosis in allen Fällen 1 g/h. Diese umfangreiche und sehr gut konzipierte Studie zeigt, dass die perinatale Mortalität bei Verabreichung eines Bolus von 4 g als Startdosis und 1 g/h zur Erhaltung der Spiegel nicht erhöht ist. Gleichzeitig besteht ein positiver Trend für einen neuroprotektiven Effekt. Die neuroprotektive Wirkung von Magnesium wurde auch in einem Review der Cochrane Collaboration (Doyle 2009) untersucht. Die Autoren gelangten zur Ansicht, dass die antenatale Applikation von Magnesiumsulfat zur Neuroprotektion bei Schwangeren mit drohender Frühgeburt als »etabliert« bezeichnet werden kann.
Tipp Während angesichts des therapeutischen Nutzens der Einsatz von Magnesiumsulfat bei der Präeklampsie vertretbar ist, sollte für die Tokolyse auf diese Substanz verzichtet werden. Wegen der potenziell beträchtlichen Nebenwirkungen bei der Schwangeren und dem im Vergleich zu Plazebo fehlenden Nachweis einer schwangerschaftsverlängernden Wirkung rechtfertigt die Nutzen-Risiko-Abwägung den Einsatz für diese Indikation nicht. Als Ausnahme kann die drohende Geburt von sehr kleinen Frühgeburten betrachtet werden. Nachdem der neuroprotektive Effekt beim Fetus bei Beachtung der optimalen Dosierung (7 oben) als gesichert gelten kann, stellt die Verwendung von Magnesiumsulfat für das Geburtsmanagement in diesen schwierigen Situationen eine wertvolle Bereicherung dar.
der Myosin-light-chain-Kinase. Dieses Schlüsselenzym kontrolliert über die Phosphorylisierung von Myosin die Auslösung einer Kontraktion der Muskelzelle (7 Kap. 24.2). Kalziumantagonisten bewirken eine Abnahme der intrazellulären Kalziumionenkonzentration durch: 4 Hemmung des Einstroms von Kalzium in die Zelle, 4 Hemmung der Freisetzung von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum als dem intrazellulären Kalziumspeicher, 4 Stimulation des Ausstroms von Kalziumionen aus der Zelle. Nifedipin und Nicardipin gehören zur Klasse der Dihydropyridin-Kalziumantagonisten, die wegen einer selektiven Hemmung der Uteruskontraktionen mit nur geringer Auswirkung auf das kardiovaskuläre System bevorzugt für die Tokolyse eingesetzt werden (Granger et al. 1985). Wegen der Einfachheit der oralen Verabreichung ist Nifedipin zusätzlich attraktiv.
Studienbox Eine Metaanalyse vergleichender Studien von Nifedipin und β-Mimetika ergab eine höhere Wirksamkeit für Nifedipin bei besserer Verträglichkeit, gemessen an einer geringeren Anzahl von Therapieabbrüchen wegen Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Auch der Zustand der Neugeborenen, gemessen an der Häufigkeit eines Atemnotsyndroms oder der Verlegung in eine Intensivstation, war deutlich besser (Tsatsaris et al. 2001). Eine weitere Metaanalyse von 12 Studien zum Vergleich zwischen Kalziumantagonisten und verschiedenen Tokolytika zeigte eine deutliche Überlegenheit der Kalziumkanalblocker mit einer signifikant besseren schwangerschaftsverlängernden Wirkung, weniger Nebenwirkungen bei der Mutter und weniger Komplikationen in der Neugeborenenphase wie Atemnotsyndrom, intraventrikuläre Hirnblutungen, nekrotisierende Enterokolitis und Gelbsucht (King et al. 2003). Die Studie von Lyell et al. (2007) die im direkten Vergleich mit Magnesiumsulfat keinen Unterschied in der Zahl der Geburten in den ersten 48 h ergab, wurde bereits erwähnt. Kalziumantagonisten unterscheiden sich ferner von anderen Tokolytika durch deutlich geringere Kosten (Hayes et al. 2007).
Tipp Am Anfang der Therapie werden bis zu 4-mal 10 mg im Abstand von 20 min oral empfohlen; 4 h später wird eine orale Erhaltungsdosis von 20 mg alle 4 h über 48 h begonnen mit anschließend 10 mg alle 8 h (. Tab. 24.4).
Kalziumantagonisten
Nebenwirkungen bei der Schwangeren und dem Fetus. Als
Die intrazelluläre Konzentration von ionisiertem Kalzium wirkt zusammen mit der cAMP regulierend auf die Aktivität
Folge einer Senkung des mittleren arteriellen Drucks und einer allgemeinen Vasodilatation werden häufig Tachykardien,
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Hautrötungen, Kopfschmerzen, Herzklopfen und Schwindel beobachtet (Ferguson et al. 1989, 1990; Bracero et al. 1991). Neben einer sorgfältigen Überwachung des Blutdrucks ist auch für eine gute Hydrierung der Schwangeren zu sorgen. Eine Beeinträchtigung der uteroplazentaren Durchblutung konnte durch Doppleruntersuchungen der fetalen sowie uteroplazentaren Zirkulation nicht nachgewiesen werden (Mari et al. 1998; Ferguson et al. 1989; Garcia-Velasco u. Gonzales 1989). Die Halbwertszeit von Nifedipin beträgt 2–3 h, und die maximale Plasmakonzentration wird nach einer Tablette von 20 mg nach 30–60 min erreicht. Die Ausscheidung erfolgt sowohl über die Niere als auch über den Darm. Wegen des raschen Wirkungseintritts und eines zu starken hypotensiven Effekts sollte die sublinguale Verabreichung vermieden werden (Rodts-Palenik u. Morrison 2000). Eine Hypotonie von weniger als 90/50 mm Hg stellt eine generelle Kontraindikation gegen den Einsatz von Kalziumantagonisten dar. Auch die gleichzeitige Verabreichung von Magnesium i. v. ist wegen der Gefahr einer neuromuskulären Blockade durch Summationseffekte kontraindiziert. Wegen der hohen Wirksamkeit bei guter mütterlicher Verträglichkeit und fehlender negativer Effekte auf den Fetus sind Kalziumantagonisten für die Tokolyse gut geeignet. Allerdings gibt es auch Berichte über das Auftreten von maternalen Lungenödemen aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Nifedipin zur Tokolyse (Gatault P. 2008). Da eine offizielle Zulassung des Medikaments für diese Indikation fehlt, kann ein gewisses forensisches Risiko nicht völlig ausgeschlossen werden.
Prostaglandinsynthesehemmer Sowohl bei der physiologischen Termingeburt als auch bei der durch vorzeitige Wehen ausgelösten Frühgeburt kommt Prostaglandinen für die Entstehung von Uteruskontraktionen und Zervixreifung eine zentrale Bedeutung zu. Prostaglandine stimulieren die Ausbildung von Gap Junctions, den transmembranösen Einstrom von ionisiertem Kalzium in die Zelle sowie die Freisetzung von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Die Synthese der verschiedenen Mitglieder der Prostaglandin-H-Serie aus Arachidonsäure findet v. a. in den Eihäuten, bestehend aus Amnion und Chorion, statt (Challis et al. 2000). Das Schlüsselenzym für die Prostaglandinsynthese, die Prostaglandinsynthetase, ist als konstitutive (PGHS-1) sowie induzierbare (PGHS-2) Variante im Amnion und Chorion sowie auch im Myometrium und in der Dezidua exprimiert. Die Prostaglandinsynthetase wird auch als Zyklooxygenase (COX) bezeichnet. Verschiedene Stoffe wie Glukokortikoide, CRH und Zytokine wie IL-1 haben eine stimulierende Wirkung auf die Prostaglandinsynthese (Challis et al. 2000). Im Zusammenhang mit Terminwehen oder vorzeitigen Wehen kommt es zu einer markanten Zunahme der Expression der induzierbaren Variante COX-2 in der Dezidua und im Myometrium. Prostaglandinsynthesehemmer gehören zu der Gruppe der nichtsteroidalen antiinflammatorischen Medikamente (NSAID). Je nach Substanz besteht generelle Hemmung von Zyklooxygenase, oder der hemmende Effekt ist spezifisch für
COX-2. Für die Tokolyse kommt v. a. Indomethacin, ein unspezifischer Hemmer der Zyklooxygenase, zum Einsatz.
Studienbox Für den unspezifischen Hemmer der Zyoklooxygenase Indomethacin ist eine schwangerschaftsverlängernde Wirkung im Vergleich mit Placebo nur in 2 Studien mit geringer Fallzahl als Trend erkennbar (King et al. 2005). Auch für das Outcome bei den Neugeborenen war der Unterschied nicht signifikant. In 3 weiteren Untersuchungen wurde der Effekt von Indomethacin mit 2 anderen Tokolytika verglichen (β-Mimetika und Magnesiumsulfat). Die Wirksamkeit im Sinne einer Verlängerung war v. a. gegenüber β-Mimetika deutlich stärker (King et al. 2005).
Im Tierversuch konnte durch einen spezifischen COX-2 Inhibitor eine effektive Hemmung von Kontraktionen des Myometriums und eine Verzögerung von vorzeitigen Geburten erzielt werden (Gross et al. 2000; Doret et al. 2002; Yousif u. Thulesius 1998). Auch beim Menschen konnte eine Wirkung gezeigt werden, die anderen Tokolytika teilweise überlegen war. Tipp Indometacin kann sowohl oral (25 und 50 mg) als auch rektal (50 und 100 mg) appliziert werden. Bei Nichtschwangeren beträgt die Halbwertszeit 2,2 h (Alvan et al. 1975; Helleberg 1981; Repke u. Niebyl 1985). Üblicherweise wird die Therapie mit 100 mg rektal oder 50 mg oral begonnen und mit 25 mg oral alle 4 h für 24–48 h weitergeführt (. Tab. 24.4).
Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Die Nebenwir-
kungen sind bei Prostaglandinsynthesehemmern deutlich geringer als bei Tokolyse durch hoch dosierte kontinuierliche Infusion von β-Mimetika oder Magnesiumsulfat. Am häufigsten wird über Übelkeit, Brechreiz sowie Gastritissymptomatik und bei längerer Anwendung über Kopfschmerzen, Schwindel und Ohrensausen geklagt (van den Veyver u. Moise 1993). In einer Studie zur Erhebung schwerer Nebenwirkungen bei Tokolyse zeigte die Verwendung von Prostaglandinsynthesehemmern gegenüber β-Mimetika und Nifedipin eine deutlich geringere Anzahl schwerer Nebenwirkungen (de Heus R 2009). Des Weiteren konnte in einer quantitativen Analyse randomisierter Studien zur Tokolyse gezeigt werden, dass Prostaglandinsynthesehemmer die beste Kombination von Verträglichkeit und Verzögerung der Geburt aufwiesen (Haas et al. 2009). Bei dem COX-2-Inhibitor treten Nebenwirkungen von Seiten des Gastrointestinaltraktes im Vergleich mit unspezifischen COX-Inhibitoren seltener auf und sind deutlich weniger ausgeprägt (Shah et al. 2001). Wegen ungünstiger Effekte im kardiovaskulären Bereich mussten diese Substanzen vom Hersteller jedoch wieder vom Markt genommen werden.
525 24.2 · Vorzeitige Wehen
! Generelle Kontraindikation besteht bei einer signifikanten Nieren- oder Leberschädigung, einem aktiven Magenulkus, Thrombozytopenien oder anderen Gerinnungsstörungen wie auch bei Überempfindlichkeit gegenüber nichtsteroidalen antiinflammatorischen Medikamenten. Nebenwirkungen beim Fetus. Indomethacin passiert die
Plazentaschranke. Beim Neugeborenen am Termin beträgt die Halbwertszeit 11–15 h, bei Frühgeborenen sogar 19 h. Die wichtigsten Nebenwirkungen beim Fetus sind eine Konstriktion des Ductus arteriosus Botalli sowie eine Störung der Urinproduktion (Moise 1993). Ein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus wurde v. a. bei Anwendung während >48 h bei einem Gestationsalter von >31–32 SSW berichtet (Vermillion et al. 1997). Bei längerer Anwendung wird die Überwachung mit Hilfe der fetalen Echokardiographie empfohlen, und bei Anzeichen für eine Stenose des Ductus arteriosus sowie eine Trikuspidalinsuffizienz muss die Behandlung umgehend abgebrochen werden (Moise et al. 1988; Respondek et al. 1995). Bei einer In-utero-Exposition des Fetus gegenüber Indometazin wurde auch ein mangelnder Verschluss des Ductus postnatal beschrieben mit der Notwendigkeit eines chirurgischen Verschlusses bei Versagen einer medikamentösen Behandlung (Norton et al. 1993; Hammerman et al. 1998; Suarez et al. 2002). Auch dabei scheint eine Behandlung in utero von >72 h ein besonderes Risiko zu sein. Die Entwicklung eines Oligohydramnions unter Behandlung mit Indometacin wurde in 5–10% der Fälle beobachtet. Allerdings war dieser Befund innerhalb von 96 h nach Absetzen des Medikamentes reversibel. Bei einer auf maximal 72 h befristeten antenatalen Verabreichung von Indometacin vor 32 SSW konnte weder eine Häufung von nekrotisierender Enterokolitis oder intraventrikulärer Blutung noch eine erhöhte Mortalität im Neugeborenenalter festgestellt werden (Fausett et al. 2000; Loe et al. 2005). ! Fetale Herzfehler, die intrauterin durch einen offenen Ductus arteriosus Botalli kompensiert sind, sowie ein Oligohydramnion sind Kontraindikationen für den Einsatz von Indometacin. Angesichts der Nebenwirkungen beim Fetus sollte der Einsatz von Indometacin zur Behandlung von vorzeitigen Wehen nur auf strenge Indikation erfolgen.
Insbesondere für die kurzfristige Schwangerschaftsverlängerung bei frühem Gestationsalter sowie bei vorzeitigen Wehen im Zusammenhang mit Hydramnion kommt den Prostaglandinsynthesehemmern möglicherweise eine Bedeutung zu (Moise 1991). Die Anwendung sollte auf den Zeitraum vor 32 SSW beschränkt und nicht länger als 48 h durchgeführt werden. Auf die induzierbare COX-2-Variante wurde bereits oben eingegangen. Die ursprüngliche Vermutung, dass die Nebenwirkungen beim Fetus durch Einsatz des COX-2-spezifischen Hemmers vermieden werden können, hat sich jedoch nicht oder nur teilweise bewahrheitet (Bukowski et al. 2001; Groom et al. 2005; Holmes u. Stone 2000; Locatelli et al. 2001;
McWhorter et al. 2004; Sawdy et al. 2003; Stika et al. 2002; Takahashi et al. 2000;). > Generell gelten Prostaglandinsynthesehemmer heute als wirksame Wehenhemmer, die gegenüber anderen Substanzen durch die Einfachheit der oralen bzw. rektalen Verabreichung bei einem guten mütterlichen Nebenwirkungsprofil deutliche Vorteile aufweisen (Higgsby et al. 1993; de Heus et al. 2009; Haas et al. 2009). Allerdings sind die negativen Auswirkungen auf den Fetus zu beachten.
Oyxtozinantagonisten Die zentrale Rolle von Oxytozin bei der Wehenentstehung und insbesondere bei der Verstärkung von Geburtswehen kommt in dem zweifachen Angriffsmechanismus zum Ausdruck: 4 Oxytozin wirkt über spezifische Rezeptoren an den Zellen der Dezidua und stimuliert die Synthese und Freisetzung von Prostaglandinen. Prostaglandine bewirken ihrerseits eine starke Sensibilisierung des Myometriums gegenüber Oxytozin. 4 Oxytozin wirkt direkt kontraktionsauslösend bzw. verstärkend durch Stimulation spezifischer Rezeptoren in der Zellmembran der Muskelzelle des Myometriums. Der Aktivierung des Myometriums liegt eine Vielzahl von Veränderungen zugrunde. Dabei kommt dem steilen Anstieg der Oxytozinrezeptorendichte um den Faktor 150 eine besondere Bedeutung zu (Fuchs et al. 1984). Oxytozinrezeptoren gehören zu einer Familie von Membranproteinen, die ihre Wirkung durch die Koppelung an intrazelluläre Proteine, sogenannte G-Proteine, mit anschließender Aktivierung eines Second-messenger-Systems entfalten. Die Stimulation der Rezeptoren bewirkt einerseits eine Öffnung der Kalziumkanäle in der Zellmembran mit vermehrtem Einstrom von ionisiertem Kalzium aus dem extrazellulären Raum in die Zelle und andererseits eine Freisetzung von Kalzium aus intrazellulären Speichern. Die bei der Geburt wirksam werdende wehenstimulierende Wirkung des Oxytozins ist nicht so sehr durch eine vermehrte Produktion dieses Hypophysenhinterlappenhormons bedingt, sondern vielmehr Folge einer steilen Zunahme der Sensibilität des Myometriums. Damit lässt sich auch der wiederholt festgestellte begrenzte Konzentrationsanstieg von Oxytozin im peripheren Blut der Schwangeren im Zusammenhang mit spontaner Wehentätigkeit erklären (7 Kap. 23.2). Atosiban ist ein selektiver Antagonist von Oxytozin-Vasopressin-Rezeptoren. Durch die Bindung an die Rezeptoren in der Dezidua und im Myometrium wird der Oxytozineffekt in Form von Einstrom von ionisiertem Kalzium in die Zellen blockiert (Goodwin et al. 1996).
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Studienbox
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Die metaanalytische Auswertung der Placebo-kontrollierten Studien zeigt, dass Frühgeburten durch Atosiban nicht wirksam verhindert werden, sondern der Trend zeigt in Richtung Erhöhung der Anzahl Geburten innerhalb von 48 h sowie von Frühgeburten vor 28 SSW in der Atosiban-Gruppe (Papatsonis et al. 2005). Dies ist möglicherweise damit erklärbar, dass die Anzahl der Schwangeren, die wegen vorzeitiger Wehen vor 26 SSW behandelt wurden, in der Atosiban-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe war. Bei dem umfangreichen Vergleich von Atosiban mit einem β-Mimetikum bei insgesamt 733 Schwangeren fand sich in Bezug auf die Verlängerung der Schwangerschaft kein Unterschied (Worldwide Atosiban versus Beta-agonists Study Group 2001). Dafür war die Zahl der Fälle mit schweren Nebenwirkungen bei der Mutter in der Atosiban-Gruppe deutlich geringer.
Angaben zur Dosierung finden sich in . Tab. 24.4. Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Der der Hauptvorteil von Atosiban liegt bei der sehr guten Verträglichkeit durch die Schwangere. Überempfindlichkeit sowie Reaktionen an der Injektionsstelle sind die einzigen beschriebenen Nebenwirkungen. Insbesondere traten keine Reaktionen von Seiten des kardiovaskulären Systems auf (Romero et al. 2000). Nebenwirkungen beim Fetus. Atosiban passiert die mensch-
liche Plazenta (Valenzuela et al. 1995). Spezielle Nebenwirkungen wurden beim Fetus jedoch nicht beschrieben (Worldwide Atosiban versus Beta-agonists Study Group 2001). Allerdings traten vermehrt Todesfälle auf, die v. a. bei sehr unreifen Feten vor 28 SSW beobachtet wurden (Romero et al. 2000). Auf das deutliche Ungleichgewicht in der Randomisierung der Feten von unter 26 SSW zu Lasten der Atosibangruppe wurde bereits hingewiesen. In einer Studie war die Anzahl der Neugeborenen mit Atemnotsyndrom im Vergleich zu der β-Mimetika-Gruppe erhöht (Moutquin et al. 2000). Wegen eines nicht überzeugenden Sicherheitsprofils beim Fetus ist das Medikament in den USA nicht zugelassen. In einer randomisierten Studie an 585 Patientinnen wurde die Wirkung von Atosiban mit mehreren anderen Tokolytika verglichen. Dabei zeigte die Verwendung von Atosiban geringere Nebenwirkungen sowohl bei Müttern als auch bei Feten. Die fetale und neonatale Mortalität war in der Atosibangruppe geringer als in der Gruppe der anderen Tokolytika (Husslein et al. 2007). Es bestehen keine absoluten Kontraindikationen gegen die Verwendung von Atosiban. > Die Kosten für Atosiban sind deutlich höher als für herkömmliche Tokolytika. Eine neue Untersuchung von wirtschaftlichen Aspekten ergab aber, dass die Summe aller Krankenhauskosten bei Verwendung von Atosiban geringer als bei Fenoterol ist (Wex et al. 2009).
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Ferner kann die Nebenwirkungsrate von β-Mimetika durch Anwendung der Bolusapplikation deutlich reduziert werden (Spätling et al. 1989). Die klinische Anwendung von Atosiban sollte sich auf spezielle Indikationen, wie Unverträglichkeiten gegenüber β-Mimetika, oder Kontraindikationen, wie Schwangere mit Herzrhythmusstörungen, Hyperthyreose sowie Diabetes mellitus sowie Mehrlingsschwangerschaften beschränken.
NO-Donatoren Endogene NO-Produktion findet unter Einwirkung des Enzyms NO-Synthase (NOS) in einer Vielzahl von Zellen statt. Dabei wird L-Arginin zu L-Citrullin oxidiert (Yallampalli et al. 1998). NO diffundiert vom Entstehungsort, und in verschiedenen Effektorzellen wird durch die Interaktion mit löslicher Gyanylzyklase die Synthese von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) stimuliert. NO-Donatoren wie Nitroglyzerin aktivieren das zyklische Guanosinmonophosphat, was entsprechend dem cAMP zur Relaxierung des glatten Muskels beiträgt.
Studienbox In einer Placebo-kontrollierten Studie war transdermal appliziertes Nitroglyzerin gemessen an der Schwangerschaftsverlängerung um 48 h tendenziell effektiver (Smith et al. 1999). In einer neueren Studie der gleichen Autoren wurde Nitroglyzerin als Pflaster und Placebokontrolliert an 153 Schwangeren mit vorzeitigen Wehen zwischen 24 und 32 Wochen untersucht (Smith et al. 2007). Dabei war in der mit Nitroglyzerin behandelten Gruppe die Summe von Neugeborenenkomplikationen wie Hirnblutung, periventrikuläre Leukomalazie, bronchopulmonale Dysplasie und nekrotisierende Enterokolitis (RR 0,29, 95%-CI 0,08–1,00) erniedrigt. Aber die Zahl der Geburten vor 28 SSW zeigte keinen Unterschied (0,50, 95%-CI 0,23–1,09). Im randomisierten NO Tokolyse Trial (RNOTT) wurde Glyzeryltrinitrat mit β-Mimetika verglichen. Bei 238 Schwangeren mit vorzeitigen Wehen und positivem fetalem Fibronektintest oder vorzeitigem Blasensprung war Glyzeryltrinitrat als Wehenhemmer weniger wirkungsvoll als β-Mimetika (Bisits et al. 2004). Bei der Nachuntersuchung der Kinder mit 18 Monaten fand sich kein Unterschied in der neurologischen Entwicklung (Gill et al. 2006). Im Vergleich mit Magnesiumsulfat war dieses gemessen an der Fallzahl derer, die nach 12 h nicht entbunden hatten, effektiver als intravenöses Nitroglyzerin (El-Sayed et al. 1999).
Nebenwirkungen bei der Schwangeren und dem Fetus. Wegen der relaxierenden Wirkung von NO auf die glatte Muskulatur kann es zum Blutdruckabfall kommen. Nebenwirkungen, bestehend aus Schwindel, Rötung der Haut und Herzklopfen, sind ähnlich wie bei Kalziumantagonisten. Ein nachteiliger Effekt auf den Fetus, resultierend aus einem mütterlichen
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Blutdruckabfall mit Störung der uteroplazentaren Perfusion, wurde bis lang nicht beobachtet. Die vorhandene Evidenz ist somit für eine Empfehlung von NO-Donatoren als Wehenhemmer nicht ausreichend. Dosisangaben finden sich in . Tab. 24.4. Zusammenfassende Empfehlungen zum Einsatz wehenhemmender Medikamente 4 Die Tokolyse stellt in ausgewählten Fällen eine sinnvolle Behandlung von vorzeitigen Wehen dar (ACOG Practice Bulletin 2003; Berkman et al. 2003). 4 Die Selektion des geeigneten Tokolytikums richtet sich v. a. nach Wirksamkeit und Sicherheit. Zulassung und Kosten sind zusätzliche Kriterien. 4 Wenn für das erste Tokolytikum der wehenhemmende Effekt unbefriedigend ist, sollte auf ein zweites Präparat gewechselt werden. Eine Kombination von 2 Substanzen kann wegen des fehlenden Nachweises einer erhöhten Wirksamkeit und wegen des höheren Risikos von Nebenwirkungen nicht empfohlen werden. 4 Kalziumantagonisten wie Nifedipin bieten wegen der oralen Verabreichung, der geringen Kosten bei wenig Nebenwirkungen und einer im Vergleich mit β-Mimetika erhöhten Wirksamkeit gemessen an der Reduktion der Neugeborenenmorbidität erhebliche Vorteile, die eine nicht bestehende Zulassung für die Indikation mehr als aufwiegen. 4 Als 2. Wahl empfiehlt sich Inomethazin als Hemmer der Prostaglandinsynthese. Im direkten Vergleich besteht eine höhere Effektivität als für β-Mimetika. Die genannten mütterlichen Kontraindikationen sind Blutungsstörungen, besonders infolge von Beeinträchtigung der Thrombozytenfunktion, Leber- oder Nierenfunktionsstörungen, Magen-Darm-Probleme sowie Asthma. Wegen der Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus beim Fetus sollte die Anwendung nur bei Schwangerschaften vor 32 SSW und nicht länger als 72 h erfolgen. 4 Bei Schwangerschaften jenseits von 32 SSW stehen als 2. Wahl Atosiban oder β-Mimetika zur Verfügung. Wegen des ungünstigen Sicherheitsprofils sollten β-Mimetika nur in Form von Boli und nicht mit kontinuierlicher Infusion appliziert werden
jeweils 4-mal täglich über 10 Tage behandelt wurden (Kenyon et al. 2001a). Durch den zusätzlichen Einsatz von Antibiotika wurde weder eine Verlängerung der mittleren Schwangerschaftsdauer noch eine Reduktion der Anzahl der Geburten innerhalb von 48 h nach Behandlungsbeginn erzielt. Auch für verschiedene kindliche Endpunkte wie perinatale Mortalität, Atemnotsyndrom, Neugeborenensepsis oder andere Anzeichen von Morbidität zeigte sich kein Unterschied. Allerdings fanden sich in der Antibiotikagruppe signifikant weniger mütterliche Infektionen. Ein Cochrane-Review basierend auf dieser umfangreichen Studie zusammen mit 10 weiteren Trials bestätigte das negative Resultat der ORACLE-II-Studie (King u. Flenady 2002). Eine Nachuntersuchung der Kinder aus der ORACLE-IIStudie im Alter von 7 Jahren ergab deutlich häufiger funktionelle Beeinträchtigungen sowie Zerebralparese bei den Kindern, deren Mütter im Rahmen der Behandlung der drohenden Frühgeburt Antibiotika erhalten hatten (Kenyon et al. 2008a). Aufgrund dieser Ergebnisse kann eine generelle Ergänzung einer Behandlung von vorzeitigen Wehen mit Antibiotika bei fehlenden klinischen Zeichen einer Infektion nicht empfohlen werden. Bei fortgeschrittener Infektion ist die Verlängerung der Schwangerschaft in der Regel kontraindiziert, und zusammen mit der Gabe von Antibiotika muss eine möglichst baldige Beendigung der Schwangerschaft angestrebt werden. In der ORACLE-I-Studie wurde die routinemäßige Behandlung von Schwangeren mit drohender Frühgeburt bei frühem vorzeitigem Blasensprung mit Antibiotika untersucht. Erythromycin hatte im Gegensatz zu den Ergebnissen der ORACLE-II-Studie deutlich positive Auswirkungen mit Verlängerung der Schwangerschaftsdauer und weniger schweren Formen von Atemnotsyndrom sowie weniger sonographischen Auffälligkeiten des Gehirns und positiven Blutkulturen beim Neugeborenen (Kenyon et al. 2001b). In der mit Clamoxyl behandelten Gruppe fand sich in dieser Studie eine Häufung von nekrotisierender Enterokolitis beim Neugeborenen, sodass dieses Antibiotikum allein oder auch in Kombination mit Erythromycin nicht empfohlen werden kann. Bei der Nachuntersuchung der Kinder der ORACLE-I-Studie zeigten sich im Alter von 7 Jahren bei den mit Antibiotika behandelten Kindern keine nachteiligen Auswirkungen auf die Langzeitentwicklung (Kenyon et al. 2008b).
Antibiotika
Nichtmedikamentöse therapeutische Maßnahmen
Bei der zentralen ätiologischen Bedeutung von aszendierenden Infektionen liegt es nahe, das Symptom der vorzeitigen Wehen als Indikator für eine subklinische Infektion zu sehen und durch den frühzeitigen Einsatz von Antibiotika zusätzlich zu einer wehenhemmenden Behandlung eine effiziente Therapie im Sinne einer Ursachenbekämpfung zu erzielen. Dieses Konzept liegt der umfangreichen ORACLE-II-Studie zugrunde, bei der 6295 Schwangere mit vorzeitigen Wehen, aber ohne klinische Zeichen einer Infektion und ohne Blasensprung randomisiert entweder mit Erythromycin 250 mg, Clamoxyl 325 mg, einer Kombination beider Antibiotika oder Placebo
Zur allgemeinen Stabilisierung der Patientin kommen ergänzend zur tokolytischen Behandlung Maßnahmen zu Herstellung des physischen und psychischen Gleichgewichtes zur Anwendung. Die Patientin sollte gegenüber vielfältigen Stressoren abgeschirmt werden, wofür auch eine kurzfristige Hospitalisierung hilfreich sein kann. Allgemeine Erkrankungen werden therapiert, und eine angemessene Ernährung wird sichergestellt. Ein eventueller Magnesiummangel sollte korrigiert werden. Psychotherapeuten und Sozialarbeiter können bei den häufig gegebenen psychosozialen Problemen die Therapie sinnvoll ergänzen.
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Für Bettruhe als alleinige Maßnahme konnte in einer randomisierten Studie kein Nutzen gezeigt werden (Sosa et al. 2004). Auch die routinemäßige Hospitalisierung von Frauen mit Zwillingsschwangerschaft ergab keine Verlängerung der Schwangerschaft, vielmehr war die Anzahl der Frühgeburten vor 34 SSW sogar höher (Crowther 2001).
24.2.5
Prävention
Primäre Prävention Das generelle Prinzip der Schwangerschaftsvorsorge basiert auf der primären Prävention, die sich auf allgemeine Maßnahmen zur Stabilisierung der Lebensumstände sowie zum Abbau von Unsicherheit und Ängsten durch umfassende Information konzentriert. Damit soll der Entstehung von Problemen vorgebeugt werden. Die primäre Prävention wird durch die sekundäre Prävention ergänzt, die der Frühentdeckung von Krankheitssymptomen durch Screeninguntersuchungen dient.
Aufklärung und Beratung der Schwangeren Aufklärung und Information über physiologische und mögliche pathologische Veränderungen im physischen und im psychischen Bereich sind zentraler Bestandteil der Schwangerschaftsvorsorge und wichtiger Inhalt jeder einzelnen Vorsorgeuntersuchung. Dazu gehört auch die Beratung über eine der Schwangerschaft angepasste Lebensführung. Die Erkennung von Frühsymptomen einer gestörten Schwangerschaft durch die Schwangere selbst setzt eine gute Kenntnis der normalerweise mit der Schwangerschaft verbundenen Veränderungen voraus. > Der Mangel an Wissen über die Abläufe der normalen Schwangerschaft und wesentliche Symptome bzw. Folgen einer Frühgeburt ist beachtlich.
Die Rollenverteilung bei der Beratung und Wissensvermittlung zwischen Arzt und Hebammen kann in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten unterschiedlich sein. Wichtige Voraussetzungen für die Annahme und Umsetzung der Empfehlungen ist ein ungestörtes Vertrauensverhältnis zwischen der Schwangeren und den Beratern. Mütterschulen sollten sich nicht nur auf den peripartalen Bereich konzentrieren, sondern gezielt prophylaktische Aspekte während des ganzen Schwangerschaftsverlaufs in ihr Programm aufnehmen.
Verbesserung der Lebenssituation Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber schwangeren Frauen ist durchaus widersprüchlich. Einerseits wird die Notwendigkeit der Fortpflanzung zum Erhalt staatlicher Einrichtungen, wie z. B. die Finanzierung der Altersversorgung betont, andererseits stoßen kinderreiche Familien auf Hindernisse und müssen nicht selten einen sozialen Abstieg in Kauf nehmen. In vielen Kleinbetrieben werden Frauen mit nicht abgeschlossener Familienplanung auch bei besserer Qualifikation nicht eingestellt, da man beim Zusammentreffen mehrerer Schwangerschaften mit einer Funktionsgefährdung des Betriebs rechnen muss. Hier ist bei den zuständigen politischen Gremien noch viel Arbeit zu leisten.
Mit Hilfe umfangreicher staatlicher Unterstützung und der Einführung diverser auch gesetzlich verankerter Schutzmaßnahmen konnte in Frankreich frühzeitig eine allgemeine Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation während der Schwangerschaft erreicht werden, was sich in einer signifikanten Senkung der Frühgeburtenrate niederschlug (Papiernik 1984, 1993). Zusammen mit der Abnahme der Anzahl der Frühgeburten war ein positiver Effekt auf die Gesamtgeburtenrate in der Bevölkerung zu verzeichnen, was für die besondere Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen spricht. Frankreich nimmt im europäischen Quervergleich bei der Geburtenrate zusammen mit Irland und den skandinavischen Ländern schon seit Jahren eine Spitzenposition ein (Schneider 2003). Die Bedeutung der beruflichen Belastung gemessen an der Anzahl Arbeitsstunden im Stehen pro Tag sowie andere Ermüdungsfaktoren wie allgemeine körperliche Anstrengungen, Arbeit an Maschinen, psychischer Stress ist als begünstigender Faktor für das Zustandkommen einer Frühgeburt gut belegt (Henriksen et al. 1995; Newman et al. 2001). Für Berufstätigkeit im Allgemeinen (Magann et al. 1996; Wildschut et al. 1997) sowie auch für sportliche Aktivitäten (Juhl et al. 2008) konnte kein Zusammenhang mit Frühgeburtlichkeit gezeigt werden. Für diverse Freizeitbeschäftigungen wird über eine protektive Wirkung gegenüber Frühgeburtlichkeit berichtet (Hegaard et al. 2008). Die Quantifizierung des Ausmaßes der Belastung sowie die Erfassung der Verarbeitung durch die Schwangere sind für die Beurteilung der Auswirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf von erheblicher Bedeutung. Die Metaanalyse von 21 Untersuchungen ergab, dass mit einem kumulativen Ermüdungsscore das durch Arbeitsbelastung bedingte Risiko für eine Frühgeburt am besten erfasst wird (Mozurkewich et al. 2000). Auch in einer großen Fallkontrollstudie aus verschiedenen europäischen Ländern wurde gezeigt, dass eine vorwiegend im Stehen für mehr als 42 h pro Woche verrichtete Arbeit bei einer niedrigen aus der Tätigkeit resultierenden Befriedigung mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziiert ist (Saurel-Cubizolles et al. 2004). Wie bereits in 7 Kap. 23.1 dargestellt kann mütterlicher wie auch fetaler Stress direkt stimulierend auf die Synthese von CRH im Trophoblasten von Plazenta und Eihäuten wie auch in der Dezidua wirken, was über eine vermehrte Produktion von Prostaglandinen zu Wehen führen kann (Lockwood 1999). Allerdings ist der Zusammenhang zwischen chronischem Stress und Frühgeburt mit einem relativen Risikofaktor von 1,5–2,0 eher gering (Hedegaard et al. 1996; Dole et al. 2003). Es gibt auch Studien, in denen die Assoziation zwischen mütterlichem Stress, CRH-Konzentration und Frühgeburt nicht gezeigt werden konnte (Petraglia et al. 2001; Lu u. Chen 2004). Die vergleichende Interpretation der Bedeutung von Stress als Risikofaktor für eine Frühgeburt wird durch verschiedene Variablen wie Definition und Quantifizierbarkeit, Zeitpunkt der Einwirkung während der Schwangerschaft und die Berücksichtigung von diversen Kofaktoren erschwert. In Deutschland trägt das gültige Mutterschutzgesetz, nach dem langes Stehen, Arbeit am Fließband sowie Nachtarbeit und Heben von schweren Lasten für Schwangere verboten sind, diesen Erkenntnissen weitgehend Rechnung. In Öster-
529 24.2 · Vorzeitige Wehen
reich müssen gemäß Übereinkommen über den Mutterschutz aus dem Jahr 2000 Maßnahmen getroffen werden, durch die beschwerliche Arbeiten (manuelles Heben, Tragen, Schieben oder Ziehen von Lasten) vermieden werden, ebenso gefährliche Arbeitsbedingungen (Exposition gegenüber biologischen, chemischen oder physikalischen Agenzien), Arbeiten, die eine besondere Gleichgewichtshaltung erfordern, Arbeiten, die infolge längeren Sitzens oder Stehens, extremer Temperaturen oder von Vibrationen mit körperlicher Anstrengung verbunden sind sowie Nachtarbeit. Es ist Aufgabe des betreuenden Arztes, die Schwangere über die entsprechenden Bestimmungen aufzuklären. Auch häusliche Arbeit kann eine erhebliche Belastung darstellen (7 Kap. 13). Dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Schwangeren und Familien unzureichend sind, zeigt die gegenwärtig in Politik und Gesellschaft heftig geführte Diskussion um eine unzureichende Geburtenrate und die damit eng verknüpfte Gefährdung der Altersvorsorge (Schneider 2003). Ernährung. Der Ernährungszustand der Schwangeren kann sich auf die Schwangerschaftsdauer sowie auch auf das Geburtsgewicht auswirken. Ein niedriges präkonzeptionelles Körpergewicht ist als Indikator einer chronischen Unterernährung stärker mit Frühgeburt als mit intrauteriner Wachstumsrestriktion assoziiert (Luke 1993). Tierexperimentelle Befunde zeigen, dass bei einer perikonzeptionellen Mangelernährung das Risiko einer Frühgeburt steigt (Bloomfield 2004). Auch beim Menschen ist eine perikonzeptionelle Mangelernährung mit einer erhöhten Rate von Frühgeburten assoziiert (Rayco-Solon et al. 2005). Die Daten der Hungersnot im II. Weltkrieg in Holland zeigen, dass eine Zunahme von untergewichtigen Neugeborenen v. a. in den Schwangerschaften zu beobachten war, bei denen die Unterernährung in die perikonzeptionelle Phase fiel (Stein u. Susser 1975). Bei vorbestehendem Untergewicht konnte weder durch einen isokalorischen Proteinzusatz noch durch eine um Protein plus Kalorien angereicherte Diät die Frühgeburtenrate gesenkt werden (Kramer u. Kamuka 2003). Auch fischarme Ernährung ist mit einer erhöhten Rate von Frühgeburten assoziiert (Ohlsen et al. 2002), und durch eine systematische Supplementation der Ernährung mit Fischöl oder langkettigen ungesättigten Fettsäuren kann die Schwangerschaftsdauer sowohl bei unvorbelasteten wie auch bei Risikoschwangerschaften verlängert werden (Ohlsen et al. 2000; Smuts 2003). Allerdings konnte dieser Effekt nicht in allen Studien gezeigt werden, sodass vorläufig eine klare Empfehlung zur Supplementation der Diät während der Schwangerschaft mit Fischöl nicht abgegeben werden kann (Bulstra-Ramakers et al. 1995; Onwude et al. 1995). In einem Review der Cochrane Collaboration wurde gezeigt, dass bei Einnahme von Fischöl das Risiko einer Frühgeburt vor der 34. SSW signifikant geringer ist. Für eine Empfehlung zur generellen Einnahme von Fischöl in der Schwangerschaft reicht die Datenlage jedoch nicht aus (Makrides M 2006). Generell wird eine abwechslungsreiche Ernährung mit hochwertigen Proteinen, vorwiegend langsam resorbierbaren
Kohlenhydraten und einer eingeschränkter Fettzufuhr empfohlen. Die Diät sollte reich an Vitaminen und Mineralien sein, und perikonzeptionell kann durch die Gabe von Folsäure die Inzidenz einer Reihe von Fehlbildungen reduziert werden; zusätzliche Einnahme von Eisen, Iod und Magnesium ist i. d. R. angezeigt (7 Kap. 14). Genussmittel. Rauchen ist mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt verbunden (Shiono et al. 1986; KyrklundBlomberg u. Cnattingius 1998). Auch nach Korrektur anderer mit Frühgeburt verbundener Schwangerschaftskomplikationen wie vorzeitige Plazentalösung, Placenta praevia, vorzeitiger Blasensprung oder intrauterine Wachstumsrestriktion bleibt ein dosisabhängiger, die Entstehung einer Frühgeburt begünstigender Effekt erhalten. Die Einnahme von Drogen ist i. d. R. mit anderen Risikoverhaltensweisen verknüpft, wodurch die Zuordnung des drogenabhängigen Risikos im Einzelfall erschwert ist (Berkowitz u. Papiernik 1993). Generell traten bei Schwangeren mit kokainpositiven Urinproben im Drogenscreening 4-mal häufiger vorzeitige Wehen auf (Spence et al. 1991). Auch Alkoholkonsum führt vermehrt zu Frühgeburten infolge von vorzeitigen Wehen (Ney et al. 1990; Albertsen et al. 2004). Schwangerschaften mit gleichzeitiger Einnahme von mehreren Drogen endeten in 25% der Fälle mit einer Frühgeburt (Boer et al. 1994). Bei Schwangeren mit Abhängigkeit von Nikotin, verschiedenen Drogen oder Alkohol liegt oft eine Kombination verschiedener Risikofaktoren vor. Hier ist professionelle Beratung mit dem Ziel einer Verhaltenskorrektur gefordert. Grundvoraussetzung für erfolgreiche Interventionen sind Vertrauen und Bereitschaft zur Annahme von Hilfe auf Seiten der Schwangeren (7 Kap. 14).
Sekundäre Prävention – Früherkennung der drohenden Frühgeburt durch Screeninguntersuchungen und diagnostische Maßnahmen – Prophylaxe Bei der Diskussion des Nutzen-Kosten Verhältnisses von Screening und Prophylaxe müssen neben dem finanziellen Aufwand auch die Belastung für die schwangere Frau und v. a. die Auswirkungen von falsch positiven Resultaten berücksichtigt werden. Screeninguntersuchungen richten sich definitionsgemäß an eine Gruppe, in der die gesuchte Pathologie selten ist; damit ist jedoch die Anzahl der falsch positiven Testergebnisse im Verhältnis zu den positiven Ergebnissen mit Vorliegen der gesuchten Pathologie hoch (7 Kap. 7).
Erfassung von Risikofaktoren Die größte Untersuchung zur Definition von Risikofaktoren und deren Vorhersagewert für eine Frühgeburt wurde vom Netzwerk der Abteilungen für maternofetale Medizin des National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) durchgeführt. Insgesamt wurden 2929 Frauen mit einer Einlingsschwangerschaft zwischen 23 und 24 Wochen in10 Abteilungen erfasst und mit verschiedenen biochemischen und biophysikalischen Tests überwacht und bis zur Geburt begleitet. Das höchste Risiko für eine Frühgeburt bestand bei Multiparae mit einer vorausgegangenen Frühgeburt
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
vor 28 SSW oder mit mehreren Frühgeburten in der Vorgeschichte (Mercer et al. 1999; Bloom et al. 2001). Die geburtshilfliche Anamnese hat allerdings nur eine begrenzte Vorhersagekraft für eine Frühgeburt, da sie als Risikofaktor bei Erstgebärenden entfällt. Dazu kommt, dass bei der Mehrzahl der Frauen mit einer Frühgeburt in der Anamnese die Dauer der Gestation in folgenden Schwangerschaften normal ist (Adams et al. 2000; Mercer et al. 1999; Ananth et al. 2006; Esplin et al. 2008). Generell ist der Einsatz von Risikoscores bestehend aus verschiedenen epidemiologischen, anamnestischen und auch klinischen Faktoren, selbst wenn diese unterschiedlich gewichtet werden, für die Vorhersage nicht sehr zuverlässig (Creasy et al. 1980; Mercer et al. 1996; Honest et al. 2004). In der genannten Untersuchung des NICHD wurden 24% der spontanen Frühgeburten bei Nulliparae und 18% bei Multiparae vorzeitig erkannt, und der positive Vorhersagewert betrug lediglich 29 bzw. 33% (Mercer et al. 1996). Auch eine neuere systematische Prüfung kommt zu der enttäuschenden Schlussfolgerung, dass es kein effektives Scoringsystem für die Vorhersage von Frühgeburten gibt (Nicholson et al. 2001). Die mit der Anwendung von Risikoscores einhergehende hohe Zahl weiterführender diagnostischer Tests steht in Anbetracht der geringen Zahl korrekt erfasster Frühgeburten in keinem Verhältnis zu dem erzielten Nutzen. Die sekundäre Prävention dient der Früherfassung von Symptomen, und die Grenzen der Screeninguntersuchungen zu den in 7 Kap. 24.2.2 besprochenen diagnostischen Abklärungen sind fließend. Screeninguntersuchungen sind nur sinnvoll, wenn sie mit einer effizienten prophylaktischen Maßnahme verknüpft werden können. Der Nachweis des Nutzens verschiedener Interventionen ist schwierig, da bei retrospektiven Untersuchungen die Kontrolle für die zahlreichen Variablen kaum gewährleistet werden kann, und ein Studienansatz mit prospektiver Randomisierung ist zumindest bei etablierten Verfahren wegen ethischer Bedenken häufig nicht anwendbar. Die Effektivität einer intensivierten Schwangerschaftsvorsorge mit häufigeren Kontrollen und wöchentlicher vaginaler Untersuchung zwischen 20 und 24 SSW sowie ausführlicher Information über Begleitsymptome von vorzeitigen Wehen wurde durch den Vergleich mit einem Standardprogramm getestet. Dabei konnte in dem intensiv betreuten Kollektiv keine Senkung der Häufigkeit von spontanen Frühgeburten erzielt werden (Collaborative Group of Preterm Birth Prevention 1993). > Eine regelmäßige klinische Beurteilung der Zervix sollte daher auf Schwangere mit Symptomen wie erhöhte Kontraktilität oder Veränderungen des Vaginalfluors oder auf solche mit hohem anamnestischem Risiko beschränkt werden. Palpatorisch festgestellte Veränderungen der Zervix müssen durch eine vaginale Ultraschalluntersuchung objektiviert werden.
Auch die sonoghraphische Messung der Zervixlänge, die sich in Verbindung mit fetalem Fibronektin im Zervixsekret als diagnostisch sehr wertvoll für die Abgrenzung von vorzeitigen
Wehen gegenüber vermehrter Kontraktilität des Myometriums erwiesen hat, wird nicht für ein generelles Screening für eine drohende Frühgeburt, sondern nur bei Schwangeren mit erhöhtem Risiko empfohlen (ACOG Practice Bulletin 2001; SOGC Clinical Practice Guidelines 2001). Für aufwendige Betreuungsprogramme mit Schwergewicht auf psychosozialen Aspekten konnte ebenfalls kein eindeutiger Nutzen im Sinne einer Senkung der Anzahl von Frühgeburten oder solchen mit intrauteriner Wachstumsrestriktion gezeigt werden (Hodnett u. Frederichs 2003; Orr 2004). Angesichts der in der Mehrzahl der epidemiologischen Studien festgestellten Assoziation zwischen ungünstigen sozioökonomischen Faktoren und Frühgeburtlichkeit (Haas et al. 2005, Straube et al. 2009) kann aus den negativen Ergebnissen nur geschlossen werden, dass der Studienansatz und die Definition der zusätzlichen komplexen Interventionen für die Klärung der Frage nach dem Nutzen unzureichend sind. Der nach wie vor verbreitete Einsatz des CTG in der 2. Schwangerschaftshälfte zur Erfassung einer erhöhten Kontraktilität des Uterus kann nicht durch ein positives NutzenKosten-Verhältnis gerechtfertigt werden.
Studienbox Für die in verschiedenen prospektiv randomisierten Studien untersuchte regelmäßige häusliche Erfassung der uterinen Aktivität zur Früherkennung von vorzeitigen Wehen konnte auch bei Risikopatientinnen kein Nutzen in Form von Vermeidung von Frühgeburten oder Verlängerung der mittleren Schwangerschaftsdauer gezeigt werden (ACOG Practice Bulletin 2001; Iams et al. 2002 Reichmann 2008). Dafür stiegen die Anzahl zusätzlicher Kontrollen und damit die Kosten der Betreuung signifikant an.
In der bereits erwähnten Studie des NICHD-Netzwerks wurde eine Vielzahl biochemischer Faktoren auf den Zusammenhang mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko untersucht. Für keinen dieser Marker einschließlich fetales Fibronektin im Sekret der Zervix (Leitich u. Kaider 2003; Honest et al. 2002), Östriol im mütterlichen Speichel (ACOG 2001), Zytokine wie IL-6 im Fruchtwasser oder im Zervixsekret (El-Bastawissi et al. 2000; Goepfer et al. 2001), CRH, AFP und HCG (Moawad et al. 2002; Goldenberg et al. 2003) im mütterlichen Plasma konnte der Nutzen für die Verwendung als Screeningtest bei risikoarmen Schwangeren gezeigt werden.
Infektscreening und prophylaktische Antibiotikatherapie Asymptomatische Bakteriurie. Eine asymptomatische Bakteriurie findet sich in 10% aller Schwangerschaften, von denen 1/3 Ausgangspunkt für eine Pyelitis oder Pyelonephritis ist. In zahlreichen Studien konnte belegt werden, dass durch eine antibiotische Behandlung die Bakteriurie saniert und gleichzeitig die Inzidenz der Pyelonephritis sowie die Frühgeburtsrate signifikant gesenkt werden kann (Smaill 2001; Locksmith
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et al. 2001; Cram et al. 2002; Goncalves et al. 2002). Daraus leitet sich die Empfehlung ab, bei allen Schwangerschaften bereits im 1. Trimenon einen Urikult durchzuführen (Connolly u. Thorp 1999; Uncu et al. 2002). Bei Schwangeren mit speziellen Risiken wie rezidivierenden Harnwegsinfekten, vorbestehender Nierenerkrankung, Diabetes mellitus oder Sichelzellanämie empfiehlt sich ein regelmäßiges Screening auch in den folgenden Vorsorgeuntersuchungen. Infektionen des Genitaltraktes. Die am häufigsten mit
einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziierten pathologischen Erreger in der Vaginalflora sind Gardnerellen mit bakterieller Vaginose, Gruppe-B-Streptokokken (GBS), Chlamydien, Gonokokken und Ureaplasma. Die Mehrzahl der prospektiv randomisierten Studien sowie Metaanalysen zeigten keinen oder nur einen grenzwertigen Nutzen für ein Screening in Verbindung mit einer prophylaktischen Antibiotikagabe. Insbesondere konnte für folgende Erreger kein eindeutiger Nutzen eines Screenings mit prophylaktischer Antibiotikagabe gezeigt werden: 4 Chlamydien: In einer Placebo-kontrollierten Studie konnte durch eine antibiotische Behandlung von asymptomatischen Schwangeren keine Schwangerschaftsverlängerung erzielt werden(Martin et al. 1997). Allerdings wird gemäß Richtlinien des CDC wegen chlamydienbedingter Morbidität ein Screening im 3. Trimenon mit Behandlung von Wöchnerinnen und Neugeborenen empfohlen (Sexually Transmitted Diseases Treatment Guidelines, CDC 2002). 4 Bakterielle Vaginose (BV), Ureaplasma und Gruppe-BStreptokokken: In verschiedenen prospektiven Studien
und Metaanalysen war die durch antibiotische Behandlung erreichte Verlängerung der Schwangerschaft nur gering oder nicht nachweisbar (BV: Leitich et al. 2003; Guise et al. 2001; Carey et al. 2000; Brocklehurst et al. 2000; Ureaplasma: Eschenbach et al. 1991; Raynes-Greenow et al. 2004; Gruppe B Streptokokken: Klebanoff 1995). Für die Prävention der Early-onset-Infektion des Neugeborenen mit Gruppe-B-Streptokokken werden unterschiedliche Strategien empfohlen, von denen eine auf Screening in der Spätschwangerschaft mit antibiotischer Behandlung der Schwangeren während der Geburt basiert. Bestimmte Untergruppen mit erhöhtem Risiko wie bei einer oder mehreren vorausgegangenen Frühgeburten scheinen allerdings von einem Screening, v. a. auf bakterielle Vaginose, und einer Antibiotikaprophylaxe zu profitieren (Brocklehurst et al. 2000; Koumans et al. 2002; Thinkhamrop et al. 2002). Auch bei asymptomatischen Schwangeren ohne spezielles Risiko konnte in einzelnen Untersuchungen mit einem Screening auf BV eine Senkung der Frühgeburtenrate in der prophylaktisch antibiotisch behandelten Gruppe erzielt werden (Ugwumadu et al. 2003; Lamont et al. 2003; Kiss et al. 2004). In einer Studie in Schweden fanden sich bei einem Screening auf BV unter 9025 gescreenten Frauen 819 mit einem positiven Befund. Die Placebo-kontrollierte Behandlung mit
Clindamycin Vaginal-Creme ergab keinen signifikanten Unterschied für Frühgeburten vor 37 SSW. Aber der Anteil der Frühgeburten vor 32 SSW war in der behandelten Gruppe signifikant niedriger, und die mittlere Schwangerschaftsdauer der Frühgeburten bei den 11 behandelten Patientinnen war 32 Tage länger als bei den unbehandelten. Wenn die Nachuntersuchung der Kinder im Alter von 4 Jahren auch keinen Unterschied in den Langzeitschäden ergab, war die Ersparnis der mit der neonatologischen Versorgung verbundenen Kosten dennoch erheblich (Larsson 2006). 4 Trichomonaden: Die asymptomatische Infektion mit Trichomonaden soll während der Schwangerschaft nicht behandelt werden. Trotz eines eindeutigen Erfolgs der Behandlung der Trichomonaden mit Metronidazol war die Rate der spontanen Frühgeburten überraschenderweise in der behandelten Gruppe deutlich höher als in der Placebo-Gruppe (Klebanoff et al. 2001). Ein ähnlich negativer Effekt der Behandlung mit Metronidazol zusammen mit Erythromycin wurde in einem Kollektiv mit erhöhtem Risiko basierend auf der Anamnese einer spontanen Frühgeburt und einem positiven Fibronektintest in der bestehenden Schwangerschaft festgestellt. Die prophylaktische orale Verabreichung der beiden Antibiotika war mit einer Zunahme der Geburten vor 37 SSW assoziiert (Andrews et al. 2003). Eine weitere Studie, in der Metronidazol randomisiert bei Risikoschwangeren mit positivem Fibronektintest zur Prävention von Frühgeburten getestet wurde, musste frühzeitig wegen einer deutlich höheren Zahl von Frühgeburten in der behandelten Gruppe beendet werden (Shennan et al. 2006). Generell scheint die orale Einnahme von Antibiotika wie Metronidazol, Erythromycin oder Clindamycin der vaginalen Applikation überlegen zu sein, und eine Verabreichungsdauer von 7 Tagen wurde als besonders wirksam beschrieben (Leitich et al. 2003). Auf die mögliche in mehreren Studien gezeigte nachteilige Wirkung von Metranidazol auf die Schwangerschaftsdauer wurde bereits hingewiesen. Eine Metaanalyse basierend auf 17 randomisierten und Placebo-kontrollierten Studien von Schwangeren mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko, das in 12 Studien durch eine pathologische Vaginalflora, in 3 durch eine Frühgeburt in der Anamnese und in 2 durch einen positiven fetalen Fibronektintest belegt war, ergab, dass durch die prophylaktische antibiotische Behandlung für keine der Risikogruppen eine Verlängerung der Schwangerschaft erzielt wurde (Simcox et al. 2007). Dabei waren auch das verabreichte Antibiotikum sowie das Gestationsalter zum Zeitpunkt der Behandlung bedeutungslos. Auch für die prophylaktische antibiotische Behandlung von HIV-positiven Schwangeren mit Metronidazol und Erythromycin mit einer ersten Behandlung über 7 Tage zwischen 20 und 24 SSW und erneuter Behandlung bei der Geburt konnte kein Einfluss auf die Rate von Frühgeburten oder Neugeborene mit intrauteriner Wachstumsrestriktion gezeigt werden (Goldenberg et al. 2006). Bei Frauen mit der Vorgeschichte eines Schwangerschaftsverlustes oder einer spontanen Frühgeburt zwischen 16 und 34 SSW wurde der Nutzen einer Intervallbehandlung mit An-
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
tibiotika getestet. Postpartal erfolgte eine Randomisierung in antibiotisch bzw. Placebo-behandelte Gruppen mit Wiederholung der Therapie alle 4 Monate bis zu einer erneuten Schwangerschaft. Auch für diese Form der Prophylaxe konnte keine Reduktion der Anzahl der Frühgeburten in der Folgeschwangerschaft erreicht werden (Andrews et al. 2006). In der prophylaktisch im Intervall behandelten Gruppe war die mittlere Schwangerschaftsdauer 2,4 Wochen kürzer, und das mittlere Neugeborenengewicht lag 418 g niedriger als in der Placebo-Gruppe. Beide Unterschiede waren statistisch jedoch nicht signifikant.
einer Hospitalisierung nach erfolgreicher Behandlung von vorzeitigen Wehen konnte kein günstiger Effekt auf das Outcome gezeigt werden (Yost et al. 2005). Tokolyse. Der über lange Zeit verbreitete Einsatz von oralen β-Mimetika bei vermehrter uteriner Kontraktilität oder im Sinne einer Erhaltungstokolyse nach erfolgreicher Behandlung von vorzeitigen Wehen hat sich als nicht effektiv erwiesen.
Studienbox Studienbox Durch die Verdrängung der milchsäurebildenden Döderlein-Bakterien durch pathologische Keime wie v. a. Gardnerella kommt es in der Scheide zu einem Anstieg des pH-Werts, und die Selbstmessung im unteren Scheidendrittel mit einem speziell präparierten Handschuh wurde als Screening bei Risikopatientinnen empfohlen (Saling u. Schreiber 2005). Wenn bei Werten über 4,7 der Verdacht auf bakterielle Vaginose mit ärztlich durchgeführten Zusatzabklärungen bestätigt wurde, konnte durch eine Behandlung der Scheide mit Clindamycincreme eine Senkung der Frühgeburtenrate erreicht werden (Hoyme et al. 2005). Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen randomisierten Studienansatz.
Auch wenn die Assoziation zwischen einem erhöhten pH-Wert zusammen mit vermehrten Leukozyten im Vaginalsekret mit einer frühen spontanen Frühgeburt unbestritten ist, hat sich der Ansatz der pH-Wert-Bestimmung im Vaginalsekret als Screening zur Vorhersage einer Frühgeburt oder eines frühen vorzeitigen Blasensprungs (vor 32 SSW) wegen einer Sensitivität von <25% und einer positiven Vorhersage von <5% für die klinische Routine als nicht geeignet erwiesen (Simhan et al. 2003; Simhan et al. 2005). Das Screening auf bakterielle Vaginose wird zwar von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie empfohlen, wegen einer ungenügenden Evidenz ist dies jedoch bislang nicht Teil des in den deutschen Mutterschaftsrichtlinien enthaltenen Programms. Auch die Richtlinie des ACOG empfiehlt das generelle Screening nicht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Nutzen eines Screenings kombiniert mit einer Antibiotikabehandlung bei Schwangerschaften ohne klinische Infektzeichen und ohne Kontraktionen nicht erwiesen ist und dass auch mit nachteiligen Auswirkungen auf die Schwangerschaft gerechnet werden muss. Der rein prophylaktische Einsatz von Antibiotika sollte daher Ausnahmesituationen vorbehalten werden.
Verschiedene Placebo-kontrollierte Studien konnten keinen positiven Effekt auf diverse Parameter wie Gesamtinzidenz, Gestationsalter bei der Geburt, Mortalität oder Morbidität zeigen (Sanchez-Ramoz et al. 1999; Rust et al. 1996; Guinn et al. 1998; Nanda et al. 2002; Whitworth u. Quenby 2008). ).
Magnesium Magnesium ist für einen ungestörten Zellstoffwechsel im gesamten Organismus von zentraler Bedeutung. Bei Magnesiummangel werden die Proteinsynthese und die Zellmembranstabilität gestört, und die Sensibilität des Myometriums gegenüber kontraktilen Einflüssen ist erhöht. Klinisch wurde dieser Zusammenhang für die erfolgreiche Behandlung schwangerschaftsbedingter Wadenkrämpfe und von drohender Frühgeburtlichkeit durch Magnesiumsubstitution genutzt.
Studienbox In einer kontrollierten Studie wurde gezeigt, dass die Rate der Kinder unter 2.500 g bei magnesiumsubstituierten Schwangerschaften signifikant niedriger und das so genannte Fetal outcome besser war (Spätling u. Spätling 1988). Obwohl weitere Studien zumindest in der Tendenz einen günstigen Effekt für die Magnesiumsubstitution zeigen, bleibt eine generelle Magnesiumsubstitution in der Schwangerschaft umstritten. Bisher ist es nicht gelungen, das Kollektiv, das tatsächlich von einer Magnesiumsubstitution profitiert, besser abzugrenzen. Die häufig klinisch beobachtete Abnahme der Hyperkontraktilität des Uterus unter Magnesiumgabe wurde bisher nicht in Studien überprüft. Bei einem Teil der Fälle mit Frühgeburtsbestrebungen scheint Magnesiummangel die Hauptursache zu sein, der einerseits durch den Mehrbedarf wachsender fetaler und maternaler Gewebe und andererseits durch die verstärkte Magnesiumausscheidung während der Schwangerschaft bedingt ist (Spätling et al. 1984).
Weitere prophylaktische Therapieansätze Bettruhe und Hospitalisierung werden als therapeutische
Maßnahmen bei drohender Frühgeburt empfohlen. Durch diese Maßnahmen konnte zwar eine Verbesserung der uteroplazentaren Durchblutung und auch eine leichte Erhöhung des Geburtsgewichtes erreicht werden. Eine Beeinflussung des Frühgeburtsrisikos konnte jedoch nicht gezeigt werden (Goldenberg et al. 1994; Sosa et al. 2004). Auch für die Fortführung
Tipp Eine prophylaktische Magnesiumsubstitution der Schwangeren mit 10–15 mmol pro Tag erscheint bei Risikoschwangerschaften und möglicherweise bei allen Schwangerschaften sinnvoll.
533 24.3 · Zervixinsuffizienz
Progesteron Bereits vor vielen Jahren wurde gezeigt, dass die Frühgeburtenrate, die vorzeitige Wehentätigkeit und die Häufigkeit von Geburtsgewichten unter 2.500 g bei Frauen mit mindestens 2 Fehlgeburten bzw. Frühgeburten in der Anamnese durch eine Progesterongabe gesenkt werden kann (Keirse 1990). Auch in neueren Studien wurde der Nutzen einer prophylaktischen Gabe von Progesteron zur Vermeidung von spontanen Frühgeburten v. a. bei Frauen mit einer Frühgeburt in der Vorgeschichte bestätigt (Meis et al. 2003; Da Fonseca et al. 2003). Dabei wurden wöchentliche Injektionen von 250 mg 17α-Hydroxyprogesteron oder die tägliche Gabe von 100 mg Progesteronsuppositorien vaginal verabreicht. Ein günstiger Effekt auf die Neugeborenenmorbidität mit Senkung der Häufigkeit von intraventrikulären Hirnblutungen sowie nekrotisierender Enterokolitis konnten ebenfalls gezeigt werden. Die Auswertung dieser sowie weiterer Studien in verschiedenen Metaanalysen hat die Ergebnisse in eindrücklicher Weise bestätigt (Sanchez-Ramos et al. 2005; Dodd et al. 2006; Mackenzie et al. 2006). Allerdings ist der Effekt auf die Reduktion von Mortalität und Morbidität der Frühgeburten statistisch nicht signifikant (Mackenzie et al. 2006). Dies kann Folge einer ungenügenden »Power« der Studien für die Evaluation seltener Endpunkte wie insbesondere der Mortalität sein. Für die Vermeidung einer Frühgeburt vor 36+6 SSW müssen 5–6 Schwangere mit belasteter Anamnese und für die Vermeidung einer Frühgeburt vor 31+6 SSW 12 Schwangere behandelt werden (Lamont u. Jagget 2007). Überraschenderweise wurde in einer weiteren umfangreichen Studie, in der Schwangere mit einer vorausgegangenen Frühgeburt sich täglich Vaginalgel mit 90 mg Progesteron oder Placebo selbst applizierten, kein Unterschied in der Häufigkeit von erneuten Frühgeburten festgestellt (O’Brien et al. 2007). Wie weit diese Diskrepanz zu den anderen Studien mit der Verwendung von Progesteron in Form von Vaginalgel erklärt werden kann, muss vorläufig offen bleiben. Tipp Auch wenn die Effektivität von Progesteron zur Vermeidung einer erneuten Frühgeburt noch nicht endgültig als erwiesen angesehen werden kann, sollte diese Form der Prophylaxe in Ermangelung von realistischen Alternativen gemäß Empfehlung der ACOG zur Anwendung kommen (ACOG Committee Opinion 2008). Die Behandlung sollte sich v. a. auf Frauen mit einer vorausgegangenen Frühgeburt beschränken und nach Beginn im 2. Trimenon, d. h. nach 15+6 und vor 26+6 SSW bis 36 SSW weitergeführt werden. Eine weitere Beschränkung auf Schwangere, deren vorausgegangene Frühgeburt vor 34+0 SSW stattgefunden hat, wird ebenfalls diskutiert (Spong et al. 2005).
Der therapeutische Wert der vaginalen Applikation von Progesteron als unterstützende Begleittherapie bei einer verkürzten Zervix konnte in einer randomisierten Placebo-kontrollierten Studie gezeigt werden. Bei 413 Patientinnen mit einer
Zervixlänge <15 mm konnte durch die tägliche vaginale Applikation von 200 mg Progesteron die Rate spontaner Frühgeburten vor der 34. SSW signifikant gesenkt werden (Fonseca et al. 2007). Auch erste Resultate einer Weiterbehandlung mit Progesteron im Anschluss an eine erfolgreiche Tokolyse sind vielversprechend (Borna u. Sahabi 2008). Bei Zwillingsschwangerschaften war dagegen die wöchentliche Injektion von 250 mg 17α-Progesteroncaproat ohne Einfluss auf die Frühgeburtenrate (Rouse et al. 2007). Auch wenn bei der Nachuntersuchung der Kinder bis zum Alter von 4 Jahren keine nachteiligen Folgen der Behandlung mit 17αProgesteroncaproat festgestellt wurden (Spong 2007), sind weitere Studien, in denen neben der Sicherheit auch bei Langzeitbeobachtungen der optimale Zeitpunkt und die Dauer der Gabe sowie die verschiedenen Risikogruppen definiert werden, erforderlich (Thornton 2007).
24.3
Zervixinsuffizienz
Zervixinsuffizienz Allgemein versteht man unter der Zervixinsuffizienz eine Erweichung und Verkürzung der Zervix mit Zentrierung und Eröffnung des Zervikalkanals, die schmerzfrei und damit meist unbemerkt verlaufen. Der Spätabort bzw. die Frühgeburt sind damit häufig unaufhaltsam.
Wegen der unscharfen diagnostischen Kriterien gibt es zur Inzidenz keine zuverlässigen Angaben (Harger 2002). Die in den Perinatalerhebungen genannte Häufigkeit liegt mit 2% deutlich zu hoch. Eine Tendenz zur Überdiagnose dieser Störung resultiert in unnötigen therapeutischen Maßnahmen wie Hospitalisation, Cerclage und oraler Tokolyse.
24.3.1
Ätiologie
Bei der Ätiologie der Zervixinsuffizienz kommt anamnestischen Risikofaktoren eine erhebliche Bedeutung zu wie eine schmerzlose Dilatation der Zervix im 2. Trimenon, die zum Verlust in einer früheren Schwangerschaft geführt hat und mit einem erheblichen Wiederholungsrisiko belastet sein kann (Cousins 1980), operative Eingriffe an der nicht schwangeren Zervix wie Messer- oder CO2-Laserkonisation (Raio et al. 1997; Kyrgiou et al. 2006; Albrechtsen et al. 2008), Zervixverletzungen bei vorausgegangenen Geburten, ein Schwangerschaftsabbruch im 2. Trimenon oder auch angeborene Uterusanomalien (7 Kap. 24.4; Kaufman et al. 1977). Davon abzugrenzen sind Reifungsvorgänge an der Zervix und die häufig damit einhergehenden vorzeitigen Wehen, die Folge von aufsteigenden Infektionen mit β-hämolysierenden Streptokokken, Chlamydien, Ureaplasmen, Gardnerellen und anderen Keimen und die dadurch ausgelösten inflammatorischen Prozesse sind (7 Kap. 24.2.2). Die molekularbiologischen Grundlagen der Auflockerung der extrazellulären Matrix und weitere Einzelheiten zur Pathophysiologie der
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Zervixveränderungen in der Schwangerschaft und während der Geburt werden in 7 Kap. 23.4 besprochen. Eine Dilatation der Zervix setzt i. d. R. Wehen oder Kontraktionen des Myometriums voraus, die aber ebenfalls teilweise unbemerkt ablaufen können (Lengyel u. Pildner von Steinburg 2001). > Zwischen Zervixeröffnung und Frühgeburt besteht kein enger Zusammenhang: So kann ein geburtsbereiter Zervixbefund über Wochen beobachtet werden, ohne dass es zu einer Geburt kommt. Die Wahrscheinlichkeit einer Geburt ist jedoch bei entsprechend vorgereiften Zervixbefunden deutlich erhöht.
24.3.2
Diagnostik
Anamnese Die anamnestischen Risikofaktoren für eine Zervixinsuffizienz wurden bereits genannt. Eine Überdehnung des Uterus wie bei Mehrlingsschwangerschaften oder Polyhydramnion ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko einer Zervixinsuffizienz verbunden (Goldenberg et al. 1996; Many et al. 1996).
Symptome Typisch für die Zervixinsuffizienz ist das Fehlen eindeutiger Symptome wie etwa Kontraktionen. »Unklare Unterbauchbeschwerden« oder ein »Druck nach unten« werden von manchen Patientinnen angegeben. Auch »menstruationsähnliche Beschwerden« und »Ziehen in den Leisten und im Rücken« müssen als mögliche Symptome einer Zervixinsuffizienz ernst genommen werden. Mehrere Spontanaborte und ein früher vorzeitiger Blasensprung ohne Wehentätigkeit oder Blutungen können Ausdruck einer Zervixinsuffizienz sein.
Untersuchungsbefund Auch wenn der Pelvic-Score nach Bishop für die Beschreibung des Vaginalbefundes am Termin gedacht ist, hat er sich auch für die Vorhersage einer spontanen Frühgeburt als hilfreich erwiesen. Ein hoher Score ist mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt assoziiert (Newman et al. 2008). Je kürzer die Zervix und je früher in der Schwangerschaft dieser Befund auftritt, desto größer ist das Risiko einer Frühgeburt (Grimes-Dennis u. Berghella 2007; Hollier LM 2005). Eine Auflockerung der Konsistenz mit Eröffnung des Zervikalkanals und Sichtbarwerden oder Prolaps der Fruchtblase in die Vagina sind typische klinische Befunde einer Zervixinsuffizienz (Harger 2002; Cousins 1980). Bei einer palpatorisch verkürzten Zervix ist eine vaginalsonographische Abklärung indiziert, da diese der palpatorischen Beurteilung wegen einer besseren Reproduzierbarkeit einschließlich Dokumentation der gemessenen Zervixlänge und der Erfassung von Veränderungen am inneren Muttermund wie Trichterbildung klar überlegen ist (Berghella et al. 1997).
Screening. Der Nutzen eines generellen Screenings zur Früherfassung der Zervixinsuffizienz konnte weder für die palpatorische noch die sonographische Untersuchung gezeigt werden und wird daher nicht empfohlen (Iams et al. 1996; ACOG Practice Bulletin 2003; Taipale u. Hiilesmaa 1998). Bei den bereits genannten anamnestischen Risiken erscheint ein serielles vaginalsonographisches Screening jedoch sinnvoll (ACOG Practice Bulletin 2003; Andrews et al. 2000; Berghella et al. 1997; Owen et al. 2001 u. 2003).
Studienbox Bei 183 Schwangeren mit mindestens einer Frühgeburt mit Zeichen einer Zervixinsuffizienz vor 32 SSW wurden serienmäßig Ultraschallmessungen der Zervix zwischen 16 und 24 SSW vorgenommen (Owen et al. 2001). Insgesamt kam es in dieser prospektiven Studie zu 20 Frühgeburten vor 24 SSW und zu 48 Frühgeburten vor 35 SSW. Als diagnostischer »cut off« mit deutlich erhöhtem Risiko für eine Frühgeburt wurde eine Zervixlänge von 25 mm definiert. Bei einer Verkürzung unterhalb dieses Wertes betrug die Sensitivität, Spezifität und der positiv prädiktive Wert für eine Frühgeburt vor 35 SSW 69, 80 und 55%.
Für das Vorgehen bei Erfassung einer Verkürzung der Zervix im Rahmen des Screenings von Risikoschwangeren im 2. Trimenon werden die Grenzwerte in der Regel höher angesetzt als bei Frauen mit vorzeitigen Wehen. Bei einer normalen Länge von 35 mm wird eine Wiederholung alle 1–2 Wochen empfohlen. Bei einer Länge von 25–34 mm sollte zusätzlich die Bestimmung des fetalen Fibronektins im Zervixsekret vorgenommen werden. Bei Werten von >50 ng/ml wird ein aktives Vorgehen bestehend aus vermehrter Schonung, einer einmaligen Verabreichung von Glukokortikoiden und gezielter Gabe von Antibiotika je nach Vaginalflora oder bei Bakteriennachweis im Uricult empfohlen. Bei einer Verkürzung auf <25 mm stellt sich die Frage einer Cerclage (7 Kap. 24.3.3 »Therapie«).
24.3.3
Therapie
Eine chirurgische Behandlung durch eine Cerclage kommt v. a. bei einer verkürzten Zervix infolge eines der genannten Risikofaktoren in Frage. Dabei wird zwischen einem rein prophylaktischen oder elektiven Eingriff, einer indizierten oder therapeutischen Cerclage und der Notfall-Cerclage unterschieden. Umstritten sind der Wert der rein prophylaktischen Cerclage sowie die elektive Wiederholung einer bereits einmal durchgeführten Cerclage. In älteren Untersuchungen wurde der Wert einer prophylaktischen Cerclage daraus abgeleitet, dass ein erfolgreicher Schwangerschaftsausgang durch das Legen einer Cerclage bei Frauen erzielt wurde, die in einer oder mehreren vorausgegangenen Schwangerschaften ohne Cerclage einen Spätabort erlitten oder eine Frühgeburt hatten. Da aber selbst bei Frauen mit hohem anamnestischem Risiko wei-
535 24.3 · Zervixinsuffizienz
tere Schwangerschaften in der Mehrzahl auch ohne eine Intervention am Termin oder in der Nähe des Termins enden, bleibt unklar, wieweit ein erfolgreicher Abschluss tatsächlich der Cerclage zugeschrieben werden kann (Althusius et al. 2001; Rust et al. 2001). Mit Hilfe der vaginalen sonographischen Bestimmung der Zervixlänge wurde es möglich, die Dynamik von Veränderungen im Sinne einer Zervixverkürzung mit hoher Zuverlässigkeit zu verfolgen. Damit ist aber die Voraussetzung für die prospektive Erfassung von Schwangeren mit anamnestischen Risiken gegeben, bei denen in der laufenden Schwangerschaft erneut ein hohes Risiko für einen Spätabort oder eine Frühgeburt besteht und die von einer Cerclage tatsächlich profitieren.
Studienbox In dem Cervical Incompetence Prevention Randomized Cerclage Trial (CIPRACT) wurden Patientinnen mit mindestens einer Frühgeburt vor 34 SSW und klinischen Zeichen einer erneuten Zervixinsuffizienz nach dem Randomisierungsprinzip einer Gruppe mit prophylaktischer Cerclage bzw. einer Beobachtungsgruppe mit wiederholter vaginalsonographischer Beurteilung der Zervix zugeteilt. Wenn in der Beobachtungsgruppe eine Zervixverkürzung auf <25 mm vor 27 SSW festgestellt wurde, erfolgte eine erneute Randomisierung in 2 verschiedene Behandlungsgruppen: mit Cerclage und Bettruhe bzw. nur mit Bettruhe (Althuisius et al. 2001). Die effizienteste Behandlung einer nachgewiesenen Zervixverkürzung war in dieser Studie die Cerclage mit Bettruhe. Bei 19 Fällen trat keine Frühgeburt vor 34 SSW auf gegenüber 7 von 16 mit Behandlung durch Bettruhe allein. Die mittlere Schwangerschaftsdauer betrug in der Cerclage-Gruppe 37,9 gegenüber 33,1 SSW in der nur mit Bettruhe behandelten Gruppe. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse des Beobachtungskollektivs mit dem Auftreten von einer Zervixverkürzung in lediglich 40%, dass die in der Kontrollgruppe rein prophylaktisch, basierend auf klinischen Zeichen einer Zervixinsuffizienz durchgeführte Cerclage in 60% eine Überbehandlung darstellt. Andererseits traten aufgrund einer abwartenden Beobachtung mit Vornahme einer indizierten Cerclage bei festgestellter Zervixverkürzung gegenüber der rein prophylaktischen Cerclage keine zusätzlichen Frühgeburten auf.
In einer neuen Untersuchung von Pelham et al. (2008) wird gezeigt, dass die rein prophylaktisch vorgenommene Cerclage keinen Vorteil bietet bei Schwangeren, die in einer vorausgegangenen Schwangerschaft am Ende des 1. Trimenons eine Cerclage wegen eines der genannten Risikofaktoren für eine Zervixinsuffizienz erhalten hatten, gegenüber dem durch eine Verkürzung der Zervix oder Trichterbildung (ausgehend vom inneren Muttermund) indizierten Eingriff. Es fand sich kein Unterschied in der Anzahl von Frühgeburten vor 35 SSW, und das mittlere Schwangerschaftsalter betrug in beiden Gruppen 36 SSW. Dagegen wurde durch die serielle vaginalsonogra-
phische Überwachung der Zervix die Cerclage in 26 von 28 Fällen vermieden. Über ein ähnliches Resultat wurde von Kelly et al. (2001) mit einem vergleichbaren Studienansatz berichtet. Sie untersuchten Frauen, die in der Vorgeschichte einen Schwangerschaftsverlust im 2. Trimenon ohne Cerclage erlitten hatten und in der Folgeschwangerschaft entweder eine prophylaktische Cerclage erhielten oder mit seriellen vaginalsonographischen Untersuchungen der Zervix überwacht wurden (mit Cerclage bei Indikation). Das mittlere Schwangerschaftsalter betrug bei der Geburt in beiden Gruppen 34 SSW. In der sonographisch überwachten Gruppe benötigte jedoch lediglich ein Drittel den chirurgischen Eingriff (Berghella et al. 2002). Die Resultate der verschiedenen Studien zur Behandlung der verkürzten Zervix mit einer Cerclage im Vergleich zum expektativen Management sind uneinheitlich. So fanden To et al. (2004) keine signifikante Reduktion der Anzahl von Frühgeburten vor 33 SSW durch Cerclage im Vergleich mit einem Kontrollkollektiv. Die Metaanalysen verschiedener Studien kommen zu dem gleichen negativen Ergebnis (Drakeley et al. 2003; Belej-Rak et al. 2003). Berghella et al. (2005) dagegen fanden in ihrer Metaanalyse, dass die Anzahl von Frühgeburten vor 35 SSW bei Einlingsschwangerschaften in dem mit Cerclage behandelten Kollektiv signifikant erniedrigt war. In der Untergruppe mit zusätzlichem anamnestischem Risiko wie einer vorausgegangenen Frühgeburt oder einem Spätabort war der Unterschied zugunsten der Cerclagegruppe noch deutlicher. Bei Nachweis einer Dilatation des inneren Muttermundes im Sinne einer Trichterbildung ist der Verlauf im Vergleich mit Zervixverkürzung ohne Trichter deutlich ungünstiger (Rust et al. 2005). Es wurden mehr Komplikationen wie ein vorzeitiger Blasensprung, eine Chorioamnionitis und eine vorzeitige Plazentalösung beschrieben. Auch die Anzahl der Cerclagen war häufiger. In der Gruppe ohne Trichter erfolgte die Geburt dagegen zu einem späteren Zeitpunkt mit deutlich weniger Mortalität und Morbidität. Eine Zwillingsschwangerschaft mit einer Verkürzung der Zervix stellt bei Frauen ohne zusätzliche Risikofaktoren keine Indikation für eine Cerclage dar. Der Eingriff ist vielmehr mit einer erhöhten Frühgeburtenrate verbunden (Berghella 2005). > Frühgeburten als Folge von Zervixverkürzung und folgender Eröffnung des Muttermundes sind nur selten Folge einer echten Zervixinsuffizienz, vielmehr liegt bei der Mehrzahl eine Assoziation mit einer lokalen Infektion mit inflammatorischen Gewebsveränderungen vor. In diesen Situationen sollte auf die Cerclage verzichtet und vielmehr einem konservativen Vorgehen der Vorzug gegeben werden.
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Studienbox
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In einer umfangreichen retrospektiven Untersuchung wurden die Ergebnisse von 16.508 Schwangeren ausgewertet, bei denen zwischen 20 und 24 SSW die Zervixlänge vaginalsonographisch gemessen und die Konzentration des Zytokins IL-8 im Zervixsekret bestimmt worden war (Sakai et al. , 2006). Generell war die Anzahl der Frühgeburten vor 37 SSW erhöht, wenn die IL-8-Konzentration im Zervixschleim erhöht war (>360 ng/ml, p<0,0302) oder die Zervix verkürzt war (<25 mm, p<0,0001). Das Risiko für eine Frühgeburt war bei der Kombination einer kurzen Zervix und pathologischen IL-8-Werten im Zervixsekret am höchsten. Während die Frühgeburtenrate bei Schwangeren mit einer kurzen Zervix unabhängig davon war, ob eine Cerclage durchgeführt worden war oder nicht, konnte für die Untergruppe mit einer kurzen Zervix und normalem IL-8 durch Legen einer Cerclage eine Reduktion des Frühgeburtsrisikos gezeigt werden (vor 37 SSW 33% gegenüber 54%, p=0,01; vor 34 SSW 4% gegenüber 13,6%, p=0,03). Bei erhöhten IL-8-Werten wurde dagegen das Risiko für eine Frühgeburt durch eine Cerclage erhöht (vor 37 SSW 78% gegenüber 54,1%, p=0,03).
Diese Untersuchung liefert einen ersten Hinweis dafür, dass bei einer verkürzten Zervix der Nachweis oder das Fehlen einer lokalen Inflammation durch die Bestimmung von IL-8 im Zervixschleim die Differenzierung zwischen Frauen, die von einer Cerclage profitieren, von denen, bei denen der Eingriff nicht sinnvoll oder sogar schädlich ist, ermöglichen kann. Eine weitere Prüfung dieses Parameters kann vielleicht auch zu einer Erklärung der z. T. widersprüchlichen Resultate der Untersuchungen zum Nutzen der indizierten Cerclage bei verkürzter Zervix liefern. Für die sog. Notfall-Cerclage bei fortgeschrittener Eröffnung des Muttermundes und sichtbarer oder in die Vagina prolabierender Fruchtblase gibt es v. a. Fallberichte und nur vereinzelt systematische Untersuchungen mit kleiner Fallzahl (ACOG 2003).
Studienbox Der Nutzen einer Cerclage als Notfalleingriff wurde in 2 prospektiven Untersuchungen geprüft. Bei 23 Schwangeren mit sichtbaren Eihäuten im Muttermund oder in der Vagina wurde nach antibiotischer Anbehandlung unter Bettruhe eine Randomisierung in eine Gruppe mit Notfall-Cerclage mit Indometacin und eine Gruppe ohne weitere Behandlung vorgenommen (Athuisius et al. 2003). Die chirurgische Behandlung ergab eine Schwangerschaftsverlängerung von 4 Wochen mit einem mittleren Gestationsalter bei der Geburt von 30 SSW im Vergleich zu 26 SSW in der Gruppe ohne weitere Behandlung.
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In der anderen Untersuchung handelte es sich um eine Kohortenstudie (Olatunbosun et al. 1995). Bei 22 Schwangeren mit Einlingsschwangerschaften im Bereich der Lebensfähigkeit, d. h. zwischen 20 und 27 SSW, mit einer Muttermundsweite von >4 cm und fehlender Wehentätigkeit wurde eine Notfall-Cerclage vorgenommen. Die Kontrollgruppe bestand aus 15 Schwangeren mit ähnlichem Befund, die sich jedoch nach entsprechender Aufklärung für die alleinige Behandlung mit Bettruhe entschieden hatten. Auch in dieser Studie konnte durch den Eingriff eine 4-wöchige Verlängerung der Schwangerschaftsdauer erzielt werden, und das mittlere Schwangerschaftsalter bei der Entbindung betrug 33 gegenüber 29 SSW.
Es hat den Anschein, als ob bei sorgfältiger Selektion – v. a. bei Ausschluss einer Chorioamnionitis – die Schwangerschaft in diesen desolaten Ausgangssituationen verlängert und damit die Frühgeburtenmortalität und -morbidität günstig beeinflusst werden kann (Althusius u. van Geijn 2005). Die Komplikationsrate in Form von Blasensprung und Chorioamnionitis ist jedoch erheblich (ACOG 2003). Angesichts der kleinen Fallzahlen müssen diese Ergebnisse in größeren Studien bestätigt werden, bevor der Nutzen der Notfall-Cerclage als erwiesen gelten kann. Während ein genereller Ausschluss eines beginnenden Amnioninfektsyndroms für den Erfolg des Eingriffs eine wichtige Voraussetzung darstellt, ist die Frage der zusätzlichen Bedeutung operationstechnischer Varianten wie der so genannte totale Muttermundverschluss gegenüber der herkömmlichen Cerclage nicht geklärt. Der Einsatz von Bettruhe, wie sie bei fortgeschrittenen Zervixveränderungen allein oder in Kombination mit der Notfall-Cerclage und medikamentösen Verfahren wie Antibiotika- und Indometazingabe zum Einsatz kommt, wurde bereits besprochen. Die Verwendung von Pessaren, durch die die Achse des Zervikalkanals relativ zur Achse der Vagina verändert wird, ist wieder vermehrt in Diskussion (Forster et al. 1986; Newcomer 2000). Zusammenfassend kann zum Einsatz der Cerclage gesagt werden: 4 Eine prophylaktische oder elektive Cerclage bei Risikofaktoren oder bei Cerclage in einer vorausgegangenen Schwangerschaft ist nicht generell indiziert, sondern nur dann, wenn serielle sonographische Untersuchungen eine Indikation in Form einer Verkürzung der Zervix ergeben. 4 Prospektiv randomisierte Studien konnten für die indizierte Cerclage im Vergleich zu der alleinigen Behandlung durch Bettruhe keinen klaren Nutzen zeigen. 4 Der Nachweis eines normalen Interleukin-8-Wertes im Zervixsekret zum Ausschluss eines latenten infektiös-inflammatorischen Prozesses scheint eine nützliche Ergänzung der Vorabklärungen zu sein. 4 Die prophylaktische Cerclage hat sich auch bei verkürzter Zervix bei Zwillingsschwangerschaften nicht bewährt.
537 24.3 · Zervixinsuffizienz
Randomisierte Studie zeigten eine Zunahme von Frühgeburten. 4 Die Notfall-Cerclage kann bei sorgfältiger Fallselektion zu einer wertvollen Schwangerschaftsverlängerung führen.
Ein zusätzlich geknoteter Steg hilft beim Wiederauffinden des Bandes. Etwa 2 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin wird das Band ohne zusätzliche anästhesierende Maßnahmen entfernt.
Wenn auch das Ergebnis der umfangreichen klinischen Studien zum Nutzen der Cerclage gesamthaft enttäuschend erscheinen mag, stellt die Erarbeitung von diagnostischen Abklärungen, durch die indizierte Fälle erfolgreich identifiziert werden, einen beachtlichen Fortschritt dar. Die Vermeidung einer Vielzahl unnötiger Eingriffe kann in Anbetracht der damit verbundenen Komplikationen nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Totaler Muttermundverschluss. Dieses Verfahren, zunächst von Szendi beschrieben, wurde hauptsächlich durch Saling bekannt. Dieser Eingriff wurde als frühe prophylaktische Intervention bei Schwangeren mit habituellen Aborten und Frühgeburten in der Vorgeschichte empfohlen (Saling 1981). Nach ausreichender Desinfektion wird das Epithel des Zervikalkanals bis auf die Portiooberfläche scharf entfernt und der Zervikalkanal mit resorbierbaren Einzelknopfnähten mindestens zweischichtig verschlossen. Inwieweit durch Entfernung von Zervixdrüsen im Bereich des äußeren Muttermundes tatsächlich ein Schutz gegenüber aszendierenden Infektionen geschaffen werden kann, ist schwer zu beurteilen. Andere Autoren haben diese Methode bei mehr oder weniger weit eröffnetem äußerem Muttermund mit prolabierender Fruchtblase sowie vollständig verstrichener Zervix eingesetzt. Bei einem mehr oder weniger weit eröffneten Muttermund hat sich technisch das Auffüllen der Harnblase mit physiologischer Kochsalzlösung, kombiniert mit starker Trendelenburg-Lage, beim Reponieren der prolabierenden Fruchtblase bewährt (Scheerer et al. 1989; Barth et al. 1990). Dieses Vorgehen soll schonender als das sanfte Zurückschieben der Fruchtblase mit einem feuchten Tupfer sein und ein kleineres Infektrisiko mit sich bringen.
Diagnostische Abklärungen außerhalb der Schwangerschaft. Untersuchungen wie Prüfung der Durchgängigkeit
der nichtschwangeren Zervix für Hegar-Stifte oder die Bestimmung der Weite des inneren Muttermundes sowie der Länge des Zervikalkanals durch radiologische Untersuchungen wie Hysterogramm oder durch Ultraschall haben sich für die Vorhersage einer Zervixinsuffizienz in einer Folgeschwangerschaft nicht bewährt (Zlatnik et al. 1989). Chirurgisches Vorgehen Die am häufigsten verwendeten operativen Verfahren wie die Cerclage nach Shirodkar oder nach McDonald und der totale Muttermundverschluss werden hier näher beschrieben (Vetter 2001). Verfahren nach Shirodkar. Bei diesem Verfahren wird ausgehend von einer hinteren Kolpotomie bei 6 Uhr mit Hilfe eines Deschamps ein nicht resorbierbares Band unter dem Vaginalepithel um das Zervixgewebe gelegt und aus einer vorderen Kolpotomie herausgeleitet, während vordere und hintere Muttermundslippe mit Fensterklemmen gehalten werden. Das in den zweiten Deschamps mit umgekehrter Konvexität gefädelte freie Ende des Bandes wird von 6 Uhr über die Gegenseite nach vorn geführt, und beide Enden werden bei 12 Uhr geknotet. Die Kolpotomien können mit resorbierbarem Faden verschlossen werden. Das Verfahren nach Shirodkar erfordert eine Abpräparation der Harnblase und erlaubt damit eine relativ hohe Platzierung des Bandes. Verfahren nach McDonald. Deutlich atraumatischer und in
kürzerer Zeit durchzuführen ist die Cerclage nach McDonald. Vor allem dann, wenn ein Set, bestehend aus nicht resorbierbarem Band und nicht ganz stumpfen Nadeln, benutzt wird. Auch hier wird nach der üblichen Desinfektion die vordere und hintere Muttermundslippe mit Fensterklemmen gefasst. Mit der konkaven Seite nach außen sticht man bei 6 Uhr unter Fassen von Vaginalschleimhaut und Zervixgewebe ein und bei 3 Uhr aus und wieder ein. Bei 12 Uhr lässt man das Fadenende liegen. Analog verfährt man mit der Nadel am freien Ende des Bandes, das über 9 Uhr aus- und eingestochen wird. Beide Enden werden dann bei 12 Uhr verknotet. Nach dem ersten Knoten wird die verbliebene Weite des Zervikalkanals geprüft.
Präoperative Amniozentese. Auch die Entlastung der Fruchtblase durch präoperative Amniozentese wurde empfohlen. Das gewonnene Fruchtwasser kann gleichzeitig zum Nachweis von Keimen oder anderen Infektionsindikatoren benutzt werden (Goodlin 1987). ! Bei allen operativen Maßnahmen muss ein beginnendes Amnioninfektionssyndrom durch CRP– Bestimmung und Anfertigen eines Differenzialblutbildes ausgeschlossen werden.
Sowohl für die Cerclage als auch für den totalen Muttermundverschluss sollte vor der Operation ein Beobachtungsintervall von 24–48 h mit wiederholter Kontrolle der Infektionsparameter wie CRP und Differenzialblutbild beachtet werden. Als Kontraindikationen gelten außer möglichen Hinweisen auf lokale oder generalisierte Infektionen ein vorzeitiger Blasensprung, fetale Fehlbildungen, vorzeitige Kontraktionen und Blutungen. Während bei der Cerclage eine prophylaktische Antibiotikagabe nicht indiziert ist, sollte sie beim totalen Muttermundverschluss grundsätzlich erfolgen. Eine Tokolyse wird bei Cerclagen nicht generell gefordert, sollte aber in Abhängigkeit von der Kontraktionsbereitschaft des Uterus großzügig für 1–2 Tage gegeben werden. Komplikationen. Je umstrittener die Indikation für eine
Maßnahme ist, desto größer ist die Bedeutung möglicher Komplikationen. Folgende Komplikationen werden gehäuft
24
538
24
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
beobachtet: vorzeitiger Blasensprung, Stimulation vorzeitiger Wehen, Sepsis, Endotoxinschock, Vesikovaginalfistel, Uterusruptur und Komplikationen im Rahmen der notwendigen Anästhesie bis hin zum mütterlichen Tod. Für das Management eines während oder kurz nach dem Eingriff manifest werdenden Blasensprunges finden sich widersprüchliche Angaben. Bei fehlenden Infektionszeichen ist ein Versuch mit prophylaktischer Antibiotikagabe mit Tokolyse indiziert, die allerdings nicht länger als 48–72 h aufrechterhalten werden darf. Die Mehrzahl der Autoren spricht sich gegen eine sofortige Entfernung der Cerclage aus. Sobald jedoch eindeutige Infektzeichen auftreten (Laborveränderungen, Fieber der Mutter, trübes Fruchtwasser, erhöhte Kontraktilität des Uterus), muss die Cerclage entfernt und angesichts der Gefahr einer schweren Chorioamnionitis mit mütterlicher Sepsis die Schwangerschaftsbeendigung in die Wege geleitet werden.
24.4
Uterusanomalien
24.4.1
Fehlbildungen
Bei Fehlbildungen des Uterus findet sich eine Häufung von Spätaborten und Frühgeburten (Raga et al. 1997), und in 1–4% aller Frühgeburten sind Uterusfehlbildungen für das vorzeitige Schwangerschaftsende verantwortlich (Schneider et al. 1994). Der Entstehung der Fehlbildungen liegt eine Störung der Verschmelzung der Müller-Gänge in der Embryonalphase zugrunde. Das klinische Bild der Schwangerschaftspathologie umfasst Frühabort, Spätabort mit den klinischen Zeichen der Zervixinsuffizienz sowie vorzeitige Wehen und Frühgeburt. Eine verkürzte Zervix findet sich gehäuft bei Uterusfehlbildungen und spielt bei der Entstehung der Schwangerschaftspathologie eine wichtige Rolle. Das Risiko der Zervixinsuffizienz ist bei Uterus uni- und bicornis am größten (Golan et al. 1990). Für das Wachstum des Fetus scheint auch der Implantationsort der Plazenta von Bedeutung zu sein. So werden bei vollständiger oder partieller Implantation auf einem Uterusseptum oder an der medianen, d. h. der Gefäßzuführung abgewandten Seite eines Uterus unicornis vermehrt Wachstumsbeeinträchtigungen beobachtet. Die Einnahme von Diäthylstilbestrol (DES), das früher häufig bei Abortus imminens verschrieben wurde, ist mit einem hohen Risiko für Entwicklungsstörungen im Bereich des inneren Genitales verbunden. Bei 25–50% der Frauen, deren Mütter in der Schwangerschaft Stilbestrol eingenommen hatten, wurden strukturelle Anomalien von Uterus, Zervix und Vagina beschrieben (Herbst et al. 1972). Auch funktionelle Störungen wie die Produktion von abnormalem Zervixschleim wurden gehäuft beschrieben.
Studienbox Im National Cooperative Diethylstilbestrol Adenosis Project, bei dem 3373 Frauen, die in utero eine DES-Exposition erfahren hatten, mit 1036 Kontrollen verglichen wurden, fand sich in der DES-Gruppe bei Primigravidae eine deutliche Häufung von Frühgeburten (11,5 gegenüber 4,1%), Extrauteringraviditäten (4,2 gegenüber 0,77) und Spontanaborten (19,2 gegenüber 10,3%; Kaufman et al. 2000). In allen Schwangerschaften zusammen genommen war auch die Spontanabortrate im 2. Trimenon mit 6,4 gegenüber 1,6% eindeutig erhöht.
Bei Schwangeren mit Fehlbildungen des Uterozervikovaginaltraktes und speziell bei nachgewiesener DES-Exposition in utero ist eine engmaschige Schwangerschaftsüberwachung angezeigt (Ludmir et al. 1987; Guzman et al. 1998). Für die Indikationsstellung einer Cerclage bei verkürzter Zervix nach In-utero-DES-Exposition gelten die gleichen Kriterien wie bei Schwangeren ohne DES-Exposition. Eine prophylaktische Cerclage wird nicht empfohlen (ACOG Practice Bulletin 2003).
24.4.2
Uterus myomatosus
Mit zunehmendem Alter der Schwangeren werden vermehrt Leiomyome des Uterus beobachtet, deren Inzidenz mit bis zu 7% aller Schwangerschaften angegeben wird (Gazaway u. Mullins 1986). Ethnische Unterschiede sind gut bekannt, und bei einigen afrikanischen Volksgruppen werden vielknollige Uteri myomatosi gehäuft beobachtet. Generell wird die Inzidenz von Myomen in der Schwangerschaft unter- und deren Bedeutung für den Schwangerschaftsausgang erheblich überschätzt (Davis et al. 1990; Propst u. Hill 2000). Die meisten Myome erfahren keine wesentliche Zunahme der Größe in der Schwangerschaft. Der hormonelle Wachstumsstimulus ist im 1. Schwangerschaftsdrittel am ausgeprägtesten. Die Diagnostik des Uterus myomatosus erfolgt durch Palpation bzw. Vaginalsonographie schon vor der Schwangerschaft bzw. in der Frühschwangerschaft. Neben vorzeitigen Wehen mit drohender Frühgeburt treten andere Schwangerschaftskomplikationen gehäuft auf: abdominale Schmerzen, vaginale Blutungen, vorzeitiger Blasensprung und intrauterine Wachstumsrestriktion. Akute Schmerzen mit starker lokaler Druckdolenz als Folge der Degeneration eines rasch wachsenden Myoms sprechen gut auf hoch dosierte intravenöse Magnesiuminfusionen an. ! Wenn die geburtshilfliche Anamnese durch einen Uterus myomatosus belastet ist, muss die Schwangerschaft intensiv überwacht werden. Vor allem in der ersten Schwangerschaftshälfte kann es zu einem beträchtlichen Wachstum der Myome kommen, das im weiteren Schwangerschaftsverlauf verlangsamt ist oder sogar sistiert.
539 24.5 · Entbindung des kleinen Frühgeborenen
Wegen des günstigen Ansprechens der Symptomatik der Myome in der Schwangerschaft auf Magnesium sollte bei Kontraktionsbereitschaft in dieser Situation dem hoch dosierten Magnesium gegenüber anderen Tokolytika der Vorzug gegeben werden. Komplikationen während der laufenden Schwangerschaft, Probleme bei folgenden Schwangerschaften und die Möglichkeit der Operation im Intervall müssen sorgfältig besprochen werden. Eine Indikation zu einer Intervention wegen eines Myoms stellt sich während der Schwangerschaft nur sehr selten. Eine Myomektomie während einer Sectio ist mit erheblicher Morbidität v. a. infolge starker Blutung verbunden und sollte daher nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden.
24.5
Entbindung des kleinen Frühgeborenen
Das Ergebnis von intensiven Anstrengungen um die Prävention der Frühgeburt ist leider enttäuschend, vielmehr sprechen die Zahlen der meisten Statistiken für eine kontinuierliche Zunahme. Die zur Frühgeburtlichkeit führende Pathologie ist nur bedingt medizinisch beeinflussbar. Im Gegensatz dazu können antepartale, intrapartale sowie neonatale medizinische Entscheidungen und Maßnahmen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft nehmen und damit bestimmend für das spätere Schicksal des Kindes sein. Morbidität und Mortalität der kleinen Frühgeburt hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab. Dabei ist die für die Prognose dominierende Größe das Gestationsalter bzw. der Reifezustand der verschiedenen Organe. Hier wiederum kommt der Lunge eine zentrale Bedeutung zu. Einzelheiten der Geburtsleitung bei kleinen Frühgeborenen wurden in verschiedenen Übersichten ausführlich dargestellt (Schneider 2000).
24.5.1
Induktion der Lungenreife mit Glukokortikoiden
Vorgeburtliche Entwicklung der Lunge Die Kenntnis der wichtigsten Stationen der Entwicklung der Lunge während der embryonalen und der fetalen Phase, die sich in 5 v. a. morphologisch definierte Abschnitte unterteilt, sind Voraussetzung für das Verständnis der pharmakologischen Beeinflussung der Reifung des Organs (DiFiori u. Wilson 1994). Am Anfang steht die Embryonalphase, die im Alter von ca. 3 Wochen post conceptionem beginnt und durch die Entwicklung der 1. Generation subsegmentaler Bronchien charakterisiert ist. Es folgt die pseudoglanduläre Phase mit der Ausbildung der übrigen nicht respiratorischen Anteile des Bronchialbaumes einschließlich der terminalen Bronchiolen. Die Auskleidung der ersten respiratorischen Elemente mit Epithelzellen, den Typ-I- und -II-Pneumozyten, kennzeichnet die kanalikuläre Phase. Im Bereich der Typ-I-Pneumozyten findet der eigentliche Gasaustausch statt, während in den TypII-Pneumozyten die so genannten Surfactants, ein Gemisch aus Phosopholipiden, Proteinen und Kohlehydraten, synthe-
tisiert werden. Die in Lamellarkörperchen intrazellulär gespeicherten Surfactants haben nach ihrer Freisetzung die Funktion, die in der Exspiration steigende Oberflächenspannung an der Grenzfläche zwischen der Luft und dem die Epithelien bedeckenden Flüssigkeitsfilm zu reduzieren und damit den Kollaps der Alveolen mit der Entwicklung von Atelektasen zu verhindern. In der sakkulären Phase kommt es zur Vaskularisierung v. a. der für den Gasaustausch vorgesehenen Bereiche der terminalen Sacculi mit Abflachung und Differenzierung der Epithelzellen und der Ausdünnung der Septen. Bis zum Geburtstermin haben sich ca. 20 Mio. terminale Sacculi gebildet, die in der nach der Geburt beginnenden abschließenden alveolären Phase zu Alveolen heranreifen. Durch eine antenatale Verabreichung von Glukokortikoiden an die Schwangere wird eine Beschleunigung der strukturellen wie auch der biochemischen Reifung bewirkt (Ballard et al. 1995). Freies Glukokortikoid dringt in die Typ-II-Pneumozyten ein und bindet sich an einen speziellen Rezeptor. Der SteroidRezeptor-Komplex löst über die Interaktion mit dem »glucocorticoid response element« auf dem Gen Transkription und Translation aus. Die Messenger-RNA induziert die Synthese von spezifischen Enzymen, die wiederum die Produktion von Phospholipiden in Gang setzt.
Atemnotsyndrom Atemnotsyndrom Das Atemnotsyndrom (»respiratory distress syndrome«; RDS) ist eine durch mangelnde Reife der Lunge bedingte Erkrankung des Frühgeborenen.
Die Inzidenz des RDS liegt bei etwa 1% bezogen auf alle Geburten. Abhängig vom Gestationsalter bestehen deutliche Unterschiede. Nach Angaben der Oxford-Vermont-Studie (Lucey et al. 1991) beträgt sie unter der 26+0. SSW über 80% und um die 28–30. SSW immer noch etwa 60%. Oberhalb von 34+0 SSW ist das Auftreten eines RDS sehr viel seltener, aber immer noch deutlich häufiger als bei Geburten am Termin (Lewis et al. 1996). Das RDS ist nach wie vor die Hauptursache neonataler Sterblichkeit bei sehr unreifen Frühgeborenen. Die Letalität liegt bei etwa 20%. Als typische Begleit- bzw. Folgeerkrankungen des RDS, die auch für die hohe Letalität verantwortlich sind, müssen angesehen werden: 4 intraventrikuläre Blutungen (»intraventricular harmorrhage«, IVH), 4 persistierender Ductus arterious (PDA), 4 Pneumothorax, 4 nekrotisierende Enterokolitis (NEC), 4 bronchopulmonale Dysplasie (BPD). Die typischen klinischen Zeichen wie Tachypnoe, Nasenflügeln, sternale und interkostale Einziehungen, exspiratorisches Stöhnen und Zyanose treten i. d. R. unmittelbar im Anschluss an die Geburt auf. Neben Blutgasveränderungen wie Hypoxämie und Hyperkapnie sind Atelektasen sowie eine verstärkte Zeichnung der Luftwege in der Thoraxaufnahme typische ra-
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
diologische Merkmale. Differenzialdiagnostisch müssen eine »wet lung« insbesondere bei einem elektiven Kaiserschnitt und ein Pneumothorax in Betracht gezogen werden. Nicht zuletzt wegen der genannten Begleiterkrankungen kommt dem RDS für die Morbidität und die Mortalität des Frühgeborenen eine vorrangige Bedeutung zu. Mit der antenatalen Verabreichung von Glukokortikoiden an die Schwangere (Einzelheiten s. unten) bei drohender oder geplanter Frühgeburt kann das Risiko eines RDS deutlich reduziert werden. Da aber andererseits die Gabe von Glukokortikoiden auch nicht ohne Nebenwirkungen v. a. beim Fetus ist, sollte die Indikation für diese Behandlung nur bei einem deutlichen Risiko für ein RDS gestellt werden. Dies ist v. a. durch das Gestationsalter bei der Entbindung gegeben. In Einzelfällen kann auch die Bestimmung der Lungenreife durch Untersuchung des Fruchtwassers für das Geburtsmanagement, insbesondere die Wahl des Zeitpunktes, hilfreich sein.
Vorgeburtliche Diagnostik der Lungenreife Durch Atembewegungen des Fetus gelangt Alveolarsekret in das Fruchtwasser, und eine Bestimmung der Lungenreife kann mit verschiedenen diagnostischen Tests unter Verwendung von Fruchtwasserproben durchgeführt werden. Der klassische Test basiert auf der dünnschichtchromatographischen Bestimmung der Lezithin-Sphingomyelin-Ratio (Gluck et al. 1971). Auch andere Phospholipide wie Phosphatidylglyzerol wurden für die Diagnostik der Lungenreife an Fruchtwasserproben eingesetzt (Hallman et al. 1977). Während der Nachweis der Lungenreifung mit diesen Untersuchungen durchaus zuverlässig ist, ist der Nachweis des Fehlens der Lungenreife und eines erhöhten Risikos für ein RDS sehr viel weniger verlässlich (Lorenz et al. 1990). Erkrankungen in der Schwangerschaft wie ein Diabetes mellitus können den Reifungsprozess beeinflussen, und eine Kontamination des Fruchtwassers mit Mekonium oder Blut kann die Messwerte verfälschen (Barkai et al. 1986; Dalence et al. 1995). Vor 30+0 SSW, d. h. in einem Gestationsaltersbereich, in dem das RDS besonders häufig ist, ist die Aussagekraft der Lungenreifediagnostik unzuverlässig (Ragosch 1997). Der klinische Wert beschränkt sich v. a. auf die Zeit zwischen 30 und 34 SSW, da jenseits von 34 SSW das RDS eher selten ist und sich vorwiegend als leichte Verlaufsform manifestiert (Lewis et al. 1996). Bei intakter Fruchtblase erfordert die Gewinnung von Fruchtwasser eine Amniozentese, die als invasiver Eingriff mit einem gewissen Risiko für den Fetus verbunden ist. Angesichts der verschiedenen Einschränkungen der Aussagekraft der Diagnostik bedarf es dazu einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung. Bei vorzeitigem Blasensprung ist die Gewinnung sehr viel einfacher und weniger invasiv, und mit dem bei nachgewiesener Lungenreife gebotenen Verzicht auf die Glukokortikoidgabe kann auch die Erhöhung des Infektrisikos umgangen werden (Crowley 1995). Gesamthaft hat die vorgeburtliche Diagnostik der Lungenreife, v. a. wenn für die Gewinnung von Fruchtwasser eine Amniozentese erforderlich ist, an Bedeutung verloren. Bereits 1995 ergab eine Umfrage im deutschsprachigen Raum, dass
die vorgeburtlich vorgenommene Lungenreifediagnostik nur noch in weniger als 15% der befragten Kliniken praktiziert wurde (Ragosch et al. 1995).
Klinische Aspekte der vorgeburtlichen Verwendung von Glukokortikoiden für die Beschleunigung der Lungenreifung Die erste Beschreibung einer durch die Verabreichung von Glukokortikoiden an Frauen mit drohender Frühgeburt bewirkten Reduktion des Risikos eines RDS und der dadurch bedingten Mortalität bei den Neugeborenen geht auf Liggins u. Howie zurück (1972). Es folgten zahlreiche prospektiv randomisierte Studien, die diesen Effekt von antenatal verabreichten Glukokortikoiden bestätigten und in der Metaanalyse von Roberts u. Dalziel (2006) zusammenfassend ausgewertet wurden. Die generelle Erniedrigung der RDS-Frequenz nach Frühgeburten vor 34 SSW durch eine antenatale Glukokortikoidgabe beträgt 50% und ist unabhängig von Geschlecht oder Rasse. Die trotz Prophylaxe auftretenden RDS-Erkrankungen sind i. d. R. weniger schwer. Bei der Behandlung kam eine postnatale Verwendung von Surfactants weniger häufig zur Anwendung, und die mechanische Beatmung erforderte niedrigere Sauerstoffkonzentrationen und war von kürzerer Dauer (NIH Consensus Development Conference 1994). Auch andere durch Frühgeburt bedingte Komplikationen wie intraventrikuläre Hirnblutungen und nekrotisierende Enterokolitis wurden weniger häufig beschrieben. Die bereits genannte Metaanalyse von Roberts u. Dalziel (2006) hat gezeigt, dass bei Verabreichung der Glukokortikoide zwischen 26+0 und 34+6 SSW die Inzidenz von RDS, intraventrikulärer Hirnblutung (IVH) und neonataler Mortalität signifikant erniedrigt war, nicht aber bei Gabe vor 26+0 SSW. Vor 24 SSW ist die Entwicklung der fetalen Lunge noch nicht genügend weit fortgeschritten, um eine Stimulation der funktionellen Reifung sinnvoll erscheinen zu lassen. Bei Verabreichung einer vollen Glukokortikoiddosis bei 23 SSW starben zwar weniger Neugeborene als in dem unbehandelten Vergleichskollektiv. Aber es bestand kein Unterschied in der Häufigkeit von nekrotisierender Enterokolitis und schweren intraventrikulären Blutungen (Hayes et al. 2008). Wenn Eltern sich bei einer Geburt vor 24 SSW für eine aktive neonatologische Behandlung entscheiden, dann ist die Gabe von Glukokortikoiden vertretbar. Die Eltern sollten darüber aufgeklärt werden, dass dadurch die Überlebenschancen möglicherweise verbessert werden, aber damit eine Zunahme von Überleben mit schweren Behinderungen verbunden ist. Falls die Geburt nicht erfolgt, sollte eine Wiederholung der Glukokortikoidprophylaxe diskutiert werden. Die allgemeine Empfehlung für eine antenatale Gabe von Glukokortikoiden beschränkt sich auf das Gestationsalter von 24–34 SSW. Zwischen 24 und 28 SSW konnte das Auftreten des RDS zwar nicht verhindert werden, aber mit einer Senkung der Mortalität und der Anzahl von intraventrikulären Hirnblutungen konnte ein günstiger Effekt auf die Schwere der Erkrankung erzielt werden (Ballard u. Ballard 1995). Zwischen 29 und 34 SSW wird dagegen die Häufigkeit der Krankheit gesenkt und auch die Schwere des Verlaufes positiv beein-
541 24.5 · Entbindung des kleinen Frühgeborenen
flusst. Jenseits von 34 SSW ist das Risiko eines RDS stark erniedrigt. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung ergibt, dass der Einsatz von Steroiden jenseits von 34 SSW nicht gerechtfertigt ist. Die bereits erwähnte NIH Consensus Development Conference aus dem Jahr 1994 empfiehlt allerdings die Gabe auch in diesem Bereich, wenn ausreichend Evidenz für eine Lungenunreife gegeben ist. Die präventive Wirkung von Glukokortikoiden gegenüber respiratorischer Morbidität der Frühgeborenen ist bei Mehrlingsschwangerschaften bislang nicht eindeutig belegt.
Studienbox In der sog. ASTECS- Studie (Antenatal Steroids for Term Caesarean Section) wurden 998 Schwangere mit geplanter Sectio nach 37 SSW randomisiert und erhielten entweder 2 Injektionen Betamethason oder Placebo jeweils 48 bzw. 24 h vor dem Eingriff. In der behandelten Gruppe trat signifikant weniger häufig ein RDS auf (2,4% gegenüber 5,1%; RR 0,46, 95%-CI 0,23–0,93; Stutchfield et al. 2005). Allerdings liegen keine Daten für neurologische Langzeitverlaufsstudien vor. In Tierversuchen wurde nach antenataler Glukokortikoidgabe bei den Feten eine erhöhte Rate von Zelltod in Regionen des Gehirns mit hoher Mitoserate gezeigt (Whitelaw u. Thoresen 2000). In Terminnähe weist die Entwicklung des Gehirns beim Menschen einen besonderen Wachstumsschub auf, und es ist vorstellbar, dass das Gehirn zu diesem Zeitpunkt gegenüber der antimitotischen Wirkung von Glukokortikoiden besonders anfällig ist. Auch in dieser Gruppe ist die Nutzen-Risiko-Abwägung für oder gegen die Gabe von Glukokortikoiden schwierig, und es fehlen Daten für eine klare klinische Empfehlung.
Zeitpunkt der Verabreichung und Dosierung. Für die ante-
natale Steroidgabe haben sich 2 Schemata bewährt: 4 Betamethason, 2-al 12 mg i.m. mit 24-h-Intervall, 4 Dexamethason, 4-al 6 mg i.m. mit 12-h-Intervallen. Obwohl kein direkter Vergleich der beiden Schemata vorgenommen wurde, ergaben verschiedene Studien, dass Betamethason gegenüber Kontrollgruppen ohne Prophylaxe in der Reduktion verschiedener ungünstiger Outcome-Variablen effizienter als Dexamethason war (Jobe u. Soll 2004; Lee et al. 2006). Die bislang einzige publizierte direkte Vergleichsstudie zwischen Betamethason und Dexamethason, der »Betacode Trial«, ergab keinen Unterschied in der Rate von RDS, NEC, Retinopathie, offenem Ductus arteriosus oder Sepsis beim Neugeborenen. Aber in der Betamethasonguppe traten intraventrikuläre Hirnblutungen signifikant häufiger auf (Elimian et al. 2007). Im Gegensatz zum »Betacode Trial« mit einer begrenzten Fallzahl fand sich in verschiedenen umfangreichen Kohorten- oder Fallkontrollstudien für Dexamethason im Vergleich mit Betamethason eine vermehrte neurotoxische Wirkung einschließlich schlechterem neurologischem Resultat bei Nachuntersuchungen (Lee et al. 2006; Spinillo et al. 2004; Haynes et al. 2001; Lee et al. 2008).
In einem kürzlich veröffentlichten systematischen Review der Cochrane Collaboration wurde jedoch gezeigt, dass sich die Rate der intraventrikulären Blutungen bei Verwendung von Dexamethason signifikant verringerte (Brownfood et al. 2008).Allerdings kann wegen der Widersprüchlichkeit der Datenlage eine verbindliche Empfehlung für oder gegen die Verwendung eines der beiden Steroide zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben werden. Auch bei scheinbar unmittelbar bevorstehender Geburt sollte die antenatale Glukokortikoidgabe großzügig eingesetzt werden. In-vitro-Tierversuche an Kulturen von fetalem Lungengewebe haben gezeigt, dass bereits wenige Stunden nach der Verabreichung von Steroiden eine Wirkung zu verzeichnen ist (Gross et al. 1983; Ikegami et al. 1996). Auch klinische Beobachtungen ergaben, dass bei Frühgeburten, deren Mütter nur eine Injektion vor der Geburt erhalten hatten, weniger RDS-assoziierte Morbidität sowie Mortalität auftrat, als wenn keine Steroide gegeben worden waren (Elimiam et al. 2003). Verträglichkeit. Nach einmaliger Gabe der Prophylaxe konnten keine negativen Auswirkungen beim Neugeborenen wie Sepsis, eine klinisch relevante Nebennierensuppression, Wachstumsbeeinträchtigung oder neurologische Auffälligkeiten nachgewiesen werden (NIH Consensus Development Conference 1994; Roberts et al. 2006). Beim Fetus wurde nach der Gabe von Steroiden eine Einschränkung der Variabilität der Herzfrequenz (Mulder et al. 1997; Subtil et al. 2003) sowie eine Abnahme der Atem- und auch der Körperbewegungen beschrieben (Kelly et al. 2000; Rotmensch et al. 1999). Entsprechende Auswirkungen auf das biophysikalische Profil wurden ebenfalls berichtet (Wijnberger et al. 2004). Die Veränderungen sind am Tag 2 und 3 nach Verabreichung am ausgeprägtesten und kehren zwischen Tag 4 und 7 wieder zu den Ausgangswerten zurück. Eine Untersuchung beim Menschen ergab keine Reduktion in der mütterlichen Wahrnehmung von Kindsbewegungen als Folge einer antenatalen Gabe von Glukokortikoiden (Lee et al. 2006). Menschliche Feten mit schwerer früher IUWR und Beeinträchtigung oder Fehlen des enddiastolischen Flusses in der Umbilikalarterie zeigen eine uneinheitliche Reaktion des Herz-Kreislauf-Systems auf Glukokortikoidgabe. Eine Verbesserung der Strömungsverhältnisse unter Gukokortikoiden scheint ein prognostisch günstiges Zeichen zu sein (Simchen et al. 2004). Der Einfluss von Gukokortikoiden auf das Verhalten des Fetus muss bei engmaschiger Überwachung und der Entscheidung über den optimalen Zeitpunkt für die Entbindung mitberücksichtigt werden. In Langzeitnachuntersuchungen konnte nach einmaliger Prophylaxe keine bleibende Beeinträchtigung des Wachstums, der Lungenfuktion oder der kognitiven, psychosexuellen oder neurologischen Entwicklung gezeigt werden (Smolders-de Haas 1990; Dessens et al. 2000). Auch die Verträglichkeit für die Schwangere ist gut. So fand sich kein erhöhtes Risiko für Chorioamnionitis, Puerperalsepsis oder mütterliche Mortalität (Roberts u. Daltiel 2006).
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
Über das Auftreten von Lungenödem wird v. a. beim Einsatz von Glukokortikoiden in Kombination mit Tokolytika wie β-Mimetika sowie bei Chorioamnionitis, Mehrlingsschwangerschaften und Flüssigkeitsüberladung berichtet (Ogunyemi 2007). Eine transiente Hyperglykämie, die etwa 12 h nach der ersten Dosis auftritt und über ca. 5 Tage andauert, kann insbesondere bei Diabetes mellitus Probleme bereiten, die eine engmaschige Kontrolle der Blutzuckerspiegel sowie eine Anpassung der Insulingabe erforderlich machen (Fisher et al. 1997). Es gibt keine Daten, die zeigen, dass durch eine Erhöhung der Dosierung, eine Verkürzung der Intervalle der Verabreichung oder eine intravenöse Gabe der Wirkungseintritt beschleunigt werden kann. Auch die orale Gabe von Dexamethason hat sich nicht bewährt (Egerman et al. 1998). Kontroverse um eine wiederholte vorgeburtliche Gabe von Glukokortikoiden. In der ursprünglichen Studie von Liggins
u. Howie (1997) bestand bei Frühgeburten, die länger als 7 Tage nach der Steroidgabe stattgefunden hatten, kein Unterschied mehr in der Häufigkeit des RDS zwischen der behandelten und der Placebo-Gruppe. Daraus resultierte die Empfehlung für eine Wiederholung des Protokolls für die Prophylaxe 1 Woche nach der letzten Dosis, falls die Geburt bis dahin nicht erfolgt war.
Studienbox Eine erste große randomisierte Vergleichsstudie zwischen einmaliger Gabe der Glukokortikoide in der beschriebenen Weise und wöchentlicher Wiederholung ergab keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtmorbidität in der Neonatalphase (Guinn et al. 2001). Allerdings wurde in der Gruppe mit wiederholter Gabe eine Reduktion der Anzahl schwerer Fälle von RDS bei Geburt festgestellt, v. a. wenn diese Gaben vor 28 SSW stattfanden. Dies blieb jedoch ohne Auswirkung auf die Mortalität, die Häufigkeit von bronchopulmonaler Dysplasie oder die Hospitalisationsdauer. Es folgten 2 weitere randomisierte Multicenterstudien: die Studie des Maternal Fetal Medicin Units Network (MFMU; Wapner et al. 2006) und der Australasian Collaborative Trial of Repeat doses of prenatal Steroids (ACTORDS; Crowther et al. 2006). Zusammen mit 2 randomisierten, aber deutlich kleineren Studien wurde eine metaanalytische Gesamtauswertung vorgenommen (Crowther u. Harding 2007). Diese bestätigte im Wesentlichen die Ergebnisse der Studie von Guinn et al. (2001). Die Auswirkung auf das Geburtsgewicht sowie den Kopfumfang waren uneinheitlich. In 2 der 3 großen Multicenterstudien waren Geburtsgewicht sowie Kopfumfang in der Gruppe mit wiederholter Gabe geringer als bei der Einmalgabe. In der bisher größten randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie zum Vergleich einer Einmalapplikation von Glukokortikoiden vs. mehrerer Applikationen fand sich bei wiederholter Gabe kein Unterschied in Mortalität
6
oder Morbidität der Kinder, während der negative Einfluss auf das Wachstum bestätigt wurde (Murphy et al. 2008). Die Autoren raten daher von wiederholten Gaben ab.
Auch die Nachuntersuchungsstudien ergaben unterschiedliche Resultate. Bei frühen Frühgeburten mit mehrfach wiederholter Steroidprophylaxe fanden sich Hinweise auf mögliche nachteilige Auswirkungen der Mehrfachgabe auf die Langzeitentwicklung (French et al. 2004; Esplin et al. 2000). Die Nachuntersuchung im Alter von 2–3 Jahren bei der MFMU-Network-Studie und dem ACTORDS-Trial ergab keine Unterschiede in den Körpermaßen, der neurologischen Entwicklung und der Zahl der Überlebenden ohne größere Behinderungen (Wapner et al. 2007; Crowther et al. 2007). Tipp Trotz der umfangreichen in der Zwischenzeit vorliegenden Studien zu der Frage, ob die einmalige Glukokortikoidgabe oder die Wiederholung 7 Tage nach der Erstapplikation vorzuziehen ist, kann nach wie vor keine klare Empfehlung abgegeben werden. Die Schlussfolgerung der im Jahr 2000 vom NIH abgehaltenen Konsensuskonferenz zu dieser Fragestellung, dass auf die Wiederholungsgabe außerhalb von prospektiv randomisierten Studien verzichtet werden sollte, bleibt weiterhin gültig (NIH Consensus Statement 2000).
Vorgeburtliche Glukokortikoidgabe bei frühem vorzeitigen Blasensprung. Wegen eines erhöhten Infektionsrisikos bei
konservativer Behandlung eines frühen vorzeitigen Blasensprungs wurden Bedenken gegen eine Verabreichung von Glukokortikoiden als RDS-Prophylaxe wegen des bekannten immunsuppressiven Effektes geäußert. Bereits 1994 kam eine NIH-Konsensuskonferenz zu dem Schluss, dass der Nutzen einer vorgeburtlichen Prophylaxe mit Glukokortikoiden mögliche Risiken klar überwiegt. Die Empfehlung lautete, bei vorzeitigem Blasensprung vor 30–32 SSW die vorgeburtliche Glukokortikoidgabe durchzuführen, vorausgesetzt, dass keine klinischen Zeichen für eine Chorioamnionitis vorliegen (NIH Consensus Development Conference 1994). Mit der Abnahme des RDS-Risikos mit zunehmendem Gestationsalter verschiebt sich das Risiko-Nutzen-Gleichgewicht, und jenseits von 32 SSW ist bei frühem vorzeitigem Blasensprung Zurückhaltung angezeigt. Die in einer Metaanalyse von 15 Studien später publizierten eindeutigen Ergebnisse bestätigen frühere Befunde, dass die Anzahl neonataler Todesfälle sowie schwerer Morbidität des Neugeborenen durch RDS, IVH, NEC und Dauer der maschinellen Beatmung durch antenatale Glukokortikoidgabe auch bei frühem vorzeitigem Blasensprung deutlich reduziert wird ohne Zunahme von mütterlichen oder Neugeboreneninfektion (Harding et al. 2001). Für die Wiederholung der Prophylaxe scheint die Situation allerdings sehr viel eindeutiger als bei intakter Fruchtblase zu sein. Die schädlichen Aus-
543 24.5 · Entbindung des kleinen Frühgeborenen
wirkungen überwiegen den eventuellen Nutzen klar (Lee et al. 2004).
Zusammenfassende Empfehlungen zum Einsatz von Glukokortikoiden zur Lungenreifeinduktion 4 Der vorgeburtliche Einsatz von Glukokortikoiden bei drohender Frühgeburt bewirkt unabhängig von Geschlecht und Rasse eine 50%ige Reduktion der Häufigkeit von RDS, intraventrikulärer Hirnblutung und Mortalität. 4 Alle Schwangeren mit hohem Risiko für eine Frühgeburt im Bereich von 24–34 SSW und intakter Fruchtblase sollen eine Glukokortikoidprophylaxe erhalten. Die Behandlung von vorzeitigen Wehen mit Tokolytika muss durch die Verabreichung von Steroiden ergänzt werden. Eine vorzeitige Entbindung in dem genannten Bereich wegen mütterlicher oder fetaler Pathologie setzt die Vorbehandlung mit Steroiden voraus. 4 Die Dosierung umfasst 2 intramuskuläre Injektionen von je 12 mg Betamethason im Abstand von 24 h. Alternativ können auch 4 intramuskuläre Injektionen von je 6 mg Dexamethason im Abstand von je 12 h gegeben werden (ACOG Committee Opinion 2002). Betamethason scheint gegenüber Dexamethason gewisse Vorzüge zu bieten (Jobe u. Soll 2004). 4 Die Kontroverse um Nutzen und Risiko der Wiederholung der Prophylaxe, wenn nach 7 Tagen die Geburt nicht erfolgt ist, ist bislang nicht gelöst. Eine generelle wöchentliche Wiederholung wird nicht empfohlen und sollte nur im Rahmen von prospektiv randomisierten Studien eingesetzt werden (ACOG Committee Opinion 2002; NIH Consensus Statement 2000). 4 Bei frühem vorzeitigem Blasensprung wird die vorgeburtliche Gabe von Glukokortikoiden in der genannten Dosierung zwischen 24 und 32 SSW ebenfalls empfohlen, vorausgesetzt, es liegen keine klinischen Zeichen einer Chorioamnionitis vor (ACOG Committee Opinion 2002). 4 Nach 34 SSW sollte die Glukokortikoidprophylaxe nicht mehr gegeben werden, da die Daten für eine schlüssige Nutzen-Risiko-Abwägung in diesem Bereich fehlen.
Der Einsatz anderer Medikamente als Prophylaxe gegenüber RDS bei drohender Frühgeburt wie Schilddrüsenhormone bzw. plazentagängiges »thyreotropin releasing hormone« (TRH) oder Ambroxol haben sich als Alternativen zu Steroiden nicht bewährt und sollten daher nicht mehr verwendet werden (Crowther et al. 1999).
24.5.2
Bedeutung des Entbindungsmodus für die Entstehung von Hirnschäden
Bei der Diskussion um den Geburtsmodus stellt sich v. a. die Frage, inwieweit die elektive Kaiserschnittentbindung aller
Frühgeburten gegenüber der vaginalen Entbindung mit dem selektiv indizierten Kaiserschnitt Vorteile für das Überleben sowie die Gesundheit des Frühgeborenen bietet. Angesichts der Vielzahl von Einflussfaktoren auf die perinatale Mortalität und Morbidität ist eine isolierte Betrachtung des Geburtsmodus problematisch, und in der einschlägigen Literatur finden sich widersprüchliche Aussagen. Im Zusammenhang mit der Geburt wird bei kleinen Frühgeborenen v. a. das Risiko der Hirnblutung diskutiert. Vor 32 SSW sind Frühgeborene besonders gegenüber peri- und intraventrikulären Hirnblutungen, die im subependymalen Kapillarnetz der periventrikulären Keimzone entstehen, gefährdet. Für die Entwicklung von bleibenden Hirnschäden ist v. a. die Zerstörung der weißen Substanz durch hämorrhagische Infarzierung oder ischämische Gewebsnekrose mit anschließender Zystenbildung (zystische Leukomalazie) verantwortlich. Die Entstehung von Blutungen und Nekrosen in der weißen Substanz ist Folge von Schwankungen in der Durchblutung, die einerseits eine Ruptur der feinen Kapillaren und andererseits ischämische Nekrosen zur Folge haben können. Hirngewebsschäden infolge von Durchblutungsstörungen können antepartal, intrapartal oder postnatal auftreten, und es gibt eine Reihe verschiedener Pathologien, die mit der Entstehung dieser Schäden assoziiert werden. In diesem Zusammenhang sei auf die Entwicklung der bildgebenden Verfahren wie insbesondere die Magnetresonanztomographie (MRI) in der Pränataldiagnostik verwiesen. Diese scheint als wertvolle Ergänzung zum üblichen Ultraschall zu dienen, insbesondere bei komplexen Fragestellungen wie intrauterine Hirngewebeschäden und deren chronologische Abläufe. Hervorgehoben sei hier die Technik der Magnetresonanzspektroskopie (MRS), durch die pathophysiologische Veränderungen des Hirngewebes sichtbar gemacht werden können (Pugash et al. 2009; 7 Kap. 33). Pathologien, die mit der Entstehung von Hirnläsionen bei kleinen Frühgeborenen assoziiert sind 4 4 4 4 4 4
Chorioamnionitis/Sepsis Thromboembolien Gefäßanlagestörungen Hypoxie Nabelschnurkompression Mechanische Kopfkompression
Neben der Chorioamnionitis können eine perinatale Hypoxie bzw. Asphyxie (chronisch oder akut im Zusammenhang mit Nabelschnurkompression oder vorzeitiger Plazentalösung) sowie eine mechanische Kopfkompression als Risikofaktoren die Entstehung von Hirnschäden begünstigen (Perlmann et al. 1993). Für die Entdeckung der Hirnläsionen hat sich die Ultraschalluntersuchung des Schädels, die insbesondere bei kleinen Frühgeborenen möglichst rasch nach der Geburt durchgeführt werden sollte, besonders bewährt. Prognostisch werden unmittelbar postpartal diagnostizierte Läsionen, deren Entstehung häufig auf den antenatalen
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
oder intrapartalen Zeitabschnitt zurückgeht, als ungünstig beurteilt, im Vergleich zu Hirnblutungen, die erst nach den ersten Lebenstagen erkennbar werden und mit Komplikationen der Neonatalphase in Zusammenhang stehen. Zystische oder persistierende echogene Befunde im Bereich der periventrikulären weißen Substanz sind zum Zeitpunkt der Diagnose bereits mehrere Tage bis Wochen alt und führen in einem hohen Prozentsatz zu Spätschäden (Fawer u. Calame 1991).
Studienbox Die Bedeutung der Wehentätigkeit für die Entstehung von Hirnblutungen wird kontrovers diskutiert. Vergleichende Untersuchungen verschiedener Erfassungsperioden haben mit Hilfe von multivariablen Regressionsanalysen gezeigt, dass die deutlich verbesserten Überlebenschancen von kleinen Frühgeburten nicht mit dem Anstieg der Sectiorate, sondern vielmehr mit dem präpartalen Einsatz von Glukokortikoiden assoziiert sind (Kitchen et al. 1992).
Für die Entstehung von Hirnblutungen ist nicht so sehr die Frage der Kindesentwicklung entscheidend, sondern vielmehr die Ereignisse, die der eigentlichen Geburt vorausgehen, wie etwa Wehentätigkeit, pathologisches CTG etc. In einem Frühgeborenenkollektiv mit einem geschätzten Geburtsgewicht von 1.750 g fanden sich frühe Hirnblutungen in Abhängigkeit vom Geburtsgeschehen in abnehmender Häufigkeit bei: 4 vaginaler Geburt ohne Abkürzung der Austreibungsphase durch Forceps, 4 Sectio in der aktiven Eröffnungsphase, 4 vaginaler Geburt mit Erleichterung durch Ausgangsforzeps, 4 Sectio in der Latenzphase, d. h. vor Beginn der aktiven Wehentätigkeit (Leviton et al. 1988). Neben dem Geburtsgewicht und dem Gestationsalter hat besonders die notfallmäßige Kaiserschnittentbindung einen hohen prädiktiven Wert für die Entstehung von Hirnschäden (Perlman et al. 1993). Es ist nicht ganz klar, wie weit der günstige Einfluss einer primären Sectio vor Wehenbeginn tatsächlich durch das Fehlen der Wehentätigkeit sowie des Stresses des Geburtsgeschehens erklärt werden kann oder ob nicht vielmehr durch die Indikation für die primäre Kaiserschnittentbindung ein Selektionsbias gegeben ist. Bei frühzeitiger Schwangerschaftsbeendigung wegen Präeklampsie ist, verglichen mit Frühgeburten mit gleichem Gestationsalter und vorzeitigen Wehen oder vorzeitigem Blasensprung, das Risiko für Hirnblutungen deutlich reduziert (Kuban et al. 1992). Auf den auch hier wahrscheinlich zur Geltung kommenden protektiven Effekt der Magnesiumtherapie wurde bereits hingewiesen. Gut belegt ist mittlerweile die Empfehlung zum Kaiserschnitt bei Beckenendlage. In einer Schwedischen Studie, die in Gestationsaltern der 25.–36 Woche das kindliche Outcome
nach Kaiserschnitt und vaginaler Geburt verglich, waren die neonatalen Todesfälle in der Gruppe der Kaiserschnitte signifikant geringer, die Häufigkeit der Hirnblutungen unterschied sich jedoch nicht (Herbst u. Källén 2006). Eine saubere Trennung des Einflusses von vorbestehender Pathologie einerseits, Wehentätigkeit und intrapartalen Komplikationen sowie Entbindungsmodus andererseits auf die Entwicklung von Hirnschäden ist nicht möglich. Dem möglichen Nutzeffekt einer großzügigen Entbindung von Frühgeburten durch eine primäre Sectio müssen die Nachteile, wie insbesondere ein erhöhtes mütterliches Risiko in Form von Akutmorbidität sowie von Spätkomplikationen bei weiteren Schwangerschaften – v. a. Placenta praevia, Placenta accreta oder Uterusruptur – gegenübergestellt werden (Getahun et al. 2006). Hinzu kommt, dass durch die zumindest bei einem Teil der Frühgeburten als erstes Symptom auftretende vorzeitige Wehentätigkeit die Möglichkeit der primären Sectio am wehenfreien Uterus häufig nicht gegeben ist. Auch bei kleinen Frühgeburten nach vorzeitigem Blasensprung sind i. d. R. die Voraussetzungen für die primäre Sectio durch das konservative, d. h. abwartende Verhalten bis zum Einsetzen von Wehen oder Auftreten von Infektzeichen nicht gegeben.
Studienbox Auch die neueren Arbeiten können die Frage nach der Bedeutung des Entbindungsmodus, insbesondere des protektiven Effektes einer selektiven Sectio, gegenüber Hirnblutungen Grad III oder IV bei kleinen und extrem kleinen Frühgeborenen nicht beantworten. Es handelt sich ausschließlich um retrospektive Untersuchungen, die trotz intensiver Bemühungen um Erfassung und Korrektur zahlreicher anderer Risikofaktoren zu unterschiedlichen Resultaten gelangen, was den Einfluss des Geburtsmodus anbetrifft. So werden in einem Teil der Studien höhere Überlebensraten und weniger Hirnblutungen nach Entbindung durch Sectio beschrieben (Lee u. Gould 2006; Deulofeut et al. 2005; Vanhaesebrouck et al. 2004; Lucey et al. 2004; Shakaran et al. 2002). Die Frage, wie weit es sich dabei tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt oder ob die geburtshilfliche bzw. neonatologische Beurteilung der Überlebenschancen gerade bei den sehr frühen Entbindungen bewusst oder unbewusst die Entscheidung für oder gegen eine Sectio beeinflusst, muss offen bleiben. In anderen Studien konnte nach entsprechender Korrektur für andere mit dem Outcome assoziierte Variablen kein Unterschied für vaginal oder durch Sectio entbundene Kinder gefunden werden (Linder et al. 2003; Paul et al. 2002; Cibils et al. 1994). Auch für andere Faktoren wie etwa das Geschlecht ergeben sich widersprüchliche Resultate. So wirkt sich in einigen Untersuchungen das weibliche Geschlecht günstig auf das Outcome aus (Lucey et al. 2004; Serenius et al. 2004), während in anderen Studien dieser Effekt nicht gefunden wurde (Vanhaesebrouck et al. 2004).
6
545 24.5 · Entbindung des kleinen Frühgeborenen
Verschiedene Ansätze, durch prospektiv randomisierte Untersuchungen eine definitive Antwort auf die Frage zu finden, in welchen Situationen die frühzeitige Sectio gegenüber der vaginalen Geburt Vorteile bietet, haben zu keinem befriedigenden Abschluss geführt. Dies überrascht in Anbetracht der Vielzahl der Einflussfaktoren nicht (Grant 2001).
Die Dringlichkeit einer prospektiv randomisierten Studie zur Klärung der Frage des Entbindungsmodus für das Outcome ist offensichtlich. Gleichzeitig wird die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Anlauf zur Realisierung einer derartigen Studie als sehr gering beurteilt (Nassar et al. 2005). Tipp Die Gabe von Glukokortikoiden bleibt bis auf Weiteres die einzige Maßnahme im vorgeburtlichen und intrapartalen Management der sehr kleinen Frühgeburt, für die in allen Studien übereinstimmend ein günstiger Effekt auf das Outcome im Sinne einer Senkung der Mortalität und einer Risikoreduktion für Atemnotsyndrom und Hirnblutungen beschrieben wird.
Eine weitere Möglichkeit der Evaluierung des Einflusses des Entbindungsmodus auf die kindliche Morbidität liegt im Vergleich des kindlichen Outcomes zwischen Regionen mit verschiedenen Geburtspraktiken. Ein solcher Vergleich erfolgte im Rahmen des Europäischen MOSAIC-Projekts (»Model of Organising Access to Intensive Care for very Preterm Babies in Europe«). (Kollé et al. 2009). In dieser Studie wurde der Einfluss von Lungenreifung, Antenataltransport und Kaiserschnittrate in sehr frühen Gestationsaltern auf die kindliche Mortalität und Morbidität untersucht. Die Durchführung einer Sectio erbrachte im Gegensatz zur Lungenreifung und zum Antenataltransport bei Gestationsaltern zwischen 22 und 26. Woche keine Reduktion der Mortalitätsrate. Hirnblutung (IVH/PVL) und bronchopulmonale Dysplasie (BPD) wurde in den Wochen 24–25 untersucht, und es konnte kein signifikanter Einfluss der beschriebenen Interventionen auf die Rate an Hirnblutungen gefunden werden, während die Rate an BPD mit zunehmender Frequenz an Interventionen deutlich zunahm.
24.5.3
Praktische Empfehlungen
Generell ergeben sich, basierend auf dem heutigen Kenntnisstand, für den klinischen Alltag folgende Empfehlungen: 4 Hypoxie sowie die aszendierende Infektion des Fetus sollten als Risikofaktoren für die Entstehung von Hirnblutungen und zerebralen Gewebsläsionen nach Möglichkeit vermieden werden. 4 Bei spontaner, nicht aufzuhaltender Wehentätigkeit und Kopflage ist die schonende vaginale Geburt in Sectiobereitschaft die Methode der Wahl.
4 Bei Beckenendlage wird unabhängig von der Wehentätigkeit die prophylaktische Sectio empfohlen. 4 Bei geplanter Frühgeburt aus mütterlicher oder fetaler Indikation und einem wehenfreien Uterus wird bei unreifer Zervix die primäre Sectio durchgeführt. Diese Empfehlungen betreffen insbesondere Frühgeburten vor 32 SSW. Bei älteren Frühgeburten ist ein individualisiertes Vorgehen angezeigt. Einschränkend zu diesen Empfehlungen ist zu sagen, dass sie sich weitgehend auf pathophysiologische Überlegungen sowie retrospektive Studien mit Berücksichtigung verschiedener Faktoren abstützen. Prospektiv randomisierte Untersuchungen liegen nicht vor. Insbesondere bei Fuß- oder SteißFuß-Lage scheint das Risiko der vaginalen Geburt in Form von Nabelschnurvorfall oder der Einklemmung des nachkommenden Köpfchens bei unvollständig erweitertem Muttermund deutlich erhöht zu sein. Die vaginale Geburt sollte möglichst schonend erfolgen, und die mechanische Belastung durch Kopfkompression und Hypoxie sollten vermieden oder auf ein Minimum reduziert werden. Zur Schonung des Köpfchens sollte die stehende Fruchtblase möglichst lange erhalten bleiben; bei protrahierten Geburtsverläufen in der Eröffnungs- oder Austreibungsphase sowie bei ersten Anzeichen von pathologischen CTGVeränderungen sollte die Schnittentbindung durchgeführt werden. Auch bei Zwillingen ist bei kleinen Frühgeborenen, d. h. vor 32 SSW, die großzügige Indikation der Sectio angezeigt. Eine Beckenendlage von Zwilling A wird allgemein als Kontraindikation für eine vaginale Entbindung angesehen, während bei Kopflage beider Zwillinge sowie Beckenendlage von Zwilling B der Geburtsmodus individuell – unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie zusätzliche Pathologie der Feten, Parität der Mutter, geburtshilfliche Anamnese, Erfahrung des Geburtshelfers, Einstellung der Eltern etc. – entschieden wird. Die Periduralanästhesie bewährt sich nicht nur als Analgesie, sondern auch zur Relaxierung der Beckenbodenmuskulatur. Bei rasch fortschreitendem Geburtsgeschehen ist ein frühzeitig gesetzter Pudendusblock eine gute Alternative. Auch die Episiotomie trägt zur Entlastung des Beckenbodens bei, und die Anzahl der Hirnblutungen scheint bei vaginaler Entbindung mit Episiotomie kleiner als bei Geburten ohne Dammschnitt zu sein. Der Beckenausgangsforzeps ist im Sinne der Abkürzung der Austreibungsphase eine wirksame Schutzmaßnahme. Auch hier muss einschränkend gesagt werden, dass der Beleg für den Nutzen durch prospektiv randomisierte Studien auch für diese Empfehlungen fehlt.
24.5.4
Besonderheiten der Schnittentbindung kleiner Frühgeborener
Die Schnittentbindung kann bei kleinen Frühgeborenen wegen der ungenügenden Entwicklung des unteren Uterinsegments erhebliche Probleme bieten. Der als Alternative zum isthmischen Querschnitt empfohlene Längsschnitt ist aller-
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546
Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
dings mit Komplikationen bei der Akutheilung und einem erhöhten Rupturrisiko bei späteren Schwangerschaften verbunden und wird kaum noch empfohlen (Hirsch 1990).
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Tipp Wenn immer möglich, sollte bei der Uterotomie die Eröffnung der Fruchtblase bis nach der Erweiterung der Uterotomie vermieden werden, um der Kontraktion des Fundus mit möglicher Einklemmung des Köpfchens, insbesondere bei Beckenend- oder Querlage, vorzubeugen. Daneben ist die medikamentöse Relaxierung des Myometriums durch Gabe von 50–100 μg Nitroglyzerin i.v. unmittelbar vor Legen der Uterotomie hilfreich. Nitroglyzerin hat gegenüber β-Mimetika den Vorteil des rascheren Wirkungseintritts sowie einer deutlich kürzeren Halbwertszeit von 2 min, sodass die Gefahr der atonischen Nachblutung minimal ist (Altabef et al. 1992).
> Pränatale Maßnahmen, wie die rechtzeitige antepartale Verabreichung von Glukokortikoiden, die Verlegung in ein perinatalmedizinisches Zentrum mit kompetenter interdisziplinärer Betreuung sowie die Wahl des optimalen Zeitpunktes für die Geburt sind generell für das Schicksal des Kindes von größerer Bedeutung als die Frage des Entbindungsmodus.
24.5.5
Beratung der Eltern
Im Grenzbereich der Lebensfähigkeit muss neben den Überlebenschancen auch der Qualität des Überlebens besondere Beachtung geschenkt werden. Im Bereich von 23–25 SSW zeigt die Kurve der Überlebensrate in Abhängigkeit vom Gestationsalter einen steilen Verlauf, und Unterschiede von wenigen Tagen können gleichbedeutend mit einer dramatischen Veränderung der Überlebenschancen sein.
Studienbox Gemäß den Daten der EPICure-Studie steigt die Überlebensrate zwischen 24 und 25 Wochen von 26 auf 44%, während der Anteil der Überlebenden mit Behinderungen mit 50% unverändert hoch bleibt (Wood et al. 2000). Eine Übersicht der in den letzten Jahren publizierten Statistiken zur Mortalität und Morbidität sehr kleiner Frühgeborener wurde von Hentschel et al. (2001) veröffentlicht. Die Daten nationaler Erhebungen von extrem kleinen Frühgeborenen (25–27 SSW) der späten 1990-er Jahre aus den Ländern Holland, Belgien, Schweden und Finnland zeigen, dass im Vergleich zu den frühen 1990-er oder späten 1980-er Jahren eine weitere Zunahme des Überlebens zu verzeichnen ist (Stoelhorst et al. 2005; Vanhaesebrouck et al. 2004; Serenius et al. 2004; Tommiska et al. 2001). Unterhalb von 23 SSW allerdings beträgt
6
die Rate der schweren Morbidität zum Zeitpunkt der Entlassung bei den wenigen Überlebenden (neurologische Störungen, Bedarf von zusätzlichem Sauerstoff oder schwere Formen der Frühgeborenenretinopathie) nahezu 100%. Bei den in den darauf folgenden Wochen Geborenen nimmt der Anteil der Überlebenden steil zu. Der Prozentsatz der schweren Behinderungen ist gleichzeitig rückläufig, wobei bezogen auf die Gesamtzahl der Überlebenden der Anteil der mit schwerer Morbidität Überlebenden gegenüber früheren Zeitabschnitten etwa gleich geblieben ist.
Das Fehlen schlüssiger Daten zu den Vorteilen bzw. Nachteilen verschiedener Entbindungsformen im Hinblick auf Mortalität und Morbidität des Fetus macht die Beratung der Eltern zusätzlich schwierig. Eine Einbeziehung des Elternpaares in die Entscheidungen ist nicht zuletzt auch aus forensischer Sicht dringend erforderlich (Ratzel 1995). Der genauen Bestimmung des Gestationsalters sowie einer möglichst genauen Gewichtsschätzung kommt für die Entscheidung des perinatalen Managements eine zentrale Bedeutung zu. Ferner haben die Einstellung des Geburtshelfers und seine Beurteilung der Lebensfähigkeit des kleinen Frühgeborenen einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis (Reuss u. Gordon 1995). So besteht in Grenzsituationen die Tendenz, die Überlebenschance bei drohender Frühgeburt zu unterschätzen, und die tatsächlichen Aussichten werden infolge der damit verbundenen negativen Haltung deutlich verschlechtert. In Zweifelsfällen sollten zugunsten des Fetus die besseren Überlebenschancen zugrunde gelegt werden und die Eltern entsprechend beraten werden. Die Weichenstellung für ein aktives Vorgehen mit dem Ziel der Lebenserhaltung des Fetus muss initial durch den Geburtshelfer gestellt werden. Danach richtet sich die Entscheidung für oder gegen die CTG-Überwachung sowie für oder gegen einen Kaiserschnitt aus kindlicher Indikation (Schneider 2003). Diese wichtige Entscheidung des Geburtshelfers muss Teil einer perinatalmedizinischen Gesamtstrategie sein, die gemeinsam mit den Neonatologen festgelegt wird. Gemäß eines Konsensus zwischen Geburtshelfern und Neonatologen in der Schweiz wird i. d. R. vor 24+0 SSW auf eine aktive Medizin mit dem Ziel der Lebenserhaltung um jeden Preis verzichtet (Berger et al. 2002). Das Vorgehen innerhalb der europäischen Staaten ist jedoch uneinheitlich (Schmidt 2009). In der deutschen Leitlinie des Umgangs mit der drohenden Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit des Kindes wird die Aufklärung und Begleitung der Eltern als zentrale ärztliche Aufgabe hervorgehoben, bei der das Recht der Eltern, in therapeutische Optionen einzuwilligen oder sie abzulehnen, besonders zu beachten ist (AWMF-Leitlinie 024–019, 2008) Ebenso wird darauf hingewiesen, dass grundsätzlich immer dann, wenn für das Kind die Chance zum Leben besteht, lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen werden sollen. Die Einschätzung, ob für das Kind die Chance zum Leben besteht, ist dabei ärztliche Aufgabe. Aus-
547 Literatur
nahmen von diesem Grundsatz können geboten sein, wenn eindeutige Gesundheitsstörungen bekannt sind, die nicht mit einem längeren Leben vereinbar sind. Diese Leitlinie empfiehlt im Speziellen vor der 22. SSW den Verzicht auf eine initiale Reanimation. In SSW 22+0 bis 23+6 hat die Entscheidung über eine lebenserhaltende oder eine palliative Therapie in jedem Einzelfall den ethischen und rechtlichen Grundsätzen zu entsprechen und sollte im Konsens mit den Eltern getroffen werden. Bei Frühgeborenen ab SSW 24+0 soll grundsätzlich versucht werden, das Leben zu erhalten. Nach heute gültigen Grundsätzen guter klinischer Praxis wie auch von moralisch-ethischen Überlegungen ist die Beendigung einer aktiven Behandlung und der Verzicht auf eine Weiterführung von lebenserhaltenden Maßnahmen zulässig, wenn aufgrund der postnatalen Evaluation oder wegen des Auftretens schwerer Komplikationen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die spätere Entwicklung von schweren Behinderungen besteht. Bei dem primären oder sekundären Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen rücken Behandlungen mit dem Ziel der Leidensminderung in den Vordergrund. Die in den verschiedenen Grenzsituationen bestehenden Unterschiede lassen die Anwendung fixer Regeln bei der äußerst schwierigen Entscheidungssuche nicht zu. Die Einzelfallberatung in einer interdisziplinären Kommission hat sich in verschiedenen Zentren besonders bewährt.
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Kapitel 24 · Frühgeburt: pränatale und intrapartale Aspekte
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25 25 Früher vorzeitiger Blasensprung C. Egarter, K. Reisenberger 25.1
Terminologie und Inzidenz – 558
25.2
Ätiologie des frühen vorzeitigen Blasensprungs – 558
25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.2.5 25.2.6 25.2.7
Infektionen – 558 Sozioökonomische Faktoren – 558 Amniozentese – 558 Blutungen in der Schwangerschaft – 559 Sexuelle Aktivität – 559 Nikotin – 559 Vaginale Untersuchung – 560
25.3
Diagnose – 560
25.4
Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs – 560
25.4.2 25.4.3 25.4.4 25.4.5
Antibiotika – 563 Glukokortikoide – 564 Tokolyse – 564 Infektüberwachung – 565
25.5
Komplikationen – 566 Literatur – 566
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
558
25
Kapitel 25 · Früher vorzeitiger Blasensprung
Ein früher vorzeitiger Blasensprung kompliziert 2–5% aller Schwangerschaften. Er wird häufig von aszendierenden Infektionen verursacht. Je früher in der Schwangerschaft der Blasensprung auftritt, desto größer ist die Bedeutung der aszendierenden Infektionen. Bei der Diagnose ist darauf zu achten, dass keine Keimverschleppung vom unteren Genitaltrakt in das fetale Kompartiment stattfindet. Insbesondere sollte keine digitale vaginale Untersuchung durchgeführt werden, wenn nicht eine dringende Indikation vorliegt, da dadurch das Risiko für ein Amnioninfektionssyndrom beträchtlich ansteigt. Bei der Festlegung des Managements bei frühem vorzeitigem Blasensprung muss der Vorteil des abwartenden Vorgehens gegenüber den Risiken, die sich daraus ergeben, abgewogen werden. Bis zur 28. SSW scheint ein konservatives Vorgehen der Geburtseinleitung überlegen zu sein. Ab der 32. SSW bringt ein aktives Vorgehen im Sinne der Beendigung der Schwangerschaft sowohl für die Mutter als auch für das Neugeborene deutliche Vorteile. Zwischen der 28. und 32. SSW ist ein individuelles Vorgehen zu empfehlen. Bei einem abwartenden Verhalten sollte das Vorliegen eines Amnioninfektionssyndroms ausgeschlossen werden. Der Einsatz von Antibiotika kann die neonatale Sepsis signifikant reduzieren und führt auch zu einer Reduktion intraventrikulärer Blutungen. Die Kortikosteroidtherapie zur Prophylaxe des Respiratorydistress-Syndroms und zur Verminderung der neonatalen Morbidität ist eine der wenigen, umfangreich abgesicherten Behandlungsstrategien. Die Betreuung einer Schwangeren mit einem frühen vorzeitigen Blasensprung vor der vollendeten 34. SSW sollte laut Empfehlungen der Fachgesellschaften in Anlehnung an die derzeitige Rechtsprechung in einem Perinatalzentrum durchgeführt werden, da nur hier durch die enge Zusammenarbeit zwischen Geburtshilfe und Neonatolgie eine optimale Vesorgung gewährleistet werden kann (Caughey et al. 2008).
25.1
Terminologie und Inzidenz
Definition Der vorzeitige Blasensprung wird als Ruptur der fetalen Membranen vor dem Einsetzen regelmäßiger Wehentätigkeit unabhängig von der Schwangerschaftsdauer definiert. Klinisch wird der frühe vorzeitige Blasensprung (PPROM, »preterm premature rupture of membranes«) mit dem Abgang von Fruchtwasser vor der vollendeten 37. SSW davon abgegrenzt.
Ein früher vorzeitiger Blasensprung betrifft etwa 2–5% aller Schwangerschaften. Ein Großteil der Schwangeren entbindet nach einem Blasensprung innerhalb von wenigen Tagen. Etwa 8–10% aller Lebendgeburten ereignen sich vor der vollendeten 37. SSW, und etwa jeder dritten Frühgeburt liegt ein vorzeitiger Blasensprung zugrunde. Zumindest 25% aller perinatalen Todesfälle sind damit letztlich auf einen vorzeitigen Blasensprung zurückzuführen.
25.2
Ätiologie des frühen vorzeitigen Blasensprungs
25.2.1
Infektionen
Aszendierende Infektionen aus dem unteren Genitaltrakt, die zu einer Mitbeteiligung von Dezidua, Chorion und Amnion führen, können durch die vermehrte lokale Produktion von Prostaglandinen vorzeitige Wehen verursachen. Diese können ihrerseits über die Erhöhung des intraamnialen Drucks und durch das Auftreten von Scherkräften zum vorzeitigen Blasensprung führen. Bakterien können aber auch intakte fetale Membranen in relativ kurzer Zeit durchwandern und dann direkt eine Infektion des Fetus bewirken. Der entscheidende Punkt bei der schädigenden Wirkung von Bakterien an den Eihäuten scheint der im Rahmen der mütterlichen Immunreaktion ablaufende pathophysiologische Vorgang zu sein; die alleinige Anwesenheit von Bakterien schädigt die Eihäute nicht zwangsläufig. Die Bedeutung der Infektion als ursächlicher Faktor für einen vorzeitigen Blasensprung ist umso höher, je früher dieser innerhalb der Schwangerschaft auftritt. Eine Zunahme des intrauterinen Drucks bzw. der muskulären Wandspannung durch ein Polyhydramnion oder durch Mehrlingsschwangerschaften stellt einen bedeutenden zusätzlichen Risikofaktor für das Auftreten eines frühen vorzeitigen Blasensprungs in dieser Gruppe von Schwangeren dar. Mehr als 1/4 aller Mehrlingsschwangerschaften endet mit einer Frühgeburt, die häufig durch einen vorzeitigen Blasensprung bedingt ist.
25.2.2
Sozioökonomische Faktoren
Zahlreiche Untersuchungen belegen ein häufigeres Auftreten des frühen vorzeitigen Blasensprungs in niederen sozioökonomischen Klassen. Dies scheint ein Summationseffekt zahlreicher einzelner Risikofaktoren zu sein. Spinillo et al. (1994) zeigten, dass niedere Schulbildung, schlechte Hygieneverhältnisse und Ernährung (Body-Mass-Index >27 oder Mangelernährung) additive Risikofaktoren für PPROM darstellen. > Nach einem frühen vorzeitigen Blasensprung ist das Wiederholungsrisiko bei einer nächsten Schwangerschaft um den Faktor 2–4 höher als nach einer Entbindung am Termin.
25.2.3
Amniozentese
Bei einer im 2. Trimenon durchgeführten Amniozentese muss innerhalb von 24 h in 1–1,5% der Fälle mit dem Abgang von Fruchtwasser gerechnet werden. In einem Großteil der Fälle verschließt sich die Öffnung der Fruchtblase spontan ohne weitere Folgen für die Schwangerschaft. Nach durchgeführter Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie ist jedoch das Risiko für einen später auftretenden Blasensprung mit einer Inzidenz von 1–2% nicht höher als bei Schwangerschaften ohne Eingriff.
559 25.2 · Ätiologie des frühen vorzeitigen Blasensprungs
25.2.4
Blutungen in der Schwangerschaft
> Patientinnen, die in der frühen Schwangerschaft eine vaginale Blutung aufweisen, haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko für einen frühen vorzeitigen Blasensprung.
Schwangere mit einem frühen vorzeitigen Blasensprung weisen, verglichen mit Frauen, die am Termin entbinden, etwa 5bis 7-mal häufiger Blutungen im 1. oder 2. Trimenon auf. Dabei ist zu beachten, dass in dieser Gruppe ebenfalls zahlreiche andere Risikofaktoren für einen vorzeitigen Blasensprung auftreten, die mit einer vaginalen Blutung einhergehen. In diesem Zusammenhang weisen auch zahlreiche Untersuchungen darauf hin, dass operative Eingriffe an der Zervix mit einer erhöhten Rate an vorzeitigen Blasensprüngen einhergehen und zwar teilweise als direkte Komplikation, beispielsweise bei einer Cerclage. Das Risiko steigt dabei mit zunehmender Dilatation der Zervix. Bei einer Erweiterung >3cm zwischen der 18. und 24. SSW erhöht sich das Risiko auf über 20%. Auch ein operativer Eingriff an der Zervix vor der Schwangerschaft gilt als Risikofaktor. Bei einer Konisation kommt der Größe des abgesetzten Konus eine entscheidende Bedeutung zu. Einerseits bewirkt das fehlende Gewebe ein vermindertes Widerlager für die fetalen Membranen, andererseits kommt es durch die Entfernung von zervikalen Drüsen zu einer verminderten Produktion von Muzin, sekretorischem IgA und Leukozyten-Proteasen-Inhibitoren, die der Aszension von Bakterien entgegenwirken.
25.2.5
Sexuelle Aktivität
Bezüglich negativer Einflüsse der sexuellen Aktivität v. a. bei bestehenden Risikofaktoren ist unser Wissen noch sehr lückenhaft. Hypothetisch werden folgende schädliche Einflüsse sexueller Aktivität diskutiert (Leeners et al. 2000; . Abb. 25.1). Eine mechanische Reizung im Bereich der Vagina und Portio durch den Koitus könnte zur Freisetzung von Prostaglandinen führen. Außerdem wären eine Freisetzung von Oxytozin beim Orgasmus bzw. durch die Stimulation der Brustwarzen und konsekutive Uteruskontraktionen denkbar. Prostaglandine im Ejakulat scheinen bezüglich der Auslösung von vorzeitigen Wehen aufgrund der geringen Konzentration keine wesentliche Rolle zu spielen, aber kollagenaseähnliche Enzyme könnten die fetalen Membranen destabilisieren und zum vorzeitigen Blasensprung führen. Darüber hinaus ist noch an die Verursachung eines vorzeitigen Blasensprungs bzw. eines Amnioninfektionssyndroms durch sexuell übertragbare Infektionen zu denken oder die Auslösung von Wehen durch die massive Freisetzung von Katecholaminen bei emotionalem oder physischem Stress. Der Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr mit und ohne Orgasmus und dem Blasensprung wird in der Literatur widersprüchlich diskutiert. Mehrheitlich besteht eher die Auffassung, dass hier keine signifikante Korrelation besteht. Klebanoff et al. (1984) stellten sogar fest, dass Frauen,
. Abb. 25.1. Theoretische Wirkmechanismen sexueller Aktivität in der Schwangerschaft
die keinen Verkehr in der Schwangerschaft aufwiesen, das höchste Risiko für einen vorzeitigen Blasensprung hatten. Andererseits wurde in einigen Untersuchungen gezeigt (Georgakopoulos et al. 1984), dass Frauen in einem hohen Prozentsatz unmittelbar vor Auftreten eines vorzeitigen Blasensprungs Geschlechtsverkehr hatten. Eine besondere Situation liegt bei bestehenden vaginalen Infektionen vor, wo eine Begünstigung der Aszension durch den Koitus ätiologisch zu einem Blasensprung beitragen kann. Darüber hinaus sind sogar verschiedene Stellungen beim Geschlechtsverkehr bezüglich des Blasensprungs untersucht worden. Zusammenfassend sollte wahrscheinlich bei belastender Anamnese bzw. bei Vorliegen verschiedener Risikofaktoren eher eine gewisse Zurückhaltung bezüglich des Geschlechtsverkehrs v. a. in risikoreichen Schwangerschaftsabschnitten empfohlen werden.
25.2.6
Nikotin
> Raucherinnen haben ein erhöhtes Risiko für einen frühen vorzeitigen Blasensprung; dieses wird je nach Untersucher bis auf den Faktor 2 höher als bei einem Normalkollektiv angegeben (Harger et al. 1990).
Einerseits übt das Rauchen einen hemmenden Effekt auf α1Antitrypsin, einen Proteinaseinhibitor, aus. Damit werden proteolytische Prozesse an den Eihäuten begünstigt. Andererseits werden Nikotin und sein Hauptmetabolit, das Cotinine, im Zervikalsekret angereichert und können so zu einer verminderten lokalen Makrophagenfunktion führen. Darüber hinaus weisen Raucherinnen einen verminderten Spiegel an sekretorischem IgA in Körpersekreten und damit auch im Zervix- und Vaginalsekret auf. Ferner haben sie meist einen reduzierten Serumspiegel an Aminosäuren, Fettsäuren und Vitamin B12, was wiederum einen Risikofaktor für einen vorzeitigen Blasensprung darstellen könnte.
25
25
560
Kapitel 25 · Früher vorzeitiger Blasensprung
25.2.7
Vaginale Untersuchung
Die digitale vaginale Untersuchung scheint kein Risikofaktor für das Auftreten eines frühen vorzeitgen Blasensprungs zu sein, selbst wenn diese Untersuchungen wöchentlich durchgeführt werden. Zahlreiche prospektive Untersuchungen belegen diesen Umstand, weisen allerdings auch darauf hin, dass die routinemäßige digitale vaginale Untersuchung den Prozentsatz an Frühgeburten nicht senken kann und damit ein beträchtlicher Teil der Grundlage für diese Untersuchung fehlt. Digitale vaginale Untersuchungen führen hingegen bei bereits bestehendem Blasensprung zu einer Verkürzung der Latenzperiode und erhöhen das Risiko für eine Infektion bei Mutter und Kind; sie sollten daher auf ein Minimum beschränkt werden (Schutte et al. 1983). > Die Latenzperiode, das Zeitintervall zwischen erstmaligem Fruchtwasserabgang und Geburt, kann durch Vermeidung einer digitalen vaginalen Untersuchung signifikant verlängert werden.
25.3
Diagnose
Da sich die Diagnosestellung eines frühen vorzeitigen Blasensprungs von der eines Blasensprungs am Termin nicht unterscheidet, wird auf 7 Kap. 36 verwiesen.
25.4
Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs
Das Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs etwa zwischen der 22. SSW und der 34. SSW bedarf der intensiven Zusammenarbeit zwischen Geburtshelfer und Neonatologen, sodass als primäre Forderung der intrauterine Transport in ein Perinatalzentrum zu verlangen ist. Nur dort kann durch die personelle sowie infrastrukturelle Gegebenheit eine optimale Versorgung dieser Hochrisikoschwangeren gewährleistet werden.
Indikationen zur Überweisung von Hochrisikoschwangeren in ein Perinatalzentrum 4 Zu erwartende Frühgeburt bei einem Gestationsalter von ≤30 Wochen 4 Mehrlingsschwangerschaften 4 Feten mit pränatal erkannten (operationspflichtigen) Fehlbildungen 4 Schwere maternale Erkrankungen, insbesondere, wenn sie den Fetus gefährden (z. B. schwerer Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen, Gerinnungsstörungen, Drogensucht) 4 Schwere Schwangerschaftskomplikationen (z. B. Hypertonie, besonders bei Zusatzproblematik wie HELLP-
6
Syndrom, Blutungen vor der 32. SSW, Präeklampsie, Eklampsie) 4 Bekannte fetomaternale Probleme (z. B.: M. haemolyticus fetalis, intrauterine Infektionen) 4 Schwere fetale Wachstumsrestriktion, Oligohydramnion
Sterile Spekulumeinstellung zur diagnostischen Bestätigung des Blasensprungs 4 Nachweis von Fruchtwasserabgang aus dem Zervikalkanal 4 visuelle Beurteilung der Muttermundweite und Portiolänge 4 Entnahme von Abstrichen für die Bakteriologie 4 Nachweis von Fibronektin und/oder IGF-bindendes Protein (IGFBP)
Die sterile Spekulumeinstellung ist die Methode der Wahl und der digitalen Untersuchung überlegen, da hierbei die Gefahr der Keimverschleppung in das fetale Kompartiment geringer ist. Zur Sicherung der Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs und vorzeitiger Wehen liegen Untersuchungen bezüglich des onkofetalen Fibronektins und des IGF-bindenden Proteins (IGFBP) vor. Fibronektin ist ein Glykoprotein, das bei zahlreichen biologischen Prozessen eine Rolle spielt und auch als so genanntes Matrix-Fibronektin ein wichtiges Adhäsionsprotein darstellt. Ein positiver Nachweis von Fibronektin in Zervix- und Vaginalabstichen resultiert somit möglicherweise aus einem Blasensprung oder einer vorzeitigen Wehentätigkeit mit konsekutiven Zell- bzw. Membranveränderungen im Bereich der Plazentahaftzotten und der Membranen. Damit könnte das Fibronektin eine diagnostische Hilfe bei vorzeitigem Blasensprung oder generell ein Vorhersageparameter für eine unmittelbar bevorstehende Geburt werden. Ob ein positiver fetaler Fibronektintest oder auch ein IGFBP-Abstrich allerdings tatsächlich den gängigen Untersuchungen überlegen ist und den Mehraufwand rechtfertigt, lässt sich aus den bisher vorliegenden Untersuchungen nicht mit Sicherheit beurteilen (Lee et al. 2009). In ausgewählten klinischen Situationen scheinen sie zur Sicherung der Diagnose jedenfalls einen entsprechenden Wert aufzuweisen. Der sonographische Nachweis eines ausgeprägten Oligooder Anhydramnions ist insofern bedeutend, als der Mangel an Fruchtwasser neben dem linearen Anstieg neonataler Sepsisfälle auch ein Risiko für die Abruptio placentae, eine neonatale pulmonale Hypoplasie, die Kompression der Nabelschnur und daraus resultierende fetale Hypoxie sowie fetale anatomische Deformitäten darstellt (7 Kap. 25.5).
Früher vorzeitiger Blasensprung im 2. Trimenon (16.–26. SSW) Etwa 60% aller Schwangeren, die in der 16.–26. SSW einen Blasensprung erleiden, entbinden innerhalb einer Woche
561 25.4 · Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs
unabhängig vom gewählten Management. Dabei besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des frühen vorzeitigen Blasensprungs in der Schwangerschaft und der Latenzzeit zwischen Blasensprung und Geburt. Je früher der Blasensprung erfolgt, desto länger ist die mittlere Latenzzeit. > Die Chance, dass es zu einem spontanen Verschluss der Öffnung kommt, liegt zwischen 7 und 9%, wobei hierzu v. a. die Fälle der späten Amniozentese einen hohen Prozentsatz beitragen, bei denen es nur zu einem transienten Abgang von Fruchtwasser kommen kann.
Von entscheidender Wichtigkeit in dieser Gruppe ist die Verifizierung des Gestationsalters, da geringfügige Abweichungen die Prognose erheblich beeinflussen können. Der Ausschluss von Zusatzpathologien stellt einen weiteren wichtigen Punkt dar, da diese natürlich beträchtliche Auswirkungen auf das Management haben.
Studienbox Die pränatale Beurteilung der Lebensfähigkeit sehr kleiner Frühgeburten durch den Geburtshelfer beeinträchtigt die tatsächlichen Ergebnisse wesentlich (Aagaard-Tillery et al. 2005). In Grenzsituationen neigen Geburtshelfer dazu, die Überlebenschancen bei drohenden Frühgeburten zu unterschätzen, sodass die tatsächlichen Aussichten durch die damit verbundene negative Haltung möglicherweise verschlechtert werden.
4 Bei einem vorzeitigen Blasensprung vor der vollendeten 20. SSW, der nicht im Zusammenhang mit einer Amniozentese auftritt, muss die Prognose für den Fetus als äußerst schlecht eingestuft werden, sodass v. a. bei einem ausgeprägten Oligohydramnion die Schwangerschaftsbeendigung in ausführlicher Weise mit der Mutter zu diskutieren ist. 4 Von der 20. SSW bis zur 23. SSW soll ein individuelles Vorgehen gewählt werden. Die Prognose hinsichtlich des
Kindes muss aber weiter als sehr kritisch eingestuft werden, da etwa 3/4 dieser Feten vor Beginn der Lebensfähigkeit entbunden werden. 4 Die übrigen Schwangerschaften weisen je nach Untersuchung eine durchschnittliche Latenzperiode von bis zu 27 Tagen auf; dies bedeutet allerdings, dass diese Neugeborenen weiter in einer Hochrisikogruppe verbleiben. Die Entscheidung zu einem konservativen abwartenden oder aktiven schwangerschaftsbeendenden Vorgehen ist abhängig von: 4 Infektionsparametern, 4 verbliebener Fruchtwassermenge, 4 biophysikalischem Profil. Diese Befunde und die derzeit zur Verfügung stehenden Daten über die Prognose der Frühgeborenen müssen in einem Gespräch mit den Eltern zu einer Festlegung des Managements führen, wobei auf die Ängste, Fragen und Vorstellungen der Eltern in hohem Maße Rücksicht genommen werden muss. Als Entscheidungshilfe für die Prognose dieser Frühgeborenen sind die Daten der Universitätsfrauenklinik Wien aus dem Jahr 2008 zusammengefasst (. Tab. 25.1). Tipp Wenn man sich zur Fortführung der Schwangerschaft entschließt, sollte aufgrund der vielen positiven Untersuchungen ab der 24. SSW eine Lungenreifeinduktion und ggf. die Tokolyse durchgeführt werden. Die Strategien der meisten Zentren zielen in diesen frühen Schwangerschaftswochen auf eine maximale Verlängerung der Latenzperiode unter größtmöglicher Aufmerksamkeit gegenüber evtl. auftretenden Infektionen. Ein aktives Vorgehen und eine Entbindung nach Abschluss der Lungenreifung werden praktisch nur dann gewählt, wenn Infektionszeichen auftreten oder anderweitig am Wohlbefinden des Fetus aufgrund eindeutiger Zeichen gezweifelt werden muss (Mercer 2005).
. Tab. 25.1. Mortalitäts- und Morbiditätsstatistik der UFK Wien im Jahr 2008a
Gewichtsklasse Frühgeburten [g]
Anzahl Frühgeburten
Anteil Mortalität [%]
Anteil schwerer Morbidität bei den überlebenden Kindern [%]b
≤500
5
100
–
501–750
28
39
11
751–1000
31
23
6
1001–1500
93
2
2
1501–2500
172
1
–
a Schwere Fehlbildungen ausgeschlossen. b Schwere Morbidität: IVH 3–4, periventrikuläre Leukomalazie, ROP 4–5, Taubheit, Zerebralparese oder psychomotorische Retardierung.
25
562
25
Kapitel 25 · Früher vorzeitiger Blasensprung
Management ab der 24. SSW. Ab der 24. SSW steigt die
Maternale Implikationen
Überlebensrate sprunghaft an, wobei der Anteil der schweren Morbidität bei den Neugeborenen allerdings hoch sein kann. Dieses Risiko nimmt mit dem Erreichen eines Geburtsgewichts von etwa 1000g rapide ab. Die Hauptursachen der Morbidität sind: 4 intraventrikuläre Hämorrhagie, 4 periventrikuläre Leukomalazie.
Jede zweite Schwangere mit frühem vorzeitigem Blasensprung muss mit einer assoziierten Erkrankung rechnen. Die Rate an Chorioamnionitis ist bei jenen Schwangeren besonders hoch, die eine kurze Latenzperiode aufweisen, da offensichtlich die Infektion als auslösender Faktor des vorzeitigen Blasensprungs in dieser Gruppe die entscheidende Rolle spielt. In >10% der Fälle kommt es nach der Geburt zu einer Plazentaretention, dies umso häufiger, je früher die Geburt stattfindet. Die Patientinnen müssen sich postpartal dann einer manuellen Plazentalösung bzw. Kürettage unterziehen. Eine postpartale Endometritis tritt in einem ähnlich hohen Prozentsatz auf. In <1% aller Fälle kommt es allerdings zu schwerwiegenden maternalen Problemen wie beispielsweise einer Sepsis.
Vor allem durch den Einsatz der Lungenreifeprophylaxe mit Glukokortikoiden, aber auch durch die postpartale Surfactant-Gabe konnte das Auftreten des Respiratory-distress-Syndroms (RDS) in dieser frühen Phase wesentlich reduziert werden. Damit wurden die Probleme von Seiten der Lungenunreife deutlich geringer. Management bis 34. SSW. Bis zu diesem Stadium scheint
derzeit ein konservatives Vorgehen unter den folgenden Voraussetzungen Vorteile für den Fetus zu bringen: negative Entzündungsparameter, ausreichende Fruchtwassermenge, entsprechendes biophysikalisches Profil, Verabreichung einer Lungenreifeprophylaxe unter Kurzzeittokolyse und evtl. antibiotischer Abschirmung. > Jede Verlängerung der Latenzperiode um einen Tag erhöht in den frühen Schwangerschaftswochen die Überlebensrate um etwa 2% und verkürzt den postpartalen stationären Aufenthalt des Neugeborenen um 2–3 Tage. Amerikanische Kosten-Nutzen-Untersuchungen unterstützen dies mit einer Verringerung der finanziellen Aufwendungen durch eine Verkürzung der Verweildauer des Neugeborenen in der neonatalen Intensiveinheit, jedoch nur dann, wenn keine Zeichen einer Infektion oder sonstigen Schädigung vorliegen (Alexander u. Cox 1996).
Studienbox Die Verlängerung der Latenzperiode scheint zu keiner Zunahme der fetalen Sepsisfälle in dieser Gruppe zu führen, da Schwangerschaften mit einem infektionsbedingten vorzeitigen Blasensprung mit einer äußerst kurzen Latenzperiode einhergehen (Schucker u. Mercer 1996).
Management nach vollendeter 34. SSW. Prospektive randomisierte Untersuchungen belegen ein verbessertes Ergebnis für Mutter und Kind, wenn ein aktives Management nach der 34. SSW gewählt wird. Die Geburtseinleitung führt zu einer verminderten Rate an Infektionen bei Müttern und Neugeborenen, wenngleich man sich diese Verbesserung durch eine leicht erhöhte Rate an operativen Entbindungen erkauft. Leitlinien zum Management der drohenden Frühgeburt finden sich auf der Internetseite der ÖGGG (www.oeggg.at), Empfehlungen zum Vorgehen beim vorzeitigen Blasensprung auf der Homepage der DGGG (www.dggg.de).
Sonderfälle beim frühen vorzeitigen Blasensprung Cerclage Die zervikale prophylaktische Cerclage ist in 1/4 aller Fälle mit einem frühen vorzeitigen Blasensprung vergesellschaftet. > Bei etwa 20% aller Schwangeren, die sich einer Notcerclage beispielsweise bei prolabierter Fruchtblase unterziehen, ereignet sich innerhalb von einigen Tagen ein Blasensprung.
Ob eine prophylaktische Cerclage nach Auftritt eines Blasensprungs ohne massive Wehentätigkeit entfernt werden sollte, wird z. T. noch unterschiedlich beurteilt. In Untersuchungen von allerdings kleinen Kollektiven hatte ein weiteres Verbleiben entweder keinen Einfluss oder aber sogar einen günstigen, was die weitere Latenzperiode betrifft (Jenkins et al. 2000). Die weitere Prognose des Kindes unterscheidet sich dann nicht von der Prognose bei Schwangerschaften vergleichbarer Länge mit vorzeitigem Blasensprung ohne Cerclage.
Mehrlingsschwangerschaften Mehrlingsschwangerschaften korrelieren mit einer erhöhten Rate an vorzeitigen Blasensprüngen. Bei einer Zwillingsschwangerschaft kompliziert ein Blasensprung in etwa 10% der Fälle den Schwangerschaftsverlauf, in 1,5% der Fälle bereits im 2. Trimenon. Die Zwillingsschwangerschaft per se stellt keinen isolierten Risikofaktor für eine verkürzte Latenzperiode dar und führt zu keiner erhöhten Rate an Chorioamnionitis. Allerdings ist die Rate an operativen Entbindungen erhöht und das Geburtsgewicht signifikant niedriger. Beim Vergleich des Erst- und Zweitgeborenen ist die Rate an Hyalinem-Membran-Syndrom beim 2. Mehrling signifikant höher; Mehrlinge nach Blasensprung benötigen signifikant häufiger eine Sauerstofftherapie, und zwar unabhängig vom Entbindungsmodus. Die Ursache für die verbesserte Lungenreife beim Zwilling mit Blasensprung scheint in der erhöhten endogenen Kortisonausschüttung beim Auftreten eines Blasensprungs zu liegen. Das seltene Auftreten eines interamnialen Blasensprungs bei gesicherten diamnioten Zwillingen ist mit einer äußerst
563 25.4 · Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs
schlechten Prognose verbunden, die mit der Prognose bei monoamnioten Zwillingen vergleichbar ist. Bezüglich des Managements nach Auftreten eines Blasensprungs bei Mehrlingen wird auf 7 Kap. 42 verwiesen.
25.4.2
Antibiotika
Die prophylaktische intravenöse Therapie mit Breitspektrumantibiotika bei frühem vorzeitigem Blasensprung bis längstens 7 Tage bzw. Eintreffen des Antibiogramms des Vaginalabstriches (Kenyon et al. 2002) bewirkt: 4 Senkung der neonatalen Sepsis um etwa 2/3 (Verhinderung der Aszension von Bakterien vom unteren in den oberen Genitaltrakt), 4 Reduktion von intraventrikulären Blutungen. Intraventrikuläre Blutungen entstehen nicht nur durch traumatische Einwirkungen auf den Fetus, sondern als Folge der Unreife und Verletzlichkeit des peri- und intraventrikulären Gefäßsystems. Eine perinatale Hypoxie kann dies ebenso verursachen wie beispielsweise Gerinnungsstörungen im Verlauf einer Sepsis. Inwieweit Zytokine bei der Entstehung intraventrikulärer Blutungen eine Rolle spielen, ist in Diskussion. Die Rate an nekrotisierender Enterokolitis wird durch den Antibiotikaeinsatz nicht erhöht (Egarter et al. 1996). Obwohl in zahlreichen Untersuchungen festgestellt wurde, dass der Einsatz von Antibiotika zu einer Verlängerung der Latenzperiode führt, hat diese Tragzeitverlängerung offenbar nur einen marginalen Einfluss auf die Verhinderung eines RDS. In diesem Zusammenhang scheint die gleichzeitige Verabreichung von Glukokortikoiden der entscheidende Therapieansatz zu sein. Bezüglich der Dauer der Antibiose existierten keine einheitlichen Empfehlungen. Die Vorteile einer Antibiose vom Blasensprung bis zur Entbindung sind durch keine klinischen Studien belegt.
Studienbox Darüber hinaus bleiben allerdings weitere Fragen bisher noch nicht exakt beantwortbar, wie beispielsweise, welches Antibiotikum das optimale oder ob eine orale Therapie sinnvoll ist. Diesbezüglich gibt es eine umfangreiche Arbeit (Kenyon et al. 2001), die in Form einer placebokontrollierten, doppelblinden Studie 4826 Patientinnen untersuchte. Die Gesamtanalyse einschließlich der Mehrlinge ergab eine Verlängerung der Latenzphase bis zur Geburt in den Gruppen, die eines der getesteten oralen Antibiotika-Regimes (Erythromycin, Amoxicillin + Clavulansäure, Erythromycin + Amoxicillin + Clavulansäure) verglichen mit Placebo erhielten. Auffallend ist jedoch, dass bei alleiniger Analyse der Einlinge keines der getesteten Antibiotika zu einer signifikanten Verlängerung der Latenz beitragen konnte. Ein weiteres Ergebnis dieser Studie war, dass die kindliche Morbidität, gemessen an Sauerstoffbedarf >21%,
6
Surfactantgabe, positiver Blutkultur, kindlicher Mortalität während des stationären Aufenthaltes, ausgeprägte sonographischer Pathologie des Gehirns und der Notwendigkeit der Behandlung auf einer Intensivstation, in der Gesamtanalyse einschließlich der Mehrlinge und bei der Separatanalyse der Einlinge durch die orale Gabe von Antibiotika teilweise gesenkt werden konnte. Die alleinige orale Antibiose mit Erythromycin schien dabei allen anderen Kombinationen, die Amoxicillin enthielten, überlegen, da die nekrotisierende Enterokolitis beim Kind nach Kombinationen mit Amoxicillin häufiger auftrat. Allerdings waren die absoluten Zahlen der Kinder mit dieser Komplikation in allen Gruppen sehr klein, und vorangegangene sowie nachfolgende Analysen konnten diesbezüglich keinen Zusammenhang herstellen (Ehsanipoor et al. 2008).
Zusammengefasst bestätigt auch diese Untersuchung an einem großen Kollektiv den positiven Effekt einer oralen Antibiotikatherapie auf die kindliche Morbidität nach frühem vorzeitigem Blasensprung. Betrachtet man die Ergebnisse der Separatanalyse ohne Mehrlinge, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass die orale Antibiotikatherapie mit den genannten Medikamenten zu einer signifikanten Verlängerung der Latenzperiode beiträgt. Nicht auszuschließen ist hingegen, dass eine intravenöse Antibiose zu einer Verlängerung der Schwangerschaft führt, wie dies in anderen Studien nachgewiesen wurde. Bezüglich der nekrotisierenden Enterokolitis sollten weitere Studien für eine Klärung sorgen, bevor klinische Konsequenzen, wie der Verzicht auf Amoxicillin, gezogen werden. In der Praxis sollte die antibiotische Behandlung einer Schwangeren mit frühem vorzeitigem Blasensprung auch bei fehlenden klinischen Zeichen einer intrauterinen Infektion wahrscheinlich erfolgen, um eine Aszension von Keimen und deren Vermehrung im Fruchtwasser bzw. in der choriodezidualen Grenzschicht zu verhindern. Wahrscheinlich sollte zumindest während der ersten 48 h der intravenösen Gabe der Vorzug gegeben werden. Welche Bedeutung der Wahl des Antibiotikums, wie z. B. Ampicillin, Amoxicillin + Clavulansäure, Erythromycin, Clindamycin, Piperacillin, Mezlocillin, Cephalosporine etc., zukommt, ist bis dato noch nicht eindeutig geklärt und somit individuell zu entscheiden. Makrolide zeichnen sich durch ihre gute Wirkung gegen Chlamydien und Mykoplasmen aus und sind bei deren Nachweis Therapie der 1. Wahl. Generell sollte bei der Wahl des Antibiotikums darauf geachtet werden, dass zunächst ein breites Keimspektrum abgedeckt wird und insbesondere auch die Anaerobier im Spektrum inkludiert sind. Die Ergebnisse der Zervixabstriche müssen natürlich in die bereits eingeleiteten Therapieschemata einfließen.
25
564
Kapitel 25 · Früher vorzeitiger Blasensprung
25.4.3
Glukokortikoide Studienbox
25
Glukokortikoide stimulieren Typ-II-Alveolarzellen zur Produktion von Anti-Atelektasefaktor (Surfactant). Sie bewirken allerdings nicht nur die Freisetzung von Surfactant, sondern induzieren auch eine strukturelle Reifung der Lunge mit einer Zunahme des Lungenvolumens und einer rascheren Differenzierung der mesenchymalen Anteile der Lunge.
Studienbox Tierversuche zeigten, dass durch die Verabreichung von Steroiden auch andere fetale Organsysteme wie Gehirn, Niere oder Auge ebenfalls im Sinne einer früheren Differenzierung beeinflusst werden.
Während der Einsatz von Glukokortikoiden bei vorzeitiger Wehentätigkeit ohne assoziierten Blasensprung unumstritten ist, liegen über den Einsatz von Glukokortikoiden beim frühen vorzeitigen Blasensprung widersprüchliche Daten vor. Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich in den äußerst heterogenen Patientenkollektiven. Bei der Diskussion über den Einsatz von Glukokortikoiden stehen nicht die zu erwartenden Nebenwirkungen im Mittelpunkt, die bei fast allen prospektiven Untersuchungen als minimal eingeschätzt wurden, sondern die möglichen Vorteile bei der Prävention eines RDS (. Abb. 25.2). Die Angaben von Nebenwirkungen beziehen sich ausschließlich auf Dosierungen, die deutlich höher sind als die Mengen, die zur fetalen Lungenreifeinduktion eingesetzt werden. So wurde bei Nachuntersuchungen von Kindern, die präpartal Betamethason zur Lungereifung erhielten, kein Einfluss auf das Wachstum sowie die neurologische oder psychosoziale Entwicklung gefunden. Die derzeit gültigen relativ niedrigen Dosierungen von Kortison zur Lungenreifung führen auch zu keiner fetalen Nebennierendepression. Bei Müttern kann es nach Applikation innerhalb von 12 h zu einer vorübergehenden Verminderung der endogenen Kortisolproduktion kommen, die allerdings spätestens nach 4 Tagen wieder auf ein normales Level zurückkehrt. Bezüglich einer vorübergehenden Depression der fetalen Immunabwehr kann aus den vorliegenden Untersuchungen kein erhöhtes Risiko für die Frühgeborenen abgeleitet werden. . Abb. 25.2. Metaanalyse zum präpartalen Einsatz von Glukokortikoiden. Günstiger Einfluss auf Morbiditätsparameter. (Nach Crowley 1995)
Crowley (1995) stellte in einer Metaanalyse eine Senkung der Rate an RDS nach Verabreichung von Glukokortikoiden bei Neugeborenen mit frühem vorzeitigem Blasensprung fest. Dies wird von einem Konsensusbericht der National Institutes of Health unterstützt, in dem die Verabreichung von Glukokortikoiden auch beim frühen vorzeitigen Blasensprung ausdrücklich empfohlen wird (NIH 1995).
Tipp Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Vorteile der Glukokortikosteroidapplikation beim frühen vorzeitigen Blasensprung im Sinne einer Reduktion der Mortalität und Morbidität beim Fetus die in Diskussion stehenden möglichen Nebenwirkungen übertreffen, sodass auch beim frühen vorzeitigen Blasensprung der Einsatz empfohlen werden muss.
25.4.4
Tokolyse
Trotz des breiten Einsatzes von β-Sympathomimetika kam es in den letzten Jahrzehnten zu keiner Reduktion der Frühgeburtenrate (Husslein et al. 1995). Die euphorischen Berichte in den 1970-er Jahren über den Erfolg dieser Substanzgruppe zur Wehenhemmung mussten leider relativ rasch zurückgenommen werden. In prospektiven doppelblinden Untersuchungen wurde keine signifikante Verlängerung der Latenzperiode um mehr als einige Tage erzielt. Insbesondere wurde auch keine Reduktion der Mortalität des Kindes oder der Rate an RDS festgestellt. Die Durchführung einer Tokolyse wird bei drohender Frühgeburt prinzipiell trotzdem empfohlen. Primäres Ziel ist es dabei, eine Wehenhemmung über zumindest 48 h zu erreichen, um während dieser Zeit eine vollständige kindliche Lungenreifung durchführen zu können und die Schwangere im Rahmen eines antenatalen Transportes in ein perinatologisches Zentrum zu bringen. Eine Tokolyse über diesen Zeitraum von 48 h hinaus kann in Ausnahmefällen überlegt werden. Generell wird die Tokolyse ab etwa der 24. SSW als sinnvoll erachtet. Eine Tokolyse nach Erreichen von 33+6 SSW wird nicht empfohlen.
565 25.4 · Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs
β-Sympathomimetika (Hexoprenalin, Terbutalin) und Antagonisten von Oxytozin auf Rezeptorebene (Atosiban) sind gleich wirksame Tokolytika (Worldwide Atosibanversus β-Agonists Study Group 2001) wobei Oxytozinantagonisten zu signifikant geringeren mütterlichen Nebenwirkungen führen. Bei gegebenen mütterlichen Indikationen sollte deshalb den Oxytozinantagonisten der Vorzug gegeben werden. Aufgrund einer im Vergleich zu β-Sympathomimetika geringeren Tachyphylaxiewirkung sollten bei einer Indikation zur prolongierten Tokolyse nach erreichter Lungenreifung ebenfalls eher Oxytozinantagonisten verwendet werden. Magnesiumsulfat kann aufgrund der derzeitigen Datenlage zur Tokolyse nicht empfohlen werden (Crowther et al. 2002). Darüber hinaus sollten tokolytisch wirksame, aber als Tokolytika nicht registrierte Medikamente wie Kalziumantagonisten, Indomethacin oder NO-Donatoren nur unter Studienbedingungen verwendet werden. > Eine unmittelbar nach dem Blasensprung begonnene Tokolyse kann die Geburt zumeist für 48 h verzögern. In dieser Zeit kann die Lungenreifung des Fetus durch die Zufuhr von Glukokortikoiden gefördert und dadurch die Rate an RDS signifikant vermindert werden.
Diese Zeit muss aber auch genutzt werden, um die Schwangere in ein Perinatalzentrum zu verlegen. Der Einsatz von Tokolytika sollte in intravenöser Form stattfinden, da nur durch diese Applikationsform entsprechende Wirkspiegel und damit therapeutische Effekte erzielt werden können. Eine Fortsetzung der Tokolyse über 48 h hinaus ist häufig nicht sinnvoll und notwendig.
25.4.5
Infektüberwachung
Beim Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs spielt die Infektionsdiagnostik eine entscheidende Rolle, da der Nachweis oder der Verdacht auf ein Amnioninfektionssyndrom für den Fetus von enormer prognostischer Bedeutung ist und den Geburtshelfer zu einem aktiven Management zwingt. Bei der Ätiologie wurde bereits darauf hingewiesen, dass als ursächlicher Faktor für einen frühen vorzeitigen Blasensprung aszendierende Infektionen umso häufiger kausal beteiligt sind, je früher der Blasensprung auftritt. Der Nachweis eines Amnioninfektionssyndroms (AIS) bedeutet für den Fetus ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Sepsis und in deren Folge eine erhöhte Rate an intraventrikulären Blutungen und eine erhöhte Rate an RDS. Bei Vorliegen einer Chorioamnionitis wird das Risiko einer Sepsis des Fetus mit 10% angegeben. Dieser Prozentsatz ist bei kleineren Gewichtsklassen deutlich höher. Ein AIS kann mithilfe verschiedener Untersuchungen diagnostiziert werden: 4 Temperaturerhöhung der Mutter (>38°C), 4 mütterliche oder fetale Tachykardie, 4 übel riechendes, trübes Fruchtwasser, 4 druckdolenter Uterus, 4 erhöhte Leukozytenzahl bei der Mutter (>15.000).
. Tab. 25.2. Fruchtwasserparameter zur Diagnose eines Amnioninfektionssyndroms. (Nach Romero et al. 1993)
Sensitivität der Untersuchungen [%]
Spezifität der Untersuchungen [%]
Interleukin-6
80,9
75,0
Glukose
57,1
73,5
Leukozyten
57,1
77,9
Gram-Präparat
23,8
98,5
Die Diagnosefindung stützt sich hier auf Spätparameter, die meist erst Tage nach dem eigentlichen Entzündungsbeginn erfasst werden. Diese Spätparameter stellen nicht nur für den Fetus ein Alarmsymptom dar, sondern gehen auch mit einer deutlich erhöhten maternalen Morbidität einher. Die Gewinnung von Fruchtwasser mittels Amniozentese ermöglicht den Nachweis der Infektion im fetalen Kompartiment in vielen Fällen bereits wesentlich früher. Die Sensitivität und die Spezifität der einzelnen Untersuchungen sind in . Tab. 25.2 zusammengefasst (Romero et al. 1993). Allerdings liegt keine prospektiv randomisierte Untersuchung vor, die den Nutzen einer Amniozentese zur Infektabklärung für den Schwangerschaftsverlauf bzw. für das neonatale Ergebnis nachweist. Daher müssen die Vorteile der Amniozentese gegenüber ihren bekannten Risiken, die inbesondere bei einem ausgeprägten Oligohydramnion vorliegen, im Einzelfall genau abgewogen werden. Die Prävalenz der positiven Kultur aus dem Fruchtwasser bei vorzeitiger Wehentätigkeit liegt bei 38% (Romero et al. 1991). Die Rate an effektiver Besiedelung mit Mikroorganismen scheint aber höher zu sein, da offensichtlich nur ein Teil der vorhandenen Bakterien in Kultur ein entsprechendes Wachstum zeigt. Beim vorzeitigen Blasensprung können in ähnlich hohen Frequenzen positive Fruchtwasserkulturen nachgewiesen werden, wobei die Rate an positiven Kulturen umso höher ist, je früher der Blasensprung auftritt. Der Einsatz von speziellen Parametern wie Zytokinen zur Diagnose eines AIS wird routinemäßig derzeit meist nur in Zentren durchgeführt. > Falls keine Amniozentese zur Diagnosefindung eines AIS herangezogen wird, sollten zumindest täglich CRP und Leukozyten bei der Mutter kontrolliert werden. Vor allem ein stärkerer Anstieg des CRP stellt ein gewisses Alarmsymptom dar. Die Chordozentese zur Abklärung einer Infektion des Fetus kann derzeit nicht als Standardmethode angesehen werden.
Neben diesen aufgezeigten Laborparametern haben sich biophysikalisch erfassbare Parameter (7 Kap. 15) und in entsprechenden Schwangerschaftswochen natürlich das CTG zur Vorhersage des Wohlbefindens des Fetus etabliert.
25
566
Kapitel 25 · Früher vorzeitiger Blasensprung
25.5
Komplikationen Studienbox
25
Trotz großer Fortschritte auf dem Gebiet der Perinatalmedizin bleibt die Frühgeburtlichkeit der Hauptfaktor v. a. für die perinatale Morbidität. Bei der Mortalitätsrate liegt die Grenze etwa bei der 24. SSW. Tritt der Blasensprung vor der 24. SSW auf, so kann nur in etwa 1/3 der Fälle mit einem Überleben des Kindes gerechnet werden. Kommt es hingegen nach der 24. SSW zum Fruchtwasserabgang, so steigt die Überlebensrate auf etwa 70% an. Neben der Morbidität, die durch die Unreife des Kindes hervorgerufen wird, spielt das Oligohydramnion oder die Anhydramnie und die damit verbundene pulmonale Hypoplasie eine entscheidende Rolle. Die pulmonale Hypoplasie ist eine ernste Komplikation des vorzeitigen Blasensprungs, wobei eine Zunahme der Inzidenz bei sehr frühem Blasensprung und lang dauerndem Oligohydramnion auftritt.
Studienbox Auch hier scheint es einen Zusammenhang mit den deletären Wirkungen erhöhter Zytokinspiegel zu geben (Yoon et al. 1999). Eine retrospektive Kohortenstudie (KurkinenRaty et al. 1998) bei insgesamt 78 Frauen zeigte darüber hinaus, dass Überlebende bei sehr frühem vorzeitigem Blasensprung auch ein signifikant größeres Risiko in Bezug auf chronische Lungenerkrankungen im Alter von 1 Jahr aufweisen. Als weitere Komplikation ist die Abruptio placentae zu nennen, deren Inzidenz beim vorzeitigen Blasensprung mit etwa 4–7% angegeben wird. Eine Studie aus Schweden bei insgesamt 83 Frauen mit vorzeitigem Blasensprung fand eine noch höhere Frequenz von etwa 31% (Holmgren u. Olofsson 1997), wobei das Risiko bei sehr frühem vorzeitigem Blasensprung besonders stark ansteigt.
Ein Problem, das direkt mit der verminderten Fruchtwassermenge bei Patientinnen mit vorzeitigem Blasensprung einhergehen kann, ist die Kompression der Nabelschnur und daraus resultierende fetale Herzfrequenzalterationen bzw. eine fetale Hypoxämie. Aus diesem Grund hat man auch die Amnioninfusion als Behandlungsmöglichkeit bei Oligo- bzw. Anhydramnion vorgeschlagen (Garzetti et al. 1997). Eine etwa wöchentliche Infusion von 150–350 ml vorgewärmter NaClLösung zeigte eine signifikante Verlängerung der Latenzperiode mit entsprechender Erhöhung der Herzfrequenzvariabilität sowie der fetalen Bewegungen. Allerdings kann man aufgrund mangelnder diesbezüglicher Untersuchungen noch keine abschließende Beurteilung der Amnioninfusion anstellen.
Auch gelegentliche Publikationen (Quintero et al. 1996) über den Versuch, durch Fibrin oder Thrombozytenaggregate den Defekt der fetalen Membranen zu verschließen, können nicht endgültig beurteilt werden und scheinen, was die Fetoskopie betrifft, doch mit einer massiven Invasivität einherzugehen.
Bezüglich potenzieller maternaler Komplikationen insbesondere bei infektiös bedingtem Blasensprung ist auf die postpartale Endometritis hinzuweisen, die mit einer Häufigkeit von etwa 10% auftritt. In <1% aller Fälle kann allerdings eine maternale Sepsis u. U. mit schweren Gerinnungsstörungen (7 Kap. 46) die Folge einer intrauterinen Infektion sein.
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25
26 26 Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie T. Kohl, U. Gembruch 26.1
Chirurgische Therapien – 570
26.1.1 26.1.2 26.1.3 26.1.4 26.1.5 26.1.6 26.1.7 26.1.8 26.1.9 26.1.10
Perkutane ultraschallgesteuerte fetale Direktpunktionen – 570 Offene Fetalchirurgie – 571 Fetoskopische Fetalchirurgie – 571 Diagnostische Eingriffe – 572 Obstruktive Uropathie – 574 Amnionbänder – 574 Kongenitale Zwerchfellhernie – 574 Congenital High-Airway Obstruction Syndrome (CHAOS) – 576 Spina bifida aperta – 576 Herzerkrankungen – 578
26.2
Medikamentöse Therapien – 581
26.2.1 26.2.2 26.2.3
Adrenogenitales Syndrom – 581 Fetale Schilddrüsenfunktionsstörungen – 581 Störungen des Herz-Kreislauf-Systems – 583
26.3
Zusammenfassende Bewertung – 584 Literatur – 585
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
570
26
Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
Durch pränatalmedizinische Diagnostik werden zahlreiche Schwangere – meistens Monate vor dem errechneten Geburtstermin – mit dem Vorliegen lebensbedrohlicher oder die nachgeburtliche Lebensqualität ihrer Ungeborenen erheblich beeinträchtigender Erkrankungen konfrontiert. Diese Problematik hat über die letzten Jahrzehnte zahlreiche Wissenschaftler dazu inspiriert, chirurgische und medikamentöse Therapien zur Verbesserung der Prognose betroffener Ungeborener zu entwickeln. Während sich die chirurgischen Therapien noch größtenteils im Experimentalstadium befinden und nur an einzelnen Zentren durchgeführt werden, sind die medikamentösen Therapien aufgrund ihrer häufigeren Verwendung, ihrer weiten Verbreitung und ihres dokumentierten therapeutischen Vorteils schon nahezu als etablierte Verfahren anzusehen. Das Kapitel gibt eine kurze Übersicht über Indikationen, rationale und derzeitig durchgeführte vorgeburtliche Behandlungsmöglichkeiten.
26.1
Chirurgische Therapien
Vorgeburtlich operativ behandelt werden im Wesentlichen nur solche fetalen Fehlbildungen oder Kreislaufstörungen, welche in ihrem Schweregrad über den Schwangerschaftsverlauf zunehmen und so entweder schon vor oder spätestens nach der Geburt lebensgefährlich werden.
Lebensbedrohliche Fehlbildungen oder Kreislaufstörungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) – Indikationen zur vorgeburtlichen Behandlung 4 Kongenitale Zwerchfellhernien 4 Kongenitale zystisch-adenomatoide Lungenmalformationen 4 Steißbeinteratome 4 Manche diskordanten Zwillingsschwangerschaften 4 Acranius acardius mit »twin reverse arterial perfusion sequence« (TRAP) 4 Zwillingstransfusionssyndrome 4 Hochgradige Semilunarklappenstenosen 4 Hochgradige Restriktionen des Foramen ovale 4 Therapieresistente Arrhythmien 4 Larynx- oder Trachealatresien mit »congenital high airway obstruction syndrome« (CHAOS) 4 Hydrothorazes und posteriore Urethralklappen
Als Indikation vorgeburtlicher Eingriffe immer noch umstritten ist die Spina bifida aperta. Kritiker betonen, dass diese Fehlbildung zwar zu ausgeprägten Behinderungen führen kann, diese aber nur selten lebensbedrohlich sind. Tipp Diese Einschätzung berücksichtigt nicht, dass allein schon die pränatale Diagnose der Fehlbildung für betroffene Ungeborene lebensgefährlich ist, da sie z. B. in Deutschland meistens einen Schwangerschaftsabbruch
6
nach sich zieht. Als Grund wird von den Schwangeren allerdings weniger die zu erwartenden Bewegungsstörungen der Beine, sondern vielmehr eine im ärztlichen Aufklärungsgespräch häufig übertrieben dargestellte Assoziation von Spina bifida mit schwerer geistiger Behinderung angegeben. Wegen des sehr großen Symptomspektrums, der zahlreichen therapeutischen Ansätze und der existenziellen Bedeutung der Entscheidung für oder gegen die Schwangerschaft ist eine Beratung durch in der nachgeburtlichen Behandlung von Patienten mit Spina bifida erfahrenen Spezialisten dringend zu empfehlen.
Als sinnvolle Grundlage für ein Erstgespräch in der Praxis ist die kurze Übersicht »Tell the truth about spina bifida« von Bruner u. Tulipan (2004) zu empfehlen. Im Rahmen der ersten Beratung nach Diagnosestellung einer fetalen Spina bifida aperta wird betroffenen Schwangeren meistens ein zu negatives Bild der Erkrankung aufgezeichnet. Dieses Aufklärungsverhalten bewegt sie meistens zu einem Abbruch der Schwangerschaft. Eine wissenschaftlich zeitgemäße Aufklärung dagegen sollte beinhalten, dass trotz des weiten Spektrums der bei Spina bifida auftretenden Störungen davon auszugehen ist, dass mit einer zeitgemäßen intensiven medizinischen Betreuung die meisten betroffenen Kinder zu Erwachsenen mit normaler Intelligenz, Gehfähigkeit und sozial verträglicher Kontinenz heranwachsen (Bruner u. Tulipan 2004). Diese zum derzeitigen Aufklärungsverhalten meistens konträre und somit deutlich bessere Botschaft, unterstützt durch die Entwicklung effektiver vorgeburtlicher Therapien, könnte dazu führen, dass sich mehr Schwangere und ihre Partner dafür entscheiden, ihr Ungeborenes mit dieser Erkrankung auszutragen.
26.1.1
Perkutane ultraschallgesteuerte fetale Direktpunktionen
Die perkutane ultraschallgesteuerte Direktpunktion des Fetus oder seiner Nabelschnur ist das geläufigste und am meisten verbreitete Verfahren zur Durchführung fetaler invasiver Diagnostik und Therapie. Die Technik erlaubt neben der diagnostischen Gewinnung von Fetalblut, Urin oder Ergussflüssigkeiten die Durchführung fetaler Transfusionen sowie auch eine direkte fetale Medikamentengabe. Häufige Verwendung findet das Verfahren des Weiteren zur Platzierung von Dauerkathetern zur chronischen Drainage fetaler Körperhöhlen, wie z. B. bei Hydrothorax oder posterioren Urethralklappen. Sehr selten wird es auch zur Ballonvalvuloplastie hochgradig verengter fetaler Semilunarklappen eingesetzt. Bei einigen vorgeburtlichen Erkrankungen konkurrieren perkutane ultraschallgesteuerte fetale Direktpunktionsverfahren auch mit fetoskopischen Behandlungstechniken. Hier ist z. B. die Kathetereinlage zur Drainage der aufgestauten Blase bei männlichen Feten mit posterioren Urethralklappen zu er-
571 26.1 · Chirurgische Therapien
wähnen. Die perkutane ultraschallgesteuerte Radiofrequenzablation der Nabelschnur bei manchen diskordanten Zwillingsschwangerschaften oder beim Acranius-Acardius mit »twin-reverse-arterial perfusion« (TRAP) erleichtert es dagegen, die Nabelschnurzirkulation eines erkrankten Zwillings oder des Parasiten zu unterbinden. Sie wird wahrscheinlich die technisch anspruchsvollere fetoskopische Nabelschnurligatur ersetzen. Erfolg, Risiken und Schwierigkeitsgrad perkutaner ultraschallgesteuerter fetaler Direktpunktionen hängen unmittelbar von der Größe des Fetus, seiner Lage, dem Zielorgan oder Körperhöhle, der Plazentaposition, der Dicke der mütterlichen Bauchwand sowie der Verfügbarkeit einer befriedigenden Bildqualität ab. Eine ausreichend große Fruchtwassertasche zwischen dem Punktionsziel und der Uteruswand erleichtert die Feinausrichtung des intraamniotischen Nadelverlaufs (Kohl 2002). Insbesondere bei hydropischen Feten mit Kreislauffunktionsstörungen, die sich als Teil ihrer Überlebensstrategie kaum bewegen, kann es große Geduld erfordern, so lange abzuwarten, bis sie eine zur Intervention geeignete Position eingenommen haben. Ähnlich bewegungsarm zeigen sich Ungeborene, deren schwangere Mütter vor der Intervention Sedativa eingenommen haben, sodass es manchmal besser ist, einen Eingriff zu vertagen. Bei Eingriffen, die eine hohe Präzision erfordern, sowie zur Vermeidung unerwünschter hämodynamisch nachteiliger hormoneller Stressreaktionen des Fetus kann es des Weiteren hilfreich sein, diesen ruhig zu stellen und zu analgesieren. Dieses Ziel kann durch eine perkutane ultraschallgesteuerte intramuskuläre Injektion von nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien und Opioidanalgetika, alternativ durch intraamniale oder transplazentare Gabe von Opioidanalgetika sowie auch durch eine maternofetale Allgemeinnarkose erreicht werden.
26.1.2
Offene Fetalchirurgie
> Heutzutage wird die offene Fetalchirurgie überwiegend nur noch zum vorgeburtlichen Verschluss des offenen Rückens (Spina bifida aperta) durchgeführt (Walsh et al. 2001).
Wesentlich seltener wird das Verfahren noch bei unreifen herzinsuffizienten Feten zur Resektion von lebensbedrohlichen kongenitalen zystisch-adenomatoiden Lungenmalformationen oder anderen kreislaufwirksamen Tumoren (z. B. Steißbeinteratom) eingesetzt. Betroffene Schwangere, die sich für einen offenen fetalchirurgischen Eingriff entscheiden, akzeptieren mit der hierzu notwendigen Laparotomie und Hysterotomie ein für sie erhebliches Operationstrauma. Die Hysterotomie kann zu stärkerer Wehentätigkeit führen, die allerdings während der Operation meistens durch Inhalationsanästhetika und danach durch eine Kombinationstherapie verschiedener Wehenhemmer beherrscht werden kann.
! Allerdings werden bei offenen fetalchirurgischen Eingriffen sowohl tierexperimentell wie auch bei menschlichen Feten bedeutsame Abfälle der uterinen und fetoplazentaren Durchblutung beobachtet (Luks et al. 1996; Kohl et al. 1998). Diese Flussveränderungen können sich besonders bedrohlich bei solchen Feten auswirken, bei denen schon vor der Operation eine instabile Kreislaufsituation besteht.
Ein anderer Nachteil des offenen Operationsverfahrens ergibt sich aus der Lage der Inzision im Fundusbereich der Gebärmutter. Wegen der erhöhten Gefahr der Narbendehiszenz in dieser Position empfiehlt es sich nach offener Fetalchirurgie nicht nur, das vorgeburtlich operierte, sondern auch alle zukünftigen Kinder per Kaiserschnitt zu entbinden.
26.1.3
Fetoskopische Fetalchirurgie
Die Invasivität des offenen Operationsverfahrens hat die Entwicklung weniger eingreifender vorgeburtlicher Behandlungsmethoden inspiriert. Diese wurden ab Mitte der 1990er Jahre durch eindrucksvolle technische Fortschritte bei der Miniaturisierung endoskopischer Optiken und Instrumente sowie der Verfügbarkeit von kleinsten Ultraschallsonden, Ballonkathetern, Laserfasern und Elektrosonden möglich. So konnten über das letzte Jahrzehnt die fetoskopische selektive Laserkoagulation pathologischer Plazentagefäße beim Zwillingstransfusionssyndrom, die selektive Laserkoagulation pathologischer Plazentagefäße beim Zwillingstransfusionssyndrom, der fetoskopische Trachealballonverschluss bei Zwerchfellhernien, die fetoskopische Eröffnung posteriorer Urethralklappen sowie die fetoskopische Eröffnung verschlossener Kehlköpfe bis hin zum fetoskopischen Patchverschluss bei Spina bifida aperta klinisch eingeführt werden. Bislang kommt allerdings nur die vorgeburtliche fetoskopische selektive Laserablation pathologischer Plazentagefäße beim Zwillingstransfusionssyndrom einem etablierten Therapievefahren am nächsten. Alle anderen Verfahren gelten formal als potenziell lebensrettende oder die nachgeburtliche Lebensqualität verbessernde Eingriffe mit einer neuen Behandlungsmethode und sollten als solche vor ihrer Anwendung von der Ethikkommission einer medizinischen Fakultät genehmigt werden. Vor allem dann, wenn – wie bei den meisten fetoskopischen Eingriffen – zu ihrer Durchführung auf eine Laparotomie verzichtet werden kann, ist das maternale Operationstrauma minimal. Die geringe maternale Invasivität kann erklären, warum durch die meisten fetoskopischen Eingriffe keine oder nur geringe Wehentätigkeit ausgelöst wird wie auch nur geringe und transiente Abfälle der uterinen und fetoplazentaren Durchblutung beobachtet werden (Kohl et al. 1999). Daher bietet sich die Anwendung fetoskopischer Operationsverfahren insbesondere bei solchen Feten an, bei denen schon vor der Operation eine instabile Kreislaufsituation besteht. Im Gegensatz zur offenen Fetalchirurgie verpflichtet die fetoskopische Fetalchirurgie auch nicht per se zur Entbindung
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Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
des vorgeburtlich operierten oder auch aller zukünftigen Kinder per Kaiserschnitt. Obwohl die fetoskopischen Operationsverfahren insbesondere das maternale, aber oft auch das fetale Operationstrauma minimieren, hat sich die Hoffnung einer deutlichen Abnahme des Auftretens von Amnionleck, vorzeitigem Blasensprung und Frühgeburt im weiteren Schwangerschaftsverlauf bislang nicht bestätigt. Selbst nach Eingriffen, die zu ihrer Durchführung nur einen Trokar benötigen, muss mit diesen Komplikationen gerechnet werden. Erfreulicherweise jedoch werden an spezialisierten Zentren heutzutage fast alle Kinder nach offenen oder minimalinvasiven fetalchirurgischen Eingriffen jenseits der 32. SSW geboren. In dieser Schwangerschaftsphase nur noch wenig durch ihre Unreife gefährdet, profitieren diese Frühgeborenen zusätzlich von den eindrucksvollen Möglichkeiten moderner neonatologischer Intensivtherapie. Hierdurch kommt es in jüngster Zeit zu einem deutlich günstigeren Nutzen-Risiko-Profil für die noch junge Disziplin Fetalchirurgie.
26.1.4
Diagnostische Eingriffe
Im Gegensatz zu den offenen fetalchirurgischen Verfahren mit ihren technisch weitaus besseren Operationsmöglichkeiten sind fetoskopische Verfahren aufgrund eingeschränkter Sichtbedingungen, der Kleinheit der Strukturen, schlechter Hand-Auge-Koordination sowie nur unbefriedigender Möglichkeiten, Blutungen zu stillen, möglichst einfach zu halten. Die technisch einfachsten fetoskopischen Eingriffe sind diagnostische Fetoskopien. Diese wurden auch zur Führung fetaler Muskel- oder Hautbiopsien verwendet, um z. B. eine Duchenne-Muskelatrophie oder eine Harlekin-Ichthyose auszuschließen. Da allein mittels Ultraschall gesteuerte Biopsien genauso effektiv, aber weniger invasiv sind, ist das kombinierte fetoskopische und ultraschallgesteuerte Verfahren inzwischen obsolet.
Zwillingstransfusionssyndrom Ein Zwillingstransfusionssyndrom wird bei 10–15% monochorialer Zwillingsschwangerschaften beobachtet, wenn pathologische Anastomosen auf dem gemeinsamen Mutterkuchen eine unmittelbare Verbindung zwischen den Kreisläufen beider Ungeborener herstellen. Als ursächlich für die Erkrankung gelten arteriovenöse Anastomosen. Daneben wird der Erkrankungsverlauf häufig durch das Vorliegen weiterer arterioarterieller und venovenöser Anastomosen modifiziert. Die arteriovenösen Anastomosen führen bei dem am arteriellen Schenkel gelegenen Zwilling (Donor) zur arteriellen Hypotension, Hypovolämie und Anämie. Als Konsequenz dieser Kreislaufveränderungen kommt es beim Donor zur Kreislaufzentralisation und Wachstumsrestriktion sowie zur Abnahme bis hin zum Sistieren seiner Urinproduktion. Hierdurch wird bei diamnioten Verhältnissen im Donorfruchtsack eine Oligohydramnie bis Ahydramnie beobachtet. Ein bei Ahydramnie komplett von seiner Amnionmembran umhüllter Donor wird als »stuck twin« bezeichnet. Der am venösen Schenkel der arteriovenösen Anastomosen gelegene Zwilling (Rezipient) erkrankt weniger am Volu-
men des vom Donor transfundierten Blutes als an den darin enthaltenen Hormonen des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems. Diese führen beim Rezipienten zur zunehmenden Hypervolämie, arteriellen Hypertension, Kardiomegalie, Herzklappeninsuffizienz und Herzinsuffizienz. Weitere Folgen von Hypervolämie und Herzinsuffizienz ist eine venöse Hypertension mit konsekutivem Hydrops fetalis et placentae. Als Gegenmaßnahme produziert er das atrionatriuretische Peptid (ANP), das bei ihm eine anhaltende Polyurie verursacht. Die hieraus resultierende Vermehrung der Fruchtwassermenge (Polyhydramnie) im Rezipientenfruchtsack kann in schwersten Fällen 10 l und mehr betragen. Daher muss bei jeder monochorialen Mehrlingsschwangerschaft bei Auftreten eines Polyhydramnions – mit typischen klinischen Beschwerden, wie Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, harter Bauch, Schwindel in Rückenlage und Atemnot – an das Vorliegen eines Zwillingstransfusionssyndroms gedacht werden. Jede Verzögerung der Therapie erhöht die Gefahr von vorzeitiger Wehentätigkeit, Muttermundverkürzung, vaginalen Blutungen, vorzeitigem Blasensprung und Frühgeburt. ! Unbehandelt verläuft die Erkrankung durch frühe Frühgeburt oder Kreislaufversagen oft tödlich für beide Zwillinge oder resultiert in schweren Hirnschäden.
Inzwischen gilt in dieser Situation die fetoskopische Laserkoagulation der pathologischen Plazentagefäße als Therapie der Wahl (. Abb. 26.1; Senat et al. 2004). Der Eingriff wird zumeist in Lokalanästhesie durchgeführt. Auf eine Indomethacin-Tokolyse sollte verzichtet werden, da diese, insbesondere beim Donor und auch schon vor der 20. SSW, zu einer hochgradigen Konstriktion des Ductus arteriosus führen kann. Alternativ verwenden wir einen Oxytozinantagonisten oder auch Nifedipin. Durch den fetoskopischen Eingriff wird erreicht, dass in etwa 80% der Fälle mindestens einer der Zwillinge und in etwa der Hälfte der Fälle beide Zwillinge die Schwangerschaft überleben. Die Rate schwerer neurologischer Auffälligkeiten bei überlebenden Kindern ist mit <5% gering. Wegen des beim Zwillingstransfusionssyndrom häufig schweren Polyhydramnions im Fruchtsack des Rezipienten sowie auch bei Vorliegen noch annähernd normaler fetoplazentarer Dopplerwerte wird als alternative Behandlungsmethode auch die serielle Fruchtwasserdrainage durchgeführt. Durch dieses Verfahren kann zwar das Auftreten von vorzeitigem Blasensprung, vorzeitiger Wehentätigkeit, Muttermundschwäche und früher Frühgeburt verhindert werden, das Grundproblem aber bleibt unbehandelt. Nach serieller Fruchtwasserdrainage, im Vergleich zur kausalen Therapie (i. e. der fetoskopischen Laserablation der pathologischen Plazentagefäße) findet sich daher insbesondere eine deutlich höhere Rate an neurologischen Komplikationen bei überlebenden Kindern, sodass die Laserablation inzwischen zumindest für die Stadien II–IV als Therapie der Wahl gilt (Roberts et al. 2008). Die Stadieneinteilung erfolgt nach Quintero et al. (1999).
573 26.1 · Chirurgische Therapien
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d . Abb. 26.1a–d. Fetoskopische Laserkoagulation pathologischer Plazentagefäße bei monochorialer diamnialer Zwillingsschwangerschaft mit fetofetalem Transfusionssyndrom. a Die Donor und Rezipient voneinander trennende Amnionmembran (AM) ist klar erkennbar. Es kommen normale oberflächliche Plazentagefäße des Donors zur Darstellung. b Pathologische Plazentagefäße, die die Trennmembran aus dem Fruchtsack des Donors zum Rezipienten hin kreuzen,
aber – anstatt zurückzukehren – zum Rezipienten drainieren (A Arterie, V Vene, Pfeil kleinere Venenaufzweigung). c Darstellung des Operationssetups. Die fetoskopische Operation wird durch einen unter Ultraschallkontrolle perkutan in die Fruchthöhle eingeführten Trokar durchgeführt. d Laserablation pathologischer Plazentaanastomosen (Pfeil Laserfaser)
26
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Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
26.1.5
Obstruktive Uropathie
26.1.6
Amnionbänder
> Ein totaler Harnstau noch vor der 20. SSW durch posteriore Urethralklappen führt mit aller Wahrscheinlichkeit zum beidseitigen Verlust der Nierenfunktion (Biard et al. 2005).
! Amnionbänder können zu Amputationen von Extremitäten, Rumpf- und Gesichtsfehlbildungen bis hin zum Tod von Ungeborenen durch Konstriktion der Nabelschnur führen (Crobleholme et al. 1995).
Die hierdurch schon ab dem 2. Trimenon stark verminderte Fruchtwassermenge trägt zusätzlich zur Entwicklung einer schweren pulmonalen Hypoplasie bei, welche nach der Geburt schon vor Entstehung einer Urämie zum Tod führen kann. Derartige Eingriffe werden ab der 14. SSW durchgeführt. Die günstigste Prognose einer nachgeburtlich zum Überleben ausreichenden Lungen- und Nierenfunktion haben hierbei männliche Feten, insbesondere solche mit posterioren Urethralklappen (Biard et al. 2005).
Nach Studien an schwangeren Schafen, welche eine Erholung der Extremitätenfunktion nach vorgeburtlicher fetoskopischer Durchtrennung iatrogener konstringierender Bänder zeigten, waren Quintero et al. (1997) die ersten, die diesen Eingriff an einem humanen Fetus durchführten. Insbesondere solche Feten, bei denen sich zum Zeitpunkt der Intervention arterielle und venöse Flusssignale sowie aktive Bewegungen im abgeschnürten Bereich zeigen, sollten von dieser Intervention profitieren können (Stressig et al 2008).
Tipp Bei weiblichen Ungeborenen mit obstruktiver Uropathie finden sich dagegen häufig weitere schwere zusätzliche Fehlbildungen, z. B. kaudales Regressionssyndrom, MMIH-Syndrom (Megazystis, Mikrokolon, intestinale Hypoperistaltik).
Durch serielle fetale Ultraschalluntersuchungen und Bestimmungen der fetalen Urinkomposition kann versucht werden, diejenigen Ungeborenen zu erkennen, bei denen vorgeburtliche Eingriffe noch Aussicht auf Erfolg versprechen könnten. Sowohl der sonographische Aspekt der fetalen Nieren wie auch ultraschallgesteuerte Blasenpunktionen zur Durchführung serieller fetaler Urinanalysen bleiben dennoch häufig unzuverlässig, Feten, bei denen die Nierenfunktion unrettbar verloren gegangen ist, von solchen zu unterscheiden, bei denen die Nierenfunktion durch eine vorgeburtliche Intervention mittel- bis langfristig erhalten werden kann. Ziele weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen sind daher die Verbesserung der Selektionskriterien sowie die technische Entwicklung minimalinvasiver Behandlungsmethoden, die einen schon früheren Eingriff erlauben würden. Als potenziell lebensrettende Behandlungsversuche zur dauerhaften vorgeburtlichen Urinableitung bzw. Beseitigung der Obstruktion stehen die vesikoamniotische Shunteinlage sowie die fetoskopische Eröffnung posteriorer Urethralklappen zur Verfügung. Daten einer Metaanalyse und von systematischen Reviews deuten an, dass durch die ultraschallgesteuerte vesikoamniotische Shunteinlage das perinatale Überleben von Feten mit schlecht eingeschätzter Prognose verbessert werden kann (Clark et al. 2003). Zuverlässigere Daten zur therapeutischen Einschätzung dieses Verfahrens werden in den nächsten Jahren von der PLUTO-Studie (PLUTO = »percutaneous shunting in lower urinary tract obstruction«) der Universität Birmingham erwartet (Kilby et al. 2007). Quintero et al. (1995) waren die ersten, die die technische Durchführbarkeit einer therapeutischen fetalen Zystoskopie und Laserablation der posterioren Urethralklappen demonstrierten.
26.1.7
Kongenitale Zwerchfellhernie
> Bei etwa der Hälfte vorgeburtlich diagnostizierter Feten mit Zwerchfellhernien führen die in ihre Brusthöhle vorgefallenen Bauchorgane zu einer so ausgeprägten Entwicklungsstörung der Lungen, dass diese nachgeburtlich, auch trotz Einsatz modernster intensivmedizinischer Methoden, nur selten überlebt werden kann.
Die Prognose pränatal diagnostizierter Fälle lässt sich zunehmend besser mittels sonographischer und kernspintomographischer Messungen abschätzen (Corincour et al. 2005; Deprest et al. 2004). Insbesondere gefährdet sind Ungeborene, die neben einer intrathorakalen Herniierung von Leberanteilen ein Lungenvolumen von nur etwa 20% sowie eine zu geringe Lung-to-head-Ratio (LHR) ≤0,9 haben (Kilian et al. 2009). Selbst bei bester Qualität der nachgeburtlichen Behandlung werden hier nur noch Überlebensraten von etwa 30% erreicht. Fast ausnahmlos benötigen diese schwerst betroffenen Neugeborenen die Anlage einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) zur Unterstützung ihrer insuffizienten Lungen- und Kreislauffunktion. Daher sollte die Entbindung dieser Feten an einem derart spezialisierten Zentrum unbedingt angestrebt werden. Aufgrund der hohen Sterblichkeit begann der amerikanische Kinderchirurg Michael Harrison an der Universität in San Francisco vor etwa 25 Jahren an schwangeren Schafen Operationsmethoden zu entwickeln, um Zwerchfellhernien bereits vor der Geburt zu operieren. Ziel dieser vorgeburtlichen Eingriffe war es, die vorgefallenen Bauchorgane möglichst früh aus dem Brustraum des Fetus zu entfernen, um seinen Lungen über den Rest der Schwangerschaft wieder ausreichend Platz zum Wachsen zur Verfügung zu stellen. Bei diesen offenen fetalchirurgischen Eingriffen wurden der Bauch und die Gebärmutter der Schwangeren eröffnet. Hiernach wurde der Bauch des Fetus eröffnet, die Bauchorgane aus seiner Brusthöhle entfernt und der Zwerchfelldefekt unter Sicht verschlossen.
575 26.1 · Chirurgische Therapien
Leider überlebten nur wenige Ungeborene den Eingriff, sodass das Verfahren bis Mitte der 1990er Jahre verlassen und durch einen fetoskopischen Verschluss der fetalen Luftröhre ersetzt wurde (. Abb. 26.2). Diesem Verfahren liegt folgendes therapeutisches Prinzip zugrunde: Nachdem die fetale Luftröhre verschlossen ist, wird Flüssigkeit, die von den Lungen normalerweise gebildet wird, um die kleinen Atemwege aufzuhalten, aufgestaut. Der dabei entstehende Flüssigkeitsdruck dehnt nicht nur die Lungen auf, sondern wirkt als starker Reiz für die Bildung von Lungengewebe. Als weiterer Effekt wird tierexperimentell auch eine Abnahme der pathologischen Muskularisierung präazinärer Widerstandsgefäße beobachtet. Hierdurch erhofft man sich eine Besserung der nachgeburtlich die Prognose oft zusätzlich negativ beeinflussenden pulmonalen Hypertension. In einem zweiten fetoskopischen Eingriff wird der Ballon noch vor der Geburt wieder entfernt. Hierdurch wird zumindest tierexperimentell ein Nachreifen von surfactantproduzierenden Typ-II-Pneumo-
. Abb. 26.2a–d. Fetoskopischer Trachealballonverschluss in der 30. SSW wegen lebensbedrohlicher fetaler Zwerchfellhernie. a Darstellung des Operationssetups. Die fetoskopische Operation wird perkutan durch einen unter Ultraschallkontrolle in Nähe des fetalen Kopfes in die Fruchthöhle eingeführten Trokar durchgeführt. b Der in die fetale Luftröhre vorgeschobene Ballon wird mit Kochsalzlösung gefüllt. c Nach Ablösen des Infusionskatheters befindet sich der Ballon in korrekter Position und verhindert über die kommenden 2–3 Wochen den Ausstrom von Lungenflüssigkeit. Hierdurch wird ein starker Wachstumsreiz auf die hypoplastische Lunge ausgeübt. d, e 2-D-Ultraschallbilder vor (d) und nach 6 Tagen (e) Trachealballonverschluss zeigten eine deutliche Expansion und Hyperechogenität der Lunge (Pfeil)
zyten beobachtet. Auch wird durch den fetoskopischen Zweit-
eingriff das Entbindungsmanagement deutlich erleichtert, da bei der Geburt der Ballon nicht noch aus der fetalen Luftröhre entfernt werden muss. Das Verfahren gilt derzeit als potenziell lebensrettender experimenteller Behandlungsversuch. Sein Potenzial wird in Europa von einigen Zentren untersucht. Der kurz dauernde Eingriff wird nach Lokalanästhesie der mütterlichen Bauchwand sowie fetaler Analgosedierung und Relaxation durchgeführt. Aktuelle Daten der Eurofetus-Gruppe zeigen, dass mit einem Trachealballon versehene Ungeborene hochgradig gefährdet sind, wenn ihre Mütter nach dem Eingriff nach Hause entlassen werden (Jani et al. 2009). Von 210 Patienten war bei mehr als der Hälfte eine notfallmäßige Entbindung erforderlich; allein 10 Kinder erstickten bei der Geburt, da der Ballon von hiermit konfrontierten Kollegen nicht oder nicht schnell genug entfernt werden konnte.
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Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
Die von Eurofetus vertretene wesentlich frühere Okklusion der Trachea bei einem medianen Gestationsalter von 27,1 Wochen führte bei 30% der Kinder zu einer Geburt vor der 34. Schwangerschaftswoche (Jani et al. 2009). So blieb diesen bei Lungenversagen nach der Geburt die Möglichkeit einer potenziell lebensrettenden ECMO-Therapie verwehrt. Diese Probleme, gepaart mit einer uneinheitlichen nachgeburtlichen Behandlungsstrategie an zahlreichen verschiedenen Kliniken, häufig ohne ECMO-Möglichkeit, könnten erklären, warum in dieser bislang international größten Fallserie die Überlebensrate von Ungeborenen mit schwersten Zwerchfellhernien mit <50% weiterhin enttäuschend niedrig ausfällt. Wir bevorzugen inzwischen, die fetale Luftröhre erst ab der 34.–35. Schwangerschaftswoche zu verschließen und den Ballon über nur etwa 10–14 Tage zu belassen. Selbst zu diesem späten Schwangerschaftszeitpunkt wird noch eine sehr gute Expansion der Lunge, wie auch Verbesserung der Lungendurchblutung erreicht. Frühere Interventionen, schon ab der 30. Schwangerschaftswoche, werden an unserem Zentrum nur bei Vorliegen einer plazentaren Durchblutungsstörung, einem schweren Polyhydramnion oder anderen maternalen und fetalen Gründen durchgeführt, die eine normale Schwangerschaftsdauer unwahrscheinlich machen. Unabhängig vom Interventionszeitpunkt bleibt die Schwangere über die Okklusionperiode stationär. Am 1. Tag nach fetoskopischer Entfernung des Ballons wird sie zur Geburt an das in Deutschland auf die Behandlung von Neugeborenen mit Zwerchfellhernie spezialisierte ECMO-Zentrum Mannheim verlegt. Durch diese Strategie wird das Problem einer iatrogenen Frühgeburt irrelevant, die Dauer des stationären Aufenthalts für die Schwangere und Kostenträger zumutbar sowie der fetale Trachealballon bei Notfällen jederzeit entfernbar. Außerdem wird so garantiert, dass den vorgeburtlich operierten Kindern nach der Geburt eine einheitliche, hochqualifizierte Behandlung, inklusive der meist erst ab der vollendeten 34. Schwangerschaftswoche einsetzbaren ECMO-Therapie, zur Verfügung steht. So zeigen unsere eigenen Erfahrungen an 25 Schwangeren, dass durch eine kurzzeitige fetoskopische temporäre Trachealballonokklusion in der Spätschwangerschaft über im Mittel 10 Tage die Überlebenschancen von Ungeborenen mit isolierten schwersten linksseitigen Zwerchfellhernien von etwa 30 auf >50% und die von Ungeborenen mit isolierten schwersten rechtsseitigen Zwerchfellhernien von etwa 30 auf >80% gesteigert werden können (Kohl et al. 2006). Eine weitere Verbesserung der Überlebensrate erwarten wir von der Herstellung eines spezialisierten Trachealokkluders, da die bislang verwendeten Latexballons technisch unzuverlässig sind und oft schon nach wenigen Tagen disloziieren. In dieser Situation entscheiden sich fast alle betroffenen Schwangeren – nicht zuletzt wegen des minimal invasiven Ansatzes – zu einer erneuten Einlage des Ballons.
26.1.8
Congenital High-Airway Obstruction Syndrome (CHAOS)
CHAOS Das CHAOS wird als Folge eines kompletten Verschlusses der oberen Atemwege bei Larynx- oder Trachealatresie beobachtet.
Der hieraus resultierende Aufstau von Lungenflüssigkeit in Luftröhre und Bronchien führt zu einer massiven Distension und Hyperplasie der fetalen Lungen, wobei der erhöhte intrathorakale Druck die Füllung des fetalen Herzens behindert (Lim et al. 2003). Hierdurch wird das Auftreten schwerer Herzinsuffizienzzeichen (Hydrops) sowie ein schon pränatal infauster Verlauf begünstigt. Nur wenige, schon reifere Feten mit pränatal diagnostiziertem CHAOS konnten durch vorzeitige Entbindung mittels der Ex-Utero-Intrapartum-Prozedur (EXIT-Prozedur) gerettet werden. Dieses geburtshilfliche Verfahren erlaubt es, nach Hysterotomie und Hervorluxieren des Ungeborenen seine Nabelschnurdurchblutung so lange aufrecht zu erhalten, bis die Atemwege durch eine Tracheotomie gesichert sind und das Baby beatmet werden kann. Erst dann wird es abgenabelt. Bei Ungeborenen, bei denen sich aufgrund ihrer Unreife ein derartiges Vorgehen verbietet, kann versucht werden, das CHAOS mittels eines neuen kombinierten fetoskopischen und ultraschallgesteuerten Behandlungsverfahrens kausal zu therapieren (. Abb. 26.3; Kohl et al. 2005a). Bei der Selektion zu einem solchen Eingriff ist zu beachten, dass die Erkrankung in etwa der Hälfte der Fälle mit einem Fraser-Syndrom (Kryptophthalmus, Syndaktylie, Larynxatresie) assoziiert sein kann.
26.1.9
Spina bifida aperta
Spina bifida aperta Eine Spina bifida aperta entsteht als Folge einer embryonalen Verschlussstörung von Wirbelbögen, benachbarten Hirnhäuten und Neuralrohr und ist die häufigste Ursache angeborener Körperbehinderung.
Werden Ungeborene mit Spina bifida aperta ausgetragen, ist das Ziel postnataler Chirurgie, die sich frei vorwölbenden nervösen Strukturen aus kosmetischen Gründen zu decken und um Neuroinfektionen zu verhindern. Eine kurative Behandlung der in Abhängigkeit von der Läsionshöhe sehr variabel ausgeprägten motorischen und sensiblen Störungen der unteren Extremitäten sowie von Blasen-, Mastdarm- und Sexualfunktion ist dagegen bislang nicht möglich (Walsh et al. 2001). Zahlreiche Untersuchungen unterstützen die Hypothese, dass die primäre Fehlanlage in der Embryonalperiode nicht allein für den postnatal beobachteten Schweregrad der neurologischen Ausfälle verantwortlich gemacht werden kann, sondern dass durch Stoß und Abrieb innerhalb der Fruchthöhle
577 26.1 · Chirurgische Therapien
. Abb. 26.3a–d. Fetoskopische und ultraschallgesteuerte Eröffnung eines verschlossenen Kehlkopfes in der 20. SSW durch Stenteinlage bei fetaler Larynxatresie mit Zeichen der Herzinsuffizienz. a Typisches 2-D-Ultraschallbild bei dieser Erkrankung mit ausgeprägt hyperplastischen und hyperechogenen Lungen (L). Wegen des erhöhten intrathorakalen Druckes kommt das schlecht gefüllte Herz (H) zu klein zur Darstellung. Im Abdomen findet sich ausgeprägter Aszites. b Nach fetoskopischer Lagerung des Fetus Einführung eines Operationstrokars in den fetalen Mund. c Fetoskopischer Aspekt des verschlossenen Kehlkopfes. d 2-D-Ultraschallbild: Durch den atretischen Bereich wurde ein Führungsdraht (Pfeil) in der fetalen Luftröhre positioniert. Über den Draht wurde dann die atretische Stelle zunächst mit kleinen Ballonkathetern aufdilatiert und dann dort ein Stent implantiert
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sowie durch chemische Einwirkungen des Fruchtwassers eine progressive Sekundärschädigung des freiliegenden Nervengewebes unterhalten wird (Walsh et al. 2001). Basierend auf dieser Hypothese war es das erklärte Ziel vorgeburtlicher Operationen, bei Spina bifida aperta eine geringere Ausprägung neurologischer Ausfälle zu erreichen. Leider konnte aber nach mehreren Hundert offenen fetalchirurgischen Eingriffen, im Vergleich zu vorgeburtlich unoperierten Feten, bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass es durch den vorgeburtlichen Verschluss des offenen Rückens zwischen der 20. und 30. SSW zu einer eindeutigen Verbesserung der Funktion der unteren Extremitäten kommt (Tubbs et al. 2003). Allerdings wurde ein völlig unerwarteter positiver Effekt der Operation
auf die Gehirnentwicklung beobachtet, welcher von erheblicher Bedeutung für die bei Spina bifida aperta beobachteten Morbidität, Mortalität und Lebensqualität ist. > Seit langem ist bekannt, dass der offene Rücken nahezu regelmäßig mit der Verlagerung von Hirnstamm- und Kleinhirnanteilen aus dem Hirnschädel in den zervikalen Spinalkanalbereich einhergeht. Diese sog. Chiari-Typ-II-Malformation wird als Folge eines chronischen Hirnwasserverlusts aus dem unverschlossenen Rückenmarkbereich erklärt, wodurch sich die hintere Schädelgrube zu klein ausbildet.
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Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
Durch Kompression von Atmungs- und Kreislaufregulationskernen kann die Chiari-Typ-II-Malformation zu lebensbedrohlichen Symptomen führen. Daneben resultiert aus der Fehllage des Hinterhirns in der Mehrzahl der Fälle auch eine Hirnwasserabflussstörung, welche eine Hirnatrophie sowie ein überproportionales Wachstum des Schädels begünstigen (Hydrozephalus). Zur Reduktion der durch den Hydrozephalus bedingten Sekundärmorbidität ist bei der Mehrheit der Patienten die Implantation eines ventrikuloperitonealen Shuntsystems erforderlich. Bei fast allen Ungeborenen, die pränatal an Spina bifida aperta operiert worden waren, resultierte aus der Normalisierung der Hirnwasserdruckverhältnisse ein Wachstum der hinteren Schädelgrube mit Aszension von Hirnstamm und Kleinhirn (Walsh et al. 2001). Erste Untersuchungen an diesem Kollektiv lassen vermuten, dass hierdurch die Inzidenz und Schwere von Hirnstammfunktionsstörungen, wie schwere Apnoe, Dysphagie, gastroösophagealer Reflux und neuroophtalmologische Störungen, verringert werden kann (Danzer et al. 2008). Daneben fällt im Vergleich zu einem erst nach der Geburt operierten Kontrollkollektiv auch eine deutlich verminderte Notwendigkeit zur postnatalen Implantation eines ventrikuloperitonealen Shuntsystems auf. Da das Vorliegen der Chiari-Typ-II-Malformation sowie die Notwendigkeit der nachgeburtlichen Shuntimplantation die nachgeburtliche Lebensqualität und das Leistungspotenzial von Patienten mit Spina bifida aperta maßgeblich beeinträchtigen, spornen diese Beobachtungen zu weiteren Untersuchungen des Potenzials der weiterhin noch experimentellen Behandlungsmethode an. Eine prospektive kontrollierte Studie zum Thema offene Fetalchirurgie bei Spina bifida aperta wird seit Februar 2003 in den Vereinigten Staaten durchgeführt. Wegen der leider nur zögerlichen Patientenrekrutierung werden die ersten Ergebnisse der Studie Ende des Jahres 2011 erwartet. (Info: MOMSTrial). Neben der offenen fetalchirurgischen Operationsmethode entwickelt unsere Arbeitsgruppe ein minimalinvasives fetoskopisches Behandlungsverfahren (. Abb. 26.4; Kohl et al. 2009a). Hierbei wird nach maternofetaler Vollnarkose der Fetus über 3 kleine Trokare (Außendurchmesser jeweils 5 mm) gelagert und die Fehlbildung verschlossen, sodass mittlerweile auch auf den sonst nach der Geburt üblichen Verschluss verzichtet werden kann. Der Eingriff wird in Gasinsufflation der Fruchthöhle über einen Zeitraum von etwa vier bis fünf Stunden durchgeführt (Kohl et al. 2009b). Ein wesentlicher Teil der operierten Ungeborenen zeigt, im Vergleich zu pränatal unoperierten Kindern gleicher Fehlbildungshöhe, eine auffallend bessere Beinmotorik und Blasen- und Mastdarmfunktion nach der Geburt. Auch wird bei fast allen fetoskopisch operierten Kindern ein Rückgang der Chiari-II-Malformation bis zur Geburt beobachtet. Inzwischen werden die meisten von ihnen ab der 33. Schwangerschaftswoche geboren. Zu diesem Zeitpunkt sind potenzielle Komplikationen durch die Frühgeburt per se selten. Unsere sehr ermutigenden jungen Erfahrungen mit der Methode lassen vermuten, dass die zum Zeitpunkt des Eingriffs in utero vorhandene Beinfunktion – unabhängig von der Höhe
der Fehlbildung – über die Geburt hinaus erhalten bleiben kann. Ungeborene, deren Hirnkammern zum Zeitpunkt des Eingriffs kaum erweitert sind, zeigen auch danach kaum eine Tendenz zur progressiven Erweiterung. So kann i. d. R. auf eine nachgeburtliche Shuntimplantation verzichtet werden.
26.1.10
Herzerkrankungen
! Während die meisten vorgeburtlich erkannten anatomischen Fehlbildungen des Herzens zu keiner prognostisch relevanten Sekundärschädigung im Schwangerschaftsverlauf führen, konnte beobachtet werden, dass vor allem hochgradige Verengungen von Semilunarklappen schwerste Sekundärschäden in den sich entwickelnden Herzen verursachen.
Hierdurch wird nicht nur ein Pumpverlust und eine mehr oder minder ausgeprägte Unterentwicklung der jeweils betroffenen Herzkammer, sondern auch eine Wachstumsstörung und Schädigung ihrer zugehörigen Atrioventrikularklappe ausgelöst. Das Ausmaß der Sekundärschädigung ermöglicht nachgeburtlich häufig nur noch palliative Behandlungsmaßnahmen bei eingeschränkter Prognose. Daneben können bei Feten mit hypoplastischem Linksherzsyndrom aus hochgradigen Verengungen bis hin zum kompletten Verschluss des Foramen ovales eine kritische Entbindungssituation sowie schwerste Schäden am Lungengefäßbett resultieren. 1991 veröffentlichten Maxwell und Kollegen die Technik der perkutanen ultraschallgesteuerten Ballonvalvuloplastie bei hochgradigen Semilunarklappenstenosen anhand der Fallbeschreibungen zweier Ungeborener mit hochgradigen Aortenklappenstenosen (Allan et al. 1995). Bis heute wurden weltweit um die 120 dieser Eingriffe durchgeführt, die Mehrheit bei hochgradigen fetalen Aortenklappenstenosen (Kohl et al. 2000; McElkinney et al. 2009). Inzwischen wird bei etwa 25% der Patienten nach Dilatation einer hochgradig verengten Aortenklappe eine für einen Zweikammerkreislauf ausreichende Funktion der linken Herzkammer beobachtet (McElkinney et al. 2009). Dass einige Ungeborene mit hochgradigen Aortenklappenstenosen von perkutanen ultraschallgesteuerten Ballonvalvuloplastien profitierten, bestätigt die Hypothese, dass durch die Intervention Wachstum und Funktion der betroffenen Herzkammer tatsächlich noch erhalten werden können. Leider aber hat die Methode seit ihrer klinischen Einführung vor etwa Anfang der 1990er Jahre bis heute keine gravierende Verbesserung erfahren. Etwa 20% der Eingriffe sind technisch nicht erfolgreich; nicht wenige Feten sterben während oder kurz nach dem Eingriff durch anhaltende Bradykardien, Blutungskomplikationen, Infektion oder Frühgeburt. Die aktuell beschriebenen höheren Erfolgsraten für das Erreichen eines Zweikammerkreislaufs zeugen daher kaum von einer Verbesserung der Inter-ventionstechnik, sondern eher von einer verfeinerten Selektion sowie Verbesserungen des nachgeburtlichen intensiv-medizinischen, interventionellen und operativen Managements.
579 26.1 · Chirurgische Therapien
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c . Abb. 26.4. Fetoskopische Patchabdeckung einer fetalen Spina bifida aperta in der 23. SSW. a Darstellung des Operationssetups. Die fetoskopische Operation wird perkutan durch 3 in die Fruchthöhle eingeführte Trokare durchgeführt. b Fetoskopischer Aspekt der feta-
len Spina bifida aperta, hier einer Myeloschisis, nach Fruchtwasserdrainage und Gasinsufflation der Amnionhöhle. c Adaptation der Haut. Die Spina bifida wurde zunächst mittels eines PTFE-Patchs abgedeckt
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Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
. Abb. 26.5. Fetoskopische Platzierung eines Ultraschallkatheters in die fetale Speiseröhre zur Durchführung fetaler transösophagealer Echokardiographie in der 25. SSW. a Darstellung des Operationssetups. Der Ultraschallkatheter wird perkutan durch einen in die Fruchthöhle eingeführten Trokar direkt bis in die Speiseröhre hinter das Herz des Fetus vorgeschoben. Aus dieser Position lassen sich Ultraschallaufnahmen des Herzens in ausgezeichneter Qualität gewinnen. b 2-D-Aufnahme des dilatierten linken Vorhofs (LA) und des hypertrophierten linken Ventrikels (LV) bei einem Fetus mit Aortenatresie und verschlossenem Vorhofseptum. c Im Farbdoppler zeigt sich kein Fluss über das verschlossene Septum (RA rechter Vorhof )
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b
Für Ungeborene mit hochgradigen Verengungen bis hin zum kompletten Verschluss des Foramen ovale besteht die Möglichkeit einer ultraschallgesteuerten atrialen Septoplastie, um die peripartale Kreislaufumstellung zur ermöglichen und zu einer Reduktion der Lungengefäßschäden beizutragen (Marshall et al. 2008; . Abb. 26.5). > Eine weitere Verbesserung der derzeitigen Erfolgsrate im Sinn des Erreichens einer nachgeburtlichen Zweikammerzirkulation bei Ungeborenen mit hochgradigen Semilunarklappenstenosen erscheint am ehesten durch einen deutlich früheren Interventionszeitpunkt unter Einbeziehung assistierender minimalinvasiver fetal kardialer Behandlungstechniken möglich.
Erste Eingriffe mit diesen neuen Operationsmethoden haben bereits die Schwelle zur klinischen Einführung überschritten (. Abb. 26.5; Kohl et al. 2005b). Als weitere vorgeburtlich therapeutisch relevante Erkrankungen werden lebensbedrohliche fetale Tachyarrhythmien
c
sowie anhaltende Bradykardien durch ein geschädigtes oder fehlgebildetes Reizleitungssystem bei kongenitalem komplettem Herzblock als Folge maternaler Kollagenosen oder Linksisomerien beobachtet. > Etwa 5% der Fälle mit fetalen Tachyarrhythmien und 10–20% der Fälle mit komplettem Herzblock sind mittels medikamentöser Therapie nicht hinreichend behandelbar.
Bei schwerst erkrankten Ungeborenen, bei denen trotz pharmakologischer Behandlungsversuche eine Progression der Herzinsuffizienz beobachtet wird und welche für eine vorzeitige Entbindung zur Einleitung nachgeburtlicher Therapien zu unreif sind, können inzwischen auch interventionelle vorgeburtliche Behandlungsmaßnahmen eingesetzt werden. Insbesondere für Ungeborene mit therapieresistentem Vorhofflattern steht mittels der fetoskopischen transösophagealen EKG-Ableitung und Überstimulation ein neues minimalinvasives diagnostisches und therapeutisches Verfahren zur Ver-
581 26.2 · Medikamentöse Therapien
fügung. Bei Ungeborenen mit lebensbedrohlichem kongenitalem Herzblock erlauben die fetoskopischen Operationstechniken inzwischen einen direkten Zugang zum fetalen Herzen zur Befestigung eines epikardialen Schrittmacherkabels. Dieses könnte mit einem außerhalb des Uterus in der mütterlichen Bauchwand implantierten Schrittmacher verbunden werden. Die mit dem Kabelverlauf verbundenen potenziellen Probleme Dislokation, Blasensprung, Amnionleck und Nabelschnurabschnürung machen die Entwicklung eines komplett im Fetus implantierbaren fetoskopischen Schrittmachersystems wünschenswert.
26.2
Medikamentöse Therapien
26.2.1
Adrenogenitales Syndrom
Die autosomal rezessiv vererbte kongenitale Nebennierenhyperplasie (kongenitale adrenale Hyperplasie, adrenogenitales Syndrom; Inzidenz: 1:12.000) basiert in >95% der Fälle auf einem Defekt der 21-Hydroxylase. Der Metabolismus von Cholesterin zu Kortisol wird verhindert, es kommt zu einer erhöhten hypophysären ACTH-Sekretion und konsekutiv zur Hyperplasie beider Nebennierenrinden mit exzessiver 17-Hydroxyprogesteronanreicherung, das in Androstendion und Testosteron umgewandelt wird. Bei weiblichen Feten führen die hohen Androgenspiegel zu einer Virilisierung des äußeren Genitales, von einer einfachen Klitorishypertrophie bis hin zu einem intersexuellen Genital, das aufwendige Korrekturoperationen zur Folge haben kann. Ziel der intrauterinen Therapie bei Nebennierenhyperplasie ist die Suppression der fetalen Nebennierenrinde, um so die Androgenüberproduktion zu vermeiden. Hierzu wird das plazentagängige Steroid Dexamethason (3-mal 0,5 mg oder 20–25 μg/kgKG auf 3 Tagesdosen verteilt) bereits während der Organogenese, möglichst schon in der 6. SSW post menstruationem, der Mutter verabreicht. Die 4-wöchige Kontrolle von Kortisol und Östriol im mütterlichen Serum als Marker der mütterlichen und fetalen Nebennierenrindenfunktion dient als Therapiekontrolle (Forst et al. 1993; Gembruch u. Geipel 1999). Durchgeführt werden sollte diese Therapie bei Familien mit einem Kind mit einem gesicherten 21-Hydroxylasemangel (Indexfall) und wenn beide Eltern heterozygote oder homozygote Merkmalsträger sind. Ab der 10. SSW kann eine Chorionzottenbiopsie zur Gewinnung fetaler Zellen erfolgen. Einerseits kann hieraus das Geschlecht des Fetus bestimmt werden, andererseits molekulargenetisch die Merkmalsträgerschaft für den Enzymdefekt. Nur bei weiblichen Feten, die homozygote Merkmalsträger sind, wird die Therapie unter regelmäßigen Kontrollen und ggf. Dosisanpassungen bis zur Geburt fortgesetzt, in allen anderen Situationen wird sie beendet, indem die Dexamethason-Gaben alle 2 Tage um 0,5 mg reduziert werden. Durch diese intrauterine transplazentare Behandlung betroffener homozygoter weiblicher Feten kann deren Virilisierung fast immer verhindert werden, sofern die Behandlung nur früh genug in der Schwangerschaft beginnt und das Dexamethason ausreichend hoch dosiert wird, um
die fetale Nebennierenrindenfunktion ausreichend zu unterdrücken. > Weibliche Neugeborene müssen auch nach der Geburt weiterbehandelt werden, um eine spätere Virilisierung zu verhindern.
26.2.2
Fetale Schilddrüsenfunktionsstörungen
Eine normale Konzentration von Schilddrüsenhormonen scheint für das fetale Wachstum und die Entwicklung vieler Organfunktionen, insbesondere des Hirns, essenziell (Poppe u. Glinoer 2003; Morreale de Escobar et al. 2004). Besonders im 1., aber auch im 2. und 3. Trimenon ist neben der fetalen Schilddrüsenhormonproduktion auch der ausreichende plazentare Transfer von mütterlichem Thyroxin (T4) zur Aufrechterhaltung adäquater fetaler Schilddrüsenhormomspiegel erforderlich, sodass eine maternale Hypothyreose auch zu einer Verminderung der fetalen Schilddrüsenkonzentration führen kann (Gembruch u. Geipel 1999; Poppe u. Glinoer 2003; Morreale de Escobar et al. 2004). > Die Bedeutung dieses plazentaren Thyroxintranfers wird auch daran deutlich, dass die Thyroxinspiegel im Nabelschnurblut athyreoter Neugeborner 25–50% derjenigen gesunder Neugeborener betragen.
Mit hochauflösenden Ultraschallgeräten ist es heute möglich, die fetale Schilddrüse bereits im 2. Trimenon darzustellen und zu vermessen. So kann eine Vergrößerung als Zeichen einer Funktionsstörung diagnostiziert werden (Cohen et al. 2003; Luton et al. 2005). Durch Messung von TSH und Thyroxin im Fruchtwasser (Singh et al. 2003), besser aber durch eine komplette Hormonanalyse im fetalen Blut kann das Vorliegen einer fetalen Hypothyreose oder auch Hyperthyreose gesichert werden (Cohen et al. 2003; Luton et al. 2005; Nachum et al. 2003).
Fetale Hypothyreose Durch das Neugeborenenscreening auf Stoffwechselstörungen, bei dem auch die neonatale TSH-Konzentration gemessen wird, werden Hypothyreosen heutzutage früh diagnostiziert und bereits am Ende der 1. Lebenswoche behandelt, sodass die Langzeitprognose dieser Kinder hinsichtlich der neurologischen Entwicklung deutlich gebessert wird. > Allerdings sprechen viele Daten dafür, dass eine Hypothyreose in der Fetalzeit, auch bei früher postnataler Diagnose und Behandlung, in Abhängigkeit vom Ausmaß des Schilddrüsenhormonmangels zu irreversiblen neurologischen Defiziten führen kann (Haddow et al. 1999). Ob dies auch für sublimische maternale Hypothyreosen gilt wird kontrovers diskutiert (Casey et al. 2005).
Die kongenitale Hypothyreose (Inzidenz: 1:4000 Lebendgeburten) ist Folge einer Dys- oder Agenesie der Schilddrüse oder einer Dyshormonogenese (Gembruch u. Geipel 1999;
26
582
Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
Poppe u. Glinoer 2003). Bei den restlichen Feten sind es maternale Autoantikörper, wie Thyrotropin (TSH)-Rezeptor-
26
blockierende Antikörper, die plazentagängig sind und zu einer Hypothyreose ohne und mit Struma führen können, die im Neugeborenenalter dann transient ist (Haddow et al. 1999). Da diese Autoantikörper auch bei der Mutter zu einer klinischen oder subklinischen Hypothyreose führen können, wird die Schilddrüsenhormonkonzentration, die teilweise auch vom transplazentaren Transfer des mütterlichen Thyroxins abhängig ist, negativ beeinflusst. Dies spielt eine besonders große Rolle beim maternalen und fetalen Iodmangel, bei dem es zu einer sehr ausgeprägten Hypothyreose bereits in der Fetalzeit kommt. Bereits bei Geburt zeigt sich das Bild des endemischen Kretinismus und der angeborenen Struma mit schweren Einschränkungen der intellektuellen und psychomotorischen Fähigkeiten (Gembruch u. Geipel 1999; Poppe u. Glinoer 2003). Schließlich können hohe Dosen von Thyreostatika zur Behandlung einer maternalen Hyperthyreose oder Amiodaron zur Behandlung lebensbedrohlicher maternaler Arrhythmien zu einer Suppression der fetalen Schilddrüsenfunktion und somit zu einer relevanten fetalen Hypothyreose und ggf. auch Struma führen. Sekundäre und tertiäre Hypothyreosen infolge einer hypothalamisch-hypophysären Dysregulation sind eine Rarität. Abhängig von der Ätiologie sind unterschiedliche Therapien einer fetalen Hypothyreose erforderlich. So sollte bei Behandlung einer maternalen Hyperthyreose die Dosierung der Thyreostatika möglichst gering gewählt bzw. reduziert werden. Ein Iodmangel lässt sich durch Substitution vermeiden, in einigen Ländern wird dies durch Iodanreicherung im Kochsalz oder Trinkwasser erreicht. Bei Familien mit vererblicher Hypo- und Athyreose kann frühzeitig in der Schwangerschaft die fetale Schilddrüsengröße und ggf. deren Funktion kontrolliert werden. > Die sonographische Größenkontrolle sollte auch immer im Rahmen einer thyreostatischen Therapie einer maternalen Hyperthyreose erfolgen (Cohen et al. 2003; Luton et al. 2005; Nachum et al. 2003).
Wird eine Vergrößerung der fetalen Schilddrüse (Struma diffusa) sonographisch diagnostiziert (. Abb. 26.6), so sollte durch eine Fetalblutentnahme die Diagnose der fetalen Hypothyreose oder auch Hyperthyreose gesichert werden. Im Fall einer fetalen Hypothyreose gelingt es durch wiederholte ultraschallgesteuerte Injektionen von Thyroxin ins Fruchtwasser (400–500 μg Thyroxin alle 10–12 Tage), die fetale Hypothyreose zu bessern und selbst bei ausgeprägten Befunden bereits intrauterin eine Normalisierung der Schilddrüsengröße zu erreichen (Gembruch u. Geipel 1999; Perelman et al. 1990; Yanai u. Shveiky 2004). Neben der sonographischen Größenkontrolle der fetalen Schilddrüse kann auch durch TSH-Bestimmungen im Fruchtwasser oder erneute Fetalblutentnahme der fetale Schilddrüsenhormonstatus während der intrauterinen Behandlung geprüft werden. Bei ausgeprägter fetaler Struma kann es aufgrund der damit verbundenen Schluckbehinderung auch zu einer schweren Polyhydramnie kommen, in Extremfällen
a
b . Abb. 26.6a, b. Querschnitt (a) und Längsschnitt (b) durch den Hals eines Fetus in der 22. SSW mit Struma diffusa bei kongenitaler Hypothyreose
auch zu Schwierigkeiten bei der postnatalen Atmung bzw. Intubation; auch dies lässt sich durch eine intrauterine Therapie vermeiden.
Fetale Hyperthyreose Die angeborene Hyperthyreose findet sich bei 1–2% der Schwangeren mit M. Basedow (»Graves’ disease«). Selbst bei euthyreoter Stoffwechsellage (antithyreostatische Therapie, Zustand nach Radioiodbehandlung oder Thyroidektomie) können maternale IgG-Autoantikörper die Plazenta kreuzen und beim Fetus eine thyreoidstimulierende Wirkung entfalten. Folgen können Frühgeburt, Wachstumsrestriktion, erhöhte perinatale Mortalität und transiente Hyperthyreose sein (Gembruch u. Geipel 1999; Poppe u. Glinoer 2003; Luton et al. 2005; Nachum et al. 2003; Peleg et al. 2002; Hatijs 1993; Stulberg u. Davies 2000; Duncombe u. Dickinson 2001). Fetale Hyperthyreose Eine fetale Hyperthyreose äußert sich zumeist durch eine Tachykardie >160 Schläge/min und Struma diffusa.
583 26.2 · Medikamentöse Therapien
Seltener sind eine fetale Herzinsuffizienz mit konsekutivem Hydrops und eine relevante fetale Wachstumsrestriktion (Gembruch u. Geipel 1999; Poppe u. Glinoer 2003; Hatijs 1993; Stulberg u. Davies 2000; Duncombe u. Dickinson 2001). Bei derartigen Hinweiszeichen bzw. anamnestischen Risiken kann durch eine Fetalblutentnahme [erhöhtes T4- und ggf. TSI (thyroid-stimulating immunglobulin) bei erniedrigen TSH-Spiegeln] die Diagnose gesichert werden. Es sollte eine transplazentare thyreostatische Behandlung erfolgen, indem täglich 150–300 mg Propylthiouracil verteilt auf 3 Einzeldosen peroral der Mutter verabreicht werden. Diese Therapie sollte zur Abnahme der fetalen Herzfrequenz und ggf. der Schilddrüsengröße führen. Falls unter dieser Therapie eine mütterliche Hypothyreose auftritt, muss dies durch eine L-Thyroxin-Substitution ausgeglichen werden.
26.2.3
Störungen des Herz-KreislaufSystems
Isolierte fetale Extrasystolen besitzen keine hämodynamische Relevanz und müssen deshalb auch nicht antiarrhythmisch behandelt werden. > Tachyarrhythmien (supraventikuläre Tachykardie und Vorhofflattern), deren Inzidenz um 1:1.500–2.000 beträgt, und ein kompletter AV-Block (Inzidenz um 1:15.000) des Fetus können bereits vorgeburtlich zur Herzinsuziffienz mit konsekutivem Hydrops fetalis und zum Tod führen.
Während bei Tachyarrhythmien eine Therapie des Fetus i. d. R. zur Kardioversion in einen normalen Sinusrhythmus führt, sind Therapieversuche bei komplettem atrioventrikulärem (AV-) Block mit fetaler Herzinsuffizienz wenig erfolgreich (Gembruch u. Geipel 1999; Gembruch u. Somville 1995; Gembruch 2009; Krapp et al. 2003). Die Diagnose und Differenzialdiagnose fetaler Arrhythmien erfolgt durch die M-Mode- und/oder Spektraldopplersonographie, die beide eine sehr hohe zeitliche Auflösung haben. Anhand der Wand- und Klappenbewegungen bzw. der Blutflüsse gelingt es so, die zeitliche Beziehung zwischen Vorhof- und Kammeraktionen zu analysieren und zu vermessen und Schlüsse auf die elektrischen Erregungsabläufe zu ziehen (Gembruch u. Somville 1995; Gembruch 2009).
Fetale Tachyarrhythmien Die Mehrzahl (zwei Drittel) der fetalen Tachyarrhythmien sind supraventrikuläre Tachykardien (SVT) mit einer 1:1-AVÜberleitung, ein Drittel Vorhofflattern mit einer zumeist 2:1oder höhergradigen AV-Blockierung. Über 90% der SVT beruhen auf einer Reentry-Tachykardie über eine akzessorische atrioventrikuläre Leitungsbahn, wie beim Wolf-ParkinsonWhite (WPW)-Syndrom. Sie beruhen auf einem noch unvollständigen bzw. verzögerten Verschluss des Anulus fibrosus. Wenn dieser Verschluss komplett ist, d.h. nur noch der AVKnoten einen Erregungsübertritt zwischen Vorhof- und Kammermyokard erlaubt, zeigen sich diese Reentry-Tachykardien nicht mehr. Ihre Prognose ist somit sehr günstig, nur 50%
treten nach Geburt wieder auf; von diesen sistieren 95% innerhalb des ersten Lebensjahres. Auch das Vorhofflattern tritt nach Geburt nur noch extrem selten wieder auf (Gembruch 2003; Krapp et al. 2003). ! Intrauterin führt eine fetale supraventrikuläre Tachykardie, deren Frequenz zwischen 230 und 280 Schlägen/min beträgt und die zumeist zwischen der 20. und 30. SSW einsetzt, bei längerem Anhalten zur Herzinsuffizienz des Fetus mit Auftreten eines Hydrops fetalis (Hautödem, Aszites, Pleura- und Perikardergüsse, Polyhydramnie und Hydrops placentae) und schließlich zum Tod.
Ursache ist eine überwiegend diastolische kardiale Dysfunktion – wohl infolge einer zu geringen Myokardperfusion oberhalb einer Herzfrequenzen von 210–220 Schlägen/min bei kritisch verkürzter Diastole, in der der größte Teil der koronaren Perfusion stattfindet – mit konsekutivem Anstieg des systemvenösen Druckes. Sauerstoffgehalt und mittlerer arterieller Blutdruck bleiben lange Zeit normal (Gembruch u. Geipel 1999; Gembruch u. Somville 1995; Gembruch 2009). Tipp Da postnatal die Herzarbeit um ca. 30% zunimmt und zudem eine Frühgeburt vor der 30. SSW – auch ohne Arrhythmie, Herzinsuffizienz und Hydrops – eine intensivmedizinische Betreuung erfordert und mit erhöhter Mortalität und Morbidität einhergeht, sollte immer der Versuch einer intrauterinen antiarrhythmischen Behandlung der Tachyarrhythmie erfolgen.
Digoxin und verschiedene Antiarrhythmika, wie Flecainid und Amiodaron, kommen hierbei zum Einsatz. > Diese Behandlung erfordert große Erfahrung und hohe Medikamentendosen und sollte daher nur an speziellen Zentren mit intensivem maternalem und fetalem Monitoring erfolgen. Das Medikament der ersten Wahl ist Digoxin.
Wegen der erhöhten renalen Clearance bei Schwangeren sind wesentlich höhere Tagesdosen von Digoxin erforderlich (Sättigungsdosis: 1000–1200 μg/Tag, Erhaltungsdosis: 500–600 μg/ Tag). Bei 60% der nicht hydropischen Feten mit SVT oder Vorhofflattern kann durch eine Digoxin-Monotherapie eine dauerhafte Kardioversion in einen Sinusrhythmus erreicht werden. Wenn dies nicht gelingt, muss ein zweites Antiarrhythmikum, z.B. 300 mg Flecainid/Tag, hinzugegeben werden. Da Digoxin bei Vorliegen eines Hydrops nur noch gering auf den Fetus übertritt und deshalb eine Kardioversion nur in ca. 15% der Fälle erreicht werden kann, wird bei Vorliegen eines Hydrops fetalis primär Flecainid verabreicht, das auch im Stadium des Hydrops gut plazentagängig ist (Gembruch u. Geipel 1999; Gembruch u. Somville 1995; Gembruch 2009; Krapp et al. 2003). So können <95% der Feten mit einer Tachyarrhythmie erfolgreich medikamentös kardiovertiert werden. Eine Direktgabe von Antiarrhythmika an den Fetus (in die Nabelvene) ist kaum noch indiziert. Nach Kardiover-
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584
Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
sion normalisieren sich Herzfunktion und venöser Druck; die fetalen Wassereinlagerungen verschwinden. Die antiarrhythmische Therapie sollte bis zur Geburt fortgesetzt werden. Die Entbindung kann normal erfolgen. Nach Geburt werden die Neugeborenen kardiologisch überwacht; bei Wiederauftreten der Arrhythmie – bei ca. 50% der Neugeborenen – wird die antiarrhythmische Behandlung fortgesetzt.
26
Fetaler AV-Block Bei rund 40% der Feten mit komplettem AV-Block besteht eine anatomische Fehlanlage des AV-Knotens im Rahmen eines Linksisomerismus (doppelte Linksseitigkeit, linksatrialer Isomerismus, Polyspleniesyndrom, Heterotaxiesyndrom), der häufig mit einem atrioventrikulären Septum-
defekt (AVSD, AV-Kanal) assoziiert ist. Kommt es bei diesen Feten zur Herzinsuffizienz und zum Hydrops, so ist die Prognose extrem schlecht (Gembruch u. Geipel 1999; Gembruch u. Somville 1995; Berg et al. 2005a, b). Fast alle andere Fälle von komplettem AV-Block des Fetus beruhen auf einer inflammatorischen Zerstörung der Reizleitungssystems, ausgelöst durch maternale antinukleäre IgGAutoantikörper (anti-SSA- und anti-SSB-Antikörper), die ab der 17. SSW die Plazenta kreuzen und zu einer mehr oder weniger lokalisierten Myokarditis führen. Sind diese Antikörper vorhanden, entwickeln nur etwa 1–2% der Ungeborenen einen kompletten AV-Block. Wenn allerdings in einer ersten Schwangerschaft ein Ungeborenes an einem antikörperinduzierten Herzblock erkrankte, besteht ein Wiederholungsrisiko von etwa 16%. Auch hier ist die perinatale Mortalität hoch, da bereits 15–20% der Feten in utero herzinsuffizient und somit hydropisch werden. Auch viele pränatal nicht hydropische Kinder sterben im Säuglingsalter oder den ersten Lebensjahren an einer progressiven Kardiomyopathie. Als ursächlich hierfür werden nicht nur die myokardiale Dauerbelastung und durch die Inflammation bedingte strukturelle Schädigungen des Myokards während der Fetalzeit, sondern auch durch das künstliche Aufrechterhalten einer normalen Herzfrequenz induzierte intrinsische Schäden der Schrittmachertherapie diskutiert. Intrauterine Behandlungsversuche mit der transplazentaren Gabe von β-Sympathomimetika (positiv chronotrop und inotrop), Digoxin (positiv inotrop) und Dexamethason führen nur selten zum Verschwinden des Hydrops (Berg et al. 2005a). Durch seinen antiinflammatorischen Effekt könnte Dexamethason (4–5 mg/Tag) die Myokarditis hemmen und so das Ausmaß der sekundären Kardiomyopathie mindern. Auch wurde im Rahmen einer transplazentaren Dexamethasonbehandlung bei einzelnen Patienten vermutet, dass hierdurch die Progression eines erst- oder zweitgradigen Herzblocks zum kompletten Herzblock verhindert wurde. Dennoch wurde in anderen Fällen auch unter Therapie die Entwicklung eines kompletten Herzblocks beobachtet (Friedman et al 2009). Ist letzterer erst einmal eingetreten, bleibt er irreversibel. Zu bedenken ist auch, dass die Langzeitbehandlung mit Dexamethason nicht nur maternale, sondern insbesondere durch Störungen von Wachstum und Gehirnentwicklung
auch bedeutsame fetale Nebenwirkungen birgt. In naher Zukunft könnte daher die fetalchirurgische Implantation eines Herzschrittmachers bessere Behandlungsergebnisse erzielen.
Unterentwicklung kardiovaskulärer Strukturen Bei zahlreichen fetalen Vitien werden z. T. schwere Hypoplasien kardiovaskulärer Strukturen beobachtet. Diese werden in vielen Fällen therapeutisch und prognostisch von Bedeutung. Frühe klinische Erfahrungen zeigen, dass durch eine maternofetale Hyperoxygenierung (Kohl-Prozedur) in der Spätschwangerschaft die kardiovaskuläre Durchblutung so manipuliert werden kann, dass es über einen Zeitraum von 2–4 Wochen zu einer deutlichen Dimensionszunahme kleiner Strukturen kommen kann (Kohl et al. 2008, 2010). So nehmen wir an, dass hierdurch bei einigen Feten auf eine nachgeburtliche Operation bei Aortenisthmusstenose verzichtet werden konnte, während bei anderen die Operationsbedingungen für diesen Eingriff erleichtert wurden. Der Behandlungsversuch wird ab der vollendeten 34. Schwangerschaftswoche – nach positivem Votum durch die Ethikkommission – durchgeführt. Die Schwangere atmet hierzu in 3 Sitzungen von 3–4 h täglich über eine Maske medizinischen Sauerstoff in einer Konzentration von etwa 45% ein. Das Behandlungsprinzip beruht auf dem Prinzip der durch die Erhöhung der fetalen Blutsauerstoffspannung erzeugten fetalen pulmonalen Vasodilatation. Hierdurch kommt es zunächst zu einer deutlichen Zunahme des pulmonalvenösen, aber dann auch des zentralvenösen Rückstroms zum fetalen Herzen. Die hierdurch erzeugte Erhöhung der Vorlast sowie die vermehrte Durchströmung des fetalen Herz-KreislaufSystems des Ungeborenen erzeugen in der Folge messbare Dimensionszunahmen von hypoplastischer Herz- und Gefäßsegmenten. Die Methode ist davon abhängig, dass der vermehrte Blutfluss zum Herzen die hypoplastischen Bereiche überhaupt erreichen und dilatieren kann. So erweisen sich höhergradige Verengungen der Atrioventriularklappen sowie Einflusshindernisse wie bei Cor triatriatum oder links-persistierender oberer Hohlvene, und auch nicht drucktrennende Ventrikelseptumdefekte als kontraproduktiv für die Behandlung. So ist verständlich, dass ein durch eine schwerste Semilunarklappenstenose geschädigter und vernarbter Ventrikel, wie auch ein echtes hypoplastisches Linksherz nicht von dieser Methode profitieren können.
26.3
Zusammenfassende Bewertung
Die Selektion von Ungeborenen zur Durchführung intrauteriner medikamentöser und chirurgischer Interventionen, gefolgt von der peri- und postinterventionellen Betreuung der Schwangeren sowie der postnatalen Behandlung der operierten Ungeborenen sind ohne eine echte interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich. Um falsche Erwartungen zu vermeiden, sollten die Behandlungsziele, Vor- und Nachteile sowie die spezifischen Risiken der verschiedenen Verfahren, soweit bekannt, klar formuliert werden.
585 Literatur
Grundsätzlich ist zu fordern, neue experimentelle Behandlungsversuche im Einvernehmen mit der Ethikkommission einer medizinischen Fakultät und im Geist der Helsinki-Deklaration durchzuführen. Betroffenen Schwangeren und ihren Partnern sollte beim Vorliegen von Erkrankungen, wie z. B. hochgradigen fetalen Semilunarklappenstenosen oder Spina bifida aperta vermittelt werden, dass vorgeburtliche Interventionen bei diesen Erkrankungen nur selten lebensrettenden Charakter haben und viel mehr das Ziel verfolgen, die nachgeburtliche Behandlung zu erleichtern und die Lebensqualität und Gesamtprognose zu verbessern. Das gerade bei der fetalen Ballonvalvuloplastie hochgradiger Semilunarklappenstenosen nicht unerhebliche Interventionsrisiko für das Ungeborene im Vergleich zu nachgeburtlichen palliativen Verfahren sollte klar offen gelegt werden. Diese Situation unterscheidet sich fundamental bei solchen vorgeburtlichen Erkrankungen, wie z. B. dem Zwillingstransfusionssyndrom oder der Zwerchfellhernie, die entweder schon intrauterin oder postpartal lebensbedrohlich für Ungeborene sind oder werden. In diesen Fällen dienen die intrauterinen Eingriffe als potenziell lebensrettende Behandlungsversuche, welche ein aggressiveres Vorgehen rechtfertigen. Die potenziellen Vor- und Nachteile der verschiedenen Interventionsverfahren werden sich allerdings nur nach ihrer klinischen Erprobung an einer ausreichend großen Anzahl von Patienten offenbaren können. Dieses Ziel kann nur durch eine zentralisierte Behandlung und intensive wissenschaftliche Auswertung der in Deutschland ausgetragenen Ungeborenen mit dem Spektrum der in diesem Kapitel aufgeführten Erkrankungen erreicht werden.
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26
Kapitel 26 · Der Fetus als Patient – Chirurgische und medikamentöse Therapie
Kohl T, McElhinney DB, Farrel J, Harrison MR, Scheld HH, Vogt J, Silverman NH (1998) Fetoplacental blood flow predicts outcome after open fetal surgery for diaphragmatic hernia in human fetuses. Pediatr Res 43: 23A Kohl T, McElhinney DB, Farrel J, Scheld HH, Vogt J, Harrison MR, Silverman NH (1999) Impact of fetoscopic versus open fetal surgery on fetoplacental blood flow and outcome in human fetuses. European Heart Journal 20(Abstract Suppl): 644A Kohl T, Sharland G, Allan LD, Gembruch U, Chaoui R, Lopes LM, Zielinsky P, Huhta J, Vogt J, Scheld HH, Silverman NH (2000) World experience of fetal cardiac intervention in human fetuses with severe aortic valvar obstruction. Am J Cardiol 85: 1230–1233 Kohl T, Hering R, Bauriedel G et al. (2005a) Percutaneous fetoscopic and ultrasound-guided decompression of the fetal trachea permits normalization of fetal hemodynamics in a human fetus with Fraser syndrome and congenital high airway obstruction syndrome (CHAOS) from laryngeal atresia. Ultrasound Obstet Gynecol 27: 84–88 Kohl T, Müller A, Tchatcheva K, Achenbach S, Gembruch U (2005b) Fetal transesophageal echocardiography – Clinical introduction as a monitoring tool during fetal cardiac intervention in a human fetus. Ultrasound Obstet Gynecol 26: 780–785 Kohl T, Gembruch U, Filsinger B, Hering H, Bruhn J, Tchatcheva K, Aryee S, Franz A, Heep A, Müller A, Bartmann P, Loff S, Hosie S, Neff W, Schaible S (2006) Early clinical experience with deliberately delayed temporary fetoscopic tracheal occlusion for the prenatal treatment of life-threatening right and left congenital diaphragmatic hernias. Fetal Diagn Ther 21: 314–318 Kohl T (2008) Mending the tiniest hearts – an overview. In: Yagel S, Silverman N, Gembruch U (eds) Fetal cardiology, 2nd edn. Informa Health Care, New York Kohl T, Tchatcheva K, Merz W, Wartenberg HC, Heep A, Müller A, Franz A, Stressig R, Willinek W, Gembruch U (2009a) Percutaneous fetoscopic patch closure of spina bifida aperta: advances in fetal surgical techniques may obviate the need for early postnatal neurosurgical closure. Surg Endosc 23(4): 890–895 Kohl T, Tchatcheva K, Weinbach J, Hering R, Kozlowski P, Stressig R, Gembruch U (2009b) Partial amniotic carbon dioxide insufflation (PACI) during minimally invasive fetoscopic surgery: early clinical experience in humans. Surg Endosc Jun 30 (Epub ahead of print) Kohl T (2010) Chronic intermittent materno-fetal hyperoxygenation in late gestation may improve on hypoplastic cardiovascular structures associated with cardiac malformations in human fetuses. Pediatr Cardiol 31(2): 250–263 Krapp M, Kohl T, Simpson JM, Sharland GK, Katalinic A, Gembruch U: Review of diagnosis, treatment, and outcome of fetal atrial flutter compared with supraventricular tachycardia. Heart 89: 913–917 Lim FY, Crombleholme TM, Hedrick HL, Flake AW, Johnson MP, Howell LJ, Adzick NS (2003) Congenital High Airway Obstruction Syndrome: Natural History and Management. J Pediatr Surg 38: 940–945 Luks FI, Peers KH, Deprest JA, Lerut TE, Vandenberghe K (1999) The effect of open and endoscopic fetal surgery on uteroplacental oxygen delivery in the sheep. J Pediatr Surg 31: 310–314 Luton D, Le Gac I, Vuillard E, Castanet M, Guibourdenche J, Noel M, Toubert ME, Léger J, Boissinot C, Schlageter MH, Garel C, Tébeka B, Oury JF, Czernichow P, Polak M (2005) Management of Graves’ disease during pregancy: the key role of fetal thyroid gland monitoring. J Clin Endocrinol Metab 90: 6093–6098
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27 27 Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) H. Schneider, K.T.M. Schneider 27.1
Allgemeine Grundlagen – 588
27.2
Ätiologie der IUWR – 591
27.2.1
Pathophysiologie des fetalen Wachstums
27.3
Regulation des Wachstums in der fetoplazentaren Einheit und deren Störung – 596
27.4
Pathophysiologie der fetoplazentaren Adaptation an eine chronische Versorgungsstörung – 597
– 591
27.5
Screening – 598
27.5.1 27.5.2 27.5.3 27.5.4
Klinische Untersuchung – 598 Ultraschallbiometrie – 599 Dopplersonographie – 600 Plazentaassoziierte Risikofaktoren – 601
27.6
Diagnostik und Überwachung – 601
27.6.1 27.6.2 27.6.3 27.6.4
Chordozentese: Chromosomenanomalien, Infektion, Plazentainsuffizienz – 601 Dopplersonographie – 603 Fruchtwassermenge – 605 CTG und biophysikalisches Profil – 605
27.7
Therapieansätze, Prävention – 605
27.8
Festlegung des Entbindungszeitpunktes – 606
27.9
Langzeitentwicklung – 609 Literatur – 609
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
588
27
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Ein Geburtsgewicht <10. Perzentil der für das Gestationsalter gegebenen Normalverteilung ist als »small for gestational age« (SGA) definiert und kann Ausdruck verschiedener konstitutioneller Faktoren wie Geschlecht des Kindes, Gewicht und Körpergröße der Mutter, ethnische Zugehörigkeit u. a. sein. Von verschiedenen Screeninguntersuchungen hat sich die Ultraschallbiometrie verschiedener Körpermaße des Fetus wie der Abdomenumfang und der Kopfdurchmesser zusammen mit der Beurteilung der Fruchtwassermenge am besten für die Früherkennung von Wachstumsstörungen bewährt. Bei Verdacht auf SGA ist eine detaillierte Diagnostik zum Ausschluss von Chromosomenanomalien, Fehlbildungen und viralen Infekten angezeigt. Nur bei etwa der Hälfte der SGA-Feten bestehen Hinweise auf eine intrauterine Wachstumspathologie. Eine intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) oder »intrauterine growth restriction« (IUGR) kann Folge einer intrinsischen (Chromosomenanomalien) oder extrinsischen (virale Infektionen, Toxine, Strahlen) Schädigung des für die Wachstumskontrolle verantwortlichen Genmaterials oder Folge einer chronischen Versorgungsstörung sein. Während die Prognose der genetisch bedingten IUWR generell schlecht und therapeutisch nicht beeinflussbar ist, kann bei den auf Mangelversorgung basierenden Formen die Prognose durch eine sorgfältige Überwachung mit dem Ziel der rechtzeitigen Entbindung und einer optimalen perinatalen Versorgung deutlich verbessert werden. Die chronische Plazentainsuffizienz basiert einerseits auf einer Schädigung der uteroplazentaren Gefäße, andererseits auf einer Pathologie der Plazentazotten. Störungen der Angiogenese sowie Zottenreifung sind mit besonders früh auftretenden und schweren Formen der IUWR mit ausgeprägter Widerstandserhöhung im Umbilikalkreislauf verbunden. Neben der Diagnostik kommt der Zustandsbeurteilung des Fetus und dem rechtzeitigen Entscheid für die Entbindung zentrale Bedeutung zu. Ziel einer vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung ist die Vermeidung der Schädigung fetaler Organe durch chronische Gewebshypoxie und Azidose, die Grundlage verschiedener Entwicklungsstörungen sein können, die sich auch erst im Erwachsenenalter manifestieren können (7 Kap. 28, »fetal programming«). Andererseits ergeben sich bei zu früher Intervention die Gefahren der Frühgeburtlichkeit. Eine serienmäßige dopplersonographische Beurteilung der Plazentagefäße sowie verschiedener Gefäße des Fetus ist allen anderen Überwachungsmethoden für die Verlaufsbeobachtung eindeutig überlegen. Ein enddiastolischer Strömungsstopp oder ein negativer Fluss in der Nabelschnurarterie sind mit einem beträchtlich erhöhten Azidoserisiko verbunden, wobei bei pathologischen Dopplermustern im venösen Gefäßbereich – v. a. im Ductus venosus – eine unmittelbare Bedrohung des Fetus vorliegt. Die zeitliche Dynamik der Dekompensation des Herz-Kreislauf-Systems variiert beträchtlich; hier muss bei einer begleitenden Präeklampsie mit einer raschen Progredienz gerechnet werden. Die Latenzzeit zwischen dem Auftreten einer Umverteilung des arteriellen Blutflusses in den fetalen Organen bis zur Dopplerpathologie im venösen System verkürzt sich mit fortschreitendem Gestationsalter. 6
Bei Fällen mit sehr ungünstiger Prognose wie einer schweren IUWR bei einem Gestationsalter von <28. SSW und fortgeschrittenen Zeichen der Herzinsuffizienz oder aber bei Nachweis von Chromosomenanomalien oder schwerwiegenden Organfehlbildungen muss im Einzelfall auch der Verzicht auf eine operative Schwangerschaftsbeendigung und das Abwarten des natürlichen Verlaufes diskutiert werden. Diese schwierige Entscheidung ist in enger Abstimmung mit den Eltern zu treffen.
27.1
Allgemeine Grundlagen
Das Geburtsgewicht ist ein wichtiges Beurteilungskriterium des Neugeborenen, da Abweichungen von der Norm mit einer Zunahme der Morbidität und der Mortalität verbunden sind. Da das Gestationsalter die wichtigste Einflussgröße für das Geburtsgewicht darstellt, können Rückschlüsse auf das intrauterine Wachstum nur im Abgleich mit Gewichtskurven, basierend auf der Normalverteilung von Geburtsgewichten bei unterschiedlichem Schwangerschaftsalter, gezogen werden. Gewichtskurven Ausgehend von den Gewichtskurven werden die Neugeborenen in 3 Gewichtsklassen eingeteilt: 4 für das Gestationsalter zu kleine Neugeborene (»small for gestational age«, SGA), definiert durch Geburtsgewichte unterhalb der 10. Perzentile, 4 normalgewichtige Neugeborene, 4 für das Gestationsalter zu große Neugeborene (»large for gestational age«, LGA), definiert durch Geburtsgewichte oberhalb der 90. Perzentile.
Studienbox Für den deutschsprachigen Bereich liegen verschiedene Wachstumskurven ausgehend von Neugeborenengewichten vor (Largo et al. 1980; Weller u. Jorch 1993; Kyank et al. 1977). Neuere Normkurven wurden basierend auf den Daten von 560.000 Einlingsgeburten aus der Perinatalerhebung in Deutschland publiziert (Voigt et al. 1996, 1997; . Abb. 27.1, . Tab. 27.1).
Bei all diesen Normkurven ist zu berücksichtigen, dass sie auf Neugeborenengewichten basieren und dass ein überproportional hoher Anteil von Kindern mit intrauteriner Wachstumsrestriktion bei den Frühgeburten eine gewisse Verlagerung der Werte zu niedrigeren Geburtsgewichten in diesem Bereich zur Folge hat. Neben dem Gestationsalter haben andere Faktoren wie das Geschlecht (Mädchen sind am Termin im Durchschnitt um 150 g leichter als Jungen), die ethnische Zugehörigkeit sowie verschiedene maternale Einflussfaktoren wie z. B. das Alter sowie auch die Körpergröße der Mutter und ihr Gewicht zu Beginn der Schwangerschaft einen systematischen Einfluss auf das Geburtsgewicht (. Tab. 27.2). Aus den Daten der Perinatalerhebungen konnte mit Hilfe linearer Regression pro Zentimeter mütterlicher Körpergröße
27
589 27.1 · Allgemeine Grundlagen
. Tab. 27.1. Perzentilwerte des Geburtsgewichtes [g] je Tragzeit für Knaben und Mädchen (Deutschland 1995 – 2000, n=2,3 Mio. Einlinge, geglättete Werte mit Hilfe der polynomialen Regression). (Nach Voigt et al. 2006)
SSW
Geburtsgewicht (Perzentilen) 5.
10.
50.
90.
95.
23+0–23+6
400
420
430
450
580
600
700
720
750
770
24+0–24+6
460
480
490
510
670
690
800
840
860
880
25+0–25+6
520
540
560
600
760
800
930
970
990
1030
26+0–26+6
590
610
640
680
880
940
1060
1120
1140
1180
27+0–27+6
650
690
710
770
1000
1080
1220
1280
1300
1360
28+0–28+6
710
750
800
860
1120
1220
1390
1450
1460
1520
29+0–29+6
790
830
900
960
1250
1350
1570
1630
1650
1710
30+0–30+6
900
940
990
1070
1420
1520
1770
1830
1850
1910
31+0–31+6
1010
1070
1100
1180
1590
1690
1960
2020
2050
2110
32+0–32+6
1140
1200
1260
1340
1790
1890
2180
2260
2280
2360
33+0–33+6
1300
1360
1470
1550
2030
2130
2470
2550
2610
2690
34+0–34+6
1530
1600
1710
1790
2270
2390
2770
2850
2920
3000
35+0–35+6
1790
1870
1980
2060
2550
2640
3060
3140
3230
3320
36+0–36+6
2060
2140
2230
2330
2760
2860
3290
3390
3460
3550
37+0–37+6
2290
2400
2460
2570
2970
3090
3500
3620
3660
3770
38+0–38+6
2500
2620
2660
2780
3160
3300
3690
3840
3850
4000
39+0–39+6
2670
2790
2820
2950
3320
3470
3850
4010
4020
4180
40+0–40+6
2800
2910
2940
3070
3450
3600
4000
4170
4180
4350
41+0–41+6
2890
3010
3050
3160
3540
3700
4100
4290
4300
4470
42+0–42+6
2900
3030
3050
3200
3580
3760
4180
4350
4360
4520
43+0–43+6
2770
2860
2920
3040
3530
3670
4130
4340
4340
4510
eine Zunahme des Geburtsgewichtes um durchschnittlich 17 g abgeleitet werden. 4 Die Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft führt bei Schwangeren mit einem Ausgangsgewicht von ≤ 58 kg KG zu einer Erhöhung des Geburtsgewichtes um 23 g pro kg KG. 4 Bei einem höheren Ausgangsgewicht ist die Auswirkung auf das Geburtsgewicht geringer. 4 Bei einem Körpergewicht der Mutter zwischen 59 kg und 67 kg ist lediglich ein Mehr von 14 g pro kg KG bzw. bei Müttern mit ≥ 68 kg von 4 g zu verzeichnen (Voigt et al. 1997). Die vielfach angeführte Korrelation zwischen dem Geburtsgewicht und der Parität erklärt sich v. a. durch das zunehmende
Alter der Mutter und das damit verbundene erhöhte Ausgangsgewicht. > Die Klassifizierung eines Neugeborenen als SGA ist nicht gleichbedeutend mit einem pathologischen Wachstum, sondern kann Ausdruck von genetisch bedingten Unterschieden im normalen Wachstum sein.
Feten, die ihr anlagebedingtes Wachstumspotenzial wegen genetischer Störungen oder Umweltfaktoren nicht erreicht haben, werden als IUWR oder Feten mit intrauteriner Wachtumsrestriktion als Untergruppe innerhalb der SGA-Klassifizierung geführt. Je vollständiger physiologische Einflussfaktoren auf das Geburtsgewicht ausgeschlossen werden können, umso mehr erhöht sich der positive Vorhersagewert für eine IUWR.
590
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
27
. Abb. 27.1. Wachstumskurven nach Voigt/Schneider, Weller/Jorch, Lubschenko und Kyank
. Tab. 27.2. Perzentilwerte des Geburtsgewichtes für Mädchen und Jungen unter Berücksichtigung von Körpergewicht und -länge der Mutter. (Nach Voigt et al. 1997)
Körperge37–58 wicht der Mutter [kg], 140–160 Körperlänge der Mutter [cm], SSW
59–67 161–165
166–190
140–164
68–120 165–169
170–190
140–167
168–172
173–190
33
1440 1520 1450 1530 1460 1540 1460 1540 1460 1550 1480 1560 1480 1560 1490 1570 1500 1580
34
1650 1730 1670 1750 1690 1770 1700 1780 1720 1800 1740 1820 1730 1810 1760 1840 1760 1870
35
1900 1980 1930 2010 1960 2040 1980 2060 2000 2080 2020 2100 2010 2090 2040 2120 2040 2160
36
2130 2230 2170 2270 2210 2310 2240 2340 2270 2370 2300 2400 2270 2370 2320 2420 2320 2480
37
2340 2450 2390 2500 2440 2550 2450 2560 2500 2610 2550 2660 2500 2610 2560 2670 2560 2750
38
2520 2640 2590 2710 2640 2760 2640 2760 2690 2810 2750 2870 2690 2810 2780 2900 2780 2970
39
2670 2800 2740 2870 2790 2920 2790 2920 2850 2980 2900 3030 2840 2970 2940 3070 2940 3130
40
2790 2920 2840 2970 2900 3030 2910 3040 2960 3090 3010 3140 2970 3100 3060 3190 3060 3250
41
2870 3010 2920 3060 2960 3100 2970 3110 3030 3170 3090 3230 3030 3170 3130 3270 3130 3330
42
2860 3010 2920 3070 2970 3120 2970 3120 3060 3210 3130 3280 3070 3220 3150 3300 3150 3350
43
2750 2810 2810 2930 2860 2980 2860 2980 2930 3050 3000 3120 2990 3110 3060 3180 3060 3240
591 27.2 · Ätiologie der IUWR
Die Abgrenzung zwischen kleinen, aber normal gewachsenen Neugeborenen gegenüber Kindern mit pathologischem Wachstum (IUWR) ist von großer klinischer Bedeutung, da nur in der pathologischen Gruppe mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität zu rechnen ist u nd ein entsprechender Mehraufwand an diagnostischen, prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen gerechtfertigt ist. Auf die praktische Bedeutung der Verwendung korrigierter Gewichtskurven unter Berücksichtigung verschiedener konstitutioneller Faktoren wurde hingewiesen (Akram u. Arif 2005).
Studienbox In einem retrospektiven Vergleich bevölkerungsbasierter Wachstumskurven mit korrigierten Wachstumskurven zur Differenzierung zwischen SGA und IUWR wurde gezeigt, dass 28% der mit Hilfe der konventionellen Gewichtskurven als zu klein (<10. Gewichtsperzentile für das Gestationsalter) und 22% der als zu groß (>90. Gewichtsperzentile) eingestuften Feten tatsächlich innerhalb des Normalbereiches der korrigierten Geburtsgewichte lagen. Umgekehrt waren 24% der SGA- und 26% der zu großen Kinder anhand der konventionellen Gewichtskurven als normal eingestuft worden (Gardosi et al. 1992). Die Erstellung derartiger individueller Wachstumsnomogramme ist derzeit durch die Implementierung in gebräuchliche Dokumentationssysteme (z. B. Viewpoint) problemlos möglich.
Randomisierte Vergleichsstudien müssen zeigen, wie weit durch den Einsatz entsprechend angepasster Gewichtskurven die Vorhersage von IUWR-Feten insgesamt verbessert und unnötiger diagnostischer und therapeutischer Aufwand bei falsch eingestuften Fällen vermieden werden kann.
4 Formen, die primär auf fetaler Pathologie basieren bei weitgehend ungestörter Versorgung, 4 Formen mit einer Beeinträchtigung der Versorgung (7 Übersicht). Ätiologische Einteilung verschiedener Formen von intrauteriner Wachstumsrestriktion (IUWR) Fetale Pathologie (ungestörte Versorgung) 4 Endogen 5 Genetische Anomalien einschließlich Stoffwechselerkrankungen 5 Fehlbildungen 4 Exogen 5 Intrauterine Infektionen: Röteln, Zytomegalie, Toxoplamose, Herpes 5 Strahlenexposition Gestörte Versorgung 4 Präplazentar 5 O2-Mangel (Höhenexposition) 5 Hyperthermie 5 Mangelernährung 5 Toxische Einflüsse, Nikotin, Alkohol, Drogen 5 Maternale Erkrankungen – Anämie – Hypertonie/Präeklampsie – Chronische Nierenleiden – Zyanotische Herzvitien – Kollagenosen, z. B. systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Diabetes mellitus 4 Plazentar 5 Plazenta praevia 5 Chromosomenanomalien 5 Gestörte Plazentation (mit oder ohne Uteruspathologie)
Studienbox Generell kann man davon ausgehen, dass knapp die Hälfte aller SGA-Kinder Folge einer intaruterinen Wachstumsbeeinträchtigung sind und somit als pathologisch eingestuft werden müssen. Nur etwa 1/3 aller SGA-Kinder sind Termingeburten (Wladimiroff 1991; Pollak u. Divon 1992; Zimmer u. Divon 1992; Resnik 2002, Elo 2009). Bei Vorliegen einer intrauterinen Wachstumsrestriktion ist das Frühgeburtsrisiko gegenüber normosomen Feten um das 2- bis 3-Fache erhöht (Lackman et al. 2001).
27.2
Ätiologie der IUWR
Für eine intrauterine Wachstumsrestriktion gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen. Eine ätiologische Zuordnung ermöglicht gewisse Prognosen für den klinischen Verlauf, den Schweregrad sowie das Widerholungsrisiko. Bei der ätiologischen Einteilung wird grundsätzlich unterschieden zwischen:
27.2.1
Pathophysiologie des fetalen Wachstums
Das Gewebewachstum basiert auf der Vermehrung der Zellzahl durch Teilung (Hyperplasie) und der Zunahme des Zellvolumens (Hypertrophie). Das embryonale Wachstum ist v. a. Folge von Zellvermehrung, während im letzten Schwangerschaftsdrittel ein hypertrophisches Wachstum im Vordergrund steht. Im mittleren Schwangerschaftsdrittel tragen Hyperplasie wie auch Hypertrophie zu gleichen Teilen zum Wachstum bei. Das intrauterine Wachstum stellt eine Balance zwischen mütterlichen und väterlichen genetischen Einflüssen dar, die sich auf das Wachstum und die Funktion der Plazenta sowie auf das Wachstum des Fetus auswirken (7 unten).
27
592
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Studienbox
27
Kreuzungsversuche in der Tierzucht zeigen, dass die Körpergröße des Muttertieres einen sehr viel stärkeren Einfluss auf die Abmessungen des Neugeborenen hat als die Größe des Vaters (Walton et al. 1938). Bei Schwangerschaften nach Eispende fand sich interessanterweise keine Beziehung zwischen dem Gewicht und der Körpergröße der Spenderin und dem Geburtsgewicht, während die entsprechenden Maße der Empfängerin deutlich mit den Abmessungen des Neugeborenen korreliert waren (Brooks et al. 1995). Wenn auch beim Menschen die Körpergröße und das Gewicht des Neugeborenen relativ schlecht mit den entsprechenden Maßen der Eltern übereinstimmen, so ist die Korrelation zu den Körpermaßen der Mutter insgesamt besser als zu denen des Vates (Gardosi et al. 1992; Voigt 2006). Auch die Beobachtung, dass Gewicht und Größe von Halbgeschwistern der gleichen Mutter besser übereinstimmen als bei gleichem Vater, zeigt in diese Richtung (Gluckman et al. 1984).
Das Wachstum der verschiedenen Körperteile des Fetus wird unterschiedlich reguliert, und je nachdem, zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft eine Störung wirksam wird, ist die Auswirkung auf das Wachstum unterschiedlich. 4 Bei frühzeitig einsetzenden Wachstumsstörungen ist das Längenwachstum am stärksten betroffen; zwischen der Beeinträchtigung des Längenwachstums und des Körpergewichtes sowie des Kopfumfangs besteht eine enge Korrelation (Largo et al. 1997). Die Wachstumsrestriktion ist bei den früh einsetzenden symmetrischen Formen besonders stark ausgeprägt und mit schwerer perinataler Pathologie verbunden. 4 Bei den erst später im Schwangerschaftsverlauf wirksam werdenden, v. a. auf Engpässen in der Versorgung basierenden Wachstumsrestriktionen ist das Längenwachstum sowie das Wachstum des Kopfes weniger stark betroffen; bei dieser asymmetrischen Form schlägt sich die Mangelversorgung v. a. in einer verminderten Anlage von subkutanem Fettgewebe nieder, sodass die Abweichung von den Normwerten beim Gewicht am stärksten ist. Entsprechend ist bei einer intrauterinen Wachstumsrestriktion in der Spätschwangerschaft sowie auch bei Termingeburten die Korrelation zwischen Körperlänge und Körpergewicht sehr viel schlechter als bei den frühzeitig intrauterin manifest werdenden Störungen. Der Quotient aus Kopf- und Abdomenumfang ist bei den Spätformen erhöht, während der Index von Körpergewicht zu Körperlänge (Ponderal- oder Body-mass-Index) reduziert ist. Eine symmetrische IUWR findet sich gehäuft bei Karyotypanomalien, Nikotin- und Drogenabusus sowie bei viralen Infektionen (Clark 1992; Platt 1988; Leonardi-Bee 2008). Dennoch reflektiert die Einteilung der Wachstumsstörungen in eine vorwiegend symmetrische und eine asymmetrische Form nicht so sehr Unterschiede in der Ätiologie, sondern den
Beginn der Wachstumsstörung. Auch eine symmetrische Wachstumsrestriktion kann Ausdruck einer intrauterinen Versorgungsstörung sein, die besonders schwerwiegend ist und frühzeitig während der Schwangerschaft zum Tragen kommt. Das anthropometrische Profil, d. h. die Proportionalität der verschiedenen Körperteile, ist insbesondere bei den spät einsetzenden Formen von intrauteriner Wachstumsrestriktion für die Abgrenzung gegenüber konstitutionell kleinen Neugeborenen von gewisser Bedeutung.
Endogen – genetisch bedingte fetale Wachstumsstörung Bevölkerungsbasierte generationenübergreifende Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines SGA-Fetus bis zu 50% durch genetische Faktoren erklärt werden kann (Svensson 2006). Frauen, die selbst bei der Geburt SGA-Kinder waren, haben ein 2-fach erhöhtes Risiko, ebenfalls ein SGA-Kind zu gebären. Auch nach Korrektur für sozioökonomische Faktoren, BMI und Nikotinabusus blieb dieser Zusammenhang signifikant (Selling 2006). Karyotypanomalien sind für 20% aller Fälle von IUWR verantwortlich (Neerhof 1995; Lin u. Santolaya-Forgas 1998). Dabei kann es sich um Aneuploidien (Trisomie 18 oder13, Turner 45 X, Triploidien), partielle Deletionen (Cri-du-chatSyndrom 5q, Wolf-Hirschhorn-Syndrom 4q), Ringchromosomen, uniparenterale Disomie des Fetus von Chromosom 6,14 und 16 oder ein auf die Plazenta beschränktes Mosaik handeln (Gross 1997). Auch Genmutationen, wie etwa das des insulinähnlichen Wachstumsfaktors (Abuzzahab et al. 2003; Walenkamp u. Wit 2008) oder genomisches Imprinting können eine fetale Wachstumsbeinträchtigung zur Folge haben. Während für die Trisomie 18 eine frühe symmetrische Wachstumsstörung typisch ist, findet sich bei der Trisomie 13 ebenfalls eine schwere Wachstumsrestriktion, ohne dass diese mit einem bestimmten Typ der Wachstumsbeeinträchtigung verknüpft ist. Für eine Trisomie 21 spricht neben der auffälligen Brachyzephalie eine verkürzte Femurlänge. Chromosomenanomalien sind typischerweise mit der Kombination von Wachstumsstörungen und multiplen Fehlbildungen assoziiert. Fälle ohne erkennbaren Gendefekt mit einer oder mehreren angeborenen Fehlbildungen mit einer Beinträchtigung des Wachstums sind selten und machen nur 1% aller IUWR-Fälle aus (Hendrix u. Berghella 2008). Die genetisch bedingten Wachstumsstörungen haben generell eine schlechte Prognose, da eine therapeutische Beeinflussung bislang nicht gegeben ist.
Exogen bedingte fetale Wachstumsstörung Den genetisch bedingten oder endogenen Wachtumsstörungen stehen exogen verursachte Störungen, die sich schädigend auf das genetisch programmierte Wachstum auswirken können, gegenüber. Dazu gehören Infektionen, Strahleneinwirkung oder verschiedene toxische Substanzen. Viren oder Parasiten (Röteln, Zytomegalie, Varicellen, Herpes, Toxoplasmose, Malaria und Syphilis) können nach Passieren der Plazenta oder der intakten Eihäute in der Frühschwangerschaft eine Infektion der embryonalen Gewebe be-
593 27.2 · Ätiologie der IUWR
wirken und eine Wachstumsstörung mit oder ohne Fehlbildungen verursachen. Infektionen sind für weniger als 5% aller Fälle von IUWR verantwortlich. Vor allem die für therapeutische Zwecke erforderliche Strahlenexposition kann eine Wachstumsrestriktion des Fetus zur Folge haben.
Gestörte Versorgung Die Unterteilung der Gruppe der gestörten intrauterinen Versorgung in präplazentare Störungen, maternale Erkrankungen und plazentare Pathologie im engeren Sinne ist sicher unvollkommen, da erhebliche Überlappungen bestehen. Gemeinsames und zentrales Merkmal ist eine Beeinträchtigung der Zufuhr von Sauerstoff und Nahrungsstoffen mit dem mütterlichen Blut in das uteroplazentare Gefäßgebiet und des Transports durch die Plazenta zum Fetus.
Präplazentare Störungen Zu den präplazentaren Störungen gehören der chronische Sauerstoffmangel, die Exposition gegenüber hohen Umgebungstemperaturen, die Mangelernährung, Nikotin- und Drogenabusus u. a. Diese Störungen können Folge einer veränderten Umgebung sowie auch von verschiedenen maternalen Erkrankungen sein und haben als gemeinsamen Nenner eine veränderte Zusammensetzung des mütterlichen Blutes sowie eine Reduktion des uteroplazentaren Blutflusses. Auch die bei Mehrlingsschwangerschaften häufig beobachtete Beeinträchtigung des Wachstums der Feten wird durch eine Überforderung des mütterlichen Organismus erklärt. Die als präplazentar bezeichneten Versorgungsstörungen einschließlich der krankheitsbedingten Veränderungen im mütterlichen Organismus können sich störend auf das Wachstum und die Entwicklung der Plazenta auswirken. Die Plazenta ihrerseits wirkt durch die Freisetzung von Proteinen und Peptiden wie etwa des insulinähnlichen Wachstumsfaktors [»insuline-like growth factor« (IGF-I)] und des plazentaren Wachstumshormons [»placentar growth hormone« (PLGH)] regulierend auf den maternalen Stoffwechsel (Sheikh et al. 2001). Somit besteht eine enge Wechselwirkung mit gegenseitiger Beeinflussung zwischen Umgebungsfaktoren, dem maternalen Organismus und der Plazenta, und die Versorgung des Fetus kann Störungen auf jeder dieser 3 Ebenen erfahren. Chronische mütterliche Mangelernährung. Das vorbeste-
hende Gewicht sowie die mütterliche Gewichtszunahme im Verlauf der Schwangerschaft können 10% der Varianz des Geburtsgewichtes des Kindes erklären (Berghella 2007). Schwere Beeinträchtigungen der Kalorienzufuhr während der Schwangerschaft, wie sie für die Hungersnot in Holland oder auch bei der Belagerung von Leningrad im 2. Weltkrieg berichtet wurden, hatten eine Erniedrigung des mittleren Geburtsgewichtes von 250 bzw. 500 g zur Folge (Nathanielsz 1999). Auch eine Unterernährung geringeren Ausmaßes sowie mütterliches Untergewicht vor Beginn der Schwangerschaft sind mit niedrigem Geburtsgewicht korreliert. Eine vorbestehende chronische Mangelernährung kann sich durch eine ungenügende Expansion des zirkulierenden Blutvolumens mit fehlender
oder ungenügender Blutverdünnung in der Frühschwangerschaft nachteilig auf die Zunahme des uteroplazentaren Blutflusses auswirken. Chronische Hypoxämie. Lungenerkrankungen, zyanotische Herzerkrankungen, schwere Anämien und Aufenthalt in großer Höhe sind mit einer Störungen des fetalen Wachstums assoziiert. Bei Frauen mit angeborenem zyanotischem Herzfehler war das mittlere Gewicht der Kinder bei Termingeburten mit 2575 g deutlich niedriger als bei einer Kontrollgruppe, in der das mittlere Geburtsgewicht 3500 g betrug (Presbitero et al. 1994). Der Anteil an IUWR-Feten ist mit 52% sehr hoch. Bei Untersuchungen in verschiedenen Regionen in Peru ergab sich eine Abnahme des mittleren Geburtsgewichtes mit zunehmender Höhe (Mortola et al. 2000). In einer Höhe von 4370 m wurde bei Schwangeren eine Erniedrigung der Herzleistung um 33% und des mittleren Geburtsgewichtes um 11% verglichen mit Schwangerschaften bei Frauen auf Meereshöhe festgestellt (Kametas et al. 2004). Reduzierter uteroplazentarer Blutfluss. Lokale Gefäßveränderungen in der uteroplazentaren Gefäßstrombahn infolge von vorbestehenden Erkrankungen wie Hypertonie, Nierenerkrankung, Diabetes mellitus, Systemerkrankungen wie Lupus erythematosus oder Antiphospholipidsyndrom, oder von Schwangerschaftserkrankungen wie insbesondere der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie (SIH) oder Präeklampsie führen über eine chronisch erniedrigte uteroplazentare Perfusion zu einer Beeinträchtigung der fetalen Versorgung (von Dadelszen et al. 2000). Bei vorbestehenden mütterlichen Erkrankungen ist das Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie deutlich erhöht. Diese Variante, die durch einen relativ frühen Beginn charakterisiert ist, wird auch als Pfropfpräeklampsie bezeichnet und weist in bis zu 42% der Fälle eine Wachtumsbeeinträchtigung des Fetus auf (Droste 1992). > Die Wachstumsrestriktion kann den klinischen Zeichen der Präeklampsie vorausgehen.
Auch die isolierte Form der Wachstumsbeeinträchtigung ohne Zeichen einer Präeklampsie kann Folge von den genannten mütterlichen Erkrankungen sein. Nicht selten ist die maternale Grundkrankheit unbekannt, und die Entwicklung einer Wachstumsrestriktion des Fetus mit oder ohne Zeichen einer Präeklampsie kann als Ausdruck einer durch die zusätzliche Belastung der Schwangerschaft bedingten Dekompensation des mütterlichen Organismus angesehen werden. Erst die nach Abschluss des Wochenbettes vorgenommenen speziellen Abklärungen können zu der Entdeckung des Grundleidens führen. Neuere Untersuchungen zeigen auf molekularer Ebene, dass darüber hinaus Proteinsynthesestörungen sekundär das endoplasmatische Retikulum beeinflussen können, und Plazenten, die derartige Veränderungen aufweisen, häufig mit einer sehr früh einsetzenden Präeklampsie einhergehen (Burton et al. 2009). Einzelheiten der physiologischen Adaptation des uteroplazentaren Kreislaufs und der entsprechenden Pathologie wurden ausführlich in 7 Kap. 1 dargestellt. Die bei der Prä-
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Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
eklampsie typische Einschränkung der Blutzufuhr zum intervillösen Raum kann bereits im 2. Schwangerschaftstrimenon durch pathologische Dopplerflussmuster in den uterinen Arterien und deren Verzweigungen festgestellt werden (Yu et al. 2008). Dabei ist die Dopplersonographie der Uterinarterien eher in der Lage, die früh eintretenden Präeklampsien zu detektieren als die spät eintretenden. Die im Zusammenhang mit hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen beschriebenen Veränderungen der uteroplazentaren Gefäße werden in 7 Kap. 17 näher beschrieben.
27
Drogenkonsum. Bei Abhängigkeit von Heroin und Kokain
kommt es in bis zu 55% der Fälle zu einer Wachstumsrestriktion. Der direkte zytotoxische Effekt auf das Wachstum wird häufig durch Zusatzfaktoren wie eine schlechte Ernährung, ungünstige soziale Verhältnisse, gleichzeitiger Nikotinabusus etc. verstärkt. Nikotinabusus. Auch bei Zigarettenkonsum werden multiple Angriffspunkte für die Beeinflussung des Wachstums diskutiert, z. B. eine direkte Schadstoffeinwirkung von Nikotin sowie die Bildung von Methämoglobin, Karbonmonoxid und anderen schädlichen Komponenten. Dazu kommt der Einfluss von Kofaktoren wie eine gestörte Ernährung und chronischer Stress. Für den Nikotinabusus konnte eine deutliche Dosisabhängigkeit für die Entwicklung einer Wachstumsrestriktion gezeigt werden. > Der negative Einfluss scheint im 3. Trimenon am höchsten zu sein. Wenn das Rauchen noch vor Beginn des 3. Trimenons eingestellt wird, ist das Geburtsgewicht nicht wesentlich unterschiedlich von dem bei Nichtraucherinnen (Lieberman et al. 1994, Leonardi-Bee, 2008, Romo et al. 2009). Medikamenteneinnahme. Auch bestimmte Medikamente
können eine Ursache der intrauterinen Wachstumsrestriktion sein, wobei der Effekt des Medikamentes vom Einfluss der Grunderkrankung meist nicht eindeutig abgrenzbar ist. Eine Beeinträchtigung des Geburtsgewichtes wurde bei Einnahme von Folsäureantagonisten, Tetrazyklin, Antikoagulanzien, Antiepileptika und bestimmten β-Blockern beschrieben (7 Kap. 6). Sonstige Ursachen. Andere Faktoren, die sich nachteilig auf
das Wachstum des Fetus auswirken können, sind ein besonders niedriges oder auch speziell hohes mütterliches Alter (Strobino et al. 1995; Khoshnood et al. 2008). Für die Beeinträchtigung des intrauterinen Wachstums bei verkürzten Intervallen zwischen einander folgenden Schwangerschaften wird nach neueren Untersuchungen ein relativer Mangel an Folsäure verantwortlich gemacht (van Eijsden et al. 2008). In Situationen, die chronischen Stress verursachen, wurden erhöhte mütterliche Spiegel von »corticotropin releasing hormone« (CRH) in Verbindung mit einem erhöhten Risiko für IUWR und Frühgeburtlichkeit beschrieben (Wadhwa et al. 2004).
> In bis zu 40 % aller Fälle mit IUWR lassen sich keine klaren Ursachen für die Wachstumsrestriktion ermitteln. Diese als idiopathisch bezeichneten Formen sind meist asymmetrisch (Wladimiroff 1991; Resnik 2002).
Plazentare Störungen Die Pathologie der Plazenta umfasst Störungen der Implantation, auf die Plazenta begrenzte Chromosomenanomalien (Mosaik) und Entwicklungsstörungen der Plazenta im engeren Sinne. Bei einer Placenta praevia, die als pathologische Lokalisation der Implantation und Entwicklung der Plazenta definiert ist, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko einer IUWR (7 Kap. 29). Das auf die Plazenta beschränkte Mosaik, das vorwiegend aus Trisomien besteht, findet sich gehäuft in Verbindung mit einer Wachstumsbeeinträchtigung des Fetus. In Fällen von idiopathischer IUWR fand sich in 9,8% ein Mosaik der Plazenta, während bei der Chorionzottenbiopsie einer Kontrollgruppe nur 1% diesen Befund aufwiesen (WilkinsHaug et al. 2006). Auffällig ist die hohe Anzahl von Infarkten sowie dezidualen Vaskulopathien bei Plazentamosaik im Zusammenhang mit IUWR.
Gestörte Implantation und Folgen für die Entwicklung der Plazenta Störungen der Implantation des Konzeptus mit den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Entwicklung der Plazenta sind mit verschiedenen Schwangerschaftspathologien wie Fehlgeburt, intrauterine Wachstumsrestriktion, Präeklampsie sowie vorzeitige Plazentalösung assoziiert (7 Übersicht).
Schwangerschaftspathologien als Folge von Plazentationsstörungen 4 Interaktionsstörung von Trophoblast und Dezidua (Proliferation/Invasion des interstitiellen/intravasalen Trophoblasten) – IUWR – Präeklampsie 4 Hyperinvasives/-proliferatives Trophoblastwachstum – Trophoblasterkrankungen – Placenta accreta – Placenta percreta 4 Störung der Zottenreifung (Hemmung der Angiogenese) – IUWR (frühe, schwere Form) 4 Vorzeitige Plazentalösung – Abort – Frühgeburt (vaginale Blutung, vorzeitige Wehen) – Abruptio placentae
595 27.2 · Ätiologie der IUWR
Studienbox In einer Studie von 7.508.655 Einlingsschwangerschaften in den Jahren 1995 und 1996 in den Vereinigten Staaten wurde eine Abruptio placentae in 6,5/1000 Geburten beobachtet. Extrem untergewichtige Kinder wiesen dabei im Vergleich zu schwergewichtigten Kindern ein 9-fach höheres Risiko für eine Abruptio placentae auf. Die perinatale Mortalität war mit 11,9% gegenüber 0,8% um mehr als das 14-Fache erhöht (Ananth et al. 2001).
Ein Teil dieser Pathologien führt zu Frühgeburten, sei es in Folge vorzeitiger Wehentätigkeit oder wegen vorzeitiger Schwangerschaftsbeendigung aus fetaler oder maternaler Indikation (Schneider et al. 1994). Die Kombination von Frühgeburtlichkeit mit intrauteriner Wachstumsrestriktion ist mit einer besonders hohen Perinatalsterblichkeit sowie Morbidität – einschließlich Beeinträchtigung der Langzeitentwicklung – verbunden (Spinillo et al. 1997, Schwitzgebel et al 2009).
Entwicklungsstörungen der Plazenta mit Beeinträchtigung der Versorgungsfunktion Von zentraler Bedeutung für die Funktion der Plazenta als Versorgungsorgan des Fetus ist eine normale Entwicklung der uteroplazentaren und der fetoplazentaren Gefäßgebiete, über die eine ausreichende Zufuhr von maternalem und fetalem Blut in die Austauschregion der Plazenta sichergestellt wird (Einzelheiten der normalen und gestörten Entwicklung der uteroplazentaren Gefäßstrombahn 7 oben und 7 Kap. 1 und 17). Wachstum der Plazenta und Entwicklung der Zottengefäßstruktur. Die mit Hilfe des Ultraschalls messbare Volumenzu-
nahme der menschlichen Plazenta zeigt als Ausdruck einer konstanten Wachstumsrate einen weitgehend linearen Verlauf. Die Gewichtskurve der Plazenta verläuft S-förmig, während die des Fetus in der 2. Schwangerschaftshälfte exponentiell ansteigt (Heinonen et al. 2001). Dieses ungleiche Wachstum spiegelt sich in einer starken Zunahme des Gewichtsquotienten zwischen Fetus und Plazenta wider, der am Termin im Mittel bei 7 liegt (Heinonen et al. 2001). Das im 2. Trimenon geschätzte Volumen sowie die Wachstumsrate der Plazenta korrelieren eng mit dem Gewicht des Kindes bei der Geburt (Clapp et al. 1995). Tiefgreifende morphologische und funktionelle Anpassungen (»remodelling«) sind die Basis für eine erhebliche Steigerung der funktionellen Kapazität des Organs, die die Bereitstellung der für das exponentielle Wachstum des Fetus erforderlichen Substanzen in der 2. Schwangerschaftshälfte ermöglicht (Schneider 1996; Kaufmann u. Scheffen 1998). Die Zunahme des Gewichtsquotienten zwischen Fetus und Plazenta ist ein indirekter Hinweis auf eine zusätzliche Steigerung der funktionellen Kapazität des Plazentagewebes bei einem Teil der Fälle von IUWR (Molteni 1984). Die v. a. bei der späten Form der Plazentainsuffizienz beobachtete Hypervaskularisierung zusammen mit einer frühzeitigen Ausreifung der Endzotten ist das morphologische Korrelat einer derartigen Funktionssteigerung. Tierexperimentell konnte eine Substratumverteilung zwischen Plazenta und Fetus mit einer
Einschränkung des Verbrauches durch die Plazenta als zusätzlicher Kompensationsmechanismus in Situationen ungenügender Versorgung gezeigt werden (Owens et al. 1989). Die Besonderheiten der Entwicklung des Zottengefäßapparates werden in 7 Kap. 1 eingehend besprochen. Bei der frühen Vaskulogenese sowie der Angiogenese spielen die lokale Sauerstoffkonzentration im intervillösen Raum, der Einfluss von angiogenetischen Faktoren wie VEGF, PLGF und Angiopoietin sowie auch die mechanische Einwirkung auf die Gefäßwand eine zentrale Rolle. Auch auf die Bedeutung des löslichen Rezeptors sFlt-1 von VEGF und PLGF wurde bereits eingegangen. Präplazentare Hypoxämie sowie uteroplazentare Gefäßpathologien führen zu einer Erniedrigung der Sauerstoffkonzentration im intervillösen Raum. Die chronische Zottenhypoxie wirkt stimulierend auf das Verzweigungs- und Längenwachstum der Zottengefäße mit Hypervaskularisierung. Diese hypoxische Variante der Zottenpathologie wird vermehrt bei späten Formen von IUWR mit tendenziell erhöhter Blutströmung in der Nabelschnurarterie gesehen (7 Übersicht). Früh einsetzende Formen von IUWR mit vermindertem oder fehlendem enddiastolischem Fluss in der Nabelschnurarterie sind Folge einer frühen Störung der Zottenentwicklung mit starker Beeinträchtigung des Verzweigungswachstums der Gefäße. Diese fetoplazentare Form der IUWR ist mit einer erhöhten Sauerstoffkonzentration in der Umgebung der Zotten als Folge eines gestörten Abtransportes von Sauerstoff aus dem intervillösen Raum zum Fetus assoziiert und mit einer hohen perinatalen Mortalität belastet (Pardi et al. 1992).
Klassifizierung der verschiedenen Störungen der Oxygenierung in der fetoplazentaren Einheit und ihre Auswirkung auf die Zottenvaskularisierung in der Plazenta 4 Präplazentar – Aufenthalt in großer Höhe – Mütterliche Anämie Hypoxie → plazentare Adaptation durch Hypervaskularisierung der Zotten
4 Uteroplazentar – Präeklampsie, IUWR mit spätem Beginn – Vaskulopathie der uteroplazentaren Gefäße bei mütterlicher Vorerkrankung Hypoxie → plazentare Adaptation durch Hypervaskularisierung der Zotten
4 Fetoplazentar – IUWR mit frühem Beginn – Verminderter Abtransport von Sauerstoff durch den fetoplazentaren Kreislauf Hyperoxie → primäre Störung der Zottenvaskularisierung → Hypovaskularisierung
4 Postplazentar
– Vermehrter Verbrauch durch den Fetus (physiologisch bei fortgeschrittener Schwangerschaft, pathologisch bei Diabetes mellitus – Makrosomie) Hypoxie → plazentare Adaptation durch Hypervaskularisierung
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596
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Plazentarmembran als Trennwand zwischen beiden Kreisläufen. Der Trophoblast ist fetalen Ursprungs und bildet das
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Oberflächenepithel der Plazentazotten. Als solcher wird er direkt vom maternalen Blut umspült und ist ein funktionell wichtiger Bestandteil der Trennwand zwischen maternalem und fetalem Blut. In der mikrovillösen Membran des Trophoblasten sind spezifische z. T. energieabhängige Transportproteine exprimiert, die die Aufnahme von Aminosäuren, Glukose, Lipiden, Elektrolyten und Vitaminen aus dem mütterlichen Blut regulieren. Ein beträchtlicher Anteil der Nahrungsstoffe wird im Trophablasten metabolisiert, während der andere Teil der Substanzen an das fetale Blut in den Zottenkapillaren abgegeben wird. Die Passage der Stoffe durch die Basalmembran des Trophoblasten mit Übertritt in den fetalen Kreislauf erfordert ebenfalls spezifische Transportsysteme. In IUWR-Schwangerschaften ist die Konzentration verschiedener Aminosäuren im Plasma der Nabelschnurvene erniedrigt (Cetin et al. 1996), und die verminderte Aktivität des natriumabhängigen Transportsystems von Aminosäuren im Plazentagewebe korreliert mit dem Schweregrad der IUWR (Glazier JD et al. 1997). Kürzlich wurde gezeigt, dass das Protein mTOR (»mammalian target of rapamycin«) in den Trophoblastzellen der Plazenta eine wichtige Rolle als Sensor für das Angebot von Nahrungsstoffen wie Aminosäuren, aber auch Glukose, durch den mütterlichen Kreislauf spielt (Roos et al. 2007). Die Anpassung der Transportmechanismen in der mikrovillösen Membran des Trophoblasten an die Verfügbarkeit von Nahrungsstoffen im mütterlichen Kreislauf ist ein wichtiger Regulationsmechanismus für das Wachstum des Fetus. In IUWR-Plazenten ist die Aktivität von mTOR in der Plazenta deutlich reduziert.
27.3
Regulation des Wachstums in der fetoplazentaren Einheit und deren Störung
Studienbox In-vitro-Versuche mit fetalen Leberzellen ergaben, dass der Sauerstoffmangel das kritische Signal für die Stimulation der Synthese von IGF-Bindungsprotein ist (Tazuke 1998).Bei Zwillingsschwangerschaften mit diskordantem Wachstum war die Konzentration von IGFBP-1 bei den IUWR-Zwillingen im Vergleich zu dem normal gewachsenen Zwilling erhöht.Gleichzeitig wurden bei monochorialen Zwillingen Unterschiede in der Konzentration von IGF-II und bei dichorialen Zwillingen von IGF-I mit erniedrigten Werten bei dem IUWR-Zwilling festgestellt (Westwood et al. 2001).
Verschiedene chromosomale Veränderungen der Plazenta wie ein auf das Organ beschränktes Mosaik oder eine uniparentale Disomie können erheblichen Einfluss auf die Transportfunktion haben. Genomisches Imprinting, bei dem die Transkription vorwiegend über das mütterliche oder das väterliche Allel erfolgt, ist für die Abstimmung des durch das Wachstum der Gewebe gegebenen Bedarfs des Fetus einerseits und der Versorgung durch die Plazenta mit mütterlichen Nahrungsstoffen andererseits von zentraler Bedeutung (Reik et al. 2003). Väterlicherseits exprimierte Allele wirken generell stimulierend auf das Wachstum des Fetus, während Allele mütterlichen Ursprungs einen hemmenden Einfluss haben (Haig 2004). Das Wachstum des Fetus ist somit Folge einer balancierten Expression mütterlicher und fetaler Gene. Tierexperimentelle Untersuchungen mit gezielten Manipulationen verschiedener Gene in der Plazenta sowie auch im Fetus haben erheblich zu einem besseren Verständnis der Regulationsvorgänge und der gegenseitigen Beeinflussung von Fetus und Plazenta geführt.
Studienbox
Eine Beeinträchtigung der Versorgung des Fetus führt zu einem Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Zufuhr von Sauerstoff, Nahrungsstoffen, Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen, das sich früher oder später als Beeinträchtigung des Wachstums des Fetus bemerkbar macht. Durch den kontrollierenden Einfluss des Bedarfs auf das Wachstum und die Transportkapazität besteht eine Rückkoppelung zwischen Fetus und Plazenta. Das Zellwachstum wird von verschiedenen Wachstumsfaktoren wie inbesondere IGF-I und Insulin reguliert, und eine Hemmung der Wachstumsvorgänge stellt eine frühe Adaptation des Fetus an die Mangelversorgung dar. Ein verminderter transplazentarer Zustrom von Sauerstoff, Glukose und Aminosäuren wirkt direkt hemmend auf die Synthese von IGF-I in der fetalen Leber bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktion des entsprechenden Bindungsproteins.
Mit Hilfe des Knock-out-Modells der Maus konnte gezeigt werden, dass es bei einer isolierten Ausschaltung des väterlicherseits exprimierten IGF-II-Gens in der Plazenta zu einer Beeinträchtigung des Wachstums der Plazenta kommt. Die Transportleistung pro Gramm Gewebe erfährt jedoch eine kompensatorische Steigerung, sodass das Wachstum des Fetus annähernd unverändert ist (Angiolini et al. 2006). Erst wenn das IGF-II-Gen auch im Fetus ausgeschaltet wird und damit das Bedarfssignal des Fetus an die Plazenta neutralisiert wird, kommt es zu einer Restriktion des Wachstums von Plazenta und Fetus. Welches die vom Fetus gesandten Signale sowie deren Angriffspunkte in der Plazenta sind, ist nicht vollständig geklärt, aber es ist naheliegend, dass einerseits die Freigabe von IGF-II durch den Fetus und andererseits die Stimulation von Transportern v. a. von Aminosäuren in der mikrovillösen oder auch der basalen Plasmamembran des Trophoblasten in der Plazenta hierbei von Bedeutung sind. Wie weit das bereits oben erwähnte zelluläre Protein mTOR, das regulierend auf die Expression der Transportproteine wirkt, dabei beteiligt ist, ist ebenfalls noch nicht geklärt.
597 27.4 · Pathophysiologie der fetoplazentaren Adaptation an eine chronische Versorgungsstörung
Neben IGF-I wirkt auch Insulin als Wachstumshormon regulierend auf die Synthese von Proteinen und andere für das Wachstum zentrale Vorgänge im Zellstoffwechsel. Die Insulinproduktion der β-Zellen des fetalen Pankreas wird v. a. durch das Angebot an Aminosäuren reguliert, sodass die bereits erwähnte Einschränkung der Aminosäurenversorgung hemmend auf das Zellwachstum wirkt. Auf die Rolle einer in bestimmten Mangelsituationen in der fetalen Leber vermehrten Produktion von IGF-Bindungsprotein wurde ebenfalls bereits hingewiesen. Durch die Feinabstimmung zwischen Wachstumsstimulation bzw. -hemmung und der Verfügbarkeit an Substrat wird zumindest in der kompensierten Phase der Mangelversorung ein Ungleichgewicht verhindert, sodass die Konzentrationen verschiedener für den Zellstoffwechsel und das Wachstum kritischer Substanzen wie Aminosäuren, Glukose und Sauerstoff im fetalen Blut in der Frühphase einer intrauterinen Mangelversorgung noch normal sind (Clapp 1996). Vor allem im letzten Schwangerschaftsdrittel verschärft sich wegen des exponentiellen Bedarfs der fetalen Gewebe das Ungleichgewicht, was schließlich zur Dekompensation der Versorgungslage führt. Von besonderer Aktualität ist der Zusammenhang zwischen einer intrauterinen Wachstumsrestriktion und Dauerschäden fetaler Organe als Grundlage für die im Erwachsenenalter manifest werdenden Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels wie Hyperlipidämie und Diabetes melitus Typ 2 (Barker 1990; Law 1993; Schwitzgebel et al. 2009). Sowohl die auf genetischen Störungen wie auch auf Mangelversorgung sowie Veränderungen im intrauterinen Milieu basierenden Formen von IUWR sind mit einer Restrukturierung von Geweben und Organsystemen des Fetus assoziiert. Gen-Imprinting, das für die Regulation der plazentaren Versorgung und des Wachstums des Fetus von entscheidender Bedeutung ist, steht unter dem Einfluss von Vererbung mütterlicher- wie auch väterlicherseits. Darüber hinaus können Umgebungsfaktoren wie etwa Ernährung über epigenetische Mechanismen wie differenzielle DNA-Methylierung und Chromatinmodifikation von Bedeutung für das Gen-Imprinting sein (Reik et al. 2003). Die Ergebnisse weiterer Forschung müssen zeigen, wie weit durch gezielte Interventionen wie Anpassungen der Verabreichung von IGF oder Methyldonatoren an die Schwangere auf die Schädigung verschiedener Organe und die Risiken entsprechender Spätfolgen Einfluss genommen werden kann (Jansson u. Powell 2007). Dieser Thematik ist in dieser Auflage erstmals ein eigenes Kapitel gewidmet (7 Kap. 28).
27.4
Pathophysiologie der fetoplazentaren Adaptation an eine chronische Versorgungsstörung
IUWR ist mit einem deutlich erhöhten Risiko einer Zerebralparese sowie von Kleinwuchs zusammen mit unterdurchschnittlicher Intelligenz und psychologischer Beeinträchtigung verbunden (Gray et al. 2001; Lundgren et al.; Strauss 2000, Jacobsson et al. 2009). Jacobsson konnte in einer Fallkontrollstudie an in Terminnähe geborenen IUWR-Feten eine
5- bis 7-fach höhere Rate an Zerebralparesen feststellen als in der Kontrollgruppe. Diese Störungen sind bei kleinen Frühgeburten mit IUWR besonders ausgeprägt (Zimmer u. Divon 1992; Spinillo et al. 1997; Resnik 2002). Bereits bei geringen Abweichungen des Wachstums von der Norm wird im späteren Leben eine Häufung von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie im Stoffwechselbereich beobachtet (7 oben). Die durch chronische intrauterine Mangelversorgung bedingten Wachstumsstörungen sind für gut 2/3 aller Fälle mit IUWR verantwortlich. Ähnlich wie bei den genetischen Wachstumsstörungen im engeren Sinne sind die therapeutischen Interventionsmöglichkeiten bei Wachstumsrestriktionen infolge einer Versorgungsstörung außerordentlich begrenzt. Allerdings bietet ein verbessertes Verständnis der pathophysiologischen Abläufe und eine darauf basierende differenzierte Diagnostik und Überwachung des Fetus die Basis für die Festlegung des optimalen Entbindungszeitpunktes zur Vermeidung von schweren Dauerschäden fetaler Organe als Folge von chronischem Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten. > Den diagnostischen Möglichkeiten zur Erfassung der drohenden Dekompensation der Versorgung kommt somit eine klinisch relevante Bedeutung zu.
Andererseits muss den Risiken einer zu frühen Entbindung im Zusammenhang mit der Unreife der Organe Rechnung getragen werden. Dopplersonographisch kommt hierbei in einer prospektiven Beobachtungsstudie von Baschat dem Flussverhalten in der Umbilikalarterie eine entscheidende Bedeutung zu, während venöse Flussmuster bzw. auch das biophysikalische Profil offenbar keine unabhängigen Prognosekriterien darstellen. Darüber hinaus sind das Gestationsalter und das Geburtsgewicht prädominante Faktoren für die Entwicklung neurologischer Schäden von IUWR-Feten (Baschat et al. 2009). Die noch laufende TRUFFLE-Studie soll randomisiert und multizentrisch klären, bei welcher Befundpathologie – frühe, späte Ductus-venosus-Flussveränderungen bzw. Veränderungen der Kurzzeitvariation (STV )des Oxford-CTG nach Dawes und Redmann – die meist notwendige Sectio indiziert werden soll. Als Prüfparameter ist dabei der neurologische Bayliss-Score der im Alter von 2 Jahren nach der Geburt durchgefüht wird. Die Adaptationsmechanismen des Fetus basieren auf einer Einschränkung des Verbrauchs von Substrat, um eine chronische Hypoxie zumindest temporär zu kompensieren. Tierexperimentelle Befunde sowie klinische Beobachtungen lassen eine typische Sequenz verschiedener Adaptationsstufen erkennen, die mit dem Schweregrad bzw. der Dauer der Mangelversorgung korreliert sind: 4 Die 1. Stufe der Adaptation ist die bereits beschriebene auf einem komplexen Regelmechanismus basierende Anpassung des Zellstoffwechsels mit Verlangsamung der Wachstumsrate. 4 Als 2. Stufe wird die Umverteilung im arteriellen Kreislauf des Fetus mit bevorzugter Perfusion lebenswichtiger Organe wie des Gehirns, des Herzens und der Nebennieren angesehen (Wladimiroff et al. 1986; Jaffe et al. 1987;
27
598
27
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Chaoui 2004; Campbell 1991). Dabei zeigt sich im mütterlichen Serum auch ein Anstieg von Tumornekrosefaktoren (Seremak-Mrozikiewicz et al. 2009). Die Anpassung im Herz-Kreislauf-System des Fetus ist mit einem Anstieg von Katecholaminen im Plasma verbunden, die über vasokonstriktorische Einwirkungen die Blutzufuhr zu peripheren Körperpartien einschließlich der Muskulatur sowie zur Niere und dem Darmtrakt drosseln. Für diese Reaktion scheint eine Hypoxie im Bereich des Hirnstammes verantwortlich zu sein (Jensen et al. 1987; Cohen et al. 1982). Bei IUWR-Feten finden sich außerdem signifikant mehr Retikulozyten, die wohl der drohenden Hypoxämie durch eine vermehrte Bereitstellung von Sauerstoffträgern entgegenwirken sollen (Simchen et al. 2001). 4 Die 3. Stufe manifestiert sich als Einschränkung der fetalen Bewegungsdauer und schließlich einer Einschränkung der Anzahl fetaler Bewegungen.
Studienbox Eine Einschränkung der Bewegungsaktivität ist ebenfalls Bestandteil eines »Sauerstoffsparprogramms« des Fetus (Harding et al. 1993; D‘Elia et al. 1998). Messungen im Tierversuch haben gezeigt, dass in den durch Atembewegungen markierten Phasen fetaler Aktivität der Sauerstoffverbrauch im Vergleich zu Ruhephasen um 20–30% erhöht ist (Rurak u. Gruber 1983).
Mithilfe von Überwachungsmethoden wie Dopplersonographie, Real-time-Utraschall und K-CTG-Registrierung können die Adaptationen des Fetus klinisch verfolgt werden, was wichtige Rückschlüsse auf den fetalen Zustand erlaubt (Hopp et al. 1994).
Die Grenzziehung bei der 10. Gewichtsperzentile, die in erster Linie epidemiologischen Ansprüchen gerecht wird, ist willkürlich, wobei die Einstufung als SGA keine Unterscheidung zwischen einem normal ernährten, aber konstitutionell kleinen Fetus und einem IUWR-Fetus ermöglicht. Umgekehrt kann ein schlanker, aber langer Fetus über der 10. Gewichtsperzentile liegen und damit als normalgewichtig für das Gestationsalter eingestuft werden, obwohl in Wirklichkeit eine Unterernährung mit den entsprechenden Risiken vorliegt (. Abb. 27.2). Die IUWR wird allgemein als Unterschreitung des genetischen Wachstumspotenzials definiert; da Letzteres jedoch nicht fassbar ist, kann die Diagnose einer IUWR nicht aufgrund des Gewichtes gestellt werden. Tipp Durch die Verwendung des 5 »Ponderalindex«: Geburtsgewicht [g]/Geburtslänge [cm]3×100, der unabhängig von Rasse und Geschlecht ist, kann die Verdachtsdiagnose einer IUWR gestellt werden (Sarmandal 1990).
Auch eine Abnahme der Wachstumsrate weist u. U. auf eine Gefährdung des Fetus hin, selbst wenn das Schätzgewicht noch über der 10. Gewichtsperzentile liegt. Ein Fetus mit konstant niedriger Wachstumsrate und Gewichtsschätzungen unterhalb der 10. Perzentile ist dagegen nicht besonders gefährdet. Auf die Bedeutung angepasster Wachstumskurven unter der Berücksichtigung konstitutioneller und anderer systematischer Einflussfaktoren wurde bereits ausführlich hingewiesen (7 oben).
27.5.1 27.5
Klinische Untersuchung
Screening
Am Anfang der Diagnostik steht die Entdeckung des SGAFetus. Grundvoraussetzung für diese Diagnose ist die exakte Kenntnis des Gestationsalters. Bei fehlenden oder ungenauen Angaben zur Regel- bzw. Konzeptionsanamnese hat sich für die Bestimmung des Gestationsalters und für die Festlegung des Entbindungstermines die Scheitel-Steiß-Längenmessung beim 1. Ultraschallscreening (9.–12. SSW) besonders bewährt. Hierdurch wird eine Genauigkeit von ±4 Tagen erreicht. Für die fetale Gewichtsschätzung führt die kombinierte Messung von Kopf- und Abdomenumfängen zu den besten Ergebnissen. Bei der Verwendung von Standardwachstumskurven ist weiterhin zu beachten, dass die ethnische Herkunft, der sozioökonomische Status, das Ausgangsgewicht und die Körperlänge der Mutter sowie das Geschlecht des Kindes (Mädchen haben durchschnittlich ein geringeres Geburtsgewicht als Jungen) erhebliche Einflussgrößen darstellen und für Unterschiede im Schätzgewicht von mehr als 500 g verantwortlich sein können (Sarmandal 1990; Wladimiroff 1991, Voigt 1996).
Der Messung des Symphysen-Fundus-Abstandes kommt auch heute noch als Screeninguntersuchung für die Entdeckung von SGA-Feten eine Bedeutung zu (Leeson u. Aziz 1997). Eine Einzelmessung nach 32–34 SSW hat eine Sensitivität von 69–85% bei einer Spezifität von 96% (Belizan et al. 1978; Quaranta et al. 1981; Warsof et al. 1983). Durch serienmäßige Bestimmungen kann auch eine Abflachung der Wachstumsgeschwindigkeit erfasst werden. Die Einzelmessung des fetalen Abdomenumfanges im 3. Trimenon mit Hilfe des Ultraschalls korreliert allerdings deutlich besser mit dem Ultraschallschätzgewicht wie auch mit dem Geburtsgewicht als der klinisch erfasste Höhenstand des Fundus uteri. Mit der Ultraschallmessung des fetalen Abdomenumfanges werden 83–96% der Kinder mit einem Geburtsgewicht <10. Perzentile erfasst (Neilson et al. 1980; Warsof et al. 1983). Allerdings beträgt der positive Prädiktionswert dabei nur 26% der negative dagegen 93% (DeReu et al. 2008).
599 27.5 · Screening
. Abb. 27.2. Differenzialdiagnose der IUWR. (Nach Baschat et al. 2004)
Studienbox Wenn auch die Sensitivität für die Erkennung eines SGA-Fetusses bei der Messung des fetalen Abdomenumfanges mittels Ultraschall besser ist als bei der Höhenstandsmessung des Fundus, so wird der Ultraschall als Screeninginstrument zur Entdeckung der Wachstumsrestriktion nur als geringfügig überlegen angesehen (Lindhard et al. 1990; Secher et al. 1991; Pearce u. Campbell 1987; DeReu et al. 2008).
Daher wird insbesondere für Entwicklungsländer als kostengünstige Maßnahme empfohlen, alle Schwangerschaften durch serienmäßige Symphysen-Fundus-Abstandsmessungen zu überwachen und bei Verdacht auf Wachstumsrestriktion eine Bestimmung des fetalen Abdomenumfangs mittels Ultraschall ergänzend vorzunehmen. Dieses kombinierte Vorgehen ermöglicht eine Entdeckung von 93% aller Feten mit Wachstumsrestriktion bei einem positiven Vorhersagewert von 85% (Pearce u. Campbell 1987).
27.5.2
Ultraschallbiometrie
Die pränatale Erkennung eines SGA-Fetus gelingt am zuverlässigsten mit der fetalen Gewichtschätzung basierend auf ultrasonographisch gewonnenen biometrischen Messdaten. In den neuen Mutterschafts-Richtlinien ist hierfür der 2. und
3. Screeningzeitpunkt (um die 20. bzw. 30. SSW) vorgesehen (Mutterschafts-Richtlinien 2008). Auf die Notwendigkeit des genau zu ermittelnden Gestationsalters wurde bereits hingewiesen. Mit ultrasonographischen Abgriffen von Kopf- (biparietaler, frontookzipitaler Durchmesser, Kopfumfang) und Körpermaßen (Thoraxquerdurchmesser, -anterior/posterior; Abdominalumfang) sowie der Messung der langen Röhrenknochen (z. B. Femur) können nach Aussage von Studien bis zu 89% der SGA-Feten entdeckt werden. Im klinischen Alltag liegt jedoch die Entdeckungsraten selbst im Risikokollektiv der Präeklampsie häufig niedriger (20–28% PPV; Gupta et al. 2008). Weitere Maße wie der Durchmesser des Zerebellums korrelieren bis zur 24. SSW gut mit dem Gestationsalter. Der additive Stellenwert der Zerebellummessung bei der Beurteilung des SGA-Fetus ist allerdings noch unklar. Als singulärer Prädiktor des fetalen Wachstums scheint der Abdominalumfang am besten geeignet zu sein, wenngleich er auch schlechter reproduzierbar ist als der Kopfumfang (Chang et al. 1992; Divon et al. 1988; Sarmandal 1990; Owen et al. 2001; DeReu et al. 2008). Zur exakten Messung des Abdomenumfanges ist es sinnvoll, den manuellen Druck auf den Ultraschalltransducer zurückzunehmen, um eine iatrogene Kompression des Thorax zu vermeiden. Durch wiederholte Messungen wird die Wachstumsgeschwindigkeit erfasst; dabei ist eine unterhalb von 10 mm liegende Zunahme des Abdomenumfanges beim Vergleich zweier Messungen im Abstand von 2 Wochen hochgradig sensitiv für die Entwicklung eines untergewichtigen Fetus. In einer prospektiven Untersuchung wurden bei diesem
27
600
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Vorgehen nur 15% der IUWR-Feten übersehen (Divon et al. 1988). Noch zuverlässiger scheinen Messungen zu sein, deren Intervall 4 Wochen auseinanderliegt (Owen et al. 2001). Allerdings bergen derart lange Abstände die Gefahr des Übersehens einer drohenden Dekompensation. In der Übersicht sind wichtige prädiktive klinische und ultrasonographische Hinweiszeichen zusammengefasst.
27
> Da insgesamt etwa 12% der zeitgerecht entwickelten Feten falsch als untergewichtig eingestuft werden, beträgt die richtige Vorhersage eines niedrigen Geburtsgewichtes nach den Ergebnissen einer Metaanalyse der vorliegenden prospektiven Studien nur 45%.
Von den verschiedenen Parametern erreichen nur das Oligohydramnion und ein Unterschreiten der 10. Perzentile des Abdomenumfanges einen positiven Vorhersagewert von über 50% (Schneider 1993). Andere Parameter wie die Plazentatextur sind wesentlich schlechtere Prädiktoren (Grading). Eine stark verkalkte Typ-III-Plazenta korreliert in Terminnähe besser mit einer fortgeschrittenen Lungenreife als mit einem niedrigen Geburtsgewicht. Auch unter Einsatz der Parameter mit dem besten prädiktiven Wert wie Kopf-/Abdomenumfang und eine pathologisch verminderte Fruchtwassermenge bleiben bis zu 50% aller SGA-Feten nach wie vor unentdeckt. Bemerkenswert ist aber, dass etwa 75% der Patientinnen mit SGA-Feten leicht zu diagnostizierende prädisponierende Risiken wie eine belastete Anamnese, eine schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, einen fortgeschrittenen Diabetes mellitus, einen starken Nikotinabusus oder eine unzureichende Gewichtszunahme im letzten Trimenon aufweisen (Ewigman et al. 1993; Romo et al. 2009). In einem derart präselektionierten Kollektiv – insbesondere bei nachgewiesener Hypertonie – führt das Ultraschallscreening zu deutlich besseren Ergebnissen (Divon et al. 1988; Larson et al. 1992, Romo et al. 2009.
Wichtige prädiktive klinische und ultrasonographische Hinweiszeichen für die Erkennung des wachstumsrestringierten Fetus 4 Klinische Hinweiszeichen – Reduzierter Symphysen-Fundus-Abstand (serielle Messung!) – »Kleiner Bauch«, geringe Gewichtszunahme – Zustand nach IUWR – Hypertensive Schwangerschaftserkrankung – Nikotin- bzw. Drogenabusus 4 Ultrasonographische bzw. andere Hinweiszeichen – Reduzierter Abdomenumfang (serielle Messung!) – Oligohydramnion – Pathologische Dopplerflussmessung – Pathologisches Herzfrequenzmuster – Pathologisches Bewegungs-/biophysikalisches Profil
27.5.3
Dopplersonographie
Die Erkennungsrate des SGA-Fetus mittels Dopplersonographie variiert von Studie zu Studie erheblich. Dies mag durch unterschiedliche Definitionen für SGA wie auch für die pathologischen Flussmuster bedingt sein. Fasst man die Ergebnisse aller prospektiven Studien zusammen, ist bei unselektionierten Kollektiven die Ultraschallbiometrie, die das fetale Wachstum wesentlich direkter erfasst, der Dopplersonographie deutlich überlegen. Der kombinierte Einsatz von Real-time-Ultraschall und Doppler zeigt, dass der beste Prädikator für SGA das fetale Ultraschallschätzgewicht ist, aufgrund dessen 87% der SGA-Feten entdeckt werden. > Die Hauptaufgabe der Dopplersonographie ist die Unterscheidung zwischen SGA- und IUWR-Feten. Eine Biometrie <10. Gewichtsperzentile bei unauffälliger Dopplersonographie spricht für eine SGA-, bei pathologischer Dopplersonographie für eine IUWR-Situation.
Studienbox Dennoch zeigt die Mehrzahl der Studien, dass die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines SGA-Fetus erhöht ist, wenn das Dopplerflussmuster in maternalen bzw. fetalen Gefäßen pathologisch ist (Anyaegbunam et al. 1991; Arabin et al. 1994; Arduini et al. 1993; Bates et al. 1996; Falo 2009). Dabei ist die durchschnittliche Sensitivität in einem Risiko-kollektiv mit Begleitpathologie wie z. B. einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie signifikant besser (Schneider 1993). In einer Untersuchung mit systematischer Dopplersonographie der uterinen sowie Umbilikalarterien vor 16 SSW konnte allerdings eine später auftretende Präeklampsie mit vergleichsweise gutem Erfolg vorhergesagt werden, während die Vorhersage eines SGA-Fetus mäßig gut war (Harrington et al. 1997). Neuere Untersuchungen an 2445 unauffälligen Schwangerschaften von im Rahmen der Ersttrimesteruntersuchung durchgeführten uterinen Dopplermessungen zeigen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt mit ROC-Werten von 0,71 pathologische Messergebnisse auf eine präeklampsiebedingte IUWR-Entstehung hinweisen können (Melchiorre et al. 2009). In einer prospektiven Untersuchung von 2097 Einlingsschwangerschaften wurde der Gefäßwiderstand in der A. umbilicalis in der 28., 34. und 38. SSW überprüft. In diesem Risikokollektiv mit einer SGA-Prävalenz von 20% betrug die Sensitivität der Erkennung des SGA-Fetus abhängig vom Gestationsalter und dem gewählten Widerstandsindex maximal 43% (Beattie u. Dornan 1989). Andere Studien berichten über Sensitivitäten von lediglich 17–22% (Gnirs 1995; Schneider 1993). 35% der Schwangeren mit einmalig auffälligem Strömungsprofil in den Uterinarterien in der 23. SSW ent-
6
601 27.6 · Diagnostik und Überwachung
wickeln in der Spätschwangerschaft eine Präeklampsie. Damit steigt das Risiko für eine Präeklampsie um den Faktor 10 an. In 21% werden IUWR-Feten beobachtet (Albaiges et al. 2000). Eine Metaanalyse von 17 prospektiven Studien an 4759 Patientinnen ergab eine durchschnittliche OddsRatio von 8,8 für die Entwicklung einer IUWR, wenn der Gefäßwiderstand in der A. umbilicalis erhöht war (Divon 1996). Dabei gibt es offenbar in der Aussagekraft der 3 gebräuchlichsten Gefäßwiderstandsindizes (A/B-Ratio, Puilsatilitätsindex und Resistance-Index) keine signifikanten Unterschiede. Eine erhöhte A/B-Ratio in der A. umbilicalis >3,0 wurde bei lediglich 49% der SGA-Feten festgestellt (Jacobson et al. 1990).
27.5.4
Plazentaassoziierte Risikofaktoren
Ausgehend von der Überlegung, dass Störungen im Wachstum und der Entwicklung der Plazenta sowie in der Anpassung der Durchblutung der Manifestation einer Wachstumsbeeinträchtigung des Fetus zeitlich vorausgehen, wird nach Screeningmöglichkeiten im 1. und frühen 2. Schwangerschaftsdrittel hinsichtlich des Risikos einer späteren IUWREntwicklung gesucht.
Studienbox Die Bestimmung von Proteinen fetalen oder plazentaren Ursprungs [AFP, »pregnancy associated placenta protein« (PAPP-A) und HCG] oder Inhibin A im peripheren Blut der Mutter wurden als frühe Indikatoren für eine Störung der Entwicklung bzw. der Funktion der Plazenta eingesetzt. Allerdings ist deren prädiktiver Wert einem auffälligen Dopplersonogramm in den Uteringefäßen unterlegen (Gagnon et al. 2009).
> Bei Nachweis eines erhöhten AFP-Wertes im maternalen Blut zwischen 16. SSW und 18. SSW ist das Risiko einer später auftretenden IUWR 5- bis 10-fach erhöht.
Studienbox Während der Zusammenhang zwischen erhöhten maternalen HCG-Werten im 2. Trimenon und einem erhöhten Risiko der Entwicklung einer Präeklampsie im weiteren Schwangerschaftsverlauf gesichert erscheint, bleibt die diagnostische Wertigkeit der AFP-Bestimmung in diesem Zusammenhang umstritten (Luckas et al. 1998). Eine pathologische uterine Dopplermessung im 2. Trimenon zusammen mit erhöhtem Serum-AFP, HCG, Inhibin A bzw. niedrigem PAPP-A weist auf ein erhöhtes Präeklampsie-/ IUWR-Risiko hin.
Eine breite klinische Anwendung dieser Methoden im Sinne eines generellen Screenings oder bei bestimmten Risikogruppen ist allerdings aufgrund der vorliegenden klinischen Studien bisher noch nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt für die Bestimmung von Estriol und hPL, die aufgrund fehlender Evidenz als obsolet betrachtet werden muss.
27.6
Diagnostik und Überwachung
Wie bereits erwähnt, reflektiert eine fetale Wachstumskurve, die unterhalb der Norm verläuft, nicht notwendigerweise eine fetale Pathologie. Bei Verdacht auf SGA muss als erstes eine Ursachenabklärung (fetaler Infekt, Fehlbildungen, Karyotypisierung, gefäßrelevante maternale Erkrankungen) vorgenommen werden. Als zweites ist die Überwachung des eigentlich hypoxiegefährdeten IUWR-Kollektivs zentraler Bestandteil des klinischen Managements, um den optimalen Entbindungszeitpunkt festlegen zu können. > Bei Vorliegen einer IUWR liegt das Risiko einer Chromosomenanomalie bei 2–8%. Umgekehrt findet sich bei Kindern mit Fehlbildungen in 22% der Fälle eine intrauterine Wachstumsrestriktion. Die Wahrscheinlichkeit für eine IUWR beträgt bei einer Fehlbildung 20% gegenüber 60% bei >9 Defekten (Khoury et al. 1988; Romo et al. 2009).
Da Fehlbildungen nahezu jeden Organs mit Wachstumsrestriktion assoziiert sein können (z. B. Fallot-Tetralogie, singuläre Nabelschnurarterie etc.), sollte neben der genetischen Abklärung intensiv nach diesen Fehlbildungen gefahndet werden (Droste 1992; Romo et al. 2009). Nicht geklärt ist, ob die IUWR sekundäre Folge einer Malformation ist oder ursächlich bei der Entstehung der Malformation von Bedeutung ist. Letztlich können Malformation und IUWR auf gemeinsame ätiologische Faktoren zurückgehen und daher gehäuft zusammen auftreten.
27.6.1
Chordozentese: Chromosomenanomalien, Infektion, Plazentainsuffizienz
Die Nabelschnurpunktion erlaubt eine Fetalblutanalyse mit rascher Karyotypisierung innerhalb von 72 h, eine Beurteilung der Blutgase mit Einblick in den fetalen Metabolismus und die Diagnostik wichtiger Infektionen (wie z. B. Zytomegalie, Toxoplasmose; Bilardo et al. 1990; Khoury et al. 1988; Meizner u. Glezerman 1992; Nicolaides et al. 1989; Soothill u. Campbell 1993; Weiner u. Williamson 1989; Westgren et al. 1997).
Studienbox Es gibt keine signifikanten Unterschiede des SäureBasen-Status zwischen symmetrischer und asymmetrischer Wachstumsrestriktion (Blackwell et al. 2001).
27
602
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
! Bei IUWR-Feten werden jedoch gehäuft bei versehentlicher Punktion der Arterien ein Vasospasmus und in 10% der Fälle fetale Bradykardien beobachtet, sodass für die Karyotypisierung die Plazentese vorzuziehen ist.
27
Die als Folge des Eingriffes zu verzeichnende Verlustrate liegt bei der Nabelschnurpunktion bei IUWR-Feten bei hoher praktischer Erfahrung zwischen 0,3% und 1,9% (Meizner u. Glezerman 1992). Chordozenteseergebnisse bei IUWR-Feten zeigen im Vergleich zu zeitgerecht entwickelten Feten in 40– 60% der Fälle eine Hypoxämie (Bilardo et al. 1990; Soothill u. Campbell 1993; Weiner u. Williamson 1989; Blackwell et al. 2001). Dabei ist zu beachten, dass sowohl die pH- als auch die pO2-Werte im Verlauf der Schwangerschaft abnehmen. Die bei SGA-Feten in Nabelschnurblutproben festgestellten biochemischen Normabweichungen sind in . Tab. 27.3 wiedergegeben. 4 Die Hyperkapnie und Hypoxie führen zu vermehrt anaerober Glykolyse mit Laktatanstieg und Abfall des pHWertes. 4 Die Hypoglykämie ist auf den Verbrauch der fetalen Glykogenspeicher, eine beschränkte Glukoneogenese und einen ungenügenden Glukosetransfer durch die Plazenta zurückzuführen. 4 Der Anstieg der Katecholamine erklärt möglicherweise die geringere Inzidenz schwerer Atemnotsyndrome durch eine Selbstinduktion der Lungenreife, wobei die Sinnhaftigkeit der Verabfolgung einer Lungenreifungsinduktion bei IUWR-Feten außer Zweifel steht. 4 Die erhöhte Konzentration von PGF2α steht mit der häufig auftretenden vorzeitigen Wehentätigkeit bei nutritiver Deprivation in Zusammenhang.
Studienbox In einer prospektiven Fallkontrollstudie sind Schaap et al. (2001) der Frage nachgegangen, welche Auswirkung eine antenatale Lungenreifungstherapie auf das Langzeit-Follow-up von IUWR-Feten hat. Eingeschlossen wurden 60 fallkontrollierte »matched pairs«, wobei eine Gruppe maximal 7 Tage vor der Entbindung eine Lungenreifungsinduktion erhielt, die andere hingegen nicht. Im korrigierten Alter von 2 Jahren wies die steroidbehandelte Gruppe eine signifikant niedrigere Handikaprate (Odds-Ratio 3,2) auf, allerdings im Schulalter eine gegenüber der Kontrollgruppe signifikante Wachstumsverzögerung (Odds-Ratio 5,1).
4 Eine gesteigerte Blutneubildung kann als kompensatorische Maßnahme für die Hypoxämie gewertet werden; Ausdruck einer solchen hypoxisch bedingten Blutneubildung sind die Polyzythämie sowie der Anstieg von Erythropoetin und Retikulozyten. 4 Die Triglyzeriderhöhung, die mit dem Schweregrad der Hypoxie korreliert ist, ist bei gestörtem Plazentatransfer am ehesten auf eine gesteigerte Lipolyse mit Nutzung der eigenen Energiereserven zurückzuführen.
. Tab. 27.3. Median und Standardabweichung von Blutgasen, pH-Wert und Laktat in normosomen (AGA) und untergewichtigen (SGA) Feten aus Nabelschnurblutanalysen. (Mod. nach Nicolaides et al. 1989).
Parameter
AGA (Median)
SD
SGA (Median)
SD
UV pO2 [mmHg]a
42,7
7,4
31,5
10
34,9
3,8
41,0
9,9
7,41
0,03
7,35
0,08
0,99
0,32
2,31
1,1
18,0
4,2
20,8
8,0
UA pCO2 [mmHg]a
35,0
2,0
47,3
10,1
UA pHa
7,3
0,03
7,32
0,07
UA Laktat [mmol/l]
0,92
0,21
2,05
1,04
UV pCO2
[mmHg]a
UV pHa UV Laktat [mmol/l] UA pO2
a
[mmHg]a
Wegen Abhängigkeit vom Gestationsalter wurden die Werte auf die 25. SSW adjustiert. AGA-Feten (n = 208), SGA-Feten (n = 196). UV = Umbilikalvene, UA = Umbilikalarterie.
4 Das Verhältnis von nicht essenziellen zu essenziellen Aminosäuren (Glycin-Valin-Ratio) steigt bei Malnutrition an und korreliert dabei signifikant mit dem Grad der Hypoxämie (Meizner u. Glezerman 1992; Nicolaides et al. 1989; Simchen et al. 2001). Wie bereits erwähnt, wird bei einem Ungleichgewicht zwischen dem Bedarf der fetalen Gewebe und der Versorgung als erster Schritt in einer Sequenz verschiedener Adaptationsmaßnahmen eine Down-Regulation des Stoffwechsels und der Wachstumsrate der Gewebe beobachtet, sodass der Bedarf bzw. Verbrauch an Substrat der Versorgung angepasst wird und die Konzentrationen von Sauerstoff, Glukose und den anderen für den Stoffwechsel und das Wachstum der Gewebe wichtigen Stoffe im Blut des Fetus zunächst konstant bleiben.
Studienbox Interessanterweise konnten bei nutritiv mangelversorgten Feten erniedrigte Aminosäurespiegel bei noch unauffälligem pO2 und vor Entwicklung einer Pathologie des Blutströmungsverhaltens gezeigt werden (Ferrazi et al. 1995).
Generell kann für die Diagnostik der Gefährdung des Fetus und die Bestimmung des Entbindungszeitpunktes angesichts der Aussagekraft der nicht invasiven Überwachungsmethoden wie insbesondere der Dopplersonographie auf die Chordozentese mit der punktuellen Fetalblutanalyse verzichtet werden, zumal die nicht invasiven Methoden auch eine Verlaufsdiagnostik ermöglichen (Nicolini et al. 1990).
603 27.6 · Diagnostik und Überwachung
27.6.2
Dopplersonographie
Bei der Beurteilung von dopplersonographisch erfassten Blutströmungskurven haben sich ebenfalls Perzentilwerte zur Einteilung in normale und pathologische Blutströmungsmuster durchgesetzt. Als pathologisch gelten Gefäßwiderstände >90. (95.) Perzentile/Gestationsalter für die maternalen bzw. fetalen Gefäße. Eine Ausnahme stellen die fetalen Zerebralgefäße dar. Bei diesen ist eine Abnahme des Gefäßwiderstandes <10. (5.) Perzentile im Sinne einer gesteigerten Perfusion pathologisch und gilt als Hinweis auf eine drohende fetale Gefährdung. Darüber hinaus gibt es pathognomonische Flussmusterveränderungen, die eine weitere Einschränkung der fetalen Versorgung signalisieren: 4 eine Sauerstoffsparschaltung zugunsten des Gehirns (z. B. Gefäßwiderstand in der Aorta fetalis >90. Perzentile, in der A. cerebri media <10. Perzentile), 4 ein enddiastolischer Flussverlust (»zero flow«) bzw. eine Flussumkehr (»reverse flow«) in der Diastole, 4 eine hochpulsatile Veränderung in der V. umbilicalis und V. cava ist ebenso wie ein diastolischer Flussverlust bzw. eine Flussumkehr im Ductus venosus Zeichen einer zunehmenden Rechtsherzbe- und -überlastung des Fetus (Hecher et al. 1995, Baschat et al. 2009). 4 Die Dilatation des rechten Ventrikels, der intrauterin 60% des Herzminutenvolumens beisteuert, wird als sekundäre Folge einer pulmonalen Hypertension bei vorliegender Polyzythämie und erweitertem Ductus arteriosus angesehen (DeVore 1988; Hecher et al. 1995, Baschat et al. 2009). Die Erhöhung von Gefäßwiderständen im prä- bzw. postplazentaren Kreislauf sowie die in der 2. Schwangerschaftshälfte bei stärkerer Versorgungseinschränkung zu beobachtende Blutumverteilung in fetalen Organen sind mit Hilfe der nicht invasiven Dopplersonographie diagnostizierbar. Details zur antepartalen Überwachung sind in 7 Kap. 30.8 aufgeführt. Im Gehirn ist der diastolische Flussanteil zu jedem Gestationsalter niedriger als in den Aa. umbilicales (Arbeille 1991; Arduini et al. 1987). Eine Widerstandsabnahme in der A. cerebri media zeigt die Notwendigkeit der Blutumverteilung infolge einer Vasomotorenantwort (Vasodilatation) auf eine Hypoxie (»brain-sparing«) auf.
Studienbox In einer prospektiven Studie mit IUWR-Feten fanden Sterne et al. (2001) eine enge Korrelation zwischen einer pathologischen MCA/UA-S/D-Ratio, niedrigem Gestationsalter und ungünstigem Outcome. Diese Dopplerbefunde waren ebenfalls mit einer häufigeren Notfallentbindung assoziiert. In der niederländischen Generation Study wurden 935 Fälle mit »brain sparing« 18 Monate nach der Geburt bezüglich Verhaltensauffälligkeiten untersucht. Es fanden sich gegenüber einer Kontrollgruppe bei diesen Kindern signifikant gehäuft Wahrnehmungs-, Emotionsund Aufmerksamkeitsdefizite (Roza et al. 2008).
Die Messung des fetalen zerebralen Gefäßwiderstandes nach Sauerstoffapplikation via Mutter wurde als Test für die Reagilibität des fetalen Kreislaufes bzw. für einen gestörten Plazentatransfer propagiert. Bei fehlender Kreislaufantwort des Fetus im Sinn einer Zunahme des Gefäßwiderstandes im Gehirn wurde eine fetale Azidose mit einer Sensitivität von 70% diagnostiziert. In Terminnähe und im Bereich der Übertragung sind diese Blutumverteilungsvorgänge allerdings in bis zu 20% der Schwangerschaften zu beobachten und bieten in diesem Zeitraum keine gute Korrelation mit einer fetalen Gefährdung.
Studienbox Eine frühzeitige Abnahme des Gefäßwiderstandes in den umbilikalen Gefäßen vor der 20. SSW und unauffällige Widerstandsmuster der fetalen Gefäße auch in Terminnähe und im Bereich der Übertragung sind als Rückversicherung für eine ungestörte Perfusion von gewisser Bedeutung, während »pathologische« Werte in diesen Zeitabschnitten häufig Ausdruck physiologischer Veränderungen sind (Divon 1992; Vintzileos et al. 1991). Ein Anstieg der fetalen Herzfrequenz führt zu einer Verkürzung der diastolischen Füllungszeit und dadurch zum scheinbaren Anstieg der diastolischen Flussgeschwindigkeiten. Durch Bildung des Verhältnisses (»ratio«) zwischen Gefäßwiderstand in der Peripherie und im Gehirn kann der Einfluss der fetalen Herzfrequenz weitgehend eliminiert werden (Arduini 1991).
Von besonderer diagnostischer Aussagekraft sind ein diastolischer Flussverlust bzw. eine Flussumkehr in den arteriellen Gefäßen.
Studienbox Bei einer Analyse von über 600 in der Literatur publizierten Fällen von enddiastolischem Flussverlust bzw. Flussumkehr lag in 83% der Fälle eine intrauterine Wachstumsrestriktion und in knapp der Hälfte der Fälle eine schwangerschaftsinduzierte Hypertonie vor. Fetalblutanalysen ergaben beim diastolischen Flussverlust in ca. 80% der Fälle eine Hypoxie und in ca. der Hälfte der Fälle eine Azidose. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass bei einem normalen dopplersonographischen Flussmuster keine Pathologie in der Fetalblutanalyse zu erwarten ist (Weiner u. Williamson 1989). Bei der diastolischen Flussumkehr wiesen nahezu alle Feten eine Hypoxie bzw. Azidose auf. IUWR-Feten mit diesem Flussmuster entwickelten in der Folge in 35% der Fälle ein schweres neurologisches Handikap vs. 0% in der Gruppe mit unauffälligem Dopplerflussmuster (Valcamonico et al. 1994). In über 2/3 der Fälle erfolgte die Entbindung im Bereich der Frühgeburtlichkeit durch Sectio wegen drohender Asphyxie des Kindes. Bereits ein anhalten-
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604
27
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
des Brain-sparing-Muster war mit einer Verschlechterung des Langzeit-follow-up verknüpft (Roza et al. 2008). In einer prospektiven Multicenterstudie fand sich eine Gesamtmortalität bei 204 Fällen mit diastolischem Flussverlust bzw. diastolischem Rückfluss (= ARED-Flow) von 28%. Verglichen mit gestationsaltersgleichen Feten war die Rate der perinatalen Mortalität in der Gruppe mit fehlendem diastolischem Fluss um das 4,0-fache (OddsRatio), bei Flussumkehr um das 10,6-fache (Odds-Ratio) erhöht (Karsdorp et al. 1994). Bei ARED-Flow stieg die Verlegungsrate auf die neonatologische Intensivstation, die Rate der Hypoglykämien und der Hirnblutungen signifikant an. Diese Zahlen unterstreichen die pathognomonische Bedeutung dieser Flussmuster. Der Frage, inwieweit das Auftreten pathologischer venöser Blutströmungsmuster das perinatale Ergebnis beeinflusst, sind Baschat et al. (2000, 2004, 2008) nachgegangen. In einer prospektiven Untersuchung konnten sie einer Gruppe mit IUWR-Feten mit erhöhtem Widerstand in der A. umbilicalis (n=42) eine Gruppe mit 29 IUWR-Feten, die eine Umverteilung zum Gehirn aufwiesen, und eine weitere Gruppe von 50 IUWR-Feten mit pathologischem Ductus venosus >2 SD bzw. venösen Pulsationen gegenüberstellen. Ein ARED-Flow fand sich in 9,5% in der Gruppe I, in 34,5% in Gruppe II und in 78% in Gruppe III. Hofstaetter et al. (2001) beobachteten bei IUWR-Feten einzelne (57 Feten) und auch doppelte (26 Feten) Pulsationen in der V. umbilicalis während eines Herzzyklus. Traten »doppelte« Pulsationen auf, war das perinatale Outcome signifikant schlechter.
Interessanterweise treten Zero- oder Reverse-flow-Muster im Ductus venosus nur in 30–40% von klinisch dauerüberwachten IUWR-Feten auf (Ferazzi et al 2002; Baschat et al. 2007). Auch scheint der Ductus venosus im Gegensatz zu einem ARED-Flow in der A. umbilicalis kein unabhängiger Prädiktor für die fetale Gefährdung zu sein (Baschat et al. 2009). Aus diesem Grund erscheint es problematisch, auf diese schwere Form der Pathologie zu warten, die zeitlich zwischen dem Auftreten eines Zero- und Reverse-flowMusters in der A. umbilicalis angesiedelt ist, da man u. U. dabei einen intrauterinen Fruchttod in Kauf nehmen muss. Allerdings hat die Beurteilung des venösen Flussmusters zumindest als additiver Mosaikstein in den frühen Schwangerschaftswochen durchaus ihre Berechtigung. Die Falsch-positiv-Rate eines diastolischen Flussverlustes bezüglich Hypoxie bzw. Azidose ist mit 1% gegenüber der bis zu 60% betragenden Falsch-positiv-Rate des CTG extrem gering (Flynn et al. 1982b; Nicolaides et al. 1989; Weiner u. Williamson 1989). > Bei einer Pathologie der Strömungsmuster im venösen System wie der Umbilikalvene, der V. cava inferior und dem Ductus venosus ist die perinatale Mortalität zusätzlich erhöht. Dabei steigt die Morta-
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lität an, je weiter weg vom Herzen das Flussmuster in den Venen pathologisch wird (V. umbilicalis > V. cava > Ductus venosus; Baschat et al. 2004).
Da die Überwachung des IUWR-Fetus in erster Linie die frühzeitige Erkennung der Hypoxie und Verhinderung der Azidose zum Ziel hat, muss die Methode der Dopplersonographie sich an den etablierten Überwachungsverfahren messen lassen. In der Erkennung des SGA-Fetus ist – wie schon erwähnt – die Ultraschallbiometrie der Dopplersonographie überlegen.
Studienbox Umgekehrt belegen prospektive Untersuchungen eindeutig die Überlegenheit der dopplersonographischen Messung von Blutströmungsmustern gegenüber allen anderen Verfahren in der antepartalen Erkennung der fetalen Asphyxie (Soothill u. Campbell 1993; Alfirevic u. Neilson 1995; Divon u. Ferber 2001; Romo et al. 2009). Eine erhöhte Rate chromosomaler Aberrationen von durchschnittlich 8% bei dopplersonographisch nachgewiesenem diastolischem Flussverlust erfordert eine intensive Fehlbildungssuche und weitere diagnostische Abklärungen (Wenstrom et al. 1991; Snijders et al. 1993; Rizzo et al. 1994). Bei Feten mit strukturellen (chromosomalen) Anomalien wird allerdings häufig keine Blutumverteilung zum Gehirn beobachtet (Wladimiroff 1991).
> Die Dopplersonographie ist mittlerweile die Methode der Wahl in der Triage zwischen SGA- und IUWRFeten sowie in der Früherkennung der chronisch hypoxischen Gefährdung.
Dies schlägt sich auch in den Indikationen zu dieser Untersuchung im Rahmen der neuen Mutterschafts-Richtlinien (2008) nieder. Die vorliegenden prospektiven Studien zeigen, dass bei unauffälligem Ausfall der Dopplersonographie auch bei biometrisch »kleinem Fetus« bei unauffälliger Zusatzdiagnostik (insbesondere Ausschluss von Fehlbildungen) die ambulante Überwachung gerechtfertigt ist. Hierdurch lassen sich unnötige Belastungen für die Eltern, aber auch Kosten für das Gesundheitswesen einsparen.
Studienbox In einer Gruppe von 179 SGA-Feten <5. Gewichtsperzentile trat bei normalem Flussmuster kein Todesfall auf; auch lagen wichtige Eckdaten wie Frühgeburt, Notfallsectio, Verlegung auf die Kinderintensivstation signifikant niedriger als in der Gruppe mit pathologischem Flussverhalten (Burke et al. 1990). Andere prospektive Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen (Almström et al. 1992; Jacobson et al. 1990; Weiss et al. 1989; Romo et al. 2009). In einer schwedischen Multizenterstudie wur-
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605 27.7 · Therapieansätze, Prävention
den prospektiv randomisiert jeweils 214 IUWR-Feten nur dopplersonographisch (A. umbilicalis) bzw. nur mittels CTG überwacht. Bei gleichem Gestationsalter zum Zeitpunkt der Geburt zeigten sich bei rein dopplersonographischer Überwachung gegenüber der CTG-Überwachung die folgenden Vorteile: 5 signifikant weniger Kontrollen: 4,1-mal bei Doppleruntersuchung vs. 8,2-mal bei CTG, 5 weniger Krankenhauseinweisungen: 68 (31,3%) vs. 97 (45,8%), 5 weniger Geburtseinleitungen: 22 (10,3%) vs. 46 (21,7%), 5 weniger Kaiserschnitte wegen »fetal distress«: 11 (5,1%) vs. 30 (14,2%) und 5 weniger Verlegungen auf die neonatologische Intensivstation. 5 In der dopplersonographisch überwachten Gruppe starb kein Kind, während in der CTG-überwachten Gruppe 3 Feten starben. Bei den übrigen Outcome-Kriterien bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (Almström et al. 1992).
> Die Dopplersonograpie der A. umbilicalis besitzt gegenüber der CTG-Überwachung einen besseren Vorwarneffekt und ist weniger zeitaufwendig und besser reproduzierbar (Almström et al. 1992). Als Prädiktoren für eine IUWR scheinen die Dopplersonographie in der Umbilikalarterie bzw. den Uteringefäßen jedoch gleichwertig zu sein (Gosh et al. 2009). Ein hochpathologisches Widerstandsverhalten der Uteringefäße ist dabei sowohl im 2. wie im 3. Trimenon hoch korreliert mit einem schlechten perinatalen Ergebnis (Yu et al. 2008; Ghidini et al. 2008).
Die Frage, inwieweit die weitere Überwachung von IUWRFeten durch die Dopplersonographie klinischen Nutzen bringt, wurde in einer prospektiv-randomisierten Studie untersucht. Bei vergleichbaren Kollektiven wurden 500 Schwangere wiederholt dopplersonographisch untersucht, während in dem randomisierten Kontrollkollektiv darauf verzichtet wurde. Der Anteil von IUWR-Feten war mit 10% in beiden Kollektiven vergleichbar. Die dopplersonographisch verfolgte Gruppe zeigte eine signifikant niedrigere IUWR-spezifische Morbidität wie Asphyxie, Hypoglykämie bzw. Polyzythämie und eine niedrigere Rate neonatologischer Intensiv- und Beatmungspflichtigkeit (Schneider et al. 1991).
27.6.3
Fruchtwassermenge
Bei der Bestimmung der Fruchtwassermenge hat der »amniotic fluid index« (AFI) eine weitreichende klinische Akzeptanz gefunden (7 Kap. 30.5.2):
4 Reduzierte AFI-Indizes findet man bei etwa 70% der IUWR-Feten; 30% weisen deutlich reduzierte Werte im Sinne eines Oligohydramnions auf (Arduini 1991; Nicolaides et al. 1990; Chauhan et al. 2008). 4 Ferner besteht eine gute Korrelation mit den dopplersonographisch gefundenen erhöhten Gefäßwiderständen: Je niedriger der AFI ist, desto höher sind die gemessenen Gefäßwiderstände und desto geringer ist die uteroplazentare Perfusion (Portmann 2005). 4 Die stündliche Urinproduktion ist bei IUWR-Feten signifikant geringer als bei normosomen Kindern, korreliert allerdings nicht direkt mit dem Ausmaß der Hypoxie (Nicolaides et al. 1990).
27.6.4
CTG und biophysikalisches Profil
Zur Feststellung bzw. zum Ausschluss einer antepartalen Hypoxie ist der Einsatz des CTG mit seinen Testvarianten (NST = Non-Stress-Test, OBT = Oxytozinbelastungstest) und des biophysikalischen Profils weit verbreitet (Cosmi et al. 2005). Zahlreiche Studien haben auf die mangelnde inter- und intraindividuelle Reproduzierbarkeit der Interpretation des CTG aufmerksam gemacht. Insbesondere bei der Verwendung mehrparametriger Scores nimmt die Fehlerbreite in der Beurteilung zu (7 Kap. 30.2 und 30.5.2). > Die Dauer der Kindsbewegungen ist im Sinne einer Ökonomisierung bei IUWR-Feten gegenüber normosomen Feten signifikant verkürzt (Hopp et al. 1994; Gnirs 1995).
27.7
Therapieansätze, Prävention
Wirkungsvolle therapeutische Ansätze zur Verbesserung der intrauterinen Versorgungssituation des Fetus fehlen bisher. Die einzigen klinisch sinnvollen »Therapiekonzepte« stellen die Ausschaltung von Noxen (z. B. Rauchen), v. a. aber die perfusionssteigernde Wirkung der Bettruhe dar, die gelegentlich zu einer Normalisierung der bei IUWR beobachteten Disproportion der Blutverteilung zwischen rechtem und linkem Ventrikel führt (DeVore 1988; Leonardi-Bee et al. 2008). Die biochemischen Analysen der Fetalblutproben bieten gewisse Hinweise auf die Ernährungssituation des IUWRFetus. Daraus wurden Überlegungen zum Versuch einer Hyperalimentation abgeleitet, die in ihrem Nutzen jedoch bislang nicht erwiesen sind (Schwitzgebel et al. 2008). ! Die Substitution von Aminosäuren kann einen Anstieg von Ammoniak und Harnstoff und einen Abfall des pO2 und des pH-Wertes zur Folge haben. Durch eine exzessive Gabe bestimmter Aminosäuren können darüber hinaus die Aufnahme anderer Aminosäuren beeinträchtigt und das fetale Wachstum zusätzlich eingeschränkt werden. Durch ein derartiges Vorgehen wurden vermehrt Frühgeburten und ein Anstieg der perinatalen Mortalität beobachtet (Harding et al. 1992; Kurjak 1992; Schwitzgebel et al. 2008).
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606
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
Auch intravenös an die Mutter oder direkt via Nabelschnur im Übersschuss angebotene Glukose kann über einen für die Verstoffwechselung benötigten Sauerstoffmehrverbrauch einen Laktatanstieg und damit eine Azidämie des Fetus verursachen (Harding et al. 1992). ! Wegen der möglichen Gefahren bei fehlendem oder fragwürdigem Nutzen müssen alle Versuche der direkten oder indirekten Hyperalimentation zum jetzigen Zeitpunkt als kontraindiziert angesehen werden.
27
Eine direkte Sauerstoffapplikation bei Schaffeten führte nur bei mäßig – nicht aber bei schwer restringierten Feten – zu einer Anhebung des Sauerstoffpartialdruckes, wobei diese möglicherweise nicht mehr in der Lage sind, das Mehrangebot an O2 zu utilisieren (Harding et al. 1992; Meizner u. Glezerman 1992). ! Beim menschlichen IUWR-Fetus wurden nach Absetzen des via Mutter angebotenen O2 vermehrt Dezelerationen der fetalen Herzfrequenz beobachtet (Bekedam et al. 1990).
Studienbox Nach 50%iger O2-Gabe konnte ein Anstieg des maternalen pO2 von 79 mm Hg auf 158 mm Hg und eine um 100% höhere Fetal-breathing-Aktivität als unter Raumluft festgestellt werden. Die beobachteten Veränderungen scheinen für die Differenzierung von SGA- und IUWR-Feten jedoch nicht geeignet. Die alterierten Herzfrequenzund Bewegungsmuster von IUWR-Feten, die sich mit O2Gabe nicht reversibel beeinflussen lassen, sind möglicherweise Ausdruck einer gestörten ZNS-Entwicklung (Gagnon u. Vijan 1990). Andere Autoren fanden während einer Hyperoxygenation der Mutter eine Normalisierung der gegenüber normosomen Feten erhöhten Blutflussgeschwigkeit in der Aorta, nicht aber in der Pulmonalarterie (Rizzo et al. 1990). Daher wurde vorgeschlagen, dass eine O2-Langzeittherapie nur bei Feten, die nach maternaler O2-Gabe eine Reduktion der enddiastolischen Flussgeschwindigkeit in der A. cerebri media erkennen lassen, sinnvoll ist (Arduini et al. 1987). Eine Metaanalyse dreier Studien in der Cochrane Database erbrachten keine ausreichende Evidenz, um die Sauerstoffgabe bei IUWR-Feten gerechtfertigt empfehlen zu können (Say et al. 2000).
> Durch eine Hämodilution (z. B. mittels Hydroxyäthylstärke) gelingt es i. d. R., einen erhöhten maternalen Hämatokrit in den Normalbereich zu korrigieren.
Wenngleich verschiedene Publikationen aus der verbesserten Hämorheologie einen klinischen Nutzen ableiten, so gilt auch für diesen Ansatz wie für alle oben angeführten Verfahren, dass prospektiv randomisierte kontrollierte klinische Studien
mit ausreichenden Fallzahlen fehlen, die einen eindeutigen Vorteil für diese therapeutische Maßnahme belegen (Kurjak 1992).
Studienbox Eine Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien zum Einsatz von Low-dose-Aspirin (meist 100 mg/Tag) ab der 20. SSW bei Patientinnen mit doppelseitigem Notch zeigt bei über 32.000 Schwangeren eine leichte, aber signifikante Reduktion der IUWR-Rate (Odds ratio 0,90) ( Askie et al. 2007) In einer randomisierten Multizenterstudie wurde bei 3317 Schwangeren mit niedrigem Risiko in der 20– 24. SSW eine Dopplersonographie in den Aa. uterinae durchgeführt. Frauen mit pathologischem Testergebnis erhielten bis zur 35. SSW 100 mg Aspirin/Tag. Gegenüber der Kontrollgruppe war die Inzidenz einer späteren IUWRRate nicht signifikant unterschiedlich (Goffinet et al. 2001).
Auf die Bedeutung des Gen-Imprinting von wachstums- und versorgungsrelevanten Gene in der Plazenta sowie in den Geweben des Fetus für die Anfälligkeit für bestimmte Systemerkrankungen im späteren Leben (»fetale Programmierung«) wurde bereits hingewiesen. Wie weit durch gezielte Interventionen wie Anpassungen der Verabreichung von IGF oder Methyldonatoren an die Schwangere auf die Schädigung verschiedener Organe und die Risiken entsprechender Spätfolgen Einfluss genommen werden kann, ist Gegenstand weiterer Forschung (Jansson u. Powell 2007). Tipp Da erfolgversprechende therapeutische Interventionen nicht in Aussicht sind, basiert die größte Hoffnung für diese Feten auf der Überwachung mit dem Ziel der Schwangerschaftsbeendigung zum optimalen Zeitpunkt.
27.8
Festlegung des Entbindungszeitpunktes
> Das Spektrum der Schädigungen als Folge einer chronischen intrauterinen Mangelversorgung reicht von einem verzögerten Wachstum mit nur geringfügiger Beeinträchtigung der Vitalität über die Schädigung verschiedener Organe mit Akut- sowie Langzeitmorbidität im Erwachsenenalter bei den Überlebenden bis hin zum perinatalen Tod als Folge von schwerer Hypoxie auf der Basis einer Unterernährung.
Der klinische Einsatz der differenzierten Möglichkeiten der Zustandsbeurteilung des Fetus muss nicht nur die Vermeidung der perinatalen Mortalität, sondern auch von Hirnschäden mit neuromotorischen Entwicklungsstörungen zum Ziel haben (Spinillo et al. 1997; Zimmer u. Divon 1992; Divon u.
607 27.8 · Festlegung des Entbindungszeitpunktes
Ferber 2001; ACOG 2001; Baschat et al. 2009). Die Entbindung muss somit vor dem Eintreten entsprechender Organschäden vorgenommen werden. Bei frühzeitig in der Schwangerschaft auftretender Dekompensation der fetalen Versorgung stellt das Abwägen des Risikos bleibender Organschäden gegenüber den Problemen der Unreife der Organe eine besondere Herausforderung dar. Im Folgenden sollen die Grundlagen für die Entscheidungsfindung erläutert werden.
Plazentabedingte IUWR – zeitliche Abfolge der Anpassung des Fetus 4 Diagnostische Abgrenzung gegenüber dem konstitutionell kleinen Feten durch Kombination von Biometrie und Dopplersonographie der A. umbilicalis 4 Kreislaufzentralisierung mit erhöhtem Fluss in der A. cerebri media 4 Dopplerpathologie der venösen Gefäße – Ductus venosus/V. umbilicalis – als Zeichen der kardiovaskulären Dekompensation 4 Auffälligkeiten der biophysikalischen Parameter (Bewegungen von Körper, Extremitäten, Atmung, Muskeltonus, Herzfrequenz, Fruchtwassermenge)
Die oben geschilderte Pathophysiologie der Adaptation des Fetus an die chronische Mangelversorgung stellt die Basis für die klinische Überwachung dar. Mit Hilfe der nicht invasiven Methoden der modernen Überwachung wie dem Real-timeUltraschall und der Dopplersonographie der uteroplazentaren, umbilikalen und verschiedener fetaler Gefäße gelingt es, die Entwicklung einer Sequenz von Veränderungen beim Fetus zu verfolgen und daraus die Entscheidung für den Entbindungszeitpunkt abzuleiten (Arduini et al. 1993; Ribbert et al. 1993). Longitudinaluntersuchungen bei Fällen von IUWR zeigen, dass die Zentralisation des arteriellen Kreislaufs des Fetus mit präferenzieller Blutzufuhr zum Gehirn, zum Herzen und den Nebennieren eine frühe Adaptation darstellt, gefolgt von einer zunehmenden Einschränkung der fetalen Körperbewegungen. > Die Beobachtung, dass Veränderungen der Blutflussmuster in den verschiedenen fetalen Gefäßen einschließlich der Nabelschnurarterie einen früheren und sensitiveren Prädikator der fetalen Gefährdung darstellen als Veränderungen der Bewegungsaktivität oder der Herzfrequenzmuster, hat die Dopplersonographie zur Überwachungsmethode der Wahl für die Risikoschwangerschaften werden lassen (Almström et al. 1992; Arabin et al. 1994; Bekedam et al. 1990; Gaudoin 1992; Gnirs 1995; Kurjak 1992; van Vugt 1991; Weiss et al. 1989).
Auch Befunde zur neurophysiologischen Entwicklung belegen, dass Abweichungen vom normalen fetalen Bewegungsverhalten verglichen mit dopplersonographisch messbaren Veränderungen der fetalen Gefäßwiderstände erst relativ spät manifest werden. Fetale Hirnfunktionen, die bereits in frühen Schwangerschaftswochen nachweisbar sind, wie die Tonisie-
rung der Muskulatur (Beugetonus) oder die Kindsbewegungen, sind gegenüber Hypoxie relativ resistent, sodass der späte Ausfall dieser Funktionen eine kürzere Vorwarnzeit vermittelt. Auch die Einschränkung der Nierendurchblutung ist Teil der Sparschaltung und als verminderte Urinproduktion mit verminderter Fruchtwassermenge leicht nachweisbar. Für die fetalen Atembewegungen konnte im Rahmen der Dekompensation bei longitudinaler Beobachtung kein einheitliches Muster festgestellt werden. Eine computergestützte Auswertung ermöglicht die genaue Erfassung der Variationen der fetalen Herzfrequenz, definiert als Schwankungen des Zeitintervalls zwischen 2 verschiedenen Herzaktionen, jeweils gemittelt über 1 min. Eine Abnahme der Variationen ist ein frühes Zeichen, das bald nach Ausbildung der Zentralisation des Kreislaufes auftritt (Ribbert et al. 1993). > Die Endphase der Dekompensation ist durch einen negativen enddiastolischen Fluss sowohl in arteriellen wie auch in venösen Gefäßen sowie eine weitere Abnahme der Herzfrequenzvariationen zusammen mit den typischen CTG-Veränderungen wie ein silentes Muster mit angedeuteten Dezelerationen im Sinne präterminaler Veränderungen charakterisiert.
Die Zeitintervalle vom Beginn der Zentralisierung des fetalen Kreislaufes bis zur präterminalen Phase der Dekompensation, die eine rasche Schwangerschaftsbeendigung notwendig macht, variieren individuell beträchtlich.
Studienbox Eine multivariate Analyse ergab bei einer Variation von 1–26 Tagen eine Beziehung zwischen Zeitintervall und Gestationsalter. Je frühzeitiger in der Schwangerschaft pathologische Flussveränderungen auftraten, desto länger war das Zeitintervall bis zur Dekompensation (Arduini et al. 1993).
Bei klinischen Zeichen der Hypertonie bzw. Präeklampsie sowie bei dem Nachweis eines pulsatilen Flusses in der Nabelschnurvene war das Intervall bis zur Dekompensation generell verkürzt. Der Nachweis eines pulsatilen Flusses in der Umbilikalvene stand in enger Beziehung zu dem Auftreten eindeutig pathologischer Herzfrequenzmuster.
Studienbox In einer longitudinalen Untersuchung an einer Gruppe von 56 schwer wachstumsrestringierten Feten (<5. Gewichtsperzentile) wurde diese zeitliche Sequenz des Auftretens der unterschiedlichen pathologischen Befunde verschiedener Überwachungs- und Testverfahren weitgehend bestätigt (7 Kap. 15; Gnirs 1995). Der mediane Abstand zwischen Dopplerpathologie und Auftreten von fetaler Herzfrequenzpathologie betrug 15 Tage, was mit an-
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608
27
Kapitel 27 · Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR)
deren Untersuchungen gut übereinstimmt (Bekedam et al. 1990). Über eine ähnliche Kaskade der Pathologieanzeige verschiedener Überwachungsverfahren berichten Machlitt et al. (2001). Sie fanden bei einem longitudinal verfolgten IUWR-Feten zunächst in der 27. SSW einen erhöhten Gefäßwiderstand in der Umbilikalarterie und einen Notch in beiden Uteringefäßen. 19 Tage vor der Entbindung traten eine Widerstandserniedrigung in der A. cerebri media und ein enddiastolischer Flussverlust in der Umbilikalarterie auf, der sich nach weiteren 8 Tagen zu einem Reverse-flow-Muster entwickelte. Zur gleichen Zeit kam es zu einer Erhöhung des Gefäßwiderstandes im Ductus venosus sowie zu einem Abfall der Kurzzeitvariation des computerisierten CTG von 6 auf 4 ms. Zu dieser Zeit zeigte die Patientin auch erste Präeklampsiezeichen. Einen Tag vor der dann durchgeführten Sectio caesarea trat ein Reverse Flow im Ductus venosus auf, die Koronararterien wurden durch Weitstellung sichtbar, im CTG fanden sich jetzt Spätdezelerationen.
Konkrete klinische Empfehlungen zum Entbindungszeitpunkt müssen zum jetzigen Zeitpunkt vorläufig sein, da auch von Experten sehr unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Schwangerschaften mit extremer und frühzeitiger Wachstumsrestriktion scheinen nur von intensivierter Überwachung und der Durchführung der Lungenreifung zu profitieren, nicht jedoch von einem längerfristigen exspektativen Vorgehen (Chammas et al. 2000). In der neu aufgelegten TRUFFLEMultizenterstudie (vorassichtlicher Abschluss 2009) wird das venöse Dopplerergebnis in den Interventionsplan miteinbezogen. Bei fehlendem enddiastolischem Fluss oder bei negativem Fluss ist wegen der deutlich erhöhten Mortalität die Schwangerschaftsbeendigung generell zu diskutieren. Bei sehr frühem Gestationsalter (22–27 SSW) überwiegt eindeutig der Nutzen der Schwangerschaftsverlängerung, sodass die Möglichkeiten der Überwachung der intrauterinen Gefährdung des Fetus voll ausgeschöpft werden sollten. Die Dopplersonographie des venösen Gefäßsystems des Fetus kann dabei eine additive Rolle spielen, allerdings ist ihre Wertigkeit für das Management aufgrund fehlender Langzeitdaten noch offen. Jenseits von 28 SSW überwiegt dagegen die zunehmende Gefährdung intrauterin gegenüber den Gefahren der Frühgeburtlichkeit beim Neugeborenen. Bei einem Gestationsalter >32 SSW ist bei entsprechender Dopplerpathologie die unverzügliche Schwangerschaftsbeendigung angezeigt. Bei Zeichen von Präeklampsie ist diese Grenze bei 28 SSW anzusetzen. Zusätzlich zu der serienmäßig mindestens 2- bis 3mal pro Woche vorzunehmenden Dopplersonographie der Umbilikalarterie und der fetalen Gefäße liefert in diesen kritischen Situationen die dopplersonographische Untersuchung der Herzfunktion ein zusätzliches Beurteilungskriterium. Diese Zusatzbeurteilung wird besonders dann bedeutungsvoll, wenn die unmittelbare Schwangerschaftsbeendigung wegen zu geringen Gestationsalters noch keine Option ist oder aber wegen der Verabreichung von Kor-
tikosteroiden zur Lungenreifung noch einige Tage hinausgezögert werden soll.
Studienbox Bei einer normalen Flussgeschwindigkeit in der Ausstrombahn des linken Herzens sowie unauffälligem Dopplermuster im venösen System ist eine schwerwiegende metabolische Azidose des Fetus noch weitgehend ausgeschlossen (Ferrazzi et al. 1995; Kiserud et al. 1994; Hecher et al. 1995; Hecher u. Hackelöer 1997; Divon u. Ferber 2001). Bei 48 longitudinal verfolgten IUWR-Feten (<5. Perzentile) korrelierte die Visualisierung der Koronararterien mit einer unmittelbar bevorstehenden Dekompensation. Gegenüber den Feten ohne Sichtbarwerden der Koronararterien (n = 28) waren Geburts-pH, Nabelschnur-pO2 und Geburtsgewicht in der Studiengruppe signifikant niedriger (Baschat et al. 2000). Bei einer geringgradigen fetalen Hypoxämie sind nachteilige Effekte für die Langzeitentwicklung eher unwahrscheinlich, während bei einer persistierenden metabolischen Azidose doch mit entsprechenden Langzeitfolgen gerechnet werden muss (Scherjon et al. 1996; Gaudier et al. 1994; Jacobsson et al 2008; Romo et al. 2009).
Besonders schwierig ist die Entscheidung für einen Verzicht auf eine Intervention zugunsten des Fetus wegen schlechter Prognose. Wegen des bereits erwähnten deutlich erhöhten Risikos von Chromosomenanomalien bei Feten mit schwerer IUWR und Dopplerpathologie der Nabelschnurarterie ist neben der intensiven Suche nach weiteren morphologischen Zeichen für entsprechende Anomalien eine möglichst rasche Abklärung des Karyotyps vorzunehmen, wobei für die Materialgewinnung wegen des geringeren Risikos der Plazentabiopsie der Vorzug gegenüber einer Nabelschnurpunktion gegeben wird. Die Abklärung des Karyotyps sollte – wenn möglich – abgeschlossen werden, bevor Zeichen der intrauterinen Hypoxie bzw. Azidose wie Rechtsherzversagen und Pathologie des Blutflusses im venösen System eine notfallmäßige Kaiserschnittentbindung notwendig machen. Tipp Bei nachgewiesener Chromosomenanomalie sollten die Konsequenzen für das Überleben und die Entwicklung des Kindes mit den Eltern ausführlich besprochen werden. Die Option des Verzichtes auf eine Schwangerschaftsbeendigung durch Kaiserschnitt mit Abwarten des natürlichen Verlaufes ist in diesen Situationen vertretbar und sollte den Eltern angeboten werden.
> Auch bei normalem Karyotyp, aber schwerer intrauteriner Wachstumsrestriktion mit Zeichen der Dekompensation, muss der Nutzen einer operativen Intervention zur vorzeitigen Entbindung des Fetus zumindest in Frage gestellt und mit den Eltern diskutiert werden (Kingdom et al. 1997).
609 Literatur
Die Chancen für ein Überleben und für eine normale Entwicklung sind außerordentlich gering bei einem Gestationsalter von <28 SSW und einem Schätzgewicht unterhalb der 5. Perzentile für das Gestationsalter mit Zeichen einer Azidose wie Erweiterung des Rechtsherzens mit Trikuspidalinsuffizienz, pathologischem Ductus-venosus-Fluss, Flussumkehr in der Nabelschnurarterie sowie spontanen Herzfrequenzdezelerationen.
Studienbox In einem Kollektiv von 17 Feten mit entsprechend desolater Ausgangssituation betrug die Mortalität 100% (Guzman et al. 1996). Bei überlebenden Frühgeburten mit schwerer intrauteriner Wachstumsrestriktion und fehlendem enddiastolischem Fluss in der Nabelschnurarterie ist das Risiko schwerer neuromotorischer Entwicklungsstörungen hoch und wurde mit 1 auf 3 Fälle angegeben (Valcamonico et al. 1994). 23 überlebende Kinder mit intrauterinem Null- bzw. Reverse-flow-Muster und IUWR wurden im Schulalter nachverfolgt und mit einer Matched-pair-Gruppe (gleiches Gestationsalter, aber normosom und unauffälliger Doppler) verglichen. 4 verschiedene anerkannte neurologische Entwicklungstests kamen dabei zum Einsatz. Die intellektuelle Entwicklung war dabei in der Studiengruppe signifikant niedriger. Neuromotorische Tests zeigten in 20% der untersuchten Items in der Studiengruppe ebenfalls schlechtere Resultate (Wieneroither et al. 2001; Roza et al 2008).
In weiteren prospektiven Follow-up-Studien müssen bessere Prognosekriterien für das Überleben sowie für die Entwicklung von schweren Behinderungen in diesen Hochrisikosituationen erarbeitet werden. Jedoch kann es nicht das Ziel perinatologischer Bemühungen sein, einen intrauterinen Tod um den Preis eines Todes in der Neonatalphase oder ein Überleben mit schwerer Behinderung zu vermeiden. Diese schwierigen klinischen Entscheidungen können sicher nur auf individueller Basis und unter direktem Miteinbeziehen der betroffenen Eltern nach entsprechend ausführlicher Information getroffen werden.
27.9
Langzeitentwicklung
Für die GRIT-Study hatte die Auswertung des »frühen« Endpunktes »Mortalität in der Perinatalphase« bei deutlicher Verlängerung der Schwangerschaft in der Nichtinterventionsgruppe gegenüber »sofortiger Entbindung« keinen Unterschied gezeigt, während bei der Spätauswertung für die Anzahl von Behinderungen (Zerebralparese, starke Sehstörungen, Hörgerät sowie ein Entwicklungsscore nach Griffith von <70) ein deutlich besseres Ergebnis für die Nichtinterventionsgruppe gezeigt werden konnte (Thornton et al. 2004). In der neueren Truffle Study sind auch Untersuchungen des venösen Gefäßsystems des Fetus Teil der Überwachung,
und es wird interessant sein, wie weit dadurch der Unterschied zwischen Früh- und Spätintervention bezüglich Langzeitergebnissen noch deutlicher werden wird (Die Ergebnisse waren bei Drucklegung noch nicht publiziert.). Wie weit eine Schwangerschaftsverlängerung sich auch auf die Vermeidung von Morbidität im Erwachsenenalter im Sinne des X-Syndroms auswirkt, ist eine Frage, die noch völlig offen ist. Unter »fetal programming« (Barker 1990) versteht man die intrauterine Modifikation des Genoms des Fetus im Sinne von epigenetischen Veränderungen als Folge v. a. von Methylierung der DNA. Von den verschiedenen Umgebungsfaktoren, die Einfluss auf die Gestaltung des intrauterinen Mileus haben, kommt der mütterlichen Ernährung für die epigenetischen Alterationen des Genoms des Fetus besondere Bedeutung zu. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Verlängerung der Schwangerschaft um wenige Tage Auswirkungen auf derartige epigenetische Veränderungen des fetalen Genoms hat. Hier muss vielmehr die Prävention der plazentaren IUWR Ziel der zukünftigen Bemühungen sein. Neben den akuten Problemen der Perinatalphase tritt die Bedeutung von Auswirkungen eines pathologischen intrauterinen Wachstums auf die spätere Entwicklung zunehmend in das allgemeine Bewusstsein. Besonders augenfällig und folgenschwer sind neuromotorische Bewegungsstörungen im Sinne der Zerebralparese, die gehäuft mit intrauteriner Wachstumsrestriktion assoziiert sind (Blair et al. 1992; Stanley et al. 1992; Jacobsson et al. 2008). Detailierte Untersuchungen über die Entwicklung und das Verhalten haben bereits in der Neugeborenen- sowie Säuglingsphase gehäuft Auffälligkeiten ergeben. Im Kindes- und Adoleszentenalter manifestieren sich vermehrt Verzögerungen der sprachlichen Entwicklung, Lernschwierigkeiten sowie Verhaltensstörungen (Pryor 1996). Bei einer beträchtlichen Anzahl der von einer intrauterinen Wachstumsstörung Betroffenen bleibt auch im Kindesund Adoleszentenalter ein Gewichts- sowie Größenrückstand erkennbar. Durch die immer deutlicher werdenden Zusammenhänge zwischen einer Pathologie des intrauterinen Wachstums und der Morbidität im Erwachsenenalter wie insbesondere Hypertonie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus Typ 2 erhält diese Schwangerschaftspathologie eine weitere gesundheitspolitische Dimension (Barker 1990; Law 1993; Simmons 2009).
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27
28 28 Fetale Programmierung E. Schleußner 28.1
Mechanismen der fetalen Programmierung – 618
28.2
Intrauterine Wachstumsrestriktion und Glukosemetabolismus – 619
28.3
Perinatale Überernährung, Makrosomie und Gestationsdiabetes – 620
28.4
Fetale Programmierung kardiovaskulärer Erkrankungen – 621
28.5
Perinatale Effekte auf reproduktive Funktionen – 622
28.6
In-vitro-Fertilisation und fetale Programmierung – 625
28.7
Perinatale Effekte auf das Karzinomrisiko – 625
28.8
Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von zerebralen Funktionsstörungen – 625
28.9
Bedeutung für die klinische Praxis – 628 Literatur – 629
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
618
Kapitel 28 · Fetale Programmierung
Überblick
28
Einflüsse während der Prä- und Perinatalperiode spielen neben der genetischen Disposition und verschiedenen Lebensstilfaktoren eine entscheidende Rolle für Gesundheit und Krankheit im Verlauf des späteren Lebens. Ein als Fetale Programmierung bezeichneter Prozess während besonderer »kritischer« Entwicklungsphasen (pränatal/neonatal) führt zu einer Adaptation an unphysiologische Umwelteinflüsse wie intrauterine Mangeloder Überversorgung und fetale Stressaktivierung zu einer »Fehlprogrammierung« von Organfunktionen und Stoffwechselregulationen, auf deren Basis sich im Erwachsenenalter chronische Krankheiten wie Adipositas, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre und mentale Erkrankungen, aber auch Krebs entwickeln können. Durch eine Vielzahl von epidemiologischen Studien belegt, werden tierexperimentell und in klinischen Studien zunehmend die Mechanismen der perinatalen Programmierungsprozesse auf molekularer, zellulärer und funktionell-regulatorischer Ebene erkannt. Für die Geburtsmedizin bedeutet das einen erheblichen Zuwachs an Verantwortung weit über die Schwangerschaft hinaus, um mit der Entwicklung präventionsorientierter Konzepte einen wesentlichen Beitrag zur Primärprävention einer Reihe von Erkrankungen im späteren Leben des Kindes zu leisten.
28.1
Mechanismen der fetalen Programmierung
Eine Vielzahl epidemiologischer, tierexperimenteller und klinischer Befunde weist darauf hin, dass Einflüsse während der Prä- und Perinatalperiode neben der genetischen Disposition und verschiedenen Umweltfaktoren für Gesundheit und Krankheit im Verlauf des späteren Lebens entscheidend sein können. Diese bilden die Basis für ein wachsendes Verständnis einer epigenetischen Plastizität der phänotypischen Entwicklung, die die Fähigkeit von Organismen beschreibt, sich insbesondere in den frühen Lebensabschnitten an unterschiedliche Umweltbedingungen durch verschiedene individuelle Entwicklungswege anzupassen (Batteson 2004). Die im letzten Jahrzehnt entstandene neue entwicklungsmedizinische Fachrichtung wird als Fetale Programmierung (»fetal programming«) oder in umfassenderen Sinne »developmental origins of health and disease« (DOHAS) bezeichnet. Historische Entwicklung des Konzepts. Das Grundkonzept
einer umweltbedingten »Programmierung« phänotypischer Merkmale kann bis auf die Ideen des französischen Biologen Jean-Baptiste Lamarck zurückgeführt werden, der vor 200 Jahren davon ausging, dass erworbene Merkmale »vererbt« werden könnten (Lamarck 1809). Im Unterschied zu seinem durch die Entwicklung der Genetik im 20. Jahrhundert verworfenen Konzept beschäftigen wir uns heute mit der maternofetalen epigenetischen Weitergabe erworbener Eigenschaften als Folge intrauteriner und perinataler Prägung des Fetus. Bahnbrechende Vorarbeiten lieferte Konrad Lorenz mit seinem Konzept der verhaltens biologischen »Prägung« (Lorenz 1935).
Anfang der 1970-er Jahre wurde durch Günter Dörner am Institut für Experimentelle Endokrinologie der Berliner Charité der Begriff »perinatale Programmierung« zur Charakterisierung dauerhafter, deletärer Langzeiteffekte eines fetalen Kontakts mit einem gestörten intrauterinen Milieu geprägt (Dörner 1974). Im Zentrum seines entwicklungsbiologischen Konzeptes der Selbstorganisation des Organismus steht die Vorstellung, dass maßgebliche Umwelteinflüsse v. a. über Hormone oder hormonähnliche Substanzen (wie etwa Neurotransmitter und Zytokine) nicht nur an den reifen, sondern eben auch an den sich entwickelnden Organismus, und hier insbesondere an das Gehirn, herangetragen werden (Dörner 1976). Durch Freinkel wurden Stoffwechselstörungen als Ursache einer »fuel-mediated teratogenesis« in dieses Konzept eingeführt und auf die Langzeitfolgen eines mütterlichen Gestationsdiabetes für die Nachkommen aufmerksam gemacht (Freinkel 1980). Weite Akzeptanz fand das Konzept der fetalen Programmierung, nachdem Ende der 1980-er Jahre David Barker und Mitarbeiter an über 15.000 Männern und Frauen in England nachweisen konnten, dass Männer, die ein geringes Geburtsgewicht aufwiesen, ein bis zu 50% höheres Risiko für einen koronaren Herztod hatten als normalgewichtig Geborene (Barker u. Hales 1989). Diese Autoren entwickelten im weiteren die »thrifty phenotype hypothesis«, die davon ausgeht, dass die intrauterine Anpassung an eine Mangelversorgung zu einem evolutionären Überlebensvorteil der so programmierten Nachkommen bei postnatal ungünstigen Lebensbedingungen darstellt (Hales u. Barker 2001). Weichen jedoch die Lebens- und Ernährungsbedingungen im späteren Leben von dieser »Voreinstellung« ab, stellen diese dann die Ursache von Krankheiten dar (»miss match theory«) (Gluckmann et al. 2008). Fetale Programmierung Fetale Programmierung bezeichnet einen Prozess, bei dem während besonderer »kritischer« Entwicklungsphasen (pränatal/neonatal) durch Einwirkung von Faktoren wie nutritive Versorgung und Hormonen die künftige Funktionsweise von Organen bzw. Organsystemen dauerhaft festgelegt wird. Dabei führt die Adaptation an unphysiologische Umwelteinflüsse wie intrauterine Mangelversorgung, prä- oder auch neonatale Überversorgung oder fetale Stressaktivierung zu einer »Fehl-Programmierung« auf deren Basis sich im späteren Leben chronische Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre und mentale Erkrankungen entwickeln können (Plagemann 2005).
Mechanismen der fetalen Programmierung. Beim Menschen wie bei allen Säugetieren werden Informationen zu den mütterlichen Lebensbedingungen (Ernährungsstatus, endokrine oder metabolische Erkrankungen, chronische Stressbelastung u. a. m.) indirekt über die Plazenta an das Ungeborene bzw. postnatal durch die Muttermilch an das Neugeborene vermittelt. Deshalb spielt die plazentare Physiologie und Pathologie auch eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung
619 28.2 · Mechanismen der fetalen Programmierung
. Tab. 28.1. Prinzipielle Mechanismen perinataler Programmierung
Mechanismen perinataler Programmierung Gen
Epigenetische Einflüsse auf die Genexpression (DNA-Methylierung/Histon-Deacetylierung, Transkriptionsfaktoren, microRNA)
Zelle
Veränderte Mitochondienfunktion, Einfluss auf Rezeptor- und Synapsenbildung
Organ
Variation in Organstruktur, -vaskularisation und -innervation
Regulationsachse
Fehleinstellung von Kontrollsystemen der Homöostase und endokriner Funktionskreise
. Abb. 28.1. Effekte einer IUWR auf die Pankreasentwicklung
eines unphysiologischen intrauterinen Milieus. Eine Ausnahme stellt die Embryokultur bei IVF dar, bei der die Kulturbedingungen direkt auf die embryonale Entwicklung einwirken. Unabhängig von den maternalen Lebensbedingungen entsteht auch durch eine Plazentainsuffizienz für den Fetus eine nutritive und respiratorische Mangelsituation, auf die er in vielfältiger Weise adaptativ reagieren muss. Gleichzeitig stellt die Mangelversorgung eine fetale Stresssituation dar, die zu einer erhöhten endogenen Glukokortikoidexposition führt. Dazu kommt eine verstärkte exogene transplazentare Belastung aufgrund der verminderten Inaktivierung des mütterlichen Kortisols durch die geringere Enzymaktivität der plazentaren 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 (11βHSD-2) bei Plazentainsuffizienz (Seckl u. Meaney 2004). Doch nicht nur Mangel-, sondern auch eine nutritive Überversorgung, z. B. bei nicht behandeltem Gestationsdiabetes, führt zu einer Fehlprogrammierung der fetalen Stoffwechselregulation mit lebenslangen Folgen (Silvermann et al. 1998). Auch entwickeln Frühgeborene unabhängig von einer intrauterinen Mangelversorgung ähnliche metabolische und kardiovaskuläre Risiken im späteren Leben wie reifgeborene, aber wachstumsgestörte Kinder (Hofman et al. 2006). Diese unphysiologischen Einflüsse können über unterschiedliche Wege die fetale Entwicklung beeinflussen (Goodfrey et al. 2006; . Tab. 28.1).
28.2
Intrauterine Wachstumsrestriktion und Glukosemetabolismus
Am Beispiel des Einflusses einer intrauterinen Mangelversorgung auf die Pankreasentwicklung können diese Mechanismen illustriert werden (Holemans et al. 2003; . Abb. 28.1). Sowohl die Zahl als auch die Größe des sich entwickelnden Inselzellapparates ist bei perinataler Mangelernährung reduziert (Garofano et al. 1999). Eine Ursache dafür kann die Hemmung des Transkriptionsfaktors »pancreatic homeobox 1« (Pdx-1) in Prekusoren der β-Zellen sein (Gluckman et
al. 2008). Es vermindert sich aber auch die Vaskularisation des Organs und dessen Reaktivität auf Stimuli durch Glukose oder Aminosäuren (Holemanns et al. 2003). Im Tierexperiment zeigte sich in Inselzellen eine Verkürzung der Telomerlänge und eine verminderte mitochondriale antioxidative Kapazität, beides Zeichen einer beschleunigten Zellalterung (Tarry-Adkins et al. 2009). Funktionell resultiert eine verminderte Insulinproduktion, für die bereits eine postnatal normale Versorgung eine »Überernährung« mit einem sog. »catch-up« oder Aufholwachstum darstellt. Das kann zur dauerhaften Fehlorganisation hypothalamischer Regelsysteme führen, die für die Steuerung von Nahrungsaufnahme, Stoffwechsel und Körpergewicht verantwortlich sind und mit einer Disposition für Übergewicht, Diabetes mellitus und metabolisches Syndrom einhergehen (Plagemann u. Harder 2007). > Aktuelle Metaanalysen belegen das erhöhte Diabetesrisiko im späteren Leben bei niedrigem Geburtsgewicht eindrucksvoll (Harder et al. 2007, Whincup et al. 2008).
Durch dieses Konzept können die unterschiedlichen Folgen der schweren Hungerperioden während der Blockade von Leningrad 1942/43 und des holländischen Hungerwinters 1944 plausibel erklärt werden. Auch nach Ende der Blockade blieb die Ernährungssituation in Leningrad für während der Hungersnot Geborene eingeschränkt, sodass sich bei Überlebenden keine erhöhte Inzidenz für diese Stoffwechselerkrankungen findet (Stanner u. Yudkin 2001). Dagegen war die Versorgung Hollands nach Ende des 2. Weltkrieges weitgehend ungestört, und die Kinder, die während der Hungersnot im letzten Schwangerschaftsdrittel waren, entwickelten in ihrem späteren Leben häufiger einen Diabetes mellitus (Ravelli et al. 1998).
28
28
620
Kapitel 28 · Fetale Programmierung
28.3
Perinatale Überernährung, Makrosomie und Gestationsdiabetes
Insulin nimmt nicht nur in der Regulation des Glukosestoffwechsels eine zentrale Rolle ein, sondern auch bei der perinatalen Organisation bzw. »Prägung« der lebenslangen Stoffwechselregulation. Nach dem von Plagemann entwickelten Konzept wird während kritischer Entwicklungsphasen in den für die Stoffwechselregulation verantwortlichen Kerngebieten des Hypothalamus durch den fetalen Insulinspiegel selbst ein »programmierter Sollwert« kodeterminiert, der dann die Aktivierung der Insulinsekretion auf einen Stimulus im Kindesund Erwachsenenalter bestimmt, sodass diese bei perinataler »Fehlprogrammierung« zu hoch oder zu niedrig ausfallen kann, mit der möglichen Folge daraus resultierender Erkrankungen wie diabetischen Stoffwechselstörungen (Plagemann 2005). Eine entscheidende Rolle spielt ein fetaler Hyperinsulinismus als Folge einer maternalen Glukosetoleranzstörung in graviditate bei der Entstehung einer dauerhaft erhöhten Adipositas- und Diabetesdisposition, wie eine Vielzahl epidemiologischer und tierexperimenteller Befunde nahe legen (Plagemann 2008).
Studienbox In der kürzlich publizierten HAPO-Studie, in der bei 19.389 Schwangeren ein Glukosetoleranztest in der Schwangerschaftsmitte, die Messung von C-Peptid im Nabelschnurblut (einem direkten Marker des Insulinspiegels) und die neonatale Anthropometrie durchgeführt wurden, findet sich ein hochsignifikanter linearer Zusammenhang von maternaler Hyperglykämie, fetaler Hyperinsulinämie, Makrosomie bei der Geburt und neonataler Adipositas (HAPO study group 2009). Eine Metaanalyse von 14 Studien mit 132.180 Teilnehmern wies eine Risikoerhöhung für Typ-2-Diabetes im späteren Leben um 36% (RR 1,36; 95% CI 1,07–1,73) nach, wenn das Geburtsgewicht >4.000 g betrug (Harder et al. 2007).
. Abb. 28.2. Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und späterem Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes in einer Metaanalyse von 14 Studien
Ausdruck eines fetalen Hyperinsulinismus gingen mit einer 3,6-fach höheren Diabetesprävalenz und Adipositas im Alter von 14–17 Jahren einher, während Kinder von diabetischen Müttern, die aber normale fetale Insulinspiegel hatten, nur eine Häufigkeit von gestörter Glukosetoleranz auf dem Niveau der Kontrollgruppe aufwiesen (Silverman et al. 1998; . Abb. 28.3). Die Assoziation von erhöhten fetalen (Nabelschnur-) Insulinspiegeln und gestörter Glukosetoleranz im Alter von 8 Jahren wurde kürzlich bei chinesischen Kindern bestätigt (Tam et al. 2008). Im Tierexperiment konnten die zugrunde liegenden Mechanismen auf zellulärer Ebene in einer funktionellen Dysbalance zwischen den zentralnervösen hypothalamischen Regelzentren gefunden werden, die maßgeblich die Nahrungsaufnahme, das Hunger- und Sättigungsgefühl, Körpergewicht und Insulinsekretion regulieren (Plagemann 2005) Ein perinataler Hyperinsulinismus führte zu Hypoplasie, Hypotrophie und neuroelektrophysiologisch nachweisbar Unterfunk-
> Damit weisen sowohl Kinder mit niedrigem als auch solche mit hohem Geburtsgewicht ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes auf, der Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und diabetischer Stoffwechselstörung verläuft also U-förmig (Harder et al. 2007; . Abb. 28.2).
Das Risiko für eine fetale Makrosomie scheint dabei weitgehend durch den verursachenden maternalen Schwangerschaftsdiabetes bestimmt (McCance et al. 1994). Ein Typ-2Diabetes wurde um 1,68 Jahre früher manifest, wenn die untersuchten jugendlichen Diabetiker in utero einer Hyperglykämie ausgesetzt waren (Pettitt et al. 2008). Direkt wird die Bedeutung der fetalen Insulinspiegel für die späteren Risiken in einer Studie bei diabetischen Schwangeren aufgezeigt, bei der die Fruchtwasserinsulinspiegel im 3. Trimenon mittels Amniozentese bestimmt wurden (Silvermann et al. 1998). Erhöhte Fruchtwasserinsulinspiegel als
. Abb. 28.3. Prävalenz einer gestörten Glukosetoleranz (IGT) bei 10- bis 16-jährigen Nachkommen diabetischer Mütter mit normalen oder erhöhten Fruchtwasserinsulinspiegeln im Vergleich zu adoleszenten Nachkommen nichtdiabetischer Mütter (Kontrollgruppe)
621 28.2 · Mechanismen der fetalen Programmierung
tion des ventromedialen Nukleus bei unveränderter (und damit relativer Über-) Funktion des lateralen hypothalamischen Kerngebietes, was in einer Disposition zu Hyperphagie, Übergewicht und basaler Hyperinsulinämie resultieren kann, die typisch für das metabolische Syndrom sind. Gleichzeitig entwickelt sich eine funktionelle Resistenz gegenüber den Sättigungssignalen Leptin und Insulin auf hypothalamischer Ebene, welche dauerhaft bestehen bleibt und damit entsprechende Konsequenzen für eine spätere Disposition zu Hyperphagie und Übergewicht zur Folge hat (Plagemann et al. 2008). Nach jüngsten Erkenntnissen scheint dem eine Promotorhypermethylierung wichtiger Gene der Körpergewichtsregulation zugrunde zu liegen, die durch eine perinatale Überernährung induziert werden kann (Plagemann et al. 2009). Eine fetale Makrosomie ist auch mit einem erhöhten Risiko verbunden, an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken. Eine Metaanalyse zeigte, dass pro 1.000 g mehr Geburtsgewicht das Risiko um 7% stieg (Harder et al. 2009b). Als Ursache dafür wird die permanente Überstimulierung der pankreatischen β-Zellen angesehen, die auch eine erhöhte Autoimmunreaktivität gegen diese Zellen auslösen soll (»accelerator hypothesis«; Wilkin 2008).
28.4
Fetale Programmierung kardiovaskulärer Erkrankungen
Seit den ersten Untersuchungen von Barker zu einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität hat eine Vielzahl von Studien eine Assoziation von niedrigem Geburtsgewicht mit später höherem systolischem Blutdruck bestätigt (Übersicht bei Gamborg et al. 2007). Eine Metaanalyse von Studien mit 367.000 Menschen zeigte, dass die Zunahme des Geburtsgewichtes um 1 kg mit einer Abnahme des Blutdruckes um im Mittel 2 mm Hg assoziiert ist und bereits bei Kindern invers mit dem Geburtsgewicht korreliert (Huxley et al. 2000). Diese Differenz erscheint gering; die Senkung des mittleren arteriellen Blutdruckes um 10 mm Hg in einer normalen Population reduziert jedoch die hochdruckbedingte Mortalität um 30% (Rose 1985).
. Abb. 28.5. Intrauterin beeinflusste Faktoren, die zu eine perinatalen Programmierung kardiovaskulärer Erkrankungen führen
. Abb. 28.4. Systolischer Blutdruck als Funktion des Geburtsgewichtes bei Männern und Frauen, adjustiert für Geschlecht und BMI zum Zeitpunkt der Blutdruckmessung (Frauen: durchgehende Linie, Männer: gestrichelte Linie, weitere Erläuterungen 7 Text)
Viele der Studien sind jedoch mit methodischen Mängeln behaftet, da sie z. B. oft nur das Geburtsgewicht, nicht jedoch das Geburtsalter berücksichtigen und so deren Aussagekraft durch Einschluss nicht wachstumsrestringierter Kinder eingeschränkt wird (Beinder 2007). Eine neue Metaanalyse von 20 skandinavischen Studien, die auf die Originaldaten von 197.954 Teilnehmern zurückgreifen und diese Mängel ausschalten konnte, bestätigt jedoch für Männer die inverse Korrelation, während sich bei Frauen eine U-förmige Abhängigkeit zeigte, d. h. höhere systolische Blutdruckwerte fanden sich bei niedrigem und höherem (>4 kg) Geburtsgewicht (. Abb. 28.4; Gamborg et al. 2007, Daten gepoolt aus 20 skandinavischen Studien; Frauen: Regressionskoeffizient r=–1,80 <4 kg; r=0,80 >4 kg; Männer: r=–1,01 <4 kg; r=–0,86 >4 kg). Neben dem Geburtsgewicht kommt auch hier dem Catch-upWachstum im 1. Lebensjahr eine mindestens gleichgroße Bedeutung für den späteren Blutdruck zu (Adair et al. 2009; Kark et al. 2009). Es wurde eine Reihe von pathophysiologischen Mechanismen für das epidemiologisch nachgewiesene Risiko einer arteriellen Hypertonie und daraus folgender erhöhter kardiovaskulärer Mortalität identifiziert (Dötsch et al. 2009; . Abb. 28.5):
28
622
Kapitel 28 · Fetale Programmierung
Nephronenzahl. Gesichert ist eine verminderte Zahl von Nephronen nach IUWR sowohl im Tiermodell als auch beim Menschen (Ingelfinger 2008). Brenner formulierte bereits 1988 das Konzept, dass eine verminderte Nephronenzahl mit einer Hypertonie assoziiert ist (Brenner-Hypothese; Brenner et al. 1988), was später durch den Nachweis einer inversen Beziehung von Blutdruck und Anzahl der histologisch nachweisbaren Glomeruli bestätigt wurde (Keller et al. 2003).
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Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS). Das RAASSystem ist ein wichtiger endokriner Regulator des Blutdrucks und der Flüssigkeitsbilanz. Tierexperimentelle Studien wiesen erhöhte Reninspiegel sowie eine vermehrte adrenale Expression des Angiotensin-1b-Rezeptors in wachstumsrestringiert geborenen Ratten nach. Der zugrunde liegende epigenetische Mechanismus könnte eine Hypomethylierung der Promotorregion des Gens sein, die eine vermehrte Transkription erlaubt (Bogdarina et al. 2007). Dies könnte zu der bei Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht beobachteten gestörten Salzsensitivität, der vermehrten Aldosteronsynthese und letztlich verstärkten Aktivierung des RAAS-Systems führen (Franco et al. 2008). 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-(11βHSD)-Aktivität. Durch das sowohl in der Niere als auch der Plazenta syn-
thetisierte Enzym werden das aktive Kortisol in inaktives Kortison konvertiert und so zum einen die Mineralokortikoidrezeptoren in der Niere vor einer Überaktivierung bewahrt und zum anderen der Fetus insgesamt durch die plazentare 11β-HSD2-Aktivität vor dem Einfluss der mütterlichen Kortisolspiegel bei Stressreaktionen geschützt. Bei IUWR und Plazentainsuffizienz ist die Enzymaktivität in beiden Systemen reduziert (Sekl u. Meaney 2004; Struwe et al. 2007). Kinder mit einer erhöhten Kortisol/Kortison-Ratio im Nabelschnurblut wiesen schon im 3. Lebensjahr höhere systolische Blutdruckwerte auf – unabhängig vom Geburtsgewicht, was auch auf einen eigenständigen glukokortikoidabhängigen Mechanismus hinweist (Huh et al. 2008). Die plazentare 11β-HSD2-Aktivität ist auch ein Prädiktor für das Catch-up-Wachstum nach IUGR im 1. Lebensjahr (Tzschoppe et al. 2009). Vaskuläre Strukturveränderung. Bereits Neugeborene mit
einer intrauterinen Wachstumsrestriktion weisen eine signifikant höhere Intima-media-Dicke der abdominalen Aorta auf als Neugeborene, die nicht wachstumsrestringiert waren (Skilton et al. 2005). Die sonographisch gemessene Intimamedia-Dicke der abdominalen Aorta gilt als ein genauer und sensitiver Marker des Arterioskleroserisikos bei Kindern (Jarvisalo et al. 2001). Trotz dünnerer Gefäßwand ist die Steifigkeit in den Nabelarterien wachstumsrestringierter Feten erhöht (Burkhard et al. 2009). Diese funktionellen Veränderungen sind Ausdruck einer verminderten Elastinexpression in Blutgefäßen von Feten mit einer Wachstumsrestriktion (Beinder 2007). Auch scheint sich das periphere Kapillarnetz nur unzureichend auszubilden (Hellström et al. 2004).
Gestörte Endothelfunktion. Neben den morphologischen Veränderungen nach IUWR wurden in Tierversuchen eine endotheliale Funktionsstörung mit gestörter NO-abhängiger und NO-unabhängiger Vasorelaxation und eine reduzierte Expression und Aktivität der endothelialen NO-Synthase (eNOS) nachgewiesen (Überblick bei Alexander 2006). Beim Menschen wurde gezeigt, dass ein geringes Geburtsgewicht mit einer reduzierten Endothelfunktion bereits beim Neugeborenen (Martin et al. 2000), aber auch noch bei Kindern im Alter zwischen 9 und 11 Jahren und bei jungen Erwachsenen mit 20–28 Jahren einhergeht (Leeson et al. 2001). Als Pathomechanismen wurden sowohl eine gestörte Vasodilatation, verursacht durch eine verminderte cGMP-Bildung, als auch eine verstärkte Vasokonstriktion durch eine vermehrte Angiotensin-1-Rezeptorexpression in der Gefäßmuskulatur identifiziert (Nuyt 2008). Autonomes Nervensystem und Stressreaktivität. Bei IUWR und Plazentainsuffizienz treten eine fetale Tachykardie und eine verminderte Herzfrequenzvariabilität (HRV) auf, beides Zeichen für eine Aktivierung des kardiovaskulären sympathischen Nervensystems, die als wichtige Faktoren in der Pathogenese der essenziellen Hypertonie gelten (Schneider et al. 2006). Eine höhere Sympathikusaktivität bei niedrigem Geburtsgewicht persistierte bis in die Adoleszenz bei diskordanten dizygoten Zwillingen sowohl in Ruhe als auch unter Stressbelastung (IJzermann et al. 2003). Noch im Alter von 50 Jahren besteht eine inverse Korrelation von Geburtsgewicht und Ruhepulsrate (Phillips u. Barker 1997). Sowohl die tierexperimentellen Daten als auch erste Ergebnisse beim Menschen lassen eine deutliche Geschlechtsabhängigkeit der Beziehung von niedrigem Geburtsgewicht und Stressreaktivität vermuten, wobei Männer eher eine Aktivierung der adrenergen Stressachse zeigen, während Frauen vorwiegend mit einer verstärkten Sympathikusaktivierung reagieren (Phillips u. Jones 2006). Die Befunde beim Menschen sind jedoch widersprüchlich. So fanden sich bei SGA- im Vergleich zu AGA-Neugeborenen weder ein erhöhter Sympathikotonus noch eine Gechlechtsdifferenz (Schäffer et al. 2008). In der direkten Ableitung der muskulären Sympathikusaktivität zeigte sich bei Menschen mit einem Geburtsgewicht <2.500 g im Vergleich zu Normgewichtigen im Alter von 20–30 Jahren im Gegenteil eine niedrigere Ruheaktivität und keine erhöhte Stressreaktivität (Weitz et al. 2003).
28.5
Perinatale Effekte auf reproduktive Funktionen
Gonadale Reifung und Pubertät. Die gonadale Funktion kann durch Effekte auf die embryonale und fetale Gonadenentwicklung wie auch auf die neuroendokrinologische Regulation der hypothalamisch-hypophysär-gonadalen Achse beeinflusst werden. Bereits während der Fetal- und frühen Neonatalperiode ist dieses Regulationssystem aktiv, wird aber in der Kindheit unterdrückt und erst mit Beginn der pubertären
623 28.2 · Mechanismen der fetalen Programmierung
Reifung wieder aktiviert. Eine Reihe epidemiologischer Studien weisen einen Zusammenhang von niedrigem Geburtsgewicht und einer Vorverlegung des mittleren Menarchealters und des Pubertätseintritts nach (Übersicht bei Schleußner 2007).
Studienbox In einer longitutinalen Beobachtungsstudie an 997 phillipinischen Mädchen zeigten sich die Geburtsmaße als ein unabhängiger Faktor für einen früheren Menarcheeintritt (Adair 2001). Dies galt insbesondere bei wachstumsrestringiert geborenen Mädchen, die postnatal ein verstärktes Aufholwachstums aufwiesen (Adair 2001; Sloboda et al. 2007). Mädchen, die nach dem holländischen Hungerwinter 1944 geboren wurden, jedoch kein niedrigeres Geburtsgewicht aufwiesen, zeigten keine Verschiebung im Menarchealter (Lumey u. Stein 1997) Eine israelische Longitutinalstudie konnte nachweisen, dass sich ein niedriges Geburtsgewicht insbesondere auf den Anteil der Mädchen auswirkt, die einen sehr frühen Pubertätseintritt vor dem 9,5. Lebensjahr aufwiesen (20% der wachstumsrestringiert im Vergleich zu nur 3% der normotroph geborenen Mädchen), während sich die Prävalenz einer verzögerten Pubertät nach dem 13. Lebensjahr von 19% auf 4% verringerte (Lazar et al. 2003). Niedriges Geburtsgewicht von Knaben ist ebenfalls mit einer früheren Pubertät, höheren FSH-Spiegeln und geringerem testikulärem Volumen während der Adoleszenz sowie Subfertilität im Erwachsenenalter verbunden (Cicognani et al. 2002).
. Abb. 28.6. Konzentrationen von LH und FSH, sonographisch bestimmte Uterusfläche und mittleres Ovarvolumen bei 18-jährigen Frauen, die normotroph (AGA) oder wachstumsrestringiert (SGA) geboren wurden
Morphologische Untersuchungen an Ovarien schwer hypotropher Neugeborener fanden eine verringerte Anzahl von Primordialfollikeln (deBruin et al. 1998). Funktionell zeigt sich bereits im Säuglingsalter eine verminderte Granulosazellreserve, gekennzeichnet durch erhöhte FSH-Spiegel bei normalen Inhibin-B-Konzentrationen, sodass bereits in dieser frühen Kindheitsphase bleibende Einflüsse auf die reproduktive Regulation zu erkennen sind (Ibanez et al. 2001). Trotz einer früheren Menarche und der persistierenden Hypergonadotropinämie bleibt jedoch die Größe von Uterus und Ovarien während der Adoleszenz von SGA geborenen Mädchen signifikant hinter der von AGA-Mädchen zurück (Ibanez et al. 2000b), was für eine verringerte ovarielle Sensitivität auf die Gonadotropinstimulation spricht. Die Ovulationsrate in den ersten Jahren nach der Pubertät war signifikant niedriger, und etwa 40% der 15-Jährigen wiesen noch ausschließlich anovulatorische Zyklen auf (Ibanez et al. 2002). Während bei normotroph Geborenen bis zum 18. Lebensjahr die Uterusgröße noch deutlich zunahm, war das bei den wachstumsrestringiert geborenen Mädchen in nur geringem Maße der Fall. Für das ovarielle Volumen fand sich keine signifikante Größenzunahme mehr, sodass die verminderte Ovargröße bei den SGA-Mädchen in das reproduktive Alter persistierte (Ibanez et al. 2003; . Abb. 28.6). Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) und Hyperandrogenämie. Aus tierexperimentellen Studien ist lange bekannt,
dass durch eine pränatale Androgenexposition die hypothalamisch-hypophysäre Gonadotropinsekretion programmiert und die Sensitivität des negativen Östrogenfeedback in der neuroendokrinen Regulation herabsetzt (Dörner et al. 2001). Bei weiblichen Rhesusaffen wird durch eine pränatale Testos-
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Kapitel 28 · Fetale Programmierung
terongabe in Konzentrationen, die denen männlicher Feten entsprechen, der typische Phänotyp eines PCOS wie vergrößerte polyzystische Ovarien, Zyklusstörungen und Anovulation und eine Hyperandrogenämie hervorgerufen (Abbot et al. 2005). Beispiel für einen Androgenexzess in utero beim Menschen ist das adrenogenitale Syndrom, das bei einem nur heterozygoten 21-Hydroxylasemangel keine Virilisierung hervorruft, aber Ursache für das lange bekannte »late-onset AGS« ist. Trotz Normalisierung der adrenergen Funktion nach der Geburt manifestiert sich während und nach der Pubertät ein PCOS mit Anovulation, ovarieller Hyperandrogenämie, hohen LH-Spiegeln und Insulinresistenz (Barnes et al. 1994). Dies deutet auf den Zusammenhang zwischen aktueller Insulinresistenz als PCOS-Ursache und perinataler metabolischer Fehlprogrammierung hin.
Studienbox In einer großen epidemiologischen Untersuchung hatten Frauen mit Übergewicht und Hyperandrogenämie höhere Geburtsgewichte und wurden überdurchschnittlich häufig von übergewichtigen Müttern geboren (Cresswell et al. 1997). Eine intrauterine Wachstumsrestriktion war bei jungen Frauen nicht mit einer Hyperandrogenämie, wohl aber mit einer Hyperinsulinämie assoziiert (Jacket et al. 1999). Deutliche Korrelationen bestehen zwischen niedrigem Geburtsgewicht und dem Auftreten von erhöhten LH- und Androgenspiegeln bei Mädchen mit einer vorzeitigen Pubarche. Insbesondere bei wachstumsrestringiert geborenen Mädchen mit einem vermehrten Aufholwachstum in der frühen Kindheit fand sich die Sequenz von vorverlagerter Adrenarche, Hyper-
6
. Abb. 28.7. Mögliche Pathomechanismen einer pränatalen Programmierung eines PCOS
insulinämie, Hyperleptinämie, niedrigem SHBG und IGFBP-1 und letztlich Hyperandrogenämie nach der Pubertät (Zegher u. Ibanez, 2006; . Abb. 28.7).
Fetale Programmierung von Schwangerschaftskomplikationen. Da eine Schwangerschaft als ein physiologischer
»Stresstest« für die maternale Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechselregulation und das vaskuläre System angesehen werden kann, werden Frauen mit einem erhöhten Risiko für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen im späteren Leben bereits frühzeitig durch einen ungünstigen Schwangerschaftsausgang erkennbar (Schlembach u. Lang 2008). Bereits in den 1980-er Jahren zeigten erste Studien eine Assoziation eines niedrigen maternalen Geburtsgewichtes mit dem Risiko einer Frühgeburt und niedrigem kindlichem Geburtsgewicht (Hackman et al. 1983, Klebanoff et al. 1984) sowie einem 5fach höheren Präeklampsierisiko in einer eigenen Schwangerschaft (Innes et al. 1999). Interessanterweise fand die gleiche Arbeitsgruppe in einer Folgestudie einen glockenförmigen Verlauf für das Risikos, an einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie zu erkranken. Nicht nur untergewichtig Geborene, sondern auch Frauen mit einem Geburtsgewicht >4.500 g wiesen ein erhöhtes Risiko auf (OR 1,6; 95% CI 1,1–2,4; Innes et al. 2003). Auch dabei scheint insbesondere die postnatale Gewichtsentwicklung von Bedeutung zu sein, da bei schlanken Frauen mit niedrigem Geburtsgewicht kein erhöhtes Risiko, bei später übergewichtigen Frauen jedoch ein fast 24-fach erhöhtes Präeklampsierisiko berichtet wird (Dempsey et al. 2003). Das inverse Verhältnis zwischen maternalem Geburtsgewicht, postpartalem Wachstum und Frühgeburts- und SGA-Risiko bestätigte sich auch bei verschiedenen Ethnizitäten in einer epidemiologischen Untersuchung an 46.000 Geburten (Emanuel et al. 1999).
625 28.5 · Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von zerebralen Funktionsstörungen
Unabhängig vom eigenen Geburtsgewicht erhöhte eine Prämaturität <37. SSW das Risiko für einen Schwangerschaftshochdruck bei finnischen Frauen um das 2,5-Fache (Pouta et al. 2004). Das Risiko für einen Gestationsdiabetes wird verdoppelt sowohl durch ein niedriges als auch ein sehr hohes Geburtsgewicht der Frauen, weist also eine charakteristische U-Form auf (Claessen et al. 2007). Hatte deren Mutter einen Gestationsdiabetes, erhöhte sich das relative Risiko, selbst wieder einen GDM zu entwickeln, auf 9,3 (4,1–21,1), d. h. in einer populationsbasierten norwegischen Studie von 3,5% auf 30,6% (Egeland et al. 2000).
28.6
In-vitro-Fertilisation und fetale Programmierung
> Die perikonzeptionelle und periimplantatorische Phase ist eine der für exogene Einflüsse sensitivsten Perioden der Entwicklung.
Durch tierexperimentelle Untersuchungen ist gut belegt, dass maternale Unterernährung allein zum Konzeptionszeitpunkt irreversible kardiovaskuläre und metabolische Veränderungen beim Nachwuchs hervorruft (Edwards u. McMillen 2002). Reproduktionsmedizinische Techniken und Embryokultur sind im Schafmodell mit Störungen der fetalen und postnatalen Wachstumsregulation verbunden (Lonergan et al. 2006). Dies konnte auch bei Jugendlichen aus IVF-Schwangerschaften bestätigt werden, die einen höheren Blutdruck, höhere Nüchternblutglukosewerte und einen größeren Körperfettanteil als die Kontrollen nach Spontankonzeption aufwiesen (Ceelen et al. 2008a, b). Diese Effekte traten unabhängig vom Geburtsgewicht, Einflüssen während der Kindheit, dem aktuellen Körpergewicht oder Charakteristika der Eltern auf. Im Unterschied zu wachstumsgestörten Kindern fanden sich bei diesen Jugendlichen keine Hinweise für neuromotorische oder kognitive Einschränkungen (Wagenaar et al. 2009). Bei unbeeinflusstem Menarchealter zeigten allerdings Mädchen nach IVF höhere LH- und DHEAS-Konzentrationen und ein höheres Knochenalter als die Kontrollen (Celen et al. 2008a) Als mögliche Ursache der kardiovaskulär-metabolischen Veränderungen werden epigenetische Mechanismen einer gestörten Methylierung und Expression des IGF-2-Rezeptorgens während der IVF-Prozedur vermutet (Young et al. 2001). Solche Imprinting-Störungen könnten auch die wesentlich höhere Rate an sehr seltenen Erkrankungen wie BeckwithWiedemann-Syndrom und Angelmann-Syndrom bei Kindern aus IVF-Schwangerschaften erklären (Manipalviratn et al. 2009).
28.7
Perinatale Effekte auf das Karzinomrisiko
Noch weniger wahrgenommen, aber durch Studienergebnisse der letzten Jahre zunehmend belegt, wird das Konzept, dass Lebensbedingungen in utero oder während des 1. Lebensjahres wesentlichen Einfluss auf das Krebsrisiko, insbe-
sondere von Brust und Hoden, haben (Grotmol et al. 2006). Schon 1971 wurde bekannt, dass Frauen, die intrauterin dem synthetischen Östrogen Diethylstilbestrol ausgesetzt waren, viel häufiger Klarzellkarzinome an Vagina und Zervix entwickelten (Herbst et al. 1971). Später wurde auch fast eine Verdopplung des Mammakarzinomrisikos (RR 1,91; 95% CI 1,09–3,33) für die exponierten Mädchen gefunden (Palmer et al. 2006). Die Hypothese, dass die pränatale Exposition von endogenen und exogenen Hormonen, v. a. Östrogenen, die Entwicklung von Brustkrebs im späteren Leben beeinflussen könnte, wurde bereits 1990 formuliert (Trichopoulos 1990). Eine kürzlich publizierte Metaanalyse erfasste bislang 34 Studien, die eine positive Assoziation von Geburtsgewicht und Mammakarzinomrisiko aufzeigte (RR 1,24; 95% CI 1,04– 1,48 für ein Geburtsgewicht >4.000 g; Park et al. 2008). 9 der eingeschlossenen Studien beschreiben ein U-förmiges Risikoprofil, d. h. also auch ein erhöhtes Risiko bei <2.500 g. Dieser Zusammenhang konnte in der Metaananalyse jedoch nicht mehr belegt werden. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind noch weitgehend unklar. Es wird jedoch vermutet, dass das hohe Geburtsgewicht Ausdruck verstärkter intrauteriner Effekte von Wachstumsfaktoren wie IGF-I und Östrogenen ist und daraus epigenetische Veränderungen der Bruststammzellen resultieren (Hilakivi-Clarke u. de Assis 2006). Für das generelle Ovarialkarzinomrisiko konnte kein Zusammenhang zum Geburtsgewicht gefunden werden (Rossing et al. 2008). Dagegen erhöhte eine übermäßige Gewichtszunahme im 1. Lebensjahr das standardisierte Mortalitätsrisiko auf 3,6 (95% CI 1,7–6,5; Barker et al. 1995). Ein Geburtsgewicht >4.000 g geht auch mit einem 38% höheren Risiko eines kindlichen Hirntumors einher (Harder et al. 2009a). Für andere Organe wie Prostata-, kolorektale und urogenitale Karzinome sind die Daten uneinheitlich.
28.8
Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von zerebralen Funktionsstörungen
> Das Gehirn ist aufgrund seiner Plastizität und Sensitivität gegenüber Umwelteinflüssen sowie seiner langsamen Entwicklung und des hohen Energiebedarfs während der Entwicklung während der Fetalzeit besonders empfindlich gegenüber dem Einfluss exogener Faktoren.
Diese Faktoren modifizieren in einer kritischen Periode der Entwicklung die Funktion dauerhaft und können damit pathogenetische Bedeutung erlangen. Eine besondere Bedeutung hierbei haben maternaler und fetaler Stress, pränatale Infektionen, exogene Noxen wie Alkohol, Nikotin und Drogen und ein mangelndes Nährstoffangebot bei mütterlicher Mangelernährung oder einer Plazentainsuffizienz (Schwab 2007). Aber auch eine fetale Makrosomie und perinatale Überernährung, z. B. bei maternalem Diabetes mellitus, stellt einen nichtphysiologischen intrauterinen Umwelteinfluss dar, der zu mentalen Entwicklungsstörungen führen kann (Schlotz u. Phillips 2009; . Abb. 28.8).
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626
Kapitel 28 · Fetale Programmierung
. Abb. 28.8. Schematische Übersicht möglicher Einflussfaktoren und Entwicklungsprozesse bei den perinatalen Effekten auf die Hirnentwicklung und spätere mentale Gesundheit
28
Prinzipiell können 2 wesentliche Mechanismen für die Beeinflussung der Hirnfunktion durch pränatalen Stress und Fehlernährung im späteren Leben unterschieden werden, die eng miteinander verflochten sind und hauptsächlich durch Kortisol und Wachstumshormone vermittelt werden: 4 die Modulierung der Entwicklung des neuronalen Netzwerkes und 4 programmierende Effekte auf die Hirnfunktion im späteren Leben, ohne dass strukturelle Abnormitäten auftreten (Schwab 2009). Das IGF-System ist das wichtigste Wachstumshormonsystem, das bereits bei einer moderaten globalen Mangelernährung von 70% der normalen Nährstoffmenge (wie sie sowohl in entwickelten als auch Entwicklungsländern keine Seltenheit ist) bei nichtmenschlichen Primaten während der 1. Hälfte der Gestationsdauer supprimiert wird und dann mit einer verminderten Ausprägung neuronaler Bildungszonen, einem vermindert ausgebildeten neuronalen Netzwerk und einer Myelinisierungsstörung assoziiert ist (Schwab 2007). Eine Störung insbesondere der serotonergen, dopaminergen und GABAergen Neurotransmittersysteme erfolgt auch 4 indirekt über eine permanente neuroendokrinologische Dysregulation der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennieren-Achse (HHN-Achse), verursacht durch fetalen Stress, 4 oder eine verstärkte Belastung durch maternales Kortisol bei mütterlichem Stress
4 und/oder durch verstärkten Plazentatransfer bei geringerer plazentarer 11β-HSD2-Aktivität (Huizink et al. 2004). Kognitive Leistung. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien hat gezeigt, dass sowohl eine intrauterine Wachstumsrestriktion als auch ein geringer Kopfumfang bei der Geburt oder ein langsameres Wachstum im 1. Lebensjahr mit kognitiven Defiziten, psychischen Auffälligkeiten und einer höheren Stressempfindlichkeit im Schul- und Erwachsenenalter assoziiert sind (Übersicht bei Schlotz u. Phillips 2009). Kürzlich wurde auch für die intellektuelle Leistungsfähigkeit eine U-förmige Abhängigkeit vom fetalen Wachstum nachgewiesen (Leonard et al. 2008), wobei der Zusammenhang zwischen maternaler Hyperglykämie bei Gestationsdiabetes und verminderter kognitiver Leistungsfähigkeit in der Adoleszenz schon länger bekannt ist (Silverman et al. 1998). Obwohl die beschriebenen Effekte auch nach Adjustierung auf Confounder wie soziale Herkunft stabil nachweisbar blieben, sind ihre Auswirkungen auf die kognitiven Leistungen jedoch deutlich geringer als die des sozioökonomischen Status (Jefferis et al. 2002). Verhaltensauffälligkeiten und ADHS. Metaanalysen von Fallkontrollstudien an SGA-Kindern als auch Kohortenstudien belegen bei Wachstumsrestriktion und niedrigem Geburtsgewicht vermehrte emotionale Probleme (Rice et al. 2007), häufiger Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsdefizite (Schlotz et al. 2009) und generelle Verhaltensauffälligkeiten (Wiles et al. 2006). Die Zunahme von ADHS und Verhaltensauffälligkeiten
627 28.5 · Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von zerebralen Funktionsstörungen
war nicht auf niedriges Geburtsgewicht beschränkt, sondern zeigte eine kontinuierlich inverse Assoziation mit der Größe bei Geburt (Linnet et al. 2006; Wiles et al. 2006). Stärker als die Assoziation zum Geburtsgewicht ist jedoch diejenige zum Kopfumfang, einem Indikator für das Hirnvolumen, was auf die Ursachen in der gestörten fetalen Entwicklung hinweist (Schlotz u. Phillips 2009). Ebenso findet sich eine negative Korrelation von Aufmerksamkeitsproblemen im Schulalter und maternaler Hyperglykämie als Folge eines schlecht geführten Diabetes in der Schwangerschaft (Ornov et al. 2001). Schizophrenie. Die Pathogenese der Schizophrenie, deren Prävalenz in der westlichen Bevölkerung ca. 1% beträgt, ist noch weitgehend unklar. Neben genetischer Veranlagung scheinen jedoch pathologische Umwelteinflüsse prä- und postnatal bei dieser komplexen mentalen Entwicklungsstörung eine wesentliche Rolle zu spielen (Mueser u. McGurk 2004). In Metaanalysen vorhandener Studien wurden geburtshilfliche Komplikationen wie Präeklampsie, Frühgeburt, vaginaloperative Entbindung, aber auch niedriges Geburtsgewicht als Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer Schizophrenie identifiziert (Cannon et al. 2002).
Studienbox In einer Kohortenstudie an 246.655 schwedischen jungen Männern findet sich eine inverse U-förmige Assoziation zu den Geburtsmaßen, d. h. ein 7-fach höheres Erkrankungsrisiko bei einem Geburtsgewicht <2.500g und ein 3-fach höheres Risiko >4.000 g (Gunnell et al. 2003). Das verdoppelte Schizophrenierisiko der Nachkommen im oben dargestellten holländischen Hungerwinter geht mit verringertem Hirnvolumen und häufigeren Hyperintensitäten der weißen Hirnsubstanz als morphologischem Korrelat einher (Hulshoff Pol et al. 2000).
Kinder aus diabetischen Schwangerschaften haben ebenfalls ein 7-fach höheres Schizophrenierisiko, wofür Folgen der fetalen Hyperinsulinämie und der maternalen Hyperglykämie für diese Prädisposition verantwortlich sein dürften (Van Liehout u. Voruganti 2008). Populationsbasierte Untersuchungen des dänischen Geburtsregisters identifizierten als stärksten Risikofaktor eine maternale Influenzainfektion während der Schwangerschaft mit einem RR von 8,2 (95% CI 1,4–48,8; Byrne et al. 2007). Depression. Für Depression und bipolare Störungen findet sich eine uneinheitliche Studienlage, die insgesamt nur eine schwache Assoziation zu pränatalen Ereignissen und Geburtsmaßen vermuten lässt (Schlotz u. Phillips 2009). Frühe Hinweise aus den Studien zum holländischen Hungerwinter (Brown et al. 1995) wurden durch die Arbeitsgruppe um Barker an der von ihm initial untersuchten Hertfordshire-Kohorte an 882 alten Männern und Frauen unterstützt, wobei eine 3-fach höhere Erkrankungshäufigkeit nur bei Männern mit niedrigerem Geburtsgewicht, nicht jedoch bei Frauen gezeigt werden konnte (Thompson et al. 2001). Eine Reihe anderer Studien konnte dies jedoch nicht bestätigen, oder sie fanden
im Gegenteil eine höheres Risiko für Frauen mit Geburtsgewichten >4.500 g (Herva et al. 2008). Für Kinder mit einem Geburtsgewicht <2.500 g depressiv erkrankter Eltern fand sich allerdings ein Lebenszeitrisiko von 81%, ebenfalls an einer Depression zu erkranken (Nomura et al. 2007). Stressverarbeitung nach pränatalem Stress. Tierexperi-
mentelle Studien in verschiedensten Spezies wiesen nach, dass die Stressverarbeitung durch Aktivierung sowohl des autonomen Nervensystems als auch der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse bereits am Lebensbeginn maßgeblich beeinflusst wird (Phillips u. Jones 2006). Einflussfaktoren für eine frühe (Fehl-) Programmierung sind neben intrauteriner Mangelversorgung mit fetalem Stress maternale Stressbelastung und Infektionen, auch Exposition mit synthetischen Glukokortikoiden und neonataler Stress durch Therapien oder auch Deprivation (Matthews 2002; . Abb. 28.8). > Schon während der intrauterinen Entwicklung ist das Verhalten von Feten gestresster Mütter gestört, und es treten Wachstumsrestriktion auf (Sloboda et al. 2005).
Fast 20 prospektive klinische Studien, von denen die längste Jugendliche bis zum Alter von 15 Jahren untersucht hat, zeigen ebenfalls negative Effekte von Stress während der Schwangerschaft auf die motorische und kognitive Entwicklung und eine Assoziation zu Verhaltensauffälligkeiten und zu ADHS. Je früher das Stressereignis in der Schwangerschaft auftrat, desto mehr psychomotorische Auffälligkeiten waren zu verzeichnen, wahrscheinlich weil dann die Neuroneogenese und die Migration der Nervenzellen am stärksten beeinflusst werden (van den Bergh et al. 2005). Selbst einmalige Ereignisse wie Naturkatastrophen, aber auch die Ereignisse am 9. September 2001 führten bei Kindern von Frauen, die zu diesem Zeitpunkt schwanger waren, zu postnatalen Verhaltensstörungen (Brand et al. 2006). Extreme psychische Belastung der Mutter wie der Verlust eines Kindes kurz vor oder während der Schwangerschaft ist assoziiert mit einem verdoppeltem Risiko (HR 2,01, 95% CI 1,04–3,89) für die Entwicklung eines schweren Hirnschadens innerhalb der ersten 2 Lebensjahre wachstumsrestringierter Reifgeborener (Li et al. 2009) Langzeiteffekte pränataler Glukokortikoidexposition. Die Effekte von pränatalem Stress und einer pränatalen Glukokortikoidbehandlung zur Therapie des adrenogenitalen Syndroms oder zur Lungenreifeinduktion während vulnerabler Phasen auf die Entwicklung der Hirnfunktion sind sehr ähnlich (Schwab 2007). > Synthetische Glukokortikoide haben nicht nur einen beschleunigenden Effekt auf die Lungenreifung, sondern beschleunigen auch die Reifung des zentralnervösen Systems, was durch eine Wachstumshemmung (Differenzierung statt Proliferation) erkauft wird.
Nach mehrfacher Glukokortikoidapplikation sind sowohl das Geburtsgewicht und der Kopfumfang als Maß des Hirnvolumens verringert (Murphy et al. 2008) wie auch Verhaltensauf-
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Kapitel 28 · Fetale Programmierung
fälligkeiten im Alter von 3–6 Jahren nachgewiesen (French et al. 2004). Bereits bei 2-Jährigen wurden signifikante Aufmerksamkeitsdefizite offenbar, ohne dass sich jedoch Unterschiede im Wachstum und Kopfumfang zeigten (Crowther et al. 2007). Wie nach extremer Stressbelastung scheint das Risiko für die Entwicklung eines schweren Hirnschadens in den ersten Lebensjahren erhöht (Wapner et al. 2007). Nach einmaliger Gabe zeigen jedoch die wenigen bisher durchgeführten Follow-up-Studien von Kindern bis zum Alter von 32 Jahren keine Wachstums-, Verhaltens-, kognitive oder psychische Auffälligkeiten (Dalziels et al. 2005). Es fanden sich im Unterschied zu tierexperimentellen Ergebnissen auch keine metabolischen oder Blutdruckveränderungen bis zum 19. Lebensjahr (Finken et al. 2008). Auch die frühe Gabe von Dexamethason während der Schwangerschaft zur Therapie der kongenitalen Nebennierenhyperplasie bewirkte keine Störung der motorischen oder kognitiven Entwicklung bis zum Alter von 12 Jahren (Meyer-Bahlburg et al. 2004).
28.9
Bedeutung für die klinische Praxis
Dem Konzept der perinatalen Programmierung wird zukünftig wesentliche Bedeutung bei der Entwicklung präventionsorientierter Konzepte zukommen. Die Kenntnis der Mecha. Abb. 28.9. Möglichkeiten der Prävention perinatal fehlprogrammierter Regulationen
nismen perinataler Programmierungsprozesse dürfte künftig dem Geburtsmediziner und Perinatologen ein Instrumentarium in die Hand geben, welches die primäre, nachhaltige Prävention von Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Adipositas, Schlaganfall und Herzinfarkt im späteren Leben des Kindes ermöglichen könnte (. Abb. 28.9; Plagemann 2005). An erster Stelle steht eine optimierte Schwangeren- und Neugeborenenbetreuung durch Frauen- und Kinderärzte, um eine intrauterine Minderversorgung, mütterlichen oder fetalen Stress und eine perinatale Überversorgung bei nicht optimal eingestelltem Gestationsdiabetes oder neonatalem Catchup-Wachstum frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Bei fehlender erfolgreicher intrauteriner Therapie einer Plazentainsuffizienz stehen die präkonzeptionelle Beratung zu einer gesunden Ernährung und Lebensführung, Vermeidung von Alkohol-, Nikotin- und Drogenabusus und die Erkennung von eventuellen Risiken für eine ungestörte Plazentation (z. B. Autoimmun- und thrombophilie Erkrankungen) im Vordergrund. ! Bei der diskutierten Rolle von endogenen und exogenen Glukokortikoideffekten sollte die Indikation für eine Glukokortikoidtherapie während der Schwangerschaft nur streng gestellt werden und auf wiederholte Lungenreifeinduktion verzichtet werden.
629 Literatur
Im Gegensatz dazu besteht bei der Verhinderung von fetaler Makrosomie und Hyperinsulinämie als Folge eines nicht erkannten oder nicht ausreichend behandelten Diabetes mellitus in der Schwangerschaft eine echte Chance der Primärprävention. Die Einführung eines verbindlichen Diabetesscreenings in der Schwangerschaftsvorsorge muss gesundheitspolitisch durchgesetzt werden, um durch eine rechtzeitige optimierte maternale Stoffwechseleinstellung die dargestellten Langzeitkonsequenzen für die Nachkommen zu verhindern. Tipp Durch eine frühzeitig optimierte Insulintherapie unter Berücksichtigung der fetalen Wachstumsdynamik kann sowohl eine fetale Makrosomie (Schleußner et al. 2008) als auch eine gestörte Glukosetoleranz im 6. Lebensjahr verhindert werden (Hunger-Dathe et al. 2005).
Für das spätere Adipositasrisiko hat das Stillen bzw. die Muttermilchernährung eine wesentliche protektive Rolle. Eine Metaanalyse von 22 Studien belegt eine Risikosenkung um 25% (Harder et al. 2005). Ein überstarkes Aufholwachstum wachstumsrestringierter Neugeborener sollte vermieden werden. Bislang nur tierexperimentell gibt es Hinweise, dass eine postnatale Gabe von Leptin oder ω-3-Fettsäuren an mangelversorgte Feten ebenfalls protektive Effekte für eine spätere Adipositas und Hypertonie aufweisen könnten. Die dargestellten lebenslangen Folgen eines gestörten intrauterinen und postpartalen Milieus führen zu einer immensen Ausweitung der Verantwortung und Bedeutung unseres Fachgebietes; dies macht Geburtsmediziner, Neonatologen und die Perinatologie als Fachgebiet insgesamt zu Weichenstellern für Gesundheit und Krankheit im gesamten späteren Leben.
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Kapitel 28 · Fetale Programmierung
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28
632
28
Kapitel 28 · Fetale Programmierung
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29 29 Blutungen im 3. Trimenon F. Kainer 29.1
Allgemeine Grundlagen – 634
29.1.1 29.1.2 29.1.3
Terminologie – 634 Inzidenz – 635 Ätiologie und Pathogenese – 635
29.2
Klinik und Symptomatik – 637
29.2.1 29.2.2 29.2.3
Symptomatik und klinische Leitsymptome – 637 Spezielle Diagnostik – 639 Risiken für Mutter und Kind – 640
29.3
Management – 642
29.3.1 29.3.2 29.3.3
Allgemeine Maßnahmen – 642 Spezielles Vorgehen in Abhängigkeit von der Ursache – 642 Therapie der Komplikationen – 644
29.4
Prävention – 645 Literatur – 645
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
634
29
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
Blutungen im 3. Trimenon sind relativ häufig (2–10 %) und können zu schwerwiegenden Komplikationen bei Mutter und Kind führen. In den meisten Fällen ist der Blutverlust gering; jedoch kann auch eine geringe Blutung ein erster Hinweis auf eine später folgende lebensbedrohliche Blutung sein. Schwere Blutungen im 3. Trimenon sind auch in Ländern mit ausreichender medizinischer Versorgung eine der Hauptursachen für mütterliche Todesfälle; in Entwicklungsländern sind sie hierfür die häufigste Ursache. Zusätzlich wird die kindliche Morbidität und Mortalität durch Blutungskomplikationen entscheidend belastet. Grundsätzlich muss zwischen schwangerschaftsbedingten und nicht schwangerschaftsbedingten Ursachen unterschieden werden. Nicht durch die Schwangerschaft hervorgerufene Ursachen gehen meist mit einem geringeren Risiko für Mutter und Kind einher. Schwere schwangerschaftsbedingte Blutungen führen meist zu einem Blutverlust von mehr als 1000 ml und werden zu 40–70 % durch eine Placenta praevia oder eine vorzeitige Plazentalösung hervorgerufen. Ausschließlich fetale Blutungen sind selten und können z. B. durch eine Ruptur von Vasa praevia verursacht werden. Da die Prognose für den weiteren Schwangerschaftsverlauf schwer eingeschätzt werden kann, ist primär eine stationäre Überwachung angezeigt. Die klinische Untersuchung und die Sonographie ermöglichen in den meisten Fällen sehr rasch eine Beurteilung, ob die Beendigung der Schwangerschaft erforderlich ist oder nicht. Auch bei leichten Blutungen ist eine vorübergehende stationäre Überwachung erforderlich. Bei schweren Blutungen steht – neben den allgemeinen Richtlinien der Notfallmedizin – die unverzügliche Beendigung der Schwangerschaft im Vordergrund.
29.1
Allgemeine Grundlagen
29.1.1
Terminologie
ren Muttermund können folgende Befunde erhoben werden (. Abb. 29.1): 4 Placenta praevia totalis: Der innere Muttermund wird vollständig von der Plazenta überdeckt. 4 Placenta praevia partialis: Die Plazenta überdeckt teilweise den inneren Muttermund. 4 Placenta praevia marginalis: Die Plazenta erreicht den inneren Muttermund. 4 Tiefreichende Plazenta: Implantation der Plazenta im unteren Uterinsegment, bei der der Plazentarand nicht mehr als 5 cm vom inneren Muttermund entfernt ist.
Vorzeitige Plazentalösung 4 Vollständige vorzeitige Plazentalösung: Die Plazenta hat sich vollständig von der Uterushaftfläche abgelöst. Eine mütterliche Perfusion der Plazenta ist nicht mehr gewährleistet. 4 Teilweise vorzeitige Plazentalösung: Die Plazenta hat sich nur teilweise von der Haftfläche gelöst. In Abhängigkeit von der Größe der Ablösung kann eine Versorgung des Fetus gewährleistet sein. Das Hämatom kann sich zentral (zentrales retroplazentares Hämatom) oder randständig entwickeln. Eine Blutung nach außen tritt typischerweise bei der randständigen vorzeitigen Plazentalösung auf.
Vasa-praevia-Blutungen Hierbei handelt es sich um Blutungen aus Nabelschnurgefäßen, die bei velamentösem Nabelschnuransatz im Bereich
Blutung im 3. Trimenon Eine Blutung im 3. Trimenon ist definiert als genitale Blutung ab 24 SSW vor dem Auftreten einer regelmäßigen Wehentätigkeit. Eine klare Abgrenzung zu Blutungen im 2. Trimenon ist nicht gegeben, da die Ursachen für eine Blutung ab 20 SSW bis zur Geburt praktisch identisch sind. Ebenso ist eine Abgrenzung von prä- und intrapartalen Blutungen nur aus didaktischen Gründen sinnvoll.
a
b
c
d
Die beiden häufigsten Ursachen einer Blutung im 3. Trimenon sind die Placenta praevia und die vorzeitige Plazentalösung.
Placenta praevia Hierunter versteht man die vollständige oder teilweise Implantation der Plazenta im unteren Uterinsegment unter Einbeziehung des inneren Muttermunds. Die Plazenta inseriert normalerweise im oberen bis mittleren Drittel des Corpus uteri. In Abhängigkeit von der Lage der Plazenta zum inne-
. Abb. 29.1. Placenta praevia: Befunde in Beziehung zum inneren Muttermund. a Tief reichende Plazenta. b Placenta praevia marginalis. c Placenta praevia partialis. d Placenta praevia totalis
635 29.1 · Allgemeine Grundlagen
des unteren Uterinsegments in den Eihäuten liegen. Es kann bei einem spontanen Blasensprung oder nach Amniotomie durch Gefäßverletzungen zu einer für den Fetus lebensbedrohlichen Blutung kommen.
Uterusruptur Komplette Uterusruptur. Vollständige Zerreißung der Ute-
ruswand mit Eröffnung des Peritoneum viscerale. Der Fetus (bzw. die Plazenta) liegt in der freien Bauchhöhle. Gedeckte Uterusruptur. Dehiszenz einer Uterusnarbe nach
vorheriger Operation ohne offene Verbindung mit der Bauchhöhle. Da die Dehiszenz meist ohne Beschwerden einhergeht, spricht man auch von einer »stillen« Ruptur. Fetomaternale Blutung. Übertritt von fetalem Blut in den
. Tab. 29.1. Blutungen im 3. Trimenon: Ursachen und Häufigkeit. (Mod. nach Crenshaw 1973)
Blutungsursache
Häufigkeit [%]
Unbekannt
30–50
Plazentarandblutung
17–33
Placenta praevia
12–24
Abruptio placentae
15–26
»Zeichnungsblutung«
15–20
Uterusruptur
0,8
Vasa praevia
0,5
Schwangerschaftsunabhängig
6–10
mütterlichen Kreisauf durch ein Trauma (Pearlman et al. 1990) oder durch spontan auftretende rezidivierende Blutungen. 29.1.3 29.1.2
Inzidenz
Studienbox Die Häufigkeit von Blutungen in der Spätschwangerschaft wird mit 2–10% angegeben (Pernoll 1991; Clark 1999), wovon zu 2–3% schwere Blutungen (>800 ml Blutverlust) auftreten. Die Plazenta ist in 40–70% der Fälle für die Blutung verantwortlich. Eine Placenta praevia tritt bei 0,3–0,5% aller Schwangerschaften auf (Crenshaw 1973). Mit 17 SSW kann in 5–15% der Fälle Plazentagewebe im Bereich des inneren Muttermunds gefunden werden (Rizos 1979). In 90% der Fälle ist der innere Muttermund im 3. Schwangerschaftsdrittel jedoch wieder frei von Plazentagewebe. Dieses »Hochwandern« der Plazenta entsteht durch das Wachstum des unteren Uterinsegments, wodurch sich sonographisch am inneren Muttermund befindliches Plazentagewebe, das dort nicht implantiert ist, scheinbar nach oben verschiebt. Ist es zur Implantation der Plazenta im Bereich des inneren Muttermunds gekommen, dann handelt es sich in 20% der Fälle um eine Placenta praevia totalis, in der Hälfte der Fälle um eine tief sitzende Plazenta und in ca. 30% um eine Placenta praevia partialis. Eine vorzeitige Plazentalösung tritt in 0,2–2,6% der Fälle auf (Wilson 1983).
Schwere Verlaufsformen (mit intrauterinem Fruchttod) haben eine Inzidenz von 1500–750 Geburten. Das Wiederholungsrisiko nach einer vorzeitigen Plazentalösung beträgt 6–17% (Rasmussen et al. 1970; Paterson 1979). Die Häufigkeit einer Uterusruptur beträgt 1:1500 Geburten (. Tab. 29.1).
Ätiologie und Pathogenese
Die primäre Ursache einer vorzeitigen Plazentalösung, einer Placenta praevia oder anderer Blutungsursachen ist meist unbekannt; es gibt jedoch verschiedene Faktoren, die bei Blutungen im 3. Trimenon vermehrt gefunden werden.
Placenta praevia Die Ursache ist in den meisten Fällen unklar. Eine gestörte Implantation der Plazenta kann durch eine verminderte Vaskularisation des Endometriums sowie durch Vernarbungen nach Traumata (Kürettage) oder Entzündungen hervorgerufen werden. Studienbox Ein kausaler Zusammenhang ist durch die Anzahl vorausgegangener Kürettagen (Schwangerschaftsabbrüche) sowie durch eine vorangegangene Sectio caesarea gegeben (Kelly u. Iffy 1981; Macones et al. 1997; Faiz u. Anath 2003). Es besteht eine direkte Korrelation zwischen der Anzahl der Sectiones und der Häufigkeit einer Placenta praevia (Ananth et al. 1997).
Ältere Multiparae und Schwangere mit Zwillingsschwangerschaften haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Placenta praevia. Bei Zwillingsschwangerschaften ist die vergrößerte Implantationsfläche der Plazenta eine logische Erklärung für das gehäufte Auftreten einer Lokalisation der Plazenta im unteren Uterinsegment. Studienbox Chronischer Nikotinabusus wurde in früheren Arbeiten als Risikofaktor für das Auftreten einer Placenta praevia angesehen (Naeye 1980). Während der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Kokain und dem Auftreten einer Placenta praevia heute als erwiesen gilt, konnte ein Zusammenhang mit Nikotinabusus jedoch nicht mehr gezeigt werden werden (Macones et al. 1997).
29
636
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
Vorzeitige Plazentalösung
29
Unterschiedliche Faktoren sind mit einer vorzeitigen Lösung der Plazenta assoziiert, wenngleich die primäre Ursache unbekannt ist. Primär sind für die Ablösung der Plazenta pathologische Veränderungen von kleinen arteriellen Gefäßen in der Dezidua verantwortlich. Die Ansammlung von Blut zwischen Dezidua und Chorion begünstigt diesen Prozess bis hin zur vollständigen Lösung. Die Versorgung des Fetus wird einerseits durch die verminderte Durchblutung der Plazenta, andererseits durch Kompresson des intervillösen Raums beeinträchtigt. Es kann durch die Blutung auch direkt Plazentagewebe zerstört werden. Bei kleinen Hämatomen kann der Prozess zum Stillstand kommen, in den meisten Fällen jedoch führt das Hämatom selbst zur weiteren Ablösung der Plazenta. Die Blutung kann die Zervix erreichen und eine vaginale Blutung bewirken; durch ein Einreißen der Eihäute kann es jedoch auch zu einer Blutung in die Fruchthöhle kommen (blutiges Fruchtwasser, Aspirationsgefahr für den Fetus). Des Weiteren kann sich die Blutung auch in das Myometrium bis zum Peritoneum ausbreiten (Couvelaire-Zeichen, Apoplexia uteri), was zu einer Beeinträchtigung der Kontraktilität des Uterus führt. Die Auswirkung auf Mutter und Kind hängt direkt von dem Ausmaß der Lösung ab.
Prädisponierende Faktoren Trauma. Ein Trauma (Verkehrsunfall, äußere Wendung bei
Lageanomalien, Amniozentese, Nabelschnurpunktion, Fetoskopie) von unterschiedlicher Stärke kann eine vorzeitige Lösung in Gang setzen (Pearlman et al. 1990; Feinkind et al. 1990). Ein plötzlicher intrauteriner Druckabfall nach Amniotomie, Abpunktion eines Hydramnions oder nach der Geburt des ersten Zwillings in Zusammenhang mit einer großen Volumenabnahme des Uterus kann eine vorzeitige Plazentalösung provozieren. Uterusanomalien, kurze Nabelschnur. Eine Uterusanomalie
oder ein Myom kann zu einer Störung der Implantation der Plazenta führen. Eine extrem kurze Nabelschnur kann nach Blasensprung und Tiefertreten des Fetus eine mechanische Ablösung der Plazenta verursachen. Hypertension. Je ausgeprägter der Schweregrad der Plazentalösung ist, umso häufiger findet man eine Hypertension der Mutter. Bei einem leichten Grad der vorzeitigen Plazentalösung wurde eine Hypertension in 13,9%, bei einem mittelmäßigem Grad in 25,7% und bei einem schweren Grad in 52,1% aller Fälle beschrieben (Golditch u. Boyce 1970). Vorzeitiger Blasensprung. Bei einem vorzeitigen Blasensprung, v. a. in Zusammenhang mit einer Hypertension, besteht ein eindeutig erhöhtes Risiko für eine vorzeitige Plazentalösung (Ananth et al. 1996). Nikotinabusus. Mütterlicher Zigarettenkonsum führt zu Deziduanekrosen. Eine Korrelation mit einer vorzeitigen Plazentalösung wäre daher nicht verwunderlich (Naeye 1980). Nach
neueren Literaturangaben konnte jedoch kein Zusammenhang gefunden werden (Macones et al. 1997). Multiparität. Unabhängig vom mütterlichen Alter nimmt das Risiko der vorzeitigen Lösung nach dem 2. Kind signifikant zu. Eine Mehrgebärende hat im Vergleich zu einer Erstgebärenden ein 3fach höheres Risiko einer vorzeitigen Plazentalösung. Rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften erhöhen ebenfalls die Inzidenz einer vorzeitigen Plazentalösung. Mangelernährung. Eine intrauterine Wachstumsrestriktion ist häufig mit einer vorzeitigen Plazentalösung assoziiert. Vor allem eine kalorienarme, Vitamin-A- und kalziumarme Ernährung begünstigen eine vorzeitige Plazentalösung. Kokainabusus. Die vasoaktiven Eigenschaften von Kokain könnten für das gehäufte Auftreten von vorzeitigen Plazentalösungen in diesem Risikokollektiv verantwortlich sein. Vena-cava-Kompressionssyndrom. Ein V.-cava-Kompressionssyndrom kann zu einer Drucksteigerung im intervillösen Raum führen. Einzelne Fallberichte beschreiben in diesem Zusammenhang eine vorzeitige Lösung. Es gibt jedoch keine größeren Studien, die dies bestätigen.
Eröffnungsblutung bei drohender Frühgeburt Der Abgang von blutig tingiertem Schleim bei Eröffnung der Zervix (»Zeichnen«) tritt meist in Zusammenhang mit vorzeitiger Wehentätigkeit auf. Dies entspricht dem Ausstoßen des Schleimpfropfes aus der Zervix.
Uterusruptur Die häufigste Ursache einer Uterusruptur ist eine vorangegangene Operation am Uterus. ! Bei einer Sectio mit korporalem Längsschnitt (»klassische Schnittführung«) ist in 3–4% der Fälle mit einer Ruptur zu rechnen, bei isthmischem Querschnitt beträgt das Rupturrisiko lediglich 0,25%.
Myomenukleationen und Operationen bei Uterusanomalien (Strassmann-Operation bei Uterusdoppelfehlbildungen) haben ein erhöhtes Risiko für eine spätere Ruptur. Vor allem nach laparoskopischen Myomabtragungen ist durch die teilweise nicht optimale Nahtversorgung das Risiko für eine Uterusruptur deutlich erhöht. Spontanrupturen können bei Lageanomalien (Querlage) oder bei einem Missverhältnis zwischen Kopf und Becken (fetaler Hydrozephalus) auftreten. Sie sind insgesamt sehr selten, da meist rechtzeitig interveniert wird. Eine Verlegung des Geburtskanals durch einen Tumor (Ovarialtumor, Myom) oder ein fortgeschrittenes Zervixkarzinom können ebenfalls die Ursache für eine spontane Uterrusruptur sein. Eine Spontanruptur findet sich hauptsächlich bei Mehrgebärenden (>90%). Narbenbildungen bei vorangegangenen Geburten und rasch aufeinanderfolgende Geburten spielen hier ursächlich eine wichtige Rolle.
637 29.2 · Klinik und Symptomatik
Leitsymptom der Placenta praevia ist die Blutung, die bei völligem Wohlbefinden der Schwangeren auftritt. Die Patientin hat keine Schmerzen und verspürt meist keine Wehentätigkeit. Anamnestisch ist nach vaginalen Untersuchungen und einem Koitus zu fragen. Selten ist bereits die initiale Blutung lebensbedrohlich, vielmehr kommt es diskontinuierlich (»annoncierende Blutung«) immer wieder zu Blutungen. In 10% der Fälle geht eine Blutung bei Placenta praevia mit einer gleichzeitigen vorzeitigen Plazentalösung einher, sodass die Symptomatik vielschichtig sein kann.
zen. In der Hälfte der Fälle ist eine Wehentätigkeit vorhanden, die charakteristischerweise mit Tachysystolie und erhöhtem Uterustonus einhergeht. Manche Patientinnen leiden zusätzlich unter innerer Unruhe mit Schwäche, Ängstlichkeit, Durstgefühl und Übelkeit. Bei starkem Blutverlust zeigt sich das Vollbild eines klinischen Schockzustands mit Tachykardie, schwach palpablem Puls, kaltschweißiger Haut, Blässe oder Zyanose. Es findet sich das klinische Bild eines akuten Abomens mit gleichzeitiger Schocksymptomatik. Es besteht eine uterine Dauerkontraktion (Tetanus uteri), die bei 80 % der Patientinnen mit einer vaginalen Blutung einhergeht. Die vaginale Blutung ist dunkel; das Blut gerinnt bei schweren Verlaufsformen nicht. Seröse Flüssigkeit aus der Vagina kann bei einem retroplazentaren Koagel mit einem Fruchtwasserabgang verwechselt werden. Anamnestisch ist nach einem Trauma zu fragen (Verkehrsunfall, Sturz, Schlag). In 20–30% der Fälle geht eine vorzeitige Plazentalösung ohne klinische Symptome für die Schwangere einher, sie ist nur sonographisch und aufgrund der fetalen Beeinträchtigung zu diagnostizieren. Klinisch unterscheidet man 4 verschiedene Grade (. Tab. 29.3). Die Zeichnungsblutung tritt gemeinsam mit einer Wehentätigkeit auf und geht mit einem geburtsreifen Zervixbefund einher. Typisch sind schleimig-blutige Abgänge aus dem Zerikalkanal. Bei einer Plazentarandblutung ist die Blutung stärker, der Zervixbefund vielfach noch unreif.
Vorzeitige Plazentalösung
Uterusruptur
Die Symptomatik bei der vorzeitigen Plazentalösung ist von der Größe und Lokalisation des Hämatoms abhänig. Typisch ist das plötzliche Einsetzen von starken abdominalen Schmer-
Symptome bei drohender Uterusruptur. Charakteristi-
Traumatische Zerreißungen des Uterus können bei starker äußerer Gewalteinwirkung (Verkehrsunfall) auftreten. Uterusrupturen im Rahmen von äußeren Wendungen und bei Zangengeburten sind beschrieben, insgesamt jedoch extrem selten.
29.2
Klinik und Symptomatik
29.2.1
Symptomatik und klinische Leitsymptome
Die klinische Symptomatik ist in Abhängigkeit von der Grunderkrankung unterschiedlich (. Tab. 29.2).
Placenta praevia
scherweise erhöht sich die Wehenfrequenz bis zum Wehensturm (Tetanus uteri). Bei starker Zunahme der Schmerz-
. Tab. 29.2. Klinische Differenzialdiagnose der häufigsten Blutungsursachen in der Spätschwangerschaft
Symptomatik
Placenta praevia
Vorzeitige Plazentalösung
Zeichnungsblutung
Blutung
Geringe oder starke helle Blutung nach außen (annoncierende Blutung, langsam einsetzend)
Dunkelrote Schmierblutung nach außen, starke Blutung nach innen (plötzlich auftretend)
Gering, blutig-schleimig
Schmerzen
Keine
Uteriner Druckschmerz bis heftige Dauerschmerzen
Wehenabhängig
Uterustonus
Weich
Erhöht bis bretthart
Wehenabhängig
Wehen
Gering bis fehlend
Vorhanden mit Dauertonus
Regelmäßig
CTG
Meist normal
Pathologisch, Hypoxiezeichen
Normal
Lage des Fetus
Häufig Lagenanomalie (35 % Beckenendlage), kein vorangehender Kindsteil tastbar
Vorangehender Kindsteil oft ins Becken eingetreten
Vorangehender Kindsteil meist ins Becken eingetreten
Zervixbefund
Unreif
Unreif
Geburtsreif
Kreislauf
Gute Korrelation zwischen Blutverlust und mütterlichem Zustand
Diskrepanz zwischen geringem Blutverlust nach außen und mütterlichem Schockzustand
Normale Kreislaufverhältnisse
Blutgerinnung
Meist normal
Gestört
Normal
29
638
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
. Tab. 29.3. Klinische Einteilung der vorzeitigen Plazentalösung nach verschiedenen Schweregraden. (Nach Page et al. 1954)
Grad
Symptomatik
0
5 Asymptomatisch 5 Die Diagnostik wird sonographisch oder aber meist erst postnatal gestellt 5 Keine fetale Beeinträchtigung
1
5 Geringe Blutung nach innen oder außen 5 Geringe Druckschmerzhaftigkeit des Uterus mit geringer Tonuserhöhung 5 Keine Beeinträchtigung der mütterlichen Kreislaufsituation 5 Eine fetale Beeinträchtigung ist selten, jedoch möglich
2
5 Mittelschwere Blutung nach innen oder nach außen mit kompensierter mütterlicher Kreislaufsituation 5 Zeichen einer fetalen Gefährdung
29
3
5 Schwere Blutung nach innen oder außen 5 Extrem druckschmerzhafter Uterus mit abdominaler Abwehrspannung 5 Der mütterliche Schockzustand geht zu 30% mit einer Gerinnungsstörung einher 5 Das Kind ist immer abgestorben
haftigkeit der Wehen (die Schwangere hat das Gefühl, »als ob etwas zerreißen würde«) kommt es zu innerer Unruhe und Angstzuständen, sodass die Patientin kaum mehr zu beruhigen ist. Es gibt keine Erholungsphasen in der Wehenpause. 4 Das untere Uterinsegment ist meist stark druckschmerzhaft. Typischerweise ist die Druckschmerzhaftigkeit auch außerhalb der Wehentätigkeit vorhanden. 4 Es kommt zu einem Geburtsstillstand. Bei der vaginalen Untersuchung ist der vorangehende Kindsteil fest im Beckeneingang fixiert. 4 Wenn in kurzer Zeit die »Bandl-Furche« (Kontraktionsring an der oberen Grenze des unteren Uterinsegments) über Nabelhöhe steigt, so kann dies ebenfalls ein Hinweis für eine bevorstehende Uterusruptur sein. 4 Die Symptome bei einer Narbenruptur sind meist nicht so ausgeprägt oder können völlig fehlen (»stille Ruptur«). 4 Eine Hämaturie ist ein wichtiger zusätzlicher Hinweis auf eine bevorstehende Uterusruptur. 4 Die sonographische Beurteilung der Sectionarbe dagegen ist im klinischen Management nicht sehr hilfreich, da die Untersuchungsmethode hier nicht sensitiv genug ist. Symptome bei eingetretener Uterusruptur. Ein Abfall der fetalen Herzfrequenz (fetale Asphyxie) kann das erste Anzeichen einer Uterusruptur darstellen. Es kommt zum schlagartigen Aufhören der Wehentätigkeit. Charakteristisch ist der Gegensatz zwischen der vor der Ruptur meist außergewöhn-
lich schmerzhaften Wehentätigkeit und dem plötzlichen Sistieren der Wehen. Der Zeitpunkt der Ruptur (Rupturschmerz) kann von der Patientin meist angeben werden (sie hat das Gefühl, dass »etwas gerissen« ist). Es kommt zu einer abdominellen Abwehrspannung. Die peritoneale Reizung muss nicht unmittelbar nach der Ruptur auftreten, v. a. bei Narbenrupturen kann sich die Abwehrspannung erst nach Stunden oder Tagen einstellen. Infolge der meist vorhandenen Blutung finden sich typische Schocksymptome mit Tachykardie, Blässe, Kaltschweißigkeit und Atemnot. Bei Narbenrupturen können die Symptome deutlich abgeschwächt sein, da der Blutverlust deutlich geringer ist als bei Zerreißungen der intakten Uteruswand. Das Ausmaß der vaginalen Blutung ist unterschiedlich und v. a. bei Narbenrupturen nur gering. Bei der vaginalen Untersuchung ist der vorangehende Kindsteil wieder leicht aus dem Beckeneingang zu schieben. Der Fetus kann direkt unter der Bauchdecke palpiert werden. Tipp In Zweifelsfällen ist die Ultraschalluntersuchung eine wichtige zusätzliche Untersuchungsmethode. Sie dient zum Ausschluss von fetalen Fehlbildungen (Hydrozephalus, große Teratome, Makrozephalie) und von mütterlichen Tumoren (Myome, Ovarialtumoren) im kleinen Becken. Wenn die Diagnose der Uterusruptur klinisch nicht eindeutig gestellt werden kann, wird sie präoperativ mit der Sonographie gesichert (Flüssigkeit, Fetus in der freien Bauchhöhle).
Vasa-praevia-Blutung Diese Komplikation steht meist in Zusammenhang mit einer Amniotomie oder einem Blasensprung. Sie ist durch äußerst starke Blutungen gekennzeichnet, die rasch zu einer Hypoxie des Fetus führen (. Abb. 29.2).
. Abb. 29.2. Plazenta nach Notsectio mit massiver Blutung nach Amniotomie (Ruptur des Gefäßes bei 9 Uhr)
639 29.2 · Klinik und Symptomatik
29.2.2
Spezielle Diagnostik
Klinischer Status Wichtige Kriterien zur Beurteilung sind Blutdruck, Puls, Atmung, Hautfarbe und Urinausscheidung. Die typische Schocksymptomatik (Unruhe, kaltschweißige Extremitäten, blasses Hautkolorit) ist v. a. bei einem Blutverlust nach innen vielfach der entscheidende Hinweis. Die Palpation des Abdomens mit Erheben des Fundusstandes, des Uterustonus sowie schmerzhafte Uteruspalpationen verkürzen in vielen Fällen entscheidend die Zeit bis zur therapeutischen Intervention.
Vaginale Untersuchung Eine vaginale Untersuchung erfolgt erst nach vorheriger sonographischer Abklärung (Ausschluss einer Placenta praevia). Vor einer vaginalen digitalen Untersuchung ist eine Spekulumuntersuchung durchzuführen: Beurteilt werden die Blutungsstärke sowie die Farbe des Blutes (Fruchtwasser, Schleimbeimengungen). Alte Blutkoagula werden entfernt, um die Stärke einer frischen Blutung zu verifizieren. Ist eine Placenta praevia ausgeschlossen, so wird palpatorisch der Zervixbefund erhoben.
der Abgrenzung von Plazentatumoren ist die Farbdopplersonographie hilfreich. > Der Ultraschallbefund einer vorzeitigen Lösung kann sonographisch ein sehr unterschiedliches Bild zeigen. Es findet sich meist nicht die vielfach erwartete echoleere Raumforderung hinter der Plazenta, sondern die Ausbildung von Blutkoagula führt zu einem sonographischen Bild, das bei oberflächlicher Betrachtung der Plazentastruktur ähnlich ist (. Abb. 29.3 bis 29.6).
Das Ultraschallbild ist von Fall zu Fall unterschiedlich, je nachdem, wie lange die Ablösung zurückliegt und wie groß die Ausdehnung des Hämatoms ist. Ein frisches Hämatom ist echoarm, und die Echodichte nimmt im Lauf der Zeit zu. Im Hämatom fehlt die geordnete Strukturzeichnung der Plazenta, die aufgrund der geringeren Echodichte gut von der Uteruswand abzugrenzen ist. Es findet sich ein teils zystischer, teils solider Tumor hinter der Plazenta – ohne die typische Sonomorphologie der Plazenta. Die Farbdopplersonographie erleichtert die Diagnose, da im Hämatom keine Perfusion darstellbar ist. Bei gleichzei-
! Bei einer Placenta praevia ist eine digitale vaginale Untersuchung kontraindiziert. Ausnahmsweise vorsichtige Erhebung des Zervixbefunds, wenn dies durch die Inspektion nicht möglich ist.
Ultraschalluntersuchung Neben der klinischen Untersuchung spielt die Sonographie in der Diagnostik eine entscheidende Rolle. Bei Blutungen sollte daher möglichst rasch eine Sonographie durchgeführt werden. Es muss ein aktueller Ultraschallbefund erhoben werden, da sich die Lage der Plazenta während der Schwangerschaft verändern kann.
Studienbox Während man vor 24 SSW zu 30% und bei 24 SSW zu etwa 18% eine tiefliegende Plazenta findet, beträgt die Häufigkeit am Termin nur mehr 3% (Chapman et al. 1989). Die Diagnose einer Placenta praevia wird in 95% der Fälle mit der transabdominalen Sonographie richtig gestellt (Schlenkser 1976). Die Untersuchung kann durch Adipositas, eine leere mütterliche Harnblase oder durch den Schallschatten des vorangehenden Kindsteiles erschwert sein. Eine verdickte Uteruswand, Uterusfehlbildungen oder ein Myom sind differenzialdiagnostisch auszuschließen. In Zweifelsfällen ist eine vorsichtige Vaginosonographie indiziert (Farine et al. 1989).
Bei der Ultraschalldiagnostik der vorzeitigen Plazentalösung sind falsch positive und falsch negative Befunde häufig. Echoarme Areale am Plazentarand können dopplersonographisch einem erweiterten Randsinus zugeordnet werden. Auch bei
. Abb. 29.3. Ultraschalldiagnostik der vorzeitigen Plazentalösung (I Uteruswand, II präplazentares Hämatom, III retroplazentares Hämatom, IV Plazenta, V subchoriales Hämatom, VI Dezidua)
. Abb. 29.4. Vorzeitige Plazentalösung (X=Plazenta; =vorzeitige Plazentalösung)
29
640
29
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
. Abb. 29.5. Placenta praevia (transabdominal) (O=innerer Muttermund; X=Plazenta)
togramm (Rotem) möglich (Heindl et al. 2005). Mit dieser Methode können die Zeit bis zur Gerinnselbildung, die Festigkeit des Gerinnsels sowie eine Hyperfibrinolyse diagnostiziert werden (. Tab. 29.4). Beim Clot-observation-Test (Bedside-Diagnostik) werden wenige Milliliter Blut in ein Glasröhrchen gegeben, und normalerweise kommt es innerhalb von 10 min zu einer Gerinnung. Bei abnormalen Befunden bleibt die Gerinnung aus, oder an die primäre Gerinnselbildung schließt sich innerhalb von 2 h eine Fibrinolyse an. Der Test ermöglicht eine rasche Orientierung über die Gerinnungssituation, bevor die gerinnungsspezifischen Laborparameter zur Verfügung stehen. Die Untersuchung auf Fibrinspaltprodukte ist ein sensitiver Indikator für eine begleitende Gerinnungsstörung bei einer vorzeitigen Plazentalösung. Als Verlaufsparameter ist die Bestimmung des Fibrinogenspiegels (oder der Thrombinzeit) und die Thrombozytenzahl angezeigt. Eine Messung der Gerinnungsparameter ist 4-stündlich bis zur Geburt indiziert; häufigere Untersuchungen sind bei deutlicher klinischer Verschlechterung oder bei erforderlicher massiver Transfusionsbehandlung notwendig.
29.2.3
Risiken für Mutter und Kind
Die Risiken sind von der Ursache und Schwere der Blutung abhängig. Die mütterliche oder fetale Gefährdung wird zusätzlich von der Grunderkrankung beeinflusst. Das Blutungsrisiko ist vor allem bei einer Placenta percreta erhöht.
Placenta praevia
. Abb. 29.6. Placenta praevia (transvaginal) (O=innerer Muttermund; X=Plazenta)
tigem Vorliegen einer Placenta accreta fehlt die echoarme Randzone zwischen Plazenta und Uteruswand. Anstelle des echoarmen Randsaums (Dezidua) finden sich große echoarme Areale. In der Farbdopplersonographie zeigt sich eine verstärkte Vaskularisation des betroffenen Bezirks (Hoffmann-Tretin et al. 1992).
Labordiagnostik Die Labordiagnostik sollte möglichst umgehend durchgeführt werden. Mit der Behandlung muss jedoch bereits begonnen werden, bevor die Laborwerte zur Verfügung stehen. Es erfolgt eine Anpassung der Therapie, wenn die Laborwerte zur Verfügung stehen. Die Routinelabordiagnostik umfasst neben dem Blutbild mit Hämoglobinwerten und Hämatokrit, Blutgasanalyse und Leukozyten auch die Thrombozytenwerte sowie die wichtigsten Parameter für die Beurteilung der Blutgerinnung. Wesentliche Gerinnungsparameter sind das Fibrinogen, die aPTT (partielle Thromboplastinzeit) sowie der Quick- bzw INR- (»international normalized ratio«) Wert. Eine zusätzliche zeitnahe Gerinnungsdiagnostik am Ort der Versorgung (»point of care testing«) ist mit dem Thrombelas-
! Das mütterliche Hauptrisiko bei einer starken Blutung bei Vorliegen einer Placenta praevia besteht in einer Verblutung im irreversiblen Kreislaufschock.
Die mütterliche Mortalität liegt bei rechtzeitiger Diagnostik (und den damit gegebenen Möglichkeiten der Intensivmedizin) unter 0,1%. Durch den ineffizienten Verschluss von venösen Gefäßen im unteren Uterinsegment kann es zu bedrohlichen postpartalen Blutungen kommen. Intraoperative Komplikationen treten v. a. bei dicker Plazenta im unteren Uterinsegement auf. Eine schlechte Kontraktilität des unteren Uterinsegments kann die Blutung noch verstärken. Das Risiko für das Auftreten einer Placenta percreta ist besonders bei einer Vorderwandplazenta und vorausgegangener Sectio deutlich erhöht. Durch die Eröffnung der venösen Sinus im Plazentabett besteht ein erhöhtes Risiko für eine Luftembolie. Die verminderte Kontraktilität des Uterus und ein aufgerauhtes unteres Uterinsegment begünstigen aszendierende postpartale Infektionen. > Das Wiederholungsrisiko, bei einer weiteren Schwangerschaft erneut eine Placenta praevia zu bekommen, beträgt 4–8%.
Das fetale Risiko bei Vorliegen einer Placenta praevia ist v. a. durch die Frühgeburtlichkeit aufgrund der vielfach notwendigen vorzeitigen Entbindung bestimmt.
641 29.1 · Allgemeine Grundlagen
. Tab. 29.4. Tests zur Diagnostik von Gerinnungsstörungen (DIC disseminierte intravasale Gerinnung)
Test
Bedeutung, Ziel
Normalwerte
Werte bei DIC
Blutgerinnungszeit
Schnelle oberflächliche Information über das endogene Gerinnungssystem, Thrombozytenfaktoren
6–12 min
Verlängert
Thromboplastinzeit (TPZ, Quick-Wert)
Maß für den Gehalt an Faktoren des exogenen Gerinnungssystems
70–120% (10–12 s)
Erniedrigt
Partielle Thromboplastinzeit (PTT)
Defekte des exogenen und endogenen Gerinnungssystems
28–40 s
Verlängert
Thrombinzeit (TZ)
Suchtest auf Fibrinbildungsstörung, gestört bei Fibrinogenmangel
17–24-s
Verlängert
Antithrombin III
Wichtigster Gerinnungsinhibitor, Thrombosegefährdung bei AT-III-Mangel
80–120%
Vermindert
Fibrinogen
Suchtest bei Verdacht auf Gerinnungsstörung
200–450 mg/dl
Erniedrigt
Fibrinogenspaltprodukte (D-Dimer)
Spaltprodukte des Fibrinogens bei Verdacht auf Hyperfibrinolyse
<10 mg/ml
Erhöht
Thrombozytenzahl
Erniedrigt bei Verbrauchskoagulopathie
>140.000/mm 3
Erniedrigt
Blutaustrich
Fragmentozyten sind Indikator für eine DIC
Fehlen
Vorhanden
Haptoglobin
Bindet freies Hämoglobin
34–200 mg/dl
<34 mg/dl
Kleihauer-Test
Bestimmung der fetalen Erythrozyten im mütterlichen Blut
–
>0,1‰
Thrombelastogramm (Rotem)
»point of care testing« plasmatische Gerinnung
Koagulationszeit 100–200 s
Verlängert
Gerinnselstabilität
Festigkeit (50–72 mm)
Reduziert
Hyperfibrinolyse
Lyseindex >85%
Vermindert
Studienbox In 16% der Fälle ist mit einer Wachstumsrestriktion zu rechnen, wobei bei wiederholten Blutungen während der Schwangerschaft die Inzidenz höher ist (Varma 1973). Durch eine mütterliche Anämie und Hypovolämie kann es zu einer fetalen Hypoxie und zum Fruchttod kommen. Die perinatale Mortalität beträgt 4–8% (Mabie 1992; Sliver et al. 1984).
Vorzeitige Plazentalösung ! Das mütterliche Risiko bei einer vorzeitigen Plazentalösung besteht insbesondere im hypovolämischen Schock.
In 10% der Fälle tritt eine disseminierte intravasale Gerinnungsstörung (DIC) auf. Durch die Einschwemmung von gerinnungsaktivierenden Substanzen aus dem retroplazentaren Hämatom kommt es zu einer Gerinnselbildung in der terminalen Strombahn von zahlreichen Geweben. Die Aktivierung der Gerinnungskaskade führt zu einem Verbrauch
von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren (. Abb. 29.7). Dieser Prozess wird erst gestoppt, wenn das retroplazentare Hämatom entfernt wird. Eine gleichzeitig vorhandene erhöhte Fibrinolyseaktivität bewirkt primär eine rasche Auflösung der intravaskulären Gerinnsel. Die entstehenden Fibrinspaltprodukte wirken als Antithrombin, und es resultiert daraus eine komplexe Gerinnungsstörung, die durch einen Fibrinogenmangel, den Mangel von weiteren Gerinnungsfaktoren mit Thrombozytopenie bei gleichzeitiger Hyperfibrinolyse gekennzeichnet ist. Die Gerinnungsstörung kann augenscheinlich werden, wenn es aus Venenpunktionsstellen permanent blutet oder wenn intraoperativ keine Blutstillung erkennbar ist. Meist wird die Diagnose jedoch erst durch eine differenzierte Labordiagnostik gestellt (. Tab. 29.4). > Eine verstärkte postpartale Blutung wird entweder durch die Gerinnungsstörung oder durch die Atonie des Uterus (Couvelaire-Uterus) verursacht.
Die mütterliche Mortalität liegt bei 1%. Der Tod kann durch den massiven Blutverlust oder durch eine DIC mit Nierenversagen und Verblutung hervorgerufen werden. Die fetomater-
29
642
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
Klinische Untersuchung 4 Mütterliche Pulsfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz 4 Hinweiszeichen auf Schockzustand (Unruhe, Blässe, kaltschweißige Extremitäten) 4 Palpation des Abdomens (Fundusstand, Wehentätigkeit, Schmerzen, Dauertonus) 4 Vaginale Spekulumuntersuchung (Blutungsstärke, Blutungsursache) 4 Erhebung des Zervixbefunds (kontraindiziert bei Placenta praevia) 4 Kontrolle der Urinmenge 4 Ultraschalluntersuchung
Allgemeine therapeutische Maßnahmen
29
. Abb. 29.7. Pathogenese der Gerinnungsstörungen bei vorzeitiger Plazentalösung
nale Blutung führt zu einer Sensibilisierung bei Rh-negativen Patientinnen. Die perinatale Mortalität wird in Abhängigkeit vom Schweregrad bei vorzeitiger Plazentalösung mit 10–67% angegeben (Okonofua u. Olatobosun 1985). Die Hälfte der Kinder stirbt bereits intrauterin. Die Haupttodesursachen sind fetale Hypoxie, Verblutung und Frühgeburtlichkeit. Die Mortalität ist eng mit dem Gestationsalter korreliert. Bei einem Geburtsgewicht >2500 g beträgt die Überlebensrate bereits 98%. Eine intrauterine Wachstumsrestriktion wird in bis zu 80% der Fälle gefunden. Eine fetale Blutung kann zu einer ausgeprägten Anämie führen, aber es sind auch vorübergehende Gerinnungsstörungen bei Neugeborenen beschrieben worden (Green 1989). > Das Wiederholungsrisiko nach einer vorzeitigen Plazentalösung beträgt 5–17%, steigt aber auf 25% nach 2-maliger Plazentalösung. Bei einem Drittel der Frauen mit vorzeitiger Plazentalösung führen auch weitere Schwangerschaften nicht zu dem ersehnten Überleben eines Kindes (Hibbard u. Jeffcoate 1966).
29.3
Management
Die antepartalen Blutungen sind unvorhersehbar, und es kann innerhalb kürzester Zeit zu schwersten Komplikationen bei Mutter und Kind kommen. Es ist daher bei jeder Blutung eine möglichst rasche stationäre Abklärung erforderlich. Die Einweisung sollte in ein Zentrum mit Möglichkeiten einer intensivmedizinischen Betreuung für Mutter und Kind erfolgen.
29.3.1
Allgemeine Maßnahmen
> Das primäre Vorgehen ist unabhängig von der Blutungsursache bei allen Schwangeren gleich.
4 Intravenöser Zugang (großlumige Kanüle, evtl. zentraler Venekatheter) 4 Labordiagnostik 4 Bereitstellen von Erythrozytenkonzentraten 4 Volumensubstitution 4 Korrektur der Gerinnungsparameter 4 Optimale Sauerstoffversorgung (evtl. Intubation) Das weitere Vorgehen ist von der Blutungstärke, der Ursache der Blutung, dem Zustand des Fetus und vom Gestationsalter abhängig zu machen.
29.3.2
Spezielles Vorgehen in Abhängigkeit von der Ursache
Placenta praevia Aktives Vorgehen Sectio. Bei lebensbedrohlicher Blutung ist unabhängig vom Gestationsalter die Entbindung indiziert. Bei gesicherter Placenta praevia totalis ist auch <24 SSW eine Schnittenbindung erforderlich. Von einem vaginalen Vorgehen im Sinn einer vaginalen Sectio parva ist abzuraten, da aufgrund der Blutung nur eine schlechte Darstellung des Operationsgebiets möglich ist. Andererseits ist aufgrund des frühen Gestationsalters das untere Uterinsegment nicht entfaltet, sodass die Entfernung von Plazenta und Fetus durch die kleine Uterotomie äußerst erschwert ist. Bei reifem Kind und Placenta praevia totalis oder partialis wird auch bei geringer Blutung die Sectio möglichst umgehend durchgeführt. Auch ohne Blutung wird bei reifem Kind die primäre Schnittentbindung vor dem Einsetzen von regelmäßigen Wehen durchgeführt. > Ist mit verstärkten Blutungen bei der Entwicklung des Kindes sowie bei der Lösung der Plazenta zu rechnen, sollte der Allgemeinnarkose vor einer lokalen Anästhesie der Vorzug gegeben werden (Moir 1980).
Die Inzision am Uterus erfolgt i. d. R. transversal. Die Schnittführung ist an der Lokalisation der Plazenta zu orientieren; es wird bereits präpartal mit der Sonographie das wahrscheinliche Eingehen in die Fruchthöhle festgelegt. Weiterhin ist die Schnittführung von der Vaskularisation und der Entfaltung
643 29.3 · Allgemeine Maßnahmen
des unteren Uterinsegments abhängig zu machen. Nach Möglichkeit ist ein Durchgehen durch die Plazenta für die Entwicklung des Kindes zu vermeiden. Bei breiter Vorderwandplazenta, wenn sich ein Durchgehen durch die Plazenta nicht vermeiden lässt, sollte dieser Operationsschritt rasch durchgeführt werden, um den fetalen Blutverlust gering zu halten. Die Abnabelung soll rasch erfolgen, wobei die Nabelschnur zum Kind hin ausgestrichen wird. Myerscough (1982) empfiehlt ein Aufsuchen des Plazentarands mit anschließendem Eröffnen der Fruchthöhle. Dieses Vorgehen wird jedoch bei breiter Vorderwandplazenta vielfach durch Blutungen erschwert, führt zu einer Plazentalösung und einer daraus folgenden intrauterinen Asphyxie. Bei noch nicht entfaltetem unterem Uterinsegment wird die Schnittführung im Sinne eines J- oder U-förmigen Schnittes verlängert. Bei ausgeprägter Vaskularisation im unteren Uterinsegment kann in seltenen Fällen eine klassische Schnittführung (korporaler Längsschnitt) erforderlich werden. Durch die verminderte Kontraktionsfähigkeit des unteren Uterinsegments kommt es zu einer verstärkten Blutung aus dem Plazentabett. Die Umstechung der blutenden Gefäße führt meist zu einer adäquaten Blutstillung. Bei lokal nicht beherrschbarer Blutung hat sich primär die Umstechung der aszendierenden und deszendierenden Äste der A. uterina bewährt (Hänggi et al. 1997). Eine lokale intramyometrane Injektion von PGF2α kann durch die Kontraktion die Blutstillung unterstützen. Gelingt die Blutstillung nicht, so sind als weitere Maßnahmen entweder die Ligatur der A. iliaca interna oder die Hysterektomie durchzuführen. Das gleichzeitige Vorhandensein einer Placenta percreta führt zu einer deutlichen Erhöhung von Blutungskomplikationen. Es sollte daher bei Verdacht auf Placenta accreta eine ausreichende Menge von Erythrozytenkonzentraten bereitstehen, und die Patientin muss in der Aufklärung auf eine evtl. notwendige Hysterektomie vorbereitet werden. Der Eingriff sollte von einem erfahrenen Geburtshelfer durchgeführt werden. Bei Placenta accreta-increta kann ein Belassen der Plazenta erwogen werden (Henrich u. Fuchs 2002). Vaginale Entbindung. Bei tiefreichender Plazenta oder Pla-
centa praevia marginalis kann mit dem Tiefertreten des vorangehenden Kopfes nach Amniotomie und Oxytozininfusion die Blutung sistieren, und die vaginale Entbindung kann angestrebt werden. Die Amniotomie darf nur unter Sectiobereitschaft durchgeführt werden. In Zweifelsfällen und bei zunehmender Blutung ist jedoch die Indikation zur Sectio großzügig zu stellen (Bhide et al. 2004).
Abwartendes Vorgehen Bei geringer Blutung und Frühgeburtlichkeit ist primär ein abwartendes Vorgehen indiziert, zumal die Blutungen selten beim ersten Auftreten zu ernsten mütterlichen oder fetalen Komplikationen führen. Die Blutungen kommen unter Bettruhe meist zum Stillstand. Bei einem Teil der Fälle (Placenta praevia marginalis, partialis) ist zu einem späteren Zeitpunkt sogar eine vaginale Geburt möglich.
Bei gleichzeitigem Auftreten einer vorzeitigen Wehentätigkeit wird nach Ausschluss einer vorzeitigen Plazentalösung eine parenterale Tokolyse durchgeführt. Gleichzeitig wird mit der Lungenreifeinduktion (Glukokortikoide) begonnen. Die Gabe von Erythrozytenkonzentraten ist bei Hämoglobinwerten <8 g/dl sinnvoll. Erythrozytenkonzentrate sind darüber hinaus laufend bereitzustellen, und das Blutbild wird regelmäßig kontrolliert. Für die fetale Überwachung und zur Kontrolle der Wehentätigkeit wird engmaschig die Kardiotokographie durchgeführt, bis die Blutung sistiert. Nach Sistieren der Blutung über mehrere Tage und nach Abschluss der Lugenreifeinduktion ist nach ausreichender Information eine ambulante Betreuung der Schwangeren möglich (Cotton et al. 1980). Der Transport in eine geburtshilfliche Abteilung sollte aber jederzeit in maximal 15–30 min gewährleistet sein. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, und handelt sich um eine Placenta praevia totalis, so ist die stationäre Betreuung bis zur Geburt vorzuziehen (D’Angelo u. Irwin 1984).
Vorzeitige Plazentalösung Das klinische Management ist von dem Schweregrad der vorzeitigen Lösung, dem klinischen Zustand der Schwangeren, dem fetalen Wohlbefinden sowie vom Gestationsalter abhängig.
Aktives Vorgehen Vaginale Entbindung. Bei bereits abgestorbenem Fetus wird primär die vaginale Entbindung mit Amniotomie und Oxytozininfusion angestrebt. Da ein abgestorbener Fetus für eine ausgeprägte vorzeitige Plazentalösung spricht, ist eine engmaschige Überwachung der mütterlichen Gerinnungsparameter erforderlich. Die Kontraktionsbereitschaft des Uterus kann durch eine Blutung in das Myometrium (CouvelaireUterus) beeinträchtigt sein. Bei einer Überstimulation des Uterus ist sogar eine Ruptur möglich. Bei lebendem Fetus steht ein vaginaler Entbindungsversuch nur in seltenen Fällen, falls das Kardiotokogramm normal und die Geburt in wenigen Stunden absehbar ist, zur Diskussion. Das mütterliche Risiko ist zwar prinzipiell bei einer vaginalen Entbindung geringer, durch eine lange Geburtsdauer kann sich jedoch eine Gerinnungsstörung entwickeln, die die Prognose für die Mutter beeinträchtigt. In Fällen mit nur geringgradiger vorzeitiger Lösung (Grad 0, Grad I) kann die Geburtseinleitung (in Sectiobereitschaft) auch bei unreifem Zervixbefund mit Prostaglandinen versucht werden. Eine kontinuierliche fetale Überwachung ist erforderlich, und eine uterine Überstimulation sollte vermieden werden. Sectio. Bei lebenden Feten verschlechtert sich in Fällen mit höhergradiger vorzeitiger Lösung und fetaler Beeinträchtigung durch eine unnötige zeitliche Verzögerung bis zur Entbindung die Prognose für den Fetus entscheidend (Hibbard 1988). Die Sectio sollte möglichst ohne Verzögerung nach Stabilisierung der mütterlichen Kreislaufsituation erfolgen. Die perinatale Mortalität ist bei einer primären Sectio im Vergleich zum vaginalen Entbindungsversuch deutlich nied-
29
644
Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
riger (16 vs. 52%; Okonofua u. Olatbosun 1985). Die derzeit vorhandenen klinischen Studien sprechen für eine Sectio bei lebendem Kind (Hurd et al. 1983). Besteht bereits eine schwere Beeinträchtigung des mütterlichen Wohlbefindens (starke abdominelle Schmerzen, Schockzustand, Gerinnungsstörung), und ist eine vaginale Geburt nicht absehbar (unreifer Zervixbefund), so ist auch bei totem Kind umgehend die Sectio durchzuführen. Vielfach bestehen dann bereits Zeichen eines Couvelaire-Uterus, die sich jedoch spontan zurückbilden, solange sich der Uterus noch gut kontrahiert. > Bei nicht beherrschbarer Uterusatonie ist frühzeitig die Indikation zur Hysterektomie zu stellen.
Uterusruptur Drohende Uterusruptur Nach einer notfallmäßigen intravenösen Tokolyse (Fenoterol, Ritodrine) sollte bei eindeutigen klinischen Hinweiszeichen unverzüglich die Schnittentbindung durchgeführt werden. Der Eingriff sollte umgehend, jedoch nicht unter Bedingungen einer Notfallsectio durchgeführt werden; es wird eine Pfannenstiellaparotomie in Regionalanästhesie empfohlen. Bei totem Kind mit Hydrozephalus kann die vaginale Entbindung nach Perforation des fetalen Kopfes versucht werden. Von weiter reichenden zerstückelnden Operationen ist abzuraten, da dadurch eine unnötige Gefährdung der Mutter entsteht.
Eingetretene Uterusruptur Abwartendes Vorgehen
29
Bei Frühgeburtlichkeit kann ein abwartendes Verhalten gerechtfertigt sein, wenn sich dadurch die Prognose für den Fetus deutlich verbessert und kein Risiko für die Mutter eingegangen wird (Combs et al. 1992). Ein solches Vorgehen ist nur bei Fällen mit geringer Lösung (Grad 0, Grad 1) möglich, wenn die Schmerzsymptomatik bei der Patientin gering ist, die Kreislaufverhältnisse stabil sind und keine Zeichen einer fetalen Gefährdung vorliegen. Die Überwachung erfolgt primär stationär, um bei einer Verschlechterung des Befunds rechtzeitig reagieren zu können. Eine fetale Wachtumsrestriktion sollte ausgeschlossen sein, und die Fruchtwassermenge sollte im Normbereich liegen. Eine Größenzunahme der vorzeitigen Lösung kann mit der B-Bild-Sonographie gut erfasst werden. Die Dopplersonographie der uterofetoplazentaren Gefäße dient der Erfassung einer häufig vorhandenen Beeinträchtigung der uteroplazentaren Perfusion. Die Ultraschalluntersuchung wird etwa 2-mal pro Woche durchgeführt. Anfangs ist eine möglichst engmaschige Überwachung des fetalen Wohlbefindens erforderlich (mehrmals täglich Kardiotokographiekontrollen). Eine Lungenreifeinduktion mit Glukokortikoiden ist indiziert. Kommt es im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu keiner weiteren Ablösung der Plazenta, bessern sich die klinischen Zeichen der Patientin und besteht keine fetale Wachtumsrestriktion, so kann die weitere Überwachung auch ambulant durchgeführt werden (Wing et al. 1996). Die tokolytische Therapie wird bei vorzeitiger Plazentalösung kontrovers beurteilt. So konnte gezeigt werden, dass bei geringer Ausdehnung des Befunds eine Wehenhemmung zur erfolgreichen Verlängerung der Schwangerschaft führte (Sholl 1987). Es sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um diese Vorgehen generell empfehlen zu können. Kommt es zu wiederholten Episoden mit Blutung und Schmerzen oder treten Zeichen einer fetalen Gefährdung auf, so ist die Schwangerschaft zu beenden. > Beim konservativen Vorgehen ist der Nutzen durch die Verlängerung der Schwangerschaft gegenüber der Gefahr einer plötzlichen fortschreitenden Lösung mit akuter Asphyxie oder Absterben des Fetus abzuwägen.
Die akute Bedrohung für Mutter und Kind erfordert eine notfallsmäßige Schnittentbindung. In dieser Situation ist die mediane Unterbauchlaparotomie angezeigt, einerseits um Zeit zu sparen, andererseits um die Exploration des Abdomens nach Entfernung des Kindes und der Plazenta zu erleichtern. Die Uteruswunde kann direkt versorgt werden, wenn keine ausgedehnte Verletzung des Myometriums vorliegt. Bei schwer beherrschbarer Blutung und Zerstörung der Uteruswand durch Hämatombildungen und mehrfache Einrisse ist die Hysterektomie unvermeidlich. Die weitere Familienplanung sollte bei der definitiven Entscheidung mit berücksichtigt werden. Bei diffuser Blutung, v. a. im Bereich der Zervix, sollte nicht unnötig lange mit lokalen Umstechungsnähten (Ureterunterbindung!) versucht werden, die Blutung zu stillen, sondern es wird eine ipsilaterale Ligatur der A. iliaca interna durchgeführt.
Vasa praevia Bei Verdacht auf diese Gefäßanomalie kann die Farbdopplersonographie zu dieser selten bekannten Diagnose führen. Meist kommt es zu einer massiven Blutung in Zusammenhang mit der Amniotomie oder einem Blasensprung, und der Fetus verblutet aus den Nabelschnurgefäßen. Die Durchführung einer Notsectio ist die einzige Möglichkeit, das Leben des Fetus zu erhalten.
29.3.3
Therapie der Komplikationen
! Bei schwerwiegenden Blutungen entwickelt sich ein hämorrhagischer Schockzustand mit Gerinnungsstörungen.
Hämorrhagischer Schockzustand Bei einem Blutverlust von >1000 ml ist mit dem Auftreten eines Schockzustands zu rechnen. Vor allem bei einer vorzeitigen Plazentalösung wird der Schweregrad der Blutung vielfach unterschätzt. > Für eine rasche klinische Einschätzung des Blutverlusts ist die folgende Faustregel hilfreich: 4 Blutverlust in ml = Volumen der Blutkoagula × 3.
645 Literatur
Durch die Hypovolämie kommt es zu einer Hypoperfusion von verschiedenen Organen, wobei in erster Linie die Perfusion der Nieren und der Plazenta gefährdet ist. Neben der Überwachung der Kreislaufparameter ist die stündliche Urinausscheidung zu messen (optimale Ausscheidung >60 ml/h). Vor allem bei begleitender Präeklampsie ist die zusätzliche Überwachung des zentralen Venendrucks sinnvoll (optimaler Bereich: 12–15 cm H2O). Tipp Bei einem Blutverlust <30% werden kolloidale und Elektrolytlösungen in ausreichender Menge verabreicht. Beträgt der Blutverlust >30%, so sind Erythrozytenkonzentrate indiziert.
Gerinnungsstörungen Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie ist die Beseitigung der primären Ursache für die Gerinnungsstörung (operative Blutstillung, Entfernung der Plazenta bei vorzeitiger Lösung). Die Behandlung erfolgt in enger Kooperation mit dem Anästhesisten und dem Gerinnungsspezialisten. Zur Volumenersatztherapie werden Elektrolytlösungen sowie kolloidale Lösungen verwendet. Bei kritischem Blutverlust erfolgt rechtzeitig die Gabe von Erythrozytenkonzentraten. Da bei schweren geburtshilflichen Blutungen in hohem Maß mit einer Hyperfibrinolyse zu rechnen ist, erfolgt ohne Abwarten von Gerinnungsparametern die Gabe von Antifibrinolytika (Tranexamsäure 1–2 g i.v.). Ein rasches Anheben der Fibrinogenwerte gelingt am zuverlässigsten mit der Direktgabe von 4–6 g Fibrinogenkonzentrat (Hofer et al. 2007). Dies entspricht etwa dem Fibrinogengehalt von 12 FFP (»fresh frozen plasma«). Die Gabe von FFP ist als zusätzliche Maßnahme zur Gerinnungsstabilisierung sinnvoll. Die Gabe von rekombinatem Faktor VIIa erfolgt nur in enger Absprache zwischen Geburtshelfer, Anästhesisten und Gerinnungsspezialisten. ! Heparin ist bei einer disseminierten Gerinnungsstörung primär nicht einzusetzen. Eine Behandlung der Hyperfibrinolyse mit Tranexamsäure sollte bei schweren Blutungen als erste Maßnahme erfolgen. Die rasche Substitution von Fibrinogen ist meist nur mit Faktorenkonzentraten möglich. Der »off-label use« von rekombinantem Faktor VIIa (NovoSeven) ist nur sinnvoll, wenn primär ausreichend Gerinnungsfaktoren im Blut vorhanden sind.
29.4
Prävention
Die Ätiologie von Blutungen im 3. Trimenon ist in vielen Fällen unklar, sodass es kaum effiziente präventive Maßnahmen gibt: 4 Da ein Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum bei vorzeitiger Plazentalösung und Placenta praevia nicht auszuschließen ist, steht hier eine kostensparende Maßnahme zur Verfügung.
4 Inwieweit eine Low-dose-Therapie mit Aspirin tatsächlich zu einer Reduktion von Präeklampsien und damit einer Reduktion von vorzeitigen Plazentalösungen führt, ist noch nicht sicher geklärt. Wird die Diagnose einer Placenta praevia gestellt, so ist die Schwangere aus dem Arbeitsprozess zu nehmen. Bei Bedarf kann eine kurzfristige stationäre Überwachung sinnvoll sein. Geschlechtsverkehr sollte vermieden werden. Da eine Mangelernährung zu maternoplazentaren Gefäßläsionen führen kann, sollte während der Schwangerschaft für eine ausgewogene Ernährung mit großzügiger Vitaminsubstitution (Folsäure) gesorgt werden. Eine Uterusruptur kann durch optimale geburtshilfliche Betreuung in den meisten Fällen vermieden werden. Nach vorangegangenen Operationen im Korpusbereich des Uterus sollte die primäre Schnittenbindung durchgeführt werden. Eine Überdosierung von Wehenmitteln ist v. a. bei protrahierten Geburtsverläufen unbedingt zu vermeiden. Bei Operationen am Uterus muss eine sorgfältige Versorgung der Uterotomie erfolgen. Große Myome sollten nicht laparoskopisch entfernt werden, da eine sorgfältige Nahttechnik eine evtl. später auftretende Ruptur verhindern kann.
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29
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Kapitel 29 · Blutungen im 3. Trimenon
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30 30 Antepartale Überwachung K.T.M. Schneider, J. Gnirs 30.1
Ziele der antepartalen Überwachung – 648
30.2
Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen – 649
30.2.1 30.2.2 30.2.3 30.2.4 30.2.5
Einfluss- und Störgrößen der fetalen Herzfrequenz – 649 Uterine Kontraktionen – 651 Registrierung der fetalen Herzfrequenz und der Wehen – 652 CTG-Scores und andere Beurteilungskriterien – 653 CTG-basierte Tests der uteroplazentaren Einheit – 655
30.3
Kindsbewegungen (Atem- und Körperbewegungen) – 659
30.3.1 30.3.2
Entwicklung – 659 Registrierung – 660
30.4
Fetale Verhaltenszustände – 662
30.4.1 30.4.2
Entwicklung – 662 Biophysikalisches Profil – 663
30.5
Fetales Wachstum, Fruchtwassermenge, Plazentagrading – 665
30.5.1 30.5.2 30.5.3
Fetales Wachstum – 665 Fruchtwassermenge – 665 Plazentagrading – 667
30.6
Plazentare Hormone und Serummarker, fetale Blutgase – 667
30.6.1 30.6.2
Plazentare Hormone und Serummarker – 667 Fetale Blutgase – 668
30.7
Blutströmung in uteroplazentaren und fetalen Gefäßen
30.7.1 30.7.2
Physiologie und Pathophysiologie des Blutströmungsverhaltens – 668 Dopplersonographische Messung der Blutströmung – 668
30.8
Antenatale Testverfahren – 673
30.8.1 30.8.2 30.8.3
Indikationen zum Einsatz – 673 Auswahl bzw. Abfolge verschiedener Testverfahren – 673 Beginn und Wiederholungsfrequenz – 674
30.9
Grundsätzliche Überlegungen zur Wertung unterschiedlicher Überwachungsmethoden – 675
30.10
Auswirkung der Überwachung – 676 Literatur – 676
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 668
648
30
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
Nach Auswertung der vorliegenden prospektiv randomisierten Studien hat sich gezeigt, dass die elektronische fetale Herzfrequenzregistrierung (CTG) als das am häufigsten antepartal eingesetztes Überwachungsverfahren die in die Methode gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat. Selbst bei konsequentem Einsatz in Hochrisikokollektiven konnten weder die perinatale Morbidität noch die Mortalität signifikant gesenkt werden. Umso mehr ist es auch volkswirtschaftlich kaum sinnvoll, dass diese Methode unreflektiert nahezu bei jeder Gravidität, d. h. auch bei Schwangeren ohne Risiko, angewandt wird. Gründe für die enttäuschende Bilanz sind neben den zahlreichen bei der Interpretation meist nicht berücksichtigten Einfluss- und Störgrößen auch die uneinheitlichen Interpretationskriterien. Eine Verbesserung der Interpretation fetaler Herzfrequenzmuster ist durch die gleichzeitige Aufzeichnung und Beurteilung der Kindsbewegungen (z. B. Kinetokardiotokographie) möglich. Hiermit sowie durch computerisierte Analysen der fetalen Herzfrequenz kann eine Verbesserung der Reproduzierbarkeit und insbesondere eine Steigerung der Spezifität der Methode erreicht werden. Dabei ist es notwendig, dass weitere wesentliche Einflussfaktoren auf die fetale Herzfrequenz wie die Reifung des Sympathikotonus, der Einfluss von Pharmaka, die Körperhaltung/-aktivität der Mutter und die fetalen Verhaltenszustände Berücksichtigung finden. CTG-basierte Verfahren wie der Wehenbelastungstest, welche die Reservefunktion der uteroplazentaren Einheit testen, können ebenso wie der Non-Stress-Test bei unauffälligem Testresultat sehr viel zuverlässiger eine Gefährdung des Kindes ausschließen als bei auffälligem Ergebnis eine fetale Gefährdung prognostizieren. Aufgrund der fehlenden Evidenz des Nutzens dieser Methoden sollte daher von deren Einsatz Abstand genommen werden. Etwas besser scheint die synoptische Betrachtung verschiedener Qualitäten im Sinne eines biophysikalischen Profils (Beurteilung der Fruchtwassermenge, der Plazentatextur, des fetalen Herzfrequenzmusters und der Kindsbewegungen) bei pathologischem Ausfall eine Gefährdung des Kindes anzuzeigen. Die beste Reproduzierbarkeit bieten dopplersonographische Messungen von arteriellen Blutströmungsgeschwindigkeiten. Im Gegensatz zu den CTG-basierten Testverfahren führt der Einsatz dieser Methode zu einer signifikanten Senkung fetaler Morbidität und Mortalität. Die Dopplerflussmessung reflektiert das Gefäßwiderstandsverhalten im nachgeschalteten Stromgebiet. Zusammen mit einer typischen Blutumverteilung im Fetus zugunsten lebenswichtiger Organe ergeben sich bei plazentarer Minderversorgung charakteristische Flussmusterprofile. Diese machen – früher und mit einer höheren Treffsicherheit als jedes andere Überwachungsverfahren – auf eine chronische Minderversorgung des Fetus aufmerksam. Ob der Einsatz venöser Dopplerprofile einen ähnlich positiven Einfluss auf das Schwangerschaftsergebnis hat, ist noch ungeklärt und Gegenstand laufender Studien. Während die Dopplersonographie der uteroplazentaren Gefäße wegen der noch nicht abgeschlossenen Trophoblastinvasion vor der 20. SSW und wegen des sog. Termineffektes in der Nähe des Entbindungstermins an Aussagekraft verliert, stellt sie von der 20. bis etwa zur 37. SSW das valideste Verfahren in der frühzeitigen Entdeckung und Graduierung der chronischen Pla-
zentainsuffizienz dar. Damit stellt sie das entscheidende Verfahren zur Festlegung einer intrauterinen Wachstumsrestriktion (IUWR, 7 Kap. 27) dar. Allerdings ist die Effizienz dieser Diagnostik wie die aller Zustandstests wesentlich von der vorherigen Erkennung bzw. Präselektionierung des Risikokollektivs abhängig. Für diese Risikoermittlung sind die Untersuchungen im Rahmen der Vorsorge nach den Mutterschaftsrichtlinien (Anamnese, Wachstumsbiometrie, Fruchtwassermenge, Plazentagrading, Erkennung eines mütterlichen Hypertonus) geeignet. Durch entsprechenden Einsatz dieser Methode in den Hochrisikokollektiven und Anwendung eines geeigneten Behandlungskonzeptes lässt sich die perinatale Mortalität um ca. 30% senken. Daher ist die Dopplersonographie in Deutschland seit 1995 mit einem Indikationskatalog in den Mutterschafts-Richtlinien verankert und wurde in die Perinatalerhebungen aufgenommen.
30.1
Ziele der antepartalen Überwachung
Das primäre Ziel der antepartalen Überwachung liegt zunächst in der Erkennnung bzw. im Ausschluss von Schwangerschaftsrisiken, die zu einer Gefährdung der Schwangerschaft führen können. Anamnestische Risiken mit Wiederholungscharakter, wie z. B. Zustand nach intrauterinem Fruchttod, Small-for-date-Kind oder IUWR, Zustand nach Präeklampsie und Gestationsdiabetes sollten Anlass für eine über die vorgeschriebenen Untersuchungsintervalle hinausgehende zeitlich und methodisch intensivierte Vorsorge sein. ! Neben der Registrierung beobachteter Auffälligkeiten im Mutterpass müssen auch konkrete Empfehlungen ausgesprochen werden, da nur zu oft die Pathologie zwar registriert, aber daraus keine Konsequenz abgeleitet wird.
Bei Zustand nach HELLP-Syndrom (7 Kap. 17) wären z. B. ab der 6.–12. SSW eine Low-dose-Aspirinprophylaxe (1 mg/ kg KG) bis etwa zur 36. SSW, ab der 20. SSW eine Doppleruntersuchung der Uteringefäße, eine großzügige Befreiung von Arbeitsbelastungen, des Weiteren eine intensivierte Überwachung sowie bei klinischen Symptomen (z. B. Hypertonie, Hyperreflexie) eine stationäre Einweisung diskutable Vorgehensweisen. Weiterhin sind Befundrisiken in die Planung der weiteren Schwangerenvorsorge miteinzubeziehen, die sich sowohl auf die Mutter als auch auf den Fetus beziehen können. So sollten bei einem Gestationsdiabetes die diätetische Stoffwechseleinstellung und Selbstkontrolle vermittelt werden (7 Kap. 21) sowie der Erfolg dieser Einstellung anhand der Laborwerte, aber auch der fetalen und plazentaren Entwicklung (Sistieren des makrosomen Wachstums, Normalisierung der Fruchtwassermenge) überprüft werden. > Im antepartalen Zeitraum wird das geburtsmedizinische Ergebnis ganz wesentlich vorherbestimmt. Etwa 2/3 der Zerebralparesen und 2/3 der perina-
6
649 30.2 · Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
talen Mortalität lassen sich auf diesen Zeitraum zurückführen (Schneider 1993 b; Gávai et al. 2008). Nach Metaanalyse der prospektiven Studien kommt dabei offenbar dem Einsatz von Magnesiumsulfat ein protektiver Effekt zu (Doyle et al. 2009). Eine fetale Notsituation ist dabei fast immer Ausdruck eines gestörten maternofetalen Stoffaustausches, der mit einer Verminderung des Substrat- und Sauerstoffangebots einhergeht. Alle Methoden zur Überwachung des Fetus dienen dem Ziel, eine intrauterine Gefährdung möglichst treffsicher und frühzeitig zu erkennen oder auszuschließen. Die geburtshilfliche Entscheidung soll hierdurch dahingehend optimiert werden, dass eine Notsituation des Fetus abgewendet und ein bleibender Schaden vermieden werden kann.
Ein Großteil der schwerwiegenden Zerebralparesen (etwa 50%) sind allerdings nicht Folge einer fehlerhaften antepartalen Überwachung mit dem Übersehen von fetalen Versorgungsengpässen, sondern gehen auf genetische Ursachen (z. B. Hirnanomalien) zurück (7 Kap. 33). Dagegen sind etwa 20–30% der antepartalen intrauterinen Todesfälle vermeidbar, da es sich hierbei meist um nicht erkannte intrauterine Mangelentwicklungen und zu 60% um Feten mit einem neonatologisch quoad vitam weitgehend unbedenklichen Gestationsalter oberhalb der 34. SSW handelt (Schneider 1993a; Gávai et al. 2008). Die Folgen einer nutritiven Minderversorgung des Fetus äußern sich in verschiedenen Anpassungsvorgängen und Auffälligkeiten, die mit geeigneten Überwachungsmethoden festgestellt werden können. Das Hauptaugenmerk der Überwachung liegt dabei in der frühzeitigen Erkennung und Vermeidung einer fetalen Hypoxie und Azidose (. Tab. 30.1), die je nach Schwere und zeitlicher Dauer mit einer Zunahme der
neurologischen Handicap-Rate und peri-/neonatalen Mortalität verknüpft sind.
30.2
Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
30.2.1
Einfluss- und Störgrößen der fetalen Herzfrequenz
Gestationsalter Das Herz des Embryos beginnt bereits am 21. Tag nach der Konzeption zu schlagen. Ab der 5. SSW ist die fetale Herzfrequenz (FHF) ultrasonographisch detektierbar. Die basale Herzfrequenz liegt zu diesem Zeitpunkt noch bei etwa 120 Schlägen pro min (SpM), steigt dann aber bis zur 9. SSW auf >170 SpM an (Hamela-Olkowska et al. 2009). Bis zur 15. SSW kommt es zu einem rapiden Abfall der FHF auf etwa 150 SpM. Danach sinkt die FHF um etwa 1 Schlag pro Woche ab, z. B. von 150 SpM auf 125 SpM in der 40. SSW. Gleichzeitig findet sich mit zunehmender Ausreifung des Sympathikotonus eine höhere Herzfrequenzvariabilität mit einer kontinuierlichen Zunahme der Oszillationsamplitude. Im 3. Trimenon kommt in dem typischen undulatorischen Oszillationsmuster (10–25 SpM) die mittlerweile gewonnene Anpassungsfähigkeit des fetalen Herzens an verschiedene Füllungszustände des Herzens (Frank-Starling-Mechanismus) zum Ausdruck. Die Dauer und Amplitude von sporadischen Herzfrequenzakzelerationen steigt ebenfalls bis zum Ende der Schwangerschaft langsam an, wobei die Akzelerationen zunächst häufig nur Amplituden um 10 SpM und eine Dauer von 10 s erreichen. Akzelerationen finden sich um die 20. SSW in maximal 50%, zu Beginn des 3. Trimenons in 75% der Registrierungen. Eine Assoziation mit fetaler Bewegungsaktivi-
. Tab. 30.1. Kompensationsmaßnahmen und Dekompensationszeichen bei Feten mit plazentarer Minderversorgung einschließlich der Registriermethodik
Kompensationsmaßnahmen des Fetus bei plazentarer Mindervorsorgung
Messmethode
Reduktion der Dauer von Kindsbewegungen (Ökonomisierung zur O2-Einsparung)
K-CTG
Adaptation der FHF auf geringes O2-Angebot (Häufung »silenter« Muster, evtl. Tachykardie)
CTG
Umverteilung des Blutvolumens zugunsten von Herz, Nebennieren und Gehirn
Doppler
Vermehrung von Sauerstoffträgern (Retikulozyten)
Fetalblut
Wachstumsrestriktion und -stillstand bei Oligo-/Anhydramnion
Ultraschall
Dekompensationszeichen des Fetus bei plazentarer Minderversorgung Auftreten von Spätdezelerationen
CTG
Auftreten von ARED-Flow im Ductus venosus, venösen Pulsationen (V. umbilicalis) bzw. arteriellem »reverse flow« (A. umbilicalis)
Doppler
Metabolische Azidose
Fetalblut
Tonusverlust, Abnahme der Anzahl der Kindsbewegungen
Ultraschall, K-CTG
30
650
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
30
. Abb. 30.1. Entwicklung des Herzfrequenzmusters bei einer ungestörten Schwangerschaft in der 21., 24. und 28. SSW
tät ist bereits mit 24 SSW deutlich erkennbar. Die Koppelung von FHF-Akzelerationen mit fetalen Körperbewegungen sowie das Ausmaß solcher FHF-Alterationen nimmt im weiteren Schwangerschaftsverlauf deutlich zu und ist im letzten Trimenon besonders stark ausgeprägt (Gnirs u. Schneider 1996; Christensen et al. 1999). Bei gesunden Feten und selbst bei Risikoschwangerschaften (z. B. fetale Wachstumsrestriktion) werden Akzelerationen zu 90–95% durch Kindsbewegungen ausgelöst (Gnirs 1995; Gnirs u. Schneider 1994). Sporadische Akzelerationen gelten als prognostisch günstig, da sie eine physiologische (sympathikotone) Reaktion darstellen, die aufgrund der spontanen Bewegungsaktivität des Fetus zustande kommt und auf eine intakte Adaptation an endogene oder exogene (stimulierte) Belastungen schließen lässt. Adäquate Bewegungsmuster und damit assoziierte »reaktive« fetale Herzfrequenzmuster finden sich i. d. R. bei noch ausreichend kompensierter uteroplazentarer Perfusion. Dagegen tritt bei einer fetalen Versorgungsstörung eine »Ökonomisierung« des Energie- und Sauerstoffangebotes im Sinne verkürzter und abgeschwächter Kindsbewegungen auf, die in vielen Fällen zu einem Verlust der FHF-Reaktivität, d. h. zum Verschwinden von Akzelerationen führt (Oleson u. Svare 2004; Galazios et al. 2009). Dezelerationen finden sich unter physiologischen Bedingungen auch bei unreifen Feten (20.–30. SSW) und werden mit zunehmendem Gestationsalter immer seltener. Jenseits der 30. SSW liegt das Verhältnis von Akzelerationen zu Dezelerationen bei 3:1 (. Abb. 30.1).
Würde man für das Herzfrequenzmuster eines Fetus in der 24. SSW daher die gleichen Beurteilungskriterien verwenden wie für den Fetus am Termin, käme es zwangsläufig zu einem Anstieg falsch pathologischer Einstufungen.
Zustand und Körperhaltung der Mutter Die fetale Herzfrequenz wird weiterhin durch plazentagängige herz- und kreislaufwirksame Medikamente, die maternale Kreislaufsituation und auch durch die maternale Körperhaltung beeinflusst (Weber et al. 1988; Schneider et al. 1993). Die Gabe von Sympathomimetika, maternales Fieber bzw. körperliche Aktivität der Mutter führen zu einer Beschleunigung der fetalen Herzfrequenz. Die Einnahme von Tranquilizern bzw. hoch dosierte Magnesiumgaben führen zu einer Einengung der Oszillationsamplitude der FHF. Für die Registrierung der FHF wird die kreislaufstabile halblinke bzw. linke Seitenlage empfohlen. In dieser Körperhaltung ist eine Kompression der mehr rechts liegenden V. cava weitgehend ausgeschlossen. Diese Position reflektiert allerdings nur einen kleinen Ausschnitt der im normalen Tagesablauf eingenommenen Körperhaltungen und spiegelt lediglich die uteroplazentare Situation unter Optimalbedingungen wider (. Abb. 30.2).
Kindsbewegungen und fetale Verhaltenszustände Fetale Bewegungen sind physiologisch (7 Kap. 30.3.1) und führen im Regelfall zu einer Akzeleration der fetalen Herzfre-
651 30.2 · Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
. Abb. 30.2. Instantane Auswirkung einer Änderung der maternalen Körperhaltung auf die kontinuierlich registrierte fetale Herzfre-
quenz bei einer unkomplizierten Schwangerschaft in Terminnähe: Rückenlage, Stehen, Gehen, linke Seitenlage
quenz. Bei einer Abnahme der Dauer und Anzahl der Kindsbewegungen finden sich entsprechend seltener Akzelerationen der fetalen Herzfrequenz. Eine andere Ursache des Ausbleibens fetaler Herzfrequenzakzelerationen sind z. B. Tiefschlafzustände, die im Rahmen der im letzten Trimenon zu beobachtenden fetalen Verhaltenszustände ( 7 Kap. 30.4) ebenfalls als physiologisch einzustufen sind und definitionsgemäß nicht mit länger andauernden Kindsbewegungen einhergehen.
vor dem Hintergrund seiner Beeinflussbarkeit durch uterine Kontraktionen beurteilt werden. Die Häufigkeit uteriner Kontraktionen nimmt mit steigendem Gestationsalter, d. h. mit zunehmender Volumenbelastung (Dehnung) des Uterus zu (Berghella et al. 2004). Entsprechend führen Mehrlingsschwangerschaften bzw. das Vorliegen eines Polyhydramnions zu einer deutlichen Steigerung der Kontraktionsfrequenz und zu einer vermehrten Frühgeburtsgefahr. Zusätzlich beeinflusst die Körperhaltung der Mutter die Inzidenz spontan auftretender Uteruskontraktionen: Die Kontraktionsfrequenz ist im Stehen und Gehen um den Faktor 2–3 höher als im Liegen (. Abb. 30.3; Schneider et al. 1985, 1993).
Sauerstoffangebot Unter physiologischen wie auch pathophysiologischen Bedingungen wird das fetale Herzfrequenzmuster in seiner Variabilität und Frequenz vom Sauerstoffangebot im intervillösen Blutpool beeinflusst (7 Kap. 33). Eine normale Herzfrequenzvariation ist Ausdruck einer konstanten O2-Versorgung; das bedeutet, dass jede Minderung des O2-Angebotes zur Alteration der fetalen Herzaktion führt. Die für den Fetus verfügbare O2-Menge ist abhängig vom O2-Gehalt des maternalen Blutes und der uteroplazentaren Durchblutung. Außer bei einer durch systemische Erkrankungen bedingten maternalen Hypoxämie kann es vor der Geburt durch zahlreiche Stör- und Einflussgrößen auf die uteroplazentare Durchblutung zu Einschränkungen der fetalen Versorgung kommen, die allerdings oft erst unter Zusatzbelastungen der fetoplazentaren Einheit (Wehen bzw. maternale Kreislaufbelastung) erkannt werden können. Die Parameter der fetalen Herzfrequenz sowie ihre Bewertung unter eingeschränkter Oxygenierung sind ausführlich in 7 Kap. 34 dargestellt.
30.2.2
Uterine Kontraktionen
Der Uterus weist als kontraktiles Hohlorgan in der gesamten Schwangerschaft Kontraktionen auf. Jede auch noch so leichte Uteruskontraktion kann durch Rückwirkung auf den uteroplazentaren Blutfluss den fetalen Oxygenierungsstatus beeinflussen. Das fetale Herzfrequenzmuster muss daher immer
. Abb. 30.3. Spontane Kontraktionshäufigkeit pro Stunde (Braxton-Hicks-Kontraktionen) in einem unselektierten Niedrigrisikokollektiv in der Schwangerschaft in Abhängigkeit von der maternalen Körperhaltung. Die eingezeichnete Treppenkurve charakterisiert den mit einer Frühgeburtsgefährdung einhergehenden Grenzwert, der an liegenden Schwangeren validiert wurde. (Nach Zahn 1984)
30
652
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
In der Schwangerschaft lassen sich Alvarez-Wellen und Braxton-Hicks-Kontraktionen unterscheiden. 4 Als Alvarez-Wellen bezeichnet man kleine, wellenförmige
30
Uteruskontraktionen, die aus unregelmäßigen lokalen Verkürzungen des Uterusmuskels resultieren. Bei ihrem Auftreten lässt sich eine signifikante Zunahme elektrischer Potenzialänderungen feststellen. Diese Kontraktionen lassen sich ab etwa 20 SSW registrieren, haben eine geringe Amplitude und treten in Abständen von etwa 1 min auf. Ein gehäuftes Auftreten dieses Kontraktionstyps korreliert mit einer erhöhten Wehenbereitschaft (7 Kap. 29). Gegen Ende der Schwangerschaft kommt es zu einer Häufigkeitsabnahme und einer Intensitätszunahme auf etwa 10 mm Hg (Göschen u. Koepke 2003; Berghella et al. 2004). 4 Ebenfalls ab der 20. SSW, insbesondere aber in Terminnähe »konfluieren« lokale Muskelkontraktionen zu BraxtonHicks-Kontraktionen mit einer Amplitude von 10– 15 mm Hg, denen häufig eine längere Kontraktionspause folgt. Im Gegensatz zu Alvarez-Wellen werden dabei größere Regionen der Uterusmuskulatur erfasst. Ihre Frequenz ist niedrig (etwa 1–3 Kontraktionen/h). Nach der 30. SSW ist eine Zunahme der Frequenz und Amplitude der Braxton-Hicks-Kontraktionen physiologisch (früher als »Vor-« oder »Senkwehen« bezeichnet). In den letzten Wochen vor der Geburt erfassen diese Kontraktionen den gesamten Uterus (»Reifungswehen«) und erreichen allmählich Druckamplituden wie in der frühen Eröffnungsperiode (Eröffnungswehen). Im Falle lebhafter Kindsbewegungen finden sich bei externer Tokographie unabhängig von Uteruskontraktionen häufig »Spikes«, die über den Uterus und die Bauchdecke an das Tokodynamometer vermittelt werden und starken Arm-, Beinoder Körperbewegungen entsprechen.
30.2.3
Registrierung der fetalen Herzfrequenz und der Wehen
Auskultation und Phonokardiographie der fetalen Herzfrequenz Die ersten Berichte über die Auskultation fetaler Herztöne stammen von Mayor 1818. Die Auskultation der fetalen Herztöne hat zumindest im Rahmen der antepartalen Überwachung nicht zuletzt auch wegen der eingeschränkten Praktikabilität (personalintensiv, keine kontinuierliche Aufzeichnung) mittlerweile nur noch historischen Stellenwert. Allerdings war noch bis in die Mitte der 1960-er Jahre das Pinard-Holzstethoskop das am häufigsten benutzte Überwachungsinstrument, mit dem die fetale Herzfrequenz akustisch verstärkt werden konnte. Die Hauptaussage der Auskultation beschränkte sich auf den Nachweis der kindlichen Vitalität zum Zeitpunkt der Untersuchung. Die elektrische Verstärkung und Aufzeichnung der fetalen Herzfrequenz mittels der Phonokardiographie geht auf Pestalozza (1890) zurück. Bei dieser Methode erfolgt die Ab-
leitung der fetalen Herztöne mithilfe eines Mikrophons via maternale Bauchdecke über dem Punctum maximum der auskultatorisch ermittelten fetalen Herztöne. Die durch die kindliche Herzaktion induzierten Schallimpulse werden aufgefangen, die Zeitintervalle zwischen den aufeinanderfolgenden Herztönen verglichen und von Schlag zu Schlag (»beat-tobeat«) auf die Frequenz pro Minute hochgerechnet. Wegen der zahlreichen Störmöglichkeiten (Gefäß-, Darm-, Umweltgeräusche, starke Kindsbewegungen) kommt aber auch diese Methode nicht mehr zur praktischen Anwendung.
Elektrokardiographie Hon u. Hess (1957) beschrieben als erste die Ableitung des fetalen elektrischen Herzpotenzials mittels EKG-Elektroden über die maternalen Bauchdecken. 4 Jahre später stellte Hon (1963) erstmals hierauf basierende Schlag-zu-Schlag-Kurven vor. Trotz aufwändiger elektronischer Signalverarbeitung fand diese Methode aufgrund zahlreicher Störeinflüsse (Überlagerung durch maternales EKG, maternale Muskelpotenziale etc.) keine allgemeine Verbreitung. Die Störgrößen wie Muskelpotenziale, v. a. aber das maternale EKG lassen sich mittlerweile weitgehend eliminieren (z. B. sind die fetalen R-Zacken bei fetaler Schädellage den maternalen entgegengerichtet). Zu Beginn des 3. Trimenons wirkt die Vernix caseosa jedoch als elektrischer Isolator und erschwert die Registrierung. Bei hypotrophen Feten, denen die Vernix caseosa fehlt, ist dagegen die Ableitung erleichtert, die ultrasonographische Verdachtsdiagnose kann somit unterstützt werden. Ungeeignet ist die abdominale Ableitung bei Zwillingsschwangerschaften, da neben den maternalen R-Zacken noch 2 fetale R-Zacken unterschiedlicher Frequenz auftreten, die eine eindeutige Zuordnung unmöglich machen. > Eine »Hypervoltage« (große R-Zacke) deutet auf einen vollständigen Verlust der Vernix und eine mögliche Übertragung hin.
Aufgrund der erwähnten Einschränkungen wird auf diese Methode nur noch an wenigen Zentren mit sehr begrenzter Indikationsstellung zurückgegriffen. Neuere Entwicklungen (Monica-System) scheinen weniger störanfällig zu sein. Der Einsatz beschränkt sich derzeit allerdings auf wissenschaftliche Fragestellungen (Reinhard et al. 2008). Unter der Geburt ist der Einsatz der direkten Herzfrequenzregistrierung via Kopfschwartenelektrode zugunsten der nichtinvasiven FHF-Registrierung mittels Dopplerprinzip (7 unten) ständig zurückgegangen. Die fetale Skalpelektrode wird im Wesentlichen nur bei mangelhafter externer Registrierung (z. B. Adipositas permagna) verwendet bzw. zur additiven Analyse des fetalen EKG-Signals (STAN; Vayssière et al. 2009).
Dopplersonographische fetale Herzfrequenzregistrierung und elektronische Wehenschreibung Die elektronische kontinuierliche Registrierung der fetalen Herzfrequenz wurde Mitte der 1960-er Jahre entwickelt. Grundlegende Arbeiten zur methodischen und klinischen
653 30.2 · Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
Evaluation der Kardiotokographie einschließlich der Abschätzung des fetalen Zustandes sowie der Wehenregistrierung gehen auf Hammacher, Hon, Kubli bzw. Caldeyro-Barcia zurück (Brown et al. 1982; Flynn et al. 1982; Kidd et al. 1985; Haverkamp et al. 1976; Lumley et al. 1983; Porst 1986). Auf das Messprinzip und die Analyse der Signale wird ausführlich in 7 Kap. 33 eingegangen.
Wehenregistrierung Parallel zur elektronischen Herzfrequenzregistrierung wurde die manuelle Beurteilung der Wehenhäufigkeit und -qualität durch die lückenlose graphische Darstellung der Wehentätigkeit mittels eines Druckaufnehmers, der über die maternalen Bauchdecken das aufrichtende Moment des Uterus unter einer Kontraktion erfasst (Tokographie), ersetzt. Ein solcher Druckaufnehmer (Statham-Element) wandelt nach mechanoelektrischem Prinzip die extern gemessenen Zustandsänderungen in elektrische Spannungswerte um und ermöglicht eine sichere Registrierung der Wehenfrequenz und vororientierend auch der Wehenform. Die Messung erlaubt jedoch keine Aussage über den absoluten Basaltonus und die Wehenintensität (Amplitude). Um Letztere extern zu erfassen, bedarf es weiterhin der zusätzlichen Beurteilung durch die flach aufgelegte Hand. Die sicherste Aussage über die Wehenamplitude erlaubt die interne Tokometrie, für die jedoch nur wenige Indikationen (z. B. Adipositas) bestehen. Durch die Trennung der Herzfrequenz- und Wehentransducer kann die Wehenregistrierung im Zuge der Überwachung immer an derselben Stelle über dem Fundus uteri erfolgen und vergleichbare Tokogramme liefern. Ab der 24. SSW können bei über 70% der Schwangeren technisch einwandfreie CTG-Kurven aufgezeichnet werden. Eine exaktere Information über die Erregungsausbreitung in der Gebärmutter erhält man über das Prinzip der externen Mehrkanaltokometrie. Dabei werden die Signale mehrerer Druckaufnehmer, die über verschiedenen Quadranten des Uterus plaziert werden, registriert (Spätling et al. 1994). Bei der Applikation nur eines Druckaufnehmers ist es sinnvoll, diesen über dem rechten Fundusbereich zu platzieren, da dort die meisten Wehen registrierbar sind (»Wehenschrittmacher«). Die Kardiotokographie (CTG) – mit simultaner Registrierung der fetalen momentanen Herzfrequenz und der Uteruskontraktionen – gibt Aufschluss über die aktuelle fetale O2-Versorgung. Sie ist damit eine Methode mit relativ kurzer Vorwarnzeit vor einer drohenden Dekompensation (Westerhuis et al. 2007; Vayssière et al. 2009). Wie bereits erwähnt, konnte für die routinemäßige Anwendung der CTG-Überwachung als Teil der Vorsorge in der Spätschwangerschaft kein Nutzen gezeigt werden. Von der Deutschen Gesellschaft für Perinatalmedizin wurde eine Anzahl relativer und absoluter Indikationen für die Anwendung des CTGs als Teil der antenatalen Überwachung zusammengestellt.
Indikationen für eine antepartuale, auch wiederholte CTG-Registrierung (nach AWMF-Leitlinie 015/036 der DGGG: Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt 2008) 4 Maternale Indikation: – Anämie der Mutter (Hämoglobin <10 g/dl oder ≤6 mmol/l) – Blutungen (bei lebensfähigem Fetus) – Bluthochdruck (≥140/90 mm Hg) – Diabetes mellitus – Drogenabusus (z. B. Nikotinabusus) – Infektionen: – virale bzw. TORCH incl. Parvovirus B19 – bakterielle (Amnioninfektionssyndrom; AIS) – Kreislaufinstabilität – Thrombophilien und Kollagenosen – Unfall mit abdominalem Trauma oder schwerer mütterlicher Verletzung 4 Fetale Indikation: – Arrhythmien des Fetus (speziell Tachyarrhythmie) im Ultraschall – Dopplerbefund suspekt oder pathologisch (z. B. RI in A. umbilicalis >90. Perzentile) – Hydramnion (AFI >25 cm) – Kindsbewegungen vermindert – Mehrlingsschwangerschaft – Oligohydramnion (»single pocket« <2 cm) – Terminüberschreitung (≥7 Tage) – IUWR (<10. Perzentile) 4 Kombinierte maternale und fetale Indikation: – Blutgruppeninkompatibilität – Vorzeitige Wehen (Tokolyse)/drohende Frühgeburt Bei den fett gedruckten Indikationen sollte ebenfalls eine Doppleruntersuchung erfolgen.
Weitere methodische Hinweise, eine ausführliche Musterbeschreibung sowie die Interpretation der Veränderungen einzelner Herzfrequenzparameter sind in 7 Kap. 33 dargestellt.
30.2.4
CTG-Scores und andere Beurteilungskriterien
Der Versuch einer standardisierten Beurteilung prognostisch wesentlicher CTG-Kriterien im Sinne eines Scores wurde von verschiedenen Autoren vorgenommen. Ziel dieser Scores ist es – neben der Vereinheitlichung der Interpretation – auf das kombinierte Auftreten pathologischer Konstellationen einzelner CTG-Beurteilungsparameter aufmerksam zu machen. Während der Kubli-Score (1971) und der detailliertere Hammacher-Score (1994) für die ante- und intrapartale Überwachung entwickelt wurden, wurde der Fischer-Score (1976) nur für den antepartalen Zeitraum validiert (Göschen u. Koepke 2003).
30
654
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
. Tab. 30.2. Fischer-Score. Bei einer Registrierdauer von 30 min werden jeweils die ungünstigsten Muster berücksichtigt. Die fett gedruckten Merkmale der basalen Herzfrequenz müssen mindestens 10 min vorliegen, um berücksichtigt zu werden. (Nach Fischer 1981)
Basale FHF
FHF-Akzelerationen
Parameter
Punkte
ScoreSumme
0
1
2
Niveau [SpM]
<100 >180
>100–120 >160–180
120–160
Oszillationsamplitude (Bandbreite) [SpM]
<5
>5–10
10–30
Oszillationsfrequenz (Nulldurchgänge/min)
<2
2–6
>6
Akzelerationen
Keine
Periodische
Sporadische
Dezelerationen
Späte, variable mit prognostisch ungünstigen Zusatzkriterien
Variable
Keine sporadische, Dip 0
8–10 Punkte
Physiologischer Zustandsindex
5–7 Punkte
Suspekter Zustandsindex
<4 Punkte
Bedrohlicher Zustandsindex
30 Zustandsindex Auswertung und Interpretation
Der Kubli-Score berücksichtigte lediglich die Oszillationsamplitude und das Vorhandensein wehenabhängiger Spätdezelerationen (z. B. durch einen Oxytozinbelastungstest ausgelöst) in Abhängigkeit von der Häufigkeit ihres Auftretens innerhalb einer Registrierdauer von 30 min. Das Auftreten von Spätdezelerationen bzw. einer Bandbreite der FHF unter 5 SpM in über 75% der Registrierdauer stellte dabei das Maximum der Pathologie mit entsprechend ungünstiger Prognose dar. Der von Hammacher entwickelte Score berücksichtigt daneben noch wesentlich mehr Kriterien der fetalen Herzfrequenz, konnte sich wegen seiner Komplexität im klinischen Alltag jedoch nicht durchsetzen. Vielfach wird der einfachere Fischer-Score bevorzugt, der sich hinsichtlich der Bewertung an das Apgar-Schema anlehnt (. Tab. 30.2). Bei der Bestimmung von 5 Kriterien (Basalfrequenz, Nulldurchgänge, Amplitude, Akzelerationen, Dezelerationen) können im günstigsten Fall 10 Punkte vergeben werden. Eine fetale Gefährdung wird bei einem Score <4 angenommen. Der einzige sowohl ante- als auch subpartal validierte Score ist aber der FIGO-Score, dessen Einsatz nach den aktuellen DGGG-Leitlinien empfohlen wird (7 Kap. 33, . Tab. 33.4). Die Anwendung von Scores erweist sich durch die systematische Analyse des fetalen Herzfrequenzmusters als durchaus nützlich für die Ausbildung; prospektive Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass die Reproduzierbarkeit eines Scores umso geringer wird, je komplexer er aufgebaut ist (Hage 1985).
> Die größte Reproduzierbarkeit in der Beurteilung des CTG wird durch eine Score-unabhängige Beurteilung mit der Fragestellung Handlungsbedarf »Ja« oder »Nein« erzielt.
Computerisierte fetale Herzfrequenzregistrierung Studienbox Unterschiedliche Bewertungskriterien, die Abhängigkeit der fetalen Herzfrequenz von zahlreichen Einfluss- und Störgrößen, die unterschiedlich gehandhabte Registrierdauer sowie die Reproduzierbarkeitsprobleme der visuellen Analyse mögen zu der niedrigen Sensitivität und hohen Falsch-positiv-Rate der CTG-Bewertung beitragen. Mit Hilfe eines elektronischen Erfassungssystems (»arteficial neural network«) lässt sich die Falsch-positiv- wie die Falsch-negativ-Rate jedoch senken (Farmakides u. Weiner 1995). Ein ähnliches Verfahren zur besseren Objektivierung stellt die computerisierte Analyse (Computer-CTG) nach Dawes et al. (1992a, b) dar. Unter Berücksichtigung der jeweiligen SSW wird das aktuell eingelesene CTG mit einer Datenbank von über 48.000 CTG-Aufzeichnungen verglichen, wobei bereits nach 10 min eine erste Analyse der wichtigsten Parameter ausgegeben werden kann. In Abhängigkeit vom Analyseergebnis, das sich an den DawesRedman-Kriterien orientiert, erhält der Anwender eine
6
655 30.2 · Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
Empfehlung, die Aufzeichnung zu beenden oder fortzufahren. Durch die Computeranalyse wird die bei der CTGBeurteilung immer wieder kritisierte Inter- und Intra-Observer-Varianz deutlich reduziert (Farmakides u. Weiner 1995; . Tab. 30.3). Insbesondere die durch die Computeranalyse ermittelte Kurzzeitvariabilität korreliert eng mit dem fetalen Outcome (Dawes et al. 1992a, b; Farmakides u. Weiner 1995, Garcia et al. 2008, Galazios et al. 2009). Die Kurzzeitvariabilität ist ein von der SSW unabhängiger Parameter, der automatisiert aus einer systemspezifischen Mittelung fetaler Herzfrequenzparameter berechnet wird. Die Wahrscheinlichkeit einer metabolischen Azidose oder eines intrauterinen Fruchttods liegt bei einer Kurzzeitvariabilität >5 ms bei 0%, <2,5 ms jedoch bei 72% (Dawes et al. 1992a; . Tab. 30.4).
30.2.5
CTG-basierte Tests der uteroplazentaren Einheit
Wehenbelastungstests Theoretischer Hintergrund Uterine Kontraktionen führen durch die Kompression der zuführenden Arterien zu einer Reduktion der uteroplazentaren Durchblutung und damit der Oxygenierung. Bei reduzierter, aber unter Ruhebedingungen noch grenzwertig ausreichender plazentarer Leistung kann unter dem Einfluss spontaner wie auch medikamentös induzierter Kontraktionen die Oxygenierung ungenügend werden, und die fetale Hypoxämie wird an den Spätdezelerationen der fetalen Herzfrequenz erkennbar.
Studienbox Persistierende Spätdezelerationen lassen in etwa 20% der Fälle bereits eine azidotische Stoffwechsellage erwarten und sind mit einer signifikant geringeren Oxygenierung des Fetus verknüpft (Myers et al. 1973). Aufgrund von Nabelschnurkompressionen können insbesondere bei Vorliegen eines Oligohydramnions variable Dezelerationen auftreten, deren klinische Wertigkeit kontrovers diskutiert wird. Ray et al. (1972) entwickelten aus diesem Zusammenhang heraus 1972 den Kontraktions-Stress-Test, der im Unterschied zum Non-Stress-Test (7 unten) – der Hinweise auf eine adäquate neurologische Reizantwort untersucht – die uteroplazentare Reservekapazität testet.
Durchführung Für die Durchführung eines Wehenbelastungstests wird eine standardisierte Infusion von Oxytozin verabfolgt. Dieser Test wird auch als Oxytozinbelastungstest (OBT) bzw. Oxytozinchallenge-Test (OCT) bzw. Contraction-stress-Test (CST) bezeichnet. Die Schwangere befindet sich idealerweise in halblinker bzw. linker Seitenlage. Ein externes CTG wird über mindes-
. Tab. 30.3. Dawes-Redman-Kriterien (Auswahl)
Parameter
Normalwerte
Pathologie
Signalverlust [-%]
<20
≥20
Fetale Bewegungen/h
≥12
<12
Basale Herzfrequenz [SpM]
115–160
≤115, ≥160
Akzelerationen/h bei 60 min Aufzeichnung
≥8
<8
Gesamtvariation [ms]
≥30
<20
Kurzzeitvariation [ms]
≥6
≤3
. Tab. 30.4. Kurzzeitvariabilität in Abhängigkeit vom fetalen Zustand
Fetaler Zustand
Kurzzeitvariabilität [ms]
Normal
≥6
Fraglich
4–5,5
Chronische Hypoxämie
<4
Präterminal
≤3
Terminal
≤2,5
tens 15 min geschrieben. Bei der oxytozininduzierten Wehentätigkeit beträgt die initiale Oxytozindosis 0,5 mIE/min (5 IE Oxytozin in 500 ml 0,9% NaCl = 3 ml/h) und wird alle 10 min um 3 ml/h bis maximal 60 ml/h gesteigert. Die definierten Belastungskriterien sind erreicht, wenn in einem 10-min-Intervall mindestens 3 Kontraktionen von 40 s Dauer auftreten. Wird diese Frequenz spontan erreicht (wie z. B. beim Stehstress-Test, 7 unten) ist eine medikamentöse Weheninduktion nicht erforderlich. In einzelnen Fällen muss, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, der Test abgebrochen werden. Für das Erreichen von 3 Kontraktionen innerhalb von 10 min werden bei Vorgehen nach obigem Protokoll durchschnittlich 90 min benötigt. > Nebenwirkungen wie Polysystolien und Dauerkontraktionen treten insbesondere bei höheren Einzeldosierungen und Verkürzung der Dosierungsintervalle auf. Eine nachfolgende CTG-Kontrolle sollte bis zum völligen Sistieren der Wehen, mindestens jedoch über 30 min durchgeführt werden.
Alternative Verfahren zur Weheninduktion Alternativ zur intravenösen Verabfolgung von Oxytozin ist auch die Provokation einer endogenen Oxytozinausschüttung über eine Stimulation der Brustwarzen durch die Schwangere selbst möglich (»Brustwarzenstimulationstest«, »nipple sti-
30
656
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
mulation test«). Durch 2-minütiges Frottieren der Brustwarzen werden dabei zu einem hohen Prozentsatz (etwa 70–80%) Kontraktionen erzeugt (ACOG 1994; Hill et al. 1984). Nach der ersten Stimulation wird zunächst 5 min abgewartet, ob Kontraktionen einsetzen, und danach eine erneute Stimulation durchgeführt. Wenngleich für diese Maßnahme auf Medikamente verzichtet werden kann, sollte eine konsequente Überwachung und eine Bereitstellung von β-Sympathikomimetika erfolgen, da einzelne prospektive Untersuchungen ein gehäuftes Auftreten uteriner Überstimulationen zeigten (Viegas et al. 1984). Eine ebenfalls schlechte Steuerbarkeit besitzen die Applikation von Oxytozin via Nasenspray sowie die lokale Applikation von Prostaglandinen. Als relative Kontraindikationen für den OBT gelten vorzeitige Wehentätigkeit bzw. Risiken für vorzeitige Wehen, uteriner Längsschnitt, Placenta praevia, vorzeitiger Blasensprung bzw. uterine Blutung.
30
Interpretation Die Ergebnisse des OBT werden wie folgt interpretiert (differenziertere Beurteilung . Übersicht): 4 negativ, d. h. unauffällig, wenn keine Spätdezelerationen auftreten, 4 positiv, d. h. pathologisch, wenn ≥2 (bzw. >50%) der Kontraktionen mit Spätdezelerationen einhergehen.
Studienbox In einer Serie von 1500 OBTs wurde in einer Gruppe von 600 Risikoschwangerschaften für eine Plazentainsuffizienz nur 1 Todesfall innerhalb einer Woche nach negativem (unauffälligem) Testausfall beobachtet (Freeman 1982). Die Rate falsch positiver Befunde dieses Tests beträgt jedoch 25–75% (Gauthier et al. 1979), mit dem beträchtlichen Risiko iatrogen induzierter Frühgeburtlichkeit.
Studienbox Eine an 217 Hochrisikoschwangeren durchgeführte Untersuchung mit insgesamt 435 OBT, bei denen das Ergebnis dem Kliniker nicht bekannt war, ergab, dass bei einer Falsch-positiv-Rate von etwa 2/3 und einer Falsch-negativ-Rate von 15% die gefährdeten Feten nicht mit ausreichender Treffsicherheit erkannt wurden (Staisch et al. 1980; Devoe 2008).
Die bisher vorliegenden prospektiv randomisierten Untersuchungen ergaben keinen Benefit dieses Testverfahrens bezüglich des perinatalen Ergebnisses, in einigen Studien kam es sogar zu einem schlechteren Outcome, sodass dieser Test als obsolet betrachtet werden sollte (Schneider et al. 2008, DGGG-Leitlinie).
Körperliche Belastungstests Aufgrund der nicht privilegierten uterinen Blutversorgung kommt es bei körperlicher Belastung der Schwangeren zu einer Umverteilung des Blutes in die beanspruchte Muskulatur. Bei gerade noch kompensierter uteriner Versorgung kann so eine larvierte Plazentainsuffizienz anhand pathologischer Herzfrequenzmuster als Folge der durch die Belastung erzeugten uterinen Minderperfusion festgestellt werden. Vorgeschlagene Methoden sind hierfür z. B. der Treppensteigetest nach Stembera oder der Kniebeugenbelastungstest nach Saling (Schneider et al. 1987; Stembera 1969). In beiden Fällen soll die Schwangere sich deutlich bzw. grenzwertig belasten. Problematisch für beide Tests ist die unbefriedigende Qualität der fetalen Herzfrequenzregistrierung durch die exzessiven Bewegungen der Schwangeren. Die Registrierung erfolgt aus diesem Grunde meist erst nach der Belastung, d. h. in der Erholungsphase unter Ruhebedingungen. Bisher liegen keine prospektiven Ergebnisse bezüglich des Benefits dieser Methoden für das geburtsmedizinische Ergebnis bzw. deren Überlegenheit gegenüber anderen Testverfahren vor.
Stehstress-Test (SST) Theoretischer Hintergund Über 60% der Schwangeren zeigen im letzten Trimenon im Stehen eine signifikant gesteigerte uterine Kontraktionsfrequenz (Steigerung gegenüber der liegenden Position um das 2- bis 3Fache). Gleichzeitig lässt sich dopplersonographisch eine venöse Rückflussbehinderung aus den unteren Extremitäten mit Abfall des Schlagvolumens und Anstieg der maternalen Herzfrequenz nachweisen (Schneider et al. 1991, 1993). Ursache dieser klinisch meist nicht evident werdenden »präschock«- ähnlichen Symptomatik, die als »uterovaskuläres Syndrom« bezeichnet wird, ist ein Kompressionseffekt der schwangeren Gebärmutter auf das pelvine Gefäßbett. Eine Entlastung (z. B. durch Vorbeugen, Knie-EllbogenLage bzw. Einnehmen der Seitenlage) führt zu einer Abschwächung der beobachteten Symptome und einer Verbesserung des venösen Rückstromes aus der Peripherie. Im Stehen führt das spontane Auftreten uteriner Kontraktionen mit einer Lage- und Positionsänderung des Uterus während der Kontraktion ebenfalls zu einer Verbesserung der ventrikulären Füllung und damit zu einer Vermeidung der orthostatischen Dysregulation. Etwa 50% der in der aufrechten Körperhaltung auftretenden Kontraktionen scheinen im Zusammenhang mit der orthostatischen Regulation zu stehen. Die doppelte Anforderung, die die aufrechte Körperhaltung an die uteroplazentare Perfusion stellt, nämlich die mütterliche Kreislaufbelastung und die gleichzeitig gehäuft auftretenden Kontraktionen, führten zur Entwicklung des Stehstress-Tests.
Durchführung Zunächst wird ein CTG bei der Schwangeren in liegender Körperhaltung registriert. Die Schwangere richtet sich anschließend auf, um ohne Unterstützung ruhig zu stehen. Die Testdauer enspricht mit 10 min durchaus Situationen, wie sie
657 30.2 · Fetale Herzfrequenz und uterine Kontraktionen
auch im Alltag auftreten können (z. B. Berufe, die vorwiegend im Stehen ausgeübt werden, Stehen in einer Warteschlange).
Interpretation Die Bewertung des SST erfolgt wie die des OBT (s. oben), wenn mindestens 3 spontane Kontraktionen auftreten (dies wird bei etwa 30% der Patientinnen erreicht). Wenn <3 bzw. keine Kontraktionen auftreten, wird der SST nach den Kriterien des Non-Stress-Tests (NST) (7 unten) bewertet, d. h. er gilt als reaktiv, wenn in der 10-minütigen Registrierphase (die Hälfte der Zeitdauer des Non-Stress-Tests) mindestens eine mit einer Herzfrequenzakzeleration einhergehende Kindsbewegung festgestellt wird.
Studienbox In einer prospektiven Vergleichsuntersuchung, in der konsekutiv bei Hochrisikoschwangeren ein Non-StressTest, ein Stehstress-Test und ein Oxytozinbelastungstest (OBT) durchgeführt wurde, war hinsichtlich der Prüfkriterien (operative Entbindung wegen Fetal distress und/ oder Nabelschnurarterien-pH-Wert <7,20) der SST bezüglich der Sensitivität dem OBT überlegen und dem NST ebenbürtig. Hinsichtlich der Spezifität aber war der SST dem OBT vergleichbar und dem NST überlegen. Prospektive Untersuchungen anderer Autoren kamen zu ähnlichen Ergebnissen (Riehn et al. 1990).
ebenfalls autonomen Steuerungsmechanismen (Matsuura et al. 1996). Die Herzfrequenzsteuerung des nicht azidotischen und neurologisch nicht deprimierten Fetus beantwortet die physiologisch auftretenden Kindsbewegungen mit einer Akzeleration der fetalen Herzfrequenz. Abgesehen von Schlafphasen, bei denen ein Verlust der Akzelerationshäufigkeit als physiologisch zu betrachten ist, da hierbei keine Kindsbewegungen auftreten, können nicht reaktive CTG-Muster Hinweise auf eine fetale Hypoxämie mit neurologischer Depression geben (Babazadeh et al. 2005). Mit einem nicht reaktiven CTG-Muster ist das Ausbleiben einer Steigerung der fetalen Herzfrequenz bei Kindsbewegungen gemeint, das häufig auch mit einer signifikanten Abnahme der Beat-to-beat-Variabilität verknüpft ist. Auch zentral dämpfende Medikamente (z. B. hochdosierte Magnesiumgaben!) können ähnliche Herzfrequenzmuster erzeugen. Basierend auf der Erkenntnis dieser Zusammenhänge wurde die Non-Stress-Beurteilung des CTG zur Einschätzung des fetalen Zustands eingeführt (Freeman et al. 1982). > In den angloamerikanischen Ländern und später auch in Europa hat sich dieser Test wegen seiner leichten Durchführbarkeit, der Nichtinvasivität und nicht zuletzt aus Zeit- und Kostengründen als Methode der 1. Wahl zur fetalen Zustandsbeurteilung etabliert.
Durchführung Der Vorteil des SST ist das Ausnutzen einer physiologischen Situation bei guter Registriermöglichkeit. Die Untersuchungszeit ist gegenüber dem NST halbiert und gegenüber dem OBT um mehr als 80% verkürzt, entsprechend hoch ist die Patientencompliance (. Abb. 30.4).
Non-Stress-Test (NST) Theoretischer Hintergund Der NST basiert auf der Annahme, dass ein nicht azidotischer Fetus seine Herzfrequenz über autonome Einflüsse des sympathischen bzw. parasympathischen Nervensystems via Hirnstammimpulse moduliert. Die Schlag-zu-Schlag (»beatto-beat«)-Variabilität der fetalen Herzfrequenz unterliegt
. Abb. 30.4. Hochpathologischer SST nach einem noch weitgehend unauffälligen NST. Nach nicht sicher beurteilbarem NST, der u. U. als rückversichernd hätte gewertet werden können, kommt es nach Aufrichten der Schwangeren in die aufrechte Körperhaltung zum Auftreten von mehr als 3 Kontraktionen/10 min, die mit Spätde-
Der NST wird wie der OBT idealerweise in halblinker bzw. linker Seitenlage mittels externer dopplersonographischer Registrierung der fetalen Herzfrequenz durchgeführt. Wegen einer möglichen Testverfälschung sollte die Schwangere vor dem Test nicht geraucht haben. Empfehlenswert ist die Testdurchführung nach der Einnahme einer Mahlzeit, da danach häufiger Kindsbewegungen beobachtet werden. Zur objektiveren Detektion von Kindsbewegungen empfiehlt sich der Einsatz eines K-CTG-Gerätes (7 unten). Durch vibroakustische Stimulation, z. B. mit Hilfe eines Elektrolarynxgerätes auf dem Bauch der Schwangeren, können bei Fehlen von fetalen Herzfrequenzakzelerationen diese ausgelöst und damit die Zeitdauer des Tests abgekürzt werden (vibroakustische Stimulation; 7 unten).
zelerationen und einer deutlichen Einschränkung der Oszillationsamplitude einhergehen. Die erneute Einnahme der Seitenlage führt zu einer Verbesserung des Herzfrequenzmusters, das jetzt keine Dezelerationen mehr aufweist (RSL rechte Seitenlage)
30
658
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
Interpretation Während einer 20-minütigen Registrierung werden mindestens 2 in Zusammenhang mit Kindsbewegungen registrierte Herzfrequenzakzelerationen (>15 SpM und länger als 15 s Dauer) erwartet, um das Muster als reaktiv und den Test als unauffällig zu werten (ACOG 2000). Tritt in dieser Zeit kein derartiges Muster auf, sollte die Testdauer auf mehr als 40 min verlängert werden, da hiermit die meist maximal 40 min dauernden physiologischen fetalen Schlafphasen ausgeschlossen werden können. Eine Registrierung der fetalen Herzfrequenz über 40 min ohne Akzelerationen wird als nicht reaktiv, d. h. pathologisch betrachtet.
Studienbox
30
Auch der Nachweis von fetalen Herzfrequenzakzelerationen ohne Kindsbewegungen ist ausreichend, um die Nichtgefährdung des Fetus anzunehmen (Devoe et al. 1990). Nabelschnurblutgasanalysen zeigten bei Feten mit reduzierten Herzfrequenzakzelerationen niedrigere pO2Werte im Vergleich zu Feten mit normaler Akzelerationsfrequenz. Unter Berücksichtigung des fetalen Outcome scheint als Kriterium für die Reaktivität aber auch eine fetale Herzfrequenzakzeleration (7 auch SST, dort allerdings nur 10 min Untersuchungsdauer) auszureichen (Smith et al. 1986). Die Akzelerationshäufigkeit nimmt als Ausdruck der zunehmenden Reife des autonomen Nervensystems mit fortschreitender Schwangerschaft stetig zu. Mindestens eine mit Kindsbewegungen korrelierte fetale Herzfrequenzakzeleration findet sich bei unkomplizierten Schwangerschaften in der 20. SSW nur in etwa 35% der Fälle, in der 24. SSW in etwa 55% und erst ab der 32. SSW in nahezu 100% (Pillai u. James 1990). Für den klinischen Einsatz bedeutet dies, dass der NST erst im letzten Trimenon valide eingesetzt werden kann. Die Falsch-positivRate des Tests ist relativ hoch und wird in einigen Arbeiten mit bis zu 90% angegeben (Devoe et al. 1990; Turan et al. 2007; Denney et al. 2008). Zum falsch negativen Testergebnis tragen insbesondere Akutereignisse unter der Geburt wie Nabelschnurkomplikationen und Mekoniumaspiration bei (Smith et al. 1986). Neben dem Akzelerationsverlust ist insbesondere der Lang- und Kurzzeitvariation der fetalen Herzfrequenz Beachtung zu schenken. Ein »silentes« Oszillationsmuster mit einer Amplitude <5 SpM mit Verlust der Beat-to-beatVariabilität und gleichzeitiger Abwesenheit von Akzelerationen (evtl. noch verknüpft mit späten Dezelerationen) ist bei längerem Bestehen (>80 min) mit einer extrem hohen Morbidität (Plazentainfarkten, IUWR 75%, Mekoniumabgang 30%, fetale Azidose 40%) und einer drastisch erhöhten perinatalen Mortalität verknüpft (40%; Gnirs u. Schraag 1992; Gnirs et al. 1993; Gnirs 1995).
Die Fruchtwassermenge reflektiert im späten 2. und im 3. Trimenon die fetale Urinproduktion. Da eine Einschrän-
kung der Nierenfunktion auf eine chronische plazentare Minderfunktion hinweist, wird in einigen Protokollen zur fetalen Zustandsbeurteilung der NST als Kurzzeitindikator für den fetalen Säure-Basen-Status und der Amniotic-fluid-Index (7 Kap. 15.4.2) als Langzeitparameter für die plazentare Funktion interpretiert. Dieses kombinierte Vorgehen von NST und semiquantitativer Messung der Fruchtwassermenge scheint im Vergleich zu dem komplexeren biophysikalischen Profil ähnliche bzw. sogar überlegene Resultate in der Vorhersage des nicht kompromittierten Fetus zu liefern (Clark et al. 1989; Bobby 2003). ! Die Analyse der 4 bisher vorliegenden prospektiven randomisierten Untersuchungen zum Einsatz des antepartalen Non-Stress-CTG zeigen allerdings selbst bei Hochrisikoschwangerschaften keinen erkennbaren Benefit bei herkömmlichen Prüfkriterien, sodass die breite Anwendung des antepartalen CTG, v. a. hinsichtlich der Detektion des gefährdeten Fetus, als alleinige Überwachungsmethode kritisch überdacht werden muss (Brown et al. 1982; Flynn et al. 1982; Kidd et al. 1985; Lumley et al. 1983; Mohide u. Keirse 1991).
Studienbox Eine jüngere randomisierte kontrollierte Studie zeigte, dass im Vergleich zum NST die dopplersonographische Untersuchung in Hochrisikokollektiven zu einer niedrigeren Rate von Kaiserschnitten wegen »fetal distress«, nicht aber zu einem Anstieg der neonatalen Morbidität führte (Williams et al. 2003).
Fetale Stimulationstests Externe Stimulationen des Fetus können durch Schütteln, extern applizierte Schall- oder Lichtreize erfolgen. Anhand dieser Stimulationstests können gerade die mit fetalen Tiefschlafperioden assoziierten nicht reaktiven oder eingeengten FHFMuster abgeklärt werden. Die reproduzierbarste Reizantwort lässt sich durch Elektrolarynxgeräte erzielen, wie sie als Sprechhilfe für Kehlkopflose Verwendung finden. Dabei führt die direkte vibroakustische Stimulation (VAS) durch Aufsetzen des Gerätes auf das maternale Abdomen über dem Fetus zu einer guten akustischen Ankoppelung (7 Kap. 33; Gnirs u. Schneider 1996). Durch intrauterin eingebrachte Mikrofone konnte festgestellt werden, dass niedrigere Frequenzen weniger abgeschwächt werden als hohe Frequenzen. Hintergrundgeräusche wie maternaler Herzschlag, Darmaktivität bzw. externe Geräusche verursachen einen Geräuschlevel von etwa 60 dB. Mit Hilfe vibroakustischer Stimulationen lassen sich Schallpegel bis 110 dB erzielen (120 dB entsprechen Düsenjetlärm). Im Gegensatz zu anderen Stimulationsverfahren wechseln gesunde Feten nach vibroakustischer Stimulation in 86% der Fälle von einem Tiefschlafzustand zu einem anderen Aktivitätsmuster mit »reaktivem« CTG (Gnirs 1995; Petrović et al. 2009).
659 30.3 · Kindsbewegungen (Atem- und Körperbewegungen)
Auch beeinträchtigte Kinder (z. B. Feten mit IUWR) zeigen im Stadium der Kompensation häufig kurzfristige Alterationen der FHF (>80%), während eine länger andauernde Änderung des Aktivitätsniveaus nur in 27% aller Stimulationen registriert wurde. Eine ausbleibende Reaktion des Fetus (FHF-Akzelerationen, Zunahme der Bewegungsaktivität) trotz solcher Reizapplikationen spricht für fehlende Kompensationsmöglichkeiten und eine unmittelbare Gefährdung des Kindes (Gnirs u. Schneider 1994; Dèlia et al. 2005). Ein weiteres Diagnosekriterium bei Anwendung von Stimulationstests ist der Nachweis einer Reizadaptation des Fetus. Gesunde Feten zeigen initial ausgeprägtere Reaktionen (Alteration der FHF und Bewegungsaktivität) sowie eine schnellere Abschwächung der Reizantwort als beeinträchtigte Kinder. Die fetale Reaktivität wird außerdem von der Stärke des applizierten Stimulus und dessen Wiederholungsrate bestimmt. Die Gewöhnung an wiederholte Reize entspricht einem Lernprozess, der bei normaler Ausreifung und Funktion des ZNS ab 30 SSW zu einer charakteristischen Abnahme stimulationsbedingter Reaktionen führt. Bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus wird eine solche Reizadaptation signifikant abgeschwächt und bei hypoxämischen Feten gar nicht beobachtet (Gnirs u. Schneider 1996, Gonzalez-Gonzalez et al. 2009, Petrović et al. 2009). Obwohl einheitliche Standards fehlen, werden i. Allg. 1–3 Stimulationen von wenigen Sekunden (1–5 s) Dauer in einem 5- bis 10-min-Intervall verabfolgt und dabei die Reaktion der fetalen Herzfrequenz registriert. Für eine fetale Antwort scheinen neben dem Gestationsalter sowohl die Frequenz als auch die Dauer der Applikation sowie das Geschlecht des Fetus eine Rolle zu spielen (Buss et al. 2009, Dirix et al. 2009).
Obwohl externe Stimulationen (vibroakustisch oder mittels Skalpstimulation) heute insbesondere in den USA zur empfohlenen klinischen Praxis (ACOG 2000) gehören, sollte aus den erwähnten Gründen der Einsatz eines Elektrolarynx nicht unreflektiert erfolgen.
Studienbox In 7 prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass durch die vibroakustische Stimulation nicht reaktive CTGMuster und hierdurch begründete Entbindungen signifikant reduziert werden können (Gnirs 1995; Gnirs u. Schneider 1994).
Allerdings konnte in einer Metaanalyse der bisherigen validen Studien bezüglich der Sicherheit und Effizienz der vribroakustischen Stimulation (sub partu) keine abschließende Empfehlung gegeben werden (East et al. 2005). > Durch vibroakustische Stimulationstests können bis zu 50% fraglich pathologischer CTG-Muster abgeklärt werden. Der Einsatz der vibroakustischen Stimulation sollte jedoch nur gezielt zur Vermeidung unnötiger invasiver Abklärungs- oder Behandlungsmaßnahmen erfolgen.
30.3
Kindsbewegungen (Atem- und Körperbewegungen)
30.3.1
Entwicklung
Fetale Atembewegungen Studienbox Der additive Einsatz der Methode erfolgt insbesondere bei einem nichtreaktiven NST (7 oben). Die Anwendung vibroakustischer Stimulationstests führt zu einer Reduktion falsch positiver CTG-Befunde um 16–64%, insbesondere wird die Inzidenz nicht reaktiver FHF-Muster um 48% reduziert und die Untersuchungszeit um etwa 20% verkürzt (Smith et al. 1986; Tannirandorn et al. 2001; Petrović et al. 2009, Tan u. Smyth 2009). Daneben wurden auch erfolgreiche Stimulationen mit Halogenlicht berichtet (Bolnick et al. 2006). Neben dem vermehrten Auftreten von Akzelerationen kommt es zu einem generellen Anstieg der fetalen Herzfrequenz, der insbesondere bei Feten in Terminnähe häufig zu passageren Tachykardien führt (15–20 min). Das darauf folgende Herzfrequenzmuster ist meistens unauffällig. In Einzelfällen treten auch Dezelerationen der fetalen Herzfrequenz, z. B. als Folge von Nabelschnurkompressionen oder vagalen Reaktionen, auf (Johnson 1992). Ferner wurde eine signifikante Zunahme unsynchronisierter Aktivitätszustände nach vibroakustischer Reizapplikation beobachtet, was auf eine zeitlich begrenzte Desorientierung der zentralnervösen fetalen Koordination hinweisen könnte (Gnirs 1995).
Die Lungen des Fetus sind normalerweise flüssigkeitsgefüllt. Der Austausch von Lungen- und Amnionflüssigkeit scheint dabei für die Lungenentwicklung essenziell zu sein, obwohl die Zusammenhänge wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt sind. Die Atembewegungen laufen beim Fetus paradox zu denen beim Neugeborenen bzw. Erwachsenen ab. Bei der Inspiration wird der Brustkorb eingezogen und das Abdomen erweitert (Johnson et al. 1992). Fetale Atembewegungen (»fetal breathing«) treten episodisch auf und werden in den letzten 10 SSW durch Apnoephasen von maximal 2 h Dauer unterbrochen. Beeinflusst durch maternale und evtl. fetale Kortisolspiegel findet sich eine zirkadiane Periodik dieser Bewegungen mit einer signifikanten Zunahme zwischen 4.00 und 7.00 Uhr. Im letzten Trimenon sind sie über mehr als 30% der Untersuchungszeit zu beobachten (Florido et al. 2005; Govindan et al. 2007). Fetale Atembewegungen unterliegen keiner peripheren Kontrolle, werden aber durch Stimulation zentraler Chemorezeptoren (Atemzentrum) beeinflusst. Hier kommt den jeweiligen CO2-Spiegeln eine wichtige Rolle als »Triebfeder« intrauteriner Atemexkursionen zu, wogegen der pO2 nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Sowohl eine experimentelle als auch eine mehr oder weniger physiologische Hypokapnie (maternale Hyperventilation) führen bereits mit 24. SSW zum nahezu vollständigen Sistieren kindlicher Atembewegungen.
30
660
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
Ferner besteht eine inverse Korrelation zwischen fetaler Atemaktivität und den bei Hypoxie signifikant ansteigenden Plasmaadenosinkonzentrationen. Diese zunächst im Tierexperiment beobachteten Zusammenhänge wurden inzwischen auch bei menschlichen wachstumsrestringierten Feten mittels Chordozentese gesichert. Eine Hyperoxygenierung der Mutter hat meist keinen Einfluss auf die Bewegungsaktivität des Fetus. Allerdings führt eine akute Verminderung des verfügbaren Sauerstoffs zur Triggerung inhibitorischer zentraler Mechanismen, was eine Hemmung aller Bewegungen (Körper- und Atembewegungen) und der spinalen Reflexe zur Folge hat. Außer einer fetalen Hypoxie bzw. einer maternalen/fetalen Hypokapnie führt auch Alkoholkonsum zu einer signifikanten Verminderung der Atembewegungen des Fetus. Dagegen bewirken Glukoseapplikationen (Mahlzeiten) oder z. B. eine Hyperkapnie der Mutter eine Zunahme fetaler Atembewegungen.
Fetale Körperbewegungen
30
Unkoordinierte Kindsbewegungen lassen sich bereits ab der
7. SSW erkennen. Zwischen der 20. und 30. SSW werden diese zunehmend koordinierter. Leichte Bewegungen werden zunehmend durch stärkere ersetzt, wobei die Frequenz der Bewegungen bis zur 32. SSW zunimmt und dann gegen Ende der Schwangerschaft wieder abnimmt. Möglicherweise sind hierfür die abnehmende Fruchtwassermenge, der dadurch verminderte intrauterine Bewegungsspielraum und die verbesserte zentralnervöse Koordination aller Bewegungsabläufe verantwortlich. Ganzkörperbewegungen treten in Analogie zur Ausbildung fetaler Ruhe- und Aktivitätszustände (7 Kap. 30.4) episodisch auf, wobei auch bei gesunden Feten bewegungsfreie Intervalle von bis zu 40 min normal sein können. In den späten Abendstunden kommt es zu einer deutlichen Bewegungszunahme. Bis zu 95% solcher Bewegungen sind mit FHF-Akzelerationen assoziiert (Gnirs u. Schneider 1996), was wiederum längere Phasen nicht reaktiver CTG-Muster während fetaler Ruheperioden erklärt. Nahe am Geburtstermin finden sich die gleichen Bewegungsmuster wie zu Beginn des 2. Trimenons. Allerdings überwiegen dann Streckbewegungen des Kopfes und des Körpers sowie globale Rotationsbewegungen, die meist mit gleichartigen Extremitätenbewegungen kombiniert sind. Ein Kennzeichen der neuromotorischen Ausreifung ist die »Individualisierung«, d. h. der Variantenreichtum aller Bewegungen. Im Tierexperiment wurde beobachtet, dass der Fetus bei Hypoxämie/Hypoxie durch Aktivitätsverminderung Energie »einsparen« bzw. seinen Sauerstoffbedarf verringern kann. Alleine durch die Reduzierung fetaler Körperbewegungen (z. B. bei neuromuskulärer Blockade) fällt der Sauerstoffverbrauch um bis zu 17% (Gnirs u. Schneider 1996). > Bei Einschränkungen der nutritiven Bedingungen bzw. der Sauerstoffversorgung kommt es zunächst zu einer Verkürzung der Dauer der Kindsbewegungen und erst präterminal zu einer Abnahme der Anzahl der Bewegungen.
30.3.2
Registrierung
Fetale Atembewegungen Bereits im Real-time-Ultraschallbild lassen sich fetale Brustwand- und Abdomenbewegungen beobachten, die den Flüssigkeitaustausch zwischen Amnion und Fetus fördern. Die mit Farbdoppler- und gepulster Dopplertechnik registrierten fetalen Atembewegungen und nasalen Flüssigkeitsverschiebungen zeigen eine Abnahme bis zur 36. SSW bei gleichzeitiger Zunahme des inspirierten Flüssigkeitsvolumens, korrelierend mit einer Verbesserung der fetalen Lungenreife (Badalian et al. 1993; Florido et al. 2005; Govindan et al. 2007). > Fetale Atembewegungen sind kurz vor und unter der Geburt sowie unter hypoxämischen Zuständen reduziert.
Da fetale Atembewegungen episodisch auftreten, einer zirkadianen Rhythmik unterliegen und durch Nahrungsaufnahme der Mutter beeinflusst werden können (7 oben), ist der Rückschluss auf eine fetale Gefährdung insbesondere bei nur punktuellem Nachweis fehlender Atembewegungen problematisch. Innerhalb der antepartalen Überwachung weist das sonographisch erkennbare Sistieren fetaler Atemexkursionen dennoch eine hohe Sensitivität für eine fetale Hypoxie auf. Aus diesen Gründen sind fetale Atembewegungen Bestandteil der im biophysikalischen Profil zusammengefassten Zustandsbeschreibungen des Fetus (7 Kap. 30.4.2). Die Spezifität und der positive Vorhersagewert sind mit 64% und 35% aufgrund der häufig falsch positiven Befunde deutlich niedriger (Gnirs u. Schneider 1996).
Fetale Körper- und Extremitätenbewegungen Verschiedene Methoden zur Bewegungsregistrierung Lange Zeit lieferte nur die maternale Perzeption von Kindsbewegungen oder deren Palpation durch einen Untersucher Hinweise auf einen lebenden Fetus. Die diagnostische Wahrnehmung akustischer Phänomene während fetaler Bewegungen nutzte erstmals Wrisberg 1766, der durch Ohrauflegen auf das Abdomen der Schwangeren einen Tumor hydropicus differenzialdiagnostisch ausschließen konnte (Porst 1986). Die Evaluierung der fetalen Bewegungsaktivität kann isoliert oder als Ergänzung zu anderen Überwachungsverfahren eingesetzt werden. Inzwischen gibt es eine Vielzahl verschiedener Verfahren zur Registrierung der fetalen Bewegungsaktivität, deren diagnostischer Wert in Abhängigkeit von ihrer Registriergenauigkeit stark variiert.
Registriermöglichkeit fetaler Bewegungsaktivität 4 4 4 4 4
6
Maternale Perzeption Kymographie Phonogramm Piezoelektrischer Sensor Elektromyogramm
661 30.3 · Kindsbewegungen (Atem- und Körperbewegungen)
4 4 4 4 4 4 4 4 4
Real-time-Ultraschall Aktokardiographie Palpation durch Untersucher Tokodynamometrie Totale akustische Phonographie Photoelektrischer Plethysmograph Elektromagnetische Ableitung Tococinon Kinetokardiotokographie
Die maternale Perzeption fetaler Bewegungen und die Tokodynamometrie (»Spikes« im Tokogramm) sind mit einer Sensitivität von 38% bzw. 37% und einer Rate falsch positiver Registrierungen von 31% und 44% im Vergleich zur sonographischen Bewegungsregistrierung relativ unzuverlässig. Die ebenfalls unbefriedigende subjektive Perzeption von Kindsbewegungen durch die Mutter mag auch daran liegen, dass sich zahlreiche Kindsbewegungen von wenigen Sekunden Dauer aufzeichnen lassen, die Mutter aber deutlich besser Kindsbewegungen von längerer (>20 s) Dauer wahrnimmt (Johnson et al. 1992). Die Perzeption von Kindsbewegungen durch die Mutter wird u. a. durch ihre Körperhaltung, die Plazentalokalisation, Adipositas, die Lage des Fetus, den Sozialstatus und das psychosoziale Umfeld beeinflusst. Oft wird z. B. auch Darmaktivität mit Kindsbewegungen verwechselt (Hijazi et al. 2009).
Studienbox In einer großen randomisierten Untersuchung an über 68000 Schwangeren wurde die eine Hälfte der Schwangeren aufgefordert, die Zeitdauer zu notieren, bis sie im Verlauf eines Tages 10 Kindsbewegungen verspürt hatten. Dies wurde im Mittel nach 2,7 h erreicht. Die andere Hälfte des Studienkollektives wurde konventionell überwacht und nur informell über Kindsbewegungen aufgeklärt. Die Rate der intrauterinen Fruchttode war in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich (in Gnirs u. Schneider 1996). Die Metaanalyse aller prospektiven Untersuchungen zur Zählung subjektiv von der Mutter wahrgenommener Kindsbewegungen zeigte selbst in randomisierten klinisch kontrollierten Vergleichstudien keine Reduktion intrauteriner Fruchttode, sodass eine standardisierte Erfassung von Kindsbewegungen z. B. nach dem »Zähle-bis10-Schema« keine Verbesserungen des geburtsmedizinischen Ergebnisses erbringt. Die Aufforderung, die Kindsbewegungen zu beobachten und zu zählen, führt dagegen zu einer gehäuften Angabe reduzierter Kindsbewegungen, häufigerem Einsatz zusätzlicher Überwachungstechniken, einer größeren Anzahl von Hospitalisierungen und einer gesteigerten Rate elektiver Entbindungen wegen reduzierter Kindsbewegungen (Keirse 1989; Hijazi et al. 2009).
> Die Bewegungserfassung durch das Tokogramm zeigt v. a. Fehlregistrierungen infolge von Uteruskontraktionen, starker maternaler Atmung oder fetalem Schluckauf.
Kinetokardiotokogramm (K-CTG) Das inzwischen allgemein verfügbare fetale Bewegungsprofil bietet die Möglichkeit einer fortlaufenden Bewegungsregistrierung, solange das CTG extern abgeleitet wird. Das Verfahren basiert auf der automatischen Detektion fetaler Körperund Extremitätenbewegungen, die zeitsynchron zur Ableitung des Kardiotokogramms erfolgt. Hierfür wird ein UltraschallDoppler-Breitstrahltransducer zur gleichzeitigen Erfassung der fetalen Herzfrequenz und Bewegungsaktivität genutzt. Durch nachgeschaltete Elektronik wird das Dopplersignal so verarbeitet, dass simultan das CTG und das fetale Bewegungsprofil ausgegeben werden können (. Abb. 30.5). Für die korrekte Bewegungserfassung liegt die Sensitivität dieser Methode bei 81%, die Spezifität bei 98%, der positive und negative Vorhersagewert bei 84% bzw. 95%. Diese Ergebnisse sind weitgehend unabhängig vom Gestationsalter, der Fruchtwassermenge, der Lage und den biometrischen Messparametern des Fetus (Gnirs 1995). Bei 80% aller Registrierungen ist eine korrekte Klassifizierung fetaler Verhaltenszustände allein aufgrund des FHFMusters und der zugehörigen Körperbewegungen möglich. Mit Kenntnis der fetalen Bewegungen können bewegungsassoziierte Herzfrequenzakzelerationen als solche erkannt und z. B. bei periodischen Akzelerationen die basale fetale Herzfrequenz richtig festgelegt werden. In eigenen wie auch in anderen prospektiven Untersuchungen gelang es, die Rate falsch positiver CTG-Muster um etwa die Hälfte zu senken (Gnirs 1995). Dennoch sind größere randomisierte Studien erforder-
. Abb. 30.5. Darstellung der ursprünglich für die Entwicklung der Kinetokardiotokographie durch 2 Untersucher erfassten Untersuchungsvariablen (fetale Körperbewegungen, Arm- und Beinbewegungen, Atembewegungen, Kopfbewegungen), von denen letztlich fetale Körper- und Extremitätenbewegungen im Bewegungsprofil ausgegeben werden. (Nach Gnirs 1995)
30
662
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
lich, um den Wert dieser Methode ausreichend abschätzen zu können (Heazell u. Frøen 2008). > Die fetale Bewegungsaktivität ist als pathologisch einzustufen, sofern die 5. Perzentile der bei unauffälligen Schwangerschaften ermittelten Referenzkurven für mindestens zwei konsekutive 10-min-Intervalle unterschritten wird. Eine fragliche Kompensationsnotwendigkeit des Fetus kann aber auch rein visuell aus der fehlenden Registrierung von Balken (die Bewegungen sind nur noch als einzelne Striche dargestellt) abgeleitet werden.
Infolge der relativ großen inter- und intraindividuellen Streubreite des Bewegungsspektrums ist eine fetale Zustandsverschlechterung i. d. R. früher anhand von Verlaufskontrollen der zugrundeliegenden Basisaktivität als mit Hilfe von Normwertkurven zu erkennen.
30
> Die Verkürzung der Kindsbewegungsdauer ist ein Frühwarnparameter, der im Mittel 12–14 Tage vorher die drohende fetale Dekompensation anzeigt. Dagegen sind Verringerungen der Zahl der Kindsbewegungen wie auch pathologische CTG-Veränderungen spät auftretende Vorwarnzeichen (0–3 Tage vor der Dekompensation).
30.4
Fetale Verhaltenszustände
30.4.1
Entwicklung
In der 2. Schwangerschaftshälfte bilden sich zunehmend typische Ruhe- bzw. Aktivitätsperioden aus (»fetal behavioural states«). Nijhuis et al. (1982) konnten in ihren Studien 4 verschiedene Verhaltenszustände definieren (. Abb. 30.6). Der Fetus verbringt etwa 40% des Tages in Ruhezuständen. Eine sich nicht an den fetalen Verhaltenszuständen ori-
. Abb. 30.6. Fetale Verhaltenzustände. (Mod. nach Nijhuis et al. 1982)
entierende Interpretation des CTG erklärt so großteils die bekannt hohe Rate falsch pathologischer Einstufungen des FHF-Musters. Die fetalen Schlafphasen sind völlig unabhängig vom maternalen Schlaf-Wach-Rhythmus. > Die Kenntnis des fetalen Verhaltenszustandes ist eine wesentliche Voraussetzung für die richtige Interpretation des fetalen Herzfrequenzmusters. Fehlen hierfür die apparative Ausstattung bzw. die klinische Erfahrung, genügt es in den meisten Fällen, den Registrierzeitraum auf mehr als 40 min auszudehnen, da fetale Schlafphasen i. d. R. kürzer sind und das fetale Herzfrequenzmuster sich danach entsprechend ändert.
In der 36. SSW sind reproduzierbare fetale Verhaltenszustände (»fetal behavioral states«) bei 80% der normal entwickelten Feten etabliert (Nijhuis et al. 1982, 1991). Ihre Entwicklung ist ein Hinweis auf die zentralnervöse Ausreifung und neuromotorische Integrität des Fetus. Der Fetus verbringt 25–35% des Tages im Tiefschlaf (1 F), 56–66% im Aktiv-Schlaf (REM-Schlaf, 2 F), 1–3% im Ruhigwach- (3F) und 6–8% im Aktiv-wach-Zustand (4 F). Das von Nijhuis u. Prechtl 1982 vorgeschlagene Klassifizierungsschema führt zu gut reproduzierbaren Ergebnissen (Inter- und Intra-Observer-Variabilität ≤15%). In Terminnähe dauern Tiefschlafzustände (1 F) im Mittel 23 min und sind selten länger als 40 min (Ausnahmen bis 80 min). Diesen Verhaltenszuständen lassen sich nicht nur unterschiedliche Herzfrequenzmuster, sondern auch eine durch veränderte Nierenperfusion unterschiedliche fetale Urinproduktion zuordnen. So konnte im 1 F-Zustand ein Anstieg und im 2 F-Zustand eine reduzierte Urinproduktion nachgewiesen werden (Oosterhof et al. 1993). Mit zunehmendem Schwangerschaftsalter gewinnen Kindsbewegungen an Stärke und werden durch die Mutter subjektiv besser wahrgenommen. Die Anzahl registrierter Kindsbewegungen steigt von 200 (in 12 h) in der 20. SSW
663 30.4 · Fetale Verhaltenszustände
auf 575 in der 32. SSW an und fällt anschließend bis zum Termin wieder ab. In der 40. SSW sind im Mittel noch 282 Kindsbewegungen zu registrieren (Sadovski u. Yaffe 1973; Gnirs u. Schneider 1996). Möglicherweise ist die in Terminnähe und im Bereich der Übertragung dann zu beobachtende Abnahme der fetalen Bewegungsaktivität mit der reduzierten Fruchtwassermenge und der damit räumlich eingeengten Bewegungsmöglichkeit korreliert (Sherer et al. 1996). Fetale Tiefschlafperioden weisen v. a. hinsichtlich der FHF große Ähnlichkeit mit den Mustern auf, die bei einer fetalen Hypoxie oder Asphyxie beobachtet werden können (eingeengte bis silente Oszillationsamplitude). Bei längeren Verläufen ist daher eine Differenzierung durch Weckversuche (z. B. vibroakustische Stimulation) oder eine Abklärung durch additive Untersuchungsverfahren (z. B. Dopplersonographie) zu empfehlen. Umgekehrt führt jedoch auch eine (evtl. chronische) Hypoxie des Fetus zur Störung zentralnervöser Regulationsmechanismen und damit zu einer Desorganisation der fetalen Verhaltenszustände. Schwer wachstumsrestringierte Feten (Geburtsgewicht <5. Perzentile) zeigen z. B. selbst nahe am Geburtstermin in mehr als 50% der Registrierungen unkoordinierte Aktivitätsmuster (»No-coincidence-Zustände«; Gnirs u. Schneider 1996). Auch fetale Aktiv-wach-Zustände gehen häufig mit eher suspekten FHFVariationen (Tachykardie, sehr lange Akzelerationen, saltatorische Muster) einher, die allerdings i. d. R. aufgrund sehr heftiger und lange andauernder fetaler Bewegungsaktivität identifizierbar sind. > Sowohl die durch Stimulationstests bedingten als auch die durch eine Hyperkapnie oder Hypoxie hervorgerufenen kompensatorischen Reaktionen des Fetus (FHF, Atemexkursionen, Körperbewegungen) werden durch die verschiedenen Verhaltenszustände stark beeinflusst. Im Tierexperiment ließ sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Amplitude und Dauer variabler FHF-Dezelerationen und den zugrundeliegenden Schlaf-Wach-Zuständen des Fetus nachweisen.
Fetale Hypoxämie/Azidose Nach Ausschluss fetaler Tiefschlafzustände weist eine signifikante Reduktion fetaler Körper- und Extremitätenbewegungen für die Erkennung einer fetalen Hypoxie eine Sensitivität von 50%, eine Spezifität von 96%, einen positiven Vorhersagewert von 71% und einen negativen Vorhersagewert von 91% auf (Nijhuis 1991; Gnirs u. Schneider 1996). Da die Zahl der Kindsbewegungen nur bei fortgeschrittener Azidose signifikant reduziert ist, ist dieser Parameter als Diagnostikum einer drohenden Beeinträchtigung wegen der fehlenden Vorwarnzeit wenig geeignet. Die Beobachtung, dass wachstumsrestringierte Feten wesentlich seltener Aktiv-wach-Zustände (4 F) aufweisen als unauffällige Schwangerschaften, kann als Hinweis auf eine Kompensation bei leichter bzw. chronischer Hypoxämie durch Einschränkung der Bewegungsaktivität interpretiert werden. Umgekehrt werden die fetalen Reaktionen auf eine Hyperkapnie/Azidose in hohem Maße von den zugrunde liegenden fetalen Verhaltenszuständen beeinflusst. Während eine experimentelle Hyperkapnie in fetalen Tiefschlafzuständen zu allenfalls geringen Veränderungen führt, ändert sich dies dramatisch nach spontanem Wechsel in REM-Schlafperioden. Dies spricht für eine Abschwächung oder Modifikation biochemischer oder biophysikalischer Reflexe des Fetus in Abhängigkeit vom jeweiligen Verhaltenszustand.
30.4.2
Biophysikalisches Profil
Zur Verbesserung der Sensitivität und Spezifität für die Erkennung bzw. den Ausschluss einer fetalen Gefährdung wurde 1980 die Kombination verschiedener Variablen vorgeschlagen (Manning et al. 1996). Durch den Verbund von Überwachungsmethoden im Sinne eines biophysikalischen Profils (BPP) mit Überprüfung unterschiedlicher fetaler Regulationsund Adaptationsmechanismen sollte die prognostische Aussagekraft gegenüber den genannten Einzelverfahren signifikant verbessert werden (. Tab. 30.5). Für jede Untersuchungsvariable werden 0–2 Punkte vergeben, das Gesamtergebnis wird in Analogie zum Apgar-Score
. Tab. 30.5. Biophysikalisches Profil. (Nach Manning et al. 1996)
Untersuchungsparameter
Score 2
Score 0
Fetale Atembewegungen
≥30 s anhaltende Atembewegungen innerhalb von 30 min Beobachtungszeit
<30 s anhaltende Atembewegungen innerhalb von 30-min Beobachtungszeit
Fetale Körperbewegungen
≥3 große Körperbewegungen innerhalb von 30 min Beobachtungszeit (simultane Körper- und Extremitätenbewegung)
≤2 große Körperbewegungen innerhalb von 30 min Beobachtungszeit
Fetaler Muskeltonus
≥1 Extremitäten-Beuge-Streck-Beuge-Bewegung
Fetus in Extensionsstellung
Fetale Reaktivität
≥2 FHF-Akzelerationen >15 SpM, >15 s innerhalb von 20 min Beobachtungszeit
0 FHF-Akzelerationen >15 SpM, >15 s innerhalb von 20-min Beobachtungszeit
Fruchtwassermenge
≥1 cm Fruchtwassernische in 2 vertikalen Ebenen
<1 cm Fruchtwassernische in 2 vertikalen Ebenen
30
664
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
bewertet. Als Rückversicherung für den ungefährdeten Fetus gelten: 4 innerhalb eines 30-minütigen Untersuchungszeitraums sonographisch über mindestens 30 s nachweisbare fetale Atembewegungen, 4 3 oder mehr simultane Extremitäten- und Rumpfbewegungen, 4 mindestens eine Beuge-Streck-Beuge-Folge der Extremitäten, 4 ein reaktiver NST (7 Kap. 30.2.5), 4 sowie ≥2 vertikale Fruchtwassernischen ≥2 cm.
30
Bei der Bewertung jedes einzelnen der 5 Kriterien gilt ein Score von 2 als normal, von 0 als pathologisch. Ein Gesamtscore-Ergebnis von 8–10 Punkten gilt als normal, von <6 als leicht, von <4 als hochgradig pathologisch. Werte dazwischen veranlassen zur Wiederholung des Tests innerhalb von 12– 24 h. Liegt gleichzeitig ein Oligohydramnion vor, sollten zusätzliche Überwachungsmethoden (z. B. Doppler) zum Einsatz kommen (ACOG 2000). In neuerer Zeit wird teilweise zusätzlich das Plazentagrading mit einbezogen (McKenna et al. 2005), wobei die Einteilung nach der von Grannum et al. (1979) beschriebenen Klassifikation (7 Kap. 30.5.3) erfolgt. Damit erhöht sich die maximal mögliche Bewertung des »biophysical profile score« auf 12 Punkte. Der Einsatz der Real-time-Sonographie ermöglicht die Untersuchung des unmittelbar mit der Bewegungsaktivität assoziierten und im biophysikalischen Profil miterfassten fetalen Muskeltonus. Ein normaler Tonus liegt vor, sofern während einer Registrierung von 30 min Dauer zumindest eine Episode aktiver Streckung und Beugung der fetalen Extremitäten und/oder Öffnen und Schließen der Hand dargestellt werden können bzw. wenn für mindestens 30 min die Hand des Fetus geschlossen bleibt. Wie die zuvor genannten Bewegungsvariablen unterliegt der fetale Muskeltonus zentralnervösen Regulationsmechanismen, die allerdings erst durch eine ausgeprägte fetale Hypoxie alteriert werden. Nach neueren Untersuchungen geben die kortikalen und subkortikalen Zentren bei schwerer Depression des Fetus ihre Funktion in umgekehrter zeitlicher Abfolge auf, in der sie sich während der Embryonal- und Fetalperiode entwickelt hatten (Gnirs 1995). Da das Funktionsareal für den Muskeltonus mit 7–8 SSW als Erstes aktiv wird, ist es das Letzte, das bei fetaler Asphyxie seine Funktion einstellt. Ein Verlust des Muskeltonus tritt erst bei asphyktischen Zuständen ein, die zu einem arteriellen Nabelschnur-pHWert von <7,10 führen (. Abb. 30.7). Das biophysikalische Profil wird in den angloamerikanischen Ländern vielfach bei pathologischem Ausfall eines Non-Stress-Tests nachgeschaltet. Weitere Indikationen sind Hypertonie, Diabetes, abnehmende Kindsbewegungen, vorausgegangene Totgeburten, Verdacht auf intrauterine Wachstumsrestriktion, vorzeitige Wehentätigkeit, Rhesuserkrankung und Übertragung. In Übereinstimmung verschiedener Autoren wird für dieses Untersuchungsverfahren bezüglich des Prüfkriteriums »fetale Hypoxie/Azidose« eine Sensitivität von 90%, eine Spezifität von 96%, ein positiver Vorhersage-
. Abb. 30.7. Fetale Zustandsdiagnostik. Veränderung verschiedener biophysikalischer Überwachungsparameter bei mittels Chordozentese oder fetaler Skalpblutanalyse (FSBA) gesicherter Hypoxämie/Azidose des Fetus. (Aus Gnirs 1995, mit frdl. Genehmigung)
wert von 82% sowie ein negativer Vorhersagewert von 98% angegeben (Gnirs u. Schneider 1996; Devoe 2008). Die genannten Ergebnisse dürften durch die Kombination von Verfahren zu erklären sein, die eine chronische Zustandsverschlechterung (Fruchtwassermetrik) wie eine akute Dekompensation des Fetus (NST, Quantifizierung fetaler Atemexkursionen, Evaluation des fetalen Muskeltonus) anzeigen. Der Nachweis eines Oligohydramnions führt hierbei grundsätzlich und unabhängig von den anderen Parametern des biophysikalischen Profils zu einem pathologischen Testresultat. Die Fruchtwassermetrik erfasst am sensitivsten die Feten, die später wegen drohender Asphyxie (pathologisches CTG) operativ entbunden werden müssen. Mit zunehmend pathologischen Testergebnissen nehmen Morbidität und Mortalität sprunghaft zu und liegen z. B. bei einem Score von 2 bei 15–20% bzw. bei einem Score von 0 bei 48–60%. Andererseits weist dieses Verfahren je nach Prüfkriterium eine z. T. hohe Rate falsch positiver Befunde auf (im Mittel 67%). Insbesondere während fetaler Tiefschlafzustände (1F) wurde bei unbeeinträchtigten Feten signifikant häufiger ein pathologisches Testresultat (44%) gefunden als in REMSchlaf- (2F) oder Aktiv-wach-Zuständen (4F), die durchschnittlich nach 3–5 min zu einem normalen Scorewert (≥8) führten. Durch Verlängerung der Registrierdauer auf maximal 48 min erreichen alle wegen fetaler Ruhezustände auffälligen biophysikalischen Profile normale Scorewerte.
Studienbox Bei der Testung von 19221 Schwangerschaften mit dem BPP wurden bei 97% unauffällige Testresultate erzielt, die Falsch-negativ-Rate betrug 1/1000 intrauterine Fruchttode innerhalb 1 Woche im Anschluss an ein negatives Testresultat (Manning et al. 1987). In einer Serie von 493 High-risk-Feten (20% IUWR) zeigte eine unmittelbar vor
6
665 30.5 · Fetales Wachstum, Fruchtwassermenge, Plazentagrading
einer Nabelschnurblutanalyse durchgeführte Beurteilung des BPP eine enge Korrelation zwischen BPP-Score und Nabelschnurvenen-pH-Wert. Bei einem Score <2 fand sich in allen Fällen bereits eine fortgeschrittene Azidose (pH-Wert <7,10) (Manning et al. 1996). Eine andere Gruppe kam bei Tests, die das BPP und die Doppleruntersuchung in der Umbilikalarterie in einem Intervall <3 Tage zur Geburt umfassten, allerdings zu dem Schluss, dass die beobachtete fetale Morbidität und Mortalität eher mit dem erreichten Gestationsalter und der Schwere der Wachstumsrestriktion bzw. dem Geburtsgewicht als mit dem Ausmaß des pathologischen Testausfalles korreliert (Weiner et al. 1996). Die mit etwa 45 min relativ lange durchschnittliche Testzeit für das BPP konnte durch ein modifiziertes BPP auf 10 min verkürzt werden (Clark et al. 1989). Die Einbindung der vibroakustischen Stimulation beim modifizierten biophysikalischen Profil führt außerdem zu einer Verringerung falsch positiver Befunde bei der Beurteilung der Herzfrequenz- und Bewegungsparameter (Petrovic et al. 2009). Ein mit vibroakustischer Stimulation verknüpfter NST sowie die Anwendung eines Amniotic-fluid-Index (AFI; Pathologie <5 cm) erbrachten bei 2686 Einlingsschwangerschaften keinen unerwarteten Todesfall. Der modifizierte Test wurde in 17.429 Untersuchungen an 2774 Frauen eingesetzt. Bei pathologischem Testausfall wurde als Backup-Test randomisiert in einer Gruppe ein komplettes BPP, in der anderen Gruppe ein OBT durchgeführt. Bei Anwendung des OBT war die Interventionsrate aufgrund eines falsch positiven Testergebnisses erhöht (Nageotte et al. 1994). Ferner konnte in einer prospektiven Beobachtungsstudie gezeigt werden, dass dem Flussverhalten in der Umbilivalarterie eine entscheidende prognostische Bedeutung zukommt, während das biophysikalische Profil offenbar kein unabhängiges Prognosekriterium in der Überwachung von IUWR-Feten darstellt (Baschat et al. 2009).
Verglichen mit der alleinigen CTG-Bewertung kann bei kritischer Analyse der vorliegenden prospektiven randomisierten Studien kein eindeutiger Benefit durch Einsatz von Zusatzuntersuchungen im Sinne eines biophysikalischen Profils abgeleitet werden. Aufgrund der sehr niedrigen Fallzahlen der beiden einzigen bisher vorliegenden validen Studien (n=654) sind weitere Untersuchungen mit deutlich größeren Fallzahlen erforderlich, um abschließend zu klären, ob die multifunktionelle Betrachtung gegenüber einem singulären Messparameter Vorteile bietet. Sicher scheint nur festzustehen, dass durch den Einsatz des BPP die Sectiorate erhöht wird (Lalor et al.
2009).
30.5
Fetales Wachstum, Fruchtwassermenge, Plazentagrading
30.5.1
Fetales Wachstum
Im Rahmen der Mutterschafts-Richtlinien werden in Deutschland zur Festlegung der fetalen Entwicklung auch bei der Nichtrisikoschwangerschaft 3 Ultraschalluntersuchungen durchgeführt (7 Kap. 12). Insbesondere dient dabei die 3. Screeninguntersuchung um die 30. SSW der Ermittlung des fetalen Schätzgewichtes aufgrund von Regressionsmodellen aus 2 oder mehr fetalen Biometriewerten (Messung von langen Röhrenknochen, Kopf, Abdomen). Durch entsprechende Schätzformeln gelingt es, das Fetalgewicht mit einem Konfidenzintervall von 95% und einer Abweichung von 15–20% vorauszusagen. Unglücklicherweise ist diese Trennschärfe gerade in den besonders interessierenden Randbereichen des makrosomen (>90. Perzentile) bzw. des mangelentwickelnden Fetus (<10. Perzentile) nicht erzielbar (7 Kap. 15). Hier müssen erheblich größere Fehler in der Gewichtsschätzung in Kauf genommen werden. Unter Berücksichtigung mütterlicher Determinanten für das Fetalgewicht (Körperhöhe, Körpergewicht) lässt sich der Prädiktionswert solcher Formeln verbessern. Aufgrund der mit dem Gestationsalter abflachenden Wachstumskurve und der Berücksichtigung des Messfehlers bei der ultrasonographischen Biometrie sind ab der 28. SSW bei seriellen Messungen Untersuchungsintervallabstände von <2 Wochen nicht sinnvoll.
30.5.2
Fruchtwassermenge
Entwicklung der Fruchtwassermenge > Ein Polyhydramnion bzw. Oligohydramnion korreliert mit einer erhöhten Inzidenz kongenitaler Anomalien, Stoffwechselstörungen, Auftreten von intrauteriner Wachstumsrestriktion und einer erhöhten perinatalen Mortalität.
Die Messung bzw. Schätzung der Fruchtwassermenge bringt insbesondere bei Vorliegen einer fetalen Wachstumsrestriktion eine wichtige Zusatzinformation. Das Fruchtwasservolumen nimmt von durchschnittlich 200 cm3 mit 16 SSW kontinuierlich auf 980 cm3 mit 34.– 35. SSW zu und bis zum Geburtstermin wieder auf 800 cm3 ab. Bei Terminüberschreitung (42. SSW) beträgt die mittlere Fruchtwassermenge schließlich noch 540 cm3. Nach 20. SSW stellen die Nieren des Fetus bzw. dessen Urin sowie exsudative Prozesse in den Lungenalveolen die hauptsächliche Produktionsquelle für das Fruchtwasser dar. Dessen Verminderung deutet daher bei Ausschluss anderer Ursachen (z. B. vorzeitiger Blasensprung) auf eine fetale Kreislaufadaptation infolge chronischer Versorgungsdefizite hin. Bis zur 7. SSW ist das Fruchtwasser vorwiegend maternaler Herkunft, während von der 7.–20. SSW das Fruchtwasser mehr dem fetalen als dem maternalen Serum ähnelt. Die Mechanismen der Aufrechterhaltung und Regulation des Wasserund Stoffaustausches zwischen maternalem und fetalem Kom-
30
666
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
partiment sind dabei noch nicht vollständig geklärt. Nach der 20. SSW wird die Fruchtwassermenge zunehmend von der fetalen Urinproduktion mitbestimmt. In Terminnähe beträgt diese 25,3 ml/h. Die gleichzeitig vom Fetus in dieser Zeit geschluckte Fruchtwassermenge von etwa 20 ml/h trägt wahrscheinlich maßgeblich zur Balance des Fruchtwasservolumens in der 2. Schwangerschaftshälfte bei. Aus diesem Grunde wird verständlich, dass Störungen der fetalen Urinproduktion zu einer Verminderung des Fruchtwasservolumens führen, dagegen eine Beeinträchtigung des Schluckaktes – wie bei 76% der fetalen Anomalien zu beobachten – mit einem Polyhydramnion einhergeht. Weitere Austauschmöglichkeiten bestehen durch die fetale Haut, Amnionmembranen, Nabelschnurblutgefäße sowie durch das fetale Bronchialsystem.
Pathologische Fruchtwassermengen (Dyshydramnie)
30
Der Verdacht auf pathologische Fruchtwasseransammlungen gelingt relativ gut reproduzierbar durch die Ultraschalluntersuchung. In zahlreichen Fällen lässt sich die gestörte Regulation auf fetale bzw. maternale Störungen zurückführen.
Polyhydramnion Je nach Definition wird ein Polydramnion in 0,3–1% der Schwangerschaften beobachtet, davon sind 50–60% idiopathisch. Klinische Zeichen sind ein nicht dem Gestationsalter entsprechender Fundusstand und ein sehr beweglicher Fetus, dessen Herzfequenz schwer registrierbar ist. Im Ultraschall korrespondiert hiermit eine Fruchtwassermenge von >2 l, eine vertikale Fruchtwassernische von >8 cm bzw. ein Amniotic-fluid-Index (AFI; Erklärung 7 unten) von ≥24 cm. Ein Polyhydramnion kann aber auch dadurch charakterisiert werden, dass die Fruchtwassermenge ultrasonographisch den Eindruck vermittelt, der Fetus habe ein zweites Mal Platz in der Amnionhöhle.
Studienbox In einer Studie an 40.065 Schwangeren fanden sich 370 Fälle mit Polyhydramnion. Gegenüber einer Kontrollgruppe von 36.426 Schwangeren mit normaler Fruchtwassermenge fanden sich 25-mal mehr Anomalien als in der Kontrollgruppe (8,4% vs. 0,3%). Die Sectiorate war in der Polyhydramniongruppe 3-mal höher. Bei Herausrechnung der Diabetikerinnen (24%) war die Anomalieinzidenz (in der Gruppe der Nichtdiabetikerinnen) noch höher im Vergleich zur Kontrollgruppe (10,4% vs. 0%). Die perinatale Mortalität betrug bei allen Polyhdramnionfällen 49‰ vs. 14‰, in der Gruppe der Nichtdiabetikerinnen 60‰ vs. 0‰ (Biggio et al. 1999). Ein akut auftretendes Polyhydramnion, das meist vor der 24. SSW innerhalb von 2 Wochen zu einer beträchtlichen Zunahme des Leibesumfangs führt und häufig mit klinischem Beschwerdebild einhergeht, tritt in 1,7% aller Fälle auf (häufig fetofetales Transfusionssyndrom bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften). Unbehandelt führt dieses Bild meist zur extremen Frühgeburt.
> Das Ausmaß einer Fruchtwasservermehrung spiegelt die Schwere der maternalen Stoffwechselstörung bei diabetischer Stoffwechsellage wider.
Rhesusbedingte Hydropssituationen sind meist ab der 29. SSW, ein kongenital malformationsbedingtes Polyhydramnion meist ab der 32. SSW und das in 30–60% feststellbare idiopathische Polyhydramnion ab der 36. SSW zu beobachten. Neben maternalen Beschwerden, wie Atemnot, Bauchspannen, vorzeitige Wehentätigkeit, ist das Risiko eines vorzeitigen Blasensprungs, eines Nabelschnurvorfalls, einer Abruptio placentae, von Lageanomalien und einer Frühgeburt des Fetus deutlich erhöht. In der Diagnostik sollte neben der Durchführung eines Glukosetoleranztests ein Ultraschall der Stufen II–III (7 Kap. 15) durchgeführt werden sowie großzügig die Indikation zur Karyotypisierung gestellt werden. Da die unkorrigierte perinatale Mortalität mit 32,9/1000 gegenüber 4,7/1000, wie auch die um Fehlbildungen korrigierte Mortalität mit 4,12/1000 gegenüber 1,97/1000 deutlich erhöht ist, ist eine engmaschige Überwachung dieser Schwangerschaften angezeigt (Chamberlain et al. 1984; Magann et al. 2007). In extremen Fällen ist neben der stationären Aufnahme mit Bettruhe und symptomatischen Maßnahmen eine Amniondrainage sinnvoll. Zur Vermeidung einer Abruptio placentae sind maßvolle Entlastungen mit <1000 ml/Sitzung zu empfehlen.
Oligohydramnion Ein Oligohydramnion tritt bei 2,9–3,9% aller Schwangerschaften auf. Klinische Hinweise ergeben sich durch ein gegenüber dem Gestationsalter zurückbleibendes Uteruswachstum (reduzierter Symphysen-Fundus-Abstand). Bereits mit der subjektiven Einschätzung der ultrasonographisch nachweisbaren Fruchtwassermenge gelingt es, sich einen relativ guten Aufschluss über vorhandene Fruchtwasserdepots zu verschaffen. Ein Oligo- bzw. Anhydramnion fällt allein durch die schlechte Visualisierbarkeit des Fetus (Fehlen der Wasservorlaufstrecke) auf. Besser reproduzierbar ist allerdings die Bestimmung der Fruchtwassermenge mit Hilfe des Amnioticfluid-Indexes (AFI). Dabei wird der Uterus bei der liegenden Patientin auf Nabelhöhe in 4 gleiche Quadranten eingeteilt und die Summe aus den 4 jeweils tiefsten vertikalen Fruchtwassernischen in Zentimeter ermittelt. Bei der Ermittlung der vertikalen Tiefe einer Nische bleiben die interponierte Nabelschnur bzw. Extremitäten des Fetus unberücksichtigt. Werte <5 cm geben Hinweise auf ein Oligohydramnion, Werte ≥24 cm auf ein Polyhydramnion (7 Kap. 15). Der Amnioticfluid-Index weist bis zur 25. SSW ansteigende Werte auf und erreicht hier im Mittel Werte von 15 cm, anschließend fällt er bis zum Termin leicht, dann stärker ab und erreicht in der 40. SSW im Mittel Werte um 13 cm (Moore 1990).
667 30.6 · Plazentare Hormone und Serummarker, fetale Blutgase
Studienbox Andere Untersuchungen weisen allerdings darauf hin, dass es für die Definition der Oligohydramnie ausreichend ist, wenn nirgendwo eine Fruchtwassernische mit einer vertikalen Eindringtiefe >2 cm gefunden werden kann (Single-pocket-Methode). Eine Metaanalyse aus 5 randomisierten Vergleichsstudien (n=3226) zeigte bei Anwendung des AFI gegenüber der Single-pocket-Methode keine Verbesserung des perinatalmedizinischen Ergebnisses, sondern signifikant höhere Raten diagnostizierter Oligohydramnionfälle (2,4-fach) und daraus resultierender Einleitungen (1,9-fach) sowie einen Anstieg der Sectiorate wegen »fetal distress« (1,5-fach). Die Autoren empfehlen daher die Anwendung der Single-pocket-Methode (Nabhan u. Abdelmoula 2009).
Unter den möglichen renalen Ursachen für ein Oligohydramnion verursacht die Potter-Sequenz in Form einer bilateralen Nierenagenesie die auffälligste Verminderung der Fruchtwassermenge. Da kein fetaler Urin produziert wird, resultiert hieraus ein Anhydramnion mit konsekutiver Lungenhypoplasie. Weiterhin ist die Oligohydramnie gehäuft vergesellschaftet mit Chromosomenanomalien, dem Vorliegen einer intrauterinen Wachstumsrestriktion (7 Kap. 27) sowie der Übertragung. Als weitere Ursache sollte grundsätzlich ein vorzeitiger Blasensprung ausgeschlossen werden. > Die Feststellung eines Oligohydramnions allein korreliert mit einer 4-fach höheren Wahrscheinlichkeit einer Wachstumsrestriktion und einem 10-fach höheren Risiko eines »fetal distress« unter der Geburt und einer verzögerten neonatalen Adaptation. Bei Vorliegen einer maximalen Fruchtwassernische <1 cm muss ferner mit einer 40- bis 50-fach höheren perinatalen Mortalität gerechnet werden. Bereits bei einer weniger ausgeprägten Verminderung der Fruchtwassermenge nimmt die perinatale Mortalität um das 10- bis 15-Fache zu.
In einer Metaanalyse aus 8 Studien mit 10.551 Schwangeren konnte festgestellt werden, dass ein Oligohydramnion auch mit einer erhöhten Sectiorate (RR 2,2) sowie häufiger mit einem 5-min-Apgar-Wert <7 (RR 5,2) einhergeht (Chauhan et al. 1999). Mögliche Ursachen dieser Risikoerhöhung sind Nabelschnurkompressionen, insbesondere unter Wehentätigkeit (Loy u. Queenan 1989). Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist die Beurteilung der Fruchtwassermenge ein essenzieller Baustein im biophysikalischen Profil. Im modifizierten BPP ist sie neben dem Non-Stress-Test der wichtigste Parameter zur fetalen Zustandsbeurteilung. Bei der Übertragung rechtfertigt das Auftreten eines Oligohydramnions wegen der hiermit verbundenen Komplikationen und der niedrigen Falsch-positivRate eine Schwangerschaftsbeendigung (7 Kap. 35). Eine Amnioninfusion kann die Rate derartiger Komplikationen vermindern helfen (7 Kap. 33).
> Das Oligohydramnion in der Schwangerschaft ist mit einer signifikant erhöhten Fetal-distress- und Mortalitätsrate verknüpft. Unter den »Langzeitmarkern« ist es einer der wichtigsten Parameter. Das Polyhydramnion ist häufig mit fetalen Fehlbildungen bzw. gestörtem maternalem Blutzuckerstoffwechsel verknüpft und mit einer erhöhten Frühgeburtsrate korreliert.
30.5.3
Plazentagrading
Die vorzeitige Reifung der Plazenta, die zu entsprechenden ultrasonographisch sichtbaren Verkalkungen führt, ist assoziiert mit Nikotinabusus der Mutter, intrauteriner Wachstumsrestriktion und »fetal distress« unter der Geburt. Die Kenntnis des Plazentagradings nach Grannum et al. (1979) führt nach einer einzigen prospektiven Studie (Proud u. Grant 1987) in Verbindung mit entsprechend klinisch-aktivem Vorgehen zu einer signifikanten Verbesserung der perinatalen Ergebnisse mit reduzierter Mekoniumrate, höherem 5-min-Apgar und geringerer perinataler Mortalität. Allerdings wurden diese Befunde für die 30.–36. SSW erhoben. Jenseits der 36. SSW korreliert eine Typ-III-Plazenta mit einer höheren Inzidenz an Präeklampsie und IUWR (McKenna et al. 2005).
30.6
Plazentare Hormone und Serummarker, fetale Blutgase
30.6.1
Plazentare Hormone und Serummarker
Die Plazenta ist ein endokrines Organ, das eine Vielzahl von Steroid-, Proteo- und Peptidhormonen produziert. Für die Überwachung in der Schwangerschaft wurden vornehmlich das »human placenta lactogen (HPL) und das Estriol aus dem maternalen Serum untersucht. Die einzige prospektive kontrollierte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die klinische Überwachung der Schwangerschaft ein größeres Potenzial hat, die perinatale Mortalität bzw. Morbidität zu reduzieren, als die Messung plazentarer Hormone wie z. B. die Estriolbestimmung (Duenhoelter et al. 1976). HPL- wie Estriolbestimmungen gelten wegen des wissenschaftlich nicht nachweisbaren Nutzens mittlerweile als obsolet. Diesem Sachverhalt ist bereits durch die Herausnahme dieser Items aus der Perinatalerhebung in Deutschland Rechnung getragen worden.
Studienbox Dagegen besitzen einige Serummarker, die z. B. bei der Ersttrimesterdiagnostik zum Einsatz kommen, durchaus einen prädiktiven Wert hinsichtlich der Entwicklung einer Präeklampsie bzw. IUWR. 44 Studien mit 169.637 Schwangeren (mit 4376 Präeklampsiefällen) wurden metaanaly-
6
30
668
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
siert. Der beste Prädiktor für die Präeklampsie war hierbei das Seruminhibin A >2,79 MoM. Die positive »likelihood ratio« betrug 19,5, die negative 0,3. Bezüglich der Vorhersage der IUWR wurden 86 Studien mit 382.005 Schwangeren (20.339 IUWR-Fälle) metaanalysiert. Der beste Serumprädiktor hierfür war das α-Fetoprotein (AFP) >2 MoM mit einer positiven »likelyhood ratio« von 28 und einer negativen von 0,8 für die Vorhersage einer IUWR <10. Gewichtsperzentile <37 Schwangerschaftswochen (Morris et al. 2008). In einer retrospektiven Studie an 84.789 Schwangeren erechnete sich bei den Schwangeren in den oberen 5% der ROC-Kurve die Wahrscheinlichkeit für einen intrauterinen Fruchttod (IUFT) mit einer »likelihood ratio« von 7,8 bei 24–28 SSW, 3,7 bei 29–32 SSW, 5,1 bei 33–36 SSW sowie 3,4 bei 37–43 SSW (Smith et al. 2007).
30 30.6.2
Fetale Blutgase
Mit der von Daffos et al. (1983) initial zur Toxoplasmosediagnostik entwickelten Technik der perkutanen Punktion der Nabelschnur eröffnete sich erstmals ein direkter Zugang zum Fetus. Damit konnten neue Kenntnisse über die Physiologie des Säure-Basen-Status in der Schwangerschaft sowie ein genereller Einblick in die blutchemischen Parameter des Fetus gewonnen werden. Die umbilikalvenösen pO2-Werte nehmen im Schwangerschaftsverlauf ab (20. SSW etwa 50 mm Hg, 28. SSW etwa 40 mm Hg und 38. SSW etwa 30 mm Hg). Die vermehrte O2Aufnahme des Fetus führt mit zunehmender Schwangerschaftsdauer zu einer Zunahme der pO2-Differenz zwischen Umbilikalarterie und Umbilikalvene. In einem früheren Gestationsalter liegt auch der venöse pH-Wert höher als am Termin (22. SSW etwa 7,42, 30. SSW etwa 7,40, 38. SSW etwa 7,38). Aus diesem Grunde müssen bei Frühgeborenen andere Bewertungsmaßstäbe angelegt werden als beim reifen Fetus (Schneider et al. 1994). Insbesondere bei wachstumsrestringierten Feten zeigt sich ein gehäuftes Auftreten hypoxischer, hyperkapnischer, hyperlaktämischer und azidotischer Zustände (7 Kap. 27). Der Zugang via Chordozentese gestattet auch die Bestimmung von Aminosäuren als Hinweis auf eine Malnutrition bzw. die Bestimmung der Retikulozyten als Indikator der Erythropoese bei einer Anämie bzw. Hypoxämie. Die Gewinnung von Blutzellen ermöglicht eine rasche Karyotypisierung. Aufgrund der nur punktuell möglichen Diagnostik, des methodenspezifischen Komplikationsrisikos von etwa 1% (Infektion, Blutungsrisiko, Letalität) und der nur ungenügenden Korrelation fetaler Blutgase mit der neurologischen Langzeitentwicklung sollte diese Methode nur sehr restriktiv indiziert werden. ! Gerade IUWR-Feten reagieren häufig mit Vasospasmen und einer damit verbundenen akuten Zustandsverschlechterung auf die Punktion der Umbilikalgefäße (Schneider et al. 1994).
30.7
Blutströmung in uteroplazentaren und fetalen Gefäßen
30.7.1
Physiologie und Pathophysiologie des Blutströmungsverhaltens
Physiologischerweise sinkt der Gefäßwiderstand in den Spiralarterien, Aa. arcuatae und den Uteringefäßen bis zum Abschluss der 2. Trophoblastinvasion, d. h. bis etwa zur 20.– 24. SSW. Dieser sinkende Gefäßwiderstand findet v. a. in einer Erhöhung der diastolischen Flussgeschwindigkeiten seinen Niederschlag. Histomorphologisch kommt es durch einen Abbau der Muskuloelastika in den Spiralarterien zu einer erheblichen Dilatation, sodass das maternale Blut ohne nennenswerten Strömungswiderstand in den intervillösen Raum gelangt. In der A. umbilicalis nimmt – aufgrund einer stetigen Zunahme der tertiären Stammzotten und der damit verbundenen Querschnittsverbreiterung – der Widerstand im nachgeschalteten plazentaren Strombett bis zum Termin ebenfalls ab. Um den Geburtstermin und danach wird in diesem Gefäß ein Abfall der diastolischen Flussgeschwindigkeiten (= Wiederanstieg des Widerstandes) bei gleichzeitiger Zunahme des diastolischen Flusses im fetalen Gehirn (= Termineffekt) beobachtet. Ansonsten bleibt der Gefäßwiderstand in der fetalen Aorta und im fetalen Gehirn bei ungestörter Versorgung durch zentralnervöse Regulationsmechanismen weitgehend konstant. Das Blutströmungsmuster in einzelnen Gefäßen gibt jeweils Informationen über das nachgeschaltete Gefäßbett. Im Falle einer ausgeprägten uteroplazentaren Minderperfusion kommt es im Fetus, vermittelt durch Chemorezeptoren im Aortenbogen, zu einer Blutumverteilung zugunsten lebenswichtiger Organe wie dem Gehirn, den Herzkranzgefäßen und den Nebennieren. Andere Organe wie z. B. Intestinum bzw. Nieren werden dagegen minderperfundiert. Die Unterversorgung der Nieren führt wiederum über eine verminderte Urinausscheidung zum Bild der Oligohydramnie. Diese Umverteilungsvorgänge resultieren meist aus einer chronisch nutritiven Plazentainsuffizienz und können bei zusätzlichen Belastungen (z. B. Wehen) eine rasche Dekompensation des Fetus zur Folge haben. Ziel ist es daher, diese Veränderungen zu erfassen, um das fetale Gefährdungsrisiko richtig einschätzen zu können.
30.7.2
Dopplersonographische Messung der Blutströmung
Seit den ersten Arbeiten von Fitzgerald u. Drumm 1977 hat der Einsatz des Dopplerverfahrens zur Prüfung des Blutströmungsverhaltens der fetoplazentomaternalen Einheit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Diese Technik macht sich zunutze, dass der Unterschied zwischen einer bekannten emittierten Ultraschall-(Doppler-) frequenz und der von den bewegten Blutbestandteilen reflektierten Schallfrequenz (Dopplershift) proportional der Flussgeschwindigkeit des Blutes ist:
669 30.7 · Blutströmung in uteroplazentaren und fetalen Gefäßen
v · cosθ fd (Dopplershift) = 2 · fo 9 c bzw. fd · c 2 fo · cosθ
v = 02 Dieser Effekt wurde von dem österreichischen Physiker Christian Doppler zunächst für die Bewegung von Sternen beschrieben. Dabei ist fo die bekannte emittierte Ultraschallfrequenz (gewöhnlich 3–5 Mhz), v ist die Blutströmungsgeschwindigkeit im untersuchten Gefäß, q ist der Insonationswinkel und c die Geschwindigkeit der Ultraschallausbreitung im Gewebe (1540 m/s). Da der Insonationswinkel einer Cosinusfunktion unterliegt, ist bei steilem Insonationswinkel der Cosinus nahe 1, bei abgeflachtem Winkel nähert er sich 0, womit auch das Produkt 0 wird. Für eine gute Reproduzierbarkeit sollte der Insonationswinkel des Dopplerstrahls zum Blutgefäß unter 60° liegen. Diese Untersuchungsmethode erlaubt sowohl eine direkte Bestimmung des Blutflussvolumens pro Zeiteinheit als auch eine indirekte Hüllkurvenanalyse von Blutströmungsmustern, die für jedes Gefäßgebiet charakteristisch sind. Aus Gründen der besseren Reproduzierbarkeit wird heute die Hüllkurvenanalyse, bei der die Maximalgeschwindigkeiten in der Systole und Enddiastole zueinander in rechnerische Beziehung gesetzt werden, bevorzugt. ! Häufige Fehlerquellen bei der Messung sind: 4 Wahl eines zu flachen Einfallwinkels (ideal: <60° Dopplereinfallsrichtung zu Gefäßlängsachse), 4 ein zu hoher Gefäßwandfilter (ideal: <100 Hz) bzw. Messung während hoher kindlicher Aktivität (Atem-, Körperbewegungen), 4 Brady- bzw. Tachykardie. Bei der Bradykardie kommt es zu einer scheinbaren »Verschlechterung«, bei Tachykardie aufgrund der verkürzten diastolischen Füllungszeit zu einer scheinbaren »Verbesserung« des Gefäßwiderstandsindex der nichtzerebralen Gefäße. Bei zu starkem Druck auf den Ultraschalltransducer kann in der A. cerebri media die diastolische Blutströmung bis zum Nullfluss reduziert (und bei »brain sparing« damit vermeintlich normalisiert) werden.
Studienbox Mit der gepulsten Dopplersonographie werden im diagnostischen Bereich die bisher höchsten Schallenergien appliziert. Dabei gelten die für das B-Bild, den cwDoppler und die Farbkodierung emittierten Schallenergien als weitgehend unbedenklich. Zu den möglichen Bioeffekten zählt v. a. die Gewebserwärmung, insbesondere bei Knocheninterposition. Wenngleich bisher noch kein Fall einer fetalen Schädigung durch fetale Gewebserwärmung bekannt wurde und eine solche bei maternalem Fieber wesentlich wahrscheinlicher ist, sollte der Einsatz der gepulsten Dopplersonographie nur indiziert (Mutterschafts-Richtlinien) nach dem ALARA-Prinzip (»as low as reasonable achievable«, d. h. mit der niedrigsten möglichen Schallenergie, so kurz als möglich) erfolgen (Schneider 1997). Eine WHO-Metaanalyse von 61 Studien, darunter 16 kontrollierte, zeigte auch bei Anwendung der gepulsten Dopplersonographie in der Schwangerschaft keine negativen Auswirkungen auf das geborene Kind bis hin zum Schulalter (Torloni et al. 2009).
Hüllkurvenanalyse Die beste Reproduzierbarkeit wird durch eine Beurteilung der Hüllkurve des Blutflussspektrums (= Analyse der Maximalgeschwindigkeiten) erreicht. Dabei werden Indizes verwendet, die das Verhältnis von den systolischen zu den enddiastolischen Maximalgeschwindigkeiten ermitteln (. Abb. 30.8). Die hiermit erzielbaren Reproduzierbarkeitsfehler liegen je nach untersuchtem Gefäß <15% und sind damit bedeutend geringer als die bei der CTG-Interpretation bekannten Fehler (40–90%; Schneider 1997, Bahlmann et al. 2002). Bei dem am einfachsten aufgebauten Index wird die maximale systolische Geschwindigkeit durch die maximale enddiastolische Geschwindigkeit geteilt (A/B-Ratio). Gemeinsam mit dem Resistance-(Pourcelot-)Index wird die Auflösung
Wegen der physiologischen Veränderungen in der 1. Schwangerschaftshälfte, die als pathologische Muster fehlgedeutet werden können, und auch aus Sicherheitserwägungen heraus sind Messungen am Fetus zu dessen Zustandsbestimmung erst ab der 20. SSW unter bestimmten Indikationen (7 unten) sinnvoll.
. Abb. 30.8. Ableitung der am häufigsten verwendeten Gefäßwiderstandsindizes aus der Hüllkurve der Dopplerfrequenzspektren (A maximale systolische Geschwindigkeit, B maximale enddiastolische Geschwindigkeit, RI Resistance-Index)
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Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
dieser Indizes unschärfer, je niedriger die enddiastolischen Geschwindigkeiten sind. Der komplexer aufgebaute Pulsatilitätsindex kann jedoch auch bei hochpulsatilen Gefäßen noch eine gute Auflösung liefern. > Grundsätzlich gilt: Je niedriger die diastolischen Maximalgeschwindigkeiten sind, desto höher ist der nachgeschaltete Gefäßwiderstand.
Flussmuster und Messtechnik in einzelnen Blutgefäßen
30
Jeder Gefäßabschnitt weist ein typisches physiologisches Flussmuster auf. Während in den Anfängen der dopplersonographischen Untersuchung diese häufig mit einem cw-Verfahren (»continuous wave«) durchgeführt wurde, erfolgen die Messungen heutzutage nahezu ausschließlich mit einem gepulsten (pw = »pulsed wave«) Dopplerduplexgerät, das die gleichzeitige Visualisierung des untersuchten Gefäßes erlaubt. Bei Verdacht auf plazentare Funktionsstörungen wird die Untersuchung in der 2. Schwangerschaftshälfte i. d. R. transabdominal bei der in Halbseitenlage befindlichen Patientin durchgeführt. Essenziell für eine qualitativ valide Untersuchung ist zunächst einmal die exakte Einstellung des zu untersuchenden B-Bildes. Dann erst wird das Dopplerfenster gefäßdeckend platziert und – sofern der Insonationswinkel <60° liegt – der Doppler zugeschaltet. Nach einer Frequenzspektrumanalyse kann das erhaltene Dopplersonogramm bei gepulsten Dopplergeräten gleichzeitig mit dem B-Bild dargestellt werden (Duplexbetrieb). Durch minimale Veränderung in der Neigung des Schallkopfes wird das Dopplersignal sowohl nach akustischen wie nach optischen Kriterien optimiert, bis mindestens 3–5 gleichförmige Herzzyklen aufgezeichnet sind (ACOG 1992; Gonser 1996; Schneider 1997).
A. iliaca externa Die A. iliaca externa dient als Leitgefäß für das Aufsuchen der Aa. uterinae, die selbst aus den Aa. iliacae internae entspringen. Die Aa. Iliacae besitzen physiologischerweise einen »reverse flow« in der Diastole, der allenfalls nach kompletter Symypathikolyse (z. B. Periduralanästhesie) verschwindet. Nach Aufsetzen des Schallkopfes an der Lateralkante des Uterus oberhalb der Spina iliaca anterior superior kann durch Kippen des Schallkopfes nach medial der aufsteigende Ast der aus der A. iliaca interna kommenden A. uterina in einem günstigen Winkel erfasst werden.
Uterinarterien und Aa. arcuatae Die uterine Durchblutung steigt von 50 ml/min kurz nach der Konzeption auf etwa 500 ml am Termin an. Die diastolischen Flussgeschwindigkeiten sind dabei hoch. Ein Ausbleiben dieser Widerstandsabsenkung in Kombination z. B. mit einer doppelseitigen Inzisur (»Notch«) gibt einen Hinweis auf die Entwicklung einer späteren Hypertonie mit nachfolgender intrauteriner Wachstumsrestriktion. Umgekehrt ist eine solche Entwicklung bei unauffälligem Flussmuster weitgehend auszuschließen. Insbesondere bei lateral inserierender Plazenta ist wegen des dann deutlich unterschiedlich ausfallenden
Widerstandsverhaltens (plazentanah niedrigere Widerstände) die Messung beider Uteringefäße mit Mittelwertbildung zu bevorzugen. In diesem Fall kann eine prädiastolische Inzisur auf der plazentafernen Seite durchaus auch physiologisch sein. Die Messung der Aa. arcuatae (Arkadenarterien) ist aufgrund der deutlich schlechteren Reproduzierbarkeit mittlerweile in den Hintergrund getreten. Die Verwendung der Farbkodierung (»color flow mapping«) oder des Power-Doppler erleichtet bzw. ermöglicht häufig erst das Auffinden der uterinen Gefäße.
Aa. umbilicales Die beiden Aa. umbilicales kommunizieren meist in der Basalplatte der Plazenta und weisen so ähnliche Gefäßwiderstände auf. Der Messort sollte wegen möglicher Turbulenzen und niedrigerer Widerstände in Plazentanähe am besten in einer frei liegenden Schlinge in einem steilen Winkel zum Dopplereinfallswinkel fetusnah durchgeführt werden. Bestimmungen von Hüllkurvenindizes in den Umbilikalarterien weisen die beste Reproduzierbarkeit auf (Schneider 1997).
Umbilikalvene In der Umbilikalvene sind die Flussverhältnisse relativ konstant, sodass hier eine Volumenmessung sinnvoller ist als eine Indexmessung. Mit zunehmendem Gestationsalter werden geringere Blutflüsse gemessen (in Terminnähe 108–153 ml/kg Fetalgewicht; Gerson et al. 1987). Fluktuationen über mehrere Herzzyklen sind meist Hinweise auf fetale Atembewegungen. Sie müssen unterschieden werden von herzfrequenzsynchronen venösen Pulsationen (7 unten).
Fetale Aorta Die fetale deszendierende Aorta weist ein hochpulsatiles Flussmuster auf. Dieses Gefäß ist wegen der Längslage des Fetus in Terminnähe oft schwierig in einem günstigen Insonationswinkel zu erfassen. Hilfsmöglichkeiten sind das »Abkippen« des Schallkopfes auf dem maternalen Abdomen bzw. der Versuch, über die Kurvatur des Uterus vom Fundus her kommend, günstigere Winkelverhältnisse zu erreichen.
Ductus venosus Etwa 80% des oxygenierten Blutes erreichen über diesen Shunt unter Umgehung der Leber nach Einmündung in die V. cava inferior das rechte und über das offene Foramen ovale das linke Herz, von dort via A. carotis direkt das Gehirn. Dieses wenige Millimeter messende Gefäß ist bei einem Fetus z. B. im Längsschnitt knapp unterhalb des Zwerchfells und ventral der V.-cava-Einmündungsstelle in der Farbkodierung durch eine Grünverfärbung (hohe Flussgeschwindigkeiten, Turbulenzen) darstellbar (Hecher et al. 1995). Das Gefäß weist physiologischerweise während des gesamten Herzzyklus eine Vorwärtsströmung mit einer typischen »2-gipfeligen« Kurve auf. Der erste Peak (S) wird in der Systole erreicht, gefolgt von einem schwächer ausgeprägten Peak in der Diastole (D) und einem Nadir (niedrigste Geschwindigkeit) während der Vorhofkontraktion (=a). Mögliche Formeln zur Kalkulation des Gefäßwiderstandes sind:
671 30.7 · Blutströmung in uteroplazentaren und fetalen Gefäßen
4 Ratio = (S–a) : D, 4 Ratio = (S–a) : TAMX (über die Zeit gemittelte Maximalgeschwindigkeit). > Je weiter entfernt vom Herzen das venöse Blutströmungsmuster pathologisch ist, desto größer ist die fetale Dekompensationsgefahr: V. umbilicalis >V. hepaticae >V. cava interior >Ductus venosus.
Zerebraler Blutfluss Die Messung der A. carotis wurde zunehmend zugunsten der Messung der schallkopfnahen meist im günstigen steilen Winkel befindlichen A. cerebri media ersetzt. Dieses Gefäß ist wesentlich leichter erfassbar als die bei einer Blutumverteilung ebenfalls besser versorgten Koronarien und Nebennieren und soll aus Sicherheitsgründen in der schallkopfnahen Hemisphäre gemessen werden. ! Durch eine Kompression des fetalen Schädels mit dem Schallkopf können artifiziell hochpulsatile Muster bis hin zum »reverse flow« erzeugt werden. Dadurch kann eine Widerstandserniedrigung unbemerkt bleiben, weshalb gerade über dem Schädel der Auflagedruck des Transducers so niedrig wie möglich gewählt werden sollte.
Indikationsstellung Die antepartale dopplersonographische Messung des maternalen bzw. fetalen Blutströmungsverhaltens ist eine nicht invasive Methode zur Abschätzung einer chronischen intrauterinen Hypoxie. In den bisher vorliegenden Studien ist für die Methode im Screeningeinsatz an unausgewählten Patientenkollektiven (Nichtrisikokollektive) kein Benefit zu erkennen (Alfirevic u. Neilson 1995, 1996; ACOG 2009). Bei folgenden Indikationsstellungen erlaubt die Methode eine Selektion gefährdeter Fälle (seit 1.4.1995 Bestandteil der Mutterschafts-Richtlinien in Deutschland; modifizierte Wiedergabe):
Indikationen zur Messung des maternalen bzw. fetalen Blutströmungsverhaltens 4 Verdacht auf intrauterine Wachstumsrestriktion (IUWR) bzw. anamnestisches IUWR-Risiko bzw. intrauteriner Fruchttod 4 Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie/Präeklampsie/Eklampsie bzw. anamnestisches Risiko dieser Erkrankungen 4 Diskordantes Mehrlingswachstum 4 Begründeter Verdacht auf fetale Fehlbildung (insbesondere Herzvitium) oder Erkrankung 4 Auffälligkeiten der fetalen Herzfrequenzregistrierung Weitere sinnvolle, nicht in den Richtlinien enthaltene Indikationen wären: 4 generell alle Mehrlingsschwangerschaften, 4 gefäßrelevante maternale Erkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes).
! Die Dopplersonographie ist nicht geeignet, akute Risiken wie eine durch Blutdruckabfall der Mutter bedingte Minderperfusion, Plazentalösungen oder später erfolgende Nabelschnurkomplikationen anzuzeigen.
Wahl der Blutgefäße und Interpretation der Messung Die aussagekräftigsten und reproduzierbarsten Gefäßgebiete sind mütterlicherseits die Aa. uterinae beim Fetus, die A. umbilicalis, v. a. die A. cerebri media (die Aorta fetalis ist oft schwierig im richtigen Winkel einzustellen). Als pathologisch gelten gewöhnlich Gefäßindizes über der 90. bzw. 95. Perzentile für die uterinen und umbilikalen Gefäße sowie für die fetale Aorta. Im Gehirn deutet dagegen eine Widerstandabsenkung unter die 10. bzw. 5. Perzentile auf eine Kompensationsnotwendigkeit hin. Insbesondere weisen eine Abnahme bzw. ein Verlust der enddiastolischen Strömungsgeschwindigkeit (Synonyma: diastolischer Block, »zero flow«) auf einen erhöhten Gefäßwiderstand in der nachgeschalteten Strombahn und damit auf eine Perfusionsbeeinträchtigung hin. Nach neueren Untersuchungen weisen Gefäßwiderstandserhöhungen im venösen System (z. B. Ductus venosus) auf eine bevorstehende fetale Dekompensation im Sinne einer Rechtsherzinsuffizienz hin (Hecher et al. 1995; Baschat et al. 2004, 2009). In der Pathologiekaskade kommt es zunächst zu einer Abnahme der diastolischen Flussgeschwindigkeiten in den peripheren Gefäßen. Zusätzlich kann ab der 24. SSW eine persistierende frühdiastolische Inzisur (»Notch«) in beiden Uteringefäßen auf eine Widerstandserhöhung in der uterinen Strombahn und auf die Gefahr der späteren Entwicklung einer schwangerschaftsspezifischen Hypertonie hinweisen (positiver Prädiktionswert ca. 30%), während ein unauffälliges uterines Strömungsmuster dieses Erkrankungsbild auch für die spätere Schwangerschaft nahezu ausschließt (El Hameli et al. 2005). > Vor der 20.–24. SSW ist eine frühdiastolische Inzisur (Notch) in den Uterinarterien häufig noch physiologisch (noch nicht abgeschlossene 2. Trophoblastinvasion)! Auch in Terminnähe (>37. SSW) korrelieren pathologische Flussmuster in den Uteringefäßen mit einer fetalen Gefährdung!
Bei Vorliegen einer Blutumverteilung (Sauerstoffsparschaltung bzw. Brain-sparing-Effekt) zugunsten des fetalen Gehirns sind die uteroplazentaren Reserven bereits wesentlich eingeschränkt; eine intensive Überwachung (im frühgeburtlichen Bereich in einem Perinatalzentrum) ist daher angezeigt. Neuere Untersuchungen zeigen bereits bei diesem Flussmuster Verhaltensauffälligkeiten der im Alter von 18 Monaten nachuntersuchten Kinder (Roza et al. 2008) Bei zunehmender Dekompensation stellen ein Flussverlust oder eine Flussumkehr in den Umbilikalarterien bzw. in der Aorta fetalis terminale und präfinale Blutströmungsmuster dar, die mit einer hohen Schädigungs- und Mortalitätsrate des Kindes verbunden sind.
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672
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
anstieg des Widerstandes im Gehirn bei sonst unveränderter peripherer Perfusion keine Verbesserung, sondern der indirekte Hinweis auf eine Dekompensation (»Dezentralisation«), die u. U. durch das Auftreten eines Hirnödems erklärt werden kann.
Bei »zero flow« bzw. »reverse flow« steigt die Rate bereits azidotischer Kinder drastisch an. Die Gefahr eines intrauterinen Absterbens innerhalb einer Woche nach Feststellung wird in der Literatur zwischen 15% und 50% angegeben! Gleichzeitig wird bei diesen Flussmustern eine deutlich erhöhte Rate (bis 12%) an Herz- und weiteren Fehlbildungen einschließlich Chromosomenanomalien beobachtet (Gonser 1996; Schneider 1997). > Falls nicht schon primär die entdeckte Fehlbildung Indikation zur Doppleruntersuchung war, sollte bei Vorliegen von hochpathologischen Blutströmungsmustern nach Fehlbildungen gefahndet und bei Nachweis von Malformationen eine rasche Karyotypisierung, am besten via Plazentazentese, durchgeführt werden.
30 . Abb. 30.9. Abhängigkeit der perinatalen Mortalität vom Gestationsalter bei Vorliegen eines diastolischen Rückwärtsflusses (»reverse flow«), eines Nullflusses (»zero flow«) bzw. eines pathologisch erhöhten Gefäßwiderstandes (PI Pulsatilitätsindex) in der A. umbilicalis
Bei frühem Gestationsalter lässt sich der Entbindungszeitpunkt mit Kenntnis der venösen Flussmuster u. U. noch ohne Gefährdung des Kindes hinauszögern. Es muss dabei aber berücksichtigt werden, dass bei konsekutiver Beobachtung von IUWR-Feten hochpathologische ARED-Flow-Muster im Ductus venosus nur in ca. 40% beobachtet werden können, sodass dieses Gefäß möglicherweise nicht geeignet ist, als alleinige Entscheidungshilfe für die Beendigung der Schwangerschaft zu dienen. In einer neuen Untersuchung von Baschat konnte auch nur die arterielle, nicht aber die venöse Doppleruntersuchung als unabhängiger Prognoseparameter gewertet werden (7 Kap. 27: IUWR). Noch laufende multizentrische randomisierte Studien wie die TRUFFLE-Studie müssen den Stellenwert des venösen Kompartiments näher klären. Sind allerdings die bei einer terminalen Rechtsherzinsuffizienz typischen Bilder von herzfrequenzsynchronen venösen Pulsationen in der Nabelschnurvene bzw. V. cava oder ein Null- bzw. Rückwärtsfluss im Ductus venosus festzustellen, ist die unmittelbare Entbindung angezeigt, sofern ein überlebensfähiges Gestationsalter erreicht ist und eine neonatologische Intensivbetreuung unmittelbar post partum verfügbar ist (Perinatalzentrum). Bereits bei einer persistierenden Blutumverteilung muss mit rezidivierenden Hypoxien, erhöhter perinataler Mortalität und leichten Langzeitauffälligkeiten gerechnet werden. Eine stationäre Aufnahme erscheint daher bereits in dieser – noch kompensatorischen – Phase angezeigt. ! Bei extremer Zentralisation mit Zero- bzw. Reverseflow-Mustern in der Peripherie und einer Widerstandsabsenkung im fetalen Gehirn ist ein Wieder-
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Studienbox Die bisher vorliegenden prospektiv randomisierten Studien zum Einsatz der Dopplersonographie im unselektierten Nichtrisikokollektiv zeigen übereinstimmend keine Verbesserung der perinatalen Morbidität bzw. Mortalität (ACOG 1993, 2009). Ein auf die Durchführung antepartaler Doppleruntersuchungen der Aa. umbilicales und der Aa. uterinae gestütztes Überwachungskonzept führt dagegen in Hochrisikokollektiven zu einer Absenkung der perinatalen Mortalität um 30–45% ohne erhöhte operative Interventionsraten (1996; Gnirs u. Schneider 1996; Schneider 1997; Alfirevic u. Neilson 2009). In der europäischen Multicenterstudie (Karsdorp et al. 1994) betrug die perinatale Mortalität bei 245 Feten mit »zero« bzw. »reverse flow« in der Umbilikalarterie 28%, und 96–98% der Neugeborenen mussten auf die Intensivstation verlegt werden. Gegenüber »matched pairs« mit gleichem Entbindungsalter, aber unauffälligem Dopplerflussmuster, war die perinatale Mortalität bei Vorliegen eines Zero-flow-Musters unabhängig vom Gestationsalter durchschnittlich um das 4-Fache, bei Vorliegen eines Reverse-flow-Musters um das 11-Fache erhöht (. Abb. 30.9). Bei 212 dopplersonographisch (A. umbilicalis) untersuchten Feten (bei 10% der Feten bestand ein enddiastolischer Flussverlust) wurde das Ergebnis nur in der Hälfte der Fälle bekanntgegeben (Pattinson et al. 1994). In dieser Gruppe trat 1 Todesfall gegenüber 6 Todesfällen in der Vergleichsgruppe auf, in der das Dopplerresultat für das klinische Management nicht zur Verfügung stand. In einer Übersicht von 20 randomisierten kontrollierten Studien zum Wert der umbilikalen Doppleruntersuchung als fetalem Zustandstest konnte ein klarer Nutzen
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673 30.8 · Antenatale Testverfahren
der Dopplersonographie bei Einsatz in Hochrisikokollektiven festgestellt werden (Divon 1996; Alfirevic u. Neilson 2009). Damit besteht ein Widerspruch zum ACOG-Statement, in dem nach Sichtung der damals vorhandenen Studien kein Nutzen für den Einsatz der Dopplersonographie auch in Hochrisikokollektiven festgestellt wurde (ACOG 1993, 2000).
Aufgrund der Daten von Nabelschnurblutanalysen kann geschlossen werden, dass bei unauffälligen Dopplerflussbefunden, insbesondere im Bereich der extremen Frühgeburtlichkeit, der Fetus sich noch in einer kompensierten Situation befindet und so eine iatrogen induzierte Frühgeburtlichkeit im Einzelfall vermieden werden kann (Spinillo et al. 2005). Jüngere Untersuchungen zeigen, dass bei insgesamt reduziertem Wert der Dopplersonographie im Bereich des Geburtstermins dennoch der Widerstandsmessung in der A. cerebri media eine gewisse Bedeutung zukommt (Figueras et al. 2004; Lam et al. 2005).
30.8
Antenatale Testverfahren
30.8.1
Indikationen zum Einsatz
Die primäre Indikation für biophysikalische antepartale Testverfahren zur Beurteilung des fetalen Zustandes sind maternale bzw. fetale Risikosituationen, die zu einer uteroplazentaren Mangelversorgung führen können bzw. bereits einen Folgezustand dieser Situation charakterisieren. In der . Übersicht sind wichtige fetale bzw. maternale Anamnese- und Befundrisiken aufgezeigt, die einen Testeinsatz rechtfertigen.
Indikationen für den Einsatz antepartaler Testverfahren 4 Fetale Anamneserisiken – Unerklärter Fruchttod/IUWR/Schädigung 4 Maternale Anamneserisiken – Maternale Erkrankungen (7 Befundrisiken) 4 Fetale Befundrisiken – Intrauterine Mangelentwicklung – Mehrlingsschwangerschaft – Oligohydramnion – Abnehmende Dauer und Anzahl der Kindsbewegungen – Übertragung – Isoimmunisierung (mittel/schwer) 4 Maternale Befundrisiken – Hypertensive Erkrankung – Diabetes mellitus/Gestationsdiabetes – Chronische Nierenerkrankung – Zyanotische Herzerkrankung – Hämoglobinopathie – Systemischer Lupus erythematodes – Hyperthyreoidismus
Der am häufigsten eingesetzte Test ist der Non-Stress-Test (NST). Nach der Bayerischen Perinatalerhebung wurde 2008 bei 99,0% (!) der Schwangerschaften ein CTG unter NonStress-Bedingungen durchgeführt, gefolgt von der Doppleruntersuchung mit einer Anwendungshäufigkeit von 33,5% (Bayrische Perinatalerhebung 2008). Das in den deutschen Perinatalerhebungen nicht erfasste biophysikalische Profil (BPP) hat sich in Europa wohl wegen des Untersuchungsaufwandes nicht in ähnlicher Weise durchgesetzt wie in den angloamerikanischen Ländern, in denen dieser Test entwickelt wurde. Dagegen gewinnt die automatisierte Detektion fetaler Kindsbewegungen, die wesentliche Teilinformationen des BPP enthält, zunehmend an Bedeutung.
30.8.2
Auswahl bzw. Abfolge verschiedener Testverfahren
Aufgrund des unterschiedlichen Intervalles zwischen Durchführung der Tests und dem Geburtszeitpunkt, der Wahl teilweise unterschiedlicher Prüfkriterien und der ungenügenden Korrelation unmittelbar postpartal erhobener Kriterien zur Zustandsbeurteilung des Neugeborenen mit der langzeitneurologischen Entwicklung, ist es schwierig, einzelne Testverfahren miteinander zu vergleichen. Bis heute existieren keine ausreichend großen randomisierten Studien, die die relative Wertigkeit der Testverfahren im gegenseitigen Vergleich an ausreichend großen Fallzahlen belegen. Wünschenswert sind Testverfahren, die – möglichst nicht invasiv – eine relativ lange Vorwarnzeit erlauben, bevor eine Dekompensation eintritt. Dies ist z. B. durch die Dopplersonographie, durch die Beurteilung der Fruchtwassermenge und der Reduktion der Kindsbewegungsdauer gegeben. Bei zunehmend sich verschlechternder Situation ist ein additives Überwachungsverfahren, das Einblick in akut eintretende neurologische Depressionszustände gestattet, wie NST oder SST wünschenswert. Die gleichzeitige Kombination dieses Verfahrens mit einem automatischen Algorithmus zur Detektion von Kindsbewegungen (Kinetokardiotokogramm; K-CTG) gibt einen zusätzlichen Parameter an die Hand, sodass auch diese Testabfolge als modifiziertes biophysikalisches Profil betrachtet werden kann. > Grundsätzlich gelingt es mit Hilfe antepartaler Testverfahren mit einer höheren Treffsicherheit, den ungefährdeten als den gefährdeten Fetus zu erkennen. Ein unauffälliges Testergebnis gibt so eine relativ gute Rückversicherung für einen noch ungefährdeten Fetus. Bei pathologischem Testausfall sollten jedoch insbesondere im Bereich der Frühgeburtlichkeit geburtshilfliche Entscheidungen von der klinischen Gesamteinschätzung und nicht nur vom Testergebnis abgeleitet werden.
Gemeinsam ist den Testverfahren eine relativ hohe Rate falsch positiver Befunde, die beim NST mit bis zu 90% (reduzierbar durch Verlängerung der Testdauer bzw. Anwendung vibroakustischer Stimulationstests) und beim OBT und BPP mit >50% angegeben wird, d. h. der Fetus toleriert nach patholo-
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Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
gischem Testausfall die Wehentätigkeit unter der Geburt ohne signifikante Verschlechterung des geburtsmedizinischen Ergebnisses (Smith et al. 1986; Clark et al. 1989). Die hohe Falsch-positiv-Rate führt u. a. zu einer signifikant höheren Krankschreibungsrate und damit Mehrkosten für das Gesundheitswesen im Vergleich zum Einsatz anderer Testverfahren (Denney et al. 2008). Dies bedeutet auch, dass die Entscheidung für eine vorgezogene Entbindung – insbesondere im Bereich der Frühgeburtlichkeit – selbst bei pathologischem Testausfall sorgsam bedacht werden muss und nur unter Berücksichtigung des klinischen Gesamtbildes getroffen werden sollte. Eine relativ geringe Falsch-positiv-Rate besitzen insbesondere hochpathologische Dopplerflussbefunde wie ein persistierend vorhandener »zero flow« in der Umbilikalarterie (<1%). Auf der Basis einer prospektiven Multicenterstudie kommen Turan et al. (2007) zu der Schlussfolgerung, dass der NST durch das computerisierte CTG, ggf. in Verbindung mit einer venösen Doppleruntersuchung, ersetzt werden sollte.
. Abb. 30.10. Vergleich von Methoden zur antepartalen Überwachung. Erstes pathologisches Testergebnis verschiedener Testverfahren bei intrauteriner Wachstumsrestriktion des Fetus. IUWR <5. Perzentile (n=56). (Aus Gnirs 1995 mit frdl. Genehmigung)
> Je pathologischer ein Testausfall insbesondere bei ausgeprägtem Befundrisiko (z. B. IUWR, Oligohydramnion, Präeklampsie) ist, desto geringer ist die Falsch-positiv-Rate dieses und auch jedes additiven Tests, desto wahrscheinlicher ist eine fetale Gefährdung und desto kürzer ist die Vorwarnzeit vor einer drohenden Dekompensation.
> Obwohl anzunehmen ist, dass diagnostische Methoden, welche die perinatale Mortalität reduzieren können, auch dazu beitragen, das langzeitneurologische Ergebnis zu verbessern, fehlt hierfür bisher der Nachweis durch überzeugende Studien.
Die Rate der falsch negativen Befunde wird z. B. anhand der Totgeburten innerhalb einer Woche nach unauffälligem Testergebnis ermittelt:
30.8.3
Studienbox In den größten Studien beträgt diese Rate nach Abzug nicht überlebensfähiger kongenitaler Anomalien für den NST (n=5.861) 1,4/1000, für den OBT (n=12.656) 0,4/1000, für das BPP (n=26.257) 0,6/ 1000 und das modifizierte BPP (NST+AFI) (n=5.973) 0,1/1000 (Manning et al. 1987; Miller et al. 1996; Loy u. Queenan 1989). (Anmerkung: Die unkorrigierte Rate der Totgeburten betrug 2008 in Bayern 3/1000.)
Da die Unterschiede der falsch negativen Befunde der verschiedenen Testverfahren gering sind, können hieraus kaum Überlegenheiten einzelner Tests abgeleitet werden. Damit erhält aber die Rate falsch positiver Testergebnisse mit möglicherweise hieraus resultierenden unnötig frühzeitigen Entbindungen entscheidende Bedeutung als Vergleichskriterium der verschiedenen Testverfahren (. Abb. 30.10). Auch Kosten- und Zeitaufwand müssen bei einem Vergleich von Tests berücksichtigt werden. Hier zeichnet sich ab, dass die antepartale Überwachung mittels Dopplersonographie gegenüber der CTG-Überwachung mit und ohne Zusatzparameter (wie BPP) erhebliche Vorteile bietet, da bei mindestens gleicher diagnostischer Validität die Anzahl falsch positiver Befunde und auch der mit dem Test verbundene Aufwand deutlich geringer sind.
Beginn und Wiederholungsfrequenz
Der zeitliche Beginn der Zustandsbeurteilung des Fetus bzw. seiner Versorgung ist keinesfalls auf den Zeitraum potenzieller Überlebensfähigkeit zu beschränken, wenngleich auch die meisten Testverfahren erst im letzten Trimenon zum Einsatz kommen. Mit Hilfe der Dopplersonographie gelingt es bei Vorliegen anamnestischer Risiken wie Zustand nach IUWR bzw. Präeklampsie bereits ab der 20.–24. SSW, ggf. auch noch früher, durch den Nachweis einer doppelseitigen Inzisur in beiden Uteringefäßen, auf das Risiko einer erneuten maternalen/fetalen Gefährdung aufmerksam zu werden bzw. ein solches bei unauffälligem Blutströmungsmuster weitgehend auszuschließen. In Hochrisikoschwangerschaften können ab der 26.–28. SSW weitere Verfahren mit allerdings deutlich geringerem Prädiktionswert wie das BPP bzw. der NST eingesetzt werden. Bei unauffälligem Testausfall (d. h. unauffälligem Dopplerflussbefund, unauffälligem K-CTG, unauffälliger Fruchtwassermenge, normalem BPP) sollten die Tests bis zur Entbindung als Rückversicherung für die fetale Nichtgefährdung wiederholt werden. Bei unauffälligem Testausfall wird i. Allg. ein Wiederholungsintervall von 1 Woche akzeptiert (Clark et al. 1989; Freeman et al. 1982; Manning et al. 1987). Allerdings sollten bei klinischer Verschlechterung der maternalen Situation (z. B. Zunahme einer Präeklampsie) bzw. bei Hochrisikoschwangerschaften wie insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Rhesusimmunisierung, Übertragung, das Testintervall verkürzt und die Intervention erwogen werden.
675 30.9 · Grundsätzliche Überlegungen zur Wertung unterschiedlicher Überwachungsmethoden
30.9 Studienbox In einer Studie an 700 insulinpflichtigen Schwangeren konnte nachgewiesen werden, dass es mit Hilfe eines 2mal pro Woche durchgeführten NST gelingt, innerhalb dieses Kollektivs die Rate der Totgeburten weiter zu minimieren (Kjos et al. 1995). Prolongierte (>1 min) und tiefe (<90 SpM) Dezelerationen scheinen unabhängig von ihrer Konfiguration (variabel oder spät) bei Vorliegen von Risikosituationen einen deutlichen Hinweis für intrapartalen Distress und damit die Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung des reifen Fetus zu liefern (Anyaegbunam et al. 1986; Druzin et al. 1981). In 2 von 8 Fällen wurde nach derartigen ausprägten Dezelerationen ein intrauteriner Fruchttod beobachtet (Bourgeois et al. 1984). Variable Dezelerationen weisen auf ein gleichzeitig vorliegendes Oligohydramnion hin. In Übereinstimmung mit der Tatsache, dass beide Merkmale positiv miteinander korreliert sind, fanden andere Untersucher bei einer deutlich reduzierten Fruchtwassermenge (AFI <5 cm) schwere variable Dezelerationen, die in 75% der Fälle eine Sectio caesarea zur Folge hatten (Hoskins et al. 1991). Turan konnte zeigen, dass im Vergleich zum Einsatz des NST sowohl das biophysikalische Profil wie auch der venöse Doppler die Falsch-positiv-Rate senkt (Turan et al. 2007).
Tipp Bei hochpathologischen Dopplerflussmustern sollte bereits ab der 34. SSW die unmittelbare Entbindung erwogen werden. Jeder nicht beurteilbare bzw. suspekte NST, SST, OBT bzw. BPP sollte innerhalb von 24 h wiederholt werden.
Studienbox Die wegen eines falsch positiven Testbefundes iatrogen erzeugte Frühgeburtlichkeit <37. SSW lag bei einem NST kombiniert mit AFI (modifiziertes BPP) bei 1,5% von 54615 getesteten Schwangeren. Die Falsch-positiv-Rate betrug dabei 41% (Miller et al. 1996).
Im Bereich der Frühgeburtlichkeit sollte unter Einbeziehung aller verfügbarer Überwachungsmethoden abgewogen werden, ob noch eine Lungenreifungsinduktion durchgeführt werden kann. Insbesondere ein vermeintlich pathologisches CTG sollte vor der Induktion einer Frühgeburt durch flankierende diagnostische Untersuchungen wie Einsatz der Dopplersonographie oder Abklärung der fetalen Schlaf-Wach-Phasen abgeklärt werden. Bei Fehlen geburtshilflicher Kontraindikationen kann je nach klinischem Zustand des Fetus und pathologischem Ausfall des Testresultates u. U. noch eine Geburtseinleitung in Sectiobereitschaft indiziert werden. In diesen Fällen ist die vorsichtige Wehenaugmentation unter kontinuierlicher fetaler Überwachung angezeigt.
Grundsätzliche Überlegungen zur Wertung unterschiedlicher Überwachungsmethoden
Das Hauptanwendungsgebiet für die antepartale Überwachung des Fetus ist die durch Störung der Plazentaentwicklung und insbesondere durch Beeinträchtigung der uteroplazentaren Perfusion bedingte Plazentainsuffizienz. Neben der Diagnostik der Plazentapathologie geht es v. a. darum, im Sinne einer Verlaufsbeobachtung die allmähliche Verschlechterung der Versorgungssituation des Fetus zu erfassen und den optimalen Zeitpunkt für die Entbindung festzulegen (Thornton et al. 2004). Bei der Festlegung des Entbindungszeitpunktes müssen die durch das Gestationsalter zum Zeitpunkt der Entbindung gegebenen Risiken des Neugeborenen den mit zunehmender Verschlechterung der Versorgung bei Verlängerung der Schwangerschaft gegebenen Gefahren gegenübergestellt werden. Die rechtzeitige Beendigung der Schwangerschaft bei zunehmender Beeinträchtigung der Versorgungssituation des Fetus kann nicht nur die Vermeidung des intrauterinen Fruchttodes zum Ziel haben, sondern auch die Vermeidung von irreversiblen Organschäden, wie insbesondere Hirnschäden. Entscheidend für die Validierung von Überwachungsmethoden ist neben der diagnostischen Zuverlässigkeit im Sinne von hoher Sensitivität auch die Spezifität der Befunde. Mangelnde Spezifität mit einem hohen Prozentsatz falsch positiver Befunde führt zu unnötigen Interventionen mit frühzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen und den Risiken der Frühgeburtlichkeit. Für die Erfassung und Überwachung der Plazentainsuffizienz könnte das in der Übersicht aufgezeigte Stufenkonzept in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Wertigkeit der CTG-Überwachung zusammen mit der Beurteilung der Bewegungen sowie des fetalen Verhaltens muss wegen der Komplexität der Beurteilung sowie der Gefahr falsch positiver Befunde und der entsprechenden Fehlinterventionen zunehmend kritischer gesehen werden. Bei nicht primär vaskulär bedingter Plazentainsuffizienz wie Terminüberschreitung oder Diabetes mellitus darf das erwähnte Stufenprogramm allerdings nicht auf die Dopplersonographie fokussiert sein, sondern erfordert dann auch den Einsatz anderer Beurteilungskriterien wie CTG mit Bewegungsverhalten und Abschätzung der Fruchtwassermenge. Bezüglich der mittlerweile sich häufenden Daten zur Entstehung von Erkrankungen im Erwachsenenalter auf dem Boden fetaler Minderversorgung (»fetal programming«) fehlen Interventionsstudien zur Prävention dieser Krankheiten.
30
676
Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
Stufenkonzept zur Erfassung und Überwachung der Plazentainsuffizienz 1.
2. 3.
4.
5.
30
Allgemeines Screening im Rahmen der Schwangerenvorsorge zur Erfassung von anamnestischen und Befundrisiken Biometrisches Screening zur Erfassung der intrauterinen Wachstumsrestriktion Dopplersonographie bei Risikofällen (7 Punkt 1. und 2.) mit Untersuchung der uterinen Arterien, der Umbilikalarterie und der A. cerebri media Erfassen von Dopplerveränderungen im Sinne einer Zentralisierung des arteriellen Kreislaufes als Frühform der Adaptation des Organismus des Fetus an eine Mangelsituation Die Konsequenzen aus einer Zentralisierung des arteriellen Kreislaufes hängen ab vom Schweregrad der Zentralisierung (diastolischer Nullfluss bzw. Flussumkehr in der A. umbilicalis bzw. fetalen Aorta) sowie vom Gestationsalter
Bei einem Gestationsalter ≥32 SSW ist die Entbindung nach abgeschlossener Induktion der Lungenreife in einem Perinatalzentrum angezeigt. Bei niedrigerem Gestationsalter wird die Diagnostik des Ductus venosus als Entscheidungskriterium herangezogen. Der venöse Doppler ist als Mosaikstein <28 SSW ein wichtiger Parameter der Kompensation. Zu beachten ist allerdings, dass diese nur in ca. 40% der Fälle hochpathologisch wird und auch kein unabhängiger Prädiktor des fetalen Outcome zu sein scheint (Baschat et al. 2009). Randomisierte Studien zur Klärung dieser Frage wurden gestartet (TRUFFLE-Studie).
prüfende Test nicht eingesetzt wurde (Mohide u. Keirse 1991). Eine andere unbeantwortete Frage bleibt, ob die Erkennung eines asphyxiegefährdeten Fetus durch die verschiedenen Tests früh genug erfolgt, um insbesondere einen Hirnschaden zu vermeiden (Nelson et al. 1996). Bei dem Vergleich der kognitiv-neurologischen Entwicklung bei Kindern im Alter von 2 Jahren mit antepartal abnormem Doppler- bzw. NST-Befund fanden sich in der Gruppe mit pathologischem NST schlechtere neurologische Ergebnisse als in der Gruppe mit pathologischem Dopplerresultat (Todd et al. 1992). Hieraus kann vorsichtig geschlossen werden, dass der pathologische Ausfall einiger Testverfahren u. U. bereits den irreparablen Schaden anzeigt und in diesen Fällen die optimierte geburtshilfliche Weichenstellung nur von beschränkter Wirkung ist. In einer prospektiven Untersuchung der Inzidenz der Zerebralparese bei 22.336 Hochrisikoschwangerschaften, die mit seriellen BPP-Untersuchungen überwacht wurden (verglichen mit 30.224 Niedrigrisikoschwangerschaften ohne derartige Überwachung) war im Lebensalter von 3 Jahren die Rate an Zerebralparesen signifikant mit einem niedrigen BPP-Score korreliert (Manning et al. 1996). Bei hochpathologischem Score mit 0 Punkten betrug die Rate an Zerebralparesen 250/1000, bei unauffälligem Score dagegen nur 0,8/1000.
Aufgrund der vorliegenden Studien ist es sinnvoll und angesichts der erheblichen Folgelasten bei geschädigten Kindern auch volkswirtschaftlich vertretbar, das nach Präselektion durch die Mutterschaftsvorsorge ermittelte Risikokollektiv einer intensivierten Überwachung zuzuführen.
Literatur 30.10
Auswirkung der Überwachung
Studienbox Bei der Auswertung von mehr als 200.000 im Los Angeles County Hospital zwischen 1971 und 1985 betreuten Schwangeren konnte bei einem Vergleich von 17.000 getesteten Hochrisikoschwangerschaften gegenüber nicht getesteten Schwangeren eine signifikante Reduktion der perinatalen Todesfälle in der getesteten Gruppe festgestellt werden (Platt et al. 1987). Thacker u. Berkelman (1986) konstatierten bei einer Review von 600 Veröffentlichungen zur antepartalen Überwachung nur 4 prospektiv randomisierte Untersuchungen zum NST. Die Fallzahl war in diesen Studien zu klein, um einen Benefit aufzuzeigen. Ähnlich verhält es sich mit validen Studien zum OBT. Zum SST liegt bisher keine prospektiv randomisierte Untersuchung vor. Generell fehlen randomisierte Vergleichstudien mit Kontrollgruppen, in denen der zu
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Kapitel 30 · Antepartale Überwachung
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V
V Geburt 31
Normale Geburt – 683 K.M. Chalubinski, P. Husslein, R. Ahner, L. Kuntner, B. Bodner-Adler
32
Wassergeburt – 713 G. Eldering, V. Geissbühler
33
Geburtsüberwachung J. Gnirs, K.T.M. Schneide
34
Intrapartale Asphyxie – 771 H. Schneider, J. Gnirs
35
Geburtseinleitung – 783 D. Surbek, P. Husslein, C. Egarter
36
Vorzeitiger Blasensprung am Termin – 795 K. Reisenberger, P. Husslein
37
Terminüberschreitung – 803 H. Schneider, E. Weiss
38
Pathologische Geburt – 819 G. Drack, H. Schneider
39
Vaginaloperative Entbindung – 867 H. Hopp, K. Kalache
40
Geburt und Beckenboden – 887 A. Kuhn, C. Anthuber, J. Wisser, C. Frank
41
Sectio caesarea – 909 H. Schneider, P. Husslein
42
Mehrlinge – 923 E. Krampl-Bettelheim
43
Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien – 941 A. Feige, M. Krause
44
Schulterdystokie – 965 J. Gnirs, K.T.M. Schneider
45
Pathologie der Plazentarperiode – 987 C. Brezinka, W. Henrich
46
Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe – 1003 W. Rath, F. Bergmann
47
Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie – 1025 B. von Hundelshausen, M.G. Mörtl
– 723
31 31 Normale Geburt 31.1
Normale Geburt – 685 K.M. Chalubinski, P. Husslein
31.1.1 31.1.2 31.1.3
Allgemeine Grundlagen – 685 Evaluation – 691 Management – 694
31.2
Gebärhaltung – 701 R. Ahner, L. Kuntner
31.2.1 31.2.2 31.2.3
Geschichtliche Entwicklung – 701 Physiologische Grundlagen zur Körperhaltung – 703 Anwendung verschiedener Geburtspositionen – 706
31.3
Hebammengeburtshilfe – 707 B. Bodner-Adler
31.3.1 31.3.2
Risikoselektion – 708 Erarbeitung von Ein- und Ausschlusskriterien zur Hebammengeburtshilfe – 708 Definition der Rahmenbedingungen – 709
31.3.3
Literatur – 709
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
684
31
Kapitel 31 · Normale Geburt
Die Geburt ist ein natürlicher Vorgang, und es ist die Aufgabe des Geburtshelfers, unter Berücksichtigung der individuellen geburtsmechanischen, physiologischen und auch psychischen Gegebenheiten eine Begleitung und risikoadaptierte Überwachung der Schwangeren und des Kindes zu gewährleisten. Eine Häufigkeitsberechnung der »normalen Geburt« ist aufgrund der Dehnbarkeit der Definition und somit unterschiedlichen Auslesekriterien nicht möglich. Starke Verteilungsschwankungen ergeben sich zudem zwischen den einzelnen Kliniken als Folge einer risikoorientierten Selektion und Betreuung in Abteilungen mit unterschiedlichem Behandlungspotenzial. Die Aufnahmeuntersuchung in den Kreißsaal erlaubt eine prognostische Beurteilung des Geburtsverlaufs. Nach Ergänzung der anamnestischen Daten erfolgen routinemäßig eine allgemeine und geburtshilfliche Begutachtung der Gebärenden sowie eine CTG-Kontrolle. Zusätzliche diagnostische Maßnahmen (Ultraschall, Labor) werden fakultativ je nach erhobenem Risiko angeordnet. Während der Entbindung wird analog vorgegangen, wobei die Untersuchungsfrequenz auf ein notwendiges Minimum beschränkt bleiben sollte. Eine intermittierende kardiotokographische Überwachung des Fetusses während der Eröffnungsperiode und ein kontinuierliches Monitoring in der Austreibungsphase der Geburt sind zu empfehlen. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts gebaren Frauen aller Kulturen üblicherweise in vertikaler Haltung. Zunehmende ärztliche Intervention brachte in der Folge jedoch auch Veränderungen in der Gebärposition mit sich. Auf dem Rücken liegend zu gebären, wird von vielen Frauen nicht nur subjektiv als wenig vorteilhaft empfunden, sondern birgt auch beträchtliche medizinische Nachteile für Mutter und Kind. Die aufrechte Haltung der Mutter begünstigt dagegen Atmung und Blutversorgung, bedient sich der Schwerkraft, um die Wehentätigkeit zu unterstützen, und hat daher eine merkliche Erleichterung des Pressvorgangs zur Folge. Alle diese Faktoren haben eine unmittelbare, positive Auswirkung auf den Zustand des Ungeborenen. Eine aktive Geburtsleitung mit routinemäßigem Einsatz von hochdosiertem Oxytozin und der Durchführung einer Amniotomie werden als unnötige »Technisierung« der Geburt angesehen. Eine lange Geburtsdauer kann zur fetalen Hypoxämie und Azidämie führen; diese Veränderungen können jedoch rechtzeitig durch Auffälligkeiten des Kardiogramms und durch Mikroblutgasanalyse erkannt werden. Ein sich schon während der frühen Geburtsphase abzeichnender potenziell pathologischer Verlauf sollte durch großzügige Sectioindikation vermieden werden. In der modernen Geburtshilfe sollte die überlange Geburtsdauer auch als ein maternales Problem angesehen werden. Der Abbau von Angst und Stress, die Optimierung der Analgesie und der gezielte Einsatz von wehenfördernden Mitteln sind bevorzugte Maßnahmen zur aktiven Beeinflussung der Geburtsdauer. Die Inzidenz der Episiotomie variiert stark; verschiedene Studien weisen darauf hin, dass ihre routinemäßige Durchführung abzulehnen ist. Zweckmäßig ist sie dagegen zur Verkür-
6
zung der Austreibungsperiode bei fetaler Gefährdung und/oder zur Erleichterung einer vaginaloperativen Entbindung. Der posthämorrhagische Schock in der Plazentarperiode gehört immer noch zu den häufigsten maternalen Todesursachen, jedoch bedeutet die routinemäßige Prophylaxe eine unnötige Medikalisierung der geburtshilflichen Abläufe und wirkt sich negativ auf die Sorgfalt der postpartalen Kontrolle aus. Die Verabreichung von Uterotonika ist indikationsgebunden, während die routinemäßige Applikation Risikopatientinnen (z. B. belastete Anamnese, Hydramnion, Makrosomie, Mehrlingsschwangerschaften, prolongierter Geburtsverlauf ) vorbehalten bleibt. Die Erstversorgung des Neugeborenen soll v. a. durch entsprechende Lagerung und die Wahl des Abnabelungszeitpunkts einen unnötigen Blutverlust des Kindes verhindern. Das Freimachen der Atemwege durch Absaugen ist erst im Rahmen der primären Reanimation angebracht. Der kindliche Zustand, der allgemein nach dem Apgar-Score beurteilt wird, erlaubt keinen Rückschluss auf die Ursache einer Anpassungsstörung und darf nicht als prognostischer Faktor für die spätere Entwicklung des Kindes verwendet werden. Nur eine anhaltende Depression des Neugeborenen als Ausdruck eines schweren Sauerstoffmangels, der durch eine ausgeprägte metabolische Azidose charakterisiert ist, kann zu hypoxischen Gewebsschäden führen. Deswegen ist die Bestimmung des NabelarterienpH-Werts ein wichtiger Teil der Erstversorgung. Dieser Wert dient als objektiver Indikator für den kindlichen Zustand.
Die Geburt ist für die meisten Frauen der wohl beglückendste Moment in ihrem Leben. Auch für den betroffenen Partner, für die ganze Familie stellt sie ein zentrales Ereignis dar, dessen Bedeutung weit über die medizinischen Aspekte hinausgeht. Aus einer Zweierpartnerschaft wird eine Familie mit Kind. Das Interessenzentrum der Frau verlagert sich von ihrem eigenen Leben, von ihrer Beziehung zu ihrem Partner mehr oder weniger ausgeprägt auf ihr Kind. Ihre Rolle als Ehe- oder Karrierefrau erfährt einen dramatischen Einschnitt; es werden die Jahrmillionen alten Verhaltensformen der Natur wirksam, die letztlich auf die Reproduktion abzielen. Die Natur hat aber den Menschen im Zuge der Evolution nicht gerade bevorzugt, was die Geburt anbelangt. Der aufrechte Gang brachte die Lendenlordose mit sich, wodurch der Durchtritt des Kopfes durch das knöcherne Becken erschwert wurde. Auch die einmalige Zunahme des Gehirnvolumens – zweifelsohne ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum Homo sapiens –, als dessen Folge zwangsläufig die Kopfgröße zunehmen musste, führte ihrerseits zu einer Verkomplizierung der Geburt. Die problematische Entwicklung des Geburtsmechnismus beim Menschen ist seit jeher als hartes Schicksal für die Menschheit erkannt worden. »Unter Schmerzen sollst du gebären« ist schon im Alten Testament zu lesen. Schließlich war in früherer Zeit die Geburt auch durch eine ungeheure Mortalität und Morbidität belastet, und es kann zweifelsohne als Aufgabe der Zivilisation verstanden werden, diese »evolutionäre Erblast« zu korrigieren, was im vergangenen Jahrhundert auch tatsächlich eindrucksvoll gelungen ist.
685 31.1 · Normale Geburt
Was allen Spezies bei der Geburt gemeinsam ist, ist der Wunsch, sich für diesen wichtigen Schritt im Leben an einen abgeschiedenen Ort zurückziehen, an dem man sich wohlfühlt. Dies zu erkennen ist auch für uns Geburtshelfer eine vordringliche Aufgabe, dem gerade in den letzten Jahren erfreulicherweise Rechnung getragen werden konnte. Die Atmosphäre entsteht aber nicht nur durch eine angenehme Einrichtung des Raumes, sondern v. a. durch die Zuwendung des medizinischen Personals und durch das Verständnis, das den Frauen für dieses für sie so einmalige Ereignis entgegengebracht wird. > Wichtig ist es, die Geburt trotz ihrer Einzigartigkeit als einen natürlichen Vorgang und keinen krankhaften Zustand zu verstehen.
Die Rolle des Geburtshelfers gemeinsam mit der Hebamme muss einerseits in der Begleitung und Überwachung dieser natürlichen Vorgänge gesehen werden, ohne einzugreifen, solange sie regelrecht ablaufen, andererseits aber in der Erkennung von Risiken sowie in einer raschen und geübten Intervention bei drohender Gefahr für Mutter und Kind. Als Qualitätskriterium einer modernen Geburtshilfe sind die klassischen Parameter, wie maternale und perinatale Mortalität sowie auch Morbidität, nicht mehr ausreichend. Darüber hinaus muss auch der Zufriedenheitsgrad der Mutter bezüglich des Geburtserlebnisses in die Qualitätsevaluation mit einbezogen werden.
31.1
Normale Geburt K.M. Chalubinski, P. Husslein
31.1.1
Allgemeine Grundlagen
Terminologie Geburt Per definitionem wird die Geburt als ein komplexer physiologischer Ablauf bezeichnet, der dazu dient, das Kind (Geburtsobjekt) aus dem Uterus auszutreiben (Pschyrembel 2007). Der Geburtsvorgang gilt als regelrecht, wenn er den statistischen Normen entspricht, der Ablauf spontan erfolgt, der vorangehende Teil der flektierte kindliche Schädel ist und die zulässige Geburtsdauer nicht überschritten wird (Kilpatrick u. Laros 1989).
In 94% aller Geburten nimmt der kindliche Kopf eine dorsoanteriore Beugehaltung an; somit wird dieser Geburtsmechanismus als regelrecht bezeichnet, obwohl die Geburt auch bei okzipitoposteriorer Haltung (1%) ohne maternale und fetale Gefährdung spontan verlaufen kann. Die Geburtsdauer ist im Vergleich zur okzipitoanterioren Haltung zwar deutlich verlängert, überschreitet in vielen Fällen jedoch nicht die zulässige Dauer. Hingegen führt eine Deflexionshaltung (1%) in den meisten Fällen zur Verzögerung bzw. zu einem Stillstand der zuerst spontan ablaufenden Entbindung (7 Kap. 38 »Pathologische Geburt«).
Eine exakte Zeitgrenze für die Dauer der regelrechten Geburt kann nicht angegeben werden, da die normale Streuung sich in zu weiten Grenzen bewegt. Bei der Festlegung der zulässigen Geburtsdauer wurden statistische Daten der zeitabhängigen Frequenzzunahme der maternalen und fetalen Gefährdung herangezogen (7 Kap. 38). Eine landesweite Inzidenzberechnung der »normalen Geburt« ist aufgrund der Dehnbarkeit der Definition – und somit unterschiedlichen Auslesekriterien – nicht möglich. Würde man statistische Daten der zentralen städtischen Ämter zugrunde legen, wäre nur eine Häufigkeitsangabe von nicht operativ entbundenen reifen Kindern möglich; diese Zahl beinhaltet jedoch auch viele atypische Verläufe. Starke Schwankungen in der Häufigkeitsverteilung der normalen Geburt ergeben sich außerdem zunehmend zwischen den einzelnen Kliniken, als Folge einer risikoorientierten Selektion und Betreuung in Abteilungen mit unterschiedlichem Behandlungspotenzial.
Zentralisierung und Regionalisierung der Geburtshilfe Der Übergang von der Hausgeburtshilfe zur Entbindung im Krankenhaus und der medizinische Fortschritt führten zu einer eindrucksvollen Reduktion der perinatalen Mortalität und Morbidität. Die Perinatalsterblichkeit allein ist als Parameter der geburtshilflichen Leistung inzwischen allerdings nur noch beschränkt aussagekräftig. Im Zentrum der Bemühungen steht heute die prospektive Erfassung von Risikofällen, um eine vermeidbare maternale und neonatale Morbidität zu eliminieren. In Kliniken mit geburtshilflichen Abteilungen, an denen entsprechende personelle, technische und organisatorische Anforderungen nicht zu realisieren sind, muss mit Versorgungslücken gerechnet werden. Daher hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) 1995 die erforderlichen Grundvoraussetzungen zur Neuschaffung bzw. Erhaltung von geburtshilflichen Abteilungen beschrieben. Den Erfordernissen entsprechend soll außer einer Mindestgeburtenfrequenz auch die medizinische Versorgung auf einem gleichen und etablierten Niveau forensisch unangreifbar sichergestellt sein. Da diese strukturellen Faktoren für kleinere Krankenhäuser oft schwer oder gar nicht zu erfüllen sind bzw. kaum finanziert werden können, wird dies in Zukunft wahrscheinlich zur Verlagerung der Normalgeburten in große Geburtskliniken führen (Zentralisierung). Zusätzlich zur Erfüllung der angegebenen Mindestanforderungen an die jeweiligen geburtshilflichen Abteilungen wurde von der DGGG eine verpflichtende Weiterleitung von Hochrisikofällen, deren Bewältigung die Möglichkeiten des Krankenhauses übersteigt, an dafür ausgerüstete Zentren verlangt (Regionalisierung). Letzteres entspricht der Empfehlung des Vorstandes der DGGG von 1991 (aktualisiert 2008), eine graduelle und dem Bedarf angepasste Verschiebung von Risikofällen in die nächsthöhere Versorgungsstufe durchzuführen (DGGG 2008): 4 Grundversorgung, 4 Schwerpunktkrankenhaus, 4 Krankenhaus mit Maximalversorgung – Perinatalzentrum.
31
686
Kapitel 31 · Normale Geburt
Als Preis für diese Maßnahmen, die zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung beitragen sollen, wird aber der Verlust der individuellen Betreuung befürchtet.
Studienbox Nach einer Befragung zur Einstellung der Frauen zu einer Zentralisierung haben sich 90,4% der Frauen gegen eine allgemeine Zentralisierung ausgesprochen, für eine Regionalisierung waren 52,1%. Am wichtigsten waren für die befragten Frauen das Gefühl des Geborgenseins, die Vertrautheit der Umgebung und die Entfernung vom Wohnort zum Krankenhaus. Der Sicherheitsaspekt spielte dagegen eine untergeordnete Rolle, und die subjektive Befindlichkeit hatte den höchsten Stellenwert (Roemer u. Ramb 1996).
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Um den Bedürfnissen der Frauen zu entsprechen, ohne die geburtshilfliche Sicherheit zu vernachlässigen, bedarf es einer weiteren Suche nach Kompromissen. Eine überzeugende Aufklärung der Schwangeren über die Vorteile einer großen Geburtsklinik und die Zulassung des sog. sanften geburtshilflichen Managements – auch an großen Perinatalzentren – wäre möglicherweise die erstrebenswerte Lösung. Dies beinhaltet nicht nur die Möglichkeit alternativer Geburtsmethoden, sondern v. a. die Änderung der unpersönlichen Atmosphäre eines Großkrankenhauses durch Intensivierung der persönlichen Zuwendung und Betreuungskontinuität während der Schwangerschaft und Entbindung. Dieses Konzept ist im Folgenden dargestellt (7 Kap. 31.3 »Hebammengeburtshilfe«, 7 Kap. 32 »Wassergeburt«).
Anatomie und Entwicklung des Geburtskanals Der Geburtskanal besteht aus: 4 knöchernem Becken, 4 Weichteilrohr 5 Zervix, 5 Vagina, 5 Beckenboden, 5 Vulva. Die geburtsmechanisch bedeutenden Bereiche des knöchernen Beckens sind (. Abb. 31.1): 4 Beckeneingangsraum – mit Begrenzung durch Promontorium und oberen Symphysenrand mit querovaler Form, deren gerader Durchmesser 11 cm und deren querer Durchmesser 13 cm beträgt. 4 Beckenmitte – die Verbindungsfläche, die durch die Mitte der hinteren Symphysenfläche und des 3. Kreuzbeinwirbels sowie seitlich durch die Innenfläche der Azetabula begrenzt wird; alle Durchmesser betragen 12–13 cm, wodurch die Beckenmitte rund imponiert. 4 Beckenenge – eine Ebene, die begrenzt wird durch unteren Symphysenrand, Articulus sacrococcygeus und Spinae ischiadicae; der gerade Durchmesser beträgt 11 cm, der quere Durchmesser 10,5 cm.
4 Beckenausgangsraum – mit Begrenzung durch den unte-
ren Symphysenrand, das Steißbein und die Tubera ischiadica – mit längsovaler Form, die im geraden Durchmesser 11,5 cm und im queren Durchmesser 11 cm misst. Derjenige Anteil des Weichteilrohrs, der die wesentlichste geburtshilfliche Bedeutung hat, ist der Beckenboden; daher ist die Erhaltung seiner Struktur eine wichtige Aufgabe des Geburtshelfers. Der Beckenboden bildet den kaudalen Verschluss des kleinen Beckens und besteht aus 3 Schichten dachziegelartig übereinander gefugter Faszien- und Muskelverbindungen (. Abb. 40.1). 4 äußere Schließmuskelschicht (M. ischiocavernosus, M. transversus perinei superficialis, M. bulbospongiosus, M. sphincter ani externus); 4 Diaphragma urogenitale (M. transversus perinei profundus, Teile des M. sphincter urethrae externus); 4 Diaphragma pelvis (M. levator ani). Der Geburtskanal ist kein starrer, vorgegebener Raum, sondern entwickelt sich sukzessive im Verlauf der verschiedenen Geburtsabschnitte. Der fetale Schädel bzw. zuerst die Fruchtblase dilatieren durch das Tiefertreten des Kopfes das untere Uterinsegment, das Vaginalrohr und den Introitus vaginae. Basierend auf röntgenologischen Aufnahmen konnte gezeigt werden, dass bei Beginn der Wehentätigkeit nicht nur der Muttermund gedehnt, sondern auch die Zervix um 1–6 cm nach kaudal verschoben wird. Nach vollständiger Eröffnung und Durchtritt des Schädels durch den äußeren Muttermund zieht sich dieser in kranialer Richtung unter Verminderung der Dilatation zurück (Fochem u. Narik 1955). Da die Vaginalwände sehr nachgiebig sind, wird durch die Geburt auch z. T. das darunter liegende Gewebe beeinflusst. Somit kommt es zur Verbreiterung des Levatorenschlitzes und zur Lageveränderung des Blasenhalses. Der voll entwickelte Geburtskanal stellt topographisch ein am Beckeneingang beginnendes und im obersten Anteil gerade verlaufendes Rohr
. Abb. 31.1. Beckenräume des kleinen Beckens (a Beckeneingangsraum, b Beckenhöhle, c Beckenausgangsraum, Balken Conjugata vera anatomica)
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dar, das wenige Zentimeter oberhalb der Spinae ischiadicae in ventraler Richtung abbiegt. Im unteren Teil des Kanals nimmt diese Biegung zu (sog. Knie) und reicht bis zum Beckenboden. Im Bereich des knöchernen Beckens kommt es während der Geburt ebenfalls zu Verformungen, wobei nur die Iliosakralgelenke und die Symphyse betroffen sind. Im letzten Schwangerschaftsdrittel kommt es zu einer Auflockerung und röntgenologisch nachweisbaren Verbreiterung der Symphyse um 3–5 mm, die sich post partum innerhalb von 5 Monaten vollständig zurückbildet (Borell u. Fernström 1957c). Die Rotationsbewegung in den Iliosakralgelenken beeinflusst die Lage der Symphyse, die zur Größenveränderung des sagittalen Durchmessers führt. Bei Umlagerung der Frau aus der normalen Rückenlage in Steinschnittlage kann der Beckenausgangsdurchmesser um bis zu 2 cm verlängert werden (. Abb. 31.2). Analoges gilt für die Hockstellung, die einer extremen Steinschnittlage entspricht (Borell u. Fernström 1957a). Zusätzlich konnte nachgewiesen werden, dass der fetale Kopf sowie auch das Pressen der Frau – durch eine Kontraktion der Rektusmuskulatur – zu einer Verschiebung der Symphyse in kranialer Richtung führen (. Abb. 31.2).
. Abb. 31.2. Verlagerung der Symphyse unter der Geburt. Größenveränderung der Conjugata vera (I) und des Beckenausgangdurchmessers (II)
Anatomie und geburtsbedingte Verformung des kindlichen Schädels Der geburtsmechanisch bedeutende Bereich des kindlichen Kopfes ist die Kalotte, die folgendermaßen zusammengesetzt ist: 4 zwei Ossa frontalia, 4 zwei Ossa parietalia, 4 zwei Ossa temporalia, 4 ein Os occipitale. Diese Schädelknochen werden durch bindegewebige Nähte verbunden: 4 Sutura frontalis – Naht zwischen Ossa frontalia, 4 Sutura sagittalis – Naht zwischen Ossa parietalia, 4 Sutura cornaria – Naht zwischen Ossa temporalia und parietalia, 4 Sutura lambdoidea – Naht zwischen Ossa parietalia und Os occipitale. Die knochenfreien Bereiche, die durch das Zusammentreffen der Nähte enstehen, werden als Fonticulus anterior (große Fontanelle) sowie Fonticulus posterior (kleine Fontanelle) bezeichnet (. Abb. 31.3). Während der Geburt kommt es zu einer Niveauverschiebung der Schädelknochen. Röntgenologisch konnte nachgewiesen werden, dass die Verformung des fetalen Schädels nur durch die Vorschiebung der beiden Scheitelbeine entsteht, wobei kein Übereinanderschieben beobachtet wurde. Diese Verschiebung ist aufgrund der Trapezform des Scheitelbeins möglich. Die stärkste Konfigurationsänderung wurde während der Durchschreitung des führenden Teils durch den Beckenausgangsraum beobachtet. Nach der Passage des knöchernen Beckens verringert sich die Verformung deutlich. Zu einer neuerlichen Verschiebung der Schädelknochen kommt
. Abb. 31.3. Schematische Darstellung des knöchernen Schädels eines Neugeborenen
es beim Durchtritt des Kopfes durch den Introitus vaginae (Borell u. Fernström 1957b). Die Geburtsmechanik kann auch zur Verformung der Weichteile des kindlichen Kopfes führen. Eine Kopfgeschwulst (Caput succedaneum) entsteht am tiefstgelegenen
Teil, der als Leitstelle bezeichnet wird, und ist durch die Behinderung des Blut- und Lymphabflusses bedingt, mit einer Flüssigkeitsansammlung zwischen dem Periost und dem subkutanen Gewebe. Zu dieser ödematösen Stase kommt es meist erst nach dem Blasensprung, wenn der kindliche Kopf im direkten Kontakt zum Muttermund steht und dieser einen beträchtlichen Gegendruck ausübt. Die Größe der Kopfgeschwulst ist proportional zum Geburtswiderstand. Post partum wird das Ödem innerhalb von 1–2 Tagen resorbiert. Ein Zephalhämatom ist nicht durch Stauung bedingt, sondern entsteht aus einer Blutung zwischen dem Schädelknochen und dem Periost. Das subperiostale Hämatom ist – im Gegensatz zur Kopfgeschwulst – nur auf einen Knochen begrenzt und überschreitet nie die Nahtlinien. Es nimmt in den ersten Lebenstagen zu und bleibt über 2–3 Monate unverändert bestehen. Während der Passage des Thorax durch das kleine Becken kommt es zu einer milden Kompression der Rippen zur Brustwirbelsäule. Nach dem Durchtritt des Kopfes befindet sich der Thorax im engsten Raum des Beckens, jedoch der Druck
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Kapitel 31 · Normale Geburt
scheint (wie früher angenommen wurde) die Sekretauspressung aus den kindlichen Luftwegen kaum zu beeinflussen (7 Kap. 32 »Wassergeburt«). Durch die Retraktion der Weichteile nach dem Austritt des Kopfes verkürzt sich der Geburtskanal, sodass der kindliche Körper keine ventrale Biegung mehr durchmacht und in fast rein kaudaler Richtung geboren wird (Borell u. Fernström 1957b).
Geburtsmechanismus bei okzipitoanteriorer Flexionshaltung
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Beim Durchtritt durch den Geburtskanal passiert der fetale Kopf das kleine Becken nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes. Die Drehungen des kindlichen Kopfes sind durch Röntgenuntersuchungen objektiviert worden (Borell u. Fernström 1957b). Am querovalen Beckeneingang stellt sich der ebenfalls ovale fetale Schädel so ein, dass sein längster Durchmesser dem queren Diameter des Beckeneingangs entspricht. Die Einstellung des Schädels im Beckeneingang vollzieht sich bei Erstgebärenden in den letzten Wochen der Schwangerschaft und bei Mehrgebärenden mit dem Wehenbeginn. Die Haltung des Schädels ist am Beckeneingang noch keinem Zwang unterworfen, und erst nach dem Eintritt des Kopfes in die Beckenhöhle kommt es zu einer Beugehaltung (1. Drehung; . Tab. 31.1). Die erste Rotation (2. Drehung) des kindlichen Kopfes erfolgt vor Erreichen des Beckenbodens. Die Pfeilnaht steht dann parallel zum geraden Durchmesser des Beckenausgangs. Das Zustandekommen der Rotation wird von der Beckenbodenmuskulatur beeinflusst. Die Levatoren begrenzen eine Öffnung des Beckenbodens, deren sagittaler Durchmesser größer ist als der transversale und die ventral schmaler ist als dorsal. Durch die Anpassung des ovalen Schädels an diese Strukturen kommt es zur Drehung des kindlichen Kopfes in den geraden Durchmesser unmittelbar nach der Passage des Levatorenspaltes. Die okzipitoanteriore Stellung wird vermutlich dadurch erreicht, dass die Nackenpartie einen geringeren Querdurchmesser hat als die übrigen Teile des Schädels und somit besser in den schmaleren ventralen Teil der Levatorenöffnung passt. Die Passage des Geburtskanals in einer Flexionshaltung entsteht dadurch, dass der subokzipitobregmatische Umfang der kleinste und somit der vorteilhafteste ist. Beim Durchtritt kommt es zu ei ner Haltungsänderung des kindlichen Kopfes und durch Streckbewegung zu einer Deflexionshaltung (3. Drehung). Unmittelbar nach dem Austritt des Kopfes folgt eine 90°-Rotation (4. Drehung), sodass die Pfeilnaht wieder im queren Durchmesser verläuft. Dadurch kann der kindliche Körper während der Beckenpassage die gleiche Rotationsbewegung ausführen (. Abb. 31.4).
a
b
c
d
. Tab. 31.1. Geburtsmechanismus bei okzipitoanteriorer Flexionshaltung 1. Drehung
=
Drehung
=
2. Drehung
=
Rotation
=
Eintritts- und Durchtrittsmechanismus
3. Drehung
=
Deflexion
=
Austrittsmechanismus
4. Drehung
=
Rotation
=
Äußere Drehung
e . Abb. 31.4a–e. Graphische Darstellung des Geburtsmechanismus bei okzipitoanteriorer Flexionshaltung. a, b 1. Drehung, Flexion; c 2. Drehung, Rotation; d 3. Drehung, Deflexion; e 4. Drehung, Rotation
689 31.1 · Normale Geburt
Geburtsstadien Die Eröffnungsperiode ist die Zeit vom Geburtsbeginn (Wehenbeginn) bis zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes. Friedman (1954) stellte den Verlauf graphisch dar, indem er die Dilatation der Zervix und das Tiefertreten des vorangehenden Teils gegen die Zeit auftrug. Bei normalem Geburtsverlauf (. Tab. 31.2) ergibt sich für die Zervixdilatation eine Kurve mit S-förmigem Verlauf, die in eine Latenzphase mit einer kontinuierlichen Verkürzung der Zervix bei nur geringer Eröffnung des Muttermundes und eine Aktivitätsphase mit der Periode der Akzeleration und Dezeleration unterteilt wird (. Abb. 31.5). In der Akzelerationsperiode kommt es zur rasch zunehmenden Dilatation und in der darauf folgenden Dezelerationsperiode zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes. Der Beginn der Geburt ist schwer zu erkennen, weil der Übergang von Schwangerschafts- zu Geburtswehen oft fließend erfolgt. Geburtsbeginn Als Definition ist lediglich die Formulierung »Beginn einer regelmäßigen, schmerzhaften, anhaltenden und zervixwirksamen Wehentätigkeit« zulässig.
Die passive Zervixverkürzung, das Verstreichen, ist erst nach einer aktiven Reifungsphase möglich, und das Ende der 1. Geburtsphase ist nur durch häufige vaginale Untersuchungen . Abb. 31.5. Schematische Darstellung des Geburtsverlaufs. (Nach Friedman 1954)
. Tab. 31.2. Die 3 Stadien des Geburtsverlaufs (diese unterliegen einer zusätzlichen Teilung)
Geburtsphase
Unterteilt in
1. Geburtsphase
Eröffnungsperiode
5 Latenzphase 5 Aktivitätsphase – Akzelerationsperiode – Dezelerationsperiode
2. Geburtsphase
Austreibungsperiode
5 Frühe Austreibungsperiode 5 Pressperiode
3. Geburtsphase
Plazentarperiode
feststellbar. Da die beiden Endpunkte nur approximativ ermittelt werden können, divergieren auch die Zeitangaben. Die mittlere Dauer der Eröffnungsperiode wird bei der Nullipara mit 7,7 h und bei der Multipara mit 5,6 h angegeben. Von der prolongierten 1. Geburtsphase wird erst gesprochen, wenn bei der Erstgebärenden 17,5 h und bei der Mehrgebärenden 13,8 h überschritten werden (Kilpatrick u. Laros 1989; Albers 1999; 7 Kap. 38 »Pathologische Geburt«). Für die verlängerte Latenzphase wird ätiologisch bei der Nullipara die Unreife der Zervix zu Beginn der Wehentätigkeit angegeben. Bei Mehrgebärenden handelt es sich häufig
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Kapitel 31 · Normale Geburt
um eine Fehldiagnose (»false labor«), denn bei mehr als 50% dieser Fälle befinden sich die Schwangeren noch im Stadium der Vorwehen. > Der Verlauf der Aktivitätsphase ist regelrecht, wenn die Wehen bei einer Nullipara eine Zervixdilatation um >1,2 cm/h und bei einer Multipara um >1,5 cm/h bewirken.
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Das Aufbrauchen der Zervix wird durch Parität, fetale Größe und Lage, Zustand der Fruchtblase, Gewebsbeschaffenheit des unteren uterinen Abschnitts und v. a. durch die Aktivität des Corpus uteri selbst beeinflusst. Die effektive Dilatation kommt erst zustande, wenn der Wehendruck den Gewebswiderstand übertrifft. Es wurde nachgewiesen, dass erst bei einem intraamnialen Druck von >25 mm Hg sowie einer Wehenfrequenz von >20/h die Zervixeröffnung beginnen kann (Lindgren 1973). Die Art der Eröffnung des Zervixkanals ist bei Erst- und Mehrgebärenden unterschiedlich. Während bei Erstgebärenden die Eröffnung am inneren Muttermund beginnt und anschließend in Richtung auf den äußeren Muttermund fortschreitet, wird bei Mehrgebärenden der innere und äußere Muttermund in allen Teilen gleichzeitig auseinandergezogen.
Studienbox Bei 2–4% aller Geburten kommt es zu einer protrahierten Aktivitätsphase bzw. zum Geburtsstillstand, der im Partogramm graphisch zum Ausdruck kommt. Ursächlich kommen die regelwidrigen Einstellungen des fetalen Schädels, ein Schädel-Becken-Missverhältnis bzw. eine Wehenschwäche und/oder eine Leitungsanästhesie in Frage. Im Vergleich zum Gesamtgeburtengut wurde bei einer protrahierten Aktivitätsphase eine doppelt hohe Sectiorate und die 6-fache Zahl vaginaloperativer Entbindungen nachgewiesen (Sokol et al. 1977).
> Wenn selbst unter Wehenstimulation kein adäquater Geburtsfortschritt erzielt werden kann, ist die Wahrscheinlichkeit einer komplikationsarmen vaginalen Entbindung so niedrig, dass eine Indikation zur Sectio frühzeitig und nicht erst nach einem Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode gestellt werden sollte.
Die Austreibungsperiode beginnt mit der vollständigen Eröffnung des Muttermundes und wird mit der Geburt des Kindes beendet. Dieser Abschnitt wird in eine frühe Austreibungsperiode sowie eine Pressphase unterteilt.
Studienbox Die Dauer der Austreibungsperiode liegt durchschnittlich bei 54 min für Erstgebärende und bei 18 min für Mehrgebärende. Die zulässige Dauer der Austreibungsperiode
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beträgt bei Nulliparae 2 h und soll bei Mulitparae 1 h nicht überschreiten, außer wenn eine Leitungsanästhesie angewendet wurde (Albers 1999; Sokol et al. 1977). Trifft Letzteres zu, kann die Dauer um zusätzlich 1 h überschritten werden; diese Zeitangabenänderung wurde vom American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) 2003 vorgenommen.
Das Tiefertreten des fetalen Schädels erfolgt nach der vollständigen Retrahierung des Muttermundes über den Schädel deutlich rascher und soll bei Nulliparae >1,0 cm/h und bei Multiparae >2,0 cm/h betragen. Die Pressperiode beginnt, wenn der Schädel die Beckenmitte passiert hat und es durch den Druck auf den P. lumbosacralis zum reflektorischen Pressdrang kommt. In der Austreibungsperiode erreicht die Wehentätigkeit ihr Maximum. Durch den zusätzlichen Einsatz der Bauchpresse kann sich der intrauterine Druck verdoppeln. Bei einem Anstieg des intrauterinen Drucks auf >100 mm Hg sistiert die Perfusion des intervillösen Raums, und die plazentare Sauerstoffaufnahme wird unterbunden. Zu einer fetalen Hypoxämie kommt es allerdings nur, wenn keine Kompensationsmöglichkeit in der Wehenpause vorhanden ist. Die kindliche Azidose hängt daher von der Dauer der Pressperiode und von der Wehenfrequenz ab (7 Kap. 38 »Pathologische Geburt«). > Die Pressperiode sollte bei einer Erstgebärenden 30 min, bei der Mehrgebärenden 20 min nicht überschreiten (Sokol et al. 1977). Diese Zeitangabe darf jedoch nicht als striktes Limit verstanden werden. Eine vaginaloperative Entbindung bei einem nicht ausrotierten Kopf in Beckenmitte kann für das Kind schädlichere Auswirkungen haben als eine Spontangeburt nach verlängerter Pressperiode.
Bei verlangsamtem Tiefertreten des fetalen Schädels kommen ätiologisch folgende Faktoren in Betracht: 4 regelwidrige Einstellung des Schädels, 4 Schädel-Becken-Missverhältnis, 4 insuffiziente Austreibungskräfte, 4 Regionalanästhesie. In der Nachgeburtsperiode kommt es zur Lösung und Ausstoßung der Plazenta. Die Uteruskontraktionen gehen von der 2. Geburtsphase (Austreibungsperiode) unmittelbar in die 3.Geburtsphase (Plazentarperiode) über. Die Aufgabe der Nachgeburtswehen ist die Lösung und die Ausstoßung der Plazenta. Die unmittelbare Lösung selbst resultiert aus der Disproportion der größenmäßig unveränderten Plazentafläche und der deutlich verkleinerten Implantationsfläche des kontrahierten Uterus. Die Ablösung erfolgt in der Decidua spongiosa, und die dort verlaufenden Gefäße werden aufgerissen. Dabei kommt es zu einer physiologischen Lösungsblutung mit einem Volumen von etwa 200–400 ml. Ein Teil dieses Bluts fließt während und nach der Lösung der Plazenta nach außen ab, der Rest haftet in Form von Koageln der maternalen Seite der Plazenta an.
691 31.1 · Normale Geburt
4 Die häufigste Art der Ablösung (80%) beginnt in der Mitte der Plazenta, wobei das sich bildende retroplazentare Hämatom durch seine Größenzunahme die Ablösung der Plazenta von ihrer Unterlage von zentral nach lateral bewirkt, sodass bei der Ausstoßung zuerst die Mitte der fetalen Oberfläche der Plazenta in der Vulvaebene erscheint (Modus Schultze). 4 Bei der deutlich selteneren Art der Lösung nach dem Modus Duncan (20%) beginnt die Lösung exzentrisch, und der laterale Bereich der Plazenta wird zuerst ausgestoßen. Bei dieser Art der Lösung blutet es während der ganzen Plazentarperiode kontinuierlich, der gesamte Blutverlust ist größer als beim Modus Schultze. > Die Dauer der medikamentös nicht beeinflussten Ausstoßung der Plazenta wird mit 10–15 min angegeben (McDonald et al. 2004; Sokol et al. 1977).
Die physiologische Blutstillung ist abhängig von der Kontraktion und Retraktion der myometranen Muskelfasern, die zur Gefäßabklemmung führen, sowie vom Freiwerden des Thromboplastins, das die Thrombosierung der uteroplazentären Gefäße fördert. In der frühen Plazentarperiode wurden die höchsten Spiegel der PGF2α- und PGE2-Metaboliten nachgewiesen, die zusammen mit der Volumenabnahme für die Kontraktion des Uterus post partum verantwortlich sind, wodurch es zu einer Verkleinerung der Haftfläche der Plazenta und somit zu deren Lösung kommt (Husslein u. Sinzinger 1984). Der Blutverlust während der Geburt wird im Vergleich zu einem Blutverlust bei einer Nichtgraviden deutlich besser kompensiert. Dies erklärt sich einerseits aus der während der Schwangerschaft entstandenen Hypervolämie, andererseits durch die postpartale Aufhebung der relativen V.-cava-Kompression und die Mobilisierung eines beträchtlichen Blutvolumens, das für den zentralen Kreislauf im Sinne einer Autotransfusion wirkt.
31.1.2
gewiesen, bei Auftreten von regelmäßigen Wehen und bei Abgang von blutig tingiertem Zervixschleim bzw. Fruchtwasser die Klinik unverzüglich aufzusuchen. Dabei kann es vorkommen, dass eine Schwangere bei schmerzhaften Schwangerschaftswehen die Klinik frühzeitig aufsucht und anschließend wieder entlassen wird. Dieser Nachteil ist unbedeutend gegenüber dem Vorteil, möglichst viele Schwangere rechtzeitig in den Kreißsaal aufzunehmen, vorzubereiten und von Beginn der Geburt an überwachen zu können.
Befunderhebung bei Aufnahme in den Kreißsaal und während der Entbindung Nach der Ergänzung der Anamnese wird die Schwangere allgemein und geburtshilflich untersucht. Die Aufnahmeuntersuchung ermöglicht eine prognostische Beurteilung des Geburtsverlaufs. Im Anschluss an die klinische Untersuchung wird routinemäßig ein Aufnahme-CTG durchgeführt. In Abhängigkeit von den erhobenen Befunden werden zusätzliche diagnostische Maßnahmen, wie eine Ultraschalluntersuchung sowie Labordiagnostik, angeordnet (. Abb. 31.6).
Klinische Untersuchung Die äußere Untersuchung der Gebärenden gibt relativ wenig Hinweise auf den Verlauf der Entbindung. Durch die Untersuchung des maternalen Abdomens mittels Leopold-Handgriffen ist lediglich eine Beurteilung der Lage des Kindes
Evaluation
Anamnese Um die Aufnahme der Patientin in den Kreißsaal wenig belastend zu gestalten, ist es sinnvoll, die anamnestischen Daten und Untersuchungsbefunde der Schwangerschaftskontrollen im Kreißsaal aufzubewahren, um bei der Aufnahme nur noch ergänzende Fragen stellen zu müssen. Ein Vorbereitungsgespräch, in dem alle Wünsche der Frau bezüglich der Geburtsgestaltung vermerkt werden, sollte vor der 38. SSW stattfinden. Frauen, die sich schon unter der Geburt befinden, empfinden es als besonders unangenehm, mit vielen Fragen bzw. Angeboten überwältigt zu werden, da sie sich zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich nach Geborgenheit sehnen, keine Auskünfte mehr erteilen und möglichst wenige Entscheidungen treffen wollen. Die anamnestischen Fragen sollten sich daher nur auf den Verlauf der letzten Wochen sowie auf die Symptomatik und den Zeitpunkt des Geburtsbeginns beschränken. Um eine rechtzeitige medizinische Überwachung in Anspruch nehmen zu können, wird jede Schwangere darauf hin-
. Abb. 31.6. Befunderhebung bei Aufnahme in den Kreißsaal
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Kapitel 31 · Normale Geburt
möglich. Die Überprüfung des Fundusstandes erlaubt eine grobe Einschätzung der fetalen Größe, die inzwischen durch die sonographische Vermessung des Fetus ersetzt wird. Bei Verdacht auf ein Schädel-Becken-Missverhältnis soll die Schädelprominenz über der Symphyse (Zangemeister-Zeichen) geprüft werden. Auf die Bedeutung der kombinierten abdominal-vaginalen Untersuchung wird später eingegangen. Die vaginale Untersuchung hat eine wesentliche prognostische Bedeutung, da sie eine zuverlässige Auskunft über die geburtsmechanische Situation sowie den Geburtsfortschritt gibt. Diese Untersuchung sollte unter Beachtung der notwendigen Asepsis durchgeführt werden und die Anzahl auf ein Minimum beschränkt bleiben. Bei einem raschen Geburtsverlauf genügen nur wenige innere Untersuchungen, wie bei der Aufnahme der Patientin in den Kreißsaal, nach dem Blasensprung sowie am Beginn der Pressperiode. In den meisten Fällen sind jedoch häufigere Untersuchungen notwendig. Die Befunderhebung bei vaginaler Untersuchung wird nach einem festen Schema durchgeführt und in die Dokumentation des Geburtsverlaufs, das sog. Partogramm, eingetragen: 4 Zervix- bzw. Muttermundbefund, 4 Zustand der Fruchtblase, 4 Art und Höhenstand des vorangehenden Kindsteils, 4 Haltung und Einstellung des Schädels, 4 Besonderheiten des Geburtskanals. Bei Beurteilung der Zervix sollte die Länge, die Konsistenz, der Stand der Portio im kleinen Becken sowie die Muttermundweite beschrieben werden. Es ist wichtig, evtl. vorhandene Narben sowie das Verhalten der Zervix in der Wehe zu beurteilen. Ein fehlender Druck des fetalen Schädels auf den Muttermund bzw. ein Schrumpfen der Zervix nach der Amniotomie/Blasensprung können Hinweis auf ein Missverhältnis bzw. Wehenschwäche sein (7 Kap. 33 »Geburtsüberwachung«). Bei aufgebrauchter Zervix wird außer der absoluten Weite der verbliebene Muttermundsaum auf Gewebsreichtum und Dehnbarkeit beurteilt. Im Anschluss an die Beurteilung der Zervix bzw. des Muttermundes sollte der Zustand der Fruchtblase/Vorblase beschrieben werden. Eine prall gefüllte Vorblase schließt einen hohen Blasensprung nicht aus. Ein Fruchtwasserabgang ist meist auch ohne Hilfsmittel zu erkennen. Zur Verifizierung eines unklaren Blasensprungs können pH-Indikatoren (Bromthymol, Lackmus) bzw. immunchemische Tests (z. B. Amni Check, Fa. Mast Diagnostica; Amnisure, Fa. N-DIA) angewendet werden, wobei die Ersteren nur einen unspezifischen pH-Anstieg anzeigen. Nach erfolgtem Blasensprung/Amniotomie ist v. a. auf die Farbe des Fruchtwassers zu achten, da sie wichtige Hinweise auf aktuelle sowie auch länger zurückliegende intrauterine Ereignisse geben kann. 4 Klares Fruchtwasser mit Vernixflocken entspricht einem regelrechten Befund. 4 Eine frische Blutbeimischung kann ein Hinweis auf plazentare und/oder fetale Blutung sein. 4 Eine alte Blutung verfärbt das Fruchtwasser bernsteinfarben und kommt auch bei Rhesusinkompatibilität vor.
4 Gelb-trübe, übelriechende Amnionflüssigkeit spricht für eine Chorioamnionitis. 4 Grün-missfarbiges Aussehen spricht für vorzeitigen Mekoniumabgang – ein Hinweis auf stattgefundene fetale Hypoxie. Die sichere Identifikation des Kopfes als führender Teil basiert auf der Austastung der Pfeilnaht und der Fontanellen. Der Höhenstand des fetalen Schädels wird in Bezug auf die Interspinallinie angegeben und wurde von De Lee beschrieben. Der Kopf ist eingetreten, d. h. er hat mit dem größten Umfang den Beckeneingang passiert, wenn der tiefste knöcherne Punkt des flektierten Schädels in der Höhe der Interspinallinie steht (. Abb. 31.7a). Zusätzlich kann, v. a. bei großer Kopfgeschwulst, die Höhenstandsdiagnose nach Hodge benützt werden, in der nicht nur die Interspinalebene, sondern auch der obere und untere Symphysenrand als Begrenzungsebene zur Höhenbeurteilung benutzt wird (. Abb. 31.7b). Die Haltung des kindlichen Kopfes wird nach dem Fontanellenstand erkannt, wobei bei der regelrechten Geburt die kleine Fontanelle führen soll, was der Flexionshaltung des fetalen Schädels entspricht. Werden beide Fontanellen auf gleicher Höhe getastet, handelt es sich um eine indifferente Hal-
a
b . Abb. 31.7. Höhenstand des fetalen Schädels nach De Lee (a) und Hodge (b). a Höhenstandsangaben in cm, die die Distanz des vorangehenden Teils von der Interspinalebene (=0 cm) wiedergeben. b Parallelebenen: a obere Schoßfugenrandebene, b untere Schoßfugenrandebene, c Interspinalebene, d Beckenboden
693 31.1 · Normale Geburt
tung. Bei einer Deflexionshaltung ist die große Fontanelle, die Stirn oder das kindliche Gesicht zu palpieren (7 Kap. 38 »Pathologische Geburt«). Die Beziehung des vorangehenden Teils zum Geburtskanal wird als Einstellung bezeichnet, und der Grad der Rotation des kindlichen Kopfes im kleinen Becken wird nach der Pfeilnaht beurteilt. Neben dem Verlauf der Pfeilnaht wird auch die Beziehung zu der Führungslinie begutachtet, da ein Abweichen von dieser auf eine asynklitische Einstellung hinweisen kann. Ferner gibt eine Untersuchung während der Wehe einen Hinweis auf die Drehtendenz des fetalen Schädels. > Die Beschaffenheit des fetalen Kopfes, Bildung einer Kopfgeschwulst oder starke Verlagerung der Schädelknochen (»molding«) sind lediglich als Befundergänzung zu werten. Besonderheiten des Geburtskanals sollen Beachtung finden,
obwohl ihr diagnostischer Wert eingeschränkt ist. Eine starke Prominenz der Spinae ischiadicae oder die Straffheit der Weichteile können einen prolongierten Geburtsverlauf vermuten lassen. Eine kombinierte abdominal-vaginale Untersuchung, der Hillis-Müller-Test, ist eine der zuverlässigsten Methoden zur Erkennung eines Schädel-Becken-Missverhältnisses. Während eines Wehenmaximums schiebt die freie Hand durch einen Fundusdruck den fetalen Schädel in das Becken. Die vaginal untersuchende Hand überprüft, ob der vorangehende Teil tiefertritt. Bei negativem Testergebnis ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Disproportion anzunehmen. Die allgemeine Untersuchung und Überwachung der Schwangeren umfasst die Kontrolle von Kreislauf, Körpertemperatur und Ausscheidung. Der Blutdruck verändert sich während der Entbindung nur gering, und beim Fehlen von anamnestischen Risikofaktoren werden Blutdruckkontrollen in 4- bis 5-stündlichen Abständen durchgeführt. Pulskontrolle wird in analogen Abständen empfohlen. Diese Kontrollen sind dem individuellen klinischen Zustand der Patientin anzupassen und spielen in der Routine eine untergeordnete Rolle. Eine Tachykardie in der Eröffnungsperiode ist ungewöhnlich und kann ein Hinweis auf ein V.-cava-Kompressionssyndrom oder eine vorzeitige Lösung der Plazenta sein bzw. iatrogen durch Medikamentengabe entstehen. Dagegen kommt es in der 2. Geburtsphase aufgrund der Zunahme des Herzminutenvolumens zu einer physiologischen Steigerung der Herzfrequenz der Mutter. Durch den gesteigerten Energieumsatz sind subfebrile Temperaturen normal, sollten jedoch 38°C nicht übersteigen. Körpertemperaturen >38°C sind in erster Linie als Zeichen einer Amnionitis zu werten. Vor allem nach erfolgtem Blasensprung sollte die Temperaturmessung im Zweifel in 2-stündlichen Abständen erfolgen. Um die Ausscheidung beurteilen zu können, wird die Patientin in 3- bis 4-stündlichen Abständen zur Blasenentleerung angehalten.
Spezielle Diagnostik Die Überwachung des Fetusses durch die Auskultation der Herztöne mit Stethoskop bzw. Dopplergerät ist durch die kon-
tinuierliche apparative Registrierung der fetalen Herztöne mit gleichzeitiger Wehenaufzeichnung, das Kardiotokogramm (CTG), ersetzt worden. Es gibt nur wenige Studien über den Wert der intermittierenden Auskultation als Überwachungsmethode des Fetsses sub partu, und der prädiktive Wert dieses Verfahrens zur Diagnostik fetaler Asphyxie ist nicht bekannt. Die meisten Erkenntnisse stammen aus Untersuchungen, in denen diese Methode mit dem kontinuierlichen elektronischen Monitoring verglichen wurde. Sie zeigten, dass durch die intermittierende Auskultation eine fetale Notsituation nicht vorhersehbar ist und aus forensischer Sicht eine nur lückenhafte Dokumentation zulässt (Vintzileos 1995).
Studienbox Eine Überlegenheit des kontinuierlichen Monitorings gegenüber der intermittierenden Auskultation führt zu einer signifikanten Reduktion der perinatalen Mortalität und verbesserten Erkennung der fetalen Asphyxie, allerdings bei Erhöhung der operativen Entbindungsrate, da häufig FHF-Muster als pathologisch eingestuft werden, auch wenn diese physiologische Veränderungen widerspiegeln und somit als falsch-positiv einzustufen wären (ACOG 2009; DGGG 2008). Der Nachweis des Nutzens der CTG-Überwachung setzt einen guten Kenntnisstand der Interpretation des CTG voraus. Es ist nicht auszuschließen, dass der mangelnde Nachweis des Nutzens nicht so sehr der Methode als vielmehr deren Anwendern anzulasten ist (DGGG 2008; Vintzileos et al. 1995).
> Im deutschsprachigen Raum wird das kontinuierliche Monitoring als das Verfahren der Wahl zur intrapartalen Überwachung betrachtet, da es fetales Wohlbefinden bzw. Notsituationen zuverlässig anzeigt und zugleich dokumentiert.
Bei Aufnahme der Patientin in den Kreißsaal wird routinemäßig eine CTG-Registrierung über 30 min durchgeführt. Eine weitere Überwachung hängt von dem Aufnahmebefund ab und kann bei unauffälliger fetaler Herzfrequenz in der Eröffnungsperiode intermittierend erfolgen. Die Registrierungspausen werden von den Frauen genutzt, um beispielsweise ein Entspannungsbad zu nehmen bzw. im Bereich des Kreißsaals spazierenzugehen. In der Austreibungsperiode ist eine kontinuierliche Überwachung empfehlenswert (ACOG 2009; DGGG 2008). Ob die Ableitung der fetalen Herzfrequenz extern oder mittels Skalpelektrode erfolgt, hängt von der Verwertbarkeit der CTG-Kurve ab. Mit der direkten Ableitung vom Fetus werden zwar die qualitativ besseren Aufzeichnungen erzielt, jedoch ist diese wegen der Invasivität nur dann gerechtfertigt, wenn extern keine adäquate Überwachung möglich ist. Die Verwendung externer Ableitungsmethoden, solange sie eine gut verwertbare Aufzeichnung liefern und die fetale Herzfrequenz keine Alterationen aufweist, ist prinzipiell ausreichend.
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Kapitel 31 · Normale Geburt
Bei Aufnahme der Gebärenden ist eine Ultraschalluntersuchung angezeigt, wenn der palpatorische Befund unklar ist bzw. ein von der Norm abweichender Befund erhoben wird. Dies trifft v. a. auf die Erkennung von Makrosomie bzw. fetaler Dystrophie sowie Haltungs- und Einstellungsanomalien (auffälliger Palpationsbefund) zu (. Abb. 31.8). Sehr selten ist es für den unerfahrenen Geburtshelfer notwendig, die fetale Lage sonographisch bestimmen zu müssen. Missbildungen des Kindes als Geburtshindernis, wie z. B. Hydrozephalus, Myelomeningozele, werden zunehmend pränatal erkannt und nur selten erst intrapartal als Ursache einer Dysproportion festgestellt.
. Abb. 31.8. Okzipitoposteriore Schädellage
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Die Beurteilung des Kardiotokogramms sowie die Anwendung anderer, nicht im Routinebetrieb einsetzbarer Methoden zur ante- und intrapartalen Überwachung sind 7 Kap. 30 »Antepartale Überwachung« und 7 Kap. 33 »Geburtsüberwachung« zu entnehmen. Die Tokographie wird in der klinischen Routine extern durchgeführt. Mit dieser Methode ist zwar eine intrauterine Druckmessung nicht möglich, jedoch ist die Information der externen Wehenregistrierung über die Wehenfrequenz und -dauer im klinischen Bereich völlig ausreichend. > Die Tokographie wird mit Veränderungen des Kardiogramms zeitlich korreliert, um den fetalen Zustand bei Belastung zu beurteilen. Die Registrierung der Wehentätigkeit erlaubt somit auch die Interpretation auffälliger Herzfrequenzmuster und darf daher nie fehlen bzw. mangelhaft angelegt sein.
Die fetale Skalpblutanalyse (FSBA)/Mikroblutgasuntersuchung ist die Bestimmung des pH-Werts im Blut nach einer Blutentnahme vom vorangehenden Teil des Kindes sub partu (7 Kap. 33 »Geburtsüberwachung« und 7 Kap. 34 »Intrapartale Asphyxie«). Die Indikation zur FSBA wird vorwiegend bei unklaren CTG-Befunden gestellt. Die Dignität unklarer Tachykardien, Fluktuationseinschränkungen oder Dezelerationsmuster lässt sich meist mittels FSBA klären. Wegen der bekanntermaßen ungenügenden Spezifität dieser Auffälligkeiten ist der klinische Zusammenhang zu berücksichtigen; die Indikation für eine FSBA ist v. a. bei Progredienz der Veränderungen sowie bei Risikosituationen, wie IUWR (intrauterine Wachstumsrestriktion), Dysmaturität mit Oligo-/Anhydramnie, progredientem Geburtsverlauf etc., zu stellen. Die pH-Messung ist lediglich eine Momentaufnahme eines dynamischen Prozesses und gewinnt an diagnostischer Aussagekraft, wenn durch wiederholte Untersuchungen eine Tendenz des pH-Verlaufs festgestellt werden kann. Eine pHMessung bei hochpathologischen Herzfrequenzmustern ist von fraglichem Wert und führt zu unnötigem Zeitverlust im Hinblick auf eine operative Entbindung (7 Kap. 33, 34).
> Der diagnostische Wert des Ultraschalls im Kreißsaal wird vorwiegend in Akutfällen genutzt zur Abklärung von Blutungen, Differenzierung fetaler Bradykardien, Lage der fetoplazentaren Hämodynamik und Stellung des 2. Zwillings sowie ggf. zur Beurteilung mittels Dopplerultraschall.
Laboruntersuchungen Die Nieren- und Stoffwechselfunktion wird bei der Aufnahme durch eine Urinuntersuchung erfasst. Beurteilt werden Protein-, Glukose-, Azetonkonzentration sowie Nitritgehalt. Eine geringgradige Proteinurie tritt unter der Geburt häufig auf und sollte 30 mg/100 ml nicht überschreiten. Da der Energieumsatz unter der Geburt verdoppelt wird, kann es bei protrahierten Geburten zu einer katabolen Stoffwechsellage kommen. Durch die Bestimmung von Azeton kann eine Stoffwechselstörung grob erfasst und durch eine rechtzeitige parenterale Gabe von Glukose- und/oder Elektrolytlösung ausgeglichen werden. Bei fehlenden maternalen Risikofaktoren wird eine Kontrolle von hämatologischen Parametern sowie der Blutchemie bei regelrechtem Geburtsverlauf nur selten benötigt. Lediglich für die Durchführung einer Leitungsanästhesie ist die normale Blutgerinnung von Bedeutung und sollte bei belasteter Anamnese überprüft werden (7 Kap. 46 »Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe«). Bei Risikoschwangerschaften und/oder prognostisch ungünstigem Geburtsverlauf wird zusätzlich ein Blutbild und eine Untersuchung der Blutchemie angeordnet.
31.1.3
Management
Leitung der Eröffnungs- und Austreibungsperiode und aktives Management Die Leitung der Eröffnungsperiode erstreckt sich auf die Überwachung von: 4 Geburtsfortschritt, 4 Wehentätigkeit, 4 fetalem Wohlbefinden, 4 Kontrolle der vitalen Funktion der Mutter. Um die Abweichung von der Norm auf einen Blick erkennen zu können, hat es sich bewährt, alle Befunde in ein Partogramm einzutragen. Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Dokumentation ist zudem aus juristischer Sicht von großer
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Bedeutung und sollte daher auch für den fachkundigen Dritten nachvollziehbar sein (DGGG 2008). Das früher im deutschsprachigen Raum gebräuchlichste Formular nach einem Schema von Friedman wird inzwischen meistens durch eine EDV-unterstützte Dokumentation ersetzt. Unabhängig von der Art des Geburtsprotokolls sollte dieses die in der . Übersicht genannten Einträge beinhalten.
Dokumentation der Geburt Alle für die Geburt wichtigen anamnestischen Daten und Befunde 4 Geburtsverlauf mit Graphikerstellung (Partogramm im engeren Sinn); diese Dokumentation beinhaltet: – Muttermundbeschaffenheit und -weite – Zustand der Fruchtblase – Präsentation des führenden Kindsteils mit Beurteilung der Haltung und Einstellung – Höhe der Leitstelle in Bezug auf die Interspinallinie 4 CTG-Beurteilung 4 Maßnahmen wie – Gabe von Medikamenten – Verständigung des Oberarztes – besondere Aufklärung der Gebärenden. 4 Geburtsmodus 4 Verlauf der Nachgeburtsperiode mit – Beurteilung der Plazenta – Vorhandensein von Verletzungen der Weichteile und deren Versorgung 4 Der unmittelbare postpartale kindliche Zustand mit Apgar-Score und Nabelschnur-pH-Wert.
Bei regelrechtem Geburtsverlauf und unauffälligen vitalen Funktionen der Mutter empfiehlt es sich, die Gebärende in der Eröffnungsperiode aufstehen und im Bereich der Entbindungsstation spazierengehen zu lassen. Der Geburtsfortschritt sowie das fetale Wohlbefinden sollen in 1- bis 2-stündlichen Abständen kontrolliert werden. Die intermittierende CTGKontrolle sollte sich in der Eröffnungsperiode über mindestens 30 min erstrecken. Vor allem in der Latenz- und der frühen Aktivphase empfinden es die Gebärenden als entspannend und erleichternd, ein warmes Bad zu nehmen (7 Kap. 32 »Wassergeburt«). Wegen der während der Geburt verzögerten gastralen Entleerung mit vermehrter Neigung zum Erbrechen sollte die orale Zufuhr – auch flüssiger Substanzen – ab dem Beginn der Aktivphase unterbleiben, v. a. dann, wenn an eine operative Geburtsbeendigung gedacht werden muss. Bei einer ggf. notwendigen Narkose besteht die Gefahr der Aspiration. Die notwendige Flüssigkeits- und Glukosezufuhr bzw. auch medikamentöse Therapie kann parenteral erfolgen. Die Überwachung der Gebärenden umfasst auch die Kontrolle der Blasen- und Darmfunktion. In der Eröffnungsphase kann die Blasenentleerung i. d. R. spontan erfolgen, Katheterisieren ist nur ausnahmsweise in der Pressperiode nötig. Die Darmentleerung kann bei Aufnahme der Patientin in den
Kreißsaal durch die Verabreichung von Clysmol gefördert werden. Ist die Eröffnung regelrecht erfolgt, so ist auch ein ungestörter Verlauf der frühen Austreibungsperiode zu erwarten. In dieser Phase verbleibt die Patientin im Entbindungsraum, und der fetale Zustand wird dauerüberwacht. Die Rückenlage sollte wegen der Möglichkeit der V.-cava-Kompression sowie wehenabschwächender Wirkung vermieden werden. Seitenlage bzw. die aufrechte Haltung ist für die Gebärende in dieser Phase am bequemsten und zudem für den Geburtsverlauf vorteilhaft. Bei verzögertem Tiefertreten, mangelhafter Rotation des Schädels bzw. bei CTG-Alterationen wirkt häufig ein Lagewechsel günstig. Auf die Lagerung der Patientin während der Geburt wird in 7 Kap. 31.2 »Gebärhaltung« eingegangen. > Die Pressperiode ist für Mutter und Kind die Phase der stärksten Belastung. Um eine Reoxygenation des Fetusses zu ermöglichen, sollte die Anzahl der Presswehen 3–4 in 10 min nicht übersteigen. Zu frühes Mitpressen belastet das Kind zusätzlich und führt zur vorzeitigen Erschöpfung der Mutter.
Beim Pressen ist eine zu starke Flexion der Hüftgelenke und Abduktion der Beine aufgrund der drohenden Schädigung des Bandapparats im Bereich der Symphyse und der Iliosakralgelenke zu vermeiden. Beim Sichtbarwerden des Kopfes wird die Genitoanalgegend desinfiziert und das notwendige Instrumentarium bereitgestellt. Die Technik des Dammschutzes wird als bekannt vorausgesetzt. Die Vorteile eines Dammschutzes liegen in: 4 Steuerung der Geschwindigkeit des Kopfaustritts, 4 Beibehaltung der Flexion des kindlichen Kopfes. Ob dieser Handgriff bzw. eine intrapartale Dehnung und Massage der Perinealgegend vor Verletzung, Inkontinenz und Dyspareunie zu schützen vermag, ist fraglich (Stamp et al. 2001). Nach dem Austritt des Kopfes erfolgt die Entwicklung der Schultern, wobei meist mit der vorderen Schulter begonnen wird, indem man mit einem Finger vom kindlichen Rücken her in die Achselhöhle eingeht. Auf diese Weise wird ein zu starker Zug am Kopf und somit die Gefahr der Plexusschädigung bzw. eine Klavikulafraktur vermieden. In Analogie dazu wird die hintere Schulter geboren.
Aktives Management Für die Oxytozinstimulation ist die Beurteilung der Wehentätigkeit unter Berücksichtigung der Normwerte für Frequenz, Dauer und Intensität der Wehen und deren Veränderungen im Verlauf der verschiedenen Geburtsabschnitte von Bedeutung (7 Kap. 33 »Geburtsüberwachung«). Die Wirksamkeit von synthetischem Oxytozin auf die Frequenz und Intensität der Wehen ist durch klinische Beobachtungen bewiesen worden, daher ist die Anwendung zur Geburtseinleitung, Wehenstimulation und zur postpartalen Uterusinvolution weit verbreitet. Die häufigste Nebenwirkung ist die Möglichkeit einer Hyperstimulation, die in Folge zur fetalen Hypoxie führen kann. Da jedoch die Halbwertszeit von Oxytozin in vitro 3–5 min beträgt, genügt oft die Unterbre-
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Kapitel 31 · Normale Geburt
chung der Zufuhr, um eine Normalisierung der Wehenfrequenz zu erreichen. Bei einem alarmierenden Kardiogramm kann auch die Wehentätigkeit durch die Verabreichung eines β-Mimetikums unterbrochen werden. Aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit mit Vasopressin wirkt Oxytozin in hohen Dosen antidiuretisch, die Gefahr einer Hyperhydratation ist jedoch nur bei längerer Verabreichung von Dosen >40 mIE/ min beschrieben worden (ACOG 2003). Basierend auf einer Studie im Parkland Hospital mit 21.602 oxytozinbeeinflussten Geburten wurden folgende Punkte erarbeitet, die bei der geplanten Oxytozintherapie beachtet werden sollten (Satin et al. 1992): 4 Während der Geburtsleitung mit Oxytozin sollte eine Pflegeperson bei der Gebärenden anwesend sein. 4 Ein kontinuierliches Monitoring der fetalen Herzfrequenz und der Uterusaktivität muss gewährleistet sein. 4 Ein Schädel-Becken-Missverhältnis muss ausgeschlossen sein. Bei von der Norm abweichender Haltung und Einstellung des fetalen Schädels ist Oxytozin nur mit großer Vorsicht zu verabreichen. 4 Eine relative Kontraindikation stellt ein über die Norm gedehnter Uterus dar, wie es beim Hydramnion, exzessiver Makrosomie bzw. Mehrlingsschwangerschaften vorkommt. 4 Bei sehr hoher Parität (>6) soll Oxytozin aufgrund der Gefahr der Uterusruptur nicht angewendet werden. Tipp Vom ACOG (2003) und zuletzt von Hayes u. Weinstein (2008) wurden Dosierungsempfehlungen verfasst – mit Nennung der Vor- und Nachteile der unterschiedlich hohen Oxytozingaben. Eine intramuskuläre bzw. intravenöse Bolusverabreichung ist wegen der Gefahr schwer steuerbarer Überstimulation abzulehnen. Oxytozin soll nur über wenige Stunden verabreicht werden. Bei fehlendem Geburtsfortschritt in der Eröffnungsperiode ist eine abdominaloperative Entbindung vorzunehmen (ACOG 2003).
> Bei einer prolongierten Aktivitätsphase und/oder bei verzögertem Tiefertreten des fetalen Schädels in der Austreibungsperiode ist – bei Beachtung der oben angeführten Punkte – eine Wehenstimulation mittels Oxytozin sinnvoll (7 Kap. 38 »Pathologische Geburt«).
Eine lange Geburtsdauer kann zwar zur fetalen Hypoxämie und Azidämie führen, jedoch werden diese Veränderungen meist rechtzeitig durch Veränderungen des Kardiogramms sowie durch die Mikroblutgasanalyse erkannt und können durch eine operative Geburtsbeendigung vermieden werden (7 Kap. 38). Im Gegensatz zum fetalen Risiko wird die maternale Folgemorbidität – die nicht nur eine physische, sondern auch psychische Komponente beinhaltet – nicht rechtzeitig wahrgenommen bzw. unterschätzt. Daher sollte in der modernen Geburtshilfe die überlange Geburtsdauer auch als ein maternales Problem angesehen werden.
Studienbox In einer kontrolliert randomisierten Studie wurde gezeigt, dass Stress und Angst eine β-adrenerge wehenhemmende Wirkung haben und die Geburtsdauer prolongieren. Durch eine gute Geburtsvorbereitung wurde die Anspannung der Gebärenden deutlich vermindert. Eine einfühlsame Begleitung der Patientin wirkte sich unterstützend positiv auf den Geburtsverlauf aus (Kennell et al. 1991). Bei ängstlichen, verspannten Patientinnen mit Wehenschwäche bewirkte der kombinierte Einsatz von β-Blockern (Propranolol) und einer milden Oxytozingabe eine gute Stimulation der Wehen. Mit dieser Art der Beeinflussung der Geburtsdauer konnte die Sectiorate gesenkt werden. Als zusätzliche Unterstützung war eine angemessene Analgesie von Vorteil (Sanches-Ramos et al. 1996).
> Der Abbau von Angst und Stress, die Optimierung der Analgesie und der gezielte Einsatz von wehenfördernden Mitteln können als Maßnahme zur aktiven Beeinflussung der Geburtsdauer empfohlen werden.
Die Effizienz der Amniotomie zur Geburtseinleitung ist bei reifer Zervix bewiesen, jedoch sind die Meinungen über die geburtsbeschleunigende Wirkung geteilt, da experimentelle Hinweise auf eine Aktivierung der Wehentätigkeit fehlen. Lediglich über positive klinische Erfahrungen zur Beeinflussung der Geburtsdauer wurde berichtet. Demnach ist die Amniotomie mit einer signifikanten Verkürzung der Geburtsdauer und Reduktion der Sectio-Rate assoziiert (Wei et al. 2009). Auf die Bedeutung und Anwendung der geburtshilflichen Analgesie soll hier nicht näher eingegangen werden (7 Kap. 47 »Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie«). Von der heutigen Geburtshilfe wird erwartet, dass sie zu einem schmerz- und angstarmen, beglückenden Erlebnis verhelfen kann. Jedoch gerade in diesem Bereich ist der Individualität der Gebärenden in besonderem Maße Rechnung zu tragen. Es gehört zu der hohen Kunst der Geburtshilfe, im Einzelfall herauszufinden, inwieweit der schmerzfreie Zustand gegenüber weniger interventionistischen Maßnahmen der Schmerzerleichterung angezeigt ist (7 Kap. 32 »Wassergeburt«). Richtungsweisend für die Gestaltung der Geburt – und dazu gehören auch die Ansätze zur Schmerzerleichterung – sollten das Wohlbefinden der Gebärenden und die Erfüllung ihrer Erwartungen sein. Allzu oft wird der Fehler gemacht, dass bei der Gestaltung des Geburtsgeschehens nicht die Erwartungen der Frau, sondern die Idealvorstellungen des Betreuungsteams zum Tragen kommen. Die damit mögliche Konfliktsituation kann sich jedoch belastend auf das gesamte Geschehen auswirken. Zur Erleichterung des Wehenschmerzes stehen zahlreiche analgetische, anästhesiologische, komplementäre und auch psychologische Möglichkeiten zur Verfügung. Ein Konzept
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der Geburtsvorbereitung wurde entwickelt, bei dem das Angst-Spannung-Schmerz-Syndrom psychologisch überwunden und dadurch eine schmerzarme Entbindung erreicht werden kann (Read 1944). Die medikamentöse Geburtserleichterung kann durch zentral wirkende Substanzen bzw. mit Lokalanästhetika erzielt werden. Eine vollständige Schmerzausschaltung unter der Geburt erfolgt durch verschiedene Formen der Leitungsanästhesie, die immer häufiger in Anspruch genommen wird und auch zusätzliche Vorteile bietet, wie z. B. bessere Versorgung des Fetusses bei plazentarer Insuffizienz, Senkung der Gewebsrigidität und v. a. die Umgehung der Allgemeinnarkose bei operativen Eingriffen. Folgende Nachteile der Epiduralanästhesie wurden nachgewiesen: Verlängerung der gesamten Geburtsdauer, höhere Rate der fetalen Haltungsanomalien und eine Zunahme vaginaloperativer Entbindungen (Howell 2002). Zur Vermeidung der protrahierten Geburt wird von einigen Autoren eine aktive Beeinflussung der Geburtsgeschwindigkeit als Routinemaßnahme empfohlen (»active management« im engeren Sinn).
Studienbox Prospektiv durchgeführte randomisierte Studien der letzten Jahre ergaben bei aktiver Beeinflussung tatsächlich eine signifikante Verkürzung der Geburtsdauer, ohne dabei die Schnittentbindungsrate zu erhöhen. Dies trifft v. a. bei Verabreichung von Oxytozin in einer protrahiert ablaufenden Eröffnungsperiode zu (Dencker 2009; Wei et al. 2009). Ein routinemäßiger Einsatz von hoch dosiertem Oxytozin und Amniotomie sollte jedoch als unnötige »Technisierung« der Geburt vermieden werden.
Episiotomie Die Inzidenz der Episiotomie variiert in den europäischen Ländern zwischen 8 und 90% und zeigt sogar in Abhängigkeit von Gepflogenheiten der einzelnen Kliniken eine breite Streuung. Bei Durchführung des Dammschnitts nach strenger Indikationsstellung betrug die Häufigkeit 13,9% (Perinatalzentrum AKH-Wien 2008). Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die routinemäßige Durchführung eines Dammschnitts abzulehnen ist (Hartmann et al. 2005; Carroli u. Belizan 2002).
Indikationen Die Episiotomie wird bei maternaler und/oder fetaler Indikation angelegt. Als Prophylaxe schwerer perinealer Traumen könnte sie einem drohenden Dammriss zuvorkommen und die nachfolgende Wundversorgung erleichtern. Ob jedoch die Wundheilung im Vergleich zu einem Dammriss begünstigt wird, ist bisher durch keine kontrolliert randomisierten Untersuchungen belegt worden.
Studienbox Durch zahlreiche Studien wurde bewiesen, dass eine Episiotomie ein zusätzliches perineales Trauma nicht verhindern kann. Der mediane Schnitt steigert das Risiko von Dammrissen III. und IV. Grades, mindert aber die Verletzungsfrequenz im Bereich der Labien und der Urethra. Die mediolaterale Episiotomie reduziert die Häufigkeit beider Traumata, ohne sie vollständig zu eliminieren (Hartmann et al. 2005; Carroli u. Belizan 2002). Der Wert des Dammschnitts zur Prävention einer späteren Insuffizienz des Beckenbodens ist umstritten. Duerr u. Roemer berichten in ihrer Studie, dass 10% der untersuchten Frauen trotz durchgeführter Episiotomie eine transitorische Harninkontinenz entwickelten, die unabhängig von der Schnittführung war und 6–7 Wochen anhielt. Als mögliche Ursache wurde eine Zerreißung im Bereich der Fascia cervicovesicalis mit Veränderung des vesikoureteralen Winkels angeführt (Duerr u. Roemer 1996). Ein gezieltes Training der Beckenbodenmuskulatur vermag einen positiven, jedoch nicht signifikanten Einfluss auf die Harnblasenfunktion zu haben (Hay-Smith et al. 2008). Eine Episiotomie zur Verkürzung der Austreibungsperiode bei fetaler Gefährdung und/oder zur Erleichterung einer vaginaloperativen Entbindung wird befürwortet (7 Kap. 40 »Geburt und Beckenboden«).
Schnittführung Die Schnittführung muss je nach Indikation gewählt werden. Bei unkomplizierter Spontangeburt wird zwecks Erweiterung des Introitus bzw. zur Geburtsbeschleunigung eine mediane Episiotomie bevorzugt. Bei medianem Schnitt wird der Damm in der Mitte des bindegewebigen Centrum tendineum unter Schonung der perinealen Nerven und Gefäße durchtrennt. Die Vorteile sind: geringe Blutung und weniger postpartale Beschwerden. Der Nachteil der eingeschränkten Erweiterungsmöglichkeit und einer potenziellen Begünstigung eines Dammrisses III.–IV. Grades muss bei der Indikationsstellung beachtet werden (Carroli u. Belizan 2002). Die mediolaterale Episiotomie schafft am meisten Platz und kann erweitert werden, deshalb sollte diese bei überdurchschnittlich großem Raumbedarf, v. a. bei Erstgebärenden mit zu erwartendem großem biparietalem Durchmesser des fetalen Schädels, bei Haltungsanomalie des kindlichen Kopfes, bei vaginaloperativen Eingriffen sowie bei niedrigem und narbigem Damm bevorzugt werden. Der mediolaterale Schnitt führt zur Durchtrennung des M. transversus perinei superficialis und des M. bulbospongiosus. Dies verursacht stärkere Beschwerden und einen signifikant höheren Blutverlust (Carroli u. Belizan 2002).
Zeitpunkt der Episiotomie Zwecks Erfüllung der doppelten Indikation – Reduzierung des Drucks auf den Beckenboden durch den kindlichen Kopf und Schonung des Damms – sollte die Episiotomie angesetzt wer-
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Kapitel 31 · Normale Geburt
den, bevor eine Überdehnung des Gewebes eingetreten ist. Andererseits führt ein zu früher Dammschnitt zu einem unnötig großen Blutverlust. Die Gefahr des Weiterreißens ist außerdem größer, wenn der Schnitt angelegt wird, bevor eine gewisse Dammdehnung besteht. Der richtige Zeitpunkt ist i. Allg. erreicht, wenn das Durchschneiden des Kopfes in den nächsten 2–3 Wehen zu erwarten ist.
Naht der Episiotomiewunde
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Die operative Versorgung erfolgt unmittelbar nach der vollständigen Entleerung des Uterus. Die Wundversorgung sollte immer in Lokalanästhesie des unteren vaginalen Abschnitts und des Vulvabereichs erfolgen, außer wenn vorher aus anderen Gründen eine Allgemeinnarkose bzw. Leitungsanästhesie vorgenommen wurde (7 Kap. 47 »Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie«). Bei der Wundversorgung sollte eine Hohlraumbildung vermieden werden, da Wundtaschen eine Infektion begünstigen. Die Versorgung des Scheidenwundrands erfolgt mit Einzelknopfnähten oder fortlaufend bis zum Hymenalsaum. Die subkutane Adaptation des Septum rectovaginale soll durch einige tiefe Nähte erfolgen, anschließend wird die Haut adaptiert. Eine Hautversorgung mit einer intrakutanen Nahttechnik soll bevorzugt werden, da sie eine bessere Heilungstendenz hat und geringeren Wundschmerz verursacht. Als Nahtmaterial werden resorbierbare Kunststofffäden empfohlen (Valenzuela et al. 2009).
Forensische Aspekte Nach Gaisbauer (1991) ist eine Einverständniserklärung der Gebärenden zur Vornahme einer Episiotomie nicht erforderlich, da es sich um einen Standardeingriff bei Geburten handelt, mit dem die Schwangere rechnen muss. Im Zweifelsfall können geburtshilfliche Formulare nach Weissauer verwendet werden, in denen erwähnt wird, dass Nebeneingriffe erforderlich sein können. Auch den Empfehlungen der DGGG ist zu entnehmen, dass bei problemlosem Verlauf der Schwangerschaft und ohne konkreten Anlass der Arzt nicht verpflichtet ist, mit der Schwangeren rein fürsorglich über mögliche Komplikationen und etwaige operative Eingriffe zu sprechen (DGGG 2008). Bei einem Aufklärungsgespräch in der 38. SSW sollten nicht nur die Vorstellungen der Schwangeren bezüglich der Geburtsgestaltung erfragt werden, sondern – v. a. bei Schwangeren aus dem Risikokollektiv – auch die etwaige Möglichkeit eines operativen Eingriffs (inkl. Episiotomie) besprochen werden. Die Zusammenfassung dieses Gesprächs soll in der Krankengeschichte vermerkt werden.
Leitung der Plazentar- und Postplazentarperiode Das Hauptziel bei der Leitung der 3. Geburtsphase ist die Vermeidung größerer Blutverluste. Verschiedene mehr oder weniger zuverlässige Lösungszeichen der Plazenta werden in der Literatur angegeben. Die zuverlässigsten sind: 4 Form- und Größenveränderung des Uterus, 4 Tiefertreten der Nabelschnur, 4 Küstner-Zeichen (7 unten).
> Das einzig sichere Lösungszeichen ist die Ausstoßung der Plazenta.
Um eine frühzeitige Uterusentleerung zu erreichen und somit die Plazentarperiode abzukürzen, wird von vielen Geburtshelfern eine medikamentöse Blutungsprophylaxe sowie manuelle Unterstützung der Lösung durch Fundusdruck und Zug an der Nabelschnur angewandt. In der Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob eine medikamentöse Prophylaxe immer oder nur indiziert durchgeführt werden soll. Die Empfehlung einer aktiven Leitung entstammt schon Untersuchungen der 1960-er Jahre.
Studienbox Basierend auf einer Literaturübersicht (Metaanalyse 1951–1985) konnte festgestellt werden, dass eine prophylaktische Gabe von Oxytozin das Risiko einer postpartalen Blutung signifikant zu reduzieren vermag, allerdings nur in der standardisierten Gruppe mit 500–1000 ml Blutverlust. Bei Blutungsstärke >1000 ml konnte kein Einfluss der prophylaktischen Medikation festgestellt werden (McDonald et al. 2004).
Bei gewissenhafter Überwachung in der Nachgeburtsperiode kann eine postpartale Blutung ausreichend rasch erkannt und durch eine medikamentöse Intervention in den meisten Fällen auch behoben werden. Mit der Einführung der Prostaglandine steht eine besonders wirksame Medikamentengruppe zur Therapie einer Uterusatonie zur Verfügung. Die routinemäßige Prophylaxe stellt eine unnötige Medikalisierung der geburtshilflichen Abläufe dar und wirkt sich negativ auf die Sorgfalt der postpartalen Kontrollen aus. > Die Verabreichung von Uterotonika sollte auf Indikation erfolgen, während die routinemäßige Applikation Risikopatientinnen (z. B. belastete Anamnese, Hydramnion, Makrosomie, Mehrlingsschwangerschaften, prolongierter Geburtsverlauf) vorbehalten bleibt.
Auch bei der Wahl der zu verabreichenden Substanz sowie bei der Applikationsart gibt es unterschiedliche Auffassungen. Da Mutterkornalkaloide durch ihre chemische Verwandschaft mit Bromokriptin einen die Galaktopoese hemmenden Effekt haben können, wird zur Prophylaxe mehrheitlich die Verabreichung von Oxytozin empfohlen. Ergotamin sollte wegen der erhöhten gastralen Nebenwirkungsrate nur in der Therapie der postpartalen Blutung Anwendung finden (McDonald et al. 2004). Die manuellen Techniken sollen der Überwachung bzw. Unterstützung des physiologischen Plazentaabgangs und nicht einer aktiven Lösungsbeschleunigung dienen, da dies zu verstärkter Blutung, Nabelschnurabriss oder sogar Inversio uteri führen könnte. Eine relativ zuverlässige Überprüfung, ob die noch im Uterus befindliche Plazenta gelöst ist, ist das Küstner-Zeichen. Wenn durch einen Handdruck knapp oberhalb der Symphyse
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promontoriumwärts ein Zurückziehen der aus der Vagina ragenden Nabelschnur verursacht wird, ist die Plazenta noch nicht gelöst. Das Ausstoßen einer schon gelösten Plazenta wird durch leichten Druck auf den Fundus uteri und Zug an der Nabelschnur unterstützt, während die Patientin mitpresst. Die noch adhärenten Eihäute können mit einer glatten Klemme gefasst und durch einen leichten Zug entfernt werden. Zudem kann mittels Farbdopplersonographie eine bereits gelöste Plazenta von einer (teil-)adhärenten unterschieden werden durch die Beurteilung der Vaskularisation der plazentaren Haftfläche (7 Kap. 15 »Ultraschall im 3. Trimenon«). Dauert die 3. Geburtsphase länger als 30 min, ohne dass eine verstärkte vaginale Blutung eintritt oder die Klinik der Mutter auf einen Akutzustand hinweist, sollte der Füllungszustand der Harnblase überprüft werden, da eine volle Blase die Kontraktilität des Uterus beeinträchtigen kann. Bei Bedarf kann eine Verabreichung von Syntocinon, Methergin bzw. beides kombiniert erfolgen. Ein klar definierter Zeitpunkt, von dem an man von einer Retention sprechen kann, besteht nicht. In älteren Literaturangaben wurde diese Frist bei 1 h gesetzt, heute wird diese Periode auf 15–30 min reduziert. Tatsächlich ist die Nachgeburtsperiode bei richtiger Leitung mit ggf. medikamentöser Beeinflussung bei 98% der Gebärenden innerhalb von 10 min beendet. Nach der Ausstoßung der Plazenta erfolgt ihre makroskopische Inspektion. Begutachtet werden: 4 Plazentagröße, -form und -beschaffenheit, 4 die Eihäute und der Gefäßverlauf im Bereich der Eihäute, 4 der Nabelschnuransatz und die Nabelschnurgefäße. Die Plazentagröße und das Plazentagewicht stehen meistens in proportionaler Beziehung zur Kindsgröße, jedoch kann diese Proportion deutlichen Schwankungen unterliegen. Das durchschnittliche Gewicht beträgt ca. 500 g. Besonders schwere Nachgeburten findet man bei Diabetes mellitus, Rhesusinkompatibilität, Lues, kleine Nachgeburten bei chronischer Plazentainsuffizienz bzw. bei einer Placenta membranacea. Zu abweichenden Plazentaformen zählt die inkomplett geteilte Placenta bipartita/bilobata sowie die aus unzusammenhängenden Lappen aufgebauten Placenta duplex/triplex, die durch Hauptgefäße der Nabelschnur versorgt werden, im Gegensatz zu der Placenta succenturiata, die durch ein von der Hauptplazenta ausgehendes Gefäß verbunden ist. Wenn die Eihäute nicht direkt vom Plazentarand abgehen, sondern der Rand einen freien Bezirk bildet, handelt es sich um eine Placenta extrachorialis. Wenn dieser Rand zusätzlich Fibrinablagerungen aufweist und aufgeworfen ist (Placenta circumvallata), kann dies die Ursache von rezidivierenden Blutungen in der Schwangerschaft gewesen sein, da das überstehende Zottengewebe leichter zu einer Randlösung führen kann. Die Ursache dieser Plazentaform ist nicht bekannt. Ein gehäuftes Auftreten von fetalen Missbildungen und intrauterinem Fruchttod wird im Zusammenhang mit der Placenta circumvallata beschrieben (Bernischke u. Kaufmann 1995). Wenn die Schicht der funktionierenden Villi die nahezu gesamte Amnionoberfläche bedeckt, handelt es sich um Placenta membranacea/diffusa, die Ursache schwerer intrapartaler Blutungen sein kann.
> Die Vollständigkeit der Plazenta soll erst nach Abwischen der anhaftenden Koagel überprüft werden. Fehlt ein Stück Plazentagewebe, muss wegen der Blutungs- und Infektionsgefahr unabhängig von der Größe nachgetastet werden, auch wenn die Patientin zu diesem Zeitpunkt asymptomatisch ist.
Als Nebenbefund können im Plazentagewebe Infarkte vorkommen, die in geringer Anzahl typisch für die Plazenta am Termin sind. Die Infarkte werden nach 2 ursächlichen Faktoren unterteilt: 4 Veränderungen in Zusammenhang mit Trophoblastalterung (weiße Infarkte), Fibrinablagerung in nekrotischen Plazentabezirken, 4 Störungen der uteroplazentären Durchblutung (rote Infarkte), Thrombosierungen der villösen Gefäße. Als Ursache der Obliteration werden hauptsächlich immunologische Faktoren, jedoch auch Infekte in der Frühschwangerschaft angegeben. Bei großer Ausdehnung der Infarkte zeigt das Neugeborene oft Dysmaturitätszeichen. Die kindliche Mortalität und Morbidität hängen von dem Ausmaß der betroffenen Plazentaareale ab (Bernischke u. Kaufmann 1995). Eine Hyperplasie der Choriongefäße (Choriangiom) kommt selten vor, und die Diagnose kann schon sonographisch gestellt werden (. Abb. 31.9). Ein großes Hämangiom der Plazenta kann die Ursache eines Polyhydramnions sowie einer Herzhypertrophie des Fetusses sein. Andere Tumoren der Plazenta sind selten. Ebenfalls selten in der Plazenta sind Metastasen maligner Tumoren. Melanom, Leukämie- sowie Lymphomabsiedelungen sind in dieser Reihenfolge die häufigsten (Dildy et al. 1989). Eine mikroskopische Beurteilung der Plazenta wird vom College of American Pathologists empfohlen, obwohl keine zuverlässigen Daten diese Empfehlung unterstützen. Die histologische Untersuchung sollte v. a. bei Frühgeburten sowie bei IUWR durchgeführt werden (ACOG 1993). Bei Unvollständigkeit der Eihäute sind Kontraktionsmittel im Wochenbett indiziert. Eine Indikation zur Nachtastung besteht nur bei abgerissenen Gefäßen am Rande der Eihaut, da sie ein Hinweis auf eine im Uterus verbliebene Nebenplazenta (Placenta succenturiata) sein können. Eine Trübung der Amnionhäute, die durch leukozytäre Infiltration verursacht wird, könnte auf ein Amnioninfektionssyndrom hinweisen. Eine grün-gelbliche Verfärbung sieht man bei einem länger zurückliegenden Mekoniumabgang bzw. bei einer Hyperbilirubinämie. Die Bedeutung des Nabelschnuransatzes ist nur bei Insertio velamentosa von praktischer Bedeutung, da das Vorhandensein von Vasa praevia zur Gefäßruptur beim Blasensprung und somit zum Verbluten des Fetusses führen kann. Eine hohe Fehlbildungstendenz, Restriktion und Frühgeburtlichkeit werden beim Fehlen oder bei einer rudimentären Anlage einer Nabelschnurarterie angegeben, die in etwa 1% der Fälle bei Einlingen und in 5% der Fälle bei Zwillingen vorkommt (Herrmann u. Sidiropoulus (1988). Außer echten Nabelschnurknoten, die durch die Mobilität des Fetusses utero entstehen können, werden oft auch falsche Knoten gesehen,
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700
Kapitel 31 · Normale Geburt
Erstversorgung und Beurteilung des Neugeborenen
a
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b . Abb. 31.9a, b. Chorangiom (Pfeile). a Darstellung im Ultraschall. b Makroskopisches Bild
die durch eine Disproportion zwischen der Nabelschnurhülle und den darin verlaufenden Gefäßen gebildet werden. Eine pathologische Bedeutung kommt diesen nicht zu. Die durchschnittliche Länge der Nabelschnur beträgt 55 cm. Abnorme Länge und Kürze der Nabelschnur können Ursache geburtshilflicher Komplikationen sein. Am Beginn der Postplazentarperiode findet eine Inspektion des äußeren Genitales, des Introitus sowie des unteren Vaginaldrittels statt. Jede über eine oberflächliche Schürfung hinausgehende Verletzung sollte chirurgisch versorgt werden. Nach vaginaloperativen Eingriffen, bei auffallend kurzer Geburtsdauer und bei vaginalen Blutungen, die nicht mit einem Tonusverlust des Uterus erklärt werden können, wird eine Spiegeleinstellung der Zervix empfohlen. Jeder Zervixriss >1 cm muss chirurgisch versorgt werden. > In den ersten 3 h post partum sollte die Wöchnerin wegen Blutungsgefahr sorgfältig überwacht werden. Die Überwachung bezieht sich v. a. auf den Blutabgang, den Kontraktionszustand des Uterus sowie den klinischen Allgemeinzustand. In unkomplizierten Fällen kann die Wöchnerin nach Ablauf von 2–3 h vom Kreißsaal auf die Station verlegt werden (DGGG 2008).
Die primäre Verantwortung für das Neugeborene liegt beim Geburtshelfer, jedoch besteht v. a. an großen Perinatalzentren die Tendenz, diese an den Neonatologen weiterzuleiten. Gerade in diesem Bereich ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit von großer Bedeutung, und der Geburtshelfer sollte die unmittelbar postnatale Betreuung – auch von Risikoneugeborenen – beherrschen. Hier wird lediglich auf die routinemäßige Erstversorgung des Neugeborenen eingegangen. Die primäre neonatologische Reanimation wird in 7 Kap. 48 besprochen. Unmittelbar nach der Geburt wird das Kind horizontal zwischen den Beinen der Mutter gelagert. Wird das Neugeborene der Mutter auf den Bauch/die Brust bzw. bei Geburten in sitzender Position oberhalb der Vulvaebene gelegt, bevor die Nabelschnur ligiert wird, kommt es zu Blutvolumenverschiebungen zwischen Plazenta und Kind. Bei tiefer Lagerung eines Kindes mit einer noch erhaltenen Nabelschnurzirkulation beträgt die transfundierte Blutmenge 40–60 ml, wobei ein zusätzliches Ausstreichen der Nabelschnur diese Menge um etwa 20 ml erhöht. Eine analoge Blutmenge geht dem Neugeborenen bei einer Lagerung oberhalb der maternalen Bauchdecke verloren. Bezüglich des günstigsten Abnabelungszeitpunkts gibt es bis heute widersprüchliche Angaben. Intrauterin beträgt der Hämoglobingehalt 16 g/dl. Nach der Frühabnabelung steigt bei einem tief gelagerten Kind der Hämoglobingehalt auf 20–21 g/dl und nach Spätabnabelung auf 24 g/dl. Diese Hämokonzentration kann zu einer Mehrbelastung des kindlichen Kreislaufs führen (Yao u. Lind 1974). Tipp Basierend auf neueren Erkentnissen wurde 2008 eine Leitlinie bezüglich des Abnabelungszeitpunkts aktualisiert (DGGG 2008). Durch dieses Vorgehen soll eine plazentoneonatale Übertransfusion wie auch ein neonatoplazentarer Blutverlust vermieden werden. Dies wird durch die Abnabelung eines reifen vaginal geborenen Kindes nach Sistieren der Nabelschnurpulsationen, d. h. nach 1–1 1/2 min post partum erreicht, ohne dass die Nabelschnur ausgestrichen wird. Eine raschere Abnabelung soll bei Geburt in sitzender/hockender Stellung sowie v. a. bei azidotischen Kindern, die bereits bei der Geburt eine Hämokonzentration aufweisen, vorgenommen werden. Ein Ausstreichen der umbilikalen Gefäße wird bei Nabelschnurumschlingung und/oder -knoten und bei einer Sectio-Entbindung eines nicht hypoxischen Kindes empfohlen (DGGG 2008).
Es gibt zahlreiche Methoden des Abnabelns; alle Methoden, die eine Asepsis garantieren und Nachblutungen mit großer Sicherheit verhindern, sind annehmbar (Zupan u. Garner 2002). Die gebräuchlichste Art ist eine provisorische Unterbindung mit breiten Péan-Klemmen und die anschließende definitive Versorgung mit Plastikklemmen. Dabei sollte ein zusätzliches etwa 10–15 cm langes Stück für die Blutgasanalyse isoliert werden.
701 31.2 · Gebärhaltung
Ein Freimachen der Atemwege ist bei einem vitalen Neugeborenen, das nach 5–10 s zu schreien beginnt und dessen Fruchtwasser klar ist, nicht notwendig. Unnötiges Absaugen kann zu Schleimhautläsionen und reflektorischen Bradykardien/Apnoen (Vagusreiz) führen Eine gründliche Reinigung der Atemwege wird nur im Rahmen der primären Reanimation durchgeführt (DGGG 2008). Der kindliche Zustand wird allgemein nach dem von Virginia Apgar 1952 entwickelten Schema beurteilt (7 Kap. 48 »Versorgung des Neugeborenen«). Der Hauptnutzen dieses Schemas liegt in der schnellen Erfassung von Adaptationsstörungen und der daraus resultierenden neonatologischen Maßnahmen. Ein erniedrigter Apgar-Wert ist lediglich ein Ausdruck einer gestörten Anpassung und kann verschiedene Ursachen haben. Tonus, Farbe und Reflexverhalten sind vom physiologischen Reifezustand des Neugeborenen abhängig. Eine intrapartale Medikation der Mutter kann den postpartalen kindlichen Zustand beeinflussen und betrifft v. a. Herzfrequenz, Atmung und Tonus des Kindes. Der Apgar-Wert allein erlaubt keinen Rückschluss auf die Ursache der Anpassungsstörung und darf nicht als prognostischer Parameter für die spätere Entwicklung des Kindes verwendet werden. (ACOG 2004).
31.2.1
Geschichtliche Entwicklung
Die Geburt wurde in den vielen Millionen Jahren der Entwicklungsgeschichte des Menschen so optimiert, soweit es der Evolution möglich war, sich an die phylogenetisch besonderen Bedingungen anzupassen. Das Gebären ist ein natürlicher Vorgang, für den auch beim Menschen eine ganze Reihe sinnvoller Anpassungen festgestellt werden kann, z. B. die Eigensteuerung dieses faszinierenden Vorgangs. Die vertikale Gebärhaltung – in welcher Form auch immer – lässt sich bis in prähistorische Zeiten zurückverfolgen. Die ersten Darstellungen gebärender Frauen sind ungefähr 3000 Jahre alt (Kirchhoff 1979). Soranus von Ephesus erwähnt in seinem Lehrbuch die spezifische Gebärhaltung und Anordnung der vier Helferinnen (. Abb. 31.10), die schon in der
> Eine zunehmende Fehlinterpretation bzw. ein Missbrauch des Apgar-Wertes im forensischen Bereich hat zu einer Richtigstellung durch das ACOG geführt. Niedrige 1- und 5-min-Apgar-Werte rechtfertigen auch bei einem zerebral geschädigten Kind nicht die Annahme einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie im Zusammenhang mit der Geburt. Nur eine anhaltende Depression des Neugeborenen als Ausdruck eines schweren Sauerstoffmangels, der durch eine ausgeprägte metabolische Azidose charakterisiert ist, kann zu hypoxischen Gewebsschäden führen. Diese machen sich bereits in der Neonatalphase durch klinische Zeichen des Versagens verschiedener Organe sowie neurologische Auffälligkeit bemerkbar (ACOG 2004).
Die Bestimmung des Nabelarterien-pH-Werts ist ein wichtiger Teil der Erstversorgung. Dieser Wert dient v. a. als objektiver Indikator des kindlichen Zustandes. Im deutschsprachigen Raum wird eine routinemäßige pH-Wertbestimmung aus der Nabelarterie und -vene gefordert – unabhängig vom ApgarWert und Geburtsverlauf (DGGG 2008; 7 Kap. 48 »Versorgung des Neugeborenen«, 7 Kap. 34 »Intrapartale Asphyxie«).
31.2
Gebärhaltung R. Ahner, L. Kuntner
Als effektive Einflussnahme auf den Geburtsverlauf kommt der vertikalen Gebärhaltung eine besondere Bedeutung zu. Eine große Anzahl von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Untersuchungen bestätigen den günstigen Einfluss auf Geburtsparameter und Geburtsschmerz sowie auf das Wohlbefinden von Mutter und Kind (Kuntner 1994).
. Abb. 31.10. Darstellung einer vertikalen Geburtsposition aus der Antike (Süditalien, 5. Jahrhundert v. Chr., Kopie spätes 18. Jahrhundert). Das Marmorrelief zeigt eine Geburt auf einem Gebärhocker. Die Gebärende wird von 4 Frauen begleitet – Geburt als soziales Ereignis. Die Frau sitzt mit weitgespreizten Beinen und aufgestellten Füßen auf dem massiven Gebärhocker. Sie stützt sich auf die beiden Helferinnen, die seitlich neben ihr stehen. Die Helferin auf der rechten Seite unterstützt mit etwas Druck auf den Fundus uteri den Geburtsvorgang. Sehr eindrucksvoll ist der Austritt des Kopfes dargestellt, das sog. »crowning« (wörtlich » krönen«, sinngemäß »etwas zu einem guten Ende führen«). Die Hebamme kniet vor der Gebärenden, um das Kind in Empfang zu nehmen. Eine weitere Helferin hält ein Fläschchen, möglicherweise mit erwärmtem Öl gefüllt. Zur Schmerzbekämpfung und um die Geburtswege weich zu machen, waren Ölanwendungen in der griechisch-römischen Geburtshilfe üblich. Auf dem Boden liegt eine flache Schale, möglicherweise für das erste Bad des Kindes oder um die Nachgeburt aufzunehmen
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702
Kapitel 31 · Normale Geburt
. Abb. 31.11. Gebärstuhl (Kreißsaalstuhl, »birth chair«, »parturition chair«) aus dem 18. bzw. frühen 19. Jahrhundert mit den für den deutschen Sprachraum typischen, an den Enden der Armlehnen angebrachten Handgriffen. Es handelt sich um ein tragbares, zum leichteren Transport bzw. zur platzsparenden Aufbewahrung zusammenlegbar konstruiertes Modell aus Buchenholz mit Lederpolsterung auf der Sitzfläche, der Rückenlehne und den Armlehnen. Die Sitzfläche weist einen von der vorderen Kante ausgehenden tiefen, halbelliptischen Ausschnitt auf (Thompson 1919)
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Spätantike einer jahrhundertealten geburtshilflichen Tradition entsprochen haben (Kuntner 1994). Die weltweit am meisten angewendete Geburtsposition die Schoßgeburt, z. B. sitzend auf einem Stein, einem Hocker, oder im Schoß einer Helferin. Es sind aber auch stehende, kniende, hockende Stellungen üblich sowie die Knie-Ellbogen-Lage. Oft werden die Stellungen mit Hilfe eines Seiles eingenommen oder mit der Unterstützung einer oder mehrerer Helferinnen. Halten und Stützen sind archaische Formen der Geburtsbetreuung. In der Plazentarphase wird stets die entsprechende Gebärposition beibehalten, um die Physiologie des Vorgangs nicht zu stören. Die verschiedenen Gebärpositionen mit oder ohne Gebärstuhl lassen sich in allen Gesellschaften bis ins 19. Jahrhundert und länger verfolgen (Kuntner 1994; . Abb. 31.11). Anfang des 18. Jahrhunderts vollzog sich in der Geschichte der Geburtshilfe eine wichtige Wende: der Übergang von der Hebammen- auf die ärztliche Geburtshilfe. Der Franzose François Mauriceau (1637–1708), selbst Geburtshelfer, tat mit seinen Veröffentlichungen über die Anatomie und Physiologie der Geschlechtsorgane der Frau den ersten Schritt in Richtung einer wissenschaftlichen Betrachtung der Geburtshilfe. Ende des 17. Jahrhunderts ersetzte er den Gebärstuhl durch das Bett. Eingriffe wie etwa die innere und die äußere Wendung, das Zerkleinern eines toten Kindes im Körper der Mutter sowie das Anlegen der Geburtszange konnten besser durchgeführt werden, wenn sich die Frau in horizontaler Position befand. War diese Stellung ursprünglich nur bei pathologischen Verläufen üblich, wurden immer häufiger auch normale Geburten in der Rückenlage durchgeführt. Doch bereits 1950 ging der argentinische Geburtshelfer Perrusi der Frage nach der optimalen Gebärhaltung nach. Anhand einer 8-jährigen, gemeinsam mit Anatomen, Röntgenologen, Physiologen und Ethnologen durchgeführten Studie über den Geburtsmechanismus bei vertikaler Haltung
wurde die Erkenntnis gewonnen, dass die Rückenlage bei der Geburt »die normale funktionelle Dynamik umstoße, die jeglichen physiologische Vorgang sonst harmonisiert« (Geiger 1966). Heute bildet sich unter Ärzten und Hebammen ein erneutes Bewusstsein für die Vorteile der vertikalen Geburt, die v. a. durch Forschungen der Ethnomedizin wieder zum Thema wurde (Kirchoff 1979; Schiefenhövel 1988, Kuntner 1994, 1995, 2004 u. a.). Auch gibt es keinen medizinischen Grund, eine Frau bei unauffälligem Geburtsverlauf »an das Bett zu fesseln«. Im Gegenteil, die Betreuer sollten sie ermuntern, sich auch während der schmerzhaften Phasen durch Bewegung Erleichterung zu verschaffen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen bei freier Wahl der Gebärposition am seltensten die horizontale Lage einnehmen. Bei fast allen Frauen besteht ein großes Bedürfnis, sich während der Wehen festzuhalten oder zu stützen und dabei den Schultergürtel zu fixieren. Dazu benötigt die Gebärende Hilfsmittel wie Stangen, Balken, Sprossen, Pfosten, aber auch Seilschlingen, geknotete Tücher u. Ä (. Abb. 31.12). Ärzte und Hebammen sollten diesen Vorstellungen im Rahmen der medizinischen Möglichkeiten verstärkt Rechnung tragen.
Studienbox In einer amerikaweiten Fragebogenaktion wurden 800 Hebammen zum Thema Gebärpositionen interviewt. Die während der Austreibungsphase am häufigsten angewandte Position war die sitzende. Die Rückenlage wurde selten von den Frauen in Anspruch genommen. Die Ergebnisse dieser Befragung spiegeln die Vorlieben der Frauen wider (Hanson 1998).
703 31.2 · Gebärhaltung
Durch Veränderung der Körperpositionen wird der gesamte Tonus der Skelettmuskulatur reguliert; entweder im Sinne einer Tonusverminderung oder einer Tonuserhöhung. Diese physiologische Tonusregulation schützt vor Überbelastung, Übermüdung und Schmerz. Die verschiedenen Geburtspositionen können den Geburtsvorgang auf physiologische Weise fördern und den Schmerz erträglicher machen, auch der Verbrauch von Medikamenten (Wehen-, Entspannungs- und Schmerzmittel) wird verringert (Kuntner 2007) – ein wesentlicher Faktor, wie sich auch in einer Befragung an 486 Wöchnerinnen über ihr Geburtserlebnis zeigt. Jene Frauen, bei denen keine medizinische Intervention erfolgen musste, waren signifikant zufriedener. Auch Schmerzmittel und die Epiduralanästhesie wurden von den Frauen als medizinische Intervention wahrgenommen (Ahner et al. 1999).
Neurophysiologische funktionelle Zusammenhänge von Halten und Stützen Durch eine vertikale Körperposition mit Halten entsteht ein longitudinaler Zug mit Wirkung auf die funktionelle Einheit des Zwerchfells, auf die Bauchwand bzw. auf die abdominellen Muskeln, auf den Beckenboden und die Rückenmuskulatur, auf die sog. geschlossene Rumpfkapsel. Die Stabilisierung der Haltung, mit Fixation des Schultergürtels, bewirkt eine Tonusveränderung der Muskulatur, die Muskelspannung wird nach kranial aufgebaut und nach kaudal abgebaut. Der Tonus der abdominellen Muskeln und des Beckenbodens verringert sich.
. Abb. 31.12. Abstützen an einer Stange
31.2.2
Physiologische Grundlagen zur Körperhaltung
Es ist dem Menschen nur in aufrechter Haltung unbeschränkt möglich, sich mit Hilfe von optischen, akustischen, taktilen und anderen Sinneswahrnehmungen zu orientieren (Kuntner 2004). Der Physiologe W.R. Hess (Nobelpreis für Medizin) bezeichnet Haltung als »Handlungsbereitschaft und Ausgangstellung für aktives Verhalten«. Nur in einer vertikalen Haltung können funktionelle, neurologische, sensomotorische und psychomotorische Vorgänge aktiv gesteuert und unterstützt werden. Aus der Sicht der Humanethologie ist für alle Phasen der Geburt ein biologisch gesichertes Verhaltensrepertoire der Gebärenden anzunehmen, das insbesondere über Schmerzreize gesteuert wird. Tipp Eine der wesentlichen Möglichkeiten zur Verhaltensmodifikation aufgrund von Schmerzsignalen ist die Veränderung der Körperhaltung der Gebärenden in den verschiedenen Phasen des Geburtsverlaufes. Die Mobilität der Gebärenden ist daher von großer Bedeutung und soll daher nicht eingeschränkt werden (Schiefenhövel 1988).
> Die Schonung des Beckenbodens während der Geburt ist von großer Bedeutung, um irreparable Schädigungen zu verhindern. In bestimmten Körperpositionen kann der Tonus der Beckenbodenmuskulatur reguliert werden mit dem Ziel, einer Verletzung vorzubeugen. Tipp Aus neurophysiologischer und funktioneller Bewertung ist die stehende und sitzende Position mit Halten oder die Knie-Ellbogen-Lage die günstigste Stellung. Die abgestützten Gebärpositionen unterstützen zudem die angeborene Asymmetrie der Körperhaltung und die Beweglichkeit des Beckens (Kuntner 2004).
Atmung und Lungenfunktion Dem in der Schwangerschaft steigenden Sauerstoffbedarf wird durch eine Zunahme der Ventilation Rechnung getragen, was sich in einem vergrößerten Atemminutenvolumen ausdrückt. Dies führt trotz kleinerem Residualvolumen der Lunge zu einer effektiveren Durchmischung in den Alveolen. Im Stehen und Sitzen werden die Lungenvolumina und daher die Vitalkapazität sowie die Atemreserven um 10% verbessert. Dies ist besonders bei komprimierten Lungen, wie sie in der Schwangerschaft durch das hochgestellte Zwerchfell bedingt sind, von entscheidender Bedeutung.
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704
Kapitel 31 · Normale Geburt
Studienbox In einer Untersuchung konnte eindeutig gezeigt werden, dass es insbesondere im Vierfüßlerstand zu einer deutlichen Zunahme der Sauerstoffsättigung bei Mutter und Kind kommt (Schmidt 2000).
gebaren, hatten einen statistisch signifikant niedrigeren Verbrauch sowohl an Wehen- als auch an Schmerzmittel (Bodner-Adler et al. 2003).
Beckenbeweglichkeit > In der Rückenlage wird das erforderliche Atemminutenvolumen v. a. durch das Zwerchfell gewährleistet. Bei abgestützten Geburtspositionen wird durch die Fixation des Schultergürtels die Atemhilfsmuskulatur aktiviert, der Thorax und das Diaphragma befinden sich in Inspirationsstellung, der abdominelle Druck erhöht sich. Die Atmung wird dadurch funktionell erheblich erleichtert, was beim Geburtsvorgang von großer Bedeutung ist.
Hämodynamik
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In Rückenlage kommt es bei etwa 1/3 der Schwangeren zu einem Abfall des Blutdrucks um 30 mm Hg bei gleichzeitiger Zunahme der Herzfrequenz. Wahrscheinlich ist dies die Folge einer mechanischen Einwirkung auf den venösen Rückfluss der V. cava durch den graviden Uterus. In der vertikalen Haltung wird der Druck auf die Aorta und die V. cava verringert. Die unmittelbare Folge ist ein günstiger Einfluss auf das Befinden des Kindes durch 4 eine Vermeidung des V.-cava-Kompressionssyndroms, 4 ein größeres Blutangebot für das Kind, 4 eine höhere Sauerstoffsättigung des kindlichen Blutes.
Studienbox In einer Studie wurde der Zusammenhang zwischen Herztonabfällen (in diesem Fall Spätdezelerationen) und der liegenden Gebärhaltung untersucht. Bei 19% aller Frauen mit Spätdezelerationen traten diese nur in Rückenlage auf und verschwanden bei Lagewechsel sofort wieder (Abitbol et al. 1985).
Wehentätigkeit In mehreren Untersuchungen wurde gezeigt, dass der Wechsel der Stellungen während der Geburt direkten Einfluss auf die Kontraktilität des Uterus nimmt. In der vertikalen Position nimmt die Wehenfrequenz sowohl während der Eröffnungsals auch während der Austreibungsphase ab, die Intensität der Wehen nimmt jedoch signifikant zu (Mendez-Bauer et al. 1975). Insgesamt kann auf diese Weise die Geburtsdauer verkürzt werden (Gupta et al. 2004).
Studienbox In einer Fall-Kontroll-Studie an 307 Frauen wurde der Einfluss der Gebärhaltung auf mütterliches sowie kindliches Outcome untersucht. Frauen, die in aufrechter Haltung
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Der Geburtsfortschritt in der Austreibungsperiode hängt neben der guten Wehentätigkeit von der Beweglichkeit des Beckens ab. Durch den hormonellen Einfluss kommt es bereits in der Schwangerschaft zu einer Auflockerung des Gewebes. Dadurch werden auch die Ligamente, die die Gelenke des Beckens zusammenhalten, weicher und dehnbarer. Es handelt sich also nicht mehr um ein starres Gefüge, sondern um ein bewegliches Ganzes. Durch die Beweglichkeit des Beckenrings – Iliosakralgelenke und Symphyse – nach kranial und kaudal kann der Beckenausgang um 1,5 cm erweitert werden (Gupta et al. 1989) Durch die richtige Körperhaltung kann somit essenzieller Raum geschaffen werden: 4 Durch die aufrechte Position wird die Längsachse des Geburtskanals gestreckt und somit das Tiefertreten des kindlichen Kopfes erleichtert. 4 Beim Hocken wird das Sakrum gestreckt und abgeflacht. Der sagittale (anterioposteriore) Durchmesser des Beckenausgangs vergrößert sich. 4 Werden die Oberschenkel im Hüftgelenk möglichst weit gespreizt und gebeugt, dehnt sich die weich gewordene Symphysenfuge. 4 MR-Untersuchungen zeigten im Vergleich zur horizontalen Lage eine deutliche Zunahme der Distanz zwischen den Spinae ischiadicae sowohl in der hockenden als auch in der Knie-Ellbogen-Lage (Michel et al. 2003; Gupta et al. 2004; . Abb. 31.13). > Durch Beugen des Rumpfes und Spreizen der Oberschenkel kann das Becken möglichst weit geöffnet werden. Geburtspositionen, die eine unbehinderte Nutationsbewegung mit Erweiterung des Beckenausgangs ermöglichen: 4 Vierfüßlerstand, 4 kniend abgestützt, 4 alle aktiv hängenden Stellungen, 4 Seitenlage im Bett (Tanzberger 2004).
Pressvorgang In aufrechter Haltung wirkt beim Pressen die Schwerkraft mit. Der Kopf des Kindes drückt bei vollständig eröffnetem Muttermund stärker nach unten, und die Frau spürt den Pressdrang deutlicher. Auf diese Weise kann sie ihm ganz natürlich nachgeben. Die vorherrschende Presstechnik, bei Beginn tief einzuatmen, die Luft anzuhalten und dann forciert zu pressen, ist aus mehreren Gründen nicht sinnvoll. Durch den forcierten Pressvorgang kann es aufgrund einer Reaktionskette zu Bradykardie und Blutdruckabfall kommen. Je länger die durch den Pressvorgang verursachte Apnoe bei der Mutter andauert, desto ausgeprägter sind der pO2-Abfall sowie der pCO2-Anstieg im arteriellen Blut. Dies führt gehäuft zu pathologischen
705 31.2 · Gebärhaltung
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. Abb. 31.13a, b. Mit Hilfe des Hockens kann unter der Geburt durch verschiedene Beckenbewegungen vermehrt Raum geschaffen werden. a Der untere Teil des Steißes bewegt sich nach hinten, der Abstand zwischen der Vorder- und Hinterseite des Beckenausganges
wird so vergrößert. b Werden die Oberschenkel im Hüftgelenk möglichst weit gespreizt und gebeugt, dehnt sich die weich gewordene Symphyse, der Beckeneingang wird geräumiger
Veränderungen der fetalen Herzfrequenz, zu niedrigen Apgar-Scores sowie zu azidotischen pH-Werten im Nabelschnurblut. Lässt man die Frau spontan mitpressen, dauert der Pressvorgang wesentlich kürzer, ist aber nicht minder effektiv (Caldeyro-Barcia et al. 1979). Zusätzlich wird durch eine aufrechte Haltung das in liegender Position notwendige Kopfanheben vermieden. Die Frau kann den Pressvorgang selbst regulieren und vermeidet so das kräfteraubende Pressen in Hals und Kopf.
Weichteile
> Beim natürlich-reflektorisch gesteuerten Mitpressen – ein weniger als 6 s andauerndes Anspannen der Bauchmuskulatur – behält die Frau ihre normalen Ein- und Ausatembewegungen bei. Zu Beginn der Presswehe fordert man sie auf, in Form von nichtforciertem Blasen durch die Lippen auszuatmen. Dieser Mechanismus hat ein verstärktes Einatmen zur Folge, der physiologische Atemrhythmus wird jedoch nicht gestört. Der Pressvorgang ist für Frau und Kind weniger anstrengend und wirkt sich günstiger auf die Sauerstoffversorgung des Kindes aus.
Während des Pressens ist es wichtig, dass die Beckenbodenmuskulatur entspannt ist. Die richtige Körperhaltung führt zu einer Herabsetzung der reflektorischen muskulären Spasmen der lumbalen Muskeln, der Beckenbodenmuskulatur und der Adduktoren. Durch die hockende Position wird der M. levator ani passiv aufgeweitet. Liegt die Frau auf dem Rücken, drückt der Kopf des Kindes v. a. auf den hinteren Anteil des Beckenbodens, das Gebiet um den After. In aufrechter Haltung drückt das Gewicht in Richtung Scheidenausgang. Aus diesem Grund kommt es in dieser Haltung offenbar seltener zu Episiotomien bzw. Dammrissen (De Jong et al. 1997). Die etwas häufiger vorkommenden kleinen Risse im vorderen Bereich der Schamlippen stellen kein Problem dar, da sie ohne Narbenbildung abheilen.
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706
Kapitel 31 · Normale Geburt
Studienbox In der Cochrane Database 2004 zeigte eine Metaanalyse von 12 Studien zum Thema Gebärpositionen, dass bei Frauen, die ihre Kinder in aufrechter Position zur Welt brachten, die Episiotomierate eindeutig reduziert werden konnte (RR 0,84; 95% Cl 0,79–0,91; Gupta 2004). Immer mehr Studien zeigen, dass ein routinemäßiges Durchführen von Episiotomien nicht nur den ursprünglich erhofften Effekt nicht erzielt – die Prävention von Inkontinenz in späteren Jahren –, sondern im Gegenteil sogar ursächlich zu einer Schwächung des Beckenbodens führen kann. Frauen mit intaktem Perineum leiden weniger an sexueller Dysfunktion, postpartalem Schmerz und Inkontinenz (Sartore et al. 2004).
Diese Erkenntnisse unterstreichen umso mehr die Notwendigkeit, die klassische Gebärposition in Rückenlage in Frage zu stellen.
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Vertikale Gebärhaltung als Schutzsystem Psychologisch gesehen nimmt die Gebärende in der Rückenlage eine ungeschützte Haltung ein, in der sie ihren Intimbereich ihr völlig unbekannten Menschen preisgibt. Für viele Frauen ist dieser Vorgang beschämend und in hohem Maße verunsichernd. Hinzu kommt, dass in der passiven, liegenden Haltung die aktive Steuerung und Kontrolle des Bewegungsvorgangs beeinträchtigt ist. Die Geburt auf einem Hocker bzw. auf einem entsprechenden Gebärbett in der tiefen Hocke ermöglicht der Gebärenden einen engen Körperkontakt zu einer Hilfsperson und wirkt daher entspannend. Über Regulationsmechanismen des limbischen Systems können Endorphine freigesetzt werden. Durch Abbau von Stress, Angst und Spannung wird die Wirkung des Hormons Oxytozin unterstützt (Wärmeanwendungen haben die gleiche Wirkung). In weiterer Folge wird die emotionelle Mutter-Kind-Bindung nach der Geburt durch den sofortigen visuellen Kontakt in aufrechter Haltung unterstützt und gefördert. 31.2.3
Anwendung verschiedener Geburtspositionen
Tipp Um mit der Körperhaltung eine Wirkung auf die geburtshilfliche Situation zu erzielen, ist nicht die Wahl einer einzigen Position maßgebend, sondern der Wechsel der Körperpositionen mit den verschiedensten Varianten.
Langes Sitzen ist genau so schlecht wie langes Liegen (Kuntner 2007). In dem neuen Lehrfilm »birth-movement. Präventive Geburtshilfe und Wochenbett. Geburtserleichternde Bewegungen und Positionen« von Karin Berghammer wird auf den präventiven Wert vom Einsatz geeigneter Gebärpositionen hingewiesen (Berghammer et al. 2008).
Gehende und kreisende Bewegungen, stehende und hängende Positionen . Abb. 31.14.
Wann 4 Um Wehen anzuregen oder wieder zu verstärken. 4 Wenn das Ein- bzw. Tiefertreten des Kindes ins Becken erwünscht ist. 4 Bei Rückenschmerzen.
Warum 4 Schwerkraft und Bewegung bewirken eine Stellungsänderung des kindlichen Kopfes im Becken. 4 Durch den Druck auf den Muttermund wird die Wehenqualität verbessert. 4 Entspannung von Körper und Beckenboden. 4 Beim Hängen, Halten und Stützen erhöht sich der Muskeltonus im Schultergürtel, im Gegenzug nimmt der Muskeltonus in der »geschlossenen Rumpfkapsel« in der Bauch-, der unteren Rücken- und Beckenbodenmuskulatur ab. Die Beckenbeweglichkeit ist optimal und unterstützt dadurch die Geburtsmechanik.
Vornübergeneigte Positionen . Abb. 31.15.
Wann 4 In der Eröffnungsperiode: 5 wenn der Rücken des Kindes in Richtung Wirbelsäule der Mutter liegt. 4 In der Übergangsperiode: 5 Knie-Ellbogen-Lage, 5 bei Fehleinstellung des Köpfchens, 5 bei Pressdrang mit Restmuttermund. 4 In der Austreibungsperiode: 5 zur optimalen Schonung des Dammes, 5 bei großem Kind.
Warum 4 Fixierung des Schultergürtels, dadurch gute Beweglichkeit des Beckens. 4 In Knie-Ellbogen-Lage: 5 Die Schwerkraft wirkt in die entgegengesetzte Richtung. 5 Der Druck auf Muttermund nimmt ab. 5 Der kindliche Kopf und der Damm werden entlastet.
Seitlich liegende Positionen . Abb. 31.16.
Wann 4 4 4 4
Bei Rückenschmerzen. Bei Erschöpfung der Mutter. Bei zu raschem Geburtsfortschritt. Nach PDA und bei eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit der Frau.
707 31.3 · Hebammengeburtshilfe
. Abb. 31.14. Gehende und kreisende Bewegungen, stehende und hängende Positionen. (Gebärbett Partura; Foto: Katharina Cibulka; Abb. mit frdl. Genehmigung von Fa. Schmitz u. Söhne, Wickede, Ruhr)
. Abb. 31.15. Vornübergeneigte Position. (Gebärbett Partura; Foto: Katharina Cibulka; Abb. mit frdl. Genehmigung von Fa. Schmitz u. Söhne, Wickede, Ruhr)
. Abb. 31.16. Seitlich liegende Position. (Gebärbett Partura; Foto: Katharina Cibulka; Abb. mit frdl. Genehmigung von Fa. Schmitz u. Söhne, Wickede, Ruhr)
. Abb. 31.17. Hockende Position. (Gebärbett Partura; Foto: Katharina Cibulka; Abb. mit frdl. Genehmigung von Fa. Schmitz u. Söhne, Wickede, Ruhr)
Warum
4 Fußdruck lockert den Beckenboden und erleichtert das Herausschieben des Kindes. 4 Entlastung des Beckenbodens, daher weniger Episiotomien, weniger vaginaloperative Geburtsbeendigungen.
4 Das Becken hat große Bewegungsfreiheit. 4 In der linken Seitenlage wird das V.-cava-Syndrom vermieden. 4 Bequem, entspannend in der Wehenpause.
Hockende Positionen
31.3
Hebammengeburtshilfe
. Abb. 31.17.
Wann 4 Zur Beschleunigung des Geburtsfortschritts. 4 Wenn viel Platz für die Geburt des kindlichen Kopfes gebraucht wird.
Warum 4 Für ein bewusstes Geburtserlebnis 4 Zur optimalen Beweglichkeit des Beckens. 4 Die Frau ist in aktiver Haltung, ein Einsatz der auxiliären Atemmuskeln ist möglich, Schultergürtel wird fixiert. 4 Die Schwerkraft wird ausgenützt, Wehen werden effektiver. 4 Die Geburtsachse wird optimiert, der Beckenausgangsdurchmesser vergrößert und der Geburtsweg verkürzt.
B. Bodner-Adler Hebammengeburtshilfe bedeutet die alleinige Betreuung einer schwangeren Patientin durch eine Hebamme, wobei verschiedene wissenschaftliche Arbeiten belegen konnten, dass die Hebammengeburtshilfe bei guter Patientinnenselektion und unter Definition entsprechender Rahmenbedingungen hervorragende medizinische Ergebnisse aufweist und vergleichbar sicher wie ärztlich geleitete Geburten ist (Hueston u. Rudy 1993; Schimmel et al. 1992; Blanchette 1995; BodnerAdler et al. 2004). In einem Cochrane-Review von Hatem et al. (2008) wurden beispielsweise verschiedene Betreuungsmodelle miteinander verglichen, wobei die hebammengeleiteten Modelle der
31
708
31
Kapitel 31 · Normale Geburt
Betreuung etliche Vorteile gegenüber den anderen Betreuungsmodellen aufwiesen. Zu den Vorteilen der alleinigen Hebammenbetreuung werden immer wieder eine geringere Rate an Episiotomien und vaginaloperativen Entbindungen, ein geringerer Einsatz an Schmerzmitteln während der Geburt sowie ein früheres und erfolgreicheres Stillen genannt. Zusätzlich berichten Frauen, die sich für eine Hebammengeburt entscheiden, über eine bessere Aufklärung sowie ein höheres Maß an Selbstbestimmung und Zufriedenheit. Einige Studien konnten auch zeigen, dass bei ärztlich geleiteten Geburten die Anzahl an durchgeführten Episiotomien, der Gebrauch von Oxytozin sowie das Risiko für Geburtsverletzungen signifikant höher waren im Vergleich zu Hebammengeburten (Bodner-Adler et al. 2004; Chamliss et al. 2004). Kritiker behaupten allerdings, dass ein solcher Vergleich aufgrund des immer vorhandenen Bias nicht zulässig ist, da Hebammen immer ein Low-risk-Patientenkollektiv betreuen und bei Komplikationen die Patientin in das gemeinsame Betreuungsschema Arzt-Hebamme wechselt. In Großbritannien, Schweden und Dänemark existieren schon seit über 15 Jahren Hebammenkreißsäle, in denen Frauen mit geringem geburtshilflichem Risiko während der Geburt ausschließlich von einer Hebamme betreut werden, mit sehr guten Erfahrungswerten. Die dortigen Projekte werden wegen ihrer guten Ergebnisse – bezogen auf die Gesundheit von Mutter und Kind – von den Gesundheitsbehörden und durch die Politik unterstützt. Im Gegensatz zum angelsächsischen Raum ist die geburtshilfliche Situation im deutschsprachigen Raum insofern anders, als während der Entbindung eine ärztliche Betreuung nahezu immer vorhanden ist. Die in den angelsächsischen Ländern gewonnen Erkenntnisse können allerdings nicht unmittelbar auf Deutschland, Österreich oder die Schweiz übertragen werden, da im deutschsprachigen Raum die Gesundheitssysteme anders organisiert sind. Um Hebammengeburtshilfe sicher und effizient betreiben zu können, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. Diese umfassen einerseits eine adäquate Risikoselektion der Schwangeren und andererseits die Definition von Rahmenbedingungen.
31.3.1
Risikoselektion
Eine sorgfältige Selektion von Risikomerkmalen, die einerseits aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter ärztlicher Supervision stattfindet, ist erforderlich, um eine bestimmte ausgewählte Gruppe an Gebärenden der alleinigen Hebammengeburtshilfe zu überlassen. Die Beurteilung von Risikofaktoren erfolgt bereits in der Schwangerschaft, wobei die Bewertung kein einmaliger Vorgang ist, sondern ein Prozess, der sich durch die gesamte Schwangerschaft und Geburt erstreckt.
31.3.2
Erarbeitung von Ein- und Ausschlusskriterien zur Hebammengeburtshilfe
Frauen mit einem unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf und unauffälligem Status bei Aufnahme in den Kreißsaal haben die Möglichkeit, sich für eine ausschließliche Hebammenbetreuung zu entscheiden. Die Bestätigung bei Aufnahme in den Kreißsaal durch den anwesenden Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe ist obligat und sollte schriftlich erfolgen. Eine Einverständniserklärung zur Hebammengeburt wird von der Gebärenden, der betreuenden Hebamme und dem zuständigen Facharzt unterzeichnet.
Definition von absoluten Kontraindikationen zur Hebammengeburtshilfe 4 Lageanomalien 4 Mehrlingsschwangerschaften 4 Geburtseinleitung (Ausnahme: bei unauffälliger Schwangerschaft) 4 Frühgeburten 4 Schwangere mit diagnostizierter Makrosomie bzw. Restriktion des Kindes 4 Zeichen einer Infektion 4 Unklare Blutung sub partu 4 Zustand nach einer vorangegangenen Uterusoperation (Myomoperation, Sectio) 4 Andere regelwidrige Zustände (Erkrankungen) der Gebärenden 4 Aufnahme der Patientin mit Presswehen und unmittelbar bevorstehender Geburt
Kriterien zum Wechsel von ausschließlicher Hebammenbetreuung in das gemeinsame Betreuungsschema Arzt–Hebamme 4 Wunsch der Gebärenden 4 Pathologisches CTG (bei unklarem CTG u. U. lediglich Konsultation) 4 Nachlassen, Sistieren der Wehentätigkeit oder Wehensturm (bei protrahierter Geburt u. U. nur Konsultation) 4 Gabe von Wehenmitteln (am Beckenboden u. U. nur Konsultation) 4 Wunsch nach einer Epiduralanästhesie (u. U. lediglich Konsultation) 4 Mekoniumhaltiges Fruchtwasser (u. U. lediglich Konsultation) 4 Bei Verdacht oder Auftreten von für die Frau oder das Kind regelwidrigen und gefahrdrohenden Zuständen während der Geburt (Definition § 4 (3) nach dem österreichischen Hebammengesetz*)
709 Literatur
*Österreichisches Hebammengesetz: § 4 (3) Regelwidrige und gefahrdrohende Zustände während der Geburt liegen insbesondere in folgenden Fällen vor: 1. bei allen regelwidrigen Lagen des Kindes, 2. bei Vorliegen oder Vorfall von kleinen Kindesteilen oder der Nabelschnur, 3. bei Verdacht auf Schädel-Becken-Missverhältnis, 4. bei Störungen der Wehentätigkeit, welche einen Geburtsstillstand bewirken, bei Anzeichen von Überlastung und Erschöpfung der Gebärenden, 5. wenn die Herztöne des Kindes regelwidrig werden, 6. bei Verdacht auf vorliegenden Mutterkuchen, 7. bei starken Blutungen aus den Geburtswegen, 8. wenn zwei Stunden nach der Geburt des Kindes die Nachgeburt noch nicht abgegangen ist oder wenn Teile der Nachgeburt zurückgeblieben sind, auch wenn keine Blutung vorhanden ist, 9. bei Fehlgeburten oder Frühgeburten, 10. bei Mehrlingsgeburten, 11. bei Wahrnehmung von Missbildungen des Neugeborenen, die eine unverzügliche ärztliche Maßnahme erfordern, 12. bei allen gefahrdrohenden Zwischenfällen sowie bei Erkrankungen der Gebärenden oder bei deren Tod.
Hebammenberufsordnungen, für Deutschland bzw. für die Schweiz geltend, weichen zwar vom österreichischen Hebammengesetz in Einzelheiten voneinander ab, stimmen aber im Wesentlichen darin überein, dass die Hebamme auf Regelwidrigkeiten und Risikofaktoren zu achten hat und ggf. für das Zuziehen eines Arztes zu sorgen hat. Wesentlich erscheint auch, dass die Indikation sowie der Zeitpunkt der Abgabe einer Hebammengeburt und die Übernahme in das gemeinsame Betreuungsschema Arzt–Hebamme klar definiert und genau dokumentiert werden müssen.
31.3.3
Definition der Rahmenbedingungen
Im üblichen Kreißsaalmodell werden Schwangere gemeinsam von Hebammen und Ärzten betreut, wobei dieses Kreißsaalmodell unter ärztlicher Leitung steht. Der Hebammenkreißsaal ist ein neues Betreuungsmodell in den geburtshilflichen Abteilungen, in denen erfahrene Hebammen eigenverantwortlich gesunde Schwangere betreuen in enger Kooperation mit dem üblichen Kreißsaal. Bei eventuell auftretenden Problemen unter der Geburt ist das Hinzuziehen eines Arztes selbstverständlich und sofort möglich, ohne die Räumlichkeiten wechseln zu müssen. Die Verantwortlichkeit liegt in diesem Fall beim Arzt. Mindestanforderungen an eine geburtshilfliche Abteilung sowohl auf personeller als auch auf organisatorischer Ebene sind eine wesentliche Vorraussetzung für das Angebot einer sicheren und guten Hebammengeburtshilfe.
Berufliche Vorraussetzungen zur Hebammengeburtshilfe Die erteilte Berechtigung zur eigenverantwortlichen Durchführung von Hebammengeburten erfordert gewisse fachliche Qualifikationen: 4 Ununterbrochener Einsatz im Geburtsbereich von 6 Monaten bei einer Verpflichtung von 40 Wochenstunden oder von 12 Monaten bei einer Verpflichtung von 20 Wochenstunden. 4 Mindestanzahl von 50 durchgeführten Arztgeburten. 4 Mindestanzahl von 10 angeleiteten Hebammengeburten. 4 Sehr gute fachliche Beurteilung. 4 Kenntnis sämtlicher gültiger Standards. 4 Fachliche Freigabe durch die Stationshebamme und den Leiter des Geburtsbereichs. 4 Erkennung, Betreuung und Mitwirkung bei Regelwidrigkeiten während der Geburt. 4 Fähigkeit zur Versorgung einer Episiotomie (falls nicht vorhanden – Erwerb, Anleitung der Fähigkeit durch Facharzt). > Um sichere Hebammengeburtshilfe betreiben zu können, müssen die oben erwähnten personellen und strukturellen Mindestanforderungen an einer geburtshilflichen Abteilung vorhanden sein und eine entsprechende Risikoselektion der Schwangeren stattgefunden haben. Nicht zuletzt verlangt Geburtshilfe ein Team, in dem jeder Partner – Hebamme, Geburtshelfer, aber auch Anästhesist, Pädiater etc., seinen festen Platz einnimmt.
Literatur Literatur zu Kap. 31.1 ACOG – American College of Obstetricians and Gynecologists (1993) Placental Pathology. Com Opinion 125 ACOG – American College of Obstetricians and Gynecologists (2003) Dystocia and augmentation of labor. ACOG Practice Bull 49 ACOG – American College of Obstetricians and Gynecologists (2004) Inappropriate use of the terms fetal distress and birth asphyxia. Com Opinion 303 ACOG – American College of Obstetricians and Gynecologists (2009) Intrapartum fetal Heart Rate Monitoring: Nomenclature, Interpretation, and General Management Principles. ACOG Practice Bull 106 Albers LL (1999) The duration of labor in healthy women. J Perinatol 19: 114 Bernischke K, Kaufmann P (1995) Pathology of the human placenta. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Borell U, Fernström I (1957a) The movements at the sacroiliac joints and their importance to changes in the pelvic dimensions during parturition. Acta Obstet Gynecol Scand 36: 42 Borell U, Fernström I (1957b) The movements in the mechanism of disengagement with special reference to the attitude of the foetal head. Acta Obstet Gynecol Scand 36: 347 Borell U, Fernström I (1957c) A pelvimetric method for the assessment of pelvic mouldability. Acta Radiol 47: 365 Carroli G, Belizan J (2002) Episiotomy for vaginal birth (Cochrane Review). Cochrane Library 1. Oxford: Update Software Dencker A, Berg M, Bergqvist L, Ladfors L, Thorsen LS, Lilja H (2009) Early versus delayed oxitocin augmentation in nulliparous women
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Kapitel 31 · Normale Geburt
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31
32 32 Wassergeburt G. Eldering, V. Geissbühler 32.1
Ursprünge der Wasserheilverfahren – 714
32.2
Physiologische Grundlagen – 716
32.3
Ablauf der Wassergeburt – 718
32.4
Klinische Erfahrung – 719
32.5
Hygienemaßnahmen – 721
32.6
Indikationen und Kontraindikationen – 721 Literatur – 722
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
714
32
Kapitel 32 · Wassergeburt
Die Wassergeburt erfreut sich bei vielen Gebärenden und Geburtshelfern großer Beliebtheit. Eine Gefahr für das Kind ist bei einer Wassergeburt nicht gegeben, wenn die entsprechenden perinatologischen Überwachungsrichtlinien beachtet werden und die intrapartale Asphyxie vermieden wird. Die bisweilen an der Durchführung von Wassergeburten geäußerte Kritik beruht auf Annahmen, die dem heutigen Kenntnisstand der fetalen Physiologie und der respiratorischen Adaptation des Neugeborenen nicht entsprechen. Hierzu gehört insbesondere die Annahme, dass es bei der Thoraxkompression bzw. -dekompression bei einer Wassergeburt zu einer Aspiration des Kindes komme. Auch bei der vaginalen Beckenendlagengeburt, bei der der Kopf des Kindes bei der Thoraxdekompression noch nicht geboren ist, treten nicht vermehrt Aspirationen auf, so lange keine Asphyxie besteht. Bei einer Asphyxie sind allerdings alle Schutzfunktionen verändert bzw. außer Funktion, sodass dann auch bei der Wassergeburt eine kindliche Aspiration erfolgen kann. Wie bei allen Geburten soll auch bei der Wassergeburt eine Asphyxie grundsätzlich vermieden werden. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung zur Physiologie des Fetus machen manche bisher unverstandenen Phänomene verständlich. Eine detaillierte Aufklärung verschiedener biochemischer und pharmakologischer Einflüsse auf die neonatale Atemregulation und -adaptation bleiben der weiteren Forschung vorbehalten. Die Frage, ob sehr seltene fetale und maternale Komplikationen (Promillebereich) bei Wassergeburten gehäuft auftreten, kann nur durch die prospektive Erfassung großer Zahlen mehrerer Zentren beantwortet werden. Hierzu kann die Perinatalerhebung in Deutschland sowie die Statistik der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Frauenkliniken (ASF) gute Dienste leisten, indem die Wassergeburten miterfasst werden. Auch in weiteren Ländern wie Oesterreich, Italien, Portugal, Frankreich und den Niederlanden werden sie erfasst.
Auf der Suche nach erweiterten Methoden in der klinischen Geburtshilfe finden unterschiedliche Geburtspositionen Anwendung wie Hockergeburten im Sitzen, die Geburt im Stehen am Seil, im Vierfüßlerstand (7 Kap. 31.2). Dazu zählen auch die Wassergeburten, welche heute in vielen Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz angeboten werden (Chiffelle 2001; Geissbühler 2008). Letztere bietet im Wesentlichen zwei Vorteile: Einerseits kann sich die entbindende Frau während des letzten Abschnitts der Geburt, der in aller Regel auch der schmerzhafteste ist, im warmen Wannenbade entspannen und andererseits bedeutet es für das Neugeborene einen sanften Übergang vom körperwarmen intrauterinen Fruchtwasser über das angewärmte Badewasser an die kühlere Luft. Anfang der 1980-er Jahre hat die Selbstbestimmung der Familien zunehmend Einfluss auf das geburtshilfliche Konzept genommen, nachdem in den 1970-er Jahren die medizinische Betreuung der Geburten v. a. technischen Regeln unterworfen war. Durch den Überdruss der Frauen, sich fremdbestimmten Zwängen unterwerfen zu müssen, entstand gegenüber geburtshilflichen Kliniken ein Feindbild, das von Ängsten, Vorwürfen und Wünschen geprägt war.
Durch Zulassen von mehr Freiheiten unter der Geburt gelang es, das verlorene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen und somit den Familien ein positives Geburtserlebnis zu ermöglichen. Die Gebärenden wurden von äußeren Zwängen befreit, und der natürlichen Geburt wurde wieder Raum gegeben, ohne dadurch an Sicherheit für Mutter und Kind einzubüßen. Auch die Eigenverantwortlichkeit wurde immer wichtiger. So sollten heute Geburtshelfer mehr denn je bemüht sein, die Geburt als einen normalen Vorgang im Leben einer Frau und ihrer Familie anzusehen. Die Techniken der modernen Geburtshilfe sind allzeit bereit und verfügbar, um sie im tatsächlichen medizinischen Bedarfsfall sofort einsetzen zu können. Die Frauen werden unterstützt, selbst herauszufinden, auf welche Weise sie am leichtesten ihre Kinder bekommen. Hinter der Wassergeburt steht die Überlegung, dem zu gebärenden Kind einen möglichst sanften Übergang zwischen den beiden extrem entgegengesetzten Umgebungen des intrauterinen Lebens und der nachgeburtlichen Existenz zu schaffen. Für die Frau soll gleichzeitig der Circulus vitiosus Schmerz – Angst – Spannung durchbrochen werden. Die Wassergeburt ist somit Teil eines ganzheitlichen Konzeptes und wird als eine Möglichkeit unter mehreren angeboten.
32.1
Ursprünge der Wasserheilverfahren
Wasserheilverfahren wurden schon sehr früh in verschiedenen Kulturen eingesetzt. Hieroglyphen der Ägypter aus dem 3. Jahrhundert vor Christus sind die ältesten Zeugnisse über Wasserkulte, die als Therapie eingesetzt wurden. Die Wassertherapie wurde v. a. bei Schwangeren und unfruchtbaren Paaren angewandt. Im 2. Jahrhundert war dieser Wasserkult fast vergessen und wurde erst im 6./7. Jahrhundert in Form der christlichen Taufe wieder aufgenommen. Im römischen Reich wurde die Wassertherapie bis ins 5. Jahrhundert hinein von Ärztinnen in der Frauenheilkunde und bei der Behandlung von Hauterkrankungen eingesetzt. In beiden Fachbereichen spielt auch heute noch die Wassertherapie eine besondere Rolle. In der Kaiserzeit wurden die rituellen Wasseranwendungen dann so profanisiert, dass es bald überall Bäder für die öffentliche Geselligkeit gab – die heilenden Wirkungen des Wassers aber waren in Vergessenheit geraten. Auch in Assyrien, Babylonien, Palästina und Indien weisen Überlieferungen auf Hydrotherapie hin. In der arabischen Welt nutzte man das Bad zur Reinigung vor religiösen Handlungen, in Mittelasien und Russland wurden Eisbäder zur körperlichen Ertüchtigung eingesetzt. In allen Religionen der Welt hat das Wasser die Bedeutung von ewigem Leben und Fruchtbarkeit. Diese Symbolgehalte sind nach wie vor in unseren religiösen Riten enthalten. Entwicklung der Wassergeburten in Europa und anderen Kulturen. Mit dem Zuwachs der Kirche an politischer Macht
im frühen Mittelalter verloren die Frauen, die als minderwertige Kreaturen angesehen wurden, ihre vorrangige Stellung in der Heilkunst. Das Verschwinden der Wasserheilungen ist eng
715 32.1 · Ursprünge der Wasserheilverfahren
mit dieser Geschichte der Frauenberufe verknüpft. Alte Praktiken des Tauchens wurden in Abschreckungsmaßnahmen umgewandelt: Mit der »Gottesprüfung« beispielsweise sollte durch das Tauchen des gefesselten Opfers bewiesen werden, ob es entweder unschuldig ist, falls es ertrank, oder ob es vom Teufel besessen ist, falls es nicht ertrank. In jedem Fall war das Wasser todbringend; die Strafe traf vorwiegend Frauen und sollte dem Volk zeigen, dass die alten Heilkräfte nicht mehr wirkten. Der Wasserkult wurde zu einem kirchlichen Instrument umfunktioniert, indem die christliche Taufe mit einer Handvoll geweihten warmen Wassers in den Kanon der heiligen Sakramente aufgenommen wurde. Im Untergrund jedoch wurde das Ritual der Taufe mit fließendem kaltem Wasser aufrechterhalten. Jeder jüdische Haushalt hatte Zugang zu einem unterirdischen Tauchbecken (»Mikwe«), das sich, von Grundwasser gespeist, im Keller eines Wohnhauses befand. Allerdings war es in dieser Zeit ebenso gefährlich, dem jüdischen Glauben anzugehören, wie ein Bader oder eine weise Frau zu sein. Die im Mittelalter erzeugte Wasserangst beim Volk wirkte wie ein Schock und hielt lange an. Noch im Rokoko verwendete man Puder statt Wasser zur Körperreinigung. »Ins Wasser gehen« war gleichbedeutend mit »in den Tod gehen«. Erst in der Zeit der Aufklärung kehrten die Menschen wieder zur Natur zurück. Im 18. Jahrhundert entdeckte der Arzt J.S. Hahn die »wunderbare Heilkraft des frischen Wassers«, Dr. Kneipp wendete 100 Jahre später Wasserkuren zur Heilung und Stärkung der Lungen an. Im osteuropäischen Raum wurden schon immer Kaltwassertauchtherapien zur Anpassung an sehr niedrige Wintertemperaturen angewendet. Noch heute tauchen manche Eltern ihr im Wasser neugeborenes Kind in das Eiswasser der Neva. Die Wassertherapie hat in der Frauenheilkunde bisher verschiedene Anwendungen gefunden wie die Balneologie bei Infertilität, Wechseljahrbeschwerden oder Rekonvaleszenz nach gynäkologischen Operationen. Die erste dokumentierte Wassergeburt in Europa fand 1803 in Frankreich statt (Embry 1805). Danach gibt es lange Zeit keine schriftlichen Beweise für Wassergeburten in Europa. 1963 begann I. Charkovsky in Moskau, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und leitet seitdem Wassergeburten in Russland (Sindenbladh 1983). Seit 1978 finden Wassergeburten in Frankreich statt (Odent u. Johnson 1994).
Kanals ansässig – wurde als Vorbereitung auf die Geburt am Strand ein Zelt aus Palmblättern gebaut. Die schwangere Frau schwamm mit ein paar anderen Frauen ins Meer hinaus, wo sie spielend ihre Wehen verarbeitete. Kurz vor der Geburt kam die Schwangere ans Ufer zurück, kniete sich in den Sand und gebar ihr Kind ins salzige Meerwasser hinein. Costa Rica. Die Schwangeren eines costaricanischen Indianerstammes gehen zur Entbindung an einen Fluss, wobei sie nur von wenigen anderen Frauen begleitet werden dürfen. Das indianische Wort für »gebären« bedeutet »ins Wasser gehen«. Maori in Neuseeland. Seit mindestens 500 Jahren bewohnen die Maori die Inseln Neuseelands, und auch sie kannten die Vorteile der Wassergeburt in den vielen geschützten Buchten des Pazifischen Ozeans. In der »Bucht der Geister« stürzte einst Lava ins Meer, erkaltete beim Aufprall ins kalte Wasser und hinterließ steinerne Terrassen. So entstanden ideale Wasserbecken zum Gebären der Kinder. Das Wasser, das sich dort sammelte, wurde von der Sonne aufgewärmt. Diese Wasserbecken eigneten sich besonders gut für sanfte Wassergeburten, und eine sanfte Geburt versprach ein leichtes Schicksal. Im 18. Jahrhundert landeten die Europäer in dieser Region und brachten das Christentum dorthin. In der Zeit der Christianisierung wurde die »Bucht der Geister« als ein heiliger Ort vor
Hawaii und die Maui-Wassergeburt. Noch heute praktizie-
ren hawaiische Heilerinnen die Wassergeburt als Bestandteil ihrer ursprünglichen Kultur. Die Geburt findet in einem Pool im Wald umgeben von weichem Moos statt. Samoa. Ein Chiropraktiker, der im Zweiten Weltkrieg auf Samoa stationiert war, wurde dort zum ersten Mal mit der Wassergeburt konfrontiert. Die einheimischen Frauen gingen in ihren Wehen ins flache Wasser des Pazifischen Ozeans, um dort ihr Kind zu gebären. Cumash-Indianer. Bei den Cumash-Indianern – einem Indianerstamm in Südkalifornien, beiderseits des Santa-Barbara-
. Abb. 32.1. Gebärwanne des Vinzenz-Pallotti-Hospitals in Bensberg
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716
Kapitel 32 · Wassergeburt
. Abb. 32.2. Gebärwanne des Kantonsspitals Frauenfeld/Schweiz
32
Fremden geheimgehalten. Heute gibt es ein Wassergeburtszentrum auf der Nordinsel im Maori-Land, das »Rainbow Dolphin Center«. Deutschland und Schweiz. Seit Anfang der 1980-er Jahre finden auch in Deutschland Wassergeburten statt, die aber lange Zeit nur in wenigen Krankenhäusern angeboten wurden. Die Nachfrage stieg jedoch auch mit der Entwicklung der »natürlichen« Geburtshilfe. Für Deutschland gibt es noch keine Statistiken über den prozentualen Anteil der Wassergeburten. Am Vinzenz-Pallotti-Hospital in Bensberg betrug die Anzahl der Wassergeburten im Zeitraum von 1982–1995 über 2000. Heute liegt der Anteil der Wassergeburten in dieser Klinik etwa bei 12–17% aller Geburten (Eldering u. Gutke 1995; . Abb. 32.1). In der Schweiz hat sich seit 1992 die Wassergeburt ausgehend vom Kantonspital Frauenfeld sehr schnell in vielen geburtshilflichen Kliniken verbreitet (Geissbühler u. Eberhard 1996; Geissbühler 2008; . Abb. 32.2).
32.2
morezeptoren ausgeschaltet waren, fingen an zu atmen. Als weitere Erklärungsmöglichkeit wurde postuliert, dass die Aufhebung des Diving-Reflexes auslösend für die kontinuierliche Atmung des Neugeborenen sein könnte (Tchobroutsky et al. 1969). Der Diving-Reflex wurde als ein Schutzreflex beschrieben, der beim Menschen durch die Berührung von Rezeptoren der Gesichtshaut – um Mund und Nase herum – mit Wasser ausgelöst wird. Die Folge ist eine Apnoe in Exspirationsstellung mit Epiglottisverschluss. Man nahm an, dass der Fetus in utero wegen des bestehenden Diving-Reflexes nicht atmet. So wurden bei verschiedenen Spezies Nasenschleimhaut-, Pharynx- und Larynxreflexe beschrieben, die als Schutz vor Aspiration Apnoen bewirken. Es wurde vermutet, dass die Region der sensorischen Rezeptoren speziesabhängig sei und von der Art der Nahrungsaufnahme abhängt und nicht vom Stand der Evolution: So
Physiologische Grundlagen
Ausgehend von den Grundlagen der fetalen und neonatalen Physiologie lässt sich belegen, dass eine Wassergeburt als solche für das Neugeborene keine besonderen Risiken mit sich bringt. Die für die Geburt relevanten Anpassungen der fetalen Lungenphysiologie sollen unter den Stichworten »Diving-Reflex«, »Dynamik der Bildung und Resorption der Lungenflüssigkeit« und »Beginn der Respiration« diskutiert werden (. Abb. 32.3). Der eigentliche Stimulus für das Einsetzen der Atmung beim Neugeborenen ist nach wie vor nicht hinreichend geklärt. Niedrige Sauerstoff- oder hohe Kohlendioxidpartialdrücke, eine generelle Asphyxie oder die Azidose wurden verantwortlich gemacht. Aber auch Neugeborene, deren Che-
. Abb. 32.3. Diving-Reflex
717 32.2 · Physiologische Grundlagen
. Abb. 32.4. Dynamik der Bildung und Resorption der fetalen Lungenflüssigkeit
sitzen z. B. bei Wiederkäuern die Rezeptoren im Larynx, beim Kaninchen in der Nase (Negus 1929). Diese Schutzreflexe sind beim reifen Neugeborenen zum Zeitpunkt der Geburt am ausgeprägtesten und verlieren sich nach und nach (Wealthall 1975). Der Diving-Reflex wirkt so stark, dass bei neugeborenen Lämmern, deren Gesicht in Wasser getaucht bleibt, auch bei bestehender Tracheotomie mit Verbindung zur Luft die Atmung nicht einsetzt und die Tiere sterben (Harned et al. 1970). Bleibt die Nabelschnurversorgung erhalten, können die Tiere unbegrenzt unter Wasser bleiben. Nach Unterbrechung des Nabelschnurkreislaufs kommt es zur Bradykardie, einer partiellen Hypertonie und Umverteilung des Herzzeitvolumens zugunsten lebenswichtiger Organe, und schließlich tritt als Folge der Asphyxie der Tod ein. Reflexe werden durch höhere Zentren gesteuert. Die Proportional-Differenzial-Steuerung (P/D-Steuerung) reagiert überschießend im Sprungverhalten auf die abrupte Reizauslösung zuerst mit einer sehr rasch einsetzenden Gegenregulation und erreicht erst dann einen veränderten, konstanten Endwert. Wenn der adäquate Reiz dagegen andauernd über sehr lange Zeiträume vorhanden ist, erfolgt eine Adaptation der Reflexantwort, sodass es auch intrauterin zu Atemexkursionen kommen kann.
Studienbox Die fetalen Atembewegungen wurden zuerst in England (Dawes et al. 1974) und in Frankreich (Merlet et al. 1970) beobachtet. Die Atembewegungen wurden einem bestimmten zerebralen Zustand zugeordnet; dabei wurde gezeigt, dass die Atemaktivitäten nur bei kortikaler Niederspannung auftreten (Dawes et al. 1974).
Dies entspricht der REM-Phase (»rapid eye movement«) des Fetus, in der auch andere Aktivitäten wie Lecken und Blinzeln auftreten können. Wichtig ist, dass diese REM-phasenspezifische Atmung in pathologischen Zuständen, z. B. bei einer intrauterinen Asphyxie, verstärkt ist und auf andere Phasen ausgedehnt werden kann. Die fetale Atmung wurde als Vorbereitung und Übung für die extrauterinen Erfordernisse gedeutet (Dawes et al. 1974). Bei Tieren mit Durchtrennung des N. phrenicus ist die Entwicklung der Lungen erheblich ge-
stört. Das fetale Atemverhalten kann auch durch Medikamente beeinflusst werden. Warum aspiriert der Fetus nicht, wenn er Atembewegungen macht? Die Flüssigkeit, die die Alveolen ausfüllt, wird in den Lungen gebildet. Die fetale Lunge ist bereits mit Flüssigkeit gefüllt, die von ihr selbst dort gebildet wird. Spezialisierte Epithelzellen sezernieren aktiv Chlorid in das Lumen der Alveolen, sodass ein osmotischer Gradient entsteht, der Flüssigkeit aus der Mikrozirkulation in den Alveolarraum treibt (Adamson et al. 1969). Die fetale Lunge arbeitet wie eine exokrine Drüse und wird nicht als Resorptionsorgan gebraucht. Die Abgabe von Flüssigkeit in den Alveolarraum kann durch Diuretika, die den an Natrium und Kalium gekoppelten Chloridtransport hemmen, geblockt werden (. Abb. 32.4). > Der menschliche Fetus bildet täglich 250–300 ml Lungenflüssigkeit, und über dem Larynx herrscht ein positiver Druckgradient von 3–5 cm Wassersäule. Bei den fetalen Atemexkursionen bewegt sich die tracheale Flüssigkeitssäule minimal hin und her. Periodisch öffnet sich der Larynx und lässt so einen Nettoefflux von 15 ml/h zu, der während der REMPhase um das 5-Fache ansteigt (Normand et al. 1971).
Ligiert man die Trachea intrauterin, vergrößert sich das Lungenvolumen, und die Alveolarzellproliferation und -differenzierung nehmen zu. Unterbindet man einen Ast der A. pulmonalis, wird auf der ipsilateralen Seite weniger Flüssigkeit gebildet, und die Lunge bleibt hypoplastisch. Das Gleiche erfolgt bei verstärkter Drainage der Lungenflüssigkeit nach außen, z. B. bei Oligohydramnion und der Potter-Sequenz. Bei der Geburt steigen die Konzentrationen verschiedener Hormone abrupt an, von denen speziell die Katecholamine hinsichtlich ihrer Wirkung genauer untersucht wurden. So bewirkt die intravenöse Gabe von Adrenalin und Isoproterenol, nicht aber von Noradrenalin, eine Resorption von Flüssigkeit aus dem Lungenlumen. Dieser Vorgang kann von β-Blockern gestoppt werden. Somit kommt es infolge des Geburtsstresses zu einer Umkehr des Flusses der Lungenflüssigkeit und vermehrter Resorption durch die Alveolarepithelien. Auch eine Hypoxämie kann zumindest teilweise durch vermehrte Stresshormonbildung zu einer verstärkten Atemtätigkeit führen und einer Aspiration Vorschub leisten.
32
718
Kapitel 32 · Wassergeburt
. Abb. 32.5. Beginn der Atmung
32
> Die Lungenflüssigkeit nimmt 2–3 Tage vor Wehenbeginn ab. Deshalb ist bei Neugeborenen nach sekundären Sectiones, d. h. nach Einsetzen der Wehen, die Lungenflüssigkeit ebenso reduziert wie bei vaginal entbundenen Kindern, während bei primärer Sectio gehäuft »wet lungs« angetroffen werden (. Abb. 32.5; Normand et al. 1971).
Mit der Eröffnung der Lungenstrombahn nach der Geburt entsteht für das kindliche Blutvolumen ein Mehrbedarf von etwa 20%, der teilweise durch die Resorption der Lungenflüssigkeit in das Interstitium und nachfolgend in die Kapillaren und teilweise durch die Transfusion von plazentarem Blut ausgeglichen wird (Normand et al. 1971). > Die Thoraxkompression unter der Geburt spielt für die Entfernung der Flüssigkeit aus den Atemwegen (»squeezing effect«) keine wesentliche Rolle, und die Vorstellung, dass mit der Dekompression ein Vakuum entsteht, das zur Aspiration führt, muss nach heutigem Kenntnisstand als falsch bezeichnet werden (Normand et al. 1971). Im Gegenteil: Das Neugeborene braucht die Lungenflüssigkeit zur Auffüllung des intravasalen Volumens, das durch die Eröffnung der Lungenstrombahn um 20% vergrößert ist. Es ist somit postpartal essenziell auf die Aufnahme der Lungenflüssigkeit in sein Gefäßsystem angewiesen (Aherne u. Dawkins 1964).
Der Übertritt vom intrauterinen zum extrauterinen Leben hat für die Respiration folgende Auswirkung: Bereits im Uterus »übt« der Fetus das Atmen. Dabei wird aber keine Amnionflüssigkeit in die Lunge aspiriert, sondern es findet umgekehrt ein Nettoefflux von Lungenflüssigkeit aus der Trachea statt. Dieser Mechanismus ist für das normale Wachstum und die Differenzierung der Lunge entscheidend (Dawes et al. 1974). Die Reabsorption der Flüssigkeit nach der Geburt ist Folge der endokrinen Umstellung, die durch den Geburtsstress ausgelöst wird, sie ist etwa 6 h nach der Geburt abgeschlossen.
> Bei der Geburt im Wasser bleibt der Diving-Reflex, intakt und bei pulsierender Nabelschnur setzt keine Reflexbradykardie ein. Die Lungenflüssigkeit wird bei allen Geburten nicht ausgedrückt und hinterlässt kein Vakuum, sondern wird erst mit der beginnenden Atmung zunehmend reabsorbiert. Bei intrauteriner Asphyxie werden diese physiologischen Abläufe erheblich gestört. Die Flüssigkeitsreabsorption wird frühzeitig in Gang gesetzt, und die Stimulation der Respiration ist stärker als der Diving-Reflex, sodass es zur Aspiration kommen kann (Howatt et al. 1965).
32.3
Ablauf der Wassergeburt
Bei der Wassergeburt hat die Frau die Möglichkeit, während der Eröffnungsphase und der Austreibungsphase im Wasser zu verbleiben. Die Badewanne sollte geräumig genug sein, damit genügend Bewegungsfreiheit besteht, um während der Austreibungsphase die Position wechseln zu können. Die Badewanne, heute meist spezielle Gebärbadewannen (. Abb. 32.1, 32.2), dient gleichzeitig als Entspannungs- und Entbindungswanne und ist nach ergonomischen Gesichtspunkten geformt. Einzelne Badewannen haben eine wasserdichte Tür zum leichten Ein- und Ausstieg. Die Austreibungsphase kann auf dem Rücken liegend, hockend, kniend oder in Vierfüßlerhaltung verbracht werden. Die Temperatur des Wassers wird den Bedürfnissen der Gebärenden angepasst. Es gibt Badewannen mit einem Heizsystem, das in der Wandung des Wannenkorpus integriert ist und die Wassertemperatur konstant hält. (Fa. APAL Begny, Belgien). Bei Badewannen ohne Heizsystem muss beachtet werden, dass der Mensch wie alle Mammalia zu den homöothermen Lebewesen gehört. Durch Regelmechanismen kann er die Körpertemperatur recht konstant halten. Jeder gesunde Mensch verfügt über einen »in-born code of body temperature regulation«. Dies befähigt die Gebärende, während des
719 32.4 · Klinische Erfahrung
Bades die Körperkerntemperatur im physiologischen Bereich zu halten (Geissbühler et al. 2002). Entscheidend ist das Wohlbefinden der Gebärenden. Richtlinien für die Wassertemperatur und die Dauer des Bades sind demnach überflüssig; sie könnten sogar den Temperaturselbstregulationsmechanismus der Gebärenden stören. Wassergeburten sind kein thermales Risiko für Mutter und Kind, und es macht keinen Sinn, eine zeitliche Begrenzung des Bades zu empfehlen (Geissbühler et al. 2002). Die Temperatur des Wassers sollte 37°C nicht überschreiten, da sich zu heißes Wasser nachteilig auf den Geburtsvorgang auswirkt und die Hitze insbesondere beim Fetus zu einer zusätzlichen Belastung von Herz und Kreislauf führen kann. Meist können jedoch die gebärenden Frauen selbst einschätzen, welche Wassertemperatur am geeignetsten für den Geburtsverlauf ist. Während der gesamten Geburt werden die kindlichen Herztöne durch externe CTG-Ableitung überwacht. Hierzu eignet sich insbesondere das Induktions-CTG (Fa. Kranzbühler, Solingen). In der Wannenwandung sind Induktionsschleifen eingelassen, die ein schwaches elektromagnetisches Feld aufbauen, das durch die kindlichen Herzaktionen verändert wird, sodass eine Registrierung möglich wird. Das Registriergerät – ein herkömmlicher CTG-Recorder – ist außerhalb des Nassbereiches entsprechend den VDE-Vorschriften an der Wand befestigt, sodass das kindliche Herzfrequenzmuster beobachtet werden kann. Eine externe oder interne Ableitung über Telemetrie ist ebenfalls möglich. ! Ausdrücklich wird davor gewarnt, die Frau direkt an das CTG-Gerät anzuschließen, da es dadurch zu tödlichen Unfällen kommen kann.
Die Geburt des Kindes geschieht direkt ins Wasser hinein. Nach der Geburt des Kopfes folgt mit der nächsten Wehe die äußere Drehung des Kopfes, sodass die Schultern nachfolgen können. Die äußere Drehung kann genauso wie bei Geburten außerhalb des Wassers in Ruhe abgewartet werden. Keinesfalls ist es notwendig, die weitere Kindsentwicklung zu forcieren, wenn bis zu diesem Zeitpunkt der Geburt der Vitalzustand des
32.4
Kindes keine Beeinträchtigung erfahren hat. Rumpf und Beine folgen danach zwanglos ins Wasser hinein. Nachdem das Kind geboren wurde, wird es innerhalb von wenigen Sekunden aus dem Wasser genommen und der Mutter übergeben, die es sich auf den Bauch legt, sodass der Körper des Kindes weiterhin im Wasser bleibt, der Kopf sich jedoch außerhalb des Wassers befindet, damit das Kind seinen ersten Atemzug machen kann. Die Annahme und das Herausnehmen des Kindes kann, wenn gewünscht, von der Mutter selbstständig vorgenommen werden und bedarf i. d. R. nicht der Hilfe von Arzt oder Hebamme. Die Nabelschnur wird erst nach Sistieren der Pulsation durchtrennt, es sei denn, es besteht eine medizinische Indikation zur frühzeitigen Abnabelung. Auch hier werden Vater oder Mutter ermuntert, dies selbst auszuführen. Zur Verhinderung einer Auskühlung des Neugeborenen werden vorgewärmte Tücher auf das Neugeborene gelegt (oder es kann oberhalb der Badewanne eine Wärmelampe installiert werden). Die Mutter kann nun entscheiden, ob sie für die Ausstoßung der Plazenta das Wasser verlässt oder ob sie auch während der Nachgeburtsperiode in der Wanne verbleibt. Anschließend liegt die Mutter auf einem bequemen Breitbett, und das weitere »bonding« zwischen Eltern und Neugeborenem erfolgt ungestört. In der Badewanne schon kann das Kind zum Stillen angelegt werden, sodass in den meisten Fällen auf Kontraktionsmittel postpartal gänzlich verzichtet werden kann. Der Dammschutz wird vom seitlichen Wannenrand aus von der Hebamme vorgenommen. Eine möglicherweise notwendige Episiotomie kann problemlos im Wasser erfolgen, indem ein Finger, der im Dammbereich in den Introitus eingelegt ist, die Schnittrichtung vorgibt. Die Wannenbrüstung darf nicht zu hoch und die seitliche Ausladung nicht zu weit sein, damit die Hebamme den notwendigen Dammschutz durchführen kann, indem sie sich über den Wannenrand beugt. Der mütterliche Blutverlust kann durch Beurteilung der Verfärbung des Badewassers oder der auf den Wannenboden abgesunkenen Blutkoagula geschätzt werden.
Klinische Erfahrung
Studienbox Seit 1982 wurden die Geburtsverläufe und die kindlichen Vitalitätsparameter von insgesamt 1000 Wassergeburten retrospektiv im Rahmen einer Qualitätsstudie im »Matchedpairs-Verfahren« mit den jeweils nachfolgenden Spontangeburten gleicher Parität außerhalb des Wassers verglichen (Eldering u. Selke 1996). Ziel dieser Untersuchung war es, eine erhöhte Gefährdung von Mutter oder Kind bei unkomplizierten Spontangeburten im Wasser auszuschließen. Als Voraussetzung für eine Wassergeburt mussten neben dem Wunsch der Frau folgende Kriterien erfüllt sein:
6
4 nur normale Geburten, 4 intensive Betreuung durch Hebamme und Arzt, 4 permanente kurzfristige Einsatzbereitschaft einer 2. Person zum Transport auf ein Bett bei auftretenden Problemen, 4 gleiches Überwachungsmanagement wie bei »Landgeburten«. Ausschlusskriterien für eine Wassergeburt waren: 4 Beckenendlagen, 4 Mehrlingsschwangerschaften, 4 pathologische Schwangerschaftsverläufe (z. B. Plazentainsuffizienz, Frühgeburtlichkeit vor der vollendeten 37. SSW),
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720
Kapitel 32 · Wassergeburt
4 4 4 4
32
Verdacht auf Chorionamnionitis, Notwendigkeit einer Epiduralanästhesie, zentralwirksame Medikamente, bekannte mütterliche Infektionen (z. B. Hepatitis, HIV).
Die ersten 50 Geburten wurden durch kontinuierliche CTGÜberwachung mit interner Ableitung durch Skalpelektrode und Telemetrie überwacht. Seitdem wird die intermittierende Kontrolle der kindlichen Herztöne in der Eröffnungsphase durch externe Ultraschallableitung, wie sie auch bei normalen Spontangeburten üblich ist, praktiziert (30 min CTG-Aufzeichnung, danach 1 h aufzeichnungsfreies Intervall; bei suspekten bzw. pathologischen Verläufen Kürzung des Intervalls bzw. Dauerüberwachung). In der Austreibungsphase werden die kindlichen Herztöne in der Wehenpause extern abgeleitet, bei dann auffälligem Herzfrequenzmuster erfolgt die Ableitung kontinuierlich. Der Einsatz der fetalen Pulsoxymetrie könnte hier zukünftig ebenfalls Verwendung finden. Aus Sicherheitgründen wurde bei den Wassergeburten die Telemetrieübertragung eingesetzt, sodass das CTG-Gerät außerhalb des Nassbereiches aufgestellt werden konnte. Bei pathologischen CTG-Veränderungen oder sich anbahnenden Geburtskomplikationen wurde die Geburt im Wasser abgebrochen. Folgende Parameter wurden zwischen beiden Kollektiven verglichen: Alter, Bildungsstand, Wohnort, Schwangerschaftsverlauf, anamnestische Schwangerschaftskomplikationen (Zustand nach Sectio u. a.), Dauer der Wehen, Muttermundweite bei Geburtsbeginn, Zeitdauer im Wasser, Muttermundweite bei Eintritt ins Wasser, Anwendung von schmerzstillenden Medikamenten im Geburtslauf, Rate an Episiotomien/Geburtsverletzungen, Nachgeburtsphase, kindliche Apgar- und arterielle sowie venöse NabelschnurpH-Werte, kindliche Morbidität (Infektionen, Verlegungen in die Kinderklinik etc.), Mortalität sowie die Dauer des stationären Aufenthaltes post partum, um nur die wichtigsten zu nennen. Für beide Kollektive zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich Alter, Wohnort, Dauer der jetzigen Schwangerschaft, beruflicher Bildung, vorausgegangener Schwangerschaftskomplikationen und Verlauf der jetzigen Schwangerschaft. In der Wassergeburtsgruppe war die Zahl der Frauen mit einer vorausgegangenen Sectio leicht erhöht (4% vs. 1%). Die Neugeborenen der beiden Gruppen unterschieden sich hinsichtlich Geburtsgewicht und Größe nicht voneinan-
Für »Anfänger« und Interessierte kann folgende Lektüre sehr empfohlen werden: 4 Richtlinien der DGGG, 4 Richtlinien der Universitätsfrauenklinik Basel, 4 Expertenbrief 27 der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) zum Thema »Wassergeburt: Infektionsprophylaxe und Kontraindikationen«,
der. Der Hauptteil der Kreißenden hatte nach 2 h im Wasser entbunden. Im Gegensatz zu verschiedenen Literaturangaben war die Austreibungszeit im Wasser gegenüber derjenigen bei den Kontrollgeburten nicht verkürzt (Enning 1996). Die meisten Frauen zogen es vor, erst bei vollständig geöffnetem Muttermund ins Bad zu gehen, um dort zu entbinden. Viele Frauen benutzten das Bad lediglich zur Entspannung in der Eröffnungsperiode, ohne dort auch zu gebären, und erfüllten damit nicht die Kriterien einer Wassergeburt im Rahmen der Studie. Die Verknüpfung von Verspannung – Angst – Verkrampfung – gesteigerte Schmerzempfindung scheint im Wasser eher durchbrochen, sodass der Schmerzmittelbedarf deutlich reduziert war. In beiden Kollektiven zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der Häufigkeit der Episiotomien von 19% im Wasser gegenüber 38% bei »Landgeburten«. Die Befürchtung, dass durch Weitstellung der Gefäße bei hoher Wärmezufuhr vermehrt verstärkte Nachblutungen in der Plazentarperiode auftreten, hat sich nicht bestätigt. Der Blutverlust bei Wassergeburten war signifikant geringer bei gleichem Geburts – und Nachgeburtsmanagement. Das »fetal outcome« zeigte in beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede. Die Verteilung der Apgar-Werte nach 1,5 min bzw. 10 min war nahezu identisch. Mäßige Azidosen im Blut der Nabelschnurarterie traten bei 12% der Wassergeburten bzw. 13% der Kontrollgruppe auf (pH 7,10–7,19). Die Zahl kindlicher Verlegungen in neonatale Intensivpflege war in beiden Gruppen mit 1,1% (Wassergeburten) bzw. 1,3% (»Landgeburten«) niedrig. Die kindliche Morbidität und Mortalität ist bei mittlerweile über 2000 begleiteten Wassergeburten nicht erhöht. Dies entspricht den Erfahrungen anderer Zentren, die Wassergeburten durchführen (Geissbühler u. Eberhard 1996). Anhand der Ergebnisse von 1000 retrospektiv untersuchten Wassergeburten verglichen mit 1000 Spontangeburten außerhalb des Wassers fand sich keine erhöhte kindliche und mütterliche Morbidität und Mortalität. Im Wasser war der Medikamentenverbrauch deutlich niedriger und die Rate an Episiotomien um die Hälfte geringer. Der mütterliche Blutverlust fiel signifikant geringer aus. Die kindliche Infektiosität war nicht erhöht. Eine prospektive Beobachtungsstudie aus der Schweiz mit über 5000 Wassergeburten zeigt weitgehend ähnliche Resultate (Geissbühler 2008).
4 das Joint statement No.1 des »Royal College of Obstetricians and Gynaecologists/Royal College of Midwives«, 4 die Midwifery Guidelines und »Immersion in water in labour and birth« (rewiev) der Cochrane Collaboration von 2009.
721 32.6 · Indikationen und Kontraindikationen
Vorbedingungen für eine Wassergeburt 4 4 4 4 4
Klinikentbindung Low-risk-Geburt Wunsch der Schwangeren Lückenlose Überwachung durch Arzt und Hebamme Die Gebärende bestimmt Wassertemperatur und Badedauer 4 Bakteriologische Überwachung von Badewasser und Badewanne 4 Verfügbarkeit einer 2. Person zum Transport aus der Badewanne bei auftretenden Problemen
Ablauf 4 Aufenthalt im Wasser sowohl in der Eröffnungs- als auch in der Austreibungsperiode 4 Badewanne mit Bewegungsfreiheit zur Wahl verschiedenster Positionen 4 Lückenlose telemetrische CTG-Überwachung 4 Dammschutz vom seitlichen Wannenrand aus 4 Möglichkeit einer Episiotomie, wenn notwendig 4 Nach der Geburt innerhalb weniger Sekunden Heben des Kindes zur Wasseroberfläche und Lagerung des Kindes auf dem Bauch der Mutter mit dem Köpfchen außerhalb des Wassers 4 Abnabelung im Wasser 4 Plazentarperiode und Geburt der Plazenta außerhalb oder innerhalb des Wassers
Einzelfallanalysen der in der Literatur veröffentlicht Zwischenfälle mit Todesfolge oder zerebral geschädigten Kindern haben gezeigt, dass es sich bei allen Fällen um Geburtsverläufe handelte, bei denen diese Empfehlungen nicht eingehalten und gravierende Fehler in der Betreuung von Mutter und Kind gemacht wurden. Sie können somit nicht der Methode der Wassergeburt angelastet werden.
32.5
Hygienemaßnahmen
Das Badewasser, das dem Standard des Nutzwassers deutscher Krankenhäuser entsprechen muss, braucht für eine Wassergeburt nicht gesondert aufgearbeitet zu werden. Endständige Wasserfilter sind grundsätzlich nicht erforderlich. Voraussetzung ist natürlich der Einsatz von Gebärwannen, die der neuesten Technik in Hinblick auf die Hygiene entsprechen (z. B. Entspannungs- und Gebärbadewanne der Fa. Apal). Zu beachten ist, dass nach dem Einlassventil kein stehendes Wasser durch längere Leitungsführung verbleiben kann. Die Duschschläuche sollten aus dem gleichem Grund belüftet sein und zum Austrocknen aufgehängt werden. Eine Desinfektion der Einlassarmaturen und Duschköpfe kann möglicherweise die Anforderungen an einwandfreie Hygieneverhältnisse verbessern (fakultativ), da diese mit dem Badewasser während der Entbindung Kontakt gehabt haben konnten.
Bei schlechter Wasserqualität (z. B. Kontamination mit Legionellen o. Ä.) müssen natürlich entsprechende Maßnahmen erfolgen. Ist die Wasserqualität nicht zu verbessern, sollten endständige Wasserfilter eingebaut werden. Gleiches gilt aber auch für andere Bereiche des Krankenhauses wie Patientenduschen oder Wasserzapfstellen in Kreißsälen, Säuglingszimmern oder Rooming-in-Zimmern.
Hygienemaßnahmen bei Wassergeburten 4 Wanne ohne Überlauf benutzen 4 Keine Luftkombinationsanlagen (z. B. Whirlpool) 4 Hygienisch einwandfreie Schlauchführung durch Hersteller 4 Nach jedem Bad Wischdesinfektion 4 Duschköpfe und -schlauch nach Dekonnektion (Bajonettverschluss) zur Belüftung und Trockung aufhängen
32.6
Indikationen und Kontraindikationen
Unter Zugrundelegung der eigenen klinischen Erfahrung anhand von 8500 Wassergeburten seit 1982 erscheint es uns möglich, die Kontraindikationen für Wassergeburten zu relativieren (. Tab. 32.1).
Studienbox Große Studien haben inzwischen gezeigt, dass Wassergeburten genau so sicher für Mutter und Kind sind wie eine Landgeburt. Insbesondere besteht kein erhöhtes Risiko für fetale und maternale Infektionen oder verstärkten maternalen Blutverlust im Wasser. Es zeigt sich kein Unterschied im »fetal outcome«. Der Schmerzmittelverbrauch ist bei Wassergeburten deutlich reduziert. Insgesamt wird
6
. Tab. 32.1. Eingeschränkte Kontraindikationen und Vorbedingungen der Wassergeburt
Eingeschränkte Kontraindikationen
Vorbedingung zur Wassergeburt
Mehrlingsgeburten
Erfahrener Geburtshelfer
Beckenendlagen
Erfahrener Geburtshelfer
Kindliche Makrosomie bis 4500 g
Erfahrener Geburtshelfer
Frühgeburten ab der vollendeten 35. SSW
Direktes Herausnehmen postpartal aus dem Wasser zur Vermeidung eines Temperaturverlusts
Geburten mit Verdacht auf fetale Mangelversorgung
Kontinuierliche CTG-Ableitung
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722
Kapitel 32 · Wassergeburt
die Wassergeburt rückblickend von den Frauen als sehr positives Geburtserlebnis empfunden (Geissbühler et al. 2001; Mackey 2001). Die Wassergeburt ist eine sichere und beliebte Gebärmethode. Wassergeburten werden v. a. von gut informierten Schwangeren gewählt. Für Wassergeburten eignen sich insbesondere Schwangere mit geringem Risikopotenzial. Bei korrekter geburtsmedizinischer Überwachung sind Wassergeburten für Mutter und Kind genau so sicher wie andere Gebärmethoden. Schicksalhafte Verläufe sind jedoch in der Geburtshilfe immer möglich und werden nie restlos zu vermeiden sein. Wassergeburten können weiter folgende Vorteile aufweisen: 4 eine geringere Anzahl an Dammverletzungen, 4 weniger Blutverlust, 4 kürzere Geburtsphasen, 4 physiologischere Wehentätigkeit, 4 »Verbreiten« einer guten Atmosphäre im Gebärsaal und ein schöneres Geburtserlebnis.
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Im Zeitalter der rasch anwachsenden Zahl der Schwangeren, die eine elektive Kaiserschnittentbindung wünschen, könnte das Wissen und das Angebot um eine vaginale Geburtsmöglichkeit wie die Wassergeburt helfen, die traditionelle vaginale Geburt attraktiv zu erhalten (Geissbühler 2008).
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33 33 Geburtsüberwachung J. Gnirs, K.T.M. Schneider 33.1
Historischer Rückblick
– 724
33.2
Kardiotokographie (CTG)
33.2.1 33.2.2 33.2.3
Technische Aspekte – 725 Grundbegriffe der Kardiotokographie CTG-Beurteilung – 734
33.3
Grenzen der CTG-Überwachung, Sensitivität, Spezifität
33.3.1 33.3.2 33.3.3
Grenzen der CTG-Überwachung – 744 Sensitivität und Spezifität des CTG – 745 Intermittierende Auskultation – heute noch eine Alternative?
– 725 – 728
33.4
Fetale Blutgasanalyse (FBA)
33.4.1 33.4.2 33.4.3 33.4.4
Fehlermöglichkeiten und Komplikationen – 748 Indikationen und Kontraindikationen – 748 Beurteilungskriterien und klinische Konsequenz – 749 Bedeutung der FBA – 750
33.5
Weitere Methoden
33.5.1 33.5.2
Zustandsbeurteilung des Fetus zu Beginn der Geburt – 750 Kontinuierliche transkutane Messung des pO2, pCO2 und pH-Wertes – 752 Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) – 752 Pulsoxymetrie – 752 Intrapartale Registrierung der fetalen Bewegungsaktivität und Verhaltenszustände – 753 Fetale Stimulationstests sub partu – 754 Signalanalysen des fetalen EKG sub partu: T/QRS-Ratio und PR-Intervall-Analyse – 756 Anwendung nicht linearer Analyseverfahren – 758 Computerisierte CTG-Überwachung – 758
33.5.3 33.5.4 33.5.5 33.5.6 33.5.7 33.5.8 33.5.9
– 748
– 750
33.6
Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
33.6.1 33.6.2
Intrapartale Reanimation Amnioninfusion – 764
Literatur – 767
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 758
– 758
– 744
– 746
724
33
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
Die Kardiotokographie (CTG) ist das Standardverfahren für die Überwachung des Fetus sub partu. Dem Vorteil einer hohen Sensitivität bezüglich der Azidoseerkennung stehen eine hohe Inter- und Intra-Observer-Variabilität sowie eine nur begrenzte Spezifität gegenüber. Letztere ist durch die hohe Rate falsch positiver Befunde erklärbar. Würde man die geburtshilfliche Entscheidung allein von den Ergebnissen der CTG-Beurteilung abhängig machen, so würden etwa 50% aller wegen drohender fetaler Asphyxie indizierten operativen Entbindungen erfolgen, obwohl der Fetus tatsächlich gar nicht beeinträchtigt war. Die geburtshilflichen Fachgesellschaften empfehlen deshalb zur Abklärung suspekter oder pathologischer CTG-Befunde die Durchführung einer fetalen Blutgasanalyse (FBA), durch deren Einsatz die Anzahl operativer Entbindungen aufgrund pathologischer CTG-Muster reduziert werden kann. Die in neuerer Zeit von einigen Autoren kontrovers diskutierte Methode erfordert eine gewisse Übung und hat den Nachteil, invasiv und diskontinuierlich zu sein, weist jedoch eine sehr geringe Falsch-positiv-Rate auf und ist in geübter Hand auch zuverlässig nutzbar. Am ehesten vergleichbare Resultate ergaben sich für die STAnalyse des fetalen EKG, wobei die FBA auch hier als Referenz genutzt wird, aber die Häufigkeit ihrer Anwendung reduziert werden kann. Wenngleich inzwischen auch andere intrapartale Überwachungsverfahren (Pulsoxymetrie, Nahinfrarotspektrometrie etc.) entwickelt wurden, konnte deren klinischer Nutzen bislang nicht belegt werden. Sie sollten deshalb nicht als Basis für klinische Entscheidungen herangezogen werden. Die »klassische« Methode der intrapartalen Auskultation fetaler Herztöne ist eine personalintensive und damit kaum noch zu realisierende Alternative zur kontinuierlichen CTG-Registrierung. Die zu fordernde engmaschige Überwachung des Fetus kann nur bei permanenter Anwesenheit einer Hebamme pro Geburt gewährleistet werden. Berücksichtigt man forensische Aspekte, so kann heute auf eine den Standardempfehlungen entsprechende CTG-Überwachung nicht mehr verzichtet werden. Die Rate kindlicher Zerebralparesen ist in den letzten Jahrzehnten mit 2–3‰ nahezu konstant geblieben und wurde durch die Etablierung der Kardiotokographie nicht wesentlich beeinflusst. Da die überwiegende Zahl kindlicher Hirnschäden bereits vor und nicht erst während der Geburt entsteht, ist dies auch verständlich. Die Geburtsasphyxie ist letztlich nur einer von zahlreichen Risikofaktoren für deren Entstehung und wurde hinsichtlich ihrer Bedeutung bei der Frage eines Kausalzusammenhangs in der Vergangenheit weit überschätzt. Am stärksten gefährdet sind sehr kleine Frühgeborene, deren Schädigungsrisiko gegenüber Termingeburten 50- bis 100-fach erhöht ist. Ein tatsächlicher Kausalzusammenhang mit dem Geburtsereignis kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur angenommen werden, wenn andere mögliche Ursachen ausgeschlossen wurden, Hinweise auf eine schwerste Geburtsasphyxie mit früh auftretenden asphyxietypischen Symptomen einer neonatalen Enzephalopathie bestehen und gleichzeitig ein Multiorganversagen vorliegt. Die intrapartale Reanimation dient der schnellen Behebung einer fetalen Hypoxie durch Ausschaltung möglicher Noxen. Sie stützt sich vorrangig auf die Wehenhemmung (Tokolyse), die
6
Korrektur einer maternalen Hypotonie (Volumensubstitution, Antihypotonika) und die Beseitigung einer Nabelschnurkompression (Lagewechsel der Mutter). Im weiteren Sinne zählt auch die Amnioninfusion zu den Maßnahmen, die geeignet sind, den Zustand des Kindes wieder zu verbessern, sofern der fetalen Gefährdung ein Oligohydramnion mit resultierenden Nabelschnurkomplikationen zugrunde liegt. Kommt es gleichzeitig zu einem Mekoniumabgang, so kann durch den Verdünnungseffekt auch das Risiko einer schweren Mekoniumaspiration signifikant vermindert werden.
33.1
Historischer Rückblick
Die geburtshilflichen Leistungsziffern haben sich in der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts drastisch gewandelt. Lag 1950 die Müttersterblichkeit noch bei mehr als 2‰ und die perinatale Mortalität bei nahezu 5%, so konnten maternale und perinatale kindliche Todesfälle inzwischen auf 0,04‰ und 4,8‰ reduziert werden (Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung 2008). Die Geburt ist im menschlichen Leben auch heute noch eine der risikoreichsten Situationen. Trotz umfassender Verbesserungen im Bereich der Perinatalmedizin sterben immerhin noch ca. 0,4‰ aller Kinder sub partu. Gravierende neuromotorische Schäden und die forensisch besonders problematischen spastischen Zerebralparesen (CP) sind zwar viel seltener, als lange Zeit angenommen wurde, auf ein Geburtstrauma zurückzuführen, aber bei immerhin 10–15% solcher Schädigungen ist eine schwere intrapartale Hypoxie des Fetus der einzige bzw. bedeutendste ätiologische Faktor (Nelson u. Ellenberg 1986; Keogh et al. 2006). Eine besondere Rolle scheint hierbei auch den Zytokinen zuzukommen, da die Kombination einer Asphyxie mit einem inflammatorischen Prozess die Rate der CP-Fälle deutlich zu beeinflussen scheint (Girard et al. 2009). Lange Zeit lieferten nur die mütterliche Perzeption von Kindsbewegungen oder deren Palpation durch einen Untersucher Hinweise auf eine bestehende Schwangerschaft. Rückschlüsse auf eine fetale Stresssituation waren allenfalls durch das Erkennen eines Mekoniumabgangs möglich. Die ersten Berichte über den akustischen Nachweis fetaler Herztöne stammen von Mayor (1818). Kergaradec (1822) verwendete das Laennec-Stethoskop zur Auskultation und erkannte die klinische Relevanz der Herztöne für die Diagnose einer Schwangerschaft, die Erkennung von Mehrlingsschwangerschaften sowie die Bestimmung des kindlichen Zustands und der Kindslage. 1833 folgten von einander unabhängige systematische Untersuchungen der fetalen Herzfrequenz durch Hohl und Kennedy. Experimentelle Beiträge zur Pathophysiologie der Herzfrequenzalterationen unter der Geburt stammen von Schwartz (1858), Schultze (1871) und Seitz (1903). Die Phonokardiographie der akustischen Herzaktion des Fetus geht auf Pestalozza (1890) zurück, konnte sich aber nicht durchsetzen. Bis vor etwa 45 Jahren war das Pinard-Holzstethoskop das einzig etablierte Instrument zur Überwachung des Fetus. Hammacher gelang 1962 die Aufzeichnung der fetalen Herzfrequenz (FHF) mit Hilfe der Phonokardiographie,
725 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
wobei er den Herzschall von Schlag zu Schlag registrierte (Hammacher 1962). Das nichtinvasive Verfahren war grundsätzlich auch für den Einsatz vor der Geburt geeignet, erwies sich jedoch als störanfällig. Erst in der Neuzeit gibt es auf dieser Methode beruhende störungsunabhängigere Systeme (Tocomat), die z. B. antepartal in der Telemedizin eingesetzt werden (Di Lieto et al. 2008). Seit Einführung der externen Ultraschalldopplerregistrierung (»Ultrasonokardiographie«), die den Dopplereffekt zur Bestimmung der Herzfrequenz anhand der Herzklappen- und Herzwandbewegungen nutzt, konnte die Methode problemlos vor und während der Geburt eingesetzt werden. Die Entwicklung der Kardiotokographie basierte zunächst auf 2 unterschiedlichen Konzepten. Hon u. Hess beschrieben 1957 die Ableitung des fetalen EKG über die Bauchdecke der Mutter. Hon u. Wohlgemuth stellten dann erstmals 1961 hierauf basierende Schlag-zu-Schlag-Kurven vor. Trotz aufwendiger elektronischer Signalverarbeitung fand diese Methode aufgrund zahlreicher Störeinflüsse (Überlagerung durch das maternale EKG, elektrische Isolierung des Fetus durch Vernix caseosa, maternale Muskelpotenziale etc.) keine allgemeine Verbreitung (Hon 1958). Dies änderte sich erst mit Einführung der direkten EKG-Ableitung über eine fetale Skalpelektrode (Hon 1963). Da hierfür jedoch ein zumindest leicht geöffneter Muttermund und eine Eröffnung der Fruchtblase notwendig sind, kam die Methode nur für die intrapartale Überwachung in Betracht. Substanzielle Arbeiten zur Entwicklung und klinischen Evaluation der Kardiotokographie sowie zur Abschätzung des fetalen Zustandes gehen u. a. auf Hammacher, Hon, Cadeyro-Barcia und Kubli zurück. Die bei Einführung der Kardiotokographie erwarteten Vorteile (kontinuierliche Aufzeichnung, einfache Handhabung, geringerer Personalbedarf) und apparative Verbesserungen führten sehr schnell zu einer allgemeinen Verbreitung dieser Methode, die heute ante- und intrapartal bei nahezu allen Schwangeren eingesetzt wird. Computerisierte CTG Registrierungen (Computer-CTG) erleichtern die Online-Auswertung und gestatten neben der Auswertemöglichkeit großer Datensätze den Einsatz von Alarmsystemen (Schiermeier et al. 2008). Die nur elektronisch und durch Computer-Algorithmen erfassbare Mikrofluktuation (»short term variation«; STV) und deren Analyse beruht auf den Arbeiten von Dawes et al. (1992). Diese Methode wird klinisch allerdings ausschließlich antepartal eingesetzt. Intrapartal hat die EKG-basierte Methode der ST-Streckenanalyse (STAN) ihren Stellenwert in der Asphyxiediagnostik bewiesen, erfordert aber das Anlegen einer Kopfschwartenelektrode (Amer-Wåhlin et al. 2005; Neilson 2009; Westerhuis et al. 2009). Ein weiteres, nur wenig invasives Verfahren der intrapartalen Überwachung ist die 1962 von Saling vorgestellte fetale Blutgasanalyse (FBA). Die FBA kommt insbesondere bei suspekten oder eindeutig pathologischen FHF-Mustern zum Einsatz und gibt Auskunft über den aktuellen Säure-Basen-Status des Kindes. Sie ist vielerorts ein fester Bestandteil der Geburtsüberwachung, sofern das CTG keine Rückversicherung für einen unbeeinträchtigten Fetus liefert.
33.2
Kardiotokographie (CTG)
Kardiotokographie (abgekürzt CTG) Der Begriff »Kardiotokographie« bezeichnet die simultane Registrierung der fetalen Herzfrequenz und der Wehentätigkeit. Ziel dieser Untersuchungsmethode ist die Erkennung fetaler Gefahrenzustände vor oder während der Geburt. Grundsätzlich gibt es 2 Ableitungsverfahren: die externe und die interne Kardiotokographie.
33.2.1
Technische Aspekte
Externes CTG Die externe CTG-Ableitung basiert auf der dopplersonographischen Messung der fetalen Herzfrequenz (FHF), bei der die Herzwand- bzw. Herzklappenbewegungen mit Hilfe eines Ultraschalltransducers erfasst und algorithmisch durch nachgeschaltete Elektronik in die Herzfrequenzkurve des CTG umgesetzt werden (. Abb. 33.1). Diese zeigt kontinuierlich die Schlag-zu-Schlag-Variabilität hochgerechnet auf Schläge pro Minute (SpM) an. Als physikalische Grundlage wird hierbei der Dopplereffekt genutzt: Dopplereffekt Trifft Ultraschall auf bewegte Oberflächen, ergibt sich eine Verschiebung der Schallfrequenz reflektierter Schallwellen. Diese Frequenzverschiebung (f ) ist abhängig von der Geschwindigkeit (v) des bewegten Objektes sowie proportional zum Cosinus des Einfallswinkels (α) der Schallwellen zur Objektoberfläche (f ~ v×cos α).
Im Körpergewebe (Schallgeschwindigkeit c etwa 1580 m/s) wird z. B. eine Grundschallfrequenz von 1 MHz um etwa 13 Hz verändert, sofern die Schallwellen durch ein Objekt mit einer exakt in Schallrichtung weisenden Oberflächenbewegung von v=1 cm/s reflektiert werden. Bei anderen Einfallswinkeln (α) ist die resultierende Frequenzverschiebung kleiner. Anhand der Frequenzverschiebung lässt sich die Geschwindigkeit der Herzbewegungen und damit die Herzfrequenz ermitteln. Handelsübliche Ultraschallmesseinrichtungen benutzen als Sender und Empfänger der Schallwellen Piezokristalle. Bei dem im Rahmen der Kardiotokographie angewandten PulsEcho-Verfahren werden die Piezokristalle in schnellem zyklischem Wechsel als Sender und Empfänger genutzt, wobei die Kristalle durch elektrische Impulse zur Emission von Ultraschallwellen angeregt werden. Nach einer definierten Wartezeit wird der reflektierte Ultraschall durch die über auftreffende Schallwellen in Schwingung versetzten Kristalle in elektrische Signale rückgewandelt. Im Kardiotokographiegerät werden die interessierenden Dopplersignalkomponenten der fetalen Herzfrequenz elektronisch herausgefiltert und mit Hilfe von Signalverarbeitungsalgorithmen interpretiert. Störsignale werden unterdrückt, das Eingangssignal dagegen verstärkt und in einen elektrischen Impuls umgesetzt (»Triggerung«).
33
726
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
a
33
b
. Abb. 33.1a, b. Intrapartales CTG. a Transabdominale Ultraschalldopplerregistrierung, b Ableitung des fetalen EKG über eine Skalpelektrode
Aus dem Zeitintervall zwischen 2 gemessenen Herzaktionen (=Periodendauer) kann fortlaufend die augenblickliche, instantane fetale Herzfrequenz berechnet werden: Fetale Herzfrequenz (FHF) FHF (fetale Herzfrequenz)=60 s/Periodendauer in Sekunden=Schläge pro Minute (SpM)
Für die geräteinterne Signalverarbeitung werden unterschiedliche Verfahren angewandt. Eine Möglichkeit besteht in der oben genannten Triggerung, wobei 2 Triggermechanismen unterschieden werden können: 4 Bei der Schwellenwerttriggerung wird ein FHF-Signal erst registriert, wenn ein definierter Schwellenwert, z. B. eine Schwellenspannung, erreicht wird. 4 Dagegen wird die Spitzentriggerung durch die größte Signalamplitude ausgelöst.
727 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Tab. 33.1. Methoden der CTG-Registrierung
Methode
Messparameter
Extern
Ultrasonokardiographie Phonokardiographie Abdominales EKG Externe Tokographie Externe Telemetrie
5 5 5 5 5
Intern
Skalpelektroden-EKG Interne Tokographie Interne Telemetrie
5 Ableitung des fetalen EKG über Kopfschwartenelektrode 5 Intrauterine Messung des Wehendruckes und -Verlaufs 5 Funkübertragung intern abgeleiteter CTG-Signale
Beide Verfahren können infolge der physiologischen FHFVariabilität zu Triggerunsicherheiten bezüglich der Signalerkennung führen. Hieraus resultiert eine breite Streuung der Herzfrequenzangabe, die als »jitter« (=Nervosität) bezeichnet wird und nicht mit der tatsächlichen FHF-Oszillation verwechselt werden darf. Bei neueren Kardiotokographiegeräten wird deshalb zur Verbesserung der kontinuierlichen CTG-Aufzeichnung die Autokorrelation genutzt. Hierbei wird jedes neu gewonnene Signal eines Herzschlages bzw. die daraus resultierenden Werte mit der statistischen Korrelation der über die Zeit analysierten Struktur der bereits aufgezeichneten und nachfolgenden Schlagsignale verglichen. Nur bei guter Übereinstimmung der neuen Messwerte mit dem Streubereich der anderen Signaldaten wird das Signal akzeptiert und als Triggerimpuls für die Herzfrequenzregistrierung genutzt. Der letzte Messwert wird z. B. für 3 s gehalten und als Bezugswert für die nächste Plausibilitätskontrolle herangezogen. In den modernsten Apparaten werden die Autokorrelationsmaxima selbst nochmals einer erneuten Prüfung unterzogen, da ein »jittering« bei alleiniger Triggerung dieser Maxima immer noch möglich wäre. Durch einen Autokorrelationsalgorithmus kann so sehr fehlerarm die Herzfrequenz registriert werden. Ein gewisser Nachteil dieser »Logik« liegt in der künstlichen »Glättung« der Kurve, da evtl. auch physiologisch auftretende größere Frequenzsprünge oder Arrhythmien/Extrasystolen nicht aufgezeichnet werden, und somit z. B. die registrierte Variabilität der FHF geringer als die tatsächliche sein kann. In diesen Fällen muss die Logik ausgeschaltet werden. Eine andere Fehlermöglichkeit besteht in der fälschlichen Registrierung des maternalen Pulses (Verwechslungen mit der fetalen Herzfrequenz wurden in Fällen mit intrauterinem Fruchttod beschrieben), weshalb primär immer der Mutterpuls zur Diskriminierung der fetalen Herzfrequenz festgehalten und in Zweifelsfällen die maternale Herzfrequenz kontinuierlich zusätzlich aufgezeichnet werden sollte. Zum Zwecke der kontinuierlichen FHF-Registrierung kann außerdem der Herzschall durch ein auf der Bauchdecke angebrachtes Mikrophon (Phonokardiographie) oder die Ableitung elektrischer Aktionspotenziale (Registrierung der genau definierten R-Zacke) über abdominale Klebeelektroden bzw. bei gesprungener Fruchtblase direkt über eine fetale
Aufzeichnung mit der Ultraschalldopplermethode Mikrophonaufzeichnung des Herzschalls Ableitung des fetalen EKG über die maternalen Bauchdecken Ableitung des Tokogramms über die maternalen Bauchdecken Funkübertragung extern abgeleiteter CTG-Signale
Skalpelektrode (Elektrokardiographie) verwendet werden (. Tab. 33.1). Da bei der abdominalen fetalen Elektrokardiographie Störungen durch maternale Muskelpotenziale auftreten können, ist dieses Verfahren zumindest während der Austreibungs- bzw. Pressperiode nicht geeignet. Diese Verfahren, insbesondere die Phonokardiographie, werden inzwischen zugunsten der Ultraschalldopplerregistrierung der FHF immer seltener eingesetzt.
Skalpelektroden-EKG, intern abgeleitetes CTG Spezielle Schraub- oder Clipelektroden werden für die direkte Ableitung des fetalen EKG am vorangehenden Teil, in der Regel also an der Kopfschwarte des Fetus, fixiert (. Abb. 33.1). Hierbei wird wie bei einer vaginalen Untersuchung der Kopf getastet und mittels einer röhrenförmigen Führungshilfe die noch völlig bedeckte Schraubelektrode über die tastenden Finger an die Kopfschwarte gebracht. Dann wird die Elektrode etwas vorgeschoben, sodass deren spiralig geformte Spitzen durch Drehung des Applikatorgriffes mit der freien Hand im Uhrzeigersinn sehr leicht an der Kopfhaut angebracht werden können. Als Alternative zu den Schraubelektroden können auch Clipelektroden verwendet werden. Die R-Zacken des EKG stellen das Rohsignal der elektronisch ermittelten Herzfrequenzkurve dar. Überlagerungen durch die immer miterfassten maternalen EKG-Potenziale lassen sich durch algorithmische Nachverarbeitung und Filterung bei der Aufzeichnung problemlos unterdrücken. Dem Nachteil einer grundsätzlich nötigen Eröffnung der Fruchtblase und einer theoretisch möglichen Infektion (<1%) bei ungenügender Asepsis steht die hohe Zuverlässigkeit und Exaktheit dieser Herzfrequenzregistrierung gegenüber, die auch bei unruhiger Patientin oder Lageveränderungen von Mutter oder Kind gewährleistet sind. Tipp Die Anwendung dieser Methode unter der Geburt ist stets zu empfehlen, sofern mit externen Verfahren keine lückenlose Aufzeichnung des CTG möglich ist oder zu viele Artefakte auftreten. Kontraindikationen für die interne CTG-Ableitung sind ernste maternale Infektionen, insbesondere durch HBV, HCV, HGV, HIV und HSV.
33
728
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
Mit zunehmender Verbesserung der externen Kardiotokographie und wegen des verständlichen Wunsches der Eltern, auf invasivere Maßnahmen zu verzichten, wird das direkte fetale EKG inzwischen nur noch bei etwa 9% aller Geburten eingesetzt (Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung 2008).
Ableitung uteriner Muskelpotenziale. Sie ermöglichen die
Telemetrie
Bei der inzwischen weitgehend verlassenen internen Tokographie erfolgt die Wehendruckmessung über einen nach Amniotomie oder spontanem Blasensprung intrakavitär gelegten wassergefüllten Schlauch. Das System muss jeweils vor dem Einsatz geeicht werden. Als Indikationen für dieses Verfahren galt früher die Geburt bei Zustand nach einer Sectio caesarea oder bei stimulierter Wehentätigkeit. Allerdings zeigt die klinische Praxis, dass in solchen Fällen eine adäquate Überwachung auch mit der externen Methode erfolgen kann. Die eher theoretischen Risiken der Methode liegen in der Verletzung von Plazenta oder Myometrium sowie der Einschleppung von Keimen. Bei regelrechtem Vorgehen sind diese Komplikationen selten.
Sowohl externe als auch interne CTG-Ableitungen können mit Hilfe spezieller Telemetrieeinheiten auch ohne Verbindungskabel über Funk von der Schwangeren zum Gerät übertragen werden (externe und interne Telemetrie). Gerade bei Langzeitüberwachungen oder falls die Gebärende möglichst große Mobilität wünscht, kann so der Fetus sicher und lückenlos überwacht werden.
Externe Tokographie
33
Die klinische Palpation von Uteruskontraktionen ist möglich, sofern der intraamniale Druck 20 mm Hg übersteigt. Allerdings lässt diese Methode nur eingeschränkt Rückschlüsse auf die Dauer, Frequenz und Intensität der Wehen zu. Eine exakte Zuordnung des Wehendruckmaximums (Wehenakme) zu bestimmten fetalen Herzfrequenzmustern oder eine aussagekräftige Beurteilung des uterinen Basaltonus ist dagegen kaum möglich. Die Aufzeichnung der Wehentätigkeit über elektromechanische »Tokodynamometer« ermöglicht insbesondere eine genauere zeitliche Analyse der unmittelbar wehensynchron auftretenden FHF-Muster. Hierbei wird ein Wehenaufnehmer mit einem Gurt oder Bauchstrumpf möglichst in der Nähe des Fundus uteri auf dem Abdomen fixiert. Dieser überträgt mithilfe eines Taststifts die wehenvermittelten Hubänderungen nach Umwandlung in elektrische Signale an ein Messgerät, das die Werte für die simultan zur Herzfrequenz ausgedruckte Wehendruckkurve ausgibt. Die externe Tokographie zeigt letztlich jedoch nur die über die Bauchdecken vermittelte Änderung der Wandspannung und -dicke an. Darüber können Rückschlüsse auf die Wehenfrequenz, die Wehendauer und -form, die relative Wehenstärke sowie die zeitliche Beziehung wehenbedingter Änderungen der Herzfrequenz in Bezug zu den Uteruskontraktionen gezogen werden. Die Bestimmung von absoluten intrauterinen Druckverhältnissen inklusive des uterinen Basaltonus und der echten Wehenamplitude ist im Gegensatz zur internen Registrierung mit diesem Verfahren nicht möglich. Die Qualität der externen Wehenaufzeichnung wird v. a. durch die korrekte Platzierung des Transducers und die Dicke der maternalen Bauchdecken bestimmt. Unter experimentellen Bedingungen wurden vereinzelt 4-Kanal-Systeme für die externe Kardiotokographie eingesetzt, die die Ausbreitung der Uteruskontraktionen und deren Entstehungsort über 4 auf dem Abdomen verteilte Tokotransducer wiedergeben. Die nur bis zum Prototypenstadium entwickelten Systeme eignen sich aufgrund des apparativen Aufwandes eher für perinatalphysiologische Untersuchungen. Ebenfalls neu, allerdings noch im Entwicklungsstadium, sind Systeme zur transabdominalen elektromyographischen
Evaluierung der Uteruskontraktilität vor und während der Geburt. Unter Anwendung neuronaler Netzwerke scheint eine Mustererkennung bezüglich zervixwirksamer Wehen möglich (Manner u. Garfield et al. 2007).
Interne Tokographie
33.2.2
Grundbegriffe der Kardiotokographie
Herzfrequenzregistrierung Unter physiologischen Bedingungen werden die Intervalle zwischen den Herzzyklen durch vagale und sympathische Einflüsse ständig variiert (längere Periodendauer → Abfall, kürzere Periodendauer → Zunahme der instantanen FHF). Dies bedingt u. a. die Variabilität der FHF, aus der bei graphischer Darstellung der Herzfrequenzkurve Schwingungen um einen Mittelwert resultieren. Für die Beurteilung der fetalen Herzfrequenzregistrierung wurden Konventionen und Normwerte definiert (FIGO 1987; DGGG Leitlinie in Schneider et al. 2008; . Tab. 33.2).
Langfristige fetale Herzfrequenzalterationen Die Grundfrequenz (Basalfrequenz=Baseline) entspricht der mittleren, über einen Zeitraum von mindestens 10 min beobachteten Herzfrequenz ohne Berücksichtigung von Akzelerationen oder Dezelerationen (s. unten). Die normale Grundfrequenz (Normokardie) liegt zwischen 110 SpM und 150 SpM (neuere Daten der Normalverteilung der FHF empfehlen für Registrierungen am Termin 115–160 SpM; DGGGLeitlinie in Schneider et al. 2008), bei fetaler Unreife eher im oberen Bereich dieser Streubreite. Ein Anstieg der Frequenz auf über 150 SpM für mehr als 10 min wird als Tachykardie, ein Abfall der Basalfrequenz auf unter 110 SpM für mehr als 3 min als Bradykardie bezeichnet (. Abb. 33.2). Tritt im Endstadium einer fetalen Zustandsverschlechterung eine dauerhafte Bradykardie auf, so wird diese als terminale Bradykardie bezeichnet.
Mittelfristige fetale Herzfrequenzalterationen Ausgehend von der zugrunde liegenden Basalfrequenz kann es zu folgenden mittelfristigen Änderungen der fetalen Herzfrequenz kommen:
729 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Tab. 33.2. Grundbegriffe der CTG-Beurteilung und deren Definition
Veränderungen der fetalen Herzfrequenz
Kennzeichen
Langfristige FHF-Veränderungen Baseline=Basalfrequenz=Grundfrequenz
Mittelwert der FHF ≥10 min (. Abb. 33.2)
Floatingline
Langfristige Oszillationsmittellinie
Normokardie
Normale Grundfrequenz (110–150 SpM) (. Abb. 33.2.)
Tachykardie
Anstieg der Grundfrequenz >150 SpM für >10 min
5 Leichte Tachykardie 151–170 SpM 5 Schwere Tachykardie >170 SpM Bradykardie
Abnahme der Grundfrequenz <110 SpM für >3 min
5 Leichte Bradykardie 100–109 SpM 5 Schwere Bradykardie <100 SpM
Mittelfristige FHF-Veränderungen Akzeleration
FHF-Beschleunigung ≥15 SpM oder >1/2 Bandbreite, ≥15 s ≤10 min (. Abb. 33.3)
Dezeleration
FHF-Abnahme ≥15 SpM oder >1/2 Bandbreite, ≥10 s ≤3 min
5 Leichte Dezeleration
≤30 SpM, ≤30 s
5 Mittelschwere Dezeleration
31–60 SpM, ≤60 s
5 Schwere Dezeleration
>60 SpM, >60 s
DIP 0 (Spikes)
Kurzfristige FHF-Abnahme <30 s
Kurzfristige FHF-Veränderungen Fluktuation=Oszillation
Schwingungen der FHF-Kurve um die Baseline
5 Gipfelpunkte
Umkehrpunkte
5 Nulldurchgänge
Schnittpunkte mit der Floatingline
Oszillationsamplitude=Bandbreite
Maximalausschlag (Minimum bis Maximum) pro Zeiteinheit
Oszillationsfrequenz
Frequenz der Schwingungen um die Floatingline=1/2 Anzahl der Nulldurchgänge oder Zahl der Gipfelpunkte
Makrofluktuation = Langzeitfluktuation
Variation der Oszillationsfrequenz und Oszillationsamplitude
Mikrofluktuation = Kurzzeitfluktuation = Irregularität
Schlag-zu-Schlag-Variabilität
Modifiziert nach Angaben von FIGO, RCOG, DGGG.
4 Akzeleration der FHF: Beschleunigung mit anschließend vergleichbar schnellem Abfall zurück zur Basalfrequenz (Amplitude ≥15 SpM bzw. >1/2 Bandbreite, Dauer ≥15 s ≤ 10 min. 4 Dezeleration der FHF: Verlangsamung mit anschließender Rückkehr zur Basalfrequenz (Amplitude ≥15 SpM bzw. >1/2 Bandbreite, Dauer ≥10 s ≤3 min; . Abb. 33.3). Je nach Ausmaß der Dezelerationen differenziert man: 5 leichte Dezelerationen (Amplitude ≤30 SpM, Dauer ≤30 s),
5 mittelschwere Dezelerationen (Amplitude 31–60 SpM, Dauer ≤60 s), 5 schwere Dezelerationen (Amplitude >60 SpM, Dauer >60 s). Eine Sonderform der schweren Dezelerationen ist die prolongierte Dezeleration, die 1–3 min anhält und fließend in eine andauernde Bradykardie übergehen kann. Sie hat meist die Form einer Wanne und ist nahezu immer einem auslösenden Ereignis wie z. B. einer Dauerkontraktion, einem V.-cava-
33
730
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
. Abb. 33.2. Langfristige FHF-Veränderungen: fetale Herzfrequenz und Frequenzanomalien
33
. Abb. 33.3. Mittelfristige FHF-Veränderungen und deren Beziehung zur Grundfrequenz
Okklusionssyndrom oder einem maternalen Blutdruckabfall zuzuordnen. Mischformen verschiedener Dezelerationstypen mit sehr variabler Form finden sich in bis zu 15% der Fälle (nicht klassifizierbare Dezelerationen). Definition Ein kurzer und steiler Abfall der FHF von weniger als 30 s mit ebenso steilem Wiederanstieg, meist verursacht durch kurze Nabelschnurkompression bei starken Kindsbewegungen, wird als DIP 0 oder Spike bezeichnet.
Von besonderer Bedeutung für die Evaluation von FHF-Dezelerationen ist deren zeitliche Beziehung zur Wehenakme (. Abb. 33.4): 4 Frühe Dezelerationen (DIP I) sind durch das periodisch wiederkehrende, zeitlich synchrone Zusammentreffen des tiefsten Punktes der Dezeleration mit der Wehenakme gekennzeichnet. Beide Kurven verlaufen etwa spiegelbildlich.
4 Späte Dezelerationen (DIP II) verlaufen dagegen zeitlich
versetzt, d. h. mit einer Zeitverschiebung von 20–90 s zum Wehendruckmaximum. Diese periodisch wiederkehrenden Dezelerationen beginnen meist während der Wehenakme. 4 Variable Dezelerationen weisen sowohl in ihrer Beziehung zur Wehe als auch hinsichtlich ihrer Form ein wechselndes Bild auf und beginnen i. d. R. mit einem steilen Frequenzabfall. 4 Atypische variable Dezelerationen sind Sonderformen variabler Dezelerationen mit einem der zusätzlichen Merkmale: 5 Verlust des primären bzw. sekundären FHF-Anstiegs, 5 langsame Rückkehr zur Grundfrequenz und der Dezeleration, 5 verlängerte erhöhte Grundfrequenz nach der Dezeleration, 5 biphasische Dezeleration, 5 Oszillationsverlust während der Dezeleration, 5 niedrigere Grundfrequenz nach der Dezeleration.
731 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Abb. 33.4. Dezelerationstypen der FHF und deren Beziehung zur Wehentätigkeit
. Abb. 33.5. Langfristige FHF-Veränderungen: Bestimmung der »Baseline« und »Floatingline« (zur Veranschaulichung versetzt dargestellt)
Abhängig von ihrer Ursache können auch FHF-Akzelerationen weiter differenziert werden: 4 Sporadische Akzelerationen sind bei unauffälligen Schwangerschaften weitaus am häufigsten. Sie werden durch fetale Körper- und Extremitätenbewegungen ausgelöst, die entweder Folge der spontanen Aktivität des Fetus oder externer Stimulationen durch den Untersucher sein können. 4 Periodische Akzelerationen sind durch regelmäßige Wiederkehr im Zusammenhang mit mindestens 3 konsekutiven Wehen charakterisiert. Ihre Form ist variabel, entweder spiegelbildlich zur Wehe, mit steilem Anstieg und Abfall, oder kombiniert mit einer Dezeleration.
Kurzfristige fetale Herzfrequenzalterationen Ferner können die auskultatorisch nicht erfassbaren kurzfristigen Änderungen der FHF beurteilt werden, die für die Abschätzung des fetalen Oxygenierungsstatus besonders bedeutend sind. Im Gegensatz zur Baseline schließt die Floatingline bei kontinuierlicher Aufzeichnung als virtuelle Mittellinie alle lang-, mittel- und kurzfristigen Herzfrequenzalterationen ein (. Abb. 33.5).
Als Oszillation oder Fluktuation werden die graphisch dargestellten Schwingungen infolge der kurzfristigen FHFSchwankungen bezeichnet, wobei Gipfelpunkte (Umkehrpunkte), Nulldurchgänge (Schnittpunkte mit der Floatingline) und die Bandbreite bestimmt werden können. Die Frequenz der Schwingungen um die Floatingline wird als Oszillationsfrequenz bezeichnet, deren Maximalausschlag pro Zeiteinheit als Oszillationsamplitude (=Bandbreite = Amplitudenabstand der höchsten und niedrigsten Umkehrpunkte). Aus diesen über die Zeit bestimmbaren Veränderungen des Oszillationsmusters ergibt sich die Langzeitfluktuation (Makrofluktuation). Dagegen wird die echte Schlag-zu-Schlag-Variabilität (»beat-to-beat-variability«) als Irregularität oder Kurzzeitfluktuation (Mikrofluktuation) bezeichnet. Die Oszillationsfrequenz (Makrofluktuation) liegt bei 2–6 Oszillationen pro min und lässt sich durch Auszählen der Gipfelpunkte (2–6) oder Nulldurchgänge (5–13) bestimmen (. Abb. 33.6). Werden zur Bestimmung der Oszillationsfrequenz Nulldurchgänge gezählt, so muss deren Anzahl durch 2 geteilt werden. Ein weiteres Beurteilungskriterium ist die Oszillationsamplitude (Bandbreite):
33
732
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
. Abb. 33.6. Definition kurzfristiger FHF-Veränderungen
33 . Abb. 33.7. Oszillationsmuster der fetalen Herzfrequenz
4 Das saltatorische Oszillationsmuster umfasst Frequenzverläufe mit sehr großer Amplitude (>25 SpM), 4 das undulatorische ist sehr variabel mit Amplitudensprüngen zwischen 10 SpM und 25 SpM, 4 das eingeengt undulatorische zeigt Maximalausschläge zwischen 5 SpM und 10 SpM, und 4 silente Verläufe haben eine Bandbreite von höchstens 5 SpM (. Abb. 33.7).
Wehenregistrierung Uteruskontraktionen treten nicht nur im Zusammenhang mit dem Geburtsereignis, sondern bereits im Verlauf der Schwangerschaft in Erscheinung. Jede Kontraktion kann prinzipiell den fetalen Oxygenierungsstatus beeinflussen und muss im Rahmen der Kardiotokographie diesbezüglich bewertet werden. Außer regelrechten Geburtswehen lassen sich AlvarezWellen und Braxton-Hicks-Kontraktionen unterscheiden. Alvarez-Wellen Als Alvarez-Wellen bezeichnet man das tokographische Bild kleiner und unregelmäßiger Uteruskontraktionen, die aus lokalen Muskelverkürzungen resultieren. Sie sind etwa ab der 20. SSW zu beobachten, haben eine geringe Amplitude und treten in Abständen von etwa 1 min auf (. Abb. 33.8).
Gegen Ende der Schwangerschaft kommt es zu einer Abnahme ihrer Häufigkeit auf 4–5/10 min und zu einer Zunahme ihrer Intensität auf etwa 10 mm Hg (Goeschen u. Koepke 2003). In der vorgeburtlichen Situation korreliert das gehäufte Auftreten dieses Kontraktionstyps mit einer erhöhten Wehenbereitschaft (drohende Frühgeburt, 7 Kap. 24). Braxton-Hicks-Kontraktionen Jenseits von 20 SSW und mit steigendem Gestationsalter »konfluieren« lokale Muskelkontraktionen immer häufiger zu Braxton-Hicks-Kontraktionen mit einer Amplitude von 10–15 mm Hg, denen häufig eine längere Kontraktionspause folgt (. Abb. 33.8).
Im Gegensatz zu Alvarez-Wellen dehnen sich BraxtonHicks-Kontraktionen auf größere Regionen der Uterusmuskulatur aus. Ihre Frequenz ist niedrig (etwa 1–3 Kontraktionen/h). Nach 30 SSW ist eine Zunahme ihrer Frequenz und Amplitude auf bis zu 5/h physiologisch (früher als »Vor-« oder »Senkwehen« bezeichnet). In den letzten Wochen vor der Geburt erfassen diese Kontraktionen den ganzen Uterus (Reifungswehen) und erreichen allmählich Druckamplituden wie in der frühen Eröffnungsperiode (Eröffnungswehen).
733 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Abb. 33.8. Tokogramm mit verschiedenen Formen von Uteruskontraktionen sowie »Spikes« im Tokogramm bei heftigen Kindsbewegungen
. Abb. 33.9. Wehentypen. Typ I: langsamer Druckanstieg und nach Erreichen des Druckmaximums (Wehenakme) steiler Druckabfall; Typ II: langsamer Druckanstieg und nahezu spiegelbildlicher Druck-
abfall; Typ III: schneller Druckanstieg und langsamer Druckabfall. (Nach Baumgarten 1966)
Im Falle lebhafter Kindsbewegungen finden sich bei der externen Tokographie unabhängig von Uteruskontraktionen häufig Spikes (Abb. 33.8). Diese entsprechen starken Arm-, Bein- oder Körperbewegungen, die über den Uterus und die maternale Bauchdecke an das Tokodynamometer vermittelt werden. Für die intrapartale CTG-Überwachung und das Geburtsmanagement ist die Beurteilung der Wehentätigkeit unabdingbar. Hierbei werden qualitative und quantitative Kriterien unterschieden. 4 Zu Beginn der Geburt weisen die Geburtswehen häufiger (80%) einen langsamen Druckanstieg und nach Erreichen des Druckmaximums (Wehenakme) einen steilen Druckabfall auf (Wehentyp I nach Baumgarten (. Abb. 33.9). Dieser Wehentyp ist in der Austreibungsperiode selten. 4 Bei knapp 1/3 der Wehen verlaufen der Druckanstieg und -abfall nahezu spiegelbildlich (Wehentyp II), wobei dieses Muster vorzugsweise zwischen früher und später Eröffnungsperiode auftritt. 4 Zum eigentlichen Geburtsfortschritt scheinen besonders Wehen mit schnellem Druckanstieg und langsamem -abfall beizutragen (Wehentyp III). Im Laufe der Geburt
steigt der Anteil solcher Uteruskontraktionen auf über 90% an. 4 Ferner hat sich gezeigt, dass unter physiologischen Bedingungen die meisten und v. a. effektivsten Wehen vom rechten oberen Segment des Uterus ausgehen. Sie breiten sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2 cm/s über das Corpus und den Isthmus uteri bis hin zur Zervix aus. Im weiteren Sinne zählt zu den qualitativen Kriterien der Wehentätigkeit auch deren Koordination. Während bei Geburtsbeginn die Wehen häufig noch unregelmäßig sind, ist ein Merkmal für einen normalen Geburtsverlauf das Auftreten regelmäßiger Geburtswehen, die von der frühen Eröffnungsperiode bis zum Geburtsende i. d. R. an Stärke und Frequenz zunehmen. > Ein besonderes Charakteristikum koordinierter Wehentätigkeit ist der vom Fundus uteri bis zur Zervix 3-fach absteigende Gradient (»tripple descending gradient«):
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33
734
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
1. Absteigende Erregungsausbreitung (Richtung: vom Fundus uteri zur Zervix), 2. abnehmende Dauer der Muskelkontraktion (Dauer: Fundus > Isthmus > Zervix), 3. abnehmende Wehenintensität (Stärke: Fundus > Isthmus > Zervix). Daraus kann umgekehrt geschlossen werden, dass der beste Registrierort der Fundusbereich des Uterus ist, da von dort die besten (kräftigsten) Tokogrammsignale abgeleitet werden können!
In der Summe führen diese Mechanismen zu einer eingipfeligen Wehenkurve bei fundaler Dominanz. Obwohl die Wehe im Fundusbereich entsteht und die Verzögerungszeit bis zur Ausbreitung der »Erregungswelle« auf den Zervixbereich überbrückt werden muss, resultiert so eine gleichmäßige und koordinierte Muskelspannung. > Eine gute Geburtsüberwachung erfordert insbesondere eine fortlaufende Beurteilung der Uterusmotilität, da die hierdurch bedingte Oxygenierungeinschränkung unmittelbaren Einfluss auf die FHF haben kann.
33
Jede Uteruskontraktion kann eine vorübergehende Verminderung oder sogar Unterbrechung der uteroplazentaren Zirkulation verursachen (Störung des maternalen Blutzu- und abflusses zum intervillösen Raum). Zwischen Beginn der Eröffnungsperiode (EP) und dem Geburtsende (Presswehen) nimmt die Wehentätigkeit kontinuierlich zu. Dabei steigt die Druckamplitude von etwa 25 mm Hg auf durchschnittlich 50 mm Hg in der späten Eröffnungsperiode, 60 mm Hg in der Austreibungsperiode und bis zu mehr als 100 mm Hg während der Presswehen an (nur bei interner Tokographie beurteilbar!). Unter klinischen Gesichtspunkten ist die Überwachung der Wehenfrequenz allerdings weit wichtiger. Diese steigt analog zur Druckamplitude von 3 Wehen pro 10 min (frühe EP) auf 4 pro 10 min (späte EP) bzw. in der Austreibungsperiode (AP) auf bis zu 5 Wehen pro 10 min an. Wenngleich dies nur Richtwerte sind, die individuell variieren können, erfordert eine uterine Hyperaktivität im Sinne einer spontanen Polysystolie (Frequenz >5 Wehen pro 10 min; Verspyck u. Sentilhes 2008) zumindest dann Gegenmaßnahmen (Bolusoder Basistokolyse, 7 Kap. 33.6.1), wenn im CTG Zeichen einer fetalen Belastung vorhanden sind. Bei längerem Anhalten dieses Zustands ist infolge zu kurzer Erholungspausen des Kindes mit einer fetalen Hypoxämie und konsekutiven Azidose zu rechnen. Tritt eine Polysystolie nach Wehenstimulation auf, so ist primär die Dosis zu reduzieren oder die Applikation zu unterbrechen bzw., falls dies nicht ausreicht, eine Tokolyse zu verabreichen. Grundsätzlich müssen bei solcher Wehentätigkeit der fetale Zustand und die Reserven des Kindes äußerst kritisch abgeschätzt werden.
Studienbox Nach Auffassung eines FIGO-Expertenkomitees (Gardosi 1995) kann sogar bereits bei einer länger bestehenden Wehenfrequenz von >4 Wehen pro 10 min eine Gefährdung des Kindes nicht ausgeschlossen werden. Von ähnlicher Relevanz für die uteroplazentare Perfusion und fetale Oxygenierung ist die Dauer der einzelnen Wehen. Die plazentare und fetale Reservekapazität reicht unter normalen Bedingungen aus, um eine Wehe von 60– 120 s zu kompensieren (Eskes 1993; Verspyck u. Sentilhes 2008).
Die Wehendauer nimmt im Geburtsverlauf zu. Man unterscheidet kurze Wehen (<20 s) und lange Wehen (>45 s). Die physiologische Kontraktionsdauer liegt bei 20–60 s. Individuelle Abweichungen bis zu einer Dauer von 90–100 s sind möglich. Grundsätzlich sollte das Verhältnis von Uteruskontraktionsarbeit (Wehenfläche) zu Uterusentspannung (Ruhefläche) mindestens 1:2 betragen. Für die fetale Versorgung sind v. a. zu lange Wehen kritisch, die als Dauerkontraktion (>3 min) mehrere Minuten anhalten können (. Abb. 33.4). Falls der Fetus erkennbare Zeichen einer Sauerstoffdeprivation (Bradykardie, Dezeleration) zeigt, ist die umgehende Durchführung einer Bolustokolyse erforderlich. Schließlich umfasst die quantitative Beurteilung der Uterusmotilität noch den Basaltonus. Dieser auch in den Wehenpausen bestehende uterine Grundtonus beträgt antepartal etwa 6 mm Hg und steigt unter der Geburt normalerweise auf 10–15 mm Hg an. Caldeyro-Barcia entwickelte 1957 als Maß für die Uterusmotilität die »Montevideo-Einheit« (ME), das Produkt aus Wehenfrequenz (Anzahl pro 10 min) und -intensität (mittlere Kontraktionsamplitude in mm Hg). In der klinischen Routine wird dieses Maß heute kaum noch genutzt.
33.2.3
CTG-Beurteilung
Physiologie der fetalen Herz-KreislaufRegulation Herzfrequenz Aufgrund der in den letzten 15 Jahren v. a. im Bereich der Neugeborenenintensivmedizin erzielten Verbesserungen hat sich das Konzept des geburtshilflichen Vorgehens deutlich gewandelt. Zumindest in Perinatalzentren wird bei entsprechender Indikation (z. B. extreme Frühgeburt) bereits nach Vollendung von 24 SSW und damit prinzipiell gegebener Lebensfähigkeit des Kindes aktiv interveniert (7 Kap. 24 und 27). Die geburtshilfliche Intensivüberwachung erfolgt in diesen Fällen zwar analog zu Risikogeburten nahe am Geburtstermin, eine suffiziente Beurteilung des fetalen Zustandes setzt jedoch die Kenntnis der dem Reifegrad der Kinder entsprechenden physiologischen Herzfrequenzmuster voraus. Die fetale Herzfrequenz unterliegt zahlreichen Einflussgrößen (. Abb. 33.10), deren Kenntnis und Berücksichti-
735 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Abb. 33.10. Endogene und exogene Einflüsse auf die fetale Herzfrequenz
gung für eine adäquate CTG-Beurteilung wichtig ist. Auf maternaler Seite sind v. a. die Lage und Belastungssituation (Rückenlage, Seitenlage, Stehen, körperliche Belastung, Fieber, Wehen; 7 Kap. 30) sowie evtl. applizierte Pharmaka wie Opioide, Benzodiazepine, Barbiturate, β-Sympathomimetika, βBlocker, Kortikosteroide, Magnesiumsulfat, Anästhetika) wichtig. Seitens des Kindes kommen dem Gestationsalter, der fetalen Bewegungsaktivität, v. a. aber den fetalen Verhaltenszuständen besondere Bedeutung zu. Das Herz des Embryos beginnt am 21. Tag nach der Konzeption zu schlagen. Mit 5–6 SSW sind embryonale Herzaktionen relativ langsam. Die basale FHF liegt zu diesem Zeitpunkt noch bei etwa 120 SpM, steigt dann allerdings bis zur 9. SSW auf über 170 SpM an. Bis zur 15. SSW kommt es zu einer rapiden (etwa 150 SpM), dann langsamen Abnahme der FHF, die gegen Ende der Gravidität meist zwischen 120 SpM und 140 SpM liegt (Gnirs 1995). Kommt es im 1. Trimenon zu einer Verlangsamung der FHF, ist mit einem höheren Abortrisiko zu rechnen (Hamela-Olkowska et al. 2009). Die Oszillationsamplitude der FHF nimmt im Verlauf der Schwangerschaft zu und erreicht ihr Maximum am Geburtstermin. > Im 3. Trimenon ist ein undulatorisches Oszillationsmuster (10–25 SpM), das letztlich die Anpassungsfähigkeit des fetalen Herzens an die unterschiedlichen Leistungsanforderungen beweist, ohne Einschränkung als physiologisch zu erachten.
Die bei der FHF-Registrierung zu beobachtende schrittweise Anpassung an die Kreislaufbelastung und die damit wechselnden Blutverteilungsmuster führen zu zentralnervös induzierten Frequenzänderungen von Herzschlag zu Herzschlag. Diese werden unter physiologischen Bedingungen von fetalen Atemexkursionen, Körperbewegungen und den fetalen Verhaltenszuständen sowie dem autonomen Nervensystem beeinflusst. Überlagerungseffekte durch kortikale Zentren und den Hirnstamm sind wahrscheinlich, jedoch noch nicht aus-
reichend untersucht. Allerdings konnte eine Abnahme der Kurz- und Langzeitvariabilität bei Applikation zentral sedierender Medikamente (z. B. Morphinderivate, Magnesium) bzw. auch nach Kortisongabe nachgewiesen werden. Auch ein bei fetaler Hypoxämie auftretender fetaler Blutdruckabfall führt meist zur Steigerung der FHF und Abnahme der Oszillationsamplitude. Die Dauer und Amplitude sporadischer Herzfrequenzakzelerationen steigt ebenfalls bis zum Ende der Schwangerschaft langsam an, wobei die Akzelerationen zunächst häufig nur Amplituden um 10 SpM und eine Dauer von 10 s erreichen. Eine Assoziation mit fetaler Bewegungsaktivität ist bereits mit etwa 24 SSW deutlich erkennbar. Die Koppelung von FHF-Akzelerationen mit fetalen Körperbewegungen sowie das Ausmaß solcher FHF-Alterationen nehmen im weiteren Schwangerschaftsverlauf deutlich zu und sind im letzten Trimenon besonders stark ausgeprägt (Gnirs u. Schneider 1996; Serra et al. 2009). Bei gesunden Feten und selbst bei Risikoschwangerschaften (z. B. mit fetaler Wachstumsrestriktion) werden Akzelerationen in 90–95% der Fälle durch Kindsbewegungen ausgelöst (Gnirs 1995). > Sporadische Akzelerationen gelten als prognostisch günstig, da sie eine physiologische (sympathikotone) Reaktion darstellen, die aufgrund der spontanen Bewegungsaktivität des Fetus zustande kommt und auf eine intakte Adaptation an endogene oder exogene (stimulierte) Belastungen schließen lässt.
Adäquate Bewegungsmuster und damit assoziierte »reaktive« FHF-Muster finden sich i. d. R. bei noch ausreichend kompensierten Kindern. Dagegen tritt bei fetal distress eine »Ökonomisierung« des Energie- und Sauerstoffangebots im Sinne verkürzter und abgeschwächter Kindsbewegungen auf, die in vielen Fällen zu einem Verlust der FHF-Reaktivität, d. h. zum Verschwinden von Akzelerationen führt (. Abb. 33.11). Die Anzahl der Akzelerationen erreicht ihren Höhepunkt gegen
33
736
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
9 . Abb. 33.11. Ausschnitt eines Kinetokardiotokogramms bei pathologischem Geburtsverlauf in der Eröffnungsperiode (Geminigravidität, 37+3 SSW). Passagere Hypoxämie des ersten Zwillings infolge pathologischer Wehentätigkeit: Initial reaktives CTG-Muster mit lange anhaltenden Kindsbewegungen im fetalen Bewegungsprofil. Nach Einwirken der Noxe (Dauerkontraktion) schwere Dezeleration mit langsamem Wiederanstieg der FHF und Oszillationsverlust unter Bolustokolyse (Pfeil). Gleichzeitig signifikante Verminderung und langanhaltende Verkürzung fetaler Bewegungen (»Ökonomisierung« der fetalen O2-Reserve). Nach Beseitigung der uteroplazentaren Perfusionsstörung langsame Erholung des Fetus mit Normalisierung der Bewegungsaktivität und Wiederkehr der hiermit assoziierten FHFAkzelerationen
Ende der Schwangerschaft. Mit 20 SSW weisen maximal 50% der Registrierungen Akzelerationen auf, während dieser Anteil zu Beginn des 3. Trimenon auf etwa 75% ansteigt. Dezelerationen finden sich auch unter physiologischen Bedingungen bei den meisten unreifen Feten (20–30 SSW) und werden im Verlauf der Schwangerschaft immer seltener. Nach 30 SSW liegt das Verhältnis von Akzelerationen zu Dezelerationen bei 3:1.
Fetale Verhaltenszustände
33
Fetale Verhaltenszustände sind durch periodisch wiederkehrende und in sich stabile Verlaufsmuster verschiedener biophysikalischer Parameter (fetale Bewegungsaktivität, FHF) charakterisiert (Nijhuis et al. 1982). In etwa 80% der Registrierungen nahe am Geburtstermin finden sich als Hinweis auf die zentralnervöse Ausreifung und neuromotorische Integrität des Fetus eindeutig klassifizierbare Verhaltenszustände (Gnirs u. Schneider 1996; . Abb. 30.6).
Bedeutung fetaler Verhaltenszustände für die CTG-Beurteilung Fetale Tiefschlafperioden (1F) sind durch eine eingeengte bis silente Oszillationsamplitude charakterisiert. Damit weisen sie große Ähnlichkeit mit den FHF-Mustern auf, die bei einer fetalen Hypoxie oder Asphyxie beobachtet werden können. Da solche Zustände im Mittel 10–40 min (Median 20 min), in Einzelfällen sogar bis zu 90 min andauern können, führt deren Auftreten v. a. unter der Geburt gelegentlich zu Interpretationsproblemen. Auch fetale Aktiv-wach-Zustände gehen häufig mit eher suspekten FHF-Variationen (Tachykardie, sehr lange Akzelerationen, saltatorische Muster) einher, die allerdings in der Regel aufgrund sehr heftiger und lange andauernder Kindsbewegungen identifizierbar sind. Grundsätzlich zeigen reife Feten auch unter der Geburt wechselnde Verhaltenszustände, die mit entsprechendem Untersuchungsaufwand differenziert werden können (Griffin et al. 1985, in Gnirs u. Schneider 1996; Boito et al. 2004). Mit fortschreitendem Geburtsbefund – insbesondere in der Austreibungsperiode – werden die zugehörigen FHF-Muster allerdings in zunehmendem Maße von den unmittelbaren Einflüssen durch die Wehentätigkeit und geburtshilfliche Maßnahmen (Untersuchungen, FBA, Pharmaka) überlagert.
737 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
Pathophysiologie der fetalen Herz-KreislaufRegulation Bradykardie Neben den vergleichsweise seltenen fetalen Herzvitien und Rhythmusstörungen (AV-Block) sind die häufigsten Ursachen für eine fetale Bradykardie: länger dauernde Nabelschnurkompressionen, ein gestörter Gasaustausch in der Plazenta, ein V.-cava-Syndrom, Dauerkontraktionen, eine (mittlerweile obsolete) Parazervikalblockade oder – post festum – eine bereits persistierende kindliche Azidose. ! Damit wird verständlich, warum eine Bradykardie von mehr als 15 min fast zwangsläufig zu einer metabolischen Azidose des Fetus führen muss. Diese Zeitspanne sollte auch bei guten fetalen Reserven nicht überschritten werden; bei bereits zuvor nachgewiesener Präazidose oder Azidose sollte spätestens nach 5 min entbunden werden.
Gleiches gilt, sofern es während der Bradykardie innerhalb von 3 min zu einem Oszillationsverlust der FHF kommt, oder dieser für mehr als 4 min anhält, da dann das Azidoserisiko besonders hoch ist (Gull et al. 1996; Martin 2008). Ziel des geburtshilflichen Vorgehens muss jedoch zunächst die möglichst umgehende Beseitigung der Ursache des Frequenzabfalls sein (Zeitfaktor! 7 Kap. 33.6.1). > Pro Minute einer schweren (terminalen) Bradykardie fällt der Blut-pH-Wert um etwa 0,006 Einheiten ab (Römer u. Fritz 1989)!
Tachykardie Eine Tachykardie kann außer im Rahmen der physiologischen fetalen Aktivität u. a. durch maternale Faktoren wie Hypotonie, Azidose (maternal), Fieber (Cave: Amnioninfektionssyndrom) und insbesondere β-Sympathomimetika oder Atropin bedingt sein. Im Regelfall ist das Kind unter diesen Bedingungen, die eher mit einer leichten Tachykardie bis 170 SpM einhergehen, nicht unmittelbar gefährdet. Als Manifestation pathophysiologischer Mechanismen ist die Tachykardie auf kindlicher Seite v. a. dann prognostisch ungünstig, wenn sie durch eine schwere fetale Anämie, eine intrauterine Infektion oder eine fetale Hypoxämie/Azidose verursacht wird. In diesen Fällen kann die FHF auf mehr als 180 SpM ansteigen. Wie bei allen prognostisch ungünstigen Herzfrequenzveränderungen zeigt ein zusätzlicher Oszillationsverlust (eingeengtes oder silentes CTG-Muster) eine gravierende Gefährdung an. > Eine Tachykardie von mehr als 200 SpM ist meist bei fetalen Arrhythmien zu beobachten (z. B. supraventrikuläre Tachykardie) und sollte bereits in der antepartalen Situation therapiert werden.
Das geburtshilfliche Vorgehen hat sich nach der Ursache der Tachykardie zu richten. Pharmakologisch vermittelte FHFBeschleunigungen, z. B. nach Bolus-/Basistokolyse mit βSympathomimetika, können selbst über Stunden hinweg toleriert werden, sofern andere Ursachen ausgeschlossen wurden.
Tritt allerdings bei gleichzeitiger Anwendung von β-Rezeptorenblockern eine fetale Hypoxämie hinzu, so kann die β-Blockade zur Beeinträchtigung der für den Fall eines Sauerstoffdefizits erforderlichen fetalen Kreislaufzentralisation und Glukosemobilisation führen! Maternales Fieber erfordert eine kausale oder bei viralen Infektionen eine symptomatische Therapie. Eine Erhöhung der Körperkerntemperatur auf mehr als 39°C führt zu einem erhöhten Grundumsatz und letztlich erhöhtem O2-Bedarf, der gerade während des Geburtsereignisses ungünstig wäre. Tipp Bei Vorliegen eines Amnioninfektionssyndroms (antibiotische Therapie!) oder einer fetalen Anämie (Abklärung über Vmax in der A. cerebri media) sollte die Geburt möglichst schnell beendet werden. In diesen Fällen ist das Risiko einer entsprechenden Folgemorbidität deutlich erhöht.
Die Tachykardie nimmt meist allmählich zu und kann zunächst noch mit günstigen Zusatzkriterien (»gute Fluktuation«, sporadische Akzelerationen, Fehlen von Dezelerationen) einhergehen. Bei passagerer Hypoxämie repräsentiert die Tachykardie zumindest noch vorhandene Kompensationsreserven des Kindes. Normalisiert sich in solchen Fällen die Herzfrequenz nicht, so spricht dies für ein Fortbestehen der O2-Deprivation. > Kinder, die sub partu über längere Zeit eine Tachykardie aufweisen, haben selbst bei normalen fetalen Blutgasen ein bis zu 4-mal höheres Hirnblutungsrisiko. Auch das Risiko einer kindlichen Zerebralparese nimmt bei intrapartaler Tachykardie zu (Taylor et al. 1985; Martin 2008, Maconi et al. 2008).
Sofern eine baldige vaginale Geburt nicht zu erwarten ist, sollte die Sectio caesarea favorisiert werden. Falls möglich, sollte mit Hilfe einer FBA eine fetale Hypoxämie/Azidose ausgeschlossen werden.
Periodische FHF-Akzelerationen Während sporadische Akzelerationen (im Mittel 2 pro 20 min) bzw. ein »reaktives« CTG-Muster prognostisch günstig sind, können die mit Wehentätigkeit vergesellschafteten periodischen Akzelerationen ein Hinweis auf eine eingeschränkte plazentare Reserveleistung sein, die allerdings noch ausreichend vom Fetus kompensiert wird und dem Ausgleich eines passageren O2-Mangels dient. Sofern diese Situation andauert, sind durch Steigerung der basalen Herzfrequenz Übergänge in tachykarde Zustände möglich, die dann als Hinweis auf eine fetale Gefährdung gewertet werden müssen. Periodische Akzelerationen, die in ihrer Form den Wehenverlauf widerspiegeln, werden v. a. über Stimulation der Chemorezeptoren infolge der Hypoxämie vermittelt (Überwiegen sympathischer Einflüsse). Akzelerationen mit steilem Anstieg und Abfall der FHF werden dagegen durch Stimulation von Pressorezeptoren bei isolierter Kompression der
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
V. umbilicalis ausgelöst. Hierbei führt das O2-Defizit zu einem Blutdruckabfall, dem der Organismus durch Steigerung der Herzfrequenz begegnet. > Dezelerationen, die mit periodischen Akzelerationen beginnen und enden, sind prognostisch günstiger einzustufen als Dezelerationen ohne solche Kompensationszeichen.
Sporadische Dezelerationen
33
Diese treten unabhängig von Uteruskontraktionen auf. Zeigen sie die Form einer nach unten gerichteten Spitze (Spike, DIP 0), so kommen sie infolge einer Vagusreizung bei abrupter Kompression der Nabelschnur während heftiger Kindsbewegungen zustande. Daneben sind sie gelegentlich bei fetalem Schluckauf mit ruckartigen Zwerchfellkontraktionen zu beobachten. Sofern die Spikes nicht im weiteren Verlauf in variable Dezelerationen übergehen (evtl. früher Hinweis auf eine Nabelschnurumschlingung), sind sie als harmlos einzustufen. Prolongierte sporadische Dezelerationen sind Ausdruck einer akuten plazentaren Minderperfusion mit konsekutiver Hypoxämie bei initial ungestörtem uteroplazentaren und fetomaternalen Gasaustausch. Der Sympathikus wird gehemmt, der gesteigerte Vagotonus führt zur Manifestation der Dezeleration. Da die auslösenden Ereignisse i. d. R. gut zu identifizieren sind (Dauerkontraktion, V.-cava-Okklusionssyndrom, Parazervikalanästhesie, maternale Hypotonie etc.), können geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Die Erholung des Fetus ist häufig mit einer kompensatorischen Tachykardie vergesellschaftet. Bei ausgeprägter Depression des Fetus kann dieser Kompensationsmechanismus allerdings ausbleiben. Das CTG-Muster ist während der Erholungsphase häufig eingeengt und nicht reaktiv (. Abb. 33.11). ! Führt die intrauterine Reanimation (7 Kap. 33.6.1) nicht zu einer Besserung, so besteht die Gefahr einer gravierenden metabolischen Azidose des Fetus. In diesem Falle ist die Indikation zur notfallmäßigen Sectio caesarea gegeben.
Periodische Dezelerationen Zu den periodischen Dezelerationen zählen alle Dezelerationstypen, die einen zeitlichen Bezug zu Uteruskontraktionen aufweisen (7 oben).
Frühe Dezelerationen Diese Dezelerationen werden durch vagale Einflüsse ausgelöst – meist infolge einer stärkeren Kopfkompression während der Wehe. Sie finden sich bei 2–20% aller Geburten, in der Austreibungsperiode auch häufiger. Die intrakranielle Drucksteigerung verursacht eine Reduzierung des zerebralen Blutflusses. Aufgrund der hypoxämiebedingten Störung des empfindlicheren Sympathikuszentrums überwiegt der Vagotonus, was zu einer Verlangsamung der FHF führt. Dieser wehensynchron zunehmende Effekt klingt mit Nachlassen des Wehendrucks wieder ab, und die Herzfrequenz erreicht
wieder ihr Ausgangsniveau. Andere Auslösemechanismen wie eine umbilikale Kompression werden ebenfalls diskutiert. Gewöhnlich ist dieser Dezelerationstyp nicht mit einer globalen fetalen Hypoxämie oder einer konsekutiv auftretenden Azidose vergesellschaftet. Lediglich bei schweren Dezelerationen mit einem Abfall von mehr als 60 SpM, insbesondere wenn diese über eine Zeitspanne von mehr als 30 min wiederholt auftreten, sollte eine fetale Blutgasanalyse (7 Kap. 33.4) durchgeführt und bei Bedarf wiederholt werden, sofern sich das Herzfrequenzmuster während des Geburtsverlaufs nicht bessert. > Persistieren die geburtsmechanisch ausgelösten frühen Dezelerationen, so ist insbesondere in der Eröffnungsperiode eine Basistokolyse indiziert.
Späte Dezelerationen Späte Dezelerationen sind ein ernst zu nehmender Hinweis auf eine unzureichende uteroplazentare O2-Versorgung. In aller Regel wiederholen sie sich bei jeder Wehe, sie können jedoch auch vereinzelt oder intermittierend auftreten. Dieser Dezelerationstyp findet sich bei 4–10% der Feten sub partu. Verantwortlich sind biochemische Veränderungen, die zur Stimulation der Chemorezeptoren im zentralen Strombett (v. a. im Aortenbogen) führen oder eine unmittelbare myokardiale Depression durch Gewebshypoxie im Rahmen einer metabolischen Azidose. Die zugrunde liegenden Stoffwechselalterationen werden durch eine uteroplazentare Minderperfusion oder einen gestörten Gasaustausch auf plazentarer Ebene, z. B. bei Plazentareifungsstörungen, verursacht. Zu denken ist auch an eine vorzeitige Plazentalösung oder einen fetalen Blutverlust. Bei unzureichender Kompensation der resultierenden Hypoxämie werden die Chemorezeptoren in der zentralen Strombahn stimuliert, deren Ansprechen im Vergleich zu direkten sympathischen und parasympathischen Reaktionen verzögert erfolgt (Nadir der Dezeleration >20 s nach Wehengipfel). Während reflektorisch über das ZNS vermittelte späte Dezelerationen mit zunehmender Azidität des Fetus an Amplitude zunehmen, besteht bei ausgeprägter metabolischer Azidose mit Herzmuskelhypoxie eine solche Korrelation nicht mehr. ! Persistierende späte Dezelerationen sind als ungünstig zu bewerten. Bei längerem Bestehen solcher FHF-Muster muss zumindest so lange die Gefahr einer fetalen Azidose angenommen werden (Kubli et al. 1969), bis durch eine FBA das Gegenteil bewiesen ist (in diesem Falle wäre das CTG falsch pathologisch).
Besonders bei Persistieren dieses Dezelerationstyps sind weitere Kontrollen obligat. Einige Untersucher beschrieben einen linearen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit später Dezelerationen und dem Säure-Basen-Status. Im Durchschnitt wurde pro Dezeleration eine Abnahme des pH-Wertes um 0,014 Einheiten und eine Zunahme des Basendefizits um 0,8 mmol/l ermittelt. Kommt es im Anschluss an die späte Dezeleration zu einem Oszillationsverlust oder zu einem nur langsamen Wiederanstieg der Herzfrequenz, so finden sich
739 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
signifikant niedrigere pH-Werte als bei schneller Erholung und guter Oszillationsamplitude (Martin 2008). > Sofern späte Dezelerationen die Folge einer uteroplazentaren Versorgungsstörung sind, ist pro Dezeleration eine mittlere Abnahme des fetalen Blut-pHWertes um 0,014 Einheiten und eine Zunahme des Basendefizits um 0,8 mmol/l zu erwarten. Als ungünstige Zusatzkriterien sind ein Oszillationsverlust und ein verzögerter Frequenzanstieg anzusehen.
Variable Dezelerationen Variable Dezelerationen sind geradezu typisch für umbilikale Perfusionsstörungen, können aber auch durch Kompression des fetalen Kopfes ausgelöst werden. Sie werden häufiger beobachtet als die anderen Dezelerationstypen (im Mittel bei 25–30% aller Geburten). Ihre Frequenz nimmt i. d. R. von der Eröffnungsperiode bis zur Austreibungsperiode zu. Das Perfusionshindernis kann auf Seiten der Plazenta liegen, dann gewöhnlich im kapillären Strombett, oder direkt durch Kompression der Nabelschnur (z. B. bei Nabelschnurumschlingung, Nabelschnurknoten) zustande kommen. Der damit einhergehende Vagusreflex wird durch die Kombination einer Stimulation von Chemorezeptoren (Frühphase der Dezeleration) und von Barorezeptoren (sekundär während der Dezeleration) vermittelt (Ball u. Parer 1992; Martin 2008). Die zunächst verminderte Zufuhr O2-haltigen Blutes zum rechten Vorhof bedingt einen Blutdruckabfall. Sie resultiert aus der anfänglich alleinigen Kompression der weniger widerstandsfähigen V. umbilicalis. Die Stimulation von Barorezeptoren führt zu einer sympathischen Aktivierung und hierüber
häufig zu einer initialen und terminalen Akzeleration. Werden mit dem intrauterinen Druck zunehmend auch die Nabelschnurarterien bis hin zur vollständigen Okklusion komprimiert, dann steigt der periphere Widerstand bis auf das Doppelte an. Gewissermaßen als Schutzreaktion hinsichtlich einer kardialen Überlastung wird über Pressorezeptoren ein Herzfrequenzabfall ausgelöst, wodurch rasch und effektiv das Herzzeitvolumen reduziert werden kann. Dies ist v. a. vor dem Hintergrund des gleichzeitig auftretenden akuten O2-Mangels im Sinne einer maximalen kardialen Überlebenszeit sinnvoll. Bei noch ausreichender Kompensationsreserve des Fetus kommt es mit nachlassender Kompression der Nabelgefäße zu einer schnellen Normalisierung der Herzfrequenz. 4 Bei persistierenden mittelschweren und schweren variablen Dezelerationen wird der fetale Säure-Basen-Status signifikant alteriert (. Abb. 33.12). 4 Leichte variable Dezelerationen, die jedoch im Verlauf der Geburt gravierender werden können, führen nur selten zu einer fetalen Zustandsverschlechterung (Kubli et al. 1969; Martin 2008; Macones et al. 2008). 4 Dezelerationen, die einen allmählichen Wiederanstieg, einen Oszillationsverlust, eine Doppelung der Dezeleration oder einen Verlust initialer Akzelerationen zeigen, müssen als prognostisch ungünstig gewertet werden. 4 Auch das Unterschreiten der ursprünglichen Grundfrequenz vor der Dezeleration während der Erholungsphase weist auf eine Zustandsverschlechterung hin. Diese Muster sind ein Hinweis auf hypoxisch bedingte Myokardveränderungen.
. Abb. 33.12. pH-Werte bei fetalen Skalpblutanalysen in Abhängigkeit vom Dezelerationstyp. (Nach Kubli et al. 1969)
33
740
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
Besonders wichtig ist der additive Einfluss der uterinen Aktivität. Eine Polysystolie und in noch stärkerem Maße ein erhöhter Basaltonus beschleunigen die respiratorische Insuffizienz des Fetus. Bei ausreichend langen Wehenintervallen mit entsprechenden Erholungsphasen des Kindes können auch schwere Dezelerationen ohne Effekt auf die respiratorische Situation bleiben. Tipp Allein aufgrund des CTG-Musters darf die Entscheidung für oder gegen das Fortführen der vaginalen Geburt nicht getroffen werden. Die Absicherung sollte mit Hilfe der fetalen Blutgasanalyse oder durch andere geeignete Überwachungsverfahren erfolgen, die die Spezifität des CTG erhöhen (z. B. STAN) (Oloffson et al. 2003; Van der Tweel et al. 2007; Westerhuis et al. 2007, 2009).
33
zeitvariabilität fehlt meist) zustande kommt. Wenngleich durchaus physiologische Auslöser (Daumenlutschen oder Saugbewegungen des Fetus) bekannt sind, kann dies auch ein präterminales Muster bei schwerer fetaler Anämie oder kindlichen Fehlbildungen sein, das unbedingt einer weiteren Abklärung bedarf. ! Liegt die Frequenz der Schwingungen unter 2/min, dann muss mit einem baldigen Absterben des Fetus, zumindest aber mit einem metabolisch und respiratorisch schwer beeinträchtigten Kind gerechnet werden.
Eingeengt undulatorische FHF-Muster Die Ätiologie entspricht dem silenten Oszillationsmuster, wobei die Ausprägung der Kreislaufalteration im Sinne einer Übergangsphase noch nicht so gravierend ist.
Kurzfristige Herzfrequenzalterationen
Saltatorisches FHF-Muster
Ein längerer Sauerstoffmangel führt zu einer Zentralisation der Blutvolumina mit Widerstandserhöhung in der Kreislaufperipherie, den Verhältnissen im Schockzustand beim Erwachsenen vergleichbar. Das präkardiale Volumenangebot wird hierdurch auf einem relativ konstanten Niveau gehalten, woraus eine sehr gleichförmige Schlag-zu-Schlag-Sequenz resultiert. Die FHF-Variabilität geht deutlich zurück bis hin zu silenten (»strichförmigen«) Oszillationsmustern. Während die Umkehrpunkte beim nicht kompromittierten Fetus eine spitze Form aufweisen, können diese unter dem Einfluss zentral depressorischer Pharmaka oder chronischer Hypoxämien verrunden.
Dieser Oszillationstyp findet sich im Zustand der Kompensation des Herz-Kreislauf-Systems v. a. bei umbilikalen oder plazentaren Perfusionsstörungen, aber auch bei kompressionsbedingter intrakranieller Drucksteigerung oder heftigen Kindsbewegungen. Dementsprechend kann er ein Risiko anzeigen und sollte Anlass zu einer intensivierten Überwachung geben, sofern die physiologische Ursache einer lebhaften fetalen Bewegungsaktivität nicht gegeben ist (Ultraschallkontrolle oder fetales Bewegungsprofil, 7 Kap. 33.5.5). Der pathophysiologische Hintergrund ist eine simultane sympathische und parasympathische Aktivierung, in deren Folge große Variationen des Blutvolumens mit erhöhter Schlag-zuSchlag-Variabilität der FHF auftreten. Besteht eine saltatorische Oszillation in der Austreibungsperiode über längere Zeit, so kann dies ein Zeichen für eine Azidosegefährdung sein. Je nach Geburtsbefund sollte die Geburt zügig beendet werden oder zumindest bei Persistenz >30 min eine Abklärung mittels FBA erfolgen.
! Besonders ungünstig ist die zusätzliche Abnahme der Oszillationsfrequenz auf weniger als 2/min. In solchen Fällen ist größte Vorsicht geboten, da sich bei gleichzeitigem Akzelerationsverlust ein terminales CTG-Muster ankündigt.
Silentes FHF-Muster Eine eingeengte Oszillationsamplitude kann Folge eines physiologischen fetalen Tiefschlafzustandes sein, der im Durchschnitt 20–40 min, im Extremfall jedoch bis zu 90 min anhält. Andererseits führt neben zentral sedierenden Medikamenten wie Dolantin auch eine längere Hypoxie zu solchen Verläufen. Tipp Zur weiteren Abklärung ist ein Weckversuch (z. B. durch vibroakustische Stimulation mit einem Elektrolarynx oder bei geöffnetem Muttermund durch eine Skalpstimulation sinnvoll. Bei frustraner Stimulation und längeren Verläufen ist eine Blutgasanalyse zu empfehlen.
Studienbox Einige Autoren berichten über einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Musters und der Applikation von Ephedrin im Rahmen einer Periduralanästhesie (Katz et al. 1990). Während bei unreifen Feten ≤32 SSW die Oszillationsamplitude im Vergleich zu reifen Feten eingeengter ist, finden sich bei Frühgeborenen, die eine periventrikuläre Leukomalazie entwickeln, zumindest ante partum signifikant gehäuft saltatorische Muster, die mit Tachykardien und überlagerten Dezelerationen einhergehen (Flipflap-Muster; Okamura et al. 1997; Macones et al. 2008).
CTG-Score Als Sonderfall des silenten Oszillationsmusters ist das »sinusoidale CTG« zu betrachten (. Abb. 33.7), das durch Verrundung der Umkehrpunkte bei gleichzeitigem Oszillationsverlust (≥10 min, 3–5 Zyklen/min, Amplitude 5–15 SpM, Kurz-
Treten verschiedene ungünstige CTG-Befunde kombiniert auf, so ist dies meist Ausdruck einer zunehmenden fetalen Gefährdung. Score-Systeme für die CTG-Beurteilung wurden entwickelt, um einerseits die möglichen Befundkonstellationen gewichten und mit anderen quantitativen statistischen
741 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Tab. 33.3. Meyer-Menk-Score für das ante- und intrapartale CTG
Parameter
0
1
2
Grundfrequenz [bpm]
<100 >180
≥100<120 >160≤180
≥120≤160
Bandbreite [bpm] der Irregularität
≤5 Sinusoidal
>5≤10 >25
>10≤25
Irregularitätsfrequenz [n/min]
<1 Sinusoidal
≥1≤2
>2
Dezelerationen
≥25% späte, schwere variable; schweres V.-cavaSyndrom
<25% späte, leichte/ mittelschwere, variable, frühe
Keine, vereinzelte leichte variable
Akzelerationen
Fehlen, auch bei Stimulation
Atypische Form, stimulierbar
Spontane, bei Kindsbewegungen
Parameter
0
1
2
FHF-Baseline [bpm]
<100
100–119
120–160
FHF-Variabilität Amplitude [bpm]
<3
3–5 >25
6–25
Oszillationsfrequenz/min
<3
3–6
>6
Akzelerationen/30-min
0
1–4
>4
Dezelerationen
Späte, schwere variable, atypische variable
Mittlere Variable
Keine, frühe
. Tab. 33.4. Krebs-Score für das intrapartale CTG
Parametern korrelieren zu können, andererseits aber v. a., um eine einheitlichere, standardisierte Interpretationsgrundlage zu schaffen. Alle Scores vergeben in Abhängigkeit vom FHFMuster Punkte, die dann zum Gesamtergebnis addiert werden. Sie zwingen den Untersucher zur systematischen Analyse aller Beurteilungskriterien, was nicht zuletzt für Ausbildungszwecke Vorteile hat. Entsprechend der wissenschaftlichen Validierung dieser CTG-Scores wird je nach Punktzahl das Ausmaß der fetalen Gefährdung abgeschätzt. > Der Fischer-Score (1976) wurde nur für die antepartale Situation validiert, der stärker diversifizierende Hammacher-Score (1974) und der nur späte Dezelerationen und die Oszillationsbandbreite evaluierende Kubli-Score (1971) für die ante- und intrapartale Überwachung (7 Kap. 30). Dem Fischer-Score sehr ähnlich, aber auch für die intrapartale Überwachung validiert, ist der Meyer-Menk-Score (1976; . Tab. 33.3) und der Krebs-Score (1979; . Tab. 33.4).
Seit 1987 existieren FIGO-Richtlinien (International Federation of Gynecology and Obstetrics; früher Fédération Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique) für die Interpretation des CTG sub partu, die hinsichtlich der inzwischen aktualisierten Normwerte etwas abweichen (Rooth et al. 1987) und bisher das einzige
auf breitem Konsens beruhende Beurteilungsschema darstellen. Wie in Studien zur Evaluierung der Inter- und Intra-ObserverVariabilität der CTG-Beurteilung gezeigt werden konnte (7 Kap. 33.3), ist die Reproduzierbarkeit umso besser, je globaler die CTG-Analyse erfolgt. Die Beurteilung des CTG nach den FIGORichtlinien differenziert normale (keine unmittelbare Konsequenz), suspekte (kontrollbedürftig: intensivierte Beobachtung, ggf. Stimulationstest → Verlängerung der Untersuchung → bei Besserung kurzfristige Wiederholung, sonst CTG-Dauerüberwachung) und pathologische Herzfrequenzmuster (unmittelbarer Handlungsbedarf: FBA / Entbindung). Diese Klassifizierung ist für den klinischen Routinegebrauch gut geeignet und bei pathologischem Ausfall auch mit einer erhöhten postnatalen Morbidität korreliert (Spencer et a. 1997). Die DGGG empfiehlt in der Leitlinie zur Anwendung des CTG (Schneider et al. 2008) ein geringfügig modifiziertes Bewertungsschema (. Tab. 33.5). Dabei ist jeweils ein 30-min-Abschnitt mit der höchsten Dichte an suspekten bzw. pathologischen FHF-Parametern zu analysieren. Bei unauffälligem Muster genügt ein Eintrag auf dem CTG bzw. in der Akte mit Signatur ca. alle 2 h (z. B. »N« oder »o.B.«). Bei Einstufung als suspekt sollte eine wiederholte Beurteilung nach ca. 30 min mind. mit Angabe der Anzahl suspekter Parameter dokumentiert werden (z. B. »S 1«). Zur Klärung oder Besserung des
33
742
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
. Tab. 33.5. CTG-Beurteilung nach den DGGG-Leitlinien 2008. (Mod. nach FIGO 1987; RCOG 2001)
Parameter
Normal
Suspekta
Pathologischb
FHF-Baseline [bpm]
110–150
100–109 151–170
<100 >170 Sinusoidal e
Oszillationsamplitude (Bandbreite) [bpm]
≥5
<5 (≥40 min) >25
<5 (≥90 min)
FHF-Akzelerationenc
Vorhanden, sporadisch
Vorhanden, periodisch (mit jeder Wehe)
Fehlen >40 min (Bedeutung noch unklar)
FHF-Dezelerationend
Keine
Frühe/variable Dezelerationen, einzelne verlängerte Dezelerationen bis 3 min
Atypische variable Dezelerationen, späte Dezelerationen, einzelne verlängerte Dezelerationen >3 min
a b c d e
33
Suspekt: 1 Parameter suspekt, alle anderen normal (Handlungsbedarf: konservativ). Pathologisch: mindestens 1 Parameter pathologisch oder 2 oder mehr Parameter suspekt (Handlungsbedarf: konservativ oder invasiv). FHF-Akzeleration: Amplitude ≥15 SpM, Dauer ≥15 s. FHF-Dezeleration: Amplitude ≥–15 SpM, Dauer ≥10 s. Sinusoidale FHF: <6 Zyklen/min, Amplitude ≥10 SpM, ≥20 min.
fetalen Zustands können konservative Maßnahmen erfolgen (z. B. Lagewechsel, Infusion, Sauerstoffgabe). Bei Einstufung als pathologisch muss eine ständige Beurteilung erfolgen, die alle 10 min zusammen mit mindestens der Angabe der Anzahl suspekter bzw. pathologischer Parameter dokumentiert wird (z. B. »S 2« oder »P 4«). Außer konservativen Maßnahmen (z. B. Tokolyse, Weckversuch, Lagewechsel, Infusion, Sauerstoffgabe) ist eine fetale Blutgasanalyse (FBA) durchzuführen, sofern dies möglich und sinnvoll ist (Ausnahme: Ende der Pressperiode oder schwere fetale Bradykardie ohne Erholungszeichen). Gegebenenfalls ist die rasche Entbindung indiziert. Inzwischen postuliert auch das American College of Obstetricians and Gynecologists eine entsprechende Drei-PunktBeurteilung des CTG (ACOG Practice Bulletin No 106, 2009).
Ein CTG gilt nur dann als auswertbar, wenn die Signalausfallrate weniger als 15% beträgt. Bei Beginn der Registrierung und in Zweifelsfällen muss die mütterliche Herzfrequenz überprüft und von der des Fetus differenziert werden. Bei Mehrlingen muss jedes Kind getrennt abgeleitet werden. Ferner ist jeder CTG-Streifen mit dem Namen der Patientin, Datum und Uhrzeit, der Lagerung/Position der Mutter und dem Gestationsalter zu beschriften (Dokumentationspflicht!). Am Ende einer Registrierung ist umgehend eine Bewertung vorzunehmen und vom Untersucher zu unterschreiben. Geburtshilfliche Maßnahmen wie eine vaginale Untersuchung in Rückenlage oder die Durchführung einer FBA müssen auf dem CTG-Streifen markiert und dokumentiert werden.
Einsatz des CTG sub partu Studienbox Neuere Daten zeigen an großen Fallzahlen, dass der Normbereich der fetalen Herzfrequenz am Termin bei künftigen Änderungen des FIGO-Scores zwischen 115 und 160 SpM anzusiedeln ist (DGGG-Leitlinie, Schneider et al. 2008), die ACOG-Guidelines konstatieren in ihrer aktuellen Version einen Normbereich der FHF zwischen 110 und 160 SpM (ACOG Practice Bulletin No 106, 2009). In Fallkontrollstudien war das Risiko einer neonatalen Enzephalopathie zumindest bei retrospektiver Analyse intrapartaler CTG in einem Risikokollektiv nur im Falle einer pathologischen FIGO-Klassifikation, nicht jedoch bei Anwendung des Krebs-Scores signifikant erhöht (Spencer et al. 1997). In einer Multicenterstudie konnte nachgewiesen werden, dass der online computerisiert ermittelte FIGO-Score bei pathologischer Bewertung bezüglich einer zu erwartenden Azidose, die mittels FBA festgestellt wurde, eine hohe Sensitivität (95%) besitzt bei allerdings nur geringer Spezifität (22%) (Schiermeyer et al. 2008).
In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG 2008) wird empfohlen (. Tab. 33.6): 4 Generelle CTG-Überwachung sub partu bei allen Geburten ab später Eröffnungsperiode. 4 Bei Aufnahme in die Klinik ein Aufnahme-CTG mit einer Dauer von mindestens 30 min. 4 In der frühen Eröffnungsperiode muss bei Schwangerschaften ohne Risiko und bei noch stehender Fruchtblase die Registrierung nicht kontinuierlich erfolgen. Intermittierende CTG-Kontrollen von mindestens 30 min Dauer alle 30–120 min sind akzeptabel. Dabei sollten die Intervalle zwischen den Untersuchungen in Abhängigkeit von Geburtsfortschritt und klinischem Befund so festgelegt werden, dass ein vertretbarer Kompromiss zwischen Sicherheitsbedürfnis und mütterlicher Belastung gefunden wird. Bei fehlender elektronischer Registriermöglichkeit kann die fetale Überwachung auch mittels Auskultation über jeweils 10 min und unter strikter Dokumentation der Ergebnisse erfolgen.
743 33.2 · Kardiotokographie (CTG)
. Tab. 33.6. Empfehlungen zur intrapartalen Überwachung (Standardkommission Kardiotokographie der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin 1989, mod. nach DGGG-Leitlinien 2008)
Überwachungsparameter CTG-Überwachung
Generell bei allen Geburten ab später Eröffnungsperiode
Aufnahme-CTG
(mindestens 30 min)
Diskontinuierliche CTG-Überwachung
In der frühen Eröffnungsperiode bei noch stehender Fruchtblase und Fehlen geburtshilflicher Risiken (Mindestregistrierdauer 30 min) Bei fehlender elektronischer Registriermöglichkeit auch durch Auskultation über 10 min möglich (strikte Dokumentation)
Kontinuierliche CTG-Überwachung
In der frühen Eröffnungsperiode bei allen Risikoschwangerschaften und Fällen mit vorausgegangenem suspektem/pathologischem CTG-Befund bzw. Abweichungen vom normalen Geburtsverlauf, inklusive frühzeitigem Blasensprung In der späten Eröffnungs- und Austreibungsperiode bei allen Schwangerschaften
Interne CTG-Ableitung
Immer bei unzureichender Aufzeichnungsqualität (Signalausfallrate >15%) oder nicht sicher beurteilbarer FHF In der Austreibungsperiode empfohlen beim vorangehenden Mehrling
Interne Wehenmessung
Nur noch in Einzelfällen, z. B. bei kontinuierlicher Amnioninfusion
Abklärung durch fetale Blutgasanalyse (FBA)
Bei pathologischen CTG-Befunden >30 min, insbesondere vor Indikationen zur operativen Entbindung Bei fetalen pH-Werten zwischen 7,20 und 7,29 auch Bestimmung des maternalen Säure-Basen-Status empfohlen
4 Alle Risikoschwangerschaften und Fälle mit vorausgegangenen pathologischen CTG-Befunden bzw. mit Blasensprung sollen auch in der frühen Eröffnungsperiode kontinuierlich überwacht werden. 4 In der späten Eröffnungs- und Austreibungsperiode
sollte aufgrund des deutlich höheren fetalen Risikos grundsätzlich eine fortlaufende CTG-Überwachung erfolgen. 4 Pathologische FHF-Muster, die länger als 30 min persistieren, sollten durch eine FBA am vorangehenden Pol abgeklärt werden, sofern dies technisch durchführbar ist. Solange die Aufzeichnungsqualität gut ist, genügt die externe Registrierung. Bei nicht interpretierbarem Kardiotokogramm oder Unsicherheit bezüglich der Validität der Herzfrequenzregistrierung sollte die Fruchtblase eröffnet und eine interne Ableitung über eine Kopfschwartenelektrode (KSE) durchgeführt werden. Dies betrifft relativ häufig die Austreibungsperiode. Grundsätzlich ist dies auch beim ersten (vorangehenden) Mehrling sinnvoll.
Antepartale Indikationen für die Kardiotokographie und damit Risikofaktoren, die auch sub partu primär eine kontinuierliche CTG-Ableitung oder einen sekundären Wechsel zu dieser erforderlich machen (mod. nach DGGG-Leitlinie 2008) 4 Belastete Anamnese (perinataler Fruchttod, perinataler Hirnschaden) 4 Anämie der Mutter (Hämoglobin <10 g/dl oder ≤6 mmol/l 4 Fetale Arrhythmien (insbesondere Tachyarrhythmien), sonographisch diagnostiziert 4 Blutungen bei lebensfähigem Fetus/vermehrter Blutabgang sub partu 4 Blutgruppeninkompatibilität mit Antikörpernachweis 4 Bluthochdruck (≥140/90 mm Hg) 4 Diabetes mellitus 4 Dopplerbefund pathologisch (z. B. RI in A. umbilicalis >90. Perzentile) 4 Drogenabusus (auch Nikotin) 4 Hydramnion (AFI ≥25 cm) 4 Infektionen, z. B. TORCH inkl. Parvovirus B19 und bakterielle (AIS) 4 Beckenendlage 4 Kindsbewegungen vermindert
6
33
744
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
4 Mütterliche Kreislaufinstabilität 4 Mehrlingsschwangerschaft 4 Oligohydramnion (»single pocket«<2 cm oder AFI <5 cm) 4 Terminüberschreitung ≥7 Tage 4 Thrombophilien und Kollagenosen 4 Unfall mit abdominalem Trauma oder schwerer mütterlicher Verletzung 4 Vorzeitige Wehen (Tokolyse)/(drohende) Frühgeburt 4 fetale Wachstumsrestriktion (<10. Perzentile) 4 Mekoniumabgang 4 Protrahierter Geburtsverlauf mit Wehenstimulation 4 Pathologischer CTG-Befund
Die Wehenmessung kann grundsätzlich extern erfolgen. Eine interne Wehenregistrierung kann noch in Einzelfällen zur Überwachung z. B. bei Zustand nach Sectio und kontinuierlicher Amnioninfusion sinnvoll sein. > Das CTG ersetzt nicht die Hebamme. Die kontinuierliche CTG-Überwachung erspart dieser vielmehr die in streng vorgegebenen Intervallen vorzunehmenden Auskultationen (7 Kap. 33.3.3), sodass eine intensivere Betreuung der Gebärenden möglich ist.
33
Wenngleich die klinische Praxis häufig anders ist, darf die CTG-Dokumentation kein Alibi dafür sein, dass Hebammen eingespart werden und eine Hebamme mehrere Frauen gleichzeitig unter der Geburt betreut. Dies ist allein schon deshalb nachteilig, weil während der Registrierung jedes intrapartale Kardiotokogramm (FHF und Wehentätigkeit) ständig beobachtet und evaluiert werden muss (bei unauffälligem Geburtsverlauf mindestens alle 15 min)! Hierbei sind die möglichen Auswirkungen der uterinen Aktivität besonders zu berücksichtigen. Eine Wehenfrequenz von mehr als 5 Kontraktionen pro 10 min kann zu einer Zustandsverschlechterung des Kindes beitragen. In der Pressphase ist die Belastung des Kindes am größten (7 Kap. 31 und 37). > Abweichend von der Leitlinie der DGGG halten sowohl das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG 2005) als auch ein Expertenkomitee der FIGO (FIGO Committee Opinion; Gardosi 1995, Rooth et al. 1987) sowie das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 2001) bei risikoarmen Schwangerschaften und Geburten die Auskultation oder nur intermittierende CTG-Registrierung über den gesamten Geburtsverlauf für ausreichend.
. Tab. 33.7. Klassifikation nach Melchior
Typ
Kennzeichen
Zeitlimit
0
Keine Dezelerationen
Kein Zeitlimit
1
Variable Dezelerationen bei jeder Presswehe
15–20 min
2a
Bradykardie 90–120 SpM mit oder ohne variable Dezelerationen bei jeder Wehe
15 min
2b
Bradykardie <90 SpM, evtl. mit Oszillationsverlust
5–10 min
3
Bradykardie mit Akzelerationen bei jeder Wehe
5–15 min
4
Terminale Bradykardie <90 SpM
5–(10) min
Die Zeitangaben gelten für Feten mit guten Kompensationsreserven (. Tab. 33.7).
33.3
Grenzen der CTG-Überwachung, Sensitivität, Spezifität
33.3.1
Grenzen der CTG-Überwachung
Die Kardiotokographie ist heute das Standardverfahren für die Überwachung des Fetus unter der Geburt. Inwieweit die im Zeitraum ihrer allgemeinen Etablierung beobachtete Senkung der perinatalen Mortalität tatsächlich auf Verbesserungen der Geburtsüberwachung zurückzuführen ist, kann nicht sicher beantwortet werden. Schließlich haben sich gleichzeitig die medizinische Vorsorge, die Möglichkeiten der Neugeborenenintensivmedizin, aber auch die sozialen und individuellen Lebensbedingungen positiv entwickelt.
Studienbox Die seit Einführung der intrapartalen CTG-Überwachung durchgeführten prospektiven randomisierten Studien (7 Kap. 33.3.3) ergaben im Vergleich zur einfachen Auskultation zunächst keinen signifikanten Vorteil bezüglich perinataler Morbidität und Mortalität. Lediglich Krämpfe im Neugeborenenalter ohne Einfluss auf die Langzeitmorbidität traten bei CTG-Überwachung signifikant seltener auf. Dagegen stieg bei Anwendung der Kardiotokographie die Rate operativer Entbindungen teilweise bis auf das Doppelte an (Alfirevic et al. 2009).
Klassifikation nach Melchior Diese Klassifikation (modifiziert nach Piquard et al. 1988) gibt aufgrund umfangreicher Untersuchungen in Abhängigkeit von verschiedenen CTG-Befunden Empfehlungen für das Zeitlimit in der Pressphase bis zur Geburt (Melchior u. Bernard 1985). Zielsetzung für die zeitliche Begrenzung ist die Vermeidung eines Nabelschnurarterien-pH-Wertes <7,20.
Diese Resultate sind einerseits auf deren schlechte Reproduzierbarkeit infolge einer relativ hohen Inter- und IntraObserver-Variabilität von bis zu 74% bzw. 29% (Ciblis 1996; Palomäki et al. 2006: Alfirevic et al. 2006; Martin 2008) zurückzuführen, die unabhängig vom Ausbildungsstand (selbst
745 33.3 · Grenzen der CTG-Überwachung, Sensitivität, Spezifität
bei »CTG-Experten«) und der Interpretationsbasis (CTGScore/globale Beurteilung des FHF-Musters) zu beobachten ist. Andererseits weist das CTG je nach Prüfparameter (Apgar, Nabelschnur-pH-Wert, neurologische Morbidität, Zerebralparese, Mortalität) eine hohe Rate falsch positiver Befunde von 40–99,8% auf (Gnirs u. Schneider 1996; Nelson et al. 1996; Schneider 1993; Macones et al. 2008; ACOG 2009). Allerdings ergaben neuere Auswertungen der vorliegenden Studien (nach Herausnahme von Studien mit methodischen Fehlern und Fokussierung auf die hypoxiebedingte Morbidität) doch eine signifikante Reduktion der perinatalen Mortalität um mehr als 50%, allerdings bei gleichzeitiger Steigerung der Rate operativer Entbindungen um das 2,5-fache (Vintzileos et al. 1995).
33.3.2
Sensitivität und Spezifität des CTG
Die CTG-Überwachung ist ein intrapartales Screening-Verfahren, das sehr sensitiv eine fetale Zustandsverschlechterung anzeigt. Bei Interpretation durch Experten liegt die Sensitivität der Hypoxie-oder Azidosevorhersage zwischen 80% und 91%. Diesem Vorteil steht die geringe Spezifität (9–63%) der Methode gegenüber, die v. a. in der großen Zahl falsch positiver Befunde zum Ausdruck kommt. Entsprechend niedrig ist auch der positive Vorhersagewert pathologischer CTG-Befunde, bei denen sich nur in etwa 15–20% der Fälle tatsächlich Geburtsazidosen finden (Steer et al. 1989; Dumler et al. 1993; Macones et al. 2008). Eine isoliert erniedrigte FHF-Variabilität korrespondiert lediglich in etwa 5% der Fälle mit einer fetalen Azidose. Selbst bei kombiniertem Auftreten scheinbar eindeutig pathologischer CTGMuster wie Tachykardie/Dezelerationen mit zusätzlichem Oszillationsverlust liegt der positive Vorhersagewert allenfalls bei 30%. Dagegen ist der negative Vorhersagewert hoch (80–96%). > Das intrapartale CTG zeigt zuverlässiger den unbeeinträchtigten als den azidosegefährdeten Fetus an.
Pathognomonische FHF-Muster mit hoher Treffsicherheit lassen sich weder für die neurologische Akut- noch für die Langzeitmorbidität identifizieren (Steer et al. 1989; Gnirs u. Schneider 1996; Schneider 1996; Alfirevic et al. 2006; Macones et al. 2008). Zwar findet sich bei zerebral geschädigten Kindern mit einem Geburtsgewicht ≥2500 g signifikant gehäuft ein Geburts-CTG mit rezidivierenden späten Dezelerationen oder reduzierter Schlag-zu-Schlag-Variabilität, doch die Falsch-positiv-Rate ist mit 99,8% extrem hoch (Nelson et al. 1996). Auch pathologische Befunde bei Anwendung von CTG-Scores sind infolge der geringen Prävalenz solcher Schäden von geringem prädiktivem Wert (Spencer et al. 1997; Schiermeyer et al. 2008). Die klinische Entscheidung für eine operative Geburtsbeendigung sollte deshalb mit Ausnahme schwerer persistierender fetaler Bradykardien nicht allein aufgrund pathologischer FHF-Alterationen getroffen werden.
Die geringe Spezifität der Kardiotokographie wird durch die große Zahl möglicher Einflussgrößen verständlich, auf die bereits in 7 Kap. 33.2.3 hingewiesen wurde. CTG-Muster, die per definitionem suspekt oder pathologisch sind, finden sich nahezu regelmäßig bei Schwangerschaften niedrigeren Gestationsalters (<30 SSW). Die Mehrzahl kardiotokographischer Beurteilungskriterien besitzt z. B. bei extremen Frühgeburten (24–26 SSW) kaum prognostische Bedeutung bezüglich späterer Morbidität oder Mortalität. Prospektive Untersuchungen an naturgemäß eher kleinen Fallzahlen ergaben bei neonatalen Todesfällen in diesem Gestationsalter lediglich eine signifikante Korrelation mit kurz vor der Geburt auftretenden fetalen Tachykardien oder Bradykardien (Burrus et al. 1994; Alfirevic et al. 2006). Verschiedene Pharmaka führen zu FHF-Alterationen, ohne dass diese mit einer Gefährdung des Kindes korrelieren. Der wohl größte Anteil falsch pathologischer CTG-Interpretationen ist auf die Ausbildung fetaler Ruhe- und Aktivitätszustände zurückzuführen (7 Kap. 30.4). Vor allem fetale Tiefschlaf- und Aktiv-wach-Zustände sind mit Herzfrequenzmustern vergesellschaftet, die prinzipiell auch als pathologisch gewertet werden können. Nahe am Geburtstermin finden sich ante- und intrapartal speziell diese Verhaltenszustände während 31–43% aller Registrierungen. > Zur ungenügenden Spezifität des CTG trägt die während dessen Interpretation häufig fehlende Information über das zugrunde liegende fetale Aktivitätsniveau ebenso bei wie der uneinheitliche Standard seiner Bewertung und Terminologie.
Ferner haben apparative Veränderungen wie die Einführung der Autokorrelation für die algorithmische Verarbeitung extern abgeleiteter Dopplersignale zu geringfügigen Informationsverlusten bezüglich der FHF-Variabilität bzw. Oszillationsamplitude geführt, die klinisch jedoch bei konventioneller CTG-Interpretation kaum Bedeutung haben. Durch Einführung einer computergestützten OnlineCTG-Klassifizierung ist eine zeitnahe und insgesamt zuverlässigere Einordnung des FHF-Musters möglich (Keith et al. 1995; Schiermeier et al. 2008). Studien zur Auswirkung solcher Online-Analysen auf die perinatale Mortalität und Morbidität liegen allerdings noch nicht vor. Die Treffsicherheit einer Untersuchungsmethode ist grundsätzlich von der Prävalenz des Prüfkriteriums (Azidose, neurologische Morbidität) abhängig. Diese ist in unselektierten Kollektiven naturgemäß niedrig und limitiert so den Vorhersagewert entsprechender CTG-Befunde. Bei Zusatzpathologie (IUWR, Blutungen, Amnioninfektion, Mekoniumabgang) sind die CTG-Befunde schwerer zu gewichten als bei sonst unauffälligen Schwangerschaften. Da die CTG-Überwachung die Standardmethode für alle Geburten ist und gleichzeitig deren Schwächen bekannt sind, ergeben sich verschiedene Ansätze zur Qualitätsverbesserung:
33
746
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
Qualitätsverbesserung bei der CTG-Überwachung 4 Risikoselektion (die Spezifität des CTG steigt bei erhöhtem Basisrisiko an). 4 Konsequente Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals (Mustererkennung unter Berücksichtigung der fetalen Verhaltenszustände sub partu bzw. der Progredienz suspekter oder pathologischer Merkmale). 4 Verbesserte Interpretation der CTG-Muster durch Berücksichtigung von Zusatzvariablen (Kindsbewegungen, biochemische Überwachungsparameter etc., 7 Kap. 33.4 und 33.5) und der klinischen Gesamtsituation. 4 Etablierung elektronischer Online-Analysen. 4 Zusatzabklärungen wie die FBA oder das STAN-Verfahren sollten v. a. bei anhaltend pathologischen CTGMustern erfolgen.
33
! Bei komplikationslosen Terminschwangerschaften mit zeitgerecht gewachsenem Fetus und unauffälligem Geburtsverlauf sind pathologische Herzfrequenzmuster mit großer Wahrscheinlichkeit falsch positiv: Die Indikation bezüglich einer operativen Geburtsbeendigung sollte deswegen streng gestellt werden (in Zweifelsfällen FBA). Die Progredienz der Muster ist prognostisch entscheidend.
Trotz dieser Einschränkungen ist das CTG für die intrapartale Überwachung heute allein schon deshalb unverzichtbar, weil der für die Auskultation (7 Kap. 33.3.3) geforderte Personalschlüssel (eine Hebamme pro Gebärender) in den meisten geburtshilflichen Abteilungen kaum noch realisierbar ist.
33.3.3
. Abb. 33.13. Holzstethoskop nach Pinard und Punctum maximum der Herztöne in Abhängigkeit von der Lage des Fetus 1 erste (linke) vordere Hinterhauptslage, 2 erste (linke) hintere Hinterhauptslage, 3 zweite (rechte) vordere Hinterhauptslage, 4 zweite (rechte) hintere Hinterhauptslage, 5 erste (linke) vordere Beckenendlage, 6 erste (linke) hintere Beckenendlage, 7 zweite (rechte) vordere Beckenendlage, 8 zweite (rechte) hintere Beckenendlage
Differenzierung der verschiedenen Auskultationsgeräusche 4 fetale Herztöne (Doppelschläge 110–150/min, Betonung des 1. Herztons → »Tick-tack-Ton«), 4 pulsatile Strömungsgeräusche in der Nabelschnur (110–150/min), 4 Kindsbewegungen (sporadisch und nicht gleichförmig), 4 maternaler Puls in der Aorta (60–100/min), 4 pulsatile Strömungsgeräusche der uteroplazentaren Gefäße (A. uterina, 60–100/min), 4 maternale Darmgeräusche (unregelmäßig).
Intermittierende Auskultation – heute noch eine Alternative? Die Lokalisation des Punctum maximum der Herztöne ist von
Die Auskultation fetaler Herztöne war lange Zeit das einzige Überwachungsverfahren, das unter der Geburt direkte Hinweise auf den Zustand des Kindes liefern konnte. Zunächst durch die Verbreitung der Kardiotokographie in den Hintergrund gedrängt, findet die Auskultation v. a. in den USA wieder größere Beachtung, wo sie als gleichwertige Alternative zur Kardiotokographie, zumindest bei unauffälligen Schwangerschafts- und Geburtsverläufen, gesehen wird (ACOG 2005). Das »klassische« Instrument für die Auskultation ist das Holzstethoskop nach Pinard (. Abb. 33.13). Daneben ist v. a. in den USA das binaurale Stethoskop nach DeLee im Einsatz. Bei deren Anwendung ist die zuverlässige Beurteilung der kindlichen Herztöne stark von der Erfahrung des Untersuchers und den Untersuchungsbedingungen (maternale Adipositas) abhängig. Schwierigkeiten bereitet hauptsächlich die Differenzierung der verschiedenen Auskultationsgeräusche:
der Position des Fetus in utero abhängig (. Abb. 33.13). Analog zur kardiotokographischen Ultraschalldopplerregistrierung der fetalen Herzfrequenz wurden auch einfache und kostengünstige unidirektionale Dopplergeräte entwickelt. Diese leicht zu handhabenden Geräte können anstelle des Stethoskops zum Vitalitätsnachweis, aber auch zur Geburtsüberwachung genutzt werden.
Bei Anwendung der Auskultation sub partu geltende Empfehlungen (RCOG 2001, ACOG 2009) 4 Personalschlüssel bei Auskultation: pro Geburt je eine Hebamme 4 Überwachungsfrequenz: – ohne Risiko: Eröffnungsperiode ≤alle 30 min, bei regelmäßigen Wehen ≤alle 15 min, Austreibungsperiode ≤alle 5 min
6
747 33.3 · Grenzen der CTG-Überwachung, Sensitivität, Spezifität
– Risikogeburten: Eröffnungsperiode
30–60 s) zu erfolgen, insgesamt über mindestens 1 min nach der Wehe. Als pathologisch bzw. abklärungsbedürftig gelten: – eine mittlere Herzfrequenz <100 SpM zwischen den Wehen – eine Herzfrequenz <100 SpM 30 s nach der Wehe – eine nicht anderweitig erklärbare Tachykardie >160 SpM zwischen den Wehen, insbesondere wenn diese 10–15 min oder während 3 Wehen fortbesteht.
Die klassische Definition »schlechter Herztöne« beinhaltete nach Pschyrembel eine anhaltende fetale Bradykardie (<100 SpM) in 3 aufeinander folgenden Wehenpausen. Als deren Vorboten wurden eine Beschleunigung der Herzfrequenz auf >160 SpM, eine Schwankung der Herzfrequenz um >40 SpM, die Wahrnehmung von Nabelschnurgeräuschen und Mekoniumabgang bei Schädellagen gewertet. > Bei einer mittels Auskultation festgestellten Gefährdung des Kindes ist eine Abklärung durch Einsatz der kontinuierlichen Kardiotokographie bzw. evtl. der FBA notwendig!
Unter Berücksichtigung der in 7 Kap. 33.3.1 genannten Studienergebnisse ist davon auszugehen, dass die Kardiotokographie hinsichtlich der genannten Endpunkte zumindest keine bahnbrechenden Vorteile bringt. Allerdings scheint man bei adäquater CTG-Überwachung und ggf. additivem Einsatz der FBA durch frühzeitigere Erfassung einer Gefährdung des Kindes in Einzelfällen doch gravierende Folgemorbidität vermeiden zu können. Die Häufung neonataler Krampfanfälle bei Geburtsüberwachung mittels Auskultation könnte ein indirekter Hinweis auf eine Zunahme schwerer Asphyxien sein. Nachuntersuchungen der betroffenen Kinder ergaben zwar keine Häufung bleibender Schäden, wie spastischer Zerebralparesen; allerdings sind ausreichend große Fallzahlen in einzelnen Studien kaum zu erreichen, um eine Morbiditätszunahme bei Ereignissen so geringer Prävalenz wirklich sicher beurteilen zu können. Andererseits besteht kein Zweifel, dass das mütterliche Risiko infolge der erhöhten operativen Entbindungsfrequenz bei CTG-Überwachung zunimmt. Inwieweit dies tatsächlich zu Lasten der Methode oder der Anwender geht, lässt sich anhand der vorliegenden Vergleichsstudien nicht eruieren, da der Ausbildungs- und Kenntnisstand der Betreuer hinsichtlich der CTG-Interpretation in den verschiedenen Studien nicht standardisiert war. Wenngleich unbestreitbar ist, dass die genannten Vergleichsstudien gerade hinsichtlich des Interventionsprotokolls für beide Überwachungsverfahren durchaus relevante und kritikwürdige Unterschiede aufwiesen, sollten die
aufgezeigten Schwächen der Kardiotokographie nicht ignoriert werden. Schon früh wurde gezeigt, dass durch die Abklärung pathologischer FHF-Muster mittels FBA das Sectiorisiko signifikant gesenkt werden kann (Vintzileos et al. 1995; Grant 1993; DGGG 2008). Dennoch bleibt es höher als bei Anwendung der Auskultation. Die Auskultation ist dabei nicht genauer als die Kardiotokographie; sie erfasst vielmehr stichprobenartig nur einen singulären Parameter des gesamten Herzfrequenzspektrums. Da mit dieser Methode fast nur gravierende FHFAlterationen erkannt werden können (nur 1–2% der durch das CTG erhältlichen Information), sind die weniger ausgeprägten, aber dennoch potenziell pathologischen Muster kaum feststellbar. Zahlreiche bei Belastung des Kindes ebenfalls eintretende Veränderungen (z. B. der Oszillationsamplitude, Mikrofluktuation etc.) werden nicht berücksichtigt und führen damit auch nicht zu einer Intervention. Dies hat zwangsläufig eine geringere Zahl operativer Eingriffe und weniger iatrogen induzierte Morbidität und Mortalität zur Folge. Aber auch die Auskultation weist bei Abgleich mit der fetalen Skalpblutanalyse in bis zu 30% der Fälle falsch positive Befunde auf. Berücksichtigt man die Entwicklung der forensischen Situation in Deutschland, so sollte heute auf eine den Leitlinien entsprechende CTG-Überwachung schon allein wegen des Vorteils einer lückenlosen Dokumentation nicht verzichtet werden. Einige Gerichtsgutachten kamen zu dem Schluss, dass die Auskultation ungenau (z. B. fehlende Information zur Makro- und Mikrofluktuation), unzuverlässig und nicht mehr zeitgemäß sei. Dieser Auffassung schließen sich die Gerichte an und sehen insbesondere bei Risikogeburten in der alleinigen Geburtsüberwachung mit dem Stethoskop einen Mangel an erforderlicher ärztlicher Sorgfaltspflicht (OLG Oldenburg, 3 U 127/87 vom 28.10.1987). In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der positive Vorhersagewert anamnestischer oder klinischer Risikofaktoren bezüglich einer Geburtsasphyxie aufgrund zahlreicher falsch positiver Befunde nur 3% (!) beträgt (Low et al. 1995). Auch die Bemühungen um eine Kostenreduzierung im Gesundheitswesen machen eine akzeptable Überwachung mittels Auskultation nahezu unmöglich, da heute kaum eine geburtshilfliche Abteilung das geforderte Verhältnis von einer Hebamme pro Geburt gewährleisten kann. Selbst in Institutionen, in denen unter standardisierten Studienbedingungen primär für eine adäquate personelle Besetzung des Kreißsaals gesorgt wurde, waren die oben genannten Qualitätsanforderungen in 93% der Fälle nicht zu erfüllen und ein Wechsel zur CTGÜberwachung notwendig (Morrison et al. 1993; Macones et al. 2008). > Nicht zuletzt aus forensischen Gründen sollte heute zur Geburtsüberwachung das CTG sowie zur Abklärung pathologischer FHF-Muster ggf. die FBA genutzt werden.
33
748
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
33.4
Fetale Blutgasanalyse (FBA)
Ein normaler CTG-Befund ist eine gute Rückversicherung für fetales Wohlbefinden. Andererseits geben abnormale FHFMuster infolge der hohen Rate falsch positiver Befunde häufig Anlass zu unnötigen operativen Interventionen. Hier bedarf es einer möglichst spezifischen Interpretationshilfe. Tipp In der aktuellen Leitlinie der DGGG (2008) zur Anwendung des CTG vor und unter der Geburt wird zur Abklärung suspekter bzw. pathologischer FHF-Muster sub partu die fetale Blutgasanalyse (FBA) empfohlen. Voraussetzung für diese früher auch »Mikroblutuntersuchung« (MBU) genannte Überwachungsmethode ist ein bereits auf mindestens 2–3 cm eröffneter Muttermund sowie die Erreichbarkeit des vorangehenden Kindsteils und eine gesprungene oder eröffnete Fruchtblase.
33
Für die Durchführung der FBA sollte die Schwangere in Steinschnittlage gelagert und der Introitus desinfiziert werden. Der Eingriff muss unter sterilen Bedingungen durchgeführt werden. Anschließend wird das größtmögliche Spekulum bzw. Amnioskop in die Vagina eingebracht und der vorangehende Teil (Kopf oder Steiß) eingestellt. Nach Entfernen von Schleim, Blut und Vernix wird die Inzisionsstelle abgetrocknet und dann mit sterilem Paraffinöl benetzt, was durch Veränderung der Oberflächenspannung die Tropfenbildung des austretenden Blutes fördert. Manche Untersucher benutzen Chloräthyl oder Finalgon zur Hyperämisierung der Haut. Mit einer Lanzette wird schließlich eine 2–3 mm tiefe Stichinzision oder Skarifizierung der Haut vorgenommen. Das austretende Blut wird mit Hilfe einer Saugpipette oder heparinisierten Glaskapillare blasenfrei aufgefangen. Die Punktionsstelle wird mit einem Stieltupfer komprimiert und die Blutgasanalyse an einem geeigneten Gerät durchgeführt.
33.4.1
Fehlermöglichkeiten und Komplikationen
Die FBA erfordert eine entsprechende apparative und instrumentelle Ausrüstung sowie geübtes Personal. Bei korrekter Anwendung ist die fetale Blutgasanalyse sehr zuverlässig. Falsch positive Ergebnisse (Kapillar-pH-Wert der Kopfhaut niedriger als arterieller Blut-pH-Wert) können bei ungenügender Hyperämisierung des Gewebes, z. B. bei Entnahme aus einer größeren Kopfgeschwulst mit Stauungsödem, zustande kommen. Auch eine Verunreinigung der Probe durch Fruchtwasser (mittlerer Fruchtwasser-pH-Wert mit 38–42 SSW: 7,13 ± 0,066) oder der Zusatz zu großer Heparin-Mengen (Senkung des pH-Wertes um bis zu 0,002 Einheiten) kann zur Messung azidotischer Werte bei tatsächlich normazidem Kind führen. Falsch negative Befunde sind extrem selten, jedoch bei langem und großflächigem Kontakt des Blutes mit atmosphärischer Luft möglich. Die metabolischen Parameter bleiben
hierbei konstant, der pCO2 wird niedriger, und der pH-Wert steigt. Komplikationen wie schwerwiegende Verletzungen oder Blutungen des Kindes, Hämatombildung oder Infektionen sind sehr selten. Die gelegentlich angeführten Vorbehalte seitens der Eltern lassen sich erfahrungsgemäß nach der gebotenen Aufklärung über die Notwendigkeit einer FBA (mehr Sicherheit für das Kind, Vermeidung einer unnötigen Operation) fast immer entkräften. Eine u.U. vermeidbare Sectio caesarea ist wesentlich invasiver und mit einer deutlich höheren (v. a. maternalen) Morbidität vergesellschaftet (bis zu 24%; Bayerische Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung 2008). ! Der gravierendste Nachteil der FBA liegt nach eigenen Untersuchungen darin, dass in etwa 20% der Fälle mit pathologischem CTG eine FBA gar nicht durchführbar ist (noch zu geringe Muttermundweite, Frühgeburten, zweiter Zwilling; Dumler et al. 1993).
33.4.2
Indikationen und Kontraindikationen
Die FBA ist heute immer noch der »Goldstandard« für die Überprüfung des fetalen Säure-Basen-Status und die Verifizierung einer Hypoxämie/Azidose. Sie ist weitgehend unabhängig von Medikamenteneinwirkungen und bietet nicht nur die Möglichkeit, den pH-Wert zu bestimmen, sondern auch die Gesamtpufferbasen und den Basenüberschuss (Base excess).
Indikationen für die Durchführung einer FBA 4 >30 min anhaltende pathologische CTG-Muster, insbesondere unklare Bradykardien, persistierende periodische und schwere variable Dezelerationen, eine andauernde Tachykardie, längerfristige Abnahme der Oszillationsfrequenz <2/min oder Oszillationsamplitude <5 SpM, anhaltende saltatorische Oszillation ohne lebhafte fetale Bewegungsaktivität, sinusoidale FHF-Muster sowie Kombinationen dieser Herzfrequenzalterationen. Die genannten CTG-Befunde sind v. a. bei fehlender fetaler oder maternaler Pathologie mit großer Wahrscheinlichkeit falsch positiv und deshalb dringend abklärungsbedürftig. 4 Grünes Fruchtwasser (nur bei dickem Mekonium oder suspektem/pathologischem CTG). 4 Verdacht auf Anämie oder Thrombozytopenie des Kindes (Hb-Bestimmung, Thrombozytenzählung). 4 Kalibrierung/Abgleich für die Anwendung anderer Methoden, wie z. B. STAN, Pulsoxymetrie.
! Klinische Entscheidungen sollten stets die geburtshilfliche Gesamtsituation berücksichtigen! Durch die FBA darf in Notfallsituationen die Entbindung nicht verzögert werden.
749 33.4 · Fetale Blutgasanalyse (FBA)
Die FBA ist eine diskontinuierlich einzusetzende Methode. Eine einmalige Punktmessung kann nur eine »Momentaufnahme« sein, die bei anhaltend pathologischer FHF keine Aussage über den Trend einer kindlichen Zustandsverschlechterung zulässt. Deshalb muss in solchen Fällen die Untersuchung in sinnvollen Intervallen (je nach Schweregrad der Pathologie und abhängig vom Geburtsfortschritt 20–30–60 min) wiederholt werden. Es gibt Situationen, in denen die Entscheidung für eine umgehende Entbindung allein aufgrund des CTG-Musters getroffen werden muss!
Die FBA kann nicht durchführt werden bei 4 noch verschlossenem Muttermund 4 pathologischem CTG des zweiten Zwillings 4 Frühgeburt <34 SSW (größere Verletzbarkeit des kindlichen Schädels) oder Gesichtshaltung
Die FBA ist nicht indiziert bei 4 terminaler Bradykardie (Zeitfaktor) 4 vorangehendem Teil auf Beckenboden 4 anhaltender Tachykardie ohne Geburtsfortschritt
Echte Kontraindikationen für die Anwendung der FBA sind schwere genitale/amniale Infektionen oder andere Risikofaktoren wie eine kongenitale Koagulopathie (Gefahr anhaltender Blutungen aus dem fetalen Skalp), die allerdings per se zur primären Sectio caesarea Anlass geben sollten. Eine FBA sollte ferner bei maternaler Infektion durch HSV, HBV, HCV, HGV, und HIV vermieden werden, um die Gefahr einer vertikalen Übertragung der Infektion nicht zu vergrößern.
33.4.3
Beurteilungskriterien und klinische Konsequenz
Zur Aufdeckung einer Hypoxiegefährdung eignet sich die pHWert-Messung besser als die stärkeren Kurzzeitvariationen ausgesetzten Messungen des pO2 oder pCO2. Nach Saling kann die Azidität des Fetus in verschiedene Schweregrade unterteilt werden (. Tab. 33.8).
. Tab. 33.8. Schweregrade der Azidität des Fetus
pH-Wert
Azidität
≥7,30
Normaler Zustand
7,29–7,25
Reduzierter Zustand
7,24–7,20
Präazidose
7,19–7,15
Leichte Azidose
7,14–7,10
Mittelgradige Azidose
7,09–7,0
Fortgeschrittene Azidose
<7,0
Schwere Azidose
Anhand des Basenüberschusses (Base excess) kann außerdem zwischen einer respiratorischen und metabolischen Störung oder Kompensation unterschieden werden. Die Differenzierung erfolgt gemäß der Angaben in . Tab. 33.9. Zugunsten einer noch ausreichenden Reaktionszeit (intrapartale Reanimation, Sectio caesarea) wird häufig in der Eröffnungsperiode ein pH-Wert von 7,25, in der Austreibungsperiode ein pH-Wert von 7,20 als Grenze für die Indikation zur operativen Intervention angesehen (7 Kap. 34). Von klinischer Relevanz sind möglicherweise erst Geburtsazidosen mit einem pH-Wert von unter 7,15, weshalb von manchen Geburtshelfern eine umgehende Entbindung auch erst bei Unterschreiten dieses Grenzwertes gefordert wird. Die 10. Perzentile des fetalen Blut-pH-Wertes liegt am Ende von Termingeburten bei 7,20. Prinzipiell rechtfertigt ein singulärer Wert im Normbereich nicht das Fortführen der Geburt. Der intrapartale SäureBasen-Status ändert sich in 81% der Fälle nur langsam, in 15% mittelschnell und in 4% perakut. Bei Nachweis einer fetalen Azidämie hängt die Dringlichkeit der Geburtsbeendigung vom Ausmaß der Azidose ab (. Tab. 33.10). Eine vorübergehende Tokolyse (7 Kap. 33.6.1) ist bei erkennbarer fetaler Zustandsverschlechterung sinnvoll, da durch Wehen das Fortschreiten einer Hypoxämie/Azidose akzeleriert werden kann. Sofern diese noch im präazidotischen Bereich erfolgt und evtl.
. Tab. 33.9. Säure-Basen-Status bei respiratorischen und metabolischen Veränderungen. (Nach Huch u. Huch 1984, mod. nach Retzke 1996)
pH-Wert
pCO2
pO2
Bikarbonat
Base excess
Normal
≥7,25
≤50 mm Hg
≥20 mm Hg
≥20 mmol/l
<–6 mmol/l
Respiratorische Azidose
Erniedrigt
Erhöht
Erniedrigt
Normal
Primär normal
Metabolische Azidose
Erniedrigt
Normal
Variabel
Erniedrigt
Erniedrigt
Gemischte Azidose
Erniedrigt
Erhöht
Erniedrigt
Erniedrigt
Erniedrigt
Respiratorische Alkalose
Erhöht
Erniedrigt
Primär normal
Normal
Primär normal
Metabolische Alkalose
Erhöht
Primär normal
Normal
Erhöht
Erhöht
33
750
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
. Tab. 33.10. FBA-Ergebnisse und von der DGGG (2008) empfohlenes Vorgehen
33
FBA
Konsequenz
5 pH ≥ 7,25
Wiederholung der FBA bei persistierend pathologischer FHF
5 pH 7,21–7,24
FBA nach ≤ 30 min wiederholen oder Entbindung erwägen (bei raschem pH-Abfall seit der letzten Messung)
5 pH ≤ 7,20 5 pCO2 >65 mm Hg (respiratorische Azidose) 5 Base excess <–9,8 (z. B. BE = -15) (metabolische Azidose)
Rasche Entbindung, insbesondere bei metabolischer Azidose
unter Applikation einer Basistokolyse ein Geburtsfortschritt erkennbar wird, ist in zahlreichen Fällen sogar eine problemlose Spontangeburt möglich. Da in Einzelfällen kindliche Azidosen auch maternogen bedingt sein können, sollte dies zumindest bei fetalen pHWerten unter 7,30 und Fehlen anderer Pathomechanismen überprüft werden. Der maternale pH-Wert variiert sub partu zwischen 7,40 und 7,50, der pCO2 zwischen 25 mm Hg und 37 mm Hg sowie der Base excess zwischen –4,5 mmol/l und +4,5 mmol/l. Eine pH-Differenz Mutter/Kind von ≤0,15 spricht für eine über die Mutter vermittelte Störung, die als Transfusionsazidose bezeichnet wird und bezüglich der Gefährdung des Kindes als weniger gravierend einzustufen ist.
33.4.4
Bedeutung der FBA
Studienbox Im Rahmen prospektiver randomisierter Studien konnte gezeigt werden, dass sich die Rate operativer Entbindungen wegen drohender Asphyxie und neonataler Krämpfe durch additiven Einsatz der FBA signifikant verringern lässt (Vintzileos et al. 1995; Grant 1993). Bezüglich der Vorhersage einer Azidose (Nabelschnurarterien-pH-Wert <7,20) liegt die Spezifität deutlich über 90%. Schließlich konnte anhand großer Fallzahlen dargestellt werden, dass durch Anwendung der FBA auch die neonatale Frühmorbidität reduziert werden kann (Stein et al. 2006). Allerdings wurde Mitte der 1990-er Jahre vom USC Womens Hospital in Los Angeles berichtet, dass die drastische Senkung der FBA-Frequenz von über 3% auf deutlich unter 1% bei über 10.000 Geburten pro Jahr keine negativen Auswirkungen auf das kindliche Outcome
6
oder die Zahl der operativen Entbindungen hatte (Goodwin et al. 1994). Auch muss bei der Indikationsstellung zur FBA die durchschnittlich 17 min (11–22 min) dauernde Prozedur zur Entschluss-Entwicklungs-Zeit des Fetus bei pathologischem CTG hinzugerechnet werden (Annappa et al. 2008). Da die Methode invasiv und diskontinuerlich ist, sind additive diagnostische Verfahren sinnvoll, die, ohne eine fetale Zustandsverschlechterung akzeptieren zu müssen, die Anzahl der FBA-Anwendungen signifikant einzuschränken helfen (Ojala et al. 2006, s. unten). Als Alternative zur klassischen FBA kommen fetale Skalplaktatmessungen in Betracht, die mit geringeren Messvolumina auskommen und hinsichtlich der diagnostischen Genauigkeit bei der Asphyxiediagnostik keine Nachteile bieten (Wiberg-Itzel et al. 2008)
33.5
Weitere Methoden
33.5.1
Zustandsbeurteilung des Fetus zu Beginn der Geburt
Dopplersonographie sub partu Da die FBA nur bei direktem Zugang zum Fetus einsetzbar ist, war die Anwendung der antepartal gut reproduzierbaren Dopplersonographie zur Abklärung pathologischer intrapartaler CTG-Muster naheliegend.
Studienbox Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass sich das Blutströmungsverhalten unter der Geburt durch Wehen zwar signifikant verändert, in wehenfreien Intervallen dagegen den Verhältnissen in der antepartalen Situation entspricht (Fendel et al. 1987, Stuart et al. 1981, in Schneider u. Gnirs 1996; Fu u. Oloffson 2007). Berücksichtigt man die Ergebnisse aller bisher vorliegenden Studien, so ergibt sich, dass die intrapartale Dopplersonographie bezüglich der Vorhersage einer Geburtsazidose zwar eine höhere Spezifität als das CTG besitzt, der FBA (Spezifität je nach Cut-off-Wert 91–98%) aber deutlich unterlegen ist. Bei nahezu simultanem Abgleich mit der FBA fanden sich selbst bei fortgeschrittener Azidose falsch negative Befunde!
Derzeit ist es nicht möglich, durch diese Methode invasiv diagnostische Maßnahmen unter der Geburt einzusparen. Dennoch kann mit Hilfe der Dopplersonographie in den Fällen, in denen eine FBA nicht durchführbar ist (z. B. zweiter Zwilling, geschlossene Zervix) die niedrige Spezifität des CTG erhöht werden. Darüber hinaus scheint die Dopplersonographie, z. B. als »labour admission test«, die Feten identifizieren zu können, bei denen ein erhöhtes Risiko einer Geburtsasphyxie besteht (Fu u. Oloffson 2007).
751 33.5 · Weitere Methoden
Farbdopplersonographie Kindliche Nabelschnurumschlingungen sind bei bis zu 1/3 aller Geburten festzustellen. Sie verursachen 12–40% aller pathologischen CTG-Veränderungen – insbesondere variable Dezelerationen – und sind zumindest bei eingeschränkter fetaler Kompensationsreserve häufig mit Geburtsazidosen vergesellschaftet (Herbst et al. 1997). Neue Untersuchungen ergaben, dass Nabelschnurumschlingungen nicht nur häufig zu einer fetalen Asphyxie führen, sondern das Risiko für eine Zerebralparese 3-fach erhöhen (Nielsen et al. 2008). Die farbkodierte Dopplersonographie weist bezüglich der korrekten intrapartalen Diagnose einer Nabelschnurumschlingung mit einer Sensitivität von 96% und Spezifität von 100% eine hohe Treffsicherheit auf. Die Auswirkungen solcher Informationen auf die geburtshilflichen Entscheidungen und Ergebnisse wurden bislang nicht hinreichend untersucht.
Biophysikalisches Profil sub partu Durch den Verbund verschiedener Überwachungsmethoden im Rahmen des biophysikalischen Profils des Fetus und die hiermit mögliche Überprüfung unterschiedlicher fetaler Regulations- und Adaptationsmechanismen konnte die prognostische Aussagekraft gegenüber den genannten Einzelverfahren signifikant verbessert werden (Gnirs u. Schneider 1996; 7 Kap. 30). > Die Fruchtwassermetrik (Oligo-/Anhydramnion) erfasst am sensitivsten die Feten, die später wegen drohender Asphyxie (pathologisches CTG) operativ entbunden werden müssen.
Wenngleich der »biophysical profile score« für die antepartale Überwachung entwickelt wurde, ergeben sich unmittelbar geburtsrelevante Aspekte. So ist nach Ausschluss eines vorzeitigen Blasensprunges und urogenitaler Fehlbildungen eine verminderte Fruchtwassermenge meist Ausdruck einer fetalen Mangelversorgung mit dem Risiko schneller Zustandsverschlechterungen unter der Belastung durch regelmäßige Wehentätigkeit (7 Kap. 28 und 30.5.2).
Studienbox Ferner finden sich häufig Nabelschnurkompressionen mit entsprechenden CTG-Veränderungen und Mekoniumaspirationen (Lin u. Sheikh 1993, in Gnirs u. Schneider 1996). Das sonographische Bild ausgeprägter plazentarer »Alterungsprozesse« (Grad III nach der von Grannum 1979 beschriebenen Klassifikation) ist in 44% der Fälle mit dem Auftreten pathologischer FHF-Muster sub partu,in bis zu 15% der Fälle mit vorzeitigen Plazentalösungen und in 7,4% mit dem Auftreten einer Präeklampsie assoziiert (Vintzileos et al. 1987, in Gnirs u. Schneider 1996; Mc Kenna 2005).
! Ein bereits vor Blasensprung bestehendes Oligohydramnion ist oft ein Hinweis auf eine chronische fetale Versorgungsstörung (chronischer »Verlaufsmarker«). Das Risiko von Geburtskomplikationen ist damit deutlich erhöht.
Das biophysikalische Profil beinhaltet zwar Parameter mit sehr hoher Sensitivität (90–100%) bezüglich einer fetalen Hypoxämie/Azidose, ist aber wegen des großen Untersuchungsaufwandes und der hohen Falsch-positiv-Rate von 21–67% allenfalls für die initiale Zustandsbeurteilung des Fetus bei Geburtsbeginn von Bedeutung (Basisuntersuchung).
Amnioskopie Die 1961 erstmals von Saling beschriebene Amnioskopie wurde peripartal v. a. zum Nachweis oder Ausschluss grünen (mekoniumhaltigen) Fruchtwassers genutzt. Mit Hilfe eines Amnioskopes und einer am eipolfernen Ende angebrachten Lichtquelle ist auch bei noch nahezu verschlossenem Muttermund die Beurteilung der Eihäute, der Farbe und Menge des Fruchtwassers sowie evtl. vorhandener Vernixflocken möglich. > Eine Grünfärbung des Fruchtwassers durch Mekonium galt lange als pathognomonisches Zeichen einer fetalen Asphyxie.
Die sympathische Innervierung des Rektums führt zu einer Kontraktion des inneren Sphinkters, vagale Reize steigern die Aktivität des Kolons und lösen eine Relaxierung des Schließmuskels aus. Entsprechend haben Nabelschnurkompressionen bzw. eine fetale Dekompensation infolge einer gesteigerten Aktivität des Vagus einen Abgang von Mekonium ins Fruchtwasser zur Folge. Im Vergleich zu den heute verfügbaren perinatalen Überwachungsverfahren ist der effektive klinische Nutzen dieser Methode gering.
Studienbox Das Auftreten grünen Fruchtwassers ist durchaus kein seltenes Ereignis und findet sich in bis zu 20% der Fälle mit Terminüberschreitung sowie bei ca. 12% aller Geburten. Die bei Mekonium im Fruchtwasser teilweise erhöhte perinatale Mortalität ist großteils auf die Komplikationen bei Mekoniumaspiration zurückzuführen, die auch in 30% aller intrauterinen Fruchttode beobachtet wird (Smith 1990; Nathan et al. 1994, in Gnirs 1995). Eine signifikante Assoziation von Mekonium im Fruchtwasser mit einer fetalen Azidose ließ sich nicht nachweisen (Steer et al. 1989). In bis zu 57% der Fälle ist die Amnioskopie falsch negativ. Selbst bei schwersten metabolischen Azidosen liegt die Falsch-negativ-Rate bei 32%, die Rate falsch positiver Befunde sogar bei 95%. In Fällen, bei denen der Mekoniumnachweis zur Geburtseinleitung führte, ließ sich die Häufigkeit entsprechender kindlicher Komplikationen nicht reduzieren (Levran et al. 1988, Stanley 1994, in Gnirs 1995).
Die vorgenannten Erkenntnisse haben dazu geführt, dass die Amnioskopie in der klinischen Routine praktisch nicht mehr eingesetzt wird.
33
752
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
33.5.2
Kontinuierliche transkutane Messung des pO2, pCO2 und pH-Wertes
Die transkutanen Messmethoden wurden entwickelt, um im Gegensatz zur FBA fortlaufende Informationen über den fetalen Zustand unter der Geburt zu erhalten (Künzel 1990). Sie haben allerdings klinisch aufgrund des hohen Untersuchungsaufwandes, der unausgereiften Technik und zu großer Streubreite der Messwerte keine größere Bedeutung erlangt.
33.5.3
33
Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)
Die Nahinfrarotspektroskopie (=Laserspektroskopie) ermöglicht die kontinuierliche und nicht invasive Direktmessung der Gewebeoxygenierung im fetalen Gehirn. Hierbei wird Licht bekannter Intensität und Wellenlänge (700–1000 nm) in das Gewebe eingestrahlt und das nach Streuung und Absorption reflektierte Licht photometrisch gemessen. Die Absorption wird v. a. durch das Hämoglobin bestimmt, das in oxydiertem und reduziertem Zustand unterschiedliche Absorptionsspektren aufweist. Entscheidend für die kontinuierliche Messung der fetalen Gehirnoxygenierung ist die Änderung der Absorptionskurve bei Konzentrationsänderung des oxidierten Zytochroms aa3 (Maximum der Kurve bei 805 nm), das als Redoxkatalysator am Ende der intrazellulären Atmungskette steht. Sub partu ergibt sich eine signifikante Korrelation zwischen NIRS (Zytochrom aa3) und FBA (pO2). Im Abgleich mit der Kardiotokographie ist ein Abfall des Zytochroms aa3 in 92% der Fälle mit einem suspekten CTG-Muster assoziiert, umgekehrt kann nur in 14% aller suspekten CTG eine Abnahme der zerebralen Oxygenierung nachgewiesen werden. Aussagen über die klinische Effizienz dieses v. a. in tierexperimentellen Untersuchungen eingesetzten Verfahrens sind mangels randomisierter Studien nicht möglich (Mozurkewich u. Wolf 2009).
33.5.4
Pulsoxymetrie
Die Pulsoxymetrie ist ein weiteres Verfahren zur kontinuierlichen Überwachung des fetalen Zustands unter der Geburt. Der Messparameter ist hierbei die fetale Sauerstoffsättigung (SO2) im arteriellen Gefäßsystem, die photometrisch anhand der unterschiedlichen Absorptionsspektren von Hämoglobin und Oxyhämoglobin bestimmt wird: [O2Hb] SO2 (%) = 07 · 100 [O2Hb] + [Hb] [O2Hb]: Konzentration von Oxyhämoglobin. [Hb]: Konzentration von Desoxyhämoglobin. > Oxygeniertes Hämoglobin absorbiert rotes Licht (660–735 nm) stärker als desoxygeniertes Hämoglobin, im infraroten Bereich (890–940 nm) kehren sich die Verhältnisse um.
Nach Streuung und Absorption wird emittiertes Licht von einem Photodetektor empfangen und in elektrische Signale umgewandelt. Während der Systole nimmt der Blutfluss im arteriellen Gefäßbett zu, während der Diastole dagegen ab, wodurch sich jeweils mit dem Hämoglobingehalt auch die Absorption ändert (pulsatiles plethysmographisches Signal). Die Absorption von Haut, Knochen, anderem Gewebe und nicht pulsierendem Blut im venösen Gefäßschenkel addiert sich als konstante Komponente zur Gesamtabsortion. Durch entsprechende Steuerung der Lichtemission und nachgeschaltete Signalverarbeitung gelingt im Abgleich mit einer Kalibrationskurve die Bestimmung der Sauerstoffsättigung. Die Messungen ergeben Relativ-, keine Absolutwerte. Derzeit kommen 2 Verfahren zum Einsatz: 4 Die Reflexionspulsoxymetrie nutzt atraumatische Sensoren, bei denen die Lichtquelle und der Photodetektor nebeneinander liegen. Gemessen wird das nach Streuung und Absorption reflektierte Licht. 4 Bei der Transmissionspulsoxymetrie wird ein Gewebeareal durchleuchtet und der durchtretende Lichtanteil auf der gegenüberliegenden Seite gemessen. Solche Sensoren sind i. d. R. in Spiralelektroden integriert, die direkt in das Gewebe, z. B. die Kopfhaut eingebracht werden und zugleich für die Ableitung des Skalpelektroden-EKG genutzt werden können. Bei letzteren ist die Gefahr der Dislokation des Systems geringer. Die Angaben über eine ausreichende Aufzeichnungsqualität variieren zwischen 58% und 100% (im Mittel 65% der Untersuchungen; Lurie et al. 1996; ACOG 2001).
Studienbox Nach Angabe verschiedener Arbeitsgruppen liegen die gemessenen SO2-Werte in der Eröffnungsperiode im Mittel bei 50–68% und in der Austreibungsperiode bei 49–65%. Die Streuung der Messwerte ist erheblich und erreicht bis zu 95% (Chua et al. 1997; Dildy et al. 1996; Luttkus et al. 1997; ACOG 2001). Im Vergleich zur FBA liegt die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung im Median um +6% höher, wobei Abweichungen von mehr als 20% vorkommen. Sättigungsabfälle korrelieren zumindest teilweise mit pathologischen CTG-Mustern (Goeschen u. Butterwegge 1996; . Abb. 33.14; East et al. 2007). Die Mehrzahl der bisher vorliegenden Studien lieferten Hinweise, dass länger andauernde oder wiederholt auftretende SO2-Werte unter 30% die Entstehung einer fetalen Azidose widerspiegeln (Carbonne et al. 1999). Hier ergibt sich aber zugleich das grundsätzliche Problem der Pulsoxymetrie. Alle Systeme sind bezüglich der Messgenauigkeit für Sättigungswerte zwischen 70% und 100% gut validiert, jedoch im niedrigen Sättigungsbereich durch eine erhebliche Fehlertoleranz bzw. Streuung der Messwerte belastet. Trotz einer fetalen Azidose können auch Sättigungswerte über 30% beobachtet werden (Luttkus et al. 1997; East et al. 2007).
6
753 33.5 · Weitere Methoden
Zwar scheint sich durch Einsatz der Pulsoxymetrie in gewissem Umfang die Zahl operativer Entbindungen wegen drohender fetaler Asphyxie sowie fetaler Blutgasanalysen und die EE-Zeit signifikant reduzieren zu lassen (Garite et al. 2000; Kühnert u. Schmidt 2004; Klauser et al. 2005; East et al. 2007). Nach neueren Untersuchungen ist der diagnostische Wert dieser Methode jedoch bezüglich einer Azidosevorhersage unabhängig von den gewählten Grenzbereichen nur gering (Alshimmiri et al. 1997; Stiller et al. 2002). Die mitunter großen Differenzen hinsichtlich der intrapartalen SO2-Messungen verschiedener Arbeitsgruppen ergeben sich z. T. aufgrund der nicht einheitlichen Kalibrierung der Systeme. Andere Fehlermöglichkeiten betreffen die Dislokation des Sensors, unterschiedliche Anpressdrücke der Sonde im Geburtsverlauf (falsch hohe Sättigungswerte während der Wehe), Störungen durch eine Kopfgeschwulst (falsch niedrige Werte), Mekonium, (schwarze) Haare und nicht mit dem Puls synchronisierte Messungen. Im klinischen Routinebetrieb zeigt die Pulsoxymetrie selbst bei einem SpO2-Grenzwert <30% einen zu geringen positiven Vorhersagewert (17%) bzw. eine zu schwache Korrelation hinsichtlich einer fetalen Azidose (r=0,04; Schmidt et al. 2000; Rijnders et al. 2002). Lediglich bei fetalem Herzblock scheint die Methode einen gewissen Stellenwert zu besitzen (East et al. 2007).
Aufgrund technischer Probleme (Sensorfixierung, Signalverluste) und z. T. diskordanter Studienergebnisse (Dildy 2004) wird die Pulsoxymetrie im Einklang mit der aktuellen Empfehlung des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG 2005) und den Leitlinien der DGGG (2008)
. Abb. 33.14. Beispiel für die intrapartale Pulsoxymetrie (nach Butterwegge 1995). Erst langsame, dann in Rückenlage signifikante Ab-
derzeit nicht als Standardverfahren bei Risikogeburten empfohlen. Sensoren, die wie die Spiralelektrode eine bessere Fixierung zeigen, mögen zwar das Signalverlustproblem minimieren, nicht jedoch die oben erwähnten Probleme in der Prädiktion bzw. dem Ausschluss einer Asphyxie (Knitza et al. 1992). Die Metaanalyse der verfügbaren randomisierten Studien ergab, dass durch die additive Anwendung der Pulsoxymetrie bei suspekten oder pathologischen FHF-Mustern weder eine Reduktion von Sectiones noch Verbesserungen des neonatalen bzw. maternalen Gesundheitszustandes zu erwarten ist (East et al. 2009).
33.5.5
Intrapartale Registrierung der fetalen Bewegungsaktivität und Verhaltenszustände
Fetale Bewegungsmuster sub partu Fetale Bewegungsmuster und Verhaltenszustände haben v. a. für die antepartale Überwachung große Bedeutung erlangt (7 Kap. 30). Unter der Geburt findet sich eine Reduktion der Kindsbewegungen erst kurz vor oder während des Eintretens einer Hypoxämie/Azidose.
Studienbox Da die kortikalen und subkortikalen Zentren bei schwerer Depression des Fetus in umgekehrter zeitlicher Abfolge ihre Funktion aufgeben, in der sie sich während der Embryonal- und Fetalperiode entwickelt hatten (Porto 1987, in Gnirs 1995), ist ein Ausfall des Muskeltonus erst bei schweren Geburtsasphyxien (arterieller Nabelschnur-pHWert <7,10) zu beobachten.
nahme der O2-Sättigungswerte (SaO2) bei gleichzeitigem Auftreten einer schweren FHF-Dezeleration
33
754
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
> Eine pathologische Abnahme der fetalen Bewegungsfrequenz und des Muskeltonus tritt sub partu meist erst unmittelbar während einer kindlichen Hypoxämie auf (»Akutmarker« mit geringer Vorwarnzeit).
! Insbesondere bei fortgeschrittenem Geburtsbefund, aber auch in der Eröffnungsperiode bei unruhiger Patientin sollte das fetale Bewegungsprofil im K-CTG aufgrund der häufiger auftretenden Registrierartefakte nicht mehr zur klinischen Entscheidungsfindung herangezogen werden.
Möglichkeiten der intrapartalen Bewegungsregistrierung
Es wurden kasuistisch Einzelfälle berichtet (persönliche Mitteilung), bei denen trotz schwerster fetaler Asphyxie bzw. in einem Fall bei bereits abgestorbenem Fetus und nicht mehr erfassbarer Herzaktion fälschlicherweise solche Artefakte als Hinweis auf einen unbeeinträchtigten Fetus gewertet wurden.
Die Registrierung der fetalen Bewegungsaktivität (7 Kap. 30) erfolgt heute nur in Ausnahmefällen sonographisch. Die maternale Perzeption fetaler Bewegungen ist schon ante partum im Vergleich zur sonographischen Bewegungsregistrierung relativ unzuverlässig (7 Kap. 30.3.2). Die ebenfalls ungenaue Bewegungserfassung anhand der Tokodynamometrie (»Spikes« im Tokogramm) zeigt v. a. Fehlregistrierungen infolge von Uteruskontraktionen, starker maternaler Atmung oder fetalem Schluckauf. Letztlich liefert heute neben der personal- und zeitintensiven Real-time-Sonographie die Kinetokardiotokographie (K-CTG) die exakteste Wiedergabe des tatsächlichen fetalen Bewegungsspektrums.
Kinetokardiotokographie (K-CTG) sub partu
33
Das fetale Bewegungsprofil bietet die Möglichkeit einer fortlaufenden Bewegungsregistrierung, solange das intrapartale CTG extern abgeleitet wird (7 Kap. 30). Soll das K-CTG unter der Geburt eingesetzt werden, so müssen Bewegungen der Mutter und Nachjustierungen des Ultraschalltransducers sorgfältig dokumentiert werden, da hierdurch die Zahl von Artefakten stark zunehmen kann. Während der Eröffnungsperiode liegt die Rate einer falschpositiven Bewegungsanzeige bei 4–10%, dagegen in der Austreibungsperiode bei 33%. Uteruskontraktionen per se führen nur selten zu Fehlregistrierungen. Wie vor der Geburt ist die fetale Bewegungsaktivität als pathologisch einzustufen, sofern die 5. Perzentile der bei unauffälligen Schwangerschaften ermittelten Referenzkurven unterschritten wird. Nahe am Geburtstermin (37–40 SSW) liegt diese Grenze bei einer Anzahl von 3–5 fetalen Bewegungen sowie einer Bewegungsdauer von 16–25 s pro 10 min (Gnirs et al. 1998). Signifikant reduzierte Bewegungen des Fetus finden sich in der Eröffnungsperiode deutlich seltener (4%) als in der Austreibungsperiode (32%). Eine »Ökonomisierung« der fetalen Sauerstoffreserve bei beginnender Hypoxämie des Fetus wird im K-CTG ähnlich der antepartalen Situation durch eine signifikante Verkürzung der Bewegungsdauer angezeigt (. Abb. 33.11, 7 Kap. 33.2.3), wodurch die Indikation zu einer FBA bzw. operativen Intervention erhärtet werden kann. Der wesentlichste Vorteil der Kinetokardiotokographie unter der Geburt liegt jedoch in der Verbesserung der CTGInterpretation. Durch die zusätzliche Information des gleichzeitig aufgezeichneten fetalen Bewegungsprofils kann in der Eröffnungsperiode die Rate falsch positiver Befunde um 40% gesenkt werden (Gnirs u. Schneider 1996; . Abb. 33.15).
> Grundsätzlich gilt, dass das Bewegungsprofil eine Interpretationshilfe für die Kardiotokographie und in der vorgeburtlichen Situation ein chronischer Verlaufsmarker ist. Sub partu macht jedoch das Bewegungsprofil keinesfalls eine lückenlose FHF-Registrierung verzichtbar!
33.5.6
Fetale Stimulationstests sub partu
Anhand fetaler Stimulationstests (z. B. manuelle Stimulation, akustische und lichtoptische Verfahren) können gerade die mit fetalen Tiefschlafperioden assoziierten nicht reaktiven oder eingeengten FHF-Muster abgeklärt werden. Heute werden meist vibroakustische Stimulationen (VAS) mit einem Elektrolarynx zur Beurteilung der fetalen Reaktivität eingesetzt (7 Kap. 30), weil diese am zuverlässigsten zu einer objektiv beurteilbaren «Reizantwort« führen (Schmidt u. Gnirs 1990, in Gnirs u. Schneider 1996, Skupski et al. 2002; Bolnick et al. 2006). Eine ausbleibende Reaktion des Fetus (FHF-Akzelerationen, Zunahme der Bewegungsaktivität) trotz solcher Reizapplikationen spricht für fehlende Kompensationsmöglichkeiten und eine unmittelbare Gefährdung des Kindes. In der frühen Eröffnungsperiode können nach vibroakustischer Stimulation bis zu 4 fetale Reaktionsformen beobachtet werden (5 s Stimulationsdauer, . Tab. 33.11). Die Reaktions-
. Tab. 33.11. Vibroakustische Stimulation des Fetus sub partu. (Nach Ingemarsson et al. 1989)
Reaktionsmuster der FHF
Charakteristik
Typ IA
Andauernde Periode mit Akzelerationen (≥15 SpM, >3 min)
Typ IB
Einzelne Akzelerationen (≥15 SpM, >1 min) oder ≥2 Akzelerationen (≥15 SpM, >15 s)
Typ II
Biphasische Reaktion mit Akzeleration(en) und konsekutiver Dezeleration
Typ III
Keine Reaktion oder prolongierte Dezeleration (>60 SpM, >1 min)
FHF-Akzeleration: Amplitude ≥15 SpM, Dauer ≥10 s. FHF-Dezeleration: Amplitude ≥–15 SpM, Dauer ≥10 s.
755 33.5 · Weitere Methoden
. Abb. 33.15. Verbesserung der Interpretation fraglich pathologischer CTG-Muster durch das fetale Bewegungsprofil. Ohne Kenntnis der assoziierten Bewegungsaktivität (oben) unklare Zuordnung der FHF-Baseline, mit fetalem Bewegungsprofil (unten, fortlaufend geschrieben) eindeutige Zuordnung der Baseline anhand der bei Kinds-
bewegungen im K-CTG nachgewiesenen FHF-Akzelerationen. Korrekte »Baseline« bei 130 SpM. Die bei fetalem Aktiv-wach-Zustand lange anhaltenden Akzelerationen könnten zu einer Fehleinschätzung der Baseline bei einem Niveau um 180 SpM und zur Deutung eines dezelerativen FHF-Musters führen
muster II und III werden als abnormal angesehen. Bei suspektem CTG vor Stimulation und pathologischer Reaktion (Typ III) nach Reizapplikation ist im weiteren Verlauf der Geburt in 75% der Fälle mit einer fetalen Beeinträchtigung (operative Entbindung wegen pathologischer FHF und/oder 5-min-Apgar <7) zu rechnen. Eine adäquate fetale Reaktion spricht mit hoher Sicherheit für ausreichende Kompensationsreserven, entsprechend hoch sind die Spezifität (94–98%) und der negative Vorhersagewert dieses Testverfahrens (94–98%). Da die Sensitivität und der positive Vorhersagewert mit 31–33% bzw. 14–36% eher gering sind, eignet sich dieses Überwachungsverfahren nicht als Screeningmethode (. Tab. 33.11).
Bei Abgleich vibroakustischer Stimulationstests mit fetalen Blutgasanalysen fanden sich bei Feten, die keine Reaktion zeigten oder auf die Stimulation mit dezelerativen FHF-Mustern reagierten, signifikant niedrigere Blut-pHWerte (pH-Wert 7,22, p <0,05) als bei Feten mit normaler Reizantwort (pH-Wert 7,30; Ingemarrson u. Arulkumaran 1989, in Gnirs u. Schneider 1996; Skupski et al. 2002). Nach den Angaben verschiedener Untersucher liegt der positive Vorhersagewert hinsichtlich einer mittels FBA diagnostizierten Azidose (pH ≤7,20) nur bei 10–16%, der negative Vorhersagewert erreicht dagegen bis zu 99,5%. Da falsch positive Befunde mit 23–27% relativ häufig sind (Irion et al. 1996),
33
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
sollten pathologische Testresultate mittels FBA abgesichert werden. Gesunde Kinder zeigen außerdem initial ausgeprägtere Reaktionen (Alteration der FHF und Bewegungsaktivität) sowie eine schnellere Abschwächung der Reizantwort als hypoxämische Feten (Gnirs u. Schneider 1996). Untersuchungen sub partu zeigen, dass es selbst in Hochrisikokollektiven seltener zu Geburtskomplikationen kommt, wenn die Feten primär adäquat auf die Stimulation reagieren und anschließend Zeichen einer Gewöhnung aufweisen. Der Einsatz von Stimulationstests führt zu einer Reduktion falsch positiver CTG-Befunde um 16–64%, insbesondere wird die Inzidenz nicht reaktiver FHF-Muster um 48% reduziert und die Untersuchungszeit bei diskontinuierlicher CTGRegistrierung verkürzt. Ferner können bei suspekten FHFVeränderungen fetale Blutgasanalysen in 50% vermieden werden (Smith et al. 1986, in Gnirs u. Schneider 1996). In Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass die Einbindung fetaler Stimulationstests eine Interpretationshilfe darstellt, durch die v. a. die Spezifität der CTG-Untersuchung gesteigert werden kann (Skupski et al 2002). Für die Geburtsüberwachung ist von Bedeutung, dass eine negative Korrelation zwischen stimulationsbedingter Reaktivität des Fetus und dem Geburtsbefund (Muttermundweite, Blasensprung/Amniotomie) besteht. Nachuntersuchungen von Kindern, die in utero vibroakustisch stimuliert worden waren, ergaben keinerlei Anhalt für eine Schädigung infolge eines Schalltraumas. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass z. B. bei bereits bestehender Nabelschnurumschlingung und reizinduzierter Aktivitätszunahme in Ausnahmefällen intrauterine Notsituationen auftreten können. Externe Stimulationen (vibroakustisch oder mittels Skalpstimulation) gehören heute insbesondere in den USA zur empfohlenen klinischen Praxis (ACOG 2005), dennoch sollte der Einsatz eines Elektrolarynx nicht unreflektiert erfolgen. Untersuchungen hinsichtlich der Wirkung einer externen Stimulation ergaben bei Anwendung handelsüblicher Geräte eine signifikante Zunahme unsynchronisierter Aktivitätszustände nach vibroakustischer Reizapplikation, was auf eine zeitlich begrenzte Desorientierung der zentralnervösen fetalen Koordination hinweisen könnte. In der Vergangenheit wurde ein speziell für die geburtshilfliche Anwendung optimierter Elektrolarynx entwickelt (FEVAS), der bei gleicher Wirksamkeit mit halber Lautstärke arbeitete und nicht zu derartigen Alterationen führte (Gnirs 2002). (Das Gerät ist jedoch mangels Nachfrage nicht mehr verfügbar, da die vibroakustische Stimulation in Deutschland fast ausschließlich im Hochschulbereich zum Einsatz kam.) Prinzipiell sollten intrapartale Stimulationstests wegen nicht sicher gegebener Evidenz einer perinatalen Ergebnisverbesserung eher sparsam angewandt werden. In manchen Fällen mag eine Verlängerung der Untersuchungszeit (>40 min) durch Beendigung einer fetalen Schlafphase schon zur Klärung beitragen (Gnirs u. Schneider 1994; East et al. 2007). In 7 randomisierten antepartalen Untersuchungen und mehr als 500 prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass sich durch die vibroakustische Stimulation nicht reaktive CTG-Muster und hierdurch begründete Entbindungen um
40–50% reduzieren lassen (Tan u. Smyth 2001; Gnirs 2002; Skupski et al. 2002). > Durch vibroakustische Stimulationstests können bis zu 50% der fraglich pathologischen CTG-Muster abgeklärt werden. Ihr Einsatz sollte jedoch nur gezielt zur Vermeidung sonst notwendiger invasiver Abklärungs- oder Behandlungsmaßnahmen erfolgen. Während in der antepartalen Situation ein signifikanter klinischer Nutzen nachgewiesen werden konnte (7 Kap. 30.2.5), besteht aufgrund fehlender prospektiv randomisierter Studien keine klare Evidenz für eine Verbesserung der geburtshilflichen Ergebnisse bei Anwendung von Stimulationstests sub partu (East et al. 2009).
33.5.7
Signalanalysen des fetalen EKG sub partu: T/QRS-Ratio und PR-IntervallAnalyse
Zur Steigerung der Spezifität konventioneller CTG-Registrierungen wurden Verfahren entwickelt, die durch EKG-Signalanalysen kontinuierlich Zusatzinformationen über den Zustand des Fetus liefern. Diese fokussieren im Besonderen auf die Morphologie und den Zeitverlauf des intrapartalen fetalen EKG.
ST-Analyse (STAN) Die ST-Analyse stützt sich auf die bei einer Hypoxie auftretenden Alterationen der elektrischen Herzaktivität, die durch Veränderungen des EKG-Signals charakterisiert sind. Im Zustand der Hypoxie erfolgt im Herzmuskel zum Zweck der Energiegewinnung ein Wechsel zu anaerober Glykolyse. Das Herz muss dabei auf myokardiale Glykogenspeicher zurückgreifen, um seine Funktion aufrechterhalten zu können. Dies führt zur Produktion von Laktat und zur Abnahme des Gewebe-pH-Wertes. Durch Freisetzung von Kaliumionen und Alteration der Natriumpumpe verändern sich die zellulären Membranpotenziale im Herzmuskel. Da das STSegment und die T-Welle des EKG die elektrische Aktivität der Ventrikelrepolarisation repräsentieren, ändert sich bei einer Gewebshypoxie dieser Anteil des EKG-Signals in besonderem Maße. In tierexperimentellen Untersuchungen (Schaf, Guineaschwein) konnte gezeigt werden, dass es bei fetaler Hypoxie/Azidose noch vor Auftreten signifikanter FHF-Alterationen zur Anhebung des ST-Segments sowie zur Anhebung oder Invertierung der T-Welle kommt. Dagegen bleibt der QRS-Komplex weitgehend unverändert. Durch geeignete Monitore kann zeitsynchron zur konventionellen Herzfrequenzregistrierung über eine Kopfschwartenelektrode das zugrunde liegende EKG-Signal ausgegeben und als Maß für die kardiale Gewebeoxygenierung die T/QRSRatio bestimmt werden. Neueren Angaben zufolge wird zumindest ein episodischer T/QRS-Anstieg >0,15 bzw. ein Anstieg der T/QRS-Baseline um >0,10 oder ein biphasischer ST-Verlauf über >5 min oder >2 Episoden als pathologisch erachtet (Noren et al. 2003; Amer-Wåhlin et al. 2005; Van der Tweel et al. 2007; Westerhuis
757 33.5 · Weitere Methoden
et al. 2007). Die Übereinstimmung zwischen verschiedenen Untersuchern ist dabei signifikant besser (94%) als bei alleiniger CTG-Beurteilung (73%) (Westerhuis et al. 2009). Da die Ableitung des fetalen EKG über eine Skalpelektrode erfolgt, gelten die gleichen Kontraindikationen wie bei der FBA. Die Methode sollte nicht vor 36+0 SSW angewandt werden und setzt eine eröffnete oder spontan rupturierte Fruchtblase voraus. Die Applikation sollte in der Eröffnungsperiode und nicht etwa bei schon pressender Patientin erfolgen, kann dann aber im Geburtsverlauf weiter genutzt werden. Prinzipiell muss vor Beginn der STAN-Aufzeichnung die FHF klassifiziert werden und eine adäquate EKG-Signalqualität sichergestellt sein. Sollte zu Beginn der Registrierung bereits ein suspektes CTG-Muster bestehen, so muss initial der Zustand des Fetus mittels FBA abgesichert werden. In seltenen Fällen kann sich die fetale Herzfrequenz sehr langsam von einem normalen zu einem pathologischen Befund verändern, ohne dass dies anhand der ST-Analyse erkennbar wäre. Sollte ein pathologisches CTG längere Zeit (>60 min) persistieren, so bedarf dies einer weiterführenden Abklärung (z. B. FBA) bzw. bei eindeutiger Pathologie (schwere Bradykardie, präterminales CTG etc.) der unmittelbaren Intervention allein aufgrund der CTG-Auswertung. Artefakte und eine Verminderung der Aufzeichnungsqualität sind v. a. in der Austreibungsperiode zu beobachten. Auch bei Auftreten einer fetalen Tachykardie ist die Interpretation erschwert. Bei Anwendung der ST-Analyse gelten die auch den prospektiv randomisierten Studien zugrunde liegenden STAN Clinical Guidelines (. Tab. 33.12). In diesen randomisierten Studien konnte unter gewissen Vorbedingungen (30 min Vorlaufregistrierung, anfängliche Prüfung des fetalen Säure-Basen-Status mittels FBA) eine signifikante Reduktion der FBA-Rate, metabolischer Azidosen (relatives Risiko 0,47; p=0,02), operativer Entbindungen (relatives Risiko 0,83; p=0,047) bei additivem Einsatz der ST-Analyse gegenüber der alleinigen CTG-Überwachung sub partu nachgewiesen werden (Westgate et al. 1992; AmerWåhlin et al. 2001; Westerhuis et al. 2007; Neilson 2009). Außerdem konnte gezeigt werden, dass durch die additive Nutzung der ST-Analyse die Inter-Observer-Variabilität bei Entscheidung zur Intervention wegen pathologischer FHF-Muster verringert werden kann und unnötige Eingriffe vermieden werden können. In wenigen Ausnahmefällen schien die Verfügbarkeit dieser Zusatzinformation allerdings auch notwendige Therapiemaßnahmen hinauszuzögern (Vayssère et al. 2009).
PR-Intervall-Analyse Eine gewisse Problematik der ST-Analyse liegt in der exakten Erfassung morphologischer EKG-Veränderungen. Dies gilt im Besonderen für die späte Eröffnungs- und Austreibungsperiode, in der die Signalamplitude um bis zu 30% abnehmen kann, wodurch der relative Fehler der Amplitudenmessung zunimmt. Im Gegensatz dazu sind die Zeitverläufe des EKGSignals (»Timing«) wesentlich genauer zu ermitteln. Hier unterliegt v. a. das PR-Intervall deutlichen Einflüssen des autonomen Nervensystems. Dieses repräsentiert die atrioventrikuläre Erregungsüberleitung, die sensitiv gegenüber dem Vagotonus ist. Die im Tierexperiment (van Wijingaarden et al. 1996b) gesicherte positive Korrelation zwischen PR- und RR-Intervall (positiver Überleitungsindex=»conduction index«) besteht auch beim gesunden menschlichen Fetus. Sinkt der pH-Wert im Skalp- oder Nabelschnurblut ab, kehren sich die Verhältnisse um: Trotz Verlängerung des RR-Intervalls, die sich in einer Dezeleration oder Bradykardie manifestiert, wird das PR-Intervall kürzer (negativer Überleitungsindex). Gleichzeitig steigt der Katecholaminspiegel an. Damit ergibt sich prinzipiell die Möglichkeit, zwischen nicht hypoxiebedingten, reflektorischen Dezelerationen (Vagusreizung) und hypoxischmetabolisch bedingten Dezelerationen (Stimulation des Sympathikus) zu unterscheiden.
Studienbox Vier der insgesamt 5 derzeit vorliegenden randomisierten Studien zur kontinuierlichen intrapartalen FHF-Überwachung mit insgesamt 10.628 Schwangeren umfassten auch die ST-Analyse (9671 Schwangere). Diese zeigten in einer Cochrane-Mataanalyse der STAN-Überwachung sub partu im Vergleich zur konventionellen CTG-Registrierung eine geringere Enzephalopathierate (RR 0,37), eine geringere FBA-Rate (RR 0,67) und weniger vaginaloperative Entbindungen (RR 0,88). Es fand sich kein signifikanter Unterschied in der Rate schwerer metabolischer Azidosen (RR 0,73), der Sectiorate (RR 0,97), einem 5-minApgar-Score <7 (RR 0.82) bzw. in der Rate der Verlegungen auf die NICU (RR 0,90) (Neilson 2009). Die bezüglich der ST-Analyse genannten Einschränkungen gelten auch für die PR-Intervall-Analyse.
. Tab. 33.12. STAN-Leitlinie zur klinischen Anwendung. (Amer-Wahlin et al. 2007): ST-Veränderungen mit Indikation zur unmittelbaren Intervention in Relation zur CTG-Beurteilung (FIGO-Richtlinien)
ST-Befund
CTG suspekt
CTG pathologisch
CTG präterminal*
Episodischer T/QRS-Anstieg
>0,15
>0,10
Sofortige Entbindung
Baseline-T/QRS-Anstieg
>0,10
>0,05
Sofortige Entbindung
Biphasischer ST-Verlauf
3 biphasische ST
2 biphasische ST
Sofortige Entbindung
* Vollständiger Variabilitätsverlust (<2 SpM), keine Akzelerationen mit/ohne Dezelerationen oder Bradykardie. Der STAN-Algorithmus benötigt 20 min Vorlaufzeit für die automatische Analyse.
33
758
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
33.5.8
Anwendung nicht linearer Analyseverfahren
Die bei der CTG-Registrierung erfasste fetale Herzfrequenzvariabilität (HRV) ist das messbare Signal eines komplexen biologischen Regelsystems. Ursprünglich wurden Komplexitätsmaße aus dem Bereich der adulten Kardiologie als diagnostisches Hilfsmittel eingeführt, z. B. für die Früherkennung und Risikobestimmung bei Patienten, die durch den plötzlichen Herztod bedroht sind. Entsprechende Untersuchungen zeigten, dass diese Methoden auf das intrapartale EKG/CTG übertragbar sind und additive Informationen vermitteln (Gnirs et al. 1995; Goncalves et al. 2007).
Komplexitätsdiagnostik der fetalen Herzfrequenzvariabilität
33
Die bei der Komplexitätsanalyse des fetalen EKG/CTG besonders berücksichtigte Variabilität der fetalen Herzfrequenz gibt die dynamische Balance der sympathischen und parasympathischen Anteile des autonomen Nervensystems wieder. Dabei werden nach verschiedenen mathematischen Modellen spezifische Komplexitätsmaße berechnet, die eine quantitative Aussage über den globalen Zustand des kardiovaskulären Systems ermöglichen (Gnirs u. Schneider 1996; Goncalves et al. 2007; Bernardes et al. 2009). Solche Verfahren wurden bislang vorwiegend im Rahmen perinatalphysiologischer Untersuchungen eingesetzt.
field 2007) Bislang wurde der klinische Nutzen solcher Systeme für die Geburtsüberwachung nicht ausreichend evaluiert.
33.6
Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
33.6.1
Intrapartale Reanimation
Alle intrapartalen Überwachungsmethoden sind darauf ausgerichtet, eine fetale Gefährdung infolge asphyktischer Zustände frühzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der »Leitbefund« für die Notwendigkeit einer intrauterinen Reanimation ist i. d. R. ein hochpathologisches CTG-Muster. Insbesondere bei akuten Ereignissen (z. B. schwere fetale Bradykardie) muss die Hilfeleistung schnell und umfassend erfolgen, damit die Zeit bis zur sicheren operativen Entbindung überbrückt oder eine so weitgehende Erholung des Kindes erreicht werden kann, dass die Fortführung der vaginalen Entbindung ohne Risiko möglich wird. Oft ist der unmittelbare Auslöser einer fetalen Depression nicht sofort zu identifizieren. Deshalb muss die intrapartale Reanimation in der Akutsituation möglichst alle denkbaren Ursachen zu beseitigen suchen.
Mögliche Ursachen einer fetalen Depression 4 Maternale Ursachen:
33.5.9
Computerisierte CTG-Überwachung
In den letzten Jahren wurden Systeme zur computerisierten CTG-Analyse (Computer-CTG, »Online-Monitoring«) entwickelt, die meist die gleichen Bewertungskriterien wie bei visueller Beurteilung durch einen Untersucher nutzen. Der Vorteil solcher Systeme liegt v. a. in der tatsächlich standardisierten Anwendung eines Beurteilungsschemas, wodurch die bei visueller CTG-Interpretation hohe Inter- und Intra-Observer-Variabilität vermieden und die Rate falsch positiver Befunde reduziert werden können (Devoe et al. 2000; Schiermeier et al. 2008; Schneider et al. 2008; Martin 2008). Bei »Online-Analyse« kann evtl. zusätzlich die Vorlaufzeit bis zur klinischen Intervention durch die zeitnahe Bewertung des CTG verkürzt werden. Manche Systeme geben darüber hinaus Prädiktionshinweise auf den fetalen Säure-Basen-Status (Römer 2006). ! Kreißsaalüberwachungssysteme können den betreuenden Geburtshelfer bzw. die Hebamme nicht ersetzen!
So werden bei einigen CTG-Interpretationsprogrammen zusätzlich auch visuell nur schwer erfassbare Parameter der FHF-Variabilität berücksichtigt und Trendanalysen durchgeführt. »Intelligente« Expertensysteme (neuronale Netzwerke) sind lernfähig und dadurch in der Lage, anhand von sub partu (z. B. CTG-Muster, Geburtsbefund) und post partum (Morbidität/Mortalität) gewonnenen Informationen ihre diagnostische Leistungsfähigkeit weiter zu verbessern (Maner u. Gar-
– V.-cava-Okklusionssyndrom – maternale Hypotonie oder Dehydratation mit Reduzierung der uteroplazentaren Perfusion – maternale Hypoxämie (falsche Atemtechnik, zu langes Pressen, Krampfanfall, Fruchtwasserembolie, Lungenödem etc.) – Parazervikalanästhesie (wurde inzwischen weitgehend verlassen)
4 Uteroplazentare Ursachen: – vorzeitige Plazentalösung – Versorgungsstörung bei Plazentainsuffizienz unter Wehenbelastung – Uterusruptur – progressive fetale Hypoxämie/Hypoxie bei Polysystolie oder uteriner Dauerkontraktion
4 Intrauterine und fetale Ursachen: – Nabelschnurkomplikationen (Nabelschnurkompression, -knoten, -umschlingung, -vorfall; sehr selten Verlegung der Gefäße bei Nabelschnurthrombose/-hämatom) – akutes fetales Kreislaufversagen (fetomaternale Transfusion, fetale Blutung bei Nabelschnurruptur/ Insertio velamentosa, hypoxischer Schock) – fetale Herzrhythmusstörungen (z. B. AV-Block)
Die intrauterine Reanimation soll dazu beitragen, den maternofetalen Sauerstofftransfer zu verbessern und die Gefahr einer Mekoniumaspiration zu reduzieren.
759 33.6 · Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
Notwendige Sofortmaßnahmen 4 Vaginale Untersuchung zum Ausschluss eines Nabelschnurvorfalls (evtl. Spiegeleinstellung), ggf. Entlastung durch Hochschieben des kindlichen Kopfes, Beckenhochlagerung, Bestimmung des Muttermundbefundes 4 Linke Seitenlagerung (V.-cava-Okklusionssyndrom) 4 Unterbrechung einer evtl. laufenden Oxytozininfusion bzw. Entfernung einer Prostaglandin-E2-Tablette (sofern noch möglich) 4 Bolustokolyse 4 Blutdruckkontrolle bei der Mutter, bei Hypotonie Volumensubstitution, evtl. Antihypotonika 4 Sauerstoffgabe, möglichst über eine Maske 4 Abhängig vom Geburtsbefund Herstellen der Sectiobereitschaft oder Vorbereitung einer vaginaloperativen Entbindung 4 evtl. Amnioninfusion
Bei Auftreten einer Blutung (z. B. bei tiefem Plazentasitz bzw. Placenta praevia marginalis) müssen großkalibrige venöse Zugangswege und die Voraussetzungen für eine Volumensubstitution bzw. Bluttransfusion geschaffen werden (Kreuzblut). Wie in jedem Fall einer intrauterinen Reanimation muss die umgehende Sectiobereitschaft hergestellt werden. Blutungskomplikationen erfordern i. d. R. die Schnittentbindung, insbesondere, wenn sie mit einer erkennbaren Zustandsverschlechterung des Kindes einhergehen. Eine vitale Bedrohung des Kindes mit gleichzeitiger Gefährdung der Mutter durch starke Blutungen (bei Placenta praevia, vorzeitiger Plazentalösung), Uterusruptur, septischem Schock oder Eklampsie ist selten und bedarf einer sofortigen Entbindung unter Anwendung der für diese Krankheitsbilder spezifischen Therapiemaßnahmen (7 Kap. 17, 20, 29). Sollte bei anderer Genese der kindlichen Notlage die Erholung des Fetus nicht innerhalb von maximal 5 min erkennbar werden, so ist auch hier die Voraussetzung für eine schnellstmögliche Geburtsbeendigung zu schaffen (Vorbereitungszeit!). ! Bei der intrapartalen Reanimation müssen unter Berücksichtigung der notwendigen Vorbereitungszeit die Maßnahmen für eine schnelle operative Entbindung getroffen werden.
Nach erfolgreicher Reanimation muss der Fetus während des weiteren Geburtsverlaufes besonders intensiv überwacht werden, da die Gefahr einer erneuten Zustandsverschlechterung besteht. Der Säure-Basen-Status sollte nicht während der Notfallsituation, aber nach der erkennbaren Erholung des Fetus mittels FBA überprüft werden, um die Belastbarkeit des Kindes für den weiteren Verlauf abschätzen zu können. Eine Ausnahme stellt nur die Austreibungsperiode dar, sofern in Kürze mit der Geburt gerechnet werden kann.
> Die intrauterine Reanimation ist grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt der Geburt sinnvoll – also auch in der Austreibungsperiode –, sofern nicht die Voraussetzungen für eine schnelle und gefahrlose Geburtsbeendigung bereits gegeben sind (Ende der Austreibungsperiode, . Abb. 33.16). Alle Maßnahmen, die einen Gefahrenzustand des Kindes in der Eröffnungsperiode zu beseitigen vermögen, sind während der Austreibungsphase ähnlich effektiv.
Studienbox Neugeborene wiesen nach intrapartaler Reanimation signifikant bessere Blutgas- und Apgar-Werte sowie eine niedrigere Rate vaginal operativer Entbindungen auf als reanimationspflichtige Kinder, bei denen entsprechende Maßnahmen unterblieben (Kastendieck et al. 1982, in Künzel 1990).
Umlagerung der Gebärenden ! Gegen Ende der Schwangerschaft ist das Risiko der Entstehung eines V.-cava-Okklusionssyndroms erhöht. Der Uterus komprimiert hierbei die V. cava inferior, wenn sich die Mutter in Rückenlage befindet (Vorsicht: längere Rückenlagerung bei vaginaler Untersuchung sub partu!).
Durch die Zuflussbehinderung aus der unteren Körperhälfte zum rechten Herzen reduzieren sich der kardiale Füllungszustand und das Auswurfvolumen. Zusätzlich kann durch den Uterus auch die Aorta descendens komprimiert werden, was die Kreislaufalteration noch aggraviert. Hieraus resultiert eine signifikante arterielle Hypotonie mit kompensatorischer Tachykardie (positiver Schockindex), die bis zum Kollaps mit Bewusstlosigkeit führen kann. Weitere Symptome sind Blässe, Schwitzen, Übelkeit, gelegentlich sogar Krämpfe. Die Veränderungen bewirken letztlich eine Reduktion der uteroplazentaren Perfusion und eine Abnahme des Sauerstofftransfers zum Fetus, der häufig eine anhaltende Bradykardie entwickelt. Eine anästhesiebedingte Hypotonie der Mutter bei Narkose oder Epi-/Periduralanästhesie kann diese Vorgänge noch beschleunigen oder verstärken. Bei bereits tief ins Becken eingetretenem vorangehendem Teil oder während einer Wehe (Aufrichten des Uterus) wird der Kompressionseffekt abgeschwächt oder ganz aufgehoben. Eine weitere seltene Ursache für eine uteroplazentare Perfusionsstörung entsteht durch den Poseiro-Effekt: Die rechte A. iliaca communis entspringt auf Höhe des 4. Lendenwirbelkörpers aus der Aorta und überquert dabei die Lendenwirbelsäule. Sie kann während einer Wehe vom Uterus gegen dieses Widerlager gedrückt und komprimiert werden, was zur Minderperfusion ihrer Versorgungsgebiete, u. a. der rechten A. uterina, führt. Die Folge können transitorische fetale Hypoxämien sein, die zu einem progressiven Verlust fetaler Kompensationsreserven führen. Symptomatisch ist eine Abnahme des systolischen Blutdrucks auf das Niveau der diastolischen Werte in den unteren Extremitäten (vorzugsweise rechts, Palpation der Fußpulse!).
33
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
33 . Abb. 33.16. Empfohlenes Vorgehen bei der intrauterinen Reanimation
Tipp Durch Umlagerung der Patientin in linke Seitenlage lässt sich der Poseiro-Effekt beseitigen.
Verschiedene FHF-Alterationen, insbesondere variable Dezelerationen, treten infolge von Nabelschnurkompressionen auf. Das Perfusionshindernis kann dabei solche Ausmaße annehmen, dass eine fetale Notsituation entsteht. Je nachdem, in welcher Position die Gebärende sich befand, als die Nabelschnurkompression auftrat, muss die Patientin zur Entlastung der Nabelschnur in linke oder rechte Seitenlage, Beckenhochlage oder Knie-Ellbogen-Lage umgelagert werden (zum Nutzeffekt der Amnioninfusion 7 Kap. 33.6.2).
Unterbrechung der Applikation von Uterotonika Eine uterine Hyperaktivität tritt bei 17% aller Geburten auf und kann wesentlich zu einer Zustandsverschlechterung des Fetus beitragen. Dauerkontraktionen führen zu einem akuten Sauerstoffdefizit und müssen mittels Notfalltokolyse (7 Kap. 33.6.1) beseitigt werden. Auch eine Polysystolie (Wehenfrequenz >5/10 min) ist behandlungsbedürftig (Basistokolyse). Bei Anwendung von Prostaglandin-E2 treten diese pathologischen Wehenformen gehäuft auf (PGE2-Gel: Poly-
systolien in 4–8%, Dauerkontraktionen in 0,4–3,7% der Fälle; PGE2-Vaginaltablette: Polysystolien in 2–6%, Dauerkontraktionen in 1–3% der Fälle), wobei auch die Phase zervixwirksamer Wehentätigkeit deutlich verkürzt ist und pathologische Wehenformen in einem kürzeren Zeitfenster zu beobachten sind. Aufgrund der geringen Halbwertszeit von Oxytozin in Plasma (etwa 3 min) und uterinem Gewebe (etwa 15 min) kann eine Oxytozindauerinfusion (5 IE Oxytozin in 500 ml Lösung; 1 mIE/min=6 ml/h, Maximaldosis 30 mIE/min = 180 ml/h) gut gesteuert werden. Bei hierunter auftretender uteriner Hyperaktivität ist die Dosis zu reduzieren. Sofern aufgrund zu geringer Wehenstärke nicht vollständig auf Oxytozin verzichtet werden kann, ist in manchen Fällen die Verlängerung der Wehenpausen durch gleichzeitige Applikation einer niedrig dosierten Basistokolyse möglich. Bei akutem fetalem Distress muss die Oxytozininfusion ganz unterbrochen und ggf. eine Bolustokolyse verabreicht werden.
Notfalltokolyse Eine pathologische Wehentätigkeit kann zu einer erheblichen Belastung des Fetus bis hin zu dessen Dekompensation führen. Ein schnell einsetzender Herzfrequenzabfall signalisiert eine akute fetale Hypoxie oder Anoxie. Selbst in Fällen, bei denen eine akute Geburtsasphyxie nicht primär durch die We-
761 33.6 · Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
hen ausgelöst wird, kann durch diese die fetale Hypoxie verstärkt oder in ihrem Verlauf beschleunigt werden. Deshalb gehört die Tokolyse im Rahmen der intrauterinen Reanimation zu den vordringlichsten Maßnahmen. Sie beseitigt die weheninduzierte Nabelschnurkompression und verbessert außerdem die uteroplazentare Perfusion. Als äußerst effektiv hat sich die Bolustokolyse mit dem in Deutschland am häufigsten eingesetzten β2-Sympathomimetikum Fenoterol erwiesen. Hierbei werden 10–20 μg Fenoterol langsam i.v. appliziert. Eine höhere Dosierung (z. B. 50 μg) beschleunigt nicht den Wirkungseintritt und verlängert die Wirkungsdauer nur um 2–3 min. Dafür nehmen aber die kardiovaskulären Nebenwirkungen sprunghaft zu. Fenoterol hat eine Plasmahalbwertszeit von etwa 15 min; bei Verabreichung von 25–30 μg hält der tokolytische Effekt für 5–15 min an. Er kann durch i.v. Applikation von Oxytozin innerhalb weniger Minuten aufgehoben werden. Nach mehrmaliger Verabreichung kann es zu einem Wirkungsverlust kommen, der höhere Dosierungen nötig macht. Sollte eine Fortführung der Tokolyse – präoperativ oder bei Fortführung der vaginalen Geburt und Tendenz zu gesteigerter uteriner Grundaktivität – erforderlich sein, so kann eine Dauerinfusion (Basistokolyse) angewandt werden. Sinnvoll ist es, mit einer effektiven Dosis von 1,5–2 μg/min zu beginnen, um eine adäquate Wirkung zu erzielen, und diese dann langsam bis zum Erreichen der gewünschten Wehenfrequenz und -stärke zu reduzieren. In randomisierten Vergleichsuntersuchungen scheint das dem Fenoterol verwandte Sympathikomimetikum Ritodrine einen ähnlichen Effekt zu besitzen wie bolusartig appliziertes Atosiban, wobei für dessen Einsatz sub partu keine Zulassung besteht (De Heus et al. 2008). ! Eine uterine Hyperaktivität sollte niemals über längere Zeit toleriert, sondern durch Tokolyse reguliert werden.
häufig Übelkeit und Erbrechen, Schweißausbrüche, Tremor, Unruhezustände und eine Tachykardie zu beobachten. Eine Bolusinjektion von 25 μg Fenoterol führt zu einer maternalen Herzfrequenzsteigerung um etwa 30 Schläge/min sowie zu einer durch die periphere Vasodilatation verursachte Senkung des systolischen (10 mm Hg) und diastolischen (20 mm Hg) Blutdrucks. Der Blutdruckabfall setzt 2–3 min nach Injektion ein und dauert etwa 15 min an (Zahn et al. 1977; De Heus et al. 2008). Dieser kann bei schon vorbestehender Kreislaufalteration (V.-cava-Okklusionssyndrom, Narkose, Epi-/Periduralanästhesie, antihypertensive Therapie) zu einer erheblichen Einschränkung des uteroplazentaren Sauerstofftransfers führen. In jedem Fall gehört zu einer regelrecht durchgeführten intrapartalen Reanimation stets die Kontrolle der maternalen Kreislaufparameter. Ferner kann es unter dem Einfluss von β-Sympathomimetika zu einer Hypokaliäme sowie zur Erhöhung des Blutzuckerspiegels kommen. Vor allem die Tachykardie und der Tremor werden von den Patientinnen als unangenehm empfunden. Bei starker Ausprägung oder Verdacht auf eine Überdosierung können u.U. additiv kardioselektive β1-Rezeptorenblocker (z. B. Metoprolol) gegeben werden, deren Nutzen allerdings kontrovers diskutiert wird. ! Eine Akuttokolyse erfordert stets auch die Überwachung der maternalen Kreislaufparameter.
Im Regelfall reagiert der Fetus auf den transplazentaren Übertritt von β2-Sympathomimetika wie die Mutter mit einem pharmakologisch induzierten Anstieg der Herzfrequenz, der über das normale Frequenzniveau hinausgeht (7 Kap. 26). Dieser beim Fetus nur gering ausgeprägte Effekt tritt bei einer fetalen Bradykardie ganz in den Hintergrund. Vielmehr nimmt nach erfolgreicher intrapartaler Reanimation der Sauerstoffgehalt im fetalen Blut wieder zu. Dies führt zu einer nahezu simultanen Erholung der Herzfrequenz, die auch mit der Normalisierung des pH-Wertes und des Base Excess einhergeht. Der Erfolg der Notfalltokolyse wird anhand des FHF-
Tipp
Musters beurteilt.
Akuttokolyse:
! Kontraindikationen für eine Akuttokolyse, die jeweils gegen die akute fetale Gefährdung abgewogen werden müssen, sind: 4 Herzerkrankungen, insbesondere mit Insuffizienzzeichen oder tachykarden Rhythmusstörungen (ansonsten nach Risikoabwägung), 4 Thyreotoxikose, 4 entgleister Diabetes mellitus, 4 Hypokaliämie, 4 Glaukomerkrankung (je nach Risikoabwägung), 4 schwere Leber- und Nierenerkrankungen (je nach Risikoabwägung), 4 V.-cava-Okklusionssyndrom (bei Kombination mit Dauerkontraktion nach Risikoabwägung), 4 Unverträglichkeit gegenüber β-Sympathomimetika, 4 lebensbedrohliche uterine Blutungen.
5 1 Amp. (1 ml) Partusisten intrapartal (=25 μg Fenoterol) in 4 ml Glukose 5%; Bolusapplikation von 2–4 ml langsam i.v. (=10–20 μg Fenoterol mit 10 μg/min), Einzeldosis kann nach 3 min noch einmal wiederholt werden.
Basistokolyse: 5 2 Amp. (je 10 ml à 0,5 mg Fenoterol) Partusisten (=1 mg Fenoterol) in 500 ml Trägerlösung; 1 μg/ min=15 ml/h=5 Trpf./min; Beginn mit 1–2 μg/ min=15–30 ml/h=5–10 Trpf./min, Steigerung in Einzelfällen bis maximal 4 μg/min=60 ml/h=20 Trpf./ min; Zusatz eines kardioselektiven β-Blockers (z. B. 10 mg Beloc) ist möglich (Nutzen nicht gesichert).
Auch bei nur kurzfristiger Verabreichung von β2-Sympathomimetika sollten deren Nebenwirkungen für Mutter und Kind beachtet werden. Im Rahmen der Akuttokolyse sind
Als Alternative für den Einsatz einer Akuttokolyse kann bei den oben genannten Kontraindikationen für β-Sympathomi-
33
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
metika (relative Ausnahmen: V.-cava-Okklusionssyndrom mit Dauerkontraktionen, lebensbedrohliche uterine Blutungen) auch Atosiban im »off label use« verabfolgt werden, dessen Nebenwirkungsspektrum wesentlich geringer ist (De Heus et al. 2008). Lebensbedrohliche uteroplazentare Blutungen sind eine Kontraindikation für die Notfalltokolyse, weil diese durch die Vasodilatation (β-Sympathomimetika) und Uterusrelaxierung noch verstärkt würden. Andererseits kann bei geringeren Blutungen aufgrund einer Placenta praevia oder vorzeitigen Plazentalösung durch eine kurzfristige Tokolyse eine weitere Ablösung evtl. vermieden und die Zeit bis zur Schnittentbindung überbrückt werden. Hier bedarf es der Berücksichtigung des klinischen Gesamtbildes. Weitere für die Notfalltokolyse geeignete Substanzen sind die vorzugsweise im angloamerikanischen Sprachraum eingesetzten β-Sympathomimetika Terbutalin (z. B. Bricanyl) und Ritodrin (Pre-par) sowie Hexoprenalinsulfat (Tokolysan) und Magnesiumsulfat. Terbutalin ist in Deutschland nicht explizit für Tokolysezwecke zugelassen, unterdrückt jedoch bei Bolusinjektion von 250 μg innerhalb von 2 min die Uteruskontraktionen. Dieser Effekt hält für 15–28 min an (Lin 1993). Tipp
33
Die Dosierungen für Ritodrin bzw. Terbulatin betragen: 5 Ritodrin: Kurzinfusion 150–350 μg/min für 2–5 min oder 1,5 mg/min für 2 min, 5 Terbutalin: 0,25 mg s.c. oder 0,125–0,25 mg langsam i.v.
Verschiedene Untersuchungen ergaben, dass Magnesiumsulfat (Bolus bis zu 4 g i.v.!) ähnlich effektiv wie die β-Sympathomimetika ist, jedoch keine negativen Auswirkungen auf die Herzfrequenz und den Glukosestoffwechsel von Mutter und Kind zeigt. Bei längerfristiger Applikation höherer Dosierungen (≥1 g/h) ist allerdings eine intensive Überwachung der Patientin notwendig, da z. B. bei Ausfall der Reflexe mit einer Atemdepression gerechnet werden muss. Auch die bei Anwendung von Fenoterol und Ritodrin beobachtete Abnahme des uterinen und umbilikalen Gefäßwiderstandes tritt bei Magnesiumapplikation nicht auf. Für alle Tokolytika gilt, dass die fetale Erholung umso vollständiger und schneller erfolgt, je früher die Therapie einsetzt. Bei bereits bestehender schwerer Azidose des Fetus muss mit einer weitaus längeren Erholungsphase gerechnet werden, die auch dann nicht zur vollständigen Normalisierung des Säure-Basen-Status führt (Lin 1993).
Volumensubstitution Ein maternaler Blutdruckabfall bis hin zur Schocksymptomatik kann z. B. durch eine akute geburtshilfliche Blutung, ein V.-cava-Okklusionssyndrom, anästhesiologische Maßnahmen (Sympathikolyse), aber auch durch Dehydration verursacht werden. Er führt zwangsläufig zu einer Verminderung der uteroplazentaren Durchblutung und kann eine fetale Hypoxämie oder Hypoxie zur Folge haben. Deshalb müssen im Rahmen einer intrapartalen Reanimation die Kreislaufparameter überwacht und ggf. ein Plasmaexpander (z. B. 1 l Ringer-Lösung, evtl. 500 ml HAES 6–10%) verabreicht werden. Initial sollte die Kreißende in Kopftieflage gebracht werden. Tipp Zusätzlich kann bei nicht ausreichender Kreislaufstabilisierung ein indirektes Sympathomimetikum als Antihypotonikum (z. B. Ephedrin=Ephedrine Hydrochloride BP 2,5–10 mg, maximal 30 mg langsam i.v.; evtl. auch Cafedrin + Theodrenalin=Acrinor 5–10 mg langsam i.v.) gegeben werden.
Dabei ist zu beachten, dass durch Ephedrin, abhängig von der Dosis und unabhängig vom fetalen Säure-Basen-Status, die Herzfrequenz und deren Variabilität über die fetale Erholungsphase hinaus zunehmen kann. Nach Epiduralanästhesie finden sich prolongierte Dezelerationen mit einer Häufigkeit von 7,9–12,5%, die selbst nach Ausbleiben einer systemischen Hypotonie durch eine uterine Tonussteigerung bedingt sein können. Wenngleich die maternale Hämoglobinkonzentration durch den Verdünnungseffekt bei Volumensubstitution abnimmt, steigt der plazentare Sauerstofftransfer zum Fetus durch Verbesserung der uteroplazentaren Perfusion deutlich an. Gleichzeitig wird die periphere Vasokonstriktion bei drohendem Schockzustand der Mutter vermieden, die auch den Uterus betreffen würde. Die Verbesserung der fetalen Oxygenierung ist an der Normalisierung des CTG-Musters zu erkennen. Tipp Falls bei der Gebärenden ein Schock eintritt, stützt sich die Diagnostik auf die Überwachungsparameter Blutdruck, Blutdruckamplitude, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, zentraler Venendruck, Urinausscheidung sowie auf subjektivere Kriterien wie Hauttemperatur und Perfusion des Nagelbetts der Finger.
Sauerstoffinhalation der Mutter Studienbox Im Rahmen prospektiv randomisierter Studien war durch die tokolytische Notfalltherapie eine signifikante Verbesserung pathologischer fetaler Herzfrequenzmuster und eine entsprechende Wehenreduktion zu erzielen (Kulier u. Hofmeyr 2005; De Huis et al. 2008).
> Der arterielle Sauerstoffpartialdruck des Fetus beträgt unter Normalbedingungen nur 1/4 des arteriellen pO2 der Mutter. Aufgrund der hohen Sauerstoffaffinität (die fetale Sauerstoffbindungskapazität ist bei gleichem pO2 höher als die maternale) und Hämoglobinkonzentration kann das fetale Blut dennoch große Mengen an Sauerstoff über die Plazenta aufnehmen.
763 33.6 · Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
Die Verabreichung von Sauerstoff an die Mutter hat gegenüber den zuvor genannten Maßnahmen geringere Bedeutung, sofern nicht kardiopulmonale Störungen, die zur Erniedrigung des pO2 führen, für die maternale und fetale Hypoxämie verantwortlich sind (reduzierter plazentarer Sauerstofftransfer). Diese Komplikationen sind aber nur selten zu beobachten. Bei reiner Sauerstoffatmung kann im zuvor bereits voll oxygenierten maternalen Blut der Sauerstoff nur physikalisch gelöst und damit der O2-Gehalt um 5–10% (1–2 Vol.-%) erhöht werden.
Studienbox Während einer wehenbedingten uteroplazentaren Perfusionsstörung ist der Effekt der Sauerstoffapplikation an die Schwangere eher gering. So wird während einer Dauerkontraktion oder während eines V.-cava-Okklusionssyndroms trotz einer Steigerung des maternalen pO2 der plazentare Sauerstofftransfer dennoch reduziert (Künzel 1990).
Nach erfolgreicher Tokolyse nehmen der fetale pO2 dagegen im arteriellen Strombett um 3–4 mm Hg bzw. die Sauerstoffsättigung um 15–20% zu. Tierexperimentelle Untersuchungen ergaben sogar eine Verbesserung der fetalen Oxygenierung um 30–40%. Hierdurch kann evtl. die fetale Erholung nach erfolgreicher intrauteriner Reanimation beschleunigt werden. > Die Sauerstoffatmung der Mutter mag vereinzelt in Verbindung mit Maßnahmen sinnvoll sein, die eine Verbesserung der uteroplazentaren Perfusion bewirken, nicht jedoch als alleinige Reanimationsbehandlung.
Eine exzessive Hyperventilation mit Sauerstoff birgt theoretische Risiken. Im Abgleich mit fetalen Skalpblutanalysen zeigte sich, dass bei Hyperventilation mit Abnahme des maternalen pCO2 (von 22,0 mm Hg auf 13,6 mm Hg) der fetale pO2 von 24,8 mm Hg auf 19,3 mm Hg zurückgeht. Die Gebärende sollte deshalb nicht zu forcierter Atmung angehalten werden, da die resultierende respiratorische Alkalose über eine Vasokonstriktion im uteroplazentaren Strombett zur Perfusionsverminderung beitragen kann. Gerade bei asphyktischen Feten wird als Abbauprodukt von Adenosinmonophosphat (AMP) vermehrt Hypoxanthin gebildet. Unter Zufuhr hoher Sauerstoffkonzentrationen wird dieses zu Harnsäure oxidiert und ein Teil des Sauerstoffs zu freien Radikalen reduziert, die zu Zellschäden, Blutungen und Ödembildung in den betroffenen Organen führen können. Tipp Kommt die O2-Inhalation zur Anwendung, so sollte während einer intrapartalen Reanimation Sauerstoff über eine Maske mit einer Dosierung von 8–10 l/min verabreicht werden. Für die übliche Dauer einer Geburt sind unter diesen Bedingungen bislang keine für den Fetus nachteiligen Effekte festgestellt worden.
Andere Maßnahmen Glukoseinfusion Die maternalen und fetalen Glukosekonzentrationen weisen eine hohe Korrelation auf. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten ist zumindest die Zufuhr hypertoner Glukoselösungen (Glukose 10%) zur Verbesserung des fetalen Zustandes nicht sinnvoll. Infolge der Abhängigkeit von Glukosespiegel und fetalem Basendefizit sowie der Hemmung der Insulinfreisetzung bei Azidose des Kindes nimmt die Glukosekonzentration im Geburtsverlauf grundsätzlich zu (gestörte Glukoseutilisation). Dies wirkt sich gerade bei einer fetalen Hypoxie eher ungünstig aus, da dann die sauerstoffabhängige Glukosemetabolisierung nur in begrenztem Maße möglich ist.
Studienbox Andauernde bzw. hochprozentige Glukoseinfusionen bewirken im Tierexperiment eine Azidoseentwicklung, die allerdings beim menschlichen Fetus bisher kaum zu belegen war (Künzel 1990). Andererseits konnte gezeigt werden, dass die kontinuierliche intrapartale Infusion 5%iger Glukoselösung (Ringer-Laktat mit Glukose 5%) bei unauffälligen Schwangerschaften gegenüber reiner Ringer-Laktat-Lösung zu niedrigeren pCO2-Werten im Nabelschnurblut und zu einem geringeren Azidoserisiko führt. Diese Ergebnisse sind durch die Vermeidung einer katabolen Stoffwechselsituation bei der Mutter erklärbar, die im Extremfall zu einer fetalen Azidämie führen kann (Jamal et al. 2007). Zur Beseitigung einer akuten Gefährdung des Fetus ist diese Maßnahme nicht geeignet.
> Eine Glukoseinfusion ist keine wirksame intrapartale Reanimationsmaßnahme, kann aber dazu beitragen, das Ausmaß einer fetalen Azidämie zu reduzieren.
Bikarbonatinfusion Der plazentare Bikarbonattransfer beruht auf freier Diffusion und einem spezifischen Transportsystem, das trägervermittelt CO2 und Wasser gegen Laktat oder Laktat gegen Bikarbonat austauscht. Während der Geburt steigen bei Mutter und Kind die Laktatkonzentrationen an, während die Pufferbasen abnehmen. Dies ist auch unter physiologischen Bedingungen durch die ständige Muskelarbeit des Uterus sowie die Belastung während der Austreibungsperiode auf maternaler Seite und durch kurzfristige Hypoxien während der Wehen auf der fetalen Seite erklärbar. In beiden Fällen kann die Milchsäure nicht mehr ausreichend verstoffwechselt werden. Da der Laktataustausch über die Plazenta ein Konzentrationsgefälle erfordert, kann das überschüssige Laktat des Fetus in dieser Situation nicht adäquat »entsorgt« werden. Umgekehrt kann eine zunächst einseitige maternale Azidose bei entsprechender Konzentrationsdifferenz zur sog. Infusionsazidose führen, die von einer hypoxiebedingten fetalen Azidose durch Bestimmung des maternalen Säure-Ba-
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
sen-Status bzw. der pH-Differenz (Mutter/Kind ≤0,15 pHEinheiten) abgegrenzt werden kann. Nur bei einer aufgrund der geringen pH-Differenz nachgewiesenen maternogenen Azidose kann in Einzelfällen mit Hilfe einer Bikarbonatinfusion die fetale Azidose gebessert und die vaginale Geburt fortgeführt werden (FBA-Kontrollen!). Diese Maßnahme ist jedoch umstritten und ihr klinischer Nutzen nicht anhand größerer Studien belegt. Tipp Die angegebenen Dosierungen betragen bei Natriumhydrogenkarbonatlösung 8,4%: 5 initial 10 mmol/min für 5 min (in Abhängigkeit vom Säure-Basen-Status der Mutter), 5 Fortführung der Infusion mit 1–5 mmol/min bis zur Geburt unter strenger Kontrolle der Blutgase von Mutter und Kind.
Vor Durchführung einer Pufferung muss stets der Säure-Basen-Status bestimmt und die Dosis nach folgendem Schema angepasst werden: Dosis NaHCO3 [ml]=Base Excess × kg KG × 0,3.
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> Bikarbonatinfusionen können in den seltenen Fällen einer Infusionsazidose hilfreich sein (engmaschige Blutgasanalysen bei Mutter und Kind). ! Eine »Blindpufferung« ist gefährlich und nur beim Kreislaufstillstand indiziert.
Symptomatische Fiebersenkung Beim Fetus liegt die Körperkerntemperatur um etwa 0,5°C höher als bei der Mutter. Aufgrund des Temperaturgradienten kann der Fetus seine Wärme zu 84,5% über die Plazenta an die Mutter abgeben. Eine maternale Hyperthermie kann sich prinzipiell auf die uteroplazentare Perfusion auswirken. Bis zu einer Temperatursteigerung von 1°C bleibt die Durchblutung noch konstant. Nimmt die Temperatur jedoch weiter zu, so nimmt die uterine Durchblutung linear ab, während die maternale Herzfrequenz und der Grundumsatz steigen. Hieraus resultiert häufig eine kompensatorische Anhebung der fetalen Herzfrequenz, um durch erhöhte umbilikale Perfusion die Wärmeabgabe und die Sauerstoffaufnahme über die Plazenta zu verbessern. Tipp Sofern ein Amnioninfektionssyndrom ausgeschlossen werden kann, ist aufgrund dieser Überlegungen z. B. bei grippalen Infekten eine Fiebersenkung durch Paracetamol (250–1000 mg) und physikalische Maßnahmen auch unter der Geburt präventiv durchaus sinnvoll (keine Akuttherapie).
33.6.2
Amnioninfusion
Ein Oligohydramnion ist signifikant gehäuft mit pathologischen FHF-Mustern, dick-grünem Fruchtwasser, einer fetalen Azidose, Notfallsectiones und Verlegungen auf eine Neugeborenenintensivstation assoziiert. Dies gilt nicht nur für Risikoschwangerschaften mit IUWR oder vorzeitigem Blasensprung, sondern prinzipiell für alle Fälle mit einer signifikanten Fruchtwasserverminderung während des Geburtsverlaufs. Hier sind v. a. variable Dezelerationen infolge von Nabelschnurkompressionen zu beobachten, die letztlich zu einer fetalen Hypoxie oder Azidose führen können. Kommt es dabei zu Mekoniumabgang, dann steigt die Konzentration von Mekonium durch die Verminderung der Fruchtwassermenge und damit das Risiko einer Mekoniumaspiration deutlich an. Aus tierexperimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass variable Dezelerationen nach Reinstillation zuvor abgelassenen Fruchtwassers wieder verschwinden. In den USA wird die Amnioninfusion in 96% aller universitären Zentren, die an einer Umfrageaktion teilnahmen, eingesetzt (3,5% der Geburten). Die häufigsten Indikationen sind hierbei: 4 Auftreten variabler FHF-Dezelerationen, 4 grünes Fruchtwasser, 4 Nachweis eines Oligohydramnions.
Studienbox 12 in der Cochrane Database metaanalysierte Studien zeigen eine signifikante Reduktion mekoniumhaltigen Fruchtwassers (RR 0,03), variabler fetaler Herzfrequenzdezelerationen (RR 0,65) und der Sectiorate (RR 0,82). Ein kindlicher Todesfall trat nicht auf (Hofmeyr 2009).
Intrapartale Bestimmung der Fruchtwassermenge Neben der sonographischen Vermessung (vertikaler Durchmesser) des größten Fruchtwasserdepots (»Single-pocketMethode«) wird heute in der klinischen Routine häufig der »amniotic fluid index« (AFI) eingesetzt (Inter- und Intra-Observer-Variabilität 3–15,4%), der in Abhängigkeit vom Gestationsalter anhand von Referenzkurven interpretiert werden kann. Beide Verfahren weisen gewisse Ungenauigkeiten auf, sind jedoch bezüglich der Diagnose eines Oligohydramnions relativ zuverlässig, bei leichter Überlegenheit der Singlepocket-Methode (Nabhan et al. 2008). Pathologisch verminderte Fruchtwassermenge Je nach zugrunde gelegter Messtechnik und untersuchtem Kollektiv wird als Kriterium für die Diagnose einer pathologisch verminderten Fruchtwassermenge ein maximales Fruchtwasserdepot <2 cm oder ein AFI von ≤5,0–6,9 cm angegeben.
765 33.6 · Intrapartale Reanimation, Amnioninfusion
Studienbox Wenngleich bei intrapartaler Bestimmung des »amniotic fluid index« die Inter-Observer-Variabilität insgesamt zunimmt, ist die Reproduzierbarkeit der Diagnose eines Oligohydramnions gut (Robson et al. 1992). Bei zweidimensionaler Messung der größten Fruchtwassernische (horizontaler und vertikaler Durchmesser) scheint die Genauigkeit noch etwas verbessert zu werden bzw. die Falschpositiv-Rate zu sinken. In den betroffenen Fällen ist eine signifikante Zunahme der Geburtsrisiken, jedoch nicht der Rate deprimierter Neugeborener nachweisbar (Chauhan et al. 1996; Nabhan et al. 2008). Wird der AFI bei Auftreten variabler Dezelerationen zur Abschätzung des Nutzens einer Amnioninfusion verwandt, so nimmt der Vorhersagewert mit dem Schweregrad der Fruchtwasserverminderung zu. Bei ausgeprägter Oligohydramnie (AFI 0–4 cm) lässt sich in 76% der Fälle, dagegen bei grenzwertigen Befunden (AFI 8–12 cm) nur in 33% der Fälle eine signifikante Reduzierung variabler Dezelerationen (≥50%) erreichen. Je größer das verbliebene Fruchtwasservolumen bei Auftreten entsprechender Herzfrequenzmuster ist, umso häufiger werden diese FHF-Alterationen durch Nabelschnurumschlingungen und -knoten anstatt durch einfache Kompression verursacht (Spong et al. 1996). Weder der AFI noch die Deepest-single-pocket-Methode waren in einer prospektiv randomisierten Studie bei unauffälligem Geburtsbeginn geeignet, die Schwangerschaften zu selektieren, die im weiteren Verlauf Geburtskomplikationen entwickelten (Moses et al. 2004).
> Eine frühzeitige Amniotomie zu Beginn der Eröffnungsperiode sollte aufgrund des Fruchtwasserverlustes nur in Ausnahmefällen indiziert, ansonsten jedoch möglichst vermieden werden.
Methodik der Amnioninfusion Die (prophylaktische) Amnioninfusion vor Geburtsbeginn (z. B. vor Geburtseinleitung) kann transabdominal mittels sonographisch kontrollierter Amniozentese erfolgen. Für die intrapartale Therapie nach Blasensprung oder Amniotomie eignet sich jedoch weit besser die transzervikale Applikation über einen Katheter, der gewöhnlich für die intrauterine Wehendruckmessung eingesetzt wird. Dieser wird am fetalen Kopf vorbei in das Cavum uteri vorgeschoben. Das Uteruskavum wird hierbei mit isotoner Salzlösung (z. B. isotone Kochsalzlösung 0,9% oder Ringer-Laktatlösung) aufgefüllt. Hinweise auf Störungen des fetalen bzw. neonatalen Elektrolythaushaltes fanden sich bei entsprechenden Untersuchungen nicht. Verschiedene Arbeitsgruppen setzten auch Normofundin, Aminosäurelösungen oder Mischungen aus Ringer-Laktatlösung mit 10% Dextrose ein, wobei deren Einfluss auf die Elektrolytspiegel des Kindes nicht genauer überprüft wurde. Inzwischen wurden auch spezielle Ballonkatheter für die Behandlung bei vorzeitigem Blasensprung im Bereich der Frühgeburtlichkeit (22–32 SSW) entwickelt, die in die Zervix eingebracht und zur Flüssigkeitsinstillation genutzt werden können, um die Entstehung einer fetalen Lungenhypoplasie zu verhindern. Für die intrapartale Anwendung eignen sich die Bolusinfusion und die kontinuierliche Infusion. Tipp
Treten jedoch pathognomonische CTG-Veränderungen wie variable Dezelerationen oder ein saltatorisches FHF-Muster auf, so kann die semiquantitative Bestimmung der Fruchtwassermenge auch sub partu zur kausalen Abklärung beitragen. Das durchschnittliche Fruchtwasservolumen liegt am Geburtstermin bei etwa 800 cm3. Bei Terminüberschreitung nimmt die Fruchtwassermenge wöchentlich um etwa 1/3 ab. ! Ein Oligohydramnion ist nie physiologisch und weist auf ein erhöhtes Geburtsrisiko hin!
Maßnahmen, die zu einem Verlust von Fruchtwasser führen, beeinflussen den Geburtsverlauf eher ungünstig.
Studienbox In einer Cochrane-Metaanalyse von 14 Studien mit 4893 Schwangeren wurde bei früher Amniotomie vs. expektativem Vorgehen ein Trend zu höherer Sectiorate ohne signifikante Beschleunigung der Geburt bzw. Verbesserung des perinatalmedizinischen Ergebnisses beobachtet (Smith et al. 2007).
Bolusinfusion Die Bolusinfusion sollte aufgrund ihres schnelleren Wirkungseintritts v. a. zur Therapie rezidivierender FHFDezelerationen sub partu eingesetzt werden. Hierbei wird die Lösung (z. B. isotone Kochsalzlösung 0,9%, Ringer-Laktallösung oder Normofundin) mit 10–15 ml/ min verabreicht, bis die Dezelerationen zurückgehen. Dann können nochmals zusätzlich 250 ml bis zum Erreichen der Obergrenze von 800 ml Gesamtvolumen infundiert werden. Erfahrungsgemäß tritt eine Besserung nach Applikation von 600–800 ml (in 20–30 min) ein. Die Bolusinfusion kann bei Abgang größerer Flüssigkeitsmengen infolge maternaler Lagewechsel oder aufgrund von Pressversuchen bzw. bei erneutem Auftreten von Dezelerationen wiederholt werden. Ansonsten kann anschließend auch eine Erhaltungsdosis von 180 ml/h kontinuierlich weiter infundiert werden. Die klinische Einschätzung des Volumenverlustes sollte durch sonographische Messungen ergänzt werden. Wird die Bolusinfusion prophylaktisch vor Geburtseinleitung eingesetzt, so erfolgt diese unter den Bedingungen einer permanent sonographisch kontrollierten Amniozentese mit einer 20-G-Spinalnadel.
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Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
Kontinuierliche Infusion
Studienbox
Wird die intrapartale Amnioninfusion eher prophylaktisch eingesetzt (Verdünnung des Fruchtwassers bei Mekoniumabgang), dann eignet sich ebenso die langsamer wirksame kontinuierliche Infusion. Hierbei wird zunächst für 1 h eine Flüssigkeitsmenge von 10 ml/min verabreicht (Füllungsdosis). Dann wird die Infusionsmenge auf 3 ml/min reduziert (Erhaltungsdosis). Eine Infusionspumpe ist hilfreich und exakter zu dosieren, jedoch nicht unbedingt notwendig. Intermittierend sollte die Infusion unterbrochen werden, um den uterinen Basaltonus zu messen. Alternativ können auch doppellumige Katheter oder ein zweiter einfacher Katheder für die simultane intrauterine Druckmessung während der kontinuierlichen Amnioninfusion benutzt werden.
Einige Arbeitsgruppen nutzten die Amnioninfusion zur prophylaktischen oder therapeutischen Instillation von Antibiotika (Ampicillin, Cefotaxim etc.; Lameier u. Katz 1993). Anhand einer prospektiv randomisierten Studie konnte jedoch gezeigt werden, dass sich bei erhöhtem Infektionsrisiko (lange bestehender Blasensprung) durch den »Spüleffekt« bei Amnioninfusion auch ohne Zusatz von Antibiotika die Rate aufsteigender Infektionen signifikant senken lässt. In keinem Fall kam es zu einer neonatalen Sepsis (Monahan et al. 1995).
Studienbox
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In einigen Studien wurde untersucht, welche Bedeutung der Temperatur intrauterin instillierter Flüssigkeiten zukommt (z. B. fetale Bradykardie infolge eines Vagusreizes). Dabei hat sich gezeigt, dass die Temperaturunterschiede je nach Art der Aufwärmtechnik (Wasserbad, Bluterwärmer etc.) erheblich sein können. Zumindest bei reifen Kindern ist Raumtemperatur für die Infusionslösung ausreichend. Bei Frühgeburten sollte das Aufwärmen der Flüssigkeit erwogen werden. Etwa 78% aller Anwender der Amnioninfusion bevorzugten aufgewärmte Lösungen (Umfrageergebnis).
> Grundsätzlich muss vor Verabreichung der Infusion deren Temperatur gemessen und dokumentiert werden.
Indikationen für die Amnioninfusion Die Amnioninfusion kann prophylaktisch und therapeutisch eingesetzt werden.
Risiken der Amnioninfusion Vorsicht ist v. a. hinsichtlich einer Überdehnung des Uterus geboten. Schon nach Infusion von lediglich 250 ml wurden eine Zunahme des uterinen Basaltonus und eine plötzliche Verschlechterung der FHF berichtet. Deshalb ist es notwendig, während der Amnioninfusion die uterine Aktivität mit objektiven Verfahren zu überwachen. Da eine Verbesserung des CTG-Befundes unter Amnioninfusion erst nach mindestens 20–30 min eintritt, besteht die Gefahr, dass eine notwendige Schnittentbindung verzögert wird und damit bei ausbleibendem Erfolg die Gefährdung des Kindes noch zunimmt. Deshalb müssen bereits während einer Amnioninfusion die fetale Überwachung intensiviert und die umgehende Sectiobereitschaft hergestellt werden. Einzelfälle wurden beschrieben, bei denen es infolge nicht aufgewärmter Infusionslösung zu einer fetalen Bradykardie sowie infolge einer Überdehnung bei kontinuierlicher Infusion zu einer Dehiszenz von Uterusnarben gekommen ist. Bisher wurden Einzelfälle mit einem Nabelschnurvorfall, mit einer Ateminsuffizienz (Lungenödem) und mit einer Fruchtwasserembolie während der intrapartalen Amnioninfusion kasuistisch berichtet. Bei unsachgemäßer Handhabung besteht die Gefahr einer amnialen Infektion. Wenngleich das Verfahren unter Berücksichtigung der insgesamt großen Zahl von Anwendungen (≥22.833 Anwendungen pro Jahr allein in den an einer Umfrage beteiligten Kliniken in den USA) als sicher und einfach zu handhaben angesehen werden kann, ist eine intensive Überwachung von Mutter und Kind notwendig.
Indikationen für die Amnioninfusion 4 Vorbestehende Oligohydramnie (Amnioninfusion bei Geburtsbeginn, evtl. transabdominal mittels Amniozentese) 4 Auftreten variabler Dezelerationen während der Eröffnungsperiode, sofern ein Oligohydramnion besteht (Amnioninfusion transzervikal) 4 Auftreten grünen Fruchtwassers zur Vermeidung einer schweren Mekoniumaspiration im Verlauf der Geburt (Amnioninfusion transzervikal)
Komplikationen 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Nabelschnurvorfall Überdehnung des Uterus Uterine Hyperaktivität Dehiszenz von Uterusnarben Maternales Lungenödem Amnionitis/Amnioninfektionssyndrom Fruchtwasserembolie Fetale Bradykardie Blutung durch Verletzung von Uterus/Plazenta
767 Literatur
! Bei Amnioninfusion muss stets die Sectiobereitschaft hergestellt werden! Es ist unbedingt sicherzustellen, dass durch die Anwendung dieses Verfahrens die erforderliche Überwachung des Fetus nicht beeinträchtigt oder eine notwendige Intervention verzögert wird.
Gesicherter klinischer Nutzen der Amnioninfusion Die therapeutische Amnioninfusion wirkt sich nicht nachteilig auf die Geburtsdauer oder das maternale bzw. fetale Infektionsrisiko aus. Vielmehr trägt diese bei transzervikaler Anwendung zu einer signifikanten Verminderung puerperaler Infektionen bei, sofern ein Blasensprung >6 h zurückliegt (Hofmeyr 2009). In zahlreichen, u. a. prospektiv randomisierten Studien konnte der klinische Nutzen dieser Methode belegt werden. So führt die intrauterine Infusion bei fetalem Mekoniumabgang zu einer Verdünnung und damit zu einer signifikanten Reduktion einer klinisch relevanten Mekoniumaspiration des Neugeborenen (Hofmeyr 2009). Man nimmt an, dass außerdem durch die Vermeidung von Nabelschnurkompressionen die Gefahr einer vagalen Stimulation des Fetus mit weiterem Mekoniumabgang geringer wird. Ferner gilt als gesichert, dass intrapartal auftretende variable Dezelerationen in bis zu 81% der Fälle und prolongierte Dezelerationen in bis zu 86% der Fälle nach Amnioninfusion zurückgehen, sofern zuvor ein Oligohydramnion bestand (Wendel 1996). Ein ebenfalls signifikanter Nutzeffekt besteht bezüglich einer Verbesserung der perinatalen Kurzzeitmorbidität (Apgar-, pH-Wert, Notwendigkeit einer neonatalen Behandlung >3 Tage oder Beatmung bzw. Verlegung auf eine Neugeborenenintensivstation) und der Sectiorate. Außerdem fand sich eine signifikante Reduktion neonataler hypoxisch-ischämischer Enzephalopathien, neonataler und mütterlicher Hospitalisierungen von >3 Tagen und zumindest als Trend eine verminderte perinatale Mortalität (Hofmeyer 2009). In einer anderen Studie konnte allerdings bei Schwangerschaften mit variablen Dezelerationen und bereits dick-grünem Fruchtwasser kein Vorteil durch die Amnioninfusion hinsichtlich schwerer Mekoniumaspiration und anderer schwerer Geburtskomplikationen gefunden werden (Fraser et al. 2005). Verschiedene Arbeitsgruppen evaluierten den Effekt der prophylaktischen Amnioninfusion vor Geburtsbeginn bei Schwangeren mit Oligohydramnie. Die Mehrzahl der Studien ergab eine signifikante Reduzierung variabler Dezelerationen sowie teilweise eine geringere Rate operativer Interventionen und Geburtsazidosen. Allerdings war in einer nahezu gleichen Zahl von Studien dieser Benefit nicht nachweisbar. Stattdessen fand sich eine Zunahme an Fällen mit intrapartalem Fieber. Da in unbehandelten Kontrollgruppen mit einem Oligohydramnion nur in 22% der Fälle Dezelerationen auftreten, werden vermutlich bei rein prophylaktischer Amnioninfusion die Mehrzahl der Schwangerschaften »unnötig« behandelt und den zumindest theoretischen Risiken dieser Methode ausgesetzt. Deshalb sollte nach derzeitigem Kenntnisstand speziell diese Indikation streng gestellt werden.
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33
770
33
Kapitel 33 · Geburtsüberwachung
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34 34 Intrapartale Asphyxie H. Schneider, J. Gnirs 34.1
Einleitung – 772
34.2
Entstehung der Asphyxie – 772
34.3
Diagnostik der Asphyxie beim Neugeborenen – 773
34.3.1 34.3.2
Blutgasanalyse in Nabelschnurblutproben – 773 Apgar-Score – 774
34.4
Kindlicher Hirnschaden als Folge der Geburtsasphyxie – 774
34.4.1 34.4.2 34.4.3
Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie – 775 Klinisches Bild der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie – 776 Diagnostik von Hirnschäden durch bildgebende Verfahren beim Neugeborenen – 777 Zerebralparese (CP) – 777
34.4.4
34.5
Intrapartale Diagnostik und Prävention der Geburtsasphyxie – 779 Literatur – 780
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
772
34
Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
Die Geburtsasphyxie wird als schwerer Sauerstoffmangel des Fetus während der Eröffnungs- und Austreibungsphase der Geburt definiert. Beim Neugeborenen macht sich die Asphyxie bemerkbar durch eine schwere, v. a. metabolische Azidose im Nabelschnurblut, einen anhaltend erniedrigten Apgar-Score sowie durch funktionelle Störungen, die Ausdruck hypoxischer Schäden verschiedener Organe einschließlich des zentralen Nervensystems sind. Neben der Morbidität und Mortalität in der Neonatalphase sind auch die Langzeitfolgen von erheblicher Bedeutung. Kindliche Zerebralparesen sind allerdings nur in 10–15% aller nach einer Termingeburt auftretenden Fälle Folge einer bei der Geburt entstehenden hypoxischen Enzephalopathie. Verschiedene Schwangerschaftspathologien können zu Hirnschäden führen, die ebenfalls mit verschiedenen Symptomen einer Zerebralparese verbunden sind. Akute Sauerstoffversorgungsstörungen können durch eine Kompression der Nabelschnur, eine vorzeitige Lösung der Plazenta oder eine Uterusruptur entstehen und sind i. d. R. unschwer an den typischen klinischen Begleiterscheinungen sowie der plötzlich auftretenden Bradykardie der fetalen Herzfrequenz zu erkennen. Wenn es gelingt, die Entbindung innerhalb von 15–20 min nach Einsetzen der Versorgungsstörung vorzunehmen, kann die Entstehung eines hypoxischen kindlichen Hirnschadens meist verhindert werden. Die allmählich während des Geburtsverlaufes entstehende Hypoxie stellt dagegen diagnostisch ein sehr viel größeres Problem dar. Die Kardiotokographie (CTG) ist in der Zuverlässigkeit wie auch in der Validität zur Erkennung eines sich entwickelnden fetalen Sauerstoffmangels unbefriedigend. Bei eindeutig pathologischen Veränderungen des Herzfrequenzmusters findet man in einem Teil der Fälle bereits einen hypoxischen Schaden, sodass der Zeitpunkt für die Schwangerschaftsbeendigung verpasst wurde. Suspekte Herzfrequenzalterationen sind häufig und nur in einem kleinen Prozentsatz sind sie Hinweis auf eine ernst zu nehmende Bedrohung des Fetus. Auch für die Kombination der kontinuierlichen Herzfrequenzaufzeichnung mit diversen Zusatzuntersuchungen konnte ein Nutzen im Sinne der Vermeidung von hypoxischen Schäden bislang nicht gezeigt werden.
34.1
Einleitung
Bereits während der Schwangerschaft kann sich eine Asphyxie als ein schwerer Sauerstoffmangel im Rahmen einer chronischen Störung der Versorgung durch die Plazenta entwickeln, oder sie ist Folge eines akuten Ereignisses wie einer Nabelschnurumschlingung, eines Nabelschnurvorfalls oder einer vorzeitigen Plazentalösung. In der Mehrzahl der Fälle wird eine chronische Versorgungsstörung im Sinne einer Plazentainsuffizienz bei der Schwangerschaftsvorsorge frühzeitig erkannt, wobei heute eine Reihe von bewährten Technologien wie Ultraschall in Kombination mit der Dopplersonographie zur Überwachung des uteroplazentaren sowie fetoplazentaren Gefäßappartes für eine differenzierte Zustandsbeurteilung des Fetus zur Verfügung steht (7 Kap. 30). Ein optimales Überwachungsprogramm zur Erkennung von Risikomerkmalen für die Entwicklung irreversibler Schäden vor der Ge-
burt ist allerdings immer noch Gegenstand intensiver klinischer Forschung. Bei einer chronischen Plazentainsuffizienz mit progredienter Verschlechterung der Versorgungslage des Fetus stellt die Bestimmung des optimalen Zeitpunktes für die Entbindung eine besondere Herausforderung dar. Bei einer frühzeitigen Entbindung muss das Risiko für die Entwicklung von schweren Schäden als Folge einer Dekompensation der intrauterinen Versorgung gegenüber den Gefahren der Frühgeburtlichkeit sorgfältig abgewogen werden. Ein intrauterines Absterben des Fetus als Folge einer chronischen Plazentainsuffizienz wird in der Zeit der modernen Geburtsmedizin nur noch selten beobachtet. Akute Versorgungsstörungen als Folge einer Nabelschnurumschlingung oder einer Abruptio placentae entwickeln sich nicht selten ohne Warnzeichen. Trotz Intensivierung der Schwangerschaftsvorsorge ist für den durch einen unerwarteten intrauterinen Fruchttod bedingten Teil der perinatalen Mortalität seit mehr als 10 Jahren kein Rückgang zu verzeichnen (Künzel 1997). Nur ein Drittel aller in der Perinatalperiode entstehenden Fälle von Asphyxie entwickelt sich intrapartal (Volpe 2001). Die Diagnostik und Prävention der Geburtsasphyxie, also des schweren intrapartal auftretenden Sauerstoffmangels, ist seit vielen Jahren Gegenstand einer heftigen Kontroverse. Nicht zuletzt wegen der forensischen Implikationen soll im Folgenden auf die wichtigsten Aspekte dieser Auseinandersetzung sowie auf die Perspektiven für die zukünftige Entwicklung näher eingegangen werden.
34.2
Entstehung der Asphyxie
Der Fetus ist wie auch das Neugeborene gegenüber Sauerstoffmangel bis zu einem gewissen Ausmaß resistent. Diese Resistenz basiert auf der besonderen Fähigkeit, auf eine Erniedrigung des Sauerstoffangebotes mit einer Einschränkung des Gewebestoffwechsels und damit einer Verminderung des Sauerstoffbedarfs zu reagieren. Das Neugeborene vermag sich andererseits gegenüber dem mit der Geburt plötzlich gegebenen Überangebot an Sauerstoff und der damit verbundenen Gefahr von oxidativem Stress durch eine Hochregulation des Stoffwechsels zu schützen. Die in der Perinatalphase bestehende Fähigkeit, auf Änderungen des Sauerstoffangebotes mit entsprechenden Anpassungen des Stoffwechsels zu reagieren, stellt einen wichtigen Schutzmechanismus in dieser besonders kritischen Phase des Übergangs vom intrauterinen zum extrauterinen Dasein dar (Singer u. Mühlfeld 2007). Verschiedene Situationen sind mit erhöhter Gefahr einer Dekompensation dieses Schutzmechanismus verbunden und können zu einer fetalen Asphyxie führen (. Übersicht).
773 34.3 · Diagnostik der Asphyxie beim Neugeborenen
34.3
Diagnostik der Asphyxie beim Neugeborenen
34.3.1
Blutgasanalyse in Nabelschnurblutproben
Entstehung der intrauterinen Asphyxie 4 Präplazentar: Mangelhafte O2-Versorgung durch eine gestörte uteroplazentare Perfusion (z. B. mütterliche Anämie, respiratorische Insuffizienz, Kreislaufschock, V.-cava-Okklusionssyndrom, erhöhter intraamnialer Druck bei Polyhydramnion)
4 Intraplazentar: Gestörter Gasaustausch in der Plazenta (z. B. uteroplazentare Vaskulopathie, Plazentainfarkte, Plazentalösung)
4 Postplazentar: Störung des O2-Transportes zum Fetus (z. B. Nabelschnurknoten/-umschlingung/-vorfall/-kompression, akuter Blutverlust, schwere chronische Anämie, HerzKreislauf-Stillstand)
Die ante- und intrapartal auftretenden Störungen der Sauerstoffversorgung lassen sich in chronische und akute Formen unterteilen (Dürig u. Schneider 1998). Chronische oder subakute Formen entwickeln sich während der Geburt durch eine Störung der uteroplazentaren oder fetoplazentaren Zirkulation im Zusammenhang mit einer pathologischen Wehentätigkeit mit ungenügender Wehenpause oder bei protrahierten Geburtsverläufen. Die durch die Wehentätigkeit bedingte Beeinträchtigung der uteroplazentaren Durchblutung entsteht nicht selten auf dem Boden einer vorbestehenden Plazentainsuffizienz. Akut auftretende Versorgungsstörungen können Folge von vorzeitiger Plazentalösung, Uterusruptur oder Nabelschnurvorfall sein. Auch hämodynamisch wirksame Nabelschnurumschlingungen können akut eine intrauterine Asphyxie verursachen und sind mit einem erhöhten Risiko für Cerebralparesen assoziiert (Nielsen et al. 2008). Im Einzelfall hängt der Schweregrad der durch den Sauerstoffmangel verursachten Schädigung neben der Beeinträchtigung der Versorgung auch von der individuellen Empfindlichkeit bzw. Resistenz des Fetus ab. Die durch den fetalen Sauerstoffmangel verursachten Schäden reichen von leichten Störungen des Zellstoffwechsels bis hin zu einer mehr oder weniger ausgedehnten Gewebezerstörung in verschiedenen Organen. Hypoxische Organschäden werden v. a. im Zusammenhang mit schweren Formen von Sauerstoffmangel beobachtet und manifestieren sich beim Neugeborenen durch entsprechende klinische Symptome als Folge von Funktionsstörungen der geschädigten Organe. > Sowohl die akut wie auch die chronisch entstehenden Störungen der Sauerstoffversorgung des Fetus sind in einem Teil der Fälle vermeidbar.
Das Ausmaß eines bei der Geburt entstandenen Sauerstoffmangels lässt sich indirekt aus der Blutgasanalyse von Proben aus den Nabelschnurgefäßen ableiten, die nach Abnabelung des Kindes getrennt aus der Arterie und der Vene entnommen werden. Diese Untersuchung gehört heute zum Standard der modernen Geburtshilfe, da durch pathologische Blutgaswerte Risikoneugeborene, die einer sorgfältigen Beobachtung und möglicherweise Abklärung oder Behandlung bedürfen, schnell entdeckt werden können. Die Häufigkeit pathologischer Blutgaswerte dient auch als Qualitätsparameter beim Vergleich verschiedener Kollektive. In der Regel ist die Störung der Sauerstoffzufuhr mit einer Beeinträchtigung der Abgabe von CO2 an den mütterlichen Kreislauf verbunden, und die Anreicherung von CO2 im fetalen Blut führt zu einem Abfall des pH-Wertes im Sinne einer respiratorischen Azidämie. Bei einer Hypoxie des Gewebes kommt es zur Aufrechterhaltung des Energiehaushaltes zu einer Aktivierung des anaeroben Stoffwechsels mit Abgabe von Laktat in den Blutstrom, was die durch Anreicherung von CO2 bedingte Azidämie verstärkt. Diese metabolische Komponente der Azidämie wird bei der Blutgasmessung durch das Basendefizit erfasst. Die Blutgaswerte in den Nabelschnurproben lassen auf entsprechende Veränderungen im Gewebe schließen. Die Terminologie erlaubt eine Differenzierung zwischen Säure-Basen-Werten im Blut und im Gewebe. Säure-Basen-Werte 4 Azidämie: erhöhte Konzentration von Wasserstoffionen mit Erniedrigung des pH-Wertes im Blut; 4 Azidose: erhöhte Konzentration von Wasserstoffionen mit Erniedrigung des pH im Gewebe; 4 Hypoxämie: verminderter Sauerstoffgehalt mit erniedrigtem pO2-Wert im Blut; 4 Hypoxie: verminderter Sauerstoffgehalt mit erniedrigtem pO2 im Gewebe; 4 Asphyxie: Kombination einer Hypoxämie mit metabolischer Azidämie und einer Gewebshypoxie (ggf. mit klinisch fassbaren Organschäden ACOG 1998).
Für die Zustandsbeurteilung des Neugeborenen eignen sich v. a. der pH-Wert und das Basendefizit. Der mittlere pH-Wert in einer Nabelschnurarterienblutprobe liegt bei lebensfrischen Neugeborenen bei 7,27 (→ 7,15 = 5. und 7,38 = 95. Perzentile; Riley u. Johnson 1993). Der Grenzwert für die Definition einer klinisch relevanten Azidämie liegt aber deutlich tiefer, und der Wert der 5. Perzentile eignet sich nicht für die Abgrenzung zwischen dem normalen und dem pathologischen Bereich (Winkler et al. 1991). In einer systematischen Untersuchung wurde der Bezug von erniedrigten pH-Werten zu Krankheitssymptomen beim
34
774
Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
Neugeborenen erstellt. Erst beim Unterschreiten des pH-Wertes von 7,00 traten typische Asphyxiemerkmale wie eine anhaltende Störung der Adaptation (1- und 5-min-Apgar-Wert von <3) und eine deutlich erhöhte metabolische Komponente der Azidämie mit einem BE von >12 mmol/l signifikant gehäuft auf. Auch das Auftreten von Krämpfen sowie die Mortalität in der Neugeborenenphase nahmen signifikant zu (Goldaber et al. 1991) Der ph-Wert von 7,00 als kritische Grenze für den Nabelschnurarterien-pH-Wert wurde auch in anderen Untersuchungen bestätigt (Gilstrap et al. 1989; Goodwin et al. 1992). Selbst bei einer schweren Azidämie mit einem Nabelschnurarterien-pH-Wert von <7,00 erholen sich 2/3 aller Neugeborenen rasch ohne Hinweise auf eine gravierende Morbidität (Van den Berg et al. 1996; Gilstrap et al. 1989; Goodwin et al. 1992). Multivariate Analysen haben gezeigt, dass von allen Parametern der Blutgasmessung v. a. die metabolische Komponente der Azidämie mit schwerer Neugeborenenmorbidität oder -mortalität assoziiert ist (Andres et al. 1999). Für das Basendefizit in der Nabelschnurarterie wurde ein Schwellenwert von 12 mmol/l ermittelt. Oberhalb dieses Grenzwertes fand sich eine signifikante Zunahme von klinisch nachweisbaren Störungen des Zentralnervensystems und der Atmung (Low et al. 1997). Für Störungen des Herz-KreislaufSystems und der Nieren lag der Schwellenwert mit 16 mmol/l noch deutlich höher. Bei diesen Grenzwerten handelt es sich aber um Mittelwerte, und im Einzelfall kommt der Vulnerabilität des betreffenden Fetus gegenüber Sauerstoffmangel beträchtliche Bedeutung zu.
34
> Als Grenzwerte für ein deutlich erhöhtes Asphyxierisiko sind ein Nabelschnurarterien-pH-Wert von 7,00 und ein Basendefizit von ≥12 mmol/l gut belegt (Andres et al. 1999).
Bei einer Auswertung verschiedener Studien von nicht selektionierten Kollektiven fand sich diese Blutgaspathologie mit einer Inzidenz von 3,7 pro 1000 Termingeburten, von denen 17,2% eine neurologische Morbidität in der Neonatalphase aufwiesen, aber überlebten, während 5,9% starben (Graham et al. 2008). Unter Berücksichtigung der zeitlichen Verzögerungen bis zu der Entbindung sollte die Entscheidung für eine operative Geburtsbeendigung idealerweise getroffen werden, bevor diese Werte erreicht werden (7 Kap. 33 »Geburtsüberwachung«).
34.3.2
> Weniger als 1/3 aller Neugeborenen mit einem 5-minApgar von < 7 haben einen pH-Wert von < 7,11, d. h. bei 2/3 aller Neugeborenen mit einem erniedrigten Apgar-Wert handelt es sich nicht um einen Sauerstoffmangel (Sykes et al. 1982). Erst bei einer Verknüpfung eines niedrigen Apgar-Wertes mit einer Nabelschnurarterienazidämie und einer starken metabolischen Komponente darf von einer Geburtsasphyxie gesprochen werden, bei der das Risiko für entsprechende Organschäden mit den typischen funktionellen Symptomen signifikant erhöht ist.
Bei der Manifestation von klinischen Symptomen wie insbesondere von neurologischen Auffälligkeiten ist in einem erheblichen Prozentsatz mit Langzeitschäden im Sinne einer Zerebralparese zu rechnen (AAP u. ACOG 1996; MartinAncel et al. 1995). Geburtsasphyxie Von einer Geburtsasphyxie darf nur gesprochen werden, wenn beim Neugeborenen folgende Befunde erhoben werden: 4 Blutgaswerte in der Nabelschnurarterie: pH-Wert ≤7,00, Basendefizit ≥12mmol/l 4 Apgar-Wert 0–3 während ≥5 min 4 neurologische Auffälligkeiten (Krämpfe, Hypotonie, Koma), Störungen anderer Organsysteme wie HerzKreislauf-System, Niere, Respirationstrakt etc. (ACOG 2004)
34.4
Kindlicher Hirnschaden als Folge der Geburtsasphyxie
Im 3. Trimenon können Hirnblutungen und -nekrosen im Zusammenhang mit thromboembolischen Ereignissen zu Hirnschäden führen. Zahlreiche Untersuchungen der letzten 2 Jahrzehnte haben deutlich gemacht, dass kindliche Hirnschäden nur selten Folge einer Geburtsasphyxie sind und viel häufiger auf andere Ursachen zurückgeführt werden müssen (Schneider 1993). Die wichtigsten Ursachen für frühkindliche Hirnschäden zeigt die . Übersicht (Diemer u. Beck 1992).
Apgar-Score Ursachen für frühkindliche Hirnschäden
Der nach Virginia Apgar benannte Score für die klinische Zustandsbeurteilung des Neugeborenen hat eine weite Verbreitung gefunden. Bei der Interpretation wird auch heute noch häufig übersehen, dass ein erniedrigter Wert nicht immer Folge eines Sauerstoffmangels sein muss, sondern viele andere Einflüsse wie die Verabreichung von Medikamenten oder Anästhesie an die Mutter während der Geburt, das Gestationsalter oder andere fetale Pathologien, wie Fehlbildungen oder Infektionen, zu einem erniedrigten Apgar-Wert führen können.
4 Kongenitale Anlagestörungen (genetisch, familiär) 4 Pränatale Einflüsse (Frühgeburt, IUWR, Infektionen, teratogene Noxen) 4 Peri- und intrapartale Einflüsse 4 Postnatale Einflüsse 4 Soziale und emotionale Einflüsse 4 Nicht eruierbare Störungen
775 34.4 · Kindlicher Hirnschaden als Folge der Geburtsasphyxie
Die wichtigsten für frühkindliche Hirnschäden typischen Entwicklungsstörungen sind motorische Beeinträchtigungen wie spastische Lähmungen (Zerebralparese), epileptische Anfälle und geistige Behinderungen. 4 Etwa die Hälfte aller geistigen Behinderungen hat eine genetische Grundlage (insbesondere Chromosomenanomalien), 1/5 ist mit Fehlbildungen assoziiert, und 1/10 kann auf teratogene Einflüsse sowie Infektionen oder Alkoholabusus zurückgeführt werden. Außerdem besteht eine Korrelation mit einem niedrigen Sozialstatus und einem erniedrigten Intelligenzniveau der Eltern. 4 Hirnschäden als Folge einer Geburtsasphyxie manifestieren sich v. a. durch spastisch-motorische Bewegungsstörungen, die mit Epilepsie oder geistiger Behinderung verknüpft sein können. 4 Ein epileptisches Anfallsleiden oder eine geistige Behinderung ohne spastisch-motorische Bewegungsstörungen ist i. d. R. nicht Ausdruck einer Geburtsasphyxie. 4 Die spastisch-motorischen Bewegungsstörungen im Sinne der Zerebralparese (CP), die sich nach einer schweren Geburtsasphyxie entwickeln können, sind jedoch nicht spezifisch für einen hypoxisch-asphyktischen Schaden, sondern können verschiedene Ursachen haben, die in der antenatalen, intrapartalen oder postnatalen Phase wirksam werden können (Mac Lennan 1999). Multifaktorielle Analysen unter Berücksichtigung von verschiedenen Faktoren, einschließlich Genetik und Sozialstatus, zeigen, dass die Geburtspathologie im engeren Sinne nur für einen kleinen Teil der Hirnschäden, und hier wiederum nur für die mit spastisch-motorischen Bewegungsstörungen verbundenen Formen, verantwortlich gemacht werden kann (Nelson u. Ellenberg 1986; Badawi et al. 1998a, b).
34.4.1
Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie
Wegen des deutlich erhöhten Risikos für Langzeitschäden im Sinne der CP sind die im Rahmen einer Geburtsasphyxie auftretenden Gewebsschädigungen im Gehirn besonders gefürchtet. Die neurologischen Auffälligkeiten, die auch als neonatales Durchgangssyndrom bezeichnet werden, umfassen Störungen des Muskeltonus wie allgemeine Übererregbarkeit bis hin zu Krämpfen oder Hypotonie einschließlich Apnoe und Bradykardie (Jorch u. Schulte 1998). Ähnlich wie bei einem erniedrigten Agpar-Score ist die ätiologische Bedeutung der Geburtsasphyxie für die Entstehung einer Neugeborenenenzephalopathie als alleinige Ursache lange überschätzt worden.
Studienbox Die Enzephalopathie ist in der Neugeborenenphase in 69% der Fälle Folge einer antepartalen Pathologie, lediglich 4% können ausschließlich auf eine intrapartale Patho-
6
logie zurückgeführt werden, und bei 25% wurde eine kombinierte Ätiologie beschrieben (Badawi et al. 1998a, b). Der Begriff der Postasphyxieenzephalopathie wurde daher verlassen und durch den Begriff der »neonatalen Enzephalopathie mit frühem Beginn« ersetzt (Bax u. Nelson 1987; Ferriero 2004).
Antepartale Störungen wie IUWR, Übertragungen, schwere Präeklampsie und vaskuläre Pathologien der Plazenta, z. T. in Verbindung mit chronischer Villitis oder Chorioamniotitis, werden gehäuft in Zusammenhang mit der Neugeborenenenzephalopathie beobachtet (Badawi et al. 1998a; Bukowski et al. 2003; McDonald et al. 2004; Redline 2005). Sofern keine Malformationen mit fehlender oder gestörter Entwicklung von Hirnstrukturen vorliegen, sind Hirnschäden das Resultat einer Gewebezerstörung. Diese kann Folge einer Hypoxie, toxischer Einflüsse, Blutungen oder thromboembolischer Ischämien sein. Aufgrund des hohen zerebralen Sauerstoffbedarfs und von fehlender O2-Speicherkapazität führt eine totale Anoxie des Gehirns bereits nach weniger als 2 min zu einer neuralen Dysfunktion, die schnell in irreversible Schäden mit Zelluntergang übergeht. Ein perinataler Hirnschaden mit zerebraler Ischämie ist durch eine selektive neuronale Nekrose mit exzessiver Myelenisierung der Nervenfasern in den Basalganglien und durch parasagittale Schäden charakterisiert (Longo u. Packianathan 1997). Ferner kann eine Perfusionsstörung zu einer Infarzierung von Gehirngewebe mit Zeichen der periventrikulären Leukomalazie sowie nach sekundärer Reperfusion zu einer hämorrhagischen Leukomalazie führen. Steht die Schädigung der germinalen Matrix im Vordergrund, so resultiert im Rahmen der Reperfusion des Gewebeareals häufig eine intraventrikuläre Blutung. > Die hypoxisch-ischämisch bedingten hirnorganischen Veränderungen entwickeln sich innerhalb von 1–3 Wochen mit einer typischen Sequenz, die auch sonographisch nachweisbar ist (Schulte 1992): 4 zunächst Hirnschwellung mit Verengung der Seitenventrikel, 4 dann erhöhte Echogenität des Großhirnparenchyms, 4 ab dem 7. Tag zunehmender Rückgang der Hirnschwellung mit Normalisierung der Ventrikelgröße und beginnenden Veränderungen im Bereich der Stammganglien mit atypischer Echogenität als Hinweis auf eine Neurolyse, 4 die chronische Phase ist nach mehr als 1 Monat an Zeichen der Hirnatrophie erkennbar.
Die Lokalisierung der strukturellen Veränderungen, die im Zusammenhang mit der Gewebsschädigung auftreten, lassen Rückschlüsse auf den Entstehungszeitpunkt zu: 4 Defekte in der Umgebung der Seitenventrikel sind meist vor der 32.SSW entstanden, wie etwa durch eine vasospastisch bedingte Ischämie bei Chorioamnionitis. Dieses Gebiet ist bis zu dem Zeitpunkt noch unvollständig vaskula-
34
776
Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
risiert und damit gegenüber einer Minderperfusion besonders anfällig. 4 Die in der Spätschwangerschaft erfolgten Schäden finden sich häufiger in den kortikalen und subkortikalen Bereichen mit besonderer Gefährdung der parasagittalen Region sowie der Basalganglien. 4 Die Auflösung von Gewebenekrosen mit Ersatz durch Flüssigkeit und Ausbildung zystischer Läsionen lässt darauf schließen, dass das schädigende Ereignis mindestens 3 Wochen zurückliegt.
34.4.2
Klinisches Bild der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie
Die hypoxisch-ischämisch bedingte Enzephalopathie ist Teil einer Multiorganschädigung infolge eines intrapartal aufgetretenen hypoxischen Insultes. Die Schädigung der verschiedenen Organsysteme (Postasyphyxiesyndrom) kann zu den in der . Übersicht genannten Veränderungen und Symptomen führen.
Postasphyktische Organschäden 4 Lunge (Mekoniumaspiration bei erbsbreiartigem
34
Fruchtwasser, Schocklunge mit sekundärem Surfactantmangel, Lungenödem oder -blutung, persistierender fetaler Kreislauf mit Rechts-links-Shunt, Atemnotsyndrom) 4 ZNS (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, Hirnödem, intra- und periventrikuläre Blutungen, Krämpfe) 4 Herz bzw. das kardiovaskuläre System (kardiogener Schock, reduzierte Kontraktilität durch Abnahme der Glykogenspeicher und Papillarmuskelnekrosen) 4 Nieren (prä- und intrarenales Nierenversagen, gesteigerte ADH-Sekretion, Tubulusnekrosen, Nierenvenenthrombosen)
4 Gastrointestinaltrakt (nekrotisierende Enterokolitis, Darmperforation, Lebernekrosen, Perfusionsverminderung im Mesenterium) 4 Stoffwechsel (Laktatazidose, Störungen des Glukosestoffwechsels mit Hypo- oder Hyperglykämie, Hypokalzämie, Hyponatriämie, gestörte Temperaturregulation) 4 Gerinnungssystem (disseminierte intravasale Gerinnung, Blutungen)
Während die Schäden in den übrigen Organen bei den Überlebenden i. d. R. vollständig ausheilen, hat die Enzephalopathie bei einem Teil der asphyktischen Neugeborenen Auswirkungen auf die Langzeitprognose mit Gefahr der Entwicklung einer CP. Der Schweregrad der Neugeborenenenzephalopathie wird in die Kategorien gering, mäßig und schwer unterteilt: 4 Die geringe Enzephalopathie macht sich durch Zittern und gesteigerte allgemeine Erregbarkeit bemerkbar. 4 Die mäßige Form ist durch eine Lethargie mit einem pathologischen Muskeltonus gekennzeichnet. 4 Bei der schweren Form herrschen Koma, pathologischer Muskeltonus und rezidivierende Krämpfe vor (Sarnat u. Sarnat 1976; Low et al. 1997; van de Riet et al. 1999). Aus dem Sarnat-Score kann auch auf den Schweregrad der intrapartalen Asphyxie geschlossen werden (. Tab. 34.1). Auch wenn kindliche Hirnschäden als Folge einer Geburtspathologie bezogen auf die Gesamtgeburtenzahl sehr selten sind, stellen sie für die Lebensprognose des betroffenen Kindes und für die Eltern eine enorme Belastung dar. > In allen Fällen, in denen aufgrund der Blutgaswerte sowie eines anhaltend erniedrigten Apgar-Scores der Verdacht auf eine Geburtsasphyxie besteht, ist eine sehr sorgfältige Abklärung auf verschiedene Organbeteiligungen mit Klassifizierung des Schweregrades vorzunehmen (Low et al. 1997).
6
. Tab. 34.1. Klassifizierung des Schweregrades einer intrapartalen Asphyxie. (Nach Low et al. 1997)
Schweregrad der Asphyxie
Metabolische Azidose (Basendefizit ≥12 mmol/l)
Enzephalopathiea
Gering Gering
+
Mäßig
+
Schwer
+
a
b
Mäßig
Organkomplikationenb (kardiovaskulär, respiratorisch, renal) Schwer
±
Gering
Mäßig/schwer
± +
± +
+
Gering: Zittern und gesteigerte Erregbarkeit, mäßig: Lethargie oder abnormaler Tonus, schwer: Koma, abnormaler Tonus und häufige Krämpfe. Kardiovaskuläre Komplikationen (gering: Bradykardie oder Tachykardie, mäßig: Hypotonie oder Hypertonie, schwer: EKG- oder Echokardiographie abnormal). Respiratorische Komplikationen (gering: Sauerstoffbedarf, mäßig: Beatmung <24 h oder CPAP, schwer: Beatmung >24 h). Renale Komplikationen (gering: Hämaturie, mäßig: Serumkreatinin >100 μmol/l, schwer: Oligurie <1 ml/kg KG/h).
777 34.4 · Kindlicher Hirnschaden als Folge der Geburtsasphyxie
Im Einzelnen werden für die Diagnostik dieser Neugeborenen die in der . Übersicht dargestellten Abklärungen gefordert:
Einteilung von Hirnblutungen (Jensen et al. 1992) 4 Grad I (leicht): alleinige subependymale Blutung mit oder ohne Ventrikeleinbruch
Diagnostische Abklärungen bei einem asphyktischen Neugeborenen
4 Grad II (mittelschwer): wie Grad I, zusätzlich
4 Kontinuierliche postnatale Überwachung 4 Klinische Untersuchung mehrmals täglich mit Temperaturmessungen, Blutgasanalysen, Blutdruckmessungen, Kontrolle von Glukose, harnpflichtigen Substanzen und Elektrolyten 4 EKG und Atemgasmonitor (Pulsoxymeter) 4 Infektionsdiagnostik 4 Neurologische Untersuchung (einschließlich EEG) 4 Ausschluss anderer hypoxisch bedingter Organschäden 4 Diagnostik und Überwachung des Gehirns durch den seriellen Einsatz bildgebender Verfahren (Schädelsonographie, Kernspintomographie, evtl. Computertomographie, Dopplersonographie), sonographische Verlaufskontrollen 4 Exakte Dokumentation aller Befunde (z. B. Krämpfe in der 1. Lebenswoche, Infektionen etc.)
4 Grad III (schwer): wie Grad I plus II, zusätzlich
34.4.3
Diagnostik von Hirnschäden durch bildgebende Verfahren beim Neugeborenen
Bei der weiterführenden Abklärung kommt den bildgebenden Verfahren eine besondere Bedeutung zu. Die Schädelsonographie ist als Bedside-Methode das Standardverfahren (Hope et al. 1988; Shankaran et al. 1993). Die bildgebende Diagnostik ermöglicht auch die genauere Beurteilung der Ursachen und des Zeitpunktes der Schädigung in der Perinatalphase, die zu der neonatalen Enzephalopathie geführt haben (Ment et al. 2002). Die Abgrenzung von perinatal bzw. länger vor der Geburt entstandenen Hirnschäden ist speziell bei Frühgeborenen und wachstumsrestringierten Kindern, die mit Zeichen einer Asphyxie geboren werden, dringend angezeigt. Durch den Nachweis einer periventrikulären Leukomalazie mit zystischen Veränderungen kann eindeutig gezeigt werden, dass die Schädigung antenatal erfolgt und nicht dem Geburtsereignis anzulasten ist. Zusätzliche Abklärungen mittels CT und NMR sind bei Verdachtsdiagnosen wie Fehlbildungen, arteriellen Infarkten oder Parenchymblutungen angezeigt (Miller et al. 2005). Typische Veränderungen wie Hirnödem, peri- oder intraventrikuläre Hirnblutungen, Subarachnoidalblutungen, eine Asymmetrie oder Erweiterung der Seitenventrikel, eine periventrikuläre Leukomalazie mit Entwicklung von Pseudozysten im Sinne der Porenzephalie, ein posthämorrhagischer Hydrozephalus und strukturelle Fehlbildungen des Gehirns liefern wichtige Hinweise auf Ätiologie, Entstehungszeitpunkt und Prognose einer Hirnschädigung (Carter et al. 1998). Hirnblutungen können in 3 Schweregrade eingeteilt werden:
Ventrikelerweiterung deutliche Einblutung ins Parenchym
Bei Hirnblutungen Grad I und II ist die Gefahr der Entwicklung von Langzeitschäden, insbesondere von psychomotorischen Entwicklungsbeeinträchtigungen, gering. Leichte bis mittelschwere Hirnblutungen sind insbesondere bei Frühgeburten ein vergleichsweise häufiger Befund (Jensen 1992; Longo u. Packianathan 1997). In seltenen Fällen können fetale Hirnblutungen bereits pränatal sonographisch diagnostiziert werden (Vergani et al. 1996). > Gelegentlich können die neurologischen Symptome der Neugeborenenenzephalopathie unbemerkt verlaufen und Entwicklungsstörungen sich erstmals im Verlauf des 1. Lebensjahres oder danach bemerkbar machen.
Bei Fehlen der Brückensymptome in der Neonatalphase fehlt nicht selten die neuroradiologische Abklärung in den ersten Lebenstagen. Die Erstuntersuchung zu einem späteren Zeitpunkt nach Manifestwerden von Entwicklungsstörungen ist jedoch für die Erfassung der Ätiologie der Schädigung, insbesondere auch für den Ausschluss eines signifikanten asphyktischen Hirnschadens, weniger aussagekräftig.
34.4.4
Zerebralparese (CP)
Bereits im Jahr 1843 beschrieb der englische Orthopäde Little die kausale Verknüpfung von Geburtstraumata, einem neonatalen Sauerstoffmangel sowie Frühgeburtlichkeit mit spastischen Lähmungen verbunden mit geistiger Behinderung (Little 1843). Gemäß neueren epidemiologischen Untersuchungen beträgt die Prävalenz der Zerebralparese (CP) 2–3 pro 1000 Lebendgeburten (Blair u. Stanley 1988; Paneth u. Kiely 1984; Anonymous 2002). Bei den sehr frühen Frühgeburten ist das Risiko einer CP 50- bis 100-mal höher als bei Termingeburten. Wegen der deutlich verbesserten Überlebenschancen ist in dieser Gruppe eine Zunahme der CP-Prävalenz zu verzeichnen. Von allen Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht <1500 g überleben etwa 85%, von denen 5–10% schwere spastische Bewegungsstörungen entwickeln (Longo u. Packianathan 1997). Bei den Termingeburten dagegen ist die Prävalenz in den 1980-er und 1990-er Jahren konstant geblieben. Da aber die CP-Fälle nach einer Geburt am Termin in absoluten Zahlen den Hauptanteil stellen, ist die Gesamtprävalenz über die letzten 25Jahre mit 2–3 Fällen auf 1000 Lebendgeburten weitgehend konstant geblieben (Pharoah et al.1987; Stanley u. Watson 1992; Hagberg et al.1996; Nelson 2002; Anonymous 2002).
34
778
Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
> Klassisch ist die spastisch-motorische Diplegie, wobei vermehrt die unteren Extremitäten betroffen sind. Dazu kommen dyskinetische Bewegungsstörungen und in einem Teil der Fälle besteht gleichzeitig eine geistige Behinderung. Das heterogene klinische Bild zeigt typischerweise keine Progredienz.
Die Ätiologie ist häufig multifaktoriell. Komplikationen während der Geburt können isoliert oder in Kombination mit einer bereits während der Schwangerschaft wirksam werdenden Pathologie wie etwa einer Chorioamnionitis als Auslöser einer Frühgeburt für die Entstehung einer peripartalen Asphyxie und dem daraus resultierenden Hirnschaden verantwortlich sein (Schneider 1993; O’Shea 2002; Wu u. Colford 2000).
Studienbox Umfangreiche klinisch epidemiologische Studien der letzten Jahrzehnte haben zweifelsfrei gezeigt, dass die Geburtsasphyxie als Ursache einer CP lange überbewertet wurde und die Mehrzahl der Fälle durch Störungen verursacht wird, die ihren Ursprung bereits während der Schwangerschaft, d. h. lange vor der Geburt haben (Blair u. Stanley 1993; Nelson u. Ellenberg 1986; Palmer et al. 1995; Nelson 2002; Hankins u. Speer 2003). Von allen CPFällen sind lediglich 14,5% mit einem intrapartalen hypoxisch-ischämischen Ereignis assoziiert (Graham et al. 2008).
34 Nur bei 10–20% aller Fälle mit CP können eindeutige Zeichen einer Geburtsasphyxie nachgewiesen werden, sodass das Geburtsgeschehen als wahrscheinliche Ursache für den Hirnschaden angenommen werden kann (Nelson 1988; Perlman u. Palmer 1997). Neben der Frühgeburtlichkeit ist auch die intrauterine Wachstumsrestriktion mit einem erhöhten CPRisiko assoziiert. Bei einem Geburtsgewicht unterhalb der 10. Perzentile ist das Risiko 4- bis 6-mal gegenüber dem Gewichtsbereich zwischen der 25. und 75.Perzentile erhöht (Jarvis et al 2003; Petersen u. Palmer 2003). Die Häufung von angeborenen Fehlbildungen bei Kindern mit einer CP spricht für eine Entstehung in der Frühschwangerschaft (Gaffney et al. 1994; Croen et al. 2001). Dabei handelt es sich vorwiegend um Anlagestörungen des ZNS, die wiederum vermehrt mit Beckenendlagen assoziiert sind (Nelson u. Ellenberg 1986). Zusätzlich kommen als weitere Ursachen für eine CP Infektionen der Mutter sowie Gerinnungsstörungen mit spontanen Hirnblutungen oder ischämischen Läsionen im Bereich des fetalen ZNS vor Geburtsbeginn in Frage. Bei den kleinen Frühgeburten spielen Störungen in der Perinatalphase wie Hirnblutungen, zerebrale Ischämie und bronchopulmonale Dysplasie für die Entstehung einer Hirnschädigung eine vorrangige Rolle, während bei älteren Frühgeburten und Geburten am Termin die Schädigungen in der Mehrzahl der Fälle ihren Ursprung in einer früheren Phase der Schwangerschaft haben. Dennoch hat auch bei den klei-
nen Frühgeburten der Geburtsverlauf im engeren Sinne eine eher geringe Bedeutung. So hatten 73% aller Kinder mit einem frühkindlichen Hirnschaden einen 5-min-Apgar-Wert von 7. Andererseits hatten mehr als 50% der Überlebenden nach einer schweren Asphyxie eine normale Entwicklung, und selbst bei einem pH-Wert von 6,8–7,0 bei der Geburt zeigte die spätere Entwicklung bei 1/3 der Kinder keine Auffälligkeiten (Van den Bergh et al. 1996). In der gleichen Studie betrug die Häufigkeit bleibender Hirnschädigungen bei reif geborenen Kindern lediglich 10%. Zwischen der bei kleinen Frühgeburten besonders häufigen periventrikulären Leukomalazie und dem fetalen inflammatorischen Syndrom konnte ein direkter Zusammenhang gezeigt werden (Yoon et al. 1997). Für die häufig forensisch gestellte Frage nach dem Zusammenhang eines ungünstigen Geburtsverlaufes und der Entstehung der CP ist die Definition der Kriterien, die für den Kausalzusammenhang zwischen einer Geburtsasphyxie und einer CP erfüllt sein müssen, von besonderer Bedeutung (McLennan 1999; . Übersicht). Kriterien für die Definition eines akuten intrapartalen hypoxischen Ereignisses als Ursache einer Zerebralparese Essenzielle Kriterien: 4 1) Metabolische Azidose in einer intrapartal gewonnenen fetalen Blutprobe, in der Nabelschnurarterie oder in einer sehr frühen neonatalen Probe (pH-Wert < 7,00 und Basendefizit ≥ 12mmol/l) 4 2) Frühe Symptome einer schweren oder mäßig schweren Enzephalopathie bei Neugeborenen ≥ 34 SSW 4 3) Zerebralparese vom spastisch-quadriplegischen oder dyskinetischen Typ
Zusatzkriterien: 4 4) Hypoxisches Ereignis als Sentinel unmittelbar vor Beginn oder während der Wehentätigkeit 4 5) Plötzliche und anhaltende Bradykardie der fetalen Herzfrequenz bei initial normalem Muster, i. d. R. im Anschluss an das hypoxische Ereignis 4 6) Apgar-Wert von 0–3 über mehr als 5 min 4 7) Frühe Symptome eines Multiorganbefalls 4 8) Frühe Auffälligkeiten des Hirngewebes bei bildgebenden Untersuchungen
Nur wenn alle 3 essenziellen Kriterien erfüllt sind, kommt ein intrapartaler Sauerstoffmangel als Ursache für die CP in Betracht. Durch die Zusatzkriterien wird die Diagnose erhärtet. Für sich allein genommen besteht für diese Kriterien nur ein schwacher Bezug zu einer intrapartalen Hypoxie, die zu einer Hirngewebsschädigung führen kann. Mit Ausnahme des »Sentinel-Ereignisses«, wie einer vorzeitigen Plazentalösung, eines Nabelschnurvorfalls, einer Uterusruptur oder eines mütterlichen Kreislaufkollapses, sind die Zusatzkriterien wenig spezifisch und können auch Folge einer Infektion sein.
779 34.5 · Intrapartale Diagnostik und Prävention der Geburtsasphyxie
Die kürzlich von der Task Force on Neonatal Encephalopathy and Cerebral Palsy des American College of Obstetricians and Gynecologists gemeinsam mit der American Academy of Pediatrics erarbeiteten Kriterien stimmen mit den 1999 von der internationalen CP-Task-Force publizierten Definitionen weitgehend überein (Neonatal Encephalopathy and Cerebral Palsy 2004). Als Prognosefaktor für die Entwicklung einer CP kommt der früh einsetzenden neonatalen Enzephalopathie (1.–3. Lebenstag) eine hohe Bedeutung zu. Bei Zeichen einer leichten Enzephalopathie sind Spätschäden eher selten, während bei mittlerem Schweregrad das Krankheitsrisiko auf 20–27% und bei schweren Störungen auf 60–72% ansteigt (. Tab. 34.1 nach Low et al. 1997). Der neuroprotektive Effekt von Magnesiumsulfat gegenüber der Entwicklung einer CP bei Frühgeburten kann inzwischen als erwiesen gelten (Doyle et al. 2009; Nelson u. Chang 2008). Allerdings wurde bei hochdosierter i.v.-Applikation zur Tokolyse auch eine Zunahme der perinatalen Mortalität beschrieben (Mittendorf et al. 2004) (7 Kap. 24.2.4, Abschn. »Magnesium«) Wegen eines im Vergleich zu Termingeburten 50- bis 100fach erhöhten CP-Risikos bei sehr kleinen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von ≤1500 g hat die deutliche Verbesserung der Überlebenschancen zu einer Zunahme von Überlebenden mit CP geführt (Hagberg et al. 1996; Pharoah et al. 1987; Stanley u. Watson 1992). Etwa 85% aller Kinder mit einem Geburtsgewicht von ≤1500g überleben und 5–15% entwickeln schwere spastische Bewegungsstörungen (Longo u. Packianathan 1997). Für die Entstehung sind einerseits Komplikationen bei der Geburt, andererseits die Auslöser der Frühgeburt – insbesondere eine Chorioamnionitis oder Fehlbildungen des Zentralnervensystems – für die Entstehung des Hirnschadens und die daraus resultierende Langzeitmorbidität verantwortlich (Schneider 1993).
34.5
Intrapartale Diagnostik und Prävention der Geburtsasphyxie
Mit der Entwicklung von Technologien wie der Kardiotokographie (CTG) und der fetalen Skalpblutgasanalyse wurden in den 1960-er und frühen 1970-er Jahren erstmals Instrumente zur Früherkennung der drohenden Asphyxie während der Geburt verfügbar.
Studienbox Die ersten retrospektiven Untersuchungen zur Anwendung der Kardiotokographie sub partu schienen zu belegen, dass mit dieser Methode fetale Hypoxien frühzeitig erkannt und bei entsprechend schneller Geburtsbeendigung intrapartale Todesfälle verhindert werden können. Retrospektive Untersuchungen ergaben, dass die Anzahl der intrapartal sterbenden Feten mit der Einführung des CTG auf 1/3 der herkömmlichen Zahl gesenkt werden
6
konnte (Parer 1979; Yeh et al. 1982). Diese vielversprechenden Ergebnisse lösten hohe Hoffnungen und Erwartungen für die Früherkennung und Vermeidung der Asphyxie während der Geburt aus (Quilligan u. Paul 1975). Die später durchgeführten prospektiv randomisierten Untersuchungen zum Vergleich der CTG-Überwachung mit einer intermittierenden Auskultation der Herztöne des Fetus bestätigten die anfänglichen Hoffnungen allerdings nicht, da kein Unterschied für verschiedene Zustandsparameter des Neugeborenen gezeigt werden konnte. Diese enttäuschende Bilanz wird durch eine signifikante Zunahme der operativen Geburtsbeendigungen in der CTG-überwachten Gruppe zusätzlich belastet (Thacker et al. 2001). Für die Diskrepanz zwischen den retrospektiven und prospektiv randomisierten Studien zur Evaluation der intrapartalen Überwachung gibt es verschiedene Erklärungen (Schneider 2001).
Während die klinische Untersuchung des Neugeborenen nach der Geburt, ergänzt durch die Messung der Blutgaswerte in Nabelschnurblutproben, sowie weitere Abklärungen eine vergleichsweise präzise Erfassung des Ausmaßes der Asphyxie und eine gute Beurteilung der Prognose für Langzeitschäden ermöglicht, stellt die intrapartale Erkennung der drohenden Asphyxie nach wie vor ein weitgehend ungelöstes Problem dar. Auf die Grenzen der CTG-Überwachung wie schlechte Reproduzierbarkeit der Musterbeschreibung und Interpretation durch den gleichen sowie verschiedene Untersucher, die mangelnde Spezifität der Veränderungen für einen Sauerstoffmangel des Fetus, eine hohe Rate falsch positiver Befunde und dadurch verursachter unnötiger operativer Geburtsbeendigungen wird in 7 Kap. 33 ausführlich eingegangen. Grundsätzlich lässt sich der Zustand des Fetus während der Geburt abhängig vom Ausmaß des fetalen Stresses und seiner individuellen Toleranz gegenüber Sauerstoffmangel in 3 Kategorien unterteilen: 4 ungestörtes Wohlbefinden, 4 kompensierter Stress, 4 Distress infolge von Dekompensation mit Zeichen der mehr oder weniger fortgeschrittenen Asphyxie beim Neugeborenen. Die Erkennung eines normalen Musters, das durch eine Frequenz im Normbereich mit ausreichenden Oszillationen und sporadischen Akzelerationen definiert ist, bereitet i. d. R. keine Schwierigkeiten, und das normale CTG darf als spezifisch für einen Fetus in gutem Zustand betrachtet werden. Eindeutig pathologische Veränderungen wie ein Verlust der Oszillationen, das Fehlen von Akzelerationen und das Auftreten von Dezelerationen sind in hohem Maße sensitiv für eine Hypoxie (Parer u. King 2000; National Institute of Child Health and Human Development Research Planning Workshop 1997). Allerdings sind die pathologischen Muster nur begrenzt spezifisch und können in Einzelfällen falsch positiv sein. Ferner ist bei pathologischen Mustern schwer abschätzbar, ob es sich bereits um eine fortgeschrittene Asphyxie handelt und der
34
780
Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
optimale Zeitpunkt für die Intervention zur Geburtsbeendigung bereits verpasst wurde. Zwischen der normalen und der eindeutig pathologischen Gruppe befindet sich eine große Grauzone von Veränderungen, die nicht klar zugeordnet werden können und im angloamerikanischen Sprachgebrauch auch als »non-reassuring« bezeichnet werden (Dellinger et al. 2000). Diese Veränderungen sind vielfältig und umfassen mäßige bis schwere variable sowie auch späte Dezelerationen bei normalem oder eingeschränktem Oszillationsmuster in unterschiedlichen Kombinationen. Derartige CTG-Veränderungen werden auch bei risikoarmen Terminschwangerschaften in etwa 30%, v. a. während der letzten Stunde vor der Geburt beobachtet. Tipp Die Abgrenzung des physiologischen Geburtsstresses von einer drohenden oder beginnenden Asphyxie ist auch für den Experten außerordentlich schwierig, sodass keine verbindlichen Empfehlungen bezüglich des Managements abgegeben werden können (National Institute of Child Health and Human Development Research Planning Workshop 1997).
34
Trotz der insgesamt enttäuschenden Bilanz des Nutzens der intrapartalen CTG-Überwachung für die Vermeidung der Asphyxie in den prospektiven Studien zeigen retrospektive Analysen von Einzelfällen mit asphyktisch bedingter Enzephalopathie in der Neugeborenenphase oder Symptomen der Zerebralparese im Kindesalter, dass in einem Teil der Fälle eine ungenügende Überwachung während der Geburt, Fehldeutung von CTG-Veränderungen und ungenügende klinische Maßnahmen für den ungünstigen Ausgang verantwortlich gemacht werden müssen (Gaffney et al. 1994; Westgate et al. 1999). Auch die in England regelmäßig durchgeführten Audit-Untersuchungen von intrapartalen Todesfällen machen deutlich, dass bei einem Teil dieser Fälle der Nutzen der CTGÜberwachung durch unterlassene Anwendung oder fehlerhafte Interpretation nicht ausgeschöpft wurde (Maternal and Child Health Consortium 1994).
Studienbox Die Diskussion um den tatsächlichen Nutzen der CTGÜberwachung während der Geburt für die Prävention der Geburtsasphyxie und ihrer Folgen ist sicher noch nicht abgeschlossen. Die metaanalytische Auswertung der bislang durchgeführten prospektiv randomisierten Untersuchungen muss in ihren Schlussfolgerungen relativiert werden. Durch eine ungenügende Standardisierung der Erfassung der CTG-Veränderungen und eine mangelnde Festlegung von verbindlichen Entscheidungsgrundlagen in Zusammenhang mit bestimmten CTG-Befunden und definierten klinischen Begleitumständen fehlen die Grundvoraussetzungen für die prospektive Prüfung des Nutzens der Überwachungsmethode (Parer u. King 1979;
6
Grant 1999). Die in hohem Maße heterogenen Studien lassen eine Metaanalyse streng genommen nicht zu. In den Diskussionen um die CTG-Überwachung ist den negativen Aspekten wie insbesondere der Zunahme von unnötigen operativen Geburtsbeendigungen besondere Beachtung geschenkt worden, während Erklärungsmöglichkeiten für den fehlenden Nachweis des Nutzens im Sinne der Prävention der Geburtsasphyxie zuwenig Gewicht beigemessen wurde (Mongelli et al. 1997). Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin muss die Effektivität der CTG-Überwachung ohne Zusatz sowie in Kombination mit verschiedenen Zusatzuntersuchungen vergleichend prospektiv randomisiert untersucht werden, wobei eine Standardisierung der CTG-Beurteilung und der klinischen Entscheidungen auf der Basis der Überwachungsergebnisse gegeben sein muss (National Institute of Child Health and Human Development Research Planning Workshop 1997). Auch die von Roemer u. Walden (2004) beschriebene computergestützte Quantifizierung der CTG-Auswertung oder die Systeme zum Online-CTG-Monitoring müssen auf ihren Nutzen durch prospektiv randomisierte Studien überprüft werden. Endpunkte müssen dabei die Anzahl von Geburten mit Asphyxie einerseits und die Zahl der operativen Interventionen wegen drohender Asphyxie andererseits sein. Entsprechende Untersuchungen liegen bislang nur für die Kombination von CTG mit fetalem EKG (STAN) vor (Westgate et al. 1993; Amer-Wåhlin et al. 2001). Die Zweifel, dass die durchaus vielversprechenden Ergebnisse nicht nur unter strengen Bedingungen des Studienprotokolls, sondern auch in der klinischen Routine erzielt werden können, wurden allerdings bislang nicht ausgeräumt.
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Geburtsasphyxie nicht die lange propagierte vorrangige Bedeutung als Ursache von Akutmorbidität in der Neonatalphase oder von Langzeitschäden wie der Zerebralparese hat. Andererseits muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Prävention der Geburtsasphyxie durch einen mangelhaften Einsatz der Überwachung des Fetus oder aber durch Fehler bei der Interpretation der Befunde und falschen klinischen Entscheidungen in Einzelfällen versagt. Eine weitere Optimierung der Geburtsüberwachung und deren konsequente Anwendung sind Gegenstand intensiver klinischer Forschung und haben die Reduktion oder Elimination aller vermeidbaren Fälle einer intrapartalen Asphyxie zum Ziel.
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Kapitel 34 · Intrapartale Asphyxie
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35 35 Geburtseinleitung D. Surbek, P. Husslein, C. Egarter 35.1
Allgemeine Grundlagen – 784
35.2
Indikationen – 784
35.3
Methoden – 785
35.3.1 35.3.2 35.3.3
Geburtseinleitung bei reifer Zervix – 786 Geburtseinleitung bei unreifer Zervix – 789 Misoprostol zur Geburtseinleitung – 790
35.4
Besonderheiten und Komplikationen – 791
35.4.1 35.4.2
Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio – 791 Überstimulation des Myometriums bei der Geburtseinleitung – 792
Literatur – 793
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
784
35
Kapitel 35 · Geburtseinleitung
Aufgrund der zunehmenden Schwangerschaftspathologien und daraus folgender Gefährdung von Mutter und Kind und deren früher Erkennung ist die Anzahl Geburtseinleitungen in den letzten 20 Jahren gestiegen und beträgt mittlerweile fast 20%. Jede Geburtseinleitung bedarf allerdings einer klaren medizinischen Indikation, die besonders bei unreifer Zervix streng zu stellen ist. Zu den meistverwendeten Methoden der Geburtseinleitung gehören die medikamentöse Einleitung mittels Prostaglandinen oder Oxytozin sowie die mechanische Methode mittels Ballonkatheter. Oxytozin wird als kontrollierte intravenöse Infusion bei reifer Zervix, idealerweise in Zusammenhang mit früher Amniotomie, angewendet. Als Prostaglandine kommen Dinoproston (Prostaglandin E2) oder – als »off-label use« mit entsprechender Information der Schwangeren – Misoprostol (Prostaglandin E1-Analogon) zur Anwendung. Prostaglandine werden in der Regel intravaginal als Tabletten, Vaginalgel oder Vaginalinsert, oder endozervikal als Intrazervikalgel in unterschiedlichen Dosierungen verwendet. Durch die lokale Applikation kommt es zu keinen nennenswerten systemischen Nebenwirkungen bei der Schwangeren. Die besondere Wirkung der Prostaglandine erklärt, dass die Anwendung dieser Substanzen zur Geburtseinleitung insbesondere bei intakten Membranen gegenüber Oxytozin deutliche Vorteile mit sich bringt. Um Überstimulationen zu vermeiden, dürfen diese Methoden zur Einleitung niemals gleichzeitig, sondern nur hintereinander mit einem Sicherheitsabstand von in der Regel 6 h verabreicht werden. Weder ein spontaner Blasensprung noch ein Zustand nach Sectio sind prinzipielle Kontraindikationen zur Einleitung; bei Letzterem ist aber die Indikation zur Einleitung besonders streng zu stellen, da ein erhöhtes Risiko der Uterusruptur besteht, insbesondere bei der Verwendung von Prostaglandinen. Misoprostol ist bei Zustand nach Sectio kontraindiziert. Bei der Verwendung von Dinoproston muss die Patientin über das erhöhte Rupturrisiko aufgeklärt werden. Jede Geburtseinleitung bedarf einer kardiotokographischen Überwachung. Bei Einleitung mittels Prostaglandinen wird zu Beginn eine intermittierende, ab regelmäßiger Wehentätigkeit eine kontinuierliche Überwachung, bei Oxytozininfusion eine Dauer-CTG-Überwachung empfohlen. Eine Hyperstimulation, die bei den verschiedenen Einleitungsverfahren unterschiedlich häufig auftritt, kann durch die intravenöse Gabe eines β-Sympatikomimetikums zumindest kurzfristig durchbrochen werden. Andere Nebenwirkungen der Geburtseinleitung sind insbesondere bei der lokalen Anwendung von Prostaglandinen selten.
35.1
Allgemeine Grundlagen
Geburtseinleitung Unter der Geburtseinleitung versteht man das Ingangsetzen des Vorgangs der Geburt, im Wesentlichen durch Auslösen von Wehen.
Die Geburtseinleitung hat eine sehr lange Geschichte. Bereits im Altertum wurde bei Frauen mit engem Becken die Geburt vorzeitig in Gang gesetzt, um Schwierigkeiten bezüglich eines
Schädel-Becken-Missverhältnisses zu vermeiden. Heute ist die Geburtseinleitung eine der häufigsten geburtsmedizinischen Interventionen. Die Rate der Geburtseinleitungen ist in den letzten 20 Jahren stark gestiegen und beträgt mittlerweile 20%. Die Gründe des Anstiegs sind vielschichtig. Einer der wichtigsten Gründe jedoch ist die Zunahme des durchschnittlichen mütterlichen Alters, das in der letzten Generation um fast 4 Jahre zugenommen hat. Die Folge davon ist die Zunahme von Risikoschwangerschaften, insbesondere hypertensive Schwangerschaftserkrankungen (inkl. Präeklampsie), Gestationsdiabetes, Zwillingsschwangerschaften (sowohl spontane wie auch als Folge der künstlichen reproduktiven Therapie). Diese Risiken können heute im Verlauf der Schwangerschaft durch verbesserte diagnostische Möglichkeiten fetaler und mütterlicher Risiken auch früher entdeckt werden, sodass entsprechend die Geburt rechtzeitig eingeleitet wird, um schwere Komplikationen zu vermeiden. Zudem haben umfangreiche Studien gezeigt, dass eine Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung >7 Tage die Risiken der neonatalen Morbidität und Mortalität senken kann, sodass heute die Empfehlungen in diese Richtung gehen (7 Kap. 37 »Terminüberschreitung«). Weitere Gründe für die Zunahme sind der Anstieg der psychosomatischen Indikation der Schwangeren, die effizienteren und nebenwirkungsärmeren zur Verfügung stehenden Medikamente zur Einleitung und möglicherweise auch medikolegale Aspekte.
35.2
Indikationen
Die Indikation zur vorzeitigen Beendigung einer Schwangerschaft mittels Geburtseinleitung hat sich aus oben genannten Gründen in den letzten Jahren deutlich erweitert (. Übersicht). Da eine Geburtseinleitung einen wesentlichen Eingriff in den natürlichen Ablauf der Schwangerschaft darstellt, ist eine klare medizinische Indikation aber unerlässlich.
Indikationen zur Geburtseinleitung 4 Hypertensive Schwangerschaftserkrankung (Präeklampsie) 4 Diabetes mellitus (Gestationsdiabetes oder auch vorbestehender Diabetes) 4 Rhesusinkompatibilität 4 Vorzeitiger Blasensprung 4 Intrauterine Wachstumsrestriktion 4 Terminüberschreitung/Übertragung 4 Mütterliche Erkrankungen 4 Psychosomatische/psychosoziale Belastung 4 Intrauteriner Fruchttod 4 Logistische Gründe (z. B. Risiko einer überstürzten Geburt bei großer Entfernung vom Krankenhaus) 4 Weitere
Die Wirksamkeit einer Geburtseinleitung hängt vornehmlich von der Dauer der Schwangerschaft und dem Reifezustand
785 35.3 · Methoden
. Tab. 35.1. Bishop-Score
Punkte
0
1
2
3
Höhe des vorangehenden Teils*
–3
–2
–1/0
+1
Dilatation des Muttermundes [cm]
Geschlossen
1–2
3–4
5–6
Portioverkürzung [%]
0–30
40–50
60–70
Portiokonsistenz
Derb
Mittelweich
Weich
Position der Portio
Sakral
Mediosakral
Medial
Geburtseinleitung nur unter stationärer klinischer Beobachtung und Dokumentation des Verlaufs durchzuführen. Zentrales Element der Überwachung ist die Kardiotokographie. Bei Einleitung mittels Prostaglandinen wird zu Beginn eine intermittierende, ab regelmäßiger Wehentätigkeit eine kontinuierliche Überwachung, bei Oxytozininfusion eine DauerCTG-Überwachung empfohlen. Tipp
≥80
* Bezogen auf die Interspinalebene.
der Zervix ab (Bishop 1964; Husslein 1992), die beide mit der Empfindlichkeit des Myometriums gegenüber Wehenmitteln korrelieren. Die Zervixreife wird nach dem sog. Bishop-Score beurteilt (. Tab. 35.1). Bei vorzeitig notwendiger Geburtseinleitung bei noch unreifer Zervix kann die Einleitung aber auch erfolglos und die Rate operativer Geburtsbeendigungen hoch sein. Außerdem kommt es in diesen Fällen nicht selten zu protrahierten Geburten. Deshalb ist in dieser Situation die Indikation besonders streng zu stellen. Umgekehrt kann bei günstigen Einleitungskriterien (sehr reifer Bishop-Score) erwartet werden, dass eine Wehenauslösung mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird und häufig zu kürzeren Geburtszeiten führt. In solchen Fällen kann eine Geburtseinleitung auf reinen Wunsch der Schwangeren auch bei Fehlen klarer medizinischer Gründe indiziert werden, sofern für das Kind keine Gefahr der Unreife (i. d. R. nach 39+0/7 SSW) besteht. Dies wird als elektive Geburtseinleitung bezeichnet. Auf jeden Fall erfordert die Durchführung einer Geburtseinleitung eine entsprechende Aufklärung der betroffenen Frau sowie eine genaue Evaluierung und Dokumentation der geburtshilflichen Ausgangssituation wie Kardiotokogramm und Erhebung des Zervix-Scores. ! Eine Geburtseinleitung darf nur vorgenommen werden, wenn keine Kontraindikation gegen eine vaginale Geburt besteht. Das Schwangerschaftsalter sollte bekannt sein, idealerweise mittels Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung bestimmt. > Grundsätzlich gilt: Das Ziel der Einleitung ist es, das bessere perinatale Ergebnis für Mutter und Kind im Gegensatz zum abwartenden Vorgehen zu erreichen.
Aus medizinischer wie aus forensischer Sicht wird jede eingeleitete Geburt zu einer Risikogeburt, die einer intensiveren Geburtsüberwachung bedarf. Das Ausmaß der Überwachung wird vom klinischen Einzelfall abhängen, jedenfalls ist eine
Bei jeder medikamentösen Geburtseinleitung ist eine Überstimulation des Uterus eine mögliche Komplikation. Diese kann durch Tachsystolie (d. h. ≥6 Wehen innerhalb 10 min) oder Dauerkontraktion des Uterus – im Extremfall durch eine vorzeitige Plazentalösung oder Uterusruptur – zu akuter Beeinträchtigung der fetalen Sauerstoffversorgung führen, was u. U. eine sofortige Entbindung des Fetus per Notfallsectio notwendig machen kann. Aus diesem Grunde darf heute eine medikamentöse Geburtseinleitung nur in Kliniken durchgeführt werden, wo die Infrastruktur und das Personal für eine Notfallsectio (d. h. Entscheidung-Entwicklungs-Zeit maximal 20 min) möglich ist.
35.3
Methoden
Den historischen Maßnahmen zur Geburtseinleitung, wie z. B. Fasten, Durchführung von Scheidenspülungen und heißen Bädern etc., kommt keine Bedeutung mehr zu. Heute steht den Geburtshelfern neben den mechanischen Maßnahmen wie retroamniale Einlage eines Ballonkatheters, der Lösung des unteren Eipols im Rahmen einer vaginalen Untersuchung (»Membranstripping«) und der Amniotomie v. a. die Gabe der wehenauslösenden Hormone Oxytozin und Prostaglandin (PG) zur Verfügung. Es konnte gezeigt werden, dass Manipulationen an der Zervix (z. B. digitale Eipolablösung, Ballonkatheter) wie auch eine Blasensprengung (Amniotomie) über eine Stimulation der körpereigenen Prostaglandinsynthese wirken. Somit ist deren Wirkung ähnlich wie diejenige der Prostaglandinapplikation zu erklären. Beim Membranstripping (digitale Eipollösung) wird anlässlich einer vaginalen Untersuchung mit dem Finger in die Zervix eingegangen und dabei mit einer kreisenden Bewegung die Membran am unteren Eipol abgelöst. Gemäß randomisierten Studien (Metaanalyse; Boulvain et al. 2005) ist diese Methode zwar effizient, aber sie ist für die Schwangere unangenehm und gelegentlich sogar schmerzhaft, und es kommt zudem gelegentlich zu leichten harmlosen, aber die Schwangere beunruhigenden Blutungen. Deshalb wird diese Methode nur in besonderen Situationen empfohlen, entweder bei Terminüberschreitung auf Wunsch der Schwangeren, oder bei Zustand nach Sectio, um eine (erschwerte) medikamentöse Geburtseinleitung zu vermeiden. Größere Studien haben gezeigt, dass es bei regelmäßigem Koitus um den Termin herum bei den Schwangeren seltener zu einer klinisch relevanten Terminüberschreitung kommt (Tan et al. 2006). Allerdings konnte dieser Effekt in einer durch die gleiche Forschungsgruppe durchgeführten rando-
35
786
Kapitel 35 · Geburtseinleitung
. Tab. 35.2. Methoden zur Geburtseinleitung
. Tab. 35.3. Wehenstimulation mittels Oxytozin: Dosierungen bei verschiedenen Schemata
Methode Medikamentös
Oxytozin (intravenöse Infusion)
Steigerungsrate [mlE/min]
Dosierungsintervall [min]
Prostaglandin E2=Dinoproston (intravaginal oder intrazervikal)
Low-dose
Prostaglandin E1-Analogon=Misoprostol (intravaginal oder peroral)
0,5–1 1–2
1 2
30–40 15
High-dose
ca. 6 6
ca. 6 6 a, 3a, 1a
15 20–40
[Relaxin (intravaginal)] a
[Antigestagen=Mifepristone (intravaginal)] »Mechanisch«
Startdosis [mlE/min]
Die Steigerungsrate wird bei zu massiver Wehentätigkeit auf 3 mlE/min und evtl. 1 mlE/min reduziert. (Nach ACOG 1999)
Amniotomie (i. d. R. zusammen mit Oxytozin) Extraamniale Ballonkatheter (Foley-Katheter) Membranstripping Zervixdilatation (hygroskopisch: Quellstifte, Laminaria) [Mammillenstimulation=endogene Oxytozinausschüttung] [Koitus=exogene lokale Zufuhr von Prostaglandinen aus dem Sperma]
35
misierten Studie nicht nachgewiesen werden (Tan et al. 2007). In . Tab. 35.2 sind die wichtigsten Methoden zur Geburtseinleitung zusammengefasst (Surbek et al. 2002). Die Geburtseinleitung mit intravenösem Oxytozin, die typischerweise bei sehr reifem Zervixbefund vorgenommen wird, soll, wenn möglich, kombiniert werden mit einer frühen Amniotomie. Dadurch wird die Wirksamkeit des Oxytozins enorm erhöht. Dazu ist i. d. R. jedoch Voraussetzung, dass der Muttermund schon auf 2–3 cm dilatiert ist. Aus dem Verständnis des komplexen geburtsauslösenden Mechanismus ergibt sich, dass eine Geburtseinleitung kurz vor dem Einsetzen von spontanen Wehen, also am Termin oder in Terminnähe, bei geburtsbereiter Zervix leichter, erfolgversprechender und mit weniger Komplikationen verbunden ist als eine frühzeitige Einleitung lange vor dem Geburtstermin bei noch unreifer Zervix. Deshalb werden diese beiden klinischen Situationen im Folgenden getrennt besprochen.
35.3.1
Geburtseinleitung bei reifer Zervix
Bis vor nicht allzu langer Zeit galt Oxytozin als einziges wehenauslösendes Medikament. Es wird heute ausschließlich als kontrollierte Infusion mittels Tropfenzähler oder Infusionspumpe verwendet, wobei in der Vergangenheit zahlreiche Studien zur exakten Dosierung durchgeführt wurden (Stubbs 2000). Zur intravenösen Infusion ist eine Lösung von IE Oxytozin in 5- bis 10%iger Glukoselösung zu empfehlen. Initiale
Dosierungen zwischen 0,5 und 2 mlE/min werden empfohlen und Dosiserhöhungen von etwa 1–2 mlE/min bis zu 6 mlE/ min, teilweise mit Adjustierungen bei Überstimulation. Die Intervalle bis zur Dosissteigerung reichen von 15–40 min. In einer 1998 durchgeführten Metaanalyse (Crane u. Young 1998) konnte gezeigt werden, dass bei den massiveren Dosiserhöhungen und bei den kürzeren Steigerungsintervallen stärkere Verkürzungen der Geburtszeiten erreicht werden. Darüber hinaus zeigten sich damit weniger Fälle von Chorioamnionitis und eine geringere Rate an Sectiones wegen Dystokie, allerdings bei parallel steigender Rate an Übereinstimulation. Eine Empfehlung der ACOG aus dem Jahr 1999 ist in . Tab. 35.3 zusammengefasst. Der Kliniker kann also zwischen verschiedenen Optionen wählen. Eine elektronische Steuerung von Oxytozin auf der Basis intrauteriner Druckmessungen hat keine Vorteile gegenüber einer manuellen Steuerung ergeben, und auch die der physiologischen Ausschüttung von Oxytozin nachempfundene pulsatile Verabreichung (Willcourt et al. 1994) hat sich in der Klinik nicht durchgesetzt. Oxytozin wurde in einem systematischen Review der Cochrane Library nach Blasensprung in Terminnähe im Vergleich zu verschiedenen vaginalen Prostaglandinverabreichungen untersucht (Tan u. Kelly 2001) und scheint hier ähnlich wirksam zu sein, unabhängig vom Reifegrad der Zervix. In der Regel soll bei einer Geburtseinleitung mit Oxytozin möglichst frühzeitig (sobald technisch möglich, bei Muttermundsweite 2–3 cm, wenn die Membranen erreichbar sind) eine Amniotomie durchgeführt werden, um die Wirksamkeit der Einleitung zu erhöhen und den Geburtsfortschritt zu unterstützen (Wei et al. 2009). Oxytozin kann nebst der Geburtseinleitung auch zur Verstärkung oder Aufrechterhaltung einer bereits in Gang gekommenen Wehentätigkeit verwendet werden: Oxytozinunterstützung bei Wehenschwäche, oftmals notwendig bei liegender Periduralanästhesie (7 Kap. 30). In den 1970-er Jahren begann für die Geburtshilfe die Ära der Prostaglandine. Sie stellen u. a. zentrale Hormone des Geburtsmechanismus beim Menschen dar. Sie wirken als lokale Hormone, die unmittelbar nach ihrer Wirkung zu inaktiven Metaboliten abgebaut werden.
787 35.3 · Methoden
Studienbox Nach spontanem Wehenbeginn, nach Geburtseinleitungen mit Oxytozin, nach Amniotomie und nach exogener PG-Zufuhr kommt es zu einem ausgeprägten Anstieg der Metaboliten von PGE2 und PGF2α im peripheren mütterlichen Blut (Husslein 1984).
Der Grund für die zentrale Rolle der Prostaglandine für den Geburtsmechanismus beim Menschen stellt ihre mehrfache Wirkung dar. Einerseits lösen Prostaglandine Kontraktionen im Myometrium aus, andererseits bewirken sie eine Fülle von biochemischen Veränderungen im Bereich der Zervix, die klinisch zu einer Erweichung und einer Reduktion des zervikalen Widerstandes führen (Rath et al. 1994). Außerdem induzieren PG sog. Gap Junctions – elektronenmikroskopisch nachweisbare Zellbrücken, die für eine koordinierte Erregungsübertragung von Muskelzelle zu Muskelzelle unabdingbar notwendig sind (Garfield et al. 1980). Diese 3 Wirkungen ergänzen sich in idealer Weise, um eine Fruchtausstoßung herbeizuführen (. Abb. 35.1; Egarter u. Husslein 1992, 1997). Aus diesen Gründen ist es naheliegend, Prostaglandine auch zur Geburtseinleitung zu verwenden. Bei exogener systemischer Zufuhr wirken Prostaglandine allerdings nicht nur auf das Myometrium und die Zervix, sondern auch auf die
. Abb. 35.1. Wirkungen der Prostaglandine auf Korpus (Myometrium) und Zervix (Bindegewebe)
glatte Muskulatur des Magen-Darm-Trakts und der Gefäße. Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen sind deshalb bei systemischer Applikation häufig. Die lokale Applikation wird deshalb bei den herkömmlichen Prostaglandinen (PGE2) bevorzugt, und in dieser Form haben die Prostaglandine die Geburtseinleitung sozusagen »revolutioniert«. Bei lokaler Applikation sind systemische Nebenwirkungen selten zu beobachten. Die z. T. immer noch diskutierte Frage, ob es sich bei der lokalen Anwendung von Prostaglandinen um eine echte Geburtseinleitung oder nur um eine Vorbereitung der Zervix im Sinne eines Zervixpriming handelt, ist insofern akademisch und klinisch unbedeutend, da meist ohnehin eine eher rasche und komplikationslose Beendigung der Schwangerschaft gewünscht wird. Zudem ist der Übergang zwischen beiden pharmakologischen Eigenschaften der Prostaglandine fließend. Es muss allerdings hervorgehoben werden, dass die durch Prostaglandine verbesserte Zervixwirkung bzw. die bei der Geburtseinleitung im 3. Trimenon praktisch vollständig fehlende Belastung des Gesamtorganismus durch einen Mangel an Steuerbarkeit erkauft werden musste, im Vergleich zum intravenös per Dauerinfusion applizierten Oxytozin, welches gut steuerbar ist. Heute haben sich folgende klinische Anwendungsrichtlinien herauskristallisiert: 4 Da PGE2 über eine stärkere Wirkung auf den Bereich der Zervix verfügt und diese Überlegenheit auch klinisch untermauert werden konnte, sollte PGE2 und nicht PGF2α zur Geburtseinleitung verwendet werden. 4 Die deutliche Zunahme der Prostaglandinempfindlichkeit im Verlauf der Schwangerschaft soll beachtet werden. Daraus ergibt sich, dass Einleitungsschemata für das 3. Trimenon bzw. für den Termin nicht auf frühere Schwangerschaftsabschnitte (spätes 2. Trimenon) übertragen werden können. 4 Die Resorption des Wirkstoffes aus der Vagina ist von der anatomischen Lokalisation des PG-Depots abhängig: Je uterusnäher, desto rascher und vollständiger die Resorption. Auch die Galenik spielt für die Resorption eine große Rolle: Sie ist aus Gelen ausgeprägter als aus Vaginaltabletten. In den letzten Jahren sind auch Studien über ein vaginal einzuführendes, 10 g Dinoproston enthaltendes System (Propess) durchgeführt worden, bei dem über eine semipermeable Membran 0,3 mg/h PGE2 (Dinoproston) freigesetzt wird. Ursprünglich wurde dieses Vaginalinsert zur Zervixreifung entwickelt. Deshalb gibt es hauptsächlich Vergleiche mit Placebo (Rayburn 1997) bzw. Prostaglandin-Gel. In einer eigenen Untersuchung (Rabl et al. 2002) haben wir dieses System auch mit der Anwendung von PGE2-Vaginaltabletten zur Geburtseinleitung verglichen und klinisch eine ähnliche Effizienz wie bei 2-mal 3 mg PGE2 festgestellt. Ein Vorteil von Propess ist sicherlich die Möglichkeit, es beispielsweise bei Überstimulation anhand des Bändchens zu entfernen, eine Möglichkeit, die meist bei anderen Applikationsformen nicht besteht. Aufgrund der extrem kurzen Halbwertszeit der Prostaglandine
35
788
35
Kapitel 35 · Geburtseinleitung
sistiert die Wirkung nach Entfernung des stimulatorischen Agens relativ rasch. Das Vaginalinsert wird ebenfalls in den hinteren Scheidenfornix gelegt und – um ein unbeabsichtigtes Herausziehen zu vermeiden – das Bändchen ebenfalls intravaginal appliziert. Bei einer Geburtseinleitung durch die intravaginale Verabreichung einer 3 mg PGE2 enthaltenden Tablette wird diese im Rahmen einer vaginalen Untersuchung in den hinteren Scheidenfornix appliziert. Die Schwangere ist im Anschluss daran sofort mobil. Aufgrund der verzögerten Resorption, die zur Folge hat, dass Wehen zumeist erst 2–3 h danach auftreten, empfiehlt es sich, die erste kardiotokographische Kontrolle routinemäßig nach etwa 2 h bzw. bei Auftreten von Kreuzschmerzen oder von der Patientin verspürten Wehen durchzuführen. Eine Wiederholung der Tablettenapplikation kann nach einem Intervall von 6–12 h, je nach klinischer Situation, ins Auge gefasst werden (Kofler et al. 1986). Bezüglich der vaginalen Verabfolgung eines PGE2-haltigen Gels, von der man sich eine verbesserte und gleichmäßigere Resorption erhofft, bestehen auch derzeit wenige Vergleichsstudien. Ziel wäre es, die oft unverhältnismäßig und unberechenbar lange Latenzphase zwischen Applikation der Tablette und Einsetzen von Wehen zu reduzieren und berechenbarer zu machen, sodass beispielsweise die Frage der Überwachung klarer und schematischer zu regeln wäre. Aufgrund der rascheren Resorption sollte initial 2 mg PGE2-Gel bei unreifer Zervix (etwa Bishop-Score <4), ansonsten 1 mg Gel verabreicht werden, mit einer neuerlichen Applikation von 1 und 2 mg nach 6 h (maximal 4 mg in 24 h). Ziel der PGE2-Verabreichung ist es, Wehen auszulösen, die schließlich zur Geburt führen. Eine nachfolgende Gabe von Oxytozin ist zunächst nicht vorgesehen. Erst bei Auftreten einer sekundären Wehenschwäche oder aber bei Versagen der Einleitung kann die i.v.-Verabfolgung von Oxytozin in Betracht gezogen werden. Ein besonderer Vorzug der Geburtseinleitung mittels vaginaler Prostaglandinapplikation liegt im kurzen Intervall zwischen Blasensprung (spontan oder induziert) und Geburt. Bei der Geburtseinleitung mittels Oxytozin muss oft zusätzlich noch eine frühe Amniotomie durchgeführt werden, damit es zu einem zügigen Geburtsfortschritt kommt (Wei et al. 2009). Bei der Applikation von Prostaglandin bei reifer Portio handelt es sich um ein relativ risikoarmes und wirksames Verfahren zur Geburtseinleitung; Überstimulationen sind zwar beschrieben worden, aber insgesamt eher selten. Tipp Einleitung mit Prostaglandin E2 bei reifer Zervix Generell sollten bei der Geburtseinleitung durch Prostaglandine die vaginalen Applikationsformen bevorzugt werden, da sie gleich effizient, jedoch weniger invasiv sind (Boulvain et al. 2001). Zur Geburtseinleitung hat sich die intravaginale Verabfolgung einer PGE2-haltigen Tablette (Einzeldosis 3 mg Dinoproston) oder eines PGE2-haltigen Gels (Einzeldosis 1–2 mg Dinoproston) durchgesetzt. Bei Bedarf
6
kann diese Dosis nach 6 h jeweils einmal in 24 h wiederholt werden. Alternativ kommt das Vaginalinsert Propess zur Anwendung. Es besteht aus einem 10 mg Dinoproston enthaltenden Streifen (Vaginalinsert), der in den hinteren Fornix der Vagina gelegt wird und dort über einen Zeitraum von 24 h jeweils 0,3 mg/h Dinoproston abgibt. Der Vorteil ist dabei, dass der Streifen bei entsprechender Wehentätigkeit und Geburtsbeginn jederzeit entfernt werden kann. Sämtliche dieser intravaginalen Prostaglandinanwendungen, inklusive dem Vaginalinsert, können auch bei vorzeitigem Blasensprung in Terminnähe durchgeführt werden.
Probleme bei Anwendung der 3-mg-PGE2-Vaginaltabletten können durch die schlechte Steuerbarkeit entstehen; und das Risiko einer uterinen Überstimulation, das zwar insgesamt nicht allzu groß ist (Egarter et al. 1990), muss bedacht werden. Hier ist durch die Applikation eines entfernbaren Vaginalinserts Propess zumindest bei Überstimulation ein theoretischer Vorteil gegeben. Da die Überstimulation generell eher selten auftritt, sind hier allerdings noch größere kontrollierte Studien abzuwarten. Ein spontaner Blasensprung stellt prinzipiell keine Kontraindikation für eine lokale PGE2-Applikation dar. Gerade bei unreifer Portio kann die Erfolgsquote einer Geburtseinleitung durch PGE2-Anwendung deutlich erhöht werden (Ray u. Garite 1992). Bei Anwendung von Vaginaltablette oder Vaginalgel muss allerdings berücksichtigt werden, dass durch eine Änderung des Scheidenmilieus durch vermehrten Fruchtwasserabgang eine verstärkte PGE2-Resorption, aber auch eine Ausschwemmung der Wirksubstanz möglich ist. Bei reifer Portio und Blasensprung ist wahrscheinlich die vaginale PGE2-Applikation der intravenösen Oxytozingabe klinisch unterlegen. > Bei vorzeitigem Blasensprung am Termin und unreifer Zervix scheint die Applikation des Vaginalinserts Propess aus theoretischen Überlegungen (über die semipermeable Membran konstante Freisetzung von PGE2, Vermeidung wiederholter vaginaler Manipulationen zur Verringerung der Infektionsrate) einen Vorteil zu bieten.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt die Erwartungshaltung der Schwangeren auf einen raschen Erfolg. Die Schwangere muss deshalb bereits vor einer Geburtseinleitung darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich diese u. U. hinauszögern kann und mehrere medikamentöse Applikationen notwendig werden können. Es dürfen keine Verkürzungen der Applikationsintervalle oder Dosissteigerungen vorgenommen werden, denn dies kann gehäuft zu gefährlichen Überstimulationen führen.
35
789 35.3 · Methoden
35.3.2
Geburtseinleitung bei unreifer Zervix
Eine Geburtseinleitung bei unreifer Zervix ist mit einer höheren Versagerrate und Sectiorate, mit mehr Komplikationen und mit einer höheren Inzidenz protrahierter Geburten vergesellschaftet. Aus diesen Gründen wurde hier der intrazervikale Weg der lokalen Prostaglandinapplikation gewählt. Dabei wird die Vermischung von PGE2 mit Tylose-Gel verwendet, um eine einmalige intrazervikale Applikation zu ermöglichen. Die Erfolge einer solchen Vorbehandlung der Zervix mit 0,5 mg PGE2 gegenüber Placebo mit nachfolgender Oxytozingabe in beiden Studiengruppen waren überwältigend: Die Sectiorate, die Häufigkeit mütterlicher Infektionen und die Inzidenz niedriger Apgar-Werte wurden gesenkt. Die im Vergleich zur Vaginaltablette scheinbar niedrigere Dosierung ergibt sich aus der verstärkten Resorption aus dem endozervikalen Raum. Ziel dieses Verfahrens ist es primär, ohne Auslösung von Wehen eine Verbesserung des Reifegrades der Zervix zu erzielen und anschließend mit einer höheren Erfolgsrate die Geburt mittels intravenöser Oxytozininfusion einzuleiten. Wie sich jedoch gezeigt hat, werden durch die endozervikale Applikation des 0,5 mg PGE2 enthaltenden Tylose-Gels auch bei unreifer Zervix bei bis zu 30% aller Frauen regelmäßige Wehen induziert (. Tab. 35.4). Es steht außer Zweifel, dass die Zervixreifung biochemisch ohne Myometriumkontraktionen abläuft. Klinisch scheinen die beiden Effekte Zervixreifung und Weheninduktion allerdings nicht so deutlich voneinander zu trennen zu sein. Das Hauptproblem bei dieser Applikationsform ist die relative Schwierigkeit der endozervikalen Instillation. Nicht nur ist sie technisch anspruchsvoller, sie ist auch für die Patientin unangenehmer und führt nicht selten zu unkontrolliertem Ausfließen entweder in den retroamnialen Raum mit der Gefahr der Überstimulierung oder in die Scheide mit dem Risiko des Wirkungsverlusts. Tipp Geburtseinleitung bei unreifer Zervix Bei unreifer Zervix kann eine Geburtseinleitung mittels intrazervikaler Applikation von 0,5 mg PGE2 (Dinoproston-Gel) und späterer nachfolgender Oxytozininfusion vorgenommen werden. Das Verfahren ist jedoch aufwendiger und für die Schwangere unangenehm, bringt wahrscheinlich insgesamt wenig Vorteile und wird nur für besondere Indikationen empfohlen. Im Allgemeinen wird heute auch bei unreifer Zervix die intravaginale Prostaglandinapplikation mit ähnlicher Erfolgsrate verwendet (7 Kap. 35.3.1).
Vergleichsstudien zwischen den oben besprochenen unterschiedlichen Prostaglandinapplikationen zur Geburtseinleitung sind sehr komplex. Verschiedene Parameter können dabei bedeutsam werden: Parität, Zervix-Score, Schwangerschaftsdauer, Einleitungsindikation (medizinische Indikation oder elektives Vorgehen am oder nach dem Termin), einfache
. Tab. 35.4. Prostaglandine und Oxytozin zur Geburtseinleitung in Terminnähe
Medikament
Effektivität
Steuerbarkeit
Risikopotenzial
Akzeptanz
PGE2-Gel endozervikal
+++
–
++
+
PGE2-Tablette vaginal
++
–
+++
++
PGE2-Gel vaginal
++
–
+++
++
Oxytozin i.v.
(+)
+++
+
–
oder mehrfache Applikation und unterschiedliche Intervalle bei Mehrfachapplikation, Art der Prostaglandindosis und Galenik der Applikation (vornehmlich in früheren Studien), nachfolgende Vorgangsweise (Oxytozin, Amniotomie, Zuwarten), Ausschluss bzw. Einschluss verschiedener Risikofaktoren (vorzeitiger Blasensprung, Zustand nach Sectio, Mehrlinge) etc. Auch die Endpunkte der Studien (Priming, Wehenauslösung, Geburt) können unterschiedlich sein (Egarter 2004). Dementsprechend sind die Meinungen zur optimalen Applikationsform sehr unterschiedlich und werden oft wenig sachlich, sondern dogmatisch vorgetragen. Diese Meinungen werden – zumindest aus der Sicht der Autoren – noch von 3 weiteren Faktoren geprägt. 4 Erfahrung bzw. Identifikation mit einer bestimmten Vorgehensweise: Wer eine bestimmte Methode mitentwickelt hat, wird zwangsläufig damit viel Erfahrung haben und im Zweifel diese Methode auch gegen andere propagieren. 4 Zulassung und Verfügbarkeit eines bestimmten Produktes auf dem Markt. 4 Grundsätzliche Einstellung zur Geburtseinleitung. In Zeiten der evidenzbasierten Medizin sollten Empfehlungen zumindest durch eine randomisierte kontrollierte Studie von guter Qualität und Konsistenz, die die spezifischen Empfehlung untersucht hat, abgesichert sein (Evidenzlevel Ia, Ib). Die nachfolgenden generellen Empfehlungen basieren auf dem Evidenzlevel Ia und Ib und wurden mit der Evidence-based Clinical Guideline No. 9 »Induction of Labour« des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists vom Juni 2001 (www.rcog.org.uk, www.nice.org.uk) korreliert: Tipp Generelle Empfehlungen 4 Bei Prostaglandinen handelt es sich eindeutig um effektive Substanzen zur Geburtseinleitung und Zervixreifung, die allerdings als Nebenwirkung zu einer uterinen Überstimulation führen können. 5 Prostaglandine sollten zur Geburtseinleitung unabhängig vom Reifegrad der Zervix sowohl bei Erst-
6
790
Kapitel 35 · Geburtseinleitung
gebärenden als auch bei Mehrgebärenden mit in takten Membranen gegenüber Oxytozin bevorzugt werden. 4 Bei der Geburtseinleitung durch Prostaglandine sollten die vaginalen Applikationsformen bevorzugt werden, da sie gleich effizient, jedoch weniger invasiv sind (Keirse 1993; Tan u. Kelly 2001; Botha u. Howart 2001).
35.3.3
Misoprostol zur Geburtseinleitung
Misoprostol ist ein synthetisches Prostaglandin E1-Analogon. Es wird seit Jahren zur Prävention und Behandlung gas-
35
troduodenaler Ulzera verwendet. Bekannte Nebeneffekte sind Diarrhö (in 10%), Temperaturerhöhung (in hoher Dosis) und – selten – Kopfschmerzen. Ein weiterer »Nebeneffekt« ist die ausgeprägte uterotonische Eigenschaft am schwangeren Uterus. Diese Nebenwirkung wird nun in der Geburtshilfe ausgenutzt zur Geburtseinleitung. Misoprostol ist sehr wirksam und hat zudem einige Vorteile gegenüber den herkömmlichen Prostaglandinen: Es ist stabil bei Raumtemperatur und somit problemlos lagerbar, und es ist ausgesprochen kostengünstig. Nicht zuletzt aufgrund dieser Eigenschaften scheint Misoprostol eine attraktive Alternative zu herkömmlichen kommerziell erhältlichen Prostaglandinen in der Geburtshilfe zu sein (Surbek 2001). Da es sich beim Einsatz von Misoprostol zur Geburtseinleitung um eine neue Methode handelt, soll hier kurz auf die vorhandene Literatur eingegangen werden. Nach initialen Berichten über die Verwendung von Misoprostol zur Einleitung haben erste Studien das Medikament gegenüber Placebo (Fletcher et al. 1993) und Oxytozin (Sanchez-Ramos et al. 1993) verglichen. Weitere Studien zum Vergleich mit PGE2 oder Oxytozin folgten, einschließlich Studien bei Patientinnen mit vorzeitigem Blasensprung. Insgesamt konnte eine bessere Wirksamkeit von Misoprostol bezüglich Intervall zwischen Einleitung bis Geburt und Erfolg der Einleitung gezeigt werden, in einigen Studien gar eine verminderte Sectiorate und vaginaloperativer Entbindungen. Gewisse Studien mit hoher Misoprostoldosis (mindestens 50 μg alle 4 h) fanden jedoch eine erhöhte Tachysystolierate, allerdings ohne assoziiertes schlechteres fetales Outcome. Einzig die Rate an präpartalem Mekoniumabgang ist etwas erhöht. Wegen unterschiedlicher Applikationsform und Dosierungsintervall und mangels doppelblinden Designs ist ein Vergleich der Nebenwirkungen jedoch schwierig. Wir selbst haben deshalb eine doppelblinde randomisierte Studie durchgeführt mit Misoprostol und PGE2 in äquivalenter Dosis bzw. Dosierungsintervall und identischer Applikationsform (Surbek et al. 1997). Dabei konnten wir eine bessere Wirksamkeit von Misoprostol bei gleicher Rate an Nebenwirkungen, insbesondere Tachysystolie, zeigen.
Studienbox In der Folge wurden einige Dosisfindungsstudien und Vergleichsstudien verschiedener Applikationsformen (intravaginal vs. oral) mit Misoprostol publiziert (Wing 1999). Eine umfassende Metaanalyse ist inzwischen in der Cochrane Database erschienen (Hofmayr 2007). Dabei fand der Autor, dass Misoprostol eine höhere Rate an Tachysystolien, teilweise mit Veränderungen der fetalen Herzfrequenz, aufweist im Vergleich zu Oxytozin und PGE2. Hier waren allerdings auch verschiedenste Studien mit z. T. hoher Misoprostoldosis mit eingeschlossen, was natürlich die Vailidität dieser Metaanalyse beschränkt. Die optimale Dosis von Misoprostol zur Geburtseinleitung ist noch offen. Sie scheint um 25 μg 3- bis 6stündlich zu liegen; weitere Untersuchungen dazu sind jedoch notwendig.
Der intravaginale Applikationsweg scheint bezüglich Wirksamkeit und Nebeneffekte günstiger zu sein als die orale Verabreichung. Einige Fallberichte über Uterusrupturen nach Geburtseinleitung mit Misoprostol sind publiziert worden. Eine randomisierte Studie mit Misoprostol zur Geburtseinleitung nach vorangegangener Sectio wegen Uterusrupturen bei 2 von 17 Patientinnen wurde abgebrochen (Wing et al. 1998). ! Obwohl auch bei PGE2 oder Oxytozineinleitung Uterusrupturen vorkommen (Lydon-Rochelle et al. 2001), sollte Misoprostol deshalb bei Patientinnen nach vorausgegangener Sectio außerhalb von Studien nicht verwendet werden (Plaut et al. 1999), ist also klar kontraindiziert.
Misoprostol ist ein sehr gut wirksames Medikament zur Geburtseinleitung. Es hat zumindest eine gleich große, wahrscheinlich sogar eine bessere Wirksamkeit als andere Prostaglandine. Wir selbst haben sogar zeigen können, dass Misoprostol wegen der größeren Effektivität auch einen Vorteil gegenüber Dinoproston bei den oft schwierigen Geburtseinleitungen bei Präeklampsie zeigt, wobei oft Erstgebärende mit unreifer Zervix vor dem Termin betroffen sind (Lapaire et al. 2007). Wird es in einer niedrigen Dosis verwendet, sind die Nebeneffekte bezüglich Tachysystolie und Hyperstimulationssyndrom vergleichbar mit Oxytozin oder PGE2. Die intravaginale Verabreichung scheint anderen Applikationswegen überlegen zu sein. Tipp Empfohlen wird, auch gemäß den Richtlinien von ACOG, eine intravaginale Verabreichung von 25 μg alle 4–6 h (Surbek 2007).
Berücksichtigt werden muss allerdings, dass Misoprostol für diese Indikation nicht zugelassen ist, obschon schon viele tausend Patientinnen in randomisierten kontrollierten Studien behandelt wurden. Das heißt, dass es sich bei der Verwendung um einen »off-label use» handelt, mit all den damit verbun-
791 35.4 · Besonderheiten und Komplikationen
denen erhöhten Anforderungen (ausführliche Aufklärungspflicht der Patientin über den »off-label use«, Verantwortungsübernahme durch den behandelnden Arzt). > Misoprostol kann im Rahmen des »off-label use« wie einige andere Medikamente im Bereich der Geburtshilfe auch außerhalb klinischer Studien verwendet werden, vorausgesetzt, die notwendige Sorgfaltspflicht (s. oben) wird eingehalten, und die Schwangere wird darüber aufgeklärt.
In Deutschland ist es auf dem Markt zurzeit nicht mehr erhältlich, d. h. dass es sich bei einer eventuellen Anwendung um einen »off-license use« handelt. Es sind jedoch verschiedene Misoprostolopräparate derzeit in Zulassungsstudien, sodass möglicherweise in naher Zukunft ein für diese Indikation zugelassenes kommerziell erhältliches Präparat zur Verfügung stehen wird.
35.4
Besonderheiten und Komplikationen
35.4.1
Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio
Die Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio stellt eine besondere Herausforderung dar. Einerseits sinkt die Erfolgsrate, d. h. signifikant mehr vaginale Geburtsversuche enden in einer Sectio, wenn die Geburt eingeleitet werden muss. Andererseits steigt das Risiko der Uterusruptur bei Geburtseinleitung im Vergleich zur spontan beginnenden Geburt. Beide Outcome-Parameter, sowohl die Erfolgsrate wie auch das Rupturrisiko, sind jeweils abhängig von der Methode der Einleitung. Bereits die vaginale Geburt bei spontanem Wehenbeginn bei Zustand nach Sectio hat eine Erfolgsrate von durchschnittlich 75%. Wenn die Geburt zusätzlich eingeleitet werden muss, sinkt diese Erfolgsrate je nach verwendeter Methode auf 55– 65% ab (Landon et al. 2005, Delaney u. Young 2003). Dies bedeutet, dass bei eventuellen ungünstigen Zusatzfaktoren (z. B. großes Kind, Geburtsstillstand als Indikation für die vorausgegangene Sectio, Adipositas) die Erfolgschancen so gering werden, dass in diesem Fall eine elektive Resectio zu bevorzugen ist. Das Risiko der Uterusruptur bei Zustand nach Sectio ist signifikant. Eine neuere Untersuchung hat mittlerweile eindeutig zeigen können, dass das Risiko für ein schlechtes neonatales Outcome (peripartale Mortalität oder schwere hypoxisch-ischämische Enzephalopathie des Neugeborenen) signifikant größer ist bei versuchter vaginaler Geburt bei Zustand nach Sectio im Vergleich mit der elektiven Resectio (Landon et al. 2004). Da diese Risikoerhöhung zwar relativ gesehen signifikant, jedoch das absolute Risiko immer noch sehr klein ist, kann eine vaginale Geburt bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen (Geburt in einer Klinik, in der jederzeit Notfallsectio innerhalb 20 min möglich ist, Dauer-CTG-Überwachung während Eröffnungs- und Austreibungsperiode) dennoch versucht werden.
Bei versuchter vaginaler Geburt bei vorausgegangener Sectio besteht ein Uterusrupturrisiko von 0,7% (Landon et al. 2004). Die Geburtseinleitung führt zu einem Anstieg dieses Risikos von 0,7% auf 2,4%, je nach verwendeter Methode (Lydon-Rochelle et al. 2001). Das Rupturrisiko ist sicherlich am größten bei der Verwendung von Prostaglandinen. Ein deutlich geringeres Rupturrisiko hat die Einleitung mit Oxytozininfusion. Leider ist diese Methode bei unreifer Zervix oft nicht effizient, sodass die Erfolgschancen sinken. Eine wichtige Methode, welche v. a. bei Zustand nach Sectio immer größere Verbreitung findet, ist die Ballonkathetermethode. Dabei wird ein Ballonkatheter durch die Zervix in den Bereich des unteren Eipols gebracht und mittels 60 ml 0,9% NaCl insuffliert. Dies führt einerseits zu einer gewissen Dilatation der Zervix im Bereich des inneren Muttermundes und andererseits zu einer endogenen Prostaglandinausschüttung durch die Ablösung des unteren Eipols. Der Katheter kann während maximal 24 h in situ belassen werden; anschließend wird er entfernt und eine Einleitung mittels Oxytozininfusion begonnen. Als Ballonkatheter kann entweder ein Foley-Katheter Charr 18 mit dem entsprechenden Ballonvolumen verwendet werden oder ein kommerziell erhältlicher spezieller Dopplerballonkatheter (Fa. Cook Medical Inc.), bei welchem zusätzlich zum inneren Ballon ein zweiter Ballon am äußeren Muttermund insuffliert wird und so die Zervix von beiden Seiten mit einem gewissen Druck langsam dilatiert wird. Genereller Vorteil der Ballonkathetermethode ist das geringe Uterusrupturrisiko, das eher noch geringer ist als bei der alleinigen Oxytozininfusion. Somit scheint diese Methode insbesondere für die Schwangere bei Zustand nach Sectio geeignet. Zudem ist die Methode effizienter als die alleinige Oxytozininfusion (Boulvain et al. 2001). Nachteil ist sicher die beschränkte Effektivität im Vergleich zu den Prostaglandinen. Gemäß eigenen Erfahrungen ist die Erfolgsrate bei unreifer Zervix ca. 60% (Surbek et al. 2008). ! Das Risiko einer Uterusruptur bei Schwangeren mit Zustand nach korporaler Längsuterotomie ist stark erhöht, sodass diese Situation meist als absolute Kontraindikation gegen eine Geburtseinleitung bzw. auch gegen den Versuch einer vaginalen Geburt angesehen wird (Husslein 2004).
Vor einer Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio müssen in jedem Fall in einem ergebnisoffenen Gespräch ausführlich mit der Schwangeren Vor- und Nachteile und Risiken abgewogen werden, und eine gemeinsame Entscheidung muss gefunden werden. Auf all die oben erwähnten Punkte ist in einem Aufklärungsgespräch zur Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio ebenfalls hinzuweisen, insbesondere wenn die mit einem höheren Rupturrisiko behafteten Prostaglandine verwendet werden (Schneider et al. 1994). ! Bei Zustand nach Sectio ist generell die Verwendung von Misoprostol zur Einleitung wegen hohen Uterusrupturrisikos außerhalb von Studien kontraindiziert, ebenso die Applikation des Dinoproston-Vaginalinsert Propess.
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792
Kapitel 35 · Geburtseinleitung
35.4.2
Überstimulation des Myometriums bei der Geburtseinleitung
Ein wichtiges Phänomen bei der Geburtseinleitung ist die Tachysystolie und das Hyperstimulationssyndrom. Die Tachysystolie wird definiert als Überstimulation des Myometriums mit einer Wehenfrequenz von mindestens 6 Wehen in 10 min in 2 aufeinanderfolgenden 10-minütigen Zeitperioden. Das Hyperstimulationssyndrom wird definiert als Tachysystolie mit begleitender konsekutiver fetaler Herzfrequenzalteration (Dezelerationen) ! Generell führt die gleichzeitige Gabe von Oxytozin und Prostaglandinen durch eine prostaglandininduzierte Erhöhung der Oxytozinsensibilität häufiger zur Überstimulation und ist daher unbedingt zu vermeiden. Deshalb sollte keine Oxytozingabe innerhalb von mindestens 6 h nach der letzten Prostaglandinapplikation erfolgen. Trotz Beachtung dieser Richtlinien kann es auch bei alleiniger Anwendung eines der beiden Wehenmittel zur Überstimulation kommen. Deshalb ist insbesondere bei entsprechender Wehentätigkeit eine zumindest diskontinuierliche kardiotokograpische Überwachung bei jeder Geburtseinleitung zwingend vorgeschrieben.
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zumeist niedriger Amplitude kommen, die meist auch keinerlei Geburtsfortschritt bewirken. Die zu kurzen Intervalle zwischen den einzelnen Wehenspitzen können gelegentlich auch zu einer Erhöhung des Basaltonus und zu einer Verminderung der plazentaren und fetalen Durchblutung mit entsprechenden CTG-Alterationen führen (. Abb. 35.2).
Studienbox Aus umfangreichen retrospektiven Studien weiß man, dass die Rate an Hyperstimulation für intravaginale PGE2Tabletten etwa bei 7 % und für intravaginales PGE2-Gel bei nur 3 % liegt. Mit einer endozervikalen Gelapplikation von 0,5 mg PGE2 werden entsprechende Hyperstimulationen nur in 0,5 % der Fälle beobachtet (Egarter et al. 1990).
Das Risiko für die Ausbildung einer Tachysystolie bzw. Hyperstimulation besteht grundsätzlich bei jedem Wehenmittel. Die therapeutische Bandbreite von Oxytozin ist aber wesentlich größer als die der Prostaglandine. Deshalb darf beispielsweise bei intravenöser Prostaglandinapplikation die Dosis nicht wie bei Oxytozin verdoppelt, sondern lediglich langsam erhöht werden (Husslein 1992). Vor allem nach lokaler PGE2-Applikation bei unreifer Zervix kann es zu hochfrequenten Wehen
Aus dem physiologischen Verständnis der Uteruskontraktion lassen sich diese Überstimulationen am ehesten dadurch erklären, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein dominantes Erregungszentrum im Fundus uteri vorliegt, sodass Kontraktionen von verschiedenen Zentren des Corpus uteri ausgehen und u. a. durch einen Mangel an Gap Junctions zu unkoordinierten Kontraktionen führen. Auch der erhöhte Widerstand der Zervix dürfte hier eine gewisse Rolle spielen. Das therapeutische Vorgehen bei Überstimulationen richtet sich im Wesentlichen nach dem fetalen Kardiogramm: 4 Liegen keine Hypoxiezeichen vor, so sollte grundsätzlich zugewartet werden; zumeist schlägt diese Wehenform innerhalb kurzer Zeit in ein normofrequentes Wehenmuster mit hoher Amplitude und niedrigem Basaltonus um. Sind fetale Herzfrequenzalterationen zu beobachten, so muss in Abhängigkeit von der fetalen Ausgangssituation einge-
. Abb. 35.2. Überstimulation nach lokaler PGE2-Applikation. Schlagartige Verminderung der Wehentätigkeit und Besserung des Kardiotokogramms nach intravenöser Gabe von Hexoprenalin. Gele-
gentlich hält eine einmalige intravenöse Bolusgabe nur kurz an. Hier kann eine kurzfristige kontinuierliche intravenöse Applikation indiziert sein
793 Literatur
schritten werden. Dabei kann eine Amniotomie die Normalisierung des pathologischen Kardiotokogramms bewirken. 4 Ist aus klinischen Gesichtspunkten keine Amniotomie erwünscht, so führt die intravenöse Gabe eines β-Sympathomimetikums (z. B. 10 μg Hexoprenalin oder 20 μg Fenoterol langsam intravenös) zumindest kurzfristig in praktisch allen Fällen (Husslein 1992) zu einer Unterbrechung des hyperkinetischen Wehenmusters (. Abb. 35.2). Häufig genügt eine einmalige intravenöse Gabe; gelegentlich ist es allerdings notwendig, eine intravenöse Dauerinfusion zu verabfolgen. 4 Nur in seltensten Fällen ist auf der Basis einer solchen Hyperstimulation allein eine Indikation zur operativen Geburtsbeendigung gegeben. > Die Wehentätigkeit der Hyperstimulation wird gelegentlich als außerordentlich schmerzhaft empfunden, und wegen der fehlenden Erholungspause verlieren solche Frauen dann die Kontrolle. Für diese seltenen Fälle kann eine Tokolyse auch aus mütterlichem Blickwinkel indiziert sein.
Ob oxytozin- bzw. prostaglandininduzierte Wehen denen nach spontanem Wehenbeginn ähneln oder sich davon unterscheiden, ist in der Literatur breit diskutiert worden. Ein Störfaktor bei der Durchführung solcher Vergleichsstudien besteht in der Tatsache, dass man bei einer Geburtseinleitung per definitionem nicht dieselben physiologischen Bedingungen vorfindet, was z. B. die Reife des Wehenmechanismus anbelangt, sonst hätten ja spontane Wehen bereits eingesetzt. Dies erklärt aller Wahrscheinlichkeit nach auch das immer wieder beobachtete Phänomen, dass Frauen nach einer Geburt durch Einleitung die dabei verspürten Wehen im Vergleich mit einer vorausgegangenen Geburt mit spontaner Wehentätigkeit als besonders schmerzhaft empfinden. Die meisten Studien zeigen allerdings, dass v. a. die in der aktiven Geburtsphase induzierten Wehen von spontan aufgetretenen nicht zu unterscheiden sind. So konnte durch intrauterine Druckmessungen belegt werden, dass zwischen PGF2α-induzierten und spontanen Wehen kein Unterschied bestand, dass durch Oxytozin ausgelöste Wehen allerdings in ihrer Dauer etwas kürzer waren. Auch durch intrauterine Druckmessung ging man der Frage nach, warum v. a. bei reifer Zervix die Geburtszeiten nach Geburtseinleitung mit der 3-mg-PGE2-Vaginaltablette durchschnittlich etwas kürzer sind als nach spontanem Wehenbeginn. Die Wehenform prostaglandininduzierter Wehen war denen nach spontanem Wehenbeginn bzw. Oxytozineinleitung ähnlich, insgesamt wurden aber höhere MontevideoEinheiten nach PGE2-Einleitung erzielt. Eine endgültige Aussage erscheint hier schwierig, weil zu viele Faktoren auf die Untersuchungsergebnisse einen Einfluss nehmen können, wie beispielsweise Zeitpunkt der Geburtseinleitung, Art der Medikamente, Dosis, Applikationsform, Zustand der Zervix oder Parität. Wiewohl die meisten Berichte von Uterusrupturen nach PG-Anwendung sich auf eine nicht gerechtfertigte Anwendung von hochdosierten PG-Suppositorien, die zur Frucht-
ausstoßung im 2. Trimenon registriert sind, am Termin beziehen, gibt es in Ausnahmefällen offenbar auch Uterusrupturen nach Anwendung der niedrig dosierten Vaginaltablette oder von endozervikalem Gel. Es handelt sich aber hierbei um außergewöhnlich seltene Fälle, aus denen sich zwangsläufig keine klinische Konsequenz ergeben kann (Elder 1984). Obwohl von PGE2 bekannt ist, dass es zu einer Temperatursteigerung führen kann, sind dazu die zur Geburtseinleitung v. a. bei lokaler Applikation verwendeten Dosen nicht ausreichend. Beobachtet man somit nach lokaler PGE2-Applikation eine Zunahme der Körpertemperatur, so darf dies nicht auf die zugeführte Medikation zurückgeführt werden, sondern es muss an die Möglichkeit einer Infektion gedacht werden. Wegen der geringen resorbierten Menge von Prostaglandinen bei lokaler Applikation zur Geburtseinleitung sind die allgemeinen Kontraindikationen gegen eine Prostaglandinapplikation (z. B. Asthma bronchiale) für eine Geburtseinleitung meist nicht relevant. Dass eine Geburtseinleitung mit Prostaglandinen zu einer niedrigeren Rate an kindlichen Hyperbilirubinämien im Vergleich zu Geburtseinleitungen mit Oxytozin führt, ist zwar behauptet worden, die Inzidenz dieses Problems dürfte aber eher vom Ausmaß der fetalen Reife abhängen als vom die Wehen auslösenden Agens.
Studienbox In nahezu allen Studien wurde auch der Einfluss einer Geburtseinleitung und speziell der von Prostaglandinen auf die Lebensfunktionen der Neugeborenen untersucht. In keiner dieser Studien konnte ein negativer Einfluss nachgewiesen werden (Übersicht bei Lange 1986). Es wurden sogar psychomotorische Nachuntersuchungen bis 30 Monate nach der Geburt durchgeführt, ohne Auffälligkeiten zu entdecken.
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Kapitel 35 · Geburtseinleitung
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36 36 Vorzeitiger Blasensprung am Termin K. Reisenberger, P. Husslein 36.1
Allgemeine Grundlagen – 796
36.1.1 36.1.2
Anatomie und Pathophysiologie der Eihäute – 796 Pathogenese – 796
36.2
Diagnose – 797
36.3
Management des vorzeitigen Blasensprungs am Termin – 798
36.4
Risiken
36.4.1 36.4.2 36.4.3
Amnioninfektionssyndrom – 799 Nabelschnurvorfall – 800 Endometritis, Endomyometritis – 800
– 799
Literatur – 801
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
796
Kapitel 36 · Vorzeitiger Blasensprung am Termin
Etwa 8–10% aller Schwangerschaften werden durch einen vorzeitigen Blasensprung am Termin kompliziert. Für die Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs haben sich neben gängigen Untersuchungsverfahren wie dem Nitrazintest biochemische Tests etabliert, die das fetale Fibronektin oder das IGF-bindende Protein im Fruchtwasser nachweisen. Bei Vorliegen eines reifen Zervixbefundes, der mittels steriler Spekulumeinstellung erhoben werden soll, stellt die Geburtseinleitung nach einem Intervall von etwa 6 h die Therapie der Wahl dar. Einzig bei Nullipara und sehr unreifem Zervixbefund ist ein Zuwarten bei engmaschiger Kontrolle der Entzündungsparameter und Vermeidung digitaler vaginaler Untersuchungen möglicherweise von Vorteil, da die Anzahl operativer Entbindungen reduziert werden kann. Bei einem Intervall von mehr als 12 h zwischen Blasensprung und Geburt sollte eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden.
36.1
Allgemeine Grundlagen
Ein vorzeitiger Blasensprung am Termin betrifft etwa 8–10% aller Schwangerschaften. Als Latenzperiode wird das Zeitintervall zwischen Blasensprung und dem Einsetzen regelmäßiger Wehentätigkeit bezeichnet. Je früher in der Schwangerschaft ein vorzeitiger Blasensprung auftritt, desto länger ist die Latenzperiode. Wird die Geburt nicht eingeleitet, setzt bei 70–80% der betroffenen Schwangeren die spontane Wehentätigkeit innerhalb von 24 h ein, bei etwa 95% innerhalb von 72 h. Bei vorzeitigem Blasensprung am Termin kann der Blasensprung als Zeitpunkt des Geburtsbeginns angesehen werden.
36.1.1
36
Anatomie und Pathophysiologie der Eihäute
Die fetalen Membranen setzen sich aus Amnion und Chorion zusammen, die vor der 12. SSW aus zwei getrennten Einheiten bestehen und dann miteinander verschmelzen. Das Amnion enthält keine Blutgefäße, Nerven oder Lymphgefäße. Durch die fehlende Gefäßversorgung ist das Amnion im Stoffwechsel und Gasaustausch auf das umgebende Gewebe angewiesen, wobei der Hauptteil von der Amnionflüssigkeit übernommen wird. Der Anteil des Amnions an der mechanischen Belastbarkeit der fetalen Membranen ist 7-mal so groß wie jener des Chorions, wobei die Dicke der Membran offensichtlich keinen Einfluss auf die Festigkeit hat (Oxlund et al. 1990). Die Druckwerte, die zum Reißen der intakten Eihäute aufgewendet werden müssen, sind deutlich höher als der physiologische Druck, der durch uterine Kontraktionen ausgelöst werden kann. Wehentätigkeit führt nicht zwangsläufig zu einer Verminderung der Belastbarkeit der Eihäute. Experimentell konnte gezeigt werden, dass diese am Beginn der Wehentätigkeit sogar zunimmt (Pandey et al. 2007). Vor einem Blasensprung müssen deshalb Veränderungen auftreten, die die Stabilität der Membran herabsetzen. Die Apoptose hat hierbei eine entscheidende Bedeutung.
Das Amnion ist aus einem einschichtigen kubischen bis zylindrischen Epithel aufgebaut, das die Amnionhöhle auskleidet. Die Epithelzellen sind untereinander durch zahlreiche so genannte Gap Junctions und Desmosomen verbunden, womit einerseits ein guter mechanischer Zusammenhalt gewährleistet, andererseits ein Eindringen von Mikroorganismen und Entzündungszellen erschwert wird. Die Amnionzellen sind durch zahlreiche Hemidesmosomen mit der Basalmembran fest verbunden. An die Basalmembran der Epithelzellschicht schließt eine unterschiedlich dicke Bindegewebsschicht an, die durch ihren hohen Anteil an Kollagen für einen Großteil der mechanischen Widerstandsfähigkeit der fetalen Membranen verantwortlich ist. Weitere Bestandteile dieser Zellschicht sind das fetale Fibronektin, Integrin, Fibrillin, Laminin und zahlreiche Proteoglykane. Diese Substanzen unterliegen einem permanenten enzymatischen Auf- und Abbau (Keelan et al. 2003). Gegen Ende der Schwangerschaft überwiegen katabole Prozesse, die mit einem Abbau der extrazellulären Matrix einhergehen. Mit zunehmender Schwangerschaftsdauer führt die Abnahme des Kollagengehalts der fetalen Membranen zu einer Abnahme der mechanischen Belastbarkeit. Dieser Rückgang des Kollagengehalts, der durch eine zunehmende Aktivität von Kollagenasen und Proteasen ausgelöst wird, ist in den letzten SSW besonders ausgeprägt (El Khwad et al. 2005). Die biochemischen Abläufe beim vorzeitigen Blasensprung sind dargestellt in 7 Kap. 25. Amnion und Chorion sind durch eine Zwischenschicht, die sich aus Kollagenfasern und Fibroblasten zusammensetzt, nur lose miteinander verbunden. Diese Zwischenschicht geht ohne scharfe Grenze in die Bindegewebsschicht des Chorions über. Das Chorion wird als Chorion villosum angelegt, das gleichmäßig mit Zotten überzogen ist. Während beim Chorion laeve die Zotten im Laufe der embryonalen Entwicklung atrophisch werden, entwickelt sich aus dem Chorion frondosum der Zottenbaum der Plazenta.
36.1.2
Pathogenese
Bei epidemiologischen und klinischen Untersuchungen wurden zahlreiche Einzelfaktoren analysiert, die mit einer erhöhten Rate vorzeitiger Blasensprünge einhergehen. Auf einen Teil dieser Faktoren wurde bereits in 7 Kap. 25 eingegangen. Bei einer Inkubation von fetalen Membranen mit Kollagenasen oder Elastasen wurde eine signifikante Abnahme der mechanischen Belastbarkeit der Membranen nachgewiesen (McGregor et al. 1987). Ein wichtiger Ursprung für proteolytische Enzyme sind Bakterien sowie damit verbundene Entzündungsvorgänge. Die Zugabe von aktivierten neutrophilen Granulozyten zu Eihäuten bewirkt ebenfalls eine Aufweichung der Membranen, wobei dieser Effekt noch gesteigert wird, wenn gleichzeitig Bakterien zugeführt werden. Der Aktivität proteolytischer Enzyme wirken Proteaseinhibitoren wie α1-Antitrypsin entgegen. Die Funktionsfähigkeit der fetalen Membranen bedarf eines Zusammenspiels zahlreicher Faktoren, wobei die degenerativen Prozesse, die schließlich zur
797 36.2 · Diagnose
Ruptur der Membranen führen, in den allermeisten Fällen im zervikalen Bereich des Uterus ablaufen. Amnionzellen unterliegen gegen Ende der Schwangerschaft ebenfalls degenerativen Vorgängen; die Funktion der Ribosomen und damit die Fähigkeit, Proteine zu bilden, ist gegen Ende der Schwangerschaft deutlich reduziert. Darüber hinaus verlieren die Amnionzellen in Terminnähe die Verbindung zur Basalmembran und werden damit hinsichtlich des Epithelaufbaus inhomogener (Lei et al. 1996). Beim vorzeitigen Blasensprung am Termin scheinen die aufgezeigten Veränderungen nicht die gesamte fetale Membran zu betreffen, sondern konzentrieren sich auf die zervixnahe Region (Reti et al. 2007). Die Bedeutung der Infektion als Ursache für einen Blasensprung ist umso höher, je früher dieser innerhalb der Schwangerschaft auftritt, sie spielt am Termin eine untergeordnete Rolle.
Studienbox Einige Untersuchungen beziehen sich auch auf meteorologische Risikofaktoren, die eine Ruptur begünstigen sollen. Fallende Luftdruckwerte bedingen demzufolge innerhalb weniger Stunden eine erhöhte Rate an Rupturen; allerdings werden diese Untersuchungen auch kontrovers diskutiert (Polansky et al. 1985). Wie sich biochemische Veränderungen an der Zervix oder endokrine Signale des Kindes möglicherweise auf das Auftreten einer Ruptur auswirken, ist derzeit Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.
36.2
Falsch negative Ergebnisse sind meist durch die Abnahmetechnik bedingt. Die untersuchte Flüssigkeit sollte aus dem hinteren Fornixbereich gewonnen werden, der mittels einer sterilen Spekulumeinstellung entfaltet wird. Diese Einstellung ermöglicht auch die Visualisierung der Zervix und lässt gelegentlich einen Flüssigkeitsabgang aus der Zervix erkennen. Bei dieser Untersuchung sollten beim frühen vorzeitigen Blasensprung auch die entsprechenden mikrobiologischen Abstriche abgenommen werden. Zum Nachweis des Farnkrautphänomens wird ein Ausstrich mit Sekret aus dem hinteren Fornixbereich luftgetrocknet und auf die typische Kristallisierung des Fruchtwassers untersucht. Fehlerquellen, z.B. Fingerabdrücke, die dem Farnkrautphänomen sehr ähnlich sind, lassen sich durch eine entsprechende Abnahmetechnik leicht vermeiden. Dieser Test hat in der Praxis heute keine Bedeutung (Lodeiro et al. 1989). Die sonographische Untersuchung der Fruchtwassermenge bestätigt meist nur den Verdacht durch den Nachweis eines Oligohydramnions oder einer Anhydramnie. Jedoch weisen auch einige Schwangere mit gesichertem Blasensprung normale Fruchtwassermengen auf, sodass die Ultraschalluntersuchung ebenfalls kein optimales Verfahren zum Ausschluss eines vorzeitigen Blasensprunges ist.
Studienbox Untersuchungen von Schwangeren am Termin mit und ohne vorzeitigen Blasensprung ergaben keinen signifikanten Unterschied in der Fruchtwassermenge (Robson et al. 1990).
Diagnose
Die Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs kann in Einzelfällen äußerst schwierig sein, da keiner der angeführten Parameter eine annähernd 100%ige Aussagekraft aufweist. Der Anamnese kommt üblicherweise eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Ein plötzlicher Abgang von Flüssigkeit, der in der Folge meist in geringerem Ausmaß weiterbesteht, weist auf die Diagnose hin, und der Blasensprung lässt sich dann auch in etwa 90% der Fälle mit einfachen Mitteln verifizieren. Da beim vorzeitigen Blasensprung v.a. die richtige Diagnose das weitere Management entscheidend beeinflusst, gibt es eine Reihe zusätzlicher Untersuchungen. Tipp Der gängigste Parameter, der Nitrazintest, basiert auf dem Nachweis einer alkalischen pH-Wert-Veränderung im abfließenden Fruchtwasser (pH 7,0–7,5) und diagnostiziert den Blasensprung durch die Blauverfärbung einer auf eine Vorlage oder einen Tupfer aufgebrachten Nitrazinlösung.
Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass der pH-Wert des Vaginalsekrets auch durch eine bakterielle Vaginose, Trichomoniasis, Urin oder Blut in den alkalischen Bereich verschoben werden kann und es dadurch zur falsch positiven Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs kommen kann.
Eine weitere Untersuchung zur Diagnose eines Blasensprungs basiert auf dem mikroskopischen Nachweis fetaler Zellen oder von Lanugohaaren. Dabei sind verschiedene Färbemethoden beschrieben worden, die infolge einer geringen Sensitivität bei fehlendem Nachweis einen Blasensprung keinesfalls ausschließen und deshalb in der Praxis keine Rolle spielen. Die angeführten Untersuchungsverfahren sind teilweise schon seit mehr als 50 Jahren im Einsatz. In einer Reihe von neueren Tests werden biochemische Substanzen wie onkofetales Fibronektin oder das IGF-bindende Protein (IGFBP) zu Hilfe genommen, um einen Blasensprung zu diagnostizieren. Die Sensitivität beider Untersuchungen scheint relativ hoch zu sein und dürfte bei über 95% liegen. Die Spezifität ist beim IGFBP mit etwa 85% von allen Testverfahren die höchste (Ragosch et al. 1993). Ob diese Methoden den gängigen Untersuchungen überlegen sind und den doch beträchtlichen finanziellen Mehraufwand rechtfertigen, lässt sich aus den bisher vorliegenden Untersuchungen nicht mit letzter Sicherheit beurteilen. Sie scheinen allerdings in ausgewählten klinischen Situationen zur Sicherung der Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs von Nutzen zu sein. ! Die Instillation von Indigokarmin durch die Amniozentese wird nicht zuletzt aufgrund des invasiven Vorgehens als obsolet angesehen.
36
798
Kapitel 36 · Vorzeitiger Blasensprung am Termin
36.3
Management des vorzeitigen Blasensprungs am Termin
Ist die Diagnose eines vorzeitigen Blasensprungs gesichert, so ist der Reifezustand der Zervix von besonderem Interesse. Da die digitale zervikale Untersuchung einer der Hauptrisikofaktoren für die Infektionsmorbidität ist, sollte die Beurteilung der Zervix mittels einer sterilen Spekulumeinstellung vorgenommen werden (Schutte et al. 1983). Lässt sich aus der visuellen Begutachtung kein sicherer Schluss über den Reifezustand der Zervix ziehen, so sollte nur bei dringlicher Indikation eine digitale Untersuchung angeschlossen werden (Duff 1996). Letztlich ist der daraus gewonnene Informationsvorteil im Vergleich zum dadurch verursachten Risiko als gering einzustufen. Bei der digitalen Untersuchung wird ein reifer Zervixbefund als ein Bishop-Score von ≥6 definiert. > Der Zervixbefund ist als reif einzustufen, wenn die Zervix zentral eingestellt, stark verkürzt und zumindest 2 cm geöffnet ist.
36
Bei Verlängerung des Zeitintervalls zwischen Blasensprung und Beginn regelmäßiger Wehentätigkeit kommt es zu einer Zunahme der Inzidenz kindlicher und maternaler Infektionen, wobei die Angaben über die Häufigkeit in den einzelnen Publikationen stark schwanken. Eine Ursache für diese Schwankungsbreite liegt sicherlich in der unterschiedlichen Definition des Begriffes »Infektion«. Neben dem Infektionsrisiko steigt mit der Verlängerung der Latenzperiode auch das Risiko einer verstärkten postpartalen Blutung an (Tran et al 2008). Aus diesem Grund wird kurz nach dem Auftreten eines vorzeitigen Blasensprungs bei Ausbleiben spontaner Wehentätigkeit eine Geburtseinleitung empfohlen (ACOG 2007). Diesen Empfehlungen steht eine möglicherweise erhöhte Rate operativer Entbindungen, v. a. bei unreifen Zervixbefunden, entgegen. Wann der optimale Zeitpunkt für die Einleitung ist bzw. wie lange diese vermieden werden kann, wird im Einzelfall von der Reife des Zervixbefunds, der Parität, der Anzahl der digitalen zervikalen Untersuchungen sowie der Beschaffenheit des Fruchtwassers und auch von der Einstellung der Schwangeren abhängig sein. Ein Hinweis über die zu erwartende Latenzperiode kann möglicherweise die mittels Ultraschall gemessene Dicke des Myometriums sein: Je dicker das Myometrium gemessen wird, desto länger ist die Latenzperiode (Buhimschi et al. 2005). > Bei 70–80% der Schwangeren mit einem vorzeitigen Blasensprung setzen innerhalb von 24 h spontane Wehen ein.
Durch ein vorerst abwartendes Verhalten kann möglicherweise bei einem beträchtlichen Prozentsatz der Schwangeren die Einleitung vermieden werden. Voraussetzung für eine abwartende Haltung sind engmaschige Kontrollen der Infektionsparameter, keine digitale vaginale Untersuchung und der ausdrückliche Wunsch der Patientin. Bei positiven Infektionszeichen muss eine Geburtseinleitung empfohlen werden.
Studienbox Die Argumente für ein abwartendes Management leiten sich aus älteren Studien ab, nach denen die fetale und maternale Infektionsrate nicht signifikant erhöht ist, wenn ein zuwartendes Verhalten eingeschlagen wird (Ladfors et al. 1996). Neuere Untersuchungen sehen allerdings einen klaren Zusammenhang zwischen der Länge der Latenzperiode und dem Auftreten einer Chorioamnionitis (Tran et al. 2008).
Die Geburtseinleitung nach einem vorzeitigen Blasensprung am Termin weist damit gegenüber dem abwartenden Verhalten einige Vorteile auf. Allerdings stellt sich die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt. Eine sofortige Einleitung bewirkt, dass ein Großteil der Interventionen unnötig ist, da bei vielen Frauen die Wehentätigkeit spontan einsetzt. Dieses Management bringt deshalb nur jenen Frauen Vorteile, bei denen das Zeitintervall Blasensprung – Geburt möglichst kurz gehalten werden soll. Tran et al. (2009) konnten klar zeigen, dass mit Zunahme der Latenzperiode nicht nur die Rate an Chorioamnionitis und Endomyometritis steigt, sondern die Latenzperiode auch einen direkten Einfluss auf den postpartalen Blutverlust hat. Der Zusammenhang zwischen Infektion und verstärkter postpartaler Blutung ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt, und es ist nicht überraschend, dass bereits subklinische Infektionen zu einer Störung der Funktion des Uterus führen. Daraus resultiert, dass bereits vor dem Auftreten einer klinischen Infektion der postpartale Blutverlust ansteigt. Zahlreiche Untersuchungen befassten sich mit dem Einfluss des Einleitungszeitpunktes auf verschiedene Parameter.
Studienbox In der bisher größten prospektiv randomisierten Studie zu diesem Thema wurden bei über 5000 Frauen mit vorzeitigem Blasensprung am Termin folgende Einleitungsschemata verglichen (Hannah et al. 1996): 4 sofortige Einleitung mit Oxytozin oder Prostaglandinvaginaltabletten bzw. 4 abwartendes Verhalten für 4 Tage und anschließende Einleitung mit Oxytozin oder Prostaglandintabletten. Bei der sofortigen Einleitung ergaben sich gegenüber dem abwartenden Verhalten eine reduzierte Rate an Chorioamnionitis, eine geringere Rate an Antibiotikagaben beim Kind und bei der Mutter und eine reduzierte Rate an postpartalem Fieber; 4 Kinder aus der abwartenden Gruppe starben im Intervall zwischen Blasensprung und Geburt. Das durchschnittliche Intervall zwischen Blasensprung und Geburt betrug in der abwartenden Gruppe 33 h, in der Oxytozin-Einleitungsgruppe 17 h und in der Prostaglandin-Einleitungsgruppe 23 h. Bei knapp 2/3 aller
6
799 36.4 · Risiken
in die Studie einbezogenen Frauen wurde keine vaginale Untersuchung bis zum Beginn regelmäßiger Wehentätigkeit vorgenommen. Die Sectiorate lag in allen Gruppen bei Nulliparae um ca.14%, bei Multiparae um 4%, die vaginaloperative Entbindungsfrequenz bei Nulliparae um 25%, bei Multiparae um 7%. Eine weitere Fragestellung bezog sich auf die Zufriedenheit der Schwangeren bezüglich der Einleitung. Knapp 70% aller Frauen waren mit der frühen Einleitung zufrieden, hingegen nur etwas mehr als 10% der Frauen, bei denen vorerst ein abwartendes Management gewählt wurde, obwohl diese Frauen im Durchschnitt nach 33 h entbunden hatten.
Ein abwartendes Management nach vorzeitigem Blasensprung am Termin ist in Einzelfällen eine mögliche Vorgehensweise, wenn dies die Schwangere ausdrücklich wünscht bzw. ein sehr unreifer Zervixbefund bei einer Nullipara vorliegt. Voraussetzung ist, dass keine Zeichen eines Amnioninfektionssyndroms oder andere Risikofaktoren wie Restriktion oder Streptokokkenbesiedelung vorliegen. > Nach Möglichkeit sollte im Intervall zwischen Blasensprung und regelmäßiger Wehentätigkeit keine digitale zervikale Untersuchung durchgeführt werden. Die Infektionsparameter müssen bei längerem Zuwarten zumindest einmal täglich kontrolliert werden, und selbst bei Verdacht auf eine beginnende Infektion muss die Geburt eingeleitet werden. Die Sectio stellt in Fällen von unreifen Zervixbefunden eine Entbindungsoption dar.
Werden diese Einschränkungen nicht vorgenommen, so muss man mit einer deutlich erhöhten Rate fetaler und maternaler Morbidität rechnen. Durch ein rein abwartendes Management lässt sich bei Mehrgebärenden die Zahl operativer Entbindungen nicht reduzieren, und es entsteht überdies ein beträchtlicher Mehraufwand an personellen und finanziellen Ressourcen. Kosten-Nutzen-Analysen belegen darüber hinaus eindeutig, dass bei abwartendem Management unabhängig von Parität und Reifezustand der Zervix die Kosten durch die aufwendigere Betreuung steigen, v.a. aber durch die verlängerte Krankenhausliegedauer (da Graca Krupa 2005).
Durch die geplante Einleitung nach einem kürzeren Zeitintervall kommt es einerseits bei einem Teil der Schwangeren zum spontanen Wehenbeginn, andererseits können sehr lange Latenzzeiten und damit ein Anstieg der Probleme und Kosten vermieden werden. Darüber hinaus bevorzugen die meisten Frauen eine kurze Latenzperiode, was die Entscheidung für die Einleitung weiter unterstützt. Bezüglich der Verwendung von Oxytozin bzw. Prostaglandinderivaten sind der Reifezustand der Zervix bzw. die Parität die Entscheidungsgrundlagen. Während bei der Einleitung mit Oxytozin die empfohlenen Dosierungen meist sehr ähnlich sind, unterscheiden sich diese bei den Prostaglandinen z. T. beträchtlich (7 Kap. 35). Bei unreifer Zervix ist die Einleitung mit Prostaglandinderivaten der Einleitung mit Oxytozin überlegen, da sie zu einem kürzeren Intervall zwischen Einleitung und Entbindung führt und zu einer verminderten Rate operativer Entbindungen per Sectio caesarea. Ursprünglich wurde die endozervikale Gabe von 0,5 mg PGE2 zum Priming der Zervix verwendet. Das PGE2-Gel führt aber selbst bei sehr unreifer Zervix bei 30% der Schwangeren zum Einsetzen regelmäßiger Wehen (Husslein 1996). > Wenn das Intervall Blasensprung–Geburt länger als 12 h ist bzw. eine Besiedlung mit Streptokokken der Gruppe B vorliegt, sollte eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden (ACOG 1992), wobei ein Standardpenicillin bzw. Cephalosporin ausreichend ist.
Die Dauer der Antibiotikagabe richtet sich nach der tatsächlichen Latenzperiode, nach Entzündungszeichen sowie nach anderen Risikofaktoren wie Anzahl der digitalen vaginalen Untersuchungen oder Blutverlust.
36.4
Risiken
36.4.1
Amnioninfektionssyndrom
Die digitale vaginale bzw. zervikale Untersuchung ist beim vorzeitigen Blasensprung einer der Hauptrisikofaktoren für das Auftreten eines Amnioninfektionssyndroms. Der Pathomechanismus scheint dabei die Überwindung der Zervixbarriere und die mechanische Einbringung von Keimen aus dem unteren Genitaltrakt in die Umgebung des unteren Eipols zu sein.
Tipp Studienbox
Da bei einem reifen Zervixbefund durch eine Ausdehnung der Latenzperiode meist wenig gewonnen wird, ist die Geburtseinleitung nach einem Intervall von etwa 6 h oder spätestens am nächsten Morgen die Therapie der Wahl.
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass mit der ersten digitalen Untersuchung die Rate an Infektionen ansteigt und diese umso höher ist, je häufiger untersucht wird (Duff 1996).
Erfolgt der Blasensprung am Abend, ist es durchaus sinnvoll und in der Praxis üblich, die Geburt erst am nächsten Tag einzuleiten, da dadurch eine unnötige Erschöpfung der Schwangeren vermieden wird.
Das klinische Amnioninfektionssyndrom (AIS) ist durch maternales Fieber, Leukozytose, fetale und maternale Tachykardie sowie durch einen druckschmerzhaften Uterus gekennzeichnet. Viel häufiger scheint allerdings ein subklinischer
36
800
Kapitel 36 · Vorzeitiger Blasensprung am Termin
Verlauf zu sein, der zu einem vorzeitigen Blasensprung führt. Man kann davon ausgehen, dass etwa 0,5–2% aller Termingeburten von einem AIS betroffen sind. Da man davon ausgehen kann, dass ein Großteil der Keime auf aszendierendem Wege ins Cavum uteri gelangt, bedeutet eine Störung der Vaginalflora durch pathogene Keime einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Chorioamnionitis. ! Die Funktion des Uterus kann bereits durch subklinische Infektionen so beeinträchtigt werden, dass es postpartal zu einem vermehrten Blutverlust kommt. Mit Zunahme der Latenzperiode kommt es auch zu einer Zunahme an postpartalen Blutungsproblemen. Dieses Risiko steigt bereits ab einer Latenzperiode von 12 h an (Tran et al. 2008).
36
Die Diagnose eines AIS ergibt sich aus dem klinischen Erscheinungsbild, das sich allerdings hauptsächlich aus Spätsymptomen zusammensetzt. Auch die Amniozentese wurde zum Nachweis von Bakterien, Leukozyten oder verminderter Glukosespiegel v.a. beim frühen vorzeitigen Blasensprung oder vorzeitiger Wehentätigkeit empfohlen. Der kulturelle Nachweis von Bakterien scheint dabei nur in einem Teil der Fälle mit AIS zu gelingen. Der Nachweis von erhöhtem Interleukin-6 und Interleukin-8 im Fruchtwasser zählt zu den Markern mit der höchsten Spezifität und Sensitivität, bedingt allerdings, dass eine Amniozentese durchgeführt werden muss (7 Kap. 25). Beim vorzeitigen Blasensprung am Termin spielt diese Untersuchung allerdings keine Rolle. Die Wertigkeit des C-reaktiven Proteins im mütterlichen Serum wird von verschiedenen Arbeitsgruppen unterschiedlich eingeschätzt (Watts et al. 1993; Potkul et al. 1985). Ein Anstieg des C-reaktiven Proteins ohne Vorliegen einer anderen ersichtlichen Infektionsquelle bedeutet fast immer ein Alarmsymptom und muss unter den verfügbaren Parametern als jener mit der größten klinischen Wertigkeit eingestuft werden. Frauen mit Verdacht auf ein AIS müssen eine antibiotische Therapie erhalten, und es soll bereits bei den ersten Verdachtszeichen mit der Therapie begonnen werden. Da es sich beim Erregerspektrum häufig um eine polymikrobielle Infektion handelt, stellen intravenös verabreichte Breitbandantibiotika die Therapie der Wahl dar. Die Fortführung der Antibiotikatherapie nach der Geburt richtet sich nach dem klinischen Erscheinungsbild der Mutter. Bei klinischer Beschwerdefreiheit scheint eine Therapieverlängerung nach der Geburt für 1–2 Tage ausreichend.
keine zusätzliche kindliche oder mütterliche Indikation zur sofortigen Geburtsbeendigung ergibt. Aus einem sofort durchgeführten Kaiserschnitt leitet sich für das Neugeborene kein Vorteil ab, hingegen steigt die mütterliche Infektionsmorbidität an. Die Zeitdauer zwischen Diagnose eines AIS und der Geburt darf allerdings 12 h nicht übersteigen, da es dann doch zu einer Zunahme an neonataler Infektionsmorbidität kommt. Tipp Streptokokkenbesiedelung und Blasensprung Wenn zum Zeitpunkt der Geburt eine Besiedelung der Mutter mit Streptokokken der Gruppe B (Streptococcus agalactiae) vorliegt, muss beim Eintreten eines vorzeitigen Blasensprunges mit der Antibiotikatherapie begonnen werden. Als Therapie der Wahl dient Penicillin G Natrium 5 MegaIE als Kurzinfusion i.v., anschließend alle 4 h 2,5 MegaIE i.v. bis zur Geburt. Bei Vorliegen einer Penicillinallergie kann alternativ Erythromycin 500 mg alle 6 h bis zur Geburt oder Dalacin C-Phosphat 900 mg alle 8 h bis zur Geburt verwendet werden (7 Kap. 20).
36.4.2
Nabelschnurvorfall
Nabelschnurkomplikationen nach einem vorzeitigen Blasensprung können sich aus einem Vorfall oder durch Nabelschnurkompression aufgrund eines Oligohydramnions ergeben. Der Nabelschnurvorfall tritt häufiger bei Feten auf, die sich nicht in Schädellagen befinden. Während der Nabelschnurvorfall ein akutes Ereignis ist, das unmittelbar durch eine Sectio caesarea unter Notfallbedingungen gelöst werden muss, sind variable Dezelerationen meist Hinweise auf eine Nabelschnurkompression. Dezelerationen werden bei bis zu 70% der Schwangeren mit vorzeitigem Blasensprung gefunden, führen dann allerdings im weiteren Verlauf der Geburt nicht zwangsläufig zur fetalen Asphyxie (Weiner et al. 1988).
36.4.3
Endometritis, Endomyometritis
Eine postpartale Infektion des Uterus kann mit oder ohne Vorbestehen eines Amnioninfektionssyndroms auftreten.
Studienbox Studienbox Studien, die beim AIS eine sofortige Antibiotikatherapie mit einem Therapiebeginn nach der Geburt verglichen, zeigten eine signifikante Abnahme an neonataler Sepsis und Pneumonien bei bereits intrapartaler Antibiotikagabe (Gibbs et al. 1988).
Beim vorzeitigen Blasensprung ist die Sectio caesarea der Hauptrisikofaktor für das Auftreten einer Endomyometritis (Daikoku et al. 1982). Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass sich dieses Risiko durch die Verabreichung einer perioperativen Prophylaxe mit einem Breitbandantibiotikum signifikant vermindern lässt.
Tritt ein AIS während einer spontanen vaginalen Entbindung auf, so kann der Geburtsmodus beibehalten werden, falls sich
Weitere Risikofaktoren sind die vaginalen Untersuchungen, verbunden mit langer Latenzperiode. Die Diagnose stützt sich
801 Literatur
auf das klinische Erscheinungsbild mit Fieber, druckdolentem Uterus, übelriechendem Lochialfluss und das subjektive Krankheitsgefühl ohne andere offensichtliche Ursachen. Laborparameter sind bei der Diagnose einer postpartalen Endometritis oder Endomyometritis meist nur bedingt hilfreich. Die Diagnose wird in aller Regel klinisch gestellt. Therapie mit Antibiotika, die wegen der höheren Gewebespiegel i.v. verabreicht werden sollten, muss v.a. auch die anaeroben Keime in das Spektrum miteinschließen. Bei Besiedelung der Scheide bzw. Zervix mit Streptokokken der Gruppe B sollte in allen Fällen eine peripartale Antibiotikatherapie durchgeführt werden, da dadurch nicht nur die Morbidität des Kindes, sondern auch die Rate an postpartalen maternalen Infektionen gesenkt wird. > Die generelle Antibiotikaprophylaxe beim vorzeitigen Blasensprung wird kontrovers diskutiert. Dem möglichen Nutzen im Sinne einer Reduktion der maternalen und kindlichen Morbidität stehen Nachteile gegenüber, z.B. eine Allergie oder die Selektion von resistenten Bakterienstämmen. Vor allem bei neonataler Sepsis sind resistente Keime nach Verabreichung von Penicillinen ein therapeutisches Problem.
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36
37 37 Terminüberschreitung H. Schneider, E. Weiss 37.1
Allgemeine Grundlagen – 804
37.1.1 37.1.2 37.1.3 37.1.4 37.1.5
Terminologie – 804 Inzidenz – Bedeutung der Gestationsalterbestimmung – 805 Ätiologie und Pathogenese – 806 Auswirkung auf den Fetus – 807 Bedeutung für die perinatale Mortalität – 808
37.2
Klinische Beurteilung – 808
37.2.1 37.2.2
Überprüfung des Geburtstermins – 808 Untersuchungsbefunde und deren diagnostischer Wert – 809
37.3
Management: Geburtseinleitung oder Überwachung – 811
37.3.1 37.3.2 37.3.3
Geburtseinleitung – 811 Überwachung des Fetus – 813 Spezielle Maßnahmen bei der Geburt – 814
37.4
Prävention – 814 Literatur – 815
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
804
37
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
Von einer Termingeburt spricht man bei einer Entbindung zwischen 37+0 und 41+6 Wochen post menstruationem. Dabei verteilen sich die Geburten um den errechneten voraussichtlichen Termin (40+0 Wochen). Bei gesichertem Geburtstermin ist die Terminüberschreitung (Schwangerschaftsdauer ≥42 Wochen) sehr viel seltener als ursprünglich angenommen; sie findet sich bei deutlich weniger als 5 % aller Geburten (Deutschland 2007 <1,1%).Verschiedene Störungen des Fetus oder der Plazenta können zu einer Überschreitung des voraussichtlichen Geburtstermins führen. Die Ursachen bleiben im Einzelfall meist jedoch ungeklärt. Die Folgen einer über den voraussichtlichen Termin andauernde Schwangerschaft für den Fetus hängen von der Auswirkung auf die Plazenta ab. In der Mehrzahl bleibt ihre Versorgungsfunktion ungestört, und die Fortdauer des Wachstums kann zu makrosomen Feten führen. Nur bei einem kleinen Teil kommt es zu einer Plazentainsuffizienz mit Zeichen der Mangelernährung und Dysmaturität. Die klinische Problematik der verlängerten Schwangerschaftsdauer ist bei makrosomen Feten vorwiegend durch geburtstraumatische Komplikationen mit kindlicher oder mütterlicher Schädigung bedingt. Bei Geburten jenseits der 42. SSW findet sich in 2,5–10% eine fetale Makrosomie mit einem Geburtsgewicht von 4500 g und mehr im Vergleich zu 0,8–1,0% bei Termingeburten (Spellacy et al. 1985; Rosen u. Dickenson 1992). Aber bereits ab 41 Wochen beträgt das Risiko für ein Geburtsgewicht von 4500 g mehr als das 3,5-Fache der Termingeburt (Berle et al. 2003). Mangelernährte und dysmature Feten sind peripartal durch Asphyxie und Mekoniumaspiration besonders gefährdet und weisen eine beträchtliche Mortalität und Morbidität auf. Auch die mütterliche Morbidität ist erhöht. Das Management der verlängerten Schwangerschaftsdauer bewegt sich zwischen einem aktiven Vorgehen mit Geburtseinleitung und einer abwartenden Haltung mit Überwachung des Fetus. Die Metaanalysen der verschiedenen prospektiv randomisierten Studien zeigen, dass eine Einleitung nach 41 Wochen vorteilhaft für den Fetus ist, ohne dass damit eine erhöhte Sectiofrequenz verbunden ist. Als Überwachung jenseits von 41 Wochen hat sich die Kombination von Non-Stress-CTG mit Bestimmung der Fruchtwassermenge mit Hilfe von Ultraschall bewährt. Bei unauffälligem Befund ist eine Wiederholung alle 2–3 Tage vorzusehen. Bei vermindertem Fruchtwasser und Abgang von Mekonium besteht ein erhöhtes Asphyxierisiko, und die Indikation zur Sectio muss frühzeitg gestellt werden.
. Abb. 37.1. Reifung des Fetus als Basis für den termingerechten Geburtsbeginn
37.1
Allgemeine Grundlagen
37.1.1
Terminologie
Terminüberschreitung Ausgehend von der normalen Schwangerschaftsdauer und ihrer biologischen Variabilität ist die Terminüberschreitung als Verlängerung der Schwangerschaftsdauer um ≥14 Tage auf ≥42 Wochen definiert. Bei der Festlegung des Datums des voraussichtlichen Geburtstermins wird eine mittlere Schwangerschaftsdauer von 266 Tagen post conceptionem bzw. 280 Tagen post menstruationem bei einer Zyklusdauer von 28 Tagen zugrunde gelegt. Dabei kommt dem Ultraschall im ersten Trimenon eine zentrale Bedeutung zu. Erst wenn das Gestationsalter <37 Wochen oder ≥42 Wochen beträgt, handelt es sich um Abweichungen von der Norm. Man spricht von Frühgeburt oder Terminüberschreitung (. Abb. 37.1).
Zwischen der Dauer der Schwangerschaftsverlängerung und den Auswirkungen auf den Fetus – in Form von Morbidität oder Mortalität – besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Entscheidend ist, ob und wann es zu einer Funktionseinschränkung der Plazenta als Versorgungsorgan des Fetus kommt. In der Mehrzahl der Fälle bleibt die Funktion ungestört, und das fetale Wachstum dauert unvermindert an, sodass ein makrosomer Fetus mit dem potenziellen Risiko eines Geburtstraumas entsteht. Nur in wenigen Fällen kommt es zu einer beträchtlichen Funktionseinschränkung im Sinne einer Plazentainsuffizienz. Das Neugeborene weist die typischen Zeichender chronischen Mangelernährung, kombiniert mit Überreife oder Dysmaturität auf: 4 vermindertes subkutanes Fettgewebe, 4 Grünfärbung und Abschilferung der Haut, 4 überstehende Fingernägel, 4 Fehlen von Vernix und Lanugobehaarung, 4 »Waschfrauenhände«. Bei diesen Kindern besteht ein hohes Risiko für eine perinatale Asphyxie. > Schwangerschaftsverlängerung ist ein übergeordneter Terminus, der nicht zwischen diesen beiden gegensätzlichen Auswirkungen auf den Fetus diffe-
6
805 37.1 · Allgemeine Grundlagen
renziert. Der Begriff Übertragung sollte dagegen für die wenigen Fälle mit Plazentainsuffizienz und Dysmaturität des Fetus verwendet werden, bei denen peripartal vermehrt Todesfälle sowie schwere Formen von perinataler Morbidität – einschließlich Langzeitschäden im Sinne von psychomotorischen Entwicklungsstörungen – auftreten können.
37.1.2
Inzidenz – Bedeutung der Gestationsalterbestimmung
Die Angaben zur Häufigkeit der Terminüberschreitung (42 Wochen oder mehr) variieren in der Literatur zwischen 4 und 14%, wobei die höheren Zahlen i. d. R. älteren Publikationen entstammen und eine beträchtliche Anzahl von Terminfehlern einschließen. Mit der in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeführten flächendeckenden Untersuchung mittels Sonographie im 1. Trimenon ist die Festlegung des voraussichtlichen Geburtstermins sehr viel genauer geworden. Unter der Annahme einer Normalverteilung der Geburten um das Datum des voraussichtlichen Geburtstermins, einer Frühgeburtlichkeit von ca 8% und der Tatsache, dass etwa 4% der Geburten an dem vorher festgelegten Datum stattfinden, müssten eigentlich ca. 44% der Geburten zwischen 37+0 und 39+6 Schwangerschaftswochen und die restlichen 44% nach 40+0 Wochen stattfinden. Die exaktere Terminbestimmung führt zu einer geringeren Streubreite um den Termin herum und damit zu einer Verminderung der Inzidenz der Terminüberschreitung. Die Daten der flächendeckenden Erhebung für Deutschland (BQS 2007) zeigen nur noch bei 1,08% der Geburten eine Terminüberschreitung(≥42 Wochen). Ältere Arbeiten aus England und den USA finden trotz Ultraschalldiagnostik bis 16 SSW in 5–10% eine Terminüberschreitung. Nach aktuellen Untersuchungen aus den USA (Caughey et al. 2008) findet sich bei Routineultraschalluntersuchungen zwischen 9 und 14 Wochen eine Inzidenz der Terminüberschreitung von ca. 2%, sodass mit den Angaben aus Deutschland weitgehend Übereinstimmung besteht.
> Durch die technisch verbesserte Ultraschalldiagnostik mit exakter Bestimmung der biometrischen Maße in den frühen Wochen ist diese Methode zur Festlegung des voraussichtlichen Geburtstermins der rechnerischen Bestimmung ausgehend von der letzten Periode deutlich überlegen.
Dies trifft auch zu, wenn genaue Angaben zur letzten Periode vorhanden sind und der Zyklus regelmäßig ist (Campbell et al. 1993). Je größer die Abweichung im Gestationsalter zwischen den beiden Bestimmungsmethoden ist, desto eher ist der mit Hilfe der Ultraschallmessung ermittelte Geburtstermin korrekt (Roweland u. Royston 1993). Diskrepanzen zwischen dem errechneten und dem ultasonographisch – in der 1. Schwangerschaftshälfte – bestimmten Gestationsalter von >1 Woche spiegeln sich im tatsächlichen Geburtstermin wider (Kramer et al. 1988): 4 Bei einem nach Ultraschall niedrigeren Gestationsalter erfolgt die Geburt i. d. R. nach dem rechnerischen Termin. 4 Bei einem nach Ultraschall höheren Gestationsalter erfolgt die Geburt i. d. R. vor dem rechnerischen Termin. Für die Unterschiede zwischen dem errechneten und dem sonographisch bestimmten Gestationsalter gibt es verschiedene Erklärungen: 4 Ungenauigkeiten in den Angaben zur letzten Periode, 4 Zyklusunregelmäßigkeiten mit Schwankungen im Ovulationszeitpunkt, 4 biologische Unterschiede im Wachstum in den ersten Schwangerschaftswochen, 4 inhärenter Fehler der Naegele-Regel (7 unten). Systematische Unterschiede im Wachstum in der 1. Schwangerschaftshälfte (z. B. durch das Geschlecht bedingt) haben in den meisten Ultraschallnormkurven – die üblicherweise für die Bestimmung des Gestationsalters verwandt werden – bislang noch keinen Eingang gefunden.
Studienbox Studienbox Die Häufigkeitsverteilung der Geburten zwischen 37 und 42 Wochen zeigt in den USA (Martin et al. 2005, 2007) eine deutliche Linksverschiebung. 1990 wurden noch 48% aller Kinder nach 40 Wochen geboren, 2005 waren dies nur noch 33,7%. Offenbar führen iatrogene Einflüsse (Einleitung und geplante Kaiserschnittentbindung vor dem errechneten Termin) zu diesem Effekt.
Die Festlegung des Geburtstermins erfolgt einerseits rechnerisch, ausgehend von der letzten Periode, andererseits basierend auf der Ultraschallmessung der Scheitel-Steiß-Länge des Embryos im 1. Trimenon. Bei einer Diskrepanz von >1 Woche stimmt der tatsächliche Geburtstermin besser mit dem Ultraschalltermin als mit dem rechnerischen Termin überein.
In einer Gruppe mit bekannter letzter Periode fanden sich bei den weiblichen verglichen mit männlichen Neugeborenen 13% mehr Frühgeburten, wenn man das anhand des biparietalen Durchmessers in der 1. Schwangerschaftshälfte bestimmte Gestationsalter zugrunde legte. Ausgehend von der letzten Periode bestand dagegen kein Unterschied in der Frühgeborenenrate. Gleichzeitig war der Anteil der Schwangerschaftsverlängerungen, basierend auf dem sonographisch bestimmten Gestationsalter, bei männlichen höher als bei weiblichen Feten (Henriksen et al. 1995). Die Prädisposition des männlichen Geschlechts für eine verlängerte Schwangerschaftsdauer basierend auf einer Sonographie im frühen 2. Trimenon konnte in einer weiteren umfangreichen Studie bestätigt werden (Divon et al. 2002).
37
806
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
Es ist unbestritten, dass die Gesamtzahl der Schwangerschaftsverlängerungen durch eine systematische Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft deutlich reduziert wird (Neilson 2000). Auch in einer neueren prospektiv randomisierten Studie ließ sich die Anzahl der Geburtseinleitungen wegen Terminüberschreitung durch ein Ultraschallscreening im 1. Trimenon deutlich senken (Bennett et al. 2004).
37.1.3
37
Ätiologie und Pathogenese
Die Auslösung der Geburtswehen ist die Folge eines komplexen Zusammenspiels von endokrinen, para- bzw. autokrinen Reaktionen, die sich im Wesentlichen auf drei verschiedenen Ebenen abspielen: Hypothalamus-Hypophyse (HH), Nebennierenrinde (NNR) des Fetus und im fetomaternalen Grenzbereich, wo Trophoblast bzw. Chorion und mütterliches Gewebe in Form von Dezidua aufeinanderstoßen. Am Ende einer Kette von Reaktionen – Synthese und Verstoffwechselung von Eikosanoiden, Zytokinen, Oxytozin u. a. – stehen Veränderungen in den Erfolgsorganen wie Myometrium, Zervix und Eihäuten (7 Kap. 23.1). Die Triggerung des Geschehens setzt Reifungsprozesse voraus, die in ihrem zeitlichen Ablauf genetisch programmiert sind. Diese genetische Programmierung ist mit einer biologischen Uhr vergleichbar und erklärt die interindividuelle Variation der normalen Schwangerschaftsdauer. Wieweit die Schwangerschaftsuhr in den Organen des Fetus, wie insbesondere im Hypothalamus-Hypophysen-Bereich oder aber im fetomaternalen Grenzbereich lokalisiert ist, ist bislang noch nicht geklärt (McLean et al. 1995) Longitudinalmessungen haben einen Zusammenhang zwischen dem mütterlichen CRH-Spiegel (Cortikotropin-releasing-Hormon) in der 1. Schwangerschaftshälfte und der Schwangerschaftsdauer gezeigt. Bei einer verspäteten Geburt war der CRH-Spiegel in der ersten Schwangerschaftshälfte signifikant erniedrigt. Es wurde postuliert, dass die CRH-Synthese im Trophoblasten bestimmend für die Schwangerschaftsdauer sein soll. Terminüberschreitung Die Terminüberschreitung im engeren Sinne lässt sich auch als eine Störung des Triggerungsmechanismus für das Geburtsgeschehen zu dem genetisch vorgesehenen Zeitpunkt definieren.
Die Ursachen für eine Terminüberschreitung lassen sich in unterschiedliche Kategorien unterteilen, die in ihrer Auswirkung auf den Fetus und damit auf den Schwangerschaftsausgang sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Vor der Ultraschallära waren fehlerhafte Terminbestimmungen eine häufige Ursache von Terminüberschreitungen und haben zu einer Vielzahl unnötiger Geburtseinleitungen geführt. Nur wenige Schwangerschaften dauern, bedingt durch die genetische Programmierung der Reifungsprozesse, tatsächlich länger als 42 Wochen. In der Mehrzahl dieser Fälle ist
die Dauer über die physiologische Länge von 40 Wochen hinaus mit einer normalen Plazentafunktion verknüpft, sodass gehäuft Makrosomien des Fetus beobachtet werden.
Verschiedene Ursachen der Terminüberschreitung und ihre Erklärung 4 Terminfehler 4 Genetisch determinierte Schwangerschaftsdauer von ≥ 42 SSW 4 Übertragung: Morphologisch-anatomische sowie biochemische Defekte in der Achse HH-NNR – Plazenta/ Eihäute – Zervix/Dezidua – Myometrium, z. B. Anenzephalus, Sulfatasemangel der Plazenta, andere genetische Störungen 4 Exogene Einflüsse: Umweltgifte wie Ethylenoxid, PG-Synthesehemmung durch chronische Aspirineinnahme, Fischöl
Diese Störungen können eine morphologisch-anatomische Grundlage in Form von Fehlbildungen, wie etwa Anenzephalus, haben. Es kann sich aber auch um genetisch bedingte Defekte auf den verschiedenen Stufen der Kaskade HH-NNR, des fetomaternalen Grenzbereichs sowie des Myometriums handeln. Am besten bekannt ist der Sulfatasemangel des Plazentagewebes. Bedingt durch die Redundanz der Kontrollmechanismen, die für alle mit der Fortpflanzung zusammenhängenden Vorgänge typisch ist, können verschiedene genetische Defekte entweder zu einem absoluten Stopp oder aber lediglich zu einer Verzögerung des Ablaufs der Reaktionskette führen. Neben dem gut bekannten Sulfatasemangel gibt es sicher eine Reihe bislang nur unvollständig erklärter weiterer genetischer Defekte, die als Ursache für eine Terminüberschreitung oder für einen verlangsamten Geburtsprozess im Sinne einer Wehendystokie verantwortlich sind. Auf eine genetische Basis bei einem Teil der Terminüberschreitungen kann auch aus dem erhöhten Risiko für Schwangere, die selbst aus einer verlängerten Schwangerschaft stammen, geschlossen werden (Mogren et al. 1999). Ein erhöhtes Wiederholungsrisiko spricht ebenfalls für eine genetische Komponente (Kistka et al. 2007). Auch väterlichen Genen scheint bei der Programmierung des Risikos eine Bedeutung zuzukommen, da eine Wiederholung einer Terminüberschreitung in einer vorausgegangenen Schwangerschaft weniger wahrscheinlich ist, wenn der Folgeschwangerschaft ein Partnerwechsel vorausgegangen war (Olesen et al. 2003). Auch exogene Einflüsse wie Ethylenoxid, ein Umweltgift oder die chronische Einnahme von Medikamenten mit einer Synthesehemmung von Prostaglandinen sowie der Konsum von Fischöl werden mit einem verspäteten Geburtstermin in Zusammenhang gebracht. Bei Überschreiten des genetisch programmierten Geburtstermins infolge eines Defektes bei der Triggerung des Geburtsgeschehens ist zumindest in einem Teil der Fälle mit einer zunehmenden Beeinträchtigung der Funktion der Plazenta mit Entwicklung von Dystrophiezeichen beim Fetus
807 37.1 · Allgemeine Grundlagen
und einem erhöhten Asphyxierisiko während der Geburt mit Aspiration von Mekonium zu rechnen. Im Gegensatz zu der sehr heterogenen Ätiologie der Frühgeburtlichkeit sind die Störfaktoren für die Auslösung des Geburtsgeschens, die eine echte Übertragung mit Entwicklung einer Plazentarinsuffizienz verursachen können, sehr viel weniger gut untersucht. Bei der Terminüberschreitung scheinen vermehrt bislang nicht näher bekannte endogene Störungen von Bedeutung zu sein.
37.1.4
Auswirkung auf den Fetus
Die möglichen Folgen einer Schwangerschaftsverlängerung sind für den Fetus vielfältig und werden wesentlich von der Auswirkung auf die Funktion der Plazenta bestimmt (. Tab. 37.1). Während das Wachstum der Plazenta im letzten Trimenon stark verlangsamt ist, nimmt ihre funktionelle Kapazität als Versorgungsorgan durch verschiedene Anpassungsmechanismen – z. B. die Ausdehnung der Austauschoberfläche, eine verstärkte Vaskularisierung der Zotten, die Zunahme der uterinen und umbilikalen Blutzufuhr, die Abnahme des Diffusionswiderstandes – exponentiell zu. Eine vermehrte Abnahme der Fruchtwassermenge ist ein früher Hinweis auf eine beginnende Plazentainsuffizienz. Physiologisch nimmt das Fruchtwasser in den letzten Wochen der Schwangerschaft ab. In der 42. SSW beträgt die mittlere Fruchtwassermenge noch 250 ml (maximales Fruchtwasservolumen in der 34–36. SSW ca. 1000 ml). Histologisch gibt es keine Anzeichen für eine generelle Alterung der Plazenta. Der Gesamt-DNA-Gehalt steigt als Ausdruck anhaltender Zellteilung auch jenseits der 40. SSW an (Fox 1979). Makroskopisch findet man jedoch vermehrt Kalkeinlagerungen sowie Infarkte. Im Ultraschall werden gehäuft Veränderung der Echostruktur entsprechend einem Reifegrad 3 beobachtet. Die Versorgung des Fetus bleibt in der Mehrzahl der Fälle auch bei einer Verlängerung der Schwangerschaft über den errechneten Geburtstermin hinaus uneingeschränkt erhalten,
sodass sich das Wachstum unvermindert fortsetzt. Bei Geburten jenseits der 42. SSW findet sich in 2,5–10% eine fetale Makrosomie mit einem Geburtsgewicht von 4500 g und mehr im Vergleich zu 0,8–1,0% bei Termingeburten (Spellacy et al. 1985; Rosen u. Dickenson 1992). Aber bereits ab 41 Wochen beträgt das Risiko für ein Geburtsgewicht von ≥4500 g das 3,5-Fache der Termingeburt (Berle et al. 2003). Die möglichen Gefahren der fetalen Makrosomie sind: 4 mütterliches Weichteiltrauma im Geburtskanal, 4 fetales Trauma, bedingt durch einen protrahierten Geburtsverlauf mit erschwerter operativer Entbindung, 4 Schulterdystokie mit neurologischen Verletzungen, schwerer Asphyxie, intrapartalem oder neonatalem Tod.
Studienbox Durch systematische Doppleruntersuchungen des fetalen Herzens und der großen Gefäße konnte bei Übertragungen mit Oligohydramnion oder pathologischem Herzfrequenzmuster eine Beeinträchtigung der Herzfunktion mit erniedrigter Spitzengeschwindigkeit der Blutströmung in der Aorta gezeigt werden. Gleichzeitig war das Produkt aus Herzfrequenz und GeschwindigkeitsZeit-Integral in der Ausstrombahn der Aorten- und Mitralklappen erniedrigt (Weiner et al. 1996). Doppleruntersuchungen der fetalen Nierenarterie zeigten bei Fällen mit vermindertem Fruchtwasser ein deutlich erhöhtes Widerstandsmuster (Veille et al. 1993; Oz et al. 2002).
Eine kardiale Funktionseinschränkung mit einer Umverteilung innerhalb des fetalen Kreislaufs kann zu einer Abnahme der Blutzufuhr zu den fetalen Nieren und zu einer verminderten Urinproduktion führen. Hieraus resultiert ein Oligohydramnion. Eine durch ein Oligohydramnion verursachte Kompression der Nabelschnur kann vor Geburtsbeginn oder auch intrapartal zu einer Bedrohung für den Fetus werden. Ein Oligohydramnion kann weiter durch die Anreicherung
. Tab. 37.1. Folgen der Terminüberschreitung für die Versorgungsfunktion der Plazenta und ihre Auswirkungen auf Fetus, Ultraschall, CTG und Geburtsverlauf
Plazentafunktion
Auswirkungen auf Fetus
Ultraschall und CTG
Geburtsverlauf
Unverändert
Andauer des Wachstums → Makrosomie
Biometrie ↑, CTG unverändert
Protrahierter Verlauf, mütterliches Trauma ↑, fetales Trauma mit neurologischen Verletzungen
Beginnende Insuffizienz
Kreislaufzentralisierung, Urinproduktion ↓, Fruchtwasser ↓, Nabelschnurkompression
Maximales Fruchtwasserdepot ↓, CTG reaktiv, mit variablen Dezelerationen
Erhöhtes intrapartales Asphyxierisiko
Schwere Insuffizienz
Oligohydramnion, dickes Mekonium, Dystrophie, Asphyxie
Maximales Fruchtwasserdepot ↓↓, CTG nicht reaktiv, mit oder ohne Dezelerationen
Intrapartale Asphyxie → intrauteriner Fruchttod, Mekoniumaspiration
37
808
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
von dickem Mekonium kompliziert werden, und eine schwere intrauterine Asphyxie kann noch vor Geburtsbeginn zum intrauterinen Fruchttod führen. Geburtsstress, intrauterine Asphyxie und Mekoniumaspiration bedeuten für den Fetus eine schwere Bedrohung, die mit einer hohen Mortalität bzw. Langzeitmorbidität verbunden ist. Bei länger andauernder Plazentainsuffizienz kann es zu einer Verminderung des subkutanen Fettgewebes bei gleichzeitigem Verbrauch der Glykogenspeicher in der Leber des Fetus kommen, und beim Neugeborenen findet sich das klassische Bild der Dystrophie. > Eine chronische Plazentainsuffizienz mit Zeichen der Mangelversorgung und Hypoxie bis hin zur Asphyxie beim Fetus entwickelt sich in etwa 20% der Fälle mit Terminüberschreitung (Vorherr 1975; Shime et al. 1986; Mannino 1988). Diese Fälle sind mit einer hohen perinatalen Morbidität und Mortalität belastet.
37.1.5
37
Bedeutung für die perinatale Mortalität
Gemäß der Perinatalerhebung für das Bundesland Hessen in den Jahren 1990–1995 betrug die perinatale Mortalität 0,57%. Insgesamt entfällt mit 0,33% der größte Anteil auf die antenatale Sterblichkeit, gefolgt von 0,20 für die neonatale- und 0,04% für die intrapartale Mortalität (Künzel 1998). Im Jahr 2007 beträgt die perinatale Mortalität in Deutschland 0,47%. Die antenate Sterblichkeit liegt immer noch bei 0,29% und ist damit für 2/3 der gesamten perinatalen Verluste verantwortlich. Dagegen ist die intrapartale Mortalität auf 0,03% und die neonatele Sterblichkeit auf nur noch 0,15% abgefallen (BQS 2007). Mit steigender Schwangerschaftsdauer gewinnt die antepartale Sterblichkeit zunehmend an Bedeutung. Im Bereich der Frühgeburtlichkeit macht sich Pathologie durch entsprechende Symptome bei der Mutter oder dem Fetus i. d. R. frühzeitig bemerkbar, und durch den Einsatz von Überwachungsmethoden kann der Zeitpunkt für die Entbindung so gewählt werden, dass antepartale Todesfälle vermieden werden können. Die neonatale Mortalität im Zusammenhang mit sehr frühen Frühgeburten unter 25 SSW hat sicher eine gewisse Grenze erreicht, und es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine weitere Senkung der Sterblichkeit angesichts des hohen Prozentsatzes von schweren bleibenden Schäden bei den Überlebenden anzustreben ist. In Terminnähe stehen dagegen antepartale Todesfälle im Vordergrund, die v. a. auch bei Schwangerschaften ohne bekannte Risikofaktoren oder klinische Hinweise auf eine Bedrohung des Fetus auftreten. Während die antepartalen Todesfälle nach 41 SSW zumindest teilweise durch sorgfältige Überwachung der Schwangerschaften und eine rechtzeitige Einleitung der Geburt vermieden werden können, stellen die Todesfälle zwischen 37 und 41 SSW ein ungelöstes Problem dar. Sicher muss ein Teil dieser Fälle den Übertragungen im biologischen Sinne zuge-
rechnet werden. Wenn bei einem genetisch programmierten frühen Geburtszeitpunkt wegen einer bislang unbekannten Störung die rechtzeitige Triggerung des Geburtsbeginns ausbleibt, kann ein antepartaler Tod auch vor 41 SSW Folge einer Übertragung sein. Auch die absolute Zahl der antepartalen Todesfälle steigt mit zunehmendem Gestationsalter an und ist in der 40. SSW am höchsten. Annähernd 40% treten nach der 38. SSW auf, und bei etwa 50% finden sich keine bekannten Risikofaktoren einschließlich Fehlbildungen. Antepartale Todesfälle in Terminnähe sind bei Erstgebärenden deutlich häufiger als bei Mehrgebärenden. Ein besonders hohes Risiko zeigen die über 35-jährigen Erstgebärenden (Reddy et al. 2006). Dabei ist die Inzidenz seit 1985 weitgehend konstant geblieben, was in krassem Gegensatz zu dem deutlichen Rückgang in der Gesamtperinatalsterblichkeit steht. Diese Entwicklung muss angesichts einer ständigen Intensivierung der Überwachung in der Spätschwangerschaft bedenklich stimmen. > Eine Verbesserung der Erkennung der drohenden intrauterinen Todesfälle in Terminnähe, von denen ein Teil biologisch als Übertragung mit Plazentainsuffizienzien angesehen werden muss, ist somit eine echte Herausforderung für die Perinatalmedizin der Zukunft.
Die Problematik besteht darin, dass bei der geringen Prävalenz dieser Fälle nur mit einem breiten Überwachungsprotokoll im Sinne eines Screenings aller Schwangerschaften nach 38 SSW eine Problemlösung erreicht werden kann. Dazu ist jedoch eine einfache, kostengünstige, sensitive sowie ausreichend spezifische Methode erforderlich, um die Gefahr einer hohen Zahl falsch positiver Fälle zu vermeiden. Bislang ist kein derartiger Test in Sicht. Im Sinne einer evidenzbasierten Medizin konnte bislang für keine Methode die Wirksamkeit bei der Vermeidung eines IUFT bei risikoarmer Schwangerschaft nachgewiesen werden.
37.2
Klinische Beurteilung
37.2.1
Überprüfung des Geburtstermins
Ein Teil der vermuteten Terminüberschreitungen erklärt sich durch Fehler bei der Bestimmung des Gestationsalters sowie des voraussichtlichen Geburtstermins. Angaben aus der Frühschwangerschaft liefern wichtige Anhaltspunkte für den Schwangerschaftsbeginn: 4 Datum der letzten Periode, 4 Blutungsanomalien, 4 Zyklusverhalten, 4 Einnahme von Substanzen zur Hemmung oder Stimulation der Ovulation.
809 37.2 · Klinische Beurteilung
Studienbox Die retrospektive Analyse einer Gruppe unkomplizierter Schwangerschaften mit genauen Angaben zur letzten Periode bei regelmäßigem Zyklus und spontanem Geburtsbeginn ergab für Erstgebärende eine mittlere Verlängerung der Schwangerschaftsdauer von +7 Tagen und für Mehrgebärende von +3 Tagen (Mittendorf et al. 1990). Außer der Parität wirken sich auch das Alter der Mutter sowie die ethnische Herkunft auf die Schwangerschaftsdauer aus (Mittendorf et al. 1993).
Klassischerweise erfolgt die Berechnung des Geburtstermins nach der Naegele-Regel, die von einer mittleren Schwangerschaftsdauer von 280 Tagen ausgeht. Die Berechnung bezieht sich auf das Datum der letzten Periode. Verschiedene neuere Untersuchungen zeigen, dass die mittlere Schwangerschaftsdauer mit 280 Tagen wahrscheinlich zu kurz veranschlagt ist. Aus der Originalpublikation von Naegele in ihrer ersten Fassung ist nicht klar ersichtlich, ob er für die nach ihm benannte Regel den Anfang oder das Ende der letzten Periode als Berechnungsgrundlage vorgibt. Baskett u. Nagele (2000) haben die Hypothese, dass Naegele tatsächlich den letzten Tag der letzen Periode als Berechnungsgrundlage gemeint habe, aufgestellt und konnten zeigen, dass damit eine bessere Übereinstimmung der Geburtstermine basierend auf der Bestimmung nach der Naegele-Regel und der Ultraschallmessung im 1. Trimenon untereinander und mit dem tatsächlichen Geburtstermin gegeben ist. Anhand einer Studie von historischen Quellen konnte inzwischen belegt werden, dass in späteren Originaltexten von Naegele kein Zweifel bestehen kann, dass er tatsächlich von dem Beginn der letzten Periode spricht (Loytved et al 2009). Neben den anamnestischen Angaben haben die dokumentierten klinischen Befunde aus der Frühschwangerschaft eine besondere Bedeutung. Die Palpation des Uterus im 1. Trimenon gilt auch heute noch für die Abschätzung der Schwangerschaftsdauer als relativ zuverlässig. Die Aussagekraft der klinischen Untersuchung hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab: 4 Erfahrung des Untersuchers, 4 Adipositas, 4 Myome, 4 Mehrlingsschwangerschaft. > Die Ultraschalluntersuchung im 1. Trimenon ist heute als Goldstandard für die Festlegung des Gestationsalters unbestritten. Für die Messung der ScheitelSteiß-Länge beträgt der 90%-Vertrauensbereich ±3 Tage, während die Abmessung des biparietalen Durchmessers sowie der Femurlänge im 2. Trimenon die Festlegung des Gestationsalters mit einer Genauigkeit von ±7 Tagen zulässt (Romero u. Jeanty 1984).
Die frühzeitige und möglichst genaue Festlegung des Gestationsalters ist für das Management von verschiedenen Schwangerschaftspathologien besonders wichtig:
4 Terminüberschreitung, 4 drohende Frühgeburt, 4 alle Komplikationen, die eine vorzeitige Entbindung notwendig machen. Einer sorgfältigen Erhebung und Aufzeichnung der oben genannten Daten und Befunde in einem Mutterpass kommt daher besondere Bedeutung zu.
37.2.2
Untersuchungsbefunde und deren diagnostischer Wert
Die für den Fetus mit einer Schwangerschaftsverlängerung verbundenen Risiken ergeben sich durch: 4 Makrosomie und mögliche Komplikationen bei der Geburt, 4 Plazentainsuffizienz mit den Gefahren der Asphyxie und der Mekoniumaspiration, 4 Entwicklung eines Oligo/Anhydramnions mit der Möglichkeit einer Nabelschnurkompression.
Makrosomie Systematische Untersuchungen von verlängerten Schwangerschaften mit gesicherter Schwangerschaftsdauer haben ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit einer fetalen Makrosomie erheblich größer ist als das Risiko einer Plazentainsuffizenz mit fetaler Dysmaturität (McLean et al. 1991). Bereits ab 41 SSW beträgt das Risiko für ein Geburtsgewicht ≥4500 g das 3,5-Fache der Termingeburten (Berle et al 2003). Sowohl die klinische Untersuchung (Leibesumfang, Fundusstand) wie auch die Ultraschallbiometrie sind für die Erkennung der fetalen Makrosomie nur bedingt zuverlässig.
Studienbox Die sonographische Gewichtsschätzung basiert auf der Messung des Abdomenumfangs und der Femurlänge (Hadlock et al. 1985). Sowohl bei Untersuchungen am Termin als auch bei Übertragungen liegt die Sensitivität für die Diagnose einer Makrosomie (>4000 g) lediglich bei 50–60 % mit einem positiven Vorhersagewert von <70 % (Pollack et al. 1992). Offenbar kann durch die Bestimmung des Quotienten zwischen dem subkutanen Fettgewebe im Bereich des Femurs und der Femurlänge eine verbesserte Sensitivität von >80 % bei guter Spezifität erreicht werden (Santolaya-Forgas et al. 1994).
Plazentainsuffizienz Nur in etwa 20% der Fälle mit Terminüberschreitung entwickelt sich eine chronische Plazentainsuffizienz mit Zeichen der Mangelversorgung und Hypoxie bis hin zur Asphyxie beim Fetus mit einer hohen perinatalen Morbidität und Mortalität (Vorherr 1975; Shime et al. 1986; Mannino 1988). Bei entsprechenden Verdachtszeichen ist daher die möglichst rasche Entbindung indiziert.. Bei Fehlen von Hinweisen auf eine beginnende Plazentainsuffizienz stellt sich für den Geburtshelfer die
37
810
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
Wahl zwischen den Optionen einer elektiven Geburtseinleitung und dem Warten auf einen spontanen Wehenbeginn bei engmaschiger Überwachung des Fetus. Hierfür werden bei risikoarmen Schwangerschaften ab 41 Wochen die Ultraschalluntersuchung in Kombination mit dem CTG eingesetzt (. Tab. 37.1; ACOG 2004; Leitlinie CTG der DGGG 2006).
Ultraschall Eine starke Verminderung der Fruchtwassermenge, die mit Hilfe der Ultraschalluntersuchung zuverlässig diagnostiziert werden kann, ist ein Hinweis auf eine Plazentarinsuffizienz. Die Messung basiert auf der Bestimmung des vertikalen Durchmessers des größten Fruchtwasserdepots mit einem unteren Grenzwert von 2–3 cm oder des Fruchtwasserindex als der Summe des maximalen Durchmessers der Depots in den 4 Quadranten (Phelan et al. 1985, 1987). Eine große prospektive Kohortenstudie mit 1584 Schwangeren mit 40 Wochen ergab, dass ein Fruchtwasserindex von weniger als 5 cm signifikant mit Geburtsasphyxie und Mekoniumaspiration assoziiert war, während dies für den Durchmesser des größten Fruchtwasserdepots von <2 cm nicht der Fall war (Morris et al. 2003). Der Beginn der Untersuchungen in Kombination mit dem Non-Stress-CTG wird ab 41 Wochen empfohlen (ACOG 2004). Eine rasche Abnahme der Fruchtwassermenge innerhalb von 24–48 h ist gut dokumentiert, sodass auch bei unauffälligem Ergebnis eine Wiederholung 2- bis 3-mal pro Woche angezeigt ist (Clement et al. 1987).
CTG
37
Das CTG wird nach der aktuellen Leitlinie ohne Zusatzindikationen erst ab 41+0 Schwangerschaftswochen empfohlen (Leitlinie CTG der DGGG 2006). Es lässt auf den aktuellen Zustand des Feten rückschließen und erfolgt ohne Wehenbelastung (Ruhe-CTG; Leitlinie CTG der DGGG 2006). Der aktuelle Zustand des Fetus kann mithilfe der folgenden CTGKriterien beurteilt werden: 4 basale Herzfrequenz, 4 Kurzzeitvariabilität der Basalfrequenz in Form von Oszillationen, 4 kurzfristige Beschleunigungen: Akzelerationen, 4 Abfall: Dezelerationen. Bei der Auswertung der CTG-Registrierung ohne Wehenbelastung (15–20 min) im Sinne eines Non-Stress-Tests (NST) wird zwischen einem reaktiven Muster, das durch 2 oder mehr Kindsbewegungen mit Akzelerationen der Herzfrequenz um ≥ 15 Schläge/min definiert ist, und einem nicht reaktiven Muster, bei dem während einer verlängerten Registrierdauer von 40 min die Kriterien des reaktiven Verhaltens nicht erfüllt sind, unterschieden. Bei falsch negativen Testresultaten wurden vermehrt variable Dezelerationen beschrieben (Miyazaki u. Miyazaki 1981). Diese sind häufig Ausdruck von vermindertem Fruchtwasser mit partieller Nabelschnurkompression und können somit ein Hinweis auf eine beginnende Plazentainsuffizienz sein. Sie bedürfen einer weiteren Abklärung mittels Ultraschall, und der Fetus muss engmaschig überwacht werden.
Oxytozinbelastungstest Der Oxytozinbelastungstest (OBT), bei dem ein CTG unter Wehenprovokation mittels Oxytozin durchgeführt wird, ist heute obsolet und sollte aufgrund der Nebenwirkungen, der hohen Rate falsch positiver Ergebnisse und wegen seines Aufwandes nicht mehr vorgenommen werden (Leitlinie CTG der DGGG 2006).
Studienbox Eine kombinierte Untersuchung des Fetus mit dem NST und der sonographischen Beurteilung der Fruchtwassermenge 2-mal wöchentlich ab 41 Wochen gilt als diagnostisch sehr zuverlässig (Eden et al. 1982). Bei einem Vergleich der computerisierten Analyse der fetalen Herzfrequenzvariationen mit Dopplerultraschall der Nabelschnurarterie und biophysikalischem Profil zur fetalen Zustandsbeurteilung bei Schwangerschaften nach 41 Wochen mit Wiederholung der Tests alle 2–4 Tage ergab die Herzfrequenzanalyse den besten Vorhersagewert für eine fetale Bedrohung während der Geburt oder eine Azidose im Nabelschnurarterienblut (Weiner et al. 1994).
Biophysikalisches Profil Das aus den Befunden der Sonographie und dem CTG ermittelte biophysikalische Profil nach Manning (Fruchtwassermenge, fetale Bewegungsaktivität, Atemexkursionen und CTG-Auswertung) erlaubt eine differenzierte Beurteilung des Zustands des Fetus (Manning et al. 1980). Die höchste diagnostische Zuverlässigkeit für die Erkennung von perinatalen Komplikationen bei Schwangerschaften von 41 Wochen fand sich bei Vergleich von Fruchtwasserindex, CTG, biophysikalischem Profil und Doppler für den Quotienten der Dopplerindizes der A. cerebri media und der Umbilikalarterie mit einem positiven und negativen Vorhersagewert von 80 bzw. 95% (Divine et al. 1994). In einer prospektiv randomisierten Vergleichsuntersuchung einer Standardüberwachung mittels CTG und Bestimmung des maximalen Fruchtwasserdepots mit dem modifizierten biophysikalischen Profil einschließlich computerisierter Analyse des CTG konnte bei unkomplizierten Schwangerschaften mit 42 Wochen kein Unterschied gezeigt werden (Alfirec u. Walkinshaw 1995). Es bestand ein Trend zu mehr falsch positiven Testresultaten mit einer höheren Anzahl geburtshilflicher Interventionen in der Gruppe mit dem modifizierten biophysikalischen Profil ohne Unterschied im Ergebnis in den beiden Gruppen. Auch die die jüngste Empfehlung des ACOG zur antepartalen Zustandsbeurteilung des Fetus bei Terminüberschreitung kommt zu dem Schluss, dass für keine der diversen neueren Methoden und Tests eine klare Überlegenheit gegenüber der herkömmlichen Kombination aus Ultraschallmessung der Fruchtwassermenge mit Non-Stress-CTG gezeigt werden konnte (ACOG 2004).
811 37.3 · Management: Geburtseinleitung oder Überwachung
Management: Geburtseinleitung oder Überwachung
37.3
Auch wenn die Terminüberschreitung als Folge eines Terminfehlers bei einer zeitgemäßen Schwangerenvorsorge weitgehend vermeidbar sein sollte, stellen sich für das optimale Management bei einer Schwangerschaftsdauer jenseits von 40 Wochen eine Reihe von ungelösten Fragen. Wenn bei 41 Wochen keine Anzeichen des bevorstehenden Geburtsbeginns erkennbar sind und es sich um eine unkomplizierte Schwangerschaft handelt, stellt sich für den Geburtshelfer die Wahl zwischen der Geburtseinleitung und dem Abwarten des spontanen Geburtsbeginns mit Überwachung des Fetus (. Abb. 37.2). Die Geburtseinleitung ist insbesondere bei unreifem Zervixbefund gemäß älteren Daten mit Risiken wie pathologischem Geburtsverlauf mit operativer Entbindung durch Sectio oder Forzeps bzw. Vakuum verbunden. Bei einer abwartenden Haltung sind die seltenen Fälle mit einer rasch einsetzenden Plazentainsuffizienz, im schlimmsten Fall verbunden mit intrauterinem Fruchttod, oder mit der Entwicklung einer Asphyxie während der Geburt nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Bleibt die plazentare Reservekapazität hingegen erhalten, resultiert eine weitere Gewichtszunahme des Fetus mit möglichen geburtsmechanischen Problemen (Schulterdystokie, zephalopelvines Missverhältnis).
37.3.1
Geburtseinleitung
Eine Schwangerschaftsbeendigung ab einem Gestationsalter von 37 Wochen ist generell indiziert bei: 4 Oligohydramnion, 4 pathologischem CTG, 4 suspektem biophysikalischem Profil.
. Abb. 37.2. Geburtseinleitung vs. Abwarten des spontanenen Geburtsbeginns mit Überwachung des Fetus
Bei Fehlen einer primären Indikation für eine Schnittentbindung ist eine Einleitung der Geburt angezeigt. Basierend auf einer Reihe von prospektiv randomisierten Studien muss heute auch bei problemlosen Schwangerschaften ab 41 Wochen die elektive Geburtseinleitung als Methode der Wahl diskutiert werden (Rand et al. 2000; ACOG 2004, RCOG 2008). Durch die verschiedenen Möglichkeiten einer effizienten Zervixreifung (. Tab. 37.2) als Vorbereitung einer Einleitung konnte die Rate der Versager, insbesondere bei einer unreifen Zervix, und die dadurch bedingte Sectiorate mit der Morbidität bei Mutter und Kind erheblich gesenkt werden. Das optimale Gestationsalter für eine Geburtseinleitung bei Schwangerschaften jenseits von 40 Wochen war lange Gegenstand einer Kontroverse. Bei einer abwartenden Haltung steigt die perinatale Sterblichkeit mit zunehmendem Schwangerschaftsalter. In einer umfangreichen Kohortenstudie von insgesamt 700.878 Geburten zwischen 37 und 43 Wochen
. Tab. 37.2. Geburtseinleitung: Zervixreifung
Methode
Präparate
Mechanisch: »Eipollösung«, Laminariastifte, Ballonkatheter
Nebenwirkungen
Kontraindikationen
Wochenbett-, neonatale Infektionen
Vorzeitiger Blasensprung
PGE2-Gel intrazervikal
Dinoproston Intrazervikalgel, 0,5 mg/2,5 ml, Wiederholung nach 6–8 h
Hyperstimulationa, Kosten
(Vorzeitiger Blasensprung), Zervix >50% verstrichen (Status nach Sectio)
PGE2-Gel intravaginal
Dinoproston Vaginalgel, Inititaldosis 1 mg gefolgt von 1–2 mg nach 6 h je nach Geburtsfortschritt, Wiederholung nach 24 h
Hyperstimulationa
(Status nach Sectio)
PGE2-Tablette intravaginal (als Pessar)
Dinoproston Vaginalinsert, 10 mg/0,3 mg/h, Liegezeit bis zu 24 h
Hyperstimulationa, Kosten
(Status nach Sectio)
PGE2-Tablette intravaginal
Dinoproston E2, 3 mg, Wiederholung nach 6–8 h, Maximaldosis 6 mg/24 h
Hyperstimulationa
(Status nach Sectio)
PGE1-Analog, Tablette, intravaginal
Misoprostol, 25–50 μg (1/4 Tablette), Wiederholung nach 4 h
Hyperstimulationa
Status nach Sectio, Cave: forensisches Risiko (»off-label use«)
a
Am stärksten nach Misoprostoltabletten.
37
812
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
wurde gezeigt, dass das geschätzte kumulative Risiko eines perinatalen Kindstodes als Summe aus den intrauterinen, intrapartalen sowie neonatalen Todesfällen bei 38 SSW am niedrigsten ist (1,8 pro 1000). Danach steigt das kombinierte Mortalitätsrisiko kontinuierlich an (41 SSW 3,8/1000; 42 SSW 5,4/1000; 43 SSW 9,3/1000; Smith 2001). Die konventionell ermittelte perinatale Mortalität (ohne Berücksichtigung des
intrauterinen Risikos bezogen nur auf fortgesetzte Schwangerschaften) zeigte in diesem Kollektiv bei 41 Wochen den tiefsten Wert. Ab 283 Tagen (40 Wochen + 3 Tage) ist die Rate der fetalen Todesfälle signifikant höher als die Todesfälle in der Neonatalperiode (Divon et al. 2004). Auf diesen Daten basiert die Empfehlung von 41 Wochen als genereller Zeitpunkt für die elektive Einleitung bei Terminüberschreitungen.
Studienbox
37
Die beiden wichtigsten prospektiv randomisierten Studien zum Vergleich der elektiven Geburtseinleitung ab 41 Wochen und dem Warten auf einen spontanen Wehenbeginn mit engmaschiger Überwachung des Fetus haben keinen Unterschied bezüglich des Zustandes des Neugeborenen ergeben (Hannah et al. 1992; NICHD-Trial 1994). In der kanadischen Studie war die Sectiorate in der überwachten Gruppe signifikant höher als in der Vergleichsgruppe mit Geburtseinleitung (24,5% vs. 21,2%). Dieser Unterschied war v. a. durch Sectioentbindungen aufgrund von fetalem Distress bedingt. Die routinemäßige Einleitung war ferner mit weniger Kosten verbunden (Goeree et al. 1995). Die NICHD-Studie ist zahlenmäßig deutlich kleiner als die kanadische Studie. Auch hier ergab sich für die wichtigsten Komplikationen der Perinatalphase kein Unterschied zwischen der Einleitungs- und der Überwachungsgruppe. Obwohl wie auch in der kanadischen Studie bezüglich Ausgang für das Kind kein Unterschied festgestellt werden konnte, empfehlen die Autoren ab 41 SSW das aktive Vorgehen mit Geburtseinleitung. Neue Metaanalysen zeigen, dass sich mit einer generellen Einleitung ab 41+0 Wochen die perinatale Mortalität sowie auch das Risiko für ein Mekoniumaspirationssyndrom signifikant verringert, ohne dass damit eine Zunahme der Sectiorate verbunden ist (Gülmezoglu et al. 2006). Eine Metaanalyse zeigt sogar eine signifikante Verminderung der
Es bestehen aber gewichtige Gründe, allen Schwangeren die Einleitung möglichst bald ab 41+0 SSW zu empfehlen (SGGG 2002, ACOG 2004; RCOG 2008; DGGG 2010). Dabei sollte im Interesse einer informierten Entscheidungsfindung die signifikante Verminderung der perinatalen Mortalität sowie der neonatalen Morbidität bei wahrscheinlich erniedrigtem Risiko für eine mütterliche Sectio Eingang in die Beratung finden. Bei der Aufklärung ist allerdings zu beachten, dass die Risikoerhöhung hinsichtlich perinataler Mortalität bei abwartendem Verhalten nach 41 Schwangerschaftswochen zwar signifikant ist, sich die absoluten Zahlen aber immer noch in einem sehr niedrigen Bereich bewegen. Allerdings ist die Meinung, dass der Einleitung mit 41 SSW gegenüber der abwartenden Haltung generell der Vorzug zu geben ist, nicht völlig unbestritten (Alexander et al. 2000; Menticoglou u. Hall 2002). Das Mitspracherecht der werdenden Eltern erhöht die Akzeptanz der geplanten Maßnahmen als wichtige Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit zwischen Arzt und Eltern.
Sectiorate bei Routineeinleitung mit 41+0 SSW (Sanchez-Ramos 2003). Bei Erstgebärenden steigt die Sectiorate auch bei spontanem Geburtsbeginn mit zunehmendem Gestationsalter zwischen 39 und >42 SSW kontinuierlich an, was nicht durch die Zunahme des Geburtsgewichts erklärt ist (Boyd et al. 1988; Saunders u. Patterson 1991). In einer retrospektiven Kohortenstudie finden sich aktuelle Daten zur mütterlichen Morbidität bei Entbindungen nach 37 Schwangerschaftswochen (Caughey et al. 2007). Bei 119.254 Terminschwangerschaften eines risikoarmen und demographisch unauffälligen Untersuchungskollektivs (Sectiorate 13,8%, vaginaloperative Entbindungsrate 9,3%, Erstgebärende 42,3%) wurde die mütterliche Morbidität in Relation zum Geburtszeitpunkt untersucht. Bereits ab 40 Schwangerschaftswochen war im Vergleich mit 39 Wochen die Zahl der vaginaloperativen Entbindungen, von Dammrissen III. und IV. Grades sowie Chorioamnionitis signifikant erhöht. Ab 41 Wochen war auch der Anstieg der primären Sectiones sowohl bei auffälligem CTG als auch bei zephalopelvinem Missverhältnis, von postpartalen Blutungen und Endometritis signifikant. Diese Daten sowie die Ergebnisse der bereits erwähnten Untersuchung von Smith et al. aus dem Jahr 2001 zur perinatalen Mortalität dürfen jedoch nicht dahingehend interpretiert werden, dass bei allen Schwangerschaften jenseits von 40 Wochen die Einleitung der Geburt empfohlen werden sollte.
Die Präferenz zwischen aktivem Vorgehen mit Einleitung der Geburt und einer abwartenden Haltung ist individuell sehr unterschiedlich. Der Bevorzugung von natürlichen Abläufen im Zusammenhang mit dem Geburtsgeschehen und der – nach Studienlage allerdings nicht mehr begründbaren – Furcht vor operativen Entbindungen als Folge einer Einleitung stehen Ängste vor Gefahren für den Fetus bei plötzlich einsetzender Plazentainsuffizienz gegenüber. Bei einem reifen Zervixbefund ist der Erfolg einer Geburtseinleitung viel größer, und die Entscheidung für diese Option fällt generell leichter. Es ist sicher nicht einfach, die komplexen Zusammenhänge und die Relevanz der statistischen Daten der Schwangeren bzw. dem betroffenen Paar verständlich zu machen. Sollten sich die Betroffenen mit der Entscheidung schwer tun, dann muss ebenso deutlich gemacht werden, dass auch bei Verzicht auf eine Einleitung bei 41 Wochen das Risiko der perinatalen Mortalität und Morbidität sehr niedrig ist, wenn der Fetus systematisch überwacht wird und keine zusätzlichen mütterlichen oder fetalen Risiken – wie etwa Gesta-
813 37.3 · Management: Geburtseinleitung oder Überwachung
tionsdiabetes, Hypertonie oder Verdacht auf Wachstumsrestriktion – vorliegen. ! Bei Verdacht auf Makrosomie wird die frühe prophylaktische Geburtseinleitung zur Vermeidung von Komplikationen wie insbesondere eine Schulterdystokie nicht empfohlen (Sanchez-Ramos et al. 2002)!
Auf die Fehlerquote der Ultraschalldiagnostik bei fetaler Makrosomie wurde bereits hingewiesen. Ferner beeinflusst die Verdachtsdiagnose Makrosomie die Geburtsleitung ungünstig.
Studienbox Bei falsch positiver Ultraschalldiagnose einer Makrosomie besteht eine erhöhte Tendenz zur Sectio, verglichen mit einer Kontrollgruppe mit vergleichbarem tatsächlichem Gewicht, aber ohne Verdacht auf Makrosomie (Levine et al. 1992). Die Ultraschallbiometrie liefert somit für das Management der verlängerten Schwangerschaft keinen nützlichen Beitrag, da auch die Schätzung eines Gewichts von ≥ 4500 g wegen einer hohen Falsch-positiv-Rate nicht für sich allein als Indikation für eine primäre Sectio gelten kann (O’Reily-Green 1996).
Auf die verschiedenen mechanischen und medikamentösen Methoden zur Geburtseinleitung wurde in 7 Kap. 35.3 ausführlich eingegangen. In . Tab. 37.2 sind die Methoden für die Zervixreifung zusammenfassend dargestellt.
Auf den möglichen Nutzen einer Lösung des unteren Eipols als wenig belastende Maßnahme sei hier nur kurz hingewiesen. In mehreren prospektiv randomisierten Untersuchungen hat sich die Methode zur Einleitung oder zur Erleichterung der Einleitung bei Fällen mit Terminüberschreitung bewährt (Grant 1993). So kam es nach einer Lösung des Eipols um 360° bei fingerdurchgängiger Zervixöffnung nach 40 SSW in 2/3 der Fälle innerhalb von 3 Tagen zum spontanen Wehenbeginn, während in der Kontrollgruppe nur in 1/3 der Fälle spontane Wehen auftraten (Allott u. Palmer 1993). Auch die Kombination von Eipollösung mit ambulanter intravaginaler Verabreichung von Prostaglandin-E2-Gel bei Schwangerschaften von 41 Wochen wurde als sicher und effektiv mit deutlicher Verkürzung des Intervalls bis zur Geburt beschrieben (Doany 1996).
37.3.2
Überwachung des Fetus
Bei einer Entscheidung für eine abwartende Haltung, die nur bei Fehlen von Zusatzpathologie sowie Zeichen einer beginnenden Plazentainsuffizienz zulässig ist, muss der Fetus sorgfältig überwacht werden. Die verschiedenen Methoden wurden bereits ausführlich in 7 Kap. 37.2.2 beschrieben und vergleichend einander gegenübergestellt. Zum Ausschluss einer Wachstumsrestriktion sollte eine Ultraschallbiometrie vorliegen, die nicht älter als 4 Wochen ist. Für den Fall, dass keine Einleitung erfolgt, soll ab 41+0 SSW die Überwachung des Fetus mit dem CTG kombiniert mit der Ultraschallkontrolle der Fruchtwassermenge alle 2–3 Tage erfolgen. Gemäß Leitlinie der DGGG (2010) wird bereits ab
. Tab. 37.3. Maßnahmenplan bei verlängerter Schwangerschaftsdauer
Parameter Dauer der Terminüberschreitung
Ab vorrausichtlichem Geburtstermin +0 Tage = 40 Wochen: 5 Überprüfung des Geburtstermins mit Revision der anamnestischen Daten und Befunde aus der Frühschwangerschaft 5 Ultraschallbiometrie zum Ausschluss einer Wachstumsrestriktion, falls nicht aktuell (<4 Wochen) 5 Ultraschallmessung des vertikalen Durchmessers des maximalen Fruchtwasserdepots oder AFI 2-mal pro Woche (gemäß Leitlinie der DGGG 2010)
Ab vorrausichtlichem Geburtstermin +7 Tage = 41 Wochen: 5 Empfehlung der Einleitung ab 41 SSW 5 Indikation zur Einleitung ab 42 SSW 5 Alternative: Ultraschallmessung des vertikalen Durchmessers des maximalen Fruchtwasserdepots
Fruchtwassermenge
Vermindert
Normal (>2 cm)
→ Einleitung:
→ Überwachung:
Bei unreifer Zervix: 5 Prostaglandin-Priming 5 Eipollösung
US+NST 2- bis 3-mal pro Woche Wenn FW vermindert (<2 cm): 5 Einleitung (bei unreifer Zervix 7 »Fruchtwasser vermindert«)
Bei NST suspekt oder pathologisch und unreifer Zervix: 5 Primäre Sectio
Bei NST suspekt oder pathologisch und unreifer Zervix 5 Primäre Sectio
Abkürzungen: NST=Non-Stress-Test, US=Ultraschall; AFI (»amniotic fluid index«)=Summe der vertikalen FW-Depots in 4 Quadranten.
37
814
Kapitel 37 · Terminüberschreitung
40 Schwangerschaftswochen in 3-tägigen Abständen die Bestimmung der Fruchtwassermenge empfohlen. Da für aufwendige Überwachungsprogramme mit Zusatzuntersuchungen wie Wehenbelastungstest, biophysikalisches Profil, Dopplersonographie u. a. keine klare Überlegenheit gezeigt werden konnte, wird eine 2-mal pro Woche durchzuführende Untersuchung mittels CTG in Kombination mit der Bestimmung der Fruchtwassermenge als adäquat angesehen (. Tab. 37.3; ACOG 2004, RCOG 2008). Bei reifer Zervix sollte die Geburtseinleitung favorisiert werden. Zu der Frage, wieweit eine zusätzliche Überwachung in 3-tägigen Abständen tatsächlich bereits ab 40+0 Wochen gerechtfertigt ist oder ob der gleiche Effekt auch mit einem Beginn ab 41+0 Wochen erreicht werden kann, gibt es keine schlüssigen Daten. Angesichts der psychischen Belastung der Schwangeren, bei der sich spätestens nach Erreichen des Geburtstermins eine zunehmend größer werdende Erwartung aufgebaut hat, ist es nicht belanglos, ob die zusätzlichen Untersuchungen bereits ab 40 oder erst ab 41 Wochen beginnen.
37.3.3
Spezielle Maßnahmen bei der Geburt
Bei einer verlängerten Schwangerschaft werden in der Literatur für das Geburtsmanagement verschiedene zusätzliche Maßnahmen sowohl bei Einleitung als auch bei spontanem Wehenbeginn empfohlen: 4 kontinuierliche CTG-Überwachung mit Beginn in der frühen Eröffnungsphase, 4 großzügige Indikation für Fetalblutgasanalyse (FBA), 4 großzügige Sectioindikation, 4 Amnioninfusion, 4 Absaugen des kindlichen Nasen-Rachen-Raums nach Austritt des Kopfes bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser.
37
Besonders bei Verdacht auf eine Plazentainsuffizienz mit vermindertem oder mekoniumhaltigem Fruchtwasser oder bei suspekten oder pathologischen Überwachungstests ist wegen der deutlich verminderten Toleranz des Fetus gegenüber dem Wehenstress die rasche Geburtsbeendigung in der Regel durch eine Sectio angezeigt. Auf Zusatzuntersuchungen wie die FBA sollte in der Regel wegen des Zeitverlustes verzichtet werden, da die zu erwartenden Ergebnisse für das weitere Vorgehen kaum relevant sind. Die Beschreibung einer plötzlichen Verschlechterung des fetalen Zustands mit intrapartalem oder neonatalem Tod, ohne vorausgegangene typische CTG-Veränderungen wie persistierende späte Dezelerationen, Tachykardie und Verlust von Oszillationen, ist besonders beunruhigend (Cibils u. Votta 1993). Zu beachten ist, dass der Nachweis von Akzelerationen im CTG als günstiges prognostisches Kriterium deutlich zuverlässiger ist als das Fehlen von späten Dezelerationen. > Inwieweit das fetale EKG als Ergänzung zum CTG (STAN; 7 Kap. 33.5) eine verbesserte Diagnostik der intrapartalen Bedrohung des Fetus bei der Übertragung ermöglicht, kann aufgrund der vorliegenden Daten bislang nicht gesagt werden.
Die transzervikale Infusion von physiologischer Kochsalzlösung wurde bei Oligohydramnion als therapeutische Intervention nach Auftreten von variablen Dezelerationen sowie als Prophylaxe einer Mekoniumaspiration beschrieben. Als Akutmaßnahme zur Behebung von schweren variablen Dezelerationen erscheint der Nutzen dieses Vorgehens fraglich. Auch hier scheint die rasche Geburtsbeendigung vaginaloperativ oder durch eine Sectio sehr viel sinnvoller.
Studienbox Allerdings konnte in einer prospektiv randomisierten Untersuchung von 170 Terminfällen wie auch von Terminüberschreitungen mit Oligohydramnion und Mekonium durch den Einsatz der Amnioninfusion sowohl die Häufigkeit von fetalem Distress, die Anzahl von Sectiones aufgrund von fetalem Distress wie auch wegen Mekoniumaspiration deutlich gesenkt werden (Macri et al. 1992).
Die Empfehlungen zum Absaugen beim Neugeborenen bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser sind nicht einheitlich. Ein rasches Absaugen des Nasen-Rachen-Raums nach Austritt des Kopfes sollte generell durchgeführt werden. Die Darstellung des Larynx und das intratracheale Absaugen nach Entwicklung und Abnabelung des Kindes wird v. a. bei dickem Mekonium, insbesondere bei Zeichen einer Asphyxie gefordert (Committee on Neonatal Ventilation-Meconium-Chest Compressions 1992).
37.4
Prävention
Zur Vermeidung der Schwangerschaftsverlängerung mit ihren möglichen Risiken wurde eine Zeitlang die generelle Geburtseinleitung am rechnerischen Termin oder kurz danach gefordert. Diese klinische Praxis wurde in verschiedenen prospektiv randomisierten Studien geprüft; es liegt eine Metaanalyse von insgesamt 8 Studien vor, die in den Jahren 1975–1989 durchgeführt wurden (Cochrane Database 1995).
Studienbox Nach prospektiver Randomisierung wurde die routinemäßige Geburtseinleitung zwischen 39 und 41 SSW mit entsprechenden Kontrollkollektiven verglichen mit der Frage, ob sich durch die routinemäßige Einleitung die perinatale Mortalität und Morbidität günstig beeinflussen lassen. In der Metaanalyse konnte kein Unterschied in der Häufigkeit von pathologischen Herzfrequenzmustern, eines erniedrigten Apgar-Scores oder eines Neugeborenenikterus gezeigt werden. Die routinemäßige Einleitung führte geringfügig seltener zu einer Mekoniumverfärbung des Fruchtwassers. Dafür war die Häufigkeit operativer Entbindungen leicht erhöht. Für die Beurteilung eines Einflusses auf die Perinatalsterblichkeit waren die
6
815 Literatur
Zahlen der Metaanalyse nicht ausreichend. Die Verweigerung einer Teilnahme nach erfolgter Randomisierung war im Einleitungskollektiv erheblich höher als in der Gruppe mit abwartender Betreuung.
Aus dieser Metaanalyse kann geschlossen werden, dass eine routinemäßige Einleitung bei 39 oder 40 Wochen i. d. R. eine schlechte Akzeptanz und keinen erkennbaren Nutzeffekt hat und somit nicht zu empfehlen ist. Auch die Möglichkeit einer Prävention von Schwangerschaftsverlängerungen durch eine regelmäßige wöchentliche Lösung des Eipols beginnend mit 38 Wochen wurde in einer prospektiv randomisierten Studie geprüft (Berghella et al. 1996). Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, in der lediglich eine wöchentliche Untersuchung der Zervix vorgenommen wurde, konnte durch Eipollösung die Anzahl der verlängerten Schwangerschaften reduziert werden. Nachteilige Folgen der wiederholten Eipollösung ließen sich nicht feststellen. Eine Metaanalyse zeigte, dass durch die Eipollösung ein Teil der Einleitungen mit zusätzlichen Maßnahmen vermieden werden konnte (Boulvain et al. 2005). Dies kann bei Schwangeren mit bestimmten Risiken von Nutzen sein. Eine Routineanwendung bei allen Schwangeren nach Überschreiten des voraussichtlichen Geburtstermins wird v. a. wegen der damit verbundenen Schmerzen nicht empfohlen.
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37
38 38 Pathologische Geburt G. Drack, H. Schneider 38.1
Allgemeine Grundlagen – 821
38.2
Abnorme Dauer der Geburt – 821
38.2.1 38.2.2
Protrahierte Geburt – 821 Überschnelle Geburt – 824
38.3
Wehendystokie (ineffiziente Wehentätigkeit) – 825
38.3.1 38.3.2 38.3.3 38.3.4 38.3.5
Allgemeine Grundlagen – 825 Ätiologie, Pathophysiologie, Pathogenese – 826 Evaluation – 826 Klinisches Management/Therapie der ineffizienten Wehentätigkeit – 827 Prävention – 831
38.4
Dystokie durch Organpathologie der Geburtswege – 831
38.4.1 38.4.2
Uterus – 831 Weichteile des Geburtsweges – 832
38.5
Kopf-Becken-Missverhältnis – 833
38.5.1 38.5.2 38.5.3 38.5.4 38.5.5
Allgemeine Grundlagen – 833 Beckenanomalie als Hauptfaktor eines Kopf-BeckenMissverhältnisses – 834 Epidemiologie – 838 Klinische Beurteilung – 838 Dystokien durch Fehlbildungen des Kindes – 839
38.6
Pelvimetrie – 840
38.6.1 38.6.2 38.6.3 38.6.4 38.6.5
Aktuelle Praxis – 840 Technische Aspekte – 840 Risiken – 840 Pelvimetrische Maße – 841 Fetopelviner Index – 841
38.7
Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien – 844
38.7.1 38.7.2 38.7.3 38.7.4 38.7.5 38.7.6 38.7.7
Terminologie – 844 Inzidenz – 845 Ursachen der okzipitoposterioren Einstellung – 846 Einteilung – 846 Bedeutung für Mutter und Kind – 847 Geburtsverlauf – 848 Abschließende Betrachtungen – 852
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
38.8
Nabelschnurvorfall und Vorfall kleiner Teile – 853
38.8.1 38.8.2 38.8.3 38.8.4 38.8.5 38.8.6 38.8.7 38.8.8 38.8.9
Terminologie – 853 Häufigkeit – 853 Risikofaktoren – 854 Pathogenese – 854 Risiken für das Kind – 854 Diagnosestellung – 854 Behandlung – 854 Prävention – 855 Vorliegen und Vorfallen kleiner Teile – 856
38.9
Geburtsleitung bei Status nach Sectio – 856
38.9.1 38.9.2 38.9.3 38.9.4 38.9.5 38.9.6
Terminologie – 856 Problemstellung – 857 Bedeutung für Mutter und Kind – 857 Risikobeurteilung – 859 Geburtsverlauf und Geburtsleitung – 861 Beratung und vorgeburtliche Entscheidungsfindung – 862
Literatur – 864
821 38.2 · Abnorme Dauer der Geburt
38.1
Allgemeine Grundlagen
Prophylaxe, Diagnose und Therapie von Störungen des Geburtsablaufes gehören zu den zentralen geburtsmedizinischen Aufgaben. Das vorliegende Kapitel ist nach pathogenetischen wie auch praktisch wichtigen Problemstellungen gegliedert. In dieser Gliederung spiegelt sich die herkömmliche Gruppierung von Störungen des Geburtsablaufes nach den Faktoren Wehen, Kind und Geburtsweg (power«, »passenger«, »passage«). Die Interdependenz dieser drei Faktoren ist groß.
Dystokie Dystokie ist ein anderer Begriff für pathologische Geburt. Dystokie umfasst der ursprünglichen Bedeutung nach alle Störungen einer Geburt (gr. τοκος=das Gebären). Gelegentlich wird in der Fachliteratur mit Dystokie eine Störung des Geburtsablaufes als Folge einer ineffizienten Wehentätigkeit bezeichnet. Im vorliegenden Kapitel wird der Terminus Dystokie im ursprünglichen Sinne als gestörter Geburtsablauf ohne Bezug zu einer spezifischen Ursache gebraucht; kausal zugeordnete Störungen werden entsprechend präzisiert, z. B. Wehendystokie, Zervixdystokie, Weichteildystokie.
Hinter einer Ineffizienz der Wehen steht eine Vielzahl möglicher Ursachen. Dies ist beispielhaft für die Interdependenz potenzieller Störfaktoren einer Geburt. Ineffiziente Wehen führen sehr häufig zu protrahierten Geburtsverläufen. Diesen kommt, unabhängig von der primären Ursache, eine so hohe Bedeutung im Hinblick auf die mütterliche und kindliche Morbidität zu, dass darauf gesondert eingegangen wird (7 Kap. 38.2.1). Für didaktische, aber kaum je für klinische Zwecke finden sich gelegentlich ältere Begriffe, deren Definition hier dem modernen Verständnis der Geburtsleitung angepasst wird: Als »atypisch« wird eine Geburt bezeichnet, die »regelwidrig« abläuft und ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Mutter oder Kind birgt, bei der aber dennoch eine annehmbare Chance für eine komplikationslose Spontangeburt besteht. Als »pathologisch« wird eine Geburt bezeichnet, bei der die Abweichungen von der Norm Mutter und Kind erheblich gefährden und somit die Notwendigkeit operativer Interventionen absehbar ist.
38.2
38.2.1
Protrahierte Geburt
Protrahierte Geburt Es besteht keine allgemein anerkannte Definition der protrahierten Geburt oder der Dauer der einzelnen Geburtsabschnitte. Die in der Literatur beschriebenen Grenzwerte für die normale Geburtsdauer variieren erheblich.
Bei Angaben zur Geburtsdauer ist zu beachten, worauf sich die jeweiligen Werte beziehen und wie sie ermittelt wurden: Kriterium für den Geburtsbeginn, Einbezug oder Ausschluss der Latenzphase, Beschreibung des Beobachtungskollektivs. Des Weiteren ist zu beachten, ob es sich bei »Normwerten« um statistisch ermittelte Normwerte oder um klinische Richtwerte im Hinblick auf ein Behandlungskonzept handelt. Angaben zur Dauer der Geburt und deren einzelnen Phasen finden sich in 7 Kap. 31.1.1 (»Geburtsstadien«), ebenso wie deren graphische Darstellung im sog. Partogramm (. Abb. 31.6). Eine Zusammenfassung gerundeter Werte als obere Limits für die Praxis gibt . Tab. 38.1 wieder. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Limits für Erstund Mehrgebärende ist nicht nur aus statistischen Gründen gerechtfertigt. Erfahrungsgemäß stehen hinter einem protrahierten Geburtsverlauf bei Mehrgebärenden potenziell risikoträchtige Faktoren wie Fehleinstellungen des kindlichen Kopfes mit oder ohne sekundäre Wehenschwäche, während
Abnorme Dauer der Geburt
Die Angaben in der Literatur zur normalen Dauer der Geburt und ihrer einzelnen Perioden sind wegen der Schwierigkeiten der Definition und der Erfassung des Geburtsbeginns, des Übergangs von der Latenz- zur Aktivphase und des Beginns der Austreibungsperiode widersprüchlich. Die Werte der Gesamtdauer wie auch der Einzelperioden zeigen keine Normalverteilung, und die Mittelwerte betragen weit weniger als die Hälfte der oberen Norm. Für die geburtshilfliche Praxis werden anstelle statistischer Normwerte besser gerundete Richtwerte als obere Limits ver-
6
wendet: bei der Erstgebärenden für die gesamte Geburt maximal 24 h, für die Eröffnungsperiode maximal 15 h, für die Austreibungsperiode maximal 2 h; bei der Mehrgebärenden für die gesamte Geburt maximal 18 h, für die Eröffnungsperiode maximal 10 h, für die Austreibungsperiode maximal 1 h. Als überschnell oder zu kurz wird eine Geburt mit Dauer von weniger als 3 h bezeichnet. Protrahierte und überschnelle Geburten sind mit erhöhter Morbidität von Mutter und Kind belastet. Die Ursachen der protrahierten Geburt sind multifaktoriell und gehen fast ausnahmslos mit einer primären oder sekundären Wehenschwäche (Wehendystokie) einher. Mehr als früher üblich sind in der modernen Geburtshilfe stark protrahierte Geburtsverläufe als Indikationen zur Sectioentbindung zu erwägen.
. Tab. 38.1. Zeitlimits als Richtwerte für die geburtshilfliche Tätigkeit; gerundete Zeitangaben
Erstgebärende
Mehrgebärende
Gesamtgeburtsdauer
24 h
18 h
Eröffnungsperiode (ohne Latenzphase)
15 h
10 h
Austreibungsperiode
2h
1h
38
822
38
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
bei der Erstgebärenden häufiger eine Wehenschwäche anzutreffen ist. So besitzt die eingehende Beschreibung von zeitlichen Normwerten eine praktisch sehr relevante Seite: Die Überschreitung zeitlicher Normen soll Anlass zu einer Analyse der Geburtssituation geben; sie dient dagegen nicht a priori der Indikationsstellung irgendwelcher Interventionen. Die Unterteilung der Eröffnungsperiode in Latenz- und Aktivphase wurde von Friedman erstmals 1954 beschrieben (. Abb. 31.6; Friedman 1978). Von Friedman wurden 20 h für die Erstgebärende und 14 h für die Mehrgebärende als obere Zeitlimits (MW+2 SD) der Latenzphase angegeben. Sie haben wegen ihrer schwierigen Erfassbarkeit in der praktischen Geburtshilfe eine untergeordnete Bedeutung. Dennoch ist ein auffällig langer Verlauf als Indikator einer möglichen Wehendystokie (primäre Wehenschwäche) mit insgesamt protrahiertem Verlauf zu interpretieren. Der Beginn der Aktivphase wird uneinheitlich definiert. Man findet Formulierungen wie »Zeitpunkt des Beginns der maximalen Steigung der Zervixdilatation« oder »Zeitpunkt des Erreichens einer Muttermundsweite von 4 cm«. Letztere wird oft gebraucht, doch entspricht Erstere besser der Vorstellung von Friedman. Die Angaben zur zeitlichen Norm der Austreibungsperiode variieren ebenfalls, wenn auch weniger ausgeprägt (7 Kap. 31.1). Bei verlängerter Austreibungsperiode sind die Raten vaginaloperativer Entbindungen und Sectiones sowie auch die maternale Morbidität signifikant erhöht (Janni et al. 2002; Cheng et al. 2004, 2007). Aus diesen Assoziationen allein lassen sich jedoch noch keine therapeutischen Empfehlungen ableiten. Nicht verschlechtert ist laut mehreren Studien das neonatale Outcome, zumindest nicht bei unauffälligem fetalem Monitor. Die Indikationsstellung zur Geburtsbeendigung leitet sich deshalb nicht mehr von der Zeit allein, z. B. einem Limit von 2 h, sondern in erster Linie vom Zustand des Fetus und der Mutter ab. Dennoch sollten die Ursachen der abnorm langen Dauer evaluiert werden, wenn die Limits von 2 h bzw. 1 h überschritten sind. Hinweise auf eine erhöhte Gefährdung des Kindes bei einer protrahierten Austreibungsperiode mehrgebärender Frauen verlangen bei diesen Geburten eine besondere Aufmerksamkeit (Cheng et al. 2007). Unbestritten ist die Bedeutung des zeitlichen Faktors für den zweiten Teil der Austreibungsperiode, die Pressphase. > Die Kenntnisse um den engen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Presswehen und der Azidämie des Kindes hat zu weithin anerkannten oberen zeitlichen Begrenzungen der Pressphase geführt: 30 min, entsprechend maximal etwa 12 Presswehen. Diese Werte gelten für die Erstgebärende. Bei der Mehrgebärenden sollte eine gut geleitete Pressphase nicht mehr als 20 min dauern bzw. maximal etwa 8 Presswehen umfassen.
Diese oberen Limits der Pressphase sind nicht als statistische Normwerte definiert, sondern aufgrund klinischer und blutgasanalytischer Befunde bei den Neugeborenen einerseits und empirischer Werte andererseits formuliert worden (Fischer 1981b).
Geburtsstillstand Geburtsstillstand Von einem Geburtsstillstand kann erst gesprochen werden, wenn die Aktivphase der Geburt begonnen hat. Geburtsstillstand ist definiert als das Fehlen eines Geburtsfortschrittes während eines definierten Zeitraums. Kriterien für den Fortschritt sind in der Eröffnungsperiode die Weite des Muttermundes und der Höhenstand des vorangehenden Teils des Kindes, in der Austreibungsperiode definitionsgemäß allein der Höhenstand des vorangehenden Teils des Kindes. Als Geburtsstillstand wird, unabhängig von der Parität, das Fehlen eines Geburtsfortschritts während 2 h in der Eröffnungsperiode und 1 h während der Austreibungsperiode bezeichnet (. Tab. 38.2).
Für die Diagnose Geburtsstillstand in der Eröffnungsperiode haben folgende 6 Kriterien erfüllt zu sein: 4 4 4 4 4
ehlende Erweiterung des Muttermundes, fehlender Deszensus des vorangehenden Teils, Aktivphase erreicht, gute oder bestmöglich stimulierte Wehen, offene Fruchtblase (gesprungen oder nach Möglichkeit eröffnet), 4 Dauer von mindestens 2 h. Ein Geburtsstillstand liegt erst dann vor, wenn die allgemein anerkannten geburtsunterstützenden Maßnahmen wie Analgesie, Anregung der Wehen (oder auch Einschalten einer therapeutischen Pause), Eröffnung der Fruchtblase und Lagerungswechsel (inkl. Herumgehen) ausgeschöpft wurden. Solange diese Kriterien nicht erfüllt sind, sollte lediglich von protrahiertem Geburtsverlauf oder von fehlendem Geburtsfortschritt gesprochen werden. In der angelsächsischen Literatur wird diese Problematik unter »arrest disorders« gruppiert. Die strenge Definition des Geburtsstillstandes wird dem Umstand gerecht, dass das Fehlen eines Geburtsfort-
. Tab. 38.2. Kriterien der protrahierten Geburt. (Nach ACOG 1995)
Geburtsfortschritt
Erstgebärende
Mehrgebärende
Protrahierter Verlauf
Eröffnungsperiode (Dilatation)
<1,2 cm/h
<1,5 cm/h
Austreibungsperiode (Deszensus)
<1,0 cm/h
<2,0 cm/h
Eröffnungsperiode
>2 h
>2 h
Austreibungsperiode
>1 h
>1 h
Geburtsstillstand
823 38.2 · Abnorme Dauer der Geburt
. Abb. 38.1. Partogrammschema mit Vergleich eines normalen mit abnormen Geburtsverläufen
schrittes auch ein vorübergehendes Phänomen bei Ermüdung der Mutter sein kann und dass sich nach einer Erholungsphase spontan wieder ein Geburtsfortschritt einstellen kann. Jede Form von protrahiertem Verlauf sollte früh erfasst und in ihrer Bedeutung evaluiert werden. Das Zeitlimit für den Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode liegt bei 1 h (. Tab. 38.2), und Kriterium dafür ist das Fehlen eines Deszensus des vorangehenden Teils. Von einem Geburtsstillstand sollte auch in der Austreibungsperiode erst nach Ausschöpfung der vorstehend erwähnten nichtoperativen Therapieoptionen gesprochen werden.
Einteilung der Störungen des Geburtsablaufs Es wird zwischen primär vorhandenen und sekundär eintretenden Störungen unterschieden. Primäre Störungen stellen eine diagnostische Herausforderung bezüglich des Geburtsbeginns dar und sind oft nur unsicher von lang anhaltenden Vorwehen abzugrenzen (»false labor« oder »slow starter«). Sekundäre Störungen können alle Phasen der Geburt betreffen (. Abb. 38.1).
Häufigkeit der protrahierten Geburt Angaben zur Häufigkeit der protrahierten Geburt schwanken entsprechend den verwendeten klinischen und biostatistischen Kriterien. Meistens werden in der Literatur 5–7% angegeben. Die Häufigkeit eines »protrahierten Geburtsverlaufs« als Indikation für eine operative Intervention ist davon abzugrenzen. Sie weist wegen einer stärkeren Gewichtung mütterlicher Belastungsmomente eine zunehmende Tendenz auf.
4 uterine Dystokie, 5 Wehendystokie, 5 Zervixdystokie, 5 Sakkulation, 4 Weichteildystokie, 4 Kopf-Becken-Missverhältnis aufgrund abnorm verengter Beckenmaße, 4 Kopf-Becken-Missverhältnis aufgrund von Einstellungsanomalien oder hohem Geburtsgewicht (belegt für Gewichte ab 4000 g). Oft spielen mehrere Faktoren gleichzeitig eine Rolle. Auf diese Faktoren wird in den 7 Kap. 38.3–38.7 eingegangen.
Bedeutung für die perinatale Mortalität und Morbidität Die Dauer der Geburt korreliert beim Kind mit einem fortschreitenden Abfall von pH und pO2 und einem Anstieg des pCO2. Pathologische pH- und pO2-Werte bedeuten aber noch nicht Hypoxie oder Azidose als Ausdruck einer ungenügenden Sauerstoffversorgung des Gewebes mit nachfolgender anaerober Glykolyse. Eine hypoxische Gewebeschädigung ist i. d. R. nicht eine Folge der protrahierten Geburtsdauer per se oder der Art der Geburtsbeendigung. > Prognostisch gravierende Hypoxien treten vielmehr nach akuten Notfallsituationen wie anhaltender Kompression der Nabelschnur, vorzeitiger Lösung der Plazenta, Uterusruptur oder Fruchtwasserembolie auf (Schneider u. Beller 1997).
Ätiologie, Pathophysiologie, Pathogenese
Bedeutung für die mütterliche Morbidität und Mortalität
Die Ursachen einer abnorm langen Geburt können folgendermaßen gruppiert werden:
Protrahierte Geburten bergen eine Vielzahl von Risiken für die Mutter. Seit langem ist die erhöhte Infektmorbidität
38
824
38
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
bei langen Geburtsverläufen bekannt, und Fieber sub partu und im Wochenbett tritt besonders häufig nach langem Intervall (>18 h) zwischen Blasensprung und Geburt auf; dabei besteht ein direkter Zusammenhang zu der Anzahl der digitalen Zervixuntersuchungen. Ein erhöhter Blutverlust infolge Atonie findet sich ebenfalls häufiger nach protrahiertem Verlauf. Protrahierte Geburten bergen zudem ein erhöhtes Risiko der operativen Intervention. »Dystokie« (dystocia) stellt mit ca. 30% die häufigste Indikation für eine erste Sectio in den USA dar, etwa doppelt so häufig wie in andern Ländern mit vergleichbarem Gesundheitssystem; indirekt, d. h. unter Mitberücksichtigung auch der Resectiones, ist diese Indikation für rund die Hälfte aller Sectiones verantwortlich. Zudem sind diese Frauen in vermehrtem Maße auch den Risiken operativer Eingriffe wie Gewebeschädigung (v. a. belastend im Bereich des Beckenbodens bei vaginaloperativen Geburten), Anästhesiekomplikationen (inkl. der seltenen Komplikationen von Regionalanalgesien), zusätzlichen Blutungs- und Infektgefahren in den Wundgebieten, Ileus, Adhäsions- und Narbenbildungen, thromboembolischen Komplikationen und Schädigungen pelviner Nerven bei vaginaloperativen Geburten ausgesetzt. Traumatische Schädigungen der Geburtswege als Folge von Spontangeburten in Form von Fistelbildungen durch Drucknekrosen sind in der westlichen Geburtshilfe kaum noch anzutreffen. In Ländern mit schlechter medizinischer Infrastruktur bilden sie dagegen auch heute noch schwerwiegende Komplikationen mit erheblichen Folgen wie Invalidität und sozialer Isolierung. In unseren Gegenden werden Fisteln im Dammbereich selten nach Rissen oder Episiotomien beobachtet. Neuropathien nach Spontangeburten sind selten und haben bei nur kurz dauernder Druckeinwirkung i. d. R. eine gute Prognose. Für das detaillierte Studium der Auswirkungen des Geburtsgeschehens auf die Funktion des Beckenbodens wird auf 7 Kap. 40 verwiesen. Des Weiteren sind Frauen nach protrahierten Geburtsverläufen in erhöhtem Maße dem Risiko von chronischen Schmerzen im Bereich von Damm und Vagina ausgesetzt. Eine ernste Folge davon kann die Beeinträchtigung des Sexuallebens sein. Schließlich stellt die emotionale Belastung durch die Erinnerung an eine protrahierte Geburt ein in der Literatur lange Zeit wenig beachtetes, jedoch speziell schwieriges Problem dar. Bei der Betreuung der protrahierten Geburt treten also die mütterlichen Aspekte immer mehr in den Vordergrund (7 Kap. 31.1.3). Damit kommt der frühzeitigen Erkennung eines dystoken Verlaufes schon aus präventiver Sicht gegenüber der vielschichtigen mütterlichen Morbidität eine große Bedeutung zu. Umso mehr werden diagnostische Methoden mit großem prädiktivem Wert für den weiteren Geburtsverlauf benötigt.
Therapie und Prävention Die korrekte Behandlung einer protrahierten Geburt muss von der zugrunde liegenden Ursache ausgehen. Die Darstellung der therapeutischen und präventiven Konzepte
verteilt sich deshalb auf 7 Kap. 38.3–38.7. Zur Beurteilung der Chancen für eine Spontangeburt bzw. der Notwendigkeit einer vaginaloperativen Intervention oder einer Sectio laufen derzeit Studien über die Wertigkeit der Sonographie in der prolongierten Austreibungsperiode (Kalache et al. 2009).
38.2.2
Überschnelle Geburt
Überschnelle Geburt Die klinische Erfahrung mit erhöhter mütterlicher und kindlicher Morbidität bei sehr schnellem Geburtsverlauf lässt auch ein unteres zeitliches Limit der Geburtsdauer als sinnvoll erscheinen. Traditionell wird sie bei 3 h angenommen.
Ursächlich steht ein ungewöhnlich geringer Weichteilwiderstand, oft in Form einer isthmozervikalen Insuffizienz, im Vordergrund. Zu den Risikofaktoren gehören Frühgeburtlichkeit, Wehenmittel, außerdem Kokain. Sensible Ausfälle aufgrund neurologischer Erkrankungen, als Unfallfolgen oder wegen operativ bedingter Defizite (Nervenresektionen) können selten auch eine abnorm kurze Geburtsdauer vortäuschen. Angaben zur Häufigkeit variieren stark (1–17%) und hängen mit der Paritätsverteilung einer Population zusammen (Käser u. Richter 1981). Die Morbiditätsrisiken von Mutter und Kind sind erhöht. Für die Mutter bestehen die Gefahren erheblicher Verletzungen im Bereich des ganzen Geburtsweges und atonischer Blutungen. Beim Kind werden asphyxiebedingte oder traumatische zerebrale Schädigungen bei Hyperaktivität des Uterus beschrieben (Käser u. Richter 1981). Klinisch eindrücklich ist nach sehr schnellen Geburten die Hypotonie des Kindes mit tiefen Apgar-Werten und protrahierter Adaptation bei normalen Blutgaswerten. Das Wiederholungsrisiko ist hoch. Prophylaktisch wird bei anamnestisch bekannter Neigung zu überschnellen Geburten die elektive Geburtseinleitung empfohlen. Der Nutzen einer Drosselung der Wehentätigkeit mit β-Mimetika für einen schonenden Kopfdurchtritt ist nicht belegt; ein gewaltsames Zurückhalten des Kopfes ist wegen zusätzlicher Gefährdung von Mutter und Kind kontraindiziert. Nach einer überschnellen Geburt ist die Revision der Geburtswege indiziert (Melamed et al. 2009). Untersuchungen der überschnellen Geburten zeigen eine deutliche Reduktion der mütterlichen und kindlichen Risiken bei einer Geburtsleitung unter infrastrukturell guten Voraussetzungen (Beazley 1995). Von der überstürzten Geburt ist die Sturzgeburt abzugrenzen. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch wird mit Sturzgeburt eine Geburt mit tatsächlichem Fall des Kindes bezeichnet. Daraus erwachsen dem Kind Verletzungsgefahren.
825 38.3 · Wehendystokie (ineffiziente Wehentätigkeit)
38.3
Wehendystokie (ineffiziente Wehentätigkeit)
Dystokien im umfassenden Sinne des Wortes können in mütterliche Faktoren (uterine Dystokie mit Wehendystokie, Zervixdystokie und Sakkulation; Weichteildystokie; verengtes Becken), kindliche Faktoren (Einstellungsanomalien, abnorme Größe) und kombiniert mütterlich-kindliche Faktoren (Kopf-BeckenMissverhältnis) unterteilt werden. Unter dem Begriff der Wehendystokie werden verschiedene Störungen der Wehentätigkeit zusammengefasst wie uterine Hypoaktivität, uterine Hyperaktivität, hypertone Motilität und unkoordinierte Wehentätigkeit. Der Zusammenhang mit der protrahierten Geburt und der mit ihr verbundenen mütterlichen und kindlichen Morbidität ist eng. Neben allgemein unterstützenden Maßnahmen bilden, abhängig vom Reifezustand der Zervix und dem Stand der Geburt, die medikamentöse Wehenstimulation und die Amniotomie die wichtigsten Therapieansätze.
38.3.1
beträgt sie weniger als 100 ME. Als Montevideo-Einheit (ME) ist das Produkt aus mittlerer Kontraktionsamplitude und Wehenzahl pro 10 min definiert. Derartige Wehenschwächen können primär oder sekundär als Folge von Uterusüberdehnung bei Mehrlingen, Polyhydramnion, übergewichtigen Kindern, Pluriparität, bei Erschöpfung des Uterus wegen mechanischer Hindernisse oder durch zentral wirksame Analgetika auftreten. Hypoaktivitäten des Uterus werden selten bei Fehlbildungen des Organs und bei (Elektrolyt-) Stoffwechselstörungen des Myometriums beobachtet. Uterine Hyperaktivität. Die uterine Hyperaktivität zeichnet sich durch eine gesteigerte Wehenfrequenz und/oder eine gesteigerte Kontraktionsintensität aus. Die Wehenzahl übersteigt 5 pro 10 min, die Druckamplitude 50 mmHg, der Basaltonus liegt jedoch unter 15 mmHg. Die Wehenaktivität beträgt mehr als 250 ME. Häufigste Ursache ist eine Überdosierung von Wehenmitteln. Als weitere Ursachen einer gesteigerten Wehenaktivität kommt mechanischen Hindernissen eine gewisse Bedeutung zu.
Allgemeine Grundlagen
Einteilung Uterine Störungen sind zu unterteilen in Dystokien des Corpus uteri und der Cervix uteri. Bei den korporalen Dystokien steht die Wehendystokie, also die Störung der korporalen Aktivität, im Vordergrund. Organisch erklärbare Korpusdystokien und die Zervixdystokie werden in 7 Kap. 38.4.1 dargestellt. Die Beobachtung der Wehen nimmt bei der Geburtsleitung eine derart zentrale Stellung ein, dass der Wehendystokie das vorliegende eigene Unterkapitel gewidmet wird. Wehenstörungen manifestieren sich in Form von 4 Hypoaktivität, 4 Hyperaktivität, 4 hypertoner Motilität, 4 Inkoordination. Die Einteilung erfolgt klinisch durch die Beurteilung von Rhythmus und Frequenz, evtl. durch subjektives Ertasten des Grundtonus. Wird eine Geburt mittels intrauteriner Tokographie überwacht, so können zusätzlich Basaltonus und Druckamplitude (Kontraktionsamplitude) gemessen werden. Tipp Wehenstörungen sollten nur dann therapeutisch angegangen werden, wenn sie mit einem protrahierten Geburtsfortschritt oder einer Gefährdung des Fetus einhergehen.
Uterine Hypoaktivität. Für die uterine Hypoaktivität sind eine Wehenfrequenz von weniger als 2 pro 10 min und eine Druckamplitude von weniger als 30 mmHg charakteristisch. Der Grundtonus ist meistens normal, d. h. er liegt unter 15 mmHg. In der geburtshilflichen Praxis wird die Wehenaktivität nicht weiter quantifiziert; wird eine solche Quantifizierung in Montevideo-Einheiten (ME) vorgenommen, so
Hypertone Motilität. Bei der hypertonen Motilität sind weniger Wehenfrequenz und Druckamplitude verändert als vielmehr der Basaltonus. Dieser übersteigt das Limit von 15 mm Hg. Die Aktivität des Uterus beträgt weniger als 100 ME. Die Diagnose lässt sich bei der vaginalen Untersuchung vermuten, wenn der Muttermund während einer Wehe enger wird (»Blendenmechanismus«). Die hypertone Motilität stellt eine besonders ernste Bedrohung des Fetus dar, da durch den Hypertonus der uterine Blutfluss, primär im venösen Niederdruckbereich, beeinträchtigt wird. Häufigste Ursache ist auch hier eine Überdosierung von Wehenmitteln; eine Parazervikalblockade spielt dagegen heutzutage kaum noch eine Rolle. Die hypertone Motilität kann auch Folge einer zervikalen Dystokie sein. Als Synonyma werden u. a. genannt: Tetanus uteri, Krampfwehen, Bandl-Kontraktionsring, pathologischer Retraktionsring, »obstructed labor«, »utérus de bois« (Fischer 1981a). Inkoordination der Wehentätigkeit. Von Inkoordination der Wehentätigkeit wird bei einer Umkehr des sog. »dreifach absteigenden Gradienten« oder bei einer multifokalen Erregungsbildung gesprochen. Vollständige Inversionen des »dreifach absteigenden Gradienten« sind sehr selten, partielle Formen häufiger. Die Diagnose lässt sich konventionell-tokographisch nicht sichern, evtl. aber in der bisher experimentellen Mehrkanaltokographie. Klinisch entsteht der Verdacht bei anhaltend schmerzhafter Wehentätigkeit ohne Dilatation der Zervix. Multifokale Erregungsbildungen hingegen lassen sich tokographisch gut erkennen. Sie kommen durch eine Schrittmachertätigkeit sowohl in der linken wie in der rechten Fundushälfte oder durch Schrittmacheraktivitäten in verschiedenen Segmenten des Uterus zustande. Einen Spezialfall stellen scheinbar regelmäßige Verdoppelungen dar (»coupling of uterine contractions«; »Kamelwehen«). Auch diese atypischen Wehenmuster sind oft mit anderen Problemen wie geburts-
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826
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
mechanischen Störungen vergesellschaftet. Die Frage nach Ursache und Folge ist in solchen Fällen nicht einfach zu beantworten. Ineffiziente Wehentätigkeit In der jüngeren Literatur wird die Differenzierung der Wehenpathologie in die verschiedenen Typen kaum noch erwähnt. Die verschiedenen Wehentypen werden unter dem Begriff der »ineffizienten Wehentätigkeit« (»inefficient uterine activity«) zusammengefasst.
38.3.2
Ätiologie, Pathophysiologie, Pathogenese
Genetische Faktoren Für verschiedene Dystokieformen konnte eine genetische Prädisposition gezeigt werden (Dizon-Townson u. Ward 1997), z. B. Wehendystokien als Folge bestimmter Weichteilstrukturen. So ist ein hoher Kollagen- und Hyaluronsäuregehalt in der Zervix mit protrahierten Geburtsverläufen assoziiert.
Alter der Mutter; Schwangerschaftsintervalle Der Einfluss des mütterlichen Alters auf die Geburtsdauer wird unterschiedlich beurteilt. Zahlreiche Untersuchungen beschreiben eine Verlängerung derselben, wobei die Austreibungsperiode stärker betroffen zu sein scheint. Signifikant erhöht sind die Raten vaginal- und abdominaloperativer Entbindungen bei Gebärenden über 40 Jahren. Es scheint, dass dafür eine »defensivere« bzw. operationsbereitere Art der Geburtsleitung zumindest mitverantwortlich ist. Interessant ist allerdings auch die Beobachtung, dass die Zunahme des Bedarfs an Wehenmitteln, der Länge der Austreibungsperiode sowie der Raten abdominal- und vaginaloperativer Eingriffe kontinuierlich über die ganze Dauer des reproduktiven Alters ansteigt (Main et al. 2000). Der Wehenunterstützung mit Oxytozin kommt eine bedeutende Rolle zu (Treacy et al. 2006).
38
> Die lange Zeit überlieferte Annahme, dass eine Geburt nach einem Intervall von 10 und mehr Jahren zu einer vorausgegangenen Geburt wieder wie bei einer Erstgebärenden verlaufe, ist nicht aufrecht zu erhalten.
Medikamentöse Einflüsse Analgetika. Der Einfluss von Analgetika auf den Geburtsver-
lauf ist noch nicht eindeutig geklärt. Häufig tritt nach der Applikation eines Analgetikums, unabhängig von der gewählten Form, eine kurzzeitige Abnahme der Wehenaktivität ein, gefolgt von einer Steigerung der Wehentätigkeit. Diese Steigerung wird einer Abnahme der mütterlichen endogenen Katecholamine zugeschrieben. Zentral wirksame Analgetika vermögen die Latenzphase zu verlängern, v. a. in hoher Dosierung und in Kombination mit Antihistaminika. Demgegenüber wurde für die Aktivphase keine Hemmung oder sogar eine Steigerung der uterinen Aktivität festgestellt, besonders bei niedriger Dosierung und
langsamer Applikation, mit oder ohne Einsatz von Oxytozin. Weniger ist über den Einfluss von Medikamenten mit agonistischer und antagonistischer Wirkung auf Opiatrezeptoren bekannt (Nalbuphin). Lokalanästhetika können im Tierexperiment Muskelspasmen und eine Verminderung der uterinen Perfusion bewirken. In den für die Periduralanalgesie verwendeten Dosierungen beeinflussen Lokalanästhetika die uterine Aktivität in der Aktivphase nicht. Dagegen scheinen Latenzphase und Austreibungsperiode in Abhängigkeit von der gewählten Konzentration des Lokalanästhetikums verlängert zu werden. Adrenalinzusatz verstärkt zwar die analgetische Wirkung, hemmt jedoch seinerseits die uterine Aktivität. ! Im Vergleich mit zentral wirksamen Analgetika kommt es bei Regionalanalgesien signifikant häufiger zu verlängerten Austreibungsperioden, Einstellungsanomalien und zu einer erhöhten Sectiorate, aber mit dem Vorteil einer viel besseren Schmerzlinderung.
Im Gegensatz zu älteren Annahmen kann aufgrund der aktuellen Datenlage auch bei Anlegen einer Regionalanästhesie vor der Aktivphase eine Verkürzung der Eröffnungsperiode und eine unveränderte Sectiorate im Vergleich zu systemisch applizierten Analgetika angenommen werden, bei allerdings wesentlich besserer Analgesie. Dies trifft für spontan beginnende wie für eingeleitete Geburten zu (Wong et al. 2005, 2009). Über Lachgas (NO2) liegen keine Berichte hinsichtlich einer Verlängerung der Geburtsdauer vor.
Austreibungsperiode Die genannten Formen der Wehendystokie betreffen vorwiegend – aber nicht nur – die Eröffnungsperiode. Als Risikofaktoren einer protrahierten Austreibungsperiode wurden beschrieben: eine Periduralanalgesie, eine lange Dauer der Aktivphase, die Parität, die Körpergröße der Mutter, das Geburtsgewicht, der Höhenstand des vorangehenden Teils zum Zeitpunkt der vollständigen Eröffnung des Muttermundes und das Alter der Mutter. Diese Faktoren können allerdings nur einen kleinen Teil der Variabilität der Dauer der Austreibungsperiode erklären.
Häufig diskutierte Situationen ohne geburtsverlängernden Effekt Magnesiumsulfat, das auch als Tokolytikum eingesetzt wird, besitzt – gemäß dem Vergleich mit Phenytoin in einer Kohortenstudie bei Präeklampsiepatientinnen – keinen geburtsverlängernden Einfluss. Ein Zustand nach Cerclage nach McDonald beeinflusst den Geburtsverlauf nicht (Weissmann et al. 1990).
38.3.3
Evaluation
Anamnese Die Familienanamnese bzw. Geburtenanamnese der Mutter der Gebärenden wird kaum systematisch erhoben, obwohl sie ver-
827 38.3 · Wehendystokie (ineffiziente Wehentätigkeit)
mutlich als Prognosefaktor eine gewisse Bedeutung besitzt. Informationen zu eigenen vorausgegangenen Entbindungen sind demgegenüber einfacher zu erhalten und aussagekräftiger.
Klinische Untersuchung Die Diagnosestellung stützt sich auf die klinische und apparative Überwachung einer Geburt, wie dies in 7 Kap. 30 und 33 eingehend beschrieben ist. Zur Beurteilung der Dauer einer Geburt hat sich das von Friedman zu Beginn der 1950-er Jahre eingeführte Weg-ZeitPartogramm bewährt (überarbeitet in: Friedman 1978). Die WHO hat dieses Partogramm übernommen und mit einem Behandlungsschema verbunden (WHO 1994). Für die Überwachung der meisten Geburten genügt ein externes Monitoring. Die interne Tokographie ist an den meisten Orten aufgegeben worden. Die 3 Kriterien Frequenz, Dauer und Rhythmus können durch eine externe Tokographie ausreichend erfasst werden. Es fehlt lediglich die Beurteilbarkeit der Druckamplitude.
Studienbox Bisher fehlt der Nachweis, dass durch eine intrauterine Tokographie die Sectioraten reduziert oder die Resultate in Bezug auf die kindliche Morbidität verbessert werden können; dies trifft auch für oxytozinunterstützte Geburten zu (ACOG 1995; Vanner u. Gardosi 1996).
Es wäre für die Betreuung protrahierter Geburten äußerst hilfreich, über einen Indikator mit einem guten prädiktiven Wert für den definitiven Geburtsmodus zu verfügen. Der intrauterine Druck kann diese Funktion wegen der Vielzahl von Einflussfaktoren wie Wehenstärke, Weichteilwiderstand, Größe, Einstellung und Verformbarkeit des kindlichen Kopfes und Weite des Geburtskanals nicht erfüllen. Die myometrale Kontraktionsstärke lässt sich in vivo nicht messen. Hingegen könnte die gleichzeitige Messung der Kopf-Zervix-Kraft (»head-to-cervix force«) und des intrauterinen Druckes brauchbare Aussagen liefern. Die Krafteinwirkung des kindlichen Kopfes auf die Zervix lässt sich mit einer Sonde lokal bestimmen. Es besteht zwar zwischen intrauterinem Druck und der vektoriellen Kraft des Kopfes auf die Zervix ein linearer Zusammenhang; die Streubreite ist jedoch so groß, dass der Druckmessung allein nicht die gleiche Aussagekraft zukommt wie dem Vergleich der beiden Größen. > Nach den bisherigen Resultaten bedarf es einer minimalen Kraft zur erfolgreichen Dilatation der Zervix. Wenn die sog. Kopf-Zervix-Kraft durch spontane Wehen nicht genügend groß wird und gleichzeitig ein nur geringer intrauteriner Druck vorliegt, sind gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wehenstimulation gegeben (Allman et al. 1996 a, b). Klinische Beurteilung der einzelnen Perioden und Phasen.
Für die prognostisch richtige Beurteilung einer Geburt ist die Berücksichtigung der unterschiedlichen Dynamik der einzelnen Etappen wesentlich.
Die zeitliche Variabilität der Latenzphase oder frühen Eröffnungsperiode ist groß, und die klinische Beurteilung des Beginns der Aktivphase ist oft nicht einfach. Hinter einem protrahierten Verlauf der Latenzphase können verschiedene Faktoren stehen wie ineffiziente Wehen, eine Fehleinstellung des Kopfes oder ein Kopf-Becken-Missverhältnis. > Die Latenzphase ist aber ein Indikator für eine eventuelle Dystokie: Je länger sie dauert und je später im Verlauf der Muttermundseröffnung die Akzelerationsphase bzw. die Aktivphase einsetzt, desto größer ist das Risiko für eine insgesamt protrahierte Geburt.
Für die Praxis bedeutet dies, dass allein aufgrund einer langsamen Eröffnung des Muttermundes bis zu einer Weite von 4–5 cm keine operative Intervention angezeigt ist. Hingegen ist eine dem Reifezustand der Zervix angepasste medikamentöse Unterstützung der Wehentätigkeit zu erwägen. Tatsächlich ist die Frage nach dem optimalen Management der verlängerten Latenzphase noch nicht beantwortet (7 Kap. 38.3.4 bei »Spezielle Methoden«). Der voraussichtliche zeitliche Verlauf der Aktivphase lässt sich durch die Beobachtung der Eröffnungsgeschwindigkeit im Anschluss an die Akzelerationsphase abschätzen. > Als untere Grenzwerte der Zervixdilatationsgeschwindigkeit in der Aktivphase hat die ACOG die ursprünglichen Befunde von Friedman übernommen (. Tab. 38.2): Erstgebärende 1,2 cm/h, Mehrgebärende 1,5 cm/h.
Als klinischer Parameter zur Beurteilung eines zeitgerechten Verlaufs der Austreibungsperiode dient die Geschwindigkeit des Tiefertretens des vorangehenden Teils. > Die minimale Geschwindigkeit des Deszensus in der Austreibungsperiode wird bei Erstgebärenden bei 1 cm/h, bei Mehrgebärenden bei 2 cm/h angesetzt (. Tab. 38.2; ACOG 1995).
38.3.4
Klinisches Management/Therapie der ineffizienten Wehentätigkeit
Im Folgenden wird ein besonderes Gewicht auf die Unterstützung der Wehentätigkeit mittels Oxytozika und Amniotomie gelegt. Viele Fragen zu dieser Therapie sind noch offen. Es ist unbestritten, dass es eine Vielzahl weiterer Optionen zur Behandlung einer Dystokie wie homöopathische Rezepturen, Akupressur, Fußzonenreflexmassage, Stimulation der Brustwarze etc. gibt. Die Beurteilung des Nutzens dieser Methoden und ihres Stellenwertes im Vergleich zu den etablierten Therapieansätzen bleibt künftigen Untersuchungen vorbehalten.
Allgemeine Maßnahmen Die Diagnose eines protrahierten Verlaufs einer Geburt infolge einer Wehenschwäche verlangt eine umgehende Gesamtbeurteilung der Geburt. Bei einer Wehenschwäche ohne Hinweise auf eine relevante geburtsmechanische Obstruktion ist die Indikation zur
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
medikamentösen Wehenstimulation gegeben. Eine sekundäre Wehenschwäche kann auch Ausdruck einer Ermüdung der Mutter sein, der dann evtl. mit dem Einlegen einer Pause am besten gedient wird. Im Einzelfall können sogar Sedation oder Wehenhemmung angebracht sein. Auch eine Nährstoffzufuhr, wie Traubenzuckertabletten, kohlenhydratreiche bzw. fettund proteinarme Nahrung oder die Applikation einer Mischinfusion kann sinnvoll sein. > Wichtig ist eine genügende Flüssigkeitszufuhr, sei es oral oder bei protrahierten Geburten über die Infusion physiologischer Kochsalz- oder Ringer-Lösungen.
Die Vorteile der aufrechten Körperhaltung zur Unterstützung der Wehentätigkeit und für das subjektive Befinden der Mutter, aber auch für das Befinden des Kindes (gemäß Apgarund Blutgaswerten) sind seit längerem bekannt. Bewegung im Sinne eines Umhergehens mag der Gebärenden subjektive Linderung verschaffen; ein bisher angenommener günstiger Effekt auf die Geburtsdauer konnte nicht bestätigt werden. Auch wenn gesicherte Daten über einen therapeutischen Effekt bei Wehendystokien fehlen, sind bei hypokinetischer Wehenschwäche und auf Wunsch der Gebärenden derartige Behandlungsversuche gerechtfertigt (Johnson et al. 1991). Die besondere Bedeutung der Versorgung der gebärenden Frau mit Nährstoffen und Flüssigkeit wie auch die Unterstützung der aufrechten Haltung der Gebärenden liegt v. a. im Bereich der Prävention (7 Kap. 38.3.5).
Spezielle Methoden
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Die folgenden Ausführungen betreffen v. a. die Aktivphase. Sie gelten aber auch für die Austreibungsperiode, sofern nicht die vaginaloperative Entbindung indiziert ist (7 Kap. 39). Für die protrahierte Latenzphase existiert bis heute kein überzeugendes Konzept. Empfohlen werden Bewegung, Sedation, ein Entspannungsbad oder ein Darmeinlauf. Vielerorts wird auch Oxytozin eingesetzt, doch ist dessen Rolle zumindest in der frühen Latenzphase noch nicht geklärt: Oxytozin scheint bei einer »unreifen« Zervix Kontraktionen auslösen und damit den Übergang zur Aktivphase verzögern zu können (Olàh et al. 1993). Angesichts dieser Unsicherheit sollte Oxytozin bei einem Bishop-Score <4 nur zurückhaltend eingesetzt werden. Vorsicht ist während der Latenzphase auch gegenüber einer Amniotomie wegen des erhöhten Infektrisikos geboten. Hingegen besteht i. d. R. kein Anlass, die Entscheidung zur Geburtsbeendigung mittels Sectio allein aufgrund eines protrahierten Verlaufs der Latenzphase, d. h. vor Beginn der Aktivphase bzw. vor einer Muttermundsweite von wenigstens 4–5 cm, zu fällen. Amniotomie. Es gibt zahlreiche Untersuchungen zur Amniotomie als Mittel der Wehenunterstützung; ihre Ergebnisse sind kontrovers. Leider fehlen weitgehend randomisierte klinische Studien zur Amniotomie als eigenständiger Therapieoption bei protrahiertem Geburtsverlauf. Die vorhandenen Studien wurden fast ausschließlich zum Vergleich einer frühen routinemäßigen vs. einer späteren selektiven Amniotomie oder im Zusammenhang mit der Diskussion um das »active management of labor« (AML; s. unten) durchgeführt.
Empfehlungen zur therapeutischen Amniotomie leiten sich deshalb vorwiegend aus Analogieschlüssen von Untersuchungen mit ähnlicher Fragestellung ab: Beim Vergleich von »früher« vs. »später« Amniotomie ist die Dauer der Geburt kürzer (sowohl innerhalb wie außerhalb von AML-Protokollen), der Bedarf an Wehenmitteln geringer, die Rate an Periduralanalgesien erhöht, eine CTG-Abnormität wegen vermuteter Nabelschnurkompression häufiger, das Befinden des Kindes bei der Geburt und die Rate operativer Entbindungen identisch, aber auch die mütterliche Infektmorbidität erhöht. Auf die Problematik der Reihenfolge von Amniotomie und medikamentöser Unterstützung der Wehentätigkeit wird weiter unten im Abschnitt »Besondere Aspekte der Wehenstimulation«, auf die routinemäßige Anwendung der Amniotomie in 7 Kap. 38.3.5 (Prävention) eingegangen. Wehenstimulation mit Oxytozin. Im Zentrum der medikamentösen Behandlung einer Dystokie steht das synthetisch hergestellte Oxytozin.
Studienbox Während Fragen zur Oxytozindosierung (. Tab. 38.3) für die Wehenstimulation relativ gut untersucht sind, gibt es nur wenige klinische Trials, die sich mit dem Einsatz von Oxytozin bei protrahierten Geburten im Vergleich zu Placebo oder einer anderen wehenstimulierenden Maßnahmen beschäftigen. Oxytozin hat jedoch einen derart festen Platz bei der Behandlung protrahierter Geburten infolge ineffizienter Wehen erlangt, dass die Durchführbarkeit solcher Trials schwierig geworden ist.
Bei der Wehenstimulation erhöht extern zugeführtes Oxytozin zuerst die Wehenfrequenz und dann die Druckamplitude, worauf eine stabile Phase der Uterusaktivität erreicht wird. Eine weitere Steigerung der Oxytozindosis führt zu einem Anstieg des Basaltonus und einer weiteren Erhöhung der Wehenfrequenz. Obwohl dabei die Druckamplitude abnimmt, resultiert schließlich daraus doch eine Überstimulation (Vanner u. Gardosi 1996; zu Oxytozin 7 Kap. 24). Tipp Die Indikation zur Wehenstimulation kann in jeder Phase der Geburt gegeben sein. Für die Latenzphase empfiehlt das ACOG (1995) eine Stimulation bei einem »slow progress«, die WHO (1994) nach 8 h Dauer. Für die Aktivphase und für die Austreibungsperiode ergibt sich die Indikation aus der Diagnose eines protrahierten Verlaufes oder eines »Geburtsstillstands« gemäß . Tab. 38.1.
> Entscheidend für die Indikation für eine Wehenstimulation bleibt in der geburtshilflichen Routine die palpatorische vaginale Beurteilung des Geburtsfortschrittes. Diese Untersuchung kann weder durch eine alleinige äußerliche Wehenbeurteilung noch
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829 38.3 · Wehendystokie (ineffiziente Wehentätigkeit)
durch eine intrauterine Druckmessung ersetzt werden, da die Beziehung dieser Befunde zum tatsächlichen Geburtsfortschritt eine zu große Streuung aufweist.
Es wurden zahlreiche Dosierungsschemata für den Einsatz von Oxytozin zur Behandlung einer ineffizienten Wehentätigkeit entwickelt. Sie variieren in Bezug auf die Initialdosis und die Dosissteigerung (Konzentration, arithmetische, geometrische oder kombinierte Steigerung) und Zeitintervall. Die klinische Erfahrung spricht für eine sehr unterschiedliche Ansprechbarkeit des Uterus, was eine nach Sensibilität des Uterus abzustimmende Dosierung erforderlich macht (. Tab. 38.3). Die uterine Reaktion auf Oxytozin ist abhängig von vorbestehender uteriner Aktivität und »uteriner Sensitivität«, Parität, Gestationsalter und Muttermundsweite. Es ist bis jetzt aber noch nicht gelungen, eine Art von »Reaktionsprofil« zu erarbeiten, das für die individuelle Dosisfindung klinisch nützlich wäre. Tendenziell zeigen verschiedene Untersuchungen weniger Nebenwirkungen (Überstimulationen, evtl. mit »fetal distress«) bei niedrigen Oxytozindosierungen, wenn auch zum Preis einer höheren Quote an ineffizienten Wehen. Die Ursache für diese Wehendystokien ist unklar; diskutiert wird eine schlechtere Ansprechbarkeit des Myometriums auf Oxytozin infolge metabolischer Azidose bei länger dauernder Aktivität. Die jüngere Literatur favorisiert für die Therapie ineffizienter Wehen die Verwendung sog. Hochdosisschemata mit Initialdosen und Dosissteigerungen von 4–6 mE/min und Intervallen der Steigerung von 15–30 min (ACOG 2003/2007). Die Hochdosisschemata stimulieren das Myometrium effizienter und führen zu kürzeren Geburtszeiten bei gleicher Sectiorate, allerdings zum Preis höherer Überstimulationsraten. Mit den niedrigen Dosierungen werden v. a. Gebärende mit hoher Sensitivität des Uterus erfolgreich behandelt. Da bei protrahierten Verläufen in der Eröffnungs- oder Austreibungsperiode die uterine Sensitivität gegenüber Oxytozin eher vermindert ist, empfiehlt sich in diesen Situationen die hohe Dosierung. Unter dem Aspekt der Patientensicherheit, d. h. mit Blick auf die Zahl von Meldungen über Applikationsfehler mit
Oxytozin, und mit dem Argument einer konsequenteren Berücksichtigung pharmakologischer Eigenschaften des Oxytozins plädieren einige US-amerikanische Autoren neuerdings für Niedrigdosisschemata und gleichzeitig für einfache, einheitliche Dosierungsschemata. Die Empfehlungen im Einzelnen: 4 Initialdosen von 2 mE/min, 4 Dosissteigerungen um je 2 mE/min in Intervallen von 45 min (4–5 Halbwertszeiten in vivo), 4 Maximaldosis von 16 (–20) mE/min. Nach Erreichen von palpatorisch als kräftig beurteilten Uteruskontraktionen brauche es »mehr Zeit, nicht mehr Oxytozin«. Die Indikationsstellung zur Überschreitung der empfohlenen Maximaldosis bedürfe eines erfahrenen Urteils und solle in der Akte dokumentiert werden (Clark et al. 2007, 2009; Hayes u. Weinstein 2008). In der Abwägung von Hoch- zu Niedrigdosisschemata ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Unbestritten ist dagegen aus zahlreichen Studien die große Bedeutung, welche der frühen Erkennung eines sich abzeichnenden protrahierten Geburtsverlaufs zum zeitverzugslosen Einsatz von Oxytozin zugunsten von Mutter und Kind zukommt, ohne dass damit die Geburt zu einem »Rennen gegen die Uhr« gemacht werden soll. Zu den physischen und psychischen Auswirkungen eines protrahierten Verlaufs 7 Kap. 31.1.3 und 38.2.1). Tipp Die Oxytozinapplikation erfolgt in einer elektrolythaltigen Infusionslösung, entweder Ringer-Laktat oder physiologischer Kochsalzlösung, mit 1 E Oxytozin pro 100 ml Trägerlösung. Glukoseinfusionen sind wegen des Risikos von mütterlichen und kindlichen Hyponatriämien zu vermeiden. Die Kontrolle über einen Infusomaten stellt eine zwingende Voraussetzung jeder Oxytozinverabreichung vor der Abnabelung des Kindes dar. Die Überwachung der uterinen Aktivität erfolgt durch Palpation oder apparativ (externe Tokometrie). Außerhalb von Studien besteht keine Indikation zur intrauterinen Druckmessung.
. Tab. 38.3. Wehenstimulation mit Oxytozin: Beispiele für niedrig und hoch dosierte Schemata. (Nach ACOG 1995)
Schema
Anfangsdosis [mE/min]
Dosissteigerung [mE/min]
Intervall [min]
Maximaldosisb [mE/min]
Niedrig dosiert
0,5–1
1
30–40
20
1–2
2
15
40
6
6
15
40
20–40
42
Hoch dosiert
6 a
6
(3/1)a
Die Dosissteigerung wird nach einer Überstimulation auf 3 mE/min beschränkt, bei wiederholt aufgetretener Überstimulation auf 1 mE/min. b Im Practice Bulletin No. 10 von 1999 erwähnt die ACOG zur Weheninduktion, dass keine Maximaldosis festgelegt wurde. Zur Wertung von Niedrig- und Hochdosisschemata 7 Kap. 38.3.4.
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
Die Überwachung des Kindes erfolgt i. d. R. durch die Kardiotokographie; nach den Empfehlungen des ACOG genügt auch ein intermittierendes Zählen der fetalen Herzfrequenz alle 15 min während der Eröffnungsperiode und alle 5 min während der Austreibungsperiode. ! Jede geburtshilfliche Einrichtung, in der Oxytozin eingesetzt wird, muss über die Möglichkeit der sofortigen Durchführung einer Kaiserschnittentbindung verfügen. Nebenwirkungen der Oxytozinstimulation sind: Überstimulation des Myometriums, Hyponatriämie als Folge der antidiuretischen Eigenschaft von Oxytozin, insbesondere in der Anwendung verdünnter Lösungen in hypotonen (Glukose-)Infusionen, Fetal distress (mit oder ohne Überstimulation, in Abhängigkeit von der funktionellen Kapazität der Plazenta), vorzeitige Lösung der Plazenta, selten Ruptur des Myometriums. Als Überstimulation gelten: 4 mehr als 5 Wehen pro 10 min, 4 Kontraktionen von 2 min und länger, 4 normal lange Wehen mit weniger als 1 min Pause dazwischen. Tipp Zur Behandlung der Überstimulation wird die Oxytozinzufuhr unterbrochen, Sauerstoff über eine Maske gegeben und die Gebärende in Seiten- oder TrendelenburgLagerung gebracht; zusätzlich kann bei Hinweisen auf »fetal distress« eine Notfalltokolyse mit Nitroglycerin 0,05 – 0,1 mg i.v., einem β-Mimetikum (z. B. Fenoterol 0,05–0,1 mg i.v. oder Hexoprenalin 5–10 μg i. v.) oder mit Magnesiumsulfat 2–6 g i. v. durchgeführt werden.
38
Gefährdet bezüglich Uterusruptur sind v. a. Vielgebärende, am Uterus voroperierte Frauen, Schwangere mit Querlage des Kindes oder überdehntem Uterus (zur Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio 7 Kap. 38.9.4). Bei der Erstgebärenden mit einem nicht vorgeschädigten Organ ist die Uterusruptur ein äußerst seltenes Ereignis. Unbestritten ist, dass die Nebenwirkungen von Oxytozin dosisabhängig sind. Bei adäquater Überwachung, die unabhängig vom gewählten Dosierungsschema erforderlich ist, kann jedoch auf eine Überstimulation rechtzeitig und effizient reagiert werden (Dudley 1997). Für den Erfolg der Oxytozinstimulation und die Vermeidung von Nebenwirkungen ist also weniger das Dosierungsschema an sich als die sorgfältige Überwachung von Bedeutung (Owen u. Hauth 1992). Da fetale Gefährdungen oder Wehenstörungen schon bald nach Beginn einer Oxytozintherapie auftreten können, ist die frühzeitige und anhaltende Überwachung von Mutter und Kind unerlässlich. Noch unbeantwortet ist auch die eigentlich naheliegende Frage gleicher oder verschiedener Dosierungen bei Geburtseinleitungen und Wehenstimulation. Interessant ist der Ansatz einer Wehenstimulation mit pulsatiler Oxytozinapplikation. Als Dosierung wird die Gabe von 1 mE pro 8 min mit Verdoppelung alle 24 min empfohlen.
Bisherige Untersuchungen zeigen einen geringeren Gesamtverbrauch an Oxytozin. Diese Applikationsart hat sich aber bisher nicht durchzusetzen vermocht. Wichtigste Kontraindikationen einer Wehenstimulation sind ein mechanisches Geburtshindernis und eine abnorme Lage des Kindes. Weitere Kontraindikationen sind wie bei der Geburtseinleitung: Placenta praevia, Vasa praevia, Vorliegen der Nabelschnur, Status nach Sectio mit korporalem Längsschnitt oder Status nach Myomektomie mit Eröffnung des Uteruskavums, ein aktiver Herpes genitalis, Pathologie der Beckenanatomie oder ein invasives Zervixkarzinom (ACOG 1995).
Besondere Aspekte der Wehenstimulation Der Respekt vor einer unangemessenen Wehenstimulation in Verkennung eines Kopf-Becken-Missverhältnisses war für die Zurückhaltung gegenüber Oxytozin in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich. Das moderne Monitoring von Mutter und Kind erlaubt eine Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Wehenstimulation. Ein definitiver Geburtsstillstand infolge eines relativen Kopf-Becken-Missverhältnisses ist bei rund 40% der wegen eines fehlenden Fortschrittes adäquat unterstützten Geburten zu erwarten. Ein absolutes KopfBecken-Missverhältnis im Sinne eines pathologisch verengten Beckens bildet nur bei etwa 1% aller Geburten die Ursache eines Geburtsstillstands. Die Frage nach der zeitlichen Reihenfolge von Amniotomie oder Oxytozininfusion ist nicht pauschal zu beantworten. In der Annahme, dass nach Amniotomie in vielen Fällen die Oxytozingabe vermieden oder die notwendige Oxytozinmenge klein gehalten werden kann, besteht allgemein die Tendenz, bei protrahiertem Verlauf und im Becken fixiertem Kopf eine Amniotomie vor einer evtl. medikamentösen Wehenstimulation vorzunehmen. Bei noch hoch stehendem Kopf wird jedoch einer Oxytozingabe der Vorzug gegeben. Tipp Bringt die medikamentöse Wehenstimulation nicht den gewünschten Erfolg, wird bei hochstehendem Kopf unmittelbar am Ende einer Wehe und bei Hochlagerung des Beckens die Fruchtblase eröffnet. Bei fehlendem Bezug des Kopfes zum Beckeneingang erfolgt die Amniotomie amnioskopisch durch Anstechen der Fruchtblase, um das Fruchtwasser langsam abfließen zu lassen und so ein Mitschwemmen der Nabelschnur zu verhindern.
> Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Amniotomie bis zum Ende der Eröffnungsperiode bzw. der Aktivphase als eine Intervention mit Indikationsbedarf anzusehen ist. 4 Wegen der gelegentlich heftigen Verstärkung des Wehenschmerzes ist von einer Amniotomie bei normalem Geburtsfortschritt abzusehen. 4 Eine routinemäßige Amniotomie sollte erst in der Dezelerationsphase oder in der Austreibungsperiode praktiziert werden, vorausgesetzt, dass der vorangehende Teil wenigstens in der Beckenmitte steht.
831 38.4 · Dystokie durch Organpathologie der Geburtswege
Anspannung infolge von Angst und Schmerz steht in enger Beziehung zum protrahierten Geburtsverlauf, und eine suffiziente Analgesie trägt zur Unterstützung der Wehentätigkeit bei (7 Kap. 47). Als ein erfolgversprechender Ansatz zur Behandlung ineffizienter Wehen könnte sich die medikamentöse Beeinflussung der adrenergen Rezeptoren im Myometrium erweisen (Sanchez-Ramos et al. 1996). Eine Stimulation der α-Rezeptoren steigert Uterustonus und Kontraktionstätigkeit; eine Stimulation der β-Rezeptoren, wie etwa durch Katecholamine als Folge von Angst, wirkt wehenhemmend. Eine besondere Herausforderung bildet die unkoordinierte Wehentätigkeit als Ursache einer Wehendystokie. Dafür werden entweder die alleinige Wehenstimulation, die Amniotomie oder beides kombiniert empfohlen, oder auch die Kombination von intravenöser Tokolyse (mit β-Mimetika oder Magnesiumsulfat) und Wehenstimulation mit Oxytozin. Kontrollierte Studien bestehen allerdings nicht. Auch eine Verstärkung der Analgesie oder eine Verbesserung der Atemtechnik können hilfreich sein.
»Active management of labor« (AML) Die Diskussionen über das »active management of labor« (7 Kap. 31) und dessen wissenschaftliche Grundlagen haben die Entwicklung der klinischen Geburtshilfe im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts mitbeeinflusst. Das Aufkommen einer mehr individuelle Bedürfnisse berücksichtigenden Geburtshilfe im Laufe der 1980-er Jahre stellte sich der weiteren Verbreitung des recht rigiden, interventionistischen AML entgegen. Zu dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung gesellte sich die Beobachtung der fehlenden Evidenz einiger vermuteter Vorteile. Allerdings gehören zum ursprünglichen Gesamtkonzept des AML einige wesentliche Komponenten, die in den Diskussionen zu Amniotomie und Oxytozingabe oft übersehen werden, die aber teilweise pionierhafte Leistungen darstellten und weiterhin größte Beachtung verdienen: die vorgeburtliche Information der Schwangeren über die Geburtsleitung in der zur Entbindung vorgesehenen Institution, die permanente persönliche Betreuung sub partu, die frühzeitige Erfassung und die adäquate Behandlung protrahiert verlaufender Geburten sowie das interne »peer review« problematischer Geburtsverläufe.
38.3.5
Prävention
Vorbereitungskurse auf die Geburt und soziale Unterstützung wirken durch Abbau von Ängsten und Schmerz präventiv gegenüber einem protrahierten Geburtsverlauf (ACOG 1995). Präventive Maßnahmen sub partu unterstehen ganz besonders dem Gebot des »primum nil nocere«. Aufrechte Körperhaltung und Umhergehen erleichtern erfahrungsgemäß den Umgang mit dem Wehenschmerz, wenn auch Untersuchungen zum Einfluss auf die Dauer der Geburt uneinheitliche, in neuerer Zeit eher negierende Resultate lieferten. Der Prävention von Ketoazidose durch freie Nahrungszufuhr und von Exsikkose durch Flüssigkeitsgabe wird zu-
nehmend Bedeutung beigemessen (Keirse 1989; O’Sullivan 1994; Garite et al. 2000). > Gesichert sind die kürzere Geburtsdauer und der geringere Verbrauch an Oxytozika bei permanenter persönlicher Betreuung durch eine Begleitperson.
Die Studien (RCT zur Rolle der Doula) wurden in Umgebungen durchgeführt, in denen die Permanenz einer persönlich zugeteilten Hebamme nach mitteleuropäischen (Ideal-) Vorstellungen fehlte (Keirse 1989; Chalmers u. Wolman 1993). Dieser bedeutsame Faktor erfolgreicher Geburtshilfe muss in der Personalplanung geburtshilflicher Abteilungen auch in Zeiten stärkeren ökonomischen Druckes gebührend berücksichtigt werden. Uneinheitlich ist die Praxis einer routinemäßigen Amniotomie in der Latenz- und frühen Aktivphase. Zwar wurden in einer Metaanalyse und weiteren klinischen Trials die bereits bekannte kürzere Geburtsdauer (Eröffnungsperiode um 30– 90 min kürzer), der geringere Oxytozinverbrauch sowie auch ein besserer 5-min-Apgar-Wert bei routinemäßiger früher Amniotomie bestätigt. Eine Reduktion der Sectiorate konnte dagegen nicht gezeigt werden (Fraser et al. 2001). Recht konsistent ist der Befund häufigerer Herzfrequenzalterationen nach Amniotomie. Ein Trend zu höheren Sectioraten nach routinemäßiger Amniotomie zeigt sich zumindest in Institutionen, in denen die Diagnose »fetal distress« allein auf die Kardiotokographie abgestützt wird. Kontrovers sind die Angaben zur Schmerzhaftigkeit der Wehen nach Amniotomie. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es keine Argumente für eine routinemäßige Amniotomie gibt, d. h. dass die Amniotomie zumindest vor dem Ende der Aktivphase Geburten mit protrahiertem Verlauf oder mit Hinweisen auf eine fetale Gefährdung (CTG, Blutung) vorbehalten bleiben sollte.
38.4
Dystokie durch Organpathologie der Geburtswege
Organische Pathologien des Uteruskorpus führen entweder über Störungen der Wehenausbreitung oder mechanisch durch eine Passagebehinderung im isthmischen Bereich zu Dystokien. Für die Zervixdystokien besteht keine einheitliche Klassifikation; organische und funktionelle Ursachen greifen z. T. ineinander über. Einzelne Formen kongenitaler vaginaler Septen und erworbene Stenosierungen von Vagina und Vulva können geburtsmechanisch relevante Probleme bilden.
38.4.1
Uterus
Uteruskorpus Kongenitale Formanomalien des Uterus führen paradoxerweise umso weniger zu Wehendystokien, je ausgeprägter sie sind, d. h. dass bei einem Uterus duplex die Wehenentwicklung kaum gestört ist. Bei anderen Formanomalien finden sich gehäuft Lageanomalien des Kindes, habituelle Aborte, Spätaborte, Frühgeburten und Lösungsanomalien der Plazenta.
38
832
38
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
4 Myome behindern den Geburtsablauf i. d. R. nur bei zervikaler Lokalisation. In solchen Fällen ist die abdominale Schnittentbindung unumgänglich. Bei einem Zusammentreffen von Myomen und unkoordinierter Wehentätigkeit wird schnell ein Kausalzusammenhang postuliert. 4 Störungen des Wehenablaufs können sich auch aus Lageveränderungen des Uterus ergeben. In seltenen Fällen kann eine extreme Hyperanteflexion die Achseneinstellung des Kindes stören und die Wirkung der Wehen beeinträchtigen. 4 Retroversion und Retroflexion des Uterus korrigieren sich zu Beginn des 2. Trimenons i. d. R. spontan: Eine Persistenz führt zu Beschwerden wie Harnverhaltung, Schmerzen oder einem Spätabort. Therapeutisch wird zur Behandlung der persistierenden Retroflexion die bimanuelle Aufrichtung, meistens anlässlich einer Katheterisierung wegen Harnverhaltens oder bei Bedarf in Narkose, angegeben; die Sicherung des Eingrifferfolgs soll durch Bauchlage erhöht werden. Inwieweit auch ein Pessar diese Erfolgssicherung zu unterstützen vermag, ist unklar. 4 Bei der modernen Schwangerschaftsvorsorge dürfte die in älteren Lehrbüchern beschriebene fixierte Retroflexion kaum mehr vorkommen. Sie führt zu einer exzentrischen Lage der Zervix. Der Kopf des Kindes liegt im Fundus uteri im kleinen Becken; die Uterusvorderwand ist massiv überdehnt, die Harnblase ins Abdomen hochgezogen, und die Zervix befindet sich kaum ertastbar hinter der Symphyse (hintere Sakkulation). Die Gefahr einer Uterusruptur ist groß; Therapie der Wahl ist die Sectio. Bei der Schnittentbindung ist die starke Veränderung der Topographie zu beachten. 4 Etwas häufiger lässt sich eine scheinbar analoge Situation ertasten mit einer »vorderen Sakkulation« des Isthmus uteri und nach dorsal und kranial verlagerter Zervix. Diese Situation korrigiert sich oft spontan, erfahrungsgemäß begünstigt durch eine Regionalanalgesie. 4 Ein weiteres sehr seltenes Geburtshindernis ist die Torsion des Uterus im Isthmusbereich. Die Diagnose wird meist erst bei der Sectio gestellt.
Zervix Zervixdystokie Als Zervixdystokie wird eine Situation definiert, bei der trotz guter Wehentätigkeit die Dilatation der Zervix ausbleibt.
Es werden Narbendystokie und Konglutination der Zervix unterschieden. Beides sind seltene Ereignisse. Nach Operationen an der Zervix wie Konisation, EmmetOperationen, traumatisierenden Cerclagen oder totalem Muttermundsverschluss können Vernarbungen der Zervix auftreten, die die Dilatation von Beginn an oder im Laufe der Eröffnung behindern. In solchen Fällen kann eine vorsichtige digitale Dilatation versucht werden. Eine forcierte Dilatation der Zervix ist obsolet. Auch von den früher praktizierten sog. Dührsen-Inzisionen mit Schnitterweiterung der noch nicht
vollständig dilatierten Zervix ist wegen der Gefahr des Weiterreißens abzusehen. Das Risiko weitergehender Verletzungen bei noch hochstehendem Kopf ist beträchtlich, und eine anschließende vaginaloperative Entbindung muss mit gebührender Vorsicht und sehr langsam vorgenommen werden. Im Anschluss an die Geburt wird die Zervix sorgfältig inspiziert, und Risse werden genäht. Meistens ist die abdominale Schnittentbindung angezeigt, insbesondere bei geringer Muttermundsweite oder einem hohen Stand des vorangehenden Teils. Die Konglutination des äußeren Muttermundes stellt eine idiopathische Variante der Narbendystokie dar, bei der kein Trauma (Operation) in der Anamnese gefunden werden kann. Die Ätiologie ist nicht geklärt. Das untere Uterinsegment und die Zervix sind stark gedehnt. Der als feine Eindellung tastbare äußere Muttermund wird dabei häufig nicht erkannt, und das scheinbare Fehlen des Muttermundes wird als dessen vollständige Eröffnung fehlinterpretiert. Für die Sicherung der Diagnose ist oft die Spekulumeinstellung notwendig. Therapeutisch wird die Konglutination mit einer vorsichtigen Dilatation mit dem Untersuchungsfinger oder mit einer Sonde gelöst, worauf die Dilatation i. d. R. sehr schnell erfolgt. Gelegentlich werden die indirekte Zervixdystokie und die idiopathische (hypertone) Zervixdystokie als weitere Formen von Zervixdystokien angeführt. 4 Bei der indirekten Zervixdystokie ist i. d. R. ab einer Muttermundsweite von etwa 8 cm die vordere Muttermundslippe zwischen dem kindlichen Kopf und der Symphyse eingeklemmt. Dadurch kommt es zu einer Behinderung der Zirkulation, bei längerer Dauer mit ödematöser Schwellung der Muttermundslippe. Therapeutisch werden Beckenhochlagerung und Knie-Ellbogen-Lage, evtl. unterstützt durch eine Kurzzeittokolyse, empfohlen. Es kann auch eine Reposition der Muttermundslippe in einer Wehenpause mit anhaltendem Hochdrücken während der nachfolgenden Wehe vorgenommen werden. Bei der Erstgebärenden soll eine Reposition erst versucht werden, wenn vom Muttermund fast nur noch der eingeklemmte Teil zu ertasten ist. 4 Die idiopathische oder hypertone Zervixdystokie ist bei spontanem Wehenbeginn ein seltenes Phänomen: Während das Uteruskorpus Geburtswehen entwickelt, verharrt die Zervix mangels genügendem Kollagenabbau in einem biochemisch unreifen Zustand. In praxi ist die Situation oft kaum von einem »slow starting« oder einer protrahierten Latenzphase zu unterscheiden. Zur Therapie bietet sich die medikamentöse Reifung (Priming) der Zervix an, am ehesten mittels Prostaglandingel, evtl. mittels länger dauernder, niedrig dosierter Oxytozinzufuhr (7 Kap. 38.3.4: »Spezielle Methoden«) oder Laminaria.
38.4.2
Weichteile des Geburtsweges
Die Darstellung dieser seltenen Pathologien stützt sich auf klinische Erfahrungen, wie sie in diversen Lehrbüchern beschrieben werden (Käser u. Richter, 1981; Beazley 1995).
833 38.5 · Kopf-Becken-Missverhältnis
Vagina Die Vagina duplex bildet kein geburtsmechanisch relevantes Problem. Ein partielles Septum in der Mittellinie der kranialen oder kaudalen Hälfte der Vagina stört die Passage des Kindes kaum und kann bei Bedarf zur Seite geschoben werden. Die Entfernung soll erst nach Abschluss der puerperalen Involution durchgeführt werden; während der Schwangerschaft ist der Blutverlust unnötig hoch. Selten ist ein kongenitales ringförmiges Band der Vagina, das im Laufe der Schwangerschaft zunehmend elastisch wird und nur selten sub partu inzidiert werden muss. Ein transversales Septum im oberen Drittel der Vagina kann diagnostische Probleme sub partu bieten, indem die vordere Fläche als Scheidengewölbe und die enge Öffnung als Muttermund verkannt wird. Die sorgfältige Palpation erlaubt die Erkennung des Muttermundes hinter dem Septum. Falls das Septum die Passage des Kopfes verhindert, kann es digital dilatiert oder bei Bedarf inzidiert werden. Die Vagina muss im Anschluss an die Geburt inspiziert, und blutende Wunden müssen versorgt werden. Strikturen im oberen Drittel der Vagina, traumatisch oder kongenital bedingt, sind ein Geburtshindernis. Sie stellen bei vaginaler Entbindung eine erhebliche Gefährdung der Mutter dar, weshalb eine elektive Sectio indiziert ist. Bei Zustand nach Harninkontinenzoperation oder Versorgung einer vesikovaginalen Fistel wird eine elektive Sectio empfohlen. Eine nicht operierte Zystozele stellt keine Kontraindikation für eine vaginale Entbindung dar; bei Bedarf wird sie durch Katheterisieren entleert. Auch nach Sanierung einer rektovaginalen Fistel wird eine Sectio empfohlen. > Ob durch eine Episiotomie bei Zustand nach drittoder viertgradiger Dammverletzung eine weitere Beeinträchtigung der Analsphinkterfunktion verhindert werden kann, ist nicht bekannt.
Raritäten sind Tumoren der Vaginalwand oder benachbarter Strukturen. Analog dem Vaginismus der nicht schwangeren Frau wird eine tetanische Kontraktion des M. levator ani beschrieben, die als zirkuläre Struktur in der Mitte der Vagina tastbar ist. Als Therapie wird die Allgemeinanästhesie genannt.
Vulva Alle Vulvaveränderungen mit Störung der Gewebeelastizität bergen das Risiko ausgedehnter Verletzungen bei der vaginalen Entbindung. Durch Episiotomien können in solchen Situationen größere Schädigungen vermieden werden. Als Passagehindernis können sich Vernarbungen erweisen. Unelastische Narben nach Episiotomien und Dammläsionen erfordern in der Regel einen erneuten Schnitt. Bei der seltenen Entbindung bei Zustand nach Vulvektomie wegen Karzinoms ist mit Episiotomie die vaginale Passage möglich. Je nach den Herkunftsländern von Immigranten sind zunehmend auch Frauen mit Zustand nach Zirkumzision zu betreuen. Besonders bei der ausgedehnten Form der weiblichen Beschneidung, der Infibulation, wird eine Besprechung der Geburtsleitung, evtl. mit Dolmetscher, während der Schwangerschaft empfohlen. Für eine Episiotomie gelten die
üblichen Indikationen. Eine ausführliche Darstellung der Problematik findet sich in einer Leitlinie der gynécologie suisse SGGG 2005 (Hohlfeld et al. 2005). Bartholin-Pseudozysten werden kaum so groß, dass sie die Passage des Kindes stören könnten.
Ovar Große Ovarialzysten im kleinen Becken hemmen den Deszensus des Kindes. In der Schwangerschaft können sie durch Torsion (v. a. im 1. Trimenon) und Ruptur Probleme bereiten. Eine operative Entfernung wird aber erst für die Zeit des 2. Trimenons empfohlen, und auch dann nur beim klinischen Bild eines akuten Abdomens oder wenn sie mehr als 8 cm messen, wenn sie multilokulär, mit verdickten Septen oder mit soliden Anteilen aufgebaut sind. Zysten von weniger als 6 cm Durchmesser sind meistens Corpus-luteum-Zysten. In einer größeren Serie von Ovarialtumoren in der Schwangerschaft waren 2,4% maligne.
Sonstige Beckennieren und transplantierte Nieren können die Geburt eines normal großen Kindes behindern und durch den Deszensus des Kindes gefährdet werden. Eine vaginale Geburt ist nicht a priori ausgeschlossen. Die Geburtsplanung hat im Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Anatomie und der Gesamtsituation zu erfolgen. Die wehenhemmende Wirkung einer überfüllten Blase entspricht alter geburtshilflicher Erfahrung. Seltene Raumforderungen anderer Genese sind: Zysto- und Rektozelen, Blasentumoren, Splenomegalien mit Protrusion bis ins kleine Becken, Echinokokkuszysten, alte Extrauteringraviditäten, Enterozelen, Neoplasien wie Ganglioneurome oder Chordome.
38.5
Kopf-Becken-Missverhältnis
Kopf-Becken-Missverhältnisse sind Folge einer ungünstigen Konstellation von Größe, Form, Verformbarkeit und Einstellung des Kopfes sowie Größe, Architektur und Dehnbarkeit des Beckens. Bei rund 40% der sekundären Sectiones wegen Dystokie wird ein Kopf-Becken-Missverhältnis als Ursache angenommen, eine pathologische Beckenverengung nur in rund 1% aller Geburten. Als Formvarianten des weiblichen Beckens finden sich (in abnehmender Häufigkeit) das gynäkoide Becken, das androide Becken, das anthropoide Becken (identisch oder ähnlich dem sog. langen Becken) und das platypelloide Becken. Die wichtigsten Beckenmaße sind die Conjugata vera obstetrica und die Interspinallinie (Norm je etwa 11 cm). Die häufigsten geburtsbehindernden Beckenanomalien sind heute Varianten der Sakrumarchitektur und mäßiggradige Verengungen der Beckenmitte.
38.5.1
Allgemeine Grundlagen
Ein »Kopf-Becken-Missverhältnis« wird häufiger als Ursache eines gestörten Geburtsablaufs angenommen als aufgrund pel-
38
834
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
vimetrischer Abklärungen belegt werden kann. Im Einzelfall ist die tatsächliche ursächliche Bedeutung eines vermuteten KopfBecken-Missverhältnisses schwer abzuschätzen. Dies gilt besonders dann, wenn zusätzlich eine Wehendystokie angenommen wird. In diesen Fällen sind von den Faktoren »power, passenger, passage« alle 3 mit in die Beurteilung einzubeziehen.
38.5.2
38
Beckenanomalie als Hauptfaktor eines Kopf-Becken-Missverhältnisses
Für die vielfältigen Beckenanomalien sind verschiedene Einteilungen gebräuchlich, bei denen entweder die Zuordnung der Anomalie zu einer der 3 Hauptebenen oder die Veränderung der Beckenform als Ganzes im Vordergrund steht. Bei den Beckenanomalien ist von großer praktischer Bedeutung, auf welcher Höhe oder Etage des Beckens die Anomalie vorliegt. Neben Verkürzungen der pelvimetrisch relevanten Durchmesser kann auch eine abnorme Architektur des Beckens, d. h. eine ungünstige Konfiguration und Stellung verschiedener Beckenknochen, Anlass zur Störung des Geburtsablaufs sein. Bevor die gebräuchlichen Begriffe der verschiedenen Beckentypen zur Darstellung kommen, werden deshalb die Pathologien nach den einzelnen Beckenräumen aufgelistet. Die normale Anatomie der Geburtswege ist in 7 Kap. 31.1 beschrieben, die pelvimetrischen Maße sind weiter unten in . Tab. 38.5–38.8 aufgeführt. Als Arbeitshilfe für den Alltag dürfte es nützlich sein, einige geringfügig gerundete Werte als Orientierungshilfen beizubehalten; eine künftige Korrektur der bisher tradierten Normwerte in Richtung größerer Durchmesser aufgrund säkularer Veränderungen des Körperbaues ist allerdings wahrscheinlich (Wischnik et al. 1992; Krauss et al. 1997). Die Bedeutung der Pelvimetrie für die klinische Entscheidungsfindung wird in 7 Kap. 38.6 diskutiert. Es wird herkömmlich zwischen absoluten und relativen Kopf-Becken-Missverhältnissen unterschieden: 4 »Absolut« bedeutet in diesem Zusammenhang die anatomisch bedingte Unmöglichkeit einer Passage trotz Anpassungsmechanismen auf Seiten des Kopfes wie des Beckens. 4 »Relativ« bezeichnet eine Passagestörung infolge ungenügender Ausschöpfung der Anpassungsmöglichkeiten von Kopf, Becken oder Wehenkraft. > Wichtig ist die Beachtung der funktionellen Dimension dieser Definition: Letztlich bedeutet »Kopf-Becken-Missverhältnis« immer eine Dysproportion eines bestimmten Kopfes (mit dessen jeweiliger Einstellung) zu einem bestimmten Becken (»dieser Kopf in diesem Becken«).
Pathologie der Beckenräume Verengungen des Beckeneingangs. Von einem verengten Beckeneingang wird gesprochen, wenn entweder die Conjugata vera weniger als 10 cm (plattes Becken) oder der Diameter transversalis weniger als 12 cm (querverengtes Becken)
oder die Summe dieser beiden Durchmesser nicht wenigstens 22 cm beträgt. Eine in praxi kritische Größe ist eine Conjugata vera von weniger als 11 cm.
Verengungen der Beckenmitte. Die Verengungen der Be-
ckenmitte sind weniger eindeutig definiert. Dies hängt vermutlich mit der komplexeren und damit variantenreicheren räumlichen Struktur der Beckenmitte zusammen. Verengungen der Beckenmitte Als grenzwertig werden eine Interspinallinie von weniger als 10 cm und ein gerader Durchmesser in der Beckenenge von weniger als 11 cm definiert. Eine Interspinallinie von weniger als 9 cm und ein gerader Durchmesser in der Beckenenge von weniger als 10 cm gelten dagegen als pathologisch. Eine relevante Verengung der Beckenmitte muss angenommen werden, wenn die Summe der Beckenmittenmaße 20 cm oder weniger beträgt.
Der gerade Durchmesser der Beckenenge (oft auch als gerader Durchmesser der Beckenmitte schlechthin bezeichnet) ist definiert als die Strecke, die vom Unterrand der Symphyse mit einem Schnittpunkt auf der Interspinallinie zum Sakrum führt. Sie erreicht dieses im Bereich des 4. Sakralwirbels und weist eine mittlere Länge von 11,5 cm auf (Pritchard et al. 1985). Als zusätzliches Engenmaß kann der hintere gerade Durchmesser, nämlich die Distanz vom Schnittpunkt des geraden Durchmessers der Beckenenge mit der Interspinallinie bis zum Sakrum, angesehen werden; als untere Norm dieser Strecke werden 4,5 cm angegeben. Der hintere gerade Durchmesser der Beckenenge wird wegen der geringen Präzision der bildlichen Feststellung allerdings selten verwendet. Ebenfalls nur selten wird die Beckenweite angeführt. Sie reicht von der Mitte der Symphysenhinterfläche zur Mitte des 3. Sakralwirbels. Ihre Verengung kann insbesondere bei geringer oder fehlender Wölbung der Sakralhöhle geburtsmechanisch relevant werden. Von einzelnen Autoren wird die Beckenweite statt der Beckenenge als Beckenmitte bezeichnet. Verengungen des Beckenausgangs. Beim Beckenausgangsraum scheinen Normabweichungen einzelner Durchmesser
eine geringere Rolle zu spielen als in den kranialer gelegenen Etagen des Beckens, da die Kompensationsmöglichkeiten größer sind. So wird für den Intertubarabstand, bei einem Mittelmaß von 11,5 cm, eine Verkürzung auf weniger als 10 cm als kritische und auf weniger als 9 cm als pathologische Querverengung des Beckenausganges bezeichnet. Der gerade Durchmesser im Beckenausgang liegt nahe beim geraden Durchmesser der Beckenenge. Er beginnt wie dieser am dorsalen Teil des Symphysenunterrandes und reicht zur Sakrumspitze. Verengungen des Beckenausgangs Auch für den Beckenausgang ist eine Summengröße aus dem geraden Durchmesser im Beckenausgang, dem Interspinal- und dem Intertubardurchmesser definiert worden; eine Verengung muss bei einer Summe von weniger als 30 cm angenommen werden.
835 38.5 · Kopf-Becken-Missverhältnis
Die Definition des geraden Beckenausgangs vom Symphysenunterrand an die Sakrumspitze entspricht der funktionellen Bedeutung dieser Strecke unter der Geburt, obwohl anatomisch der dorsale Endpunkt an der Kokzyxspitze liegt. Das Steißbein spielt geburtsmechanisch nur bei meist posttraumatisch entstandenen Versteifungen im Sakrokokzygealgelenk und stark nach vorne gerichteter Stellung eine Rolle. Bei der Pelvimetrie wird es deshalb nur ausnahmsweise bei sub partu gefertigten Aufnahmen berücksichtigt, wenn es vom bereits tief in der Beckenmitte stehenden vorangehenden Teil dorsalwärts gedrückt ist. Der Intertubarabstand verbindet in der hier verwendeten Lesart die beiden radiologisch sichtbaren kaudalen Spitzen der Sitzbeinhöcker, wie in 7 Kap. 38.6 dargestellt; bei Ablesen des Intertubarabstandes von der Knocheninnenseite sind 1–1,5 cm abzuziehen. Der hintere gerade Durchmesser des Beckenausgangs beginnt in der Mitte der Verbindungslinie der radiologisch nie genau übereinander projizierbaren kaudalen Ränder der Sitzbeinhöcker und erstreckt sich zur Sakrumspitze (Normmaß ≥7 cm).
Verschiedene Beckentypen Bei Versuchen zu einer systematischen Gliederung der verschiedenen Beckenformen wird meistens auf die von Caldwell und Moloy vorgenommene Einteilung zurückgegriffen. In der deutschsprachigen Fachliteratur finden sich häufig auch die Begriffe des allgemein verengten Beckens, des Trichterbeckens, des langen Beckens und des platten Beckens. Es handelt sich um rein beschreibende Begriffe, auf die im Folgenden zuerst eingegangen wird. Die hier dargestellten geburtsmechanischen Probleme gelten analog für die betreffenden Beckenformen in der Klassifikation von Caldwell und Moloy.
oder schon visuell abgeschätzt werden. Die Seitenwände des kleinen Beckens stehen normalerweise nur leicht mediangerichtet mit einem virtuellen Schnittpunkt etwa auf Kniehöhe; im Falle des Trichterbeckens konvergieren die Seitenwände stärker. Ein Trichterbecken findet sich gehäuft in Verbindung mit einem langen Becken bzw. einem anthropoiden Becken. Eine geburtshilfliche Pathologie kann sich, wenn nicht schon durch einen gestörten »Auffangmechanismus« im Beckeneingang, so in der Beckenmitte oder typischerweise im Beckenausgang einstellen. Langes Becken. Das lange Becken entspricht recht genau dem anthropoiden Becken nach Caldwell und Moloy. Es ist mit seinen i. d. R. mindestens normal großen Einzelparametern ein gutes Beispiel dafür, dass nicht nur Einzelmaße, sondern auch deren Beziehung zu einander, also die Beckenarchitektur, für die Geburtsmechanik von Bedeutung sind (Kirchhoff 1974; Krauss et al. 1997). Den Thesen von Kirchhoff zufolge führen 2 Pathomechanismen zum langen Becken: 4 die Einbeziehung des letzten Lumbalwirbels in den Geburtskanal 4 oder das Verharren der Beckenform auf einer präadulten Entwicklungsstufe (das Sakrum erfährt seine im Laufe der Adoleszenz erfolgende typische Wölbung nicht).
engten Beckens bezieht sich auf ein in mehreren oder allen Dimensionen pathologisch verkleinertes Becken. Geburtsmechanische Probleme stellen sich beim allgemein verengten Becken i. d. R. bereits im Beckeneingang ein. Der kindliche Kopf wird früher als beim ungestörten Geburtsablauf gezwungen, die erste Anpassungsbewegung, die Flexion, vorzunehmen. Dadurch tritt der Kopf mit der kleinen Fontanelle in der Führungslinie und mit der kleineren Circumferentia suboccipitobregmatica parallel zur Beckeneingangsebene, also in einer bereits maximalen Beugehaltung, in das kleine Becken ein (Roederer-Einstellung). Außerdem wird der Kopf gleichzeitig zu der zweiten Anpassungsbewegung, der inneren Rotation, veranlasst, und er erfährt durch die Enge des Beckeneinganges eine erhebliche Längsstreckung zulasten der seitlichen Durchmesser.
Nach Kirchhoff lässt sich das lange Becken, basierend auf den radiologischen Beckenbildern des lateralen Strahlenganges, in 3 Gruppen unterteilen (. Abb. 38.2): 4 Übergangsbecken (Gruppe I): 5 Formanomalie durch Schrägstellung des 5. Lumbalwirbels, dem sog. Übergangswirbel, und dadurch »2. Promontorium«; 5 funktionelle Verlängerung des kleinen Beckens um die Strecke dieses einen Wirbelkörpers und steiler Beckeneingang; 5 Kreuzbeinhöhle normal gewölbt. 4 Assimilationsbecken (Gruppe II): 5 vollständige »Assimilation« des 5. Lumbalwirbels ans Sakrum, dadurch hochstehendes Promontorium zwischen L4 und L5 bzw. Sakrum; 5 lange Kreuzbeinhöhle und steiler Beckeneingang; 5 Kreuzbeinhöhle weitgehend normal gewölbt. 4 Kanalbecken (Gruppe III): 5 gestreckte Form des Sakrums und Assimilation des 5. Lendenwirbels; 5 lange Kreuzbeinhöhle, steiler Beckeneingang; 5 im geraden (und oft auch im queren) Durchmesser verengte Beckenmitte.
Trichterbecken. Trichterbecken ist ein Sammelbegriff für jene Beckenformen, bei denen die Querdurchmesser von kranial nach kaudal kürzer werden. Damit ist nicht zwingend auch eine Verkleinerung der geburtshilflich relevanten Beckenebenen verbunden. Auf dem Röntgenbild mit anteroposteriorem Strahlengang (Frontalbild, sog. Colcher-SussmanAufnahme; 7 Kap. 38.6) kann dies pelvimetrisch dokumentiert
Geburtsmechanische Folgen des langen Beckens können sich sowohl im Beckeneingang wie auch in der Beckenmitte einstellen: 4 Der durch das hochstehende Promontorium steile Beckeneingang ist für die Störung des sog. Auffangmechanismus für den kindlichen Kopf verantwortlich. Man nimmt an, dass der an der Symphyse erschwerte und verlangsamte
Allgemein verengtes Becken. Der Begriff des allgemein ver-
38
836
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
4 Die zweite typische geburtsmechanische Störung des langen Beckens ergibt sich am Übergang zur Beckenmitte. Bei einer Streckform des Sakrums, d. h. beim Kanalbekken, fehlt die Beckenweite, die für den Ablauf der 2. Anpassungsbewegung des Kopfes, nämlich der inneren Rotation in den geraden Durchmesser, von Bedeutung ist. »Transverse arrest« wird in der angelsächsischen Fachliteratur jene Störung des Geburtsablaufs genannt, bei der es unter Ausbleiben der inneren Rotation zum Geburtsstillstand zumeist in der Beckenmitte kommt. a
Plattes Becken. Eine ausgeprägte Verkürzung des geraden Durchmessers im Beckeneingang charakterisiert das platte Becken. Die übrigen Stigmata sind beim »platypelloiden Becken« nach Caldwell und Moloy, mit dem es sich deckt, aufgezählt. In Bestätigung älterer Beobachtungen haben radiologische Untersuchungen gezeigt, dass bei mäßiger Verkürzung der Conjugata vera der Kopf in leichter Streckhaltung (Scheiteleinstellung, »indifferente Haltung«) ins kleine Becken eintritt (Borell u. Fernström 1981). Dabei liegt der bitemporale Durchmesser des Kopfes (8 cm) zwischen Symphyse und Promontorium, der breitere biparietale Durchmesser (9,5 cm) liegt seitlich davon. Zusätzlich nimmt der Kopf oft eine asynklitische Haltung ein, meistens in Form eines vorderen Asynklitismus (vordere Scheitelbeineinstellung). Stärkere Verkürzungen der Conjugata vera bedingen zur Passage des Beckeneinganges weitere Anpassungen des kindlichen Kopfes, wie eine Einstellung der Pfeilnaht im schrägen Durchmesser und eine gleichzeitige starke Konfiguration der Schädelknochen, solcherart, dass die beiden Tubera parietalia je links und rechts der Mittellinie zu liegen kommen. Die massive Verformung des Kopfes lässt diesen eine Nierenform analog derjenigen des platten Beckens annehmen.
b
c
Schwerere und seltene pathologische Beckenformen.
38 d . Abb. 38.2. Normales Becken und Formen des langen Beckens nach Kirchhoff. a Normales Becken (1 Beckeneingangswinkel, 2 Beckenöffnungswinkel, 3 Beckenneigungswinkel), b Übergangsbecken (mit »doppeltem« Promontorium), c Assimilationsbecken (mit erhaltener Kreuzbeinwölbung), d Kanalbecken
Deszensus die beiden ersten Anpassungsbewegungen des Kopfes und dessen synklitische Einstellung in die Führungslinie im Beckeneingang hemmt. Dadurch kommt es entweder zu einem hohen Geradstand oder zu einer hinteren Scheitelbeineinstellung. Der hohe Geradstand wird auch als »Reiten des Kopfes auf der Symphyse« bezeichnet.
Schwerwiegende Formveränderungen des Beckens resultieren aus Pathologien der Extremitäten oder der Wirbelsäule, die konstitutionell, metabolisch oder traumatisch bedingt sein können. Patientinnen mit Beckenfehlformen und Beckenfehlhaltungen als Folge allgemein-internistischer Erkrankungen, kyphotischer oder skoliotischer Wirbelsäulenformen, einoder beidseitiger Hüftgelenkpathologien oder von Unfällen bedürfen in jedem Fall einer präpartual, besser noch prägravid vorzunehmenden Abklärung. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Die in älteren Lehrbüchern aufgeführte Fülle von Formpathologien wird in der einheimischen Bevölkerung kaum noch angetroffen. Die Geburtsabläufe werden v. a. von den Adaptationsbzw. Konfigurationseigenschaften des fetalen Kopfes geprägt. Der Beckeneingang kann am ehesten noch in einer Scheitelbeineinstellung passiert werden. Geht das vordere Scheitelbein in Führung (vorderer Asynklitismus, Naegele-Obliquität), so besteht eine gute Chance für eine vaginale Geburt, weil der Kopf in Richtung der Kreuzbeinhöhle ausweichen und so die Beckenmitte passieren kann. Übernimmt dagegen das hintere Scheitelbein über oder im Beckeneingang die Führung (hinterer Asynklitismus, Litzmann-Obliquität), so kommt es
837 38.5 · Kopf-Becken-Missverhältnis
durch das Anstoßen des Kopfes hinter der Symphyse meistens zum Geburtsstillstand.
Klassifikation der Beckenformen nach Caldwell und Moloy Caldwell und Moloy publizierten ab 1933 Arbeiten zur Klassifikation der verschiedenen Formen des weiblichen Beckens (Caldwell u. Moloy 1933; Pritchard et al. 1985). Sie definierten 4 Hauptgruppen, wobei eine beträchtliche Zahl der von ihnen untersuchten Fälle nur tendenziell klassifizierbar war (. Abb. 38.3). Wichtigstes Unterscheidungskriterium war die Lage des größten queren Durchmessers im Beckeneingang in Bezug zum anteroposterioren Durchmesser. Der quere Durchmesser unterteilt das Becken in ein vorderes und ein hinteres Segment. Gynäkoides Becken. In der Aufsicht ist der Beckeneingang dieses Prototyps des weiblichen Beckens nahezu rund, d. h. gerader und querer Durchmesser sind fast gleich lang, und der vom queren Durchmesser gebildete hintere Abschnitt des geraden Durchmessers ist nur wenig kürzer als der vordere Ab-
schnitt. Die Seitenwände des hinteren Abschnitts sind fast ideal rund. In der Frontalansicht stehen die Seitenwände nahezu senkrecht. Die Spinae sind wenig prominent, und die Winkel zwischen Kreuzbein und Sitzbein (»Incisurae sacrosciaticae«, eine topographische Erweiterung der Incisurae ischiadicae majores) sind weit. > Die gynäkoide Form fand sich bei etwa der Hälfte des ursprünglichen Untersuchungskollektivs. Androides Becken. Die typische herzförmige Aufsicht des Beckeneingangs kommt durch den kürzeren Anteil des hinteren Abschnitts des geraden Durchmessers und eine mehr dreieckige als runde Form des vorderen Abschnitts zustande. Die Seitenwände weisen eine nach kaudal stärkere Konvergenz auf, der Schambogenwinkel ist etwas spitzer, und häufig sind auch die Spinae ischiadicae prominenter. Der Winkel zwischen Kreuzbein und Sitzbein ist eher klein. Das Sakrum ist leicht ins Becken hinein verschoben und weist tendenziell eine Streckung auf. Je nach Ausprägungsgrad kann der Geburtsmechanismus leicht bis erheblich gestört sein. Bereits der kleinere dorsale Raum im Beckeneingang lässt dem kindlichen Kopf weniger Freiheiten für die Drehbewegungen, ebenso die verkürzten geraden Durchmesser von Beckenmitte und Beckenausgang. Vaginaloperative Entbindungen können sehr schwierig sein. > Die Prävalenz des androiden Beckens wird mit rund 1/3 bei weißen und rund 1/6 bei nichtweißen Frauen angegeben.
a
b
Anthropoides Becken. Das anthropoide Becken besitzt einige Charakteristika des androiden Beckens wie den schmaleren Anteil des Beckeneingangsraums dorsal des Querdurchmessers, die konvergenten Seitenwände und evtl. eine Streckung des Sakrums. Die Beckeneingangsebene weist in der Aufsicht eine ovale Form mit längerem geradem als querem Durchmesser auf. Das Sakrum ist durch den mehr oder weniger starken Einbezug des 5. Lendenwirbels verlängert (»langes Becken« nach Kirchhoff); angeblich soll es auch »lange Becken« durch den Einbezug des kranialsten Steißbeinsegments geben. Der Schambogenwinkel ist leicht verengt, der Winkel zwischen Kreuzbein und Sitzbein eher weit, die Spinae ischiadicae sind tendenziell prominent. > Das anthropoide Becken wurde von Caldwell und Moloy bei etwa 1/4 der weißen und in rund der Hälfte der nichtweißen Frauen gefunden.
c
d . Abb. 38.3. Beckentypen nach Caldwell und Moloy: a gynäkoides Becken, b androides Becken, c anthropoides Becken, d platypelloides Becken
Platypelloides Becken. Diese Beckenform ist charakterisiert
durch die Verkürzung des vorderen Abschnitts des geraden Durchmessers im Beckeneingang. Daraus resultiert eine in der Aufsicht betont querovale Form des Beckeneingangs. Die Seitenwände sind gerade, die Spinae ischiadicae nicht prominent. Das Sakrum weist eine gute Wölbung auf, ist oft stärker dorsal rotiert und meist eher kurz. Der Schambogenwinkel ist weit, der Winkel zwischen Kreuzbein und Sitzbein normal oder ebenfalls weit. Die Prävalenz wurde mit etwa 3% angegeben.
38
838
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
38.5.3
Epidemiologie
Prävalenz der pathologischen Beckenformen Hochgradige Verengungen des mütterlichen Beckens als Ursache eines »absoluten« Kopf-Becken-Missverhältnisses sind heute sehr selten und werden mit rund 1% angegeben (Link u. Künzel 2003). Als Grund für den Rückgang der stark verengten Becken wird die weit geringere Prävalenz der rachitischen Becken gegenüber früher betrachtet. Geburtsmechanisch suboptimale Beckenformen spielen wahrscheinlich eine quantitativ weit größere Rolle. Die von Caldwell und Moloy gefundenen Prävalenzen mögen lediglich als Größenordnungen dienen. Zeitgenössische repräsentative Prävalenzstudien fehlen. Normwerte des Beckens sind für jede ethnische Gruppierung separat zu erfassen. Die zunehmende ethnische Durchmischung der Bevölkerung spiegelt sich auch im Kollektiv der gebärenden Frauen wider. Es scheint sich zudem eine säkulare Veränderung der Beckenmasse und Beckenproportionen abzuzeichnen.
Studienbox Interessant sind Beobachtungen einer Verlängerung der Conjugata vera obstetrica und der Verkürzung des Diameter transversalis im Beckeneingang sowie in geringerem Ausmaß auch des Interspinalabstandes im Laufe des 20. Jahrhunderts (Wischnik et al. 1992; Krauss et al. 1997).
Diese Veränderungen könnten auf eine langsam zunehmende Prävalenz der von Kirchhoff beschriebenen Entwicklungsformen bzw. des anthropoiden Beckens hinweisen.
Inzidenz von Kopf-Becken-Missverhältnissen
38
Die Häufigkeit von Kopf-Becken-Missverhältnissen als primäre Ursache eines gestörten Geburtsablaufes ist, wie erwähnt, schwer zu erfassen. Nach Angaben aus Zeiten mit restriktiverer Sectiopraxis als in der Gegenwart sind bei etwa 5% aller Geburten mechanisch bedingte Dystokien zu erwarten. Ein Anstieg von Fällen mit Kopf-Becken-Missverhältnissen ist in den letzten Jahren Folge einer Zunahme ethnisch gemischter Paare. Die Konstellation von Vätern europäischer (weißer) und Müttern asiatischer (vor allem philippinischer) Herkunft ist für ein Kopf-Becken-Missverhältnis besonders prädisponiert.
38.5.4
Klinische Beurteilung
Anamnese und Allgemeinstatus Wesentliche Hinweise auf eine mögliche Beckenanomalie erwachsen aus der Anamnese. Auch die äußere Erscheinung der Frau, d. h. Normabweichungen bei Körperhaltung, Körperlänge, Wirbelsäule, Beinen und Gang lassen auf potenzielle Formstörungen des Beckens schließen.
Beckenaustastung Im Gegensatz zur äußeren Beckenbeurteilung mit dem Beckenzirkel oder zur Beurteilung der Michaelis-Raute kann die
. Abb. 38.4. Wichtige Punkte der inneren Beckenaustastung 1 Promontorium, 2 Vorderwand des Os sacrum, 3 Os coccygis, 4 Symphyse, 5 Linea terminalis, 6 Spinae ossis ischii, 7 Foramen ischiadicum majus, 8 Articulatio sacrococcygea
innere Beckenaustastung durch einen geübten Untersucher verlässliche Informationen über die geburtshilflich relevante Weite des kleinen Beckens geben (Spörri et al. 1994). Die Untersuchung ist für die Frau zweifellos unangenehm; bei vorheriger Erläuterung von Bedeutung und Vorgehen wird sie aber erfahrungsgemäß gut toleriert. Die Reihenfolge der aufzusuchenden Orientierungsstellen wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich angegeben (. Abb. 38.4). Die Schwangere liegt mit hochgezogenen Knien und leicht seitwärts gestellten Beinen auf der Untersuchungsliege. Der Untersucher führt Zeige- und Mittelfinger in die Vagina ein. 4 Zunächst wird die Erreichbarkeit des Promontoriums geprüft. Die untersuchenden Finger liegen dabei analog der Conjugata diagonalis. Wenn die Fingerspitzen, ohne übermäßigen Druck der Hand auf die Vulva, das Promontorium erreichen, so ist bei normaler Handgröße eine Verkürzung des geraden Durchmessers im Beckeneingang anzunehmen. Die Distanzschätzung ist noch genauer, wenn mit dem Zeigefinger der äußeren Hand die Stelle des Introitus vaginae auf dem untersuchenden Fingerpaar markiert wird und die Länge bis zur Fingerspitze gemessen wird. 4 Als nächstes wird von kranial nach kaudal die Vorderwand des Sakrums abgetastet, wobei dessen Wölbung und etwaige Unebenheiten (Exostosen) sowie die Stellung und Beweglichkeit des Steißbeins registriert werden. Normalerweise können, ohne übermäßiges Eindrücken des Dammes durch die untersuchende Hand, nur etwa die drei kaudalen Wirbel des Sakrums ertastet werden. 4 Anschließend werden die Lineae terminales aufgesucht; bei deren Ertasten ist eine Verkürzung des queren Durchmessers des Beckeneinganges anzunehmen. 4 Danach werden die Weite der Knochenlücke (Foramen ischiadicum majus) und die Elastizität der Weichteile zwischen Kreuzbein und Sitzbein beurteilt. 4 Ein besonders wichtiger Punkt der Untersuchung ist die Palpation der Sitzbeinstachel (Spinae ischiadicae) und die Abschätzung der Interspinaldistanz.
839 38.5 · Kopf-Becken-Missverhältnis
Für die Untersuchung des Beckenausgangs dreht sich die Schwangere in Seitenlage und zieht die Oberschenkel an. Der Intertubarabstand wird durch das Anlegen des Rückens der zur Faust geschlossenen Hand abgeschätzt; eine normale Faust misst nicht mehr als etwa 8 cm und lässt sich mühelos zwischen die Sitzbeinhöcker vorschieben (querer Durchmesser des Beckenausganges). 4 Mit dem Zeigefinger im Rektum kann die Stellung des Steißbeins zwischen Zeigefinger und Daumen ertastet werden. 4 Mit dem gleichzeitig in die Vagina eingeführten Mittelfinger wird das Sakrokokzygealgelenk gesucht. Ein starr antevertiertes Steißbein oder die im Normalfall nicht mögliche Erreichbarkeit des Sakrokokzygealgelenkes durch den Mittelfinger sprechen für eine Verkürzung des geraden Durchmessers im Beckenausgang.
Hinweise aus Störungen des Geburtsablaufs An die Möglichkeit des Vorliegens einer pelvinen Verengung oder Formanomalie ist immer bei der Feststellung einer Einstellungsanomalie des kindlichen Kopfes zu denken. Ferner ist ein enges Becken mit folgenden Befunden assoziiert: Hyperanteflexion des Uterus, vorzeitiger Blasensprung (präziser: »sehr frühzeitiger« Blasensprung), Hochstand des vorangehenden Teils bei Erstgebärenden am Termin, ein starker Asynklitismus sub partu, eine ödematöse Schwellung des Muttermundes, eine große Geburtsgeschwulst und ein verzögerter Geburtsverlauf, insbesondere ein verzögerter Deszensus des Kopfes (Käser u. Richter 1981).
Pelvimetrie Für die genaue Diagnostik ist die Bildgebung, meist in Form der geburtshilflichen Pelvimetrie, unerlässlich. Der klinische Stellenwert der Pelvimetrie wird in 7 Kap. 38.6 ausführlich abgehandelt.
38.5.5
Dystokien durch Fehlbildungen des Kindes
Störungen des Geburtsablaufs durch erhebliche Formentstellungen des Kindes sind seit dem breiten Einsatz der Ultraschalldiagnostik im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen selten geworden. Vor dieser Ära wurde die Prävalenz solcher Neugeborener mit 2‰ angegeben, mit Störungen des Geburtsablaufs in 1/3 dieser Fälle (Käser u. Richter 1981). Weil die Behandlung dieser Pathologien unter besonderer Berücksichtigung der Überlebenschancen des Kindes i. d. R. pränatal interdisziplinär zu planen ist, treten Störungen der Geburtsmechanik in den Hintergrund und werden nur summarisch dargestellt. An dieser Stelle wird nicht auf Diskussionen über den prognostisch besten Geburtsmodus bei den verschiedenen Krankheitsbildern eingegangen. Einflüsse der Form des kindlichen Kopfes auf die Entstehung von Einstellungsanomalien und von mechanischen Geburtsproblemen werden in der Literatur der letzten Jahre kaum noch erörtert. Ältere Untersuchungen entbehren häufig
der notwendigen Kontrollkollektive. Für Interessierte sei auf die Darstellungen z. B. bei Martius (1985) verwiesen. Hydrozephalus. Der (nicht erkannte) Hydrozephalus mit Makrozephalie führt zum Geburtsstillstand, gewöhnlich im Beckeneingang. Die Risiken für die Mutter erwachsen aus der Rupturgefahr oder durch falsch indizierte Eingriffe zur Geburtsbeendigung. Die Geburtsleitung ist nach Diagnosestellung, falls möglich ante partum, mit der Schwangeren zu besprechen. Bei infauster Prognose kann zur Vermeidung einer Sectio die Punktion des kindlichen Kopfes transabdominal oder transvaginal vorgenommen werden, um die Beckenpassage des Kopfes zu ermöglichen. Bei Kindern mit infauster Prognose in Beckenendlage ist die Punktion der hinteren Schädelgrube nach der Geburt des Rumpfes möglich. Eine Punktion des Kopfes kann bei Extremformen von Hydrozephalus auch bei einer Sectio vor der Uterotomie angezeigt sein, um schwere Zerreißungen des Uterus, auch bei weiter Uterotomie, zu vermeiden. Perforation und Ausräumung des Schädels gehören in unserem Umfeld nicht zum klinischen Erfahrungsgut, denn die Eingriffe sind nicht nur für das Kind fatal, sondern gefährden in erheblichem Maße auch die Mutter. Anenzephalie. Bei der Anenzephalie besteht ein erhöhtes
Risiko für Schulterdystokie im unvollständig eröffneten Muttermund. Als Therapie wird die Fraktur des Schlüsselbeines empfohlen. Inienzephalie. Bei der Inienzephalie werden als Folge der Fehlbildung mit extrem lordosierter Halswirbelsäule schwere geburtsmechanische Störungen mit Notwendigkeit zur Sectio bei normgewichtigen Kindern und einer Neigung zu Schulterdystokien bei vaginaler Entbindung beschrieben. Vergrößerungen des Rumpfes. Ferner sind geburtsmechanische Störungen als Folge von Vergrößerungen des Rumpfes bei generalisiertem Hydrops mit ausgeprägtem Hautödem, isoliertem Aszites, großen Zystennieren, überfüllter Harnblase, Tumoren von Abdominalorganen oder des kaudalen Körperpols (Lipome, Fibrome, Teratome) bekannt. Körperhöhlenergüsse können durch eine Punktion entleert werden. Extern gelegene Teratome bedürfen wegen der Einblutungsgefahr der Schnittentbindung. Doppelfehlbildungen. Bei Doppelfehlbildungen (siamesische Zwillinge) ist die Störung der Geburtsmechanik abhängig von der Größe der Kinder, der Art und der Beweglichkeit der Verbindung und dem Umstand, ob sie lebend oder tot sind (Käser u. Richter 1981). Schwangerschaften bei siamesischen Zwillingen dauern selten bis zum Termin (Pritchard et al. 1985). Geburtsverzögerungen stellen sich i. d. R. erst in der Austreibungsperiode ein. Bei Verbindung in der Längsachse ist eine vaginale Geburt grundsätzlich möglich. Diese dürfte bei Lebensfähigkeit der Kinder heute aber eine extreme Seltenheit bilden.
38
840
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
> Solche Situationen sind heute insgesamt rar geworden. Zum Beispiel dürfte die einst wichtige Differenzialdiagnose sub partu zwischen einer Schulterdystokie oder einem Steißteratom der jetzigen Generation von Geburtshelfern kaum noch geläufig sein. Dass diese äußerst belastenden Überraschungen im Alltag eines Gebärsaals zu Seltenheiten geworden sind, stellt unzweifelhaft ein großes Verdienst der pränatalen Sonographie dar. Daraus darf man auf eine verbesserte Prognose für die betroffenen Kinder hoffen, und den Eltern und dem geburtshilflichen Team können sehr schwierige Situationen erspart werden.
38.6
Pelvimetrie
Neben der klinischen Beurteilung des Beckens (Beckenaustastung) werden seit Jahrzehnten bildgebende Verfahren zur prospektiven Erfassung eines Kopf-Becken- bzw. fetomaternalen Missverhältnisses eingesetzt. Seit Längerem bestehende Zweifel am praktischen Nutzen der zweidimensionalen Pelvimetrie haben sich in jüngster Zeit deutlich verstärkt. Auch neuere, die Dreidimensionalität der Körperstrukturen berücksichtigende Ansätze auf der Basis von Computertomographie, Magnetresonanztomographie oder 3-D-Ultrasonographie vermochten bisher für die geburtshilfliche Arbeit nicht zu überzeugen.
38.6.1
38
Aktuelle Praxis
Die große Vielfalt von Indikationsstellungen und Techniken ist zweifellos Ausdruck der Unsicherheit in Bezug auf die klinische Bedeutung der Pelvimetrie. Die Bewertung der Methode reicht von der völligen Ablehnung der bildlichen Darstellung des Beckens bis zur großzügigen Verwendung als Teil einer defensiven Medizin. Ein gezielter Einsatz wird bei den folgenden Indikationen empfohlen: 4 Geburtsplanung bei Zustand nach Sectio, entweder direkt im Wochenbett oder im Intervall oder präpartual vor der nachfolgenden Geburt. 4 Geburtsplanung v. a. bei Erstgebärenden mit Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis oder bei Beckenendlage. 4 Ante partum bei Verdacht auf ein Kopf-Becken-Missverhältnis, sei es wegen fetaler Makrosomie oder mütterlichen Kleinwuchses oder klinischer oder anamnestischer mütterlicher Beckenpathologie. 4 Sub partu bei Verdacht auf ein Kopf-Becken-Missverhältnis, um dadurch erst in dieser Situation mechanisch bedeutsame Faktoren wie die Verformbarkeit des kindlichen Kopfes und auch des mütterlichen Beckens mit einzubeziehen. In der Diskussion um den klinischen Stellenwert der Pelvimetrie ist immer zu beachten, dass 5 Faktoren den Geburtsmechanismus prägen: 4 Weite und Form des knöchernen Beckens, 4 Größe des kindlichen Kopfes,
4 Stärke bzw. Wirksamkeit der Wehen, 4 Verformbarkeit des kindlichen Kopfes, 4 Einstellung und Stellung des kindlichen Kopfes. Nur der erstgenannte dieser Faktoren kann durch die konventionelle Pelvimetrie beurteilt werden, was den geringen prädiktiven Wert der konventionellen Pelvimetrie erklärt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich die Beckenmaße im Laufe von Schwangerschaft und postpartualer Involution verändern. > Auf der Basis der bestehenden Evidenz gibt es keine Argumente für den obligaten Einsatz der zwei- oder dreidimensionalen Pelvimetrie für irgendeine der vorstehend genannten Indikationen. Es gibt hingegen gute Gründe anzunehmen, dass die Pelvimetrie die Zahl der elektiven Sectiones deutlich erhöht. Dadurch vermag sie einige Notfallsectiones vermeiden zu helfen zum Preis eines erheblichen Anstiegs der Gesamtsectiorate (Pattinson u. Farrell 1997).
38.6.2
Technische Aspekte
Über Jahrzehnte war die biplane Darstellung des Beckens nach der Beschreibung von Colcher und Sussman aus dem Jahr 1944 Standardpraxis (dargestellt bei Thurnau et al. 1992). Sie ist von der Computertomographie und der Magnetresonanztomographie abgelöst worden. Für die Computertomographie (. Abb. 38.5) spricht in erster Linie die geringere Strahlenexposition im Vergleich zurkonventionellen Radiographie. Allerdings hängt die Expositionsdosis von der Durchführung der Untersuchung ab. Vielerorts wird die Magnetresonanztomographie als die Untersuchungsmethode der Wahl für die geburtshilfliche Pelvimetrie betrachtet, sie ist jedoch nicht unumstritten (Chen et al. 2008; . Abb. 38.6). Wie die Computertomographie bietet auch diese Technologie die Möglichkeit zur dreidimensionalen Beurteilung anatomischer Strukturen. Diese Option bietet auch die Ultrasonographie. Falls die Bildgebung irgendeiner der drei genannten Technologien in Zukunft einen klinischen Stellenwert in der Beurteilung des Geburtskanals behält, so ist von einer Rolle der Volumetrie auszugehen. Allerdings macht sich derzeit, nach bereits früher erhobenen Einwänden, erneut eine starke grundsätzliche Skepsis gegenüber der klinischen Wertigkeit der Pelvimetrie breit (7 Kap. 38.9.6).
38.6.3
Risiken
Der wichtigste Vorbehalt bei der Pelvimetrie betrifft die Strahlenexposition. In einer Reihe von Studien wurde ein erhöhtes Leukämie- oder Malignomrisiko der betroffenen Kinder zumindest teilweise bestätigt (Risikofaktor von 2). In anderen Arbeiten konnte kein signifikanter Unterschied zwischen exponierten und nicht exponierten Kindern gefunden werden. Die Strahlendosis beträgt bei biplaner Bildgebung je nach Me-
841 38.6 · Pelvimetrie
a
b
d c . Abb. 38.5. Pelvimetrie mittels Computertomographie. a Frontal (1 querer Durchmesser des Beckeneingangs, 2 Interspinallinie, 3 querer Durchmesser des Beckenausgangs). b Axial (1 Interspinallinie). c Lateral (1 Conjugata vera obstetrica, 2 gerader Durch-
messer der Beckenenge, »Beckenmitte«, 3 gerader Durchmesser des Beckenausgangs). d Lateral (1 hinterer gerader Durchmesser der Beckenenge, 2 hinterer gerader Durchmesser des Beckenausgangs)
thode 2–9 mGy, bei der CT-Technik kann sie auf <1 mGy gesenkt werden (Chen et al. 2008).
Zusammensetzung des Kollektivs und Erhebungszeit im Verlauf des 20. Jahrhunderts (Wischnik et al. 1992).
38.6.4
Pelvimetrische Maße
Die verschiedenen Durchmesser wurden bereits in 7 Kap. 38.5 beschrieben. Angesichts der fraglichen Wertigkeit der Pelvimetrie erstaunt die Vielfalt in der Verwendung derselben nicht. Eine Beschränkung auf Conjugata vera und Interspinallinie bei gleichzeitiger qualitativer Beurteilung der Beckenform lässt sich durchaus vertreten. Referenzwerte für geburtshilfliche Beckenmaße sind in den . Tab. 38.4–38.7 aufgeführt. Sie divergieren geringgradig in der Literatur, abhängig von Aufnahmetechnik, ethnischer
38.6.5
Fetopelviner Index
Wegen der geringen Vorhersagekraft aller herkömmlichen pelvimetrischen Methoden wurde nach Möglichkeiten zum antepartualen Vergleich kindlicher und mütterlicher Parameter gesucht. Als vielversprechender Ansatz erscheint der fetopelvine Index (»feto-pelvic index«), bei dem radiologisch ermittelte Umfänge von Beckeneingang und Beckenmitte mit sonographisch erfassten Umfängen von kindlichem Kopf und Abdomen zueinander in Beziehung gesetzt werden (Thurnau et al. 1992; . Abb. 38.7).
38
842
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
. Tab. 38.4. Referenzwerte für radiologisch und kernspintomographisch ermittelte gerade und quere Beckendurchmesser. (Nach Spörri et al. 1994)
Beckenebene
Durchmesser
Radiologische Pelvimetrie Mittelwert [cm]
SD
MRT-Pelvimetrie Mittelwert [cm]
SD
Beckeneingang
Gerade (CVO)
11,8
1,1
11,9
0,84
Quer
12,8
0,76
13,3
0,86
Gerade, Grenzwert
11,5
–
11,5
–
Quer (ISL)
10,4
0,86
11,6
0,89
Gerade
11,6
1,1
11,9
0,94
Quer
12,4
1,11
12,3
1,15
Beckenmitte
Beckenausgang
. Tab. 38.5. Referenzwerte der Summenmaße im Beckeneingang und in der Beckenmitte nach Colcher und Sussmann. (Nach Spörri et al. 1994)
Beckenebene
Durchmesser
Referenzwerte [cm]
Beckeneingang
Gerade + quer
>22
Beckenmitte
Gerade + quer
>20
Die Summen berechnen sich aus den zugehörigen geraden und queren Durchmessern, für den Beckeneingang aus der Conjugata vera obstetrica und dem Transversaldurchmesser, für die Beckenmitte aus dem geraden Durchmesser der Beckenenge und der Interspinallinie.
. Tab. 38.6. Referenzwerte der Summenmaße im Beckenausgang nach Borell und Fernström. (Nach Spörri et al. 1994)
Beurteilung
Summe der Beckenausgangsmaße [cm]
Kein Missverhältnis
>31,5
Gefahr für Missverhältnis
29,5–31,5
Missverhältnis
<29,5
a
38
Die Summe der Beckenausgangsmaße berechnet sich durch Addition des geraden Durchmessers im Beckenausgang mit dem Interspinal- und dem Intertubardurchmesser.
. Tab. 38.7. Referenzwerte der Beckenwinkel. (Nach Spörri et al. 1994) b . Abb. 38.6a, b. Pelvimetrie mittels Magnetresonanztomographie
Beckenwinkel
Referenzwert
Schambogenwinkel
90–120°
Beckeneingangswinkel
115–150°
Beckenöffnungswinkel
80–120°
Beckenneigungswinkel
55–65°
843 38.6 · Pelvimetrie
c a
b . Abb. 38.7. Fetopelviner Index nach Morgan und Thurnau: a Beckenmaße, b fetale Maße, c Formular zur Berechnung des fetopelvinen Index (Thurnau et al. 1992). Abkürzungen: AQD querer Durchmesser des Abdomens, AU Abdomenumfang, BEQD querer Durchmesser des Beckeneingangs, BEU Umfang des Beckeneingangs, BMGD gerader Durchmesser der Beckenmitte, BMQD querer Durch-
messer der Beckenmitte, BMU Umfang der Beckenmitte, BPD biparietaler Durchmesser des Kopfes (beachte: BPD ist hier in einer sog. Außen-außen-Messung des Kopfes definiert), CVO Conjugata vera obstetrica, FROD frontookzipitaler Durchmesser, KU Kopfumfang, VDD ventrodorsaler Durchmesser des Abdomens
38
844
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
Das Konzept wurde von Morgan und Thurnau entwickelt und in verschiedenen Situationen mit erhöhtem Risiko für ein Kopf-Becken-Missverhältnis überprüft: Verdacht auf Makrosomie, vor indizierten Geburtseinleitungen, bei Wehenstimulation und bei geplanter vaginaler Entbindung bei Zustand nach Sectio. Das Prinzip basiert auf der Bestimmung der Umfänge von 4 Ebenen: bei der Mutter der Beckeneingang (BEU) sowie die Beckenmitte (BMU) gemäß der radiologischen Pelvimetrie und beim Kind Kopfumfang (KU) sowie Abdomenumfang (AU) aus der sonographischen Biometrie. Dazu werden die queren und anteroposterioren (bzw. »geraden«) Durchmesser verwendet und die Umfänge nach der Formel: 4 (anteroposteriorer + querer Durchmesser)×π/2 berechnet. Die Umfänge der mütterlichen Strukturen werden von beiden Umfängen der kindlichen Strukturen abgezogen, d. h. 4 KU–BEU 4 KU–BMU 4 AU–BEU 4 AU–BMU
38
Die 2 größten Umfangsdifferenzen dieser 4 Parameter werden addiert und bilden so den fetopelvinen Index. Weist das Resultat einen positiven Wert auf, so ist der Fetus »größer« als das mütterliche Becken, d. h. es besteht ein Kopf-Becken-Missverhältnis; bei einem negativen Wert ist ein Missverhältnis unwahrscheinlich. Für die Validität der Methode bei den verschiedenen Risikokollektiven wurden folgende Ergebnisse erzielt: 4 Sensitivität der Diagnose eines Kopf-Becken-Missverhältnisses zwischen 71% (sekundäre Wehenschwäche) und 94% (makrosome Kinder); 4 Spezifität zwischen 94% (makrosome Kinder) und 100% (vaginaler Entbindungsversuch bei Zustand nach Sectio); 4 positiver Vorhersagewert zwischen 94% (sekundäre Wehenschwäche) und 100% (Geburtseinleitungen und Entbindungsversuch bei Zustand nach Sectio); 4 negativer Vorhersagewert zwischen 75% (sekundäre Wehenschwäche) und 95% (Geburtseinleitung). Ein ebenfalls erfolgversprechender Ansatz liegt in der Berücksichtigung der Dreidimensionalität von mütterlichem Becken und kindlichem Kopf. In einem ersten Untersuchungsansatz wurden die sog. Beckenkapazitäten des Beckeneingangs und der Beckenmitte zum Volumen des fetalen Kopfes in Beziehung gesetzt (. Tab. 38.8). Diese Größen waren retrospektiv errechnet worden: für die Beckenkapazitäten mittels post partum durchgeführter MRT, für die fetalen Köpfe aufgrund von Biometriedaten der ante partum durchgeführten Routinesonographien. Dabei konnte eine gute Korrelation zwischen fetomaternalen Dysproportionen und mechanisch bedingten Störungen des Geburtsablaufes gefunden werden (Spörri et al. 1997). Die Beckenkapazitäten im Beckeneingang und in der Beckenmitte errechnen sich nach der Formel 4 π×D3/6
. Tab. 38.8. Berechnung der Beckenkapazität und des Kindskopfvolumens nach Friedmann und Taylor. (Nach Spörri et al. 1994)
Beckenkapazität
Kindskopfvolumen
BEK/BMK=π×D3/6
KV=C3/6×π2
BEK Beckenkapazität im Beckeneingang, BMK Beckenkapazität in der Beckenmitte, D gerader oder querer Durchmesser (berücksichtigt wird der jeweils kürzere), C kindlicher Kopfumfang, KV Volumen des kindlichen Kopfes.
Als D wird der jeweils kleinere der beiden geburtshilflich relevanten Durchmesser in der betreffenden Ebene eingesetzt, dh. de facto bei nicht deutlich abnormer Beckenkonfiguration im Beckeneingang die Conjugata vera und in der Beckenmitte die Interspinallinie (. Tab. 38.8). Die wenigen bisherigen Überprüfungen des fetopelvinen Indexes vermochten die ursprünglich geweckten Hoffnungen nicht zu bestätigen (Rozenberg 2007); bezüglich dreidimensionaler Verfahren scheint die Forschungsaktivität stark erlahmt zu sein.
38.7
Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien
Zu den Einstellungsanomalien gehören: 4 alle okzipitoposterioren Rotationen und alle okzipitoanterioren Deflexionshaltungen, 4 hoher Geradstand und tiefer Querstand, 4 pathologische Lateralflexionen.
Okzipitoposteriore Einstellung Unter dem Begriff »okzipitoposterior« (o.p.) werden alle Einstellungen subsumiert, bei denen der Hinterkopf des Kindes dem Rücken der Mutter zugewandt ist.
Bezüglich der Haltung des Kopfes wird damit keine Aussage gemacht. Ursächlich spielen vorwiegend mütterliche pelvine, ausnahmsweise weichteilbedingte Anomalien der Geburtswege, seltener fetale Faktoren eine Rolle. In der modernen Geburtsleitung vermeidet man so lange als möglich vaginale Interventionen, und als konservative therapeutische Maßnahmen werden der Lagewechsel der Gebärenden und die Periduralanalgesie angewandt. Mutter und Kind sind durch die verlängerte Geburtsdauer und mehr noch durch die deutlich häufigeren Interventionen erhöhten Risiken ausgesetzt.
38.7.1
Terminologie
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird zwischen den Begriffen Lage, Haltung und Einstellung nur unscharf unterschieden.
845 38.7 · Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien
Für die Systematik sollte aber die genaue Definition beachtet werden. Definition Lage Verhältnis zwischen der Längsachse des kindlichen und der Längsachse des mütterlichen Körpers.
Haltung Beziehung der einzelnen Teile des kindlichen Körpers zueinander. Der Kopf kann grundsätzlich drei Haltungen einnehmen: 4 Flexion, 4 indifferente Haltung, 4 Deflexion; Deflexionshaltungen werden in solche leichteren und höheren Grades unterteilt. Einstellung Beziehung des vorangehenden Teils des Kindes zum Geburtskanal. Die verschiedenen Einstellungen werden jeweils nach jener Stelle des kindlichen Körpers benannt, die bei der geburtshilflichen Untersuchung in der Führungslinie des Geburtskanals getastet wird.
Die Deflexionshaltung bezeichnet eine Streckhaltung des Kopfes und bezieht sich auf die Abschnitte der Geburt, in denen der Kopf normalerweise eine Beugehaltung zeigt, d. h. ab dem Beginn des Eintritts ins kleine Becken bis nach dem Durchtritt durch die Beckenmitte. Im anschließenden Teil der Geburt, der unterhalb des Knies des Geburtskanals beginnt und dem Austritt aus dem kleinen Becken vorausgeht, nimmt der Kopf physiologischerweise eine Streckhaltung ein (Borell u. Fernström 1981). Einstellungsanomalien sind Abweichungen der Beziehung des Kopfes zum mütterlichen Becken von den physiologischerweise bei einem bestimmten Höhenstand des Kopfes gegebenen Einstellungen. Es ist wichtig, sich den physiologischen Wechsel der verschiedenen Haltungen, Drehbewegungen und Seitwärtsneigungen des kindlichen Kopfes im Ablauf der Geburt zu vergegenwärtigen. Angaben zur Einstellung und Haltung des Kopfes sind nur in Bezug zum Stand der Geburt bedeutungsvoll. Einstellungsanomalien sind die Folge von: 4 Haltungsanomalien des kindlichen Kopfes oder 4 Störungen der inneren Rotation oder 4 einer abnormalen Seitwärtsneigung des Kopfes (Lateralflexion; asynklitische Einstellung). Einstellungsanomalien mit einem dem Sakrum der Mutter zugewendeten Hinterkopf des Kindes werden in Entlehnung eines angelsächsischen Begriffes als okzipitoposteriore Rotationen oder kurz o.p.-Rotationen zusammengefasst. Im Laufe der Geburt festgestellte o.p.-Rotationen können vorübergehend sein (»occiput posterior presentation«), oder sie persistieren, d. h. bei der Entwicklung des Kopfes zeigt das Hinterhaupt nach posterior (o.p.-Einstellungen; »persistent occiput posterior position«). o.p.-Einstellungen können aber auch, womöglich sogar in ihrer Mehrheit, erst sekundär aus einer ursprünglichen o.a.-Rotation heraus entstehen. Diese Unter-
scheidung ist für das Verständnis der Geburtsmechanik und bei der Geburtsleitung von großer Bedeutung. Okzipitoposteriore Einstellungen sind häufig mit Deflexionshaltungen vergesellschaftet. Deflexionshaltungen werden in Formen leichteren und höheren Grades unterteilt. Die Begründung für eine derartige Gruppierung liegt in den geburtsmechanischen Auswirkungen der verschiedenen Grade von Deflexion. Bei der Vorderhaupteinstellung (leichtgradige Deflexion) kann im Laufe der Geburt häufig ein Wechsel zu einer Flexion beobachtet werden, wohingegen sich bei der höhergradigen Deflexion mit Stirneinstellung eher eine zunehmende Verstärkung der Deflexion hin zu einer Gesichtseinstellung entwickelt, was sich geburtsmechanisch günstig auswirkt. Zu den Einstellungsanomalien gehören ferner: 4 der hohe Geradstand (Verlauf der Pfeilnaht im geraden Durchmesser des Beckeneingangs), 4 der tiefe Querstand (Verlauf der Pfeilnaht im queren Durchmesser des Beckenausgangs). Bei der Terminologie der Einstellungsanomalien gilt es einige Gewohnheiten der geburtshilflichen Alltagssprache zu beachten: Stellt sich im Verlauf der Geburt die kleine Fontanelle in die Führungslinie und dreht sich das Hinterhaupt nach vorne hinter die Symphyse, so entspricht dies der gewöhnlichen Hinterhaupteinstellung, die den Normalfall darstellt (über 90% aller Geburten). Davon abzugrenzen ist die hintere Hinterhaupteinstellung (hi HHE). Während bei der Flexionshaltung die Drehung meistens nach vorne, d. h. in Richtung Symphyse, erfolgt, ist bei den Deflexionshaltungen die Drehung in der großen Mehrzahl nach hinten, d. h. sakralwärts, gerichtet, sodass okzipitoposteriore Einstellungen die Regel sind. Liegt selten doch einmal eine okzipitoanteriore Deflexionshaltung vor, so ist notwendigerweise diese Einstellung zu präzisieren, z. B. als »vordere Stirneinstellung«.
Mentoposteriore Gesichtseinstellung Dazu hat sich eine Ausnahme eingebürgert: Die okzipitoanteriore Gesichtseinstellung wird nicht als »vordere Gesichtseinstellung«, sondern als »mentoposteriore Gesichtseinstellung« bezeichnet.
Für Deflexionshaltungen und Einstellungsanomalien haben sich inkonsequenterweise feste Begriffe mit dem Suffixoid »-lage« eingebürgert. Das zuletzt erwähnte Beispiel etwa wird landläufig »mentoposteriore Gesichtslage« genannt. Derartige Fehlverwendungen bedürfen der Korrektur (7 Kap. 38.7.4 zu den einzelnen Benennungen). Völlig separat bleiben die Benennungen des hohen Geradund des tiefen Querstandes.
38.7.2
Inzidenz
Für okzipitoposteriore Einstellungen wird ein Inzidenzbereich von 8–16% angegeben (Käser u. Richter 1981). Eine kor-
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
rigierende Anterotation sub partu findet sich in 70–90% der Fälle, wonach 1–2% der Geburten eine persistierende o.p.Rotation bzw o.p.-Einstellung aufweisen (Link u. Künzel 2003).
Studienbox In neueren Untersuchungen werden höhere Inzidenzen um 4% angegeben (Pearl et al. 1993; Sizer u. Nirmal 2000). Bemerkenswert sind die kurz vor oder bei Geburtsbeginn wesentlich höher liegenden Inzidenzen, die in der Literatur allerdings sehr unterschiedlich im Bereich von 11– 37% angegeben werden.
38.7.3
Ursachen der okzipitoposterioren Einstellung
Wie z. T. in 7 Kap. 38.5 bereits dargelegt wurde, beruhen die Beschreibungen des Geburtsmechanismus bei normalem wie bei gestörtem Ablauf auf einer Vielzahl von Untersuchungen älteren Datums, die akribische Beurteilungen von Maßen und Proportionen des mütterlichen Beckens wie auch des kindlichen Kopfes enthalten. Diesen Untersuchungen fehlt jedoch häufig die statistische Erhärtung anhand des Vergleichs mit Kontrollkollektiven. Neuere Untersuchungen zum Geburtsablauf konzentrieren sich weniger auf Fragen der Geburtsmechanik als vielmehr auf die Beurteilung des Ausgangs, d. h. des Befindens von Mutter und Kind am Ende der Geburt.
Mütterliche Faktoren
38
Die Bedeutung der Beckenform und v. a. des verfügbaren Raumes im vorderen Beckensegment wird gemäß älteren Untersuchungen durch die Häufigkeitsverteilung der o.p.-Rotationen bei den verschiedenen Beckentypen deutlich. Für das anthropoide Becken werden o.p.-Rotationen bei 67% der Geburten, für das gynäkoide Becken bei 6% und für das platypelloide Becken nur ausnahmsweise angegeben (Hochuli u. Kaufmann 1959, zit. bei Käser u. Richter 1981). Zur Persistenz einer o.p.-Rotation oder zur sekundären o.p.-Einstellung kommt es bei enger Interspinaldistanz, aber genügend weiter Sakralhöhle. Als weitere mütterliche Faktoren, die die o.p.-Rotation begünstigen, werden Multiparität, Weichteiltumoren und Uterusfehlbildungen angegeben. Belegte Assoziationen sind ein höherer Anteil von Wehenstimulationen und von Periduralanalgesien; bei diesen beiden Faktoren stellt sich aber die Frage nach Ursache und Folge (Sizer u. Nirmal 2000; Lieberman et al 2005). Bei der Regionalanästhesie könnte die Senkung des Tonus der Beckenbodenmuskultaur eine kausale Rolle spielen. Möglicherweise steigt das Risiko für eine o.p. Rotation insbesondere bei Anlegen einer Regionalanalgesie in der frühen Eröffnungsperiode (Le Ray et al. 2005).
Bedeutung von Plazenta, Nabelschnur und Fruchtwasser Die Bedeutung von Plazenta, Nabelschnur oder Fruchtwasser für die Entwicklung von Deflexionshaltungen ist nicht gesichert. Der Tiefsitz einer seitlich gelegenen Plazenta oder eine Vorderwandplazenta sollen eine o.p.-Rotation begünstigen (Käser u. Richter 1981). Die gleiche Unsicherheit gilt für die Assoziationen von Nabelschnurumschlingungen oder Polyhydramnion mit Deflexionshaltungen.
Kindliche Faktoren Die Bedeutung verschiedener kindlicher Faktoren für die Entwicklung von o.p.-Rotation und Deflexionshaltungen ist unterschiedlich gut belegt. Gesichert ist die Häufung von o.p.Rotation und Deflexionshaltungen bei Frühgeburtlichkeit, wohl infolge einer größeren Bewegungsfreiheit des noch kleinen Kopfes. Gesichert erscheint der Bezug zum Geburtsgewicht: Es besteht eine positive Korrelation zwischen dem Anteil an o.p.-Rotationen und dem Geburtsgewicht bei Einlingen von Erstgebärenden im Terminbereich, unabhängig von der Schwangerschaftswoche (Sizer u. Nirmal 2000). 4 Unklar ist die Beziehung zwischen einer o.p.-Rotation und einem vorzeitigen Blasensprung. 4 Die Theorie eines Einflusses der Schulterrotation auf die innere Rotation als 2. Anpassungsbewegung des Kopfes ist in radiologischen Untersuchungen widerlegt worden (Borell u. Fernström 1981). 4 Die Kausalität gewisser Kopfformen für die Entwicklung von Einstellungsanomalien erscheint zwar plausibel (Hekker, 1869, zit. bei Bumm 1919; Martius 1985), doch ist offen, ob nicht die Einstellungsanomalien ihrerseits bestimmte Formen des Kopfes prägen (Bumm 1919). Die Vorderhaupteinstellung kommt angeblich häufiger bei brachyzephalen Köpfen vor. Seltene Ursachen von Deflexionshaltungen können eine kongenitale Struma und Fehlbildungen im Bereich der Halswirbelsäule und des Kraniums sein.
38.7.4
Einteilung
Einteilung der Einstellungsanomalien 1. Einstellungsanomalien infolge einer Deflexionshaltung und/oder einer o.p.-Rotation: 4 Einstellungsanomalien mit Flexions-, mittlerer oder leichtgradiger Deflexionshaltung: hintere Hinterhaupteinstellung (Flexionshaltung, Einstellungsanomalie wegen o.p.-Rotation), Vorderhaupteinstellung (leichte Deflexionshaltung) 4 Einstellungsanomalien mit Deflexionshaltungen höheren Grades: Stirneinstellung, Gesichtseinstellung 2. Einstellungsanomalien mit Pfeilnaht im geraden Durchmesser im Beckeneingang: 4 okzipitoanteriorer hoher Geradstand 4 okzipitoposteriorer hoher Geradstand
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847 38.7 · Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien
3. Einstellungsanomalien mit Pfeilnaht im queren Durchmesser im Beckenausgang: 4 I. tiefer Querstand 4 II. tiefer Querstand 4. Einstellungsanomalien infolge einer Lateralflexion: 4 vordere Scheitelbeineinstellung 4 hintere Scheitelbeineinstellung
Deflexionseinstellungen Es bestehen in der Literatur divergierende Definitionen einzelner Deflexionseinstellungen. Einige Autoren negieren überhaupt das Vorkommen einer Flexionshaltung bei o.p.-Rotation, d. h. einer hinteren Hinterhauptseinstellung. Sie gehen immer von einer leichten Streckhaltung aus und sprechen dabei von Scheiteleinstellung. Wir grenzen aus funktionellen Gründen die hintere Hinterhauptseinstellung als Flexionshaltung von der Vorderhauptseinstellung als einer leichten Deflexionshaltung ab und verzichten auf den Begriff der Scheiteleinstellung. Wenn man bedenkt, wie schwierig die genaue Festlegung des führenden Punktes am vorangehenden Teil sein kann und wenn man sich die Stufenlosigkeit der Übergänge der verschiedenen Beugungs- und Streckungs»Grade« vergegenwärtigt, kann man die in der Literatur vorhandenen Unterschiede bei der Bezeichnung einzelner Deflexionshaltungen nachvollziehen.
Im Rahmen des Partogramms einer Geburt ist die Dokumentation der Einstellung des kindlichen Kopfes insbesondere bei Einstellungsanomalien angezeigt. Hinweise zu einfachen, eindeutigen Skizzen finden sich in . Abb. 38.8.
38.7.5
Bedeutung für Mutter und Kind
Operationsfrequenzen Angaben zu Operationsfrequenzen bei o.p.-Rotationen reflektieren den Wandel der geburtshilflichen Philosophie verschiedener Institutionen in unterschiedlichen Untersuchungszeiträumen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich, laut Kommentar einer größeren Studie aus den USA, nach einer Periode recht interventionsfreudigen Verhaltens gegenüber der »face-topubes position« eine betont zurückhaltende Politik für die Eröffnungsperiode breitgemacht. Dennoch zeichnet sich die Gesamtheit der o.p.-Rotationen durch eine hohe operative Entbindungsfrequenz aus. Die optimale Behandlungsmethode für die Austreibungsperiode und für die Entwicklung der Kinder bei o.p.-Einstellung, unter Berücksichtigung der hohen perinealen Verletzungsgefahr und der perinatalen Morbidität, bleibt umstritten. Es ist mehrfach gezeigt worden, dass weniger als die Hälfte der Kinder mit einer o.p.-Einstellung spontan vaginal geboren werden. Der Trend bei o.p.-Rotationen hin zur Sectio, auch in der Austreibungsperiode, ist unübersehbar und ange-
. Abb. 38.8. Partogrammskizzen zu den Einstellungen des Kopfes im Becken (Beispiele)
sichts der hohen mütterlichen und kindlichen Morbidität bei vaginaloperativen Entbindungen begründet.
Studienbox Sizer et al. (2000) haben ein Partogramm für die Austreibungsperiode vorgestellt. Es handelt sich um einen Score auf der Basis von Höhenstand und Einstellung des Kopfes. Ein tiefer Score zu Beginn der Austreibungsperiode und ein über die Zeit nur langsam ansteigender Score er-
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38
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
wiesen sich als aussagekräftig bezüglich der Notwendigkeit einer operativen Entbindung. Der Studie ging es nicht um eine Prüfung der Folgen einer o.p.-Rotation, sondern um die Erarbeitung einer Grundlage zur prospektiven Abschätzung einer potenziell gefährlichen operativen Entbindung. Deren Risiken sind bei einer o.p.-Rotation bekanntermaßen erhöht. Der klinische Nutzen dieses Scores steht noch aus.
Morbidität bei der Mutter > Entbindungen bei o.p.-Rotation des Kindes führen bei den Müttern im Vergleich zu Entbindungen aus o.a.-Rotation zu signifikant längeren Geburten, häufigeren operativen Entbindungen, höheren Blutverlusten, mehr Episiotomien, mehr Dammverletzungen 3. und 4. Grades und zu längerem Klinikaufenthalt (Pearl et al. 1993; Ponkey et al. 2003).
Diese Unterschiede bleiben auch beim separaten Vergleich von spontanen und vaginaloperativen Entbindungen aus o.p.-Einstellung signifikant. Beim Vergleich von Vakuumund Forzepsextraktionen ist die mütterliche Morbidität nach Forzepsextraktionen signifikant höher.
Morbidität beim Kind Auch die kindlichen Morbiditätsparameter nach Geburt bei o.p.-Rotation fallen insgesamt schlechter als bei o.a.-Rotation aus. Allerdings sind die Differenzen der üblichen Parameter nur selten signifikant.
Studienbox
38
Gemäß der bereits wiederholt zitierten retrospektiven Untersuchung aus den USA bestanden signifikante Unterschiede v. a. für interventionsbedingte Traumata. Schulterdystokien waren zwar bei o.a.- und o.p.-Rotationen mit je 2% gleich häufig, aber bei Forzepsextraktion wurden sie bei o.p.-Rotation häufiger beobachtet. Obere Plexusparesen wurden nur bei Geburten bei o.p.-Rotation und dort nur bei Forzepsextraktionen gefunden. Auch Fazialisparesen fanden sich nach Geburt nach o.p.-Rotation signifikant häufiger und traten sowohl nach o.a.- wie o.p.Rotation nur im Zusammenhang mit einer Forzepsextraktion auf. Unterschiede der Apgar-Werte und der Nabelschnur-pH-Werte fielen lediglich tendenziell zu Ungunsten der Geburten aus o.p.-Rotation aus (Pearl et al. 1993).
38.7.6
Geburtsverlauf
Okzipitoposteriore Rotationen/Deflexionshaltungen Ob der kindliche Kopf im Geburtskanal eine Flexions- oder Deflexionshaltung einnimmt, entscheidet sich i. d. R. bereits beim Eintritt in den Beckeneingang. Die Zunahme einer De-
flexion im Laufe des Deszensus von der Stirn- zur Gesichtseinstellung ist ebenso wie die Korrektur einer leichten Deflexion zur Flexion mit der inneren Rotation verknüpft. Besteht zu Beginn der Geburt eine Streckhaltung, so führt die innere Rotation meistens zu einer o.p.-Einstellung (Borell u. Fernström 1981). Bei der Flexionshaltung passt sich der schmale Nacken, bei o.p.-Einstellungen die schmale Partie um Kinn und Hals in den schmalen vorderen Teil des von den Levatoren gebildeten Spaltes ein. Diese Hypothese geht davon aus, dass die innere Rotation vorwiegend durch die Weichteile des Geburtskanals, d. h. an dieser Stelle durch die Levatorenschenkel, bestimmt wird. In jedem Falle von o.p.-Rotation besteht jedoch ein höherer Reibungswiderstand zwischen dem vorangehenden Teil und den Weichteilen des Geburtskanals. Aufgrund ähnlicher Geburtsverläufe können hintere Hinterhaupt- und Vorderhaupteinstellung in einer Gruppe zusammengefasst werden, während Stirn- und Gesichtseinstellungen eigener Erörterungen bedürfen. Offenbar mehr als bisher vermutet ist die Entwicklung von o.p.-Einstellungen getrennt von Haltungsanomalien zu sehen. Unabhängig davon ist derzeit die Frage noch offen, ob die Mehrheit der o.p.-Rotationen bei der Geburt bereits bei Geburtsbeginn bestehen und persistieren oder durch Malrotation aus o.a.-Einstellungen hervorgehen (Gardberg et al. 1998; Akmal et al. 2004).
Hintere Hinterhaupteinstellung und Vorderhaupteinstellung Der Geburtsverlauf bei hinterer Hinterhaupt- und Vorderhaupteinstellung lässt 3 Varianten erkennen (Käser u. Richter 1981; Gardberg et al. 1998): 4 o.a.-Rotation (85–90%). Nach dieser Korrektur, sei sie spontan oder Folge einer Lagerungstherapie der Gebärenden, verläuft die Geburt i. d. R. ungestört weiter. 4 Übergang zur persistierenden o.p.-Einstellung (10–15%), d. h. Rotation um 45° nach hinten. Weit weniger als die Hälfte dieser Kinder werden spontan geboren. 4 Gelegentlich Übergang in einen tiefen Querstand infolge unvollständiger Rotation des Hinterkopfes nach vorne. Bei Wehenbeginn ist der Kopf mit Deflexionshaltung als Folge des größeren funktionellen Umfanges oft noch nicht ins Becken eingetreten. Aber auch ein vorzeitiger Blasensprung scheint bei noch indifferenter Kopfhaltung die Entwicklung einer o.p.-Einstellung durch die frühe Konfiguration des Kopfes zu begünstigen. Die Ausbildung einer Kopfgeschwulst zwischen den Fontanellen würde nach dieser Theorie die spätere Flexion des Kopfes behindern. > Die Dauer ist gegenüber einer Geburt mit regelrechter o.a.-Einstellung verlängert. Dies betrifft v. a. die Eröffnungsperiode mit rund 90 min bei Erstgebärenden und 60 min bei Mehrgebärenden. Für die durchschnittliche Verlängerung der Austreibungsperiode finden sich Angaben von 10–15 min. Die längere Geburtsdauer wird in plausibler Weise mit einem erhöhten Reibungswiderstand zwischen kindlichem und mütterlichem Gewebe erklärt.
849 38.7 · Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien
Hintere Hinterhaupteinstellungen machen etwa die Hälfte
der o.p.-Rotationen oder rund 2% aller Geburten aus. Das mechanisch günstige Planum suboccipitobregmaticum bestimmt wie bei der (vorderen) Hinterhaupteinstellung die Dehnung des Geburtskanals. Die 3. Anpassungsbewegung erfolgt gegen das sog. Biegungsdiffizillimum. Als Folge dieser eingeschränkten Bewegung wird bei der hinteren Hinterhaupteinstellung, entgegen Aussagen älterer Lehrbücher, das größere Planum frontooccipitale mit einem Umfang von 34– 35 cm zum funktionellen Planum (Borell u. Fernström 1981). Bei einem Teil der sog. hinteren Hinterhaupteinstellungen führt dann genau genommen nicht die kleine Fontanelle, sondern ein benachbarter Punkt der Pfeilnaht (ca. 3 cm anterior). Deshalb wird gelegentlich von einer Scheiteleinstellung gesprochen. Die Unterscheidung zwischen hinterer Hinterhaupteinstellung und Scheiteleinstellung ist mehr theoretischer Natur, denn beide Begriffe beziehen sich auf eine o.p.-Einstellung mit Flexionshaltung des Kopfes, und geburtsmechanisch sind keine Unterschiede auszumachen. Dieser Punkt wird auch als »flexion point« bezeichnet (Vacca) und dient der Zentrierung der Vakuumglocke bei o.p.-Rotationen. Stemmpunkt des kindlichen Kopfes ist der Bereich der Haargrenze an der Stirn. Der Austritt aus dem Geburtskanal ist bei o.p.-Rotation nur unter beträchtlicher Aufdehnung und damit Gefährdung des mütterlichen Dammes möglich. Die Vorderhaupteinstellung stellt die Streckhaltung geringsten Grades dar. Sie wird mit 0,8% aller Geburten angegeben. Definiert wird sie durch die Lage der großen Fontanelle in der Führungslinie. Funktionelles Planum ist wiederum das Planum frontooccipitale, allerdings schon während der Beckenpassage und nicht erst bei der Überwindung des Knies des Geburtskanals wie bei der hinteren Hinterhaupteinstellung. Der Geburtsverlauf ist im Übrigen mit jenem der hinteren Hinterhauptseinstellung fast identisch. Eine vordere Vorderhaupteinstellung, also eine leichte Streckhaltung bei o.a.-Rotation, ist ein ausgesprochen seltenes Ereignis.
Diagnostik Hinweise auf das Vorliegen einer o.p.-Rotation ergeben sich aus einem verzögerten Geburtsverlauf oder der frühen Angabe von Pressdrang. Bei einer über 1 h dauernden Austreibungsperiode muss das Vorliegen einer o.p.-Rotation in Erwägung gezogen werden. > Charakteristisch ist das frühe Auftreten eines Pressdrangs, oft noch vor der vollständigen Eröffnung des Muttermundes oder bei erst knapp in der Beckenmitte stehendem Kopf. Als Ursache dafür könnte die starke Dehnung des unteren Uterinsegmentes in Frage kommen (Künzel u. Link 1996).
Die eigentliche Diagnose ergibt sich aus dem Palpationsbefund und zunehmend häufiger aus der Ultraschalldiagnostik: Bei der hinteren Hinterhauptseinstellung führt die kleine Fontanelle oder ein benachbarter Punkt der Pfeilnaht, und die λNaht zeigt nach hinten; bei der Vorderhauptseinstellung wird die große Fontanelle in der Führungslinie lokalisiert. Gele-
gentlich wird die Diagnose erst durch eine sonographische Untersuchung gesichert. Bei einer stärkeren Kopfgeschwulst kann die palpatorische Beurteilung schwierig sein. Bei nicht völliger Sicherheit des Palpationsbefundes ist die sonographische Kontrolle und Dokumentation der Rotationsrichtung des Kopfes unerlässlich (DGGG 2008a). Zur Indikationsstellung einer vaginaloperativen Entbindung wird in der neuen Literatur vermehrt der Einsatz der Ultraschalldiagnostik diskutiert. Leider bietet die o.p.-Einstellung, wahrscheinlich infolge der stärkeren Konfiguration der Schädelknochen, besondere Schwierigkeiten zur sonographischen Beurteilung des Höhenstands (Ghi et al. 2009). Neben Höhenstand und Einstellung des Kopfes bleibt auf jeden Fall der Befund eines Pressversuchs (spürbares oder fehlendes Deszendieren des Kopfes beim Pressen) ein wesentliches Kriterium bei der Entscheidungsfindung zu einer vaginal-operativen Entbindung.
Geburtsleitung Wegen der empirisch gewonnenen Einsichten, v. a. hinsichtlich der mütterlichen verletzungsbedingten Morbidität, und basierend auf den Resultaten retrospektiver Kohortenstudien ist die Geburtsleitung bei o.p.-Rotation in den letzten Jahrzehnten betont konservativ geworden. Es liegen keine Daten prospektiver Untersuchungen zur Geburtsleitung bei o.p.-Rotation vor. Empfohlen werden Lagewechsel der Gebärenden, speziell in Seitenlage mit oder ohne Beachtung der überlieferten sog. Lagerungsregel: »Die Gebärende wird auf die Seite gelagert, auf der der Teil des Kopfes liegt, der die Führung übernehmen, tiefer treten und sich nach vorne drehen soll.« (Dudenhausen 2008). Hinter der Empfehlung steht die Annahme, dass durch diese Lagerung der kindliche Rumpf stärker von der mütterlichen Mittellinie zur Seite hin rutscht; dadurch wird der im Becken fixierte Kopf mobilisiert und gewinnt Platz zur Drehung. Gute Erfahrungen werden auch mit der Knie-Ellbogen-Lage bzw. dem Vierfüßlerstand berichtet. Zu Nutzen und Risiken diverser Rotationsmanöver, entweder manuell oder instrumentell, kann noch nicht abschließend Stellung genommen werden (Le Ray et al. 2007). Viel spricht für die Vakuumextraktion als effektivster Intervention mit »Autorotation« von 90% (Vacca 2002). Tipp Empfehlenswert scheint auf jeden Fall eine abwartende Haltung mit Lagewechseln zu sein, falls der Zustand des Kindes und der Mutter es erlauben. Immerhin vollziehen sich in der Austreibungsphase noch 20% der Spontandrehungen des Hinterkopfes nach vorn (Käser u. Richter 1981). Für den bei o.p.-Rotationen charakteristischen frühen Pressdrang kann mit Leitungsanalgesien, wie insbesondere dem Pudendusblock, der Gebärenden eine erhebliche Erleichterung verschafft werden.
Zur vaginaloperativen Entbindung 7 Kap. 39. Die maternale Morbidität der vaginaloperativen Intervention bei o.p.-Rotation bzw. die fehlende Information dazu sub partu führte bereits zu Haftpflichtfällen. Von der rechtlichen
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
Seite her wird vor Eintritt einer (voraussehbaren) Notfallsituation eine rechtzeitige, d. h. bei noch gegebener Einsichts- und Urteilsfähigkeit vorzunehmende Information der Patientin über alternative Entbindungsmöglichkeiten gefordert (DGGG 2008a). Die Diskrepanz zwischen der juristischen Forderung und der geburtshilflichen Realität ist offensichtlich. Die Wahl des Zeitpunkts und die Gestaltung einer solchen Patientenaufklärung mit Abwägen der Vorteile und Risiken aller denkbaren Entbindungsmodalitäten (inkl. des Hinweises auf eine bis kurz vor Kopfdurchtritt mögliche Rotation) erheischen sowohl eine große geburtshilfliche Erfahrung wie auch eine hohe kommunikative Kompetenz. Das konkrete Vorgehen wird in jeder Situation individuell beurteilt werden müssen. Aus der erwähnten Forderung lässt sich immerhin der Rat ableiten, zumindest bei einer Erstgebärenden mit persistierender o.p.-Rotation, protrahierter Austreibungsperiode und eher großem Kind eine rechtzeitige Besprechung der Situation mit der Gebärenden vorzunehmen. > Die vaginale Geburtsleitung bei persistierender o. p.-Rotation ist also auch unter rechtlichen Aspekten zu einer besonderen Herausforderung geworden. Eine vaginaloperative Intervention, insbesondere eine Forzepsentbindung, bedarf deshalb einer speziell sorgfältigen Indikationsstellung. Dennoch ist es nicht angebracht, bei o.p.-Rotation von einer absoluten Kontraindikation für vaginaloperative Entbindungen auszugehen, ansonsten wird die vaginale Geburtsleitung bei diesen Einstellungsanomalien nicht nur schwierig, sondern unmöglich.
Okzipitoposteriore Rotationen mit Deflexionshaltungen höheren Grades: Stirneinstellung, Gesichtseinstellung (»Stirnlage«, »Gesichtslage«)
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Stirn- und Gesichtseinstellungen sind seltene Ereignisse, und die Angaben von Sammelstatistiken liegen unter 0,4% aller Geburten. Am seltensten finden sie sich bei gesunden Kindern am Termin. Für die Stirneinstellung wird eine Inzidenz von weniger als 0,1%, für die Gesichtseinstellung von knapp 0,3% angegeben. Diese Angaben beziehen sich auf den Moment der Geburt. Da sich die Kopfhaltung bei einer während der Geburt feststellbaren Stirneinstellung häufig zu einer leichter- oder höhergradigen Deflexionshaltung ändert, liegt der Anteil der Stirneinstellungen umso höher, je großzügiger die Indikation zu einer operativen Geburtsbeendigung gestellt wird, d. h. je früher die Geburt beendet wird (Käser u. Richter 1981). Für die Diagnose ist der Tastbefund maßgebend. Die Erhebung des Tastbefundes gestaltet sich bei wenig geöffnetem Muttermund schwierig, was zu Fehlinterpretationen wie Beckenendlage führen kann. Verdachtsmomente können sich aus der äußeren Untersuchung ergeben: Hochstand des Kopfes mit vorspringendem Hinterhaupt (bei o.a.-Einstellung), schlecht tastbarer Rücken durch die Streckhaltung der Wirbelsäule, Herztöne auf der Seite der Extremitäten. Bei Verdacht auf eine höhergradige Deflexion kann die Bestätigung sonographisch vorgenommen werden.
Die Prognose für Mutter und Kind wird durch die Dauer der Geburt und die Risiken therapeutischer Interventionen geprägt. Die Verletzungsgefahr der Mutter im Falle einer vaginaloperativen Entbindung ist besonders bei der Stirneinstellung deutlich erhöht. Auch die puerperale febrile Morbidität tritt gehäuft auf. Die perinatale Mortalität wird wesentlich von den bei Deflexionen vermehrt vorkommenden Fehlbildungen beeinflusst. Stirneinstellung. Die Stirneinstellung lässt sich je nach Rotation in nasoanteriore (am häufigsten), nasoposteriore oder nasotransversale Einstellungen differenzieren. Da persistierende Stirneinstellungen heute meistens die Indikation zu einer Schnittentbindung bilden, ist diese Unterscheidung kaum noch von Bedeutung. ! Grundsätzlich gilt die nasoposteriore, also okzipitoanteriore Stirneinstellung wie die mentoposteriore Gesichtseinstellung als absolutes Hindernis für eine vaginale Geburt.
Verzögerungen des Geburtsverlaufs, insbesondere in der späten Eröffnungsperiode und in der Austreibungsperiode sind typisch. Als Grund dafür werden einerseits korporale Dystokien infolge einer ungenügenden Beziehung zwischen Kopf und unterem Uterinsegment, andererseits geburtsmechanische Störungen bei Deszensus und Rotation des Kopfes angenommen. Störend dürfte sich v. a. das ungünstige, große funktionelle Planum cygomaticoparietale mit 36 cm Umfang auswirken (evtl. Planum mentoparietale oder mentobregmaticum, jedenfalls nicht, wie früher gelehrt, das Planum mentooccipitale; Borell u. Fernström 1981). Stemmpunkt bei den seltenen vaginalen Geburten ist der Bereich des Oberkiefers. > Geburtsmechanisch von besonderer Bedeutung ist, dass das funktionelle Planum die Beckeneingangsebene erst passiert hat, wenn die Leitstelle unterhalb der Interspinallinie zu tasten ist. Diese Tatsache ist von großer Tragweite, speziell bei der – seltenen – Entscheidungsfindung zu vaginaloperativen Entbindungen.
Oft erschwert eine Geburtsgeschwulst die Beurteilung maßgeblich. In solchen Situationen hat sich der Geburtshelfer sehr exakt über den Höhenstand des vorangehenden Teils zu vergewissern. ! Konkret heißt dies, dass die knöcherne Leitstelle und keinesfalls nur die Kopfgeschwulst deutlich unterhalb der Interspinallinie zu tasten sein muss, damit die Passage des funktionellen Planums durch die Beckeneingangsebene angenommen werden kann. Ein aufgrund einer falsch tiefen Einschätzung des Höhenstands unternommener vaginaler Entbindungsversuch kann schwerwiegende Folgen zeitigen.
Bei rund der Hälfte aller Stirneinstellungen ändert sich die Deflexionshaltung im Laufe der Geburt, und 2/3 gehen in eine Hinterhaupteinstellung und 1/3 in eine Gesichtseinstellung über. Angaben zu teilweise spektakulären manuellen Hal-
851 38.7 · Deflexionshaltungen/Einstellungsanomalien
tungskorrekturen entstammen älteren Arbeiten (Borell u. Fernström 1981) und werden heute ablehnend beurteilt. Bei gutem Befinden des Kindes und bei günstigen Platzverhältnissen wird ein Zuwarten im Hinblick auf eine mögliche spontane Haltungsänderung empfohlen. In der Regel wird man sich bald nach Feststellung einer Stirnlage zur Schnittentbindung entscheiden. Je tiefer der deflektierte Kopf im Becken steht, desto schwieriger gestaltet sich seine Entwicklung bei der Sectio. Entscheidet sich ein sehr erfahrener Operateur unter besonders günstigen Voraussetzungen ausnahmsweise doch zu einer vaginaloperativen Geburt, so ist der Vakuumextraktion der Vorzug zu geben, jedoch nur, wenn ausreichende Platzverhältnisse ein exzentrisches Anlegen der Glocke möglichst über dem »flexion point« und somit eine Flexion des Kopfes erlauben, denn bei einer Forzepsextraktion wird das mütterliche Gewebe stark strapaziert. Gesichtseinstellung. Die Gesichtseinstellung ist die Folge einer maximalen Streckung des Kopfs. Mentoanteriore und mentoposteriore Einstellungen scheinen je knapp zur Hälfte, mentotransverse Formen nur ausnahmsweise vorzukommen. Die Häufigkeitsangaben variieren mit dem Zeitpunkt der Beurteilung. Wie bereits erwähnt, geht der Gesichtseinstellung oft eine Stirneinstellung des Kopfes beim Eintritt ins Becken voraus. Funktionelles Planum ist das Planum tracheloparietale mit einem Umfang von 34 cm. Auch bei der Gesichtseinstellung, wie bei der Stirneinstellung, muss die Leitstelle deutlich unterhalb der Interspinallinie zu tasten sein, bis eine erfolgreiche Passage des funktionellen Planums durch die Beckeneingangsebene angenommen werden kann. Die Geburtsdauer ist bei mentoanteriorer Gesichtseinstellung, also bei o.p.-Rotation, gegenüber derjenigen bei regelrechter Hinterhaupteinstellung nur wenig verlängert. Die Verzögerung wird 2 Faktoren zugeschrieben: 4 dem relativen Missverhältnis zwischen Kopf und Becken, also ähnlich der Situation bei Stirneinstellung, 4 dem geringeren Druck auf die Zervix mit nachfolgender hypokinetischer Wehenschwäche.
Bei mentoanteriorer Gesichtseinstellung kann die vaginale Geburt, spontan oder mit Beckenausgangszange, abgewartet werden. Stemmpunkt ist die Kehlkopfgegend. Bei jeder anderen Rotation drängt sich im Falle einer Gesichtseinstellung bei lebensfähigem Kind die Schnittentbindung auf. Für die seltene Situation einer Ablehnung der abdominalen Schnittentbindung durch die Gebärende wurde auch eine erfolgreiche bimanuelle Drehung des Kopfes unter Tokolyse beschrieben. Die Schwellung des Gesichts ist eindrücklich, bildet sich jedoch innerhalb weniger Tage zurück.
Hoher Geradstand Der hohe Geradstand stellt eine Einstellungsanomalie im Beckeneingang dar. Ätiologisch gelten nur pelvine Faktoren als gesichert; Weichteilanomalien (Myome, Placenta praevia) oder ein Armvorfall werden in Ausnahmefällen als Ursachen angenommen. Becken mit längsovalem oder querverengtem Eingang, wie beim anthropoiden Becken bzw. beim langen Becken, för-
dern eine Einstellung der Pfeilnaht im geraden Durchmesser des Beckeneingangs als »physiologische« Anpassung. Vor der Geburt beträgt das Verhältnis der okzipitoanterioren zur okzipitoposterioren Rotation etwa 3:1, unter der Geburt noch 2:1. Insgesamt findet sich ein hoher Geradstand bei etwa 0,5– 1% (Käser u. Richter 1981). Es ist anzunehmen, dass mehr als die Hälfte der im geraden Durchmesser ins Becken eintretenden Köpfe eine Rotation in der Führungslinie, also die 2. Anpassungsbewegung, vollziehen; in den meisten dieser Fälle wird der hohe Geradstand gar nicht diagnostiziert. Nach den Verhältniszahlen der o.a.- und o.p.-Einstellungen vor und bei Geburt zu schließen, scheint die Chance einer Rotation bei o.p.-Rotationen etwas geringer zu sein. Dennoch wurde auch bei dieser Einstellung in den meisten Fällen eine Korrektur beobachtet: Es kommt zu einer Rotationsbewegung des Hinterhaupts nach vorne und zu einer Geburt aus regelrechter Hinterhaupteinstellung (Borell u. Fernström 1981). Oft erfolgt der Durchtritt des Kopfes aber auch ohne eine Rotationsbewegung, also konstant im geraden Durchmesser. Wie oft bei Einstellungsanomalien mit schlechtem Kontakt zwischen Kopf und Zervix stellt sich häufig eine hypokinetische Wehentätigkeit ein. > Der hohe Geradstand wird erst zu einer Einstellungsanomalie, wenn sich daraus ein Geburtsstillstand entwickelt. Risikobehaftet ist der hohe Geradstand zusätzlich durch die Gefahr eines Nabelschnurvorfalles bei oder nach erfolgtem Blasensprung.
Die Diagnose des hohen Geradstandes kann aufgrund der äußeren Untersuchung vermutet werden: Der hochstehende, schmal wirkende Kopf beim 3. Leopold-Handgriff, der hochstehende kindliche Körper, evtl. die Delle periumbilikal wegen der kleinen Teile des Kindes, die weit kranial zu auskultierenden Herztöne oder der Verdacht auf ein Kopf-BeckenMissverhältnis bei der Prüfung mit dem Handgriff nach Zangemeister. Die Diagnose ergibt sich durch die vaginale Tastuntersuchung und wird im Zweifelsfalle durch die Sonographie bestätigt. Bei starker Konfiguration des Kopfes kann die Leitstelle bis auf etwa 1 cm an die Interspinallinie heranreichen. Die Prognose von Mutter und Kind hängt von der Dauer der Geburt und von allfälligen Interventionen ab. Zur Geburtsleitung empfiehlt sich nach der Diagnosestellung zuerst ein Abwarten. Bleibt der Kopf auch nach Therapie einer Wehenschwäche und bei offener Fruchtblase während mehr als 2 h über dem Beckeneingang stehen, so ist die Chance für einen weiteren vaginalen Geburtsfortschritt schlecht und das Kriterium des Geburtsstillstandes erfüllt. Da von einem Geburtsstillstand nur bei offener Fruchtblase gesprochen werden kann, wird für den Bedarfsfall eine vorsichtige Amniotomie empfohlen: Kopftieflage der Gebärenden und »Stichelung« der Fruchtblase in einer Wehenpause sollen den Geburtsfortschritt unterstützen, aber dennoch das Fruchtwasser nicht zu schnell abfließen lassen und so einen Nabelschnurvorfall vermeiden helfen. Diese Vorsichtsmaßnahme beruht allerdings auf reiner Empirie. Werden ein Missverhältnis und damit eine mechanische Obstruktion festgestellt, so bleibt als einzige vertretbare Maßnahme die Sectio übrig. Versuche zu manuellen Wendungsmanövern bewähren sich nicht.
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
Tiefer Querstand
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Von einem tiefen Querstand wird gesprochen, wenn der Kopf mit der Pfeilnaht im queren Durchmesser auf oder höchstens knapp über dem Beckenboden steht. Befindet sich das Hinterhaupt auf der linken Seite der Mutter, spricht man von einem I., befindet es sich rechts, von einem II. tiefen Querstand. Meistens weist der Kopf dabei eine leichte Streckhaltung (»indifferente Haltung«) auf. Das Auftreffen der Leitstelle auf dem Beckenboden bei im queren Durchmesser stehender Pfeilnaht ist nicht ungewöhnlich; pathologisch wird der tiefe Querstand erst durch die Persistenz mit der Entwicklung eines Geburtsstillstands. Die Angaben zur Inzidenz schwanken erheblich, wahrscheinlich abhängig von der Geduld zur Behandlung des noch nicht pathologischen Zustandsbildes. Nach Daten der hessischen Perinatalerhebung liegt die Inzidenz des tiefen Querstandes bei 0,2% (Link u. Künzel 2003). Als Ursachen des tiefen Querstandes stehen pelvine Faktoren im Vordergrund. Alle Beckenformanomalien mit einem verminderten Raumangebot in der Sakrumhöhle, also mit einer Verkürzung der hinteren geraden Durchmesser (Beckenmitte: Verkürzung der Distanz zwischen Sakrum und Spinae ischiadicae; Beckenausgang: Verkürzung der Distanz zwischen Sakrum und Tubera ischiadica), können den Ablauf der inneren Rotation des Kopfes stören und so die Entstehung eines tiefen Querstandes begünstigen. Dies betrifft das platypelloide, das androide und ausnahmsweise das anthropoide Becken (Trichterbecken). Da der Anstoß zu dieser Rotationsbewegung vom Kontakt des Kopfes mit dem muskulären Beckenboden ausgeht, kann ein Verlust von dessen Elastizität ebenfalls Anlass zu einem tiefen Querstand geben: Sowohl die übermäßige Nachgiebigkeit der Beckenbodenmuskulatur wie auch eine ungewöhnliche Rigidität können das Eintreten des Kopfes in den Weichteilspalt behindern. Als weitere mögliche Ursache wird auch die Wehenschwäche diskutiert, und die häufige Kombination von rigidem Beckenboden und Wehenschwäche bei Erstgebärenden erklärt die höhere Inzidenz. Der spontane Geburtsverlauf kann in 4 Varianten erfolgen: Geburt nach Rotation des Hinterkopfes nach vorne, ausnahmsweise nach hinten, selten mittels Lateralflexion aus tiefem Querstand, oder aber es entwickelt sich ein Geburtsstillstand. Die Diagnose ergibt sich aus der vaginalen Untersuchung. Als prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung eines Geburtsstillstands wird bei Feststellung eines tiefen Querstands die Seitenlagerung empfohlen, wobei die Wahl der Seite keine Rolle spielt. Bei gleichzeitiger Wehenschwäche ist die Wehenstimulation angezeigt. Tipp Weist die fetale Herzfrequenzkurve auf eine Gefährdung des Kindes hin oder zeichnet sich eine Erschöpfung der Mutter ab, so erscheint die Beendigung der Geburt gerechtfertigt. Mittel der Wahl ist die Vakuumextraktion. Durch Anlegen der Glocke in der Gegend der kleinen Fontanelle kann durch den Zug eine gleichzeitige Flexion des Kopfes bewirkt werden.
Ebenfalls möglich ist die Forzepsextraktion. Auch manuelle Rotationen können in Einzelfällen erfolgreich sein. Grundsätzliche Vorteile sind aber nicht bekannt. Zur vaginaloperativen Entbindung 7 Kap. 39.
Lateralflexionen Lateralflexionen zeichnen sich durch ein Abweichen der quer verlaufenden Pfeilnaht nach hinten oder vorne von der Führungslinie aus. 4 Weicht die Pfeilnaht nach hinten aus, so befindet sich das vordere Scheitelbein in der Führungslinie, und man spricht von einem vorderen Asynklitismus, im deutschen Sprachraum auch von der Naegele-Obliquität. 4 Geht durch ein Ausweichen der Pfeilnaht nach vorne das hintere Scheitelbein in Führung, so wird vom hinteren Asynklitismus oder der Litzmann-Obliquität gesprochen. 4 Als physiologische Seitwärtsbewegungen des Halses sind der hintere Asynklitismus unmittelbar beim Eintritt des Kopfes ins kleine Becken und der vordere Asynklitismus vor Erreichen der Beckenmitte zu betrachten. Beide Lateralflexionen können durch ihr Ausmaß (»verstärkte Naegele-Obliquität«; »verstärkte Litzmann-Obliquität«) und v. a. durch eine eventuelle Persistenz pathologisch werden. Ursache für einen persistierenden hinteren Asynklitismus im Beckeneingang kann ein Assimilationsbecken mit hochstehendem Promontorium und steilem Beckeneingang sein. Ein hinterer Asynklitismus tief im Beckeneingang findet sich seltener, am ehesten ebenfalls beim langen Becken mit Kanalform, d. h. fehlender Kreuzbeinwölbung. Die so verkürzte Beckenweite behindert die zweite Anpassungsbewegung oder innere Rotation des Kopfes. Die vordere Scheitelbeineinstellung im Beckeneingang oder in der Beckenmitte ist prognostisch günstiger. ! Bei Persistenz einer der beiden Lateralflexionen in Beckenmitte verbieten sich heutzutage auch im seltenen Falle einer vollständigen Eröffnung des Muttermundes sämtliche denkbaren Versuche zur vaginalen Entbindung wegen der Gefährdung von Mutter und Kind.
Die Lateralflexion auf Beckenboden stellt eine große Rarität dar und bildet eine seltene Möglichkeit zur Spontangeburt aus tiefem Querstand.
38.7.7
Abschließende Betrachtungen
Leiser und weniger medienträchtig als die Geburtsleitung bei Beckenendlage oder die Sectio auf Wunsch der Schwangeren hat die deutlich größer gewordene Zurückhaltung zu vaginaloperativen Eingriffen bei Haltungs- und Einstellungsanomalien des kindlichen Kopfes in den letzten beiden Jahrzehnten die geburtshilfliche Praxis verändert. Diese Zurückhaltung ist durch das für Mutter und Kind deutlich erhöhte Morbiditätsrisiko im Vergleich zu Entbindungen bei regelrechten Voraussetzungen gut begründet. Der Verlust an vaginaloperativem
853 38.8 · Nabelschnurvorfall und Vorfall kleiner Teile
»Skill« ist der unvermeidliche, jedoch verantwortbare Preis angesichts der heutigen Sicherheit der Sectio caesarea. Traditionell geschulte und ausgerichtete Geburtshelfer haben dabei über ihren Schatten zu springen. Wird im Lauf einer Geburt eine Einstellungs- bzw. Haltungsanomalie beobachtet, so stellen sich für den Geburtshelfer unvermeidlich Dilemmata ein: Einerseits ist eine Spontangeburt bei Einstellungsanomalien nicht zwingend ausgeschlossen, und es besteht während des Deszensus die Möglichkeit einer Anterorotation (weniger wahrscheinlich auch einer Flexion); andererseits wird die abdominaloperative Entwicklung des Kindes mit fortschreitendem Deszensus zunehmend schwieriger bei gleichzeitig steigendem Morbiditätsrisiko (Zervix- und Parametrienrisse) für die Mutter. Der Geburtshelfer ist bei Einstellungs- und Haltungsanomalien stärker als früher gefordert, den Geburtsverlauf unter Berücksichtigung von Parität, der Körpermaße und des Befindens von Mutter und Kind, der Geburtsdynamik und seinen eigenen operativen Fähigkeiten prospektiv abzuschätzen. Nicht nur der eigentliche Geburtsstillstand, sondern auch der protahierte Geburtsverlauf stellt bei großem Kind und/ oder suboptimaler Einstellung des Kopfes eine Indikation zur operativen Intervention dar. Zum Aspekt des Geburtserlebnisses bei operativen Interventionen 7 Kap. 39.4. Der forensische Druck seinerseits trägt – bisher einseitig – zum Rückgang vaginaloperativer Interventionen bei. Eine o.p.-Rotation zu Beginn der Geburt stellt an sich noch keine Sectioindikation dar. Die Chancen einer spontanen Rotation von mindestens 60% sind groß genug, um von einer Information – d. h. hier einer Verunsicherung – der Gebärenden durch potenzielle Risiken der Geburt abzuraten. Dagegen ist bei Persistenz einer Einstellungsanomalie ein allmählicher Einbezug der Gebärenden in die Überlegungen zum weiteren Vorgehen zu empfehlen. Die Beratung der Gebärenden kann in dieser Situation nicht nondirektiv sein, sondern erfordert die Offenlegung geburtshilflicher Überlegungen unter Wahrung einer angstfreien Atmosphäre. Besteht die Indikation zu einer vaginaloperativen Intervention, so ist der Vakuumextraktion gegenüber der Forzepsextraktion der Vorzug zu geben. Vaginaloperative Entbindungen bei Einstellungs- und Haltungsanomalien sollten nur vom Beckenboden aus, d. h. bei einem Höhenstand der Kopfleitstelle von 4 cm unterhalb der Interspinallinie (7 Kap. 39.1.3) durchgeführt werden. Absolut kontraindiziert sind vaginaloperative Entbindungen aus Beckenmitte von Erstgebärenden bei Einstellungsanomalien und Hinweisen auf einen fetalen Distress. Von Rotationsmanövern mit dem Forzeps um mehr als ca. 45°–60° ist heutzutage abzuraten; die letzte Entscheidung darüber liegt jedoch beim Geburtshelfer, der seine eigenen Fähigkeiten einzuschätzen hat. Bei adäquatem Anlegen (»flexion point«) einer geeigneten Vakuumglocke (mit variierbarem Ansatzwinkel der Zugkette) bestehen gute Chancen für eine Anterorotation des okzipitoposterior eingestellten Kopfes. Es empfiehlt sich dringlich eine sonographische Kontrolle und Dokumentation der Kopfeinstellung bei nicht eindeutig okzipitoanteriorer Einstellung; der klinische Stellenwert der
sonographischen Bestimmung des Höhenstandes dagegen ist derzeit noch nicht abschließend zu beurteilen.
38.8
Nabelschnurvorfall und Vorfall kleiner Teile
Von einem Nabelschnurvorfall spricht man, wenn nach Eröffnung der Eihäute ein Teil der Nabelschnur vor dem führenden Teil des Kindes liegt. Dadurch entsteht für das Kind eine höchst dringliche Notfallsituation. Von Repositionsversuchen wird abgeraten. Die einzige vertretbare Notfallmaßnahme ist eine raschestmögliche Entbindung: bei optimalen Voraussetzungen ausnahmsweise vaginal, meistens jedoch durch eine Notsectio (»Blitzsectio«) nach sofortigem, bis zum Operationsbeginn ununterbrochenem Hochschieben des führenden kindlichen Teils, evtl. unterstützt durch eine Notfalltokolyse.
38.8.1
Terminologie
Vorliegen/Vorfall der Nabelschnur Von einem Vorfall der Nabelschnur wird gesprochen, wenn ein Teil der Nabelschnur tiefer liegt als der führende kindliche Teil. Ist die Fruchtblase noch intakt, so wird diese Situation als Vorliegen der Nabelschnur bezeichnet. Beim Nabelschnurvorfall wird zudem der okkulte vom manifesten Vorfall abgegrenzt. Während bei Ersterem die Nabelschnur nur neben dem vorangehenden Teil im Zervikalkanal ertastet werden kann, liegt die Nabelschnur beim manifesten Vorfall in der Vagina oder vor der Vulva. Analog dazu werden Vorliegen und Vorfallen kleiner Teile unterschieden (7 Kap. 38.8.9). Im angelsächsischen Schrifttum entspricht »cord prolapse« dem deutschen Begriff »Nabelschnurvorfall«; mit »cord presentation« wird eine Lage der Nabelschnur zwischen dem führenden kindlichen Teil und der Zervix unabhängig vom Zustand der Fruchtblase bezeichnet (RCOG 2008). Der Begriff »compound presention« bezieht sich auf das Vorliegen kleiner Kindsteile.
38.8.2
Häufigkeit
Die Angaben in der Literatur reichen von 1,0–6‰. Bei 8% der Kinder erfolgte der Nabelschnurvorfall vor Wehenbeginn. Bei gut der Hälfte der betroffenen Kinder fiel die Nabelschnur innerhalb von 5 min nach Blasensprung vor, bei 5% dagegen erst nach >24 h. Bei 1/4 der Geburten war der Muttermund vollständig eröffnet, bei knapp der Hälfte nur gering, und bei 2/3 der Kinder stand der vorangehende Teil noch hoch. Eine Weheninduktion mit Prostaglandinen erhöht das Risiko nicht (Murphy u. MacKenzie 1995; RCOG 2008).
38
854
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
38.8.3
Risikofaktoren
Risikofaktoren des Nabelschnurvorfalls (nach RCOG 2008) 4 Allgemein: – Pluriparität – Niedriges Geburtsgewicht <2500 g – Frühgeburtlichkeit <37 SSW – Fetale Fehlbildungen – Beckenendlage – Quer-, Schräg- oder instabile (mehrfach wechselnde) Lage – Zweiter Zwilling – Polyhydramnion – Nichteintreten des führenden Kindsteils – Plazentatiefsitz oder andere Plazentalageanomalie 4 Interventionsbedingt: – Künstliche Blaseneröffnung – Vaginale Manipulation am Fetus nach Blasensprung – Äußere Wendung (während des Manövers) – Innere Wendung auf den Fuß – Geburtseinleitung bei instabiler Kindslage – Einführung eines internen Wehentransducers
Zur Pluriparität als möglichem Risikofaktor eines Nabelschnurvorfalls ist die Beobachtung des bei Vielgebärenden typischen Geburtsmechanismus aufschlussreich: Der Deszensus des kindlichen Kopfes vollzieht sich i. d. R. erst bei relativ weit geöffnetem Muttermund (»verzögertes Tiefertreten«), und auch die innere Rotation bleibt häufig unvollständig (Juntunen u. Kirkinen 1994).
38.8.4
38
Pathogenese
Bei ungenügender Abdichtung des kleinen Beckens durch den vorangehenden Teil und Vorliegen der Nabelschnur wird dieselbe entweder bei vorzeitigem Blasensprung oder unter Einwirkung von Wehen in die Vagina vorgeschoben. Begünstigt werden derartige Situationen mütterlicherseits durch zu enge oder zu weite Becken, kindlicherseits durch kleine Köpfe, Fehleinstellungen des Kopfes oder Lageanomalien.
38.8.5
Risiken für das Kind
Das Risiko für das Kind liegt in der drohenden Hypoxie als Folge der Nabelschnurkompression, möglicherweise auch von Vasospasmen in der Nabelarterie. Bei gutem Management sind die Chancen für ein schadloses Überstehen dieser gefährlichen Situation aber gut. Die Gefahr für das Kind ist umso größer, je größer und härter der vorangehende Teil ist, also am bedeutendsten bei Kopflage, geringer bei Beckenendlagen (geringere Kompression durch den weichen Steiß), am ge-
ringsten bei Querlagen, sofern nicht gleichzeitig ein Arm und eine Schulter ins Becken eintreten. Die unbereinigte perinatale Mortalität liegt bei rund 10%. Die unterschiedlichen Häufigkeitsangaben von Asphyxie (14%) bzw. Zerebralparese (0,8%) könnten auch unterschiedliche Definitionen dieser Zustandsbilder zum Ausdruck bringen. Die Morbidität der betroffenen Kinder ist noch nicht genügend untersucht; sie wird durch die hohe Frequenz von assoziierten Risiken (Frühgeburtlichkeit, Mehrlingsschwangerschaften) erhöht.
38.8.6
Diagnosestellung
In der akuten Phase basiert die Diagnostik auf der klinischen Untersuchung, sei es bei einer Kontrolluntersuchung unter dem Verdacht einer Nabelschnurkompression wegen eines pathologischen fetalen Herzfrequenzmusters, sei es als Zufallsbefund. Nicht jeder Nabelschnurvorfall führt sofort zur Nabelschnurkompression. Da ein Nabelschnurvorfall in jeder Phase der Geburt auftreten kann, ist die sofortige Kontrolle der fetalen Herzaktion unmittelbar im Anschluss an einen Blasensprung unverzichtbar. Ein Verdacht auf Nabelschnurvorfall stellt nach vorzeitigem Blasensprung und bei noch wehenlosem Uterus die einzige Indikation dar zu einer digitalen Untersuchung der Zervix nach deren Inspektion mit dem Spekulum. Bei Vorliegen eines Risikofaktors (. Übersicht) oder bei Bradykardie nach Blasensprung ist außerdem immer eine sofortige vaginale Untersuchung angezeigt, ebenso bei anhaltenden frühen oder variablen Dezelerationen. Die Verkennung dieser CTG-Signale stellt die bedeutendste Ursache für ein Fehlmanagement nach Nabelschnurvorfall dar (RCOG 2008). > Die pulsierende Nabelschnur stellt einen charakteristischen Palpationsbefund dar, wenn sie nicht sogar in der Vulva sichtbar ist. Bei der Hälfte der mit CTG überwachten Kinder fiel dieses pathologisch, bei weiteren 17% der Kinder suspekt aus (Murphy u. MacKenzie 1995).
Hinweise aus der Literatur auf eine Diagnosestellung mit Hysteroskop oder Duplexsonographie können angesichts des imperativen Zeitfaktors wohl kaum als generelle Empfehlungen aufgefasst werden. Bei einem Nabelschnurvorfall ist die gesamte Geburtssituation rasch zu überdenken unter Berücksichtigung von Parität, Weite des Geburtskanals, Weite des Muttermundes, Lage des Kindes, Einstellung und Höhenstand des vorangehenden Teils sowie Zustand des Kindes mit Einbezug des Gestationsalters.
38.8.7
Behandlung
Nach Feststellung eines Nabelschnurvorfalls muss umgehend personelle Verstärkung besorgt werden. Hochlagerung des mütterlichen Beckens und Hochschieben des vorangehenden Teils im Geburtskanal zur Entlastung der Nabelschnur oder
855 38.8 · Nabelschnurvorfall und Vorfall kleiner Teile
eine Knie-Ellbogen-Lagerung sind die anerkannten Notfallmaßnahmen nach Feststellung eines Nabelschnurvorfalls. Das Hochschieben erfolgt manuell oder, z. B. für einen Transport, durch eine rasche Füllung der Harnblase (500–750 ml), verbunden mit einer Notfalltokolyse bis zur abdominaloperativen Entbindung. Der Nutzen einer Umwicklung einer vor der Vulva liegenden Nabelschnurschlinge mit feucht-warmen Lappen zur Verhinderung von Vasospasmen der Aa. umbilicales ist nicht gesichert. Tipp Das Behandlungskonzept der Wahl besteht aus 4 ununterbrochenem Hochschieben des vorangehenden Teils bei Kopftief-/Seitenlagerung oder KnieEllbogen-Lagerung der Gebärenden, 4 Gabe eines sofort wirkenden Tokolytikums, 4 evtl. erabreichung von Sauerstoff an die Gebärende und 4 raschestmöglicher Sectio.
Von Repositionsversuchen wird i. Allg. abgeraten. Wegen der Gefahren provozierter Nabelschnurkompressionen durch die Reposition und der hohen Rezidivquote kann dieses Vorgehen jedenfalls nicht empfohlen werden, es sei denn in besonderen Ausnahmefällen und bei noch guter FHF unter einem »double set-up« im Operationssaal. Versuche zur vaginalen Geburtsbeendigung kommen nur bei günstigen Voraussetzungen in Betracht, wie eine vollständige Eröffnung des Muttermundes und große Erfahrung der anwesenden Geburtshelfer. Steht der Kopf im Beckenausgang, wird bei der Mehrgebärenden die rasche Spontangeburt angestrebt, evtl. mit Hilfe des Handgriffs nach Kristeller. Bei der Erstgebärenden ist ein Nabelschnurvorfall bei so tief stehendem Kopf ein äußerst seltenes Ereignis. Bei Kopf in Beckenmitte kann bei der Mehrgebärenden durch einen erfahrenen Geburtshelfer die vaginaloperative Entbindung ausgeführt werden. Theoretische Überlegungen hinsichtlich einer Schonung der Nabelschnur und der mütterlichen Weichteile sprechen eher für Vakuum- als für Forzepsextraktionen, doch bestehen hiezu keine Daten. Bei der Erstgebärenden ist die eilige Schnittentbindung unumgänglich. Bis zum Operationsbeginn wird der vorangehende Teil von vaginal her ununterbrochen hochgeschoben. Das Hineindrücken des noch hochstehenden Kopfes in das Becken und die anschließende Vakuumextraktion wie auch die Wendung auf den Steiß mit ganzer Extraktion gelten in der modernen Geburtshilfe als obsolet; die Wendung auf den Steiß mit ganzer Extraktion ist allenfalls zur Entbindung des zweiten Zwillings vertretbar. Bei einer Beckenendlage sind die Chancen für einen erfolgreichen Entbindungsversuch auf vaginalem Weg unter Berücksichtigung von Parität, geburtshilflicher Anamnese, Höhenstand, Größe und Einstellung des Kindes gegenüber dem Zeitbedarf für eine Sectio abzuschätzen. Bei Querlage gibt es zur Sectio keine Alternative. Beim toten Kind in Längslage wird die Spontangeburt abgewartet.
Im außerklinischen Bereich stehen vor der Verlegung der Frau in die Klinik folgende Maßnahmen zur Verfügung: Beckenhochlagerung, i. d. R. in Rücken- oder Seitenlage, evtl. in Knie-Ellbogen-Lage, unterstützt durch eine tokolytischanalgetische Medikation. Möglicherweise bietet sich gerade für solche Situationen die oben beschriebene Füllung der Harnblase zum Hochschieben des vorangehenden kindlichen Teils an. Das Vorgehen bei einem Nabelschnurvorfall vor Erreichen der postnatalen Lebensfähigkeit ist im Einzelfall mit der Schwangeren zu besprechen.
38.8.8
Prävention
Die Geburt außerhalb der Klinik sollte generell vermieden werden, speziell jedoch bei Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis, bei Frühgeburtlichkeit, Lageanomalien oder Mehrlingsschwangerschaften. Bei Quer- oder Schräglage sowie bei instabiler, häufig wechselnder Lage des Kindes ist ab 38 SSW mit der Schwangeren die Hospitalisation, auf jeden Fall aber eine rasche Vorstellung in der Klinik bei Wehenbeginn oder Blasensprung zu besprechen. Generell ist anlässlich einer vaginalen Untersuchung bei offener Fruchtblase das Hochdrücken des vorangehenden Teils zu vermeiden, insbesondere bei Mehrgebärenden. ! Bei gegebener Indikation zur Eröffnung der Fruchtblase vor Fixierung des vorangehenden kindlichen Teils im Becken werden folgende Vorsichtsregeln empfohlen: 4 Erstellung einer Sectiobereitschaft, 4 Beckenhochlagerung, 4 Abwarten der dekreszenten Phase einer Kontraktion, 4 (Wiederholte) Stichelung der Fruchtblase, womit ein rasches Abfließen des Fruchtwassers mit sogbedingtem Mitschwemmen der Nabelschnur vermieden werden soll, 4 evtl. als Alternative: Belassen der zur Faust geschlossenen Hand in der Vagina, um das Abfließen des Fruchtwassers zu verlangsamen.
Als präventive Maßnahmen gegenüber dem drohenden Nabelschnurvorfall ist auch die Behandlung des Vorliegens der Nabelschnur anzusehen. In der Regel ist bei Palpation der Nabelschnur hinter der noch erhaltenen Fruchtblase nach Einsetzen von Geburtswehen eine Sectio durchzuführen. Versuche zur vaginalen Entbindung bleiben Situationen mit sehr günstigen Voraussetzungen vorbehalten wie Diagnosestellung bei einer mehrgebärenden Frau mit weit eröffnetem Muttermund, tiefem vorangehendem Teil und raschem Geburtsfortschritt. Nur unter solchen Voraussetzungen können nach vollständiger Eröffnung des Muttermundes eine Amniotomie in Trendelenburg- oder Knie-Ellbogen-Lage und evtl. eine Reposition der Nabelschnur nach Hochschieben des Kopfes in Betracht gezogen werden. Die sonographische Beobachtung eines Vorliegens der Nabelschnur vor Wehenbeginn ist für eine klinische Entschei-
38
856
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
dungsfindung weder genügend sensitiv noch spezifisch (RCOG 2008).
38.8.9
Vorliegen und Vorfallen kleiner Teile
Vorliegen/Vorfall kleiner Teile Analog zur Nabelschnur kann auch eine Hand (Synonym: unvollkommener Armvorfall) oder ein Arm (vollkommener Vorfall) vor den vorangehenden Teil zu liegen kommen. Je nach Zustand der Fruchtblase wird auch in diesen Fällen zwischen Vorliegen und Vorfallen unterschieden.
38
4 bei sicherem Geburtsstillstand nach vollständiger Eröffnung: Reposition des Armes in Knie-Ellbogen-Lage der Frau (»Vierfüßlerstand«, unterstützt durch Kissen unter den Knien);
Vermutlich handelt es sich bei lebendem Kind weniger um ein Vorfallen als um aktive Streckbewegungen der Extremitäten (Käser u. Richter 1981). Vorliegen oder Vorfallen von kleinen Teilen sind auch in Kombination mehrerer Extremitäten möglich. Das Vorliegen oder Vorfallen einer Hand neben dem Kopf ist am häufigsten, und es besteht eine hohe Tendenz zur spontanen Korrektur. Das Vorliegen eines Armes ist dagegen selten, dasjenige eines Beines bei Kopflage noch seltener. Diese Ereignisse dürften mit Abnahme der Pluriparität inzwischen noch rarer geworden sein. Ätiologisch ist der Vorfall einer Extremität ebenso wie der Vorfall der Nabelschnur auf eine ungenügende Abdichtung des Geburtsweges durch den Kopfumfang zurückzuführen. Auch die Risikofaktoren sind die gleichen. Als Behandlungsmöglichkeit bei Vorliegen eines Arms wird die Umlagerung mit gleichzeitiger Beckenhochlagerung der gebärenden Frau empfohlen, sodass das Kind den Arm zurückziehen kann (Dudenhausen 2008). Die Behandlung soll zuerst mit Umlagerung auf die dem vorliegenden Arm entgegengesetzte Seite der Gebärenden versucht werden; bei Ausbleiben des Erfolges versucht man die Umlagerung auf die Gegenseite. Nur in Ausnahmefällen kommt es zum Geburtsstillstand; v. a. bei gleichzeitigem Verdacht auf ein Kopf-Becken-Missverhältnis ist dann die unverzügliche Schnittentbindung angezeigt. Zu Interventionen besteht bei Vorliegen eines Armes i. Allg. jedoch kein Anlass. Die meisten dieser Geburten gehen ungestört voran, ob das Kind die vorgestreckte Extremität zurückzieht oder ausnahmsweise auch nicht. Bei Vorfallen eines Armes werden, ohne Angaben zu Erfolgsraten und Komplikationen, folgende Behandlungsmöglichkeiten empfohlen (Dudenhausen 2008): 4 bei hochstehendem Kopf und nicht vollständig eröffnetem Muttermund: Sectio; 4 bei hochstehendem Kopf und vollständig eröffnetem Muttermund: zuerst Reposition des Armes, dann bimanuelles Eindrücken des Kopfes in den Beckeneingang von den Bauchdecken her (»Hofmeier-Impression«) und Wehenstimulation; 4 bei ins Becken eingetretenem Kopf, unabhängig von der Muttermundsweite: vorerst Abwarten, Wehenstimulation unter Beachtung der Uterusrupturgefahr;
Technik der Reposition. Kindliche Hand mit 4 Fingern des Geburtshelfers (auf der Seite des Bauchs des Kindes) über den Hals hinaus hochschieben, Hochhalten des Arms bis zu dessen sicherem Obenbleiben, langsame Rücklagerung der Frau, »Hofmeier-Impression« (Hineindrücken des Kopfes in den Beckeneingang durch bilaterales Drücken mit den Fäusten von der Bauchdecke her) und Wehenstimulation, evtl. gleich anschließend Vakuumextraktion. Die früher alternativ zur Reposition in Knie-Ellbogen-Lage empfohlene Reposition in Narkose dürfte heute nur in einem »double set-up«, d. h. in Sectiobereitschaft im Operationssaal, mit anschließender Extraktion des Kindes vertretbar sein. Die Prognose für Mutter und Kind wird nicht durch das Vorliegen einer Extremität an sich als vielmehr durch die Begleitumstände wie Frühgeburtlichkeit oder gleichzeitigen Nabelschnurvorfall (bei rund 1/4 der Fälle mit Extremitätenvorfall) oder aber durch Komplikationen eventueller Interventionen bestimmt (Käser u. Richter 1981).
38.9
Geburtsleitung bei Status nach Sectio
Die Erfolgschancen einer vaginalen Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio (VGNS) liegen insgesamt bei 60–80%. Das Vorliegen einer uterinen Narbe birgt verschiedene Risiken für Mutter und Kind. Die Sicherheit einer vaginalen Geburt nach vorangegangener Schnittentbindung ist dennoch gut belegt. Risikofaktoren einer möglichen Ruptur sind definiert und i. d. R. für eine Gebärende individuell erfassbar. Auch eine Geburtseinleitung – je nach Reifezustand der Zervix mit oder ohne Priming – ist vertretbar.
> Unabdingbare Voraussetzung für die Leitung einer vaginalen Geburt bei Zustand nach Sectio ist eine Klinikinfrastruktur mit erfahrenem Personal und der Möglichkeit zur unmittelbaren Durchführung einer Notfallsectio. Die vorgeburtliche Entscheidung in der Wahl des Geburtsmodus liegt bei der gut informierten Schwangeren.
Ab Beginn der Aktivphase wird eine kontinuierliche Überwachung von Kind und uteriner Aktivität empfohlen, wobei ein externes Monitoring genügt. Leitungsanalgesien sind einsetzbar. Für die postpartuale Überwachung genügt die externe klinische Kontrolle der Kontraktion des Uterus und der Blutungsstärke unter Verzicht auf die Kontrolle der Narbe.
38.9.1
Terminologie
Für die Besprechung des Themas ist das einheitliche Verständnis folgender Begriffe wesentlich:
857 38.9 · Geburtsleitung bei Status nach Sectio
Definition 4 Versuch einer vagialen Geburt nach Sectio: Entscheidung für und mindestens den Beginn einer vaginalen Geburt, unabhängig vom Ausgang. Nicht dazu gehört ein spontaner Geburtsbeginn bei geplanter primärer Resectio, die dann möglichst rasch durchgeführt wird. 4 Zustand nach Sectio: Bedeutet lediglich, dass eine Frau mindestens einmal einen Kaiserschnitt hatte, ohne dass Zusatzangaben wie die Anzahl der Sectiones oder etwaige vorangegangene vaginale Entbindungen in der Aussage enthalten wären. 4 Uterusnarbe: Für die Beschreibung der verschiedenen Rupturformen der Uterusnarbe wird folgende Einteilung verwendet (adaptiert nach Pridjian 1992; RCOG 2007; DGGG 2008): 4 Narbendehiszenz: Einreißen des Myometriums im Bereich der Narbe mit Erhalt des bedeckenden viszeralen Peritoneums, ohne Austreten von Teilen der Schwangerschaftsanlage in die Umgebung. Synonyma: »gedeckte Ruptur«, »Fenster«; häufigste Form der klinisch symptomlosen sog. »stillen Ruptur«, wahrscheinlich nur selten mit einer Gefährdung von Mutter und Kind, oft als Zufallsbefund anlässlich einer primären Resectio, evtl. Ursache einer ineffizienten Wehentätigkeit. 4 Narbenruptur: – Unvollständige Ruptur: Einreißen des Myometriums im Bereich der Narbe bis in die Harnblase oder ins Lig. latum bei intaktem viszeralem Peritoneum, evtl. mit Austritt von Teilen der Schwangerschaftsanlage in den Extraperitonealraum, meist ins Lig. latum; Synonyma: »Teilruptur« oder »partielle Ruptur«. – Vollständige Ruptur: Einreißen des Myometriums im Bereich der Narbe und des darüber liegenden viszeralen Peritoneums mit Austritt von Teilen der Schwangerschaftsanlage in die Peritonealhöhle.
38.9.2
Problemstellung
In der Geburtsplanung bei Zustand nach Sectio gilt es, 2 Fragen zu prüfen: 4 Wie groß sind die Chancen für eine komplikationsfreie vaginale Entbindung, 5 um Mutter und Kind zu einer natürlichen Geburt und dem damit verbundenen Erlebnis zu verhelfen, 5 um operationsbedingte Morbidität zu vermeiden und 5 um Kosten zu sparen? 4 Welchen Risiken werden Mutter und Kind bei einem Versuch einer VGNS mit evtl. sekundärer Resectio im Vergleich zur primären Resectio ausgesetzt? Bei nicht repetitiver Indikation und spontanem Wehenbeginn ist die Chance für eine vaginale Entbindung bei einer Frau mit Zustand nach Sectio fast gleich hoch wie bei einer Frau ohne vorangegangene Sectio, insgesamt 60–80%.
Die Chancen für den Erfolg eines vaginalen Entbindungsversuchs sind insgesamt günstiger, wenn die Frau bereits einmal vaginal geboren hat (Erfolgschance 87–90%). Die Rate der versuchten VGNS ist in den letzten Jahren deutlich im Sinken begriffen, obwohl die VGNS von Seiten der Fachgesellschaften grundsätzlich befürwortet wird. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Annahme liegt nahe, dass die Information der Schwangeren über die diversen Risiken auch bei kompetenter Gesprächsführung oftmals Ängste weckt und dass dadurch die Entscheidung zugunsten der elektiven Resectio favorisiert wird (. Tab. 38.11). Die aus einer Sectio und besonders aus Resectiones für Folgeschwangerschaften resultierenden Risiken werden dabei von den Schwangeren offensichtlich anders gewichtet als die Risiken der unmittelbar bevorstehenden Geburt. Darüber hinaus dürfte die derzeit in der Gesellschaft geführte Diskussion über die Geburtsmodi gerade beim Zustand nach Sectio eine Rolle zugunsten der operativen Entbindung spielen.
38.9.3
Bedeutung für Mutter und Kind
Komplikationen nach Entbindungsmodus Bei der Risikoabwägung der Geburtsleitungen bei Zustand nach Sectio sind die mütterlichen und kindlichen Risiken einer elektiven Resectio nicht denjenigen einer vaginalen Entbindung, sondern denjenigen eines Versuchs zur vaginalen Entbindung gegenüberzustellen. Diesem Versuch haften die Risiken der Notfallresectio an.
Risiken für die Mutter Bei der Analyse von Morbiditätsrisiken stehen sich die Befunde verschiedener großer Sammelstatistiken gegenüber.
Studienbox Beim Vergleich von Gruppen mit geplanter vaginaler Geburt nach Sectio (VGNS) und elektiver Resectio fanden sich statistisch signifikante Unterschiede bezüglich Bluttransfusion (1,7% vs. 1,0%) und Endomyometritis (2,9% vs. 1,8%). Keine signifikanten Differenzen wurden gefunden für Hysterektomie (0,23% vs. 0,30%), Thromboembolie (0,04 vs. 0,06%) oder mütterliche Todesfälle (0,17% vs. 0,44%). Die höhere mütterliche Morbidität bei Frauen mit geplanter VGNS ist auf Komplikationen bei den abgebrochenen vaginalen Entbindungsversuchen zurückzuführen. Im Vergleich zu erfolgreich abgeschlossenen vaginalen Geburten betragen die Risiken bei abgebrochenen Entbindungsversuchen für eine Uterusruptur 2,3% vs. 0,1%, Narbendehiszenz 2,1% vs. 0,15%, Hysterektomie 0,46% vs. 0,15%, Bluttransfusion 3,2% vs. 1,2%, Endomyometritis 7,7% vs. 1,2% (englische Daten: RCOG 2007). Diese Daten finden sich im Wesentlichen auch bei mehreren großen nordamerikanischen retro- und prospektiven Multizenterstudien (Literatur bei Cahill u Macones 2007).
6
38
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
Demgegenüber zeigte sich in einer retrospektiven Analyse von 29.046 Geburten aus der Datenbank der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Frauenkliniken, dass die mütterlichen Komplikationen beim Versuch einer vaginalen Geburt im Vergleich zur elektiven Sectio signifikant niedriger sind mit Ausnahme der Uterusruptur (0,4% vs. 0,19%; Rageth et al. 1999). Belastendere Resultate für die Versuche einer VGNS fand eine retrospektive Kohortenstudie von 20.095 Entbindungen von Zweitgebärenden mit Zustand nach Sectio im Staat Washington: Rupturrisiko bei elektiver Resectio 0,16%, bei spontanem Wehenbeginn 0,52%, bei Geburtseinleitung ohne Prostaglandin 0,77% bzw. 2,4% mit Prostaglandinpräparaten; die geprüften postoperativen Komplikationen waren in der Gruppe der Wöchnerinnen mit einem Versuch zur VGNS durchwegs erhöht, und die perinatale Mortalität lag um den Faktor 10 höher (Lydon-Rochelle et al. 2001).
Alle diese Studien bergen die Fehlerquellen retrospektiver Studienanlagen. Hier betrifft dies v. a. einen möglichen Bias wegen der Selektion der Fälle für die elektive Resectio (Einschluss von Fällen mit Kontraindikationen für einen vaginalen Entbindungsversuch wie Placenta praevia). Die Sectiomortalität liegt, nach verschiedenen Quellen, bei 0,3–0,5‰; im Vergleich dazu liegt die mütterliche Mortalität bei der vaginalen Entbindung unter 0,1‰ (7 Kap. 58). Relevant wäre hier der Vergleich der Sterberisiken von Frauen mit einer primären (geplanten) Sectio und aller Frauen mit einem erfolgreichen oder abgebrochenen Versuch zur vaginalen Entbindung. Vermutlich haben sich die Sterberisiken dieser beiden Kollektive einander angeglichen. Angesichts der Seltenheit mütterlicher Todesfälle ist es nicht sinnvoll, das Sterberisiko als Argument für oder gegen einen bestimmten Geburtsmodus bei Zustand nach Sectio zu verwenden.
Die mütterlichen Todesfälle bei geplanter VGNS sind äußerst selten auf die Uterusruptur zurückzuführen (<1/100.000 Geburten), sondern beruhen überwiegend auf thromboembolischen Komplikationen, Fruchtwasserembolie, Präeklampsie oder chirurgischen Komplikationen (RCOG 2007). Für das Gesamtkollektiv der Frauen mit Zustand nach Sectio nennen die Leitlinien der DGGG Plazentationsprobleme, also Folgen der vorausgegangenen Sectio, als Hauptursache der mütterlichen Mortalität. Bei der Diskussion um die Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio muss bedacht werden, dass die Studien, die die vertretbare Sicherheit einer VGNS belegen, i. d. R. in Kliniken mit guter personeller und apparativer Infrastruktur durchgeführt wurden (»tertiary care centers and university settings«; Kobelin 2001). Es ist denkbar, dass dies ein Grund für die scheinbare Diskrepanz zu den teilweise weniger günstigen Resultaten von Sammelstatistiken ist. Jede Klinik hat diese Voraussetzung für sich selber zu prüfen. Von Seiten der Fachgesellschaften liegen nahezu identisch formulierte Empfehlungen zum Vorgehen bei Zustand nach Sectio vor (ACOG 2004; RCOG 2007; DGGG 2008). > Erfolgsentscheidend dürften Umsicht und Erfahrung bei der Selektion der Fälle und bei der Geburtsleitung sowie die infrastrukturellen Bedingungen sein.
Zur Problematik der Narbenruptur Die Möglichkeit einer Ruptur der alten Sectionarbe mit allen daraus resultierenden Komplikationen stellt wie bereits erwähnt das zentrale Problem der Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio dar. Das Risiko einer Ruptur in Abhängigkeit von der Schnittführung am Uterus ist in . Tab. 38.9 dargestellt, aus der die Überlegenheit der queren isthmischen Uterotomie gegenüber jeder Form eines Längsschnitts eindeutig hervorgeht. Bei erschwerter Entwicklung des Kindes empfiehlt sich die vorsichtig, d. h. nicht zu gefäßnah geführte L-förmige Er-
Studienbox
38
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Befund der 2. Auswertung der prospektiven Studie des MaternalFetal Medicine Units (MFMU) Networks. Darin wurden das mütterliche und das neonatale Outcome nach 5 Gruppen untersucht: Resectio aus medizinischer Indikation mit/ ohne Wehen; Resectio ohne medizinische Indikation (»elektive Resectio«) mit/ohne Wehen; Versuch einer vaginalen Geburt. Im Gesamtkollektiv von 39.117 Frauen starben 6 Frauen, davon gehörten 5 zur Gruppe von 14.993 Frauen mit elektiver Resectio (ohne medizinische Indikation) vor Wehenbeginn und eine Frau zur Gruppe von 15.323 Frauen mit Versuch zur vaginalen Geburt. Keiner der Todesfälle stand im Zusammenhang mit einer Uterusruptur. In der erstgenannten Gruppe traten keine Ruptur und 70 (0,47%) Narbendehiszenzen auf, in der zweiten Gruppe 114 (0,74%) Rupturen und 102 (0,67%) Narbendehiszenzen (Spong et al. 2007). Die Autoren verweisen auf eine große kanadische Studie mit analogem Befund.
. Tab. 38.9. Inzidenz der Narbenruptur (unvollständig oder vollständig, ohne Dehiszenzen) in Abhängigkeit von der Schnittführung der vorangegangenen Uterotomie. (Nach Pridjian 1992; Cahill u. Macones 2007)
Schnittführung
Inzidenz der Ruptur [%]
Quere isthmische Uterotomie
0,2–0,8
»Tiefer Längsschnitt«
0,5–1,1 (bis 6,5a)
»Klassische Uterotomie« (d. h. längs korporal)
4,3–8,8
T-Inzision
>4,3–8,8
a
Die größte Studie zu dieser Frage geht von einem Rupturrisiko von 1% aus. Höhere Raten dürften mit der Schwierigkeit einer klaren Definition eines »tiefen Längsschnitts« zusammenhängen.
859 38.9 · Geburtsleitung bei Status nach Sectio
. Tab. 38.10. Plazentationsstörungen und Hysterektomien in Abhängigkeit von der Anzahl Sectiones. (Nach RCOG 2007)
Problem
1. Sectio
2. Sectio
3. Sectio
4. Sectio
5. Sectio
6. Sectio
Placenta accreta
0,24%
0,31%
0,57%
2,13%
2,33%
6,74%
Placenta accreta bei Placenta praevia
–
3%
11%
40%
61%
67%
Hysterektomie
0,65%
0,42%
0,90%
2,41%
3,49%
8,99%
weiterung der Uterotomie anstelle der deutlich stärker rupturgefährdeten T-Inzision. Narbendehiszenzen und -rupturen werden nach einer VGNS etwa gleich häufig wie bei primärer Resectio gefunden (DGGG 2008). Leider wird nicht in allen Studien zwischen Narbendehiszenzen und –rupturen unterschieden (sehr gut z. B. bei Spong et al. 2007). Zweifellos entsteht ein beträchtlicher Anteil der Narbenläsionen vor Einsetzen von Geburtswehen. Das Risiko von Narbenläsionen ist neben der Schnittführung von weiteren Faktoren abhängig, worauf im Abschnitt »Risikobeurteilung« eingegangen wird. Bedeutendster zusätzlicher Risikofaktor ist die Zahl der durchgemachten Sectiones, zu welcher auch die Risiken der Plazentationsstörungen und der Hysterektomien korrelieren (. Tab. 38.10).
Risiken für das Kind Auch für das Kind erwachsen die Gefahren v. a. aus einer Läsion der Uterusnarbe. Die Aussagen über einen Zusammenhang der perinatalen Mortalität (PNM) mit der Art des primär gewählten Geburtsweges sind widersprüchlich.
Studienbox Für die perinatale Mortalität lässt sich in diversen neueren Arbeiten kein statistisch signifikanter Unterschied finden, obwohl seltene Fälle von subpartualem oder neonatalem Tod im Zusammenhang mit Uterusrupturen bekannt sind. Das perinatale Mortalitätsrisiko bei geplanter Resectio liegt im intrauterinen Tod in den letzten Tagen der Schwangerschaft, das auch beim Abwarten des Geburtsbeginns besteht. Es kann vielleicht durch die Gestaltung der präpartualen Überwachung beeinflusst werden. Aussagen zur neonatalen Morbidität sind wegen der schmalen Datenlage noch unsicherer. Bezüglich der Asphyxie zeigte sich, dass sich bei sorgfältiger Selektion der Frauen mit guten Erfolgschancen für eine vaginale Geburt das Risiko auf 0,6‰ im Vergleich zu 0,2‰ bei Schwangeren ohne vorausgegangenen Kaiserschnitt verringert (Dürig u. Schneider 2001). Ein Risiko für eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie von 0,8‰ erwähnen auch Cahill u. Macones (2007). Durch das Abwarten des Geburtsbeginns für eine VGNS wird gegenüber der elektiven Resectio das Risiko des Neugeborenen auf ein Atemnotsyndrom gesenkt (2– 3% vs. 3–4%; ROG 2007).
38.9.4
Risikobeurteilung
Risikofaktoren für Narbenrupturen 4 Schnittführung: Längsschnitte im Bereiche des Corpus uteri wie die »klassische Sectio« oder die T-förmige Erweiterung einer queren isthmischen Uterotomie erreichen Rupturrisiken von >5% und gelten als absolute Kontraindikationen für den Versuch einer VGNS. Einige Autoren betrachten die T-förmige Erweiterung einer queren isthmischen Uterotomie nicht als absolute Kontraindikation (z. B. DGGG 2008). 4 Zustand nach früherer Läsion einer Sectionarbe: Das Risiko einer erneuten Läsion wird mit 6% angegeben, sofern die Läsion nur den Bereich der isthmischen Narbe, und mit 32%, falls die Läsion auch kranialere Partien des Corpus uteri betroffen hatte (Pridjian 1992). Die frühere Läsion einer Sectionarbe bildet eine absolute Kontraindikation für eine VGNS. Bei Zustand nach früherer Ruptur einer queren isthmischen Uterotomie wird eine elektive Resectio mit 37 Wochen, bei Zustand nach früherer Ruptur einer Längsuterotomie mit 35 Wochen empfohlen (Lim 2005; G. Crombach, mündliche Mitteilung 2009). 4 >1 vorausgegangene Sectio: Es werden unterschiedliche Rupturrisiken angegeben. Für den Zustand nach 2 Sectiones im Vergleich zu nur einer vorangegangenen Sectio scheint die Differenz nicht signifikant zu sein (RCOG 2007), für die Narbendehiszenzen mit bis zu 5% dagegen schon (DGGG 2008). Bei >2 vorausgegangenen Sectiones mit querer isthmischer Uterotomie muss aber von einem Rupturrisiko von ca. 4% ausgegangen werden. Das ACOG erachtet einen VGNS nach 2 Sectiones nur bei Frauen mit vorausgegangener vaginaler Entbindung für vertretbar, das RCOG und die DGGG äußern sich in ihren Leitlinien diesbezüglich weniger restriktiv. Wenn die genannten Situationen noch als relative Kontraindikationen für eine VGNS betrachtet werden können, so ist der Zustand nach 3 Sectiones ohne vorausgegangene vaginale Geburt als absolute Kontraindikation für eine VGNS anzusehen. 4 Geburtseinleitung: Das Rupturrisiko scheint ca. 2- bis 5-mal höher zu liegen als bei spontanem Geburtsbeginn, insbesondere beim Einsatz von Prostaglandinen zum Zervix-Priming (Lieberman 2001; Lydon-Rochelle et al. 2001). Ob bei unreifer Zervix mechanische Methoden (z. B. mit Foley- oder Doppelballonkatheter oder Laminaria) risikoärmer sind, ist derzeit noch ungeklärt.
38
860
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
4 Verminderte Myometriumsdicke: Die präpartuale sono-
graphische Evaluation ist eingehend untersucht worden. Sie stellt wegen erheblicher Unsicherheiten für die vorgeburtliche Entscheidungsfindung keine obligate Voraussetzung dar (DGGG 2008). Möglicherweise verbessert die transvaginale Ausmessung des myometralen Narbenbereichs die klinische Wertigkeit der Untersuchung (Jastrow et al. 2006). Unerlässlich ist demgegenüber die sonographische Plazentalokalisation. 4 Andere Uterusoperationen: Erhöht rupturgefährdet sind Frauen mit einer nicht sectiobedingten Hysterotomie in der Anamnese, z. B. nach intramyometraler Myomektomie; die Datenlage ist nicht einheitlich (RCOG 2007). Nach den Leitlinien der DGGG stellt diese Situation eine Kontraindikation für einen VGNS dar. 4 Fieber sub partu oder Endomyometritis puerperalis nach der vorausgegangenen Sectio: Diese Infektpatho-
logien werden wegen einer möglichen Wundheilungsstörung als Risikofaktor einer Narbenruptur angegeben (Risikoerhöhung um den Faktor 3–4; Lieberman 2001). Die Einstufung als Kontraindikation ist uneinheitlich; zumindest wird eine Besprechung mit der Schwangeren empfohlen (RCOG 2007). 4 Kurzes Geburtenintervall: Ein Geburtenintervall von ≤18 Monaten erhöht das Rupturrisiko 2- bis 3-fach (Lieberman 2001) und gilt als relative Kontraindikation. Die Leitlinie der DGGG nennt 2,7% für ein Intervall von 13– 24 Monaten und von 4,8% für ein solches von <12 Monaten. 4 »Makrosomie« des Fetus: Die Relevanz bezüglich Erhöhung der Rupturgefahr ist umstritten (Lieberman 2001). Vorsicht im Sinne einer relativen Kontraindikation zu einer VGNS ist dennoch geboten bei Schätzgewichten ab 4250 g bzw. ab 4000 g bei diabetischer Stoffwechsellage (DGGG 2008).
38
Weitere Situationen mit nur gering erhöhtem Risiko für eine Komplikation im Falle eines Versuchs einer VGNS und somit keine absoluten Kontraindikationen sind: 4 Beckenendlage, 4 Zwillingsschwangerschaft, 4 unbekannte Uterotomie, 4 tiefer, d. h. isthmokorporaler Längsschnitt. Diese Situationen sind individuell zu beurteilen. Wo von einer »relativen Kontraindikation« gesprochen wurde, sind für einen VGNS im Übrigen günstige Faktoren zu fordern. Angesichts der Diskussion um die Sicherheit der VGNS und der besonders bei Notfallsectiones erhöhten Gefahren dürfte es angebracht sein, die Indikationen für die VGNS nicht zu weit zu fassen.
Erfolgschancen einer VGNS Es sind Risikoevaluationsmodelle entwickelt worden, um die Erfolgschancen eines Versuchs zur VGNS zu objektivieren. Die Aussagekraft dieser Skalen scheint die Einschätzung einer erfahrenen Person kaum zu übersteigen (Landon et al. 2005; RCOG 2007; Grobman et al. 2008).
Dokumentierte Faktoren mit guten Erfolgschancen für den Versuch einer VGNS sind: 4 frühere vaginale Entbindung (bester einzelner Prognosefaktor), 4 gewisse Indikationen für die vorausgegangene Sectio wie Fehleinstellungen (v. a. Beckenendlagen) oder hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES), 4 Alter der Mutter < 40 Jahre, 4 reife Zervix, d. h. Bishop-Score ≥4. Faktoren mit geringer Aussagekraft über den Erfolg eines Versuchs einer VGNS dagegen sind ein 4 angebliches Kopf-Becken-Missverhältnis oder Geburtsstillstand als Indikation für die Sectio (mehr als die Hälfte dieser Frauen kann gemäß vieler Studien vaginal gebären, mit Ausnahme der Anamnese eines Geburtsstillstands in der Austreibungsperiode), 4 höheres mütterliches Alter (wahrscheinlich eher Ausdruck einer Politik von »defensiver Geburtshilfe«; zudem sehr fragliche Hinweise zu höherem Rupturrisiko; Guise et al. 2005). Als ungünstige Faktoren für eine VGNS gelten: 4 Zustand nach Sectio wegen Geburtsstillstands in der Austreibungsperiode (13% Erfolgschance), 4 morbide Adipositas (15% Erfolgschance; hier zudem deutlich erhöhte postoperative Infektmorbidität), 4 Geburtseinleitung, 4 Notwendigkeit zur Wehenunterstützung, 4 suspektes CTG bei Klinikeintritt. Diese Erkenntnisse sind bei der vorgeburtlichen Beratung mit einzubeziehen.
Maßnahmen zur Prävention einer Narbenruptur 4 Beachtung der als absolut geltenden Kontraindikationen für einen Versuch der VGNS wie Zustand nach Längsschnitt oder T-Schnitt oder nach früherer Narbenläsion, evtl. auch nach einem febrilen Wochenbett anlässlich der vorausgegangenen Sectio; dabei frühzeitige Ansetzung einer primären Resectio; 4 Abbruch eines Versuchs der VGNS bei schleppendem Geburtsfortschritt oder bei uteriner Dystokie. Nach wie vor sind 2 grundlegende operationstechnische Aspekte (nur!) der 1. Sectio zur Prävention von Narbenrupturen offen und harren einer Klärung durch die klinische Forschung. Dazu gehören aufgrund einiger noch unsicherer Hinweise die Frage nach einer zweischichtigen Naht der Uterotomie (wozu zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Kapitels 2 große Studien laufen) und die Frage der Wahl des Operationszeitpunkts erst nach Einsetzen von Kontraktionen.
Spezielle operative Risiken Probleme können sich aus Implantationsstörungen der Plazenta im Bereich der Narbe ergeben mit Entwicklung von Placenta accreta, increta oder percreta und den Störungen bei der Lösung.
861 38.9 · Geburtsleitung bei Status nach Sectio
! Plazentaimplantationen an der Vorderwand mit Tiefsitz oder Placenta praevia stellen bei vorausgegangener Sectio ein spezielles Risiko dar. Wurde präpartual sonographisch ein Sitz der Placenta im Bereich der uterinen Narbe festgestellt, so ist zwingend die primäre Resectio indiziert. Die Schwangere ist über das erhöhte Risiko einer Plazentalösungsproblematik mit evtl. notwendiger Hysterektomie zu informieren.
In diesen Situationen sind ausreichende Mengen von Blut bereitzustellen. Bei ungünstiger Blutgruppenkonstellation (z. B. Blutgruppe B oder AB, Rhesus negativ) oder Verweigerung von Transfusionen (Zeugen Jehovas) sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wie etwa eine notfallmäßige Embolisierung der uterinen Gefäße. Bei Verdacht auf eine Plazentationsstörung im Bereich der Uterusnarbe soll durch einen erfahrenen Ultraschaller und evtl. mittels MRI die Infiltrationstiefe der Plazenta ins Myometrium und ggf. in Nachbarorgane (Harnblase) abgeschätzt werden. Besteht eine Infiltration in die Harnblase, ist in Zusammenarbeit mit einem Urologen ein Operationsplan aufzustellen.
38.9.5
Geburtsverlauf und Geburtsleitung
Die Dynamik des Geburtsverlaufs bei Zustand nach Sectio hängt davon ab, ob eine Frau zuvor bereits einmal vaginal geboren hat. Das heißt, dass der Geburtsverlauf bei einer Frau mit vorausgegangener Sectio, aber ohne vaginale Geburt, demjenigen einer Erstgebärenden gleicht. Dabei spielt es keine Rolle, wie weit der Muttermund im Fall einer vorangegangenen sekundären Sectio dilatiert oder ob er evtl. sogar vollständig eröffnet war.
Äußere Rahmenbedingungen Die Empfehlungen zur Geburtsleitung basieren auf Expertenmeinungen (z. B. des ACOG 2004). Zwingende Voraussetzung für die Betreuung einer Gebärenden mit Zustand nach Sectio ist die Fähigkeit zur raschen operativen Intervention (mindestens innerhalb von 30 min nach der Operationsentscheidung, idealerweise innerhalb von weniger als 20 min). Kliniken mit Geburtsleitungen bei Zustand nach Sectio wird die Aufstellung eines Protokolls empfohlen, ebenso das gelegentliche Einüben der Abläufe bei einer »Notsectio« (»Crash«- oder »Blitzsectio«).
Monitoring Bei Zustand nach Sectio ohne weitere Risikofaktoren ist es gerechtfertigt, die routinemäßige fetale Überwachung mit Kardiotokographie einzusetzen, d. h. in der frühen Eröffnungsperiode (Latenzphase) intermittierend, in der Aktivphase und in der Austreibungsperiode kontinuierlich. Bei irgendwelchen Zusatzrisiken ist frühzeitig ein kontinuierliches Monitoring indiziert.
> Auffälligkeiten des Herzfrequenzmusters, ein mangelhafter Geburtsfortschritt auch nach vorsichtiger Wehenstimulation und trotz guter Analgesie, Auffälligkeiten der mütterlichen Schmerzempfindung und eine subpartuale Blutung sind klinische Zeichen, die den Abbruch des Versuches nahelegen sollten. ! In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind die Symptome einer Narbenruptur: Auffälligkeiten im CTG (50–70%; variable Dezelerationen, übergehend in späte Dezelerationen oder in eine Bradykardie), Narbenschmerzen in der Wehenpause, Blutungen (vaginal oder im Urin als Zeichen einer Blasenläsion); dann auch Sistieren der Wehentätigkeit, das Hochrutschen des vorangehenden Teils des Kindes oder gar der Tod des Kindes.
Die Diagnostik der Ruptur kann allerdings auch sehr schwierig sein. Gerade die vielzitierten Narbenschmerzen sind weder ein sensitives noch spezifisches Zeichen der Narbenruptur. Das intrauterine Monitoring hat sich wegen verschiedener praktischer Probleme und Unsicherheiten nicht bewährt. Das Thema Uterusruptur wird seit kurzem in der Literatur vermehrt behandelt (Ofir et al. 2004; WHO 2005). Durch die wieder sinkende Rate an vaginalen Geburten bei Zustand nach Sectio steigt unter den Fällen von Uterusrupturen der Anteil der Gebärenden ohne vorausgegangene Sectio. Anamnestisch finden sich erwartungsgemäß oft andere uterine Voroperationen. In einer Aufarbeitung von diagnosekodierten Fällen aus den USA fanden sich bei 14 Fällen ohne vorausgegangene Uterusoperationen 12 Geburten mit Oxytozineinsatz (Porreco et al. 2009).
Geburtseinleitung Studienbox Studien zur Rate an Narbenrupturen bei Einsatz von Prostaglandin E1 oder E2 ergaben unterschiedliche Resultate. Eine große retrospektive Kohortenstudie beschreibt einen deutlichen Anstieg der mütterlichen und fetalen Gefährdung bei Geburtseinleitung nach vorausgegangener Sectio (Lydon-Rochelle et al. 2001). Demgegenüber weisen die Befunde zahlreicher klinischer Trials auf eine »genügende Sicherheit« der Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio hin (Kobelin 2001).
»Genügende Sicherheit« kann in diesem Zusammenhang aber nur heißen, dass auch nach Einsatz von Wehenmitteln dank adäquater Überwachung und Handlungskompetenz im Fall von Hinweisen auf eine Uterusruptur die richtigen Maßnahmen so schnell wie möglich getroffen werden können. Die von der ACOG und anderen Fachorganen formulierten organisatorischen Auflagen haben in den USA dazu geführt, dass wegen des forensischen Risikos die Verwaltungen von 28% der Krankenhäuser mit geburtshilflichen Abteilungen ein offizielles Verbot für die VGNS erlassen haben. Frauen, die eine VGNS anstreben, haben zunehmend Pro-
38
862
Kapitel 38 · Pathologische Geburt
bleme, eine geeignete Einrichtung sowie einen kompetenten Geburtshelfer zu finden. Das Zervixpriming mit PGE2 ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten (Schneider u. Husslein 2004). Als kontraindiziert bei Zustand nach Sectio werden von einigen Autoren Prostaglandin-Vaginalinserts und Misoprostol bezeichnet, trotz einiger, meist eher kleiner, anders lautender Trials (DGGG 2008). Ob ein Zervixpriming bei Zustand nach Sectio mit mechanischen Methoden (z. B. Ballonkatheter) risikoärmer ist als mit Prostaglandinen, kann aufgrund der aktuellen Datenlage nicht beurteilt werden. Die Akten zum Thema Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio sind noch nicht geschlossen.
Wehenstimulation Der Zustand nach Sectio an sich stellt keine Kontraindikation gegen eine Wehenstimulation mit Oxytozin dar. Das Risiko einer Narbenruptur liegt bei vaginalen Entbindungsversuchen mit und ohne Oxytozinstimulation im gleichen Bereich von knapp 1%, außer bei Verwendung hoher Oxytozindosen (bis 3%; Kobelin 2001). Der Therapieerfolg, d. h. der Geburtsfortschritt, hat sich allerdings umgehend einzustellen. Anderenfalls ist der Versuch zur VGNS wegen erhöhter Rupturgefahr abzubrechen.
Leitungsanalgesien Die Periduralanalgesie ist bei Zustand nach Sectio nicht kontraindiziert. Sie kann auch bei einer Wehenstimulation sicher eingesetzt werden. Der sog. Narbenschmerz ist kein verlässliches Zeichen einer drohenden Ruptur, und nach Fallberichten wird der rupturbedingte Dauerschmerz durch eine Periduralanalgesie in der üblichen Medikation nicht maskiert. Der aufmerksamen Beachtung der Geburtsdynamik dürfte für die Sicherheit von Mutter und Kind nach Anlegen einer Periduralanalgesie eine viel wichtigere Rolle zukommen.
Postpartuale Kontrolle des Uterus und Vorgehen bei Läsion der uterinen Narbe
38
Die routinemäßige Uterusaustastung nach einer vaginalen Geburt zum Ausschluss einer möglichen Uterusruptur wird bei Fehlen einer atonischen Symptomatik nicht mehr praktiziert. Die palpatorische Beurteilung des Myometriums ist wenig zuverlässig. Das Infektrisiko hingegen wird durch die Untersuchung deutlich erhöht. Dazu kommt, dass eine asymptomatische, d. h. nicht blutende Uterusruptur keiner chirurgischen Intervention bedarf. Eine häufig empfohlene mehrstündige prophylaktische medikamentöse Tonisierung des Uterus erscheint sinnvoll, auch wenn Nutzen und Notwendigkeit nicht belegt sind. Bei einer atonischen Nachblutung gelten die allgemeinen Behandlungsregeln für diese Pathologie, nämlich eine Revision der Geburtswege, bei der auch die Narbenregion ertastet wird, und eine physikalische (Kälteapplikation) und medikamentöse Tonisierung des Uterus. Wenn lediglich eine Narbendehiszenz ertastet wird und sich die Blutung bei der anschließenden Tonisierung normalisiert, ist keine operative Intervention angezeigt. Bei gegebener Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention ist fast immer eine Versorgung der
Ruptur möglich, und nur selten ist die Hysterektomie unvermeidbar. Der Verzicht auf eine routinemäßige Austastung der alten Sectionarbe führt zwangsläufig zu einer Dunkelziffer solcher Narbenläsionen. Es werden so lediglich die klinisch symptomatischen und die bei Resectiones beobachteten Läsionen erfasst.
38.9.6
Beratung und vorgeburtliche Entscheidungsfindung
Zur Beratung der Schwangeren bezüglich des Geburtsmodus bei Status nach Sectio empfiehlt sich eine erste Thematisierung noch vor Ende des 2. Trimenons. Die eigentliche Entscheidung über die Geburtsleitung sollte erst im Laufe des 3. Trimenons gefällt werden, sofern nicht offensichtliche Gründe für eine Resectio sprechen. Weil sich das Rupturrisiko bei Zustand nach Sectio und danach unkomplizierter Geburt bei nachfolgenden Geburten weiter erhöht, sind auch in diesen Situationen erneute Beratungsgespräche angezeigt. Wie üblich hat sich der Umfang der Beratung dem Informationswunsch und dem Aufnahmevermögen der Frau anzupassen. Risiken und Chancen der verschiedenen Optionen sind sachlich und unter Berücksichtigung der individuellen anamnestischen und klinischen Befunde nebeneinanderzustellen. Anstelle subjektiver Beschreibungen (»kleines« bzw. »hohes« Risiko) sollen Fakten in einer für die einzelne Frau verständlichen Art und Weise dargelegt werden. Beispielhaft werden hier die von der RCOG empfohlenen Informationen tabellarisch aufgezeigt (. Tab. 38.11). Zur erforderlichen Information gehören auch die Hinweise auf das um den Faktor 2–3 erhöhte Risiko einer Uterusruptur bzw. um den Faktor 1,5 erhöhte Risiko einer Resectio bei einer eingeleiteten oder mit Wehenmitteln unterstützten Geburt im Vergleich zu einer VGNS ohne Wehenmittel (RCOG 2007). Bei der Entscheidungsfindung werden viele Frauen ihre Vorstellungen zu weiteren Schwangerschaften in die Überlegungen miteinbeziehen. Es könnte für sie einen Unterschied ausmachen, ob sie im Hinblick auf weitere Schwangerschaften auf eine unkomplizierte vaginale Geburt setzen und eine Risikoerhöhung durch eine erneute uterine Narbe vermeiden sollen, oder ob sie bei abgeschlossener Familienplanung eine Resectio vorziehen. Auch bei Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis oder bei Annahme eines großen Kindes sollte nicht zwingend die Indikation für eine primäre Resectio gestellt werden. Bei erneuter Kopflage des Kindes und etwa gleich groß geschätztem Kind darf – selbstverständlich nach Information der schwangeren Frau und auf ihren Wunsch – der Versuch einer VGNS gemacht werden, solange der palpatorische Befund eines erfahrenen Geburtshelfers oder die pelvimetrisch erhobenen Beckenmaße (7 Kap. 38.6.4) die anerkannten Grenzwerte nicht eindeutig unterschreiten. Die Pelvimetrie ist als Standardabklärung bei Zustand nach Sectio wegen ihres geringen positiven Vorhersagewertes jedoch nicht angezeigt, weder in ihrer konventionellen Form noch mittels Ansätzen zur dreidimensionalen Auswertung (Rozenberg 2007).
863 38.9 · Geburtsleitung bei Status nach Sectio
. Tab. 38.11. Empfehlungen des RCOG zur Risikoinformation von Schwangeren vor der Wahl des Geburtsmodus bei Zustand nach Sectio. Empfehlung zur definitiven Entscheidungsfindung bei ca. 36 SSW und zur Festlegung des Vorgehens bei Wehenbeginn vor dem Zeitpunkt einer evtl. vereinbarten Resectio
Thema
Abzugebende Information
Hintergrunddaten/Zusatzinformationen
Chance für eine unkomplizierte vaginale Geburt insgesamt bzw. bei früherer vaginaler Geburt
4 72–76% bzw. 87–90%
Risiko der Uterusruptur* bei VGNS
4 22–74 pro 10.000 Versuche**
Risiko von Bluttransfusionen und Endomyometritis
4 Um ca. 1% höher bei geplanter VGNS als bei elektiver Resectio
4 Bluttransfusion: 1,7% vs. 1,0% 4 Endomyometritis: 2,9% vs. 1,8%
Risiko des Kindstodes (perinatale Mortalität)
4 2- bis 3-mal mehr Todesfälle pro 10.000 Versuche bei geplanter VGNS (v. a. in der Wartezeit); Risiko entspricht etwa demjenigen einer Erstgebärenden
4 Ohne Fehlbildungen: 24/10.000 vs. 9,3/10.000
Risiko der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie
4 8/10.000 Versuche einer VGNS 4 0–6/10.000 bei geplanter Resectio***
4 Eine zerebrale Parese kann auch andere Ursachen haben 4 Es gibt keine Daten zur Häufigkeit von CP nach VGNS und elektiver Resectio
Risiko neonataler Atemstörungen
4 2–3% nach VGNS vs. 3–4% nach elektiver Resectio
–
Risiko von Anästhesiekomplikationen
4 Minimal für jeden Geburtsmodus
–
Risiko von Komplikationen in weiteren Schwangerschaften
4 Signifikant höhere Risiken nach elektiver Resectio für Plazentationsstörungen, Verletzung von Harnblase, Darm und Ureter, Bedarf an Intensivpflege, Hysterektomie, Bluttransfusion
4 Prävalenz der Placenta accreta steigend mit Sectiozahl
In den Guidelines des RCOG wird nicht auf pränatal auftretende Narbendehiszenzen eingegangen, welche bei geplanter Resectio etwa gleich häufig wie bei VGNS gefunden werden (DGGG 2008). ** Für die Beratung empfiehlt sich die Angabe von Verhältniszahlen, weil diese eher nachvollzogen werden können als Prozentangaben (Gigerenzer 2005). *** Ergänzungen nach Spong et al. (2007). *
Frauen mit einer vorangegangenen Sectio wegen Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis oder »Dystokie« haben das größte Risiko für eine sekundäre Resectio. Dennoch kann laut vielen Studien auch bei dieser Gruppe zu mehr als der Hälfte eine vaginale Geburt erreicht werden. Wenn eine Beckenendlage Indikation für die vorausgegangene Sectio war, sind die Chancen für einen erfolgreichen Versuch einer VGNS am besten. Tipp Es wird empfohlen, bei der Entscheidung zu einer geplanten Resectio auch das Vorgehen für den Fall eines Geburtsbeginns während der Wartezeit (10% der Schwangeren vor 39 Wochen) festzulegen.
Von einigen Fachgesellschaften sind Informationsblätter für Schwangere erarbeitet worden. Form und Inhalt der abgege-
benen Information sind in der Patientenakte festzuhalten. Situativ und mit dem entsprechenden Takt ist mit der Frau auch ihre Gewichtung der Uteruserhaltung im Falle einer gravierenden Blutung zu besprechen, zumal eine Schwangerschaft auch nach operativer Versorgung einer Uterusnarbenläsion grundsätzlich vertretbar ist. > Abschließend sei nochmals betont, dass der ärztliche Berater vor der schwierigen Aufgabe steht, prospektiv im Einzelfall abschätzen zu müssen, welche Form der Entbindung als die optimale anzustreben ist.
Bei der Diskussion der mit den verschiedenen Entbindungsvarianten wie der elektiven Sectio oder einer VGNS verbundenen Risiken muss zwischen den Angaben der Literatur, bei denen es sich um statistische Größen handelt, die lediglich das Mittel eines Spektrums individueller Risiken wiedergeben, und dem individuellen Risiko unterschieden werden. Da wir
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
das auf die einzelne Frau bezogene Risiko nicht präzise genug abschätzen können, lassen wir uns in unseren Empfehlungen für die eine oder andere Art der Entbindung in der Regel zu sehr von dem mittleren Risiko leiten. Hier hat der ärztliche Berater nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, eine an der individuellen Situation orientierte und im Konsens mit der Patientin getroffene Empfehlung auszusprechen.
Literatur
38
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Kapitel 38 · Pathologische Geburt
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39 39 Vaginaloperative Entbindung H. Hopp, K. Kalache 39.1
Häufigkeit – 868
39.2
Voraussetzungen der vaginaloperativen Geburt – 868
39.2.1 39.2.2 39.2.3 39.2.4
Indikationen – 868 Technik – 869 Höhenstand des Kopfes – 869 Kontraindikationen – 872
39.3
Wahl des Instruments – 873
39.4
Durchführung der Operationen – 873
39.4.1 39.4.2
Vakuumextraktion – 873 Zangenentbindung – 877
39.5
Sectio vs. vaginaloperative Entbindung/Sectiobereitschaft – 881
39.6
Komplikationen – 882
39.6.1 39.6.2
Kindliche Verletzungen – 882 Mütterliche Verletzungen – 882
39.7
Analgesie bei der vaginaloperativen Geburt – 883
39.8
Forensische Gesichtspunkte – 883 Literatur – 884
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
868
39
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
Die instrumentelle Entbindung ist zur Beseitigung einer akuten fetalen Bedrohung, eines Geburtsstillstandes oder aus mütterlicher Indikation in der Austreibungsperiode indiziert. Indikationen, Voraussetzungen und Kontraindikationen der vaginaloperativen Entbindung beruhen auf klinischen Erfahrungen sowie auf Empfehlungen bzw. Leitlinien von Expertenkomitees. Angesichts der zentralen Bedeutung der Patientenzufriedenheit wird die bisherige Leitlinie des geburtshilflichen Handelns (zunächst ist die vaginaloperative Entbindung anzustreben und gegen die sekundäre Sectio abzuwägen) nicht mehr allgemein akzeptiert. Voraussetzung für eine vaginaloperative Geburt ist die exakte Bestimmung des Höhenstands der Haltung und der Einstellung des kindlichen Kopfes, ein vollständiger Muttermund, eine gesprungene Fruchtblase und der Ausschluss eines Missverhältnisses. Kontraindiziert ist die instrumentelle Entbindung bei Hinterhauptshaltung und einem Höhenstand der Leitstelle über 0 sowie bei Deflexionshaltungen mit einem Höhenstand der Leitstelle über +2. Nur bei rotierter Pfeilnaht (Abweichung von der anteroposterioren Position ≤45°) ist bei einem Höhenstand über +2 die instrumentelle Entbindung von sehr erfahrenen Geburtshelfern risikoarm durchzuführen. Demnach sollte eine vaginaloperative Entbindung nur aus Beckenmitte (Leitstelle 0 bis +3 bei Hinterhauptshaltung) oder von Beckenboden erfolgen, nicht jedoch aus Beckeneingang. Wesentliche Ursachen für misslungene vaginaloperative Entbindungsversuche sind Fehlbeurteilungen der Durchführbarkeit, weil Deflexionshaltungen sowie Veränderungen der Kopfform durch eine stärkere Konfiguration und Kopfgeschwulst nicht berücksichtigt wurden. Sobald sich unter der Geburt die Möglichkeit abzeichnet, dass ein operativer Eingriff notwendig werden kann, soll der Geburtshelfer das Aufklärungsgespräch mit der Patientin führen (Aufklärungspflicht des Arztes). Wegen der höheren Rate von mütterlichen Verletzungen sowie deren Langzeitauswirkungen bei Anwendung der Zange ist die Forzepsentbindung auch in Ländern, die sie eine Zeitlang favorisierten, zu Gunsten der Vakuumanwendung weitgehend verlassen worden. Für die vaginaloperative Geburt werden die Schmerzausschaltung und die Relaxation der Beckenmuskulatur durch Peridural- oder Pudendusanästhesie gefordert. Das Anlegen des Instrumentes und die Korrektur einer bestehenden Haltungs- oder Einstellungsanomalie müssen unter Berücksichtigung der geburtsmechanischen Situation erfolgen. Wenn erst während der Operation eine Fehlbeurteilung des Höhenstandes oder der Einstellung des Kopfes erkannt wird, darf die vaginaloperative Entbindung nicht erzwungen werden. Folgt der Kopf dem Zug nicht, lässt die Vakuumtraktion nicht die Tendenz zur Beugung und Drehung des Kopfes erkennen oder gelingt die Rotation mit der Zange nicht leicht, so ist der Versuch einer instrumentellen Entbindung abzubrechen und die Sectio caesarea unverzüglich durchzuführen.
39.1
Häufigkeit
Die Rate von vaginaloperativen Entbindungen liegt in Deutschland seit einigen Jahren im Bereich von 6%, mit 5,0% Vakuum- und 0,8% Zangenentbindungen. In Österreich gab es 2007 5,9% Vakuum- und 0,2% Zangenentbindungen. In den Vereinigten Staaten werden etwa 5% vaginaloperative Entbindungen vorgenommen, mit 1% Zangen- und 4% Vakuumentbindungen hat sich das Verhältnis in Richtung Vakuumanwendung verschoben (Wegner u. Bernstein 2009).
39.2
Voraussetzungen der vaginaloperativen Geburt
39.2.1
Indikationen
Die Indikationsstellung zur operativen Entbindung hat sich von der ausschließlich vitalen zu einer zunehmend präventiven gewandelt. Voraussetzung dafür war die Verringerung des Risikos der entbindenden Operationen durch Fortschritte der anästhesiologischen und perioperativen Betreuung. Die Entscheidung zu einer präventiven Beendigung der Geburt basiert auf der Abwendung einer mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahr, ist also abhängig von der Sicherheit diagnostischer Maßnahmen und der Erfahrung des Geburtshelfers. Allerdings lässt die fetale Zustandsdiagnostik eine sichere Aussage zum neonatalen Zustand nur begrenzt zu, sodass präventive Operationsentscheidungen eher großzügig getroffen werden. Die Durchführung einer operativen Entbindung kann maternal, fetal oder kombiniert indiziert sein, wobei die mütterliche Indikation (kardiopulmonale Erkrankungen) den fetalen Zustand nur selten unbeeinträchtigt lässt: 4 fetale Indikation (»Asphyxie«): pathologisches CTG, fetale Hypoxämie, fetale Azidose, 4 maternale Indikation:
Erschöpfung der Mutter, Kontraindikation zum Mitpressen wegen kardiopulmonaler, zerebrovaskulärer Erkrankungen, 4 kombinierte Indikation:
protrahierte Austreibungsperiode mit/ohne Haltungs-, Einstellungsanomalie, schwere Präeklampsie. Bei wehenabhängigen akuten fetalen Gefahrenzuständen gelingt meistens eine Zustandsverbesserung durch die intrapartale Tokolyse. Die Zeit bis zur operativen Geburtsbeendigung kann überbrückt werden, ohne dass eine weitere Verschlechterung eintritt. In vielen Fällen können so überstürzte Notoperationen vermieden werden. Die Entscheidung zur Geburtsbeendigung bei dramatischen Veränderungen der fetalen Herzfrequenz hat zum Ziel, die drohende fetale Hypoxie und Azidose (»Asphyxie«) abzuwenden. Eine sichere Voraussage der blutgasanalytischen Veränderungen kann aber aus der CTG-Befundung allein nicht getroffen werden. Das gilt auch für die letzte Phase der Geburt, wo bei zangengerecht stehendem Kopf die Abkürzung der Pressperiode durch eine vaginaloperative Entbindung die Entstehung einer Azidose bei hochpathologischem CTG verhindern soll.
869 39.2 · Voraussetzungen der vaginaloperativen Geburt
Die zweite Hauptindikation der vaginal-operativen Entbindung ist die protrahierte Austreibungsperiode oder der sog. Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode. Nicht selten führen Haltungsanomalien (Vorderhauptshaltung) und Einstellungsanomalien (hintere Hinterhauptshaltung, tiefer Querstand) zu einem protrahierten Geburtsverlauf. Geburtsmechanisch verzögernd wirken der größere Kopfumfang (Durchtrittsplanum) und das bei der Entwicklung weit nach dorsal gedrängte Hinterhaupt. Zusätzlich wird häufig die Erschöpfung der Mutter als Indikation mit angeführt. ! Von größerer Bedeutung als die Zeitdauer der Austreibungsperiode ist der Geburtsfortschritt, gemessen am Tiefertreten und der Rotation des kindlichen Kopfes. Unglücklicherweise wird ein mangelnder Geburtsfortschritt fast immer mit einer nicht ausreichenden Wehentätigkeit gleichgesetzt (»Wehenschwäche«). Die dann indizierte Wehenmittelinfusion in der Austreibungsperiode führt häufig, bei nicht ausreichender Kontrolle, zur Überstimulation. Wehenfreie Intervalle <min müssen als Alarmsignal der Beendigung weiterer Wehenmittelgaben angemahnt werden. Diese pathologische Wehenfrequenz kann auch mit externer Wehenregistrierung gut erkannt werden.
Durch intrauterine Druckmessung konnte nachgewiesen werden, dass es bei einer zu hohen Wehenfrequenz überwiegend zu einer Abflachung der Wehenamplitude kommt und eine Wehentätigkeit mit geringerer Effektivität resultiert (Heinrich u. Seidenschnur 1988). Die Verkürzung der Wehenpausen führt zudem zu einer zunehmenden Beeinträchtigung des Gasaustausches in der Plazenta und in der Folge zur fetalen Hypoxämie und Azidämie. Bei gutem Zustand des Kindes und ausreichenden Reserven der Mutter wurden von der ACOG (2000) folgende Zeitgrenzen als Richtwerte für die Austreibungsperiode empfohlen: 4 Erstgebärende: 3 h mit/2 h ohne Regionalanästhesie, 4 Mehrgebärende: 2 h mit/1 h ohne Regionalanästhesie. Um die Mutter und das Kind vor bleibenden Schäden zu bewahren, ist häufig auch bei schwerer Präeklampsie die operative Beendigung der Geburt indiziert.
39.2.2
Dem Operationsbeginn geht eine nochmalige exakte Befunderhebung voraus, bei der die in der . Übersicht genannten Parameter kontrolliert werden.
Befunderhebung vor vaginaloperativer Geburt 4 Vollständige Eröffnung des Muttermundes 4 Höhenstand des Kopfes in Beckenmitte/auf Beckenboden 4 Haltung und Einstellung 4 Blasensprung 4 Ausschluss eines Kopf-Becken-Missverhältnisses 4 Leere Harnblase 4 Adäquate Analgesie/Anästhesie
39.2.3
Höhenstand des Kopfes
Für die vaginaloperative Entbindung sind eine möglichst exakte Höhenstandsbestimmung, die Erkennung einer noch ausstehenden geburtsmechanischen Adaptation und die Einschätzung der Möglichkeit einer operativen Korrektur von entscheidender Bedeutung (ACOG 2000, DGGG-Leitlinie 2008). Der Höhenstandsdiagnose werden definierte Beckenebenen zugrunde gelegt. Für das Verständnis des Höhenstandes ist zu beachten, dass der Beckeneingang mit der Conjugata vera als engster Stelle annähernd als eine Ebene definiert werden kann. Dagegen stellt die Beckenmitte einen großen, gekrümmten Raum mit unterschiedlich hoher Vorder- und Hinterwand dar, der von der Terminalebene des Beckeneingangs bis zur Beckenausgangsebene reicht (Weitzel und Hopp 1998, . Abb. 39.1). Der Beckenboden entspricht anatomisch dem Diaphragma pelvis, der den vom knöchernen Becken umschlossenen Beckenausgangsraum nach kaudal begrenzt (. Abb. 39.4). Durch die klinische Diagnostik wird der Höhenstand des Kopfes bestimmt und vor dem operativen Eingriff dokumentiert:
4 Beckeneingang: Durchtrittsplanum im Beckeneingang, 4 Beckenmitte: Durchtrittsplanum in Beckenmitte,
Technik
Vaginaloperative Geburtsbeendigung Das Prinzip der vaginaloperativen Geburtsbeendigung besteht in einer Extraktion des Kindes durch Zug am kindlichen Kopf, ggf. mit Korrektur der Haltung und Einstellung.
Neben der Indikationsstellung ist die Beherrschung der operativen Technik die Voraussetzung dafür, dass die operativen Maßnahmen sowohl für das Kind wie auch für die Mutter so schonend wie möglich ausgeführt werden.
. Abb. 39.1. Die Räume des kleinen Beckens. BER Beckeneingangsraum, BMR Beckenmitte (Beckenhöhle), BAR Beckenausgangsraum, O obere Schoßfugenrandebene, TE Terminalebene, BA Beckenausgangsebene
39
870
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
. Abb. 39.2. Höhenstandsbestimmung von Leitstelle und Durchtrittsplanum nach den Hodge-Parallelebenen und nach De Lee. BE Beckeneingang, BM Beckenmitte, BB Beckenboden, O obere Schoßfugenrandebene, U untere Schoßfugenrandebene, I Interspinalebene, BB Beckenbodenebene
4 Beckenboden: Leitstelle auf Beckenboden, Durchtrittsplanum parallel zur Beckenausgangsebene in Höhe der Spinae (. Abb. 39.4). Während das Durchtrittsplanum mittels vaginaler Untersuchung nicht bestimmbar ist, kann die Leitstelle durch Angabe der Entfernung in Zentimetern oberhalb (–) bzw. unterhalb (+) der Interspinallinie palpatorisch gut verfolgt werden. Diese Einteilung nach De Lee (1921) geht von der Interspinalebene als 0-Ebene aus und ermöglicht gemeinsam mit dem Parallelebenensystem nach Hodge die Höhenstandsbestimmung von Leitstelle und Durchtrittsplanum (. Abb. 39.2). Es wird von der Beurteilung des Höhenstandes der Leitstelle ausgegangen und auf den Höhenstand des Durchtrittsplanums in Beckeneingang oder Beckenmitte geschlossen. Dieses Vorgehen ist möglich, weil bei Hinterhauptshaltung der Abstand von der kleinen Fontanelle bis zum geburtsmechanisch wirksamen Planum suboccipitobregmaticum 4 cm beträgt. Bei Deflexionshaltungen ist zu berücksichtigen, dass sich das Durchtrittsplanum mehr als 4 cm über der Leitstelle befindet. Auch bei Veränderungen der Kopfform durch eine stärkere Konfiguration kann das Durchtrittsplanum weiter als 4 cm von der knöchernen Leitstelle entfernt sein. Das ist deswegen so wichtig, weil folgenschwere Fehleinschätzungen des Höhenstandes unbedingt zu vermeiden sind.
39
! Eine vaginaloperative Entbindung sollte nur bei klinisch gesichertem, u. U. sonographisch kontrolliertem Höhenstand des Kopfes in Beckenmitte oder auf Beckenboden erfolgen.
Kopf in Beckenmitte
. Abb. 39.3. Höhenstand des Kopfes in Beckenmitte. TE Terminalebene, O Obere Schoßfugenrandebene, U Untere Schoßfugenrandebene, I Interspinalebene, BB Beckenbodenebene, BA Beckenausgangsebene
und sich 4 cm oberhalb der Interspinallinie befindet. Die knöcherne Leitstelle hat in der Führungslinie die Interspinallinie (0) erreicht (. Abb. 39.3). Die Beckenmittenposition endet, wenn die Leitstelle auf dem Beckenboden (+4) steht. Daraus ergibt sich, dass sich der kindliche Kopf bei Beugehaltung und tastbarer knöcherner Leitstelle von 0 bis +3 in Beckenmitte befindet (. Tab. 39.1).
Kopf auf Beckenboden Kopf auf Beckenboden Der Kopf steht auf Beckenboden, wenn die knöcherne Leitstelle den Beckenboden (+4) erreicht hat (. Abb. 39.4).
Das Durchtrittsplanum steht parallel zur Beckenausgangsebene in Höhe der Spinae. Bei der inneren Untersuchung sind die Spinae und die Kreuzbeinhöhle nicht mehr zu tasten. Dieser Höhenstand ist von außen durch die Handgriffe nach Schwarzenbach oder De Lee zu diagnostizieren. Der Kopf ist in der
. Tab. 39.1. Einteilung der vaginaloperativen Entbindungen nach dem Höhenstand des Kopfes bei Hinterhauptshaltung
Kopf in Beckenmitte
Entbindung
Leitstelle
Duchtrittsplan
Der Kopf steht bei Hinterhauptshaltung in Beckenmitte, wenn das Hinterhaupt vollständig in das Becken eingetreten ist.
Beckenmitte (BM)
Zwischen 0 und +3
Zwischen –4 und –1
Beckenboden (BB)
+4 (in der Tiefe sichtbar)
0 (parallel zur BA-Ebene)
Beckenausgang (BA)
>+4 (in der Wehenpause sichtbar)
Zwischen +1 und BA-Ebene
Bei Hinterhauptshaltung des Kopfes beginnt die Beckenmittenposition, wenn das Durchtrittsplanum den Beckeneingang mit der engsten Stelle in Höhe der Conjugata vera passiert hat
871 39.2 · Voraussetzungen der vaginaloperativen Geburt
. Tab. 39.2. ACOG-Klassifikation der Zangenentbindungen. (Nach ACOG 2000)
. Abb. 39.4. Höhenstand des Kopfes auf Beckenboden. TE Terminalebene, O Obere Schoßfugenrandebene, U Untere Schoßfugenrandebene, I Interspinalebene, BB Beckenbodenebene, BA Beckenausgangsebene
Tiefe zu sehen, und die Pfeilnaht ist in den meisten Fällen ausrotiert oder weicht nur geringfügig vom geraden Durchmesser ab (Ausnahme: tiefer Querstand). Die vaginaloperative Entbindung von Beckenboden weist die geringste Gefährdung für die Mutter und das Kind auf. Die Entbindungen von Beckenboden stellen die große Mehrzahl der instrumentellen Entbindungen dar. Ein-/Durchschneiden des Kopfes Tritt der Kopf in den Introitus und bleibt er auch in der Wehenpause sichtbar (Einschneiden des Kopfes), so erreicht das Durchtrittsplanum in der letzten Phase des Austrittsmechanismus (Durchschneiden des Kopfes) den Bereich der Beckenausgangsebene (. Tab. 39.1).
Gelingt die spontane Entwicklung des kindlichen Kopfes in dieser Situation nicht, wird die operative Entbindung von dieser Position als Beckenausgangs-VE oder Beckenausgangszange bezeichnet. Die operative Entbindung von Beckenausgang hat v. a. unterstützende Funktion bei Erschöpfung der Mutter. Zur ACOG-Klassifikation der Zangenentbindungen von 1988 (. Tab. 39.2) ergeben sich Unterschiede, weil zusätzlich zum Höhenstand des Kopfes auch die Rotation der Pfeilnaht in die Definition eingeht (ACOG 2000). Zum einen wird die operative Entbindung bei einer Rotation der Pfeilnaht von der anteroposterioren Position über 45° und einem Höhenstand des Kopfes in Beckenausgang als »low forceps« definiert, zum anderen kommt es zu einer Überlappung des Höhenstandes »Beckenmitte« (0 bis +3) mit der für den »low forceps« angegebenen Position (≥+2). Bei einem Höhenstand des Kopfes in Beckenmitte ist in der Regel auch die Rotation noch nicht vollendet und stellt entsprechende Anforderungen an den geburtshilflichen Operateur. Der Schwierigkeitsgrad der operativen Entbindung erhöht sich bei einem Höhenstand der Leit-
Art der Entbindung
Höhenstand
Rotation
»Outlet forceps«
5 Kopf sichtbar im Introitus bei ungespreizten Labien 5 Kopf auf Beckenboden
5 Pfeilnaht in a.p.-Position mit Rotation ≤45°
»Low forceps«
5 Leitstelle ≥+2 und nicht auf Beckenboden
5 Vordere oder hintere HHH mit Rotation ≤45° 5 Rotation >45°
»Mid forceps«
5 Leitstelle <+2, aber Kopf eingetreten
5 Keine Angabe
stelle über +2, aber auch beim Abweichen der Pfeilnaht von der anteroposterioren Position über 45°. Das wird in der ACOG-Definition des »mid« und »low forceps« ausdrücklich berücksichtigt (. Tab. 39.2).
Ultraschalluntersuchung Für das Anlegen der Instrumente und die Zugrichtung ist die exakte Beurteilung der Stellung des Rückens, der Haltung (Deflexionshaltung!) und der Einstellung des Kopfes erforderlich. Wenn dies durch die digitale Untersuchung nicht zuverlässig möglich ist, muss vor dem Eingriff eine Ultraschalluntersuchung erfolgen, um einen exakten Befund erheben zu können. Gerade beim Höhenstand in Beckenmitte ermöglicht die transabdominelle Sonographie eine zuverlässige Beurteilung von Stellung und Einstellung. Die Position des Kopfes lässt sich bei Darstellung der Orbitae (okzipitoposterior), der Falx cerebri (okzipitotransvers), des Kleinhirns oder der zervikalen Spinae (okzipitoanterior) sicher bestimmen. Zur sonographischen Diagnostik des Höhenstandes werden 2 Methoden empfohlen. Bei der transperinealen Sonographie wird der Ultraschallkopf auf dem Perineum in einer mitt-sagitalen Position platziert. Der Höhenstand des Kopfes kann durch die Messung des Winkels (»angle of progression«) ergänzend beurteilt werden, der von der Mittellinie der Symphyse (Linie A) und einer Linie B gebildet wird, die dem kindlichen Kopf tangential anliegt und vom Unterrand der Symphyse ausgeht (. Abb. 39.5). In einer prospektiven Beobachtungsstudie konnte bei protrahierter Austreibungsperiode eine strenge Korrelation zwischen dieser Winkelmessung und Spontangeburten oder vaginaloperativen Geburten bzw. notwendig gewordener Sectiones nachgewiesen werden (Kalache et al. 2009). Zu unproblematischen Vakuumextraktionen oder zu Spontangeburten kam es in allen Fällen, wenn ein Winkel von 120° erreicht wurde.
39
872
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
. Abb. 39.5a, b. Schematische Darstellung (a) und Ultraschallbild (b) der transperinealen Sonographie zur ergänzenden Höhenstandsdiagnostik mit dem »angle of progression«. (Mod. nach Kalache et al. 2009, mit frdl. Genehmigung)
Henrich et al. (2006) empfehlen, bei protrahierter Austeibungsperiode die »head direction« durch translabiale Sonographie zu bestimmen. Wenn der größte Durchmesser des fetalen Kopfes die »infra pubic line« – eine vom unteren Rand der Symphyse ausgehende Senkrechte zur Symphysenachse – durchschritten hatte und eine Aufwärtsbewegung des Kopfes »head up« darzustellen war, konnten vaginaloperative Entbindungen erfolgreich (leicht oder moderat) beendet werden. Die neuen Ansätze zur sonographischen Höhenstandsdiagnostik des vorangehenden Teils erscheinen vielversprechend. Wenn es damit gelingt, bei protrahierten Verläufen frühzeitig zuverlässige Aussagen zur Prognose einer vaginaloperativen Entbindung zu treffen, wäre das ein echter Durchbruch in der Geburtshilfe. Bisher stehen aber noch überzeugende klinische Studien aus bzw. sie sind erst im Entstehen.
39.2.4
39
Kontraindikationen
! Kontraindiziert ist die Durchführung einer vaginaloperativen Entbindung bei hinreichendem Verdacht auf ein Kopf-Becken-Missverhältnis. Wenn nach effektiver, u. U. maximal stimulierter Wehentätigkeit kein weiterer Geburtsfortschritt erreicht wird, muss ein absolutes oder relatives Missverhältnis angenommen werden.
Bei sehr protrahiertem Tiefertreten des kindlichen Kopfes und klinischem Verdacht oder sonographischem Hinweis auf Makrosomie des Kindes ist die Entscheidung zur vaginaloperativen Entbindung problematisch, auch wenn der Kopf die Beckenmitte bereits erreicht hat. Im Zweifelsfall ist der Sectio caesarea der Vorzug zu geben. Die Einschätzung der Durchführbarkeit einer instrumentellen Entbindung wird entscheidend von der persönlichen Erfahrung des Geburtshelfers beeinflusst. Fehlbeurteilungen durch Nichtberücksichtigung von Deflexionshaltungen, Veränderungen der Kopfform durch eine stärkere Konfiguration und Kopfgeschwulst sind wesentliche Ursachen für misslungene vaginaloperative Entbindungen. Es ist zu berücksichtigen, dass bei einem Stand des Kopfes in Beckenmitte die ge-
burtsmechanische Adaptation in Form der Haltungs- und Einstellungsveränderungen selten abgeschlossen ist, insbesondere bei einem Höhenstand der Leitstelle über +2. Als obere Grenze der vaginalen Entbindungsfähigkeit aus Beckenmitte gilt bei Hinterhauptshaltung der Höhenstand, bei dem das Durchtrittsplanum die 4 cm oberhalb der Interspinalebene liegende untere Schoßfugenrandebene erreicht hat, d. h. die Leitstelle steht bei Hinterhauptshaltung in der Interspinalebene (0). Kontraindiziert ist damit die instrumentelle Entbindung bei einer Hinterhauptshaltung mit einem Höhenstand der Leitstelle über 0 sowie bei Deflexionshaltungen mit einem Höhenstand der Leitstelle über +2. Wegen des größeren Abstandes zwischen Durchtrittsplanum und Leitstelle hat bei Deflexionshaltungen das Durchtrittsplanum bei einem Höhenstand der Leitstelle von 0 den Beckeneingang mit der engsten Stelle in Höhe der Conjugata vera noch nicht passiert. Bei einem Höhenstand der Leitstelle oberhalb von +2 ist die vaginaloperative Entbindung nur bei rotierter Pfeilnaht (Abweichung von der anteroposterioren Position bis maximal 45°) erlaubt und muss dem erfahrenen und in der Technik ausgebildeten Geburtshelfer vorbehalten sein. Unabhängig von der Wahl des Instrumentes ist die Grenze der instrumentellen Entbindungsfähigkeit zu berücksichtigen. Allein die leichtere Platzierbarkeit der Vakuumglocke kann die Überschreitung der Beckenmittengrenzen nach oben für eine vaginaloperative Entbindung nicht rechtfertigen.
Kontraindikationen der vaginaloperativen Entbindung 4 Höhenstand der Leitstelle – über 0 bei Hinterhauptshaltung – über +2 und >45° abweichende Pfeilnaht – über + 2 bei Deflexionshaltung 4 Kopf-Becken-Missverhältnis – z. B. protrahierte Geburt bei Makrosomie des Kindes
873 39.4 · Durchführung der Operationen
39.3
Wahl des Instruments
Der Erfolg vaginaloperativer Entbindungen aus Beckenmitte wird v. a. von der Indikationsstellung und dem Zustand des Kindes bei Operationsbeginn abhängen. Forzeps und Vakuumextraktor sind akzeptable und sichere Instrumente für die vaginaloperative Entbindung. Die Erfahrung des Operateurs ist entscheidend für die Auswahl des geeigneten Instruments in der gegebenen geburtshilflichen Situation. Hinsichtlich der traumatischen Gefährdung reifer Kinder gibt es keinen gesicherten Unterschied zwischen beiden Methoden. Welche der beiden Methoden in einer Klinik wie häufig angewendet wird, wurde lange Zeit v. a. durch die geburtshilfliche Schule und die daraus resultierende Vertrautheit mit dem Instrument bestimmt. Die Entscheidung zur Verwendung von Zange oder Vakuum ist in den letzten Jahren durch die höhere Rate von mütterlichen Verletzungen sowie deren Langzeitauswirkungen bei Anwendung der Zange beeinflusst worden (Bofill et al. 1996; Johanson et al. 1993; Williams et al. 1991). Zudem haben auch neue Entwicklungen der Vakuumtechnik, wie die »soft cups« und einfach zu handhabende Saugglocken zum Einmalgebrauch (Kiwi OmniCup und ProCup) mit einer im System integrierten Handpumpe (Vacca 2003) dazu beigetragen. Während im deutschsprachigen Raum die Vakuumextraktion seit langem dominiert, ist eine Zeitlang in den USA die Zangenentbindung favorisiert worden; in letzter Zeit haben aber viele geburtshilfliche Zentren die Zangenentbindung zu Gunsten der Vakuumanwendung verlassen. Wiewohl das American College of Obstetricians and Gynecologists noch 2000 empfohlen hat, dass ein erfahrener Geburtshelfer beide Methoden beherrschen und sie in Abhängigkeit von der gegebenen Situation einsetzen sollte, erscheint diese Forderung zunehmend unrealistisch, insbesondere als die Anzahl der vaginaloperativen Geburtsbeendigungen aufgrund der nachhaltigen Zunahme der Sectiofrequenz eher ab- als zunehmen wird.
Studienbox Als Schlussfolgerung des Cochrane-Review (Johanson u. Menon 2004) wird zur Reduktion der maternalen Morbidität die Vakuumextraktion empfohlen, gleichzeitig betonen die Autoren als kompensatorisches Benefit der Zangenentbindung die Reduktion von Kephalhämatomen und retinalen Hämorrhagien.
Vor- und Nachteile bei Forzeps- vs. Vakuumextraktion (Johanson u. Menon 2004) 4 Vakuumextraktion – Höhere Rate nicht erfolgreich beendeter Operationen, von Kephalhämatomen, von retinalen Blutungen und von Ikterus
6
4 Forzeps: – Höhere Rate von Regional- oder Allgemeinanästhesien und von mütterlichem Trauma 4 Kein Unterschied hinsichtlich – Sectiorate, – Apgar-Werte – 5-Jahres-follow-up von Müttern und Kindern
Von begrenzter oder inkonsistenter wissenschaftlicher Evidenz sind folgende Empfehlungen: 4 Vaginaloperative Entbindungen aus Beckenmitte mit einem Höhenstand oberhalb +2 sollten nur bei hoher Erfolgsaussicht durch einen in der Methode ausgebildeten und trainierten Geburtshelfer ausgeführt werden (DGGGLeitlinie 2008). 4 Die Dauer der Vakuumapplikation beeinflusst die Häufigkeit von Kephalhämatomen, daher ist diese Zeit vom Operateur zu minimieren (Bofill et al. 1997). 4 Die Inzidenz von intrakraniellen Blutungen ist bei Neugeborenen, die durch Sectio nach fehlgeschlagener instrumenteller Entbindung geboren wurden, am höchsten. Das trifft auch für die Kombination von Vakuumextraktion und Forzeps zu, sodass eine vaginaloperative Entbindung bei sehr niedriger Erfolgsaussicht nicht indiziert werden sollte (Towner et al. 1997). 4 Von einer Vakuumextraktion <34 Schwangerschaftswochen wird wegen eines erhöhten Risikos für Kephalhämatome, intrakranielle Blutungen und Neugeborenenikterus von Expertenkomitees abgeraten (RCOG 2005).
39.4
Durchführung der Operationen
39.4.1
Vakuumextraktion
Die zahlreichen historischen Versuche, ein Extraktionsinstrument durch Erzeugung eines Unterdrucks am vorangehenden Teil zu fixieren, fanden ihren Abschluss mit der Konstruktion einer ausreichend haftenden Vakuumglocke durch Malmström im Jahr 1954. Die für die Extraktion erforderliche Haftung wurde durch eine Ausweitung der Saugglocke oberhalb der Öffnungsebene erreicht. Die zahlreichen Modifikationen der Metallglocke haben dieses Prinzip beibehalten. Mit dem Aufbau des Vakuums wird das Glockenvolumen durch die kindlichen Weichteile ausgefüllt. Über die so erzeugte künstliche Geburtsgeschwulst wird eine Ankopplung an den vorangehenden Teil erreicht, die die Extraktion des Kindes ermöglicht. Abweichend von der Metallglocke sind Silikongummiglocken entwickelt worden, die dem Kopf durch Adhäsion anhaften und kein Caput succedaneum erzeugen. Daraus ergibt sich als Vorteil ein schnellerer Druckaufbau. Allerdings ist die mögliche Zugkraft reduziert, sodass sich die Anwendung v. a. für Extraktionen von Beckenboden empfiehlt. Instrumentarium Hauptbestandteil ist die auf den vorangehenden Teil aufzusetzende Saugglocke.
39
874
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
. Abb. 39.6. Vakuumglocken: Metallglocke mit Kette und Kreuzgriff, Kiwi Omnicup und Silikonglocke (mod. nach Hopp 2006)
4 Öffnungsdurchmesser der Metallglocken: 60 mm, 50 mm, 40 mm, 4 Öffnungsdurchmesser der Silikonglocken: 60 mm, 50 mm.
39
Das Schlauchsystem stellt die Verbindung zur Vakuumflasche und Vakuumpumpe her. Über eine innen geführte Zugkette und einen Kreuzgriff kann die Extraktion nach Erreichen des Unterdrucks von 0,8 kg/cm2 erfolgen. Die Kette und der Kreuzgriff entfallen bei neueren Saugglocken mit harter Schale und bei den Silikonsaugglocken, weil der Zug über einen integrierten Griff direkt auf die Glocke übertragen wird (. Abb. 39.6). Die einfach zu handhabenden Saugglocken zum Einmalgebrauch (Kiwi OmniCup und ProCup), mit einer im System integrierten Handpumpe zum Unterdruckaufbau (Vacca 2003), erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Die Erfolgsaussicht bei Anwendung dieses Einmalgebrauchinstrumentes wird wie bei der konventionellen Vakuumtechnik von der Art der Saugglocke und ihrem Öffnungsdurchmesser bestimmt (Johanson u. Menon 2004). Der von der Handpumpe erzeugte Unterdruck begrenzt die Zugkraft nicht, sodass die harte Plastikglocke auch für Extraktionen aus Beckenmitte geeignet ist. Ein Vorteil ist der geringe organisatorische Aufwand, der zudem eine günstige psychologische Auswirkung auf die Eltern hat.
Studienbox Im Cochrane-Review von 9 Studien zum Effekt von »soft cups versus rigid vacuum extractor cups« kommen Johanson u. Menon (2004) zu der Schlussfolgerung, dass Metallglocken für okzipitoposteriore, transverse und schwierige okzipitoanteriore Positionen geeigneter sind. »Soft cups« führen seltener zur erfolgreichen vaginalen Geburtsbeendigung, sind aber mit weniger Skalpverletzungen assoziiert.
. Abb. 39.7. Einführen der Vakuumglocke über die Kante
Vor- und Nachteile Metallglocke vs. Silikongummiglocke 4 Silikongummiglocke – Höhere Rate nicht erfolgreich beendeter Operationen, insbesondere bei okzipitoposteriorer Einstellung (hiHHH, Deflexionshaltungen), bei okzipitotransverser Einstellung und bei schwierigen okzipitoanterioren Positionen (Beckenmittenpositionen mit nicht abgeschlossener Rotation) 4 Metallglocke – Höhere Rate von neonatalen Skalpverletzungen
Neben den bereits angeführten Vorbedingungen der vaginalen Entbindungsoperationen ist bei der Vakuumextraktion zusätzlich die Anlegbarkeit der Saugglocke an den vorangehenden Teil zu beachten → Gesichtshaltungen können nicht mit der Saugglocke entwickelt werden. Technik Die Glocke wird über die Kante eingeführt, um 90° gedreht und auf den kindlichen Schädel aufgesetzt (. Abb. 39.7). Es sollte möglichst nur die größte Glocke angewandt werden, um Verletzungen des Kindes weitgehend zu vermeiden. Der Glockenansatz erfolgt bei ausrotiertem Kopf im Bereich der Leitstelle in der Führungslinie und zwar: 4 bei vorderer Hinterhauptshaltung im Bereich der kleinen Fontanelle, 4 bei Vorderhauptshaltung im Bereich der großen Fontanelle.
Das Ansaugen der Glocke erfolgt möglichst über einen Zeitraum von 2 min in mehreren Stufen. Nach der 1. Stufe wird der Sitz nochmals kontrolliert und das Mitfassen mütterlicher
875 39.4 · Durchführung der Operationen
. Abb. 39.8. Traktionsrichtungen der Vakuumextraktion bei tiefem Geradstand
a
Weichteile ausgeschlossen bzw. korrigiert. Nach Fixierung der Glocke mit einem Unterdruck von 0,8 kg/cm2 wird mit dem Probezug geprüft, ob der Kopf bei der Traktion folgt (. Übersicht).
Vakuumextraktion 4 4 4 4 4 4
Ansatz der Glocke Fixierung Nachtasten und Probezug Traktionen wehensynchron Wechsel der Traktionsrichtung Entwicklung des Kopfes
Extraktion durch wehensynchrone Traktionen Die Traktionen dürfen nur wehensynchron, unter gleichzeitigem Mitpressen der Kreißenden, mit ansteigender und wieder nachlassender Kraft erfolgen. Unterstützt werden kann die Extraktion durch den Kristeller-Handgriff.
Vakuumextraktion bei vorderer Hinterhauptshaltung (tiefer Geradstand) Die Haltung, die Beziehung zwischen Kopf und Rumpf, ist beim Durchtritt von Kopflagen durch den Geburtskanal entscheidend. Jede Abweichung von der normalen Haltung – Hinterhauptshaltung mit tief gebeugtem Kopf – führt zu Verzögerungen der Geburt und nicht selten zu operativen Interventionen. Abweichend von dem bisher verwendeten Begriff der Lage wird in diesem Kapitel der Bedeutung der Haltungsanomalien Rechnung getragen, sodass sich die Haltung auch im Titel der Regelwidrigkeit widerspiegelt. Die Vakuumextraktion von Beckenboden ist eine sichere Methode der Geburtsbeendigung, weil eine hohe Erfolgsquote verbunden ist mit der geringsten Gefährdung für die Mutter und das Kind. Bei einer vorderen Hinterhauptshaltung (vordere HHH) mit abgeschlossener Rotation und einem Höhenstand auf Beckenboden (tiefer Geradstand) erfolgen die Traktionen in der Führungslinie mit entsprechendem Wechsel der
b
Traktionsrichtung (. Abb. 39.8). Die rechte Hand fasst den Kreuzgriff der Metallglocke bzw. den Griff der Silikonsaugglocke, die linke Hand prüft als Kontakthand das Tiefertreten und ggf. die angestrebte Änderung der Haltung und Drehung des kindlichen Kopfes. Zunächst wird horizontal gezogen, bis sich der Nacken am Symphysenunterrand anstemmt (Zugrichtung . Abb. 39.8a). Dann erfolgt die Änderung der Traktionsrichtung nach ventral und immer weiter symphysenwärts (Zugrichtung . Abb. 39.8b), bis sich das führende Hinterhaupt und der Kopf in einer Streckbewegung über den Damm entwickeln lassen. Während des Durchschneidens des Kopfes wird der Dammschutz im Sinne einer temporegulierenden Wirkung ausgeführt. Dazu kann der Operateur zur linken oder rechten Seite der Kreißenden treten und den Damm mit der Kontakthand schützen. Eine Episiotomie ist nicht unbedingt erforderlich, erleichtert aber die Überwindung des Weichteilansatzrohres. Nach der Entwicklung des Kopfes wird das Vakuum aufgelöst. Die Glocke kann nach dem Druckausgleich, während der Entwicklung von Schultern und Rumpf, leicht vom Kopf abgenommen werden. Die manchmal beträchtliche Kopfgeschwulst bildet sich nach 12–24 h zurück.
Vakuumextraktion bei Rotationsdefizit und regelwidrigen Kopflagen Bei nicht abgeschlossener Haltungsänderung und Rotation sowie häufig nicht auf Beckenboden stehendem Kopf wird mit dem angelegten Instrument zunächst der Abschluss der Beugung oder Streckung angestrebt. Dazu wird die Vakuumglocke über dem Teil des Kopfes angelegt, der durch Beugung oder Streckung die Führung übernehmen und sich symphysenwärts drehen soll. Nach exzentrischem Anlegen der Glocke und Traktion zur gegenüberliegenden Seite wird versucht, die Haltungsänderung operativ zu erreichen. Die noch fehlende Rotation tritt meistens nach der Haltungsänderung und dem Tiefertreten des Kopfes ein. Dabei ist für eine schonende Entwicklung des Kindes nur der unbedingt erforderliche Zug anzuwenden.
39
876
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
! Zu schweren Abschürfungen am kindlichen Kopf kann es bei langer Extraktionsdauer, bei Dauerzug und beim Abreißen der Metall-, aber auch der Silikonsaugglocke kommen.
Die Häufigkeit von Kephalhämatomen wird von der Dauer der Vakuumapplikation beeinflusst, sodass diese Zeit vom Operateur minimiert werden sollte (Bofill et al. 1997).
Vakuumextraktion bei I./II. vorderer Hinterhauptshaltung Die Vakuumglocke wird bei der I./II. vorderen HHH über der kleinen Fontanelle angelegt. Die Traktionen erfolgen primär nach dorsal und zur entgegengesetzten Seite, bis unter Beugung und Drehung des Kopfes der tiefe Geradstand erreicht wird (. Abb. 39.9). Der richtige Ansatzpunkt und die Traktionsrichtung bestimmen die Dauer der Operation und die geburtsmechanische Belastung des Kindes. Weitere Traktionen in Führungslinie (. Abb. 39.8) führen zur Entwicklung des Kopfes.
. Abb. 39.9. Anlegen der Glocke und Traktionsrichtung bei I. vorderer Hinterhauptshaltung. (Mod. nach Martius 1998)
Vakuumextraktion bei tiefem Querstand Beim Verharren des Kopfes mit querer Pfeilnaht auf Beckenboden ist die fehlende Rotation auf die ausgebliebene Beugung zurückzuführen. Die Fontanellen finden sich fast auf gleicher Höhe. Dem exzentrischen Anlegen der Saugglocke über der kleinen Fontanelle folgen die primären Traktionen zur anderen Seite und dorsal, bis der tiefe Geradstand hergestellt ist. Der zunehmenden Beugung des Kopfes folgt die Drehung ohne weiteres Zutun (. Abb. 39.10). Die weiteren Traktionen erfolgen in der Führungslinie mit entsprechendem Wechsel der Traktionsrichtung: 4 exzentrisches Anlegen über der kleinen Fontanelle, 4 Zug zur anderen Seite und nach dorsal, 4 zunehmende Beugung des Kopfes, 4 passive Drehung in den tiefen Geradstand, 4 weitere Traktionen in der Führungslinie.
. Abb. 39.10. Anlegen der Glocke und Traktionsrichtung bei II. tiefem Querstand. (Mod. nach Martius 1998)
Vakuumextraktion bei hinterer Hinterhauptshaltung
39
Zu beachten ist die okzipitoposteriore (o.p.) Einstellung bei Beugehaltung des Kopfes. Bei jeder o.p.-Rotation sind Mutter und Kind erhöhten traumatischen Risiken ausgesetzt. Vaginaloperative Interventionen erfordern eine besonders sorgfältige Indikationsstellung. Nach Anlegen der Vakuumglocke über der kleinen Fontanelle erfolgen die Traktionen bei I. hinterer HHH nach rechts ventral bis zum Abschluss der Beugung und geben dem Kopf damit Gelegenheit zur Drehung (. Abb. 39.11). Die Drehung kann um 45° nach hinten erfolgen, dann wird aus hinterer Hinterhauptshaltung extrahiert. Dazu wird horizontal gezogen, bis die große Fontanelle als Stemmpunkt den Symphysenunterrand erreicht, sodass durch stark nach ventral gerichtete Traktionen das Hinterhaupt in extremer Beugung über den Damm geführt werden kann. Mit der Änderung der Zugrichtung nach dorsal kommt es zu einer leichten Streckung und zur Geburt von Stirn und Gesicht.
. Abb. 39.11. Anlegen der Glocke und Traktionsrichtung bei I. hinterer Hinterhauptshaltung. (Mod. nach Martius 1998)
877 39.4 · Durchführung der Operationen
Vakuumextraktion bei Stirnhaltung Nächst höherer Grad der Streckhaltungen ist die sehr selten auftretende Stirnhaltung. Die nasoposteriore Stirnhaltung ist wie die mentoposteriore Gesichtshaltung gebärunfähig. Wegen des geburtsmechanisch wirksamen größten Kopfumfangs (Circumferentia maxilloparietalis oder cygomaticoparietalis) stellt die Stirnhaltung die ungünstigste Form der Streckhaltungen dar. Bei der vaginaloperativen Entbindung ist mit geburtsmechanischen Schwierigkeiten zu rechnen. Methode der Wahl ist die sekundäre Sectio. Wegen der hohen Belastungen und der traumatischen Risiken für Mutter und Kind kann die Vakuumextraktion bei Stirnhaltungen nicht empfohlen werden. . Abb. 39.12. Anlegen der Glocke und Traktionsrichtung bei II. Vorderhauptshaltung. (Mod. nach Martius 1998)
Dreht sich die kleine Fontanelle um 135° nach vorn, so erfolgt die Umwandlung in die geburtsmechanisch günstigere vordere Hinterhauptshaltung. Weitere Traktionen in Führungslinie (. Abb. 39.8) führen zur Entwicklung des Kopfes: 4 exzentrisches Anlegen der Glocke über der kleinen Fontanelle, 4 Traktionen nach rechts ventral bei I. hinterer HHH, links ventral bei II. hinterer HHH, 4 passive Drehung um 45° nach hinten (Entwicklung aus hinterer HHH), 4 um 135° nach vorn (Entwicklung aus vorderer HHH).
Vakuumextraktion bei Vorderhauptshaltung Bis auf wenige Ausnahmen ist die dorsoposteriore Stellung gemeinsames Kriterium der Streckhaltungen. Bei der Deflexionshaltung mit der geringsten Kopfstreckung, der Vorderhauptshaltung, findet sich die große Fontanelle in der Führungslinie, die kleine Fontanelle ist entsprechend der o.p. Rotation sakralwärts zu tasten. Wegen der Verletzungsgefahr ist die vaginaloperative Entbindung mit größter Zurückhaltung zu indizieren und so lange als möglich eine abwartende Geburtsleitung zu empfehlen. Bei II. Vorderhauptshaltung (Rücken hinten rechts) wird die Glocke vorn links über der großen Fontanelle platziert (. Abb. 39.12). Die ersten Traktionen werden nach rechts hinten geführt, um den Abschluss der Rotation zu erreichen. Danach ist in Führungslinie zu ziehen, bis die große Fontanelle in der Vulva sichtbar wird und sich das Hypomochlion (Stirnhaargrenze) an der Symphyse anstemmt. Mit der Änderung der Traktionsrichtung nach ventral und stark symphysenwärts wird das Hinterhaupt über den Damm geführt. Anschließend lassen sich Stirn und Gesicht durch nach dorsal gerichtete Traktionen unter der Symphyse entwickeln. Wegen der starken Überdehnung des Dammes und der hohen Gefährdung für einen Dammriss III. Grades empfiehlt es sich, eine große Episiotomie anzulegen.
39.4.2
Zangenentbindung
Wegen der höheren Rate von mütterlichen Verletzungen sowie deren Langzeitauswirkungen bei Anwendung der Zange ist die Forzepsentbindung auch in Ländern, die sie eine Zeitlang favorisierten, zu Gunsten der Vakuumanwendung weitgehend verlassen worden. Trotz des geringen Anteils an den vaginaloperativen Entbindungen – in Deutschland wird die Zange bei <1% der geborenen Kinder eingesetzt – sind Technik und Anwendungsmöglichkeiten der Methode angemessen darzustellen. Instrumentarium Die geburtshilfliche Zange besteht aus zwei Blättern, die im Schloss gekreuzt (Naegele, Simpson, Kjelland) oder parallel (Shute, Bamberger-Divergenzzange) zusammengefügt werden. Jedes Blatt besteht aus dem Löffel, dem Halsteil und dem Zangengriff. Die Löffel weisen eine Kopfkrümmung auf, mit der der kindliche Schädel umfasst werden kann. Die Anpassung an den Verlauf der Führungslinie des Beckens wird durch die Beckenkrümmung erreicht, die je nach Zangenmodell unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Kjelland-Zange mit nur angedeuteter Beckenkrümmung und in Längsrichtung verschieblichem Schloss erscheint besonders geeignet für die Extraktion des noch nicht ausrotierten Kopfes aus Beckenmitte. Die Möglichkeit der Verschiebung der Blätter in Längsrichtung erleichtert das biparietale Anlegen und Schließen der Zange. Die ungekreuzten Blätter der Parallelzangen erlauben eine bessere Anpassung an den kindlichen Kopf. Im geschlossenen Zustand verhindert das Zangenschloss die instrumentelle Kopfkompression über die Zangengriffe. Diese als »kontrollierte Kompression« bezeichnete Schutzfunktion der Parallelzangen führte zu der Empfehlung, sie zur schonenden Entbindung von Frühgeburten einzusetzen. Technik Nach Feststellung der geburtsmechanischen Situation durch die präoperative Untersuchung folgt das Zusammensetzen und Hinhalten der Zange. Die geschlossene Zange wird mit beiden Händen so vor die Vulva gehalten, wie sie am kindlichen Kopf angelegt werden soll, um eine biparietale Lage zu erreichen. Bei Kreuzzangen fasst die linke Hand den Griff des linken Blattes, dessen
39
878
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
Löffel zur linken Seite der Schwangeren zeigt. Die rechte Hand fasst den Griff des rechten Blattes (. Übersicht). Zangentechnik 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Hinhalten der geschlossenen Zange Einführen des linken Löffels Einführen des rechten Löffels ggf. Wandernlassen eines Zangenlöffels Schließen der Zange Nachtasten und Probezug Traktionen wehensynchron Änderung der Traktionsrichtung Entwicklung des Kopfes
Einführen des linken Löffels. Der linke Löffel wird immer
zuerst eingelegt. Zunächst wird möglichst tief mit der rechten Hand in leichter Suppinationsstellung zwischen Vaginalwand und kindlichem Kopf eingegangen. Der aufgestellte Daumen bleibt draußen. Der mit der linken Hand senkrecht vor die Vulva gehaltene Löffel wird zwischen eingeführtem Zeigeund Mittelfinger aufgesetzt und gleitet zuerst kreuzbeinhöhlenwärts und unter Senken des Griffes entlang der eingeführten Finger weiter in den Geburtskanal (. Abb. 39.13a). Einführen des rechten Löffels. Eingehen mit der linken Hand in gleicher Weise, die rechte Hand hält den rechten Löffel senkrecht vor die Vulva und lässt ihn durch Senken des Griffes entlang der eingeführten Finger und des aufgestellten Daumens zwischen Vaginalwand und Kopf hineingleiten. Wandernlassen des Zangenlöffels. Bei nicht ausrotiertem
39
Kopf wird durch das Hinhalten der Zange die Entscheidung getroffen, welcher Löffel »wandern«, d. h. symphysenwärts verschoben werden muss. Die Zange kann bei nicht gerade stehender Pfeilnaht nur im ersten schrägen oder zweiten schrägen Durchmesser des kleinen Beckens biparietal angelegt werden. Die Zangenspitzen sind auf den kindlichen Teil zu richten, der durch die Drehung nach vorn zu bringen ist. Der symphysenwärts zu verschiebende Löffel wird wie beschrieben kreuzbeinhöhlenwärts in die Scheide eingeführt. Durch Senken des Griffes über die Horizontale hinaus nach dorsal und eine synchrone Bewegung der inneren (schützenden) Hand wird eine Aufwärtsbewegung des Löffels erreicht (. Abb. 39.13b). Dabei kann der aufgestellte Daumen der inneren Hand als Drehpunkt am unteren Rand des Zangenblattes dienen. Schließen der Zange. Beide Griffe werden mit der entspre-
chenden Hand voll gefasst und das Instrument im Schloss zusammengefügt (. Abb. 39.13c). Nachtasten und Probezug. Nun wird das Anlegen des Instrumentes am kindlichen Kopf kontrolliert, gleichzeitig ist das Einklemmen von mütterlichen Weichteilen auszuschließen. Der Probezug erfolgt mit der linken Hand, die das Schloss im Obergriff umfasst und eine kurze Traktion ausführt. Die
rechte Hand kontrolliert das Tiefertreten des Kopfes während der Traktion. > Nur dann, wenn es zu einem Tiefertreten in der Wehe und beim Probezug kommt, kann in der nächsten Wehe mit der Extraktion begonnen und die instrumentelle Entbindung schonend und erfolgreich durchgeführt werden. Extraktion durch wehensynchrone Traktionen. Umfassen der Zangengriffe mit beiden Händen. Die linke Hand umfasst die Griffe von oben her. Die rechte Hand legt sich bei den klassischen Zangenmodellen über die Busch-Zughaken (. Abb. 39.13d).
Forzeps bei vorderer Hinterhauptshaltung (tiefer Geradstand) Der Eingriff weist bei ausrotierter Pfeilnaht und auf Beckenboden stehendem Kopf die geringste Gefährdung für die Mutter und das Kind auf. Nach biparietalem Anlegen der Zange wird zunächst in horizontaler Richtung bis zur Geburt der Nackenhaargrenze (Stemmpunkt) gezogen, wobei allmählich von der Beugung in die Streckung des Kopfes überzugehen ist (. Abb. 39.13d). Mit Nachlassen der Wehe Nachlassen des Zuges. Ein Dauerzug und seitliches Hebeln sind kontraindiziert. Mit zunehmendem Tiefertreten werden die Griffe immer mehr gehoben. Die Entbindung des Kopfes wird mit fast senkrecht stehenden Zangengriffen vollendet. Dabei tritt der Operateur auf die linke oder rechte Seite der Kreißenden hinüber – abhängig von der Hand, die die Zange über dem Schloss gefasst hat – und führt den Dammschutz mit der freien Hand am besten selbst aus (. Abb. 39.13e).
Forzeps bei Rotationsdefizit und regelwidrigen Kopflagen In Abhängigkeit von der palpierten geburtsmechanischen Situation haben das Anlegen des Instrumentes und die Korrektur der Haltungs- und Einstellungsanomalie zu erfolgen. Dabei ist die raumsparende Adaptation nachzuholen – zumeist die Herstellung der Beugehaltung mit Geradstand des Kopfes –, um die mechanische Belastung des Kindes gering zu halten. Während der Traktion mit der Zange wird die Drehung aktiv vollendet. Für eine schonende Entwicklung des Kindes ist nur der unbedingt erforderliche Zug anzuwenden. Dem Kopf darf keine bestimmte Rotationsrichtung aufgezwungen werden, sondern die Traktion erfolgt in die Richtung mit dem geringsten Widerstand.
Forzeps bei I./II. vorderer Hinterhauptshaltung Die Zangenextraktion hat die noch fehlende Beugung und Drehung des Kopfes nachzuholen. Die Zangenlöffel werden biparietal angelegt, indem der linke Löffel bei II. vorderer HHH und der rechte bei I. vorderer HHH symphysenwärts »wandern« muss (. Abb. 39.14). Mit der ersten Traktion wird die noch nicht ausreichende Beugung nachgeholt und der Kopf durch vorsichtige Rotation in den tiefen Geradstand gebracht. Es folgen die weiteren Traktionen wie zur Entwicklung der vorderen Hinterhauptshaltung.
879 39.4 · Durchführung der Operationen
d
a
b
e
c
. Abb. 39.13a–e. Technik der Zangenentbindung. a Einführen des linken Zangenlöffels. b Wandernlassen des Zangenlöffels. c Schließen der Zange. d Traktion in Richtung der Zangengriffe. e Fassen der Zange über dem Schloss mit der rechten Hand, Traktion senkrecht nach oben und Dammschutz mit der linken Hand
39
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Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
. Abb. 39.14. 14 Wandernlassen des rechten Löffels und biparietales Anlegen der Zange bei I. tiefem Schrägstand
Forzeps bei tiefem Querstand Die Zange ist im zweiten schrägen Durchmesser des kleinen Beckens beim I. tiefen Querstand und im ersten schrägen Durchmesser beim II. tiefen Querstand anzulegen. Sie liegt damit nicht biparietal, sondern schräg am Kopf. Während der Extraktion muss mit der Zange gleichzeitig eine Drehbewegung ausgeführt werden, und zwar in der Richtung, dass die kleine Fontanelle unter die Symphyse dirigiert wird. Die so erreichte vordere Hinterhauptshaltung wird ohne Veränderung der Zangenstellung durch Traktionen in der Führungslinie entwickelt (. Abb. 39.15): 4 Anlegen im ersten oder zweiten schrägen Durchmesser, 4 Traktion und Drehung der kleinen Fontanelle unter die Symphyse, 4 Entwicklung aus vorderer HHH ohne Veränderung der Zangenstellung.
Forzeps bei hinterer Hinterhauptshaltung Bei o.p. Rotation und Beugehaltung des Kopfes ist wegen des geringeren Traumatisierungsrisikos die Vakuumextraktion vorzuziehen. Wird eine Zangenentbindung aus hinterer Hinterhauptshaltung indiziert, ist die Zange biparietal anzulegen
und die kleine Fontanelle während der Traktionen in Richtung der Zangengriffe nach hinten zu bringen. Dabei erfolgt bei I. oder II. hinterer HHH eine Drehung um 45°. Mit der großen Fontanelle als Stemmpunkt wird zunächst durch Anheben der Griffe das Hinterhaupt über den Damm entwickelt, dann werden durch eine leichte Streckbewegung Stirn und Gesicht des Kindes geboren. Um aus der hinteren Hinterhauptshaltung die geburtsmechanisch günstigere vordere Hinterhauptshaltung zu erreichen, kann mit dem doppelten Anlegen der Zange nach Scanzoni der Kopf aktiv in diese Position gedreht werden. Dabei wird mit der biparietal angelegten Zange unter gleichzeitigem Zug nach unten die kleine Fontanelle in zwei Schritten nach vorn gedreht, zunächst bis zum tiefen Querstand, aus dem nach erneutem Anlegen der Zange die Entwicklung wie beim tiefen Querstand erfolgt (. Abb. 39.15). Mit dem doppelten Anlegen der Zange nach Scanzoni ist beim Schrägstand der hinteren Hinterhauptshaltung eine Rotation um 135°, beim Geradstand um 180° zu vollziehen. 4 Entbindung aus hinterer HHH: 5 Traktionen mit aktiver Drehung um 45°. 5 Stemmpunkt: große Fontanelle 4 Entbindung aus vorderer HHH: 5 Doppeltes Anlegen der Zange nach Scanzoni. 5 Traktion mit aktiver Drehung um 135° Mit der Umwandlung in eine vordere Hinterhauptshaltung verringert sich die Zugkraft und damit die Kopfkompression. Die Kjelland-Zange mit nur angedeuteter Beckenkrümmung und in Längsrichtung verschieblichem Schloss erscheint für die Rotation des Kopfes bei schräg oder quer stehender Pfeilnaht besonders geeignet. Bei hinterer Hinterhauptshaltung wurde sie auch ohne doppeltes Anlegen als sog. Rotationsforzeps mit einer aktiven Drehung um 135°–180° verwendet. ! Wegen der Gefahr von Verletzungen des Kindes und der Mutter durch das doppelte Anlegen und die zirkulären Gewebsspannungen während der Drehung werden sowohl die Scanzoni-Zangenoperation als auch der Rotationsforzeps nur noch selten durchgeführt und können nicht empfohlen werden.
39
a
b
. Abb. 39.15. Anlegen der Zange bei II. tiefem Querstand in den ersten schrägen Durchmesser des Beckens (a) und Entwicklung aus vorderer Hinterhauptshaltung nach Rotation in den Geradstand (b)
881 39.5 · Sectio vs. vaginaloperative Entbindung/Sectiobereitschaft
Forzeps bei Vorderhauptshaltung Die Zangenentbindung ist bei Vorderhauptshaltung zu vermeiden, da wegen des großen Reibungswiderstandes mit geburtsmechanischen Schwierigkeiten zu rechnen ist. Insbesondere gilt das bei noch schräg stehender Pfeilnaht in Beckenmittenposition, weil es beim ziehenden Drehen des Kopfes zu tiefgreifenden Weichteilrissen kommt. Bei der Zangenentbindung von Beckenboden erfolgt nach biparietalem Anlegen der Zug in Richtung der Zangengriffe, bis die große Fontanelle in der Vulva sichtbar wird und sich das Hypomochlion (Stirnhaargrenze) an der Symphyse anstemmt. Jetzt ist die Zugrichtung nach ventral zu ändern, um die weitere Entwicklung des Vorder- und Hinterhauptes über den Damm zu erreichen. Abschließend werden durch Senken der Zangengriffe Stirn und Gesicht unter der Symphyse entwickelt. Ein Dammriss III. Grades lässt sich auch bei energischem Dammschutz während der Hinterhauptentwicklung und Anlegen einer großen Episiotomie nur schwer verhindern.
Forzeps bei Stirnhaltung/Gesichtshaltung Gebärunfähigkeit besteht bei nasoposteriorer Stirnhaltung und mentoposteriorer Gesichtshaltung. Die Zangenentbindung einer dorsoposterioren Stirnhaltung ist wegen der schlechten kindlichen Prognose und der Gefährdung der Mutter kontraindiziert. Methode der Wahl ist die sekundäre Sectio. Beim stärksten Grad der Kopfstreckung, der Gesichtshaltung, ist die rechtzeitige Sectio zu Geburtsbeginn oder zur Gburtsbeendigung in Beckenmitte die Methode der Wahl. Die sehr schwierige Zangenentbindung ist die Ausnahme und sollte nur durchgeführt werden, wenn der Kopf auf Beckenboden und die Gesichtslinie im geraden Durchmesser des Beckens steht. Wegen der Traumatisierungsgefahr ist die vaginaloperative Entbindung nicht zu empfehlen.
39.5
Sectio vs. vaginaloperative Entbindung/Sectiobereitschaft
Die instrumentelle Entbindung aus Beckenmitte wird zur Beseitigung einer akuten fetalen Bedrohung oder eines Geburtsstillstandes in der Austreibungsperiode indiziert. Bei akuter fetaler Bedrohung, wie sie bei einer persistierenden fetalen Bradykardie in der Austreibungsperiode entsteht, wird von einem erfahrenen Geburtshelfer die vaginaloperative Entbindung wegen der schnelleren Entwicklung des Kindes in der Regel bevorzugt. Primär als schwer einzuschätzende Beckenmittenentbindungen sollten in solchen Situationen unbedingt unterbleiben. Wegen der kindlichen Komplikationen ist vor forcierten Vakuumextraktionen in derartigen Situationen zu warnen. Ein zu schneller Aufbau des Vakuums, ein Abreißen der Glocke und die damit verbundenen intrakraniellen Druckschwankungen gehen mit dem zu hohen Risiko einer zerebralen Blutung einher. Diese Leitlinie geburtshilflichen Handelns – zunächst ist die vaginaloperative Entbindung anzustreben und gegen die sekundäre Sectio abzuwägen – wird nicht mehr allgemein akzeptiert. Unter der Prämisse, dass schwere mütterliche und kindliche Traumata nach vaginaloperativen Entbin-
dungen grundsätzlich vermieden werden können, und wegen der erhöhten Gefahr einer Beckenbodenschädigung mit bleibender Funktionseinschränkung (Harninkontinenz bis zu 30%, Analinkontinenz bis zu 10%) wird die vaginaloperative Entbindung und im zweiten Schritt die vaginale Geburt in Frage gestellt. Angeführt wird auch die zentrale Bedeutung der Patientenzufriedenheit. Sowohl die vaginaloperative Geburtsbeendigung (Husslein 1998) als auch die sekundäre Sectio nach einem längeren Geburtsverlauf in der Austreibungsperiode werden von schwangeren Frauen zunehmend als unerwünschte Formen der Entbindung angesehen. Bestimmte Veränderungen des anterioren Beckenbodenkompartiments (Paravaginaldefekt) sind in einem hohen Prozentsatz bereits eingetreten, und die Morbidität und Mortalität ist gerade nach sekundärer Sectio gegenüber der Vaginalgeburt noch mehrfach erhöht. Bei einem Höhenstand des Kopfes in Beckenmitte ist in der Regel auch die Rotation noch nicht vollendet und stellt entsprechende Anforderungen an den geburtshilflichen Operateur. Wegen des Schwierigkeitsgrades und der Gefährlichkeit der operativen Entbindung bei einem Höhenstand der Leitstelle oberhalb +2 oder bei einer Abweichung der Pfeilnaht von der anteroposterioren Position über 45° muss bei solchen Eingriffen ein erfahrener Facharzt zugegen sein. Schon die Einschätzung der Durchführbarkeit einer instrumentellen Entbindung aus Beckenmitte wird entscheidend beeinflusst von der persönlichen Erfahrung des Geburtshelfers. ! Für eine vaginaloperative Entbindung gilt, dass das Risiko der Verletzung von Mutter und Kind umso höher ist, je höher der Kopf steht und je weiter die Pfeilnaht von der anteroposterioren Position abweicht. Es sind also gerade diese Operationen, die mit größter Zurückhaltung zu indizieren oder besser zu vermeiden sind.
Diesem Gedanken entspricht auch die Forderung, dass in Grenzsituationen, wie sie bei einem Höhenstand der Leitstelle über +2 oder einer Abweichung der Pfeilnaht über 45° bestehen, und einer akuten fetalen Bedrohung (fetale Bradykardie), die sofortige Sectio caesarea vorzunehmen ist, insbesondere bei diagnostizierter fetaler Wachstumsrestriktion. Auch wenn erst während der Operation eine Fehlbeurteilung des Höhenstandes oder der Einstellung des Kopfes erkannt wird, darf die vaginaloperative Entbindung nicht erzwungen werden. Daher müssen die generellen organisatorischen Voraussetzungen für die sofortige Durchführung einer Notfallsectio bei der Entscheidung zu einer vaginaloperativen Entbindung erfüllt sein. Tipp In besonderen Fällen kann die Durchführung einer vaginaloperativen Entbindung (Trial Forzeps/Vakuum) in Anwesenheit von Anästhesie- und Operationspersonal im Operationssaal erforderlich sein. Allerdings sollte diese Situation – Versuch einer vaginaloperativen Entbin-
6
39
882
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
dung in absoluter Sectiobereitschaft – auch wegen der erheblichen psychischen Belastungen der Schwangeren eine Ausnahme bleiben. Bei der Aufklärung zur Wahl des Entbindungsverfahrens ist die Besonderheit dieser Situation anzusprechen.
Besonders zu beachten ist die erhöhte kindliche Morbidität. Die Inzidenz von intrakraniellen Blutungen bei Neugeborenen ist am höchsten, wenn eine Sectio nach fehlgeschlagener instrumenteller Entbindung durchgeführt werden muss (Towner et al. 1999). Das trifft auch für die Kombination von Vakuumextraktion und Forzeps zu, sodass eine vaginaloperative Entbindung bei sehr niedriger Erfolgsaussicht nicht indiziert werden sollte.
39.6
Komplikationen
Die Gefahr von Verletzungen erhöht sich mit dem Schwierigkeitsgrad der vaginaloperativen Entbindung. Das Anlegen der Zange gelingt bei einem Höhenstand über +2 nur selten optimal und führt damit relativ häufig zu Hämatomen und Abschürfungen an der Haut des Kindes. Bei nicht vollendeter Rotation der Pfeilnaht kann die aktive Drehung während der Extraktion zu zirkulären Gewebsspannungen mit erheblichen Verletzungen führen. Die technischen Gegebenheiten der Vakuumextraktion können zu bestimmten Komplikationen führen, die bei Beachtung der Spezifik dieser Operation vermieden werden können. Die verminderte Haftfähigkeit bei exzentrischer Anlage der Glocke und die verlängerte Extraktionsdauer bei notwendiger Haltungs- und Einstellungskorrektur erhöhen die Gefahr des Abreißens der Glocke, was zu kurzfristigen intrakraniellen Druckschwankungen (bis zu 50 mm Hg) führen kann.
39.6.1
39
Kindliche Verletzungen
Wegen der kindlichen Komplikationen ist vor forcierten Vakuumextraktionen bei akuter fetaler Bedrohung zu warnen. Ein zu schneller Aufbau des Vakuums, ein Abreißen der Glocke und die damit verbundenen intrakraniellen Druckschwankungen können zur Ausbildung einer zerebralen Blutung beitragen (Castillo et al. 1995). Sichtbare Folgen vaginaloperativer Entbindungen sind Kephalhämatome, die in der Klinik der Autoren bei 3% der 1672 Zangenentbindungen und 12% der 371 Vakuumextraktionen vorkamen. Eine 10-fache Erhöhung der Häufigkeit von Kephalhämatomen trat bei der Indikation »drohende Asphyxie« zur Vakuumextraktion auf. Als Ursache kann ein überstürzter Aufbau des Vakuums bei sichtbarer fetaler Gefährdung angenommen werden. Nach Bewertung von 10 randomisierten Studien kamen Johanson u. Menon (Cochrane-Review 2004) zu der Aussage, dass Kephalhämatome und Retinablutungen bei Vakuumextraktionen häufiger auftreten. Die pathogenetische Deutung
der Retinablutungen ist bis heute unklar, Langzeitauswirkungen sind nicht bekannt. Als Folge von Hautverletzungen sind narbenbedingte Alopezien nach Vakuumextraktionen beschrieben worden. Kindliche Verletzungen nach Zangenentbindung sind Abschürfungen der Haut, Hämatome und passagere Paresen des N. facialis. Schädelfrakturen und intrakranielle Blutungen sollten bei richtiger Operationstechnik bei beiden Methoden nicht vorkommen. Die neonatale Frühmorbidität bei vaginaloperativen Entbindungen aus Beckenmitte unterscheidet sich trotz der höheren operativen Belastung des Kindes (der Kopf hat den Beckenboden noch nicht erreicht, die Haltungsänderung und Rotation sind nicht abgeschlossen) nicht von der der instrumentellen Entbindung von Beckenboden (Weitzel u. Hopp 1996). Der Vergleich mit dem Ausgang nach Sectio caesarea als alternativem Entbindungsverfahren bei Beckenmittenposition ergab bei gleicher Indikationsstellung keinen Unterschied hinsichtlich des neonatalen Adaptationsverhaltens sowie der Häufigkeit von sprachlichen und neuromotorischen Entwicklungsverzögerungen (Dierker et al. 1986).
39.6.2
Mütterliche Verletzungen
Mütterliche Verletzungen wie Damm-, Scheiden- und Zervixrisse werden von der Wahl des Instrumentes beeinflusst. In besonderem Maße sind diese aber auch von der Qualifikation des Operateurs abhängig. Cheong et al. (2004) konnten zeigen, dass eine straffe Ausbildung zur Technik der vaginaloperativen Entbindung zwar nicht die Erfolgsrate beeinflussen konnte, aber deutlich mit einer Reduktion der mütterlichen und kindlichen Komplikationen einhergegangen ist. Nach Johanson u. Menon (2004) werden durch Vakuumextraktionen signifikant seltener schwere mütterliche Verletzungen als durch Zangenentbindungen verursacht. Sie sind assoziiert mit einer niedrigeren Anwendung von Regional- und Allgemeinanästhesien, mit weniger Schmerzen unter der Geburt und 24 h danach. Das Risiko der Verletzung für die Mutter und das Kind ist umso höher, je höher der Kopf steht und je weiter die Pfeilnaht von der anteroposterioren Position abweicht (ACOG 2000; Hankins u. Rowe 1996). Nicht jede vaginaloperative Entbindung erfordert eine Episiotomie. Das Risiko für Dammrisse III./IV. Grades erhöht sich mit einer Episiotomie, ohne das Schulterdystokierisiko zu reduzieren (Youssef et al. 2005).
Studienbox Während nur ein geringer Unterschied zur Häufigkeit von Scheidenrissen festzustellen ist, kommt es bei Zangenentbindungen, insbesondere aus der Beckenmittenposition, signifikant häufiger zu Dammrissen III. und IV. Grades (Weitzel u. Hopp 1996). Ähnliche Zahlen werden auch von Johanson et al. (1993) angegeben. Hingegen verdoppelt sich nach Sultan et al. (1993) die Häufigkeit
6
883 39.8 · Forensische Gesichtspunkte
okkulter Analsphinkterverletzungen (35% bei Spontangeburten) nach Zangenentbindung nahezu. In einer neueren Untersuchung fand die gleiche Arbeitsgruppe (Chaliha et al. 2001), dass die vaginale Geburt, insbesondere die instrumentelle Geburt, mit einem Abfall des Analdrucks und einem Anstieg des Sphinktertraumas assoziiert ist, unabhängig von der Art des Instrumentes.
Analgesie angesehen, während für die Zangenentbindung aus Beckenmitte die Peridural- oder Spinalanästhesie gefordert wird. Auch für die komplette Darstellung der Zervix und des Scheidengewölbes reicht die Pudendusanästhesie nicht aus, sodass dann eine Allgemeinanästhesie empfohlen wird. Die Durchführung einer Vakuumextraktion benötigt in den meisten Fällen weniger Anästhesie als eine Zangenentbindung.
39.8 Angesichts des hohen Verletzungsrisikos ist es erforderlich, dass nach jeder Zangenentbindung aus Beckenmitte eine Inspektion der gesamten Scheide sowie auch der Zervix in ihrem vollen Umfang erfolgt, um diese Verletzungen frühzeitig zu diagnostizieren und chirurgisch zu versorgen.
Studienbox Ergebnisse von Befragungen weisen auf unerträglichen Schmerz unter der Geburt bei 18% der durch Vakuumextraktion Entbundenen und 27% in der Forzepsgruppe hin, während solche Schmerzen im Dammbereich am 4. Tag von 7% bzw. 18% angegeben wurden (Johanson et al. 1993; Drife 1996). Nicht völlig unerwartet kommen Garcia et al. (1986) aus der Sicht betroffener Frauen zu folgender Aussage: »Verglichen mit der Zangenentbindung haben Frauen, die durch Vakuumextraktion entbunden wurden, weniger Schmerzen, aber mehr Ärger mit ihren Babys«.
39.7
Analgesie bei der vaginaloperativen Geburt
Forensische Gesichtspunkte
Die Rechtsprechung stellt immer strengere Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Arztes. Sobald sich unter der Geburt die Möglichkeit abzeichnet, dass ein operativer Eingriff notwendig werden kann, soll der Geburtshelfer das Aufklärungsgespräch mit der Patientin führen und sie über alternative operative Entbindungsverfahren aufklären. Je früher dies geschieht, desto eher ist damit zu rechnen, dass die Patientin noch einwilligungsfähig ist. Das bedeutet, dass sie dem Aufklärungsgespräch noch folgen und das erforderliche Urteilsund Einsichtsvermögen hat, um das Für und Wider der empfohlenen Behandlung abzuwägen: 4 Einwilligungsfähigkeit, 4 Notsituation/Voraussehbarkeit, 4 Behandlungsalternativen, 4 Eingriffsverzögerung, 4 Entbindungsversuch in Sectiobereitschaft, 4 Basisinformation über geburtshilfliche Eingriffe. Liegen Anzeichen dafür vor, dass die normale vaginale Entbindung nicht zu Ende geführt werden kann, sondern die Indikation für eine vaginaloperative oder abdominale Entbin-
Für die vaginaloperative Geburt wird neben der Schmerzausschaltung auch die Relaxation der Beckenmuskulatur durch Pudendusanästhesie oder Periduralanästhesie gefordert. Die Pudendusanästhesie ist als transvaginale Leitungsanästhesie einfach durchzuführen (. Abb. 39.16), entfaltet eine gute analgetische Wirkung und erlaubt die aktive Teilnahme der Kreißenden am Geburtsprozess. Durchführung Das Lokalanästhetikum (10 ml 1%iges Lidocain oder 0,25%iges Bupivacain) wird von der Scheide aus beidseits in den Bereich des N. pudendus injiziert. Dazu wird unmittelbar unterhalb des die Spina tastenden Fingers (1 cm kaudal von der Spina ischiadica) mit einer langen, durch eine Hülse geschützten Kanüle die Scheidenhaut und das Lig. sacrospinale bis zu einer Tiefe von 1–1,5 cm durchstochen und das Lokalanästhetikum in das lockere Gewebe injiziert. Vor der Injektion muss aspiriert werden, um eine versehentliche intravasale Applikation zu vermeiden. Indikation Die Pudendusanästhesie eignet sich zur Schmerz-
ausschaltung in der Austreibungsperiode bei Spontangeburten, Geburten aus Beckenendlage und vaginaloperativen Entbindungen. Von der ACOG (2000) wird die Pudendusanästhesie ausschließlich für den »outlet forceps« als adäquate
. Abb. 39.16. Transvaginale Technik der Pudendusanästhesie. Spitze der Nadel nach Durchstechen des Lig. sacrospinale (S), am N. pudendus (N)
39
884
Kapitel 39 · Vaginaloperative Entbindung
dung bestehen kann, so ist der geburtsleitende Arzt verpflichtet, die erforderliche Aufklärung so rechtzeitig vor Eintritt einer (voraussehbaren) Notsituation vorzunehmen, dass der Schwangeren noch eine Risikoabwägung möglich ist. Der Arzt braucht der Patientin zwar i. Allg. nicht ungefragt zu erläutern, welche Behandlungsmethoden in Betracht kommen und was für oder gegen die eine oder andere Methode spricht, denn die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes. Wenn verschiedene Behandlungsalternativen allerdings zu jeweils unterschiedlichen Belastungen der Patientin führen oder unterschiedliche Erfolgschancen bieten und diese Unterschiede von Bedeutung sind, besteht eine Verpflichtung zur Aufklärung über die Behandlungsalternativen. Bei der Beckenmittenposition des kindlichen Kopfes ist die Aufklärung über die verschiedenen geburtshilflichen Methoden – Vakuum, Zange und Sectio – von besonderer Bedeutung, weil die Gefahren für Mutter und Kind bei diesen Verfahren gänzlich unterschiedlich sind und daher nach der Rechtsprechung die Mutter die Entscheidung zu treffen hat, ob sie den Interessen des Kindes oder ihren eigenen Interessen den Vorzug gibt (DGGG-Leitlinie 2008). Zwischen dieser juristischen Forderung und der geburtshilflichen Realität besteht eine erhebliche Diskrepanz, die sich daraus ergibt, dass die Gebärende in der gegebenen Situation mit der Entscheidung zu den verschiedenen Alternativen meist absolut überfordert ist. Aus diesem Konflikt zwischen der Beachtung der Patientenautonomie und der Fürsorgepflicht des Arztes ist abzuleiten, dass die Aufklärung sehr individuell zu erfolgen hat und beeinflusst wird von der Einschätzung der Durchführbarkeit der Operation. > Es gilt der Grundsatz: Je dringlicher die Situation, desto kürzer die Aufklärung. Ist eine wirksame Aufklärung in einer Notsituation zwar noch möglich, wirkt sie aber eingriffsverzögernd (Hinausschieben eines dringlichen Eingriffes), so haftet der Arzt bei einer Schädigung ebenfalls.
39
Es ist zu empfehlen, den Patientinnen schon in der Schwangerschaft eine Basisinformation über vaginale und abdominale geburtshilfliche Eingriffe auszuhändigen, um auch in dringlichen Situationen ein ausreichendes Verständnis für das dann notwendigerweise sehr verkürzte Aufklärungsgespräch zu erzielen. Bei zu erwartenden Schwierigkeiten vaginaloperativer Entbindungen (Entbindungsversuch in Sectiobereitschaft) muss die Patientin über das höhere fetale Risiko orientiert werden. Angesichts der hohen Rate von Beckenbodenschädigungen mit bleibender Funktionsbeeinträchtigung auch bei vaginalen Spontangeburten stellt sich die Frage, ob diese Problematik im Patientengespräch vor der Geburt nicht in angemessener Weise erörtert werden sollte, auch wenn die Möglichkeit einer weiteren Zunahme des Wunschkaiserschnitts damit initiiert werden könnte.
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40 40 Geburt und Beckenboden A. Kuhn, C. Anthuber, J. Wisser, C. Frank 40.1
Anatomie des weiblichen Beckenbodens – 888
40.1.1 40.1.2
Anatomische Strukturen des anterioren Kompartiments – 890 Anatomische Strukturen des posterioren Kompartiments – 890
40.2
Pathophysiologische Aspekte des Geburtstraumas – 892
40.2.1
Geburtsbedingte Einflüsse auf den N. pudendus – 892
40.3
Geburtsbedingte Schäden am Beckenboden – 892
40.3.1 40.3.2 40.3.3 40.3.4 40.3.5 40.3.6 40.3.7 40.3.8
Descensus/Prolaps genitalis nach vaginaler Geburt – 893 Belastungsinkontinenz nach vaginaler Geburt – 894 Geburtshilfliche Risikofaktoren – 894 Anorektale Inkontinenz nach vaginaler Geburt – 895 Nahttechnik von Sphinkterverletzungen – 895 Episiotomie – 896 Dammriss III. oder IV. Grades – 897 Vaginaloperative Entbindungen – 898
40.4
Prävention von höhergradigen Dammrissen und Beckenbodenschäden – 899
40.4.1
Okkulte Sphinkterdefekte – 899
40.5
Diagnostik bei postpartalen Beckenbodenproblemen – 900
40.5.1 40.5.2 40.5.3 40.5.4 40.5.5
Perineale Sonographie – 900 Endoanale Sonographie – 901 Vaginale Endosonographie – 902 Volumensonographie – 903 MRI und Beckenboden – 903
40.6
Wissenschaftliche und klinisch relevante Aspekte zum Thema Beckenboden und Geburt – 903 Literatur – 905
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
888
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
Das Hauptziel der Geburtshilfe ist die Reduktion der maternalen und perinatalen Mortalität und Morbidität. Während der vergangenen Jahrzehnte fiel die mütterliche Mortalität in den entwickelten Ländern dramatisch und hat heute in Mitteleuropa eine Rate von 5–8/100.000 Lebendgeborenen erreicht (Saunders 1997). Im Gegensatz zu diesen Anstrengungen blieb die mütterliche Langzeitmorbidität nach vaginaler Geburt lange Zeit vernachlässigt, obwohl Schwangerschaft und Geburt als Hauptursache für Inkontinenz angesehen werden (. Tab. 40.1). Die Frage, inwieweit die Schwangerschaft oder die vaginale Geburt die Kontinenz beeinflussen, ist bereits vielfach diskutiert worden (MacLennan et al. 2000), und die Datenlage ist diesbezüglich kontrovers (Rortveit et al. 2001). Zwei Studien, die die Urininkontinenz in Europa und den USA untersucht haben, haben eine Prävalenz von 35 bzw. 37% gefunden (Hunskaar et al. 2004; Kinchen et al. 2003). Die Belastungsinkontinenz ist in diesen Studien die häufigste Form mit 37% und 42%, gefolgt von der gemischten Inkontinenz in 33% bzw. 46%. Ähnliche Daten wurden in zahlreichen anderen Untersuchungen dokumentiert (Burgio et al. 1991; Hannestad et al. 2000). Urininkontinenz ist das Resultat mehrerer ätiologischer Faktoren. Stuhlinkontinenz schränkt das Sozialleben noch mehr ein als Urininkontinenz und ist immer noch ein ausgesprochenes Tabuthema: Nur 1/3 aller Betroffenen sprechen dieses Problem mit ihrem Arzt an. Das Zusammenspiel von Blase, Schließmuskeln und Beckenboden als funktionelle Einheit ist für die Kontinenz bei Männern und Frauen essenziell; insgesamt ist Inkontinenz bei Frauen häufiger als bei Männern (Hunskaar et al. 2004). Der Beckenboden hat zwei völlig entgegengesetzte Funktionen: einerseits den Organen des kleinen Beckens Stabilität zu geben, andererseits aber auch bei Geburten Platz zu machen und Elastizität zu ha-
6
ben. Liegt zuviel Instabilität vor, kann dies zu Inkontinenz und Senkungen führen. Die Beschreibung der morphologischen und funktionellen Veränderungen nach Schwangerschaft und vaginaler Geburt sollen deshalb in diesem Kapitel skizziert werden.
40.1
Anatomie des weiblichen Beckenbodens
Der weibliche Beckenboden ist eine komplexe anatomische Struktur, die aus Bindegewebe und Muskulatur aufgebaut ist. Die endopelvine Faszie fixiert die inneren Genitalorgane an der seitlichen Beckenwand. Der M. levator ani schließt das knöcherne Becken nach kaudal ab und ist in der Lage, die Hohlorgane, die durch diesen Muskel passieren, zu komprimieren. Die endopelvine Faszie, die den Uterus und die Scheide am knöchernen Becken fixiert, ist ein gefäßführendes Bindegewebsblatt. Dessen kraniale Anteile enthalten die A. uterina und werden klinisch als Parametrium mit dem Lig. cardinale und den Sakrouterinligamenten bezeichnet. Der kaudale Anteil der endopelvinen Faszie, das Parakolpium, verbindet die Vagina mit der seitlichen Beckenwand und reicht kaudal bis zum Beckenboden, wo die Vagina vom Levator ani umschlossen wird. Aktive Stützung gegen den konstanten Zug an der endopelvinen Faszie wird durch die Muskelgruppe des M. levator ani gewährt. Dieser besteht aus dem puboviszeralen Muskel und dem M. iliococcygeus, die den muskulären Beckenboden bilden (. Abb. 40.1). Letzterer ist ein paariger Muskel, der beidseits vom Arcus tendineus entspringt und sich nach median hinter dem Rektum mit dem kontralateralen Anteil zur medianen Raphe verbindet, die ihrerseits zum Os coccygeum reicht. Der Muskel verschließt den posterioren Anteil des Be-
. Tab. 40.1. Prävalenz von Harn- und Stuhlinkontinenz bei Erstgebärenden. (Nach Chaliha et al. 1999)
40
Symptom
Vor Schwangerschaft (n=549) [%]
Während Schwangerschaft (n=549) [%]
Nach Schwangerschaft (n=549)a [%]
Urininkontinenz
3,6
43,7
14,6
Belastungsinkontinenz
3,1
35,7
12,4
Dranginkontinenz
0,5
8,0
2,2
Stuhlinkontinenz
0,7
6,0
5,5
Stuhldrang
1,1
8,7
6,2
Stuhlschmieren
0,4
0,5
0,9
Inkontinenz für Winde
0,5
6,0
4,9
Inkontinenz für flüssigen Stuhl
0,2
0,9
0,5
Inkontinenz für festen Stuhl
0,2
0,2
0,4
Stuhldrang und Inkontinenz
1,6
12,7
8,6
a
Mehrfachnennungen möglich.
889 40.1 · Anatomie des weiblichen Beckenbodens
. Abb. 40.1. Beckenboden: Muskulatur und Faszien, Gefäß- (rechts) und Nervenverläufe (links)
40
890
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
ckenbodens. Anterior bilden der puboviszerale Muskel mit dem M. pubococcygeus und dem M. puborectalis eine U-förmige Schlinge um das Rektum. Die Fasern des puboviszeralen Muskels inserieren in die Seitenwand von Vagina und Rektum (DeLancey 1988, 1994a; Handa et al. 1996). Der M. levator ani wird vom N. pudendus innerviert. Der intakte M. levator ani hat einerseits einen konstanten Basaltonus, andererseits kann er durch aktive Kontraktion erhöhtem intraabdominalem Druck standhalten. In vivo ist der intakte Beckenboden eher wie ein Dom und nicht wie ein Bassin geformt (Hjartardottir et al. 1997; Hugosson et al. 1991) und ermöglicht die Passage von Urethra, Vagina und Rektum. > Ein intakter Beckenboden verhindert die Senkung der Beckenorgane und ist gemeinsam mit den urethralen und analen Sphinkteren verantwortlich für den Erhalt der urethralen und analen Kontinenz. Die beiden Hauptaufgaben des Beckenbodens sind einerseits die Haltefunktion für die Kontinenz, andererseits Elastizität, um Geburten Platz zu geben. Diese Dualität mit entgegengesetzten Aufgaben birgt die Grundvoraussetzung für Erkrankungen am Beckenboden.
40.1.1
40
Anatomische Strukturen des anterioren Kompartiments
Die Öffnung im puboviszeralen Anteil des M. levator ani, durch die Urethra und Vagina hindurchtreten, wird als Hiatus urogenitalis bezeichnet. Die anatomischen Strukturen des anterioren Beckenbodenanteils spielen eine wichtige Rolle beim Erhalt der Urinkontinenz. Diese wird durch den urethralen Sphinkter (DeLancey et al. 1997), unterstützt durch die endopelvine Faszie und den M. levator ani, gewährleistet. Die Urethra liegt der endopelvinen Faszie und der vaginalen Wand auf. Diese Faszie ist am Arcus tendineus fixiert, einem fibrösen Band in Erweiterung der Faszie des M. obturatorius internus, und reicht beidseitig vom Schambein zum Sitzbein. Die Komposition des urethralen Supports variiert entlang der Länge der Urethra. Im Bereich des Blasenhalses ist die endopelvine Faszie spärlich, und der urethrale Support ist im Wesentlichen durch Faserverbindungen der vaginalen Muskularis am Arcus tendineus gewährleistet. In der distalen Hälfte der Urethra ist die endopelvine Faszie ausgeprägter und als perineale Membran beidseitig an den Schambeinen fixiert (DeLancey 1994a). Die Harnröhre, die bei der Frau nur eine funktionelle Länge von ca. 25–30 mm besitzt, wird bei intakter Anatomie bei erhöhtem intraabdominellem Druck (z. B. Hustenstoß) gegen die vordere Vaginalwand und die endopelvine Faszie gepresst.
Studienbox Der Zusammenhang zwischen Urininkontinenz und vaginaler Geburt wurde in zahlreichen epidemiologischen Studien bewiesen. Klinische und epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Urininkontinenz in der Schwangerschaft zunimmt und sich nach der Entbindung bessert (Allen et al. 1990; Stanton et al. 1980; Thorp et al. 1999). Dies kann ein Hinweis dafür sein, dass der wachsende Uterus und hormonelle Veränderungen für die Inkontinenz verantwortlich sind (Hvidman et al. 2002). Schwangerschaft an sich und hereditäre Faktoren tragen zur Störung der Kontinenz bei (Demirci et al. 2001; Iosif et al. 1981).
40.1.2
Anatomische Strukturen des posterioren Kompartiments
Anatomische Strukturen des posterioren Kompartiments, die eine adäquate Funktion des analen Kontinenzorgans gewährleisten, sind der M. sphincter ani externus et internus, der M. levator ani und die perineale Membran. Letztere halten sowohl das Anorektum als auch die Vagina in Position und sind sehr bedeutsam zur Prävention einer Rektozele (DeLancey 1999). Der puborektale Anteil des M. levator ani trägt wesentlich zur analen Kontinenzerhaltung bei. Mit seinem Ruhetonus zieht er den anorektalen Übergang nach anterior und bildet annähernd einen 90°-Winkel zwischen Analkanal und Rektum. Durch diesen Mechanismus wird fester Stuhl in der Ampulla recti zurückgehalten. Sowohl der interne als auch der externe anale Sphinkter sind für die Erhaltung der Kontinenz unterhalb des Levels des M. levator ani verantwortlich. Der Analkanal ist 3–4 cm lang und wird von 2 Muskeln gebildet: dem inneren Spinkter und dem äußeren Analsphinkter. Der interne anale Sphinkter ist ein zylindrischer Ring glatter Muskulatur, eine Verdickung der glatten Muskulatur der Kolonwand, die sich über die gesamte Länge des Analkanals hinzieht und für etwa 75% des Ruhetonus des Analkanals verantwortlich ist. Der innere Sphinkter ist fast immer kontrahiert. Entspannung des inneren Sphinkters erfolgt über den rektosphinkteren Reflex bei Füllung des Rektums. Der externe Sphinkter, M. puborectalis und M. levator ani sind permanent aktiv, selbst während des Schlafes, und tragen die restlichen 25% des Ruhedrucks im Analkanal bei. Die Aktivität dieser Muskulatur kann durch die Willkürkontraktion erhöht werden, dies normalerweise für ein kurzes Zeitintervall (bis 60 s), und wird bei der Defäkation gesenkt. Der externe Sphinkter ist immer deutlich kürzer als der interne Sphinkter und beginnt in vielen Fällen distal des internen Sphinkters (DeLancey et al. 1997; Toglia u. DeLancey 1994). Die Innervation des M. puborectalis und des externen Sphinkters wird durch den N. pudendus gewährleistet, der bei der Geburt in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
891 40.1 · Anatomie des weiblichen Beckenbodens
. Abb. 40.2. Analsphinkterapparat (Sagittalschnitt)
Der weibliche Analsphinkter ist im Vergleich zum Analsphinkter des Mannes ventral nur 1/3 so hoch wie dorsal (. Abb. 40.2). Geburtsbedingte Sphinkterläsionen wie Dammrisse III. oder IV. Grades sind fast immer in der ventralen Sphinkterhälfte lokalisiert. Sphinkterläsionen ereignen sich nach vaginalen Geburten in 0,5–2,5% der Fälle (Sultan et al. 1999). Risikofaktoren bilden Primiparität, o.p.-Rotation des kindlichen Kopfes, vaginaloperative Entbindungen, insbesondere die Forzepsextraktion, und ein großes Kindsgewicht. > 1/3 der Patientinnen entwickeln trotz Sphinkterversorgung eine Stuhlinkontinenz (Gjessing 1998).
Stuhlinkontinenz tritt mit einer Prävalenz von 0,42% auf und steigert sich bis 1% in der Altersgruppe der über 65-Jährigen (Thomas et al. 1984). Im mittleren Lebensalter ist die Prävalenz bei Frauen häufiger als bei Männern; im höheren Alter gleicht sich die Häufigkeit bei Männern und Frauen an.
Die 4 Mechanismen, die nach vaginaler Geburt zur Inkontinenz beitragen können 4 Verletzung der bindegewebigen Strukturen 4 Verletzung von pelvinen Nerven sowie der Muskulatur 4 Vaskuläre Schäden wegen prolongierter Kompression während der Geburt 4 Direkte Verletzung des unteren Harntraktes (z. B. durch Forzepsextraktion)
Studienbox Die Prävalenz der Belastungsinkontinenz ist während der Schwangerschaft erhöht und nimmt in den Jahren danach noch zu. 2/3 der Patientinnen mit präpartaler Inkontinenz leiden 15 Jahren post partum immer noch darunter, 1/3 hat eine spontane Remission (Dolan 2003). Frauen, die während der 1. Schwangerschaft unter einer Belastungsinkontinenz leiden, haben ein doppelt so hohes Risiko für eine Belastungsinkontinenz 15 Jahre post partum. 29,7% der Frauen berichten 3 Monate nach ihrer 1. vaginalen Geburt über Symptome der Urininkontinenz. Dabei wurde auch ein erhöhter Body Mass Index als signifikanter Risikofaktor für das Auftreten einer Urininkontinenz ermittelt (Wilson et al. 1996).
40
892
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
40.2
Pathophysiologische Aspekte des Geburtstraumas
40.2.1
Geburtsbedingte Einflüsse auf den N. pudendus
Studienbox Neurophysiologische Untersuchungen des Beckenbodens konnten zeigen, dass sich nach vaginaler Geburt in 40–80% Denervationsschäden des M. levator ani und des externen analen Sphinkters nachweisen ließen (Allen et al. 1990; Snooks et al. 1984). Nach primärer Sectio konnten diese Denervationsschäden nicht beobachtet werden (Snooks et al. 1984, 1986), wohl jedoch nach sekundärem Kaiserschnitt (Allen et al. 1990). Bekannt ist, dass nicht nur die Geburt, sondern die Schwangerschaft selbst auch einen negativen Einfluss auf die Beckenbodenfunktion hat (MacLennon et al. 2000).
> Denervationsschäden nach einer vaginalen Geburt korrelieren stark mit einer verlängerten Austreibungsperiode, einem großen Kind und einer Forzepsentbindung.
40
Obwohl die Inzidenz der neurologischen Schädigungen unmittelbar nach einer vaginalen Geburt recht hoch ist, kommt es in den meisten Fällen 2 Monate nach der Geburt zu einer Befundbesserung. Jedoch konnten neuromuskuläre Schädigungen des Beckenbodens bis zu 5 Jahre nach einer vaginalen Geburt klinisch nachgewiesen werden, und das Ausmaß der Verletzungen kumuliert möglicherweise mit zunehmender Parität (Mallet u. Bump 1994; Snooks et al. 1990). Der Verlauf des N. pudendus macht ihn unter der Geburt besonders anfällig für Druck- und Dehnungsbelastungen. Der Nerv entspringt aus den Sakralsegmenten S2–S4 und verläuft zunächst geschützt in einem derben Faszienkanal, dem Alcockkanal. Seine Äste verlaufen dann über weite Strecken frei an der Außenfläche des M. levator ani. Ein größerer Ast ist auf der Innenseite der Beckenbodenmuskulatur zu finden. Ungeklärt ist, ob überwiegend Nervenstamm, Nervenäste oder die neuromuskulären Verbindungen intrapartal geschädigt werden. Irreversible Läsionen sind bereits bei einer Nervenüberdehnung um mehr als 10% seiner Länge zu erwarten. Ein 3D-Modell mit Simulation einer Vaginalgeburt hat gezeigt, dass die den Analsphinkter innervierenden Äste bis 33% gedehnt werden und die die Urethra versorgenden Äste bis 13% (Lien et al. 2005). Bei 16% der Frauen ist postpartal eine passager verlängerte Leitgeschwindigkeit des N. pudendus nachweisbar, die nach Sultan et al. (1994) bei 1/3 der Frauen persistiert.
40.3
Geburtsbedingte Schäden am Beckenboden
Studienbox Als Risikofaktoren fanden Sultan et al. (1994) eine protrahierte Austreibungsphase und ein Kindsgewicht > 4000 g. Andere Autoren sehen in der Forzepsentbindung und in langen Austreibungsphasen die größte Gefahr für einen Nervenschaden, Einflüsse durch Regionalanästhesien wurden bisher nicht beobachtet (Allen et al. 1990; Snooks et al. 1984, 1985, 1986). Sato et al. (2001) konnten eine verlängerte Nervenleitgeschwindigkeit v. a. in den oberen Anteilen des Analsphinkters auch noch 5 Monate nach vaginaler Geburt zeigen, während die Analdrücke zu diesem Zeitpunkt bereits wieder normal waren. Urininkontinenz 3 Jahre post partum ist häufiger nach vaginaloperativen Entbindungen als nach Sectio (10,5% vs. 2%; OR 5,37, Bahl et al. 2005). Alter hat einen Einfluss auf die Remission der Symptome; ältere kaukasische Primiparae haben eine längere Erholungszeit als jüngere (Branham 2007). Frauen mit vaginaloperativen Entbindungen haben ein erhöhtes Risiko für Dammschmerzen, sexuelle Dysfunktion und Urininkontinenz (Brown u. Lumley 1998).
Man nimmt heute an, dass die idiopathische anorektale Inkontinenz bei ca. 10% der Patientinnen nur auf einem Nervenschaden ohne strukturellen Muskeldefekt beruht (Cook u. Mortensen 1998). Noch ungeklärt ist die Frage, ob die akute Überdehnung sub partu oder die chronische Überdehnung (z. B. durch vermehrtes Pressen bei Stuhlentleerungsstörung) das längerfristige bzw. höhergradige Nerventrauma bewirkt. Da eine suffiziente Inkontinenzdiagnostik oft erst Jahre nach der Geburt erfolgt, ist es vielfach unmöglich, den geburtsspezifischen Schaden festzulegen. Die Muskulatur kann dann durch altersbedingte, »physiologische Involution« der Innervationsdichte und myogene Atrophie zusätzlich verändert sein.
Studienbox Dies wurde in einer Studie von Zetterström et al. (1999) besonders deutlich, die die klinischen Folgen einer vaginalen Entbindung mittels Befragung der Frauen erfassten: Das Risiko für die Entwicklung einer postpartalen anorektalen Inkontinenz war bei einer 30-jährigen Primipara im Vergleich zu einer 20-jährigen Primiparae 3-fach höher. Außerdem fanden sie, dass 9 Monate nach der ersten vaginalen Geburt 27% der Frauen über Stuhlinkontinenz (1%) und Windinkontinenz (26%) berichten. Risikofaktoren für das Auftreten einer analen Inkontinenz waren demnach das Alter und die durch Sphinkterverletzungen komplizierte Geburt.
6
893 40.3 · Geburtsbedingte Schäden am Beckenboden
. Abb. 40.4. Lateraler Defekt mit Rugae. (Aus Goeschen u. Petros 2001)
. Abb. 40.3. Senkung der Gebärmutter bis in den Scheideneingang nach der Spontangeburt des ersten Kindes
Nach einem Dammriss IV. Grades ist das Risiko einer Inkontinenz im Vergleich zum Dammriss III. Grades 10fach erhöht (Fenner 2003). Eine verlängerte Austreibungsund Eröffnungsperiode, mediane Episiotomien und vaginaloperative Entbindungen waren Risikofaktoren klinisch relevanter Inkontinenz 5 Monate postpartal (Angioli et al. 2000; Casey et al. 2005; Zetterström et al. 1999). Dauert die Inkontinenz länger als 9 Monate an, ist dies ein wichtiger Indikator für persistierende Beschwerden (Pollack 2004).
> Erst die seit kurzem verfügbaren nichtinvasiven Techniken zum Studium der Beckenbodenmorphologie mittels Ultraschalldiagnostik ermöglichen eine systematische Untersuchung der Auswirkungen einer vaginalen Geburt auf den Beckenboden (7 Kap. 40.5).
40.3.1
Descensus/Prolaps genitalis nach vaginaler Geburt
Descensus vaginalis, Descensus uteri und Descensus perinei entstehen durch Schädigungen der endopelvinen Faszie und der Beckenbodenmuskulatur (. Abb. 40.3–40.6). Ob mit der
. Abb. 40.5. Zentraler Defekt mit glänzender Schleimhaut. (Aus Goeschen u. Petros 2001)
Anzahl der vaginal geborenen Kinder oder durch die Schwangerschaft selbst (Lal et al. 2003) auch das Risiko für einen Deszensus steigt, ist jedoch noch nicht endgültig geklärt. In einer Studie von Mant et al. (1997) hatten jedoch Frauen mit mehr als 3 vaginalen Geburten ein 11-fach höheres Risiko. Eine mit der Parität einhergehende, lineare Zunahme von Urininkontinenz ist bislang nicht sicher belegt (Wilson et al. 1996). Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass die erste vaginale Geburt einen entscheidenden Einfluss hat. Diskutiert wird
40
894
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
ehesten durch eine elektive Sectio caesarea vermieden werden kann (Sultan et al. 1994; Wilson et al. 1996). Demgegenüber steht ein erhöhtes Risiko für eine abnorme Plazentation bei wiederholten Sectiones (Lee u. D’Alton 2008), was auch zur präoperativen Aufklärung der Patientin gehört, wenn eine Wunschsectio diskutiert wurde.
Studienbox
. Abb. 40.6. Rektozele und flacher Damm infolge eines Perinealkörperdefekts. (Aus Goeschen u. Petros 2001)
ebenfalls der Einfluss der Eröffnungsperiode auf die Entstehung des Descensus genitalis. Nach Sze et al. (2002) kam es in gleicher Häufigkeit nach sekundärer Sectio wie nach Spontanpartus zum Auftreten eines Prolaps. > Entgegen früherer Lehrmeinung wird auch zunehmend deutlich, dass die Episiotomie einen Deszensus und andere Schädigungen am Beckenboden nicht verhindern kann (Sleep u. Grant 1987).
Weitere unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung eines Prolaps genitalis sind Alter, Parität, Beckenbodenmuskelkraft und das Kindsgewicht. 40.3.2
40
Belastungsinkontinenz nach vaginaler Geburt
Die Inzidenz von Stressharninkontinenz nach vaginaler Geburt liegt nach Literaturangaben zwischen 1 und 40% (Morkved u. Bo 1999; Viktrup u. Lose 2001; Wilson et al. 1996). Sie beruht auf einer Schädigung der Muskulatur, des Bindegewebes und der nervalen Elemente. Dies macht sich an folgenden Befunden bemerkbar: 4 verkürzte funktionelle Harnröhrenlänge, 4 niedrigere Ruheposition des Blasenhalses, 4 Hypermobilität der Harnröhre, 4 verminderter urethraler Verschlussdruck, 4 reduzierte Beckenbodenmuskelkraft (Peschers et al. 1996, 1997).
40.3.3
Geburtshilfliche Risikofaktoren
Elektrophysiologische, urodynamische und epidemiologische Studien haben gezeigt, dass eine postpartale Inkontinenz am
Bemerkenswert ist jedoch, dass Viktrup u. Lose (2001) bei Frauen 5 Jahre nach vaginaler Geburt und nach Sectio keinen Unterschied mehr in der Prävalenz von Belastungsinkontinenz zeigen konnten. Allerdings war die Gruppe der Kaiserschnittpatientinnen relativ klein (n=56) verglichen mit der Gruppe nach vaginaler Geburt (n=249). Leider wurde in dieser Studie nicht zwischen primärer und sekundärer Sectio unterschieden, was die Einordnung dieser Resultate erschwert. Über die Bedeutung der Länge der Austreibungsphase, der Gabe von Oxytozin sub partu, des kindlichen Kopfumfangs und Gewichts und der epiduralen Anästhesie für die Entstehung der postpartalen Belastungsinkontinenz gibt es derzeit kontroverse Literaturdaten (Samuelson et al. 2000, Casey et al. 2005). Die Episiotomie ist eindeutig als Risikofaktor für die Entstehung einer postpartalen Belastungsinkontinenz identifiziert (Sleep u. Grant 1987). Mit der Episiotomie steigt darüber hinaus das Risiko für höhergradige Dammläsionen (z. B. Dammriss III. Grades, besonders bei medianen Episiotomien) und eine verminderte Muskelkraft des Beckenbodens (Rockner et al. 1991).
Tipp Daher wird heute empfohlen, die Indikation zur Episiotomie auf fetale Gefahrenzustände zu beschränken (z. B. drohende kindliche Asphyxie, Schulterdystokie).
Nach Forzepsentbindung und Vakuumextraktion wurden eine verlängerte Leitgeschwindigkeit des N. pudendus und ein erhöhtes Risiko für Läsionen des Analsphinkters gezeigt (Snooks et al. 1984, 1986; Sultan et al. 1994; Tetzschner et al. 1995). Die Bedeutung der Vakuumextraktion für die Entstehung einer postpartalen Stressinkontinenz ist allerdings noch umstritten. Groutz et al. (1999) konnten nach vaginaloperativer Entbindung keine erhöhte Rate an Belastungsinkontinenz zeigen. Multiparität (>5 Entbindungen) und ein hoher Body Mass Index waren ebenfalls mit einer Risikosteigerung verbunden. > Präkonzeptionelle Gewichtsabnahme und Beckenbodengymnastik reduzieren das Risiko einer postpartalen Inkontinenz (Hartmann 2005).
Die genetisch bedingte Kollagenqualität, indirekt bestimmt durch Messung der Gelenkbeweglichkeit und den Nachweis von Varikosis, Striae und Hernien, war in einer Studie von Chaliha et al. (1999) überraschenderweise nicht geeignet, eine
895 40.3 · Geburtsbedingte Schäden am Beckenboden
postpartale Belastungsinkontinenz zuverlässig vorherzusagen. Die Frage nach dem Geburtsmodus bei präexistenter Belastungsinkontinenz wurde von Dainer (1999) untersucht: 40% der 304 befragten Mitglieder der American Urogynecology Society würden eine primäre Sectio caesarea bevorzugen.
40.3.4
Anorektale Inkontinenz nach vaginaler Geburt
. Tab. 40.2. Einteilung der Dammrisse
Grad
Kennzeichen
I
Oberflächliche Verletzung des Vaginalepithels und der Subkutis
II
Zusätzlich Verletzung der oberflächlichen Beckenbodenmuskulatur
III
a
Zusätzlich Verletzung des M. sphincter ani internus
b
Zusätzlich Verletzung von <50% des M. sphincter ani externus
c
Verletzung >50% des M. sphincter ani externus
Studienbox Stuhlinkontinenz ist oft multifaktoriell; in einer prospektiven Studie fanden sich bei 80% der Patientinnen mehr als eine Ursache für die Stuhlinkontinenz (Rao u. Patel 1997). Die Prävalenz anorektaler Inkontinenz steigt bei höhergradigen Dammrissen signifikant an. Die perfekte anatomische Versorgung von Dammrissen III. und IV. Grades sollte daher das oberste Ziel bei solchen Geburtsverletzungen sein.
Eine Einteilung der Dammrisse nach Empfehlung von Sultan (Sultan 1999) und des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 2004) berücksichtigt eine genaue Differenzierung der Verletzung des Sphinkterapparates (. Tab. 40.2). Zur Versorgung höhergradiger Dammrisse sind eine optimale Anästhesie, beste Lichtverhältnisse zur korrekten Identifizierung der anatomischen Strukturen, idealerweise im Operationssaal, und eine ausgezeichnete Blutstillung von Vorteil, um eine spätere Stuhlinkontinenz zu vermeiden. . Abb. 40.7a, b. Versorgung gerissener Sphinkteren: a End-zu-End-Versorgung, b Overlap-Repair
a
b
IV
Zusätzlich Verletzung des Anal-/Rektalepithels
Basierend auf Empfehlung von Sultan (1999) und des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG 2004).
40.3.5
Nahttechnik von Sphinkterverletzungen
Prinzipiell sollte wegen der Spätfolgen im Sinne von Stuhlinkontinenz und anderen Symptomen für die Sphinkterversorgung größtmögliche Sorgfalt aufgewendet werden. Prinzipiell können gerissene Sphinkteren mittels End-zuEnd-Adaptation (. Abb. 40.7a) versorgt werden oder mittels Overlap-Technik, bei der die gerissenen Enden überlappend vernäht werden (. Abb. 40.7b).
40
896
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
Studienbox
Studienbox
3 randomiserte Studien sind aktuell verfügbar mit teilweise widersprüchlichen Resultaten. Fitzpatrick et al. (2000) fanden in ihrer Studie mit 112 Primiparae keinen Unterschied hinsichtlich End-zu-Endoder Overlap Technik. Fernando et al. (2006) hatten in einer Studie mit 64 Primiparae, die in eine Overlap-Gruppe und eine Endzu-End-Gruppe der Sphinkterversorgung randomisiert wurden, ein besseres Outcome hinsichtlich Inkontinenz, Stuhldrangbeschwerden und Schmerzen in der OverlapGruppe. Die 3. Studie randomisierte 112 Primiparae in 4 Gruppen mit je 2 Gruppen End-zu-End und Overlap, je Gruppe dann noch schnell resorbierbares Nahtmaterial (Vicryl) gegen langsam resorbierbares Material (PDS). Keine Gruppe hatte Unterschiede hinsichtlich Kontinenz und anorektaler Beschwerden (Williams et al. 2006). Diese 3 Studien haben allerdings alle kleine Patientinnenzahlen und nicht die ausreichende Power, um definitive Konklusionen hinsichtlich Nahtmaterial und chirurgischer Technik machen zu können. Ein Cochrane Review fasst die Resultate dieser Studien zusammen und schließt, dass die Datenlage aktuell keinen klaren Vorteil für eine der beiden Techniken zulässt, wenn auch ein leichter Vorteil für die Overlap-Technik besteht (Fernando et al. 2006). Cochrane bemerkt ganz richtig, dass vermutlich nicht unbedingt die Nahttechnik, sondern die Erfahrung des Chirurgen ausschlaggebend ist.
In einer Studie von Zetterström et al. (1999) gaben 26% der Primiparae 9 Monate nach vaginaler Geburt Zeichen von Windinkontinenz an, 1% litt unter Abgang von Stuhlanteilen. Die wichtigsten Risikofaktoren waren ein mütterliches Alter über 30 Jahre, eine verlängerte Austreibungsphase, vaginaloperative Entbindung und eine bereits klinisch diagnostizierte Sphinkterverletzung. In der Literatur schwanken die Angaben von anorektaler Inkontinenz nach DR III zwischen 1 und 60% (Kammerer-Doak et al. 1999; Sultan et al. 1999). Entsprechend einer Metaanalyse zur Inzidenz von postpartalen Sphinkterläsionen liegt die Wahrscheinlichkeit einer Analsphinkterschwäche nach Sphinkterdefekt zwischen 76 und 82% (Oberwalder et al. 2003).
Tipp In vielen Ländern werden praktische Kurse zum Erlernen der Präparation und Dammversorgung angeboten, was auch sinnvoll ist, damit die erste Sphinkternaht nicht an der Patientin gemacht werden muss.
40
Typische Symptome anorektaler Inkontinenz werden nur durch eine gezielte Anamnese erfasst. Da diese Beschwerden immer noch ein Tabuthema sind, sind genügend Zeit und ein vertrauenswürdiger Rahmen wichtige Voraussetzungen für das Gespräch mit der Patientin. Am häufigsten werden folgende Beschwerden genannt: 4 Inkontinenz für Winde oder dünnen Stuhl, 4 eine verkürzte »Warnzeit«, 4 eine mangelnde Diskrimination zwischen Winden und Stuhlanteilen, 4 gelegentliches Stuhlschmieren.
Die Prävalenz von Analinkontinenz liegt bei Frauen nach vaginaler Geburt auch ohne früheren Dammriss III. oder IV. Grades zwischen 3 und 16% (Faridi et al. 2000; Samuelson et al. 2000; Sultan et al. 1996). Die Häufigkeit übersehener Sphinkterverletzungen ist nicht bekannt. Mangelnde Erfahrung in der Einschätzung und Versorgung von Dammverletzungen, verstärkte Blutungen und fehlende Assistenz sind die wichtigsten Gründe für nichterkannte Läsionen. Nach Fynes et al. (1999) tragen Primiparae mit postpartal passageren Symptomen anorektaler Inkontinenz ein hohes Risiko für erneute Beschwerden nach einer weiteren vaginalen Geburt. Bei postpartal persistierenden Symptomen ist das Risiko für eine weitere Beschwerdezunahme deutlich erhöht. Mit dem bloßen Auge nicht erkennbare, nur durch anale Endosonographie nachweisbare Muskelverletzungen werden als okkulte Sphinkterdefekte bezeichnet. Sie wurden erstmals von Sultan et al. bei 35% der Primiparae und 43% der Multiparae nachgewiesen (Sultan et al. 1993a, b). Weitere Untersucher konnten die Ergebnisse von Sultan im Wesentlichen bestätigen, allerdings war die Prävalenz »okkulter« Läsionen nicht so hoch. > Die Existenz »okkulter« Läsionen und die in einer eigenen histomorphologischen Studie nachgewiesene Myopathie (endomysiale Fibrose, zentralständige Muskelzellkerne) im quergestreiften M. sphincter ani externus weisen auf die Überdehnung des analen Sphinkterapparats beim Durchtritt des kindlichen Köpfchens hin (Anthuber et al. 1997).
40.3.6
Episiotomie
Die Annahme, dass mit Episiotomie Dammverletzungen und Inkontinenz vermieden werden kann, ist angesichts der aktuellen Daten widerlegt. Im Gegenteil nehmen wir heute an, dass mit einer Episiotomie mehr Schaden angerichtet werden kann als ohne (Persson et al. 2000). Nach Episiotomien kann die Inzidenz von Dammrissen III. und IV. Grades um den Faktor 2–5 und damit die Zahl von
897 40.3 · Geburtsbedingte Schäden am Beckenboden
. Tab. 40.3. Inzidenz von Dammrissen III. und IV. Grades bei Primiparae mit und ohne Episiotomie zwischen 1992 und 1994 (n=4575; p<0,01.) (Nach Rockner et al. 1989)
Primiparae
DR III partiell
DR III
DR IV
Gesamt
Ohne Episiotomie
57 (1,3%)
22 (0,5%)
8 (0,2%)
87 (2,0%)
Mit Episiotomie
8 (2,6%)
8 (2,6%)
3 (1,0%)
19 (6,3%)
Patientinnen mit Inkontinenzsymptomen steigen (Klein et al. 1994). Durch einen restriktiven Einsatz der Episiotomie zeigt sich eine deutliche Reduktion der Dammverletzungen und folglich der perinealen Schmerzen. Die Rate an Verletzungen im anterioren Kompartiment scheint höher, jedoch mit weniger Beschwerden und Komplikationen verbunden zu sein (Dannecker et al 2004). Auch eine mediolaterale Episiotomie hat nach Sartore et al. (2004) keinen protektiven Effekt für Inkontinenz und Descensus genitalis, sondern führt signifikant häufiger zu Dyspareunie, perinealen Schmerzen und verminderter Muskelkraft im Bereich des Beckenbodens. Insbesondere die mediane Episiotomie ist mit höherem Risiko für höhergradige Dammrisse assoziiert als mediolaterale Episiotomien. Die weltweit größte, prospektiv randomisierte Studie zu dieser Frage (Argentine Episiotomy Trial Collaborative Group, n=2606, 98% Spontangeburten) fand bei routinemäßiger (82%) und streng »selektiv indizierter« Episiotomie (30%) eine identische Rate an höhergradigen Dammverletzungen. Auch die Rate an Scheidenrissen, Wundschmerzen, Hämatomen und Wundheilungsstörungen war in beiden Gruppen gleich. Eine Episiotomierate über 20–30% ist daher derzeit wissenschaftlich nicht begründbar (Group 1993; . Tab. 40.3).
Studienbox Als wichtigste Risikofaktoren für ein perineales Trauma wurden in einer multiplen logistischen Regressionsanalyse von 41.200 Geburten Nulliparität, Forzepsentbindung, mediolaterale Episiotomie und Schulterdystokie beschrieben. Das mütterliche Alter, die Einstellung des kindlichen Köpfchens und die Dauer der Austreibungsphase waren hingegen in dieser Studie nicht mit einem höheren Dammrissrisiko korreliert. In der bivariaten Analyse wurden auch Primiparität, das kindliche Geburtsgewicht, die hintere Hinterhaupts-, Stirn- und Gesichtslage und eine verlängerte Austreibungsphase als Risikofaktor eingestuft (Haadem et al. 1990). Eine andere Analyse von 2967 Geburten bei Primiparae führt das maternale Alter, Episiotomie und vaginaloperative Entbindungen als Risikofaktoren für höhergradige Dammrisse an (Hornemann et al. 2009). Eine mediane Episiotomie führt im Vergleich mit der mediolateralen Episiotomie zu einer noch höheren Rate an Sphinkterverletzungen (Klein et al. 1994; Thacker u.
6
Banta 1980, Coats et al 1980). Coates fand in einer randomiserten Studie mit 407 Frauen 11,6% Lazerationen des Analkanals nach medianer Episiotomie verglichen mit mit 2% nach mediolateraler Episiotomie. Episiotomien sollten anhand der aktuellen Datenlage nur noch aus fetaler Indikation durchgeführt werden. In den USA hat sich die Episiotomierate in den letzten Jahren drastisch gesenkt. In den Analysen, die Privatärzte mit denen in akademischen Institutionen verglichen haben, hat sich gezeigt, dass bei Privatärzten die Episiotomierate von 71,6 %auf 57,1% gesenkt werden konnte, bei denen in akademischen Institutionen fiel die Rate von 24 auf 11,8% (Weber 2009, Howden et al. 2004). Ob dies allein aufgrund von wachsender Evidenz (die gegen Episiotomien spricht) geschehen ist, ist schwer zu entscheiden.
40.3.7
Dammriss III. oder IV. Grades
Die Inzidenz von Dammrissen III. Grades liegt nach Literaturangaben zwischen 0,4 und 8%. Die Frage nach dem geeigneten Geburtsmodus nach früherem Dammriss III. Grades wurde von Bek u. Laurberg (1992) retrospektiv untersucht. Das Risiko für eine erneute Analinkontinenz war bei den Patientinnen mit persistierenden Inkontinenzbeschwerden nach der Geburt des ersten Kinds im Vergleich zu den Patientinnen mit nur passageren Beschwerden statistisch signifikant höher. > Daher wird heute allgemein empfohlen, bei Frauen mit persistierender anorektaler Inkontinenz eine primäre Kaiserschnittentbindung vorzuziehen. Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien empfiehlt diesen Geburtsmodus nach früherem DR III grundsätzlich und damit unabhängig vom aktuellen Beschwerdebild.
Dies ist auch in Kenntnis der Tatsache verständlich, dass selbst nach Primärnaht eines DR III noch bei bis zu 85% der Frauen analsonographisch Sphinkterdefekte nachweisbar sind (Deen et al. 1993; Sultan et al. 1999). Das Outcome nach sekundären Sphinkterplastiken ist – insbesondere wenn wir die Langzeitdaten anschauen – eher schlecht (. Tab. 40.4). Eine zusätzliche Pudendusneuropathie verschlechtert das Resultat nach Sphinkterplastiken (Gililand 1998).
40
898
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
. Tab. 40.4. Kontinenz nach sekundären Sphinkterplastiken
Autor
Jahr
Anzahl Patientinnen
Fleshman
1991
55
12
72
Engel
1994
55
15
79
Londono-Schimmer
1994
94
60
50
Oliveira
1996
55
29
71
Gilliland
1998
77
24
55
Malouf
2000
55
77
49
Karoui
2000
74
40
47
Osterberg
2000
51
12
58
Morren
2001
55
40
56
Tan
2001
50
28
50
Halverson
2002
71
29
25
Bravo Guttierez
2004
130
120
6
Norderval
2005
71
27
41
Trowbridge
2006
86
67
11
Trowbridge
2006
86
67
11
> Eine Stuhlinkontinenz kann auch nach Sekundärheilung von perinealen Geburtsverletzungen und transsphinktären Rektum- oder Anoscheidenfisteln auftreten (Inzidenz ca. 1%).
40.3.8
40
Vaginaloperative Entbindungen
Höhergradige Dammverletzung, persistierende Harninkontinenzbeschwerden und ein nervales Trauma am Beckenboden sind nach Forzepsentbindungen häufig (Sultan et al. 1993a, b, 1994, 1998; Arya et al. 2001). Der im Vergleich zur Vakuumglocke größere Platzbedarf der Zange führt zu einer stärkeren Überdehnung und Schädigung der Weichteile des Beckenbodens (Johanson u. Menon 2000). Ein Cochrane Review mit 10 randomisierten Studien (Johanson 2000) belegte bei Vakuumextraktion im Vergleich zum Forzeps ein signifikant niedrigeres maternales Trauma (OR 0,41). Robinson et al. (2000) wiesen nach unkomplizierter Spontangeburt eine DR-III-Rate von 8,7%, nach Vakuumextraktion von 29% und nach Forzepsgeburt von 53% nach. Nach Vakuumextraktionen wurden häufiger sonographische Sphinkterläsionen beobachtet, die jedoch keine stärkeren Auswirkungen auf die Funktion des Beckenbodens nach sich zogen als Spontangeburten (Peschers et al. 2003). Im Rahmen einer multiplen Regressionsanalyse von 2832 Forzeps- und Vakuumextraktionen wurden folgende Risikofaktoren für einen DR III identifiziert:
4 4 4 4 4 4 4 4
Follow-Up [Monate]
Kontinenz [%]
asiatische Rasse, Nulliparität, hintere Hinterhauptseinstellung, Geburtsstillstand in der Austreibungsphase, Entbindung aus Beckenmitte, Forzepsentbindung, Lokalanästhesie, mediane Episiotomie.
Wenn erforderlich, sollte daher zumindest bei erhöhtem Risiko für einen DR III die mediolaterale Episiotomie, die Vakuumextraktion und die Leitungsanästhesie bevorzugt werden. Die Bedeutung einer Periduralanästhesie (PDA) wird heute kontrovers beurteilt. Die Befürworter vermuten, dass die PDA-bedingte Relaxation der Beckenboden- und Perinealmuskulatur zu weniger Verletzungen führt, andere Untersucher konnten diese Vermutung nicht bestätigen. Vaginaloperative Entbindungen führen zu signifikant mehr postpartalen Schmerzen und maternaler sowie paternaler sexueller Dysfunktion postpartal verglichen mit primären Sectiones, wie eine prospektive Studie mit 912 Paaren gezeigt hat (Safarinejad et al. 2009). Der Aspekt der postpartalen sexuellen Dysfunktion wird leider oft ignoriert und sollte bei der Nachkontrolle angesprochen werden.
899 40.4 · Prävention von höhergradigen Dammrissen und Beckenbodenschäden
40.4
Prävention von höhergradigen Dammrissen und Beckenbodenschäden
Ob präventive Maßnahmen bereits in der Schwangerschaft zu einer Senkung der DR-III- und -IV-Rate führen können, muss erst noch geprüft werden. Eason et al. (2000) haben einen systematische Review von Techniken, die ein Beckenbodentrauma verhindern sollen, gemacht und dabei eine Metaanalyse von randomisierten Studien geschaffen. Zusammenfassend wurde hier gefunden, dass das Vermeiden von Episiotomien das Risiko für ein perineales Trauma senkt (absolute Risikodifferenz 0,23), bei Nulliparae Dammmassage im 3. Trimenon etwas vor perinealem Trauma schützt (Risikounterschied –0,08) und eine Vakuumextraktion (Risikodifferenz –0,06) und eine Spontangeburt (Risikodifferenz – 0,11) weniger Sphinktertraumata verursacht als eine Forzepsextraktion. Ein möglicher Ansatz könnte das Epi-No-Gerät sein, ein Geburtstrainer, mit dem die Damm- und Beckenbodenmuskulatur bereits während der Schwangerschaft gedehnt und auf die Geburt vorbereitet wird. Nach vorläufigen Ergebnissen lässt sich hiermit die Zahl der Episiotomien und damit auch die Rate an DR III und IV verringern (Hillebrenner et al. 2001). Auch eine australische Studie berichtet von mehr intaktem Perineum nach Epi-No-Einsatz, obwohl weder das neonatale Outcome verbessert noch die Rate der vaginaloperativen Entbindungen verringert wurden (Kovacs et al. 2004). Diese Daten beziehen sich allerdings nur auf eine kleine Anzahl von Patientinnen; ein Fallbericht dokumentiert immerhin eine Luftembolie nach Einsatz des Epi-No Gerätes (Nicoll u. Skupski 2008), was zu einer gewissen Vorsicht in der Anwendung raten lässt. Die Einflüsse des Beckenbodentrainings werden aktuell kontrovers diskutiert, insbesondere intensive und regelmäßige präpartale Übungen unter Anleitung senken nach Salvesen et al. (2004) die Rate an prolongierten Geburten und Episiotomien und verkürzen die Austreibungsperiode. Chiarelli et al. (2002) konnten im Rahmen einer prospektiv randomisierten Studie an 676 Frauen (nach vaginaloperativer Entbindung oder bei einem Kindsgewicht >4000 g) nach regelmäßigem angeleitetem Beckenbodentraining eine Reduktion der Prävalenz von Harninkontinenzbeschwerden und mildere Verläufe beobachten. Langzeitstudien konnten jedoch nach initialer Besserung der Beschwerden längerfristige Erfolge für Harn- und Stuhlinkontinenz bisher nicht nachweisen (Glazener et al. 2005). Salvesen u. Morkved (2004) konnten zeigen, dass es trotz präpartalem Beckenbodentraining zu keinerlei Verlängerung der Eröffnungs- und Austreibungsperiode kommt. Eine andere Analyse von 18.865 Geburten bei Primiparae aus Norwegen hat ebenfalls gezeigt, dass präpartales Beckenbodentraining keinen negativen Einfluss auf den Geburtsverlauf oder auf ein Beckbodentrauma hat (Böet et al. 2009). Wir können also daraus folgern, dass Patientinnen mit Inkontinenzbeschweden in der Schwangerschaft mit Vorteil physiotherapeutisch angeleitete Beckenbodengymnastik erhalten
sollten, ohne dass die Gefahr besteht, den Geburtsverlauf negativ zu beeinflussen. Dammmassage hat in einer Cochrane Analyse (Beckmann 2006) die Wahrscheinlichkeit für ein perineales Trauma, insbesondere Episiotomien, sowie postpartale Dammschmerzen signifikant gesenkt und kann Frauen präpartal vorgeschlagen werden. Eine postpartale Inkontinenz wird hingegen nicht beeinflusst (Eogan 2006). Ein neuer Ansatz in der Therapie postpartal geschwächter Muskelaktivität am Beckenboden bilden die Ganzkörpervibrationssysteme; wenige Daten sind allerdings diesbezüglich verfügbar. Werden solche Ganzkörpervibrationssysteme eingesetzt, so ist es wichtig festzustellen, dass nicht alle Systeme gleich sind, sondern unterschiedliche Schwingungen applizieren. Es gibt sinusoidale Systeme (z. B. Galileo) und stochstische Schwingungen (z. B. Zeptor). Am postpartal geschwächten Beckenboden ist das stochastische System dem sinusoidalen signifikant überlegen, wie an einer Pilotstudie mit postpartalen Patientinnen und gesunden Probandinnen gezeigt werden konnte (Lauper 2009). Die Beckenbodenpotenziale, die mittels EMG abgeleitet wurden, waren frequenzabhängig statistisch signifikant höher während der stochastischen Stimulation. Wassergeburten haben gemäß sonographischen Analysen von Mistrangelo et al. (2007) weder einen positiven noch einen negativen Einfluss auf den Beckenboden. Diese These wurde auch durch klinische Daten (Cortes et al. 2009) bestätigt. Randomisierte Studien in diesem Bereich sind sehr schwierig durchzuführen.
40.4.1
Okkulte Sphinkterdefekte
Okkulte Analsphinkterläsionen bleiben im Gegensatz zum DR III dem bloßen Auge verborgen, sie sind nur analsonographisch nachweisbar (. Abb. 40.8). Sie treten nach Literaturangaben bei 6–40% der Frauen nach vaginaler Geburt auf (Chaliha et al. 1999; Faltin et al. 2000; Sultan et al. 1993b, 1999).
. Abb. 40.8. Okkulter Analsphinkterdefekt bei 11 Uhr
40
900
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
Studienbox Der M. sphincter ani internus war in einer Studie von Sultan et al. (1993b, 1999) in 29%, der M. sphincter ani externus in 19% betroffen, beide Muskeln gleichzeitig in 13%. Okkulte Externusläsionen traten nur nach Dammriss oder Dammschnitt auf, Internusläsionen hingegen auch bei intaktem Damm. Ein protektiver Effekt durch die mediolaterale Episiotomie konnte auch hier nicht gezeigt werden, am häufigsten waren die okkulten Defekte nach Forzepsgeburt. 6 Monate postpartal war manometrisch ein erniedrigter Ruhe- und Kontraktionsdruck der Sphinktermuskulatur zu finden. 20% der Patientinnen hatten Inkontinenzbeschwerden, 36% vermehrten Stuhldrang. Okkulte Externusläsionen wurden meist links lokalisiert bei vorbestehenden Episiotomie- und Dammrissnarben und häufiger nach Forzepsentbindung. 42% der Primiparae mit okkulten Sphinkterläsionen entwickeln nach Fynes et al. (1999) nach der vaginalen Geburt des zweiten Kindes Symptome anorektaler Inkontinenz. Die langfristige Bedeutung okkulter Sphinkterdefekte wurde von Burnett et al. (1991) vermutet: Bei anorektaler Inkontinenz wurden bei 90% Externus-, bei 65% Internusdefekte und bei 60% kombinierte Defekte nachgewiesen. Alle Läsionen lagen zwischen 9 und 12 Uhr. Da jedoch keine genauen Daten zur lange zurückliegenden Geburt vorlagen, waren sichere Rückschlüsse auf die Zahl und Art früherer Dammverletzungen nicht möglich. Die Lokalisation der Muskelläsionen lässt jedoch vermuten, dass sie intrapartal entstanden. Die Elektromyographie zeigte bei 11 von 13 sonographisch untersuchten Patientinnen keine elektrische Aktivität im Defekt. Auch dies lässt auf die funktionelle Bedeutung dieser Läsionen rückschließen.
> Derzeit wird nur beim Nachweis einer okkulten Sphinkterläsion mit Beschwerden eine operative Korrektur (Sphinkterrekonstruktion) empfohlen. Bei fehlenden Symptomen wird sie nicht durchgeführt (Rieger et al. 1998).
. Abb. 40.9. Perineales Sonogramm einer Patientin nach elektivem Kaiserschnitt. Der urethrovesikale Übergang ist nicht deszendiert (bladder neck Blasenhals)
. Abb. 40.10. Standardisiertes Messschema für perinealen Ultraschall. (Nach Schaer et al. 1995)
dene Zugangswege angewandt werden und dient dazu, den Beckenboden und seine Funktion darzustellen.
40.5.1 40.5
40
Diagnostik bei postpartalen Beckenbodenproblemen
Eine definitive Beurteilung nach postpartalen Beckenbodenproblemen – auch im Hinblick auf eine eventuelle operative Sanierung – sollte erst nach Abschluss der Stillzeit erfolgen, wenn die Patientin wieder Zyklen hat und hormonell kein Hypoöstrogenismus vorliegt. Zur Anwendung kommt die klinische Untersuchung, Urodynamik und bildgebende Diagnostik. Die bildgebende Diagnostik ist ggf. auch schon vorher sinnvoll, wenn Probleme mit der Kontinenz oder Senkungen bestehen. Bildgebende Diagnostik umfasst hauptsächlich Ultraschalluntersuchungen und MRI-Darstellungen. Ultraschall kann relativ einfach ohne Strahlenbelastung über verschie-
Perineale Sonographie
Untersuchungstechnik Die Methode wird unter standardisierten Bedingungen mit 300 ml Blasenfüllung durchgeführt. In Steinschnittlage oder im Stehen wird ein 5-MHz-Curved-array-Schallkopf im Sagittalschnitt am Perineum platziert. Dadurch können im Realtime-Bild die Symphyse, die Urethra, der Blasenhals und die Blase dargestellt werden (. Abb. 40.9). Die Messungen sind von Schaer et al. (1995) standardisiert worden, wobei die xAchse als eine Linie zwischen der inferioren und der superioren Verbindungslinie durch die Symphyse definiert ist. Die y-Achse wird senkrecht dazu am Unterrand der Symphyse angelegt. In diesem Koordinatensystem können die Distanzen Dx and Dy, der retrovesikale Winkel β gemessen werden (. Abb. 40.10).
901 40.5 · Diagnostik bei postpartalen Beckenbodenproblemen
a
. Abb. 40.12. Wichtige anatomische Orientierungspunkte des sonographisch untersuchten Analkanals. a EAS äußerer Analsphinkter, IAS innerer Analsphinkter. b–e A anterior, L links, I innerer Analsphinkter, E äußerer Analsphinkter. (Aus Sultan et al. 1993b)
b . Abb. 40.11. Perineales Sonogramm nach vaginaler Geburt zeigt die Mobilität des Blasenhalses. a In Ruheposition, b bei Valsalva-Manöver
Klinische Ergebnisse Zahlreiche Studien haben belegt, dass die Mobilität des Blasenhalses bei Frauen (. Abb. 40.11), die vaginal geboren haben, signifikant größer ist als bei Nulliparae (Tunn u. Petri 2003; Dietz et al. 2005; Yalcin et al. 2000). Einige Studien haben Ultraschallbefunde mit urodynamischen Daten verglichen; die Spezifität und Sensitivität für die Diagnose Belastungsinkontinenz liegt bei 83% bzw. 68% (Chen et al. 1997) und 92% bzw. 96% bei Pregazzi et al. (2002). Der Ultraschall kann die Urodynamik nicht ersetzen, ist aber ein sinnvolles, verfügbares Tool in der Diagnostik.
Die Kombination von Bildgebung und Manometrie erlaubt die Zuordnung eines muskulären, neurogenen oder gemischten Schadens.
Untersuchungstechnik Die transanale Sonographie wird mit einer rotierenden mechanischen Ultraschallsonde durchgeführt, die einen 7-MHz-Transducer in einem Plastikkonus enthält, der zur akustischen Kopplung mit Wasser gefüllt ist. Die Patientin wird in linkslateraler Position gelagert und die anale Sphinktermorphologie durch Bewegung des Schallkopfes durch den Analkanal vom oberen zum unteren Anteil untersucht. Die Dicke des internen und externen analen Sphinkters werden gemessen und die Integrität der analen Verschlussmuskulatur kategorisiert (. Abb. 40.12).
Klinische Ergebnisse 40.5.2
Endoanale Sonographie
Die endoanale Sonographie wird zur Diagnostik bei Stuhlinkontinenz zusammen mit der analen Manometrie benutzt.
Es konnte nachgewiesen werden, dass die Schwangerschaft selbst nicht zu signifikanten Veränderungen der analen Morphologie und Funktion führt. Nach einer vaginalen Entbindung zeigen jedoch 35% aller Erstgebärenden eine sonogra-
40
902
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
. Abb. 40.13. Transanales Sonogramm des inneren (offene Pfeile) und äußeren (geschlossene Pfeile) Analsphinkterdefekts nach Zangengeburt. V Vagina, E externer Analsphinkter, I innerer Analsphinkter. (Aus Sultan et al. 1993 a)
. Abb. 40.15. Sagittalschnitt durch den Analkanal mittels transvaginaler Sonographie. Das Bild zeigt die Länge des internen analen Sphinkters
a . Abb. 40.14. Vaginale Sonographie zur Darstellung des analen Verschlussapparates. Der Horizontalschnitt zeigt den echoarmen internen Sphinkter, der die echodichte Mukosa umschließt. Der externe Sphinkter ist als echogene Struktur um den internen Sphinkter abgebildet
40
phisch erkennbare Sphinkterläsion, und 13% berichten über anale Inkontinenz und Stuhldrang 6 Wochen nach der Geburt (Sultan et al. 1993b). Die Zangenentbindung ist mit signifikant höherer Rate an Sphinkterverletzungen und konsekutiven Defäkationsproblemen (. Abb. 40.13) vergesellschaftet (Sultan et al. 1993 a). Wenn im Rahmen einer vaginalen Geburt ein Dammriss III. Grades auftritt, so weisen 85% aller Frauen einen persistierenden analen Sphinkterdefekt auf, und 50% der Frauen bleiben symptomatisch trotz primärer Versorgung des Defektes nach der Geburt (Kamm 1994).
40.5.3
Vaginale Endosonographie
Untersuchungstechnik Im Jahre 1994 haben Sultan et al. erstmals die vaginale Endosonographie zum Studium der analen Morphologie beschrieben. Während Sultan die Endorektalsonde mit einem Rotationsschallkopf verwendet hat, benutzten Sandridge u. Thorpe (1995) erstmals handelsübliche 5-MHz-Real-time-Vaginal-
b . Abb. 40.16. Vaginales Sonogramm eines M. sphincter internus bei Dammriss III. Grades mit Nähten im Bereich des internen Sphinkters. a Horizontalschnitt, b Sagittalschnitt
sonden, die in den meisten geburtshilflichen Abteilungen verfügbar sind. Dabei wird die Vaginalsonde an der hinteren Kommissur direkt am Hymenalring platziert. Dies ermöglicht Bilder des analen Verschlussapparates ohne eine Dilatation der Struktur (. Abb. 40.14). Danach wird die Sonde um 90° gedreht, sodass ein sagittaler Schnitt durch den Analkanal erreicht wird (. Abb. 40.15). Diese Technik ist einfach zu erlernen und ermöglicht das Studium der analen Sphinktermorphologie unmittelbar nach einer vaginalen Geburt, auch bei Patientinnen, die einen Dammriss III. oder IV. Grades erlitten haben (. Abb. 40.16).
903 40.6 · Wissenschaftliche und klinisch relevante Aspekte zum Thema Beckenboden und Geburt
. Abb. 40.17. Schematische Darstellung der Datenermittlung für die Volumensonographie. Ein fächerartiges Muster der Abschnittsbilder wird in einer geometrisch exakten Form in einem Volumenblock gespeichert
Vergleichbare Ergebnisse wurden auch mit einem konvexen Real-time-Schallkopf, der für die perineale Sonographie Anwendung findet (7 oben), beschrieben. Die klinische Anwendung der letzteren Methode scheint jedoch schwieriger, da der Transducer zur Ankoppelung in ein »Gelbett« platziert werden muss (Peschers et al. 1997).
40.5.4
Volumensonographie
Untersuchungstechnik Die Volumensonographie mit transvaginalen Schallköpfen zur Untersuchung des analen Verschlussapparates und einer transrektalen Sonde zur Beurteilung der Urethra und ihrer Haltevorrichtung eröffnet neue Möglichkeiten des Studiums des Beckenbodens nach vaginaler Geburt. Mit jeder der Sonden kann eine Vielzahl von B-Bildern im Sektorformat in einem geometrisch exakten Volumenblock abgelegt werden (. Abb. 40.17). Aus diesem Volumenblock können orthogonale Schnittebenen, von denen eine als Referenzebene senkrecht zum Lumen der Urethra oder des Analkanales ausgerichtet wird, dargestellt werden (Wisser et al. 1999; Dietz 2004). Daher sind reproduzierbare Bilder in Referenzebenen abbildbar, in denen Messungen und Winkelbestimmungen möglich sind (. Abb. 40.18). Des Weiteren ergibt die Darstellung der Ultraschalldaten im Niche-Modus einen guten Eindruck der komplexen anatomischen Strukturen des Analkanales und der Urethra (. Abb. 40.19). Die Untersuchung des anterioren Kompartiments mit der transrektalen Sonde ermöglicht das Studium der Urethra und der Scheide. Die lateralen Scheidenwinkel sind bei Nulliparae an der seitlichen Beckenwand fixiert (. Abb. 40.20). Die Scheide bildet gewissermaßen eine Hängematte, in der die Urethra fixiert ist. Dass Traumatisierungen des Beckenbodens vom Geburtsmodus abhängig sind, zeigen . Abb. 40.21 und 40.22.
40.5.5
MRI und Beckenboden
Das MRI erfasst mit nichtionisierender Strahlung als bildgebendes Verfahren Details des Beckenbodens und kann auch als dynamisches MRI eingesetzt werden (Gousse u. Safir 2000).
In der Routinediagnostik kommt das MRI kaum zum Einsatz, kann aber zum Ausschluss von urethralen Divertikeln, komplexem Sphinktertrauma, komplexen Senkungen oder Fistelungen wegen der ausgezeichneten Weichteildarstellung sowie für wissenschaftliche Studien von Vorteil eingesetzt werden.
40.6
Wissenschaftliche und klinisch relevante Aspekte zum Thema Beckenboden und Geburt
Obwohl in der Literatur zahlreiche Risikofaktoren für postpartale Beckenbodenschädigungen determiniert wurden, bleiben immer noch etliche Fragen, insbesondere hinsichtlich der Prävention von intrapartal bedingten Beckenbodenschäden offen. Nachdem der Genlokus für Beckenbodenerkrankungen als Chromosom 9q21 identifiziert worden ist (Allen-Brady et al. 2009), verbleibt die Frage, welche anderen Faktoren als möglicherweise beeinflussbare Variablen zum Beckenbodentrauma und damit zur Inkontinenz beitragen können. Intrapartale Druckmessungen einer Pilotstudie von Meyer (Lausanne; persönliche Kommunikation) haben gezeigt, dass bei gleichem Kindsgewicht der Beckenboden unterschiedlichen Druckexpositionen unterworfen ist und damit auch unterschiedliche Schädigungen am Beckenboden verursacht werden. Ein anderer Aspekt, der bis jetzt unzureichend beantwortet worden ist, ist die Therapie der reduzierten Beckenbodenreaktivität nach vaginaler Geburt. Die Verbesserung der Muskelkraft allein bewirkt nicht unbedingt eine Verbesserung der Kontinenz, wenn die Reaktivität der Muskulatur schlecht ist. Zwar haben Daten von Ganzkörpervibrationssystemen eine Verbesserung der Muskelaktivitäten des Beckenbodens gezeigt (Lauper et al. 2009), derzeit ist aber noch keine erfolgreiche Therapie zur Verbesserung der Reaktivität des Beckenbodens – Niesen passiert mit einer Geschwindigkeit von 150 m/s – dokumentiert. Dies wäre ein neuartiger Therapieansatz für eine konservative Therapie; möglicherweise können die Ganzkörpervibrationssysteme helfen, die Reaktivität des Beckenbodens zu verbessern.
40
904
Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
. Abb. 40.18. Volumensonographie des analen Verschlussapparates nach elektivem Kaiserschnitt mittels der transvaginalen Volumensonde. Das Bild zeigt die drei senkrecht zueinander stehenden
Schnittebenen. Oben rechts: Horizontalschnitt; oben links: Sagittalschnitt; unten: Frontalschnitt
40
. Abb. 40.19. Morphologie des analen Verschlussapparates. Der Volumenblock im sog. Niche-Modus gibt einen dreidimensionalen Eindruck der anatomischen Strukturen
905 Literatur
. Abb. 40.20. Transanales Volumensonogramm des vorderen Beckenbodenkompartiments mit der Urethra, deren Lumen durch den Punkt markiert ist. Darunter ist die Kontur der Vagina sichtbar. Die lateralen Scheidenwinkel sind an der seitlichen Beckenwand oberhalb der suburethralen Vagina fixiert
. Abb. 40.22. Volumensonogramm des vorderen Kompartiments nach Vakuumextraktion zeigt einen paravaginalen Defekt. Die lateralen Scheidenwinkel sind unterhalb der suburethralen Vagina
mehren und der Allgemeinheit zu dienen. Die Praxis dient dem Vorteil des individuellen Patienten.
Literatur
. Abb. 40.21. Anale Sphinktermorphologie nach Zangenentbindung. Es zeigt sich eine Ausdünnung des anterioren Anteils des internen Sphinkters mit Asymmetrie der Levatorenschenkel
Die korrekte Klassifizierung und Therapie von höhergradigen Dammrissen wird mehr Gewicht in der Ausbildung erhalten und hoffentlich dazu führen, dass weniger Sphinkterläsionen verpasst werden und die Häufigkeit sekundärer Sphinkterplastiken mit ihrem eher schlechten Outcome reduziert werden kann. Zunehmendes Monitoring diabetischer Mütter, Simulationsmodelle und eine zahlenmäßige Abnahme von makrosomen Neugeborenen (Mazouni et al. 2008) mag uns erwarten lassen, dass die Anzahl schwerer Beckenbodentraumata in Zukunft zumindest reduziert werden wird. Ein wichtiges Ziel für die Zukunft ist es, glaubwürdige Studienresultate mit hohem Evidenzlevel zu schaffen. Studien müssen ethische Aspekte wie beispielsweise vom US Office of Research integritiy (ORI; http://ori.hhs.gov/) berücksichtigen, und alle in der Forschung Beteiligten sollten den Unterschied zwischen Forschung und Praxis verstehen. Forschung ist definiert als systematische Untersuchung, die zum allgemeinen Wissen beiträgt und bei der die Teilnehmer Risiken auf sich nehmen, um wissenschaftliches Wissen zu ver-
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Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
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Kapitel 40 · Geburt und Beckenboden
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41 41 Sectio caesarea H. Schneider, P. Husslein 41.1
Einleitung – 910
41.2
Präoperative Aspekte – 910
41.2.1 41.2.2 41.2.3
Indikationen – 910 Aufklärung – 911 Perioperative Antibiotikaprophylaxe – 911
41.3
Operationstechnik – 912
41.3.1 41.3.2 41.3.3 41.3.4
Hautschnitt mit Präparation der Bauchdecken – 912 Uterotomie – 913 Entwicklung des Fetus und der Plazenta – 914 Verschluss der Uterotomie und der Bauchdecken – 915
41.4
Intraoperative Komplikationen – 916
41.4.1
Infektionsprophylaxe des Personals – 916
41.5
Zusatzeingriffe – 916
41.6
Postoperative Überwachung und Versorgung – 917
41.7
Postoperative Komplikationen – 918
41.7.1 41.7.2
Endometritis – 918 Wundinfektion – 918
41.8
Geburt auf natürlichem Weg oder primäre Sectio? – 918 Literatur – 920
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
910
Kapitel 41 · Sectio caesarea
Infolge zahlreicher Entwicklungen im Bereich der Operationstechnik, der Anästhesie sowie bei den unterstützenden Maßnahmen in der präoperativen Phase und bei der postoperativen Nachbetreuung stellt die Sectio heute im Vergleich zu früheren Jahren eine sowohl für die Schwangere wie auch für den Fetus sehr sichere Entbindungsalternative dar. Dadurch ist es zu einer erheblichen Ausweitung der Indikationsstellung gekommen, und der seit den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu beobachtende kontinuierliche Anstieg der Sectiorate setzt sich weiter fort. Veränderungen in der Gesellschaft wie insbesondere das Recht auf Mitbestimmung der Schwangeren bei der Wahl des Entbindungsmodus spielen bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. Die Komplikationsrate für Mutter und Kind ist ohne Zweifel bei der primären oder elektiven Sectio nach einer problemlosen Schwangerschaft am geringsten. Wie weit das Entbindungsrisiko bei der elektiven Sectio mit dem bei einer unkomplizierten Geburt auf natürlichem Wege vergleichbar ist, wird allerdings kontrovers beurteilt. Die kürzlich publizierten, an umfangreichen Kollektiven erhobenen Daten zeigen, dass sehr seltene, aber für Mutter oder Kind durchaus folgenschwere Komplikationen bei der elektiven Sectio wahrscheinlich häufiger als nach problemloser Spontangeburt auftreten. Die Entscheidung einer Schwangeren für die Entbindung durch eine elektive und damit medizinisch nicht eindeutig indizierte Sectio setzt eine sehr sorgfältige und umfassende Aufklärung auch über seltene Risiken voraus. Die sekundäre Sectio ist gegenüber dem elektiven Eingriff mit einer höheren Komplikationsrate belastet, die jedoch in der Regel durch eine medizinische Indikation gerechtfertigt ist. Spezielle Beachtung muss dem Risiko der Resectio beigemessen werden, wobei die im Zusammenhang mit einer pathologischen Plazentation auftretenden Komplikationen besonders bedrohlich sein können. Die Auswirkungen der Sectio auf Folgeschwangerschaften müssen insbesondere im Aufklärungsgespräch vor dem elektiven Eingriff besprochen werden. Die Operationstechnik muss verschiedenen Aspekten wie Gestationsalter, Lage und Größe des Fetus, sowie dem Vorliegen einer Einlings- oder Mehrlingsschwangerschaft Rechnung tragen. Der Einsatz einer situationsgemäßen und das Gewebe schonenden Operationstechnik ist die Basis für eine möglichst kurze Dauer des Eingriffs mit möglichst geringem Blutverlust. Mit Hilfe einer sorgfältigen Planung der Sectio basierend auf einer detaillierten präoperativen Ultraschalldiagnostik werden optimale Voraussetzungen auch für die intraoperative Bewältigung von Hochrisikosituationen geschaffen.
41
41.1
Einleitung
Die Entbindung durch Sectio caesarea oder Kaiserschnitt ist definiert als die Entwicklung des Babys durch eine Öffnung im mütterlichen Abdomen, die durch die chirurgische Durchtrennung der verschiedenen Schichten der Bauchdecken und des Uterus angelegt wird. Dabei unterscheidet man zwischen einem vor Geburtsbeginn geplanten primären oder auch elektiven Eingriff und einer Operation, die sekundär wegen einer während des Geburtsgeschehens bei der Mutter oder dem
Kind auftretenden Komplikation notwendig wird. Ein plötzlich auftretender Zwischenfall, der für Mutter oder Kind lebensbedrohlich sein kann, erfordert ein möglichst rasches Vorgehen im Sinne einer Akutsectio. Der kontinuierliche Anstieg der Sectiorate ist ein hervorstechendes Merkmal der modernen Geburtshilfe. Während der Anteil der Geburten durch Kaiserschnitt Anfang der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch weniger als 5% betrug und eine möglichst niedrige Sectiorate als wichtigstes Qualitäskriterium der Geburtshilfe galt, liegt sie heute weltweit bei 15% (Centers for Disease Control and Prevention 2008). In England wurde seit 1955 eine jährliche Zunahme verzeichnet, und in den Jahren 2004/2005 betrug die Sectiorate 23% (NHS Maternity Statistics, England 2007). In Deutschland stieg die Sectiorate zwischen 1993 und 2006 von 17 auf 28%, während sie in Italien bereits 2004 36% betrug (OECD Health Data 2006). In der Schweiz wurden im Jahr 2007 über 30% aller Entbindungen durch Sectio vorgenommen (Schweizerisches Bundesamt für Statistik 2008) und in Österreich lag die Rate im gleichen Jahr mit 27,1% noch deutlich niedriger (Bundesamt für Statistik für Österreich 2008).
41.2
Präoperative Aspekte
41.2.1
Indikationen
Die Zunahme der Sectiorate spiegelt v. a. eine Ausweitung der Indikationsstellung wider, die eine Folge von medizinischen Entwicklungen sowie von Veränderungen in der Gesellschaft ist. Eine verbesserte prä- und postoperative Versorgung, operationstechnische Fortschritte, die prophylaktische Gabe von Antibiotika, die Verfügbarkeit von Bluttransfusionen und Entwicklungen in der Anästhesie haben wesentlich zu einer erhöhten Sicherheit des Eingriffs für Mutter und Kind beigetragen. Die Zunahme des mittleren Alters der Schwangeren, die Beschränkung der Anzahl Kinder auf 1–2 pro Familie, das unbestrittene Recht auf Mitsprache der Eltern bei der Wahl des Geburtsmodus, der Anspruch auf Planbarkeit der Entbindung und das besondere Bedürfnis nach Unabhängigkeit sowie Kontrolle über dieses zentrale Ereignis in dem Leben der modernen Frau sind nur einige der zahlreichen Merkmale der heutigen Gesellschaft, die sich auf die Wahl des Geburtsmodus auswirken. > Während die Entscheidung für eine Sectio über lange Zeit wenigen auswegslosen Situationen mit dem Ziel der Lebensrettung von Mutter oder Kind vorbehalten war, ist die abdominale Form der Entbindung zu einer echten Alternative zu der Geburt auf natürlichem Wege geworden.
Neben der Sicherheit von Mutter und Kind sind Wohlbefinden und Zufriedenheit im Zusammenhang mit dem Geburtserlebnis führende Qualitätsmerkmale, während in früheren Jahren eine möglichst niedrige Sectiorate als entscheidendes Kriterium für eine gute Geburtshilfe galt. Die häufigsten Indikationen für eine Sectio sind (Penn u. Ghaem-Maghami 2001):
911 41.2 · Präoperative Aspekte
4 Geburtsstillstand (30%), 4 vorausgegangene Hysterotomie (meist bei einer Sectio) (30%), 4 drohende Asphyxie des Fetus (10%), 4 Fehleinstellung (11%). Weitere, aber weniger häufige Indikationen sind: 4 Plazentationsstörungen wie Placenta praevia oder accreta, 4 Vasa praevia, 4 Mehrlingsschwangerschaft, 4 mütterliche Infektionen (Herpes simplex, HIV u. a.), 4 fetale hämorrhagische Diathese, 4 mechanische Obstruktion der natürlichen Geburtswege (Myome, Kondylomata, Makrosomie oder Fehlbildungen des Fetus). Bei zahlreichen Indikationen ist der primäre Kaiserschnitt die Entbindungsmethode der Wahl. Dazu gehören v. a. die Placenta praevia, eine Querlage, ein absolutes Kopf-BeckenMissverhältnis sowie bestimmte mütterliche Erkrankungen wie eine HIV-Infektion. Auch bei einem aktiven M. Crohn im Analbereich, einer vorausgegangenen Korrektur einer Rektovaginalfistel oder eines Prolapses sowie bei einem Karzinom der Zervix wird eine primäre Sectio zur Vermeidung von Gewebstraumata im Bereich des Muttermundes, der Vagina oder des Damms empfohlen (ACOG 2001; Lauer u. Betran 2007; Bohlmann et al. 2008). Wegen der Besonderheiten bei der Indikationsstellung sowie bei der Durchführung der Sectio zur Entbindung von kleinen Frühgeburten wird auf 7 Kap. 24.5.2–24.5.4 verwiesen. In 7 Kap. 20 finden sich weitere Angaben zu Herpes simplex und HIV als Indikation für eine Sectio.
41.2.2
Aufklärung
Wie bei jedem chirurgischen Eingriff erfordert auch die Sectio nach entsprechender Aufklärung eine schriftliche Erklärung des Einverständnisses der Schwangeren. Dabei muss der für alle Behandlungen gültige ethische Grundsatz, dass der durch einen Eingriff gewonnene Nutzen gegenüber einem möglichen Schaden deutlich überwiegen muss, beachtet werden. Im Vergleich mit anderen operativen Behandlungsmethoden besteht die Besonderheit bei einer Sectio darin, dass als Basis für einen »informed consent« über den Nutzen und die Risiken für Mutter und Kind aufgeklärt werden muss. Gleichzeitig ist das Recht der Schwangeren, den Geburtsmodus selbst zu wählen, unbestritten (Feldman u. Freiman 1985). > Das Ausmaß der geforderten Information hängt wesentlich von den Begleitumständen ab. Bei einer Akutsectio gilt es, durch einen möglichst raschen Eingriff das Kind oder die Mutter vor einer mehr oder weniger gravierenden Schädigung zu bewahren, und die Aufklärung wird sich in diesen Situationen auf die notwendigsten Erklärungen beschränken.
Auch wenn die Sectio die einzige Form der Entbindung zur Vermeidung von gravierenden Schäden bei dem Kind oder der Mutter ist, darf sich die Aufklärung auf das Wesentliche konzentrieren. Bei einer geplanten oder primären Sectio wie etwa nach einer vorausgegangenen Schnittentbindung, bei Fehleinstellungen des Kindes wie einer Beckenendlage oder bei einer Placenta praevia ist eine umfassende Aufklärung rechtzeitig – nach Möglichkeit im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge – vorzunehmen. Wenn die Option einer vaginalen Geburt besteht, aber wegen eines erhöhten, aber schwer abschätzbaren Risikos einer Entbindung durch Sectio der Vorzug gegeben wird, spricht man von einer elektiven Sectio. Wenn bei Fehlen einer medizinischen Indikation die Schwangere ausdrücklich eine Entbindung durch Sectio wünscht, besteht eine ethisch schwierige Konfliktsituation, in der ein Ausgleich zwischen der Autonomie bzw. dem Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung einerseits und dem Anspruch des Fetus auf eine möglichst risikoarme Form der Geburt andererseits gesucht werden muss (Kalish et al. 2006). Auf weitere Besonderheiten der Aufklärung bei fehlender medizinischer Indikation wird in 7 Kap. 41.8 näher eingegangen.
41.2.3
Perioperative Antibiotikaprophylaxe
Eine Metaanalyse der Oxford Cochrane Data Base ergibt zweifelsfrei, dass durch eine prophylaktische Gabe von Antibiotika die Morbidität infolge von Infektionen wie einer Endometritis, einem Wund- oder Harnwegsinfekt oder auch von schweren Infektionen deutlich gesenkt werden kann (Smaill u. Hofmeyr 2002). Das relative Risiko einer Endometritis konnte sowohl nach Plansectiones wie auch bei sekundär nach Geburtsbeginn durchgeführten Eingriffen um 60% reduziert werden. Ampicillin (2 g) oder Cephalosporin (1–2 g) scheinen in ihrer Wirksamkeit gleichwertig und anderen Empfehlungen überlegen zu sein (Faro et al. 1990). Breitbandantibiotika wurden ebenfalls getestet (Mandach et al. 1987; Tita et al. 2008). Wie weit diese Substanzen wegen der postulierten zusätzlichen Wirksamkeit gegen Ureaplasma urealyticum Vorteile bieten, ist nicht belegt. Die generelle Wirksamkeit von Antibiotika, die Ureaplasmen nicht erfassen, spricht eher dagegen, dass diesen Erregern eine besondere Bedeutung bei der Endometritis zukommt. Tipp Gegenüber einem prophylaktischen Einsatz von Breitbandantibiotika ist wegen des Risikos der Entwicklung von resistenten Keimen und den höheren Kosten Zurückhaltung geboten (Hopkins u. Smaill 2000). Allerdings muss die Frage nach der Nützlichkeit des Einsatzes von Breitbandantibiotika bei Frauen mit speziellen Risikofaktoren zurzeit noch offen bleiben.
Die Effektivität der Verabreichung des Antibiotikums als Einmaldosis ist gut belegt (Hopkins u. Smaill 2000). Zahl-
41
912
Kapitel 41 · Sectio caesarea
reiche Studien zum optimalen Zeitpunkt für die Verabreichung des Antibiotikums haben gezeigt, dass die lange propagierte verzögerte Gabe nach Abnabelung und der Abnahme von Kulturen beim Neugeborenen für die Testung der Keimresistenz nicht länger zu rechtfertigen ist (Constantine et al. 2008). > Die bei anderen chirurgischen Eingriffen als Standard etablierte Gabe des Antibiotikums vor dem Hautschnitt kann somit auch für die Sectio empfohlen werden, da dadurch für die Mutter ein effizienter prophylaktischer Schutz erreicht wird, ohne dass sich daraus für das Neugeborene Nachteile ergeben.
Bei Frauen, die wegen nachgewiesener Besiedelung der Zervix mit Gruppe-B-Streptokokken prophylaktisch Antibiotika einnehmen, ist eine zusätzliche Prophylaxe bei einem Kaiserschnitt nicht angezeigt. Bei Vorbehandlung mit Ampicillin und Gentamycin wegen Chorioamnionitis hat sich die einmalige Gabe von Clindamycin bei dem Eingriff bewährt. Die Kombination von Ampicillin und Gentamycin wird nach der Sectio fortgesetzt, bis die Wöchnerin mindestens 24 h afebril ist. Eine Übersicht »Checkliste zur Sectio« gibt . Tab. 41.1.
41.3
41
Allgemein
4 Aufklärungsgespräch 4 Operationsvollmacht und Patienteninfo unterschreiben lassen 4 Prämedikation nach Verordnung 4 Anästhesie, OP-Schwester und Neonatologen benachrichtigen (Zeitpunkt, Schnitt, Indikation, Risiken)
Patientin
4 Schambehaarung mit Schere kurz schneiden 4 Künstliche Zähne sowie Schmuck entfernen 4 Dauerkatheter einlegen 4 Venösen Zugang legen 4 Kompressionsstrümpfe (nach Maß) anziehen 4 Thromboseprophylaxe 5000 IE Heparin s.c.
Kind
4 Kinderkrankengeschichte ausfüllen (auf Reanimationstisch bereitlegen) 4 Reanimationstisch vorbereiten 4 Transportisolette bereitstellen
Labor/ Blutentnahmen
4 Hb, Hk, Tc, Lc-Differenzialblutbild (maschinell), CRP 4 Quick-Test 4 BG/Rh-Faktor, irreguläre AK (falls noch nicht bestimmt) 4 2 Beutel Blut testen lassen 4 Na, K, Harnstoff, Kreatinin 4 Hepatitis-, Rötelnserologie (falls noch nicht bestimmt) 4 Luesserologie nur bei Risiko 4 HIV-Risiko festlegen
Im OP
4 Sonicaid (nur bei suspektem/pathologischem CTG) 4 Patientenakten 4 Plazentaschüssel (steril)
Infektsuche
4 Bei Indikation: Port a germ für Fruchtwasserkultur
Antibiotikaprophylaxe
4 z. B. Ampicillin 2 g oder Rocephin 1 g i.v. (Routine)
Operationstechnik
Zur Vermeidung einer Kompression der Vena cava wird eine leichte Schräglage (10–15°) der Patientin mit Dislozierung des Uterus nach links durch Platzierung eines Kissens unter die rechte Gesäßhälfte bewirkt. Das Kurzschneiden der Schambehaarung mit einer Schere scheint mit einem geringeren Infektionsrisiko im Bereich der Operationswunde verbunden zu sein als die herkömmliche Rasur. Die Haut wird im Operationsgebiet großzügig mit Jodlösung desinfiziert. Die Verwendung einer selbstklebenden Folie zur Hautabdeckung scheint bei einer Sectio ein erhöhtes Infektionsrisiko im Bereich der Operationswunde mit sich zu bringen (Berghella et al. 2005). Die Regionalanästhesie gilt heute als Standard. Besonderheiten der Anästhesie bei einer Sectio werden in 7 Kap. 47 ausführlich besprochen.
41.3.1
. Tab. 41.1. Checkliste zur Sectio
Hautschnitt mit Präparation der Bauchdecken
Die Universitätsfrauenklinik Wien hat sich über viele Jahre intensiv mit verschiedenen Aspekten der Operationstechnik der Sectio befasst. Die wichtigsten Ergebnisse wurden in einer Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zusammengefasst (Hohlagschwandtner et al. 2004). Diese stimmen in den meisten Punkten mit den in der Übersichtsarbeit von Berghella unter Berücksichtigung des jeweiligen Evidenzgrades zusammengestellten Empfehlungen überein (Berghella et al. 2005).
Tipp Dem suprapubischen Querschnitt nach Pfannenstiel wird bei einer Sectio gegenüber der vertikalen Schnittführung in der Mittellinie des Unterbauches generell der Vorzug gegeben, da er nicht nur kosmetische Vorteile bietet, sondern auch mit weniger postoperativen Schmerzen und besserer Heilungstendenz der Wunde verbunden ist (Harri 1976). Die vertikale Schnittführung ermöglicht dagegen eine raschere Eröffnung des Abdomens, ist mit geringerer Blutung verbunden und lässt eine problemlose Erweiterung der Inzision zu.
Die Querinzision der Haut wird mit einem herkömmlichen Skalpell 2 cm oberhalb der Symphyse über eine Länge von 15 cm angelegt, um eine problemlose Entwicklung eines Fetus
913 41.3 · Operationstechnik
am Termin zu gewährleisten. Ein Wechsel der Klinge nach dem Hautschnitt ist nicht erforderlich, und der Gebrauch eines Elektrokauters bietet gegenüber dem Skalpell keine Vorteile. Bei der von Joel-Cohen erstmals beschriebenen Modifikation der Eröffnung nach Pfannenstiel, die auch bei dem Misgav-Ladach-Vorgehen verwendet wird, liegt der quer verlaufende Hautschnitt deutlich höher, d. h. 2 cm unterhalb der Verbindungslinie zwischen beiden Spinae iliacae anteriores superiores (Joel-Cohen 1977). Bei der Teilung des subkutanen Fettgewebes hat sich die stumpfe Durchtrennung durch Zug in entgegengesetzte Richtung mit den hakenförmig gekrümmten Zeigefingern am besten bewährt, da dadurch die Operationszeit verkürzt wird und unnötige Gefäßverletzungen vermieden werden (Holmgren et al. 1999). Die Faszie wird in der Mittellinie mit dem Skalpell inzidiert, und die Öffnung wird nach beidseits lateral mit einer Präparierschere unter Sicht erweitert. In der Misgav-LadachTechnik wird nach stumpfer Teilung des subkutanen Fettgewebes und Inzision der Faszie in der Mittellinie die Öffnung beider Schichten stumpf durch Einbringen von Zeige- und Mittelfinger oben und unten zwischen Faszie und Rektusmuskulatur und Zug in zephalokaudaler Richtung erweitert. Die beiden Rektusmuskeln werden stumpf in der Mittellinie getrennt, eine zusätzliche Abpräparation der Faszie vom Rektusmuskel ist in der Regel nicht erforderlich. Das Peritoneum wird nach Fassen mit 2 Pinzetten möglichst weit oberhalb des Blasendachs mit einem Skalpell vorsichtig unter Beachtung von evtl. innen anliegenden Dünndarmschlingen eröffnet.
Studienbox In den letzten Jahren wurde die Joel-Cohen-Technik in zahlreichen Studien mit der herkömmlichen Technik verglichen hinsichtlich der postoperativen Morbidität, der Operationsdauer und des Verbrauchs von Schmerzmitteln. Während sich in allen Studien eine geringfügig verkürzte Operationsdauer ergab, wurde die Frage der Wochenbettmorbidität durch die Studien nicht eindeutig beantwortet. So fand sich in einigen prospektiven randomisierten Studien (Hauth et al. 1992) kein Unterschied, während andere Autoren (Stark u. Finkel 1994; Nagele et al. 1996) eine geringere Morbidität beobachteten.
Die Misgav-Ladach-Technik hat wegen der deutlich kürzeren Operationszeit und eines geringeren Blutverlustes zunehmend Verbreitung gefunden (Stark u. Finkel 1994; Joura u. Husslein 2000).
41.3.2
Uterotomie
Durch den Verzicht auf eine Abpräparation der Blase vom unteren Uterinsegment wird das Intervall zwischen Schnitt und Kindsentwicklung deutlich verkürzt, der Blutverlust ist geringer, und postoperativ werden weniger Analgetika benötigt (Hohlagschwandtner et al. 2001). In besonderen Situationen mit erhöhtem Risiko eines Weiterreißens der Uterotomie infol-
ge erschwerter Entwicklung des vorangehenden Kindsteils wegen Tiefstand im kleinen Becken empfiehlt es sich allerdings, die Blase abzupräparieren, da dadurch die chirurgische Versorgung einer weitergerissenen Uterotomie erleichtert wird. Bei der Wahl der Hysterotomie hat eine möglichst atraumatischen Kindsentwicklung bei geringem Blutverlust oberste Priorität. Ferner sollte vor Durchführung der Hysterotomie Klarheit über die Kindslage sowie auch die Lokalisation der Plazenta bestehen. In der großen Mehrzahl der Sectiones (>90%) ist die tiefe quer verlaufende Inzision im unteren Uterinsegment am besten geeignet (Depp 1991; Berghella et al. 2005). Diese hat verglichen mit einer vertikalen Schnittführung auch den Vorteil eines leichteren Verschlusses sowie eines deutlich geringeren Risikos einer Uterusruptur in einer Folgeschwangerschaft. Die Durchtrennung des Myometriums und der Dezidua erfolgt vorsichtig schichtweise mit dem Skalpell in der Mittellinie. Durch ein stumpfes Ablösen des uterinen Gewebes von den Eihäuten sollte die Fruchtblase, insbesondere bei kleinen Frühgeburten, bis zur Vollendung der Eröffnung des Myometriums erhalten bleiben (Morrison et al. 1995). Dadurch wird eine vorzeitige Kontraktion des Myometriums vermieden, und die Kindsentwicklung gestaltet sich sehr viel schonender (7 Kap. 24.5.2–24.5.4). Die Erweiterung der Öffnung im Myometrium und in der Decidua kann stumpf durch Zug mit den hakenförmig gekrümmten Zeigefingern nach beidseits lateral oder scharf mit einer Verbandsschere vorgenommen werden. Bei einem Vergleich der beiden Techniken war der Blutverlust bei dem stumpfen Vorgehen deutlich geringer (Magann et al. 2002). Die Erweiterung nach beidseits lateral kann auch stumpf mit Zug der beiden Finger in vertikaler Richtung in der Mittellinie vorgenommen werden, wodurch das Risiko für eine unbeabsichtigte Ausweitung der Öffnung mit einer starken Blutung vermindert wird (Cromi et al. 2008). Der Nachteil des tiefen Querschnittes besteht darin, dass eine Erweiterung der Öffnung für zusätzlichen Platzgewinn nur durch eine vertikale Schnittführung in der Mittellinie nach oben im Sinne eines umgekehrten T oder durch eine Weiterführung des Schnittes ein- oder beidseits lateral nach oben möglich ist. Bei sehr kleinen Frühgeburten und einem ungenügend entwickelten unteren Uterinsegment mit besonders dickem Myometrium ist für eine möglichst atraumatische Entwicklung des Kindes eine derartige Erweiterung der Öffnung unvermeidlich. Bei einem unzureichend entwickelten unteren Uterinsegment und klinischen Situationen wie einer Steißlage oder einer dorsoinferioren Querlage, bei denen besondere intrauterine Manipulationen zur Kindsentwicklung erforderlich sind, kann auch primär eine vertikale Inzision des Myometriums angezeigt sein. Darüber hinaus muss eine vertikale Schnittführung auch bei Pathologien im Bereich des unteren Uterinsegmentes wie einem großen Myom oder einer Placenta praevia mit Beteiligung der Vorderwand insbesondere bei Verdacht auf Placenta accreta primär in Betracht gezogen werden. Dabei unterscheidet man zwischen einem tiefen vertikalen Schnitt und der sog. klassischen Inzision, die bis in den Fundus des Uterus reicht. Letztere sollte allerdings nur noch
41
914
Kapitel 41 · Sectio caesarea
in Ausnahmesituationen zur Anwendung kommen, da bei weiteren Schwangerschaften in 4–9% mit einer Uterusruptur gerechnet werden muss im Vergleich zu 1–7% bei einem tiefen vertikalen und 0,2–1,5% beim tiefen Querschnitt (Patterson et al. 2002; Magann et al. 2002). Nach der Untersuchung von Shipp et al. (1999) soll der tiefe vertikale Schnitt bezüglich Resistenz der Narbe mit dem Querschnitt im unteren Uterinsegment vergleichbar sein.
Studienbox Bei 3289 Fällen mit versuchter vaginaler Entbindung in den Jahren 1984–1996 nach einer vorausgegangenen Sectio wurden mütterliches und perinatales Ergebnis retrospektiv analysiert. Bei der vorausgegangenen Sectio war der Uterus bei 2912 Fällen mit einer tiefen queren und bei 377 mit einer tiefen vertikalen Schnittführung eröffnet worden. Fälle mit einem tiefen vertikalen Schnitt, in denen eine sekundäre Ausweitung der Öffnung bis in den Fundus beschrieben war, wurden von der Analyse ausgeschlossen. Insgesamt fanden sich in der Gruppe mit vorausgegangenem tiefem Querschnitt 38 und nach tiefem vertikalem Schnitt 6 Öffnungen im Narbenbereich. Auch bei der Differenzierung der Narbendefekte nach klinisch relevanten Rupturen und asymptomatischen Dehiszenzen ergab sich kein Unterschied zwischen beiden Kollektiven, und es wird geschlossen, dass das Risiko einer Uterusruptur nach einem tiefen vertikalen gegenüber dem tiefen Querschnitt nicht erhöht ist (Shipp et al. 1999).
41
Dies entspricht allerdings nicht der persönlichen Erfahrung eines der Autoren (P. H.). Da trotz dieser durchaus fundierten Studie gewisse Zweifel bestehen bleiben, dass der tiefe Längsschnitt zur Eröffnung des Uterus im Hinblick auf das Rupturrisiko bei dem Versuch einer vaginalen Entbindung in einer Folgeschwangerschaft mit dem tiefen Querschnitt gleichwertig ist, sollte der tiefe Längsschnitt Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben. Die Stapler-Technik für die Erweiterung der Öffnung der Uterotomie sowie deren Verschluss hat sich wegen der leicht verzögerten Kindsentwicklung bei fehlendem Nutzen für Mutter und Kind und deutlich erhöhten Kosten nicht bewährt (Wilkinson u. Enkin 2005). Ein weitgehend ungelöstes Problem stellt die gelegentlich bei der Uterotomie ausgelöste starke Blutung und die damit verbundene Beeinträchtigung der Sicht im Operationsfeld dar. Als Folge davon kann es zu Verletzungen des Fetus kommen. Mit Hilfe einer speziellen Absaugvorrichtung kann eine deutliche Verbesserung erreicht werden (Schmid et al. 2008).
41.3.3
Entwicklung des Fetus und der Plazenta
Auch durch eine prospektive Geburtsleitung mit großzügiger Indikationsstellung für eine Schnittentbindung bei pathologischen Verläufen lässt sich die sekundäre Sectio nach protra-
hierter Austreibungsphase nicht vollständig vermeiden. Dabei ist das untere Uterinsegment nicht selten dünn ausgezogen, und bei der Entwicklung des Kopfes aus der Tiefe des kleinen Beckens sowie bei der Geburt der Schultern kann es zu Rissverletzungen kommen (Sung et al. 2007). Nach Eingehen der Hand durch die Uterotomie wird der Kopf gebeugt und in die Öffnung im unteren Uterinsegment gebracht. Durch Druck auf den Fundus wird die Entwicklung des Kindes unterstützt. Ein Zangenlöffel oder eine Vakuumglocke sollte für schwierige Entwicklungen bereit liegen, aber der routinemäßige Einsatz dieser Hilfsmittel ist wegen erhöhter Morbidität nicht angezeigt (Clark et al. 2008). Gelingt es auch mit diesen Hilfen nicht, den festsitzenden Kopf aus dem kleinen Becken zu »luxieren«, kann dieser durch eine weitere Person von vaginal mit der Hand nach oben gestoßen werden, oder nach Lösung der Beine im Fundus wird das Kind durch Zug im Sinne einer ganzen Extraktion entwickelt. Die »Extraktion« scheint gegenüber der »Stoßmethode« mit geringerer Morbidität für Mutter und Kind verbunden zu sein (Levy et al. 2005). Die bereits beschriebene chirurgische Erweiterung der Uterotomie im Sinne eines umgekehrten T oder einer fischmaulartigen Ausdehnung der Inzision beidseits lateral nach oben sollte nur in seltenen Ausnahmen erforderlich sein. Eine verzögerte Abnabelung ergibt erhöhte Hämoglobinwerte beim Neugeborenen und wird sowohl bei Frühgeburten als auch bei Kindern am Termin empfohlen (7 Kap. 31.1). Tipp Zur schonenden Entwicklung des Kindes – meist im Rahmen einer Frühgeburt, in seltenen Fällen auch bei Sectiones am Termin – kann zur möglichst raschen und suffizienten Relaxierung des Myometriums bei geringer Belastung des mütterlichen Kreislaufs eine intraoperative Akuttokolyse verabreicht werden. Die Indikation dazu wird vom Operateur gestellt.
Bewährt hat sich die intravenöse Gabe von 50–100 μg Nitroglycerin unmittelbar vor Legen der Uterotomie. Nitroglycerin hat gegenüber β-Mimetika den Vorteil eines rascheren Wirkungseintritts (Altabef et al. 1992). An der Wiener Klinik ist die sublinguale Gabe von 0,8 mg Nitroglycerin bzw. in letzter Zeit auch die Verabreichung von 2–3 Hüben eines Nitrolingual-Pumpsprays 0,4 mg gebräuchlich. Wegen einer gegenüber β-Mimetika deutlich kürzeren Halbwertszeit von nur 2 min ist die Gefahr der atonischen Nachblutung äußerst gering. Die Plazenta wird nach spontaner Lösung durch sanften Zug an der Nabelschnur entwickelt. Die Expression durch die Uterotomie wird durch die Kontraktion des Myometriums unterstützt, die durch eine Carbetocin-Infusion beginnend mit der Abnabelung des Kindes angeregt wird. Die primäre manuelle Lösung der Plazenta sollte wegen einer erhöhten Rate von postoperativer Endometritis und vermehrten Blutverlustes vermieden werden (Anorlu et al. 2008). Die intervenöse Gabe von 100 mg Carbetocin unmittelbar nach der Entwicklung des Kindes und vorzugsweise vor der Entfernung der Plazenta wirkt vorbeugend gegen eine Atonie des Uterus und unterstützt die physiologische Involution. Ge-
915 41.3 · Operationstechnik
genüber der Bolusapplikation innerhalb von 10–20 s wird die Applikation einer verdünnten Lösung auf 10 ml NaCl über einen Zeitraum von ca. 1 min bevorzugt, weil dadurch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Flush-Symptome nahezu ausnahmslos vermieden werden können. Als Alternative dazu kann ein Oxytozin mit einer Bolusgabe von 5–10 IE appliziert werden, wobei diese wegen des möglichen Blutdruckabfalls in einem Zeitraum von 5 min gegeben werden sollte. Im Anschluss daran hat sich bei einer klinischen Situation mit besonderem Risiko zur Entwicklung einer Atonie die Infusion von Oxytozin in einer Dosierung von ca. 10 IE in 1 l Kochsalzlösung über 1 h bewährt. Gegebenenfalls kann die gleiche Lösung auch noch über eine längere Zeit – dann allerdings in einer deutlich geringeren Geschwindigkeit – verabreicht werden. Grundsätzlich wird Carbetocin als synthetisches Derivat von Oxytozin wegen seiner deutlich längeren Halbwertszeit gegenüber Oxytozin bevorzugt. In 2 prospektiv randomisierten Studien wurden in der Gruppe mit Carbetocin weniger zusätzliche Uterotonika benötigt (Boucher et al. 1998; Dansereau et al. 1999). Verwendet werden sollte Carbetocin nur bei rückenmarknahen Anästhesien, nicht aber bei Vollnarkosen, da es für Letztere nicht zugelassen ist. Methergin sollte wegen der Gefahr einer peripheren Vasokonstriktion zurückhaltend (insbesondere was die intravenöse Applikation anbelangt) eingesetzt werden. Bei der Sectio besteht diesbezüglich keine Notwendigkeit, weil Carbetocin bei der Sectio (nicht jedoch bei vaginaler Geburt) zugelassen ist und als Mittel der Wahl angesehen werden kann.
41.3.4
Verläufen sowie einer Verlängerung des stationären Aufenthaltes assoziiert ist (Bamigboye u. Hofmeyer 2003; Malomo et al. 2006; Huchon et al. 2005). Auch Untersuchungen zu einer prophylaktischen Wirkung des Verschlusses der beiden Peritonealschichten gegenüber Adhäsionsbildung ergaben keine eindeutigen Resultate, sodass dieser heute nicht mehr durchgeführt werden sollte (Joura et al. 2002; Tulandi u. Al-Jaroudi 2003; Lyell et al. 2005; Zareian u. Zareian 2006). Eine chirurgische Readaptation der Rektusmuskulatur ist unnötig und mit vermehrten postoperativen Schmerzen verbunden. Die Faszie wird mit einer fortlaufenden nicht eingeschlagenen Naht unter Verwendung von verzögert absorbierbarem Material readaptiert (Berghella et al. 2005). Durch Spülen der Bauchhöhle konnte im Vergleich zur alleinigen prophylaktischen intravenösen Antibiotikagabe keine zusätzliche Reduktion der mütterlichen Morbidität gezeigt werden (Harrigill et al. 2003). Über den Nutzen des abschließenden Spülens des subkutanen Fettgewebes gibt es keine randomisierte Studie, und es ist bei routinemäßiger Antibiotikaprophylaxe wahrscheinlich nicht notwendig. Der Verschluss mit Einzelknopfnähten wird nur bei einer Dicke des subkutanen Fettgewebes ≥2 cm empfohlen (Chelmow et al. 2004; Anderson u. Gates 2004). Die Ansammlung von Blut und seröser Flüssigkeit mit Bildung eines Wundseroms ist häufige Ursache von Morbidität und mit beträchtlichen zusätzlichen Kosten durch Verlängerung des stationären Aufenthaltes oder eine ambulante Nachbehandlung verbunden. Die Serombildung in der Wunde wird auch durch die Einlage einer Drainage selbst bei adipösen Frauen nicht verhindert (Ramsey et al. 2005). Der Hautschnitt wird durch eine fortlaufende resorbierbare Intrakutannaht, Einzelknopfnähte oder Postage-Klammern verschlossen (Alderdice et al. 2003).
Verschluss der Uterotomie und der Bauchdecken
Der Vergleich zwischen einem Verschluss der Uterotomie an dem aus dem Bauchraum vorverlagerten oder dem in situ belassenen Uterus ergab keine eindeutigen Unterschiede. Auch in neueren randomisierten Studien fand sich bei dem vorverlagerten Uterus lediglich eine vermehrte Übelkeit, sodass keine auf Evidenz basierende Empfehlung abgegeben werden kann (Nafisi 2007; Siddiqui et al. 2007; Coutinho et al. 2008). Auch für den Verschluss durch eine fortlaufende Naht oder Einzelknopfnähte bzw. einschichtig oder doppelt gibt es keine verbindlichen Empfehlungen (Chapman et al. 1997; Hohlagschwandtner et al. 2003). Ein prospektiv randomisierter Vergleich der einschichtigen mit einer doppelschichtigen Naht ergab für die bei erneuter Sectio in einer Folgeschwangerschaft festgestellte Rupturrate keinen signifikanten Unterschied. Allerdings kann aufgrund der Fallzahl ein geringer, aber signifikanter Unterschied nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden (Chapman et al. 1997, Joura et al. 2003). Der Verzicht auf den Verschluss des viszeralen Peritoneums wurde bereits 1996 berichtet (Nagele et al. 1996). Inzwischen haben eine Reihe von Studien gezeigt, dass die Naht des viszeralen sowie des parietalen Peritoneums mit einer Verlängerung der Operationsdauer, vermehrt postoperativ febrilen
Wesentliche Merkmale einer »zeitgerechten« Operationstechnik für Kaiserschnitt 4 Bauchdeckeneröffnung – Faszienquerschnitt mit kleinstmöglicher Eröffnung und stumpfer Erweiterung – Minimale Ablösung der Faszie – Geringes oder gar kein Abschieben der Harnblase – Keine Bauchtücher – Keine Blutstillung (natürliche Hyperkoagulation) 4 Uterotomie und Verschluss – Flache Eröffnung auf 2 cm und u. U. Präparation der Fruchtblase – Stumpfe Erweiterung der Inzision – Verschluss der Uterotomie: einschichtig mit 7– 10 Einzelknopfnähten oder evtl. Situationsmatratzennaht (4 Stiche) – Kein Verschluss des Peritoneum viscerale – Kein Verschluss des Peritoneum parietale – Verschluss der Faszie fortlaufend – Subkutan einige Situationsnähte setzen – Haut mit Klammern oder fortlaufender Naht schließen
41
916
Kapitel 41 · Sectio caesarea
! Die Vermeidung von großen Blutverlusten ist auch deshalb ein Gebot der Zeit, weil die Risiken der Bluttransfusion in den letzten Jahren, nicht nur im Zusammenhang mit dem HIV-Problem, erkannt wurden.
41.4
Intraoperative Komplikationen
Schwere Blutungen können Folge einer Uterusatonie sein oder treten im Zusammenhang mit Plazentationsstörungen wie Placenta praevia, accreta, increta oder percreta auf. Placenta praevia oder accreta werden vermehrt bei vorausgegangener Sectio mit Implantation der Folgeschwangerschaft im Narbenbereich des unteren Uterinsegmentes beobachtet. Die erschwerte Lösung der Plazenta kann Ursache von lebensbedrohlichen Blutungen sein (Getahun et al. 2006). > In den 1970-er und 80-er Jahren hat die Häufigkeit der Placenta accreta um den Faktor 4–5 zugenommen. Diese Entwicklung verläuft mit dem Anstieg der Sectiorate parallel (Wu et al. 2005).
Das Hysterektomierisiko verdoppelt sich nach einer vorausgegangenen Sectio, und bei 2 oder mehr Sectiones steigt das Risiko auf das 18-Fache (Knight et al. 2008). Bei der 6. Sectio musste in 4% der Fälle eine Hysterektomie durchgeführt werden, wobei in 20% Bluttransfusionen erforderlich waren und die mittlere Hospitalisationsdauer über 2 Wochen lag (Mahoka et al. 2004). Die symptomatische Uterusruptur ist eine weitere schwere Komplikation in einer Folgeschwangerschaft nach Sectio. Allerdings kommt es dazu v. a. nach dem Versuch einer vaginalen Geburt (Harer 2002). In einer multizentrischen Studie in der Schweiz war das Rupturrisiko bei Entbindung nach vorausgegangener Sectio um den Faktor 42 gegenüber dem Kontrollkollektiv ohne Sectio in der Anamnese erhöht (Rageth et al. 1999). Bemerkenswert ist allerdings, dass 24% der Rupturen nicht im Zusammenhang mit einer geplanten vaginalen Geburt standen. Auf die Bedeutung der Schnittführung am Uterus für das Rupturrisiko wurde bereits hingewiesen. Die Besonderheiten der Geburtsleitung nach Entbindung durch Sectio in einer vorausgegangenen Schwangerschaft werden in 7 Kap. 38.9 ausführlich behandelt. Medikamentöse Maßnahmen sowie spezielle chirurgische Techniken zur Beherrschung von schweren Blutungen werden in 7 Kap. 45 besprochen.
41
41.4.1
Infektionsprophylaxe des Personals
Angesichts der zunehmenden Anzahl Schwangerer mit HIV stellt nicht nur die vertikale Übertragung auf das Kind, sondern die mögliche Infektion des Personals bei der vaginalen Geburt und insbesondere bei der Sectio ein erhebliches Problem dar. Bei jedem chirurgischen Eingriff kann es zu akzidentellen Verletzungen kommen. Die Infektion kann auch durch Blutspritzer übertragen werden. > Wichtigste Schutzmaßnahmen sind Masken zur Abdeckung des gesamten Gesichtes und doppelte Handschuhe (Kesson u. Sorrell 1993).
Die bei Kontamination mit möglicherweise infektiösem Material empfohlenen Sofortmaßnahmen sind in . Tab. 41.2 zusammengestellt. Die Infektion des Kindes kann durch eine virustatische Prophylaxe in Verbindung mit einer elektiven Sectio weitgehend vermieden werden (7 Kap. 20).
41.5
Zusatzeingriffe
Als häufigster zusätzlicher Eingriff wird die Sterilisation durch Ligatur der Tuben praktiziert. Die sorgfältige Inspektion der beiden Adnexen ist ebenfalls wichtiger Bestandteil der Sectio. Bei Zysten wird eine vollständige Entfernung gegenüber einer Aspiration mit zytologischer Untersuchung der Vorzug gegeben (Dede et al. 2007). Solide Tumoren werden durch Schnellschnitt untersucht, und bei Malignität wird der Eierstock ent-
. Tab. 41.2. Maßnahmen nach HIV-Exposition Meldung
4 Sofort, möglichst innerhalb von 1–2 h 4 Risikobeurteilung (Schweregrad der Exposition, Risikosituation der Quellenpatientin aufgrund der zu diesem Zeitpunkt erhältlichen – meist spärlichen – Angaben)
Risikofaktoren
4 4 4 4
Durchführung
4 Beginn einer prophylaktischen Behandlung bei gegebener Indikation sofort (auch in Unkenntnis des Serostatus der Quellenpatientin) 4 So rasch wie möglich (innerhalb 1–2 h)
Weiterführung
4 Entscheidung über weiteres Procedere in Abhängigkeit vom Testresultat
Medikation
Derzeit über 4 Wochen: 4 4-mal 250 mg Zidovudin (Retrovir) und 4 2-mal 150 mg 3TC (Lamivudin) und 4 –3-mal 800 mg Indinavir (Crixivan)
Probleme
4 Daten über effektivste Therapiemodalität und Kombinationen sowie die Toxizität bei Nicht-HIV-Infizierten fehlen noch
Tipp Die Plazentationsstörungen sollten bei entsprechend belasteter Anamnese bereits während der Schwangerschaft diagnostiziert werden. Durch einen sorgfältig geplanten Eingriff in einer Zentrumsklinik mit Einsatz von erfahrenen Operateuren und auch Anästhesisten wird das Operationsrisiko kalkulierbar.
Tiefe Verletzung, Nadelstich Sichtbares Blut am Gegenstand Nadel mit Gefäßkontakt Fortgeschrittenes Stadium der HIV-Infektion
917 41.6 · Postoperative Überwachung und Versorgung
fernt. Eine Staging-Laparotomie mit eventueller Hysterektomie sollte in einem 2. Eingriff mit der dafür geeigneten Inzision von einem onkologischen Subspezialisten vorgenommen werden. ! Bei Eingriffen an der Gebärmutter selbst wie etwa der Entfernung von Myomen ist wegen Blutungsgefahr und erhöhter postoperativer Morbidität Zurückhaltung angesagt.
41.6
Postoperative Überwachung und Versorgung
Allgemeines. Die postoperative Überwachung der Sectiopa-
tientin (. Tab. 41.3) erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie bei anderen operativen Eingriffen. Organisation sowie apparative Ausstattung des Aufwachraums, wie sie von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe definiert wurden, müssen auch erfüllt sein, wenn die Überwachung im Kreißsaal oder einem angegliederten Raum erfolgt (AG Medizinrecht 2007). Dabei ist der Erfüllung der personellen Erfordernisse mit ständiger Präsenz einer entsprechend geschulten Schwester oder Hebamme besondere Beachtung zu schenken.
. Tab. 41.3. Postoperative Überwachung Kreislauf- und Uteruskontrolle
Innerhalb der ersten 24 h 4-stündlich
Puls, Blutdruck, Temperatur
Täglich, je nach Indikation
Urinkatheter
Nach Abklingen der Anästhesie, spätestens 16 h p.o. ziehen
Drainagen
(Wenn in Ausnahmefällen gelegt): Sobald Blutung steht, spätestens 24 h p.o. ziehen (Blutungsneigung p.o. unauffällig <10 ml)
Ernährung
Sobald völlig wach: Vollkost; Trinken nach Belieben
Darmregulierung
Gegebenfalls nach 48 h (nicht verpflichtend)
Wundpflege
Sectionaht in den ersten 24 h mit Gaze locker verbinden (Pflaster nur seitlich) Ab 2. Tag kein Verband mehr Am 5. Tag Klammern entfernen
Mobilisation
Mit Kompressionsstrümpfen 3–6 h p.o., dann schnell zu steigernde Mobilisation (muss innerhalb von 24 h erreicht sein)
Physiotherapie
Ab 2.–3. Tag (je nach Möglichkeit) Rückbildungsgymnastik
Entlassung
Ab 3. Tag p.o. (je nach Verfassung der Patientin)
Thrombose-/Embolieprophylaxe. Eine möglichst frühzei-
tige Mobilisation ist eine wichtige vorbeugende Maßnahme. Nach einer Regionalanästhesie sollte die Patientin mit Hilfe aufstehen, sobald die Sensitivität wie auch die Kraft in den Beinen wieder ausreichend vorhanden sind. Bei einer Allgemeinanästhesie sollte ein Mobilisierungsversuch 6 h nach Ende des Eingriffs vorgenommen werden. Zusätzlich wird als Thromboseprophylaxe bei Allgemeinanästhesie präoperativ unfraktioniertes Heparin (5000 IE Liquemin) s.c. gegeben. Nach Regional- wie auch Allgemeinanästhesie werden 2500 IE niedermolekulares Heparin (Low Liqemin) 8 h postoperativ s.c. injiziert. Diese Prophylaxe wird einmal alle 24 h (morgens) bis zur Entlassung fortgeführt. Ernährung. Ein möglichst frühzeitiger postoperativer Nahrungsaufbau wirkt stimulierend auf die Darmtätigkeit, verbessert die Immunitätslage und fördert die Wundheilung (Soriano et al. 1996). Nach Regionalanästhesie kann die Patientin direkt nach der Operation Flüssigkeit und auch Nahrung per os gemäß eigenem Bedürfnis zu sich nehmen, nach einer Intubationsnarkose, sobald sie wach ist. Die parenterale Flüssigkeitszufuhr wird in Form von Ringer-Laktatlösung – 2000 ml pro 24 h – gegebenenfalls mit einem Zusatz von 5–10 IE/l Oxytocin so lange fortgesetzt, bis die Patientin ausreichend selbst trinkt.
. Tab. 41.4. Betreuung nach Sectio Infusion
4 Üblicherweise nicht notwendig
Thromboseprophylaxe
4 Niedermolekulares Heparin (Liquemin 2500 IE s.c.) 1-mal tgl. (morgens) bis zur Entlassung. Beginn 8 h postoperativ
Schmerzmittel
4 Großzügig, z. B. Vilan bei Bedarf (maximal 3-stündlich 0,1–0,15 mg/kg KG)
Uterusrückbildung
4 Nur in speziellen Konstellationen Methergin 3-mal 2 Drg./Tag p.o. für 3 Tage
Laborkontrollen
4 2. postoperativer Tag bei normalem Blutverlust und fehlenden Infektionszeichen (Infektzeichen täglich): Hb, Hk, Lc-Differenzialblutbild, CRP 4 4. postoperativer Tag bei Beschwerden: Urinstatus, Urikult (Mittelstrahl)
Wundpflege. Der Operationsverband wird nach 24 h ent-
betes mellitus oder auch bei einem vertikalen Schnitt werden diese 5–7 Tage belassen.
fernt und durch einen lockeren Schutzverband ersetzt. Drains, die nur bei adipösen Patientinnen prophylaktisch in Betracht kommen, werden nach 24 h gezogen, und Nähte oder Klammern werden nach 4–6 Tagen entfernt. Bei erhöhtem Risiko für Störungen der Wundheilung wie bei Adipositas oder Dia-
Analgesie. Die Patientin sollte möglichst schmerzfrei sein und erhält dafür bis zu 3-stündlich 0,1–0,15 mg/kg KG Vilan (. Tab. 41.4). Bei Nausea wird Prometazin 25 mg als Antiemetikum verabreicht.
41
918
Kapitel 41 · Sectio caesarea
41.7
Postoperative Komplikationen
41.7.1
Endometritis
Durch den routinemäßigen Einsatz der perioperativen Antibiotikaprophylaxe konnte die Häufigkeit von infektiösen postoperativen Komplikationen erheblich gesenkt werden. Typische Symptome, die sich in den ersten 24–48 h postoperativ entwickeln, sind Fieber, Tachykardie sowie eine verzögerte Involution der druckdolenten Gebärmutter. Nach Blutentnahme für Laboruntersuchungen wird eine Therapie mit Breitbandantibiotika unverzüglich begonnen. Dabei hat sich die tägliche Verabreichung der Kombination von Ampicillin/ Clavulansäure (3-mal 1,2–2,2 g), Clindamycin (4-mal 300– 600 mg) und gelegentlich auch Netilmicin (6 mg/kg KG) bewährt. Nach Vorliegen der Ergebnisse der Blutkultur mit Resistenztestung wird eine ggf. erforderliche Anpassung des Antibiotikaregimes vorgenommen. In – glücklicherweise – seltenen Fällen kann es insbesondere nach einer sekundär durchgeführten Sectio auch zu einer Sepsis kommen. Auch wenn diese Komplikation durch die Antibiotikaprophylaxe heutzutage nur mehr selten auftritt, muss sie dennoch erwähnt werden, insbesondere, da eine verspätete Diagnostik und ein zu zögerliches Eingreifen in Ausnahmefällen auch zum Tod der Mutter führen kann. Nachdem Stillen die Involution der Gebärmutter durch die endogene Ausschüttung von Oxytozin anregt und damit gegenüber der Entwicklung einer Endometritis vorbeugt, muss insbesondere bei Frauen, die abgestillt haben, an die Möglichkeit der Entwicklung einer Endometritis gedacht werden.
41.7.2
41
Wundinfektion
Bei fehlendem Ansprechen der Symptome einer vermuteten Endometritis auf die genannte Antibiotikatherapie muss eine Wundinfektion vermutet werden. Diese Komplikation tritt nach einer sekundär durchgeführten Sectio sehr viel häufiger als nach einem primären Eingriff auf (Mandach et al. 1987) und wird an der Rötung und Schwellung der Haut, dem Berührungsschmerz und dem Austritt von trüb-seröser Flüssigkeit erkannt. Durch eine Eröffnung der Wunde mit Entnahme eines Abstrichs und lokaler Spülung mit Wasserstoffsuperoxid oder physiologischer Kochsalzlösung wird die Heilung beschleunigt. Auch die Entfernung von nekrotischem Gewebe ist angezeigt. Nach einer Reinigung der Wundränder kann der definitive Verschluss durch Adaptation mit Hilfe von Klebestreifen oder Sekundärnähten beschleunigt werden. Dabei ist i. d. R. eine systemische Gabe von Antibiotika nicht erforderlich. Für weitergehende Ausführungen von Infektionen und deren Komplikationen im Wochenbett wird auf 7 Kap. 50 verwiesen.
41.8
Geburt auf natürlichem Weg oder primäre Sectio?
Die Entbindung durch eine primäre Sectio darf heute bei einer risikoarmen Ausgangssituation im Vergleich zu früheren Jahren generell für die Schwangere und den Fetus als sehr sicher bezeichnet werden. Gleichzeitig zeichnet sich bei einer zunehmend größeren Zahl von Schwangeren eine positive Einstellung gegenüber einer Entbindung durch einen primären Kaiserschnitt ab. »Lifestyle«-Überlegungen und die Vorbildrolle von »Prominentengeburten« haben sicher erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung (Green u. Baston 2007). Dazu kommt die auch bei Ärzten verbreitete Vorstellung der besonderen Sicherheit dieses Vorgehens für Mutter und Kind (Heimstad et al. 2006). Wenn eine anerkannte medizinische Indikation fehlt ist, eine möglichst objektive und gut dokumentierte Information des Paares zwingend. > Dabei ist ein Abwägen der Vor- und Nachteile eines geplanten Kaiserschnitts mit dem Versuch einer vaginalen Geburt aus den verschiedensten Perspektiven ausführlich mit der Schwangeren (und ggf. ihrem Partner) zu besprechen (Husslein 2001). Besondere Bedeutung kommt hier der Anpassung allgemeiner Überlegungen auf die besondere Situation der jeweiligen Schwangeren zu.
Beispielsweise ist das Risiko einer nachfolgenden Schwangerschaft bei einer jungen Erstgebärenden anders zu bewerten als z. B. bei einer älteren Kinderwunschpatientin nach mehreren IVF-Versuchen, die vor ihrer wahrscheinlich einzigen Geburt steht. Da es keinen direkten Vergleich zwischen der elektiven Sectio und einer natürlichen Geburt bei problemlosen Schwangerschaften am Termin im Sinne einer prospektiv randomisierten Untersuchung gibt, muss die Frage, wie weit die Risiken dieser beiden Geburtsformen tatsächlich vergleichbar sind, offen bleiben. Prospektiv randomisierte Vergleichsstudien existieren nur für Risikokollektive wie Frauen mit Beckenendlage oder mit einem Kaiserschnitt in einer vorausgegangenen Schwangerschaft (Hannah et al. 2000; McMahon et al. 1996). Wegen der höheren Rate sekundärer Sectiones, die mit einem deutlich schlechteren Ergebnis für Mutter und Kind verbunden sind, können die Ergebnisse nicht auf Entbindungen bei Feten in Kopflage ohne anamnestische Belastung einer vorausgegangenen Sectio übertragen werden. Auch die im Frühjahr des Jahres 2006 vom NIH in den USA durchgeführte State-of-the-Science Conference zum Thema »Cesarean Section on Maternal Request« kommt zu dem Schluss, dass eine Aussage darüber, ob die geplante vaginale Geburt oder eine primäre Sectio bei risikoarmen Schwangerschaften am Termin ein besseres Gesamt-Outcome für Mutter und Kind liefert, nicht gemacht werden kann und entsprechend auch keine klare Empfehlung abgegeben werden kann. Für die Mehrzahl der diversen Outcome-Parameter fand sich bei einer umfangreichen Literaturrecherche keine überzeugende Evidenz zugunsten der einen oder der anderen Geburtsform, sodass bei risikoarmen Schwangerschaften nach wie vor der Geburt auf natürlichem Wege der Vorzug
919 41.8 · Geburt auf natürlichem Weg oder primäre Sectio?
gegeben wird (National Institut of Health 2006; Society of Obstetricians and Gynecologists of Canada 2004). Neuere umfangreiche retrospektive Untersuchungen zeigen, dass nach einer primären Sectio das Risiko für schwere Komplikationen wie eine postpartale Hysterektomie, eine schwere Wochenbettinfektion oder thromboembolische Ereignisse deutlich höher als nach Spontangeburten ist (Liu et al. 2007; Villar et al. 2007). Diese an großen Populationen vorgenommenen retrospektiven Erhebungen lassen eine zuverlässige Quantifizierung auch von seltenen schweren Komplikationen zu (Knight et al. 2008). Dabei werden auch schwere Komplikationen bei der Geburt bei Folgeschwangerschaften berücksichtigt. Auch die Daten zur Sicherheit des Kindes zeigen, dass die Sectioentbindung gegenüber der Geburt auf natürlichem Wege schlechter abschneidet (Bailit et al. 2002; Morrison et al. 1995; McDorman et al. 2006; Hansenn et al. 2008). Dass der von der Natur vorgesehene Geburtsstress zumindest für den Fetus vorteilhaft ist, wird von einigen als »biologisch plausibel« angesehen. Dabei ist die abschließende Reifung der Lungen u. U ein Parameter, der durch den Geburtsstress positiv beeinflusst wird. Andererseits gibt es Hinweise, dass Kinder insbesondere nach schweren Zangengeburten bis zu 8 Wochen nach der Geburt empfindlicher auf äußeren Stress (im konkreten Fall einer Impfung) reagieren, was den Schluss nahelegt, dass zumindest ein erhöhter Geburtsstress sich auch negativ auswirken könnte (Taylor et al. 2000). Dass die vaginale Geburt mit erhöhten Stresshormonspiegeln gegenüber der geplanten Sectio beim Kind einhergeht, ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt (Vogl et al. 2006). > Der ärztliche Berater steht vor der schwierigen Aufgabe, prospektiv für den Einzelfall die Geburtsmethode zu empfehlen, bei der mit einem optimalen Ergebnis gerechnet werden kann.
Bei der primären oder geplanten Sectio kann das Ergebnis bei Fehlen von vorbestehender Pathologie mit einiger Gewissheit vorausgesagt werden, während der Verlauf der Geburt auf natürlichem Wege mit deutlich größerer Ungewissheit behaftet bleibt. Neben den anamnestischen Angaben von vorausgegangenen Geburten erlaubt heute v. a. die präzise Ultraschalldiagnostik einer pathologischen Kindslage oder einer Störung des kindlichen Wachstums eine sehr viel bessere Vorhersage möglicher Komplikationen bei der Geburt. Bei »vorhersehbaren oder wahrscheinlichen« Komplikationen bei der Geburt sollte eine elektive Sectio empfohlen werden. Der Versuch einer natürlichen Geburt setzt in jedem Fall das auf einem besonderen Wunsch basierende Einverständnis der Schwangeren voraus. Dabei sollte bei der Geburt von der Rückzugsmöglichkeit auf eine sekundäre Sectio großzügig Gebrauch gemacht werden. Zu den Informationen des Beratungsgespräches gehört auch der Hinweis, dass eine sekundäre Sectio ein höheres Risiko als der primär geplante Eingriff hat. Die Definition des optimalen Ergebnisses umfasst kindliche und mütterliche Kriterien, wobei neben den herkömmlichen Parametern Mortalität und Morbidität auch den Aspekten Wohlbefinden und Zufriedenheit von Mutter und Kind große Bedeutung beigemessen wird. Eine Auswertung
verschiedener psychologischer Parameter hat gezeigt, dass nach einer elektiven Sectio ein positives Geburtserlebnis in gleichem Maße wie nach einer unkomplizierten vaginalen Geburt gegeben ist. Dagegen waren die Ergebnisse nach einer sekundären Intervention in Form einer Akutsectio oder einer Entbindung durch Vakuum deutlich schlechter (Schindl et al. 2003). Ausführliche Hinweise für eine zeitgemäße Aufklärung mit Daten zum Risikovergleich zwischen der primären Sectio und der vaginalen Entbindung finden sich bei Maternity Center Association (2004), NICE (2004), McFarlin (2004), Leslie (2004), ACOG (Ethics in obstetrics and gynecology 2004) und Schneider (2008). Tipp In Anlehnung an die Schlussfolgerungen der State-ofthe-Science Conference zum Thema »Cesarean Section on Maternal Request« ergeben sich für die Beratung einer Schwangeren, die eine Entbindung durch eine primäre Sectio wünscht, ohne dass Risikofaktoren bestehen, folgende Empfehlungen : 4 Die Entscheidung für eine Sectio muss in Anpassung an die individuellen Gegebenheiten in Absprache mit der Schwangeren getroffen werden. 4 Auch wenn mehrere Geburten geplant sind, ist bei einer elektiven Sectioentbindung ohne medizinische Begründung Zurückhaltung geboten. 4 Die primäre Sectio sollte nicht vor 39 Schwangerschaftswochen durchgeführt werden. Diese Empfehlung wird durch eine weitere neue sehr umfangreiche Studie eindrücklich untermauert (Tita et al. 2009).
Angesichts des anhaltenden Anstiegs der Sectiorate muss die Frage nach dem voraussichtlichen Endpunkt dieser Entwicklung gestellt werden. In einer groß angelegten Studie der WHO wurden an 120 zufällig ausgewählten Institutionen in Lateinamerika alle Geburten im Hinblick auf mütterliches und kindliches Outcome analysiert (Villar et al. 2006). Bei einer Gesamtsectiorate von 33% und von 68% bei Erstgebärenden zeigte sich für die verschiedenen Abteilungen ein positiver Zusammenhang zwischen der Sectiorate und schwerer mütterlicher sowie kindlicher Morbidität und Mortalität, der auch nach Korrektur für zahlreiche Einflussfaktoren wie soziodemographische Unterschiede, Frühgeburtenrate u. a. bestehen blieb. In Lateinamerika hat die Sectiorate den theoretischen Endpunkt, an dem ein Optimum für das Ergebnis für Mutter und Kind gegeben ist, wahrscheinlich heute bereits überschritten. Kompetenzverlust bei der vaginalen Geburt und Verlagerung von Ressourcen zugunsten der Sectio wurden als Erklärung für eine Abnahme der Betreuungsqualität genannt. Ob diese Ergebnisse auf die Situation in Nordamerika bzw. in Europa übertragbar sind, muss allerdings zumindest hinterfragt werden. Angesichts dieser Ergebnisse kommt der Beobachtung der weiteren Entwicklung der Sectiorate auch in unseren Breitengraden größte Bedeutung zu. Neben einer Vielzahl von Einflussfaktoren erfordern ökonomische Faktoren offensichtlich
41
920
Kapitel 41 · Sectio caesarea
besondere Beachtung. Ein Vergleich zwischen den tatsächlich entstehenden Kosten und den von den Krankengassen erstatteten Vergütungen zeigt für die Bundesrepublik Deutschland, dass eine primäre Sectio für die Krankenanstalt gewinnbringend ist, während Spontangeburten als Verlust zu Buche schlagen (Hornemann et al. 2008). Der Korrektur falscher finanzieller Anreize muss bei der Kontrolle der zukünftigen Entwicklung der Sectiorate besondere Priorität eingeräumt werden.
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41
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Kapitel 41 · Sectio caesarea
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41
42 42 Mehrlinge E. Krampl-Bettelheim 42.1
Inzidenz und Ätiologie – 925
42.1.1
Verringerung der Mehrlingsrate in der Reproduktionsmedizin – 926
42.2
Zygotie und Chorionizität – 927
42.2.1 42.2.2 42.2.3
Postpartale Bestimmung der Zygotie – 927 Implikationen der frühen Feststellung der Chorionizität – 927 Bestimmung der Chorionizität – 928
42.3
Spezielle Aspekte des Screenings bei Mehrlingsschwangerschaften – 929
42.3.1 42.3.2
Chromosomenanomalien – 929 Fehlbildungen – 929
42.4
Komplikationen bei Mehrlingsschwangerschaften – 929
42.4.1 42.4.2 42.4.3 42.4.4
Frühabortus eines Mehrlings (»vanishing twin«) – 929 Intrauteriner Fruchttod (IUFT) – 929 Prädiktion, Prävention und Therapie der Frühgeburt – 930 Fetale Wachstumsrestriktion – 931
42.5
Spezielle Phänomene monochorialer Zwillingsschwangerschaften – 931
42.5.1 42.5.2 42.5.3 42.5.4 42.5.5
Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS) – 931 Extreme Wachstumsdiskrepanz – 931 Monoamniale Zwillingsschwangerschaft – 932 Twin Reverse Arterial Perfusion (TRAP) – 932 Pagusbildung – 933
42.6
Eingriffe bei Mehrlingsschwangerschaften – 933
42.6.1 42.6.2 42.6.3 42.6.4 42.6.5 42.6.6
Genetische Diagnostik – 934 Reduktion höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften – 934 Selektiver Fetozid bei Fehlbildungen – 935 Therapeutische Fruchtwasserdrainage – 935 Laserkoagulation bei FFTS – 935 Nabelschnurokklusion – 935
42.7
Schwangerschaftsbetreuung bei Mehrlingsschwangerschaften – 935
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
42.8
Geburt von Mehrlingen – 936
42.8.1 42.8.2 42.8.3
Zeitpunkt – 936 Geburtsmodus – 937 Höhergradige Mehrlinge – 937
Literatur – 937
925 42.1 · Inzidenz und Ätiologie
Die Zahl der Mehrlingsgeburten ist weiter steigend. Dieser Trend wird auf die zunehmende Anwendung der Methoden der assistierten Reproduktion und das steigende Lebensalter der Gebärenden zurückgeführt. Die Unterscheidung von mono- und dichorialen Zwillingsschwangerschaften ist von zentraler Bedeutung für das Management und die Prognose dieser Schwangerschaften. Es ist bis SSW 14 möglich, die Chorionizität von Mehrlingsschwangerschaften mit Sicherheit anhand des Erscheinungsbildes der Eihäute im Ultraschall zu bestimmen. Das Outcome von Mehrlingsschwangerschaften ist im Vergleich zu Einlingen signifikant schlechter. Die perinatale Mortalität wird bei Zwillingen 3- bis 7-mal höher eingestuft als bei Einlingen und kommt durch das häufigere Auftreten von Frühgeburten, Wachstumsrestriktionen, Fehlbildungen sowie durch zwillingsspezifische Komplikationen zustande. Bezogen auf den letzt genannten Punkt muss wiederum das Augenmerk auf die monochorialen Zwillinge gelenkt werden, die im Vergleich zu dichorialen abermals ein schlechteres Outcome aufweisen. Fasst man diese Tatsachen zusammen, ergeben sie Gründe genug, um eine Mehrlingsschwangerschaft von Beginn an als Risikoschwangerschaft zu betrachten und dementsprechend zu kontrollieren. Der Geburtsmodus am Termin wird durch die Lage bestimmt. Ist der erste Zwilling nicht in Schädellage, wird generell eine primäre Sectio indiziert, aber auch bei unkomplizierten Mehrlingsschwangerschaften ist bei vaginaler Entbindung die Morbidität und Mortalität des zweiten Zwillings etwas höher als die des ersten. Monoamniale und siamesische Zwillinge, die TRAP-Sequenz, die extreme Wachstumsdiskrepanz und das fetofetale Transfusionssyndrom bei monochorialen Zwillingen sind Konstellationen, die einzigartig bei Mehrlingsschwangerschaften auftreten. Aber auch höhergradige Mehrlingsschwangerschaften, Mehrlingsreduktion und der selektive Schwangerschaftsabbruch bei Fehlbildungen stellen Extremsituationen der Schwangerschaftsbetreuung dar. Sie gehören in die Hände von spezialisierten Teams an großen Zentren und erfordern internationale Zusammenarbeit.
42.1
Inzidenz und Ätiologie
Unter allen spontan empfangenen Schwangerschaften sind 1,1–1,2% Zwillingsschwangerschaften. Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften sind außerhalb der Reproduktionsmedizin extrem selten. Drillinge kommen bei ungefähr 1 von 7000 Schwangerschaften vor, Vierlinge bei 1 von 729.000 Schwangerschaften, und Fünflinge bei 1 von 65.610.000 Schwangerschaften (Benirschke u. Kim 1973). Die Häufigkeit von Mehrlingsschwangerschaften lässt sich nach der HellinRegel als Potenz der Häufigkeit von Zwillingsgeburten errechnen, wobei der Exponent die Anzahl der Kinder minus Eins ist. Bei einer angenommenen Häufigkeit von Zwillingsschwangerschaften von 1:85 ist die Häufigkeit von Drillingen 1:852 , die von Vierlingen 1:853 und die von Fünflingen 1:854.
. Abb. 42.1. Dizygote Zwillinge sind immer dichorial, monozygote Zwillinge können monochorial oder dichorial sein
Zwillingsschwangerschaften können als monozygot (eineiig) oder dizygot (zweieiig) kategorisiert werden (. Abb. 42.1). Nach spontaner Konzeption sind ungefähr 30% der Zwillinge monozygot und 70% dizygot. Die Rate an monozygoten Zwillingsgeburten wird weltweit gleichförmig mit rund 3,5–5 auf 1000 Geburten angegeben und galt immer als zufälliges Ereignis. Es werden nun aber auch immer mehr Familien mit einer Häufung von monozygoten Zwillingen bekannt (Machin 2009). Dizygote Mehrlingsschwangerschaften sind in Japan seltener als in Europa (4,3–7/1000), in den Vereinigten Staaten schwankt die Häufigkeit von 11/1000 bei der weißen Bevölkerung bis zu 16/1000 bei Afroamerikanern, hingegen beträgt in Nigeria die Rate 54/1000 Geburten. Weiters variiert die Häufigkeit dizygoter Zwillinge mit dem Alter der Mutter sowie zwischen Familien, und sie hat auch zeitliche Schwankungen gezeigt. Es dürften also auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Möglicherweise ist das Verhältnis zwischen dizygoten und monozygoten Zwillingen ein Maß für die Fertilität einer Gesellschaft (Tong et al. 1997). In . Abb. 42.2 ist die Rate der Zwillings- und Drillingsgeburten in Österreich von 1941 bis einschließlich 2007 dargestellt, um repräsentativ den generellen Trend für Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten aufzuzeigen (Statistik Austria 2009). Dabei ist eine fallende Rate an Zwillings- und eine gleich bleibende Rate an Drillingsgeburten vom Beginn des Beobachtungszeitraums bis zum 5-Jahres-Intervall 1976–1980 festzustellen. Danach steigt die Rate an Mehrlingsgeburten, wobei dieser Aufwärtstrend bei höhergradigen Mehrlingsgeburten stärker zum Ausdruck kommt. Aktuell beträgt in Österreich die Rate an Zwillingsgeburten rund 15/1000, an Drillingsgeburten 5/1000 Geburten.
42
926
Kapitel 42 · Mehrlinge
. Abb. 42.2. Entwicklung der Mehrlingsgeburten in Österreich. In den Jahren 1961–1964 wurden keine entsprechenden Daten erhoben. (Originaldaten nach Statistik Austria 2009)
42.1.1
Verringerung der Mehrlingsrate in der Reproduktionsmedizin
Die Inzidenz von Zwillings- und höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften ist direkt proportional zur Zahl der transferierten Embryonen. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ist derzeit in Österreich mit 75–90% die Hauptursache für Drillingsschwangerschaften und höhergradige Mehrlingsschwangerschaften und die Ursache für rund 1/3 der Zwillingsschwangerschaften, wie wir von eigenen Daten und von der Landesfrauenklinik Salzburg (persönliche Mitteilung T. Jäger) wissen. > Da die perinatale Mortalität und die Morbidität von Mehrlingen beträchtlich höher sind als die von Einlingen, ist eine Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften bei Kinderwunschpatientinnen erstrebenswert.
42
Auch bei Anwendung der medikamentösen Ovulationsinduktion bzw. der kontrollierten ovariellen Hyperstimulation mittels Clomifencitrat und/oder Gonadotropinen [luteinisierendes Hormon (LH) und follikelstimulierendes Hormon (FSH)] kommt es häufiger zum Auftreten von Polyovulationen und damit zum Freiwerden mehrerer Eizellen. Die Angaben zur Häufigkeit von Mehrlingen nach Stimulation mit Clomifencitrat schwanken zwischen 0,3 und 10%, nach Stimulation mit Gonadotropinen kann die Mehrlingsrate bis zu 50% betragen. Die begleitende Überwachung der medikamentösen Ovulationsstimulation mittels Bestimmung des Serumöstradiols und/oder transvaginalem Ultraschall stellt derzeit den Standard in der Prävention der Mehrlingsschwangerschaft dar, wobei jedoch widersprüchliche Ergebnisse zum prädiktiven Wert dieser beiden Parameter vorliegen. Bei exzessiver Follikelbildung ist, nicht zuletzt zur Vermeidung eines ovariellen Hyperstimulationssyndroms, der Abbruch des Zyklus zu erwägen.
Nach Methoden der assistierten Reproduktion ist auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für monochoriale Mehrlingsschwangerschaften festgestellt worden (Wenstrom et al. 1993). Mögliche Erklärungen hierfür sind einerseits eine Verzögerung der frühen Embryonalentwicklung und andererseits eine Schädigung der Zona pellucida, die zu einer pathologischen Abschnürung von Blastozystenanteilen führen könnte. Eine künstliche Eröffnung der Zona pellucida zur Verbesserung der Implantationsrate (»assisted hatching«) führt zu einer höheren Schwangerschaftsrate und besonders zu einer höheren Mehrlingsrate. Die Auswirkung auf die Entstehung von monozygoten Zwillingen ist unklar (Seif et al. 2006). In einem IVF-Zyklus führt der Transfer von einem Embryo zu einer niedrigeren Rate an Lebendgeburten als der Transfer von 2 Embryonen. Es ist allerdings kein signifikanter Unterschied zwischen der Lebendgeburtenrate nach Transfer eines Embryos gefolgt von einem Kryotransfer verglichen mit dem Transfer von 2 Embryonen. Die Rate an Mehrlingsschwangerschaften ist nach dem Transfer eines Embryos niedriger als nach anderen Transferkonzepten. Für einen Vergleich zwischen dem Transfer von 2, 3 und 4 Embryonen ist die Datenlage nicht ausreichend (Pandian et al. 2009). Beim Transfer von 6 Embryonen steigt die Mehrlingsrate auf bis zu 50% (Ozturk u. Templeton 2002).
Elektiver Single-Embryo-Transfer (SET) In Europa haben die Gesetzgeber und Kostenträger verschiedene Strategien zur Reduktion der Mehrlingsraten entwickelt, der Trend geht zum Transfer von einem Embryo nach dem Motto »ein Kind nach dem anderen«. Die British Fertility Society hat folgende Empfehlungen herausgegeben (Cutting et al. 2008):
927 42.2 · Zygotie und Chorionizität
Tipp Die einzige Möglichkeit, die Mehrlingsrate nach IVF zu reduzieren, ist der Transfer von nur einem Embryo bei Frauen mit günstigen Voraussetzungen für eine Schwangerschaft. Insgesamt sollte SET zur Norm bei der IVFBehandlung gemacht werden.
Internationale Daten zeigen, dass der SET ohne bedeutende Verminderung der Schwangerschaftsrate eingeführt werden kann, wenn er bei Frauen mit guter Prognose und im Zusammenhang mit einer guten Kryokonservierung von Embryonen durchgeführt wird. Es wird geschätzt, dass bei einem SET bei 50% der Patientinnen die Zwillingsrate auf <10% gesenkt werden kann. Das scheint eine gute Balance zwischen der Reduktion der Zwillingsrate bei Erhaltung der Schwangerschaftsrate zu sein. Die gut funktionierende Kryokonservierung ist notwendig, um die Schwangerschaftsrate nach SET aufrechtzuerhalten. Damit sind Embryonen verfügbar, wenn der SET frischer Embryonen nicht zum Erfolg führt. Wenn am Tag 5 oder 6 der Eizellkultur mehr als eine Blastozyste guter Qualität zur Verfügung steht, spricht alles für den Transfer von einer Blastozyste.
42.2
Zygotie und Chorionizität
Die dizygote Zwillingsschwangerschaft entsteht nach Befruchtung von 2 verschiedenen Eizellen durch 2 verschiedene Samenzellen. Die Implantation erfolgt stets getrennt, daher sind alle dizygoten Schwangerschaften dichorial (. Abb. 42.1). Bei monozygoten Zwillingen hingegen findet nach der Befruchtung einer einzelnen Eizelle durch eine Samenzelle eine Teilung innerhalb der ersten 2 Wochen der Embryonalentwicklung statt. Es kommt zu 3 verschiedenen Formen der Plazentation, abhängig vom Stadium der Embryonalentwicklung, in dem die Teilung stattfindet (. Abb. 42.1): 4 Bei Teilung bis zum Erreichen des Morulastadiums (Tag 1–3), wobei eine Teilung bereits im 2-Zell-Stadium innerhalb der Zona pellucida vorkommen kann, spricht man von einer dichorial-diamnialen monozygoten Gravidität (ca. 35%). Die Plazenten können dabei in Abhängigkeit von der Implantationsstelle völlig getrennt oder am Rand verschmolzen sein. Dieser Plazentationstyp liegt darüber hinaus bei dizygoten Schwangerschaften vor. Die Membran, die die beiden Feten trennt, besteht aus den 4 Schichten: Amnion – Chorion – Chorion – Amnion. 4 Erfolgt die Trennung im frühen Blastozystenstadium (Tag 4–8) und umfasst die Spaltung die inneren Zellanteile (Embryoblast), bezeichnet man dies als monochorialediamniale monozygote Schwangerschaft (65%). Die beiden Embryonen verfügen über eine gemeinsame Plazenta und Chorionhülle, die Trennmembran besteht nur aus 2 Schichten: Amnion – Amnion. 4 Erfolgt die Trennung nach Ausbildung der Amnionhöhle im Stadium der zweiblättrigen Keimscheibe (ab Tag 9), liegt eine monochorial-monoamniale monozygote
Schwangerschaft (ca. 1%) vor; die beiden Feten teilen sich eine Plazenta und besitzen eine gemeinsame Chorionund Amnionhöhle. In seltenen Fällen (1 von 500 Zwillingsschwangerschaften) verläuft die Trennung der Embryonalanlage zu einem späteren Zeitpunkt (>Tag 12) und führt zu einer unvollständigen Trennung im Axialbereich der Keimanlage. Dies führt zur Pagusbildung (siamesische Zwillinge).
42.2.1
Postpartale Bestimmung der Zygotie
Postpartal stehen für die Bestimmung der Zygotie mehrere Untersuchungsansätze zur Verfügung, die sich in ihrer Aussagekraft, den anfallenden Kosten und der für die Durchführung notwendigen Expertise unterscheiden: Geschlecht und morphologische Ähnlichkeit der Kinder.
Während verschiedenes Geschlecht für Dizygotie spricht, eignen sich morphologische Kriterien nicht für eine relevante Aussage hinsichtlich der Zygotie. Histologische Untersuchung der Plazenta. Dabei ist zu beachten, dass das Ausmaß der Verschmelzung der beiden Plazentaanlagen bei dichorialer Plazenta keine Aussagen hinsichtlich Zygotie zulässt. Die Untersuchung sollte in jedem Fall die histologische Aufarbeitung der trennenden Membran umfassen. Blutgruppenmerkmale. Dafür stehen die erythrozytären Blutgruppensysteme und Isoenzyme und die Antigene des Histokompatibilitätskomplexes (HLA) an Leukozyten und Thrombozyten zur Verfügung. Chromosomen- und DNA-Analytik. Neben dem Chromosomenpolymorphismus gilt die sog. DNA-fingerprint-Methode, bei der DNA-Polymorphismen mittels PCR bestimmt werden können (Cirigliano et al. 2003; Hannelius et al. 2007). Superfekundation. Von einer Superfekundation spricht man bei der Befruchtung von 2 oder mehr Eizellen durch Samenzellen verschiedener Ejakulate, die vom gleichen Mann oder verschiedenen Männern stammen können. Es wird vermutet, dass bei einer von 400 dizygoten Zwillingsschwangerschaften 2 verschiedene Väter vorliegen.
42.2.2
Implikationen der frühen Feststellung der Chorionizität
> Die frühe pränatale Bestimmung der Chorionizität ist für alle Mehrlingsschwangerschaften entscheidend, da die Chorionizität – und nicht die Zygotie – von zentraler Bedeutung für das Management und die Prognose von Zwillingsschwangerschaften ist.
42
928
Kapitel 42 · Mehrlinge
Fehlgeburtenrate und perinatale Mortalität sind bei monochorialen Zwillingen wesentlich höher als bei dichorialen (7 Kap. 42.5 »Spezielle Phänomene monochorialer Zwillingsschwangerschaften«; Derom et al. 1991, 1995). Der intrauterine Fruchttod eines monochorialen Zwillings führt häufig zum Tod oder zu einer neurologischen Störung des anderen Zwillings (Liu et al. 1992). Das ist besonders wichtig zur Beratung und für das weitere Vorgehen bei präterminaler Mangelversorgung eines Fetus und für den selektiven Schwangerschaftsabbruch bei Fehlbildungen (7 Kap. 42.5.2 und 42.6.3). Für die invasive Diagnostik (Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese; 7 Kap. 42.6.1) bei hohem Risiko für genetische Erkrankungen und Chromosomenanomalien genügt es bei monochorialen Zwillingen meist, Material von einem Fetus zu gewinnen, da sie genetisch ident sind. Wenn ein Fetus eine schwere Fehlbildung hat, kann bei dichorialen Zwillingen ein selektiver Schwangerschaftsabbruch mittels Fetozid durchgeführt werden. Bei monochorialen Zwillingen ist ein selektiver Abbruch nur durch die kompliziertere und risikoreichere Nabelschnurkoagulation möglich. Verstirbt ein Fetus bei offener Nabelschnur, verliert der andere Blut in den toten Fetus und kann als Folge davon ebenfalls sterben oder schwere neurologische Schäden davontragen. Bei extremer Wachstumsdiskrepanz werden in Abhängigkeit von der Chorionizität andere Maßnahmen getroffen.
42.2.3
42
Bestimmung der Chorionizität
Die Ultraschalldiagnose einer frühen Mehrlingsschwangerschaft basiert auf der Darstellung von mehreren Gestationssäcken, die einen Dottersack enthalten, bzw. ab SSW 6 durch die Darstellung mehrerer Feten mit positiver Herzaktion. Ähnliche Flüssigkeitsansammlungen ohne die erwähnten Strukturen finden sich differenzialdiagnostisch bei Einlingsschwangerschaften im Uterus bicornis oder bei subchorialer Einblutung sowie nach der Rückbildung von Mehrlingsanlagen im Sinne eines »vanishing twin«. Mittels Ultraschall kann die Chorionizität von Mehrlingsschwangerschaften bis zur SSW 14 sicher bestimmt werden: Dichoriale Zwillingsschwangerschaften haben eine Schicht Chorion zwischen den Amnionhäuten. Das ist in der Frühschwangerschaft besonders deutlich (. Abb. 42.3a), bis zur SSW 14 und gelegentlich auch länger ist nur noch am Rand das λ-Zeichen oder der »twin-peak« darstellbar (. Abb. 42.4). Bei monochorialen, diamnialen Zwillingen sind in der Frühschwangerschaft die dünnen Amnionbläschen zu sehen, die nach Verschmelzung mit dem Chorion in spitzem Winkel auf dieses auftreffen (T-Zeichen). Diagnostisch für monochoriale, monoamniale Zwillinge ist die Verschlingung der Nabelschnüre, dies ist bereits ab dem Ende des 1. Trimenons darstellbar (Sebire et al. 2000; . Abb. 42.3c). Da bei monochorialen, diamnialen Schwangerschaften die Amnionbläschen sehr dünn sein können, werden sie häufig fälschlich als monoamniale Schwangerschaften diagnostiziert (Weisz et al. 2005).
a
b
c . Abb. 42.3. Plazentationstypen im Ultraschall. a Dichoriale Zwillinge in der SSW 9. b Monochoriale Zwillinge in der SSW 9. c Die verschlungenen Nabeschnüre monoamnialer Zwillinge in SSW 13
In einer späteren Schwangerschaftswoche können andere Kriterien, wie das kindliche Geschlecht und die getrennte Plazentaanlage, herangezogen werden. Bei gleichem Geschlecht der Kinder und verschmolzenen Plazenten kann die Chorionizität jedoch ungewiss bleiben.
929 42.4 · Komplikationen bei Mehrlingsschwangerschaften
erhöhten Fehlbildungsrisikos, das mit monozygoten Zwillingsschwangerschaften assoziiert ist. Die Fehlbildungsrate bei Zwillingen pro Kind ist daher ca. doppelt so hoch wie bei Einlingsschwangerschaften (Baldwin 1994). Die häufigsten Fehlbildungen bei monozygoten Zwillingen sind u. a. Hydrozephalus, Anenzephalus, Holoprosenzephalie, sakrokokzygeales Teratom und Herzfehler.
. Abb. 42.4. Schematische Darstellung des λ- und des T-Zeichens bei dichorialen bzw. monochorialen Zwillingen. Die Zeichnung zeigt, dass das λ-Zeichen verlässlich die Chorionizität darstellt. In einer dichorialen Schwangerschaft mit verschmolzenen Plazenten wird der Raum zwischen den beiden Amnionhöhlen durch Chorionzotten ausgefüllt. Dieser Raum ist spitz zulaufend und sieht aus wie der griechische Buchstabe λ (Lambda). In der amerikanischen Literatur wird er auch als »twin peak« bezeichnet. Monochoriale diamniale Schwangerschaften haben eine durchgängige Chorionplatte, die das Wachstum von Zotten zwischen die beiden Amnionhöhlen verhindert. Daher treffen die Amnionhäute der beiden Fetalanlagen, nachdem sie sich aneinandergelegt haben (um die 11. Schwangerschaftswoche) im rechten Winkel auf die Plazenta. Dies wird T-Zeichen genannt
42.3
Spezielle Aspekte des Screenings bei Mehrlingsschwangerschaften
42.3.1
Chromosomenanomalien
Monochoriale Zwillinge sind immer monoyzgot, daher gilt das altersentsprechende Aneuploidierisiko von Einlingen für beide Feten. Bei dichorialen Zwillingen, von denen 90% dizygot sind, kann aufgrund der Zweieiigkeit aus mathematischen Gründen das doppelte Risiko für die Aneuploidie eines der beiden Feten angenommen werden. Das Risiko der beiden Kinder miteinander multipliziert ergibt das Risiko, dass beide Kinder betroffen sind. Als Screeningmethode für Chromosomenanomalien ist die Messung der fetalen Nackentransparenz bei Zwillingsschwangerschaften ebenso aussagekräftig wie bei Einlingsschwangerschaften: Es konnte eine Detektionsrate von 88% bei einer Falsch-positiv-Rate von 7,7% gezeigt werden (Sebire et al. 1996). Dabei wird für jeden Mehrling das Risiko gemäß dem Alter der Mutter, dem Gestationsalter und der Nackentransparenz berechnet. Bei monochorialen Zwillingen ist zu beachten, dass eine erhöhte Nackentransparenz auch ein Frühzeichen eines fetofetalen Transfusionssyndroms sein kann. Serumscreening für Aneuploidien eignet sich für Mehrlingsschwangerschaften auch. Es erhöht nicht die Entdeckungsrate, kann aber in Kombination mit dem NT-Screening die Falsch-positiv-Rate vermindern (Spencer 2000).
42.3.2
Fehlbildungen
Mehrlingsschwangerschaften haben ein höheres Risiko für chromosomale und anatomische Fehlbildungen, nicht nur wegen der höheren Anzahl an Feten, sondern auch wegen des
> Unabhängig von der Art der Fehlbildung und von der Chorionizität ist bei der Mehrzahl der strukturellen Fehlbildungen (80–90%) nur ein Fetus betroffen.
42.4
Komplikationen bei Mehrlingsschwangerschaften
42.4.1
Frühabortus eines Mehrlings (»vanishing twin«)
Im 1. Trimenon ist über den Effekt der Chorionizität im Zusammenhang mit dem Tod eines Fetus oder Embryos wenig bekannt. Das Vanishing-twin-Phänomen wurde bei dichorialen Zwillingen im frühen 1. Trimenon beschrieben. In der Frühschwangerschaft scheint es wenig Einfluss auf das Schwangerschafts-Outcome zu haben. In der Schwangerschaftswoche 11–14 ist bei dichorialen Zwillingsschwangerschaften signifikant häufiger ein Fetus tot als bei Einlingsschwangerschaften (6%). Bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften waren in dieser Studie nur bei 3% ein oder beide Feten tot. Bei 24% kam es im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu einer Fehlgeburt der gesamten Schwangerschaft, darunter waren alle monochorialen Zwillinge.
42.4.2
Intrauteriner Fruchttod (IUFT)
Bei 0,5–6,8% aller Zwillings- und bei 14–17% aller Drillingsschwangerschaften kommt es zum Absterben eines Feten (intrauteriner Fruchttod, IUFT) in der 2. Schwangerschaftshälfte. Der intrauterine Tod eines Fetus in einer Zwillingsschwangerschaft führt nie zu Vergiftungen oder Gerinnungsstörungen, wie früher angenommen wurde. > Das Outcome des überlebenden Zwillings hängt von der Chorionizität ab.
Bei dichorialen Zwillingen kann es zu vorzeitigem Wehenbeginn und Frühgeburt kommen, ansonsten ist der lebende Fetus unbeeinträchtigt. Bei monochorialen Zwillingen führt der Tod eines Fetus zu akuten Episoden von Hypotonie und Anämie beim zweiten Zwilling und als Folge bei rund 25% zum Tod oder zu einer schweren neurologischen Schädigung beim zweiten Zwilling. Die Schädigung scheint innerhalb von 24 h einzutreten (Senat et al. 2003). Sind beim überlebenden Zwilling danach keine Anämiezeichen darstellbar, ist eine Schädigung sehr unwahrscheinlich. Ischämische Läsionen können im MR als Infarktareale dargestellt werden.
42
930
Kapitel 42 · Mehrlinge
Ein Review von Studien und Fallberichten beschreibt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Kozwilling stirbt, bei monochorialen Zwillingen 6-fach höher war als bei dichorialen (Odds-Ratio 6,04, 95%-CI 1,84–19,87). Neurologische Defekte waren ebenfalls häufiger (Odds-Ratio 4,07, 95%-CI 1,32–12,51]). Es sind mehr prospektive Daten notwendig, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden können (Ong et al. 2006). Für die weitere Betreuung überwachen wir bei monochorialen Zwillingen im 3. Trimenon den überlebenden Feten für 24 h nach dem intrauterinen Fruchttod sehr engmaschig mit CTG und Dopplersonographie und entbinden bei Anämiezeichen. Des Weiteren führen wir ein Fetal-MR so rasch wie möglich und einige Wochen später durch, um eine mögliche Schädigung des Gehirns einschätzen zu können. Dichoriale Zwillinge werden nach dem normalen Schema weiterbetreut. Es besteht in solchen Situationen eine besondere psychische Belastung, weil das lebende Kind auch nach der Geburt immer an den toten Kozwilling erinnern wird, und schon unmittelbar nach der Geburt steht für die Eltern oft bei aller Freude über das gesunde Kind die Trauer über das verstorbene eine Zeit lang im Vordergrund. Eine psychologische Begleitung ist daher sehr wünschenswert.
42.4.3
Prädiktion, Prävention und Therapie der Frühgeburt
Rund 1/4 aller frühgeborenen Kinder sind Mehrlinge, obwohl insgesamt nur 3% aller Kinder Zwillinge sind und 0,1% Drillinge. Zwillinge haben darüber hinaus in allen Gestationsaltern ein niedrigeres Geburtsgewicht als Einlinge. 5% der Zwillinge wiegen <1000 g, verglichen mit rund 0,5% der Einlinge (Kiely 1990). Anhand einer großen Neugeborenendatenbank (n=51.388) konnte gezeigt werden, dass in jedem Gestationsalter Mortalität und Überleben ohne Morbidität bei Mehrlingen gleich sind wie bei Einlingen. Der bestimmende Faktor für Probleme ist also auch bei Mehrlingsschwangerschaften die Unreife (Garite et al. 2004). Der Zeitpunkt, an dem 80% aller Kinder geboren sind, ist bei Einlingen die SSW 40, bei Zwillingen die SSW 37, bei Drillingen die SSW 34 und bei Vierlingen die SSW 31 (Kiely 1990; Derom et al. 1995). ! Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften sind daher obligate Frühgeburten.
42
Für die Prädiktion der Frühgeburt spielt die Chorionizität eine wichtige Rolle: Das Risiko für eine spontane Frühgeburt vor 32 SSW ist bei monochorialen Zwillingen doppelt so hoch wie bei dichorialen (9 vs. 5,5%), die Wahrscheinlichkeit einer intrauterinen Wachstumsrestriktion und auch die perinatale Mortalität sind bei monochorialen Zwillingen ebenfalls doppelt so hoch wie bei dichorialen (Sebire et al. 1997). Bekannte Risikofaktoren für eine spontane Frühgeburt sind Rauchen, Konisation, vorangegangene späte Fehlgeburten oder Frühgeburten und die Zervixlänge. Eine Studie von 1.200 Zwillingsschwangerschaften konnte zeigen, dass in ei-
ner multivariaten Analyse der einzige unabhängige Prädiktor die Zervixlänge ist, die Frühgeburtstendenz äußert sich also durch einen messbaren Parameter (To et al. 2006). Die Aussagekraft des Fibronektintests ist bei Zwillingsschwangerschaften in der SSW 24–28 am besten (Wennerholm et al. 1997). Frühzeitige Entbindungen aufgrund anderer Schwangerschaftskomplikationen sind bei Mehrlingen ebenfalls häufiger als bei Einlingen. Eine britische Studie zeigte, dass die Inzidenz der Präeklampsie bei Zwillingsschwangerschaften mit 6–27% deutlich höher ist als bei Einlingsschwangerschaften, bei Drillingsschwangerschaften beträgt sie 5–46% (Savvidou et al. 2001). Einer rezenten Publikation zufolge ist die Prävalenz der Präeklampsie in Österreich aus nicht ganz geklärter Ursache deutlich niedriger. In einem Kollektiv von 417 Mehrlingsschwangerschaften war die Rate an schwangerschaftsassoziierten Hypertonien 1,8% (Hirtenlehner et al. 2003). Die Rate an Wachstumsrestriktionen ist bei Zwillingen ebenfalls höher als bei Einlingsschwangerschaften, so ist bei 1,7% aller dichorialen und bei 7,5% aller monochorialen Zwillinge das Geburtsgewicht beider Kinder unter der 5. Perzentile (Sebire et al. 1997). Das Risiko eines vorzeitigen Blasensprungs ist bei Zwillingen doppelt so hoch wie bei Einlingsschwangerschaften (Myles et al. 1997). Prophylaktisch bringen Bettruhe und »home uterine activity monitoring« (HUAM) keine Verbesserung des neonatalen Outcomes, und ein rezentes Review ergab bei Zwillingsschwangerschaften eine Verdoppelung der Frühgeburtenrate nach Cerclage (Berghella et al. 2005; Berghella 2009). In einer großen placebokontrollierten Studie, die an Einlings- und Zwillingsschwangerschaften mit verkürzter Zervix durchgeführt wurde, konnte die Frühgeburtsrate durch tägliche vaginale Progesterongabe signifikant gesenkt werden (Fonseca et al. 2007). Mehrere randomisierte Studien haben eine Reduktion der Frühgeburtenrate durch intramuskuläre Gabe von 17α-Hydroxyprogesteron bei Einlingsschwangerschaften mit erhöhtem Risiko für eine Frühgeburt gezeigt (Tita u. Rouse 2009). Ein möglicher Effekt bei Zwillings- und Drillingsschwangerschaften (Caritis et al. 2009) konnte bisher nicht gezeigt werden. Es haben aber mehrere große Studien vor kurzer Zeit die Rekrutierung abgeschlossen, und die Ergebnisse werden in den kommenden Jahren bekannt werden. Die Diagnose der drohenden Frühgeburt ist im Zeitraum von SSW 24+0 bis 33+6 von besonderer Bedeutung. Verdacht auf eine drohende Frühgeburt besteht, wenn eines oder mehrere folgender Symptome auftreten: 4 vorzeitige Wehentätigkeit, 4 vorzeitiger Blasensprung oder 4 Verkürzung der Zervix. Diagnostisch eingesetzt werden die Messung der Zervixlänge, die Bestimmung des fetalen Fibronektins im Vaginalsekret, immunchromatographische Tests zum Fruchtwassernachweis und die Kontrolle der Infektionsparameter zur Einschätzung eines Amnioninfektionssyndroms (Asrat 2001; Tsoi et al. 2003; Cousins et al. 2005; Gomez et al. 2005; Singer et al. 2007). Bei drohender Frühgeburt wird auch bei Mehrlingsschwangerschaften die Durchführung einer Tokolyse bis zum
931 42.5 · Spezielle Phänomene monochorialer Zwillingsschwangerschaften
Erreichen der Lungenreifung empfohlen. Oxytozinantagonisten stellen aufgrund der erhöhten kardiorespiratorischen Belastung bei Mehrlingsschwangerschaften das Mittel der 1. Wahl dar (7 Kap. 24).
42.4.4
Fetale Wachstumsrestriktion
Zwillinge haben ein niedrigeres Geburtsgewicht als Einlinge, im Schnitt um 800 g (Kiely 1990). Das ist bedingt durch die Frühgeburtlichkeit und durch die höhere Rate an Wachstumseinschränkungen. Diese stellt einen bedeutenden Faktor in der neonatalen Morbidität von Zwillingen dar, und es besteht eine 2,5-fach höhere Mortalität im Vergleich zu eutrophen Zwillingen. Häufiger ist nur einer der beiden Zwillinge betroffen. Die Angaben zum diskordanten Wachstum reichen in der Literatur von 4–23%. Die extreme Wachstumsdiskordanz stellt bei monochorialen Zwillingen ein besonderes Problem dar (7 Kap. 42.5.2). Mögliche Ursachen der Wachstumseinschränkung sind wie bei Einlingen Plazentainsuffizienz, Infektionen in der Frühschwangerschaft sowie chromosomale und konstitutionelle Faktoren (7 Kap. 27). > Bei Zwillingsschwangerschaften besteht im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften eine höhere Rate an intrauteriner Wachstumsrestriktion (12–47% vs. 5–7%). Die Plazentainsuffizienz oder genauer gesagt die fetale Mangelversorgung scheint bei Mehrlingen häufiger zu sein und auch rascher zu bedrohlichen Zuständen für den Fetus zu führen.
Für die Beurteilung des intrauterinen Wachstums von Zwillingen wird vom ACOG empfohlen, dass Wachstumstabellen heranzuziehen sind, die auf Mehrlingsschwangerschaften basieren. In einer großen retrospektiven Untersuchung waren erst ab der 36. SSW Unterschiede im Wachstum von Einlingsund Zwillingsfeten zu verzeichnen (Luke et al. 1993). Basierend auf diesen Ergebnissen könnte auf die für Einlingsgraviditäten gültigen Normkurven zurückgegriffen werden. Der Fundusstand stellt keine geeignete Methode dar, um eine IUWR oder ein diskordantes Wachstum festzustellen. Tipp Die regelmäßige Ultraschallbiometrie wird ab der 24.–26. SSW empfohlen, wobei das Intervall der Kontrollen in Abhängigkeit von der Plazentation und der Chorionizität variiert: Bei dichorialen Schwangerschaften mindestens im Abstand von 4 Wochen, bei Monochorionizität in 2- bis 3-wöchigem Abstand. Bei Hinweis auf Wachstumsdiskordanz oder intrauterine Wachstumsrestriktion eines Fetus sollte im Abstand von 1–2 Wochen eine Ultraschalluntersuchung erfolgen. Eine intrauterine Wachstumsrestriktion liegt definitionsgemäß vor, wenn mittels Ultraschall ein Gewicht ≤10. Perzentile geschätzt wird, wobei bis zur 36. SSW Einlingsnormkurven verwendet werden können.
Bei beginnender Wachstumseinschränkung ist bei normaler Morphologie des Fetus von einer Plazentainsuffizienz auszugehen und eine entsprechende weitere Überwachung einzuleiten (7 Kap. 27).
42.5
Spezielle Phänomene monochorialer Zwillingsschwangerschaften
42.5.1
Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS)
Zwischen der Schwangerschaftswoche 16 und 24 beträgt die Fehlgeburtenrate von monochorialen Zwillingen 12%, das ist 6-mal höher als bei dichorialen Zwillingen. Die Ursache dafür ist das fetofetale Transfusionssyndrom. 30% aller monochorialen Zwillingsschwangerschaften zeigen in der 16. SSW folgende 3 Zeichen einer Imbalance: 4 Falten der Trennmembran, die im Ultraschall als Doppelmembran mit einem freien Ende sichtbar ist, 4 Diskrepanz in der Fruchtwassermenge, 4 Diskrepanz der fetalen Harnblasengröße (Sebire et al. 1997). Davon entwickelt sich die Hälfte, also insgesamt 15% aller monochorialen Zwillingsschwangerschaften, zu einem fetofetalen Transfusionssyndrom. Dieses ist gekennzeichnet durch die klassische Anhydramnion-Polyhydramnion-Sequenz und kann in 5 Stadien eingeteilt werden (Quintero et al. 1999). Die Mortalität beim unbehandelten FFTS ist 90% (Yamamoto u. Ville 2006). Die Behandlungsmöglichkeiten sind entweder wiederholte Amniondrainage oder perkutane fetoskopische Laserkoagulation der plazentaren Anastomosen. Die Prognose des fetofetalen Transfusionssyndroms vor der 26. SSW ist sowohl im Hinblick auf Überlebensraten als auch auf neurologische Schäden nach Laserbehandlung signifikant besser als nach Amniodrainage. Daher gilt die fetoskopische Laserablation bei FFTS zwischen SSW 16 und 26 seit Abschluss einer randomisierten Studie als Therapie der Wahl (Senat et al. 2004). Tritt das FFTS nach der 26. SSW auf, galt als die wahrscheinlich bessere Behandlung Amniondrainage und Entbindung, wiewohl neuere Publikationen auch Vorteile einer späteren Laserbehandlung zeigen (Middeldorp et al. 2007). Die Daten über die Langzeitprognose sind spärlich: Eine kleine Studie über die neurologische Entwicklung von Kindern nach Laserbehandlung im Alter von 6 Monaten bis zu 5 Jahren, beurteilt nach dem Griffiths-Score, zeigte insgesamt durchschnittliche Werte, außer in der lokomotorischen Untergruppe, wo Einlinge besser abschneiden als Zwillinge. Insgesamt war der Prozentsatz an Zelebralparesen 9%, davon 0% in den überlebenden Einlingen und 13,3% in den überlebenden Zwillingen (Sutcliffe et al. 2001).
42.5.2
Extreme Wachstumsdiskrepanz
Das Wachstum zweier Feten ist in den seltensten Fällen völlig ident, wodurch es in beinahe allen Mehrlingsschwanger-
42
932
Kapitel 42 · Mehrlinge
schaften zu geringen Größenunterschieden zwischen den Zwillingen kommt. Steigt die Diskrepanz der Scheitel-SteißLängen jedoch über 10–14% an, sind weiterführende Untersuchungen notwendig, um auf evtl. vorliegende Probleme entsprechend reagieren zu können. Die Prognose bei Wachstumsdiskrepanz im 1. Trimenon hat bei monochorialen Zwillingen eine wesentlich schlechtere Prognose als bei dichorialem Plazentationstyp. Bei dichorialen Zwillingen kann ein großer Unterschied in der ScheitelSteiß-Länge (SSL) ein Hinweis auf Trisomie 18, Triploidie oder andere Fehlbildungen sein (Kalish et al. 2004; Salomon et al. 2005). Bei normalen Chromosomen ist die Mortalität bei wachstumsdiskrepanten dichorialen Zwillingen sehr niedrig, während sie in unserem Kollektiv bei monochorialen Zwillingen mit einer SSL-Diskrepanz über der 95. Perzentile bei 80% liegt. > Wachstumsdiskrepanz zählt nicht zu den frühen Hinweiszeichen auf ein FFTS (Sebire et al. 1998).
Die extreme Wachstumsdiskrepanz gehört nach dem momentanen Wissensstand zu den bedrohlichsten Zustandsbildern bei monochorialen Zwillingen. Besonders bei intermittierendem »reverse flow« in der A. umbilicalis des kleineren Fetus konnte gezeigt werden, dass es bei 15% zu einem unerwarteten intrauterinen Fruchttod kommt sowie zu Gehirnläsionen bei knapp 20% der größeren Feten (Gratacos et al. 2007). In diesen Fällen sind praktisch immer große arterioarterielle Anastomosen zu finden (. Abb. 42.5).
42.5.3
42
Monoamniale Zwillingsschwangerschaft
Die monoamniale Zwillingsanlage liegt in rund 1% aller Zwillingsschwangerschaften bzw. in 2/10.000 Schwangerschaften vor. Die Diagnose kann bereits im 1. Trimenon durch die Verdrillung der Nabelschnüre gestellt werden (7 Kap. 42.2, . Abb. 42.3c). Die Besonderheit der monoamnialen Zwillingsschwangerschaft ist die hohe perinatale Mortalität, die ab dem 1. Trimenon bis zu 75% betragen kann. Diese Mortalität beruht auf der hohen Rate an Fehlbildungen und plötzlichem intrauterinem Fruchttod. Es muss gezielt eine fehlende Trennung der Embryonalanlage ausgeschlossen werden (Pagusbildung). Die hohe Rate an Fehlbildungen wird durch späte Teilung der Embryonalanlage und hämodynamisches Ungleichgewicht erklärt (Sebire et al. 2000). Die späten intrauterinen Fruchttode sind durch ein akutes FFTS oder durch Nabelschnurverwicklung zu erklären. Das chronische FFTS wird bei monoamnialen Zwillingen sehr selten beschrieben. Die Ursache dafür liegt vermutlich in sehr großen, oberflächlichen Gefäßanastomosen an der Plazenta. Die Mortalität ist evtl. durch sehr engmaschige Betreuung und frühzeitige Entbindung auf 10% zu senken, wie aus Beobachtungsstudien hervorgeht (Durand-Reville et al. 2005; Ezra et al. 2005; Heyborne et al. 2005; DeFalco et al. 2006). Früher versuchte Methoden, wie die Reduktion von Fruchtwasser durch die Gabe von Sulindac (Pasquini et al.
. Abb. 42.5. Große arterioarterielle Anastomose an der Chorionplatte einer Plazenta bei monochorialen Zwillingen mit extremer Wachstumsdiskrepanz. [Abbildung von Liesbeth Lewi, UZ Leuven, Belgium; Projekt unterstützt von der EU (EuroTwin2Twin.org); mit frdl. Genehmigung]
2006) oder serielle Amniodrainagen, wurden wieder verlassen. Das derzeit international anerkannte Procedere ist eine möglichst frühe Fehlbildungsdiagnostik mit einer Aufklärung der Patientin über die Prognose. Überleben die Feten das 1. und 2. Trimenon, erscheint eine engmaschige stationäre Überwachung ab der SSW 26 mit elektiver Entbindung in der SSW 32 sinnvoll.
42.5.4
Twin Reverse Arterial Perfusion (TRAP)
Die extremste Manifestation des FFTS ist eine Zwillingsentstehung, bei der ein Zwilling kein Herz hat, auch als Acardius corioangiopagus parasiticus bezeichnet. Diese Zwillingsfehlentwicklung ist auch als »twin reverse arterial perfusion« (TRAP)) bezeichnet worden, um den zugrunde liegenden Mechanismus zu erklären (. Abb. 42.6). Die Inzidenz ist ungefähr 1% der monochorialen Zwillingsschwangerschaften, d. h. 1/35.000 Schwangerschaften (Sogaard et al. 1999). Der akardische Zwilling kann als Parasit bezeichnet werden, weil das Blut für seine Versorgung vom normalen Zwilling durch ihn durchgepumpt wird. Dieser Zustand kann beim Pumpzwilling zu einem Herzversagen aufgrund zu hoher Auswurfleistung führen. > Im TRAP erhält der akardische Zwilling retrograde Durchblutung mit schlecht oxygeniertem Blut.
Als Entstehungsmechanismus vermutet man arterioarterielle und venovenöse Anastomosen in der Plazenta, kombiniert mit einer verspäteten Herzentwicklung von einem der Zwillinge in der Frühschwangerschaft (Benirschke u. des Roches Harper 1977; Gibson, D’Cruz et al. 1986). Wenn ein Zwilling sich langsamer entwickelt, führt die Imbalance des Blutdrucks zu einer retrograden Durchblutung des schwächeren Zwillings. In weiterer Folge kommt es zu einer Fehlentwicklung
933 42.6 · Eingriffe bei Mehrlingsschwangerschaften
ling wesentlich kleiner als der Pumpzwilling, kann ein abwartendes Management sinnvoll sein. Bei einem sehr großen Acardius ist das Risiko für den Pumpzwilling sehr hoch. Als Behandlungsmöglichkeiten bieten sich hier die Koagulation der Nabelschnur mittels Laser am Ende des 1. Trimenons bzw. der Verschluss der Nabelschnur mittels bipolarer Koagulation im 2. Trimenon an (Quintero al. 1995; Sepulveda et al. 1995; Hecher et al. 1997).
42.5.5
. Abb. 42.6. Im »twin reversed arterial perfusion syndrome« (TRAP) erhält der akardische Zwilling retrograde Durchblutung mit schlecht oxygeniertem Blut
des Herzens, die selten über ein rudimentäres Stadium hinausgeht. Das Erscheinungsbild des akardischen Zwillings kann stark variieren. Im Allgemeinen ist die obere Körperhälfte kaum entwickelt, und häufig fehlen Kopf, Wirbelsäule und obere Extremitäten. Ödeme und zystisches Hygrom sind sehr häufig (Van Allen et al. 1983). Dies ist dadurch zu erklären, dass in der unteren Körperhälfte nach dem Eintritt des Blutes der meiste Sauerstoff verbraucht wird, sodass für die obere Körperhälfte nur noch sehr sauerstoffarmes (Quintero et al. 1995; Sepulveda et al. 1995) Blut übrig bleibt. Eine andere Theorie für akardische Zwillingsentstehung ist die separate Befruchtung des Polkörperchens. Dies erklärt aber die meisten Fälle nicht, und in einer Untersuchung mittels DNA-Fingerprinting konnte gezeigt werden, dass diese Zwillingspaare monozygot sind (Bieber et al. 1981; Fisk et al. 1996). Die Ultraschalldiagnose wird durch einen Feten, der sich bewegt und wächst, aber keinen eigenen Herzschlag hat, gestellt. Pathognomonisch ist die umgekehrte arterielle Durchblutung, die mittels Dopplerströmungsmessungen darstellbar ist (Pretorius et al. 1988). Differenzialdiagnostisch ist beim fetofetalen Transfusionssyndrom eine eigene Herzaktion des kleineren Fetus darstellbar. Bei Verdacht auf intrauterinen Fruchttod und bei einem komplexen Fehlbildungssyndrom eines Zwillings muss ebenfalls an eine TRAP gedacht werden (Sepulveda et al. 1993; Petersen et al. 2001). Der akardische Zwilling ist nicht lebensfähig, aber auch beim Pumpzwilling besteht ein hohes Risiko für einen intrauterinen Fruchttod infolge von Herzversagen oder extremer Frühgeburt als Konsequenz eines Polyhydramnions (Moore et al. 1990; Cox et al. 1992). Dieses Risiko ist direkt abhängig von der Größe des akardischen Zwillings. Ist der akardische Zwil-
Pagusbildung
Bei eineiigen Zwillingen teilt sich die befruchtete Eizelle in 2 eigenständige Embryonalanlagen auf. Bei einer unvollständigen Durchschnürung des Embryoblasten im späten Entwicklungsstadium der Blastozyste nach dem 13. Tag nach der Befruchtung bleiben die beiden Feten miteinander verbunden. Diese Doppelfehlbildung wird auch als siamesische Zwillinge bezeichnet. Die statistische Wahrscheinlichkeit für eine Doppelfehlbildung liegt zwischen 1:60.000 und 1:200.000. Dies entspricht einer Frequenz bei monozygoten Zwillingsschwangerschaften von 1:300. Da jedoch durchschnittlich 3 von 10 siamesischen Zwillingen pränatal sterben, kommt nur etwa ein siamesisches Zwillingspaar auf 1 Mio. Lebendgeburten. Es können verschiedene Körperbereiche betroffen sein (. Übersicht). Körperbereiche, die von einer Pagusbildung betroffen sein können 4 Brustbereich – Thorakopagus, ca. 70% der Fälle (. Abb. 42.7) 4 Hüftenbereich – Ischiopagus, ca. 5% der Fälle 4 Kopf – Kraniopagus (Kephalopagus), <2% der Fälle – Sonderform Dizephalie: einzelner Körper mit 2 Köpfen – Sonderform Janiceps (nach dem zweigesichtigen Gott Ianus): am Kopf zusammengewachsene siamesische Zwillinge, deren Gesichter in entgegengesetzte Richtungen blicken 4 Bauchbereich – Omphalopagus 4 Steißbereich – Pygopagus 4 Fetale Inklusion oder Foetus in foeto, wobei intrauterin ein Zwilling vom anderen absorbiert wird
> Die (vor- und nachgeburtliche) Prognose ist abhängig von Art und Ausmaß der Fusion der Kinder, meist ist sie infaust.
42.6
Eingriffe bei Mehrlingsschwangerschaften
Besonderheiten bei Mehrlingsschwangerschaften ergeben sich bei Amniozentese (AC), Chorionzottenbiopsie (CVS), Reduktion höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften, therapeutischer Amniozentese bei FFTS und bei spezialisierten
42
934
Kapitel 42 · Mehrlinge
Wenn zwischen AC und CVS bei Zwillingsschwangerschaften entschieden werden soll, sind die relative Sicherheit beider Eingriffe, die Sicherheit, genetisches Material von beiden Feten zu gewinnen, und das wahrscheinliche folgende Management entscheidend für die Wahl der Technik. Bei Zwillingsschwangerschaften sollten diese Eingriffe immer in einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden. Bei Amniozentesen ist es wichtig sicherzustellen, dass Fruchtwasser aus beiden Fruchtsäcken gewonnen wird. Am häufigsten wird der Eingriff mit zwei Einstichen durchgeführt, mit oder ohne Einbringen von Methylenblau nach Entnahme der 1. Probe, aber er kann auch mit der Einnadeltechnik durchgeführt werden. Es existiert kein prospektiver Vergleich, aber in Beobachtungsstudien scheint die Fehlgeburtenrate bei Chorionzottenbiopsien etwas höher zu sein. Das Risiko, bei einer CVS 2-mal die gleiche Plazenta zu biopsieren, ist allerdings relativ hoch. Der Vorteil der frühen Diagnose besteht im geringeren Fehlgeburtenrisiko im Falle eines nachfolgenden Fetozids. Tipp Daher ist bei hohem Risiko für Chromosomenanomalien die CVS die bevorzugte Technik, ansonsten ist der Amniozentese Vorzug zu geben.
Selektiver Fetozid ist die Methode der Wahl bei Trisomie 21, wenn die Eltern einen Schwangerschaftsabbruch wünschen. Bei Trisomie 18 ist ein abwartendes Management möglicherweise besser.
42.6.2
. Abb. 42.7. Thorakopagus in der 12. SSW
42
Eingriffen wie Laserkoakulation der kommunizierenden Blutgefäße bei FFTS.
42.6.1
Genetische Diagnostik
Wünschen die Eltern eine Karyotypisierung, stehen 2 Möglichkeiten zur Verfügung: 4 die Chorionzottenbiopsie (CVS) ab SSW 11 und 4 die Amniozentese (AC) ab SSW 16.
Reduktion höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften
Die überwiegende Mehrzahl höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften entsteht nach assistierter Reproduktion. Drillings- und höhergradige Mehrlingsschwangerschaften führen häufig zu Fehlgeburten und Frühgeburten, und infolgedessen ist die perinatale Mortalität hoch. Dieses Risiko kann durch eine Reduktion vermindert werden, wobei das Outcome bei einer Reduktion auf Zwillinge besser ist als bei einer Reduktion auf Einlinge oder Drillinge. Die Fehlgeburtenrate bei einem erfahrenen Operateur sind aber v. a. abhängig von der Zahl der Feten: Sie beträgt 4,5% bei Drillingen, 8% bei Vierlingen, 11% bei Fünflingen, und 15% bei Sechslingen oder mehr Feten (Evans u. Britt 2008). > Bei Vierlings- oder höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften bringt eine Reduktion eine eindeutige Verbesserung des Outcomes (Evans et al. 1996).
Der iatrogene Tod des Fetus wird durch ultraschallgezielte Injektion von Kaliumchlorid in das fetale Herz induziert. Der Eingriff kann ab der 7. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Da die spontane Fehlgeburtenrate nach dieser frühen Woche noch relativ hoch ist, empfiehlt es sich jedoch, den Eingriff ab SSW 11 durchzuführen. Des Weiteren können am Ende des 1. Trimenons mittels Ultraschall schon schwere
935 42.7 · Schwangerschaftsbetreuung bei Mehrlingsschwangerschaften
Fehlbildungen und Hinweiszeichen auf Chromosomenstörungen festgestellt werden. In manchen Zentren wird vor der Reduktion eine Karyotypisierung durchgeführt, meist wird Ultraschallscreening als ausreichend empfunden. ! Die Bestimmung der Chorionizität vor einer Reduktion ist essenziell, weil nach Fetozid eines Fetus bei einem monochorialen Paar die Wahrscheinlichkeit eines intrauterinen Fruchttodes des anderen Feten hoch ist.
42.6.3
42.6.4
Therapeutische Fruchtwasserdrainage
Wiederholte Fruchtwasserdrainage war die am weitesten verbreitete Therapie für das FFTS. Durch die Drainage konnte nicht nur das Polyhydramnion behoben werden, häufig wurde dadurch auch die Fruchtwassermenge im Gestationssack mit dem Oligohydramnion verbessert. Das wird durch den Wegfall des Drucks erklärt, der sich möglicherweise besonders bei Insertio velamentosa der Nabelschnur ausgewirkt hat (Jauniaux et al. 2001).
Selektiver Fetozid bei Fehlbildungen 42.6.5
Ist bei Mehrlingsschwangerschaften ein Fetus von einer Fehlbildung oder Chromosomenstörung betroffen, kann die gesamte Schwangerschaft fortgesetzt werden, es kann aber auch ein selektiver Abbruch des fehlgebildeten Fetus durchgeführt werden. Bei Fällen, in denen die Fehlbildung nicht letal ist, aber die Eltern einen Schwangerschaftsabbruch wünschen, kommt ein selektiver Fetozid in Frage. Bei letalen Fehlbildungen ist möglicherweise ein abwartendes Management am besten, es sei denn, die Fehlbildung an sich stellt ein Risiko für den gesunden Feten dar. Entscheiden sich die Eltern bei Diagnose einer chromosomalen oder anatomischen Fehlbildung für einen selektiven Fetozid, so hat dieser in der 12. SSW ein Fehlgeburtenrisiko von 8%. 1/4 dieser Fehlgeburten finden innerhalb der 1. Woche statt, aber die verbleibenden 75% sind auf 6–8 darauf folgende Wochen verteilt. Wird der selektive Fetozid in der 20. SSW durchgeführt, ist das Fehlgeburtenrisiko 20%, und ein guter Teil findet nach der 24. SSW statt, führt also zu einer extremen Frühgeburt und allen damit verbundenen Komplikationen. Daher ist ein möglicher Weg, das etwas höhere Fehlgeburtenrisiko der Chorionzottenbiopsie bei einem Risiko für eine Chromosomenanomalie von >1:50 in Kauf zu nehmen, um damit die Möglichkeit einer frühen Embryoreduktion zu haben (Sebire et al. 1996 a; Sebire et al. 1996 b). Bei monochorialen Zwillingen führt der Tod eines Fetus in ungefähr 1/3 der Fälle beim anderen Feten zum Tod oder zu einer neurologischen Schädigung aufgrund von Hypotonie und Anämie. Daher kommt am ehesten eine Nabelschnurkoagulation beim fehlgebildeten Feten in Frage (O’Donoghue et al. 2009; Rossi u. D’Addario 2009). Bei letalen Fehlbildungen ist die Frage des selektiven Abbruchs in Abhängigkeit von den Folgen der Fehlbildung während der Schwangerschaft zu entscheiden. Es entwickeln z. B. 50% aller Feten mit Anenzephalus ein Polyhydramnion, das eine Frühgeburt auslösen und damit den anderen gefährden kann. Bei dichorialen Zwillingen scheint laut retrospektiver Analyse und Literaturrecherche (Vandecruys et al. 2006) das beste Management Abwarten und Amniodrainage mit Fetozid bei Polyhydramnion zu sein, bei monochorialen Zwillingen hat sich bisher kein bester Weg abgezeichnet.
Laserkoagulation bei FFTS
Die Laserkoagulation ist jetzt die Therapie der Wahl des FFTS, wenn es vor der SSW 26 auftritt.
42.6.6
Nabelschnurokklusion
Der Verschluss der Nabelschur ist die Therapie der Wahl bei Wunsch nach selektivem Schwangerschaftsabbruch bzw. wenn der intrauterine Fruchttod eines Fetus sehr wahrscheinlich ist.
42.7
Schwangerschaftsbetreuung bei Mehrlingsschwangerschaften
Ein internationales Expertenkomitee (Blickstein et al. 2007) hat 2007 ein Konsensus-Statement zur perinatalen Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften veröffentlicht, es enthält u. a. die in der . Übersicht genannten Punkte. Konsensus-Statement zur perinatalen Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften (Blickstein et al. 2007) 4 Mehrlinsschwangere haben das Recht, von Fachleuten mit Erfahrung im Management von Mehrlingsschwangerschaften betreut zu werden. 4 Paare, die Methoden der assistierten Reproduktion in Erwägung ziehen, sollten über die Mehrlingsraten und die Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft aufgeklärt werden. Assistierte Reproduktion sollte die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften zum Ziel haben. Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften gelten als eine Komplikation der assistierten Reproduktion. 4 Die Reduktion höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften sollte unter Angabe der institutsspezifischen Komplikationsraten angegeben werden. Die Entscheidung ist von den Eltern zu treffen, eine Reduktion kann traumatisierend für sie sein.
6
42
936
Kapitel 42 · Mehrlinge
4 Die selektive Reduktion eines fehlgebildeten Fetus muss auf die Minimierung des Risikos für den verbleibenden Feten ausgerichtet sein. Das betrifft v. a. die Berücksichtigung der Chorionizität und die Wahl des optimalen Zeitpunktes. 4 Die Chorionizität sollte mittels Ultraschall so früh wie möglich in der Schwangerschaft bestimmt werden, und die Eltern sollten über die Implikationen informiert werden. 4 Komplikationen monochorialer Zwillinge sollten an spezialisierten Zentren untersucht und behandelt werden. Ist dies nicht möglich, sollte entsprechender Rat eingeholt werden. 4 Die Entbindung sollte an einem Zentrum stattfinden, an dem alle Mehrlinge simultan reanimiert und intensivmedizinisch betreut werden können und wo ein erfahrener Geburtshelfer und Anästhesist rund um die Uhr verfügbar sind.
Auf der Basis der möglichen Komplikationen hat sich an unserer Mehrlingsambulanz ein Betreuungsschema entwickelt. Das Motto lautet: »Es gibt keine Zwillinge – es gibt nur dioder monochoriale Zwillinge.« Dementsprechend wird die Chorionizität bei jeder Untersuchung zuerst festgehalten (. Übersicht). Betreuungsschema der Mehrlingsambulanz an der Medizinischen Universität Wien
42
4 Beim Erstbesuch – möglichst bis SSW 14+0 – wird eine medizinische und psychosoziale Anamnese erhoben und eine klinische Untersuchung durchgeführt. Im Ultraschall wird auf Wunsch der Patientin ein Ersttrimesterscreening auf Chromosomenanomalien (SSW 11+0 bis 13+6) durchgeführt, in jedem Fall aber wird die Zahl der Feten und die Chorionizität mit Bild dokumentiert. Fetale Anatomien werden soweit möglich untersucht. 4 Es findet eine Aufklärung über die Implikationen der Chorionizität und über die Notwendigkeit von häufigeren Kontrollen während einer Mehrlingsschwangerschaft im Hinblick auf das erhöhte Risiko von perinatalen Komplikationen statt. 4 Ergebnisse: – Fehlgeburt SSW 12–24: bei dichorialen Zwillingen 2%, bei trichorialen Drillingen 3%, bei monochorialen Zwillingen 12% (Ursache: FFTS). – Frühgeburt vor SSW 32: dichoriale Zwillinge 5–10%, monochoriale Zwillinge 10%, Drillinge 30%. – IUWR zumindest eines Fetus: dichoriale Zwillinge 20%, monochoriale Zwillinge 30%. – FFTS: 15% aller monochorialen Schwangerschaften entwickeln ein schweres FFTS, das unbehandelt in 90% zum Tod beider Feten führen kann.
6
– Präeklampsie wird in der Literatur beschrieben mit 15–20% bei Erstgebärenden, 5–10% bei Mehrgebärenden, unabhängig von der Chorionizität. In unserem Kollektiv finden wir jedoch eine Inzidenz von <2%.
42.8
Geburt von Mehrlingen
42.8.1
Zeitpunkt
Ein hoher Anteil an Mehrlingsschwangerschaften endet mit einer spontanen oder iatrogenen Frühgeburt, in Österreich werden 68,4% aller Mehrlingsschwangerschaften vor SSW 37+0 entbunden. Bei >30% aller Zwillingsschwangerschaften stellt sich aber die Frage nach dem optimalen Geburtszeitpunkt: Wahrscheinlich ist das bei unkomplizierten, dichorialen Zwillingen die Schwangerschaftswoche 38. Diese Empfehlung basiert auf epidemiologischen Daten zweier großer Studien aus Japan und den USA, wonach bei insgesamt 300.000 Zwillingsschwangerschaften der Nadir der perinatalen Mortalität bei 37–38 Schwangerschaftswochen lag. Dieser liegt bei Einlingsschwangerschaften bei 39–40 Wochen (Minakami u. Sato 1996; Kahn et al. 2003). Kleinere europäische Studien kamen zum gleichen Ergebnis (Sairam et al. 2002). Es gibt allerdings Publikationen, die von einer höheren neonatalen Morbidität bei Entbindung vor SSW 38 im Vergleich zu später berichten, daher ist vor einer früheren Entbindung ohne Zusatzindikation abzuraten (Udom-Rice et al. 2000; Hartley et al. 2001). Tipp Es sollte also eine elektive Entbindung dichorialer Zwillinge nicht vor der SSW 38 und nicht nach der SSW 40 erfolgen. Allgemeine Übereinkunft herrscht zum Geburtszeitpunkt monoamnialer Zwillinge. Diese sollten aufgrund der hohen Mortalität in der SSW 32 per elektiver Sectio entbunden werden (7 Kap. 42.5.3; Rodis et al. 1997; Beasley et al. 1999).
Bei monochorialen diamnialen Zwillingen haben international besonders anerkannte Zentren bezüglich der späten Mortalität ganz unterschiedliche Beobachtungen publiziert. Manche neigen eher zu einer Entbindung zwischen SSW 32 und 34, andere halten engmaschige Kontrollen im 3. Trimenon und eine Entbindung mit 37 Wochen für ausreichend (Barigye et al. 2005; Cleary-Goldman u. D’Alton 2005; Simoes et al. 2006; Hack et al. 2008).
937 Literatur
42.8.2
Geburtsmodus
Bei rund 60% aller Zwillingsschwangerschaften kommen Poleinstellungsanomalien von einem oder beiden Kindern vor (Boggess u. Chisholm 1997; Benachi u. Pons 1998). Das Educational Bulletin des American College of Obstetricians u. Gynecologists (ACOG) aus dem Jahr 1999 schreibt, dass eine vaginale Geburt bei 2 Schädellagen zu erwarten ist, es sei denn, es besteht eine besondere Kontraindikation für eine vaginale Geburt (1999). Die meisten Autoren stimmen überein, dass eine vaginale Geburt ab der Schwangerschaftswoche 34 angestrebt werden kann, wenn beide Feten mindestens 1500–2000 g wiegen und in Schädellage sind. In früheren Schwangerschaftswochen und bei geringerem Gewicht gehen die Meinungen auseinander. Daher wurde im Jahr 2003 ein systematisches Review durchgeführt, in dem retrospektive und prospektive Kohortenstudien sowie prospektiv randomisierte Studien eingeschlossen wurden, die geplante Schnittentbindung mit geplanter vaginaler Geburt verglichen. Dabei ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in der perinatalen oder neonatalen Mortalität, Morbidität oder in der mütterlichen Morbidität. Geplante Entbindung per Kaiserschnitt könne nur das Risiko eines niedrigen 5-min-Apgar-Scores vermindern, besonders wenn der erste Zwilling in Beckenendlage ist. Ansonsten gibt es keine Evidenz, dass eine geplante Schnittentbindung besser ist als eine vaginale Geburt (Hogle et al. 2003). Tipp Es wild allgemein bei zwei Schädellagen empfohlen, eine vaginale Geburt anzustreben, wenn keine Indikationen für eine Schnittentbindung vorliegen. Ist der erste Zwilling nicht in Schädellage, ist eine primäre Schnittentbindung zu empfehlen, allein schon aufgrund der Tendenz zur primären Schnittentbindung bei Einlingen in Beckenendlage. Bei vorangegangener Sectio spricht aufgrund der verfügbaren Daten nichts gegen der Versuch einer vaginalen Geburt.
> Am wichtigsten ist es bei Zwillingsgeburten, dass ein erfahrener Geburtshelfer die Geburt leitet und dass zwei Neonatologen jederzeit verfügbar sind.
Management der vaginalen Zwillingsgeburt Beide Feten sollten während der Geburt kontinuierlich mittels CTG überwacht werden. Oxytozin ist auch bei Zwillingsgeburten effektiv. Eine Epiduralanalgesie wird als Vorteil empfunden. Nach der Entwicklung des ersten Zwillings sollte die Lage und Herzaktion des zweiten Zwillings mittels Ultraschall bestimmt werden. So lange das CTG in Ordnung ist, besteht keine maximale Zeitspanne, in der die Entbindung zu erfolgen hat. 6–25% aller zweiten Zwillinge werden per Kaiserschnitt entbunden.
42.8.3
Höhergradige Mehrlinge
Heutzutage wird bei höhergradigen Mehrlingen eine Entbindung per sectionem empfohlen. Diese hat an einem Zentrum mit intensivneonatologischer Versorgungsmöglichkeit zu erfolgen.
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42
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Kapitel 42 · Mehrlinge
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42
43 43 Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien A. Feige, M. Krause 43.1
Beckenendlage – 942
43.1.1 43.1.2 43.1.3 43.1.4 43.1.5 43.1.6 43.1.7 43.1.8 43.1.9
Terminologie – 942 Inzidenz der Beckenendlage – 944 Prädisponierende Faktoren – 945 Diagnostik – 946 Präpartuale Beratung, Betreuung und Empfehlung zum Geburtsmodus – 946 Äußere Wendung des Kindes in Schädellage – 948 Vaginale Geburtsleitung bei Beckenendlage – 950 Sectio caesarea bei Beckenendlage – 955 Beckenendlage bei Mehrlingen – 958
43.2
Quer- und Schräglage – 959
43.2.1 43.2.2 43.2.3 43.2.4 43.2.5 43.2.6
Terminologie – 959 Inzidenz – 959 Ätiologie – 959 Diagnostik – 959 Geburtsverlauf und Therapie – 960 Prognose – 960
43.3
Querlage bei Mehrlingen – 960
43.3.1 43.3.2 43.3.3
Exspektatives Vorgehen bei unauffälligem Geburtsverlauf – 961 Aktives Vorgehen – 961 Sekundäre Sectio caesarea am zweiten Zwilling – 961
Literatur – 961
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
942
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
Eine Beckenendlage (BEL) ist eine Längslage und daher eine geburtsmögliche Lage. Die Besonderheit gründet sich lediglich auf die verschiedenartige Poleinstellung, bei der entweder der Steiß oder Steiß und Füße gemeinsam den vorangehenden Kindsteil ausmachen. Demzufolge ist die BEL keine Anomalie, sondern eine physiologische Normvariation der Längslage. Auch wenn eine vaginale Beckenendlagengeburt einen physiologischen Vorgang darstellt, sollten die Besonderheiten und möglichen Komplikationen im Gegensatz zur Schädellage bekannt sein. Dies bezieht sich insbesondere auf die Unterschiede in der Geburtsleitung einer vaginalen Geburt. Eine Risikoselektion und die Beratung der Schwangeren durch einen Facharzt gehören zur unabdingbaren Notwendigkeit vor einer Entbindung aus Beckenendlage. Nach dem Ausschluss von verschiedenen absoluten und relativen Kontraindikationen kann die Empfehlung zur vaginalen Geburtsleitung ausgesprochen werden, wenn die fachliche Qualifikation und ausreichende Erfahrung des Geburtshelfers vorhanden und die Struktur der Geburtsklinik für eine Risikogeburtshilfe ausgerichtet sind. Die Beratung der Schwangeren bezüglich des Entbindungsmodus erfolgt in jedem Fall individualisiert und ergebnisoffen. Eine generelle Empfehlung zur elektiven Sectio caesarea bei Feten in Beckenendlage am Termin ist unter Beachtung fetaler bzw. maternaler Kontraindikationen und der Ergebnisse der TBT Collaborative-Group und der Leitlinie »Geburt bei Beckenendlage der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (2006)« nicht erforderlich. Die Beratung mündet in eine Empfehlung ein, die mit der Schwangeren in der »Zustimmung nach Information« (»informed consent«) getroffen werden soll. Der vereinbarte Konsens sowie die Inhalte des Aufklärungsgesprächs sind im Krankenblatt stichpunktartig zu dokumentieren. Die Quer- und Schräglage bei Einlingsschwangerschaften ist ein sehr seltenes Ereignis. Grundsätzlich sind die Querund Schräglage gebärunmögliche Lagen. Es bestehen jedoch verschiedene Möglichkeiten, die Querlage des Fetus zu beeinflussen. Auch bei Mehrlingsschwangerschaften ist die Querlage beider Feten ein sehr seltenes Ereignis. Bei der spontanen Mehrlingsgeburt, bei der sich der zweite (oder höhergradige) Mehrling in Querlage eingestellt hat, kann nach der Geburt des ersten Mehrlings aus Längslage der zweite i. d. R. problemlos in die Längslage gebracht werden.
43.1
Beckenendlage
43.1.1
Terminologie
Einteilung und Definition der fetalen Einstellung und Haltung bei Beckenendlage
43
In vielen Lehrbüchern und Schriften wird die Beckenendlageneinstellung (BEL) fälschlicherweise als Poleinstellungsanomalie bezeichnet. Im Grunde genommen ist diese Bezeichnung nicht korrekt. Eine Beckenendlage ist ebenso wie eine Schädellage per se eine Längslage und befindet sich daher in einer geburtsmöglichen Position. Die Besonderheit gründet sich lediglich auf die verschiedenartige Poleinstellung, bei der
. Abb. 43.1. Reine Steißlage mit »extended legs«
entweder der Steiß oder Steiß und Füße gemeinsam den vorangehenden Kindsteil ausmachen. Demzufolge ist die BEL keine Anomalie, sondern eine physiologische Normvariation der Längslage.
Reine Steißlage Bei der reinen Steißlage (. Abb. 43.1, 43.2) führt ausschließlich der Steiß. Die Häufigkeit dieser Einstellung zum Zeitpunkt der Geburt beträgt ca. 70% aller Beckenendlagen (Feige u. Krause 1998). Befindet sich der fetale Rücken auf der rechten Seite, besteht eine II. Beckenendlage (BEL). Demgegenüber spricht man von einer I. BEL, wenn sich der fetale Rücken auf der linken Seite befindet. > Die Besonderheit dieser Einstellung wird durch die Haltung der Beine charakterisiert. Sie sind beide taschenmesserartig am Rumpf angelegt. Somit ist der Steiß immer der vorangehende Teil bei der Geburt. Diese Besonderheit besitzt einen großen Einfluss auf die Geburtsdynamik und die Komplikationshäufigkeit.
Während einer vaginalen Geburt sind bei einer reinen Steißlage die wenigsten schweren Komplikationen zu erwarten. Nur selten wird ein Nabelschnur- oder Extremitätenvorfall beobachtet. Die Ursache dafür ist in der Tatsache begründet, dass die Zirkumferenz des Steißes die knöcherne Beckenringlichtung im Beckeneingang fast komplett ausfüllt. Andererseits ist häufiger mit einer protrahierten Austreibungsperiode zu rechnen. Die am Rumpf des Fetus angelegten Beine bedingen einen Schienungseffekt der fetalen Hüfte. Dadurch wird
943 43.1 · Beckenendlage
. Abb. 43.2. Reine Steißlage mit sich überkreuzenden Unterschenkeln
. Abb. 43.3. Vollkommene Steiß-Fuß-Lage
sie immobil und erschwert die Beugung der Hüfte während der Austreibungsperiode im sog. Geburtsknie. Aufgrund dessen beobachtet man als Besonderheit bei der vaginalen Entbindung bei reiner Steißlage mitunter eine Pendelbewegung. Unter dem Druck der Wehen tritt der Steiß z. T. bis zum Beckenboden tiefer. In der Wehenpause federt er wieder bis zur Beckenmitte oder gar noch höher zurück. Im Ergebnis kann diese Pendelbewegung zu einer Verlängerung der Austreibungsperiode im Vergleich zur Schädellagengeburt führen.
Vollkommene und unvollkommene Steiß-Fuß-Lage Bei der Steiß-Fuß-Lage führen immer die Füße. Der fetale Steiß befindet sich dahinter bzw. darüber. Sowohl die vollkommene als auch unvollkommene Steiß-Fuß-Lage zusammengenommen treten bei Geburtsbeginn in einer Häufigkeit von ca. 30% auf (Feige u. Krause 1998). Die vollkommene Steiß-Fuß-Lage (. Abb. 43.3) wird durch eine Hockstellung des Fetus charakterisiert. Ein oder beide Beine des Fetus sind sowohl in der Hüfte als auch im Kniegelenk gebeugt. Es führt bei der Geburt mindestens ein Fuß. Bei unvollkommener Steiß-Fuß-Lage befindet sich nur ein Bein in der Hockstellung. Das andere Bein liegt, wie bei der reinen Steißlage, entweder am Rumpf des Fetus an oder überkreuzt das führende Bein. Es führt dann also nur ein Fuß (. Abb. 43.4).
. Abb. 43.4. Unvollkommene Steiß-Fuß-Lage
43
944
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
Bei Geburtsbeginn befindet sich der Fetus noch in einer lockeren Hockstellung. Erst durch den zunehmenden Wehendruck passt sich der Fetus den enger werdenden Gegebenheiten des knöchernen Beckeneingangs an. Das geschieht in der Art, dass seine Knie an das Abdomen angepresst werden und er sich auf seine Füße »setzt«. Damit verringert sich der Steiß-Fuß-Abstand. Im Vergleich zur reinen Steißlage wird die führende Zirkumferenz insgesamt vergrößert. Die Gesamtgeburtsdauer einer vaginalen Entbindung aus Steiß-Fuß-Lage ist mit einer Schädellagengeburt in etwa vergleichbar. Die Hockstellung des Fetus ermöglicht eine gute Mobilität seiner Hüfte, sodass die Passage des Geburtsknies in der Austreibungsperiode kaum beeinträchtigt ist. Andererseits inkludiert diese fetale Einstellung bzw. Haltung der Beine eine größere Komplikationsrate. Anlässlich eines vorzeitigen bzw. rechtzeitigen Blasensprungs kann sich eher ein Nabelschnur- oder Extremitätenvorfall ereignen. Die Konfiguration von Füßen und Steiß gemeinsam ist nicht kontinuierlich kreisförmig und dichtet damit den Beckeneingang nur inkomplett ab. Es wird nicht selten beobachtet, dass sich aus einer SteißFuß-Lage, die sonographisch bei Geburtsbeginn diagnostiziert wurde, eine reine Steißlage durch Hochschlagen der Beine zur Geburt hin entwickelt. Demgegenüber kann aus einer Steiß-Fuß-Lage bei einem Blasensprung jederzeit eine Fußlage entstehen.
Vollkommene und unvollkommene Fußlage Die Definition einer Fußlage sollte an zwei Bedingungen gebunden sein: 4 bereits begonnene Geburt, 4 Verhalten der Beine nach Blasensprung in Abhängigkeit der Muttermundsweite. Umgangssprachlich wird von einer Fußlage gesprochen, wenn anlässlich der geburtshilflichen Befunderhebung ante partum (Sonographie) bzw. sub partu bei stehender Fruchtblase ein Fuß bzw. beide Füße als vorangehender Teil bildlich dargestellt bzw. getastet werden. Per se ist aber, mit Ausnahme der reinen Steißlage, jede Steiß-Fuß-Lage primär immer eine sog. Fußlage, da mindestens ein Fuß die Führung übernimmt. Somit ist allein diese Tatsache nicht das Definitionskriterium einer Fußlage. Die ausgestreckten Beine sind das einzig richtige Definitionskriterium einer so genannten Fußlage! Daher wäre der Begriff »Beinlage« anstelle »Fußlage« die an sich korrekte wissenschaftliche Bezeichnung. Der Einfachheit halber wird jedoch weiterhin der umgangssprachliche Begriff »Fußlage« verwendet.
43
> Eine Fußlage entwickelt sich also immer erst sub partu. Aus einer Steiß-Fuß-Lage kann sich nach einem Blasensprung durch Ausstrecken mindestens eines Beines eine Fußlage entwickeln.
Eine Fußlage ist sehr komplikationsträchtig. Besonders anlässlich eines Blasensprungs kann mit einem Nabelschnurvorfall gerechnet werden. Dieser erfordert v. a. bei nicht vollständig eröffnetem Muttermund die sofortige Schnittentbindung. Ein Extremitätenvorfall wäre mit einer Fußlage gleichzuset-
. Abb. 43.5. Vollkommene Fußlage. (Aus Feige u. Krause 1998 mit frdl. Genehmigung)
zen. In den Fällen, in denen sich eine Fußlage nach vollständig eröffneter Zervix entwickelte, konnten ca. 15% aller Feten komplikationslos vaginal geboren werden (Feige u. Krause 1998). > Alle Entscheidungen zum Geburtsmodus hängen im Wesentlichen von der Geburtsdynamik ab.
In Analogie zur Steiß-Fuß-Lage wird die Fußlage ebenso in eine vollkommene Fußlage, bei der beide Beine ausgestreckt sind (. Abb. 43.5), und eine unvollkommene Fußlage, bei der nur ein Bein ausgestreckt ist (. Abb. 43.6), untergliedert.
43.1.2
Inzidenz der Beckenendlage
Die Inzidenz der Poleinstellung Beckenendlage (BEL) hängt sehr stark vom Gestationsalter ab. Anlässlich des zweiten Ultraschall-Screenings (19.–22. SSW) wird in bis zu ca. 50% der Fälle eine Beckenendlage beobachtet. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf vermindert sich die Häufigkeit. Beim dritten Ultraschall-Screening (29.–32. SSW) befinden sind noch ca. 10% der Feten in BEL. In Terminnähe beträgt ihr Anteil nur noch 3–5%.
945 43.1 · Beckenendlage
Niedriges Gestationsalter und Geburtsgewicht Ein niedriges Gestationsalter ist häufig mit einem niedrigen Geburtsgewicht assoziiert. Durch den großen Prozentsatz von Feten in BEL am Ende des 2. und am Beginn des 3. Trimenons ist diese Tatsache leicht erklärbar.
Parität Die Angaben über den Anteil von Primiparae bei Beckenendlagenentbindungen schwanken in der Literatur zwischen 50% und 61% (Phillip 1951; Boos 1994; Krause et al. 1994). Ein Grund dafür könnte die Zunahme des Anteils von späten Erstgebärenden sein. Als Ursache für das vermehrte Auftreten von Beckenendlagen werden ein nicht gedehnter Uterusmuskel sowie straffe Bauchdecken Erstgebärender angenommen. Sie engen den Bewegungsraum des Fetus in der Art ein, dass eine spontane Drehung in Schädellage erschwert wird. Die Multiparität begünstigt ebenfalls eine Beckenendlageneinstellung. In diesem Fall ist es die erniedrigte Uteruswandspannung im Zusammenwirken mit dem geringeren Druck der Bauchdeckenmuskulatur. Nach der Akkomodationstheorie besitzt der Fetus eine größere Bewegungsfreiheit in utero. Ihm fehlt das entsprechende harte Widerlager, um seine Drehung in Schädellage mit seinen Extremitäten aktiv zu unterstützen.
Plazentare Ursachen
. Abb. 43.6. Unvollkommene Fußlage. (Aus Feige u. Krause 1998 mit frdl. Genehmigung)
43.1.3
Prädisponierende Faktoren
Das Phänomen einer Beckenendlage ist ein multifaktorielles Geschehen. Die einzelnen Einflüsse der Entstehung sind schwer auszumachen bzw. die gegenseitigen Beziehungen und Einflüsse nicht voneinander zu trennen. Daher sind die Ursachen und Einflüsse der Entstehung einer Beckenendlage zu ca. 80% ungeklärt und als idiopathisch anzusehen. In rund 20% finden sich assoziierte Faktoren, die mit großer Wahrscheinlichkeit diese Poleinstellung begünstigen können. Dazu zählen (Rayl et al. 1996): 4 niedriges Gestationsalter, 4 Primi- und Multiparität (4), 4 niedriges Geburtsgewicht, 4 plazentare Ursachen (Placenta praevia, tief sitzende Plazenta), 4 Poly- bzw. Oligohydramnion, 4 fetale Fehlbildungen, 4 Uterusfehlbildungen bzw. -deformitäten (Myome, Septen etc.), 4 Mehrlingsschwangerschaft, 4 fetale Bewegungsaktivität und neurologische Entwicklung.
Eine Placenta praevia bzw. eine tief sitzende Plazenta soll ebenfalls die Poleinstellung Beckenendlage begünstigen. Bei diesem Befund beobachtet man häufig auch andere Poleinstellungsanomalien, wie z. B. Schräg- bzw. Querlagen. Die Diagnose einer Placenta praevia muss spätestens anlässlich des dritten Ultraschall-Screenings sonographisch gestellt und gesichert werden. Aus diesem Befund leiten sich wesentliche geburtshilfliche Konsequenzen bezüglich der Aufklärung und der weiteren Betreuung der Schwangeren ab.
Polyhydramnion Ein Polyhydramnion verschafft dem Fetus eine größere Beweglichkeit in utero. Ähnlich wie bei Mehrgebärenden angenommen, findet der Fetus auch in diesem Fall kein hartes Widerlager, um seine Drehung aktiv vorzunehmen.
Oligohydramnion Ein Oligohydramnion wird signifikant häufiger bei Beckenendlage als bei Schädellagen beobachtet und begünstigt die Persistenz der Poleinstellung. Die verminderte Fruchtwassermenge schränkt den fetalen Bewegungsraum ein, sodass eine spontane, aktive Wendung dadurch erschwert wird.
Fetale Fehlbildungen Wichtige Ursachen für die Poleinstellung Beckenendlage sind fetale Fehlbildungen, die gehäuft bei Feten in Beckenendlage beobachtet werden. Dazu zählen z. B. Hydrozephalus, Steißbein- oder andere Teratome, Gastroschisis oder Omphalozele. Die genannten Fehlbildungen können eine Drehung des Fetus aus BEL in Schädellage erschweren oder gar verhindern. Diese fetalen Fehlbildungen werden im 2. und 3. Trimenon beobachtet. Durch das in den Mutterschafts-Richtlinien verankerte
43
946
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
Ultraschall-Screening könnte ein Teil dieser Fehlbildungen noch frühzeitiger erkannt werden. Allerdings gelingt dies nur zu ca. 30%.
Uterusfehlbildungen bzw. -deformitäten Ohne Zweifel können raumfordernde Prozesse des inneren weiblichen Genitales wie Uterus- oder Zervixmyome sowie Uterusfehlbildungen (z. B. Uterus subseptus, Uterus bicornis oder unicornis) die Poleinstellung BEL begünstigen.
Mehrlingsschwangerschaft Eine Mehrlingsschwangerschaft ist ein weiterer Faktor für das gehäufte Auftreten von Poleinstellungsanomalien. Dies betrifft insbesondere den zweiten Geminus. Der Anteil von Mehrlingsschwangerschaften an der Frühgeburtenrate beträgt nach Martius (1986) ca. 25%. Die Rate von Mehrlingsschwangerschaften steigt unaufhörlich infolge des zunehmenden Einsatzes von reproduktionsmedizinischen Techniken an. So nahm z. B. die Inzidenz der Geminigravidität in Bayern von 0,9% im Jahr 1982 auf 1,7% im Jahr 2008 zu (BAQ 2008).
Fetale Bewegungsaktivität und neurologische Entwicklung
43
Die sonographische Beobachtung der fetalen Bewegungsmuster könnte eine zukunftsträchtige Diagnostik hinsichtlich vermuteter neurologischer Entwicklungsdefizite werden. Die fetale Bewegungsaktivität scheint für die neurologische Entwicklung eine außerordentlich große Bedeutung zu besitzen. Die fetale Gesamtaktivität nimmt von der 20. SSW an kontinuierlich zu. Sie erreicht mit der 32. SSW ihren Höhepunkt. Damit fällt das Maximum der Bewegungsaktivität mit dem Zeitpunkt der Stabilisierung der endgültigen Geburtslage zusammen. Ab diesem Zeitpunkt bleibt die Bewegungsaktivität zunächst konstant, um zum Termin hin wieder kontinuierlich abzunehmen. Die quantitative Abnahme der fetalen Bewegungsaktivität ist nicht nur Folge eines zunehmenden intrauterinen Platzproblems. Sie ist auch das Ergebnis heranreifender bzw. sich entwickelnder zentralnervöser Inhibitionsmuster. Eine Untersuchung des Bewegungsmusters zwischen Feten in Beckenendlage und Schädellage zeigte, dass Feten in Beckenendlage gegenüber denen in Schädellage längere Perioden einer generalisierten Ganzkörperbewegung, aber eine geringere Anzahl von Extremitätenbewegungen aufwiesen (Boos 1994). Durch externe vibroakustische Stimulationsversuche über die Bauchdecke der Schwangeren ist bekannt, dass ca. 10% der Feten in Beckenendlage unreife und unvollständige zentralnervöse synchronisierte Verhaltenszustände zeigen. Bei Feten in Schädellage fand man diese unreifen und unvollständigen zentralnervösen synchronisierten Verhaltenszustände nur in ca. 6%. Diese Differenz scheint auf der Grundlage unterschiedlicher neurologischer Reifungszustände zu basieren. Aus der Tatsache, dass die unreifen Verhaltenszustände bei Feten in Beckenendlage häufiger zu beobachten waren, wurde postuliert, dass sie einerseits passageren zentralnervösen Reifungsdefiziten entsprechen und andererseits auch als eine Ursache für die späteren kindlichen neurologischen Entwicklungsprobleme angesehen werden können.
43.1.4
Diagnostik
Die Diagnostik der Poleinstellung BEL in Terminnähe kann natürlich über die althergebrachten Leopold-Handgriffe erfolgen (Pschyrembel u. Dudenhausen 1986; 7 Kap. 12, . Abb. 12.6). Diese altbewährte Methode sollte immer wieder trainiert werden, um die manuellen Fertigkeiten der jüngeren Geburtshelfer zu festigen. Allerdings ist diese Methode häufiger mit einer Fehldiagnose behaftet. Eine Ursache dafür ist darin zu sehen, dass der Anteil junger Frauen mit einem BMI von >27 (Übergewicht) stetig zunimmt. Das erschwert die Diagnostik erheblich. Handgriff 1. Beurteilung des Höhenstandes des Fundus uteri und Bestimmung, welcher Kindsteil sich im Fundus befindet. Den Kopf tastet man im Fundus uteri als harte Struktur mit einer gleichförmigen, runden Oberfläche. Der Kopf lässt sich im Gegensatz zum Steiß ballotieren! Handgriff 2. Befindet sich der Rücken links, besteht eine I. Lage. Ist der Rücken rechts zu tasten, spricht man von einer II. Lage. Handgriff 3 und 4. Der Steiß tastet sich als relativ weiche Struktur; sie lässt sich nicht ballotieren. Darüber hinaus ist es typisch für eine Beckenendlage, dass sich der Steiß auch nach Überschreiten des errechneten Termins beweglich über dem Beckeneingang befindet. Erst mit Geburtsbeginn senkt sich der Steiß in den Beckeneingang. Für die Diagnostik der fetalen Lage bietet sich die transabdominale Sonographie an. Sie ist leichter und zuverlässiger anzuwenden. Sie ermöglicht die Gewinnung einer Reihe von Zusatzinformationen, z. B. Fruchtwassermenge, Plazentalokalisation, Lage und Haltung des Fetus usw. Der Vorteil der Sonographie beruht v.a. darin, eindeutig die Haltung der fetalen Beine darzustellen. Dieser Befund ist für die Geburtsleitung von großer Bedeutung.
43.1.5
Präpartuale Beratung, Betreuung und Empfehlung zum Geburtsmodus
(Modifiziert nach Krause u. Feige 2003; Krause 2005.) In den derzeit gültigen Mutterschafts-Richtlinien (MuSchR) findet sich im Abschnitt B »Erkennung und besondere Überwachung der Risikoschwangerschaft und Risikogeburten« folgender Passus: »Der betreuende Arzt soll die Schwangere bei der Wahl der Entbindungsklinik unter dem Gesichtspunkt beraten, dass die Klinik über die nötigen personellen und apparativen Möglichkeiten zur Betreuung von Risikogeburten und/ oder Risikokindern verfügt.« Daraus geht eindeutig hervor, dass selbstverständlich nicht jede Geburtsklinik für eine vaginale Geburt von Kindern aus Beckenendlage eingerichtet ist. Darüber hinaus soll eine Schwangere generell vor einer Geburt in der Geburtsklinik vorgestellt werden (MuSchR Abschn. A8). Das gilt umso mehr für so genannte Risikoschwangere. Eine Schwangere mit Beckenendlage zählt nach dem entsprechenden Katalog (MuSchR Abschn. B1/II h) als Risikoschwangere und soll als solche betreut werden.
947 43.1 · Beckenendlage
Tipp Die Vorstellung zur Geburt (MuSchR Abschn. A8 bzw. B6) soll in einem angemessenen Zeitraum vor dem errechneten Termin in der Geburtsklinik stattfinden. Im Allgemeinen bedeutet dieser angemessene Zeitraum eine Vorstellung nach der 36. SSW.
Anlässlich dieser Vorstellung in der Geburtsklinik soll eine exakte Risikoselektion durch einen Facharzt erfolgen. Neben einer ausführlichen Anamneseerhebung sollte eine klinische Untersuchung (Beckenbeurteilung) zum Ausschluss anormaler Beckenformen stattfinden. Eine exakte Sonographie und die Erhebung der fetalen biometrischen Maße zählen ebenso dazu und sind eine Conditio sine qua non. Um ein ungestörtes fetales Wachstum zu erfassen, sollen die 5 in den Mutterschafts-Richtlinien definierten fetalen Maße erhoben werden (BIP, FOD oder KU bzw. HC, ATD, ASD oder AU bzw. AC, FL). Die transabdominale Sonographie hat sich aber, was die sonographische Gewichtsschätzung des Fetus betrifft, als sehr ungenau und unzuverlässig erwiesen. Die Differenz zwischen sonographisch geschätztem und tatsächlichem Geburtsgewicht kann bis zu 20% betragen. Da sich daraus erhebliche Schätzgewichtsdifferenzen ableiten, besitzt das sonographisch geschätzte Kindsgewicht nur eine geringe prognostische Bedeutung hinsichtlich des zu empfehlenden Entbindungsmodus. Aus diesem Grund sollte auf die sonographische Gewichtsschätzung generell verzichtet werden. Es hat sich vielmehr als vorteilhaft erwiesen, Umfänge von Kopf und Rumpf miteinander zu vergleichen. Die Beurteilung der Proportionen zwischen Kopf- und Abdominalumfang besitzt eine größere Bedeutung als die reine Gewichtsschätzung. Sind diese beiden Parameter in etwa kongruent, kann bei empfohlener vaginaler Geburt eine komplikationslose Entbindung erwartet werden. Finden sich jedoch Hinweise für eine ausgeprägte asymmetrische Wachstumsrestriktion des Fetus, sollte der Schwangeren eher zur elektiven Beendigung der Schwangerschaft durch Sectio caesarea geraten werden. Die gleiche Empfehlung gilt auch bei einem Verdacht auf eine fetale Makrosomie. Zur sonographischen Diagnostik der fetalen Makrosomie sollen sich nach neueren Studien besonders der Abdominalumfang > 35 cm (geschätztes Gewicht: > 4000 g) bzw. > 38 cm (geschätztes Gewicht: > 4500 g) eignen (Gilby et al. 2000; Jazayeri et al. 1999; Sokol et al. 2000). Ob dieser Parameter allein tatsächlich zuverlässiger das Geburtsgewicht voraussagen kann, bleibt fraglich. Einen weiteren Parameter stellt die Fruchtwassermetrik dar. Mit Hilfe der 4-Quadranten-Methode kann der AmnionFluid-Index (AFI) errechnet werden. Beträgt dieser Index weniger als 2 cm, so besteht der dringende Verdacht auf eine Oligohydrämie und zunehmende Plazentainsuffizienz. Dieser Parameter sollte bei der Entscheidung zum Entbindungsmodus Mitberücksichtigung finden. Aber auch bei dieser Methode können erhebliche Fehleinschätzungen auftreten, da sich der Fetus i. d. R. bewegt und die zu messenden Fruchtwasserdepots dadurch in der Fläche variieren und sich nicht konstant darstellen lassen. Somit ist dieser Parameter eher ein Indiz als ein alleiniges Entscheidungskriterium.
Im Rahmen des Beratungsgespräches können der Schwangeren Hinweise auf additive komplementärmedizinische Methoden gegeben werden. Dazu zählen z. B. die Akupunktur und Akupressur, die Haptonomie, die Moxibustion sowie verschiedene physikalische Maßnahmen, wie z. B. die Indische Brücke oder Wassergymnastik. Sie sollen eine spontane Drehung des Fetus in Schädellage unterstützen. Es sollte jedoch darauf verwiesen werden, dass bisher keine evidenzbasierten Studien existieren, die eine Wirksamkeit der oben angeführten komplementärmedizinischen Maßnahmen nachwiesen. Nachdem die klinischen Untersuchungen abgeschlossen wurden, soll die Schwangere sowohl über die Risiken der vaginalen Entbindung als auch über die der Schnittentbindung aufgeklärt werden. Dieses Aufklärungsgespräch soll jedoch nicht zur Verunsicherung der Schwangeren führen. Vielmehr soll der physiologische Prozess des Gebärens bei Beckenendlage anschaulich dargestellt werden. In diesem Zusammenhang muss auf die Erfahrungen des geburtshilflichen Teams und die Struktur der Geburtsklinik hingewiesen werden. Dazu ist es sinnvoll, der Schwangeren die eigenen Ergebnisse, z. B. die Rate der Geburtsmodi sowie perinatale Morbidität und Mortalität, zu präsentieren. Die Darstellung der Erfahrungen soll der Schwangeren helfen, entsprechende Informationen zur Geburtsklinik zu sammeln. Je höher z. B. die Rate vaginaler Geburten ist, je eher kann darauf geschlossen werden, dass eine entsprechende fachliche Qualifikation des geburtshilflichen Teams vorhanden ist. Denn nur das ständige mentale und v.a. praktische Training der geburtshilflichen Manöver in vivo ermöglicht dem geburtshilflichen Team, eine ausreichend große Sicherheit bei der Leitung der vaginalen Entbindung sowie zur Beherrschung kritischer Situationen zu erlangen. Über folgende Risiken einer vaginalen Geburt aus Beckenendlage sollte die Schwangere aufgeklärt werden: 4 protrahierte Geburt mit dem Risiko einer sekundären Sectio caesarea von ca. 35%, 4 Hochschlagen der Arme, 4 Plexus-brachialis-Schädigung infolge von Armlösungsmanövern (Wahrscheinlichkeit <1‰, Krause u. Feige 2000), 4 schwierige Kopfentwicklung (sehr selten), 4 geburtsassoziierter hypoxischer Hirnschaden (extrem selten), 4 Beckenbodentrauma, z. B. durch Episiotomie oder Dammriss. Im Rahmen des Aufklärungsgespräches soll die Schwangere auch auf die Wahrscheinlichkeit einer sekundären Sectio caesarea bei vaginaler Geburt und auf die möglichen Komplikationen des operativen Eingriffs hingewiesen werden. Abschließend soll der Schwangeren durch den beratenden Arzt eine Empfehlung zum Entbindungsmodus gegeben werden. Diese resultiert letztlich aus der Berücksichtigung und Abwägung der verschiedenen oben genannten mütterlichen und kindlichen Risiken.
43
948
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
der maternalen und perinatologischen Risiken und deren Auswirkungen auf das Neugeborene ein. Das betrifft nicht nur den Vergleich der Risiken der externen Wendung gegenüber den Techniken der vaginalen Entbindung, sondern auch gegenüber der Sectio caesarea. Die Zusammenfassung der verfügbaren Literatur in der Cochrane Library kann wie folgt interpretiert werden: Der Versuch einer externen Wendung des Fetus am Termin aus Beckenendlage in Schädellage kann die Häufigkeit von vaginalen Beckenendlagen- und Schnittentbindungen reduzieren. Es existiert aber noch keine ausreichende Evidenz hinsichtlich der Einschätzung der verschiedenen Risiken der externen Wendung (Hofmayr u. Kulier 2004). Bei standardisierten Wendungsmanövern unter Tokolyse und Überwachung wurde allerdings seit 1978 kein kindlicher Todesfall berichtet. Die äußere Wendung ist in geübten Händen eine sichere Methode und hat Erfolgsraten von durchschnittlich bis zu 60% vorzuweisen (Retzke 2004; Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003). > Die äußere Wendung ist eine mechanische Methode, die Poleinstellung eines Fetus durch die Bauchdecke der Mutter hindurch zu verändern. Sie kommt dort zum Einsatz, wo das Risiko einer vaginalen Geburt für den Fetus oder das einer primären Schnittentbindung für die Mutter als höher angesehen wird als dasjenige von Wendung und vaginaler Geburt.
Zeitpunkt der äußeren Wendung
. Abb. 43.7. Entscheidungsschema zum Geburtsmodus bei Beckenendlage. (Mod. nach Krause u. Feige 2003)
> Der Schwangeren sollte nun genügend Bedenkzeit für die Entscheidungsfindung zum Geburtsmodus eingeräumt werden. Wichtig ist, dass eine Zustimmung der Schwangeren zum ärztlich empfohlenen Entbindungsmodus erzielt wird.
Sollte sich die Schwangere nach entsprechender Beratung und Aufklärung für einen Geburtsmodus entschieden haben, soll dieser Konsens im Krankenblatt inklusive der Inhalte des Aufklärungsgespräches aufgezeichnet werden (. Abb. 43.7).
43.1.6
43
Äußere Wendung des Kindes in Schädellage
Für das Vorgehen bei Beckenendlage existieren hinsichtlich der Vorbereitung und Durchführung einer Geburt verschiedene Empfehlungen. Sie werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Eine besondere Rolle nehmen dabei die Bewertung
Ab SSW 36+0 kann der Schwangeren zu einem Wendungsversuch geraten werden (Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003). Die Empfehlung zu diesem Vorgehen entspringt aus dem Bewusstsein, dass einerseits die fetale Lungenreife i. d. R. abgeschlossen ist. Damit sind Frühgeburtsrisiken weitestgehend ausgeschlossen. Andererseits können komplementärmedizinische Methoden, wie geburtsbegleitende Akupunktur, Akupressur, Moxibustion, andere physikalische Maßnahmen (Indische Brücke, Wassergymnastik, Haptonomie etc.) zur Anwendung gebracht werden. Sie sollen eine spontane Wendung in Schädellage unterstützen. Diese Methoden gelten allgemein als ungefährlich. Bisher wurde durch klinisch evaluierte Studien deren Wirksamkeit nicht bewiesen, da in diesem Zeitraum eine spontane Wendung des Kindes in Schädellage immer noch in einem geringen Prozentsatz beobachtet wird.
Beratungsgespräch Auf jeden Fall muss, wie vor jeder medizinischen Maßnahme, eine ausführliche Information mit Beratung und Aufklärung zu Risiken, Komplikationen und Erfolgsraten erfolgen. Im Anschluss an die äußere Wendung können verschiedene Komplikationen beobachtet werden.
949 43.1 · Beckenendlage
Selektion der Schwangeren Mögliche Komplikationen oder Gefahren der äußeren Wendung 4 Nabelschnurkomplikationen: Selten wurden passagere Asystoliephasen beobachtet. Häufiger kann es zu kurzfristigen CTG-Auffälligkeiten kommen. Es handelt sich meistens um fetale Bradykardien. Sie sind rasch reversibel und bedürfen keiner Therapie. Innerhalb der ersten halben Stunde kann außerdem eine erniedrigte basale Herzfrequenz gefunden werden. Bei einer persistierenden Bradykardie sollte versucht werden, durch Lagerungswechsel der Schwangeren diese Situation zu beheben. Falls das nicht auf diese einfache Weise gelingt, sollte eine Rückdrehung des Fetus erwogen werden. Im ungünstigen Fall schließlich sollte, wenn alle konservativen Maßnahmen versagen, eine eilige Sectio caesarea indiziert werden. 4 Vorzeitige Plazentalösung: Mit der äußeren Wendung kann (äußerst selten) eine vorzeitige Plazentalösung ausgelöst werden. Sie kann in sehr unterschiedlichen Schweregraden auftreten. Insbesondere bei tiefsitzender Vorderwandplazenta kann es beim Mobilisieren des Steißes aus dem kleinen Becken zu Randsinusblutungen kommen, die allerdings in den meisten Fällen kein Eingreifen notwendig machen. 4 Fetomaternale Transfusion: Über die Häufigkeit einer fetomaternalen Transfusion anlässlich einer äußeren Wendung gibt es sehr unterschiedliche Mitteilungen (Literaturübersicht bei Vetter 2003). Laborchemisch kann die übergetretene Blutmenge bestimmt werden. Sie ist allerdings in den meisten Fällen nur sehr gering, sodass bei einer Rhesuskonstellation gewöhnlich die Verabreichung der Standarddosis an Anti-D (300 μg Rhophylac) ausreicht, sofern die letzte Boosterung mehr als 3 Wochen zurückliegt. 4 Vaginale Blutungen sind sehr selten und können z. B. ein Hinweis auf eine vorzeitige Plazentalösung sein. Nur in sehr wenigen Fällen wurde eine Blutung in eingriffsrelevanter Stärke beschrieben (Retzke 2004). 4 Antenataler intrauteriner Fruchttod: In einem Zeitraum von Tagen bis Wochen nach dem Wendungsversuch kann sehr selten ein intrauteriner Fruchttod eintreten. Ein Zusammenhang mit dem Wendungsversuch kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass nach 37 SSW bei Einlingen generell eine sehr geringe Prävalenz für den intrauterinen Fruchttod existiert. Im Vergleich verschiedener Untersuchungen konnte auch im Wendungskollektiv keine Erhöhung festgestellt werden (Vetter 2003).
Unterschiedliche Erfolgsraten (Literaturübersicht bei Vetter 2003) sind nicht allein auf unterschiedliche Techniken zurückzuführen. Sie basieren v. a. auf einer exakten Selektion der Schwangeren. Zu den unbestreitbaren Kontraindikationen für einen Wendungsversuch gehören: die Placenta praevia, der Verdacht auf Kopf-Becken-Missverhältnis, die intrauterine Wachstumsrestriktion mit sonographisch nachweisbarer chronischer hämodynamischer Plazentainsuffizienz, einige schwere maternale gestationsbedingte Erkrankungen (HELLP-Syndrom, Präeklampsie), einige fetale Fehlbildungen oder ein pathologisches Kardiotokogramm. Ein Zustand nach Sectio caesarea ist keine Kontraindikation für einen Wendungsversuch. Der Einfluss anderer Faktoren auf den Wendungserfolg, wie z. B. Oligohydramnion, Nabelschnurumschlingungen, ein deflektierter Kopf, ein vorzeitiger Blasensprung, eine Uterusfehlbildung, wie z. B. ein Uterus bicornis, werden unterschiedlich beurteilt (Retzke 2004; Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003, Leitlinie der DGGG »Geburt bei Beckenendlage« 2006).
Vorbereitungen zum Eingriff Verschiedene Methoden und medikamentöse Prozeduren werden zur Erleichterung des Eingriffs in der Literatur angegeben (Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003). Zielstellung ist die physische und psychische Entspannung der Schwangeren durch Analgesie bzw. Spasmolyse. Zum anderen sollen diese Maßnahmen zur Ausschaltung der Bauchdecken- und der Uteruswandspannung als Wendungshemmnis führen. Die einzelnen Maßnahmen reichen von bestimmten Lagerungen der Schwangeren bis zum Einsatz von uterusrelaxierenden Substanzen, wie intravenöse Tokolyse mit β-Mimetika (Fenoterol) oder Nitroglycerin. Berichtet wird auch über die Anwendung von Lachgasanalgesie, Anlage einer Katheterperiduralanalgesie und Vollnarkose mit all ihren Risiken. Die Effektivität jeder einzelnen Maßnahme wird unterschiedlich beurteilt und ist nicht einheitlich. Letztlich entscheiden die klinische Situation und die Erfahrung des Geburtshelfers über die Notwendigkeit der einzusetzenden Methoden.
Durchführung der externen Wendung Der Wendungsversuch kann als ambulanter Eingriff durchgeführt werden, wenn er komplikationslos gelingt und alle Voraussetzungen für eine »postoperative« ambulante Betreuung gewährleistet sind. Zumindest sollte aber der Sectio-OP frei sein und das Anästhesie-, Operations- und Neonatologieteam über den geplanten Eingriff der äußeren Wendung informiert werden. Für den Wendungsversuch muss die Schwangere nicht nüchtern sein. > Bevor mit dem Wendungsmanöver begonnen wird, sollte eine orientierende Ultraschalluntersuchung zur Überprüfung der kindlichen Lage und Haltung, der Fruchtwassermenge und Plazentalokalisation durchgeführt werden. Eine CTG-Registrierung von mindestens 20 min vor dem Eingriff ist obligato-
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Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
risch. Des Weiteren sollen alle organisatorischen Maßnahmen getroffen werden, damit im Falle einer schweren Komplikation eine sofortige Schnittentbindung durchgeführt werden kann.
Die Schwangere wird zum Wendungsversuch vorwiegend in einer die Bauchdecken entspannende Rückenlage mit leichter Seitwärtskippung nach links und angewinkelten Oberschenkeln gelagert. Die Beugung in Hüft- und Kniegelenk kann durch ein Polster unter den Knien unterstützt werden. Für die Durchführung der äußeren Wendung gibt es keine verbindliche Empfehlung. Es hängt im Wesentlichen von der klinischen Situation und von der Erfahrung des Geburtshelfers ab, welche Methode sich für den speziellen Fall eignet. Während einige Geburtshelfer die Rolle rückwärts favorisieren, kommt bei anderen primär die Rolle vorwärts zur Anwendung. Schließlich kann man sich auch von der Situation leiten lassen und den jeweils günstiger erscheinenden Weg – meist den kürzeren – einschlagen. Das Auftaktmanöver am Kind wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt: Einige Autoren drängen zunächst den Kopf beckenwärts, ehe sie den Steiß aus dem Becken mobilisieren. Andere mobilisieren zunächst den Steiß, ehe sie den Kopf vorwärts oder rückwärts ins Becken zu drängen versuchen (Retzke 2004; Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003; Feige u. Krause 1998). > Zur Erleichterung des Wendungsversuchs kann eine intravenöse Tokolyse mit Fenoterol über 20–30 min durchgeführt werden. Eine Infusionslösung (500 ml Vollelektrolytlösung plus 2 Amp. Fenoterol je 0,5 mg) wird mit einer Geschwindigkeit von 50 ml/h infundiert. Die Schwangere nimmt dabei eine Linksseitenlage mit Beckenhochlagerung ein. Nach ausreichender Relaxation wird die Tokolyse abgestellt und der Wendungsversuch vorgenommen.
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Das Wendungsmanöver kann durch eine oder zwei Personen ausgeführt werden. Sind zwei Geburtshelfer anwesend, kann wie folgt vorgegangen werden (Vetter 2003): Eine Person beginnt mit der Mobilisation des Steißes, gewöhnlich auf die dem Kopf abgewandte Seite. Es wird zunächst aus Sicht des Kopfes der kürzere Weg gewählt. Die Entscheidung für die Vorwärts- oder Rückwärtsrolle wird somit entsprechend der Position des Fetus getroffen. Gelingt die Mobilisation des Steißes auch trotz Seitwärtsbewegung des Kopfes durch die zweite Person nicht, kann noch versucht werden, den Steiß von vaginal aus dem Becken zu bewegen. Schlägt auch diese Maßnahme fehl, wird der Wendungsversuch beendet. Sobald der Steiß jedoch mobilisiert werden kann und er sich über dem Becken schräg einstellt, beginnt die zweite Person, den Kopf in Richtung kleines Becken zu drängen. Jetzt werden gleichzeitig Kopf und Steiß gegenläufig bewegt, bis der Kopf das Becken erreicht hat. Hier wird er zunächst manuell fixiert, wenn er nicht von selbst »einspringt«. Mittels Sonographie wird überprüft, ob sich noch kleine Teile oder die Nabelschnur vor dem Kopf befinden, die eine Fixierung im Becken behindern können. Durch vorsichtige und geduldige Manipulation gelingt es in diesen Fällen häufig, dass der Fetus die vor dem Kopf liegenden Extremitäten wegzieht.
Sollte der Wendungsversuch in der eingeschlagenen Richtung nicht gelingen, ist der Wendungsversuch in der Gegenrichtung zu versuchen. Auch wenn man es vielfach nicht erwartet, so ist für einige Feten der lange Weg für den Kopf der einfachere. Gelingt aber auch dieser Versuch in der Gegenrichtung nicht, wird der Wendungsversuch beendet. > Nur in Ausnahmefällen sollte ein zweiter Wendungsversuch geplant werden. Wiederholte Wendungsversuche sind aber wenig erfolgversprechend.
Unabhängig vom Erfolg des Wendungsversuchs schließt sich eine orientierende Sonographie und eine mindestens 30-minütige CTG-Registrierung an. Ist eine ambulante Nachbetreuung durch den betreuenden Frauenarzt oder eine Frauenklinik gewährleistet und traten beim Wendungsmanöver keine Komplikationen auf, kann die Schwangere nach 2-stündiger Beobachtung nach Hause entlassen werden. Eine generelle stationäre Observanz ist nicht zwingend erforderlich (Retzke 2004). Nach Literaturangaben ist eine Rückdrehung nach erfolgreicher Wendung in ca. 4% zu erwarten. Andererseits beobachtet man eine spontane Wendung in Schädellage nach erfolglosem Wendungsversuch in 1–2% (Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003). > Beachtenswert ist die Tatsache, dass die Sectiorate nach erfolgreicher Wendung doppelt so hoch ist wie bei normgewichtigen Einlingen in Schädellage am Termin. In großen untersuchten Kollektiven betrug sie zwischen 12,7% und 14% (Vetter u. Nierhaus 1998; Vetter 2003).
Allerdings verminderte sich in den letzten Jahren der Unterschied bei anhaltender, ansteigender Frequenz der elektiven Sectio caesarea bei Einlingen (Sectio caesarea ohne oder mit nur schwacher medizinischer Indikation).
43.1.7
Vaginale Geburtsleitung bei Beckenendlage
Einflussfaktoren auf die vaginale Geburt Gebärpositionen 4 Die Steinschnittlage ist die am weitesten verbreitete und bevorzugte Position. Sie wird in allen gängigen Lehrbüchern beschrieben. Die Besonderheit der Gebärposition besteht u.a. darin, dass der Geburtshelfer den geborenen Rumpf halten bzw. anheben muss, um die Schwerkraftwirkung auf den Rumpf aufzuheben. Sie verleiht dem Geburtshelfer allerdings bei Auftreten von Komplikationen die sofortige Möglichkeit des Einsatzes der Manualhilfe und aller Techniken zur Behandlung. Dazu zählen u.a. die Armlösungsmanöver oder die Handgriffe für die Kopfentwicklung. Andererseits kann es den unerfahrenen, ängstlichen und unsicheren Geburtshelfer zur frühzeitigen Manipulation am Kind (Ziehen am Steiß) verleiten, welches wiederum zu nachfolgenden vermeidbaren Komplikationen führen kann. Diese Position ist für die Gebärende nicht von Vorteil. Bei längerem Verweilen in der Rückenlage kann ein V.cava-Syndrom auftreten. Dies führt nicht nur zur mütter-
951 43.1 · Beckenendlage
. Tab. 43.1. Nomenklatur der vaginalen Entbindung aus Beckenendlage. (Zit. nach Krause u. Feige 2003)
Modus
Beschreibung
Name der Methode
»Spontangeburt«
Kindsentwicklung ohne jegliche Hilfen
Vierfüßlerstand/Knie-Ellbogen-Lage, Geburt in der Hocke oder im Stehen
Assistierte Spontangeburt
Aufhebung der Schwerkraftwirkung, damit das Planum suboccipitobregmaticum wirksam werden kann
Bracht, Thiessen
Manualhilfe
Alle Manöver zur Lösung der Arme bzw. Entwicklung des Kopfes nach Geburt des Nabels bzw. der Schulterblattspitzen
(Bracht), Bickenbach, Lövset, Müller, klassische Armlösung, Kopfentwicklung nach Veit-Smellie
Extraktion
Zug am Kind vor Geburt des Nabels
Ganze Extraktion
lichen Kreislaufdysregulation, sondern wirkt sich v.a. negativ auf die fetale Versorgung via Plazenta aus. In dieser Position sind im CTG sehr häufig variable Dezelerationen oder eine terminale fetale Bradykardie zu beobachten. 4 Der Vierfüßlerstand stellt eine wesentlich physiologischere Gebärposition dar. Die Entwicklungsphasen sind mit den unten genannten identisch. Im Unterschied dazu jedoch braucht der geborene kindliche Rumpf nicht gehalten bzw. bogenförmig um die Symphyse geführt zu werden. Die Schwerkraft unterstützt den Gebärvorgang in optimaler Weise. Seine Entwicklung vollführt das Kind selbst ohne weitere Unterstützung. Der Geburtsvorgang und die Mechanik entsprechen der gedachten, gebogenen Führungslinie. Die Aufgabe des Geburtshelfers besteht lediglich darin, das Kind nach der Geburt des Kopfes »aufzufangen« (Krause 2007, Krause u. Feige 2008). 4 Weitere mögliche Gebärpositionen sind: die Geburt im Stehen, in der Hocke oder auf dem Hocker. Die Einnahme dieser Gebärpositionen seitens der Gebärenden sollten abhängig gemacht werden vom unkomplizierten, raschen Geburtsverlauf, von hoher Kompetenz und Sicherheit bei der Beurteilung des Geburtsvorganges und von der geistigen Flexibilität des Geburtshelfers.
Parität Die Parität übt selbstverständlich einen Einfluss auf die Rate der vaginalen Entbindungen aus. Mehr als 60% aller Nulliparae und knapp 75% aller Multiparae können vaginal entbunden werden. Aus dieser Tatsche heraus folgt, dass die Nulliparität keine Kontraindikation für eine vaginale Geburt darstellt (Feige u. Krause 1998).
Kindsgewicht Die Erfahrung lehrt, dass die »großen« Kinder dem Geburtshelfer weniger geburtsmechanische Probleme bereiten als »kleine« Kinder. > Die höchste vaginale Entbindungsrate von ca. 70% konnte in den Geburtsgewichtsklassen von 1500– 3500 g beobachtet werden. Bei Kindern mit einem Geburtsgewicht von >4500 g sinkt die Rate vaginaler Geburten auf unter 50% (Feige u. Krause 1998).
Gestationsalter Die höchste vaginale Entbindungsrate von über 60% liegt zwischen der 32. und 40 SSW. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rate von primären Sectiones von über 30% in der 32. SSW (hauptsächlich Wachstumsrestriktionen) auf weniger als 5% am Termin absinkt. Die Rate an sekundären Sectiones betrug in allen Gestationswochen zwischen 30% und 40% (Feige u. Krause 1998).
Nomenklatur der vaginalen Entbindungsmanöver Eine Übersicht über die verschiedenen Techniken zur Entwicklung des Kindes bei BEL findet sich in . Tabelle 43.1.
Leitung einer vaginalen Geburt aus Beckenendlage Prinzipiell existiert kein Unterschied in der Geburtsleitung zwischen einer vaginalen BEL-Geburt und einer Schädellagengeburt. Alle etablierten Maßnahmen und Betreuungskonzepte haben bei der BEL-Geburt ebenso ihre Gültigkeit. Einige wenige Unterschiede hängen von der Haltung der Beine ab. Diese werden im Folgenden beschrieben.
Reine Steißlage Bei der reinen Steißlage führt ausschließlich der Steiß. Die Beine des Fetus sind taschenmesserartig an den Rumpf angelegt. Diese Beinhaltung führt zu einem Schienungseffekt der fetalen Hüfte. Dieser ist die Ursache für die so genannte Pendelbewegung des Steißes in der Austreibungsperiode. Unter dem Druck der Wehe tritt der Steiß tiefer, z. T. bis Beckenboden. In der Wehenpause »federt« er wieder bis Beckenmitte oder gar noch höher zurück. Der Schienungseffekt der fetalen Hüfte verhindert, dass sich die vordere fetale Gesäßhälfte unter der Symphyse in das kleine Becken vorschiebt. Der Geburtsvorgang protrahiert in dieser Phase der Geburt nicht selten. Er bedarf deshalb besonders aufmerksamer Beobachtung durch das geburtshilfliche Team. Es ist praktisch der Zeitpunkt für die Entscheidung, ob die Geburt vaginal zu Ende geführt werden kann oder die sekundäre Sectio caesarea indiziert werden sollte. In dieser wichtigen Phase der Geburt ist v.a. große Geduld, Erfahrung, aber auch Entschlusskraft notwendig.
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Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
Tipp Bei Befundpersistenz in einem Zeitraum von circa 60–90 min vermindert sich die Wahrscheinlichkeit einer komplikationsarmen vaginalen Geburt. Bei dieser Befundkonstellation sollte die Indikation zur sekundären Sectio caesarea wegen eines Geburtsstillstandes in der Austreibungsperiode großzügig gestellt werden.
Bei normalem Geburtsfortschritt tritt der Steiß in jeder Wehe ein Stück tiefer, nach einer gewissen Zeit überwindet er das Pendeln. Die gesamte Zirkumferenz des fetalen Steißes befindet sich nun in der Beckenmitte und drängt zum Beckenausgang. > Der fetale Rücken rotiert physiologischerweise nach hinten (zwischen 4 und 5 Uhr bei I. BEL bzw. 7 und 8 Uhr bei II. BEL), um den Schienungseffekt abzumildern und die Passage des sog. Geburtsknies (Symphyse) zu ermöglichen. Die Rotation des Rückens nach vorn kann manuell durch den Geburtshelfer in der Regel verhindert werden.
Ist dieser Höhenstand erreicht, sollten die präventiven Maßnahmen für die vaginale Entbindung eingeleitet werden: Herstellung des »stand by« von Anästhesie und Neonatologie. Der Damm spannt sich an, und die gesamte Zirkumferenz des Steißes tritt aus der Vulva aus. > Erst wenn der Steiß diese Position erreicht hat, rotiert der Rücken wieder nach vorn. Jetzt erst sollte die Gebärende in Steinschnittlage gelagert und zum aktiven Mitarbeiten animiert werden.
Folgendes Vorgehen hat sich dabei bewährt (assistierte Spontangeburt nach dem Modus Thiessen bzw. Bracht): 4 Steigenlassen des Steißes, bis die Hüftbreite komplett in der Vulva sichtbar ist. Lagerung der Gebärenden in Steinschnittlage. Hilfreich kann jetzt die i.v. Injektion von 3 IE Oxytozin sein, um die Manöver elegant zu vollenden. 4 Zurückhalten des Steißes in der Wehe, bei der die Gebärende zum kräftigen Mitpressen aufgefordert wird, bis der Steiß »nicht mehr zu halten ist« (2–3 Wehen; Modus nach Thiessen). 4 In der folgenden Wehe den Steiß steigen lassen, bis die fetalen Scapulae geboren werden. Erst jetzt greifen die Hände des Geburtshelfers den geborenen Rumpf des Kindes und halten ihn. ! Ein Ziehen am fetalen Rumpf ist unter allen Umständen zu vermeiden! Es besteht die Gefahr des iatrogen bedingten Hochschlagens der Arme und Deflektion des kindlichen Kopfes!
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4 Anderenfalls lässt man den Steiß steigen und beginnt mit der aktiven Leitung der Geburt in dem Moment des Sichtbarwerdens der Scapulaeunterränder. Unterstützt wird dieses Verfahren durch einen kräftigen Fundusdruck zur Beschleunigung der Geburt (Modus nach Bracht). 4 Unter Ausnutzung der Wehe führt der Geburtshelfer nun den Steiß des Kindes bogenförmig um die Symphyse herum, wobei er einen leichten Zug am Rumpf ausübt.
4 Durch ein optimales Zusammenspiel zwischen Geburtshelfer (Zug am Kind, Fundusdruck durch den Assistenten) und Hebamme (Bremsen der Kopfentwicklung durch den Dammschutz) wird eine schonende Kopfentwicklung gewährleistet. 4 Bei einem erfahrenen Geburtshelfer wird das Schneiden einer Episiotomie nur in wenigen Fällen notwendig sein, und er wird die Episiotomie generell restriktiv anwenden. > Die Episiotomie als routinemäßige Standardoperation ist nicht zwangsläufig erforderlich. Ein erfahrener Geburtshelfer wird einem individualisierten und restriktiven Vorgehen in jedem Fall den Vorrang geben.
4 Bei verzögerter Adaptation des Neugeborenen (Herzfrequenz ≥ 100/min., blasslivide Hautfärbung (physiologisch!) und einsetzender Atmung bei freien Atemwegen) sollte das Auspulsieren der Nabelschnur abgewartet werden. Somit besitzt das Neugeborene die Möglichkeit, angehäufte Blutazidität nicht nur über die beginnende Respiration abzubauen, sondern zusätzlich über den noch intakten fetomaternalen Kreislauf. Dieses Vorgehen beschleunigt die Adaptation des Neugeborenen und vermindert ein unnutzes »overtreatment« anlässlich der neonatologischen Primärversorgung bei frühzeitigem Abnabeln. Außerdem fördert diese Vorgehensweise die Interaktionsprozesse zwischen Mutter und Kind (»bonding«).
Vollkommene und unvollkommene Steiß-Fuß-Lage Bei der vollkommenen Steiß-Fuß-Lage sind die Beine des Fetus sowohl in der Hüfte als auch im Kniegelenk gebeugt. Er befindet sich in einer Art »Hockstellung«. Bei unvollkommener Steiß-Fuß-Lage befindet sich nur ein Bein in der Hockstellung. Das andere Bein liegt, wie bei der reinen Steißlage, am Körper des Fetus an. Die Hockstellung des Fetus ermöglicht eine gute Beweglichkeit seiner Hüfte, sodass die Passage des maternalen Beckens (Geburtsknie) in der Austreibungsperiode kaum beeinträchtigt wird. Im Unterschied zur reinen Steißlage werden bei der Steiß-Fuß-Lage stets als erstes ein Fuß oder beide Füße durch die Fruchtblase getastet. Deshalb ist sie per definitionem noch keine Fußlage (Definition Fußlage 7 Kap. 43.1.1)! > Solange die Fruchtblase intakt ist, besteht eine Steiß-Fuß-Lage, und eine vaginale Geburt kann abgewartet werden. Tritt ein Blasensprung ein, muss sofort eine vaginale Untersuchung erfolgen, deren Ziel die Erhebung des geburtshilflichen Befundes (Muttermundsweite, Höhenstand), der Ausschluss eines Nabelschnurvorfalls und die Diagnostik der fetalen Einstellung bzw. Haltung der Beine ist. Das weitere Vorgehen entscheidet sich nun in Abhängigkeit von Muttermundsweite, Geburtsdynamik und Erfahrung des Geburtshelfers.
953 43.1 · Beckenendlage
Ist die Fruchtblase vor der vollständigen Eröffnung des Muttermundes gesprungen und sind ein oder beide Beine ausgestreckt, kann die Reposition der Beine in die Vagina zur Wiederherstellung einer Steiß-Fuß-Lage Erfolg haben. Eine vaginale Geburt kann abgewartet werden, wenn die Beine erfolgreich zurückgehalten werden können und ein Geburtsfortschritt (vollständige Dilatation der Zervix) abgewartet wird. Gelingt das Manöver der Reposition nicht bzw. tritt eine Protrahierung der Muttermundseröffnung ein, ist der sekundären Sectio caesarea der Vorzug zu geben. Selbstverständlich gilt das beschriebene Vorgehen auch für den Fall, das der Blasensprung nach vollständig eröffnetem Muttermund eintritt und die Steiß-Fuß-Lage fortbesteht. Auch hier hängt das weitere Vorgehen entscheidend von der Geburtsdynamik ab. Die einzelnen Phasen der kindlichen Entwicklung aus Steiß-Fuß-Lage sind mit denen bei einer reinen Steißlage identisch.
Fußlage Eine Fußlage sollte ausschließlich klinisch diagnostiziert werden. Sie entwickelt sich immer aus einer Steiß-Fuß-Lage intra partum. Die wichtigen Voraussetzungen sind, dass der Geburtsprozess begonnen hat, die Fruchtblase bereits gesprungen und mindestens ein Bein ausgestreckt sein muss. Alle Entscheidungen zur weiteren Geburtsleitung hängen von der Geburtsdynamik und der Erfahrung des Geburtshelfers ab. Bei einem rechtzeitigen Blasensprung nach vollständiger Eröffnung des Muttermundes, Steiß fest in Beckeneingang und der Entwicklung einer Fußlage, also ein oder beide Beine ausgestreckt in der Vulva sichtbar, kann eine komplikationsarme vaginale Entbindung abgewartet werden. Wichtig für diese Entscheidung ist die Geburtsdynamik. Bei zügigem Tiefertreten des Steißes kann man das vorgefallene Bein/die vorgefallenen Beine reponieren, indem man sie in die Vagina zurückschiebt und die Steiß-Fuß-Lage wiederherstellt. Bleibt der Steiß bei vorgefallenen Beinen auf Beckeneingang stehen (Rücken vorn – Geradstand) und tritt nicht tiefer, sollte die sekundäre Sectio caesarea indiziert werden. Dabei ist zu beachten, dass auch bei der Schnittentbindung die Füße reponiert werden müssen, damit der Geburtshelfer das Kind entwickeln kann! Tritt der rechtzeitige Blasensprung vor der vollständigen Eröffnung des Muttermundes ein und entwickelt sich aus der Steiß-Fuß-Lage durch Vorfallen eines Beines/beider Beine eine Fußlage, sollten im Einzelfall die verschiedenen Risiken abgewogen werden. Eine vaginale Geburt kann abgewartet werden, wenn die Beine erfolgreich zurückgehalten werden können und ein Geburtsfortschritt (vollständige Dilatation der Zervix) abgewartet wird. Anderenfalls sollte im Interesse des Kindes die Indikation zur Geburtsbeendigung durch eine sekundäre Schnittentbindung großzügig gestellt werden. Bei der Fortführung einer angestrebten vaginalen Geburt könnten Probleme mit der Kopfentwicklung auftreten. Der noch nicht vollständig eröffnete Muttermund kann nach Passage der fetalen Schultern den Hals des Kindes am Kinn umschließen und somit die Entwicklung des kindlichen Kopfes erheblich behindern.
Sollte diese Situation einmal eintreten, kann mit Hilfe eines beherzt durchgeführten Bracht-Manövers – kräftiger Zug am Kind und Ausübung eines starken suprasymphysären Drucks auf den kindlichen Kopf von außen – und Veit-Smellie-Kopfentwicklungsmanöver versucht werden, mit dem Finger, der sonst in die kindliche Mundöffnung eingeführt wird, den straffen Muttermund über das kindliche Kinn zu hebeln. Die vaginale Entwicklung des Kindes bei Fußlage bzw. nach Reponierung der Füße als Steiß-Fuß-Lage erfordert die gleiche Entwicklungstechnik wie bei einer reinen Steißlage: 4 Zurückhalten der Füße bzw. des Steißes und der Füße für 2–3 Wehen, 4 Steigenlassen des Steißes, nachdem die Füße herausgefallen sind, 4 Umfassen des Rumpfes und bogenförmiges Herumführen um die Symphyse in Richtung des mütterlichen Unterleibs, 4 Kopfentwicklung nach Veit-Smellie.
Techniken der Armlösung bzw. Kopfentwicklung (mod. nach Krause u. Feige 2003) Das Hochschlagen eines Armes oder beider Arme und die Deflektion des kindlichen Kopfes über Beckeneingang ist ein eher seltenes Ereignis. Es existiert ein Zusammenhang zwischen einem zu frühzeitigen Eingreifen des Geburtshelfers bei der Entwicklung des Rumpfes und dem Hochschlagen eines Armes. Je weniger und später der Geburtshelfer in den Prozess der Kindsentwicklung eingreift, desto seltener treten dieses Ereignisse ein. Trotzdem sollten die gängigen Techniken der Armlösung bzw. Kopfentwicklung jedem Geburtshelfer nicht nur bekannt sein, sondern er muss sie jederzeit lege artis ausführen können. Die aktuelle klinische Situation bestimmt auch hier letztendlich die Wahl des Manövers. Wichtig ist die geistige Flexibilität des Geburtshelfers, der in der aktuellen geburtshilflichen Situation die Entscheidung treffen muss, welches Manöver sich am ehesten zur schonenden Armlösung eignet. > Als Routinemethode bietet sich die kombinierte Armlösung nach Bickenbach an, weil sie einfach zu erlernen und anzuwenden ist. Sie sollte deshalb immer als erstes versucht werden. Bei korrekter Anwendung führt sie fast ausnahmslos zur erfolgreichen und schonenden Armlösung.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass wohl keines der unten aufgeführten Manöver Vorteile gegenüber einem anderen besitzt, eine korrekte Durchführung vorausgesetzt. Wurde eine Armlösung erfolgreich ausgeführt, muss in den meisten Fällen der kindliche Kopf mit Hilfe des Handgriffs nach Veit-Smellie entwickelt werden. Als Ursache kann die iatrogen bedingte Deflektion des kindlichen Kopfes infolge der Manipulation angenommen werden.
Kombinierte Armlösung nach Bickenbach Die kombinierte Armlösung nach Bickenbach beginnt mit der Entwicklung des hinteren Armes, wie bei der klassischen Armlösung. Es werden die kindlichen Füße an den Knöcheln
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Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
gefasst und diese kräftig nach oben geführt. Der kindliche Rumpf wird in die mütterliche Leistenbeuge geführt, die der kindlichen Bauchseite zugewandt ist. Mit dem Zeige- und Mittelfinger der freien Hand wird am kindlichen Rücken in die Vagina eingegangen, der Oberarm von dorsal über das Schultergelenk aufgesucht und durch die beiden Finger geschient. Dann wird der hintere Arm vorsichtig über die Brust des Kindes aus der hinteren Kreuzbeinhöhe herausgestreift. Anschließend werden die Beine des Kindes stark nach dorsal gesenkt und der vordere Arm in gleicher Weise über die Brust des Kindes entwickelt.
Armlösung nach Müller Die Armlösung nach Müller ist der kombinierten Armlösung nach Bickenbach ähnlich, wobei die einzelnen Schritte in umgekehrter Reihenfolge ausgeführt werden: Der kindliche Rumpf wird zuerst stark nach dorsal geführt, bis die vordere Schulter sichtbar wird. Anschließend wird der vordere Arm unter der Symphyse durch Herauswischen des Armes über die kindliche Brust entwickelt. Anschließend wird der Rumpf des Kindes kräftig eleviert, und es erfolgt die Entwicklung des hinten gelegenen Armes aus der Kreuzbeinhöhle in oben genannter Art und Weise.
Armlösung nach Lövset Das Armlösungsmanöver nach Lövset beginnt mit einer starken Elevation des kindlichen Rumpfes durch kräftigen Zug an den Füßen. Wird die hintere Schulter vor dem dorsalen Anteil des Schambeinastes sichtbar, erfolgt eine Drehung des Rumpfes vornüber so weit, dass die ehemals hinten gelegene Schulter vorn zu liegen kommt. Nun wird der Rumpf langsam abgesenkt und die 180°-Drehung vollendet. In dieser Position wird die ehemals hinten gelegene Schulter unter der Symphyse sichtbar und der Arm kann so ohne Mühe mit dem Zeigeund Mittelfinger, vom Rücken her kommend, über die kindliche Brust heraus gewischt werden. Der noch hinten liegende Arm wird in gleicher Weise entwickelt: Anheben und Drehung des Rumpfes nach vornüber, anschließendes Absenken des Rumpfes und Vollendung der Drehung um 180°. Entwicklung des vorderen Armes unter der Symphyse wie oben beschrieben.
Klassische Armlösung
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Dieses Manöver sollte nur der Ausnahmesituation vorenthalten bleiben, da es sehr aufwändig, zeitraubend und nicht ganz ungefährlich ist. Es sollte erst dann zum Einsatz kommen, wenn alle bisher genannten Manöver versagten. Der Beginn der Armlösung ist mit der kombinierten Armlösung nach Bickenbach identisch. Nach Entwicklung des hinteren Armes aus der Kreuzbeinhöhe, sollte sich der vordere Arm nach starkem Absenken nicht mühelos entwickeln lassen, beginnt der Geburtshelfer mit einer umstopfenden Bewegung des kindlichen Rumpfes um 180° über den Rücken nach vorn. Dies geschieht dergestalt, dass er den kindlichen Rumpf mit kurzen waagerechten vorschiebenden und rückziehenden Bewegungen so lange dreht, bis die ehemals vordere Schulter hinten in der Kreuzbeinhöhe zu liegen kommt. Anschließend wird nach dem oben beschriebenen Umstop-
fen des Rumpfes der hintere Arm nach Elevation des Rumpfes entwickelt.
Kopfentwicklung nach Veit-Smellie Eine erfolgreiche Armlösung erfordert in den meisten Fällen eine Kopfentwicklung nach Veit-Smellie. Die Ursache ist in einer unzureichenden Einstellung des kindlichen Kopfes in Beckeneingang zu finden, die eine mühelose Passage des mütterlichen Beckens erschwert (Deflektion). Nachdem der Rumpf einschließlich der Schultern entwickelt wurde, geht der Geburtshelfer mit der linken oder rechten Hand an der Bauchseite des Kindes in die Vagina ein, sodass der kindliche Rumpf auf dem Unterarm des Geburtshelfers zu liegen kommt. Er schiebt den Zeigefinger der linken bzw. rechten Hand so weit in das Cavum uteri hinein, bis er die kindliche Mundöffnung erreicht. Nun führt er den Zeigefinger in die Mundöffnung ein und beugt das Kinn durch kräftigen Zug. Gleichzeitig legt der Geburtshelfer die rechte bzw. linke Hand auf den kindlichen Rücken, sodass der Zeige- und Mittelfinger jeweils auf den kindlichen Schulterblättern aufliegt. Ein hakenförmiges Umfassen der kindlichen Schultern, bei dem die Fingerspitzen die kindlichen Claviculae erreichen, sollte vermieden werden. Bei dieser Manipulation erhöht sich das Risiko einer Plexus-brachialis-Verletzung. Mit beiden Händen zieht man nun gleichmäßig den Rumpf nach dorsal, bis das kindliche Hinterhaupt unter der Symphyse sichtbar wird. Anschließend wird der Rumpf eleviert und der kindliche Kopf, die Symphyse als Hypomochlion fungierend, um diese nach kranial herumgeführt. Dieses Herausleiten des Kopfes soll so schonend wie möglich erfolgen.
Weitere Komplikationen Nabelschnurvorfall Generell sollte vor bzw. während einer vaginalen Geburt aus Beckenendlage darauf geachtet werden, dass der Geburtshelfer nicht durch einen Nabelschnurvorfall nach Blasensprung überrascht wird. Aus diesem Grund sollte antepartal bzw. bei Aufnahme einer Gebärenden in den Kreißsaal auf das Vorliegen der Nabelschnur vor dem kindlichen Steiß geachtet werden. In solchen Fällen sollte einer Sectio caesarea vor Eintritt eines Nabelschnurvorfalls der Vorzug gegeben werden.
Protrahierter Geburtsverlauf und fetale Azidose Bei protrahiertem Geburtsverlauf in der Austreibungsperiode und nicht sicher interpretierbarem CTG sollte großzügig vor der Fortführung einer vaginalen Entbindung eine Mikroblutuntersuchung am vorangehenden Kindsteil (Steiß) durchgeführt werden. Dabei ist die Frage zu klären, ob es bei der momentan gegebenen Azidität des Fetus gelingt, die Geburt des Kindes in wenigen Wehen zu vollenden. Sollte sich der durch die Mikroblutuntersuchung bestimmte pH-Wert zwischen pH 7,15 und 7,10 befinden, ist in Abhängigkeit von der Geburtsdynamik zu entscheiden, ob die begonnene vaginale Entbindung fortgeführt oder nicht besser eine sekundäre Sectio caesarea indiziert werden sollte.
955 43.1 · Beckenendlage
! In diesen Situationen ist es gefährlich, aufgrund der vermuteten fetalen Azidose den Geburtsverlauf durch forcierte Entbindungsmanöver zu beschleunigen. Es darf auf keinen Fall der Kristeller-Handgriff zur Anwendung gebracht werden oder am Steiß des noch nicht komplett geborenen Kindes gezogen werden. Dies kann unweigerlich zu schweren Komplikationen führen.
Aus unserer gutachterlichen Arbeit hat sich ergeben, dass in einigen Fällen die fehlende geistige Flexibilität des Geburtshelfers ursächlich für kindliche Schäden verantwortlich war. Es ist allemal besser, in bestimmten Situationen vom einmal eingeschlagenen vaginalen Entbindungsweg abzugehen und eine sekundäre Sectio caesarea zu indizieren, bevor durch unüberlegte vaginale Manipulationen kindliche Schäden provoziert und forensische Auseinandersetzungen nach sich gezogen werden.
43.1.8
Sectio caesarea bei Beckenendlage
Risiken der abdominaloperativen Entbindung Im Rahmen des Aufklärungsgespräches zum geplanten Geburtsmodus ist die Schwangere insbesondere auf die möglichen Risiken und Komplikationen der Sectio caesarea in Bezug auf die aktuelle und auf die der Folgeschwangerschaften hinzuweisen. Es sollten daher folgende Punkte besonders hervorgehoben werden (AG Medizinrecht der DGGG 2007): 4 Erhöhung der Rupturrate im Status post sectionem, 4 Plazentationsstörungen (Placenta accreta, increta oder percreta), 4 Placenta praevia und die sich daraus potenziell entwickelnden Blutungskomplikationen wie Atonie, Verlustund Verbrauchskoagulopathie mit der Erhöhung der maternalen Morbidität, Mortalität und Letalität,
4 Hysterektomiesectio aus vitaler Indikation, 4 erhöhte antenatale Sterblichkeitsrate von Feten bei nachfolgenden Schwangerschaften (Smith at al. 2003).
Indikationen zur elektiven Sectio caesarea Grundsätzlich bestehen bei der Beckenendlage die gleichen Indikationen zur elektiven Sectio caesarea wie bei einer Schädellage. Es existieren daher folgende Indikationen: 4 asymmetrische intrauterine Wachstumsretardierung des Fetus, 4 einige fetale Fehlbildungen, 4 Amnioninfektionssyndrom, 4 Placenta praevia, 4 schwere gestationsbedingte und nicht gestationsbedingte maternale Erkrankungen.
Indikationen zur sekundären Sectio caesarea Die Indikationen zur sekundären Sectio caesarea ergeben sich, ähnlich wie bei einer Schädellagengeburt, aus den Komplikationen des Geburtsverlaufes. Die Indikationen können in lagebedingte und lageunabhängige differenziert werden. Zu den häufigsten lageunabhängigen Indikationen zählen: 4 Protrahierte Eröffnungs- oder Austreibungsperiode 4 Auffällige CTG-Muster, häufig assoziiert mit einer fetalen Azidose Demgegenüber sind die beiden häufigsten lagebedingten Indikationen: 4 Entwicklung einer Fußlage 4 Nabelschnurvorfall Alle anderen Indikationen zur Sectio caesarea besitzen relativen Charakter und zählen zu den so genannte »weichen« Indikationen.
Studienbox Term Breech Trial Collaborative Group 2004 – Untersuchungsergebnisse des 2-Jahres-Follow up der Kinder und Mütter (Krause u. Feige 2005). Im Jahr 2000 wurden die Ergebnis der größten jemals durchgeführten internationalen prospektiv randomisierten Studie zur Frage des Entbindungsmodus bei Beckenendlage am Termin (Term Breech Trial Collaborative Group – TBT) publiziert. Nach dem Erscheinen dieser Publikation von Hannah et al. (2000) ist die Diskussion um den Entbindungsmodus bei Beckenendlage – geplante Sectio caesarea vs. geplante vaginale Geburt – erneut sehr heftig entbrannt. Eine Vielzahl von publizierten Studien zeigen z.T. kontroverse Ergebnisse (Feige 2002; Giuliani et al. 2002; Golfier et al. 2001; Holge et al. 2003; Kayem et al. 2002; Kolâs et al. 2003, Sanches-Ramos et al. 2001; Shennan u. Bewley 2001). Die Autoren schlussfolgerten aus den Ergebnissen der TBT-Studie, dass die geplante Sectio caesarea gegenüber
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der vaginalen Entbindung der bessere Entbindungsmodus für das Kind sei. Die Untersuchung wurde seinerzeit wegen der erhöhten neonatalen Frühmorbidität und Mortalität in der Gruppe der geplanten vaginalen Entbindung vorzeitig abgebrochen (Hannah et al. 2000). Das Studiendesign enthielt bekanntermaßen einige methodische Mängel. Vor allem waren Kliniken mit besseren perinatologischen Ergebnissen bei vaginaler Entbindung deutlich unterrepräsentiert. Außerdem blieb unberücksichtigt, dass ausreichende Erfahrungen in einzelnen Kliniken nicht vorhanden waren. Die publizierten Ergebnisse stellen somit nur einen Mittelwert dar (Gilbert et al. 2003; Hannah et al. 2000), der jedoch den Forderungen nach risikoadaptierter Geburtshilfe nicht gerecht wird. Der so genannte »bias of licence« (Kotaska 2004) ist wohl einer der gravierendsten methodischen Mängel der TBT-Studie, denn es wurde festgestellt, dass die Anwesenheit eines
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Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
erfahrenen Geburtshelfers bei einer vaginalen Entbindung aus BEL mit einem geringen fetalen Risiko verbunden ist. Aus diesem Grund sollten die Schlussfolgerungen der TBTStudie nicht als allgemeingültiger Standard deklariert werden (Feige 2000; Keirse 2002; Kotaska 2004; Krause 2002; Krause u. Feige 2001, 2002a, b). Die vorschnelle und kritiklose Übernahme der Schlussfolgerungen der TBT-Studie in die klinische Praxis und in die Guidelines einiger gynäkologisch-geburtshilflicher Fachverbände verschiedener Länder waren und sind nicht gerechtfertigt. Verschiedene nationale gynäkologisch-geburtshilfliche Gesellschaften (ACOG 2001; RCOG) sowie die Cochrane Database/Systematic Review (Hofmeyr u. Hannah 2001) übernahmen seinerzeit die Empfehlungen der TBT-Studie, weil
das Studiendesign den hohen wisssenschaftlichen Anforderungen eines RCT (»randomised controlled trial«) entsprach. Nicht alle nationalen Gesellschaften schlossen sich jedoch den Empfehlungen der TBT Collaborative Group bzw. der Empfehlung des Cochrane Systematic Review zur Beckenendlagengeburtshilfe an, wie z. B. Norwegen (Kolâs 2003). Auch die Nürnberger Frauenklinik, Schwerpunkt Geburtshilfe, veränderte ihr Regime der Beckenendlagengeburtshilfe nach kritischer Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der TBT-Publikation nicht (Krause u. Feige 2005). Interessanter sind deshalb die mitgeteilten Ergebnisse des kindlichen 2-Jahres-Follow-up. Diese Ergebnisse relativieren bzw. revidieren die Schlussfolgerungen der TBT-Collaborative Group vom Oktober 2000.
Studienbox Ergebnisse des kindlichen 2-Jahres-Follow-up. Im September 2004 wurden die Ergebnisse des kindlichen 2-Jahres-Follow-up der TBT-Kinder präsentiert (Whyte et al. 2004). Die Studie hatte sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, ob die geplante Sectio caesarea bei Beckenendlage am Termin das Risiko eines perinatalen Todes oder neurologischer Entwicklungsverzögerungen im Zeitraum bis zum Alter von ≥ 2 Jahren reduzieren kann. Das Studiendesign beinhaltete die Nachuntersuchung der Kinder auf abnormale Entwicklungen anhand eines »ages-« und »stages-questionnaire« (ASQ). Eine neurologische Untersuchung wurde in den Fällen angeschlossen, in denen die Ergebnisse der ASQ auffällig waren. Von 1159 Kindern konnten in 85 verschiedenen Zentren 923 Kinder (79,6%) in einem Alter von ≥ 2 Jahren nachuntersucht werden. Das Risiko eines Todes oder neurologischer Entwicklungsverzögerungen war bei den untersuchten Kindern der Gruppe der geplanten Sectioentbindung vs. der geplanten vaginalen Entbindung nicht unterschiedlich [14 Kinder (3,1%) vs. 13 Kinder (2,8%), RR 1,09; 95% CI, 0,52– 2,30; p = 0,85; Risikodifferenz +0,3%; 95% CI; –1,9% +2,4%]. Diese Angaben beinhalten die perinatale Mortalität »death anytime after randomization«, was bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden muss.
43
Tod nach dem 28. Lebenstag. Je ein Kind aus jeder Gruppe starb nach dem 28. Lebenstag. Ein Kind aus der Gruppe der geplanten Sectio caesarea starb im Alter von 21 Monaten infolge einer Herzoperation bei einem komplexen Vitium cordis. Das Kind aus der Gruppe der geplanten vaginalen Entbindung starb im Alter von 42 Monaten infolge einer Streptococcus-A-Infektion nach einer Operation einer kongenitalen Subglottisstenose. Resultate des ASQ. Mit Hilfe des ASQ wurde nach auffälligen Kindern gefahndet. Dabei wurde gefunden, dass
6
40/415 (9,6%) vs. 38/428 (8,9%) Kindern Auffälligkeiten zeigten (RR 1,09; 95% CI, 0,71–1,66; p = 0,72). Es wurden bei den Kindern keine Differenzen zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich des Risikos auf einen abnormen ASQ-Score gefunden. Die Frage nach den gesundheitlichen Problemen zeigte, dass die Eltern aus der Gruppe der geplanten Sectio caesarea im Vergleich zu denen der geplanten vaginalen Entbindung berichteten, dass ihre Kinder in den vergangenen Monaten mehr gesundheitliche Probleme gehabt hätten [86/413 (20,8%) vs. 63/426 (14,8%), RR 1,41, 95% CI, 1,05–1,89; p = 0,02] als die Kinder aus der Gruppe der geplanten vaginalen Entbindung. Allerdings unterschied sich die Art der gesundheitlichen Probleme zwischen den beiden Gruppen nicht. Tod oder neurologische Entwicklungsverzögerung. Es wurden 80/455 überlebende Kinder aus der Gruppe der geplanten Sectio caesarea und 67/457 aus der Gruppe der geplanten vaginalen Geburt neurologisch wegen auffälligem ASQ bzw. nicht durchgeführtem ASQ nachuntersucht. Insgesamt zeigten 19 Kinder eine neurologische Entwicklungsverzögerung, 12 (15%) aus der Gruppe der geplanten Sectio caesarea und 7 (10,4%) aus der Gruppe der geplanten vaginalen Entbindung. 12 dieser Kinder hatten bereits nach 3 Monaten eine Entwicklungsverzögerung oder ein auffälliges neurologisches Untersuchungsergebnis, die anderen 7 Kinder hatten eine starke Entwicklungsverzögerung oder zeigten abnorme neurologische Untersuchungsergebnisse. Das Sterberisiko oder das Risiko einer neurologischen Entwicklungsverzögerung zwischen beiden untersuchten Gruppen [geplante Sectio 14/457 Kinder (3,1%), geplante vaginale Entbindung 13/463 Kinder (2,8%); RR 1,09; 95% CI; 0,52–2,30; p = 0,85; Risikodifferenz +0,3%; 95% CI; –1,9%, +2,4%] war nicht unterschiedlich. Das schloss die perinatale Mortalität mit ein. Das Risiko eines Todes bzw. der neurologischen Entwicklungsverzögerung von Kindern, die in Ländern mit niedriger perinataler Mortalität geboren wurden, war ein bisschen hö-
957 43.1 · Beckenendlage
her als in Ländern mit hoher perinataler Mortalität. Allerdings existierten keine Differenzen zwischen der Gruppe der geplanten Sectio caesarea und der Gruppe der geplanten vaginalen Entbindung und auch nicht zwischen den unterschiedlichen Ländern. Zusammenfassung. Die TBT-Collaborative Group schlussfolgerte aus den Ergebnissen, dass die geplante Sectio caesarea bei BEL am Termin das Risiko eines Todes bzw. einer neurologischen Entwicklungsverzögerung im Vergleich zur geplanten vaginalen Entbindung im Alter von ≥2 Jahren nicht reduzierte. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zur Erstveröffentlichung der TBT-Collaborative Group (Hannah et al. 2000). Dort wurde gefunden, dass die geplante Sectio caesarea das Risiko eines perinatalen Todes oder schwerer neonataler Morbidität eindeutig reduzierte. Es wurde die Frage aufgeworfen, warum die geplante Sectio caesarea einen wesentlichen Effekt auf das frühe neonatale Outcome ausübt, nicht aber auf die spätere kindliche Entwicklung. Es wird damit erklärt, dass die Mehrheit der Kinder mit der schweren neonatalen (Früh-)morbidität überlebte und sich unauffällig entwickelte. Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass die notwendige statistische Power aufgrund einer unzureichenden Anzahl von rekrutierten Kindern nicht vorlag, um mögliche Differenzen statistisch zu sichern. Wenn die geplante Sectio caesarea einen vorteilhaften Effekt auf die kindliche Langzeitentwicklung ausüben soll, dann nur durch die Reduktion eines sehr seltenen intrapartalen Sauerstoffmangels bzw. eines Geburtstraumas. Das Risiko einer geburtsassoziierten Zerebralparese ist extrem niedrig, es beträgt nur 1‰. Es steigt aber auf über 7‰ an, wenn der 5-min-Apgar < 4 beträgt. Die von der Arbeitsgruppe von Whyte et al. (2004) aufgeworfene Frage, warum die geplante Sectio caesarea einen stärkeren Effekt auf das frühe neonatale Outcome ausübt, nicht aber auf die spätere kindliche Entwicklung, lässt sich leicht beantworten. Die höhere neonatale Frühmorbidität bei vaginal entwickelten Neugeborenen aus BEL ist bekanntermaßen und überwiegend durch die respiratorische Azidose gekennzeichnet. Diese ruft jedoch keinerlei Langzeitmorbidität hervor. Zu gleichen Ergebnissen kam bereits 1998 die Arbeitsgruppe um Wolke et al. Auch sie fanden keinen signifikanten Entwicklungsunterschied zwischen den Beckenendlagekindern nach geplanter Sectio caesarea und vaginal entwickelten Kindern bis zu einem Alter von 56 Monaten. Sie schlussfolgerten daher, dass andere Einflüsse für die neurologischen Entwicklungsverzögerungen als der Entbindungsmodus existieren müssen und der Entbindungsmodus keinen so großen Einfluss auf die spätere kindliche Entwicklung ausübt, wie ihm bisher unterstellt wurde (Wolke et al. 1998). Neugeborene, die dagegen mit einer schweren Azidose geboren werden (pHNA < 7,00 und Basendefizit (BEefc) < – 15 mmol/l), zählen eher zum Kreis der Kinder mit neurologischen Erkrankungen bzw. Entwicklungsverzögerungen.
Die Arbeitsgruppe um Whyte et al. äußerte Zweifel an der statistischen Kraft der Studie. Mit knapp 1000 nachuntersuchten Kindern ist die Studie statistisch stark genug. Sie zeigt keine Trenddifferenz. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass auch dann keine Differenz gefunden worden wäre, wenn die Anzahl der nachuntersuchen Kinder größer gewesen wäre. Die Ergebnisse der peri- bzw. neonatalen Frühmorbidität und -mortalität hängt hauptsächlich von einer strengen Risikoselektion, der Qualifikation des Geburtshelfers und der dazugehörigen spezialisierten Struktur der Entbindungsklinik ab. Verschiedene Zentren demonstrierten unterschiedliche Erfolgsraten hinsichtlich der vaginalen Geburt (14–66%; Alarab et al. 2004; Albrechtsen et al. 1997; Büscher u. Dudenhausen 2002; Danielian et al. 1996; de Leeuw et al. 1998; Feige u. Krause 1998; Giuliani et al. 2002; Irion et al. 1998; Ismail et al. 1999; Krebs et al. 1999, 2001; Munstedt et al. 2001; Queenan 2004; Shennan u. Bewley 2001; Wolf et al. 1999). Es ist wahrscheinlich, dass eine höhere Sicherheit bei der vaginalen Beckenendlagengeburt durch eine ausgewogene Balance zwischen Erfahrung, Qualifikation und Vorsicht erreicht worden ist. Je höher der Qualifikationsgrad bzw. die Erfahrung des Geburtshelfers bzw. des Zentrums ist, desto höher ist die Rate der vaginalen Entbindung aus Beckenendlage ohne negativen Einfluss auf die kindliche Langzeitmorbidität. Ergebnisse des maternalen 2-Jahres-Follow-up. Der Hinweis darauf, dass die elektive Sectio caesarea annähernd gleich niedrige Morbiditätsraten für die Mutter gegenüber einer vaginalen Entbindung besitzt (Golfier et al. 2001), wurde wissenschaftlich bisher nicht begründet. Es bleibt bei dieser Betrachtung die Tatsache der maternalen Langzeitmorbidität unbeachtet, (z. B. Plazentationsstörungen, wie Placenta praevia, accreta, increta, percreta oder Uterusruptur bei nachfolgenden Schwangerschaften (Kitschke u. Misselwitz 2001, Kühnert et al. 2000, Vetter 2001; Wolf et al. 1999). Außerdem scheint das Risiko antenataler Mortalität bei Folgeschwangerschaften erhöht (Smith et al. 2003). Die TBT-Collaborative Group publizierte 2004 einen Beitrag, der sich mit dem maternalen Follow-up 2 Jahre nach der Geburt beschäftigt (Hannah 2004). Die Arbeitsgruppe fand 2 Jahre nach der Geburt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Frauen, die per sectionem vs. per viam naturales entbunden wurden. Das bezog sich auf folgende Parameter: Stilldauer, Kind- und Partnerschaftsbeziehung, Schmerzen, Folgeschwangerschaft, Inkontinenz, Depression, urogenitale, menstruelle oder sexuelle Probleme sowie Ermüdungserscheinungen oder negative Geburtserfahrung. In der Gruppe der geplanten Sectio caesarea wurde jedoch eine höhere Inzidenz von Obstipation gefunden. Das bedeutet, dass auch die geplante Sectio caesarea keinen protektiven Effekt hinsichtlich der Vermeidung von Folgen einer vaginalen Geburt – z. B. Harninkontinenz – besitzt, was in der bisher publizierten Literatur häufig unterstellt wurde (Hannah 2002). Auch unter diesem Aspekt sollte die Indikationsstellung zur elektiven Sectio caesarea generell überdacht werden.
43
958
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
Die Ergebnisse der TBT-Collaborative Group überraschen sowohl hinsichtlich des kindlichen als auch des maternalen 2-Jahres-Follow-up nicht. Es sollte daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass dem mentalen und praktischen Training der vaginalen Entbindungstechnik bei Beckenendlage unsere ganze Aufmerksamkeit gehören sollte. Das ständige Training soll dazu führen, dass das Leistungsspektrum der ärztlichen Geburtshilfe wieder auf ein hohes Niveau angehoben wird und die Entbindungsmethoden der Beckenendlage nicht in Vergessenheit geraten. Die Publikation der Ergebnisse des kindlichen und mütterlichen 2-Jahres-Follow-up einerseits sowie das Erscheinen weiterer kritischer Beiträge zum Studiendesign des TBT und damit zur Validität der Studienergebnisse (Kotaske 2004; Glezermann 2006) führten dazu, dass einige nationale Fachgesellschaften ihre nach der Publikation der TBT-Ergebnisse 2002 erstellten Guidelines in Frage stellten. Sie wurden mittlerweile revidiert (ACOG 2006; RCOG 2006). In den neuen Empfehlungen der ACOG vom Juli 2006 wird festgestellt, dass die Entscheidung zum Geburtsmodus bei BEL vielmehr von der Expertise des Geburtshelfers abhängt. Die ärztliche Empfehlung zur Sectio caesarea rührt von der fehlenden Erfahrung der meisten Geburtshelfer her. Inhaltlich ähnliche EBM-basierte Empfehlungen sprach das ROCG im Dezember 2006 aus. Auch in den kommenden Jahren soll für eine Schwangere mit der Poleinstellung Beckenendlage die Möglichkeit bestehen, in einer Frauenklinik per vias naturales zu gebären. Anderenfalls existiert die reale Gefahr, dass zukünftig immer mehr Frauen mit einer Beckenendlage anlässlich einer geplanten vaginalen Geburt in die außerklinische Geburtshilfe abwandern (QUAG e. V. 2003), da ein ärztliches Angebot dieser Leistung fatalerweise in vielen Kliniken nicht mehr existiert. Dem Verlust an klinischer Erfahrung und manueller Fertigkeiten anlässlich einer vaginalen Entbindung aus Beckenendlage muss Einhalt geboten werden. Dies kann nur durch eine konsequente Regionalisierung der so genannte Risiko-Geburtshilfe und der Förderung der Strukturierung unseres Fachgebietes in die einzelnen Schwerpunkte geschehen, was in der Vergangenheit bisher nur mangelhaft realisiert wurde. Der Aufbau von geburtshilflichen Referenz- und Ausbildungszentren (»geburtshilfliche Schulen«) muss angestrebt werden. Nur so kann eine verbesserte Ausbildung der manuellen geburtshilflichen Methoden für die folgende Generation von engagierten Geburtshelfern sichergestellt werden.
43.1.9
43
Beckenendlage bei Mehrlingen
Anlässlich der Aufnahme einer Mehrlingsschwangeren ist die biometrische Vermessung der Feten von größter Bedeutung für die weitere Geburtsplanung. Auf 2 Dinge ist besonders zu achten: 4 Jeder Fetus sollte sich mit seinen Kopf- und Rumpfmaßen (biparietaler Durchmesser, frontookzipitaler Durchmesser, abdominotransversaler Durchmesser, Abdomenum-
fang) innerhalb der für sein Schwangerschaftsalter gültigen Perzentilenkurven bewegen. 4 Es ist darauf zu achten, ob die Feten konkordant oder diskordant entwickelt sind, wobei unter einer diskordanten Entwicklung eine Abweichung des einen Fetus vom anderen um mehr als 20% vorliegt. Liegt eine solche diskordante Entwicklung vor und ist der führende Geminus I aufgrund der biometrisch erhobenen Daten kleiner als Geminus II, sollte unabhängig von der Frage, ob Geminus II sich in Schädellage oder Beckenendlage befindet, die Schwangerschaft durch elektive Sectio caesarea beendet werden. Führt jedoch anlässlich einer diskordanten Entwicklung der größere Zwilling I in Beckenendlage, kann unabhängig von der Frage, ob sich der kleinere Zwilling II in Beckenendlage oder Schädellage befindet, die vaginale Geburt intendiert werden. Die Entwicklung des in Beckenendlage befindlichen Geminus I erfolgt wie oben beschrieben. Eine Spontangeburt aus Schädellage bzw. vaginale Beckenendlagenentbindung des II. Zwillings kann abgewartet werden, wobei das Entbindungsintervall zwischen Zwilling I und Zwilling II unter 60 min liegen sollte. Innerhalb dieses Zeitraumes sollte – wenn kein spontaner Blasensprung eingetreten ist – die Fruchtblase des II. Geminus artifiziell eröffnet werden. Bei Hinweiszeichen für eine Gefährdung des zweiten Zwillings im intrauterinen Milieu kann bei Schädellage eine sog. »hohe Vakuum- oder Forzepsextraktion« durchgeführt werden. Bei Beckenendlageneinstellung ist die ganze Extraktion des zweiten Zwillings ein risikoarmes Verfahren zur Geburt eines gesunden Kindes. Anlässlich einer ins Auge gefassten vaginalen Geminientbindung ist das bettseitige Vorhalten eines Ultraschallgerätes obligatorisch. Immer müssen unter der Geburt kontinuierlich und synchron drei Herzfrequenzen aufgezeichnet werden: Mutter und 2 Feten. Sollte sich nach Geburt von Zwilling I eine zunehmende Gefährdung von Zwilling II z. B. durch Blutungen, Verdacht auf vorzeitige Lösung, Nabelschnurkomplikationen oder Verkleinerung des Zervixdurchmessers ergeben, sollte unverzüglich die sekundäre Notsectio am zweiten Zwilling indiziert werden. Der biometrisch erhobene Nachweis des Vorliegens eines IUGR-Fetus sollte unabhängig von der Frage, ob Zwilling I sich in Schädellage oder Beckenendlage befindet und unabhängig von einer evtl. noch zusätzlich vorhandenen diskordanten Entwicklung zur Geburt durch eine elektive Sectio caesarea führen.
959 43.2 · Quer- und Schräglage
43.2
Quer- und Schräglage
43.2.1
Terminologie
Quer- und Schräglage Eine Quer- bzw. Schräglage ist gegeben, wenn eine Abweichung der kindlichen Längsachse von der gedachten Führungslinie des Gebärkanals vorliegt. Befinden sich beide Achsen parallel zueinander, spricht man von Längslage. Klinisch existieren zwei Formen der Längslage: die Schädellage und die Beckenendlage. Stehen die beiden Achsen im rechten Winkel zueinander, so liegt eine Querlage vor. Bilden beide Achsen einen spitzen Winkel, so spricht man von Schräglage. Sowohl eine persistierende Quer- als auch Schräglage ist eine gebärunfähige Lage.
Aufgrund einer herabgesetzten muskulären Spannung der Bauchdecken bzw. des Uterus bei Pluriparae führt diese Situation häufiger zur Querlage. Der Fetus kann eine aktive Positionierung in die Längslage (7 Kap. 43.1.3) aufgrund eines fehlenden Widerlagers nicht vollenden. Der gleiche Mechanismus kann bei Vorliegen eines Polyhydramnions angenommen werden. Fetale Fehlbildungen können diese aktive Bewegung ebenfalls behindern, sodass die aktive Positionierung in Längslage nicht erfolgt. Große Zervixmyome oder Uterussepten können aufgrund der Behinderung der aktiven Drehung des Fetus in die Längslage zur persistierenden Querlage führen. Häufig wird bei einer Placenta praevia eine Querlage des Fetus beobachtet. Hier ist es v.a. die Plazentalokalisation, die die Querlage begünstigt. Selten wird eine Querlage bei beiden Zwillingen diagnostiziert. Die Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Gestationsalter ab. Eine Querlage des zweiten Mehrlings wird eher anlässlich einer vaginalen Mehrlingsentbindung beobachtet.
Terminologie Bei der Querlage werden vier Formen unterschieden: 4 dorsoanteriore Querlage (Rücken vorn), 4 dorsosuperiore Querlage (Rücken oben), 4 dorsoposteriore Querlage (Rücken hinten), 4 dorsoinferiore Querlage (Rücken unten). Die Schräglage ist in den meisten Fällen eine passagere Einstellung. Aus der Schräglage kann sich in Terminnähe bei beginnender Wehentätigkeit entweder eine Quer- oder Längslage entwickeln. Deshalb wird sie nicht zu Unrecht auch als »instabile Kindslage« bezeichnet. Da das therapeutische Vorgehen bei Schräglage mit dem der Querlage identisch ist, wird in der weiteren Beschreibung die Schräglage nicht extra erwähnt.
43.2.4
Diagnostik
Eine Querlage ist häufig eine Blickdiagnose. Bei der Schwangeren weist eine breit ausladende Bauchform auf eine Querlage hin. Die Anwendung der Leopold-Handgriffe (7 Kap. 12) ist ein unabdingbarer Bestandteil der klinischen Untersuchung. Die Handgriffe führen schnell zur richtigen Diagnose: 4 niedrig stehender Fundus uteri (Leopold 1), 4 quer liegender Fetus (Leopold 2), 4 kein ballotierender Kopf im kleinen Becken (Leopold 3 und 4), 4 seitliche Palpation des kindlichen Kopfes, entweder rechts oder links (Leopold 3 und 4). > Bei der vaginalen Untersuchung ist kein vorangehender Teil zu tasten. Das kleine Becken ist leer.
43.2.2
Inzidenz
Die Quer- und Schräglage bei Einlingsschwangerschaften ist ein sehr seltenes Ereignis. Nach Literaturangaben tritt sie in weniger als 0,5% auf. Allerdings ist die Inzidenz stark von der Parität abhängig. Je höher die Parität, desto häufiger ist eine Querlage zu beobachten.
43.2.3
Ätiologie
Mehrere Faktoren können als Ursache für diese geburtsunmögliche Lage genannt werden: 4 Multi- und Pluriparität (4 Geburten), 4 fetale Fehlbildungen (z. B. Steißbeinteratom), 4 Placenta praevia, 4 Polyhydramnion, 4 Frühgeburt, 4 Uterusanomalien bzw. -deformitäten (Myome, Septen etc.), 4 Mehrlinge (besonders beim zweiten Mehrling).
Zur Sicherung und exakten Beschreibung der Einstellung des Fetus dient heute die transabdominale Ultraschalldiagnostik. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Diagnose problemlos stellen und die Haltung und Lage des Fetus exakt beschreiben. Vor allem kann die Position der Nabelschnur dargestellt werden. Diese Information ist für die weitere Betreuung wichtig. ! Vorzeitiger Blasensprung bei dorsosuperiorer Querlage – Nabelschnurvorfall! Gefahr!
Das Wissen um die korrekte Lage des Fetus hat auch in der heutigen Zeit nicht an Bedeutung verloren. In den meisten Fällen wird zwar infolge der Querlage eine primäre bzw. sekundäre Sectio caesarea indiziert. Jedoch ist es für die Planung der Sectio caesarea wichtig, zu wissen, wie der Fetus in utero liegt, um eine möglichst schonende kindliche Entwicklung zu gewährleisten.
43
960
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
43.2.5
Geburtsverlauf und Therapie
Grundsätzlich ist die Querlage eine gebärunmögliche Lage. Dennoch bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Querlage des Fetus zu beeinflussen: 4 konservatives Vorgehen, 4 äußere Wendung in Längslage (Schädellage), 4 elektive Sectio caesarea.
Antepartales Vorgehen Konservatives Vorgehen. Bei geschlossenem Muttermund
kann in jedem Fall eine spontane Drehung in Längslage abgewartet werden. Nach Literaturangaben geschieht das nach der 37. SSW noch in ca. 80%. Bei knapp 20% verbleibt der Fetus bis zum spontanen Geburtsbeginn in Querlage. In Abhängigkeit vom Muttermundsbefund kann das Abwarten unter enger ambulanter Betreuung erfolgen. Es existiert allerdings keine Empfehlung, wie lange abgewartet werden kann. Nach Überschreiten des errechneten Termins sollte individuell mit der Schwangeren das weitere Procedere besprochen werden. Beim konservativen Vorgehen ist die Kenntnis des geburtshilflichen Befundes wichtig, da bei diesem Therapieansatz ein vorzeitiger Blasensprung auftreten kann. Sollte der Muttermund bereits 1–2 cm geöffnet sein, empfiehlt sich eine stationäre Observanz. Insbesondere bei dorsosuperiorer Querlage besteht anlässlich eines vorzeitigen Blasensprungs die reale Gefahr eines Nabelschnurvorfalls. Äußere Wendung. Ein weiterer Therapieansatz ist die äußere Wendung in Schädellage. Das Vorgehen entspricht dem der äußeren Wenden bei Beckenendlage > 36. SSW (7 Kap. 43.1.6). Nach Ausschluss von Kontraindikationen, z. B. Placenta praevia, kann die äußere Wendung versucht werden. Die Rezidivrate liegt etwa bei 5%. Sollte bei geburtsbereitem Zervixbefund eine erfolgreiche Wendung in Schädellage geglückt sein, könnte eine Geburtseinleitung mittels Oxytozin-Infusion oder Prostaglandin-haltigen Medikamenten versucht werden. Anderenfalls ist nach einem erfolgreichen Wendungsversuch auch ein weiteres konservatives Vorgehen zu vertreten. Elektive Sectio caesarea. Bei persistierender Querlage in Terminnähe oder über Termin ist die Schnittentbindung die Therapie der Wahl. Spätestens mit beginnender Wehentätigkeit oder bei Blasensprung sollte die Schwangere mit einer Querlage per sectionem entbunden werden. Häufig ist hierbei die schonende Entwicklung nur über einen uterinen Längsschnitt bzw. über eine T-förmige Längserweiterung des Querschnitts möglich. Verschleppte Querlage. Die Diagnose einer sog. verschleppten Querlage dürfte in der heutigen Zeit eine außerordentlich große Rarität sein.
43
! Dennoch sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass in dieser Situation jedwede Manipulation am lebenden Kind zu unterlassen ist (Provokation einer traumatischen Uterusruptur)!
Der kindliche Kopf ist i. Allg. auf die innere Darmbeinschaufel aufgesetzt und von der üblichen Längslage abgewichen, die kindliche Schulter hat die Führung übernommen. Sie wird sich im Beckeneingang verkeilen und/oder es tritt ein Armvorfall auf. In dieser Situation kann ausschließlich die eilige Schnittentbindung zur Minimierung der kindlichen Gefahren beitragen. ! Eine unerkannte und verschleppte Querlage führt letztlich zum Absterben des Kindes und/oder zur spontanen Uterusruptur. Damit entsteht eine lebensbedrohliche Situation sowohl für den Fetus als auch für die Gebärende. In diesem Falle ist eine schnelle und beherzte Handlung erforderlich, um die Mutter und das Kind vor schweren Schäden zu bewahren.
43.2.6
Prognose
Durch die Maßnahmen der Schwangerenvorsorge inklusive der Ultraschalldiagnostik dürfte heutzutage die Querlage rechtzeitig diagnostiziert werden. Spätestens bei Kreißsaalaufnahme sollte sonographisch die kindliche Lage überprüft werden. Damit werden die mütterlichen und kindlichen Gefahren, die mit der Entbindung aus Querlage im Zusammenhang stehen, minimiert bzw. eliminiert. Eine Entbindung aus Querlage besitzt dennoch eine höhere maternale und fetale Morbidität und Mortalität. Diese wird hauptsächlich auf die prädisponierenden Faktoren, die als Ursache für eine Querlage angesehen werden, zurückgeführt. Insbesondere das Vorliegen einer Placenta praevia impliziert ein deutlich höheres Risiko für Mutter und Kind. Hinzu kommen weitere Risiken, wie z. B. Nabelschnurvorfall und Frühgeburt. Beim intrauterin abgestorbenen reifen Fetus in Querlage sollte bei vollständig eröffnetem Muttermund eine kombinierte innere/äußere Wendung versucht werden. Falls das nicht gelingt, sollten die Gefahren für die Mutter anlässlich einer Sectio caesarea am toten Kind gegenüber den zerstückelnden Operationen am abgestorbenen Fetus abgewogen werden. Die Gefahren für die Mutter sind jedoch abhängig von der Erfahrung des Geburtshelfers und seiner manuellen Geschicklichkeit.
43.3
Querlage bei Mehrlingen
Bei Mehrlingsschwangerschaften ist die Querlage beider Feten ein sehr seltenes Ereignis. Je höher das Gestationsalter, desto seltener wird die Querlage beider Feten beobachtet. Eine andere Situation besteht bei der spontanen Mehrlingsgeburt, bei der sich der zweite (oder höhergradige) Mehrling in Querlage eingestellt hat. Nach der Geburt des ersten Mehrlings aus Längslage kann der zweite in aller Regel problemlos in die Längslage gebracht werden. Die im Folgendenden beschriebenen Therapieansätze haben sich dabei unter Berücksichtigung der klinischen Situation und der Erfahrung des Geburtshelfers bewährt.
961 Literatur
43.3.1
Exspektatives Vorgehen bei unauffälligem Geburtsverlauf
Nach der Geburt des ersten Mehrlings wird zunächst die Einstellung des zweiten Mehrlings, entweder durch innere/ äußere Untersuchung der Gebärenden oder durch die transabdominale Sonographie, festgestellt. Bei unauffälliger CTGRegistrierung sollte das spontane Wiedereinsetzen der Wehentätigkeit abgewartet werden. Anderenfalls kann die Wehentätigkeit durch den Beginn einer Wehenmittelinfusion induziert werden. Bei weiterem streng konservativem Vorgehen stellt sich unter der Wehentätigkeit der zweite Mehrling meistens in eine Längslage ein. Er kann dabei durch die äußere Schienung unterstützt werden. Die verwendeten Handgriffe sind von der externen Wendung bei Beckenendlage in Schädellage bekannt (7 Kap. 43.1.6). Somit hat es der Geburtshelfer im gewissen Sinne »selbst in der Hand«, die Einstellung des Kindes zu bestimmen (Schädel- oder Beckenendlage). Eine spontane Geburt aus Schädellage bzw. eine vaginale Entbindung aus Beckenendlage kann abgewartet werden. Bei ausbleibender Wehentätigkeit scheint eine Latenzzeit von > 60 min jedoch nicht sinnvoll zu sein. Selten beobachtet man, dass sich die vollständig dilatierte Zervix beginnt, wieder zu formieren. Darüber hinaus stellt sich der in utero verbliebene Mehrling nicht korrekt in eine Längslage ein. Damit kann die Geburt des zweiten Mehrlings erschwert und die Morbidität erhöht werden.
43.3.2
Aktives Vorgehen
Bei fetaler Gefahrensituation, z. B. anlässlich einer terminalen Bradykardie (Cave: Plazentalösung), bei Ausbleiben der spontanen bzw. induzierten Wehentätigkeit oder bei anderweitigen Komplikationen sollte aktiv agiert werden. Es empfiehlt sich zunächst, die Fruchtblase zu erhalten. Die kindliche Einstellung und Lage sollte mit Hilfe der transabdominalen Sonographie überprüft werden. Befindet sich der in utero verbliebene Mehrling nach wie vor in Querlage, kann eine Wendung auf die Füße und die ganze Extraktion vorgenommen werden. Dazu holt man sich bei intakter Fruchtblase den vorn gelegenen Fuß bzw. beide Füße herunter und zieht an diesem(n) so kräftig, dass sich eine Fußlage einstellt. Durch kräftiges Hochschieben des kindlichen Kopfes von außen nach kranial kann dieses Manöver erfolgreich unterstützt werden. Sollte die Fruchtblase dabei springen, kann eine kombinierte äußere/innere Wendung versucht werden. Dabei wird wiederum ein Fuß gefasst und herunter geholt, währenddessen von außen der kindliche Kopf nach kranial geschoben wird. Anschließend erfolgt die Entwicklung des Kindes aus Fußlage durch permanenten Zug am Bein bzw. an beiden Beinen (ganze Extraktion). Bei der Entwicklung des Kindes können eine Armlösung und die Kopfentwicklung notwendig werden. Diese Manöver erfordern jedoch eine hohe Kompetenz, führen dann aber zumeist rascher zur Geburtsbeendigung als eine Sectio.
43.3.3
Sekundäre Sectio caesarea am zweiten Zwilling
Sollten die Wendungsmanöver erfolglos verlaufen, ist ohne Zeitverzug die Sectio caesarea am zweiten Zwilling auszuführen. Die logistischen Voraussetzungen (Anästhesie- und Operationsteam im »stand by«) sollten bereits vor Beginn der Entbindung sichergestellt worden sein.
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43
962
43
Kapitel 43 · Regelwidrigkeiten des Geburtsmechanismus: Poleinstellungsanomalien
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43
44 44 Schulterdystokie J. Gnirs, K.T.M. Schneider 44.1
Ursachen, Häufigkeit, Diagnostik, Gefahren – 966
44.1.1 44.1.2 44.1.3 44.1.4 44.1.5
Regelrechte Schultergeburt – 966 Erschwerte Schultergeburt und Schulterdystokie – 966 Häufigkeit – 966 Diagnostik – 967 Gefahren – 967
44.2
Risikofaktoren und Vorhersehbarkeit der Schulterdystokie – 969
44.3
Möglichkeiten der Prävention – Makrosomiediagnose als Grund für vorzeitige Entbindung? – 972
44.4
Handgriffe, unterstützende Maßnahmen – 974
44.4.1 44.4.2 44.4.3 44.4.4 44.4.5
Externe Maßnahmen – 975 Interne vaginaloperative Maßnahmen – 977 Letzte Rettungsversuche – 981 Geburtshilfliche Maßnahmen und Folgemorbidität – 982 Empfohlene Behandlungsstrategie bei Schulterdystokie – 982
44.5
Forensische Aspekte der Schulterdystokie – 983 Literatur – 984
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
966
Kapitel 44 · Schulterdystokie
Die Schulterdystokie zählt mit einer mittleren Inzidenz von 0,7% (0,1–2,3%) zu den seltenen, aber besonders gefährlichen Geburtskomplikationen. Mangels klinischer Routineerfahrung kann das adäquate Vorgehen nur im Rahmen von Trainingsprogrammen mit ausreichender Sicherheit vermittelt werden. Neben asphyxiebedingten Schäden stehen v. a. Frakturen und Armplexusparesen des Kindes im Vordergrund. Die fetale Makrosomie stellt zwar den bedeutendsten Risikofaktor für das Auftreten einer Schulterdystokie dar, ist aber nicht zuverlässig diagnostizierbar, da insbesondere Kindsgewichte von mehr als 4000 g häufig unterschätzt werden. Eine medizinisch sinnvolle Prävention, z. B. durch frühzeitigere Geburtseinleitungen, steht allenfalls bei erkannter fetaler Makrosomie in Kombination mit einem maternalen Diabetes oder Gestationsdiabetes zur Diskussion. Die klinisch wie sonographisch zu unpräzise Makrosomiediagnostik stellt i. d. R. keine ausreichende Indikation für eine primäre Sectio caesarea dar. Allerdings sollten die Eltern über eindeutige individuelle Risikofaktoren (z. B. Makrosomieverdacht und Zustand nach Schulterdystokie) sowie Behandlungsalternativen (Einleitung/Sectio caesarea) aufgeklärt und in die Entscheidung mit eingebunden werden. Für die Behandlung der Schulterdystokie wurden zahlreiche Verfahren empfohlen. Bei manifester Schulterdystokie sollte zunächst das McRoberts-Manöver genutzt werden, da es wenig traumatisierend ist und häufig schon ohne additive Maßnahmen die Geburt der Schultern ermöglicht.
44.1
44.1.1
Ursachen, Häufigkeit, Diagnostik, Gefahren Regelrechte Schultergeburt
Bei Schädellage des Kindes beginnt die Geburt der Schultern mit dem Tiefertreten und Austritt (Durchschneiden) des Kopfes im tiefen Geradstand. Die passive, wehenabhängige Schultergeburt verläuft in 2 Phasen: 4 Zunächst drehen sich die Schultern aus dem sagittalen Durchmesser über dem querovalen Beckeneingang in den hohen Querstand und treten im weiteren Verlauf der Austreibungsperiode in das kleine Becken ein, während der Kopf auf seinem Weg nach unten eine innere Rotation aus dem queren Durchmesser in den tiefen Geradstand erfährt. 4 Erreicht die Schulterbreite die unteren Anteile der Beckenhöhle, so erfolgt deren Drehung über den schrägen Durchmesser in den tiefen Schultergeradstand (bei 1. Stellung: Rücken des Kindes links über den zweiten schrägen Durchmesser, bei 2. Stellung: Rücken rechts über den ersten schrägen Durchmesser).
44
Die Schulterdrehung ist an der Rückdrehung des ausgetretenen Kopfes erkennbar, bei 1. Stellung mit dem Hinterhaupt nach links, bei 2. Stellung mit dem Hinterhaupt nach rechts. Das Auftreten einer Schulterdystokie wird durch die auch unter physiologischen Bedingungen relativ spät einsetzende Drehung des Schultergürtels begünstigt. Steht der Kopf in der
Interspinalebene, so ist die Schulterbreite in 60% aller Fälle noch im hohen Schultergeradstand, und nach Durchtritt des Kopfes findet man bei 40% der Geburten noch einen tiefen Schulterquerstand. Bei normalen Geburtsverläufen beträgt das Zeitintervall zwischen Geburt des Kopfes bis zur Entwicklung des Körpers maximal 60 s.
44.1.2
Erschwerte Schultergeburt und Schulterdystokie
Schulterdystokie Als Schulterdystokie wird ein für den Fetus vital bedrohlicher Geburtsstillstand bei Geburt aus Schädellage bezeichnet, der nach Austritt des kindlichen Kopfes einsetzt.
Man unterscheidet die Schulterdystokie bei hohem Schultergeradstand und bei tiefem Schulterquerstand. Beim hohen Schultergeradstand befindet sich die Schulterbreite im Längsdurchmesser über dem Beckeneingang, der Kopf ist auf die Vulva aufgepresst oder sogar tief in diese eingezogen (»Turtle-Phänomen«). Beim tiefen Schulterquerstand befindet sich die Schulterbreite im queren Durchmesser, der Kopf ist schon vollständig geboren und nicht in die Vulva hineingezogen. Bei der Schulterdystokie ist die Zeit bis zur endgültigen Geburt des Körpers gegenüber normalen Verläufen signifikant verlängert (>60 s).
44.1.3
Häufigkeit
Die Häufigkeit der Schulterdystokien wird mit 0,1–2,3% (im Mittel 0,7%) aller Geburten angegeben (. Tab. 44.1). Eine Schulterdystokie trifft den Geburtshelfer nur bei etwa jeder 140. vaginalen Geburt. In Geburtskliniken mit 10 Geburtshelfern und 1000 Entbindungen pro Jahr sowie einer Sectiorate von 20% wird jeder Arzt also nur etwa alle 2 Jahre eine echte Schulterdystokie behandeln müssen. Aufgrund der Seltenheit dieses Ereignisses kann mangels klinischer Routineerfahrung nur im Rahmen von Trainingsprogrammen das adäquate Vorgehen mit ausreichender Sicherheit vermittelt werden. Besonders wichtig ist die korrekte und frühzeitige Diagnose einer Schulterdystokie. Unerkannte und damit primär falsch behandelte Fälle weisen auf jeden Fall ein erhöhtes Risiko kindlicher Geburtsverletzungen infolge exzessiver intrapartaler Entwicklungsversuche auf (Gonik et al. 1991). > Schulterdystokien sind mit einer Inzidenz von 0,7% seltene, aber äußerst gefährliche Geburtskomplikationen, für die in jeder Geburtsklinik ein Behandlungsplan erstellt und trainiert werden sollte.
967 44.1 · Ursachen, Häufigkeit, Diagnostik, Gefahren
. Tab. 44.1. Geburtsgewicht und Häufigkeit von Schulterdystokien (Literaturübersicht)
Untersucher
Geburten (n)
≤4000 g
4000–4500 g
>4500 g
Benedetti u. Gabbe (1978)
8890
12/8196 (0,15%)
21/694 (3,0%)
–
Golditch u. Kirkman (1978)
801
–
20/667 (3,0%)
11/134 (8,2%)
Modanlou et al. (1980)
571
1/284 (0,4%)
–
22/287 (7,7%)
Acker et al. (1985)
14.721
144/13.403 (1,07%)
113/1100 (10,3%)
52/218 (23,9%)
Gross et al. (1987)
7123
67/6729 (1,0%)
29/338 (8,6%)
20/56 (35,7%)
Sandmire u. O’Halloin (1988)
14.806
26/13.051 (0,20%)
25/1232 (2,03%)
22/523 (4,2%)
Keller et al. (1991)
120
7/75 (9,3%)
5/37 (13,5%)
3/8 (37,5%)
Langer et al. (1991)
75.523
176/69.801 (0,25%)
169/4839 (3,49%)
111/883 (12,6%)
Delpapa u. MuellerHeubach (1991)
120
1/60 (1,7%)
3/52 (5,8%)
1/8 (12,5%)
Baskett u. Allen (1995)
40.518
96/35.136 (0,27%)
89/4565 (1,95%)
69/817 (8,5%)
Bleichenbacher u. Haenel (1995)
225.247
1174/222.336 (0,53%)
–
313/2911 (10,75%)
Ouzounian u. Gherman (2005)
267.228
414/236.803 (0,18%)
946/25.850 (3,66%)
326/4575 (7,13%)
Mollbert et al. (2005)
1.213.692
295/991.061 (0,03%)
611/180.792 (0,3%)
671/41.839 (1,6%)
Gesamt
1.869.360
2413/1.596.935 (0,15%)
2031/220.166 (0,92%)
1621/52.259 (3,1%)
44.1.4
Diagnostik
Hoher Schultergeradstand Nach Austritt des kindlichen Kopfes bleibt die geburtsmechanisch notwendige Rotation der Schulterbreite in den hohen Querstand und damit das Eintreten des Körpers in den Beckeneingang aus. Die hintere Schulter nimmt zwar meist eine platzsparende Position lateral des Promontoriums ein, die vordere Schulter steht jedoch weiterhin kranial der Symphyse, wird durch diese zurückgehalten und kann nicht entwickelt werden. Damit kann auch der Kopf nicht tiefertreten, wodurch dieser nach dem Durchschneiden in die Vulva eingezogen bleibt. Die Folge ist ein Geburtsstillstand (. Abb. 44.1) mit dem Risiko gravierender Folgemorbidität bei Mutter und Kind. Für den Geburtshelfer wird die Schulterdystokie erkennbar, wenn der bereits geborene Kopf in die Vulva eingezogen ist und auch nach vorsichtiger Traktion nach kaudaldorsal die vordere Schulter nicht folgt.
die Vulva eingezogen ist. Wie beim hohen Schultergeradstand kann es auch hier, wenngleich weitaus seltener, als Folge der Schulterdystokie zu schwerer kindlicher Morbidität kommen.
Differenzialdiagnosen In der Austreibungsperiode kommen neben der Schulterdystokie noch andere Störungen des Geburtsverlaufes in Betracht, die in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden müssen: 4 kurze Nabelschnur (absolut oder infolge von Nabelschnurumschlingungen), 4 Vergrößerung des fetalen Thorax- oder Abdomenumfangs (z. B. Hydrops fetalis, Tumoren), 4 Zwillingskollision, 4 siamesische Zwillinge, 4 ringförmiger Spasmus des unteren Uterinsegmentes (»contraction ring«)
Tiefer Schulterquerstand Die Schulterbreite dreht sich nach Eintritt in das kleine Becken nicht aus dem Querstand in den erforderlichen tiefen Schultergeradstand und ist gegen den längsovalen Beckenausgang fixiert (. Abb. 44.2). Damit bleibt auch die äußere Drehung des durchgetretenen Kopfes aus, der allerdings nicht in
44.1.5
Gefahren
Neonatale Komplikationen Da die Nabelschnurperfusion bei Auftreten einer Schulterdystokie durch Zug oder Kompression unterbrochen sein
44
968
Kapitel 44 · Schulterdystokie
. Abb. 44.1. Klinische Symptomatik beim hohen Schultergeradstand. a Hoher Schultergeradstand (2. Stellung). Infolge der ausgebliebenen Rotation der Schulterbreite nach links in den hohen Querstand steht die linke Schulter des Kindes oberhalb der Symphyse. b Typischer Befund bei hohem Schultergeradstand: Der Kopf ist tief in die Vulva eingezogen
a
kann, die Lungenatmung noch nicht ausreichend möglich ist und zusätzlich meist noch die Wehentätigkeit stark zunimmt, kommt es infolge der unmöglich gewordenen Rumpfentwicklung schnell zu einer fetalen Hypoxie mit gleichzeitiger Stauung im Bereich des bereits geborenen Kopfes. Der Nabelschnur-pH-Wert fällt in dieser Situation pro Minute um etwa 0,04 Einheiten ab (Wood et al. 1973). Abhängig von der bis zur endgültigen Entwicklung des Kindes benötigten Zeit kann die Asphyxie zu einem hypoxischen Hirnschaden oder bei weiterer Verzögerung sogar zum Absterben des Kindes führen. Schwere Azidosen finden sich in 4,3%, Mekoniumaspirationen in 2,9%, Totgeburten in 7,9% und neonatale Todesfälle in 2,9% der Fälle (Sandmire u. O’Halloin 1988). Je nach Untersuchungskollektiv wird eine perinatale Mortalität von 1,9– 29% angegeben. Auch vorzeitige Plazentalösungen werden
b
gehäuft beobachtet. Generell ist bei etwa 3% der Kinder mit bleibenden Schäden zu rechnen – am häufigsten in Form einer geringgradigen Armschwäche.
Morbidität des Kindes und Komplikationen nach Auftreten einer Schulterdystokie 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Fetale Asphyxie/Azidose Asystolie/Schock Mekoniumaspiration Vorzeitige Plazentalösung Klavikulafraktur (akzidentell oder operativ) Schulterblattfraktur Oberarmfraktur Epiphysenlösungen Distorsionen Schulterdislokation Obere oder untere Plexuslähmung Läsion des Halssympathicus mit Horner-Symptomtrias: Ptosis, Miosis, Enophthalmus 4 Wurzelabriss mit bleibender Armlähmung 4 Hämorrhagische Kontrakturen im Bereich des M. sternocleidomastoideus (Schiefhals) 4 Genickbruch
> Durch forcierte Versuche, die Rumpfentwicklung zu erzwingen (Traktion, »Kristellern«), steigt das Risiko schwerer sekundärer Geburtsverletzungen (7 Übersicht) auf etwa 30% deutlich an.
44
. Abb. 44.2. Klinische Symptomatik beim tiefen Schulterquerstand: Der Kopf ist nicht in die Vulva eingezogenen, die Schulterbreite bei ausgebliebener Rotation in den tiefen Geradstand am Beckenausgang fixiert
Als besonders gravierende Komplikation sind die mit 4,7–15% im Vergleich zu unselektierten Schwangerschaften (0,27– 2,7‰) relativ häufigen traumatischen Läsionen des Plexus brachialis anzusehen, die vorrangig beim hohen Schultergeradstand entstehen. Hierbei dominiert die obere Plexuslähmung Typ Erb-Duchenne (Segment C5–C6) gegenüber der unteren vom Typ Klumpke (Segment C7–Th1), die sich
969 44.2 · Risikofaktoren und Vorhersehbarkeit der Schulterdystokie
. Abb. 44.3. Plexusparese durch physiologische Rotation des Kopfes und spontane Dehnung des Nackens bei Auftreten einer Schulterdystokie
nur in 2–3% aller Plexusverletzungen findet. Lähmungen des rechten Armes sind häufiger als die des linken Armes, wohl infolge der größeren Häufigkeit der 1. Stellung des Fetus bei der Geburt. Seltener kommt es zu einer Mitbeteiligung der Segmente C3–C4 mit zusätzlicher Schädigung des N. phrenicus oder zur kompletten Lähmung der Segmente C5–C8, die in 1/3 der Fälle mit einem Horner-Syndrom einhergeht (Basket u. Allen 1995; Nocon et al. 1993; Mollberg et al. 2005). In etwa 80% der Fälle mit oberer Plexusläsion ist innerhalb der ersten 3–6 Lebensmonate eine vollständige Ausheilung oder ein Persistieren allenfalls minimaler neuromuskulärer Ausfallerscheinungen zu beobachten, wogegen die Lähmungserscheinungen bei der unteren Plexuslähmung bei lediglich 40% der Kinder innerhalb eines Jahres wieder verschwinden (Curran 1981; Gordon et al. 1973). > Armplexuslähmungen müssen bei Persistenz über mehr als ein Jahr als irreversibel angesehen werden und finden sich bei etwa 3 von 100 Schulterdystokien.
39% aller Plexusparesen betreffen den hinteren Arm und werden am ehesten durch vorübergehende Fixierung der Schulter am Promontorium bei weiter tiefer tretendem Fetus verursacht. Da die Distanz zwischen Promontorium und Vulva 12–13 cm beträgt, kann diese Fixierung nach Durchtreten des Kopfes und bei Beginn geburtshilflicher Maßnahmen keine Rolle mehr spielen. Die Schulter muss zu diesem Zeitpunkt bereits das Promontorium passiert haben. Demzufolge sind Plexusparesen des hinteren Armes in der Regel nicht durch evtl. falsche Kraftanwendungen bei der Entbindung bedingt (Dokumentation!). Auch Plexusläsionen der vorderen Schulter können prinzipiell ohne Manöver zur Lösung einer Schulterdystokie durch die physiologische Rotation des Kopfes beim Tiefertreten vom hohen Quer- zum tiefen anteroposterioren Geradstand und Dehnung der Nackenpartie des Fetus verursacht sein (. Abb. 44.3; Sandmire u. DeMott 2009). Klavikulafrakturen (5–23%) sind die nach einer Schulterdystokie am häufigsten auftretenden neonatalen Skelettverletzungen, treten aber auch bei 0,2–4,4% aller sonstigen Geburten (inklusive Sectio caesarea) auf. Daneben finden sich Humerusfrakturen, Epiphysenlösungen, Distorsionen und
Schulterluxationen, die meist Folge einer hinteren Armlösung sind. Weichteilverletzungen treten v. a. im Bereich des M. sternocleidomastoideus auf, wobei Einblutungen zu Kontrakturen (Schiefhals) führen können.
Maternale Komplikationen Maternale Weichteilverletzungen wie Zervix-, Vaginal- Suburethral- und hochgradige Dammrisse (Grade III und IV) sind nach einer Schulterdystokie häufig zu beobachten. So finden sich z. B. Vaginalrisse 36-mal häufiger (19% der Fälle) als bei Geburten ohne Schulterdystokie; bei etwa 10% der Patientinnen treten Zervixrisse und bei ca. 4% ein Dammriss IV. Grades auf. Der geschätzte intrapartale Blutverlust übersteigt bei 68% der Patientinnen 1000 ml, verstärkte Nachblutungen treten in 11–14% der Fälle auf. Daneben werden maternale Infektionen und Harnblasenatonien berichtet. Das Höchstmaß maternaler Morbidität resultiert aber aus traumatischen Uterusrupturen (1%).
44.2
Risikofaktoren und Vorhersehbarkeit der Schulterdystokie
Fetale Makrosomie Wenngleich Schulterdystokien auch bei normalgewichtigen Kindern zu beobachten sind (. Tab. 44.1) und ca. 1/3 aller betroffenen Kinder ein Gewicht von unter 4000 g aufweisen, dominiert die fetale Makrosomie als prädisponierender Faktor gegenüber allen anderen Einflussgrößen (. Tab. 44.2, Keller et al. 1991; Mollberg et al. 2005). Zahlreiche weitere Risikofaktoren weisen ebenfalls eine Beziehung zum Geburtsgewicht auf (Terminüberschreitung, Diabetes mellitus etc.). Bei einem Geburtsgewicht von mehr als 4000 g kommt es durchschnittlich in 3% (15-fach erhöhtes Risiko), bei einem Kindsgewicht von mehr als 4500 g in 11% (55-fach erhöhtes Risiko) und bei einem Gewicht von mehr als 5000 g in 40% der Fälle (200-fach erhöhtes Risiko) zu einer Schulterdystokie (Martius 1986; Sandmire u. O’Halloin 1988).
44
970
Kapitel 44 · Schulterdystokie
. Tab. 44.2. Fetale Makrosomie bei Fällen mit Schulterdystokie
Studie
Schulterdystokien [n]
Swartz (1960)
31
24 (77%)
Seigworth (1966)
51
39 (77%)
Benedetti u. Gabbe (1978)
33
21 (64%)
Johnstone
47
33 (70%)
Hopwood (1982)
92
30 (33%)
Acker (1985)
309
165 (53%)
Gross TL (1987)
116
49 (42%)
Sandmire u. O‘Halloin (1988)
73
47 (64%)
Hassan (1988)
41
38 (93%)
Al-Najashi et al. (1989)
56
33 (59%)
Langer et al. (1991)
456
280 (61%)
Morrison et al. (1992)
254
26 (11%)
Nocon et al. (1993)
185
106 (57%)
Baskett u. Allen (1995)
254
158 (62%)
Gherman et al. (1997)
236
145 (61%)
Ouzounian u. Gherman (2005)
1686
1272 (76%)
Mollberg et al. (2005)
1577
1282 (81%)
Gesamt
5497
3748 (68%)
Prädisponierende Faktoren für das Auftreten einer Schulterdystokie
44
Schulterdystokie [n] (Geburtsgewicht >4000 g)
Antepartal 4 Fetale Makrosomie >4000 g – Adipositas der Mutter – Erhöhtes Alter der Mutter – Diabetes mellitus der Mutter/Gestationsdiabetes – Über der Norm liegende Gewichtszunahme während der Schwangerschaft – Terminüberschreitung – Vorausgegangene Geburt eines schweren Kindes – Männlicher Fetus – Vorausgegangene Geburt mit fetaler Makrosomie 4 Vorausgegangene Geburt mit einer Schulterdystokie 4 Maternale Beckenanomalien 4 Multiparität (u. a. höheres Ausgangsgewicht der Mutter) 4 Ethnische Zugehörigkeit (Afrikanerin)
6
Intrapartal 4 Gestörter Geburtsverlauf in der Eröffnungsperiode (insbesondere protrahierter Verlauf, Geburtsstillstand) 4 Verlängerte Austreibungsperiode/Geburtsstillstand (Oxytozinunterstützung) 4 Sehr schneller Geburtsverlauf 4 Frühzeitiges »Kristellern« 4 Vaginaloperative Entbindung aus Beckenmitte
Maternaler Diabetes mellitus Bei Müttern mit Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes ist das Risiko einer Schulterdystokie bei gleichem Geburtsgewicht im Vergleich zu nicht diabetischen Kontrollkollektiven um den Faktor 5 erhöht. Selbst in der Gewichtsklasse von mehr als 4500 g weisen diabetische Schwangerschaften eine nahezu 3fach höhere Schulterdystokierate auf (22–50%; (. Tab. 44.3). Im Vergleich zu nicht diabetischen Schwangerschaften steigt nach Auftreten einer Schulterdystokie die perinatale Mortalität von 5,2% auf 28% und die Rate der Geburtstraumata von 16,3% auf 36% an. Hierbei sind v. a. makrosome Kinder diabetischer Mütter gefährdet, da bei diesen das Ver-
971 44.2 · Risikofaktoren und Vorhersehbarkeit der Schulterdystokie
. Tab. 44.3. Schulterdystokien in Abhängigkeit vom Geburtsgewicht bei diabetischen und stoffwechselgesunden Schwangeren
Geburtsgewicht [g]
Diabetes/Gestationsdiabetes [n]
Kein Diabetes mellitus [n]
2500–2999
0/18
(0%)
6/2794
(0,2%)
3000–3499
0/47
(0%)
40/6252
(0,6%)
3500–3999
4/43
(9%)
**
94/4249
(2,2%)
4000–4499
6/26
(23%)
*
107/1074
(10,0%)
> 4500
5/10
(50%)
*
47/208
(22,6%)
Gesamt
15/144
(10,4%)
***
294/14.577
(2,0%)
2500–3749
5/1002
(0,5%)
***
97/61.569
(0,2%)
3750–3999
3/251
(1,2%)
71/6979
(1,0%)
4000–4249
4/128
(3,0%)
86/3231
(2,6%)
4250–4499
6/81
(6,9%)
*
73/1399
(5,0%)
4500–4749
12/43
(21,8%)
***
43/528
(7,5%)
4750–4999
10/18
(35,7%)
***
26/176
(12,9%)
> 5000
10/16
(38,5%)
***
10/102
(8,9%)
Gesamt
50/1539
(3,3%)
***
406/73.984
(0,6%)
Acker et al. 1985
Langer et al. 1991
* p < 0,05. ** p < 0,005. *** p = 0,0001.
hältnis des Kopfumfanges zum Umfang der Schulterbreite besonders ungünstig ist. Dies mag ein Grund dafür sein, dass z. B. obere Armplexuslähmungen (Typ Erb-Duchenne) bei Kindern von Diabetikerinnen signifikant häufiger (10,5‰) als bei Schwangeren ohne Diabetes (0,56‰) zu beobachten sind (Acker et al. 1988). Selbst die durch Schulterdystokien verursachten perinatalen Todesfälle finden sich mehr als 5fach häufiger bei Schwangeren mit Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes (Christoffersson u. Rydhstroem 2002). Es konnte gezeigt werden, dass sich Geburtskomplikationen und resultierende Folgeschäden durch eine straffe Stoffwechselführung und ggf. intensivierte Insulintherapie häufig vermeiden lassen. Während die Grunderkrankung beim Diabetes mellitus Typ 1 zu Beginn der Gravidität bereits bekannt ist, lässt sich ein Gestationsdiabetes nur mit Hilfe eines adäquaten Screenings frühzeitig erkennen, wie es von verschiedenen Fachgesellschaften empfohlen wird. Auch beim Gestationsdiabetes führt eine adäquate Therapie zu einer signifikanten Reduktion der Makrosomierate, von Schulterdystokien und perinatalen Todesfällen (Crowther et al. 2005; Langer et al. 2005).
Maternale Adipositas Bei adipösen Schwangeren scheint die durch das Fettgewebe bedingte Einengung der Weichteile des Geburtskanals ein zusätzliches Risiko darzustellen. Die Schulterdystokierate steigt von 0,2% bei normalgewichtigen Müttern auf 1,5% bei Gewichten über 90 kg (32% aller Schulterdystokien) und schließlich auf 5,1% bei mehr als 125 kg Körpergewicht an. Etwa 40% aller Schulterdystokien betreffen übergewichtige Frauen, wobei allerdings auch in dieser Risikogruppe das Kindsgewicht den stärksten Prädiktor darstellt.
Exzessive Gewichtszunahme während der Schwangerschaft Zwischen Gewichtszunahme der Mutter und Geburtsgewicht des Kindes besteht eine gewisse Korrelation. Die höheren Geburtsgewichte dürften die Ursache dafür sein, dass man in 14% der Fälle mit Schulterdystokie eine maternale Gewichtszunahme während der Schwangerschaft von mehr als 15 kg findet.
44
972
Kapitel 44 · Schulterdystokie
Intrapartale Risikofaktoren Studienbox Bei einem mütterlichen Ausgangsgewicht von ≤58 kg erhöht sich das Geburtsgewicht um 23 g/kg maternaler Gewichtszunahme, bei einem Ausgangsgewicht von 59–67 kg erhöht sich das Geburtsgewicht um 14 g/kg, bei einem Ausgangsgewicht von ≥68 kg beträgt die Gewichtssteigerung nur noch 4 g/kg (Voigt et al. 1996).
Terminüberschreitung Nahezu die Hälfte aller Schulterdystokien entsteht bei Schwangerschaften mit einer Terminüberschreitung (>41 SSW), wobei sich bei der überwiegenden Zahl betroffener Kinder eine Makrosomie findet. Nach dem Geburtstermin nimmt der Thoraxumfang stärker als der Kopfumfang zu. Ein hohes Gestationsalter per se stellt keinen unabhängigen Risikofaktor dar.
Fetales Geschlecht Ähnlich erklärt sich die in einigen Studien beobachtete Prädominanz (67–72%) männlicher Feten bei Fällen mit einer Schulterdystokie, da deren Geburtsgewicht jenseits der 40. SSW im Mittel um etwa 150 g höher ist als bei weiblichen Feten.
Alter der Mutter Einige Untersucher beobachteten ein erhöhtes maternales Alter in Schulterdystokiekollektiven. Hier besteht eine Koinzidenz mit den gleichfalls erhöhten Körpergewichten und dem altersabhängig zunehmenden Risiko eines Gestationsdiabetes.
Schulterdystokie in der Anamnese Das Wiederholungsrisiko einer Schulterdystokie liegt zwischen 7,3% und 25%. Wenngleich bei entsprechender Anamnese grundsätzlich häufiger Schulterdystokien vorkommen, sind hierbei adipöse Frauen bzw. solche mit großer Gewichtszunahme während der Schwangerschaft besonders gefährdet. In 82% der betroffenen Fälle findet sich ein höheres Kindsgewicht als bei der vorausgegangenen Schwangerschaft mit einer Schulterdystokie (Ginsberg u. Moisidis 2001; Usta IM et al. 2008; Overland et al. 2009).
Vorausgegangene Geburt eines makrosomen Kindes Makrosome Kinder in der Geburtsanamnese belegen in erster Linie das Risiko einer erneuten fetalen Makrosomie, die dann wiederum zur Schulterdystokie führen kann.
Maternale Beckenanomalien
44
Ein verengtes oder flaches Becken findet sich in retrospektiven Analysen von Schulterdystokien fast nur bei Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 4000 g, da anderenfalls i. d. R. schon während der Eröffnungs- oder frühen Austreibungsperiode ein Geburtsstillstand auftritt.
Wenngleich 70% der Schulterdystokien nach einem bis dahin völlig unauffälligen Geburtsverlauf auftreten, sind insbesondere eine protrahierte Austreibungsperiode oder ein Geburtsstillstand als Risikoindikator zu werten. Diese finden sich in 22–25%, vaginaloperative Entbindungen von Beckenmitte sogar in 23–50% der Schulterdystokien (Gefahr der ausbleibenden Schulterrotation; Acker et al. 1985; Gross et al. 1987a, b). Die nur begrenzten Daten sprechen für eine höhere Rate von Schulterdystokien nach Einsatz des Vakuumextraktors, evtl. aufgrund der bei Forcepsentbindungen besseren Steuerbarkeit der Rotationsbewegungen und der größeren applizierbaren Traktionskräfte. Grundsätzlich kann ein signifikanter Zusammenhang zwischen Schulterdystokie und vaginaloperativer Entbindung von Beckenmitte nur bei makrosomen Feten angenommen werden. Eine Oxytozinunterstützung oder Periduralanästhesie kommt zwar bei Störungen des Geburtsverlaufes gehäuft zur Anwendung, jedoch besteht kein unmittelbarer kausaler Zusammenhang mit der Entstehung einer Schulterdystokie. Gerade bei protrahierter Austreibungsperiode und erschwertem Durchtreten des Kopfes wird gelegentlich der Kristeller-Handgriff angewandt, der einen weiteren Risikofaktor darstellt. Durch den kräftigen Fundusdruck wird hierbei evtl. die oft verzögert einsetzende Schulterrotation durch Fixierung am Beckeneingang verhindert. Auch forcierte Traktionsmanöver am kindlichen Kopf vor Eintritt der Schulterrotation begünstigen erheblich die Fixierung einer Schulterdystokie. Die meisten Risikofaktoren finden sich selbst in unselektierten Kollektiven derart häufig, dass sie mangels Sensitivität bzw. Spezifität nur von begrenztem klinischem Nutzen sind. Von allen Konstellationen beinhaltet die Kombination von Diabetes, Adipositas, Terminüberschreitung und exzessiver fetaler Makrosomie das größte Gefährdungspotenzial hinsichtlich einer Schulterdystokie. > Eine zuverlässige Risikoselektion bezüglich späterer Schulterdystokien ist kaum möglich. Das höchste Gefährdungspotenzial weist die Kombination einer fetalen Makrosomie jenseits des Geburtstermins mit einem Diabetes/Gestationsdiabetes bei maternaler Adipositas bzw. mit einem Zustand nach Schulterdystokie auf. Die vaginaloperative Entbindung von Beckenmitte stellt dabei einen wichtigen additiven Risikofaktor dar. Hier sollte einer Sectio caesarea der Vorzug gegeben werden.
44.3
Möglichkeiten der Prävention – Makrosomiediagnose als Grund für vorzeitige Entbindung?
Schulterdystokien können auch ohne Vorliegen eines erkennbaren Risikofaktors auftreten. Da andererseits gerade bei einer fetalen Makrosomie (>4500 g) sowie bei Kombination eines maternalen Diabetes/Gestationsdiabetes mit einem Kindsge-
973 44.3 · Möglichkeiten der Prävention – Makrosomiediagnose als Grund für vorzeitige Entbindung?
wicht >4000 g das Schulterdystokierisiko stark zunimmt, wird diskutiert, ob durch ein gezieltes Screening und eine prophylaktisch indizierte Sectio caesarea oder Geburtseinleitung nach Vollendung von 37 SSW (Lurie et al. 1996) eine effektive Prävention möglich ist.
Makrosomiediagnostik Mit Hilfe der Leopold-Handgriffe oder anhand von Symphysen-Fundus-Messungen ist gerade bei Kindsgewichten über 3600 g die Gewichtsschätzung sehr unpräzise. Ein Geburtsgewicht von mehr als 4000 g wird in 50% der Fälle, ein Gewicht von mehr als 4500 g sogar in 80% der Fälle um >500 g unterschätzt (ACOG 2000). Die Sensitivität der klinischen Diagnostik (z. B. Symphysen-Fundus-Abstand) einer fetalen Makrosomie (>90. Perzentile) liegt bei 37,5%, der positive Vorhersagewert bei 24,5% (Persson et al. 1991). Lediglich 1/4 der übergewichtigen Kinder wird also korrekt diagnostiziert. Andererseits führen Konsequenzen aus der klinischen Gewichtsschätzung nicht zu einer Verbesserung des fetalen Outcomes (Neilson 2009). Neben der klinischen Untersuchung stellt die Ultraschalldiagnostik heute das wichtigste Verfahren zur fetalen Gewichtsschätzung dar (7 Kap. 15). Da die sonographische Gewichtsschätzung selbst bei realen Geburtsgewichten unter 3500 g mit einem Fehler von ±10% behaftet ist und die Fehlerbreite mit ansteigenden Gewichten nochmals drastisch zunimmt (maximal >20%), können sich dennoch erhebliche Abweichungen ergeben. So kann bei einem Schätzgewicht von 4500 g das tatsächliche Kindsgewicht zumindest zwischen 4050 g und 4950 g liegen. Neueren Untersuchungen zufolge kann das tatsächliche Kindsgewicht im Rahmen der antepartalen klinischen oder sonographischen Gewichtsschätzung sogar bis zu 41% höher liegen (Mehta et al. 2005). Die Sensitivität der Ultraschalldiagnostik bezüglich der Vorhersage eines Geburtsgewichtes von mehr als 4000 g liegt im Mittel bei 60–65% (Spezifität >90%), der positive Vorhersagewert bei 15–30%.
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass die sonographische Makrosomiediagnostik letztlich vom Gestationsalter (>90. Perzentile), die geburtsmechanischen Risiken jedoch vom Absolutgewicht des Kindes abhängig sind. Da eine signifikante Zunahme der kindlichen und maternalen Morbidität erst bei Gewichten von mehr als 4500 g zu verzeichnen ist, sieht das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG 2000, 2002) eine fetale Makrosomie auch bei diabetischen Schwangerschaften erst ab diesem Schätzgewicht als klinisch relevant an. Besteht keine diabetische Störung, wird diese Grenze sogar erst bei 5000 g gesehen. Die maternale Röntgenpelvimetrie (Beckeneingang und Beckenmitte) sowie computertomographische Messungen der fetalen Schulterbreite oder der Einsatz der Magnetresonanztomographie (MRT) können in Einzelfällen zur Risikoabschätzung beitragen, sind aber nicht zuletzt wegen des Untersuchungsaufwandes und der resultierenden Folgekosten als Standarduntersuchung nicht geeignet.
Prophylaktische Geburtseinleitung Bei retrospektiver Analyse von Einleitungsversuchen wegen einer sonographisch diagnostizierten fetalen Makrosomie (>90. Perzentile) wurde eine signifikant erhöhte Sectiorate (57%) im Vergleich zum exspektativen Vorgehen (30%) gefunden, ohne dass hierdurch Schulterdystokien reduziert werden konnten (Combs et al. 1993). In Risikokollektiven mit Gestationsdiabetes ließen sich dagegen bei prophylaktischer Geburtseinleitung zwischen 38 und 39 SSW gegenüber Schwangerschaften mit Terminüberschreitung Schulterdystokien signifikant von 10,2% auf 1,4% reduzieren (Lurie et al. 1996). Die Ergebnisse sind am ehesten auf die Vermeidung von Kindsgewichten >4000 g (24,2% vs. 9,4%) zurückzuführen, ohne dass mit diesem Vorgehen eine Zunahme der Kaiserschnitte einhergeht. Prospektiv randomisierte Studien belegen derzeit nicht, dass bei vermuteter fetaler Makrosomie ohne Diabetes mellitus durch vorzeitige Geburtseinleitungen das perinatale Risiko reduziert werden kann (Irion u. Boulvain 2009).
! Da eine adäquate Risikoselektion anhand der sonographischen Gewichtsschätzung kaum möglich ist, stellt sie bei nichtdiabetischen Schwangeren ohne zusätzliche Risikofaktoren keine ausreichende Sectioindikation dar (Rouse u. Owen 1999; Smith et al. 1997).
> Bei diabetischen Schwangerschaften und sonographisch begründetem Verdacht auf eine fetale Makrosomie kann mit der abgeschlossenen 37. SSW eine Geburtseinleitung erwogen werden (DGGG 2008), wenngleich eine klare Evidenz des Nutzens nicht gegeben ist.
Etwas günstiger sind die Resultate bei präselektierten Risikoschwangerschaften mit Diabetes/Gestationsdiabetes.
Prophylaktische Sectio caesarea
Studienbox Zusätzliche Hinweise kann evtl. die Beurteilung der fetalen Kopf-Thorax-Asymmetrie liefern, bei der eine Differenz zwischen abdominalem und biparietalem Durchmesser [AD – BPD] von mehr als 2,5 cm in retrospektiven Untersuchungen auf ein 25%-Schulterdystokierisiko schließen ließ (Miller et al. 2007).
Da zahlreiche Schwangere mindestens einen entsprechenden Risikofaktor aufweisen, könnte nur durch drastische Steigerung der Sectiorate mit entsprechender Zunahme der maternalen Morbidität eine Reduzierung von Schulterdystokien erwartet werden. Auch unter der unrealistischen Voraussetzung einer exakten präpartalen Gewichtsschätzung in Hochrisikokollektiven wären bei einer Gewichtsgrenze von 4000 g noch 6 Schnittentbindungen erforderlich, um eine Schulterdystokie zu vermeiden (Gross et al. 1987b, Sandmire 1987).
44
974
Kapitel 44 · Schulterdystokie
Bei der Kosten-Nutzen-Analyse der präventiven Schnittentbindung muss berücksichtigt werden, dass bei entsprechenden Risikoschwangerschaften Verletzungen des Kindes mit Langzeitfolgen selten sind.
Studienbox Bei einem 25%igen Schulterdystokierisiko liegt die Häufigkeit der besonders gefürchteten Armplexusläsionen lediglich um 8/1000 (Benedetti 1989). Bei einer Gewichtsgrenze von 4000 g müssten 950 zusätzliche Kaiserschnitte durchgeführt werden, ohne dass hierdurch eine dauerhafte Läsion verhindert werden könnte (Nocon et al. 1993). Bezogen auf die Prävalenz der Schäden, die tatsächlich durch eine Schulterdystokie bedingt sind, wären bei nichtdiabetischen Schwangerschaften zur Vermeidung einer einzigen permanenten Plexusparese mindestens 2345 (!) Kaiserschnitte notwendig (Rouse u. Owen 1999). Die Analyse von 17.334 Fällen mit neonataler Armplexusparese zeigte außerdem, dass bei 54% der später betroffenen Schwangerschaften keine erkennbaren Risikofaktoren festzustellen waren (Foad et al. 2008).
> Allein aufgrund des Ultraschallbefundes sollte nach Auffassung des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG 2002) allenfalls bei einem erwarteten Gewicht >5000 g bzw. bei Diabetes mellitus und Schätzgewicht >4500 g, die Sectioindikation erwogen werden.
44
Das Risiko einer (meist reversiblen) Geburtsverletzung beträgt bei diesen Kindern nach vaginaler Geburt 9,3%, nach Sectio caesarea nur 2,6% (Spellacy et al. 1985). Allerdings lässt sich hochrechnen, dass bei geplanter Schnittentbindung ab einem geschätzten Kindsgewicht >4500 g 2/3 der zusätzlichen »prophylaktischen« Sectiones zu Lasten von sonographischen Fehleinschätzungen gehen würden. Konzentriert man das operative Management auf die Hochrisikogruppe diabetischer Schwangerschaften mit makrosomen Kindern (>4000 g), so müssten bei genauer Kenntnis des Geburtsgewichtes immerhin im Mittel 489 (219–962) Kaiserschnitte zur Vermeidung einer einzigen bleibenden Plexusparese durchgeführt werden. Selbst bei einem Kindsgewicht von mehr als 5000 g sind noch bis zu 100 Sectiones notwendig, um einen Fall mit entsprechender Langzeitmorbidität zuverlässig zu verhindern (Ecker et al. 1997). Auch der ausschließliche Verzicht auf vaginaloperative Entbindungen bei makrosomen Kindern (>4000 g) würde inklusive der sonst vielleicht eintretenden Schulterdystokien noch 50–99 Kaiserschnitte pro vermiedener Geburtsverletzung erforderlich machen (Kolderup et al. 1997). Trotz dieser eher ungünstigen Nutzenabwägung sollte jede Schwangere mit Risikofaktoren für das Auftreten einer Schulterdystokie nicht zuletzt aus forensischen Gründen über das individuelle Gefährdungspotenzial, die möglicherweise erhöhte neonatale Morbidität bei vaginaler Entbindung und die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt werden.
Tipp Der adipösen Diabetikerin mit klinisch und sonographisch makrosomem Kind sollte geraten werden, spätestens im Fall eines Geburtsstillstandes in der Austreibungsperiode anstelle einer vaginaloperativen Entbindung aus Beckenmitte eine Sectio caesarea durchführen zu lassen. Unabhängig von der letztlich gewählten Entbindungsmethode bedarf es der dokumentierten Willenserklärung seitens der Patientin.
Infolge der niedrigen Prävalenz von Schulterdystokien und den äußerst begrenzten Möglichkeiten ihrer Vorhersage lässt sich die neonatale Morbidität eher durch geeignetes Training aller Geburtshelfer als durch Steigerung der Operationsrate reduzieren.
44.4
Handgriffe, unterstützende Maßnahmen
Die Behandlung der Schulterdystokie erfordert Besonnenheit und Ruhe. Hektische Manöver verschlechtern die Situation unnötig. Hieraus ergibt sich zwingend, dass alle operativen Maßnahmen vom erfahrensten Geburtshelfer (Facharzt!) und der erfahrensten Hebamme vorgenommen werden müssen, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar sind (Notfallalarmierung!). Zusätzlich sollte wegen der zu erwartenden neonatalen Morbidität und der eventuellen Notwendigkeit einer Narkose schnellstmöglich ein Neonatologe sowie ein Anästhesist hinzugezogen werden. Das Eintreffen eines Facharztes darf aufgrund der vitalen Bedrohung des Kindes nicht abgewartet werden, vielmehr muss der erstverantwortliche Arzt im Rahmen seiner Möglichkeiten mit der weiterführenden Behandlung beginnen (kein Übernahmeverschulden). Initial kann bei Erkennen einer schwierigen Schulterentwicklung versucht werden, die Geburt durch sanfte Traktion und leichtes Mitpressen der Patientin zu beenden. Forcierte innere und äußere Krafteinwirkungen wie Zug am Kopf, »Kristellern« und ungebremste Wehentätigkeit (ggf. Tokolyse bis zur Lösung der Schulterdystokie) führen auf jeden Fall zur Verschlechterung der Situation. Sie stellen die Hauptursache für die erhöhte Folgemorbidität dar. Bei Traktion durch den Geburtshelfer erreichen die applizierten Kräfte im Falle normaler Spontangeburten Spitzenwerte von weniger als 60 Newton (N), bei schwierigen Entwicklungen Werte von 60–90 N und bei Schulterdystokien von mehr als 90–100 N (>9,2 kp). ! Bei Auftreten einer Schulterdystokie müssen alle Maßnahmen, die zu einer Fixierung der Schulter führen können, unbedingt unterbleiben. Forcierte Traktion am kindlichen Kopf und Fundusdruck (»Kristellern«) sind in dieser Situation absolut kontraindiziert. Erst nach Lösung der eingeklemmten Schulter darf der Entwicklungsversuch fortgesetzt werden.
975 44.4 · Handgriffe, unterstützende Maßnahmen
Bei Eintreten dieses geburtshilflichen Notfalls muss schnell und flexibel gehandelt, d. h. bei Versagen einer Entwicklungsmethode zu einer anderen gewechselt werden. Hierbei sollte zunächst auf die Verfahren zurückgegriffen werden, die am aussichtsreichsten und am wenigsten traumatisierend sind. Bei Analyse der neonatalen Morbidität zeigt sich, dass kaum eine Methode bezüglich kindlicher Verletzungen klare Vorteile hat; reine Traktionsversuche verursachen allerdings letztlich 43–50% aller Verletzungen.
! Bei Auftreten einer Schulterdystokie wurde bislang das Unterlassen einer Episiotomie als schwerer Behandlungsfehler eingestuft (7 Kap. 44.5). Die grundsätzliche Empfehlung zur Episiotomie erscheint zumindest bei der hohen Schulterdystokie nicht mehr haltbar zu sein.
> Beim Auftreten einer Schulterdystokie sind unverzügliches Handeln und Besonnenheit oberstes Gebot. Diese Gefahrensituation erfordert den erfahrenen Geburtshelfer (Facharzt), eine erfahrene Hebamme und ggf. einen Neonatologen (Notfallalarmierung)!
Die ursprünglich als präventive Maßnahme vor Manifestation einer Schulterdystokie empfohlene äußere Überdrehung birgt bei inadäquater Kraftanwendung und insbesondere bei schon eingetretener Schulterdystokie die Gefahr einer kindlichen Traumatisierung. Da eine exzessive Kopfrotation in Verbindung mit Traktion die Gefahr einer Plexusparese prinzipiell erhöht und in der Vergangenheit falsche Anwendungen des Manövers zu kindlichen Schäden geführt haben, ist dieses Verfahren nicht mehr zu empfehlen (Gherman et al. 2006).
Alle notwendigen Maßnahmen werden durch eine suffiziente Tokolyse (Bolustokolyse, 7 Kap. 33) sowie eine gute Relaxierung des Beckenbodens und des Weichteilrohres wesentlich erleichtert. Eine evtl. laufende Oxytozininfusion muss sofort unterbrochen werden. Sofern nicht bereits eine suffiziente Periduralanästhesie gewährleistet ist, muss spätestens nach ausbleibendem Erfolg erster Lösungsversuche umgehend eine Narkose eingeleitet werden (Vorlaufzeit!). > Umgehende Tokolyse und Anästhesiebereitschaft, ggf. Intubationsnarkose.
44.4.1
Externe Maßnahmen
Großzügige Episiotomie Als erste operative Maßnahme bei einer Schulterdystokie wurde lange Zeit das Anlegen einer großzügigen mediolateralen Episiotomie bzw. das Erweitern eines bestehenden Dammschnittes empfohlen, um eine möglichst gute Beweglichkeit der kindlichen Körperteile im Weichteilrohr und Platz für operative Maßnahmen zu gewährleisten. Dies wird zunehmend kontrovers diskutiert. Die Episiotomie sollte primär den Fällen vorbehalten bleiben, bei denen interne Rotationsmaßnahmen nötig werden, da nur für diese ein Vorteil zu erwarten ist. Eine schwere Verkeilung der Schulter am knöchernen Beckeneingang lässt sich nicht allein durch eine Entlastung des Perineums beseitigen. Wird tatsächlich Raum für Manipulationen am Damm benötigt, so kann über die Episiotomie hinaus im Bedarfsfall zur Erweiterung der tiefe Scheiden-DammBeckenboden-Schnitt nach Schuchardt angelegt werden (7 Kap. 31). Die einfache mediane Episiotomie ist wegen der Gefahr eines Weiterreißens und der zu geringen Entlastung des Weichteilgewebes nicht geeignet. Stattdessen wird von einigen Autoren die Episioproktotomie empfohlen (Gherman et al. 1997). In Einzelfällen kann auch eine beidseitige mediolaterale Episiotomie hilfreich sein. Eine routinemäßige und frühzeitige Anwendung von Entlastungsschnitten erhöht den Blutverlust, das Risiko schwerer maternaler Verletzungen, reduziert aber nicht die kindliche Morbidität (Baxley u. Gobbo 2004; Gurewitsch et al. 2004).
Frühe äußere Überdrehung des fetalen Kopfes
> Die präventive äußere Überdrehung sollte unterlassen werden, da sie bei inadäquater Anwendung zu kindlichen Traumata führen kann.
McRoberts-Manöver, Stellungsänderung der Symphyse (nach Borell u. Fernström) Zunächst werden die Beine der Gebärenden in der Hüfte so weit wie möglich gestreckt; dann lässt man die Oberschenkel in Steinschnittlage hochnehmen, was am besten durch 2 Hilfspersonen unterstützt wird. Durch Überstrecken der Beine wird die Conjugata vera des Beckeneingangs um etwa 0,5 cm erweitert und die Symphyse nach kaudal abgesenkt, während sich der Beckenausgang im geraden Durchmesser verkürzt. Die Beugung bewirkt ein Anheben der Symphyse nach kranial, die dadurch bei hohem Schultergeradstand evtl. über die vordere Schulter gehebelt wird. Ferner verringert sich der Inklinationswinkel durch Streckung des Os sacrum gegenüber der Lendenwirbelsäule (. Abb. 44.4; Gherman et al. 1997, 2000; McFarland et al. 1996). In der Endstellung wird der Beckeneingang enger, der Längsdurchmesser des Beckenausgangs dagegen um etwa 1,5 cm erweitert, was besonders beim tiefen Schulterquerstand von Vorteil ist. Diese Maßnahme ist auch im Längsbett durchführbar. Das Überstrecken und Beugen der Beine sollte mehrmals erfolgen und mit suprasymphysärem Druck auf die vordere Schulter kombiniert werden, bevor das Manöver als erfolglos eingestuft wird. Nach Drehung der Schulter vom geraden in den schrägen Durchmesser ist ein vorsichtiger Traktionsversuch am kindlichen Kopf erlaubt, damit die Schulter in das Becken eintreten kann. Durch die alleinige Anwendung des McRoberts-Manövers gelingt im Mittel in etwa 40% der Fälle (bis maximal 80%) die Lösung der Schulterdystokie. Führt dieses Manöver nicht unmittelbar zum Erfolg, kann es mit allen nachgenannten Verfahren kombiniert werden. Schließt man die zusätzliche Anwendung suprapubischen Druckes sowie eine ausgedehnte Episiotomie mit ein, so liegt die Erfolgsquote im Mittel bei 54%, wobei Erfolgsraten bis zu 90% beschrieben wurden (RCOG 2005).
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Kapitel 44 · Schulterdystokie
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b . Abb. 44.5. Suprasymphysäre Druckanwendung. a Mit schräger Druckrichtung (evtl. Rütteln der Schulter). b Mit direkt nach kaudal gerichtetem Druck auf die vordere Schulter
Suprasymphysärer Druck c . Abb. 44.4. Durchführung des McRoberts-Manövers. Nach Streckung der Beine werden diese in der Hüfte gebeugt (a) (evtl. Unterstützung durch 2 Hilfskräfte), wodurch das Os sacrum gegenüber der Ausgangssituation (b) relativ zur Lendenwirbelsäule gestreckt und die Symphyse kranialwärts verlagert wird (c)
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Die Ausübung suprapubischen Druckes (. Abb. 44.5) lässt sich einfach ausführen und sollte als eine der ersten Maßnahmen, am besten in Kombination mit dem McRoberts-Manöver, erfolgen (ACOG 2002). Hierbei wird mit der Hand oder Faust versucht, die vordere Schulter durch rhythmischen Druck oder Rütteln hinter die Symphyse zu mobilisieren. Wenngleich vereinzelt über Läsionen des Plexus brachialis bei Anwendung suprapubischen Druckes in Kombination mit dem Herabziehen des kindlichen Kopfes berichtet wurde, scheinen solche Verletzungen nicht in kausalem Zusammenhang mit einer (dosierten) Druckanwendung zu stehen. Bis zu 73% der Geburten, bei denen das McRoberts-Manöver allein nicht erfolgreich war, lassen sich durch dessen Kombination
977 44.4 · Handgriffe, unterstützende Maßnahmen
mit zusätzlich angewandtem suprapubischem Druck erfolgreich beenden.
Fundusdruck Der Einsatz des Kristeller-Handgriffs ist bei Auftreten einer Schulterdystokie oder erkennbarem Risiko einer solchen Komplikation grundsätzlich kontraindiziert. Von allen Maßnahmen führt der Fundusdruck zur weitaus höchsten Komplikationsrate (77%), wobei eine weitere Fixierung der Schulter, Uterusrupturen, gravierende orthopädische und neurologische Läsionen sowie neonatale Todesfälle beobachtet wurden.
44.4.2
Interne vaginaloperative Maßnahmen
Digitale Rotation der Schultern (Manöver nach Woods) Vorgehen bei hohem Schultergeradstand Ziel dieses Manövers ist die korkenzieherartige Rotation der Schultern vom geraden in den queren Durchmesser des Beckeneingangs. Hierbei wird prinzipiell die hintere Schulter von ventral mit 2 Fingern aufgesucht. Befindet sich das Kind in 2. Stellung, dann erfolgt die angestrebte Rückdrehung der Schultern von vorn im Uhrzeigersinn, bei 1. Stellung in umgekehrter Richtung. Bei Erfolg dieser Maßnahme, die idealerweise unter suffizienter Analgesie in Steinschnittlage oder während des McRoberts-Manövers durchgeführt werden sollte, kann letztlich die hintere Schulter entwickelt werden (. Abb. 44.6). Eine Sonderform der digitalen Schulterrotation stellt die Kombination externer und interner Maßnahmen dar. Dabei wird vom Operateur selbst (bessere Steuerbarkeit) gleichzeitig extern suprasymphysärer Druck auf die vorn stehende Schulter ausgeübt.
Vorgehen bei tiefem Schulterquerstand Beim tiefen Schulterquerstand wird die digitale Rotation durch eine Hilfsperson ausgeführt, falls durch die äußere Rückdrehung die Entwicklung der vorderen Schulter nicht umgehend möglich ist. Während vom Geburtshelfer weiter Zug am kindlichen Kopf nach dorsal und kaudal ausgeübt wird, geht die Hebamme oder ein zweiter Arzt mit 2 Fingern in die Scheide ein und drückt gegen die vordere Schulter, bis die Schulterbreite im geraden Durchmesser steht. Schließlich wird die hintere Schulter über den Damm gehoben. Wurde primär das McRoberts-Manöver durchgeführt, so lassen sich bei fortbestehender Schulterdystokie 33% der verbliebenen Fälle durch dessen Kombination mit der inneren Rotation erfolgreich behandeln (Gherman et al. 1997).
Digitale Rotation der Schultern (Manöver nach Rubin) Neben der suprapubischen Druckausübung beschrieb Rubin auch die vaginale Adduktion der (besser erreichbaren) Schulter. Zunächst wird versucht, mit 2 vom fetalen Rücken her in die Scheide eingeführten Fingern die vordere Schulter zu erreichen. Dann wird Druck auf die Skapula ausgeübt (bezogen auf den Fetus von dorsal nach kranial und ventral), wobei keinesfalls Zug am bereits geborenen Kopf oder die Anwendung des Kristeller-Handgriffs erfolgen darf. Hierdurch wird eine effektivere Verringerung der Schulterbreite und ihres Umfangs erreicht als beim Woods-Manöver, das eher eine Abduktion der Schulter bewirkt (. Abb. 44.7). Bleibt die Rotation aus, so lässt sich das Manöver an der hinteren Schulter wiederholen (umgekehrtes Woods-Manöver). Die primäre Anwendung des vorderen Rubin-Manövers führte bei Messungen am Labormodell zu geringeren Dehnungen des Plexus brachialis als bei Nutzung des McRobertsManövers (Gurewitsch et al. 2005).
Instrumentelle Rotation der Schultern Diese kaum noch angewandte Methode bietet die Möglichkeit, größere Kraft als bei einfacher digitaler Manipulation anwenden zu können. Die Parallelzange wird über Brust und Rücken am fetalen Thorax angelegt. Die instrumentelle Rotation sollte in die Richtung erfolgen, der das Kind leichter folgt. Häufig ist dies die Seite, die zur dorsoanterioren Einstellung führt. Die größte Schwierigkeit bei diesem Vorgehen besteht im Anlegen der Zange, die am fest in die Vulva eingezogenen Kopf vorbeigeführt werden muss.
Entwicklung des hinteren Armes über die Sakralhöhle (Barnum-Manöver, Jacquemier-Manöver)
. Abb. 44.6. Manöver nach Woods. Der ventrale Anteil der hinteren Schulter wird mit 2 in die Scheide eingeführten Fingern aufgesucht und bei 2. Stellung Druck im Uhrzeigersinn, bei 1. Stellung Druck in entgegengesetzter Richtung ausgeübt, bis die Schulterbreite im queren Durchmesser steht
Bei Versagen interner Rotationsversuche kann die Entwicklung des hinteren Armes versucht werden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist eine Intubationsnarkose erforderlich, sofern nicht bereits eine effektive Regionalanästhesie besteht. Für die Armextraktion wird der in der Kreuzbeinhöhle meist geringfügig größere Freiraum genutzt, um digital, von der ventralen Seite des Kindes kommend, den hinteren Arm zu entwickeln und dadurch mehr Raum für die vordere Schulter zu gewinnen. Befindet sich der Rücken des Kindes links (1. Stellung),
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Kapitel 44 · Schulterdystokie
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b . Abb. 44.7. Rubin-Manöver. Aufsuchen der fetalen Skapula (a) und Druck nach ventral, wodurch eine Adduktion der Schulter mit Verkleinerung des Schulterumfangs erreicht wird, der die Rotation in den queren Durchmesser folgt (b)
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. Abb. 44.8. Entwicklung des hinteren Armes aus der Sakralhöhle. a Aufsuchen des Armes und Beugung im Ellbogengelenk. b Fassen der Hand und Extraktion des Armes über die Brustwand. c Entwicklung der hinteren Schulter
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. Abb. 44.9. Entwicklung des hinteren Armes bzw. der hinteren Schulter aus der Sakralhöhle. a Digitale Traktion in der Axilla (analo-
ges Unterfassen der Axilla beim Einbringen einer Schlinge. b Situation nach Anbringen der Schlinge
wird die linke Hand, im umgekehrten Fall (2. Stellung) die rechte Hand benutzt. Zunächst wird der Ellbogen des dorsal stehenden Armes dem Humerus folgend aufgesucht, im Gelenk gebeugt und der Unterarm mit den Fingern gefasst. Der Arm wird schließlich vorsichtig am Thorax und Kopf vorbei in einer ventralwärts gerichteten Bewegung extrahiert (. Abb. 44.8). Schlägt dies fehl, dann muss die fetale Hand direkt an der ventralen Thoraxseite gefasst und herabgezogen werden. In jüngster Zeit wurden als Alternative bei schwersten Schulterdystokien modifizierte Techniken zur Mobilisierung des hinteren Armes bzw. der hinteren Schulter beschrieben (Menticoglou 2006; Cluver u. Hofmeyr 2009). Hierbei wird, statt mit der Hand in den Geburtskanal einzugehen und den hinteren Arm herauszuluxieren, eine digitale axilläre Traktion bzw. eine axilläre Schlingentraktion mit Hilfe eines hinter den posterioren Arm geführten weichen Blasenkatheters ausgeführt (. Abb. 44.9). Wenngleich es sich derzeit noch um kasuistische Berichte handelt, in 2 Fällen gar bei Schulterdystokien nach intrauterinem Fruchttod, erscheint der geringere Platzbedarf und die schnelle Anwendbarkeit ein solches noch nicht an größeren Fallzahlen erprobtes Vorgehen zumindest bei schwersten Schulterdystokien und frustranen Lösungsversuchen des hinteren Armes zu rechtfertigen. Humerusfrakturen sind hierbei aber nicht sicher auszuschließen, was vor dem Hintergrund eines letalen Ausgangs wegen einer fetalen Asphyxie jedoch akzeptabel erscheint. Nach Lösen des hinteren Armes kann evtl. unter suprasymphysärer Druckanwendung durch die Verringerung des Schulterumfanges letztlich die vordere Schulter unter die Symphyse mobilisiert werden. Bei sehr schweren Kindern kann es notwendig werden, den extrahierten Arm und die Schulter um 180° zu rotieren, damit der 2. Arm in die Sakralhöhle gebracht und dort entwickelt werden kann. Allerdings führt diese Manipulation in bis zu 18% der Fälle zu Oberarm- und Klavikulafrakturen, weshalb sie keinesfalls als primäre Maßnahme, sondern nur bei Versagen weniger traumatisierender Verfahren eingesetzt werden sollte.
In Kombination mit dem McRoberts-Manöver ist die hintere Armlösung als Zweitmaßnahme in 66% bzw. als Drittmaßnahme nach frustranem Einsatz der inneren Rotation in 55% der Fälle erfolgreich (Gherman et al. 1997). ! Die Entwicklung des hinteren Armes führt häufig zu Oberarm- und Klavikulafrakturen. Sie sollte nur bei Versagen weniger traumatisierender Maßnahmen eingesetzt werden.
Vierfüßlerstellung (Gaskin-Manöver) Bei unzureichender personeller Unterstützung kann als letzte, weniger traumatisierende Behandlung nach Versagen vom McRoberts- und Rotationsmanövern, die Drehung der Patientin in Vierfüßlerstellung versucht werden (. Abb. 44.10). Radiologische Untersuchungen zeigten, dass die Beckendurchmesser zunehmen, wenn die Patientin sich aus der Rückenlage aufrichtet und in die Knie-Ellbogen-Lage begibt. Die Conjugata vera nimmt um 10 mm, der sagittale Durchmesser des Beckenausgangs um 20 mm zu. Sämtliche internen Manöver können in dieser Position erneut versucht werden. Zumindest in Einzelfällen kann auch diese Behandlungsalternative erwogen werden, sofern die Mobilität nicht durch eine Leitungsanästhesie limitiert ist. Immerhin wurde über eine
. Abb. 44.10. Drehung der Patientin aus Rückenlage in Knie-Ellbogen-Lage (Vierfüßlerstellung), wobei sämtliche internen Rotationsmaßnahmen erneut versucht werden können
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Kapitel 44 · Schulterdystokie
Erfolgsrate von 83% berichtet (Bruner et al. 1998; RCOG 2005).
Frakturierung der vorderen Klavikula Die zu erwartende Verringerung der Schulterbreite durch eine operative Frakturierung des Schlüsselbeins ist eher gering, da i. d. R. eine Grünholzfraktur zustande kommt, die ein stärkeres Zusammensinken der Schulter verhindert. Genügt aufwärts gerichteter Druck mit dem von ventral eingeführten Zeigefinger gegen das mittlere Drittel der Klavikula nicht, so kann die Fraktur mit einer hinter der Symphyse eingeführten und flach aufgelegten Gefäßklemme herbeigeführt werden.
Symphysiotomie
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Die Symphysiotomie wird v. a. in der Dritten Welt nach wie vor bei zephalopelvinem Missverhältnis eingesetzt, findet in den industrialisierten Ländern dagegen kaum noch Beachtung. Im Rahmen der operativen Maßnahmen bei fixierter Schulterdystokie hat dieser Eingriff im Sinne einer Ultima ratio durchaus seine Berechtigung (Hankins et al. 1995; Goodwin et al. 1997). Ziel der Symphysiotomie ist die Durchtrennung der knorpeligen Verbindung zwischen den Artikulationsflächen der Schambeine sowie der umgebenden Ligamente zum Zweck einer Erweiterung des Beckenrings. Die Patientin wird mit stark gebeugten Beinen in Steinschnittlage gebracht, wobei das Gesäß über das Kreißbett hinausragt. Die Oberschenkel sollten nicht um mehr als 80° abduziert werden, da der Versuch einer stärkeren Abduktion die sakroiliakalen Verbindungen schädigen könnte. Die Patientin wird wie für eine reguläre vaginaloperative Entbindung vorbereitet. Besteht keine Periduralanästhesie, so werden die Haut und das Weichteilgewebe über der Symphyse großzügig lokal infiltriert (z. B. 0,5–1% Lidokain). Die untere Begrenzung der Symphyse ist hierbei am schmerzempfindlichsten. In die Harnblase wird ein Dauerkatheter gelegt, mit dem die Blase entleert und der Verlauf der Urethra identifiziert werden kann. Ist der Operateur Rechtshänder, so wird der Zeige- und Mittelfinger der linken Hand in die Scheide eingeführt und die durch den Katheter gut tastbare Urethra nach lateral disloziert (beim Linkshänder analoges Vorgehen mit der rechten Hand). Die Finger liegen dann direkt unter dem Symphysenknorpel (. Abb. 44.11), mit dem Daumen wird die vordere Verbindungsstelle getastet. Mit der zum Operateur gerichteten Klinge eines kräftigen Skalpells wird die Haut über der Symphyse senkrecht inzidiert. Die knorpelige Verbindung wird in der Mittellinie der Symphyse durchtrennt, bis die Spitze der Klinge von den vaginal eingelegten Fingern getastet werden kann. Dieser Schritt lässt sich ohne Mühe durchführen. Ergibt sich ein größerer Widerstand, so hat der Operateur nicht die Mittellinie getroffen. Während der obere Anteil der Symphyse erhalten wird, werden deren kaudale Anteile mit den darüber liegenden Ligamenten einschließlich der Ligg. arcuatae durchtrennt. Gelingt es dem Operateur, den Daumen der vaginal eingeführten Hand in den so gewonnenen Spalt einzuführen (Zwischenraum etwa 2,5 cm), so ist dies i. d. R. ausreichend. Bei größerem Platzbedarf ist es günstiger, weitere Anteile der Symphyse zu durchtrennen, anstatt die Oberschenkel weiter
. Abb. 44.11. Vorgehen bei Durchführung einer Symphysiotomie. Einlage eines Blasenkatheters. Die Urethra wird digital zur Seite gedrängt und die Symphyse in der Mittellinie unter Erhalt ihrer oberen Anteile durchtrennt. (Schnittführung blau markiert)
zu abduzieren. Der Zeitaufwand für den Eingriff liegt bei weniger als 2 min. Nach Durchführung der Symphysiotomie, die in Kombination mit dem McRoberts-Manöver den Beckenraum um bis zu 25% erweitert, sollte die Traktion in dorsal-kaudaler Richtung erfolgen, um die nun ungeschützt verlaufende Urethra und die vordere Vaginalwand weniger zu belasten. Falls der Blasenkatheter während der Entwicklung des Kindes entfernt wurde, so muss nach Versorgung sämtlicher Weichteilverletzungen ein neuer Verweilkatheter gelegt werden. Die Syndesmose heilt unter Ausbildung einer Fibrose aus. Für die ersten 5 Tage sollte die Patientin Bettruhe in Seitenlagerung einhalten (Heparinisierung!). Grundsätzlich sollte eine Antibiotikaprophylaxe (z. B. Cephalosporine) sowie eine ausreichende analgetische Therapie verabreicht werden. Gelegentlich wurde empfohlen, die Oberschenkel durch Gazebinden aneinander zu fixieren. Sofern keine traumatisch bedingte Hämaturie auftritt, kann der Blasenkatheter nach 24– 48 h entfernt werden. Nach 5 Tagen kann die Patientin wieder gehen (zunächst unter Anleitung eines Bewegungstherapeuten), wobei stärkere Aktivität für weitere 6 Wochen vermieden werden sollte. Bei korrekter Ausführung ist die maternale Morbidität gering. Dies gilt insbesondere für langfristige Folgen der Operation. Eine ernstere Folgemorbidität findet sich in 8,1% der Fälle. Gelegentlich treten Blutungen auf, die durch Kompression meist gut beherrschbar sind. Eine Harninkontinenz (2,1%), vesikovaginale Fisteln (1,7%), Läsionen der Urethra (1,9%), Gehbehinderungen/Schmerzen (1,8%) und infektiöse
981 44.4 · Handgriffe, unterstützende Maßnahmen
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. Abb. 44.13. Abdominaler Rettungsversuch. Nach Durchführung einer Uterotomie im Bereich des unteren Uterinsegmentes wird die vordere Schulter aufgesucht, in den queren Durchmesser und anschließend unter die Symphyse gedrückt. Nach Tiefertreten des Körpers kann von vaginal der hintere Arm entwickelt und die Geburt unter direkt abdominal appliziertem Druck beendet werden
b . Abb. 44.12. Zavanelli-Manöver. Zunächst erfolgt die Rückdrehung des kindlichen Kopfes in die okzipitoanteriore Position (a). Dann wird dieser unter manueller Flexion wieder so hoch wie möglich in die Vagina gedrängt (b) und dort bis zur Schnittentbindung festgehalten. Das Überwinden der Weichteilspannung an der Vulva kann hierbei durch nach unten gerichteten Zug mit den Fingern der anderen Hand erleichtert werden
Komplikationen (0,6%) sind insgesamt selten, in der Hälfte der Fälle jedoch gar nicht durch den Eingriff, sondern durch die gestörte Geburtsmechanik bedingt.
44.4.3
Letzte Rettungsversuche
> Im Regelfall ist eine Entwicklung des Kindes mittels Sectio caesarea nach Eintritt eines hohen Schultergeradstandes bei geborenem Kopf nicht mehr möglich.
Zavanelli-Manöver In Ausnahmefällen kann nach frustranem Einsatz anderer Behandlungsmethoden die Rückdrehung des kindlichen Kopfes mit dessen Reposition in den Beckenausgang versucht
werden, um anschließend eine Sectio caesarea durchzuführen (Baxley u. Gobbo 2004). Hat sich der bereits geborene Kopf zur Seite gedreht, dann wird dieser mit der Hand gefasst und wieder so in Längsrichtung gedreht, dass das Hinterhaupt nach vorn zeigt. Nach manueller Flexion des Kopfes wird dieser unter sanftem Druck mit der Handfläche so weit wie möglich nach oben in den Geburtskanal gedrängt und dort durch einen Assistenten bis zur Schnittentbindung festgehalten (. Abb. 44.12). In etwa 30% der Fälle ist größere Kraftanwendung erforderlich; eine Narkose erleichtert den Eingriff. ! Das Zavanelli-Manöver gelingt allenfalls unter suffizienter Tokolyse und sollte den Fällen vorbehalten bleiben, bei denen eine vaginale Geburtsbeendigung nicht mehr realisierbar erscheint, andererseits aber eine gravierende Schädigung des Kindes noch nicht zu erwarten ist.
Wenngleich verschiedene Arbeitsgruppen bei Einsatz dieser Methode über eine Erfolgsrate von 90% berichteten, wurden vereinzelt Uterusrupturen mit anschließender Sectiohysterektomie sowie schwere Schädigungen des Kindes bis hin zum Genickbruch beobachtet (O’Leary 1993; Ross u. Beall 2006).
Abdominaler Rettungsversuch Gelingt auch das Zavanelli-Manöver nicht, so bleibt als letzte Möglichkeit zur Rettung eines noch lebenden Kindes nur die notfallmäßige tiefe, quere Uterotomie (. Abb. 44.13). Hierbei wird nach Eröffnen des Uterus die fetale Schulter in den queren Durchmesser sowie unter die Symphyse gedrückt und das Kind dann vaginal entwickelt (. Abb. 44.13; O’Leary u. Cuva 1992).
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Kapitel 44 · Schulterdystokie
Vorgehen im Falle eines Fruchttodes Im Falle eines vor Eintritt der Schulterdystokie entstehenden oder in deren Folge nicht vermeidbaren Fruchttodes sollten alle Maßnahmen unterbleiben, die zu einer Verletzung maternaler Weichteile führen können. Hierzu zählen alle forcierten Manöver zur Rumpfentwicklung sowie die Kleidotomie.
44.4.4
Geburtshilfliche Maßnahmen und Folgemorbidität
Unabhängig von den Erfolgsaussichten der verschiedenen Operationsverfahren zur Lösung einer Schulterdystokie gibt es hinsichtlich der kindlichen Folgemorbidität kein deutlich überlegenes Verfahren. Ein Trend zur Reduzierung von Armplexuslähmungen findet sich beim McRoberts-Manöver (10%) im Vergleich zur Lösung des hinteren Armes (35%). Die ungünstigeren Resultate der Armlösung müssen jedoch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass diese Maßnahme fast immer erst bei Versagen anderer Methoden – also in besonders schwierigen Fällen – eingesetzt wird. Deshalb sollte auch dieses Manöver jedem Geburtshelfer bekannt sein. Die Rate von Humerus- und Klavikulafrakturen steigt bei forcierter Traktion signifikant auf bis zu 33% an (ohne Traktionsmaßnahmen 5%; Baskett u. Allen 1995; Nocon et al. 1993). Bis zu 15% aller Plexuslähmungen und bis zu 50% aller Frakturverletzungen finden sich auch ohne Auftreten einer Schulterdystokie, können also durchaus spontan zustande kommen. In verzweifelten Situationen muss der Geburtshelfer evtl. bewusst Frakturen oder Plexusläsionen des Kindes akzeptieren, um dauerhafte asphyxiebedingte Hirnschäden oder ein Absterben des Kindes zu vermeiden. > Nach jeder Schulterdystokie ist die genaue Inspektion der Scheide und Zervix obligat, um Hämatome oder Risse auszuschließen. Bei ausgeprägten Nachblutungen oder instabilem Kreislauf muss an die Möglichkeit einer Uterusruptur gedacht werden.
44.4.5
Empfohlene Behandlungsstrategie bei Schulterdystokie
Da Schulterdystokien ebenso unvorhersehbar wie selten sind, sollte in jeder Klinik ein Managementprotokoll vorliegen. Dessen einzelne Behandlungsschritte sollten jedem Geburtshelfer bekannt sein (am besten schriftliche Dienstanweisung) und in regelmäßigen Intervallen vom gesamten geburtshilflichen Personal an einem Phantom geübt werden. Unter Berücksichtigung von Erfolgsaussichten und Folgemorbidität der beschriebenen Behandlungsverfahren kann folgende Empfehlung gegeben werden:
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Tipp In erster Linie sollte bei erkennbarem Risiko einer Schulterdystokie versucht werden, das Festkommen der Schulter von vornherein zu vermeiden. Nach Geburt des Kopfes sollte in diesen Fällen auf jede Traktion oder Rotation verzichtet und zunächst das spontane Ausrotieren der Schultern abgewartet werden.
Zeigt sich anhand der ausbleibenden Rotation und der typischen Einziehung des Kopfes in die Vulva, dass eine voraussichtlich nur schwer lösbare Schulterdystokie zu erwarten ist (Schulterdystokie mittleren Grades), sollte weitere Hilfe herbeigerufen und aufgrund der hohen Erfolgsrate bzw. der geringen Invasivität das McRoberts-Manöver als Methode der 1. Wahl eingesetzt werden (. Abb. 44.14). Diese und alle folgenden Maßnahmen erfordern eine suffiziente Tokolyse, um eine weitere Fixierung der Schulter zu vermeiden. Ist das McRoberts-Manöver allein nicht ausreichend, so kann es mit der Anwendung suprasymphysären Druckes kombiniert werden. Ist primär noch nicht ausreichend Hilfspersonal anwesend, so kann auch initial ein Entwicklungsversuch mittels suprapubischen Druckes erfolgen. Als weitere Maßnahme bietet sich die innere Rotation der Schultern an. Mit diesen Schritten sind 2/3 der Fälle erfolgreich zu behandeln. In Einzelfällen kann der Positionswechsel in den Vierfüßlerstand zur Lösung der Schulter beitragen, insbesondere, wenn noch keine Anästhesie oder ausreichende personelle Unterstützung verfügbar sein sollte. Ist die Schulterdystokie derart fixiert, dass das Kind dennoch nicht entwickelt werden kann (schwere fixierte Schulterdystokie), so ist spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Anästhesie einzuleiten, damit die weiteren Eingriffe unter bestmöglicher Relaxation erfolgen können. Erfolgversprechend, aber auch mit höherem kindlichem Verletzungsrisiko vergesellschaftet, ist die Lösung des hinteren Arms. Mit den genannten Maßnahmen kann die absolute Mehrzahl der Schulterdystokien behoben werden. Tipp Im angloamerikanischen Sprachraum hat sich als Gedächtnisstütze (»HELPERR«) etabliert: H → Hilfe rufen E → Evaluation, ob Episiotomie sinnvoll L → »legs« (McRoberts-Manöver) P → Suprapubischer Druck E → »enter manoeuvres« (interne Maßnahmen) R → »remove posterior arm« R→ »roll the patient« (Vierfüßlerstellung; cave: Mobilität/ Anästhesie)
Im äußerst seltenen Falle einer nicht lösbaren Schulterdystokie (inkurable Schulterdystokie) bleibt als Option bei lebendem Fetus das Zavanelli-Manöver und/oder die Symphysiotomie bzw. als Ultima ratio der abdominale Rettungsversuch. Einige Autoren empfehlen, nach Durchtritt des kindlichen Kopfes die zugänglichen Atemwege freizumachen und ggf.
983 44.5 · Forensische Aspekte der Schulterdystokie
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Forensische Aspekte der Schulterdystokie
> Selbst bei regelrechtem Vorgehen kommt es aufgrund einer Schulterdystokie gehäuft zu erheblicher Morbidität des Kindes und der Mutter, die auch der erfahrenste Geburtshelfer nicht sicher vermeiden kann. Aus diesem Grunde ergibt sich für das geburtshilfliche Personal (Ärzte und Hebammen) auch eine nicht zu vernachlässigende forensische Problematik.
Nach Literaturangaben (Gross et al. 1987b) stehen 7% aller Gerichtsverfahren aus dem geburtshilflich-gynäkologischen Bereich im Zusammenhang mit einer Schulterdystokie. Dieser Anteil ist weit größer als aufgrund der Prävalenz dieser Geburtskomplikationen zu erwarten wäre. Ein teilweise nicht zu verhindernder, schicksalhafter Verlauf wird nur dann plausibel begründet werden können, wenn das geburtshilfliche Vorgehen den aktuellen juristischen Anforderungen tatsächlich genügt. Gegenwärtig müssen folgende Forderungen erfüllt sein:
Geburtshilfliches Vorgehen bei Schulterdystokie gemäß den aktuellen juristischen Anforderungen
. Abb. 44.14. Behandlungsschema bei Auftreten einer Schulterdystokie
intermittierend eine Maskenbeatmung durchzuführen, wodurch in Ausnahmefällen der Zeitverlauf einer fetalen Asphyxie günstig beeinflusst werden kann. Die Effektivität dieser Maßnahme dürfte jedoch insbesondere bei sehr großen Kindern begrenzt sein. Nur die schnellstmögliche Geburtsbeendigung kann eine adäquate Oxygenierung des Fetus sicherstellen.
4 Vor der Geburt: – Generell muss ein Behandlungsplan vorliegen. – Bei Vorliegen eindeutiger Risikofaktoren für das Auftreten einer Schulterdystokie (z. B. Zustand nach vorausgegangener Schulterdystokie) müssen mit der Schwangeren möglichst bereits vor der Geburt das individuelle Risiko sowie geburtshilfliche Alternativen (Sectio caesarea) und deren Komplikationsmöglichkeiten im Vergleich zur erhöhten neonatalen Morbidität bei vaginaler Entbindung erörtert werden. Diese Aufklärung und das hierauf von der Patientin gewünschte und entsprechend festgelegte Verfahren müssen dokumentiert werden. 4 Auftreten einer Schulterdystokie: – Diagnosestellung und Dokumentation des Zeitpunktes inklusive der genauen Lage und Einstellung des Fetus (wichtig, da z. B. Plexusparesen des hinteren Armes meist nicht durch geburtshilfliche Manipulationen bedingt sind). – Sofortige Alarmierung eines Facharztes, einer erfahrenen Hebamme, eines Anästhesisten und möglichst eines Neonatologen. – Anlegen einer großzügigen Episiotomie, falls Weichteile Rotationsmanöver behindern – die bei Auftreten einer Schulterdystokie unterlassene Episiotomie wird bislang unrichtigerweise als schwerer Behandlungsfehler eingestuft (Urteil OLG Oldenburg, 27.10.1992 – 5 U 63/92). – Durchführung der geburtshilflichen Behandlungsmaßnahmen nach Behandlungsplan.
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Kapitel 44 · Schulterdystokie
– Minutiöse chronologische Dokumentation der Ausgangssituation (Kindslage, Stellung, primärer Geburtsmodus, Geburtsverlauf ) und aller Maßnahmen mit Uhrzeit, Zeitintervall zwischen Geburt des Kopfes bis zur vollständigen Geburtsbeendigung, Angabe der Reihenfolge einzelner operativer Schritte und des jeweils aktiven Geburtshelfers mit Namen (Operationsbericht) nach dem Prinzip »Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit«. Die alleinige Dokumentation »Schulterdystokie« oder »erschwerte Schulterentwicklung« genügt nicht. – Angaben zum Zustand des Neugeborenen (präpartales Schätzgewicht und tatsächliches Geburtsgewicht), Apgar-Wert, Nabelschnur-pH-Wert, Reflexstatus (Moro-Reflex), Zeichen einer Plexuslähmung oder Fraktur (vorhanden/nicht vorhanden). – Die Dokumentation sollte von allen Beteiligten (Ärzten und Hebammen) gemeinsam unterschrieben werden, soweit die dokumentierten Maßnahmen von diesen auch beobachtet wurden.
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Aus gutachterlicher Sicht ist neben einer adäquaten Dokumentation die richtige Durchführung geburtshilflicher Maßnahmen entscheidend. Schäden des Kindes, die grundsätzlich bei einer Schulterdystokie auftreten können und noch nicht per se auf Behandlungsfehler schließen lassen, müssen ansonsten dem Arzt und der Hebamme zur Last gelegt werden. Bei Auftreten einer Schulterdystokie stellt die Durchführung einer Sectio caesarea keine Alternative mehr dar. Die präventive primäre Schnittentbindung kann mangels ausreichender Treffsicherheit der Risikoprädiktoren, insbesondere der sonographischen Gewichtsschätzung, nicht als Standard gefordert werden. Sie kommt allenfalls bei Zustand nach Schulterdystokie oder z. B. bei klinisch wie sonographisch sehr großem Kind einer Diabetikerin oder sehr kleinwüchsiger Mutter in Betracht. Dennoch wird in den Leitlinien der DGGG unter defensiven Aspekten ab einem Schätzgewicht von 4500 g empfohlen, über die alternative Sectio aufzuklären (DGGG 2008). Bei der Erwägung einer Schnittentbindung muss berücksichtigt werden, dass diese gegenüber der vaginalen Geburt ein deutlich erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aufweist [OLG Stuttgart, VersR (1989) S. 189]. Die gefürchteten Plexuslähmungen können auch nach Kaiserschnitten wegen eines zephalopelvinen Missverhältnisses oder ohne medizinische Intervention bei ungünstigen individuellen Beckenverhältnissen aufgrund der physiologischen Kopfrotation und Dehnung des Nackens auftreten (Morrison et al. 1992; Sandmire u. DeMott 2009). Auch ohne jedes mechanische Trauma treten vereinzelt solche Läsionen durch eine druckbedingte Neuropathie infolge von präpartalen Lageanomalien oder natürlichen Krafteinwirkungen bei der Geburt auf, z. B. bei Vorliegen eines Oligohydramnions (Dunn u. Engle 1985; Noble 2005; Wessel u. Dudenhausen 2000).
> Unter Berücksichtigung forensischer Aspekte ist eine lückenlose Dokumentation mit dem Nachweis richtig angewandter Behandlungsverfahren unbedingt notwendig.
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44
45 45 Pathologie der Plazentarperiode C. Brezinka, W. Henrich 45.1
Allgemeine Grundlagen – 988
45.1.1
Epidemiologie – 988
45.2
Postpartale Blutungen (»postpartum haemorrhage«; PPH) – 988
45.2.1 45.2.2
Terminologie – 988 Sofortmaßnahmen – 989
45.3
Uterusatonie – 990
45.3.1 45.3.2
Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode – Prävention – 990 Therapie der Uterusatonie – 991
45.4
Plazentaretention – 995
45.4.1 45.4.2 45.4.3
Sonographische Diagnostik – 995 Retention der gelösten Plazenta – 995 Manuelle Plazentalösung – 995
45.5
Unvollständige Plazenta – 996
45.6
Placenta accreta – increta – percreta – 996
45.7
Inversio uteri – 997
45.8
Maßnahmen im Anschluss an die Nachtastung – 999
45.8.1 45.8.2 45.8.3
Zervix-Scheiden-Revision – 999 Kompartmentsyndrom – 999 Geburtstraumatisches Hämatom – 999
45.9
Fazit – 1000 Literatur – 1000
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
988
45
Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
Die Minuten und Stunden nach der Geburt des Kindes stellen für die Mutter die gefährlichste Phase während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett dar. Ein Blutverlust kann so gravierend sein, dass unverzüglich operative und medikamentöse Maßnahmen erforderlich werden. Hauptursachen für postpartale Blutungen sind die Uterusatonie mit oder ohne Plazentaretention sowie Rissverletzungen der Geburtswege. Einem hohen Blutverlust folgt häufig eine Verlust- bzw. Verbrauchskoagulopathie, die nur durch Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten und Gerinnungsfaktoren beherrscht werden kann. Eine wesentliche Rolle kommt der Prävention zu. Die genaue Anamnese, die Ultraschalldiagnostik im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge, die Einschätzung eines Blutungsrisikos, die rechtzeitige Vorbereitung auf einen erhöhten Blutverlust können das Patientinnenrisiko minimieren und überraschenden Blutungsnotfällen vorbeugen. Beispielsweise führt die aktive Leitung der Nachgeburtsperiode mit der intravenösen Applikation von Oxytozin zur Plazentageburt, die spätestens 30 min nach Kindsentwicklung erfolgen sollte, als einfache Maßnahme zur Verringerung des Blutverlustes gegenüber einem exspektativen Vorgehen. Ebenso gehört die Überwachung der Kreislaufparameter und des Lochialflusses der Wöchnerin in den Stunden nach der Geburt zu den Pflichten eines geburtshilflichen Teams. Die Verfügbarkeit von Uterotonika (Oxytozin, Prostaglandine) und eine evtl. notwendige anästhesiologische und operative Interventionsmöglichkeit müssen jederzeit sichergestellt sein.
45.1
Allgemeine Grundlagen
Plazentarperiode Die Plazentarperiode (»third stage of labor«) umfasst den Zeitabschnitt von der Geburt des Kindes bis zur Geburt der vollständigen Plazenta. Die Postplazentarperiode umfasst den Zeitraum bis etwa 2 h danach. Während dieser Zeit ist eine Überwachung der Kreislaufparameter und der Lochialblutung erforderlich.
45.1.1
Epidemiologie
Große Gefahren der Plazentarperiode gehen von Blutungen sowie von thromboembolischen Ereignissen aus. Vor wenigen Jahrzehnten, als auch in den entwickelten Industrienationen die mütterliche Mortalität noch wesentlich höher lag, waren rund 80% der maternalen Todesfälle in den Stunden und Tagen nach der Geburt des Kindes zu verzeichnen (Loudon 1992). In den Ländern der Dritten Welt sind es bis heute weiterhin die postpartalen Blutungen, die vorwiegend für die Müttersterblichkeit verantwortlich sind (Prata et al. 2009). In entwickelten Ländern tritt 1 Fall mit lebensbedrohlicher postpartaler Blutung bei 1.000 Geburten auf, und bei 1 von 100.000 Geburten stirbt die Frau an der postpartalen Blutung (Cemach 2007). In Entwicklungsländern liegt diese Rate um das Hundertfache höher – bei 1/1.000 Geburten, da geburtshilfliche Expertise, Kontraktionsmittel, Blutkonserven und Blutprodukte oft nicht zur Verfügung stehen.
45.2
Postpartale Blutungen (»postpartum haemorrhage«; PPH)
45.2.1
Terminologie
Postpartale Blutung (»postpartum haemorrhage«; PPH) Ein Blutverlust von >500 ml in den 24 h nach der Geburt wird als pathologisch angesehen. Eine späte postpartale Blutung (»secondary postpartum haemorrhage«) liegt vor, wenn mehr als 24 h zwischen der Geburt des Kindes und dem Blutungsbeginn liegen. Das ACOG (1998) definiert PPH als »entweder 10%ige Abnahme des Hämatokrits zwischen der Aufnahme und der Postpartalperiode oder Notwendigkeit von Blutkonserven«.
Die physiologische Volumenexpansion der Schwangerschaft führt dazu, dass z. B. eine 60 kg schwere Schwangere in der 30. SSW ein Blutvolumen von 6 l hat. Klinische Zeichen einer Hypovolämie treten erst bei einem Blutverlust von mehr als 20% auf (Bonnar 2000). Ein Blutverlust von 600 ml wird auch bei unauffälliger Geburt und Wohlbefinden der Mutter rasch erreicht. Problematisch ist, dass das verlorene Blutvolumen auch von erfahrenen Klinikern häufig unterschätzt wird. Empfehlenswert sind das »Auffangen« des Blutes und der Koagel in einer Bettpfanne und die Asservierung von Bettwäsche, Tupfern und Abdecktüchern, um nach Abzug des Trockengewichts den wahren Blutverlust abzuwiegen. Danach wird ein Grenzwert von 1000 ml angenommen, ab dem ein interventionsbedürftiger Blutverlust besteht (Jouppila 1995). In einem britischen Kollektiv von über 37.000 Frauen lag die Prävalenz eines postpartalen Blutverlustes >1000 ml bei ca. 1,3% (Stones et al. 1993). Wichtiger als die Festlegung von Grenzwerten ist, dass jeder erhöhte postpartale Blutverlust, der das Befinden und die hämodynamische Stabilität der Mutter beeinträchtigt, rasch abgeklärt und therapiert werden muss. Während die dramatische Blutung sofort auffällt, kann eine kontinuierliche, über Stunden andauernde Sickerblutung ebenfalls zu einem erheblichen Blutverlust führen, der erst spät bemerkt wird. Daher ist eine lückenlose postpartale Überwachung notwendig.
Ursachen für postpartalen Blutverlust nach ihrer Häufigkeit 4 Uterusatonie – Isoliert oder kombiniert mit traumatischen und plazentaren Blutungsursachen 4 Plazentare Ursachen einer Blutung – Plazentaretention – Unvollständige Plazentalösung – Placenta accreta, increta, percreta
6
989 45.2 · Postpartale Blutungen (»postpartum haemorrhage«; PPH)
45.2.2 4 Verletzungen der Geburtswege – Dammriss – Episiotomie – Scheidenriss – Zervixriss – Uterusruptur – Hämatombildung paravaginal/pararektal (infrabzw. supralevatorisch) 4 Gerinnungsstörungen – Primäre Gerinnungsstörungen (angeborene Hämophilie, von-Willebrand-Syndrom, erworbene, z. B. medikamenteninduzierte Thrombozytopenie) – Plasmatische Gerinnungsstörung als Folge des Blutverlustes
Sofortmaßnahmen
Die ersten Schritte, die beim Verdacht auf eine verstärkte postpartale Blutung unternommen werden müssen, sind unabhängig von der möglichen Blutungsursache und zielen darauf ab, eine hypovolämiebedingte Kreislaufinstabilität zu vermeiden. Alle Mitarbeiter im Kreißsaal müssen dahingehend ausgebildet sein. Tipp Es empfiehlt sich, neben einer schriftlichen Checkliste (. Tab. 45.1) und einem festgelegten Handlungspfad im Kreißsaalkühlschrank eine »Alarm-Box Blutung« griffbereit zu haben, in der die für die medikamentöse Therapie eines Blutungsnotfalls nötigen Präparate bereitliegen. Ferner sollten wichtige Telefon- und Piepsernummern gut sichtbar aushängen und verfügbar sein.
. Tab. 45.1. Die Rotterdamer Checkliste des hämostaseologischen Labormanagements der Erasmus-Universität Rotterdam. Zentral ist bei diesem Protokoll die reibungslose Kommunikation zwischen dem Behandlungsteam und der Blutbank bzw. dem Labor (de Rijke 2003)
Wer …
Macht was …
Details
1.
Behandelnder Arzt (Gynäkologe oder Anästhesist)
Bringt das Protokoll »massive Blutung« zum Einsatz
2.
Kontaktperson Behandlungsteam
Meldet in Labor/Blutbank
4 Name, Geburtsdatum der Patientin 4 Welche Station? 4 Kontaktperson im OP (Diensthabender mit Piepsernummer) 4 Geschätzter Bedarf Blutkonserven/wie schnell
3.
Behandlungsteam
Nimmt unmittelbar vor Beginn der Transfusion Blut ab
4 1 EDTA-Röhrchen 4 1 Zitratröhrchen 4 1 Gerinnungsröhrchen
4.
Labor/Blutbank
Liefert bei Bedarf ungekreuzte Blutkonserven ab
5.
Behandlungsteam
Nimmt noch einmal EDTA-Blut ab vor Start der Transfusion (für 2. Blutgruppenbestimmung)
4 1 EDTA
6.
Labor/Blutbank
Führt Diagnostik durch
4 Hb, Thrombozyten, PT, PTT, Fibrinogen 4 Blutgruppe/Rhesusfaktor 4 Screening irreguläre Antikörper
7.
Labor/Blutbank
Liefert Blutprodukte
Maximal: 4 6 ausgekreuzte Erythrozytenkonzentrate 4 2 Einheiten Plasma
8.
Kontaktperson Behandlungsteam
Bestellt weitere Blutprodukte
4 Wie viel? 4 Wie schnell?
9.
Behandlungsteam
Nimmt nach 6 Blutkonserven und 2 Einheiten Plasma Blut ab
4 1 EDTA 4 1 Zitratblut 4 1 Gerinnungsblut
10.
Kontaktperson Behandlungsteam
Meldet dem Labor jede Verlegung der Patientin
4 Auf welche Station wird die Patientin verlegt? 4 Eventuell Name einer neuen Kontaktperson?
45
990
45
Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
Sofortmaßnahmen beim Eintreten einer verstärkten postpartalen Blutung 4 Legen von 2 i.v.-Zugängen (Braunülen) mit möglichst großem Lumen 4 Rasche Blutabnahme für Blutbild und Gerinnungsstatus 4 Abnahme einer Blutprobe für die Blutbank, Anmelden eines möglicherweise raschen Bedarfs von passenden Blutkonserven und FFP 4 Legen einer Blutdruckmanschette, regelmäßige Druckund Pulskontrolle 4 Infusion von 1000–2000 ml Ringer-Laktat oder 0,9%iger NaCl-Lösung 4 Je nach Blutungsintensität und Verlauf: – Anbringen eines Pulsoxymeters – Anbringen einer O2-Nasensonde bzw. Gesichtsmaske – Legen eines Blasenkatheters
45.3
Uterusatonie
Die Uterusatonie stellt die häufigste Ursache für einen schwerwiegenden Blutverlust in der Plazentarperiode dar. Nach Lösung der Plazenta muss die große Wundfläche im Cavum uteri rasch verkleinert werden. Eine wesentliche Rolle kommt dabei der Vasokompression durch das Myometrium zu. Durch den überkreuzten Verlauf der Muskelfasern des Myometriums – »den lebenden Ligaturen des Uterus« – werden durch deren Kontraktion die zum Plazentabett führenden Gefäße im Normalfall wirkungsvoll verschlossen. Daneben müssen die Vasokonstriktion der Gefäßwände selbst und schließlich die Blutgerinnung funktionieren. Letztere muss in den Wehenpausen der Nachwehen für eine wirkungsvolle Hämostase sorgen. Ein zu geringer Tonus des Myometriums führt zu einer insuffizienten Verkleinerung des Organs und damit zur mangelhaften Kompression der Spiralarterien, welche weiter bluten können. Eine Uterusatonie kann sich zwar auch nach unauffälliger Schwangerschaft und problemloser Geburt ohne Vorwarnung entwickeln. Pathologische Schwangerschafts- und Geburtsverläufe sollten den Geburtshelfer schon vor der Geburt des Kindes an die Möglichkeit einer postpartalen Uterusatonie denken lassen.
Risikofaktoren, die das Entstehen postpartaler Blutungen begünstigen 4 Überdehnung des Uterus durch Mehrlingsschwangerschaft, Hydramnion, makrosomes Kind 4 Hohe Parität der Mutter 4 Operative Geburt (Vakuum, Forceps, Sectio) 4 Jede Form der Plazentapathologie (7 unten) 4 Überstürzte Geburt
6
4 Protrahierte Geburt und tagelange Geburtseinleitung z. B. mit Prostaglandinen 4 Wehenmittel (Oxytozin) unter der Geburt 4 Infektionen, Chorioamnionitis, vorzeitige Plazentalösung 4 Verwendung von halogenierten Anästhetika unter der Geburt 4 Myome und Fehlbildungen des Uterus
Ein besonderer Stellenwert kommt der geburtshilflichen Anamnese zu, da Atonien und Plazentaretentionen ein hohes Wiederholungsrisiko (25%) bei Folgeschwangerschaften aufweisen (Faridi u. Rath 1996). > Der gut kontrahierte Uterus sollte nach der Geburt hart, der Fundus knapp oberhalb und etwas neben dem Nabel tastbar sein.
Der atone Uterus dagegen ist auffallend weich, der Fundus uteri liegt weit über dem Nabel bis knapp unter dem Rippenbogen. Bei adipösen Patientinnen ist er häufig schwer oder nicht zu tasten. Es kommt wenige Minuten nach der Geburt zum schwallartigen Abgang von eher dunklem Blut oder Koageln.
45.3.1
Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode – Prävention
Es gibt grundsätzliche Unterschiede in der Leitung der Nachgeburtsperiode: Beim aktiven Management (»active management of third stage of labor«) werden, beginnend mit der Geburt des Kindes, eine Reihe von Maßnahmen eingesetzt, um durch eine rasche Plazentalösung den postpartalen Blutverlust zu verringern (Fuchs et al. 2009). Der gezielte Einsatz kontraktionsfördernder Medikamente in der Plazentarperiode verhindert hierbei ca. 50–70% der verstärkten postpartalen Blutungen. Dafür stehen 3 Gruppen von Uterotonika zur Verfügung: 4 Oxytozin, 4 Oxytozin kombiniert mit Ergometrin und 4 Prostaglandine. Oxytozin wird als 3 IE i.v.-Bolus bzw. in Dosierungen von 5–
10 IE als i.v.-Dauertropf verabreicht. In einigen europäischen Ländern, in Südafrika und Australien wird immer noch eine Kombination von Oxytozin mit Methylergometrin (»Syntometrin«) verabreicht. Reines Methylergometrin unmittelbar post partum hat keinen Effekt, der nur annähernd an den des Syntocinon heranreicht (Saito et al. 2007). Auch in Kombination mit Syntocinon bringt Methylergometrin keinen nennenswerten Vorteil gegenüber einer Gabe von 10 IE Oxytozin im Dauertropf. Hingegen wurden deutlich mehr Nebenwirkungen beschrieben (Khan et al. 1995). Wegen zunehmender Veröffentlichungen über schwere Nebenwirkungen sollte kein Methylergometrin – insbesondere nicht mehr intravenös im Bolus – verabreicht werden (Jacobs 2007).
991 45.3 · Uterusatonie
Beim »exspektativen«, »physiologischen« oder »konservativen« Management wird die Lösung der Plazenta abgewartet (Prendiville et al. 2000). Keinen nachweisbaren Nutzen haben nichtmedikamentöse Maßnahmen. Weder das frühe Anlegen des Neugeborenen noch die unmittelbar postpartale Mamillenstimulation zeigten einen Effekt bei der Verminderung postpartaler Blutungen (Bullough et al. 1989; Irons et al.1994). In einem systematischen Cochrane-Review von Studien, die das aktive und exspektative Vorgehen bei der Leitung der Nachgeburtsperiode verglichen, zeigte sich, dass die aktive Leitung mit einer signifikanten Reduktion von schwerwiegenden postpartalen Blutungen, Anämie und Blutkonservenbedarf im Wochenbett einherging. In einer randomisierten Studie, bei der Oxytozin entweder früh nach der Geburt der Schultern bzw. erst nach der Geburt der Plazenta gegeben wurde, zeigte sich kein Vorteil für die frühe Oxytozingabe. In der »frühen« Gruppe war auch die Anzahl der Plazentaretentionen nicht geringer als in der Gruppe, die das Oxytozin erst nach der Geburt der Plazenta bekam (Jackson et al 2001). Auch Prostaglandine wurden zur aktiven Leitung der Nachgeburtsperiode verwendet. Misoprostol ist ein sehr kostengünstiges Prostaglandin E1, das als Tablette ohne Kühlung aufbewahrt werden kann. Studien haben gezeigt, dass es bei der aktiven Leitung der Nachgeburt mit oraler Verabreichung von 600 μg Misoprostol im Vergleich zu 10 IE Oxytozin i.m. oder i.v. nicht zu mehr Nachblutungen, Anämien, manuellen Plazentalösungen und Bedarf an Blutkonserven kam (Singh et al. 2009; Caliskan et al. 2003). Daher ist dieses Präparat im »off label use« insbesondere in Ländern mit stark begrenzten finanziellen Ressourcen und fehlenden Kühlmöglichkeiten empfehlenswert.
Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode 4 i.v.-Injektion von Oxytozin unmittelbar nach Geburt des Kindes 4 Rasches Abbinden der Nabelschnur 4 Geburt der Plazenta unter leichtem Zug an der Nabelschnur bei gleichzeitigem Zurückhalten des Fundus uteri
45.3.2
Therapie der Uterusatonie
Eine Blutung nach der Geburt ist ein Alarmzeichen, das zum aktiven Handeln bei den betreuenden Ärzten und Hebammen veranlassen muss – Ian Donald schrieb 1966, dass die Atonie des Personals genauso gefährlich sei wie die Atonie des Uterus: »beware therefore of inertia, not only in the uterus, but also in the attendant« (zit. bei Baskett 1999). Zunächst sollte man sich durch Begutachtung der Plazenta und durch eine Ultraschallkontrolle vergewissern, ob die Plazenta vollständig geboren wurde. Mögliche Plazentareste sollten zeitnah manuell oder – seltener notwendig – instrumentell entfernt werden. Zu den ersten Maßnahmen gehört die kräftige Massage des Fundus uteri, die Harnblasenentleerung und die gleichzeitige Applikation von 3 IE Oxytozin
(1 Amp. Syntocinon) als Bolus i.v. und ggf. ein 2. Bolus von 3 IE fraktioniert einige Minuten später. Hinzu kann eine Kurzinfusion mit bis zu 4 Amp. Oxytozin (20 IE) in 500 ml 0,9%iger NaCl-Lösung verabreicht werden. Methylergometrin 0,2 mg (Methergin) ist für die i.m. (Wirkungseintritt 2– 4 min) oder i.v. (Wirkungseintritt 30–60 s) Applikation zwar zugelassen, wird aber wegen möglicher kardiovaskulärer und zerebraler Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen (Ibrahim et al. 2008). Relativ kontraindiziert ist es bei Bluthochdruckpatientinnen. Oxytozin hat einen nicht zu unterschätzenden antidiuretischen Effekt, wodurch – gerade im Zuge forcierter Volumenzufuhr im Rahmen der Hypovolämie – eine Wasserintoxikation bei der Patientin auftreten kann. Kommt die Blutung mit Oxytozin nicht zum Stillstand, müssen Prostaglandine eingesetzt werden. Mit dem uterusselektiven PGE2-Derivat Sulproston (Nalador) steht ein rasch wirksames zugelassenes Prostaglandinpräparat zur Verfügung, das griffbereit im Kühlschrank eines jeden Kreißsaales gelagert sein sollte. Sulproston und Oxytozin sollen nicht kombiniert verabreicht werden! Sulproston darf wegen der Gefahr der Druckerhöhung im Lungenkreislauf keinesfalls als i.v.-Bolus verabreicht werden, es empfiehlt sich die Gabe von 0,5 mg (1 Amp.) Sulproston in 500 ml NaCl-Lösung. Bei atoner Nachblutung kann die Infusionsgeschwindigkeit von 120 ml/min kurzfristig bis auf 480 ml/min gesteigert werden. Vom Hersteller ausdrücklich nicht zugelassen ist die direkte intramyometrale Injektion. Die Rücknahme dieses bei der atonen Nachblutung äußerst wirksamen Applikationsweges durch den Hersteller erfolgte im Jahr 1992 aufgrund von Komplikationen bei Aborteinleitungen im 2. Trimenon. Daher sollte dieser »off label use« heute nur Anwendung finden, wenn andere Methoden zur Blutstillung keine Wirkung zeigten oder die entsprechenden Medikamente fehlen. In jedem Fall sollte zeitnah ein Protokoll der Behandlungsmaßnahmen angefertigt werden, insbesondere dann, wenn Präparate oder Applikationswege im »off label use« angewendet werden (Husslein 1997). Gelegentliche Nebenwirkungen des PGE2-Derivats Sulproston (Nalador) sind Spasmen im Ober- und Mittelbauch, Übelkeit und Erbrechen, vereinzelt Blutdruckabfall und Bradykardie. Dieses Präparat sollte nur in Kliniken mit intensivmedizinischen Einrichtungen angewendet werden. Kontraindiziert ist es bei Frauen mit Asthma, schlecht eingestelltem Diabetes mellitus, kardialen und vaskulären Vorerkrankungen sowie bei starken Raucherinnen.
Bimanuelle Kompression Bei starken persistierenden medikamentenrefraktären Blutungen kann die bimanuelle Kompression des Uterus durchgeführt werden. Dies setzt bei der Patientin eine funktionierende Leitungsanästhesie oder eine Vollnarkose voraus. Eine Faust wird in den Fornix anterior der Vagina eingebracht, der Uterus eleviert und gleichzeitig von abdominal massiert bzw. komprimiert, bis es zum Stillstand der Blutung kommt oder die Vorbereitungen zur weiteren invasiveren Therapie getroffen sind (Shevell u. Malone 2003).
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Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
Misoprostol . Tab. 45.2. Medikamentöse Therapie der atonen Nachblutungen. Interne Leitlinie der Universitäts-Frauenklinik Zürich. (Mod. nach Zimmermann 2010)
Misoprostol – ein Prostaglandin-E1-Analogon – kann oral oder rektal zur Atoniebehandlung eingesetzt werden. Die Pharmakokinetik ist bei der rektalen Applikation wesentlich günstiger (Khan et al. 2004); mit der rektalen Anwendung von 800–1000 μg Misoprostol können postpartale Blutungen erfolgreich behandelt werden. Das Präparat erwies sich in Studien als deutlich effektiver als eine Kombination von Oxytozin mit Methylergometrin (Hofmeyr u. Gulmezoglu 2008). Misoprostol ist für die Behandlung von Magenulzera zugelassen, aber nicht für die gynäkologisch-geburtshilfliche Anwendung, obwohl weltweit zahlreiche und sehr gute Erfahrungen und WHO-Studien vorliegen, die den Nutzen des Präparats belegen. Der Einsatz von Misoprostol (Cytotec/Cyprostol) in der Geburtsmedizin stellt einen »off label use« dar. Von Seiten der Herstellerfirmen wird u. a. aus wirtschaftlichen und politischen Gründen keine Zulassung des sehr preisgünstigen Präparats angestrebt. Wird Misoprostol in der Nachgeburtsperiode zur Behandlung postpartaler Blutungen eingesetzt, so sollte die Dosierung und der Verabreichungsweg (oral, rektal, vaginal) in einem von der ärztlichen Leitung ausdrücklich gebilligten Protokoll festgelegt werden. Die interne Leitlinie (Pflichtenheft) der Universitäts-Frauenklinik der ETH Zürich zur medikamentösen Therapie der atonen Nachblutungen zeigt . Tab. 45.2.
einnehmen wird, oder ob es nur als »Ultima-ratio-Medikament« zum Einsatz kommen wird (Franchini et al. 2008). Da das Präparat nur eine kurze Halbwertszeit von etwa 2 h hat, müssen neben Fragen der Sicherheit auch Fragen des Zeitpunktes der Anwendung und der Dosierung in Studien geklärt werden (Segal et al. 2004).
Tranexamsäure
Tamponade des Uterus (»uterine packing«)
Tranexamsäure (Cyklokapron) ist ein synthetisches Lysinderivat, das den Fibrinabbau verhindert. Es ist ein kompetitiver Hemmer der Plasminaktivierung, mit dem seit Jahren bei chirurgischen Blutungen Erfahrungen gesammelt wurden. Über den erfolgreichen Einsatz von Tranexamsäure bei postpartalen Blutungen wurde bei Fällen von Placenta praevia berichtet, bei denen der Nutzen der Prostaglandine sehr beschränkt war, da die Blutungsquelle im unteren Uterinsegment lag und das Corpus uteri ohnehin genügend kontrahiert war. Tranexamsäure (1 g i.v. alle 4 h über 12 h) wurde erfolgreich als Ultima ratio, kurz vor dem Entschluss zur Laparotomie und Hysterektomie, verabreicht (As et al 1996). Patientinnen, die wegen einer Placenta praevia, Abruptio placentae und ähnlichen Blutungsproblemen peripartal Tranexamsäure erhalten hatten, zeigten keine erhöhte Thromboseneigung.
Die Tamponade des Uterus zur Therapie der postpartalen Blutung ist eine nicht unumstrittene Methode, die aber in über 1.000 erfolgreich behandelten Fällen publiziert wurde (Mischler et al. 1997; Hsu et al. 2003). Eine Tamponade mit sterilen Tamponadestreifen ist sowohl von vaginal als auch von abdominal durch die Uterotomie nach einer Sectio möglich. Es kann ein trockener oder ein zuvor in Prostaglandin getränkter Streifen eingebracht werden. Allerdings gibt es keine Zulassung für diese Anwendungsform mit in Prostaglandinlösung getränkten Tüchern. Auch mit Thrombin (Faktor IIa) getränkte Tamponadestreifen wurden erfolgreich zur Therapie der atonen Nachblutung eingesetzt (Bobrowski u. Jones 1995). Kritiker lehnen intrakavitäre Tamponaden ab, da die erwünschte Kontraktion des Uterus eher behindert wird (Husslein 1997). Ein weiteres Argument gegen die Anwendung von Gazetamponaden ist die Befürchtung, dass der blutstillende Effekt mit dem Entfernen des Streifens entfällt, wenn die Wundfläche wieder aufreißt. Im Falle eines »uterine packing« ist eine Breitspektrumantibiotikaprophylaxe empfehlenswert.
Rekombinierter aktivierter Faktor VIIa (rFVIIa) Rekombinierter aktivierter Faktor VIIa (rFVIIa; NovoSeven) kommt mittlerweile nicht nur bei Patienten mit Hämophilie A und B und Thrombozytenstörungen zur Anwendung, sondern auch bei profusen traumatischen Blutungen und chirurgischen Eingriffen. Die bisher publizierten Fallberichte vom Einsatz dieses sehr teuren Medikamentes bei geburtshilflichen Blutungen beschreiben verzweifelte Fälle von atonen Nachblutungen, die auch nach allen pharmakologischen Maßnahmen, nach Hysterektomie und Embolisation immer noch nicht sistierten (Bouwmeester et al. 2003; Brice et al. 2004). Es ist noch unklar, welchen Stellenwert rFVIIa in der Behandlung lebensgefährlicher postpartaler Blutungen in Zukunft
Arzneistoff und Dosierung
Darreichung
Syntocinon 20 IE
4 ad 1000 ml Ringer-Laktat im vollen Strahl innerhalb 10 min, dann mit 120 ml/h weiter
Misoptrostol (Cytotec) 200 μg
4 1–2 Tbl. à 200 μg oral
Sulproston (Nalador)-Infusion
4 1 Amp (0,5 mg) ad 250 ml NaCl 0,9% (=2 μg/ml) 4 Anfangsdosis: 120 ml/h (4 μg/min) 4 Maximaldosis: 240 ml/h (8 μg/min) 4 Kurzfristige Maximaldosis: 2 Amp (1 mg) ad 250 ml NaCl 0,9% mit 480 ml/h (32 μg/ml)
Intrakavitäre Ballontamponade Diese Variante der mechanischen Tamponade besteht im Einbringen einer Sengstaken-Blakemore-Ballonsonde in das Cavum uteri und dem Anfüllen des unteren Ballons mit 300 ml Flüssigkeit, die 24 h später langsam abgelassen wird (Katesmark et al. 1994). Gute Erfolge wurden auch vom urologischen Rüsch-Katheter und mit Foley-Kathetern berichtet. Speziell für die Geburthilfe wurde der sog. Bakri-Ballon entwickelt (Bakri et al. 2001, Johanson et al. 2001).
993 45.3 · Uterusatonie
Condous et al. beschrieben, dass dieser »Tamponadetest« die letzte Stufe vor weitreichenderen operativen bzw. invasiveren Therapien darstellen kann. Kommt es nach Platzierung und Auffüllung der Bakri-Sonde oder des SengstakenBallons zu einem Sistieren der Blutung, wird die Patientin mit Oxytozin-Infusionen weiter konservativ behandelt. Blutet es neben dem Ballon weiter, gilt der Tamponadetest als nicht bestanden, und es wird z. B. zur radiologischen Embolisation oder zur Laparotomie übergegangen (Condous et al. 2003).
Invasive Verfahren bei therapierefraktärer atoner Nachblutung Kommt es nach Verabreichen aller verfügbaren Medikamente und dem Einsatz der mechanischen Methoden zu keinem Stillstand der Blutung, wird die chirurgische Intervention – meist in Allgemeinnarkose – unvermeidlich. War früher die abdominale Hysterektomie die unweigerliche Konsequenz, so wurden in den letzten Jahren eine Reihe uteruserhaltender, mehr oder weniger invasive Methoden erfolgreich eingesetzt.
Radiologische Embolisation uteriner Gefäße Es liegen zahlreiche Publikationen über die Embolisation uteriner Gefäße zur Behandlung schwerer PPH vor (Vegas et al. 2006). Voraussetzung für eine erfolgreiche Embolisation ist u. a. die räumliche Nähe des Kreißsaals zu einer radiologischen Abteilung, die einen ständigen interventionellen Dienst in Bereitschaft hat und wo Erfahrungen mit der uterinen Embolisation postpartaler Blutungen, bei Karzinomblutungen oder bei der Myombehandlung vorliegen. Der Eingriff dauert je nach Erfahrung ca. 60 min. In dieser Zeit ist – meist mit Überwachung durch den Anästhesisten – für eine hämodynamische Stabilität der Patientin zu sorgen. Alternativ zur Embolisation der Aa. uterinae mit Gelfoam oder Titan-Coils kann auch passager ein Ballonkatheter unter radiologischer Kontrolle in die rechte und linke A. iliaca interna eingebracht und über 48 h belassen werden (Oei et al. 2001).
Uteruskompressionsnähte und Gefäßligaturen Grundsätzlich sind 2 uteruserhaltende Vorgehensweisen nach Laparotomie möglich: 4 das Anbringen von Kompressionsnähten, 4 die Ligatur der zuführenden Blutgefäße B-Lynch-Technik. 1997 wurde erstmals die B-Lynch-Technik als uteruserhaltender Eingriff bei uterotonikaresistenter Atonie bei einer Sectio beschrieben. Sie kann auch bei schwerer PPH nach einer vaginalen Geburt angewendet werden, wenn vor der Hysterektomie ein uteruserhaltender Therapieversuch unternommen werden soll. Voraussetzung ist, dass es während der manuellen Kompression zu einer Abnahme der Blutung kommt. Im Anschluss daran wird, während die Assistenz den Uterus weiter komprimiert, mit einem 90 cm langen, resorbierbaren Faden auf der Ventralseite des Uterus 3 cm medial der lateralen Uteruskante und 3 cm kaudal der Uterotomieecke (im Fall einer Sectio, sonst an entsprechender Stelle, 1) eingegangen, der Faden durch das Kavum geführt und 3 cm kranial der Uterotomie ausgestochen (2) (B-Lynch et al. 2006; . Abb. 45.1).
Von hier wird der Faden an der Uterusaußenwand nach oben über den Fundus geführt und auf der Rückseite in Höhe des ventralen Ausstichs eingegangen (3). Entlang der Rückwand wird der Faden waagerecht durch das Kavum und links auf gleicher Höhe ausgestochen (4). Nun wird – parallel zur anderen Seite – der Faden außen auf der Rückwand über den Fundus uteri geführt und an der Vorderseite 3 cm oberhalb Uterotomie eingestochen (5) und im Kavum bis zum Ausstich 3 cm unterhalb der Uterotomie geführt (6). Hier wird er nun mit dem anderen Fadenende geknüpft. Sowohl beim Nähen wie beim Knüpfen muss der Uterus durch die Assistenz ständig komprimiert werden, sonst schneidet der Faden durch. Der Faden muss nicht mehr gelöst werden. In publizierten Fällen wurden Frauen in den folgenden Jahren wieder erfolgreich schwanger (Ferguson et al. 2000). Auch die Kombination der B-Lynch-Nähte mit einer intrauterin platzierten Ballonsonde kam bei starken Blutungen im unteren Uterinsegment erfolgreich zur Anwendung (Danso u. Reginald 2002). Die verschiedenen Variationen der B-LynchTechnik werden von Tamizian u. Arulkumaran (2002) in einem Review ausführlich beschrieben. Koreanische Viereckmethode. Von einer koreanischen Arbeitsgruppe wurde eine Technik publiziert, bei der Vorderwand und Hinterwand des Uterus mit großen durchgreifenden resorbierbaren Nähten mit einer geraden Nadel unter Kompression aneinandergenäht werden (Cho et al. 2000). Mit Einstich und Ausstich an Vorder- und Rückseite wird ein Viereck gebildet. Es werden mindestens 2 und insgesamt bis zu 5 dieser Vierecke gesetzt (Abb. 45.2). Befindet sich das blutende Areal im unteren Uterinsegment, so wird zuvor die Blase abpräpariert. Auch nach diesen Kompressionsnähten konnte die Menstruation und Fertilität erhalten bleiben. Zu möglichen Komplikationen zählen das Auftreten einer Pyometra und das Asherman-Syndrom (Ochoa et al. 2002). Da der Großteil der arteriellen Durchblutung des Uterus über die A. uterina erfolgt, ist die gezielte Unterbindung dieses Gefäßes ein naheliegender Schritt bei nicht zu beherrschenden postpartalen Blutungen. Hierzu wurden seit den 1950er-Jahren Kasuistiken und kleine Serien publiziert. Im Gegensatz zur einfachen Ligatur werden bei der stufenweisen Ligatur die A.-uterina-Gefäße schrittweise ligiert und der Eingriff dann beendet, wenn die Blutung zum Stillstand gekommen ist. Im ersten Schritt erfolgt – unterhalb der Uterotomie bei Sectio – die Umstechung des aufsteigenden Astes der A. uterina, wobei von ventral nach dorsal durch das Lig. latum eingegangen und die Nadel dann 2 cm medial davon von dorsal nach ventral durch das Myometrium geführt und der Faden geknüpft wird. Steht die Blutung daraufhin nicht, wird in gleicher Weise auf der anderen Seite verfahren. Bei Fortbestehen der Blutung wird die Blase mobilisiert und 3–5 cm unterhalb der ersten Naht in gleicher Weise die A. uterina erst auf der einen, dann auf der anderen Seite umstochen. Bei Fortbestehen der Blutung wird das Lig. infundibulopelvicum mit den darin verlaufenden Gefäßen umstochen (O‘Leary 1995).
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Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
. Abb. 45.1. B-Lynch-Technik (Erklärung 7 Text). (Nach B-Lynch et al. 2006)
Ligatur der Aa. iliacae internae. Schwieriger und risikoreicher ist die Ligatur der Aa. iliacae internae (frühere Bezeichnung Aa. hypogastricae). Sie ist die Ultima ratio der uteruserhaltenden Maßnahmen. Der Eingriff ist erfahrenen Operateuren vorbehalten, die im retroperitonealen Operieren geübt sind. Die notwendige exakte Darstellung von Ureter und A. iliaca externa kann bei Hämatomen und Blutungen schwierig sein. Zunächst wird das Lig. infundibulopelvicum über der Bifurkation der A. iliaca communis eröffnet, die A. iliaca interna wird über 3–4 cm freigelegt und mit Overholt-Klemmen von lateral umfahren, an 2 getrennten Stellen ligiert, aber nicht durchtrennt. Die Erfolge des Eingriffs werden mit 42– 90% angegeben (Bouwmeester et al. 2005). Der Uterus ist in der Schwangerschaft durch ein ausgedehntes Netzwerk von Anastomosen versorgt. Die Ligatur der A. ovarica und – falls diese nicht dargestellt werden kann – die Umschlingung des gesamten Lig. infundibulopelvicum wurden als uteruserhaltende Maßnahme beschrieben.
Peripartale Hysterektomie Mit den oben geschilderten Methoden ist die Indikation zur Hysterektomie wegen unstillbarer postpartaler Blutung selten geworden, die Prävalenz wird heute mit 1/2.000 Geburten angegeben (Glaze et al. 2008). Häufigste Ursache ist die tiefe
. Abb. 45.2. Die koreanische Viereckmethode (nach Cho et al. 2000) mit Ligatur der A. uterina
plazentare Implantationsstörung (accreta, increta, percreta), zweithäufigste die therapierefraktäre Uterusatonie (Bai et al. 2003). Wenn man sich nach Versagen der anderen Methoden zu diesem Schritt entschließt, ist die abdominale Hysterektomie die Therapie der Wahl. Die suprazervikale Uterusamputation kann hierbei den Nachteil haben, dass es bei einer Pla-
995 45.4 · Plazentaretention
centa praevia cervicalis aus der Zervix weiter bluten kann (Engelsen et al. 2001). Andererseits schont eine suprazervikale Hysterektomie den Beckenboden und ist operativ weniger anspruchsvoll. Das Risiko der Ureterschädigung wird bei der postpartalen Hysterektomie mit 6–14% angegeben (Sheiner et al. 2003), die Mortalität liegt bei 1%.
45.4
direkten Übergang der Plazenta ins Myometrium oder fehlt die myometrane Wand über der Plazenta auf einer Strecke völlig, muss eine tiefe Implantationsstörung (Placenta accreta, increta oder percreta) vermutet werden. Eine dünne Myometriumschicht im Bereich der Plazentahaftfläche sagt nur aus, dass die Plazenta noch nicht gelöst ist, beweist jedoch noch nicht ein invasives Plazentawachstum.
Plazentaretention 45.4.2
Wird eine verstärkte postpartale Blutung festgestellt und ist die Plazenta noch nicht gelöst, so richten sich die Bemühungen primär auf die Lösung der Plazenta. Die aktive Leitung der Nachgeburtsperiode mit einem Oxytozin-Bolus nach Geburt des Kindes ist generell empfohlen (7 oben). Zunächst sollte die Harnblase der Patientin entleert werden. Anschließend kann mittels Credé-Handgriff der Fundus uteri zum Auslösen einer Kontraktion angerieben und zangenartig zwischen Daumen und Finger umfasst und komprimiert werden. Bei adipösen Patientinnen kann dieses Manöver misslingen. Der Credé-Handgriff kann ohne Regionalanästhesie unangenehm und schmerzhaft sein und führt häufig bei der Patientin zu begreiflicher Abwehrspannung. Der Zug an der Nabelschnur (»cord traction«) darf nur am kontrahierten Uterus und unter Zurückhaltung des Uterus mit der anderen Hand (Handgriff nach Brandt-Andrews) vorgenommen werden. Die »cord traction« darf keinesfalls übertrieben werden, da sie bei ungenügend gelöster Plazenta nicht selten zum Abriss der Nabelschnur und in Einzelfällen auch zur lebensbedrohlichen Inversio uteri (7 Kap. 45.7) führen kann. Da im Rahmen dieser Versuche jederzeit das Verspritzen größerer Mengen Blutes möglich ist, sollte in Anbetracht des Hepatitis-C- und HIV-Risikos das Tragen von OP-Kleidung und Handschuhen empfohlen werden. Auch ein Mundschutz ist bei Geburten mit erhöhtem Blutverlust oder Infektionsverdacht zu erwägen.
45.4.1
Sonographische Diagnostik
Die Ultraschalldiagnostik im Kreißsaal ist selbstverständlich geworden und kann zur Beurteilung des postpartalen Uterus sehr hilfreich sein. Es ist empfehlenswert, sich in postpartale Normalbefunde »einzusehen«, um pathologische Befunde als solche zu erkennen. Gleich nach der Geburt nimmt die plazentafreie Uteruswand an Dicke zu, während die Wand, an der die Plazenta haftet, dünn (<1 cm) bleibt. In der Folge verdickt sich die Uteruswand, an der die Plazenta anliegt, auf >2 cm. Eine segmentale myometrane Kontraktion mit Wandverdickung bewirkt schließlich die Lösung der Plazenta. Im Ultraschall zeigt die im Cavum uteri liegende gelöste Plazenta, umgeben von Blutkoageln, ein sehr variables Bild (Herman et al. 2002; Krapp et al. 2007). Das Gebiet, in dem die Plazenta dem Myometrium anhaftet, soll im Ultraschall genau untersucht werden. Fehlt das retroplazentare Strombett, die echoarme Schicht zwischen Myometrium und Plazenta, und sieht man stattdessen einen
Retention der gelösten Plazenta
Im Einzelfall kann eine stark gefüllte Harnblase die Ursache für die Retention der bereits gelösten Plazenta sein; ein Problem, das sich mit Einbringen eines Einmalkatheters rasch lösen lässt. Eine häufigere und weniger leicht zu beseitigende Ursache ist eine starke Kontraktion der Zervix, die die Expulsion der bereits im Uteruskavum liegenden Plazenta blockiert. Dies kommt v. a. nach vaginalen Frühgeburten vor und macht eine manuelle Lösung der Plazenta in Regionalanästhesie oder Allgemeinnarkose nötig.
45.4.3
Manuelle Plazentalösung
Die Entscheidung zur manuellen Lösung der Plazenta in bereits bestehender Regionalanästhesie oder Allgemeinnarkose soll bei starker postpartaler Blutung rasch erfolgen und auch bei geringer Blutungsintensität nach ca. 30 min nach Geburt des Kindes und Versagen der anderen Methoden fallen. Die Komplikationsrate steigt bei längerem Abwarten rapide an. Gestattet das Gebärbett eine optimale Umlagerung, so kann die manuelle Plazentalösung hier erfolgen, ansonsten auf einem regulären OP-Tisch. Da die Infektionsgefahr durch die Größe der Wundfläche und die Art der Manipulation wesentlich größer ist als bei einem routinemäßigen vaginalen gynäkologischen Eingriff, sollte steril wie im gynäkologischen OP abgedeckt werden. Kundige Assistenz, entweder durch eine OP-Schwester oder eine Hebamme, genügend Licht sowie die unmittelbare Präsenz eines Facharztes müssen heute gefordert werden. Vor dem Eingriff wird die Harnblase mittels Einmalkatheter entleert und das äußere Genitale desinfiziert. Der Anästhesist wird über die voraussichtliche Dauer des Eingriffes informiert, v. a. wenn auf die manuelle Plazentalösung folgend noch weitere Geburtsverletzungen wie ein Dammriss bzw. eine Episiotomie versorgt werden müssen. Der Operateur arbeitet unter sterilen Kautelen, ein überlanger passender Handschuh ist nötig, um die Hand und den Unterarm in den Geburtsweg einzuführen. Eine Antibiotikaprophylaxe während des Eingriffes ist empfehlenswert. Die optimale Analgesie und Relaxation der Patientin ermöglicht die Palpation des Fundus uteri mit der äußeren Hand durch die Bauchdecke, während die innere Hand den Geburtskanal und das Uteruskavum vorsichtig exploriert, um eine Ausdehnung einer Rissverletzung, z. B. in das Parakolpium oder Lig. latum, oder gar eine Perforation zu vermeiden, Der Operateur tastet sich mit 2 Fingern zunächst an der Nabelschnur entlang zur Zervix
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Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
und beginnt, die Zervix zunächst mit 2, dann mit mehr Fingern zu dehnen. Ziel ist es, möglichst viel von der Hand ins Cavum uteri zu bekommen und eine Stelle zu finden, an der die Finger zwischen Myometrium und Plazenta eindringen können. Es kann notwendig sein, den gesamten Plazentarand zu umrunden, bis die geeignete Stelle gefunden wird. Weniger erfolgversprechend ist der Versuch, die Nabelschnur auszureißen und ausgehend von dieser Öffnung die Plazenta in Einzelstücken zu entfernen. In einigen Fällen ist aber auch das Entfernen von adhärenten/accreten Plazentaarealen mit anschließender instrumenteller Ausräumung, d. h. Kürettage, unumgänglich. Nach einer unkomplizierten manuellen Plazentalösung wird abschließend noch einmal eingegangen und die Uteruswand auf eventuelle Reste untersucht. Der Uterus sollte sich unter fortgesetzter intravenöse Gabe von Uterotonika deutlich kontrahieren. Danach erfolgt die gründliche Inspektion von Zervix, Vagina und Damm. Durch die manuelle Lösung kann ein Zervixriss entstehen, ein bestehender Damm- bzw. Scheidenriss vergrößert werden und eine bei der Geburt des Kindes angelegte Episiotomie weiterreißen. Für die Plazentaretention besteht bei erneuter Schwangerschaft ein erhebliches Wiederholungsrisiko von >30% (Weeks 2008).
45.5
Unvollständige Plazenta
Die gründliche Inspektion der Plazenta ist eine Selbstverständlichkeit, ein entsprechender Tisch und gute Beleuchtung sind dafür Voraussetzung. Die fetale Seite soll v. a. auf mögliche aberrante Gefäße hin untersucht werden, da diese auf eine zurückgebliebene Nebenplazenta hinweisen können. Die maternale Seite ist auf unvollständige Areale hin zu begutachten, da gelegentlich Anteile von Kotyledonen oder ganze Kotyledone im Uterus zurückbleiben können. Beim Verdacht auf eine unvollständige Plazenta ist eine Ultraschallkontrolle sinnvoll und im Zweifel nachzutasten. Zuvor kann man sich anhand der Ultraschalleintragungen im Mutterpass der ursprünglichen Plazentalokalisation vergewissern. Hierbei wird prinzipiell wie bei der Lösung einer retinierten Plazenta vorgegangen, wobei der Zervikalkanal für den Anfänger ohne die Leitstruktur der Nabelschnur manchmal schwieriger zu finden ist. Das Cavum uteri ist systematisch auszutasten, Plazentareste fühlen sich auf der Oberfläche der Uteruswand als fleischig-zottig tastbare Gewebereste an. Sie sind durch schabende Bewegungen der Fingerkuppen oder durch Fassen zwischen Daumen und Zeigefinger zu lösen. Eine vorsichtige Nachkürettage mit der breiten Kürette nach Bumm kann bei gut tonisiertem Uterus unternommen werden und Gewebeanteile zum Vorschein bringen, die mit der Hand nicht gelöst werden konnten. In den meisten Fällen kann aber auf die Nachkürretage verzichtet werden, um später einer uterinen Amenorrhö durch forciertes Abtragen des Endometriums vorzubeugen. Zur Vermeidung einer Uterusperforation kann die ultraschallgesteuerte Kürettage empfohlen werden. Hierbei wird
unter transabdominaler Ultraschallsicht das Cavum uteri und die eingeführte Kürette während des Eingriffs beobachtet. Ein abschließendes Ultraschallbild nach der Operation dokumentiert das regelrecht entleerte Kavum ohne Residuen. Bei einer tiefen plazentaren Implantationstörung (Placenta accreta, increta, percreta; 7 Kap. 45.6) können manuelle bzw. instrumentelle Ausräumungsversuche scheitern. In diesen Fällen bzw. bei bereits präpartal vordiagnostizierten Fällen ist das Belassen der gesamtem Plazenta bzw. das Belassen von Plazentateilen im Uterus möglich, sofern keine verstärkte Blutung auftritt oder eine Blutung nicht mit anderen Maßnahmen (z. B. Embolisation) beherrschbar wird. Inzwischen bestehen Erfahrungen mit dem konservativen Vorgehen, wo die spätere Plazentageburt teils nach Wochen und Monaten stattfand. Die größte Gefahr dieses Vorgehens besteht in einer Wochenbettinfektion bzw. plötzlichen vaginalen Blutung. Daher erfordert dieses Vorgehen eine hohe Compliance der Patientin, eine engmaschige Überwachung mit häufigen Ultraschallkontrollen und eine evtl. mehrwöchige Antibiotikapropylaxe. Regelmäßige Abstrichentnahmen im Bereich der Zervix und die Kontrolle der maternalen Blutparameter sind dringend empfohlen. Der Nutzen einer systemischen Behandlung mit Methotrexat über mehrere Wochen wird ebenfalls diskutiert.
45.6
Placenta accreta – increta – percreta
Im Uterus ohne Vorschädigung sorgt eine intakte Deziduaschicht für eine problemlose Lösung der Plazenta nach der Geburt des Kindes. Jede Vorschädigung des Endometriums begünstigt eine unvollständige Entwicklung der Dezidua. Spontanaborte, Schwangerschaftsabbrüche und diagnostische Kürettagen in der Anamnese, Narben nach Operationen am Uterus, besonders nach Sectio, manuelle Plazentalösungen nach früheren Geburten und vorausgegangene Endomyometritiden prädisponieren zu einem invasiven Wachstum des Trophoblasten in das Myometrium. In den letzten Jahren wird durch die weltweite Zunahme der Schnittenbindungen eine drastische Zunahme der Patientinnen mit invasivem Plazentawachstum beobachtet.
Placenta accreta 2/3 aller Fälle von Placenta accreta treten bei einer Placenta praevia auf, und ca. 10% der Fälle mit einer Placenta praevia werden durch ein invasives Wachstum der Plazenta kompliziert. Wesentliche prädisponierende Faktoren sind bestehende Narben einer oder mehrerer Kaiserschnitte (Oyelese u. Smulian 2006). Die tiefe anteriore Vorderwandplazenta nach vorausgegangener Sectio stellt ein besonderes Risiko dar. Da die Placenta praevia ohnehin eine Sectioindikation darstellt, sollte im Zuge der sonographischen Untersuchungen die Plazenta hinsichtlich einer invasiven Implantationsstörung beurteilt werden. Bei der Placenta praevia ist v. a. der Vaginalultraschall mit oder ohne Farbkodierung richtungsweisend, da mit dessen Hilfe der intensive und turbulente Blutfluss von der Plazenta in Richtung des uterinen und zervikalen Gewebes dargestellt werden kann. Steht kein Farb-
997 45.7 · Inversio uteri
dopplergerät zur Verfügung, so können große Lakunen (»schwarze Seen«, »Schweizerkäselöcher«) in dem Bereich der Plazenta, der dem Myometrium dicht anliegt, als Warnhinweis gelten. Ebenso ist das Fehlen einer retroplazentaren echoarmen Zone zwischen Plazenta und Myometrium und stattdessen ein direkter unregelmäßiger Übergang von Plazentazotten in die Uteruswand hinweisend (Timmermans et al. 2007). Eine deutliche Erhöhung des maternalen Serum-AFP kann als weiterer Hinweis dafür gelten, dass die Schranke zwischen fetaler und maternaler Zirkulation im Bereich der Trophoblastinvasion insuffizient ist. Die Verdachtsdiagnose muss eine entsprechende Aufklärung der Patientin und Operationsplanung zur Konsequenz haben, da das Risiko für eine intraoperative Blutung und das Sectiohysterektomierisiko steigen. Des Weiteren ist die Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten und FFP sowie weiterer Blutprodukte nötig. Ein anästhesiologisches Konsil sollte erfolgen und ein erfahrenes Operationsteam bereitstehen.
Placenta increta und percreta Reicht das Trophoblastgewebe tief ins Myometrium hinein, spricht man von einer Placenta increta, erreicht die Plazenta die Serosa des Uterus bzw. das viszerale Peritoneum bzw. dringt die Plazenta bis in umgebende Organe wie z. B. Harnblase oder Darm ein, so spricht man von einer Placenta percreta. Entsprechend kann eine Hämaturie, zugegebenermaßen häufiger ein Zeichen eines Harnwegsinfektes oder Nierensteins einer Schwangeren, auch einmal ein Hinweis für eine lebendbedrohliche plazentare Implantationsstörung sein. Auch wurden spontane Uterusrupturen im 2.–3. Trimenon am wehenfreien Uterus mit fatalem maternalem und fetalem Ausgang beschrieben. Bei der Placenta percreta infiltriert das Trophoblastgewebe oft schon früh in der Schwangerschaft durch den Bereich einer Sectionarbe in Richtung Blasendach. Die Verdachtsdiagnose einer Placenta percreta kann heute mittels abdominalem und transvaginalem Ultraschall gestellt werden. Die hochauflösende 2-D-Technologie mit Farbdopplermodus ist sowohl der 3-D- als auch der MRT-Diagnostik überlegen. Bei sonographischem Verdacht auf eine Placenta percreta mit Blaseninfiltration ist eine Zystoskopie zu empfehlen. Die unvermeidliche Sectio sollte im Beisein eines urologisch kundigen Operateurs erfolgen, der die evtl. nötige Blasenteilresektion vornimmt. Bei ausgedehnten transmuralen Implantationsstörungen, insbesondere im Bereich der Uterusvorderwand (z. B. Placenta percreta) kann unter der Uterusserosa Plazentagewebe großflächig oder fokal durchschimmern, dabei sind großlumige subseröse Gefäße und Lakunen sichtbar (. Abb. 45.3). Bei unvorhergesehenen ausgedehnten plazentaren Implantationsstörungen sind verschiedene Vorgehensweisen möglich. Einerseits kann eine Sektiohysterektomie, insbesondere bei unstillbarer Blutung aus dem Plazentabett nach Plazentaentfernung, unumgänglich sein. Andererseits kann die Kindsentwicklung unter Umgehung der Plazentahaftstelle (z. B. Fundusquerinzision bei tief sitzender Vorderwand – percreta) und Belassen der Plazenta in utero erfolgen. Bei präoperativ gesicherter Diagnose kann auch eine Hysterektomie nach
Kindsentwicklung ohne den Versuch der Plazentalösung vorgenommen werden. Auch eine fokale Uteruswandresektion und ein Belassen des Uterus nach Plazentaentfernung bei lokal begrenzter Lösungsstörung ist eine Methode zur Vermeidung einer Hysterektomie. Gelegentlich reichen fokale intrakavitäre Z-Nähte zur Blutstillung bei kleinen Blutungsarealen. Beim »alternativen Vorgehen« ohne Hysterektomie mit Belassen der Plazenta folgt nach der Kindsentwicklung die übliche Gabe von Uterotonika, keine manuelle Lösung, sondern das Belassen der Plazenta und ein zweischichtiger Verschluss der Uterotomie mit Einzelknopfnähten (O’Brien 1996; Henrich et al. 2002, 2008; Oyelese 2006). Grundsätzlich ist dieses exspektative Vorgehen bei belassener Plazenta über mehrere Wochen möglich, und es kann zweizeitig die Spontangeburt der Plazenta erfolgen. Bei postoperativer hämoglobinwirksamer Blutung nach Belassen der Plazenta kann mittels uteriner Embolisation eine Blutstillung erzielt werden. Eine evtl. nötige zweizeitige Hysterektomie nach vorausgegangener Sektio mit partieller Rückbildung kann besser planbar sein und die Operationsmorbidität senken (O’Brien 1996). Zu den gefürchteten Komplikationen des konservativen Vorgehens mit Belassen der Plazenta gehören Infektionen. Daher ist eine dauerhafte Antibiotikagabe zu diskutieren und eine engmaschige klinische und sonographische Kontrolle indiziert.
45.7
Inversio uteri
Die Inversio uteri stellt einen dramatischen geburtshilflichen Notfall dar. Die Prävalenz variiert zwischen 1: 5.000 und 1: 20.000 Geburten, und sie tritt i. d. R. im Gefolge eines forcierten Zuges an der Nabelschnur bei nicht kontrahiertem Uterus und adhärenter Plazenta auf. Kurz nach der Geburt kommt es zu einem Ausstülpen des Uterus in die Scheide (inkomplette Inversion) oder darüber hinaus (komplette Inversion). Ursache ist nahezu immer ein Zug an der Nabelschnur in Kombination mit einem abdominalen Druck auf den Uterus. Begünstigt wird die Inversion durch konstitutionelle Faktoren wie z. B. Bindegewebsschwäche, leptosomer Habitus und Uterushypoplasie (Dapunt und Schwarz 1964). Eine relativ dünne Uteruswand an der Plazentahaftstelle bildet ein »Inversionszentrum«. Eine vollständige Inversio uteri ist eine offensichtliche Diagnose, allerdings kann bei der inkompletten Inversion der Uterus in der Scheide liegen, wo er als diffuse blutige Wundfläche sichtbar ist. Das Geschehen ist sehr schmerzhaft, und in Kombination mit dem Blutverlust führt es rasch zum Schock. Da der klinische Befund sehr schwer zuzuordnen ist, kann auch hier der Kreißsaalultraschall die Diagnostik beschleunigen (Momin et al. 2009). Die Therapie besteht in einer raschen, möglichst vollständigen Reposition. Falls die Plazenta noch haftet, wird sie zunächst vom umgestülpten Uterus gelöst. Der Uterus wird dann »wie eine Kegelkugel« gefasst, komprimiert und durch die Scheide zurückgeschoben, wobei die Überwindung des zervikalen Schnürrings schwierig sein kann. Der Uterus soll
45
998
Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
45
a
b
d
c . Abb. 45.3. Placenta praevia percreta. a Transvaginalsonographisches 2-D-Bild. Die Plazenta ist bis an die Blasenwand vorgedrungen. Es fehlt eine Myometriumschicht zwischen Plazenta und Blase. b Das farbdopplersonographische 3-D-Bild zeigt die starke Perfusion im Bereich der invasiven plazentaren Implantation. c Operationssitus:
Das Kind wird nach Längslaparotomie über eine uterine Fundusquerinzision mit stehender Fruchtblase entbunden. d Im Bereich der Uterusvorderwand zeigt sich nach Abpräparation der Harnblase das breitflächige Durchschimmern der Plazenta. Die Hysterektomie mit liegender Plazenta erfolgte mit geringem Blutverlust
999 45.8 · Maßnahmen im Anschluss an die Nachtastung
so weit ins Becken geschoben werden, bis der Bandapparat maximal gespannt ist. Dabei muss die Hand des Geburtshelfers und teilweise der Unterarm in die Scheide eingeführt werden. Die Gabe von β-Mimetika im Bolus und/oder Atosiban führt zur notwendigen Relaxierung. Ist die Reposition geglückt, muss durch rasche Uterustonsierung mittels Prostaglandin-Infusion eine erneute Inversion vermieden werden. Mechanisch lässt sich eine Wiederholung kurz nach Reposition auch durch die in 7 Kap. 45.3.3 beschriebene Tamponade des Uterus oder durch Kompressionsnähte nach Laparotomie verhindern. Gelingt die Reposition nicht, kommen operative Verfahren zur Anwendung, z. B. die Spaltung des Inversionsrings per Laparotomie.
Stunden die Beine auf Stützen in der Steinschnittlagerung hatte, so ist an die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms zu denken, einer potenziell lebensgefährlichen Reperfusionserkrankung nach längerdauernder Ischämie der Beinmuskeln. Postoperative Parästhesien, schmerzhafte und geschwollene Beine, erhöhte Kreatininkinase im Serum sollten Warnhinweise sein. Eventuell sollte auch die MRI eingesetzt werden, weil Muskelödeme bei dieser Bildgebung sehr deutlich werden. Die Therapie erfolgt chirurgisch und besteht in einer Fasziotomie des betroffenen Muskels und in der Prävention eines Nierenversagens, das durch eine Rhabdomyolyse drohen kann (Byers et al. 2007).
45.8.3 45.8
Maßnahmen im Anschluss an die Nachtastung
45.8.1
Zervix-Scheiden-Revision
Im Anschluss an eine manuelle Lösung der Plazenta bzw. einer Nachtastung erfolgt die Inspektion der Zervix und der Scheide mittels großer Spekula. Auch zuvor intakte Geburtswege können durch die notwendigen Manipulationen bei der Nachtastung verletzt werden. Die Revision des Geburtskanals geschieht in der schon für die manuelle Lösung/Nachtastung bestehenden Regionalanästhesie oder Allgemeinnarkose, mit kundiger Assistenz, unter Verwendung von breiten Spekula, und zwar »von oben nach unten«, von der Zervix zum Damm. Die Zervix wird eingestellt und untersucht. Unmittelbar nach Geburt und Nachtastung macht die Zervix einen unübersichtlichen, »zerklüfteten« Eindruck. Mit einem Stieltupfer wird sie im Uhrzeigersinn durchgemustert, wobei besonders der bei 6 Uhr gelegene Anteil durch das aus dem Uteruskavum heruntersickernde Blut Schwierigkeiten bei der Beurteilung machen kann. Da auch ein größerer Zervixriss unmittelbar nach einer erfolgreichen Plazentalösung durch die dann erfolgende Kontraktion des Uterus nicht bluten muss, bewährt sich das Durchmustern der Zervix mit Hilfe von zwei gewebeschonenden stumpfen Fasszangen, die im Abstand von 1 cm angebracht werden und mit denen übergreifend im Uhrzeigersinn die Zervix exploriert wird. Gerade der Bereich, in dem evtl. Cerclage-Nähte angebracht waren, ist besonders zu beachten. Wird ein Riss entdeckt, so erfolgt die Adaptation der Wundränder und die Versorgung mit Einzelknopfnähten. Nun beginnt in gleicher Weise mit Spekula die Untersuchung der Scheide auf eventuelle Risse. Die Naht erfolgt dann entweder mit Einzelknopfnähten oder fortlaufend.
45.8.2
Kompartmentsyndrom
Wenn die Zeit des Eingriffes – von der manuellen Plazentalösung, Drainage von Hämatomen und Versorgung von Rissen – ungewöhnlich lang gedauert hat und die Frau über mehrere
Geburtstraumatisches Hämatom
Hämatome bilden sich durch die Beschädigung tiefer gelegener Blutgefäße im Zuge der Geburt, wobei das darüberliegende Gewebe oft intakt bleibt. Die Prävalenz von Hämatomen >4 cm Durchmesser liegt bei ca. 1:1.000 Geburten. In 80% der Fälle gehen sie von einer Episiotomie aus, in rund 50% entstehen sie infolge einer vaginaloperativen Geburt (Vakuum, Forceps). Allerdings treten 20% der Hämatome bei Frauen nach Spontangeburt mit intaktem Damm auf (Lees 2000). In der Lokalisation unterscheidet man die wesentlich häufigeren Hämatome unterhalb des M. levator ani, die im Bereich der Vulva, des Perineums, paravaginal und in der Fossa ischiorectalis liegen, von den Hämatomen oberhalb des M. levator ani, die sich ins Lig. latum und nach dorsal in den retroperitonealen Raum ausdehnen (. Abb. 45.4). Während ein Vulvahämatom leicht diagnostiziert werden kann, wird ein paravaginales Hämatom und erst recht ein retroperitoneales Hämatom oft nicht bemerkt, bis sich Hinweise wie Blutdruckabfall und Tachykardie bei unklarem Blutverlust mehren. Während vaginale, rektale und abdominale Untersuchungen bereits Hinweise geben können, wird erst ein bildgebendes Verfahren, und hier eher das CT als der Ultraschall, eine Hämatombildung erkennen lassen. Die chirurgische Therapie besteht aus der Inzision, Aufsuchen einer möglichen Blutungsquelle, Umstechung des Gefäßes, Ausräumung des Hämatoms, Einlegen einer Drainage und Anbringen eines vaginalen Druckverbandes. Hierzu muss auf jeden Fall ein Dauerkatheter gelegt werden. Hat das Hämatom einen Durchmesser von >5 cm, so wird sich die chirurgische Ausräumung nicht vermeiden lassen. Bei einer Größe unter 5 cm kann ein konservativer Therapieversuch mit straffer Tamponade der Scheide, Eisbeutel und Heparin-Salben erfolgen. Eine mögliche Größenzunahme darf nicht verkannt werden. Auch hier ist die Miktion nur über einen Dauerkatheter möglich, solange die Scheidentamponade liegt. Mit einer in einen sterilen Handschuh eingelegten Blutdruckmanschette, die nach Einbringen in die Scheide auf 300 mm Hg aufgeblasen wurde, konnte eine dänische Arbeitsgruppe gute Erfolge bei therapieresistenten Vulvahämatomen sammeln (Pinborg et al. 2000) Bei jedem Hämatom besteht eine Infektionsgefahr, v. a. in der mit Bakterien reich besiedelten Dammregion. Proble-
45
1000
Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
Tipp
45
Wenn es heute auch in sehr gut ausgestatteten Kliniken zu mütterlichen Todesfällen kommt, so ist meistens eine postpartale Blutung die Ursache. Ein erheblicher Teil dieser Todesfälle wäre vermeidbar, würde auf Warnzeichen der postpartalen Blutung rechtzeitig reagiert und nicht wertvolle Zeit bei der Organisation der Hilfsmaßnahmen verstreichen. Wesentlich für das Beherrschen des postpartalen Notfalls sind die vorher festgelegte Koordination der Arbeitsabläufe und die Kommunikation zwischen Geburtsmediziner, Hebamme, Blutbank, Labor, Anästhesie und Radiologie. a
In Großbritannien erfreuen sich die MOET-Kurse (Managing Obstetric Emergency and Trauma) bei Gynäkologen großer Beliebtheit, und auch in den Niederlanden ist der Besuch eines solchen Kurses Voraussetzung für die Erlangung der Berufsbezeichnung Facharzt (Johanson et al. 2003). In diesen Kursen besitzen das Durchdenken und die Behandlungsabläufe des großen Blutungsnotfalls zentrale Bedeutung. Es ist dringend empfohlen, dass derartige »Obstetric-Emergency-Kurse« im Ausbildungscurriculum der Facharztausbildung in deutschsprachigen Ländern genauso etabliert werden.
Literatur
b . Abb. 45.4. Lokalisation der Hämatome oberhalb (a) und unterhalb des M. levator ani (b). (Nach Lees 2000)
matisch sind Hämatome in der Tiefe, die postpartal nicht auffallen und deren spätere Symptomatik dann fälschlich dem orthopädischen Formenkreis angelastet wird. Bei jeder Wöchnerin mit ischiasartigen Schmerzen muss auch nach einem möglichen paravaginalen Hämatom gefahndet werden, wobei sich die Computertomographie als besonders hilfreich erwiesen hat. Der bei nicht behandelter Infektion drohende Abszess bewegt sich typischerweise entlang des Lig. latum zum Verlauf des N. ischiadicus. Inzision, Drainage und Entfernung des nekrotischen Gewebes sind unvermeidlich. Die am meisten gefürchtete Komplikation der Abszessbildung in diesem Bereich ist die nekrotisierende Fasziitis, die auch den Tod der Patientin zur Folge haben kann (Hausler et al. 1994).
45.9
Fazit
! Die Plazentarperiode ist die gefährlichste Phase der gesamten Schwangerschaft.
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1001 Literatur
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45
1002
45
Kapitel 45 · Pathologie der Plazentarperiode
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46 46 Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe W. Rath, F. Bergmann 46.1
Die Hämostase in der physiologischen Schwangerschaft – 1004
46.2
Akut erworbene Hämostasestörungen – 1005
46.2.1 46.2.2 46.2.3
Verlust- (Verdünnungs-)koagulopathie – 1005 Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) und Verbrauchskoagulopathie – 1008 Hämostaseprobleme bei speziellen Krankheitsbildern – 1012
46.3
Chronisch erworbene Hämostasestörungen – 1015
46.3.1
Autoimmunthrombozytopenie (immunthrombozytopenische Purpura; ITP) – 1015 Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP; MoschkowitzSyndrom) – 1017
46.3.2
46.4
Angeborene Gerinnungsstörungen – 1019
46.4.1 46.4.2 46.4.3
von-Willebrand-Syndrom – 1019 Konduktorin für Hämophilie – 1020 Faktor-VII-Mangel – 1021
Literatur – 1022
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1004
46
Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
Gerinnungsstörungen in Schwangerschaft und Wochenbett gehören noch heute zu den gefährlichsten und lebensbedrohlichen Komplikationen. Die Verlust-(Verdünnungs-)koagulopathie, bedingt durch massiven Blutverlust und dessen Ersatz durch kristalloide/kolloidale Lösungen, ist die häufigste Gerinnungsstörung (z. B. nach postpartaler Atonie). Die realistische Einschätzung des Blutverlustes, die sofortige Diagnosestellung und Beseitigung der Blutungsursache, die rechtzeitige laborchemische Erfassung einer Gerinnungsstörung und die sofortige Substitution von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma bei Blutverlusten ≥20–30% des zirkulierenden Blutvolumens sind zur Vermeidung typischer Blutungskomplikationen unverzichtbar. Durch verschiedene geburtshilfliche Pathologien kann es zur Entwicklung einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) mit konsekutiver Verbrauchskoagulopathie kommen. Neben der rechtzeitigen Erkennung dieser Komplikation im Gerinnungslabor (z. B. ROTEM-Analyse als Point-of-care-Methode) ist eine umgehende Beseitigung der Krankheitsursache erforderlich, darüber hinaus eine bilanzierte Volumensubstitution und bei Eintritt einer Hämostasestörung die rechtzeitige Gabe von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma unter Verzicht auf Heparin. An eine Hyperfibrinolyse sollte frühzeitig gedacht werden. Präeklampsie/HELLP-Syndrom, vorzeitige Lösung, Deadfetus-Syndrom, Fruchtwasserembolie und septische Komplikationen sind typische mit DIC einhergehende Erkrankungen. Chronische erworbene Hämostasestörungen wie die Autoimmunthrombozytopenie und die seltene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura sowie die angeborenen Gerinnungsstörungen wie das von-Willebrand-Syndrom, der Faktor-VII-Mangel und der Konduktorinnenstatus für die Hämophilie A und B erfordern eine differenzierte Gerinnungsanalytik und ein interdisziplinäres Vorgehen mit spezieller Substitutionstherapie intra- und postpartal.
46.1
Die Hämostase in der physiologischen Schwangerschaft
In der physiologischen Schwangerschaft besteht eine Hyperkoagulabilität, deren Ziel die Verminderung des peripartalen Blutverlustes ist. Dies betrifft v. a. diffuse Blutungen aus der Plazentahaftfläche (Blutverlust ca. 700 ml/min). Die adäquate Kontraktion des Myometriums nach der Geburt sowie Vasospasmus sind entscheidende Voraussetzungen, damit die in der Schwangerschaft gesteigerte Gerinnungsfähigkeit des Blutes wirksam werden kann. Darüber hinaus kommt der vermehrten Freisetzung von »tissue-factor« bei Lösung der Plazenta mit konsekutiver Aktivierung der intravasalen Gerinnung eine zusätzliche Bedeutung zu (Boer et al. 2007). Die wichtigsten Veränderungen der Hämostaseparameter in der Schwangerschaft sind in . Tab. 46.1 zusammengefasst (Übersichten bei Holmes u. Wallace 2005; Franchini 2006). Danach resultiert die Hyperkoagulabilität aus: 4 Anstieg verschiedener plasmatischer Gerinnungsfaktoren in graviditate (. Tab. 46.1), insbesondere Zunahme des Fibrinogens und des von-Willebrand-Faktor/Faktor-VIII-
. Tab. 46.1. Physiologische Veränderungen des Gerinnungssystems in der Schwangerschaft
Parameter
Veränderung
Thrombozyten
(↓)
MPV, β-Thromboglobulin; Thromboxan A2
↑
Fibrinogen
↑
vWF/FVIII, FVII, IX, X, XII
↑
FXI
↓/≈
FV, FXIII
↑/↓
Protein S; (erworbene aPC-Resistenz)
↓
Protein C, Antithrombin
≈
t-PA
↓
PAI-1, PAI-2, TAFI
↑
D-Dimere, F1+2, TAT
↑
Abkürzungen: t-PA=Plasminogen-Aktivator, PAI=PlasminogenAktivator-Inhibitor, TAFI=Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyseinhibitor, F1+2=Prothrombinfragmente 1 und 2, TAT=Thrombin-Antithrombin-Komplex.
Komplexes um das 2- bis 3-Fache des jeweiligen Ausgangswertes bis zur Geburt. 4 Verminderung der Gerinnungsinhibitoren, insbesondere der Abfall von Protein S. Dabei kommt es zu einer Reduktion des freien, gerinnungsaktiven Anteils des Protein S durch Abbinden an C4b-Bindungsprotein, welches in der Schwangerschaft ansteigt. Die parallel verlaufende Erhöhung der Faktor-VIII-Aktivität führt zu einer erworbenen aktivierten Protein-C-Resistenz (aPC) in vivo; die Protein-C-Aktivität und Antithrombin bleiben durch die Schwangerschaft unbeeinflusst (Mahieu et al. 2007). 4 Diese den Zustand der Hyperkoagulabilität fördernden Faktoren werden noch verstärkt durch eine Verminderung der fibrinolytischen Aktivität ab der 20. SSW; insbesondere kommt es zu einer Verminderung der Plasminogen-Aktivator-Konzentrationen (t-PA) und zu einer Erhöhung des im Endothel gebildeten Plasminogen-Aktivator-Inhibitors 1 (PAI-1) auf das 2- bis 3-Fache sowie zu einem Anstieg des aus der Plazenta stammenden PAI-2 über den gesamten Schwangerschaftsverlauf. Bei zunehmender Thrombingenerierung wird der Inhibitor TAFI (Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyseinhibitor) aktiviert, was eine weitere Stabilisierung des Fibringerinnsels bewirkt. Eine plastische Darstellung der Gerinnungsaktivierung, Gerinnselbildung und Fibrinolyse sowie eine differenzierte Gerinnungsanalytik ist mit der Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) möglich, die physiologischen Veränderungen in der normalen Schwangerschaft wurden mit dieser Methode vor kurzem beschrieben (Huissoud et al. 2009).
1005 46.2 · Akut erworbene Hämostasestörungen
Als Ausdruck der Gerinnungsaktivierung mit gesteigerter Fibrinbildung steigt die Konzentration der D-Dimere (terminales Lyseprodukt des quervernetzten Fibrins) in der Schwangerschaft physiologisch an, ohne dass allerdings bisher eindeutige Normwerte für die Schwangerschaft definiert wurden. Die verschiedenen Testsysteme benutzen unterschiedliche Antikörper, somit ist eine Standardisierung bzw. Vergleichbarkeit nur unzureichend möglich. Zur Orientierung: Der Anstieg der D-Dimere zum Ende der Schwangerschaft um das 3- bis 4-Fache des unteren Normbereiches des Testsystems gilt noch als normal. ! Der Test kann daher in der Schwangerschaft nicht zum Ausschluss einer venösen Thrombose eingesetzt werden.
Simultan zum Anstieg der D-Dimere zeigt sich eine Erhöhung des Thrombin-Antithrombin-Komplexes und der Prothrombinfragmente F1+2 als Indikatoren für eine gesteigerte Thrombinbildung (Rosenkranz et al. 2008). Als thrombosefördernder Faktor muss auch die erhöhte Thrombozytenaggregabilität infolge einer veränderten Thrombozytenfunktion in der Schwangerschaft angesehen werden. In diesem Zusammenhang wurden v. a. erhöhte Konzentrationen der »Release-Faktoren« Plättchenfaktor 4 und β2-Thromboglobulin aus den α-Granula der Thrombozyten gemessen sowie erhöhte Thromboxan-A2-Werte. β2-Thromboglobulin steigt im Verlauf der Schwangerschaft kontinuierlich auf das 3-Fache seines Ausgangswertes an, ebenso nimmt das mittlere Thrombozytenvolumen (MPV) zu. Demgegenüber bleiben die absolute Thrombozytenzahl und die Thrombozytenüberlebenszeit in der physiologischen Schwangerschaft i. Allg. unbeeinflusst (Franchini 2006). Allerdings treten bei 4–8% aller Schwangeren Thrombozytopenien auf (Gestationsthrombopenie). Zumeist liegen die Werte in diesen Fällen zwischen 100 und 150 G/l, nur in 10% der Fälle <100 G/l. Als mögliche Ursachen werden die vermehrte Dilution und ein erhöhter Umsatz von Thrombozyten im 3. Trimenon diskutiert. Eine Behandlung ist i. d. R. nicht erforderlich. Der Zustand der Hyperkoagulabilität bleibt im Wochenbett bestehen, i. Allg. werden die Ausgangswerte 3–4 Wochen postpartal wieder erreicht, für das freie Protein S aber erst nach 6–8 Wochen. Die Thrombozytenfunktion normalisiert sich erst bis zu 12 Wochen nach der Geburt. Kompensiert wird diese Low-grade-Gerinnungsaktivierung durch die schwangerschaftsinduzierte Hämodilution (überproportionaler Anstieg des Plasmavolumens im Vergleich zum Erythrozytenvolumen, Abfall des Hämatokrits mit Steigerung der Mikrozirkulation und der kapillären Perfusion). Grundsätzlich sind folgende Hämostasestörungen zu unterscheiden: 4 Akut erworbene Hämostasestörungen: Verlust-(Verdünnungs-)koagulopathie und die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC), Verbrauchskoagulopathie. 4 Chronisch erworbene Hämostasestörungen: v. a. thrombozytäre hämorrhagische Diathesen. 4 Angeborene Koagulopathien: z. B. von-WillebrandSyndrom, plasmatische Gerinnungsstörungen (FaktorVII-Mangel und Konduktorinnenstatus für Hämophlie A oder B).
46.2
Akut erworbene Hämostasestörungen
Für jeden Geburtshelfer gehören schwere peripartale Blutungen, meist in Verbindung mit akut erworbenen Hämostasestörungen, nach wie vor zu den gefährlichsten und unkalkulierbarsten Notfallsituationen. Alle 4 min stirbt eine Frau auf der Welt an einer peri-/ postpartalen Blutungskomplikation, dies sind ca. 140.000 Frauen pro Jahr. Damit steht die peripartale Blutung auch heute noch mit einem Anteil von 25% an führender Stelle mütterlicher Todesursachen. Lebensbedrohliche peripartale Blutungen betreffen 1/1000 Geburten. Daher wurden vor kurzem in internationalen (American Society of Anesthesiologists Task Force on Obstetric Anesthesia 2007) und nationalen Leitlinien (AWMF-Leitlinie 015/063, 2008) verbindliche Grundlagen zur Prävention, Diagnostik und Therapie peripartaler Blutungskomplikationen und Gerinnungsstörungen publiziert, um die mütterliche Morbidität und Mortalität zu senken. > Der Geburtshelfer muss als derjenige, der die entscheidenden Weichen in der Akutversorgung stellt und der für das Gesamtbehandlungskonzept dieser Patientinnen verantwortlich ist, die Diagnose und Therapie dieser lebensbedrohlichen Hämostasestörungen beherrschen, da von seinem raschen und fachkundigen Handeln im Einzelfall das Schicksal der Frau entscheidend abhängt.
46.2.1
Verlust- (Verdünnungs-)koagulopathie
Sie ist die häufigste Ursache für eine peripartale Hämostasestörung. Mit ihr muss ab einem Blutverlust von ca. 1,5 l gerechnet werden. Auslösend sind massive Blutverluste; dabei sind heute Verlustkoagulopathien infolge von Abortblutungen, nach Ruptur einer Extrauteringravidität oder bei Placenta praevia extrem selten; am häufigsten treten derartige Koagulopathien bei postpartaler Uterusatonie, die 75–82% aller postpartalen Blutungskomplikationen ausmacht, nach schweren geburtstraumatischen Verletzungen einschließlich Uterusruptur und v. a. nach Lösungsstörungen der Plazenta auf. Bei der vorzeitigen Lösung kann es zu einer Kombination aus Verlust- und Verbrauchskoagulopathie kommen (7 Kap. 46.2.3, . Abb. 46.2).
Pathophysiologie Als Folge der Zunahme von Plasma- und Erythrozytenvolumen resultiert in der Schwangerschaft eine Steigerung des zirkulierenden Blutvolumens um ca. 37% (1,5–2 l). > Als Faustregel kann gelten, dass das Blutvolumen einer Schwangeren 8,5–9% ihres Körpergewichtes beträgt (z. B. bei einer 70 kg schweren Schwangeren: 6,0–6,3 l).
46
1006
46
Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
Dieser »protektiven Hypervolämie«, verstärkt durch die hämodynamisch relevante postpartale Umverteilung des Blutvolumens aus dem uteroplazentaren Strombett in die mütterliche Zirkulation, steht der Blutverlust unter der Geburt gegenüber. Solange die von Patientin zu Patientin unterschiedliche physiologische Pufferkapazität ausreicht, bleibt der Zustand der Mutter kompensiert und hämodynamisch stabil, kann aber dann für den Geburtshelfer plötzlich und unerwartet in einen dekompensierten Zustand übergehen mit hämorrhagischem Schock und nachfolgender Koagulopathie. Dabei führt die Substitution großer Blutverluste mit kristalloiden und kolloidallen Lösungen sowie Erythrozytenkonzentraten zu einer Verdünnung mit Abfall der Konzentrationen aller Gerinnungsfaktoren und deren Aktivität. Eine gesunde Schwangere bleibt bis zu einem Blutverlust von 1000 ml meist klinisch unauffällig und kann sogar einen Blutverlust bis 1500 ml ohne Zeichen hämodynamischer Instabilität tolerieren. Bei einem Blutverlust >1500 ml besteht jedoch ein signifikant erhöhtes Risiko für schweren hämorrhagischen Schock. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist nicht nur das Volumen des Blutverlustes, sondern auch dessen Dynamik, bedenkt man, dass ein Blutverlust von 1000–1500 ml innerhalb von 10 min nach der Geburt entstehen kann. Wegweisend ist ein Anstieg der Herzfrequenz über die physiologische Sinustachykardie hinaus (>120/min), gefolgt von einem systolischen Blutdruckabfall, der bei Unterschreiten von 90 mm Hg oder 30% des Ausgangswertes einer Abnahme des Blutvolumens um 25–35% entspricht. Der diastolische Blutdruck bleibt infolge Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstandes (Vasokonstriktion) über lange Zeit konstant. Mit einer Oligurie ist spätestens bei einem Blutverlust von 1,5–2 l zu rechnen, mit einer Anurie ab einem Blutverlust von >2 l (Bick et al. 2006). > Zur Orientierung: Sinkt beispielsweise der Fibrinogenspiegel unter 1 g/l, ist die Blutgerinnung deutlich vermindert!
Klinisches Vorgehen und Diagnostik Ziel des klinischen Vorgehens ist immer die Vermeidung des Volumenmangelschocks und einer durch Verlust und Verdünnung entstehenden Koagulopathie durch folgende Maßnahmen (AWMF-Leitlinie 015/063, 2008): 4 Antizipieren von Risikofaktoren (präpartal, intra- und postpartal) einschl. Erhebung einer Blutungs- und Medikamentenanamnese. 4 Realistische Einschätzung des Blutverlustes: Blutverlust bei präexistenten Risikofaktoren und Verdacht auf eine verstärkte postpartale Blutung messen (z. B. Klebeauffangbeutel am Gesäß der Schwangeren fixieren)! ! Der Blutverlust wird um 30–50% unterschätzt, insbesondere unerkannte Blutverluste in Tüchern, Laken und auf dem Fußboden. 4 Rasche Diagnosestellung und Beseitigung der Blutungsursache: Medikamentös und/oder chirurgisch: u. a.
rechtzeitige Applikation von Uterotonika (Prostaglandine) bei Uterusatonie, unverzügliche chirurgische Versorgung von geburtstraumatischen Verletzungen.
. Tab. 46.2. Grenzwerte für die Substitution von Erythrozyten, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren bei akuter und anhaltender Blutung
Parameter
Grenzwert
Hämoglobin
7–8 g/dl
Thrombozytenzahl
<50 G/l
Quick
<40%
aPTT
>1,5-fache Verlängerung des Normwertes
Fibrinogen
<1 g/l
4 Logistische Maßnahmen:
5 Bei akutem Blutverlust >1–1,2 l sofort Kreuzprobe, Blutbild und Gerinnungslabor.
5 Kontrolle der Vitalparameter (Blutdruck, Puls, Urinausscheidung). 5 Rechtzeitig Erythrozytenkonzentrate und gefrorenes Frischplasma bestellen, Fibrinogenkonzentrate und Antifibrinolytika (z. B. Tranexamsäure) im Kreißsaal bereithalten! 5 Ggf. Voraussetzungen für rasche operative Intervention schaffen (manuelle Plazentalösung, Nachkürettage, Uteruskompressionsnähte, Hysterektomie). Die Grenzwerte für die Substitution von Erythrozyten, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren bei akuter und anhaltender Blutung sind in . Tab. 46.2 dargestellt (mod. nach Pötsch et al. 1997). > Quick-Wert und aPTT berücksichtigen nicht die Effekte von Anämie, Thrombopenie, Azidose, Hypothermie und Hypokalzämie. Bei pathologischen Quick- und aPTT-Werten muss an einen Fibrinogenmangel gedacht werden.
In Ergänzung zu den globalen Gerinnungstests wird zunehmend eine neue Point-of-care-Methode für die Beurteilung der Gerinnselfestigkeit eingesetzt, die sog. ROTEM-Thrombelastometrie, eine Weiterentwicklung der Thrombelastographie, zu der inzwischen auch Untersuchungen bei postpartalen Blutungen und Gerinnungsstörungen vorliegen (Burtelow et al. 2007; Jambor et al. 2008). Es wird kontinuierlich die Gerinnselfestigkeit im Vollblut gemessen, die aus Aktivierung, Thrombinbildung, Fibrinbildung und Polymerisation sowie Thrombozytenaktivierung und Thrombozyten-Fibrin-Interaktion resultiert. Hierbei wird nicht nur ein Gesamtbild der aktuellen Hämostase geliefert, sondern auch eine Diagnose bzw. Differenzialdiagnose der zugrundeliegenden Hämostasestörung. Hierfür stehen mehrere Testansätze zur Verfügung, welche eine Differenzialdiagnose zwischen Faktorenmangel, Fibrinpolymerisationsstörung, Heparinwirkung, Hyperfibrinolyse und Thrombozytopenie erlauben. Durch Verwendung von Aktivatoren kann die Messzeit im ROTEM-System reduziert werden. Bereits
1007 46.2 · Akut erworbene Hämostasestörungen
nach 10 min Messzeit können erste Aussagen über den vorliegenden Gerinnungsstatus getroffen werden. ROTEM-Messungen werden im Vollblut vorgenommen. Dadurch wird auch der Einfluss des aktuellen Hämatokrits in der Analyse erfasst, der bei plasmatischen Standardtests nicht berücksichtigt wird. Die Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern sowie das Vorliegen eines Von-Willebrand-Syndroms können hiermit allerdings nicht detektiert werden. Hierzu sind Spezialanalysen erforderlich. Im Rahmen einer akuten massiven postpartalen Blutung können mit Hilfe der ROTEM-Analyse folgende klinisch relevante Fragestellungen beantwortet werden: 4 Verlängerung der Gerinnselbildungszeit durch Faktorenmangel, Dilution oder Heparinwirkung, 4 Beeinträchtigung (Abnahme) der Gerinnselfestigkeit durch Fibrinogenmangel, Fibrinpolymerisationsstörung, Thrombozytenmangel (z. B. schweres HELLP-Syndrom), 4 Vorliegen einer Hyperfibrinolyse (z. B. nach schwerer vorzeitiger Plazentalösung), deren Häufigkeit post partum oft unterschätzt wird und die mit keiner anderen Methode schneller und zuverlässiger diagnostiziert werden kann (Therapie 7 unten, Hofer et al. 2008). > Mit der ROTEM-Anlayse können die Auswirkungen der Verlust- und Verdünnungskoagulopathie gemessen sowie das Vorliegen einer Hyperfibrinolyse als »Bed-side-Methode« schnell erfasst werden. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Therapie der Gerinnungsstörung.
Therapie (AWMF-Leitlinie 015/063, 2008) Entscheidend für das Ausmaß der Hämostasestörung und für die Prognose ist die rechtzeitige Beseitigung der Krankheitsursache (z. B. durch Entbindung bei schwerer vorzeitiger Lösung). Bei persistierender Blutung ist wie folgt vorzugehen: Adäquate Volumenzufuhr mit vorgewärmten kristalloiden oder kolloidalen Lösungen: 1 ml Blutverlust initial durch 3 ml kristalloider Lösung ersetzen. ! Volumenmangelschock, Mikrozirkulationsstörungen und Minderperfusion der Organe können Gerinnungsstörungen im Sinne einer DIC triggern; mögliche Folgen sind u. a.: das seltene SheehanSyndrom und die myokardiale Ischämie, ein protrahierter Volumenmangelschock sollte immer vermieden werden!
Ein Blutverlust von 20–30% des Blutvolumens (≥1,5 l) erfordert die rasche Gabe von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma (GFP), das sämtliche Gerinnungsproteine einschl. Antithrombin III in nahezu physiologischer Zusammensetzung enthält (10)–15–30 ml/kg KG), initial in einem Verhältnis von 2:1 bzw. 3:1, um die Entstehung und den Fortgang der Verlustkoagulopathie zu vermeiden (. Tab. 46.2).
Tipp Faustregel: 1 Erythrozytenkonzentrat erhöht den Hämoglobinspiegel bei einer 70 kg schweren Patientin um 1–1,5 g%.
Im Notfall (fehlende Blutgruppenbestimmung, fehlende Kreuzprobe) können 0-Rhesus-negative Erythrozytenkonzentrate und gefrorenes Frischplasma der Blutgruppe AB gegeben werden. > Gefrorenes Frischplasma muss aufgetaut werden (Dauer: 20–30 min). ! Bei exzessiver Gabe von GFP und Volumenüberlastung: Gefahr des Lungenödems!
Ein TRALI (»transfusion related acute lung injury« = nichtkardiales Lungenödem) kommt bei 1/2000–5000 transfundierten Einheiten GFP, insbesondere bei Schwangeren mit kardialen und hämatologischen Grunderkrankungen vor. In der Akutsituation einer fulminanten peripartalen Blutung mit Verdacht auf eine relevante Gerinnungsstörung (oder bei nicht ausreichender Wirkung von GFP) ist daher die initiale Substitution von 2–4 (–6) g Fibrinogenkonzentraten indiziert. Die Fibrinogenkonzentration sollte auf 1,5–2 g/l eingestellt und aufrechterhalten werden. Präpartale Fibrinogenwerte von <4 g/l sind mit einer erhöhten peripartalen Blutungswahrscheinlichkeit assoziiert (Charbit et al. 2007). Eine Thrombozytopenie <50 G/l und persistierende Blutungen mit Notwendigkeit zur Erythrozytensubstitution stellen eine zwingende Indikation zur Thrombozytensubstitution dar. Bei Verdacht auf Hyperfibrinolyse (z. B. in der ROTEMAnalyse) sollten Antifibrinolytika (z. B. Tranexamsäure: 15– 20 mg/kg KG intravenös) gegeben werden, ggf. wiederholte Applikation. Kein Heparin geben während der Blutung oder bei erhöhter Blutungsgefahr (Cave: Blutungsverstärkung!). Die rechtzeitige Applikation von rekombinantem Faktor VIIa sollte erwogen werden (»off-label use«): empirische Dosisempfehlung: 60–90 μg/kg KG als Bolus intravenös, bei anhaltender schwerer Blutung Gabe eines 2. Bolus nach 15 bis maximal 60 min (Übersicht bei Rath et al. 2006). Eine Kontrolle der Hämostaseparameter sollte mindestens alle 4 h erfolgen, in der akuten Situation häufiger (ca. alle 30 min, AWMF-Leitlinie 015/063). > Die rasche Verfügbarkeit von Blutbild und Gerinnungslabor sowie von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma ist heute unverzichtbare Voraussetzung für jede geburtshilfliche Tätigkeit.
Schwangere mit hohem peripartalem Blutverlust, erschwerter Plazentalösung und ausgedehnten geburtstraumatischen Verletzungen sind hinsichtlich thromboembolischer Komplikationen im Wochenbett besonders gefährdet. Daher empfiehlt sich nach Stabilisierung der Gerinnungssituation (Fibrinogen >2 g/l, Thrombozyten >100 G/l) eine medikamentöse Thromboseprophylaxe, am besten mit niedermolekularem Heparin.
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46
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Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
46.2.2
Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) und Verbrauchskoagulopathie
Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) Die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) ist eine systemische, thrombohämorrhagische Komplikation in Verbindung mit gut definierten klinischen Situationen und dem laborchemischen Nachweis einer Aktivierung des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems, eines Verbrauchs von Inhibitoren und eines Endorganschadens oder -versagens. Die DIC ist keine eigenständige Krankheitsentität, sondern ein Prozess oder ein intermediärer Krankheitsmechanismus, der durch unterschiedliche Pathologien hervorgerufen werden kann (Übersicht bei Bick et al. 2006).
Lebensbedrohliche Blutungen durch disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)/ Verbrauchskoagulopathie 4 Vorzeitige Plazentalösung 4 Fruchtwasserembolie 4 Septische Zustände (Chorionamnionitis, Puerperalsepsis) 4 Schwere hypertensive Schwangerschaftskomplikationen (Präeklampsie/Eklampsie/HELLP-Syndrom) 4 Intrauteriner Fruchttod (Dead-fetus-Syndrom) 4 Ausgedehnte Gewebetraumatisierung
Pathophysiologie Als »Initialzünder« der systemischen akzelerierten intravasalen Gerinnungsaktivierung kommen in Abhängigkeit von der Ätiologie als Triggersysteme in Frage: 4 direkt: Einschwemmung von thromboplastischem Material in die mütterliche Zirkulation, z. B. Fruchtwasserembolie, vorzeitige Plazentalösung; 4 indirekt: Freisetzung vom Gewebefaktor (»tissue factor«) bei Gewebetraumatisierung oder seiner Exposition auf der Oberfläche von Endothelzellen oder Monozyten nach deren vorheriger Aktivierung durch Endotoxin oder Zytokine, wie z. B. bei septischen Erkrankungen (Übersicht bei Bick et al. 2006).
Klinischer Verlauf Klinisch kommt es als Folge der systemischen Gerinnungsaktivierung (gesteigerte Thrombinaktivierung und Fibrinbildung → Hyperkoagulabilität) zu einer Thrombosierung der Mikrostrombahn durch die thrombininduzierte Bildung von Fibringerinnseln sowie zu einem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, Thrombozyten (Thrombozytopenie) und von Inhibitoren (z. B. Antithrombin). Die gleichzeitig eingeleitete plasmininduzierte Aktivierung des Fibrinolysesystems führt zum proteolytischen Abbau von Fibrin (Fibrinabbauprodukte, z. B. Anstieg der D-Dimere) und von prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren (reaktive Fibrinolyse). Als Folge der Mikrothrombosierung treten oft rasch progredient funktionelle
Beeinträchtigungen verschiedener Organsysteme auf (v. a. Niere, Lunge). Erster Hinweis ist meist eine Verminderung der Urinausscheidung, ggf. eine pathologische Blutgasanalyse. > Durch eine fibrininduzierte Störung der Mikrozirkulation kommt es zur Schädigung der Erythrozyten, es kann eine Hämolyse entstehen: Verminderung des Haptoglobins, peripherer Blutausstrich mit Nachweis von Fragmentozyten. Diese Fragmentozyten sind beweisend für eine Mikrozirkulationsstörung von Fibrinfäden.
Der Übergang in eine hämorrhagische Diathese mit diffusen Blutungen als Ausdruck einer klinisch manifesten Verbrauchskoagulopathie kann sich bei foudroyanten Verläufen (z. B. schwere vorzeitige Lösung, HELLP-Syndrom) innerhalb von Stunden vollziehen, jetzt erkennbar an deutlichen Veränderungen der globalen Gerinnungstests und einem Abfall des Fibrinogenspiegels. Die Aktivierung des Komplementsystems führt zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität mit Hypotonie und Schock. Die klinischen Phasen der DIC und deren Auswirkungen auf verschiedene Organsysteme sind im Folgenden dargestellt (Seifried 1995; . Abb. 46.1; 7 unten). Klinische Phasen der disseminierten intravasalen Gerinnung 1. 2.
Aktivierung der Gerinnung (Hyperkoagulabilität) Disseminierte intravasale Gerinnung mit Verbrauch an Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren, reaktive Hyperfibrinolyse 3. Verbrauchskoagulopathie, Blutung und/oder Mikro-/ Makrothrombosierung → Organversagen, Blutung 4. Erholungsphase mit Anstieg zunächst der Fibrinogenkonzentration, später der anderen Gerinnungsfaktoren (Übersicht bei Barthels und von Depka 2003)
Diagnose Die Diagnose gründet sich auf die Anamnese, die Art der Grunderkrankung, die klinischen Symptome sowie auf die laborchemischen Befunde. > Entscheidend ist immer, an die Möglichkeit einer DIC zu denken! Daher: Rechtzeitige Bestimmung der Hämostaseparameter und engmaschige Kontrollen (Verlaufsbeobachtung oft richtungsweisend!), intensive klinische Überwachung: Blutdruck, Puls, stündliche Urinausscheidung, Pulsoxymetrie, Blutgase. Vorrangiges Ziel ist es, ein Multiorganversagen bzw. eine tödliche Koagulopathie zu vermeiden! . Tab. 46.3 zeigt einen Stufenplan zur Diagnostik der DIC sowie die kritischen Grenzwerte, die bereits ein ernstes Warnsignal darstellen. Von klinischer Relevanz sind darüber hinaus folgende Hinweise: 4 Zu Beginn einer DIC kann die intravasale Gerinnungsaktivierung/Hyperkoagulabilität mit Hilfe der im Routinelabor angebotenen globalen Gerinnungstests nicht mit
1009 46.2 · Akut erworbene Hämostasestörungen
. Abb. 46.1. Klinische Auswirkungen einer disseminierten intravasalen Gerinnung auf verschiedene Organsysteme. (Mod. nach Rath u. Heilmann 1999)
Zuverlässigkeit erfasst oder als klinisch irrelevant eingestuft werden – initial noch kompensiert, latenter Verlauf. 4 Unter Berücksichtigung klassischer Untersuchungen wie Quick-Wert, aPTT, Thrombinzeit, Fibrin(-ogen)-Spaltprodukte (D-Dimere), Thrombozytenzahl und Fibrinmonomere finden sich in 43–96% dieser Fälle pathologische Werte bei geringer Sensitivität der Einzelparameter (mit Ausnahme der Thrombozytenzahl und Fibrinmonomere). 4 Noch am ehesten spiegelt sich diese Phase der DIC in einer Verminderung des Quick-Wertes (Abfall der FV-Aktivität) sowie einem Abfall der Thrombozytenzahl und der Antithrombinspiegel wider, das Fibrinogen ist initial als Akutphasenprotein bzw. schwangerschaftsassoziiert häufig erhöht. Sensitive Aktivierungsparameter der Hämostase und der Fibrinolyse sind: 4 D-Dimere (beginnende Fibrinolyse), z. B. Tina-Quant DDimer, Fa. Roche, 4 Fibrinmonomere (lösliches Fibrin, Thrombinwirkung, z. B. FM-Test, Fa. Roche). Beide Methoden sind als Schnelltests verfügbar. Die Bestimmung der Prothrombinfragmente F1+2 (Thrombinbildung) und des Thrombin-Antithrombin-Komplexes, TAT (Thrombinhemmung) sind derzeit noch aufwendig und mit einer für die Akutdiagnostik nicht akzeptablen Analysedauer verbunden. Eine wichtige Bereicherung in der Akutdiagnostik stellt die Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) sowohl zur differenziellen Beurteilung der Hämostasesituation als auch für die Therapieentscheidung dar (. Tab. 46.4). Da das Stadium der intravasalen Gerinnungsaktivierung über eine klinisch noch inapparente und mit den globalen Gerinnungsparametern oft nicht erfassbare Phase der intra-
. Tab. 46.3. Stufenplan zur Diagnostik der DIC und kritische Grenzwerte
Kritische Werte
Tendenz ohne Therapie
Prädisponierende Grunderkrankung
–
–
Blutbild, evtl. Differenzialblutbild
–
–
Haptoglobin, LDH (Hämolyse)
–
↓↑
Thrombozytenzahl (Cave: dynamischer Abfall!)
<100 G/l
↓
Quick-Wert
<50%
↓
Partielle Thromboplastinzeit
>1,5-fache Verlängerung
↑
Thrombinzeit
>21 s
↑
Fibrinogen
<1 g/l
↓
Antithrombin
<50%
↓
D-Dimere*
>600 ng/ml
↑
Fibrinmonomere (lösliches Fibrin)
Erhöht
↑
Basisdiagnostik
Spezielle Diagnostik
* Erhöhte D-Dimere sind im 3. Trimenon physiologisch.
46
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Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
vasalen Fibrinbildung schnell und fließend in eine klinisch manifeste Koagulopathie übergehen kann, ist eine laborchemische Verlaufskontrolle zunächst alle 1–2 h unerlässlich. Die Hämostaseveränderungen in den verschiedenen Phasen der DIC sind in . Tab. 46.4 dargestellt.
Laboranalyse die sofortige Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten (Kreuzprobe) und blutgruppengleichem gefrorenem Frischplasma (GFP), ggf. in Kombination mit PPSB, bei globalem Defizit an hepatischen Gerinnungsfaktoren lebensrettend sein! Diese Maßnahme hat unverzüglich mit der Diagnosestellung zu erfolgen, um nicht unnötig Zeit bis zur Verfügbarkeit der Präparate zu verlieren, zumal der Eintritt einer klinisch manifesten Koagulopathie mit lebensbedrohlicher Blutung vom Geburtshelfer zeitlich nicht sicher abzuschätzen ist. Eine bilanzierte Volumensubstitution unter Kontrolle des zentralen Venendrucks kann initial das Ausmaß der Organmanifestationen und die Präzipitation von Fibrin in der terminalen
Therapie Die Behandlung besteht zunächst in der korrekten Diagnose und Beseitigung der zugrunde liegenden Pathologie, i. Allg. in der unverzüglichen Beendigung der Schwangerschaft, ggf. durch Sectio caesarea (z. B. bei schwerer vorzeitiger Plazentalösung oder ausgeprägtem HELLP-Syndrom). Zur Behandlung einer Hämostasestörung kann neben der rechtzeitigen
. Tab. 46.4. Hämostaseveränderungen in den verschiedenen Phasen der DIC
Stadium
Standardlaborparameter
I. Hyperkoagulabilität
Antithrombin
↓
unter der Norm
Thrombozyten
↓
Fibrinogen
↑
Abgrenzung zur Norm in der Spätschwangerschaft oft schwierig
D-Dimere
↑
Quick
↑
PTT
↓
Fibrinogen
↓↓
D-Dimere
↑
Quick
↓
PTT
↑
Thromboyzten
↓
Erythrozyten, Hämoglobin, Hämatokrit
↓
II. Disseminierte intravasale Gerinnung »Verbrauchskoagulopathie«, Blutung
ROTEM Zeichen der Hyperkoagulabilität (MCF ↑)
Fibrindefizienz (Frühzeichen: MCF im FIBTEM ↓ → Defibrinierung → Nulllinie im FIBTEM)
Klinische Relevanz durch ROTEM beurteilbar
Hämolysezeichen mit Fragmentozyten III. Entgleisung der Fibrinolyse in eine Hyperfibrinolyse: keine Gerinnselbildung mehr möglich, Blutung
Fibrinogen
↓↓
Cave: falsch-hohe Werte durch Plasmaexpander bei Messung nach Clauss
D-Dimere
↑↑
Kinetik entscheidend
Quick
↓
PTT
↑
Thromboyzten
↓
Erythrozyten, Hämoglobin, Hämatokrit
↓
ROTEM: 7 Produktinformation der Fa. Pentapharm, München. Angaben mod. nach Pfanner u. Kilgert (2006).
Fulminante Hyperfibrinolyse: APTEM >EXTEM
1011 46.2 · Akut erworbene Hämostasestörungen
Strombahn durch Aufrechterhaltung einer ausreichenden Mikrozirkulation verhindern und die begleitende metabolische Azidose korrigieren. Entscheidend ist die rechtzeitige Gabe von Erythrozytenkonzentraten und v. a. von GFP.
Therapie der akuten Hämostasestörung (nach AWMF-Leitlinie 015/063) 4 Adäquate Volumenzufuhr mit vorgewärmten kristalloiden und kolloidalen Lösungen 4 Korrektur der metabolischen Azidose, Aufrechterhaltung der Normothermie, ionisiertes Kalzium im Normbereich halten 4 GFP und Erythrozytenkonzentrate, evtl. 2 GFP »prophylaktisch« bei klinischem Hinweis auf herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit des Blutes (z. B. bei Sectio caesarea) 4 Persistierende Blutung (GFP nicht ausreichend/nicht vorhanden): – Fibrinogen <1 g/l: Fibrinogenkonzentrate (50 mg/kg KG) – Beachte: Fibrinogensubstitution erst nach Ausschluss oder Korrektur einer Hyperfibrinolyse – Quick-Wert <40%: PPSB-Präparate (25 IE/kg KG) – Antithrombinkonzentrate: 25 IE kg/KG: kontroverse Diskussion (Pfanner u. Kilgert 2006) 4 Bei nachgewiesener oder bei Verdacht auf Hyperfibrinolyse (ROTEM): Tranexamsäure (Cyclocapron): 15–20 mg/kg KG 4 Thrombozytentransfusion bei Thrombozytopenie <50 G/l bei persistierendem Blutverlust mit Notwendigkeit zur Erythrozytensubstitution 4 Kein Heparin während der Blutung oder bei erhöhter Blutungsgefahr (Cave: Blutungsverstärkung) 4 Bei schwerer Sepsis, Purpura fulminans ggf. auch Gabe von Protein-C-Konzentrat (Ceprotin, Fa. Baxter, rAPC, Xigris, Fa. Lilly; Drotrecogin alpha, aktiviert, Levi et al. 2009).
Im Einzelfall durch GFP nicht korrigierbare Antithrombindefizite müssen ausgeglichen werden, da ein Antithrombinmangel durch Verlust der inhibitorischen Kontrolle die Umsatzsteigerung des Gerinnungssystems unterhalten kann. Dabei stellt der Wiederabfall des Antithrombins nach Substitution einen guten Verlaufsparameter für den Schweregrad der Verbrauchskoagulopathie dar. ! Bei der Anwendung von PPSB-Präparaten (enthalten Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X sowie Protein C und Protein S) ist Vorsicht geboten, da diese Präparate einen unterschiedlich hohen Anteil bereits aktivierter Gerinnungsfaktoren enthalten können mit der Gefahr schwerer thromboembolischer Komplikationen. Daher ist vor der Anwendung von PPSB-Präparaten die Gabe von Antithrombin unerlässlich (7 oben). Mit Nachdruck ist darauf hinzuweisen, dass Heparin (auch niedrig dosiertes), solange es blutet oder
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eine erhöhte Blutungsgefahr besteht, keinen Platz in der Therapie akuter geburtshilflicher Verbrauchskoagulopathien hat; dies gilt auch und vor allem für das HELLP-Syndrom und die schwere Präeklampsie.
Bei schweren postpartalen Gerinnungsstörungen (z. B. nach Fruchtwasserembolie) wird die ausgeprägte hämorrhagische Diathese nicht selten durch eine überschießende Fibrino(-geno)lyse bestimmt (Cave: lebensbedrohliche postpartale Blutungen), eine Situation, die sich entweder aus der Analyse der Hämostaseparameter (ROTEM) oder aus der »Therapieresistenz« auf die oben genannten Maßnahmen ergibt. Dann ist die Anwendung von Antifibrinolytika während der Substitutionsbehandlung indiziert: Gabe von i.v. Tranexamsäure (Cyclocapron). Einen neuen, vielversprechenden Behandlungsansatz im Sinne einer gezielten lokalen Hämostase stellt bei schweren, therapierefraktären Gerinnungsstörungen (Rescue-Therapie) die intravenöse Gabe von rekombinantem aktiviertem Faktor VII dar. Im Zentrum der Wirkung steht dessen Bindung an den »tissue-factor«, der bei geburtshilflichen Traumata, plazentarer Ischämie und Sepsis über neutrophile Granulozyten vermehrt gebildet wird. Die Folge dieses Bindungskomplexes ist eine Aktivierung verschiedener Gerinnungsfaktoren mit konsekutivem Thrombin-Burst und Bildung eines stabilen Fibringerinnsels mit dauerhaftem Wundverschluss. Ungeachtet des »off-label use« gilt die Anwendung von rekombinantem Faktor VIIa als lebensrettender, therapeutischer Heilversuch, bevor die klinische und hämostaseologische Situation irreversibel eskalieren. Rekombinanter Faktor VIIa ist nur nach Ausschöpfen aller chirurgischen und die Hämostase stabilisierenden Maßnahmen – wie Gabe von GFP, Fibrinogenkonzentraten, Antifibrinolytika und Thrombozytenkonzentraten – zu rechtfertigen. Um einen maximalen Gerinnungseffekt zu erzielen, sind möglichst Normothermie, pH-Wert >7,2, ein Fibrinogenspiegel >1 g/l und Thrombozytenzahlen >50 G/l sowie ein Hämatokrit >24% durch die vorgegebene Substitution zu erreichen. Eine Hyperfibrinolyse sollte vor Anwendung von rFVIIa mittels Antifibrinolytika durchbrochen werden. Die bisher empirisch empfohlene Dosis liegt zwischen 60 und 90 μg/kg KG als Bolus i.v. Falls nach 15 min, maximal 60 min keine Wirkung eintritt, ist eine zweite Applikation gerechtfertigt. Eine spezielle laborchemische Überwachung dieser Therapie ist nicht erforderlich, die Erfolgsrate soll bei 75–90% liegen (gemessen am Erhalt des Uterus, signifikanter Reduktion oder Sistieren der Blutung ohne Notwendigkeit zu weiteren Bluttransfusionen). Bei kardiovaskulärer Vorbelastung oder thromboembolischen Komplikationen innerhalb der letzten 6 Monate, nicht aber bei angeborener Thrombophilie, ist Vorsicht geboten und eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung notwendig. In großen Anwendungsstudien (Hemmkörperhämophilie) betrug die Rate thromboembolischer Komplikationen weniger als 1%. In Anbetracht der hohen Therapiekosten und der komplexen Problematik stellt die Anwendung von rFVIIa eine therapeutische Einzelfallentscheidung im interdisziplinären Konsens mit Anästhesie/Intensivmedizin dar (Henrich et al. 2008; Hofer et al. 2008).
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Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
46.2.3
Hämostaseprobleme bei speziellen Krankheitsbildern
Es besteht der Eindruck, dass die klassischen, mit einer DIC einhergehenden Krankheitsbilder (wie z. B. vorzeitige Plazentalösung, septischer Abort) in den letzten 10 Jahren v. a. durch eine Verbesserung der Diagnostik (u. a. Sonographie) zahlenmäßig in den Hintergrund getreten sind, während das Problem der DIC bei schweren hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen und v. a. bei HELLP-Syndrom eine »Renaissance« erfahren hat.
Präeklampsie/HELLP-Syndrom Studienbox Heute treten tödliche Blutungen infolge einer DIC bei schwerer Präeklampsie und beim HELLP-Syndrom häufiger auf als z. B. nach vorzeitiger Plazentalösung.
Im Gegensatz zur physiologischen Schwangerschaft mit einer funktionellen Kompensation der Hyperkoagulabilität durch Hämodilution und hämodynamische Faktoren (7 Kap. 46.1) besteht bei der Präeklampsie eine »gesteigerte« Hyperkoagulabilität mit Hämokonzentration und Erhöhung des rheologischen Widerstandes. Bei leichten Verlaufsformen der Präeklampsie ist diese Konstellation aus subklinischer chronischer DIC und noch inapparenter Mikrozirkulationsstörung i. Allg. kompensiert, allerdings kann bei Persistenz des Circulus vitiosus aus endothelialer Dysfunktion und intravasaler Gerinnungsaktivierung dieses kompensierte Stadium fließend und für den Geburtshelfer nur schwer erkennbar in einen dekompensierten Zustand mit Störung der Globalgerinnung und Multiorganversagen übergehen. Die DIC spiegelt demnach einen sekundären pathophysiologischen Prozess der Grunderkrankung wider, der in ausgeprägter Form (als Verbrauchskoagulopathie) Folge einer zu spät diagnostizierten und/oder therapierten Präeklampsie ist. In Abhängigkeit von der Latenzzeit zwischen Diagnosestellung und Schwangerschaftsbeendigung und vom Schweregrad der Erkrankung muss mit einer klinisch relevanten DIC in bis zu 21% der Fälle beim HELLP-Syndrom, in bis zu 11% bei Eklampsie und in ≥1% bei Präeklampsie gerechnet werden. Hämostasestörungen sind beim HELLP-Syndrom häufiger und ausgeprägter als bei schwerer Präeklampsie, allerdings liegen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nur bei 10–42% der Patientinnen pathologische Veränderungen der Globalgerinnung vor. Bei schwerem HELLP-Syndrom ist im Thrombelastogramm eine signifikante Abnahme der Gerinnungsfestigkeit mit folgender Hypokoagulabilität nachweisbar. Die Präeklampsie ist in 18% der Fälle mit einer isolierten Thrombozytopenie und bei 11% der Betroffenen mit pathologischen Gerinnungsveränderungen assoziiert (abhängig vom Schweregrad). Im Vergleich zur normalen Schwangerschaft sind Thrombinbildung und Fibrinolyse gesteigert und das Antithrombin signifikant vermindert. Bei schwerer Präeklampsie vor der 34. SSW sind die Hämostasestörungen ausgeprägter als bei schwerer Präeklampsie in Terminnähe (Heilmann et al. 2007).
Beim HELLP-Syndrom sind nach unseren Erfahrungen der dynamische Abfall der Thrombozyten und des Antithrombins (sensitiver Lebersyntheseparameter) sowie der progrediente Anstieg der D-Dimere richtungsweisend für einen schweren Krankheitsverlauf und damit eine Entscheidungshilfe im Sinne einer raschen Schwangerschaftsbeendigung (Rath et al. 2000). > Beim HELLP-Syndrom tritt gleichzeitig in 9–16% der Fälle eine vorzeitige Plazentalösung auf, die ihrerseits bei schwerer Ausprägung in bis zu 35% der Fälle mit einer DIC assoziiert sein kann.
Gerinnungsstörungen können das Ausmaß einer interzerebralen Blutung bei schwerer Präeklampsie/Eklampsie oder HELLP-Syndrom verstärken (häufigste Todesursache).
Vorzeitige Plazentalösung Bei der vorzeitigen Plazentalösung (. Abb. 46.2) hängt das Ausmaß der Hämostasestörung entscheidend vom Schweregrad der Ablösung (deutlich erhöht bei gleichzeitigem intrauterinem Fruchttod) sowie von der Latenzzeit zwischen Diagnosestellung und Schwangerschaftsbeendigung ab. Dementsprechend liegt die Rate an Gerinnungsstörungen bei Abruptio placentae zwischen 0,5 und 20%. Pathophysiologisch kommt es bei vorzeitiger Lösung nicht selten in unterschiedlicher Reihenfolge zu einer Kombination aus Verlust- und Verbrauchskoagulopathie in Folge einer DIC (Rath u. Kuhn 1991). Das Problem ergibt sich im Einzelfall aus den Blutverlusten nach außen und durch das retroplazentare Hämatom mit hämorrhagischem Schock und konsekutiven Mikrozirkulationsstörungen sowie aus der Verdünnung des Hämostasepotenzials bei inadäquater Volumenzufuhr. Andererseits besteht die Gefahr der Einschwemmung thromboplastisch wirksamer Substanzen aus dem Uteroplazentarbett bzw. dem retroplazentaren Hämatom über eröffnete venöse Gefäße des Endometriums in die mütterliche Zirkulation mit der Folge einer thrombininduzierten generalisierten und unterschiedlich schnell ablaufenden Aktivierung der intravasalen Gerinnung und dem ständigen Verbrauch und Abbau an Gerinnungsfaktoren, die schließlich zur Aufrechterhaltung einer effektiven Hämostase nicht mehr ausreichen. Diese Vorgänge können in Verbindung mit einer postpartal überschießenden Fibrino(-geno)lyse und dem offenen uterinen Wundbett innerhalb von 1–2 h zu einer klinisch manifesten hämorrhagischen Diathese führen (Rath u. Heilmann 1999).
Dead-fetus-Syndrom Dead-fetus-Syndrom Definitionsgemäß versteht man hierunter eine bei Retention der abgestorbenen Frucht eher schleichend verlaufende Gerinnungsstörung mit einem Fibrinogenabfall unter 1,5 g/l und einer Thrombozytopenie <100 G/l, wobei ein ausgeprägter Thrombozytenabfall eher selten ist. Eine Verminderung des Quick-Wertes und ggf. Verlängerung der aPTT tritt meistens erst auf, wenn das Fibrinogen unter 1 g/l abgefallen ist (Heyl u. Rath 1999).
1013 46.2 · Akut erworbene Hämostasestörungen
. Abb. 46.2. Pathophysiologie der Hämostasestörung bei vorzeitiger Plazentalösung. (Mod. nach Rath u. Kuhn 1991)
Mit einer DIC ist zu rechnen, wenn der abgestorbene Fetus mehr als 5 Wochen in utero verbleibt (Bick et al. 2006), ein seltenes Ereignis dank Intensivierung der Schwangerenvorsorge und Einbeziehung sonographischer Verfahren. Die intravasale Gerinnungsaktivierung kommt zustande durch Einschwemmung von nekrotischem fetalem Gewebe und Gewebsenzymen in die mütterliche Zirkulation und die sekundäre Freisetzung inflammatorischer Zytokine (Habek 2008). Da das Intervall zwischen dem Absterben des Kindes und dem Behandlungsbeginn nicht immer zu verifizieren ist, sollte zum Ausschluss einer Hämostasestörung bei Aufnahme der Patientin mit intrauterinem Fruchttod ein kompletter Gerinnungsstatus durchgeführt werden.
Fruchtwasserembolie Fruchtwasserembolie Die Fruchtwasserembolie (FWE) ist eine seltene, akut lebensbedrohliche Komplikation (1:8000 bis 1: 30.000 Geburten), die durch Übertritt von »abnormem« (z. B. mekoniumhaltigem) Fruchtwasser bzw. Fruchtwasserbestandteilen über Defekte des Amnions in der Nähe venöser Gefäße, v. a. der Zervix, des unteren Uterinsegmentes oder der Plazentahaftfläche, in die mütterliche Strombahn ausgelöst wird. Folgen sind anaphylaktoide Reaktionen und die Entwicklung einer DIC mit Koagulopathie.
Die mütterliche Letalität liegt bei 22–61%, die kindliche Mortalität wurde bei antenataler FWE mit 21–40% angegeben. Pathophysiologie. Infolge der anaphylaktoiden Reaktion mit Freisetzung verschiedener Mediatoren (u. a. Histamin, Bradykinin, Leukotriene) kommt es über einen Vasospasmus bzw. eine Vasokonstriktion der Lungengefäße und Obstruktion der pulmonalen Mikrozirkulation mit zumindest passagerer pulmonaler Hypertonie und akuter Rechtsherzbelastung zu einer kardiorespiratorischen Insuffizienz mit Abfall des Herzzeitvolumens und arterieller Hypotension (Bick et al. 2006).
Die Störung der Koordination von Ventilation und Perfusion führt zu einer schweren Hypoxie (neurologische Störungen, Koma), wobei der Dysfunktion des linken Ventrikels bis hin zum Linksherzversagen eine besondere Bedeutung zukommen soll. Bei Verlegung der Lungenstrombahn kommt es zu einem akuten Rechtsherzversagen. Als auslösende Mechanismen der Hämostasestörung werden diskutiert: Die prokoagulatorische Aktivität des Fruchtwassers (steigende Konzentrationen von »tissue factor« im Verlauf der Schwangerschaft), die Deportation von thromboplastinreichen Trophoblastzellen in die mütterliche Strombahn, die unter Wehen gesteigerte Produktion von Leukotrienen und Arachidonsäuremetaboliten und deren hämodynamische/prokoagulatorische Wirkungen. Allerdings fehlt bisher eine einheitliche und überzeugende Erklärung für die Pathogenese der Hämostasestörung bei der FWE. Klinischer Verlauf und Symptome. Die FWE tritt meist in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Geburt (70% prä-/ peripartal, 30% postpartal), in 10–20% der Fälle allerdings auch bei stehender Fruchtblase und ohne nachweisbare Wehentätigkeit auf. In Einzelfällen kann sie sich aber auch bis zu 20 h nach Sectio, nach transabdominaler Amniozentese, Amnionauffüllung, nach Schwangerschaftsabbrüchen bzw. Abortausräumungen, nach Geburtseinleitung mit Prostaglandinen oder spontan bei unauffälligem Schwangerschaftsverlauf im 2. Trimenon entwickeln (Clark et al. 1995). In der Initialphase der Erkrankung sind meist aus voller Gesundheit (ohne Prodromi) folgende Symptome klinisch richtungsweisend: 4 Dyspnoe/Tachypnoe, 4 Agitiertheit und Angstzustände, 4 Zyanose und Blutdruckabfall bis hin zum Atem-/Herzstillstand.
Darüber hinaus sind in wechselnder Häufigkeit zu beobachten: 4 Grand-mal-Anfälle (10–20%), 4 profuse Blutungen aus Punktionsstellen, operativen Wunden oder aus dem Uterus (Cave: postpartale Atonie), 4 sekundäres, nicht kardiogenes Lungenödem (24–70%).
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Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
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. Abb. 46.3. Vorgehen bei Verdacht auf Fruchtwasserembolie (*Cave: kein ZVK in V. subclavia → Hämothorax). (Mod. nach Rath 1999)
Eine Koagulopathie tritt bei 30–45% der die Initialphase der Erkrankung überlebenden Schwangeren – 36% der Frauen überleben die ersten 2 h nach dem akuten Ereignis nicht – in einem Zeitintervall von 30 min bis zu 9 h (selten später) auf. Das Spektrum der Hämostasestörungen reicht dabei von einer leichten Thrombozytopenie und einem Anstieg der löslichen Fibrinmonomerkomplexe bis hin zu deletären Verlaufsformen einer DIC mit postpartal überschießender Fibrino(geno)lyse (Clark et al. 1995). Diagnostik. Die Diagnose der FWE stützt sich in erster Linie auf den biphasischen Verlauf der klinischen Symptome. Das Fehlen der thorakalen Schmerzen gilt als differenzialdiagnostisches Kriterium in Abgrenzung zur Lungenembolie. > Es gibt kein zuverlässiges, rasch verfügbares und klinisch etabliertes Diagnoseverfahren zum sicheren Ausschluss oder Nachweis einer FWE. Der Nachweis fetaler Fruchtwasserbestandteile im mütterlichen Lungengefäßsystem bei der Autopsie ist nicht spezifisch und damit nicht beweisend für die Diagnose.
Die biochemische und apparative Diagnostik kann nur »unspezifische« Hinweise für die Symptome einer FWE liefern und dazu beitragen, andere Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik (z. B. Lungenembolie, septischer Schock, Herzinfarkt, eklamptische und epileptische Anfälle, Pneumotho-
rax, peripartale Kardiomyopathie) differenzialdiagnostisch abzugrenzen (Perozzi u. Englert 2004). Daher dienen die folgenden diagnostischen Verfahren weniger der Diagnosesicherung als vielmehr der Überwachung der betroffenen Patientin (Rath 1999): 4 Blutdruck, Puls, 4 stündliche Urinausscheidung, 4 Elektrokardiogramm (Arrhythmien, Bradykardie, Tachykardie), 4 Thoraxröntgenaufnahme (Lungenödeme bis zu 70% der Fälle, seltener: Kardiomegalie), 4 Atemfrequenz/Blutgasanalyse/Pulsoxymetrie (plötzlicher Abfall der Sauerstoffsättigung), 4 laborchemische Untersuchungen v. a. der Hämostaseparameter einschließlich »ROTEM-Analyse« (. Abb. 46.3). Sofern in der Eile der Situation möglich, sollte ein Pulmonaliskatheter gelegt werden, um die klinisch relevanten hämodynamischen Parameter zu bestimmen (pulmonaler Kapillardruck, linksventrikulärer enddiastolischer Druck und Sauerstoffsättigung) und die Volumenzufuhr im Hinblick auf die rechtzeitige Erkennung eines Lungenödems permanent zu überwachen. > Obligat ist die kontinuierliche Überwachung des Kindes mittels Kardiotokographie.
1015 46.3 · Chronisch erworbene Hämostasestörungen
Therapie. Bereits bei Verdacht auf eine FWE ist eine sofortige und koordinierte Zusammenarbeit mit Intensivmedizinern, Anästhesisten und der Transfusionsmedizin mit folgenden Therapiezielen erforderlich: 4 Aufrechterhaltung der Oxygenation, 4 Herstellung eines normalen Blutdrucks und einer adäquaten Herzleistung, 4 Korrektur einer etwaigen Koagulopathie, 4 rechtzeitige Entbindung.
Im Einzelnen sind folgende Maßnahmen zu treffen (. Abb. 46.3): 4 Sofern erforderlich: kardiopulmonale Reanimation → endotracheale Intubation und Ventilation mit positiv-endexspiratorischem Druck (FIO2 1,0), Kontrolle durch Blutgasanalysen; 4 Therapie der Hypotension: initial hohe Volumenzufuhr mit kristalloiden/kolloidalen Lösungen, wenn möglich unter zentralem Kreislaufmonitoring, evtl. zusätzlich Dopamin: 3–7 μg/kg KG/min; 4 intravenöse Applikation von Glukokortikoiden, z. B. 500 mg Hydrokortisonnatriumsuccinat alle 6 h; 4 Behandlung der akuten Gerinnungsstörung: Auch in dieser kritischen Situation gilt: Kein Heparin, solange es blutet oder eine erhöhte Blutungsgefahr besteht. Die Therapie der Hämostasestörung richtet sich nach den in 7 Kap. 46.2.2 dargestellten Prinzipien, wobei die in . Tab. 46.2 aufgeführten kritischen Grenzwerte zu beachten sind. Bei lebensbedrohlicher postpartaler Gerinnungsstörung wird die ausgeprägte hämorrhagische Diathese gerade bei der FWE nicht selten durch eine überschießende Fibrino(-geno)lyse bestimmt (ROTEM-Analyse). In dieser Situation ist die intravenöse Gabe eines Antifibrinolytikums (Tranexamsäure, z. B. Cyclocapron) unerlässlich (7 Kap. 46.2.2). 4 Rechtzeitige Entbindung: Besonders schwierig gestaltet sich die Entscheidung hinsichtlich des Zeitpunktes der Schwangerschaftsbeendigung, die v. a. von der Stabilisierbarkeit des mütterlichen Zustandes und dem Befinden des Kindes in utero abhängt. Nach notfallmäßiger Versorgung der Mutter wird mehrheitlich empfohlen, unverzüglich die Entbindung vaginal (sofern möglich) oder durch Sectio caesarea vorzunehmen, bei Herzstillstand durch notfallmäßige Schnittentbindung unter Reanimationsbedingungen.
Septische Krankheitsbilder Hierzu zählen v. a. die Endomyometritis nach Sectio caesarea oder nach (komplizierter) vaginaler Entbindung, andere präoder peripartale operative Eingriffe, wie septische Ovarialvenenthrombose, Infektionen der ableitenden Harnwege, der septische Abort sowie das Amnioninfektionssyndrom, wobei 80% der Fälle mit Sepsis im Wochenbett auftreten und meist Folge einer Infektion des Uterus sind. Auf die Definition der Sepsis und die Pathophysiologie wird in anderen Kapiteln eingegangen. Störungen der Hämostase treten bei der Sepsis und beim septischen Schock häufig schon in der Frühphase der Erkrankung auf und sind von ausschlaggebender prognostischer Be-
deutung. Dabei kommt es bereits zu Beginn zu einer gesteigerten Thrombozytenaggregation mit nachfolgendem Thrombozytenabfall, der Ausdruck der Schwere der Infektion ist und das Ausmaß der Endotoxinfreisetzung widerspiegeln soll. Die Störung der Hämostase ist Folge des Endothelschadens, der durch die Endotoxinwirkung und die daraus resultierende Freisetzung von zahlreichen Mediatoren, insbesondere von TNFα, verursacht wird. Entgegen früheren Auffassungen wird heute mehrheitlich angenommen, dass die initiale Aktivierung der Gerinnung bei der Sepsis v. a. durch das exogene System (»extrinsic system«) ausgelöst wird; dabei ist die durch Endotoxin und Zytokine induzierte Expression von »tissue factor« v. a. durch Monozyten/Makrophagen und Endothelzellen, die unter physiologischen Bedingungen dieses Protein nicht freisetzen, von besonderer pathophysiologischer Bedeutung. »Tissue factor« (TF) bindet und aktiviert Faktor VII, mit dem dieser den TF/ VIIa-Komplex bildet. Der TF/VIIa-Komplex führt zu einer Aktivierung der Faktoren IX und X. Im nächsten Schritt kommt es dann zur Umwandlung von Prothrombin in Thrombin und schließlich zur Fibrinbildung (Levi 2009). Die Bedeutung der Aktivierung des endogenen Gerinnungssystems (»intrinsic system«) liegt v. a. in der durch die Freisetzung von Bradykinin (Vasodilatator) bedingten Hypotension und ist nicht entscheidend für die Entstehung einer DIC. Die Therapie der Hämostasestörung richtet sich nach den in 7 Kap. 46.2.2 dargestellten Prinzipien.
46.3
Chronisch erworbene Hämostasestörungen
Zu den chronisch erworbenen Hämostasestörungen zählen v. a. folgende thrombozytären hämorrhagischen Diathesen: (Auto-)Immunthrombozytopenie (ITP), die thrombotischthrombozytopenische Purpura (TTP) sowie medikamentenbedingte Thrombozytopathien (7 Kap. 19).
46.3.1
Autoimmunthrombozytopenie (immunthrombozytopenische Purpura; ITP)
Autoimmunthrombozytopenie Die Autoimmunthrombozytopenie ist definiert als isolierte Thrombozytopenie ohne klinisch apparente Begleiterkrankungen oder andere Ursachen für eine Verminderung der Blutplättchen (z. B. systemischer Lupus erythematodes, Leukämie, HIV-, HCV-Infektion, Medikamente). Autoimmunthrombozytopenien betreffen ca. 3% aller Thrombozytopenien in der Schwangerschaft. Die Diagnose darf erst nach Beurteilung des Blutausstrichs zum Ausschluss einer EDTA-induzierten Pseudothrombozytopenie und Ausschluss anderer Grunderkrankungen, die mit einer sekundären Thrombopenie assoziiert sind, gestellt werden.
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Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
Pathogenese
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Diese Form der Thrombozytopenie ist charakterisiert durch den Nachweis gebundener Autoantikörper der Klasse IgG gegen die Glykoproteine IIb/IIIa und Ib/IX der zirkulierenden Thrombozyten und ihrer Vorstufen. Der fehlende Nachweis schließt die ITP nicht aus. Die mit Immunglobulin beladenen Plättchen werden durch die Sequestrierung in der Milz zerstört. Bei der akuten Form sind infolge viraler Infektionen hauptsächlich Kinder betroffen, bis zu 80% Spontanremission nach 3–6 Monaten, von einer chronischen Form spricht man nach >6monatigem Verlauf (Spontanremission <20% nach 1 Jahr). Es sind in der Mehrheit Erwachsene, insbesondere Frauen betroffen. Die Inzidenz beträgt insgesamt 1–13 auf 100.000 Personen. Erstmanifestationen in der Schwangerschaft sind eher selten, 1–5/10.000 Schwangere sind betroffen. Die Gestationsthrombozytopenie ist ca. hundertmal häufiger und eine sichere Unterscheidung ist häufig erst mit Kontrolle der Thrombozytenzahl postpartal möglich. Die Diagnose ITP ist eine Ausschlussdiagnose.
Klinik und Diagnostik Klinisch imponieren petechiale Blutungen der Haut im Bereich der Beine, Arme und in der Brust-Nacken-Region sowie der Schleimhäute. Intrauterine Blutungen sind unwahrscheinlich. > Bei einer ITP besteht nur ein geringgradig erhöhtes Risiko für postpartale Blutungskomplikationen; allerdings ist auf eine optimale chirurgische Blutstillung bei der Episiotomie und bei geburtshilflichen Verletzungen zu achten!
Die Diagnostik umfasst (BCSH 2003; Hiller et al. 2005): 4 ausführliche Anamnese (Thrombozytopenie vor der Schwangerschaft?, Blutungsanamnese, Voroperationen, Zahnbehandlungen, ggf. Fragen zur Differenzialdiagnose), 4 körperliche Untersuchung (Milz, Leber und Lymphknoten nicht vergrößert tastbar), 4 Laboranalytik: Gerinnungsstatus (Fibrinogen, aPTT, Quick-Wert, D-Dimere), Lupusantikoagulans, Phospholipid-Ak, ANA, ggf. auch Ausschluss vWS Typ 2B, GOT, GPT, γ-GT, LDH, 4 Differenzialblutbild mit Beurteilung des Blutausstrichs (erhöhter Anteil von großen, jungen Blutplättchen, Ausschluss von Aggregaten oder Fragmentozyten), 4 TSH (ITP kann mit Schilddrüsenfunktionsstörungen assoziiert sein, ca. 10%), 4 Ausschluss Helicopacter-pylori-Infektion bei behandlungsrefraktären Fällen. Bis auf eine Thrombozytopenie sind Blutbild- und Gerinnungsparameter i. Allg. im Normbereich; im Serum der Mutter lassen sich in bis zu 90% der Fälle plättchenassoziierte Immunglobuline (PAIgG) nachweisen. Ein positiver Antikörpernachweis kann die Diagnose ITP unterstützen, der negative Test schließt sie aber nicht aus (kontroverse Diskussion, BCSH 2003; Hiller et al. 2005).
> Derzeit existiert kein geeigneter Test, um eine Autoimmunthrombozytopenie eindeutig zu beweisen! Der Nachweis gebundener Thrombozytenantikörper hat eine Spezifität von ca. 80% und eine Sensitivität von ca. 55%.
Therapie 4 Schwangere mit Thrombozytenzahlen >50 G/l weisen weder in der Schwangerschaft noch unter der vaginalen Geburt ein signifikant erhöhtes Blutungsrisiko auf, eine Behandlung ist daher nicht erforderlich. 4 Für eine Sectio caesarea und eine Spinalanästhesie sind Thrombozytenzahlen >50 G/l erforderlich (BCSH 2003), für eine Periduralanästhesie >80 G/l. 4 Eine Behandlungsindikation besteht bei einer Thrombozytopenie <10 G/l (Gefahr von Spontanblutungen) unabhängig vom Schwangerschaftsalter sowie bei Schwangeren im 2. und 3. Trimenon mit Thrombozytenzahlen zwischen 10 G/l und 30 G/l oder bei Blutungen, da Patientinnen mit chronischer ITP an sehr niedrige Thrombozytenzahlen adaptiert sind. Nach den Deutschen Empfehlungen (Hiller et al. 2005) besteht eine Behandlungsindikation ante partum bei klinischen Blutungszeichen oder Thrombozytenzahlen <30–50 G/l. Äquieffektiv und Methoden der 1. Wahl sind (Hiller et al. 2005; Bick et al. 2006; BCSH 2003): 4 Die Gabe von Glukokortikoiden, z. B. Prednison/Prednisolon 1–2 mg/kg KG/Tag über 2–3 Wochen, Ansprechen der Therapie innerhalb von 3–7 Tagen. Bei Erreichen einer Thrombozytenzahl von 30–50 G/l Reduktion der Glukokortikoiddosis um 10–20%/Woche bis ca. 10 mg/ Tag als Erhaltungsdosis. Glukokortikoide sind besonders dann zu empfehlen, wenn kurzfristig eine Erhöhung der Thrombozytenzahl erreicht werden muss (z. B. peripartal, vor einem operativen Eingriff/Regionalanästhesie oder bei erhöhter Blutungsgefahr). 4 Alternativ steht die wesentlich teurere Applikation von Immunglobulin zur Verfügung: Dosis 400 mg/kg KG/Tag über 5 Tage oder 1 g/kg KG über 8 h für 2 Tage. 4 Akuttherapie bei gefährlicher Blutung oder nicht aufschiebbarer Operationsvorbereitung: Gabe von Methylprednisolon i.v. 1 g in Kombination mit Immunglobulin oder Azathioprin. Versagen alle medikamentösen Maßnahmen einschließlich der Gabe von Immunsuppressiva, empfiehlt sich die (endoskopische) Splenektomie im 2. Trimenon als Ultima ratio bei symptomatischen (blutenden) Schwangeren mit Thrombozytenwerten <10 G/l. > An Impfung 2 Wochen präoperativ denken: polyvalenter Impfstoff gegen Pneumokokken und Menigokokken Typ C.
1017 46.3 · Chronisch erworbene Hämostasestörungen
Geburtshilfliches Vorgehen (BCSH 2003, Hiller et al. 2005) 4 Bei mütterlichen Thrombozytenzahlen >50 G/l kann die vaginale Geburt angestrebt werden, eine notwendige Sectio caesarea ist auch in diesen Fällen möglich. 4 IgG-Plättchen-Antikörper werden transplazentar auf das Kind übertragen: Eine neonatale Thrombozytopenie <50 G/l findet sich bei 10–25% der Neugeborenen, eine schwere Thrombozytopenie <20 G/l bei ≤5% (Blutungen beim Kind dann 25–50%). Die mütterliche Thrombozytenzahl korreliert nicht mit einer möglichen Thrombozytopenie des Kindes. Im Gegensatz zur Alloimmunthrombozytopenie besteht kein erhöhtes Risiko für eine intrauterine Blutung. Entgegen früherer Auffassung sind weder die Nabelschnurpunktion noch die Blutuntersuchung von der fetalen Kopfschwarte unter der Geburt geeignete Methoden zur Bestimmung der fetalen Thrombozytenzahl (Cave: Komplikation der Cordozentese: fetale Mortalität ca. 1%; entspricht dem Risiko für intrakranielle Blutungen beim Kind bei schwerer Thrombozytopenie; BCSH 2003). 4 Eine Sectio caesarea ist nur aus geburtshilflicher Indikation indiziert, nicht aber aufgrund der ITP per se. 4 Unmittelbar nach der Geburt sollte eine Bestimmung der Thrombozytenzahl aus dem Nabelschnurblut erfolgen, um eine schwere Thrombozytopenie des Kindes rechtzeitig zu erkennen (neonatale Hirnblutung). Der kindliche Thrombozytennadir wird zwischen dem 2.–5. Tag post partum erreicht. 4 Auf eine optimale Uteruskontraktion post partum ist zu achten (evtl. Uterotonika): Keine Gabe von Schmerzmedikamenten, die die Thrombozytenfunktion hemmen; Paracetamol ist ein geeignetes Analgetikum! 4 Es besteht kein Stillverbot! 4 Nach Sectio caesarea und insbesondere bei Korisikofaktoren der Mutter (u. a. Adipositas, Alter >35 Jahre) ist bei Thrombozytenzahlen >50 G/l an die Indikation zur Thromboseprophylaxe zu denken (Kompressionsstrümpfe, Heparin), bei Thrombozytenzahlen >100 G/l sollte die Heparinstandarddosis für den Hochrisikobereich gegeben werden.
46.3.2
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP; Moschkowitz-Syndrom)
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP; Moschkowitz-Syndrom) Die TTP ist eine seltene, thrombotische Mikroangiopathie auf dem Boden eines Endothelschadens, die grundsätzlich alle Organsysteme betreffen kann, mit überwiegend von-Willebrand-Faktor enthaltenden hyalinen Thromben in der Mikrozirkulation (Budde u. Schneppenheim 2008). Sie ist differenzialdiagnostisch nur schwer vom HELLPSyndrom abzugrenzen.
Die TTP tritt in 90% der Fälle antepartal auf, bei 58% der Patientinnen bis zur 24. SSW. In 10–25% der Fälle wird die Er-
krankung in der Schwangerschaft manifest, sodass diese als prädisponierender Faktor gilt. Die mütterliche Letalität wird in Abhängigkeit vom Einsatz der Plasmapherese/Plasmatransfusion mit 18–44%, die Fehl- und Totgeburtenraten mit 30–80% angegeben.
Pathophysiologie Ausgelöst durch einen Endothelschaden werden ultragroße, supranormale von-Willebrand-Faktor-Multimere in die Zirkulation freigesetzt, die die Aggregation von Thrombozyten an Stellen mit hohen Scherkräften (Arteriolen, Kapillaren) auslösen. Die fehlende Spaltung dieser supranormalen Multimere ist der zugrundeliegende Pathomechanismus der Erkrankung. Ursächlich kann ein angeborener Mangel/eine Verminderung <10% der vWF-spaltenden Protease sein (hereditäre Form) oder eine erworbene Verminderung bedingt durch Antikörper gegen diese Metalloproteinase ADAMTS13. Bei den hereditären Formen kann der molekulargenetische Defekt am ADAMTS13-Gen nachgewiesen werden. Bei Patienten mit Tumoren oder z. B. transplantatassoziierter TTP kann die ADATMTS13-Aktivität noch normal sein, dann ist von einem anderen Pathomechanismus auszugehen. Der Verlauf ist bei 2/3 der Patienten rezidivierend, unbehandelt liegt die Letalität bei 90%. Durch die Gabe von GFP zum Ersatz der fehlenden vWF-spaltenden Protease bzw. durch Plasmaaustausch bei antikörperinduzierter Verminderung konnte die Letalität auf ca. 10% gesenkt werden Verschiedene Trigger sind bekannt: Infektionen, bestimmte Medikamente (Östrogene, Sulfonamide, Zytostatika, NSAID, Ciclosporin und Ticlopidin) sowie Grundkrankheiten wie die Kollagenosen, Malignome oder die Schwangerschaft (Hiller et al. 2005). Da der VWF ein Akutphaseprotein ist, kann die vermehrte endotheliale Freisetzung im Rahmen von Infektionen oder chronischen Entzündungsreaktionen oder durch den physiologischen Anstieg in der Schwangerschaft bei Patientinnen mit einem angeborenen (oder erworbenen) Mangel an vWFspaltender Protease die Mikrothrombenbildung auslösen. Die Unterscheidung zwischen der hereditären oder erworbenen Form ist für die Prognose und Therapieoption im Hinblick auf eine genetische Beratung von großer klinischer Relevanz.
Klinik und Diagnostik Als klassische klinische Symptome der TTP gelten neben der schweren Coombs-negativen mikroangiopathisch-hämolytischen Anämie (→ Fragmentozyten/Schistozyten im peripheren Blutausstrich) die Thrombozytopenie, Fieber bei 60% der Patientinnen, neurologische Symptome wie Krämpfe oder passagere Hemiparesen sowie Nierenfunktionsstörungen, wobei sich allerdings alle 5 Symptome nur bei 40% der Patientinnen nachweisen lassen, während die Trias Anämie, Thrombozytopenie und neurologische Symptome in etwa 75% der Fälle auftritt. Richtungweisend für die Diagnose sind Thrombozytopenie und Coombs-negative hämolytische Anämie (Budde u. Schneppenheim 2008).
46
1018
Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
. Tab. 46.5. Differenzialdiagnose der thrombotischen Mikroangiopathien und anderer Erkrankungen mit Thrombozytopenien. (Mod. n. Faridi u. Rath 1996)
46
Parameter
TTP
ITP
HUS
APS
HELLP
SLE
Akute Schwangerschaftsfettleber
Thrombozytopenie
+++
+++ Antikörper!
+++
++
++
+(+)
Sekundär
Hämolyse
+++
–
+++
+
++
+(+)
Leberenzyme
(+)
–
(+)
–
++
–
++
Hypertonie
–
–
Sekundär
Sekundär
++ (kann fehlen)
Sekundär
–
Proteinurie
+
–
++
Sekundär
+++ (kann fehlen)
++
–
Entzündungszeichen
++ (Fieber)
–
+ (Fieber)
–
–
+++ (Fieber)
+++
Nierenbeteiligung
+
–
+++
Möglich
+, selten +++
+++
Sekundär
Zentrale Symptome
+++
–
Sekundär
–
+ → ++
+
Initial
Andere Kriterien
Defizienz an ADAMTS13
1. und 2. Trimenon
Meist postpartal
Antiphospholipid-AntikörperThrombosen, Aborte
3. Trimenon, postpartal
Antinukleäre Antikörper bei >90% Anamnese
Sekundäre Gerinnungsstörung
> Im Gegensatz zur ITP mit diaplazentarer Übertragung antithrombozytärer IgG-Antikörper auf den Fetus und konsekutiver kindlicher Thrombozytopenie weisen die Neugeborenen von an TTP erkrankten Müttern keine Anämie und keine Thrombozytopenie auf.
anderen seltenen Schwangerschaftskomplikationen und Erkrankungen eine besondere Bedeutung zu (Faridi u. Rath 1996; . Tab. 46.5). In die Differenzialdiagnosen sind einzubeziehen: Coombs-negatives Evans-Syndrom, schwere Sepsis und Infektionserkrankungen (z. B. Meningitis, Malaria).
Die TTP-Diagnose wird klinisch gestellt, da die heute zur Verfügung stehende Analytik zur Bestimmung der Aktivität der vWF-spaltenden Protease (ADAMTS13) bzw. der Antikörper gegen dieselbe nur in wenigen Laboren zur Verfügung steht und zeitaufwendig ist (Methodenvergleich bei Starke et al. 2006; Budde u. Schneppenheim 2008). Die meist frühzeitig auftretenden neurologischen Symptome sind diagnostisch richtungweisend [beim hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) das Nierenversagen]. Die DIC (hyaline Thromben bestehen fast ausschließlich aus Fibrinogen und Fibrin) ist eine seltene Komplikation, der Gerinnungsstatus ist normwertig und der Fibrinogenspiegel sowie die D-Dimere sind physiologisch in der Schwangerschaft erhöht.
In jedem Fall ist bei Verdacht auf eine TTP die interdisziplinäre Kooperation mit einem Hämatologen unerlässlich. Die Akutbehandlung sollte nach Sicherstellung einer Serum- (und Citrat-)Probe für die Analytik unverzüglich eingeleitet werden. Die initiale Therapie der Wahl ist der tägliche Plasmaaustausch mit anfangs 40–60 ml/kg KG in den ersten 3 Tagen, dann 30–40 mg/kg KG, meistens sind 8 Therapien innerhalb von 2 Wochen erforderlich. Sofern die Plasmapherese nicht zur Verfügung steht bzw. bei fehlendem Nachweis von Antikörpern gegen die ADAMTS13-Protease (angeborene TTP), wird die Gabe von GFP 30 ml/kg KG unter Intensivüberwachung und Volumenkontrolle empfohlen. Thrombozytentransfusionen sind kontraindiziert (Hiller et al. 2005; Budde u. Schneppenheim 2008; Sadler 2008).
Differenzialdiagnostik Die Diagnose einer TTP ist besonders dann schwierig, wenn sie im 3. Trimenon oder im Wochenbett auftritt, da bei den meisten Patientinnen die Thrombozytopenie das einzige Symptom ist. Daher kommt der differenzialdiagnostischen Abgrenzung, v. a. gegenüber dem HELLP-Syndrom, aber auch
Therapie
> Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist nur bei einer lebensbedrohlichen Blutung indiziert. Die alleinige Gabe von Glukokortikoiden ist nicht von Nutzen. Einen neuen Therapieansatz bei refraktärer
6
1019 46.4 · Angeborene Gerinnungsstörungen
Verlaufsform oder Rezidiven der TTP stellt die Applikation von Rituximab (Dosierung 375 mg/m2 wöchentlich) dar. Es handelt sich um monoklonale Antikörper gegen B-Zellen, die zu einer Eliminierung der Autoantikörper gegen ADAMTS13 führen (Sadler 2008). Cave: Nebenwirkungen.
46.4
Angeborene Gerinnungsstörungen
46.4.1
von-Willebrand-Syndrom
von-Willebrand-Syndrom Das von-Willebrand-Syndrom ist eine autosomal dominant (seltener rezessiv) vererbte Erkrankung mit verschiedenen Subtypen entsprechend der quantitativen und/ oder qualitativen Verminderung des von-Willebrand-Faktors (vWF). Es ist die häufigste angeborene Gerinnungsstörung mit einer Prävalenz (Laboranalytik) von ca. 1%. Klinisch relevante Blutungskomplikationen zeigen sich aber nur bei 1/3000–1/10.000 aller Betroffenen (Sadler 2006).
Eine detaillierte Beschreibung der Subtypen und der Genetik findet sich bei Keeney et al. (2008).
Pathogenese Der von-Willebrand-Faktor wird in den Endothelzellen und Megakaryozyten synthetisiert und hat eine multimere Struktur, durch Polymerisation beträgt seine Größe 40.000 kDa. Nach Sekretion aus den Endothelzellen in die Zirkulation erfolgt eine Abspaltung supranormaler Multimere durch die vWF-spaltende Protease (ADAMTS13). Der vWF hat 3 wichtige Funktionen für die Hämostase: 4 Er vermittelt die Interaktion der Thrombozyten durch Bindung an den GPIb-Rezeptor der Thrombozyten. 4 Er bindet an freiliegende Kollagenstrukturen der defekten Gefäßwand. 4 Er ist Trägerprotein für FVIII:c im Plasma; hierdurch wird der vorzeitige proteolytische Abbau von FVIII:c vermieden (der frühere Terminus FVIII-assoziiertes Antigen spiegelt dies wider). Die verschiedenen Subtypen des vWS erklären sich durch die unterschiedlichen genetischen Defekte: 4 funktionelle Störungen, 4 Störungen der Multimerisation, 4 verstärkter Abbau hochmolekularer Multimere, 4 gestörter intrazellulärer Transport (Federici 2006).
Klinik und Diagnostik Richtungweisend für die Erkrankung ist die typische Blutungsanamnese seit der Kindheit: Hypermenorrhöen und Menorrhagien bei 10–25% der Betroffenen, Epistaxis, erhöhte Hämatomneigung, posttraumatische (-operative) Hämorrhagien z. B. nach Zahnextraktion, nach der Geburt, Schleimhautblutungen, z. B. Zahnfleischbluten, selten Gelenkblu-
. Tab. 46.6. Einteilung des von-Willebrand-Syndroms. (Nach Sadler et al. 2006)
Typ
Kennzeichen
1
Partieller quantitativer Mangel an vWF (Häufigkeit: 54–75%)
2
Qualitativ veränderter vWF
4 2A
Fehlen der großen und intermediären vWF-Multimeren und reduzierte vWF-abhängige Thrombozytenadhäsion
4 2B
Fehlen der großen vWF-Multimere, milde Thrombopenie durch vermehrte Bindung an GPIb der Thrombozyten
4 2M
Qualitative Variante mit verminderter Thrombozytenadhäsion
4 2N
Qualitative Variante mit verminderter FVIII: c-Bindung
3
Völliges Fehlen des vWF
tungen. Durch einen gezielten Fragenkatalog zur Blutungsanamnese mit oder ohne Erhebung eines »bleeding scores« (Symptome mit therapeutischen Konsequenzen) können Frauen mit Hämostasestörungen und insbesondere mit vonWillebrand-Syndrom frühzeitig (vor der Schwangerschaft) identifiziert werden (Koscielny et al. 2007; Federici 2006). Da es in der Schwangerschaft zu einem Anstieg des vWF/ Faktor-VIII-Komplexes kommt, sind Blutungen insbesondere beim Typ 1 selten (. Tab. 46.6). Der Typ 2B wird nicht selten erst in der Schwangerschaft oder peripartal diagnostiziert über die Labordiagnose »Thrombozytopenie in der Schwangerschaft«. Von besonderer Bedeutung sind Blutungen in den ersten 8–10 Tagen post partum (starker Abfall des vWF/Faktor-VIII-Komplexes) ohne geburtshilfliche Ursachen, die die ersten Zeichen eines von-Willebrand-Syndroms sein können. Aufgrund der Komplexität der Funktionen des vWF ist eine Kombination von verschiedenen Tests notwendig, um ein vWS auszuschließen bzw. den korrekten Typ zu erfassen. Die endgültige Klassifikation mittels Analyse der vWF-Multimere ist einmal notwendig, um die richtigen Therapieoptionen für die betroffenen Patienten abzusichern. Die in der 7 Übersicht dargestellte Stufendiagnostik wird empfohlen.
Stufendiagnostik bei von-Willebrand-Syndrom 4 Orientierende Diagnostik bei entsprechender Anamnese – PTT und Thrombozytenzahl – Die Blutungszeit ist bei einer Sensitivität von nur 50% nicht mehr zu empfehlen
6
46
1020
46
Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
4 Erweiterte Diagnostik – vWF-Antigen, Ristocetin-Kofaktor-Aktivität und/ oder Collagenbindungsaktivität (CBA) – Eine überproportionale Verminderung der Ristocetin-Kofaktor-Aktivität im Verhältnis zum vWFAntigen spricht für einen Typ-2-Defekt mit Fehlen hochmolekularer Multimere – FVIII:c 4 Spezielle Diagnostik – vWF-Multimere, FVIII-Bindungskapazität, RIPA-Test (vermehrte Ristocetin-induzierte Thrombozytenaggregation bei Typ 2B)
Therapie (Details bei Lee et al. 2006) 4 Patientinnen, die zum Zeitpunkt des Geburtsbeginns einen Wert für den vWF/FVIII-Komplex von >50% aufweisen und asymptomatisch sind, bedürfen keiner Therapie (mehrheitlich Typ 1). 4 Nur bei geringerer Aktivität (<50%) sollte eine Substitution bei Geburtsbeginn bzw. vor einem Kaiserschnitt durchgeführt werden, mindestens 3–5 Tage nach der Geburt. 4 Bis auf die Subgruppen Typ 2 und 3 ist das Medikament der 1. Wahl bei dieser Erkrankung Desmopressin (Minirin), in einer Dosierung von 0,3–0,4 μg/kg KG über 30 min, das die Freisetzung von endogenem vWF aus Endothelzellen stimuliert. 4 Beim Typ 2B kann durch Desmopressin eine bestehende Thrombozytopenie noch verstärkt werden und ist daher bedingt kontraindiziert: Im Bedarfsfall Infusionszeit verlängern auf 60 min (eigene Beobachtung). 4 Eine verstärkte postpartale Blutung in der Anamnese ist eine Indikation für die Gabe von Desmopressin unmittelbar nach der Geburt und 24 h später, eine aktive Leitung der Nachgeburtsperiode ist zu empfehlen. Sollte diese Therapie nicht greifen oder handelt es sich um die Typen 2 und 3, sollten vWF/FVIII-Konzentrate (z. B. Haemate HS, Fa. CSL Behring, oder Wilate, Fa. Octapharma) gegeben werden. Als Dosierungen sub partu und im Wochenbett wurden empfohlen: 30–40(–50) IE/kg KG als Initialdosis, 15–25 IE/kg KG alle 12 h für die ersten 3–5 Tage, 15–25 IE/ kg KG alle 24 h für weitere 5–7 Tage. > 4 Bisher liegen keine Hinweise dafür vor, dass aufgrund einer etwaigen Blutungsgefährdung des Fetus bzw. Neugeborenen die Sectio caesarea Vorteile im Vergleich zur vaginalen Entbindung bietet. Allerdings sollten protrahierte Geburtsverläufe oder schwierige vaginaloperative Entbindungen vermieden werden (Lee et al. 2006). 4 Abhängig von den laborchemischen Ergebnissen der Gerinnungsanalyse und unter entsprechender Faktorensubstitution wurde über problem-
6
lose Regionalanästhesien bei von-WillebrandPatientinnen berichtet (vWF-Faktor-Aktivität sollte >50% gehalten werden), keine Regionalanästhesie bei Typ 2 und 3, nur nach Substitution.
46.4.2
Konduktorin für Hämophilie
Hämophilie A Hämophilie A ist eine X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung mit einem Mangel an Faktor-VIII-Aktivität (FVIII:c). Bei der schweren Form der Hämophilie A liegt die Restaktivität bei <2%, bei der mittelschweren bei 2–5% und bei der milden Form zwischen 5% und 25%; Subhämophilie 25–50% FVIII-Restaktivität. Die Hämophilie B ist ebenfalls eine X-chromosomal rezessiv vererbte Erkrankung, bei der eine Verminderung des Gerinnungsfaktors FIX vorliegt mit der gleichen Klassifikation wie bei der Hämophilie A.
Aufgrund des Vererbungsmodus erkranken nur Männer, während Frauen das kranke Gen als Konduktorinnen vererben. Die Inzidenzen der Hämophilie A und B betragen 1 : 5000 bzw. 1 : 30.000 männlichen Neugeborenen. Wenn eine Frau ein normales Gen eines Elternteils erbt, ist der Gerinnungsfaktor mit etwa 50% der Norm ausreichend für eine effiziente Gerinnung. Bei 10–20% dieser Frauen wird allerdings nur eine Aktivität von <40% gemessen, sodass ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht.
Diagnostik und Klinik Abhängig von der Restaktivität des Faktors VIII:c bzw. Faktor IX kommt es zu einer entsprechend verlängerten PTT bei normalem Quick-Wert und normaler Thrombozytenfunktion. Eine normale PTT schließt eine Subhämophilie nicht aus. Differenzialdiagnostisch muss bei der Hämophilie A immer auch ein von-Willebrand-Syndrom einschließlich des Subtyps mit einer Faktor-VIII-Bindungsstörung (vWS Typ Normandy) ausgeschlossen werden, da das von WillebrandSyndrom autosomal vererbt wird und sich verschiedene Therapieoptionen ergeben. > In der Schwangerschaft kommt es bei einer Konduktorin für die Hämophilie A i. Allg. zu einem ausreichenden Anstieg der FVIII-Aktivität; der Anstieg des FIX bei einer Konduktorin für die Hämophilie B ist in der Schwangerschaft gering.
In jedem Fall ist eine gemeinsame Betreuung der Schwangeren mit einem Hämatologen/Hämostaseologen indiziert.
1021 46.4 · Angeborene Gerinnungsstörungen
Tipp Empfehlungen (Übersicht bei Lee et al. 2006.) 4 Bei bekannter Hämophilie in der Familie sollte eine fetale Geschlechtsbestimmung durch Pränataldiagnostik erfolgen (Details bei Lee et al. 2006). 4 Eine Faktorenbestimmung empfiehlt sich bei der ersten Konsultation sowie in der 28. und 32. SSW, insbesondere bei Faktorenspiegeln <50 IE/dl. Darüber hinaus sind eine Gerinnungsanalyse und Bestimmung der Gerinnungsfaktoren vor Geburtsbeginn bzw. engmaschig post partum indiziert, da dann die Faktor-VIIIAktivität rasch abfällt und mit Blutungen auch noch 2 Wochen postpartal gerechnet werden muss (7 unten). Ist eine aktuelle Faktorenanalyse bei Geburtsbeginn nicht möglich, sollte der letzte Befund aus dem 3. Trimenon herangezogen werden. Bei Werten <50 IE/ dl muss eine adäquate Substitution vorgenommen werden. 4 Wichtig ist eine möglichst atraumatische Geburt mit Vermeidung von Geburtsverletzungen. Bei einem männlichen Neugeborenen ist ein invasives fetales Monitoring (z. B. Skalpelektrode und fetale Blutgasanalyse) ebenso zu vermeiden wie eine Vakuumextraktion und protrahierte Geburtsverläufe. 4 Das Risiko betroffener Neugeborener für Kephalhämatome und intrakranielle Blutungen ist erhöht. Die Inzidenz von Hirnblutungen bei hämophilen Neugeborenen soll bei 1–4% liegen (Lee et al. 2006). Allerdings ist das Risiko für eine schwere Blutung (Hirnblutung) im Zusammenhang mit einer vaginalen Geburt insgesamt gering und rechtfertigt nicht die routinemäßige Indikation zum Kaiserschnitt. 4 Eine Spinal-/Periduralanästhesie ist bei Faktorenwerten >50 IE/dl und normalem Gerinnungsstatus möglich. 4 Postpartal besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko: Häufigkeit für eine primäre postpartale Blutungskomplikation = 22% und für eine sekundäre = 11%. Die aktive Leitung der Nachgeburtsperiode ist zu empfehlen. Nach der Geburt ist eine Bestimmung der Faktorenaktivität durchzuführen. Faktorenaktivitäten >50 IE/dl sollten nach vaginaler Geburt über 3 Tage und nach Sectio caesarea über 5 Tage aufrecht erhalten werden. 4 Nach der Geburt sollte Nabelschnurvenenblut innerhalb von 2 h einer Gerinnungsanalyse zugeführt werden (Cave: Auch gesunde Neugeborene haben eine verlängerte PTT, daher ist eine Einzelfaktorenanalyse anzuschließen). Bei schwieriger Geburt ist eine Schädelsonographie/Schädel-CT beim Neugeborenen vorzunehmen.
Therapie Bei Patientinnen mit einer Faktorrestaktivität <50% zum Zeitpunkt der Entbindung ist die Blutungsgefahr erhöht. Direkt postpartal kann bei einer verminderten FVIII-Aktivität (>30–
50%) die Gabe von Desmopressin (Minirin) in einer Dosierung von 0,3–0,4 μg/kg KG in Kochsalzlösung über 30 min infundiert ausreichend sein. Dadurch steigt i. Allg. die vWFAktivität um das 2-bis 3fache, die FVIII-Aktivität um das 2bis 4fache der Ausgangswerte an und ist dann für eine effektive Hämostase ausreichend. ! Oxytozin kann die antidiuretische Wirkung von Desmopressin (synthetisches Vasopressinanalogon) verstärken, Desmopressin sollte bei Präeklampsie nicht gegeben werden. Tipp Der erforderliche Substitutionsbedarf bei einer FVIIIRestaktivität <30% bzw. FIX <50% an Faktorenkonzentraten berechnet sich nach der Formel, dass 1 Einheit pro kg KG die messbare Aktivität um 1–2% anhebt.
Zur Verfügung stehen plasmatische oder gentechnisch hergestellte FVIII- bzw. FIX-Konzentrate. Durch die Substitution sollten peripartal Faktoraktivitäten >80% (gemessen 30 min nach der Gabe) für 3–5 Tage angestrebt werden. Die betreuende Hebamme sollte um das erhöhte Blutungsrisiko wissen; eine ortsnahe Versorgung der Wöchnerin ist zu gewährleisten. > Stehen in einer akuten Situation keine Faktorenkonzentrate zur Verfügung, ist ausnahmsweise bei Faktor-IX-Verminderung die Applikation von PPSB möglich (Cave: thrombogen), alternativ GFP auch bei Faktor-VIII- und/oder Faktor-IX-Verminderung.
46.4.3
Faktor-VII-Mangel
Pathogenese Der Faktor-VII-Mangel wird autosomal dominant vererbt, das Faktor-FVII-Gen liegt auf dem Chromosom 13. FVII wird in der Leber gebildet und gehört zu den Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. Die Inzidenz liegt bei 1 : 500.000. In der Schwangerschaft steigt der FVII physiologisch an.
Klinik und Diagnostik Die Diagnose FVII-Verminderung ist häufig ein präoperativer Zufallsbefund, da die Patientinnen über einen verminderten Quick-Wert auffallen. Von einem hereditären Defekt ist auszugehen, wenn bei der Abklärung ein Vitamin K-Mangel (Faktor-II-Aktivität normal) und eine Lebersynthesestörung (Antithrombin III und CHE normal) auszuschließen sind. Cave: Die FVII-Empfindlichkeit der Thromboplastinreagenzien für die Quick-Wert-Messung ist unterschiedlich, daher kommt es zu scheinbar wechselnden Werten! Im Allgemeinen liegt die FVII-Restaktivität bei den heterozygoten Merkmalsträgern >30–50%, die Patienten sind in Bezug auf eine Blutungsneigung asymptomatisch. Die Blutungsneigung ist auch bei Werten <30% variabel. Hier ist die klinische Beobachtung (Regelblutung, Voroperationen an den
46
1022
Kapitel 46 · Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe
Schleimhäuten, z. B. Zahnextraktionen) entscheidend, um zu klären, ob periparatal eine Substitutionstherapie indiziert ist.
46
Therapie Für die Substitutionstherapie steht plasmatischer Faktor VII (Immuseven, Fa. Baxter Bioscience, Dosisrichtlinie 1 E/kg KG; hebt den Plasmaspiegel um 1–2% an) zur Verfügung, ebenso der gentechnisch hergestellte FVIIa in der Dosierung 15–30 μg/kg KG (Novoseven, Fa Novo Nordisk). Die Dosierung bzw. Substitutionsintervalle richten sich im Notfall nach dem Quick-Wert (Normalisierung anstreben), da die Einzelfaktorenbestimmung nicht in jedem Labor verfügbar ist. Der Faktor VII hat eine kurze Halbwertzeit von ca. 4 h, sodass die ca. 6-stündliche Kontrolle des Quick-Wertes initial notwendig ist. Sollte in einer Akutsituation kein Faktorenkonzentrat verfügbar sein, kann PPSB gegeben werden.
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46
47 47 Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie B. von Hundelshausen, M.G. Mörtl 47.1
Geburtsschmerz – 1026
47.2
Behandlung des Geburtsschmerzes – 1027
47.2.1 47.2.2 47.2.3 47.2.4 47.2.5 47.2.6
Opiate und Opioide – 1027 Nichtopioidanalgetika und Spasmolytika – 1032 Stickoxydul (Lachgas) – 1032 Periduralanästhesie – 1032 Kontinuierliche Spinalanästhesie – 1038 Kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie – 1039
47.3
Anästhesie bei Sectio caesarea – 1040
47.3.1 47.3.2
Allgemeinanästhesie – 1040 Spinal- und Periduralanästhesie – 1044
47.4
Anästhesiologische Bedeutung geburtshilflicher Pharmaka – 1047
47.4.1 47.4.2 47.4.3 47.4.4 47.4.5 47.4.6 47.4.7 47.4.8 47.4.9
Vasopressoren – 1047 Magnesiumsulfat – 1047 Prostaglandine – 1047 Oxytozin – 1048 Mutterkornalkaloide – 1048 Kalziumantagonisten – 1048 β-Mimetika – 1049 Nitroglyzerin – 1049 Antihypertensiva – 1049
47.5
Anästhesie bei Frühgeburt – 1050
47.5.1 47.5.2
Vaginale Entbindung – 1050 Sectio caesarea – 1050
47.6
Die Rolle der Anästhesie/Intensivmedizin im Rahmen des multimodalen Behandlungskonzeptes bei schwerer Präeklampsie und Eklampsie – 1051
47.6.1 47.6.2 47.6.3 47.6.4 47.6.5 47.6.6 47.6.7
HELLP-Syndrom – 1052 Hypertonie – 1052 Flüssigkeitsmanagement – 1053 Oxygenierungsstörung – 1053 Oligurie – 1053 Eklampsie – 1053 Notfallsectio unter den Bedingungen einer Präeklampsie/Eklampsie
47.7
Akute Blutungen – 1054 Literatur – 1056
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
– 1054
1026
47
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
Die geburtshilfliche anästhesiologische Tätigkeit umfasst heute neben der traditionellen Betreuung von Patientinnen im Kreißsaal durch regionalanästhesiologische Methoden zur Schmerzbehandlung während der Geburt und neben der Durchführung von Anästhesien zur Sectio caesarea im Operationssaal zunehmend die Mitwirkung und Durchführung von interdisziplinären, präpartalen Therapiekonzepten an schwangeren Frauen mit oft erheblichen schwangerschaftsassoziierten und/oder schwangerschaftsunabhängigen Erkrankungen. Des Weiteren sind im Kreißsaal notfallmedizinische und schockraumerprobte Konzepte im Rahmen der Behandlung von geburtshilflichen Notfällen zur Grundvoraussetzung einer modern organisierten Geburtshilfe geworden. Die Behandlung des Geburtsschmerzes mittels Periduralanästhesie (PDA) hat sich zum etablierten Standard entwickelt. Die Kombination von peridural applizierten Lokalänasthetika und Opioiden in durch die Schwangerschaft möglicher niedriger Konzentration macht diese Methode zu einer sicheren Methode der Schmerzausschaltung mit stetig steigender Akzeptanz bei Hebammen und Geburtshelfern. Sie erfreut sich aber v. a. einer hohen Beliebtheit bei den Frauen. Als »walking epidural« ohne motorische Blockade beeinflusst diese Regionalanästhesie kaum mehr die Motorik und damit weder Geburtsmechanik noch Gebärverhalten. Im operativen Bereich bei Sectio caesarea werden Allgemeinanästhesien nur mehr bei speziellen Indikationen den rückenmarknahen Leitungsanästhesieverfahren vorgezogen. Diese Tatsache begründet sich nicht nur durch den Wunsch der Mutter, auch im Rahmen der Schnittentbindung die Geburt wach miterleben zu dürfen, sondern v. a. aus dem Sicherheitsaspekt heraus, dass die anästhesieassoziierte Mortalität bei einer Sectio nahezu ausschließlich mit der bei schwangeren Patientinnen häufig vorkommenden Intubationsschwierigkeit und der damit fehlenden Sicherung der Atemwege bei der Allgemeinanästhesie in Verbindung zu bringen ist. Die Spinalanästhesie hat gegenüber der PDA bei diesem Eingriff Vorteile wie schnelle Anschlagzeit, sichere sensible Blockade und eine geringere Versagerquote. Atraumatische Punktionskanülen lassen die Komplikation des postpunktionellen Kopfschmerzes als vernachlässigbar erscheinen. Der Nachteil dieses Verfahrens besteht in dem gehäuften Auftreten einer Hypotension bei der Mutter, die aber bei adäquater Therapie keine gravierende Komplikation darstellt. Die präpartale Therapie von schweren Präeklampsien zum Zweck der Stabilisierung der Mutter und die therapeutischen Maßnahmen in den frühen Schwangerschaftswochen, die zum Ziel haben, eine Verlängerung der Schwangerschaft zu bewirken, um eine adäquate Lungenreifeinduktion beim Feten durchzuführen, gelten derzeit noch nicht als Standard und bleiben spezialisierten Zentren vorbehalten. Die steigende Komorbidität der Mütter – bedingt zum einem durch höheres Lebensalter zum Zeitpunkt der Entbindung und zum anderen durch die Möglichkeiten, welche die Medizin auch schwerkranken Frauen bietet, das Risiko einer Schwangerschaft einzugehen – erfordert es, interdisziplinäre Therapiekonzepte auf Kreißsaalebene einzurichten und damit intensivmedizinische Erfahrungen zu nützen und diese an die spezielle Situation anzupassen.
Akutsituationen wie die Notfallsectio und bedrohliche postpartale Blutungen sind weitere Herausforderungen der anästhesiologischen Tätigkeit in der Geburtshilfe, zu deren Bewältigung Wissen und Fertigkeiten aus dem Notarztdienst oder dem Schockraummanagement nötig sind. Diese Tatsache macht interdisziplinäres Zusammenarbeiten von Geburtshelfern und Anästhesisten zur unverzichtbaren Einheit einer modernen Geburtshilfe.
Die anästhesiologische Betreuung von schwangeren Patientinnen im Rahmen von geburtshilflichen Eingriffen gehört zu den schönsten, dankbarsten, aber auch zu den anspruchsvollsten Aufgaben des Fachgebiets. Der Umgang mit diesen Patientinnen setzt die Kenntnis der physiologischen Veränderungen während der Schwangerschaft ebenso voraus wie das Wissen um die Pathophysiologie von schwangerschaftsassoziierten Erkrankungen, um die Wirkung der schwangerschaftsbedingten Adaptationsmechanismen auf vorbestehende Begleiterkrankungen und um die Kinetik sowie Dynamik der verschiedenen zur Anwendung kommenden Pharmaka in dieser speziellen Situation. Hierbei sind nicht nur die Auswirkungen auf den maternalen Organismus zu berücksichtigen, sondern auch die Effekte, die Pharmaka nach transplazentarem Übertritt auf den Feten und das Neugeborene ausüben. Dass der Anästhesist im Kreißsaal gleich mindestens 2 Patienten gegenübersteht, ist in diesem Fachgebiet einzigartig. Die heutige Gesellschaft verbindet mit Geburt v. a. ein einmaliges Erlebnis. Aus dieser Anforderung heraus werden die Möglichkeiten von Erkrankung und Komplikation ausgeblendet und die Anästhesie mit einem Service oder einem »traumatischen Erlebnis« in Verbindung gesetzt. Diese Herausforderung anzunehmen, damit umgehen zu lernen und diesen Umgang auch als «Kultur« zu lehren wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein.
47.1
Geburtsschmerz
Das Geburtsereignis kann zu einem der schmerzvollsten Erlebnisse im Leben einer Frau gehören. Es ist der einzige physiologische Vorgang, der mit Schmerzen verbunden ist. Neben religiösen Vorstellungen wird der Geburtsschmerz auch als ein Phänomen betrachtet, das die Schwangere auf die bevorstehende Geburt aufmerksam macht. In diesem Zusammenhang soll der Schmerz ein naturgegeben richtiges Verhalten der Mutter während des Geburtsvorgangs steuern. Im 19. Jahrhundert hatte man sich von der Vorstellung frei gemacht, dass eine Frau unter Schmerzen ihr Kind gebären müsse. Seit 1847 Äther und Chloroform zum ersten Mal bei einer Geburt zum Einsatz kamen, gibt es eine Anästhesie im Kreißsaal. Die Weiterentwicklung der geburtshilflichen Anästhesie ist entscheidend durch die Einführung der Lokalanästhetika geprägt worden. Die Entwicklung neuer Punktionstechniken und Kanülen sowie der Lokalanästhetika haben zu einer großen Sicherheit und damit weiteren Verbreitung der Leitungsanästhesieverfahren im Kreißsaal beigetragen.
1027 47.2 · Behandlung des Geburtsschmerzes
Neurologische Grundlagen
Folgen
Der Geburtsschmerz wird nach Erregung zervikaler, korporaler und peritonealer Nozizeptoren des Uterus und anderer Organe des kleinen Beckens über afferente Bahnen fortgeleitet. Afferente Fasern von Tube, Ovar, Fundus und Corpus uteri ziehen zusammen mit Fasern des P. ovaricus zum Rückenmark (Th10–L1). Von der Zervix allgemein und insbesondere vom inneren Muttermund ziehen afferente Fasern durch den P. uterovaginalis und den P. hypogastricus vornehmlich zu den thorakalen Segmenten Th10–Th12. Sensible Fasern ziehen auch mit den Nn. splanchnici pelvis zum Sakralmark S2–S5. Das untere Drittel der Vagina, die Vulva und der Damm werden schließlich sensibel vom N. pudendus versorgt, dessen Fasern auf Höhe der Segmente S2–S4 ins Rückenmark gelangen.
> Die Aktivierung motorischer und sympathischer Reflexbahnen hat Auswirkungen auf die Physiologie von Mutter und Kind.
> Der Geburtsschmerz entsteht sowohl durch eine Ischämie der Beckenweichteile als auch durch eine Dehnung und Zerreißung von Gewebe.
In der Eröffnungsphase werden die unteren Uterussegmente und die Zervix gedehnt, wobei die Schmerzleitung vorwiegend über marklose, langsam leitende C-Fasern zu den dorsalen Wurzeln in die Rückenmarksegmente Th10–Th12 erfolgt. Dabei handelt es sich um einen Schmerz vom viszeralen Typ, den die Patientinnen als dumpf bis kolikartig empfinden; er ist diffus und damit schlecht lokalisierbar, in seiner Intensität variierend und von vegetativen Reaktionen begleitet. Eine Schmerzausschaltung durch eine rückenmarknahe Leitungsanästhesie muss in dieser Phase die thorakolumbalen sensiblen Nervenendigungen erreichen. Der zervikale Dehnungsschmerz bei fortschreitender Geburt wird einerseits über die thorakolumbalen Segmente, andererseits aber auch über die sakralen Segmente fortgeleitet. In der Austreibungsphase steht die schmerzhafte Dehnung der perinealen Faszie, der Vagina, des Perineums, des subkutanen Gewebes und der Haut im Vordergrund. Die Schmerzleitung erfolgt vorwiegend über sensible Fasern des N. pudendus (rasch leitende myelinisierte Aμ-Fasern) zu den sakralen Wurzeln S3 und S4 des Rückenmarks. Deshalb muss die Anästhesie in dieser Geburtsphase die Sakralsegemente erreichen. Der Schmerz in dieser Geburtsphase ist vom somatischen Typ; er ist von starker Intensität, wird als scharf und stechend empfunden und ist sehr gut zu lokalisieren. Die zentrale Schmerzleitung läuft über die Wurzeln zum Hinterhorn des Rückenmarks. Hier werden die sensiblen und sensorischen Impulse erstmals verarbeitet. Vom Hinterhorn aus werden Impulse auf spinaler Ebene direkt an das Vorderhorn weitergeleitet. Von dort ausgehend kommt es, über spezielle Neurone vermittelt, zu einer Hemmung der MagenDarm-Motilität, einer Vasokonstriktion und einem erhöhten Muskeltonus. Des Weiteren werden Impulse nach zentral über den Tractus spinothalamicus zum Hirnstamm, limbischen System, zentralen Höhlengrau, Hypothalamus und Kortex weitergeleitet. Hier erfolgen die zentrale Verarbeitung des Schmerzereignisses und die Auslösung einer reflektorischen Hyperventilation, Steigerung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und des peripheren Gefäßwiderstandes mit konsekutivem Anstieg des Sauerstoffverbrauchs.
Während der schmerzhaften Uteruskontraktionen kommt es zu einer ausgeprägten maternalen Hyperventilation (paCO2 von 15–20 mmHg) und einer respiratorischen Alkalose. Dies führt zu Übelkeit, Blässe, Schwitzen, Parästhesien, u. U. auch zu Verwirrtheit und Desorientierung. Darüber hinaus steigt der Sauerstoffverbrauch an infolge der erhöhten maternalen Katecholaminspiegel, der vermehrten Atemarbeit und des erhöhten Herzminutenvolumens. Posthyperventilatorisch können in der Wehenpause Apnoephasen entstehen, da durch das abgeatmete CO2. der Atemanreiz kurzfristig reduziert sein kann. Hohe Katecholaminspiegel führen neben den unerwünschten Kreislaufeffekten auch zu unkoordinierten und schwach ausgeprägten Uteruskontraktionen. Durch eine adäquate Analgesie können die oben genannten Symptome und deren Folgen vermieden werden. Die metabolischen Auswirkungen erhöhter Katecholaminspiegel münden in eine Hyperglykämie, eine vermehrte Freisetzung von freien Fettsäuren sowie in erhöhte Laktatspiegel im Blut mit metabolischer Azidose, die sich auf den Fetus überträgt (»Transfusionsazidose»). Eine Epiduralanästhesie vermindert diese Blutspiegel und kann zu einer verbesserten Perfusion des Uterus beitragen. Gesichert sind die negativen Auswirkungen des Schmerzes auf die Funktion des Gastrointestinaltrakts durch Aktivierung des autonomen Nervensystems. Die Magenentleerung ist verzögert, das Volumen und der Säuregehalt des Mageninhalts nehmen zu. Dieser Befund aggraviert eine mögliche bronchopulmonale Aspiration im Rahmen anästhesiologischer Maßnahmen.
47.2
Behandlung des Geburtsschmerzes
Abgesehen von den nicht pharmakologischen Möglichkeiten der geburtshilflichen Anästhesie wie Akupunktur, transkutane elektrische Nervenstimulation, Hydrotherapie und Entspannungstherapie stehen im Wesentlichen folgende Verfahren zur Verfügung: 4 systemische Analgesie (intravenös oder intramuskulär), 4 Pudendusblock, 4 Periduralanästhesie, 4 kontinuierliche Spinalanästhesie, 4 kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie.
47.2.1
Opiate und Opioide
Neben den in der Natur vorkommenden Opiaten unterscheidet man halbsynthetische und vollständig synthetisierte Analgetika mit morphinähnlicher Wirkung, die man als Opioide bezeichnet. Hilfreich für das Verständnis der Wirkungsweise dieser Pharmaka ist die Kenntnis der Opiatrezeptoren, die an prä-
47
1028
47
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
und postsynaptischen Stellen des Nervensystems vorkommen. Als bekannteste Orte ihres Vorkommens zählen der Kortex, das limbische System, der Hypothalamus, das periaquäduktale Höhlengrau des Hirnstamms, die Substantia gelatinosa des Rückenmarks sowie die sympathischen präganglionären Neurone. Man unterscheidet verschiedene Arten von Opiatrezeptoren. Sie sind topographisch inhomogen verteilt und für unterschiedliche Wirkungen verantwortlich.
Opiatrezeptoren und durch sie vermittelte Wirkungen 4 μ-Rezeptor (μ1 und μ2) Supraspinale und spinale Analgesie, Atemdepression, Euphorie, Entstehung von Toleranz und Entzugssymptomen, Bradykardie, Miosis und Harnverhaltung 4 δ-Rezeptor Spinale Analgesie, Atemdepression, Toleranz, Entzugssymptome, hypotone Kreislaufreaktionen 4 κ-Rezeptor Supraspinale und spinale Analgesie, Sedierung, Dysphorie, Diurese, Miosis 4 σ-Rezeptor Dysphorie, Tachykardie, Hypertonie, Mydriasis, Exzitation
Physiologisch werden die Opiatrezeptoren durch Endorphine aktiviert. Opiate und Opioide binden an diese Rezeptoren und modulieren das schmerzleitende und schmerzverarbeitende System. Ein Opioid bindet mehr oder weniger selektiv an verschiedene Rezeptoren gleichzeitig. Dabei werden 2 Charakteristika unterschieden: 4 Die Affinität eines Opioids zu dem jeweiligen Rezeptor ist ein Maß für seine Bindungsstärke. 4 Als zweites wird ein Opioid durch seine intrinsische Aktivität, die es am Rezeptor besitzt, beschrieben. Sie ist die Fähigkeit des Opioids, nach der Bildung eines Komplexes mit dem Rezeptor einen Effekt auszulösen. Dies geschieht durch Umwandlung des Rezeptormoleküls mit folgender Öffnung eines Ionenkanals. Diese sehr wichtige intrinsische Aktivität bestimmt das Ausmaß des größtmöglichen Effekts, der mit dieser Substanz zu erreichen ist. Eine Substanz reagiert mit verschiedenen Rezeptortypen und kann somit unterschiedliche Wirkungen entfalten. Diese unterschiedlichen Effekte haben zu einer Unterteilung der Opioide in reine Agonisten, partielle Agonisten, Antagonisten sowie gemischt wirkende Agonisten/Antagonisten geführt. Morphin beispielsweise bewirkt durch seine Interaktion mit dem μ-Rezeptor eine Atemdepression, reagiert aber auch mit dem κ-Rezeptor und führt somit zu einer Sedierung. Da seine Affinität zum μ-Rezeptor jedoch wesentlich stärker ist als zum κ-Rezeptor, tritt eine Atemdepression bereits bei geringen Dosierungen auf; dagegen wird der sedierende Effekt erst bei höheren Dosierungen beobachtet. Als nahezu μ-selektive Opioide gelten Morphin, Pethidin, Piritramid, Alfentanil, Fentanyl, Sufentanil und Remifentanil. Sie entfalten ihre Wirkung besonders in der Hirnstamm-
region, da dort die größte Dichte dieser Rezeptoren anzutreffen ist. Da die Zentren für Atem- und Kreislaufregulation in enger Nachbarschaft liegen, ist es leicht verständlich, dass solche Pharmaka mit hoher μ-Rezeptoraffinität diese vitalen Funktionen beeinflussen können. κ-Rezeptoren finden ihre größte Dichte dagegen im Kortexbereich, sodass diejenigen Substanzen, die vorwiegend an diese Rezeptoren binden, weniger zu einer Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf führen als eine ausgeprägte Sedierung, gefolgt von einer Analgesie. Pharmaka, die über diese Rezeptoren wirken, sind die gemischt wirkenden Agonisten/ Antagonisten (z. B. Pentazocin, Fortral). In hoher Dosierung reagieren diese Substanzen auch mit den σ-Rezeptoren, die für Dysphorie, Hypertonie, Tachykardie und Halluzinationen verantwortlich sind. Buprenorphin (Temgesic) wird als partieller Agonist, von manchen Autoren auch als Agonist/Antagonist angesehen, und verfügt über eine ausgeprägte intrinsische Aktivität am μ-Rezeptor, hat eine hohe Affinität zu diesem und vermittelt somit einen Teil der für Morphin typischen Analgesie und Atemdepression. In seiner Eigenschaft als Konkurrent um den μ-Rezeptor wirkt es antagonistisch gegenüber den reinen μ-Agonisten Morphin und Fentanyl. Derartige Analgetika vom Typ der Agonisten/Antagonisten weisen hinsichtlich ihrer analgetischen Wirkung einen »Ceiling-Effekt« auf. Dies bedeutet, dass nur innerhalb eines bestimmten Dosisbereichs eine Verstärkung der Analgesie zu erreichen ist. Dosissteigerungen führen dagegen nicht zu der erwünschten vermehrten Analgesie, sondern bewirken eine Zunahme unerwünschter Nebenwirkungen wie Dysphorie, Unruhe und Halluzinationen. Reine Antagonisten, wie z. B. Naloxon (Narcanti) sind ebenfalls durch eine hohe Affinität zum μ-Rezeptor gekennzeichnet, verfügen jedoch über keine intrinsische Aktivität, d. h. führen zu keiner Umwandlung des Rezeptormoleküls und somit zu keiner Öffnung des Ionenkanals. Durch ihre Affinität zum Rezeptor können sie jedoch einen dort haftenden Agonisten kompetitiv verdrängen, ohne einen Effekt, in diesem Falle eine Analgesie, auszulösen. Tipp Für den klinischen Alltag ist es wichtig, die Gruppe der μ-Agonisten (Morphin, Pethidin, Piritramid, Fentanyl, Sufentanil, Alfentanil, Remifentanil) von der Gruppe der gemischt wirkenden Agonisten/Antagonisten (Buprenorphin, Nalbuphin, Pentazocin) zu trennen. Substanzen beider Gruppen dürfen bei der analgetischen Behandlung nicht abwechselnd verabreicht oder gar gemischt werden, da der analgetische Effekt eines reinen μ-Agonisten durch ein Pharmakon der gemischt wirkenden Gruppe aufgehoben werden kann.
! Die gefährlichste Nebenwirkung aller Opioide, nämlich die Atemdepression, kann bei keiner Substanz ausgeschlossen werden. Das Ausmaß der Atemdepression korreliert mit der Qualität der Analgesie. Das bedeutet, dass bei ausgeprägter opioidinduzierter Analgesie auch die Atemdepression ausgeprägt ist.
1029 47.2 · Behandlung des Geburtsschmerzes
. Tab. 47.1. Analgetische Potenz verschiedener Opioide im Vergleich zu Morphin
> Bei intramuskulärer Gabe wird das Maximum der analgetischen Wirkung nach 1–2 h erzielt, während es bei intravenöser Applikation bereits nach 20 min erreicht wird. Die Wirkungsdauer beträgt 4–6 h.
Opioid
Analgetische Potenz im Vergleich zu Morphin (Morphin=1)
Pentazocin
0,4
Pethidin
0,1
Piritramid
0,7
Wie alle Opioide passiert Morphin die Plazentaschranke leicht, jedoch gibt es bisher keine Hinweise dafür, dass dieses Analgetikum beim Neugeborenen eine stärkere Atemdepression als andere Opioide in äquipotenten Dosierungen ausübt.
Buprenorphin
30–40
Pethidin (Dolantin)
Alfentanil
50
Fentanyl
300
Remifentanil
200
Sufentanil
1000
Die intramuskuläre Verabreichung von Opioiden bietet hinsichtlich des Wirkungsbeginns, des analgetischen Effekts und der Wirkungsdauer eine schlechte Steuerbarkeit. Die unkalkulierbare Gewebsperfusion bei unterschiedlicher Ausprägung des subkutanen Fettgewebes führt dazu, dass die Verteilung und Wirkung eines intramuskulär gegebenen Analgetikums schlecht vorhersehbar ist. So kommt es infolge einer schlechten Steuerbarkeit zu Überdosierungen mit möglicher Atemdepression von Mutter und Kind oder auch zu Unterdosierungen mit unzureichender Analgesie. Besser steuerbar als die intramuskuläre Gabe ist die intravenöse Verabreichung, bei der die Dosis langsam so lange titriert wird, bis eine ausreichende Schmerzfreiheit erreicht ist. Als typisches Beispiel einer solchen Titrierung ist die patientenkontrollierte Analgesie (PCA) anzusehen.
Agonisten Morphin Morphin dient bezüglich seiner analgetischen Potenz im Vergleich zu den anderen Opioiden als Referenzsubstanz (. Tab. 47.1). Im Rahmen der Geburtshilfe wird diese Substanz nur selten benutzt, obwohl die Nebenwirkungen im Vergleich zu den anderen Opioiden bei äquianalgetischer Dosierung nicht stärker ausgeprägt sind. Besonders im ersten Stadium der Geburt haben 5 mg i.v. oder 10 mg i.m. einen guten analgetischen Effekt. Aufgrund seiner vasodilatatorischen und Histamin freisetzenden Wirkung kann es zur orthostatischen Hypotension kommen. Unmittelbar präpartal gegeben, besteht die Gefahr einer ausgeprägten Atemdepression beim Neugeborenen. Im angelsächsischen Bereich wird Morphin erfolgreich epidural und intraspinal zur Behandlung des Geburtsschmerzes eingesetzt. Dabei werden Dosierungen von 3–5 mg epidural bzw. 0,3–0,5 mg intrathekal gegeben (also 1/10 der üblicherweise i.v. verabreichten Dosis), ohne dass bei dieser Dosierung nachteilige Wirkungen auf das Neugeborene beschrieben wurden.
Pethidin ist das am häufigsten in der Geburtshilfe verwendete Opioid. Es handelt sich um eine vollständig synthetisch hergestellte Substanz, deren analgetische Wirkung etwa 5- bis 10-mal schwächer als die des Morphins ist und die gleichzeitig einen atropinartigen, parasympatholytischen Effekt aufweist, der für Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Gesichtsrötung und Pulsbeschleunigung verantwortlich ist. > Das Wirkungsmaximum tritt bei intramuskulärer Gabe nach etwa 30–40 min ein, bei intravenöser Applikation bereits nach 5–10 min; der analgetische Effekt hält 2–4 h an.
Ungefähr 2/3 des Pethidins sind an maternale Plasmaproteine gebunden, 1/3 bleibt frei und kann leicht die Plazentaschranke passieren. Bereits wenige Minuten nach der Verabreichung von Pethidin wird es im fetalen Blut nachgewiesen, und in kurzer Zeit ist ein Gleichgewicht zwischen maternaler und fetaler Plasmakonzentration erreicht. Pethidin hat das Morphin aus der Geburtshilfe weitgehend verdrängt, zum einen, weil es weniger Übelkeit verursacht, zum anderen, weil es die Blut-Hirn-Schranke des Fetus weniger vollständig überwindet als Morphin. Dennoch kann es zur Atemdepression des Neugeborenen kommen, die dann besonders ausgeprägt ist, wenn die Geburt in die Zeitspanne von 2–4 h nach der letzten intravenösen Gabe von Pethidin fällt. Eine Beeinträchtigung des Neugeborenen ist aber erst zu erwarten, wenn der Mutter innerhalb von 6–8 h >100 mg Pethidin gegeben werden. Hauptverantwortlich für die Nebenwirkungen ist das Abbauprodukt Norpethidin, dessen Eliminationshalbwertszeit beim Neugeborenen über 60 h beträgt. Veränderungen, die beim Neugeborenen gefunden werden können, sind eine verminderte Herzfrequenz, ein Abfall der Sauerstoffsättigung und des Atemminutenvolumens und damit einhergehend niedrige Apgar-Werte. Das Ausmaß der Neugeborenendepression ist abhängig von der Gesamtdosis der Substanz, vom Gestationsalter und von einer u. U. bereits bestehenden Asphyxie. Der Grund für die verzögerte, mehrere Stunden nach der letzten Gabe von Pethidin auftretende Depression des Kindes ist darin zu sehen, dass der aktive Metabolit Norpethidin zunächst im Organismus der Mutter gebildet wird, ehe er auf den Fetus übertritt. Norpethidin hat neben einer langen Halbwertszeit auch einen stärkeren atemdepressiven Effekt als Pethidin und ist durch Naloxon nur schwer zu antagonisieren. Darüber hinaus hat auch Pethidin selbst beim Neugeborenen
47
1030
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
eine sehr lange Halbwertszeit von etwa 20 h (bei der Mutter beträgt diese 3 h), die durch eine verzögerte Metabolisierung bedingt ist. Auf die Uterusaktivität hat die Substanz keinen nachteiligen Effekt.
Piritramid (Dipidolor)
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Piritramid ist eine synthetisch hergestellte Substanz, deren analgetische Potenz größer als die des Pethidins und etwas geringer als die des Morphins ist. > Die Analgesie setzt nach wenigen Minuten ein und hält im Mittel 6 h an.
Unerwünschte Kreislaufreaktionen wie beim Morphin oder Pethidin sind in üblichen Dosierungen von 15 mg i. m. oder 4–6 mg i.v. nicht zu erwarten, ebenso wird eine geringere Inzidenz von Nausea, Erbrechen, gestörter Darmmotilität und erschwerter Diurese beschrieben. Aufgrund seiner stärkeren analgetischen Potenz, dem schnelleren Wirkungseintritt, der längeren Wirkdauer und der weniger ausgeprägten Nebenwirkungen bei der Mutter scheint die Substanz dem weitverbreiteten Pethidin überlegen. Da jedoch bisher keine klinischen Untersuchungen hinsichtlich der Anwendung von Piritramid im Kreißsaal vorliegen, zudem die Auswirkungen auf das Neugeborene nicht bekannt sind und keine Bestimmungen von Plasmaspiegeln bei der Schwangeren und beim Neugeborenen durchgeführt wurden, kann die Anwendung dieses Opioids im Kreißsaal zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden.
Fentanyl Fentanyl zählt ebenfalls zu den synthetisch hergestellten Opioiden. > Ebenso wie Sufentanil und Alfentanil hat Fentanyl im Kreißsaal für die systemische Applikation wegen des ausgeprägten atemdepressiven Effekts keine Bedeutung.
Aus diesem Grund sollen diese 3 am stärksten wirksamen Analgetika nur kurz erwähnt werden. Im angelsächsischen Bereich ist Fentanyl im Rahmen der Geburtshilfe erfolgreich bei der epiduralen Anästhesie eingesetzt worden. Fentanyl hat seine große Bedeutung für die Anästhesie dadurch erlangt, dass es vorwiegend im Rahmen einer balancierten Anästhesie als Ergänzung zu den Inhalationsanästhetika eingesetzt wird. Es zeichnet sich neben einer hohen analgetischen Potenz, die 100- bis 300-mal größer als die des Morphins ist, durch eine ausgezeichnete kardiovaskuläre Stabilität aus. Seine gute Fettlöslichkeit ist u. a. verantwortlich für den raschen analgetischen Wirkungseintritt, wobei das Maximum der Analgesie bereits nach 5 min erreicht wird. Sein etwa nach 30–60 min eintretender Wirkverlust ist nicht durch Metabolisierung, sondern vielmehr durch Umverteilung bedingt. Durch Kumulation nimmt die Wirkdauer bei langfristiger Gabe zu. Die Plazentaschranke passiert es rasch, jedoch ruft es bei Dosierungen von etwa 1 μg/kg KG i.v. zur Sectio beim Neugeborenen keine nachteiligen Effekte hinsichtlich Atemdepression, Blutgasen aus der Umbilikalarterie oder Apgar-Werten hervor.
Sufentanil (Sufenta) Beim Sufentanil handelt es sich um einen synthetischen Fentanylabkömmling, dessen Fettlöslichkeit etwa doppelt so hoch wie die des Fentanyls ist. > In Deutschland ist Sufentanil derzeit das einzige für die PDA in der Geburtshilfe zugelassene Opioid.
Die hohe Fettlöslichkeit bedingt eine schnelle Aufnahme ins ZNS. Die Wirksamkeit wird jedoch wie beim Fentanyl durch eine rasche Umverteilung in das 2. und 3. Kompartiment, z. B. Fettgewebe und Muskulatur, begrenzt. Die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Aspekte seien hier nur gestreift, da eine systemische Gabe während der Geburt wegen des atemdepressiven Effekts wie beim Fentanyl ebenso nicht in Betracht gezogen werden kann: 4 Die Eliminationshalbwertszeit liegt bei 2–3 h und ist damit geringer als die des Fentanyls, jedoch hält der analgetische Effekt länger an und beträgt bei Sufentanil etwa 180 min. 4 Es hat im Vergleich zu Morphin ein geringeres Verteilungsvolumen, u. a. bedingt durch eine über 90%ige Plasmaproteinbindung. 4 Der Abbau erfolgt in der Leber zu überwiegend inaktiven Metaboliten. 4 Aufgrund seiner Fettlöslichkeit wird unverändert über den Urin ausgeschiedenes Sufentanil vollständig tubulär reabsorbiert. Die μ-Rezeptoraffinität ist wesentlich höher als die des Fentanyls, wodurch sein sehr rascher Wirkungseintritt und die erforderlichen niedrigen Dosierungen zu erklären sind. Die analgetische Wirkung übertrifft die des Fentanyls um den Faktor 10. 4 Seitens des Kreislaufs sind Bradykardie und Hypotension typische Nebenwirkungen.
Alfentanil (Rapifen) Das kurz wirksame, synthetisch hergestellte Analgetikum Alfentanil ist ebenfalls dem Fentanyl verwandt und besitzt eine hohe Affinität zum α-Rezeptor. Seine analgetische Wirkung beträgt etwa 1/3–1/5 des Fentanyls. > Die Analgesie setzt innerhalb von 1–2 min ein, hält aber nur 15–20 min an.
Diese kurze Analgesiedauer hat große Vorteile im Rahmen der Allgemeinanästhesie für kurze postpartale Eingriffe, wie z. B. Nachräumung und manuelle Plazentalösung. Zur Behandlung des Geburtsschmerzes im Kreißsaal kommt dieses Opioid nicht in Betracht.
Remifentanil (Ultiva) Die Esterstruktur des Opioids Remifentanil ermöglicht einen raschen Abbau durch unspezifische Esterasen. Das Pharmakon wird deshalb auch als »esterase metabolized opioid« (EMO) bezeichnet. Durch den kontinuierlichen, von der Leber- und Nierenfunktion unabhängigen Abbau dieses Opioids kommt es zu keiner Kumulation von Remifentanil. Damit be-
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wegen sich sowohl seine Wirkdauer wie auch seine Nebenwirkungen in einem engen Zeitraum und verändern sich auch nach längerer kontinuierlicher Gabe nicht. Dadurch ist eine hervorragende Steuerbarkeit dieses Pharmakons gegeben. Nebenwirkungen zeigen sich in erster Linie in Form einer Atemdepression und Bradykardie, des Weiteren sind Muskelrigidität, Hypotonie und Übelkeit weitere unerwünschte Begleiteffekte. Den inzwischen zahlreichen klinischen Erfahrungsberichten zufolge ist Remifentanil intraoperativ sehr gut steuerbar und sicher anwendbar. Dennoch kann es zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund fehlender Studien mit großen Fallzahlen noch nicht für den routinemäßigen Einsatz in der geburtshilflichen Anästhesie empfohlen werden. Erst zukünftige Untersuchungen werden zeigen, welchen Stellenwert die Substanz im Kreißsaal aufgrund seiner sehr kurzen Halbwertszeit und einer dem Fentanyl vergleichbaren analgetischen Potenz einnehmen wird. Theoretisch denkbar ist seine Anwendung im Rahmen von postpartalen, kurz dauernden Eingriffen (z. B. manuelle Plazentalösung, Zervixnaht), aber auch zur Schmerzbehandlung unter der Geburt, wenn Kontraindikationen die Anlage einer rückenmarknahen Anästhesie verbieten. ! Da die Galenik von Remifentanil die Aminosäure Glycin enthält, die als ein exzitatorischer Neurotransmitter gilt, darf es weder für die Spinal- noch Periduralanästhesie verwendet werden.
Agonisten/Antagonisten Buprenorphin (Temgesic) Buprenorphin wird halbsynthetisch aus Thebain hergestellt, ist sehr lipophil und hat eine hohe intrinsische Aktivität sowie eine hohe Affinität zum α-Rezeptor. Von manchen Autoren wird es als Agonist/Antagonist angesehen, von anderen als partieller Agonist. Sobald es den μ-Rezeptor besetzt hat, bleibt es lange an diesen gebunden und entfaltet dort seine lang anhaltende analgetische Wirkung. Ausgeprägt ist aber auch sein atemdepressiver Effekt, der durch Naloxon nicht oder nur in hohen Dosierungen zu antagonisieren ist. Wird es nach der Gabe reiner α-Agonisten wie Morphin, Fentanyl oder Sufentanil verabreicht, so hebt es durch seinen kompetitiven Antagonismus an diesem Rezeptor die Wirkung dieser Analgetika auf. Seine analgetische Potenz ist mit Morphin verglichen etwa 30-mal größer, sodass 0,3 mg Buprenorphin i.v. etwa 10 mg Morphin i.v. entsprechen. > Der analgetische Effekt setzt bei parenteraler Gabe erst nach 45–60 min ein; dabei ist die Wirkungsdauer sehr unterschiedlich und variiert zwischen 3 h und 14 h, im Durchschnitt liegt sie bei etwa 8 h.
Wie zuvor erwähnt, ist bei allen Agonisten/Antagonisten, somit auch bei Buprenorphin, ein »Ceiling-Effekt« zu beobachten. Dieser Effekt ist ab einer Dosierung von etwa 1,2 mg/ 70 kg KG zu erwarten.
Zusammenfassung Systemische therapeutische Dosierungen von Opioiden führen zu einer Abschwächung der Wehentätigkeit und können den Geburtsvorgang verzögern. Eine uterine Hyperaktivität dagegen wird sich durch die Gabe von Opioiden abschwächen lassen. Dies kann eine Beschleunigung des Geburtsvorgangs in einer derartigen Situation herbeiführen. Möglicherweise stellt der Zeitpunkt der Opioidapplikation eine entscheidende Rolle für den Geburtsverlauf dar. Eine Gabe zu Beginn der Eröffnungsphase kann die Zervixdilatation verzögern. Erfolgt die Gabe jedoch bei bereits eröffnetem Muttermund, kann zu diesem Zeitpunkt der Geburtsverlauf durch die Beseitigung von Angst und Schmerz günstig beeinflusst werden. Der gelegentlich die Geburt verzögernde Effekt der Opioide wird weniger bei den Multiparae als bei den Erstgebärenden beobachtet, und er wird auch dann seltener beobachtet, wenn der Blasensprung bereits erfolgt ist. Allgemein besteht die Gefahr, dass Über- und Unterdosierungen einen negativen Einfluss haben können. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der individuellen, auf den vorliegenden Einzelfall abgestimmten Dosierung. Von entscheidender Bedeutung bei der Schmerzbehandlung mit Opioiden ist die Berücksichtigung des Zeitintervalls zwischen Verabreichung und Entbindung. Wenn der pharmakologische Effekt bei der Mutter noch zum Geburtszeitpunkt vorhanden ist, dann wird er beim Neugeborenen ebenso nachweisbar sein. Beim Kind ist die atemdepressive Wirkung der einzige schwerwiegende Nachteil, der zu erwarten ist. Wenn eine derartige Atemdepression auftritt, wird sie primär durch assistierte Beatmung und gleichzeitige Gabe von 0,01 mg/kg KG Naloxon intramuskulär behandelt. Naloxon sollte dagegen auf keinen Fall denjenigen Neugeborenen verabreicht werden, deren Mütter opiatabhängig sind. In einem derartigen Fall werden Entzugssymptome beim Kind hervorgerufen. Festzuhalten bleibt, dass eine vollständige Analgesie mit Opioiden ohne Nebenwirkungen, wie Sedierung, Benommenheit oder auch Übelkeit, auf systemischem Weg nicht zu erreichen ist. Bei einer adäquaten Dosierung und einem günstig gewählten Zeitpunkt sind aber vorteilhafte Effekte auf die Schmerzempfindung und den Geburtsverlauf zu erwarten. Das Ziel bei der Opioidgabe muss das Erreichen möglichst gleichmäßiger Plasmaspiegel sein. Bei der großen Auswahl der zur Verfügung stehenden Substanzen hat als oberster Grundsatz zu gelten, dass der Geburtshelfer jenes Analgetikum wählt, das ihm hinsichtlich seiner Wirkung und Nebenwirkungen am besten vertraut ist und das in der jeweiligen Abteilung oder Klinik am häufigsten verwendet wird.
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
47.2.2
Nichtopioidanalgetika und Spasmolytika
Nichtopioidanalgetika, früher auch als peripher wirkende Analgetika bezeichnet, finden während der Geburt kaum Anwendung. Hierzu zählen Substanzen wie Azetylsalizylsäure, Paracetamol sowie Pyrazolonderivate wie das Metamizol. Allen gemeinsam ist, dass sie die Prostaglandinsynthese hemmen und somit u. U. einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus und eine pulmonale Hypertonie beim Neugeborenen verursachen können. Eine Beeinträchtigung der Hämostase durch Aggregationshemmung der Thrombozyten sowie Störungen der Nierenfunktion sind weitere Nebenwirkungen dieser Substanzen. Der Einsatz von Spasmolytika wie Buscopan (N-Butylscopolaminiumbromid) mit ihrer krampflösenden Wirkung ist in der Geburtshilfe umstritten. Da die Cervix uteri vornehmlich aus Bindegewebe und nur zu einem kleinen Teil aus glatter Muskulatur besteht, ist eine pharmakodynamische Wirkung dieser Pharmaka zur Beseitigung des Eröffnungswiderstandes im Bereich der Zervix kaum erklärbar, denn krampflösende Pharmaka vermögen nur auf die glatte Muskulatur einzuwirken, nicht aber auf Bindegewebe. Dennoch werden diese Substanzen häufig von den Hebammen zu Beginn der Geburt in Form von Dragees, Suppositorien oder systemisch verabreicht. Aufgrund der geringen Nebenwirkungen dieser Pharmaka ist dagegen nichts einzuwenden.
47.2.3
Stickoxydul (Lachgas)
Obwohl Lachgas seit mehr als 100 Jahren in der Geburtshilfe eingesetzt wurde, ist seine Wirksamkeit in diesem Einsatzbereich durch kontrollierte Studien nicht belegt. Dennoch ist es auch heute noch in manchen geburtshilflichen Institutionen üblich, dass die Gebärenden während der Wehen intermittierend 50% Lachgas als Analgetikum einatmen, wobei sie sich die Maske meist selbstständig vor das Gesicht halten. Kritisiert wird diese Vorgehensweise, da in den Wehenpausen ein Abfall der maternalen Sauerstoffsättigung beobachtet wurde. Studienbox In einer älteren Untersuchung fand sich jedoch keine Verschlechterung der maternalen Oxygenierung bei intermittierender Einatmung eines Gemischs von 50% Lachgas und 50% Sauerstoff (Carstoniu et al. 1994). Allerdings erwies sich der analgetische Effekt von Lachgas auch in dieser Studie als unzureichend.
Vermutlich ist der Grund für den Einsatz von Lachgas eher in einem subjektiven Gefühl des Wohlbefindens der Mütter durch die euphorisierende Wirkung dieser Substanz als in seinem analgetischen Effekt zu sehen. Ein weiterer Diskussionspunkt ist durch eindeutige Befunde entstanden, die eine Hemmung der Methioninsynthetase durch Lachgas beweisen, ein Effekt, der auch bei Neugeborenen nachgewiesen wurde, deren Mütter nur 30 min lang Lachgas inhaliert hatten. Über Neuropathien und Störungen
der Hämatopoese als Folge des Methioninmangels beim Neugeborenen gibt es zwar keine Berichte, dennoch scheint eine lang dauernde Verabreichung von Lachgas im Kreißsaal nicht mehr angebracht, während seine kurzfristige Anwendung unter gleichzeitiger Gabe von 50% Sauerstoff nach derzeitigem Kenntnisstand als vertretbar angesehen werden kann.
47.2.4
Periduralanästhesie
> Von allen Möglichkeiten, den Geburtsschmerz zu verhindern oder zu reduzieren, ist die Periduralanästhesie als das Verfahren der Wahl anzusehen.
Für die Geburtshilfe kommt im Grunde genommen nur die Katheter-PDA in Frage. Lediglich bei Sectio wird auch eine PDA ohne Katheter mittels einer einmalig verabreichten Dosis (»Single-shot-Technik«) angewendet.
Prinzip Das Prinzip des Verfahrens besteht darin, dass ein Lokalanästhetikum oder in neuerer Zeit auch eine Kombination bestehend aus einem Lokalanästhetikum und einem Opioid in den Epiduralraum (auch Periduralraum genannt) injiziert wird. 4 Im Falle der ausschließlichen Verwendung eines Lokalanästhetikums wird die Fortleitung der afferenten Schmerzimpulse durch Blockade der durch den Periduralraum ziehenden Nervenfasern unterbrochen. 4 Wird zusätzlich ein Opioid gegeben, so entfaltet dieses seinen analgetischen Effekt zum einen zentral nach systemischer Resorption, zum anderen wohl auch nach Diffusion durch die Dura über eine direkte Wirkung an den Opiatrezeptoren des Rückenmarks. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Kombination beider Substanzklassen, die ihren Angriffspunkt an unterschiedlichen Strukturen haben, günstig auf den Geburtsverlauf auswirkt.
Analgetische Wirkung Wenn die PDA sachgerecht durchgeführt wird, kann in 80% der Fälle eine vollkommene Analgesie während der Uteruskontraktionen erreicht werden. In weiteren 10–15% der Fälle wird zumindest eine deutliche Linderung der Wehenschmerzen bewirkt. 4 Ein Teil der Patientinnen wird keine vollkommene Erleichterung verspüren: Dies kann dadurch bedingt sein, dass die segmentale Ausbreitung unvollständig ist, oder es besteht die Möglichkeit, dass die Analgesie nur einseitig vorhanden ist, während auf der kontralateralen Seite der volle Wehenschmerz verspürt wird. 4 Eine weitere Reihe von Patientinnen wird während der Endphase des zweiten Stadiums der Geburt keine ausreichende perineale Analgesie haben. Das hat zur Folge, dass das Schmerzereignis während der Austreibungsphase besonders dann intensiv erlebt wird, wenn eine instrumentelle Hilfe zur Entbindung – sei es durch Forzeps oder Vakuumextraktion – notwendig wird.
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4 Schließlich kommt es bei etwa 5% der Gebärenden vor, dass v. a. im Rücken, aber auch an den Flanken oder im Abdomen während jeder Uteruskontraktion ein unangenehmes schmerzhaftes Druckgefühl vorhanden ist, manchmal sogar ein konstant anhaltender Rückenschmerz auch während der Wehenpausen. Diese zuletzt genannten schmerzhaften Ereignisse kommen besonders häufig bei abnormen Geburtslagen vor.
Vorbereitung Sollte noch genügend Zeit für ein Prämedikationsgespräch sein, ist es für den Anästhesisten wichtig, sich einen Eindruck von der Anatomie des Rückens der Patientin zu verschaffen (Adipositas, Skoliose oder Versteifungen der Lendenwirbelsäule). Bei gesunden Patientinnen ist eine sachgerecht durchgeführte »Blutungsanamnese« nicht nur ausreichend, sondern derzeit jeder Laboruntersuchung überlegen.
Tipp
Technik
Der günstigste Zeitpunkt, eine Epiduralanästhesie einzusetzen, ist die aktive Phase der Geburt, wenn die Patientin bereits mittlere bis heftige Schmerzen während der Uteruskontraktionen verspürt. Die Wehen sollten regelmäßig und von deutlicher Intensität sein; der vorangehende Teil des Kindes hat sich im Beckeneingang eingestellt, und der Muttermund ist bereits 3 cm eröffnet.
> In früheren Zeiten war es durchaus üblich, dass die PDA vom Geburtshelfer selbst durchgeführt wurde. Aufgrund von Absprachen zwischen den Fachgesellschaften der Anästhesiologie und Gynäkologie/Geburtshilfe und medikolegaler Gesichtspunkte ist dies seit einigen Jahren jedoch zunehmend die Ausnahme geworden und kann nicht mehr befürwortet werden.
Dessen ungeachtet ist bekannt, dass diejenigen Patientinnen, die bereits zu Beginn der Eröffnungsperiode stärkste Schmerzen haben, einen oft protrahierten Geburtsverlauf mit lang dauernder Eröffnungs- und Austreibungsphase erleben. Dies ist verbunden mit einer Zunahme instrumenteller Entbindungen. Hier kann eine frühzeitig angelegte PDA von Vorteil sein. Andere Gründe, dieses Verfahren schon zu Beginn der Geburt, also vor dem Auftreten von starken Wehenschmerzen anzuwenden, sind kardiale Vorerkrankungen der Mutter oder eine Frühgeburt.
Indikationen Neben der Ausschaltung des Geburtsschmerzes in der Eröffnungs- und Austreibungsperiode ist der Einsatz der PDA bei folgenden Situationen in Erwägung zu ziehen:
Indikationen für eine Periduralanästhesie zur Geburt 4 4 4 4 4 4 4
Kardiale und pulmonale Vorerkrankung der Mutter Plazentainsuffizienz Frühgeburt Diabetes mellitus Präeklampsie und Eklampsie Zwillingsschwangerschaft Vaginale Beckenendlagengeburt
Kontraindikationen für eine Periduralanästhesie zur Geburt 4 Nichteinwilligung der Patientin 4 Angeborene oder erworbene Störungen der Blutgerinnung 4 Infektionen im Bereich der Punktionsstelle oder generalisierte Infektion (Sepsis) 4 Instabile Kreislaufverhältnisse (z. B. Hypovolämie im Rahmen einer Blutung)
Dennoch ist es auch für den im Kreißsaal tätigen Geburtshelfer nützlich, sich mit der Technik dieser Methode vertraut zu machen. Aus diesem Grund sei die Vorgehensweise bei der Anlage dieser rückenmarknahen Leitungsanästhesie etwas genauer beschrieben: Unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung einer PDA ist die Bereitstellung von Intubationszubehör, Narkosegerät, Defibrillator sowie von Notfallmedikamenten und intravenösen Anästhetika. Desgleichen ist die Anwesenheit eines in der Behandlung von Komplikationen versierten Anästhesisten erforderlich. Da bei allen Schwangeren eine Anfälligkeit für arterielle Blutdruckabfälle nach rückenmarknahen Leitungsanästhesieverfahren besteht, werden vor Anlage der Anästhesie 500– 1000 ml einer Elektrolytlösung innerhalb von 20–30 min infundiert, obwohl hierdurch nicht immer Hypotensionen vermieden werden können. OP-Haube, Mundschutz, sterile Handschuhe sowie das Tragen eines sterilen Kittels gehören ebenso zu den hygienischen Voraussetzungen wie die sorgfältige Hautdesinfektion und das Abdecken der Rückenpartie mit sterilen Klebetüchern. Zur Punktion selbst wird die Patientin auf die Seite gelagert; in vielen Fällen – besonders bei adipösen Patientinnen – gelingt die Punktion in sitzender Position jedoch leichter, da die Mittellinienstruktur im Verlauf der Dornfortsätze besser identifizierbar ist. Als Punktionsstelle wird i. d. R. der Zwischenwirbelraum L2/L3 oder L3/L4 gewählt, wobei als Orientierung die Verbindungslinie beider Beckenkämme dient, die den Dornfortsatz des 4. Lendenwirbelkörpers oder den Raum zwischen L4 und L5 schneidet. Die Lokalanästhesie der Haut und des Punktionsweges geschieht mit einem kurz wirksamen Lokalanästhetikum (z. B. Mepivacain 1%). Die Punktion des Periduralraums erfolgt meist mit einer Tuohy-Nadel (16–18 G), die durch Haut, subkutanes Gewebe und Lig. interspinale vorgeschoben wird. Als wichtiger anatomischer Bezugspunkt dient das Lig. flavum. Zu dessen Identifizierung dient eine mit steriler Kochsalzlösung gefüllte 10-ml-Spritze, die auf die Tuohy-Nadel nach Durchdringen des Lig. interspinale aufgeschraubt und an ihrem seitlich angebrachten Flügel von der rückennahen Hand (i. d. R. die linke) millimeterweise vorgeschoben
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
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c . Abb. 47.1a–c. Technik der Periduralanästhesie mit der Widerstandsverlustmethode. a Die mit einer aufgesetzten Kochsalzspritze versehene Tuohy-Nadel wird in den Periduralraum vorgeschoben. b Die Kanüle hat das Lig. flavum durchstochen, es tritt ein schlagartiger Widerstandsverlust auf. c Über die Periduralnadel wird ein Katheter etwa 2–4 cm in den Periduralraum vorgeschoben. (Nach Kretz et al. 1996)
wird, während die andere Hand einen konstanten Stempeldruck auf die Spritze ausübt (. Abb. 47.1). In dem Augenblick, in dem das Lig. flavum erreicht wird, lässt sich der Spritzenstempel auch durch stärkeren Druck nicht mehr bewegen und ein deutlicher, manchmal fast knöchern wirkender Widerstand ist zu spüren, oft verbunden mit einem »knirschenden Geräusch«. Unter extrem vorsichtigem weiterem Vorschieben der Nadel – wobei sich der Rücken der die Punktionsnadel führen-
den und schiebenden Hand an der Patientin abstützt – wird das i. d. R. zähe Lig. flavum überwunden, das im lumbalen Bereich eine Stärke von etwa 5–6 mm aufweist, und die Nadelspitze dringt in den Periduralraum ein. In diesem Augenblick lässt der dem Stempeldruck entgegenwirkende Widerstand abrupt nach. Die in der Spritze vorhandene Kochsalzlösung kann ohne jeglichen Gegendruck (»loss of resistance«) in den Periduralraum injiziert werden, und das Einführen des Katheters ist möglich. Dieser wird auf eine Strecke von 3 bis maximal 4 cm in den Periduralraum vorgeschoben, anschließend die Punktionsstelle steril verbunden und der Katheter auf dem Rücken der Patientin mit Klebefolie oder Pflaster fixiert. Nach einem Aspirationsversuch, der zum Ausschluss von Blut- oder Liquoraspiration dient und am besten noch vor dem Aufsetzen eines Bakterienfilters erfolgen sollte, kann die Testdosis von 10 mg Bupivacain in einer 0,25%igen Lösung injiziert werden. Treten innerhalb von 3–5 min nach Applikation der Testdosis keine Zeichen einer Spinalanästhesie (Warmwerden der unteren Extremitäten, »Kribbeln in den Beinen«) oder einer intravasalen Lage des Katheters (Bradykardie, metallischer Geschmack auf der Zunge, Schwindel, Übelkeit) auf, wird eine Gesamtdosis von 15– 25 mg Bupivacain (z. B. 10 ml einer 0,25%igen Lösung) epidural verabreicht. Diese Menge des Lokalanästhetikums reicht i. d. R. für eine sensorische Blockade der Segmente Th11–L1 aus. Weitere Nachinjektionen in der Eröffnungsphase, die im Abstand von 2–3 h notwendig sein können, beinhalten die Gabe von jeweils etwa 15–20 mg Bupivacain entsprechend einer Menge von 6–8 ml der 0,25%igen Lösung. Da die bei der Testdosis verabreichte Menge des Lokalanästhetikums (i. d. R. 10 mg) selbst bei versehentlicher intravasaler Injektion keine eindeutigen Symptome hervorrufen muss, wird von verschiedenen Autoren die Beimischung einer kardiovaskulär aktiven Substanz, wie z. B. Adrenalin, empfohlen. Eine nach versehentlicher intravasaler Injektion auftretende Tachykardie wird dann als Indikator für eine intravasale Katheterfehllage herangezogen. Die Methode ist jedoch in ihrer Aussagekraft unsicher.
Komplikationen > Die Aufklärung hinsichtlich möglicher Komplikationen sollte bereits während der Schwangerenvorsorge erfolgen. Hier hat sich die »Gruppenaufklärung« bewährt. Die Schwangeren werden im Rahmen der »Erstvorstellung« an der Geburtsklinik an die Anästhesie überwiesen, die im Rahmen einer »Sprechstunde« einmal die Woche über die anästhesiologischen Möglichkeiten der Schmerzbehandlung unter der Geburt eine Gruppe von mehreren Personen mit allen didaktischen Möglichkeiten informiert. Diese Aufklärung wird auf dem entsprechendem Formular von der Schwangeren durch Unterschrift bestätigt. Bei Inanspruchnahme einer regionalanästhesiologischen Methode unter der Geburt ist diese Aufklärung juristisch ausreichend und die Patientin personalsparend vorinformiert.
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Unter der Geburt, zumal bei heftigsten Schmerzzuständen, sind die Möglichkeiten einer Aufklärung durch den Anästhesisten mit allen medikolegalen Konsequenzen begrenzt. Bei schmerzbedingter eingeschränkter Kooperationsfähigkeit der Patientinnen ist das Ausfüllen des üblicherweise vorgelegten Prämedikationsbogens schlechthin unzumutbar, sodass in derartigen Fällen wie in einer Notfallsituation gehandelt werden muss. Neben einer arteriellen maternalen Hypotension, die nach einer PDA selten stark ausgeprägt ist, können systemtoxische Reaktionen bei versehentlicher intravasaler Injektion oder infolge einer Überdosierung eintreten. Bedrohlich ist die to-
tale hochsitzende Spinalanästhesie bei versehentlicher Injektion der großen, für die peridurale Applikation gedachten Lokalanästhetikamenge in den Intrathekalraum. Diese führt durch Sympathikolyse zu einem gravierenden Blutdruckabfall, zu Bradykardie durch Hemmung der zum Herzen ziehenden Nn. accelerantes und zur Ateminsuffizienz infolge Lähmung des Zwerchfells (N. phrenicus) und der Atemhilfsmuskulatur. ! Als häufigste Komplikation mit einer Häufigkeit von 1–1,5% der Fälle ist die Duraperforation anzusehen, die schwerste postpunktionelle Kopfschmerzen nach sich ziehen kann.
Diese Kopfschmerzen halten i. d. R. 1–2 Wochen an, in seltenen Fällen auch länger. Sie stellen insofern einen ernst zu nehmenden Krankheitszustand dar, als sie nicht nur schwer behandelbar sind, sondern auch zur Bettlägerigkeit der Mütter mit allen Folgen der Immobilisation führen. Im Vergleich zu anderen Patienten ist die Inzidenz des postpunktionellen Kopfschmerzes bei Gebärenden erhöht. Möglicherweise ist dies durch die zahlreichen Pressversuche unter der Geburt bedingt. Sie steigern den Druck im Intrathekalraum und führen über die Perforationsstelle zu einem vermehrten Liquorverlust. Die postpartal einsetzende vermehrte Diurese mit Dehydratation der Patientin wird die Symptome des Liquorverlustes aggravieren. Bei einer versehentlichen Duraperforation mit einer 16G-Nadel treten bei 80% der Fälle Kopfschmerzen auf (Shnider u. Levinson 1994). Die Behandlung dieser Komplikation ist nach wie vor schwierig. Sie besteht in Bettruhe (Rückenlage oder Seitenlage mit leicht nach unten gesenktem Oberkörper), ausreichender Flüssigkeitszufuhr und der Gabe von Nichtopioidanalgetika (z. B. Paracetamol). Die Anlage eines epiduralen Blutpatches zählt zu den gängigsten und wirksamsten Behandlungsmethoden (Cooper 1999): Hierbei werden unter streng sterilen Kautelen nach erneuter Punktion des Periduralraums 15–20 ml Vollblut in den Bereich der Perforationsstelle appliziert, in der Annahme, dass die Duraverletzung durch koaguliertes Blut verklebt. Präventiv kann bei erfolgter Duraperforation der Periduralkatheter nach erneuter Punktion an anderer Stelle eingeführt werden, um nach der Entbindung über ihn 40–60 ml einer Elektrolytlösung zu verabreichen. Sehr selten vorkommende Zwischenfälle nach einer PDA sind Blutungen mit der Entwicklung eines epiduralen Hämatoms, Abscheren des Katheters oder Infektionen mit möglicher Ausbildung eines epiduralen Abszesses (Besmer et al. 2001).
Pharmaka zur Periduralanästhesie Sieht man von den α2-Agonisten ab, kommen Lokalanästhetika oder/und Opioide zur Anwendung.
Lokalanästhetika Lokalanästhetika blockieren reversibel die Fortleitung der Aktionspotenziale der Nervenfasern und verhindern somit die Schmerzempfindung. Sie unterbrechen die Permeabilität der Nervenfasern für Natriumionen, sodass die nach der Stimulation der Nervenfaser fortgeleitete Erregungswelle, Aktionspotenzial genannt, die Nervenmembran nicht mehr zu depolarisieren vermag. Der mit der Depolarisation einhergehende Na+-Einstrom in die Nervenzelle und der nachfolgende K+Ausstrom werden blockiert. Die Folge ist zunächst eine Verlangsamung der Erregungsleitung und eine verlängerte Refraktärzeit, schließlich eine vollständige Aufhebung der Nervenleitung. Die verschiedenen Typen von Nervenfasern zeigen eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Lokalanästhetika: Dünne Fasern werden schneller blockiert als dicke. Somit ist es erklärbar, dass die Funktion der dicken motorischen Aα-Fasern später ausfällt als die der dünnen, Schmerz leitenden C-Fasern. Besonders empfindlich sind die postganglionären Fasern des sympathischen Nervensystems. Dies spielt v. a. im Rahmen der häufig bei Sectio durchgeführten Spinalanästhesie eine große Rolle: Die Blockade der Sympathikusfasern bewirkt eine Vasodilatation und damit u. U. ausgeprägte Blutdruckabfälle. Nebenwirkungen. Da die Lokalanästhetika grundsätzlich die Erregungsbildung und -leitung an allen erregbaren Nervenmembranen verhindern können, sind Zwischenfälle – abgesehen von den allergisch bedingten Komplikationen – durch Beeinflussung dieser Strukturen an Herz und ZNS pathophysiologisch erklärbar. > Zeichen einer Intoxikation mit Beeinträchtigung des ZNS infolge einer Überdosierung oder versehentlicher intravasaler Injektion 4 Erste Zeichen: 4 Unruhe 4 Schwindel 4 starke Erregung 4 Übelkeit 4 Erbrechen 4 metallischer Geschmack auf der Zunge 4 Späte Zeichen: 4 Muskelzuckungen 4 klonische Krampfzustände 4 Koma 4 zentral bedingte Atemdepression
Seitens des kardiovaskulären Systems können bei Intoxikationen eine verminderte Inotropie, Bradykardien, eine Verlängerung der Überleitungszeit mit AV-Block bis hin zum Herzstillstand auftreten. Der vasodilatatorische Effekt der Lokalanästhetika wirkt sich bei diesem kardiogenen Schockzustand besonders schwerwiegend aus.
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
> Die Therapie der Intoxikation durch Lokalanästhetika besteht in: 4 Sauerstoffgabe, bei Krampfanfall Beatmung; 4 Sedierung (Barbiturate, Benzodiazepine); 4 Volumensubstitution; 4 Sympathomimetika (Effortil 2–20 mg; Akrinor 50–100 mg; Suprarenin 1 : 1 000, 5–10 μg); 4 Atropin (0,5–1,0 mg).
Zeitpunkt keinen Anlass dazu geben, diese Substanz aus der Geburtshilfe zu verbannen. Gegen eine Applikation von Bupivacain in niedrigen Konzentrationen (0,125% oder 0,25%) für die PDA unter der Geburt ist bei sachgemäßer Anwendung – und diese schließt eine versehentliche intravasale Injektion aus – nur wenig einzuwenden. Für die intrathekale Anwendung bei Sectio wird es ohnehin zunächst seinen Einsatzbereich bewahren. Tipp
Charakterisierung einiger in der Geburtshilfe verwendeter Lokalanästhetika Bupivacain (Carbostesin). Wie nahezu alle in der Geburts-
hilfe eingesetzten Lokalanästhetika gehört auch diese Substanz zum Amidtyp. Im Gegensatz zur Esterbindung bei anderen Lokalanästhetika ist diese Amidbindung einer hydrolytischen Spaltung durch die Plasmacholinesterase nicht zugänglich, sodass die Verstoffwechselung erst in der Leber erfolgt. Durch Verlängerung der Seitenkette am aromatischen Molekülanteil ist die Substanz stark fettlöslich und weist eine lange Wirkdauer von 4–6 h auf. Die hohe Eiweißbindung bewirkt, dass trotz der guten Fettlöslichkeit nur ein kleiner Teil der verabreichten Menge die Plazentaschranke passiert. Da jedoch die Proteinbindungsrate nicht als konstante Größe anzusehen ist, sondern sich in Abhängigkeit vom pHWert, von der Temperatur und von der Gesamteiweißkonzentration im Plasma verändert, ist es möglich, dass der freie, nicht an Plasmaproteine gebundene Anteil unerwünschte Wirkungen bei Mutter und Fetus auslöst. Da eine Azidose oder Hypoxie zu einer Verminderung der Proteinbindungsrate und damit zum Anstieg der freien, nicht gebundenen Substanz führt, ist es verständlich, dass bei derartigen Zuständen mit erniedrigtem pH-Wert des Plasmas die Toxizität aller Lokalanästhetika zunimmt. Bupivacain, das über mehr als 20 Jahre nicht nur in der Geburtshilfe erfolgreich eingesetzt wurde und einen festen Platz als lang wirksames Lokalanästhetikum eingenommen hat, ist durch aufsehenerregende Berichte Anfang der 1980-er Jahre in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Nach Überdosierung dieses Pharmakons – häufig war es die 0,75%ige Lösung – oder versehentlicher intravasaler Injektion war es u. a. auch bei seiner Anwendung zur Sectio zu schwer therapierbaren Herzstillständen gekommen, die nach frustraner Reanimation z. T. auch einen letalen Ausgang hatten. Die hohe Fettlöslichkeit der Substanz verhindert eine relevante systemische Resorption. Bei einer versehentlichen direkten intravasalen Injektion wird der sich toxischen Plasmaspiegeln entgegenstellende Resorptionsweg ausgeschaltet. Sobald Bupivacain in ausreichend hoher Dosierung direkt in eine Vene verabreicht wird und auf diesem Weg Herzmuskelzelle und ZNS rasch erreicht, wird es aufgrund des hohen Konzentrationsgradienten die lipidartigen Strukturen des NaIonenkanals besetzen und diese aufgrund seiner Lipophilie nur langsam wieder verlassen. Kardial kommt es dann zu den oben genannten Komplikationen; seitens des ZNS treten Krämpfe, Atemstillstand und Koma auf. Die im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika höhere Kardio- und ZNS-Toxizität von Bupivacain sollte zum jetzigen
Dabei gelten folgende Dosierungsempfehlungen: 4 Für die vaginale Entbindung ist eine Anfangsdosis von 10–14 ml der 0,25%igen Lösung ausreichend, entsprechend 25–30 mg. Für notwendige Nachinjektionen sind 6–8 ml dieser Konzentration erforderlich. 4 Zur Sectio sind wesentlich höhere Dosierungen notwendig. Hier wird meist die 0,5%ige Lösung angewendet, wobei die Dosis im Regelfall etwa 100 bis maximal 120 mg peridural beträgt, entsprechend 20–24 ml der 0,5%igen Lösung.
Ropivacain (Naropin). Auf der Suche nach einem weniger fettlöslichen Lokalanästhetikum mit geringerer Kardio- und ZNS-Toxizität ist diese dem Bupivacain sehr ähnliche Substanz entwickelt worden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die peridurale, nicht aber für die intrathekale Verabreichung zugelassen ist. Handelt es sich beim Bupivacain um ein razemisches Gemisch einer links- und rechtsdrehenden Form des Moleküls, so ist beim Ropivacain die isolierte Herstellung nur einer einzigen optisch aktiven Form gelungen: das so genannte S-Enantiomer, d. h. die linksdrehende Variante des Moleküls. Die physikochemischen Eigenschaften wie Molekulargewicht und Proteinbindungsrate sind dem Bupivacain sehr ähnlich, die Fettlöslichkeit ist dagegen deutlich niedriger. Es besetzt den Natriumionenkanal der Nervenzelle ebenso schnell wie Bupivacain, verlässt ihn aber auch rascher in der Phase der Repolarisation. Dies erklärt seine geringere Kardio- und ZNS-Toxizität, die in der Mitte zwischen Bupivacain und Lidocain liegt. Letzteres gilt als Vertreter eines Lokalanästhetikums mit geringer Kardiotoxizität. Im Vergleich zu Bupivacain entfaltet Ropivacain seinen Effekt an den A-δ-und C-Fasern bereits bei geringeren Konzentrationen. Damit kann die Behandlung des Wehenschmerzes mit geringerer Beeinflussung der für die Austreibung wichtigen motorischen Kraft durchgeführt werden. Bei äquipotenter Dosierung setzt die motorische Blockade im Vergleich zu Bupivacain etwas langsamer ein, ist weniger ausgeprägt und von etwas geringerer Dauer, wobei diese Unterschiede klinisch ohne wesentliche Relevanz sind. Tausende von Patientinnen sind bisher mit diesem neueren Lokalanästhetikum behandelt worden, und zahlreiche kontrollierte Studien haben das Wirkprofil und die Sicherheit der Substanz untersucht. Die Häufigkeit und der Schweregrad von Zwischenfällen waren bei chirurgischen Patienten und bei Schwangeren unter der Geburt bei einer Behandlung mit Ropivacain geringer als bei einer Behandlung mit Bupivacain.
1037 47.2 · Behandlung des Geburtsschmerzes
Selbst bei versehentlicher intravasaler Injektion einer größeren Substanzmenge traten keine schwerwiegenden Symptome einer Kardiotoxizität auf. Dies ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand als entscheidender Vorteil anzusehen. Hinsichtlich der beschriebenen, im Vergleich zu Bupivacain größeren Differenzierung von motorischer und sensibler Blockade, die für die Geburtshilfe von großer Bedeutung ist, liegen noch keine großen Fallzahlen vor. Sollte die Zahl instrumenteller Entbindungen unter einer PDA mit Ropivacain niedriger als unter der Gabe von Bupivacain sein, könnte dies zu einem vermehrten Einsatz von Ropivacain im Kreißsaal führen. Tipp 4 Zur PDA im Rahmen der vaginalen Entbindung beträgt die Anfangsdosis etwa 10–15 ml der 0,2%igen Lösung, entsprechend 20–30 mg. 4 Für die PDA zur Sectio caesarea werden 15–20 ml der 0,75%igen Lösung empfohlen, entsprechend 113–150 mg.
Mepivacain (Scandicain). Mepivacain ist das am häufigsten
angewendete Lokalanästhetikum für die Hautinfiltration vor Anlage einer Spinalanästhesie bzw. PDA. Die Substanz weist bei der Mutter eine relativ kurze Halbwertszeit von 1,5 h auf. Die Eiweißbindung im maternalen Blut liegt bei etwa 65%, die Lipophilie ist extrem niedrig. Als 4%ige hyperbare Lösung wird die Substanz intrathekal im Rahmen der Sectio angewendet. Für die geburtshilfliche PDA eignet sich dieses Pharmakon nicht, da aufgrund der kurzen Wirkdauer zu hohe Dosierungen notwendig werden und die Substanz darüber hinaus beim Neonaten eine sehr lange Halbwertszeit hat.
Lidocain In 5%iger hyperbarer Lösung wird Lidocain bei der Sectio angewendet. Hinsichtlich der Wirkdauer und der Eiweißbindung ist es dem Mepivacain vergleichbar.
Epidurale Anwendung von Opioiden Die ersten Erfahrungen mit der epiduralen Anwendung von Opiaten zur Schmerzbehandlung wurden mit Morphin gemacht. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die Substanz in 0,1–1 % der Fälle eine Atemdepression hervorrief. Als Erklärung für die noch in einem Abstand von mehreren Stunden nach der Applikation auftretende Atemdepression wird die rostrale Verteilung der hydrophilen Substanz im Liquorraum angesehen, die nach Erreichen des Atemzentrums im Hirnstamm ihren atemdepressiven Effekt entfaltet. Zur Verminderung dieser Komplikationsrate wurden in der Folge die synthetischen lipophilen Opioide Fentanyl und Sufentanil eingesetzt, von denen das Sufentanil die höchste Fettlöslichkeit aufweist, einen sehr schnellen Wirkungseintritt besitzt und eine ausgezeichnete analgetische Wirkung auch bei epiduraler Anwendung hervorruft. Da eine Atemdepression bei der Mutter – und nach transplazentarer Passage auch beim Neugeborenen – nicht ausgeschlossen werden kann,
wird Sufentanil in Kombination mit Bupivacain in niedriger Dosierung bei der PDA im Kreißsaal eingesetzt. Damit werden 2 Vorteile erreicht: 4 Erstens führt der sich gegenseitig verstärkende Effekt beider Substanzarten zu einer nunmehr möglichen Verminderung der Gesamtdosis beider Pharmaka und dadurch zur Verringerung der Nebenwirkungsrate. 4 Zweitens zeigt sich, dass die Kombination von niedrig dosiertem Lokalanästhetikum und Opioid eine stärkere analgetische Wirkung entfaltet als dies bei alleiniger Verabreichung einer der beiden Substanzarten der Fall war. Bei alleiniger Verwendung eines Lokalanästhetikums zur PDA unter der Geburt erreicht man zwar eine lang dauernde und ausgezeichnete Analgesie, jedoch wird dieser Effekt durch eine Beeinträchtigung der muskulären Kraft der Schwangeren erkauft. Dies ließ den Verdacht aufkommen, dass diese Methode verantwortlich für eine höhere Rate an instrumentellen Entbindungen sei. Durch den Zusatz eines Opioids zum Lokalanästhetikum lässt sich die motorische Blockade vermeiden: Die Patientinnen sind in der Lage, während der Austreibungsphase aktiv die Bauchmuskulatur zu betätigen, eine instrumentelle Hilfe bei der Entbindung wird seltener benötigt (Vertommen et al. 1991). Derartige Untersuchungen liegen in ausreichender Zahl vor, wobei sich eine Kombination mit Sufentanil in einer Gesamtdosierung von nicht mehr als 30 μg über den gesamten Geburtsverlauf hinweg mit 0,125%igem Bupivacain als wirkungsvoll erwies, ohne die Sicherheit für Mutter und Fetus zu gefährden. Als Nebenwirkung der periduralen Opioidgabe wird der Pruritus angegeben. Tipp In der Praxis werden in eine Perfusorspritze 30 μg Sufentanil (entsprechend 6 ml Sufenta mite) zusammen mit 20 ml 0,25 %igem Bupivacain und 14 ml physiologischer Kochsalzlösung aufgezogen, sodass ein Volumen von insgesamt 40 ml entsteht. In 10 ml dieser Gesamtlösung befinden sich demnach 7,5 μg Sufentanil und 12,5 mg Bupivacain. Sollten diese 40 ml, entsprechend 4 Bolusgaben von je 10 ml, nicht über den gesamten Geburtsverlauf hinweg ausreichen, wird die PDA unter alleiniger Verwendung von Bupivacain weitergeführt, um die Gesamtmenge von Sufentanil nicht weiter erhöhen zu müssen.
Peridural verabreichtes Sufentanil tritt nach systemischer Resorption transplazentar auf den Fetus über, dennoch scheint die Gefahr einer klinisch relevanten Atemdepression des Neugeborenen nach bisherigen Untersuchungen mit dieser Dosierung nicht gegeben zu sein. > Die kombinierte peridurale Anwendung von Opioid und Lokalanästhetikum zur Behandlung des Geburtsschmerzes hat inzwischen weite Verbreitung gefunden. Die Vorteile gegenüber der alleinigen Anwendung von Lokalanästhetika liegen nicht nur
6
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
in dem schnell einsetzenden Wirkungsbeginn, der besseren Analgesiequalität und der längeren Wirkdauer, sondern v. a. in einer Dosisreduktion des Lokalanästhetikums. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der perineale Schmerz in der Austreibungsphase durch die zusätzliche peridurale Gabe eines Opioids leichter beherrschbar ist. Das Auftreten eines Pruritus als einzige Nebenwirkung einer Opioidgabe erscheint angesichts ihrer Vorteile vertretbar.
Einfluss der Periduralanästhesie auf den Geburtsverlauf Wenn auch unbestritten ist, dass die PDA aus der Geburtshilfe nicht mehr wegzudenken ist, seien doch einige Überlegungen zu ihrem Einfluss auf den Geburtsverlauf angeführt. Allgemeine Übereinstimmung scheint darin zu bestehen, dass durch eine PDA die Wahrscheinlichkeit einer instrumentellen Hilfe bei der Entwicklung des Kindes steigt und dass sich die Austreibungsphase verlängert (McGrady 1997). Allerdings gibt es keine Studie, die diese Behauptung stichhaltig untermauern würde. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob eine PDA an sich die Häufigkeit von Sectiones beeinflusst. Hierzu gibt es Untersuchungen, die zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen (Chestnut et al. 1994, Thorp et al. 1993; Ros et al. 2007). Auch gibt es bisher keine eindeutigen Hinweise dafür, ob der Zeitpunkt, an dem eine Periduralanästhesie angelegt wird, also der Muttermund bereits auf eine bestimmte Weite (z. B. >3 cm) eröffnet ist, oder ob die Einstellung des kindlichen Kopfes im mütterlichen Becken zum Zeitpunkt der Katheteranlage einen Einfluss auf die Rate der Kaiserschnittentbindungen oder vaginaloperativen Entbindungenn hat (Eltzschig et al. 2003). Die Schwierigkeit der Beweisführung liegt darin, dass aus verschiedenen praktischen und ethischen Gesichtspunkten groß angelegte randomisierte Doppelblindstudien schwierig, wenn nicht gar unmöglich durchzuführen sind (Dewan u. Cohen 1994). Verständlicherweise werden sich wenige Frauen bereit erklären, in eine von vornherein festgelegte Methode der Schmerzbehandlung unter der Geburt einzuwilligen. Außerdem scheint es ethisch nicht vertretbar, ihnen bei bestehender geburtshilflicher Indikation die PDA vorzuenthalten.
Studienbox Die zahlreichen, nicht randomisierten Untersuchungen, die zeigen, dass eine PDA mit längeren Geburtsverläufen, häufigeren vaginaloperativen Entbindungen und einem Anstieg der Sectiorate verbunden sind, können nicht belegen, dass hier ein kausaler Zusammenhang besteht (Liebermann et al. 1996; McGrady 1997). Dessen ungeachtet gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass eine zunehmende Zahl von Periduralanästhesien nicht zwangsläufig zum Anstieg der Sectiofrequenz und der instrumentellen Entbindungen führt (Hemminki u. Gissler 1996).
Die unüberwindbare Schwierigkeit bei allen Studien besteht darin, dass es nicht vertretbar erscheint, eine doppelblinde Randomisierung vorzunehmen. Somit sind die Patientenkollektive der bisherigen Studien nicht vergleichbar, denn diejenigen Frauen, die wegen stärkster Schmerzzustände unter der Geburt eine PDA benötigen, werden auch diejenigen sein, die längere und schmerzhaftere Geburtsverläufe aufweisen und bei denen die Wahrscheinlichkeit einer operativen Entbindung höher ist als bei den Frauen, die keine PDA benötigen. Welche Auswirkung die PDA an sich auf den Geburtsverlauf haben wird, ist nicht vorhersehbar. > Unbestritten bleibt also, dass die PDA den Geburtsverlauf beeinflusst, im einen Fall vorteilhaft, im anderen Fall möglicherweise auch ungünstig. Für die Behauptung, dass dieses Verfahren entscheidend zu einer Zunahme der Sectiorate beiträgt, gibt es bislang keinen Beweis. Auch in Zukunft wird diese Methode der Schmerzbehandlung ihren festen Platz in der Geburtshilfe einnehmen, denn sie ist in ihrer analgetischen Potenz allen anderen verfügbaren Verfahren – sieht man von der kontinuierlichen Spinalanästhesie ab – zum jetzigen Zeitpunkt überlegen.
47.2.5
Kontinuierliche Spinalanästhesie
Die einmalige intrathekale Gabe eines Lokalanästhetikums und/oder Opioids bewirkt eine rasche und vollständige Aufhebung des Geburtsschmerzes, kann jedoch häufig keine ausreichende Analgesie über den gesamten Geburtsverlauf gewährleisten. Über einen intrathekalen Katheter kann die erforderliche Dosis des Lokalanästhetikums und/oder Opioids im Gegensatz zu einer einmaligen intrathekalen Gabe jedoch titriert nachinjiziert werden. Dazu wird bei der kontinuierlichen Spinalanästhesie nach Punktion des Subarachnoidalraumes mit einer 22- oder 24-G-Kanüle ein dünnlumiger Katheter (27–32 G) durch die Punktionskanüle 2 cm weit in den Intrathekalraum vorgeschoben. Die derzeit im Handel befindlichen Kathetersets beinhalten i. d. R. die Anwendung einer 22-G-Punktionskanüle mit bleistiftartig geformter Spitze, durch die ein 28-G-Katheter 2 bis maximal 3 cm in den Intrathekalraum platziert wird. Dünnlumigere Kanülen und Katheter sind zwar erhältlich, die Katheter (32 G) lassen sich jedoch kaum führen, und die Liquoraspiration über diese extrem dünnen Systeme ist nicht möglich. Daher sollte auf die Kathetersets zurückgegriffen werden, die 22-G-Kanülen und 28-G-Katheter enthalten. Die Häufigkeit des postpunktionellen Kopfschmerzes bei Verwendung dieser Methode liegt leider hoch (etwa 10%) Im Vergleich zur versehentlichen Duraperforation bei der Periduralanästhesie mit der TuohyNadel (16–18 G) sind diese Kopfschmerzen jedoch von unvergleichbar niedrigerer Intensität, und die Patientinnen sind in ihrem Allgemeinbefinden weitaus weniger beeinträchtigt. Bei der kontinuierlichen Spinalanästhesie sind im Vergleich zur Periduralanästhesie wesentlich geringere Dosierungen von Lokalanästhetika und Opioiden notwendig. Der Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass auch ein dringend
1039 47.2 · Behandlung des Geburtsschmerzes
. Abb. 47.2. Kontinuierliche Spinalanästhesie
notwendiger Kaiserschnitt mit Hilfe des bereits liegenden Katheters durchgeführt werden kann, da die Ausbildung einer vollständigen motorischen und sensiblen Blockade nach intrathekaler Verabreichung eines Lokalanästhetikums nur wenige Minuten beträgt. Vorteile scheinen sich auch bei der Patientengruppe zu ergeben, bei der sich die Punktion des Periduralraumes sehr schwierig gestaltet (z. B. Patientinnen mit schwierigen anatomischen Verhältnissen wie bestehenden Wirbelsäulendeformationen, extrem adipöse Patientinnen). Die Vorteile dieses Verfahrens liegen aber nicht nur in der einfacheren Punktionstechnik, sondern auch in der zu beobachtenden Tatsache, dass Spinalkatheter weniger leicht dislozieren und die Anästhesie sehr selten einseitig oder unvollständig ausgebildet ist; zudem gestaltet sich die »Titration« der für eine Analgesie ausreichenden Dosis des Lokalanästhetikums und/oder Opioids einfacher. In Betracht zu ziehen ist das Verfahren der kontinuierlichen Spinalanästhesie auch bei Patientinnen mit kardialen Vorerkrankungen, die zur Sectio caesarea anstehen. Blutdruckabfälle, wie sie bei Single-shotSpinalanästhesie häufig auftreten und die für derartige Patientinnen eine u. U. vitale Bedrohung darstellen, lassen sich hier durch langsame Titration der Applikation des Lokalanästhetikums leichter vermeiden (Dresner u. Pinder 2009). Dennoch muss betont werden, dass aufgrund der hohen Kopfschmerzrate das Verfahren der kontinuierlichen Spinalanästhesie zur Schmerzerleichterung unter der Geburt und auch beim Kaiserschnitt derzeit keine Routinemethode sein kann, zumal die Betreuung dieser Katheter einen sofort bereit stehenden Anästhesisten voraussetzt. In den Fällen jedoch, in denen eine Punktion des Periduralraumes zur Anlage der weiterhin standardmäßig empfohlenen Periduralanästhesie nicht
gelingt, sollte die Möglichkeit der Anwendung eines Spinalkatheters in Erwägung gezogen werden (. Abb. 47.2). Nebenwirkungen zeigen sich bei der Anwendung von Opioiden im regelmäßigen Auftreten von Juckreiz, des Weiteren in Übelkeit und Erbrechen. ! Die gleichzeitige Existenz zweier grundsätzlich unterschiedlicher Leitungsanästhesieverfahren wie die Spinalanästhesie und die PDA birgt die Gefahr einer Verwechslung. Die bei periduraler Gabe gewählten Dosierungen von Lokalanästhetika und Opioiden werden bei versehentlicher intrathekaler Injektion zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Bei einem zu weiten Vorschieben des Katheters kann es infolge von Knoten- und Schlingenbildung zur Verletzung der intraspinal verlaufenden Nervenfasern kommen. Blutungen durch Kontakt des Katheters mit der gefäßreichen Pia mater spinalis, Infektionen sowie Abscheren des dünnen Katheters sind weitere Komplikationen. Bei der kontinuierlichen Spinalanästhesie sollten nur isobare Lokalanästhetika angewendet werden, da bei Verwendung hyperbarer Lösungen lokal nerventoxische Reaktionen mit Ausbildung eines Caudaequina-Syndroms beschrieben wurden.
47.2.6
Kombinierte Spinal-EpiduralAnästhesie
Da diese Methode v. a. im englischsprachigen Raum weit verbreitet ist, soll das Prinzip des Verfahrens hier kurz beschrieben werden. Letzlich werden die beiden Formen der rücken-
47
1040
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
verwunderlich, dass die Entwicklung der letzten Jahrzehnte dahin führte, immer häufiger rückenmarknahe Leitungsanästhesieverfahren einzusetzen.
47.3.1
47
Allgemeinanästhesie
Im Gegensatz zu den Leitungsanästhesieverfahren besteht bei der Inhalationsanästhesie der Vorteil der schnellen Narkoseeinleitung. Sie verursacht weniger Blutdruckabfälle und beinhaltet eine Sicherung der Luftwege unter kontrollierter Beatmung.
Voruntersuchung
. Abb. 47.3. Kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie
marknahen Anästhesie (Single-shot-Spinalanästhesie und Katheterperiduralanästhesie) kombiniert (. Abb. 47.3). Nach Punktion des Periduralraumes in üblicher Technik mit einer speziellen Tuohy-Nadel, die an ihrem Ende zwei Öffnungen hat, wird durch die untere kleine Öffnung eine Spinalkanüle in den Liquorraum vorgeschoben, das Lokalanästhetikum und/oder Opioid injiziert, anschließend die Spinalkanüle entfernt. Jetzt wird der Periduralkatheter über die noch liegende Tuohy-Nadel platziert, diese dann nach Einführen des Katheters entfernt. Der theoretische Vorteil liegt darin, den schnellen Wirkungeintritt intrathekal verabreichter Medikamente mit der im weiteren Geburtsverlauf notwendigen Analgesie über den Periduralkatheter fortzusetzen. Im deutschsprachigen Raum wird diese Methode eher selten angewendet.
Grundsätzlich unterscheidet sich die präoperative Untersuchung nicht von derjenigen bei nichtgeburtshilflichen Patienten. Besonderes Augenmerk wird man jedoch gerade bei diesen Patientinnen auf möglicherweise auftretende Intubationsschwierigkeiten richten. Dazu zählen die Überprüfung der Mundöffnung und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule, besonders beim Versuch, diese zu überstrecken. Ein zurückliegender Unterkiefer oder/und vorstehende obere Schneidezähne geben einen Hinweis darauf, dass die Sicherung der Luftwege schwierig werden kann. Ein einfach durchzuführender Test, der es dem Anästhesisten ermöglicht, frühzeitig Intubationsschwierigkeiten vorherzusagen, soll kurz beschrieben werden: Die vor dem Untersucher sitzende Patientin wird aufgefordert, den Mund so weit wie möglich zu öffnen und die Zunge herauszustrecken. Lassen sich hierbei Gaumensegel und Uvula nicht oder nur teilweise erkennen, sind Intubationsprobleme zu erwarten. Weitere wertvolle Hilfen für das Erkennen derartiger Schwierigkeiten sind die Bestimmung der thyreomentalen Distanz (<6,5 cm) und des sternomentalen Abstands (<12,5 cm) bei vollkommen überstreckter Halswirbelsäule. Besonders bei sehr adipösen Patientinnen wird man diese Untersuchungen gründlich vornehmen, da eine Maskenbeatmung bei nicht möglicher Intubation extrem erschwert, wenn nicht gar unmöglich ist. Tipp
47.3
Anästhesie bei Sectio caesarea
Die Frequenz der Schnittentbindungen hat in den letzten Jahren weltweit zugenommen. Verantwortlich dafür sind u. a. eine bessere Geburtsüberwachung und zunehmend forensische Gesichtspunkte. Die maternale peripartale Mortalität in Westeuropa ist nicht genau bekannt, da die offiziellen Mortalitätszahlen nicht der Realität entsprechen (Welsch 1995), sie dürfte bei einer Größenordnung von 20 maternalen Todesfällen pro 100.000 Lebendgeborenen liegen. Die Sectiomortalität, also die Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit der Sectio, ist deutlich höher. Der anästhesiologisch verursachte Anteil der maternalen Sterblichkeit bei Sectiones ist ebenso schwer zu erfassen. Er ist vorwiegend auf Aspiration und Hypoxie nach Intubationsschwierigkeiten im Rahmen der Narkoseeinleitung zurückzuführen (Chestnut 1997). Aus diesem Grund ist es nicht
Sind aufgrund der bei der präoperativen Untersuchung erhobenen Befunde Intubationsprobleme zu erwarten, so stellt die fiberoptische Intubation der wachen Patientin das sicherste Verfahren dar. Diese Vorgehensweise sollte dann in allen Einzelheiten bei der Prämedikation erklärt werden.
Trotz aller präoperativ sorgfältig erhobenen Befunde wird es immer wieder vorkommen, dass unerwartet während der Narkoseeinleitung die Intubation nicht gelingt. In derartigen Fällen wird man zunächst versuchen, die Patientin über eine Maske mit reinem Sauerstoff zu beatmen oder eine Larynxmaske einzuführen. Sollte auch dadurch keine Oxygenierung möglich sein, verbleibt als Ultima ratio nur die Notkoniotomie. Aus diesem Grund ist die Bereitstellung eines dafür geeigneten Instrumentariums grundsätzlich erforderlich.
1041 47.3 · Anästhesie bei Sectio caesarea
Prämedikation > Bei den maternalen Todesfällen, die im Rahmen der Allgemeinanästhesie auftreten, stellt die Aspirationspneumonie die Hauptursache dar.
Während des letzten Trimenons und besonders unter der Geburt ist die Magenentleerung verzögert. Durch den vergrößerten Uterus wird der Magen nach oben geschoben, wodurch der intragastrale Druck ansteigt; zusätzlich nimmt der Tonus des unteren Ösophagussphinkters ab. Die Motilität des Magen-Darm-Traktes wird durch erhöhte Progesteronspiegel, verminderte Motilinspiegel und evtl. peripartal verabreichte Opioide herabgesetzt. Darüber hinaus nimmt das Volumen des sauren Magensaftes unter der Einwirkung des auch von der Plazenta gebildeten Gastrins zu. Ultraschalluntersuchungen des Magens haben ergeben, dass bei etwa der Hälfte der Schwangeren am Termin noch 8–24 h nach der letzten Nahrungsaufnahme feste Nahrungsbestandteile im Magen vorhanden waren. All diese Veränderungen erhöhen die Gefahr der Regurgitation und bronchopulmonalen Aspiration mit ihren möglicherweise deletären Folgen. > Die physiologischen Veränderungen im Gastrointestinaltrakt haben dazu geführt, dass jede Schwangere ab der 20. SSW als nicht nüchtern angesehen wird. Das heißt, die sonst üblicherweise als ausreichend anzusehende Zeit von 6 h nach der letzten Nahrungsaufnahme kann hier nicht als Nüchternheitsgrenze gelten.
Deshalb hat die Prämedikation auch zum Ziel, die Menge (<25 ml) und die Azidität des Magensaftes zu vermindern (pH-Wert >2,5), um bei einer Aspiration die verheerenden Folgen einer Pneumonie, die schon seit langem unter dem Begriff des Mendelson-Syndroms bekannt ist, zu vermeiden. Folgende medikamentöse Maßnahmen werden empfohlen: 4 H2-Rezeptorantagonisten reduzieren zuverlässig Volumen und Azidität des Magensaftes. Sie entfalten ihre Wirkung aber erst 1–2 h nach oraler Verabreichung bzw. 45– 60 min nach intravenöser oder intramuskulärer Gabe. Ranitidin wird als Mittel der Wahl angesehen, da es die Leberperfusion nur unwesentlich beeinflusst und keine Hemmung der Leberenzyme verursacht. Für die elektive Sectio empfiehlt es sich, am Abend vor dem Operationstag 150 mg Ranitidin oral zu geben und die gleiche Dosis 2 h präoperativ zu verabreichen. 4 Bewährt hat sich auch die Gabe von Natriumcitrat 0,3 molar, das bei 95% der Patienten eine Anhebung des pHWerts auf >2,5 bewirkt. Da es nur kurz wirksam ist, darf diese Substanz in einer Menge von 20–30 ml nicht früher als 30 min vor Narkosebeginn gegeben werden. 4 Schließlich erreicht man durch die Gabe von Metoclopramid in einer Dosierung von 10 mg 15 min vor dem Eingriff eine Tonussteigerung des unteren Ösophagussphinkters. Obwohl die Effektivität dieser Substanz bei geburtshilflichen Eingriffen im Hinblick auf einen Aspirationsschutz nicht sicher erwiesen ist, wird sie von Anästhesisten bei sehr adipösen Patientinnen und solchen mit einer Nei-
gung zur Regurgitation eingesetzt. Nebenwirkungen auf das Neugeborene sind nicht beschrieben. ! Sedativa, insbesondere Benzodiazepine, sollten nicht zur Prämedikation eingesetzt werden. Sie passieren die Plazentaschranke leicht und verursachen beim Neugeborenen Störungen der Temperaturregulation, des neurologischen Verhaltens und der Atmung über die Dauer von 72 h bis zu 5 Tagen. Dies gilt auch für das kurz wirksame Midazolam.
Lagerung Trotz des erhöhten Herzminutenvolumens (HMV) und des erhöhten Blutvolumens neigt die Schwangere am Geburtstermin zur Hypotonie. In Rückenlage werden die V. cava inferior und die Aorta durch den großen, schweren Uterus in Höhe des 3.–4. Lendenwirbels gegen die Wirbelsäule gedrückt und dabei erheblich komprimiert. Die Obstruktion der V. cava bewirkt zum einen durch den verminderten Blutrückstrom zum Herzen einen Abfall des HMV mit einem kompensatorischen Anstieg der maternalen Herzfrequenz und einem Abfall des arteriellen Mitteldrucks. Die Obstruktion behindert den venösen Abfluss des Uterus mit der Herabsetzung seiner Perfusion. Die Kompression der Aorta findet oberhalb ihrer Bifurkation statt. Da die Uterinarterien distal der Bifurkation aus den hypogastrischen Gefäßen ihren Ursprung nehmen, ist deren Blutfluss u. U. erheblich vermindert und kann zur Asphyxie des Kindes führen. Der an der A. brachialis gemessene Blutdruck kann dabei unverändert bleiben. Dieses Phänomen kann durch Palpation des Femoralispulses erkannt werden, der sich durch die Kompression der Aorta deutlich schwächer anfühlt, aber nach manueller Linksverlagerung des Uterus und bei einer Linksseitenlage der Patientin um 20–30° seine normale Pulsqualität wieder annimmt. Die Kompression der Aorta verursacht bei der Mutter keine klinischen Symptome, wie sie die Kompression der V. cava hervorruft (Blässe, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen). Für den Anästhesisten ist diese Kenntnis deshalb wichtig, weil volatile Anästhetika, aber auch Hypnotika die Symptome der aortokavalen Kompression durch eine Vasodilatation und negative Inotropie verstärken. Bei den rückenmarknahen Leitungsanästhesieverfahren wie der Spinalanästhesie und PDA ist die Vasodilatation durch Sympathikolyse besonders ausgeprägt und aggraviert die Folgen der aortokavalen Kompression. Die zuvor genannten therapeutischen Lagerungsmaßnahmen sind nur in einem Teil der Fälle geeignet, Blutdruckabfälle zu verhindern.
Präoxygenierung Im Verlauf der Schwangerschaft erhöht sich der Sauerstoffbedarf um bis zu 20% als Folge des gesteigerten maternalen Metabolismus und der erhöhten Atem- und Herzarbeit. Die Sauerstoffbindungskurve ist mit fortschreitender Schwangerschaft zunehmend nach rechts verschoben. Damit wird eine verminderte Affinität des Sauerstoffs zum Hämoglobin beschrieben. Auf der einen Seite wird die Abgabe von Sauerstoff an die Gewebe erleichtert, auf der anderen Seite ist die Sauerstoffbindung an das Hämoglobin erschwert.
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
Die Verminderung der funktionellen Residualkapazität (d. h. die Summe von exspiratorischem Reservevolumen und Residualvolumen) bewirkt eine Verminderung der Sauerstoffreserve. Bei Intubationsproblemen wird eine Hypoxämie schnell erreicht, mit anderen Worten, die Apnoephase nach Verabreichung des Hypnotikums und anschließender Muskelrelaxation darf nur kurz sein. > Für die Praxis heißt das: Vor der Narkoseeinleitung bei einer Schwangeren muss eine ausreichende Präoxygenierung gewährleistet sein. Eine 3- bis 5-minütige Einatmung von reinem Sauerstoff mittels dicht auf das Gesicht aufgesetzter Maske, gefolgt von einigen maximal tiefen Atemzügen, führt zum Auswaschen des im Blut vorhandenen Stickstoffs und zum Füllen der funktionellen Residualkapazität mit Sauerstoff. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen: Eine einminütige Apnoe nach vorheriger Präoxygenierung führt bei nichtschwangeren Frauen zu einer Verminderung des arteriellen pO2 um 50 mmHg, dagegen bei Schwangeren am Termin zu einem Abfall von 150 mmHg.
Werte und ein erhöhter Muskeltonus des Neugeborenen können ebenfalls die Folge einer Überdosierung sein.
Propofol Propofol ist ein in neuerer Zeit entwickeltes Hypnotikum. Aufgrund der Unlöslichkeit in wässrigen Lösungen wird es als Fettemulsion hergestellt und besitzt dadurch ein milchartiges Aussehen. Vorteilhaft ist seine kurze Anschlag- und Eliminationshalbwertszeit mit einer geringen Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen. Eine Reihe von Studien haben Propofol mit Thiopental zur Narkoseeinleitung bei Sectio verglichen. Hypotensionen und transplazentarer Übertritt beider Pharmaka waren dabei vergleichbar, ebenso der Zustand der Neugeborenen, gemessen an Apgar-Werten, Blutgasen und neurologischem Status. In einigen Untersuchungen wurde jedoch über erniedrigte Apgar-Werte, muskuläre Hypotonie und verminderte Vigilanz der Neugeborenen nach Propofolgabe berichtet. Die Erfahrungen mit dieser Substanz bei der Sectio sind im Vergleich zum Thiopental noch zu gering, als dass man Propofol für die routinemäßige Anwendung zur Narkoseeinleitung bei der Sectio empfehlen könnte.
Intubation
Narkoseeinleitung Thiopental Thiopental ist die am häufigsten verwendete Substanz (3– 4 mg/kg KG) für die Narkoseeinleitung bei Sectio. Sie hat sich seit mehr als 50 Jahren bewährt, und unzählige schwangere Patientinnen sind hiermit behandelt worden, ohne dass nachteilige Effekte auf das Neugeborene beschrieben wurden. Das Barbiturat tritt schnell diaplazentar über. Da die Spitzenkonzentration in der Nabelvene bereits nach 1 min, in der Nabelarterie nach 2–3 min erreicht wird, ist die Substanz zum Zeitpunkt der Entwicklung regelmäßig auf das Neugeborene übergetreten. In der angegebenen Dosierung bis zu 4 mg/ kgKG ist das fetale Gehirn jedoch keinen nachteiligen Konzentrationen ausgesetzt. Das von der Plazenta kommende arterialisierte Blut passiert zunächst die Leber des Kindes. Durch das gleichzeitig aus der unteren Extremität und den viszeralen Organen zurückströmende Blut wird die Plasmakonzentration von Thiopental reduziert.
Ketamin Ketamin (2–3 mg/kg KG) führt zu einer Sympathikusaktivierung mit einem Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz. Deshalb ist es geeignet für eine Anwendung bei hypovolämischen Patientinnen im Rahmen einer Blutungskomplikation unter der Geburt (Placenta-praevia-Blutung, postpartale Hämorrhagie) oder aufgrund seiner bronchodilatatorischen Wirkung bei Patientinnen mit obstruktiven Ventilationsstörungen, wie beispielsweise Asthma bronchiale. Kontraindiziert ist die Substanz wegen ihrer sympathomimetischen Wirkung bei einer bestehenden Präeklampsie oder Eklampsie. Schwere postoperative Unruhezustände und Halluzinationen, die häufig mit Alpträumen verbunden sind, werden bei hoher Dosierung und fehlender Begleitmedikation in Form eines Benzodiazepins beschrieben. Niedrige Apgar-
Während der Schwangerschaft ist das Kapillarbett der Schleimhäute im gesamten Respirationstrakt hyperämisiert. Dies verursacht eine Schwellung von Nasopharynx, Oropharynx, Larynx und Trachea. Daher ist bei allen Manipulationen an den oberen Luftwegen mit Schleimhautblutungen zu rechnen. Diese Komplikation, durch unvorsichtige Vorgehensweise bei der Intubation oder beim Absaugen hervorgerufen, entsteht sehr leicht und führt möglicherweise zur Blutaspiration. Blutungen im Nasen-Rachen-Raum behindern die Sicht bei der Laryngoskopie und erschweren somit die Intubation. Wegen der Schwellung der Schleimhäute im Bereich des Kehlkopfs und der Trachea wird für die Intubation ein Tubus mit kleinerem Innendurchmesser gewählt. Als Muskelrelaxans kommt für die Intubation bei fehlenden Kontraindikationen nur das kurz wirksame, depolarisierende Succinylcholin in Frage, da es bis heute noch die Substanz mit dem schnellsten Wirkungseintritt ist. Die Präcurarisierung mit einem nicht depolarisierenden Präparat wird unterschiedlich gehandhabt. Sie dient der Vermeidung von durch Succinylcholin hervorgerufenen Muskelfaszikulationen, die zum Anstieg des intragastralen Drucks und damit zu einer Regurgitation führen können. Auf der anderen Seite erfordert die Präcurarisierung eine Dosiserhöhung des Succinylcholins, um eine vollständige Relaxation der Patientin und damit bestmögliche Intubationsbedingungen zu erreichen. In den Fällen, in denen sich eine Verwendung von Succinylcholin verbietet, wie z. B. bei bestimmten Muskelerkrankungen oder bei einer Prädisposition zur malignen Hyperthermie, ist neben den Leitungsanästhesieverfahren die fiberoptische Intubation als ein sicheres Vorgehen anzusehen.
Aufrechterhaltung der Narkose Da eine Aufrechterhaltung der Narkose durch wiederholte Injektionen der Einleitungshypnotika zwar möglich, aber auf-
1043 47.3 · Anästhesie bei Sectio caesarea
grund ihrer Kumulation pharmakologisch nicht sinnvoll ist, werden zur Fortführung der Anästhesie Inhalationsanästhetika verwendet. Zu ihnen zählt das Lachgas sowie die übrigen volatilen Anästhetika Halothan, Enfluran, Isofluran, Desfluran und Sevofluran. Allen gemeinsam ist, dass sie aus dem Alveolarraum in das Blut aufgenommen werden und nach Erreichen des ZNS in ihrer freien, ungebundenen Form ihre anästhetische Wirkung erzielen. Die ausgedehnte Alevolaroberfläche sorgt für einen raschen Gasaustausch in beide Richtungen. Hinsichtlich der physikochemischen Eigenschaften bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzen. Sie betreffen u. a. die Eigenschaft des Anästhetikums, sich in genau definierbaren Mengen im Blut, in den Geweben und im Körperwasser zu lösen. So kann man zur Ermittlung verschiedener Verteilungskoeffizienten gelangen, wie beispielsweise dem Blut-Gas- oder dem Fett-Blut-Verteilungskoeffizienten. Gut steuerbare volatile Anästhetika wie Desfluran und Sevofluran weisen eine niedrige Blutlöslichkeit auf, ein schlechter steuerbares, wie das Halothan, dagegen eine hohe. Die anästhetische Wirkstärke ist u. a. abhängig von der Fettlöslichkeit. Lachgas mit seiner sehr niedrigen Fettlöslichkeit besitzt eine zu niedrige anästhetische Wirksamkeit, als dass damit allein eine ausreichende Narkosetiefe zu erreichen wäre. Isofluran, Enfluran und Halothan dagegen sind gut fettlöslich und gelten als potente Inhalationsanästhetika. Zur Definition der anästhetischen Potenz eines gasförmigen Anästhetikums wurde der Begriff der minimalen alveolären Konzentration (MAC) eingeführt. Man versteht darunter diejenige alveoläre Konzen-tration des Anästhetikums in reinem Sauerstoff, bei der 50% der Patienten auf einen definierten Schmerzreiz keine Reaktion mehr zeigen. Je höher also der MAC-Wert eines Inhalationsanästhetikums ist, desto niedriger ist seine anästhetische Wirksamkeit. Alle volatilen Anästhetika fluten aufgrund der bei der schwangeren Patientin erniedrigten funktionellen Residualkapazität rasch an, d. h., der Partialdruckausgleich des Narkosegases zwischen maternaler Alveole und maternalem Blut findet schneller statt als bei nichtschwangeren Patientinnen. > Alle gebräuchlichen volatilen Anästhetika können in Konzentrationen ab etwa 1,5 MAC die Uteruskontraktion aufheben.
Die so induzierte Uterusatonie ist durch Oxytozin nicht zu antagonisieren. Diese Wirkung ist auch nach Absetzen der Inhalationsanästhetika nachweisbar. In niedrigeren Konzentrationen verabreicht (Halothan 0,5 Vol.-%, Enfluran 1,0 Vol.%, Isofluran 0,75 Vol.-%) bewirken sie eine gewisse Uterusrelaxation, die oft erwünscht ist, da sie die Uterusperfusion und die fetale Sauerstoffversorgung verbessern können. Der Blutverlust scheint bei diesen niedrigen Konzentrationen nicht verstärkt zu sein, und der Uterus reagiert auf die Oxytozinverabreichung. Lachgas besitzt keinen nachteiligen Effekt auf die Uterusaktivität. Da alle halogenierten Inhalationsanästhetika gut fettlöslich sind, überwinden sie die Plazentaschranke rasch. Aufgrund seiner etwas geringeren Fettlöslichkeit scheint Isofluran vom Neugeborenen schneller abgeatmet zu werden als Halo-
than oder Enfluran. Über die Anwendung von Sevofluran zur geburtshilflichen Anästhesie gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige abgeschlossene Untersuchungen. Die niedrige Fettlöslichkeit, die schnelle Anflutung und die geringe Beeinträchtigung der myokardialen Funktion scheinen von der theoretischen Überlegung her für diesen Einsatzbereich möglicherweise gewisse Vorteile mit sich zu bringen. Die meisten Erfahrungen bestehen jedoch mit Halothan, Enfluran und Isofluran. > Die oben genannten volatilen Anästhetikakonzentrationen in 50% Lachgas führen bei der Mutter zu einer sicheren Amnesie und Analgesie. Dagegen ist damit eine Anästhesie des Neugeborenen unwahrscheinlich, wenn die Applikationsdauer bis zur Kindsentwicklung nicht >15 min beträgt. Die volatilen Anästhetika werden vom Kind rasch abgeatmet. Für den postpartalen Zustand des Neugeborenen ist nicht so sehr die Dauer der Anästhesie bis zur Entwicklung entscheidend als vielmehr die Zeitspanne zwischen Uterusinzision und Abnabelung.
Bei zu niedrig gewählter Dosis des Einleitungshypnotikums oder des Inhalationsanästhetikums sind maternale intraoperative Wachheitszustände beschrieben worden. Dabei existieren Schilderungen, in denen Mütter glaubhaft berichten, dass sie die Sectio in relaxiertem Zustand bei vollem Bewusstsein miterlebt haben. Zeichen von intraoperativer Wachheit können weite Pupillen, Tränensekretion, Schwitzen, Tachykardie und Blutdruckanstiege sein. Das Auftreten unkoordinierter Bewegungen der Extremitäten, Grimassieren, Schlucken oder Husten, die als sichere Zeichen einer zu flachen Narkose gewertet werden können, sind selbstverständlich erst dann zu erwarten, wenn die Wirkung der Muskelrelaxanzien abgeklungen ist.
Beatmung Die verminderte funktionelle Residualkapazität der Schwangeren erleichtert eine versehentliche Hyperventilation mit der Gefahr einer fetalen Hypoxämie. Ein Abfall des maternalen arteriellen CO2-Partialdrucks mit folgender Alkalose bewirkt einen Abfall des Blutflusses in den Umbilikalgefäßen. Darüber hinaus führt eine Linksverschiebung der maternalen Sauerstoffbindungskurve über eine Zunahme der Affinität des maternalen Hämoglobins zum Sauerstoff zu einer erschwerten Abgabe von Sauerstoff an die Gewebe. Ein gesunder Fetus kann diese Situation besser kompensieren als ein asphyktischer. Deshalb ist bei der Beatmung der Schwangeren eine Hyperventilation, die sehr leicht mit Hilfe des endexspiratorisch gemessenen CO2 erkannt wird, zu vermeiden. Hinsichtlich des inspiratorischen Sauerstoffanteils ist – abgesehen von den Fällen mit beeinträchtigter maternaler Lungenfunktion – eine Beatmung mit 50% Sauerstoff als ausreichend anzusehen. Die Beatmung mit reinem Sauerstoff ist selbstverständlich grundsätzlich möglich, beinhaltet aber, dass kein Lachgas verwendet werden kann und damit die Konzentration des volatilen Anästhetikums erhöht werden muss, um eine ausreichende Narkosetiefe zu erreichen. Damit ist aber die Gefahr einer Uterusatonie mit u. U. ausgeprägtem Blutverlust verbunden.
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
Narkoseausleitung
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Nach der Entwicklung des Kindes wird die Konzentration des Inhalationsanästhetikums reduziert; die Gabe eines stark wirksamen Opioids ist nach Abnabelung möglich und führt zu einer intra- und postoperativ anhaltenden Analgesie. Die Extubation der Patientin nach Beendigung des Eingriffs wird erst dann durchgeführt, wenn die Schutzreflexe wieder zurückgekehrt sind, um eine mögliche Aspiration zu verhindern. Für die Überwachung der Vitalfunktionen bei der Inhalationsanästhesie zur Sectio kommt das in der Übersicht beschriebene Standardmonitoring zum Einsatz.
Monitoring bei Allgemeinanästhesie zur Sectio caesarea 4 Blutdruck (systolisch und diastolisch, MAP) nichtinvasiv 4 EKG 4 Pulsoxiymetrie 4 Kapnometrie (endexspiratorisches CO2) 4 Inspiratorische O2-Konzentration 4 Narkosegaskonzentration 4 Diurese 4 Temperatur
47.3.2
Spinal- und Periduralanästhesie
Beide Leitungsanästhesieverfahren werden zunehmend bei der Sectio eingesetzt. Der Hauptgrund ist die Vermeidung von Intubationsschwierigkeiten als gravierendste Komplikation der Allgemeinnarkose mit folgender Hypoxämie von Mutter und Kind. Darüber hinaus sind diese Verfahren auch für den Operateur von Vorteil: Er steht bei der Präparation des Uterus nicht unter Zeitdruck, da die Gefahr einer Depression des Neugeborenen durch Übertritt von volatilen und intravenösen Anästhetika nicht gegeben ist. Schließlich beinhaltet die rückenmarknahe Leitungsanästhesie als einzige Methode die Möglichkeit, dass die Mutter die Geburt ihres Kindes miterleben kann. Die Komplikationen der Spinalanästhesie waren bereits unmittelbar nach ihrem ersten Einsatz offenkundig. Neben Blutdruckabfällen waren starke postpunktionelle Kopfschmerzen, die über mehrere Tage anhielten und meist mit Übelkeit und Erbrechen verbunden waren, die schwerwiegendsten Nebenwirkungen. Großlumige Punktionskanülen, die mit ihrem scharfen Schliff die Durafasern durchtrennten und zum anschließenden Liquorverlust aus der Perforationsstelle führten, werden dafür verantwortlich gemacht. Punktionsnadeln mit scharfem Quincke-Schliff sind heute weitgehend durch Spezialkanülen mit nicht scharf geschliffener Spitze (bleistiftartig geformtes Kanülenende) abgelöst worden. Der Vorteil liegt darin, dass die Durafasern bei Verwendung derartiger Punktionsnadeln nicht durchschnitten, sondern auseinandergedrängt werden und sich die Punktionsstelle wieder rasch verschließt, sodass kein Liquorverlust größeren Ausmaßes entsteht (. Abb. 47.4).
. Abb. 47.4. Spinalkanüle nach Sprotte mit vorn konischer Nadel und seitlicher Öffnung. (Nach Kretz et al. 1996)
Studienbox In einer Studie an über 1000 Patientinnen mit Spinalanästhesie zur Sectio caesarea, in der 5 Spinalkanülen mit unterschiedlichem Schliff getestet wurden, zeigte sich, dass in der Gruppe von Patientinnen, bei der eine Punktionsnadel mit stumpfem Ende (Sprotte-Kanüle, 24 G) verwendet wurde, die postpunktionelle Kopfschmerzrate mit 2,8% am niedrigsten war (Vallejo 2000).
Ungelöst dagegen ist nach wie vor das Problem des Blutdruckabfalls der Mutter im Rahmen der Spinalanästhesie, der für das Neugeborene eine ernste, nicht hoch genug einzuschätzende Gefahr darstellt. Auch wenn der bei der Mutter gemessene arterielle Mitteldruck nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die uteroplazentare Perfusion erlaubt, es also trotz bestehenden ausreichenden Mitteldrucks zu einer Minderperfusion der uteroplazentaren Einheit kommen kann, so ist er dennoch in der klinischen Praxis neben dem kontinuierlich abzuleitenden CTG der für den Anästhesisten bedeutsamste Parameter zur Beurteilung der Uterusperfusion. Insbesondere bei schwerer fetaler Hypertrophie und uteroplazentarer Minderperfusion sollten die anästhesiologischen Verfahren auch hinsichtlich der potenziellen Gefahren eines Blutdruckabfalls intensiv zwischen Geburtshilfe und Anästhesie abgesprochen werden. Bei Schwangeren am Termin ist eine geringere Lokalanästhetikamenge erforderlich, um eine ausreichende Anästhesiehöhe und eine vollständige motorische und sensible Blockade zu erreichen (Striebel u. Schwagmeier 1994). Durch Kompression der V. cava in Rückenlage wird venöses Blut der unteren Körperhälfte über kollaterale Gefäße (interossäre Vertebralvenen, Paravertebralvenen und Venenplexus des Periduralraums) zum Herzen geleitet. Kernspintomographische Untersuchungen zeigen, dass diese Kollateralen den Peridural- und Subarachnoidalraum infolge der druckbedingten Blutüberfüllung v. a. des extraduralen Venenplexus verkleinern (Hirabayashi et al. 1996). Des Weiteren haben Versuche gezeigt, dass die Nervenfasern von Schwangeren entweder empfindlicher gegenüber Lokalanästhetika sind und/oder dass eine verbesserte Diffusion dieser Substanzen zu ihrem Wirkort, den Ionenkanälen, stattfindet. Der rasche Blutdruckabfall wird durch eine Sympathikolyse sehr dünner sympathischer Nervenfasern mit folgender Vasodilatation verursacht. Werden Segmente oberhalb von Th4 blockiert, sind die zum Herzen führenden Nn. accelerantes mitbetroffen, sodass die dadurch auftretende Bradykardie den Druckabfall verstärkt.
1045 47.3 · Anästhesie bei Sectio caesarea
Ein systolisch <100 mmHg liegender Blutdruck oder ein arterieller Mitteldruck von 60 mmHg können bei schwangeren Patientinnen bereits zu einer Minderperfusion des Uterus führen. Da die uteroplazentaren Gefäße eine maximale Vasodilatation am Geburtstermin aufweisen und über keine Autoregulation verfügen, erfolgt die Uterusperfusion druckpassiv. Der effektive Perfusionsdruck ist also die Differenz zwischen arteriellem Mitteldruck und venösem Druck. Letzterer wird durch den Uterustonus beeinflusst. > Es ist allgemein anerkannt, dass ein mittlerer arterieller Blutdruck von 70 mmHg eine ausreichende Perfusion des Uterus gewährleistet. Dabei ist zu beachten, dass der an der A. radialis oder A. brachialis gemessene Blutdruck nicht zwangsläufig mit dem in der unteren Aorta vorhandenen Blutdruck übereinstimmen muss.
Jede Hypotension, sei sie Folge einer Spinal-, Peridural- oder Allgemeinanästhesie, bedeutet für den Fetus eine bedrohliche Situation. Ein Abfall des maternalen systolischen Blutdrucks um 20% oder mehr sowie ein Abfall unter 100 mmHg systolisch muss durch medikamentöse Maßnahmen unverzüglich behandelt werden. > Die Hauptkomplikation der Spinalanästhesie ist die maternale arterielle Hypotension.
Da der uteroplazentare Kreislauf über keine Autoregulation verfügt, führt ein über längere Zeit bestehender Blutdruckabfall bei der Mutter zur Minderversorgung des Fetus mit folgender Hypoxie und Azidose des Neugeborenen. Die Hypotonie ist dann besonders nachteilig für den Zustand des Neugeborenen, wenn sie stark ausgeprägt ist und über einen längeren Zeitraum (2 min und mehr) bestehen bleibt. Besonders gefährdet sind Feten bei gleichzeitig bestehender Plazentainsuffizienz oder solche mit intrauteriner Wachstumsrestriktion. Zur Vermeidung einer Hypotension der Mutter ist weniger die Volumenauffüllung entscheidend als vielmehr die konsequente Linksseitenlage und die rechtzeitige Gabe von Sympathomimetika (z. B. Ephedrin 12– 21 mg) oder bei bestehender Bradykardie von Parasympatholytika (Atropin 0,5–1,0 mg) Deshalb ist die kurzfristige, in Abständen von 30 s stattfindende Blutdruckmessung bei der Mutter unmittelbar nach Analge der Anästhesie besonders wichtig. Die prophylaktische Gabe von Sympathomimetika zur Vermeidung eines Blutdruckabfalles unmittelbar nach Anlage der Spinalanästhesie wird in der Literatur nicht eindeutig bewertet (Lee et al. 2002; Turkoz et al. 2002). Da alle Sympathomimetika wie Cafedrin/Theodrenalin, Etilefrin und Ephedrin zwar zu einer Anhebung des mütterlichen arteriellen Mitteldrucks führen, aber gleichzeitig in Abhängigkeit von der verabreichten Dosierung eine verminderte Uterusperfusion bewirken, muss bei deren prophylaktischem Einsatz eine vorsichtig angepasste, titrierte Verabreichung empfohlen werden. Aufgrund eigener Erfahrungen kann jedoch gesagt werden, dass die Häufigkeit von mütterlichen arteriellen Hypotonien und damit verbundenen schlechten neonatalen pHWerten (<7,20) bei prophylaktischer Gabe von z. B. Ephedrin
in einer Dosierung von 15–21 mg unmittelbar nach Anlegen der Spinalanästhesie deutlich abnimmt. Werden dagegen Sympathomimetika erst dann eingesetzt, wenn der mütterliche arterielle Mitteldruck bereits abgefallen ist, wird man gehäuft ausgeprägte Azidosen des Neugeborenen erwarten müssen. Der Vergleich der Vorteile der Spinal- gegenüber der Periduralanästhesie zeigt, dass Blutdruckabfälle bei der Spinalanästhesie häufiger sind und durchaus eine ernste Bedrohung für das Neugeborene darstellen können. Der postspinale Kopfschmerz stellt heute eine seltene Komplikation dar, während ihm nach versehentlicher Duraperforation im Rahmen einer PDA ein echter Krankheitswert zukommt. Der postpartale Status der Neugeborenen ist – was den klinischen Zustand, den pH-Wert und auch die Katecholaminkonzentrationen im Blut anbelangt – bei beiden Anästhesieformen ohne nennenswerten Unterschied. Gegenüber der PDA bietet die Spinalanästhesie (. Abb. 47.5) folgende Vorteile: 4 Sie ist technisch einfacher durchzuführen. 4 Die Anschlagzeit ist kürzer, damit kommt sie auch bei dringlichen Sectiones zur Anwendung. 4 Die unvollständigen Blockaden mit fehlenden Segmenten oder eine einseitige, nicht vollständige Blockade sind seltener. 4 Die Patientinnen benötigen eine geringere sedierende und anxiolytische Komedikation, weil die sensible Blockade vollständig ist. 4 Unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, ist die Zeit zwischen Beginn der Anästhesie und Hautschnitt natürlich bei der Spinalanästhesie wesentlich kürzer als bei der PDA, wodurch sich auch die gesamte Zeit im Operationssaal verkürzt und diese Anästhesieform damit kostengünstiger ist. Der letztgenannte Punkt ist sicherlich von nebensächlicher Bedeutung und soll bei der Entscheidungsfindung, welcher der beiden Anästhesiearten – spinal oder peridural – der Vorzug zu geben ist, kein Gewicht haben. Die PDA bietet Vorteile 4 bei bestehendem Bluthochdruck, 4 bei Herzerkrankungen der Schwangeren, 4 immer dann, wenn sich eine längere postoperative Schmerzbehandlung über den liegenden Periduralkatheter anbietet. Wenn im Rahmen einer vorgesehenen Spontangeburt ein Periduralkatheter gelegt wurde und eine Sectio erforderlich wird, dann sollte – wenn irgend möglich – über diesen Katheter auch die Anästhesie zur Sectio durchgeführt werden. Welchen Stellenwert in Zukunft die kontinuierliche Spinalanästhesie zur Sectio haben wird, die eine bessere Dosisanpassung erlaubt, werden künftige Untersuchungen zeigen.
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
. Abb. 47.5. Technik der Spinalanästhesie und segmentale Innervation. (Nach Kretz et al. 1996)
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Zusammenfassung Rückenmarknahe Regionalanästhesieverfahren haben gegenüber der Allgemeinanästhesie bei der Sectio den Vorteil, dass sie das Risiko einer Aspiration von Magensaft als Hauptursache der anästhesiebedingten maternalen Mortalität und Morbidität reduzieren (Bloom et al. 2005; Bowring et al. 2006; Algert et al. 2009). Darüber hinaus erleben die Mütter bei den regionalen Anästhesieverfahren die Geburt ihres Kindes, was aus psychologischer Sicht für diese Form der Anästhesie spricht. Ob und bei welchen geburtshilflichen Konstellationen der PDA oder der Spinalanästhesie der Vorzug zu geben ist, wird in der Literatur nicht eindeutig beantwortet. Die Vorteile der Spinalanästhesie liegen in dem geringeren zeitlichen Aufwand, der Einsetzbarkeit auch bei dring-
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lichen Sectiones, der leichteren technischen Durchführbarkeit, der geringen Versagerquote und der geringen systemischen Toxizität. Nachteilig ist eine höhere Inzidenz von Blutdruckabfällen mit der Gefahr einer Minderperfusion des Uterus und konsekutiver Beeinträchtigung des Fetus. Dies gilt insbesondere für Patientinnen mit Präeklampsie. Der Gefahr eines Blutdruckabfalls kann im Routinefall durch frühzeitige Gabe von Atropin und/oder Ephedrin und adjuvanter Volumengabe begegnet werden. Inzidenz und Schweregrad postpunktioneller Kopfschmerzen sind nach Einführung atraumatischer Nadeln zu vernachlässigen. Der Vorteil der PDA liegt in der Möglichkeit der titrierenden Gabe von Lokalanästhetika über den Katheter, der
1047 47.4 · Anästhesiologische Bedeutung geburtshilflicher Pharmaka
auch für die postoperative Schmerztherapie benutzt werden kann. Blutdruckabfälle treten im Gegensatz zur Spinalanästhesie nur selten auf. Nachteile sind eine höhere Versagerquote bei der Punktion und Positionierung des Katheters und die Gefahr lebensbedrohlicher Zwischenfälle bei akzidenteller intravasaler oder intrathekaler Verabreichung eines Lokalanästhetikums. Ferner ist der postpunktionelle
47.4
Anästhesiologische Bedeutung geburtshilflicher Pharmaka
47.4.1
Vasopressoren
Diese Medikamentengruppe von Sympathikomimetika hat ihren Einsatzbereich v. a. bei den rückenmarknahen Leitungsanästhesieverfahren. Besonders im Rahmen der Spinalanästhesie ist eine unverzügliche Anhebung eines erniedrigten arteriellen Mitteldrucks nur mit Hilfe dieser Substanzen möglich. Sympathikomimetika, die den Blutdruck durch eine periphere Vasokonstriktion anheben (Phenylephrin und Noradrenalin), sind wegen ihrer überwiegenden α-Rezeptorstimulierung eher ungeeignet. Sie verursachen eine prolongierte Vasokonstriktion der Aa. uterinae. Dadurch wird die Uterusdurchblutung eingeschränkt und kehrt lange nicht auf den Ausgangswert vor der Hypotension zurück, obwohl der arterielle maternale Blutdruck bereits wieder Normalwerte erreicht hat. Pharmaka, die den Blutdruck dadurch anheben, indem sie positiv inotrop und chronotrop wirken, verbessern die Uterusdurchblutung. Dazu zählen Suprarenin (Adrenalin) in niedriger Dosierung, aber auch das Ephedrin, ein indirektes Sympathomimetikum. Beide haben α- und β-mimetische Eigenschaften.
47.4.2
Magnesiumsulfat
Durch seinen Effekt an der neuromuskulären Endplatte verhindert Magnesiumsulfat dort die Entleerung der Acetylcholin enthaltenden Vesikel, schwächt die depolarisierende Wirkung des Acetylcholins ab und verursacht direkt eine verminderte Erregbarkeit der Muskelzelle. Magnesium verstärkt somit die Wirkung der Muskelrelaxanzien und insbesondere die der nicht depolarisierenden Relaxanzien. Für alle geburtshilflichen Eingriffe bedeutet dies, dass die depolarisierende Relaxierung zur Intubation mit einer unveränderten Dosierung von Succinylcholin (1–1,5 mg/kg KG) durchzuführen ist. Sie erfolgt ohne Präcurarisierung, und eine weitere Relaxation mit nicht depolarisierenden Relaxanzien ist mit einer deutlich reduzierten Dosis vorzunehmen. Deshalb ist die Überwachung der neuromuskulären Blockade mit Hilfe eines Nervenstimulators das Mittel der Wahl, eine vollständige Rückkehr der muskulären Kraft vor der Extubation zu erfassen.
Kopfschmerz nach versehentlicher Duraperforation eine subjektiv schwer beeinträchtigende Komplikation. Wie in den USA ist in den letzten Jahren auch in Europa ein Trend zum vermehrten Einsatz von Regionalanästhesieverfahren, speziell der Spinalanästhesie zur Sectio caesarea, erkennbar.
! Magnesiumüberdosierungen sind ausschließlich durch Dosierungsfehler oder dem Übersehen einer Nierenfunktionsstörung möglich. Die Anwendung dieses wichtigen Medikamentes zur Krampfprophylaxe bei schwerer Präeklampsie muss gemäß seines »Gefahrenpotenzials« durch eine schriftlich formulierte SOP abgesichert sein. Überdosierungen im Rahmen von Fehlleistungen müssen mit dem spezifischen Antidot Kalziumglukonat behandelt werden.
Hinsichtlich der kardialen Funktion treten verlängerte PQIntervalle, ein verbreiterter QRS-Komplex, Bradykardie bis hin zum Herzstillstand auf. Magnesium besitzt neben seiner Wirkung an der muskulären Endplatte einen zentral vermittelten sedierenden Effekt. Auf erhöhte Blutspiegel wird mit einer Dosisreduzierung intravenöser und inhalativ verabreichter Anästhetika reagiert. 47.4.3
Prostaglandine
Hinsichtlich der pharmakodynamischen Eigenschaften handelt es sich bei den Prostaglandinen um keine einheitliche Substanzgruppe. Jede Einzelsubstanz besitzt eine für sie charakteristische Wirkung. Die zwei wichtigsten in der Geburtshilfe verwendeten Pharmaka dieser Gruppe sind das Prostaglandin F2α, das allerdings mittlerweile in der BRD nicht mehr verfügbar ist, und das Prostaglandin E2. PGF2α verursacht neben einer Uterus-, Vaso- und Bronchokonstriktion eine Aktivierung der glatten Muskulatur des Gastrointestinaltraktes. Im Gegensatz dazu bewirkt PGE2 am Uterus und am Magen-Darm-Trakt zwar auch eine Kontraktion der glatten Muskulatur, führt aber zur Bronchodilatation und hat einen nur geringen Effekt auf die Gefäßmuskulatur. Unabhängig von seiner kontraktilen Aktivität besitzt es für die Geburtshilfe einen besonderen Wert dadurch, dass es eine Dilatation der Cervix uteri herbeiführt. Die kardiovaskulären und respiratorischen Nebenwirkungen von PGF2α haben anästhesiologische Bedeutung: Es führt zur Verminderung der Vitalkapazität und zum Abfall des Einsekundenwertes (FEV1) und bewirkt einen Anstieg des Pulmonalarteriendrucks. Damit ist seine Anwendung bei Patienten mit Asthma bronchiale und kardialen Vorerkrankungen mit hohen Risiken verbunden. Hypertensive Krisen bei systemischer Anwendung sind beschrieben. Dinoproston, ein synthetisches PGE2-Derivat, wird bei geburtshilflicher Indikation sowohl intravenös als auch lokal verabreicht, wobei es für die lokale Verabreichung keinen
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Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
pharmakokinetischen wie pharmakodynamischen Hintergrund gibt. Die durch PGE2 hervorgerufene Uteruskontraktion hat einen schnelleren Wirkungseintritt und ist stärker ausgeprägt als die durch Oxytozin vermittelte. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit seiner Gabe sind erhebliche Blutdruckabfälle, Übelkeit, Fieber und Hyperalgesie beschrieben worden. Da Prostaglandine der E-Gruppe die Noradrenalinfreisetzung aus den Vesikeln des sympathischen Nervensystems zu hemmen scheinen, ist damit die schlechte Wirksamkeit des Ephedrins bei der Behandlung der Blutdruckabfälle zu erklären. In einer hypotonen Kreislaufsituation – wie sie während einer Spinalanästhesie zur Sectio auftreten kann – wird der durch die Leitungsanästhesie hervorgerufene sympathikolytische, vasodilatierende Effekt durch die gefäßerweiternde Wirkung des PGE2 verstärkt.
47.4.4
Oxytozin
Die Aktivierung myometrialer Oxytozinrezeptoren führt einerseits direkt zur Uteruskontraktion, andererseits auch indirekt durch Stimulation von dezidualen Rezeptoren mit folgender Ausschüttung von Prostaglandinen, die die Uterusaktivität steigern. In den myometrialen Zellen scheint der Wirkmechanismus über eine vermehrte Freisetzung von Kalzium aus den intrazellulär liegenden Speichern vermittelt zu werden. > Oxytozin wird durch eine bei Schwangeren in hoher Blutkonzentration vorliegende Peptidase rasch abgebaut, seine Halbwertszeit im maternalen Blut liegt bei etwa 4–6 min.
Oxytozin besitzt eine antidiuretische Wirkung: Hauptsächlich über eine Aktivierung renaler Vasopressinrezeptoren führt es zur Retention freien Wassers und senkt damit den kolloidosmotischen Druck. Dies hat v. a. für die postpartale Phase Bedeutung, wenn das bei der Schwangeren ohnehin erhöhte Blutvolumen zusätzlich deutlich vermehrt wird durch die Kontraktion des Uterus, durch die Abnahme der venösen Kapazität und durch die Flüssigkeitseinschwemmung aus dem Extrazellulärraum. Inwieweit diese Wirkung für Nebenwirkungen verantwortlich ist, kann derzeit nicht eingeschätzt werden. Die in Studien belegte Verdopplung des Herzminutenvolumens bei Bolusgaben beruht auf einer direkten Wirkung von Oxytozin auf das Herz-Kreislauf-System. Bei kardial vorgeschädigten Patientinnen könnten koronare Perfusionseinschränkungen zur linksventrikulären Myokardischämie führen. ! Cave »Oxytozinbolus«: 4 Nach einer Untersuchung von Carvalho (2004) liegt die ED90 für Oxytozin bei 0,35 IE bei nicht wehenaugmentierten Patientinnen. Im Falle einer vorherigen Wehenaugmentation (Oxytozinunterstützung unter der Geburt) liegt die ED90 entsprechend einer Studie von Balki (2006) bei 2,99 IE. 4 Thomas (2007) konnte zeigen, dass eine Infusion von 5 IU über 5 min keine hämodynamische Nebenwirkungen zeigt.
47.4.5
Mutterkornalkaloide
Bei dieser Substanzgruppe handelt es sich um α-adrenerge Agonisten, die Frequenz und Stärke der Uteruskontraktionen steigern und eine Vasokonstriktion hervorrufen. Bei Präeklampsie und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems dürfen sie nicht angewendet werden, da sie ausgeprägte Blutdruckanstiege hervorrufen können, in deren Verlauf es zur akuten Herzinsuffizienz, zum Myokardinfarkt sowie zu intrazerebralen Blutungen kommen kann. Hat eine Patientin bereits während der Anästhesie ein Sympathikomimetikum (z. B. Ephedrin) erhalten, so kann der synergistische Effekt beider Substanzen eine hypertensive Krise auslösen. Andere, äußerst unangenehme Begleiterscheinungen dieser Medikamente sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Benommenheit und eine allgemeine Schwäche. Koronarspasmen bei koronar gesunden Frauen sind beschrieben. Mutterkornalkaloide sollten heute im Kreißsaal nicht mehr eingesetzt werden.
47.4.6
Kalziumantagonisten
Der Wirkmechanismus dieser Substanzen, die zur Hochdrucktherapie, zur Behandlung der koronaren Herzerkrankung und als Antiarrhythmika eingesetzt werden, liegt in der Aufhebung des transmembranösen Kalziumtransports, in dessen Folge es zum Abfall der intrazytoplasmatischen Kalziumkonzentration kommt. Bei der Aktivierung der kontraktilen Strukturen von Herz und Gefäßen spielt Kalzium eine entscheidende Rolle. Je weniger Kalzium vorhanden ist, desto weniger Strukturen können aktiviert werden. Die Folgen sind u. a. eine Vasodilatation und negative Inotropie. Nifedipin hat sich als sichere Substanz in der Geburtshilfe erwiesen, wo es nicht nur als Antihypertensivum, sondern auch als Tokolytikum eingesetzt wird. > Hinsichtlich der Verminderung der Uterusaktivität ist Nifedipin ebenso wirksam wie die β2-Mimetika, jedoch ist die Häufigkeit und Schwere von Nebenwirkungen im Vergleich zu diesen geringer (Childress u. Katz 1994). Bei Patientinnen mit kardialen Vorerkrankungen, bei denen sich die Anwendung von β2-Mimetika verbietet, ist Nifedipin als sinnvolle Alternative anzusehen.
Die Nebenwirkungen sind durch eine arterioläre Dilatation und einen verminderten peripheren Widerstand bedingt. Sie beinhalten Hautrötung, Kopfschmerzen, Übelkeit und einen verminderten diastolischen Blutdruck. Hypotensionen sind bei alleinigem Einsatz in der Geburtshilfe bisher nicht beschrieben, wohl aber dann, wenn es in Kombination mit Magnesium angewendet wurde. Von anästhesiologischer Seite ist der vasodilatierende Effekt der Kalziumantagonisten mit folgendem Abfall des peripheren Widerstandes bedeutsam. Besonders bei Einsatz der Spinalanästhesie wird diese nachteilige Wirkung durch die
1049 47.4 · Anästhesiologische Bedeutung geburtshilflicher Pharmaka
Sympathikolyse verstärkt und kann gravierende Blutdruckabfälle hervorrufen.
47.4.7
β-Mimetika
Die tokolytische Wirkung der β-adrenergen Substanzen wird durch die Aktivierung der Adenylatzyklase und dem damit verbundenen Anstieg von intrazellulärem zyklischem Adenosinmonophosphat erklärt. Werden die β-Rezeptoren über längere Zeit durch diese Pharmaka stimuliert, nimmt ihre Populationsdichte ab, womit sich die Wirkung der β-Mimetika reduziert. Sie sind Derivate des Adrenalins, wodurch sich ihre Nebenwirkungen erklären. Bis heute ist es nicht gelungen, ein selektives β2-Mimetikum zu synthetisieren, immer werden auch gleichzeitig die β1-Rezeptoren stimuliert. Dies führt zur Steigerung der Herzfrequenz, zum Anstieg der myokardialen Kontraktilität und des Herzminutenvolumens und bewirkt einen erhöhten kardialen Sauerstoffverbrauch. Aufgrund der durch die β2-Wirkung hervorgerufenen Vasodilatation fällt der diastolische Blutdruck, während der systolische durch den Anstieg des Herzminutenvolumens erhöht ist; der arterielle Mitteldruck bleibt gleich. Ernsthafte Komplikationen betreffen das kardiovaskuläre System durch myokardiale Ischämien und Arrhythmien. Das Lungenödem stellt jedoch die häufigste Komplikation dar und kommt bei etwa 1–5 % der Patientinnen vor, die β-Mimetika erhalten. Es entwickelt sich typischerweise 36–72 h nach Therapiebeginn und ist mitverursacht durch die Wasser- und Natriumretention aufgrund der über β2-Rezeptoren vermittelten vermehrten Reninfreisetzung, dem Anstieg des Vasopressins sowie durch einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate und damit verminderter Diurese. Der durch die β-Mimetika hervorgerufene Anstieg des hydrostatischen Drucks und der Abfall des kolloidosmotischen Drucks sind jedoch die wichtigsten Ursachen der Flüssigkeitseinlagerung in das Lungeninterstitium. Dies bedeutet, dass es unter gleichzeitiger Flüssigkeitszufuhr zu einer Hyperhydratation bis hin zum Lungenödem kommen kann. Für die anästhesiologische Vorgehensweise sind diese Kenntnisse von Bedeutung: Die üblicherweise vor einem regionalen Anästhesieverfahren zur Vermeidung des Blutdruckabfalls durchgeführte Infusion von Elektrolytlösungen ist während einer Therapie mit β-Mimetika mit hohen Risiken verbunden. Tipp Der Inhalationsanästhesie ist bei Patientinnen unter Tokolyse der Vorzug zu geben, da unter Beatmung mit reinem Sauerstoff die bestmögliche Oxygenierung zu erzielen ist. Bei Verdacht auf ein beginnendes interstitielles Lungenödem wird zusätzlich zum intraoperativ durchgeführten Monitoring ein zentraler Venenkatheter sowie ein arterieller Zugang gelegt, um Oxygenierung, Ventilation und Volumenzustand der Patientin adäquat überwachen zu können.
47.4.8
Nitroglyzerin
Die Applikation volatiler Anästhetika stellt eine anästhesiologische Möglichkeit zur Uterusrelaxation dar. Um hierdurch jedoch eine ausreichende Relaxierung zu erreichen, sind hohe Konzentrationen notwendig, die u. U. über eine Kardiodepression und Vasodilatation zu einer hämodynamischen Instabilität führen können. Adjuvant wird auch Nitroglyzerin zu diesem Zweck eingesetzt. Primär wird diese Substanz zur Behandlung der Angina pectoris im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen zur Senkung der Vorlast verwendet. Es ist aber auch erfolgreich zur Relaxation des Uterus bei bestimmten geburtshilflichen Komplikationen angewendet worden. Intravenös verabreicht führt es in Dosierungen von 50– 500 μg innerhalb 1 min zur Erschlaffung des Uterus durch direkten Angriff an dessen glatter Muskulatur, wobei seine Wirkung etwa 2 min anhält. Die hauptsächliche Indikation für den Einsatz von Nitroglyzerin ist bei manueller Plazentalösung gegeben. Erfolgreich ist es darüber hinaus bei der Uterusinversion und bei der Schnittentbindung von Zwillingen bei kontrahiertem Uterus eingesetzt worden (Chan et al. 1995). ! Aufgrund seiner vasodilatatorischen Wirkung darf diese Substanz bei hypovolämen Patientinnen initial nur mit äußerster Vorsicht angewendet werden.
47.4.9
Antihypertensiva
Zur Behandlung der Hypertonie in der Schwangerschaft wird eine Reihe von Substanzen, angefangen vom L-Methyldopa, über die Kalziumantagonisten (retardiertes Nifedipin) bis hin zum α-Blocker (Urapidil) oder Medikamenten mit α- und βblockierender Wirkung (Labetalol) eingesetzt. Ausführlich wurden sie im entsprechenden Kapitel vorgestellt. Nur in Ausnahmefällen bei therapierefraktärer Hypertonie kann ausschließlich auf der Intensivstation das Natriumnitroprussid zur Anwendung kommen. > Diese Substanz ist das wirksamste und am besten steuerbare Pharmakon zur Behandlung akuter Bluthochdruckkrisen.
Der Wirkmechanismus besteht ebenso wie beim Hydralazin in einer Erschlaffung der glatten Muskulatur des Gefäßsystems. Aufgrund der bekannten Zyanidtoxizität, die im Tierexperiment in einem hohen Prozentsatz zum Absterben der Feten führte, ist bei der Anwendung von Natriumnitroprussid in der Schwangerschaft größte Vorsicht geboten. Ausgenommen mögen solche Fälle sein, bei denen durch Gabe eines anderen Antihypertensivums keine Blutdrucksenkung erreicht werden kann und bei denen die Mütter durch ein Linksherzversagen mit Ausbildung eines Lungenödems vital bedroht sind. In diesen Situationen kann die vor- und nachlastsenkende Wirkung von Natriumnitroprussid für die Patientin lebensrettend sein.
47
1050
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
Der antihypertensive Effekt tritt innerhalb von wenigen Sekunden ein und ist wenige Minuten nach Beendigung der Zufuhr aufgehoben.
47
! Die perioperative Therapie mit dieser Substanz sollte nur auf einer Intensivstation erfolgen und erfordert die kontinuierliche invasive Messung des arteriellen Blutdrucks.
47.5
Anästhesie bei Frühgeburt
47.5.1
Vaginale Entbindung
Für die vaginale Entbindung ist die tief sitzende (Th10–Th12), d. h. nicht wie bei der Sectio weit hinauf reichende (Th4–Th6) Spinalanästhesie oder PDA ein bewährtes Verfahren. Blutdruckabfälle lassen sich vermeiden, wenn das sensible Niveau nicht zu weit nach kranial ausgedehnt ist. Beide Verfahren führen zu einer sehr guten Erschlaffung der Beckenbodenmuskulatur und des Damms. Damit wird der sich dem Kopf des Kindes entgegensetzende Widerstand des Perineums vermindert und eine langsame kontrollierte Entwicklung des Kindes möglich. Die regionalen Anästhesiemethoden bieten auch beste Bedingungen für die Anwendung der Zange, die häufig eingesetzt wird, da der weiche Kopf des Kindes und die leicht einreißende Dura die Gefahr einer intrakraniellen Blutung bei spontaner Entbindung mit sich bringen. Darüber hinaus ist bei der Spinalanästhesie oder PDA keine systemische Anwendung von Analgetika notwendig. Das unreife Kind ist besonders den Nebenwirkungen von Analgetika und Anästhetika ausgesetzt, bedingt durch niedrige Proteinspiegel und verminderte Eiweißbindung, durch die nicht ausgereifte BlutHirn-Schranke und die damit verbundenen hohen Konzentrationen dieser Pharmaka im ZNS sowie durch die eingeschränkte Fähigkeit, diese Pharmaka zu metabolisieren und auszuscheiden.
Nebenwirkungen von Tokolytika Häufig stehen die Patientinnen unter der Medikation von Tokolytika, die mit den Anästhetika interagieren. Die Nebenwirkungen beinhalten: 4 Tachykardien; 4 Arrhythmien; 4 Blutdruckabfälle; 4 Hyperglykämie; 4 Abfall des Serumkaliumspiegels durch intrazellulären Einstrom von K+-Ionen; Eine Kaliumsubstitution ist i. d. R. nicht erforderlich, da die Serumkaliumspiegel wenige Stunden nach Beendigung der Zufuhr von β-Mimetika ihren Normalwert erreichen. 4 Myokardiale Ischämien werden in Verbindung mit dem Einsatz von β-Mimetika vermutet, da etwa 60% der Patientinnen über thorakale Schmerzen klagen und S-TStreckensenkungen beschrieben sind, ohne dass jedoch ein Anstieg der spezifischen Herzmuskelenzyme beobachtet wurde (Zuckerman 1994).
Weniger sind es die Zeichen einer myokardialen Ischämie als die auftretenden Rhythmusstörungen mit Sinustachykardie oder ventrikulärer Extrasystolie, die neben der routinemäßigen EKG-Überwachung der Patientinnen die besondere Aufmerksamkeit des Anästhesisten erfordern. Tipp Der Anästhesiebeginn sollte so lange aufgeschoben werden, bis die Nebenwirkungen der Tokolytika abgeklungen sind.
Dies wird in nur seltenen Fällen möglich sein. Blutdruckabfälle werden wegen der Gefahr eines Lungenödems nicht durch Volumensubstitution, sondern durch Vasopressoren behandelt. In jedem Fall ist eine wiederholte Auskultation der Lungen angezeigt, um frühzeitig das Auftreten von feuchten Rasselgeräuschen zu erfassen. Die Pulsoxymetrie gehört ohnehin zur Standardüberwachung, wobei in diesem Zusammenhang ein Abfall der Sauerstoffsättigung auf 95% bereits als Alarmzeichen gewertet werden muss. Auch postpartal sind diese Überwachungsmethoden angezeigt, da ein Lungenödem auch noch verzögert nach Beendigung der Tokolyse auftreten kann. ! Treten Zeichen einer pulmonalen Insuffizienz auf, sind unverzüglich die Gabe eines Diuretikums, von Nitroglyzerin und die Verabreichung von Sauerstoff notwendig. In schwerwiegenden Fällen sind eine Intubation und kontrollierte Beatmung unumgänglich.
47.5.2
Sectio caesarea
Bei der Entbindung durch Sectio wird man die Vor- und Nachteile von Leitungsanästhesieverfahren gegenüber der Inhalationsanästhesie abwägen. Blutdruckabfälle bei der Mutter nach Einsatz regionaler Methoden werden vom Frühgeborenen schlecht toleriert, auf der anderen Seite können volatile Anästhetika eine zentral verursachte Depression des Kindes hervorrufen. Die Möglichkeit einer besseren Oxygenierung der Mutter ist ohne Zweifel im Rahmen der Allgemeinanästhesie gegeben und wird auch zur guten Sauerstoffversorgung des Kindes beitragen, solange ein ausreichender uteriner Blutfluss gewährleistet und die Plazentafunktion nicht gestört ist. Dennoch wird in den meisten Fällen – von Notsituationen selbstverständlich abgesehen – bei der Sectio zur Entwicklung des Frühgeborenen ein Leitungsanästhesieverfahren bevorzugt, um das auch im früheren Schwangerschaftsstadium bestehende maternale Risiko von Aspiration oder Hypoxie während der Narkoseeinleitung zur Allgemeinanästhesie gering zu halten. Im Hinblick auf den Zustand des Kindes haben beide Verfahren ihre spezifischen Vor- und Nachteile.
1051 47.6 · Die Rolle der Anästhesie/Intensivmedizin im Rahmen des multimodalen Behandlungskonzeptes
47.6
Die Rolle der Anästhesie/Intensivmedizin im Rahmen des multimodalen Behandlungskonzeptes bei schwerer Präeklampsie und Eklampsie
Bei schwerer Präeklampsie zwischen der 24.+0 bis 33.+6 SSW wird in der Literatur zunehmend ein konservatives Vorgehen empfohlen. Nicht die sofortige Schwangerschaftsbeendigung, sondern die Stabilisierung der Patientin und unter bestimmten Voraussetzungen eine Prolongation der Schwangerschaft werden diskutiert, da unter kontinuierlicher Überwachung kaum Auswirkungen für die Mutter, aber klare Vorteile für das Kind in diesen Schwangerschaftswochen zu erwarten sind. Magee folgerte im Jahr 2009 nach Durchsicht von 72 Untersuchungen (1980–2007) zum Thema »Expectant management of severe preeclampsia remote from term«: Abwartendes Verhalten war in 40% bei 4650 untersuchten Patientinnen mit einer durchschnittlichen Verlängerungsdauer von 7–14 Tagen und einer mütterlichen Komplikationsrate von <5% möglich. Es ist nicht die Aufgabe des im Kreißsaal tätigen Anästhesisten, sich aktiv in den aktuellen Diskurs einzubringen, jedoch die im Rahmen seiner Tätigkeit intensivmedizinisch etablierten Methoden an dieses Krankheitsbild zu adaptieren und der Geburtshilfe im Rahmen eines interdisziplinären multimodalen Managements anzubieten. In dieser Rolle sind in erster Linie im Rahmen einer Schnittstellenvereinbarung die folgenden Fragen zu klären und als Voraussetzung für eine optimale Zusammenarbeit schriftlich vorab als »standard operating procedures« (SOP) festzulegen. 4 Sind Patientengruppen definierbar, welche von einer adäquaten anästhesiologisch-intensivmedizinischen Betreuung schon im Kreißsaal profitieren können? 4 Welche Therapieoptionen können in diesen Fällen von Seiten der Anästhesie/Intensivmedizin der Geburtshilfe angeboten werden? 4 An welchem Ort werden diese Therapiemaßnahmen durchgeführt? 4 Welches Personal von Seiten der Pflege unterstützt diese Therapieoptionen v. a. unter den Kautelen der Sicherheit im Umgang mit intensivmedizinischen Maßnahmen? Als wichtigstes Kriterium einer Schnittstellenvereinbarung sind die Definitionen der Örtlichkeit und die personelle Zuständigkeit für jegliche Art präparteler intensivmedizinischer Konzepte. An erster Stelle für alle konservativen Therapieansätze steht die Sicherheit von Mutter und Kind. Die beiden am meisten gefürchteten Komplikationen sind die intrazerebrale Hämorrhagie bei der Mutter und die Abruptio placentae mit delitären Folgen für Mutter und Kind. Sind für die intrazerebrale Hämorrhagie zumindest – wenn auch nur mit schwacher Evidenz hinterlegte – Prädiktoren vorhanden, so konnte bis heute keine Untersuchung hinsichtlich Vorhersagbarkeit einer vorzeitigen Plazentalösung einen Prädiktor identifizieren. Daraus folgt, dass jedes »konservative« präpartale Vorgehen während einer schweren Präeklampsie an die Möglichkeit einer Deduktion und sofortigen Intervention im Falle einer vorzeitigen Plazentalösung gebunden ist.
> Neben einem kontinuierlichen fetalen Monitoring und dessen simultaner Interpretation durch geburtshilfliches Personal ist die zeitnahe Notfallsectio als einzig mögliches Interventionsverfahren bei hämodynamisch wirksamer Plazentalösung eine unabdingbare Notwendigkeit in allen Fällen von präpartal durchzuführenden stabilisierenden oder prolongierenden Maßnahmen (7 Kap. 47.6.7).
Die logische Folgerung daraus ist als Wahl des Behandlungsortes eine intensivmedizinisch apparativ ausgestattete Kreißsaaleinheit in unmittelbarer Nähe von Sectio-OP und neonatologischer Behandlungseinheit. Die simultane Überwachung von Mutter und Kind bei allen intensivmedizinisch assoziierten Maßnahmen bedarf neben der engen interdiziplinären Kooperation auf ärztlicher Ebene auch der notwendigen Interaktion zwischen Hebammen und Intensivpflegepersonal. Daraus ist aber auch abzuleiten, dass sich eine Behandlung dieser Patientinnen präpartal auf einer – von der geburtshilflichen Einheit entfernten – anästhesiologisch/chirurgisch geführten Intensivstation aus Gründen des fehlenden Risikomanagements im Falle einer vorzeitigen Plazentalösung ausschließt. Durch den sich daraus ergebenden hohen Personalund Infrastrukturaufwand sind diese Behandlungsoptionen an ein spezialisiertes Perinatalzentrum gebunden. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit, schwerkranke Schwangere unter den Kautelen größter Sicherheit zu transferieren, ist ein weiterer organisatorischer Aufwand, dem sich Geburtshelfer sowie mit diesem Krankheitsbild vertraute notfallmedizinische Einheiten und Krankenhausträger stellen müssen. Martin et al. (2006) definierten Symptome und Laborparameter als eine Art »early risk assessment in severe preeclampsia«, bei welchen die Wahrscheinlichkeit für eine relevante maternale Morbidität signifikant erhöht ist. In dieser Patientengruppe ist interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geburtshelfern, Intensivmedizinern und Neonatotolgen eine Conditio sine qua non. Es werden in dieser Gruppe Patientinnen qualifiziert, die an einer Präeklampsie gemäß Definition erkrankt sind und einen oder mehrere der folgenden Zusatzkriterien aufweisen: 4 epigastrische Schmerzen mit oder ohne Übelkeit und Erbrechen 4 Blutdruck >170 mm Hg systolisch, 4 Blutdruck >110 mm Hg diastolisch, 4 generalisierte Krampfanfälle, 4 vorzeitige Plazentalösung, 4 Thrombozytenzahl <50.000/μl, 4 LDH >1400 IU/l, 4 ASAT (GOT) >150 IU/l, 4 Harnsäure >7,8 mg/dl, 4 CK >200 IU/l, 4 Kreatinin >1,0 mg/dl. Definierte strategische Einschlusskriterien verlangen aus Gründen der Konsequenz und Praktikabilität auch die Beschreibung des primären Therapieziels. Die Arbeitsgemeinschaft Schwangerschaftshochdruck/Gestose der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG)
47
1052
47
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
bezieht in ihren Leitlinien zur Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen deutlich Stellung zur Stabilisierung der Mutter, wenn möglich vor operativer Intervention bei simultaner Beurteilung des fetalen Befindens. In Modifizierung dieser Leitlinien ist eine Stabilisierung erreicht, wenn folgende Kriterien zutreffen: 4 Blutdruck <160 mm Hg systolisch, 4 Harnausscheidung >50 ml/h, 4 Kreatinin <0,9 mg/dl, 4 Thrombozytenzahl in 2 Messungen im Abstand von 6 h ansteigend und >50.000/μl, 4 AT III ansteigend (ohne Substitution), 4 DIC ausgeschlossen, 4 Patientin neurologisch unauffällig, 4 ASAT (GOT), ALAT, LDH, Bilirubin und CRP sinkend. Durch diese Eckpunkte gekennzeichnet, ist es die Aufgabe der geburtshilflichen Anästhesie und Intensivmedizin, praktikable Therapieoptionen anzubieten, um diese Stabilisierungskriterien im interdisziplinären und interprofessionellen Setting zu erreichen. Der Begriff Tertiärprävention (»prevent complications«) wurde erstmals in Zusammenhang mit diesem Krankheitsbild 2001 von Gus Dekker eingeführt. Er umriss eine klare Vorstellung unserer Aufgabe: »Erkennen funktioneller Störungen durch multimodale Behandlungskonzepte vor ihrer morphologischen Etablierung«. In den »Confidential enquiries into maternal and child health saving mothers’ lives« (Dezember 2007) wurden in den Jahren 2003–2005 18 Todesfälle in Zusammenhang mit hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft ausgewiesen, davon 10 intrazerebrale Blutungen und zwei Hirninfarkte. Ob die zerebrale Mortalität durch eine Tertiärprevention beeinflussbar ist, bleibt fraglich (Eklampsie/Hirnblutung, 7 Kap. 17). Hier geht es v. a. darum, den Begriff Tertiärprevention zu klären. Bei dieser Patientengruppe geht es nicht um kausale Therapiekonzepte, sondern um strenge symptomorientierte Feinabstimmung im Falle eines Multiorganversagens (MOV). Wir können nur versuchen, eine intrazerebrale Blutung oder eine Abrubtio placentae so früh wie möglich zu erkennen, um das Ausmaß zu beeinflussen. Durch die im Folgenden angeführten Maßnahmen ist es der Intensivmedizin möglich, ein akutes Nierenversagen, eine Leberruptur, ein ARDS oder ein MOF zu vermeiden, die Eklampsiefrequenz zu halbieren und die Auswirkungen einer disseminierten intravasalen Koagulopathie drastisch zu reduzieren (. Übersicht). Therapieoptionen aus anästhesiologischer/intensivmedizinischer Sicht 4 Optimierung des Sauerstofftransports zur Zelle 4 Verbesserung der Sauerstoffverwertung auf zellulärer Ebene 4 Bremsen einer überbordenden Apoptoserate in der Leber 4 Prophylaxe von eklamptischen Anfällen
47.6.1
HELLP-Syndrom
Schmerzen im Epigastrium/oberer rechter Quadrant als klinisches Symptom eines HELLP-Syndroms waren in der Publikation von Weinstein (1980) bei 100% der Patientinnen vorhanden. In der Literatur findet man eine Inzidenz von 50% (Klasse 1), 33% (Klasse 2), 16% (Klasse 3) und 13% bei schweren Präeklampsien. Tipp Für die Praxis heißt das: Schmerzen im rechten oberen Quadranten oder Epigastrium müssen bei jeder Schwangeren mit repetitiven Laboruntersuchungen – mindestens 2 im Abstand von 3 h – abgeklärt werden.
Beim Nachweis eines HELLP/ELLP-Syndroms werden seit 1993 Glukokortikoide eingesetzt. Nach wie vor ist der Einsatz dieser Medikamentengruppe in dieser Indikation umstritten, aber die derzeit einzige Option im Rahmen eines multimodalen Konzeptes.
47.6.2
Hypertonie
Nicht selten werden uns im Kreißsaal Patientinnen vorgestellt, welche die Trias Hypertonie, Oligurie und eine diskrete Oxygenierungsstörung aufweisen. Aus einer Anzahl invasiver/ nichtinvasiver hämodynamischer Untersuchungen können wir diese Symptomentrias mit zwei unterschiedlichen hämodynamischen Zustandsbildern hinterlegen: ein hyperdynames und ein hypodynames Kollektiv. In der hyperdynamen Gruppe ist der Grund der Hypertonie v. a. ein hohes Herzminutenvolumen. Die Oxygenierungsstörung wird in dieser Gruppe nicht selten durch eine iatrogene Erhöhung des Plasmavolumens begründet. Die Verminderung der Harnausscheidung resultiert aus einer intrinsischen Reduktion der Nierenperfusion auf der Ebene der Arteriolen. Die hypodynamen hypovolämen Patientinnen erfahren ihre Blutdruckerhöhung durch einen extrem erhöhten systemisch peripheren Widerstand. Diese Tatsache allein bewirkt durch die dadurch ausgelöste Reduktion des Herzminutenvolumens eine durch Rückstau bedingte Oxygenierungsstörung und Verminderung der Nierenperfusion. Diese beiden Patientengruppen ohne invasive Maßnahmen zu differenzieren, ist in seltenen Fällen möglich. Für den im Kreißsaal tätigen Anästhesisten ergeben sich folgende Gründe, den Blutdruck zu senken. 4 MAP >140 mm Hg, 4 Reduktion des HZV durch hohen TPR mit den Symptomen 5 Oxygenierungsstörung, 5 Oligurie <20 ml/h, 5 Azidose beim HELLP-Syndrom (pH <7,35), 4 Blutdruck 160 mm Hg systolisch, wenn gleichzeitig 2 (3) der angeführten Situationen vorliegen: 5 Abruptio placentae, 5 DIC, 5 HELLP.
1053 47.6 · Die Rolle der Anästhesie/Intensivmedizin im Rahmen des multimodalen Behandlungskonzeptes
Die Therapie einer hypertonen Krise ist nur in Zusammenarbeit mit dem Geburtshelfer unter den Bedingungen, welche ein Kreißsaal bietet, durchzuführen (. Übersicht). Simultane mütterliche und kindliche Überwachung/ Therapie 4 Ausgleich der Hypovolämie 4 Magnesiumsulfat 1 g/h 4 Psychosoziale Betreuung und genaue Aufklärung der Mutter 4 Reduktion des peripheren Widerstandes
47.6.3
Flüssigkeitsmanagement
Leider wurde Flüssigkeitsmanagement in dieser Situation immer mit Hyperhydratation (Volumenexpansion) gleichgesetzt. Es ist nicht verwunderlich, dass zahlreiche randomisierte Studien keinen Behandlungsvorteil durch Volumenexpansion fanden. Das Krankheitsbild einer schweren Präeklampsie zeigt jedoch häufig das Symptom der Hypovolämie, welche nur durch Flüssigkeitsgabe therapierbar ist. Für den Anästhesisten ergibt sich demnach bei Oligurie oder persistierender Mikrozirkulationsstörung (Laktatanstieg) sehr wohl die Notwendigkeit, die im angloamerikanischen Raum heute übliche Flüssigkeitsrestriktion von 1 ml/kg KG/h im Sinne eines Hypovolämieausgleichs unter entsprechendem invasivem Monitoring (ZVD) zu überschreiten.
47.6.4
Oxygenierungsstörung
Der pathophysiologische Hintergrund ist zum einen durch die Verminderung der funktionellen Residualkapazität, zum anderen aber v. a. durch eine Verbreiterung der Diffusionsstrecke zwischen Alveolaroberfläche und Kapillare gegeben (Ödembildung). Ohne näher auf die pathophysiologischen Zusammenhänge eingehen zu wollen, wird im Folgenden kurz die Therapieoption High-Flow-Helm-CPAP (»continuous positive airway pressure«) diskutiert. Das Prinzip beruht bei spontan atmenden Patientinnen auf einer Vorrichtung mit Schlauchsystemen, die in den Atemwegen und Alveolen einen Druck erzeugt, welche am Ende der Ausatmung bei geöffneter Stimmritze den endexspiratorischen Druck nicht gegen Null absinken lässt, sondern über den atmosphärischen Druck anhebt. Dieser Druck ist variabel regelbar. Dieser Überdruck erleichtert das Einatmen, erschwert aber für die Patientin subjektiv die Ausatmung, da durch die Abweichung vom normalen Druckniveau der höhere Umgebungsdruck einen Widerstand darstellt. Dieser höhere Druck liegt im Beatmungssystem kontinuierlich vor. Aus Gründen der Patientenfreundlichkeit hat sich im Kreißsaal der HelmCPAP gegenüber dem Masken-CPAP durchgesetzt. Der generierte positive Druck in Atemwegen und Lunge bewirkt eine Vergrößerung des dynamischen Lungenvolumens, der funktionellen Residualkapazität. Der im Vergleich
zur normalen Atmung höhere Druck bewirkt eine Vergrößerung der Lungenkapazität, es fließt mehr Luft in die Lunge, und dadurch vergrößert sich die Diffusionsfläche der Lunge. Die Lungenbläschen werden minimal überbläht. Die Bildung von Atelektasen wird teilweise verhindert bzw. es werden Atelektasen wieder eröffnet, und die Diffusionsstrecke wird verkürzt. Bei Patientinnen mit moderaten Oxygenierungsstörungen wird ein CPAP-Druckniveau zwischen 8 und10 mm Hg mit oder ohne Sauerstoffzumischung angewendet. Da es keine Untersuchungen über die Auswirkung dieser Atemaugmentation auf die uteroplazentare Einheit gibt, empfiehlt es sich, vor und nach einem Therapiezyklus (z. B. 3- bis 4-mal täglich 2 h) eine fetale Beurteilung mit Doppler-Flow-Metrie und CTG-Ableitung durchzuführen. Unter Anwendung dieser Therapie werden viele der präpartal auftretenden Oxygenierungsstörungen im Rahmen dieses Krankheitsbildes beherrschbar sein.
47.6.5
Oligurie
Oligurie Das Absinken der Harnmenge auf <30 ml/h über 3 h wird in der Literatur als »Oligurie« definiert.
Die 3 Ursachen sind 4 bestehende Hypovolämie mit konsekutivem prärenalem Nierenversagen, 4 Reduktion der Nierendurchblutung durch Verminderung des HZV aufgrund eines exzessiv erhöhten peripheren Gefäßwiderstandes oder 4 auf die Arteriolen der Niere beschränkte spastische Einengung (»intrinsic renal spasm«). Alle 3 Ursachen erfordern eine differenzierte Therapiestrategie. Ist eine Hypovolämie ZVD-gesteuert mit Flüssigkeit auszugleichen, so bringt die Therapie mit Vasodilatatoren im Falle einer Widerstandserhöhung den erforderlichen Anstieg des Herzzeitvolumens und damit eine adäquate Nierendurchblutung.
47.6.6
Eklampsie
Es geht in erster Linie darum, Krampfanfälle zu verhindern und erst in zweiter Linie darum, ein Management für bereits bestehende Krampfanfälle zu konstruieren. Der placebokontrollierte randomisiert durchgeführte Magpie Trial (2002) zeigte eine Risikominimierung von 58% durch die Gabe von Magnesiumsulfat 1 g/h, einen eklamptischen Anfall zu erleiden. Was nicht so transparent erschien, war, dass alle Patientinnen mit einem Blutdruck >140/90 mm Hg und einer Proteinurie von >300 mg/dl in die Studie inkludiert wurden. Wenn man als Minimalvariante der Sicherheit einer Magnesiumtherapie eine Harnausscheidung mit Stundenharnmessung und eine pumpengesteuerte Magnesiumzufuhr voraussetzt (Gründe von Intoxikationen: Dosierungsfehler und nicht erkannte Einschränkung der Nierenfunktion), überufert der Aufwand bei obiger Indikationsstellung.
47
1054
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
> Der therapeutische Ansatz eines eklamptischen Anfalls mit 4–6 g Magnesiumsulfat in 20 min und einer kontinuierlichen Gabe von 2 g Magnesiumsulfat/h ist seit 1995 geburtshilflicher Standard.
47
Für die Anästhesie relevant in diesem Zusammenhang ist die Trias: HELLP-Syndrom in Kombination mit einer Gerinnungsstörung und einer hypertensiven Krise (MAP >140 mmHg). Da diese Trias leider signifikant häufiger mit einer intrazerebralen Hämorrhagie verbunden ist, ist bei geringster neurologischer Auffälligkeit eine bildgebende Diagnostik (CT) obligatorisch. Bei Notwendigkeit einer Allgemeinnarkose aus geburtshilflichen Gründen (Notsectio) ist unter diesen Umständen das übliche Einleitungsprozedere wie bei der Schnittentbindung einer gesunden Patientin nicht indiziert, sondern die »tiefe« Analgosedierung in Kombination mit aggressiver Blutdrucksenkung (auf systolische Blutdruckwerte unter 155–160 mmHg) durch Labetalol anzustreben.
47.6.7
Notfallsectio unter den Bedingungen einer Präeklampsie/Eklampsie
Bei Auftreten einer Indikation (Abruptio placentae) zur Notfallsectio bleibt für ein Leitungsanästhesieverfahren selbstverständlich keine Zeit. Die Vorgehensweise bei der dann notwendigen Allgemeinanästhesie erfährt nur insofern eine Veränderung, als auf eine Präcurarisierung im Rahmen der Narkoseeinleitung verzichtet wird, da die Patientinnen meist unter der Medikation von Magnesiumsulfat stehen. Wenn im weiteren Verlauf der Operation Muskelrelaxanzien verabreicht werden, geschieht dies unter der Kontrolle eines neuromuskulären Monitorings. Eine zu geringe Narkosetiefe bei Einleitung und während des operativen Eingriffs kann zu ausgeprägten Blutdruckanstiegen führen und birgt die Gefahr intrakranieller Blutungen. Tipp Empfehlung Der üblicherweise mit der Intubation verbundene Blutdruckanstieg kann durch die vorherige Gabe eines stark wirksamen Opioids vermindert werden.
47.7
Akute Blutungen
> Die schwere postpartale Blutung ist die führende Ursache der mütterlichen Todesfälle auch in den industrialisierten Ländern. Aktuelle Erkenntnisse weisen nicht nur auf den hämorrhagischen Schock als Todesursache hin, sondern v. a. auf fehlendes oder unvollständiges Wissen über Zusammenhänge von schwangerschaftsbedingten Adaptationsvorgängen, Blutverlust, Gerinnungsstörung und therapiebedingte Effekte, die eine in ihrer Vielfalt fatale Interaktion auslösen.
Organisatorische, kommunikative, apparative und logistische Unzulänglichkeiten werden häufig als Grund für eine »substandard care situation« erkannt. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in Notfallszenarien an intensives Training gebunden, das sich erst langsam in den deutschsprachigen Ländern auch auf geburtshilflicher Ebene etabliert. Der Anästhesie im Kreißsaal wird zunehmend die Aufgabe zuteil, gerade im Fall einer schweren Blutung neben der ureigenen fachlichen Kompetenz auch die Aufgabe der Organisation zu übernehmen. Dafür sind – neben den geburtshilflichen Grundlagen zur Pathophysiologie einer PPH – v. a. das Erkennen und die Beurteilung von kontraproduktiv wirkenden Zusammenhängen unabdingbar. Die Mutter stirbt an der Unterschreitung einer kritischen Konzentration des Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP). Die Produktion von ATP ist an die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels gekoppelt. Als Determinanten des Sauerstoffverbrauchs im Myokard werden neben Atemarbeit und Körperkerntemperatur v. a. die Herzfrequenz, der systolische Blutdruck und das Herzzeitvolumen ausgewiesen. Das Sauerstoffangebot ist abhängig von dem an Hämoglobin gebundenen Sauerstoff, der Koronarperfusion des linken Ventrikels und der Sauerstoffbindungskurve. Letztere wird z. B. durch eine Reduktion der 2,3-Diphosphoglycerat-Konzentration in den Erythrozyten nach links verschoben. Dieser Fall tritt bei Erythrozyten aus Blutkonserven ein, d. h. für das zu versorgende Gewebe, dass bei gleicher Hämoglobinkonzentration durch den Konservenerythrozytenanteil und die dadurch bedingte Linksverschiebung der Sauersoffbindungskurve dem Gewebe weniger Sauerstoff zur Verfügung gestellt wird. Den wesentlichsten Faktor für die myokardiale Sauerstoffversorgung – neben der Hämoglobinkonzentration – stellt mit Sicherheit die koronarkapilläre Perfusion dar. Der linke Ventrikel wird nahezu ausschließlich während der Diastole versorgt. Der Perfusionsdruck entspricht dem Druck am Diastolenende in der Aorta (entspricht dem nichtinvasiv gemessenen diastolischen Blutdruck) abzüglich dem linksventrikulären enddiastolischem Druck (LVEP). Dieser LVEP ist Voraussetzung für die Vordehnung des Herzmuskels zur Erreichung seiner optimalen Kontraktionskraft (Frank-StarlingKurve). Zwei Faktoren beeinflussen diese Dehnbarkeit im Rahmen der PPH negativ. 4 Erstens kommt es im Rahmen der physiologischen Adaptation des Herzens an die Schwangerschaft zur konzentrischen Hypertrophie und damit zu einer Verminderung der Dehnbarkeit des Herzmuskels. 4 Zweitens wird diese Störung der Compliance des linken Ventrikels im Rahmen einer Hämorrhagie durch die Verminderung der Sauerstoffträger deutlich verstärkt, da auch die Relaxierung des Muskels einen energieverbrauchenden Prozess darstellt. Beide Faktoren führen zur Rechtsverschiebung der FrankStarling-Kurve, was bedeutet: Ein höherer linksventrikulärer enddiastolischer Druck ist notwendig, um die Herzleistung konstant zu halten. Ein weiterer Faktor der Koronarperfusion
1055 47.7 · Akute Blutungen
ist die Diastolendauer. Nur während der Diastole wird das linke Herz mit Sauerstoff versorgt. Leider verhält sich bei Zunahme der Herzfrequenz die Diastolendauer nicht proportional zur Systolendauer. Bleibt die Systolendauer annähernd konstant, so nimmt die Diastolendauer mit zunehmender Herzfrequenz drastisch ab. Folglich finden wir in der Situation der PPH eine Verminderung des koronaren Perfusionsdrucks bei gleichzeitiger Reduktion der Perfusionszeit durch die Zunahme der Herzfrequenz im Rahmen der Blutung. Dies führt zu einer erheblichen Abnahme der Diastolendauer. > Der Sauerstoffverbrauch des Herzens wird neben den Faktoren wie Schwangerschaft, körperliche Unruhe und Muskelzittern v. a. durch Erhöhung von Herzfrequenz, Herzminutenvolumen und systolischem Blutdruck (z. B. Präeklampsie, schwangerschaftsassoziierter Hypertonus; SIH) gesteigert. Gleichzeitig führen Faktoren wie Abfall der Hämoglobinkonzentration, Erhöhung der Herzfrequenz, Erhöhung der frühdiastolischen Wandspannung und Abfall des diastolischen Druckes in der Aorta zur Einschränkung des Sauerstoffangebotes an die Herzmuskelfaser. Ein Abfall von 2,3-Diphosphoglycerat durch Transfusion von Erythrozytenkonzentraten behindert zusätzlich durch eine Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve die Sauerstoffabgabe an das Gewebe.
Schon unter physiologischen Bedingungen der Schwangerschaft kommt es zur relativen Abnahme der Erythrozytenkonzentration zugunsten einer Erhöhung des Blutplasmavolumens (physiologische Hämodilution mit einem Gipfel in der 32. SSW). Gleichzeitig findet man eine Zunahme des Herzzeitvolumens um 27–50% bei einer Erhöhung des systemischen Sauerstoffverbrauchs um 20–30%. Aus den Ergebnissen von Autopsien und Koronarangiographien bei peripartal erlittenen Myokardinfarkten wissen wir, dass 30–47% dieser Patientinnen morphologisch unauffällige Koronararterien aufweisen. Die Gründe für die Okklusion sind wahrscheinlich: 4 Eine erhöhte vaskuläre Sensitivität auf Angiotensin II, Norepinephrin, Methylergometrin, Oxytozin, Sulproston, Bromocriptin und Cabergolin. 4 Die Prädominanz von Prokoagulation gegenüber Fibrinolyse in der Schwangerschaft. Es ist bekannt, dass es zum Anstieg der Konzentration vom »plasminogen activator inhibitor« (PAI) bei gleichzeitigen Abfall der Konzentrationen von Protein S/ und »tissue plasminogen activator« (t-PA) kommt. 4 In der Schwangerschaft kommt es zu einer »fibromuskulären Dysplasie« durch den Abfall der Mukopolysaccharidkonzentration in den Koronararterien. Man spricht von einer »unspezifischen Mesenchymreaktion« durch Permeabilitätsstörungen in der Gefäßwand mit vermehrten Ablagerungen von Fettsäuren und Cholesterin. Die hämodynamische Wirkung der Uterotonika im Rahmen der First-line-Therapie wurde erstmals von Pinder et al. (2002) untersucht. Sie konnten nachweisen, dass die Gabe von 5 IE
Oxytozin in 10 s das Herzzeitvolumen um 50%, die Gabe von 10 IE dieses um 80% erhöht. Studien zur hämodynamischen Nebenwirkung von Sulproston als Second-line-Uterotonikum im klinischen Einsatz sind derzeit nicht vorhanden, sodass auf die Ergebnisse von Tierversuchen zurückgegriffen werden muss. Sulproston dürfte in der vorgeschriebenen Dosierung nicht relevante Nebenwirkungen aufweisen. Die immer wieder postulierte Druckerhöhung im Lungenkreislauf durch Sulproston in Kasuistiken ist ausnahmslos eine Folge von Überdosierungen (z. B. intramyometrale Injektionen).
Studienbox Welche Relevanz diese Interaktionen haben, konnten Karpati et al. (2004) belegen. Sie untersuchten 55 Patientinnen im Rahmen schwerer postpartaler Blutungen im Hinblick auf Myokardischämien. Als Indikator für das Vorhandensein einer ischämischen Schädigung des Herzmuskels wählten sie die Troponin-I-Konzentration im mütterlichen Serum. Bei 51% – 28 von 55 Frauen – war der Spiegel mit 6,6 μg/l (2,8–18,9) weit über den Cut-offLevel von >0,4 μg/l als Zeichen einer myokardialen Ischämie erhöht. 6 dieser 55 Frauen hatten eine Einschränkung der linksventrikulären Funktion bis zum Absinken der Ejektionsfraktion auf 20% mit spontaner Erholung von 10% je 72 h.
Alle bisher getätigten Überlegungen beziehen sich auf die Bedingungen einer Isovolämie. Die Anästhesie ist bestrebt, bei schweren Blutungen diesen Zustand der Isovolämie, soweit möglich, durch die Gabe von kristalloiden und kolloidalen Flüssigkeiten herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. Gerade diese Notwendigkeit bietet eine weitere Gefahr in sich. Es ist seit einigen Jahren bekannt, dass die legitime Gabe von kolloidosmotisch wirksamen Substanzen wie z. B. 6% Hydroxyethylstärke (HES) 130/0,4 (Voluven 6%) konzentrationsabhängig zu einer Störung der Fibrinogenpolymerisation führt. Fries hat im Tierversuch nachgewiesen, dass die Dilution auf 66 % des Gesamtblutvolumens zu einer deutlichen Rarifizierung des retikulären Fibrinnetzwerkes führt. Zusätzlich zur Verlustkoagulopathie gesellt sich durch den Flüssigkeitsersatz eine Dilutionskoagulopathie, welche nach in vitro Untersuchungen von De Lorenzo nicht durch Fibrinogengabe antagonisierbar ist. Wie hoch die durch Plasminogeneinschwemmung verursachte Inzidenz der in dieser Situation gefürchteten Hyperfibrinolyse und Hyperfibrinogenolyse ist, entzieht sich durch fehlende Untersuchungen unserer Kenntnis. Darüber hinaus lassen die Studien von Uszynski et al. (2006) vermuten, dass es im Falle einer längeren Uterusmanipulation (Hamilton-Handgriff) zu relevanten Konzentrationserhöhungen von Thrombomodulin im mütterlichen Plasma kommt, einem Schlüsselenzym der Antikoagulation. Dies unterstützt die Vermutung, dass eine relevante Gerinnungsstörung auch durch längere Manipulation am Uterus ausgelöst werden kann. Für die klinische Praxis relevant ist auch die Arbeit von Charbit et al. (2008), die nachweisen konnten, dass im Falle
47
1056
47
Kapitel 47 · Geburtshilfliche Anästhesie und Analgesie
einer PPH der ausgeprägte Abfall von Fibrinogen schon in der Frühphase einer postpartalen Blutung allen anderen Defiziten an Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten zuvorkommt. Der konsequente Einsatz von Fibrinogenkonzentraten in hoher Dosierung (6 g), simultan zum Second-line-Uterotonikum oder im Fall des Verdachtes einer Hyperfibrinolyse (nur nachweisbar durch Rotem) die Gabe von Tranexamsäure (4 g) wird möglicherweise in Zukunft die schon durch einige Studien zumindest in Frage gestellte alleinige FFP-Gabe ersetzten. All diese Faktoren entscheiden über die mütterliche Morbidität und Mortalität im Fall einer PPH. Die vielen Unbekannten können nur durch aufwendiges Monitoring von Hämodynamik und Gerinnung, gezieltes und trainiertes interdisziplinäres Management und v. a. durch Wissen ausgeglichen werden. Der geburtshilflichen Anästhesie und Intensivmedizin wird in diesem Puzzle eines Gesamtkonzeptes in naher Zukunft eine Rolle zukommen, die sich von der derzeitigen Rolle, die in vielen Krankenhäusern auf das Serviceleistungsangebot zur Schmerzbekämpfung im Kreißsaal und der Anästhesie bei Schnittentbindungen beschränkt ist, deutlich unterscheiden wird.
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47
VI
VI Postpartum/ Wochenbett/Stillzeit 48
Versorgung des Neugeborenen A. Zimmermann
49
Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe – 1089 D. Surbek, A. Wagner
50
Wochenbett – 1097 N. Ochsenbein-Kölble
51
Stillen – 1105 M. Abou-Dakn
52
Nachuntersuchung M. Franz, F. Kainer
– 1125
– 1061
48 48 Versorgung des Neugeborenen A. Zimmermann 48.1
Allgemeine Grundlagen der postnatalen Anpassung – 1063
48.1.1 48.1.2 48.1.3
Prognose der Asphyxie – 1064 Organisatorische Vorkehrungen – 1064 Anforderung an die Kreißsaalausstattung – 1065
48.2
Reifes unauffälliges Neugeborenes – 1066
48.2.1 48.2.2 48.2.3 48.2.4 48.2.5
Physiologie der ungestörten Anpassung – 1066 Thermoregulation – 1066 Maßnahmen nach Geburt – 1066 Zustandsbeurteilung – 1067 Untersuchung – 1068
48.3
Erstversorgung des reifen anpassungsgestörten Neugeborenen und primäre Reanimation – 1070
48.3.1 48.3.2 48.3.3
Respiratorische Anpassungsstörung – 1070 Pathophysiologie der Asphyxie – 1070 Persistierende pulmonale Hypertension des Neugeborenen (PPHN) – 1071 Leicht und mäßig anpassungsgestörtes Neugeborenes – 1071 Schwer und schwerst anpassungsgestörtes Neugeborenes – 1075
48.3.4 48.3.5
48.4
Besondere Reanimationssituationen – 1078
48.4.1 48.4.2 48.4.3 48.4.4
Mekoniumaspiration – 1078 Aspiration von Blut und Sekret – 1079 Zwerchfelldefekt – 1079 Akuter Blutverlust – 1080
48.5
Frühgeborenes – 1080
48.5.1 48.5.2 48.5.3
Prognose – 1081 Vorgehen bei der Erstversorgung Frühgeborener – 1081 Das Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit – 1081
48.6
Untergewichtiges Neugeborenes – 1082
48.6.1 48.6.2
Prognose – 1082 Besondere Probleme – 1082
48.7
Betreuung des gesunden Neugeborenen in den ersten Lebenstagen – 1082
48.7.1 48.7.2 48.7.3
Rooming-in – 1082 Überwachung – 1082 Laboruntersuchungen – 1083
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
48.7.4 48.7.5 48.7.6 48.7.7 48.7.8 48.7.9 48.7.10 48.7.11 48.7.12 48.7.13 48.7.14 48.7.15 48.7.16
Ikterus – 1083 Stoffwechselscreening – 1084 Vitamin-K-Prophylaxe – 1084 Vitamin-D- und Fluorprophylaxe – 1085 Hepatitis-B-Impfung – 1085 Ernährung – 1085 Nabelpflege – 1085 Hörscreening – 1085 Ultraschalluntersuchung der Hüfte – 1085 Plötzlicher Säuglingstod – 1085 Vorsorgeuntersuchung U2 – 1086 Entlassung von Mutter und Kind – 1086 Ambulante Entbindung – 1086
Literatur – 1086
1063 48.1 · Allgemeine Grundlagen der postnatalen Anpassung
Rund 95% der reifen Neugeborenen passen sich nach Geburt rasch und unauffällig an. Da die Geburt eines Kindes für Mutter und Kind ein sehr prägendes und gefühlsintensives Erlebnis ist, sollte unter sorgfältiger Beobachtung der kindlichen Adaptation so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig in das physiologische Geschehen eingegriffen werden. Damit andererseits aus einer unerwarteten Anpassungsverzögerung keine lebensbedrohliche oder organgefährdende Hypoxiesequenz mit Folgeschäden entsteht, ist ein pathophysiologisch begründetes und rasches Handeln gefordert. Unmittelbar nach Geburt erfolgt eine Soforteinschätzung des Neugeborenen anhand der Parameter Atmung, Herzschlag und Hautfarbe, um über die Notwendigkeit von Reanimationsmaßnahmen entscheiden zu können. Das unauffällige Neugeborene wird nach Abnabeln und Abtrocknen zur ersten Kontaktaufnahme und zum ersten Anlegen der Mutter übergeben. Der Geburtshelfer führt nach 1, 5 und 10 min den Apgar-Test und im Alter von rund 15 min die Erstuntersuchung U1 durch. Verschiedene Schweregrade einer Anpassungsstörung sind gekennzeichnet durch verzögertes Einsetzen der Atmung, Bradykardie, Blässe oder Zyanose, reduzierten Muskeltonus und verzögerte oder fehlende Reflexe. Eine in rund 1% der Geburten vorkommende perinatale Asphyxie ist durch die biochemischen Folgen von Hypoxie und Hyperkapnie infolge Unterbrechung der Atmung und gleichzeitige schwere klinische Beeinträchtigung mit neurologischen Folgen gekennzeichnet. Das anpassungsgestörte Neugeborene wird nach dem Abnabeln abgetrocknet, abgesaugt und stimuliert. Abhängig vom Einsetzen der Atmung und der Normalisierung des Hautkolorits wird Sauerstoff vorgehalten oder per Maske beatmet. Bei schwerster Anpassungsstörung oder Asphyxie muss eine pulmonale oder kardiopulmonale Reanimation mit Herzdruckmassage und Intubation sowie Adrenalingabe und Volumensubstitution erfolgen. Krankheitsbilder wie die Aspiration, die Zwerchfellhernie und akuter Blutverlust müssen erkannt und Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Frühgeborene sind aufgrund ihrer Organunreife prädisponiert für eine Maladaptation mit Folgeschäden. Gelingt die antepartale Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum nicht mehr, müssen beim unreifen Kind Hypoxie, Azidose, Unterkühlung und Hypoglykämie vermieden werden. Untergewichtige Neugeborene müssen wegen ihrer Neigung zu Trinkschwäche, Hypoglykämie, Hypokalzämie, Hypothermie, verstärkter Gewichtsabnahme und erhöhtem Infektionsrisiko besonders gut überwacht werden. Das gesunde Neugeborene verbleibt i. d. R. in den ersten Lebenstagen mit der Mutter im Krankenhaus. Die bevorzugte Ernährung ist die Brusternährung. Jedes Neugeborene sollte eine Vitamin-K- und Vitamin-D-Prophylaxe erhalten und ein Stoffwechsel- sowie Hörscreening durchlaufen. Bevor die Mutter mit ihrem Neugeborenen nach Hause geht, sollte sie über Ernährung, Vitamin-K- und -D-Gabe, Pflege, Präventionsmaßnahmen gegen plötzlichen Säuglingstod (SIDS), Stoffwechseltest und Hörscreening bis zur U2, Hüftultraschall bis zur U3, Impfungen und weitere kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen beraten werden, über den Anspruch auf ambulante Hebammennachsorge informiert sein und diese Empfehlungen am besten schriftlich erhalten.
48.1
Allgemeine Grundlagen der postnatalen Anpassung
Postnatale Anpassung Als postnatale Anpassung oder Adaptation des Neugeborenen wird die nach Abbruch der Plazentaversorgung unmittelbar nach Geburt einsetzende Umstellung der kindlichen Vitalfunktionen bezeichnet. Sie umfasst die Umstellung von Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel und Wärmeregulation.
Eine ungestörte Anpassung liegt vor, wenn das Neugeborene innerhalb weniger Sekunden nach Geburt 4 eine Herzfrequenz >100 SpM aufweist, 4 eine regelmäßige, nicht angestrengte Atmung mit einer Frequenz von 40–60/min einsetzt, 4 die initiale Zyanose einem gleichmäßig rosa Hautkolorit mit einer diskreten Akrozyanose weicht. Bereits in den ersten Minuten reagiert das Neugeborene spontan oder auf Reiz mit Saugbewegungen und weist einen lockeren Beugetonus auf. Bei der gestörten Adaptation, die auch als Anpassungsverzögerung, respiratorische oder kardiorespiratorische Depression und Maladaptation bezeichnet wird, ist die Umstellung verzögert oder gelingt nicht. Sie ist in unterschiedlichem Ausmaß gekennzeichnet durch 4 unzureichende oder fehlende Atmung, 4 Bradykardie mit einer Herzfrequenz <100 SpM oder Asystolie, 4 blasses oder zyanotisches Hautkolorit, 4 reduzierten oder fehlenden Muskeltonus, 4 reduzierten oder fehlenden Saugreflex. Um potenzielle Folgeschäden zu vermeiden, muss der Geburtshelfer eine Gefahrensituation beim Neugeborenen frühzeitig erkennen und nach Ausmaß der Störung gestaffelte Erstversorgungsmaßnahmen einleiten. Asphyxie »Asphyxie«, in wörtlicher Übersetzung »Pulslosigkeit«, umfasst den Folgezustand von Sauerstoffmangel und Hyperkapnie mit biochemischen (Azidose) und klinischen (Depression) Konsequenzen nach Unterbrechung der Atmung.
Die Diagnose kann bei Vorliegen folgender Kriterien gestellt werden (Carter et al. 1993): 4 schwere Nabelarterienazidose mit einem pH-Wert <7,00, 4 persistierend niedriger Apgar-Wert <3 für 5 min und länger, 4 neurologische Symptome wie Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit oder Muskelhypotonie, 4 Funktionsstörung verschiedener Organe wie Herz, Darm, Niere oder Lunge.
48
1064
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
! Keinesfalls sollte der Terminus »Asphyxie« für das isolierte Vorliegen eines niedrigen NabelarterienpH-Wertes oder eines niedrigen 1-min-Apgar-Wertes verwendet werden!
48.1.1
48
Prognose der Asphyxie
Eine Asphyxie oder eine inadäquate Reanimation kann eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) und Versagen weiterer Organe zur Folge haben. Die HIE ist charakterisiert durch das Vorliegen neurologischer Symptome wie Bewusstseinsstörung, Krämpfe, Übererregbarkeit oder Apathie, Muskelhypotonie, Apnoen oder Schluckstörungen und wird bei rund bei 2,5‰ aller Lebendgeborenen nachgewiesen. Spätfolgen können mentale Retardierung (MR), Anfallsleiden oder Zerebralparese (CP) sein. Durch therapeutische Hypothermie steigt die Wahrscheinlichkeit eines gesunden Überlebens nach HIE. Mittels moderner geburtshilflicher Methoden können heute intrapartale Ursachen für Zerebralparese und mentale Retardierung weitgehend ausgeschaltet werden. Die Inzidenz der CP, bezogen auf alle Neugeborenen, liegt konstant bei etwa 2‰ (Graham 2008)
Studienbox Nur bis zu 15% dieser CP-Fälle sind mit einer perinatalen Asphyxie und folgender HIE verknüpft, die restlichen 85% sind durch Anlagestörungen oder pränatale Ereignisse bedingt (Graham 2008). Das Risiko der Entwicklung einer HIE steigt auf >50%, wenn ein Apgar-Score von 3 und weniger für 5 min und länger besteht oder wenn ein Neugeborenes 15 min lang auf effektive Reanimationsmaßnahmen nicht mit einem Anstieg der ApgarPunkte anspricht (Carter et al. 1993; Nelson u. Emery 1993).
48.1.2
Organisatorische Vorkehrungen
Bei drohender fetaler Gefährdung sind Mutter oder Eltern zu beraten. Entsprechend der Indikationsliste der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe muss rechtzeitig eine In-utero-Verlegung veranlasst werden (Leitlinie 024/001 der DGGG 2008). Erscheint eine antepartale Verlegung nicht mehr möglich, die Möglichkeit einer Anpassungsstörung bei den in der Übersicht angeführten Risikokonstellationen aber gegeben, sollte ein rechtzeitig informierter Pädiater die Versorgung des Neugeborenen im Kreißsaal übernehmen. Bei bis zu 5% der Geburten kommt es auch nach ungestörter Schwangerschaft völlig unvorhergesehen zu Anpassungsstörungen beim reifen Neugeborenen (Obladen u. Maier 2006). Deshalb soll jeder Kreißsaal nicht nur über einen funktionstüchtigen Notfallplatz für die Reanimation des Neugeborenen verfügen, sondern es muss auch bei jeder Geburt
jemand unmittelbar anwesend sein, der ein vital bedrohtes Neugeborenes primär versorgen kann. Bei Indikation ist ein Neugeborenennotarzt mit einem neonatologischen Team notfallmäßig zu rufen. Bis die Verantwortung für das Kind an einen in der Notfallversorgung kompetenten Arzt übertragen wird, ist der Geburtshelfer verantwortlich. Kann eine antenatale Verlegung nicht durchgeführt werden, oder zeichnet sich für den Geburtshelfer unerwartet ein behandlungs- oder abklärungsbedürftiger Befund beim Neugeborenen ab, muss eine neonatale Verlegung in eine Kinderklinik durchgeführt werden (Leitlinie 024/002 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2008; . Übersichten). Risikokonstellation für Anpassungsstörungen (Kattwinkel 2006) 4 Risikofaktoren vor der Geburt – Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes – Präeklampsie, Hochdruck, HELLP-Syndrom – Fetale Anämie oder Isoimmunisierung – Intrauteriner Fruchttod in der Anamnese – Vorangegangene uterine Blutung – Chronische, den Fetus bedrohende Erkrankungen der Mutter – Oligo- oder Polyhydramnion – Unreife oder Übertragung – Mehrlingsgravidität – Fetales Unter- oder Übergewicht – Versorgungsrelevante Fehlbildung – Medikamente oder Drogeneinnahme der Mutter – Abgang von missfarbenem oder dickgrünem Fruchtwasser – Doppler- oder CTG-Pathologie – Fehlende Schwangerschaftsvorsorge – Mütterliches Alter <16 Jahre oder >35 Jahre 4 Risikofaktoren unter der Geburt – Notsectio – Vaginaloperative Entbindung – Lageanomalien – Vorzeitige Plazentalösung – Placenta praevia – Intrapartale Blutung – Beginnende oder manifeste Amnioninfektion – Vorzeitiger Blasensprung >18 h vor Geburt – Fetale Bradykardie, Tachykardie, Rhythmusstörungen – Nabelschnurumschlingung oder -vorfall – Morphinderivate in den letzten 4 h vor Geburt – Makrosomie – Allgemeinnarkose
1065 48.1 · Allgemeine Grundlagen der postnatalen Anpassung
Indikationen zur Verlegung eines Neugeborenen Absolute Indikationen zur Verlegung eines Neugeborenen aus einer Geburtsklinik ohne kontinuierliche Verfügbarkeit eines Kinderarztes in eine Kinderklinik der Versorgungsstufe 2 oder 3 (Leitlinie 024/002 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2008) 4 Unreife unter 36+0 SSW 4 Fetale Wachstumsrestriktion mit einem Geburtsgewicht ≤3. Perzentile 4 Atemstörung jeglicher Genese, Zyanose 4 Nabelarterien-pH-Wert <7,0 4 Fehlbildung oder Verdacht darauf zur weiteren Diagnostik und/oder Therapie 4 Angeborene Stoffwechselstörung oder Verdacht darauf 4 Hypoglykämie trotz Fütterung <35 mg/dl (2 mmol/l) in den ersten 24 h, <45 mg/dl (2,5 mmol/l) ab dem 2. Lebenstag 4 Diabetische Fetopathie 4 Endokrinopathie oder Verdacht darauf 4 Morbus haemolyticus neonatorum 4 Polyglobulie mit einem venösen Hämatokrit >70% 4 Anämie mit einem venösen Hämatokrit <35% in der 1. Lebenswoche 4 Hyperbilirubinämie – Sichtbarer Ikterus am 1. Lebenstag – Bilirubin >20 mg/dl (>350 μmol/l) trotz Phototherapie beim gesunden Neugeborenen – Bilirubin >17 mg/dl (>300 μmol/l) beim Neugeborenen mit Risikofaktoren 4 Morbus haemorrhagicus 4 Krampfanfälle 4 Intrakranielle Blutung oder Verdacht darauf
48.1.3
Anforderung an die Kreißsaalausstattung
Bei jeder Geburt müssen zur Versorgung des Neugeborenen neben Apgar-Uhr, einem vorgewärmten, gut ausgeleuchteten Untersuchungstisch mit vorgewärmten saugfähigen Tüchern, Nabelklemme und Nabelschere auch ein Stethoskop, Absauger, sterile Handschuhe, ein stets am Sauerstoffflowmeter angeschlossener Beatmungsbeutel mit Maske sowie ein Laryngoskop mit Spatel und Tubus bereitliegen.
4 Zyanose 4 Infektion oder klinischer Verdacht darauf 4 Kind drogenabhängiger Mutter Relative Indikationen zur Verlegung eines Neugeborenen aus einer Geburtsklinik, in der ein neonatologisch erfahrener Kinderarzt nicht ständig präsent ist 4 Unreife ≥36+0 SSW 4 Fetale Wachstumsrestriktion 3.–10. Perzentile 4 Kind insulinpflichtiger diabetischer Mutter 4 Hyperbilirubinämie zur Fototherapie oder Differenzialdiagnostik 4 Polyglobulie mit einem venösen Hämatokrit zwischen 66% und 70% 4 Neurologische Auffälligkeiten 4 Anamnestischer Verdacht auf Infektion bis zum Ausschluss 4 Fehlbildungen mit aufgeschobener Dringlichkeit 4 Herzrhythmusstörungen 4 Ernährungsstörungen Absolute Verlegungsindikation in eine Kinderklinik eines Perinatalzentrums der Versorgungsstufe 3 (Leitlinie 024/002 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2008) 4 Neugeborene mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Mekoniumaspiration oder persistierender pulmonaler Hypertonie 4 Notwendigkeit eines neonatalchirurgischen Eingriffs 4 Angeborene Stoffwechselstörung 4 Notwendigkeit komplexer Intensivtherapie 4 Unreife <29 + 0 SSW
Um auch ein schwer anpassungsgestörtes Kind versorgen und reanimieren zu können, sollten die in der . Übersicht aufgeführten Vorrichtungen zur Verfügung stehen. Nicht nur die Geräte müssen täglich auf ihre Funktionsfähigkeit kontrolliert werden, um im seltenen Ernstfall einsatzbereit zu sein, sondern auch die tätigen Geburtshelfer und Hebammen sollten in regelmäßigen Übungen ihr theoretisches Wissen und die Reihenfolge der Erstversorgungs- und Reanimationsmaßnahmen am Modell trainieren.
Anforderungen an die Kreißsaalausstattung zur Erstversorgung und Reanimation Neugeborener (nach Obladen 2006) 4 Allgemeines – Uhr – Stethoskop für Säuglinge – Nabelklemmen, sterile Kompresse, Nabelschere – Reanimationseinheit mit Wärmelampe – Warme, trockene, saugfähige Tücher, mindestens 2 pro Kind
6
4 Absaugung – Absaugung mit einstellbarem Sog von –200 mbar – Absaugkatheter (6, 8 und 10 Charr) – Starrer Absaugkatheter (Jankauer) 4 Atmung und Beatmung – Sauerstoffquelle mit Flowmeter, möglichst Sauerstoffmischer
48
1066
48
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
– Neugeborenenbeatmungsbeutel mit PEEP-Ventil, Reservoirbeutel, Sauerstoffverbindungsleitung – Gesichtsmasken mit weichem Rand, Größen 00 und 01 – Guedel-Tuben 00 und 000 – Funktionierendes Laryngoskop mit Spateln der Größen 0 und 1 (nach Miller) – Endotracheale Tuben mit Innendurchmessern von 2,0/2,5/3,0 und 3,5 mm – Führungsdraht zur oralen Intubation – Kleine und große Magill-Zange – Pleuradrainage 4 Überwachung – Formblatt zur Dokumentation der Befunde und durchgeführten Maßnahmen – Pulsoxymeter – Herz-Atem-Monitor – Oszillometrisches Blutdruckmessgerät mit Blutdruckmanschetten Größe 1–4 – Blutgasgerät 4 Zugang und Blutentnahme – Blutzuckermessgerät mit Teststreifen – Kapillaren und Einmalkanülen zur Blutentnahme für Blutgase und Hämatokrit
48.2
Reifes unauffälliges Neugeborenes
48.2.1
Physiologie der ungestörten Anpassung
Intrauterin nimmt die flüssigkeitsgefüllte fetale Lunge nicht am Gasaustausch teil. Der pulmonale Blutfluss ist gering, weil rund 90% des rechtsventrikulären Blutvolumens infolge des erhöhten pulmonalen Gefäßwiderstandes über den Ductus arteriosus Botalli und das Foramen ovale an der Lunge vorbeigeführt werden. Der sytemische Gefäßwiderstand ist niedrig. Mit den ersten Atemzügen werden die Alveolen mit Luft gefüllt und die funktionelle Residualkapazität der kindlichen Lunge etabliert. Dafür werden inspiratorische negative Drücke bis zu 60–80 mm Hg aufgewandt. Die fetale Lungenflüssigkeit wird über Lungenkapillaren und Lymphbahnen abtransportiert. Der sinkende pulmonale Gefäßwiderstand ermöglicht einen raschen Anstieg der Lungendurchblutung und einen Anstieg der Oxygenierung. Der Anstieg der arteriellen Sauerstoffspannung führt zum funktionellen Verschluss des Ductus arteriosus. Der systemische Gefäßwiderstand steigt nach Abklemmen der Nabelschnur und hat einen funktionellen Verschluss des Foramen ovale zur Folge (Kattwinkel 2006).
48.2.2
Thermoregulation
Die normale rektale Temperatur des Neugeborenen beträgt 36,6–37,3°C, die normale axilläre Temperatur liegt zwischen 36,5 und 37,2°C. Die rektale Temperaturmessung ist mit Risiken verbunden, während die Messung der axillären Tempe-
– Venenverweilkanülen der Größe 24 G und 26 G, Verbindungsleitung, Perfusorspritzen, Perfusorleitung, Spritzenpumpe – 1-, 2- und 10-ml-Spritzen – Nabelkatheter (Größe 3,5 und 5 Charr), je 2 große und 2 kleine sterile anatomische Pinzetten, steriles Skalpell, sterile Nabelbändchen, sterile puderfreie Handschuhe, Pflaster und Nahtmaterial 4 Medikamente – Adrenalin (Suprarenin ) – Natriumbicarbonat 8,4% – Aqua destillata – Naloxon (Narcanti neonatal; 1 Amp 0,04 mg) – Konakion (Amp., 2 mg) – Surfactant (Amp., 5-mal 60 mg oder 3-mal 120 mg) – Infusionslösung – Physiologische Kochsalzlösung – Glukose 10% 4 Sonstiges – Magensonde (Größe 8 Charr) – Thermometer – Pflaster
ratur genauso sicher und zuverlässig ist. Infolge seiner relativ großen Körperoberfläche verliert das Neugeborene rasch an Wärme, insbesondere wenn es nach der Geburt noch feucht vom Fruchtwasser und an die intrauterine Wärme adaptiert ist. Durch körpereigene Wärmeproduktion kann der Bedarf nicht voll gedeckt werden. Unterkühlung führt zu einem erhöhten Kalorienverbrauch mit der Gefahr von Hypoglykämie, erhöhtem Sauerstoffverbrauch, Mikrozirkulationsstörungen sowie Azidose und kann beim gestressten, anpassungsgestörten Kind eine pulmonale Vasokonstriktion begünstigen. Deshalb sind in jedem Kreißsaal bei jeder Geburt ein vorgewärmter Untersuchungstisch und vorgewärmte Tücher zum Abtrocknen des Kindes bereitzuhalten. Bei allen Erstversorgungs- und Reanimationsmaßnahmen muss auf eine eingeschaltete Wärmelampe, auf einen temperierten Erstversorgungsraum ohne Zugluft und auf die Abdeckung des Kindes geachtet werden. Auch das gesunde Neugeborene, das bei seiner Mutter im Arm liegt, kann auskühlen und muss ausreichend abgetrocknet und in genügend warme Tücher eingehüllt werden. Ein Frühgeborenes ist infolge seines geringeren subkutanen Fettgewebes und seiner größeren relativen Körperoberfläche besonders sensibel gegenüber einer Unterkühlung.
48.2.3
Maßnahmen nach Geburt
Setzen erste notwendige Reanimationsmaßnahmen erst mit der Erhebung des ersten Apgar-Wertes nach 1 min ein, kann bereits wertvolle Zeit verloren sein. Deshalb erfolgt unmittelbar nach Geburt eine Soforteinschätzung des Neugeborenen
1067 48.2 · Reifes unauffälliges Neugeborenes
. Tab. 48.1. Soforteinschätzung nach Geburt
Unauffällig
Mäßig gradige Anpassungsstörung
Schwere Anpassungsstörung, Asphyxie
Atmung
Regelmäßig, Kind schreit
Unregelmäßig, flach, fehlend
Fehlend
Herzfrequenz
>100 SpM
>100 oder knapp <100 SpM
Deutlich <100 SpM, fehlt
Hautfarbe
Rosig, Akrozyanose
Zyanose, Blässe
Tiefe Zyanose, tiefe Blässe
Maßnahmen
Bis auf Abtrocknen und Wärmezufuhr keine Maßnahmen nötig. Absaugen bei Indikation
Abtrocknen, Wärmezufuhr, absaugen. Stabilisiert sich mit Unterstützung
Reanimationsmaßnahmen nötig
anhand der Parameter Atmung, Herzschlag und Hautfarbe durch den Geburtshelfer (. Tab. 48.1; Kattwinkel 2006). Abnabelung. Die Abnabelung erfolgt nach Auspulsieren der
Nabelschnur etwa 1–1,5 min nach Geburt, ohne dass die Nabelschnur zusätzlich ausgestrichen wird. Ist das Neugeborene unauffällig, wird es mit einem vorgewärmten Tuch abgetrocknet und der Mutter auf die Brust gelegt. Absaugen. Ein Absaugen des gesunden Neugeborenen mit klarem Fruchtwasser und unauffälliger Anpassung ist nicht erforderlich, da die Lungenflüssigkeit nach wenigen Atemzügen resorbiert ist und durch das Absaugmanöver Schleimhautläsionen gesetzt und Reflexbradykardien ausgelöst werden können (Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2004).
48.2.4
teilt und der Saugreflex ausgelöst. Für jeden Parameter werden 0–2 Punkte vergeben (. Tab. 48.2). > Ein vitales und lebensfrisches Neugeborenes weist Apgar-Werte von ≥8 in der 1. Lebensminute und ≥9 nach 5 min und 10 min auf.
Beim Frühgeborenen, dessen Vitalfunktionen stark vom Gestationsalter abhängig sind, ist die Aussagekraft eingeschränkt und die Korrelation zum Überleben gering (Obladen 2006). Der 5- und der 10-min-Apgar-Wert erlauben eine gewisse Aussage über die Prognose und werden im NeugeborenenUntersuchungsheft festgehalten. Mutter und Kind bleiben in den ersten 2 h nach Geburt im Kreißsaal. Besonders wichtig ist während dieser Zeit die Beobachtung auch des gesunden, im Arm der Mutter liegenden Neugeborenen durch die verantwortliche Hebamme oder den Geburtshelfer.
Zustandsbeurteilung
Apgar-Schema Zur klinischen Zustandsdiagnostik ist das von V. Apgar entwickelte Apgar-Schema nach wie vor sinnvoll (Apgar 1953). Im Alter von 1, 5 und 10 min werden die Vitalparameter durch Hebamme oder Geburtshelfer erfasst und dokumentiert. Dabei werden die Herzfrequenz auskultiert oder an der Nabelschnur palpiert, die Lunge des Kindes abgehört und die Atmung beobachtet, die Hautfarbe und der Muskeltonus beur-
> Bei Anpassungsverzögerungen, die sich als Punkteabzug im Apgar-Score zeigen, muss der kindliche Zustand wiederholt untersucht werden und gründlich anhand des Apgar-Schemas auf Hautfarbe, Atmung, Herzfrequenz, Muskeltonus und Saugreflex kontrolliert werden. Diese Kontrollen sollten im eigenen Interesse schriftlich dokumentiert werden. Tritt keine Verbesserung des kindlichen Zustandes auf, muss ein Neonatologe hinzugezogen werden.
. Tab. 48.2. Apgar-Schema. (Nach Apgar 1953)
2 Punkte
1 Punkt
0 Punkte
Herzschlag
>100
<100
Fehlt
Atmung
Regelmäßig, Kind schreit
Unregelmäßig, unzureichend
Fehlt
Hautfarbe
Rosig
Akrozyanose
Zyanose oder Blässe
Reaktion beim Absaugen
Grimassiert
Wenig
Fehlt
Muskeltonus
Beugetonus
Reduzierter Tonus
Schlaff
Auswertung (1 min): 8–10 Punkte = gut, 5–7 Punkte = beeinträchtigt, 0–4 Punkte = schwer beeinträchtigt.
48
1068
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
Nabelarterien-pH-Wert
48
48.2.5
Neben der Erfassung der Vitalparameter ist der Säure-BasenStatus im Nabelarterienblut ein weiteres Kriterium für die Zustandsbeurteilung. Dabei korrelieren Nabelarterien-pHWert und Apgar-Wert nur locker miteinander. Termingeborene weisen mittlere Nabelarterien-pH-Werte von 7,27±0,07 mit einem Basenexcess (BE) von –2,7±2,8 auf (Graham 2008). Ab einem pH-Wert von <7,20 wird von fetaler Azidose gesprochen. Ein pH-Wert von 7,20–7,10 gilt als leichte Azidose, die bei unauffälliger Anpassung zu keinen neurologischen Folgeproblemen führt. Zwischen 7,10 und 7,00 liegt eine mittelgradige und unter 7,00 eine schwere Azidose vor. Eine schwere Nabelarterienazidose weist auf einen Sauerstoffmangel unter der Geburt hin. Objektivieren lässt sich eine intrapartale Hypoxie/Ischämie durch den Grad der metabolischen Azidose in der Nabelarterie. Das Risiko für eine HIE mit neurologischen Spätfolgen und perinatalem Tod steigt ab einem pH-Wert <7,0 und einem BE über – 12 mmol/l bis auf 23%, insbesondere dann, wenn die Azidose mit einer schweren klinischen Anpassungsstörung einhergeht. Dabei besteht zwischen Nabelarterien-pH-Wert und Grad der Anpassungsstörung keine feste Korrelation, und zwei Drittel der azidotischen Neugeborenen überleben ohne Folgeschäden. (Graham 2008). > Liegt eine Nabelarterienazidose bei einem vitalen, unauffälligen Kind vor, sind keine Maßnahmen zu ergreifen. Um bei späteren elterlichen Vorwürfen oder juristischen Fragen abgesichert zu sein, muss der gute klinische Zustand sorgfältig dokumentiert werden. Gegebenenfalls kann eine pHWert-Kontrolle aus der Ferse des Kindes sinnvoll sein.
Untersuchung
Maße Innerhalb der ersten beiden Lebensstunden werden Geburtsgewicht, Länge und frontookzipitaler Kopfumfang des Neugeborenen exakt gemessen. > Ein reifes Neugeborenes von 40 SSW weist ein Gewicht zwischen 2800 und 4000 g und eine Länge zwischen 48 und 54 cm auf.
Anhand von gestationsalterbezogenen Normalverteilungen ist zu ersehen, ob das Gewicht des Kindes zwischen der 10. und 90. Perzentile liegt und das Kind damit als normgewichtig (»appropriate for gestational age«, AGA) einzustufen ist. Die Kinder, deren Gewicht unter der 10. Perzentile liegt, werden als für das Gestationsalter zu leicht (»small for gestational age«, SGA) bezeichnet und die, deren Gewicht über der 90. Perzentile liegt, als zu groß für das Gestationsalter (»large for gestational age«, LGA) (Voigt et al. 1996). Das Geburtsgewicht kann keinesfalls zur Reifebestimmung herangezogen werden.
Bestimmung des Gestationsalters Jenseits von 30 SSW kann die Reife eines Neugeborenen ausreichend genau mit dem Petrussa-Index bestimmt werden. In diesen gehen Dicke und Durchsichtigkeit der Haut, Größe der Brustwarzen, Reife des Genitales, Festigkeit des Ohrmuschelknorpels und Fußsohlenfalten ein. Darüber hinaus ist auf Übertragungszeichen wie »Waschfrauenhände«, trockene Haut, Hautabschilferungen und geringes Unterhautfettgewebe zu achten (. Tab. 48.3). Eine genauere Einschätzung, insbesondere bei kleinen Frühgeborenen, ist mit Untersuchungen nach Dubowitz u. Dubowitz (1981) oder Ballard et al. (1991) möglich. Hier werden zusätzlich die Venenzeichnung, die Behaarung, die Fingernägel und die Haltung betrachtet.
. Tab. 48.3. Petrussa-Index zur Bestimmung des Gestationsalters
0 Punkte
1 Punkt
2 Punkte
Haut
Hellrot, durchscheinend, ödematös
Rosig, fester, gering ödematös
Fest, sichtbare Fältelung, Hautabschilferung
Mamillen
Kaum Drüsengewebe
Tastbares Drüsengewebe, Mamillenvorhof erkennbar
Brustdrüsen über dem Hautniveau, Drüsenkörper und -vorhof palpabel
Ohr
Kaum Profil, weich, kaum Knorpelgewebe
Knorpel in Tragus und Antitragus
Ausgebildeter Helixknorpel, sofortiger Faltenausgleich
Fußsohle
Glatt, Fältelung im vorderen Drittel
Fältelung im vorderen und mittleren Drittel
Fältelung über der gesamten Fußsohle
Genitale
Testes noch inguinal, Labia majora kleiner als Labia minora
Testes evtl. noch inguinal, Labia minora gleich Labia majora
Testes im Skrotum, Labia majora größer als Labia minora
Auswertung: Schwangerschaftsdauer in Wochen: erzielte Punkte plus 30.
Summe
1069 48.2 · Reifes unauffälliges Neugeborenes
Erstuntersuchung U1 Die Erstuntersuchung U1 des Neugeborenen, die rund 10– 15 min nach Geburt durchgeführt wird, gehört zu den Aufgaben des Geburtshelfers und sollte die Herz- und Lungenauskultation, die Palpation des Abdomens, die Inspektion der Genitalien, der Haut, der Hände und Füße, der Augen und Ohren, die Palpation des harten Gaumens und die Beurteilung des Muskeltonus umfassen und so sorgfältig erfolgen, dass der Geburtshelfer der Mutter oder den Eltern versichern kann, »dass alles in Ordnung ist«. Bei einem unklaren oder pathologischen Befund sollten die Eltern bereits im Kreißsaal schonend aufgeklärt und beruhigt und eine konsiliarische pädiatrische Untersuchung und Beratung veranlasst werden. Nach vaginaloperativer Geburt ist eine besonders eingehende Untersuchung des Kindes, insbesondere auf neurologische Auffälligkeiten oder Verletzungen notwendig. Ist der Zustand des Kindes gut, muss nicht in jedem Fall eine pädiatrische Konsiluntersuchung erfolgen (Hickl u. Berg 1989).
Geburtsverletzungen Unter einem Kephalhämatom ist ein tastbares, unter den palpierenden Fingern fluktuierendes Kopfschwartenhämatom zu verstehen, das die Schädelnähte nicht überschreitet. Maßnahmen sind nicht erforderlich. Eine Geburtsgeschwulst dagegen imponiert als weiche, nicht fluktuierende Schwellung, überschreitet die Schädelnähte und ist nicht als Geburtsverletzung aufzufassen. Klavikulafrakturen können häufig, allerdings nicht immer, bereits im Kreißsaal ertastet werden. Sie können sich auch erst nach einigen Tagen durch eine Schonhaltung oder schmerzhafte Schwellung zeigen und erfordern keine chirurgische Intervention. Hämatome im Bereich des M. sternocleidomastoideus
sind meist nach einigen Tagen als schmerzhafte Schwellung im Bereich des betreffenden Muskels zu tasten. Plexusparesen nach einer Geburt mit schwerer Schulterentwicklung treten mit einer Häufigkeit von 0,4–2,5‰ auf (Rennie 2005). Das Neugeborene lässt den betreffenden Arm schlaff hängen. Traumatisch, hypoxisch oder durch Fehlbildungen bedingte Gehirnblutungen beim reifen Neugeborenen treten nur selten auf, sind aber von großer prognostischer Bedeutung. Die Blutungslokalisation kann subdural, subarachnoidal, intraventrikulär oder intrazerebral sein. Symptome einer schweren subduralen Blutung können Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen und schwere Beeinträchtigung sofort nach Geburt sein, während sich bei geringer Ausdehnung nur diskrete neurologische Hinweise finden. Die Entwicklung eines chronischen subduralen Ergusses ist möglich. Subarachnoidalblutungen können asymptomatisch verlaufen oder Krampfanfälle verursachen. Neben Trauma, Asphyxie und Fehlbildung kann selten auch Vitamin-K-Mangel bei intraventrikulärer und intrazerebraler Blutung eine pathogenetische Rolle spielen. Neurologische Symptome sind Krämpfe, Übererregbarkeit, Erbrechen und Apnoe. Bei bis zu 4% der Neugeborenen können sonographisch kleine subependymale Blutungen gefunden werden, die i. d. R. asymptomatisch bleiben und folgenlos abheilen (Volpe 1987).
Kleine Schnittwunden nach Sectioentbindung werden je nach Befund mit einer Naht oder einem sterilen Pflaster adaptiert. > Alle Geburtsverletzungen sollten eine kinderärztliche Beratung zur Folge haben. Bei neurologischen Symptomen ist eine sofortige pädiatrische Untersuchung und Verlegung angezeigt.
Fehlbildungen Unbedingt muss auf Fehlbildungen aller Art, insbesondere aber auf versorgungsrelevante Fehlbildungen geachtet und ggf. eine fachliche Weiterbetreuung veranlasst werden. Ein Pes equinovarus erfordert eine orthopädische Gipsbehandlung im Lauf des 1. Lebenstages. Gesichtsasymmetrien oder Haltungsanomalien des Kopfes oder Fehlhaltung der Füße im Sinne von Sichel-, Knick- und Hackenfüßen sind keine Fehlbildung, sondern meistens Folge einer intrauterinen Zwangshaltung. Diese Kinder sollten pädiatrisch und/oder kinderorthopädisch untersucht werden und bei Bedarf physiotherapeutische Übungen veranlasst werden. Bei jedem Neugeborenen sollte mit einem Finger der Gaumen abgetastet sowie die Lippen inspiziert und im Falle einer Spaltbildung, die in leichter oder schwerer Form bei 1 von 500 Neugeborenen auftritt, ein Kieferchirurg hinzugezogen werden. Bei klinischem Verdacht auf Choanalatresie sollte die Nase sondiert werden. Bei Hinweisen auf eine Ösophagusatresie, wie Polyhydramnion, vermehrtes Speicheln oder Atemstörung, muss der Ösophagus sondiert werden, während dies bei einem unauffälligen Neugeborenen nicht zwingend notwendig ist. Wegen einer möglichen vagusinduzierten Bradykardie ist die Sondierung frühestens nach 5 min und spätestens vor der ersten Mahlzeit vorzunehmen. Eine Analatresie wird durch vorsichtige Messung der rektalen Temperatur ausgeschlossen, hierzu sind aus Sicherheitsgründen digitale Thermometer zu bevorzugen. Bei Vorliegen einer Meningomyelozele, Omphalozele oder Gastroschisis wird sofort nach Geburt ein steriler Plastiksack angelegt und oberhalb des Defektes verschlossen. Die Verlegung des Kindes erfolgt unmittelbar aus dem Kreißsaal in eine kinderchirurgische Fachabteilung. Ein Zwerchfelldefekt sollte pränatal erkannt und die Entbindung in einem Perinatalzentrum mit angeschlossener Kinderchirurgie durchgeführt werden. Bei ausgedehntem Befund ist der Einsatz einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) zu diskutieren. Das Vorgehen bei Geburt eines Kindes mit vorgeburtlich nicht erkanntem Zwerchfelldefekt ist in 7 Kap. 48.4.3 beschrieben. Über Befunde aus der pränatalen ultrasonographischen Diagnostik wie fetale Harntransportstörungen oder Hydrozephalus ist der Pädiater zu informieren, damit weitere kinderärztliche Untersuchungen eingeleitet werden können.
Weitere Maßnahmen Im Anschluss an die Untersuchung wird der Nabelschnurrest mit einer Klemme in 1–2 cm über dem Hautniveau versehen und gekürzt. Blut- und Mekoniumreste werden entfernt und
48
1070
48
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
das Kind abgetrocknet, wobei – wenn möglich – die Vernix belassen werden sollte. Das Baden des Neugeborenen bereits im Kreißsaal ist aus medizinischen Gründen nicht notwendig. Ein oder auch zwei Identifikationsmittel (Namensbändchen) sollte in Gegenwart der Eltern angelegt werden. Das gesunde Neugeborene beginnt bald nach Geburt zu saugen und kann bereits innerhalb der ersten 20–30 min nach Geburt an die Brust angelegt werden, wenn die Mutter stillen möchte. Die Stillfähigkeit der Mutter wird dadurch besonders gefördert. Da die ersten Stunden des Kennenlernens von Mutter bzw. Eltern und Kind besonders bedeutsam für die weitere Mutter-/Eltern-Kind-Beziehung sind, sollte auf eine ruhige und freundliche Atmosphäre geachtet werden.
Neonatale Konjunktivitis Eine Gonoblennorrhö zeigt sich 2–5 Tage nach Geburt als schwere eitrige Konjunktivitis, die nicht oder falsch behandelt zur Blindheit führen kann, während sie bei rechtzeitiger fachgerechter intravenöser Therapie komplikationslos abheilt. Die Gonoblennorrhöprophylaxe mit Verabreichung einer 1%igen Silbernitrat- oder -acetatlösung in beide Bindehautsäcke innerhalb der ersten 10 Lebensminuten war bis 1986 gesetzlich vorgeschrieben und wird nicht mehr empfohlen (DGPIHandbuch 2009). In den Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen sollten keimübertragende Mütter identifiziert werden und im Fall eines Gonokokkennachweises direkt postnatal einmalig 0,5%ige Erythromycin- oder 1%ige Tetracyclinlösung lokal verabreicht werden. Im Fall einer Konjunktivitis wird nach Hinzuziehen eines Augenarztes systemisch mit Cephalosporinen behandelt. Chlamydien gehören zu den häufigen Erregern einer neonatalen Konjunktivitis. Diese tritt 5 Tage bis 2 Wochen nach Geburt in Form einer beidseitigen eitrigen Konjunktivitis auf und wird systemisch und lokal behandelt. Vor Therapie sollte ein Abstrich abgenommen und eine PCR und ein Fluoreszenzantikörpertest durchgeführt werden. Tipp Bei rund 1% der Neugeborenen kommt es nach vaginaler Geburt und pathologischer Keimbesiedlung der Schwangeren in den ersten Tagen nach Geburt infolge postnataler Schmierinfektionen durch Staphylokokken, Streptokokken oder Enterobakterien zu einer Konjunktivitis. Bei entzündlichen Veränderungen ist eine lokale Behandlung nach Entnahme eines Bindehautabstrichs indiziert.
Hypoglykämie Nach Unterbrechen der gleichmäßigen Glukosezufuhr durch die Nabelschnur sinkt beim Neugeborenen nach Geburt der Blutzuckerspiegel rasch ab. Durch Glukoneogenese und exogene Zufuhr können die meisten reifen Neugeborenen den Blutzuckerspiegel auf ausreichendem Niveau halten, trotzdem kommt es bei rund 5% der Kinder zu meist asymptomatischen Hypoglykämien.
! Ein vielfach erhöhtes Hypoglykämierisiko haben untergewichtige Kinder <10. Perzentile, übergewichtige Kinder >90. Perzentile, anpassungsgestörte Kinder, Kinder von Gestationsdiabetikerinnen und insulinpflichtigen Diabetikerinnen sowie Frühgeborene <37 abgeschlossenen SSW.
Bei den Risikokindern sollte der Nabelschnurblutzucker beachtet und 30 min postpartal sowie vor den nächsten Mahlzeiten eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt werden. Der Grenzwert für eine Hypoglykämie liegt bei ≤45 mg/dl (Cornblath et al. 2000). Bei niedrigeren Werten sollte eine 10%ige Glukoselösung oder eine 25%ige Maltodextrinlösung oral angeboten, der Blutzucker nach der Mahlzeit kontrolliert und ein Pädiater hinzugezogen werden, falls die Werte nicht ansteigen oder Symptome der Hypoglykämie wie Zittrigkeit, Apathie oder anfallsähnliche Zustände auftreten. Das Risiko neurologischer Spätfolgen steigt bei rezidivierendem oder symptomatischem Unterzucker an. Kinder von insulinpflichtigen Diabetikerinnen sind wegen der Hypoglykämiegefahr in einem Perinatalzentrum zu entbinden.
48.3
Erstversorgung des reifen anpassungsgestörten Neugeborenen und primäre Reanimation
48.3.1
Respiratorische Anpassungsstörung
In der Neugeborenenperiode steht ein relativ leistungsfähiges Herz-Kreislauf-System einem störanfälligen respiratorischen System gegenüber. Ein primär kardiales Versagen kommt äußerst selten bei kongenitalen Herzrhythmusstörungen oder Herzerkrankungen vor. Häufig dagegen sind primäre respiratorische Störungen. Sie werden begünstigt durch etwaige Verzögerungen des physiologischen ersten Atemzuges, durch die Kleinheit der anatomischen Strukturen, Engstellung der Lungenarteriolen auf bestimmte Trigger und mögliche Verlegung der Atemwege durch blutiges oder mekoniumhaltiges Fruchtwasser und Sekret.
48.3.2
Pathophysiologie der Asphyxie
Bei der im Tierversuch erzeugten akuten Asphyxie sind pathophysiologische Abläufe untersucht worden, die den Veränderungen beim Fetus und Neugeborenen im Verlauf eines schweren Sauerstoffmangels entsprechen. Kurz nach Eintritt einer Hypoxie setzt eine Periode vermehrter Atembemühungen ein, bis schließlich die Atmung sistiert, die Herzfrequenz fällt und der Muskeltonus sinkt. Der etwa einminütige Atemstillstand wird als »primäre Apnoe« bezeichnet. Stimulation, Freimachen der Atemwege und Sauerstoffangebot führen nach Geburt zu diesem Zeitpunkt meist zum raschen Wiedereinsetzen der Atmung. Bei anhaltender intrauteriner Hypoxie folgen nach der primären Apnoe für 4–5 min tiefe, aber unregelmäßige und
1071 48.3 · Erstversorgung des reifen anpassungsgestörten Neugeborenen und primäre Reanimation
schnappende Atemzüge, der Blutdruck beginnt bei anhaltender Bradykardie zu fallen, der Muskeltonus nimmt weiter ab. Nach einem letzten tiefen Atemzug tritt eine »sekundäre Apnoe« auf. Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und Muskeltonus fallen weiter ab. Wenn nach der Geburt nicht sofort gezielte Reanimationsmaßnahmen mit Sauerstoffbeatmung nach Freimachen der Atemwege einsetzen, ist der Verlauf letal. Kommt ein bradykardes apnoisches Kind zur Welt, kann klinisch nicht zwischen primärer oder sekundärer Apnoe differenziert werden, sodass in jedem Fall unverzüglich symptomatische Maßnahmen ergriffen werden müssen (Kattwinkel 2006).
48.3.3
Persistierende pulmonale Hypertension des Neugeborenen (PPHN)
Hypoxie und Azidose, aber auch Hypothermie, Hypoglykämie und Sepsis stellen Triggerreize dar, die über vasoaktive Mediatoren zu einer reaktiven pulmonalen Vasokonstriktion mit Erhöhung des pulmonalen Gefäßwiderstandes und konsekutiv zu einer persistierenden fetalen Zirkulation mit Rechts-links-Shunt intrapulmonal, über Ductus Botalli sowie Foramen ovale führen können. Gehäuft betroffen sind Neugeborene mit Polyzythämie, Zwerchfelldefekt und Aspiration. Folge der persistierenden pulmonalen Hypertension ist eine Sauerstoffunterversorgung der Organe. ! Da das Vollbild der PPHN mit einer signifikanten Letalität behaftet ist, ist besonders auf Neugeborene zu achten, die im Anfangsstadium Zeichen der protrahierten Anpassungsstörung mit Tachypnoe und Blässe aufweisen, im weiteren Verlauf jedoch zunehmende Tachydyspnoe und Zyanose zeigen und eine PPHN entwickeln.
Eine pulmonale Vasokonstriktion kann sich entwickeln. Frühzeitig sollte ein Neonatologe hinzugezogen werden, um Azidose, Infektion oder Hypoglykämie auszuschließen und die Entwicklung einer PPHN zu verhindern. Intensivmedizinische Therapieverfahren der PPHN sind maschinelle Beatmung, Kreislauftherapie, antibiotische Behandlung, inhalative Stickoxidgabe (iNO) und ECMO (Obladen 2006).
48.3.4
Leicht und mäßig anpassungsgestörtes Neugeborenes
Ein derart anpassungsgestörtes Neugeborenes wird sofort lang abgenabelt, auf den Untersuchungstisch unter die Wärmelampe gelegt, kurz mit einem warmen Tuch abgetrocknet und oral abgesaugt. Beim Abnabeln ist auf eine ausreichende Länge des Nabelstumpfes von rund 5 cm zu achten, für den Fall, dass Nabelkatheter gelegt werden müssen. Der 1-minApgar liegt zwischen 4 und 7, durch Punktabzug je nach Befund bei Atmung, Hautkolorit und Herzfrequenz.
Absaugen Um nicht nur die Atemwege freizumachen, sondern gleichzeitig zu stimulieren, muss bei einer Anpassungsstörung zuerst pharyngeal und später nasal abgesaugt werden. Indikation zum Absaugen 4 Verzögertes Einsetzen der Atmung oder unzureichende Atmung 4 Verfärbtes oder infiziertes Fruchtwasser 4 Unzureichende Herzfrequenz <100 SpM trotz Stimulation
Das Absaugen erfolgt mit einem großlumigen weichen 10Charr-Absaugkatheter mit einem Sog von –200 mbar im Rachen. Häufig muss dazu der Mund des Kindes mit dem Zeigefinger geöffnet werden. Zu beachten ist, dass als erstes der Rachen des Kindes abgesaugt werden muss. Das Absaugen der Nase regt über sensible Rezeptoren die Atmung an, sodass die Gefahr besteht, dass im Rachen befindliches Sekret durch einsetzende Atemzüge aspiriert wird. Nach Absaugen des Rachens wird die Nase mit einem 8-Charr-Absaugkatheter gereinigt. Da mit heftigen und zu langen Absaugmanövern über einen Vagusreflex Bradykardien, Schleimhautverletzungen und Laryngospasmus provoziert werden können, sollte ein Absaugvorgang nicht länger als 5 s dauern.
Stimulation der Atmung Nach dem Absaugen wird das Kind erneut abgetrocknet, nach Entfernen des nassen Tuches in ein trockenes warmes Tuch gehüllt und durch Bestreichen und Abreiben des Rückens und der Fußsohlen taktil stimuliert und beobachtet, ob innerhalb der nächsten 15–30 s die Herzfrequenz >100 SpM ansteigt, eine ausreichende Eigenatmung einsetzt und das Hautkolorit rosig wird. Dies trifft bei der Mehrzahl der Kinder zu. In den nächsten Stunden sollten sie aufmerksam von Geburtshelfern, Hebammen, Kinderschwestern oder Kinderärzten beobachtet und der klinische Zustand dokumentiert werden.
Klinik
Sauerstoff
> Bei der Soforteinschätzung nach Geburt ist die leicht bis mäßig ausgeprägte Anpassungstörung an der nicht innerhalb von wenigen Sekunden postnatal einsetzenden ausreichenden Atmung, an der Herzfrequenz entweder >100 SpM oder knapp <100 SpM und am blassen oder zyanotischen Hautkolorit zu erkennen.
Bei einer zentralen Zyanose trotz einer Herzfrequenz >100 SpM und vorhandener Atmung sollte vorübergehend Sauerstoff angeboten werden. Mehrfaches Absaugen kann notwendig werden. Das Sauerstoffangebot erfolgt entweder über eine Sonde, die an ein auf 5–8 l/min eingestelltes Flowmeter angeschlossen ist und dem Kind in etwa 5 cm Entfernung vorgehalten wird, oder über den angeschlossenen und vorgelegten Beatmungsbeutel. Die Beatmung sollte pulsoxymetrisch überwacht werden (. Abb. 48.1).
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Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
tens bei einer Sauerstoffsättigung von 95% wird kein zusätzlicher Sauerstoff mehr angeboten (Kattwinkel 2006).
Maskenbeatmung
48
a
b
. Abb. 48.1a, b. Sauerstoffangebot. Sauerstoff kann über eine an ein Sauerstoffflowmeter angeschlossene und vor Mund und Nase des Kindes gehaltene Sauerstoffleitung angeboten werden (b) und sollte pulsoxymetrisch überwacht werden. (Nach Kattwinkel 2006)
! Sauerstoff ist ein Medikament und darf nur bei Indikation verabreicht werden. Deshalb muss insbesondere bei unreifen Kindern streng darauf geachtet werden, dass sofort nach Verbesserung der Oxygenierung die Sauerstoffzufuhr reduziert wird.
Die Verbesserung der Oxygenierung zeigt sich neben dem Anstieg der Sauerstoffsättigung am rosig werdenden Hautkolorit. Auch wenn Sauerstoffzielsättigungen noch nicht sicher definiert wurden, kann für praktische Belange im Kreißsaal eine pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung von >90% nach 10 min als ausreichend angesehen werden. Spätes-
Setzt trotz Absaugen und Stimulation innerhalb von 30 s keine ausreichende Atmung ein und bleibt die Herzfrequenz <100 SpM, muss die Lungenbelüftung mittels Maskenbeatmung verbessert werden. Sobald zur Stabilisierung eines Kindes Maskenbeatmung indiziert ist, sollte ein zweiter Helfer hinzugerufen werden. Zur Handbeatmung Neugeborener stehen selbstaufblähende Beatmungsbeutel nach Ruben oder Beatmungsbeutel nach Kuhn sowie ein flowkontrolliertes und drucklimitiertes Notfallbeatmungssystem mit T-Stück zur Verfügung. Selbstaufblähende Beatmungsbeutel werden wegen der einfacheren Handhabung häufig eingesetzt. Der Beutel sollte ein Druckventil zur Vermeidung von unkontrolliert hohem Spitzendruck sowie zum gezielten Verabreichen eines erhöhten Beatmungsdruckes enthalten. Ein PEEP-Ventil im Exspirationsteil, das in der Regel auf +3 bis +4 mm Hg eingestellt wird, erlaubt die Anwendung eines positiven endexspiratorischen Druckes (»positive endexpiratory pressure«; PEEP). Ein positiver endexspiratorischer Druck beugt der Atelektaseneigung vor und verbessert die Oxygenierung (Morley u. Davis 2008) Bei angeschlossenem Reservoirbeutel und auf 5–10 l aufgedrehtem Sauerstoffflowmeter werden nahezu 100% Sauerstoff abgegeben. Ist der Reservoirbeutel nicht angeschlossen, strömt über das offene distale Ansatzstück Raumluft nach, und es werden rund 40% Sauerstoff abgegeben. Auf diese Weise kann im Notfall grob orientierend auch ohne Vorhandensein eines Sauerstoffmischers die Sauerstoffabgabe reduziert werden. Das Notfallbeatmunssystem mit T-Stück erlaubt eine exakt einstellbare Verabreichung von PEEP, inspiratorischem Spitzendruck und Sauerstoff. Tipp Zur Neugeborenenreanimation wird entsprechend den Richtlinien 2005 wegen noch nicht abschließend beurteilbarer Datenlage die Verabreichung von 100% Sauerstoff empfohlen, obwohl auch die Anwendung geringerer Konzentrationen bis hin zu Raumluft nicht falsch ist (AHA 2005). Wegen erhöhter Folgemorbidität bei der Verabreichung von 100% Sauerstoff wird von verschiedenen Autoren zur initialen Beatmung Raumluft oder mindestens eine geringere Sauerstoffkonzentration als 100% empfohlen (Morley u Davis 2008; Saugstad et al. 2008). Dieses Vorgehen hat sich bereits in vielen Perinatalzentren erfolgreich durchgesetzt. Wird eine Reanimation ohne zusätzlichen Sauerstoff begonnen, sollte auf ausreichenden Sauerstoffsättigungsanstieg von 70 auf >90% innerhalb der ersten 10 min geachtet werden und bei ausbleibender Verbesserung Sauerstoff angeboten werden können. Spätestens bei einer Sauerstoffsättigung >95% sollte kein zusätzlicher Sauerstoff mehr gegeben werden.
1073 48.3 · Erstversorgung des reifen anpassungsgestörten Neugeborenen und primäre Reanimation
a
b
. Abb. 48.2a, b. Durchführung der Maskenbeatmung. Bei der Maskenbeatmung des Neugeborenen wird die Maske über Mund und Nase aufgesetzt (a). Daumen und Zeigefinger der linken Hand umschließen die Maske und fixieren sie schonend, während mit dem
3. und 4. oder dem 4. und 5. Finger das Kinn des Kindes angehoben wird (b). Mit der rechten Hand wird der Beatmungsbeutel komprimiert. Die Beatmung ist effektiv, wenn sich der Thorax hebt und das Kind rosig wird. (Nach Kattwinkel 2006)
Ist Maskenbeatmung beim Neugeborenen indiziert, wird der Patient mit einem Herz-Atem-Monitor überwacht und/oder eine pulsoxymetrische Sauerstoffsättigungsmessung durchgeführt (. Abb. 48.2).
wünschter Druck auf die Augen ausgeübt werden kann und bei undichtem Sitz die Beatmung ineffektiv ist. Mit der rechten Hand wird der Beatmungsbeutel mit einer Frequenz von 40–60/min zusammengedrückt und beobachtet, ob die Maske dicht sitzt und ob sich der Thorax hebt. Bei Anwendung eines Notfallbeatmungssystems mit T-Stück wird der positive Inspirationsdruck durch Öffnen und Schließen der Öffnung des T-Stückes mit einem Finger erzeugt. Zur Eröffnung der Lunge können inspiratorische Drücke bis zu 30–40 mm Hg notwendig werden. Kann der Inspirationsdruck nicht überwacht werden, sollte der Druck angewandt werden, mit dem sich der Thorax in der Inspiration ausreichend hebt und in der Exspiration wieder senkt. Das Atemgeräusch wird beidseits auskultiert und kontrolliert, ob das Hautkolorit rosig wird. Nach 30 s wird die Maskenbeatmung zur Effektivitätskontrolle unterbrochen und beobachtet, ob die Eigenatmung des Kindes einsetzt und die Herzfrequenz ansteigt. Ist dies der Fall, kann die Maskenbeatmung reduziert und unter Beobachtung von Atmung und Hautkolorit beendet werden. Ein Sauerstoffvorhalt kann anschließend für einige Minuten notwendig werden. Erweist sich die Maskenbeatmung bei einer ausgeprägten Anpassungsstörung als nicht effektiv genug, müssen folgende Bedingungen überprüft werden: 4 Verlegung der Atemwege durch Sekret und Notwendigkeit von erneutem Absaugen, 4 dichter Sitz der Maske, 4 Kopfposition, 4 ausreichender Beatmungsdruck mit Heben und Senken des Thorax und auskultierbarem Atemgeräusch, 4 Überblähung des Magens.
Indikation und Kontraindikation zur Maskenbeatmung 4 Indikationen – Atmung unzureichend oder fehlend trotz Absaugen und Stimulation – Herzfrequenz <100 SpM, unabhängig von der Atmung – Zentrale Zyanose trotz Sauerstoffvorhalt 4 Kontraindikationen – Zwerchfelldefekt – Mekonium- oder bluthaltiges Fruchtwasser ohne vorheriges ausreichendes Absaugen
Das Kind liegt orthograd mit dem Kopfende zum Arzt auf dem vorgewärmten Untersuchungstisch unter einer Wärmelampe. Im Gegensatz zum Erwachsenen ist eine Überstreckung des Kopfes zu vermeiden. Eine weiche Maske, die Nase und Mund umschließt, wird auf das Gesicht des Neugeborenen aufgesetzt. Gut geeignet sind runde Silikonmasken. Daumen und Zeigefinger der linken Hand umschließen die Maske und drücken sie vorsichtig auf das Gesicht des Kindes, zugleich wird mit dem 3. und 4. oder dem 4. und 5. Finge das Kinn des Kindes angehoben, um ein Zurückfallen der Zunge zu verhindern. Der passende Sitz der Maske muss wiederholt überprüft werden, da bei kleinen Neugeborenen ein uner-
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Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
. Abb. 48.3. Reanimation des Neugeborenen
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Bleibt die Oxygenierung nach Überprüfung und Korrektur noch unzureichend, kann die Beatmung mit einem durch die Nase in den Rachen vorgeschobenen Rachentubus erleichtert werden. Ein Beatmungstubus passender Größe, beim reifen Neugeborenen von 3 kg in der Regel ein Tubus mit einem Innendurchmesser von 3 mm, wird durch ein Nasenloch eingeführt, mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand bei Zentimeter 4–5 am Naseneingang festgehalten, der Beatmungsbeutel aufgesetzt und mit einer Frequenz von 40–60/min, einem PEEP von 3–4 mm Hg und einem Spitzendruck von 20 mm Hg oder
mehr handbeatmet. Mit dem 3. und 4. Finger der linken Hand wird dabei der Mund geschlossen. Obwohl in den Reanimationsrichtlinien keine Empfehlung zur Rachentubusbeatmung enthalten ist, hat sie sich in der Praxis bewährt. Dagegen ist der Nutzen von Larynxmasken zur effektiven Beatmung vor Intubation oder unter Reanimationsbedingungen noch nicht gesichert und muss in weiteren Studien geklärt werden (AHA 2005). Nach einer Maskenbeatmung von >2 min sollte zur Entblähung des Magens eine Magensonde gelegt werden, da ein luftgefüllter Magen die Lungenbelüftung beeinträchtigen und
1075 48.3 · Erstversorgung des reifen anpassungsgestörten Neugeborenen und primäre Reanimation
zu Erbrechen und Aspiration von Magensaft führen kann. Die Einführtiefe der Magensonde entspricht der Distanz Nase– Ohr plus Ohr–Xiphoid in Zentimetern. Nach Einführung über die Nase kann die korrekte Lage im Magen mit einem pH-Papier oder auskultatorisch überpüft werden, indem mit einer 2-ml-Spritze Luft in den Magen gefüllt wird.
Verlaufsbeobachtung Erholt sich das Kind, und setzt eine ausreichende Spontanatmung ein, werden Blutgase und Blutzucker des Kindes kapillär, arteriell oder venös kontrolliert. Nur in stabilem Zustand und unter pädiatrischer Überwachung kann das Kind in den nächsten Stunden in der Geburtsklinik in einem Inkubator mit angefeuchteter und angewärmter Luft gelagert und versorgt werden, ansonsten ist eine Verlegung in eine pädiatrische Abteilung notwendig. > Wenn ein spontan atmendes Neugeborenes eine respiratorische Anpassungsstörung mit anhaltend blassem oder grauem Hautkolorit bei guter Herzfrequenz zeigt, muss umgehend ein neonatologisch versierter Kinderarzt hinzugerufen werden, um Volumenmangel, nasse Lunge, Aspiration, Infektion oder Herzfehler auszuschließen. Das Symptom Hautblässe, insbesondere in der Verbindung mit kühlen Extremitäten, ist immer ernst zu nehmen, da es auf eine verminderte Hautperfusion als Folge einer Umverteilung des Blutflusses auf die lebenswichtigen Organe Herz und Hirn hinweist. Bei anhaltender zentraler Zyanose trotz guter Herzfrequenz und vitalem Zustand ist ein zyanotisches Vitium auszuschließen.
Zustand des Kindes, Befunde, getroffene Maßnahmen mit Uhrzeit und behandelnde Personen sind zeitnah genau zu dokumentieren.
48.3.5
Schwer und schwerst anpassungsgestörtes Neugeborenes
Klinik Beim stark beeinträchtigten Neugeborenen setzt postnatal keine oder eine unzureichende Atmung ein, die Herzfrequenz liegt deutlich <100 SpM oder fehlt, das Hautkolorit ist blass oder zyanotisch, der Muskeltonus ist hypoton, es reagiert kaum auf Absaugmanöver.
Maßnahmen Dieses Kind wird sofort lang abgenabelt und auf den vorgewärmten Untersuchungstisch gelegt. Mindestens 2 in neonatologischen Reanimationsmaßnahmen geschulte Helfer werden sofort benötigt. Wünschenswert ist eine 3. Hilfe zum Anreichen, Telefonieren und Dokumentieren. Nach sofortigem tiefem Absaugen wird Maskenbeatmung mit 21–100% Sauerstoff durchgeführt. Der Helfer trocknet das Kind ab, hört Herzfrequenz und Atmung ab und schließt einen Herz-AtemMonitor und/oder ein Pulsoxymeter an. Das Maßnahmenorganigramm zeigt . Abb. 48.3.
a
b . Abb. 48.4a, b. Herzdruckmassage. a Zur Herzdruckmassage wird der kindliche Thorax mit beiden Händen umfasst und beide Daumen übereinander oder nebeneinander knapp unter die Kreuzungslinie zwischen Sternum und Intermamillarlinie aufgesetzt. b Alternativ kann Herzdruckmassage durch Aufsetzen des 2. und 3. Fingers längs des Sternums unterhalb der Intermamillarlinie durchgeführt werden
Kardiopulmonale Reanimation Bleibt die Herzfrequenz trotz Absaugen und effektiver Maskenbeatmung für 30 s anhaltend <60 SpM, muss Herzdruckmassage, die besser als Thoraxkompression bezeichnet werden sollte, durchgeführt werden. Falls die Beatmung mit weniger als 100% Sauerstoff begonnen wurde, wird jetzt die Konzentration erhöht. Zur Herzdruckmassage wird der Zangengriff bevorzugt, indem der Thorax des Kindes umfasst und beide Daumen übereinander oder nebeneinander knapp unterhalb der Kreuzungslinie zwischen Sternum und Intermamillarlinie aufgesetzt werden (. Abb. 48.4a). Alternativ kann die Herzdruckmassage durch Aufsetzen des 2. und 3. Fingers längs des Sternums unterhalb der Intermamillarlinie durchgeführt werden (. Abb. 48.4b). Der Brustkorb des Kindes wird etwa 1–2 cm tief bzw. um ein Drittel des Thoraxdurchmessers eingedrückt, um so das Herz des Kindes zwischen Wirbelsäule und Sternum auszupressen. Bei adäquater Durchführung kann bis zu 30% des Herzzeitvolumens ausgeworfen und die Perfusion von Herz und Hirn annähernd aufrechterhalten werden (. Abb. 48.4).
48
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Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
! Risiken der Herzdruckmassage sind Rippenfraktur, Pneumothorax, Blutung oder Verletzung der Leber durch Anwendung eines zu tiefen Druckpunktes auf dem Processus xiphoideus.
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Beatmung und Herzmassage werden koordiniert, indem nach 3-maliger Herzmassage ein Beatmungshub gegeben wird, sodass in einem 3 : 1-Rhythmus pro Minute 90-mal Herzdruckmassage und 30-mal Beatmung verabreicht werden. Wichtig ist die Koordination der Maßnahmen durch den Erfahrensten des Teams, der durch lautes Zählen den Rhythmus vorgibt, Effektivitätskontrollen durchführt, den Zeitverlauf beachtet und weitere Maßnahmen veranlasst. Nach 30 s wird überprüft, ob Herzaktionen einsetzen oder die Herzfrequenz ansteigt, Pulse tastbar werden und das Hautkolorit rosig wird. Die Herzdruckmassage wird beendet, wenn die Herzfrequenz auf >60 SpM ansteigt (Kattwinkel 2006). Erholt sich das Kind, kann die Masken- oder Rachentubusbeatmung reduziert und unter Beobachtung des kindlichen Zustandes auf eine reine Sauerstoffvorlage übergegangen werden. Bei anhaltender Hautblässe, reduziertem Muskeltonus oder verminderter Vitalität sollte eine Infusion gelegt und die Verlegung des Kindes in eine weiterbetreuende Kinderklinik veranlasst werden.
Intubation Erholt sich das Kind nicht, ist die endotracheale Intubation indiziert. Die Indikation zur Intubation kann zu jedem Zeitpunkt während einer Reanimation gestellt werden, wenn trotz ausreichender Handbeatmung 4 weitere Herzdruckmassage erforderlich ist, 4 die Handbeatmung ineffektiv oder weitere Handbeatmung erforderlich ist, 4 tracheales Absaugen erforderlich ist, 4 die Gabe von Adrenalin erforderlich ist, bevor ein intravenöser Zugang liegt, 4 der Verdacht auf eine Zwerchfellhernie besteht, 4 beim Frühgeborenen Surfactant-Gabe indiziert ist. > Bei geringem Übungsstand sollte der Fokus auf eine effektive Masken- oder Rachentubusbeatmung gelegt werden, um keine Zeit mit frustranen Intubationsversuchen zu verlieren (Kattwinkel 2006).
Die in der Neonatologie verwendeten Spatel sind gerade und haben eine Kaltlichtquelle an der Spitze. Zur Vermeidung unerwünschter Verzögerung bei Notfallintubationen muss die Funktionsfähigkeit des Laryngoskops im Kreißsaal regelmäßig überprüft werden. Die ungeblockten Tuben bestehen aus weichem Silikonmaterial und haben eine 2 cm lange schwarze Markierung an der abgeschrägten Spitze als Hilfe bei der Einschätzung der Einführtiefe. Die passende Tubusgröße richtet sich nach dem Gewicht des Kindes. Beim reifen Neugeborenen mit einem Schätzgewicht von 3 kg ist ein Tubus mit einem Innendurchmesser von 3 mm passend (. Tab. 48.4). Abhängig vom Erfahrungsstand des Arztes kann eine nasotracheale oder orotracheale Intubation durchgeführt werden. Wegen sicherer Tubusfixierung und Erleichterung
. Tab. 48.4. Wahl der passenden Tubusgröße
Geburtsgewicht [g]
Innendurchmesser [mm]
<etwa 800
2,0
>etwa 800–2000
2,5
2000–3000
3,0
>3500
3,5
pflegerischer Maßnahmen wird i. Allg. eine nasotracheale Intubation bevorzugt. Das Kind wird orthograd ohne Überstreckung des Kopfes vor den Intubierenden positioniert. Zur nasotrachealen Intubation wird der Tubus durch ein Nasenloch mit einer leichten Drehbewegung parallel zum Nasenboden vorsichtig in den Rachen eingeführt. Nach Einführung des Laryngoskopspatels über einen Mundwinkel wird die Zunge ohne Ausübung einer Hebelwirkung in Richtung Mundboden zurückgedrängt, der Spatel tief in den Hypopharynx eingeführt und zurückgezogen, bis die Epiglottis sichtbar wird. Ohne Aufladen der Epiglottis wird die Stimmritze eingestellt. Ist diese durch Sekret verlegt, muss abgesaugt werden. Das Einstellen der Stimmritze wird durch leichten Druck auf den Kehlkopf von außen entweder durch den Helfer oder durch den 5. Finger der das Laryngoskop haltenden Hand erleichtert. Die schwarze, am Gaumenbogen sichtbare Tubusspitze wird mit der MagillZange gefasst und so weit durch die Stimmritze geschoben, bis die schwarze 2-cm-Markierung gerade verschwindet. Beim reifen Neugeborenen entspricht dies üblicherweise der 11cm-Tubusmarkierung am Naseneingang. > Einem Unerfahrenen kann eine Intubation im Kreißsaal infolge der Kleinheit der anatomischen Strukturen und der Dringlichkeit der Situation Schwierigkeiten bereiten. Ein erfolgloser Intubationsversuch sollte nach spätestes 20 s abgebrochen werden, um Hypoxie und Bradykardie zu vermeiden. Das Kind kann über den zurückgezogenen Rachentubus oxygeniert und ein neuer Versuch durchgeführt werden oder unter effektiver Rachentubusbeatmung auf einen Erfahreneren gewartet werden
Die gebräuchlichen Silikontuben sind zu weich, um über den Mund in die Trachea vorgeschoben zu werden. Deshalb wird zur oralen Intubation ein Führungsdraht, der unter keinen Umständen die Tubusspitze überschreiten darf, in den Tubus eingeführt. Damit kann der Tubus gezielt unter Sicht ohne Magill-Zange in die Stimmritze eingeführt werden. Alternativ können starre Tuben mit dem Nachteil eines größeren Verletzungsrisikos von Stimmbändern und Trachea benutzt werden. Sofort nach Intubation wird der Tubus am Naseneingang festgehalten, der Beatmungsbeutel auf den Tubuskopf aufgesetzt und handbeatmet. Zur Überprüfung der Tubuslage wird beidseits die Lunge und der Magen auskultiert. Das Atemgeräusch muss seitengleich über der Lunge und über dem Ma-
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gen leiser zu auskultieren sein, der Thorax muss sich heben, die Herzfrequenz ansteigen und das Hautkolorit rosig werden. Ist dies der Fall, wird der Tubus mit Pflasterzügeln so befestigt, dass er weder nach distal noch nach proximal dislozieren kann und weiter handbeatmet. ! Wegen der erheblichen Atelektasenneigung der neonatalen Lunge darf ein intubiertes Neugeborenes nicht ohne die Anwendung eines PEEP oder gar spontan über einen Endotrachealtubus atmend belassen werden.
Eine Alternative beim reifen Neugeborenen ist der intraossäre Zugang. Eine besondere Knochennadel kann dazu mit der Hand mit einer Dreh- oder Schraubbewegung etwa eine Patientenhandbreit unterhalb der Tuberosits tibiae auf der medialen Schienbeinfläche angebracht werden, alternativ können für Neugeborene >3 kg KG sowohl ein spezieller Handbohrer oder ein Schussgerät für die Applikation intraössärer Nadeln sicher eingesetzt werden. Notfallmedikamente und Infusionslösungen, mit Ausnahme hyperosmolarer Lösungen, können nach ausreichender Fixierung gegeben werden.
Tipp
Medikamente und Infusionslösungen
Steigt die Herzfrequenz nach erfolgreicher Intubation nicht >60 SpM an, werden 0,1–0,3 ml/kg KG einer auf 1 : 10.000 verdünnten Adrenalinlösung in den Tubus gegeben und sofort Handbeatmung in der Lunge verteilt. Rasche Resorption sollte zu einem sofortigen Anstieg der Herzfrequenz führen. Ist dies nicht der Fall, so kann die angegebene Adrenalin-Dosis repetitiv alle 3–4 min endotracheal verabreicht werden, bis ein intravenöser Zugang liegt.
Bei Bradykardie des Kindes <60 SpM ist die Gabe von Adrenalin in einer Verdünnung von 1 : 10.000 indiziert. Bis zur Platzierung eines venösen Zugangs wird Adrenalin endotracheal verabreicht, anschließend intravenös. Die Dosierung beträgt 0,1–0,3 ml/kg KG der 1 : 10.000 verdünnten Adrenalinlösung (0,01–0,03 mg/kg KG) und kann alle 3–5 min wiederholt werden, wenn die Herzfrequenz nicht über 60 SpM ansteigt. Gelingt kein intravenöser Zugang, kann die endotracheale Dosierung bis max. 1 ml/kg KG gesteigert werden. Beim Neugeborenen im Schockzustand nach kardiopulmonaler Reanimation ist die Gabe von Volumen in Form von physiologischer Kochsalzlösung in einer Dosierung von 10 ml/kg KG indiziert. In einer lebensbedrohlichen Situation mit weißem Hautkolorit, fehlendem Anstieg der Herzfrequenz und nicht tastbaren Pulsen wird die Dosis über 10–30 min, in einer weniger dringlichen Situation über 60 min mit einer Spritzenpumpe verabreicht. Alternativ kann Ringer-Laktatlösung gegeben werden. Plasmaexpander wie HES (Hydroxyethylstärke) oder Dextran sind in der Neugeborenenperiode nicht zu empfehlen, albuminhaltige Lösungen sind nicht mehr Mittel der Wahl zur Volumenexpansion. Anschließend wird wegen der unzureichenden Glukosereserven des Neugeborenen und drohender Hypoglykämie eine 10%ige Glukoselösung mit einer Laufgeschwindigkeit von 3 ml/kg KG/h angehängt. Pufferung mit Natriumbicarbonat verbessert den Reanimationserfolg nicht und weist einige unerwünschte Nebenwirkungen auf, daher ist die Indikation streng zu stellen. Natriumbicarbonatlösung kann bei lange anhaltenden Reanimationsbemühungen bei Erfolglosigkeit aller anderen Maßnahmen oder bei blutgasanalytisch nachgewiesener schwerer metabolischer Azidose gegeben werden. Voraussetzung ist eine ausreichende pulmonale Ventilation. Ein bis zwei Milliliter Natriumbicarbonat 8,4% pro kg KG 1 : 1 mit Aqua destillata verdünnt wird als 4,2%ige Lösung sehr langsam über 10–30 min streng i.v. infundiert (Kattwinkel 2006). Bei Opioidüberhang wird der Opiatantagonist Naloxon in einer Dosierung von 0,1 mg/kg KG bevorzugt intravenös gegeben. Bei intramuskulärer Gabe setzt die antagonisierende Wirkung verzögert ein, während die endotracheale Gabe nicht durch Studien abgesichert ist. Indikation ist eine anhaltende Atemdepression nach mütterlicher Opioidgabe in den letzten 4 h vor Geburt trotz Handbeatmung. Keinesfalls ist Naloxon beim Kind einer drogenabhängigen Mutter zu verabreichen,
Zugang Das Legen eines venösen Zugangs kann für den neonatologisch Unerfahrenen ein Problem darstellen, da die anatomischen Strukturen klein sind und die Haut eines Neugeborenen mit Vernix bedeckt, weich und verschieblich ist. Kleine Venenverweilkanülen der Größe 24 G und 26 G können nach vorherigem Reinigen und Desinfizieren der Haut in periphere Venen an Hand- oder Fußrücken oder an der Kopfschwarte gelegt werden und über eine Verbindungsleitung an eine Infusion angeschlossen werden. Gelingt der periphervenöse Zugang nicht, kann in einer vital bedrohlichen Situation unter sterilen Bedingungen ein Nabelvenenkatheter – beim reifen Neugeborenen Größe 5 Charr – gelegt werden. Komplikationen des Nabelvenenkatheterismus können schwere Infektionen, Lebernekrosen oder Pfortaderthrombosen sein. Deshalb muss steril mit puderfreien Handschuhen gearbeitet werden. Nach Desinfektion, steriler Abdeckung und Anlegen eines sterilen Nabelbändchens wird die Nabelschnur mit einem Skalpell in ca. 1–2 cm Distanz vom Hautnabel durchgetrennt. In der Regel sind 3 Gefäßquerschnitte erkennbar, von denen die beiden Arterien klein, weiß und fest erscheinen und die Nabelvene ein größeres und leicht klaffendes, dünnwandiges Lumen hat. Die Wand der Nabelvene wird mit einer Pinzette gehalten und der mit physiologischer NaCl-Lösung vorgefüllte Katheter mit einer Pinzette etwa 4–5 cm tief eingeführt, sodass gerade Blut aspiriert werden kann. Der Katheter sollte nicht tiefer geschoben werden, da unter Reanimationsbedingungen im Kreißsaal eine Fehllage in den Ductus venosus nicht ausgeschlossen werden kann. Das Nabelbändchen wird zur Vermeidung einer Nachblutung fest zugezogen und der Nabelkatheter mit Pflaster oder mit einer Naht befestigt, sodass er weder hinein noch hinaus gleiten kann. Die Einführtiefe des Katheters muss dokumentiert werden.
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Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
da rasche Entzugserscheinungen oder Krampfanfälle provoziert werden können (Kattwinkel 2006).
Verlegung
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Bis zur Verlegung mit dem Neugeborenennotarztteam wird eine an die Eigenatmung des Kindes angepasste Handbeatmung durchgeführt, das Kind überwacht und Blutgase und Blutzucker kontrolliert. Die in der . Übersicht genannten Bedingungen sollten erfüllt sein.
Bedingungen zur Verlegung schwer und schwerst anpassungsgestörter Neugeborener 4 Rosige Hautfarbe und einsetzende Motorik 4 Herzfrequenz >100 SpM 4 Pulsoxymetrisch kontrollierte Sauerstoffsättigung von 85–92% 4 Beatmungsfrequenz von 30–60/min 4 Inflationsdruck von etwa 20 mm Hg bzw. so, dass sich der Thorax hebt, senkt und seitengleich belüftet ist 4 PEEP von 3 -4 mm Hg 4 Liegender venöser Zugang mit Gabe von physiologischer Kochsalzlösung oder einer Glukoseerhaltungsinfusion von 3 ml/kg KG/h entsprechend ca. 9 ml/h beim reifen Kind 4 Falls möglich: Blutdruckmessung mit einem mittleren arteriellen Blutdruck von 40 mm Hg, 4 Rektal gemessene Temperatur von 36,5–37°C unter Vermeidung einer Hyperthermie >37,5°C 4 Liegende und offene Magensonde
Hypothermie Der Nutzen der therapeutischen Hypothermie nach Asphyxie ist durch 8 randomisierte Multicenterstudien abgesichert, stellt aber noch keine Standardbehandlung dar. Empfehlungen der AHA oder der Fachgesellschaften gibt es (noch) nicht (AHA 2005; Jacobs et al. 2007). Deshalb sollte diese invasive Maßnahme nur im Rahmen kontrollierter Studien sowie nach Einwilligung durch die Eltern eingesetzt werden. Wenn die therapeutische Kühlung entweder des Kopfes oder des ganzen Körpers in den ersten 6 Lebensstunden begonnen wird, überleben Neugeborene mit einer weniger schweren hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie in neurologisch besserem Zustand als ohne Hypothermiebehandlung (Gluckman et al. 2005, Azzopardi et al. 2008). Ein Einsatz ist ab einem Geburtsgewicht von ca.1800 g und einem Gestationsalter von 36 SSW möglich. Zu den im TOBY Trial (Azzopardi et al. 2008) angewandten Einschlusskriterien gehören 4 Asphyxie mit einem 5-min-Apgar-Wert <5, 4 pH-Wert <7,0 mit einem BE von mehr als –16 mmol/l, sei es aus Nabelschnur- oder kindlichem Venen- bzw. Arterienblut, 4 Beatmungsnotwendigkeit >10 min und 4 Nachweis einer Enzephalopathie.
Das Ergebnis des sofort nach Aufnahme auf die Neugeborenenintensivstation durchgeführten amplitudenintegrierten Elektroenzephalogramms (aEEG) entscheidet über die Notwendigkeit einer Kühlung mit Absenkung der Köpertemperatur auf 33–34°C für 72 h unter intensivmedizinischer Behandlung mit Überwachung von Kreislauf, Gerinnung und Ausscheidung.
Ende der Reanimationsbemühungen > Ein Ende der Reanimationsbemühungen kann erwogen werden, wenn nach Eintritt eines Herz-Kreislauf-Stillstands über mehr als 10 min ab dem koordinierten Einsatz von Sauerstoffbeatmung, Herzdruckmassage, Adrenalin- und Volumengabe weder Herzschlag noch Atmung noch Bewegungen einsetzen, da mit einem Überleben ohne schwere Behinderung nicht zu rechnen ist (AHA 2005).
48.4
Besondere Reanimationssituationen
48.4.1
Mekoniumaspiration
> Das Auftreten von mekoniumhaltigem Fruchtwasser wird bei 12% aller Geburten, insbesondere bei übertragenen Neugeborenen, beobachtet.
Zu einer Aspiration von mekoniumhaltigem Fruchtwasser oder Mekonium, die durch ein schweres Atemnotsyndrom gekennzeichnet ist, kommt es dagegen in rund 1% der Geburten (Obladen u. Maier 2006). Die Aspiration von Mekonium, aber auch von Blut, führt zu einer Obstruktion der kleinen Luftwege; die Folge sind überblähte und atelektatische Zonen sowie eine chemische Pneumonitis. Die Kinder sind vital bedroht und entwickeln durch Hypoxie, Azidose und pulmonale Vasokonstriktion nicht selten eine persisitierende pulmonale Hypertension, die die ungünstige Prognose des Mekoniumaspirationssyndroms mit einer Letalität von 36% auf bis zu 78% verschlechtern kann. Der Einsatz von Hochfrequenzbeatmung, inhalativem Stickstoffoxid und extrakorporaler Membranoxygenierung kann notwendig werden. Mekonium kann vom Feten abgesetzt werden, wenn infolge Hypoxie vor oder unter der Geburt ein reduzierter gastrointestinaler Blutfluss mit verstärkter fetaler Darmperistaltik auftritt. Das Fruchtwasser kann von grünlich-flüssiger oder grün-dickflüssiger und erbsbreiähnlicher Konsistenz sein. > Wird vom Geburtshelfer Abgang von grün verfärbtem Fruchtwasser beobachtet, muss rechtzeitig vor Geburt ein neonatologisch versierter Arzt hinzugezogen werden.
Der Absauger ist bereits vor Eintreffen des Neonatologen erneut auf Funktionstüchtigkeit zu überprüfen, ein starrer Absaugkatheter ist anzuschließen, Laryngoskop, Magill-Zange, passender Tubus und Beatmungsbeutel sind bereitzulegen. Alternativ kann ein Tubus mit einem Mekoniumaspirator verwendet werden.
1079 48.4 · Besondere Reanimationssituationen
. Abb. 48.5. Vorgehen bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser
> Alle Maßnahmen zielen darauf ab, vor dem ersten Atemzug und ohne Anwendung von Maskenbeatmung mekoniumhaltiges Fruchtwasser aus dem Rachen und ggf. aus der Trachea zu entfernen, um eine Aspiration von Mekonium zu vermeiden und eine Intubation und Beatmung zu umgehen (. Abb. 48.5).
Das Absaugen des kindlichen Rachens nach Geburt des Kopfes noch am Damm der Mutter wurde 2005 nicht mehr in die Reanimationsrichtlinien aufgenommen, da eine randomisierte kontrollierte Studie keinen Nutzen dieser Maßnahme belegt hatte (AHA 2005). Bei dick-grünem Fruchtwasser und beeinträchtigtem Kind wird nach sofortiger Abnabelung ohne vorheriges Abtrocknen oder Stimulieren mit dem Laryngoskop die Stimmritze eingestellt und mit dem starren Absauger gründlich vor und hinter der Stimmritze abgesaugt. Alternativ kann oral intubiert und mit dem Mekoniumaspirator abgesaugt werden. Ist dabei tracheal nichts oder wenig abzusaugen und das Kind adaptiert sich zufriedenstellend, muss noch der Magen abgesaugt und das Kind im Kreißsaal unter pädiatrischer Aufsicht überwacht und beobachtet werden. Ist tracheal jedoch reichlich zähes grünes Material abzusaugen und das Kind schwer beeinträchtigt, sollte nicht per Maske beatmet, sondern intubiert und wiederholt gründlich tracheal abgesaugt werden. Bei schwerer kindlicher Depression und Bradykardie muss im Einzelfall die Dauer des Absaugmanövers gegen die notwendige Sauerstoffzufuhr und Beatmung abgewogen werden (. Abb. 48.5). Ist das Fruchtwasser grünlich und flüssig und das Neugeborene vital-aktiv, kann auf das Einstellen des Larynx verzichtet werden (Höhn et al. 2008). Absaugen von verfärbtem Fruchtwasser aus dem Magen sollte angeschlossen werden, um eine sekundäre Aspiration von mekoniumhaltigem Mageninhalt zu vermeiden.
48.4.2
Aspiration von Blut und Sekret
Die Aspiration von Blut, massiv blutigem Fruchtwasser und von Sekret führt zu ähnlichen pathophysiologischen Folgen wie die Mekoniumaspiration und muss durch ein sofortiges Absaugen des Rachens nach Geburt verhindert werden. Beim beeinträchtigten Neugeborenen wird die Stimmritze eingestellt und abgesaugt.
48.4.3
Zwerchfelldefekt
> Durch einen angeborenen einseitigen pleuroperitonealen Defekt im Zwerchfell oder eine Zwerchfellhernie können ein oder mehrere Abdominalorgane in den Thorax prolabieren.
Die Prognose ist abhängig vom Grad der ipsilateralen Lungenhypoplasie, der Ausbildung eines pulmonalen Hochdrucks und den Folgen etwaiger Hypoxie und Azidose, von nicht selten kombinierten Begleitfehlbildungen und dem präoperativen Zustand des Kindes. Der Defekt tritt mit einer Häufigkeit von rund 1 :3 .000 auf und sollte in der pränatalen Diagnostik erfasst werden können. Die betroffenen Eltern sollten insbesondere über die pulmonale Risikosituation und die notwendige Operation ihres Kindes aufgeklärt werden. In seltenen Fällen kann bei schwerem respiratorischem Versagen eine extrakorporale Membranoxygenierung notwendig werden. Die Entbindung in einem Perinatalzentrum mit der Möglichkeit unmittelbarer postnataler intensivmedizinischer Behandlung und angeschlossener Kinderchirurgie sollte geplant werden. Kommt es unvorbereitet zur Geburt eines Kindes mit Zwerchfelldefekt, stellt sich in unterschiedlichen Schweregraden eine kardiorespiratorische Anpassungsstörung mit Dyspnoe, Bradykardie und Hautblässe dar. Hinweisende Symptome sind eingefallener Bauch und abgeschwächtes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite.
48
1080
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
> Ein Kind mit Zwerchfelldefekt darf nicht per Maske beatmet, sondern muss sofort intubiert werden, da die in den (im Thorax liegenden) Magen gelangte Luft die Kompression der gesunden Seite verstärkt. Eine sofortige Verlegung des intubierten, beatmeten, mit Infusion versehenen Kindes mit dem Neugeborenennotarzt auf eine Neugeborenenintensivstation ist indiziert.
48
Die Operation wird nicht als Notfalloperation durchgeführt, sondern nach Stabilisierung des kindlichen Zustandes (Obladen u. Maier 2006).
48.4.4
Akuter Blutverlust
> Ursachen für einen akuten Blutverlust können vorzeitige Plazentalösung, Blutung bei Placenta praevia oder ein Nabelschnureinriss sein.
Klinisch zeigt sich ein Neugeborenes, das extrem blass oder aber noch rosig sein kann und eine unterschiedlich ausgeprägte kardiorespiratorische Anpassungsstörung mit beschleunigter Atmung, Tachykardie – in fortgeschrittenem Stadium auch Bradykardie – mit schwer tastbaren Pulsen, schlechter Mikrozirkulation bis hin zum hypovolämischen Schock – aufweist. Ein akuter Blutverlust kann zu einem fehlenden Ansprechen auf eine kardiopulmonale Reanimation führen (Obladen u. Maier 2006). Der Neugeborenennotarzt ist notfallmäßig zu rufen. Bei kindlicher Anämie mit einem venösen Hämatokrit <35% und Schockzeichen wird gegen Blut der Mutter gekreuztes Erythrozytenkonzentrat der Blutgruppe 0-negativ in einer Dosierung von 10–20 ml/kg KG über eine Spritzenpumpe in 30–60 min gegeben, nachdem Blut für die Bestimmung der kindlichen Blutgruppe asserviert wurde. Bis das Erythrozytenkonzentrat zur Transfusion verfügbar ist, wird zur Volumensubstitution überbrückend physiologische Kochsalzlösung gegeben.
48.5
Frühgeborenes
Frühgeborenes Als Frühgeborene werden unabhängig vom Gewicht alle Kinder bezeichnet, die vor abgeschlossenen 37 SSW geboren werden. Kinder mit einem Gestationsalter von <32 abgeschlossenen SSW werden als sehr kleine Frühgeborene bezeichnet und haben meist ein Geburtsgewicht <1500 g. Extrem kleine Frühgeborene werden nach weniger als 28 vollendeten SSW entbunden und weisen meist ein Geburtsgewicht <1000 g auf.
Wegen der speziellen Risiken Surfactant-Mangel und Atemnotsyndrom, Kreislaufinsuffizienz, Hirnblutung, Infektion, Hypoglykämie und Hypothermie sollte die Schwangere unbedingt, ggf. nach begonnener Lungenreifebehandlung, ante-
partal in eine adäquat ausgestattete Klinik verlegt und alle geburtshilflichen Anstrengungen unternommen werden, um die Schwangerschaft zu erhalten (. Übersichten; Leitlinie 024/001 der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 2008).
Indikationen zur Einweisung Schwangerer in Krankenhäuser der adäquaten Versorgungsstufe Weiterverlegungsindikation aus einer geburtshilflichen Abteilung ohne angeschlossene Kinderklinik bzw. Geburtsklinik in eine geburtshilfliche Abteilung mit angeschlossener Kinderklinik bzw. in einen perinatalen Schwerpunkt: 4 Drohende Frühgeburt <36+0 SSW 4 Fetale Wachstumsrestriktion mit einem erwarteten Geburtsgewicht <3. Perzentile 4 Fetale Fehlbildung oder Verdacht darauf mit Notwendigkeit zu weiterer Diagnostik und/oder Therapie 4 Fetale Stoffwechselerkrankung 4 Diabetes mellitus der Mutter 4 Morbus haemolyticus fetalis 4 Drogenabhängigkeit der Mutter 4 Verdacht auf Infektion des Fetus 4 Zwillinge und höhergradige Mehrlinge Weiterverlegungsindikationen aus einer geburtshilflichen Abteilung mit angeschlossener Kinderklinik bzw. aus einem perinatalen Schwerpunkt in einen perinatologischen Schwerpunkt bzw. in ein Perinatalzentrum Level 2: 4 Frühgeburt <32+0 SSW 4 Erwartetes Geburtsgewicht <1500 g 4 Zwillinge <34+0 SSW 4 Höhergradige Mehrlinge 4 Nach Indikationsliste des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zusätzlich: – Schwere schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen (fetale Wachstumsrestriktion <3. Perzentile bei Präeklampsie, HELLP-Syndrom) – Insulinpflichtige diabetische Stoffwechsellage mit fetaler Gefährdung 4 Im perinatologischen Schwerpunkt bzw. Perinatalzentrum Level 2 werden Schwangere ohne zusätzliche Risiken für Mutter und Kind behandelt bei Vorliegen folgender Konstellationen: – Drohende Frühgeburt ≥29+0 SSW – Geschätztes Geburtsgewicht >1000 g (laut GBA >1250 g) – Pränatal diagnostizierte fetale Fehlbildungen, bei denen nach Geburt eine unmittelbare Notfallversorgung des Neugeborenen erforderlich ist – Präpartal bekannte Erkrankungen der Mutter, die eine intensive Überwachung der Schwangerschaft erfordern, aber Mutter oder Feten nicht akut bedrohen
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1081 48.5 · Frühgeborenes
4 Weiterverlegungsindikation aus einem perinatologischen Schwerpunkt bzw. Perinatalzentrum Level 2 in ein Perinatalzentrum Level 3: – Drohende Frühgeburt ≤29+0 SSW – Geschätztes Geburtsgewicht <1000 g (laut GBA <1250 g) – Höhergradige Mehrlinge – Pränatal diagnostizierte Erkrankungen, bei denen nach Geburt eine zügige Behandlung des Neugeborenen erforderlich ist – Angeborene Fehlbildungen wie kritischer Herzfehler, Zwerchfellhernie, Meningomyelozele, Gastroschisis – Morbus haemolyticus fetalis – Hydrops fetalis – Fetofetales Transfusionssyndrom – Hämodynamisch relevante fetale Herzrhythmusstörung Allgemein 4 Neugeborene mit Erkrankungen, die einer umgehenden chirugischen Versorgung bedürfen, sollen in einem Zentrum geboren werden, welches diese Therapie anbietet 4 Kritisch kranke Schwangere sollten in ein Zentrum mit suffizienter Therapiemöglichkeit verlegt werden
48.5.1
Prognose
Ab 24 abgeschlossenen SSW und rund 400 g Schätzgewicht mit einer Grauzone zwischen 22+0 bis 23+6 SSW ist eine Überlebenschance für das Kind anzunehmen, die mit wachsendem Gestationsalter steigt. In Abhängigkeit von der neonatologischen Intensivversorgung ergeben sich die in der . Übersicht genannten Anhaltszahlen quoad vitam (Obladen u. Maier 2006).
Überlebensraten Frühgeborener 4 4 4 4 4 4
Mit 23 abgeschlossenen SSW überleben rund 15% Mit 24 abgeschlossenen SSW überleben rund 50–60% Mit 25 abgeschlossenen SSW überleben rund 60–70% Mit 26 abgeschlossenen SSW überleben rund 70–80% Mit 27 abgeschlossenen SSW überleben >80% Zwischen 28 und 32 SSW überleben rund 90–98%
Obwohl die sehr kleinen Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von <32 abgeschlossenen SSW nur etwa 1% aller Geburten ausmachen, tragen sie zu rund 50% der neonatalen Todesfälle bei. Mortalität und Morbidität, insbesondere das Hirnblutungsrisiko, werden erheblich reduziert, wenn das Kind nach Geburt nicht transportiert werden muss, sondern nach pränataler Behandlung und Beratung der Mutter in einem Perinatalzentrum Level 2 oder 3 entbunden und post-
natal intensivmedizinisch versorgt wird. Die geistige und/oder körperliche Entwicklung von rund 35% der überlebenden Kinder <1000 g und etwa <28 SSW ist in unterschiedlichem Ausmaß durch Probleme wie zerebrale Bewegungsstörung, mentale Retardierung, Seheinschränkung oder Hörstörung bedroht (Schmidt etal. 2003). Ein wichtiger prognostischer Faktor ist das Auftreten zerebraler Läsionen wie Hirnblutung (»intracranial hemorrhage«; ICH) oder periventrikuläre Leukomalazie (PVL). Eine Hirnblutung kann subependymal, intraventrikulär oder intrazerebral lokalisiert sein und in unterschiedlicher Ausprägung bei bis zu 20% der Kinder <32 SSW und <1500 g nachgewiesen werden (Obladen u. Maier 2006). Die PVL ist typischerweise periventrikulär im Parenchym gelegen und wird als Folge von lokaler Perfusionsstörung, z. T. mit konsekutiver Einblutung und Nekrosebildung, angesehen. Sie ist wie die schwere ICH mit einem erheblichen Risiko neurologischer Folgeschäden belastet.
48.5.2
Vorgehen bei der Erstversorgung Frühgeborener
Kommt es unerwartet und notfallmäßig zur Entbindung eines Frühgeborenen in einer geburtshilflichen Abteilung ohne angeschlossene Kinderklinik, wird nach Geburt bis zum Eintreffen des neonatologischen Teams symptomatisch vorgegangen. Das Kind wird sofort abgenabelt, abgetrocknet, abgesaugt und wegen der zarten und verletzlichen Haut schonend stimuliert. Mit einer passenden kleinen Maske, einem Inflationsdruck <20 mm Hg, einem PEEP von 4–5 mm Hg wird die Lunge des Kindes vorsichtig gebläht. Bei allen Maßnahmen ist ausreichende Wärmezufuhr von größter Bedeutung, da eine Körpertemperatur <36°C zu erhöhtem Sauerstoffverbrauch, metabolischer Azidose und damit zu erhöhtem Hirnblutungsrisiko und erhöhter Sterblichkeit führt. Ein Pulsoxymeter wird angeschlossen und bei Indikation Sauerstoff verabreicht. Bei Zeichen des schweren Atemnotsyndroms mit Tachydyspnoe und hohem Sauerstoffbedarf oder bei schwerer Bradykardie <80 SpM wird über Maske oder Rachentubus präoxygeniert und anschließend intubiert. Hier gilt wie beim Reifgeborenen, dass der Unerfahrene mittels korrekter Rachentubusbeatmung und Anwendung eines PEEP von 4–5 mm Hg ein Frühgeborenes bis zum Eintreffen des Neonatologen ausreichend oxygenieren kann. Ein i.v.-Zugang sollte gelegt und 10%ige Glukoselösung in einer Dosierung von 3 ml/kg KG/h gegeben werden. Höchste Zurückhaltung ist wegen der Hirnblutungsgefahr bei der Pufferung geboten.
48.5.3
Das Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit
Die neonatologischen und geburtshilflichen Fachgesellschaften der Schweiz, Österreichs und Deutschlands empfehlen bei Geburt eines Kindes an der Grenze der Lebensfähigkeit zwischen 22 und 26 SSW ein pragmatisches Vorgehen und weichen nur geringfügig voneinander ab.
48
1082
48
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
Gemäß der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie muss bei einer zu erwartenden Geburt >24+0 SSW ein erfahrenes perinatologisches Team entscheiden, ob der Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen sinnvoll ist, während sich die Betreuung von Frühgeborenen <24+0 abgeschlossenen SSW i. d. R. auf Palliativmaßnahmen beschränken sollte (Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie 2002). Die Empfehlungen der Österreichischen Fachgesellschaft sieht vor, bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter zwischen 22+0 und 23+6 SSW bei guter postpartaler Vitalität intensivtherapeutische Maßnahmen zu ergreifen und ansonsten Palliativmaßnahmen durchzuführen. Bei einer Frühgeburt zwischen 24+0 und 25+6 SSW ist ein Verzicht auf Reanimation und Intensivtherapie nur bei stark eingeschränkter Vitalität nach Geburt gerechtfertigt (Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde 2005). Gemäß den Deutschen Leitlinien sollte bei Frühgeborenen >24+0 SSW grundsätzlich versucht werden, mit den Mitteln der neonatologischen Intensivtherapie das Leben zu erhalten, während zwischen 22+0 und 23+6 SSW ein Neonatologe vor und bei Geburt anwesend sein sollte, um über den Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen im Einvernehmen mit den Eltern zu entscheiden (Leitlinie 024/019 der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 2008). > Bei allen Frühgeborenen, die vor abgeschlossenen 37 SSW geboren werden, sollte unabhängig vom Gewicht ein Neonatologe hinzugezogen werden.
Zeigt ein Kind >36 abgeschlossenen SSW eine ausreichende kardiorespiratorische Anpassung, hat es im Normbereich liegende Blutzuckerwerte, kann es ausreichend trinken und reicht die körpereigene Wärmeproduktion aus, so kann es unter intensiver Beobachtung und pädiatrischer Betreuung im Neugeborenenzimmer bleiben.
48.6
Untergewichtiges Neugeborenes
Untergewichtiges Neugeborenes (»small for gestational age«; SGA) Als SGA (»small for gestational age«) wird ein hypotrophes Neugeborenes bezeichnet, dessen Gewicht unter der 10. Perzentile seines gestationsalterbezogenen Geburtgewichts liegt.
Konstitutionell niedriges Gewicht kann der pathologischen intrauterinen Wachstumsrestriktion gegenübergestellt werden, die auf Chromosomenaberrationen und Syndromen, auf intrauterinen Infektionen oder Nikotin-, Alkohol- und Drogenkonsum beruhen kann oder auf plazentaren Funktionseinschränkungen bei mütterlichen Erkrankungen wie Präeklampsie oder Hypertonus. Für den Wachstumsrückstand verantwortliche Ursachen sollten abgeklärt werden.
48.6.1
Prognose
Liegen der intrauterinen Mangelentwicklung beim reifen untergewichtigen Neugeborenen keine schweren Fehlbildungen oder chromosomale Störungen zugrunde, ist die Prognose i. Allg. gut. Das Hirnblutungsrisiko ist gering. Bei langer und ausgeprägter intrauteriner Mangelernährung nicht sicher auszuschließende neurologische Spätfolgen werden durch gezielte kinderärztliche Untersuchungen erkannt.
48.6.2
Besondere Probleme
> Bei der Geburt eines hypotrophen Neugeborenen sollte ein neonatologisch versierter Kinderarzt anwesend sein, da ein höheres Risiko postnataler Anpassungsstörungen besteht.
Unmittelbar postnatal und in den ersten Lebenstagen besteht ein erhöhtes Risiko einer Hypoglykämie, Hypothermie und Polyglobulie. Eine Frühfütterung mit 10%iger Glukose- oder 25%iger Maltodextrinlösung und Blutzuckerkontrollen bereits im Kreißsaal sowie ausreichende Wärmezufuhr sind zu empfehlen. Trinkt das Kind eine ausreichende Milchmenge, hat es eine ausreichende Blutzucker- und Thermoregulation, so kann es unter kinderärztlicher Betreuung auf der Neugeborenenstation bleiben. Liegt das Gewicht des Kindes unter der 3. Perzentile, ist eine Verlegung in eine Kinderklinik nicht zu umgehen.
48.7
Betreuung des gesunden Neugeborenen in den ersten Lebenstagen
48.7.1
Rooming-in
Bei einem gesunden, reifen Neugeborenen ist die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind in einem Rooming-inZimmer zu empfehlen, um einen ständigen engen Kontakt zu ermöglichen und die Stillfähigkeit zu verbessern. Die Teilnahme am Rooming-in ist freiwillig, und die Mutter übernimmt damit selbst die Verantwortung für ihr Kind. Falls sie kein Rooming-in machen kann oder will, sollte jederzeit die Möglichkeit zur Betreuung des Kindes auch außerhalb des Zimmers der Mutter bestehen (Leitlinie 024/005 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedin 2004).
48.7.2
Überwachung
Da sich in der sensiblen Neugeborenenperiode Störungen oder Erkrankungen erstmals manifestieren können, sollte auf die Überwachung bestimmter grundlegender Parameter nicht verzichtet werden. Erster Stuhl- und Urinabgang sollten spätestens nach 24 h erfolgt sein und dokumentiert werden. Hautfarbe, Atmung, Trinkverhalten, Allgemeinzustand, die einmal pro Tag gemessene Körpertemperatur und das tägliche
1083 48.7 · Betreuung des gesunden Neugeborenen in den ersten Lebenstagen
Gewicht des Neugeborenen werden festgehalten. Stillproben dagegen sind nur stichprobenweise im Einzelfall indiziert. Während wiederholtes Spucken kleiner Milchmengen beim unauffälligen Neugeborenen ohne pathologische Bedeutung ist, kann Erbrechen, insbesondere von grün verfärbtem Mageninhalt, ein Hinweis auf eine intestinale Obstruktion sein. Ein neonatologisch erfahrener Kinderarzt sollte bei folgenden Symptomen oder Konstellationen hinzugezogen werden: 4 Blässe und Verdacht auf fetalen Blutverlust, 4 Übertragung und chronische Plazentainsuffizienz, 4 Gestörte Atmung mit Tachypnoe, Blässe oder Zyanose, 4 Hyperexzitabilität, Muskelhypotonie, Trinkschwäche, 4 Ikterus am 1. Lebenstag oder auffallender Ikterus in den ersten Lebenstagen, positiver Coombs-Test beim Neugeborenen, 4 Anamnestische Hinweise auf eine Neugeboreneninfektion wie erhöhte mütterliche Infektion, vorzeitiger Blasensprung >24 h, fetale Tachykardie oder klinische Hinweise beim Neugeborenen wie Blässe, Tachykardie, Tachypnoe, Abweichung der Körpertemperatur nach unten oder oben, Trinkschwäche, Jammern, 4 Erbrechen von grün verfärbtem Mageninhalt.
48.7.3
Laboruntersuchungen
Beim unauffälligen Neugeborenen sind, abgesehen von der Nabelarterienblutgasanalyse, keine Laboruntersuchungen angezeigt. Die Blutgruppenbestimmung aus Nabelschnurblut bei Kindern rhesusnegativer Mütter wird noch im Kreißsaal veranlasst. In Zusammenarbeit mit dem hinzugezogenen Pädiater ist bei den oben genannten Risikofaktoren oder Störungen über weitere Maßnahmen zu entscheiden (Leitlinie 024/005 der Gesellschaft für Neonatologie und Intensivmedizin 2004): 4 Blutzuckerkontrollen wegen des Hypoglykämierisikos bei Kindern mit einem Gewicht <10. oder >90. Perzentile, bei Frühgeborenen <37 abgeschlossenen SSW, bei Kindern von Gestationsdiabetikerinnen und Diabetikerinnen, nach schweren Anpassungsstörungen sowie bei neurologischer Auffälligkeit noch im Kreißsaal und ggf. vor den nächsten Mahlzeiten, 4 Hämatokritkontrolle bei Verdacht auf Polyglobulie nach chronischer Plazentainsuffizienz ebenso wie bei Verdacht auf Anämie bei Blutverlust des Kindes, 4 pulsoxymetrische Sauerstoffsättigungsüberwachung und Entscheidung über Verlegung bei gestörter Atmung wie Tachypnoe, Dyspnoe, Stöhnen, Blässe, Zyanose, 4 Entnahme der Infektparameter Differenzialblutbild, CRP, ggf. Zytokine bei klinisch auffälligen Kindern und anamnestischen Hinweisen auf eine konatale Neugeboreneninfektion wie vorzeitiger Blasensprung >24 h, Fieber der Mutter >38°C unter der Geburt, fetale Tachykardie, 4 bei Erreichen der Phototherapiegrenze Entscheidung über weitere Maßnahmen.
48.7.4
Ikterus
Über die Hälfte der gesunden Neugeborenen entwickelt einen nicht behandlungsbedürftigen Ikterus, der auf einem Anstieg des indirekten Bilirubins infolge niedriger neonataler Glukuronyltransferasespiegel, verkürzter Überlebensdauer der HbFhaltigen Erythrozyten und erhöhter enterohepatischer Bilirubinzirkulation beruht. > Ein erhöhtes Risiko einer Hyperbilirubinämie besteht bei Neugeborenen mit AB0-Konstellation, mit positivem Coombs-Test, mit ausgeprägtem Gewichtsverlust, mit hämolyseassoziierten Enzymdefekten, bei Frühgeborenen, Kindern mit Stauungszyanose, Kephalhämatom oder Hyperbilirubinämie beim vorangegangenen Geschwisterkind. Tipp Pädiatrisch abklärungsbedürftig sind: Ikterus am 1. Lebenstag, Rhesuskonstellation mit positivem CoombsTest, ein steiler Bilirubinanstieg und hohe Bilirubinwerte, die nicht auf Phototherapie ansprechen.
Ob überhöhte Bilirubinwerte beim reifen gesunden Neugeborenen ohne Hämolyse zum Kernikterus führen, ist umstritten (Newman u. Maisels 1992). Um unnötige schmerzhafte Blutentnahmen zu vermeiden, kann orientierend mit einem transkutanen Bilirubinometer ein nichtinvasives Bilirubinscreening durchgeführt und bei hohem Index Blut entnommen werden. Bei Überschreiten der in der Tabelle angegebenen Grenzwerte ist die Phototherapie indiziert, bei der es durch Bestrahlung der Haut mit blauem Licht der Wellenlänge um 460 nm zu einer Isomerisation des Bilirubinmoleküls kommt, das dadurch wasserlöslich wird. Die Bestrahlung kann im Inkubator oder im Bettchen mit der Lichtquelle von oben oder von unten durchgeführt werden. Nachteile sind Trennung von Mutter und Kind, möglicher Wasser- und Elektrolytverlust, Dermatitis solaris und Netzhautschäden bei unzureichender Abdeckung der Augen. Nach der Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin gelten die in . Tab. 48.5 genannten Richtlinien zur Therapie. > Ein Unterbrechen des Stillens wegen einer Hyperbilirubinämie ist nicht gerechtfertigt, während eine Supplementierung erwogen werden kann.
Zusammen mit dem Stoffwechselscreening ist eine invasive Bilirubinbestimmung sinnvoll, insbesondere wenn die Entlassung bald geplant ist. Liegt der Bilirubinwert oberhalb der 75. Perzentile des der Leitlinie zu entnehmenden Nomogrammes, sind Kontrollen indiziert. Zur Vermeidung schmerzhafter Blutkontrollen kann ein nicht invasives Bilirubinscreening eingesetzt werden, wenn beim individuellen Kind eine gute Übereinstimmung zwischen invasiv und nichtinvasiv gemessenem Bilirubin bestand. Bei Erreichen der Phototherapiegrenze ist vom Pädiater über zusätzliche Laboruntersu-
48
1084
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
. Tab. 48.5. Indikation zur Phototherapie bzw. Austauschtransfusion beim reifen gesunden Neugeborenen; Gesamtbilirubinwerte in μmol/l [mg/dl]. (Nach American Academy of Pediatrics 1994)
48
Alter
Phototherapie
Phototherapie 4–6 h, dann Austauschtransfusion b
Austauschtransfusion
≤24 h a
–
–
–
25-48 h
≥260 μmol/l [15 mg/dl]
≥340 μmol/l [20 mg/dl]
≥430 μmol/l [ 25 mg/dl]
49–72 h
≥310 μmol/l [18 mg/dl]
≥430 μmol/l [25 mg/dl]
≥510 μmol/l [30 mg/dl]
≥72 h
≥340 μmol/l [20 mg/dl]
≥430 μmol/l [25 mg/dl]
≥510 μmol/l [30 mg/dl]
a b
Reife Neugeborene mit klinischem Ikterus ≥24 h bedürfen der weiteren pädiatrischen Abklärung, i. d. R. in einer Kinderklinik. Austauschtransfusion, wenn Bilirubin unter intensivierter Phototherapie nicht um 20–30 μmol/l [1–2 mg/dl] abgefallen ist. Die Behandlung von Kindern dieser Kategorie sollte Kinderkliniken vorbehalten bleiben.
chungen wie Blutgruppe, rotes und weißes Blutbild, Infektparameter und direktes Bilirubin zu entscheiden. Bevor ein ikterisches Neugeborenes in die häusliche Pflege entlassen wird, sollte entweder der Höhepunkt der Hyperbilirubinämie überschritten oder zumindest der Anstieg des Ikterus absehbar und die weitere ambulante Hebammennachsorge und kinderärztliche Betreuung gesichert sein (Leitlinie 024/007 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2003).
48.7.5
Probenentnahme verschickt. Vom Screeninglabor sollte der Befundrücklauf zum Einsender innerhalb 1 Woche erfolgen, sodass etwaige Kontrolluntersuchungen rasch veranlasst werden können. Der Einsender (der das Neugeborene betreuende Arzt oder die Hebamme) ist für Durchführung, Dokumentation in der Krankenakte sowie im Kinderuntersuchungsheft und Veranlassung von erforderlichen Kontrolluntersuchungen oder Therapiemaßnahmen verantwortlich (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin 2003b)
Stoffwechselscreening 48.7.6
Für alle in Deutschland entbundenen Neugeborenen wird die Durchführung eines Stoffwechselscreenings zur Früherkennung von Störungen des Aminosäurestoffwechsels, Organoazidurien, Defekten der Fettsäureoxidation und des Carnitinzyklus, Biotinidasemangel, klassischer Galaktosämie, konnataler Hypothyreose und klassischem adrenogenitalem Syndrom (AGS) angeboten. Als optimal wird eine Blutentnahme zwischen 36 und 72 Lebensstunden angesehen. Bei Blutentnahmen innerhalb der ersten 36 Lebensstunden im Rahmen einer Frühentlassung muss wegen der zu diesem Zeitpunkt bestehenden diagnostischen Unsicherheit ein Zweitscreening über Kinderarzt oder Hebamme veranlasst werden. Auch vor Verlegung des Neugeborenen in eine andere Institution, vor Transfusion oder Austauschtransfusion und vor Behandlung mit Kortikosteroiden oder Dopamin muss eine erste Probenentnahme durchgeführt und für ein Zweitscreening gesorgt werden, um organisatorisch bedingtes Screeningversagen zu vermeiden. Die Eltern werden über Durchführung und Ziel des Screenings informiert und die schriftliche Einwilligung in der Krankenakte aufbewahrt. Durch das untersuchende Screeninglabor werden Einverständniserklärungen und Filterpapierkarten zur Verfügung gestellt. Nach Übertragung von mütterlichen und kindlichen Daten werden die Filterpapierkreise mit Nativblut (weder EDTA- noch Nabelschnurblut) vollständig durchtränkt. Die Proben werden bei Raumtemperatur über mindestens 1 h getrocknet und noch am Tag der
Vitamin-K-Prophylaxe
Infolge niedriger Vitamin-K-Spiegel kann es in den ersten Lebenstagen bis -wochen zu frühen und späten Vitamin-KMangelblutungen (»vitamin K deficiency bleeding«; VKDB) kommen. Ursache für niedrige neonatale Vitamin-K-Spiegel ist neben der schlechten Plazentagängigkeit von Vitamin K die Tatsache, dass Muttermilch, die einen niedrigen VitaminK-Spiegel aufweist, i. d. R. erst ab dem 3.–5. Lebenstag in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Neben Blutungen aus Nase, Nabel und Gastrointestinaltrakt können in der Größenordnung von etwa 8 : 100.000 auch schwere Gehirnblutungen auftreten. Tipp Prophylaktisch werden bei der U1, U2 und U3 jeweils 2 mg Vitamin-K-Lösung oral verabreicht (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin 2003a).
Ob durch 3-maligen Einsatz einer Vitamin-K-Mischmizellenlösung späte Vitamin-K-Mangelblutungen eliminiert werden können, kann weiterhin nicht endgültig beantwortet werden. Bei Frühentlassung eines Kindes aus der Geburtsklinik muss auf die Wiederholung der Vitamin-K-Prophylaxe hingewiesen werden. Bei kranken Früh- und Neugeborenen, insbesondere bei Hinweisen auf Cholestase, wird Vitamin K parenteral verabreicht.
1085 48.7 · Betreuung des gesunden Neugeborenen in den ersten Lebenstagen
48.7.7
Vitamin-D- und Fluorprophylaxe
Bei allen Neugeborenen wird ab dem 5. Lebenstag eine tägliche orale Rachitis- und Kariesprophylaxe mit 500 IE Vitamin D und 0,25 mg Fluor empfohlen. Sie sollte ein Jahr durchgeführt und nicht im Herbst oder Winter, sondern im darauf folgenden Frühjahr beendet werden (Leitlinie 024/005 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2004).
48.7.8
Hepatitis-B-Impfung
Alle Kinder einer HBsAG-positiven Mutter sind bereits im Kreißsaal, spätestens innerhalb von 12 h, aktiv und passiv nach Aufklärung der Mutter gegen Hepatitis B zu impfen. Hierdurch kann in >90% der Fälle die Ausbildung eines HBsAG-Carrierstatus beim Neugeborenen verhindert werden. Diese Kinder können gestillt werden. Ist der HbsAG-Status einer Mutter bei Entbindung unbekannt, so ist das Neugeborene innerhalb der ersten 12 h aktiv zu impfen und die Bestimmung des mütterlichen Antikörperstatus zu veranlassen. Bei positivem HbsAG-Nachweis folgt die passive Immunisierung des Kindes innerhalb von 7 Tagen (Robert Koch-Institut 2000).
48.7.9
rung und Ziel des Screenings informiert und die schriftliche Einwilligung in der Krankenakte aufbewahrt. Die organisatorischen Voraussetzungen dafür, dass nicht nur die Untersuchung und die etwaige Kontrolle bis zur U2 bzw. bis zur Entlassung aus der Geburtsklinik durchgeführt wird, sondern auch pathologische Ergebnisse nachverfolgt werden, werden vielerorts noch geschaffen. Tracking dient dazu, pathologische Ergebnisse zuverlässig zu kontrollieren. Verantwortlich für die Organisation ist der für die geburtsmedizinische Einrichtung verantwortliche Arzt (Gemeinsamer Bundesausschuss 2008).
48.7.12
Spätestens bei der Vorsorgeuntersuchung U3 mit 4–6 Wochen sollte die Ultraschalluntersuchung der Neugeborenenhüfte durchgeführt werden. Dabei können Hüftreifungsverzögerungen, angeborene Hüftdysplasien und Luxationen erkannt und eine Behandlung oder Kontrolluntersuchungen eingeleitet werden. Häufig wird der Hüftultraschall bereits in der Entbindungsklinik durch konsiliarisch hinzugezogene Orthopäden durchgeführt mit dem Vorteil einer früheren Therapieeinleitung. Gleichzeitig können krankengymnastische Maßnahmen bei Haltungsanomalien von Kopf oder Füßen besprochen werden.
Ernährung 48.7.13
Stillen des Neugeborenen ist grundsätzlich zu empfehlen und wird in 7 Kap. 51 besprochen. Kann oder will die Mutter nicht stillen, erhält das Neugeborene bei negativer Allergieanamnese der Eltern eine Säuglingsanfangsnahrung. Liegen dagegen allergische Erkrankungen bei Eltern oder Geschwisterkindern von, sollte nach Rücksprache mit dem zuständigen Kinderarzt eine teil- oder vollhydrolysierte Nahrung verabreicht werden.
48.7.10
Nabelpflege
Der Nabelschnurrest fällt innerhalb der ersten 1–2 Wochen ab und ist bis dahin trocken und frei von Stuhl- oder Urinkontamination zu halten. Die tägliche Nabelpflege umfasst i. d. R. tägliches Abtupfen mit sterilem Wasser ohne Anlegen eines Verbandes oder einer Nabelbinde. Die Nabelklemme kann nach 1–2 Tagen entfernt werden. Bevor die Mutter mit ihrem Neugeborenen nach Hause entlassen wird, muss sie in der Nabelpflege unterrichtet werden.
48.7.11
Ultraschalluntersuchung der Hüfte
Hörscreening
Seit dem 1.1.2009 haben alle Neugeborenen bis zur U2 einen Anspruch auf die die Durchführung eines Hörscreenings, das die Messung von transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) und/oder die Hirnstammaudiometrie (AABR) umfasst. Für Risikokinder für konnatale Hörstörungen ist die AABR obligat. Die Eltern werden über Durchfüh-
Plötzlicher Säuglingstod
Das Risiko eines scheinbar gesunden Säuglings, im 1. Lebensjahr plötzlich und unerwartet während des Schlafs am plötzlichen Säuglingstod (»sudden infant death syndrome«, SIDS) zu sterben, liegt bei etwa 1: 1.000. Die Ursachen bleiben weiterhin unklar. Die in der . Übersicht genannten Risikofaktoren für SIDS konnten identifiziert werden.
Risikofaktoren für SIDS 4 Bauchlage als Schlafposition 4 Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft oder Rauchen in der Umgebung des Kindes 4 Nicht stillen 4 Überwärmung des Kindes 4 Schlafen im Bett der Eltern
Ein erhöhtes Risiko tragen Frühgeborene <2000 g und <33 SSW, Kinder drogenabhängiger Mütter, nachfolgende Geschwisterkinder eines an SIDS verstorbenen Kindes, Kinder mit Zustand nach ALTE-Ereignis mit Blässe oder Zyanose, Muskelhypotonie, Bradykardie. Um die SID-Inzidenz in Deutschland durch intensive Aufklärungsarbeit weiter zu reduzieren, sollen alle Mütter und Väter über die in der . Übersicht gelisteten präventiven Maßnahmen zur Senkung des SIDS-Risikos ihres Neugeborenen unterrichtet werden (Jorch et al. 2003; www.sids.de).
48
1086
Kapitel 48 · Versorgung des Neugeborenen
48.7.15
Entlassung von Mutter und Kind
Präventive Maßnahmen vor SIDS
48
4 Optimierung der Schlafbedingungen – Rückenschlaflage des Kindes im unbeaufsichtigten Schlaf. Es entsteht dadurch kein erhöhtes Aspirationsrisiko. Bauch- und Seitenlage nur bei wachem Kind unter Aufsicht. – Kindersicheres Babybett mit fester Matratze ohne Kopfkissen, Felle oder Wärmeflasche. – Schlafen im eigenen Bett im Zimmer der Eltern, alternativ im eigenen Zimmer, keinesfalls im elterlichen Bett. – Wenn das Baby beim Einschlafen gerne schnullert, darf es einen Schnuller haben. 4 Vermeidung von Überwärmung – Die Schlafzimmertemperatur sollte 16–20°C nicht überschreiten; das Kind sollte in einem Schlafsack schlafen – Das Kind sollte keine Mütze innerhalb des Hauses tragen. 4 Rauchfreie Umgebung – Es sollte weder die Mutter rauchen noch sollte in der Umgebung des Kindes geraucht werden.
48.7.14
Vorsorgeuntersuchung U2
Die wichtige Screeninguntersuchung U2 ist zwischen dem 3. und 10. Lebenstag vorgesehen und sollte von einem neonatologisch erfahrenen Kinderarzt sinnvollerweise vor Entlassung aus dem Krankenhaus oder ambulant in Anwesenheit der Mutter oder der Eltern durchgeführt werden. Bei dieser Untersuchung wird das entkleidete Neugeborene sorgfältig untersucht und gewogen und auf die in der . Übersicht genannten Hinweise geachtet
Inhalte der U2 4 4 4 4 4 4 4
Trinkschwäche Gewichtsabnahme >10% Ikterus Erbrechen Haltungsanomalien Geburtsverletzungen Klinische oder anamnestische Infektionshinweise
Die Mutter wird über Ernährung, Pflege, Ikterus, Prophylaxe des plötzlichen Kindstodes, Stoffwechselscreening, Hörtest bis zur U2, Vitamin-K- und -D-Prophylaxe, Hüftultraschall bis zur U3 und die weiteren Vorsorgeuntersuchungen durch den Kinderarzt sowie ambulante Hebammennachsorge informiert und erhält diese Empfehlungen idealerweise schriftlich (Leitlinie 024/005 der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin 2004).
Nach komplikationsloser vaginaler Entbindung bleiben Mutter und Kind meist 3–5 Tage in der Klinik, können jedoch auf Wunsch auch einige Stunden nach der Geburt die Klinik verlassen. Voraussetzung für die Entlassung von Mutter und Kind sind der gute und unauffällige Allgemeinzustand des Kindes sowie Aufklärung und am besten schriftliche Information der Mutter.
48.7.16
Ambulante Entbindung
Bei ambulanter Entbindung oder Entlassung vor 36 Lebensstunden haben sich Geburtshelfer, Hebamme und/oder Kinderarzt über den stabilen Allgemeinzustand des Kindes durch eine zeitnahe Untersuchung zu versichern. Sie sind verantwortlich für eine ausreichende Aufklärung und am besten schriftliche Information der Mutter über folgende Punkte: 4 Stillen, Pflege und Ernährung ihres Kindes, 4 Vitamin-K-, -D- und Fluorprophylaxe, 4 Abnahme eines Erstscreenings und Notwendigkeit eines Zweitscreenings, 4 durchgeführter Hörtest und Hüftscreening oder die Information darüber, 4 ambulante Hebammennachsorge und pädiatrische Weiterbetreuung.
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48
49 49 Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe D. Surbek, A. Wagner 49.1
Nabelschnurblut als Quelle hämatopoietischer Stammzellen – 1090
49.2
Geburtshilfliche Aspekte der Nabelschnurblutentnahme – 1092
49.3
Öffentliche Nabelschnurblutbanken – 1093
49.4
Private Nabelschnurblutbanken – 1093
49.5
Hybrid-Banking (»Family Banking«) – 1094
49.6
Neue Entwicklungen im Bereich der Stammzellforschung – 1094 Literatur – 1095
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1090
49
Kapitel 49 · Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe
In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass Nabelschnurblut reich an hämatopoietischen Stammzellen ist. Diese Stammzellen können anstelle von Knochenmark transplantiert werden, um das blutbildende System des Empfängers, beispielsweise im Rahmen einer Therapie bei Leukämie, zu rekonstituieren. Das Nabelschnurblut kann bei der Geburt aus der Plazenta und Restnabelschnur nach Abnabelung gewonnen werden. Die darin enthaltenen Stammzellen werden auf die Qualität hin geprüft, kryopräserviert und anschließend in Nabelschnurblutbanken eingelagert, damit sie für eine spätere Transplantation zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren wurden öffentliche Nabelschnurblutbanken von anonymen Fremdspendern eingerichtet. Seit einiger Zeit gibt es auch private Nabelschnurblutbanken, bei denen Eltern das Nabelschnurblut ihres Neugeborenen für eine mögliche spätere Verwendung aufbewahren können. Der Nutzen dieser privaten Nabelschnurblutspenden ist allerdings umstritten, da die Wahrscheinlichkeit ausgesprochen klein ist dass die Stammzellen für das Kind selbst jemals Verwendung finden werden. Im Gegensatz dazu können die anonymen Fremdspendernabelschnurblutbanken HLA-typisierte Nabelschnurblutspenden weltweit zur Verfügung stellen, wenn diese von Patienten benötigt werden. Einen neuen Weg beschreibt das sog. Hybridmodell. Dahinter steht das Prinzip, sowohl für den Eigenbedarf als auch für die öffentliche Bank Stammzellen einzulagern. Eltern, die sich entscheiden, das Nabelschnurblut ihres Kindes aufzubewahren, haben die Möglichkeit, es auch der Spende zugänglich zu machen. Dazu wird eine HLA-Typisierung des Nabelschnurblutes durchgeführt. Neben den hämatopoietischen Stammzellen gibt es sog. mesenchymale Stammzellen. Dies sind multipotente Zellen, die sich in Knochen-, Knorpel-, Fett-, Muskel- und Nervenzellen differenzieren können und deshalb zukünftig einen wichtigen Platz in der regenerativen Medizin einnehmen werden. Sie kommen im Nabelschnurblut nur spärlich vor, aber aus dem Gewebe der Nabelschnur (Wharton-Sulze) können sie nach der Geburt in größeren Mengen gewonnen und in vitro vermehrt werden. Neben den hämatopoietischen werden deshalb zukünftig auch mesenchymale Stammzellen nach der Geburt entnommen und eingelagert. Im vorliegenden Kapitel wird neben den Grundlagen insbesondere auch auf die geburtshilflichen Aspekte der Nabelschnurblutentnahme eingegangen. Des Weiteren sollen neue, hochaktuelle Entwicklungen im Bereich der Stammzellforschung dargestellt werden, die sich möglicherweise in Zukunft auch auf die potenzielle Verwendung von Stammzellen aus Nabelschnurblut auswirken. Ziel des Kapitels ist es u. a., dem Geburtshelfer das nötige Wissen zur Verfügung zu stellen, um die schwangeren Frauen umfassend im Hinblick auf eine mögliche Nabelschnurblutstammzellspende beraten zu können.
49.1
Nabelschnurblut als Quelle hämatopoietischer Stammzellen
Hämatopoietische Stammzellen sind definiert duch die Fähigkeit, sich in alle verschiedenen Arten von Blutzellen und Abwehrzellen des Immunsystems zu differenzieren. Gleichzeitig
können sie sich aber auch fast unbeschränkt selbst vermehren, ohne sich zu differenzieren. Diese Eigenschaften befähigen die hämatopoietischen Stammzellen, den lebenslangen Nachschub für die peripheren Blut- und Abwehrzellen unter den Bedingungen des hohen »turnover« im humanen hämatopoietischen System zu gewährleisten. Nach Transplantation in ein anderes Individuum können sie das gesamte blutbildende Knochenmark inklusive des Immunsystems bei einem Empfängerindividuum rekonstituieren, beispielsweise nach ablativer Chemotherapie und Bestrahlung. Die Transplantation hämatopoietischer Stammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut (nach medikamentöser Mobilisation der Stammzellen aus dem Knochenmark) ist ein etabliertes Verfahren zur Behandlung von Erkrankungen, die vorwiegend das blutbildende System und das Immunsystem betreffen (Gratwohl et al. 2001). Dazu gehören maligne Erkrankungen wie Leukämien, aber auch die aplastische Anämie oder genetische Krankheiten wie z. B. Fanconi-Anämie, Thalassämie, schwere Immundefizienzen oder gewisse metabolische Krankheiten wie Hurler’s Syndrom. Eine neuere, noch nicht etablierte Indikation ist die Therapie von Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise schwere Formen der rheumatoiden Arthritis oder multiple Sklerose oder neuerdings die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 1 (Haller et al. 2008, Gratwohl et al. 2002). Eine wichtige Voraussetzung für die Transplantation allogener Stammzellen (d. h. Stammzellen von einem anderen Individuum) ist, dass ein Spender mit ähnlichem oder gleichem Humanen-Leukozyten-Antigen (HLA)-Typus vorhanden ist. Aufgrund des genetischen Hintergrundes liegt die Chance, dass ein Geschwister völlig identisch ist, bei 25%. Dies stellt den Idealfall eines Stammzellspenders dar. Die überwiegende Mehrheit ist allerdings auf öffentliche weltweite freiwillige Stammzelldonorregister angewiesen, die aktuell über 14 Mio. registrierte freiwillige Spender aufführen [www. bmdw.org]. Bei Westeuropäern liegt die Chance, einen passenden Spender zu finden, bei 75%, bei vielen ethnischen Gruppen liegt diese, trotz dieses immensen Spenderpools, aufgrund des HLA-Polymorphismus nicht höher als 20–30% (Rubinstein 2006; van Rood u. Oudshoorn 2008). Öffentliche Nabelschnurblutbanken wurden nicht zuletzt aus diesem Grund gegründet, um vermehrt ethnische Minoritäten einschließen zu können. Es besteht somit ein großer Bedarf an weiteren Stammzellspendern und neuen Stammzellquellen. In den letzten Wochen vor der Geburt findet sowohl eine Migration der hämatopoietischen Stammzellen von der fetalen Leber in das Knochenmark als auch eine Expansion der Hämatopoiese als Vorbereitung zu den physiologischen Veränderungen nach der Geburt statt. Bei der Geburt befinden sich deshalb noch viele Stammzellen in der Blutzirkulation, der Plazenta und der Nabelschnur (Surbek et al. 1998). Das Nabelschnurblut mit den darin enthaltenen Stammzellen kann nach der Geburt und nach Abnabelung des Kindes aus Restnabelschnur und Plazenta gewonnen werden (. Abb. 49.1). Nabelschnurblut kann anstelle von Knochenmark als Quelle für Stammzelltransplantationen dienen. Bereits 1988 wurde zum ersten Mal Nabelschnurblut eines Geschwisters bei einem Kind mit Fanconi-Anämie, einer
1091 49.1 · Nabelschnurblut als Quelle hämatopoietischer Stammzellen
. Abb. 49.1. Stammzellkultur aus Nabelschnurblut
schweren, angeborenen Knochenmarkerkrankung, erfolgreich durchgeführt (Gluckman et al.1989). > Es konnte gezeigt werden, dass die Menge der blutbildenden Stammzellen, die nach der Geburt aus Nabelschnurblut gewonnen wird, ausreicht, um das gesamte Knochenmark eines Kindes oder eines kleinen Erwachsenen zu ersetzen.
Bis heute sind weltweit über 20.000 familiäre (Wagner u. Gluckman 2010) und unverwandte Nabelschnurbluttransplantationen durchgeführt worden (Rubinstein et al. 1998; Laughlin et al. 2004) die allermeisten davon bei Kindern (Wagner et al. 2002). Die Nabelschnurbluttransplantation hat seit der Einführung von sog. »double cords« (2 Nabelschnurblutspenden werden gleichzeitig transplantiert) auch bei Erwachsenen zugenommen. Die Strategie einer höheren Zelldosis, um eine ausreichende Menge an CD34+-Zellen zu bekommen, konnte in einer Studie von Barker et al. (2005) bestätigt werden, die zeigte, dass im Vergleich mit »single cords«, nach einem Jahr ein besseres »engraftment« stattgefunden hat, mit 70% »krankheitsfreiem Überleben« der Patienten. Die Indikationen betreffen nicht nur maligne Erkrankungen wie Leukämien, sondern auch genetische Krankheiten wie Thalassämien oder Hurler’s Syndrom (Issaragrisil et al. 1995; Staba et al. 2004). Die bisherigen Erfahrungen sind dabei äußerst vielversprechend. Die Verwendung von Nabelschnurblut als Quelle blutbildender Stammzellen hat gegenüber dem Knochenmark oder peripheren Blut mehrere Vorteile (Holzgreve u. Surbek 1999): Erstens sind die Lymphozyten immunologisch noch immer naiv und weisen ein unmodifiziertes T-Zell-Repertoire auf. Die T-Zellen produzieren weniger aktivierende Zytokine. Zudem enthält das Nabelschnurblut weniger Natural-KillerZellen (Garderet et al. 1998). Bei der allogenen Transplantation bewirken die hämatopoietischen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eine abgeschwächte Donorimmunreaktion und, verglichen mit der allogenen Stammzelltransplantation mit Knochenmark, eine signifikant geringere akute und chronische Graft-versus-host-dieseae (GVHD) (Rocha et al. 2000, 2001, Rocha u. Gluckman 2006). Eapen et al. verglich in einer
retrospektiven Studie das Outcome von transplantierten Kindern <16 Jahren, die an Leukämie erkrankt waren. Obwohl bei Nabelschnurbluttransplantationen mehr Mismatches akzeptiert wurden, war die Rate des krankheitsfreien Überlebens in beiden Gruppen gleich (Eapen et al. 2007). Im Subgruppenvergleich der komplett gematchten Transplantationen zeigte sich nach 5 Jahren ein deutlicher Vorteil von Nabelschnurblut gegenüber Knochenmark. Zweitens zeigen die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eine größere Proliferationsrate im Vergleich mit Stammzellen aus dem Knochenmark. Dies bedeutet, dass eine viel kleinere Menge an Stammzellen notwendig ist, um das Knochenmark zu rekonstituieren. Etwa 50–100 ml Nabelschnurblut reichen aus für die Transplantation bei einem Kind oder kleineren Erwachsenen. Nabelschnurblut kann nach der Geburt und nach Abnabelung schmerzfrei und ohne Risiko für Mutter und Kind gewonnen werden, dies im Gegensatz zu der Knochenmarkentnahme, die i. d. R. in Narkose durchgeführt wird und Komplikationen nach sich ziehen kann (Surbek et al. 1998). Dies führt auch dazu, dass die Akzeptanz der Nabelschnurblutentnahme bei schwangeren Frauen sehr hoch ist, wie wir in eigenen Untersuchungen gezeigt haben (Surbek et al. 1998; Danzer et al. 2003). Nach Überprüfung von Qualität, Keimfreiheit und Gewebstyp des Nabelschnurblutes kann dieses kryopräserviert und in flüssigem Stickstoff über Jahre gelagert werden (. Abb. 49.2). Die Anzahl potenzieller Spender ist fast unbegrenzt groß; insbesondere können auch Bevölkerungsgruppen mit seltenen Gewebstypen, die in Knochenmarkspenderegistern untervertreten sind, als Spender eingeschlossen werden. Bei der Knochenmarktransplantation von einem Fremdspender entsteht i. d. R. eine erhebliche zeitliche Verzögerung (Wochen bis Monate), bis die Suche, die Vorabklärungen und die eigentliche Knochenmarkspende abgelaufen sind. Im Gegensatz dazu ist das Nabelschnurbluttransplantat aus einer Nabelschnurblutbank jederzeit abrufbar; die durchschnittliche Zeit bis zur Verfügbarkeit beträgt 13,5 Tage (Grewal et al. 2003). Ein wesentlicher Nachteil des Nabelschnurblutes als Quelle für Stammzelltransplantationen ist die begrenzte Menge der Zellen im Nabelschnurblut, die etwa 1/10 der Menge des Knochenmarkes entspricht. Hier wird in der Forschung versucht, die Stammzellen in Kultur zu expandieren, was schwierig ist wegen der Tendenz dieser Zellen, sich bei der Zellteilung in Kultur (unter Einfluss von Wachstumsfaktoren und Zytokinen) zu differenzieren und so die Langzeitrepopulationskapazität zu verlieren. Neuere Ansätze sind jedoch vielversprechend (Wyrsch et al. 1999; Amsellem et al. 2003), wie etwa Injektion der Stammzellen direkt in das Knochenmark, anstelle einer intravenösen Infusion (Cai et al. 2007), die Kotransfusion von mesenchymalen Stammzellen (Macmillan et al. 2008) oder die Up-Regulation von Homing-Rezeptoren für die Stammzellen. Daneben ist auch die Zeitdauer bis zur Erholung des Blutbildes nach Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut deutlich länger als nach Knochenmarktransplan-
49
1092
Kapitel 49 · Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe
ziellen Faktoren, die das Nabelschnurblut beeinflussen, andererseits die Techniken und Methoden zu dessen Entnahme. Mehrere prä- und perinatale Faktoren beeinflussen die Stammzellmenge, die mit der Nabelschnurblutasservation gewonnen werden können. Dazu gehören das Gestationsalter bei Geburt (Surbek et al. 2000), perinatale Faktoren wie das Geburtsgewicht (Aufderhaar et al. 2003), aber auch gestationsbedingte Pathologien wie die Präeklampsie (Surbek et al. 2001) oder Übertragung (Surbek et al. 2000). Während diese Faktoren einen signifikanten Einfluss haben können, sind sie jedoch i.d.R. wenig bis gar nicht beeinflussbar. Zur Entnahmetechnik sind einige Untersuchungen durchgeführt worden. Die Entnahmetechnik von Nabelschnurblut ist u.U. ein entscheidender Faktor hinsichtlich der Stammzellmenge. Schon alte Studien haben gezeigt, dass der Zeitpunkt der Abnabelung die Menge an Fetalblut, die in der Restnabelschnur und Plazenta verbleibt, signifikant beeinflusst. Gleichzeitig wird damit natürlich auch die im Neugeborenen nach Abnabelung verbleibende Blutmenge verändert (Yao et al. 1969).
49
> Kurz gesagt: Je früher abgenabelt wird, umso weniger Blut fließt von der Plazenta zum Neugeborenen, und umso mehr bleibt in der Restplazenta.
. Abb. 49.2. Ablauf einer Nabelschnurblutspende
tation (Laughlin et al. 2004). Als seltenes Ereignis scheinen schwere HHV6-Infektionen bei Empfängern von Nabelschnurbluttransplantaten etwas häufiger als bei Knochenmark vorzukommen (Sashihara et al. 2002). Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind keine größeren, prospektiv randomisierten Studien publiziert worden, die die Transplantation von Nabelschnurblut mit derjenigen von Knochenmark vergleichen; solche Studien sind aber unterwegs. Bisherige vergleichende Studien (Rocha et al. 2001; Barker et al. 2001; Ooi et al. 2002; Laughlin et al. 2004, Eapen et al. 2007) bestätigen teilweise die oben genannten Unterschiede, insbesondere in Bezug auf die Inzidenz der schweren »graft vs. host disease«, die bei Nabelschnurblut geringer ist.
49.2
Geburtshilfliche Aspekte der Nabelschnurblutentnahme
Aus geburtshilflicher Sicht gibt es mehrere Aspekte, die im Hinblick auf die Gewinnung von Stammzellen aus Nabelschnurblut relevant sind. Einerseits betrifft dies die poten-
Der Zeitpunkt der Abnabelung kann somit das Wohlbefinden des Neugeborenen beeinflussen. Im Zusammenhang mit Nabelschnurblutentnahmen wurden deshalb auch schon Bedenken hinsichtlich der neonatalen Sicherheit (Anämierisiko) geäußert, insbesondere bei Frühgeburten (Bertolini et al. 1995). Von Wichtigkeit ist natürlich, dass die Sicherheit und Gesundheit von Mutter und Kind bei der Geburt nicht durch eine Nabelschnurblutspende beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang heißt das, dass die Abnabelung wie üblich vorgenommen werden soll und deren Zeitpunkt nicht zugunsten einer NSB-Spende verändert werden darf. Die FIGORichtlinien sprechen dabei von einer Abnabelung frühestens 30 s nach der Geburt des Kindes (bei Termingeburt). Andererseits kann der Zeitpunkt der Entnahme einen wichtigen Einfluss haben. Wir selbst haben in Studien gezeigt, dass sich die Entnahme von Nabelschnurblut vor der Plazentaausstoßung günstig auswirkt und damit die Menge von Nabelschnurblut signifikant vermehrt werden kann, und zwar sowohl bei vaginaler Geburt (Surbek et al. 1998) wie auch bei der Sectio (Surbek et al. 2000). Dieser Technik sollte demnach bei der Entnahme den Vorzug gegeben werden (. Abb. 49.3, . Abb. 49.4). Bei der Vorabklärung zur Nabelschnurblutspende muss – analog zu einer Blut- oder Organspende – eine Spenderevaluation durchgeführt werden. Dazu gehört der anamnestische Ausschluss von Risiken für mit der Spende übertragbare Erkrankungen, insbesondere Infektionen (Hepatitis B, C, HIV, HTLV I/II u.a.) und vererbbare Erkrankungen, die das hämatopoietische System betreffen. Der Ausschluss übertragbarer Infektionen wird mittels einer mütterlichen Serologie zum Zeitpunkt der Geburt durchgeführt. Eine ausführliche Information und Aufklärung der Spendereltern, inklusive dem Einholen einer schriftlichen Einverständniserklärung, gehört selbstverständlich dazu.
1093 49.4 · Private Nabelschnurblutbanken
passenden HLA-kompatiblen Stammzellspenden und aufgrund der erfolgreichen Ergebnisse der Nabelschnurbluttransplantationen sind weltweit viele Zentren daran, öffentliche Nabelschnurblutbanken einzurichten (Gluckman et al. 1998). Mittlerweile sind weltweit in öffentliche Nabelschnurblutbanken über 600.000 (Wagner u. Gluckman 2010) allogene Nabelschnurblutspenden registriert. Dabei werden sowohl ungerichtete Fremdspenden wie auch familiäre, sog. gerichtete Spenden eingelagert, falls ein Geschwister oder ein Familienmitglied von einer Krankheit betroffen ist und mittels einer Stammzellspende behandelt werden kann (Reed et al. 2003). Sind die Geschwister HLA-identisch, besteht sozusagen der ›Idealfall‹, d.h. es ist ein optimales Stammzelltransplantat vorhanden. Das Fernziel der Nabelschnurblutbanken ist es, mittels internationaler, weltweiter Vernetzung einen »Spenderpool« aufzubauen, der das Knochenmarkspendernetz ergänzt und damit für möglichst viele betroffene Patienten ein Transplantat zur Verfügung stellt (Rendine et al. 2000). Wesentliche Faktoren bei der Einrichtung von Nabelschnurblutbanken sind jedoch die notwendigen hohen Aufwendungen bei Entnahme, Testung, Einfrieren und Lagerung der Nabelschnurblutproben (Sirchia et al. 1999), die sich im wesentlichen über öffentliche Gelder und Organisationen finanzieren.
49.4
. Abb. 49.3. Nabelschnurblutspende in Blutbeutel
. Abb. 49.4. Stickstofftank mit Nabelschnurblutspenden
49.3
Öffentliche Nabelschnurblutbanken
Seit vielen Jahren bestehen weltweite Stammzellspenderegister die insgesamt bisher über 14 Mio. HLA-typisierte Stammzellspender registriert haben [www.bmdw.org]. Aufgrund der hohen HLA-Diversifität ist jedoch trotz dieser weltweiten Register in über der Hälfte der Fälle kein HLA-kompatibler Spender vorhanden (7 Kap. 49.1). Wegen dieses Mangels an
Private Nabelschnurblutbanken
Man kann auch Nabelschnurblut auf eigene Kosten konservieren lassen – ohne dass ein Familienmitglied von einer entsprechenden Krankheit betroffen ist, damit im Falle einer späteren Erkrankung des Kindes oder eines anderen Familienmitgliedes das Nabelschnurblut als Stammzelltransplantat zur Verfügung stehen würde. Die Kosten für diese »Konservierung«, d. h. Entnahme, Bearbeitung und Lagerung, sind beträchtlich und müssen von den werdenden Eltern selbst getragen werden. Aus verschiedenen Gründen ist das »private« Nabelschnurblutbanking sowohl wissenschaftlich wie auch ethisch umstritten. Bis heute gibt es keine etablierte Indikation zur autologen Nabelschnurblutstammzelltransplantation (Ebbeson et al. 2000; Thornley et al. 2009). Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Nabelschnurblut jemals für das Kind selbst (oder ein Familienmitglied) verwendet werden wird, scheint derzeit klein zu sein. Allerdings existieren dazu bis heute keine exakten wissenschaftlichen Daten; Schätzungen über die Wahrscheinlichkeit der späteren autologen Transplantation sprechen von 1 : 1000 bis 1 : 20.000. Bis heute sind nur wenige Daten oder Fallberichte über das Outcome autologer Nabelschnurtransplantationen publiziert (Ferreira et al. 1999; Fruchtman et al. 2004; Rosenthal 2007; Viener 2007; Haller et al. 2008) im Vergleich zu den inzwischen über 20.000 erfolgreich durchgeführten allogenen (gerichteten oder unverwandten) Transplantation. Es stellt sich aber auch die Frage der Finanzierung, da derzeit »öffentliche« Banken i. d. R. durch gemeinnützige Organisationen finanziert werden und »private« Banken durch die Eltern selbst. Und letztendlich spielen auch ethische Aspekte der Allokation von Stammzellen eine Rolle, da eine weite Verbreitung
49
1094
Kapitel 49 · Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe
des »privaten« Banking zu einer Knappheit der in einer Bevölkerung zur Verfügung stehenden Fremdspenden von Nabelschnurblut führen könnte.
49.5
49
Hybrid-Banking (»Family Banking«)
Einen neuen Weg beschreibt das sog. Hybridmodell. Dahinter steht das Prinzip, sowohl für den Eigenbedarf als auch für die öffentliche Bank Stammzellen einzulagern. Dabei wird die Nabelschnurblutspende HLA-typisiert und den öffentlichen Donorregistern zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf wird die Nabelschnurblutspende freigegeben. Die autologe Einlagerung mit Spenderoption löst möglicherweise das Dilemma zwischen dem derzeit wissenschaftlich eher zurückhaltend eingestuften Nutzen einer autologen Stammzellspende und dem Wunsch der Eltern, ihrem Kind etwas »Gutes« zu tun. Dies kann auch zu einer signifikanten Erhöhung der zur Verfügung stehenden Transplantate beitragen.
49.6
Neue Entwicklungen im Bereich der Stammzellforschung
Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Stammzellforschung stellen diese Unterscheidung zwischen »privatem« und »öffentlichem« Banking von Nabelschnurblut zunehmend in Frage. Sollte sich verwirklichen und umsetzen lassen, was so viele Forschungsergebnisse versprechen, könnte sich vielmehr ergeben, dass ein medizinischer wie auch gemeinschaftlichfinanzieller Nutzen resultieren könnte, wenn die Einlagerung von Stammzellen aus Nabelschnurblut bei der Geburt jedes Kindes propagiert und von der Grundversicherung übernommen würde. Die neuesten Entwicklungen zeigen nämlich, dass die Stammzellen im Nabelschnurblut nicht nur dazu befähigt sind, hämatopoietisches Gewebe, z.B. nach iatrogener Knochenmarkablation, zu regenerieren, sondern möglicherweise auch viele andere Gewebe und Organe, die von häufigen degenerativen Erkrankungen betroffen sind. Bisher galt als gesichert, dass die somatischen Stammzellen im Körper des Erwachsenen unwiederruflich organspezifisch differenziert sind. Dies bedeutet, dass z. B. Stammzellen im Knochenmark wohl befähigt sind, sich in Blutzellen oder Immunzellen zu differenzieren und deren lebenslangen »Nachschub« zu gewährleisten, nicht aber die Möglichkeit haben, sich in Zellen anderer Organe wie z.B. Muskelzellen oder Hirnzellen zu differenzieren. Ähnliches galt auch für Stammzellen anderer Organe wie beispielsweise Leber- oder Nervenstammzellen. Erst in jüngster Zeit wurde in verschiedenen Forschungslabors in neuartigen Experimenten entdeckt, dass dieses »Dogma« als solches nicht allgemeine Gültigkeit hat. Es wurde nämlich erkannt, dass somatische Hirnstammzellen unter speziellen Umständen befähigt sind, sich in Zellen anderer Organe wie z.B. Blutzellen oder Muskelzellen zu differenzieren und im Experiment sogar die neue Funktion innerhalb dieser anderen Organe zu übernehmen (Bjornson et al. 1999). Auch Blutstammzellen oder Muskelstammzellen können sich
ihrerseits in Zellen anderer Organe differenzieren, bestimmte spezifische Bedingungen vorausgesetzt (Lagasse et al. 2000; Rovo u. Gratwohl 2008). Dieses Phänomen der Plastizität (Herzog u. Krause 2003), also der Möglichkeit der »Transdiffererenzierung« somatischer Stammzellen, verändert nicht nur unsere grundlegende Vorstellung über die Mechanismen der Zelldifferenzierung generell, sondern impliziert auch ein großes Potenzial der therapeutischen Nutzbarkeit. Sollte sich nämlich erweisen, dass diese Transdifferenzierung in großer Zellzahl stattfinden kann und die dazu führenden Mechanismen steuerbar sind, könnten beispielsweise Blutstammzellen nicht wie bisher nur zur Heilung von Blutkrankheiten wie Blutkrebs eingesetzt werden, sondern womöglich auch für die Behandlung von vielen degenerativen Erkrankungen anderer Organe wie Hirnkrankheiten (z.B. multiple Sklerose, M. Alzheimer), Herzkrankheiten (Herzinfarkt, Referenz nach Herzmuskelschwäche) oder Leberkrankheiten (Leberzirrhose), (Orlic et al. 1991). Diese Zellersatztherapie würde zu einer regelrechten Revolutionierung der Therapiemöglichkeiten in der Medizin führen. Relevant ist dabei eben auch, dass solche multipotenten adulten Stammzellen auch im Nabelschnurblut identifiziert wurden (Lee et al. 2004). Ob diese Hoffnungen sich allerdings je bewahrheitet, ist absolut offen. Es könnte sich bei diesem nun bekannten und bewiesenen Phänomen der Transdifferenzierung auch um ein biologisch und klinisch irrelevantes »Epiphänomen« handeln, oder gar mittels Zellfusion erklärbar sein (Blau et al. 2001; Murry et al. 2004). Die Forschung der nun folgenden Jahre wird versuchen, hier eine Antwort zu finden. Die Plastizität und Multipotenz adulter Stammzellen könnte in Zukunft dazu führen, dass auch autologe Stammzellen aus Nabelschnurblut im Bereich der regenerativen Therapie (Zell- und Organersatz) für verschiedenste Indikationen therapeutisch eingesetzt werden. Mesenchymale Stammzellen, die im Nabelschnurblut in kleineren und in der Wharton-Sulze in größeren Mengen vorkommen, werden in Zukunft möglicherweise ihren Platz in der regenerativen Medizin einnehmen (Schmidt et al. 2006; Wagner et al. 2009). Die Stammzellforschung gehört tatsächlich zu den Forschungsbereichen, mit denen zzt. die größten therapeutischen Hoffnungen verbunden werden. Sie gelten als Hoffnungsträger für mögliche Behandlungen schwerer degenerativer Krankheiten, wie z.B. M. Alzheimer, M. Parkinson, Herzinfarkt und viele andere im Rahmen der sog. regenerativen Medizin. Es wäre deshalb absolut denkbar, dass der Nutzen des »private banking« von Nabelschnurblut in Zukunft zunimmt, wenn sich eine klinische Einsatzmöglichkeit im Bereich der regenerativen (Zellersatz-)Medizin ergeben würde. Dies bleibt jedoch zunächst Spekulation. Aus ethischer Sicht ist es wichtig, dass den werdenden Eltern keine falschen Hoffnungen mit der privaten Einlagerung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ihres Kindes gemacht werden. In jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass sich die werdenden Eltern sich während der Schwangerschaft in einer emotionell speziellen Situation im Bezug auf Entscheidungen für ihr Kind befinden und damit besonders zugänglich für emotionelle Argumente sind. Dies begründet die Forderung nach besonderer Vor-
1095 Literatur
sicht bei der Aufklärung und Mäßigung beim Marketing des autologen Bankings durch private Nabelschnurblutbanken. Diese sind mitverantwortlich für die korrekte Aufklärung und Entnahme von Nabelschnurblut und müssen die damit verbundenen Risiken (z.B. virale Kontamination der Spende) mittragen. Die Aufgabe des Gynäkologen/Geburtshelfers dabei ist sicher eine ausführliche, möglichst objektive Aufklärung über den Sachverhalt, damit sich die werdenden Eltern ein Bild machen können, bevor sie sich für oder gegen eine öffentliche oder private Nabelschnurblutspende entscheiden.
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49
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49
Kapitel 49 · Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnur und deren Bedeutung in der Geburtshilfe
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50 50 Wochenbett N. Ochsenbein-Kölble 50.1
Normale Rückbildung, Lochien – 1098
50.2
Subinvolutio uteri – 1098
50.3
Fieber im Wochenbett – 1098
50.4
Endometritis, Endomyometritis – 1099
50.5
Puerperalsepsis, »toxic shock syndrome« – 1100
50.6
Infektion der Episiotomie – 1101
50.7
Ovarialvenenthrombose – 1102
50.8
Harnverhalt, Harnwegsinfekt (HWI) – 1102
50.9
Urininkontinenz – 1102
50.10
Hämorrhoiden – 1102
50.11
Psychische Veränderungen – 1103 Literatur – 1103
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1098
50
Kapitel 50 · Wochenbett
Überblick Das Wochenbett beinhaltet die Uterusrückbildung, Wundheilung und den Beginn der Laktation. Tägliche Visiten dienen der Früherkennung und Therapie von Komplikationen. Bei fieberhaften Verläufen und/oder plötzlich auftretender Verschlechterung des Allgemeinzustandes muss immer an eine Infektion gedacht werden. Die durch Streptococcus pyogenes oder Staphylococcus aureus verursachte Puerperalsepsis kann in einem letal verlaufenden »toxic shock syndrome« enden. Nach Früherkennung muss eine hochdosierte antibiotische Kombinationstherapie mit großzügiger operativer Entfernung des Infektionsherdes erfolgen. Die systemischen Sepsismanifestationen bedürfen der üblichen intensivmedizinischen Maßnahmen mit Kreislaufunterstützung, mechanischer Beatmung und ggf. Nierenersatzverfahren. Die Therapie der septischen Ovarialvenenthrombose beinhaltet neben der intravenösen Antikoagulation ebenfalls eine breite antibiotische Abschirmung. Bei den psychischen Veränderungen, außer beim »maternity blues«, ist meist eine psychiatrisch begleitete medikamentöse Therapie notwendig.
Das Gewicht des Uterus beträgt unmittelbar nach der Geburt etwa 1000 g, eine Woche später 500 g und 6–8 Wochen post partum ca. 60 g. Der Fundus uteri befindet sich postpartal ungefähr auf Nabelhöhe und tritt täglich einen Querfinger tiefer. Am 5. Wochenbettstag liegt er etwa in der Mitte zwischen Nabel und Symphyse und am 10. Wochenbettstag 2 Querfinger über der Symphyse. 2 Wochen post partum ist er nicht mehr von abdominal palpabel. Nach einer Sectio caesarea kann der Fundusstand etwas verzögert tiefer treten. Am 3. Wochenbettstag ist die Portio zum großen Teil wieder formiert und der Zervikalkanal weitgehend verengt. Nach rund 1 Woche ist die Zervix <1 cm dilatiert.
50.2
Subinvolutio uteri
Subinvolutio uteri Ungenügende Rückbildung des Uterus mit verstärkten blutigen Lochien.
Ursachen hierfür können eine starke Dehnung des Uterus
50.1
Normale Rückbildung, Lochien
Das Wochenbett oder Puerperium – die Zeit 6–8 Wochen nach der Geburt – dient der Rückbildung und Wundheilung und ist der Beginn der Laktationsperiode (7 Kap. 51 »Stillen«). In den ersten Tagen post partum führen Dauerkontraktionen und Nachwehen neben Stillwehen über eine Kontraktionsischämie zur Degeneration und Autolyse von überflüssigen Muskelfasern, aber auch zur Blutstillung der Plazentahaftstelle, die zusätzlich durch lokale Thrombenbildung in großen Gefäßen unterstützt wird. > Das ausgestoßene Wundexsudat (= Wochenfluss oder Lochien) fließt im Mittel 5 Wochen mit einem Totalvolumen von 200–500 ml, wobei 15% der Frauen einen Lochialfluss von 6–8 Wochen haben (Oppenheimer et al. 1986). Die Zusammensetzung und Farbe der normalen, nicht übelriechenden Lochien ändern sich im Verlauf (. Tab. 50.1).
. Tab. 50.1. Zusammensetzung und Farbe der normalen Lochien
Zeitraum
Bezeichnung
Aussehen
1. Woche
Lochia rubra
Rein blutig
2. Woche
Lochia fusca
Bräunlich und dünnflüssiger als in Woche 1
3. Woche
Lochia flava
Gelb (nekrotisches Zellmaterial der Uterusinnenwand)
4. Woche
Lochia alba
Grau-weiß, wässrig-serös
(Mehrlingsschwangerschaften, Polyhydramnion oder Multipara), Plazentareste, Endometritis, fehlende hormonelle Stimulation nach Abstillen, Myome, Uterusfehlbildungen oder mangelnde Bewegung der Wöchnerin sein. ! Eine Subinvolutio uteri birgt die Gefahr einer aszendierenden Infektion.
Die Diagnose wird bei verstärkten blutigen Lochien durch die Palpation des Uterus gestellt, dessen Fundus zu hoch steht. Therapeutisch bedeutend ist die Mobilisation der Wöchnerin neben der Verabreichung von Uterotonika wie Oxytozin oder Ergotamin. Bei Plazentarest ist eine Kürettage indiziert. ! Ergotamingabe kann die Milchmenge reduzieren. Bei gleichzeitiger Gabe von Methergin und HIVProtease- oder Reverse-Transkriptase-Inhibitoren kann es aufgrund der CYP3A-Interaktion zu erhöhten Spiegeln an Methergin und Metherginmetaboliten kommen (Ergotismus!) Daher darf bei HIV-positiven Frauen unter ART-Therapie keine Methergingabe erfolgen.
50.3
Fieber im Wochenbett
Fieber im Wochenbett Temperaturerhöhung auf ≥38,0°C an 2 Tagen während der ersten 10 Tage post partum unter Ausschluss der ersten 24 h nach der Geburt und bei 4-mal täglicher oraler Messung (Adair 1935).
Bei Fieber im Wochenbett ist in jedem Fall eine orientierende körperliche Untersuchung aller Organsysteme erforderlich, um die Ursache zu eruieren (. Übersicht; nach Sweet u. Gibbs
1099 50.4 · Endometritis, Endomyometritis
1995). Neben der Endometritis gelten die Wundinfektion, Mastitis (7 Kap. 51 »Stillen«), Harnwegsinfektion oder septische Thrombophlebitis als Hauptursachen für eine Infektion in Wochenbett (Maharaj 2007).
Ursachen für einen fieberhaften Wochenbettverlauf 4 Inneres Genitale – Endometritis – Endomyometritis 4 Ovarialvenenthrombose 4 Tuboovarialabszess 4 Paravaginales Hämatom 4 »toxic shock syndrome« 4 Wundbereich – Infektion der Sectionarbe – Infektion der Episiotomie oder eines Vaginal- oder Dammrisses 4 Mammae (7 Kap. 51 »Stillen«) – Milcheinschuss – Mastitis puerperalis 4 Extremitäten – Septische Thrombophlebitis – Tiefe Beinvenenthrombose 4 Abdomen – Gastroenteritis – Hepatitis – Appendizitis – Pyelonephritis 4 Thorax – Pneumonie – Endokarditis 4 ZNS – Meningitis 4 HNO-Bereich – Sinusitis – Otitis media
50.4
Endometritis, Endomyometritis
Die Prävalenz einer Endometritis nach einer vaginalen Geburt bzw. primären Sectio caesarea mit Antibiotikaprophylaxe liegt bei etwa 0,2–0,7% bzw. 2–3% (Ayzac et al. 2008; Burrows et al. 2004; Chaim et al. 2000, Tita et al. 2009). Frauen mit einer sekundären Sectio caesarea haben verglichen mit Frauen nach einer Spontangeburt ein 21-fach erhöhtes Risiko für eine Endometritis (Burrows et al. 2004). > Wichtigster prädisponierender Faktor für das Auftreten einer Endometritis post partum: Zustand nach Sectio.
Als weitere Risikofaktoren für eine postpartale Endometritis gelten (Bjorklund et al. 2005; Burrows et al. 2004; Gibbs 1980; Maharaj 2007; Tran et al. 2003, 2008): 4 protrahierte oder vaginaloperative Geburt, 4 mekoniumhaltiges Fruchtwasser,
4 mehrfache (>5) vaginale Untersuchungen unter der Geburt, 4 vorzeitiger Blasensprung >12 h, 4 Chorioamnionitis, 4 Streptokokken-B-Positivität, 4 Gardnerelleninfekt, 4 HIV, 4 manuelle Plazentalösung, 4 tiefer sozioökonomischer Status. Das Erregerspektrum der Endometritis umfasst typischerweise eine Mischung aus 2–3 Aerobiern und Anaerobiern. Bei schnellem Auftreten von Symptomen mit hohem Fieber sollte an eine Streptokokken- oder Staphyolokkeninfektion mit möglicher Entwicklung eines »toxic shock syndrome« gedacht werden. Bei spätem Autreten von Symptomen (≥2 Wochen post partum) ist auch an eine Chlamydia-trachomatis-Infektion zu denken. Gefürchtet sind Infektionen mit Clostridien, v. a. C. sordellii und perfringens, die foudroyant verlaufen können und mit einer hohen Mortalität einhergehen (Aldape et al. 2006). > Ein pelviner Abszess, eine septische Thrombophlebitis oder Ovarialvenenthrombose oder gar eine Sepsis können durch eine Endometritis bedingt sein.
Die meisten Endometritisfälle (84%) entwickeln sich in der ersten Woche post partum (Gibbs et al. 1980). Die Diagnose wird klinisch gestellt bei Fieber, druckdolentem Uterus und/ oder purulenten, übelriechenden Lochien. Auch bei anhaltend subfebrilen Temperaturen ist bei Vorliegen von prädisponierenden Faktoren aus dem Geburtsverlauf an eine Endometritis zu denken und eine weitere Klärung zu veranlassen. Dazu zählen neben der klinischen Untersuchung ein Blutbild, CRP, Gerinnungsstatus, Urinstatus/-kultur, Zervikalabstrich und evtl. Blutkulturen. > Bei Verdacht auf Endometritis ist immer ein Zervikalabstrich zu entnehmen.
Die Therapie besteht in der Gabe von Uterotonika und Antibiotika. Bewährt haben sich primär die Kombination von Amoxicillin-Clavulansäure (3×2,2 g i.v/Tag) oder Clindamycin (Clindamycin 4×300–600 mg/Tag i.v oder 3×900 mg i.v/Tag) plus Gentamicin (für nierengesunde Frauen: 3×1,5 mg/kg KG i.v./Tag oder Einzeldosis: 5 mg/kg KG i.v./Tag; (French u. Smaill 2004). Führt die Therapie mit Amoxicillin-Clavulansäure nicht binnen 48 h zum Erfolg oder aggraviert sich das Krankheitsbild sogar, sollte das Anaerobierspektrum durch Clindamycin oder Metronidazol und zusätzlich das gramnegative Spektrum durch ein Aminoglykosid wie Gentamicin abgedeckt bzw. die Behandlung entsprechend dem Antibiogramm umgestellt werden. Als Monotherapie sind auch Carbapeneme einsetzbar.
50
1100
Kapitel 50 · Wochenbett
50.5
Puerperalsepsis, »toxic shock syndrome«
Studienbox Im Zeitraum 2000–2006 waren in den USA 95 mütterliche Todesfälle in 1.461.270 Schwangerschaften zu verzeichnen (6,5/100.000 Schwangerschaften). Hierbei waren Infektionen und Fruchtwasserembolien mit je 14% die zweithäufigsten Komplikationen nach Präeklampsie mit 16%. In je 7% starben die Frauen an einer geburtshilflich bzw. nichtgeburtshilflich verursachten Sepsis (Clark et al. 2008).
50 Unter einer Puerperalsepsis ist laut Definition der WHO eine fiebrige Infektion des Genitaltraktes zu verstehen, die zwischen Blasensprung oder Geburt und den 42 Tagen post partum auftritt und die ≥2 der folgenden Kriterien beinhaltet (WHO 1994): 4 Beckenschmerzen, 4 abnormaler vaginaler Ausfluss (z. B. Pus), 4 abnormaler Geruch des Ausflusses, 4 zu langsame Rückbildung der Uterusgröße. Dolea u. Stein (2003) von der WHO machen jedoch auf die unterschiedlich gebräuchlichen Definitionen einer Puerperalsepsis in der Literatur aufmerksam, die auch alle maternalen Sepsisfälle im Wochenbett beinhalten können. Definition Sepsis Vorhandensein einer Infektion + »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS)
Schwere Sepsis Sepsis + Organhypoperfusion oder -dysfunktion.
Septischer Schock Sepsis + refraktäre arterielle Hypotonie oder Vasopressionabhängigkeit (entsprechend ACCP und SCCM; Levy et al. 2003).
Unter SIRS versteht man eine systemische Wirtsantwort auf ein infektiöses/nichtinfektiöses Ereignis. Es liegt vor, wenn ≥2 der folgenden Kriterien erfüllt sind (Annane et al. 2005): 4 Körpertemperatur >38,5°C oder <35,0°C, 4 Herzfrequenz >90/min, 4 Atemfrequenz >20/min oder arterielles CO2<32 mm Hg oder mechanische Beatmung, 4 Leukozyten >12000/μl oder <4000/μl oder unreife Vorstufen >10%. Bei einer Organdysfunktion muss ≥1 der folgenden Kriterien vorliegen (Annane et al. 2005): 4 marmorierte Hautareale, 4 Rekapillarisationszeit ≥3 s,
4 Urinausscheidung <0,5 ml/kg KG für mindestens 1 h oder Dialyse, 4 Laktat >2 mmol/l, 4 akute Bewusstseinsänderung oder pathologisches Elektroenzephalogramm (EEG), 4 Thrombozyten <100 000/μl oder disseminierte intravasale Gerinnungsstörung (DIC), 4 »acute respiratory distress syndrome« (ARDS), 4 kardiale Dysfunktion, echokardiographisch festgestellt. Typische Erreger einer Genitaltraktinfektion sind in der . Übersicht aufgeführt. Häufige Eintrittspforte post partum sind Episiotomie, Dammriss oder Sectiowunde mit Infektherd im Uterus und an den Adnexen.
Genitaltraktinfektion – typische Erreger 4 Aerobier – Grampositiv Streptokokken: Gruppe A (S. pyogenes), Gruppe B (S. agalactiae), Gruppe D Staphylokokken (z. B. S. aureus) – Gramnegativ Escherichia coli Enterobacterium spp. Pseudomonas aeruginosa Proteus mirabilis Haemophilus influenzae – Gramvariabel Gardnerella vaginalis 4 Anaerobier Bacteroides ssp. Peptokokken Peptostreptokokken Clostridien 4 Andere Erreger Chlamydia trachomatis Mycoplasma hominis Ureaplasma urealyticum
Neben Staphylococcus aureus sind besonders Streptokokken der Gruppe A, Erreger des klassischen Kindbettfiebers, gefürchtet wegen des oft atypischen und raschen Verlaufs mit Entwicklung von Schocklunge, Kreislaufkollaps, Gerinnungsstörung und Multiorganversagen. Innerhalb von wenigen Tagen oder selten von Stunden können sie durch ihre Endotoxinproduktion und der ausgedehnten Gewebezerstörung zu foudroyant lebensbedrohlichen Verlaufsformen führen, bei denen die alleinige antibiotische Therapie den oft letal endenden Krankheitsverlauf kaum mehr aufhalten kann. ! Der optische Eindruck einer Wöchnerin mit anfänglich gutem, rosigem Aussehen vertuscht oft die beginnende heimtückische Infektion.
Für das »toxic shock syndrome (TSS)« verantwortlich sind Virulenzfaktoren wie bei Streptokokken der Gruppe A, z. B. die Streptolysine, -kinase (= Fibrinolysin), das M-Protein mit
1101 50.6 · Infektion der Episiotomie
antiphagozytärer Eigenschaft, Hyaluronidase mit Begünstigung der Gewebeinvasion und die pyrogenen Exotoxine A (SPEA) und B (SPEB). Bei Staphyloccocus aureus ist neben Enterotoxinen auch das Toxic-shock-syndrome-Toxin 1 (TSST-1) zu nennen. Die Toxine wirken als »Superantigene« und können u. a. Lymphozyten 10000-mal stärker als übliche Antigene aktivieren. Dies führt zu einer massiven Ausschüttung von Zytokinen (IL-1/-2, TNF, α-, β- und γ-IFN) durch Makrophagen als auch durch T-Lymphozyten, was in »capillary leak« und Gewebeschaden mit Schock und Multiorganversagen resultiert. Die klinische Manifestation des Streptokokken-A-TSS ist oft unspezifisch. Häufig findet sich als Erstsymptom ein plötzlich auftretender starker Schmerz, der wenig auf übliche Analgetika anspricht. Ungefähr bei 80% der Fälle finden sich Zeichen einer lokalen Infektion mit Schwellung und Rötung, wobei in etwa 70% der Fälle mit dem Fortschreiten zu einer nekrotisierenden Fasziitis oder Myositis zu rechnen ist. In etwa 20% der Fälle kann vorangehend oder gleichzeitig ein grippeartiges Syndrom mit Fieber, Myalgien, Schüttelfrost und Diarrhö beobachtet werden. Verwirrtheit ist in 55% der Fälle anzutreffen. Es entwickelt sich innerhalb von Stunden ein häufig therapierefraktärer septischer Schock mit Multiorganversagen. ! In den ersten 7 Tagen beträgt die Letalität des Streptokokken-A-TSS rund 45% (Lamagni et al. 2008). Kriterien für die Diagnose eines StreptokokkenA-TSS 4 Isolation von Streptokokken der Gruppe A von einem normalerweise sterilen Bereich sowie 4 Arterielle Hypotonie (systolischer Blutdruck ≤90 mm Hg) verbunden mit 4 ≥2 der folgenden Kriterien – Nierenverschlechterung: Kreatinin ≥2-facher Normwert – Koagulopathie (Thrombozytopenie ≤100.000/μl oder DIC) – Leberbeteiligung: ALAT, ASAT, totales Bilirubin ≥2-facher Normwert – ARDS – fleckförmiges Exanthem evtl. mit Desquamation – Weichteilnekrose (z. B. nekrotisierende Fasziitis, Myositis oder Gangrän) (entsprechend der Working Group on Severe Streptococcal Infections 1993)
Die Therapie eines Streptokokken-A-TSS beinhaltet im Falle einer Wundinfektion die sorgfältige Wundrevision mit großflächigem Débridement, Management der Sepsiskomplikationen auf einer Intensivstation und die hochdosierte antibiotische Therapie der zugrundeliegenden Infektion (. Übersicht). Streptokokken der Gruppe A sind empfindlich auf Penicillin und andere β-Laktamantibiotika. Die Monotherapie mit
β-Laktamantibiotika spricht jedoch oft nicht wie erwartet an, wenn es nach einer gewissen Latenzperiode nach der Infektion eingesetzt wird. Dies rührt daher, dass diese Antibiotika vorwiegend die Wandsynthese der sich teilenden Bakterien in der Wachstumsphase hemmen, während sie in der stationären Phase, in der weiter Exotoxine gebildet werden können, praktisch ohne Einfluss bleiben. Im Gegensatz dazu können Substanzen wie Clindamycin, die die Proteinsynthese hemmen, auch in dieser Phase wirksam sein.
Therapie des »toxic shock syndrome« 4 Chirurgische Intervention: Débridement, breite Eröffnung, evtl. Hysterektomie 4 Frühverlegung auf eine Intensivstation – Dauermonitoring: EKG, Blutdruck etc. – zentrale Leitung, Pulmonaliskatheter – Ausscheidungskontrolle mit Bilanzierung, evtl. Dialyse – Volumengabe, Substitution von Gerinnungsfaktoren – Herz-Kreislauf-Unterstützung (z. B. Dopamin) – Atmung: evtl. Intubation mit mechanischer Beatmung 4 Antibiotika hochdosiert – Zweierkombination: z. B. Amoxicillin-Clavulansäure 3×2,2 g/Tag i.v. oder Ceftriaxon 1 g/Tag i.v. oder Imipenem 4×500 mg/Tag i.v. + Clindamycin 4×300–600 mg oder 3×900mg/Tag i.v. – Dreierkombination: z. B. Amoxicillin-Clavulansäure 3×2,2 g/Tag i.v. oder Ceftriaxon 1 g/Tag i.v. + Clindamycin 4×300–600 mg/Tag i.v. + Gentamicin 1×300 mg i.v.; Cave: Niereninsuffizienz!
50.6
Infektion der Episiotomie
Für die Episiotomie mit Infektrisiko durch topographische Nähe zur Vagina und zum Enddarm gelten prinzipiell die gleichen Komplikationen wie für alle abdominellen Wunden. Klinisch manifestiert sich eine Infektion der Episiotomie durch Spannungsgefühl, Rötung und Schwellung oder Dehiszenz. Die Behandlung besteht in einer Spreizung der Wunde, der Entfernung von störendem Nahtmaterial und dem Abtragen nekrotisierten Gewebes. Die Wundheilung erfolgt sekundär durch Granulation. Bei tiefer Dehiszenz sollte eine eventuelle sekundäre operative Wundversorgung erst nach mehrtägiger lokaler antiinfektiver Wundsäuberung, z. B. mit Betadine-, Kamillosan- oder Eichenrindensitzbädern, erfolgen. Hat sich die Infektion flächenhaft entlang der oberflächlichen Perinealfaszie ausgebreitet, so besteht die Gefahr einer generalisierten Infektion, die neben der chirurgischen Wundrevision mit großzügigem Débridement zusätzlich eine breite antibiotische Therapie erfordert.
50
50
1102
Kapitel 50 · Wochenbett
50.7
Ovarialvenenthrombose
Die Inzidenz der septischen puerperalen Ovarialvenenthrombose (SPOVT) beträgt ca. 0,01% nach vaginaler Geburt, ca. 0,1% nach Sectio caesarea und steigt bis auf 1–2% an, falls nach Sectio eine Endometritis auftritt (Brown et al. 1999; Klima u. Snyder 2008; Maharaj 2007). 90% der Fälle treten in den 10 Tagen post partum auf mit einem Peak am 2. Tag (Klima u. Snyder 2008). Die rechte Seite ist in 90% betroffen. Die Erkrankung kann sich anfänglich mit unspezifischen Symptomen wie Dysurie, Blähungen oder rechtsseitigen Unterbauchschmerz (DD: Endomyometritis, Appendizitis, stielgedrehte Adnexe, Pyelonephritis) präsentieren. Die Diagnose erfolgt häufig erst spät, wenn therapieresistente septische Fieberschübe, ein akutes Abdomen oder der typische Palpationsbefund einer strang- oder walzenförmigen Druckdolenz im Unterbauch bis in die Flanke reichend auftreten. Eine Leukozytose >12000/ul ist in 70–100% der Fälle zu finden. Häufig sind Blutkulturen negativ. > Typische Symptome einer Ovarialvenenthrombose: 4 septische Fieberschübe (≥38,0°C), 4 abdominale Schmerzen bis zum aktuen Abdomen, 4 palpable strang- oder walzenförmige Druckdolenz im Unterbauch. Bildgebend können Ultraschall, CT und MRT hilfreich sein. Songraphisch zeigt sich eine verdickte Adnexe und mittels Dopplersonographie das Fehlen des venösen Flussmusters in ca. 50%. Oft ist diese Region aber durch Darmgase überlagert. CT und insbesondere MR-Angiographie sind zuverlässiger als Ultraschall in der Diagnose einer SPOVT (Kubik-Huch et al. 1999). Eine frühe und kausal wirkende antibiotische Therapie (Zweier- oder Dreierkombination mit Amoxicillin-Clavulansäure 3×1,2 g/Tag bis 3×2,2g/Tag i.v., Clindamycin 4×300 mg/ Tag i.v. und ggf. Gentamicin 300 mg/Tag i.v.) sowie eine volle intravenöse Antikoagulation können die Morbidität und Mortalität der SPOVT reduzieren. In seltenen Fällen ist eine operative Sanierung des infizierten Herdes (Adnexektomie, Thrombektomie durch die Ovarialvene bis nahe an die V. cava inferior heran, links bis zur V. renalis, evtl. Hysterektomie bei zusätzlicher Endomyometritis) erforderlich.
saprophyticus und B-Streptokokken. Die Analyse des Mittelstrahlurins zeigt bei unsachgemäßer Entnahme oft eine Kontamination durch die Lochien. Eine unklare Pyurie bei einer Bakteriurie mit ≥105 Keimen/ml sollte aber in jedem Falle, evtl. durch eine einmalige Katheterisierung, abgeklärt und ggf. behandelt werden. > Bei unklarem Fieber im Wochenbett muss stets auch an eine Infektion der Harnwege gedacht werden. Therapeutisch ist bei einem Harnverhalt eine frühzeitige Gabe von antiphlogistischen Medikamenten, wie Mefenaminsäure oder Diclofenac, und/oder Spasmolytika, wie Buscopan, zu nennen. Falls unbedingt nötig kann zur Blasentonisierung ein Parasympathikomimetikum, wie Carbachol, verabreicht werden. Bei deutlicher Restharnbildung sollte die Blase durch ein- oder mehrmaliges Katheterisieren entleert werden. In seltenen Fällen wird ein Dauerkatheter benötigt. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen kann eine resistenzgerechte 3-tägige Antibiotikatherapie mit Augmentin oder Bactrim per os verabreicht werden. Bei febrilem Zustandsbild mit Verdacht auf Pyelonephritis ist eine resistenzgerechte, anfänglich intravenöse Antibiotikagabe über 7– 10 Tage indiziert. Die Klinik und die sinkenden Infektparameter sollen über die Dauer und Art der Antibiotikagabe entscheiden.
50.9
Urininkontinenz nach vaginaler Geburt ist ein bekanntes Problem, das ca. 10–17% aller Primiparae nach Geburt betrifft (Boyles et al. 2009). Zwillingsschwestern mit mindestens 2 Geburten berichten im Vergleich zu ihren Schwestern, die nie geboren haben, 4× häufiger von einer Urininkontinenz (Goldberg et al. 2005). Nach jeder Geburt sollte daher eine mehrere Wochen dauernde fachgemäße Rückbildungsgymnastik unter Einbeziehung des Beckenbodens mit Training des Blasenverschlussapparates empfohlen werden. Der Behandlungserfolg kann durch medikamentöse Relaxierung des Blasendetrusors und Tonisierung des Spinkters mit Parasympathikomimetika unterstützt werden.
50.10 50.8
Harnverhalt, Harnwegsinfekt (HWI)
Postpartal liegt die Prävalenz eines Harnverhalts bei etwa 4%. Durch eine Ödembildung im Bereich der Urethra oder Blasenatonie, evtl. auch durch einen reflektorischen Sphinkterkrampf, ist es innerhalb der ersten 6 h post partum unmöglich zu miktionieren. Als Risikofaktoren gelten protrahierte Geburtsverläufe, vaginaloperative Geburtsbeendigungen, große Vaginal- und Dammrisse und der Einsatz der Epiduralanästhesie unter der Geburt (Ching-Chung et al. 2002). Durch Katheterisieren steigt zudem das Risiko für einen HWI im Wochenbett. Die häufigsten Keime eines HWI sind E. coli. (80–90%), Klebsiella, Proteus, Enterobacter, Staphylococcus
Urininkontinenz
Hämorrhoiden
Die Prävalenz von selbstberichteten Hämorrhoiden scheint 8 Wochen post partum ca. 30% zu betragen (Thompson et al. 2002). Typische Symptome sind Blutungen, Druckgefühl, analer Pruritus und starke Schmerzen bei Hämorrhoidalthrombose. Therapeutisch sind Ballaststoffe zur Besserung der allgemeinen Symptome, aber auch zur Reduktion des Blutungsrisikos wichtig (Alonso-Coello et al. 2005). Leinsamen und Weizenkleie werden nicht resorbiert, Bisacodyl und Lactulose ebenfalls kaum. Für eine regelmäßige Defäkation hilft auch oft Magnesiocard-Granulat. In hartnäckigen Fällen kann zusätzlich Paragol (20 ml 1–3× p.o./Tag) zusammen mit einem Glycerinsuppositorium verabreicht werden. Selten wird ein Practo-Clyss-Klistier benötigt. Zur lokalen Hämorrhoidenbe-
1103 Literatur
handlung werden Scheriproct-Salbe/Suppositorien empfohlen. Ein schmerzhafter frischer Hämorrhoidalthrombus sollte nach Lokalanästhesie inzidiert werden. Anschließend werden täglich 2–3 Sitzbäder mit Eichenrindenextrakt oder Kamillosan verordnet.
Serotoninwiederaufnahmehemmern (z. B. Sertalin) oder trizyklischen Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) unumgänglich. In schweren Fällen ist eine stationäre psychiatrische Behandlung indiziert.
> Wichtig sind ein geregelter Stuhlgang und eine gute Analhygiene mit regelmäßigem Waschen mit gewöhnlichem Wasser nach dem Stuhlgang. Oft helfen auch Sitzbäder mit Eichenrindenextrakt.
Puerperalpsychose. Die Puerperalpsychose ist die schwerste und bedrohlichste aller postpartalen Störungen. Die Prävalenz beträgt 0,1–0,2% und ist 100-mal höher bei Frauen mit einer bipolaren Störung oder Zustand nach postpartaler Psychose. Mögliche erste Symptome, die sich innerhalb kürzester Zeit ändern können, sind Interessenverlust, Anhedonie und Konzentrationsstörungen, aber auch Ich-Störungen, Wahrnehmungsstörungen und Sinnestäuschungen sowie Störungen des formalen und inhaltlichen Denkens mit zerfahrenem und sprunghaftem Denken. Möglich sind ebenfalls eine starke motorische Unruhe bis hin zur Verwirrtheit sowie Stupor und Erregungszustände. Auch Schlafstörungen sind häufig. In 5% bzw. 4% der Fälle kommt es zum Suizid bzw. Infantizid (Spinelli 2009).
50.11
Psychische Veränderungen
Postpartal können verschiedene psychische Störungen und Erkrankungen auftreten, bei denen eine psychiatrische Konsultation hilfreich ist. Primiparae haben in den ersten 3 Monaten, insbesondere am 10.–19. Tag post partum, ein erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken (Munk-Olsen et al. 2006). Der Hormonentzug nach der Entbindung unter Berücksichtigung einer individuellen Vulnerabilität scheint hierbei eine Rolle zu spielen (Halbreich 2005). Meist werden bei psychischen Veränderungen die Hauptformen unterschieden: 4 Post-partum-Verstimmung (»maternity blues« oder »baby blues«), 4 Post-partum-Depression, 4 Puerperalpsychose. »Maternity blues« oder »baby blues«. Die Prävalenz variiert zwischen 15–85%. Symptome wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Tendenz zum Weinen, Konzentrationsschwäche, milde depressive Verstimmung und Ängstlichkeit treten in den ersten Tagen nach der Geburt auf, zeigen oft zwischen dem 3. und 6. postpartalen Tag ihren Höhepunkt und verschwinden meist in den ersten 10 Tagen post partum (Henshaw 2003). Post-partum-Depression (PPD). Die Häufigkeit einer post-
partalen Depression liegt bei ca. 10–15%. Sie ist streng genommen nach DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Version 4) durch das Auftreten einer Major-Depression innerhalb der ersten 4 Wochen post partum definiert. Jedoch wird diese Definition in verschiedenen Studien auf ein Zeitfenster von 3–12 Monaten post partum ausgeweitet. Risikofaktoren sind Angstzustände oder Depression in der Schwangerschaft, Depression in der Eigen- oder Familienanamnese, Zustand nach PPD, Stress, mangelhafte Unterstützung durch den Partner oder mangelhafte soziale Unterstützung, Eheprobleme, ungewollte Schwangerschaft und junges mütterliches Alter (Pearlstein et al. 2009). Klinisch finden sich eine depressive Verstimmung, Interesselosigkeit, Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Energielosigkeit, Schuldgefühle, Denk- und Konzentrationsschwäche, Gefühl der Nutzlosigkeit etc. Bei einem Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS)-Score ≥12 liegt die Diagnose einer PPD sehr nahe (Cox et al. 1987). Neben Psychotherapie ist in manchen Fällen eine antidepressive Therapie mit selektiven
> Die Puerperalpsychose ist ein psychiatrischer Notfall! Aufgrund der Suizid- und Infantizidgefahr ist meist eine sofortige stationäre psychiatrische Behandlung indiziert. Der Suizid ist eine der führenden Ursachen der Müttersterblichkeit.
Rund 70% der Frauen, die einen Suizid durchführten, litten an einer Psychose oder schweren Depression (Oates 2003; Oates u. Lewis 2004).
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50
1104
50
Kapitel 50 · Wochenbett
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51 51 Stillen M. Abou-Dakn* 51.1
Bedeutung des Stillens – 1106
51.1.1 51.1.2 51.1.3 51.1.4
Generelle Vorteile – 1106 Effekte für das Kind – 1107 Effekte für die Mutter – 1108 Nachteile durch Stillen – 1108
51.2
Stillsituation heute – 1108
51.2.1 51.2.2
Wie häufig und wie lange wird heute gestillt? – 1108 Bedingungen in den Geburtskliniken für den Stillbeginn – 1109
51.3
Stillförderung – 1109
51.3.1 51.3.2 51.3.3 51.3.4 51.3.5
Zielsetzungen der Stillförderung – 1109 Stillgruppen – 1109 WHO und UNICEF – 1110 Nationale Stillkommission in Deutschland – 1110 Ärztliche Aufgaben – 1110
51.4
Entwicklung der Brustdrüse und der Physiologie der Laktation – 1111
51.4.1 51.4.2 51.4.3 51.4.4 51.4.5 51.4.6
Anatomische Voraussetzungen, Mammogenese – 1111 Mammogenese in der Schwangerschaft und Laktogenese – 1111 Milchbildung, Galaktogenese – 1111 Aufrechterhaltung der Milchbildung und Abgabe der Milch, Galaktopoese und Galaktokinese – 1111 Kindliches Saugen an der Brust – 1112 Zusammensetzung der Frauenmilch – 1112
51.5
Praktische Aspekte des Stillens – 1114
51.5.1 51.5.2 51.5.3 51.5.4 51.5.5 51.5.6
Vorbereitung auf das Stillen in der Schwangerschaft – 1114 Beginn des Stillens bei Geburt – 1114 Stillen nach Bedarf – 1114 Stilltechniken – 1115 Ernährung der stillenden Frau – 1115 Antikonzeption während des Stillens – 1116
51.6
Stillprobleme – 1117
51.6.1 51.6.2 51.6.3
Stillprobleme oder -besonderheiten von Seiten des Kindes – 1117 Stillprobleme oder -besonderheiten von Seiten der Mutter – 1117 Kontraindikationen zum Stillen – 1119
51.7
Abstillen – 1121
51.8
Gesetzliche Regelungen zum Schutz von Stillenden – 1121 Literatur – 1122
* Mit herzlichem Dank an Fr. Prof. Dr. Dr. h. c. Renate Huch, Zürich, für die freundliche Genehmigung, ihr Kapitel der Auflagen 1–3 aktualisieren und den bewährten Kapitelaufbau sowie Textpassagen übernehmen zu dürfen.
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1106
51
Kapitel 51 · Stillen
Kaum ein anderes medizinisches Thema ist in den letzten Jahrzehnten derart kontrovers diskutiert worden und hat eine solche Veränderung der wissenschaftlichen Betrachtungsweise erlebt wie das Stillen. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts wurde Stillen als überflüssig und die Formulaernährung der Industrie als weitgehend gleichwertig angesehen. Seit Mitte der 1980-er Jahre kommt es jedoch europaweit zu einer deutlichen Renaissance des Stillens. In aktuellen Umfragen geben die meisten werdenden Mütter an, ihre Kinder stillen zu wollen. Die Muttermilch ist die natürliche Ernährung des Kindes und somit in idealer Weise an die Bedürfnisse des Kindes angepasst. Die artspezifische Zusammensetzung und die Anpassung der Muttermilch an die wachsende Stoffwechselfunktion des Kindes sowie der immunologische Schutz sind trotz großer Fortschritte in der Herstellung von künstlicher Säuglingsernährung weiterhin unnachahmbar und unersetzlich. Besonders ausgeprägt ist der immunologische Effekt des Kolostrums, der das Neugeborene vorzugsweise gegen das Erregerspektrum des mütterlichen Umfelds schützt. Über die Muttermilchernährung hinausgehend, handelt es sich beim »Stillen« aber auch um die »Stillung« des Bedürfnisses nach Nähe und Zuwendung. Nicht stillenden Müttern fällt es oft schwerer, eine enge Bindung zu ihren Kindern herzustellen, und Fälle von Kindesmisshandlungen und kindlichen Unfällen kommen unter ihnen häufiger vor (Strathearn et al. 2009). Die hormonellen Veränderungen beim kindlichen Saugen an der Mamille sind auch für den mütterlichen Organismus vorteilhaft. Die so induzierte Oxytozinausschüttung führt zu uterinen Kontraktionen, die die Blutstillung und Uterusrückbildung fördern. Der Energiebedarf für das Stillen kann eine willkommene Unterstützung beim gewünschten Abnehmen bedeuten. Ausschließliches und häufiges bzw. langes Stillen stellt einen relativ sicheren kontrazeptiven Schutz dar. Medizinische Kontraindikationen gegen das Stillen sind extrem selten. In Vordergrund steht selbstverständlich der Wunsch der Mutter, der allerdings stark von der gesellschaftlichen Stimmung und der Kultur geprägt wird. Da Schätzungsweise 97% der Wöchnerinnen stillfähig sind, kommt somit dem medizinischen Personal eine wesentliche Rolle in der Stillförderung zu. Weltweit und auf nationaler Ebene werden große Anstrengungen unternommen, die Motivation zum Stillen zu erhöhen und die Kenntnisse über das Stillen – die Physiologie und praktische Aspekte – zu verbessern. Den Geburtskliniken wird eine Weichenstellung für den Stillerfolg zugesprochen, weil der Stillbeginn unmittelbar nach Geburt eine entscheidende Voraussetzung ist. Mit »10 Schritte zum erfolgreichen Stillen« haben WHO und UNICEF weitere Voraussetzungen für einen langfristigen Stillerfolg formuliert. Einige Situationen erschweren kindlicher- oder mütterlicherseits das Stillen. Es bleibt daher auch für den Frauenarzt wichtig, diese Situationen zu kennen, um theoretische und praktische Hilfe zusätzlich zu den Hebammen und Laktationsberaterinnen leisten zu können.
51.1
Bedeutung des Stillens
51.1.1
Generelle Vorteile
Stillen ist die natürliche und optimale Ernährung des Neugeborenen. Dennoch musste in den letzten Jahren wissenschaftlich erneut bewiesen werden, dass das Stillen »Vorteile« für Mutter und Kind mit sich bringt. Besser wäre es, nicht den Vorteil des Stillens, sondern den Nachteil des Nicht-Stillens herauszustellen, denn Stillen ist die natürliche Ernährung unserer Kinder. Da dies aber leider noch nicht in unseren Lehrbüchern üblich ist, erfolgt auch hier diese unglückliche Darstellung der »Vorteile«. Insgesamt mehreren sich auch Studien auf höherem Evidenzniveau zum Stillen. Es wird jedoch weiterhin schwierig bleiben, randomisierte prospektive, möglichst verblindete Studien in dieser Fragestellung durchzuführen, da hierfür – glücklicherweise – die ethische Grundlage fehlt. Wir müssen uns daher häufig auf retrospektive Kohortenuntersuchungen stützen. Neben den körperlichen Vorteilen durch das Stillen für Mutter und Kind zeigt das schöne deutsche Wort »Stillen« darüber hinaus, dass die Bedeutung nicht nur in der Befriedigung des kindlichen Nahrungsbedarfs liegt, sondern auch die Bedürfnisse nach Zuwendung, Nähe, Wärme gestillt werden. Über die emotionale Bedeutung des Stillens wird besteht heute ebenfalls kein Zweifel mehr. > Die Erfahrung zeigt, dass praktisch jede Frau stillen kann. Etwa 97% der weiblichen Bevölkerung sind stillfähig (ACOG 2001; Neville 2001; Zetterström 1998).
In der Regel ist Stillen zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich und damit, ungleich der Situation bei der Flaschennahrungszubereitung, von äußeren Gegebenheiten unabhängig. Die Frauenmilch ist kostenlos, i. d. R. frei von pathologischen Keimen und immer richtig temperiert verfügbar. Sie passt sich in ihrer Zusammensetzung den Bedürfnissen des Kindes an – eine Überfütterung ist daher nicht möglich. Da die Milch nicht erwärmt werden muss, entfällt das Risiko einer Eiweißdenaturierung, daher können u. a. Immunglobuline leichter von der Mutter zum Kind übertragen werden (Hanson 2004). Besonders in den sich entwickelnden Ländern ist es von großer Bedeutung, dass das Zubereiten von Flaschennahrung ein großes Risiko für eine Infektion darstellt. In diesen Ländern ist auch heute noch – ähnlich wie weltweit in vergangener Zeit – der Zusammenhang zwischen ausschließlicher Muttermilchernährung und einer geringeren Mortalität und Morbidität als bei formulaernährten Kindern sehr eng.
Effekte des Stillens auf Mutter und Kind 4 Generelle Vorteile – Fast uneingeschränkte Verfügbarkeit – Korrekte Temperatur der Milch – Positive hygienische, ökonomische und Umwelt Aspekte
6
1107 51.1 · Bedeutung des Stillens
4 Vorteile für das Kind – An die jeweiligen Kindsbedürfnisse angepasste Milchmenge und -inhalte – Schutz vor Infektionen, insbesondere Infektionen des Respirations- und des Gastrointestinaltraktes – Verringertes Risiko für Atopien (atopisches Ekzem, Neurodermitis, Asthma) – Verbesserte ZNS-Entwicklung durch langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren in der Frauenmilch – Schutz vor Kieferfehlbildungen und Zahnfehlstellungen – Schutz vor plötzlichem Säuglingstod (SIDS) – Prävention von Diabetes und Adipositas im späteren Leben – Bei Frühgeborenen: seltener nekrotisierende Enterokolitis – Engere Mutter-Kind-Bindung – Verringerte Sterblichkeit 4 Vorteile für die Mutter – Schnellere Uterusrückbildung und Blutstillung (Infektions- und Anämieprophylaxe) – Weniger postpartale Depressionen – Erleichtertes Abnehmen – Natürliche Kontrazeption bei ausschließlichem Stillen – Erhöhter Schutz vor Endometrium-, Ovarial- und Brustkrebs – Osteoporoseprophylaxe für die Postmenopause
51.1.2
Effekte für das Kind
Die Zusammensetzung der Frauenmilch ändert sich qualitativ und quantitativ in Abhängigkeit vom Gestationsalter, während der Laktationsphase und innerhalb der einzelnen Stillmahlzeiten. Sie ist damit in idealer Weise den jeweils momentanen Bedürfnissen des Kindes angepasst. Die arteigene Zusammensetzung für die reifenden Stoffwechselfunktionen und für den Schutz gegen Infektionen machen die Muttermilch trotz der großen Fortschritte bei der Herstellung der künstlichen Säuglingsnahrung weiterhin unnachahmbar und unersetzbar (AAP 2005; Lawrence 2004; Nylander 2004; Przyrembel (2001). > Klinisch von größter Bedeutung ist der Unterschied zwischen Frauen- und Kuhmilch durch den Gehalt der Frauenmilch an spezifischen und unspezifischen Abwehrstoffen. Besonders hoch im Kolostrum konzentriert enthält die Frauenmilch Makrophagen, Leukozyten, Lymphozyten sowie spezifische Immunglobuline, die den immunologischen Schutz des gestillten Kindes vorzugsweise gegen das Erregerspektrum aus dem mütterlichen Umfeld ausmachen (Heinig 2001; Hanson 2004)).
Unter den zahlreichen unspezifischen Abwehrstoffen sind Laktoferrin, ein eisenbindendes Protein, und Lysozym, ein Polypeptid, zu erwähnen. Die spezifischen Immunglobuline und die Makrophagen sind in der Lage, nutritive Allergene von der Darmwand fernzuhalten und zu eliminieren. In den ersten Lebensmonaten gestillte Kinder haben signifikant seltener gastrointestinale Infektionen. Der Vermeidung von Fremdeiweißen beim ausschließlichen Stillen in den ersten Lebensmonaten kommt ein hoher präventiver Wert beim atopischen Formenkreis zu (Bergmann et al. 2004). So konnte in Tierversuchen nachgewiesen werden, dass durch die Muttermilch zwar Antigene auf das Kind übertragen wurde, diese aber durch spezifische Antikörperbildung zu einer erhöhten Toleranz gegenüber die pulmonal wirkenden Antigene führten(Verhasselt et al. 2008). Es mehren sich die Befunde, dass in späteren Zeiten andere Erkrankungen wie der insulinabhängige Diabetes mellitus oder die multiple Sklerose bei Flaschenkindern viel häufiger gefunden werden (Davis 2001; Gdalevich et al. 2001; Kramer et al. 2001). Der Reichtum der Frauenmilch an langkettigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die essenziell für das sich entwickelnde Nervengewebe sind und die in der Kuhmilch nicht in dieser Konzentration gefunden werden, wird zur Erklärung der Befunde einer besseren intellektuellen Entwicklung bei gestillten Kindern im Vergleich zu flaschengenährten Kindern herangezogen (Lucas et al. 1992; Reynolds 2001). Die spezifische Art des kindlichen Saugens an der Brust hat positive Auswirkungen auf die Formung des kindlichen Unterkiefers, schützt vor Zahnfehlstellungen und hilft das durch die Flaschenernährung geförderte Daumenlutschen zu vermeiden (Lutz 1997a). Die rein nutritiven Bedürfnisse des wachsenden Kindes werden in den ersten Lebensmonaten durch die mütterliche Milch voll erfüllt, wenn die stillende Frau gesund ist und sich ausgewogen ernährt. In den ersten 4–6 Wochen ist es sogar ratsam, jede Zugabe von Fremdsubstanzen zu vermeiden. Ausnahmen sind das Vitamin D und u. U., je nach Fluoridierung des Trinkwassers und/oder des Speisesalzes, das Fluorid. Über die Dauer des ausschließlichen Stillens wird immer wieder diskutiert. Die WHO hat nach eingehender Literaturrecherche empfohlen, möglichst erst ab dem 7. Monat Beikost einzuführen(Kramer u. Kakuma 2002). Wesentlich scheint, dass möglichst nicht vor dem 5. Lebensmonat Beikost wird und zur Verminderung des Zöliakieriskos unter dem Stillen glutenhaltige Kost eingeführt wird (Agostoni, Decsi et al. 2008). Definition Ausschließliches Stillen ist entsprechend der WHO-Definition »ausschließlich Muttermilch ohne Gabe von Flüssigkeiten oder anderer Nahrung«.
Stillen fördert durch den intimen Haut- und Körperkontakt zwischen Mutter und Kind das Entstehen und Wachsen einer liebevollen Mutter-Kind-Bindung. Die besondere Phase der hohen Sensitivität in den ersten Stunden und Tagen nach der
51
1108
Kapitel 51 · Stillen
Geburt bei Mutter und Kind führt mit ihrem reflexartigen Aufeinanderreagieren zu einer einzigartigen Symbiose, die auch in der Kunst oft verherrlicht wurde.
51.1.3
51
Effekte für die Mutter
Stillen hat auch für den mütterlichen Organismus eindeutige Vorteile. Der Saugreiz an der Mamille bewirkt durch vermehrte Ausschüttung von Oxytozin (7 Kap. 50.4.4) die Auslösung uteriner Kontraktionen, die die Blutstillung, Ausstoßung der Wundsekrete aus dem Uterus und die Uterusrückbildung fördern. Dies bedeutet Schutz vor Infektionen und Anämie oder Eisenmangel. Der Zusammenhang zwischen Laktation und Suppression der Ovulation durch hohe Prolaktinwerte beim Stillen ist bereits lange bekannt. Die Phase der Amenorrhö trägt ebenfalls zur Reduktion der postpartalen Anämie und des Eisenmangels bei. Kontrovers diskutiert wird hierbei die individuelle Sicherheit der kontrazeptiven Wirkung des Stillens. Die Konsensus-Konferenz in Bellagio (Consensus Statement 1988, 7 Kap. 51.5.7) hat die Voraussetzungen formuliert, die die LAM-Technik (»lactational amenorrhoea method«) zu einer relativ sicheren Antikonzeption für einige Monate werden lassen. Danach sollten mit dem Stillen vereinbare Methoden der Kontrazeption diskutiert werden, da auch unter der Amenorrhö zunehmend Ovulationen auftreten (Singh u. Suchindran et al. 1993). Da in der Schwangerschaft die Gewichtszunahme der Mutter oft beträchtlich größer ist, als die physiologischen Bedürfnisse es erfordern, wirkt sich das Energie verbrauchende Stillen oft vorteilhaft beim gewünschten Abnehmen aus. Dies gilt insbesondere für Mütter mit einem normalen oder nur gering erhöhten BMI (Mok et al. 2008). Ein Schutz vor Endometrium-, Ovarial- und Mammakarzinom durch Stillen ist sehr wahrscheinlich (ACOG 2001; AAP 2005; Abou-Dakn et al. 2003).
51.1.4
Nachteile durch Stillen
Auch in der Muttermilch sind unerwünschte Verunreinigungen enthalten. Die Diskussionen um das Ausmaß und die gesundheitliche Bewertung der Rückstände in der Muttermilch haben viele Stillende und Beratende verunsichert. Während durch gesundheitsbewusstes Verhalten der stillenden Frau einige dieser Rückstände vermieden werden können, kann sie sich gegen die Kontamination der Umwelt nur bedingt schützen. Der Mensch stellt das Endglied der Nahrungskette dar und lagert besonders die langlebigen fettlöslichen Organochlorverbindungen wie Pestizide (z. B. DDT), polychlorierte Biphenyle (PCB) und polychlorierte Dibenzodioxine und -furane im Körperfett und in der Muttermilch in höherer Konzentration ein als andere Spezies. Die Zusammensetzung der Muttermilch gilt daher als Indikator für die Umweltbelastung und wird gesellschaftlich sehr wahrgenommen. Dies hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass Umweltgifte kritischer
eingesetzt werden. Das Bundesamt für Risikobewertung hat sich u. a. immer wieder mit der Fragestellung beschäftigt und die Daten aktualisiert. Die Maßnahmen, die man in Erkenntnis der hohen Konzentrationen vor rund 20 Jahren zur Verminderung der Produktion und des Einsatzes der Schadstoffe getroffen hat, haben Erfolg gezeigt, sodass die als Richtwerte formulierten Schadstoffgrenzkonzentrationen unterschritten werden. Es kann somit keine Gefährdung der Kinder durch die Substanzen nachgewiesen werden. > Die Nationale Stillkommission in Deutschland (7 Kap. 51.3.4) fordert weitere Maßnahmen zur Verringerung der Schadstoffe, sieht aber gleichwohl derzeit keine Risiken, die die Empfehlung »6 Monate ausschließliches Stillen« in Frage stellen (Presseerklärung vom 20.6.2005; [www.bfr.bund.de – Nationale Stillkommission]).
Stillen mit all seinen Funktionen ist selten delegierbar und erfordert einen hohen zeitlichen Aufwand seitens der Stillenden.
51.2
Stillsituation heute
51.2.1
Wie häufig und wie lange wird heute gestillt?
Erstaunlicherweise ist die von der Natur vorgegebene Form der Ernährung des Säuglings keine Selbstverständlichkeit. Zu allen Zeiten war Stillen mehr oder weniger »Mode« – man denke nur an die Delegierung der mütterlichen Pflichten an hierfür bezahlte Ammen in sozial höheren Gesellschaftsschichten in der Vergangenheit oder an den Tiefpunkt der Stillbereitschaft in unserer Zeit. 1975 haben in Deutschland nur knapp 60% der Frauen in der 1. Lebenswoche gestillt, davon nur 1/3 voll (Hormann u. Nehlsen 1997). Danach hat eine deutliche Stillrenaissance eingesetzt.
Studienbox Diese positive Tendenz wird weltweit in den frühen 1990er Jahren durch die WHO/UNICEF-Initiative (7 Kap. 51.3.3) verstärkt. In der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts kommt es überall zu markanten Anstiegen der Stillraten, insbesondere beim Stillbeginn. Norwegen ist vorbildlich für hohe Stillraten (Wright 2001; Nylander 2004). Nachdem in Deutschland in den zurückliegenden 40 Jahren nur sporadische Daten zur Stillsituation verfügbar waren, wurden erstmals mit der vom Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund im Zeitraum 1997–1998 durchgeführten Studie »Stillen und Säuglingsernährung« (»SuSe«) bundesweit repräsentative Daten zur Stillsituation in Geburtskliniken und bei Müttern, die in diesen Kliniken entbunden worden sind, erhoben (Kersting u. Dulon 2002). Gemäß dieser Analyse stillten 1997/1998 in Deutschland 91% der Frauen bei Geburt. Bei Krankenhaus-
6
1109 51.3 · Stillförderung
entlassung betrug die Rate des ausschließlichen Stillens 73% (bzw. 78% überwiegendes oder Vollstillen) und kam der von der WHO geforderten Rate – 75% ausschließliches Stillen bei Krankenhausentlassung in den sog. stillfreundlichen Krankenhäusern (7 Kap. 51.2.2) – schon sehr nahe, erreicht aber nicht die hohen skandinavischen und schweizerischen Anteile (Huch et al. 1996; Nylander 2004). Eine neuere lokale Studie aus Bayern und Berlin konnten aufzeigen, dass die Stillquoten weiterhin ansteigend sind. Weiterhin enttäuschend sind die jedoch Follow-up-Daten der Studien, die zeigen, dass die Stillfrequenzen nach Krankenhausentlassung weiterhin rasch abfallen. So zeigen auch die aktuellsten Zahlen, dass weiterhin bereits 39,1% aller Kinder nach 4 Monaten und 48,6% nach 6 Monaten abgestillt sind (7 Abb. 51.1; Kohlhuber et al. 2008). Viele nationale und internationale Studien bestätigen, dass anfängliche Fehler in der Betreuung sowie Schmerzen beim Stillen und der subjektive Eindruck des Gedeihens der Kinder wesentlichen Einfluss auf die Stilldauer haben (Wright et al. 2004; Schwegler et al. 2008).
Dies macht deutlich, dass in deutschen Geburtskliniken noch zahlreiche Verbesserungen bei der Anwendung stillfördernder Maßnahmen möglich sind und dass diese insbesondere kurz nach Klinikentlassung verstärkt werden müssen, um den langfristigen Stillerfolg zu verbessern.
51.3
Stillförderung
51.3.1
Zielsetzungen der Stillförderung
Da fast alle Frauen stillfähig sind, ist es erklärte Zielsetzung aller Maßnahmen, die Stillmotivation zu steigern und die Mütter zu überzeugen, dass in den ersten 6 Lebensmonaten die Muttermilch qualitativ die optimale Form der Ernährung des Säuglings darstellt. Ausschließlich gestillte Kinder brauchen zum normalen Gedeihen keine zusätzliche Nahrung oder Getränke. Die mütterlichen Milchmengen sind ausreichend, wenn Stillen nach Bedarf von Anfang an ermöglicht wird.
51.3.2
51.2.2
Bedingungen in den Geburtskliniken für den Stillbeginn
Basierend auf den Empfehlungen der WHO und der Nationalen Stillkommission wurden in mehreren Arbeiten die Stillbedingungen an deutschen Geburtskliniken untersucht und die Fakten analysiert, die das Stillverhalten beeinflussen. Mit einer Stilldauer von nur 4 Monaten und weniger waren mit abnehmender Signifikanz die folgenden Faktoren, auf die eine Klinik Einfluss haben kann, assoziiert (Dulon u. Kerstin 2000, Abou-Dakn et al. 2008): 4 fehlende Stillerfahrung der Mutter, 4 Zusatzfütterung des Säuglings innerhalb der ersten 3 Lebenstage, 4 Stillprobleme während der ersten 14 Tage post partum, 4 nur Tages-Rooming-in während des Klinikaufenthaltes, 4 erstes Anlegen des Kindes später als in der 1. Lebensstunde. . Abb. 51.1. Stillverhalten in Deutschland. (Vortrag auf der DGGG 2008 von A. Weißenborn, mit frdl. Genehmigung)
Stillgruppen
Bereits in den frühen 1970-er Jahren wurde realisiert, dass nicht nur das leichte Ausweichen auf die immer besser werdende Muttermilchersatznahrung und die entsprechende Werbung der Säuglingsnahrungshersteller daran Schuld waren, dass die sich mehrenden wissenschaftlichen Erkenntnisse der großen gesundheitlichen Vorteile für das Kind durch ausschließliches Stillen in den ersten Lebensmonaten sich nur schwer umsetzen ließen. Jungen erstgebärenden Frauen fehlten auch fundierte Anleitungen zum Stillen, nachdem es kaum noch eine Stilltradition in den Familien gab. Daher galt es zu lernen und zu lehren, wie richtiges Stillen weiterverbreitet, etabliert und gefördert werden könnte. Dies führte zur Gründung von Stillhilfegruppen. Der Gründung der La-Leche-Liga, einer internationalen Stillgruppenorganisation von ehrenamtlich arbeitenden stillerfahrenen Müttern in den frühen 1970-er Jahren, schloss sich 1976 die Gründung einer deutschen Sektion an und die Bildung zahlreicher freier Stillgruppen (heute Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen e. V.).
51
1110
Kapitel 51 · Stillen
Eine neue Qualifikation im Gesundheitswesen entwickelte sich durch den Einsatz von Laktationsberaterinnen (IBCLC, »International Board Certified Lactation Consultant«). Neben den organisierten Gruppen befassen sich in zunehmendem Maße Hebammen, Wochenbett- und Kinderkrankenschwestern sowie ärztliches Personal mit der wichtigen Aufgabe der Stillberatung.
51.3.3
51
WHO und UNICEF
Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF beschlossen 1979, stillfreundliche Maßnahmen in den Entbindungskliniken zu etablieren. 1990 wurde auf dem Weltgipfel für Kinder die sog. »Innocenti Declaration on the Protection, Promotion and Support of Breastfeeding” verabschiedet. Die Unterzeichnerstaaten der Deklaration verpflichteten sich, die »10 Schritte zum erfolgreichen Stillen« in den Geburtskliniken umzusetzen und nationale Komitees für die Stillförderung einzurichten. Auch die Bundesrepublik unterzeichnete die InnocentiDeklaration und gründete 1994 die Nationale Stillkommission, die die WHO-Maßnahmen weitgehend übernommen und mit diversen eigenen Erklärungen und Empfehlungen das Stillen in Deutschland maßgeblich positiv beeinflusst hat. 1992 hat die Initiative unter der Bezeichnung »WHO/ UNICEF-Initiative Stillfreundliches Krankenhaus« auch in Deutschland Fuß gefasst. 2000 passte die Initiative ihren Namen an die internationale Vorgabe an und heißt seitdem »Babyfreundliches Krankenhaus«. Dieses weltweite Projekt umfasst mittlerweile 19.000 Kliniken. In Deutschland gibt es im April 2009 45 zertifizierte Krankenhäuser. Die vorgeschlagenen Maßnahmen der »10 Schritte (. Übersicht) sind in diversen Studien evaluiert worden. Kramer konnte in einer groß angelegten prospektiven randomisierten Studie den nachhaltigen Effekt der 10 Schritte für die Stillquote, aber auch für die daraus folgende Gesundheit der Kinder nachweisen. Mit 3 Monaten stillten 43% der Interventionsgruppe im Gegensatz zu 6,4% der Kontrollgruppe ausschließlich, mit 6 Monaten betrug das Verhältnis noch 7,9% zu 0,6% (Kramer et al. 2001). Der Einfluss der Intervention auf den Stillerfolg war somit hochsignifikant.
10 Schritte zum erfolgreichen Stillen Alle Einrichtungen, in denen Entbindungen stattfinden und Neugeborene betreut werden, sollten folgende 10 Anforderungen erfüllen: 1. Schriftliche Richtlinien zur Stillförderung, die dem gesamten Pflegepersonal in regelmäßigen Abständen nahegebracht werden. 2. Das gesamte Mitarbeiterteam in Theorie und Praxis so schulen, dass es diese Richtlinien zur Stillförderung mit Leben erfüllen kann. 3. Alle schwangeren Frauen über die Vorteile und die Praxis des Stillens informieren.
6
4. Den Müttern ermöglichen, unmittelbar ab Geburt ununterbrochenen Hautkontakt mit ihrem Baby zu haben, mindestens 1 h lang oder bis das Baby das erste Mal gestillt wurde. 5. Den Müttern das korrekte Anlegen zeigen und ihnen erklären, wie sie ihre Milchproduktion aufrechterhalten können, auch im Fall einer Trennung von ihrem Kind. 6. Neugeborenen zusätzlich zur Muttermilch weder Flüssigkeit noch sonstige Nahrung geben, wenn es nicht aus gesundheitlichen Gründen angezeigt scheint. 7. Rooming-in praktizieren – Mutter und Kind erlauben zusammenzubleiben – 24 h am Tag. 8. Zum Stillen nach Bedarf ermuntern. 9. Gestillten Säuglingen keinen Gummisauger oder Schnuller geben. 10. Die Entstehung von Stillgruppen fördern und die Mütter bei der Entlassung aus der Klinik oder Entbindungseinrichtung mit diesen Gruppen in Kontakt bringen.
51.3.4
Nationale Stillkommission in Deutschland
1994 hat sich in Deutschland die Nationale Stillkommission auf Weisung des Bundesministers für Gesundheit konstituiert. Die Aufgaben dieser Kommission wurden wie folgt definiert: Beratung der Bundesregierung, Initiativen zu politischem Handeln zur Beseitigung bestehender Stillhindernisse, Koordinierung der Durchführung von Maßnahmen zur Stillförderung, Hilfe bei der praktischen Umsetzung von Rechtsverordnungen, Richtlinien, Empfehlungen (z. B. MarketingCode), Leistung von Überzeugungsarbeit innerhalb der Berufsorganisation, Evaluation und Berichterstattung. Diese Kommission, zzt. beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin angesiedelt, mit Mitgliedern aus verschiedenen medizinischen und sozialen Bereichen und Vertretern der erwähnten Stillgruppen, tagt seither regelmäßig und hat zahlreiche Empfehlungen und Strategien entwickelt, die die Förderung der Stillkultur in Deutschland zur Zielsetzung haben. Die Empfehlungen richten sich in erster Linie an die Professionellen in der Stillberatung. Einige Dokumente sind für die stillende Frau bestimmt wie z. B. die Stillinformationen im Mutterpass. Sie sind via Internet von der Webseite des BfR [www.bfr.bund.de (Suche: Nationale Stillkommission)] – teils in mehreren Sprachen – abrufbar.
51.3.5
Ärztliche Aufgaben
Die WHO/UNICEF-Initiative weist der geburtshilflichen Disziplin eine entscheidende Rolle und Verantwortung bei der Erreichung der gestellten Ziele zu. Ärztliche Aufgaben sind es, bereits in der Schwangerschaft ausführliche Informationen
1111 51.4 · Entwicklung der Brustdrüse und der Physiologie der Laktation
über die Vorteile und die Praxis des Stillens zu vermitteln und in den Kliniken das Umfeld zu schaffen, das die notwendige intime Nähe von Mutter und Kind ermöglicht. Bei der Ausbildung von Medizinstudenten und Fachärzten sind mehr als bisher Informationen über die Bedeutung des Stillens, über die Praxis des Stillens und Kenntnisse über die Physiologie und Pathophysiologie zu vermitteln.
51.4
Entwicklung der Brustdrüse und der Physiologie der Laktation
bildeten Sexualhormone entfallen der hemmende Effekt und die Blockade der Prolaktinrezeptoren, sodass Prolaktin wirksam werden kann. Parallel zur Clearance der plazentaren Hormone aus dem mütterlichen Organismus steigt die Zahl der Prolaktinrezeptoren steil an, mit einem Maximum am 2. Tag nach der Geburt, im vollen Umfang allerdings nur, wenn der physiologische Saugreiz durch das Kind in den ersten Stunden nach Geburt erfolgt (Bohnet et al. 1988). Unter dem Einfluss von Prolaktin wird das Alveolarepithel zu milchbildenden und -sezernierenden Zellen umgebildet, was bis zur vollen Funktion 2–3 Tage erfordert.
51.4.1
Anatomische Voraussetzungen, Mammogenese
51.4.4
Milchganganlagen sind embryonal bei beiden Geschlechtern vorgesehen. Bei Geburt haben männliche und weibliche Neugeborene Brustdrüsen mit Milchgängen ohne Acini. Die eigentliche Mammogenese beginnt unter dem Einfluss der ovariellen Steroide in der Pubertät mit der Thelarche, der Brustknospung und Brustdrüsenentwicklung. Östrogene stimulieren das Gangwachstum, Östrogene und Progesteron zusammen führen zur vollen duktalazinären Entwicklung (Peters 1987).
51.4.2
Mammogenese in der Schwangerschaft und Laktogenese
In der Schwangerschaft kommt es zu einem kräftigen Wachstumsschub und einer Drüsendifferenzierung in erster Linie durch die plazentaren Hormone (Östrogene, Progesteron). Die Bedeutung des plazentaren Laktogens (HPL) beim Menschen scheint in erster Linie mit dem Wachstum des Brustdrüsengewebes in der Schwangerschaft zu liegen (Cox 1996). Zahlreiche andere Hormone (Relaxin, Prolaktin, Thyroxin, Insulin) haben ebenfalls Anteil an der Brustdrüsendifferenzierung und Vorbereitung der Sekretionsfähigkeit der Zellen (Laktogenese). Diese sekretorischen Zellen kleiden die Alveolen aus, in deren Lumen sich zunächst das Kolostrum und nach der Geburt die Milch bilden. Die Alveolen und die von den Alveolen ausgehenden Milchgänge sind von einem Netz kontraktiler Zellen umgeben, die der Milchejektion dienen. Die Vorbereitung für die Milchbildung ist in der zweiten Schwangerschaftshälfte soweit ausgebildet, dass die Laktation nach einer Fehl- oder Frühgeburt in Gang kommen kann. Beim Menschen hat das HPL neben der möglichen Rolle bei der Mammogenese eine Bedeutung bei der Induktion und gleichzeitigen Blockierung von Prolaktinrezeptoren, wodurch Prolaktin gehindert wird, während der Schwangerschaft die Laktation zu initiieren (Peters 1987).
51.4.3
Milchbildung, Galaktogenese
Das Ingangkommen der Laktation ist hormonell gesteuert. Durch den Wegfall der hohen Spiegel der in der Plazenta ge-
Aufrechterhaltung der Milchbildung und Abgabe der Milch, Galaktopoese und Galaktokinese
> Die wirksamsten Stimuli für die Milchproduktion und -abgabe sind der Saugreiz an der Mamille und die regelmäßige und vollständige Entleerung der Brüste.
Die produzierte Milchmenge nimmt einerseits ab, wenn diese Entleerung nicht erfolgt, andererseits können Frauen über den kindlichen Bedarf hinaus Milch produzieren, wenn regelmäßig an der Brust getrunken wird. Die hormonellen Voraussetzungen für die Milchbildung und -abgabe entstehen durch das Anlegen und vorhandene oder sich durch das Stillen ausbildende kindliche und mütterliche Reflexe. Kindlicherseits sind dies die Such- (oder Rooting-), Saug- und Schluckreflexe, die sich bereits in der ersten Schwangerschaftshälfte entwickeln und im 3. Trimenon auch beim Frühgeborenen bereits funktionieren. Such- und Saugreflex haben in den ersten Lebensminuten ein erstes Maximum. Der Saugreiz an der Mamille induziert durch einen neurohumoralen Reflex die Bildung und Ausschüttung von Prolaktin (Hypophysenvorderlappen) und Oxytozin (Hypothalamus bzw. Hypophysenhinterlappen). Der Reiz wird von afferenten Nervenendigungen der Mamille über das Rückenmark und Mittelhirn zum Hypothalamus geleitet (. Abb. 51.2). So entsteht ein Regelkreis, in dem Prolaktin den Milchbildungsreflex für die Milchsynthese und Oxytozin den Milchejektionsreflex oder Let-down-Reflex durch Kontraktionen der glatten perialveolären Muskelfasern für die Beförderung der Milch in die Milchgänge auslöst. Ein weiterer mütterlicher Reflex, der Erektionsreflex der Brustwarze, erleichtert das kindliche Umfassen der Brustwarze. Dass auch höhere Zentren als die im Schema dargestellten (. Abb. 51.2) für den Stillvorgang eine Rolle spielen, ist erwiesen. Bereits das Weinen eines hungrigen Kindes führt zur Ausschüttung der für den Stillvorgang wichtigen Hormone (Peters 1987). Umgekehrt ist bekannt, dass Angst und Stress das Stillen verunmöglichen können über die Hemmung der Oxytozinausschüttung. Die mit jeder Stillperiode ansteigenden Prolaktinwerte sowie auch die basalen Prolaktinwerte nehmen in der Post-partum-Phase trotz steigender Milchproduktion kontinuierlich ab. Diese vermeintliche Diskrepanz dürfte auf Rezeptorebene eine Erklärung haben (Peters 1987). Auch die
51
1112
Kapitel 51 · Stillen
51.4.6
Zusammensetzung der Frauenmilch
> Im Vergleich zur Kuhmilch ist die Frauenmilch eiweißarm, kohlenhydratreich (besonders Laktose) und mineralarm. Im Fettgehalt unterscheidet sich die reife Frauenmilch nicht von der Kuhmilch. Nur das Kolostrum, die Vormilch, ist fettarm. Das spiegelt sich auch im Brennwert wider.
Wie . Tabelle 50.1 zeigt, verändert sich die Milchzusammensetzung während der Laktationsphase: 4 In den ersten 3–4 Tagen nach der Geburt ist das eiweißreiche und fett- und kohlenhydratarme Kolostrum verfügbar. Diese Neugeborenenmilch ist energiearm und leicht verdaulich und führt dem Kind die wichtigen Globuline zur passiven Immunisierung zu. Durch den hohen Karotingehalt ist das Kolostrum von gelblicher Farbe. 4 Etwa weitere knapp 14 Tage lang wird die sog. transitorische Frauenmilch oder Übergangsmilch gebildet. In dieser Zeit nimmt der Eiweißgehalt ab, die Kohlenhydratund Fettkonzentrationen nehmen zu. 4 Danach wird die reife Frauenmilch gebildet.
51
. Abb. 51.2. Schema der durch Saugen an der mütterlichen Brust entstehenden Regelkreise. (Mod. nach Netter 1981)
episodische Ausschüttung von Oxytozin führt in den ersten 2–3 Monaten der Laktationsphase zu höheren Spiegeln als in der späteren Stillphase (Peters 1987). Wie . Abb. 51.2 schematisch zeigt, hat das durch den Saugreiz induzierte Oxytozin einen weiteren Ansatzpunkt: am Uterus. Dieser physiologische Mechanismus erklärt den geschilderten mütterlichen Vorteil einer beschleunigten Uterusinvolution durch stilleninduzierte Uteruskontraktionen.
51.4.5
Kindliches Saugen an der Brust
Rooting- und Saugreflex bewirken, dass die Lippen, Kiefer und Zunge des Kindes die mütterliche Brustwarze und den Warzenhof voll umfassen und mit den Lippen luftdicht abschließen. Durch dieses luftdichte Abschließen entsteht beim Saugen in der kindlichen Mundhöhle ein Unterdruck, der die Milch in die mamillennahen Milchgänge befördert. Insbesondere werden durch das schnelle rhythmische Saugen die kutanen Nerven stimuliert und über Oxytozinausschüttung der Milchspendereflex ausgelöst. Das Kind fängt dann an, in langsamerem Rhythmus die einschießende Milch abzutrinken. Die Füllung des Mundes schließlich triggert den Schluckreflex (Geddes et al. 2008)
Neben den in . Tab. 51.1 aufgelisteten Nähr- und Mineralstoffen zeichnet sich die Frauenmilch gegenüber Kuhmilch durch höhere Konzentrationen an langkettigen ungesättigten Fettsäuren aus. Sie sind bedeutsam als Vorstufen der Prostaglandine und spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des kindlichen Immunsystems, beim Aufbau von Zellmembranen und bei der Myelinisierung im ZNS (Neville 2001). Schutz gegen Infektionen stellen auch die in der Muttermilch vorhandenen Zucker dar. Die Laktose fördert das Wachstum bestimmter Stämme der Laktobazillen und verhindert das Überwuchern anderer Darmkeime (Peters 1987). Einer der stickstoffhaltigen Zucker ist der Bifidusfaktor, der besonders das Wachstum des Lactobacillus bifidus anregt. Während einer Mahlzeit wird dem Kind quasi ein »3Gänge-Menü« angeboten: Vordermilch, Hauptmilch und »gemischte Milch« (Lutz 1997b): 4 Die 1. Portion, die Vordermilch, ist wässrig, fettarm und durstlöschend. 4 Etwa 2–3 min nach dem Anlegen folgt die so genannte Hinter- oder Hauptmilch, die fett- und energiehaltiger ist. 4 Wird das Kind anschließend an der 2. Brust angelegt, erhält es dort die so genannte gemischte Milch, die Mischung aus Vorder- und Hauptmilch. Darüber hinaus ist weiterhin gesichert, dass die Art der mütterlichen Ernährung die Milchzusammensetzung beeinflusst. Hierdurch ändern sich besonders der Vitamingehalt und die Lipidzusammensetzung der Milch.
1113 51.4 · Entwicklung der Brustdrüse und der Physiologie der Laktation
. Tab. 51.1. Zusammensetzung von Kolostrum, Übergangs- und reifer Frauenmilch und Kuhmilch jeweils pro 100 g. (Nach Scherz u. Senser 2000; Peters 1987)
Kolostrum (2.–3. Tag)
Übergangsmilch (6.–10. Tag)
Reife Milch
Kuhmilch
Energie
[kcal]
56
65
69
66
Protein
[g]
2,6
1,6
1,1
3,3
Fett
[g]
2,9
3,5
4,0
3,5
Kohlenhydrate
[g]
4,9
6,6
7,0
4,8
Cholesterin
[mg]
k. A.
29
25
Natrium
[mg]
54
29
13
47
Kalium
[mg]
64
64
47
150
Kalzium
[mg]
29
40
29
120
Phosphor
[mg]
k. A.
18
15
95
Magnesium
[mg]
3
3,5
3
Eisen
[μg]
48
40
58
Zink
[μg]
k. A.
351
134
Iod
[μg]
k. A.
2,41
5
Selen
[μg]
1
1
3
Kupfer
[μg]
46
54
35
Mangan
[ng]
1100
k. A.
712
Vitamin A
[μg RE]
169
143
69
Vitamin D
[ng]
k. A.
k. A.
67
Vitamin E
[μg TE]
1100
514
278
Vitamin K
[ng]
k. A.
k. A.
483
Vitamin C
[mg]
k. A.
5,5
6,5
Vitamin B 1
[μg]
10
20
15
Vitamin B2
[μg]
k. A.
4
38
Vitamin B6
[μg]
k. A.
k. A.
14
Folsäure
[μg]
k. A.
0,5
8,0
Niacin
[μg]
k. A.
180
170
Pantothensäure
[μg]
k. A.
290
210
Vitamin B12
[ng]
k. A.
36
50
Biotin
[ng]
k. A.
400
580
18:47:35
10:49:41
7:53:39
Relation Protein: Fett: Kohlenhydrate in % der Energie k. A.=keine Angabe.
7,5
k. A.
51
1114
Kapitel 51 · Stillen
Tipp Empfehlung
51
5 Die täglich produzierte Milchmenge nimmt entsprechend dem Bedarf und der Häufigkeit des Anlegens bzw. der Brustentleerung zu. Als Faustregel für die täglich benötigte Trinkmenge in den ersten 3–8 Lebenstagen kann gelten: Lebenstage minus 1 mal 70 ml [(z. B. Tag 5: (5–1) × 70=280 ml] (Lutz 1997b). 5 Ab der 2. Lebenswoche und bis zum 4. Lebensmonat soll der Tageskonsum 1/6–1/5 des kindlichen Gewichts in Milliliter betragen (z. B. 8. Tag, Gewicht 3500 g: Bei 1/6 ergeben sich 580 ml). 5 Mit diesen Trinkmengen nimmt das Kind im 1. Vierteljahr täglich 25–30 g Gewicht zu und im 2. Vierteljahr 20–25 g. Damit hat sich das Geburtsgewicht nach 4 Monaten verdoppelt (Peters 1987).
51.5
Praktische Aspekte des Stillens
51.5.1
Vorbereitung auf das Stillen in der Schwangerschaft
51.5.2
Beginn des Stillens bei Geburt
Sofern es außergewöhnliche Umstände nicht verbieten, soll das erste Stillen im Kreißsaal erfolgen. Hierzu ist der erste und möglichst ungestörte Hautkontakt zwischen Mutter und Kind sehr wichtig. Routinemaßnahmen sollten in dieser Phase vermieden werden.
Die Vorteile des frühen Stillens für die Mutter (Biancuzzo 2005) 4 4 4 4
Früheres Einsetzen der Milchsekretion Milchmenge entspricht besser dem Bedarf des Kindes Seltener verstärkter initialer Milcheinschuss Förderung der Mutter-Kind-Beziehung und besseres Zutrauen der Mutter in ihre Fähigkeiten 4 Physiologische Unterstützung der Plazentalösung durch Triggerung der Oxytozinausschüttung 4 Aus gleichen Gründen Verringerung der Nachblutung aus der Plazentahaftstelle
Die Vorteile des frühen Stillens für das Kind
Wie die Schritte 1–3 der »10 Schritte zum erfolgreichen Stillen« (7 Kap. 51.3.3) vermitteln, beginnt die Weichenstellung für erfolgreiches Stillen bereits in der Schwangerschaft durch kompetente und ausführliche Beratung, die ein Vorbereiten auf das Stillen ermöglicht. Dabei gilt es, werdende Mütter und Eltern über die Vorteile und praktischen Aspekte des Stillens zu informieren und zum 6-monatigen ausschließlichen Stillen zu motivieren. Da es in der Gesellschaft und den Familien keine Stilltradition mehr gibt, übernimmt das medizinische Fachpersonal eine führende Rolle beim Wiederaufbau einer Stillkultur. > Wichtig ist die Einheitlichkeit der Information, die vom medizinischen Fachpersonal der jeweiligen Klinik an die Schwangeren weitergegeben wird. Gefordert wird ein schriftlich vorliegender Pflegestandard Stillen (BFHI und Nationale Stillkommission; www. bfr.bund.de).
Auch die werdenden Eltern sollen mit objektivem Informationsmaterial (z. B. Stillinformationen im Mutterpass, wie es z. B. die Nationale Stillkommission vorbereitet hat) versorgt werden. Dazu ist in einer Klinik idealerweise ein Stillbeauftragter (Experte) sowohl verantwortlich für die Beratung und Betreuung der stillenden Frauen wie auch für die Erarbeitung von Stillrichtlinien, die Organisation der Weiterbildung und die Durchführung der Qualitäts- und Erfolgskontrolle in der jeweiligen Klinik. Die Brust muss nicht zum Stillen vorbereitet werden. Flach- und Hohlwarzen können durch das Tragen von Brustwarzenformern und durch einige Übungen unter kundiger Anleitung günstig beeinflusst werden. Bereits in der Schwangerschaft sollten Stillpositionen und geschicktes Halten des Kindes geübt werden.
4 Kolostrum wirkt abführend, so dass seltener Hyperbilirubinämien vorkommen 4 Infektionsgefahr wird durch hohen Anteil an Immunglobulinen reduziert 4 Saugen und früher Hautkontakt stehen im Zusammenhang mit längerer Stillzeit
Während der Geburt an die Mutter verabreichte Analgetika können das physiologische Stillverhalten nachteilig beeinflussen. Die Nationale Stillkommission betont daher in ihren Empfehlungen die Notwendigkeit, die gebärende Frau bei der Auswahl geburtserleichternder Medikamente über eventuelle Einflüsse auf ihr Befinden und die Agilität ihres Neugeborenen zu unterrichten und in die Entscheidung mit einzubeziehen. Frauen nach Kaiserschnittentbindung sollten, sobald sie ansprechbar sind, den ersten körperlichen Kontakt haben und anlegen. Hier bietet die Peridural-/Spinalanästhesie offensichtliche Vorteile, da bereits im Operationssaal die Möglichkeit des Hautkontaktes gegeben ist.
51.5.3
Stillen nach Bedarf
Es ist eine generelle Erfahrung, dass das gesunde reife Neugeborene keinerlei Zufütterung braucht, wenn es selbst den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme bestimmen kann, d.h. gestillt wird, wenn es hungrig schreit (»self demand feeding»). Diese Art des Stillens fördert die Milchbildung und das gute Gedeihen des Kindes und vermeidet viele der sonst üblichen Stillschwierigkeiten. Nach einigen Wochen stellt sich automatisch ein Stillrhythmus mit längeren Pausen bei längeren Stillzeiten ein, und der kindliche Organismus synchronisiert sich trotz des anfänglichen nächtlichen Stillens auf einen Tag-Nacht-Rhythmus.
1115 51.5 · Praktische Aspekte des Stillens
Ein 24-h-Rooming-in in den ersten Lebenswochen des Kindes ist dafür eine entscheidende organisatorische Voraussetzung. Die Mutter lernt so am besten die Hungerzeichen des Kindes kennen. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, der Mutter darzustellen, dass der Bedarf auch von ihr ausgehen kann. So ist es legitim, das Kind zu wecken, wenn die Brust schmerzhaft zu voll ist.
51.5.4
Stilltechniken
Eine wichtige Aufgabe des Pflegepersonals ist es, den Müttern die »Babysprache« zu übersetzen und die richtige Stilltechnik in korrekter mütterlicher und kindlicher Position zu zeigen. Die stetige Hilfe im Wochenbett ist für viele Frauen unverzichtbar, um Selbstvertrauen im Umgang mit dem Kind und dem eigenen Körper zu bekommen. Am Anfang auf der Wochenbettstation und besonders in der Nacht schätzen viele Frauen das Stillen im Liegen. Seiten- und Rückenlage der Frau sind möglich. Später wird i. d. R. die sitzende Position vorgezogen. Körperlicher Komfort in diesen Positionen mit Abstützung durch Kissen muss angeleitet werden. Es ist wichtig, dass die Mutter zunächst an sich denkt und z. B. ausreichend Getränke in ihrer Nähe hat. Dies ist ebenso wichtig wie Zeit und innerliche Ruhe der Frau, um entspannt stillen zu können. > Das Anlegen des Kindes soll in den ersten Lebenstagen immer an beiden Brüsten erfolgen. In der Regel soll die erste Brust die sein, die beim letzten Stillvorgang die letzte war. Da 90% der Milch in den ersten 4–7 min getrunken werden, jedoch 2–3 min vergehen müssen, bis der Milchfluss durch den Let-downReflex entsteht, ist eine 10- bis 15-minütige Stilldauer an einer Brustseite i. d. R. die gebräuchliche Empfehlung (Prime et al. 2007). Wichtig ist es aber zu wissen, dass es unterschiedlich kindliche Trinktypen gibt, die die Dauer der Stillmahlzeit sehr individuell beeinflusst.
Brust- und Brustwarzenpflege soll Wundwerden und Rhagadenbildung im Brustwarzenbereich vermeiden und Keimansammlungen verhindern, die Ausgangsstelle für eine Mastitis werden könnten. Die Mutter sollte unterschiedliche Stillpositionen kennen, um durch variierende Haltung des Kindes eine punktuelle Druckbelastung zu verringern. Des Weiteren ist es wichtig, dass die Mutter das korrekte Anlegen ohne Belastung der Brustwarze kennenlernt. Daneben sind tägliches Duschen oder Waschen mit seifenfreiem Wasser, Verzicht auf desinfizierende Lösungen und eine gute adäquate Händehygiene und -pflege wesentlich in der Vermeidung von Infektionen.
51.5.5
Ernährung der stillenden Frau
Der Energiebedarf einer stillenden Frau ist im Vergleich zu demjenigen einer Schwangeren um den Energieanteil der abgegebenen Milch und den Energieaufwand zur Produktion
dieser Milch erhöht. Nach den entsprechenden Empfehlungen sind das maximal 2100 kJ täglich. > Für 1 l Muttermilch sind etwa 3700–4200 kJ erforderlich.
Wird dieser Mehrbedarf an Energie nicht durch die Nahrung gedeckt, können die in der Schwangerschaft i. d. R. angelegten Fettdepots zur Energiegewinnung genutzt werden; dies ist für viele Frauen in gutem Ernährungszustand auch eine (willkommene) Möglichkeit abzunehmen. Qualitativ unterscheidet sich die wünschenswerte Nahrungszusammensetzung für die Frau in der Stillzeit wenig von der für die Frau in der Schwangerschaft. Hier wie dort besteht ein Mehrbedarf an Proteinen, Kalzium, Spurenelementen und Vitaminen.
Empfohlene Nährstoffzufuhr pro Tag für die ausschließlich stillende Frau in den ersten 4 Monaten post partum (D.A.CH 2001) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Eiweiß: 65 g Kalzium: 1000 mg Magnesium: 390 mg Eisen: 20 mg Iod: 200 μg Zink: 11 mg Vitamin A: 1,5 mg Vitamin D: 5 μg Vitamin E (α-TE) 17 mg Vitamin A: 60 mg Vitamin B1: 1,4 mg Vitamin B2: 1,6 mg Folate: 500 μg Vitamin C: 150 mg
Die Einhaltung dieser Empfehlungen hat zwar keine positive Auswirkungen auf die Milchzusammensetzung, verhindert aber in erster Linie eine Entleerung der mütterlichen Speicher zugunsten der produzierten Milch. Tipp Empfehlung Die Mutter sollte ihre Ernährung genau wie in der Schwangerschaft qualitativ überdenken. Ein wesentlicher Mehrbedarf im Sinne der Quantität besteht nicht. Auch neuere Empfehlungen bestätigen, dass auch die quantitative Aufnahme von Fetten sich bei schwangeren und stillenden Frauen nicht von der restlichen Bevölkerung unterscheidet. Allerdings wird empfohlen, auf die ausreichende Zufuhr von Fischölen zu achten (DHA 200 mg/ Tag), z. B. durch 2 Seefischmahlzeiten pro Woche. Dies soll für die kognitive Entwicklung der Kinder günstig sein (Koletzko et al. 2007). Muttermilch verändert ihren Geschmack mit der Ernährung der Mutter, daher wird die Geschmackssensi-
6
51
1116
Kapitel 51 · Stillen
Tipp bilisierung von gestillten Kindern geschult. Untersuchungen zu dem Einfluss von Nahrung und kindlicher Koliken zeigen immer wieder, dass insbesondere die Förderung des ausschließlichen Stillens in den ersten Lebensmonaten einen sehr günstigen Einfluss hat (Canivet et al. 2008). Nahrungseinschränkungen ergeben sich nach wissenschaftlicher Überlegung nicht. Es gibt aber viele tradierte in den Kulturen unterschiedliche Empfehlungen. Die von der Mutter getrunkenen täglichen Flüssigkeitsmengen haben keinen Einfluss auf die Muttermilchmengen (Morse et al. 1992).
51
51.5.6
1988 hat das Konsensus-Treffen in Bellagio auf der Basis von 13 prospektiven Studien die Voraussetzungen definiert, die Stillen zum sicheren kontrazeptiven Schutz machen: 5 ausschließliches Stillen, 5 eine Amenorrhö, 5 häufiges Anlegen (mindestens 5-mal pro Tag) und 5 lange Stilldauer (mindestens 10 min pro Stillmahlzeit). Der Schutz vor einer unerwünschten Schwangerschaft ist so größer als 98%. Danach ist Stillen, richtig angewandt, als Kontrazeptivum 6 Monate post partum gleich effektiv wie andere kontrazeptive Maßnahmen post partum.
Antikonzeption während des Stillens
Stillen hat einen hemmenden Einfluss auf die reproduktiven Vorgänge. > In der Regel treten in den ersten 4–5 Wochen post partum – auch wenn nicht gestillt wird – weder Menses noch Ovulationen auf.
In den ersten 3 Wochen post partum besteht eine physiologische Infertilität, in der Ovarien und Hypophyse offenbar refraktär gegen physiologische Stimuli sind. Als wahrscheinlichste Ursache für diesen hypogonadotropen Zustand werden endogene mütterliche Opiate diskutiert. Später sind die hohen Prolaktinspiegel für die Laktationsamenorrhö verantwortlich. Wie geschildert, sind die Basis-Prolaktinwerte bei stillenden Frauen höher als bei nichtstillenden Frauen, und mit jedem Stillgang erhöht sich das mütterliche Prolaktin phasenhaft. Als Mechanismen werden eine Senkung des LH und FSH und eine Veränderung der GnRH-Pulsatilität diskutiert (Bohnet et al. 1988). Eine Schwangerschaft wird verunmöglicht durch anovulatorische Zyklen oder eine insuffiziente Lutealphase. Es ist wichtig, für die Beratung die Voraussetzungen zu kennen, die Stillen zum sicheren kontrazeptiven Schutz machen, da ansonsten die Schwangerschaftsraten entsprechend ansteigen (. Abb. 51.3).
Werden die Voraussetzungen nicht erfüllt oder ist eine zuverlässigere Verhütung notwendig oder erwünscht, müssen andere Formen der Antikonzeption erwogen werden. Ohne Einfluss auf Milchqualität und -quantität sind chemische und mechanische Verhütungsmethoden und Intrauterinspiralen. Hier sollten i. d. R. die Beendigung des Wochenflusses und Rückbildungsvorgänge abgewartet werden bzw. Dehnung und Größenverhältnisse der Scheide nach Geburt berücksichtigt werden, wenn bereits vor der Schwangerschaft mechanische Antikonzeptiva (Diaphragma) angewandt wurden. Viel diskutiert wurde die Unbedenklichkeit hormoneller Kontrazeptiva, da Östrogene einerseits laktationshemmende Eigenschaften haben und andererseits negative Auswirkungen auf das kindliche Gedeihen durch in die Milch übertretende Hormone gefürchtet werden. Letzteres, obwohl ein relativ großer Gradient zwischen Milch- und mütterlichem Serumspiegel für Steroide existiert. Tipp Unumstritten ist die reine Gestagenpille (z. B. als östrogenfreie Pille: Desogestrel) für die Post-partum-Kontrazeption, die idealerweise 6–8 Wochen nach der Geburt begonnen wird.
. Abb. 51.3. Anstieg der kumulativen Schwangerschaftswahrscheinlichkeit nach der Geburt in Abhängigkeit von Stillen und Verhütung bei australischen Müttern. (Nach Short et al. 1991)
1117 51.6 · Stillprobleme
51.6
Stillprobleme
51.6.1
Stillprobleme oder -besonderheiten von Seiten des Kindes
Stillen von Zwillingen Mehrlinge können ausreichend gestillt werden. Für die Zwillingsmutter bestehen anfänglich besondere Herausforderungen. Diese bestehen in der Mehrbeanspruchung der Brustwarzen, der Sorge um die ausreichende Milchmenge für beide Kinder, der Technik des Anlegens beider Kinder und der Organisation des Stillens nach Bedarf für beide Kinder (Kerkhoff Gromada 2007). Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass das Milchvolumen sich dem Mehrbedarf anpasst, dass aber das Stillen eine große, auch körperliche Beanspruchung der Frau darstellt. Ausreichende Ernährung, emotionale Unterstützung durch die Umgebung und viel Ruhe sind für die stillende Frau hier besonders zu fordern. Da 2 Kinder die Brustwarzen mehr beanspruchen, sind Vorbereitung, Pflege der Brustwarzen und korrekte Anlegetechnik der Kinder besonders wichtig für Zwillingsmütter. Es wird empfohlen, am Anfang die Kinder einzeln zu stillen, damit die Mutter Übung erhält und die individuellen Besonderheiten der Kinder erkennen lernt (Lutz 1997b). Mit einer gewissen Erfahrung können Zwillinge sehr gut gleichzeitig gestillt werden. Eine sehr bequeme mütterliche Position dazu ist das Sitzen und die Haltung der Kinder in der in . Abb. 51.4 wiedergegebenen Position (Lutz 1997b). Die Kinder werden dabei mit dem Körper dem mütterlichen Körper zugewandt wie Brotlaibe unter den rechten und linken Arm der Mutter genommen und die Köpfe mit Unterstützung an die Brüste herangebracht. Mit Kissen kann die Position erleichtert werden.
Stillen von Frühgeborenen Das Lösen der Schwierigkeiten, die beim Stillen von Frühgeborenen auftreten können, erfordert z. T. größere Anstrengungen. Einerseits hat für die körperliche und geistige Entwicklung des Frühgeborenen die Muttermilch eine besonders große Bedeutung (Colaizy u. Morriss 2008), andererseits sind zahlreiche Stillhindernisse zu überwinden. Die Saugkraft von sehr kleinen Frühgeborenen ist oft nicht ausreichend, den mütterlichen Milchfluss ausreichend in Gang zu bringen, der ohnehin im frühen Gestationsalter geringer ist. Die Milchbildung muss durch ein entsprechendes Regime gefördert werden(Ahmed 2008). Hierzu sind häufiges Anlegen, meist elektrisches Pumpen und wenn irgendwie möglich der enge (Haut-) Kontakt zwischen Mutter und Kind sehr hilfreich. Unter diesen Maßnahmen wird es oft erreicht, dass auch Frühgeborene bei ihrer Entlassung ausschließlich gestillt werden. Bei sehr kleinen bzw. unreifen Frühgeborenen muss die zusätzliche Substitution von Mineralien, Eiweiß und Vitaminen bedacht werden (Weber et al. 2001). Frühgeborene sind öfters nicht in der Lage, beim Saugen ein ausreichendes Vakuum zu bilden. Dies kann durch entsprechende Unterstützung durch die Mutter ausgeglichen werden (Dancer-Handgriff; (Biancuzzo 2005). Die Finger-, Becher- Flaschen- oder Sondenfütterung ist allerdings oft un-
. Abb. 51.4. Günstige Stillposition beim gleichzeitigen Stillen von Zwillingen. (Aus Lutz 1997b, mit frdl. Genehmigung des SchattauerVerlags)
erlässlich. Spezielle Regime auf den Neugeborenen Intensivstationen können aber dennoch dazu beitragen, dass auch sehr kleine Frühgeborene letztlich mit Muttermilch ernährt werden können(Pietschnig, Siklossy et al. 2000).
Andere kindliche Stillhindernisse oder -probleme Neben Unreife bzw. Erkrankungen, die häufig mit Unreife assoziiert sind, gibt es weitere allgemeine oder lokale Hindernisse für das Stillen. Bei Herzfehlern und Atemwegserkrankungen z. B. riskiert eine Interferenz des Saugens und Schluckens mit der Atmung bzw. der erhöhte Sauerstoffverbrauch durch die Aktivität Trinken eine Verschlechterung der Sauerstoffversorgung. Lokale Hindernisse können Mikrognathie und Spaltbildungen der Mundhöhle sein. Auch ein verkürztes Zungenbändchen kann das Stillen behindern.
51.6.2
Stillprobleme oder -besonderheiten von Seiten der Mutter
Nicht ausreichende Milchmengen Bei sehr ängstlichen Frauen, bei Frauen mit starken Schmerzen nach der Geburt, wenn das Stillen nicht in Ruhe und im geschützten Raum stattfinden kann, wenn die Beratung lieblos und inkompetent erfolgt und – selten (Peters 2000) – wenn eine Agalaktie oder primäre Hypogalaktie besteht, kann die Situation entstehen, dass wegen nicht ausreichender Milch nicht ausschließlich bzw. nicht ausschließlich von Beginn an gestillt werden kann. ! Es entsteht ein Circulus vitiosus, der im raschen Abstilllen endet. Unsicherheit und Ängstlichkeit (Adrenalin- und Endorphinausschüttung) hemmen die Oxytozinsekretion und Milchejektion. Bei verzögertem Milcheinschuss sollte eine Plazentaretention und eine Hypothyreose ausgeschlossen werden.
51
1118
Kapitel 51 · Stillen
Stillprobleme bei schmerzhaften und wunden Brustwarzen, bei Milchstau und Mastitis Wunde Brustwarzen mit blutigen Einrissen und Rhagaden im
Warzenhof sind nicht nur sehr schmerzhaft, sondern stellen auch Eintrittspforten für Keime dar, sodass einer Mastitis Vorschub geleistet werden kann. Neben Pflegefehlern und fehlerhaftem Stillmanagement kann falsches Saugen durch falsches Anlegen Ursachen dieses Problems sein (Kinlay et al. 2001). Auch Hohl-, Schlupf- oder Flachwarzen können durch erschwertes Trinken des Kindes an der Brust wund und gereizt werden. Wunde Brustwarzen treten gut zu 1/3 nach der Geburt auf und sollten wegen des möglichen Abstillfaktors beachtet werden. Verschiedene zum größten Teil nicht auf ihre Evidenz untersuchte Therapieansätze finden ihre Anwendung (Centuori et al. 1999; Akkuzu u. Taskin 2000; Amir et al. 2004).
51
Tipp Die Hilfe muss den unterschiedlichen Krankheitsbildern angepasst werden. Bei wunden Brustwarzen ist das Aufbringen von Lanolin (z. B. Lansinoh) nachgewiesenermaßen sehr hilfreich für eine raschere Wundheilung und Schmerzreduktion (Abou Dakn et al. 2010). Beim Milchstau sollte die Ursache beseitigt werden und der Abfluss somit erreicht werden. Bei der infektionsbedingten Mastitis puerperalis ist neben den konservativen Maßnahmen in der Regel eine effiziente Antibitikatherapie notwendig (Abou-Dakn u. Wöckel 2007).
Candida-Infektion der Brust Candida-Infektionen der Brust sind im letzten Jahrzehnt sehr häufig geworden (ca. 18% aller Frauen mit schmerzhaften Brustwarzen). Grund hierfür ist vermutlich der verbreitete Einsatz von Antibiotika peripartal (Lawrence 2002) und der frühzeitige Einsatz von Flaschensaugern (Morrill et al. 2005). Sie treten typischerweise nach Wochen bis Monaten post partum auf. Folgende Symptome bei der Mutter sind möglich: 4 Selten Pruritus, Rötung oder Hautabschilferungen, weiße bläschenartige Flecken und/oder glänzende Haut des Mamillen-Areola-Komplexes, 4 verletzte Brustwarzen, die nicht abheilen, 4 häufig: brennende, einschießende starke Schmerzen während und/oder nach dem Stillen, ausstrahlend zur Brustwand, in Rücken und Arm, die sich durch Änderung der Anlegeposition oder -technik nicht beheben lassen. Eine Diagnose ist nicht einfach, denn Brustwarze und Brust können trotz Infektion normal aussehen. Eine Milchkultur gibt keinen eindeutigen Aufschluss, da das Lactoferrin in der Muttermilch den Candidasporen das Eisen entzieht und somit die Proben falsch negativ ausfallen (Morrill et al. 2003). Theoretisch kann der Zusatz von Eisen einen Nachweis möglich machen. Die Differenzierung zwischen normaler Hautkolonisation und pathologischem Wachstum ist jedoch ebenfalls schwierig.
Symptome beim Kind können ebenfalls auftreten: 4 orale Candidose, 4 Windeldermatitis, 4 schnalzende Geräusche beim Stillen (durch Schmerzen in der Mundhöhle), 4 Ablehnen oder wiederholtes Loslassen der Brust. Therapie. Eine gleichzeitige Behandlung von Mutter und
Kind ist sehr wichtig, um eine gegenseitige Wiederansteckung zu vermeiden. Es gibt keine guten kontrollierten klinischen Studien zur optimalen Behandlung von Candida-Infektionen bei stillenden Mutter-Kind-Paaren (Lawrence u. Lawrence 2005). Die Liste möglicher Therapeutika ist lang, und ihre Anwendung basiert auf Erfahrungen und anekdotenhaften Berichten. Eine Candidose der Schleimhäute wird mit topischen Mitteln wie Nystatin, Clotrimazol, Miconazol, oder Econazol und weiteren Azolen der 2. und 3. Generation (Ketoconazol, Fluconazol usw.) behandelt. Der Mamillen-AreolaKomplex sowie die Mundschleimhaut des Kindes werden täglich alle 3 h eingestrichen (Scheele 2001). Die Behandlung sollte 2 Wochen lang nach Abklingen der Symptome fortgesetzt werden. Falls die Therapie mit topischen Mitteln trotz konsequenter Durchführung nicht wirkt, ist eine systemische Therapie mit Fluconazol angezeigt: als Startdosis 1-mal 400 mg, gefolgt von 100–200 mg/Tag bis 2 Wochen nach Symptomfreiheit. Die Brustwarze sollte zusätzlich mit Nystatin-Creme behandelt werden. Das Kind erhält Nystatin lokal oder Fluconazol oral 3–6 mg/kg KG/Tag. Es bestehen keine Bedenken, mit der Medikation zu stillen (Schaefer et al. 2006), allerdings muss die Mutter über den »off-label use« informiert werden, da auf dem Beipackzettel keine Indikation in der Stillzeit beschrieben ist.
Milchstau Milchstau kann bei mangelhafter Brustentleerung entstehen, wenn das Kind nicht genügend trinkt, zuviel Milch gebildet oder der Milchfluss durch beengende Kleidung (BH) durch Kompression behindert wird. Vorhandene Rhagaden erleichtern den Keimeintritt, und die Stauung fördert die Keimvermehrung. Ein Milchstau kann aber auch durch Stress provoziert werden. So führt der Stress über vermehrte Prolaktionausschüttung zu einer vermehrten Milchbildung, gleichzeitig wird durch Adrenalin die Ausschüttung und die Rezeptorbindung des Oxytozins vermindert. Es entsteht ein Milchstau. Zusätzlich kommt es stressbedingt zu einer Vermehrung der Entzündungsmediatoren in der Muttermilch, sodass entzündliche Gewebsreaktionen zunehmen (Wockel et al. 2008). Vom Milchstau ist der in den ersten Tagen auftretende überschießende Milcheinschuss zu differenzieren, der Ausdruck eines Lymphödems ist und durch die stärkere Durchblutung der Brust bedingt ist. Er tritt insbesondere dann auf, wenn am 1. Tagen die Brust nicht ausreichend entleert wurde. Des Weiteren muss der Milchstau von der durch Bakterien bedingten Mastitis puerperalis unterscheiden werden. Die Beseitigung der Ursache und die Entleerung der Brust sind daher die Therapien der Wahl beim Milchstau.
1119 51.6 · Stillprobleme
Tipp Klinisch kann in den ersten Tagen eine infektionsbedingte Mastitis puerperalis und ein Milchstau kaum unterschieden werden. Die Laborparameter sind bis auf eine etwas ausgeprägtere Leukozytose kaum unterschiedlich. Theoretisch kann die Muttermilch auf Leukozyten und Bakterienqualität und -quantität untersucht werden. Praktischer ist es jedoch, zunächst (nach Ausschluss eines Abszesses) durch Entleerung der Brust nach entsprechenden Maßnahmen (7 oben: »Milchstau«) den Verlauf abzuwarten. Nach 24 h sollte eine Besserung der Symptomatik erfolgen. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte eine Antibiotikatherapie eingeleitet werden (Abou-Dakn u. Wöckel 2007).
Die primäre Ursache einer Mastitis ist Milchstase (bei Milcheinschuss, Milchstau, Hyperlaktation, plötzliche Abnahme der Stillfrequenz usw.), die von einer Infektion mit Bakterien, in sehr seltenen Fällen mit Hefepilzen, gefolgt werden kann. Stress oder Verletzungen der Brustwarze begünstigen eine Infektion. Bei Candida-Infektionen der Brustwarze kommt es ebenfalls häufiger zu einer Superinfektion mit weiteren Keimen. Der am weitesten verbreitete Auslöser einer infektiösen Mastitis ist Staphylococcus aureus. Weitere möglichen Erreger sind Staphylococcus epidermis, Corynebakterien, Escherichia coli und andere Gram-negative Bakterien, Gruppe-A-Streptokokken, Streptococcus pneumoniae spp. und Bakteroide. Selten kommen auch Candida albicans und in Endemiegebieten (<1% der dort auftretenden Mastitisfälle) auch Mycobacterium tuberculosis vor (Lawrence 2002). Als Infektionsweg wird in aller Regel eine interstitielle Ausbreitung über Schrunden und Rhagaden der Mamille entlang der Lymphspalten vermutet. Seltener findet sich die kanalikuläre Form. Aus den Milchgängen wird die Infektion in das Drüsenparenchym und umgebende Stroma weitergeleitet. Hämatogene Verbreitungen wurden ebenfalls in Einzelfällen berichtet. Tipp Frauen sollten trotz Mastitis motiviert werden weiter zu stillen oder die Brust zu entleeren. Ein Abstillen in dieser Phase würde zu zusätzlichen Staus der Brust führen, die den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen würden. Als Ausnahme für das Weiterstillen gilt die akute beidseits auftretende Mastitis, die ein Hinweis für aggressive Keime, z. B. β-hämolysierende Streptokokken sein könnte. In diesen Fällen sollte bis zum Wirkungseintritt der Antibiotika die abgepumpte Milch verworfen werden.
Oberfläche, oft in der Nähe der Areola. Gelegentlich finden sich Abszesse auch in der Tiefe des Brustdrüsengewebes, auch submammär, also oberhalb des Pektoralismuskels. Fieber ist nicht immer vorhanden. Eine Sonographie der Brust zeigt, ob es bereits zur Gewebeeinschmelzung mit Abszessbildung gekommen ist. Für die Bestätigung der Diagnose kann sonographisch gesteuert Pus aspiriert werden. Die Differenzialdiagnose beinhaltet Galaktozele, Fibroadenom oder Karzinom. Therapie. Zur Therapie wird der Abszess mittels Inzision oder Punktion entfernt. Der Nachteil der Inzision ist die dabei erforderliche Vollnarkose und die größere Belastung für die Patientin. Die Punktion unter Sonographiesicht kann unter Lokalanästhesie ambulant erfolgen. Sie kann in ca. 70% der Fälle eine Inzision ersetzen (Abou-Dakn u. Wöckel 2007). Bei der Abszessinzision wird die Abszesshöhle entleert und ausgeräumt, ggf. mit Drainage und Gegeninzision. Die Abszesshöhle wird täglich gespült, und die Drainage wird belassen, bis das Wundexsudat reduziert und sauber erscheint. Bei einer großzügigen Eröffnung ist keine Antibiotikatherapie mehr notwendig. Die Abszesshöhle granuliert meist problemlos innerhalb der nächsten 4 Wochen. Die Punktion der Abszesshöhle erfolgt unter Sonographisicht mit einer 1,1–1,9×80-mm-Kanüle. Einige Autoren verwenden auch Sonden und Drainagen. Eine zusätzliche systemische Antibiotikatherapie ist erforderlich. Die Punktion wird täglich wiederholt, bis der Abszessdurchmesser nicht mehr sicher zu punktieren ist, i. d. R. bei Durchmesser <4 mm. Bei hoher Viskosität kann die Abszesshöhle mit Kochsalzlösung gespült werden, ggf. auch mit einer Antibiotikalösung. Iodlösungen sollten wegen des Eiweißfehlers nicht mehr eingesetzt werden. Ein Abstillen ist weder bei der Punktion noch bei der Inzision erforderlich. Der Areolabereich sollte bei beiden Eingriffen möglichst verschont werden, um ein Weiterstillen zu ermöglichen und ein späteres Stillen nicht zu gefährden. Die Strecke zwischen Abszess und Haut sollte jedoch nicht zu groß sein, um die Keime nicht zu verschleppen. Eine Milchfistel kann entstehen, heilt aber bis zum Ende der Stillzeit meistens ab.
51.6.3
Kontraindikationen zum Stillen
! Kontraindikationen zum Stillen sind sehr selten. In Industriestaaten gelten schwere konsumierende Erkrankungen und HIV-Positivität der Mutter sowie langzeitige Einnahme milchgängiger Medikamente, deren Auswirkungen auf das Kind nachteilig sind, als kontraindiziert; diese Wöchnerinnen sollten nicht stillen. Hier ist ein primäres Abstillen angezeigt (7 unten).
Mammaabszess Nach einer Mastitis entwickelt sich in etwa 4–11% der Fälle ein Abszess (Amir u. et al. 2004). Es zeigt sich ein schmerzhafter Knoten mit Rötung, die Haut darüber ist geschwollen. Verfärbungen und Nekrose der Haut können hinzukommen. Abszesse befinden sich mehrheitlich subkutan und an der
Hepatitis Die derzeitige Datenlage für Hepatitis C (HCV) macht es unwahrscheinlich, dass durch den Stillvorgang bei chronischer HCV eine Virusübertragung erfolgt. Trotz fehlender Daten bleibt ein weiterhin bestehendes theoretisches Risiko diskuta-
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Kapitel 51 · Stillen
bel: Theoretisch könnte es bei hoher Viruslast über blutende Wunden (z. B. bei Verletzungen der Brustwarzen) zu einer Infektion des Säuglings kommen. In der Beratung der Mütter sollten daher beide Aspekte berücksichtigt werden: 4 Hepatitis-C-positve Mütter können nach entsprechender Beratung zum Stillen ermuntert werden. 4 Hepatitis-C-positve Mütter sollten entsprechend professionell begleitet und unterstützt werden, um möglichst blutende Verletzungen der Brustwarzen zu vermeiden.
51
In dem sehr seltenen Fall einer akut zum Zeitpunkt der Entbindung oder kurz danach erworbenen Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus sollte vom Stillen abgeraten werden, da die Viruskonzentration sehr hoch ist und bei gleichzeitig noch fehlenden neutralisierenden Antikörpern das Infektionsrisiko in dieser Phase als hoch einzuschätzen ist. Eine allgemeine Stillempfehlung für HCV-RNA-positive Mütter kann daher nicht gegeben werden (hierzu s. auch die aktualisierten Informationen der Nationalen Stillkommission; NSK).
Milchgängigkeit von Medikamenten Der Übertritt der Medikamente aus dem mütterlichen Plasma in die Milch (Milchgängigkeit) wird von der Höhe der Konzentration im mütterlichen Blut, von der Lipidlöslichkeit, der Plasmaeiweißbindung und vom pH-Wert bestimmt. Der vom Neugeborenen aufgenommene Medikamentenanteil aus der Milch hängt neben der Konzentration in der Milch und
der Trinkmenge von der Resorption im kindlichen MagenDarm-Trakt ab. Daneben bestimmen die Verteilung im Körper des Neugeborenen und die (oft verzögerte) Verstoffwechslung die pharmakologische Wirkung (Schneider 1993). Bei chronischer Einnahme durch die Mutter kann es so zu einer Akkumulation mit der Erreichung von therapeutischen oder sogar toxischen Konzentrationen beim Neugeborenen kommen (Schneider 1993). . Tab. 51.2 gibt für die wichtigsten Medikamentengruppen einen Überblick über beobachtete Auswirkungen auf das gestillte Kind. In Abhängigkeit von der Dosierung und Dauer der notwendigen Einnahme stellen einige Medikamente im Interesse der mütterlichen Behandlung eine Kontraindikation für das Stillen dar, d. h. es muss abgestillt werden.
Stillen bei mütterlichem Suchtverhalten und Genussmittelabusus ! Sucht erzeugende Drogen (Opiate, Kokain und Crack, Cannabisprodukte u. a.) haben eine große Milchgängigkeit und stellen bei mütterlicher Abhängigkeit eine absolute Kontraindikation für das Stillen dar.
Da die Kinder i. d. R. diesen Drogen in der Schwangerschaft in höherer Konzentration ausgesetzt waren, sollte das anfängliche Stillen mit schrittweisem Ausschleichen genutzt werden, um die oft schweren Entzugssymptome dieser Kinder nach der Geburt zu mildern (Kashiwagi et al. 2005).
. Tab. 51.2. Beobachtete Wirkungen einiger Medikamentengruppen auf das Neugeborene. (Nach Knörr et al. 1989; Schneider 1993)
Medikamentengruppe
Beobachtete Auswirkungen auf das Neugeborene
Besonderheiten
Analgetika, Antipyretika, Antirheumatika
Schläfrigkeit, verminderter Muskeltonus, Trinkschwäche, metabolische Azidose und Störungen der Thrombozytenfunktion (Salizylate)
Hohe Dosen, chronische Einnahme
Antiasthmatika
Erregbarkeit, Tachykardie (Theophyllin); Unterdrückung der Schilddrüsenfunktion (iodhaltige Präparate); Unterdrückung der Nebennierenfunktion (Kortikosteroide)
Hohe Dosen, chronische Einnahme
Antiinfektiva
Knochenmarkdepression (Chloromycetin); Zahnverfärbung, Einfluss auf Knochenwachstum (Tetracykline); Ikterus (Sulfonamide), Hämolyse bei G-6-P-D-Mangel (Nitrofurantoin); Erbrechen, Blutbildveränderung, neurologische Auffälligkeiten (Metronidazol)
Risiko theoretisch, da geringe Milchgängigkeit; bei Einmaltherapie Stillen 24–48 h aussetzen
Antikoagulanzien
Keine (Heparine) bzw. keine, wenn gleichzeitig Vitamin K (orale Antikoagulation) eingenommen wird
Keine Milchgängigkeit; fraktioniertes und unfraktioniertes Heparin
Antikonvulsiva
Schläfrigkeit, Trinkschwäche (Phenobarbital), sonst keine
Keine Milchgängigkeit; Phenytoin und Valproinsäure
Diuretika, Kardiaka
Verstärkter Ikterus (Chlorothiazid, Furosemid); Sedierung (Reserpin)
Risiko Chlorothiazid theoretisch, da Milchgängigkeit gering
Laxanzien
Bauchkrämpfe, Diarrhöen
–
Psychopharmaka
Muskelhypotonie, Schläfrigkeit
Hohe Dosen, chronische Einnahme
Thyreostatika
Unterdrückung der Schilddrüsenfunktion
–
1121 51.8 · Gesetzliche Regelungen zum Schutz von Stillenden
Nachteilig für die Milchqualität ist auch mütterlicher Zigaretten- und Alkoholkonsum während der Stillperiode. Nikotin und andere Schadstoffe aus der Zigarette sowie Alkohol gehen rasch in die Milch über. Zum Thema Rauchen hat die Nationale Stillkommission mit einer Publikation Stellung bezogen (2001) und für die Beratung folgende praktische Hinweise gegeben: 4 Ideal ist, während der Monate des Stillens nicht zu rauchen. 4 Wenn geraucht wird, sollte sich die Stillende um ständige Reduktion der Zigarettenzahl bemühen. Ein sehr starker Konsum ist mit der Stillfähigkeit und dem Gedeihen des Kindes schlecht vereinbar. 4 Angesichts der Möglichkeit der passiven Aufnahme von Rauchbestandteilen sollte in der Nähe des Kindes nie geraucht werden. 4 Die Belastung der Milch mit einigen der schädlichen Stoffe kann die Mutter durch bewusste Rauchpausen vor dem Stillen reduzieren. Ein typisches Beispiel ist das Nikotin, dessen Konzentration in der Milch während einer einstündigen Rauchpause deutlich abnimmt. Nikotin senkt die Prolaktinspiegel und reduziert so die Milchmenge. Dies zeigen epidemiologische Untersuchungen. Trotz der häufig gestellten Frage nach dem Effekt des Nikotins auf das Stillen und auf die Gesundheit des Kindes, gibt es hierzu wenig belastbare Studien. Die Empfehlung der Nationalen Stillkommission diesbezüglich wird z. Z. überarbeitet. Neuere Publikationen sollen bei dieser Fragestellung Beachtung finden. Alkohol wirkt in geringen Mengen fördernd und in großen Mengen hemmend (durch eine reduzierte Oxytozinsekretion) auf die Milchejektion. Die Milchalkoholkonzentration (MAK) gleicht sich der mütterlichen Blutalkoholkonzentration (BAK) an, wobei die MAK theoretisch nie höher als 4‰ werden kann. Tipp Eine Empfehlung zum Stillverzicht beim Rauchen erscheint in Anbetracht der geschilderten Vorteile des Stillens als nicht sinnvoll. Auch bei mäßigem Alkoholkonsum wird das Stillen empfohlen.
! Bei hohem Alkoholkonsum (1–2 g/Tag/kg KG) sollte nicht gestillt werden. Das Kind selbst ist allerdings über die Muttermilch nicht zu alkoholisieren.
Nähme eine Frau z. B. auf nüchternen Magen 20 g Alkohol zu sich, was zu BAK und MAK von ca. 0,6‰ führt, so enthalten 100 g Milch 0,06 g Alkohol. Auf ein Körpergewicht von 3000 g verteilt führt dies beim Kind zu einer BAK von 0,02‰ (0,04‰ bei einer Trinkmenge von 200 g).
51.7
Abstillen
Die natürliche Entwöhnung vom Stillen erfolgt schrittweise, indem nach den wünschenswert empfohlenen 6 Monaten des ausschließlichen Stillens – bzw. frühestens ab dem 5. Lebens-
monat – die Beikostzufütterung beginnt. Entsprechend der geschilderten Stillphysiologie reduziert das Kind selbst die Trinkmengen dadurch, dass es bei den Beikostmahlzeiten nicht angelegt wird und sich die Milchproduktion parallel zum abnehmenden Bedarf verringert. In dieser Phase verändert sich die Zusammensetzung der Muttermilch wieder. Sie ähnelt zunehmend dem Kolostrum. Dieses natürliche sekundäre Abstillen kann unterstützt und beschleunigt werden durch kalte Umschläge und z. B. Trinken von Salbei- oder Pfefferminztee, was sich negativ auf die Milchproduktion auswirken soll. Wenn die Brust aufgrund des geringeren Abtrinkens zu sehr spannt, sollte die Mutter die Milch in geringerem Maße per Hand entleeren; so kann ein Milchstau durch das Ausstreichen der Milch vermieden werden (Walker 2006). Primäres Abstillen kann notwendig sein bei Totgeburt, Weggabe des Kindes zur Adoption, einigen schweren mütterlichen Erkrankungen und Langzeiteinnahme milchgängiger Medikamente, die das Kind gefährden können. Der häufigste Grund bleibt aber der Wunsch der Mutter, nicht zu stillen. Obwohl theoretisch auch beim primären Abstillen die weitere Milchbildung durch eine Stauungsinvolution verhindert werden kann, ist dieses Verfahren wegen der Schmerzhaftigkeit wenig akzeptiert. In der Regel wird daher heute medikamentös abgestillt, ggf. mit physikalischen Maßnahmen unterstützt (Hochbinden der Brüste, Kühlen). Mittel der Wahl bei den Medikamenten sind Hemmer der Prolaktinsekretion (Dopaminagonisten bzw. Serotoninantagonisten). Alle gängigen Verfahren sind jedoch mit entsprechenden z. T. neurologischen Nebenwirkungen behaftet, sodass die Mütter hierüber kritisch aufgeklärt werden sollten.
51.8
Gesetzliche Regelungen zum Schutz von Stillenden
Das Mutterschutzgesetz ist die rechtliche Grundlage zum Schutz von stillenden Frauen vor gesundheitlichen Schäden und Nachteilen am Arbeitsplatz. Es liefert auch die Basis für die Möglichkeit, trotz Berufstätigkeit stillen zu können. Im Einzelnen sind dies: 4 Mutterschutzfrist (geregelt in § 6) 6 Wochen vor und 8 Wochen nach einer normalen Entbindung, 12 Wochen bei Frühgeburten und Mehrlingen. 4 Arbeitsschutz für stillende Mütter (§ 6, Abs. 2 und 3), Stillende dürfen nicht über ihre Leistungsfähigkeit hinaus gefordert werden (ärztliches Attest). Körperlich anstrengende oder schädigende Tätigkeiten dürfen nicht ausgeübt werden. 4 Stillpausen (geregelt in § 7) … auf Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde freizugeben. Durch Stillzeiten darf kein Verdienstausfall eintreten, Vor- oder Nacharbeiten der Stillpausen ist nicht gestattet. 4 Mehrarbeit, Nacht- und Sonntagsarbeit (§ 8): Stillende dürfen nicht mit Mehrarbeit, nicht in der Nacht zwischen 20 und 6 Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden. Ausnahmeregelungen sind möglich.
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1122
Kapitel 51 · Stillen
Literatur
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51
52 52 Nachuntersuchung M. Franz, F. Kainer 52.1
Postpartale Kontrolle – 1126
52.1.1
Anamnese, Befindlichkeit, psychische Veränderungen – 1126
52.2
Gynäkologische Untersuchung – 1126
52.3
Klinische Untersuchung und weiterführende Diagnostik – 1127
52.3.1 52.3.2 52.3.3
Postpartale Kontrolle nach hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft – 1127 Postpartale Kontrolle nach Gestationsdiabetes – 1127 Therapeutische Richtlinien bei abnormen Befunden – 1128
52.4
Postpartale Kontrazeption – 1128
52.4.1 52.4.2 52.4.3 52.4.4 52.4.5 52.4.6 52.4.7 52.4.8 52.4.9
Kontrazeption und Stillen – 1129 Barrieremethoden – 1129 Intrauterinpessar – 1130 Postpartale hormonelle Kontrazeption – 1131 Natürliche Familienplanung – 1132 Postpartale Sterilisation – 1132 Operationsmethoden – 1133 Anästhesie – 1135 Komplikationen – 1135
Literatur – 1135
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1126
52
Kapitel 52 · Nachuntersuchung
Die Bedeutung der Nachuntersuchung nach dem Wochenbett hat sich in den letzten Jahren von einer rein geburtshilflichgynäkologischen Untersuchung zu einer wichtigen Vorsorgeuntersuchung mit Bedeutung für die Gesundheit der Frau in ihrem weiteren Leben verändert. Neben der postpartalen gynäkologischen Kontrolle und der postpartalen Kontrazeption, die bisher den Schwerpunkt der Nachuntersuchung darstellten, gewinnt v. a. die Nachuntersuchung nach Schwangerschaftserkrankungen wie z. B. dem Gestationsdiabetes und der Präeklampsie zunehmend an Bedeutung. Die Ursache dafür liegt einerseits in neuen Erkenntnissen der Forschung auf diesen Gebieten, andererseits aber sicherlich auch im zunehmenden Alter der Gebärenden und dem damit verbundenen Anstieg der vorbestehenden Grunderkrankungen. Auch Erkrankungen wie die postpartale Depression nehmen mit ansteigendem mütterlichem Alter und damit in ihrer Bedeutung bei der Nachuntersuchung zu. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes der Bundesrepublik Deutschland bringen heute Frauen in der Altersgruppe zwischen 30 und 34 Jahren die meisten Kinder auf die Welt. Noch Anfang der 1970-er Jahre hatten die 20- bis 24-jährigen Frauen in Deutschland die meisten Kinder auf die Welt gebracht. Seit den 1990-er Jahren können nun zunehmende Geburtenzahlen nur noch in den Gruppen der 30- bis 49-Jährigen beobachtet werden, Frauen unter 30 Jahren bekommen immer weniger Kinder (Statistisches Bundesamt 2007). Diese demographischen Änderungen lassen dem Frauenarzt eine zunehmend zentrale Rolle in der Vorsorge späterer Erkrankungen und als Präventivmediziner der ihm anvertrauten Patientinnen zukommen.
Als Ursache dieser Erkrankungen wurden lange Zeit die hormonellen Belastungen in der Schwangerschaft und der Hormonentzug nach der Geburt diskutiert, nach neueren Studien scheint aber kein Zusammenhang zwischen hormonellen Veränderungen und der Häufigkeit von postpartalen Depressionen oder Psychosen zu bestehen. Die Diagnosestellung ist der erste wichtige Schritt, da der Verlauf durch psychiatrische Therapieverfahern teils deutlich abgekürzt werden kann. Eine psychiatrische Konsultation sollte daher bereits bei Verdacht angeboten bzw. durchgeführt werden. Im Gegensatz zum Baby Blues gibt es für die Post-partum-Depression Risikofaktoren, zu denen neben der Beziehung zum Partner auch das erhöhte oder sehr junge mütterliche Alter zählen. Mütter mit unkooperativen Partnern oder in Konfliktsituationen haben ebenso ein erhöhtes Risiko wie Frauen, die bereits eine depressive Periode in ihrer Anamnese haben. Als auslösende Ursache kann in einigen Fällen eine Hypothyreose gefunden werden (Lauper 2006). Insbesondere die Puerperalpsychose ist eine ernstzunehmende Erkrankung, bei der eine Gefahr für Mutter und Kind besteht und eine psychiatrische Therapie unbedingt durchgeführt werden muss. Allen Formen ist gemeinsam, dass sie aus verschiedenen Gründen zu selten diagnostiziert werden, einerseits aus fehlendem Ansprechen von Seiten des Arztes, andererseits aus Angst und Scham der Frau. Weiterführende Informationen zum Thema postpartaler psychischer Erkrankungen sind in 7 Kap. 50 (»Wochenbett«) und 7 Kap. 53 (»Psychosomatik in der Geburtshilfe«) nachzulesen.
52.2 52.1
Postpartale Kontrolle
Die postpartale Kontrolle wird etwa 4–6 Wochen nach der Geburt durchgeführt. Neben einer gynäkologischen und allgemeinmedizinischen Routineuntersuchung wird v. a. auf allgemeine Befindlichkeit, evtl. Stillschwierigkeiten und postpartale Kontrazeption eingegangen.
52.1.1
Anamnese, Befindlichkeit, psychische Veränderungen
Stillschwierigkeiten, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände beeinträchtigen in den ersten Wochen nach der Geburt vielfach das allgemeine Wohlbefinden und sollten daher gezielt abgefragt werden. In der postpartalen Phase können neben diesen allgemeinen Erschöpfungszuständen aber auch psychische Störungen und Erkrankungen auftreten, die in drei Hauptformen unterschieden werden können (Lauper 2006; 7 Kap. 50): 4 Baby Blues, die postpartale Verstimmung 4 Post-partum-Depression, 4 Puerperalpsychose.
Gynäkologische Untersuchung
Neben den Fragen nach noch vorhandenen Schmerzen ist auch gezielt nach möglicherweise vorhandener Harn- oder Stuhlinkontinenz zu fragen. Folgende Punkte sind bei der Untersuchung zu beachten: 4 Inspektion von Abdomen, Vulva und Vagina (Narbeninspektion von evtl. Sectio, Episiotomie oder Damm-, Scheiden- oder Zervixrissen), 4 Beurteilung von Senkungszuständen von Vagina (Zystozele/Rektozelenbildung) oder Uterus (pressen lassen nach Spreitzen der kleinen Labien), 4 Beurteilung von Vagina und Portio auf Verletzungen, Blutungen, Entzündungen und Risse, 4 Nativabstrich aus dem Fornix vaginae (Soor, Reinheitsgrad, bakterielle Vaginose), 4 Je nach Vorbefund Abnahme eines zytologischen Abstrichs, 4 Palpation und Befundung von Uterus und Adnexen, 4 Ultraschalluntersuchungen bei Verdacht auf Plazentaretention oder unklaren Palpations-befunden. Bei unauffälligem Befund wird die nächste gynäkologische Kontrolle 6–12 Monate nach der ersten postpartalen Untersuchung empfohlen. Diagnostik und Therapie der geburtsbedingten Schäden am Beckenboden sind in 7 Kap. 40 (»Geburt und Beckenboden«) zusammengefasst und werden deshalb hier nicht weiter erläutert.
1127 52.3 · Klinische Untersuchung und weiterführende Diagnostik
52.3
Klinische Untersuchung und weiterführende Diagnostik
Der klinischen Untersuchung kommt mit dem demographischen Wandel zu immer älteren Müttern eine zunehmende Bedeutung zu. Folgende Befunde sollten bei allen Patientinnen auch nach einer unkomlizierten Schwangerschaft erhoben werden: Körpergewicht. Das Ausgangsgewicht sollte innerhalb der
ersten Monate nach der Entbindung wieder erreicht werden. Besonders eine übermäßige Gewichtzunahme während der Schwangerschaft führt aber vielfach zu einem dauerhaft erhöhten Gewicht. Diese Problematik sollte angesprochen werden und ggf. eine Ernährungsberatung empfohlen werden. Ebenso sollten die positiven Effekte von körperlicher Betätigung und Sport angesprochen und empfohlen werden. Brustuntersuchung. Die Untersuchung der Brust umfasst die Inspektion und Palpation der Brust und der ableitenden Lymphbahnen. Die Brustuntersuchung an der laktierenden Brust kann aber aufgrund der physiologischen Veränderungen Probleme bereiten. In der Schwangerschaft wird das Mammakarzinom häufig in einem fortgeschritteneren Staduim entdeckt, was auf die schlechtere palpatorische Abgrenzbarkeit von Tumorknoten und die geringere Sensitivität der Mammographie durch Ödembildung und Hyperämie des Brustgewebes zurückzuführen sein dürfte (7 Kap. 16). Gerade aufgrund dieser Tatsache, die so auch für die Laktationsperiode gilt, darf bei suspekten Befunden die weiterführende Diagnostik, z. B. mittels Feinnadelpunktion, nicht verzögert werden. Jedenfalls ist eine Patientin mit einem suspekten palpatorischen Befund immer zeitnah einer Spezialeinrichtung zur Mammadiagostik zuzuweisen. Blutdruck. Nach der Schwangerschaft gelten dieselben Normwerte für den Blutdruck wie bei allen anderen Frauen. Anämie. Bei einer Anämie in der Schwangerschaft sollte das Blutbild wieder im Normalbereich sein. Pathologische bzw. pysiologisch veränderte Befunde während der Schwangerschaft, wie z. B. erhöhte Lebertransaminasen bei Schwangerschaftscholestase oder erhöhte alkalische Phospahtase sollten ebenfalls wieder im Normalbereich sein. Urinbefund. Nach Präeklampsie oder Schwangerschaften mit rezidivierenden Harnwegsinfekten sollten die Werte wieder im Normbereich liegen. Bei auffälligen Befunden sollte eine weitere nephrologische Abklärung erfolgen.
Präeklampsie das HELLP-Syndrom. Bei Patientinnen mit schwangerschaftsinduzierter Hypertonie ist häufig die Abgrenzung zur vorbestehenden Hypertonie schwierig. Bei weiterhin erhöhtem Blutdruck muss bei diesen Patientinnen von einer chronischen Hypertonie ausgegangen werden und eine Überweisung zum Internisten erfolgen. Die weitere Diagnostik nach Präeklampsie sollte entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG 2008) folgende Parameter umfassen: 4 Blutdruckmessung: Hier gelten die entsprechenden Normwerte nichtschwangerer Frauen. Bei einer Erhöhung des Blutdrucks sollte immer eine Überweisung zum Internisten erfolgen. 4 Bestimmung von Serumkreatinin und Eiweißausscheidung inkl. Mikroalbuminurie im 24-h-Urin. 4 Bei persistierender Kreatininerhöhung oder Proteinurie muss eine Überweisung zum Nephrologen erfolgen. 4 Nach schwerer Präeklampsie/HELLP-Syndrom oder Early-onset-Präeklampsie (vor 34. SSW) kann ein Thrombophiliescreening, besonders auf Anti-Phospholipid-Antikörper-Syndrom, erfolgen. > Nach Präeklampsie ist das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Insult im weiteren Leben erhöht (Sibai et al. 1986; Edlow et al. 2009; Garovic u. Hayman 2007). Über 90% der Patientinnen entwickeln nach 20–25 Jahren eine chronische Hypertonie.
Dabei ist es jedoch wahrscheinlich, dass nicht die Präeklampsie selbst zu einer Erhöhung des späteren Risikos führt, sondern die Schwangerschaft – wie auch beim Gestationsdiabetes – ein bereits vorbestehendes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen demaskiert (Garovic u. Hayman 2007). Dies bietet die Chance, diese Patientinnen durch ihre Schwangerschaft zu identifizieren und ein längeres Fenster für Interventionen und Prävention zu öffnen. Insbesonders sollte auch versucht werden, weitere Risikofaktoren (Nikotin, Adpositas, Hyperlipidämie, metabolisches Syndrom) für kardiovaskuläre Erkrankungen zu identifizieren und diese zu behandeln. Nach Präeklampsie oder einem HELLP-Syndrom sollte auch das erhöhte Risiko einer Wiederholung in einer weiteren Schwangerschaft besprochen werden. Das Wiederholungsrisiko liegt zwischen 2% und 19%. In einer weiteren Schwangerschaft sollte zur Prävention ASS 75–150 mg tgl. eingenommen werden, da dadurch das Risiko für eine Präeklampsie um bis zu 19% und die perinatale Mortalität um bis zu 16% gesenkt werden (Knight et al. 2000).
52.3.2 52.3.1
Postpartale Kontrolle nach hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft
Die hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft werden unterschieden in die schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, die Präeklampsie und als Sonderform der schweren
Postpartale Kontrolle nach Gestationsdiabetes
Nach der Schwangerschaft bildet sich die diabetische Stoffwechsellage meistens – aber nicht immer – zurück. Bei Wöchnerinnen mit insulinpflichtigem Gestationsdiabetes sollten Blutzuckerwerte am 2. postpartalen Tag nüchtern und 2 h postprandial gemessen werden. Bei kapillären Nüchternwer-
52
1128
Kapitel 52 · Nachuntersuchung
. Tab. 52.1. Blutzuckerwerte des oralen Glukosetleranztests. (Nach European Diabetes Policy Group 1999)
Messzeitpunkt
Nüchtern
Nach 2 h
52
Kapilläres Vollblut
Venöses Plasma
[mg/dl]
[mmol/l]
[mg/dl]
[mmol/l]
<100
<5,5
<110
<6,0
Normal
100–109
5,6–5,9
110-125
6,1–6,9
Gestörte Glukosetoleranz
≥110
≥6
≥126
≥7,0
Diabetes mellitus
≤140
≤7,8
≤140
≤7,8
Normal
140–199
7,9–11,0
140–199
7,9–11,0
Gestörte Glukosetoleranz
≥200
≥11,1
≥200
≥11,1
Diabetes mellitus
ten >110 mg/dl oder >200 mg/dl postprandial erfolgt die weitere Betreuung durch den Internisten. Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG 2008) sollte bei normalen Werten 6–12 Wochen postpartal, unabhängig davon, ob die Mutter stillt, ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) durchgeführt werden. Bei normalen Ergebnissen sollte eine Wiederholung des oralen Glukosetoleranztests alle 2 Jahre durchgeführt werden. Für die Blutzuckerwerte des oralen Glukosetoleranztests gelten die in . Tab. 52.1 angegebenen Werte (European Diabetes Policy Group 1999). Empfohlen wird weiterhin die Information über und das Einleiten von diabtespräventiven Maßnahmen wie Gewichtsabnahme, regelmäßige sportliche Betätigung und Vermeidung kardiovaskulärer Risikofaktoren wie z. B. Nikotinabusus (DGGG 2008).
52.3.3
Therapeutische Richtlinien bei abnormen Befunden
Richtlinien bei abnormen Befunden 4 Hypertension: Eine Überweisung zur weiteren internistischen Kontrolle und Therapie ist angezeigt. Nikotinkarenz, Gewichtskontrolle. 4 Proteinurie oder erhöhte Nierenparameter im Serum: Eine Überweisung zum Internisten ist angezeigt. 4 Adipositas: Kalorienbewusste Ernährung, nach Möglichkeit unter Anleitung einer Diätassistentin, da während der Stillzeit eine ausgewogene, vitaminreiche Nahrungszufuhr erforderlich ist. Von »Hungerkuren« ist abzuraten. Regelmäßige körperliche Betätigung. 4 Pathologischer Glukosetoleranztest: Da durch eine Diätbehandlung die Manifestation eines Diabetes um Jahre hinausgeschoben werden kann, ist eine Behandlung mit anfangs kurzfristiger internistischer Kontrolle zu empfehlen. Bei pathologischem Zuckerbelastungstest während der Schwangerschaft und normalem
6
Bewertung
Testergebnis 6 Wochen nach der Geburt sind eine einmalige Kontrolle nach 1 Jahr und dann folgend 2-jährliche Kontrollen sinnvoll. 4 Harn-/Stuhlinkontinenz: Nach genauer Abklärung der Grunderkrankung (Stress-Urge-Inkontinenz) wird primär eine konservative Therapie durchgeführt. Eine kompetente physiotherapeutische Therapie ist einer primär operativen Therapie vorzuziehen. Erst nach erfolglosen konservativen Therapieversuchen ist eine operative Korrektur angezeigt. 4 Entzündungen: – Vaginalmykose: lokale Therapie mit Vaginalsuppositorien und -creme [Clotrimazol (Canesten), Miconazol (Gyno-Daktar), Econazol (Gyno-Pevaryl), Nystatin (Moronal) etc.]; Therapie mit Partnerbehandlung. – Trichomonadenkolpitis: orale Stoßtherapie mit Metronidazol (Clont, Flagyl), Tinidazol (Simplotan), Ornidazol (Tiberal) etc; empfohlen wird eine Einmaldosis von 2 g mit 24 h Stillpause; Partnerbehandlung obligat. – Bakterielle Kolpitis: Lokaltherapie mit Metronidazol, Tetrazyklin; orale Therapie mit Metronidazol und anderen Antibiotika bei Rezidivkopitis.
52.4
Postpartale Kontrazeption
Unter bestimmten Voraussetzungen ist durch das Stillen ein relativ sicherer Konzeptionsschutz gegeben (7 Kap. 51.5.6). Durch den Saugreflex erhöht sich der Prolaktinspiegel bei der Mutter. Dieser bleibt bei ausreichender Stillfrequenz und Stillintensität auf gleichbleibend erhöhtem Niveau und verhindert die pulsatile Sekretion von Gonadotropin-Releasing-Hormonen. Die Follikelbildung und die Östrogensekretion im Ovar bleiben aus, was zu einer Amenorrhö führt. Der vorübergehende Östrogenmangel ist die Ursache für die bei Stillenden vorhandene Trockenheit der Scheide und von Dyspareunien. Beim Abstillen fällt der Prolaktinspiegel
1129 52.4 · Postpartale Kontrazeption
rasch in den Normbereich ab, und meist findet in den nächsten 2–4 Wochen eine Ovulation statt.
52.4.1
Kontrazeption und Stillen
Studienbox Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr wurden während der Stillzeit 1,7% der Frauen in den ersten 6 Monaten, 7% in den ersten 12 Monaten und 13% in den ersten 24 Monaten schwanger (Short et al. 1991; 7 Kap. 51.5.6). In einer Studie von Diaz et al. (1991) betrugen die Schwangerschaftsraten in den ersten 6 Monaten 0,9%, nach 12 Monaten 17%. Das Konsensus-Meeting von Bellagio gibt das Risiko einer Schwangerschaft in den ersten 6 Monaten mit 2% an, wenn voll gestillt wird und gleichzeitig eine Amenorrhö vorhanden ist (Kennedy et al. 1989).
Tritt während des Stillens eine Blutung auf, so steigt das Risiko für eine Schwangerschaft steil an (Gray et al. 1990). Wenn nicht ausschließlich gestillt wird, nimmt das Risiko für eine Schwangerschaft ebenfalls zu. Ein 100 %iger Schutz vor einer Schwangerschaft bei nahezu voll stillenden Müttern besteht nur in den ersten 10 Wochen nach der Geburt. > Ist eine zu 100% sichere Kontrazeption auch nach 3 Monaten erwünscht, ist im 3. Monat mit einer zusätzlichen kontrazeptiven Maßnahme zu beginnen.
Auf jeden Fall ist eine zusätzliche kontrazeptive Maßnahme erforderlich, wenn folgende Bedingungen nicht mehr erfüllt sind: 4 Stilldauer < 6 Monate, 4 volle Stilltätigkeit (Intervall zwischen dem Stillen < 6 h, Stilldauer > 40 min), 4 Amenorrhö. Bei den zusätzlichen kontrazeptiven Maßnahmen sind reversible und irreversible Methoden zu unterscheiden. Die Auswahl der geeigneten Methode ist individuell sehr unterschiedlich und von verschiedenen Faktoren abhängig.
52.4.2
Barrieremethoden
Kondom Das Kondom ist die am häufigsten angewendete kontrazeptive Methode nach der Geburt. Bei gleichzeitigem Stillen der Frau sind keine zusätzlichen spermiziden Substanzen erforderlich. In Zusammenhang mit dem Stillen ist das Kondom ein zuverlässiger Konzeptionsschutz, der bereits beim ersten Verkehr nach der Geburt zu empfehlen ist. Da die Vagina vielfach noch nicht so gut durchblutet und feucht ist, sind lokal Gleitmittel zu empfehlen.
Scheidendiaphragma Das Scheidendiaphragma besteht aus einer mit Gummi überzogenen runden Drahtspirale. Es ist in verschiedenen Größen erhältlich und muss der Frau primär angepasst werden. Der Sitz ist dann richtig, wenn der hintere Rand im hinteren Scheidengewölbe liegt und wenn sich der vordere Rand hinter der Symphyse befindet; dabei muss die Portio innerhalb des Spiralringes zu tasten sein. Wird ein zu kleiner Durchmesser gewählt, so ist die Abdichtung durch das Diaphragma unzuverlässig, dagegen verursacht ein zu großes Diaphragma ein dauerndes Druckgefühl. Wurde bereits vor der Geburt ein Diaphragma verwendet, so muss es postpartal neu angepasst werden, da anfangs meist ein größerer Durchmesser erforderlich ist. Dies sollte bei der ersten postpartalen Kontrolle nach 4–6 Wochen erfolgen. Das Diaphragma wird vor dem Geschlechtsverkehr eingeführt, die Liegedauer soll ≥4 h, aber nicht mehr als 12 h betragen. Beim Auftreten der ersten Menstruation ist das Diaphragma erneut anzupassen. Im Gegensatz zur Anwendung des Kondoms soll beim Diaphragma auch beim Stillen eine spermizide Creme verwendet werden. > Die Versagerquote des Diaphragmas beträgt 2–4 Schwangerschaften pro 100 Anwendungsjahre bei zusätzlicher Anwendung einer spermiziden Creme (Döring u. Schicketanz 1986). ! Bei starker Retroversio uteri und bei ausgeprägtem Deszensus sowie bei Entzündungen ist das Diaphragma kontraindiziert.
Portiokappe Die Portiokappe besteht aus Zelluloid- oder Plastikmaterial; sie saugt sich bei sachgerechter Applikation auf der Portio fest und bildet so einen relativ zuverlässigen Abschluss der Vagina gegenüber dem Uterus. Die Kappe wird einige Tage vor der zu erwartenden Menstruationsblutung entfernt. Die Versagerquote liegt bei 7 auf 100 Anwendungsjahre. Wurde bereits vor der Schwangerschaft eine Portiokappe verwendet, so ist die Größe nach der Geburt neu festzulegen, da es durch die Geburt zu einer Größenveränderung der Zervix kommt. Die Anpassung erfolgt wie beim Diaphragma 4–6 Wochen nach der Geburt. Da das Einsetzen und Entfernen jedoch meist an einen Arzt gebunden ist, hat sich diese Methode nicht durchgesetzt. ! Kontraindiziert ist die Anwendung bei Zervixrissen, ausgedehnten Portioerosionen und Ovula Nabothi. Bei Vorhandensein von Endometritis und Adnexitis ist die Portiokappe ebenfalls kontraindiziert.
Scheidenkondom Neue Barrieremethoden sind die »femshields«, die in Analogie zum Kondom die Scheide vollständig auskleiden. Aufgrund der Größe des Produktes (lea contraceptivum) wird der Muttermund immer ausreichend bedeckt. Das aus Silikongummi hergestellte Material kann 48 h in situ verbleiben, ohne dass dadurch seine Wirkung beeinträchtigt wird. Das
52
1130
Kapitel 52 · Nachuntersuchung
Einsetzen und Entfernen kann problemlos von der Frau selbst durchgeführt werden. Ein individuelles Anpassen ist nicht erforderlich, da sich das Kondom in seiner Größe automatisch der Anatomie anpasst. Es kann daher auch ohne Probleme post partum verwendet werden. Eine gleichzeitige Verabreichung von spermiziden Cremes wird empfohlen, ist aber nicht unbedingt erforderlich.
52.4.3
Intrauterinpessar
Studienbox
52
Bei entsprechender Erfahrung ist auch bei Einlage innerhalb von 48 h nach der Geburt nicht mit einer erhöhten Rate von Infektionen, Blutungen und Perforationen zu rechnen (O’Hanley u. Huber 1992; Xu et al. 1994). Der Hauptnachteil einer Einlage unmittelbar postpartal ist die erhöhte Expulsionsrate (6–15%), die geringer ist, wenn die Einlage innerhalb der ersten 10 min nach der Ausstoßung der Plazenta erfolgt (Cole et al. 1984).
> Bei Einsetzen eines IUD während einer Sectio ist die Expulsionsrate niedriger als bei der unmittelbar postpartalen Anwendung. Bei prothahierten Geburtsverläufen oder nach einem vorzeitigen Blasensprung sollte aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos kein IUD gelegt werden.
Die Einlage eines IUD 1–4 Wochen post partum scheint mit einer erhöhten Perforationsrate verbunden zu sein (Sivan 1984). Üblicherweise ist daher eine Applikation 5–6 Wochen nach der Geburt im Rahmen der vorgeschriebenen Nachuntersuchung zu empfehlen. Es gibt keinen negativen Einfluss auf die Menge oder Qualität der Muttermilch durch kupferhaltige oder gestagenhaltige IUD. Die Gestagenspiegel in der Muttermilch sind sehr niedrig und haben keine nachteiligen Folgen auf das Kind (Heikkilä et al. 1984). Wirkungsweise. Das IUD inaktiviert die Spermatozoen und
reduziert die Spermienrate in den Eileitern. Die erhöhte Konzentration von Kupferionen oder das lokal verabreichte Gestagen sind in erster Linie für die spermizide Wirkung verantwortlich. Einsetzen des IUD. Vor dem Einlegen ist eine gynäkologische
Palpation des inneren Genitales notwendig, wobei in unklaren Fällen eine Sonographie zur Beurteilung der Größe und Lage des Uterus durchgeführt wird. Nach Desinfektion und Entfaltung der Vagina mit Spekula ist es in den meisten Fällen erforderlich, die Portio anzuhaken und in die Vagina hereinzuziehen. Eine Sondierung des Kavums (Uterussondenlänge) ist meist ohne Dilatation des Zervikalkanals möglich, ansonsten wird eine Dilatation mit Hegar-Stiften bis Stärke 4 durchgeführt. Nach Einführen eines
Applikators wird das IUD vorsichtig in das Cavum uteri platziert. Schwierigkeiten beim Einlegen können durch eine extreme Hyper- oder Anteflexion des Uterus hervorgerufen werden. Die praktische Durchführung der Insertion ist vom Typ des IUD abhängig. Der IUD-Faden wird auf eine Länge von 2 cm gekürzt. Bei einer Einlage unmittelbar nach der Entwicklung der Plazenta ist aufgrund der Perforationsgefahr auf eine Sondierung zu verzichten. Bei T-förmigen IUD ist die Öffnung der beiden Arme der Spirale bereits bei Erreichen des inneren Muttermundes zu empfehlen und die Spirale im geöffneten Zustand zum Fundus hochzuschieben, wodurch erneut die Perforationsgefahr herabgesetzt werden kann. Das Einlegen eines IUD im Rahmen einer Sectio ist problemlos durch die Uterotomiewunde möglich, wobei hier der Vorteil besteht, dass das IUD unter visueller Kontrolle exakt im Fundus platziert werden kann. Kontrolle des IUD. Nach der Einlage ist der korrekte Sitz durch eine Sonographie zu überprüfen. Der Pessar-FundusAbstand soll <2 cm betragen. Die Sonographie ermöglicht auch den Ausschluss einer eventuellen Perforation des Uterus durch das IUD. Eine Kontrolle des IUD wird nach der ersten folgenden Blutung durchgeführt. Wird das IUD unmittelbar nach der Geburt gelegt, erfolgt die erste Kontrolle nach 5–6 Wochen.
Formen von Intrauterinpessaren (IUD) Gräfenberg-Ring, Lippes-Schleife. Die Vorläufer der modernen IUD, deren Wirkung in einer lokalen Entzündung bestand, werden aufgrund ihrer Nebenwirkungen (Entzündungen, Schmerzen, Blutungsstörungen) nicht mehr eingesetzt. Kupferhaltige IUD. Die Einführung von kupferhaltigen IUD in den 1960-er Jahren führte zu einer Erhöhung der kontrazeptiven Verlässlichkeit; die Größe der IUD konnte reduziert werden, was die Nebenwirkungen (Schmerzen, Entzündungen, Expulsion) deutlich verringerte. Die Kupferionen wirken hemmend auf Spermien, sodass das IUD nicht als Abortivum wirkt, sondern primär die Schwangerschaft verhindert. Die Liegezeit beträgt je nach Produkt 4–8 Jahre. Die verschiedenen Typen sind unterschiedlich in ihrer Form und ihrem Kupfergehalt (Nova-T, TCu-380 Ag, Multiload 250, Multiload 375). Die Zahl steht für die Größe der Kupferoberfläche, Ag weist auf den Silberkern der Spirale hin (. Tab. 52.2). Gestagenhaltige IUD. Gestagenmedizierte IUD vereinigen die Wirkungsweise der klassischen Spirale mit der Gestagenkontrazeption. Die Liegedauer ist kürzer als bei kupferhaltigen Produkten. Um die Expulsionsrate zu veringern, wurden spezielle IUD entwickelt, die kein eigenes Gerüst haben, wo mehrere (6) kupferhaltige Hüllen übereinander liegen und wobei ein Fadenende mit einem speziellen Insertionsinstrument im Fundus des Uterus verankert wird (GyneFix, FlexiGard 330, CuFix330). Zum gleichen Zweck wurde ein IUD mit flexiblen T-förmigen Haltearmen konstruiert (CuSAFE 300), die das IUD
1131 52.4 · Postpartale Kontrazeption
. Tab. 52.2. Verschiedene Typen von Intrauterinpessaren
Name
Material
Form
Liegedauer
TCu-380 A
Polyäthylen, bariumsulfathaltig; Kupferdraht (314 mm2)
T-förmig
Bis zu 10 Jahre
mm2)
Y-förmig
5 Jahre
Y-förmig
5 Jahre
T-förmig mit flexiblen Armen
5 Jahre
Nova-T
Polyäthylen, bariumsulfathaltig; Kupferdraht (200 mit einem Silberkern
CuNova-T
380 mm2 Kupfer, ansonsten wie Nova-T mm2
Cu-Safe 300
Polyäthylen, bariumsulfathaltig; Kupferdraht 300
Multiload-250
Polyäthylen mit 2 flexiblen Armen, 250 mm2 Kupferdraht (2 Größen)
Gebogene Arme mit Sporen
5 Jahre
Multiload-375
375 mm2 Kupferdraht, ansonsten wie Multiload 250
Gebogene Arme mit Sporen
5 Jahre
Progestasert-IUD
Äthylenvinylacetat, 38 mg Progesteron, Bariumsulfat, 65 μg Progesteron/Tag
T-förmig
2 Jahre
Norgestrel-IUD,
Polyäthylen, 52 mg Levonorgestrel
Y-förmig
5 Jahre
Mirena; Levonova
(=20 μg Levonorgestrel/Tag)
GyneFix
Polypropylenfaden, 6 Kupferhüllen, 330 mm2
Länglich, flexibel
5 Jahre
bei Uteruskontraktionen funduswärts drücken (Kurz u. Meier-Oehlke 1991).
Komplikationen Ein erhöhtes Risiko einer Perforation besteht v. a. bei Zustand nach Sectio und retroflektiertem Uterus. Weiterhin ist ein stark anteflektierter Uterus mit dem Risiko einer Perforation an der Hinterwand verbunden. Das Einlegen des IUD verursacht bei sachgerechter Durchführung kaum Beschwerden, sodass bei stärkeren Symptomen immer an eine Perforationsverletzung gedacht werden muss. Bei unmittelbar post partum gelegtem IUD ist die Expulsionsrate erhöht, jedoch treten keine verstärkten postpartalen Blutungen oder Involutionsstörungen des Uterus auf.
Studienbox Das IUD-assoziierte Infektionsrisiko wird in neueren Studien (Buchan et al. 1990) geringer eingestuft als in den früheren Arbeiten (Faulkner u. Ory 1976). Entzündungen des inneren Genitales hängen v.a. mit der Einlage selbst zusammen, ansonsten ist kein erhöhtes Langzeitrisiko bei IUD-Trägerinnen festgestellt worden. Es besteht keine erhöhte Inferilitätsrate bei IUD-Trägerinnen nach Entfernung desselben (Skjeldestad 1992).
! Kommt es durch ein disloziertes IUD zu einer Schwangerschaft, ist mit einer erhöhten Rate von Eileiterschwangerschaften und Fehlgeburten zu rechnen.
Kontraindikationen unmittelbar post partum sind Entzündungen sowie verstärkte Blutungen oder eine fraglich vollständige Plazenta. Bei einer postpartalen Endometritis soll die Ein-
lage erst nach Ausheilen der Entzündung nach 3 Monaten erfolgen. Ansonsten gelten die gleichen Kontraindikationen wie bei einer Einlage 6 Wochen nach der Geburt. Dazu zählen ein Uterus myomatosus, Uterusfehlbildungen, Blutungen unklarer Genese, Kupferallergie sowie eine Antikoagulanzientherapie. Insgesamt ist das IUD als sicheres Kontrazeptivum in der Stillperiode anzusehen und hat v. a. den Vorteil, dass keine Nebenwirkungen für das Kind vorhanden sind. Es ist v. a. bei Frauen geeignet, die noch keine endgültige Kontrazeption (Sterilisation) wünschen. > Die Versagerquote des IUD ist vom Modell sowie von der Dauer der Anwendung abhängig und wird mit < 1–2 auf 100 Anwendungsjahre angegeben.
52.4.4
Postpartale hormonelle Kontrazeption
Kombinationspräparate Die Gabe von Kombinationspräparaten [Ethinylestradiol (EE), Gestagen] gilt in der Stillperiode als kontraindiziert, da Östrogene die Milchproduktion negativ beeinflussen. Sie verringern die Milchproduktion und beeinflussen die Qualität der Muttermilch. Ebenso wird ein kleiner Anteil der Steroide über die Milch ausgeschieden, sodass auch niedrig dosierte orale Kontrazeptiva nicht als Mittel der 1. Wahl in Frage kommen. Darüber hinaus ist in der Wochenbettphase das natürliche Thromboserisiko deutlich erhöht, sodass hier gänzlich, auch bei nicht stillenden Frauen, von einer oralen Kontrazeption Abstand genommen werden sollte. Neuere Kombinationspräparate, die anstatt des EE Estradiolvalerat enthalten, welches zu natürlichem Estradiol umgebaut wird, wurden an stillenden Frauen noch nicht untersucht und sind ebenso kontraindiziert.
52
1132
Kapitel 52 · Nachuntersuchung
Gestagenpille
52
Ist die orale Kontrazeption indiziert, so erfolgt die Verabreichung eines ausschließlich gestagenhaltigen Präparates [Levonorgestrel 0,03 mg (Microlut, Mikro-30 Wyeth, 28 mini), Norethisteron 0,35 mg (Micronovum)]. Die Milchsekretion wird nicht negativ beeinflusst, und es sind auch keine negativen Einflüsse auf das Kind durch niedrige Gestagenspiegel in der Milch bekannt. Für einen zuverlässigen Schutz ist die tägliche Einnahme zur gleichen Tageszeit eine wichtige Voraussetzung. Zwischenblutungen können auch bei vorschriftsmäßiger Einnahme auftreten. Die wesentliche kontrazeptive Wirkung besteht in einer Veränderung des Zervixschleims (Viskositätserhöhung, Abnahme der Spinnbarkeit), die zu einer verminderten Penetration der Spermien führt. Teilweise kommt es auch zu Implantationsstörungen durch Veränderungen des Endometriums. Desogestrel als Gestagenmonopräparat (Cerazette) führt bei vorschriftsmäßiger Einnahme zusätzlich zur Veränderung des Zervixschleims zur Ovulationshemmung. > Die Zuverlässigkeit der Minipille ist geringer als bei Kombinationspräparaten; da Stillen die Fertilität jedoch zusätzlich reduziert, ist mit einem zuverlässigen Konzeptionsschutz zu rechnen.
einer Ovulation in Zusammenhang steht; die Methode ist daher erst wieder zuverlässig einsetzbar, wenn regelmäßige Menstruationsblutungen auftreten.
52.4.6
Postpartale Sterilisation
Die Sterilisation als Methode der Schwangerschaftsverhütung ist erst seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Die erste Sterilisation im Rahmen einer Sectio wurde 1881 von Lungren beschrieben, durchgeführt wurde die Methode jedoch bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Seit der Erstbeschreibung sind über 200 verschiedene Methoden zur Sterilisationen bei der Frau dokumentiert (Siegler u. Grunebaum 1980). Der Hauptvorteil der Sterilisation im Wochenbett ist die Tatsache, dass die Frau die Zeit im Krankenhaus für einen Eingriff nutzen kann, für den sie sonst erneut stationär aufgenommen werden müsste. Die laparoskopische Sterilisation im Intervall ist prinzipiell zu bevorzugen; ein Eingriff im Wochenbett ist jedoch zu befürworten, wenn ein späterer Termin kaum eingehalten werden kann. Vor allem im Rahmen einer Sectio kann der Eingriff ohne zusätzliches Risiko durchgeführt werden.
Vorbedingungen Depotgestagenpräparate Depotgestagenpräparate [Medroxyprogesteronacetat (DepotClinovir), Norethisteronenantat (Noristerat)] werden intramuskulär in 3-monatlichen Abständen verabreicht und gewährleisten einen sicheren Konzeptionsschutz durch eine gleichzeitig vorhandene Ovulationshemmung neben den peripheren Gestagenwirkungen. Da die Hormonspiegel in der Milch jedoch deutlich höher sind und beim Kind ähnliche Spiegel wie bei der Mutter gefunden werden, kann die Verabreichung nur in Ausnahmefällen empfohlen werden. Für Gestagenimplantate gelten die gleichen Einschränkungen wie für die intramuskulär verabreichten Präparate. Das Gestagenimplantat Implanon (Etonogestrel) hat bei einer subkutanen Insertion in den ersten 3 Wochen nach der Geburt einen Konzeptionsschutz von 100 %. Daten zur Sicherheit bei der Anwendung während der Stillzeit sind derzeit nicht zur Verfügung. Nach Aufklärung der Entbundenen und Überwachung des Neugeborenen ist die subkutane Implantation jedoch eine sehr zuverlässige Methode mit geringen Nebenwirkungen.
52.4.5
Natürliche Familienplanung
Die Methoden der natürlichen Familienplanung sind in der Stillzeit nur begrenzt einsetzbar. Die Temperaturmethode ist nicht anwendbar, da eine ausreichende Nachtruhe meist nicht gewährleistet ist, sodass zusätzliche Temperaturschwankungen bestehen. Hat die Frau bereits Erfahrung mit der Zervixschleimbeurteilung, dann kann diese Methode mit Einschränkung auch in der postnatalen Phase angewendet werden. Allerdings kann sich der Zervixschleim auch verändern, ohne dass dies mit
Die Entscheidung zu einer Sterilisation sollte bereits während der Schwangerschaft getroffen werden. Nach entsprechender Aufklärung wird eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt. Bei Sterilisation im Rahmen einer Sectio sollte eine Frist von etwa 14 Tagen zwischen Einverständnis und Eingriff liegen. Das Einverständnis des Partners ist nicht erforderlich, er sollte jedoch in die Beratung mit involviert werden, bei der v. a. die einfacher durchzuführende Sterilisation des Mannes angesprochen werden sollte. In mehreren Gesprächen ist zu klären, inwieweit die Frau trotz anderer Alternativen die Sterilisation wünscht, da der Wunsch nach Refertilisation v. a. bei einer Sterilisation im Wochenbett deutlich höher (bis 10%) ist als bei einer Sterilisation im Intervall (Chi-I et al. 1992). ! Ist die Frau unsicher oder befindet sie sich in einem psychisch labilen Zustand, sollte keine Sterilisation im Wochenbett durchgeführt werden. Die Familienplanung muss abgeschlossen sein. Die Frau sollte älter als 30 Jahre sein, jedoch ist der Eingriff in individuellen Fällen auch bei jüngeren Frauen indiziert. Vor allem bei Frauen zwischen 25 und 30 Jahren, bei unstabiler Partnerbeziehung sowie nach dem ersten oder zweiten Kind ist das Risiko groß, den Eingriff später zu bereuen.
Die Narkosetauglichkeit muss gegeben sein, wobei v. a. zusätzliche Belastungen durch einen protrahierten Geburtsverlauf oder ein vermehrter Blutverlust mit einzubeziehen sind. Bei erhöhtem Thromboserisiko ist eine effiziente Thromboseprophylaxe durchzuführen.
1133 52.4 · Postpartale Kontrazeption
52.4.7
Operationsmethoden
Generelle Richtlinien Eine Sterilisation 4–6 Wochen nach der Geburt wird laparoskopisch durchgeführt, und die Koagulation der Tuben erfolgt üblicherweise mit der Elektrokauterisation. Für die Sterilisation im Wochenbett wird eine Minilaparotomie (Subumbilikalschnitt, kleine mediane Unterbauchlaparotonmie) bevorzugt eingesetzt. Ein laparoskopisches Vorgehen wurde auch für die Sterilisation im Wochenbett beschrieben; aufgrund der möglichen Komplikationen (Uterusperforation, Darmverletzungen) und der Zuverlässigkeit und Sicherheit des traditionellen Vorgehens wird derzeit der Minilaparotomie der Vorzug gegeben (Green u. Laros 1980; McDonell 1980). Die subumbilikale Lokalisation ist einerseits aus kosmetischen Gesichtspunkten sinnvoll, andererseits ist die Bauchwand hier sehr dünn. Ein bogenförmiger Hautquerschnitt (alternativ: kurzer Längsschnitt) von 3–5 cm ist ausreichend. Vor dem Eingriff ist darauf zu achten, ob aufgrund des Fundusstandes ein problemloses Aufsuchen der Adnexe möglich ist. Der Hautschnitt wird primär möglichst klein ausgeführt, bei Problemen soll aber großzügig von einer Erweiterung des Hautschnittes Gebrauch gemacht werden. Der Operationserfolg und die Operationsdauer sollen nicht unnötig durch eine zu kleine Laparotomie beeinträchtigt werden. Durch die Schlaffheit der Bauchdecken unmittelbar postpartal kann der Eingriff jedoch meist durch kleine Inzisionen (3 cm) durchgeführt werden. Das subkutane Fettgewebe wird bis zur Faszie durchtrennt. Anschließend werden die Faszie und das Peritoneum längs gespalten. Mit einem Bauchdeckenhalter oder durch kleine Spekula wird die Wunde gespreizt, um den Fundus uteri und die Tuben darzustellen. Die Tube wird mit einer atraumatischen Klemme gefasst, bis zum Fimbrienende verfolgt und die Unterbindung nach einer Methode durchgeführt, mit der der Operateur ausreichend Erfahrung hat. Die Laparotomie wird schichtweise verschlossen. Eine besondere Diät oder Schonung aufgrund des Eingriffes ist nicht erforderlich.
Elektrokoagulation Mit der bipolaren Koagulationszange wird die Tube in einem Bereich von etwa 3 cm durch mehrmaliges Koagulieren zerstört. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Gefäße in der Mesosalpinx nach Möglichkeit nicht miterfasst werden. > Thermokoagulation und Laserkoagulation der Tube zeigten keinen Vorteil gegenüber der Elektrokoagulation.
a
b
c . Abb. 52.1. Tubensterilisation nach Pomeroy. a Ligatur im mittleren Anteil der Tube mit resorbierbarem Nahtmaterial. b Resektion der unterbundenen Tubenanteile. c Auseinanderweichen der Stumpfenden nach Resorption des Nahtmaterials
Chirurgische Methoden Unter den chirurgischen Methoden haben 2 größere Bedeutung erlangt: die einfache Methode nach Pomeroy und die etwas kompliziertere nach Labhardt-Uchida.
Methode Pomeroy Clipsterilisation Heute werden meist Kunststoffclips verwendet. Die Clips werden im Bereich des Isthmus der Tube platziert und haben den Vorteil, dass nur ein kleiner Tubenanteil zerstört wird, sodass eine evtl. gewünschte Reanastomose größere Aussichten auf einen Erfolg hat.
Die Methode ist einfach, rasch durchführbar und hat eine weite Verbreitung gefunden. Im gefäßarmen mittleren Anteil wird die Tube mit einer Klemme hochgehoben, die dadurch entstandene Schlinge wird mit einem resorbierbaren Faden an der Basis doppelt ligiert und durchtrennt (. Abb. 52.1). Dabei ist darauf zu achten, dass sowohl das distale als auch das proximale Lumen eindeutig identifiziert werden und dass die Durchtrennung
52
1134
Kapitel 52 · Nachuntersuchung
nicht zu nahe an der Ligatur erfolgt. Nach Kontrolle auf ausreichende Blutstillung ist der Eingriff beendet. Nach Resorption des Nahtmaterials weichen die beiden Stumpfenden auseinander, und eine Peritonealisierung der Wundränder führt zum Verschluss der Tube. Eine Koagulation der Tubenenden soll nicht durchgeführt werden, da dadurch das Auseinanderweichen der Tubenenden verhindert werden und eine eventuelle Neukanalisation entstehen kann. Auch darf keinesfalls nichtresorbierbares Nahtmaterial verwendet werden. > Die Versagerquote wird mit 2–4 auf 1000 Eingriffe angegeben. Bei sachgerechter Durchführung ist die Versagerquote im Rahmen einer Sectio nicht höher als im Intervall (Husbands et al. 1970).
a
Methode nach Labhardt-Uchida
52
Die Methode dauert etwas länger als die von Pomeroy und ist auch mit einer Minilaparotomie durchführbar. Nach Darstellung der Tube werden 1–2 ml physiologische Kochsalzlösung im Bereich des lateralen Tubendrittels in die Mesosalpinx injiziert. Dadurch wird das Herausschälen der Tube aus der Mesosalpinx nach antimesenterieller Spaltung des Peritoneums (2 cm) erleichtert. Ein Tubenanteil von mehreren Zentimetern wird aus der Mesosalpinx herausgeschält, am proximalen und distalen Ende ligiert (resorbierbares Nahtmaterial) und ein Teilstück von 1–2 cm reseziert. Das proximale Ende der Tube wird durch die Peritonealisierung zwischen die Blätter der Mesosalpinx versenkt, während das distale Tubenende zur Bauchhöhle hin offen bleibt (. Abb. 52.2). Eine Rekanalisation ist dadurch nicht mehr möglich. Ein Vorteil der Methode ist, dass die ovarielle Gefäßversorgung in der Mesosalpinx kaum beeinträchtigt wird und andererseits von einer hohen Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann (Uchida 1975). Wenn nur ein kurzes Tubenstück entfernt wurde, kann eine spätere Refertilisierungsoperation versucht werden.
Sonstige Methoden Zahlreiche weitere Operationsmethoden werden seltener durchgeführt oder haben nur mehr historischen Wert: 4 Bei der Methode nach Madlener wird der Tubenanteil im isthmischen Anteil angehoben, die Basis dieses Schleifenstückes mit einer Klemme gequetscht und mit einem nichtresorbierbaren Nahtmaterial unterbunden. Aufgrund der hohen Versagerquote gilt diese Methode heute als obsolet. 4 Bei der Methode nach Irving wird nach Durchtrennung der Tube der proximale Anteil in eine Inzision an der Uterushinterwand eingenäht. Der distale Anteil wird in die Mesosalpinx versenkt. Die Methode zeichnet sich durch eine hohe Zuverlässigkeit aus, es kann jedoch zu schwer zu stillenden Blutungen an der Einnähungsstelle am Uterus kommen. Eine Anwendung dieser Technik mit einer Minilaparotomie ist kaum möglich, sie wird v.a. im Rahmen einer Sectio eingesetzt. 4 Die Fimbriektomie nach Kroener (Kroener 1969) ist einfach und rasch durchführbar. Dabei wird das distale Tu-
b
c . Abb. 52.2. Tubensterilisation nach Labhardt-Uchida. a Inzision der Tubenserosa nach vorheriger Infiltration mit Kochsalzlösung. b Herauslösen der Tube aus der Mesosalpinx und Resektion von ca. 2 cm nach vorheriger Unterbindung. c Versenkung des uterusnahen Tubenanteiles zwischen die Peritonealblätter der Mesosalpinx
benende doppelt unterbunden (nicht resorbierbares Nahtmaterial) und reseziert. Die Methode ist irreversibel, wobei jedoch mit einer höheren Versagerquote (6‰) zu rechnen ist. Die Versagerquote kann verbessert werden, wenn das Tubenende in das Lig. latum eingenäht wird. 4 Die Resektion der gesamten Tube ist mit einer etwas höheren Komplikationsrate verbunden, beeinträchtigt die ovarielle Blutversorgung in der Mesosalpinx und ist irreversibel. Neuere Techniken der Sterilisation, die hysteroskopisch durchgeführt werden, sind unmittelbar postpartal nicht anwendbar. Dabei werden Kunststoffkörper (Silikon) oder chemische Sub-stanzen (Quinakrin-Pellets) hysteroskopisch in
1135 Literatur
die Tubenostien eingebracht (Houck et al. 1983). Ausreichende Ergebnisse über Erfolgsraten und Nebenwirkungen stehen noch nicht zur Verfügung. 52.4.8
Anästhesie
Der Eingriff wird in Regional- (Spinal-/Periduralanästhesie) oder Allgemeinnarkose durchgeführt. Nach Möglichkeit ist die Regionalanästhesie aufgrund der geringeren Komplikationsrate zu bevorzugen. Eine Lokalanästhesie spielt in den westlichen Ländern keine Rolle, und es gibt keine sinnvollen Indikationen für dieses Vorgehen. 52.4.9
Komplikationen
Die Letalität (0,2‰) im Rahmen der Tubensterilisation ist v. a. auf das Narkoserisiko zurückzuführen. Ein großer Anteil der Sterblichkeit (bis 2/3 der Fälle) ist durch eine Regionalanästhesie vermeidbar. Chirurgische Komplikationen werden in erster Linie durch Blutungen und Infektionen hervorgerufen, dabei spielen v. a. nicht rechtzeitig erkannte Schädigungen der Darmwand und von großen Gefäßen eine wichtige Rolle. Nach Tubensterilisation ist bei Eintritt einer Schwangerschaft der Anteil ektoper Schwangerschaften erhöht. Langzeiteffekte nach Tubenligaturen werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Ein Einfluss auf die Ovarialfunktion, prämenstruelle Symptome, Unterbauchschmerzen, Sexualverhalten konnte in Langzeitstudien nicht nachgewiesen werden (Rojansky u. Halbreich 1991).
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52
VII
VII Qualitätsmanagement/Ethik/ Psychosomatik 53
Psychosomatik in der Geburtshilfe Martin Langer
– 1139
54
Komplementäre Medizin – 1155 K. Stähler van Amerongen, Matthias Langer, O. Bonifer, O. Lindemann
55
Ethische Probleme in der Geburtshilfe Martin Langer
56
Klinisches Risiko- und Fehlermanagement N. Pateisky
57
Perinatale Mortalität N. Lack
58
Müttersterblichkeit – 1207 H. Welsch, A. Wischnik, R. Lehner
59
Forensik – 1225 K. Ulsenheimer, C. Brezinka
60
Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines) K.T.M. Schneider
– 1167
– 1183
– 1195
– 1247
53 53 Psychosomatik in der Geburtshilfe Martin Langer 53.1
Einleitung – 1140
53.2
Schwangerschaft als Entwicklungskrise – 1140
53.2.1 53.2.2
1. Trimenon: Ambivalenz (Verunsicherung) – 1141 2. Trimenon: Symbiose (Anpassung 12.–20. SSW, Konkretisierung 20.–32. SSW) – 1141 3. Trimenon: Ablösung (Antizipation und Vorbereitung 32.–40. SSW) – 1141
53.2.3
53.3
Arzt-Patientin-Beziehung in der Geburtshilfe – 1141
53.4
Schwangeren- und Geburtsbetreuung nach psychosomatischen Grundsätzen – 1142
53.4.1 53.4.2 53.4.3 53.4.4
Schwangerschaft – 1142 Geburtsbetreuung – 1143 Partner bei der Geburt – 1144 Wochenbett – 1145
53.5
Soziokulturelle Aspekte: Psychosomatik und »sanfte Geburt« – 1145
53.6
Spezifische Symptome und Krankheitsbilder – 1146
53.6.1 53.6.2
Hyperemesis – 1147 Verleugnete Schwangerschaft und Scheinschwangerschaft (»Grossesse Nerveuse«) – 1147 Vorzeitige Wehen/Frühgeburt – 1148 Pränataldiagnostik – 1149 Betreuung von Risikoschwangerschaften – 1151 Postpartale affektive Störungen: Blues, Depression, Psychose – 1151 Sterilisation post partum – 1152
53.6.3 53.6.4 53.6.5 53.6.6 53.6.7
53.7
Psychosomatische Therapiemöglichkeiten – 1152
53.7.1 53.7.2 53.7.3
Therapieangebote für Schwangere – 1152 Angebote für das Personal – 1153 Psychosomatische Versorgung und interdisziplinäre Zusammenarbeit – 1153
Literatur – 1153
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1140
53
Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
Während Schwangerschaft und Geburt erleben Frauen ihren Körper und dessen Veränderungen und die begleitenden Gefühle besonders intensiv, wie in kaum einer anderen Phase des Lebens. Durch den Charakter der Schwangerschaft als Entwicklungskrise verändern sich auch viele bedeutende Lebensbereiche der Schwangeren in grundlegender Weise. Auf der individuellen Ebene sind dies v. a. ihr Körperbild und ihre Identität als Frau, des Weiteren müssen wichtige soziale Beziehungen neu aufgebaut oder umstrukturiert werden: jene zum werdenden Kind, zum Partner, zu Verwandten und Freunden. Meist kommt es auch zu einer Reaktivierung der Beziehung zur eigenen Mutter mit der Möglichkeit, diese neu zu gestalten. Um all diese Veränderungen in relativ kurzer Zeit verarbeiten und in das Selbstbild integrieren zu können, muss die Schwangere eine Fülle von Anpassungsprozessen leisten. Selbst eine geplante und gewünschte Schwangerschaft bei stabiler Partnerschaft und günstigen äußeren Bedingungen ist nicht nur eine Zeit freudiger Erwartung und »guter Hoffnung«, sondern auch eine Zeit von Ängsten und Unsicherheit. Dies gilt umso mehr und manchmal in krisenhaft verschärfter Weise dann, wenn es in einem Lebensbereich ungelöste Konflikte oder schwangerschaftsbedingte Erkrankungen gibt. Ein generelles Wissen um diese psychosomatischen Zusammenhänge und eine grundsätzliche Anerkennung ihrer Bedeutung gibt es seit langer Zeit. Die Psychosomatik als Disziplin versucht dieses allgemeine Verständnis in klare Begriffe zu fassen, um es klinisch anwenden und wissenschaftlich erforschen zu können.
53.1
Einleitung
Psychosomatik hat in der Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe 2 wesentliche Aufgaben: 4 Beschreibung der psychischen Abläufe bei normaler Schwangerschaft und Geburt, Formulieren von Grundsätzen für eine im psychosomatischen Sinn umfassende Schwangerenbetreuung und Geburtsleitung, Richtlinien für die Geburtsvorbereitung (Psychosomatik der Geburtshilfe). 4 Beschreibung von psychischen Störungen bei Schwange-
ren sowie von seelischen Reaktionen auf somatisch komplizierte Verläufe oder medizinische Interventionen und spezielle psychotherapeutische Betreuung hierfür (Psychosomatik in der Geburtshilfe).
Diese Dichotomie entspricht auch der klassischen Definition der Psychosomatik (Lipowski 1977) als einer Grundhaltung (ad 1) einerseits und einer speziellen Krankheitslehre (ad 2) andererseits. Die Grundhaltung geht von einem gesamtheitlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit aus, das bei jeder Erkrankung oder physiologischen Veränderung biologische, psychische und soziokulturelle Anteile und deren Interaktionen mitberücksichtigt (»biopsychosoziales Modell«). Daraus leitet sich ein Verständnis für Schwangerschaft und Geburt als Reifungs- und Entwicklungskrise ab sowie entsprechende
Richtlinien für die Betreuung von Schwangerschaft und Geburt und das Umgehen mit Komplikationen. Die psychosomatische Krankheitslehre beschreibt typische Symptome und Krankheitsbilder in der Schwangerschaft und die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und seelischen Vorgängen sowie psychosozialen Risikofaktoren und den Determinanten von Gesundheit und Krankheit. Weitere Themen, die Anteile des vielfältigen Arbeitsgebiet der Psychosomatik darstellen, sind: soziokulturelle Aspekte der Geburtshilfe, die Arzt-Patientin-Beziehung einschließlich der Gefühle des Personals, die spezifischen Therapieangebote, die interdisziplinäre Zusammenarbeit, besonders bei Patientengruppen mit hohem Risiko, und die Organisationsformen psychosomatischer Arbeit. Zusammen mit Grundhaltung und Krankheitslehre entsteht das mehrdimensionale, vernetzte Denken der Psychosomatik, das der oft komplexen Problematik in der Geburtshilfe angemessen ist und dem Geburtshelfer ein tieferes Verständnis und bessere Arbeitszufriedenheit ermöglicht. Auch die Inhalte dieses Kapitels können geflechtartig vernetzt gelesen und verstanden werden, denn erst so ergibt sich das ganze Bild, entsprechend dem Postulat von Bräutigam (1975): »Psychosomatik lässt sich nicht eindimensional, sondern nur in mehreren Schritten der Annäherung definieren.«
53.2
Schwangerschaft als Entwicklungskrise
Der weibliche Lebensablauf wird – deutlicher als der männliche – durch 3 körperliche Abläufe gegliedert: 4 Menarche und Pubertät, 4 Schwangerschaft und Geburt sowie 4 Menopause. In diesen Phasen, speziell in der Schwangerschaft, ändern sich in tiefgreifender und unumkehrbarer Weise zentrale Lebensbereiche wie Körperbild und Selbstwert, weibliche Identität, Partnerschaft und Sexualität, Beziehung zu den eigenen Eltern, aber auch berufliche und finanzielle Situation und das Verhältnis zu Freunden und Bekannten. Diese Lebensabschnitte bieten im günstigen (Normal-)Fall eine Gelegenheit, neue Bereiche des eigenen Wesens zu entdecken und an dieser Herausforderung als Person zu reifen. Selbst bei psychisch gesunden und stabilen Frauen stellen die massiven Veränderungen immer auch eine Belastung dar, die mit dem Bedürfnis nach Regression und nach Stützung durch den Partner und andere Personen einhergeht. Bei vorbestehenden Problemen in einem wichtigen Lebensbereich können die Anforderungen der Schwangerschaft krisenhafte Erscheinungen bis hin zu schweren psychischen Störungen auslösen. Von manchen Autoren wurden diese Phasen daher auch »normative Krisen« genannt. Bei der Erörterung der Veränderungen kann man sich sowohl an den betroffenen Bereichen als auch am typischen, phasenhaften Zeitablauf orientieren (Davies-Osterkamp 1991). Die Schwangerschaftsveränderungen betreffen vorerst den Körper der Frau; sie sind die massivsten und schnellsten
1141 53.3 · Arzt-Patientin-Beziehung in der Geburtshilfe
Veränderungen, denen sich eine gesunde junge Erwachsene je gegenübersieht. Der wachsende Bauch kann als Zeichen weiblicher Kraft und Potenz erlebt werden, und viele Schwangere empfinden Stolz auf die Fähigkeiten des eigenen Körpers. Andererseits können die Veränderungen wegen ihrer Eigendynamik, ihres unbeeinflussbaren Ablaufs, der unaufhaltsam zu der oft angstbesetzten Geburt hinführt, als bedrohlich erlebt werden. Der auf der individuellen psychischen Ebene wichtigste Vorgang ist die Veränderung des Selbstbildes als Frau und der Übergang zur Elternschaft (»transition to parenthood«). Dies bedeutet den Wechsel von der Identität als Tochter zur Identität als Mutter, in dessen Verlauf die Beziehung zur eigenen Mutter – auch mit ihren konflikthaften Anteilen – aktualisiert wird. Die Partnerschaft erfährt ebenfalls wichtige Umstrukturierungen: Aus der Zweier- wird eine Dreierbeziehung (dyadische – triadische Beziehung), die Geschlechterrollen und die Arbeitsteilung werden häufig in ein traditionelleres Muster zurückgedrängt, was wiederum zu Frustrationen für die Schwangere führen und zu Partnerschaftskonflikten Anlass geben kann. Das Konzept der Schwangerschaft als Entwicklungskrise stellt einen wesentlichen Beitrag der Psychosomatik dar. Seine Beachtung hilft dabei, viele Verhaltensweisen der Patientinnen verstehen und zwischen physiologischen Reaktionen und Störungen im psychopathologischen Sinn unterscheiden zu können. Die Verlaufsphasen werden meist in Hinblick auf die Beziehung zum werdenden Kind definiert; die übliche Einteilung in Schwangerschaftsdrittel entspricht durchaus den jeweils zu lösenden Aufgaben und bietet auch praktische Vorteile. Gloger-Tippelt (1988) unterteilt das 2. Trimenon und schlägt demzufolge ein Konzept mit 4 Abschnitten vor (in Klammern angeführt).
53.2.1
1. Trimenon: Ambivalenz (Verunsicherung)
Vom Eintreten der Schwangerschaft an muss sich die Frau mit den daraus entstehenden Konsequenzen für ihr Leben auseinandersetzen. Wunsch und Planung der Schwangerschaft und die Reaktion des Partners spielen eine wesentliche Rolle. Das Kind wird meist noch als Teil des eigenen Körpers erlebt. Die körperlichen Veränderungen sind anfangs nur für die Schwangere selbst bemerkbar und gegenüber der Außenwelt, ja selbst dem Partner gegenüber noch zu verbergen. Der Umgang mit diesem sprichwörtlichen »süßen Geheimnis« stellt in symbolischer Form die Polarität zwischen der Intimität und dem sozialen Kontext einer Schwangerschaft dar und äußert sich pragmatisch durch das Problem »Wem und wann von der Schwangerschaft erzählen?«. Manche Frauen erleben einen Schwangerschaftskonflikt im engeren Sinne mit der Frage, die Schwangerschaft auszutragen oder abtreiben zu lassen. Der Schwangerschaftsabbruch stellt eine klassische Schnittstelle von gesellschafts-
politischen Interessen und der Medizin dar und wird in allen Strafrechtsordnungen geregelt; in westeuropäischen Ländern gibt es Fristen-, Indikations- oder Kombinationslösungen. Die Psychotherapeuten, die vor einer Abruptio beraten, sollten nach der schwierig zu findenden Balance streben, die zwischen dem Respektieren der Entscheidung der Schwangeren und der Konfliktaufarbeitung besteht.
53.2.2
2. Trimenon: Symbiose (Anpassung 12.–20. SSW, Konkretisierung 20.–32. SSW)
Die Aufgabe dieser Phase besteht in der Integration der physischen und psychischen Begleiterscheinungen der Schwangerschaft in das Selbstbild und in der Wahrnehmung des Kindes als eigenständiges Wesen. Nachdem die Ambivalenz aufgelöst und die Entscheidung zum Fortführen der Schwangerschaft gefallen ist, fällt es der Schwangeren in einer Zeit geringer Beschwerden meist leicht, das symbiotische Zusammenleben mit dem Kind zu akzeptieren. Das erste Verspüren der Kindesbewegungen markiert oft den Beginn der Wahrnehmung des Kindes als eigenständiges Wesen, anfangs noch innerhalb des eigenen Körperschemas, später zunehmend »ausgegliedert«. Zeichen dieser Prozesse sind der innere Dialog mit dem Kind, den die Schwangere führt, sie beobachtet die Reaktionen des Kindes auf äußere Reize und setzt sich evtl. mit der Namensgebung auseinander.
53.2.3
3. Trimenon: Ablösung (Antizipation und Vorbereitung 32.–40. SSW)
Die körperlichen Beschwerden und Einschränkungen durch die Schwangerschaft nehmen wieder zu, ebenso die Ängste vor der Geburt. Der Wunsch nach Beendigung der Schwangerschaft und die Neugier auf das Kind erleichtern die Loslösung aus der symbiotischen Beziehung. Sicherheitsbedürfnis und Wunsch nach Schutz durch den Partner sowie das Informationsbedürfnis über die Geburt und das Leben mit dem Kind steigen.
53.3
Arzt-Patientin-Beziehung in der Geburtshilfe
Der Beziehung zwischen Arzt, Hebamme und Schwangerer kommt eine zentrale Bedeutung zu; sie ist der Ort, an dem die Konzepte und Vorstellungen der psychosomatischen Medizin verwirklicht werden. Während der Schwangerschaft sind ihre Hauptinhalte die Informationsvermittlung, Planung von Routine- und speziellen Schwangerschaftsuntersuchungen, Erarbeiten von eigenen Vorstellungen der Schwangeren über die Geburt sowie Ansprechen von Gefühlen und Erörterung von Ängsten und deren Bearbeitung. Manchmal sind auch Koordinationsaufgaben zwischen dem niedergelassenem Gynäkologen, einer geburtshilflichen Abteilung oder anderen zusätzlichen Untersuchun-
53
1142
53
Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
gen zu erfüllen. Während der Geburt steht die stützende Begleitung (»coaching«), das Angebot von geburtserleichternden Maßnahmen und bei Krisen die klare Übernahme von Verantwortung bei gleichzeitiger Entängstigung im Vordergrund. Die Arzt-Patientin-Beziehung kann nicht von vornherein als unproblematisch angesehen werden, da es sowohl von den Gesprächspartnern als auch vom Arbeitsgebiet her Problemquellen geben kann (Felder u. Scheer 1991). So besteht häufig ein soziales Gefälle zwischen Arzt und Patientin, der Arzt hat eine weitgehende Diagnose- und Therapiemonopolstellung, während die Patientin sich ausgeliefert und ohne Kontrolle erleben kann. Bei allen Fragen der Geburtshilfe sind Sexualität und Fortpflanzung implizit und explizit angesprochen, und die Genitalorgane werden symbolisch und tatsächlich berührt. Gefühle wie Scham, Angst (vor vermeintlichem Versagen), Lust, evtl. Schuld und Ekel begleiten häufig geburtshilfliche Vorgänge. Der Gynäkologe muss sich dessen bei der Gestaltung jeder Gesprächs- und Untersuchungssituation bewusst sein, um die notwendige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden und weder aufdringlich noch unbeteiligt-kalt zu agieren.
Studienbox Einige Studien haben den Einfluss des männlichen oder weiblichen Geschlechts auf die Arzt-Patientin-Beziehung untersucht. In älteren Untersuchungen zeigte sich eine Präferenz von Frauen für Ärztinnen. Seit der Zeit dieser Studien haben sich mehrere Rahmenbedingungen gewandelt: Es stehen mehr Gynäkologinnen zur Verfügung, auch die Arzt-Patientin-Beziehung hat sich verändert. Neue Studien kommen daher zu dem differenzierteren Schluss, dass für das Gelingen einer therapeutischen Beziehung die Fähigkeit zum empathischen, respekt- und verständnisvollen Zuhören wichtiger als die Tatsache Arzt oder Ärztin.
In der Literatur werden meist 3 idealtypische Modelle der Arzt-Patientin-Beziehung genannt: Paternalismus, Partnerschaft und Vertragsmodell (7 Kap. 55 »Ethik«): 4 Der Paternalismus ist geprägt von Autorität und Verantwortung auf Seiten der Ärzteschaft und von Abhängigkeit und Compliance auf Seiten der Patientin. 4 In einer partnerschaftlichen Beziehung bestehen asymmetrische, aber wohldefinierte Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. 4 Das Vertragsmodell regelt pragmatisch die oft in Teilleistungen aufgespaltene Betreuung in großen Abteilungen und Kliniken. > Es muss betont werden, dass eine reale Arzt-Patientin-Beziehung immer eine Mischung aus allen 3 Formen enthält, deren relatives Verhältnis sich je nach Ausgangsbedingungen und Situation verschieben kann.
Der institutionelle Rahmen (Krankenhaus oder Privatpraxis), die Dauer der Beziehung (seit Beginn/vor der Schwangerschaft oder erst im Kreißsaal sub partu) und die medizinische Situation (physiologische Schwangerschaft vs. Komplikation) wirken natürlich auf die Gestaltung der Beziehung ein. Der Geburtshelfer sollte danach streben, über ein flexibles, situations- und patientenangepasstes Repertoire verschiedener Strategien zu verfügen. > Grundsätzlich gilt: Je normaler die Situation und je unbeeinträchtigter die Patientin, desto partnerschaftlicher muss, je dringlicher und je pathologischer die Situation, desto paternalistischer darf das Verhältnis sein.
Es wäre ebenso falsch, eine Patientin beim ersten Besuch in der Frühschwangerschaft zu einer invasiven Pränataldiagnostik zu drängen, wie es falsch wäre, bei einer bedrohlichen fetalen Bradykardie die eventuelle Angst vor einem Kaiserschnitt lange zu explorieren. Für die Beziehung zwischen Hebammen und Patientinnen gelten im Wesentlichen die gleichen Überlegungen wie für Ärzte. Als Angestellte einer geburtshilflichen Abteilung haben sie bei der Gestaltung ihrer Beziehung zu den Gebärenden meist eine schwierige Ausgangssituation, weil sie selten eine kontinuierliche Beziehung aufbauen können und die Frauen erst bei der Geburt und unter Wehenschmerz kennenlernen. Andererseits sind sie als mütterliche Übertragungsfigur, als emotionelle Stütze besonders wichtig für die Gebärende. Des Weiteren hat sich in empirischen Studien gezeigt, dass die ausschließlich von Hebammen geleitete Geburt in einem Schwangerenkollektiv mit niedrigem Risiko weniger Interventionen als bei Ärzten bei gleich guten Perinatalergebnissen aufweist. In manchen Ländern werden Geburtsbegleiterinnen oder »Doulas« propagiert. Es scheint zielführender, die traditionellen Teilnehmer im Kreißsaal auf ihre Aufgaben vorzubereiten, dann sind ein unterstützender Partner, eine engagierte Hebamme und ein verständnisvoller Geburtshelfer ausreichende Hilfe für die Gebärende.
53.4
Schwangeren- und Geburtsbetreuung nach psychosomatischen Grundsätzen
53.4.1
Schwangerschaft
Für die Schwangerschaftsbetreuung lassen sich mehrere Grundsätze formulieren. 4 Der Geburtshelfer hat auf den phasenspezifischen Ablauf und die phasenspezifischen Themen Rücksicht zu nehmen. 4 Er sollte schrittweise, durch Information und Entängstigung, die Autonomie und die persönlichen Ressourcen der Schwangeren fördern und herstellen, aber auch Verständnis für eventuelle Komplikationen wecken. Zu den phasenspezifischen Themen des 1. Trimenons, die in (nahezu) jedem Fall besprochen werden sollten, gehören die
1143 53.4 · Schwangeren- und Geburtsbetreuung nach psychosomatischen Grundsätzen
Geburtsbetreuung
Planung und der Wunsch nach Schwangerschaft, die derzeitige Lebens- und Partnerschaftssituation, die Gefühle beim Vermuten oder Erfahren der Schwangerschaft.
53.4.2
> Besonders wichtig ist das Akzeptieren der Ambivalenz der Schwangerschaft und dem Kind gegenüber, weil die intensiven, widersprüchlichen und rasch wechselnden Emotionen für die Schwangere selbst verwirrend sein können.
Die Stunden der Geburt stellen ein zentrales Lebensereignis für die Gebärende dar, mit intensiven Körperempfindungen und höchster emotioneller Beteiligung und Anspannung. Interessanterweise betont die deutsche Sprache eher den Schmerz- (»Wehen«), die englische (»labour«) und die französische (»travaille«) eher den Arbeitsaspekt der Geburt. Die Befriedigung über die körperliche Leistung einer geglückten Geburt kann das Selbstwertgefühl enorm steigern, ebenso groß kann aber auch die Enttäuschung durch ein vermeintliches Versagen sein. Von hervorragender Bedeutung für die subjektive Bewertung der Geburt sind die vorbestehenden Erwartungen und Ansprüche der Gebärenden an sich selbst. Je vollkommener und perfekter das Ideal, desto eher wird eine Abweichung als narzisstische Kränkung und Bedrohung erlebt werden (Ringler 1992). Der körperliche Ort der Geburt sind die Geschlechtsorgane, die mit Sexualität und Lustempfindung verknüpft sind; unmittelbar benachbart sind die Ausscheidungsorgane Blase und Mastdarm. Neben Schmerz und Anstrengung empfinden manche Frauen, die offen für diese Wahrnehmungen sind, sexuell getöntes Lusterleben bei der Geburt; dies kann jedoch allenfalls Ergebnis eines geglückten Geburtsverlaufes sein, sollte aber nie als Ziel oder Leistungsanforderung dargestellt werden. Ebenso können aber auch Angst vor Entblößung oder Scham vor unkontrollierbaren Ausscheidungen die Geburt begleiten; diese potenziell hinderlichen Gefühle können durch vertrauenserweckende und unaufgeregte Betreuung gemildert oder durch unsensible verstärkt werden. Die Begriffe Geburtserleben und Geburtsangst wurden in vielen Publikationen untersucht. Sie hängen in einem vielschichtigen Geflecht mit den Erwartungen an die Geburt und dem tatsächlichen Ablauf der Geburt zusammen. So wurden psychosomatische Prädiktoren oder Risikofaktoren für einen raschen und unkomplizierten oder einen protrahierten Geburtsablauf gesucht, um sie dann präventiv günstig beeinflussen zu können. Angst vor der Geburt wird von vielen Autoren als wichtigster, hemmender Faktor bezeichnet, wobei meist nach Spielberger in persönlichkeitsgebundene (»trait«) und situationsgebundene (»state«) Angst differenziert wurde. Die Geburtsangst wiederum wird von einer Reihe psychosozialer Variabler gesteigert; die wichtigsten unter ihnen sind niedriger Selbswert, Depressivität, unbefriedigende Partnerschaft und fehlende soziale Unterstützung (Saisto 2001). Angst vor der Geburt ist bei Erstgebärenden und bei Frauen nach einer vorangegangenen Sectio oder Vakuumextraktion signifikant häufiger, und diese Patientinnen wünschen auch häufiger einen Kaiserschnitt als Entbindungsmodus (Rouhe et al. 2009). Wie eine Frau die Geburt erlebt, hängt wesentlich davon ab, wie sehr sie sich selbst als in den ganzen Prozess involviert und in Kontrolle der Entscheidungen erlebt und wie gut sie vom Personal unterstützt wird (Waldenstrom 1999). Negativ auf das Geburtserleben wirken sich starker Schmerz, Gebrauch von Wehenmittel, Zangen/Vakuumgeburt und Notfallssectio aus.
Im Gespräch sollte Raum auch für eventuelle negative Gefühle der Ablehnung oder Besorgnis geschaffen und der Druck genommen werden, in der Zeit »freudiger Erwartung« glücklich sein zu müssen. Im Falle eines Schwangerschaftskonflikts sollten – bei völliger Abstinenz von moralischem Druck – sowohl die positiven als auch die negativen Anteile exploriert werden; etwa mit der Frage: »Wie kommt es, dass Sie gerade jetzt (in dieser scheinbar so unmöglichen Situation) schwanger werden?« Im 2. Trimenon sollte die Beziehungsaufnahme zum Kind thematisiert, das Erleben der Kindesbewegungen, der innere und der ausgesprochene Dialog mit dem Kind als etwas Normales und Wichtiges dargestellt und die Planung des Lebens mit dem Kind sowie soziale und berufliche Fragen erwähnt werden. Die Wahl der Entbindungsklinik kann dabei helfen, eigene Vorstellungen über technische Sicherheit oder familiäre Geborgenheit zu entwickeln. Im 3. Trimenon steht die Planung der Geburt im Vordergrund, die Schwangere sollte ermuntert werden, konkrete Erwartungen und Bedürfnisse zu entwickeln und sich ihrer Ressourcen in anderen Krisensituationen zu erinnern. Als eine – schwierig zu erreichende – Idealvorstellung kann dienen: klare eigene Vorstellungen bei gleichzeitiger Offenheit und Neugier für den unbekannten Geburtsverlauf mit evtl. unerwarteten Krisen. Ausdrücklich angesprochen werden sollte der Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses, das geplante Umgehen mit dem Geburtsschmerz (Möglichkeit der Periduralanäthesie erwähnen!), konkrete oder unbestimmte Ängste, die Rolle des und die Erwartungen an den Partner (zur elektiven Sectio 7 Kap. 55.4). Bei jeder anderen geplanten Begleitperson ist zu bedenken, dass die Geburt einen körperlichen Vorgang mit vielen emotionellen und sexuellen Bedeutungen darstellt. In aller Regel sind daher die eigene Mutter oder die Schwiegermutter, aber auch Kinder mit ihren je spezifischen Beziehungen zur Gebärenden als Begleitpersonen ungeeignet! Angesichts der multinational und multikulturell geprägten Klientel in unseren Kliniken muss darauf hingewiesen werden, dass das Gesagte weitgehend für westliche bzw. mitteleuropäische Kulturen zutrifft. Für Patientinnen aus Osteuropa oder Angehörige muslimischer und asiatischer Kulturen muss die Situation individuell erfasst und die Psychodynamik unter Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede wahrgenommen werden.
Geburtserleben
53
1144
Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
> Zusammenfassend wird noch einmal der vernetzte Charakter dieser Wechselbeziehungen betont, in dem viele Faktoren gleichzeitig Ursache und Wirkung darstellen. Klassischerweise wurde dies durch G. Dick-Read in dem Angst-Spannung-Schmerz-Regelkreis dargestellt, der durch die oben genannten Faktoren, v. a. die Erwartungen, die erlebte Kontrolle über das Geschehen, die Interventionen und die Unterstützung durch Partner und Personal erweitert werden muss.
Verhalten des Personals im Kreißsaal
53
Der durchschnittliche Kreißsaal von heute und das Verhältnis des Personals zur Gebärenden unterscheidet sich wesentlich von dem Zustand vor 30 Jahren. Viele Forderungen der Bewegung zur »sanften Geburt« sind mittlerweile zum Standard geworden, wie die Anwesenheit des Partners, Verzicht auf Dauerüberwachung, weitgehende Mobilität der Gebärenden und erleichternde Maßnahmen wie warmes Bad, Gebärhocker sowie Variabilität der Gebärpositionen. Diese an sich erfreuliche Feststellung muss allerdings durch mehrere Kommentare und Einschränkungen präzisiert werden. Die obigen, heute selbstverständlichen Maßnahmen sind nicht freiwillig, sondern nur durch den »Druck von der Straße«, durch beständige Arbeit psychosomatisch tätiger Kollegen und durch Angst vor sinkenden Geburtsziffern in die Schulmedizin eingeführt worden (Stauber 1999). Des Weiteren muss ständig am erreichten Niveau gearbeitet werden, um mögliche Rückfälle in schlechte, alte Gewohnheiten infolge von Gedankenlosigkeit oder Alltagsroutine zu vermeiden, denn auch im Kreißsaal gilt das Sprichwort: »Common sense is not common practice!«. Die psychosomatischen Grundsätze der Geburtsbetreuung lassen sich in eine Grundhaltung und in technische Maßnahmen gliedern. In der Diskussion der 1970er und 80er Jahre wurden einzelne Techniken wie das CTG oder die Gebärhaltung idealisiert oder entwertet. Sie waren jedoch nicht per se das Problem, sondern nur die Symbole einer fehlenden Zuwendung zur Gebärenden in einer ausschließlich technikorientierten Geburtshilfe. Bereits sehr früh konnte gezeigt werden (Ringler 1985), dass überwachte Geburt und Eingehen auf die Patientin oder Geburtseinleitung und positives Geburtserleben (Nuutila 1999) sich nicht gegenseitig ausschließen.
Grundhaltung, abgeleitet aus dem Verständnis der Geburt als physische und psychische Ausnahme- und Belastungssituation 4 Persönlichen Respekt: Das Personal stellt sich mit Namen, Funktion und Dienstzeit/Zuständigkeit vor 4 Kommunikation: Erklären aller Vorgänge und medizinischer Interventionen 4 Fördern der eigenen Ressourcen der Gebärenden; »Coaching« (aufmunterndes Betreuen, Spontaneität und Humor nützen!)
4 Schutz der Intimssphäre (wenige Betreuungspersonen, kein Hereinplatzen unbeteiligter Personen, einfühlsame Untersuchungstechnik bei vaginaler Palpation) 4 Einbeziehen des Partners und Förderung seiner Möglichkeiten 4 Bei Komplikationen: ruhiges Krisenmanagement, Hektik so gut wie eben möglich vermeiden; Verantwortung übernehmen, d. h. notwendige Erklärungen geben, Alternativen anbieten; Möglichkeit zum »informed consent« geben; Entscheidungen treffen, ohne die Patientin mit Scheinautonomie zu überfordern, Partner einbeziehen und nicht hinausschicken
Unter den speziellen geburtserleichternden Maßnahmen haben sich ein warmes Bad, der Geburtshocker, ein federnder Medizinball, Mobilität der Gebärenden mit der Aufforderung, sich die jeweils angenehmste Position zu suchen, sowie Atemund Wehenkontrolltechnik bewährt (Kentenich 1999). Für manche, v. a. mehrgebärende Patientinnen, kann das sog. Roma-Rad hilfreich sein (7 Kap. 32).
53.4.3
Partner bei der Geburt
Männer waren in praktisch allen historischen Kulturen von der Geburt ausgeschlossen. In manchen Gesellschaften wurde ihnen mittels der »Couvade«, eine Art männliches Wochenbett, ermöglicht, ihr Bedürfnis nach Regression auszuleben. Die gesellschaftlichen Strömungen der letzten 20 Jahre öffneten die Kreißsäle auch für die Männer und für deren aktive Teilnahme bei der Geburt als Unterstützer ihrer Partnerin. Die gemeinsame Geburt symbolisiert für viele Paare ihre Zuneigung und die gegenseitige Unterstützung und stellt die Kontinuität von Sexualität, Geburt und Beziehung zum Kind her. > Vor einer geplanten Teilnahme des Partners ist es sinnvoll und notwendig, die wechselseitigen Erwartungen, aber auch eine eventuelle Befangenheit und das Verhalten in Krisen zu besprechen. Manche Frauen scheuen sich, vor ihrem Partner zu leiden oder die Kontrolle zu verlieren, manche Männer fürchten sich vor dem sprichwörtlichen »Umkippen«.
Die Aufgabe des Gynäkologen besteht einmal mehr im Zulassen der Ambivalenz, im Ermuntern des Paares, alle Gefühle zu äußern und keines zu entwerten. Auf keinen Fall sollte ein Druck in Richtung »gemeinsame Geburt« ausgeübt werden, etwa mit dem Argument, dass das für jeden »aufgeklärten, modernen Mann eben normal sei«. Bestehen bei einem der Partner ernste Bedenken, so sollte gemeinsam nach Alternativen gesucht werden, welche Form des Geburtserlebens für das jeweilige Paar adäquat ist.
1145 53.5 · Soziokulturelle Aspekte: Psychosomatik und »sanfte Geburt«
53.4.4
Wochenbett
Die ersten Tage nach der Geburt sind eine »Übergangszeit zwischen zwei Phasen« (Levinson 1979) mit ihren speziellen Anforderungen. Die liebevolle Aufmerksamkeit, die die Schwangere genossen hat, muss sie nun zumindest zum Teil mit dem Kind teilen (Dmoch 1999). Der Aufbau der Mutter-Kind-Beziehung steht im Zentrum der ersten Tage nach der Geburt, die gleichermaßen wichtig und sensibel sind. Durch die Atmosphäre, die das Personal schafft, kann eine geburtshilfliche Abteilung fördernd oder hemmend in diesen Beziehungsaufbau eingreifen. Die Anwesenheit des Kindes beim Rooming-in und v. a. der einzigartige Akt des Stillens sind für viele Frauen physisch und psychisch sehr befriedigend. > Vorsicht vor Überforderung ist jedoch geboten. Eben weil das Bild der »Mutter mit Kind« in praktisch allen Kulturen einen ikonischen Archetypus darstellt, findet allzu leicht eine Gleichsetzung von »stillender Mutter« und »guter« Mutter statt.
Ärzte und Schwestern sollten der Wöchnerin Zeit für den Beziehungsaufbau und das Erlernen des Stillens geben und sie von eigenen und fremden Leistungsansprüchen entlasten. Jenen Frauen, die sich »nicht im Ideal einer (längerfristig) stillenden Mutter wiederfinden können« (Fervers-Schorre 1994), muss mit Respekt und Empathie andere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zum Kind angeboten werden. Ähnlich verhält es sich mit dem rein physischen Erholungsbedürfnis, v. a. nach anstrengenden Geburten, das nicht durch ZwangsRooming-In unterlaufen werden sollte. Die Wichtigkeit des ersten Mutter-Kind-Kontakts nach der Geburt ist oft betont worden, und bei der Kreißsaalorganisation muss unbedingt darauf geachtet werden, diese emotionell dichte Zeit des Kennenlernens von Eltern und Kind zu schützen und nicht durch unbedachte Routine zu stören. In manchen, später vielzitierten Studien (z. B. Garel u. Lelong 1981) wurde berichtet, dass die Aufnahme des Kontakts nach Sectio verzögert gegenüber der Spontangeburt abliefe. Dabei ist aber zu bedenken, dass es sich damals fast ausschließlich um sekundäre oder Notfallkaiserschnitte in Allgemeinnarkose mit häufig deprimierten Kindern handelte. Bei der heute häufig durchgeführten elektiven Sectio in Spinalanästhesie im Beisein des Partners ist die Erinnerung nicht unterbrochen und die Beziehung zum Kind derjenigen nach einer Normalgeburt durchaus vergleichbar. Jeder Wöchnerin sollte mit einer offenen Fragestellung ein Gespräch über ihr Geburtserlebnis angeboten werden, etwa in der Form: »Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie an die Geburt zurückdenken?« Hier gilt – wie am Anfang der Schwangerschaft – das Prinzip, Raum für widersprüchliche Eindrücke und für Ambivalenz zu lassen. Bei kleineren oder größeren Komplikationen kommt es häufig zu unterschiedlicher Bewertung zwischen Arzt und Patientin. Der Geburtshelfer mag zu Recht die Gesundheit von Mutter und Kind als Erfolg empfinden, die Wöchnerin hingegen erlebte dieselbe Geburt als persönliches Versagen, die mit Angst und Schmerz verknüpft und völlig anders als in ihrer Erwartungen verlief. Wurde die Geburt
durch eine Intervention des Geburtshelfers – sei es Sectio, Vakuumextraktion, richtige CTG-Interpretation – glücklich beendet, kann er die Trauer der Patientin als fehlende Anerkennung seiner Leistung erleben und seinerseits gekränkt sein. > Es wird also Ziel des Gesprächs im Wochenbett sein, das Geburtserleben in seiner Gesamtheit zu integrieren, um unnötige Enttäuschungen über vermeintliches Versagen vermeiden zu können.
53.5
Soziokulturelle Aspekte: Psychosomatik und »sanfte Geburt«
Schwangerschaft und Geburt sind von jeder Zeitepoche und jeder Kultur stark geprägt worden. Sie sind keine unwandelbaren, biologischen Konstanten, sondern durch historische, kulturelle, regionale und sozioökonomische Faktoren beeinflussbare und beeinflusste Phänomene. Am Verlauf der letzten 30 Jahre lässt sich gut ablesen, wie die jeweiligen großen gesellschaftlichen Strömungen sich in den Trends der Geburtshilfe widerspiegelten. Der Technikeuphorie der 1970-er Jahre entsprach die programmierte, voll überwachte Geburt dieser Zeit. Die sozialen Bewegungen, allen voran die Frauenbewegung der 1980-er Jahre, schufen das Konzept der »sanften Geburt« und bewirkten dessen Erfolg. Die Globalisierung der 1990-er Jahre, die mittels Internet die Erkenntnisse der »evidence-based medicine« zugänglich machte, zog in der Medizin ein kritisches Hinterfragen alter, lokaler Gewohnheiten nach sich, die doch großteils »eminence-based« waren. Die psychosomatische Medizin hat die obigen Veränderungen einschließlich der »sanften Geburt« kritisch begleitet. Die Anliegen der sanften Geburt überschneiden sich in manchen Anteilen, sind aber nicht notwendigerweise identisch mit der psychosomatischen Medizin. Das Konzept der »Sanften Geburt«, das eng mit den Leistungen von Frederick Leboyer und Ferdinand Lamaze verknüpft ist, hat die Geburtshilfe revolutioniert und viele falsche Entwicklungen einer allzu technikfixierten Medizin korrigiert. Es ist aber ebensowenig zeitlos wie andere Strömungen, sondern ein typisches »Kind« der sozialen Bewegungen der 1970-er und 80-er Jahre, das nun auf seinen bleibenden Gehalt überprüft werden muss. Dabei stellten sich einige Fehlentwicklungen heraus. Schon früh wurde erkannt, dass die Idealvorstellungen der sanften Geburt manche Frauen überfordern können, dass sie neue Leistungsanforderungen in Richtung einer »guten Mutter« stellen oder schlicht den Bedürfnissen der Gebärenden widersprechen. In der Vergangenheit war das beim Verzicht auf Analgetika, bei völliger Verweigerung von Ultraschall und Pränataldiagnostik, beim obligat verordneten Rooming-in oder Stillen der Fall. Die derzeitige Diskussion dreht sich um die Fragen einer großzügigen Verwendung der Periduralanästhesie (PDA), der Haus- bzw. Sanatoriumsgeburt, v. a. aber um die erweiterte Sectioindikation (Hannah u. Hofmeyr 2000) bis hin zur rein elektiven Sectio ohne (die bisher gültigen medizinischen) Indikationen.
53
1146
53
Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
Die weltweit beobachtete Zunahme der Sectiofrequenz hat sicherlich eine Reihe von Ursachen: gesteigertes Sicherheitsbedürfnis, vereinfachte Operationstechnik sowie gestiegene Bereitschaft zu Rechtsklagen. Soziologische Faktoren sind erhöhtes Alter der Schwangeren und eine veränderte Arzt-Patientin-Beziehung. So wurde schon mehrfach der Zusammenhang zwischen hoher Sozialschicht und hoher Sectiohäufigkeit – meist kritisch – kommentiert. Fisher et al. (1995) beschreiben die Patientin mit elektiver Sectio als »klar denkend, gut informiert über verschiedene Geburtsarten, mit hohem Selbstwert und reifen Angstbewältigungsmechanismen, in sicheren Partnerschaften mit gebildeten Männern.« Bei diesem Persönlichkeitsprofil fällt es schwer, an eine simple Beeinflussung durch den Geburtshelfer in Richtung Sectio zu glauben, wie es oft getan wurde. In zukünftigen Studien müssten daher die Sicherheitsbedürfnisse der Schwangeren ebenso wie der Interaktions- und Entscheidungsprozess zwischen Arzt und Patientin untersucht werden (Cotzias et al. 2001). Nachdem die Sectio heute in vielen Situationen eine Behandlungsalternative darstellt, wurde die Aufmerksamkeit auf die jeweils unterschiedlichen somatischen und psychischen Folgen von Spontangeburten und Sectiones gelenkt. Erst in jüngster Zeit findet sich in der psychosomatischen Literatur z. B. die Anerkennung eines Geburtstraumas als »posttraumatic stress disorder« (PTSD), etwa nach Forzeps- und Vakuumextraktionen oder Notfallkaiserschnitten mit einer Inzidenz von zumindest 1,5% (Ayers 2001). Vorangegangene Traumata stellen auch Risikofaktoren sowohl für allgemeine Risikoschwangerschaften und Post-partum-Depressionen dar (LevWiesel 2008). Patientinnen nach derartigen Geburtserlebnissen sollten in der nächsten Schwangerschaft einfühlsam betreut werden, und einem evtl. Wunsch nach elektiver Sectio sollte großzügig nachgekommen werden. Der abwertende Begriff »Tokophobia: an unreasoning dread of childbirth« (Hofberg 2000) ist ebensowenig hilfreich wie eine Psychotherapie gegen (vermeintlich) neurotische Geburtsangst (Sjögren 1997), die im Licht der heutigen Sicherheitsbedürfnisse und der rechtlichen Lage nicht sinnvoll erscheint. Interessanterweise findet sich in der Literatur sogar ein analoges Konstrukt auf Seiten der Geburtshelfer: So soll die Bereitschaft, die Kielland-Zange anzuwenden, mit steigender persönlichkeitsgebundener Angst des Gynäkologen abnehmen (Meager 2008). Wird hier in dem Bemühen, die »Kunst der traditionellen Geburtshilfe« zu erhalten, so getan, als sei die berechtigt reservierte Haltung gegenüber einer besonders komplikationsträchtigen Operation nicht von nüchterner Einschätzung der Gefahren, sondern persönlicher Schwäche abhängig? > Auch wenn diese Diskussion noch im Gange ist, lässt sich bereits jetzt erkennen, dass es keine richtige und keine falsche Art zu gebären gibt, sondern immer nur eine der jeweiligen Zeit und dem jeweiligen Entwicklungsstand angemessene.
Diese relativierende Erkenntnis erlaubt es dem Geburtshelfer auch, eine weitgehende Pluralität im geburtshilflichen Ange-
bot ohne ein feststehendes Programm – sei es schulmedizinisch, sei es sanft – vertreten zu können. Gemeinsam mit der Patientin und je nach ihren Bedürfnissen kann man flexibel eine passende Form auswählen. Dmoch (1999) fordert in diesem Zusammenhang, geburtshilfliche Arbeit solle »bedürfnisorientiert, persönlichkeitszentriert und nicht ideologiebezogen« gestaltet werden. Ein kreativer Methodeneklektizismus in dem Sinne, sich das Beste aus unterschiedlichen Konzepten zu holen, ist möglicherweise die dem Beginn des 21. Jahrhunderts angemessene Geburtsform. Im Kreißsaal könnten dann nebeneinander stattfinden, ohne dass es widersprüchlich wäre: eine Geburt in der Badewanne mit Homöopathie, allerdings telemetrisch überwacht; im Nebenraum eine rein elektive Sectio, in Spinalanästhesie bei wacher Patientin, mit anwesendem Partner und mit Hautkontakt zum Kind noch während der Operation; daneben eine Gebärende, die bei liegender PDA Bauchtanzübungen zur Geburtsbeschleunigung durchführt.
53.6
Spezifische Symptome und Krankheitsbilder
Die theoretischen Grundlagen für das Verständnis psychosomatischer Krankheitssymptome leiten sich von verschiedenen Großkonzepten ab, die hier nicht ausführlich besprochen werden können (detaillierte Darstellungen bei von Uexküll 1996). Einige relevante Begriffe sollen doch erwähnt werden. Aus der Psychoanalyse stammt das Konversionsmodell, dem zufolge psychische Konflikte in symbolischer Weise auf der körperlichen Ebene ausgetragen und »gelöst« werden. In der systemischen oder Familientherapie steht die Beziehungsdynamik in Familien, zwischen Arzt und Patient oder in der Gesellschaft im Vordergrund. Weitere Beiträge liefern die Verhaltenstherapie, die Psychoneuroendokrinologie, das »case-work« der Sozialarbeit und die Krisenintervention.
Die Streitfrage, ein wie großer Anteil eines Symptoms körperlich und ein wie großer seelisch bedingt ist, ist so alt wie die Heilkunde selbst. In der Geburtshilfe lassen sich für eine Reihe wichtiger Symptome bereits in erster Näherung eindeutige Zuordnungen erkennen. So wird man manchen Krankheitsbildern nur dann gerecht, wenn man ein umfassendes biopsychosoziales Grundkonzept annimmt (vorzeitige Wehen/Frühgeburt, Hyperemesis, Post-partum-Depression), einige sind vorwiegend psychosomatisch bedingt (verleugnete Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt), andere wiederum klar somatopsychisch im Sinne psychischer Reaktionen auf körperliche Zustände oder medizinische Interventionen (Pränataldiagnostik, kindliche Missbildung/Totgeburt, Sterilisatio post partum). Für die pragmatische tägliche Arbeit wird die Zuordnung also hinreichend klar sein, um angemessene Therapiekonzepte für die Patientinnen zu entwickeln und die offenen Fragen einer zweifellos zu führenden akademischen Diskussion zu überlassen.
1147 53.6 · Spezifische Symptome und Krankheitsbilder
53.6.1
Hyperemesis
Übelkeit und Erbrechen begleiten nahezu sprichwörtlich jede Frühschwangerschaft. Bis zu 80% aller Frauen empfinden eine milde oder mäßig starke Form davon, sodass – hierin vergleichbar dem Postpartum-Blues – von einer psychophysiologischen Reaktion gesprochen werden kann, die in den meisten Fällen mit dem Ende des 1. Trimenons abklingt. Ebenfalls vergleichbar sind unterschiedliche Ausprägungsgrade, die von milder Übelkeit bis zu heftigem Erbrechen mehr als 10-mal pro Tag mit Dehydratation und Elektrolytverlust reichen können. Ursächlich daran beteiligt ist der rasche Anstieg des HCG-Spiegels, dessen Höhe auch die verstärkte Rate von Hyperemesis bei Mehrlingsschwangerschaften erklären kann. Psychosoziale Anpassungsprozesse an die Schwangerschaft sind bei vielen Frauen Kofaktoren; das zu erwartende Kind kann als schwierige Aufgabe, evtl. sogar als Bedrohung erlebt werden (Wenderlein 1999). Ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil oder ein spezifischer Konflikt lassen sich aber nicht definieren; tiefenpsychologische Interpretationen wie »Versuch des Loswerdens einer ungewollten Schwangerschaft« oder »unreife Persönlichkeit« mögen im Einzelfall sicher nicht als generelle Erklärung zutreffen. Zielführender ist eine Erhebung konkreter Stressoren, wie der Partnerschaft, des Wunsches auf eine Schwangerschaft, Familie und Arbeitsplatz. Möglicherweise ist die Migration speziell disponierend (Wenderlein 1999); so musste z. B. eine pakistanische Patientin des Autors über mehrere Wochen wegen einer schwerwiegenden Elektrolytentgleisung mittels Zentralvenenkatheter parenteral ernährt werden. In weniger krassen Fällen genügt die Hospitalisierung, Volumen- und Elektrolytersatz, schrittweiser Nahrungsaufbau und die Bearbeitung der sozioökonomischen Faktoren.
53.6.2
Verleugnete Schwangerschaft und Scheinschwangerschaft (»Grossesse Nerveuse«)
Diese beiden Symptome sind historisch, bereits Hippokrates erwähnte sie. Die psychischen Prozesse, die notwendig sind, um eine tatsächlich bestehende Schwangerschaft zu verleugnen oder eine nicht vorhandene sich selbst und anderen vorzuspielen, übten offenbar immer große Faszination aus. Bei der verleugneten Schwangerschaft nehmen die betroffenen Frauen eine tatsächlich bestehende Schwangerschaft überhaupt nicht oder erst sehr spät – in einigen Fällen erst bei der Geburt – wahr. Die üblichen Schwangerschaftssymptome werden umgedeutet, meist als »Bauchschmerzen« und unerklärliche Gewichtszunahme, die Kindesbewegungen werden als Darmperistaltik interpretiert (Wessel 1997). Typisch ist auch das Einbinden der Angehörigen einschließlich des Partners und sogar medizinischer Berufe in das System von Verleugnung und Rationalisierung. So wurde z. B. von einer Frau berichtet, die mit Bauchschmerzen wegen eines vermeintlich verschluckten Hühnerknochens ins Krankenhaus kam und bei der ein Abdomenröntgen durchgeführt wurde. Dabei stellte sich der Knochen dann als ein komplettes kindliches Skelett
heraus. (Dieser Fall illustriert darüber hinaus noch die magische Vorstellung von der oralen Schwängerung.) Von der verleugneten Schwangerschaft muss die verheimlichte Schwangerschaft unterschieden werden, bei der die betroffene Frau wissentlich und absichtlich ihren Zustand verbirgt. Frauen verleugnen eine Schwangerschaft aus sehr unterschiedlichen Gründen, denen keine gemeinsame psychischstrukturelle Ursache zugrunde liegt. Daher lässt sich kein einheitliches Profil, sondern nur mehrere Gruppen von Patientinnen identifizieren, wobei bei einer Patientin mehrere Faktoren koizidieren können. In seiner Einteilung gibt Spielvogel u. Hohener (1995) folgenden Kategorien an: 4 psychotische Form der Verleugnung, 4 Frauen mit Suchtanamnese, 4 Teenagerschwangerschaften, 4 andere. Bei der psychotischen Form bildet die Verleugnung der Schwangerschaft einen Teil der Störung der gesamten Persönlichkeit, meist im Rahmen einer chronischen Schizophrenie. Die Schwangerschaftsveränderungen werden mit wahnhaften oder halluzinatorischen Inhalten erfüllt. Bei substanzabhängigen Schwangeren gilt die Verleugnung/Verdrängung einer unangenehmen oder unannehmbaren Wirklichkeit als typische Bewältigungsstrategie (Wessel 1997). Planendes und vorsorgendes Verhalten, wie es für die Schwangerschaft notwendig wäre, kann nicht in die Realität umgesetzt werden. Bei der Teenagerschwangerschaft spielt meist die emotionelle und kognitive Unreife mit der Unfähigkeit, zukünftige Folgen der eigenen Handlungen abzuschätzen, eine wesentliche Rolle. Die sehr heterogene Gruppe der »anderen Ursachen« wird gebildet durch Frauen, bei denen eine Schwangerschaft und die vorausgegangene Sexualität aus verschiedenen Gründen »nicht sein darf« (prämenopausale Frauen, Frauen mit mehreren Partnern) oder Frauen mit schweren psychosexuellen Konflikten, wie z. B. nach einem sexuellen Trauma oder einer sexualfeindlichen Erziehung. Nachdem einem Infantizid (Kindesmord durch die Mutter unmittelbar nach der Geburt), dem sehr häufig eine verleugnete Schwangerschaft vorausgeht, wurde vorgeschlagen, das Problem des Infantizids durch Modelle der anonymen Geburt oder einer »Babyklappe« zumindest teilweise zu lösen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe veröffentlichte 2001 eine Stellungnahme (Neises u. Rohde 2001), die die Wirksamkeit dieser Versuche bezweifelt. Aus der psychosomatischen Sicht der Autoren (und auch meiner eigenen; M.L.) fehlten die Beweise für die Sinnhaftigkeit einer derartigen Lösung. Jene Frauen, die ihr Kind töten, leiden praktisch alle an einer schweren Persönlichkeitsstörung, die ihnen jenes planende Handeln unmöglich macht, das für eine anonyme Geburt notwendig ist. Sowohl die Mütter als auch die Kinder haben nach einer anonymen Geburt schwere psychische Probleme zu erwarten (Askren u. Bloom 1999). Man sollte danach streben, die vorhandenen Therapiemöglichkeiten für die Probleme, die zu
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Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
dem Ausnahmezustand führten, zu nützen; in den allermeisten Fällen lassen sich in Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und Jugendschutzbehörden Auswege finden, wie etwa eine Adoptionsfreigabe unter strengem Datenschutz. Die Scheinschwangerschaft (»grossesse nerveuse«) lässt sich aus einer Zeit verstehen, in der es für die weibliche Identität von zentraler Wichtigkeit war, Kinder zu bekommen, und in der es gleichzeitig technisch schwierig war, eine Schwangerschaft eindeutig nachzuweisen. Beides hat sich wesentlich geändert, sodass eine längerdauernde Scheinschwangerschaft extrem selten geworden ist. Möglicherweise hat die nonpuerperale Galaktorrhö ihren Platz als Konversionssyndrom eingenommen.
53.6.3
53
Vorzeitige Wehen/Frühgeburt
Die Frühgeburtlichkeit mit ihren (Spät)Folgen an kindlicher Morbidität und Mortalität bleibt weiter ein höchst unbefriedigend gelöstes Problem der Geburtshilfe, das schweres individuelles Leid und hohe soziale Kosten verursacht. Ein besseres Verständnis und die Prävention der Frühgeburtlichkeit stellen daher weiterhin ein vorrangiges Ziel jeglicher umfassenden geburtshilflichen Betreuung dar. Zwischen Autoren der verschiedensten Fachrichtungen herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die Frühgeburtlichkeit ein multifaktorielles Geschehen ist, zu dem viele somatische und psychosoziale Kofaktoren beitragen. Zu den klassischen sozioökonomischen Risikofaktoren, die in mehreren Untersuchungen bestätigt werden konnten und die ihre Gültigkeit behalten, gehören jugendliches Alter der Mutter (<18 Jahre) und Zugehörigkeit zur unteren Sozialschicht. Von diesen abhängige, sekundäre Faktoren sind enge Wohnverhältnisse (»crowding«) und mangelnde Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. In Korrelation mit Alter und Sozialschicht, aber auch davon unabhängige Risikofaktoren für Frühgeburtlichkeit und/oder intrauterine Wachstumsrestriktion werden i.v.-Drogenabhängigkeit sowie Alkohol- und Nikotinabusus genannt. Eine interessante Differenzierung zeigte sich in jüngster Zeit bei mehreren weiteren klassischen Risikofaktoren, nämlich beim Familienstand, der beruflichen Belastung und der Migration. In früheren Studien wurde allein die Tatsache, ledig, berufstätig oder Migrantin zu sein, als Stressor per se betrachtet. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass nicht das Vorhandensein des Stressors, sondern dessen subjektiv erlebte Qualität und dessen Verarbeitung die entscheidenden Variablen sind. Viele ältere sozialmedizinisch-epidemiologische Untersuchungen haben den Zivilstand erhoben und allgemein eine höhere Frühgeburtsrate bei ledigen oder geschiedenen Frauen gefunden. Bedenkt man die Wichtigkeit, die ein Gefühl der Sicherheit für den günstigen Verlauf einer Schwangerschaft darstellt (Molinski 1988), erscheint dies auch plausibel. Rauchfuß (1999) konnte allerdings zeigen, dass auch eine unbefriedigende Paarbeziehung einen ungünstigen, ja sogar einen »dosisabhängigen« Effekt auf das Gestationsalter hatte: Je übereinstimmender und je früher in der Schwangerschaft die
Beziehung von den Partnern als schlecht eingestuft wurde, desto höher war die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt. In ähnlicher Weise wurde von Henriksen et al. (1994) versucht, eine 2×2-Matrix für die Auswirkungen der Berufstätigkeit mit den Dimensionen »Belastung« und »Kontrollmöglichkeit« zu erstellen. Frauen mit niedriger Belastung und hoher Kontrollmöglichkeit hatten hierin das geringste, Frauen mit hoher Belastung und niedriger Kontrollmöglichkeit das höchste Frühgeburtsrisiko. Die Bestimmung »rein psychologischer« Risikomerkmale oder Persönlichkeitsfaktoren, die zu Frühgeburtlichkeit prädestinieren, erwies sich als schwierig. Die gefundenen Eigenschaften wie »selbstbewusst, sozialkritisch, ehrgeizig« (Herms 1980) oder »negative Einstellung zu Menstruation und Sexualität, beruflich stärker orientiert, geringere Identifikation mit dem Mutterbild« (Prill 1983) wirken im besten Fall schwer operationalisierbar oder rundheraus frauenfeindlich. Zustandsgebundene (»state«) und persönlichkeitsgebundene (»trait«) Angst zeigten uneinheitlichen Einfluss auf das Gestationsalter; möglicherweise unterscheiden sich Frauen mit reaktiven Ängsten nach missglückten Schwangerschaften von jenen ohne Vorbelastung. Parallel zu der zunehmend differenzierten psychosomatischen Sicht ging in der somatischen Medizin die Entwicklung ebenfalls hin zu einem komplexeren Konzept der Frühgeburtlichkeit. Die Bedeutung anamnestischer Risikofaktoren wie Zustand nach Spätabortus/Frühgeburt wurde ebenso erkannt wie der Wert des Screenings per Zervixultraschall, Fibronektin- oder Infektionsabklärung in Risikogruppen. Die Tokolyse und die konsequente Lungenreifung mit Kortikosteroiden wurden »evidence-based verbessert«. Epidemiologische Daten über die besseren Ergebnisse an Perinatalzentren fanden ihren Niederschlag in der Forderung nach einer Regionalisierung der Geburtshilfe mit antenatalem Transport von Risikoschwangeren, wie z. B. bei Mehrlingsschwangerschaften. Eine der multifaktoriellen Genese angemessene Betreuung wird daher auch mehrere Zugänge nützen müssen: 4 möglichst frühe Erfassung von Schwangerem mit hohem Frühgeburtsrisiko, z. B. durch geeignete Scores (Creasy 1991), 4 intensive, engmaschige und interdisziplinäre Betreuung der Frauen mit hohem Risiko, 4 nichtärztliche Interventionsmodelle wie mobile Hebammen, 4 ambulante und stationäre, psychotherapeutisch ausgerichtete Betreuung, 4 muttersprachliche Betreuung für Migrantinnen. Arbeit mit Frauen mit Migrationshintergrund nimmt in den letzten Jahren einen immer größeren Anteil der psychosomatischen Geburtshilfe ein. In der Wiener Perinatalerhebung konnten Kytir u. Münz (1995) zeigen, dass türkische Migrantinnen, die meist gute familiäre Unterstützung, eine stabile Paarbeziehung und regelmäßige Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen haben, gleich gute Perinatalparameter aufwiesen wie eine österreichische Kontrollgruppe. Obwohl sich also geburtshilfliche Ergebnisse von Migrantinnen in den
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letzten Jahren an jene der einheimischen Bevölkerung im Wesentlichen angeglichen haben, existieren dennoch spezifische Risken: 4 geringeres Inanspruchnahmeverhalten von Vorsorgeuntersuchungen bei manchen ethnischen Gruppen, 4 höhere Rate von Anämien und von Hyperemesis gravidarum (häufig bei Frauen aus dem indisch-pakistanischen Kulturkreis).
53.6.4
Pränataldiagnostik
Die verschiedenen Methoden der Pränataldiagnostik (PND) haben das Erleben der Schwangerschaft für die Schwangere und ihren Partner in mehreren wichtigen Aspekten verändert. Durch die Verfügbarkeit der PND sind Eltern zu einer Auseinandersetzung mit der Schwangerschaft und zu Entscheidungen über den Fetus gezwungen, die historisch völlig neu sind. > Bis zu einem gewissen Grad lässt sich sagen, dass die Pränataldiagnostik das moderne Schwangerschaftserleben in wesentlichem Ausmaß konstituiert.
Methoden der PND Zum Verständnis der psychischen Auswirkungen der verschiedenen Methoden der PND und zur besseren Übersicht können 3 Kategorien verwendet werden: Zielgruppe der Schwangeren, Gestationsalter und Invasivität. Jede Methode der PND besitzt gewissermaßen ein charakteristisches Profil, das sich aus den einzelnen Kategorien zusammensetzt und wesentlich das psychische Erleben, aber auch Art und Ausmaß von Beratung und des »informed consent« beeinflusst. Hinsichtlich der Zielgruppe kann man zwischen Schwangerschafts-Monitoring und gezielter Suche unterscheiden. Der Ultraschall (US) zur Bestimmung von Zahl, Alter, Lage und Wachstum des/der Feten sowie Sitz der Plazenta ist die typische, ungezielte Monitoring-Technik, die eine nahezu 100%ige Anwendungs- und Akzeptanzrate aufweist. Sie kann allerdings beim geringsten Verdacht auf eine Missbildung sofort ihre Qualität ändern und zu einer hochemotionellen Stressituation werden. Paare nach Geburt eines von einer seltenen hereditären Erkrankung betroffenen Kindes (zystische Fibrose, M. TaySachs, Duchenne-Muskeldystrophie) sind bereits vor jeglicher PND massiv psychisch belastet; die möglichen zusätzlichen Stressoren sind daher anders zu bewerten als bei einer gesunden Primipara. Wesentlich für das Erleben einer Methode ist deren Invasivität. Vertreter der invasiven Methoden sind Amniozentese (AC), Chorionzottenbiopsie (CVS)/Plazentapunktion und Chordozentese. Diese Methoden haben eine gewisse Komplikationsrate, die in 0,5% (AC) bis 4% (CVS) zum Abortus führt. Die typische Problematik besteht in der notwendigen individuellen Riskenabschätzung zweier niedriger Risiken (Abortus vs. Trisomie), die beide sehr schwerwiegend, aber ähnlich unwahrscheinlich sind. Neben diesen real begründeten Ängsten erweckt die Penetration des Unterbauches und der schwan-
geren Gebärmutter mit einer langen Nadel häufig Ängste vor und Phantasien über eine Gefährdung oder Verletzung des Kindes. Das an einigen Abteilungen bereits für alle Schwangeren angebotene Ersttrimesterscreening (Nackentransparenz plus Serumscreening) wird viele Amniozentesen vermeiden helfen, parallel dazu wird aber ein Druck in Richtung immer frühere Pränataldiagnostik ausgelöst. > Das Gestationsalter, in dem die quantitativ und qualitativ wichtigsten Methoden durchgeführt werden, sind das späte 1. Trimenon (»nuchal translucency«, Serumscreening, CVS) und das 2. Trimenon (TripleTest, AC, Organ-/Fehlbildungsscreening).
In diese Phase fällt die Auseinandersetzung mit der Ambivalenz, der Beziehungsaufbau zum Kind, die Integration der eigenen körperlichen Veränderungen und bei Mehrgebärenden das Verspüren der ersten Kindesbewegungen.
Erleben von PND In diesem vulnerablen Entwicklungsprozess treten nun die Methoden der PND mit real und/oder symbolisch mächtigen, aussage- und konsequenzreichen Bildern, Eingriffen und Befunden auf. Das Erleben einer Ultraschalluntersuchung wurde vielfach untersucht und von den Frauen als weitgehend positiv beschrieben, in quantifizierenden Studien wird das innere Bild des Kindes klarer und näher (Langer et al 1988). Das Bild des Fetus am Monitor löst beim ersten Anblick meist spontane Gefühlsregungen aus; der Herzschlag oder die Bewegungen des Kindes werden mit freudiger Überraschung kommentiert. US-Untersuchungen können Ängste deutlich reduzieren, was bei Schwangerschaftskomplikationen, wie z. B. Blutungen, (Langer et al. 1988) gezeigt werden konnte. Bei der Betreuung von Frauen nach vorangegangenen missglückten Schwangerschaften kann US besonders hilfreich eingebaut werden, wenn nicht nur allgemein entängstigt, sondern v. a. das spezifische Problem der früheren Schwangerschaft, z. B. eine kindliche Missbildung oder Wachstumsrestriktion, ausgeschlossen werden kann. > Vor jedem für den Untersucher noch so banalem US im 1. Trimenon muss daher ein Gespräch stattfinden, in dem ein zumindest grundsätzlicher »informed consent« eingeholt werden muss.
Das Klarerwerden des Fetus durch die Visualisierung, damit seine unleugbare, teilweise von der Schwangeren unabhängige Existenz sind Charakteristika, die vor der Ära des US erst in späteren Phasen der Schwangerschaft erlebt wurden. Der Ultraschall greift also in den zeitlichen Ablauf ein, spätere Stufen von Bindung und Trennung und manche Bereiche, die früher der Mutterschaft/Elternschaft zugerechnet wurden, werden bereits in die Schwangerschaft vorgezogen. Konkrete Beispiele dafür wären die Geschlechtsfeststellung des Kindes oder der 3-D-Ultraschall mit seinen plastischen Bildern vom kindlichen Gesicht. Die führenden Begleitemotionen der Amniozentese sind häufig intensive Angst und eine »Schwangerschaft auf Abruf«
53
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Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
(»tentative pregnancy«, Katz-Rothman 1993). Vor und während der Intervention sind es v. a. die Ängste vor Verletzung des Kindes oder vor einer Fehlgeburt, danach die Angst vor einem pathologischen Ergebnis und der Entscheidung für oder gegen den Schwangerschaftsabbruch. Die Entängstigung beim Eintreffen eines normalen Resultats ist dann auch dementsprechend hoch, wenn es auch Untersuchungen gibt, wonach das Angstniveau bis zur Geburt nicht auf den Ausgangswert zurückkehrt (Robinson 1984). Ultraschall und CTG waren Konfliktzonen zwischen Schulmedizin und sog. »alternativer Geburtshilfe« in den 1980-er Jahren. Für beide Methoden konnte gezeigt werden (Langer et al. 1988; Ringler 1985), dass das Erleben und die Akzeptanz in hohem Maß von der Güte des Feedbacks über das Gesehene abhängt, und bei guter Kommunikation keine Barriere, sondern sogar eine Brücke zum Gespräch darstellen kann.
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> Die Mitteilung eines ungünstigen Resultats stürzt die Eltern in eine völlige emotionelle Ausnahmesituation. Die schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. In einer derartigen Krise müssen die Schwangere und ihr Partner nun auch noch komplexe medizinische Sachverhalte über den Zustand des Kindes versuchen zu verstehen. Daher kommt der Gesprächsführung eine zentrale Bedeutung zu: Die wichtigsten Ziele müssen sein, emotionale Unterstützung sowie eine Orientierungshilfe für die Unterscheidung zwischen Wichtigem und Nebensächlichem, Dringlichem und Zweitrangigem anzubieten.
Beratung bei kindlichen Chromosomenanomalien und Fehlbildungen Die Pränataldiagnostik ist untrennbar mit dem Schwangerschaftsabbruch verknüpft. Alle Einzelpersonen und Institutionen, die PND anbieten, müssen sich dieser Tatsache bewusst sein und sich antizipierend damit auseinandersetzen. Dabei sollten Ärzte ihre eigenen Werthaltungen in einer kontinuierlichen Reflexion klären und einen Rahmen ihres Handelns festlegen. Sie müssen aber auch bereit sein, die Einstellung des betroffenen Paares zu respektieren und es in seiner Krise und Trauer zu begleiten. Die folgenden Empfehlungen können weitgehend auch auf die Betreuung nach intrauterinem Fruchttod oder Totgeburt angewendet werden. Nach Abklingen der ersten Schockphase nach der Diagnosemitteilung muss sich eine qualifizierte Beratung über die Konsequenzen des Befundes anschließen. Die medizinische, psychische und soziale Prognose des zu erwartenden Kindes muss detailliert erörtert werden; keinesfalls sollte Wissen über die Erkrankung oder ein Automatismus hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch unterstellt werden. In jedem Fall sollte eine psychologische Betreuung so früh wie möglich angeboten und begonnen sowie auch nach der Krankenhausentlassung weitergeführt werden. Eine kleine Zahl von Frauen trägt eine Schwangerschaft trotz nachgewiesener Missbildung oder Chromosomenano-
malie bis zum Geburtstermin aus, wobei natürlich zwischen lebensfähigen Anomalien wie Trisomie 21 oder jenen mit infauster Prognose wie Anenzephalus große Unterschiede im Erleben und bei der Beratung bestehen. Schwangere mit dem Wunsch, ein Kind mit einer zu erwartenden Behinderung zur Welt zu bringen, sollten auf alle Möglichkeiten der Unterstützung, sei es von der öffentlichen Hand oder von privaten Selbsthilfegruppen, aufmerksam gemacht werden. Viele jener Frauen, die ein Kind mit einer infausten Prognose austragen wollen, betonen, dass sie dem Kind jene Lebenszeit, die ihm »eben möglich« sei, und sich selbst das Erleben der Schwangerschaft gönnen wollten. Diese Haltung ist ohne geringschätzige Kommentare zu respektieren, und eine kontinuierliche Betreuung ist anzubieten, die über die Geburt bzw. den Tod des Kindes hinausgeht. Einige, durchaus kontrovers diskutierte Arbeiten berichten über direkte, kausale Einflüsse psychischer Faktoren auf scheinbar rein somatische Phänomene. Fetale Fehlbildungen (Mittellinienrhaphenstörungen wie Gastroschisis oder Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten) fanden sich vermehrt bei Frauen, die im 1. Trimenonen eine nahe Bezugsperson (Partner, Kind) verloren haben (Hansen 1998), und psychologischer Stress während der Schwangerschaft soll zu einer höheren Rate an Totgeburten prädestinieren (Wisborg et al. 2008). Allen oben besprochenen Gruppen von Frauen ist gemeinsam, dass sie einen lebensverändernden Verlust erlitten haben und ein Trauma durchleben. Bei Kindern mit einer Fehlbildung oder Behinderung handelt es sich um den Verlust der Hoffnungen und Phantasien für ein gesundes Kind, bei einem Abbruch oder einer Totgeburt um das Kind als Lebewesen. Diese Verluste wurden in der Vergangenheit oft nicht ausreichend gewürdigt und mit zwar gut gemeinten, aber unpassenden Bemerkungen wie »Sie können ja wieder schwanger werden, und dann bekommen Sie ein gesundes Kind« quittiert. Gefordert und gewünscht muss hingegen eine Betreuung sein, die die »Trauerarbeit«, also die aktive Bewältigung des Verlustes, unterstützt. Zur Betreuung von Frauen während und nach einem Schwangerschaftsabbruch aus genetischer Indikation existiert eine reichhaltige Literatur (Übersichten bei Borg u. Lasker 1988; Langer u. Ringler 1989, Kolker u. Burke 1993), daher sollen hier nur einige praktisch relevante Aspekte näher erwähnt werden. Ein zentrales Thema in der Auseinandersetzung bilden Schuldgefühle; so kann die Frau (seltener der Mann) in ihren subjektiven Krankheitstheorien sich selbst oder ihr Verhalten als Ursache der Missbildung empfinden Daraus resultiert eine tiefe Kränkung des Selbstwertgefühls mit einer reaktiv-depressiven Verstimmung. Bei einer schon eingegangenen Beziehung zum Kind fühlen sich die Paare schuldig an dessen Tod, den sie selbst beschlossen und herbeigeführt haben. Oft stehen hohe Ich-Idealforderungen an aufopfernden Eltern dahinter, denen sie nicht genügten, sondern ihre eigenen, scheinbar selbstsüchtigen Bedürfnisse durchsetzten.
1151 53.6 · Spezifische Symptome und Krankheitsbilder
Grundsätze der Betreuung 4 Strategien, die das Anerkennen des Verlustes fördern und das Entwerten bzw. »Fäkalisieren« des Kindes verhindern: sehen, evtl. Halten des Kindes. Wenn dies den Eltern in der Akutphase nicht möglich ist, sollte ein Foto angefertigt werden. Alle Handlungen, die das Kind zur Person werden lassen, wie die Namensgebung oder religiöse Rituale wie Taufe und Begräbnis, sollten aktiv unterstützt werden. 4 Das Betrachten des Kindes stellt eine wichtige Realitätskontrolle dar, speziell im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation. Ähnliches gilt für die Besprechung später eintreffender Pathologiebefunde wie Obduktionsbericht oder Karyotyp. 4 Daran schließt sich das Wahrnehmen gesunder und kranker Anteile des Kindes an, um das Kind als Ganzes zu erleben und einer Aufspaltung entegenzuwirken. 4 Die subjektiven Krankheitstheorien bezüglich der Erkrankung/des Todes des Kindes müssen unbedingt besprochen werden. Anzustreben ist dabei einerseits das Ernstnehmen der Kausalattributionen mit ihrer psychischen Bedeutung, aber andererseits auch die manchmal notwendige naturwissenschaftlich-medizinische Korrektur von oft vorhandenen Fehlvorstellungen. Diese beinhalten meist völlig unbegründete Schuldgefühle, die jahrelang weiterwirken können. 4 Manchmal kommt es zur Selbstentwertung der Patientinnen, die sich als »schlechte Mutter« betrachten, weil sie nicht die Kraft gehabt haben, ein behindertes Kind anzunehmen. In diesem Fall sollten die eigenen Bedürfnisse gegen Überich-Forderungen gestützt werden. Der Wunsch nach einem gesunden Kind muss als verständlich und gerechtfertigt angesehen werden. 4 Der Dialog des betroffen Paares ist zu fördern; auf einseitige Übernahme von Schuld ist zu achten. Häufig kommt es zu zeitversetzten Trauerreaktionen in der Weise, dass Frauen früher und mit konkreteren Inhalten, Männer erst mit einer gewissen Zeitverzögerung und oft mit Reaktionsbildungen trauern. 4 Im Kontakt mit Angehörigen sollte eine Balance zwischen sozialer Unterstützung und dem Bedürfnis nach Schutz und Abgrenzung gefunden werden. 4 Strategien für den Wiedereintritt in Familie, Freundeskreis und Arbeitsplatz besprechen.
53.6.5
Betreuung von Risikoschwangerschaften
Jede Schwangerschaft, die – aus welchem Grund auch immer – nicht »normal« verläuft, bedeutet eine enorme psychische Belastung für die betroffene Schwangere. Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften, Präeklampsie, Diabetes mellitus oder intrauteriner Wachstumsrestriktion werden engmaschig ambulant kontrolliert und/oder in vielen Fällen auch hospitali-
siert. Durch diese Maßnahmen und durch die Kommentare der Ärzte wird die schon bestehende Angst um das Kind und manchmal auch um die eigene Gesundheit noch verstärkt. Die Nebenwirkungen der Tokolyse und der wochenlangen erzwungenen Ruhe stellen weitere Einschränkungen dar; hinzu kommt, dass oft die eigenen Körperwahrnehmungen der Frauen den beeinträchtigten Zustand des Kindes nicht anzeigen und daher Misstrauen in sie geweckt wird. Werden Frauen im Zuge eines Antenataltransportes an ein Perinatalzentrum transferiert, wird der Kontakt zu den Angehörigen oft durch die größere Entfernung zum Heimatort erschwert. Die spezifischen Belastungen, die die Intensivbehandlung eines unreifen Neugeborenen für die betroffenen Eltern bedeutet, ist schon mehrfach betont worden. Der zeitliche Ablauf, der »Bogen« der Schwangerschaft, wird zu einem Zeitpunkt jäh unterbrochen, an dem sich die Frau noch nicht für die Geburt bereit fühlt. Die Mitarbeit und Compliance der Eltern während des Aufenthaltes des Kindes in der neonatalen Intensivstation ist für dessen Erholung bedeutsam und muss durch das Personal unterstützt werden. > Der Stress der oben angeführten unterschiedlichen Diagnosen und Phasen kann am besten durch eine integrierte psychosomatische Betreuung durch Geburtshelfer, Neonatologen und Psychotherapeuten gemildert werden.
53.6.6
Postpartale affektive Störungen: Blues, Depression, Psychose
Die Anpassungsleistungen im Wochenbett sind ebenso bedeutsam wie jene am Beginn der Schwangerschaft, nur werden sie von der professionellen und persönlichen Umgebung der Wöchnerin weniger wahrgenommen und wenn, dann negativer konnotiert. Eine Andeutung davon findet sich in dem Satz: »Die Schwangerschaft fängt häufig mit einem Gefühl von Ehrfurcht und Schwindel an und hört, wenn sie dem Alltag wieder Platz macht, mit einem Jammertag auf« (Hertz u. Molinski 1986). Im Allgemeinen unterscheidet man 3 Abstufungen von affektiven Störungen der Postpartalperiode, die allerdings keine eigenen nosologischen Einheiten bilden und zwischen denen es durchaus Übergänge gibt: 4 Postpartum-Blues, 4 postpartale Depression, 4 postpartale Psychose. In großen Serienuntersuchungen wurde eine Inzidenz von 50–70% Blues, 10–15% Depression nach DSM IV-Kriterien und 0,1–1% Psychose gefunden. Allen Formen ist gemeinsam, dass sie aus mehreren Gründen zu selten diagnostiziert werden. Die betroffenen Frauen verschweigen ihre Beschwerden aus dem Schuldgefühl heraus, als »gute Mutter« versagt zu haben; auch die Ärzte haben diesem Problem bisher zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt, überdies klafft im medizinischen System nach der Krankenhausentlasssung genau in jener Zeit eine Lücke, in der sich die typischen Symptome entwickeln.
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Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
In jüngster Zeit wurde die Forschung auf diesem Gebiet durch die Entwicklung und Standardisierung der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) stimuliert, die sich als diagnostisches Instrument durchgesetzt hat. Die Inzidenz früher postpartaler Depressionen wird mit EPDS-Kriterien mit 10–20% angegeben; Risikofaktoren dafür sind hohe Kinderzahl, persönlichkeitsgebundene Angst, niedrige Lebenszufriedenheit und niedrige Sozialschicht sowie Frühgeburtlichkeit des Kindes (Bergant et al. 1999). Seit langer Zeit wurde und wird angenommen, dass die postpartalen hormonellen Schwankungen einen wesentlichen Anteil an der Auslösung der affektiven Störungen hätten. Als möglicher Wirkmechanismus wurde die Modulation der Serotoninrezeptorinteraktion durch Östrogene postuliert. Bei genauer Betrachtung finden sich jedoch nur wenige Hinweise auf eine mögliche Rolle der hormonellen Veränderungen der biochemischen Parameter und einer eventuellen Hormontherapie bei Blues und Depression. Steiner (1998) konnte in methodisch sauberen Studien keine Zusammenhänge zwischen den Serumspiegeln von Sexualhormonen, neurobiochemischen Daten und postpartalen Befindlichkeitsstörungen finden. Der therapeutische Einsatz von Östrogen ist bestenfalls »mäßig« erfolgreich (Cochrane Database 2000), Gestagene sind kontraindiziert, weil sie eine Verschlechterung hervorrufen. In einer überwiegenden Mehrzahl der Fälle zeigen Frauen mit Postpartum-Blues eine hohe Tendenz zur spontanen Besserung. Die alte Bezeichnung »Stillpsychose« unterstellte eine ursächliche Verbindung zwischen Stillen und Psychose mit der Konsequenz, dass die Patientinnen nahezu ausnahmslos abstillten. Nach moderner Ansicht bleibt die Postpartumpsychose zwar weiterhin eine ernstzunehmende Erkrankung, die am besten interdisziplinär von Psychiatrie und Geburtshilfe betreut wird. In einer Institution, die mit der Betreuung dieser Patientinnen Erfahrung hat, sind das Abstillen oder gar eine Trennung von Mutter und Kind aber praktisch nie notwendig, und die Hospitalisierungsdauer hat gegenüber früher deutlich abgenommen. Eine Kombinationstherapie mit Psychopharmaka [selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) oder trizyklische Antidepressiva (TCA)], Psychotherapie sowie engmaschiger supportive Betreuung bei der Kinderpflege ist indiziert. Als Sicherheitsmaßnahme kann die Kontrolle von Serumspiegeln der Psychopharmaka bei Mutter und Kind sinnvoll sein.
53.6.7
Sterilisation post partum
Die Tubenligatur als endgültige Form der Empfängnisverhütung verlangt eine ausführliche und differenzierte Aufklärung durch den Arzt und einen wohlüberlegten Entscheidungsprozess der Patientin. Einem Prozentsatz von 90% zufriedener Frauen stehen jene gegenüber, die ihre Entscheidung heftigst bereuen und oft reaktive Depressionen entwickeln. Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf stellen ein Alter <30 Jahre, wenig Erfahrung mit anderen Kontrazeptiva, Partnerschaftskonflikte oder kurze Entscheidungszeit dar. Mehrere dieser Dimensionen wurden in einem Prognose-Score für die
Tubensterilisation zusammengefasst, der auch von psychosomatisch nicht speziell Geschulten gut angewendet werden kann (Langer et al. 2000). ! Auf keinen Fall sollte der Arzt einer Frau, die sich bis dahin noch nicht damit auseinandergesetzt hat, während oder unmittelbar nach der Geburt eine Tubenligatur vorschlagen.
53.7
Psychosomatische Therapiemöglichkeiten
Die psychosomatische Medizin hat eine Reihe von therapeutischen Strategien anzubieten, die sich an gesunde Schwangere, an Patientinnen mit einem spezifischen Problem, wie auch an das Personal richten.
53.7.1
Therapieangebote für Schwangere
Das bekannteste und quantitativ bedeutendste Konzept sind die Geburtsvorbereitungskurse in verschiedenen Formen. Je nach Ausbildung und Präferenzen des Leiters sind sie für Frauen allein oder für Paare konzipiert. Sie werden individuell, in kleineren oder größeren Gruppen abgehalten und sind inhaltlich eher an Informationsvermittlung, Entängstigung oder am Gruppenprozess ausgerichtet. Fast immer werden Atemübungen vermittelt, meist wird eine Form der Entspannungstechnik, wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson gelehrt. (Das klassische autogene Training ist für Schwangere wegen der dabei notwendigen Abgabe der Kontrolle über den eigenen Körper weniger geeignet.) Mehrere ältere Untersuchungen haben die Vorteile von Geburtsvorbereitungskursen gezeigt: bessere Mitarbeit der Gebärenden, weniger Analgetikaverbrauch, mehr aktive Teilnahme der Partner. Die Art des Angebots richtet sich allerdings vornehmlich an ein spezielles Segment der Schwangeren aus der sozialen Mittelschicht der urbanen Bildungsbürger mit eher enger Paarbindung. Sozioökonomisch unterprivilegierte oder psychisch belastete Frauen, die eine perinatologische Risikogruppe darstellen, fühlen sich weniger angesprochen, obwohl gerade sie eine Form der Unterstützung benötigen würden. Bei den in 7 Kap. 52.6 besprochenen spezifischen Störungen sind grundsätzlich mehrere Formen des psychotherapeutischen Gesprächs und der Beratung möglich und auch indiziert. Dabei können und werden meist auch Elemente aus verschiedenen Techniken verwendet: intensive, individuelle Geburtsvorbereitung, umfassende Beratung (»counselling«), Krisenintervention, Paar- und Familientherapie, Verhaltenstherapie sowie längerdauernde, fokussierende Psychotherapien. Allerdings sind dabei die speziellen Ausgangsbedingungen besonders zu berücksichtigen. Die Schwangerschaft ist ein zeitlicher Ablauf mit einer eigenen Dynamik, d.h., die üblichen psychotherapeutischen Vorstellungen vom Einleiten und Zulassen eines Prozesses sind nicht oder nur eingeschränkt an-
1153 Literatur
wendbar. Aufdeckendes oder konfrontierendes Vorgehen ist – wenn überhaupt – nur mit äußerster Vorsicht anzuwenden. Absolut im Vordergrund stehen stützende Interventionen, Wecken der Ressourcen der Patientin, Aktivieren des sozialen Netzes etc. Häufig müssen auch Setting-Bedingungen verletzt werden, die ansonsten einen unverzichtbaren Rahmen psychotherapeutischer Arbeit bilden. Die Anforderungen an den Therapeuten und seine Technik sind aber dadurch nicht geringer, sondern eher noch höher als unter traditionellen Bedingungen.
53.7.2
Angebote für das Personal
Geburtshilfliche Arbeit ist für das gesamte Personal physisch und psychisch anstrengend. Hebammen und Geburtshelfer können dabei intensive und vielfältige Gefühle empfinden: Freude und Erleichterung über eine geglückte Geburt, Neid auf das offensichtliche Glück, Unwillen und Verärgerung bei Gebärenden mit frühem Kontrollverlust, Angst und Hektik bei Komplikationen, Trauer und Betroffenheit bei missglückter Schwangerschaft, Schuldgefühle bei tatsächlichen oder vermeintlichen eigenen Fehlern (Ringler u. Langer 1990). Des Weiteren können sowohl aus hierarchischen als auch aus demokratischen Formen der Zusammenarbeit Spannungen unter den Mitarbeitern entstehen. Alle diese Gefühle sind legitim, unvermeidlich und manchmal sogar hilfreich als Indikatoren für Störungen des Ablaufs. Innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung sind sie machtvolle Faktoren in der Interaktion, die unbedingt reflektiert und nicht unterdrückt oder negiert werden sollten. Die bekannteste und geeignetste Form dafür sind BalintGruppen, in denen die teilnehmenden Ärzte unter Leitung eines Psychotherapeuten eigene schwierige Fälle referieren und danach in der Gruppe besprechen. Die anderen Gruppenmitglieder können dabei helfen, die von den Patientinnen und ihren Erkrankungen ausgelösten Gefühle besser oder überhaupt erst zu reflektieren. Eine ebenfalls sehr sinnvolle Form stellt die Stationssupervision dar, bei der alle beteiligten Berufsgruppen die durch die Patientinnen und durch die Zusammenarbeit ausgelösten Spannungen ansprechen können. Schwierigkeiten bilden hierbei eventuell die bestehenden hierarchischen Verhältnisse zwischen den Teilnehmern, die Teil der Arbeitsrealität darstellen.
53.7.3
Psychosomatische Versorgung und interdisziplinäre Zusammenarbeit
Welche Berufsgruppe mit welcher Ausbildung sollte die oben beschriebenen Leistungen konkret erbringen? In erster Näherung lässt sich das Modell Grundhaltung und Krankheitslehre auch hier heranziehen. Jeder in der Geburtshilfe Tätige muss über ein ausreichendes Maß an Grundwissen verfügen und es in seine tägliche Routine einbauen. Darüber hinaus sollte jede geburtshilfliche Station für besondere Aufgaben einen psychotherapeutisch geschulten Mitarbeiter zur Verfügung haben.
In der psychosomatischen Literatur und Praxis wurden in der Vergangenheit verschiedene Modelle der Organisation psychosomatischer Arbeit diskutiert; sie lassen sich im Wesentlichen durch die Konzepte Konsultation, Liaison und Integration zusammenfassen. Definition Konsultation Unter Konsultation versteht man das (punktuelle) Hinzuziehen klinischer Psychologen/Psychotherapeuten oder Psychiatern zur Lösung von besonderen Problemen einzelner Patientinnen.
Liaison Ein in Liaison arbeitender Psychotherapeut verbringt wesentliche Teile seiner Arbeitszeit an einer geburtshilflichen/gynäkologischen Einrichtung, behält jedoch Verbindungen zu einer psychotherapeutischen Institution für die Zwecke der Supervision, Fortbildung etc.
Integration Integriert arbeiten Geburtshelfer, die selbst eine psychotheraupeutische Zusatzausbildung absolviert haben. Jedes dieser Modelle hat spezifische Vor- und Nachteile, allerdings werden langfristige Umstrukturierungen einer Abteilung nach psychosomatischen Grundsätzen sich wohl nur mit Integration herbeiführen lassen.
Bei manchen Patientinnen ist die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen von zentraler Bedeutung. Zum Beispiel dürfen substanzabhängige und/oder HIV-positive Patientinnen sowie Frauen mit Postpartumpsychose nur in Gemeinsamkeit mit Psychiatern behandelt werden. Teenager, arbeits- und wohnsitzlose Frauen sollten gemeinsam mit Sozialarbeitern, Migrantinnen gemeinsam mit Sprach- und/oder Kulturdolmetschern betreut werden.
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Kapitel 53 · Psychosomatik in der Geburtshilfe
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54 54 Komplementäre Medizin 54.1
Akupunktur – 1156 K. Stähler van Amerongen, Matthias Langer, O. Bonifer
54.1.1 54.1.2 54.1.3 54.1.4
Geschichte der Akupunktur – 1156 Naturwissenschaftliche Grundlagen – 1156 Philosophischer Unterbau – 1156 Möglichkeiten der Akupunktur in der Geburtshilfe – 1158
54.2
Homöopathie – 1160 O. Lindemann
54.2.1 54.2.2 54.2.3 54.2.4 54.2.5
Standortbestimmung – 1160 Voraussetzungen zum Verständnis – 1161 Grenzen der Homöopathie – 1162 Einige Beobachtungen aus der Praxis – 1162 Ausblick in die Zukunft – 1164
Literatur – 1164
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1156
Kapitel 54 · Komplementäre Medizin
54.1
Akupunktur K. Stähler van Amerongen, Matthias Langer, O. Bonifer
Die Erfolge der Akupunktur in der Schmerztherapie haben aufhorchen lassen, und es ist nur natürlich, dass sie Eingang in die Geburtshilfe findet. Sie versucht, den Menschen zu »harmonisieren«, in einen ausgeglichenen Zustand zu bringen und wird idealerweise schon bei der Geburtsvorbereitung begonnen. Für die Geburtshilfe wurde ein spezielles Programm entwickelt.
54.1.1
54
Geschichte der Akupunktur
Die Akupunktur gehört in den großen naturheilkundlichen Bereich der traditionellen chinesischen Medizin. Als das älteste Werk der Akupunktur gilt das Huangdi Neijing, das Buch des »Gelben Kaisers«. Es enthält, eingebettet in einen fiktiven Dialog zwischen dem legendären Kaiser (2697–2596 v. Chr.) und seinem Leibarzt, das gesamte Akupunkturwissen seiner Zeit. Bereits hier werden die wichtigsten Leitungsbahnen mit ihren Reizpunkten beschrieben, ebenso Stichtechniken sowie Indikationen zur Behandlung. Allerdings ist es ebenso gut vorstellbar, dass die spitzen Steine, die bei steinzeitlichen Kulturstätten gefunden wurden, bereits zu Behandlungen innerer Erkrankungen gedient haben können, da in später zu datierender Literatur aus der 1. HangDynastie (2. Jahrhundert v. Chr.) Steinnadeln (»bianshi«), Nadelsteine (»zhenshi«) und Stechsteine (»chanshi«) für die Therapie beschrieben wurden. Der älteste Fund richtiger Akupunkturnadeln aus Metall wurde 1968 in der Provinz Hebei entdeckt: Neben anderen Beigaben enthielt das Grab eines Mitgliedes der kaiserlichen Familie 4 goldene und 5 silberne Nadeln. Europa erreichte die Akupunktur erst im 17. Jahrhundert durch französische Missionare und Kaufleute.
54.1.2
Hypothalamus und Mittelhirn mit einbezieht, erklärt die Wirkung von Akupunktur bei Schmerzzuständen. Über das Stechen von Akupunkturpunkten werden auch diesmal segmental Rückenmarkabschnitte angesprochen, in denen zur direkten Schmerzmodulation Endorphine und Dynorphine ausgeschüttet werden. Ebenso werden über den Tractus anterolateralis das Mittelhirn und der Hypothalamus stimuliert. Während die Reizantwort des Mittelhirnes in einer Enkephalinausschüttung besteht, die eine segmentale Freisetzung von Serotonin und Noradrenalin bewirkt und so die Schmerzweiterleitung wieder auf einer unteren Ebene des Rückenmarks blockiert, erfolgt durch den Hypothalamus eine Endorphinausschüttung der Hypophyse. Da die Endorphinmenge, die dort ausgeschüttet wird, einen zu geringen Anstieg des Blutspiegels verursacht, als dass eine zur Schmerzstillung ausreichende Menge über die Blut-Hirn-Schranke in das ZNS gelangen könnte, wird daneben ein retrograder Transport über das Hypophysenpfortadersystem diskutiert. Für die Richtigkeit der Gate-control-Theorie spricht u. a. die Antagonisierbarkeit der analgetischen Akupunkturwirkung durch Naloxon (Mayer et al. 1977). In seiner Arbeit induzierte er bei Freiwilligen einen Zahnschmerz, wobei eine Gruppe vor Beginn der Akupunkturanalgesie Naloxon i.v. erhielt. Während sich bei der Kontrollgruppe eine Schmerzlinderung einstellte, zeigte sich in der Naloxon-Gruppe keine analgetische Wirkung.
Studienbox In neueren Studien konnte gezeigt werden, dass nach der Nadelung von Magen 36 Stickoxid (NO) im Nucleus gracilis ausgeschüttet wurde. Neben der analgetischen Wirkung führte das NO zu eine Inhibition von sympathisch regulierten kardialen Reflexen im Hirnstamm, was zu einer Blutdruck- und Herzfrequenzsenkung führte. Daneben ist ebenda eine Ausschüttung von Glutamat, Serotonin und Katecholaminen nach Akupunktur detektierbar. Die Rolle dieser Botenstoffe ist jedoch bisher noch ausreichend geklärt (Sheng-Xing 2004).
Naturwissenschaftliche Grundlagen
Seitdem die Akupunktur immer größere Verbreitung in der westlichen Welt findet, steigt auch in der naturwissenschaftlichen Forschung das Interesse an der Untersuchung ihrer Wirkungsmechanismen. So konnte z. B. gezeigt werden, dass der größte Teil der Akupunkturpunkte über Lücken in der Körperfaszie liegen, durch die kleine Blutgefäße, vegetative Nerven und Äste sensibler Nerven ziehen. Dadurch ergibt sich ein mögliches Erklärungsmodell für die Wirkung von Akupunktur über die Head-Zonen. Durch die Nadelung eines peripheren Akupunkturpunktes wird ein oberflächlicher sensibler Nerv gereizt, der segmental im Rückenmark mit der Innervation eines inneren Organes zusammengeschaltet wird. Über viszerale Reflexbögen innerhalb des angesprochenen Rückenmarksegmentes werden nun Reize an das betreffende Organ geleitet, die es in seiner Funktion beeinflussen. Die Entwicklung der Gate-control-Theorie durch Melzack u. Wall (1965), die auch höhere zentralnervöse Strukturen wie
54.1.3
Philosophischer Unterbau
In der traditionellen Vorstellung spielen naturwissenschaftliche Überlegungen selbstverständlich keine Rolle. Aufgrund einer eher empirisch-philosophischen Betrachtungsweise nimmt die Vorstellung von dem alles tragenden Tao eine übergeordnete Stellung ein. Das Tao wird als eine innere Gesetzmäßigkeit der Natur beschrieben, die als die schöpfende und erhaltende Kraft wirkt. Daneben ist es verantwortlich für den ständigen Wandel in der Natur, wie die zyklisch wiederkehrenden Jahreszeiten. Bezogen auf den Menschen ist das Tao verantwortlich für die Entwicklungsphasen über die Geburt bis zum Tod. Das Tao ist dabei Ursache und Motor.
1157 54.1 · Akupunktur
Zentrale Begriffe Aus dem Tao, dem ungegliederten Urzustand, geht eine Polarität hervor: das Yin und Yang. Beide sind untrennbar miteinander verbunden. Um diese Begriffe fassbarer zu machen, werden ihnen Attribute zugeordnet. So symbolisiert das Yin Struktur, Schwäche, Kälte, das Körperinnere, das Weibliche, Nacht und Schlaf. Im Gegensatz dazu steht das Yang als das dynamische, starke, nach außen gerichtete und männliche Element. Störungen im menschlichen Körper können damit schon einmal in 2 große Gruppen eingeteilt werden. Beide Polaritäten stehen dabei in einem ständigen Gleichgewicht, sodass eine Schwäche des Yang zu einem Überschießen des Yin führt. Ein möglicher Patient mit einer Yang-Schwäche würde also über kalte Füße klagen, ebenso über Antriebsmangel und diffuse, meist chronische Schmerzen. Während in der gesamten Natur das Tao die Kraft ist, die alles in Bewegung hält, wird beim Menschen noch das Vorhandensein des Qi, einer »Lebensenergie«, angenommen, die Befinden, Tatkraft, Organfunktion, Charakter und noch vieles mehr beeinflusst. Im menschlichen Körper sammelt sich das Qi in den Organen und fließt durch Kanäle, die, in Anlehnung an das Meridiansystem der Erde, Meridiane genannt werden. Auch das Qi wird je nach Funktion noch weiter unterteilt. So ist das Anzestrale-Qi, das in der Niere gespeichert wird, hauptsächlich von den Vorfahren ererbt, während das Atem- und Nahrungs-Qi aus Luft und Nahrung aufgenommen und in der Lunge bzw. dem Milz-Pankreas-System gespeichert werden. Das oberflächliche Wei-Qi dient zur Abwehr pathologischer klimatischer Faktoren. Selbstverständlich darf man hier nicht von der westlichen Organvorstellung ausgehen, da im antiken China keinerlei anatomische und physiologischen Studien betrieben wurden, ja sogar verboten waren. Vielmehr handelt es sich bei diesem Modell um eine Zusammenstellung einer Vielzahl von Beobachtungen, die die Grenzen des westlichen Organverständnisses weit übersteigt. So gehören z. B. Störungen des Geisteszustandes wie Depressionen oder gar Schizophrenie ebenso selbstverständlich zu dem Organsystem »Herz« wie Angina pectoris oder Hypertonie. Auch das Krankheitsverständnis der traditionellen chinesischen Medizin ist nicht vergleichbar mit dem der westlichen Medizin. Als krank gilt, wer eine Störung im Qi-Fluss des Körpers hat, selbst, wenn er noch keine Symptome wie Fieber oder Durchfall entwickelt hat. Deswegen kommt der Prophylaxe große Bedeutung zu, die u. a. in Qi Gong (Atemtherapie), Tai Qi (chinesisches Schattenboxen) und chinesischer Diätetik besteht. Störungen des Qi werden hervorgerufen durch einen Mangel (Yin-Zustand), durch Überfülle (Yang-Zustand) oder eine Blockade der Lebensenergie. Dazu kann es sowohl durch klimatische Faktoren von außen kommen, aber auch durch innere, emotionale Faktoren. So ist das Nierensystem durch Kälte besonders leicht von außen zu schädigen, wohingegen das Gefühl »Angst« oder Fehlernährung von innen zu einem Ungleichgewicht des Nieren-Qi führen. Neben der bipolaren Einteilung des Yin-Yang-Systems, wurde das System der 5 Elemente – auch das »System der 5 Wandlungsphasen« genannt – eingeführt, um periodische
Abläufe besser einordnen zu können. Holz, Feuer, Erde, Luft und Wasser stellen abstrakte Begriffe dar, denen zum besseren Verständnis von Organfunktionen und den Beziehungen unter den Organen erklärende Attribute zugeordnet sind. So beinhaltet das Element »Feuer« folgende Eigenschaften: »Feuer« besitzt als zugehörige Organe das Herz und den Dünndarm. Diese Organe sind einerseits für die Qi-Speicherung in diesem »Organsystem« verantwortlich, werden aber auch besonders durch die pathologischen Faktoren geschädigt, die zu dem Element »Feuer« gehören. Schädigend wirken Hitze als äußerer Faktor und Aufregung als emotionaler Faktor. Das Ausdrucksorgan, an dem die Störungen zuerst sichtbar werden, ist die Zunge. Der Lebensabschnitt, der besonders unter dem Einfluss des Herzens steht, ist die Wachstumsphase. Ebenso sind der Tagesabschnitt von 11–13 Uhr, die Farbe Rot, der Geschmack bitter und die Jahreszeit Sommer dazugehörig. Für die restlichen 4 Elemente gibt es ähnliche Schemata, die so aufgelistet zusammenhanglos wirken, jedoch dem Therapeuten eine Einteilung in chinesische Syndrome und deren Therapie ermöglichen. So können eine Schlafstörung zwischen 3 und 5 Uhr (der Leber zugeordneter Tagesabschnitt) oder okzipitale Kopfschmerzen Hinweis für eine Störung des Organsystems »Leber« sein. Da das Qi in einem ständigen Kreislauf den Körper Organ für Organ, durchfließt, können sich Störungen der Energetik weiter fortpflanzen. Diese Verknüpfung macht sich jedoch auch der Therapeut zunutze, indem er Qi aus einem anderen Organsystem ableiten kann, wo es in Überfülle ist, um es dem Organ zukommen zu lassen, das gerade einen Mangelzustand aufweist. So kann ein Leerezustand des Herzens über eine tonisierende Behandlung des Lungensystems behandelt werden oder umgekehrt eine Fülle des Herzens u. a. beseitigt werden durch Punkte auf dem Nierenmeridian.
Meridiane und Akupunkturpunkte Die Lebensenergie durchfließt die Organsysteme einmal innerhalb von 24 h komplett. Die Verbindung zwischen den einzelnen Organen stellen die Meridiane her, die als Qi-Kanäle fungieren. Auf ihnen liegen die Punkte, die über Akupunktur beeinflussbar sind. Auf der Körperoberfläche befinden sich 12 paarige und 2 unpaarige Meridiane. Der längste Meridian ist der Gallenblasenmeridian, der sich vom seitlichen Augenwinkel über den seitlichen Kopf in den Nacken zieht, am lateralen Thorax und Bein abwärts bis zum kleinen Zeh. > Die 12 paarigen Organmeridiane sind entweder einem parenchymatösen Organ (Yin-Organ) oder einem Hohlorgan (Yang-Organ) zugeordnet. (Lediglich ein Organmeridian fällt aus dem Rahmen, da es für den sog. dreifachen Erwärmer keinerlei anatomisches Korrelat gibt). Die beiden unpaarigen Meridiane sind keinem Organ zugeordnet. Sie besitzen eine übergeordnete Funktion auf den Energiefluss der einzelnen Organsysteme.
Die Reihenfolge des Qi-Durchflusses wird streng nach Yinund Yang-Organen getrennt: Erst wird ein Yin-Meridian
54
1158
54
Kapitel 54 · Komplementäre Medizin
durchflossen, dann 2 Yang-Meridiane und wieder ein dem Yin zugeordneter und so fort. Da auch die Akupunkturpunkte empirisch erarbeitet worden sind, ist ihre Anzahl im Laufe der Jahrhunderte von 160 auf über 350 angewachsen. Die Körperakupunkturpunkte sind gegenüber der Umgebung durch einen erniedrigten Hautwiderstand und auch mit einer veränderten Tast- oder Druckempfindlichkeit zu identifizieren. Jeder Meridian enthält Punkte, die vergleichbare Funktionen aufweisen. So gibt es Sedierungspunkte, die den Energiefluss auf dem jeweiligen Meridian vermindern, und analog Punkte zur Tonisierung. Yuan-Punkte ziehen Energie vom Meridian des gekoppelten Organes ab. Dazu wird dann der Luo-Punkt des gekoppelten Organes genadelt, um den Energiefluss dorthin zu optimieren. Ein »Leerlaufenlassen« des gekoppelten Meridians ist allerdings weder erwünscht noch möglich. Bei einer akuten Erkrankung sind die Alarmpunkte schmerzhaft verändert und somit gut als Diagnostikum verwendbar. Jeder Meridian beinhaltet auch einen Meisterpunkt, über den man das jeweilige Organ besonders gut und nachhaltig beeinflussen kann. Daneben gibt es noch die antiken Punkte. Sie sind als einzige wieder den 5 Elementen zugeordnet und besonders zur Behandlung von klimatisch bedingten Störungen geeignet. Eingedrungene Kälte kann so über den Feuerpunkt (Hitze) behandelt werden. Teilweise unterliegen die Punkte auch einer doppelten Funktion. So kann ein Meisterpunkt gleichzeitig ein Tonisierungspunkt sein. Das Auffinden dieser Punkte wird durch wichtige »Landmarken« wie Knochenvorsprünge, Sehnen oder ähnliche topographischen Merkmale am Körper erleichtert. Häufig gibt auch der chinesische Name einen Anhalt, wo der Punkt zu suchen ist. Daneben wird auch noch ein Körpermaßstab benutzt, der sich an der Daumenbreite des Patienten orientiert. Durch ein ständig sich erweiterndes Wissen ist es durchaus möglich, dass sich Punktlokalisationen im Laufe der Zeit leicht verändern.
Bei der Körperakupunktur werden Gold-, Silber- oder Stahlnadeln in definierte Punkte am Körper eingestochen. Der Stich selbst und die Stimulation der Nadel verursachen Veränderungen im Qi-Fluss. So können »Lebensenergie« in gekoppelte Meridiane überführt und Stagnationen gelöst werden. Um dem Körper Energie zu zuführen, kann die Nadel im Akupunkturpunkt oder der Punkt direkt mit brennendem Beifuß erwärmt werden. Die Methode der Moxibustion wird an Bl 67 angewandt, um eine Beckenendlage zu drehen. Um eine kontinuierliche Stimulation von Akupunkturnadeln zu ermöglichen, wird Wechselstrom an die Nadel angelegt. Weitere Akupunkturverfahren verwenden nur einzelne Körperregionen wie die Ohr-, Hand- oder Kopfakupunktur. Die Laser- oder Laser-needle-Akupunktur wird bevorzugt bei Kindern oder bei Patienten mit Angst vor Nadeln angewendet.
Stichtechnik und verschiedene Akupunkturmethoden
Nebenwirkungen
Um nun die aufgefundenen Punkte beeinflussen zu können, gibt es bei jedem Punkt generell die Möglichkeit, durch Wahl der Nadel und der Stichtechnik den Energiefluss zu tonisieren oder zu sedieren: Goldnadeln per se tonisieren; Silbernadeln sedieren. Aus hygienischen Gründen werden jedoch heutzutage weitgehend Einwegstahlnadeln bevorzugt. Sie wirken inert, können also zur Tonisierung und Sedierung verwendet werden. Hier muss allein durch die Nadelungstechnik der gewünschte Effekt erzielt werden. Wichtig ist dabei die Neigung, die Verweildauer, ebenso die Drehrichtung und das Ausmaß der Stimulation an der Nadel. Liegt die Nadel in der richtigen Struktur, sollte der Patient einen schwachen, dumpfen Druck empfinden, das sog. De-Qi-Gefühl. Bei akuten Krankheitsbildern kann aufgrund der erhöhten Empfindlichkeit dieser Punkte das Gefühl heftiger werden, jedoch sollte es nie stechend-bohrend sein. Um zusätzlich einen tonisierenden Effekt hervorzurufen, kann die Nadel noch sanft mit glühenden Beifußzigarren erwärmt werden.
Chinesische Diagnostik Genauso wie in der westlichen Medizin muss vor dem Beginn der Therapie Diagnostik betrieben werden. Auch in der Akupunktur bildet eine ausführliche Anamnese den wichtigsten Grundpfeiler der Diagnosefindung, wobei körperliche Symptome ebenso einfließen wie psychische. Dabei wird der Patient intensiv beobachtet, Körperhaltung, Sprache und Mimik beurteilt. Danach wird die Zunge betrachtet, die in verschiedene Areale unterteilt ist, die den einzelnen Organen zugeordnet sind. Auch deren Größe, Feuchtigkeit und Belag werden bewertet. Als letztes wird der Puls getastet, wobei man mit den 3 mittleren Fingern links und rechts gleichzeitig den Puls des Patienten ertastet. Unter jedem Finger kommt dabei die Ausdrucksstelle eines anderen Organes zu liegen. So beinhaltet der Radialispuls rechts von distal nach proximal Lunge, Milz, Pankreas und das Yang der Niere. Die Pulsdiagnostik zählt wohl zu den schwierigsten Bestandteilen der chinesischen Medizin, die erst nach langjähriger Übung beherrscht werden kann.
Wie alle Heilmethoden besitzt auch die Akupunktur Nebenwirkungen. Werden bei der Behandlung zuviel Nadeln gesetzt, kann es zu einem Kreislaufkollaps mit Bewusstlosigkeit kommen. Daneben gibt es auch die sog. gefährlichen Punkte, die durch ihre Organnähe zu Verletzungen führen können. Allerdings sind diese nicht obligat und durch andere Punktkombinationen ersetzbar. Das Anpunktieren einer Arterie führt lediglich zu einer kleinen Hämatombildung. Um Nervenverletzungen auszuschließen, sollte beim Vorschieben der Nadeln die Reaktion des Patienten berücksichtigt werden, der bei Berührung des Perineuriums einen stechenden Schmerz angeben wird.
54.1.4
Möglichkeiten der Akupunktur in der Geburtshilfe
Traditionelle Akupunkturtherapie Vor der herkömmlichen Akupunkturtherapie steht eine sorgfältige Analyse der Symptomatik, die schulmedizinische und
1159 54.1 · Akupunktur
besonders die chinesischen Gesichtspunkte berücksichtigt. Letztere ermöglichen die Einordnung der Erkrankung in das System der traditionellen Diagnosekriterien, in das sich auch die geburtshilfliche Akupunktur integrieren lässt. Die Auswahl der Akupunkturpunkte erklärt sich hieraus. Die Behandlung von Schwangeren mit Akupunktur erfordert besondere Kenntnisse und Fähigkeiten in der Nadeltechnik. Eine lege artis durchgeführte Akupunktur sollte die Schwangerschaft nicht gefährden. Grundsätzlich findet in der Schwangerschaft nur eine milde Stimulation Anwendung. Zur Vermeidung eines V.-cava-Syndroms ist es ratsam, die Schwangere in halber Linksseitenlagerung zu behandeln. Kontraindikation für die Akupunktur sind schwere Blutungsneigungen oder Gerinnungsstörungen. > Grundsätzlich sollte möglichst eine sinnvolle Kombination aus Schulmedizin und Komplementärmedizin für die Behandlung genutzt werden und die Grenzen der Anwendungsmöglichkeit beachtet werden (z. B. bei einem nötigen operativen Eingriff). ! Bestimmte Punkte sollten in der Schwangerschaft nicht genadelt werden, da besonders bei Stimulation derselben die Gefahr der Abortinduktion bestehen soll. Hierzu gehören Di 4, MP 6, Ma 36, Ni 6, Gb 3, Gb 31, Pe 6 sowie Punkte über dem Abdomen, an Fingern und Zehen.
Diese Vorsichtsmaßnahme stammt aus der Akupunkturschule von Jajasuriya (Acupuncture Foundation of Sri Lanka) und ist umstritten, da auch gegenteilige Erfahrungen (keine Gefährdung des Fetus bei »Missachtung«) gemacht wurden und sich in der Literatur keine Hinweise auf ein Abortrisiko bei Nadelung dieser Punkte finden. Bei Hyperemesis gravidarum geht die traditionelle chinesische Medizin von einer Störung des Magen-Qi aus. Der Punkt Ma 36 Zusanli ist Bestandteil der »Akupunkturrezepte« bei übermäßigem Erbrechen und anderen gastrointestinalen Störungen und wirkt ausgleichend auf das »aufsteigende Qi des Magens«. Die spasmolytische Wirkung konnte per Gastroskopie sichtbar gemacht werden. Da Ma 36 zu den zu vermeidenden Punkten zählt (7 oben), empfiehlt sich Pe 6 (KS 6) als Akupunkturpunkt (Vickers 1996). Unter Hebammen ist der Punkt Bl 67 am kleinen Zeh bekannt. Die Moxibustion (Erwärmung mit einer glimmenden Beifußzigarre) des seitlichen Nagelwinkels wird ab Mitte der 34. SSW bei Steißlagen durchgeführt, um eine Wendung zu bewirken (7 Kap. 43). Empfehlenswert ist das Hervorrufen eines intensiven Wärmegefühls über 10 min 2-mal täglich. Der Erfolg dieser Behandlungsmethode beruht z.T. auf der Tatsache, dass bis zur 38. SSW die Möglichkeit zur Spontanwendung besteht, von der besonders Mehrgebärende profitieren (Cardini u. Marcolongo 1993). Spezielle Zusammenstellungen von Akupunkturpunkten gibt es auch zur Schmerzlinderung unter der Geburt. Die Wirkung, die neben der analgetischen auch eine sedierende Komponente hat, soll auch zur Versorgung einer Episiotomie ausreichen. Insgesamt bringt die Akupunktur während der Geburt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Durch die Analgesie
ist die Kreißende nicht so stark mit der Schmerzbewältigung beschäftigt und kann so besser aktiviert werden, am eigenen Geburtsfortschritt mitzuwirken. Eine Verkürzung der Geburtszeit durch die Akupunktur wurde in der Vergangenheit kontrovers diskutiert (Kubista et al. 1973; Lyrenäs et al. 1987). Die aktuelle klinische Erfahrung zeigt jedoch signifikante Effekte wie die Verkürzung der Eröffnungsperiode bei Frauen, die im Rahmen der Geburtsvorbereitung akupunktiert wurden. Römer (2000) konnte zeigen, dass sich bei Erstgebärenden nach geburtsvorbereitender wöchentlicher Akupunktur der Punkte Ma 36, Gb 34, MP 6 und Bl 67 ab der 36. SSW eine stärkere Zervixreifung im Vergleich zur nichtakupunktierten Kontrollgruppe verzeichnen lässt. Insgesamt verkürzte sich die Geburtsdauer um 2 h (470±190 min vs. 594±241 min). Nach unserer Erfahrung kommt es auch zu einer Einsparung von Analgetika. Die Anwendung invasiver Maßnahmen wie der Epiduralanästhesie verzögert sich, oder es kann gänzlich auf sie verzichtet werden. Der Einsatz von Akupunktur zur Koordination und Induktion von Wehen erfolgt rein empirisch. Obwohl die Nadelung der Punkte Ni 16 rechts und links des Nabels häufig zur Plazentalösung angewandt wird, gibt es bisher keine Belege für eine signifikante Verkürzung der Lösungszeit. Entscheidender Faktor ist wahrscheinlich die Wartezeit, die durch Akupunktur überbrückt werden kann. Bei Milchbildungsstörungen liegt nach chinesischer Vorstellung eine Störung im Bereich des Blutes und des Qi zugrunde. Je nach Ausprägung finden sich noch Ursachen in anderen Organen, die entsprechende Kombinationen von Akupunkturpunkten bei der Therapie erfordern. Veröffentlichungen hierzu finden sich überwiegend in chinesischen Journalen.
Akupunkturanwendung und -ausbildung Neben der Therapie von Erkrankungen, die sich im klassischen Sinne der Akupunktur als Störungen des Energieflusses verstehen und auch so behandelt werden können, beginnt sich in der Geburtshilfe ein pragmatischeres Konzept durchzusetzen. In der westlichen Welt hat sich die Akupunktur im Bereich der Schmerztherapie etabliert, und so steht auch in der Geburtshilfe die Behandlung des Wehenschmerzes im Mittelpunkt. 4 Bei der Analyse der zu akupunktierenden Punkte, die von verschiedenen Akupunkteuren zur Behandlung der gleichen Erkrankung ausgewählt werden, ergibt sich eine Übereinstimmung in einigen Punkten. 4 Gleiches findet sich, wenn man die Auswahl der Punkte eines Akupunkteurs bei verschiedenen Erkrankungen betrachtet. 4 Die neurophysiologischen Effekte lassen sich in unterschiedlicher Intensität bei allen Punkten hervorrufen. Nach der Stärke der Aktivierung des deszendierenden Schmerzhemmsystems lassen sich die Akupunkturpunkte einteilen in: 5 schwach: z. B. Di 10, 5 mittel: z. B. Ma 36, 5 stark: z. B. Di 4.
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1160
Kapitel 54 · Komplementäre Medizin
Daraus folgt, dass man mit der Kenntnis weniger Punkte eine effektive Schmerzlinderung und Sedierung erreichen kann. Dies vereinfacht die Anwendung. Das Akupunktieren wird schneller erlernbar und praktizierbar. Koettnitz (1990) hat aufgrund dieser Tatsachen ein praktikables, vereinfachtes therapeutisches Konzept der Akupunktur entwickelt (AKU-NATAL). Es zielt v.a. auf die Verwendung im Kreißsaal ab und richtet sich an Hebammen und Ärzte. Der Inhalt wird in einem Wochenendseminar vermittelt. Vor dem Erlernen der Nadelungstechniken und einiger Punkte steht im Seminar die Erläuterung historischer und theoretischer Hintergründe. > Die Ausübung der Akupunktur sollte auch bei einem komprimierten Konzept, wie AKU-NATAL es darstellt, medizinisch geschultem Personal vorbehalten sein. Auch eine nebenwirkungsarme Therapie bedarf einer Indikationsstellung und Risikoabwägung, zu der medizinische Laien nicht in der Lage sind. Ebenso ist die Kenntnis der menschlichen Anatomie Vorbedingung für die Ausübung der Akupunktur.
54
Von der Arbeitsgemeinschaft für Naturheilverfahren und Umweltmedizin (NATUM) e. V. (2000) in der DGGG wurden in einem Grundsatzpapier klare Ausbildungsrichtlinien zur Akupunktur in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe für Frauenärzte erstellt. In deren Liste für die Akupunkturanwendung in der Schwangerschaft werden Therapiemöglichkeiten für Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, zur Rauchentwöhnung, bei begleitender Suchtbehandlung, beim Karpaltunnelsyndrom, zur begleitenden Behandlung bei vorzeitiger Wehentätigkeit, bei leichter Präeklampsie, zur Korrektur der Beckenendlage, zur geburtsvorbereitenden Akupunktur und bei präpartalen Anpassungsstörungen beschrieben. Unter der Geburt wird die Möglichkeit der Akupunktur zur Geburtseinleitung, bei Schmerzen, bei Zervixdystokie, bei Wehenregulationsstörungen und zur Plazentalösung beschrieben, und im Wochenbett sind Anwendungsmöglichkeiten bei Rückbildungsstörungen, Miktionsstörungen, postpartaler Anämie, Laktationsstörungen, Mastitis puerperalis sowie bei postpartalen Anpassungsstörungen dargestellt. In dem Buch von Römer (2001) sind die Akupunkturausbildungsrichtlinien für Hebammen abgedruckt. Darin werden die Mindestvoraussetzungen, Inhalte der Ausbildung sowie eine Indikationsliste für Hebammen beschrieben. Für die Akupunktur unter der Geburt ist ein rechtzeitiger Therapiebeginn wichtig, um die erzielbaren Effekte (Analgesie, Sedierung, Entzündungshemmung) in möglichst großem Umfang nutzen zu können. Optimal ist die frühe Eröffnungsphase für den Behandlungsbeginn geeignet, da bei noch niedrigem Endorphinspiegel ein großer Effekt zu erwarten ist. Durch die Nadelung von nur 2 Punkten ist es möglich, diesen Spiegel auf das 1,6- bis 1,8-Fache zu steigern. Mit Fortschreiten der Geburt erreicht die körpereigene β-Endorphinausschüttung irgendwann ein Maximum. Ist die Schmerztoleranz der Gebärenden überschritten (wahrscheinlich wird sie jetzt nach der »Rückenspritze« verlangen), kann bei maximalem Endorphinspiegel im Serum Akupunktur keine Wirkung mehr zeigen.
Die Kombination der Punkte Du Mai 20 und Di 4 hat sich unter der Geburt bewährt. Du Mai 20, mit 1–3 Nadeln am besten in frontookzipitaler Richtung gestochen, bildet die Basis der Behandlung. Tritt der führende Teil ins kleine Becken ein und erreicht den Beckenboden, werden die Nadeln entfernt. Die Position der Nadeln behindert die Frau auch beim Liegen nicht. Generell passen sich die dünnen und flexiblen Akupunktur- oder Lasernadeln den Bewegungen an. Während Du Mai 20 ohne Stimulation über einen längeren Zeitraum akupunktiert werden kann, sollte Di 4 intermittierend angewandt werden. Nach 1/2 h Stimulation folgt eine Pause von ca. 2 h, der sich eine erneute Stimulationsphase (evtl. an der anderen Hand) anschließen kann. Eine Verstärkung der Effekte wird durch die Anwendung der Elektrostimulation erreicht. Hierbei bieten sich die Punkte Naima, Waima und Ma 36 am Unterschenkel an. Die Frau sollte in die Bedienung des Elektrostimulationsgerätes eingewiesen werden und selbst die Stärke des Reizes regulieren. Allerdings kommt es durch die Kabelverbindung zum Stimulator je nach Geburtsposition zu einer Bewegungsbehinderung. Die Anwendung im Liegen ist problemlos. Grundsätzlich sollte die Behandlung in der Schwangerschaft und während der Geburt anfänglich im Liegen vorgenommen werden, da kreislaufwirksame Effekte auftreten können. In speziellen Informationsveranstaltungen kann man die Frauen (auch gemeinsam mit dem Partner) theoretisch und praktisch mit der Akupunktur vertraut machen. Diese Vorbereitung erhöht die Akzeptanz der Methode und vermittelt gleichzeitig einen ersten Kontakt zwischen den zukünftigen Eltern und dem Geburtshelfer. Tipp Schlusswort Mit der Akupunktur steht den geburtshilflichen Abteilungen eine wirksame und nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, nach deren Anwendung zunehmend verlangt wird. Durch Konzepte wie AKU-NATAL wird es möglich, innerhalb kurzer Zeit viele Hebammen und Ärzte zu schulen, sodass die Akupunktur als ergänzende Therapie in der Schwangerenvorsorge, im Kreißsaal oder auf der Wochenstation immer verfügbar sein kann. Ein Vorteil, den Schwangere, Kreißende und Wöchnerinnen sicher zu schätzen wissen.
54.2
Homöopathie O. Lindemann
54.2.1
Standortbestimmung
Gerade in ausgesprochen sensiblen Zeiten wie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist die Homöopathie nicht nur eine notwendige Alternative, vielmehr sind – in guter Zusammenarbeit mit modernen Diagnoseverfahren – die meisten
1161 54.2 · Homöopathie
funktionellen Beschwerden und Krankheitsbilder positiv zu beeinflussen. Selbst bei schweren Pathologien, wie z. B. Präeklampsie, vorzeitigen Wehen, Blutungen in allen Phasen der Schwangerschaft und der Geburt, Lageanomalien sowie Geburtskomplikationen ist Homöopathie dann anwendbar, wenn kein strukturelles Hindernis vorliegt (angeborene strukturelle Fehlbildungen, posttraumatische Beckenveränderungen). In keiner Phase des Lebens ist der menschliche Körper einem so starken Wandel unterworfen wie in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett. Die Homöopathie zieht weder arzneimittelbedingte Nebenwirkungen nach sich, noch bietet sie Risiken für den Fetus oder belastet die Umwelt. Erforderlich sind lediglich weitreichende Fachkenntnisse des Homöopathen und eine gut sortierte homöopathische Apotheke, um die Frauen aller Kulturen und in allen Klimazonen ohne technischen Aufwand behandeln zu können. Die Homöopathie findet eine ideale Ergänzung in der Diätetik und allen energetischen Therapiemöglichkeiten und steht notwendigen operativen Eingriffen nicht im Wege.
54.2.2
Voraussetzungen zum Verständnis
Im Gegensatz zur konventionellen Medizin, in der die Krankheitssymptome mit Hilfe von Antibiotika, Antidepressiva, Antipyretika, Analgetika, Antiphlogistika etc. bekämpft werden, wird in der Homöopathie Ähnliches mit Ähnlichem behandelt (»Similia similibus curentur«, S. Hahnemann). Ähnlichkeit in der Homöopathie Das Ähnlichkeitsprinzip in der Homöopathie bedeutet, dass eine Krankheit durch jenes Arzneimittel geheilt wird, das in seinem Arzneimittelbild der Gesamtheit der charakteristischen Symptome des Kranken am ähnlichsten ist (Ähnlichkeit bedeutet eine Übereinstimmung der wesentlichen Merkmale).
Beispiel. Unter der Geburt erleben manche Frauen eine Art
Todesnähe mit bleichem Gesicht, starkem Kältegefühl und ruheloser Angst: Das ähnelt der Symptomatik, die ein Mensch unter Arsenvergiftung zeigt. Dieser perinatale Zustand spricht meist innerhalb weniger Minuten auf die Gabe potenzierten (und damit natürlich ungefährlichen) Arsens an. Eine andere Grundlage der Homöopathie ist die Behandlung des Menschen in seiner Individualität und Komplexität. Nicht die Krankheit wird behandelt, sondern der Inbegriff der Symptome dient als Grundlage zur Verschreibung des passenden Arzneimittels, was durch Anregung des PNEI-Systems (psycho-neuro-endokrino-immunologischen Systems) dem Organismus hilft, die Krankheit zu überwinden. Dr. Samuel Hahnemann (der »Vater der Homöopathie«, 1755–1843) gebrauchte zur Erklärung den Begriff der Lebensenergie, der heutzutage durch Erkenntnisse der Quantenphysik auch im Sinne der Autoregulation halbgeschlossener Systeme erklärt werden kann (Prigogine 1987).
> In der Regel hilft ein einziges Mittel zur Anregung der Autoregulation.
Die homöopathischen Mittel werden überwiegend aus Naturstoffen (Pflanzen, tierischen Substanzen, Mineralien) hergestellt. Da es sich um eine Therapie handelt, bei der es um die Übermittlung einer fehlenden/in Vergessenheit geratenen Information handelt, reicht der Bruchteil eines Gramms der Ausgangssubstanz, um durch einen langwierigen Prozess von Trituration/Dilution mittels Dynamisierung das aktive Wirkprinzip in den verschiedenen Potenzen herzustellen (HAB 2008). Die potenzierte Substanz wird in Form von Kügelchen (Globuli), Tropfen, Injektionen oder Salben dem Patienten verabreicht und erreicht oft im Bruchteil einer Minute eine sanfte, langandauernde und nebenwirkungsfreie Besserung der Symptome. Aber nicht nur diese werden durch die homöopathischen Mittel angesprochen, sondern der Gesamtzustand der Patientinnen wird merklich verändert im Sinne des Gesundheitsbegriffes der WHO (WHO 1946). Die für den homöopathischen Behandler wichtigen Kenntnisse der Arzneimittel (Materia Medica), basiert auf exakt aufgezeichneten Prüfungsprotokollen der Arzneimittelprüfung am gesunden Menschen und toxikologischen Beobachtungen. Abgesehen von den diagnostischen Ergebnissen der konventionellen Medizin orientiert sich der Homöopath an einer individualisierenden Fallaufnahme, die sich v. a. auf verursachende Faktoren (erbliche, umweltbedingte, psychosoziale etc.) und den spezifisch-persönlichen Ausdruck der Krankheit konzentriert. Deshalb überrascht es nicht, dass der Zeitaufwand, v. a. bei chronisch kranken Patienten, bis zu Stunden betragen kann, während der geschulte Homöopath in Akutsituationen oder im Kreißsaal in nur wenigen Minuten, u. U. durch bloße Beobachtung, das richtige Mittel auswählt. Nicht erst in letzter Zeit wird die Wirksamkeit der Homöopathie angezweifelt, und Befürworter und Gegner verstricken sich in Diskussionen, wobei sie sich auf großangelegte Studien beziehen (Shang et al. 2005). Sie lassen außer Acht, dass das Gemeinsame von Homöopathie und Schulmedizin lediglich darin besteht, dass es um Gesundheit und Krankheit geht, die Methodik aber grundsätzlich verschieden ist. Aber nicht einmal diese Begrifflichkeiten finden eine klare, einheitliche Basis. Nehmen wir z. B. als Studienobjekt die Diagnose der chronischen Beckenentzündung (»chronic inflammatory pelvic disease«). In der konventionellen Medizin kann diese durch Antiphlogistika und Antibiotika behandelt werden, und der Behandlungserfolg wird in Fallstudien an der Anzahl beschwerdefreier Frauen, der Einnahmedauer, des notwendigen Kostenaufwandes etc. gemessen. Bei homöopathischer Behandlung würde im Zweifel jede einzelne Patientin ein unterschiedliches homöopathisches Mittel verabreicht bekommen, die Behandlungsdauer wäre je nach Ursache und anderen hier nicht aufführbaren Faktoren verschieden lang, und der Therapieerfolg würde nicht nur am Lokalsymptom, sondern auch an der langfristigen Beschwerdefreiheit und dem Gesamtzustand der Patientin gemessen (Righetti 1988).
54
1162
Kapitel 54 · Komplementäre Medizin
54.2.3
Grenzen der Homöopathie
Grenzen in der Anwendung von homöopathischen Arzneimitteln leiten sich nicht aus dem Schweregrad einer zugrundeliegenden oder aufgetretenen Pathologie ab, sondern bei strukturellen Veränderungen der Frau wie bei angeborenen Fehlbildungen (Uterus bicornis unicollis oder bicollis etc.), als Folge eines Unfalls (Beckenfraktur, Steißbeinfraktur etc.) oder nach vorausgegangenen Operationen (Konisation, Myomenukleation, Brustreduktion) ist der homöopathische Ansatz nicht gegeben. Hier kann die Homöopathie nur symptomatisch eingesetzt werden, z. B. zur Traumaverarbeitung. Ferner kann sich auch der unzureichende Kenntnisstand des Geburtshelfers/Homöopathen als limitierender Faktor erweisen. Die Diagnose des maternofetalen Missverhältnisses stellt nur dann eine Grenze dar, wenn dieses absolut ist. Bei allen geburtshilflichen Notfällen kommt es auf die Rahmenbedingungen an und insbesondere die Erfahrung des Geburtshelfers. Es versteht sich von selbst, dass der Einsatz homöopathischer Arzneimittel notwendige Notfallmaßnahmen nicht verzögern darf (Bitschnau u. Drähne 2007).
Kontraindikationen
54
Da es sich bei der Homöopathie um eine Therapieform handelt, die auf dem Resonanzprinzip beruht, gibt es keine Kontraindikationen. Der Homöopath muss nur wissen, ob er die Homöopathie kurativ oder lindernd einsetzt. Allzu häufige Gaben hochpotenter Arzneien oder die ständige Anwendung der sog. indikativen Homöopathie (Arnicagaben nach jeder Geburt oder Caulophyllum zur Geburtseinleitung etc.) sollten vermieden werden.
Spray und immer wieder Kortison-Kuren behandelt wurde. Aufgrund eines von ihr berichteten Traums wird deutlich, dass für sie das Thema Schwangerschaft mit Überanstrengung zu tun hat. Das hat eine tiefe Verwurzelung in ihrer persönlichen Vorgeschichte. Therapeutische Überlegungen. Zur Vermeidung einer zweiten drohenden Fehlgeburt war ihr Bettruhe angeraten worden. Das Risiko ist aber wegen der Vorgeschichte groß, und wegen der Abortneigung, der stechenden Schmerzen im Uterus und des zugrundeliegenden Themas der Überanstrengung, das in ihren Träumen erscheint, ist hier Ruta graveolens indiziert. Im Mittelalter und in einigen Ländern noch bis zum heutigen Tag wird Ruta als Teezubereitung benutzt, um einen Abort herbeizuführen. Auch das Asthma weist genau die Modalitäten auf, die den Fall zu einem klassischen Ruta-Fall machen. Da sie jung ist und die Pathologie keinen Aufschub duldet, nimmt sie es 3-mal in der Potenz C 200 innerhalb von 24 h. Verlauf. Ihre stechenden Beschwerden hören 10 min nach Einnahme des homöopathischen Mittels auf. Nach 3-wöchiger Bettruhe kann die Schwangerschaft fast beschwerdefrei ausgetragen werden. In der 20. SSW bekommt sie eine Asthmaattacke, die sie mit Salbutamol-Inhalationen behandelt. Sofort nach Anwendung setzen ihre Beschwerden wieder ein. Nach erneuter Einnahme des homöopathischen Mittels und Weglassen ihres Asthmasprays verläuft die Schwangerschaft komplikationslos. Mittlerweile hat sie 2 gesunde Kinder (12 und 9 Jahre) und behandelt ihre immer seltener auftretenden Asthmaattacken und Überlastungsdepression mit demselben homöopathischen Mittel. Diskussion. Der Einsatz der Homöopathie hat dieser Frau
54.2.4
Einige Beobachtungen aus der Praxis
Um die Vorgehensweise des Homöopathen zu veranschaulichen, seien hier einige Fälle beispielhaft erklärt. Die Fülle der Information macht deutlich, dass für den Homöopathen das Gesamtverständnis der Situation der einzelnen Frau wichtig ist und nicht vorwiegend ihre Pathologie.
Schwangerschaft Die multiplen Beschwerden in der Schwangerschaft sind deshalb eine willkommene Indikation für die homöopathische Behandlung, weil sie keine unerwünschten Nebenwirkungen weder für die Frau noch für das Ungeborene nach sich zieht. Dass auch schwere und akute Pathologien mit Hilfe von Homöopathie behandelbar sind, zeigen die folgenden Fälle beispielhaft:
Kasuistik 1
Eine 33-jährige Frau, die 3 Jahre zuvor einen Spontanabort in der 9. SSW hatte, klagt in der 6. SSW über stechende Schmerzen im Unterleib mit Abgang von braunem Blut und ist voller Angst vor einem erneuten Verlust der Schwangerschaft. Seit ihrer Kindheit leidet sie unter Asthma, was mit Salbutamol-
nicht nur geholfen, ihre Schwangerschaft gesund auszutragen, sondern sich auch vom Asthma zu befreien. Außerdem nimmt sie das Mittel seit nunmehr 12 Jahren bei allen lokalen und generellen Problemen, wodurch deutlich wird, dass Behandlung personenbezogen ist und es sich nicht nur um die Beseitigung von Symptomen handelt. Kasuistik 2
35-jährige Patientin mit einer Extrauteringravidität, in der 7. Schwangerschaftswoche, fragt an wegen einer Alternative zu der ihr in Aussicht gestellten Operation. Sie hatte im 24. Lebensjahr bei einer Extrauteringravidität durch eine Notfalloperation ihren rechten Eierstock verloren. Mit 30 Jahren war sie erneut schwanger geworden. Ihre Tochter Angelika ist nach kurzem Stillen hauptsächlich bei der Großmutter aufgewachsen. Sie selbst führt eine Gaststätte, raucht 1–2 Schachteln Zigaretten und arbeitet fast jeden Tag bis 2 Uhr morgens und am Wochenende bis 5 Uhr. Sie lebt vom Vater getrennt, und die Beziehung ist konfliktbeladen. Mit 31 Jahren wurde sie nochmals schwanger und brach die Schwangerschaft ab. Jetzt hat sie einen neuen Partner, der Kinder sehr liebt, und beide freuen sich auf ein weiteres, wenn auch zu diesem Zeitpunkt unerwartetes Kind. Auf eigene Verantwortung verlässt sie das Krankenhaus und kommt direkt in die Praxis. Nach
1163 54.2 · Homöopathie
homöopathischer Fallaufnahme wird sie zur stationären Überwachung eingewiesen. Ultraschall und Labor bestätigen die Diagnose.
hier wie Spitzen eines Eisbergs gesehen werden, und die zugrunde liegende Ursache wird oft erst später im Gespräch deutlich. Häufig war sie der Frau vorher nicht bewusst.
Therapeutische Überlegungen. Die Frau ist jung und er-
Kasuistik 3
wägt die Gründung einer neuen Familie. Durch Verlust ihres 2. Eierstocks würde eine weitere natürliche Schwangerschaft nicht möglich sein. Unter sorgfältiger Überwachung wird daher eine konservative Behandlung der EUG als Vorgehen gewählt. Bei einer Lebensführung, die mit der konventionellen Vorstellung einer Rolle als Mutter kaum vereinbar ist, bei einer Akutsymptomatik mit einem Gefühl des Herabdrängens ihrer Beckenorgane und ihrem Aspekt (Chloasma gravidarum mit der für Sepia typischen Physiognomie) ist Sepia indiziert.
Eine Erstgebärende ist schon 40 h unter der Geburt, und der Muttermund ist noch nicht einmal auf 2 cm eröffnet. Die bei ihrer Hausgeburt anwesende Hebamme stellt übermäßig starken Durst (mehr als 8 l Wasser hat die Gebärende in dieser Zeit getrunken) fest. Die Langsamkeit all ihrer Bewegungen und das Pendeln des Kopfs unter dem Schmerz von einer Seite auf die andere sind besonders auffällig.
Verlauf. In derselben Nacht setzen starke Blutungen ein, und nach 2 Tagen gehen die β-HCG-Werte gegen Null. Schon am übernächsten Tag nimmt sie ihre Arbeit wieder auf. Ultraschall und Laborkontrolle nach 2 Wochen sind vollkommen normal. 18 Monate später wird sie erneut gewollt schwanger, bei wiederum starken Unterbauchbeschwerden wird wieder eine Extrauteringravidität im linken Eileiter fest gestellt. Die Diagnose wird durch Ultraschall zweier erfahrener Untersucher und Labor gesichert. Nach homöopathischer Mitteleinnahme hat sie 5 Tage wehenartige Schmerzen im linken Unterbauch, danach nur noch Ziehen im Unterleib. Bei einer erneuten Ultraschalluntersuchung stellt man fest, dass die Schwangerschaft sich in die Gebärmutter eingenistet hat. Der Fetus hat eine Entwicklungsverzögerung von nur 5 Tagen. Sie entscheidet sich nach einer beschwerdefreien Schwangerschaft zu einer Hausgeburt mit ihrer Hebamme, und Francis wird in der 40. SSW ohne Komplikationen zu Hause geboren. Diskussion. Dieser Fall ist überraschend, zeigt er doch die
enorme Möglichkeit der Autoregulation eines im Grunde gesunden Körpers. Bei der Lebensführung der Patientin verwundert jedoch die Tendenz ihres Körpers zur Ausstoßung von Schwangerschaften nicht. Sepia (eine der Tintenfischarten) ist ein häufiges Mittel für Abortneigung.
Geburt Eindrucksvoll ist immer wieder zu sehen, in welch kurzer Zeit der Einsatz der Homöopathie Wirkung auf Komplikationen unter der Geburt (unregelmäßige Wehen, Wehensturm, protrahierte Geburtsverläufe, Blasensprung ohne Wehentätigkeit, blockierender Geburtsschmerz oder sogar Blutungen unter und nach der Geburt etc.) zeigt. Auf der einen Seite erfordert der Einsatz homöopathischer Mittel gute Vorkenntnisse sowohl physiologischer Geburtsverläufe wie auch der klassischen Homöopathie, auf der anderen Seite ist der Einsatz homöopathischer Mittel deshalb so dankbar, weil die Symptome oft unkompensiert und deshalb bei der Frau unter der Geburt klar erkennbar sind. Durch reine Beobachtung der Gebärenden werden Zeichen der Schmerzbewältigung und dergleichen als Hinweise auf die indizierte Arznei genommen. Wegen der Besonderheit der Situation erfordert die Differenzierung zwischen verschiedenen in Frage kommenden Mitteln häufig nur kurzes Nachfragen. Die Symptome können
Therapeutische Überlegungen. Dies ist eine geburtshilfliche Situation, die unbehandelt eine Verlegung in ein Krankenhaus mit allen Konsequenzen erforderlich gemacht hätte. Homöopathisch war Helleborus niger indiziert. Helleborus (die Christrose) wächst ausgesprochen langsam, hat einen komplizierten Wasserhaushalt und braucht vor Einbruch des Winters enorme Mengen an Flüssigkeit. In der Potenz C 30 wurde es alle halbe Stunde bis zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes gegeben. Verlauf. In weniger als 4 h eröffnet sie vollständig und gebärt ihren 4 kg schweren Sohn. Nach 2 Tagen entwickelt sie hohes Fieber, das auf eine Endometritis zurückzuführen ist. Helleborus niger konnte wiederum in wenigen Stunden helfen, nicht nur das Fieber zu senken, sondern hat ihr auch Zugang verschafft zu der Ursache ihrer Komplikationen. Nach erneutem Fieberschub am 10. postpartalen Tag erscheinen ihr Bilder von sexuellem Missbrauch. (Als Pubertierende lebte sie im Haus ihrer Eltern und wird Opfer sexueller Übergriffe eines Angestellten. Dieser droht, sie umzubringen, falls sie etwas verraten sollte.) Als sie anfängt, davon zu erzählen, setzt der Heilungsprozess auf tiefer Ebene ein. Ihr 2. Kind kommt auch zu Hause zur Welt, dieses Mal ohne große Komplikationen. Diskussion. Die zugrundeliegende Blockade scheint klar auf den sexuellen Missbrauch zurückzugehen. Einerseits die Blockade zu lösen, ohne jedoch in der Akutsituation darauf eingehen zu können, macht die Homöopathie zur Therapie der Wahl für solche scheinbar ausweglosen Situationen. So wie der Patientin von dem Täter durch die Bedrohung der Mund verschlossen worden war, bleibt auch bei ihr die Eröffnung des Muttermundes während der Geburt aus. Viele in ihrer Jugend missbrauchten Frauen haben v. a. bei sexuellem Erleben wie auch bei der Geburt Schwierigkeiten, und in diesem Falle wurden die Geburt und das Wochenbett zur Katharsis. Kasuistik 4
Eine Erstgebärende ist 16 Tage über Geburtstermin, und 3 Einleitungsversuche mit Prostaglandinen und Oxytozintropf sind schon fehlgeschlagen. Den Wehenschmerz beschreibt sie subjektiv, als ob sie von Wölfen in die Genitalien gebissen würde. Therapeutische Überlegungen. Schmerzintensität und -erleben sind subjektive Faktoren, die wir außer durch die per-
54
1164
Kapitel 54 · Komplementäre Medizin
sönliche Betreuung nicht auffangen können. Dass diese Frau einen besonderen Hintergrund hat, wird deutlich durch die ungewöhnliche Beschreibung des Schmerzes einerseits und durch die erfolglos gebliebenen Einleitungsversuche andererseits. Der Teufelskreis von Angst und Schmerz muss durchbrochen werden, will man eine operativre Entbindung vermeiden. Die Homöopathie ist die Methode der Wahl, bei der die Information in ein Arzneimittel übertragen wird. Dieses bewirkt innerhalb von Minuten eine grundlegende Veränderung bei der Frau, sie entspannt sich, und es kommt zu einer raschen Eröffnung des Muttermundes. Bei Verkrampfung durch panische Angst ist Datura stramonium (Stechapfel) indiziert. Das Mittel wird ihr innerhalb einer Stunde 3-mal verabreicht in der Potenz C 200, kurz vor Entbindung nochmals in der C 10.000. Verlauf. Die Wehenaktivität reguliert sich, die Frau eröffnet
54
rasch und ohne weitere Schwierigkeiten, und wenige Stunden danach bringt sie ein über 4 kg schweres Kind gesund, ohne Dammriss und ohne Einsatz von Anästhetika in der Klinik zur Welt. Danach kann sie ihren Geburtsschmerz mit einer traumatischen Erfahrung ihrer Mutter, als sie selbst zur Welt kam, in Verbindung bringen. Die Mutter erlitt bei einer Notfallzangengeburt einen Riss des Gebärmutterhalses, und sie selbst kam blutüberströmt zur Welt.
Zusammenfassende Bewertung Die wenigen hier aufgeführten Fälle sollen weder das Studium der Homöopathie ersetzen noch im Sinne eines Rezeptbuchs für bisher nicht Erfahrene dienen, sondern sie stellen einen Einblick in die Möglichkeiten dieser oft unterschätzten Therapieform dar. Sie dienen auch als Beispiele dafür, dass die Homöopathie auch und gerade in Notsituationen wirksam ist. Über die Symptome der Frauen ergibt sich in diesen entscheidenden Lebenssituationen ein Zugang zu dem Hintergrund und die Möglichkeit, durch die Aufarbeitung von Traumata auf allen Ebenen (körperlich, emotional und mental) zu helfen und ganzheitlich Gesundheit zu fördern. Somit wird deutlich, dass der Begriff der Krankheit in der Homöopathie im Sinne einer Regulationsstörung des Organismus als Chance wahrgenommen wird, die eigene Biographie durch diese Therapieform tiefgreifend zu verändern. Wesentlich für die Homöopathie ist das Vertrauen als Voraussetzung dafür, dass die Patientin dem Therapeuten Zugang zu wesentlichen Elementen ihrer persönlichen »Geschichte« gewährt. Erfahrung und besonderes Einfühlungsvermögen ermöglichen es dem Therapeuten, zu abstrahieren und die Teile aus der persönlichen Geschichte zu identifizieren, aus denen sich ein Bezug zu der bestehenden Symptomatik ableiten lässt. In einem nächsten Schritt wird unter Beachtung des Ähnlichkeitsprinzips aus der Vielzahl der homöopathischen Präparate das für den speziellen Fall am besten geeignete ausgewählt. Daraus wird als grundsätzlicher Unterschied zur Schulmedizin deutlich, dass jede Form von Standardisierung des Vorgehens weitgehend entfällt und damit auch die Voraussetzungen für systematische Untersuchungen in Form von Studien nicht gegeben sind.
54.2.5
Ausblick in die Zukunft
Die Homöopathie bietet in der Hand erfahrener Geburtshelfer eine wesentliche Erweiterung ihrer therapeutischen Möglichkeiten und hilft, Frauengesundheit in den meisten Belangen heilsam zu beeinflussen. Die rasant zunehmenden Fallzahlen von Infertilität, Komplikationen in der Schwangerschaft (Gestose, vorzeitige Wehen, Frühgeburten etc.) sowie unter der Geburt und im Wochenbett fordern alle in der Geburtshilfe Tätigen auf, darüber nachzudenken, wie wir grundsätzlich unserem Auftrag gerecht werden können (»Primum nihil nocere«). So stellten schwedische Forscher fest, dass als Langzeitfolge bei Einsatz von Anästhetika unter der Geburt eine Korrelation besteht zum späteren Drogenmissbrauch der herangewachsenen Kinder (Jacobson et al. 1988). Es gibt derzeit noch viel zu wenige gut ausgebildete Homöopathen unter den Geburtshelfern, Ärzten wie auch Hebammen. Ein mögliches Modell für die Zukunft ist die enge Zusammenarbeit zwischen ärztlichen Geburtshelfern, Pädiatern und Hebammen mit erfahrenen Homöopathen, ein anderer Weg ist die Ausbildung von Fachkräften in den Grundzügen klassischer Homöopathie. Jedes Land wird seinen eigenen Weg finden müssen, jedes geburtshilfliche Team (sei es in der Klinik, im Geburtshaus oder für Hausgeburten) ist eingeladen, die Möglichkeiten der Homöopathie zu nützen, um die Qualität ihrer professionellen Arbeit noch zu verbessern und den Frauen ein breites Therapiespektrum zur Verfügung zu stellen. Besonders in den deutschsprachigen Ländern wird somit der Freiheit der Arztwahl und somit auch der Therapiewahl nachgekommen. Gerade in der Geburtshilfe kann es nur um eine fruchtbare Zusammenarbeit zum Wohle der Frauen und ihrer Familien gehen.
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Zusätzliche weiterführende Literatur zu Kap. 54.2 Master FJ (2005) Gemütssymptome bei Schwangeren und ihr Einfluss auf den Fötus, 2. Aufl. Institut für Homöopathie. Narayana-Verlag, Kandern Graf FP (1994) Ganzheitliches Wohlbefinden – Homöopathie für Frauen, Herder Verlag, Freiburg Graf FP (2004) Homöopathie für Hebammen und Geburtshelfer. Staude Verlag, Hannover Graf FP (1999) Homöopathie unter der Geburt, Staude Verlag, Hannover Schlüren E (1992) Homöopathie in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Haug Heidelberg van der Zee H (2007) Homöopathie und Geburtstrauma. Homeolinks Publishers, Haren NL Grollmann H, Maurer U, Bucher R (2008) Klassische Homöopathie, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Säugling. Groma Verlag, Baar CH Guernsey HN (1995) Homöopathie in Gynäkologie und Geburtshilfe. Simillimum, Ruppichteroth Schroyens F (2002) Synthesis Repertorium 9.1. Hahnemann Institut, Greifenberg Vithoulkas G (1986) Die wissenschaftliche Homöopathie. Burgdorf, Göttingen
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54
55 55 Ethische Probleme in der Geburtshilfe Martin Langer 55.1
Einleitung – 1168
55.2
Grundlagen medizinischer Ethik – 1169
55.2.1 55.2.2 55.2.3 55.2.4
Diskursethik – 1169 Medizinethik und ihre Nachbargebiete – 1169 Ethische Prinzipien – 1170 Arzt-Patientin-Beziehung – 1172
55.3
Ethische Probleme in der klinischen Geburtshilfe – 1173
55.3.1 55.3.2 55.3.3 55.3.4
Ethisches Dilemma, ethischer Konflikt, ethische Krise – 1173 Konflikte mit Betonung des Benefizienzprinzips – 1173 Schwangerschaft bei Frauen mit schweren Begleiterkrankungen – 1177 Konflikte mit Betonung des Autonomieprinzips – 1178
55.4
Lösungsansätze – 1179
55.4.1 55.4.2
Problemanalyse – 1179 Präventive Ethik – 1180
Literatur – 1180
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1168
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
Ethische Probleme in der Geburtshilfe haben eine berechtigte Aktualität. Durch technische Verbesserungen in Pränataldiagnostik, Geburtshilfe und Neonatologie sehen sich Patientinnen und Ärzte vor neue Entscheidungssituationen gestellt; darüber hinaus müssen andere, bereits bekannte Konflikte im Rahmen einer partnerschaftlichen Arzt-Patientin-Beziehung anders als bisher gelöst werden. Weitere Einflussfaktoren sind der multikulturelle Hintergrund der Patientinnen und die stark angestiegene Bereitschaft zu Rechtsklagen bei tatsächlichen oder vermeintlichen Behandlungsfehlern. Zur Bewältigung der meist komplexen Entscheidungsdilemmata wird die Diskursethik als grundsätzlicher Zugangsweg vorgeschlagen, mit Qualitätsanforderungen an den Entscheidungsprozess und nicht an dessen Ergebnis. Die Hauptprinzipien, nach denen vorgegangen werden sollte bzw. die Konflikt auslösend sein können, sind die Benefizienz (Vorteil/Nutzen) einer Therapie für Schwangere und Kind sowie die Autonomie der Patientin. In einer mehrdimensional-geflechtartigen Argumentationsweise können noch Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit (Proportionalität) einer Therapie, Interdisziplinarität und Transparenz der Vorgänge sowie zur sozial gerechten Verteilung von Ressourcen herangezogen werden. Bei der Operationalisierung von Benefizienz kann das Konzept der Personalität angewandt werden, für die Herstellung und Überprüfung einer situationsbezogenen Handlungsautonomie der Patientinnen in der Arzt-Patientin-Beziehung dient der Informed-consent-Vorgang. Die Vorgangsweise einer diskursiven Ethik wird anhand typischer klinischer Konstellationen diskutiert; Beispiele für Benefizienzkonflikte sind extreme Frühgeburtlichkeit und Schwangerschaftsabbruch im 2. Trimenon, für Autonomiekonflikte Verweigerung eines Kaiserschnitts oder Schwangerschaft bei permanent vegetativem Status der Schwangeren. Die Konfliktprävention sollte entstehende Probleme frühzeitig antizipieren. Ärzte sind aufgefordert, flexibel und kreativ nach Lösungen zu suchen und durch betont ausführliches Durchsprechen des Informed-consent-Prozesses sowie evtl. durch Gesprächspausen oder durch Einbeziehen eines bis dahin nicht involvierten Dritten zu einer Deeskalation beizutragen.
55.1
Einleitung
Die Behandlung ethischer Probleme stellt für ein geburtshilfliches Lehrbuch eine notwendige Neuerung dar. Das neue Interesse an ethischen Fragestellungen ist durch mehrere Entwicklungen ausgelöst worden (Husslein u. Langer 1996). 4 Die medizinische Technologie hat in der Geburtshilfe, der neonatalen Intensivmedizin und der pränatalen Diagnostik (PND) völlig neue Entscheidungssituationen geschaffen, die wiederum neue Bewältigungsstrategien von Seiten aller Betroffenen erfordern. So existierten viele der ethischen Dilemmata, denen sich schwangere Frauen und die betreuenden Ärzte in der modernen Geburtshilfe gegenübersehen, früher überhaupt nicht oder nicht in dieser Ausprägung. 4 Die Arzt-Patientin-Beziehung hat sich grundlegend von einem paternalistischen zu einem partnerschaftlichen
Modell gewandelt, in dem die Autonomie der Patientin beim Zustandekommen einer Therapieentscheidung eine wesentliche Rolle spielt. Eine paternalistische Konfliktlösung früheren Zuschnitts ist heute nicht mehr akzeptabel. 4 Weitere Kofaktoren für ethische Konflikte sind der multikulturelle (Migrations)Hintergrund der Patientinnen und die gestiegene Bereitschaft, tatsächliche oder vermeintliche medizinische Fehler rechtlich einzuklagen. Innerhalb der Medizinethik im Allgemeinen nehmen die Geburtshilfe und die Reproduktionsmedizin wegen der biopsychosozialen Ausnahmesituation der Schwangerschaft einen zentralen Platz ein. Typisch geburtshilfliche Güterabwägungen, wie jene zwischen der Autonomie der Mutter und dem Nutzen für das Kind oder innerpsychische Konflikte der Mutter selbst zwischen einander widersprechenden Bedürfnissen sind eben nur in der besonderen Phase der Verantwortung für 2 Individuen möglich. Darüber hinaus ist die überragende soziokulturelle Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt in allen Kulturkreisen eine potenzielle Ursache für Wertkonflikte. > Die Auseinandersetzung mit ethischen Problemen ist für den Geburtshelfer notwendig, weil sie praktischen Entscheidungsdilemmata und nicht philosophisch-abstrakten Diskursen entspringen und jeden klinisch Tätigen bis an die persönlichen Grenzen herausfordern. Die typischen Konstellationen, wie der späte Schwangerschaftsabbruch wegen einer kindlichen Fehlbildung, das Umgehen mit sehr kleinen Frühgeborenen oder die Verweigerung einer vorgeschlagenen Therapie durch die Patientin sind diesbezüglich einschlägig bekannte, emotionell sehr belastende professionelle Aufgaben des Kreißsaalpersonals.
Manifeste ethische Konflikte zwischen Patientin und Arzt sind zwar absolut und relativ zu der großen Zahl von konsensuellen Arzt-Patienten-Interaktionen selten; wenn sie jedoch eintreten, bedeuten sie eine massive Belastung für alle Beteiligten. Darüber hinaus lassen sich aus diesen seltenen, paradigmatischen Zuspitzungen auch hilfreiche Schlussfolgerungen für andere, weniger dramatische Situationen ziehen. Das Ziel dieses Kapitels ist es, den spezifisch ethischen Gehalt einer Konfliktsituation zu definieren und geeignete Strategien vorzuschlagen, mit deren Hilfe diese Dilemmata gelöst werden können. Gesucht wird also die Qualität des Weges, nicht jene des Zieles. Fertige Lösungen können und sollen nicht angeboten werden, weil sie dann nicht existieren, wenn sich die Beteiligten auf die Vielschichtigkeit des Problems einlassen. So verstanden ist Ethik dann auch kein Bevormunden und kein »großer moralischer Entwurf mit moralischem Pathos, dessen die Medizin nicht bedarf« (Wiesing 1996). Die Vorgangsweise der folgenden Überlegungen wird sich vielmehr auf die Verknüpfung philosophischer und klinischer Ansätze stützen, wobei deren Verbindung mit Hilfe der Zuordnung der ethischen Konflikte zu Leitprinzipien geschaffen wird.
1169 55.2 · Grundlagen medizinischer Ethik
55.2
Grundlagen medizinischer Ethik
55.2.1
Diskursethik
Ethik als »praktische Philosophie« beschäftigt sich mit gutem oder schlechtem menschlichem Handeln sowie den Motiven, Methoden und Folgen unserer alltäglichen Handlungsentscheidungen. Je nach der relativen Gewichtung dieser 3 Parameter des Handelns ergeben sich unterschiedliche ethische Konzepte. Tugend-(Werte)Ethik stellt die Motive in den Vordergrund, teleologische Schulen, wie z. B. der Utilitarismus die Folgen und die Diskurs-(Kontrakt)Ethik die angewandten Methoden des Handelns. Welcher Zugang erweist sich nun für die Probleme der klinischen Geburtshilfe als der geeignetste? Eine von vornherein festgelegte Tugendethik, die nur noch auf ein konkretes Problem angewendet werden müsste, setzt einen Konsens über die ihr zugrunde liegenden ethischen Werte voraus; ein typischer Grundsatz wäre in diesem Zusammenhang etwa: »Menschliches Leben ist immer und unter allen Umständen zu schützen.« In einer wertpluralistischen Gesellschaft finden jedoch metaphysisch abgeleitete Letztbegründungen keine zureichende Akzeptanz mehr; daher kann heute nicht mehr hierarchisch-vertikal, sondern nur noch mehrdimensionalgeflechtartig argumentiert werden (Schöne-Seifert 1996). > Das adäquate ethische Paradigma für medizinische Entscheidungen wird somit ein analytisch-diskursives und kein deduktiv-normatives sein (Viefhaus 1994), also eine Diskursethik (Habermas 1991) und keine Gesinnungsethik.
In ähnlicher Weise hat Rawls (1975) mit seiner Kontraktethik den Versuch unternommen, ethische Prinzipien der »mittleren Ebene« einzuführen, die in der spezifischen Einzelsituation miteinander gemischt (Sass 1991) und vernetzt werden müssen (7 Kap. 55.2.2) Diese Prinzipien werden als Qualitätskriterien nicht an das Ergebnis, sondern vielmehr an den zu einem Ergebnis führenden Prozess oder Diskurs angelegt. Mit anderen Worten: Aus einer ethischen Problemsituation sind mehrere Lösungen möglich, die alle gültig sein können; ausschlaggebend sind allein die Qualitäten des Entscheidungsweges, auf dem man zu dem Ergebnis gelangt ist. Dieser Diskurs sollte einerseits die Entscheidungen rational begründen können und sie andererseits auch jenen, die sie nicht teilen, nachvollziehbar machen (Viefhues 1994). Bei der praktischen Problemlösung und der Anwendung der ethischen Prinzipien können 2 Wege beschritten werden: 4 von allgemeinen Prinzipien zum Einzelfall, also deduktiv oder »top-down« oder 4 vom konkreten Problem ausgehend zur allgemeinen Regel, somit induktiv oder »bottom-up«. Die Spannung zwischen streng deduktiven Anwendungsmodellen und puren Einzelfall- oder kasuistischen Modellen wird von mehreren Autoren zu lösen versucht. Das »Kohärenzmodell« (Bayertz 1991) sucht eine Synthese zwischen beiden Zugängen und fordert »kontextsensitives moralisches Urtei-
len im Licht einer essenziell unvollständigen Theorie.« Danach sollte sowohl »von oben nach unten« (von der Theorie zum Einzelfall) und als auch »von unten nach oben« (Kasuistik wirkt ein auf Neuformulierung der Theorie) argumentiert werden (Schöne-Seifert 1996). Sass (1989) spricht von einer »Differenzialethik« in Analogie zur Differenzialdiagnose, weil »konkrete Fälle immer ein Test für die Gültigkeit hoher und hehrer genereller Theorien, oft ein Test für ihre Unbrauchbarkeit in der speziellen Situation sind«.
55.2.2
Medizinethik und ihre Nachbargebiete
Praktische Fragen der Medizinethik grenzen an medizinische, forensische, psychosoziale, religiöse oder kulturell-gesellschaftliche Fragen, wobei jedoch der ethische Gehalt einer Situation eigenständig ist und nicht als Teilgebiet eines anderen subsummiert werden kann. Ethische Dilemmata sind manchmal auch unter rein medizinischen Gesichtspunkten schwierig, weil sie häufig neue und in Entwicklung begriffene Techniken betreffen. Dann muss natürlich die »evidencebased medicine« (EBM) die allgemeine Grundlage jeder klinischen Entscheidung sein, die Unsicherheit der Konsequenzen einer medizinethischen Entscheidung im Einzelfall und das Umgehen damit lassen sich aber nicht durch noch so gute Literatur- oder medizinische Sachkenntnis auflösen. Die jeweilige nationale Rechtsordnung, das Straf- und das ärztliche Standesrecht geben einen Rahmen vor, innerhalb dessen die Ausübung der Medizin zu geschehen hat. Dabei ist zu bedenken, dass forensische und ethische Bewertung nicht unbedingt zusammenfallen müssen: Nicht alles, was rechtlich verboten ist bzw. geahndet wird, ist unethisch (z. B. Präimplantationsdiagnostik); nicht alle Verstöße gegen ethische Richtlinien sind ungesetzlich (Schwangerschaftsabbruch im 3. Trimenon). Psychosomatik und psychotherapeutisches Denken können wichtige Hilfestellungen für die Arzt-Patientin-Beziehung leisten (Strotzka 1983). So kann z. B. das Verständnis für die psychischen Vorgänge und Interaktionen in der Arzt-Patientin-Beziehung und die in der Psychotherapie ausformulierte Notwendigkeit für den Arzt, Grenzen zu setzen, einem Burnout vorbeugen. Demgegenüber ist einem tugendethischen Modell der Arzt-Patientin-Beziehung, das mit Selbstverleugnung und ständiger Bereitschaft des Arztes argumentiert (Pellegrino 1983), die Gefahr der Überforderung schon inhärent. Als Beispiel dafür kann die Diskussion über die Behandlung HIV-positiver Patientinnen und der Infektionsgefahr des geburtshilflichen Personals dienen, an der deutlich wurde, dass weder medizinischer Heroismus noch übertriebene Stigmatisierung der Patientinnen angebracht sind. Situationsadäquat ist lediglich unaufgeregtes professionelles Umgehen mit legitimem physischem und psychischem Selbstschutz des Personals bei gleichzeitiger empathischer Betreuung. Ethische Konflikte auf psychische Konflikte zu reduzieren und sie ausschließlich mit Techniken, die innerhalb einer Psychotherapie ihren Platz haben, bewältigen zu wollen, wird der Problematik allerdings nicht gerecht. Medizinethik leitet ihre
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
Grundsätze nicht von irgendeiner Religion ab, auch wenn Theologen Mitglieder in vielen Ethikkommissionen sind und wertvolle philosophische Beiträge einbringen können. Ein Blick in die geburtshilfliche Station einer Großstadtklinik genügt, um zu verstehen, dass bei der säkularen Grundhaltung und multiethnischen Herkunft der Patientinnen aus verschiedenen Kulturen und Religionen konfessionell orientierte Lösungsversuche zum Scheitern verurteilt sind, wenn die Werte der Patientin wirklich ernst genommen werden sollen. Das soziokulturelle Umfeld und die heutige wertpluralistische Gesellschaft sind Gegenstand vieler medizinethischer Betrachtungen, häufig tugendethischen Zuganges. Wertpluralistisch bedeutet im geburtshilflichen Zusammenhang, dass Werte und Unterschiede, die aus Geschlechts-, Sozialschicht, Religions- und Ethnizitätszugehörigkeit resultieren, Eingang in einen Entscheidungsprozess finden sollten, der bisher von einer homogenen Weltsicht dominiert war. Für die Praxis heißt dies, dass Werte von Frauen aus allen Schichten und aus verschiedenen Ethnien zu einem Faktor der medizinischen Entscheidung werden sollten. Der Wertepluralismus per se ist aber nicht die Ursache ethischer Probleme. Vor die heute zur Debatte stehenden Probleme sahen sich die metaethischen, religiös oder theoretisch-philosophisch begründeten Wertsysteme nie gestellt, oder sie lösten sie fundamentalistisch. Die Fragen sind auch derart neu und komplex, dass diese traditionellen Gesinnungsethiken keine heute akzeptablen Antworten bieten und bieten können. Im Gegenteil: Die durch den Wertepluralismus geförderte Flexibilität schafft erst die Ausgangsbedingungen für kreative Lösungen, die ansonsten unmöglich wären. Bei manchen gynäkologisch-geburtshilflichen Fragen kommt es zu einem Konflikt zwischen Kulturrelativismus und universellen Werten; Beispiele sind Schwangerschaftsabbruch bei ungewünschtem Geschlecht des Kindes, Selbstbestimmung der Frau oder gar »female genital mutilation« (FGM). Die Diskussion darüber ist weltweit im Gange; grundsätzlich darf und muss jeder Arzt im Einklang mit seinem – gut reflektierten – Wertesystem und im Rahmen seines Kultur- und Rechtssystems handeln. Dieser Artikel wird sich ausschließlich mit ethischen Problemen der klinischen Geburtshilfe beschäftigen. Bewusst ausgeklammert werden zweifellos wichtige ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, der Stammzellforschung und der Genethik, des Schwangerschaftsabbruchs im 1. Trimenon, der biomedizinischen Forschung sowie der Gesundheitsökonomie und -politik.
55.2.3
Ethische Prinzipien
Woran lässt sich der spezifisch ethische Gehalt einer Entscheidungssituation erkennen? Ein ethisches Problem lässt sich dann konstatieren (nach Beauchamp u. Childress 1994), wenn 4 zwischen Patientin und Arzt ein Konflikt über die Durchführung oder die Unterlassung einer medizinischen Maßnahme besteht (Autonomiekonflikt) oder 4 der Nutzen einer Therapie für die Patientin und/oder das Kind grundsätzlich in Frage steht (Benefizienzkonflikt).
Benefizienz Die Vorstellung, dass ärztliche Behandlung dem Patienten nützen (bonum facere) oder zumindest nicht schaden (nil nocere) solle, reicht bis Hippokrates zurück und scheint vorerst selbstverständlich und keiner weiteren Erklärung bedürftig. In Grenzbereichen, z. B. am Anfang und am Ende des Lebens, kann der Nutzen medizinischer Intensivtherapie aber durchaus fragwürdig werden, wenn sie in der reinen Lebensverlängerung ohne Abwägung anderer Prinzipien besteht. Diese inhaltlichen Probleme spiegeln sich auch sprachlich wider; nachdem die gebräuchlichen Übersetzungen von »beneficience« ins Deutsche, nämlich (Gesundheits)Fürsorge, Nutzen oder Vorteil unbefriedigend bleiben, werde ich (nach Sass) den Terminus »Benefizienz« verwenden. Als inhaltlich ähnliche Wendung wird »Handeln im besten, wohlverstandenden Interesse des Patienten« verwendet. Das Prinzip des »nil nocere«, der »Non-Maleficience«, wird meist als im Benefizienzprinzip enthalten bzw. als dessen logische Folge betrachtet. > Die besondere Situation der Geburtshilfe besteht darin, das »beste Interesse« zweier Individuen, Schwangere und Fetus, zu berücksichtigen und im Konfliktfall sogar gegeneinander abwägen zu müssen.
Nutzen und Gefahren einer Therapie müssen jedenfalls nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gegeneinander abgewogen werden, d. h., es muss gefragt werden, wann die Behandlung durch die Schmerzen, das Leid und den Verlust an Würde, die sie zufügt, zur »Misshandlung« wird« (Clark 1995). In jüngster Zeit wurde dafür das Prinzip der »futility« (»Aussichtslosigkeit«, »Nutzlosigkeit«) eingeführt, um die Situation der Therapiebeendigung, z. B. einer neonatalen Intensivtherapie, konzeptuell zu bewältigen (Brody 1995). Clark (1995) weist auch darauf hin, dass es mittels des Futility-Konzepts möglich wird, ein »gewisses Ausmaß von ärztlicher Freiheit angesichts von Patientenautonomie zu bewahren«. Praktisch anwendbar ist weitererhin das Konzept von Personalität, mit dem man den Endzustand einer Behandlung zu operationalisieren versucht. Die Vertreter dieser Anschauung fordern als Voraussetzung für eine Behandlung, dass die Aussicht bestehen müsse, der Patient/das Kind solle zumindest über eine basale Hirnfunktion, Zukunftsinteressen und -aussichten sowie die Fähigkeit zur sozialen Interaktion verfügen.
Autonomie Die Diskussion um die Wahrung der Autonomie der Patienten war v. a. in der angelsächsischen Literatur der eigentliche Ausgangspunkt der modernen Medizinethik (Brody 1988). Autonomie Der Autonomiebegriff wird in der Medizinethik im Wesentlichen pragmatisch definiert, nämlich als »situationsbezogene Handlungsautonomie« (Schöne-Seifert 1996). Nach Faden u. Beauchamp (1986) ist eine Handlung dann als autonom zu bezeichnen, wenn »ein Patient, der die Sachlage verstanden hat, sie bewusst und ohne äußeren Einfluss durch dritte Personen setzt« (Prinzipien von Verständnis, Intentionalität und Freiheit von Zwang).
1171 55.2 · Grundlagen medizinischer Ethik
Vielfach wurde grundsätzlich bezweifelt, ob Patienten in ihrer abhängigen Situation überhaupt autonom handeln können, v. a. dann, wenn sie sich in Angst, Schmerzen oder gar Lebensbedrohung befinden. Verwendet man einen sehr allgemeinen, abstrakten Autonomiebegriff, mag dieses Argument zutreffen. Bei medizinethischen Fragen handelt es sich aber um eine vom klinischen Kontext abhängige, proportionale und konkrete Entscheidungsautonomie, die praktische Fragen von unmittelbarem persönlichem Interesse betrifft und die auch erreichbar ist. Die Vorbedingungen dazu sind jedoch fast nie schon vorgegeben, sondern immer erst Ergebnis eines Interaktionsprozesses zwischen Patientin und Arzt. Allerdings sind die Autonomie und die kognitiven und emotionellen Vorbedingungen für eine autonome Entscheidung fast nie vorgegeben, sondern müssen aktiv in der ArztPatientin-Beziehung hergestellt und erarbeitet werden. Dieser Vorgang des »informed consent« (Zustimmung nach Aufklärung) schafft und überprüft gleichzeitig die Kriterien der Autonomie. McCullough u. Chervenak (1994) haben den prozesshaften Charakter des »informed consent« betont und ihn in eine Reihe von Einzelschritten zerlegt. Wegen ihrer zentralen Wichtigkeit sollen sie hier detailliert wiedergegeben werden.
Einzelschritte des »informed consent« 1. Der Arzt beginnt den Vorgang, indem er von der Patientin erhebt, was sie selbst über ihren Zustand glaubt, ihre Diagnose, die vorhandenen Alternativen zu deren Behandlung und die Prognose unter jeder dieser Alternativen. 2. Der Arzt korrigiert faktische Irrtümer und Unvollständigkeiten im Wissensstand der Patientin. Dies bedingt nicht, dass die Patientin dabei eine komplette medizinische Ausbildung erhält. 3. Der Arzt liefert und erklärt seine klinische Einschätzung über den Zustand der Patientin und alle verfügbaren Behandlungsstrategien (einschließlich der, nichts zu tun, d. h. aufmerksam zuzuwarten). 4. Der Arzt arbeitet mit und hilft der Patientin, soweit notwendig oder erbeten, ein möglichst komplettes Bild ihres Zustandes und der verfügbaren Alternativen zu dessen Behandlung zu gewinnen. 5. Der Arzt arbeitet mit der Patientin, um ihr zu helfen, ihre wichtigen und relevanten Werte und Ansichten zu klären. 6. Der Arzt hilft der Patientin in einer nichtdirektiven Weise, die Behandlungsalternativen (einschließlich des Zuwartens) im Licht dieser Werte und Ansichten zu bewerten. 7. Die Patientin bemüht sich verstandes- und wertorientiert ihren Zustand, die verfügbaren Behandlungsalternativen und deren Prognose zu verstehen und ihre subjektiven und wohlüberlegten Wünsche zu äußern. 8. Der Arzt macht eine Empfehlung, die auf seiner klinischen Einschätzung von Schritt 3 basiert. 9. Eine gemeinsame Entscheidung wird getroffen und umgesetzt.
Die klinische Erfahrung zeigt allerdings manchmal, dass Patienten in der Ausnahmesituation einer schweren Erkrankung Wünsche äußern oder Entscheidungen fällen, die »gemessen am sonstigen, subjektiven Maßstab des Patienten deutlich aus dem Rahmen fallen, also inkohärent sind« (Schöne-Seifert 1996). Dazu gehören die Unterschätzung von unvertrauten oder weit in der Zukunft liegenden Risiken und die Überschätzung kurzfristiger Schmerzen oder Leiden. Ärzte haben daher manchmal die Aufgabe, Patienten zu helfen, von momentanen, rein subjektiven Interessen zu ihren langfristig »wohlüberlegten Interessen« (»deliberate interests«, McCullough u. Chervenak 1994) zu gelangen, die im Einklang mit ihrer sonstigen, prämorbiden Persönlichkeit und ihrer psychosozialen Rolle stehen.
Andere Prinzipien Um das angesprochene mehrdimensionale Geflecht ethischer Prinzipien zu erzielen, das allein die Grundlage gut abgesicherter Entscheidungen einer Diskursethik darstellt, müssen dem Autonomie- und Benefizienzprinzip noch weitere Grundsätze »zugemischt« werden.
Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Proportionalität) kann dann sehr hilfreich sein, wenn die Weite der Auslegung der Prinzipien im Einzelfall schwierig ist. Die Respektierung der Autonomie der Patientin muss sogar nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit modifiziert werden: > Je größer oder je elektiver der Eingriff, desto strenger müssen, je kleiner der Eingriff oder je vitaler die Gefahr, desto großzügiger dürfen die Anforderungen an Aufklärung und »informed consent« verstanden werden.
Anhand praktischer Beispiele bedeutet das: Eine Blutabnahme oder eine Wertheim-Radikaloperation werden einen sehr unterschiedlichen Umfang des »informed consent« erfordern, während analog eine Chorionbiopsie aus Altersindikation oder eine Notfallsectio nach sehr unterschiedlicher Erörterung von Therapiealternativen verlangen. Auch Nutzen und Risiko einer Therapie werden und müssen traditionellerweise nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgewogen werden.
Pragmatik Die folgenden »pragmatischen Klugheitsregeln» (Sass 1994), die gewissermaßen eine in Worte geronnene Arbeitserfahrung darstellen, können ebenfalls den Hauptprinzipien beigemischt werden.
Gerechtigkeit Im medizinethischen Zusammenhang wird Gerechtigkeit meist im Sinne von sozialer Verteilungsgerechtigkeit verstanden. Sie ist zentrales Argument der v. a. medizinökonomischen bzw. medizinpolitischen Debatte um Ressourcenallokation und spielt im klinischen Kontext eine relativ untergeordnete Rolle. In Zeiten der akuten Verknappung finanzieller Mittel im Gesundheitswesen, also auf Ebene der Makroallokation (Illhardt u. Piechowiak 1995) sind Angehö-
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
Tipp Die wichtigsten pragmatischen Klugheitsregeln von Sass (1994) lauten: 5 Große Problemkomplexe werden in leichter und schwieriger zu lösende Teilprobleme zerlegt. 5 Die verantwortliche Lösung des Einzelfalls hat Vorrang vor der generellen Durchsetzung einer Norm. 5 Die Orientierung an vergleichbaren Fällen hilft bei der Güterabwägung. Für die Arbeit in Kliniken muss man noch hinzufügen: 5 Interdisziplinäre Zusammenarbeit 5 Wichtigkeit von Transparenz und schriftlicher Dokumentation
rige von Gesundheitsberufen allerdings doppelt betroffen, nämlich sowohl durch Sparappelle als auch durch Personalverknappung in ihrer unmittelbaren Arbeitssituation. Die ökonomischen Implikationen von Therapien und das Verhältnis der eingesetzten Mittel für kurative vs. präventive Zwecke spielen daher eine neue, in ihrer Relevanz zunehmende Rolle, die auch auf die Mikroallokation, d. h. auf die Verteilungsprinzipien innerhalb eines Krankenhauses, Auswirkungen haben kann.
55 55.2.4
Arzt-Patientin-Beziehung
Jener Ort, an dem alle medizinischen Entscheidungsprozesse ablaufen, an dem sich die theoretischen Überlegungen zur Diskursethik konkretisieren und dem somit eine zentrale Schlüsselstellung zukommt, ist die Arzt-Patientin-Beziehung. Die Bedürfnisse an Kommunikation und Entscheidungsautonomie in der Arzt-Patientin-Beziehung sind sehr unterschiedlich. Zumindest für manche Patientengruppen haben sie sich in den letzten Jahren dramatisch intensiviert, während sie für andere, wie z. B. ältere oder einfacher strukturierte Patienten, relativ konstant blieben. Auch die Institutionsform, in der Arzt und Patientin zusammenkommen, also die Ordination des niedergelassenen Arztes, ein Ambulatorium oder eine Krankenhausabteilung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Art der Interaktion. In der Literatur werden 3 Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung genannt, wobei es sich in der konkreten Praxis fast immer um Mischungen von Anteilen aus allen Modellen handelt (adaptiert nach Sass 1989).
Partnerschaftliches Modell Grundlage dieses Modells ist eine partnerschaftliche Beziehung mit unterschiedlichen, »asymmetrischen«, aber wohldefinierten Rechten und Pflichten für beide Partner. Dieses Modell ist zweifellos das angemessenste für Entscheidungen in der modernen Medizin. Die Rollen innerhalb dieser Beziehung sind reziprok aufeinander bezogen. Die Patientin trägt eine Teilverantwortung bei Entscheidungen für ihre Gesundheit und Lebensqualität,
der Arzt ist Berater, Partner und Experte. Die Patientin wird mit ihren Bedürfnissen ernstgenommen, hat aber die Pflicht, selbst ernsthaft mitzuarbeiten sowie ehrlich bei den Auskünften über ihre Erkrankung zu sein. Der Arzt hat Schweige-, Sorgfalts- und Behandlungspflicht sowie das Recht, die Medizin innerhalb eines gewissen, selbstdefinierten Rahmens auszuüben und nicht zu Handlungen gegen seine fachlich-intellektuelle oder ethische Integrität gezwungen zu werden (7 Kap. 55.2.2; Futility-Konzept). Jeder Arzt ist aufgefordert, in einem kontinuierlichen Prozess seine professionellen und persönlichen Wertehaltungen zu reflektieren, um seine Entscheidungen nach nachvollziehbaren Kriterien und nicht momentanen Stimmungen oder Gefälligkeitsüberlegungen zu treffen. Nicht wertende Beratung im Sinne des partnerschaftlichen Modells ist dann gegeben, wenn sich der Arzt seiner eigenen Werte zwar bewusst ist, sie aber nicht in den Entscheidungsprozess wirksam einfließen lässt; ausschlaggebend darin sind ausschließlich die Wertehaltungen der Patientin. Unter non-direktiver Beratung wird eine hinsichtlich des angestrebten Zieles neutrale Beratung verstanden. Zur Illustration: Nicht wertend verhält sich ein Arzt, der selbst eine Schwangerschaft mit einem Fetus mit Trisomie 21 nicht abbrechen würde, der aber eine dahingehende Entscheidung der Patientin ohne Ausüben von Druck akzeptiert. Non-direktiv wird ein Arzt über die Sectio in der 25. SSW, direktiv hingegen (wegen des gesicherten Benefits bei gegebener Indikation) in der 28. SSW beraten.
Paternalistisches (hippokratisches) Modell Dieses Modell aus der Tugendethik ist charakterisiert durch Autorität und Verantwortung auf Seiten des Arztes sowie Abhängigkeit und Compliance auf Seiten der Patientin. Obwohl als grundsätzliches Modell nicht mehr zeitgemäß, kann Paternalismus dann gerechtfertigt sein, wenn etwa der Nutzen einer Entscheidung für die Patientin hoch und die Einschränkung gering ist (Beispiel: Steckgitter nach Narkose), die Patientin kurzfristig nicht einsichts- und entscheidungsfähig ist (unter Alkohol- oder Drogeneinfluss) oder nach Aufklärung ausdrücklich den Arzt um eine Entscheidung seinerseits bittet (»schwacher« Paternalismus).
Vertragsmodell Viele ausschließlich oder vorwiegend technische Leistungen der Ärzte können nach einem Vertragsmodell verstanden werden, in dem eine ganz genau definierte Teilverrichtung Gegenstand eines meist kurzfristigen Behandlungsvertrags ist. Die Arbeitsweise innerhalb der stark arbeitsteiligen und hierarchisch strukturierten Krankenversorgung an großen Kliniken, an denen die Patientin partikularisierte therapeutische Beziehungen zu vielen Angehörigen von verschiedenen Gesundheitsberufen eingeht, kann zumindest teilweise durch ein Vertragsmodell beschrieben werden.
1173 55.3 · Ethische Probleme in der klinischen Geburtshilfe
55.3
Ethische Probleme in der klinischen Geburtshilfe
55.3.1
Ethisches Dilemma, ethischer Konflikt, ethische Krise
Die Vielfalt der möglichen Konfliktkonstellationen lässt sich nach einigen Kriterien strukturieren, wenn auch jeder Einzelfall eigene Besonderheiten aufweist, die es zu berücksichtigen gilt. Als Einordnungsvariablen eignen sich die Grundprinzipien medizinischer Ethik, also Benefizienz und Autonomie, und als Prozessvariable die vorhandene Gefahr und/oder ein evtl. bestehender Zeitdruck. Bei der Analyse eines anstehenden Problems wird vorerst zu fragen sein, in welcher Form und welcher relativen Gewichtung die Prinzipien Autonomie und Benefizienz (in seltenen Fällen soziale Gerechtigkeit) in Frage gestellt sind. Reine Autonomiekonflikte, die es in anderen klinischen Fächern gibt, sind in der Geburtshilfe extrem selten, da es nahezu immer Benefizienzverpflichtungen für den Fetus und/oder die Schwangere abzuwägen gilt. Somit kann nach dem Mischungsverhältnis zwischen Autonomie und Benefizienz unterschieden werden. Im Gegensatz zu vielen amerikanischen Autoren, von denen häufig Autonomiekonflikte mit der Patientin berichtet werden, werden erfahrungsgemäß ethische Probleme oft als geteilte Sorge zwischen Arzt und Patientin empfunden, und es gibt keinen manifesten Konflikt mit der Autonomie. Für diese Situation, die am Beispiel der Beratung bei extremer Frühgeburtlichkeit (SSW 23–25) dargestellt werden kann, ist daher der Ausdruck »ethisches Dilemma« angemessen. »Ethischer Konflikt« sollte für Fälle manifesten ArztPatienten-Konflikts mit einer starken Autonomiekomponente reserviert bleiben, »ethische Krise«, wenn dazu akute (Lebens)Gefahr und/oder starker Zeitdruck besteht. Die konkreten klinischen Situationen werden im Folgenden anhand von Grundfiguren eines Konflikts dargestellt, der sich in unterschiedlicher Schärfe und Brisanz manifestieren kann. Manchmal existiert ein allgemein bekannter Leittypus des Problems, der in paradigmatischer Weise das ganze Feld blitzlichtartig erhellen kann, wie etwa die Verweigerung einer Sectio caesarea als schärfste Form einer Therapieverweigerung. Die abgeschwächten Formen sind natürlich häufiger; die Bandbreite zwischen ihnen (z. B. Verweigerung einer Heparin-Injektion) und der ethischen Krise (Verweigerung einer Sectio bei Placenta praevia) zeigt das gesamte Kontinuum, dessen Endpunkt der voll ausgeprägte Konflikt darstellt.
55.3.2
Konflikte mit Betonung des Benefizienzprinzips
Die mehrdimensionale Vorgangsweise und die Vorzüge der Diskursethik können anhand der klassischen Dilemmata mit kindlicher Gefährdung gezeigt werden. Sowohl Entscheidungen bei extremer Frühgeburtlichkeit und beim medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch als auch bei extremer früher Wachstumsrestriktion sowie der Abruptio im
Rahmen der »Fristenlösung« können mittels einer einheitlichen, stringenten Argumentation behandelt werden, z. B. über ein Modell, das von einer mit steigendem Gestationsalter abnehmenden mütterlichen Autonomie und zunehmenden Benefizienzverpflichtungen gegenüber dem Fetus ausgeht, die zusätzlich nach dem Schweregrad der kindlichen Pathologie und Proportionalitätskriterien abgestuft wird.
Geburtshilfliches Vorgehen bei extremer Frühgeburtlichkeit Das Management der drohenden extremen Frühgeburtlichkeit bei normalem Chromosomensatz und ohne Fehlbildungen stellt eine der häufigsten Beratungssituationen im klinischen Alltag dar. Sie läuft vorwiegend als gemeinsames ethisches Dilemma ab, bei dem das Benefizienzprinzip für den Fetus im Vordergrund steht und in dem die Patientin vom Arzt Entscheidungshilfe zwischen verschiedenen Therapiealternativen erwartet. Selten kommt es zum Konflikt über die Verweigerung einer Therapie, wie z. B. der Tokolyse oder der Lungenreifung. Bei Kindern in der 23.–25. SSW sind in jüngster Zeit große Fortschritte durch aktives perinatologisches Management (Tokolyse, Lungenreifung, Antibiotikaeinsatz, künstliches Surfactant, Hochfrequenzbeatmung etc.) erzielt worden, die Morbidität und Mortalität ist in dieser Gruppe aber noch immer hoch (Marlow et al. 2005). Die derzeitige Untergrenze für potenzielles Überleben ist die vollendete 23. SSW (=23+0 bis 23+6); die zu erwartenden Geburtsgewichte der Neugeborenen liegen in SSW 23–25 bei 500–750 g. Es existieren zwar anekdotische Berichte über ein morbiditätsfreies Überleben von Kindern vor der 23. SSW, diese können jedoch nicht als Basis für Routineentscheidungen herangezogen werden. Die Prognose der Mortalität und Morbidität des Neugeborenen ist eng an den jeweiligen Standard der perinatologischen Einheit gebunden und somit örtlich und zeitlich sehr variabel. Als Entscheidungsgrundlage für Patientin und Arzt müssen die Ergebnisse der eigenen perinatologischen Einheit und nicht die internationale Literatur herangezogen werden (Obladen et al. 1994). Die prognostische Unsicherheit schließt die Bandbreite zwischen dem Tod, einer lebenslangen schweren Behinderung, einer milden Behinderung und einem unbehinderten Leben ein. Die besondere Schwierigkeit wird dadurch illustriert, dass es durchaus unklar ist, ob man »durch aktives Handeln oder durch Zuwarten größeren Schaden anrichtet oder Nutzen stiftet« (Hepp, persönliche Mitteilung). Diese Einsicht richtet sich zu Recht gegen eine unkritische Maximaltherapie, die oft als Ausweg und Scheinlösung gewählt wird, um sich nicht in Differenzierungen und Entscheidungsitutationen begeben zu müssen. In der Vergangenheit hat sich allerdings gezeigt, dass Verzicht auf eine integrierte, aktive Therapie von Geburtshilfe und Neonatologie im Sinne einer »self-fulfilling prophecy« zu schlechten Ergebnissen führte. Daher wird heute ab der SSW 24 ein proaktives Management bevorzugt. Die möglichen Entscheidungsdilemmata betreffen das gesamte Spektrum perinatologischer Interventionen. Sie reichen von der Frage der Sectio aus kindlicher Indikation bei
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
ungünstiger Prognose über die Grenzen bzw. den Abbruch der Tokolyse bis zu neonatologischen Fragen der Reanimation, der »comfort care« oder der Beatmung. Bei Blasensprung und/oder Amnioninfekt in der SSW 18–22 (»extremely premature preterm rupture of membranes«; EPPROM) sind die Ergebnisse derart ungünstig, dass der Schwangerschaftsabbruch eine mögliche Therapiealternative darstellt und in den USA auch in einem relativ hohen Prozentsatz (39%) gewählt wird (Falk et al. 2004). Zwischen der 20. und der 22. SSW kann auch ein Fetozid in Betracht gezogen werden; er sollte einer besonders strengen Indikationsprüfung, einem ausführlichen Informed-consent-Prozess und ausreichend Zeit für die Entscheidung unterzogen werden. Sowohl im Konsensfall, d. h. bei gleicher Einschätzung durch Arzt und Patientin, als auch im Konfliktfall, d. h. bei Wunsch nach Therapieabbruch, stellt die autonome Entscheidung der Schwangeren das Bindeglied zwischen dem vorlebensfähigen Fetus und dem späteren Kind dar. Mit ihrer Entscheidung kann die schwangere Frau dem vorlebensfähigen Kind den »Status eines Patienten« (McCullough u. Chervenak 1994) übertragen oder eben nicht und – beraten durch den Arzt – eine dementsprechende Auswahl aus dem therapeutischen Angebot treffen. Im strukturierten Gespräch (7 Kap. 55.2.2) mit der Schwangeren (und ihrem Partner) wird also zu erarbeiten sein: 4 Welche Bedeutung hat dieses »spezielle Kind« und diese Schwangerschaft im gesamten Lebenszusammenhang? 4 Was bedeutet der Nutzen einer Therapie für das Kind? 4 Welches Ergebnis eines geburtshilflichen Vorgehens hätte welche Folgen für die Eltern? Die Beratung und das klinische Vorgehen werden sich in einem abgestuften Modell stark nach dem Gestationsalter und dem physiologischen Reifegrad des Fetus orientieren. Die Direktivität des Gesprächs kann dann nach dem folgenden Rahmen vorgenommen werden (modifiziert nach McCullough u. Chervenak 1994): Tipp Empfehlung Vor der 23. SSW sollte der Arzt non-direktiv in der Frage einer weiteren Behandlung oder eines Therapie- oder Schwangerschaftsabbruchs sein. Ab der 23. SSW sollte die Beratung direktiv gegen einen Therapie- und/oder Schwangerschaftsabbruch, nach der 24. SSW (zu erwartendes Geburtsgewicht ca. 750 g) sollte der Arzt gegen nichtaktives geburtshilfliches Management und nach der 26. SSW für aktives Vorgehen beraten. In dieses Stufenmodell kann man auch stringent das Zulassen eines intrauterinen Fruchttodes (IUFT) bei hochgradiger, früher intrauteriner Wachstumsrestriktion einordnen; es wäre sinngemäß bis SSW 26+0 zulässig.
Dieser Rahmen kann eine erste Ausgangsbasis bilden, die dann mit den Wertevorstellungen der Schwangeren/des Paares verglichen wird. Von größter Bedeutung ist das gemeinsame Gespräch mit dem später für das Neugeborene
verantwortlichen Neonatologen, um die Einheitlichkeit des Vorgehens zu signalisieren und herzustellen. Die Entscheidung wird dann meist in einem gemeinsamen Gespräch dieser 3 Parteien fallen. In jedem Fall sollte der Frau/dem Paar eine kontinuierliche klinisch-psychologische Betreuung angeboten werden.
Schwangerschaftsabbruch aus genetischer oder Fehlbildungsindikation Medizinethische Bewertung > Die Frage des Schwangerschaftsabbruchs im 2. Trimenon ist eine der schwierigsten der medizinischen Ethik überhaupt.
Angesichts des fehlenden gesellschaftlichen Konsenses über die Zulässigkeit des Vorgehens überhaupt, ja sogar einer schroffen Polarisierung zwischen einzelnen Gruppen, lässt sich die Realitätsnähe einer mehrdimensionalen Diskursethik gut zeigen. Mit diesem Zugang lassen sich nämlich mütterliche Autonomie, Benefizienzverpflichtungen dem Kind gegenüber sowie Anwendung von Verhältnismäßigkeit und Pragmatik durchaus vereinbaren. Nachdem der Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation auch ein gesellschaftspolitisch brisantes Thema darstellt, seien dem klinischen Vorgehen noch einige Überlegungen diesbezüglich vorangestellt. Ausgangspunkt jeglicher Diskussion muss hohe Sensibilität gegenüber der Betroffenheit von Behinderten einerseits, aber auch Respekt vor der individuellen Entscheidung eines Paares andererseits sein. So äußerten Behindertenverbände, religiöse Gruppen und Teile der Frauenbewegung die Besorgnis, dass vom Schwangerschaftsabbruch aus Fehlbildungsindikation eine direkte Linie zum Absprechen des Lebensrechtes für Behinderte mit eben diesen Erkrankungen führen könnte. Unter dieser Argumentation mit »Dammbruchrisiken« (Schöne-Seifert 1996) wird die Angst davor verstanden, dass das Aufweichen einer strengen Grenze im Einzelfall einen Zusammenbruch aller Hemmnisse bedeuten könnte, die die Elimination aller unerwünschten Gene oder Eigenschaften nach sich ziehen könnte. Diese Bedenken sind vor dem Hintergrund der real erlebten gesellschaftlichen Diskriminierung Behinderter grundsätzlich verständlich, sie sind jedoch weder aus genetischer Sicht möglich noch werden sie von irgendjemandem befürwortet. Hinzu kommt die besondere historische Verantwortung Deutschlands und Österreichs, mit dieser Problematik besonders bewusst und sensibel umzugehen. Die parallel dazu erhobene, »fundamentalistische« Forderung nach einem grundsätzlichen Verbot für alle Schwangerschaftsabbrüche aus Fehlbildungsindikation muss allerdings zurückgewiesen werden. Die Verhältnismäßigkeit gegenüber dem Abbruch im Rahmen der Fristenlösung, der in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten möglich und weitgehend unbestritten ist, wäre dann schwerwiegend gestört, wenn eine Frau bis zur 12. SSW (Österreich 14. SSW, Schweiz 10. SSW) ohne Angabe von Gründen, jedoch in der 16. SSW bei Vorliegen einer Trisomie 21 nicht mehr abtreiben dürfte. Abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit widerspräche dieses Durchsetzen einer abstrakten Norm den pragmatischen Klugheitsregeln, die das Lösen des Einzelfalls prio-
1175 55.3 · Ethische Probleme in der klinischen Geburtshilfe
risieren. Ein Weg, um die Aporie der abstrakten Recht-aufLeben-Argumentation zu vermeiden, ist das Konzept der »Unzumutbarkeit für die Eltern«, mit einem Kind mit massiver Entwicklungseinschränkung zu leben, mithin ein ebenfalls am Lebensalltag orientierter, pragmatischer Zugang (Schöne-Seifert 1996). Ein anderer Ausgangspunkt für eine rationale Auseinandersetzung mit dem Schwangerschaftsabbruch kann von der Konkretisierung des Begriffs »Behinderung« abgeleitet werden. > Nur ein kleiner Teil der im späteren Leben als behindert bezeichneten Menschen leidet an einer Erkrankung, die auch pränatal zu diagnostizieren gewesen wäre.
Dies bedeutet, dass die Gesellschaft auch bei Anwendung der Pränataldiagnostik und des Abbruchs aus medizinischer Indikation auf jeden Fall weiter aktiv an einer behindertengerechten Gestaltung der Alltagswelt arbeitet und dass parallel zur Ausweitung der PND und ohne Widerspruch zu ihr die Gesellschaft behindertengerechter wurde. Des Weiteren lassen Vertreter aller Positionen innerhalb des Spektrums möglicher Fehlbildungen irgendeine Form von Relativierung zu (Holzgreve 1995): So verweigert niemand ernsthaft den Wunsch nach Abbruch bei Anenzephalie, niemand befürwortet ihn bei Hexadaktylie. Bei Anwendung dieser Überlegungen wird es möglich sein, viele Diagnosen in unterschiedlichen Gestationsaltern außer Streit zu stellen und so zur Vertrauensbildung zwischen den unterschiedlichen Positionen beizutragen. Doch selbst wenn man eine grundsätzlich flexible Position zu einzelnen Indikationen einnimmt, bleibt es für viele eine irritierende Erkenntnis, dass es keinen feststehenden Kanon von Diagnosen geben kann, der einen Abbruch rechtfertigt. Der Konsens darüber ist historisch und kulturell beeinflusst und muss immer wieder neu erarbeitet werden. Manchmal wird das Vorliegen einer Chromosomenaberration als entscheidendes oder sogar einziges Kriterium herangezogen; ein internationaler Vergleich zeigt, dass z. B. Aneuploidien der Geschlechtschromosomen (z. B. 45 X0, 47 XXY) in deutschsprachigen Ländern praktisch nicht, in anderen Kulturen aber sehr wohl als Indikation angesehen werden. Weitgehende Übereinstimmung herrscht in Industrieländern darüber, dass Geschlechtsselektion (»Gendering«) von Feten abzulehnen ist, wobei auch hier Gegenstimmen erhoben wurden. > Angesichts milder chromosomaler und schwerer somatischer Fehlbildungen sollte eine möglichst gesamtheitliche Evaluation der späteren kindlichen Entwicklungschancen Ausgangspunkt des Entscheidungsprozesses sein.
Manche schweren somatischen Fehlbildungen, die frühzeitig (12.–16. SSW) diagnostiziert werden können, weisen zwar keine Chromosomenaberration und keine Beeinträchtigung des kognitiven Entwicklungpotenzials auf, lassen aber doch eine massiv behinderte kindliche Entwicklung mit dementsprechender Belastung der Eltern erwarten. Bei der Bewertung des Schweregrades dieser Fehlbildungen werden Arzt
und Patientin die schwierige Abwägung zwischen den Extremen von Gesundheits- bzw. Perfektionsvorstellungen vom Kind einerseits und der Unantastbarkeit des Lebens andererseits vornehmen müssen. An zwei häufigen Diagnosen, Trisomie 21 und rechtsseitigen Zwerchfellhernien, wird das Auseinanderklaffen zwischen den zweifellos vorhandenen Lebensaussichten der Kinder bei meist guter sozialer Integrationsfähigkeit einerseits und der narzisstischen Kränkung der Eltern andererseits besonders deutlich. Die derzeit geübte Praxis – maximaler Aufwand zur Entdeckung und »Elimination« der Trisomie, hingegen sehr zurückhaltende Einstellung bei Diaphragmahernien – offenbart die bestehenden Widersprüche, die nicht weiter auflösbar sind.
Klinisches Vorgehen Wie kann verantwortungsvolles klinisches Vorgehen aussehen, das die oben dargestellte Besorgnis entkräften könnte? In einer pluralistischen Gesellschaft stellt die autonome, informierte Entscheidung der Schwangeren/des Paares die einzige Instanz dar. Der unverzichtbare Kern des medizinethischen Vorgehens ist daher die individuelle Beratung der betroffenen Frau/des Paares durch einen sowohl medizinisch/ genetisch als auch gesprächstechnisch versierten Arzt. In diesem Gespräch müssen die Bedingungen für die Entscheidungsautonomie hergestellt werden, nämlich die ausführliche Information über die Erkrankung und Prognose des Kindes und die Erwartungen und Wertevorstellungen des Paares. Im Zentrum der Beratung steht allein der Einzelfall vor dem Hintergrund klinischer Erfahrung; eugenische Argumente in Hinblick auf die Gesamtpopulation sind sachlich und ethisch unzulässig. Die Beratung hat auch bei schweren Fehlbildungen oder Chromosomenaberrationen streng nondirektiv zu erfolgen. Ein etwaiges ärztliches Drängen zum Schwangerschaftsabbruch ist unbedingt zu vermeiden, weil das Erleben der Schwangerschaft auch bei fehlender kindlicher Lebensperspektive für die betroffene Frau wichtig sein kann. In diesem Fall muss die Patientin aber darauf hingewiesen werden, dass ein reifes Kind trotz infauster Prognose, wie z. B. Trisomie 18, mehrere Stunden bis Tage überleben und diese Zeit dann sehr belastend sein kann. Die zeitlich abgestufte Bewertung von Autonomie der Schwangeren und Schutzverpflichtung dem Kind gegenüber zeigt . Abb. 55.1. Bis zur 12. SSW wird der Schwangeren vom Gesetz eine absolute Autonomie eingeräumt, ab dem Geburtsbeginn dem Schutz des Kindes. Im Falle einer kindlichen Fehlbildung oder Chromosomenaberration besteht bis zur 24. SSW (dem Erreichen der theoretischen Lebensfähigkeit) ein Bereich der relativen Autonomie zum Schwangerschaftsabbruch nach informierter Zustimmung des Paares. Diese wird vernetzt mit einem vom Arzt und der Gesellschaft vorgegebenen Rahmen bezüglich des Schweregrades der kindlichen Erkrankung (. Abb. 55.2). Nach der 24. SSW dürfen – den internationalen professionellen Leitlinien folgend – Abbrüche nur dann durchgeführt werden, wenn es sich um eine nicht lebensfähige Fehlbildung oder eine rasch progrediente Erkrankung mit sehr schlechter/infauster Prognose handelt. Welche Fehlbildungen die gesetzlichen Kriterien für den Spätabbruch rechtfertigen, unterliegt weitgehend einem kol-
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
. Abb. 55.1. Autonomie der Schwangeren und Verpflichtung gegenüber dem Fetus in Abhängigkeit vom Gestationsalter
. Abb. 55.2. Entscheidungsautonomie der Schwangeren zum Abbruch in Abhängigkeit von Gestationsalter und Schweregrad der Fehlbildung
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legialen Konsensus, wobei es durchaus bedeutende Unterschiede innerhalb und zwischen Abteilungen geben kann. Eine »taxative Liste« aller Fehlbildungen, die einen Abbruch rechtfertigen, wird von einer breiten Mehrheit aller Pränatalmediziner abgelehnt, weil sie die Besonderheiten eines Einzelfalls nicht berücksichtigt (Statham et al. 2006). Ein derartiger Katalog kann und soll daher auch hier nicht versucht werden. Diagnosen völlig auszusparen hieße aber, bei einer eminent praktischen Problemstellung in rein theoretische Überlegungen zu flüchten. Der Diskursethik und der oben dargestellten Abwägung der mütterlichen Autonomie entspricht ein Kontinuum von Diagnosen, das von völlig unstrittigen über weitgehend akzeptierte bis hin zu diskussionswürdigen Krankheitsbildern reicht und deren paradigmatische Hauptvertreter etwa folgendermaßen aussehen: 4 Anenzephalus 4 Holoprosenzephalie 4 Trisomie 13/18 4 komplexe Fehlbildungssyndrome 4 Cantrell-Pentalogie 4 Trisomie 21 4 univentrikuläres Herz
4 Turner-Syndrom (45 X0) 4 rechtsseitige Zwerchfellhernie 4 Fallot IV Daher kommt den Verfahrensregeln für die Entscheidung und die Durchführung eines Abbruchs im 2. Trimenon besondere Bedeutung zu. Die wesentlichsten lauten:
Verfahrensregeln eines Schwangerschaftsabbruchs im 2. Trimenon 4 Sicherung der Diagnose, evtl. unter Beiziehen von relevanten Fachkollegen 4 Diskussion und Beschlussfassung innerhalb der Abteilung 4 Besprechung mit der Patientin (und dem Partner) mit Darstellung der Handlungsalternativen 4 Ausführlicher »written informed consent« (Prozess) 4 Anbieten psychologischer Betreuung einschließlich einer Nachbetreuung
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1177 55.3 · Ethische Probleme in der klinischen Geburtshilfe
4 Moratorium (Bedenkzeit) von ca. 3 Tagen zwischen endgültiger Diagnosestellung und Abbruch 4 Ausbildung und Supervision des Personals bezüglich der unterstützenden Betreuung der Patientin 4 Patientenorientiertes praktisches Vorgehen (derzeit Misoprostol/Prostaglandin, frühzeitig PDA) 4 Dokumentation aller Beschlüsse in der Krankengeschichte
Zu psychosomatischen Aspekten des Schwangerschaftsabbruchs aus medizinischer Indikation 7 Kap. 53. Die Frage des Schwangerschaftsabbruchs im 2. Trimenon ist an Perinatalzentren mit einem Schwerpunkt in Pränataldiagnostik ein häufiges Problem. Dies bringt zwar einerseits beträchtliche psychische Belastungen für das Personal mit sich, andererseits aber auch eine professionelle Routine bei den Entscheidungsabläufen und eine große Vergleichsbasis (Langer et al.1990). Einzelne Gynäkologen dürfen keinesfalls zu Eingriffen herangezogen werden, die sie innerhalb ihres ethischen Rahmens nicht billigen. > Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit relevanten Fachkollegen, wie Neonatologen, pädiatrischen Kardiologen, Kinder- und Neurochirurgen etc. gewährleistet eine Medizin »state of the art« und den notwendigen, kontinuierlichen Diskussionsprozess.
Besonders seltene Konstellationen, wie frühes, schweres fetofetales Transfusionssyndrom mit der Fragestellung des Fetozids bei einem Mehrling, um dem anderen eine Chance zu bieten, wird nur ein sehr erfahrenes Zentrum lösen können. Im seltenen Fall der Geburt eines Kindes mit einer bis dahin nicht bekannten und möglicherweise nicht mit dem Leben zu vereinbarenden Fehlbildung sollten die betreuenden Neonatologen einen evtl. Therapieabbruch unter Berücksichtigung des Begriffs »futility« mit den Eltern diskutieren. Diese Ultima ratio darf aber nicht von vornherein in das Gesamtkonzept einkalkuliert werden, sondern die ethischen Probleme der Pränataldiagnostik und des Schwangerschaftsabbruchs im 2. Trimenon müssen durch konsequente Argumentation innerhalb der Pränatalmedizin und zeitlich innerhalb der Schwangerschaft gelöst werden. ! Jene Alternativen, die nach der Geburt möglich sind, erscheinen bei weitem problematischer als der Abbruch vor der potenziellen Lebensfähigkeit.
Das Groningen-Protokoll wurde von der Holländischen Gesellschaft zum Umgang mit Neugeborenen mit schweren Fehlbildungen, wie Spina bifida, vorgeschlagen. Es kann vor dem Hintergrund des Standes der Pränataldiagnostik in Holland verstanden werden, der nicht vergleichbar mit anderen westeuropäischen Ländern war, und steht im Kontext der Euthanasieregelung in den Niederlanden. Das Groningen-Prokokoll hat heftige Reaktionen hervorgerufen, wie z. B. vom Medizinethiker F. Chervenak, der es »als klinisch unnötig, unwissenschaftlich und unethisch« bezeichnet und auffordert, es zu widerrufen (2009). Analog argumentiert auch die österrei-
chische Rechtsordnung, die auf den Begriff des »Geburtsbeginns« abstellt, nach dem eine Tötung nicht mehr straffrei möglich ist und im Extremfall als Mord geahndet werden kann (. Abb. 55.1). Tipp Fetozid Bei Abbrüchen nach der 22. SSW, wenn also die Neonaten post partum Lebenszeichen zeigen können, stellt sich die Frage des Fetozids, also der intrakardialen KCl-Injektion vor der Weheneinleitung. Als Orientierung kann das RCOG dienen, das obligat einen Fetozid bei allen Abbrüchen >SSW 22 verlangt; wir bevorzugen eine abgestufte Lösung mit einem non-direktiven Angebot ab der 22. SW und einem obligaten Fetozid ab der 24. SSW. Die Schwangere und der betreuende Arzt müssen gemeinsam die relativen Belastungen der aktiven Tötung des Fetus vs. des Sterbens unter Comfort-care-Bedingungen abwägen. Dies ist sicher eines der schwierigsten vorstellbaren Beratungsszenarien, bei denen Unterstützung durch den Partner der Patientin, durch einen klinischen Psychologen und durch die gesamte Abteilung geboten sind.
Die bisherigen Überlegungen gingen von einem geteilten Dilemma zwischen Patientin und Betreuer aus. Wünscht die Schwangere jedoch einen Abbruch, während die Abteilung nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen ist, dass bei der vorliegenden Fehlbildung keine Indikation vorliegt, dann besteht ein ethischer Konflikt. Die Betreuer haben dann – entsprechend den Grundsätzen einer Diskursethik – die Verpflichtung, die Patientin an eine andere Abteilung zuzuweisen, die den Abbruch evtl. doch durchführt. Eine Abteilung, die Pränataldiagnostik anbietet, sich aber aus Gewissengründen weigert, überhaupt irgendwelche Abbrüche aus medizinischer Indikation durchzuführen, wird sich ernsthaft mit den eigenen Widersprüchen auseineinandersetzen müssen.
55.3.3
Schwangerschaft bei Frauen mit schweren Begleiterkrankungen
Die Formen des maternofetalen Konflikts in dem Sinn, dass tatsächlich zwischen dem Leben der Schwangeren und dem des Fetus entschieden werden muss, werden häufig als die typischen geburtshilflichen Ethikkonflikte unterstellt. Die Konstellationen dafür, dass der Abbruch einer Schwangerschaft innerhalb einer eng befristeten Zeit eine deutliche Besserung der mütterlichen Prognose mit sich bringt, sind real aber selten. Möglich sind neu auftretende oder exazerbierende Malignome im 2. Trimenon, die eine sofortige aggressive Chemotherapie erfordern, manche kardiologische oder schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen wie eine akute kardiale Dekompensation oder ein foudroyant verlaufendes HELLPSyndrom mit Multiorganversagen. Es stellt sich die Frage nach der Abwägung der Interessen von Mutter und Kind.
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Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
4 Welches Risikoausmaß kann einer Schwangeren unter dem Aspekt der besonderen Fürsorgepflicht ihrem Fetus/ potenziellen Kind gegenüber zugemutet werden? 4 Wie weit laufen alle Beteiligten, auch die Schwangere selbst, Gefahr, archetypischen Forderungen an eine »gute Mutter« zu erliegen, die sich buchstäblich für ihr Kind aufopfert?
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Angesichts einer vital bedrohten Patientin wiegt deren Autonomieargument und die Verpflichtung ihrer Gesundheit gegenüber besonders schwer. Wendet man die in 7 Kap. 55.3.2 ausgeführten Überlegungen bezüglich der zeitlichen Dynamik der Lebensfähigkeit des Fetus sinngemäß an, so engt sich die konfliktträchtige Zeit auf die 23–27. SSW ein. Davor unterliegt die Entscheidung klar der Autonomie der schwer kranken Schwangeren, d. h. ein Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch wiegt schwer und sollte nur bei massiven Gegenargumenten verweigert werden. Nach der 28. SSW hat das Kind nach durchgeführter Lungenreifungsförderung eine faire bis sehr gute Chance auf ein behinderungsfreies Überleben. In der fraglichen Zeit kommt dem interdisziplinären Konsilium mit Vertretern der einschlägigen Fächer, wie Onkologie, Kardiologie oder Intensivmedizin, besondere Bedeutung zu. Der therapeutische Wert oder die Einbuße von Chancen durch Kompromissvarianten (z. B. Zuwarten mit der oder Abschwächen einer Therapie) sind gegenüber dem Benefit einer Maximalvariante zu gewichten. Tipp Empfehlung Es versteht sich, dass derartige Therapieentscheidungen nur an einem Zentrum fallen sollten, an dem Erfahrungen in der integrierten Betreuung schwer kranker Schwangerer besteht; für kleinere Abteilungen empfiehlt sich daher der antenatale Transport der Schwangeren an ein Perinatalzentrum.
4 Autonomieverpflichtungen gegenüber der Patientin, 4 Benefizienzverpflichtungen des Arztes gegenüber der Patientin und dem Fetus, 4 besondere Fürsorgepflichten der Schwangeren gegenüber dem Fetus. Für die Analyse dieser Konflikte benötigt der Arzt als zusätzlichen Parameter eine verlässliche Einschätzung der Gefährdung von Schwangerer und Kind, um die Verhältnismäßigkeit seiner Maßnahmen adäquat abzustufen zu können. Die Verweigerung einer ärztlich vorgeschlagenen Therapie durch die Patientin wird unterschiedlich zu bewerten und handzuhaben sein, je nachdem, ob sie sich selbst weiter als Patientin des Arztes/der Abteilung sieht oder nicht. Die Patientin kann ein rein negatives Verweigerungsrecht in Anspruch nehmen, aus dem Behandlungskontrakt aussteigen und die Abteilung »gegen Revers« (»auf eigenen Wunsch«) verlassen. Sie kann sich aber auch weiter als Patientin definieren, jedoch alle angebotenen, von den betreuenden Ärzten als sinnvoll angesehenen Maßnahmen ablehnen und so ein negatives mit einem positiven Recht, nämlich dem auf Behandlung als Patientin, kombinieren. Zu letzterer Situation tragen manchmal auch kulturelle Kofaktoren bei, die die Patientin zwingen, die Vorbedingungen der Behandlung zu verunmöglichen. So bestehen manchmal moslemische Frauen darauf, nur von einer Ärztin untersucht zu werden, wobei dieser »Service« bei manchen Personalkonstellationen nicht immer gewährleistet werden kann. In anderen Fällen wird der autonome Wille der Frau nicht in ausreichender, d. h. in der von unserer Rechtsordung geforderten Weise offensichtlich, weil der Mann alle Fragen für die Patientin beantwortet und ihr keinen Raum als handelnder Mensch lässt. Zur Einleitung in die Thematik und als Illustration dazu, dass auch bei Beachtung der Richtlinien der präventiven Ethik unbefriedigende Verläufe nicht immer zu vermeiden sind, folgendes Fallbeispiel Fallbeispiel
55.3.4
Konflikte mit Betonung des Autonomieprinzips
Verweigerung einer Therapie Das partnerschaftliche Modell der Arzt-Patientin-Beziehung beruht auf der informierten Zustimmung der Patientin zur Behandlung. Fehlt diese Einwilligung, handelt es sich – außer in wenigen Sonderfällen, wie z. B. bei Gefahr in Verzug – um eine eigenmächtige Heilbehandlung. > Für den erwachsenen, informierten und entscheidungsfähigen Patienten wird heute in der Güterabwägung der Rechtsprechung das Autonomierecht höher als ein potenziell lebensbedrohlicher Nachteil aufgrund einer nicht durchgeführten medizinischen Intervention gewertet (z. B. Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas).
Im Falle einer Schwangeren hingegen gilt es mehrere Güter gegeneinander abzuwägen:
Eine 31-jährige, schwarzafrikanische, zweitgebärende Patientin wird seit mehreren Tagen stationär wegen einer schweren Präeklampsie in der 34. SSW behandelt. Als die Blutdruckwerte und die Albuminurie trotz massiver Therapie weiter ansteigen, die A.-umbilicalis-Dopplersonographie einen Zero-flow und das CTG eine nahezu silente Oszillation zeigen, schlägt der diensthabende Oberarzt bei abgeschlossener Lungenreifetherapie eine Sectio caesarea vor. Die Patientin und ihr Mann lehnen dies, trotz ausführlicher Aufklärung über die akute Gefahrensituation für Mutter und Kind, ab. Sie weisen auf das gesunde erste Kind hin, das ohne medizinische Hilfe in Afrika geboren wurde. Die Patientin will die Abteilung verlassen, an der sie ihrer Ansicht nach falsch behandelt wird. In der angespannten Situation wird ein bis dahin unbeteiligter weiterer Facharzt als Vermittler beigezogen, der als Kompromiss – erfolglos – eine Fortführung der bisherigen konservativen Therapie unter kontinuierlicher CTG-Überwachung vorschlägt und an die Verantwortung der Frau für sich selbst und ihr Kind appelliert.
1179 55.4 · Lösungsansätze
Der telefonisch konsultierte Abteilungsleiter lehnt im Einklang mit den Oberärzten Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Patientin ab. Sie verlässt daraufhin mit einer Vorschreibung zur oralen Therapie und einem vereinbarten Kontrolltermin für den folgenden Tag das Haus. Am nächsten Mittag wird die Schwangere, krampfend und unter dem Vollbild einer Eklampsie, aufgefunden, durch den Notarzt in ein anderes Krankenhaus gebracht und unter Notfallbedingungen sektioniert. Mutter und Kind überleben ungeschädigt. In der mildesten Ausprägung handelt es sich bei Autonomiekonflikten um bloße Non-Compliance gegenüber ärztlichen Anordnungen bezüglich Verhaltensweisen, die das Kind potenziell schädigen, wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum. Bei einer letztlich nicht gesicherten oder nicht gravierenden Schädigung des Fetus wird nach einer ausführlichen Aufklärung, die die besondere Verantwortung einer Schwangeren für das Kind beinhaltet, das Autonomieprinzip und die Aufrechterhaltung einer Arzt-Patientin-Beziehung Vorrang vor Zwangsmaßnahmen haben (Steinbock 1992). Wird z. B. der Arzt aufgefordert, das Suchtverhalten einer Schwangeren der Behörde mitzuteilen oder gar ohne das Wissen der Patientin Suchtests durchzuführen, widerspricht dies krass dem Autonomieprinzip und der Schweigepflicht. So kann durch die ausschließliche Anwendung des Nutzenarguments bei fehlender Abstimmung mit dem Autonomie-, dem Proportionalitäts- und dem Beziehungsargument beträchtlicher Schaden entstehen. Immer wieder lehnen Patientinnen Teile eines Therapiekonzepts oder einzelne Maßnahmen ab, ohne ihren Status als Patientin grundsätzlich in Frage zu stellen. Solange die medizinische Sinnhaftigkeit noch erhalten ist, darf vom Arzt Flexibilität und Kreativität im Hinblick auf Alternativvorschläge verlangt werden. Auf die Mitverantwortung der Patientin im Rahmen des partnerschaftlichen Modells wird hingewiesen. Der Schritt von den rein subjektiven zu den wohlüberlegten Interessen der Patientin sollte in die Wege geleitet werden. Weit schwieriger wird die Lage, wenn die Patientin eine dringend indizierte invasive Maßnahme, etwa eine Sectio caesarea, ablehnt. An diesem Punkt gelangt die medizinische Integrität an eine Grenze, d. h., der Arzt kann zu etwaigen Kompromissen nicht mehr stehen, und die Bedingungen für eine ethische Krise sind gegeben. Ist der Konflikt ohne Antizipation bis hierher eskaliert, sollten spätestens nun die Strategien der »präventiven Ethik« (7 Kap. 55.4.2) angewandt werden. Im Einzelnen wären dies neuerliches, betont schrittweises Durchgehen des Informed-consent-Prozesses, respektvolles Überreden und Verhandeln. Primärer Verhandlungsgegenstand könnte ein Moratorium aller zusätzlichen Interventionen bis zum Erreichen einer konsensuellen Lösung sein; dieser Stillstand muss zeitlich genau befristet und von einer laufend aktualisierten Lageeinschätzung abhängig sein. Auch die pragmatischen Klugheitsregeln (Beiziehen eines Dritten, Stellen eines Ombudsmannes für die Patientin) sind nun dringend indiziert. Die Verzweiflungslösung der »court ordered cesarian section« (Kaiserschnitt auf Gerichtsbeschluss), die in europäischen Rechtsordnungen ohnehin sehr viel schwieriger zu
erreichen ist als in den Vereinigten Staaten, sollte um nahezu jeden Preis vermieden werden. Ungewöhnliche Lösungen sind gefragt, aber schwierig zu finden; die Transferierung an eine andere Abteilung, die bereit ist, die Patientin aufzunehmen, wäre evtl. eine Möglichkeit.
Erhaltung der Schwangerschaft bei permanentem vegetativem Status der Mutter Fällt die autonome Willensäußerung der Schwangeren durch dauernde, irreversible Bewusstlosigkeit aus, erweitert sich die Problematik um die Dimension der Vertretung ihrer Interessen. In der Literatur sind einige Fälle bekannt, in denen Schwangere im 1./2. Trimenon nach Schädel-Hirn-Traumata in einem permanenten vegetativen Status verblieben, im deutschen Sprachraum zuletzt in Erlangen (Zusammenfassung bei Schöne-Seifert 1993). Die 2 Hauptfragen stellen sich nach dem vermeintlichen Willen (»substituted judgement«), den die Schwangere im Falle ihrer Gesundheit gehabt hätte, und jener Person oder jenem Gremium, die als Sachwalter (»proxy«) fungieren und diesen Willen formulieren sollen (Buchanan u. Brock 1989). Meist exisitieren sehr wenige Anhaltspunkte für einen vermeintlichen Willen. Ob allein das Verstreichenlassen der gesetzlichen Frist für den Schwangerschaftsabbruch ausreicht, der Schwangeren einen Wunsch nach Schwangerschaftserhaltung auch unter extremen Umständen zu unterstellen, ist mehr als fraglich. Frauenorganisationen warnten zu Recht vor der technokratischen Verwendung eines weiblichen Körpers als bloßem »Gefäß zur Fruchterhaltung«. Tipp Nachdem im Gegensatz zu anderen klinischen Fragen wenig Zeitdruck besteht, ist die Konstituierung einer geeignet zusammengesetzten Ethikkommission unter Einbeziehung der nächsten Verwandten und eines unabhängigen Patientenvertreters hier das Vorgehen der Wahl.
Eine seit alters her bekannte medizinethische Frage, die sich in manchen Lehrbüchern findet, ist jene nach der »Sectio in mortua«. Gerade sie ist dahingehend geklärt, dass anekdotisch ein bis zu 30-minütiges, schädigungsfreies Überleben des Fetus trotz praktisch völligen Herz-Kreislauf-Stillstands der Mutter beobachtet wurde. Nachdem in diesen Situationen keine Zeit für eine differenzierte Beurteilung des Fetus bleibt, sollte unter Reanimationsbedingungen eine Notfallsectio durchgeführt werden, auch wenn nur diskrete Vitalzeichen des Fetus diagnostiziert werden können.
55.4
Lösungsansätze
55.4.1
Problemanalyse
Während ethische Konflikte in der Geburtshilfe äußerst vielfältig sein können, sind die 2 Hauptstrategien, die zu deren Lösung führen, im Wesentlichen ähnlich anwendbar. Die Pro-
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1180
Kapitel 55 · Ethische Probleme in der Geburtshilfe
blemanalyse und die Konfliktprävention ergänzen einander, wenn sie parallel eingesetzt werden. Die Problemanalyse lässt sich in mehrere Phasen zerlegen; ein derartig schematisiertes Vorgehen mag rigide wirken, und der Erfahrene bedarf eines solchen Korsetts nicht. Unter dem (Zeit-)Druck der Entscheidung kann aber eine formalisierte Leitlinie hilfreich sein.
Phasen der Problemanalyse
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4 Analyse In einer ersten Analyse sollten möglichst präzise Fragen gestellt werden, in denen nach den verschiedenen Teilaspekten des Problems unterschieden wird. Rein medizinische, forensische und psychosoziale Fragenkomplexe können aus Gründen der besseren Übersicht vorerst ausgegliedert und nach deren Verfahrensregeln behandelt werden. 4 Konfliktdefinition Der spezifisch ethische Gehalt des Konflikts sollte definiert und in Termini von Autonomie- und/oder Benefizienzprinzip formuliert werden. In Institutionen muss auch geklärt werden, wer für die Patientin und den Konflikt zuständig und entscheidungsbefugt ist. 4 Verhandlungsphase Mit den Techniken der präventiven Ethik (7 Kap. 55.4.2) wird versucht, ein konsensuelles Ergebnis zu erzielen. Gelingt dies nicht beim ersten Versuch, muss der Prozess evtl. mehrmals durchlaufen werden.
55.4.2
Präventive Ethik
Unter präventiver Ethik für Autonomiekonflikte (McCullough u. Chervenak 1994) werden mehrere Gesprächstechniken verstanden, die in der Praxis zu einem Ganzen verschmelzen.
Gesprächstechniken der präventiven Ethik 4 Informed consent Ausgangspunkt für alle gemeinsamen Arzt-PatientinEntscheidungen ist der »informed consent«. Zeichnet sich ein ethischer Konflikt ab, so sollten alle Schritte dieses Prozesses (7 Kap. 55.3.2) betont langsam und bewusst durchgearbeitet werden. 4 Verhandeln Führt dies noch nicht zum Erfolg, kann versucht werden, mit inhaltlichen und zeitlichen Kompromissangeboten eine gerade noch tragbare, temporäre Lösung zu treffen. Wenn etwa die Patientin eine vorgeschlagene Sectio caesarea verweigert und es der kindliche Zustand, erhoben durch CTG und/oder MBU, zulässt, kann noch eine gewisse, begrenzte und vereinbarte Zeit zugewartet werden.
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4 Respektvolle Überredung Verschlechtern sich im oben genannten Beispiel die Überwachungsparameter, wird der Arzt mit großem Nachdruck die Patientin auf den Ernst der Situation und auf die Wahrnehmung ihrer eigenen, wohlüberlegten Interessen, zu denen zweifellos auch das Wohlergehen des Kindes gehört, hinweisen müssen. Die Verhältnismäßigkeit der Gefahren beim tatenlosen Zuwarten muss realistisch den – relativ niedrigen – Gefahren bei einer sachgemäß durchgeführten Intervention (hier Sectio) gegenübergestellt werden.
Neben diesen Hauptbestandteilen der präventiven Ethik gibt es wiederum einige »pragmatische Klugheitsregeln«. Autonomiekonflikte sollten so früh wie möglich erkannt und antizipiert werden, bevor noch die Polarisierung der Standpunkte einen Rückzug ohne Gesichtsverlust eines Gesprächsteilnehmers verhindert. Ist die Konfrontation bereits ausgebrochen, sollte man z. B. durch Gesprächspausen versuchen zu deeskalieren. Befinden sich die Konfliktpartner in einer unauflösbaren Pattstellung, kann das Beiziehen eines bis dahin unbeteiligten Dritten, der von beiden Parteien respektiert wird, das Gespräch wieder in Gang bringen. Es kann auch ein Ombudsmann oder Rechtsvertreter für die Patientin bereitgestellt werden, der bei den Sitzungen als Unterstützung anwesend ist. Lässt sich eine Situation trotz aller Bemühungen nicht an der Abteilung selbst lösen, kann die Patientin an eine andere Institution weiterverwiesen werden, die vielleicht eine andere Abteilungspolitik vertritt und v. a. den Vorteil hat, noch nicht in den Konflikt involviert zu sein. > Die erfolgreichste Strategie für Benefizienzdilemmata ist die transparente, interdisziplinäre Diskussion auf breiter Basis. Für die Geburtshilfe wird dies v. a. eine kontinuierliche und nicht nur am Anlassfall orientierte Zusammenarbeit mit der neonatalen Intensivstation, der Kinderchirurgie, der pränatalen Diagnostik und anderer relevanter Disziplinen sein. Ethikkommissionen entfalten ihre beste Wirkung bei der Beurteilung geplanter wissenschaftlicher Studien oder neuer diagnostischer oder therapeutischer Methoden, bei denen die Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Medizinethikern gefordert ist.
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55
56 56 Klinisches Risikound Fehlermanagement N. Pateisky 56.1
Problemausmaß – 1184
56.2
Begriffe, Definitionen und Abkürzungen – 1184
56.3
Fehlermodell – 1185
56.3.1 56.3.2
Allgemeine Grundlagen – 1185 Das Schweizer-Käse-Modell – 1185
56.4
Fehlerarten und Fehlerursachen – 1186
56.4.1 56.4.2
Menschliche Fehler – 1186 Systemische Fehler – 1187
56.5
Instrumente im klinischen Risiko- und Fehlermanagement – 1187
56.5.1 56.5.2 56.5.3 56.5.4
Teamtraining und Sicherheitskultur – 1187 Kommunikationen – 1188 Aktives Fehlermanagement – 1189 Systemische Vorfallsanalyse (Root-Cause-Analyse; RCA) und Ablaufoptimierung (Fehler-Mode-Effekt-Analyse; FMEA) – 1190
56.6
Schadensmessungen – 1193 Literatur – 1193
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1184
56
Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
Die technischen und medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte haben gerade in der Geburtshilfe die Erwartungen auf ein perfektes Ergebnis in kaum erreichbare Höhen geschraubt. Diese hohe Anspruchshaltung führt in der Folge häufig zu forensischen Problemen, wobei die Frage der Versicherbarkeit von Ärzten und Krankenhäusern immer mehr zum Thema wird. In diesem Zusammenhang kommt dem Bereich Fehler- und Risikomanagement eine stark wachsende Bedeutung zu. Während die Beschäftigung mit diesem Thema im angloamerikanischen Sprachraum eine zentrale Stellung in der täglichen Arbeit einnimmt, werden die Prinzipien dieser Arbeit in Mitteleuropa nur zögerlich umgesetzt. Experten hegen allerdings keinen Zweifel daran, dass sich insbesondere klinisches Risiko- und Fehlermanagement auch in Europa zu einem Megatrend der Medizin entwickeln wird. Die einschlägige Fachliteratur sowie alle bisher gemachten Erfahrungen weisen darauf hin, dass der beste Weg darin besteht, sich an den Sicherheitsstrategien der High Reliability Organizations (HRO), die zu den Ultra-Safe Technologies zählen, zu orientieren. Namentlich ist hier in erster Linie die zivile Luftfahrt zu nennen, die insbesondere in den letzten 25 Jahren gezeigt hat, wie komplexe Organisationen erfolgreich mit Risiko und Fehlern umgehen können. Auslöser für die Beschäftigung mit »vermeidbaren Fehlern und deren Folgen« war das Buch »To Err is Human« im Jahr 1999 (Institute of Medicine). Die wesentliche Schlüsselbotschaft dabei war, dass sowohl in den HRO (Luftfahrt, Raumfahrt, Petrochemie, Nuklearkraft) als auch in der Medizin 80% aller Komplikationen und Katastrophen auf Team- und/oder Kommunikationsdefizite zurückzuführen sind. Den weitaus größten Effekt in der Vermeidung von Fehlern und ihrer Folgen haben demnach all jene Aktivitäten, die imstande sind, Kommunikation und Teamarbeit zu verbessern. Den kritischen Erfolgsfaktor schlechthin bildet dabei die herrschende »Fehlerkultur«. Sie bestimmt, ob Instrumente und Methoden bester Risikomanagementstrategien den erwünschten Erfolg bewirken. Will die Medizin im Umgang mit Fehlern und Risiken ähnlich erfolgreich werden wie andere Industrien, ist ein grundlegender Paradigmenwechsel unumgänglich (Pateisky 2004).
56.1
Problemausmaß
Die erste umfangreiche Publikation in einer hochrangigen Zeitschrift zum Thema »Folgen vermeidbarer Fehler in der Medizin« erschien im Jahr 1991 (Brennan et al. 1991). Das Institute of Medicine publizierte schließlich 1999 das aufsehenerregende Buch »To Err is Human«. Darin wurden alle bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Publikationen und Daten zum Thema zusammengefasst. Selbst bei vorsichtigster Interpretation zeigte sich, dass die »vermeidbaren Fehler« in der Krankenhausmedizin unter den 10 häufigsten Todesarten zu finden waren. Sie rangierten deutlich vor Todesursachen wie Brustkrebs, Aids und tödlichen Verkehrsunfällen. Die massive Kritik an den Interpretationen führte zu zahlreichen weiteren Studien. In der Publikation »Five Years After To Err is Human« wurden die zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen neuerlich zusammengefasst (Leape et al. 2005).
Das Resultat: Im Wesentlichen ist das Problem größer, als 1999 angenommen wurde. Dort konnte gezeigt werden, dass im Schnitt etwa 3 von 1.000 in Akutkrankenhäusern aufgenommenen Patienten schwere bis schwerste Schäden im Gefolge »vermeidbarer Fehler« erleiden. Es handelt sich dabei allerdings nicht um das Versagen einzelner Personen, sondern um Systemschwächen. Das Problem sind also nicht schwache Menschen, das Problem sind schwache Systeme, die Fehlern Vorschub leisten: »Every system is perfectly designed to achieve exactly the results it gets« (Donald M. Berwick – CEO des Institute of Health Care Improvement).
56.2
Begriffe, Definitionen und Abkürzungen
Im Folgenden sind die wichtigsten Begriffe für den Bereich Risiko- und Fehlermanagement definiert. Da praktisch die gesamte Literatur und Erfahrung mit dem Thema aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammt, scheint es sinnvoll, die dort verwendeten Begriffe zu verwenden. Diese Begriffe können als Termini technici angesehen werden. 4 Adverse Events (unerwünschter Zwischenfall): Unerwünschte bzw. unbeabsichtigte Zwischenfälle, die in Adverse Outcomes resultieren können oder zusätzlichen Aufwand erfordern, um ein Adverse Outcome zu vermeiden. 4 Adverse Outcome (unerwünschtes Ergebnis): Unerwünschtes und unbeabsichtigtes Ergebnis im Rahmen medizinischer Betreuung mit den Folgen zeitweiser Beeinträchtigung, bleibender Behinderung oder Tod. 4 ANTS (Anaesthesits non Technical Skills): Kategorisierung von Soft Skills für den Einsatz zur Beurteilung sicherheitsrelevanter Vehaltensmarker in der Anästhesie. 4 Assertiveness: Bezeichnet die Fähigkeit, subjektive Bedenken, Gefühle oder Meinungen so an Vorgesetzte zu kommunizieren, dass sie wahrgenommen werden, ohne Agressionen auszulösen. Handelt es sich um sicherheitsrelevante Bedenken, könnte man Assertiveness auch als »kritische Beharrlichkeit« bezeichnen. 4 Briefing: Allgemein versteht man unter Briefing eine kurze Zusammenfassung aller essenziellen Daten und Fakten. 4 CIRS (Critical Incident Reporting System): Internetbasiertes System zur anonymen Erfassung kritischer Vorfälle in der Medizin. 4 CRM (Crew-Ressource-Management): CRM bezeichnet jene Trainingsform für Teams, die die Fähigkeiten aus dem Bereich der Soft Skills trainiert, die Teams in die Lage versetzen, eine optimale Leistung zu erbringen. 4 Fehler – allgemein: Es gibt hier im Wesentlichen 2 Fehlertypen: 5 Ausführungsfehler: Eine Aktion wird nicht so durchgeführt, wie sie geplant war. Beispiel: Bei einer geplanten Bluttransfusion werden die Proben verwechselt. 5 Planungsfehler: Die geplante Aktion entspricht nicht den Erfordernissen. Beispiel: Auswahl eines kontraindizierten Medikamentes.
1185 56.3 · Fehlermodell
4 Fehler – aktiv:
5 Als aktive Fehler werden solche bezeichnet, die dem betreuenden Personal (meist) direkt am Patienten passieren. 5 Beispiel: Ein falsch dosiertes Medikament wird verabreicht.
4 Fehler – latent:
4 4
4
4 4
4
5 Als latente Fehler werden solche bezeichnet, die lange Zeit unbemerkt im System schlummern, bis ihr Vorhandensein zu einem Problem beiträgt. 5 Beispiel: Ein selten gebrauchtes Gerät funktioniert im Notfall nicht. Fehler-Mode-Effekt-Analyse (FMEA): Methode, um die Fehlerresistenz kritischer Abläufe zu maximieren. HRO (High Reliability Organisation): Organisationen und Branchen, deren Existenz von höchster Zuverlässigkeit und Freiheit von Fehlfunktionen abhängt (Nuklearindustrie, Ölplattformen, Luftfahrt. Raumfahrt etc.) Near Miss (Beinaheschaden): Ereignisse, in denen eine unerwünschte Konsequenz (Adverse Event), die auf einen Fehler zurückzuführen ist, abgewendet werden konnte. Risiko: Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Schaden. Sentinel Event: Als Sentinel Events gelten Vorfälle, die mit bleibender Behinderung oder Tod eines Patienten enden. Soft Skills oder Non Technical Skills: All jene Fähigkeiten, die über das rein technische Können, die Arbeit zu verrichten, hinausgehen, aber im Rahmen von Teamarbeit für Spitzenleistungen unabdingbar sind. Dazu zählen in erster Linie Fähigkeiten im Bereich Kommunikation und soziale Kompetenz.
4 Root-Cause-Analyse – RCA (systemische Vorfallsanalyse): Systemische Vorgehensweise, um möglichst alle
Begleitumstände, die zur Fehlerentstehung beitragen, zu identifizieren.
56.3
Fehlermodell
56.3.1
Allgemeine Grundlagen
Im Allgemeinen gibt es 2 Ansätze, wie menschliche Fehler betrachtet werden können: 4 den individuellen, personenzentrierten Ansatz, 4 den systemischen Ansatz.
Personenzentrierter Ansatz Der personenzentrierte Ansatz zielt auf individuelle Faktoren wie Nachlässigkeit, Unachtsamkeit oder Vergesslichkeit ab, die in unerwünschten Ergebnissen (adverse events) resultieren. Organisationen versuchen oft mittels disziplinärer Maßnahmen, zukünftige Unfälle dieser Art zu verhindern. Diese Maßnahme ist als Sündenbockmentalität (»shame and blame culture«) in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Ein solches Vorgehen verhindert üblicherweise eine objektive Analyse. Systemische Fehler werden nicht erkannt, können deshalb nicht eliminiert werden und verursachen weiter vermeidbaren Schaden.
Systemansatz Der Systemansatz erkennt die Tatsache an, dass hinter Problemen jeweils eine Reihe Faktoren stehen. Wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass menschliche Fehler unvermeidbar sind (Reason 1990). Einzige und beste Möglichkeit, die Auswirkungen menschlicher Fehlbarkeit zu reduzieren, besteht darin, das Arbeitsdesign so zu gestalten, dass Fehler 4 möglichst verhindert, 4 möglichst früh erkannt oder 4 die Fehlerauswirkungen minimiert werden. Kommt es zu unerwünschten Ereignissen (Adverse Events), ist die wichtigste Frage, wie und warum das System und dessen Sicherheitsmechanismen versagt haben, sodass der »aktive Fehler« begangen werden konnte. Anders ausgedrückt: > Das System muss dafür sorgen, dass es sehr schwer ist, das Falsche zu tun.
Die konkreten Ansätze dazu werden in 7 Kap. 56.5 beschrieben.
56.3.2
Das Schweizer-Käse-Modell
In der Literatur zum Thema Fehlerforschung finden sich zahlreiche Ansätze und Erklärungen, die komplexen Ursachen von Katastrophen zu erfassen. Das bestechendste und gleichzeitig einfachste Modell stammt in Form einer Analogie von Prof. James Reason. James Reason, der Fehlerforscher schlechthin, spricht vom »Swiss Cheese Model«. Es stellt die stark vereinfachte Form des von ihm entwickelten Accident Causation Model dar (Reason 2000). Das Schweizer-Käse-Modell kann als Paradeanalogie bei dem Entstehen einer Katastrophe in jedem beliebigen Bereich gelten (. Abb. 55.1). Jede Käsescheibe stellt einen Abwehrmechanismus dar, der einmal der Organisation, einmal dem Management, einmal dem Arbeitsplatz, einmal dem Team etc. zuzuordnen ist. Da sich unmöglich jede Konstellation vorhersehen lässt, hat jede Scheibe Löcher, die als sog. »latente Fehler« bezeichnet werden. »Latente Fehler« sind im System ruhende Fehler, die oft lange Zeit ohne Auswirkung bleiben. In der Medizin kann dies das Fehlen einer Leitlinie, ein nicht funktionierendes Gerät, ungenaue oder fehlende Information, ein nicht angeordneter Befund, unqualifiziertes Personal oder Sonstiges sein. Tatsache ist, dass Arzt, Schwester oder Hebamme bei der Arbeit an
. Abb. 56.1. Schweizer-Käse-Modell nach Reason
56
1186
Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
der Patientin die Konsequenzen all dieser »latenten Fehler« tragen müssen. Eine unglückliche Konstellation »latenter Fehler«, ein kleiner zusätzlicher »aktiver Fehler«, und die Katastrophe passiert – in Abwesenheit der für alle »latenten Fehler« Verantwortlichen. In der Regel trifft den Letzten in der Ereigniskette nicht mehr Schuld als den Tormann beim Versuch, einen Elfmeter zu halten. Die Frage, wie es zum Strafstoß kommen konnte, ist dabei mindestens so wichtig wie die Frage, warum er nicht gehalten wurde. Ein Vergleich, der sich eins zu eins auf den Krankenhausbetrieb übertragen lässt.
Menschliche Fehler
Kommt es in der Medizin zu einem unerwünschten Ergebnis, werden menschliche Fehler der Betreuenden (Arzt oder Schwester) oft als einzige Ursache wahrgenommen.
Fehlerarten Die aktiven Fehler können laut Reason und Rasmussen (Rasmussen 1982) 3 Kategorien zugeordnet werden: 4 Routinefehler (Skill-based Errors), 4 regelbasierte Fehler (Rule-based Errors), 4 wissensbasierte Fehler (Knowledge-based Errors).
Kernaussagen der Fehlerforschung
Routinefeher (Skill-based Errors)
4 Jeder macht Fehler. 4 Niemand macht absichtlich Fehler. 4 (Fast) jeder Fehler hat eine systemische Komponente.
Die betreffende Person weiß und kann, was sie tut, es geht aber trotzdem schief. Diese Fehlerart ist bei weitem die häufigste und passiert Menschen jeder Qualifikationsstufe. Typischerweise sind automatisierte Abläufe betroffen. In Tätigkeiten, die »normalerweise« perfekt beherrscht werden und i. d. R. unbewusst ablaufen, schleicht sich ein Fehler ein. Meist stellen Ablenkung, Unterbrechung oder die weiter unter besprochenen menschlichen Leistungsgrenzen die Hauptursache dar. 4 Klinisches Beispiel: Blut wird ins falsche Röhrchen abgenommen. 4 Mögliche Gründe: Ablenkung, Unterbrechung, Arbeitsüberlastung.
Die jeweils vielen kleinen, jeder für sich unbedeutenden Fehler summieren sich im Einzelfall unter besonders unglücklichen Umständen zur Katastrophe. Wie dies im Besonderen die Geschehnisse in Organisationen mit komplexen Strukturen betrifft, wurde ebenfalls von Reason (1997) intensiv beforscht. Als Beispiele dienen praktisch alle bekannten Katastrophen wie Tschernobyl, Apollo 13, Challanger, Discovery, Harold of the Free Enterprise, um nur einige zu nennen.
56
56.4.1
> Da also jeder unausweichlich Fehler macht und menschliche Fehler einerseits unvermeidbar und andererseits zu 75% an allen – auch medizinischen – Unfällen beteiligt sind, stellt Fehlermanagement das zentrale Thema im Risikomanagement dar. »We cannot change the human condition, but we can change the conditions under which humans work.« (James Reason)
56.4
Fehlerarten und Fehlerursachen
Das Aufspüren und Eliminieren von Fehlern stellt eines der Hauptziele klinischen Fehlermanagements im Hinblick auf Schadensvermeidung dar. Um das zu ermöglichen, ist es jedoch notwendig, die traditionellen, aber leider falschen Vorstellungen über Fehler und Fehlervermeidung auszurotten. Insbesondere im Gesundheitswesen hat die »Sündenbockkultur« noch ihren festen Platz. Tatsächlich aber haben wir es mit schwachen Systemen und nicht mit schwachen Menschen zu tun. Praktisch alle ernsthaften Untersuchungen – egal in welcher Branche – zeigen, dass 80% der Fehlerursachen auf systemische Faktoren zurückgeführt werden müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Wahrscheinlichkeit menschlicher Fehler in einem hohen Grad von systemischen – fehlerhaften – Rahmenbedingungen abhängt.
Regelbasierte Fehler (Rule-based Errors) Die betreffende Person glaubt zu wissen, was sie tut, bemerkt aber nicht, dass die angewandte Regel der Situation nicht entspricht. In diese Kategorie fallen auch 4 das fehlerhafte Anwenden einer richtigen Regel sowie 4 das bewusste Abgehen von Regeln oder Leitlinien. Den Hintergrund bilden hier oft unrealistische Ablaufbeschreibungen, die im Routinebetrieb nicht einhaltbar sind. 4 Klinisches Beispiel: Verzicht auf an sich übliche Arbeitsschritte bei hoher Patientenfluktuation und daraus resultierendem Übersehen pathologischer Parameter. 4 Mögliche Gründe: mangelhaftes Design der Leitlinien, fehlende Entscheidungshilfen, schlechtes Arbeitsdesign.
Wissensbasierte Fehler (Knowledge-based Errors) Die betreffende Person ist sich mangels Wissens nicht sicher, ob das, was sie tut, richtig ist. 4 Klinisches Beispiel: Auswahl fehlerhafter Vorgehensweisen in zeitkritischen, unbekannten Notfallsituationen. 4 Mögliche Gründe: Ausbildungsdefizite, fehlendes Notfalltraining, mangelhafte Supervision.
Menschliche Leistungsgrenzen Als Menschen unterliegen wir definierten physischen und psychischen Leistungsgrenzen. Es ist bemerkenswert, dass v. a. chirurgisch tätige Ärzte eine hohe Neigung haben, diese Leistungsgrenzen deutlich zu überschätzen.
1187 56.5 · Instrumente im klinischen Risiko- und Fehlermanagement
Die menschliche Leistungsfähigkeit limitierende Faktoren 4 4 4 4 4
Wahrnehmungsschwäche Ermüdbarkeit Begrenztes Kurzzeitgedächtnis Schlechte Multitaskingfähigkeit Limitierte Stressresistenz
In Kombination mit erschwerenden Begleitumständen wie Zeitdruck, Ärger, hohe Arbeitslast, Angst vor Versagen, Strafe und Imageverlust erhöhen diese Faktoren die Fehlerwahrscheinlichkeit um ein Vielfaches gegenüber idealen Bedingungen. In der Übersicht sind all jene Aktivitäten und Strategien aufgelistet, die im Rahmen eines zeitgemäßen Arbeitsdesigns helfen, durch menschliche Leistungsgrenzen bedingte Fehlerraten niedrig zu halten.
Strategien zur Minimierung menschlicher Fehler 4 4 4 4 4 4 4
56.4.2
Abläufe vereinfachen und standardisieren Notwendigkeit von Erinnerungsvermögen reduzieren Protokolle und Checklisten verwenden Informationszugang erleichtern Anzahl von Übergaben minimieren Fehlerverhindernde Mechanismen einsetzen Einsatz effektiver Kommunikation
Systemische Fehler
Nach entsprechenden Analysen (7 Kap. 56.5.4) stellen sich diese menschlichen »aktiven Fehler« oft als logische Folge »latenter Fehler« im Vorfeld des Falles heraus. Hier hat v. a. Charles Vincent bahnbrechende Arbeit geleistet. Er war es, der die in der Industrie seit langem verwendeten Schemata, die bei der Untersuchung von Katastrophen angewandt wurden, für die Medizin aufbereitet hat (Vincent et al. 2000).
Systemfaktoren Um alle zum jeweiligen Zwischenfall beitragenden Faktoren herauszufinden, sind, neben der Aufarbeitung individueller Fehler, die »fehlerbegünstigenden Begleitumstände« (Contributing Factors) einer genauen Analyse zu unterziehen. Besondere Beachtung verdienen dabei 4 Hauptkategorien: 4 Teamfaktoren, 4 Taskkomponenten, 4 Arbeitsbedingungen, 4 Organisation und Management. Diese Kategorien spiegeln den potenziellen systemischen Anteil am Zustandekommen von Zwischenfällen und Katastrophen wider, der, entsprechend aller vorliegenden Daten, bei 75–80% liegt. Unter Beachtung dieser Kategorien ergeben sich die effektivsten Ansätze zur Fehlervermeidung, die in der klinischen Medizin bis vor kurzem kaum Beachtung fanden.
Die entsprechenden Details sind in 7 Kap. 56.5.4 näher ausgeführt.
56.5
Instrumente im klinischen Risiko- und Fehlermanagement
Angesichts des notwendigen Paradigmenwechsels im Bereich Fehlerkausalität und Risikomanagement kommt der Frage nach den daraufhin anzuwendenden Techniken und Instrumenten zentrale Bedeutung zu. In erster Linie gilt es, Strategien anzuwenden, die imstande sind, fehlerauslösende Systemfaktoren zu identifizieren und möglichst auszuschalten. Wie die Erfahrungen aus den Bereichen Luftfahrt, Raumfahrt und Nuklearindustrie seit den 1970-er Jahren zeigen, konnte der durchschlagende Erfolg in Sachen Sicherheit erst erlangt werden, als man den »menschlichen Faktor« als Unfallursache Nr. 1 erkannt und entsprechend berücksichtigt hatte (Helmreich 2000). Im Mittelpunkt stehen dabei die Bereiche »Teamarbeit« und »Kommunikation«, die in der Medizin bis heute kaum Berücksichtigung in Aus-, Fort- und Weiterbildung finden. Entsprechende Publikationen zeigen genau diese Defizite auf (Leonard et al. 2004). Die erforderlichen Fähigkeiten, die es in diesem Sinn zu lehren und trainieren gilt, werden den sog. Soft Skills, auch Non Technical Skills oder Notechs genannt, zugerechnet. Art und Bedeutung der Notechs wurden in der Medizin seitens des Fachbereichs Anästhesie bearbeitet und rangieren dort unter dem Namen ANTS (Anaesthesits Non Technical Skills; Fletcher et al. 2002; Flin u. Maran 2004). Im Rahmen der ANTS finden 4 Hauptkategorien Beachtung: 4 Taskmanagement, 4 Teamarbeit bzw. Teamfähigkeit, 4 Situationsbewusstsein und 4 Entscheidungsfindung. Welche Fähigkeiten und Hilfsmittel unerlässlich sind, damit Teams ihre bestmögliche Leistung erbringen können, wird im Folgenden dargestellt.
56.5.1
Teamtraining und Sicherheitskultur
Die wesentlichste Erkenntnis der Luftfahrtindustrie bezüglich Risikominimierung war, dass mangelhafte Teamarbeit und Kommunikation zu 80% am Zustandekommen von Katastrophen beteiligt waren. Daraus resultierten die sog. CRM-Trainings (Crew-Ressource-Managment). In diesen Trainings werden alle Fähigkeiten geschult und aufgefrischt, die Teams in die Lage versetzen, kritische Situationen unter Stress und Zeitdruck bestmöglich zu meistern (Helmreich et al. 1999). Dieses Training wurde laufend weiterentwickelt und befindet sich heute in der 6. Generation. Die in den Trainings behandelten Bereiche betreffen: 4 Fehlervermeidung, 4 Umgang mit sicherheitsrelevanten Bedrohungen, 4 Fehlermanagement und 4 Notfallmanagement.
56
1188
Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
In diesem Sinn werden die in der . Übersicht angeführten Bereiche bearbeitet.
Auswahl von CRM-Trainingsinhalten 4 4 4 4 4 4 4 4 4
56
Fehlerkultur Risikokommunikation Sicherheit und Kooperation Entscheidungsfindung im Team Umgang mit Stress Konfliktlösung Menschliche Leistungsgrenzen Sicherheitskritische Verhaltensweisen Bedeutung flacher Hierarchien u.a.
Diese CRM-Trainings sind gesetzlich vorgeschrieben und stellen heute einen integrierten Bestandteil der Fort- und Weiterbildung des fliegenden Personals dar. Wesentliche Bedeutung kommt hier auch der entsprechenden Sicherheitskultur zu, ohne die es nicht möglich ist, die Instrumente des Fehler- und Risikomanagements effektiv einzusetzen. In diesem Zusammenhang muss eindringlich davor gewarnt werden, Risikomanagement betreiben zu wollen, ohne den Bereichen Teamtraining und Fehlerkultur die notwendige Beachtung zu schenken. Bezüglich Fehlerkultur wären im klinischen Bereich »ehrliche« Komplikationskonferenzen zu nennen, in denen es nicht um den oder die Schuldigen geht, sondern um das Auffinden und Beseitigen systemischer »latenter Fehler«. Da Kommunikationsprobleme bei fast allen medizinischen »Versagern« die Hauptrolle spielen (Lingard et al. 2004), soll darauf noch näher eingegangen werden.
56.5.2
Kommunikationen
Einer der häufigsten Gründe, die bei medizinischen Fehlleistungen mitauslösend sind, ist die mangelhafte oder fehlerhafte Informationsübermittlung – man spricht vom Kommunikationsversagen (Lingard et al. 2004; Leonard et al. 2004). Gerade in heiklen Situationen, wenn auch Stress eine Rolle spielt und rasches Eingreifen erforderlich ist, passiert dies besonders leicht. Ein wirksames Mittel, um dieses Problem zu vermeiden, stellt die sog. effektive oder strukturierte Kommunikation dar. Strukturierte Kommunikation ist ein Instrument der Risikokommunikation – sie hat ihren Ursprung in der Luftfahrt und im militärischen Bereich. Diese Form der Kommunikation ermöglicht es, hinderliche Kommunikationsbarrieren wie steile Hierarchieformen auszuschalten. In dem Zusammenhang soll hier auf 2 besonders wichtige Bereiche eingegangen werden: Es handelt sich dabei um »Briefingverfahren« und den Problemkreis »Assertiveness«.
Briefingverfahren Das Briefing stellt wahrscheinlich die am häufigsten zur Anwendung kommende Form strukturierter Kommunikation dar. Briefing ermöglicht es, in kurzer Zeit (»brief« = engl. kurz) klar und effektiv miteinander zu kommunizieren. Die
Qualität des Briefings entscheidet darüber, ob Menschen, die zusammenarbeiten, als Team die bestmögliche Leistung erbringen, oder ob es laufend zu Missverständnissen und unnötigen Pannen kommt. Diese Methode der Kommunikation stammt aus den Bereichen der Luftfahrt und des Militärs, wo Teamarbeit der entscheidende Erfolgsfaktor für optimale Sicherheit und Zielerreichung ist. 4 Was sind die Effekte eines Briefings? Nach einem guten Briefing 5 haben die Teammitglieder alle relevanten Informationen, 5 beseht die höchste Erfolgschance der geplanten Aktion, 5 sind unangenehme Überraschungen selten, 5 herrscht für alle Beteiligten ein angenehmes und angstfreies Arbeitsklima. 4 Wie sollten Briefings durchgeführt werden? Damit Briefings ihr Ziel erreichen, sind einige Punkte zu beachten: 5 Die Informationen sollen kurz und genau gegeben werden. 5 Alle Beteiligten sollen involviert und nach Meinungen und Vorschlägen gefragt werden. 5 Die Personen sollten jeweils mit Namen angesprochen werden. 5 Augenkontakt mit allen Teammitgliedern sollte während des Briefings hergestellt werden. 4 Bei welchen Gelegenheiten sollte ein Briefing durchgeführt werden? 5 Am Beginn des Arbeitstages, 5 vor kritischen Abläufen und Operationen, 5 im Rahmen von Übergaben, 5 wenn sich der Plan ändert (z.B. bei intraoperativen Komplikationen). > Briefingverfahren sind einfach durchzuführen und tragen enorm zur Sicherheit bei. Auch hier tritt der Erfolg nur dann ein, wenn Briefing zum Teil der Sicherheitskultur wird.
Einen Klassiker für die Anwendung eines Briefingverfahrens stellt das präoperative Timeout-Briefing dar. Dabei werden die wichtigsten Daten zur geplanten Operation, einschließlich der Patientenidentifikation, unmittelbar vor Operationsbeginn an alle im OP tätigen Personen kommuniziert. Am Ende stehen jeweils die Fragen: 4 Ist jedem alles klar? 4 Weiß jeder, was er wissen kann und muss? Auf diese Weise lassen sich zwar seltene, aber äußerst unangenehme Probleme wie 4 Operation des falschen Patienten, 4 Operation der falschen Seite, 4 Operation des falschen Organs, 4 Nicht geplantes Operationsverfahren praktisch ausschließen.
Assertiveness Assertiveness kann als ein Begriff aus dem Problemkreis der effektiven Kommunikation angesehen werden. Auf sicher-
1189 56.5 · Instrumente im klinischen Risiko- und Fehlermanagement
heitsrelevante Situationen bezogen, bezeichnet Assertiveness die Fähigkeit, Bedenken solange mit Nachdruck zu äußern, bis eine klare Lösung gefunden wird. Es ist bezeichnend, dass dieser Begriff in der Medizin praktisch unbekannt ist. Demzufolge gibt es kaum Publikationen in medizinischen Zeitschriften zu diesem Thema. Einer der wenigen Artikel sei hier aufgeführt: Hamman (2004). Eine der möglichen Übersetzungen von Assertiveness könnte »kritische Beharrlichkeit« lauten. Mit Sicherheit hat es aber auch etwas mit Zivilcourage zu tun. Am besten lässt sich Assertiveness an einem konkreten Beispiel erklären.
4 Schlage vor, was zu tun ist. 4 Dränge auf eine Entscheidung. > In Kurzform: Bedenken werden mit Nachdruck geäußert, bis eine klare Lösung erreicht ist.
Wissen alle Teammitglieder über die Vorteile der Assertiveness aus den entsprechenden Trainings Bescheid, gibt es damit kaum Probleme. Wie bei allen anderen Notechs auch, kann Assertiveness nur dann erfolgreich gelebt werden, wenn es in Aus-, Fort- und Weiterbildung verpflichtend eingeführt wird und im Gefolge fixer Bestandteil gesetzlich zu fordernder Trainings ist.
Klinisches Beispiel für Assertiveness Ein Oberarzt ist dabei, bei einer Patientin die Geburt mittels Prostaglandintablette einzuleiten. Der anwesende Assistent vermutet, dass es sich bei der auf dem Untersuchungsstuhl liegenden Frau um die falsche Patientin handelt. 4 Szenarium 1: Der Assistent bringt seine Bedenken vor, wird vom Oberarzt ernst genommen, die Sachlage wird überprüft und schließlich entsprechend gehandelt. Assertiveness wurde ausgeübt und wahrgenommen. 4 Szenarium 2: Der Assistent bringt seine Bedenken vor, diese werden nicht wahrgenommen. Bei einem neuerlichen Versuch, die Bedenken zu äußern, wird der Assistent abgekanzelt. Er getraut sich nicht, einen weiteren Versuch zu starten. Assertiveness wurde ausgeübt, aber nicht wahrgenommen. 4 Szenarium 3: Der Assistent, der schon mehrmals abgekanzelt wurde, getraut sich nicht, seine Bedenken vorzubringen. Steile Hierarchie, negative Erfahrungen und mangelhafte Sicherheitskultur haben Assertiveness verhindert.
56.5.3
Aktives Fehlermanagement
»Aus Fehlern lernen« ist eines der Hauptziele moderner Risikomanagmentsysteme. Vorgehensweisen, die wir in Hobbybereichen, wie im Sport oder beim Spielen eines Instrumentes, wie selbstverständlich anwenden, werden im Beruf zur nahezu unüberwindlichen Hürde. Eine immer klagefreudigere Gesellschaft, zunehmende Perfektionsanforderungen, Angst vor Imageverlust und Karriereschaden bis hin zu Existenzängsten verhindern bis heute gerade in der Medizin einen vernünftigen Umgang mit Fehlern. Die steigende Haftungsproblematik ist es, die ein Umdenken in Sachen Fehler und Risikomanagement im klinischen Bereich derzeit vorantreibt. Kranken- und Haftpflichtversicherer sind zunehmend nicht mehr bereit, jene Kosten zu übernehmen, die durch das Fehlen effektiver Risikomanagementsysteme im Gesundheitswesen entstehen. Im Folgenden wird auf die wichtigsten Strategien und Instrumente, die hier zur Anwendung kommen, eingegangen. Es sei an dieser Stelle nochmals mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eben jene Strategien und Instrumente nur dann den gewünschten Effekt bewirken, wenn die in 7 Kap. 56.5.1 angeführten Fähigkeiten unterrichtet und laufend geschult werden.
Anonyme Meldesysteme kritischer Vorfälle (CIRS) In vielen dokumentierten Fällen hat sich herausgestellt, dass sich anwesende »nachgeordnete« Ärzte oder Schwestern entweder nicht getrauten, ihre Bedenken zu äußern, oder kurz abgefertigt wurden. Steile Hierarchien und falsches Rollenverständnis haben auf diese Weise in allen Arbeitswelten Katastrophen ausgelöst. Um Assertiveness zu ermöglichen, ist es nötig, alle Beteiligten in entsprechenden Trainings von der Sinnhaftigkeit dieser Verhaltensweise zu überzeugen. Die älteren Vorgesetzten müssen lernen, ihre Nachgeordneten als Sicherheitsnetz zu verstehen. Die Jüngeren müssen lernen, keine unnötige Furcht davor zu haben, Bedenken zu äußern, auch wenn man sich einmal irrt. Treten Sicherheitsbedenken auf, kann man sich an folgendem Schema orientieren: 4 Erlange die Aufmerksamkeit des Teamleaders. 4 Äußere deine Bedenken. 4 Bringe das Problem auf den Punkt.
Eines der wirksamsten Instrumente, um aus Fehlern zu lernen, stellt zweifellos ein anonymes Meldesystem kritischer Ereignisse dar. Wird ein solches System sinnvoll eingesetzt, zählt es zu den allerwichtigsten Instrumenten im Fehlermanagement. Im Folgenden soll es um sog Near Miss Incidents gehen – Vorfälle also, in denen zwar Fehler da waren, aber zu keinem Schaden am Patienten führten. Das hat auch dem in Europa bekanntesten System CIRS (Critical Incident Reporting System) seinen Namen gegeben. Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Meldesysteme ist die Überzeugung, dass Fehlermeldungen eine unbedingte Notwenigkeit im Fehlermanagement darstellen. Das Prinzip eines solchen Meldesystems ist einfach: 4 Die Teilnehmer geben Near Miss Incidents (Ereignisse, in denen es aufgrund von Fehlern fast zum Patientenschaden gekommen wäre) anonym in das System ein. 4 Alle am System angeschlossenen Personen können die Meldungen lesen und daraus lernen.
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1190
Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
Die erzielbaren Effekte sind: 4 Das Bewusstsein für fehleranfällige Situationen wird gestärkt. 4 Sicherheitsmaßnahmen können getroffen werden, bevor es zur Katastrophe kommt. 4 Die Patientensicherheit steigt, ohne dass jemand zu Schaden kommt. 4 Negative Trends können frühzeitig erkannt und korrigiert werden.
Erfassung unerwünschter Ergebnisse (OCM) Viele der »komplizierten Verläufe« sind z. T. unvermeidbar und treten in einer bestimmten Häufigkeit auf. Das Vorkommen solcher Ergebnisse in gewissen Prozentsätzen ist unvermeidbar und nicht zwangsläufig mit Fehlern in Verbindung zu bringen. Ein entsprechendes »Monitoringsystem« erfasst das Auftreten und die Häufigkeit solcher Ereignisse.
Typische geburtshilfliche Komplikationen
Der Vorteil, lernen zu können, bevor jemand zu Schaden kommt, schaltet Ängste vor Karriereschaden, Imageverlust und möglichen Ansprüchen aus. Darüber hinaus weiß man, dass bei gegebener Fehlerkonstellation das Verhältnis von Near Miss Incidents zum Katastrophenfall etwa 1:300 beträgt (Heinreich 1941). > Es muss nicht jeder alle Fehler selbst machen, um daraus zu lernen.
56
Sind genügend Datensätze vorhanden, können die Eingaben dann von Experten kodiert und nach auffälligen Mustern untersucht werden. Stellt sich heraus, dass sich bestimmte Gefahrensituationen immer wieder aus den gleichen Konstellationen heraus ergeben, kann dies systemisch korrigiert werden. Das ausgereifteste diesbezügliche System ist für den deutschsprachigen Raum das in Basel über 15 Jahre hindurch gereifte CIRS (Critical Incident Report System). Es entstand unter Mithilfe des obersten Luftfahrtpsychologen Prof. Robert Helmreich nach dem Vorbild der funktionierenden Meldesysteme von NASA und Luftfahrt. Alle positiven und negativen Erfahrungen, die es bezüglich Erfassung und Auswertung entsprechender Daten gibt, wurden in dieser Branche gemacht und sind im ASRS (Aviation Safety Report System) berücksichtigt. Jährlich werden derzeit etwa 30.000 Meldungen in das ASRS eingegeben und ausgewertet. CIRS wird von medizinischer Seite heute von Prof. Daniel Scheidegger – einem der Mitentwickler des Systems – betreut und kann sicherlich als der Goldstandard eines medizinischen Vorfallsmeldesystems gelten (Kaufmann et al. 2002). Über www.cirsmedical.org kann man sich von der Funktionalität des Systems überzeugen. Wie auch beim ASRS müssen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein, damit die Teilnehmer Berichte eingeben und der Systemnutzen zum Tragen kommt.
Ideale Voraussetzungen für ein funktionierendes Vorfallsmeldesystem 4 4 4 4 4 4 4 4
Schulung vor Teilnahme am Meldesystem Gesetzlicher Schutz für den Meldenden Gewährleitung der Anonymität Keinerlei Sanktionen (Ausnahme: strafrechtlicher Tatbestand) Möglichst großer Teilnehmerkreis Datenbank nicht bei vorgesetzter Dienststelle Vertrauensarzt, der Meldungen vidiert Statistische Auswertungen und Feedback
4 4 4 4 4
Ungeplante Wiederaufnahme Transfusionspflichtige Nachblutungen Notwendigkeit operativer Revision Septisches Fieber Notwendigkeit intensivmedizinischer Betreuung einer Mutter 4 Transferierung reifer Kinder auf die Neonatologiestation 4 Wundheilungsstörung bei Sectio oder Episiotomie
Idealerweise werden die dokumentationspflichtigen Ereignisse definiert und schriftlich festgehalten. Bei entsprechender Dokumentation werden ungewöhnliche Häufungen und Trends objektiviert und frühzeitig erkannt. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass allenfalls erforderliche Maßnahmen zum frühest möglichen Zeitpunkt getroffen werden können. Um die Daten entsprechend nützen zu können, ist es unabdingbar, in regelmäßigen Abständen Besprechungen abzuhalten, die keinem anderen Zweck dienen als der Erörterung der erhobenen Daten. Diese Treffen werden üblicherweise Morbiditäts- & Mortalitäts-Konferenzen genannt (M&M-Konferenzen). Als besonders hilfreich hat sich dabei die graphische Darstellung der Häufigkeiten in Form von Balken und Laufdiagrammen erwiesen. Plötzliche Schwankungen und Trends sind so auf einen Blick zu erkennen. M&M-Konferenzen liefern die Basis erfolgreicher Verbesserungsarbeit und gehören zum Standardrepertoire jedes erfolgreichen Risikomanagementsystems. Es erweist sich als hilfreich, wenn die verantwortliche Führung sich schriftlich dazu bekennt, dass Fehler und deren Folgen als notwendige Ereignisse angesehen werden und ein entsprechendes Erfassen derselben keinerlei negative Konsequenzen für die Betroffenen hat. Inhalt und Ergebnisse der M&M-Konferenzen sind zu dokumentieren.
56.5.4
Systemische Vorfallsanalyse (Root-Cause-Analyse; RCA) und Ablaufoptimierung (Fehler-Mode-Effekt-Analyse; FMEA)
Hier sollen die beiden mächtigsten Instrumente vorgestellt werden, die es ermöglichen, das Risiko eines Wiederauftretens gleicher Konstellationen, die zu Schaden führen oder führen können, zu minimieren (Senders 2004). Die beiden Methoden werden seit langer Zeit erfolgreich in vielen Bereichen angewendet, wo es gilt, ein Risiko möglichst auszuschalten. Auch
1191 56.5 · Instrumente im klinischen Risiko- und Fehlermanagement
hier sind entsprechende Fehlerkultur sowie adäquates Hierarchie- und Teamverständnis eine absolute Voraussetzung für die Wirksamkeit der Instrumente. Wie in vielen anderen Bereichen des Fehler- und Risikomanagements ist es auch hier sinnvoll, sich an die englischen Begriffe zu gewöhnen, da die gesamte Literatur dazu aus diesem Sprachraum stammt. Die beiden Methoden stellen sich ergänzende Instrumente dar. Aus didaktischen Gründen werden sie hier getrennt dargestellt.
Root-Cause-Analyse (RCA) Am ehesten kann man die Methode mit »systemische Vorfallsanalyse« übersetzten, was allerdings nicht ganz den Kern der Sache trifft. Allzu oft endet die Fallanalyse im klinischen, aber auch im juristischen Bereich mit der Festlegung, wer denn nun am Zustandekommen des Schadens schuld sei! Die mit 80% beteiligten Begleitumstände werden, wenn überhaupt, nur selten professionell analysiert und in ihrer Bedeutung wahrgenommen. Unausweichliche Folge davon ist das Wiederauftreten von Problemen aus gleicher Ursache. 4 Allgemeines Beispiel: Ein Fußballteam verliert laufend wegen nicht gehaltener Elfmeter. Wahrscheinlich wäre es in diesem Fall erfolgreicher, darauf zu achten, keinen Elfmeter zu riskieren, als den Torwart auszutauschen. 4 Klinisches Beispiel: Immer wieder fehlen zur Geburt die serologischen Zusatzuntersuchungen bei Hepatitis-B-positiven Patientinnen. Die Kinder müssen im Zweifel geimpft werden, die Mütter dürfen aus Sicherheitsgründen das Kind nicht anlegen. Soll dieser Zustand beseitigt werden, ist es sinnvoller, den Ablauf fehlerresistent zu machen, als dem Behandlungsteam Schuld zuzuschieben, weil das Nichtvorhandensein der Befunde übersehen wurde. Sinn und Zweck einer RCA ist es, eine umfassende und genaue Analyse sicherzustellen, die weit über die Schuldfrage hinausgeht und unnötiges Bloßstellen vermeidet. Basis dafür stellt eine taxative Liste von sog. Contributing Factors (Rahmenbedingungen, die die Fehlerwahrscheinlichkeit systemisch erhöhen) dar, die in jedem Fall Punkt für Punkt abgearbeitet werden muss.
Fehlerbegünstigende Faktoren (Contributing Factors) 4 Teamfaktoren: – Verbale Kommunikation – Schriftliche Kommunikation – Verfügbarkeit erfahrener Vorgesetzter – Führung und Verantwortung 4 Taskkomponenten – Verfügbarkeit und Verwendung von Protokollen – Entscheidungshilfen – Task-Design
6
4 Arbeitsbedingungen – Personalausstattung – Arbeitsanfall – Wartung der Geräte 4 Organisation und Management – Finanzielle Ressourcen – Organisationsstruktur – Sicherheitskultur 4 Patientenfaktoren – Schwere des Krankheitsbildes – Sprachprobleme – Compliance 4 Individuelle Faktoren der Teammitglieder – Kompetenz, Fähigkeiten und Wissen – Physische und psychische Fitness
Bei der RCA handelt sich um einen strukturierten Prozess, der üblicherweise objektiver und erfolgreicher ist als rasche und allzu oberflächliche Analysen der »Experten«. RCA verschmelzt klinische Erfahrung und Fachkenntnis mit strukturiertem Vorgehen. Dieser Zugang hat mehrere Vorteile:
4 Durch strukturiertes Vorgehen wird meist eine Serie von vorangehenden Geschehnissen, die mitauslösend waren, berücksichtigt. 4 Die Dokumentation einer RCA eignet sich meist hervorragend für formelle Berichte. 4 Gleiche Vorgehensweisen bei allen Fällen schaffen eher Vertrauen bei den Ärzten als unstrukturierte Vorgehensweisen. 4 RCA verhindert eine »Sündenbockmentalität« und unnötige Schuldzuweisungen. Die wissenschaftliche Basis einer RCA bildet das in 7 Kap. 56.3.2 beschriebene »Swiss Cheese Model«, das die simplifizierte Form des »Accident Casuation Model« von Reason, aber ebenfalls sehr gut die Charakteristika des »Threat and Error Management-Model« von Helmreich darstellt (Reason 2000; Klinect et al. 1999). Die beiden Modelle spiegeln in klarer Form das geltende Wissen bezüglich Fehlervermeidung wider. Zweck einer RCA ist es, Erkenntnisse zu liefern, die helfen, das System sicherer zu machen. Im Mittelpunkt der Analysen stehen jeweils die medizinischen Betreuungsabläufe. Die wichtigsten Fragen, die zu diesem Zweck beantwortet werden müssen, sind: 4 Was ist passiert 4 Wie ist es passiert 4 Warum ist es passiert 4 Wie lässt es sich in Zukunft verhindern Eine genaue Beschreibung des Vorgehens ist aus der Literatur ersichtlich (Vincent et al. 2000).
Fehler-Mode-Effekt-Analyse (FMEA) Die FMEA ist eine teambasierte, systematische Methode, um herauszuarbeiten,
56
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Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
4 auf welche Weise Prozesse versagen könnten, 4 warum sie versagt haben, 4 wie man sie fehlerresistent (möglichst sicher) machen kann.
kann, muss der dafür verantwortliche Prozess als Hochrisikoprozess eingestuft werden. Zu bearbeitender Ablauf. Betreuung der Patientin in der
Schwangerenambulanz. Das Verfahren kann proaktiv oder reaktiv zum Einsatz kommen: Proaktiv. Werden neue Methoden eingeführt, kann mittels
FMEA am grünen Tisch die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und Fehlfunktionen minimiert werden.
Erstellen eines Prozessdiagramms. In diesem Schritt ist der
Betreuungsablauf im Hinblick auf die Kontrolle und das weitere Vorgehen Schwangerer bei auffälliger Hepatitisserologie darzustellen. Ein Flussdiagramm, das die Bearbeitung der Hepatitisserologie in der Schwangerenambulanz darstellt, wird angefertigt.
Reaktiv. Werden nach der Analyse unerwünschter Ereignisse
mittels RCA (7 oben) fehlerhafte Abläufe isoliert, können diese mittels FMEA weitgehend fehlerresistent gemacht werden. Die einzelnen Begriffe (FMEA) haben folgende Bedeutung: F – Fehler. ist vorhanden, wenn ein System, oder ein Teilsys-
Brainstorming zur Frage der Fehlerarten (Failure Modes) und deren Auswirkung. Die einzelnen Arbeitsschritte wer-
den auf ihr Versagenspotenzial hin bewertet, z.B. Arbeitsschritt: Anweisung an Patientin, was weiter zu tun ist. Zu stellende Fragen: 4 Was könnte hier falsch laufen
tem (eine) Fehlfunktion(en) aufweist. M – Mode. Art, wie ein etwas passiert oder passieren kann. E – Effect. Auswirkung der Fehlerart (Fehler-Mode). A – Analyse. Genaue Untersuchung der Elemente oder der Strukturen der betreffenden Prozesse.
56
Ablauf einer Fehler-Mode-Effekt-Analyse (FMEA) 1. Auswahl eines Hochrisikoprozesses (HRP) und der Teamzusammensetzung 2. Erstellen eines Prozessdiagramms 3. Brainstorming zur Frage der Failure Modes (FM) und deren Auswirkung 4. Ranking der Failure Modes 5. Identifikation der Root Causes (RC) der einzelnen Failure Modes 6. Prozess-Redesign 7. Analyse: Testung und Monitoring des neuen Prozesses
Antworten: 4 Aufklärung wird vergessen. 4 Befund wird missinterpretiert. 4 Patientin versteht Anweisung nicht. 4 Befund liegt nicht vor. 4 Sonstiges. Ranking der Fehlerarten. Die einzelnen Fehlerarten werden auf ihre Gefährlichkeit und Häufigkeit hin bewertet. . Tab. 56.1 entspricht einer Risikomatrix und dient als Orientierung, womit man sich vordringlich beschäftigen soll, um die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Fehlers zu minimieren. Ursachen der Fehlerarten erarbeiten. Im nächsten Schritt sind die Ursachen für jene Fehlerarten zu klären, die beseitigt werden sollen. Warum versteht die Patientin die Anweisungen nicht? 4 Aufklärung enthält zuviel medizinisches Fachvokabular. 4 Zu geringe Deutschkenntnisse. 4 Fehlende patientenverständliche Unterlagen. 4 Zu wenig Zeit für die Aufklärung. 4 Assistent hat zuwenig Fachwissen. 4 Sonstige Gründe.
Fallbeispiel
Anhand eines klinischen Beispiels soll gezeigt werden, wie eine FMEA durchgeführt wird. Die Reihenfolge der abzuhandelnden Schritte ist in der Übersicht aufgeführt. Der Fall. Bei einer Patientin, die am Termin mit Geburtswe-
hen zur Aufnahme kommt, fehlen die serologischen Befunde bezüglich des Hepatitisstatus. Vorfälle dieser Art sollen eliminiert werden! Nach der Durchführung einer RCA (7 oben) stehen all jene Abläufe (Prozesse) fest, die bei solchen Vorfällen eine Rolle spielen. Auswahl eines Hochrisikoprozesses. Da es bei Hepatitis-Bpositiver Patientinnen und Nichtbeachtung der Befunde zu einer chronisch aggressiven Erkrankung des Kindes führen
Prozess-Redesign. Nach der Auswahl der wichtigsten Fehlerursachen muss der Ablauf entsprechend geändert werden.
. Tab. 56.1. Risikomatrix zum Ranking von Fehlern
Gefahr
Frequenz
Aufklärung wird vergessen
Mittel
Selten
Befund wird missinterpretiert
Hoch
Sehr selten
Patientin versteht Anweisung nicht
Hoch
Oft
Befund liegt nicht vor
Hoch
Sehr selten
1193 Literatur
Stellen die fehlenden patientenverständlichen Unterlagen das Hauptproblem dar, muss dies als erstes korrigiert und die Aushändigung der Unterlagen im Prozessablauf verankert werden. Analyse, Testung und regelmäßiges Monitoring des neuen Prozesses. Idealerweise wird ein neues Vorgehen erst nach
positiv verlaufenem Test zur Regel erhoben. In regelmäßigen Abständen sollte gemessen werden, ob das Vorgehen eingehalten wird. Eine genaue Beschreibung, wie FMEA im medizinischen Bereich durchgeführt werden, ist in vielen Büchern und Dokumenten, die im Internet eingesehen und heruntergeladen werden können, zu finden.
56.6
Schadensmessungen
Wer sich mit Risiko- und Fehlermanagement auseinandersetzt, sollte sich über das Verhältnis von Fehler zu Schadensentstehung bewusst sein. Beispielsweise führen im Schnitt lediglich 5% der Medikationsfehler zu Schaden am Patienten. Adverse Event Als Maßzahl für Schaden am Patienten hat sich im angloamerikanischen Sprachraum der Begriff »adverse events« etabliert. Die einfachste Definition dafür lautet: »Adverse event is any injury caused by medical care.«
Da der Begriff Schaden am Patienten im deutschen Sprachraum emotionell extrem negativ besetzt ist, was nicht zuletzt auf die forensischen Implikationen zurückzuführen ist, empfiehlt es sich, bei uns den Begriff Adverse Event zu benutzen. Rein sachlich betrachtet ist das Ziel risikominimierender Maßnahmen, wie in 7 Kap. 56.5 dargestellt, die Minimierung der Adverse Events, da Fehlerminimierung nicht notwendigerweise mit einer Schadensreduktion einhergeht – eine Betrachtungsweise, die sich aus Sicht der Patienten leicht nachvollziehen lässt. Notwendigkeit und Effekt der beschriebenen risikominimierenden Maßnahmen waren und sind bis heute Gegenstand heftiger Diskussionen, da lange Zeit kein geeignetes Messinstrument für die Häufigkeit der Adverse Events zur Verfügung stand. Bisher angewandte Strategien und Verfahren wie freiwillige Meldungen, Komplikationskonferenzen oder Analyse der Krankengeschichten waren nicht geeignet, Adverse Events zuverlässig und reproduzierbar zu erfassen und sind darüber hinaus mit einem massiven Underreporting behaftet. Um all diese Nachteile auszuschalten, wurde ein Messinstrument entwickelt, das unter dem Namen »Trigger-Tool-Methode« in die Literatur eingegangen ist. Die Methode selbst wurde insbesondere vom IHI (Institute for Health Care Improvement) in seiner Entwicklung und Validierung unterstützt und stellt heute den Goldstandard in Sachen AdverseEvent-Messung dar (Resar et al. 2003). Die Wurzeln dieser Strategie der Adverse-Event-Messung reichen bis 1974 zurück (Jick 1974).
Der Name »Trigger Tools« leitet sich vom Prinzip der Methode ab, bei der nicht der Schaden selbst, sondern jene Hinweiszeichen, die auf einen Schaden schließen lassen, gesucht werden. Während der Schaden in der Krankengeschichte oft schwierig zu orten ist, sind die angesprochenen Hinweiszeichen (Trigger) einfach aufzufinden. Ein positiver Trigger – wörtlich übersetzt Auslöser – löst dabei die Analyse der betreffenden Krankengeschichte aus. Diese Analyse selbst ist, wie die Trigger-Tool-Listen auch, standardisiert. Tipp Es konnte gezeigt werden, dass es genügt, 20 im Zufallsprinzip gezogene Krankengeschichten pro Monat zu analysieren, um auf verlässliche Werte zu kommen.
Auf diese Weise ist es möglich, unter maximaler Zeit- und Ressourcenschonung Schadensfrequenzen reproduzierbar zu messen. Die Tatsache, dass dies auch retrospektiv möglich ist, macht das Instrument besonders wertvoll. Auf diese Weise kann nachvollzogen werden, ob die zum Risikomanagement eingesetzten Maßnahmen und Ressourcen den gewünschten Erfolg bringen. In den letzten Jahren wurden für die verschiedensten Fachbereiche Trigger-Tool-Listen entwickelt und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft. Für unseren Fachbereich gibt es das perinatale Tigger Tool sowie ein Tool für die Erfassung von Events auf perinatologischen Intensivstationen (Sharek et al. 2008). Beispiele für perinatalen Trigger sind schlechte Apgar- oder Blutgaswerte, Intensivpflichtigkeit, Verwendung bestimmter Medikamente oder pathologische Blutzuckerwerte. Eine genaue Beschreibung, sowie Zusammenstellung aller aktuell existierenden Trigger-Listen findet sich auf den Internetseiten des IHI [www.IHI.org]. Überall dort, wo Trigger Tools zur Erhebung der AdverseEvent-Frequenzen eingesetzt wurden, hat sich deren Brauchbarkeit bestätigt. Aus heutiger Sicht werden sich alle Maßnahmen zum klinischen Risikomanagement einer solchen Messung zum Beweis ihrer Wirksamkeit stellen müssen.
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56
Kapitel 56 · Klinisches Risiko- und Fehlermanagement
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57 57 Perinatale Mortalität N. Lack 57.1
Definitionen/Begriffsbestimmung – 1196
57.2
Zeitverläufe – 1197
57.3
Verschiebungen in die postneonatale Periode – 1200
57.4
Komponenten der Mortalität – 1201
57.5
Determinanten der Mortalität – 1202
57.6
Perinatale Mortalität als Qualitätsindikator – 1203
57.6.1 57.6.2
Deutschland – 1203 Österreich und Schweiz – 1205
57.7
Von der Mortalität zur Morbidität – 1205 Literatur – 1206
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1196
57
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
Mortalität ist eindeutig. Der unzweifelhafte Befund erklärt vielleicht die ungebrochene Beliebtheit dieses Kriteriums zur Beschreibung des Ausgangs einer Schwangerschaft. Die perinatale Mortalität gehört untrennbar zur umfassenden Darstellung von geburtshilflichen Leistungen einer Abteilung. Strukturpolitische Diskussionen in der geburtshilflichen Versorgung sind ohne regionale Vergleiche perinataler Mortalitätsraten kaum durchführbar. Neben der Säuglingssterblichkeit ist die perinatale Mortalität eine weit verbreitete Maßzahl für den sozioökonomischen Status einer Gesellschaft. In internationalen Vergleichen der WHO tauchen perinatale Mortalitätsraten regelmäßig auf. Umfassende und direkt vergleichbare Darstellungen von Häufigkeiten und Ursachen der perinatalen Mortalität über längere Zeiträume und verschiedene Regionen sind allerdings aus drei Gründen nicht ganz unproblematisch. Erstens sind die gesetzlichen Vorschriften für die Registrierung von Totgeborenen und Lebendgeborenen sowie deren Definition nicht in allen Staaten gleich und zudem sind sie auch noch diversen Änderungen im Lauf der Zeit unterworfen. Zweitens ist trotz der weit verbreiteten ICD-Verschlüsselung dennoch eine absolute Vergleichbarkeit in der Todesursachenstatistik nicht garantiert, da ICD-Versionen und Verschlüsselungspraktiken ebenfalls Veränderungen obliegen. Drittens basieren die veröffentlichten Kennzahlen teilweise auf unterschiedlichen Datenbasen. Während in den meisten Ländern staatliche Institutionen mit der Datensammlung betraut sind, werden in Deutschland häufig Resultate der zwar flächendeckenden, aber dennoch nicht vollzähligen Perinatalerhebungen zitiert, die zudem auf dem Ereignisortprinzip im Gegensatz zu dem sonst gängigen Wohnortprinzip basieren. Die Zählung nach dem Ereignisortprinzip impliziert die Berücksichtigung sämtlicher an einem Ort – i. d. R. ein Krankenhaus – geborener Kinder unabhängig von ihrem Herkunftsort im Gegensatz zur Zählung nach dem Wohnortprinzip, wo der Hauptwohnsitz der Mutter ausschlaggebend für die nachfolgende Aggregierung ist. In anderen Staaten existieren keine flächendeckenden Perinatalerhebungen wie in Deutschland. Im Rahmen der meist staatlichen Gesundheitswesen werden außerhalb von Deutschland oft differenziertere Daten zu Schwangerschaft und Geburt in der offiziellen Dokumentation erfasst. In Deutschland ergänzen die Daten der Perinatalerhebungen stattdessen die im Vergleich eher schmale offizielle Datenbasis. Hierdurch erklärt sich entsprechend auch bei epidemiologischen Fragestellungen der selbstverständliche Bezug zu den Daten der Perinatalerhebung. Zeitverläufe von Mortalitätsraten sind nicht störungsfrei. Die Wiedervereinigung 1989 sowie die Änderung des Personenstandsgesetzes 1994 sind von gravierender Konsequenz für die Interpretation der perinatalen Mortalität in Deutschland. Die schlagartig veränderte Datenlage hat zu substantiellen Diskontinuitäten in den Zeitverläufen geführt, die sich erst jetzt allmählich zu beruhigen beginnen. In diesem Kapitel soll die perinatale Mortalität aus epidemiologischer Sicht betrachtet werden. Hierzu werden nach einer kurzen Begriffsbestimmung anhand von Beispielen aus diversen Datenquellen allgemeine Muster regionaler und zeitlicher Variation der Mortalität sowie die wichtigsten Todesursachen und korrelierende Begleitumstände aufgezeigt. Die vorgestellten Da-
6
ten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen stattdessen die Vielfältigkeit des Themas illustrieren und v.a. auf gängige Fallen bei der Interpretation der perinatalen Mortalität aufmerksam machen. Letztlich gilt aber stets die alte Erkenntnis, dass das Vertrauen in eine Datenanalyse mit der Detailkenntnis der Rohdaten zunimmt. In 7 Kap. 57.7 wird ein Versuch unternommen, den Stellenwert der perinatalen Mortalitätsrate in der modernen Geburtshilfe neu zu definieren und zugunsten einer Betrachtung neonataler Morbidität zu relativieren. Weitergehende Literatur zu Themen, die über den Rahmen dieses Kapitels hinausgehen findet sich u.a. bei EUROCAT (2005), MacFarlane u. Mugford (2000), NPEU Annual Report (2008), Richardus et al. (2002), European Perinatal Health Report (2008). Nützliche Internetadressen sind: 5 http://www.npeu.ox.ac.uk/, 5 http://www.who.int/whosis/, 5 http://www.baq-bayern.de/, 5 http://europeristat.com/. Zusätzliche Informationen für Deutschland können darüber hinaus von den jeweiligen Qualitätssicherungsgeschäftsstellen der Bundesländer bezogen werden, die i. d. R. den Landeskrankenhausgesellschaften oder Ärztekammern angegliedert sind.
»Die risikoreichsten Momente eines Menschenlebens befinden sich jeweils zu Beginn und am Ende.«
57.1
Definitionen/Begriffsbestimmung
Definition Perinatale Mortalität Perinatal gestorbene Kinder einschließlich tot geborene sowie alle innerhalb von 7 Lebenstagen gestorbene Neugeborene. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird absichtlich der Begriff Totgeborene im Gegensatz zu Totgeburten verwendet, da eine Totgeburt im Falle von Mehrlingen nicht immer eindeutig definiert ist. »Innerhalb von 7 Lebenstagen« heißt innerhalb von 7-mal 24 h nach der Geburt.
Neonatale Mortalität Des Weiteren sind neonatale Todesfälle innerhalb der ersten 4 Wochen und postneonatale Todesfälle solche zwischen 4 Wochen und einem Jahr. Neonatale und postneonatale Todesfälle konstituieren zusammen Säuglingstodesfälle. Neonatale Todesfälle werden ferner in frühe neonatale Todesfälle innerhalb von 7 Lebenstagen sowie späte neonatale Todesfälle zwischen dem 8. Lebenstag und 4 Wochen unterteilt. Perinatale Todesfälle beinhalten somit tot geborene sowie frühe neonatale Todesfälle.
Perinatale Mortalitätsraten sowie Totgeborenenraten werden pro Tausend, bezogen auf die Summe aus Lebendgeborenen und Totgeborenen in Promille berechnet. Frühe, späte und postneonatale Mortalitätsraten sowie Säuglingssterblich-
1197 57.2 · Zeitverläufe
keiten werden in Promille, bezogen auf alle Lebendgeborenen berechnet. Die Meldung von Totgeborenen ist per Gesetz in allen europäischen Staaten vorgeschrieben. Während früher die generelle Grenze zwischen Spontanaborten und Totgeborenen bei 28 vollendeten Schwangerschaftswochen post menstruationem lag, ist diese Grenze in vielen Staaten angesichts der gestiegenen Überlebenschancen von Frühgeborenen weiter abgesenkt worden. Mit dem Übergang von der 8. zur 9. Revision der ICD (WHO 1967, 1978) erfolgte auch der Wechsel vom Gestationsalter zum Geburtsgewicht als primäres Kriterium zur Definition von tot geborenen Kindern. In der 10. Revision der ICD werden als Mindestgrenzen 1000 g (ersatzweise Gestationsalter 28 Wochen oder Körperlänge 35 cm) für internationale Vergleiche und 500 g (ersatzweise Gestationsalter 22 Wochen oder Körperlänge 25 cm) für nationale Vergleiche empfohlen (WHO 1992). Seit der Änderung des Personenstandsgesetzes (Bundesgesetzblatt I 1994) vom 24.03.1994 gilt in Deutschland ab 01.04.1994 für Totgeborene die Gewichtsgrenze von 500 g.
Der entsprechende Wortlaut der Ausführungsverordnung zum § 29 des Personenstandsgesetzes (1) Eine Lebendgeburt, für die die allgemeinen Bestimmungen über die Anzeige und die Eintragung von Geburten gelten, liegt vor, wenn bei einem Kinde nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. (2) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, beträgt das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm, so gilt sie im Sinne des § 24 des Gesetzes als ein tot geborenes oder in der Geburt verstorbenes Kind. (3) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt und beträgt das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm, so ist die Frucht eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsbüchern nicht beurkundet.
Neben der genannten Definition existieren in anderen Staaten allerdings auch teilweise stark abweichende Definitionen für Totgeborene. Beispielsweise galt bis 30.09.1992 in Großbritannien ein Totgeborenes als Leibesfrucht ohne Eigenatmung oder andere Lebenszeichen nach der vollendeten 28. SSW, danach wurde gemäß dem »Stillbirth Definition Act 1992« die kritische Gestationsaltersgrenze auf 24 Wochen herabgesetzt (Office for National Statistics 2001). Allgemein ist eine Senkung der kritischen Grenzen für die Reife eines Kindes, egal, ob Geburtsgewicht oder Gestationsalter, teilweise auch Körperlänge, zu beobachten. Die Motivation hierfür ergibt sich aus einer zunehmenden Benachteiligung zu Lasten Neugeborener aufgrund verbesserter Überlebenschancen bei zunehmend geringerem Geburtsgewicht durch medizinische Fortschritte. Auch in den USA werden Totgeborene entsprechend ihrem Gestationsalter in »fetal deaths« (ab 20 Wochen) und
»late fetal deaths« (ab 28 Wochen) unterteilt (National Centre for Health Statistics 2000). Das Streben nach einer Definition der Totgeborenen über das Gestationsalter reflektiert den Wunsch, die spontanen Aborte von späteren intrauterinen Todesfällen abzugrenzen. Bei den wissenschaftlichen Fachgesellschaften wird teilweise eine Definition über das wesentlich genauer bestimmbare Geburtsgewicht favorisiert. Zur Verdeutlichung der aktuellen heterogenen Handhabung der Definitionen allein schon in Europa mag . Tab. 57.1 aus dem European Perinatal Health Report (2008) dienen. Im internationalen Vergleich (WHO 2006) zeigt sich deutlich die sozioökonomische Komponente der perinatalen Mortalität. Eine perinatale Mortalitätsrate von weniger als 20‰ findet sich 2000 vorwiegend in den wohlhabenden Staaten Europas, in den USA und Kanada, Chile, Argentinien, Tunesien, Kuwait, Japan, Malaysia und Australien. Die höchsten Raten finden sich in den stark unterentwickelten Ländern Afrikas und in Afghanistan. Die aus dem European Perinatal Health Report 2008 extrahierten Zahlen für 2004 zeigen aber auch innerhalb der EU substanzielle Variationen (. Abb. 57.1), wenngleich auf anderem Niveau.
57.2
Zeitverläufe
Der Verlauf der perinatalen Mortalitätsrate in Deutschland (. Abb. 57.2; Statistisches Bundesamt 2009) zeigt, dass mittlerweile eine Größenordnung von ca. 5,5‰ erreicht worden ist. Das Statistische Bundesamt Wiesbaden hat für den Geburtenjahrgang 2007 in Deutschland eine perinatale Mortalitätsrate von 5,52‰ ermittelt. Vor dem Hintergrund von regelmäßig verfügbaren Daten zur perinatalen Mortalität in der ehemaligen DDR ab 1970, der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 sowie der Änderung des Personenstandsgesetzes zum 01.04.1994 lassen sich die getrennten Verläufe für beide Teile Deutschlands interpretieren. Bis etwa 1997 war die Organisation der Schwangerenbetreuung in der DDR, insbesondere durch die Hausbesuche nach 4 Wochen, weitaus intensiver als zu vergleichbarer Zeit im früheren Bundesgebiet. Insbesondere sozial schwache Familien wurden mit einbezogen. Ferner existierten Kommissionen zur Untersuchung von sämtlichen Säuglingssterbefällen. Alle Fälle waren meldepflichtig, tote Kinder wurden grundsätzlich obduziert.
Studienbox Dieser Grad der Versorgungsintensität ist typisch für staatliche Gesundheitswesen. Zum Beispiel werden in Großbritanniens National Health Service (NHS) sämtliche Neugeborene im Rahmen eines Follow-up-Besuchs durch Gemeindeschwestern (»health visitors«) überprüft. Hierbei werden u. a. allgemeine soziale und hygienische Faktoren berücksichtigt. Es wurde festgestellt, dass zwischen der Senkung der Rate von plötzlichen Säuglingsstodfällen (»sudden infant death syndrome«; SIDS) in den 1970er Jahren und der Intensität von Risikoscore-abhängigen
6
57
1198
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
. Tab. 57.1. Untere Grenze für Registrierung für Tot- und Lebendgeburten im europäischen Vergleich 2004. (Nach European Perinatal Health Report 2008)
Untere Grenze der offiziellen Geburtenregistrierung
57
Totgeburt
Lebendgeburt
Belgien
≥500 g
keine Grenze
Tschechien
≥22 Wochen bzw. ≥1000 g
Dänemark
≥22 Wochen
keine Grenze
Deutschland
≥500 g
keine Grenze
Estland
≥22 Wochen oder ≥500 g
keine Grenze
Irland
≥24 Wochen oder ≥500 g
keine Grenze
Griechenland
≥28 Wochen
k. A.
Spanien
keine Grenze
keine Grenze
Frankreich
≥22 Wochen oder ≥500 g
≥22 Wochen oder ≥500 g
Italien
k. A.
k. A.
Zypern
keine Dokumentation
keine Grenze
Lettland
≥22 Wochen
k. A.
Litauen
≥22 Wochen
≥22 Wochen
Luxemburg
≥25 Wochen + 5 Tage
≥25 Wochen + 5 Tage
Ungarn
≥24 Wochen
keine Grenze
Malta
≥22 Wochen oder ≥500 g
≥22 Wochen oder ≥500 g
Niederlande
≥22 Wochen oder ≥500 g
≥22 Wochen oder ≥500 g
Österreich
≥500 g
keine Grenze
Polen
≥500 g
≥500 g
Portugal
keine Grenze
keine Grenze
Schweiz
≥22 Wochen oder ≥500 g
keine Grenze
Slowenien
≥500 g
keine Grenze
Slovakei
≥22 Wochen
keine Grenze
Finland
≥22 Wochen oder ≥500 g
keine Grenze
Schweden
≥28 Wochen
keine Grenze
Vereintes Königreich
≥24 Wochen
keine Grenze
Norwegen
≥22 Wochen
keine Grenze
k. A.=keine Angabe.
≥500 g oder Überleben ≥24 h
1199 57.2 · Zeitverläufe
war nicht möglich. Anfang der 1980-er Jahre etablierten sich dagegen von Bayern und Niedersachsen ausgehend in den alten Bundesländern zunehmend die flächendeckenden Perinatalerhebungen. Zentrales Augenmerk wurde u.a. auf die Intensität der Schwangerenversorgung (Zeitpunkt der ersten Schwangerschaftsuntersuchung und Ultraschalluntersuchung sowie Anzahl der Untersuchungen insgesamt) und die Bestimmung des pH-Werts aus der Nabelschnurarterie gelenkt. Nach der Senkung der kritischen Gewichtsgrenze für die Meldung von Totgeborenen auf 500 g wird ein vorübergehender Anstieg der perinatalen Mortalitätsraten in den Jahren 1994, 1995 und 1996 um etwa 1‰ beobachtet. In diesem Fall besteht erwartungsgemäß ein stark ausgeprägter kausaler Zusammenhang mit der veränderten gesetzlichen Meldepflicht.
. Abb. 57.1. Perinatale Mortalitätsrate im europäischen Vergleich 2004. (Datenquelle: European Perinatal Health Report 2008)
Interventionsstrategien eine starke Korrelation bestand (Carpenter et al. 1983). SIDS-Risikoreduktionsprogramme haben sich inzwischen weiter etabliert (Young u. Fleming 1988) und existieren u. a. in Deutschland seit 1995, in Frankreich seit 1994 und in den Niederlanden seit 1989 (Foundation for the Study of Infant Deaths 2002; Byard u. Krous 2001).
Ende der 1970-er Jahre verschärften sich in der ehemaligen DDR allmählich die Versorgungsschwierigkeiten. Eine flächendeckende Ausstattung mit CTG und Ultraschallgeräten
. Abb. 57.2. Verlauf der perinatalen Mortalität in Promille in Deutschland. Beginn der flächendeckenden Perinatalerhebungen im früheren Bundesgebiet 1980. Deutsche Einheit 03.10.1990. Änderung des Personenstandsgesetzes zum 01.04.1994. (Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2009)
> Grundsätzlich sollte jedoch davor gewarnt werden, aufgrund korrelierender Beobachtungen Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge zu ziehen. Zwar ist parallel mit der Etablierung der Perinatalerhebungen in Deutschland eine Reihe von erfreulichen Entwicklungen wie Rückgang der perinatalen Mortalität, zunehmende CTG-Überwachung und pHWertbestimmung aus der Nabelschnurarterie sowie Intensivierung der Schwangerenvorsorge zu beobachten, stichhaltige Wirksamkeitsnachweise für den Nutzen der Perinatalerhebungen sind bislang allerdings noch nicht erbracht worden.
Problematisch ist hier die methodische Isolierung der ausschließlich den Perinatalerhebungen zuschreibbaren Effekte von allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen, wie verbesserter Zugang zu medizinischer Vorsorge und Versorgung, verbesserte Schulbildung, gestiegene hygienische Standards sowie bessere Ernährung. Wie der globale Vergleich perinataler Mortalitätsraten zeigt, finden sich die höchsten Mortalitätsraten in den Ländern mit der geringsten wirtschaftlichen Kraft. Ein Rückgang der perinatalen Mortalitätsrate über die Zeit wäre ebenso durch einen gestiegenen Lebensstandard und verbesserten Zugang zu Bildung erklärbar.
57
1200
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
57.3
Verschiebungen in die postneonatale Periode
Eine populäre Frage ist, ob die Konzentrierung medizinischen Fortschritts auf die im Mittelpunkt des Interesses stehende frühe neonatale Periode Auswirkungen auf die nachfolgende späte Neonatal- und Postneonatalperiode hat. Durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin kann das Leben in einigen Fällen über den 7. Lebenstag hinaus verlängert werden. Die Frage stellt sich, ob eine verbesserte Neugeborenenversorgung insofern zu einer Verlagerung der Mortalität in eine spätere Phase führt. Da sich randomisierte Studien aus ethischen Gründen verbieten, lässt sich diese These am ehesten durch eine Analyse der Relationen von frühen neonatologischen Todesfällen zu später erfolgten Todesfällen untersuchen. Eine differenzierte Analyse der Säuglingssterblichkeit lässt sich mit den Daten der Weltgesundheitsorganisation erstellen. Die Datenlage erlaubt eine Untergliederung in die Todesperioden 1. Lebenstag, 2.–7. Lebenstag, 8.–28. Lebenstag und 29. Lebenstag bis 1 Jahr. Setzt man pro Jahr die Summe aller 4 Gruppen zu 100%, so lassen sich vergleichbare Anteile als Zeitreihe darstellen (. Abb. 57.3). Drei Dinge fallen sofort auf: 4 der Rückgang der Todesfälle am 1. Lebenstag, 4 die Zunahme des Anteils postneonataler Todesfälle sowie 4 die gegenläufigen Entwicklungen in den extremen Gruppen (Tod am 1. Tag und postneonatale Todesfälle) nach der deutsch-deutschen Vereinigung.
57
Das Personenstandsgesetz dürfte hier theoretisch keinen Einfluss haben, da es sich ja um postnatale Todesfälle handelt. Die paradoxe Tatsache, dass es hier dennoch möglicherweise einen Zusammenhang gibt, wird später diskutiert. Die Zeitreihen scheinen die Verlagerungshypothese klar zu unterstützen. Die Hypothese lässt sich aber auch durch Kontradiktion beweisen. Angenommen, es gäbe keine Verschiebung der Mortalität von der frühen in die späte Neonatalperiode. Dies würde bedeuten, dass ein Kind entweder in der frühen Neonatalperiode stirbt oder gar nicht stirbt, sondern immer überlebt. Das aber ist absurd, da wir ja späte neonatale Todesfälle . Abb. 57.3. Relative Anteile an der Säuglingssterblichkeit. Bis 1989 früheres Bundesgebiet, ab 1992 vereinigtes Deutschland. (Datenquelle: WHO 2009)
beobachten. Also existiert die postneonatale Verlagerung der Mortalität, und zwar in dem Maße, in dem sich der medizinische Fortschritt auf die frühe Neonatalperiode fokussiert. Dass dies nicht immer so sein muss, zeigen internationale Vergleiche. Für 7 ausgewählte europäische Staaten konnte entsprechendes Material der WHO auf Zeitreihen verdichtet werden, in denen das Verhältnis von Säuglingssterbefällen in der frühen Neonatalperiode zu sämtlichen restlichen Säuglingssterbefällen dargestellt ist (. Abb. 57.4). Ein Quotient von 1,0 besagt beispielsweise, dass ebenso viele Säuglinge innerhalb der ersten 7 Lebenstage sterben wie später.
Studienbox Eine differenzierte Interpretation der Zeitreihen ist nur mit detaillierten Kenntnissen über die Registrierungspraxis in den einzelnen Ländern möglich. Dennoch lassen die stark differierenden Verläufe einige Rückschlüsse zu. Der mit Ausnahme von Italien deutliche Rückgang des Anteils früher neonataler Mortalität zu Lasten der späteren Periode legt die Vermutung einer generellen Konzentration neonataler Intensivmedizin auf die frühe neonatale Periode nahe. In Italien stand offenbar der Fokus auf die Reduktion der späten neonatalen Mortalität bis Ende der 1970-er Jahre im Vordergrund. Erst danach verschiebt sich – zeitversetzt – das Verhältnis wie auch in anderen Ländern allmählich zugunsten der frühen Neonatalperiode. Die Graphik zeigt aber auch ein weiteres Phänomen. Ab Mitte bis Ende der 1980-er Jahre flachen die Verläufe der Verhältniszahlen langsam ab. Mit Ausnahme von Italien ist der Grad der Verschiebung der Mortalität in spätere Phasen nicht mehr so ausgeprägt. Gemeinsam mit der Beobachtung, dass wir mit der perinatalen Mortalität in Deutschland und vermutlich auch in anderen Staaten mittlerweile an einem Niveau von etwa 5,5‰ angekommen sind, ohne dass sich weitere Reduktionen klar abzeichnen, stellt sich die Frage, ob wir damit auch eine biologische maximal erreichbare Untergrenze erreicht haben.
1201 57.4 · Komponenten der Mortalität
. Abb. 57.4. Verhältnis früher neonataler Sterbefälle zu späten neonatalen und postneonatalen Sterbefällen in ausgewählten europäischen Staaten. (Datenquelle: WHO 2009)
57.4
Komponenten der Mortalität
Da sich die diagnostischen Möglichkeiten mit der Geburt schlagartig verbessern, ist es nicht verwunderlich, wenn die Qualität der Todesursachenstatistik für Totgeborene schlechter ist als für neonatale Todesfälle. Aus diesem Grund werden Todesursachen in der Regel für Totgeborene getrennt dargestellt. In engerem Sinn wird auch von sogenannten direkten Todesursachen gesprochen, um teilweise stark korrelierende Faktoren wie Bildungsgrad und sozioökonomischen Status klar abzugrenzen. Die wesentlichen direkten Todesursachen sind angeborenene Fehlbildungen, niedriges Geburtsgewicht und Unreife sowie Hypoxie und Atemstörungen. Die Genauigkeit der Befundung von Todesursachen steigt mit diagnostischem Aufwand. Die besten Resultate werden nach einer Obduktion erzielt.
Studienbox In der Literatur haben sich u. a. zwei grundsätzliche Ansätze zur Klassifizierung etabliert, die klinische (Baird et al. 1954) und die pathophysiologische (Wigglesworth 1980) Ursacheneinteilung. In der Einteilung nach Baird werden zusätzliche Informationen über die Ätiologie des Todes aus Post-mortem-Obduktionen verwendet. Wenn z.B. ein Baby mit 1500 g kurz nach einer durch Abruptio placentae induzierten Sectioentbindung stirbt und sich in der Obduktion ein Tentoriumriss zeigt, so erscheint es sinnvoller, den Tod primär der Abruptio und erst in zweiter Hinsicht Unreife oder einem Geburtstrauma zuzuschreiben. Die Baird-Klassifikation lag u. a. dem British Perinatal Mortality Survey von 1958 (Butler u. Bonham 1963) zugrunde. Die Einteilung nach Wigglesworth kommt ohne differenzierte pathologische Betrachtung aus, trennt aber deutlich zwischen intrauterinen und neonatalen Faktoren. Die Ursachen teilen sich auf in angeborene Fehlbil-
6
dungen, intrauteriner Fruchttod (vor Wehenbeginn), neonatale Todesfälle in Folge von Unreife, Todesfälle durch Hypoxie sub partu sowie sonstige spezifische Todesursachen. Beide Klassifikationen werden in Großbritannien parallel angewandt. In den deutschen Perinatalerhebungen wurden Indikationen für die Verlegung von Neugeborenen in die Kinderklinik oder in die Neugeborenenintensivstation für ca. 20 Jahre (1980–1998) über einen zweistelligen Schlüssel kodiert. Zweck war primär die Beurteilung der Angemessenheit der Verlegung. Nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen wurde beschlossen, denselben Schlüsel auch für die Erfassung der Morbidität und Mortalität Neugeborener zu verwenden. Er umfasst 40 Positionen, wovon 20 für die Untergliederung von Anomalien zur Verfügung stehen. Für den Geburtenjahrgang 1997 verteilten sich bei 263 in der bayerischen Perinatalerhebung dokumentierten postnatal gestorbenen Kindern die 432 genannten Todesursachen beispielsweise wie folgt: 5 unreife/Mangelgeburt (33%), 5 Anomalien (23%), 5 Asphyxie/Hypoxie, Atemnotsyndrom und andere Atemstörungen (21%), 5 generalisierte Infektionen (5%), 5 Schockzustand (4%), 5 intrakranielle Blutungen (4%), 5 sonstige Ursachen (10%).
Die standesamtliche Registrierung von Todesursachen mittels der weitaus umfassenderen ICD-Diagnosenkodierung bildet dagegen die Basis der Todesursachenstatistik von statistischen Landesämtern und Statistischem Bundesamt. Die gemittelten Häufigkeiten für frühe neonatale Todesfälle aus den statistischen Jahrbüchern 1989, 1998 und 2008 für Deutschland zeigen den dominierenden Anteil, der auf Unreife (34%) und Anomalien (26%) zurückzuführen ist (Statistisches Bundesamt 2008). Atemstörungen nehmen etwa 12% ein. Vergleich-
57
1202
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
bare Daten der Bayerischen Perinatalerhebung für 2000–2008 zeigen eine ähnliche Zusammensetzung von Todesursachen. Allerdings sind hier die Ursachen im Zusammenhang mit Früh- oder Mangelgeburt (48%) sowie durch Atemnot (20%) bedingte Ursachen stärker vertreten. Anomalien liegen mit 23% etwa ähnlich oft vor. Diese Unterschiede resultieren aus den divergierenden Schlüsselsystematiken. Mit der Einführung der ICD-10 im stationären Bereich in Deutschland war mit systematischen Effekten bei der Todesursachenstatistik zu rechnen. Konstant verwendete Kataloge erhöhen die Validität und somit die Interpretierbarkeit von längeren Zeitverläufen. Strukturelle Veränderungen im Erhebungsinstrument können teilweisen zu erheblichen Verzerrungen führen. Vorteile des bisheringen 2-stelligen Schlüssels bestanden in einer überschaubaren Anzahl typischer Verlegungs- und Morbiditätsziffern. Der neue ICD-10-Katalog hat dagegen den für die Erleichterung der Dokumentation relevanten Vorteil einer Anpassung an den auf ICD-10 und OPS basierenden Auslösefilter der externen Qualitätssicherung.
57.5
57
Determinanten der Mortalität
Das Geburtsgewicht ist nach wie vor immer noch der Faktor, der für sich genommen am stärksten mit der perinatalen Mortalität korreliert. Bundesweit betrug 2007 die perinatale Mortalitätsrate 5,5‰ über alle Gewichtsklassen, 206,7‰ unter 1500 g und 346,8‰ unter 1000 g. Anders ausgedrückt heißt dies, dass unter 1000 g etwa 1 von 3 Kindern perinatal stirbt. Wieder anders dargestellt, befinden sich 40,5% aller perinatal gestorbenen Kinder in der Gewichtsklasse unter 1000 g und weitere 12,1% in der Klasse 1000–1499 g. Somit entfällt etwa die Hälfte aller perinatalen Todesfälle auf Geburtsgewichte unter 1500 g. Diese Relationen sind seit ca. 20 Jahren nahezu konstant (. Abb. 57.5). Die Anzahl der Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht hat dagegen zwischen 1993 und 2007 bundesweit deutlich zugenommen: Für Kinder unter 1000 g von 0,31% auf 0,65% und
. Abb. 57.5. Logarithmierte geburtsgewichtspezifische perinatale Mortalitätsraten in Deutschland. Änderung des Personenstandsgesetzes zum 1.4.1994. (Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2009)
für Kinder zwischen 1000 und 1499 g von 0,62% auf 0,76%. Dabei belegen die Rückgänge der geburtsgewichtsspezifischen perinatalen Mortalitätsraten im gleichen Zeitraum sehr wohl auch den medizinischen Fortschritt ( . Abb. 57.5). In der Gewichtsklasse zwischen 1000 und 1499 g sank die perinatale Mortalität von ca. 150‰ auf ca. 100‰, und in der Klasse unter 1000 g fiel sie von ca. 500‰ auf ca. 350‰. (Der Anstieg von Kindern unter 1000 g sowie der vorübergehende Anstieg der perinatalen Mortalität in den Jahren 1994 und 1995 ist ein Artefakt der Absenkung der Gewichtsgrenze für die Registrierung von Totgeborenen.) Vor dem Hintergrund einer zeitgleichen Zunahme von Geburten unter 1000 g sprechen diese Zahlen eindrücklich für die Erfolge medizinischen Fortschritts, zumindest gemessen am Kriterium neonatalen Überlebens. > Interessant ist, dass auch in der Klasse 1000–1499 g seit 1995 ein deutlicher Zuwachs vorzuliegen scheint. Diese Zunahme ist überraschend. Sie ließe u. U. die Hypothese zu, dass in der Zeit vor der Änderung des Personenstandsgesetzes einige meldepflichtige Totgeborene mit Geburtsgewichten über 1000 g übersehen wurden.
Weitere indirekte Faktoren, die wesentlich mit der perinatalen Mortalität im Zusammenhang stehen, sind Geschlecht des Kindes, sozialer Status, Familienstand, Rauchen, Alter der Mutter, saisonale Effekte, Zeitpunkt der Geburt, Körpergewicht der Schwangeren, Mehrlingsschwangerschaft, Intensität der Schwangerenvorsorge sowie allgemeine Umwelteinflüsse. Die Daten der Bayerischen Perinatalerhebung (1,3 Mio. dokumentierte Geburtsverläufe zwischen 1987 und 2008) geben Aufschluss über die typischen Muster dieser indirekten Begleitumstände. Bei Jungen liegt beispielsweise die perinatale Mortalität weitgehend konstant um etwa 1‰ höher als bei Mädchen. Verglichen mit Schwangeren zwischen 18 und 34 Jahren ist die perinatale Mortalität unter 18 Jahren um 29%, zwischen 35 und 39 Jahren um 37% und ab 40 Jahren um 75% erhöht. Extreme Umweltsituationen korrelieren allerdings manchmal stark mit erhöhter Mortalität. So können Hungerperioden zu reduziertem Geburtsgewicht führen. In einigen Ländern sind starke jährliche Variationen in der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, gekoppelt mit entsprechender Morbidität und Belastung der Mütter, zu beobachten (Roberts et al. 1982; Hort 1987). Bei alleinstehenden Müttern ist im bayerischen Kollektiv die perinatale Mortalität bereits um 33% erhöht. Bei Geburten zwischen 5 und 8 Uhr früh ist die perinatale Mortalität am geringsten. Im Vergleich dazu sind die Raten zwischen 17 und 22 Uhr um ca. 60% höher. Bei untergewichtigen Frauen (BMI<18,00) ist die perinatale Mortalität um ca. 14% etwas höher als bei eutrophen Frauen. Mit zunehmendem Übergewicht steigt die Mortalität dann bis auf doppelt so hoch bei BMI>35 an. (Der BMI ist definiert als der Quotient aus Körpergewicht in Kilogramm, dividiert durch die quadrierte Körpergröße in Meter.) Bei Zwillingen ist die perinatale Mortalität etwa 5-mal so hoch wie bei Einlingen, bei Drillingen ca. 10-mal so hoch.
1203 57.6 · Perinatale Mortalität als Qualitätsindikator
Intensive Schwangerenvorsorge (Erstuntersuchung im 1. Trimenon sowie mindestens 2 Untersuchungen über dem Standard der Mutterschutz-Richtlinien) ist assoziiert mit geringer perinataler Mortalität. Entspricht die Anzahl der Untersuchungen dagegen der vorgeschriebenen Norm ±1 Untersuchung, so ist die perinatale Mortalität trotz zeitgerechter Erstuntersuchung bereits um 54% erhöht. Im Verhältnis zu Familien, in denen der Hauptverdiener qualifizierter Facharbeiter, Beamter, leitender Angestellter oder selbstständig ist, liegt die perinatale Mortalität bei Sozialhilfeempfängern etwa doppelt so hoch. Bei Raucherinnen konnte im bayerischen Datenmaterial erst bei hohen Dosen ab 16 und mehr Zigaretten pro Tag eine deutlich erhöhte perinatale Mortalität festgestellt werden.
57.6
Perinatale Mortalität als Qualitätsindikator
57.6.1
Deutschland
durch auf eine angenommene bessere Gesundheitsversorgung hinzuweisen. Zum Beispiel bietet eine kursorische Inspektion von Mortalitätsziffern für einzelne Bundesländer (. Tab. 57.2) gewisse Interpretationsmöglichkeiten an. Unter anderem fallen die vergleichsweise hohe Mortalitätsrate für den Stadtstaat Bremen oder die sehr geringe Rate in Thüringen auf. Die Versuchung ist groß, hier sogleich Zusammenhänge mit urbanen Lebensumständen mit u. U. auch einem hohen Anteil alleinerziehender Mütter, hohem Ausländeranteil und starkem sozialem Gefälle zu vermuten. Meist wird bei der Interpretation von Ranglisten die fallzahlbedingte Variabilität der Raten unterschätzt. Elementare Werkzeuge der deskriptiven Statistik können hier weiterhelfen, um eine objektive Sicht auf die Datenlage zu bekommen. Die durchschnittliche perinatale Mortalitätsrate für Deutschland im Jahr 2007 betrug 5,5‰ (Statistisches Bundesamt 2009). Mit Hilfe der Kontrollkartentechnik aus der statistischen Prozesskontrolle (Shewart 1939) lässt sich das 95%ige Kontrollintervall gemäß der Formel KI = p + 1.96 77777 p(1 – p)/n
Der Rückgriff auf Darstellungen der perinatalen Mortalität in gesundheitspolitischen Diskussionen ist sehr beliebt. Gern werden solche Darstellungen verwendet, um damit u. a. lokale strukturpolitische Entscheidungen zu begründen oder hier-
berechnen, um Ausreißer zu identifizieren. Hierbei entspricht n der Anzahl der jeweils zugrunde liegenden Geburten. Durch Berechnen der Formel für verschiedene Werte von n ergibt
. Tab. 57.2. Perinatale Mortalität sowie Untergliederung in Raten für Totgeborene und früh neonatal gestorbene Kinder in Deutschland 2007. (Datenquelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden)
Bundesland
Totgeborenenrate [‰]
Frühere neonatale Mortalität [‰]
Perinatale Mortalität [‰]
Berlin (B)
3,8
1,8
5,5
Brandenburg (BB)
3,0
1,3
4,2
Baden-Württemberg (BW)
3,2
1,7
4,9
Bayern (BY)
3,0
2,2
5,2
Bremen (HB)
4,5
3,4
7,8
Hessen (HE)
3,4
2,1
5,6
Hamburg (HH)
3,3
2,1
5,4
Mecklenburg-Vorpommern (MV)
5,1
1,4
6,5
Niedersachsen (NDS)
3,4
2,4
5,8
Nordrhein-Westfalen (NRW)
3,8
2,6
6,4
Rheinland-Pfalz (RP)
3,2
2,2
5,4
Sachsen-Anhalt (SA)
4,8
1,4
6,1
Schleswig-Holstein (SH)
3,0
2,4
5,5
Saarland (SR)
3,8
1,8
5,6
Sachsen (SN)
3,3
1,1
4,4
Thüringen (TH)
2,8
0,9
3,7
57
1204
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
. Abb. 57.6. »Funnelplot« der perinatalen Mortalität für einzelne Bundesländer in Abhängigkeit der jeweiligen Geburtenzahl. (Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2009)
57
sich ein »funnelplot« (Spiegelhalter 2005; Lack u. Gerhardinger 2009) mit kontinuierlichen 95%igen Kontrollgrenzen um die bundesweite Rate von 5,5‰ (. Abb. 57.6). Werte, die außerhalb zu liegen kommen, werden als Ausreißer betrachtet. Perinatale Mortalitätsraten sind 2007 – unter Berücksichtigung der jeweiligen Geburtenzahl des Bundeslandes – im Vergleich zu Deutschland insgesamt (5,5‰) vergleichsweise niedrig in Thüringen (3,7‰), Brandenburg (4,2‰), Sachsen (4,4‰) und Baden-Württemberg (4,9‰), hoch dagegen in Bremen (7,8‰) und Nordrhein-Westfalen (6,4‰). Eine eingehende Betrachtung der Gefahren bei der Interpretation von Qualitätsindikatoren im Versorgungsbereich findet sich bei Lack u. Schneider (2005) und Lack et al. (2003). Die Bedeutung der perinatalen Mortalität als Qualitätsindikator der perinatalen Versorung in Europa ist nach wie vor sehr hoch (Zeitlin et al. 2003). Im Zusammenhang mit perinatalen Mortalitätsraten wird Regionalisierung als gängiges Schlagwort in der geburtshilflichen Qualitätssicherung gebraucht. Hiermit ist der Grad gemeint, in dem Frauen mit gravierenden anamnestischen oder befundeten Schwangerschaftsrisiken rechtzeitig an entsprechende Einrichtungen mit den notwendigen strukturellen und personellen Voraussetzungen für eine adäquate Versorgung von Risikoschwangeren weitergeleitet werden. In diesem Sinn verstandene Regionalisierung – besser wäre hier der Begriff Zentralisierung – steht stets im Konflikt, mit oft politisch begründeten Bestrebungen aus einem gewissen »Lokalpatriotismus« heraus Geburtshilfe vor Ort zu erhalten. Diese vielleicht verständliche Forderung nach flächendeckender geburtshilflicher Versorgung hat auch mit dazu beigetragen, dass auf strukturpolitische Überlegungen ebenfalls der Begriff Regionalisierung angewendet wird, was wiederum zu Verwechselungen führen kann. Um dies zu vermeiden, wird daher hier ausschließlich der Begriff Zentralisierung verwendet. Ein Vergleich der Bundesauswertungen zur Qualitätssicherung Geburtshilfe aus den Jahren 2003–2007 (BQS 2009) mag hier als deutlicher Beleg für die Akzeptanz und auch wei-
terhin noch zunehmende Zentralisierung von Risikoschwangeren dienen. Einer vergleichenden Auswertung zur perinatalen Mortalität, Größe der Abteilung und niedrigem Geburtsgewicht (. Tab. 57.3) können drei wichtige Ergebnisse entnommen werden. 4 Erstens erkennt man aus Zeile 3 nochmals die Zunahme der Kinder unter 1000 g Geburtsgewicht insbesondere seit 2006. 4 Zweitens ist der 4. Zeile zu entnehmen, dass der Grad der Zentralisierung von Kindern mit extrem niedrigem Geburtsgewicht mittlerweile über 75% liegt. 4 Drittens zeigt sich durchweg, dass die perinatale Mortalität in den großen Zentren (gemessen an der jährlichen Geburtenzahl) deutlich höher ist als im Durchschnitt. Dieses zunächst vielleicht alarmierende Ergebnis muss im Gegenteil jedoch als positiv und erstrebenswert gesehen werden, da es als Beleg für die erfolgreiche Zentralisierung gilt. Die risikobelasteten Schwangerschaften wurden vermehrt in den spezialisierten Zentren versorgt, wo eine bessere medizinische Betreuung gewährleistet werden kann. Diese erfreulichen Resultate werden oft als direkte Effekte der Perinatalerhebungen interpretiert. > Vorsicht ist jedoch auch hier wieder geboten, um nicht allzu eilig wertende Urteile über die kleineren Kliniken abzugeben. Es verbleibt auch bei noch so gut funktionierender Weiterleitung von Risikoschwangerschaften (Prozessqualität) immer noch ein Restrisiko von perinatalen Todesfällen, die sich in kleinen Häusern ereignen können. Diese sind oft dadurch bedingt, dass schwangere Risikopatientinnen sich selbst so spät in der Klinik präsentieren, dass eine Weiterleitung nicht mehr in Betracht kommt, da Sofortmaßnahmen höhere Priorität haben.
1205 57.7 · Von der Mortalität zur Morbidität
. Tab. 57.3. Zentralisierung und perinatale Mortalität von extremen Frühgeborenen in Deutschland (Datenquelle: BQS)
2003*
2004
2005
2006
2007
Anzahl Kinder
592.344
674.524
668.085
658.145
669.298
Perinatale Mortalität [‰]
4,73
4,69
4,72
4,54
4,71
Anteil unter 1000 g [%]
0,61
0,61
0,61
0,65
0,66
Anteil unter 1000 g in Häusern über 1000 Geburten [%]
62,7
70,0
73,9
73,8
76,5
Perinatale Mortalität in Häusern über 1000 Geburten [‰]
6,63
6,08
6,20
6,17
6,36
Perinatale Mortalität in Häusern unter 1000 Geburten [‰]
3,59
3,69
3,55
3,21
3,28
* Eingeschränkte Repräsentativität für dieses Jahr.
Die in den deutschen Neonatalerhebungen teilweise eingesetzten neonatologischen Tableaux stellen eine Weiterführung der geburtsgewichtsspezifischen Betrachtung von Mortalitätsraten dar. Sie sind motiviert durch ein Bestreben, trotz der für neonatologische Abteilungen typischen Heterogenität der Patientenkollektive zu einem ausgeglichenen Bewertungskriterium zu gelangen. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in neonatologischen Abteilungen der Anteil unreifer Kinder weitaus stärker variiert als dies in geburtshilflichen Abteilungen der Fall ist, werden aus den geburtsgewichtsspezifischen Raten im Gesamtkollektiv sowie der abteilungsspezifischen Verteilung von Geburtsgewichten indirekt standardisierte Raten ermittelt. Diese Raten stellen Erwartungswerte dar, die dann mit den beobachteten rohen Raten verglichen werden. Neonatologische Tableaux wurden 1989 in Bayern entwickelt und sind seitdem in der Neonatalerhebung im Einsatz und bei den Neonatologen teilweise sehr beliebt. Im Zuge der vorgesehenen Überführung der bisherigen Neonatalerhebungen als BQS-Bundesverfahren ist hier künftig mit dem Einsatz von Standardwerkzeugen der externen Qualitätssicherung wie stratifizierte und risikoadjustierte Qualitätsindikatoren zu rechnen (BQS 2009).
57.6.2
Österreich und Schweiz
Die Zahlen in Österreich und in der Schweiz sind weitgehend mit den Raten in Deutschland vergleichbar. Das Geburtenregister der TILAK (Institut für klinische Epidemiologie der TILAK; Österreich) basiert auf demselben Datensatz wie die Perinatalerhebung in Deutschland. Die regelmäßig dort durchgeführten regionalen Vergleiche mit den Bundesländern Hessen und Bayern zeigen nur geringfügige Abweichungen in der Mortalität sowie anderen Morbiditätsparametern. Gleiches gilt übrigens auch für das geburtshilfliche Management. Die perinatale Mortalität lag in Österreich mit 3,9‰ unterhalb des vergleichbaren Wertes für Deutschland (4,7‰). Für die Schweiz lag der entsprechende Wert mit 6,6‰ leicht oberhalb (Bundesamt für Statistik; Schweiz).
57.7
Von der Mortalität zur Morbidität
Die Diskussion um die mögliche Verlagerung der Mortalität von der frühen in die spätere Neonatal- und Postneonatalperiode hat nur einen scheinbaren Bezug zur Mortalität. Es ist eigentlich eine versteckte, aber umso deutlichere Frage nach der Morbidität Neugeborener. In einer Zeit, in der die Erfolge der Intensivmedizin rascher voranschreiten, als sie von unseren gesellschaftlichen Ethikvorstellungen beherbergt werden können, sind praktikable Werkzeuge zur Beschreibung und Bewertung der Morbidität Neugeborener umso mehr vonnöten. Der innerhalb von nur 7 Tagen erzielbare spektakuläre Erfolg eines überlebenden Kindes unter 1000 g kann schnell durch eine lebenslange Belastung des Kindes, der betroffenen Familie und nicht zuletzt des Gesundheitswesens relativiert werden. Hier ist u. a. der CRIB-Score, »clinical risk index for babiess« (Tarnow-Mordi et al. 1990), ein vielversprechender Ansatz. Dieser nützliche Index hat 1997 Einzug in die deutschen Neonatalerhebungen erhalten. Nach Überarbeitung des bisherigen Datensatzes durch die BQS 2009 sind ab 2010 die Qualitätsindikatoren intraventrikuläre Blutungen Grad 3 zuzüglich periventrikuläre Blutungen, zystische periventrikuläre Leukomalazie, höhergradige Frühgeborenenretinopathie, bronchopulmonale Dysplasie, hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, Early-onset-Infektionen, nosokomiale Infektionen, Pneumothorax und die Durchführung von Hörtests vorgesehen. Hierdurch wird eine verbesserte Aussage über die frühe neonatale Morbidität erwartet. Letztendlich belastbare Aussagen zur neonatalen Morbidität setzen allerdings viel weitreichendere Betrachtungen voraus. Insbesondere Longitudinalbeobachtungen (Riegel et al. 1995), die weit über die in einigen Bundesländern praktizierte Verknüpfung von perinatologischen und neonatologischen Datensätzen hinausgehen, sind hier erforderlich, wenn die weitaus schwierigere Aufgabe der umfassenden Beschreibung und letztlich auch Reduktion neonataler Morbidität gelöst werden soll. Mortalität ist eindeutig, Morbidität hat viele Facetten.
57
1206
Kapitel 57 · Perinatale Mortalität
Literatur
57
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58 58 Müttersterblichkeit H. Welsch, A. Wischnik, R. Lehner 58.1
Definitionen und Terminologie – 1208
58.1.1 58.1.2 58.1.3 58.1.4 58.1.5
Sterbefall während der Gestation (ICD-10) – 1208 Gestationsbedingter Sterbefall: Müttersterbefall (ICD-9, ICD-10) – 1208 Nicht gestationsbedingter Sterbefall – 1208 Später Müttersterbefall (O96, ICD-10) – 1209 Von der ICD-10 abweichende Definitionen – 1209
58.2
Erfassung mütterlicher Sterbefälle während der Gestation – 1209
58.2.1 58.2.2 58.2.3 58.2.4
Ärztliche Todesbescheinigungen – 1209 Perinatalerhebungen/Qualitätssicherung Geburtshilfe – 1210 Ursachen unvollständiger Datenerfassung – 1210 Wege zur Datenkomplettierung – 1210
58.3
Amtliche Müttersterblichkeitsstatistiken – 1211
58.3.1 58.3.2 58.3.3
Deutschland, Bayern, Österreich, Schweiz – 1211 Internationale Statistiken – Länderranking – 1211 Fehlerquoten amtlicher Statistiken – 1212
58.4
Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern – 1212
58.5
Einzelfalluntersuchungen bei Sterbefällen während der Gestation – 1212
58.5.1 58.5.2
Großbritannien und Niederlande – 1212 Nationale und regionale Untersuchungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz – 1213
58.6
Einzelfalluntersuchungen in Bayern – 1213
58.6.1 58.6.2 58.6.3 58.6.4 58.6.5 58.6.6 58.6.7
Datenüberblick 1983–2008 – 1214 Todesursachen intra graviditatem und post abortum 2001–2008 – 1216 Todesursachen post partum 2001–2008 – 1217 Mortalitäts- und Letalitätsrisiko Vaginalgeburt vs. Sectio caesarea 1983–2008 – 1218 Entbindungsort BAQ 2001–2006 – 1220 Nicht gestationsbedingte Sterbefälle 2001–2008 – 1220 Späte Müttersterbefälle 2001–2008 – 1221
58.7
Ärztliche und organisatorische Empfehlungen – 1222 Literatur – 1223
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1208
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
Die Höhe der Müttersterblichkeit eines Landes gilt als wesentliches Kriterium geburtshilflicher Leistungsfähigkeit. In der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts konnte die materne Mortalität in den Industrienationen – im Gegensatz zu den Entwicklungsländern – auf einen noch vor wenigen Jahrzehnten nicht für möglich gehaltenen Tiefstand gesenkt werden. Unter optimalen Bedingungen erscheint heute eine konkrete direkte und indirekte Müttersterblichkeit von 8–12/100.000 Lebendgeborene erreichbar. Tiefere Zahlen sind bezüglich Vollständigkeit und Signierkriterien kritisch zu hinterfragen. Die amtlichen Müttersterblichkeitsstatistiken aller Länder weisen unterschiedlich große Fehlerquoten auf; Ländervergleiche sind auf dieser Basis nicht aussagekräftig. Landesweite Einzelfalluntersuchungen durch ärztliche oder wissenschaftliche Gremien führen unter Benutzung zusätzlicher Datenquellen zur Optimierung der Datenerfassung, Erkennung regionaler Besonderheiten und Realisierung möglicher Behandlungsdefizite, sie gestatten Aussagen zum Sterblichkeitsrisiko einzelner Entbindungsverfahren (Vaginalgeburt, Sectio), ermöglichen realistische Ländervergleiche und die Herausgabe von Leitlinien und Empfehlungen zur weiteren Minimierung des mütterlichen Risikos. Haupttodesursachen bei direkten Müttersterbefällen sind in länderunterschiedlicher Reihenfolge Thromboembolien inkl. Fruchtwasserembolien, Hämorrhagien, hypertensive Erkrankungen sowie Genital- und Urosepsis. Bei den bisher vielerorts noch nicht registrierten indirekten Müttersterbefällen sind HerzKreislauf-Erkrankungen die Haupttodesursache.
58
58.1
Definitionen und Terminologie
58.1.1
Sterbefall während der Gestation (ICD-10)
Sterbefall während der Gestation Für mütterliche Sterbefälle während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett wurde in die ICD-10 erstmals der Oberbegriff »pregnancy-related death« [»Sterbefall während der Gestation«; ICD-10, Version 1,0; Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) 1995] aufgenommen. Bei unveränderter englischsprachiger Defintion wird inzwischen von »schwangerschaftsbezogenem Sterbefall« gesprochen (ICD-10, Version 2006, DIMDI 2006). Wir benützen aber weiter die bisherige präzisere deutsche Bezeichnung. Als Sterbefall während der Gestation gilt der Tod einer Frau unabhängig von der Todesursache, der während der Schwangerschaft oder innerhalb von 42 Tagen nach dem Schwangerschaftsende eintritt (DIMDI 2006). Sterbefälle während der Gestation werden unterteilt in: 4 gestationsbedingte Sterbefälle=Müttersterbefälle (»maternal deaths«), 4 nicht gestationsbedingte Sterbefälle.
58.1.2
Gestationsbedingter Sterbefall: Müttersterbefall (ICD-9, ICD-10)
Gestationsbedingter Sterbefall: Müttersterbefall Als Müttersterbefall (»maternal death«) gilt der Tod einer Frau während der Schwangerschaft oder innerhalb von 42 Tagen nach dem Schwangerschaftsende, unabhängig von Dauer und Sitz der Schwangerschaft. Es gilt jede Ursache, die zur Schwangerschaft oder deren Behandlung in Beziehung steht oder durch diese verschlechtert wird, nicht aber Unfall und zufällige Ereignisse (DIMDI 2006). Internationale Bezugsgröße ist die Zahl der direkten und indirekten Müttersterbefälle (MSTF) pro 100.000 Lebendgeborene (Lgb), die »maternal mortality rate« (MMR; DIMDI 2006). MSTF werden weiter unterteilt in: 4 direkte Müttersterbefälle (O00–O92, ICD-10), 4 indirekte Müttersterbefälle (O98–O99, ICD-10).
Direkte Müttersterbefälle (O00–O92, ICD-10) Direkter Müttersterbefall Direkt gestationsbedingte Sterbefälle (»direct obstetric deaths«) sind solche, die eintreten infolge von Komplikationen der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbetts sowie infolge von Eingriffen, Unterlassungen, unsachgemäßer Behandlung oder einer Reihe von Ereignissen, die von den erwähnten Zuständen ausgehen (DIMDI 2006).
Indirekte Müttersterbefälle (O98–O99, ICD-10) Indirekter Müttersterbefall Indirekt gestationsbedingte Sterbefälle (»indirect obstetric deaths«) sind solche, die sich aus einer vor der Schwangerschaft bestehenden Krankheit ergeben oder aus einer Krankheit, die sich während der Schwangerschaft entwickelt hat und nicht auf direkte Ursachen in der Schwangerschaft zurückgeht, die aber durch physiologische Auswirkungen der Schwangerschaft verschlechtert wurde (DIMDI 2006).
58.1.3
Nicht gestationsbedingter Sterbefall
Nicht gestationsbedingter Müttersterbefall Zu den nicht gestationsbedingten Sterbefällen (NGSTF) gehören – allseits anerkannt – Sterbefälle im Verlauf der Gestation durch äußere Gewalt (»accidental causes«) und zufällige Ereignisse (»incidental causes«) sowie Sterbefälle ohne Angaben zur Todesursache (O95, ICD-10). Im englischen Orginaltext der ICD-10 haben die NGSTF bisher keine eigene Bezeichnung.
Während die europäische Arbeitsgruppe MOMS (1996) u. a. Todesfälle durch Suizide, Drogen und Malignome bis auf weni-
1209 58.2 · Erfassung mütterlicher Sterbefälle während der Gestation
ge Ausnahmen (Chorio-, Genital- und Mammakarzinom) den NGSTF zuordnete (Salanave et al. 1999), werden in den Confidential Enquiries into Maternal Deaths in the United Kingdom (CEMD) schon seit Jahren Suizide, Drogentodesfälle, die oben aufgeführten Karzinome, dazu Malignome von Gehirn, Haut und Blut sowie alle während der Gestation erstdiagnostizierten bösartigen Tumore als indirekte MSTF klassifiziert.
58.1.4
Später Müttersterbefall (O96, ICD-10)
Bei den Möglichkeiten moderner Intensivtherapie können Frauen mit Komplikationen post partum und post abortum u.U. mehr als 42 Tage überleben und wurden bisher bei späterem Tod nicht als amtliche MSTF erfasst. In der ICD-10 wurde deshalb die Registrierung »später Müttersterbefälle« für nationale Auswertungszwecke empfohlen. Später Müttersterbefall Als später Müttersterbefall (»late maternal death«) ist der Tod einer Frau anzusehen, der später als 42 Tage nach dem Ende der Schwangerschaft, aber noch vor Ablauf eines Jahres nach dem Ende der Schwangerschaft eintritt. Es gilt jede Ursache, die zur Schwangerschaft oder deren Behandlung in Beziehung steht oder durch diese verschlechtert wird, nicht aber Unfall und zufällige Ereignisse (DIMDI 2006).
58.1.5
deaths« (Atrash et al 1995). Für NGSTF, in den CEMD seit Jahrzehnten als »fortuitous deaths« geführt, wurde 2001 als zutreffendere Bezeichnung »coincidental deaths« vorgeschlagen (National Institute of Clinical Excellence, Scottish Executive Health Department, Department of Health, Social Services and Public Safety Northern Ireland).
Von der ICD-10 abweichende Definitionen
»Pregnancy associated deaths«/»pregnancy related deaths« Eine gemeinsame Definition der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta, und des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) verwendet in den USA anstelle von »pregnancy related deaths« (ICD-10) den Terminus »pregnancy associated deaths« und definiert MSTF als »pregnancy associated and related deaths«, NGSTF als »pregnancy associated but not related
6
. Abb. 58.1. Zusatzfrage »bei Frauen« in der amtlichen ärztlichen Todesbescheinigung für Bayern (Neufassung ab 01.07.2001)
58.2
Erfassung mütterlicher Sterbefälle während der Gestation
58.2.1
Ärztliche Todesbescheinigungen
In Staaten mit »vital registration«, weltweit sind dies <20% (WHO 2003), ist die ärztliche Todesbescheinigung meist der einzige Weg zur Erfassung und amtlichen Registrierung von MSTF. Obwohl die WHO bereits 1990 empfohlen hatte, in Todesbescheinigungen Angaben über eine vorliegende Schwangerschaft oder eine Gravidität, die innerhalb eines Jahres vor Eintritt des Todes bestand, aufzunehmen, wurde diese Anregung bisher noch nicht überall realisiert. In Deutschland gibt es in den Todesbescheinigungen der einzelnen Bundesländer seit Jahrzehnten eine Zusatzfrage »bei Frauen«. Die dabei in fast allen Bundesländern immer noch gebrauchte Formulierung »Entbindung in den letzten 3 Monaten?« entspricht nicht den Vorgaben von WHO (1990) und ICD-10. Bei der in Bayern am 01.07.2001 eingeführten Neufassung der ärztlichen Todesbescheinigung wurde die Zusatzfrage »bei Frauen« entsprechend den Vorgaben der ICD-10 aktualisiert (. Abb. 58.1). In der amtlichen Todesursachenstatistik der Bundesrepublik ist eine elektronische Zusammenführung aller Sterbefälle im Verlauf der Gestation mit Hilfe der ICD-10 erst seit 2007 nach Schaffung eines zusätzlichen Eingabefeldes im Signierprogramm möglich. Da dies bisher nur in Bayern genutzt wird, liegen derzeit noch keine gesamtdeutschen Daten über mütterliche Sterbefälle während der Gestation vor. Die in Österreich 2002 eingeführte Neufassung der Todesbescheinigung entspricht den Vorgaben der WHO, in der Schweiz fehlt in der Todesbescheinigung die Zusatzfrage »bei Frauen« noch immer.
58
1210
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
58.2.2
Perinatalerhebungen/Qualitätssicherung Geburtshilfe
Obwohl in Deutschland die früheren Perinatalerhebungen, seit 1998 »Qualitätssicherung Geburtshilfe« (QSG), mütterliche Todesfälle während des stationären Aufenthaltes in der Geburtshilfe ausweisen, sind sie zur Ermittlung der Müttersterblichkeit einer Region aus mehreren Gründen nicht geeignet. MSTF intra graviditatem und post abortum werden generell nicht erfasst. Auch ist eine Differenzierung in MSTF und NGSTF nicht möglich. Schließlich sind in diesen Erhebungen mütterliche Sterbefälle während und nach Entbindungen meist unvollständig ausgewiesen, da Todesfälle nach Verlegung von Wöchnerinnen in andere Abteilungen des eigenen Hauses oder auswärtiger Krankenhäuser bzw. nach Entlassung der Mutter erfahrungsgemäß nur ausnahmsweise dokumentiert werden. Dennoch sind die Daten der QSG für landesweite Einzelfalluntersuchungen von MSTF und NGSTF von großem Wert. Sie gestatten einen anonymen Datenvergleich mit amtlich erfassten MSTF und ermöglichen – aufgrund vorhandener Angaben zum Geburtsmodus – Aussagen zu Mortalität und Letalität unterschiedlicher Entbindungsverfahren (7 Kap. 58.6.4). Tipp Da landesweite Einzelfalluntersuchungen von Müttersterbefällen in der Bundesrepublik nach wie vor bisher nur in Bayern durchgeführt werden, hat die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) auf unsere Anregung als Zwischenlösung den Landesgeschäftsstellen Einzelfalluntersuchungen bei allen mütterlichen Sterbefällen in der QSG zur geplanten bundeseinheitlichen Auswertung dringend angeraten (2009).
58 58.2.3
Ursachen unvollständiger Datenerfassung
Erfahrungsgemäß bleibt in der Bundesrepublik die Zusatzfrage »bei Frauen« in der ärztlichen Todesbescheinigung teilweise unbeantwortet, und es erfolgen diesbezüglich meist keine Rückfragen durch die dafür zuständigen staatlichen Gesundheitsämter. Fehlen in einer Todesbescheinigung bzw. bei der Zusatzfrage »bei Frauen« Angaben zur Gestation, entgeht ein MSTF oder NGSTF der amtlichen Statistik. Niemand kann derzeit sagen, wie groß diese mit Sicherheit existierende Fehlerquote (»underreporting«) in der Bundesrepublik und den einzelnen deutschen Bundesländern tatsächlich ist. Ein weiterer Grund für eine vielerorts mangelhafte Erfassung von MSTF ist die unvollständige oder fehlende Registrierung indirekter MSTF. Die Höhe der amtlich festgestellten Müttersterblichkeit eines Landes wird nachhaltig beeinflusst von der vielerorts unterschiedlich gehandhabten Abgrenzung zwischen indirekten MSTF und NGSTF. Bei alleiniger Auswertung ärztlicher Todesbescheinigungen – ohne zusätzliche Rückfragen oder Recherchen – wird eine lückenlose Erfassung von MSTF und
NGSTF in der amtlichen Todesursachenstatistik derzeit in keinem Land der Welt erreicht.
58.2.4
Wege zur Datenkomplettierung
Eine Möglichkeit zur Datenkomplettierung wäre eine generelle Meldepflicht bei Todesfällen im Verlauf der Gestation, wie sie in der früheren DDR bestand (Fritsch u. Knopf 1989). Dies ist derzeit weder in der Bundesrepublik noch in Österreich oder der Schweiz realisierbar. Deshalb sollten bei unvollständig ausgefüllten Todesbescheinigungen Rückfragen durch die staatlichen Gesundheitsämter und/oder Statistischen Landesämter erfolgen. In der Schweiz erfolgt seit 1995 bei allen Todesfällen von Frauen zwischen 15 und 49 Jahren eine schriftliche Kontaktaufnahme des Statistischen Bundesamtes mit dem behandelnden Arzt zur Klärung der Frage, ob »die Todesursache eine Beziehung zu Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett bzw. geburtshilflichen Behandlungen aufweist« (Wueest, pers. Mitteilung 2005). In Finnland wurde zur möglichst kompletten Identifizierung von »pregnancy-related deaths« innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Gestation bei allen weiblichen Todesfällen im reproduktiven Alter (15–49 Jahre) der Jahre 1987–2000 ein Datenabgleich zwischen nationalem Cause-of-Death-Register, Medical-Birth-Register, Register on Induced Abortions und Hospital Discharge, kombiniert mit nochmaliger Durchsicht der ärztlichen Todesbescheinigungen, vorgenommen (Gissler et al. 2004). Ohne Datenaustausch wären 73% aller »pregnancy-related deaths« nicht erfasst worden. Methode der Wahl für eine möglichst vollständige landesweite Erfassung von MSTF und NGSTF sind unter den Gegebenheiten in Deutschland den regionalen Verhältnissen angepasste, vertrauliche ärztliche Einzelfalluntersuchungen auf freiwilliger Basis, z. B. im Auftrag regionaler wissenschaftlicher Fachgesellschaften, unter Verwendung auch bei uns möglicher Datenabgleiche. Da heute Geburtshelfer im Gegensatz zu früher nur noch extrem selten mit einem MSTF konfrontiert werden, geht es bei derartigen Einzelfalluntersuchungen in erster Linie nicht um die Sammlung statistischer Zahlen, sondern um die epidemiologische Abklärung und Bearbeitung der realen landesweiten Situation zum Auffinden von Risikofaktoren, um mögliche prophylaktische und therapeutische Konsequenzen sowie Einbringen der gewonnenen Erkenntnisse in die ärztliche Fort- und Weiterbildung. So führte die Praxisumsetzung der 1995 vom Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) publizierten Richtlinie zur Thromboseprophylaxe bei Sectio caesaera in Großbritannien zur Reduzierung der Thrombosetodesfälle nach Schnittentbindung von 15 (1994–1996) auf 7 (2003–2005 bei zwischenzeitlich angestiegener Sectiofrequnz (Confidential Enquiry into Maternal and Child Health [CEMACH] 2007).
1211 58.3 · Amtliche Müttersterblichkeitsstatistiken
58.3
Amtliche Müttersterblichkeitsstatistiken
In der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts konnte die Müttersterblichkeit in den hochindustrialisierten Staaten, wenn auch länderabhängig teilweise zeitversetzt, auf einen noch vor wenigen Jahrzehnten nicht für möglich gehaltenen Tiefstand gesenkt werden. Zahlreiche Maßnahmen haben zu diesem Erfolg beigetragen, insbesondere: Auf- und Ausbau der Schwangerenvorsorge, Übergang von der Hausgeburt zur stationären Geburtshilfe, flächendeckende Errichtung geburtshilflich-gynäkologischer Fachabteilungen, Einführung der Antibiotika, Aufbau eines leistungsfähigen Transfusionswesens, Etablierung der Anästhesie als selbstständiges Fachgebiet, Regionalisierungsansätze in der Geburtshilfe, medizinische Fortschritte auf anderen Fachgebieten sowie Transparenz durch Perinatalstatistiken und Qualitätssicherungsmaßnahmen, insbesondere Einzelfalluntersuchungen.
58.3.1
Daten für Bayern überschritten immer mehr oder weniger deutlich den Bundesdurchschnitt. Dies ist nicht Ausdruck eines medizinischen Leistungsdefizits, sondern Folge einer vollständigeren Erfassung, insbesondere im Bereich der indirekten MSTF. In Österreich waren die amtlichen Zahlen in den letzten Jahrzehnten ebenfalls stark rückläufig. 1946 lag die MMR noch bei 328/100.000 Lgb, seit 1986 liegt sie kontinuierlich im einstelligen Bereich. Allerdings weisen die amtlichen Zahlen in Österreich keine indirekten MSTF aus. Seit 2002 werden in Österreich in vorbildlicher Weise alle mütterlichen Sterbefälle während der Gestation, einzeln aufgeschlüssert nach ICD-10Nr., Todeszeitpunkt im Verlauf der Gestation und Lebensalter, jährlich publiziert, seit 2004 auch die Anzahl der bei MSTF durchgeführten Obduktionen (Statistik Austria 2008). Wegen Anwendung der ICD-8 bis 1994 sind die Mortalitätszahlen der Schweiz bis zu diesem Zeitpunkt nicht vergleichbar. Indirekte MSTF werden in der Schweiz seit 2000 ausgewiesen (2000–2007 4 Fälle=14% des Gesamtkollektivs (Bundesamt für Statistik, pers. Mitteilung 2009).
Deutschland, Bayern, Österreich, Schweiz 58.3.2
Das Säulendiagramm (. Abb. 58.2) zeigt die amtliche Müttersterblichkeit pro 100.000 Lgb im Deutschen Reich von 1900– 1938, in der Bundesrepublik Deutschland von 1949–1989 und ab 1990 im wiedervereinten Deutschland. Obwohl es sich dabei um amtliche Zahlen handelt, geben wechselnde Definitionen im Verlauf des letzten Jahrhunderts, differierende Signierkriterien und eine regional unterschiedlich exakte Datenerfassung nicht reale Zahlen, sondern lediglich einen Trend wieder. Aus den Kriegsjahren liegen keine, aus der ersten Nachkriegszeit nur Zahlen auf Länderebene vor. So betrug 1946 die amtliche Müttersterblichkeit in Bayern noch 315/100.000 Lgb, was einem MSTF auf 317 Lgb entsprach. In der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts kam es auch in beiden Teilen Deutschlands zu einem starken Rückgang der maternen Mortalität. Seit 1990 liegen die amtlichen Zahlen für die Bundesrepublik im einstelligen Bereich (. Tab. 58.1). Die amtlichen . Abb. 58.2. Historischer Rückblick: Amtliche Müttersterblichkeit im 20. Jahrhundert (Deutsches Reich 1900–1938 und Bundesrepublik Deutschland 1949–2000)
Internationale Statistiken – Länderranking
Aussagekraft und Vergleichbarkeit amtlicher Statistiken zur Müttersterblichkeit sind abhängig vom Grad der Erfassung einerseits und einer weitgehend deckungsgleichen ICD-Signierung möglichst aller MSTF andererseits. Da beide Voraussetzungen bisher in keinem Land der Welt voll realisiert werden konnten, ist ohne detaillierte Kenntnis der Registrierungsverfahren und der im Einzelfall angewandten Signierkriterien eine Vergleichbarkeit und Reihung einzelner Länder im Sinn einer Bewertungs- oder Leistungsskala der jeweiligen Gesundheitssysteme (»ranking«) bis heute weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene möglich. Ländervergleiche ohne einheitliche Erfassungs- und Zuordnungskriterien ergeben keinen Sinn. Aus diesem Grund wird auf die Wiedergabe internationaler Vergleichsstatistiken verzichtet und auf die World Heath Statistic Annuals der
58
1212
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
. Tab. 58.1. Amtliche Müttersterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, Bayern, Österreich und Schweiz
58
Bundesrepublik Deutschland
Bayern
Lgb
Lgb
Mortalität n
MMR
Österreich Mortalität n
MMR
Lgb
Schweiz Mortalität n
MMR
Lgb
Mortalität n
MMR
1980
620.658
128
20,6
114.451
27
23,6
90.872
7
7,7
73.661
4
5,4
1990
905.675
82
9,1
136.122
13
9,6
90.454
6
6,6
83.939
5
6,0
1995
765.221
41
5,4
125.995
7
5,6
88.669
1
1,1
82.203
7
8,3
2000
766.999
43
5,6
120.765
8
6,6
78.268
2
2,6
78.458
5
6,4
2001
734.475
27
3,7
115.964
7
6,0
75.458
5
6,6
72.295
1
1,4
2002
719.250
21
2,9
113.818
5
4,4
78.399
2
2,6
72.372
3
4,1
2003
706.721
30
4,2
111.536
11
9,9
76.944
2
2,6
71.848
4
5,6
2004
705.622
37
5,2
111.164
10
9,0
78.968
3
3,8
73.082
4
5,5
2005
685.795
28
4,1
107.308
7
6,5
78.190
3
3,8
72.903
4
5,5
2006
672.724
41
6,1
104.822
8
7,6
77.914
2
2,6
73.371
6
8,2
2007
684.862
28
4,1
106.870
10
9,4
76.250
3
3,9
74.494
1
1,3
2008
682.514
36
5,3
106.298
8
7,5
76.655
2
2,6
76.691
8
10,4
WHO (1998) verwiesen. Nach 1998 wurde der Druck dieser Jahresbände eingestellt, die Daten sind jetzt über Internet abrufbar [www.who.int/whosis]. Heute erscheint für hochentwickelte Industrienationen unter optimalen Voraussetzungen eine realistische direkte und indirekte Müttersterblichkeit von 8–12/100.000 Lgb erreichbar. Niedrigere amtliche Mortalitätszahlen sind bezüglich Vollständigkeit kritisch zu hinterfragen.
58.3.3
Fehlerquoten amtlicher Statistiken
In Großbritannien wurde die amtliche Müttersterblichkeit der Jahre 2002–2005 vom Office for National Statistics (ONS) bei 2.114.004 Geburten (Lgb + Totgeburten ab 24. SSW) mit 149 Frauen=7,1/100.000 angegeben. Die CEMD erfassten für 2003–2005 295 MSTF=14,00/100.000: 132 direkte (6,3/100.000) und 163 indirekte MSTF (7,7/100.000); dies entspricht einem »underreporting« von 49,5% (CEMACH 2007). Fehlerquoten bei der alleiniger Erfassung von MSTF mit der amtlichen Todesbescheinigung wurden u. a. auch aus Frankreich (56%; Bouvier-Colle et al. 1991), Niederlande (26%; Schuitenmaker 1998), Schweiz (20–25%; Meili et al. 2003) und USA berichtet. Dort soll die reale Müttersterblichkeit die amtlichen Zahlen mindestens um das Doppelte übersteigen (Atrash et al. 1995). In Österreich ergab der Vergleich amtliche Todesursachenstatistik vs. Einzeluntersuchungen für die Jahre 1980–1998 ein »underreporting« von 38% (Karimiam-Teherani et al. 2002), für 2000–2006 von 32,1% (Beck u. Vutuc 2008)
58.4
Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern
Nach Schätzungen von WHO, UNICEF und UNFPA starben im Jahr 2000 (. Tab. 58.2) weltweit ca. 529.000 Frauen an Komplikationen von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (WHO 2003). Über 99,5% aller MSTF ereignen sich in Entwicklungsländern. Die weltweit höchste MMR findet sich in der Subsahelzone, Äquatorialafrika und Afghanistan mit teilweise deutlich über 1000 MSTF pro 100.000 Lgb. Die WHO geht global von ca. 80% direkter MSTF aus (Verblutung ca. 25%, Sepsis ca. 15%, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie ca. 12%, »prolonged and obstructed labour« ca. 8%, »unsafe abortion« ca. 13%). Hauptursachen indirekter MSTF (ca. 20%) sind Anämie, Malaria, Hepatitis, kardiovaskuläre Erkrankungen und Aids. Einen Einblick in die geburtshilfliche Praxis in Bukina Faso gab Maier (1992). > Die Bekämpfung der Müttersterblichkeit ist das größte geburtshilfliche Problem in den Entwicklungsländern.
58.5
Einzelfalluntersuchungen bei Sterbefällen während der Gestation
58.5.1
Großbritannien und Niederlande
England und die Niederlande sind zwei europäische Staaten mit landesweit intensivierten Einzelfalluntersuchungen bei
1213 58.6 · Einzelfalluntersuchungen in Bayern
. Tab. 58.2. Weltweite Müttersterblichkeit im Jahr 2000 nach Schätzungen von WHO, UNICEF und UNFPA (2003)
Region
MMR
Anzahl der MSTF
Weltweit Gesamt
400
529.000
Developed Regionsa
20
2500
Europa
28
1700
Developing Regions
440
527.000
Afrika
830
251.000
4 Nordafrika
130
4.600
4 Subsahelzone
920
247.000
Asien
330
253.000
4 Ostasien
55
11.000
4 Südzentralasien
520
207.000
4 Südostasien
210
25.000
4 Westasien
190
9800
Lateinamerika und Karibik
190
22.000
Ozeanien
240
530
a
Europa, Kanada, USA, Japan, Australien, Neuseeland.
mütterlichen Sterbefällen im Verlauf der Gestation. 1958 erschien erstmals ein »Report on Confidential Enquiries into Maternal Deaths in England and Wales, 1952–1954« (CEMD), weitere Bände folgten in 3-jährlichen Abständen. Ab 1985 wurden die Untersuchungen auf ganz Großbritannien einschließlich Schottland und Nordirland ausgedehnt. Die Erfassung für die CEMD erfolgt durch direkte Meldung aller im Gesundheitswesen Tätigen (Ärzte, Hebammen, Sozialdienst u. a.) an das lokale Office of Public Health (Chamberlain 2001). Das Studium der im deutschsprachigen Raum wenig bekannten Schriftenreihe mit instruktiven kasuistischen Darstellungen, Überprüfung der ärztlichen Therapie hinsichtlich »substandard care« (bei 64% der direkten und 40% der indirekten MSTF; CEMACH 2007) und zahlreichen praxisrelevanten Empfehlungen (»key recommandations«) ist sehr empfehlenswert. Die bisher erschienenen CEMD bieten bei direkten MSTF angesichts der bekannt hohen Datenerhebungsqualität und identischer Signierkriterien eine realistische Vergleichsmöglichkeit mit den Daten aus Bayern (7 Kap. 58.6). Die CEMD dienten als Vorlage für die bisher einmal erschienene Monographie »Safe Motherhood. Confidential Enquiries into Maternal Deaths in the Netherlands 1983–1992« (Schuitenmaker 1998). 1981 war von der Dutch Society of Obstetrics and Gynaecology ein Maternal Mortality Committee mit der Aufgabe betraut worden, über die amtlichen Todesfallbescheinigungen hinaus vertrauliche Einzeluntersuchungen bei MSTF in den Niederlanden durchzuführen.
58.5.2
Nationale und regionale Untersuchungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
In der 2. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gab es in Deutschland schwerpunktmäßig 3 langjährige regionale Untersuchungen zu Sterbefällen im Verlauf der Gestation: 1953– 1977 im Stadtstaat Hamburg durch Dietel u. Keding (1980), 1952–1989 in der ehemaligen DDR durch die Bezirkskommissionen zur Bekämpfung der Müttersterblichkeit (Fritsche u. Knopf 1989). 1972 empfahlen die für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren des Bundes und der Länder in Anbetracht einer gegenüber nord- und westeuropäischen Staaten überhöhten Müttersterblichkeit auch für die Bundesrepublik die Durchführung von Einzelfalluntersuchungen bei MSTF auf freiwilliger Basis. Diese später wiederholt ausgesprochene Empfehlung wurde bisher nur in Bayern ab 1983 realisiert (7 Kap. 58.6). In Österreich hatte die Arbeitsgruppe um Beck und Vutuc bereits 1975 ihre bis heute fortgeführten republikweiten Einzelfallanalysen bei MSTF begonnen (Beck et al. 1991; Beck u. Vutuc 2008). Der Anlass für genauere Untersuchungen waren unterschiedliche materne Mortalitätszahlen in verschiedenen Statistiken. Jedes Jahr werden alle geburtshilflichen Abteilungen um Mitteilung mütterlicher Sterbefälle gebeten, zusätzlich werden pathologische und gerichtsmedizinische Institute abgefragt. In den Jahren 2000–2006 wurden 28 MSTF (23 direkte und 5 indirekte) registriert, zusätzlich 5 späte MSTF und 8 NGSTF. Die direkten 23 MSTF 2000–2006 gliedern sich in: 4 Embolien (Fruchtwasser- und pulmonale Thromboembolien): 7; 4 Hämorrhagien 6; 4 Genital- und Urosepsis 5; 4 hypertensive Erkrankungen 3; 4 ektope Gravidität 2. Die direkte Müttersterblichkeit 2000–2006 lag in Österreich bei 4,2/100.000 Lgb (Beck u. Vutuc 2008). In der Schweiz analysierten Meili et al. (2003) im Rahmen einer Dissertation die gesamtschweizerische mütterliche Mortalität der Jahre 1985–1994.
58.6
Einzelfalluntersuchungen in Bayern
Im Auftrag der Bayerischen Gesellschaft für Geburthilfe und Frauenheilkunde (BGGF) wurden seit 1983, zunächst gemeinsam mit Krone, Einzelfalluntersuchungen auf freiwilliger Basis und unter Wahrung des Datenschutzes, bei möglichst allen MSTF in Bayern durchgeführt (Welsch 1997a, b, Welsch et al. 2004a, b). Die beabsichtigte längerfristige Weiterführung der Untersuchungen ist seit 2004 durch die Mitarbeit von A. Wischnik sichergestellt. Die Erhebungen basieren auf Zusammenführung folgender Daten: 4 amtliche Todesursachenstatistik, 4 anonymer Datenvergleich mit der Bayerischen Perinatalerhebung (BPE) und seit 1998 der »Qualitätssicherung
58
1214
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
Geburtshilfe« der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der stationären Versorgung (BAQ), 4 persönliche Todesfallmeldungen von Ärzten und Laien, 4 Printmedien. Nach schriftlicher Befreiung des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung von der Amtsschweigepflicht durch die behandelnden Ärzte erfolgt die Kontaktaufnahme. In über 90% der Fälle wurden ärztliche Behandlungsunterlagen und, soweit vorhanden, Obduktionsbefunde zur Verfügung gestellt. Insgesamt gelang damit eine weitgehende, wahrscheinlich aber immer noch nicht 100%ige Erfassung der MSTF in Bayern.
58.6.1
58
Datenüberblick 1983–2008
Vom 01.01.1983–31.12.2008 wurden im Auftrag der BGGF 297 MSTF erfasst (. Tab. 58.3 und . Tab. 58.4), 18 mehr als in der amtlichen Statistik. In Anbetracht kleiner Jahresfallzahlen wurden zum Ausgleich jährlicher Schwankungen 6-JahresKollektive gebildet und die Müttersterblichkeit der Teilkollektive errechnet. Zur Demonstration der aktuellen geburtshilflichen Situation werden ausnahmsweise die Daten der Jahre 2001–2008 zusammengefasst, Später wird aus den Daten ab 2007 ein weiteres 6-Jahres-Kollektiv gebildet. Der Todeszeitpunkt im Verlauf der Gestation variierte: 21–39% aller MSTF ereigneten sich im Verlauf der Schwangerschaft bzw. post abortum, die Mehrzahl der Frauen starb im Wochenbett. MSTF sub partu wurden seit Beginn der Untersuchungen seltener und in den letzten 8 Jahren nicht mehr beobachtet. Das Müttersterblichkeitsrisiko in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau stieg bis 2000 ab dem 35. Lebensjahr deutlich über den Mittelwert an. Bei 35- bis 39-jährigen Müttern betrug die materne Mortalität zwischen 1995–2000 18,6/ 100.000 Lgb, bei ≥ 40-jährigen Müttern 20,1/100.000 Lgb. Die niedrigste Todesrate fand sich bei 20- bis 24-jährigen Frauen (4,9/100.000 Lgb). Die letzten 8 Jahre brachten eine Nivellie-
rung bei den Jahrgangsgruppen. 2001–2008 starb keine Mutter <20 Jahren (n=23.107) und keine ≥ 45 Jahren (n=977). Die MMR betrug bei 20- bis 24-Jährigen 1,64 (2/121.931), bei 25bis 29-Jährigen 5,14 (13/252.855), bei 30- bis 34-Jährigen 10,93 (32/292.530), bei 35- bis 39-Jährigen 8,84 (14/158.251) und bei 40- bis 44-Jährigen 17,78/100.000 Lgb. (5/28.129). Während die Müttersterblichkeit bei Ausländerinnen zwischen 1983–1988 in Bayern noch deutlich über der Mortalitätsrate deutscher Frauen gelegen hatte (29,6 vs. 12,2/100.000 Lgb), glichen sich die Zahlen 1995–2000 weitgehend an (13,3 vs. 9,3/100.000 Lgb). 2001–2008 lag die Müttersterblichkeit bei Frauen mit ausländischen Pässen erstmals knapp unter der deutscher Frauen (6,7 vs. 7,7/100.000 Lgb). Die 10 verstorbenen ausländischen Mütter hatten 10 verschiedene Staatsangehörigkeiten (afghanisch, italienisch, österreichisch, phillipinisch, rumänisch, serbisch, somalisch, spanisch, türkisch, vietnamesisch), es handelte sich nicht um ein ethnisch einheitliches Kollektiv. In Großbritannien fand sich auch für die Jahre 2003–2005 ein erhebliches ethnisch bedingtes, differentes Sterblichkeitsrisiko: Weiße Bevölkerung 11,1/100.000; Schwarzafrikanerinnen 62,4; schwarze Karibinnen 41,1; Pakistani 9,2; Inderinnen 20,3; Bangladeshi 23,6; Großbritannien gesamt: 14,0/100.000 Geburten (Lgb + Totgeborene ab 24. SSW; CEMACH 2007). Die Obduktionsrate bei MSTF nahm in Bayern von 60% (1983–1988) auf 71% (2001–2008) zu bei eindeutigem Rückgang klinischer zugunsten gerichtsmedizinischer Autopsien. Derzeit stützen sich bei knapp 30% der MSTF die Todesursachen nach wie vor allein auf klinische Angaben. In den CEMD 2003 –2005 betrug die Obduktionsrate bei direkten und indirekten MSTF 74%. Dabei wurde in 23% die Autopsiequalität als »mangelhaft« bis »ungenügend« eingestuft (CEMACH 2007). Bei den Todesursachen ist zwischen direkten und indirekten MSTF zu differenzieren. In allen bisherigen 6-JahresKollektiven (Einzelheiten bei Welsch 1997a, b, 2004b) gab es bei direkten MSTF 4 Haupttodesursachen (. Tab. 58.4): An der Spitze lagen stets thromboembolische Erkrankungen in-
. Tab. 58.3. Müttersterbefälle in Bayern 1983–2008 (Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde (BGGF): Todeszeitpunkt im Verlauf der Gestation und Müttersterbefälle während und nach Sectio caesarea
1983–1988 n
%
1989–1994 na
n
1995–2000 na
%
%
2001–2008 na
n
na
%
Schwangerschaft
20
21
–
19
30
–
15
21
–
26
39
–
Geburt
10
10
7
2
3
1
3
4
3
–
–
–
Wochenbett
66
69
37
42
67
25
54
75
32
40
61
28
Gesamt (n=297)
96
100
44
63
100
26
72
100
35
66
100
28
Lebendgeborene
699.663
793.222
756.426
877.780
Müttersterblichkeit
13,7/100.000Lgb
7,9/100.000 Lgb
9,5/100.000 Lgb
7,5,/100.000Lgb
na
Müttersterbefälle während und nach Sectio caesarea.
1215 58.6 · Einzelfalluntersuchungen in Bayern
. Tab. 58.4. Müttersterbefälle in Bayern 1983–2008 (Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde; BGGF): Direkte und indirekte Todesursachen und MMR sowie Anteil der indirekten Mortalität an der Gesamtmortalität. (Zuordnung nach output table European Association of Perinatal Medicine 1996)
1983–1988
1989–1994
1995–2000
2001–2008
n
MMR
n
MMR
n
MMR
n
MMR
Thromboembolien
24
3,4
13
1,6
20
2,6
17
1,9
– davon Fruchtwasserembolien
(6)
(0,9)
(3)
(0,4)
(9)
(1,2)
(7)
(0,8)
Hämorrhagien
16
2,3
10
1,3
8
1,1
8
0,9
Hypertensive Erkrankungen
10
1,4
8
1,0
4
0,5
8
0,9
Genital–und Urosepsis
12
1,7
7
0,9
5
0,7
1
0,1
Aborte
8
1,1
–
–
3
0,4
4
0,4
Extrauteringraviditäten
4
0,6
2
0,3
–
–
2
0,2
Anästhesiekomplikationen
4
0,6
3
0,4
1
0,1
1
0,1
Andere direkte Ursachen
1
0,1
1
0,1
–
–
–
–
Total (n=205)
79
Direkte Todesursachen
Direkte Mortalität
44 11,3
41 5,5
41 5,4
4,7
Indirekte Todesursachen Krankheiten des Kreislaufsystems
9
1,3
13
1,6
16
2,1
20
2,3
Extragenitale Infektionen
4
0,6
1
0,1
3
0,4
–
–
Krankheiten des Atmungssystems
2
0,3
–
2
0,3
–
–
Krankheiten des ZNS
1
0,1
4
0,5
4
0,5
2
0,2
Krankheiten d. Verdauungssystems
–
–
1
0,1
1
0,1
1
0,1
Sonstige Erkrankungen
1
0,1
–
–
5
0,7
2
0,2
Gesamt (n=92)
17
19
31
25
Indirekte Mortalität
2,4
2,4
4,1
2,8
Anteil der indirekten Mortalität
17,7%
30,2%
43,1%
37,9%
Gesamtmortalität
13,7
7,9
9,5
7,5
klusive Fruchtwasserembolien, gefolgt von Hämorrhagien; die Plätze 3 und 4 wurden abwechselnd von Genital- und Urosepsis sowie hypertensiven Erkrankungen belegt. Bei 41 direkten MSTF der Jahre 2001–2008 handelte es sich 10-mal um Lungen- und 7-mal um Fruchtwasserembolien. Der klinischen Verdachtsdiagnose »Embolie« lagen in 3 weiteren Fällen allerdings andere indirekte Todesursachen zugrunde (2-mal Aortenruptur, 1-mal Aneurysmaruptur im Bereich der A. lienalis). Zweithäufigste Todesursache waren 2001–2008 erstmals seit Beginn unserer Untersuchungen mit gleicher Fallzahl Hämorrhagien (n=8) und hypertensive Erkrankungen (n=8, davon 2-mal intra graviditatem). Nach 5 MSTF infolge Genitalsepsis 1995–2000 wurde in den letzten 8 Jahren nur
1 Sepsis-MSTF post partum beobachtet. 4 Abort-MSTF lag 2-mal ein septischer Abort (8. und 20. SSW), 1-mal Verblutungstodesfall bei Placenta praevia (21. SSW) und 1-mal eine insuffiziente postoperative Ansthesieüberwachung nach Schwangerschaftsabbruch zugrunde. Laut »output table« der European Association of Perinatal Medicine (1996) sind diese MSTF in der Rubrik »Aborte«, beim Vergleich mit den direkten MSTF in den CEMD 2003-2005 (7 unten) in den Rubrik »Genitalsepsis« und »Anästhesie« zu führen. Dazu kamen in der Berichtszeit 2 direkte MSTF infolge Extrauteringravidität und 1 weiterer anästhesiebedingter MSTF. Die Bezugszahlen pro 100.000 Lgb (. Tab. 58.4, Spalte 2 in den jeweiligen Mehrjahreskollektiven) erlauben erneut einen
58
1216
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
Vergleich der jüngsten Müttersterblichkeitszahlen aus Bayern (2001–2008) mit den aktuellen direkten Mortalitätsdaten in Großbritannien 2003–2005 (CEMACH 2007): Direkte Müttersterblichkeit Großbritannien 6,24 vs. Bayern 4,67, MSTF infolge Lungenembolie (1,94 vs. 1,94), FruchtwasserembolieMSTF (0,80 vs. 0,80), Hämorrhagie (0,80 vs. 0,91), hypertensiver Erkrankung (0,85 vs. 0,91);Genitalsepsis (0,85 vs. 0,23); Aborte + Abruptio (0,14 vs. 0.11), Extrauteringravidität (0,47 vs. 0,23); Anästhesie (0,28 vs. 0,23); sonstige direkte Ursachen (0,33 vs 0,00). Der Anstieg indirekter MSTF in Bayern auf 43,1% der Gesamtmortalität in den Jahren 1995–2000 hat sich in den letzten 8 Jahren gering reduziert (38,0%). Infolge anderer Zuordnungskriterien in den CEMD (7 Kap. 58.1.3) sind bei indirekten MSTF Vergleiche zwischen Bayern und Großbritannien nicht möglich. In 7 Kap. 58.6.2 und 58.6.3 werden die MSTF in Bayern der Jahre 2001–2008 getrennt nach Todeszeitpunkt und Entbindungsverfahren, detailliert kurz aufgeführt. Ein Teil der MSTF waren seltene Kasuistiken, daneben gab es mehr oder weniger typische, teilweise identische Krankheitsverläufe, aus denen prophylaktische und therapeutische Konsequenzen ableitbar sind und realisiert werden sollten (7 Kap. 58.7).
58.6.2
Todesursachen intra graviditatem und post abortum 2001–2008
Vom 01.01.2001–31.12.2008 wurden 26 MSTF erfasst, 11 direkte und 15 indirekte. Die Auflistung der MSTF erfolgt in Anlehnung an . Tab. 58.4. (r. Obd.=rechtsmedizinische Obduktion; kli. Obd.=klinische Obduktion; k. Obd.=keine Obduktion).
58
11 direkte MST 4 Zu Hause tot aufgefunden. Rezidivierende Lungenembolie. Über vorausgegangene subjektive Beschwerden der im 3. Monat Schwangeren ist nichts bekannt (r. Obd.). 4 Seit mehreren Tagen Dyspnoe, internistische Abklärung ohne Resultat. Zu Hause kollabiert (32. SSW). Erfolglose Reanimation durch Notarzt. Fulminate Lungenembolie mit subtotaler Strombahnverlegung und Cor pulmonale acutum bei Thrombose im Bereich des Plexus venosus uterinus und der Vv. vaginalis mit Nachweis eines Restthrombus (kli. Obd.). 4 Zu Hause »bewusstlos« aufgefunden, 13. SSW, erfolglose Reanimation durch Notarzt, über Vorerkrankungen und subjektive Beschwerden nichts bekannt. Ausgedehnte pulmonale Synzytiotrophoblastembolie (r. Obd.). 4 Zu Hause tot aufgefunden (32. SSW). Intrazerebrale Massenblutung im Ponsbereich bei bekannter schwangerschaftsinduzierter Hypertonie (r. Obd.). 4 Primipara (7. Schwangerschaftsmonat) zu Hause tot aufgefunden. Zustand nach eklamptischem (?) Krampfanfall, Tod durch Aspiration (r. Obd.). 4 3. Grav. (20. SSW), Zustand nach Spontangeburt. Stationär wegen Placenta praevia. Bei erneuter starker Blutung und 3 cm Muttermund mehrere Muttermundinzisionen,
4 4 4 4 4
Entwicklung des Fetus aus BEL, Nachkürretage; Hysterektomie wegen nicht stillbarer Blutung, intraoperativ therapieresistente Asystolie (r. Obd.). Zu Hause leblos aufgefunden, erfolglose Reanimation. Abortus septicus (3. Schwangerschaftsmonat), langjähriger Drogenkonsum (r. Obd.). Septischer Abort 20. SSW, Hysterektomie, Multiorganversagen (k. Obd.). Zu Hause tot aufgefunden, alleinlebend. Verblutung infolge Tubarruptur (r. Obd.). Rupturierte Extrauteringravidität, ambulante Reanimation, intraoperativ Kreislauf nicht zu stabilisieren (k. Obd.). Ambulante Abruptio in Kurznarkose (Midazolam/Rafipen/Propofol). Herz-Kreislauf-Stillstand bei insuffizienter postoperativer Überwachung (r. Obd.).
15 indirekte MSTF 4 39. SSW, bei Klinikaufnahme Kreislaufzusammenbruch, seit Stunden zunehmende Schmerzen im Thorax- und Abdominalbereich. Intrauteriner Fruchttod. Erfolglose Reanimation. Ruptur eines Aneurysmas (5 cm Durchmesser) der A. lienalis mit massiver intra- und retroperitonealer Einblutung (r. Obd.). 4 Primipara (36. SSW), zu Hause tot aufgefunden. Ausgedehnte Subarachnoidalblutung aus rupturiertem Aneurysma der A. cerebri communis anterior (r. Obd.). 4 Bei der Arbeit zusammengebrochen, erfolglose Reanimation. Myokardinfarkt, 2. Schwangerschaftsmonat (r. Obd.). 4 Herzrhythmusstörungen bei Mitralklappenprolaps, 20. SSW (r. Obd.). 4 Therapieresistenter allergischer Schock, 6. Schwangerschaftsmonat (r. Obd.). 4 Herz-Kreislaufversagen, 20. SSW, floride, granulozytäre, biventrikuläre Myokarditis (kli. Obd.). 4 Long-Qu-Syndrom mit seit 2 Jahren implantiertem Defibrillator. Von weiterer Gravidität ärztlicherseits dringend abgeraten. Erneute Grav. verheimlicht. Letale Herzrythmusstörung, 6. Schwangerschaftsmonat (k. Obd.). 4 Ruptur Aneurysma A. cerebri anterior, 21. SSW (k. Obd.). 4 Ruptur Aorta ascendens (8 cm) bei M. Marfan, 14. SSW, Perikardtamponade (k. Obd.). 4 Kammerflimmern mit Asystolie bei seit Kindheit bekanntem Vitium cordis, 7. Schwangerschaftsmonat, I. grav. (k. Obd.). 4 Primäre pulmonale Hypertonie, Zustand nach Abort, 22. SSW, Rechtsherzversagen (k. Obd.). 4 Asystolie bei Myokarditis, 27. SSW (kli. Obd.). 4 Zustand nach »missed abortion«, 8. SSW. Kardiomyopathie, Myokarditis, Kammerflimmern, Reanimation, hypoxischer Hirnschaden (k. Obd.). 4 Zu Hause tot aufgefunden, Epileptikerin. Bisherige Medikation bei Schwangerschaftsbeginn ohne Wissen des Arztes abgesetzt. Aspiration. 15. SSW (r. Obd.). 4 Zu Hause zusammengebrochen, erfolglose Reanimation durch Notarzt. Aspiration bei beginnendem paralytischen Ileus, 2.–3. Schwangerschaftsmonat (r. Obd.).
1217 58.6 · Einzelfalluntersuchungen in Bayern
58.6.3
Todesursachen post partum 2001–2008
Alle postpartal gestorbenen Mütter wurden in präpartal bzw. präoperativ gesunde und präpartal durch geburtshilfliche und/oder andere Komplikationen bzw. erhebliche Risikofaktoren belastete Schwangere unterteilt. Aus dieser Differenzierung kann aber nicht gefolgert werden, dass eine erst postpartal manifest gewordene Komplikation stets dem jeweiligen Entbindungsverfahren anzulasten ist.
Nach Vaginalgeburten In den Jahren 2001–2008 starben 12 Mütter nach Vaginalgeburten.
7 direkte MSTF bei präpartal gesunder, risikofreier Schwangerer 4 2 Tage nach Entlassung (komplikationslose Spontangeburt und Verlauf, völlig unauffällige Anamnese) zu Hause »bewusstlos« aufgefunden. Erfolglose Reanimation durch Norarzt Verdacht auf Lungenembolie (Hausarzt), (k. Obd.). Trotz der nicht gesicherten Diagnose ist dieser Todesfall als direkter MSTF zu führen. 4 Verstärkte Nachblutung nach Spontangeburt, Hysterektomie, intraoperativ Asystolie, Reanimation, Exitus im therapieresistenten hämorrhagischen Schock bei hypoxischem Zerebralschaden 1 Tag post partum. Fruchtwasserembolie histologisch gesichert (r. Obd.). 4 Massive postpartale Blutung. Therapieresistenter Schock aufgrund von SIRS und DIC. Fruchtwasserembolie histologisch gesichert (r. Obd.). 4 Vakuumextraktion, massive postpartale Blutung, Hysterektomie, intraoperative Reanimation, Massentransfusion, DIC, Herz-Kreislauf-Versagen. Massive Fruchtwasserembolie histologisch gesichert (r. Obd.). 4 Vakuumextraktion. Therapieresistente postpartale Blutung, Hysterektomie, ausgedehnte intrazerebrale Blutung. Massive Fruchtwasserembolie histologisch gesichert (r. Obd.). 4 Postpartal therapieresistestenter hämorrhagischer Schock, Hysterektomie, Bluttransfusion verweigert, Zeugin Jehovas (r. Obd.). 4 5 h nach komplikationsloser Spontangeburt (bisher subjektiv beschwerdefrei, RR o. B., seit 9 Tagen geringe Proteinurie [+]) in Hebammenpraxis stationäre Einweisung durch Hebamme wegen Verdacht auf postpartales HELLPSyndrom, Diagnose bestätigt. Intrazerebrale Massenblutung, zentrales Regulationsversagen (k. Obd.).
1 direkte MSTF mit präpartaler Komplikation 4 Lupus erythematodes (Remissionsphase). 2 Tage nach Entlassung (komplikationslose Spontangeburt und Verlauf, stationär Heparinisierung) morgens vom Ehemann leblos aufgefunden. Verdacht auf Lungenembolie (Hausarzt) (k. Obd.).Trotz der nicht gesicherten Diagnose ist dieser Todesfall als direkter MSTF zu führen.
4 indirekte MSTF 4 Vaginalgeburt aus Beckenendlage. 2 h p.p. starke Kopfschmerzen, rasche Eintrübung, Zyanose, Bewusstlosigkeit. CCT: massive intrazerebrale Blutungen in Pons, Mesenzephalon und Stammganglien; Hirnödem. Exitus 8 Tage p.p.; Blutungsursache unklar, kein Hinweis für HELLP-Syndrom. (Obd. verweigert). 4 Zustand nach Spontangeburt mit manueller Plazentalösung. 3 Tage nach Entlassung Wiederaufnahme mit Fieber, respiratorischer Insuffizienz und instabilem Kreislauf. Asystolie nach 6 Tagen. Idiopathische nicht obstruktive Kardiomyopathie, Epi- und Perikarditis (kli. Obd.). 4 Zu Hause Asystolie bei ausgedehnter chronischer Virusmyokarditis 25 Tage p.p. ambulante Befunde am Vortag unauffällig (r. Obd.). 4 Zu Hause 13 Tage p.p. zusammengebrochen. Laut Notarztprotokoll therapieresistentes Kammerflimmern. Asystolie (r. Obd.).
Nach Sectio caesarea In den Jahren 2001–2008 ereigneten sich in Bayern 28 MSTF nach Sectio caesarea (. Tab. 58.3); dazu kamen 6 NGSTF im Zustand nach Schnittentbindung und 2-mal Sectio in mortua (Postmortem sectio) nach Verkehrsunfällen (7 Kap. 58.6.5):
5 direkte MSTF infolge operationsbedingter oder anästhesiologischer Komplikationen 4 Sekundäre Sectio wegen Verdacht auf Missverhältnis, schwierige Intubation. Postoperativ Patientin wach, Kind 2-mal gestillt. 5,5 h postoperativ Halsschmerzen, Bepanthen Lutschtbl., 45 min später Erstickungsanfall, HerzKreislauf-Stillstand. Sofortige Reanimation. Erster Intubationsversuch misslingt, massives (mechanisch? und/ oder allergisch? bedingtes) Schleimhautödem im gesamten Mundraum, Glottis nicht einsehbar. Exitus 4 Tage p.p. Zerebrales Kreislaufversagen bei hypoxischem Hirnschaden (r. Obd.). 4 Atonische Nachblutung nach sekundärer Sectio. Relaparotomie mit Hysterektomie, intraoperativ therapieresistente Asystolie (r. Obd.). 4 Hämorrhagischer nicht beherrschbarer Schock nach sekundärer Sectio. Exitus 12 h p.p. (r. Obd.). 4 Anfallgeschehen (postpartale Eklampsie?) 24 h nach sekundärer Sectio wegen pathologischem CTG. Exitus 11 Tage postoperativ: zerebrogene Kreislaufdekompensation bei Media- und Stammganglieninfarkt mit Hirndrucksteigerung (r. Obd.) (nicht BAQ). 4 Therapieresistenter postoperativer hämorrhagischer Schock nach sekundärer Sectio wegen hypertensiver Erkrankung, Hysterektomie; sekundäre Gerinnungsstörung, Herz-Kreislauf-Versagen (r. Obd.).
17 direkte MSTF mit präoperativen und/oder geburtshilflichen Komplikationen und/oder erheblichen Risikofaktoren Anmerkung: Perimortem sectio: Eingriff nach präoperativer Reanimation bzw. unter Reanimationsbedingungen [CEMD]).
58
1218
58
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
4 Adipositas permagna, prägravider BMI 41,3. Beidseitige Lungenembolie zu Hause 16 Tage nach primärer Sectio, erfolglose Reanimation durch Notarzt (r. Obd.) 4 Zu Hause fulminante Lungenembolie (27. SSW), Reanimation, perimortem Sectio, hypoxischer Hirnschaden, Exitus 3 Tage p.op. (k. Obd.) (nicht BAQ). 4 Lungenembolie 11 h nach primärer Sectio wegen Präeklampsie. Herz-Kreislauf- und pulmonales Versagen 3 Tage postoperativ. Verdacht auf Thrombose intra-grav. (kli. Obd.). 4 Zu Hause Lungenembolie 22 Tage nach Notsectio wegen vorzeitiger Plazentalösung (31. SSW). Thrombangiitis obliterans mit Zustand nach Oberschenkelamputation re. Exitus am selben Tag (k. Obd.). 4 Fulminante Lungenembolie (36. SSW), Reanimation, IUFT, Pulmonalisembolektomie beidseitig mit extrakorporaler Zirkulation, perimortem Sectio, Multiorganversagen (k. Obd.). 4 Fruchtwasserembolie sub partu am Termin (histologisch gesichert), perimortem Sectio. Exitus 4 h p.p., nicht beherrschbare Gerinnungsstörung (r. Obd.). 4 Fruchtwasserembolie sub partu bei 37. SSW – perimortem Sectio. Sekundäre Hysterektomie wegen anhaltender Blutungen. In größerem Thrombus einer Uterusvene und Zentralvenenblut Hornschüppchen nachweisbar. Großhirninfarkt mit therapieresistenter Hirndrucksteigerung, Exitus 5 Tage p.op. (k. Obd.) 4 Verdacht auf Fruchtwasserembolie sub partu bei 39. SSW Reanimation, perimortem Sectio, hypoxischer Hirnschaden, Multiorganversagen, Exitus 29 Tage postoperativ (r. Obd.): Fruchtwasserembolie histologisch nicht (mehr?) nachweisbar. 4 Vorzeitige Plazentalösung am Termin, Notfallsectio. Nachblutungen bei Gerinnungsstörung, Relaparotomie nach 3 h , Kammerflimmern, Lungenödem, Exitus in tabula (r. Obd.). 4 Placenta praevia (34. SSW), sekundäre Sectio. Nachblutung, sekundäre Hysterektomie nach 1 h, therapieresistente Asystolie 12 h p.sect (r. Obd.). 4 Placenta praevia, partim accreta (?), 26. SSW – sekundäre Resectio. Nachblutung, sekundäre Hysterektomie nach 2,5 h, pathologischer Ornithinstoffwechsel, Hirnödem, ARDS, Exitus 24 Tage postoperativ (k. Obd.). 4 Placenta praevia, sekundäre Re-Re-Re-Sectio, therapieresistenter postoperativer hämorrhagischer Schock, Bluttransfusion verweigert, Zeugin Jehovas (r. Obd.). 4 Placenta praevia totalis et percreta, sekundäre Re-Re-ReSectio 32. SSW wegen stärkerer Blutung, Belassung der Placenta in utero, postoperative Embolisation Aa. uterinae beidseitig, Hysterektomie 20 Tage postoperativ bei beginnender Sepsis, Hirnmassenblutung mit Hirnödem (r. Obd.). 4 Eklamptischer Anfall, HELLP-Syndrom – Notfallsectio. Intrazerebrale Massenblutung, Exitus 2 Tage p.op. (k. Obd.). 4 Verdacht auf Amnioninfektionssyndrom (AIS) bei PROM 31. SSW Placenta praevia – sekundäre Sectio. Postpartal HELLP-Syndrom, Leberkapselhämatomruptur 3 h p.p.,
Relaparotomie, Multiorganversagen, Exitus 7 Tage postoperativ (kli. Obd.). 4 Akutes HELLP-Syndrom mit Verdacht auf eklamptischen Anfall 39. SSW – perimortem Sectio. Intrazerebrale Blutungen, zentrales Regulationsversagen, Exitus 12 Tage postoperativ (k. Obd.). 4 Akutes HELLP-Syndrom mit Leberkapselhämatomruptur, 26. SSW – Notfallsectio. Multiorganversagen, Exitus 13 Tage postoperativ (kli. Obd.)
6 indirekte MSTF nach Sectio caesarea 4 Aneurysmaruptur der A. cerebri media (38. SSW). Notfallsectio. Herz-Kreislauf-Versagen bei massiven Subarachnoidalblutungen (k. Obd.). 4 Dissezierende Aortenruptur, Gemini, 37. SSW. Notfallsectio: Herz-Kreislauf-Versagen 1 h postoperativ (r. Obd.). 4 Dissektion der thorakalen und abdominalen Aorta. Akutes Herz-Kreislauf-Versagen zu Hause 12 Tage nach primärer Re-Re-Sectio (r. Obd.). 4 Zu Hause zusammengebrochen (9. Schwangerschaftsmonat, perimortem Sectio in RTW. Aneurysmaruptur der A. lienalis. Herz-Kreislauf-Versagen (r. Obd.) (nicht BAQ). 4 Zu Hause akuter Schockzustand unklarer Genese (32. SSW), perimortem Sectio, großes retroperitoneales Hämatom li.; Herz-Kreislauf-Versagen. Ehlers-DanlosSyndrom (kli. Obd.). 4 Autoimmunthrombozytopenie, pulmonale Hypertonie mit Rechtsherzbelastung, primäre Sectio (33. SSW), akutes Rechtsherzversagen 8 Tage p.op. (kliObd.).
58.6.4
Mortalitäts- und Letalitätsrisiko Vaginalgeburt vs. Sectio caesarea 1983–2008
Die Tatsache, dass früher bei ca. 60% aller MSTF sub partu und post partum, 2001–2008 bei 71% eine Schnittentbindung dem Tod vorausgegangen war (. Tab. 58.3), impliziert die Frage nach dem aktuellen mütterlichen Sterblichkeitsrisiko bei Sectio caesarea im Vergleich zur vaginalen Entbindung. Bei MSTF während oder nach Schnittentbindung muss zur Eruierung des eingriffsbedingten Risikos stets differenziert werden: 4 Sectiomortalität: Anzahl der in zeitlichem Zusammenhang mit einer Sectio caesarea während oder innerhalb von 42 Tagen nach dem Eingriff eingetretenen direkten und indirekten MSTF, bezogen auf 1.000 Schnittentbindungen, angegeben in Promille. 4 Sectioletalität: Anzahl der in ursächlichem Zusammenhang mit einer Sectio caesarea während oder innerhalb von 42 Tagen an operations- oder anästhesiebedingten Komplikationen erfolgten direkten MSTF, bezogen auf 1.000 Schnittentbindungen, angegeben in Promille. Nicht zur Sectiomortlität gerechnet werden NGSTF während und nach Sectio und Sectio in mortua. Nur die Sectioletalität kann dem operativen Eingriff beim Vergleich mit der Vaginalgeburt zur Last gelegt werden. Angaben zur Sectioletalität sind weder aus amtlichen Todesursa-
1219 58.6 · Einzelfalluntersuchungen in Bayern
chenstatistiken noch aus den Daten von Perinatalerhebungen oder der QSG, sondern nur mit Hilfe von Einzelfalluntersuchungen möglich. Durch Zusammenführen der Sectiozahlen der BPE/BAQ mit den Daten unserer Einzelfalluntersuchungen (BGGF) sind gesicherte Aussagen zum landesweiten aktuellen mütterlichen Mortalitäts- und Letalitätsrisiko bei der Schnittentbindung in Bayern möglich (. Tab. 58.5). In Zeile1 die Anzahl der von 1983–2008 durch die BPE/BAQ erfassten Entbindungen (früher ca. 85–90%, im Jahr 2008 97,8% aller Geburten in Bayern), darunter die Zahl der erfassten Schnittentbindungen (n=557.809). Dies ist die bisher größte, numerisch erfasste (und nicht nur geschätzte) Sectiomortalitäts- und -letalitätsstatistik im deutschsprachigen Raum. 1983 lag die landesweite Sectiofrequenz in der BPE bei 13,5%, 2008 wurde in der BAQ ein Allzeithoch mit 32,6% ausgewiesen; besonders gravierend war die Steigerung der Sectiofrequenz zwischen 2000 und 2006 von 20,5% auf 31,0%. Da nicht alle gestorbenen Mütter in BPE/BAQ-Kliniken entbunden wurden, sind die Daten in . Tab. 58.5 nicht völlig deckungsgleich mit den in 7 Kap. 58.6.3 genannten Zahlen. Die Sectiomortalität sank in der BPE/BAQ im Verlauf der Berichtszeit von 0,48‰ (1983–1988) auf 0,11‰ (2001–2008). Unter Benützung der Hospital Episode Statistics (HES) hielt Lewis eine Schätzung der in Großbritannien durchgeführten Schnittentbindungen für möglich und berechnet für die Jahre 2000–2002 bei 426.000 Schnittentbindungen eine geschätzte Sectiomortalität – ohne Mitrechnung von »coincidental deaths« – von 0,22‰ (CEMACH 2004). Zum Vergleich: Dietel und Keding ermittelten 1963–1967 in Hamburg eine Sectiomortalität von 6,2‰, 10 Jahre später war sie auf 1,7‰ zurückgegangen (Dietel u. Keding 1980). Nach Heynemann hatte zwischen 1933 und 1935 die Sectiomortalität in Hamburg noch bei 5,27% gelegen, d. h. vor 75 Jahren starb noch jede 20. Mutter während oder nach einer Schnittentbindung! Die Sectioletalität ging in der BPE/BAQ von 0,23‰ im Zeitraum 1983–1988 auf 0,017‰ in den Jahren 2001–2008 zurück, d. h. es kommt derzeit 1 sectiobedingter MSTF auf
rund 59.300 Schnittentbindungen. Die aktuellen Daten der Jahre 2001–2008 zeigen, dass der bisherige Tiefststand der Sectioletalität in den Jahren 1995–2000 (0,04‰) kein einmaliger Zufallswert war und damit die inzwischen gegenüber früheren Jahrzehnten extrem niedrige Sectioletalität bereits seit 14 Jahren Bestand hat. Auf gleiche Weise lässt sich das mütterliche Sterblichkeitsrisiko bei Vaginalgeburten in der BPE/BAQ berechnen (. Tab. 58.6). Hier reduzierte sich die Mortalität von 0,053‰ (1983–1988) auf 0,019‰ (2001–2008), die Letalität nach Vaginalgeburt nahm von 0,033‰ auf 0,010‰ ab (1:ca. 98.000 Vaginalgeburten). Aus diesen Daten ergibt sich in der BPE/BAQ für gesunde Schwangere ein mütterliches Letalitätsrisiko »Vaginalgeburt vs. Sectio caesarea« 1983–1988 Relation 1:7,0, 1989–1994 Relation 1:5,5, 1995–2000 Relation 1:2,3 und 2001-2008 Relation 1:1,7. In den Jahren 1995–2008 betrug in der BPE/BAQ der Anteil der primären Schnittentbindungen am Gesamtsectiokollektiv zwischen 45-50%. Zwischen 1995 und 2000 gab es in der BPE/BAQ nur 1 Sectioletalitäts-MSTF nach primärer Sectio (Welsch 2004b), 2001–2008 befand sich unter den 4 Sectioletalitäts-MSTF keine Frau mit elektiver Schnittentbindung oder Wunschsectio. Dies entspricht zwischen 1995 und 2008 einem Sectioletalitäts-MSTF auf ca. 165.000 primäre Schnittentbindungen. Damit hatte die elektive Sectio in den letzten 14 Jahren in der BPE/BAQ kein höheres Letalitätsrisiko als die Vaginalgeburt. Angesichts dieses einzigen Müttersterbefalls bei elektiver Sectio kann derzeit nur von einem Trend gesprochen werden. Für gesicherte Aussagen wären wesentlich größere Sectiokollektive, z. B. aus weiteren Bundesländern, erforderlich. Es lässt sich allerdings nicht sicher ausschließen, dass das reale mütterliche Letalitätsrisiko bei Sectio caesarea infolge »underreporting« und/oder bisher nicht erfasster »später MSTF nach Schnittentbindung« möglicherweise etwas höher als angegeben liegen könnte. Auch kann sich, je nach künftiger Entwicklung des Letalitätsrisikos bei Sectio und Vaginalgeburt, die aktuelle Relation zugunsten des einen oder anderen Entbindungsverfahrens verschieben.
. Tab. 58.5. Mütterliches Sectiomortalitäts- und -letalitätsrisiko in der Bayerischen Perinatalerhebung (BPE) und der Qualitätssicherung Geburtshilfe (BAQ) unter Verwendung der MSTF-Daten der Einzelfalluntersuchungen in Bayern der BGGF (Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde)
1983–1988
1989–1994
1995–2000
2001–2008
Schwangere (BPE/BAQ)
570 950
655.765
670.059
826.123
4 Sectio
82.897
107.803
129.515
237.594
Sectiomortalität (BGGF)
0,48‰ (n=40)
0,24‰ (n=26)
0,27‰ (n=35)
0,11‰ (n=25)
4 MSTF in zeitlichem Zusammenhang
1:2.000
1:4.100
1:3.700
1:.9.500
4 NGSTF nach Sectio
4
4
2
6
Sectioletalität (BGGF)
0,23‰ (n=19)
0,13‰ (n=14)
0,039‰ (n=5)
0,017‰ (n=4)
4 MST in ursächlichem Zusammenhang
1:4.400
1:7.700
1:25.900
1:59.300
58
1220
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
. Tab. 58.6. Mütterliches Mortalitäts- und Letalitätsrisiko bei Vaginalgeburt in der Bayerischen Perinatalerhebung (BPE) und der Qualitätssicherung Geburtshilfe (BAQ) unter Verwendung der MSTF Daten der Einzelfalluntersuchungen in Bayern der BGGF (Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde)
58
1983–1988
1989–1994
1995–2000
2001–2008
Schwangere (BPE/BAQ)
570.950
655.765
670.059
826.123
4 Vaginalgeburten
488.053
547.962
540.544
588.529
Mortalität bei Vaginalgeburt (BGGF)
0,053‰ (n=26)
0,028‰ (n=15)
0,037‰ (n=20)
0,019‰ (n=11)
4 MSTF in zeitlichem Zusammenhang
1:18.800
1:36.500
1:27.000
1:53.500
Letalität bei Vaginalgeburt (BGGF)
0,033‰ (n=16)
0,024‰ (n=13)
0,017‰ (n=9)
0,010‰ (n=6)
4 MSTF in kausalem Zusammenhang
1:30.500
1:42.200
1:60.100
1:98.000
2000–2006 starben in Österreich bei 118.677 Schnittentbindungen 15 Frauen während oder innerhalb von 42 Tagen nach dem Eingriff (Beck u. Vutuc 2008). Die Sectiofrequenz stieg in Österreich von 17,2% (2000) auf 25,8% und lag 2008 bereits bei 28% (Statistik Austria 2009). Trotz dieser Zunahme blieb 2003–2006 die Zahl der Sectio-MSTF mit 2 Frauen pro Jahr konstant. Die Sectiomortalität betrug in Österreich 2000– 2006 0,11‰ (1 NGSTF infolge Polytrauma und 1 Sectio in mortua nicht mitgezählt) und entsprach damit einem MSTF auf 9.100 Kaiserschnitte (Bayern 2000–2008 ebenfalls 0,11‰). 3 der Sectio-MSTF waren durch operations- oder anästhesiebedingte Komplikationen verursacht. Dies ergibt eine Sectioletalität von 0,025‰ (Bayern 2000–2008 0,017‰) oder einem MSTF in kausalem Zusammenhang mit einer Sectio auf 40.000 Schnittentbindungen (Beck u. Vutuc 2008). Damit ist zum ersten Mal ein externer Leistungsvergleich zwischen Bayern und Österreich möglich. Beide Länder weisen hervorragende, praktisch identische klinische Resultate aus. In den CEMD 1997–1999 errechnete Hall aus der geschätzten Zahl der Schnittentbindungen und Vaginalgeburten in Großbritannien und der Anzahl der direkten MSTF bei den beiden Entbindungsverfahren das Sterblichkeitsrisiko Vaginalgeburt vs. Sectio caesarea (Hall 2001). Gegen diese andere Art der Berechnung des mütterlichen Sterblichkeitsrisikos bei Sectio caesarea im Vergleich zur Vaginalgeburt wurde von uns eingewandt, dass keinesfalls alle direkten MSTF bei und nach Sectio dem Eingriff zur Last gelegt werden können und dürfen (7 Kap. 58.6.3) und dass das von Hall angegebene Sterblichkeitsrisiko bei der Schnittentbindung damit nicht der realen mütterlichen Gefährdung entspricht (Welsch 2004b). Entgegen langjähriger bisheriger Praxis fehlte im CEMD 2000–2002 erstmals ein eigenes Kapitel »Caesarean section« wie der 2001 von Hall verfasste Beitrag. Lewis weist im Einführungsreferat ausdrücklich darauf hin, dass »the simple mortality rates calculated according to method of delivery, shown in Table 1.11 (wie bei Hall), should be interpreted with caution and require further study and interpretation before any meaningful conclusion can be drawn« (CEMACH 2004). Auch im CEMD 2003–2005 fehlen Angaben zur Anzahl der im United Kingdom durchgeführten Schnittentbindungen und zum aktuellen mütterlichen Sterblichkeitsrisiko bei der
Sectio (CEMACH 2007). Für die BPE/BAQ gibt es die erwähnte Aufschlüsselung nach Mortalität und Letalität bei Vaginalgeburt und Sectio caesarea bereits seit 1983 (Welsch 1997b, 2004b).
58.6.5
Entbindungsort BAQ 2001–2006
Die amtliche Todesursachenstatistik der Jahre 2001–2006 weist für Bayern 28 postpartale MSTF aus . 26 dieser gestorbenen Mütter waren in geburtshilflichen Abteilungen und Kliniken entbunden worden, die an der QSG der BAQ teilnahmen. Für die Jahre 2001–2006 wurde nach 1995–2000 (Welsch 2004b) zum 2. Mal der prozentuale Anteil der Kliniktypen am Gesamtgeburtenkollektiv der BAQ (n=621.238) dem prozentualen Anteil am Kollektiv der gestorbenen Mütter (n=26) gegenübergestellt und die MSTF weiter nach Entbindungsmodus, Letalität und Mortalität (direkt und indirekt) differenziert (. Tab. 58.7); in Klammern die prozentualen Vergleichszahlen für die Jahre 1995–2000. Seit 2007 werden die geburtshilflichen Kliniken/Abteilungen in der BAQ wie folgt untergliedert: 4 L1: Perinatalzentren Level I; 4 L2: Perinatalzentren Level II; 4 L3: perinatologische Schwerpunktkliniken; 4 L4: sonstige hauptamtlich geleitete Abteilungen; 4 L5: Belegabteilungen ≥500 Geburten/Jahr; 4 L6: Belegabteilungen ≤499 Geburten/Jahr.
58.6.6
Nicht gestationsbedingte Sterbefälle 2001–2008
Nicht gestationsbedingte Sterbefälle (NGSTF) werden in der Bundesrepublik bisher in der amtlichen Todesursachenstatistik nicht ausgewiesen. Seit 1987 werden in Bayern NGSTF durch das Bayerische Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung manuell erfasst, soweit dies den ärztlichen Todesbescheinungen zu entnehmen ist. Über die NGSTF der Jahre 1987–2000 (n=78) wurde bereits früher berichtet (Welsch
1221 58.6 · Einzelfalluntersuchungen in Bayern
. Tab.58.7. Qualitätssicherung Geburtshilfe (BAQ) 2001–2006: Müttersterbefälle post partum in Relation zu Geburtenzahlen, Entbindungsort und Klinikstrukturen (in Klammern Vergleichzahlen BPE/BAQ 1995–2000)
Belegkliniken
Chefarztkliniken
Universitätskliniken
Geburten/Jahr
<500
≥500
<500
500–999
≥1.000
Geburten 2001–2006 (BAQ): n=621.238
104.304
74.499
45.659
114.073
237.479
45.224
4 ProzentualerAnteil
16,8 (13,6)
12,0 (19,9)
7,3 (5,1)
18,4 (18,5)
38,2 (36,7)
7,2 (6,3)
4 Müttersterbefälle
7
1
2
7
8
1
4 ProzentualerAnteil
27 (13)
4 (20)
8 (3)
27 (14)
31 (35)
4 (12)
4 Letalität
2
1
–
–
–
–
4 Mortalität direkt
2
–
1
5
6
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4 Mortalität indirekt
1
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2
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1
4 Letalität
1
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1
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2
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4 Mortalität direkt
1
–
–
–
–
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4 Mortaltät indirekt
–
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–
–
–
–
Sectio caesarea
Vaginalgeburt
1997a, b, 2004b). 27 NGSTF der Jahre 2001–2008 lagen folgende Todesursachen zugrunde: 4 Suizide: n=4: 1-mal Fenstersturz (8. Schwangerschaftsmonat); 1-mal Erhängen (4 Wochen nach Abruptio); 1-mal Vergiftung (3.–4. Schwangerschaftsmonat); 1-mal Sprung vor Zug (32 Tage nach Zwillingssectio). 1983–2008 gab es insgesamt 18 Suizide während der Gestation. 4 Unfälle: n=14 (alle Frauen schwanger): 12-mal Verkehrsunfall (3-mal Exitus nach Notsectio); 1-mal Rauchvergiftung; 1-mal vom Zug erfasst . 4 Intoxikation: n=4: 2-mal Drogen (1-mal grav.; 1-mal Zustand nach Interruptio 2 Tage zuvor); 1-mal Alkohol (grav.); 1-mal Medikamente (Zustand nach Sectio). 4 Malignome: n=2: 1-mal metastasierendes Magenkarzinom (Zustand nach Sectio); 1-mal infratentorieller Hirntumor mit Hirnstammeinklemmung und Hirntod (22. SSW). 4 Mord: n=3 (alle grav.). In den CEMD 2003–2005 sind bei 2.114.004 »maternities« 52 »coincidental deaths« ausgewiesen (CEMACH 2007). Vergleiche sind infolge teilweise anderer Zuordnungskriterien (7 Kap. 58.5.1) hier nur bedingt möglich.
58.6.7
Todesursachen waren: 4 Miliartuberkulose 48 Tage post partum. 4 Tuberöse Hirnsklerose 5 Monate nach Notsectio wegen vorzeitiger Plazentalösung. 4 Myokardinfarkt 45 Tage post partum. 4 Suizid (Ertrinken) 2,5 Monate nach Sectio; Wochenbettsdepressionen, nach 1. Suizidversuch (Verschlucken von Nadeln) zeitweise stationäre psychiatrische Therapie. 4 Dilalative Kardiomyopathie 6,5 Monate post partum. 4 Tot aufgefunden, Todesursache makroskopisch »nicht restlos zu klären«, Sectio 8 Monate zuvor. 4 Herz-Kreislauf-Stillstand unklarer Genese 7 Monate post partum. 4 Tot aufgefunden, Myokardfibrose 6 Monate post partum. 4 Exitus in tabula bei beiseitiger Lungentransplantation 3½ Monate nach Sectio wegen Pneumonie und schwerem postpartalem ARDS. 4 Tot aufgefunden, akute lymphozytäre Myokarditis, Sectio 4 Monate zuvor. 4 Postpartale Kardiomyopathie, Sectio 4 Monate zuvor. 4 Pneumonie, Sepsis, akutes Leber- und Nierenversagen, dilatative Kardiomyopathie, Sectio 3 Monate zuvor. 4 CMV Pneumonie, pulmonale Insuffizienz 44 Tage nach Sectio.
Späte Müttersterbefälle 2001–2008
In den Jahren 2001–2008 enthielten in Bayern 13 Todesbescheinungen (seit 01.07.2001 Zusatzfragen in der amtlichen ärztlichen Todesbescheinigung für Bayern geändert; . Abb. 58.1) einen Hinweis auf eine Gestation zwischen 43 Tagen und 1 Jahr vor Todeseintritt.
Bei künftigen Einzelfalluntersuchungen sollte vermehrt auch auf späte MSTF geachtet werden. Voraussetzung für eine bessere Erfassung später MSTF ist eine Änderung der amtlichen Todesbescheinigung entsprechend. . Abb. 58.1. In den CEMACH 2003–2005 wurde über 207 »late maternal deaths« berichtet: 11 »direct«, 71 »indirect« und 125 »coincidental deaths« (2007).
58
1222
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
58.7
Ärztliche und organisatorische Empfehlungen
Bei allen mütterlichen Sterbefällen intra graviditatem, innerhalb von 42 Tagen sowie bis zu einem Jahr nach Ende der Schwangerschaft (»late maternal deaths«) ist in ärztlichen To-
desbescheinigungen eine exakte Dokumentation bezüglich stattgehabter Gestation dringend notwendig. Falls irgend möglich, sollte die Zustimmung der Angehörigen für eine klinische Obduktion eingeholt werden. Bei ungeklärter Todesursache oder Verdacht auf unnatürlichen Tod ist eine gerichtsmedizinische Obduktion zu beantragen.
Einige Hinweise zur eventuellen Verhütung von Müttersterbefällen
58
4 Thromboembolien Bei Thrombose-/Embolieerkrankung in der Eigen- oder Familienanamnese: hämostasiologische Abklärung, ggf. risikoadaptierte, individuell dosierte Antikoagulanzienprophylaxe intra graviditatem und/oder post partum [s. DGGGKurzfassung der AWMF-S3-Leitlinie »Prophylaxe der venösen Thrombose« (2009)]. Bei extremer Adipositas erscheint zur Thromboseprophylaxe eine Verdoppelung der Heparindosierung ratsam (bisher nicht evidenzbasiert). Hohes Thromboserisiko bei Zustand nach Herzklappenersatz. Hier und bei akuter venöser Thromboembolie in der aktuellen Schwangerschaft gelten gesonderte Empfehlungen [s. AWMF-DGGG-S2-Leitlinie »Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie« (2008)]. Stärkere Dyspnoe intra graviditatem ist möglicherweise das einzige subjektive Symptom einer abgelaufenen kleineren Lungenembolie. In solchen Fällen Kompressionssonographie im Bereich der unteren Extremitäten und D-Dimer-Test. Bei positven Befunden Aufklärung der Schwangeren, ggf. radiologische Ausschlussdiagnostik mit Mehrzeilenspiral-CT. Bei Vorliegen gravierender Risikofaktoren (z. B. BMI >30!) Fortführung der medikamentösen Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen für die Dauer des erhöhten Risikos bzw. bis zu 6 Wochen post partum. 4 Hämorrhagien S1-Leitlinie der DGGG »Diagnostik und Therapie peripartaler Blutungen« unbedingt beachten (DGGG 2008)! – Vaginalgeburt Bei erhöhtem postpartalem Blutverlust (>500 ml) sofortiger Facharztruf, rechtzeitiger Prostaglandineinsatz. Bei Versagen anderer Maßnahmen (s. Leitlinie) rechtzeitige Indikation zur Hysterektomie. Auf ausreichende Erythrozytenkonzentrat- bzw. Blutzufuhr achten und dringen. Die Leitlinie enthält empirische Grenzwerte für die Substitution von Erythrozyten, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren. Ein interdisziplinäres Protokoll zur Therapie intra- und postpartaler Blutungen sollte in jeder Abteilung verfügbar sein und in Zusammenarbeit mit Blutbank und Labor regelmäßig aktualisiert und diskutiert werden (CEMACH 2004). – Sectio caesarea Bei postpartaler Bolusgabe von Oxytozin darf, ebenso wie nach Vaginalgeburten, eine Dosis von maximal 5 IE, langsam injiziert, nicht überschritten werden, da bei höherer Dosierung (z. B.10 IE) und rascher Injektion gravie-
6
rende Blutdruckabfälle, insbesondere bei kardiovaskulären Vorerkrankungen, beobachtet wurden (National Institute of Clinical Excellence, Scottish Executive Health Department, Department of Health, Social Services and Public Safety Northern Ireland 2001). Engmaschige kompetente postoperative mütterliche Überwachung (Blutdruck-, Puls-, Labor-, Blutungs- und Funduskontrollen) bei genauer Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche (S1-Leitlinie »Zur Frage der postoperativen Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen«, DGGG 2008). 4 Placenta praevia im Zustand nach Sectio caesarea. Insbesondere in Kombinaten mit einer Placenta accreta/increta/percreta – und nicht die Uterusruptur (in Bayern seit 1988 kein MSTF infolge Uterusruptur) – ist die quoad vitam gefährlichste Spätkomplikation nach vorausgegangener Schnittentbindung. Bei Plazentalokalisation im Narbenbereich kann in Abhängigkeit von der Anzahl der vorausgegangenen Schnittentbindungen in bis zu 40% eine Placenta accreta vorliegen (ACOG 2002). In Einzelfalluntersuchungen finden sich immer wieder MSTF bei Placenta praevia im Zustand nach Sectio (CEMACH 2003–2005: n=3; eigene Daten 2001–2008: n=3). Deshalb wird auch für diese Hochrisikogruppe ein definitiver Behandlungsplan gefordert, der in jeder Abteilung schriftlich vorliegen sollte (CEMACH 2004; s. auch S1-Leitlinie »Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio«, Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht 2008a). Wichtige Maßnahmen: Sorgfältige sonographische Plazentalokalisation bei Zustand nach Sectio. Bei nachgewieserner Placenta praevia oder tiefem Plazentasitz weitere Abklärung bezüglich Placenta accreta/increta/percreta und/ oder intrazervikaler Plazentalokalisation mittels Farbdoppler zwingend geboten; bei zweifelhaften Befunden MRT. Pränatale Hospitalisierung ausschließlich in Schwerpunktkliniken mit kontinuierlicher Verfügbarkeit ausreichender Mengen an Blutderivaten rund um die Uhr. Zeitpunkt der stationären Aufnahme in Absprache mit der Entbindungsklinik. Aufklärung der Schwangeren über erhöhtes Blutungsrisiko, die indizierte Re-Sectio und weitere ggf. notwendige therapeutische Behandlungsmaßnahmen (medikamentös, chirurgisch, radiologisch) einschließlich evtl. erforderlicher Hysterektomie. Bei pränataler Hospitalierung vorsorgliche, bei Notfallaufnahme sofortige Bereitstellung von 4 ausgetesteten Erythrozytenkonzentraten bzw. Blutkonserven (National Institute of Clinical Excellence, Scottish Executive Health Department, Department of Health, Social Services and Public Safety Northern Ireland 2001).
1223 Literatur
Alternativen zur Standardsectio: Uteruseröffnung im plazentafreien Bezirk. Bei erfülltem Kinderwunsch primäre Sectiohysterektomie, insbesondere bei Verweigerung von Bluttransfusionen. Bei präoperativ bekannter Placenta accreta/increta und insbesondere percreta Sectio mit Belassung der Plazenta in situ möglich mit oder ohne anschließende Methotrexattherapie. Allerdings muss dabei ein ca. 30%iges Nachblutungs- bzw. Endometritis-/Sepsisrisiko in Kauf genommen werden. Bei Sepsisvrdacht umgehende sekundäre Hysterektomie. Nur ein erfahrener Operateur sollte die erforderlichen Eingriffe durchführen. Rechtzeitige Indikationsstellung zur lebensrettenden Hysterektomie, insbesondere bei Placenta accreta/increta oder Placenta praevia cervicalis. Blutbildkontrolle am Ende der Sectio. Lückenlose postoperative Überwachung der Wöchnerin durch kompetentes Personal.
Tipp Kasuistischer Hinweis zur Sichelzellanämie: Interdisziplinäre Kooperation mit kompetenten Hämatologen ist zwingend erforderlich! Bei der extrem seltenen Kombination Sichelzellanämie + Gravidität im deutschsprachigen Raum unbedingt auf die US-amerikanischen Behandlungsstrategien zurückgreifen (Samuels 2002). In den USA kommt auf ca. 500 Entbindungen farbiger Mütter 1 Fall von Sichelzellanämie; die Letalitätszahlen differieren erheblich in Abhängigkeit von der Therapiequalität.
Regionale landesweite Einzelfalluntersuchungen bei möglichst allen mütterlichen Sterbefällen im Verlauf der Gestation sollten je nach örtlichen Gegebenheiten auf freiwilliger Basis in allen Ländern bzw. Bundesländern durchgeführt werden, z. B. im Auftrag regionaler Fachgesellschaften.
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4 Sepsis Auch wenn nach 4 postpartalen A-Streptokokkensepsistodesfällen im Anschluss an Vaginalgeburten 1997 und 1998 in den Jahren 2001–2008 nur 1 postpartaler Sepsis-MSTF in Bayern beobachtet wurden, sollte bei entsprechender Kreislaufsymptomatik (Hypotonie, Tachykardie), bei Unruhe, Schmerzen, schwerem Krankheitsgefühl, hohem CRP trotz möglicherweise fehlenden Fiebers und fehlender Leukozytose immer frühzeitig differenzialdiagnostisch auch an eine beginnende Sepsis gedacht werden. Umgehende Verlegung auf die Intensivstation, sofortige Antibiotikagabe nach Materialgewinnung für mikrobiologische Abklärung. Perioperative Antibiotikaprophylaxe bei Schnittentbindung ist bei primärer wie sekundärer Sectio uneingeschränkt zu empfehlen (s. Cochrane perinatal Database).
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58
1224
58
Kapitel 58 · Müttersterblichkeit
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59 59 Forensik K. Ulsenheimer, C. Brezinka 59.1
Geburtshilflicher Standard und Behandlungsfehler – 1226
59.1.1 59.1.2 59.1.3 59.1.4 59.1.5 59.1.6
Facharztstandard – 1227 Keine Herabsetzung des Standards durch strukturelle Defizite – 1229 Einsatz von Berufsanfängern – 1230 Verspätete oder unterlassene Sectio – 1231 Schweregrad des Behandlungsfehlers – 1232 Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Schaden – 1233
59.2
Einwilligung der Patientin und ärztliche Aufklärungspflicht – 1233
59.2.1 59.2.2 59.2.3
Vorrang des Selbstbestimmungsrechts (Wunschsectio) – 1233 Risikoaufklärung (Eingriffsaufklärung) – 1234 Leitsätze der Rechtsprechung – 1235
59.3
Dokumentationspflicht des Geburtshelfers – 1238
59.4
Grundlagen der medizinischen Begutachtung – 1240
59.5
Praktische Hinweise für das Verhalten nach einem Zwischenfall – 1243
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1226
59
Kapitel 59 · Forensik
Kein medizinisches Fachgebiet steht in der zivil- und strafrechtlichen Judikatur zum Arzthaftungsrecht so oft im Blickpunkt wie die Geburtshilfe, keine ärztliche Tätigkeit ist so haftungsträchtig wie die des Geburtshelfers – und dies trotz der glänzenden Fortschritte bei der Verbesserung des Sicherheitsstandards für Mutter und Kind, trotz der lange Zeit »für unerreichbar erachteten Erfolge technisch und organisatorisch nahezu vollkommener Geburtsmedizin1«, trotz immer perfekterer Fehlbildungsdiagnostik und des Einsatzes von Spezialisten mit hochtechnisierten Apparaturen. Eine objektive »Bilanz der Geburtshilfe und Geburtsmedizin im ausklingenden 20. Jahrhundert« zeigt, »dass die Geburt so sicher werden konnte wie nie zuvor seit Menschengedenken2«, aber das verbliebene Restrisiko für Mutter und Kind hat genügt, das juristisch-forensische Risiko für den Geburtshelfer in den letzten 20 Jahren so zu steigern, dass geburtshilfliche Abteilungen in Krankenhäusern schließen (müssen) und Gynäkologen ihre geburtshilfliche Tätigkeit aufgeben. Einige wenige Zahlen mögen dies veranschaulichen: Der Schadendurchschnitt zwischen 1978 und 1988 hat speziell für die Gynäkologen und Geburtshelfer um 252,3% zugenommen; der durchschnittliche Schadenaufwand pro gemeldetem Schadenfall stieg von DM 11.938,00 im Jahre 1981 auf DM 73.009,00 im Jahre 19913; Schadensersatzleistungen für ein körperlich und/oder geistig schwerbehindertes Kind in Höhe von 1–2 Mio. Euro sind keine Seltenheit mehr4; die Schmerzensgeldbeträge erreichen in diesen Fällen inzwischen 500.000 Euro,5 und von den – in den letzten Jahren fast 12.0006 – in der BRD bei Gericht anhängig gemachten Klagen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld betreffen außerordentlich viele die Geburtshilfe, sodass mancher Geburtshelfer schon heute Mühe hat, seine berufliche Tätigkeit überhaupt zu versichern, und wenn, nur für enorme Haftpflichtprämien6a. Die Gründe für diese Entwicklung sind: 4 der atemberaubende Fortschritt der Medizin, 4 die Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten, 4 die zunehmende Arbeitsteilung, die Informations- und Koordinationsmängel fördert (Schnittstellenprobleme), 4 das übersteigerte Anspruchsdenken, der überzogene Erwartungsdruck der Eltern, 4 das gewachsene Selbstbewusstsein der Patientinnen, ihre gegenüber früher deutlich gestiegene Konfliktbereitschaft, 4 die Anonymität vieler Krankenhäuser, 4 das oftmals fehlende Vertrauensverhältnis zwischen Patientin und Arzt, 4 Rechtsschutzversicherungen, die das Kostenrisiko riskan-
4 4 4 4 4 4
ter Prozesse übernehmen, und Prozessfinanzierungsgesellschaften, die um Arzthaftungsprozesse werben, anwaltliche Beratung, oftmals verquickt mit eigennützigen Interessen, die Einrichtung einer Fachanwaltschaft für Medizinrecht, tendenziöse Berichterstattung der Presse und Massenmedien, Konkurrenzdruck und Missgunst der Ärzte untereinander, der MDK der Krankenkassen, der Patienten gemäß § 66 SGB V bei der Geltendmachung von Behandlungsfehlern unterstützen soll, die ausgreifende Aufklärungsjudikatur und Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten (z. B. bei groben Behandlungsfehlern und Dokumentationsmängeln).
Alle diese Umstände haben dazu geführt, dass die Bereitschaft der Patientinnen, in einer erfolglosen Therapie, einer tödlichen Geburtskomplikation oder der Geburt eines behinderten Kindes ein schicksalhaftes Ereignis zu sehen, in der heutigen Zeit weitgehend geschwunden ist. Stattdessen wird hierfür ein Schuldiger gesucht, und den glaubt man – allzu oft und allzu leicht – im Geburtsmediziner zu finden. Der – aus den grandiosen Leistungen der Medizin abgeleitete – (Irr-)Glaube an die ärztliche Allmacht und vollkommene Beherrschbarkeit physiologischer Abläufe versperrt die Einsicht, dass zwischen Unglück und Unrecht, zwischen Schicksal und Schuld unterschieden werden muss und auch in der Geburtshilfe für Mutter und Kind ein – wenn auch geringes – aber doch unabänderliches Restrisiko bleibt. Eine Änderung dieser Situation ist nicht in Sicht, sodass jeder Geburtshelfer sich auf die fortschreitende Verrechtlichung seines Faches, die ihn in seinen Entscheidungen immer stärker von juristischen Vorgaben – Gesetzen, Verordnungen, Rechtsprechung – abhängig macht, trotz allen Bedauerns und aller Gegenreaktionen einstellen, d. h. wenigstens in groben Zügen seine Haftungsrisiken, aber auch die Haftungsgrenzen kennen sollte. Abhilfe kann nur ein konsequentes Risikomanagement schaffen, das die Schadensursachen präventiv angeht.7
59.1
Geburtshilflicher Standard und Behandlungsfehler
Im Mittelpunkt der forensischen Auseinandersetzungen zwischen Mutter/Vater und Kind auf der einen und dem Geburtshelfer auf der anderen Seite steht der Behandlungsfehler.
1
Hillemanns, in: Geburtshilfe – Geburtsmedizin, 1995, Vorwort S. VI. Hillemanns, a. a. O., S. VI. 3 Hickl, Gynäkologe 1994, 184. 4 Kochs, Z f ärztl Fortbild 1995, 579 5 OLG Zweibrücken, MedR 2009, 88; OLG Köln, VersR 2007, 219; OLG Stuttgart, GesR 2008, 633; OLG Celle, VersR 2009, 500; Jaeger, VersR 2009, 150 mwN. 6 siehe dazu Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, RdNr. 1a. 6a Die Prämien sind aktuell von 13.000 € jährlich auf gut 40.000 € für niedergelassene Geburtshelfer gestiegen (DÄBl 2010, A 695). 2
Behandlungsfehler Dieser Begriff, der im juristischen Schrifttum den traditionellen Terminus »Kunstfehler« wegen dessen inhaltlich höchst unterschiedlicher Verwendung abgelöst hat, wird als objektiver Verstoß gegen den »Standard eines erfahrenen Facharztes«8 definiert. 7 8
Ulsenheimer, Risikomanagement aus juristischer Sicht, ZaeFQ 2003, 624. BGH JZ 1987, 879.
1227 59.1 · Geburtshilflicher Standard und Behandlungsfehler
Dabei bedeutet der »Standard«, aus dem sich die ärztlichen Sorgfalts- und Verhaltenspflichten ableiten, das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlich befähigten Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können9.
59.1.1
Facharztstandard
Der Facharztstandard muss der Patientin zu jeder Zeit und an jedem Ort der Behandlung gewährleistet werden, sodass im Krankenhaus für den Bereitschafts-, Nacht- und Sonntagsdienst, für Not- und Eilfälle entsprechende Vorsorge zu treffen ist. Klarzustellen ist jedoch, dass der »Facharztstandard« nicht nur von Inhabern des Facharztzeugnisses erbracht werden kann. Beherrscht der »Noch-nicht-Facharzt« das medizinisch Gebotene theoretisch und praktisch so wie ein Geburtshelfer nach Abschluss seiner Facharztprüfung10, ist der fachärztliche Standard auch ohne ständige persönliche Anwesenheit eines in dieser Weise qualifizierten Arztes gewahrt. Bei der Beaufsichtigung eines Berufsanfängers im Rahmen einer Operation muss der aufsichtsführende Arzt aber Facharzt im formellen Sinne sein. In der juristischen Praxis spielen die damit zusammenhängenden Rechtsfragen eine erhebliche Rolle, wie die nachstehenden Beispiele zeigen: Fall 1 – Übernahmeverschulden (BGH VersR 1994, 1303)
Das Kind wurde am 25.1.1983 gegen 5.30 Uhr im Krankenhaus mit enger Nabelschnurumschlingung um den Hals, bei Blässe, völliger Atonie und nur gelegentlich schnappenden Atembewegungen mit einem Apgar-Wert von 2 geboren. Der im Kreißsaal diensttuende, in Weiterbildung zum Gynäkologen befindliche Assistenzarzt saugte das Neugeborene ab und nahm die Beatmung mit Sauerstoffbeutel auf, ließ aber auch wegen des bedrohlichen Zustands des Neugeborenen den zu Hause in Rufbereitschaft stehenden Oberarzt der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung, den in der chirurgischen Abteilung diensttuenden Assistenzarzt sowie den Babynotarztwagen der Universitätskinderklinik herbeirufen. Der chirurgische Assistenzarzt übernahm die Sauerstoffbeatmung über die Maske und saugte das Kind mehrfach ab. Beide Ärzte sprachen sodann über die Notwendigkeit einer Intubation, die sie jedoch nicht durchführen konnten, weil sie in dieser Technik nicht geübt waren. Danach spritzte der Assistenzarzt der chirurgischen Abteilung im Einverständnis mit seinem Kollegen von der Gynäkologie dem Neugeborenen eine Pufferlösung (Natriumbikarbonat), die er jedoch, ohne dies zu bemerken, in die Nabelarterie anstatt in die Nabelvene injizierte. Kurz darauf setzte die Spontanatmung des Kindes ein, das der gleich danach eintreffende Oberarzt intubierte und später in die Universitätskinderklinik verlegen ließ. Das Kind erlitt ein schweres inkomplettes Querschnittsyndrom, eine beidseitige unvollständige Lähmung der un9 10
vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rdnr. 18. Steffen, MedR 1995, 360.
teren Gliedmaßen, Sensibilitätsstörungen in den Beinen, eine neurogene Blasenlähmung, Gelenkkontrakturen in Hüfte, Knie und Fuß, verbunden mit einer Hüftluxation, und befindet sich trotz mehrfacher Operationen seit seiner Geburt in ständiger ärztlicher und krankengymnastischer Behandlung. Das Landgericht hat die Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage des Kindes abgewiesen, das Oberlandesgericht jedoch beide Ärzte verurteilt. Der gynäkologische Assistenzarzt als der die Geburt eigenverantwortlich leitende Arzt habe die Intubation beherrschen müssen, da asphyktische Zustände bei Neugeborenen zu den Geburtskomplikationen gehörten, mit denen stets zu rechnen sei, und die Intubationsbeatmung eine zwingend erforderliche Methode der Reanimation darstelle. Dem chirurgischen Assistenzarzt sei anzulasten, dass er den allgemeinen Grundsatz, hochkonzentrierte Lösungen stets in die Vene, niemals aber in die Arterie zu injizieren, außer acht gelassen habe. Die Schäden, an denen das Kind leide, beruhten auf dieser fehlerhaften Injektion und auf dem Verstoß gegen die Regel »Intubation vor Pufferung«. Der Bundesgerichtshof hielt diese Erwägungen mit Recht für unzutreffend. Bezüglich des gynäkologischen Assistenzarztes stellt sich als erstes die Frage, ob ihm als Fehlverhalten vorzuwerfen ist, dass er ohne Beherrschung der Intubationstechnik die Verantwortung für die Geburtsleitung übernommen hat (sog. Übernahmeverschulden). Objektiv pflichtwidrig und subjektiv schuldhaft handelt nämlich auch derjenige Arzt, der freiwillig – ohne Not – eine Tätigkeit übernimmt, der er mangels eigener persönlicher Fähigkeiten oder Sachkunde erkennbar nicht gewachsen ist11. Auch der erst in Weiterbildung zum Gynäkologen befindliche Assistenzarzt ist daher, wenn er die eigenständige Leitung einer Geburt übernimmt, dafür verantwortlich, dass er den Behandlungsstandard eines Facharztes gewährleistet, auf den Mutter und Kind Anspruch haben. Ist der Assistenzarzt nach seinen eigenen Fähigkeiten dazu nicht in der Lage, muss er die ihm gestellte Aufgabe ablehnen, es sei denn, es ist Vorsorge dafür getroffen, »dass seine Defizite durch die rechtzeitige Unterstützung durch andere ausgeglichen werden12«. Dabei darf der Assistenzarzt »grundsätzlich darauf vertrauen, dass die für seinen Einsatz und dessen Organisation verantwortlichen Entscheidungsträger auch für den Fall von Komplikationen, mit denen zu rechnen ist und für deren Beherrschung, wie sie wissen müssen, seine Fähigkeiten nicht ausreichen«, die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen haben. Ist dies – für den Assistenzarzt erkennbar – jedoch nicht der Fall, hätte er also nach seinen Kenntnissen und Erfahrungen eine Gefährdung der Patientin voraussehen und damit Bedenken gegen die Übernahme der Verantwortung für die Geburtsbetreuung haben müssen, würde er wegen Übernahmeverschuldens haften. Da der Oberarzt der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung aber zu Hause in Rufbereitschaft stand und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Organisation im Fall von Komplikationen nicht funktioniert (z. B. der 11 12
Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 15 Rdnr. 16 m. w. N. BGH VersR 1994, 1304.
59
1228
Kapitel 59 · Forensik
Oberarzt nicht rechtzeitig kommt), scheidet seine Haftung ebenso aus wie die des Chefarztes aus dem Gesichtspunkt des Organisationsfehlers. Auch das Verhalten des chirurgischen Assistenzarztes hat das OLG nach Ansicht des BGH unzutreffend gewürdigt. Denn es hat die Feststellung des Sachverständigen unberücksichtigt gelassen, dass es »bei schwerer Asphyxie selbst dem erfahrenen Geburtshelfer nicht mit Sicherheit« gelingt, »die Nabelvene von der Nabelarterie zu unterscheiden«. Wenn deshalb die Pufferung medizinisch geboten war, ist die Verwechslung der Vene möglicherweise die Verwirklichung eines situationsbedingten Risikos (verminderte Unterscheidbarkeit der Venen im Schockzustand) und damit kein Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht.13 Fall 2 – Organisationsverschulden
Ein anderes instruktives Beispiel für ärztliche Fehler und Zwischenfälle während des Geburtsvorgangs mit wichtigen allgemeinen rechtlichen Bezügen ist die Entscheidung des OLG München vom 20.6.199614: 13
14
59
weitere Fälle: BGH JR 1986, 248; OLG Hamm, VersR 1983, 884; OLG Hamm, GesR 2005, 462; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, a.a.O., RdNr. 20ff. Frauenarzt, 1996, 1837.
Die Unterlassung der Schnittentbindung ist nicht fehlerhaft gewesen. Eine Indikation hierfür lag nach den Ausführungen der Sachverständigen nicht vor. Weder vor der Geburtseinleitung noch während der Geburt ergaben sich Alternativen zum tatsächlichen Vorgehen. Die Schulterdystokie ist mit einer Häufigkeit von 0,15% eine sehr seltene geburtsmechanische Komplikation. Wegen ihrer Seltenheit »hat kaum ein Geburtshelfer größere Erfahrungen und Routine in der Behebung einer Schulterdystokie«, wobei Standardverfahren nicht existieren und die Schätzung der Kindsgröße trotz klinischer und bildgebender Untersuchungsverfahren sowie der Ultraschalluntersuchung mit erheblicher Unsicherheit behaftet sei. Allein mit statistischen Methoden könne man zu genaueren Werten kommen, doch gehörten entsprechende statistische Kenntnisse nach den Darlegungen der Gutachter damals nicht zum Standard. Dieser bestimme sich im Übrigen nach den gesetzlich vorgegebenen Mutterschafts-Richtlinien. Danach waren Ultraschalluntersuchungen in der 16.–20. SSW und 32.–36. SSW durchzuführen, während auch nach der Novellierung der Mutterschafts-Richtlinien zum 1.4.1995 der »Standard geburtshilflicher Betreuung« nicht verlangt, »am Ende der Schwangerschaft zur Erkennung oder zum Ausschluss eines übergroßen Kindes routinemäßig spezielle diagnostische Maßnahmen, Sonographien« durchzuführen. Zur Vorhaltung des Facharztstandards und zur Zusammenarbeit zwischen Geburtshelfer und Hebamme in akuten Notsituationen heißt es in dem Urteil u. a.:
6
Die Mutter des Kindes wurde am 28.2.1990 10 Tage nach dem errechneten unklaren Geburtstermin stationär in eine Privatklinik aufgenommen. Dienst hatten an diesem Tage eine Assistenzärztin im 4. Ausbildungsjahr sowie eine examinierte Hebamme. Nach der Geburt, die durch Vakuumextraktion erfolgte, stellte sich heraus, dass das Kind auf der linken Seite eine geburtstraumatische Erb’sche Lähmung (»Armplexusschädigung«) hatte, weshalb die Eltern den Ersatz materiellen Schadens und Schmerzensgeld mit der Begründung forderten, entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst habe man keine Schnittentbindung vorgenommen, die Assistenzärztin sei »nicht hinreichend geeignet und erfahren« gewesen, der Facharztstandard daher nicht gewahrt, die Schulterdystokie habe man angesichts der Größe des Kindes erwarten müssen und nicht durch die Hebamme beheben lassen dürfen. Außerdem sei die Ärztin von der Hebamme zu spät gerufen worden. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung zweier Sachverständigengutachten abgewiesen, da der Ärztin und der Hebamme kein Fehlverhalten anzulasten sei. Dem stimmte das OLG München in der Berufungsinstanz zu und führte aus:
»Die organisatorischen Maßnahmen der Klinikleitung zur Gewährleistung des Facharztstandards in der Geburtshilfe, insbesondere bei der Geburt, haben sicherzustellen, dass ein im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätiger Arzt ständig rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst verfügbar und ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe innerhalb von 10 Minuten im Krankenhaus »einsatzbereit« ist. Der »bereitschaftsdiensthabende Arzt muss nicht Facharzt sein. Er muss auch nicht ständig am Gebärbett anwesend sein; das ist vielmehr vorrangige Aufgabe der Hebamme. Die Anwesenheitspflicht beginnt nach herrschender geburtshilflicher Meinung bei regelrechtem Geburtsverlauf mit Beginn der Pressperiode. Der in Rufbereitschaft stehende Facharzt muss nicht ständig im Krankenhaus anwesend sein. Allerdings muss gewährleistet sein, dass er bei akuten geburtshilflichen Notfällen und immer dann, wenn der bereitschaftsdiensthabende Arzt sich bei der Geburtsleitung überfordert sieht, innerhalb von etwa 10 Minuten im Krankenhaus zugegen ist«. Als es nach Auftreten der Schulterdystokie der Assistenzärztin »nicht sogleich gelang, die Schultern zu entwickeln, hätte an sich der Hintergrunddienstarzt, also der Facharzt, hinzugezogen werden müssen. …Dass aber stattdessen die geburtsleitende Ärztin die Behebung der Schulterdystokie der Hebamme überließ, ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Es bestand nämlich eine akute Notsituation im Hinblick auf den in Erscheinung getretenen Sauerstoffmangel«. Im Geburtsbericht, der unter »Untersuchungen« nur die knappe Eintragung »Schulterdystokie, Schulterquerstand,
1229 59.1 · Geburtshilflicher Standard und Behandlungsfehler
Entwicklung etwa 2–4 min« enthält, ist dieser allerdings nicht dokumentiert. In der gegebenen Notsituation wäre … die Zuziehung eines Facharztes wegen der gebotenen höchsten Eile nicht mehr möglich gewesen. Eine Unterlassung hätte nur dann vorgelegen, wenn ein Facharzt im Hause gewesen wäre, dieser also innerhalb von 3–4 min hätte erscheinen können … Keinen Fehler stellt es dar, dass die Ärztin die Entwicklung der Schultern, nachdem sie selbst sich vergeblich darum bemüht hatte, der Hebamme überließ und diese die weitere Entwicklung des Kindes übernahm. Die Hebamme
war die Erfahrenere. Sie hatte auch nach ihren glaubhaften Aussagen damals vor 15 Jahren das Examen abgelegt. Nach Ansicht der Sachverständigen sei es »eine Frage der Schule, wer nach einer vaginaloperativen Entbindung die Entwicklung der Schulter vornimmt. Das kann durchaus der Hebamme, die normalerweise insoweit die größere Erfahrung hat, überlassen werden. Ein Fehler bei der unmittelbaren Nachsorge ist nach den getroffenen Feststellungen nicht ersichtlich. Eine Kinderärztin wurde durch telefonischen Kontakt alsbald nach der Geburt in die Nachsorge eingebunden«.
Der erforderliche geburtshilfliche Standard, den der Krankenhausträger und die verantwortlichen Ärzte Mutter und Kind schulden, kann durch Mängel in der personellen oder sächlichen Ausstattung nicht herabgesetzt werden15. Infolge der Objektivierung des Fahrlässigkeitbegriffes kann es sich im Allgemeinen nicht auswirken, »ob steuerbare räumliche oder personelle Engpässe die vom Standard her gebotene Behandlung erschwert haben« (BGH NJW 2000, 2737, 2740). Dasselbe gilt bezüglich der subjektiven Fähigkeiten des behandelnden Arztes. Er hat »grundsätzlich für sein dem medizinischen Standard zuwiderlaufendes Vorgehen auch dann haftungsrechtlich einzustehen, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv als entschuldbar erscheinen mag« (BGH VersR 2003, 1130). Folgende gerichtliche Entscheidungen sind hinsichtlich des geburtshilflichen Standards zu berücksichtigen: 4 Ein Mangel an ausreichend ausgebildeten Fachärzten darf nicht zum Einsatz auch relativ unerfahrener Assistenzärzte zwingen. Von Notfällen abgesehen ist die angemessene medizinische Versorgung der Patienten von vornherein sicherzustellen16; 4 In gleicher Weise führt die personelle ärztliche Unterversorgung, die den erreichbaren medizinischen Standard einer sorgfältigen, gewissenhaften Behandlung des Patienten gefährdet, zur Haftung des Krankenhausträgers und des Klinikchefs. Strukturdefizite rechtfertigen keine Abstriche an der ärztlichen Sorgfalt, auch wenn sie trotz aller Bemühungen des leitenden Arztes und seiner Mitarbeiter nicht zu beheben sind. 4 Der Aspekt des Übernahmeverschuldens führt zwangsläufig dazu, dass derjenige, der seine Aufgaben nicht nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft erfüllen kann, sein Leistungsangebot zurücknehmen muss. Diese Verpflichtung trifft die Krankenhausträger, aber es haftet daneben auch der Arzt, der trotz der Strukturmängel die Behandlung durchführt bzw. die Geburt betreut, wenn es infolge der organisatorischen Defizite zu einem folgenschweren Zwischenfall kommt.
4 Bei einer scheinbar komplikationslosen Geburt wird keine ständige Anwesenheit des Gynäkologen mit Facharztqualifikation gefordert.17 4 Der Krankenhausträger und Chef der Abteilung müssen organisatorisch gewährleisten, dass sie mit dem vorhandenen ärztlichen Personal ihre Aufgaben erfüllen können, und zwar nicht nur durch ausreichend erfahrene und geübte Geburtshelfer, sondern auch durch Ärzte, die im Einzelfall mit der erforderlichen Konzentration und Sorgfalt operieren können. Zur Geburtshilfe dürfen keine Ärzte herangezogen werden, die durch einen vorhergehenden anstrengenden Nachtdienst übermüdet und deshalb nicht mehr voll einsatzfähig sind18. Anderenfalls kommt ein Organisations- und Überwachungsverschulden des Krankenhausträgers und/oder des betroffenen Chefarztes und daneben ein Übernahmeverschulden des vor Ort tätigen Assistenz- oder Oberarztes in Betracht. 4 Die Untersuchung einer Schwangeren mit Blutung und Unterbauchschmerzen muss spätestens 15 min nach Notfallaufnahme möglich sein (OLG Braunschweig MDR 1998, 907). 4 Auch an Belegkrankenhäusern darf die Entschluss-Entwicklungs-Zeit (E-E-Zeit) den Zeitraum von 20 min »nicht wesentlich übersteigen« (OLG Stuttgart, VersR 2000, 1108; OLG Braunschweig, MDR 1998, 907). Wenn sich in einer plötzlich auftauchenden Notsituation die EE-Zeit um wenige Minuten verzögert, liegt hierin nicht ohne weiteres ein Behandlungsfehler (OLG Koblenz, VersR 2008, 355). 4 Das Belegkrankenhaus muss ausreichende Vorsorge dagegen treffen, dass das Pflegepersonal ärztliche Aufgaben übernimmt (BGH VersR 1996, 976). 4 Wenn die Belegärztin »überobligationsmäßig schnell eintrifft und eine Präsenzbereitschaft des Anästhesisten nicht geschuldet war, müssen im Einzelfall vorhandene zusätzliche Ressourcen bei Bedarf und Nützlichkeit eingesetzt werden (BGH VersR 1987, 686; OLG Stuttgart, VersR 2000, 1109). 4 Die Aufnahmeuntersuchung zur Entbindung im Krankenhaus ist ärztliche Pflicht und darf nicht der Hebamme
15
17
59.1.2
16
Keine Herabsetzung des Standards durch strukturelle Defizite
vgl. Ulsenheimer, MedR 1995, 439. BGHZ 88, 248, 255.
18
OLG München, GesR 2007, 108. vgl. BGH NJW 1986, 776.
59
1230
Kapitel 59 · Forensik
überlassen werden (OLG Stuttgart, Gebfra 2006, 549; zweifelhaft, aA Ulsenheimer, Gebfra 2006, 550). > Das Fazit dieser Entscheidungen ist: Das Haftungsrecht nimmt keine Rücksicht auf eine örtliche Schwächelage, personelle oder instrumentelle Engpässe, also auf Strukturmängel im konkreten geburtshilflichen Bereich, selbst wenn sie von einer restriktiven Haushaltspolitik vor Ort diktiert sind. Derartige Strukturdefizite muss der Geburtshelfer für Mutter und Kind neutralisieren19.
Dementsprechend heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (Frauenarzt 1995, 1237 u. a.): 2.1 Es muss ein im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätiger Arzt ständig rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst verfügbar sein. 2.2 Es soll ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe innerhalb von 10 min im Krankenhaus verfügbar sein. Er kann seinen Dienst in Rufbereitschaft ableisten. Voraussetzung ist allerdings, dass vorbereitende Arbeiten durch im Haus anwesendes fachkundiges Personal (Hebamme, Assistenzarzt etc.) bis zum Eintreffen des Facharztes kompetent erbracht werden können. 2.3 Es muss mindestens eine Hebamme ständig rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst verfügbar sein. 2.4 Es soll ein Anästhesist innerhalb von 10 min im Krankenhaus verfügbar sein. Er kann seinen Dienst in Rufbereitschaft ableisten. 2.5 Es soll mindestens eine examinierte Kinderkrankenschwester ständig rund um die Uhr anwesend sein (Bereitschaftsdienst). 2.6 Es muss jederzeit die Operationsbereitschaft rund um die Uhr durch die ständige Anwesenheit entsprechend ausgebildeten Funktionspersonals sichergestellt sein.
59
Im Rahmen der unter 2.1 bis 2.6 dargestellten Auflagen müssen der Leiter des Fachgebietes Frauenheilkunde und Geburtshilfe und des Fachgebietes Anästhesiologie einvernehmlich einen für beide Bereiche verbindlichen Organisationsplan erarbeiten.
Angesichts der zunehmenden Diskrepanz zwischen dem medizinisch Machbaren und dem ökonomisch Möglichen wird allerdings in Zukunft die Einhaltung dieser – aus geburtshilflicher Sicht berechtigten – Forderungen immer schwieriger, sodass Krankenhausträger und Chefarzt u.U. vor der Entscheidung stehen, den Standard abzusenken oder aber die Abteilung, vielleicht sogar das ganze Krankenhaus zu schließen. Dabei müssen sie sich an dem unverrückbaren Kernsatz des Arzthaftungsrechts orientieren: Absolute Priorität vor allen anderen Aspekten haben Schutz und Sicherheit des Patienten. Aber es gilt auch: Es muss nicht stets das neueste The-
rapiekonzept mittels einer auf den jeweils neuesten Stand gebrachten apparativen Ausstattung eingesetzt werden (BGH NJW 1988, 763), und infolge des raschen Fortschritts der medizinischen Technik und der damit einhergehenden Gewinnung immer neuer Erfahrungen und Kenntnisse muss es zwangsläufig zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung von Patienten kommen (BGH NJW 1993, 2989 ff). Ausdrücklich betonte deshalb der BGH, dass die Sorgfaltsanforderungen »nicht unbesehen an den Möglichkeiten von Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern« ausgerichtet werden dürfen, sondern die für den jeweiligen Patienten in der konkreten Situation »faktisch erreichbaren Gegebenheiten« Berücksichtigung finden müssen, »sofern auch mit ihnen ein zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden kann« (BGH NJW 1994, 1597f.). Der zu fordernde medizinische Standard ist somit »je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten verschieden« (BGH NJW 1993, 2989), allerdings nur »in Grenzen«, nämlich solange die Schutz- und Sicherheitsinteressen der Patientin gewahrt bleiben. Deren Einhaltung markiert die unverzichtbare »Standarduntergrenze«, trotz Anerkennung der systemimmanenten Grenzen unseres Gesundheitssystems in Gestalt beschränkter finanzieller Ressourcen (OLG Köln, VersR 1993, 52f.) und trotz der prinzipiellen Anerkennung der Notwendigkeit, wirtschaftliche Überlegungen in ärztliches Denken durch eine Risikoabwägung einfließen zu lassen (BGH VersR 1975, 43ff.; vgl. dazu zusammenfassend Ulsenheimer, Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen, FS für Kohlmann, 2003, 319ff.; Grenzen der Finanzierbarkeit ärztlicher Leistungen, Chefarzt aktuell, 2004, Nr. 4/04; Der Gynäkologe 2005, 38: 78–80).
59.1.3
Da der Berufsanfänger die ihm zugewiesenen ärztlichen Tätigkeiten mit einem dem wachsenden Stand seiner Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechenden Maß an Verantwortlichkeit verrichten soll, ist er nach einer entsprechenden Einarbeitungszeit, d. h. bei entsprechendem Ausbildungs- und Erfahrungsstand, auch im Bereitschafts-, Nacht- und Kreißsaaldienst einsetzbar. Die Kontrolldichte muss dann jedoch so sein, dass durch den Einsatz des Anfängers kein erhöhtes Risiko für die Patientin zu befürchten ist20. Denn gerade im Rahmen der Geburt sind Notfälle oder ganz allgemein »kritische Situationen« keine Seltenheit, in denen innerhalb weniger Minuten die Lage erkannt, d. h. die richtige Diagnose gestellt und das richtige Vorgehen eingeleitet werden muss. Die zutreffende Erkennung einer solchen Gefahrenlage für Mutter und/oder Kind und die Entscheidung, ob er sich selbstständiges Handeln zutrauen darf oder den erfahrenen Arzt im Hintergrund herbeirufen muss, kann den Anfänger nicht selten überfordern.21 Erkennt der Berufsanfänger dies oder hätte er die Gefährdung der Patientin voraussehen müssen, »darf er nicht gegen 20
19
s. Bülow, Frauenarzt 1993, 869.
Einsatz von Berufsanfängern
21
so auch BAG DB 1998, 1521, 1522. BGH NJW 1993, 2989, 2991.
1231 59.1 · Geburtshilflicher Standard und Behandlungsfehler
sein ärztliches Wissen und gegen bessere Überzeugung handeln und Anweisungen des übergeordneten Facharztes befolgen. Ihm ist zuzumuten, dagegen seine Bedenken zu äußern und notfalls eine Operation ohne Aufsicht abzulehnen« (BGH NJW 1984, 655, 657). Anderenfalls haftet der junge Assistenzarzt aus dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens, den für seine Einteilung verantwortlichen Arzt trifft der Vorwurf des Organisationsverschuldens. Denn »solange irgendwelche Zweifel an dem erforderlichen Ausbildungsstand des Anfängers bestehen, muss die Operation von einem Facharzt überwacht werden. Vorrang haben das Wohl des Patienten und seine Sicherheit, nicht etwa eine bequemere Organisation des Klinikdienstes und die (gewiss notwendige) Verschaffung der Gelegenheit für den Assistenzarzt, zum Erwerb seiner Qualifikation erforderliche Operationen auszuführen« (BGH NJW 1984, 656).
59.1.4
»Die bisherigen Ausführungen der Sachverständigen tragen nicht die Wertung«, dem beklagten Belegarzt den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers anzulasten, weil er statt einer sofortigen Sectio zunächst versucht habe, die Kinder vaginal zu entwickeln. In dem fachgynäkologischen Sachverständigengutachten heißt es dazu, nach Lage der Dinge (Einstellungsanomalie, Größendifferenz der Kinder, Frühgeburtlichkeit) hätte »nicht erst eine vaginale Geburt versucht werden dürfen«, vielmehr sei die »primäre Kaiserschnittentbindung indiziert gewesen«. Der Gutachter der Schlichtungsstelle führte aus, nach der herrschenden Lehrmeinung sei »bei einer Beckenendlage in der 33. SSW bei einer Erstgebärenden primär ein Kaiserschnitt vorzunehmen«, sodass der Belegarzt »vermeidbar fehlerhaft« gehandelt habe, als er sich stattdessen dazu entschloss, die Blase zu sprengen, obwohl der vorangehende Teil des ersten Kindes noch nicht fest im Beckeneingang gestanden habe und dadurch der Nabelschnurvorfall provoziert worden sei. Ein weiterer Sachverständiger hielt ebenfalls eine »primäre Sectio für indiziert«, meinte aber, nach Lage der Dinge hätte diese »nicht viel früher zur Geburt der Kinder geführt«, da sie sehr schnell nach dem Beginn des Versuchs einer vaginalen Entbindung vorgenommen worden sei.
Verspätete oder unterlassene Sectio
Die mit Abstand häufigste klinische Situation, die zu forensischen Auseinandersetzungen führt, ist die verspätete bzw. unterlassene Vornahme einer Sectio. Immer wieder liest man in der höchstrichterlichen Judikatur den Vorwurf, dem Geburtshelfer sei ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen, weil er nicht sofort eine Kaiserschnittentbindung eingeleitet, sondern zunächst den Versuch einer vaginalen Geburt unternommen habe. Zwei Beispiele auch hierfür: Fall 1
Die Mutter des Kindes begab sich mit einer Zwillingsschwangerschaft in der 33. SSW zur Niederkunft in die geburtshilfliche Abteilung des Krankenhauses, wo ein Belegarzt tätig war und die Geburtshilfe übernahm. Er untersuchte die Mutter sofort und stellte fest, dass das vorliegende der beiden Kinder, der Junge, sich in Steißlage befand. Der Belegarzt versuchte zunächst eine vaginale Geburt, bei der nach Sprengung der Fruchtblase bei der ersten Presswehe die Nabelschnur vor das vorliegende Kind fiel. Daraufhin entschloss er sich zum sofortigen Kaiserschnitt. Nach der Entwicklung des Jungen kam das Mädchen zur Welt. Beide Kinder entwickelten sich retardiert. Bei dem Mädchen wurden deutliche Zeichen einer leichten Zerebralparese, ein intellektueller Entwicklungsrückstand im Grenzbereich zur geistigen Behinderung sowie eine Sprachbehinderung festgestellt, worauf die Eltern sich zunächst an die zuständige Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen wandten. Dort kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dem Belegarzt sei zwar vorzuwerfen, dass er nicht sofort einen Kaiserschnitt durchgeführt habe, jedoch beruhe der Sauerstoffmangel nicht auf der Art der Geburtseinleitung, sondern auf der hochgradigen Lungenunreife des Mädchens. Das Landgericht hat die Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage abgewiesen, das Oberlandesgericht jedoch die Ansprüche zuerkannt, während der Bundesgerichtshof in dem 11 Jahre währenden Rechtsstreit (!) zweimal das Urteil des Oberlandesgerichts aufhob und u. a. ausführte22:
Während die Judikatur im Regelfall die verzögerte Vornahme der Sectio als groben Behandlungsfehler wertet23, lehnte der BGH im vorstehenden Fall die Annahme eines groben Behandlungsfehlers zu Recht ab und betonte:
»Von einem groben Behandlungsfehler kann nur dann die Rede sein, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Das Berufungsgericht führt hierzu zwar mit Recht aus, dass die wertende Entscheidung, ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen, Sache des Richters und nicht des Sachverständigen ist. Dem ist aber hinzuzufügen, dass diese Entscheidung auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhen muss, die sich in der Regel aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen ergeben werden. … Diese tragen gewiss den rechtlichen Schluss, dass dem Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen sind. Es erscheint jedoch keineswegs gesichert, dass es sich hier um Fehler handelt, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen24«.
23 24
22
BGH NJW 1993, 2989, 2991.
OLG Schleswig, VersR 1994, 311, 314; OLG Köln, VersR 1991, 669. BGH VersR 1996, 1110 = MedR 1996, 515ff. Zum Begriff des groben Behandlungsfehlers s. auch BGH NJW 2001, 2795, 2798.
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1232
Kapitel 59 · Forensik
Fall 2
Erneut geht es um eine Klinik, in der der Geburtshelfer belegärztlich tätig war. Nach dem vorzeitigen Blasensprung mit Abgang klaren Fruchtwassers wurde die Mutter des Kindes in die geburtshilfliche Abteilung aufgenommen. Die Körpertemperatur war zu diesem Zeitpunkt normal, das Aufnahme-CTG unauffällig. Eine 12 h später vorgenommene Temperaturkontrolle ergab 38°C. Etwa 2 h später wurde ein externes CTG angelegt. Nach einer weiteren Stunde wünschte die Mutter wegen der einsetzenden Schmerzen eine Schnittentbindung. Der Belegarzt kam diesem Verlangen jedoch nicht nach, sondern nahm zur Schmerzlinderung um 20.30 Uhr eine Parazervikalblockade vor. Zum gleichen Zeitpunkt findet sich im Geburtsprotokoll der Eintrag »CTG o. B.«. Erstmals um 21.30 Uhr und erneut um 21.55 Uhr wurde eine Herztondezeleration vermerkt. Bei Herzfrequenzabfällen bis zu 60 Schlägen/min begann der Belegarzt um 21.55 Uhr die Vakuumextraktion. Nach 4 wehensynchronen Traktionen wurde das Kind um 22.06 Uhr in schwer deprimiertem Zustand mit einer doppelten, straff um den Hals gelegten Nabelschnurumschlingung geboren. Obwohl der Belegarzt das Kind sofort intubierte, fand es der 14 min später eintreffende Kinderarzt grau und blass, zyanotisch, mit einer Herzfrequenz von 40 Schlägen/min ohne Spontanatmung vor. Nach Umintubierung, Vornahme einer Herzmassage und Anlegung eines Nabelkatheters wurde das Neugeborene in einem nicht wärmbaren Inkubator in ein Kreiskrankenhaus verlegt, wo die Ärzte ein Postasphyxiesyndrom diagnostizierten, aufgrund dessen das Kind an einer gemischten Tetraparese mit ausgeprägter sprachlicher und geistiger Retardierung leidet. Nach Ansicht des OLG München25 sind dem Belegarzt bei seiner Geburtsleitung grobe Behandlungsfehler unterlaufen, die hinsichtlich der Kausalitätsfrage zu einer Beweislastumkehr führen:
»Als grobes Unterlassen wertet es der Senat, dass der Beklagte trotz des 20.35 Uhr zunehmend pathologischen CTG bei geringem Geburtsfortschritt noch um 21.00 Uhr die Anordnung einer Sectiobereitschaft unterließ, obwohl er bei winterlichen Straßenverhältnissen befürchtete, dass die Herstellung einer Sectiobereitschaft mindestens 45 min erfordere. Bei einer solchen unzumutbar langen Vorbereitungszeit vermag der Senat die unterlassene Verständigung des Anästhesisten nicht mit der Erwägung zu entschuldigen, dass »viele Kinder mit vergleichbaren variablen Dezelerationen im CTG lebensfrisch geboren werden«. Denn ein Geburtshelfer, der 45 min auf das Eintreffen des Narkosearztes warten müsse, müsse eine andere Geburtshilfe betreiben als ein Geburtshelfer in einer apparativ und personell gut ausgestatteten Klinik. Als weiterer aus objektiver Sicht nicht mehr verständlicher Behandlungsfehler ist es anzusehen, dass der Beklagte nicht spätestens um 21.30 Uhr die Sectiobereitschaft herstellte«.
59
25
VersR 1996, 63ff.
Durchmustert man die Rechtsprechung, wird die Indikation zur Schnittentbindung sicherlich oftmals verspätet gestellt, und zum anderen vergeht zwischen der Entscheidung zum Kaiserschnitt und der Entwicklung des Kindes zu viel Zeit. Deshalb hat sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe mit Recht dieses Problems angenommen und das Ziel propagiert, die sog. E-E-Zeit, d. h. die Zeit zwischen der fachärztlichen Entscheidung zur Sectio, und der Entwicklung des Kindes auf 20 min zu begrenzen. Es wäre wünschenswert, wenn ein solches Zeitlimit überall praktiziert und damit zum »Standard« würde. Gegenwärtig erscheint dieses Ziel jedoch nicht immer und überall erreichbar. Die ursprüngliche großzügigere Rechtssprechung ist inzwischen strenger geworden und toleriert nur noch eine Zeitspanne von 20–25 min für die Vornahme der Sectio (OLG Braunschweig MDR 1998, 907, 908)26, was aber trotz bester Organisation aus personellen oder anderen Gründen zu knapp bemessen sein kann und dann nicht zu einem Schuldvorwurf führen darf. Auch die umgekehrte Sachlage – der zu frühe Kaiserschnitt – hat die Judikatur beschäftigt (s. dazu OLG Naumburg, MedR 2008, 442.
59.1.5
Schweregrad des Behandlungsfehlers
In der Praxis spielt die Frage, ob dem Geburtshelfer ein »einfacher« oder »grober« Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, eine oftmals Streit entscheidende Rolle. Denn während im Regelfall der Patient (Mutter und/oder Kind) den Behandlungsfehler und dessen Ursächlichkeit für den Körperschaden beweisen müssen, kehrt sich im Falle des groben Fehlers die Beweislast zu Ungunsten des Arztes um: Steht ein grober Behandlungsfehler fest und ist er geeignet, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, muss nunmehr der Arzt den Nachweis führen, dass im konkreten Fall die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ursächlich auf dem ärztlichen Fehlverhalten beruht bzw. dies äußerst unwahrscheinlich ist (BGH NJW 2004, 2011). Kann er diesen Beweis nicht erbringen oder bleibt die Kausalitätsfrage ungeklärt, geht dies zu Lasten des Arztes, und der Prozess ist damit für ihn verloren. Wichtig für das Verständnis des Arztes ist: Die von der Rechtsprechung zugunsten des Patienten entwickelte Beweiserleichterung beim groben Behandlungsfehler stellt »keine Sanktion für besonders schweres Arztverschulden», also für subjektive Vorwerfbarkeit dar, sondern knüpft daran an, »dass wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers die Aufklärung des Behandlungsgeschehens in besonderer Weise erschwert worden ist«. Deshalb scheidet ein solcher Beweislastvorteil für den Patienten aus, »wenn der Ursachenzusammenhang zwischen (grobem) Behandlungsfehler und Schaden
26
OLG München, Frauenarzt 1994, 437; Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. »Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für Geburtshilfliche Abteilungen«, Frauenarzt 1995, 1237.
1233 59.2 · Einwilligung der Patientin und ärztliche Aufklärungspflicht
gänzlich unwahrscheinlich ist27«. Ob ein Behandlungsfehler als »grob« einzustufen ist, ist eine Frage rechtlicher Bewertung, die das Gericht – nicht der Sachverständige – zu beurteilen hat.28
59.1.6
Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Schaden
Die zivilrechtliche Haftung setzt ebenso wie die strafrechtliche Verantwortlichkeit voraus, dass der Behandlungsfehler im konkreten Fall für den Gesundheitsschaden bzw. den Tod von Mutter und/oder Kind ursächlich gewesen ist. Wie die Untersuchungen von Schulte und H. Schneider zeigen29, ist entgegen vordergründiger Annahme oftmals jedoch der kindliche Schaden präpartal oder postpartal entstanden. In 1/4 der untersuchten Fälle hat Schulte »eine ganz andere, sicher nicht durch die Geburtshilfe oder Neonatologen zu verantwortende Erkrankung« ausgemacht, und in 11,4% der Fälle konnte er sogar eine perinatal erworbene Hirnschädigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, d. h. unter Ausschluss vernünftiger Zweifel ausschließen. Die Kausalitätsfrage muss daher im Prozess stets außerordentlich subtil und kritisch geprüft werden, weshalb es sich empfiehlt, diesbezüglich nicht nur einen Geburtshelfer, sondern auch einen Neuropädiater zu konsultieren. Sowohl im Zivilprozess als auch im Strafverfahren muss das Gericht von der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Schaden überzeugt sein. Im Strafverfahren wirken sich allerdings jegliche Zweifel zugunsten des Beschuldigten aus, während vor dem Zivilgericht ein für das praktische Leben brauchbarer Gewissheitsgrad genügt, der »Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen30«.
59.2
Einwilligung der Patientin und ärztliche Aufklärungspflicht
Es entspricht der ständigen, nunmehr schon über 100 Jahre alten Rechtsprechungstradition und ist im Grundsatz auch in der Ärzteschaft heute unumstritten, dass ärztliche Heileingriffe zu ihrer Rechtfertigung grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen und dass diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden kann, »wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen, Chancen und Gefahren im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist31«. Nur dadurch wird die Entscheidungsfreiheit der Patientin über ihre körperliche Integrität, über die 27
28 29
30 31
BGH VersR 1996, 1535, 1536; s. auch OLG Schleswig, VersR 1994, 310, 312; OLG Frankfurt, VersR 1996, 584, 585. BGH MedR 1988, 143; BGH MDR 1997, 355. Schulte, Gynäkologe 1992, 169; Schneider H., Beller F.K. (Hrsg.) Geburtsasphyxie und kindlicher Hirnschaden. Eine Bestandsaufnahme 1995, S. 12 ff, 40ff. BGH NJW 1994, 801; OLG Koblenz MedR 2010, 416, 417. BGH NJW 1989, 1533.
sich der Geburtshelfer nicht selbstherrlich hinwegsetzen darf, geschützt, also das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gewahrt. Denn die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff »bedeutet in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, darüber hinaus das Auf-sich-Nehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben32«. Deshalb muss die Frage einer Beeinträchtigung von Körper und Gesundheit durch den Geburtshelfer weitgehend aus der Sicht der Patientin beantwortet werden, weil es um ihre Selbstbestimmung geht, wenn sie ihre Rechtsgüter im Rahmen der Geburtsbetreuung und ärztlichen Behandlung zur Disposition stellt.
59.2.1
Vorrang des Selbstbestimmungsrechts (Wunschsectio)
> Verhaltenspflichten des Arztes: Er muss nicht nur bei allen seinen Maßnahmen die gebotene Sorgfalt walten lassen, sondern sich auch der Einwilligung der Patientin versichern, die er wirksam nur erhalten kann, wenn er ihr zuvor die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen vermittelt. Fehlt die wirksame Einwilligung, ist der in der ärztlichen Heilbehandlung liegende Eingriff in die körperliche Integrität der Patientin rechtswidrig.
Klarzustellen ist allerdings: Die vaginale Entbindung ist ein natürlicher Vorgang, den der Arzt lediglich unterstützt, sodass er insoweit weder der Zustimmung der Schwangeren bedarf noch allein ihr Verlangen nach Vornahme eines Kaiserschnitts die medizinische Indikation ersetzen kann. Denn der Geburtshelfer ist bei all seinem Handeln auch an Inhalt und Grenzen seines ärztlichen Heilauftrags gebunden. Verlangt daher die Patientin entgegen dem objektiven Befund und Rat des Arztes eine primäre Sectio, so darf der Geburtshelfer die Schwangere an eine andere Klinik verweisen, aber auch ihrem Wunsch nachkommen, wenn dieser und damit ihre Einwilligung nicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist (§ 228 StGB). Die Zulässigkeit der »Wunschsectio« wird man jedoch angesichts des Vorrangs des Selbstbestimmungsrechts – wie die Rechtsprechung zur Frage der Sterilisation und der Abtreibung zeigt – nach umfassender, intensiver, verständlicher Aufklärung und Ausschluss von Willensmängeln bei eindeutig gegebener Einwilligungsfähigkeit regelmäßig bejahen können. Auch der nicht indizierte ärztliche Eingriff ist im Falle wirksamer Einwilligung gerechtfertigt, die Wunschsectio ist rechtlich v.a. ein Aufklärungsproblem (vgl. dazu Ulsenheimer Gebfra 2000, M 61; AG MedR DGGG, Der Gynäkologe 2002, 197, 202; Markus, Die Zulässigkeit der Sectio auf Wunsch, 2006; unrichtig OLG Koblenz, MedR 2007, 365, 366).
32
BGH NJW 1989, 1535.
59
1234
Kapitel 59 · Forensik
59.2.2
Risikoaufklärung (Eingriffsaufklärung)
In der Justizpraxis spielt der Vorwurf der Verletzung der Risikoaufklärungspflicht eine zentrale Rolle, sodass die Zahl der
59
Entscheidungen zu diesem Themenkomplex fast unübersehbar geworden ist. Leider gibt es jedoch trotz der Urteilsfülle zu Inhalt und Umfang der Risikoaufklärung keine exakten rechtlichen Vorgaben, sondern lediglich allgemeine Richtpunkte und Grundsätze. Dies führt in vielen Fällen zu Unsicherheit und Unklarheiten, die sich prozessual zu Lasten des Geburtshelfers auswirken, da die Beweislast für die ordnungsgemäße und rechtzeitige Risikoaufklärung beim Arzt liegt. Der Bundesgerichtshof sieht zwar dessen besondere Situation insbesondere unter der Geburt und betont deshalb, dass an den Aufklärungsnachweis »keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden« dürfen33, doch ist die Erfüllung der Aufklärungspflicht auch für den Geburtshelfer wie für jeden anderen Arzt unter Haftungsaspekten ein erheblicher juristischer Risikofaktor. Bei der Aufklärung der Patientin müssen folgende Punkte berücksichtigt werden: 4 Der Chefarzt der gynäkologischen Abteilung, der die Risikoaufklärung einer Patientin einem nachgeordneten Arzt überträgt, muss darlegen, welche organisatorischen Maßnahmen er ergriffen hat, um die ordnungsgemäße Aufklärung sicherzustellen und zu kontrollieren. Dies bedeutet: Um seinen Kontroll- und Überwachungspflichten zu genügen, hat der Chefarzt »ausreichende Anweisungen« zu erteilen und deren Umsetzung zu kontrollieren. Dazu gehört, dass er sich »etwa in einem Gespräch mit dem Patienten« und/oder »durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer von Patient und aufklärendem Arzt unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert«.34 4 Die Aufklärung darf kein »medizinisches Kolleg« darstellen, sie soll der Patientin kein medizinisches Entscheidungswissen vermitteln, sodass die Risiken nicht medizinisch exakt in allen denkbaren Erscheinungsformen dargelegt werden müssen. Vielmehr geht es darum, der Patientin in ihrer konkreten persönlichen Situation ein allgemeines »Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums zu vermitteln35«. Deshalb darf der Arzt bei seinen Erläuterungen Gefahren aussparen, die sich so selten verwirklichen und auch im konkreten Fall so wenig wahrscheinlich sind, dass sie bei einer verständigen Patientin für die Entscheidungsfindung nicht ernsthaft ins Gewicht fallen36. Andererseits ist die Patientin über Komplikationen, die für sie »überraschend und in ihren besonderen Lebensverhältnissen erkennbar besonders schwerwiegend sind37«, z. B. Funktionsbeeinträchtigungen wichtiger Organe, grundsätzlich auch 33 34 35 36 37
BGH MedR 1985, 168f. BGH GesR 2007, 108, 109. BGH JZ 1991, 983f. BGH NJW 1963, 393. BGH NJW 1992, 734.
dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen38. 4 Wenngleich immer wieder beschwichtigend betont wird, die wesentlichen Gefahren müssten nur »im Großen und Ganzen« dem Patienten bewusst gemacht werden, so gilt diese Einschränkung nach ständiger Rechtsprechung jedoch nicht für eingriffspezifische, d. h. typischerweise mit der in Rede stehenden ärztlichen Maßnahme verbundene Komplikationsmöglichkeiten. Wenn und soweit ein Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet, ist es auch bei extremer Seltenheit stets aufklärungspflichtig, falls sein Eintritt überraschend ist und sich auf die beruflichen und privaten Lebensumstände der Patientin erkennbar besonders belastend auswirkt. Derartige Komplikationen sind z. B. die mögliche Verletzung von Blase, Harnleiter und Darm bei der Sectio, die Notwendigkeit einer Hysterektomie bei nicht stillbaren Blutungen oder das Infektionsrisiko mit Hepatitis und HIV bei der Fremdbluttransfusion, das zugleich einen geradezu klassischen Beleg für die Unabhängigkeit des Aufklärungsumfangs von irgendwelchen Risikofrequenzen, d. h. statistischen Häufigkeiten bzw. Seltenheiten eines Risikos bildet. Obwohl die Ansteckungsgefahr hier bei 1:2 bis 1:3 Mio. liegt und damit extrem selten ist, forderte der Bundesgerichtshof, solange dieses Risiko nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden könne, müsse darüber wegen der verheerenden Konsequenzen einer Infizierung mit HIV aufgeklärt werden, und zwar rechtzeitig vor der Operation, wenn bei der Patientin intra- oder postoperativ die Möglichkeit einer Blutübertragung ernsthaft in Betracht kommt39. 4 Im Gegensatz zu den »eingriffspezifischen« Risiken stehen die »allgemein« bekannten perioperativen Risiken, über die der Arzt die Patientin nicht aufklären muss40. Dabei handelt es sich um Risiken, die mit jeder größeren, unter Narkose vorgenommenen Operation verbunden sind und mit denen ein Patient i. Allg. rechnet, z. B. Wundinfektionen, Narbenbrüche oder Embolien. Zu diesem »medizinischen Basiswissen« gehört auch der Umstand, »dass bei größeren Operationen immer Gefahren bestehen, die in unglücklichen Fällen sogar zum Tode führen können«41. 4 Ist ein Eingriff medizinisch zur Beseitigung einer erheblichen Gesundheitsstörung zwingend erforderlich, kann die Aufklärungspflicht geringer sein, da unter diesen Umständen eine verständige Patientin gewisse Risiken auf sich nimmt. Dennoch bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Patientin auch in derartigen Fällen erhalten, da sie über den Eingriff selbst entscheiden soll und ihn ggf. ablehnen kann, auch wenn dieser Entschluss etwa aus medizinischer Sicht gänzlich unvernünftig ist. Denn es gibt keine ärztliche »Vernunftshoheit«, kein »therapeutisches Privileg« zugunsten des Arztes! 38 39 40 41
BGH NJW 1994, 793. BGH NJW 1992, 743f.; BGHZ 126, 386, 389; BGH JZ 2000, 899. BGH NJW 1992, 743. OLG Nürnberg MedR 2002, 30; OLG Dresden VersR 03, 258.
1235 59.2 · Einwilligung der Patientin und ärztliche Aufklärungspflicht
4 Ist eine ärztliche Maßnahme vital indiziert und sofortiges ärztliches Handeln zur Beseitigung einer lebensbedrohlichen Situation geboten, geht der Aufklärungsumfang gegen Null. Bei unaufschiebbaren, vital indizierten Eingriffen kann und muss die Aufklärung u.U. gänzlich entfallen, da der Lebensrettung Vorrang vor dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts gebührt, so z. B. von einer notfallmäßigen Episiotomie bei drohendem Dammriss42. 4 Die Aufklärung ist keine »Holschuld« der Patientin, sondern eine »Bringschuld« des Geburtshelfers, d. h. dieser muss den aktiven Part spielen, um durch Unterrichtung und Information der Schwangeren deren rechtswirksame Einwilligung herbeizuführen. So hat der Arzt z. B. auch bei normalem Schwangerschafts- und Geburtsverlauf die Gebärende über die Erforderlichkeit einer ununterbrochenen Registrierung der Herzfrequenz und der fetalen Blutgasanalyse zur Erkennung einer etwaigen Sauerstoffmangelsituation aufzuklären. Dennoch hat auch die verständige Patientin eine gewisse Aufklärungslast, nämlich: weitere Fragen zu stellen, wenn sie über bestimmte Punkte mehr wissen will. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich betont, dass man, soweit möglich, auch von Seiten des Patienten »den mitverantwortlich geführten Dialog« verlangen müsse43. Fragen der Schwangeren sind dabei stets wahrheitsgemäß zu beantworten, offensichtlichen Fehleinschätzungen (z. B. der Illusion einer »sanften Geburt«) entgegenzutreten und bei einer Entscheidung der Schwangeren für eine Hausgeburt oder Entbindung in einem Geburtshaus die Unvorhersehbarkeit von Komplikationen mit dem Zwang zu schneller ärztlicher, u.U. operativer Hilfe hervorzuheben. 4 Besondere Bedeutung hat in den letzten Jahren die Aufklärung über die verschiedenen operativen Entbindungsmethoden (Kaiserschnitt, Saugglocke, Zange) und ihre spezifischen Vor- und Nachteile, Risiken und Komplikationsmöglichkeiten erlangt. Denn die Gefahren beim abdominalen operativen Eingriff betreffen überwiegend die Patientin, während bei den vaginalen Entbindungsoperationen die Verletzungen am Kopf des Kindes im Vordergrund stehen. Angesichts dieser Unterschiedlichkeit der Risiken und Verschiedenheit der Belastungen muss der Geburtshelfer die Patientin über die in Betracht kommenden Behandlungsalternativen unterrichten. Denn diese soll bei echter Wahlmöglichkeit nach sachverständiger und vollständiger Beratung des Arztes selbst entscheiden können, was sie an Belastungen und Gefahren bei Anwendung dieser oder jener Methode auf sich nehmen will44.
59.2.3
Leitsätze der Rechtsprechung
Bei dieser Ausgangssituation hat die Rechtsprechung folgende konkrete Leitsätze aufgestellt:
4 (1) Bei problemlosem Verlauf der Schwangerschaft und ohne konkreten Anlass ist der Frauenarzt nicht verpflichtet, mit der Schwangeren rein vorsorglich über mögliche Komplikationen bei der Entbindung und dann etwa notwendige operative Eingriffe zu sprechen.
Wenn und solange die Vaginalentbindung bei sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile die Methode der (1.) Wahl ist, besteht keine Aufklärungspflicht bezüglich der Möglichkeit einer Sectio45. 4 1a) Eine Mutter, die bereits 4 Kinder, hiervon 2 mit einem Geburtsgewicht von 4.200 g und 4.300 g, zur Welt gebracht hat, ist bei einem zu erwartenden Geburtsgewicht des 5. Kindes von 3.900 g, Adipositas, erhöhter Gewichtszunahme sowie 2 positiven Harnzuckerwerten nicht über die Sectiomöglichkeit (wegen des Risikos der Schulterdystokie) aufzuklären (OLG Stuttgart, VersR 2007, 1417). 4 1b) Die Entscheidung für oder gegen das Legen einer Cerclage und für oder gegen eine rein konservative Behandlung ist eine Einzelfallentscheidung, in der die Risiken und Möglichkeiten beider Behandlungsmethoden sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Eine derartige Abwägung setzt voraus, dass die Eltern zuvor umfassend und ausführlich von den behandelnden Ärzten über die jeweiligen Risiken, Vor- und Nachteile der Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sind (OLG Celle, MedR 2008, 516, 518).
4 (2) Diese Aufklärung ist jedoch dann zu verlangen, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen, dass im weiteren Verlauf eines Entbindungsvorgangs eine Situation eintreten kann, in der eine normale vaginale Entbindung kaum noch in Betracht kommt. Stellt in der konkreten Situation die Schnittentbindung eine medizinisch verantwortbare Alternative dar, so muss der geburtsleitende Arzt die Mutter bereits zu einem Zeitpunkt, in dem sie von ihrem Selbstbestimmungsrecht noch wirksam Gebrauch machen kann, über die unterschiedlichen Entbindungsmethoden aufklären.46
Für Beckenendlagen ist eine solche Aufklärung von der Rechtsprechung anerkannt47, da »eine Geburt aus einer Beckenend45 42
43 44
Dudenhausen, Z f ärztl Fortbild 1994, 1015 ff; Hepp-ScheidelSchüßler: Gynäkologische Standardoperationen, 1991, S. 304, 315. NJW 1979, 1925. BGH NJW 1989, 1539; BGH GesR 05, 21; BGH MDR 2000, 1012; MDR 1993, 742.
46
47
BGH VersR 1993, 704; OLG Stuttgart, VersR 1989, 521. BGH NJW 1993, 2372; OLG Karlsruhe, VersR 2006, 515; OLG Bamberg, GesR 2008, 594 vgl. BGH MDR 1989, 437; VersR 1993, 703; VersR 1992, 237; BGH VersR 2005, 227; OLG Braunschweig, VersR 1988, 382; OLG Oldenburg, MDR 1996, 1133, 1134; OLG München, VersR 1996, 64.
59
1236
Kapitel 59 · Forensik
lage grundsätzlich als Risikogeburt anzusehen ist, die ihre speziellen Gefahren für die Gesundheit des Kindes, insbesondere auch die Gefahr einer Asphyxie in sich birgt, die durch eine Schnittentbindung vermieden wird«. 4 2a) Bei vorzeitigem Blasensprung in der 31. SSW besteht aus geburtshilflicher Sicht die Möglichkeit aktiven Vorgehens (Vornahme der Sectio) oder abwartenden Verhaltens mit Förderung der Lungenreife. Deshalb ist die Mutter über diese mögliche Alternative und die typischen Risiken der vorzeitigen Geburtseinleitung aufzuklären.48
4 (3) Wenn auch bei Mehrfachgebärenden eine Steißgeburt vaginal durchgeführt werden kann und bei fehlender Kontraindikation auch wird, so werden doch die spezifischen Risiken einer Spontanentbindung der Steißlage dadurch nicht ausgeschlossen oder zumindest so herabgesetzt, dass von einer normalen Entbindungssituation ausgegangen werden kann. Daher muss der geburtsleitende Arzt die Möglichkeit einer Schnittentbindung hier von sich aus ansprechen49.
4 3a) Auch wenn eine Zweitgebärende, die ihr 1. Kind durch Kaiserschnitt zur Welt gebracht hat, nun eine natürliche Geburt wünscht, muss der Arzt sie im Falle einer Risikolage darüber und auch über die Möglichkeit einer Sectio aufklären.50
Unter diesen Umständen muss der Geburtshelfer der Patientin die mit ihrer Entscheidung verbundenen besonders großen Risiken für das Kind »eindringlich« vor Augen stellen und dies unbedingt dokumentieren, da die Beweislast dafür, rechtzeitig und medizinisch richtig auf die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts hingewiesen zu haben, beim Arzt liegt53.
4 (6) Auch bei eindeutiger Indikation des Kaiserschnitts darf der geburtsleitende Arzt diesen Eingriff nicht gegen den Willen der Gebärenden durchführen.
Denn in diesem Rechtsgüterkonflikt – auf der einen Seite Leben und Gesundheit der Mutter, auf der anderen Seite Leben und körperliche Integrität des Kindes – muss es nach eingehender ärztlicher Beratung die freie Entscheidung der Mutter bleiben, ob sie dem Wohlergehen ihres Kindes den Vorrang einräumt und eigene Interessen zurückstellt oder aber das höhere Letalitätsrisiko der Sectio nicht auf sich nehmen will. Gegen oder ohne den wirklichen bzw. mutmaßlichen Willen der Schwangeren darf jedenfalls kein Arzt Zwangsmaßnahmen durchführen, selbst wenn sie zur Rettung des Lebens und der Gesundheit des Kindes zwingend erforderlich sind, die Ablehnung des Kaiserschnitts also den Tod des Fetus oder eine schwere zerebrale Schädigung des Kindes zur Folge hat54.
4 (7) Gerät die Schwangere bei fortgeschrittenem Geburtsvorgang infolge der erheblichen psychischen und physischen Belastungen, starken Schmerzen und der Einwirkung der verabreichten Schmerzmittel in einen Zustand, in dem sie keine eigenverantwortliche Entscheidung mehr treffen kann, geht die Einwilligungskompetenz nicht auf den Geburtshelfer oder die nächsten Angehörigen, z. B. den Ehepartner, die Eltern oder erwachsenen Kinder über. Denn diese sind nicht etwa ipso iure »gesetzliche Vertreter« der Patientin. Maßgebend ist vielmehr allein der mutmaßliche Wille der Gebärenden.
4 (4) Will der Geburtshelfer von einer zuvor mit der Patientin verabredeten Schnittentbindung abweichen, muss er sie hierüber informieren und die in Betracht gezogenen Alternativen präzise schildern51.
59
Das bedeutet konkret: Der Arzt muss »über die möglichen Entbindungsoperationen, ihre Vorteile und insbesondere über die Risiken und Komplikationen aufklären, und zwar auch, soweit die Komplikation und Gefahr Leben und Gesundheit des noch ungeborenen Kindes betreffen, damit die Patientin für sich und für die Leibesfrucht eine freie Entscheidung treffen kann52«.
4 (5) Eine besonders intensive Aufklärungspflicht gilt dann, wenn die Patientin entgegen ärztlichem Rat und wider alle medizinische Vernunft den Kaiserschnitt ablehnt und der Arzt deshalb eine Zangen- oder Vakuumentbindung vornimmt.
Dieser ist in erster Linie »aus ihren persönlichen Umständen, ihren individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen, nicht aber aus der Sicht des Arztes zu ermitteln55«. Dabei geht der Wille der werdenden Mutter – so der BGH56 – »in Geburtsfällen nicht immer dahin, die höchsten Risiken für das Kind und nur die geringsten für die Mutter einzugehen. Im Hinblick auf die gravierenden Folgen, unter denen das Kind zeitlebens zu leiden hat, wenn sich bei einer 53 54
48 49 50 51 52
OLG Naumburg, MedR 2008, 442. BGH MDR 1989, 437; OLG Oldenburg, MDR 1996, 1134. OLG Koblenz, MedR 2007, 490. BGH NJW 1989, 1538ff. OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2373.
55 56
BGH NJW 1992, 741, 741. LK-Jähnke, § 218 Rdnr. 19, 25; SK-Rudolphi, § 218 Rdnr. 19; Hanack, Gynäkologe 1982, 96, 101; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck § 143 Rdnr. 21; s. auch OLG München, VersR 1994, 2347; kritisch Hiersche, MedR 1983, 63, 65; MedR 1990, 311f. BGH MedR 1988, 248. BGH VersR 1993, 703, 705.
1237 59.2 · Einwilligung der Patientin und ärztliche Aufklärungspflicht
Vaginalgeburt die damit verbundenen Risiken verwirklichen, entscheiden sich zahlreiche Mütter für eine Schnittentbindung, auch wenn diese mit größeren Gefahren für sie selbst verbunden ist«. Um den mutmaßlichen Willen der Patientin zu ermitteln, muss der Geburtshelfer also prüfen, ob sie ihm oder anderen Personen früher Erklärungen abgegeben oder Andeutungen gemacht hat, die Rückschlüsse in die eine oder andere Richtung ermöglichen. Nur wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Patientin anders entschieden hätte, kann man davon ausgehen, dass ihr hypothetischer Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird, praktisch also der ärztlichen Entscheidung entspricht. Besondere Probleme wirft wegen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens die Periduralanalgesie auf. Deshalb ist dringend zu empfehlen, die Aufklärung bezüglich dieser Maßnahme zeitlich so weit wie möglich vorzuziehen und mit dem Anästhesisten abzusprechen (dazu im einzelnen Goeke u. a. Der Gynäkologe 2001, 458).
4 (8) Da die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung ist, kommt es auf die bürgerlich-rechtliche Geschäftsfähigkeit der Schwangeren nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass sie die entsprechende natürliche Einsichts-, Urteils- und Verständnisfähigkeit hat, um die ärztliche Maßnahme, ihre Folgen und das insoweit bestehende Risiko zu ermessen.
Die Einwilligungsfähigkeit zu prüfen, ist Sache des Arztes, wobei er die gesamten Umstände – Alter, physische und psychische Konstitution, Einfluss von Medikamenten, Grad der Verständnisfähigkeit, Herkunft, kulturelle Tradition u. a. – berücksichtigen muss. Eine starre, generelle Altersgrenze lässt sich insoweit nicht angeben, vielmehr hängt das nötige Urteils- und Einsichtsvermögen von den konkreten Umständen des jeweiligen Falles ab. Auch eine 16-jährige Patientin kann bei entsprechendem Reifegrad ausnahmsweise schon einwilligungsfähig sein. Dann kommt es – nach allerdings strittiger Ansicht – allein auf ihre Entscheidung und nicht auch auf die der Eltern an.57
4 (9) Da »bei Entbindungsvorgängen der Arzt zu einem Abbruch und einer späteren Fortsetzung nach Einholung der Einwilligungserklärung nicht in der Lage ist, muss er in der kritischen Phase sofort eine Entscheidung für die eine und gegen die andere Art der Entbindung treffen58«.
Der geburtsleitende Arzt muss deshalb praktisch immer dann, wenn »sein weiteres rechtmäßiges Vorgehen« möglicherweise
(aufgrund konkreter Anhaltspunkte) »von einer besonderen Einwilligung seiner Patientin abhängt, rechtzeitig vorher die für diesen Fall notwendige Einwilligung« einholen. Ist in einer konkreten Situation mit Geburtskomplikationen zu rechnen, ist der Zeitpunkt für die Aufklärung über die geburtshilflichen Alternativen gekommen59. Die verspätete Aufklärung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht immer unwirksam. Die Patientin kann jedoch geltend machen, sie habe sich vor dem Eingriff wegen des psychischen Drucks und der Gesamtumstände nicht mehr frei entscheiden können, sodass den Geburtshelfer im Zivilprozess die Last des Gegenbeweises trifft.
4 (10) Aufklärung und Einwilligung sind formlos gültig.
Zur Wirksamkeit der Einwilligung bedarf es keiner Unterschriften und keines Austausches von Dokumenten. Allein entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs »das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patientin, das möglichst von jedem bürokratischen Formalismus«, z. B. dem Beharren auf einer Unterschrift der Patientin, freibleiben muss60 und nicht durch »Aushändigung« und »Unterzeichnung« von Formularen und Merkblättern ersetzt werden kann61. Denn nur in diesem Gespräch ist es möglich, den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalles in dem notwendigen Umfang Rechnung zu tragen, insbesondere auf die psychische Ausnahmesituation der Patientin Rücksicht zu nehmen. > Die auch heute noch vielfach benutzten Einwilligungserklärungen sind meistens viel zu allgemein abgefasst und weithin inhaltslos62. Ihre Unterzeichnung beweist daher für sich allein noch nicht, dass die Patientin sie auch gelesen und verstanden hat, geschweige denn, dass der Inhalt mit ihr erörtert worden ist.
Sehr zu befürworten ist dagegen das Konzept der Stufenaufklärung nach Weißauer63: Formblätter und Aufklärungsbögen werden zwar teilweise kritisiert, doch ist den Kritikern entgegenzuhalten, dass die Erteilung einer schriftlichen Grundinformation mit einem anschließenden mündlichen Aufklärungsgespräch zum einen sichert, dass die Aufklärung konkret und für die Patientin verständlich ist, und zum anderen das legitime Interesse des Geburtshelfers berücksichtigt, im Streitfall den Nachweis für die umfassende Aufklärung führen zu können. Auch der Bundesgerichtshof hält deshalb »schriftliche Aufzeichnungen im Krankenblatt über die Durchführung des Aufklärungsgesprächs und seinen wesent-
59 60 61
57
58
v. Harder/Erlinger, Der Gynäkologe 2004, 366; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, RdNr. 111 BGH VersR 1993, 703 ff; OLG München, VersR 1994, 1346f.
62 63
BGH a.a. O., S. 705. BGH MedR 1985, 169. BGH a. a. O. OLG München, VersR 1993, 752. Thieme Compliance GmbH, Am Weichselgarten 30, 91058 Erlangen; Herausgeber (Medizinrecht): Ulsenheimer.
59
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Kapitel 59 · Forensik
lichen Inhalt« für »dringend« empfehlenswert64. »Derartige schriftliche Hinweise sind heute weitgehend üblich und haben den Vorteil einer präzisen und umfassenden Beschreibung des Aufklärungsgegenstandes sowie der für den Arzt wesentlichen Beweisbarkeit« (BGH JZ 2000, 901). Insofern dient die Stufenaufklärung in optimaler Weise sowohl den Interessen der Patientin als auch denen des Arztes.
4 (11) Die Aufklärung muss für die Patientin verständlich sein, d. h. unter Verzicht auf die dem Laien unbekannte Fachterminologie in einer dem Bildungsgrad und der u.U. beschränkten Auffassungsgabe der Patientin angepassten »Umgangssprache des täglichen Lebens« erfolgen65. Bei einer nicht deutschmuttersprachigen Patientin ist ggf. eine sprachkundige Person hinzuzuziehen (Dolmetscher, des Deutschen mächtige Verwandte u. a.), um die Gefahr sprachlicher Missverständnisse auszuschließen66. 4 (12) Die Patientin kann auf die Risikoaufklärung ausdrücklich ganz oder teilweise verzichten. Ein »Blankoverzicht« ist jedoch unwirksam. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Patientin Art und Erforderlichkeit des Eingriffs kennt und weiß, dass dieser nicht ohne jedes Risiko ist; anders formuliert: Hat der Patient eine Grundaufklärung (7 oben) erhalten, kann er auf Aufklärung über Einzelheiten des Behandlungsverlaufs und möglicher Komplikationen verzichten67.
59.3
Dokumentationspflicht des Geburtshelfers
Recht auf Einsichtnahme in die Krankenblattunterlagen
59
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs erfordert es der Grundsatz der »Waffengleichheit« im Arztfehlerprozess, dass der Arzt dem klagenden Patienten Aufschluss über sein Vorgehen gibt. Dieser Beweispflicht genügt er durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Der frühere Standpunkt der Rechtsprechung, wonach ärztliche Aufzeichnungen lediglich als »bloße Gedächtnisstütze« des Arztes galten, wurde im Jahre 1978 vom BGH aufgegeben. Die Patientin kann daher von ihrem Geburtshelfer oder vom Träger des Krankenhauses, in dem sie entbunden hat, die Gewährung der persönlichen Einsichtnahme in ihre Krankenunterlagen ohne Angabe von Gründen verlangen, sofern sie hieran, z. B. zur Feststellung eines Behandlungsfehlers, ein Interesse hat und sofern es um die objektiven Befunde, Operationsberichte, Medikation u. a. geht.
64 65 66
67
BGH MedR 1985, 169. OLG Saarbrücken, VersR 1994, 1427, 1428. OLG Frankfurt, VersR 1994, 986, 987; Schlund, MedR 1994, 190; KG AZR 2008, 130 mwN. vgl. Laufs, in: Handbuch des Arztrechts, §64 Rdnr. 18.
Der Arzt ist verpflichtet, diese Einsicht dadurch zu ermöglichen, dass er Fotokopien sämtlicher Unterlagen herstellen lässt, sie mit schriftlicher Bestätigung der Vollständigkeit und Richtigkeit versieht und (wenn er will) gegen Erstattung der Fotokopiekosten der Patientin aushändigt.
Folgen von Dokumentationsmängeln Die unterlassene oder nur lückenhaft vorgenommene Dokumentation stellt keine eigenständige Anspruchsgrundlage für Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche dar. Der Dokumentationsmangel kann jedoch zu Beweiserleichterungen zugunsten der Patientin bzw. – je nach Sachlage – sogar zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes führen. Hierfür ein Beispiel: »Der eine Geburt leitende Arzt ist verpflichtet, die Herztöne des Kindes regelmäßig und sorgfältig zu überwachen. Geschieht dies mittels eines Kardiotokogramms (CTG) und versagt das Gerät, nachdem die Aufzeichnungen zuletzt einen kritischen Zustand angezeigt hatten, so muss der Arzt diesen Umstand und die Ergebnisse seiner anderweitigen (z. B. akustischen) Kontrollen dokumentieren. Fehlt eine Dokumentation, so wird vermutet, dass nach dem Versagen des CTG keine Kontrollen mehr stattgefunden haben68«. > Die Nichtdokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme lässt deren Unterbleiben vermuten69.
Dies bedeutet konkret: Wenn z. B. ein behindertes Kind als Kläger im Prozess vorträgt, bei einer besseren Überwachung hätte die Sauerstoffmangelsituation früher erkannt und schneller bzw. gezielter reagiert und dadurch der zerebrale Hirnschaden wahrscheinlich vermieden werden können, so wird, wenn keinerlei Kontrollmaßnahmen dokumentiert sind, zugunsten des Kindes ihre Nichtvornahme vermutet. Speziell bei der Schulterdystokie muss das Geburtsprotokoll exakte Angaben über das ärztliche Vorgehen enthalten. Sowohl das Auftreten der Schulterdystokie als auch das vom Arzt im Einzelnen gewählte Verfahren zu ihrer Lösung bedürfen der Dokumentation. Anderenfalls, z. B. wenn nur die »entsprechenden Hangriffe« genannt sind, spricht die Vermutung für ein fehlerhaftes Vorgehen des Arztes (OLG Köln VersR 1994, 1424; OLG Stuttgart VersR 1999, 582ff).
Berufspflicht zu ordnungsgemäßer Dokumentation Die ordnungsgemäße Dokumentation gehört gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 M-BOÄ zu den Berufspflichten des Arztes. Über ihre Einhaltung wachen die ärztlichen Berufsgerichte. »Die Pflicht zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens dient ausschließlich der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung bzw. Behandlungsfortführung. Sie ist notwendige Grundlage für die Sicherheit des Patienten in der Behandlung und der Respektierung seines Persönlichkeitsrechts und zielt keinesfalls auf eine Sicherung der Beweise für eine haftungsrechtliche Auseinandersetzung. Diese allein maßgebliche me68 69
OLG Koblenz, MDR 1993, 324. BGH NJW 1983, 333.
1239 59.3 · Dokumentationspflicht des Geburtshelfers
dizinische Seite der Behandlung bestimmt damit auch den Umfang der zu fordernden Dokumentation70«. Obwohl die ordnungsgemäße Dokumentation also v.a. der Kommunikation und Qualitätssicherung in der Medizin dient, in erster Linie also therapeutische Belange im Auge hat,71 darf jedoch der Aspekt der Beweissicherung für den Haftungsprozess wegen der praktisch eminent wichtigen Bedeutung der Dokumentationsmängel nicht aus dem Blickfeld verloren gehen. Außerdem gewinnt die Dokumentation mit der Einführung der DRG unter wirtschaftlichen Aspekten eine erhebliche Relevanz.
Dokumentationspflicht abhängig von der medizinischen Notwendigkeit Voraussetzung für die von der Judikatur dem Patienten zugestandenen Beweiserleichterungen im Falle mangelhafter oder fehlender Dokumentation ist, »dass die Aufzeichnung der Maßnahme geboten war, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren. Eine Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, ist auch nicht aus Rechtsgründen geboten, sodass aus dem Unterbleiben derartiger Aufzeichnungen keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen werden können72«. Ist es also »medizinisch nicht üblich, Kontrolluntersuchungen in den Krankenaufzeichnungen zu dokumentieren, wenn sie ohne positiven Befund geblieben sind, dann kann nicht schon aus dem Schweigen der Dokumentation auf das Unterbleiben entsprechender Untersuchungen geschlossen werden73«. Für selbstverständliche Routinemaßnahmen und den pflegerischen Grundstandard gilt dasselbe.
Zwischenfälle und Komplikationen Bei Zwischenfällen und Komplikationen ist die umfassende sofortige Dokumentation mit der sach- und zeitgerechten Reaktion oftmals nur schwer oder gar nicht zu vereinbaren. Gerade in diesen Notfallsituationen aber ist die Erfüllung der ärztlichen Dokumentationspflicht prozessual wegen des Haftungsrisikos von größter Bedeutung. Umso wichtiger ist es daher, im unmittelbaren Anschluss an den Zwischenfall »ohne schuldhaftes Zögern«, d. h. unverzüglich zeitnah die Ereignisse exakt schriftlich in den Krankenblattunterlagen festzuhalten. Auch können »Mängel bei den Aufzeichnungen in den Krankenunterlagen durch eine nachträglich aus dem Gedächtnis gefertigte Eigendokumentation ausgeglichen werden74«. Spätere Korrekturen sind zulässig, aber nur unter Angabe des Datums der Ergänzung/Änderung.
70 71
72
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OLG Oldenburg, MedR 1992, 114; BGH VersR 1995, 340. Dies betont die Rechtsprechung immer wieder, vgl. OLG Hamm, VersR 2005, 412, 413. BGH MedR 1993, 431; NJW 1989, 2330, 2331; OLG Koblenz MedR 2010, 110. BGH MedR 1993, 430. OLG Oldenburg, MedR 1992, 111.BGH VersR 1995, 340.
Umfang der Dokumentation > Die Dokumentationspflicht erstreckt sich auf die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen sowie auf die wesentlichen Verlaufsdaten75.
Die Anforderungen der Rechtsprechung sind insoweit streng und unterliegen als Rechtsfrage im Einzelfall der richterlichen Beurteilung und Entscheidung76. Die Aufzeichnungen müssen wahr, klar und vollständig sein. Dies bedeutet für die geburtshilfliche Dokumentation z. B.: 4 die schriftliche Aufzeichnung des Aufkärungsgesprächs in seinem wesentlichen Inhalt77, z. B. auch der Weigerung der Patientin, in die Sectio einzuwilligen; 4 die Angabe der exakten Verlaufsdaten und Befunde während der Geburt mit zeitlicher Einordnung; 4 wer, wann, welche Untersuchungen durchgeführt bzw. Maßnahmen getroffen hat; 4 Uhrzeit der Benachrichtigung von Ärzten, ihres Eintreffens im Kreißsaal, eines etwaigen Dienstwechsels der Hebammen oder Ärzte; 4 die Kontrolle mittels des Kardiotokogramms, die genaue Kennzeichnung der CTG-Streifen mit Uhrzeit und Datum; 4 die festgestellte Sauerstoffmangelsituation; 4 die Anwendung etwaiger geburtshilflicher Hilfsmethoden einschließlich Kunsthilfe; 4 der Zustand des Neugeborenen mit Vermerk der ApgarWerte, der pH-Werte und aller Sofortmaßnahmen wie Absaugen, Abnabeln, Intubieren, Beatmen, Puffern usw.; 4 sämtliche Abweichungen von der Standardbehandlung, z. B. Verlegung des Kindes mit Zeitpunkt und Diagnose; 4 im Falle einer geburtshilflichen Notfallsituation der Zeitpunkt der Indikationsstellung und des Beginns der Operation (Sectio); 4 Vermerk über etwaige parallel laufende Entbindungen oder über sonstige unaufschiebbar zu treffende Maßnahmen auf der Abteilung78; 4 exakte Beschreibung des ärztlichen Vorgehens bei Schulterdystokie.
Art und Weise der Dokumentation Die Art und Weise der Dokumentation ist dem Geburtshelfer freigestellt. Sie kann sowohl auf der Karteikarte oder einem sonstigen Blatt schriftlich als auch mit Hilfe von elektronischen Medien (EDV) erfolgen79. Allerdings sollte eine Veränderungssperre nach Eingabe der Daten bestehen und eine Sicherung die unrechtmäßige Verwendung verhindern.80 »Sonographiebefunde können z. B. durchaus auf Videoprinter dokumentiert werden, wenn sichergestellt ist, dass die Bilder zweifelsfrei einer bestimmten Person und einem bestimmten Diagnoseschritt« zuzuordnen sind81. 75 76 77 78 79 80 81
BGH VersR 1995, 340. BGH VersR 1995, 340. OLG Köln, VersR 1988, 127. vgl. dazu Ratzel, Frauenarzt 1991, 163. Deutsch, MedR 1998, 206; OLG Hamm, GesR 2005, 349. vgl. § 10 Abs. 5 BÄO. Ratzel, Der Frauenarzt 1991, 164.
59
1240
Kapitel 59 · Forensik
Die wichtigsten medizinischen Fakten sind in einer für den Fachmann hinreichend verständlichen und klaren Form niederzuschreiben bzw. zu speichern. Es kommt nicht darauf an, ob ein medizinischer Laie die Aufzeichnungen lesen und verstehen kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Arzt selbst oder ein Arztkollege, der die Weiterbehandlung des Patienten übernommen hat, die ärztliche Tätigkeit in ihren einzelnen Schritten nachvollziehen kann.
Juristischer Stellenwert der Dokumentation Allgemein gilt der Grundsatz, dass einer vertrauenswürdigen ärztlichen Dokumentation bis zum Beweis der Unrichtigkeit Glauben zu schenken ist. Die ordnungsgemäße ärztliche Dokumentation hat die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich (BGH MDR 1978, 917). Daraus folgt, dass bei der Beurteilung, ob das ärztliche Handeln lege artis war, grundsätzlich der dokumentierte Behandlungsverlauf zugrunde zu legen ist. Wegen des Urkundscharakters gilt dies insbesondere für die in einer Behandlungskarte des niedergelassenen Arztes geschriebene Dokumentation, es sei denn, sie erweist sich als dürftig und unvollständig82.
Aufbewahrungs- und Verjährungsfrist
59
Die Aufbewahrungsfrist für ärztliche Aufzeichnungen beträgt nach § 10 Abs. 3 der Musterberufsordnung mindestens 10 Jahre, soweit nicht kraft gesetzlicher Vorschrift eine längere Aufbewahrungspflicht besteht83 oder aus sonstigen Gründen geboten ist. Gemäß § 195 BGB beträgt nach der Neuregelung des Verjährungsrechts im Jahr 2002 die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Arztes (Pflegekraft, Hebamme u. a.) Kenntnis erlangte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt hat, wenn sich also für die Patientin das Vorliegen eines Behandlungsfehlers »geradezu aufdrängen« muss, z. B. aufgrund eines Sachverständigengutachtens oder wenn schon ein Blick in die Krankenblattunterlagen auch für den Laien Klarheit bezüglich eines Behandlungsfehlers gebracht hätte. »Anders als bei Behandlungsfehlern trifft den Patienten bei Aufklärungsmängeln eine Erkundigungspflicht zum Umfang der Aufklärungsbedürftigkeit. Dies bedeutet: Der Patient »hat bei einem Fachmann entsprechende Nachfragen über die Aufklärungsbedürftigkeit zu halten. Versäumt er dies nach Auftreten der Dauerschäden, so beginnt die Verjährungsfrist zu laufen«.84 Ohne positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände verjähren die Ansprüche gegen den Geburtshelfer gemäß § 199 Abs. 2 BGB erst in einer Ausschlussfrist von 30 Jahren nach Begehung der pflichtwidrigenHandlungodereinemsonstigenschadenstiftenden Ereignis. Deshalb empfiehlt es sich, die Behandlungsunterlagen zur Sicherheit 30 Jahre – wie bisher – aufzubewahren. 82 83
84
OLG Köln, MDR 1995, 52, 53; OLG Bremen, VersR 2000, 1440. z.B. gemäß § 28 Abs. 4 RöntgVO: 30 Jahre für Behandlungsunterlagen. OLG München, GesR 2006, 119, 120; BGH VersR 2007, 66, 69.
Gerade im Bereich der Geburtsschäden ist es keineswegs selten, dass erst nach vielen Jahren dem Geburtshelfer ein Fehler bei der Geburtsleitung vorgeworfen und daraus Schadensersatzansprüche abgeleitet werden. In einem solchen Fall ist eine gute Dokumentation ein unschätzbarer Beweisvorteil! Allerdings dürfen, wie das OLG Hamm (VersR 2005, 414) zutreffend hervorgehoben hat, dem Arzt keine Beweisnachteile aus dem Fehlen der Dokumentation erwachsen, wenn »aus medizinischen Gründen grundsätzlich keine Notwendigkeit besteht, Behandlungsunterlagen länger als 10 Jahre aufzubewahren«. Denn der Arzt hätte mit Ablauf dieses Zeitraums die Unterlagen (z. B. CTG-Streifen) »ebenso gut vernichten dürfen« ohne »juristisch nachteilige Konsequenzen«.
59.4
Grundlagen der medizinischen Begutachtung
Viele Einzelfragen im Bereich des Arzthaftungsrechts, insbesondere die Frage, ob der Geburtshelfer im konkreten Fall der Patientin den Standard eines erfahrenen Facharztes geboten hat, sind nicht ohne medizinische Gutachter zu entscheiden. Zwar geht es dabei um Rechtsfragen, aber da der Jurist nicht über die nötigen Fachkenntnisse verfügt, hängt das Urteil insoweit letztlich de facto vom Sachverständigen ab. Dieser hat sich daher »weitgehend als eine den Tathergang ermittelnde und die Entscheidung vorprogrammierende Institution etabliert85«. Auch der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der medizinische Standard »nicht ohne Sachverständigengrundlage allein aus eigener rechtlicher Beurteilung heraus« festgelegt werden darf86. Dabei darf das Zivilgericht ein in einem anderen Verfahren (z. B. Strafprozess, Schlichtungsstelle) erstattetes Gutachten verwerten.87 Der großen Bedeutung und hohen Verantwortung des medizinischen Gutachters in Zivil- und Strafverfahren kann der Sachverständige aber nur gerecht werden, wenn er Grundkenntnisse über die zivil- und strafrechtliche Haftung, das Prozess- und Beweisrecht hat und seine verfahrensrechtliche Stellung sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten kennt.88 Aufgaben des Sachverständigen
Aufgaben des Sachverständigen sind: 4 die Vermittlung allgemeiner medizinischer Erfahrungssätze, z. B. von »Standards«, Empfehlungen, Leitlinien und Richtlinien; 4 die Anwendung seines Fachwissens auf einen für erwiesen erachteten Sachverhalt und 4 die eigenständige Ermittlung der für das Gutachten relevanten medizinischen Befunde, Tatsachen und Zusammenhänge. Nicht zu den Aufgaben des Sachverständigen gehören Sachverhaltsermittlungen »auf eigene Faust« oder die Vernehmung 85 86 87 88
Krauß, ZStW 1985, 320. BGH NJW 1995, 776, 777; GesR 2008, 418. BGH GesR 2008, 418. siehe dazu ausführlich Ulsenheimer, Der Anästhesist 2005, 1081ff.
1241 59.4 · Grundlagen der medizinischen Begutachtung
von Zeugen, Parteien oder Beschuldigten. Diese darf der Sachverständige allenfalls anregen, um dann bei ihrer Anhörung durch Gericht oder Staatsanwaltschaft Fragen stellen zu können (§ 80 Abs. 1 StPO, § 355 ZPO). Bindung an den Gutachterauftrag
Die Tätigkeit des Sachverständigen beruht auf dem ihm erteilten Auftrag. Ist dieser unpräzise oder unklar, muss der Gutachter darauf drängen, dass das Beweisthema exakter bzw. verständlicher und klarer gefasst wird. Im Strafverfahren ist der Gutachterauftrag immer umfassend zu verstehen, d. h. alle in Betracht kommenden Pflichtverstöße sind zu prüfen, selbst wenn nur eine ganz konkrete Frage (z. B. nach der Indikation des Eingriffs) gestellt wird. Erkennt der Gutachter, dass das Beweisthema zu eng gefasst ist (z. B. der Fehler nicht bei der Indikation, sondern bei der technischen Durchführung des Eingriffs liegt), muss er dies in seinen Ausführungen deutlich machen und auf die eigentlich entscheidende Frage eingehen. Im Zivilprozess, der vom Sachvortrag der Parteien »lebt«, ist dagegen die Bindung an das vorgegebene Beweisthema stärker. Hier darf der Sachverständige von dem ihm erteilten Auftrag nur abweichen, wenn sich dies aufgrund konkreter Anhaltspunkte förmlich aufdrängt89. Dies bedeutet z. B.: Fragt das Gericht nur nach der Art und Weise der Durchführung des Eingriffs, nicht aber danach, ob dieser als solcher überhaupt medizinisch indiziert war, so hat der Gutachter das nicht sachverständige Gericht darauf hinzuweisen, dass die inkriminierte ärztliche Handlung schon an sich verfehlt oder bedenklich war. Der Gutachter würde jedoch über das Ziel hinausschießen, wenn er auf die Frage nach Behandlungsfehlern in seinem Gutachten auch zur Frage der Aufklärung Stellung nimmt, obwohl etwa der klagende Patient hierzu nichts vorgetragen hat. Ein Befangenheitsantrag der Gegenseite dürfte die Folge sein! Verpflichtung zur Unparteilichkeit
aber in Wirklichkeit niemandem, da seine Schwächen rasch erkannt werden und es damit ohne Beweiswert ist. Das Gebot der Unparteilichkeit zwingt den Sachverständigen bei Lücken in den tatsächlichen Feststellungen oder divergierenden Zeugenaussagen, sein Gutachten alternativ, entsprechend den verschiedenen Möglichkeiten der Beweiswürdigung, aufzubauen. Unklarheiten, Mängel und Widersprüche darf er nicht durch Unterstellungen und Annahmen zugunsten oder ungunsten einer Partei beseitigen, vielmehr muss er sie offenlegen und auf Vervollständigung des Sachverhalts dringen. Leider liest man jedoch im Gegenteil immer wieder in Gutachten von bloßen Vermutungen, Spekulationen und Verdächtigungen, für die in einem wissenschaftlichen Gutachten kein Raum ist. Stellenwert des schriftlichen Vor-Gutachtens
Soweit der Sachverständige ein schriftliches Vorgutachten erstattet hat, muss er dies auf Anordnung des Gerichts im Zivilprozess mündlich erläutern (§ 411 Abs. 3 ZPO) und im Strafprozess entsprechend dem dort geltenden Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip in der Hauptverhandlung vortragen. Eine Bindung an die schriftlichen Ausführungen besteht nicht, sodass bei Kenntnisnahme neuer Tatsachen oder neuer Argumente der Sachverständige u.U. verpflichtet ist, seine zunächst schriftlich abgefasste Auffassung zu revidieren. Dies mag angesichts unserer aller Neigung, »an einer einmal geäußerten Meinung festzuhalten und sie gegen alle Einwände zu verteidigen90«, manchmal nicht leicht sein, muss aber von einem pflichtbewussten Gutachter ebenso verlangt werden wie das Eingeständnis eines sachlichen Fehlers oder Irrtums. Rechtliche Wertungen Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts ist ausschließlich
Aufgabe des Richters. Der Sachverständige muss sich daher davor hüten, rechtliche Wertungen vorzunehmen, selbst wenn er unzulässigerweise etwa gefragt wird, ob ein Verhalten »grob fahrlässig«, »schuldhaft« oder gar »strafbar« sei. Bedauerlicherweise verleiten oftmals Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte den Gutachter durch ihre Fragestellung zu »Rechtsausführungen« – z. B. zur Qualifizierung eines Behandlungsfehlers als »grob« – obwohl der Sachverständige damit seine Kompetenz überschreitet. Denn der »grobe« Behandlungsfehler ist ein Rechtsbegriff, der in der Entscheidungskompetenz des Gerichts liegt.
Der Sachverständige muss als »Richtergehilfe« sein Gutachten streng objektiv, ausschließlich sachbezogen und in jeder Hinsicht vorurteilsfrei erstatten. Anderenfalls kann er wegen »Besorgnis der Befangenheit« abgelehnt werden, wobei schon der Eindruck der Parteilichkeit aus der Sicht eines verständigen Prozessbeteiligten genügt. Wiederholt hat der Bundesgerichtshof betont, dass der medizinische Gutachter seinen beklagten »Kollegen« nicht aus falscher »Standessolidarität« schützen darf. Objektivität geht stets vor Standessolidarität, allerdings auch – wie man heute betonen muss – vor Rivalität, da in der Praxis gar nicht so selten Gutachter auftreten, die dem beklagten oder beschuldigten Arzt besonders kritisch, ja sogar voreingenommen gegenüberstehen und nur »patientenfreundliche« Gutachten kennen. Die Verpflichtung zur Unparteilichkeit gilt auch für das Privat- oder Parteigutachten, das der Sachverständige im Auftrag des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers oder einer Prozesspartei erstattet. Ein »parteiisches, geschöntes Gefälligkeitsgutachten« schadet nur dem Ruf des Gutachters, nützt
Vom Arzt wird weder die »größtmögliche« Sorgfalt noch ein »Maximalstandard« verlangt, wie er vielleicht an Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern den Patienten geboten wird. Deshalb dürfen Gutachter, zumal wenn sie aus dem Kreis der Koryphäen kommen, nicht unbesehen die Maßstäbe und Möglichkeiten ihrer Häuser zugrunde legen, sondern müssen die Anforderungen »an den für diesen Patienten in dieser Situation faktisch erreichbaren Gegebenheiten ausrichten, sofern auch mit ihnen ein zwar nicht optimaler, aber
89
90
BGH VersR 1982, 169.
Berücksichtigung des unterschiedlichen medizinischen Standards
Lürken, NJW 1968, Heft 62.
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1242
Kapitel 59 · Forensik
noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden kann91«. Ein Facharzt schuldet eben ein anderes Maß an Sorgfalt als der Arzt für Allgemeinmedizin, und entsprechende Unterschiede sind auch zwischen dem klinisch tätigen und dem niedergelassenen Arzt und wohl auch zwischen einem kleineren kommunalen Krankenhaus einerseits und einer Universitätsoder Spezialklinik andererseits zu machen92. »In Grenzen ist deshalb der zu fordernde medizinische Standard je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten verschieden93«, weshalb auch Kostenaspekte angesichts der Knappheit der Ressourcen und des Wirtschaftlichkeitsprinzips zu berücksichtigen sind. Angesichts der seit Ende des vorigen Jahrhunderts ausgebrochenen »Leitlinieneuphorie« ist die Stellungnahme des Gutachters zu einer etwa vorhandenen »Leitlinie« oder »Richtlinie« unbedingt notwendig, da »Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden dürfen«.94 Darüber hinaus ist stets zu prüfen, ob die Leitlinie aktuell ist, wann ihre letzte Überarbeitung war, ob sie bereits im Behandlungszeitpunkt vorlag und wie sie, falls ja, seinerzeit lautete. Oftmals bedarf es auch Erläuterungen, Ergänzungen und Klarstellungen.
Intellektuelle Redlichkeit und Verständlichkeit des Gutachtens, fachliche Kompetenz
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Die Überzeugungskraft eines Gutachtens steht und fällt mit seiner intellektuellen Redlichkeit und Verständlichkeit. Gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen, einen »Schulenstreit« mit unterschiedlichen Ansichten, Behandlungsalternativen und verschiedene Therapiekonzepte, so muss in einem objektiven Gutachten alles dies dargelegt und im Einzelnen für den Leser aufbereitet werden. In der Justizpraxis werden jedoch nicht selten Meinungen als sicheres Wissen, Empfehlungen bzw. eigene Forderungen als »allgemeiner Standard« oder anerkannte Leitlinien als »überholt« ausgegeben, den Gutachten keine Literaturbelege beigefügt und apodiktische, z. T. widersprüchliche Feststellungen ohne Hinweis auf vertretbare andere Behandlungsmethoden getroffen. Ein besonders häufiger Mangel in Sachverständigengutachten resultiert aus der Dynamik des medizinischen Fortschritts und der damit zwangsläufig verbundenen wissenschaftlichen Spezialisierung und Subspezialisierung. Diese Umstände bringen es mit sich, dass Gutachter ihre Fachkompetenz überschreiten oder im Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens nicht mehr über den aktuellen Wissensstand verfügen. Mit Sorge ist zu beobachten, dass manche Sachverständige ihre mangelnde Sachkunde für bestimmte Fragen oder Gebiete nicht erkennen (wollen) bzw. nicht den Mut haben, die Übernahme des Gutachtens abzulehnen bzw. zumindest für Teilbereiche einen Spezialisten hinzuzuziehen. »Verständlichkeit« eines Gutachtens bedeutet nicht, dass auf die medizinische Fachsprache gänzlich verzichtet werden 91
92 93 94
BGH NJW 1994, 1596, 1597f.; siehe auch OLG Hamm, GesR 2006, 31, 32. Franzki, MedR 1984, 189. BGH NJW 1994, 1596, 1597f. BGH GesR 2008, 361; OLG Bamberg, GesR 2008, 594, 596.
müsste. Wer aber »den Leser mit einer Flut von unerklärten Begriffen überschüttet« und von der Vorstellung ausgeht, »die souveräne Beherrschung der gutachtlichen Probleme ließe sich am besten durch Schwelgen in der Fachsprache demonstrieren75«, entwertet sein Gutachten und die darin investierte Gedankenarbeit erheblich. Denn wenn ein Richter, Staatsanwalt oder Verfahrensbeteiligter die gutachtlichen Ausführungen nicht ohne klinische Wörterbücher verstehen kann, ist die Gefahr von Missverständnissen ebenso groß wie die Gefahr eines Fehlurteils mit all seinen schlimmen Konsequenzen für die Parteien des Rechtsstreits bzw. den beschuldigten Arzt. Ärztliche Verpflichtung zur Gutachtenerstattung Alle approbierten Ärzte sind nach den einschlägigen Gesetzesregelungen verpflichtet, sich dem Gericht, der Staatsan-
waltschaft und – unter bestimmten Voraussetzungen – auch der Verteidigung als Sachverständige zur Verfügung zu stellen. Für die Ablehnung eines Gutachtenauftrags müssen zwingende sachliche Gründe vorgebracht werden, z. B. Arbeitsüberlastung, Befangenheit, mangelnde Sachkunde u. a. Ein besonders »wunder« Punkt in der Praxis ist die Zeitdauer der Gutachtenerstattung, die oftmals den Grund für die überlangen Arzthaftungsstreitigkeiten bildet. Jeder Sachverständige sollte sich bewusst machen, dass er eine äußerst schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe übernommen hat, die Justiz jedoch gerade auf die erfahrensten und wissenschaftlich qualifiziertesten Ärzte angewiesen ist, um Fehlurteile zu vermeiden, und jeder Prozess für den oder die Betroffene(n) eine ungeheure Belastung darstellt. Die Verweigerungshaltung mancher als Sachverständige prädestinierter Klinikchefs bzw. das Hinausschieben der Erledigung des Gutachterauftrags über mehr als 6 Monate oder gar 1 Jahr bedeutet nicht nur für die Rechtspflege einen Stillstand, sondern für die Beteiligten die Fortdauer der Parteienkonfrontation bzw. für den Beschuldigten weiterhin den psychischen Druck durch ein Strafverfahren. Persönliche Verantwortung des Gutachters > Die Gutachterpflicht ist eine höchstpersönliche. Sie lässt sich daher nicht einfach auf Mitarbeiter oder andere übertragen.
Dies schließt nicht aus, bei der Vorbereitung und Abfassung des Gutachtens wissenschaftliche Mitarbeiter oder sonst geeignete Hilfskräfte hinzuzuziehen, doch muss die persönliche Verantwortung des beauftragten Sachverständigen für das Gutachten insgesamt uneingeschränkt gewahrt bleiben95. Der beauftragte Sachverständige muss also die volle Verantwortung für das Gutachten übernehmen und mit seiner Unterschrift zu erkennen geben, dass er dazu bereit und aufgrund eigener Untersuchungen und Urteilsbildung in der Lage ist. Seit dem 1.8.2002 haftet der gerichtlich bestellte Sachverständige für ein fehlerhaftes Gutachten oder für Fehler bei der Vorbereitung seines Gutachtens gem. § 839a BGB, wenn eine Gerichtsentscheidung auf dem unrichtigen Gutachten beruht, 95
Lenckner, Praxis der Rechtsmedizin, 1986, 658.
1243 59.5 · Praktische Hinweise für das Verhalten nach einem Zwischenfall
dem Sachverständigen grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist und im Vorprozess die Rechtsmittel ausgeschöpft worden sind. Außerdem kann sich der Sachverständige u. a. wegen Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 278 StGB, wegen Meineids (§ 154 StGB) oder fahrlässigen Falscheids (§ 163 StGB), vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage (§ 153 StGB), Geheimnisverrat (§§ 203, 204 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) und v.a. wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) strafbar machen. Ein »Gefälligkeitsgutachten« kann bei entsprechendem Vorsatz schon den Tatbestand des Versuchs der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1, Abs. 4 StGB) erfüllen. Beurteilungszeitpunkt
Die Frage des fachärztlichen Standards ist stets aus der Sicht ex ante zu beurteilen, sodass sich der Sachverständige bei der Begutachtung räumlich, zeitlich und sachlich in den Behandlungszeitpunkt zurückversetzen muss. Konkret ist also zu prüfen, wie sich ein gewissenhafter, erfahrener Geburtshelfer in gleicher Situation, also bei der Geburtsbetreuung der Patientin, anstelle des beklagten oder beschuldigten Arztes verhalten hätte. Später, etwa bei einer Obduktion bekannt gewordene Umstände, nachträgliche Erkenntnisse und neueste, etwa erst im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens publizierte Forschungsergebnisse, Erfahrungen und Beobachtungen haben außer Betracht zu bleiben96. Im Gegensatz dazu muss die Frage des Schadens sowie der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Tod oder Schädigung der Patientin bzw. des Fetus aus der Sicht ex post beantwortet werden, d. h. Grundlage der Beurteilung ist hier der Zeitpunkt der Gutachtenerstattung. Anforderungen an den Nachweis der Kausalität im Zivil- und Strafrecht
Der Sachverständige sollte ferner wissen, dass im Zivil- und Strafrecht unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Kausalität gestellt werden. Jedweder Zweifel an der Ursächlichkeit führt im Strafverfahren zu dessen Einstellung bzw. zum Freispruch des angeklagten Arztes, da der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Tod bzw. dem Gesundheitsschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, d. h. unter Ausschluss vernünftiger, auf Tatsachen gegründeter Zweifel feststehen muss. Im Zivilrecht genügt dagegen ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der »Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen97«, d. h. einer nach allgemeiner Lebenserfahrung gegebenen Wahrscheinlichkeit.
59.5
Praktische Hinweise für das Verhalten nach einem Zwischenfall
Nach einem Zwischenfall, einer Komplikation oder einem Behandlungsmisserfolg sollten zur Vermeidung forensischer Auseinandersetzungen, von Beweisnachteilen und rechtlichen Schwierigkeiten die nachstehenden Empfehlungen beachtet werden. 1. Gespräch mit der Patientin oder ihren Angehörigen
Durchmustert man die einschlägigen Verfahrensakten, zeigt sich signifikant häufig, dass nicht selten ein unbedachtes Wort oder die fehlende Gesprächsbereitschaft die Ursache für Misstrauen und Verdacht bei Patienten oder ihren Angehörigen war und in der Folge dann zu Schadensersatzansprüchen oder einer Strafanzeige geführt hat. Ärzte sollten daher das Gespräch mit den Betroffenen nicht scheuen, sondern ihre unbedingte Bereitschaft zu einer Aussprache sofort signalisieren. Hier liegt vielfach die entscheidende Weichenstellung für den weiteren Verfahrensgang. Das oft befürchtete Risiko des Verlustes des Versicherungsschutzes besteht bei richtigem Vorgehen nicht. Demgegenüber kann ein menschlich vertrauensvolles Gespräch in vielen Fällen einen für alle Beteiligten belastenden Rechtsstreit verhindern98«. Das Gespräch mit der geschädigten Patientin oder ihren Angehörigen ist allerdings oftmals nicht nur schwierig, sondern auch eine zweischneidige Sache und häufig eine Gratwanderung zwischen Selbstbezichtigung und Selbstverteidigung mit der Gefahr der Fehldeutung und von Missverständnissen. > Die Aussprache mit den Geschädigten sollte nicht spontan in der ersten Erregung oder noch unter dem psychischen Druck der Ereignisse folgen, sondern – nach einem sofortigen Gesprächsangebot – in einem gewissen zeitlichen Abstand, sorgfältig vorbereitet, für den Laien verständlich und – aus Beweisgründen – niemals alleine stattfinden. Zu oft werden nämlich Worte missverstanden oder aus bestimmten Formulierungen Schuldeingeständnisse abgeleitet, um sie später dann dem beschuldigten Arzt entgegenzuhalten.
Betrifft deshalb der Zwischenfall den Oberarzt oder Assistenzarzt, ist der Chefarzt der Abteilung gefordert, das Gespräch mit der Patientin oder ihren Angehörigen zu führen, zumindest aber daran teilzunehmen. Ereignet sich der Zwischenfall in der Praxis, sollte man unbedingt einen Kollegen oder die Sprechstundenhilfe als Zeugen hinzuziehen. 2. Meldung des Schadens > Unverzügliche Meldung jedes Schadensereignisses, das Haftpflichtansprüche zur Folge haben könnte, an den Haftpflichtversicherer, die Krankenhausverwaltung und ggf. den Vorgesetzten bzw. den für die Behandlung der Patientin Verantwortlichen.
96 97
Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rdnr. 19. Rumler-Detzel, in: FS für Steffen 1995, S. 375.
98
BGH NJW 1970, 946, 948.
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1244
Kapitel 59 · Forensik
3. Schriftliche Stellungnahme
Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu dem Vorfall bzw. den erhobenen Vorwürfen gegenüber dem Haftpflichtversicherer, der Krankenhausverwaltung und dem Vorgesetzten bzw. dem für die Behandlung der Patientin Verantwortlichen. Dabei ist zu beachten: Da bei Todesfällen und Körperschäden die Einleitung eines Strafverfahrens möglich ist, können sämtliche Unterlagen beschlagnahmt und die Adressaten des Berichts als Zeugen vernommen werden. Alles, was der Arzt also freimütig und wahrheitsgemäß hier offenbart, wie es seine versicherungs- und arbeitsrechtliche Verpflichtung ist, kann auf diese Weise zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen und ggf. zu seinen Ungunsten verwandt werden. > Mitteilungen an die Haftpflichtversicherung, die Krankenhausverwaltung und den Vorgesetzten sollten sich ausschließlich auf die Schilderung des Tatbestandes – ohne alle Wertungen – beschränken, d. h. auf den tatsächlichen Geschehensablauf, die objektive Chronologie der Ereignisse, ohne eigene Beurteilung, subjektive Meinungsäußerungen, Vermutungen, Spekulationen, Schuldeingeständnisse oder Schuldzuweisungen, kurzum: auf reinen Tatsachenvortrag, wie er sich aus den Krankenblattunterlagen (z. B. dem Geburtsprotokoll, dem Operationsbericht u. a.) ergibt. 4. Regulierungsvollmacht des Versicherers
59
Nach § 5 Nr. 7 AHB (Allgemeine Haftpflichtbedingungen) »gilt der Versicherer als bevollmächtigt, alle zur Beilegung oder Abwehr des Anspruchs ihm zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherers abzugeben«. Der Versicherer ist also ermächtigt, alle mit der Schadenregulierung zusammenhängenden Maßnahmen zu treffen und den Versicherungsnehmer (Arzt) anzuweisen, sich entsprechend zu verhalten. Kraft seiner Regulierungsvollmacht hat der Haftpflichtversicherer das Recht, Schadenersatz zu leisten, den Anspruch des Patienten nicht anzuerkennen und den Rechtsweg auszuschöpfen, also den Rechtsstreit durch mehrere Instanzen zu führen. Daher ist es verfehlt, insoweit selbstständig tätig zu werden, vielmehr ist jegliche Korrespondenz mit dem Patienten bzw. dessen Anwalt dem Versicherer zu überlassen. Die Einschaltung eines »eigenen« Rechtsanwalts ist dem Arzt zwar nicht verboten, doch muss der Versicherer, wenn er damit sachlich oder im Hinblick auf die Person des anwaltlichen Beraters nicht einverstanden ist, die Anwaltskosten nicht übernehmen. 5. Anerkenntnisverbot des Haftpflichtanspruchs
Dem Anspruchsteller (Patientin, Kind) sind auf dessen Wunsch die Anschrift des Haftpflichtversicherers mitzuteilen und die Krankenunterlagen in Fotokopie zu übermitteln. Das frühere Verbot, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Haftpflichtanspruch ganz, teilweise oder vergleichsweise anzuerkennen bzw. zu befriedigen, besteht seit dem 1.1.2008 nicht mehr (§ 105 VVG), doch sollte der Arzt tunlichst ein derartiges Anerkenntnis unterlassen, da er sonst bei unbegründeten Ansprüchen selbst haftet.
> Das Recht, ein schuldhaftes Verhalten zu leugnen, ist dem Arzt unbenommen. Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen und an seiner Strafverfolgung durch eigenes Tun mitzuwirken.
Die Empfehlung, sein Verhalten von Anfang an nach einem Zwischenfall so einzurichten, dass daraus für die Verteidigung im Strafverfahren oder in einem Zivilprozess keine Nachteile erwachsen können, steht somit im Einklang mit dem Versicherungsvertrag. Dieser erlaubt dem Arzt auch, dem Patienten auf Befragen pflichtgemäß die Wahrheit zu sagen, selbst wenn dies das Eingeständnis eines Behandlungsfehlers bedeutet. 6. Anwaltszwang vor dem Landgericht
Kommt eine Einigung mit der Patientin/den Eltern des Kindes in den Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung nicht zustande und wird als Folge davon ein Gerichtsverfahren – i.d.R. vor dem Landgericht – anhängig, so muss der Arzt anwaltlich vertreten sein. Denn vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Dabei haben die Haftpflichtversicherungen aufgrund ihrer schon erwähnten Regulierungsvollmacht ein Benennungsrecht, d. h. die Prozessführung wird vom Haftpflichtversicherer übernommen, der auch einen Anwalt beauftragt. Ist der Arzt mit dessen Person nicht einverstanden, so ist es ihm natürlich unbenommen, einen Anwalt seines Vertrauens zu mandatieren, doch hat er die dadurch entstehenden Anwaltskosten dann selbst zu tragen, wenn die Versicherung an »ihrem« Prozessvertreter festhalten sollte. 7. Natürlicher und nicht natürlicher Tod
Handelt es sich um einen Zwischenfall mit tödlichem Ausgang und lässt sich bei der Leichenschau ein strafbares Verhalten als Todesursache nicht von vornherein sicher ausschließen, sollte man auf dem Leichenschauschein im Zweifel die Todesursache als »ungeklärt« bezeichnen und die endgültige Feststellung dem Obduzenten bzw. Pathologen überlassen. ! Mit Nachdruck ist davor zu warnen, trotz gegenteiliger Anhaltspunkte eine »natürliche« Todesursache auf dem Leichenschauschein anzugeben, da ein solches Vertuschungsmanöver den Fall von vorneherein »in ein schiefes Licht« bringt und sogar zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann (Begünstigung bzw. versuchte Begünstigung gemäß § 258 Abs. 1, Abs. 4 StGB).
Im Hinblick auf die Manipulationsversuchung des Arztes, der in den Zwischenfall verwickelt ist und möglicherweise durch eine ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung den Tod der Patientin (des Kindes) verursacht hat, ist in manchen Bundesländern eine generelle Anzeigepflicht unnatürlicher Todesfälle gegenüber der Polizei nicht statuiert bzw. es wird dem Arzt das Recht eingeräumt, die Leichenschau zu verweigern, wenn sie ihn oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Um derartige Konfliktsituationen von vornherein zu vermeiden, sollte man im Krankenhaus stets dafür Sorge tragen, dass, soweit irgend möglich, die Todesbescheinigung ein Arzt
1245 59.5 · Praktische Hinweise für das Verhalten nach einem Zwischenfall
ausfüllt, der in den Zwischenfall nicht involviert, sondern sozusagen »neutral« ist. > Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft bei ungeklärter oder nicht eindeutiger natürlicher Todesursache ist eine Rechtspflicht, die sich aus gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen (Vertragsarztrecht, Vertrag mit dem öffentlich rechtlichen Krankenhausträger) ergibt99.
Unberührt davon bleibt der eherne Grundsatz, dass – von Ausnahmen abgesehen – niemand zur Aufdeckung eigenen Fehlverhaltens verpflichtet ist100. Nur dann, wenn der ärztliche Behandlungsfehler zu einem erheblichen Gesundheitsschaden des Patienten geführt hat und Weiterungen zu befürchten sind, also eine Nachbehandlung oder gar ein operativer Eingriff erforderlich ist, muss dem Patienten bzw. dem nachbehandelnden Arzt »reiner Wein eingeschenkt«, d. h. das Fehlverhalten bzw. der diesem zugrunde liegende Sachverhalt mitgeteilt werden. Offenbarungspflichten aus therapeutischen Gründen bedürfen somit stets der exakten Prüfung im konkreten Einzelfall. 8. Fahrlässige Körperverletzung
In Fällen fahrlässiger Körperverletzung müssen weder der betroffene Arzt noch sein Dienstvorgesetzter oder ein anderer Arzt der Staatsanwaltschaft oder Polizei eine Meldung machen. Denn die fahrlässige Körperverletzung ist ein so genanntes relatives Antragsdelikt, d. h. die Ermittlungen werden nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen vorgenommen, während sie im Grundsatz von einem Strafantrag des bzw. der Verletzten abhängen, der/die auch selbst im Wege der so genannten Privatklage die Strafverfolgung betreiben kann (§229, 230 StGB). 9. Beweissicherungsmaßnahmen
Jeder Betroffene sollte für sich persönlich genaue Aufzeichnungen über den Ablauf des Zwischenfalls, markante Zeitpunkte, die Länge bestimmter Zeitphasen, die beteiligten Personen, Besonderheiten in der Person der Patientin (des Kindes), Auffälligkeiten im Umfeld und dergleichen machen. Da diese Unterlagen allerdings beschlagnahmt werden können, müssen sie vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden sicher aufbewahrt werden. Außerdem sollte man stets sofort Fotokopien der Krankenblattunterlagen und Duplikate von Röntgenaufnahmen anfertigen. Denn wenn es zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren kommt, erhält der Beschuldigte selbst keine Akteneinsicht, sondern kann diese nur über seinen Verteidiger erlangen, und selbst dann besteht ein Rechtsanspruch erst nach Abschluss der Ermittlungen (§147 Abs 2 StPO).
99
100
vgl. Lippert, MedR 1987, 176; Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, S. 6. Gubernatis, JZ 192, 363, 365; Uhlenbruck, Rheinisches Ärzteblatt 1987, 114.
10. Sektion nach tödlichem Zwischenfall > Werden von den Angehörigen nach einem tödlichen Zwischenfall grundlos Vorwürfe erhoben, sollte der Beschuldigte unbedingt bei der Staatsanwaltschaft eine Sektion beantragen.
Weder eine drohende Zivilklage noch der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen rechtfertigen ein eigenmächtiges Vorgehen, also den Verzicht auf die behördliche Anordnung. »Vielfach erhalten allerdings die Krankenhausaufnahmeverträge in den allgemeinen Vertragsbestimmungen« Sektionsklauseln, mit deren Unterzeichnung der Patient sein Einverständnis mit der inneren Leichenschau (Leichenöffnung) vorab erklärt. Derartige vorformulierte Sektionseinwilligungen sind bei aus ärztlicher Sicht notwendiger Feststellung der Todesursache oder bei wissenschaftlichem Interesse rechtlich zulässig101«. 11. Keine Beeinflussung von Zeugen, keine Fälschung und Vernichtung von Beweismaterial
Eigentlich selbstverständlich, aber aus gegebenem Anlass nochmals zu betonen ist der Hinweis, dass Zeugen nicht beeinflusst werden dürfen. Davon abgesehen sollte derjenige, der polizeiliche bzw. staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen seine Person nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt für ausgeschlossen erachtet, äußerste Zurückhaltung im Gespräch mit Kollegen und dem nicht ärztlichen Personal üben. Das gilt auch für die Teilnahme an Zwischenfallkonferenzen oder die Unterzeichnung so genannter Gemeinschaftsprotokolle. ! Selbstverständlich dürfen die vorliegenden schriftlichen Krankenblattunterlagen nicht nachträglich geändert bzw. Beweismittel vernichtet oder unterdrückt werden. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Urkundenfälschung bzw. -unterdrückung (§§267, 274 Nr 1 StGB). 12. Informatorische Befragungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft
Kommt es unmittelbar nach einem Zwischenfall zu informatorischen Befragungen durch Polizei oder Staatsanwaltschaft, ohne dass überhaupt schon feststeht, ob eine strafbare Handlung vorliegt bzw. gegen wen sich der Tatverdacht richten könnte, ist der in den Vorfall verwickelte Arzt zunächst Zeuge. Als solcher trifft ihn grundsätzlich die Pflicht auszusagen, und zwar wahrheitsgemäß. Nach § 55 StPO kann er jedoch die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren wahrheitsgemäße Beantwortung ihn der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Obwohl der »verdächtige« Zeuge auf diese Bestimmung vom Vernehmungsbeamten hinzuweisen ist, wird in der Praxis oftmals hiergegen verstoßen, ohne dass sich daraus aber irgendwelche rechtlichen Konsequenzen ergeben. Jeder möglicherweise von dem Fehlervorwurf betroffene Arzt ist daher gut beraten, im Frühstadium der Ermittlungen den Bereich des 101
BGH NJW 1990, 2313 m. Anm. Deutsch.
59
1246
Kapitel 59 · Forensik
Auskunftsverweigerungsrechts weit zu ziehen, u.U. die Aus-
sage im Hinblick auf § 55 StPO sogar ganz zu verweigern. Unbedachte und vorschnelle, im Ergebnis belastende Angaben in diesem Stadium erschweren die Verteidigung oftmals außerordentlich, da das früher Gesagte im weiteren Verfahrensverlauf gegen den beschuldigten Arzt verwertbar ist. Vermag der Arzt dagegen durch seine Aussage sofort und einwandfrei seine Unschuld zu beweisen, sollte er sich zur Sache äußern und nicht durch einen Rückzug auf formale Rechtspositionen möglicherweise unnötigen Verdacht erregen. 13. Verhalten als Beschuldigter
Wer formell von der Staatsanwaltschaft mit dem Vorwurf konfrontiert wird, für den Tod oder die Körperverletzung einer Patientin verantwortlich zu sein, ist »Beschuldigter«. In dieser Position ist dringend davon abzuraten, mündliche Erklärungen zur Sache abzugeben. Wie die Erfahrung nämlich gezeigt hat, ist die Gefahr von Missverständnissen, Irrtümern und Ungenauigkeiten bei der Aufzeichnung der Angaben außerordentlich groß. > Der Beschuldigte sollte stets nur schriftlich – nach vorheriger rechtlicher Prüfung und Akteneinsicht über den Verteidiger – zur Sache Stellung nehmen.
Dies ist mit Nachdruck – gegen manch anderen juristischen Rat – zu empfehlen, da mit einer substanziell fundierten, oftmals durch ein fachspezifisches Gutachten unterlegten Schutzschrift der weitere Gang des Verfahrens entscheidend in Richtung »Einstellung« gefördert werden kann. > Das Zurückhalten von Argumenten und Tatsachen oder die Aufbewahrung von vermeintlichen »Überraschungseffekten« für die Hauptverhandlung ist in Arztstrafsachen ein schwerer anwaltlicher »Kunstfehler«.
59
Das Hauptziel der Verteidigung muss es sein, die Erhebung der Anklage mit nachfolgender öffentlicher Hauptverhandlung mit allen zulässigen Mitteln zu vermeiden102. Tipp Diese Verhaltensempfehlungen sind keine starren Regeln, sondern stellen vielfach erprobte und in der Praxis bewährte allgemeine Hinweise dar, mit denen forensischen Auseinandersetzungen vorgebeugt und die Verteidigung in Arztstrafsachen vernünftig gestaltet werden kann.
102
vgl. zum ganzen Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rdnr. 425ff.
60 60 Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines) K. T. M. Schneider
H. Schneider et al. (eds.), Die Geburtshilfe © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1248
Kapitel 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Auch in der 4. Auflage werden in diesem Lehrbuch Empfehlungen und Guidelines nationaler und internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften dargestellt. Dabei wurden nur die Empfehlungen/Guidelines aufgenommen, deren Erstpublikation bzw. Revision im Jahr 2003 und später stattgefunden haben. Die vorliegende Sammlung hat nur Stichwortcharakter, soll aber durch Quellenangaben, v.a. durch die Nennung der Internetadressen, dem interessierten Leser mittels elektronischer Medien einen raschen Zugriff zu den Spezialfragen im Bereich der Geburtshilfe ermöglichen. Gerade bei kontrovers diskutierten Themen, bei der Suche nach einer möglichst breit validierten wissenschaftlichen Erkenntnis und vor einem auch juristisch eingeforderten medizinischen Wissen, das Evidenz und Aktualität beinhalten soll, hilft diese Sammlung wegen der ständig fortgeführten Revisionen der Leitlinien auch noch nach dem Erscheinen dieser Auflage dieses Lehrbuches weiter. Die Titel sind alphabetisch in der Landessprache aufgeführt. Zugunsten der erleichterten Auffindung ähnlicher Themen erfolgte gelegentlich eine Umstellung bzw. Abkürzung des Titels. Das Erscheinungsjahr gibt die Erstpublikation bzw. das Revisionsjahr (R)/Validierung (V), d. h. Bestätigung der Gültigkeit in Klammern wieder.
60
Die Institution ist der Auftraggeber der Leitlinie/ Empfehlung. Im Regelfall handelt es sich hierbei um eine wissenschaftliche Gesellschaft. In erster Linie wurden nur Leitlinien aufgenommen, deren Erstellung die Evidenzlage der Literatur (z. B. nach RCOG-Kriterien) berücksichtigt. Bei Empfehlungen wurde manchmal hiervon abgewichen. Von den Autoren ist aus Platzgründen nur der Erstautor genannt. Bei den Quellenangaben erfolgt zunächst der Publikationshinweis, danach die Internetadresse, die Zugang zu dieser Leitlinie gewährt. Hier finden sich oft Hinweise auf weitere Links und die Möglichkeit des Herunterladens der Leitlinie. Es sind bevorzugt nur die Internetadressen, die für den Zugang keine Mitgliedschaft erfordern und kostenfrei sind, angegeben. Auch können dort weitere Themen gefunden werden, die in dieser Aufstellung nicht enthalten sind, da hier nur die Leitlinien ab 2003 berücksichtigt sind. Die Herausgeber sind dankbar für zusätzliche Hinweise der Leser, die diese Sammlung in der Zukunft noch weiter verbessern werden.
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Abortion induced, care of women
2004 (R)
RCOG29
RCOG
National Evidence based Clinical Guideline www.rcog.org.uk
Abortion, clinical policy guidelines
2008 (R)
NAF22
NAF
National Abortion Federation (NAF). 2008, 62 pp www.guideline.gov No 006446
Alcohol syndrome, fetal, referral and diagnosis
2004
CDC12
Bertrand
Fetal alcohol syndrome: guidelines for referral and diagnosis. Atlanta (GA): Centers for Disease Control and Prevention (CDC); 2004 Jul. 50 pp www.guideline.gov No 003922
Alloimmunization during pregnancy: management of
2006
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 005703
Amniocentesis and chorionic villus sampling
2005 (R)
RCOG29
RCOG
National Evidence based Clinical Routine Guideline www.rcog.org.uk No 8
Antenatal care for the healthy pregnant women
2008 (R)
RCOG29
RCOG
National evidence based clinical routine guideline www.rcog.org.uk
Antenatal corticosteroids to prevent respiratory distress syndrome
2005 (R)
RCOG29
RCOG
No 7 www.rcog.org.uk
Antepartum fetal surveillance
2004 (V)
ACOG3
ACOG
ACOG practice bulletin; No 9 www.guideline.gov No 003097
Antimykotische Therapie Schwangerer
2008 (V)
AGII6
AGII
AWMF 015/028 (S1) www.dggg.de
Antiphospholipid Syndrome
2005
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 005708
Asthma in pregnancy
2008
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 006538
2008 (V)
DGGG16,
Bakterielle Vaginose in Gynäkologie und Geburtshilfe
6
AGII6
AWMF 015/028 (S1) www.dggg.de
1249 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Bacterial vaginosis in pregnancy to prevent preterm delivery
2008 (R)
USPSTF30
USPSTF
www.guideline.gov No 006227
Beckenendlage, Geburt bei
2008 (V)
DGGG16 AGMFM7
DGGG
AWMF 015/051 (S1) www.dggg.de
Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe
2008 (R)
DGGG16 AGMR8
DGGG
AWMF 015/043 (S1) www.dggg.de
Blasensprung, vorzeitiger, Vorgehen
2008 (V)
DGGG16 AGII6 AGMFM7
DGGG
AWMF 015/029 (S1), Aktualität bestätigt August 2008 www.dggg.de
Birth after previous caesarean birth
2007
RCOG29
RCOG
No 45 www.rcog.org.uk
Blood transfusion in obstetrics
2008 (R)
RCOG29
RCOG
No 47 www.rcog.org.uk
Blutungen peripartale, Diagnose und Therapie
2008
DGGG16
DGGG
AWMF 015/063 (S1) www.dggg.de
Breastfeeding and the use of human milk
2005 (R)
AAP1
Gartner
Breastfeeding and the use of human milk. Pediatrics 2005 Feb; 115 (2): 496–506 [216 references] PubMed: www.guideline.gov No 004072
Breech presentation the management of
2006 (R)
RCOG29
RCOG
No 20b www.rcog.org.uk
Breech presentation or previous caesarean, care of women
2004
NZGG26
NZGG
www.guideline.gov No 003986
Caesarean section
2004
NICE24
Cholestasis, obstetric
2006
RCOG29
RCOG
No 43 www.rcog.org.uk
Chlamydia-trachomatis-Infektionen in der Schwangerschaft
2008 (V)
DGGG16, DGPM17 AGII6
AGII
Aktualisiert: Juni 2004 www.dggg.de
Cord blood banking for potential future transplantation
2007
AAP1
AAP
www.guideline.gov No 005435
CTG, Anwendung während der Schwangerschaft und Geburt
2008 (V)
DGGG16 DGPM17, AGMFM7
Schneider
AWMF 015/036 (S1) www.dggg.de
Diabetes und Schwangerschaft
2008 (R)
DDG13
Scherbaum
AWMF 057/073 (S3) www.dggg.de
Dokumentation der Geburt – das Partogramm
2008 (V)
DGGG16, DGPM17, AGMFM7
Doppler-Sonographie in der Schwangerschaft
2008 (V)
AGMFM7
Schneider
AWMF 015/019 (S1) www.dggg.de
Early pregnancy loss, the management of
2006
RCOG29
RCOG
No 25 www.rcog.org.uk
6
2004 Apr. 142 pp [688 references] www.guideline.gov No 003544
Frauenarzt 39 (1998), AWMF 015/017 (S1). Neu bearbeitet Juni 2004 www.dggg.de
60
1250
60
Kapitel 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Ectopic pregnancy, management of
2008 (R)
ACOG3
ACOG
ACOG practice bulletin No 3 www.guideline.gov 006533
EE-Zeit Stellungnahme zur erlaubten Zeit zwischen Indikationsstellung und Sectio
2008 (V)
DGGG16
DGGG
www.dggg.de
Electronic Fetal Monitoring, the use of
2008
NICE24
NICE
No 70 www.rcog.org.uk
Endoscopy in pregnant and lactating women
2005
ASGE10
Qureshi
ASGE guideline: guidelines for endoscopy in pregnant and lactating women www.guideline.gov No 004189
Episiotomy
2006
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 005706
External cephalic version and reducing the incidence of breech presentation
2006
RCOG29
RCOG
No 20a www.rcog.org.uk
Fetal chromosomal abnormalities, screening
2007
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 005701
Fetal lung maturity
2008
ACOG3
ACOG
ACOG practice bulletin; No 97
Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit des Kindes
2008 (V)
DGGG16
Genital herpes, management of in pregnancy
2007
RCOG29
Gestationsdiabetes, Diagnostik und Therapie
2008
DDG13, AGMFM7, DGPM17
Hemoglobinopathies in pregnancy
2007
ACOG3
Hepatitis C und Stillen, Empfehlung
2008 (R)
NSK25
Herpes in pregnancy, management
2007 (R)
ACOG3
HIV-Screening: recommendation statement
2005 (R)
PHSTF27
HIV Therapie in der Schwangerschaft und beim HIV infizierten Neugeborenen
2008 (R)
DGGG16
DGGG
AWMF 055/52 (S2) www.dggg.de
Home births
2007
RCOG29
RCOG RCOM
Joint statement No 2 www.rcog.org.uk
Hypertensive Schwangerschafts Erkrankungen, Diagnose und Therapie
2008
DGGG16
DGGG
AWMF 015/018 (S2) www.dggg.de
Indikationen zur Einweisung von Schwangeren in Krankenhäuser der adäquaten Versorgungsstufe
2008 (V)
DGGG16 DGPM17 GNPI20
DGGG
AWMF 024/001 (S1) www.dgg.de
6
AWMF 024/019 www.dggg.de
DGPM17 GNPI20 RCOG
No 30 www.rcog.org.uk Frauenarzt 42 (2001), 891 ff., AWMF 057/008 (S1) www.dggg.de
ACOG
www.guideline.gov No 005700
Nationale Stillkommission am Bundesinstitut, Risikobewertung, 2008 www.dggg.de ACOG
2007 ACOG practice bulletin; No 8 www.guideline.gov No 005948 Ann Intern Med 2005 Jul 5; 143 (1): 32–37 PubMed: www.guideline.gov No 004292
1251 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Kortikosteroide antenatale, zur Lungenreifung (ACS)
2008 (V)
DGGG16 DGPM17
DGGG
www.dggg.de
Labor, management of
2007 (R)
ICSI21
ICSI
2007 72 pp www.guideline.gov No 005587
Mindestanforderung an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen
2008 (V)
DGGG16
DGGG
www.dggg.de
Neonatal care, levels
2004
AAP1
Stark
Pediatrics 2004 Nov; 114 (5): 1341–1347 [47 references] PubMed:www.guideline.gov No 003944
Neonataler Transport aus Geburtskliniken
2008 (V)
GNPI20, DGPM17, DGGG16
Neural tube defects
2003 (R)
ACOG3
Neugeborenes diabetischer Mütter, Leitlinie zur Betreuung
2008 (V)
DGGGBoard16, DGPM17, GNPI20
Frauenarzt 44 (2003), 439 ff. AWMF 024/006 (S1) www.dggg.de
Neugeborenes, Erstversorgung
2008 (V)
DGGG16 DGAI15 DGPM17 GNPI20
AWMF 024/004 (S1). Aktualisiert Juni 2004 www.dggg.de
Neugeborenes, gesundes, Betreuung im Kreißsaal u. Wochenbett (gekürzt)
2008 (V)
DGPM17, GNPI20, DGGG16
AWMF 024/005 (S1) www.dggg.de
Obtaining valid consent
2008
RCOG29
RCOG
No 6 www.rcog.org.uk
Perineal tears, management of third- and fourth-degree
2007
RCOG29
RCOG
No 29 www.rcog.org.uk
Placenta praevia and placenta praevia accreta:diagnosis and management
2006 (R)
RCOG29
RCOG
No 44 www.rcog.org.uk
Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio
2008 (R)
DGGG16 AGMR8
DGGG
AWMF 015/046 (S1) www.dggg.de
Postoperative Überwachung von Kaiserschnittspatientinnen
2008 (R)
AGMR8
AGMR
AWMF 015/056 (S1) www.dggg.de
Postpartum hemorrhage
2006
ACOG3
ACOG
www.guideline.gov No 005702
Prenatal screening and diagnosis
2004
AAP1
Cunniff
Pediatrics 2004 Sep; 114 (3):889–94. [42 for pediatricians references] PubMed: www.guideline.gov No 003852
Preterm labor, management
2003
ACOG3
ACOG
2003 May. 9 pp (ACOG practice bulletin; No 43). [74 references] www.guideline.gov No.003130
6
AWMF 024/002 (S1) www.dggg.de
ACOG
2003 Jul. 11 pp (ACOG practice bulletin; No 44). [81 references] www.guideline.gov No 003131
60
1252
60
Kapitel 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Prostaglandine Anwendung in der Geburtshilfe und Gynäkologie
2008 (V)
DGGG16 AGMFM7
DGGG
AWMF 015/31 (S1) www.dggg.de
Rh (D) incompatibility screening
2008 (V)
USPSTF30
Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) www.guideline.gov No 003455
Routine prenatal care
2008 (R)
ICSI21
2008 August, 89 pp [290 references] www.guideline.gov No 003840
Sectio caesarea, absolute und relative Indikationen, Wunschsectio
2008 (R)
DGGG16 AGMR8
DGGG
AWMF 015/054 www.dggg.de
Severe preeclampsia /eclampsia, the management of
2006
RCOG29
RCOG
No 10a www.rcog.org.uk
Schulterdystokie, Empfehlung zu Erkennung, Prävention und Management
2008 (V)
DGGG16 AGMR8
Shoulder dystocia
2005
RCOG29
RCOG
No 42 www.rcog.org.uk
Streptokokken der Gruppe B, Prophylaxe der Neugeborenensepsis
2008 (V)
DGGG16
AGII6
AWMF 024/020 (S1) www.dggg.de
Stillförderung in Krankenhäusern
2007 (R)
NSK25
Nationale Stillkommission am Bundesinstitut www.dggg.de
Stillen und Rauchen
2004 (V)
NSK25
Nationale Stillkommission am Bundesinstitut Risikobewertung, März 2001, Gültigkeit bestätigt Juni 2004 www.dggg.de
Systemic diseases in pregnancy
2007
FMS19
FMS
EBM-Guidelines. Evidence-Based Medicine (Internet), Helsinki, Finland: Wiley Interscience. John Wiley & Sons; 13.04.2007 www.guideline.gov/summary
Thromboembolic disease in pregnancy and the puerperium: acute management
2007
RCOG29
RCOG
No 28 www.rcog.org.uk
Tocolytic drugs for women in preterm labour
2002
RCOG29
RCOG
No 1b www.rcog.org.uk
Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft, AWMFStandards
2008 (V)
DEGUM14
Rempen
Frauenarzt 42 (2001), 327 ff. www.dggg.de
Ultraschalldiagnostik im Rahmen der Schwangerenvorsorge, Stellungnahme
2008 (V)
DGGG16
AGMR
Frauenarzt 45 (2004), 576 ff. AWMF 015/32 (S1) www.dggg.de
Ultrasound scanning during pregnancy
2008 (R)
FMS19
FMS
www.guideline.gov No 006606
Umbilical cord prolapse
2008
RCOG29
RCOG
No 50 www.rcog.org.uk
Vaginal birth after previous cesarean delivery
2007
RCOG29
RCOG
2007, 17 pp www.guideline.gov No 003986
6
Frauenarzt 39 (1998), 1369 ff. AWMF 015/024 (S1) www.dggg.de
1255
Stichwortverzeichnis A A/B-Ratio 601 Aa. iliacae internae, Ligatur 994 AB0-Inkompatibilität 458 Abdomentransversaldurchmesser (ATD), Dritttrimesterscreening 248 Abdomenumfang (AU) – Dritttrimesterscreening 248 – Gewichtsschätzung 809 – Sonographie 144 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 598, 599 Abdominalgravidität 34 abdominaloperative Geburt 7 Sectio Abnabelung 1067 – FIGO-Richtlinien 1092 – Methoden 700 – Nabelschnurblutgewinnung 1091, 1092 – normale Geburt 700 – Sectio 914 – Wassergeburt 719 – Zeitpunkt 700, 1092 Abort – Alkoholabusus 218 – beginnender 22 – Chlamydia-trachomatisInfektion 420 – Definition 22, 514 – Diabetes mellitus, maternaler 438 – drohender 22 – Folsäure 232 – Frühabort 22 – Frühschwangerschaft 5, 8 – Genussgifte 26 – habitueller 7 – – Anomalie, uterine 24 – – Antiphospholipidantikörper 335 – – Definition 22 – – Diagnostik 29 – – tender loving care 29, 30 – – Therapie 30 – – Ursachen 24, 29 – Hyperemesis gravidarum 225 – Hyperthermie, maternale 87 – Immunologie 27 – Infektion 25, 381 – Koffein 217 – kompletter/inkompletter 23 – Kürettage 23 – Prädisposition, thrombophile 28 – psychologische Aspekte 28 – Rhesusprophylaxe 464
– Risikofaktoren – – (Hyper)emesis gravidarum 277 – – Pränataldiagnostik 166 – Schadstoffe 26 – Schwangerenvorsorguntersuchung, Abortrisiko 126 – septischer 24 – Spätabort, Definition 22 – später, Cerclage 535 – sporadischer 22 – Stress, maternaler 475 – Thromboembolie, venöse (VTE) 368 – Thrombophilie, maternale 373 – Trophoblasteninvasion, unzureichende 10 – Ursachen 24 – vanishing twin 929 – verhaltener (missed abortion) 23 – Windei 23 – Zwillingsschwangerschaft 928 Abortivfrucht 23 Abortus completus/incompletus/ imminens/incipiens 23, 23 Abrasio 7 Kürettage Abruptio 7 Schwangerschaftsabbruch Abruptio placentae – Blutung, postpartale 992 – Hypertonie 309 – Notsectio 1051, 1054 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 595 Absaugen – Adaptationsstörung – – leichte 1071 – – schwere 1075 – Apgar-Schema 1067 – Blut-/Sekretaspiration 1079 – Fruchtwasser, mekoniumhaltiges 1078 – Frühgeborenes 1081 – Mekoniumaspiration 1078 – Neugeborenes, gesundes 1067 – Terminüberschreitung 814 Abstillen 1121 – medikamentöses 1121 – primäres/sekundäres 1119 – Schwangerschaftsabbruch, später 75 Abszess, pelviner 1099 Abtreibung 7 Schwangerschaftsabbruch Abtreibungstourismus 73
Acardius corioangiopagus parasiticus 932 accelarator hypothesis 452 ACE-Hemmer 91, 312 – Teratogenität 96, 438 Acetylhydrolase 477 ACHOIS 444 Achondrogenesis 156 Achondroplasie 86, 127, 156 Aciclovir – Herpes, neonataler 383 – Teratogenität 94 – Varicella-zoster-Virus (VZV) 391 active management of labor (AML) – normale Geburt 697 – Wehentätigkeit, ineffiziente 831 Activin A 324 acute respiratory distress syndrome (ARDS) 1100 ADAMTS13 1017, 1018, 1019 Adaptation, postnatale 1063 – gestörte 1078 – – Beatmung 1071 – – Definition 1063 – – Kreißsaalausstattung 1064, 1065 – – leichte 1071 – – Risikofaktoren 1064 – – schwere 1075 – physiologische – – Atmung 1066 – – Definition 1063 – – Thermoregulation 1066 Adenylzyklase 519, 520 Adipositas, kindliche – Diabetes mellitus, maternaler 452 – Gestationsdiabetes 451 – Programmierung, fetale 620 – Stillen 629 Adipositas, maternale – Abortrisiko 26 – Auswirkungen 300, 301, 302 – Blasensprung, früher vorzeitiger 558 – Definition 300 – Diabetes mellitus, maternaler 216, 437 – – Geburtsmodus 974 – Eingriff, bariatrischer 186 – Ernährung, maternale 216 – Fertilität 300 – Gestationsalter, Bestimmung 809 – Gestationsdiabetesscreening 186
– Gewichtszunahme, maternale, in der Schwangerschaft 185, 226 – Hypertonie 310 – Mortalität, neonatale 1202 – Postpartalperiode 1128 – Risiko, geburtshilfliches 186 – Schulterdystokie 971 – Thrombophilie 369 Adipozytokine 437 Adnexitis, Extrauteringravidität 42 adrenogenitales Syndrom (AGS) – Erbgang 86 – Late-onset-AGS 624 – Programmierung, fetale 624 Adverse Event 1185 AFI-Index 605 Agalaktie 1117 Agammaglobulinämie 86 Agenesie 146, 147 Aids 7 HIV Akrosom 5 Aktin 481 Aktionsschwelle 121 Aktiv-Schlaf, fetaler 662 Aktiv-wach-Zustand, fetaler 662, 736 Aktivphase 822 – normale Geburt 689 – protrahierte 827 Akupressur, Wehenschwäche 827 Akupunktur 1156 Akutsectio 7 Notsectio Akuttokolyse, Kontraindikationen 761 Akzelerationsphase – normale Geburt 689 – protrahierte 827 Alaninaminotransferase (ALAT) 330 ALARA-Prinzip 669 Albumin-Globulin-Quotient 185 Albumine, physiologische Veränderungen 182 Alfentanil 102, 1030 alkalische Phosphatase, physiologische Veränderungen 182 Alkoholabusus, maternaler – Abhängigkeit/Menge 217, 218 – Alkoholsyndrom, fetales 87 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 – Auswirkungen 87, 217 – Beratung, ärztliche 218 – Frühgeburt(lichkeit) 26, 529
A
1256
Stichwortverzeichnis
Alkoholabusus, maternaler – Intelligenzdefekt, kindlicher 85 – Stillen 1121 – Vitamin B1-Mangel, kindlicher 231 Alkoholembryopathie 217 allelspezifische PCR 170 Allergie, maternale, Antiallergika 103 Allgemeinanästhesie – Sectio 1040 – – Beatmung 1040, 1043 – – Überwachung, maternale 1044 – vaginaloperative Geburt 883 Alloimmunerkrankung – Definition 458 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 Alloimmunthrombopenie (AITP) 467 α-β-Blocker 312 α-Fetoprotein (AFP) 136, 324 – Fehlbildungsdiagnostik 92 – Placenta accreta 997 – Überwachung, antepartale 668 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 601 α-Linolinsäure 227, 239 α2-Rezeptorenblocker 311 α-Thalassämie 354 Alter, maternales – Auswirkungen 299 – Depression, postpartale 1126 – Geburtseinleitung 784 – Geburtsmodus 826 – höheres – – Definition 299 – – Schwangerschafts-/Geburtsmanagement 299 – Mortalität, maternale 1214 – Postpartalperiode, Grunderkrankungen 1126 – Risikoschwangerschaft 784 – Schulterdystokie 972 – Thromboembolie, venöse (VTE) 364 – Urininkontinenz 892 – Wehenschwäche 826 Alvarez-Welle – Definition 732 – Überwachung, antepartale 652 – Überwachung, intrapartale 732 Alveoli mammae, physiologische Veränderungen 179 Amantadin 94 Ambroxol, Lungenreife 543 ambulante Geburt 1086 Amenorrhö – Kürettage 996
– Stillen 1108 Aminoglykoside, Teratogenität 93 Aminosäuren, Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 602, 605 Amiodaron 582 Amnion – Aufbau 492, 796 – Gasinsufflation, Pränatalchirurgie, fetoskopische 578 – Spätschwangerschaft 796 – Wehentätigkeit 517 Amnion-Fluid-Index (AFI), Beckenendlage (BEL) 947 Amnionband 574 – Amputation 157 Amnionhöhle 6, 7 Amnioninfektionssyndrom (AIS) 699, 1015 – Blasensprung, vorzeitiger 799 – – früher 565 – Geburtsbeendigung 737 – intrapartal 764 – Therapie 800 Amnioninfusion 566 – Bolus 765 – Indikationen 766 – kontinuierliche 766 – Nutzen 767 – Risiken, Komplikationen 766 – Terminüberschreitung 814 – Zeitpunkt 765 Amnioskopie 751 Amniotic-fluid-Index (AFI) – intrapartal 764 – Non-Stress-Test (NST) 658 – Normwerte 260 – Oligohydramnion 666 – Profil, biophyskalisches (BPP) 665 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 605 – Wehenbelastungstest 658 Amniotomie 765 – Auslösung 785 – Durchführung 851 – Effektivität 696 – Geburtseinleitung 786 – Latenzphase, protrahierte 828 – Nabelschnur 830 – Vasa-praevia-Blutung 638 – Zeitpunkt 830 Amniozentese 128 – Amnioninfektionssyndrom (AIS) 565 – Aneuploidie 167 – Arzneimittelexposition 92 – Blasensprung, früher vorzeitiger 558, 561 – Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) 168 – Frühgeburt(lichkeit) 537, 540
– – – – –
Insulinbestimmung 447 Leitlinie, geburtshilfliche 1248 Lungenreifediagnostik 540 Rhesusprophylaxe 464 Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 605 – Zwillingsschwangerschaft 933 AMP, zyklisches 519 Amphetaminabusus 88 Amphotericin B 95 Amputation in utero 157 Analatresie, Versorgung des Neugeborenen 1069 Analgesie – Akupunktur 1156, 1159 – peripartale 7 dort – Schwangerschaftsabbruch 67 – vaginaloperative Geburt 883 – Wassergeburt 720, 721 – Zwillingsschwangerschaft 937 Analgesie, fetale 571 Analgesie, peripartale 1026 – Analgetika 1027 – Atemdepression 1029 – Neugeborenes 1029 – nichtpharmakologische 1027 – Verfahren 1027 – – medikamentöse 1027 – – Periduralanästhesie (PDA) 1032 – – Spinal-Epidural-Anästhesie, kombinierte 1039 – – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1038 Analgetika 1027 – Lokalanalgetika 1035, 1037 – Nichtopioidanalgetika 1032 – Opioide 1027 – Periduralanästhesie (PDA) 1035 – Pränataltherapie 571 – Schwangerschaft 102 – Spasmolytika 1032 – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1038 – Stickoxydul (Lachgas) 1032 – Wehenschwäche 826 Analinkontinenz, maternale – Diagnostik 896, 899 – Pathophysiologie 895 – Postpartalperiode 1126, 1128 – Risikofaktoren 896 – vaginaloperative Geburt 881 Analsphinkterläsion 891 – okkulte 899 – Pathophysiologie 892 – Versorgung 895 Anämie, maternale – Bluttransfusion, postpartale 357 – Diagnostik 346, 352
– Eisenbedarf/-mangel, maternaler 345, 347 – Eisenmangelanämie 345, 350, 353 – Eisenspeicher, geleerte 235 – Erythropoese 344 – Flugreise 220 – Folsäure 346 – Frühschwangerschaft 15 – Infektanämie 355 – mikroangiopathisch-hämolytische 1017 – Morbidität/Mortalität 358 – pernitiöse 233 – physiologische 344, 345 – Postpartalperiode 356, 1127 – – Stillen 1108 – renale 355 – Schwangerschaftshydrämie 344 – Sichelzellenanämie 354 – Thalassämie 354 – Therapie 351 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 Anämie, fetale 258 – Coombs-Test, indirekter 460 – Geburtsbeendigung 737 – hämolytische 460 – Leberenzyminduktion 462 – Nabelschnurtransfusion 462 – Sonographie 461 Anämie, neonatale 1080 – Blutgruppenunverträglichkeit 460 – Nabelschnurblutgewinnung 1092 Anästhesie 1026 – Adipositas, maternale 301 – Allgemeinanästhesie (Siehe auch dort) 883, 1040 – Austreibungsperiode 690 – Frühgeburt(lichkeit) 1050 – Hämophiliekonduktorin 1021 – Inhalationsanästhetika 1043 – peripartale, Medikamenteninteraktionen 1047 – Placenta praevia 642 – Plazentalösung, manuelle 995 – Präeklampsie 322 – – Therapie 1052 – Schulterdystokie 975 – – Zeitpunkt 982 – Schwangerschaftsabbruch 67 – Sectio 1041, 1044 – Stellenwert in der Geburtshilfe 1056 – Sterilisation, postpartale 1135 – Stillen 1114 – Volumentherapie 1055 – walking epidural 1026 Anästhetika 1040, 1043 – Blutung, postpartale 990
1257 Stichwortverzeichnis
Androgene – Exposition, pränatale, fetale Programmierung 623 – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Fertilisation 5 Androstendion 581 anembryonische Gravidität 49 Anenzephalie – Erbgang 86 – Geburtsleitung 839 – Terminüberschreitung 806 Aneuploidie 7 auch Chromosomenanomalie – Abort, Frühschwangerschaft 24 – Alter, maternales 128 – Definition 128, 166 – Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) 168 – Klinefelter-Syndrom 87 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – Präimplantationsdiagnostik 171 – Pränataldiagnostik 166 – quantitative fluoreszierende (qPCR) 169 – Real-time-PCR 169 – Serummarker 131 – Sonographie 130 – Triplo-X-Syndrom 87 – Triploidie, Mole, hydatiforme 47 – Trisomie 13/18/21 (Siehe auch dort) 86 – Turner-Syndrom 86 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 Angiogenese, fetale 4, 7, 13, 348 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 595 Angiographie, Lungenembolie 365 Angiopoietin 14, 595 Angst, maternale – Geburtsdauer 696 – Opioide 1031 – präpartale 188 – Psychosomatik 1143 – Wassergeburt 720 Angst-Spannung-SchmerzRegelkreis nach Dick-Read 1144 Angst-Spannung-SchmerzSyndrom 697 Anhydramnion – Blasensprung, früher vorzeitiger 560 – Definition 260 – Diagnostik 666 – Terminüberschreitung 809 – Überwachung, intrapartale 751
Anker-und-Angleichungsregel 117 Anomalie, kongenitale – Ersttrimesterscreening 126 – Frühgeburt(lichkeit) 519 anonyme Geburt 75, 1147 Anpassung, postnatale 7 Adaptation, postnatale Anstrengung, körperliche maternale – Sport 212 – Thermoregulation 215 Anthelminthika 95 Anthrachinonderivate 102 Anti-D-Prophylaxe 458 Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörper 334 Antiallergika – Antihistaminika 103 – Glukokortikoide 104 – Mastzellinhibitoren 104 – Teratogenität 103 Antiasthmatika 104 Antibiotika 527 – Adnexitis 42 – Blasensprung, früher vorzeitiger 563 – Candida-Infektion der Brust, postpartal 1118 – Fehlbildungsrisiko 92 – Intervallbehandlung zur Frühgeburtsprophylaxe 531 – Lungenreife 518 – Prophylaxe bei Sectio 911 – Teratogenität 92 – uterine packing 992 – Wirkstoffe 92 Antidepressiva 99, 100 Antidiabetika, orale 442, 447 Antidiarrhoika 102 Antiemetika, Teratogenität 102 Antiepileptika/ – Antiepileptikasyndrom 89 – Auswirkungen 288 – Stillen 289 Antiherpesmittel 94 Antihistaminika, Teratogenität 103 Antihypertensiva – Anästhesie, geburtshilfliche 1049 – Fehlbildungsrisiko 95 – Hypertonie, chronische 311 – Präeklampsie 321, 323 Antikardiolipin 334 Antikoagulation 101 – Heparin 367, 371 – Kumarin 370 – Langzeitantikoagulation 369 – Plazentagängigkeit 85 – Präeklampsie 325 – Thromboembolie, venöse (VTE) 366
Antikonvulsiva – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Hydantoinsyndrom, fetales 287 – Teratogenität 96 – Therapierichtlinien 97 Antikörper, blockierender 27 Antikörper gegen Phospholipide (APA) 28 Antimykotika, Teratogenität 95 Antioxidanzien, Präeklampsie 327 antioxidatives Enzym 12 Antiphlogistika 102 – Fehlbildungsdiagnostik 91 – nichtsteroidale 103 Antiphospholipidantikörper (APA) 334 Antiphospholipidantikörpersyndrom 334 Antiphospholipidsyndrom 28, 334, 368 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 Antipyretika 102 antiretrovirale Substanzen 94 Antirheumatika 103 Antithrombin III 331 7 auch AT III Antituberkulotika, Fehlbildungsrisiko 94 Antitussiva 104 Antrum folliculi 5 Anxiolytika 100 Aorta, fetale, Dopplersonographie 670 Aortenisthmusstenose, Pränataltherapie 584 Aortenklappenstenose, Pränataltherapie 578 APC-Resistenz 315, 336 Apert-Syndrom 148 Apgar-Schema – Asphyxie, intrapartale 774 – Auswertung 1067 – Zwillingsschwangerschaft 937 Aplasie, Formen 157 Apnoe, neonatale 1070 Apoplexia uteri 636 Appendizitis, maternale 292, 293 – Frühgeburt(lichkeit) 518 A-priori-Wahrscheinlichkeit 115 Aquäduktstenose 161 Arachidonsäure 524 Arachnoidalzyste 251 Arbeitsprozess 7 Berufstätigkeit Arbeitsschutzmaßnahmen – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – MAK-Wert 216 ARED-Flow 604
Armentwicklung, Schulterdystokie 977 Armlösung 953 – Bickenbach 953 – klassiche 954 – Lövset 954 – Müller 954 Armvorfall, vollkommener/ unvollkommener 856 Arnold-Chiari-Typ-II-Malformation 150 Arthrogryposis multiplex congenita 157 Articulatio sacrococcygea 838 Arzneimittel – antiretrovirale 409 – Arzneimittelmetabolismus, embryonaler/fetaler 89 – Arzneimittelmetabolismus, maternaler 89 – Beratung – – Beratungsstelle 107 – – Grundlagen 90 – embryotoxische 92 – Fehlbildungshäufigkeit 86 – Frühschwangerschaft, Exposition 90 – Laktation 323 – Milchgängigkeit 1120 – Plazentagängigkeit 89 – Risikobeurteilung 90 – Stillen 1120 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 – Wochenbett 323 Arzneimittelgabe, fetale 570 Arzt-Patientin-Beziehung 1141, 1172 Arzthaftungsrecht – Begutachtung 1240 – Verhaltenstipps 1243 Arztverschulden 1232 Ascorbinsäure 234 Aspartataminotransferase (ASAT) 330 Asphyxie 750 – Auswirkungen 1064 – Definition 773 – Diagnostik 604 – fetale, Ätiologie 772 – Frühgeburt(lichkeit) 543 – Hirnschaden 543 – Hypotherapie, therapeutische 1078 – intrapartale – – Ätiologie 772 – – Auswirkungen 773, 774, 777 – – Befunde 774 – – CTG 779 – – Definition 772, 774 – – Diagnostik 777, 779 – – Dopplersonographie 750
A
1258
Stichwortverzeichnis
Asphyxie – – drohende 779 – – Nabelschnurumschlingung 751 – – Postasyphyxiesyndrom 776 – – Risikofaktoren 774 – – Sarnat-Score 776 – – Schweregrade 776 – – Skalpblutanalyse, fetale (FSBA) 779 – – Ursachen 772 – – Zerebralparese 777, 778 – intrauterine – – Diabetes mellitus, maternaler 441 – – Präeklampsie 317 – Mekonium 751 – Nabelschnurvorfall 854 – Neugeborenes, Versorgung 1063, 1070 – Sectio 911 – subpartale, Diabetes mellitus, maternaler 449 – Terminüberschreitung 807 – vaginaloperative Geburt 868 Aspirin (low dose), Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 Assimilationsbecken 836 Asthma bronchiale, maternales – Arzneimittel 104 – Arzneimittelberatung 90 – Asthmaanfall, akuter 286 – Definition 285 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 – Management 286 – NIH-Klassifikation 286 asymmetric dimethylarginine (ADMA) 324 Asynklitismus, vorderer/hinterer 836, 852 AT-I-Blocker, Teragotenität 438 AT-II-Rezeptor-Antagonisten 91, 96 Atelektase 1053 – Frühgeburt(lichkeit) 540 Atemaugmentation, maternale prä-/peripartale 1053 Atembewegung, fetale 659, 717 – Registrierung 660 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 607 Atemdepression – Analgesie, peripartale 1029 – Morphin 1028 Atemnotsyndrom, maternales 317, 539 – Diabetes mellitus, maternaler 441 – Frühgeburt 520 – Resectio 859 Atemnotsyndrom, neonatales, Mekoniumaspiration 1078
Atemregulation, Höhenexposition 220 Atemwegserkrankung, maternale – Arzneimittel 104 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 Atemzug, erster 1066 Atenolol 312 AT II 324 AT III 317, 366, 370 Atmung, maternale, physiologische Veränderungen 184 Atmung, Neugeborenes – Apgar-Schema 1067 – Beatmung 1071 – Diving-Reflex 716 – Intubation 1074 – Notfallbeatmungssystem 1072 – Stimulation 1071 – Wassergeburt 716 Atosiban 521, 525, 526 Atresie, gastrointestinale 153 Aufholwachstum 619, 621 Aufklärung – Ausführlichkeit 1234 – Beweislast 1234 – Forensik 1233 – Form 1237 – informed consent 1171, 1180 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – – Komplikationen 1034 – Risikoaufklärungspflicht 1234 – Sectio 884, 911, 919 – – Folgeschwangerschaft 862 – Sterilisation, postpartale 1132 – Stufenaufklärung 1237 – Terminüberschreitung 812 – vaginaloperative Geburt 883 – Verzicht 1238 – Wille, tatsächlicher/mutmaßlicher 1236 Auge, Entwicklung, physiologische 84 A. umbilicalis – Strömungsprofil, auffälliges 600 – Terminüberschreitung 807 – Überwachung, antepartale 668 Auskultation – Forensik 746 – Intervall 744 – Lagebestimmung 746 – Pinard-Holzstethoskop 724, 746 – Punctum maximum 746 – RCOG-/ACOG-Empfehlungen 746
– Stethoskop nach DeLee 746 Ausschabung 7 Kürettage Austreibungsperiode 827 – CTG 743 – Dauer 690, 821, 869 – Gebärposition, maternale 695 – Management, aktives 694 – normale Geburt 689, 690 – Pressphase 822 – protrahierte – – PDA 1038 – – Schulterdystokie 972 – Schmerzen 1027 – Wassergeburt 718 A. uterina, Ligatur 993 Autofahren, Sicherheitsgurt 220, 289, 291 Autoimmunerkrankung, maternale – Herzfehler, fetaler 150 – Autoimmunthrombopenie 465 – Autoimmunthrombozytopenie 1015 Autonomiekonflikt 1170 Autonomieprinzip 1178 Autosomenaberration, strukturelle 87 AV-Block, fetaler, Pränataltherapie 583 A-Welle im Ductus venosus 131 Azetylhydrolase 494 Azetylsalizylsäure (ASS) – Antiphospholipidsyndrom 336 – Dauermedikation 102 – Präeklampsie 325 – Terminüberschreitung 806 Azidämie 773 Azidose – Definition 773 – fetale – – Austreibungsperiode 690 – – Blutgasanalyse, fetale (FBA) 748 – – Definition 1068 – – Flussumkehr, diastolische 603 – – Herzfrequenz, fetale 738 – – intrapartale, Schweregrade 749 – – Pulsoxymetrie 752 – – Überwachung, antepartale 649 – – Verhaltenszustand, fetaler 663 – – Azidose, maternale 763 – neonatale – – Definition 773 – – Schulterdystokie 968 Azidothymidin (AZT) 94
B Baby Blues 1103, 1126 BABYDIAB-Studie 452 Babyklappe 76, 1147 Bakri-Ballon 992 Bakteriämie, maternale, Streptokokkeninfektion 422 Bakteriurie, asymptomatische (ASB) 293, 519, 530 Balint-Gruppe 1153 Ballontamponade, intrakavitäre 992 Ballonvalvuloplastie, ultraschallgesteuerte 570, 578 Balneologie 715 banana sign 150 Bandl-Kontraktionsring 825 Barbiturate – Auswirkungen 288 – Teratogenität 97 bariatrischer Eingriff, maternaler 186 Barnum-Manöver 977 Basalplatte 261 Basaltemperaturkurve (BTK) 27 Basaltonus 734 Base excess, intrapartal 749 Basendefizit, Nabelschnurblut 774 Bauchtrauma 289 – Hämorrhagie, fetomaternale 291 Bauchwanddefekt 153 Bayes-Theorem 132 – Odds-Ratio 118 – Posttestwahrscheinlichkeit 117 – Prävalenzabhängigkeit 116 Beatmung, maternale peripartale 1053 Beatmung, Neugeborenes – Beutel 1072 – Fruchtwasser, mekoniumhaltiges 1079 – Frühgeborenes 1081 – Intubation 1074, 1076 – Magensonde 1074 – Maske 1072 – Notfallbeatmungssystem 1072 – Zwerchfelldefekt 1080 – Zyanose 1071 Beatmungsbeutel nach Kuhn 1072 Becken – allgemein verengtes 835 – Anatomie 686 – androides 837 – Anomalie, Schulterdystokie 972 – anthropoides 837 – Austastung 838, 840
1259 Stichwortverzeichnis
– – – –
Beckenmaße 833, 834 – Normwerte 842 Beckenwinkel 842 Einstellung, okzipitoposteriore 846 – Einteilung nach Caldwell und Moloy 835, 837 – Einteilung nach Kirchhoff 836 – Gebärposition, maternale 704 – Geburtsverlauf, gestörter 834 – gynäkoides 837 – Höhenstandsdiagnose 869 – langes 835 – normales 836 – Pelvimetrie 840 – platypelloides 837 – Symphysenverlagerung 687 – Thoraxpassage 687 – verengtes 834 – Verformung 687 Beckenausgangsforceps, Frühgeburt(lichkeit) 545 Beckenaustastung 840 Beckenboden – Anatomie 686, 888 – Beckenendlage (BEL) 957 – Episiotomie 697 – Ganzkörpervibrationssystem 899, 903 – Gebärposition, maternale 703 – Reaktivität 903 – Rückbildungsgymnastik 1102 – – Sectio 917 – Schädigung – – Diagnostik 900 – – irreversible 892 – – Pathophysiolgie 892 – – Prävention 899 – – Sphinkterdefekt, okkulter 899 – – vaginale Geburt 884 – – vaginaloperative Geburt 881 – – Versorgung 895 – Training, präpartales 899 Beckenendlage (BEL) – Armlösung 953 – – Bickenbach 953 – – klassische 954 – – Lövset 954 – – Müller 954 – Auskultation 746 – Definition 942 – Diagnostik 946 – Formen – – Fußlage, vollkommene/ unvollkommene 944 – – Steiß-Fuß-Lage, vollkommene/unvollkommene 943 – – Steißlage, reine 942 – Gebärposition, maternale 950
– Geburtsmodus, Outcome 957 – Inzidenz 944 – Kopfentwicklung, problematische 953, 954 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Nabelschnurvorfall 855 – Pendelbewegung 951 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – Risikofaktoren 945 – Sectioempfehlung für Frühgeborene 544 – Sonographie 3. Trimenon 247 – Ursachen 945 – vaginale Geburt 951 – – Risiken 947 Beckenkapazität, Berechnung nach Friedmann und Taylor 844 Beckenmittenposition 870 Beckenschmerzen, postpartale 1100 Beckenvenenthrombose 365 Beckenweite 834 Beckwith-Wiedemann-Syndrom 153 Bedarfshypertonie 321 Befruchtung 7 Fertilisation Begutachtung 1240 Behandlungsfehler – Definition 1226 – grober 1231, 1232 – Schweregrad 1232 – Verjährungsfrist 1240 Behandlungsschwelle, Definition 120 Beinvenenthrombose, tiefe – Diagnostik 364 – Häufigkeit 363 – Prophylaxe 369 – Therapie 366 Belastungsinkontinenz – Schwangerschaft 891 – vaginale Geburt 894 Benefizienzkonflikt 1170 Benzodiazepine – Anxyolytika 100 – Auswirkungen 288 – Neugeborenes 1041 – Teratogenität 97 Berufstätigkeit 528 – Anstrengung, körperliche 215 – Arbeitsschutzmaßnahmen 215 – Bildschirmarbeit 215 – Frühgeburtsrisiko 1148 – Kündigungsschutz 214 – medizinischer Beruf 215 – Mutterschutzgesetz 1121 – Placenta praevia 645
– Stillen 1121 β-Blocker 312 – Teratogenität 96 β-HCG, freies, Ersttrimesterscreening 131 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-(11βHSD)-Aktivität 622 β-Laktamantibiotika, Teratogenität 92 Betamethason 103 – Lungenreife 541 β-Sympathomimetika 519 – Anästhesie, geburtshilfliche 1049 – β2-Sympathomimetika, intrapartal 761 – Nebenwirkungen 521 – Präeklampsie 322 – Wehen, vorzeitige 520 – Frühgeburt(lichkeit) 564 – Pränataltherapie 584 – Teratogenität 104 β-Thalassämie 354 β-Thromboglobulin 316 Bettruhe – Heparin 101 – Hypertonie, chronische 310 – Placenta praevia 643 – Präeklampsie 320 – Thromboserisiko 363 Beugehaltung, dorsoanteriore 685 Bewegung, maternale, Gestationsdiabetes 446 Bewegungsaktivität, fetale – Atembewegung 659 – Beckenendlage (BEL) 946 – Bewegungsmuster, adäquates 650 – Dauer 662 – Dekompensation 662 – Einschränkung 251 – frühe 660 – Ganzkörperbewegung 660 – Herzfrequenz, fetale (FHF) 650 – Hypoxämie 598 – intrapartale 754 – Kinetokardiotokographie (K-CTG) 661 – Mangel, Klumpfuß 154 – Nabelschnurknoten 699 – Perzeption, maternale 661 – physiologische Entwicklung 659 – Registrierung 660 – Rhythmik, zirkadiane 660 – Sauerstoffverbrauch 660 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 598, 605 – Tokodynamometrie 661 – Überwachung, intrapartale 740, 753
Bewegungsstörung, kindliche neuromotorische, Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 609 Bewusstlosigkeit, maternale, irreversible 1179 Bickenbach, Armlösung 953 Bikarbonatinfusion, maternale, intrapartale 763 Bilirubin 330 Bilirubinometer 1083 Bioengineering 489 Biometrie – Abdominalumfang bei Gestationsdiabetes 447 – Beckenendlage (BEL) 947 – – Zwillingsschwangerschaft 958 – Berechnung des Entbindungszeitpunkts 198 – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Dritttrimesterscreening 246 – Durchmesser – – biparietaler 144, 248 – – frontookzipitaler 248 – – transzerebellärer 145 – Femurlänge 144, 155, 249 – Frühschwangerschaft 21 – Gestationsalter 144 – Gewicht, fetales 144, 145, 249 – Hypertonie 310 – Kopfumfang 144, 248 – Neugeborenes 1068 – Schwangerenvorsorge 198 – Sonographie 144 – Symphysen-Fundus-Abstand 202 – Umbilikalvene 144 – Zwillingsschwangerschaft, Beckenendlage (BEL) 958 bipolare Störungen, kindliche 627 Bishop-Score – Frühgeburt(lichkeit) 534 – Geburtseinleitung 785 – Schwangerenvorsorge 200 Blasenmole 7 Mole, hydatiforme Blasenpunktionen, fetale 574 Blasensprengung 7 Amniotomie Blasensprung – Ablauf, physiologischer 492 – Amniotomie 696 – Kreißsaalaufnahme 691 – normale Geburt 692 Blasensprung, interamnialer 562 Blasensprung, vorzeitiger – Antibiotikaprophylaxe 801 – Cerclage 538 – Chlamydia trachomatis 419 – Definition 234 – früher 515, 558–564
A–B
1260
Stichwortverzeichnis
Blasensprung, vorzeitiger – Geburtseinleitung mit Prostaglandin 788 – Glukokortikoide 542 – HIV-Transmissionsprophylaxe 410 – Infektion 476 – – aszendierende 494 – – Streptokokkeninfektion 422 – Kollagen 492 – Latenzperiode 796 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Mehrlingsschwangerschaft 477 – Oligohydramnion 158 – Pathogenese 796 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Polyhydramnion 477 – terminnaher 796–799 – Uterusinfektion, postpartale 800 – Vitamin-C-Mangel 234 – Zwillingsschwangerschaft 930 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Blastogenese 82 Blastomere 4 Blastopathie 82 Blastozyste 4–8, 82 Blastozystenstadium, Mehrlingsschwangerschaft 927 bleeding score 1019 Blitzsectio 861 Blutbild – Anämie 346 – Blutung, vaginale, im 3. Trimenon 640 Blutdruck, kindlicher, Programmierung, fetale 621 Blutdruck, maternaler – Diabetes mellitus, maternaler 438, 441 – Gebärposition, maternale 704 – hypertensive Krise, prä-/peripartal 1052 – Hypertonie, schwangerschaftsinduzierte 307, 308 – Messung, standardisierte 308 – mittlerer arterieller (MAD) 324 – normale Geburt 693 – OP-Lagerung 1041 – physiologische Veränderungen 180, 307 – Postpartalperiode 1127 – Präeklampsie 315, 322 – Pressperiode 181, 704 – Spinalanästhesie 1044 – Uterusperfusion 178 – V.-cava-Kompressionssyndrom 181
Blutfluss, uteroplazentarer 4, 11, 593 – Störung 595 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 Blutfluss, zerebraler fetaler 671 Blutgasanalyse, fetale (FBA) – Auswertung 749 – Durchführung 748 – Frühgeburt 668 – Indikationen 738, 748 – Komplikationen 748 – Kontraindikationen 749 – Nabelschnurblutgasanalyse 658 – pH-Wert 739 – Reanimation, fetale 759 – Skalpblutgasanalyse, Asphyxie, intrapartale 779 – Spiralelektrode 753 – Überwachung – – antepartale 668 – – intrapartale 748 Blutgasanalyse, Neugeborenes 773 Blutgerinnung, maternale – angeborene 1019 – – Faktor-VII-Mangel 1021 – – Hämophilie-A-Konduktorin 1020 – – von-Willebrand-Syndrom 1019 – Antikoagulation 101, 366 – Ätiologie 1005 – Blutung, postpartale 1055 – chronische erworbene 1015 – – Autoimmunthrombozytopenie 1015 – – thrombotisch-thrombozytopenische Purpura/ Moschkowitz-Syndrom 1017 – Dead-fetus-Syndrom 1012 – disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) 1008 – Fruchtwasserembolie 1013 – Gerinnungsdefekt, angeborener 368 – Gerinnungsfaktoren 362 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 1018 – Hämostaseparameter 1004 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182, 1004, 1055 – Plazentarperiode 990 – postpartale 1011 – Präeklampsie 316, 319 – Schwangerenvorsorge 205 – Thrombolyse 366 – Thromboseprophylaxe 102, 183 – Thromboserisiko 363
– tissue-factor 1004 – Verbrauchskoagulopathie 1005, 1008 – Verlustkoagulopathie 1005 Blutglukoseselbstkontrolle 446 Blutgruppeninkompatibilität – AB0-Inkompatibilität 458 – Alloimmunthrombopenie (AITP) 464 – Anti-D-Prophylaxe 458 – – Rubellavirus 397 – Blutgruppenantikörper 460 – Blutgruppenbestimmung, fetale 460 – Bluttransfusion, fetomaternale 459 – DiagnostiK 463 – Duffy 458 – erythrozytäre 458 – Kell 458 – Kleihauer-Betke-Test 463 – Konstellationen 458 – Morbus haemolyticus neonatorum 459 – Prävention 462 – Rhesus D 458 – Therapie 463 Blutneubildung 602 Blutplasmavolumen, maternales 1055 Blutplättchenanalyse 465 Blutplättchengruppe, fetale 467 Blutprodukte 357 – Blutung, postpartale 989 – Blutung, vaginale, im 3. Trimenon 645 – Placenta praevia 643 – Sicherheit 357 Blutsenkungsgeschwindigkeit, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 Blutströmung – ARED-Flow 604 – Blutfluss, zerebraler fetaler 671 – Dezentralisation 672 – Muster, pathologisches 603 – reverse flow 603, 604 – Überwachung, antepartale 668 – zero flow 603, 604 Bluttransfusion, maternale – Blutgruppeninkompatibilität 459 – Eisenmangel 351 – fresh frozen plasma (FFP) 357, 1007 – Fremdblut 357 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – peripartal – – Indikationen 1006
– – Produkte 1007 – – Thrombozytentransfusion 1011 – Plasmaprodukte 357 – postpartal 357 – thrombotisch-thrombozytopenische Purpura/Moschkowitz-Syndrom 1018 Blutumverteilung 603, 604 – Überwachung, antepartale 671 Blutung, fetale – intrakranielle 250 – – Kumarin 370 – – Vakuumextraktion 881 – Asphyxie, intrapartale 774 – Blutung, fetomaternale, Definition 635 Blutung, maternale – Blutungsanämie, akute 356 – intrazerebrale 1051, 1052 – peripartale – – Blutgerinnung, maternale 1005 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – – Mortalität, maternale 1222 – – Verbrauchskoagulopathie 1008 – petechiale 1016 – postpartale 690, 996 – – Adipositas, maternale 302 – – Auswirkungen, kardiale 1054 – – Blutgerinnung, maternale 989, 1005, 1011 – – Definition 988 – – Lochialblutung 988 – – Managing Obstetric Emergency and Trauma (MOETKurs) 1000 – – Mortalität 1054 – – Plazentaretention 995 – – Plazentationsstörung 263 – – Sectio, Folgeschwangerschaft 862 – – Sectiohysterektomie 997 – – Sickerblutung 988 – – Sofortmaßnahmen 989 – – späte 988 – – Tamponadetest 993 – – Terminüberschreitung 812 – – Therapie 991 – – Ursachen 988 – – Uterusatonie 990 – – Uterusinfektion 798, 800 – – Volumentherapie 1055 – retroplazentare 476 – – Frühgeburt(lichkeit) 516 – vaginale – – 3. Trimenon 636–642 – – Blasensprung, früher vorzeitiger 559
1261 Stichwortverzeichnis
– – – – – – –
– – – – – – –
Lösungsblutung 690 Mole, hydatiforme 47, 48 Nachgeburtsperiode 690 peripartale, Blutverlust 356 Placenta praevia 635 Plazentarandblutung 637 Schwangerschaftsektropium 177 – – Trauma 290 – – Trophoblasterkrankung, persistierende 52 – – Vasa-praevia-Blutung 634 – – Vitamin-K-Mangel-Blutung 235 – – Wassergeburt 721 – – Wochenbett 996 – – Zeichnen 177 – – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Blutung, neonatale 1080 – zerebrale – – Asphyxie, intrapartale 774 – – Einteilung 777 – – Entbindungsmodus 544 – – Frühgeborenes 520, 1080 – – pränatale – intraventrikuläre (IVH) 563 – – Frühgeborenes 539 – – Neugeborenes 1069 Blutverdünnung, maternale 180, 182 Blutverlust, maternaler – Blutung, postpartale 988 – Blutung, vaginale 645 – Gerinnungsstörung 1005 – Hypervolämie, protektive 1006 – peripartaler 356 – Schock, hämorrhagischer 1006 – Trauma 290 Blutviskosität, maternale 363 Blutvolumen, maternales 988 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 180 Blutzucker, fetaler 184 Blutzucker, neonataler – Hypoglykämie 1070 – Kontrolle 451 Blutzucker, maternaler – Insulinbedarf 442 – Schwangerenvorsorge 206 – sub partu 450 – Zielwerte 442 B-Lynch-Technik 993 Body-Mass-Index (BMI), maternaler – Berechnung 224 – Ernährung, maternale 216 – physiologische Veränderungen 185 – präkonzeptioneller 224
– Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 Body-Mass-Index (BMI), kindlicher – Diabetes mellitus, maternaler 452 Body-Stalk-Anomalie 153 Bolustokolyse 521 bonding 190 – Wassergeburt 719 Borell und Fernström, Beckenmaße 842 Borreliose 7 Lyme-Borreliose Bracht-Manöver 953 Bradykardie, fetale, Pränataltherapie 580 brain sparing 603 – Überwachung, antepartale 671 Brandt-Andrews, Handgriff nach 995 Braxton-Hicks-Kontraktion 651, 732 Brazelton-Verhaltenstest 212 Brust, maternale – Candida-Infektion, postpartale 1118 – Flachwarzen, Stillen 1114 – Hohlwarzen, Stillen 1114 – Laktogenese 1111 – Mammaabszess, postpartaler 1119 – Mammakarzinom 1127 – Mastitis 1115, 1118, 1119 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 179 – Stillen 1106 – Untersuchung, postpartale 1127 Brustwarzen, maternale – Brustwarzenpflege 1115 – Brustwarzenstimulationstest 655 – wunde 1118 – Stimulation – – Blasensprung, früher vorzeitiger 559 – – Wehenschwäche 827 Bupivacain 1036 – Periduralanästhesie (PDA) 1037 Buprenorphin 1028, 1031 Burn-out, ärztlicher 1169 Buscopan 1032
C Caesarean scar pregnancy 34, 37 Caldwell und Moloy, Beckentypen 835 Calmodulin 474, 481
Cantrell-Pentalogie 153 Captopril 312 Caput succedaneum 687 Carbamazepin 97, 100 – Auswirkungen 288 – Fehlbildungsdiagnostik 91 Catch-up-Wachstum 619, 621 Cathepsin G 477 Cavum septi pellucidi 147 Cephalosporine, Teratogenität 92 Cerclage 533 – Blasensprung, früher vorzeitiger 559, 562 – Komplikationen 537 – McDonald 537 – Muttermundverschluss, totaler 537 – Plazentarperiode 999 – prophylaktische 535 – Shirodkar 537 – Zervixinsuffizienz 534 – Zwillingsschwangerschaft 930 Chadwick-Zeichen 176 CHAOS (congenital high-airway obstruction syndrome) 576, 577 Chiari-Typ-II-Malformation, Pränataltherapie 577 Chinin 106 Chlamydia trachomatis 420, 421, 1099 – Schwangerenvorsorge 207 – Frühgeburt(lichkeit) 531 Chloasma gravidarum, Schwangerenvorsorge 204 Chloramphenicol, Teratogenität 93 Chloridkanal 482 Chloroquin 106 Choanalatresie, Neugeborenenversorgung 1069 Cholecalciferol 230 Cholelithiasis 296 Choleraimpfung, maternale 106 Cholestase 332 Cholesterin 581 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 Cholezystitis, Frühgeburt(lichkeit) 518 Chordozentese – Anämie, fetale 462 – Dopplersonographie 673 – Hämoglobin 461 – Indikationen 668 – Profil, biophyskalisches 664 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 601, 602 Chorea Huntington 86 Choriangiom 699
Chorioamnion, Physiologie 472 Chorioamnionitis 476 – Blasensprung 692 – – früher vorzeitiger 562, 565 – – vorzeitiger 798 – Frühgeburt(lichkeit) 543 – Hirnschaden 543 – Sectio 912 – Streptokokkeninfektion 422 – Terminüberschreitung 812 Chorion – Aufbau 492, 796 – Barrierefunktion 476 – Wehenauslösung 806 – Wehentätigkeit 517 Choriongonadotropin, humanes (HCG) 6 – Frühschwangerschaft 9 Chorionizität – Auswirkungen 927 – Frühgeburt(lichkeit) 930 Chorionkarzinom 52 – Frühschwangerschaft 8 Chorionplatte 13, 261 Chorionzottenbiopsie 128, 167 – adernogenitales Syndrom 581 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 – Zwillingsschwangerschaft 933 Chromatin 4, 597 Chromosomenanomalie 7 auch Aneuploidie – Aberration, gonosomale 86 – Abort, Frühschwangerschaft 24 – Chromosomenanalyse 134 – Dandy-Walker-Komplex 146 – Deletion, partielle 592 – Erbgang 86 – Ersttrimesterscreening 127 – Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) 168 – Flussverlust, diastolischer 604 – Fragile-X-Syndrom 87 – Gesprächsführung, ärztliche 1150, 1175 – Herzfehler 146, 150 – Interventionsverzicht 608 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – Mosaikplazenta 176, 596 – Nabelschnurarterie, singuläre 158 – numerische 167 – Plazentationsstörung 8 – Präimplantationsdiagnostik 171 – Pränataldiagnostik 166 – quantitative fluoreszierende PCR (qPCR) 168 – Real-time-PCR 169 – Sonographie 130 – Spaltbildung 148
B–C
1262
Stichwortverzeichnis
Chromosomenanomalie 7 auch Aneuploidie – strukturelle 167 – Triploidie, Mole, hydatiforme 47 – Trisomien 7 dort – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592, 601 Chylothorax 152, 252 Circumferentia suboccipitobregmatica 835 Cisterna magna 147 Clindamycin, Frühgeburt(lichkeit) 531 clinical risk index for babies (CRIB-Score) 1205 Clomifencitrat 926 Clonidin 96, 312 Clostridien 1099 Clot-observation-Test 640 CMV-Hyperimmunglobulin (IVIG) 388 Cobalamin 231, 345, 346 Codein 102, 104 Colcher und Sussmann, Beckenmaße 842 Colitis ulcerosa, Therapie 102 Computer-CTG 725, 758 congenital high-airway obstruction syndrome 7 CHAOS Conjugata vera 687 – obstetrica 833, 841 Connexin 480 Contraction-stress-Test (CST) 655 Coombs-Test – direkter 464 – indirekter 460, 463 – Neugeborenenikterus 1083 cord traction 995 – Inversio uteri 997 Corpus albicans 5 Corpus luteum 5 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 179 corticotropin-releasing factor (CRF) 324 corticotropin releasing hormone (CRH) 473, 485, 594, 806 – CRH-Rezeptor 485 – Geburtsvorbereitung 516 – Wehen, vorzeitige 519 Couvelaire-Zeichen 636 Crash-Sectio 861 Credé-Handgriff 995 CRF-binding protein (CRF-BP) 324 CRH 7 corticotropin releasing hormone (CRH) Cri-du-chat-Syndrom 87 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592
Critical Incident Reporting System (CIRS) 1189 CTG 7 auch Herzfrequenz, fetale (FHF) 652, 653, 732 – Asphyxie, intrapartale 779 – Auswertung 779 – – DGGG-Leitlinie 742 – – FIGO-Richtlinien 741 – – Scores 741 – Autokorrelation 727, 745 – Beurteilung 734 – – Herzfrequenz, fetale 729 – – Standardisierung 780 – Bewegungsaktivität, fetale 661, 754 – Computer-CTG 654, 725, 758 – CTG-Muster, pathologisches 755 – Dawes-Redman-Kriterien 655 – Definition 725 – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Empfehlungen der Standardkommission Kardiotokographie der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin 743 – Eröffnungsperiode 695 – externes 725 – FIGO-Score 654 – Fischer-Score 654 – Forensik 746, 747 – Frühgeburt(lichkeit) 530 – Geburtseinleitung 785, 792 – Grenzen 744 – Hammacher-Score 653 – Herzfrequenz, fetale 728 – – Variabilität (HRV) 758 – historische Entwicklung 725 – Hyperstimulation 792 – Indikationen, antepartale 653 – intern abgeleitetes 727 – Kinetokardiotokographie (K-CTG) 649, 754 – Kopfschwartenelektrode (KSE) 743 – Körperposition, maternale 650 – Kreißsaalaufnahme 691, 742 – Kubli-Score 653 – Kurzzeitvariabilität 655 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Melchior-Klassifikation 744 – Messprinzip 653 – Methoden 727, 649 – Mikrofluktuation (short term variation, STV) 725 – Mutterschafts-Richtlinien 202 – Nabelschnurvorfall 854 – Non-Stress-Test (NST) 605 – normale Geburt 693 – Nutzen, Bewertung 780 – Online-Monitoring 780
– Oxford-CTG 597 – Oxytozinbelastungstest (OBT) 605 – Phonokardiographie 652 – PR-Intervall-Analyse 757 – Rotation, externe 949 – Schwangerenvorsorge 200, 202 – Scores 653 – – Fischer-Score 741 – – Hammacher-Score 741 – – Kubli-Score 741 – Sectio, Folgeschwangerschaft 861 – Sensitivität 745 – Signalausfallrate 742 – sinusoidales 740 – Spezifität 745 – ST-Analyse (STAN) 756 – statistische Relevanz 744 – Stimulationstest, fetaler 659 – technischer Hintergrund 725 – Telemetrie 728 – Terminüberschreitung 810, 814 – Tokodynamometrie 754 – Überwachung, antepartale, Indikationen 743 – Überwachung, fetale 605 – Vierkanaltokographie 517 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 605 – Wassergeburt 719, 720 – Wehenbelastungstest 655 – Zwillingsschwangerschaft 937 Cut-off-Wert 113
D Dactinomycin 55 Dalteparin 369, 371 Dammmassage 899 Dammriss 697 – Analinkontinenz 895 – Einteilung 895 – Folgeschwangerschaft 897 – Lokalisation 891 – Prävention 899 – Risikofaktoren 897, 898 – Sphinkterdefekt, okkulter 899 – Terminüberschreitung 812 – vaginaloperative Geburt 882 – Versorgung 895 Dammschnitt 7 Episiotomie Dammschutz – Forzepsentbindung 878, 879 – normale Geburt 695 – Vakuumextraktion 875 – Wassergeburt 719 Dandy-Walker-Komplex, Sonographie 146
Dauerkontraktion 734 Dawes-Redman-Kriterien 655 Dawn-Syndrom 439 D-Dimer 317, 331, 1005, 1009 Dead-fetus-Syndrom 1012 Deepest-single-pocket-Methode 765 Deflexionshaltung 685, 688, 844, 847877 DEGUMII 448 Dehydroepiandrosteron (DHEA) 473, 484 Dekompensation, fetale – Bewegungsaktivität, fetale 662 – Diagnostik 649 – Klinik 649 – Vorwarnzeichen 662 De Lee, Höhenstandsdiagnositk 692 Denniston-Dilatator 68 dentritische Zellen 7 Depression, kindliche 627 Depression, postpartale 1126, 1151 – Baby Blues 190, 1103 – Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) 1103 – Major-Depression 1103 Descensus genitalis, vaginale Geburt 893 Desmopressin 1020, 1021 detection rate 115 developmental origins of health and disease (DOHAS) 618 Dexamethason 103, 331, 581 – Lungenreife 541 – Pränataltherapie 584 Dezeleration – normale Geburt 689 – späte – Terminüberschreitung 807, 814 Dezentralisation 672 Dezidua 4, 8, 806 – Blutung 475 – echoarme 263 – Physiologie 472 – Wehentätigkeit 517 Diabetes insipidus, maternaler 332, 436 Diabetes mellitus, kindlicher – Adipositas, kindliche 453 – Genetik 452 – Prävention 453 – Programmierung, fetale 452, 620 – Risikofaktoren 452 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 597, 600 Diabetes mellitus, maternaler – Abort 26, 438 – accelarator hypothesis 452
1263 Stichwortverzeichnis
– Adipositas, maternale 216, 300 – Apgar-Wert 449 – Ätiologie 436 – Auswirkungen 439 – Dawn-Syndrom 439 – Embryopathie, diabetische 440 – Entbindung 449 – Entwicklungsstörung, mentale 626 – Fehlbildung, kongenitale 438 – Fehlbildungshäufigkeit 86 – Fruchtwasserinsulinbestimmung 447 – Fruchtwassermenge 666 – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Geburtseinleitung 449 – Geburtsgewicht 449 – Gestationsdiabetes (GDM) 436, 443 – Glukose-steal-Phänomen 447 – Harnzucker 183 – HbA1c 439 – Hypertonie 438 – Hypoglykämie, neonatale 1070 – Hypoglykämiewahrnehmungstraining 438 – Insulinbedarf 184 – Klassifikation 436 – Koma, hypoglykämisches/ketoazidotisches 443 – Langzeitfolgen 452 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Nephropathie 438 – Neugeborenes, Versorgung 450 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – Neuropathie 438 – Pathologie 436 – Pedersen-Hypothese 439 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – Plazentadicke 262 – Postpartalperiode 1127 – Prävalenz 437 – Primärprävention 629 – Programmierung, fetale 452, 620 – Regressionssyndrom, kaudales 89, 440 – Retinopathie 437 – Schilddrüsenfunktion, maternale 439 – Schulterdystokie 449, 970 – – Geburtseinleitung 973 – Spätkomplikationen 437 – Stillen 451 – Stoffwechseloptimierung 437 – Teratogenität 89 – Therapie 442
– – – – – –
– antihypertensive 441 – medikamentöse 442 – präkonzeptionelle 437 Typ 1/Typ 2 436 Überwachung, fetale 448 Verzicht auf eine Schwangerschaft 438 – Vorbereitung, präkonzeptionelle 439 – Wochenbett 451 Diameter transversalis 834 Diaphragma pelvis 686 Diaphragma urogenitale 686 Diarrhö, maternale, Arzneimittel 102 Diathese – hämorrhagische postpartale 1012 – thrombophile 368, 372 Diäthylstilbestrol (DES) 538 Diazepam 97, 100 Dichorionizität 925, 927 Dichotomisierung 113 Diclofenac 103 Diffusions-Tensor-Bildgebung 159 Diffusionswiderstand 807 Digoxin, Erhaltungs-/Sättigungsdosis, maternale 583 Dihydralazin 96 Dilatation und Evakuation (D & E) 68 DIP 0 738 Diphtherieimpfung, maternale 105 Diplegie, spastisch-motorische 778 Disomie, uniparenterale 592 disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) 1008, 1010 – postpartal 1100 Diuretika 312 – Präeklampsie 321, 323 Diving-Reflex 716 – Wassergeburt 718 Dizygotie 925, 927 DNA-Methylierung 597 Docosahexaensäure (DHA) 227, 239 Döderlein-Bakterien, Frühgeburt(lichkeit) 532 Dokumentation – Aufbewahrungsfrist 1240 – Beweismittelvernichtung 1245 – Einstellungsskizze 847 – Ergänzung, nachträgliche 1239 – Forensik 747, 1238 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 Doppelfehlbildung, fetale, Geburtsleitung 839 Dopplereffekt 725
Dopplerflussmuster, SGA-Fetus 600 Dopplersonographie – ALARA-Prinzip 669 – Anämie, fetale 461 – ARED-Flow 604 – Befundinterpretation 671 – Blutströmungsmuster, pathologisches 603 – brain sparing 603 – Chordozentese 673 – Dekompensation 607 – Dezentralisation 672 – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Entbindungszeitpunkt 597 – farbkodierte, Nabelschnurumschlingung 751 – Flussumkehr, diastolische 603 – Frühschwangerschaft 4, 8, 13 – Gefäßwiderstandsindex 669 – gepulste 669 – Herzfrequenzregistrierung, fetale 652 – Langzeitauffälligkeiten 672 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – Messtechnik 670 – Mutterschafts-Richtlinien 200 – Plazentainsuffizienz 317 – Power-Doppler 670 – Präeklampsiediagnostik 594 – Pränataltherapie 583 – Profil, biophyskalisches (BPP) 665 – Pulsation, venöse 672 – Registriermethodik 649 – reverse flow 603, 604 – Schwangerenvorsorge 200, 206 – SGA-Fetus 600 – Termineffekt 668 – Terminüberschreitung 807 – Überwachung, dopplersonographische 605 – Unterscheidung SGA-/IUWRFetus 600 – venöses System 604 – zero flow 603, 604 Dottersack 6, 7 – Entwicklung, physiologische 83 Double-bubble-Zeichen 36, 153, 255 double cord 1091 double set-up 856 Doula 1142 Down-Syndrom 7 Trisomie 21 Dritttrimesterscreening 246 – Abdomen 256 – Fruchtwasser 260 – Frühgeburt(lichkeit) 267 – Gastrointestinaltrakt 254 – Gehirn, fetales 249
– Hals 251 – Harnwege 257 – Herz, fetales 253 – Hydrops fetalis 258 – Lunge, fetale 252 – Niere, fetale 256 – Plazenta 261 – Zervixlänge 266 – Zwerchfell 251 Drogenabusus – Cannabis 219 – Frühgeburt(lichkeit) 529 – harte Drogen 219 – Neugeborenes, Versorgung 1077 – Schädigung, kindliche 87 – Stillen 1120 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592, 594 Druck, suprasymphysärer, Schulterdystokie 976 Druck, onkotischer maternaler, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 180 Ductus arteriosus – Konstriktion 572 – Botalli 525 – – postnatal 1066 – persistierender (PDA) 539 Ductus venosus, Dopplersonographie 670 Duffy-Blutgruppe 458 Dührsen-Inzision 832 Duncan-Modus 691 Dünndarmstenose, Dritttrimesterscreening 255 Duodenalatresie – Dritttrimesterscreening 255 – Sonographie 153 Duodenalstenose, Dritttrimesterscreening 255 Duplexsonograhie, Thromboembolie, venöse (VTE) 365 Durchgangssyndrom, neonatales 775 Durchmesser, biparietaler (BPD) – Dritttrimesterscreening 248 – Gestationsalterbestimmung 144 – – Zuverlässigkeit 809 – Sonographie 144 Durchmesser, frontookzipitaler (FOD), Dritttrimesterscreening 248 Durchmesser, transzerebellärer (TCD) 145 Durchschneiden des Kopfes 871 Dyshydramnion, Überwachung, antepartale 666 Dysmaturität 804 Dysplasie, bronchopulmonale (BPD) 539
C–D
1264
Stichwortverzeichnis
Dysplasie, thanatophore 156 Dystokie, Defintion 821 Dystrophie, Terminüberschreitung 808
E Early-onset-Präeklampsie 318 Early Pregnancy Factor (EPF) 6 Echokardiographie, fetale 254 echolucend zone 263 Echtzeit-PCR 169 ECMO 7 Membranoxygenierung, extrakorporale (ECMO) Ecstasy 88 Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) 1103 Edwards-Syndrom 7 Trisomie 18 E-E-Zeit 1232 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 Effectiveness, Definition 113 Efficacy, Definition 113 Effluvium 205 Eihäute – Aufbau 492 – Blasensprung 492 – Blasensprung, vorzeitiger 796 – Geburtsbeginn 492 – Pathophysiologie 796 – Relaxin 494 – Terminüberschreitung 806 Eikosanoide 227, 806 Eikosapentaensäure (EPA) 239 Einschneiden des Kopfes 871 Einstellung – asynklitische 845 – Definition 693, 845 – Dokumentation im Partogramm 847 – okzipitoposteriore – – Definition 844 – – Frühgeburtlichkeit 846 – – Ursachen 846 Einstellungsanomalie – Definition 845 – Einteilung 844, 846 – Geradstand, hoher 845–851 – – Beckenanomalie 836 – Geradstand, tiefer, vaginaloperative Geburt 875, 878 – Gesichtseinstellung 846 – Hinterhaupteinstellung, hintere 845, 845 – Lateralflexion 852 – Management, Bewertung der Methoden 852 – Querstand, tiefer 845–852 – Sectio 911 – vaginaloperative Geburt 869 Einverständnis der Patientin, Leitlinie, geburtshilfliche 1251 Eipollösung 785, 815
Eisen – Bedarf in der Schwangerschaft 228, 235, 345 – Eisencarboxymaltose – – postpartal 357 – – Schwangerschaft 352 – Eisenmangel – – Diagnostik 348 – – Prophylaxe 353 – – Therapie 350 – Eisenmangelanämie 347 – – manifeste 345 – – Risikofaktoren 353 – Eisensaccharatkomplex 351 – – postpartal 356 – Eisenstoffwechsel – – fetaler 348 – – maternaler 345 – Erythropoese 345 – Erythropoietin, rekombinantes (rhEPO) 352 – Hepcidin 345 – orales, postpartal 356 – parenterales, in der Schwangerschaft 351 – Reservekapazität 228 – Resorption – – Einflussfaktoren 235 – – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 – – Vitamin C 234 – Serumeisen 348 – Substitution 235, 236, 351, 529 – Überladung 353 – Wochenbett 345 Eisenmenger-Komplex 282 Eisenmenger-Syndrom 150 EKG, fetales – Hypervoltage 652 – PR-Intervall-Analyse 757 – Skalpelektrode 727, 757 – ST-Analyse (STAN) 756 – Störgrößen 652 – Terminüberschreitung 814 Eklampsie – Auswirkungen 328 – Definition 327 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Management 328 – – prä-/peripartales 1053 – Pathogenese 327 – Risikofaktoren 327 – Symptomatik 328 – Zentralnervensystem 316 ektopische Schwangerschaft, Leitlinie, geburtshilfliche 1250 Elastase 476, 477 Elektrokardiographie 7 EKG Elektromyographie, transabdominale (EMG) 489 Embolektomie 366
Embryoblast 6, 7 – Entwicklung, physiologische 82 Embryogenese – Ablauf, physiologischer 83 – Schädigung 82 Embryologie 82 Embryonalperiode – Arzneimittel, embryotoxische 92 – Noxen 85 Embryonaltoxikologie – Beratungsstelle 107 Embryonentransfer 926 Embryopathie – diabetische 440 – Noxen 82 – Rubellavirus 393 Emesis 102 Emesis gravidarum – Antiemetika 102 – Definition 277 – Ernährung, fetale 225 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 186 Emmet-Operation 832 Empfehlungen, geburtshilfliche 1248 Enalapril 312 Endokardfibroelastose 253 endokriner Metabolismus, maternaler – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 187 Endometritis 420, 1099 – postpartale 800 – – Streptokokkeninfektion 422 – – Blasensprung, früher vorzeitiger 566 – Sectio 911 – Terminüberschreitung 812 Endomyometritis 1099 – Geburtsmodus 857 – postpartale 800 – Sectio 1015 Endorphin 706, 1028 Endothelfunktion, gestörte 622 Endothelin 477 – Uterusperfusion 178 Endotoxin 477 Endotoxinschock, Cerclage 538 Endzotten 595 Energiebedarf, maternaler 225 – Stillen 1115 Energieumsatz, maternaler 226 Engelmacherin 61 Entbindung, normale 7 normale Geburt Entbindung, pathologische 7 pathologische Geburt
Entbindung, protrahierte 7 protrahierte Geburt Entbindung, vaginale 7 vaginale Geburt Entbindung, vaginaloperative 7 vaginaloperative Geburt Entbindungsmodus – Frühgeburt(lichkeit) 543 – Placenta praevia 642 – Plazentalösung, vorzeitige 643 – Sport in der Schwangerschaft 213 – Uterusruptur 644 Entbindungstermin, /-zeitpunkt – Berechnung 198 – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Frühgeburt(lichkeit) 512 – Lungenreife 541 – Naegele-Regel 198 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 597, 606–608 Enterokolitis, nekrotisierende (NEC) 317, 539 – Frühgeburt 520 Enterotoxin 1101 Entoderm 7 – extraembryonales 6 Entwicklung, pränatale – Blastogenese 82 – Einflussmechanismen 84 – Embryogenese 82 – Fetalperiode 84 – Pränataltoxikologie 84 – Stadien 82 Entwicklungsstörung, psychomotorische 805 Entzugssymptome, neonatale 1120 Enzephalopathie, maternale 333 – Eklampsie 327 – hypoxisch-ischämische (HIE) 1064 Enzephalopathie, neonatale – Asphyxie, intrapartale 775 – Ursachen 775 – Zerebralparese 779 Eomes 6 Epi-No-Gerät 899 Epilepsie, kindliche, Frühgeburt(lichkeit) 514 Epilepsie, maternale – Antikonvulsiva 96 – Arzneimittelberatung 90 – Auswirkungen 287 – Definition 287 – Fehlbildungshäufigkeit 86 – Fehlbildungsrate 89 – Prävention 289 – Therapie – – medikamentöse 288 – – Therapierichtlinien 97
1265 Stichwortverzeichnis
Episioproktotomie 975 Episiotomie 833 – Auswirkungen 894, 896 – Dammriss 899 – Dehiszenz 1101 – Descensus genitalis 894 – Einverständniserklärung 698 – Episioproktotomie 975 – Forensik 975 – Frühgeburt(lichkeit) 545 – Gebärposition, maternale 705 – Hebammengeburtshilfe 708 – Indikationen 697, 894 – Infektion 1101 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – Scheiden-Damm-Beckenboden-Schnitt, tiefer, nach Schuchardt 975 – Schnittführung 697 – Schulterdystokie 975 – Steißlage 952 – vaginaloperative Geburt 877, 882 – Vakuumenstraktion 875 – Versorgung 698 – Wassergeburt 719 – Wochenbett 1101 – Zeitpunkt 697 Epoxidhydrolase 97 Erb-Duchenne-Plexusparese 968 Erbkrankheit, kindliche – Aberration, gonosomale 86 – Aneuploidie 86 – Chromosomenanomalie 86 – Cri-du-chat-Syndrom 87 – Erbgang 86 – Fehlbildungen 86 – Fragile-X-Syndrom 87 – geschlechtsgebundene 86 – Häufigkeit 86 – Zwerchfellhernie 574 Erbrechen 7 Emesis Erbsbrei 1078 Ereignis, unerwünschtes 7 Fehler(management) Ergocalciferol 230 Ergotamin, Fehlbildungsdiagnostik 91 Ergotismus 1098 Erhaltungstokolyse 532 Erkrankungen, maternale – Alloimmunerkrankungen – – Alloimmunthrombopenie (AITP ) 464 – – Blutgruppeninkompatibilität 458 – Anämie 344 – Appendizitis 292 – Asthma bronchiale 285 – Diabetes mellitus 436 – Emesis gravidarum 277 – Epilepsie 287 – Gallenwege 295, 296
– – – –
Herz-Kreislauf-System – Herzerkrankung 282 – Hypertension 284, 307 – V.-cava-Kompressionssyndrom 285 – Hyperemesis gravidarum 277 – Infektionen – – bakterielle 412 – – virale 382 – maligne 297, 298 – Nieren/Harnwege 293, 294 – – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Pankreatitis 296 – Schilddrüse 279, 281 – Trauma 289 Ernährung, fetale – Aminosäuren 596 – Elektrolyte 596 – Glukose 596 – hämatotrophe 8 – histiotrophe 8 – Hyperemesis gravidarum 225 – Lipide 596 – Mangelsituation 619 – – Kompensation 597 – Transportproteine/-system 596 – Überversorgung 619 – Vitamine 596 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 596 Ernährung, maternale – Adipositas, maternale 185, 216, 300 – Diabetes mellitus, kindlicher 452 – Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 227 – Energiebedarf 184, 216, 225 – Ernährungsberatung 226, 240 – Fisch 224, 230, 239 – Fleisch 224, 236 – Frühgeburt(lichkeit) 529 – Frühschwangerschaft 225 – Gestationsdiabetes 446 – Hungerperiode 619 – Hyperemesis gravidarum 278 – Hypertonie 310 – Kalorienaufnahme, tägliche 226 – Koffein 217 – Kohlenhydratstoffwechsel 184 – Lebensmittel, zu vermeidende 224 – Malnutrition 592 – Mangelernährung – – Placenta praevia 645 – – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Mikronährstoffe – – Folsäure 231
– – Probiotika 240 – – Spurenelemente, Mineralien 235 – – ω3-Fettsäuren 239 – – Vitamine 228 – Milchzusammensetzung 1112 – Parasiten 224 – Postpartalperiode 1128 – Präeklampsie 320 – Sectio 917 – Stillen 1112, 1115 – Überernährung 225 – Unterernährung 224 – Vegetarismus/Veganismus 240 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592, 606 Eröffnungsperiode – Aktivphase 822 – CTG 743 – Dauer 689, 821 – Definition 689 – Geburtsstillstand 822 – Latenzphase 822 – Management, aktives 694 – Schmerzen 1027, 1033 – – Akupunktur 1160 Eröffnungswehen 732 – Überwachung, antepartale 652 Ersttrimesterscreening – α-Fetoprotein (AFP) 136 – Alterstest 129 – Aneuploidie 128, 166 – Auswirkungen, psychologische 1149 – Fehlbildung, schwerwiegende 136 – Geburtstermin, voraussichtlicher 805 – genetische Erkrankungen 127 – Quadrupletest 131 – Screeningstrategie 138 – Serummarker 667 – Sonographie 137 – Tripletest 131 Erythema infectiosum 7 Parvovirus B19 Erythroblastose, fetale/neonatale 458 Erythromycin 531 Erythromycinäthylsukzinat 420 Erythropoese, maternale 344, 345 Erythropoietin 345 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 – rekombinantes (rhEPO) 352 Erythrozyten, hypochrome 349 Erythrozytenabbau 347
Erythrozytenindex 348 Erythrozytenkonzentrat, Parvovirus B19 399 Erythrozytenkonzentration, maternale 1055 Erythrozytenvolumen 345 Estriol 601, 667 – unkonjugiertes 21 EthIG-Studie 371 Ethik – Autonomie, maternale 1170, 1175 – Benefizienz 1170 – Dilemma 1173 – Diskursethik 1169 – Frühgeburt(lichkeit), extreme 1173 – Futility-Konzept 1177 – Gerechtigkeit 1171 – Konflikt 1173 – – Autonomie 1178 – – Lösung 1179 – – maternofetaler 1177 – Kontraktethik 1169 – Krise 1173 – Kulturrelativismus 1170 – Medizinethik 1169 – Pragmatik 1171 – präventive 1180 – Spätabbruch 1174 – Verhältnismäßigkeit 1171 Ethikkommission, Pränataltherapie 571, 585 Ethosuximid 288 Ethylenoxid 806 Evakuation 7 Dilatation und Evakuation (D & E) Ex-Utero-Intrapartum-Prozedur (EXIT-Prozedur) 251, 576 Exotoxin 1101 Expektoranzien 104 Extrasystolen, fetale, Pränataltherapie 583 Extrauteringravidität – Chlamydia-trachomatis-Infektion 419 – Definition 34 – Diagnostik 36 – Diffenzialdiagnosen 38 – double-sac sign 36 – Formen 34 – humanes Choriongonadotropin (HCG) 20 – Management 39–42 – Pseudogestationssack 36 – Resolution, spontane 42 – Risikofaktoren 35 – sliding organs sign 37 – Sterilisation, postpartale 1135 – Tubargravidität 34, 37 Extremität, verkürzte, Sonographie 155
D–E
1266
Stichwortverzeichnis
F 4 F (fetale Verhaltenszustände) 662 Fachartzstandard 1226, 1229 Fagan, Nomogramm 118 Faktor-V-Leiden-Mutation 363, 368 Faktor-VII-Mangel 1021 Fallot-Tetralogie, Sonographie 149 false labor 690, 823 Farbdopplersonographie – Extrauteringravidität 37 – Herz, fetales, Dritttrimesterscreening 254 – Placenta praevia 997 – Plazentalösung, vorzeitige 639 – Septumdefekt 149 – Thromboembolie, venöse (VTE) 365 Farnkrautphänomen 797 Fasziitis 1101 Fehlbildung, embroyonale 83 Fehlbildung, fetale – Abdomen 152, 160 – Adipositas, maternale 301 – Alkoholabusus 217 – Amnionband 574 – Arzneimittelexposition 91 – Beckenendlage (BEL) 945 – Chylothorax 252 – Diabetes mellitus, maternaler 438, 448 – Diagnostik – – Diabetes mellitus, maternaler 448 – – Screening, pränatales 127 – – Zwillings-/Mehrlingsschwangerschaft 929 – Dritttrimesterscreening 246 – Entdeckungsrate 139 – Epilepsie, maternale 287 – Extremitäten 154 – Fehlbildungsregister, nationales 107 – Folsäure 197 – Frühgeburt(lichkeit) 519 – Gastroschisis 139 – – Neugeborenes, Versorgung 1069 – geburtshilfliches Management 139, 839 – Genitale, intersexuelles 581 – Gesicht 147 – Gesprächsführung, ärztliche 1150 – Groningen-Protokoll 1177 – Herz – – Formen 149 – – Pränataltherapie 578 – – Sonographie 149
– – – – –
Körperproportionen 138 Kumarin 370 lebensbedrohliche 570 Lunge 160 – Malformation, zystischadenomatoide 571 – Mehrlingsschwangerschaft, Fetozid, selektiver 935 – MMIH-Syndrom (Megazystis, Mikrokolon, intestinale Hypoperistaltik 574 – MRT 160 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Pleura 151 – Regressionssyndrom, kaudales 574 – Rubellavirus 393 – Schwangerschaftsabbruch – – Ethik 1175 – – Frist 1175 – – später 71 – schwerwiegende, Definition 136 – Screeningprogramm 127 – Sonographie 137 – Spina bifida aperta 570, 576 – – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Thorax 151, 160 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 601 – Wirbelsäule 150 – Zerebralparese 778 – ZNS 145, 161 – Zwerchfelldefekt 1079 – – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Zwillinge, siamesische 933 – Zwillingsschwangerschaft 928 – – Acardius corioangiopagus parasiticus 932 – – monoamniale 932 Fehlbildung, kindliche – Diabetes mellitus, maternaler 438 – Erbkrankheit 86 – Mirkognathie, Stillen 1117 – Spaltbildung, Stillen 1117 – Ursachen 85 Fehlbildung, maternale – Becken 834, 836, 838 – – Schulterdystokie 972 – Beckenendlage (BEL) 946 – Extrauteringravidität 35 – Frühgeburt(lichkeit) 538 – Geburtsablauf, gestörter 832 – uterine – – Abort 24 – – Müller-Gänge 25 – Vagina duplex 833
Fehlbildungsregister, nationales 107 Fehler – begünstigende Faktoren 1191 – Definition 1184 – Kommunikationsprobleme 1188 – latenter 1185 – Meldesystem 1190 – menschlicher 1185, 1186 – Ranking 1192 – Schweizer-Käse-Modell nach Reason 1185 – Sicherheitskultur 1187 – systemischer 1187 – vermeidbarer 1184 Fehlermanagement – Begriffsbestimmung 1184 – Briefingverfahren 1188 – Instrumente 1187 – M&M-Konferenz 1190 – Schadensmessung 1193 Fehlgeburt 7 Abort Fekundität, Folsäure 232 Feminisierung, testikuläre 86 Femur, verbogenes (Telefonhörer) 156 Femurlänge (FL) – Dritttrimesterscreening 249 – Gestationsalterbestimmung, Zuverlässigkeit 809 – Gewichtsschätzung 809 – Sonographie 155 Fenoterol 521 Fentanyl 102, 1030 – Periduralanästhesie (PDA) 1037 Fergusen-Reflex, 219 Ferinject 357 Ferritin 348, 353, 355 Fertilisation – Adhäsion 4 – Implantation 6 – Menstruationszyklus 4 – Ovulation 4 – Präimplantation 5 – Reifeteilung, zweite 5 – Verschmelzung 5 Fertilität – Adipositas, maternale 300 – Alkoholabusus 218 – Chlamydia-trachomatis-Infektion 419 – Ernährung, maternale 216 – Extrauteringravidität in der Anamnese 39 – Iodmangel 236 – Mehrlingsschwangerschaft 925 – Myomektomie 25 – postpartal 1116, 1128 – Stillen 1116, 1128
fetal alcohol syndrome (FAS) 7 Alkoholembryopathie fetal behavorial states 662 Fetalblutanalyse, Registriermethodik 649 fetal breathing 659, 717 Fetalchirurgie, fetoskopische – Gasinsufflation des Amnions 578 – Laserkoagulation pathologischer Plazentagefäße 571 – Spina bifida aperta 571, 578 – Zwechfellhernie 571 Fetalchirurgie, offene 571 – Spina bifida aperta 578 fetal distress – Oyxitozinüberdosierung 829 Fetalperiode – Arzneimittel, fetotoxische 92 – Entwicklung, physiologische 84 – Noxen 85 – Schädigung 84 fetal programming 7 Programmierung, fetale Fetopathie – Kumarin 370 – diabetische 440, 441 – – Sectio, sekundäre 449 fetopelviner Index 841 Fetoskopie – diagnostische, Indikationen 572 – Echokardiographie, transösophageale 580 – Fetalchirurgie 571 – Herzoperation 578 – Spina bifida aperta 571 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Fetozid – selektiver iatrogener bei Mehrlingsschwangerschaft 934 – Spätabbruch 74 Fettgewebe, subkutanes fetales 448 Fettleibigkeit 7 Adipositas, maternale Fettsäuren – essenzielle, Gehirnentwicklung, fetale 239 – langkettige ungesättigte 529 – mehrfach ungesättigte (PUFA) 227, 239 fiber tracking 160 Fibrinmonomer 1009 Fibrinogen 319, 331, 362, 1004, 1007, 1011 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182
1267 Stichwortverzeichnis
Fibrinolyse 366 – reaktive 1008 – überschießende 1015 Fibrinopeptid A 317, 331 Fibrinstaltprodukte 365, 640 Fibronektin – Blasensprung, früher vorzeitiger 560 – Frühgeburt(lichkeit) 518 – onkofetales 797 – Zwillingsschwangerschaft 930 Fibrose, zystische 255 – Erbgang 86 Fieber im Wochenbett 1098 fifth disease 7 Parvovirus B19 FIGO-Score zur CTG-Auswertung 654 Filtrationsrate, glomreruläre, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 Fimbrientrichter 4 Fisch, Ernährung, maternale 227 Fischer-Score 654, 741 Fischöl 529, 806 – Stillen 1115 Fistel, vesikovaginale 833 Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom 420 Flecainid 583 Fleisch, Ernährung, maternale 236 flexion point 849 Flexionshaltung, okzipitoanteriore 688 Floppy-infant-Syndrom 100 Flowzytometrie 463 Flugreisen 219 Fluor, Kariesprophylaxe 1085 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) 168 Fluorid 238 – Bedarf in der Schwangerschaft 228 Flüssigkeitshaushalt, maternaler, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 Flussmuster, venöses, Überwachung, antepartale 672 Flussumkehr, diastolische/Flussverlust, diastolischer 603 – Überwachung, antepartale 671 Foetus in foeto 933 Folat 7 Folsäure Foley-Katheter 786, 992 Follikelruptur 6 Folsäure 231, 345 – Bedarf 182 – Mangel, Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 – Neuralrohrdefekt 150
– perikonzeptionell 197 – Placenta praevia 645 – Präeklampsie 336 – Spaltbildung 148 – Substitution 529 Foramen ischiadicum majus 838 Foramen ovale (Verschluss), Pränataltherapie 580 Forceps – Beckenausgangsforceps 545 – Hämatom, geburtstraumatisches 999 Forensik – Apgar-Score 701 – Arztverschulden 1232 – Aufklärung 1233, 1234 – Auskultation/CTG 746 – Auskunftsverweigerungsrecht 1245 – Beckenendlage (BEL) 942, 947 – Begutachtung 1240 – Behandlungsfehler 1226 – – grober 1231 – Beweiserleichterung 1232 – Beweispflicht, Dokumentation 1238 – court ordered cesarian section (Sectio auf Gerichtsbeschluss) 1179 – Dokumentation 1238 – E-E-Zeit 1232 – Episiotomie 698 – Fachartzstandard 1226, 1229 – Geburtsasphyxie 772 – Geburtseinleitung 785 – Haftung – – Risikomanagement 1189 – – Grenze 1226 – – Risiko 1226 – – zivilrechtliche 1233 – Kausalität 1243 – Organisationsverschulden 1228 – Partogramm 694 – Periduralanästhesie (PDA) durch Geburtshelfer 1033 – Plexusparese 969 – Schulterdystokie 983 – – Episiotomie 975 – Sectio, elektive 1233 – Sektionsklausel 1245 – Strafrecht 1233 – Strukturmangel 1229 – Übernahmeverschulden 1227 – Überwachung, intrapartale 724, 747 – vaginaloperative Geburt 849, 883 – Verjährungsfrist eines Behandlungsfehlers 1240 – Zerebralparese 778 – Zivilrecht 1233
Forzepsextraktion 7 vaginaloperative Geburt Fragile-X-Syndrom 87 Fragmentozyten 330 Frank-Starling-Kurve 1054 Frank-Starling-Mechanismus, fetaler 649 Fraser-Syndrom (Kryptophthalmus, Syndaktylie, Larynxatresie) 576 Frauenmilch – Abstillen 1121 – Agalaktie/Hypogalaktie 1117 – Kolostrum 1112 – Let-down-Reflex 1115 – Milcheinschuss, überschießender 1118 – Milchgängigkeit von Medikamenten 1120 – Milchmenge 1114 – Milchstau 1118 – reife 1112 – transitorische 1112 – Zusammensetzung 1112 – Zwillinge/Mehrlinge 1117 Fremdblut bei maternaler Anämie 357 fresh frozen plasma (FFP) 319, 357 – peripartal 1007 Friedmann und Taylor, Beckenkapazitätsberechnung 844 Fristenlösung 62 Fruchtblase, prolabierte 562 Fruchttod, intrauteriner (IUFT) – Abruptio 75 – Adipositas, maternale 301 – Alkoholabusus 218 – Antiphospholipidsyndrom (APS) 28 – Diabetes mellitus, maternaler 441 – Folsäure 232 – Gesprächsführung, ärztliche 1150 – Gestationsdiabetes 446 – Hämostasestörung, maternale 1012 – Parvovirus B19 398 – Präeklampsie 317 – Schulterdystokie 982 – Serummarker 668 – Tachykardie, supraventrikuläre 150 – Terminüberschreitung 807 – Zwillingsschwangerschaft 928, 929 – – monoamniale 932 Fruchtwasser – Amnioninfektionssyndrom (AIS) 565 – Amnioskopie 751 – amniotic fluid index (AFI) 260
– Blasensprung, früher vorzeitiger 560 – dick-grünes 1079 – Drainage, serielle 572 – Dritttrimesterscreening 260 – Erbsbrei 1078 – Fruchtwasserembolie 1100 – Grünfärbung 751 – Insulinbestimmung 447 – mekoniumhaltiges – – Absaugen 814 – – Neugeborenenversorgung 1079 – Menge – – Dritttrimesterscreening 246 – – Dyshydramnion 666 – – Frühschwangerschaft 260 – – geschluckte 666 – – Non-Stress-Test (NST) 658 – – Oligohydramnion 666 – – pathologische 666 – – Polyhydramnion 666 – – Schwangerschaftsverlauf 260 – – Sonographie 157, 797 – – Terminüberschreitung 813, 814 – – Überwachung, intrapartale 764 – – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 605 – normale Geburt 692 – Probe, zur Frühgeburtlichkeit 540 – Produktion 260 – Resorption 260 – Sonographie 260 – Terminüberschreitung 807, 813, 814 – Wehentätigkeit 477 Fruchtwasserembolie 1013– 1015 Fruchtwasserindex (FWI) 157 – Terminüberschreitung 810 Frühabort, Definition 22 Frühgeborenenretinopathie 546 Frühgeburt(lichkeit) – 17α-Hydroxyprogesteron 474 – Abnabeln 914 – Adipositas, maternale 301 – Amniozentese 537, 540 – Analgesie 545 – Anästhesie 545, 1050 – – Sectio 1050 – – vaginale Geburt 1050 – Antibiotikaprophylaxe 530, 531 – Apgar-Schema 1067 – Atemnotsyndrom 539 – Beckenendlage (BEL) 945 – Behandlungsabbruch 547 – Berufstätigkeit 528
F
1268
Stichwortverzeichnis
Frühgeburt(lichkeit) – Bettruhe 532 – Blasensprung, früher vorzeitiger 561 – Blutgasanalyse 668 – Cerclage 534 – CTG 530 – Definition 514 – Deziduablutung 475 – drohende 562, 564 – Einstellung, okzipitoposteriore 846 – Entbindungsmodus 543 – Epilepsie, kindliche 514 – Episiotomie 545 – Ernährung 529 – Erstversorgung, Frühgeborenes 1081 – Ethik 1173 – Fehlbildung, maternale 538 – Fibronektin 518 – Forzepsentbindung 877 – Geburtsgewicht – – Definition 1080 – – sehr niedriges (VLBW) 513 – Geburtsleitung 539 – Genussmittel 529 – Geschlecht 805 – Gestationsalter bei Geburt, Definition 1080 – Glukokortikoide 542 – Herzfrequenzdezeleration 736 – Hirnläsionen 543 – Hospitalisierung 532 – Hyperemesis gravidarum 225 – Infektion 476, 502, 518 – – Erreger 381 – – Infektscreening 530 – Inzidenz 805 – Klassifizierung nach Gestationsalter 515 – Langzeitmorbidität 514 – Lebensfähigkeit, Grenze 1081 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249, 1250 – Leukomalazie, periventrikuläre 778 – Lungenreife(induktion) 518, 539 – Magnesium(substitution) 238, 532 – Mangelernährung, maternale 216 – Meldepflicht 514 – Morbidität 546, 1204 – – neonatale gewichtsabhängige 561 – Mortalität 546 – MRT 161 – Mutterschutzgesetz 528 – Nikotinabusus 219
– Palliativmaßnahmen 547, 1082 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Plazentationsstörung 595 – Prävalenz 513 – Progesteron 474, 502 – Prognose 1081 – Psychosomatik 1148 – Relaxin 496 – Risikoabschätzung 267 – Risikofaktoren 529 – – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 591 – Schwangerenvorsorge 206 – Screeninguntersuchung 529, 530 – Sectio 913, 914 – Sport 528 – Stillen 1117 – Streptokokkeninfektion 422 – Stress, maternaler 475, 528 – Tokographie 517 – Tokolyse 518, 521, 532 – Uterusanomalie 538 – Uteruskontraktion 651 – Versorgungsstufe Geburtsklinik 1080 – Vitamin C 234 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 595, 597 – Zerebralparese 514, 777, 779 – Zervixinsuffizienz 533 – Zervixlänge 267, 517 – Zwillings-/Mehrlingsschwangerschaft 930 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 – Zyanose 540 Frühschwangerschaft – Abort 22 – Antiemetika 102 – Arzneimittelberatung 90 – β-HCG, freies 21 – Beschwerden 20 – Dopplersonographie 8 – Eisenbedarf, maternaler 345 – Embryoblast 7 – Endometrium 6 – Ernährung, maternale 216, 225 – Extrauteringravidität 20, 35 – Ferritin 353 – Fettstoffwechsel 184 – Folsäure 232 – hatching 6 – Implantation 6 – In-vitro-Fertilisation (IVF) 21 – Infektion 25, 592 – Insulin 184
– kardiovaskuläre Veränderungen 180 – Kreislauf, umbilikoplazentarer 12 – Mehrlingsschwangerschaft 21, 927 – Mole, hydatiforme 47 – Nackentransparenzmessung (NT) 21 – Nährstoffzufuhr, erhöhte 225 – PAPP-A 21 – Placenta accreta 4 – Plazentalösung, vorzeitige 4 – Plazentation 8 – Präeklampsie 4 – Präimplantation 6 – psychische Aspekte 1141 – psychische Veränderungen 188, 1141 – Psychosomatik 1149 – Röntgen 365 – Sonographie – Sport 213 – Trophoblastentwicklung/-störung/-erkrankung 8, 9, 20 – Untersuchung, gynäkologische/laborchemische 20 – Vitamine 232 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 – Zerebralparese 778 – Zottenwachstum 14 – Zwillingsschwangerschaft, λ-/ T-Zeichen 928 FSH 5 Funduskopie, präkonzeptionelle 437 Fundusstand bei Kreißsaalaufnahme 692 funneling 517 Fußlage – Reposition der Beine 953 – unvollkommene 944 – vaginale Geburt 953 – vollkommene 944 Fußzonenreflexmassage, Wehenschwäche 827
G Galaktorrhö, nonpuerperale 1148 Galektin-1 7 Gallensteine 296 Gallenwege, maternale, Erkrankungen 295, 296 – Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 295 – Schwangerschaftsikterus 295 Gametenspende 30 gap junctions 177, 474, 477, 480, 519
Gardnerellen, Frühgeburt(lichkeit) 531 Gaskin-Manöver 979 Gastrointestinaltrakt, fetaler, Sonographie 254 Gastrointestinaltrakt, maternaler, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 186 Gastroschisis 139, 153 – Neugeborenes, Versorgung 1069 GDM-Screening 444 Gebärposition, maternale – Austreibungsperiode 695 – Beckenboden 703 – Beckenendlage (BEL) 950 – Episiotomierate 705 – Gebärstuhl 702 – Historisches 701 – hockende 687, 705, 707 – Knie-Ellbogen-Lagerung 703 – – Rotationsmanöver 849 – – Schulterdystokie 979 – Partnerhilfe 707 – Rückenlage 702, 704 – Schoßgeburt 702 – Seitenlage 704, 707 – sitzende 702 – stehende 707 – Steinschnittlage 687 – vertikale 701, 702 – Vierfüßlerstand 704 – – Rotationsmanöver 849 – vornübergebeugte 707 – Wassergeburt 714 – Wechsel 703, 706 – Wehenschwäche 828 Gebärstuhl, historischer 702 Gebärwanne 715 Geburt – anonyme 75 – normale 7 normale Geburt – pathologische 7 pathologische Geburt – protrahierte 7 protrahierte Geburt – vaginale 7 vaginale Geburt – vaginaloperative 7 vaginaloperative Geburt Geburtsbeginn/Geburtsauslösung – Amniotomie 696 – Bioengineering 489 – Blasensprung 492 – Definition 689 – Eihäute 492 – Entzündungszellen 500 – Inflammation 473 – kontraktionsassoziierte Proteine 489 – Mediatoren 473
1269 Stichwortverzeichnis
– Myometriumkontraktilität 479 – Physiologie 473 – Steroidhormone 486 – Stickstoffmonoxid (NO) 491 – Zervixreifung 474, 495 – Zytokine 490 Geburtsbegleiterin 1142 Geburtsdauer 821 – Akupunktur 1159 – Sport 213 – Steiß-Fuß-Lage 944 Geburtseinleitung – Amniotomie 785 – Bishop-Score 785 – Blasensprung, vorzeitiger 798 – CTG 785 – Definition 784 – elektive 785 – Hyperstimulation 792 – Indikationen 784 – Infektion 799 – Inzidenz 784 – Kontraindikationen 791 – Makrosomie 813 – Methoden – – Amniotomie 785 – – Ballonkatheter 791, 811 – – Membranstripping/Eipollösung 785, 811, 813, 815 – – Misoprostol 790 – – Oxytozin 786 – – Prostaglandin 786 – Risiken – – Hyperstimulation 785 – – Hyperstimulationssyndrom 792 – – Sectionarbe 791 – – Tachysystolie 792 – – Uterusruptur 790, 791, 793 – Schulterdystokie, Prävention 973 – Sectio, Folgeschwangerschaft 791, 861 – Terminüberschreitung 808, 811 – überschnelle Geburt 824 – Zervix, reife 786 – – Blasensprung, vorzeitiger 799 – Zervix, unreife 789 Geburtserleben, maternales – Gebärposition, maternale 703 – Geburtsmodus 919 – Hebammengeburtshilfe 708 – Leitungsanästhesie 1046 – normale Geburt 684 – Psychosomatik 1143 Geburtsgeschwulst 850 Geburtsgewicht – Alkoholabusus 218 – Anstrengung, körperliche 215 – Diabetes mellitus 449
– Ernährung, maternale 225 – – – Malnutrition, maternale 593 – Frühgeburt(lichkeit) 1080 – geringes – – Chlamydia-trachomatis-Infektion 420 – – Risikofaktoren/Vorhersage 600 – Höhenexposition 220 – kardiovaskuläre Erkrankung 621 – Krebsrisiko 625 – Lebensfähigkeit 22 – Mortalität, neonatale 1202 – Neugeborenes, Definition 1068 – Nikotinabusus 218 – Outcome, kindliches 588 – Perzentile 590 – Programmierung, fetale 620, 624 – Schulterdystokie 449 – Sectio, primäre 449 – Sport 213 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 597 – Zwillingsschwangerschaft 931, 937 Geburtskanal 686, 687 – Trauma 989 – überschnelle Geburt 824 Geburtsknie 943 Geburtslage, Zwillingsschwangerschaft 937 Geburtsmodus – Adipositas, maternale 301 – Epilepsie, maternale 288 – Herzerkrankung, maternale 284 – Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 296 – Wahl 918 – Zwillings-/Mehrlingsschwangerschaft 937 Geburtsprotokoll, Forensik 1238 Geburtsstillstand 7 protrahierte Geburt Geburtstermin – voraussichtlicher, Sonographie 805 – Zwillings-/Mehrlingsschwangerschaft 936 Geburtstrauma, maternales – Adipositas, maternale 301 – Dammriss 7 dort – Diagnostik 900 – Episiotomie 995 – Pathophysiologie 892 – Psychosomatik 1146 – Prävention 899 – Schulterdystokie 969 – Sphinkterdefekt, okkulter 899
– vaginaloperative Geburt 882 – Versorgung 895 Geburtstrauma, neonatales 1069 – Klavikulafraktur 969 – Plexus brachialis 954 – Schulterdystokie 968 – vaginaloperative Geburt 873, 874 – Vakuumextraktion 875 Geburtsüberwachung 7 Überwachung, intrapartale Geburtsvorbereitungskurs 1152 Geburtswege 7 Geburtskanal Gefäßpathologie, uteroplazentare, IUWR 595 Gefäßwiderstand, maternaler 600 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 180 Gefühlswelt, maternale 188 Gehirn, fetales – Arachnoidalzyste 251 – Blutung, intrakranielle 250 – Dritttrimesterscreening 249 – Entwicklung – – neurophysiologische 607 – – physiologische 84 – – Programmierung, fetale 625 – Fettsäuren, essenzielle 239 – Gyrierungsstörung 250 – Leukomalazie, periventrikuläre 250 – Mikrozephahlus 250 – Porenzephalie 251 – Reifebeurteilung, MRT 161, 250 – Tumor, intrazerebraler 251 – vaskuläre Abnormität 251 – Ventrikulomegalie 250 – Zytomegalievirusinfektion 251 Gelbfieberimpfung, maternale 105 Gemini 7 auch Zwillings-, Drillings-, Mehrlingsschwangerschaft. Genetik 7 auch Erbkrankheit – Blutgruppenunverträglichkeit 459 – Blutplättchenanalyse 465 – Diabetes mellitus, kindlicher 452 – Erbgang 86 – epigenetische Mechanismen 597 – genetische Erkrankung, fetale 127 – Human Genome Project 128 – Imprinting, genomisches 592, 596, 606 – MRT 162
– – – –
Schwangerenvorsorge 198 Screening, pränatales 127 Wachstumspotenzial 589 Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 Genitaltraktinfektion, Wochenbett 1100 Genitalverstümmelung 833 – Ethik 1170 Genmutation 170 Genomics 112 Genussmittel 7 bei den einzelnen Genussmitteln Geradstand, hoher/tiefer 7 Einstellungsanomalie Gerinnung 7 auch Blutgerinnung Gerinnung, disseminierte intravasale (DIC), Diagnostik 641 Gerinnungsfaktoren 362 – Defekt – – Abortneigung 373 – – Faktor-VII-Mangel 1021 – – kongenitaler 368 Gerinnungsstörung, maternale – Blutung, postpartale 989 – Blutung, vaginale, 3. Trimenon 641, 645 – Entbindung 319 – Präeklampsie 319 Gerinnungstest 1006 Geschlecht, fetales – Auswirkungen 805 – Geschlechtsentwicklung, Aberration, gonosomale 86 Geschlechtsverkehr 7 sexuelle Aktivität Gesichtseinstellung 845 – Rotation, okzipitoposteriore 850 Gesichtshaltung, mentoposteriore 877 Gesichtslage, Rotation, okzipitoposteriore 850 Gestationsalter – Bestimmung 145, 198, 809 – – Fehler, Terminüberschreitung 808 – – Spätschwangerschaft 247 – – Diabetes mellitus, maternaler 448 – biochemische Marker 131 – Durchmesser, biparietaler 144 – Durchmesser, transzerebellärer 145 – Frühgeburt(lichkeit) 515, 1080 – Geburtseinleitung 811 – Mortailität, perinatale 513 – Neugeborenes 1068 – rechnerisches 145 – SGA-Fetus 598 – Sonographie 145, 805
F–G
1270
Stichwortverzeichnis
Gestationsalter – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 597 Gestationsdiabetes – Abdominalumfang, fetaler 447 – ACHOIS 444 – Auswirkungen 446 – Blutglukoseselbstkontrolle 446 – Definition 436 – Diabetesschwerpunkteinrichtung 446 – Diagnostik, selektive 443 – Ernährung, maternale 225, 437 – Folgeschwangerschaft 453 – HAPO 446 – Insulin(einstellung, -produktion, resistenz) 437, 447 – kognitive Leistung, kindliche 626 – Kontrazeption 453 – Langzeitfolgen 453 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – Makrosomie 158 – Mutterschafts-Richtlinien 443 – oGTT 445 – Pathophysiologie 443 – Postpartalperiode 451, 453, 1127 – Programmierung, fetale 620 – Risikofaktoren 443 – Schulterdystokie 970 – Schwangerenvorsorge 205 – Screening 186 – Sport 212, 446 – Terminüberschreitung 813 – Therapie 446 – Überwachung, fetale 448 Gestationshypertonie 308, 309 Gestationsthrombopenie 1005 Gesundheitspolitik, Screening, pränatales 132 Gewebewachstum, physiologischer Ablauf 591 Gewicht, fetales – Abdomenumfang (AU) 144 – Berechnungsformel 249 – Bestimmung 598 – – Spätschwangerschaft 247 – Gewichtskurven, Definition 588 – Schulterdystokie 973 – Sonographie, dreidimensionale 249 Gewicht, maternales – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182, 185 – postpartal 1127 – Präeklampsie 317 – Zunahme 226, 589
Gingivitis hypertrophicans, maternale 186 Globuline 182 Glukokortikoide – Antiallergika 103, 104 – Antiphlogistika 103 – Antiphospholipidsyndrom 336 – Asthma bronchiale, maternales 104 – Blasensprung, früher vorzeitiger 564 – Eklampsie 331 – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Frühgeburt 520 – HELLP-Syndrom 331, 1052 – Lungenreife 103, 539, 540, 562 – Myometriumkontraktilität 484 – Präeklampsie 319, 320 Glukose – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 – Infusion, maternale, intrapartale 763 – Metabolismus, maternaler – – Diabetes mellitus, maternaler 436 – – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184, 185, 437 – – Störung, postpartal persistierende 451 – Metabolismus, fetaler 620 – – Programmierung, fetale 619 Glukose-steal-Phänomen 447 Glukosetoleranzstörung 436 Glukosetoleranztest, oraler (oGTT) 445 – Auswertung 1128 – Postpartalperiode 1128 – Schwangerenvorsorge 205 Glukosurie, maternale 183 Glycin-Valin-Ratio 602 Glykogenspeicher 808 Glykohämoglobin HbA1c 439 Glykoprotein 10 Gonadotropin 5 – Reproduktionsmedizin 926 Gonoblennorrhö, neuonatale 1070 Gonokokken, Frühgeburt(lichkeit) 531 G-Protein 482, 525 Gradient, dreifach absteigender 825 Granulosazelle 4 Gravidarium 198 Gregg-Trias 394 Grenzbereich, fetomaternaler 472
Grey-Syndrom 89 Griseofulvin 95 Groningen-Protokoll 1177 grossesse nerveuse 1148 Gruppe-B-Streptokokken – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Sectio 912 Gürtelrose, maternale 390 Gutachten, medizinisches 1240 Gyrasehemmer, Teratogenität 94 Gyrierungsstörung 250
H Haarwuchs, vermehrter 7 Effluvium Hadlock-Formel 145 Haftung, zivilrechtliche 1233 Haftungsrisiko/-grenze 1226 Haloperidol 99 Haltung – Definition 692, 845 – Deflexionshaltung 845 – Flexionshaltung, okzipitoanteriore 688 Haltungsanomalie, vaginaloperative Geburt 869, 875 Hämatokrit (Hkt) 346 hämatologische Situation, maternale 182 Hämatom, geburtstraumatisches 999 Hämatom M. sternocleidomastoideus, Neugeborenes 1069 Hamilton-Handgriff 1055 Hammacher-Score 653, 741 Hämodilution, maternale 606, 1055 Hämodynamik, maternale 290 Hämoglobin (Hb) 345, 346, 348 – Chordozentese 461 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 Hämoglobinopathie 354 Hämoglobinsynthese 347 Hämolyse 316, 329 hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 330, 1018 Hämophilie 127 – Erbgang 86 – maternale, Blutung, postpartale 989 Hämophilie-A-Kondukorin 1020 Hämophilie-B-Konduktorin 1020 Hämorheologie 606 Hämorrhagie, maternale 1019 – Mortalität, maternale 1222 – intrazerebrale maternale (prä-/peripartal) 1054 – postpartale, Leitlinie, geburtshilfliche 1251
Hämorrhagie, fetomaternale 291 Hämorrhagie, neonatale, Vitamin K 235 Hämorrhoiden 205 – Wochenbett/Hämorrhoidalthrombose 1102 Hämostase 7 Blutgerinnung Handbohrer (Zugang) 1077 Haptoglobin 330 Harnblase, Füllung 855 Harninkontinenz, Postpartalperiode 1126, 1128 Harnsäure, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 Harnstau, fetaler 574 Harnstoff, maternaler, Präeklampsie 316 Harntrakt, fetaler, Urethralklappenobstruktion 158 Harnverhalt, Wochenbett 1102 Harnwege, fetale, Dritttrimesterscreening/Sonographie 257 Harnwege, maternale – Harnkonkrement 294 – Infektion – – Bakteriurie, asymptomatische (ASB) 293 – – Frühgeburt(lichkeit) 531 – – Streptokokkeninfektion 422 – – Urolithiasis 294 – – Wochenbett 1102 – – Zystitis 293 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 Harnzucker 183 hatching 6 Hauptmilch 1112 Hausgeburt, Leitlinie, geburtshilfliche 1250 Hautkolorit, Neugeborenes, Apgar-Schema 1067 Hawkin-Ambler-Dilatoator 67 HbA1c 439 HBsAg 402 HCV-ELISA 405 HCV-Immunoblot 405 HCV-PCR 405 Hebammengeburtshilfe – ambulante Geburt 1086 – Beziehung zur Schwangeren 1142 – Definition 707 – Forensik 1228–1230 – Hebammenkreißsaal 709 – Kontraindikationen 708 – Leitlinie, geburtshilfliche 1253 – Outcome 707 – Patientinnenselektion 708 – Voraussetzungen 708, 709
1271 Stichwortverzeichnis
– Wechsel ins Betreuungsschema Arzt–Hebamme 708 Hegar-Dilatator 68 Hegar-Schwangerschaftszeichen 20, 497 Hellin-Regel 925 HELLP-Syndrom – Antiphospholipidsyndrom (APS) 28 – Auswirkungen 329 – Blutgerinnung, maternale 1012 – Definition 329 – Diagnostik 330 – Entbindung 331 – Folgeschwangerschaft 332, 1127 – Heparin 372 – Klinik 333 – Konflikt, maternofetaler 1177 – Management 331 – Mississippi-Einteilung 330 – Pathophysiologie 329 – Postpartalperiode 1127 – prä-/peripartales Management 1052 – Symptomatik 316, 330 – Tennessee-Klassifizierung 330 – Thromboserisiko 363 – Thrombozyten 182 Helm-CPAP 1053 Helminthen, maternale 95 – Fuchsbandwurm 224 Helsinki-Deklaration 585 Heparin – Abort, habitueller 30 – Antiphospholipidsyndrom 336 – Dosierung 367, 370 – Geburtseinleitung 372 – Knochendichte 372 – Langzeittherapie, maternale 101 – niedermolekulares 367, 371 – peripartal 1011 – Präeklampsie 321, 326 – Risiken 371 – Teratogenität 101 – Thromboembolie – – venöse (VTE) 366 – – heparininduzierte (HIT) 372 – Thromboseprophylaxe 368, 369 – unfraktioniertes 367, 371 Hepatitis 334 – akute, Klinik 333 – Geburtsmodus 403 – Hepatitis-A-Virus (HAV) 400 – Hepatitis-B-Virus (HBV) 402 – – – Impfung, neonatale 1085
– Hepatitis-C-Virus (HCV) 403–405 – – – Stillen, Empfehlung 1250 – Hepatits-E-Virus 220 – ikterische, maternale 401 – Impfung, maternale 105 – – passive 106 – Schwangerenvorsorge 207 – Stillen 1119 – Terminüberschreitung 400, 403 – Transmission 401 Hepcidin 345 Heroin 7 Opiatabusus Herpes genitalis – Geburtsmodus 384 – neonataler, Klassifikation/ Transmissionsprophylaxe 383 – Typ 1/2 (HSV-1/2) 382 – Uterusruptur 830 Herpes zoster 390 Herxeimer-Reaktion 416 Herz, fetales – Acardius corioangiopagus parasiticus 932 – Drehungsanomalie 150 – Dritttrimesterscreening 251, 253 – Echokardiographie 254 – Eisenmenger-Syndrom 150 – Entwicklung, physiologische 83 – Gefäßpathologie 254 – Herzfrequenz, fetale (FHF) 649 – Herzfrequenzdezeleration 609 – Hydrops fetalis 258 – Kardiomegalie 253 – Kardiomyopathie 254 – Klappenwachstum, beeinträchtigtes 253 – Lage 251, 254 – Linksherzsyndrom, hypoplastisches (HLHS) 149 – lung/head ratio 251 – Mutterschafts-Richtlinien 253 – Pränataldiagnostik – – MRT 160 – – Sonographie 149 – Pränataltherapie 578 – Rechts-links-Shunt 150 – Septumdefekt, trioventrikulärer (AVSD) 150 – Situs inversus 149 – Sonographie 253 – – gesunder Fetus 149 – – Herzfehler 149 – – Richtlinien 253 – Tachykardie, supraventrikuläre 150
– Transposition der großen Gefäße (TGA) 150 – Trikuspidalinsuffizienz 609 – Ventrikeldiskordanz 253 – Zwerchfellhernie 152 Herz, maternales – Belastung sub partu 181 – Blutung, postpartale 1054 – Erkrankung – – Geburtsmodus 284 – – kongenitale 181 – – Management 283 – – NYHA-Klassifikation 283 – – präkonzeptionelle 282 – – Vorerkrankung, kardiovaskuläre 179 – Herzfehlbildung 282 – Herzfrequenz während Geburt 704 – Herzklappe, mechanische 371 – Kardiomyopathie, peripartale 284 – Linksherzversagen durch Fruchtwasserembolie 1013 – Peri-mortem-Sectio 291 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – physiologische Veränderungen – – Geburt 1055 – – Schwangerschaft 179, 282 – Reanimation, maternale 291 – Schlagvolumen 180 – Sinustachykardie, physiologische 1006 – V.-cava-Kompressionssyndrom 285 – V.-cava-Okklusionssyndrom 759 – vaginaloperative Geburt 868 Herz, Neugeborenes – Adaptation, postnatale gestörte 1063, 1067, 1071, 1075 – Adaptation, postnatale ungestörte 1063, 1067 – Apgar-Schema 1067 Herzblock, kompletter, Pränataltherapie 580 Herzdruckmassage, Neugeborenes 1075 Herzfrequenz, fetale (FHF) 7 auch CTG – Akzeleration 649 – – Akzelerationsverlust 658 – – periodische 737 – Alterationen, kurzfristige 740 – Auskultation 652 – Bradykardie 737 – Dezeleration 606, 650, 738 – Dopplerprinzip 652 – Elektrokardiographie 652 – Erstrimesterscreening 131 – FHF-Muster
– – – – – – – – – – – –
– normales 650 – pathologisches 740 FHF-Reaktivität 650 intrapartal – Akzeleration 728729, 735 – basale 735, 739 – Definition 726 – Dezeleration 728, 729 – DIP 0 730 – Einflussgrößen 734 – Fluktuation 731 – Grundfrequenz (Basalfrequ enz=Baseline) 728 – – Nulldurchgang 731 – – Oszillation 731, 735 – – Pharmaka 745 – – Polysystolie 739 – – Variabilität 728, 758 – Körperposition, maternale 650 – Monica-System 652 – normale Geburt 693, 742 – Sauerstoffversorgung 651 – Phonokardiographie 652 – Registrierung, computerisierte 654 – STAN 652 – Tachykardie 737 – Überwachung, antepartale 649 – vaginaloperative Geburt 868 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 607 Herzfrequenz, maternale, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 180 Herzinsuffizienz, fetale, Pränataltherapie 576, 580 Herzschrittmacher, Pränataltherapie 584 Herzzeitvolumen (HZV), maternales – physiologische Veränderungen – – Schwangerschaft 180 – – Geburt 1055 – Uterotonika 1055 heterotope Gravidität 34 Hexoprenalin 521 High-Flow-Helm-CPAP 1053 Hillis-Müller-Test 693 Hinterhaupteinstellung, hintere 845 Hinterhaupthaltung – Höhenstand des Kopfes 870 – vaginale Geburt, Möglichkeit zur 872 – hintere 847 – – Forzepsentbindung 880 – vordere, vaginaloperative Geburt 875, 876, 878 Hinterhauptslage, Auskultation 746
G–H
1272
Stichwortverzeichnis
Hintermilch 1112 Hirnblutung 7 Blutung, zerebrale Hirnentwicklung – MRT 161 – Programmierung, fetale 625 Hirnschaden – Asphyxie, intrapartale 774 – Diagnostik 777 – Entstehungszeitpunkt 777 – Toxoplasmose 426 – Ursachen 774, 777 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 – Zerebralparese 778 Hirnstammfunktionsstörung, fetale, Pränataltherapie 578 Hirntod, maternaler, Sectio in mortua 1179 – HIV-Infektion, maternale – Blasensprung, vorzeitiger 410 – Diagnostik 406, 410 – Entbindungsmodus 411 – Erreger 406 – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – Mehrlingsschwangerschaft 409 – Postexpositionsprophylaxe Personal 916 – Resistenztestung 408 – Schwangerenvorsorge 207 – Schwangerschaftsanämie 355 – Sectio 911, 916 – Stillen/Stillverzicht 208, 406, 412, 1119 – Symptomatik 406 – Therapie, maternale, risikoadaptierte antiretrovirale 408 – Transmission 406 – – Risikofaktoren 411 – – Transmissionsprophylaxe 94, 207, 208, 408–411 – Varicella-zoster-Virus (VZV) 391 – Wehen, vorzeitige 409 – Postexpositionsprophylaxe Personal 916 HLA-Gen 452 H1N1-Influenza, Impfung, maternale 106 Hodge, Höhenstandsdiagnositk 692 Hofbauer-Zelle 12 Hofmeier-Impression 856 Höhenexposition 220 Höhenstandsbestimmung 692, 869, 870 Holt-Oram-Syndrom 157 Homans-Zeichen 364 home uterine activity monitoring (HUAM) 930 Homöopathie
– Diagnostik 1161 – Indikationen/Kontraindikationen 1161 – Wehenschwäche 827 – Wirkprinzip 1160 Homozystein 324, 336 Hormonstoffwechsel, maternaler – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 187 – Uterusperfusion 178 Hörscreening, neonatales 1085 hPL 601 Hüftsonographie, U3 1085 Hüllkurvenanalyse, Blutströmung 669 humanes Choriongonadotropin (HCG) 324 – Extrauteringravidität 20 – freies β-HCG (fbHCG) 131 – Frühschwangerschaft 20 – Mole, hydatiforme 47, 51 – Trophoblasterkrankung 20 humanes plazentares Laktogen (HPL) 21 Human Genome Project 128 human placenta lactogen (HPL 667 human platelet antigen 466 Humeruslänge (HL) 249 Hungerperiode, maternale 593, 619 – Geburtsgewicht, kindliches 225 Hyaline-Membran-Syndrom 562 Hyaluronidase 477 Hybridisierung, komparative genomische (CGH) 168 Hydantoinsyndrom, fetales 97 – Epilepsie, maternale 287 Hydrämie, maternale 180, 182 Hydramnion, Blutung, postpartale 990 Hydrocephalus fetalis – Geburtsleitung 839 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Pränataltherapie 578 – Toxoplasmose 426 Hydronephrose 257 Hydrops fetalis 151 – immunologischer 458 – nichtimmunologischer 258 – Parvovirus B19 398 – Plazentadicke 262 – Pränataltherapie 571, 576 – Transfusion 462 – Ursachen 258 Hydrops placentae 583 – Hydrothorax, fetaler 570 – Definition 151 – Pränataldiagnostik 152 – Pränataltherapie 152, 570
21-Hydroxylase 581 17-Hydroxyprogesteron 581 Hyperaktivität, uterine 825 Hyperalimentation, maternale, IUWR 606 Hyperandrogenämie – Abort 27 – Programmierung, fetale 624 Hyperbilirubinämie, neonatale 1083 – Diabetes mellitus, maternaler 441 Hyperemesis gravidarum 277 – Diagnostik 278 – Ernährung, fetale 225 – Management 278 – Psychosomatik 1147 – Schwangerenvorsorge 203 Hyperfibrinolyse, peripartale 1007 Hyperglykämie, maternale – Auswirkungen 439 – sub partu 449 Hyperhomozysteinämie 315, 370 Hyperinsulinismus, fetaler 440 – Programmierung, fetale 620 Hyperkapnie, fetale – Frühgeburt(lichkeit) 540 – Verhaltenszustand, fetaler 663 Hyperkoagulabilität, physiologische 1004 Hyperoxie, plazentare 15 Hyperoxygenation, maternale, IUWR 606 Hyperoxygenierung, maternofetale, Pränataltherapie 584 Hyperpigmentierung 7 Chloasma gravidarum Hyperplasie 591 Hyperstimulation, ovarielle 926 Hyperstimulation, Wehentätigkeit – Definition 830 – Hyperstimulationssyndrom 792 – Oxytozinüberdosierung 829 – Tokolyse 793 Hypertension, maternale – Anästhesie, geburtshilfliche 1049 – arterielle chronische – – Arzneimittelberatung 90 – – Definition 307, 311 – – Diabetes mellitus, maternaler 441 – – Diagnostik 309 – – Entbindungsmodus 310 – – Fehlbildungsrisiko 95 – – Management in der Schwangerschaft 309 – – Postpartalperiode 1127
– – – – –
– Präeklampsie 1127 – primäre/sekundäre 308 – Therapie 310 – Zielblutdruckwerte 310 hypertensive Krise, prä-/peripartales Management 1052 – Kalzium 237 – Koagulopathie, disseminierte intravasale (DIC) 1012 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – persistierender pulmonaler Hypertonus (PPH) 1054 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Postpartalperiode 1127, 1128 – prä-/peripartales Management 1052 – pulmonale – – Chorionkarzinom 52 – – Mortalität, maternale 282 – Risikomanagement, präpartales 1051 – schwangerschaftsinduzierte – – Definition 307 – – Gestationshypertonie 308 – – Klassifizierung 308 – – Management 309 – – Pfropfpräeklampsie 308 – – Postpartalperiode 1127 – – Präeklampsie 308, 316 – – Programmierung, fetale 624 – Sport 212 – Terminüberschreitung 813 Hypertension, neonatale – Neugeborenes, Versorgung 1071 – PPHN 1071 Hyperthermie, maternale – Auswirkungen 213 – Fehlbildung, kindliche 87 – intrapartale 764 – Sport 213 Hyperthyreose, fetale – Definition 582 – Pränataltherapie 582 Hyperthyreose, maternale – Abortrisiko 26 – Iod, radioaktives 88 – Teratogenität 89 Hypertrophie 591 Hypervaskularisierung 595 – Frühschwangerschaft 4 Hyperventilation, maternale, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Hypervitaminose 229 Hypervolämie, maternale – Blutverlust unter der Geburt 691 – protektive 1006 Hypofibrinogenämie 333
1273 Stichwortverzeichnis
Hypogalaktie, primäre 1117 Hypoglykämie, fetale 602 Hypoglykämie, maternale 333 – Hypoglykämiewahrnehmungstraining 438 Hypoglykämie, neonatale 1070 – Diabetes mellitus, maternaler 441 – diagnostisches/therapeutisches Vorgehen 450 – Metabolismuseinstellung, maternale 449 Hypokalzämie, neonatale, Diabetes mellitus, maternaler 441 Hypomagnesiämie, neonatale 441 Hypophosphatasie 156 Hypophyse, maternale, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 187 Hypoplasie, pulmonale 566 – Oligohydramnion 158 – Pränataltherapie 574 Hypothalamus-HypophysenBereich 806 Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse (HH-NR) 516 Hypothermie, therapeutische, Neugeborenenversorgung 1078 Hypothyreoidismus, kindlicher, Iodmangel 236 Hypothyreoidismus, maternaler, Iodmangel 236 Hypothyreose, maternale – Abortrisiko 26 – Teratogenität 89 – Therapie 101 Hypothyreose. fetale, Pränataltherapie 581 Hypotonie, arterielle maternale – Definition 284 – Diagnostik 284 – Management 284 Hypovolämie, maternale, Plazentarperiode 991 Hypoxämie, fetale – Adaptationsmechanismen 597 – Auswirkungen, langfristige 608 – Blasensprung, früher vorzeitiger 566 – Blutgasanalyse, fetale (FBA) 748 – Chordozentese 602 – Definition 773 – Frühgeburt(lichkeit) 540 – intrapartale 754 – präplazentare, IUWR 595 – Sauerstoffsparprogramm 598 – uteroplazentare 213
– Verhaltenszustand, fetaler 663 Hypoxämie, maternale – Asthma bronchiale 286 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 Hypoxämie, neonatale 1063 Hypoxie, fetale – Alkoholabusus 217 – Bewegungsaktivität, fetale 660 – brain-sparing 603 – Definition 773 – Epilepsie, maternale 287 – Frühgeburt(lichkeit) 475, 543 – Flussumkehr, diastolische 603 – Höhenexposition 220 – intrapartale 543, 772, 775, 1068 – – EKG-Signal 756 – – IUWR 606 – Mekonium 692 – Neugeborenes, Versorgung 1070 – physiologische Abläufe 756 – protrahierte Geburt 823 – Terminüberschreitung 808 – Überwachung, antepartale 649 – Verhaltenszustand, fetaler 663 Hysterektomie – Blutung, postpartale 993 – peripartale 994 – Sectio, Folgeschwangerschaft 861 – suprazervikale 995 Hysterektomierisiko, Sectio 916 Hysterotomie 913
I I-Aspart 442 Ibuprofen 103 Ichthyosis 86 IGF 6, 569 IGF-bindendes Protein (IGFBP) 324, 797 – Blasensprung, früher vorzeitiger 560 IGFBP-1 596 IgG-Autoantikörper, Pränataltherapie 582 Imidazole 95 Immersionseffekt 214 Immobilisation – Heparin 101 – Thromboseprophylaxe 369 – Thromboserisiko 363 Immunglobulin 106 – plättchenassoziiertes 1016
Immunsystem, maternales, Frühgeburt(lichkeit) 476 Immuntherapie, aktive/passive 27 Immuntoleranz 7 Immunzellen 472 Impfung, maternale – antepartale, bei Autoimmunthrombozytopenie/idiopathischer thrombozytopenischer Purpura 1016 – Cholera 106 – Diabetes mellitus, kindlicher 452 – Diphterie 105 – Gelbfieber 105 – Hepatitis 105, 400, 403 – Influenza 106 – Masern 106 – Masern-Mumps-Röteln (MMR) 397 – Mumps 106 – Passivimpfung 106 – Poliomyelitis 105 – Reisen 219 – Röteln 105 – Rubellavirus 395 – Teratogenität 105 – Tetanus 105 – Tollwut 106 – Typhus 106 – Varicella-zoster-Virus (VZV) 392 – Zytomegalievirus (CMV) 389 Impfung, neonatale, Hepatitis B 1085 Implantation 4, 5, 8 – assisted hatching 926 – Entwicklung, physiologische 82 – Extrauteringravidität 35 – Placenta praevia 594 – Sonographie 21 Imprinting – genomisches 596 – Störung 625 In-utero-Verlegung 1064 In-vitro-Fertilisation (IVF) – Frühschwangerschaft 21 – Mehrlingsschwangerschaft 926 – Programmierung, fetale 625 Indikationslösung 62 Indometacin 103, 521, 524 Industriechemikalien, Berufstätigkeit 216 Infantizid 1103, 1147 Infektion – Abort 25, 381 – Adnexitis, Extrauteringravidität 42 – Amnioninfektionssyndrom 565, 799, 1015
– Appendizitis 292 – aszendierende 518, 533 – – Blasensprung, früher vorzeitiger 558 – – Extrauteringravidität 35 – bakterielle – – Chlamydia trachomatis 419 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 – – Lues 413 – – Lyme-Borreliose 417 – – Neugeborenensepsis 422 – – Puerperalfieber 421, 1100 – – Streptococcus pyogenes 421 – – Syphilis 412 – – Toxoplasmose 425 – – Treponema pallidum 412 – – Zervixerweichung 496 – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – Blasensprung, vorzeitiger 476, 493, 796 – Blutung, postpartale 798 – Candida, Brust, postpartal 1118 – Chorioamnionitis 565 – C-reaktives Protein 182 – Diabetes mellitus 442 – Endometritis, postpartale 566 – Endomyometritis, Sectio 1015 – Episiotomie 1101 – Ernährung, maternale 224 – Fehlbildungshäufigkeit 86 – Frühgeburt(lichkeit) 476, 518 – – Erreger 381 – Genitaltrakt 531 – Hämatom, geburtstraumatisches 999 – Harnwegsinfekt – – postpartal 1102 – – Schwangerschaft 293 – Herpes, Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – HIV, Sectio 916 – Infektanämie 355 – Infertilität, Chlamydia trachomatis 419 – Konjunktivitis, neonatale 1070 – Leihimmunität, maternale 381 – Leukozytenwert 182 – Mammaabszess, postpartaler 1119 – Mastitis 1115, 1118, 1119 – Mutterschafts-Richtlinien 207 – mykotische, Leitlinie, geburtshilfliche 1248 – Nahrungsmittel (Listeriose, Salmonellen, Toxoplasmose) 216, 217 – Nestschutz 381
H–I
1274
Stichwortverzeichnis
Infektion – Ovarialvenenthrombose, septische, postpartal 1015 – Plazenta, unvollständige 996 – Plazentaschranke 381 – Prophylaxe, Stillen 1107 – Puerperalfieber, Erreger 421 – Schwangerenvorsorge 207 – Screening 530 – Sectio 911 – Sepsis – – Puerperalsepsis 1100 – – Sectio 918 – sexual transmitted diseases (STD) 381 – Streptokokken, Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – systemische, Frühgeburt 518 – TORCH-Serologie 380 – Transmission, Formen 381 – vaginale, Postpartalperiode 1128 – virale – – Erreger/Auswirkungen 381 – – Hepatitisviren 400 – – Herpes genitalis 382 – – Parvovirus B19 397 – – Rubellavirus 392 – – Varicella-zoster-Virus (VZV) 389 – – Zytomegalievirus (CMV) 384 – – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 – Wassergeburt 721 – Wehen 493 – Wochenbett 1099 Infertilität 7 Fertilität Influenzaimpfung, maternale 106 informed consent 1171, 1180 Inhibin A 324 Inklusion, fetale 933 Inkompatibilität, erythrozytäre 458 Inkontinenz – Schwangerenvorsorge 205 – vaginaloperative Geburt 881 Innocenti Declaration 1110 Insertio velamentosa 699 Insulin – Adipositas, maternale 185 – Bedarf, maternaler physiologischer 442 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 – Wachstum, fetales 596 – Wachstumshormon 597 insulin-like growth factor-1 (IGF-1) 324
Insulinanaloga 442 Insulinsensitivität 437 Insulintherapie 447 Integrin 6, 10 Intelligenzdefizit, kindliches – Alkoholabusus 217 – Asphyxie 1064 – Dandy-Walker-Fehlbildung 147 – Epilepsie, maternale 287 – Fragile-X-Syndrom 87 – Frühgeburt(lichkeit) 1081 – Iodmangel 236 – Mikrozephalus 147 – Noxen 85 – Spina bifida aperta 570 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 609 Interleukin-11 (IL-11) 6 Interspinallinie 692, 833, 834 interstitielle Gravidität 34 Intertubarabstand 834 intervillöser Raum 4, 11 Intima-media-Dicke 622 intramurale Gravidität 34 intrauterine growth restriction (IUGR) 7 Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) Intrauterinpessar (IUD) – Kontrazeption 66 – Postpartalperiode 1130, 1131 Intubation (neonatal) – Frühgeborenes 1081 – Mekoniumaspiration 1079 – Neugeborenes 1076 – – EXIT-Procedure 251 – – Trachealkompression 251 Intubation, maternale schwierige – Adipositas, maternale 301 – Allgemeinanästhesie zur Sectio 1040, 1042 Inversio uteri 997 Inzisur, postsystolische 441 Iod – Bedarf in der Schwangerschaft 228 – Iodidbedarf 100 – Mangel 236 – Substitution 236, 529 Ionenkanal 519 Ischämie, uteroplazentare 516 Isovolämie 1055
J Jacquemier-Manöver 977 Jarisch-Herxheimer-Reaktion 415 Jehovas Zeugin – Anämie 351
– Erythropoietin, rekombinantes (rhEPO) 352 Joel-Cohen-Technik (Sectio) 913 Juckreiz 295
K Kaiserschnitt 7 Sectio Kaliumkanal 481 Kalotte (Anatomie) 687 Kalzium – Bedarf in der Schwangerschaft 228 – ionisiertes 519 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 – Präeklampsie 326 – Reservekapazität 228 Kalziumantagonisten 312, 519 – Anästhesie, geburtshilfliche 1048 – Eigenschaften 1048 – Nebenwirkungen 523 – Teratogenität 96 – Wehen, vorzeitige 523 Kalziumglukonat 1047 Kalziumkanal 481 Kamelwehen 825 Kammerhypoplasie 253 Kanalbecken 836 Kardiographie 694 7 auch CTG Kardiomyopathie, fetale 253 – Pränataltherapie 584 Kardiomyopathie, maternale – hypertrophe 440 – peripartale 284 kardiorespiratorische Insuffizienz, maternale, Fruchtwasserembolie 1013 Kardiotokographie/-gramm 7 CTG Kardioversion, Pränataltherapie 583 Kariesprophylaxe 1085 Karyotypanomalie, IUWR 592 Karyotypisierung 129 – Arzneimittelexposition 92 – spektrale (SKY) 168 – Zwillingsschwangerschaft 934 Katecholamine – fetale 602 – Myometriumkontraktilität 485 Katze, Toxoplasmose 425 Kaufman Assessment Battery for Children 239 Kell-Blutgruppe 458 Kell-Inkompatibilität 460 Kephalhämatom 876
– Hämophilie 1021 – vaginaloperative Geburt 873, 882 Ketamin 1042 Kindbettfieber 7 Puerperalfieber Kindsbewegung 7 Bewegungsaktivität, fetale Kindskopfvolumen, Berechnung nach Friedmann und Taylor 844 Kinstod, plötzlicher 7 Säuglingstod, plötzlicher Kinetokardiotokographie (K-CTG) 661, 736, 754 – Registriermethodik 649 KIR-Rezeptor 314 Klavikulafraktur – Neugeborenes 1069 – Ultima ratio bei Schulterdystokie 980 – Ursachen 969, 979 Kleihauer-Betke-Test 463 kleine Teile, Vorfall/Vorliegen 856 Klinefelter-Syndrom 87 Kliniktyp 1220 Klitorishypertrophie 581 Klugheitsregeln, pragmatische, nach Sass 1171 Klumpfuß 154 Klumpke-Plexusparese 968 Knie-Ellbogen-Lagerung 703 – Nabelschnurvorfall 855 Kniebeugenbelastungstest nach Saling 656 Knöchelschwellung 181 Knochendichte, Heparin 372 Knochennadel 1077 Koagulopathie 1006 – Fruchtwasserembolie 1014 – disseminierte intravasale (DIC), Plazentationsstörung 263 Koffein – Abortrisiko 26 – Auswirkungen 217 – Beratung, ärztliche 217 Kohl-Prozedur 584 Kohlenhydratstoffwechsel, maternaler – Bedarf, maternaler 227 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Kokainabusus 88, 529 – Abortrisiko 26 – Placenta praevia 635 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 Kollagen, Zervixreifung 496 Kollagenase 476, 477
1275 Stichwortverzeichnis
Kolostrum 179, 1111, 1112 – Abstillen 1121 Koma, hypoglykämisches/ketoazidotisches 443 Kommunikationsprobleme 1188 Kompartmentsyndrom 999 Komplementärmedizin – Akupunktur 1156 – Beckenendlage (BEL) 947 – Homöopathie 1160 Kompression, aortokavale 1041 Kompression, bimanuelle, bei Uterusatonie 991 Kompressionsstrümpfe 368 Konisation, Frühgeburt(lichkeit) 533 Konjunktivitis, neonatale 1070 – Chlamydia-trachomatis-Infektion 420 Kontraktionsprotein 474, 519 Kontrazeption – Gestationsdiabetes 453 – Intrauterinpessar (IUD) 66, 1130, 1131 – Kondom, Postpartalperiode 1129 – Notfallkontrazeption 66 – Pille danach 66 – Postpartalperiode 1116 – – Barrieremethoden 1129 – – hormonelle 1131 – – Sterilisation 1132 – Schwangerschaft, ungewollte 61 – sofortige, nach Schwangerschaftsabbruch 65 – Stillen 1108, 1116, 1128 Konversionsmodell 1146 Konversionssyndrom 1148 Konzeption 7 auch Fertilität – Ernährung, maternale 216 – Folsäure 148, 232 Kopf, kindlicher – 1./2./3./4. Drehung 688 – Anatomie Kalotte/Suturae 687 – Ein-/Durchschneiden 871 – Einstellung, normale Geburt 688 – Fontanellenstand 692 – Haltung 692 – – Beugehaltung, dorsoanteriore 685 – – Flexionshaltung, okzipitoanteriore 688 – – normale Geburt 685 – Hillis-Müller-Test 693 – Höhenstand 692 – Kopfgeschwulst (Caput succedaneum) 687 – Pfeilnaht, normale Geburt 688 – Pressperiode 690
– Schädel-Becken-Missverhältnis 692 – Verformung 687 – Zangemeister-Zeichen 692 – Zephalhämatom 687 Kopf-Becken-Missverhältnis – absolutes 834 – Berechnung nach Friedmann und Taylor 844 – Diagnostik 838 – fetopelviner Index 844 – Geburtsstillstand 872 – Inzidenz 838 – relatives 834 – Sectio 911 Kopf-Zervix-Kraft 827 Kopfform, dolichozephale 247 Kopfschmerzen, postpartale – Periduralanästhesie (PDA) 1035 – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1039 Kopfschwartenelektrode (KSE) 743 Kopfumfang (KU) – Dritttrimesterscreening 248 – Sonographie 144 koreanische Viereckmethode 994 Körpergewicht, maternales – Geburtsgewicht, kindliches 589 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182, 185 Körperposition, maternale – Herzfrequenz, fetale (FHF) 650 – Uteruskontraktion 651 Körpertemperatur Neugeborenes 1066 – Wassergeburt 718 Kortikosteroide, Asthma bronchiale, maternales 287 Kortisol 484, 581 – Geburtsauslösung 473 – Geburtsvorbereitung 516 – Spätschwangerschaft 474 Kotyledonen 261 Krampfanfall, maternaler (Eklampsie) prä-/peripartal 1053 Krampfwehen 825 Krankenhaus – babyfreundliches 1110 – Grundversorgung 685 – Mindestgeburtenfrequenz 685 – Perinatalzentrum 685 – Regionalisierung 685 – Schwerpunktkrankenhaus 685 – Zentralisierung 686
Kreatinin – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 – Präeklampsie 316 Kreatininclearance 336 Krebs-Score 741 Krebserkrankung, maternale 298 Krebsrisiko, kindliches, fetale Programmierung 625 Kreislauf, umbilikoplazentarer 12 Kreislauf, uteroplazentarer 11 Kreislaufzentralisierung 807 Kreißsaal – Aufnahme 691–693 – Ausstattung 1064, 1065 – Blutung, postpartale 989 – Medikamente 991 – Reanimation des Neugeborenen 1065 Kretinismus 7 Intelligenzdefizit Kristeller-Handgriff – Nabelschnurvorfall 855 – Schulterdystokie 972, 974, 977 – Vakuumextraktion 875 Kryokonservierung 927 Kryotransfer 926 Kubli-Score 653 Kuhmilch 1112 Kumarin(derivat) 101, 370 – Fehlbildungsdiagnostik 91 Kündigungsschutz 214 Kunstfehler 7 Behandlungsfehler bzw. Forensik Kupfer 239 Kürettage – Mole, hydatiforme 50 – Placenta praevia 635 – Plazenta, unvollständige 996 – Plazentalösung, manuelle 996 Küstner-Zeichen 698
L Labetalol 312 Labhardt-Uchida, Sterilisation nach 1134 Lachgas 826, 1032, 1043 Lactobacillus rhamnosus 240 Lage 942 – Beckenendlage (BEL) 942 – Definition 845 – Längslage 942 – Querlage 959 – Schräglage 959 Lageanomalie – Beckenendlage 7 dort – Sectio 911 – Zwillingsschwangerschaft 937 Lagerungsregel 849
Laktatdehydrogenase (LDH) 330 Laktation – Arzneimitteleinnahme, maternale 323 – Ernährung, maternale 225 Laktationsamenorrhö 1116, 1128 Laktationsberatung 1110 Laktoferrin 1107 Laktogenese 179, 1111 Lakune 8, 997 – Sonographie 263 λ-Zeichen 928 Laminariastift 786, 811 Lamivudin 94 Lamotrigin 98, 100, 288 Längslage 942 Langzeittokolyse 522 Lanugohaare 797 large for gestational age (LGA) 7 Makrosomie L-Arginin 526 Larynxatresie, Pränataltherapie 570 Laserkoagulation, fetoskopische 572 Laserspektroskopie 752 Late-onset-Präeklampsie 318 late-onset AGS 624 Latenzperiode 822 – 2. Trimenon 561 – Definition 560, 796 – Infektion 799 – Myometriumdicke 798 – normale Geburt 689 – protrahierte 827, 828 – Untersuchung, vaginale digitale 560 Lateralflexion 845, 852 Laxanzien 102 L-Citrullin 526 Lebendgeburt, Definition 514, 1197 Lebensfähigkeit, Geburtsgewicht 22 Lebensführung, maternale 212 Leber, maternale – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 185, 186 – Postpartalperiode 1127 – Ruptur 334 Leflunomid, Fehlbildungsdiagnostik 91 Leihimmunität, maternale 381 Leitlinien, geburtshilfliche 1248 – Forensik 1242 Leitstelle 870 Leitungsanästhesie – Periduralanästhesie (PDA) 7 dort – Spinalanästhesie, kontinuierliche 7 dort
I–L
1276
Stichwortverzeichnis
lemon sign 150 Leopold-Handgriffe – Beckenendlage (BEL) 946 – Geradstand, hoher 851 – Kreißsaalaufnahme 691 – Querlage 959 – Schulterdystokie 973 – Schwangerenvorsorge 201 Let-down-Reflex 1115 leukaemia inhibitory factor (LIF) 6 Leukämie, maternale 298 Leukomalazie 161, 543 – periventrikuläre (PVL) 250, 777, 778, 1081 Leukozyten, maternale 182 Levatorenspalt 688 Levokardie 149 Lezithin-Sphingomyelin-Ratio 540 LH 5 Lidocain 1037 Likelihood-Ratio 117, 118 Linea terminalis 838 Linksherzsyndrom, hypoplastisches (HLHS) 149 Linksisomerismus 584 Linolsäure 227 Lipidstoffwechsel, maternaler – Bedarf, maternaler 227 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte 7 Spaltbildung 147, 232 Lippenspalte 7 auch Spaltbildung 147 Lissenzephalie 161 Listerien 224 Listeriose 216 Lithium – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Teratogenität 99 Litzmann-Obliquität 836, 852 Lochien 1098, 1103 – Blutungsmonitoring 988 – Harnwegsinfekt 1102 – Lochia alba/flava/fusca/rubra 1098 – Überwachung, postpartale 988 Lövset, Armlösung 954 Lokalanästhesie – Periduralanästhesie (PDA) 1035 – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1038 – vaginaloperative Geburt 883 – Wehenschwäche 826 Lösungsblutung 690 Lösungsmittel 88 LSD-Abusus 88
Lues 7 Syphilis Lungenreife 7 auch Glukokortikoide 103, 539, 540, 562 – Blasensprung, früher vorzeitiger 564 – Placenta praevia 643 lung/head ratio 251 Lunge, fetale – Dritttrimesterscreening 252 – Entwicklung 659 – lung/head ratio 252 – Lungenflüssigkeit 717# – Zwerchfellhernie 574 – zystische adenomatoide Malformation (CCAM) 152 Lunge, maternale – Asthma bronchiale, maternales 285 – Gebärposition 703 – Lungenembolie 364, 365 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Lunge, Neugeborenes, Lungenflüssigkeit (Resorption) 716, 718 Lungenmalformation, zystisch adenomatoide (CCAM) 252, 571 Lungenödem – β-Mimetika 521 – Lungenreifeinduktion 542 – Vorerkrankung, kardiovaskuläre maternale 179, 181 Lungenreife 7 auch Glukokortikoide 103, 539, 540, 562 – Atemnotsyndrom 539 – Blasensprung, früher vorzeitiger 561, 564 – Diagnostik 540 – Eklampsie 331 – Glukokortikoide 103 – – Blasensprung, früher vorzeitiger 562 – Induktion 539, 542 – Leitlinie, geburtshilfliche 1250 – MRT 159, 161 – physiologische 539 – Placenta praevia 643 – Plazentalösung, vorzeitige 644 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 602, 608 – Zwillingsschwangerschaft 931 Lungenstrombahn 718 Lupus antikoagulans (LAC) 28, 334 Lutealdefekt 26, 30 Lyme-Borreliose 417–419
M Magen-Darm-Trakt, maternaler – Therapeutika 101 – Übelkeit, morgendliche 102 Magensonde, Neugeborenes 1074 Magnesium 319 – Bedarf in der Schwangerschaft 228 – Substitution 237, 521, 529, 532 Magnesiumsulfat (MgSO4) – Anästhesie, geburtshilfiche 1047 – Dosierung 321 – Eklampsie, prä-/peripartal 1053 – Mortalität, perinatale 649 – Neuroprotektion – – Fetus 523 – – neonatale 779 – Präeklampsie 238, 320, 323 – Teratogenität 96 – Tokolyse 762 – Überdosierung 522 – Wehen, vorzeitige 522 Magnetresonanztomographie (MRI) – Frühgeburt(lichkeit) 543 – Geburtstrauma, maternales 903 major anomalies 136 – Screening, pränatales 127 MAK-Wert, Defnition 216 Makrolidantibiotika, Teratogenität 92 Makronährstoffe 225 Makrophagen, alveoläre 491 Makrosomie – Adipositas, maternale 301 – asymmetrische 448 – Auswirkungen 807 – Beckenboden 892 – Beckenendlage (BEL) 947 – Blutung, postpartale 990 – Definition 588 – Diabetes mellitus, maternaler 449 – Geburtseinleitung 813 – Geburtsmodus 449 – Gewichtschätzung 145 – Programmierung, fetale 620 – Schulterdystokie 449, 969, 973 – – Geburtseinleitung 973 – Sonographie 158 – Terminüberschreitung 804, 807, 809 – vaginaloperative Geburt 872 Malaria 106, 220 Malnutrition, maternale 592, 593 – Frühgeburt(lichkeit) 529
Malrotation 848 Maltodextrin 450 Mammae – Abszess 1119 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 179 Mammakarzinom, maternales 298 Mammakarzinomrisiko durch fetale Programmierung 625 mammalian target of rapamycin (mTOR) 596 Mammogenese, Stillen 1111 Managing Obstetric Emergency and Trauma 1000 Mangelernährung, maternale 7 Malnutrition Mangelversorung, fetale – Kompensation 597 – nutritive 619 – respirative 619 Manometrie, anale 901 Marfan-Syndrom 86 Marihuanaabusus 88 Masernimpfung, maternale 106 Masken-CPAP 1053 Mastitis 1115, 1118, 1119 Mastzellinhibitoren 104 maternity blues 1103 Matrixmetalloprotease (MMP) 498 Matrixmetalloproteinase (MMP) 10, 477, 492 Matrixprotein 6 McDonald-Cerclage 537 McRoberts-Manöver – Schulterdystokie 975 – Symphysiotomie 980 Medikamente 7 Arzneimittel Meereshöhe, große 220, 593 Mefloquin 107 Megazystis, Pränataltherapie 257 Mehrlingsschwangerschaft – Beckenendlage (BEL) 946 – Blasensprung, vorzeitiger 477, 562 – Blutung, postpartale 990 – Ersttrimesterscreening 131 – Extrauteringravidität 36 – Fetozid, selektiver 934 – Folsäure 233 – Frühgeburt(lichkeit) 477, 515, 516 – Geburtsmodus 937 – Geburtszeitpunkt 936 – Gestationsalter, Bestimmung 809 – Hellin-Regel 925 – HIV-Transmissionsprophylaxe 409
1277 Stichwortverzeichnis
– Hyaline-Membran-Syndrom 562 – Inzidenz 925 – monochoriale, Polyhydramnion 572 – Mortalität, neonatale 1202 – MRT 161 – Pränataldiagnostik 927 – Reproduktionsmedizin 514, 926 – Schwangerenvorsorge 935 – Sectio 911 – sonographischer Nachweis 21 – Stillen 1117 – Superfekundation 927 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 – Wehen, vorzeitige 477 – Zervixlänge 269 – Zygotiediagnostik 927 Meiose(störung) – Aneuploidie 128 – Mole, hydatiforme 47 – Non-disjunction 86 Mekonium, Terminüberschreitung 807 Mekoniumaspiration 1078 – Amnioninfusion 767 – Mortalität, perinatale 751 – Terminüberschreitung 807 Mekoniumileus 255 Mekoniumperitonitis 256 Melchior-Klassifikation 744 Membran, vaskulosynzytiale 14 Membranoxygenierung, extrakorporale (ECMO) – ECMO-Zentrum Mannheim 576 – Zwerchfellhernie, fetale 574 Membranstripping/Eipollösung 785, 811 – Terminüberschreitung 811, 813, 815 Mendelson-Syndrom 1041 Meningomyelozele, Neugeborenenversorgung 1069 Meridian, Akupunktur 1157 Mesenchymreaktion, unspezifische 1055 Mesoderm 7 Mesomelie 155 metabolisches Syndrom, kindliches, Programmierung, fetale 621 Metabolismus, maternaler, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Metabolomics 112 Metafolin 233 Metaphase 4 Methotrexat – Extrauteringravidität 39, 40
– Trophoblasterkrankung, maligne 54 Methyldopa 96, 311 Methylprednisolon 331 Methyltetrahydrofolsäurereduktase (MTHFR) 233 Metronidazol 94, 531 Meyer-Menk-Score 741 Michaelis-Raute 838 Mifepriston (Mifegyne) – Geburtseinleitung 486 – Pharmakokinetik 70 – Schwangerschaftsabbruch 67, 69 – Wirkungsweise 70 – Zervixpriming und -dilatation 67 Migration, plazentare 261 Migrationshintergrund 1148 – Mortalität, maternale 1214 Mikroblutuntersuchung 7 Blutgasanalyse, fetale (FBA) Mikromelie 155 Mikronährstoffe – Folsäure 231 – Probiotika 240 – Spurenelemente/Mineralien 235 – ω3-Fettsäuren 239 – Vitamine 228 Mikrosatellit 168 Mikrozephalus – Definition 250 – Dritttrimesterscreening 250 – Lissenzephalie 161 – Sonographie 147 Milch 7 Frauenmilch Milchspendereflex 1112 Milchstau 1118 – Abstillen 1121 Mineralien 235 minor anomalies 136 Misgav-Ladach-Technik (Sectio) 913 Misoprostol 91 – Geburtseinleitung 790, 811 – – Dosis 790 – – Kontraindikationen 791 – – off-label use/off-license use 790 – Pharmakokinetik 70 – Plazentarperiode 991 – Schwangerschaftsabbruch 67, 69 – – später 74 – Ulkustherapeutikum 102 – Uterusatonie 992 missed abortion 23, 49 Mississippi-Einteilung, HELLPSyndrom 330 miss match theory 618 Missverhältnis, zephalopelvines, Terminüberschreitung 812
Mittelliniendefekt 148 MMIH-Syndrom (Megazystis, Mikrokolon, intestinale Hypoperistaltik) 574 Modus Bracht 952 Modus Duncan 691 Modus Schultze 691 Modus Thiessen 952 Moebius-Sequenz 102 MOET-Kurs 1000 Mole, hydatiforme – Diagnostik 47 – Frühschwangerschaft 8 – invasive destruierende 52 – komplette 46 – Management 50, 51 – partielle 47 – Symptomatik 47 Möller-Barlow-Krankeit 234 MOMS-Trial 578 Monica-System 652 Monoaminooxidasehemmer, Teratogenität 99 Monochorionizität 925, 927 – Wachstumsdiskrepanz, extreme 932 Monozygotie 925, 927 Montevideo-Einheit (ME) 734, 825 Morbidität, fetale – Anämie 358 – Profil, biophyskalisches (BPP) 664 – Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 295 Morbidität, kindliche – Geburtsgewicht 588 – Herzerkrankung, maternale 282 – Herzfrequenz, fetale 745 – langfristige bei IUWR 609 – Schwangerenvorsorge 196 – Stillen 1106 – Terminüberschreitung 808 – Zwillingsschwangerschaft 937 Morbidität, maternale – Anämie 358 – Beckenbodentrauma 888 – Plazentalösung, vorzeitige 641 – Resectio 857 – Schwangerenvorsorge 196 – Sectio 918 – vaginaloperative Geburt 882 – Zwillingsschwangerschaft 937 Morbidität, neonatale – Beckenendlage 957 – clinical risk index for babies (CRIB-Score) 1205 – Frühgeburt(lichkeit) 561 – Lungenreifeinduktion 542
– Resectio 859 – Schulterdystokie 968 – Sectio 882 – vaginaloperative Geburt 882 Morbidität, perinatale 805 – Blasensprung, früher vorzeitiger 566 – Chlamydia-trachomatis-Infektion 420 – Rhesus-D-Inkompatibilität 460 – Terminüberschreitung 808 Morbiditäts- & Mortalitäts-Konferenz (M&M) 1190 Morbus Crohn 102 Morbus haemolyticus neonatorum 459 Morbus Moschkowitz 1017 Morbus Quintus 7 Parvovirus B19 Morgan, fetopelviner Index 841 Morphin 1028, 1029 Mortalität, antenatale 808 Mortalität, fetale – Anämie 358 – Profil, biophyskalisches (BPP) 664 – Zwillingsschwangerschaft 931 Mortalität, intrapartale 808 Mortalität, kindliche – Geburtsgewicht 588 – Herzerkrankung, maternale 282 – Schwangerenvorsorge 196 Mortalität, maternale – Anämie 358 – Begriffsbestimmung 1208 – Blutung, peripartale 1005 – Blutung, postpartale 1000, 1054 – Definition 1208 – Diabetes mellitus, maternaler 439 – Eklampsie 328 – Extrauteringravidität 35 – Herzerkrankung, maternale 282 – historischer Rückblick 724 – ICD-10 1208, 1209 – Inzidenz 888 – Koma, hypoglykämisches 443 – Müttersterblichkeitsstatistik 1211 – Perinatalerhebung 1210 – Placenta praevia 640 – Plazentalösung, vorzeitige 641 – Plazentarperiode 988 – Plazentationsstörung 263 – Prophylaxe 1222 – Puerperalpsychose 1103 – Schwangerenvorsorge 196
L–M
1278
Stichwortverzeichnis
Mortalität, maternale – Schwangerschaftsabbruch 61 – Sectio 858, 1218 – Todesbescheinigung 1209 – Todesursachenstatistik 1209 Mortalität, neonatale 513, 808 – Asphyxie, intrapartale 774 – Definition 1196 – Frühgeburt(lichkeit) 513, 561 – ICD-10 1202 – Perinatalerhebung 1199 – Personenstandsgesetz 1197 – Registrierungspraxis 1197 – Risikofaktoren 1202 – Todesursachenstatistik 1201 – Ursachen 1201 Mortalität, perinatale – Abruptio placentae 595 – Anstrengung, körperliche 215 – Asphyxie, intrapartale 772 – Blasensprung, vorzeitiger früher 566 – Chlamydia-trachomatis-Infektion 420 – Definition 1196 – Fruchtwassermenge 665 – Frühgeburt(lichkeit) 513 – Placenta praevia 641 – Plazentalösung, vorzeitige 642, 643 – Polyhydramnion 666 – Rhesus-D-Inkompatibilität 460 – Terminüberschreitung 812 – Überwachung, antepartale 649, 676 – Ursachen 127 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 – Zwillingsschwangerschaft 928 Morulastadium 5, 82 – Mehrlingsschwangerschaft 927 Moschkowitz-Syndrom 1017 Motilität, hypertone 825 Mottenfraßloch 263 Moxibustion 1158 MRT – Autopsie 160 – Dandy-Walker-Komplex 147 – Innovationen 159 – Kontraindikationen 159 – postnatale 160 – Schichtdicke 159 – Technik 159 – ZNS 160 mTOR 596 Mukoviszidose, parenterale 153 Müller, Armlösung 954 Müller-Gänge, Frühgeburt(lichkeit) 538 Multicolor-FISH (M-FISH) 168
multiples of the median (MOM) 131 Mumpsimpfung, maternale 106 Muskeldystrophie, progressive, Typ Duchenne 86 Muskelrelaxanzien, Pränataltherapie 571 Muskeltonus – fetaler 664 – Neugeborenes, ApgarSchema 1067 Muskulatur, glatte 479 Mutter-Kind-Beziehung – Frühschwangerschaft 1141 – Wochenbett 1145 Mutter-Kind-Pass 196 – Toxoplasmose 430 Mutterkornalkaloide 1048 Muttermund – Dritttrimesterscreening 266 – Eröffnung normale Geburt 689 – Trichterbildung 517 – Verschluss, totaler 537 Mutterpass 195 – HIV-Test 412 – Schwangerschaftsrisiko, anamnestisches 648 Mutterschafts-Richtlinien – Beckenendlage (BEL) 946 – Blutgruppeninkompatibilität 463 – Blutströmung, Messung 671 – Chlamydia trachomatis 419, 420 – CTG 200, 202 – Dopplersonographie 604 – – gepulste 669 – Dritttrimesterscreening 246 – Evidenz, wissenschaftliche 209 – Flowzytometrie 463 – Gestationsdiabetes 205, 443 – Hepatitisviren 400 – Herz, fetales 253 – Infektionsdiagnostik 380 – Regelungen, gesetzliche 194 – Schätzgewicht, fetales 665 – Schwangerenvorsorge 194 – Sonographie 648 – – Spätschwangerschaft 246 – – Ultraschallbiometrie 599 – Untersuchungsmethoden 199 – Untersuchungszeitplan 204 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 206 Mutterschutz, Berufstätigkeit 216 Mutterschutzfrist 1121 Mutterschutzgesetz – Frühgeburt(lichkeit) 528 – Stillen 1121
Müttersterblichkeit 7 Mortalität, maternale Myasthenia gravis, Magnesiumsulfat (MgSO4) 522 Mycophenolatmofetil 91 Myom – Abortrisiko 25 – Geburtsablauf, gestörter 832 – Gestationsalter, Bestimmung 809 – Operation 645 – – – Fertilität 25 – – – Sectio 539 – Rupturrisiko 830, 860 – Sectio 913, 917 Myometrium – Aktionspotenzial 480 – Aktivitätsphasen 478 – Aufbau 478 – Dehnungsreiz 477 – Erregungsbildung 177 – Gap Junction 477, 480 – Kalziumwelle 480 – Kontraktilität 480, 481 – kontraktionsassoziierte Proteine 489 – Nachgeburtsperiode 691 – Plazentaretention 995 – Regulation, endokrine 482 – Stickstoffmonoxid (NO) 491 – Terminüberschreitung 806 – Uterusatonie 990 – Zellhyperplasie 489 – Zytokine 490 Myosin 481 Myosin-light-chain-Kinase (MLCK) 474, 481, 520–523 Myositis 1101 Myotonia congenita 86 Myozyt 480
N Nabelarterien-pH-Wert, postnataler 1068 Nabelschnur – Abklemmen 1066 – Abnabelung 7 auch dort 700, 1067 – Amniotomie 830 – Ansatz 699 – Arterie, fehlende/rudimentäre 699 – Ausstreichen 700 – Blut-pH-Wert, postnataler 1068 – Blutgasanalyse 773 – cord traction 995 – – Inversio uteri 997 – Einriss 1080 – Hybrid-Banking 1094 – Knoten 699
– Komplikationen – – Blasensprung, vorzeitiger 800 – – intrapartale 758 – Kompression, Terminüberschreitung 807 – kurze 636, 967 – Länge 700 – Nabelarterien-pH-Wert 701 – Nabelpflege 1085 – Nabelvenenkatheter 1077 – Neugeborenes, Versorgung 700, 1069 – pH-Wert, arterieller 774 – Pulsation, Sistieren 700 – Punktion, perkutane 668 7 auch Chordozentese – Rotation, externe 949 – Schulterdystokie 967 – Stammzellen – – Eigenschaften 1094 – – Forschung 1094 – – hämatopoietische 1090 – Thyroxin 581 – Verschlingung 159, 928, 932 – Vorfall 853–855 – – Asphyxie, intrapartale 773 – – Beckenendlage (BEL) 954 – – Diagnostik, Therapie, Prävention 854, 855 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – – Risikofaktoren 854 – Vorliegen 853–855 – Zug, Plazentarperiode 698 Nabelschnurarterie – Frühschwangerschaft 4 – singuläre 158 Nabelschnurblut 7 auch Chordozentese – Gewinnung 1091, 1092 – Blutgasanalyse, Non-StressTest (NST) 658 Nabelschnurblutbank 1091, 1093 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249 Nabelschnurblutspende 1090, 1093 Nabelschnurblutstammzelltransplantation, autologe 1093 Nabelschnurbluttransplantation 1090 Nabelschnurkoagulation 928 Nabelschnurligatur, fetoskopische 571 Nabelschnurpunktion 7 Chordozentese Nabelschnurumschlingung, Diagnostik, intrapartale 751 Nabelschnurvene – Frühschwangerschaft 13 – Transfusion 462 Nabelvenenkatheter 1077
1279 Stichwortverzeichnis
Nachgeburtsperiode 7 auch Plazentarperiode – Blutstillung, physiolgoische 691 – Dauer 691 – Modus Duncan 691 – Modus Schultze 691 – normale Geburt 690 – Sectio 914 Nachgeburtswehen 690 Nachtastung 999 Nackentransparenzmessung – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Zwillingsschwangerschaft 929 Naegele-Obliquität 836, 852 Naegele-Regel 198, 809 Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) 752 Naloxon 1028 Nasenbein, fehlendes 131 Natrium 183 Natriumkanal 482 Natural-killer-Zellen (NK-Zellen) 314 Nausea, morgendliche, Antiemetika 102 Near Miss Incident 1189 Nebennierenhyperplasie, Pränataltherapie 581 Nebennierenrinde, maternale 187 Nebenplazenta 996 Neonatus 7 Neugeborenes Nephronenzahl 622 Nephropathie, maternale 336 – Blutdruckzielwerte 441 – diabetische 438 Nervensystem, zentrales (ZNS), fetales – maternale Ernährung 239 – MRT-Diagnostik 160 – Sonographie 145 Nestschutz 381 Neugeborenenikterus 1083 Neugeborenenmilch 1112 Neugeborenennotarzt 1064 Neugeborenenreanimation 1065, 1072, 1075 – Ende der Reanimationsbemühungen 1078 – Intubation 1076 – Volumenersatz 1077 Neugeborenenscreening 1061 – Hörscreening 1085 – Hypothyreose 281, 581 Neugeborenensepsis 422 Neugeborenes – Abnabelung 700, 1067 – Adaptation, postnatale 1063 – Adaptationsstörung 1070, 1075
– – – – –
Anästesie, maternale 1043 Antikonvulsiva 288 Apgar-Schema 1067 – Asphyxie, intrapartale 774 – Zwillingsschwangerschaft 937 – Asphyxie 1063, 1070 – Atemwege freimachen 701, 814, 1067 – Azidose 1068 – Beatmung 1072 – Blut-/Sekretaspiration 1079 – Blutgasanalyse 773 – clinical risk index for babies (CRIB-Score) 1205 – Entzugssymptome 1120 – Enzephalopathie 775 – Frühgeborenes 1080 – Geburtsgewicht 1068 – Geburtstrauma 1069 – Gestationsalter 1068 – Hautkolorit 1075 – Ikterus 1083 – Intubation 1074, 1076 – Leitungsanästhesie 1044 – Magensonde 1074 – Mekoniumaspiration 1078 – Nabelarterien-pH-Wert 701 – Nabelpflege 1085 – Normwerte 1067 – Opioide 1029 – Petrussa-Index 1068 – Reanimation 1064, 1065, 1072 – – Medikamente 1077 – Reifebestimmung 1068 – reifes, Erstversorgung 1066 – Rooming-in 1082 – Sarnat-Score 776 – Saugreiz 1111 – Sedativa 1041 – small for gestational age (SGA) 1082 – Soforteinschätzung, postnatale 1066 – Stillen 1085, 1107 – – Reflexe, kindliche 1111 – Stress, oxidativer 772 – Überwachung 1082 – Untersuchung 773, 1083 – – U1 1069 – Verlegungsindikationen 1065 – Versorgung, Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – – Diabetes mellitus, maternaler, Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – Zerebralparese 777 – Zugang, intraossärer/venöser 1077 – Zwerchfelldefekt 1079 Neuralrohr, Entwicklung, physiologische 83 Neuralrohrdefekt (NRD) 136
– – – – – – –
Folsäure 150, 232 Hyperthermie, maternale 87 Leitlinie, geburtshilfliche 1251 Noxen 85 Sonographie 150 Spina bifida aperta 576 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – – Sonographie 150 Neurofibromatose 86 Neuroleptika 98 Neuromedin 486 Neuropathie, maternale diabetische 438 Neuropeptide 485 Nicardipin 523 Nichtopioidanalgetika 102, 1032 Niere, fetale – Dritttrimesterscreening 256 – Harntransportstörung, Neugeborenenversorgung 1069 – multizystische 257 – Nierenagenesie 158 – Nierendegeneration, infantile polyzystische 157 – Pränataltherapie 574 – Sonographie 256 Niere, maternale – Anämie, renale 355 – Beckenniere 833 – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Glomerulonephritis, akute/ chronische 294 – Glukosurie 183 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 1018 – Heparin 372 – Kreißsaalaufnahme 694 – Nierendysplasie, polyzystische 256 – Niereninsuffizienz 294 – Oligurie 1053 – Perfusion 183 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 183 – Proteinurie, schwangerschaftsassoziierte 183 – Pyelonephritis 293 – Transplantation 294, 438, 833 Nifedipin 312, 521, 523 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Nikotin(abusus) – Abortrisiko 26 – Auswirkungen 87, 218 – Beratung, ärztliche 219 – Blasensprung, früher vorzeitiger 559 – Frühgeburt(lichkeit) 529 – Mortalität, neonatale 1203 – präkonzeptioneller Verzicht 197
– SGA-Fetus 600 – Stillen 1121 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Vitamin-C-Mangel 234 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592, 594 nipple stimulation test 656 Nitrazintest 797 Nitrofurantoin 94 Nitroglyzerin 521, 526, 546 – Anästhesie, geburtshilfliche 1049 – Sectio 914 Nitroimidazol 94 NK-Zellen 314 – deziduale 6 NO-Donator 526 NO-Synthase (NOS) 526 Nomogramm nach Fagan 118 Non-Compliance 1179 Non-disjunction 86 Non-Stress-CTG, Terminüberschreitung 810 Non-Stress-Test (NST) 605, 657 – Profil, biophyskalisches (BPP) 665 Noonan-Syndrom 253 normale Geburt – active management of labor (AML) 697 – Aktivitätsphase 689 – Akzeleration 689 – Analgesie 1027 – Austreibungsperiode 689, 690 – Blasensprung 692 – Dammschutz 695 – Dauer 685, 821 – Definition 685 – Dezeleration 689 – Diagnostik – – Austreibungsperiode 743 – – Eröffnungsperiode 743 – – Kreißsaalaufnahme 691, 742 – – Neugeborenes 700 – – Partogramm 695 – – Plazentar-/Postplazentarperiode 699 – Episiotomie 697 – Eröffnungsperiode 689 – Flexionshaltung, okzipitoanteriore 688 – Gebärposition, maternale 701 – Hebammengeburtshilfe 707 – Kopf, kindlicher, Haltung 685 – Kreißsaalaufnahme 691 – Latenzphase 689 – Nachgeburtsperiode 690 – Periduralanästhesie (PDA) 1038 – Pfeilnaht 688
M–N
1280
Stichwortverzeichnis
normale Geburt – Plazentarperiode 689, 690, 698 – Postplazentarperiode 700 – Pressperiode 690 – Schmerzen 1026 – Schulter 966 – Spinal-Epidural-Anästhesie, kombinierte 1039 – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1038 – Stadien, Definition 689 – Überwachung 694 – Urininkontinenz 890 – Wassergeburt 714 – Zervixreifung 689 Normwerte – Beckenmaße 842 – Blutgase, fetale 602 – Dauer Geburtsperioden 821 – gestationsaltersabhängige 136 – Gewichtsperzentilen 588 – pH-Wert 773 Notch 12, 441, 670 – Präeklampsie 317, 324 – Schwangerenvorsorge 206 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 Notfall-Cerclage 536 Notfallkontrazeption 66 Notfallszenario, Training 1054 Notfalltokolyse 760, 830 Notsectio 881 – Resectio 861 – sekundäre, Zwillingsschwangerschaft in BEL 958 NovoSeven 645 – Blutung, postpartale 992 Noxen – Abortrisiko 26 – Alles-oder-nichts-Gesetz 85 – Arzneimittel 89 – Beratungsstelle 107 – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – Dosis-Wirkungs-Beziehung 85 – Drogenabusus 87 – Entwicklungsstadium 85 – Fehlbildungsregister 107 – Impfung, maternale 105 – Koffein 217 – Lösungsmittel 88 – Muttermilch 1108 – Strahlung 88 – Umweltschadstoffe 88 – Vitamin A 224, 229 – Vitaminpräparate 104 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 NSAID (nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente) 524
nukleärer Faktor κB (NF-κB) 490 nutrient partitioning 225 Nystatin 95
O O2 7 auch Sauerstoff Oberschenkelthrombose 365 Obstipation, maternale – Arzneimittel 102 – physiologische, in der Schwangerschaft 186 – Schwangerenvorsorge 204 obstructed labor 825 Oct-4 6 Odds-Ratio 118 Ödem, maternales – Filtrationsrate, glomeruläre 183 – Präeklampsie 317 Oligohydramnion 525 – Beckenendlage (BEL) 947 – Definition 260, 667 – Diagnostik 666 – – Dopplersonographie 668 – – MRT 159 – – Sonographie 157 – Geburtsgewicht, niedriges 600 – Hypoplasie, pulmonale 566 – intrapartales Vorgehen 765 – Präeklampsie 317 – Terminüberschreitung 807 – Überwachung – – antepartale 665 – – intrapartale 751, 764 – Urethralklappenobstruktion 158 Oligurie – Definition 1053 – prä-/peripartale 1053 – Präeklampsie 316 ω3-Fettsäuren, Präeklampsie 327 Omphalozele 153 – Neugeborenes, Versorgung 1069 Oogenese 4 Oozyte 4 Opiatabusus – Abortrisiko 26 – Auswirkungen 87 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 Opiatrezeptor 1028 Opioide 1027 – Agonisten – – Alfentanil 1030 – – Fentanyl 1030 – – Morphin 1029 – – Pethidin 1029
– – – – –
– Piritramid 1030 – Sufentanil 1030 Agonisten/Antagonisten – Buprenorphin 1031 Äquipotenz zu Morphin 1029 – Ceiling-Effekt 1031 – Kombination mit PDA 1037 – Nebenwirkungen 1028, 1039 – Opiat-/Opioidüberhang beim Neugeborenen 1077 – Periduralanästhesie (PDA) 1035, 1037 – Pränataltherapie 571 – Remifentanil 1030 – Schwangerschaft 102 – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1038 – Teratogenität 102 Organdysfunktion, Wochenbett 1100 Organisationsverschulden 1228 Organogenese – Ablauf, physiologischer 83 – Ernährung, fetale 8 – Noxen 85 – Screening, pränatales 138 – Zeitplan 83 Orgasmus 219 – Blasensprung, früher vorzeitiger 559 OSCAR-System 133 Os coccygis 838 Ösophagusatresie – Dritttrimesterscreening 255 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Sonographie 152 Ösophagusstenose, Dritttrimesterscreening 255 Os sacrum 838 Ossa frontalia/parietalia/temporalia/occipitale 687 Ossifikationsstörung, Formen 156 Osteogenesis imperfecta 86, 156 Osteomalazie 230 Osteoporose, maternale, Heparin 372 Östriol 581 Östrogen – Fertilisation 5 – Frühschwangerschaft 6 – Geburtsvorbereitung 516 – Myometriumkontraktilität 483 – Postpartalperiode 1128 – Produktion 474 – Uterusperfusion 178 – Zervixreifung 499
Östrogenrezeptor 484 Ovarialgravidität 34 Ovarialkarzinom 298 Ovarialsyndrom, polyzystisches (PCOS) 300 – Abort 27 – Programmierung, fetale 623 Ovarialvenenthrombose 1099 – septische puerperale 1102, 1015 – Wochenbett 1102 Ovarialzyste, fetale 257 Ovarialzyste, maternale 916 Ovarien, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 179 Ovulation 4 – Postpartalperiode 1129 – Stillen 1108 Oxford-CTG 597 Oxygenierungsstörung, maternale 595 – prä-/peripartal 1053 Oxytozin 806 – Anästhesie, geburtshilfliche 1048 – Applikation 760 – Blutung, postpartale 990 – Bolus 1048 – Dosierung 786, 829 – Eigenschaften 1048 – Geburtsauslösung/-beginn 474, 789 – – Zervix, reife 786 – Geburtsvorbereitung 516 – Hämophiliekonduktorin 1021 – Herzzeitvolumen, maternales 1055 – Hyperstimulation 792, 829 – Nebenwirkungen 695 – Plazentarperiode 990 – Schwangerschaftsabbruch, später 74 – Stillen 1111 – Uterusatonie 991 – Wehenbelastungstest 655 – Wirkweise 487, 695 – Zwillingsschwangerschaft 937 Oxytozin-Vasopressin-Rezeptor 525 Oxytozinantagonisten – Frühgeburt, drohende 565 – Nebenwirkungen 526 – Tokolyse 565 – Wirkmechanismus 525 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Oxytozinase 332 Oxytozinbelastungstest (OBT) 605, 655, 810 Oxytozinrezeptor 487, 519, 525
1281 Stichwortverzeichnis
P Pagusbildung 927, 933 Pankreas, Entwicklung, fetale 619 Pankreatitis, maternale 296, 334 PAPP-A 21, 131 – Plazentastörung 601 Paracetamol, Schwangerschaft 102 Paravaginaldefekt 881 Parazervikalblockade 737 Partner, Anwesenheit bei der Geburt 1144 Partnerschaft, veränderte, durch die Schwangerschaft 1141 Partogramm 695 – Einstellung 847 – pathologische Geburt 823 – Weg-Zeit-Partogramm der WHO 827 Partus immaturus 514 Partus praematurus 514 Parvovirus B19 397–399 – Schwangerenvorsorge 207 – Transmission 398 Passivimpfung, maternale 106 Pätau-Syndrom 7 Trisomie 13 pathologische Geburt – Amnioninfektion 764 – Amnioninfusion 765 – Beckenanomalie 834 – Beckenendlage, Auskultation 746 – CTG-Muster, pathologisches 755 – Definition 821 – Depression, fetale 758 – Einstellungsanomalien 844 – Eklampsie 1053 – Fehlbildung, fetale 839 – Fehlbildung, maternale 831– 833 – Fruchtwassermenge, pathologisch reduzierte 764 – Geburtsstillstand 822 – Gerinnungstörung 319 – HELLP-Syndrom 1052 – Hyperthermie, maternale intrapartale 764 – Kopf-Becken-Missverhältnis 833 – Lagerungsregel 849 – Lateralflexion 852 – Nabelschnur – – Komplikationen, intrapartale 758 – – Vorfall/-vorliegen 853 – Oxygenierungsstörung 1053 – Placenta praevia 759 – Präeklampsie 322, 1051 – protrahierte Geburt 821 – – Auswirkungen 823
– – – – –
– Kriterien 822 – Ursachen 823 Psychosomatik 1146 Reanimation, intrauterine 758 Sauerstoffinhalation, maternale, intrapartale 762 – Schock, maternaler 762 – Terminüberschreitung 814 – Thrombozytenzahl 319 – Tokolyse 759–561 – überschnelle Geburt 824 – Volumensubstitution 762 – Vorfall/Vorliegen kleiner Teile 856 – Wehenschwäche 821, 825– 827 Pedersen-Hypothese 439 Pelvic-Score zur Frühgeburt(lichkeit) 534 Pelvimetrie 840, 842 Penizilline, Tertogenität 92 Perfusion, maternale – Blutverlust unter der Geburt 691 – Höhenexposition 220 – uteroplazentare 177 – – Poseiro-Effekt 759 Peri-mortem-Sectio 291 Periduralanästhesie (PDA) 1032 – Analgetika 1035 – – Opioide 1030, 1037 – Auswirkungen auf das Neugeborene 1044 – Auswirkungen auf den Geburtsverlauf 1038 – Durchführung/Technik 1033 – Frühgeburt(lichkeit) 545, 1050 – Hämophiliekonduktorin 1021 – Indikationen 1033 – Kombination mit Opioiden 1032, 1037 – Komplikationen 1034 – Kontraindikationen 1033 – Kopfschmerzen, postpartale 1035 – – Punktionsnadel 1044 – Sectio 1032, 1045 – Sterilisation, postpartale 1135 – Sufentanil 1030 – vaginaloperative Geburt 883 – Widerstandsverlustmethode 1034 – Wirkprinzip 1032 – Zeitpunkt 1033 Perinatalerhebung 808 – Diabetes mellitus, maternaler 437 – Mortalität, maternale 1210 – Mortalität, neonatale 1199 Perinatalsterblichkeit 513 Perinatalzentrum – Indikationen 560
– Level-Einteilung 1220 Peritonealnaht 915 Personenstandsgesetz 1197 Pes equinovarus, Neugeborenes 1069 Pethidin 102, 1029 Petrussa-Index 1068 Pfannenstiel-Schnitt 912 Pfeilnaht – Lateralflexion 852 – normale Geburt 688 – Rotation 693 Pfropfpräeklampsie – Definition 308 – Diagnostik 317 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 pH-Wert – Herzfrequenz, fetale 739 – intrapartaler 749 – normale Geburt 694 – Normwert 773 – pathologischer 773 Phagozytose 8 Phäochromozytom 298 Phenobarbital 462 Phenylketonurie, Erbgang 86 Phenylketonurie, maternale, Fehlbildungshäufgkeit 86 Phenytoin 97 Phlebographie 364 Phonokardiographie 652, 724 Phosphatidylglyzerol 540 Phospholipide 539 physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 212 Pierre-Robin-Sequenz 148 Pille danach 66 Pinard-Holzstethoskop 652, 724, 746 Piritramid 1030 Placenta accreta – Blutung, postpartale 988, 994 – Dritttrimesterscreening 262 – Frühschwangerschaft 4, 8 – Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – Sectio 916, 996 – – Auswirkungen 859 – Sectionarbe 159 – Sonographie 159, 264 Placenta increta – Blutung, postpartale 988, 994 – Dritttrimesterscreening 262 – Sectio 916 – Sonographie 264 placental clock 474 placental growth factor (PlGF) 324 placental protein 13 (PP-13) 324 placental site trophoblastic tumor (PSTT) 52 Placenta percreta – Blaseninfiltration 997
– Blutung, postpartale 988, 994 – cervicalis 266 – Dritttrimesterscreening 262 – Sectio 916 – Sonographie 265 Placenta praevia – Auswirkungen 640 – – intrapartale 759 – Blutung, postpartale 992 – Definition 594, 634 – Formen 634 – Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – Management, therapeutisches 642, 645 – Neugeborenes, Versorgung 1080 – Plazentarperiode 996 – Schwangerschaftsabbruch, später 75 – Sectio 916 – – Auswirkungen 859 – – Indikation 996 – – vorangegangene Schwangerschaft 1222 – Sonographie 265 – Symptomatik 637 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 placentar growth hormone (PLGH), IUWR 593 Planum cygomaticoparietale 850 Planum mentooccipitale 850 Planum mentoparietale 850 Planum tracheloparietale 851 Plasmaprodukte 357 Plasmavolumen, maternales, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 180, 344 Plasmin 477 Plasminogenaktivator 477 – Inhibition 1004 platelet-activating factor (PAF) 477, 494 Plättchenfaktor 4 316 Plazenta – Abruptio placentae 1051, 1054 – Adaptation, fetoplazentare, gestörte 597 – Alterung 807 – Blutung, postpartale 988 – Blutung, vaginale 635 – Chorionizität 927 – Dicke 261 – Dritttrimesterscreening 246, 261 – Dystrophie bei Terminüberschreitung 806 – Entwicklung 4, 7 – Formen 699 – Frühschwangerschaft 7
N–P
1282
Stichwortverzeichnis
Plazenta – Heparin 367 – Hinterwandplazenta 262 – Hormone, plazentare 667 – Implantationsstörung 996 – – Plazentarperiode 997 – – Sectio, Folgeschwangerschaft 860 – Infarkt 262, 699, 807 – Insuffizienz 7 Plazentainsuffizienz – Invasivitätszeichen, sonographische 263 – Kalkeinlagerungen 807 – Kaverne, plazentare 262 – Lakune 159 – Lokalisation 261 – Lösung – – Küstner-Zeichen 698 – – manuelle 264, 698, 995, 1094 – – Nitroglyzerin 1049 – – normale Geburt 690 – – Stillen 1114 – – vorzeitige 7 Plazentalösung, vorzeitige – Lösungsblutung 690 – Migration, plazentare 261 – Mosaik 167, 594, 596 – Nachgeburtsperiode 690 – Nachtastung 699 – Nebenplazenta 262, 996 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 188, 472 – Placenta accreta/increta/ percreta 996 – Placenta bipartita 262 – Plazentagrading 667 – Reife 261 – Retention 699, 995 – Sonographie 159, 261 – Störung 7 Plazentastörung bzw. Plazentationsstörung – Terminüberschreitung 806, 807 – Thrombose 262 – Transportkapazität 596 – Typ-III-Plazenta 600 – unvollständige 996 – Volumenzunahme 595 – Zygotie 927 – Zyste 262 Plazentabetttumor 52, 57 Plazentainsuffizienz – Asphyxie, fetale 773 – Beckenendlage (BEL) 947 – Frühschwangerschaft 15 – Geburtsbeendigung 772 – Päeklampsie 317 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – Terminüberschreitung 804– 809
– Überwachung, antepartale, Stufenkonzept 676 – Zwillingsschwangerschaft 931 Plazentalaktogen, humanes (HPL) 9 Plazentalösung, vorzeitige – Asphyxie, intrapartale 773 – Auswirkungen 641 – – intrapartale 758 – Definition 634 – Dritttrimesterscreening 262 – Frühschwangerschaft 4, 8 – Hämostasestörung, Pathophysiologie 1013 – Management, therapeutisches 643 – Neugeborenes, Versorgung 1080 – Risikofaktoren 636 – Schweregrade 638 – Spätschwangerschaft 636 – Symptomatik 637 – Trauma, maternales 290 Plazentaretention, Blutung, postpartale 988 Plazentarmembran 596 Plazentarperiode – Blutung, postpartale 988, 989 – Blutverlust 988 – Definition 988 – Inversio uteri 997 – Kompartmentsyndrom 999 – Management 698, 990 – normale Geburt 689, 690 – Oxytozin 990 – Placenta accreta/increta/percreta 996, 997 – Plazenta, unvollständige 996 – Plazentaretention 995 – Uterusatonie 990 – Wassergeburt 720, 721 Plazentaschranke, Infektion 381 Plazentastörung – Mosaik 594 – Placenta praevia 594 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 Plazentation 4 – fehlgeleitete 6 – Mehrlingsschwangerschaft 927 Plazentationsstörung – Auswirkungen 594 – Geburtsmodus, Planung 916 – Placenta accreta/increta/percreta 7 dort – Risk-Management 266 – Sectio 911 – Sonographie 262 Plazentawachstumsfaktor (PLGF) 14
Plazentazentese, Blutströmungsmuster, pathologisches 672 Pleuraerguss 252 Plexus-chorioideus-Zyste 147 Plexusparese – Auswirkungen, langristige 969 – Diabetes mellitus 449 – Forensik 969, 984 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Typen 968 – Ursachen 969, 984 PLGF 325, 595 Pluriparität, Geburtsmechanismus 854 Pluripotenz 85 PLUTO-Studie 574 Pneumonie, Frühgeburt(lichkeit) 518 Pneumothorax 539 Pneumozyten Typ II 539 Poleinstellung 942 – Rotation, externe 948 – Anomalie 942 – – Zwillingsschwangerschaft 937 Poliomyelitisimpfung, maternale 105 Polkörperchen 4 Polkörperchendiagnostik 171 Pollakisurie 183 Polydaktylie 155 – Rippen, verkürzte 156 Polyhydramnion – Blasensprung, vorzeitiger 477 – Definition 260 – Dritttrimesterscreening 255 – Duodenalstenose 255 – Frühgeburt(lichkeit) 516, 519 – Klinik, Diagnostik 666 – Ösophagusatresie 255 – Sonographie 158 – Therapie 666 – twin reverse arterial perfusion(TRAP) 933 – Überwachung, antepartale 665 – Wehen, vorzeitige 477 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Polymerasekettenreaktion (PCR) – allelspezifische PCR 170 – Definition 168 – Echtzeit-PCR 169 – quantitative fluoreszierende (qPCR) 168 – Rhesus-D-Status 170 Polyovulation 926 Polysystolie, fetale 739 Polyurie 332
polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS) 7 Ovarialsyndrom, polyzystisches Polyzythämie, fetale, Diabetes mellitus, maternaler 441 Pomeroy, Sterilisation nach 1133 Ponderalindex 598 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 Porenzephalie 251 Portiokappe, Postpartalperiode 1129 Portioschiebeschmerz, Extrauteringravidität 36 Poseiro-Effekt 759 Post-partum-Verstimmung/-Depression 1103 Postasphyxieenzephalopathie 775 Postasyphyxiesyndrom 776 Postpartalperiode 1126 – Diabetes mellitus, 1127 – Hypertension 1127 – Kontrazeption 1129–1132 – – Stillen 1116, 1128 – Laktationsamenorrhö 1116, 1128 – Nachuntersuchung 1126 – psychische Störungen/Veränderungen, maternale 1126 – Überwachung 700 – Untersuchung, gynäkologische/klinische 1126, 1127 Postpartum 7 Wochenbett bzw. Postpartalperiode Postpartum-Blues 1151 Postplazentarperiode 698 – Nachtastung 699 Posttestwahrscheinlichkeit 117 postthrombotisches Syndrom 368, 372 Potter-Sequenz, Oligohydramnion 667 Power-Doppler 670 Power-Dopplerangiographie – Frühschwangerschaft 11 – Mikrozephalus 251 PPSB-Präparat 1011 PR-Intervall-Analyse 757 Präbiotika 240 Präeklampsie – Anästhesie 322 – Antikoagulanzien 325, 374 – Antiphospholipidsyndrom (APS) 28, 336 – Arzneimittelstoffwechsel, maternaler 89 – atypische 318 – Auswirkungen 315 – Blutgerinnung, maternale 1012 – Definition 308, 313 – Dekompensation, fetale 607
1283 Stichwortverzeichnis
– Diabetes mellitus, maternaler 441, 448 – Diagnostik 317 – Early-onset-Präeklampsie 318 – Eklampsie, Übergang in 327 – Entbindung 322 – Ernährung, maternale 225 – Folgeschwangerschaft 1127 – – Rezidivpräeklampsie 323 – Frühschwangerschaft 4 – Gerinnungstörung 319 – Hämodynamik 316 – Kalzium 237 – Langzeitprognose 323 – Late-onset-Präeklampsie 318 – leichte, Management 319 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Magnesium 238 – Management 318 – Marker, biochemische/nichtbiochemische 325 – Mehrlingsschwangerschaft 930 – Mole, hydatiforme 49 – Multiorganerkrankung 315 – nichthypertensive 318 – nichtproteinurische 308, 318 – Pathogenese 314 – Perinatalzentrum 1051 – plazentare Variante 318 – Postpartalperiode 322, 336, 1127 – – DGGG-Leitlinie 1127 – prä-/peripartales Management 1051 – – Anästhesie/Intensivmedizin 1051 – Prävention 102, 324 – Rezidivpräeklampsie 323 – Rezidivrisiko 323 – Risiko durch fetale Programmierung 624 – Risikofaktoren 313 – Risikomanagement, präpartales 1051 – schwere, Management 319 – Schweregrad 318, 319 – Screening 324 – Serummarker 668 – Sonderformen 318 – Spätschwangerschaft 1051 – Spiralarterien 8 – Sport 212 – Symptomatik 315 – Tertiärprävention 1052 – Therapie 320 – Thromboserisiko/-prophylaxe 363, 369 – Thrombozytenzahl 319 – Triploidie 47
– Trophoblasteninvasion, unzureichende 10 – Überwachung, fetale und maternale 322 – vaginaloperative Geburt 868 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593 Präimplantation 5 Präimplantationdiagnostik (PID) – Gesetzeslage 171 – Methoden 170 Pränataldiagnostik – Abortrisiko 166 – Aneuploidie 166 – – Mehrlingsschwangerschaft 929 – Arzneimittelexposition 91 – Biometrie 144 – Chromosomenzahl 166 – Dritttrimesterscreening 246 – Echokardiographie 254 – Ersttrimesterscreening 126 – Ethik 1175 – Extremitäten 154 – Fehlbildung, Mehrlingsschwangerschaft 929 – Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) 167 – Genmutation 170 – Herz, fetales, Sonographie 149 – Hydrops fetalis 260 – Körperstamm 151 – Mehrlingsschwangerschaft, Chorionizität 927 – Methoden – – Amniozentese 167 – – Chip-Technologie 172 – – Chordozentese 167 – – Chorionzottenbiopsie 167 – – Massenspektometrie 172 – – MRT 159, 543 – – nichtinvasive 171 – – Sonographie 144 – Polkörperchendiagnostik 171 – Polymerasekettenreaktion (PCR) 170 – Präimplantationdiagnostik (PID) 170 – Psychosomatik 1149 – Rhesus-D-Status 170 – Rubellavirus 395 – Schwangerschaftsabbruch 1150 – Sichelzellenanämie 355 – Spaltbildung 147 – Spina bifida aperta 150 – Thalassämie 354 – Toxoplasma gondii 428 – Tumor, fetaler 251 – Wirbelsäule 150 – ZNS 145 – Zweittrimesterscreening 144
– Zwillingsschwangerschaft 934 – Zytogenetik, konventionelle 166 Pränataltherapie – adrenogenitales Syndrom 581 – Amnionband 574 – Amnioninfusion 566 – Analgesie, fetale 571 – Aortenisthmusstenose 584 – Arzneimittelgabe, fetale 570 – Ballonvalvuloplastie 578 – chirurgische 570 – Direktpunktion, perkutane ultraschallgesteuerte 570 – Drainage 570 – Ethikkommission 585 – Fetalchirurgie, fetoskopische 571 – Helsinki-Deklaration 585 – Herzerkrankungen 578 – Herzschrittmacher 584 – HIV-Transmissionsprophylaxe 409 – Hydronephrose 257 – Hydrops fetalis 260, 571 – Laserkoagulation, fetoskopische 572 – medikamentöse 581 – Megazystis 257 – Mehrlingsschwangerschaft, Fetozid, selektiver 934 – Nabelschnurligatur, fetoskopische 571 – Ovarialzyste 257 – Sedierung, fetale 571 – Spina bifida aperta 151 – Transfusion, fetale 570 – Transfusion, intrauterine 460 – Transfusionssyndrom, fetofetales (FFTS) 161, 931 – Zwerchfelldefekt 162 – Zwerchfellhernie 251, 574 – Zwillingsschwangerschaft, monoamniale 932 – Zystoskopie, fetale 574 Pränataltoxikologie 84 Prätestwahrscheinlichkeit 115 Pratt-Dilatoator 68 Prävalenz 115–117 Prazosin 312 pregnancy-associated plasma protein A (PAPP-A) 324 pregnancy of unknown location (PUL) 36 Pressdrang 704 – früher 849 – reflektorischer 690 – verstärkter 849 Pressperiode .690, 822 – Apnoe 704 – Blutdruck 704
– Dauer 690 – Gebärposition, maternale 704 – Wehenfrequenz 695 Presswehen 734 Primärfollikel 4 Primärzotten 8 Priming, Schwangerschaftsabbruch 67 Primordialfollikel 4 Probiotika 240 Profil, biophysikalisches (BPP) 605, 663 – biophysical profile score 751 – sub partu 751 – Terminüberschreitung 810 Progesteron 5, 516 – Extrauteringravidität 38 – Frühgeburt(lichkeit) 502, 533 – – Prophylaxe 474 – Frühschwangerschaft 6 – Geburtsauslösung 474 – Myometrium 483 – Schwangerschaftsstabilisierung 476 – Zervixreifung 499 – Zervixverkürzung 533 – Zwillingsschwangerschaft 930 Progesteronrezeptor 484 Programmierung, fetale – Adipositas, maternale 185 – Begriffsbestimmung 618 – Definition 609 – developmental origins of health and disease (GOHAS) 618 – Diabetes mellitus, maternaler 452 – Ernährung, maternale 216 – Fehlprogrammierung, metabolische 624 – Geburtsgewicht 621 – Gestationsdiabetes 620 – Glukosemetabolismus 619 – In-vitro-Fertilisation 625 – Krebsrisiko 625 – Makrosomie 620 – Mechanismen 619 – mentale Gesundheit 626 – Prävention 618 – reproduktive Funktionen 622, 624 – thrifty phenotype hypothesis 618 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 588, 606 – zerebrale Funktionsstörungen 625 Proguanil 106 Prolaktin 1116 Prolaps genitalis, vaginale Geburt 894
P
1284
Stichwortverzeichnis
prolongierte Geburt – Dauer 689 – Periduralanästhesie (PDA) 1038 Promontorium 838 – doppeltes 836 Prophase 4 Propofol 1042 Proportional-Differenzial-Steuerung (P/D-Steuerung) 717 Propylthiouracil 583 Prostaglandin – Anästhesie, geburtshilfliche 1047 – Anwendungsrichtlinien zur Geburtseinleitung 787 – Applikationsform 787, 789 – Blutung, postpartale 991 – Dosierung 788 – E2 (PGE2), Geburtsbeginn 488 – F2α (PGF2α), Geburtsbeginn 488 – Geburtsauslösung/-beginn 474, 476, 488, 786, 789, 811 – Geburtsvorbereitung 516 – Hyperstimulation 792 – Kontraindikationen 991 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Misoprostol 7 dort – Nebenwirkungen 787 – Plazentarperiode 991 – Schwangerschaftsabbruch 67, 69 – – später 74 – Sperma 219 – Uterusperfusion 178 – vaginale Geburt nach Sectio (VGNS) 858 – Zervixreifung 476, 499 Prostaglandin-Dehydrogenase (PGDH) 494 Prostaglandinrezeptor 488 Prostaglandinsynthese 476, 519 Prostaglandinsynthesehemmer 524 Prostaglandinsynthetase 524 Prostazyklin 325, 488 Protease 10, 476, 477 – Geburtsvorbereitung 516 – Inhibition 477 Protein-C-Mangel 370 Protein-C-Resistenz, aktivierte 1004 Protein C 317 – Eklampsie 331 – Mangel 315 Protein S 1004 – Mangel 315, 370 Proteinmetabolismus, maternaler – Bedarf, maternaler 227physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 185
Proteinsynthesestörung, maternale 593 Proteinurie, maternale 310, 438 Proteomics 112 Prothrombinmutationen 368 Prothrombinzeit, aktivierte (aPTT) 368 protrahierte Geburt – Adipositas, maternale 301 – Angst 696 – Beckenboden 892 – Beckenendlage (BEL) 952, 954 – Dauer 689 – Definition 822 – Fruchtblase, offene 851 – Geburtsstillstand 690 – Schulterdystokie 966, 967 – Sectio(indikation) 690, 911 – Stress, maternaler 696 – Ursachen 690 – vaginaloperative Geburt 868, 869 – von-Willebrand-Syndrom 1020 Provitamin A 229 Pseudogestationssack 36 psychische Veränderungen/Störungen, maternale – Depression, postpartale 1151 – Hyperemesis gravidarum 277, 278 – Infantizid 1103 – postpartale 1103 – Postpartalperiode 1103, 1126 – – Psychose, postpartale 1151 – – Postpartum-Blues 1151 – Präeklampsie 324 – Psychosomatik 1140 – schwangerschaftsassoziierte 188 – Suizid 1103 Psychoanalyse 1146 psychomotorische Entwicklungsstörung, kindliche 805 Psychopharmaka – Antidepressiva 99 – Anxiolytika 100 – Neuroleptika 98 – Teratogenität 98 Psychose, postpartale 1151 Psychosomatik 1140 – Depression, postpartale 1151 – Entwicklungskrise 1140 – Fetozid bei Spätabbruch 1177 – Migrationshintergrund 1148 – Personal, medizinisches 1153 – – Balint-Gruppe 1153 – Phasen der Schwangerschaft 1141 – Postpartum-Blues 1151
– – – – –
Pränataldiagnostik 1149 Psychose, postpartale 1151 Scheinschwangerschaft 1148 Therapie 1152 Verleugnung der Schwangerschaft 1147 Psychotherapie 1152 – Depression, postpartale 1103 Pterygium-Syndrom 157 PTT, Eklampsie 331 Pubertät 4 – Programmierung, fetale 622 Pudendusanästhesie, vaginaloperative Geburt 883 Puerperalfieber 7 auch Infektion 421 Puerperalpsychose 1103, 1126 Puerperalsepsis 7 auch Infektion 1100 Puerperium 7 Wochenbett Pulsatilitätsindex 601 Pulsed-wave-Doppler (PW-Doppler) 264 Pulsoxymetrie, fetale, intrapartale 752 Pumpzwilling 932 Pyelektasie 257 Pyelitis 530 Pyelonephritis 293 – Frühgeburt(lichkeit) 518 Pyridoxin 231 Pyrimethamin 106 Pyruvatdehydrogenasemangel, MRT 160
Q Quadrupletest 131 Qualitätskontrolle – Screeningprogramm 134 – Testqualität 113 Qualitätsmanagement 7 auch Fehlermanagement bzw. Risikomanagement – Qualitätssicherung Geburtshilfe der BQS 1204, 1210 Querlage 959, 960 – Zwillingsschwangerschaft 960 Querstand, tiefer 7 Einstellungsanomalie Quick-Wert, Eklampsie 331
R Rachitis 230 – Prophylaxe 1085 Radionuklid 88 Rauchen 7 Nikotin(abusus) RCOG-Kriterien 1248 real time PCR 169
Reanimation – Fruchtwasserembolie 1015 – intrauterine 758 – – Handlungsalgorithmus 760 – maternale 291 – Neugeborenes 7 auch Neugeborenenreanimation 1ß65, 1077 Receiver-operating-characteristic-Analyse 114 Rechts-links-Shunt 150 Reentry-Tachykardie, fetale, Pränataltherapie 583 Reflexionspulsoxymetrie 752 Reflux, gastroösophagealer, Schwangerenvorsorge 203 Regionalanalgesie, Geburtsdauer 826 Regressionssyndrom, kaudales 89, 440, 574 Regurgitation, atrioventrikuläre 150 Regurgitation, saure maternale 186 Reifeteilung, 1./2. 4 Reifung, gonadale, Programmierung, fetale 622 Reifungswehen 652, 732 Reisen – Auto 219 – Flugreise 219 rekombinanter aktivierter Faktor VII(a) 1007, 1011 – Blutung, postpartale 992 Rektozele, vaginale Geburt 894 Relaxin 484, 494, 496 Remifentanil 1030 Renin-Angiotensin-Aldosteron System (RAAS) 622 – Zwillingsschwangerschaft 572 Renin-Angiotensin-System, maternales 178 Repräsentativitätsregel 117 Reproduktionsmedizin, assistierte – assisted hatching 926 – Embryonentransfer 926 – Frühgeburt(lichkeit) 515 – Hyperstimulationssyndrom, ovarielles 926 – Kryokonservierung 927 – Mehrlingsschwangerschaft 514, 515, 926 Resectio – Narbenruptur 859 – Schnittführung 859 Residualkapazität, funktionelle 184 Resistance-Index 601 Respiration 7 Atmung
1285 Stichwortverzeichnis
Respirationstrakt, maternaler, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 Respiratory-distress-Syndrom (RDS) 539 – Blasensprung, früher vorzeitiger 562 – Glukokortikoide 103 Retikulum, sarkoplasmatisches 523 Retinablutung, vaginaloperative Geburt 882 Retinoide – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Schwangerschaftsabbruch 91 – Teratogenität 105 Retinoidsyndrom 105 Retinopathie, maternale – Diabetes mellitus, maternaler 437 – proliferative 438 Retraktionsring 825 reverse flow 603, 604 – Wachstumsdiskrepanz, extreme, bei Zwillingsschwangerschaft 932 Rhabdomyom, fetales 253 Rhesus-D-Antikörpersuchtest 463 Rhesus-D-Immunisierung 459 Rhesus-D-Status 170 Rhesusblutgruppenbestimmung 460, 462 Rhesuserkrankung 458 Rhesusfaktor – Blutung, postpartale 989 – Schwangerschaftsabbruch 64 Rhesusinkompatibilität 458, 460 – Hämorrhagie, fetomaternale, traumabedingte 291 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Schwangerenvorsorge 206 – Transfusion, postpartale 1007 Rhesusprophylaxe – antenatale 463 – Schwangerschaft 464 Rhesusprotein 459 Rhizomelie 155 RhoA 501 Riboflavin 231 Ringelröteln 7 Parvovirus B19 Rippen, verkürzte 156 Risiko – anamnestisches 648 – Befundrisiko 648 Risikoevaluation – Bayes-Theorem 132 – serielle 132 Risikofaktoren, maternale – Adipositas 26, 300, 558
– Alter, höheres 299 – – – Fehlbildungsrisiko 129 – – – Screening, pränatales 133 – – – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594 Risikogeburt, Einleitung 785 Risikomanagement – Begriffsbestimmung 1184 – Fehler-Mode-Effekt-Analyse (FMEA) 1191 – Forensik 1189, 1226 – Instrumente 1187 – M&M-Konferenz 1190 – Notfallszenario, Training 1054 – Root-Cause-Analyse (RCA) 1191 Risikoschwangerschaft, Geburtseinleitung 784 Ritodrin 521 Riva-Rocci 7 auch Blutdruck, maternaler 307 Rizinusöl 102 Robertson-Translokation 24 ROC-Analyse 114, 600 Roederer-Einstellung 835 Röntgendiagnostik 365 Rooming-in 1082 – Stillen 1110, 1115 Rooting-Reflex 1112 Ropivacain 1036 Rotation, externe – Durchführung 949 – Komplikationen 949 – Querlage 960 – – Zwillingsschwangerschaft 961 – Schädellage 948 – Zeitpunkt 948 Rotation, interne 961 – Knie-Ellbogen-Lagerung 979 – Mc-Roberts-Manöver 977 – Schulterdystokie, Episiotomie 975 Rotation, okzipitoposteriore – Definition 845 – Deflexionshaltung 850 – Geburtsverlauf 848 – vaginaloperative Geburt 876 Rotation, Schulter (bei Schulterdystokie) 977 Rotationsdefizit – vaginaloperative Geburt 878 – Vakuumextraktion 875 Rotationsforzeps 880 Rotationsmanöver 849 – externes, Akupunktur 1159 Rotationsrichtung des Kopfes 849 Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) 1004, 1009 Röteln 7 Rubellavirus Rotem-Analyse 1056
Rotterdamer Checkliste (Protokoll massive Blutung in der Schwangerschaft) 989 RU 486 70 Rubellavirus 86 – Auswirkungen, fetale 394 – Diagnostik, Differenzialdiagnostik 395 – Immunisierung 30 – Impfung, maternale 105 – – aktive 397 – – passive 106 – Rötelnembryopathie 394 – Schwangerenvorsorge 207 – Symptomatik 393 – Transmission 393 Rubin-Manöver, Schulterdystokie 977 Rubivirus 7 Rubellavirus Rückbildung 1098 Rückbildungsgymnastik 1102 – Sectio 917 Rückenlage, Symphyse 687 Rückenschmerzen 205 Rufbereitschaft 1230 Ruhezustand, fetaler, Registrierung 662 Ruhig-wach-Zustand 662 Rumpfkapsel, geschlossene 703 Rüsch-Katheter 992
S S100A 501 Sachverständiger 1240 Sakkulation, vordere/hintere 832 Salizylate 102 Salmonellen 217 – Ernährung, maternale 224 Salpingektomie, Extrauteringravidität 40 Salpingitis isthmica nodosa, Extrauteringravidität 35 Salpingotomie, Extrauteringravidität 39 Sarnat-Score 776 Sauerstoffapplikation, maternale – Sauerstoffinhalation, intrapartale 762 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 606 Sauerstoffmangel, fetaler – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 593, 596, 606 Sauerstoffradikale 315 – Frühschwangerschaft 12 – Wehen, vorzeitige 519 Sauerstoffsparprogramm, fetales 598, 603 – Überwachung, antepartale 671
Saugglocke 7 auch vaginaloperative Geburt – Abreißen 882 – Arten 873 Säuglingstod, plötzlicher – Alkoholabusus 218 – Prävention 1085 – Risikofaktoren 1085 Saugreiz 1111 Säure-Basen-Status – fetaler intrapartaler 749, 758 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 601 Schädel-Becken-Missverhältnis 7 Kopf-Becken-Missverhältnis Schädellage, Rotation, externe 948 Schädelwachstum, pathologisches 250 Schadstoffe 7 Noxen Schanker 414 Schätzgewicht, fetales – Berechnung 145 – Überwachung, antepartale 665 Scheiden-Damm-BeckenbodenSchnitt, tiefer, nach Schuchardt 975 Scheidendiaphragma, Postpartalperiode 1129 Scheidenkondom, Postpartalperiode 1129 Scheinschwangerschaft 1148 Scheitel-Steiß-Länge – Geburtstermin, voraussichtlicher 805 – Gestationsalterbestimmung, Zuverlässigkeit 809 – SGA-Fetus 598 Scheitelbeineinstellung – hintere, Beckenanomalie 836 – vordere, Beckenanomalie 836 Scheiteleinstellung 847 Schienung, äußere 961 Schilddrüse, fetale – Entwicklung, physiologische 279 – Hyperthyreose, maternale 280 – Iodzufuhr 187 – Pränataltherapie 581 – Thioharnstoffpräparate 280 Schilddrüse, kindliche, Struma congenita 236 Schilddrüse, maternale – Arzneimittel 100 – Diabetes mellitus, maternaler 439 – Entwicklung, physiologische 279 – Hyperthyreose 279 – – HCG-vermittelte 280 – Hypothyreose 281
P–S
1286
Stichwortverzeichnis
Schilddrüse, maternale – Iodidbedarf 100 – Iodmangelstruma 279 – Iodsubstitution 236 – Morbidität, fetale 281 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 187 – Struma, euthyreote 279 – Thyreoiditis, postpartale (PPT) 236, 281 – Tumoren 281 Schizophrenie, kindliche, Programmierung, fetale 627 Schlafphase, fetale, Registrierung 662 Schluckvorgang, fetaler 153 Schmerzen 1026 7 auch Analgesie, – Analgetika – – Nichtopioidanalgetika 1032 – – Opioide 1027 – – Spasmolytika 1032 – – Stickoxydul (Lachgas) 1032 – Auswirkungen 1027 – Pathophysiologie 1027 – peripartale 1026 7 auch Analgesie, peripartale Schmerzleitung – Periduralanästhesie 1032 – zentrale 1027 Schmerztherapie, peripartale 7 Analgesie, peripartale Schnappatmung Neugeborenes 1071 Schneegestöber 49 – Chorionkarzinom 52 Schnittentbindung 7 Sectio Schnüffeln 88 Schnuller 1110 Schock, maternaler – hämorrhagischer – – Blutung, vaginale im 3. Trimenon 644 – – Uterusperfusion 178 – intrapartaler 762 – Schocksyndrom, toxisches 7 »toxic shock syndrome« – septischer 1100 Schoßgeburt 702 Schräglage – Definition 959 – Management 960 – Ursachen 959 Schrägstand, tiefer, Forzepsentbindung 880 Schrittmacherzelle 482 Schuchardt, Scheiden-DammBeckenboden-Schnitt, tiefer 975 Schulterdystokie – Auswirkungen
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– Kind 967 – Mutter 969 Definition 966 Diabetes mellitus, maternaler 449 – Diagnostik 967 – Episiotomie 975 – Ernährung, maternale 225 – Forensik 983 – Inzidenz 966 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Makrosomie 449 – Management – – Anästhesie 975 – – Armentwicklung 977 – – Gaskin-Manöver 979 – – Handlungsalgorithmus 982 – – HELPERR 982 – – Knie-Ellbogen-Lage 979 – – Notfallalarmierung 974 – – Rotationsmanöver 975 – – SOP 982 – – Tokolyse 974 – – Ultima ratio 979, 981, 982 – Risikofaktoren 969 – Risikoselektion 972 – Schweregrade (inkurable, mittelgradige, schwere fixierte) 982 Schultergeradstand, hoher 967 Schulterquerstand, tiefer 967 Schultze-Modus 691 Schussgerät 1077 Schwangerenvorsorge – Alterstest 129 – Amniozentese 128 – Berufstätigkeit 216 – Bishop-Score 200 – Chlamydia-trachomatisInfektion 420 – Chorionzottenbiopsie 128 – Chromosomenanalyse 134 – CTG 202 – Entbindungstermin, Berechnung 198 – Epsiotomie, Aufklärung 698 – Erstuntersuchung 380 – Erwartungen 197 – Frühgeburt(llichkeit) 206, 530 – Geburtsbeginn 691 – Geburtsmodus, Aufklärung 884 – Geburtsplanung 203 – Geburtsvorbereitung 188 – genetische Beratung/Diagnostik 198 – Gestationsdiabetes 186, 205 – Gesundheitsförderung 199 – Gonokokkeninfektion 1070 – Historisches 195 – IGeL 203 – Infektion, maternale 207
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– Diagnostik 380 – Nahrungsmittel 216 internationaler Vergleich 196 Lebensführung 212 Leitlinie, geburtshilfliche 1252 Leopold-Handgriffe 201 Mehrlingsschwangerschaft 935 – Mutter-Kind-Pass 196 – Mutterpass 195 – Mutterschafts-Richtlinien 194 – Nabelschnurblutspende 1090 – Normwert, gestationsaltersabhängiger 136 – Periduralanästhesie (PDA), Aufklärung 1033 – präkonzeptionelle Beratung 197 – psychosoziale Situation 199 – Quadrupletest 131 – Rhesusinkompatibilität 206 – Risikogruppen 209 – Schwangerschaftsbeschwerden 203 – Schwangerschaftsfeststellung 198 – Schwangerschaftsrisiko, anamnestisches 648 – Screening 194 – – Aneuploidie 128 – – Fehlbildungen 136 – – genetische Erkrankungen 127 – – Screeningtests 112, 122 – Sonographie 130, 137, 200, 202, 246 – Spätschwangerschaft 246 – Stillvorbereitung 1114 – Symphysen-Fundus-Abstand 202 – Syphilis 415 – Terminüberschreitung 811 – Toxoplasma gondii 217, 427 – Tripletest 131 – Untersuchungsmethoden 199, 204 – Untersuchungszeitplan 204 – Vorgehen, empfohlenes 203 – Vorsorgekonzept 194 – Wochenbett 200 – Zwillingsschwangerschaft 935 – α-Fetoprotein (AFP) 136 Schwangerschaft, ungewollte 60 – anonyme Geburt 75 – Babyklappe 76 – Historisches 61 – Kontrazeption 62 – psychische Aspekte 63 – Schwangerschaftsabbruch 7 auch dort 61 Schwangerschaft, verlängerte 7 Terminüberschreitung
Schwangerschaftsabbruch – 2. Trimenon 1176 – Abtreibungstourismus 73 – Alloimmunthrombopenie (AITP) 465 – Arzneimittelexposition 91 – Aspiration 68 – Autonomie, maternale 1175 – chirurgischer 67 – – Sectio 75 – – Spätabbruch 74 – Dilatation und Evakuation (D&E) 68 – Dilatatoren 67 – Fehlbildung, fetale 71 – – psychologische Betreuung 1150 – Fehlbildungsscreening 138 – Forensik 1174 – Fristenlösung 62 – Fruchttod, intrauteriner (IUFT) 75 – Geschlechtsselektion 1175 – Gesetzeslage 62 – Häufigkeit 63 – HCG 64 – Historisches 66, 69 – HIV 405 – Indikationslösung 62, 71, 1175 – Kontrazeption nach Abbruch 65 – Kostenübernahme 62 – Legalisierung 61 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 – medikamentöser 69 – Methoden 66 – Mortalität, maternale 61 – MRT-Pränataldiagnostik 160 – Neuralrohrdefekt 233 – Pflichtberatung 62 – Pränataldiagnostik (PND) 1150 – psychische Aspekte 63 – Psychosomatik 1141 – Retinoide 105 – Rhesusfaktor 64 – Sectio parva 75 – selektiver, bei Zwillings-/ Mehrlingsschwangerschaft 928, 934 – sonographisch gestützter 68, 77 – Spätabbruch 71, 1175 – – Ethik 1174 – – Fetozid 1177 – Spina bifida aperta 570 – Toxoplasmose 425, 426 – Zwerchfelldefekt 162 – Zytomegalievirusinfektion 388 Schwangerschaftsanämie 7 Anämie
1287 Stichwortverzeichnis
schwangerschaftsassoziiertes Plasmaprotein A (PAPP-A) 7 PAPP-A Schwangerschaftsausweis 195 Schwangerschaftsbeschwerden – Schwangerenvorsorge 203 – Sport 213 Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 295 Schwangerschaftsdauer 804 – verlängerte 7 Terminüberschreitung Schwangerschaftsektropium 177 Schwangerschaftsepulis 186 Schwangerschaftsfeststellung/ -nachweis 20, 21, 198 Schwangerschaftsfettleber 316, 332–334 Schwangerschaftshydrämie 180, 182, 344 Schwangerschaftsikterus 295 Schwangerschaftskomplikation – Abort, Thrombophilie 373 – Ernährung, maternale 241 – Gewichtszunahme, maternale 226 Schwangerschaftsrhinitis 184 Schwangerschaftsscheibe nach Dudenhausen u. Pluta 198 Schwangerschaftszeichen (Hegar, unsichere) 20 Schweinegrippe, Impfung, maternale 106 Schweizer-Käse-Modell nach Reason 1185 Schweizerkäselöcher 997 Screening – A-priori-Wahrscheinlichkeit 115 – Aktionsschwelle 121 – Alloimmunthrombopenie (AITP) 467 – Aneuploidie 128 – – Mehrlingsschwangerschaft 929 – Bayes-Theorem 116 – Blutdruck 307 – Chlamydia trachomatis 419, 420 – Definition 122, 126 – detection rate 115 – Dritttrimesterscreening 248 – Empfehlungen, nationale 134 – Erkrankungswahrscheinlichkeit 117 – Ersttrimesterscreening, Voraussetzungen 126 – Fehlbildung, schwerwiegende 136 – genetische Erkrankungen 127 – Gestationsdiabetes 186, 443 – Hepatitisviren 400
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HIV 406 Hörscreening 1085 Indikation 120 Infektion, maternale 207 integriertes 133 kontingentes 133 Likelihood-Ratio 117 Mutterschafts-Richtlinien 194 neonatales 1086 Neugeborenes 7 auch Neugeborenenscreening 1084 – OSCAR-System 133 – prädiktiver Wert 114 – Präeklampsie 324 – pränatales – – Fehldiagnose 139 – – Kosten-Nutzen-Relation 132, 138 – – Leitlinie, geburtshilfliche 1251 – Prätestwahrscheinlichkeit 115 – Rhesusinkompatibilität 206 – Schwangerenvorsorge 126, 194 – sequenzielles 133 – Sonographie 137, 144 – Testkombination 119 – Testqualität 112, 194 – Toxoplasmose 208, 429 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 598, 599 – Ziele 112 – α-Fetoprotein (AFP) 136 Sectio 910 – Adipositas, maternale 301 – Akuttokolyse, intraoperative 914 – Anästhesie – – Allgemeinanästhesie 1040 – – Inhalationsanästhesie 1040 – – Narkoseausleitung 1044 – – Narkoseführung 1041 – – Periduralanästhesie (PDA) 1032, 1044 – – Spinalanästhesie, kontinuierliche 1039, 1044 – Antibiotikaprophylaxe 911 – Aufklärung 911, 919 – Beatmung 1040, 1043 – Beckenendlage (BEL) 954 – Bereitschaft während vaginaloperativer Geburt 881 – Caesarean scar pregnancy 34 – court ordered cesarian section (Sectio auf Gerichtsbeschluss) 1179 – Crash-/Blitzsectio 861 – Dammriss, anamnestischer 897 – Definition 910 – elektive – – Beckenendlage (BEL) 955 – – Definition 911
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Empfehlungen 919 Forensik 1233 Frühgeburtlichkeit 543 Psychosomatik 1143 Querlage 960 Zwillingsschwangerschaft in BEL 958 Endomyometritis 1015 Entscheidung-EntwicklungsZeit (E-E-Zeit) 785, 1232 Fetalchirurgie, offene 571 Folgeschwangerschaft 910, 1252 – Aufklärung 863 – CTG 861 – Geburtseinleitung 791, 811, 859, 861 – Geburtsmodus 859 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249, 1253 – Leitungsanalgesie 862 – Narbendehiszenz 862 – Narbenruptur 859, 861 – Narbenschmerz 862 – Placenta praevia 263, 1222 – Resectio 859 – Rotation, externe 949 – Risiken, geburtshilfliche 863 – Schnittführung 859 – Trophoblaststörung 997 – Uterusruptur 791, 913, 916 – vaginale Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio (VGNS) 856 – Wehenstimulation 862 Frühgeburt(lichkeit), Anästhesie 1050 Geburtsangst 1146 Geburtstrauma Neugeborenes 1069 Hämophilie 1021 HIV-Transmissionsprophylaxe 411 Hysterektomie 997 Hysterotomie 913 Indikationen 881, 910 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Schätzgewicht 974 Infektionen 911 Infektionsrisiko 1102 Intrauterinpessar 1130, 1131 Intubation, schwierige 1040, 1042 Komplikationen 916–919 Kompression, aortokavale 1041 Krebsdiagnose, intraoperative 916 Lagerung 912 Leitlinie, geburtshilfliche 1249
– Lokalanästhesie, Lidocain 1037 – Lungenflüssigkeit 718 – Mehrlingsschwangerschaft 937 – Mobilisation 917 – Mutter-Kind-Beziehung 1145 – Myom(ektomie) 539, 913 – Nabelschnurvorfall 800, 855 – Notsectio 861 – – Abruptio placentae 1051, 1054 – – Aufklärung 911 – – Definition 910 – – Eklampsie 1054 – OP-Lagerung 1041 – Operationstechnik 912, 915 – Outcome – – maternales 918, 919 – – Neugeborenes 919 – parva 75 – Peri-mortem-Sectio 291 – Peritonealnaht 915 – Placenta accreta 996 – – Folgeschwangerschaften 159 – Placenta increta/percreta 996 – Placenta praevia 635, 642, 996 – Plazentalösung, vorzeitige 643 – Plazentationsstörung 266 – primäre – – Gewichtsschätzung 449 – – Terminüberschreitung 812 – protrahierte Geburt 690 – Querlage 960 – Rate 812, 910, 1219 – Resectio 910, 915 – – Schnittführung 914 – Rotation, externe 950 – Schulterdystokie – – Zavanelli-Manöver 981 – – Prävention 973 – Schwangerschaftsabbruch, später 75 – Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 296 – Sectio in mortua 1179 – Sectiomortalität/Sectioletalität 1218 – sekundäre – – Beckenendlage (BEL) 947, 955 – – vaginaloperative Geburt 881 – Sterilisation 916, 1132 – Stillen 1114 – Stirnlage 851 – Streckhaltung 877 – Terminüberschreitung 814 – Thromboembolie, venöse (VTE) 364
S
1288
Stichwortverzeichnis
Sectio – Thromboseprophylaxe 183, 323, 369, 917 – Trachealkompression 251 – Überwachung, maternale 1044 – – postoperative 917 – Urininkontinenz 892 – Uterotomie 913 – – Frühgeburt 546 – Uteruskompressionsnähte 993 – Uterusoperation, vorangegangene 645 – Uterusruptur 644 – Verschluss 915 – verspätete, Forensik 1231 – Vorbereitung 912 – Wundinfektion 918 – – Streptokokkeninfektion 422 – Wunschsectio 7 Sectio, elektive – Zustand nach, Definition 857 – Zwillingsschwangerschaft 937 Sectiobereitschaft – Fußlage 944 – Rotation, externe 950 – vaginaloperative Geburt 881 Sectiohysterektomie 997 Sedativa – Auswirkungen auf das Neugeborene 1041 Sedierung – fetale 517 – Morphin 1028 Seen, schwarze 997 sekretorische Phase 5 Sektkorkenphänomen 252 Sekundärfollikel 4 Sekundärzotten 8 Selen 239 semiallogenetische Zellen 7 Semilunarklappenstenose, Pränataltherapie 570, 578 Sengstaken-Blakemore-Ballonsonde 992 Sensitivität – Definition 112 – Testkombination 120 Sepsis, maternale 1100 – Cerclage 538 – Mortalität, maternale 1223 – postpartal 1015 – Sectio 918 – Streptokokkeninfektion 422 Sepsis, neonatale, Blasensprung, früher vorzeitiger 563 Septoplastie, ultraschallgesteuerte atriale 580 Septumdefekt, trioventrikulärer (AVSD) 150
Sequenz, dynamische 159 Serotonin, Uterusperfusion 178 Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) 99 Serotoninantagonisten 102 Seruminhibin A, Überwachung, antepartale 668 sexuelle Aktivität – Auswirkungen 219, 559 – Beratung, ärztliche 219 – Blasensprung, vorzeitiger 559 – Placenta praevia 645 – Orgasmus 219 – Postpartalperiode 1129 – – – vaginaloperative Geburt 898 – Schwangerschaftsektropium 177 – Sperma 219 – Terminüberschreitung 785 sFlt-1 15, 325, 595 SGA 7 small for gestational age (SGA) Shirodkar-Cerclage 537 short tandem repeats (PCR) 168 Shunt, pleuroamnialer 152 Shunteinlage, vesikoamniotische 574 Shuntsystem, ventrikuloperitoneales 578 siamesische Zwillinge – Ätiologie 927 – Geburtsleitung 839 – Morphologie 933 Sichelzellenanämie 354, 1223 – Frühgeburt(lichkeit) 531 Sicherheitsgurt (Auto) 220, 289, 291 Sicherheitskultur 1187 Single-Embryo-Transfer, elektiver (SET) 926 Single-pocket-Methode 260, 667, 764 Sinusrhythmus, fetaler, Pränataltherapie 583 Sitzbad 1103 Skalpblutanalyse, fetale (FSBA) – Asphyxie, intrapartale 779 – normale Geburt 694 – Profil, biophyskalisches 664 Skalpelektrode, fetale 725 Skalpelektroden-EKG 727 Skalplaktat 750 Skalpstimulation – fetale 659 – intrapartale 756 Skelettentwicklung, physiologische 84 Sklerose, tuberöse 253 Skorbut 234 sliding organs sign 37 slow starter 823 small for gestational age (SGA)
– – – – – – –
Abdominalumfang 599 Definition 588 Diagnostik 598 Entdeckungsrate 599 Normwerte Blutgase 602 Risikofaktoren 592 Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 588 soluble fms-like tyrosine kinase-1 (sFlt-1 324 soluble vascular endothelial growth factor receptor-1 (sVEGFR-1) 324 Sonographie – Abdomen, fetales 249, 256 – Alloimmunthrombopenie (AITP) 465 – Anämie, fetale 461 – Aneuploidie 130 – AWMF-Leitlinie Sonographie 246 – Ballonvalvuloplastie 578 – banana sign 150 – Beckenbodenschädigung, postpartale 900 – Beckenendlage (BEL) 247, 946 – Benzodiazepinabusus 100 – Biometrie 144, 247 – Blasenpunktionen 574 – Blutung, vaginale, im 3. Trimenon 639 – bonding 188 – Chromosomenanomalie 130 – DEGUM 246 – Diabetes mellitus, maternaler 448 – Direktpunktion, perkutane ultraschallgesteuerte 570 – Double-bubble-Zeichen 153, 255 – double-sac sign 36 – 3-D-Power-Dopplerangiographie 11 – dreidimensionale 249 – Einschränkungen 247 – Entbindungstermin, Berechnung 198 – Extrauteringravidität 36 – Extremitäten 154 – Farbdoppler 7 dort – Fehlbildungsdiagnostik 137 – – Arzneimittelexposition 91 – – Fehlbildungsscreening 138 – – Fehldiagnose 139 – – Indikation 91 – Fetoskopie 570 – Flussmuster, pulsatiles 13 – Fruchtwasser 260 – Frühschwangerschaft, Schwangerschaftsfeststellung 20 – Gastrointestinaltrakt 254 – Geburtstermin 805
– Geburtstrauma, maternales, Diagnostik 900 – Gehirn, fetales 249 – Gesicht – – Mikrognathie 148 – – Spaltbildung 147 – Gestationsalter 805 – Gewicht 249, 809 – – Geburtsgewicht 449 – – Schätzgewicht 665 – Hals 251 – Harnwege, fetale 257 – Herz, fetales – – gesundes 149 – – Herzfehler 149, 253 – Herzfrequenz, fetale (FHF) 649 – Höhenstandsidagnostik 871 – Hüftuntersuchung bei U3 1085 – Hydrops fetalis 258 – International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology (ISUOG) 246 – Körperstamm 151 – Kreißsaalaufnahme 694 – Kürettage, postpartale 264 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – lemon sign 150 – Lunge, fetale 252 – Makrosomie 449 – Mehrlingsschwangerschaft 21, 928 – Messmethodik 248 – Mole, hydatiforme 47, 49 – Mottenfraßloch 263 – Mutterschafts-Richtlinien 200 – Nabelschnurinsertion 261 – Nackentransparenzmessung 130 – Neugeborenes – – Hüftuntersuchung (U3) 1085 – – Schädelsonographie 777 – Neurosonogramm 250 – Niere, fetale 256 – Niere, maternale 183 – Pelvimetrie 840 – Placenta praevia 639 – Plazenta 261 – – Volumenzunahme 595 – – unvollständige 996 – Plazentalösung, vorzeitige 639 – Plazentaretention 995 – Plazentationsstörung 262 – Präeklampsie 324 – Profil, biophyskalisches 664 – Pseudogestationssack 36 – 4-Quadranten-Technik 157 – Querlage 959 – Real-time-B-Modus 21 – Registriermethodik 649
1289 Stichwortverzeichnis
– Rotation, externe 949 – Rotationsrichtung des Kopfes 849 – Rubellavirus 395 – Schneegestöber 49, 52 – Schulterdystokie, Risikoselektion 973 – Schwangerenvorsorge 200, 202 – Schwangerschaftsabbruch 68, 77 – Schwangerschaftsnachweis 21 – Single-pocket-Methode 260 – sliding organs sign 37 – Spätschwangerschaft 246 – Terminüberschreitung 810 – Thromboembolie, venöse (VTE) 364 – transabdominelle 21 – Trichterbildung 517 – Trichterbildung des Muttermundes 517 – 1. Trimenon 21, 130 – 2. Trimenon 130, 144 – 3. Trimenon 246, 266 – Überwachung, antepartale 665 – Ultrasonokardiographie 725 – Urinkomposition, fetale 574 – Uterusatonie 991 – Uterusruptur 638 – Vaginalsonographie 21 – – Dritttrimesterscreening 266 – – Frühgeburt(lichkeit) 517 – – Uterus myomatosus 538 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 598 – Wehen, vorzeitige 519 – Wertigkeit, diagnostische 144 – Wirbelsäule 150 – Zervixinsuffizienz 534 – Zervixlänge 266, 517, 535 – ZNS – – Corpus-callosum-Agenesie 147 – – Dandy-Walker-Komplex 146 – – gesunder Fetus 145 – – Hydrozephalus 146 – – Mikrozephalie 147 – – Spina bifida 146 – – Ventrikulomegalie 146 – Zwerchfell 251 – Zwillingsschwangerschaft 928 – – Beckenendlage (BEL) 958 – Zytomegalievirus (CMV) 388 Soor, Brust, postpartal 1118 Sorgfaltspflicht 1227 Spaltbildung 7 auch Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte 147, 232
– Erbgang 86 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Sonographie 147 Spasmolytika 1032 Spätabbruch – chirurgischer 74 – Ethik 1174 – Fetozid 74, 1177 – Lebensfähigkeit des Fetus 71 – medikamentöser 74 – Placenta praevia 75 – psychische Aspekte 73 – Sectio 75 – Uterus, voroperierter 75 Spätabort, Definition 22 Spätschwangerschaft – Anästhesie, Nüchternheitsgrenze 1041 – Blutgerinnung, maternale 362 – Blutung, vaginale 634 – Eisenbedarf, maternaler 345 – Energiebedarf, maternaler 216 – Ernährungsberatung 226 – Geburtsauslösung 473 – Grenzbereich, fetomaternaler 472 – Insulin 184 – kardiovaskuläre Strukturen, Hypoplasie 584 – Kollagen 492 – Myometrium 478 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 315 – Pollakisurie 183 – psychische Aspekte 1141 – psychische Veränderungen/ Störungen, maternale 188 – Sport 213 – V.-cava-Okklusionssyndrom 759 – Zervixreifung 495 Speed 88 Spermium 5 Spezifität 112 – Definition 112 – Testkombination 120 Sphärozytose 86 Sphyngomanometrie 307 Spina bifida aperta – Chiari-Typ-II-Malformation 577 – Definition 576 – Erbgang 86 – Fetalchirurgie, offene 571 – Folsäure 232 – Neugeborenes, Versorgung 1069 – Patchabdeckung, fetoskopische 571, 579 – Pränataltherapie 570, 576
– Sonographie 146, 150 Spinae ossis ischii 838 Spinal-Epidural-Anästhesie, kombinierte 1039 Spinalanästhesie – Hämophiliekonduktorin 1021 – kontinuierliche 1038 – – Auswirkungen auf das Neugeborene 1044 – – Blutdruck, maternaler 1044 – – Frühgeburt(lichkeit) 1050 – – Hypotension, maternale 1045 – – Kopfschmerzen, postpartale 1039 – – Sectio 1045 – Sterilisation, postpartale 1135 – Thrombotyzenzahl 1016 – vaginaloperative Geburt 883 Spiralarterie 4, 8, 12 Spiralelektrode 753 Splenektomie 1016 Spontangeburt 951 – assistierte 951 Spontanmutationsrate 86 Sport 528 – Beratung, ärztliche 214 – Gestationsdiabetes 446 – Höhenexposition 220 – Kontraindikationen 214 – Risiken 213 – Sportarten, geeignete/ungeeignete 214 – Vorteile 212 Spurenelemente 235 squeezing effect 718 ST-Analyse (STAN) 756 – FIGO-Richtlinie 757 – Terminüberschreitung 814 Stammzelldonorregister 1090 Stammzellen 5 – adulte 1094 – Forschung, aktuelle 1091, 1094 – Frühschwangerschaft 10 – hämatopoietische 1090 – Hybrid-Banking 1094 – Knochenmark, Eigenschaften 1094 – mesenchymale 1090, 1091, 1094 – Nabelschnurblut, Eigenschaften 1094 – Nabelschnurblutbank 1093 – Nabelschnurblutgewinnung 1092 – Nabelschnurblutstammzelltransplantation, autologe 1093 – Spätschwangerschaft 1090 – Spende, allogene 1090 – – gerichtete/ungerichtete 1093
– Stammzellspenderegister 1093 – Tansplantation (Knochenmark, Nabelschnurblut) 1090 – Totipotenz 4 – Wharton-Sulze 1094 Stammzotten 13 Staphyloccocus aureus 1101 Status epilepticus, maternaler 289 Stehstress-Test (SST) 656 Steinschnittlagerung 999 – Symphyse 687 Steiß-Fuß-Lage – Reposition der Beine 953 – unvollkommene 943 – vaginale Geburt 952 – vollkommene 943 Steißbeinteratom, Pränataltherapie 571 Steißlage, reine 942 – Pendelbewegung 943 – vaginale Geburt 951 Sterilisation, postpartale 1133–1135 – Psychosomatik 1152 – Refertilisation 1132 Sterilisation anlässlich Sectio 916 Steroide – fetale 487 – maternale 486 Steroidhormone 21, 483, 516 Steroidhormonrezeptor 484 Stethoskop nach DeLee 746 sTFR-Index 349 Stickoxid (NO) – Uterusperfusion 178 – Zervixreifung 499 Stickoxydul (Lachgas) 1032, 1043 Stickstoffbilanz, maternale 185 Stickstoffmonoxid (NO), Wirkweise 491 Stillen – Abstillen 1119, 1121 – Allergie 1085 – Anlegen des Neugeborenen 190, 1070 – Antiepileptika 289 – Antikoagulation, maternale 367 – ausschließliches 1107 – Auswirkungen – – Kind 1107, 1114 – – Mutter 1106, 1108, 1114 – Beikostzufütterung 1121 – Beziehungsaufbau zum Kind (bonding) 1145 – Brustwarzen, wunde 1118 – Brustwarzenpflege 1115 – Dauer 1107
S
1290
Stichwortverzeichnis
Stillen – Diabetes mellitus, maternaler 451 – emotionale Aspekte 1106 – Ernährung/Energiebedarf, maternaler 1115 – Fehlbildungen, kindliche 1117 – Fettsäuren, mehrfach ungesättigte 239 – Frühgeborenes 1117 – Galaktogenese 1111 – Hebammengeburtshilfe 708 – Hepatits-C-Virus 404, 1250 – HIV 406, 412 – – Transmissionsprophylaxe, Stillverzicht 208 – Immunmodulation 1106 – Innocenti Declaration 1110 – Kolostrum 1112 – Kontraindikationen 208, 1119 – Kontrazeption 1107, 1108, 1116, 1131, 1132 – – Zuverlässigkeit 1116 – Laktationsamenorrhö 1116, 1128 – Laktationsberatung 1110 – Laktogenese 1111 – Leitlinie, geburtshilfliche 1249, 1252 – Mammogenese 1111 – Medikamente, Milchgängigkeit 1120 – Metafolin 233 – Milchbestandteile 1112 – Mutterschutzgesetz 1121 – nach Bedarf 1114 – Nationale Stillkommission 1110 – Nestschutz 381 – Neugeboreneniktreus 1083 – Nikotinabusus, Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Probleme 1117 – – Agalaktie/Hypogalaktie 1117 – – Brustwarzen, wunde 1118 – – Candida-Infektion 1118 – – Mammaabszess 1119 – – Mastitis 1118, 1119 – – Milchstau 1118 – Reflexe, kindliche 1111 – Rooming-in 1082 – Saugreiz 1111 – Sectio 918, 1114 – Selen 239 – self demand feeding 1114 – Stillfähigkeit 1106 – Stillquote 1108 – Techniken 1115 – UNICEF-Initiative 1110 – Verunreinigung der Muttermilch 1108
– Vitamin-B6-Mangel, maternaler 231 – Vitamin-K-Mangel, kindlicher 235 – Vorbereitung in der Schwangerschaft 1114 – Wassergeburt 719 – WHO-Empfehlungen 1107– 1110 – – 10 Schritte zum erfolgreichen Stillen 1110 – Zwillinge/Mehrlinge 1117 – Zytomegalievirus (CMV) 386 Stimulation, vibroakustische (VAS) 740, 754 Stimulationstest, fetaler – Reizadaptation 659 – Skalpstimulation 659, 740 – Stimulation, vibroakustische 740 – Überwachung, intrapartale 754 – vibroakustische Stimulation (VAS) 658 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 659 – Weckversuch 740 Stirn-Gaumen-Winkel 131 Stirneinstellung 847 – Rotation, okzipitoposteriore 850 Stirnhaltung, nasoposteriore 877 Stirnlage, Rotation, okzipitoposteriore 850 Stoffwechselerkrankung, kindliche – Erbkrankheit 86 – Programmierung, fetale 619 Strafrecht – Arztverschulden 1233 – Begutachtung 1241 Strahlenexposition 88 – Angiographie 365 – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – Flugreise 219 – Pelvimetrie 840 – Phlebographie 365 – Röntgen 365 – Ventilations-Perfusions-Szintigraphie 365 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 592 Stratum supravasculare/vasculare/subvasculare 478 Streckhaltung 877 Streptokinase 366 Streptokokken(infektion) – Auswirkungen 422 – Diagnostik 423 – Gruppe A 421, 1100, 1101 – Gruppe B (GBS) 422 – Neugeborenes 422
– Prophylaxe 423 – Schwangerenvorsorge 207 – Therapie 422–424 – Transmission 422 Stress, fetaler – Einteilung 779 – Frühgeburt(lichkeit) 528 – pränataler 627 Stress, maternaler – Abort, chronischer 475 – Frühgeburt(lichkeit) 528 – Geburtsdauer 696 – Verhaltensstörung, kindliche 627 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 594, 627 – Wehen, vorzeitige 519 Stress, Neugeborenes, Geburtsmodus 919 Stress, oxidativer 315, 336 – Präeklampsie 327 – Neugeborenes 772 Stressharninkontinenz – Schwangerschaft 891 – vaginale Geburt 894 Striae distensae 179 – Schwangerenvorsorge 204 Stromaveränderung 267 Strömungswiderstand 4, 12 Struma, maternale 101, 236 stuck twin 572 Stuhlinkontinenz 7 Analinkontinenz Sturzgeburt 824 Subinvolutio uteri 1098 substandard care situation 1054 Succinimide 98 Succinylcholin 1042 sudden infant death syndrome (SIDS) 7 Säuglingstod, plötzlicher Sufentanil 1030, 1037 Suizid, postpartaler 1103 Sulfatasemangel 806 Sulfonamide, Teratogenität 93 Superfekundation 927 Superoxiddismutase 12 Surfactantprotein 477 Surfactant, Lungenreife 540 Sutura frontalis/sagittalis/ cornaria/labdoidea 687 Sympathikolytika 312 Sympathikusaktivität 622 Sympathomimetika, Anästhesie, geburtshilfliche 1047 Symphyse 838 – Gebärposition, maternale 704 – Geburtsbeginn 687 – Steinschnittlage 687 Symphysen-Fundus-Abstand 202 – Oligohydramnion 666 – Sauerstoffsparprogramm 598
– Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 599 Symphysiotomie 980 Synbiotika 240 Synechie, intrauterine, Abort 25 Synzytium 4, 7–10 Syphilis 413–416 – Abort 26 – Schwangerenvorsorge 207 systemic inflammatory response syndrome (SIRS) 1100
T Tabak 7 Nikotinabusus Tachyarrhythmie, fetale, Pränataltherapie 580 Tachykardie, fetale – supraventrikuläre 150 – – Pränataltherapie 583 – Terminüberschreitung 814 Tachykinin 486 Tachyphylaxie 520 TAT-III-Komplex 331 Tay-Sachs-Erkrankung 127 Telefonhörer (Femurverbiegung) 156 Telemetrie – interne/externe 727, 728 – Wassergeburt 720 Temperaturmessung Neugeborenes 1066 tender loving care 29, 30 Tennessee-Klassifizierung, HELLP-Syndrom 330 Teratogenität – Antikoagulanzien – – Heparin 367 – – Kumarin 370 – Arzneimittel 89 – Beratungsstelle 107 – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – Definition 84 – Genetik 86 – gestationsaltersabhängige 84 – Infektionserreger 381 – Koffein 217 – Noxen 87 – Pränataltoxikologie 84 – Risikobeurteilung 90 – Rubellavirus 393 – Vitamin-A-Hypervitaminose 229 Termineffekt 668 Termingeburt, Definition 804 Terminüberschreitung – Auswirkungen 807 – Dauer 813 – Definition 804 – Diagnostik 809 – Fruchtwasser, grünes 751
1291 Stichwortverzeichnis
– – – – – – – – – – –
Geburtseinleitung 784, 808 Geburtsmanagement 814 – expektatorisches 813 – Geburtseinleitung 811 Geschlecht 805 Inzidenz 805 Mekoniumaspiration 1078 Plazentafunktion 806, 807 Prävention 814 Schulterdystokie 972 Überwachung, antepartale 813 – Ursachen 806 – Zeichen 804, 1068 Tertiärfollikel 4 Tertiärzotten 8 Testqualität – Cut-off-Wert 113 – Positivkriterium 113 – Receiver-operating-characteristic-Analyse 114 – Sensitivität 112 – Spezifität 112 – Testkombination 119 – Vierfeldertafel 112 Tetanusimpfung, maternale 105 – passive 106 Tetanus uteri 825 Tetrazykline 93 Thalassämie 354 Thalidomid 91 Theca interna 5 Theophyllin 104 Thermoregulation 215 – Frühgeborenes 1066 – Neugeborenes 1066 Thiamin 230 Thiopental 1042 Thorax – glockenförmiger 155 – Hypoplasie 156 Thoraxkompression, Neugeborenes 1075 Thoraxquerdurchmesser (THQ) 248 Thoraxumfang 248 thrifty phenotype hypothesis 618 Thrombektomie 366 Thrombelastogramm 640 Thrombelastographie/-metrie 1006 Thrombin 476 Thrombin-Antithrombin-Komplex 1009 Thrombinzeit, Eklampsie 331 Thromboembolie – Geburtsmodus 857 – Leitlinie, geburtshilfliche 1252 – Mortalität, maternale 1222 Thromboembolie, venöse (VTE) – Beinvenenthrombose 363 – Definition 362
– – – – –
Diagnostik 364 Herzklappenthrombose 371 Lungenembolie 364, 365 Management 367 postthrombotisches Syndrom 368 – Prophylaxe 363, 367–371 – Rezidiv 367, 368 – Risikofaktoren/-gruppen 363, 368 – Sekundärprophylaxe 367 – Spätschäden 372 – Therapie 366 – Thrombophilie 369 – Thromboseneigung 368 – Ursachen 363 Thrombolyse 366 Thrombopenie – fetale 465 – heparininduzierte (HIT) 371, 372 Thrombophilie, maternale 315, 326, 336 – Abort(neigung) 28, 373 – Therapie 370 – Thromboseprophylaxe 369 Thrombophlebitis 362 – septische 1099 Thrombose, maternale – Diagnostik 1005 – Flugreise 219 – Hämorrhoidalthrombose, postpartale 1102 – Ovarialvenenthrombose, postpartale 1102 – Prophylaxe 363, 368 – – Geburtseinleitung 371 – – Heparin 371 – Therapie 366 – Thromboseneigung 368 – Thromboserisiko – – Heparin 101 – – Schwangerenvorsorge 205 – Prophylaxe 183 – – Sectio 323 – – Blutverlust, peripartaler 1007 – tiefe Venenthrombose 362 7 auch Thromboembolie, venöse (VTE) thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) 330, 1017 Thromboxansynthese 325 Thrombozyten – peripartal 1016 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 – Präeklampsie 316 – Splenektomie 1016 Thrombozytenaggregabilität 1005
Thrombozytopenie, maternale 316, 989, 1017 – Autoimmunthrombozytopenie 1016 – peripartal 1008 Thrombozytopenie, neonatale 1017 Thrombozytopenie-fehlenderRadius-Sydnrom (TAR) 157 Thurnau, fetopelviner Index 841 Thyreoiditis, postpartale 236 Thyreostatika 100 – Pränataltherapie 582 thyreotropin releasing hormone (TRH), Lungenreife 543 Thyroxin(tranfer, plazentarer) 101 – Pränataltherapie 581 Tiefschlaf, fetaler 662, 736 Tilidin 103 Tissue-Plasminogenaktivator, rekombinanter (t-PA) 366 tissue factor 1008, 1013 Tokodynamometrie 661, 728, 754 Tokographie 653, 694 7 auch CTG – externe 727, 728 – interne 727, 728 – Vierkanaltokographie 517 Tokolyse – Anästhesie, geburtshilfiche 1049 – Azidose 762 – Basistokolyse 760 – β-Sympathomimetika 104 – Blasensprung, früher vorzeitiger 561 – Bolustokolyse 521, 759 – Erhaltungstokolyse 532 – Frühgeburt(lichkeit) 532 – – drohende 564 – – Medikamentendosierung 521 – Hyperstimulation 793 – Indikationen 749 – Kontraindikationen 520 – Langzeittokolyse 522 – Medikamente – – Anästhesie, geburtshilfiche 1050 – – Applikation 761 – – Frühgeburt(lichkeit) 521 – – Wehen, vorzeitige 519 – Nifedipin 524 – Notfalltokolyse 760 – Oxytozinantagonisten 565 – Placenta praevia 643 – Plazentalösung, vorzeitige 644 – pO2, fetaler 763 – Präeklampsie 322
– Prostaglandinsynthesehemmer 524 – Rotation, externe 950 – Schulterdystokie 974 – Uterusruptur 644 – Wehen, vorzeitige 519 – Ziele 519 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Tollwutimpfung, maternale, aktive/passive 106 TORCH-Serologie 380 Totgeborenes, Definition 1196 Totgeburt – Abstillen 1121 – Definition 514, 1196 – Gesprächsführung, ärztliche 1150 Totipotenz 6 toxic shock syndrome (TSS), Therapie 1101 Toxic-schock-syndrome-Toxin 1 (TSST-1) 1101 Toxoplasmose 217 – Diagnostik 426 – Empfehlungen 430 – Ernährung, maternale 224 – Österreich 217 – Schwangerenvorsorge 208 – Stadien, serologische 428 – Symptomatik 425 – Therapie 93, 429 – Transmission 426 – Transmissionsprophylaxe 429 – Übertragung 425 Trachealatresie, Pränataltherapie 570 Trachealballonverschluss, fetoskopischer 575 Trachealkompression 251 Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) 1156–1158 Tramadol 103 Tranexamsäure 992, 1011, 1015 Transaminase 316 Transfer, diaplazentarer 7 auch Plazentagängigkeit 89 Transferrin 348 – Ferritinindex (sTFR-Index) 349 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 – Rezeptoren 348, 349 Transfusion, fetomaternale, Rotation, externe 949 Transfusion, intrauterine 460 – Hydrops fetalis 260 Transfusion, maternale – Blutung, postpartale 1054 – Geburtsmodus 857 – Zeugen Jehovas 861 Transfusion, neonatale, Neugeborenenikterus 1084
S–T
1292
Stichwortverzeichnis
transfusion related acute lung injury (TRALI) 1007 Transfusionsazidose 1027 Transfusionssyndrom, fetofetales (FFTS) – Diagnostik/Symptomatik 929 – Management 931 – MRT 161 – Schwangerschaftsabbruch 1177 Translokation, balancierte 30 Transmission, horizontale/vertikale 381 Transmissionspulsoxymetrie 752 Transposition der großen Gefäße (TGA) 150 transverse arrest 836 Trauma, fetales, Fraktur 155 Trauma, maternales – Bauchtrauma 289 – Dammriss/-schnitt 697 – Geburtstrauma 697, 989, 995 – Gewalttätigkeit 291 – Hämatom, geburtstraumatisches 999 – Management 290 – Peri-mortem-Sectio 291 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Sport 213 – Uterusruptur 635 Trauma, peri-/neonatales 1069 – Plexusparese 969 – Schiefhals 969 Treppensteigetest nach Stembera 656 Trichomonaden, Frühgeburt(lichkeit) 531 Trichterbecken 835 Trichterbildung 535 Triglyzeride, – Erhöhung 602 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 182 Trikuspidalinsuffizienz 131 Trimethoprim, Teratogenität 93 Tripletest 131 Triplo-X-Syndrom 87 Triploidie, Mole, hydatiforme 47 Trisomie 13 128 – Klinik 86 – Pränataldiagnostik 166 – Schwangerschaftsabbruch 1176 – Spaltbildung 148 Trisomie 18 128 – Hand, Fehlbildung 154 – Herzfehler 150 – Klinik 86 – Mehrlingsschwangerschaft 934 – Pränataldiagnostik 166
– Schwangerschaftsabbruch 1175 – Spaltbildung 148 Trisomie 21 128 – Diagnostik 21 – Duodenalatresie 153 – Hand, Fehlbildung 154 – Herzfehler 150 – Klinik 86 – Mehrlingsschwangerschaft 934 – Nackentransparenzmessung 130 – Pränataldiagnostik 166 – Prävalenz 135 – Schwangerschaftsabbruch 1174 Trophektoderm 5, 6 Trophoblast – Differenzierungsstörung 314 – Entwicklung, physiologische 82, 83 – extravillöser 4, 7 – Physiologie 472 – physiologische Entwicklung 596 – Placenta accreta/increta/percreta 997 – Wehenauslösung 806 Trophoblasteninvasion 4, 10 – gestörte 325 – Risikofaktoren 263 Trophoblastepithel 5 Trophoblasterkrankung 20 – Formen 46 – Inzidenz 46 – maligne – – Chorionkarzinom 52, 53, 55 – – Diagnostik 52 – – FIGO-Staging 53 – – Metastasierung 52, 56 – – Plazentabetttumor 57 – – Therapie 54 – Mole, hydatiforme 46 – Plazentabetttumor 52, 57 – Risikofaktoren 46 Trophoblastpersistenz 49 Trophoblaststörung, IUWR 594 Troponin I 1055 TRUFFLE-Studie 676 Trypsininhibitor 477 Tubargravidität 7 auch Extrauteringravidität 34, 37 Tubarruptur 36 Tuben, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 179 Tubenligatur 7 Sterilisation, postpartale Tubotomie 39 Tumor, fetaler 251 – intrazerebraler 251
Turner-Syndrom 86 Turtle-Phänomen 966 twin-peak 928 twin-reverse-arterial perfusion (TRAP) 571, 932 Tylose-Gel 789 Typ-2-Diabetes, kindlicher – Programmierung, fetale 620 Typ-II-Pneumozyten 575 Typhusimpfung, maternale 106 T-Zeichen 928
U U1 1069, 1084 U2 1084–1086 U3 1084–1086 Übelkeit und Erbrechen 7 Nausea bzw. Emesis Überernährung, maternale 225 Übernahmeverschulden 246, 1227 überschnelle Geburt 824 Übertragung 7 Terminüberschreitung Überversorgung, fetale nutritive 619 Überwachung, antepartale – Azidose, fetale 649 – Bewegungsaktivität, fetale 659 – Blutgasanalyse, fetale 668 – Blutströmung 668 – Chordozentese 668 – CTG 7 dort – Dezentralisation 672 – Fruchtwassermenge 658, 665 – Gestationsalter 649 – Herzfrequenz, fetale (FHF) 7 auch CTG 649, 652 – Hormone, plazentare 667 – Hypoxie, fetale 649 – Mortalität, perinatale 676 – Nabelschnurblutgasanalyse 658 – Pelvimetrie 840 – Plazentagrading 667 – Power-Doppler 670 – Profil, biophyskalisches 663 – Schätzgewicht 665 – Schwangerschaftsrisiko, anamnestisches 648 – Serummarker – – Fruchttod, intrauteriner (IUFT) 667 – – Präeklampsie 667 – – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 667 – Stimulationstest, fetaler 658 – Terminüberschreitung 813 – Testverfahren (Abfolge, Übersicht, Wertung) 675
– Uteruskontraktion 651 – Verhaltenszustand, fetaler 662 – Wassergeburt 720 Überwachung, fetale – Atemaugmentation, maternale 1053 – CTG 7 dort – hypertone Krise, maternale 1053 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248, 1250 – Präeklampsie 1051 Überwachung, intrapartale 724 – Amnioninfektion 764 – Amnioskopie 751 – Auskultation 744 – Azidität 749 – Blutgasanalyse, fetale (FBA) 748 – Computer-CTG 758 – CTG 7 auch dort 725 – – Beurteilung 734 – – Empfehlungen der Standardkommission Kardiotokographie der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin 743 – – Kreißsaalaufnahme 742 – Fieber, maternales 764 – Fruchtwassermenge, reduzierte 764 – Fruchtwassermetrik 751 – Geburtseinleitung 785 – Herzfrequenz, fetale 7 auch CTG 728 – Herzfrequenzvariabilität, fetale (HRV) 758 – historischer Rückblick 724 – Höhenstandsdiagnose 869 – Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) 752 – Oligohydramnion 765 – Palpation 728 – pCO2 752 – pH-Wert 739, 752 – Phonokardiographie 724 – pO2 752 – PR-Intervall-Analyse 757 – Pulsoxymetrie 752 – Sauerstoffsättigung 752 – Schock, maternaler 762 – Sectio, Folgeschwangerschaft 861 – Skalplaktat 750 – ST-Analyse 756 – Stimulationstest, fetaler 740, 754 – – Skalpstimulation 756 – – Stimulation, vibroakustische (VAS) 754 – Terminüberschreitung 814 – Tokodynamometrie 728
1293 Stichwortverzeichnis
– Ultrasonokardiographie 725 – Uterusmotilität 734 – vaginaloperative Geburt 869 – Wehenregistrierung 732 Überwachung, maternale – hypertone Krise 1053 – postoperative, nach Sectio 917 – Präeklampsie 1051 Ulkustherapeutika 101 Ultraschall 7 Sonographie Ultraschallbiometrie – Mehrlingsschwangerschaft 931 – SGA-Fetus 604 – Terminüberschreitung, mögliche 813 Ultraschalldopplerregistrierung 725 Ultrasonokardiographie 725 Umbilikalvene, Sonographie 144 Umweltchemikalien/-gifte/schadstoffe – Beratungsstelle 107 – Berufstätigkeit 216 – Ernährung, maternale 224 – Fehlbildungshäufigkeit 86 – Substanzen 88 Unterernährung, maternale 225 Unterschenkelthrombose 365 Ureaplasma, Frühgeburt(lichkeit) 531 Urethralklappe, fetale – Obstruktion 158 – posteriore 574 – – Pränataltherapie 570 Urethralstenose 257 Urikult 531 Urininkontinenz, maternale – Beckenbodengymnastik 894 – Geburtsmodus 892 – Schwangerschaft nach Inkontinenzoperation 833 – vaginale Geburt 890 – vaginaloperative Geburt 881 – Wochenbett 1102 Urinproduktion, fetale, IUWR 607 Urodynamik 901 Urokinase 366 Urokortin 486 Urolithiasis 294 Uropathie, obstruktive 257 uterine packing 992 Uterotomie 913 – Frühgeburt(lichkeit) 546 – Schnittführung 859 Uterotonika 760, 1098 uterovaskuläres Syndrom 656 Uterus – Aktivität 517 – Apoplexia uteri 636 – Basaltonus 734 – bicornis 538
– – Abort 25 – Couvelaire-Uterus 641, 643 – Descensus uteri, vaginale Geburt 893 – didelphys, Abort 25 – Eihäute, Aufbau 492 – Fehlbildung – – Blutung, postpartale 990 – – Geburtsablauf, gestörter 831 – Gefäßligatur 993 – Größenzunahme 176 – Hamilton-Handgriff 1055 – Infektion, postpartale 800 – Inversio uteri 997 – Involution, Sectio 914, 918 – Kompressionsnaht 993 – Kontraktion 7 Uteruskontraktion – Minderperfusion 1045 – Mole, hydatiforme 48 – Muskulatur 176 – myomatosus 538 – Myometriumkontraktilität 478 – Narbendehiszenz 857–862 – Narbenruptur 857–860 – Narbenschmerz 862 – Operation, Rupturrisiko 860 – Perfusion 177 – – Terminüberschreitung 807 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 176 – Plazentalösung, manuelle 995 – Retroversion/Retroflexion 832 – Rückbildung, Stillen 1107, 1112 – Ruptur 7 Uterusruptur – Schnittführung 859 – Sectio 7 dort – Spasmus, uteriner 967 – Tamponade bei postpartaler Blutung 992, 999 – Torsion, Geburtsablauf, gestörter 832 – unicornis 538 – Uterusatonie 7 dort – utérus de bois 825 – Vasokonstriktion 990 – voroperierter 75 – Wanddicke, Entwicklung 176 – Wehentätigkeit, physiologische 480 – Wochenbett 1098 – Zervixreifung 495 Uterusanomalie – Frühgeburt(lichkeit) 533, 538 – Plazentalösung, vorzeitige 636 Uterusatonie 990 – Anästhetika, volatile 1043
– Blutgerinnung, maternale 1005 – Plazentalösung, vorzeitige 644 – Tamponadetest 993 – Therapie 991 Uteruskompressionsnaht 993 Uteruskontraktion – Alvarez-Welle 652 – Anästhetika, volatile 1043 – Braxton-Hicks-Kontraktion 651 – CTG 653 – Dauerkontraktion 734 – Formen 652 – Hyperaktivität, uterine 761 – Kontraktionsfrequenz 651 – Montevideo-Einheit (ME) 734 – Tokolyse 7 dort – Überwachung, intrapartale 728 Uterusruptur – Asphyxie, intrapartale 773 – Bauchtrauma 289 – Cerclage 538 – Definition 635 – gedeckte 857 – Intrauterinpessar, Postpartalperiode 1130 – Management, therapeutisches 644 – Operationsfolge 861 – Risikofaktoren 830 – Rupturrisiko – – Geburtseinleitung 791 – – Sectionarbe 791, 861 – stille 857 – Symptomatik 637 – Ursachen 636 Uterus septus 538 – Abort 25 – Korrektur, operative 30 Uterus subseptus – Abort 25 – Korrektur, operative 30 Uterus unicornis, Abort 25
V V.-cava-Kompressionssyndrom 285 – Anstrengung, körperliche 215 – Eröffnungsperiode 693 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 181 – Plazentalösung, vorzeitige 636 V.-cava-Okklusionssyndrom – Auswirkungen 758, 759 – intrapartales 758 – – Volumensubstitution 762
– Umlagerung, maternale 759 V. Galeni, Aneurysma 251 VACTERL-Assoziation 153 Vagina – Chadwick-Zeichen 176 – duplex 833 – Nachtastung 999 – Riss, peripartaler 999 – Scheidensekretion 176 vaginale Geburt – ambulante 1086 – Beckenendlage (BEL) 947 – – Fußlage 953 – – Steiß-Fuß-Lage 952 – – Steißlage, reine 951 – – Terminologie 951 – Entlassung 1086 – Geburtseinleitung 785 – Konjunktivitis, neonatale 1070 – Kontraindikationen 850 – Rotation, okzipitoposteriore 850 – Schulter 966 – Schulterdystokie 966 – Sectio, Folgeschwangerschaft 856 – Urininkontinenz 890 – vaginale Geburtsleitung bei Zustand nach Sectio (VGNS) 856, 857 – Zwillingsschwangerschaft 937 vaginaloperative Geburt – ACOG-Klassifikation der Zangenentbindungen 871 – Analgesie 883 – Auswirkungen Beckenboden 892 – Beckenausgang 871 – Blutung, postpartale 990 – Dammriss 898 – Dammschutz/-schnitt 875 – Folgeschwangerschaft, Schulterdystokie 972 – Forensik 849 – Forzepsentbindung 877 – Hämatom, maternales 999 – Häufigkeit 868 – Hebammengeburtshilfe 708 – Höhenstandsdiagnose 869, 870 – Indikationen 868 – Instrumente 873 – Komplikationen 882 – Kontraindikationen 872 – Leitlinie, geburtshilfliche 1253 – Lokalanästhetika 1037 – Methodenwahl 873 – Neugeborenes, Untersuchung 1069 – o.p.-Einstellung 849 – Pressversuch 849
T–V
1294
Stichwortverzeichnis
vaginaloperative Geburt – Sectiobereitschaft 881 – Stirnlage 851 – Vakuumextraktion 873 – – Durchführung 874 – – Querstand, tiefer 852 – von-Willebrand-Syndrom 1020 – Zwillingsschwangerschaft, hohe Vakuum- oder Forzepsextraktion 958 Vaginalzytologie 176 Vaginose, bakterielle – Frühgeburt(lichkeit) 531 – Leitlinie, geburtshilfliche 1248 Vakuumextraktion 7 vaginaloperative Geburt – Hämatom, geburtstraumatisches 999 Valproat 97 Valproinsäure – Auswirkungen 288 – Fehlbildungsdiagnostik 91 – Teratogenität 98 Valsalva-Manöver 214 vanishing twin 928, 929 Varicella-zoster-Immunglobulin (VZIG) 391 Varicella-zoster-Virus (VZV) – Diagnostik 391 – frühpostpartale Infektion 390 – Gürtelrose, maternale 390 – HIV 391 – Immunisierung, maternale 392 – Impfung, maternale, passive 106 – Postexpositionsprophylaxe 391 – Schwangerenvorsorge 207 – Symptomatik 390 – Therapie 391 – Varizellensyndrom, kongenitales (CVS) 390 – Windpocken, maternale 390 Varikosis, maternale 181 Varizen 176 – Schwangerenvorsorge 205 Vasa praevia – Blutung 634, 638 – Notsectio 644 – Sectio 911 vascular endothelial growth factor (VEGF) 324, 595 Vaskulogenese 8 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 595 Vasodilatatoren, Frühschwangerschaft 13 Vasopressin 487 Vasopressinrezeptor 487
Vasopressoren, Anästhesie, geburtshilfliche 1047 Veganismus 240 Vegetarismus 240 Veit-Smellie-Kopfentwicklungsmanöver 953, 954 Venendruck, maternaler 181 Venenverweilkanüle, Neugeborenes 1077 Ventilation, maternale – alveoläre, physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 184 – Gebärposition 704 Ventilations-Perfusions-Szintigraphie, Lungenembolie 365 Ventrikeldiskordanz 253 Ventrikulomegalie 150, 250 Verbrauchskoagulopathie, maternale 1005, 1008 – peripartal 1008 Verbrennung, maternale 290 Verfügbarkeitsregel 117 Verhaltensauffälligkeit/-störung, kindliche – Stress, maternaler 627 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 603, 609 Verhaltenszustand, fetaler – Herzfrequenz, fetale (FHF) 651 – intrapartaler 736 – physiologische Entwicklung 662 – Profil, biophyskalisches 663 – Überwachung, intrapartale 753 Verhütung 7 Kontrazeption Verkalkung, peritoneale 256 Verlegung, maternale – antepartale 1064 – Frühgeburt(lichkeit) 1080 – Frühgeburt, drohende 1080 Verlegung, Neugeborenes – Adaptationsstörung 1078 – Atmungsprobleme 1075 – Fehlbildung 1069, 1080 – Frühgeburt(lichkeit) 1080 – Geburtstrauma 1069 – Indikationen 1065 – Reanimation 1076 – small for gestational age (SGA) 1082 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 1082 Verlustkoagulopathie, maternale 1005 Vermis cerebelli, Herniation 150 Vesikovaginalfistel 538 Viereckmethode, koreanische 993 Vierfeldertafel 112 – prädiktiver Wert 115
Vierfüßlerstellung 7 Gebärposition, maternale KnieEllbogen-Lage Vierkanaltokographie 517 Viewpoint 591 Virilisierung 581 Virustatika, Teratogenität 94 Vitalitätszeichen in der Frühschwangerschaft 22 Vitamine – A 228 – – Teratogenität 105 – – Vitamin-A-Säure-Derivat 91 – B-Gruppe 230 – – B6 336 – – B9 7 Folsäure – Bedarf in der Schwangerschaft 228 – C 234 – D 230 – – Vitamin-D-Prophylaxe, neonatale 1085 – K 234 – – Vitamin-K-Mangel-Blutung 235 – – Vitamin-K-Mangel beim Neugeborenen 1069 – – Vitamin-K-Prophylaxe, neonatale 1084 – Präparate 104 – Reservekapazität 228 Volumenexpansion 357 – physiologische 988 – prä-/peripartal 1053 Volumenmangelschock, maternaler 1006 Volumentherapie, maternale – intrapartale 762 – Auswirkungen, hämodynamische 1006 – Blutung, postpartale 1055 Volumenüberlastung 1007 Volumetrie 840 Volvulus 153 von-Willebrand-Faktor-Multimer 1017 von-Willebrand-Faktor/FaktorVIII-Komplex 1004 von-Willebrand-Syndrom 1019 – Blutung, postpartale 989 – Diagnostik 1019 – Therapie 1020 Vorderhaupthaltung, vaginaloperative Geburt 877, 881 Vorderhaupteinstellung 847 Vordermilch 1112 Vorfall 853 – kleine Teile 856 – Nabelschnur 853 – vollkommener/unvollkommener 856
Vorhofflattern, fetales, Pränataltherapie 583 Vorliegen 853 – kleine Teile 856 – Nabelschnur 853 Vormilch 7 Kolostrum
W Wachstum, fetales – gestörtes 592 – physiologischer Ablauf 591 – Regulation 596 – Schätzgewicht 665 – Terminüberschreitung 807 – ungleichmäßiges 595 – Verlauf 247 – Wachstumsnomogramm 591 – Zwillingsschwangerschaft, diskordantes Wachstum 596 Wachstumsfaktor, epidermaler (EGF) 6 Wachstumsfaktor, transformierender (TGF-α und -β) 6, 10 Wachstumsfaktor, vaskulärer endothelialer (VEGF), 14 Wachstumshormon, plazentares 593 Wachstumskurven 588 Wachstumspotenzial 589 Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) – Adaptation, fetale 607 – Alkoholabusus 217 – amniotic fluid index (AFI) 605 – Anstrengung, körperliche 213, 215 – Antiphospholipidsyndrom (APS) 28 – asymmetrische 592 – Ätiologie 591 – Auswirkungen, langfristige 595, 597 – Beginn 592 – β-Blocker 312 – Biometrie 598 – Catch-up-Wachstum 619 – Chordozentese 668 – Chromosomenanomalie 592 – Definition 589 – – Zwillingsschwangerschaft 931 – Diagnostik 601, 603 – Dopplersonographie, Stellenwert 607 – Entbindungszeitpunkt 606–608 – Fruchtwassermenge 605, 665 – Frühschwangerschaft 4
1295 Stichwortverzeichnis
– Gewichtsperzentilen 588 – Gewichtsquotient 595 – Glukosemetabolismus, fetaler 619 – Hyperemesis gravidarum 225, 277 – Hyperoxygenation, maternale 606 – Hyperthyreose, fetale 582 – Hypertonie, maternale, chronische 309 – Interventionsverzicht 608 – Karyotypanomalie 592 – Koffein 217 – Körperproportionen 592 – Longitudinalstudien 607 – Lungenreife 608 – – Induktion 602 – Magnesium 238 – Management 597 – Morbidität, kindliche, langristige 609 – MRT 160, 161 – Neugeborenes, Versorgung 1082 – neurologische Störung 597 – Oligogydramnion 157 – Ösophagusatresie 255 – Pathophysiologie 591 – Plazentalösung, vorzeitige 636 – Plazentastörung 594 – Ponderalindex 592, 598 – Präeklampsie 317, 593 – Programmierung, fetale 619 – Risikofaktoren 601 – Scheitel-Steiß-Länge 598 – Schwangerenvorsorge 206 – Schwangerschaftsverlängerung 609 – Serummarker 668 – small/large for gestational age (SGA) 588 – Sparschaltung, fetale 607 – Spiralarterien 8 – Sport 213 – Stimulationstest, fetaler 659 – Stress, maternaler 627 – symmetrische 592 – Terminüberschreitung 813 – Therapiekonzepte 605 – Trophoblasteninvasion, unzureichende 10 – Überwachung, fetale 605, 608 – Ursachen, genetische 592 – Vaskulogenese 595 – Verhaltensauffälligkeiten, kindliche 603, 626 – Versorgung, maternale 592 – Wachstumskurven 588 – Wachstumspotenzial 598 – Zerebralparese 597
– Zwillingsschwangerschaft 931 – – diskordantes Wachstum 596 Wadenkrampf 237 Wadenschmerz 364 Wahrscheinlichkeitszahl 118 walking epidural 1026 Warfarin 369 Warfarinembryopathie 101 Wärmeanwendung 706 Waschfrauenhände 804, 1068 Wassergeburt – Ablauf 718 – Abnabelung 719 – bonding 719 – CTG 719 – Dammschutz/Episiotomie 719 – Diving-Reflex 716, 718 – Gebärwanne 715 – historische Entwicklung 714 – Hygienemaßnahmen 721 – Indikationen/Ausschlusskriterien 719, 721 – Neugeborenes 720 – Risiken 716 – Überwachung 720 Wasserheilverfahren 714 Wasserintoxikation 991 Wechsler Intelligence Scale for Children 236 Wehen – Ablauf, physiologischer 480 – Alvarez-Welle 652 – Austreibungsperiode 690 – Beginn 486 – Braxton-Hicks-Kontraktion 652 – CTG, intrapartales 7 auch CTG 732 – Dauer 734 – Dauerkontraktion 734 – Druckamplitude 734 – Elektromyographie, transabdominale (EMG) 489 – Eröffnungswehen 652, 732 – Erregungsbildung 177 – false labor 690 – Frequenz, intrapartale 734 – Gebärposition, maternale 704 – Geburtsbeginn 689 – Geburtswehen – – Entstehung 806 – – Typen 733 – Hyperstimulation 792 – Inkoordination 825 – Krampfwehen 825 – Kreißsaalaufnahme 691 – Oxytozin 695, 828, 829 – – – Dosierung 786 – Plazentarperiode 690 – Polysystolie 734
– Pressperiode 695, 734 – Prostaglandin, Dosierung 788 – Proteine, kontraktionsassoziierte 489 – Registrierort 734 – Reifungswehen 652, 732 – Schwangerschaftswehen 689 – Senkwehen 652, 732 – Stickstoffmonoxid (NO) 491 – Stimulation – – Folgeschwangerschaft nach Sectio 862 – – Oxytozin 828, 829 – tripple descending gradient 733 – vaginaloperative Geburt 869 – Vorwehe 652 – vorzeitige 7 dort – Wehenbelastungstest 7 dort 655 – Wehenform 653 – Wehenfrequenz 653 – Wehenregistrierung 7 auch dort bzw. CTG 653 – Wehenschreiber 7 CTG – Wehenschrittmacher 653 – Wehenschwäche 821, 825 – – Diagnostik 826 – – Management 827 – – Stimulation 869 – – Ursachen 826 – Zytokine 490 Wehen, vorzeitige 515 – Appendizitis 292 – Bolustokolyse 520 – Diagnostik 517 – HIV-Transmissionsprophylaxe 409 – Leitlinie, geburtshilfliche 1251, 1252 – Mehrlingsschwangerschaft 477 – NO-Donator 526 – Oyxtozinantagonisten 525 – Polyhydramnion 477 – Prostaglandinsynthesehemmer 524 – Psychosomatik 1148 – Sport 213 – Ursachen 518 – Zwillingstransfusionssyndrom 572 Wehenakme 728 Wehenbelastungstest – Brustwarzenstimulationstes 655 – Contraction-stress-Test (CST) 655 – Dauerkontraktion 655 – Kniebeugenbelastungstest nach Saling 656 – Kontraktions-Stress-Test 655
– Non-Stress-Test (NST) 655, 657 – Oxytozinbelastungstest (OBT 655 – Polysystolie 655 – Stehstress-Test (SST) 656 – Stimulation, vibroakustische 657 – Treppensteigetest nach Stembera 656 Wehendystokie 822, 825 Wehenfrequenz 653 7 auch CTG Wehenregistrierung 7 CTG Wehenschreiber 7 CTG Weichteildystokie, Ernährung, maternale 225 Weichteilrohr 686 Weißkittelhypertonie 308 Wendungsmanöver 7 Rotation, externe/interne wet lung 718 Wharton-Sulze 1094 Whirlpool-Zeichen 153 Whole-Chromosomen-Painting (WCP) 168 Widerstand, totaler peripherer, maternaler (TPR) 180 Windei 23 Windeldermatitis, Candida-Infektion der Brust 1118 Windpocken, maternale 390 Wochenbett – Adipositas, maternale 302 – Anämie, Therapie 356 – Angstzustände 1103 – Arzneimitteleinnahme, Zeitpunkt 323 – Baby Blues 190 – Blutgerinnung 1005 – Blutverlust, peripartaler 356 – Depression, postpartale 1103, 1151 – Eisenbedarf, maternaler 345 – Endo(myo)metritis 1099 – Fieber 1098 – Gerinnungsstörung 1007 – Gestationsdiabetes 1127 – Hämatom, geburtstraumatisches 1000 – Hämorrhoiden 1102 – Harnverhalt 1102 – Harnwegsinfekt 1102 – Herzerkrankung, maternale 284 – Hormonentzug 1103 – Infektion 1099 – – Diagnostik 182 – – Plazenta, unvollständige 996 – Lochien, normale 1098 – Mutterschafts-Richtlinien 200 – Organdysfunktion 1100
V–W
1296
Stichwortverzeichnis
Wochenbett – Plazentalösung, unvollständige 699 – Postpartum-Blues 1151 – psychische Störungen 1103 – Psychose, postpartale 1151 – Psychosomatik 1145 – Rückbildung 1098 – Schwangerenvorsorge 200 – Sectio 917 – – Rückbildungsgymnastik 917 – – Wundpflege 917 – septisches Geschehen 1100 – Sterilisation 1132 – Stillen 7 dort – Thromboseneigung 368 – Thromboseprophylaxe 368, 369 – Urininkontinenz 1102 Wochenfluss 7 Lochien Wolf-Hirschhorn-Syndrom 592 Wolf-Parkinson-White-Syndrom, Pränataltherapie 583 Woods-Manöver, Schulterdystokie 977 Wundinfektion im Wochenbett 1101 Wurmbefall 7 Helminthen
X X-Syndrom 609
Y Yin und Yang 1157
Z Zahnerkrankung, maternale, Frühgeburt(lichkeit) 518 Zange, geburtshilfliche (Arten) 877 Zangemeister-Handgriff 851 Zangemeister-Zeichen 692 Zangengeburt 7 vaginaloperative Geburt Zavanelli-Manöver 981 Zeckenbiss 417 Zeichnen 177 Zeichnungsblutung 637 Zellkern, haploider 5 Zellteilung, meiotische 4 Zellweger-Syndrom 160 Zentralisierung 1204 Zephalhämatom, kindliches 687 zerebrale Funktionsstörungen, Programmierung, fetale 625
Zerebralparese (CP) – Asphyxie, intrapartale 775, 778, 1064 – Auswirkungen 778 – Frühgeburt(lichkeit) 514 – kongenitale 649 – Nabelschnurvorfall 854 – Überwachung, antepartale 648 – Ursachen 777 – Wachstumsrestriktion, intrauterine (IUWR) 597 zero flow 603, 604 Zervikalabstrich, Endometritis 1099 Zervikalgravidität 34 Zervix 501 – Dritttrimesterscreening 266 – Eröffnung 690 – – Zeichnungsblutung 636 – Erweichung 496 – Frühgeburt(lichkeit) 517 – Geburtsbeginn 686 – Hegar-Zeichen 497 – Infektion, Chlamydia trachomatis 420 – Insuffizienz 267, 497 – Kollagengehalt 517 – Konisation 832 – Kreißsaalaufnahme 692 – Länge 517 – – Messung, sonographische 266 – Nachtastung 999 – normale Geburt 689 – Operation in der Anamnese 832 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 177 – Plazentaretention 995 – Pressversuch 268 – Provokationstest 267 – Reife/Reifung Siehe dort – Riss, peripartaler 999 – Schleimabgang 691 – Terminüberschreitung 806 – Trauma, Frühgeburt(lichkeit) 533 – Verkürzung 689 – Verstreichen 689 – Zeichnen 177 Zervixdilatation – Geburtseinleitung 786, 791 – Schwangerschaftsabbruch 67 Zervixdystokie 832 Zervixinsuffizienz – Abort, Frühschwangerschaft 25 – Ätiologie 533 – Definition 533 – Diagnostik 534 – Frühgeburt(lichkeit) 533
– Therapie 534 Zervixkarzinom – invasives 297 – Rupturrisiko 830 Zervixlänge – Schwangerenvorsorge 200 – Zwillingsschwangerschaft 930 Zervixpriming – Geburtseinleitung 787 – Schwangerschaftsabbruch 67 Zervixreife 267 – Ablauf, physiologischer 495 – Apoptose 499 – Bindegewebe 496 – Bishop-Score – – Frühgeburt(lichkeit) 534 – – Geburtseinleitung 785 – – Schwangerenvorsorge 200 – Blasensprung, vorzeitiger, terminnaher 798 – Elastin 497 – Entzündungsreaktion 500 – Fibroblast 498 – Geburtseinleitung 786, 787, 812 – Hormone 499 – Methoden 811 – physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft 177 – Prostaglandin 787, 789 – Proteasen 498 Zervizitis, Chlamydia trachomatis 420 Zeugin Jehovas 861 – Anämie 351 – Erythropoietin, rekombinantes (rhEPO) 352 Zidovudin 94 Zink 238 – Bedarf in der Schwangerschaft 228 Zirkumzision 833 Zivilrecht, – Begutachtung 1241 – Arzthaftung 1233 ZNS, fetales – maternale Ernährung 239 – MRT-Diagnostik 160 – Sonographie 145 Zona pellucida 4 Zona spongiosa 492 Zoster 7 Varicella-zoster-Virus (VZV) Zottenentwicklung 13 – gestörte 595 – Transportfunktion 4 Zottengefäßapparat, IUWR 595 Zottenkreislauf 4 Zottenreifung – diskordante 317
– Störung, maternaler Diabetes mellitus 441 Zottentyp, intermediärer 12 Zottenvaskularisierung 807 Zugang – Frühgeborenes 1081 – Neugeborenes 1077 Zweittrimesterscreening – Fehlbildungen, fetale 138 – Screeningstrategie 138 Zwerchfell(defekt) – Dritttrimesterscreening 251 – Intubation, postnatale 152 – MRT 162 – Neugeborenes, Versorgung 1069, 1079 – Sonographie 152, 251 Zwerchfellhernie, kongenitale – Dritttrimesterscreening 251 – Sonographie 251 – Pränataltherapie 571, 574 Zwillingsgeburt, Kintetokardiogramm 736 Zwillingsschwangerschaft – Adipositas, maternale 301 – Aneuploidie 929 – Beckenendlage (BEL) 958 – – Sectio 958 – – vaginaloperative Geburt 958 – Blasensprung, interamnialer 562 – Blasensprung, vorzeitiger 562 – Dichorionizität 925, 927 – diskordante – – Beckenendlage (BEL) 958 – – Pränataltherapie 570 – Dizygotie 925, 927 – Folsäure 233 – Frühgeburt(lichkeit) 545 – Geburtsmodus 937 – Geburtszeitpunkt 936 – Hyaline-Membran-Syndrom 562 – Inzidenz 925 – λ-/T-Zeichen 928 – Mole, hydatiforme 47, 48 – monoamniale 932 – Monochorionizität 925, 927 – Monozygotie 925, 927 – Mortalität, neonatale 1202 – Nabelschnurverschlingung 928 – Pagusbildung 927, 933 – Periduralanästhesie (PDA) 1033 – Placenta praevia 635 – Pränataldiagnostik 927 – Querlage 959, 960 – Reproduktionsmedizin 926 – Schwangerenvorsorge 935
1297 Stichwortverzeichnis
– Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 295 – siamesische Zwillinge 839 – – – Ätiologie 927 – – – Morphologie 933 – Stillen 1117 – Superfekundation 927 – Transfusionssyndrom, fetofetales (FFTS) 931 – – MRT 161 – twin reverse arterial perfusion(TRAP) 932 – vanishing twin 928, 929
– Wachstum, diskordantes 596 – Wachstumsdiskrepanz, extreme 931 – Zwillingskollision 967 – Zwillingstransfusionssyndrom 571, 572 – Zygotiediagnostik 927 Zyanose – Frühgeburt(lichkeit) 540 – Neugeborenes 1071 Zygotie 5 – Diagnostik 927 Zyklooxygenase (COX) 495, 524
zystische adenomatoide Malformation (CCAM), Sonographie 152 Zystitis 293 Zystoskopie, fetale 574 Zytochrom aa3 752 Zytokine 490, 806 – Blasensprung, früher vorzeitiger 566 – Frühgeburt(lichkeit) 476 – Frühschwangerschaft 6 – Geburtsauslösung 473 Zytomegalievirus (CMV)
– – – –
Auswirkungen 386 Diagnostik 387 Expositionsprophylaxe 388 Immunisierung, maternale, aktive/passive 388 – Schwangerenvorsorge 207 – Symptomatik 385 – Therapie 388 Zytostatika – Berufstätigkeit, medizinischer Beruf 215 – Schwangerschaftsabbruch 91 Zytotrophoblast 4, 8
W–Z
1253 60 · Empfehlungen und Leitlinien (Guidelines)
Titel
Jahr
Institution
Erstautor
Quellen
Vaginaloperative Entbindungen
2008 (V)
DGGG16
DGGG
015/023 (S1) www.dggg.de
Väter bei Sectio caesarea, Anwesenheit
2008 (V)
DGGG16, DGAI15, BVF11
Vereinbarung über die Zusammenarbeit in der oparativen Gynäkologie und Geburtshilfe
2008 (V)
DGGG16 BVF11 DGAI15
DGGG BDA
www.dggg.de
Wehenhemmung medikamentöse
2008 (V)
DGGG16
DGGG
AWMF 015/025 (S1) www.dggg.de
Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme
2008 (V)
DGGG16 AGMR8
Zustand nach Kaiserschnitt, Schwangerenbetreuung und Geburtsleitung
2008 (V)
DGGG16 DGPM17
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Frauenarzt 40 (1999), 1113 f., AWMF 015/022 (S1) www.dggg.de
Frauenarzt 41 (2000) 532 ff., AWMF in der Geburtshilfe, Empfehlung 015/030 (S1) www.dggg.de DGGG
AWMF 015/021 (S1) www.dgg.de
AAP = American Academy of Pediatrics. ACCP = American College of Chest Physicians. ACOG = American College of Obstetricians and Gynecologists. ADA = American Diabetes Association. AGFG = Arbeitskreis Folsäure und Gesundheit. AGII = Arbeitsgemeinschaft Infektologie und Infektionsimmunologie in der Gynäkologie und Geburtshilfe. AGMFM = Arbeitsgemeinschaft für Materno-Fetale Medizin. AGMR = Arbeitsgemeinschaft Medizin Recht. APEC = Action on Pre-Eclampsia. ASGE = American Society for Gastrointestinal Endoscopy. BVF = Bundes Vereinigung der Frauenärzte. CDC = Centers for Disease Control. DDG = Deutsche Diabetes Gesellschaft. DEGUM = Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin. DGAI = Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. DGGG = Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. DGPM = Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin. EHS = European Heart Society. FMS = Finnish Medical Society. GNPI = Deutsche Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin. ICSI = Institute for Clinical Systems Improvement. NAF = National Abortion Federation. NHLBI = National Heart, Lung and Blood Institute. NICE = National Collaborating Centre for Women’s and Children’s Health (UK). NSK = Nationale Stillkomission. NZGG = New Zealand Guidelines Group. PHSTF = Public Health Service Task Force. PSTF = US Preventive Services Task Force. RCOG = Royal College of Obstetricians and Gynaecologists. USPSTF = US Preventive Services Task Force.
Internetadressen, die kostenlosen Zugang zu diesen und weiteren Guidelines sowie zur medizinischen Fachliteratur bieten
www.awmf-online.de www.dggg.de www.guideline.gov www.obgyn.net www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi (=PubMed) www.rcog.org.uk
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